-ocr page 1-

DIE RELIGION

ALS

WILLE ZUM EWIGEN LEBEN.

EIN VORTRAG

VON

Prof. Dr. ALFRED WEBER.

□in1? mrr nsT

Prov. 19, -ia.

STRASSBURG

.), 11. ED. HEITZ (11KIT/ amp; MÜNDEL) 1S88.

-ocr page 2-

-

-ocr page 3-

UN SERE M GYMNASIUM

1538—1888.

-ocr page 4-

..

-ocr page 5-

Inhaltsverzeiclniis.

Seite

Vorwort.......... ..........IX

1. Religion im Allgemeinen..........................1

2. Wesentliches und Secundares im Begriff der Religion ... 1

3. Quelle der Religion...............2

4. Religion und ünsterblichkeitsglaube....................3

5. Anfange der Religion ............................3

6. Religion, Metaphysik und Moral...........5

5. Einwürfe und Abwehr..............................7

8. Weitere Einwürfe................................1

9. Religion und Religionen.............9

10. Die religiose Entwickelung der Menschheit.......10

11. Religion und Volkstum..............11

12. Die Entwickelung des religiösen Vorstellens und Handelns: Erste Stufe..................12

13. Zweite Stufe...................12

14. Dritfe Stufe..... ............l'i

15. Die Relativitilt der Begriffe Polytheisraus und Monotheismus 17

16. Das perenirende Wesen der Religion.........18

Erlauterungen und Citate..............23

I. Zn § 2..................25

II. Zn § 5..................20

III. Zu § 12 . •................28

IV. Zu § 13..................32

V. Zu § 14..................44

-ocr page 6-

j

1

■*

-ocr page 7-

VORWORÏ.

Folgender Vort rag wurde zuerst im November IiST'i, zuin zweiten mid lotzten male mil unweseut-lichea Abanderungen im Mai 1880 gehalten. Letzteres Datum mag darüber entseheideu iawieweit derselbe von der einsehliigigen Litteratur der letzten Jahr-zehnte beeinflusst res]), unabhangig ist.

Zur Verstandigung mit denjenigen die, den Reichtum cliristliclien Glaubenslcljens und ehrist-lieher Liebesthatigkeit erwagend, unsoru Roligions-begriiï als einseitig und dürftig eracbten werden, sei bemerkt, dass es sieh bier um Feststellung eines Rabmens bandelte, worin die niedrigsteu und elen-desten sowobl als die böebsten und reiebsten Reli-gionsformen,» sowobl der «wildwachsende» Feti-scbismus als das dureb jabrtausendelange «Erziebung des Menscbengescblecbts» gezüehteto Cbristentum Platz finden, und dass der Inhalt eines solcben Allgemeinbegrilïs stets im umgekebrten Verbaltnis zu dessen Umfang stebt. Wir wollten eben uur

-ocr page 8-

zeigen was alle Religionen ohne Ausnahrne sind, und dass dieses ihnen gemeinsame Wesen nicht intellectueller^ sondern affectiver Nalur, nicht Vor-stellung, nicht Idee — aucli nicht, wie Max Müller annirnnit, die Idee des Unendlichen — sondern Wille ist. Wir wollten den Causalznsainmenhang nachweisen, der zwischen aller Religion und der Thatsache des Todes besteht, den Beweis führen, dass alle Religion — auch wo der Schein wider uns zengt — ein Protest gegen den Tod ist.

A.. W.

April 1888.

-ocr page 9-

Religion ist, im subjeclivcn Sinne, die den Menschen i.Religion als Gallung charakterisirende Scheu vor eingebildelen gcmeinen, oder aber wirklich exislirenden «Machten», von denen er annimmt, dass sie einen entscheidenden Einlluss anf sein Schicksal ansüben, nnd dnrch ein beslimmles Verhallen von seiner Seilo giinstig geslimmt oder wcnigstens nn-schiidlich gemachl werden konnen; objectiv, das Ganze der Vorstellnngen, Gebrtiuche nnd Institulionen, welche nus dieser «froinmen Scheu» hervorgegangen.

Religion ist Schen, also znnachst Gefiihl, Trieb 2-. wesent-(\\ ille nnd Widerwille), eine Erscheinune: aflectiv-pas- secundiires

n • i • ii im Begriff

sioneller, mcht inlelleclueller, Natur. Sie ist, populiirer ReSligJon ansgedriickt, zuniichst nnd in ersler Linie, Sache des llerzens, nicht des Verstandes. Daher ihre Macht mul ungehenere Rolle in der Weltgeschichte.

Sie ist 2) Scheu vor imaginfiren oder wirklich exislirenden (in einem Worte vorgestellten) Wesen.

Dainit ist als zweites nnd secundiires Element des reli-giosen Phanomens die Vorstel lung ausgesprochen (welche Hegel in systeinalischem Interesse nnd init Un.

recht als das wesenlliche in demselben bezeichnel . Religion ist in ersler Linie Affect, Trieh, Wille, in zweiter: Vorslellung.

Und zwar 3) Vorslellung von Machten, von denen angenommen wird, dass sie . . . dnrch ein beslimmles Verhallen von unserer Seile giinstig geslimmt, bzw.

-ocr page 10-

2 —

unschadlich gemacht werden können. Hiermit ist eiu drilles im Begriff der Religion enthallenes Element nam-haft gemacht; die Religion, die in ersler und zweiter Linie ein Empfinden und Vorstellen, ist drittens ein Thun, ein praktisches Verhallen, worin jene Scheu zum Ausdruck, jene Vorstellungen zur Darstellung gelangen (Cultus: Opfer, Gebet, fromme Sitte).

y. Quelle Ist Religion wesentlich der aus Zu- und Abneigung

(Ier

Religion, gemischte Afl'ect der Scheu, den wir der Macht gegen-über empfinden, der wir entscheidenden Eintluss auf unser Schicksal zuschreiben, so ist dainit die Antwort gegeben auf die vielventilirie Frage nach ihrem Quell und Ursprung.

Sie lautet:

ürquell der Religion ist der Selbsterhaltungstrieb im Bnnde mit der dichtenden Phantasie und deutenden Reflexion. Aus Wille und Einbildungskraft ist die Tochter «Religion», aus dem Widerwillen vor Tod und Ver-nichtung (horror nihili) ist die Scheu vor deren ver-meintlichen oder wirklichen Ursachen, aus der Todesfurcht die Gottesf'urchl erzeugt. Primus in orbe deos fecit timor ist, in diesem Sinne, ein wahres Wort, so wie audi jenes andere dass, wenn der Mensch nicht stürbe, er auch keine Religion hiilte, und jenes drilte ; Der grosse Lehr-meister der Religion ist der Tod.1 Dies ist er, in

1

Am allerwenigsten werden dicsciu Satzo unsere Charfrcitags-und Osterpredigcr widersprechen, auch diejenigen nicht, die an einem 1. oder 2. November den Père-Lachaise oder den Montmartre-Friedhof besucht haben. Es gibt Leute, die kaum jo einen Sonntagsgottesdienst besuclien, bei keiner Leichenfeier aber in ihrer Njihe febleu. Am gahnenden Grabe wird auch der Irreligiösesto religiös, auch der Ungliiubigste glilubig. Legion sind übrigens die Bibelstellen — um nur vom Christentum zu reden — worin die hier betonte innige Be-ziehung zwischen Religion und Tod resp. Lebeu mit unverkennbarster Deutlichkeit an den Tag tritt. Vgl. § 15.

-ocr page 11-

— 3 ~

der That, von Anfang an gcwesen; dcnn wer ihn fiirchlet, das Leben unbedingl will, fiirchlet eo ipso die Macht, die über beide verfiigt, hat eo ipso Religion. Den Tod aber fiirchlen wir alle: daher die ansnahmslose Universaliliil der Religion. Hiitte das Tier die schöpferische Pbantasie nnd abstrahirende Intelligenz des Menschen, and wiisste es vom Tode, so hatte anch das Tier Religion, demi es hat mit dem Menschen den Willen zum Leben, den «Urheber» der Religion, geinein.1 Im Menschen aber ])rovocirt dcrselbe (negativ ausgedrückt; der horror nihili) die Einbildungskraft, er reizt sie, erregt sic, gibt sie sich zur Helferin. Alle Angst belliigelt ja die Phantasie, er-blickt, znmal im Dunkeln nnd Riitselhaften, Gespenster, verderbendrohende Erscheinungen, und dies gilt y.aT'

von der «religiosen» Angst, die nns des Todes Riitsel einflossen.

Dass alle Religion aus dem Selbsterhaltnncslriebe i. Heiigion

1 • 1 Unlt;' (hesst nnd nn letzten Grimde nichls anderes ist als dicser ui^tcrb-

lichkcits-

Trieb von der Kehrseite angesehn(das Nichtsterbenwollen), [ eluub(-'-zeigt sich in möglicbst durchsichtiger nnd iinverkenn- j barer Weise im Unsterblichkeitsglauben nnd Ahnencult,

der fast überall anfs innigste mit ihr verbunden, ja mit ihr identisch erscheint. Ist doch dieser Glaube nichls anderes als der sich bis in den Tod nnd über den Tod hinaus behauplende nnd bejahende Wille zum Dasein.2

Vermoge aber der Neigung, die der Nalurmensch mit 5. Anfango dem Kinde gemein hat, sich selbst mit seinem Vorstellen, Religion. Empfmden und Wollen in die Nalnr hinein zu dichten (Anthropopathismus), slelll er sich die Ursachen von Krankheit und Tod, Freude nnd Leid, als willkürlich

1

Auch finden wir dieselbe, wenigstens schon vovgebildet, z. B.

2

im Verhiiltnis des Hundes zi; seinem Herren. 2 Vgl. § 15.

-ocr page 12-

handelnde Wesen vor, die, je uachdem sie ilim wohl oder übel wollen, Glück oder Uuglück, Slerben oder Leben iiber ihn verhangen. Der Unlerscbied zwiscben denjenigen Schicksalsberren, von denen überwiegend gutes komml (den eigenllicben «Götleru» des Polylheismus) und den syslemalisch neckiscben und scbadlicben (den « Dümonen ») ist in den Anfangen religiöser Enlwickelung ein durcbans scbwankender. Jene zeigen sicb ja nicbt ausscbliesslicb Leben und Segen spendend, diese nicbt unbedingt scbadigend nnd verderbend. Von der Sonne z. B., also von demjenigen nnler den « bübern Wesen» welcbes nachst Blilz, Donner und Gewillerstunn, den allernulcbligslen Eindruck auf' den Nalunnenschen her-vorbringt, einen so überwiilligenden Eindruck, dass nicht wenige Mythologen alle lleligionen auf' den Sonnencullus zuriickzufübren geneigt sind, von der Sonne gehl beides aus, befruchlende Warme und verderbende Glut, Leben und Tod. Derselbe Wassergoll, der beute in wilder Flut verbeert und verdirbt, ist morgen wieder ein Quell der Labung und des Lebens. Der Gott, so schliesst der Naturmensch, ist also weder unbedingt gnt nnd menschen-freundlich noch unbedingt bösarlig, sondern nur überwiegend das eine oder das andere.

Das dieser Anflassung entsprechende « religiose Ge-fühl» ist weder Liebc noch Ilass, weder unbedingte Achtung und Verehrung, noch schlechthinige , wenn auch verdeckte, Abneigung, sondern jene zwiscben amor und horror oscillirende Empfindung, die wir nicht hesser als mit dein Worte Sc beu bezeicbnen konnen. Geliebt wird der Gott nur insofern er sich gütig erweist, die Wünsche des Menschen erfiillt; gehasst nur insofern er ihn schiidigt Es kommt am Ende alles darauf an, dass er, gleichviel ob an sicb gut oder bösarlig, dem Menschen gunstig g e s t i m m t, oder doch , falls dies nicht möglich und seine Macht als eine verhaltnismassig ge-

-ocr page 13-

Huge gedacht wird, unschadlich gemachl werde.

Dies aber geschiehl im Callus, beziehenllich im Zauberwesen (praktische Religion).

Wahrend also der religiose Trieb (der Wille zum e. ueiigion, ewigen Leben) einerseits die Phantasie, überhaupt die quot;un'fÏÏJrai!' theoretischen Geisteskriifte erregt, und vennittelst derselben eiue Mythologie, Theologie, Metaphysik schali'i, bestiinmt er auf der anderen Seite das praktische Verhalten des Menschen. ünd gleichwie jenes religiose Phanlasiren und Theoretisiren die Urform alles Phi 1 osoph i rens ist, so ist dieses praktische Verhalten des Menschen gegen seine Gotter (im weitesten Sinne, also gegen die Vater, Ahnengeister, Fetische, gegen den vergötterten König, den vergötterten Slaat u. s. \v., u. s. w.), welches wir schlechtweg als Cultus bezeichnen, die Urform des sittlichen II an deins, die element a re S i 111 i c h k e i t.

Religion, Philosophic und Moral sind denmach in ihrem Ursprunge identisch. üem Baume und seinen Teilen gleich, bilden sie in ihren Anfangen ein innig zusammengehörendes Ganzes worin der Selbslerhaltungs-trieb die gemeinsame verborgene Wurzel, Religion den machtigen Stamm, Theologie und Philosophic Aestc mul Zweige, der Cultus oder die religiose Sitle Moral Blüten und Friichte darstellt. Zwar, wie die x\este und Zweige mil ihren Blüten und Früchten vom Stamme sich zu entfernen streben, so audi die Philosophic und Moral in ihrer Entwickelung. Aber sie sind nichtsdestoweniger eines Wesens mil ihrem Stamme, der Religion. Es ist der eine und universelle Selbsterhallungstrieb, der sich auf verschiedcnen Wegen, in der Religion und Moral durch FrOmmigkeit und Tugend, in der Theologie und Philosophic als denkende Belrachlung mid Erkenntnis befriedigl.

-ocr page 14-

— 0 —

. Einwürfe Allcrdings bilden die Geschichte der Religion und

Abwehr, die Geschichte dor Philosophie vielfach einen scharfen Gegensalz : eine ernstliche Iiislanz aber gegen ihre Wcsenseinheit liissl sich aus dieser Thatsache nicht her-leiten. Denn wie schroff audi immer die griechischc Philosophie gegen die homerischen Goiter, die moderne gegen die kirchliche Scholastik auftreten mag, sie sind nichtsdestoweniger beide aus der 1 heologie, als ihrcr historischen Voraussetzung hervorgegangen, so gut wie die atheistischc indische Metaphysik cines Buddha und Kapila aus dem Brahmanismus.

Religion, so ontgegnet man uns, ist Glaube; Philosophie ist Zweifel. Weit entfernt also identisch zu sein, bilden sie in Wahrheit contrar entgegengcsetzte Begride and Machte. Wir antworten: Religion ist Wille zum Leben, Philosophie ist Wille zum Wissen, Wissbegierde.1Was ist aber Wissbegierde im letzten Grande wenn nicht der Wunsch über die Dingo zu herrschen, sie uns dienstbar resp. unscluidlich zu machen (F. Bacon),2was ist sie anderes als Wille zum Da sein? Aus diesem ist die Magic und Mantik (Machtgewinnung über die das Dasein bedingenden Machte), aus Zauberci und Wahrsagerei das Priestcrtum, aus dem Prieslertum die Theologie, aus der Theologie die Philosophie und Natur-wissenschaft hervorgegangen; ursprnnglich sind der Zau-berer und Wahrsager, der Priester, der Theologe, der Weltweise und Naturkenner ein und dieselhe Person, und heute noch, ja innerhalb des Ghristentums, gibt es sowohl Einzelne ais Gemeinschaften, denen der Priester eo ipso als der Gelehrle und Naturkundige, als der Zau-

1

Aristoteles, Metaphysik 1,1. 2 Aristoteles freihch belobt in beredten Worten die Interesselosigkeit der Philosophie im Unter-schiede von den übvigen Wissenschaften, verwechselt abei- m diesem

2

Punkte die Metaphysik mit der Kunst.

-ocr page 15-

berer mid Ar/,l x.aT' ê^o/rv erscheint, ganz wie im allen Aegypten, Indien, Gallien. In der naiven Vermischung dieser Funclionen und Ferligkeiten hat sich die Erinne-rung ihrer einsligen Idenlitat bis auf unsre Tage erliallen.

Niclit minder hinfallig isl der eegen nnseren anderen s. weitere . b b Einwürfe.

Satz (Idenlitat von Religion und Moral nacb Ursprnng und Wesenj erhobene Einwand, class die meisten tiefer stellenden (sog. heidnischen) Gulle nicbl imr mil der Silllicbkeit nichls zu thun haben, sondern in direclem Gegensalze zu ibr slehn, ja dem silllicben Gefiible gera-dezu llohn sprechen, dass Ellernmord r Selbslmord, Selbstverslümmelung, Proslilulion, ja der Genuss von Menschenileiscli u. s. w. vielfacli als gollesdicnstliche Handlungen geilen, dass, selbst in den höchslen lleligionsformen, Religiosilal und Moralilal keineswegs Hand in Hand gelien, dass der cifrigsle Kircb-giinger ein ganz immoralischer Mensch sein kann u. s. w. Immoralisch sind jene Gulthandlungen, und im höchslen Grade, wenn wir sie von der Ilöhe unserer Bildung und lediglich nacb ihrer materialen Seile betrachten. Nacb Massgabe abcr des religiösen Slandpunkls, dem sie entslammen, und in rein for-maler Beziehung betrachlet, sind sie es keineswegs. Es isl vielmehr derselbe silllich-religiöse «Imperaliv», der die Ilelare des Aphrodiletempels zur Proslilulion um ilirer Gotllieil willen und die Nonne zur Entsagung, die Ilinduwittwe zum Selbslmord und die barmherzige Schwesler zur Selbst opfe ru n g bestimmt.1 Allgemein und unwandelbar isl das Sillliche nur nach seiner for-

2

1

Unserm Satze, dass alle Religion aus dem Willen zum Leben entspringt, Wille zum ewigen Leben ist, widersprechen diese Cult-handlungen (Selbstopfening, Entsagung u. s. w.) nur scheinbar, denn ihr letzter Zweck ist ja gerade Gewinnung des ewigen Leb ens. Vgl. § 15.

-ocr page 16-

malen Seite, namlich als Gesetz, als Befehl («Du sollsl»), aber veranderlich untl nach Massgabe der menschheit-lichen Gesamtentwickelung perfectibel ist es in seinem Inhalle, in seinem Objecte, in seiner Materie («Was solist du?»).1 Es gibt, in mater i ale r Ilinsicht, weder eine absolute Sittlichkeit, noch eine absolute Religion und Pliilosophie, sondern eine werd en de, und vieles, was uns heute sittlicb und fromm diinkt, dürfte spiitern Gescblechtern ebenso unsittlich erscheinen, wie uns elwa die altbabylonische Prostitution und der pliry-gische Pballusdienst. Unveriinderl durch alle Zeit blcii)t lediglich der in den verschiedensten Graden, aber von allen empfundene sittliche Trieb : und dies er ist identisch mit dom religiosen, demi er gebt auf Selbsler-haltung durch Erfüllung des im Gewissen sich kund-gebcnden Willens zum Guten. Die heidnische Sittlichkeit verhalt sich genau zur heidnischen Gottesidee wie unsere Sittlichkeit zu unserem theologischen Standpunkt. Der Christ aber, der allen seinen «religiösen» Pllichten nach-komnit, jedoch aller «Mond» zuwiderhandelt, ist ent-we der ehrlich, d. h. er glaubt wirklich seinen Gott liiusclien oder doch zu seinen Gunsten überredcn zu können, und in diesem Falie steht er auf dem Standpunkte des naivsten Fetischismus, — odcr er verrichtet seine «religiösen» Pllichten lediglich urn der Welt und seines wcltlichen Interesses willen, und in diesem Falie ist er eben nur nominell ein Christ. In keinem aber von beiden Fiillen kann von einem i n n e r e n \\ iderspruch zwischen Religion und Moral die Rede sein, denn ein w i r k -licher Christ, d. h. ein auf der llöhe des Christen-tums stehender Mensch ist unser «Immoralischer» weder so noch so.

1

Als unwandelbarer formal-materialor Satz der Moral kann blos das Princip gelten: Handle gewissenhaft (deinem Gewissen gemiiss).

-ocr page 17-

— !) —

Audi die Kanlischerseils erfolglen Schilderhebungen '/ai Gunsten eiuer «unabhangigen Moral» diirfen uns nichl irrc raachen. Moral kann sich wolil von dieser oder jener positiven Religionsforrn lossagen, nichl aber von der Religion nberliaupl emancipiren. Alle Moral isL im tiefsten drunde religiose Praxis, Gollesdienst.

su wie alle Philosophie wesenilich religiose Theorie, Theologie ist. Umgekehrl miindet jede Religion in eine Moral. Audi die « unabhiingige Moral» ist eine Religion, ein Cultus. Moral ohne allen und jeden religiösen Untergrund ist Selbsttauschung oder Schwindel.

Eine allgemein menschliche Erscheinung, besonderl si. uoiigion sich die Religion, wie der menschliche Galtungstypus Reiigiouen. selhst, in mannigfalligsler Weise. Mil andern Worlen :

es gib I viele Religionen, deren Unterschied durch den Unterschied ihrer Trager, Individuen, Völker, Rassen,

bestimmt wird.

Dieser Salz erscheint zwar in unsern Tagen beinahe allgemein als selbstverslandlich, isl es jedoch noch nicht so lange her. Vielmehr galt im Mitlelalter und bis in die neuere Zeil als die einzige Religion das Chrislenlurn und wurde den anderen Gulten diese Bezeichnung abge-sprochen. Die grossen Religionen Asiens, Brahmanismus, Buddhismus, Mazdiiismus u. s. w. waren eben noch fast giinzlich unbekannl. In Folge aber des Bekannlwerdens des Veda, des Tripilaka, des Zendavesta, ging eine neue Welt auf, in deren Licht das Chrislenlurn auch jetzt noch als die höchste und vollkommenste Religion, aber nicht mehr als die einzige erscheint. Es ist, unler den Religionen, nur prima inler jiares, und jene sind \'or-stufen zu ilun.' Als eine solche Vorstufe galt ehedem bocbstens die Religion des Allen Testaments, das Juden-

1 Max Muller, Essays, Vorrede.

-ocr page 18-

— 10 —

turn, wenn audi sehon im 12. Jahrliunderl der grosse Scliolasliker Abélard den Aussprucli zu limn wagl, dass die Sysleme eines Sokrales und anderer «Heiden » dein Christenlura eben so nahe, ja niiher stelin als das Juden-tum. Hente aber erscheinl uns die Religion, wie alles iibrige im Gebiele des Geisles nnd der Nalur, als Ge-schichte, nnd die Geschichle als ein Enlwickelungspro-cess, der mil den nnvollkommenslen Formen beginnt und in den vollkommenslen gipfelt, so dass der Unlerschied zwischen den Religionen nnr ein gradueller ist.1

10. pie Die religiose Entwickelung der Menscliheil haben wir

Eniwicke- indcss nicht mil llequot;el mul anderen übereifrigen Sysle-

lung der 0 -in

Menschheit. matikem als cine durchaus stelige, von Slufe zu Stute gleichmilssig fortschreilende zu denken; von jedweder voreiligen Geschiclilsconstruclion haben wir daher abzu-sehen, den Boden der Empirie unentwegi inne zu halten. Wie die Natur, so hat audi der menschliche Geisl — der ja auch ein Sliick Natur ist — neben seinen Fortschritlen seine Riickbildungen und Verkiimmerun-gen, neben der lebensvollen Evolution die todnhnlichc Involution und Stagnation. Auch darin ist die Sphiire des Geistigen, speziell des Religiosen, der Nalur ahnlidi, dass hier wie dort, neben den hoheren und hocbsten Formen die niederslen und rohesten Rudimente fortbe-stelin, neben dem Chrislenlum, ja innerhalb des-selben, dcr Pandiimonismus und Felischiamus, wie neben dem Mensclien der Wurm und Polyp. Es gilt hier, wie

1

Dies ist, wie Max Muller (a. a. O.) sehr richtig bemerkt, im Grunde auch die Ansicht des grossen Heidenapostels wenn er sagt, Gott habe sich nicht unbezeugt gelassen, so wie diejenigen des Heiligen Augustinus, wie sie in folgenden merkwürdigen Worten der Retractationes (I, 13) zum Ausdrucke kommt: « Res ipsa quae nunc religio Christiana nuncupatur, erat apud antiques, nec defuit ab initio generis huinani, quousque Christus veniret in carnem, unde vera religio, quae jam erat, coepit appellari Christiana

-ocr page 19-

— -11 —

in Nalur und Weltgeschichle überhaupt: Rückschritle im Einzelnen, im Ganzen Forlschrilt.

Enlsprechend den Eulwickelungsslufen menscltlicher n. Religion Gesellscliaft, deren Urfbnn, die Familie, zum Slamm voikstum. (fAri, tribus), zum Volk und zum Vulkercomplex sich enveiterl, erscheint uns die Religion zuniiehst als Privat-angelegenheit, Familieucult, Verelirung der Goiter des Jlerdes init dem Familieuoberhaupt als Priester (indivi-duelle und particulare Religion), sodann in zweiter und in dritter Linie als Stammes- und als Volksreligion (generello Religion). Ueber die Hausgotter erheben sich,

ohne sie überall zu verdriingen, die Stammes- und Volks-göttcr, tiber den Privatcult der offentliche Gottesdienst und das Priesterlum als staalliche Institution.

Es entsprechen denn audi die meisten bedeutenden Religionen, in gewisser Reziehung alle, den hervorragen-den Vólkern und Völkercomplexen alter und neuer Zeit.

Sie sind siiintlich V o 1 k s r e 1 i g i o n e n , und zwar teils solche, die sich zu nomistischen Religionen ent-wickelten, d. h. aut' ein geschriebenes Gesetz (heilige Schriften) sicli griinden (Brahmanismus, Mazdaismus, Gon-f'ucianismus, Judenlum u. s. \v.), teils solche, die der heiligen Riicher entbehren (altgriechische, allromische, altgcrmanische Religion u. s. \v.).

Endlich 4) gibl es universalistische Religionen, d. h. solche, die, wie das Ghristenthum, der Islam und derBuddhismus, init dem nationalenParticularismusbrechen und den Ansprueh erheben, Weltrel igionen zu werden. Namentlich will das Ghristentum ausdriicklich nicht Religion irgend eines Volkes, sondern die Religion Aller sein, seine Bekenner von Morgen und Abend, von Mittag und Mitternacht herbeiziehen, ohne Unterschied von Jude und Grieche, Romer und Germane.

Indess sind audi die universalistischen Religionen,

-ocr page 20-

in ilirein Ursprung sowohl als in ihren hislorischen Be-sonderungen national bedingt. Selbsl das Christenlum vermag es nicht, «sicli dein Einfluss der particularen Volksgeister zu entziehen, bei denen es Eingang gefun-den».1 Es hat sich den Formen dieser Volksgeister an-bequemen, sich bei ihnen sozusagen naturalisiren miissen. Es ist bei den Vólkern lateinischer Abkunft romischer oder lateinischer Katholicismus, bei den Griechen und denslavischen Vólkern griechischer (orthodoxer) Katholicismus, bei den Germanen (Deutschen, besonders Nord-deutschen, Danen, Skandinaviern, Niederliindern, Englan-dernj Protestantismus geworden, und es ist gewiss nicht Zufall, dass die kirchliche Karte von Europa und America so auffallend und mil so wenigen Ausnahmen den ethno-graphischeu Verhaltnissen beider Wcltteile entspriclit.

12 Die Fortgange des Religionswesens vom Privat-

luugsstilira und Hauscult zum Stammescult und von diesem zur reiisfüse» Volksreligiou und Weltreligion eiitsi)riciil eine Entwicke-Vquot;r^rquot; lung des religiösen Vorstellens und Ilandelns, deren Ilaupt-

Krste momenta als Polydtimonismus, Polytheismus und Mono-

Stufe.

theismus bezeichnet worden sind, docli richtiger vielleicht naiver Pantheismus, Oligothei smus und Monotheism us heissen sollten.

Auf ilin^r niedrigsten Stufe (Kindheit der Theologie) ist die religiose «Metaphysik» eine naive Allgölterei oder vielmehr — denn Gutter mit festen Eigennamen und eine Gutter h i e r a rch i e, wie siedem Polytheismus cignen, kennt sie noch keine — Allgeisterei (Pandtimonis-mus). Nicht als ob ihr das All als solchcs die höchste Goltheit ware (philosophischer Pantheismus), sondern in dem Sinne, dass ihr alles Mogliche Gott ist oder doch sein kann: das erste beste Stück 1 lolz so gnt wie

1

Max Müller a. a. 0.

-ocr page 21-

— i;i —

Jas lebendige Tier, eiu auffallend geformter Slein so gul wie Sonne, Mond und ilimmel. Dein Kinde isl eben alles neu, ralselhaft, interessant, imposant, dern kin-dischen Menschen alles göttlich ; aber gerade weil ihm alles imponirl, imponirt ihm nicbls nn be d i n g t, nicbts in ahsoluter nnd ausschliesslicber Weise, und sein Ver-luillnis zu den «Gottern« ist eiu naiv familiiires, so f'amiliiir, dass er sie schmiiht, züchtigt und dnreb andere ersetzt, sofern sie ibm nicht zu Willen sind.1 Aber aucb diese sind noch lange keine «Götter», keine «gute», geschweige «heilige», sondern weitmehr launige, ncckische, zerstörungssüchtige Wesen, in einern Wort Kinder wie ihre Verehrer selhst, denn: in seinen (iöttern malt sich der Mensch, in seinen Fetischen und Spuck-geistern der kindische Mensch.

So wie er aber in der Erkenntnis der Natur fort- 13, zweite schreitet und sein Bewusstsein von Out und Büse sich verlieft, gewinnen seine Götter, die erst individualitats-lose Gespenster waren, mehr und mehr persönliche Urn-risse und einen hoheren ideal sittlichen Gharakter. ibm gilt jetzt nicht alles mehr als gleich wichtig und göttlich,

er ist wahleriseh geworden. Xur eine bescbriinkte Anzahl von Xaturerscheinungen würdigt er des Götternamens, und vorzugsweise solche, die eine gewisse Regelmassig-keit and Gesetzmassigkeit, somit eine Analogie mit der Sittlichkeit dai'bieten.

Welche Naturobjecte als Götter gelten, hiingt zu-

1

Um solche uud andere im Anhang erwiihnte «Praktikcn» der «kindischen Religion » zn verstehn, betrachte man nur das Troiben unserev Kinder, sehe zu, wie die gniidige Frau per Du tractirt wird so gut wie Babette uud Lisette, und zum Mitspielen genötigt wird so gut wie ihr kleiner Eduard. Jedcnfalls ist vom Schleiermacher'-sclien «schlechthinigen Abhilngigkeitsgefühl», wie bei dein Kinde aller Zeiten so bei dein Fetischdiener kaum eine Spur nachzuweisen.

-ocr page 22-

— 14 —

michsl vou den geographischen und wirtschaftlichen Verhaltnissen der Völker ab: Wüstensöhne werden vor-zugsweise Sonne, Mond, Slerne (Sabaismus), llirlen das sie erniihrende Tier (Zoolalrie), Ackerbaulreibende Völker die Mutter Erde und ihren Gallen , den leuchtenden llimmel, den allesüberslrablenden Sonnengoll, den üonnerer im Kampfe mil den Machten der Finsternis u. s. w. verehren.

Diesen wenigen «Auserwahlten» werden Eigennamen beigelegt und die übrigen «Geister» als dienendes, beziehentlicli rebellirendes lieer untcrgeordnet. Und wie über die «Geister» der «Golt» sieb erhebt, so unter-sclieidel sich je mehr und mebr vom Zauberer der Priester, von der spielenden Magie der eigentliche und ernsthafte, aus Opfer und Gebet bestellende Gottesdienst, wenti auch lelzterer den Cbarakter des Magischen nicbl vollstiindig abzuslreifen vermag. 1 Au die Stelle der kindisehen All-güllerei und spielenden Ilalbreligion isl der sogenannte Polylbeisnms (ricliliger Oligotbeismus), mil einem nacb dem Vorbilde menschlicher Zustande bierarchiscb gegliederten und inonarchisch zugespitzten Guller system, gelreten. Mil ibm stebl die Theologie in ihrem kraftig aufslrebenden Jugendalter, reich an Phanlasie und antbropomorphisiren-der Mylhendichlung.

14. Dritte Wie der ursprüngliohe Panlbeismus von der unmillel-'s,ufe' baren Vergöltlicbung des sinulicheu Gegenstands zurn « Spirilualismus» fortsclireilel, welcher den Gegenstand und den in ibm bausenden xGeist» mehr oder minder zu unterscheiden weiss, so hal auch der Polylbeismus seine Abstufungen und Enlwickelungsfonnen. Ausgehend von einem Naturalism us (Verehrnng der personificir-ten Naturkrafte;, der noch ganz und gar hu Felischismus

1

Vgl. das opus opcrat.ura der katliolisclien Messe.

-ocr page 23-

wurzelt, erhebt er sicli, in allmahligem Fortschrille, zu slots höherer Idealisirung rmd Verabsolutimiig der vor-gestelllen Golllieil, l)is schliesslich, mit der Erkennlnis Gotles als des ah solui gulen, die höclisle Slufe tlieologisclier Enlwickelung erreiclil isl.

Letztere bezeichnen wir, dein Usus gemass, als Mo-notheismus, bemerken jedocb, dass Monolheismus eine höhere und höcbste Slufe religiöser Evolulion nur insofern bildel, als dem quanlilaliven Unlerscbiede zvviscben ilnn und dom Polylheisnius ein qualilaliver Unler-schied in der AuHassuug des Gülllichen enlsprichl. Isl es doch am Knde gleichgüllig, ob wir eine oder mehrore (jollheilen verehren, wenn der Inbalt unseror \'erehrnugs-objecle derselbe und jedes gewissermassen nur ein Exemplar, eine Besonderling eines und desselben Gnuulwesens isl,1 wie dies elwa bei den «Hypostasen» der cbrisl-liclien Trinilal dor Fall, so dass jedes das Absolute und Allvollkommene in besonderer Woise darslelll, und keiner-lei Wesens- und Willenszwiespall zwischen ilinen slall-iinden kann. Enlsehieden gilt dies vom nachliomeriscbeu liocbentwickelten 1'olylhoisinus derGriechen, dessen Götler ja nur die einer überreichen Phanlasie entsprungeneii Per-sonificalionen der melaphysischen und moraliscben Attribute des Zeus bedeulen, der thalsiicblich der Einzige und Alles in Allen isl, Umgekehrl kann der Monolheismus , wie boispielsweise hei einzelnen semilischen Sliim-men, in eincm Mangel au schaffender Phanlasie seinen Entslehungsgrund haben, und, seinem elhischen Gehalte nach, lief unler dein Polylheismus eines Kleanthes oder Plularchos stehen. Also nicht jeder Monolheismus isl eo ipso eine dem Polylheismus überlegone Religionsform ; es komml violmehr auf den Inhalt der Gotlesidee, nicht

1

Henotheismus nach Max Müllers Bezeichnung.

-ocr page 24-

auf die Zalil der gölllichen PersGnlichkeiten an. Wiïre der Monotheismus als soldier sclion und abgesehen von seinem elhisclien Inlialle, die höchste Form der Religion, so ware — was lliatsaclilich nicht der Fall — das Juden-lum und der Islam dem Christenlum nichl nur eben-bürlig, sondern sogar überlegen, da ja die christliche Tri-nitalslehre keineswegs abstracter Monotheismus, sondern ein Compromiss zwischen diesem «semitischen» Stand-punkte und dem indogermanischen Poly theism us, nicht Monotheismus im semitischen Sinne, sondern, um in Ma\ Müllers Sprache zu reden, Ileno theism us ist.

Alleiu es liegt in der Natur der Sache, dass neben einem hochentwickelten Gottesbegritf ein ernsthafier Poly-theismus nicht bestehen kann, dass wo die höchste Macht, von der wir abhangen, als unbedingte Beherrscherin von Natur und Geisteswelt, i. e. W. als das Absolute anerkannt ist, eo ipso audi ihre Einzigkeit zur Orund-lebre erhoben ist. Schon im civilisirten Meidentum sebn wir den polytheistischen Trieb in dem Masse schwinden und erloschen, als die Gottesvorstellung eine idealere und in höberm Grade ehrfurchtgebietende wird. Wo end-lich Gott als das allvollkommene Wesen ohne alle und jede Einschriinkung gilt, da ergibt sich der Monotheismus als unvermeidliche logische Folgerung.

Der Macbtvollkommenheit und Ileiligkeit des (aóvo; aAr/Jivfj? Oso? entspricht denn audi ein innerer und iiusserer Cultus der, obgleich die Spuren früherer Anschauungen noch an sieb tragend, von einem Geiste der EhrCurcht und des sittlichen Ernstes durchdrungen erscheint, der dem Pandamonismus und dem Polytheismus in seinen Anfangen durchaus fremd ist. Jetzt erst, in ibrer vollen Reife, ist die Religion das geworden, als was sie Schleier-inacher bezeichnet, namlich schlecbthiniges Abhangig-keitsgefühl, denn jetzt erst ist ibr Object als das Absolute erkannt; jetzt erst ist der Cultus wirkliche Anbetung

-ocr page 25-

(adoralio); demi jelzl orsl isl Gotl der Anbelungs-wür dige.

Dass cs drei llauplslufen llieologisoher Enlwickelung und dicsen entsprechend dreierlei Religionen, ntimlicli pandümonislisclie, polythcislische (oligotlieislisclic) und quot;'undquot;3 monollieistische gibl, ist nicht so zu verslehn als ob jede theumüs. Religion ausschlicsslich nur i li ren Typus reprasenlirle, die andern dagegen absolul ausschlösse. Jede Religion vielmelir, jetle bedeutendere Volksrcligion wenigslens, gehl durch die nacbgewiesenen Sladien hindurch. Anch der von elhischem Idealismus durchlranklc Polytheismus, wie er uns in den Dicblern und Philosopben Griecbenlands enlgegenlrill, ist aus kindischer Allgölterei bervorgewach-sen; auch die Religionen, die als Urbilder des abslraclen Monotheismus gelten, Judentuin und Islam, entstammen dein Polytheismus; m. a. W. es gab cine Zcit, wo lie-briier und Araber Polytheisten waren. Jede bedeutendere Volksrcligion bat den Fetischismus und Pandamonismus, den Polytheismus und einen mehr oder minder ausge-pragten Monotheismus ills Hire eigenen Entwickelungs-stadien an und in sieh aclbst erlebt, so dass tliese in ihr (um liegelisch zu reden) als aufgehobcne— und zwar vielfach im Sinne von aufbewahrten — Momenten vor-lianden sind. Der Glaube an göttliche Verkörperungen ist bcute noch, in den hochsten Religionsformcn, ein nicht ganz überwundener Standpunkt. Im Messopfer ist der Ooit wirklich und substanticll gegenwartig; in den Reli-quien Jesu und der Heiligen sind göttliche Krafte wirksam; die Kirche sogar, der Tempel ist dcm frommeu Katho-liken nicht blosscs Relhaus, sondern wirklich mul wörllich dor Ort, wo «Gottcs Khrc wohnt,« Umgekehrt finden wir bereits im Heidenlum, neben den kindischen Vor-stellungen, Ansiitze zu hoheren, edlercn Anschauungen und Glaubenslehren, wie die Giite Gottcs, die Vergeltung

-ocr page 26-

— IS —

iin Jenseils u. s. w. Desgleichcn isl dcr Polylheisrnus, welclier den Uebcrgang voin Pandiimonismus zum Mono-Iheismus bildct, nocli in diesem als ungeloster Rest enlhallen. Sclbsl im Ghrislenlum isl ein soldier polylbeisliscber llesl vorbanden. Man kann kübn be-baupten, dass es im Volke nic und nirgends zum slriclen Monolbeismus gekommen isl. Wo überall der Monolheismus officielle Religion, isl das Volk in seinen niedrigslen Scbicbten polylbeisliscb, ja feliscbistiscb. Der Ilaliener, dem seine Madonna, sein S. Carlo und S. Antonio holier slebl als selbsl Gbrislus, isl nicbl weniger Ibalsticlilicb ein Polylbeisl als der alle Romer und üriecbe; sein Rilder- Amulellen- und Medaillenwesen isl der reinsle Feliscbismus. Umgekebrl sebn wir aber in jedem Polylbeismus die bocbslgebildelen und besten einem relativen Monolbeismus huldigen (Xenopbanes, Anaxagoras, Aristoteles).

Polylbeismus und Monolbeismus sind sonacb ganz und gar relative BegrifTe, vind die Kalegorie dcr Quantitiil als Einleilungsprincip zur Classification der Religionen nur mil Vorsicbl zu gebrauchen. Es sind eben theologische BegrifTe, d. h. solche, die das Secundiire im religiüsen Phanomen, die Vorstellung, nicht das primiire und subslantielle Element desselben belreffen.

1«. nas Dieses primiire, fundamenlale und in der Slnfcnfolge

mi-endc der Goltosvorstelliinsen und Cultformen bebarrende Wesen

Weseu

iier der Religionen isl der Wille zum Leben und dessen

Religion. 0 i i m i

Kehrseile, die Furcht des Herrn über Leben und lod. In dieser Hinsicht gibl es, unbcscbadct der Ricbligkeil des § 9 gesaglen, nur eine Religion. Den ausfiibr-licberen Beweis dieses Salzes haben die folgenden \ or-Irage über die Einzelculte zu erbringen. Vom allagypli-schen Tolendiensl bis zu den Religionen neueslen Datums, sie werden sich allzmnal ausweisen als Prolesle gegen den

-ocr page 27-

— 19 —

Tod, sei es, iin Namen der Einzelseele, gegen don Tod des Individuums, sei es, im Namen dor Volksseele, gogen den Untergang dos Stammes und Volkslums. Dor Un-slerblichkoilsglanbe, dieso Snbslanz aller Religion, isl oin allgemoiner. J)ass er, sofern er das Individunm bolrifl'l, schüchtornor und ssliwiichlicher orscheinl, \vo , wie bei don Hebraern, den Griechen, das Individualbowusslsoin mehr binler dein nalionalen zuriicktrilt, mehr ein modales als ein substanlielles ist, anderl nichls an der Sache, da in solclien Fiillon der collective Unslerblichkeitsglaube, beispiolsweiso der Glanbo an die Zukunft Israels im alten Teslamente, um so scluirfor horvorlrilt. Anch der por-sische Dualismus lasst den Gott des Lichtes und des Lebons schliesslich llerr werden über den dos Todos und dor Vernichtuug. Das semitische und anch sonsl allont-balbon verbroitete gottosdiensllicbe Menscbenopfor, das gogen nns 7M zeugen scbeint, ist, niiher betrachtot, nnr eine Beförderung des Individuums in's « bessero Jensoits», ein « bomoopalbischos » Bannen des Todos dnrch den Tod.

Eine Ausnalimo bildet zwar der ursprüngliclio Buddbis-mus, aber eine solche , die, weit entfornt unsero These zu ontkraften, derselben vielmohr zum Belege dient. Der ursprüngliche Buddhismus namlich orscheinl allordings ober als Wille zum Sterbon und Verschwobon (Nirvana), denn als Wille zur Forldauer, eher als Goringschiitzung und Verachtung denn als Furcht der Gottheit, isl aber noch keine Religion im eigenllichen Sinno, vielmehr oin Protest gogen dioselbe, und muss, sobald er selbst Religion wird, sein Nirvana milsamt dom vergotterton Buddha znrn positiven Jensoits nmgcslallon. Oder rich-tiger gesagt: or wird erst dadurch zur Religion, dass er sich einen Gott gibt und oin Paradies zurochl uiaclit, so gul wie Ghrislentnm und Islam. 1

1

Ebensowenig vermag die «Ausnahme» des Skepticisraus die That-saclie umzustossen, dass alle Metaphysik ans dem Wissenstriebe fliesst.

-ocr page 28-

— 20 —

Besonders miichlig dagegen, ja mil typischer Energie, trilt der Wille zur Fortdauer—uud zwar zur individuellen Fortdauer — hu Ghrislenlum auf, und Legion sind die ueuleslamenllichen Stellen, welehe ilm als den «Valer» der Religion erscheinen lassen. Als den lelzlen Zweck seiner Nachfolge erkliirl Jesus ausdrücklich das «Er-er hen des ewigen Leb ens».1 Wir sollen ilim uach-folgen, ilin liehen, ilun verlrauen, weil er «die Auf-erstehung und das Leben»,2 «das ewige Lehen»,3isl, auf dass auch wir das ewige Lehen hahen.4 Wer sein Wort hort, hal das ewige Lehen und isl vom Tode zum l.ehen hindurchgedrungen.0 Wer sein Fleisch isst und trinket sein Blut, der hal das ewige Lehen.quot; Er hal Worle des ewigen Lehen s.7 Sein Gehol isl das ewige Leben8 und wer den Willen Holles thul, « bleihet in Ewigkeil».9 Unsere nachslen Verwaudten und leuersten Güter sollen wir verlassen u m Jesu Willen,10 d. h. doch wohl (da Jesus = die Aufer-slebung und das Leben) um des ewigen Lehens willen, das er uns gewiihrl, zusicherl, verhürgt. Dein Christen isl sonach Christus und ewige s Leben eins und dasselbe. Seine Liebe zu Christus, sein Trachten und Ilehnweh nach ibm isl eben seine Sehnsuchl nach Unslerblichkeit, sein Wille zum unverganglichen Lehen. Ja, dein Apostel Paulus ist Auferslehung und Unslerblichkeit so sehr Kern und Stern des Chrislen-glauhens, die Kunde vom auferstandenen Messias so selir das ganze Chrislentum, dass ibm die Bezweiflung des-selhen der Leugnung des Chrislenlums selbsl gieich-komml. Isl doch Jesus der Christ und Erlöser und Goll uur wcil und in so fern er «dem Tod die Macht ge-

1

Matth. 19, 29 u. parall. 2 Joh. 11, 25. 3 1 Joli. 5, 20.

2

•l Joh 4, 14. » Ib. 5, 24. 6 Ib. 6, 54. 7 II). (i, ()8.. 8 Ib

3

12, 10. 9 Ib. 2, 17. 10 Matth. 19, 29 u. parall.

-ocr page 29-

— 21 -

nommeu, Leben und unvergangliche Weseu ans Licht gebracht hal durch seine Auferstehung» (d. h. uns durch seine Auferstehung uns ere Auferstehung ad oculos demonstrirt hat), so dass «wenn Giiristus nicht aufer-slanden » (d. h., in der Sprache der Bibel, nicht unsterb-lich) und soinil unsere eigene Unsterblichkeit unverbürgt ist, « wir die e 1 e n d e ste n u n t e r alle n Mens c h e n si nd».1 Demi das Ende, dem wir zustreben, ist das ewige Leben.2 Der Siinde Sold ist der Tod, die ünadengabe Gottes aber das ewige Leben.3 Man ver-gleiche mil dicsen Aeusserungen: 1 Cor. 5, 53—55; Galaler 0, 8; 1 Timoth. 1, 1(5 (Zum Vorbilde f'iir die, so an ihn glauben solllen, zum e wig en Leben), Til. 1, 12 (Auf HolTnung des ewige n Lebens); 3, 7 (Auf dass wir Erben seien des ewige n L eh ens); 1 Tim. (i, 12 (Kainpfe den gulen Kampf des Glauhens; ergreife das ewige Leben!) Als Beleg dafür, dass Religion — die christliche so gul als ihre Vorstufen und in noch hoherem Grade — Wille zum ewigen Leben ist, lassl doch wohl letzlere Stelle an Deutliclikeil nichls zu wiinschen iibrig.

Dem inlensiven Unslerblichkeitslriebe enlsprechend, der sich im Evangelium vom auferslandenen Menschen-und Goltessohne kundgibl, ist denn audi das Grundgefühl des Jesusjüngers seinem Gotle gegenüber wesenllich noch Furchl ((pópo;), 1 wenn audi nicht die sklavische Furclil des Knechts, sondern die liebeverkliirle des Kindes und Erben.1 Denn wie sollle er nichl vor Dem erbehen. der «allein Unsterbliclikeit hat»,0 diese also als Gnadengabe ihm gewahren, aber audi im heiligen Zorne uber die Siinde verweigern kann; der seinen sehnlichslen llerzens-

1

17; 7, 1. Ephes. 5, 21. Col. 3, 22. Hebr. 12, 28. 5 Gal. 4, 7. c 1 Tim. 0. 16.

-ocr page 30-

wunsch zu crfüllcn, aber audi auf ewig zu vereiteln die Macht besilzt? Charakteristisch ist, dass dasselbe Neue Testament, wclches erkliirt, Furcht sei nicht in der Liebe 1 uns uiiscre Seligkeit schafTen liisst mit Furcht und Zit tern.2 Jenes, die TSAEia ayaTr/i, ist ebon das Ideal, das vom Christen erstrebt, diesseits aber der 1 odes-])furlc nicht voll und ganz erreicht wird.3 Re a le Religion — und diescr allein gilt unsere Untersuchung ist auch auf neutestamentlichem Standpunkte: heilige Scheu vor dem, der Leil) und Seelo verderben kann in der Holle,4 also genau dasjenige als was sie §§ 1—3 beschreiben.

* Matth.

1 1 Joh, 4, 18. 2 Phil. 2, 12. 3 i Cor. 13, 10-12. 10, 28.

-ocr page 31-

ERLAüTERüNüEN UND CITATE.

-ocr page 32-

ÉN ■

HH :

m

M

m

■ ■ ■ ■

■-

alii ..aW'S.f'r.

quot;

-■ m

.....

''■Kv m$iaËmi ■ ■ ■

. ■ ,.... , --.,■ : • -: — .-• 'V'

m .

.

■ ■■■

'5';

. - :

.

■- ■ -■

.


-ocr page 33-

I. Zu § 2.

Dass alle Religion praktisch, ist niclil so zu ver-slehn als ob Religion ohne iivissere Manifestation rein mimoglich sei. Es hat Religionen gegeben, sagl Max Muller (Ueber die Wahrnehmung des Unendlichen, Deutsche Rundschau, Mai 1878), es gibt sie noch, in denen wir auch keine Spur eines ansseren Goltesdienstes finden. M. bcruft sich n. a. anf einen Artikel in der Februar-nummer 1878 des Journals des anthropologischen Insti-tuls, beschreibend eine Mission, welche von Benedictinern in Nen-Nursia im wesllichen Australien, nordlich von Swan River, als zur Diocese des katholischen Bischofs von Perth gehorig, gesliftet worden ist. «Diese Benedic-tiner Möncho gabon sich grosse Mühe die religiösen Ansichten der Eingeborenen zu erforschen. Eine Zeit lang hiudurch fanden sie auch nicht die geringste Spur von irgend etwas, was den Namen Religion zu verdienen schien. Nach dreijiihriger Missionsarbeit, erkliirt Monsi-gnore Salvado, dass die Eingeborenen keinen Gott anbeten, weder einen wahren noch einen falschen. Nichtsdesto-weniger glaubten sie, so fiihrt er lort, an ein allmach-tiges Wesen, den Schöpfer Ilimmels und der Erde. Sie nennen ihn Motogon, und meinen er sei etwa wie ein

-ocr page 34-

sehr grosser, starker und weiser Mann, ihrer Farbe und ihres Landes. Der Akt seiner Schüpfung bestand in einem Ilauclie. Um die Erdc 7.n schaffen, sagle er: Erde komm ! er hauclite, die Erde war geschaffen. Ebenso that er mil Sonne, Baumen, Kanguru. Dieser Motogon, der Urheber alles Gulen, ist im Slreile mil Gienga, dem Urheber alles Bösen. Dieser enlfesselt Wirbelwind, Gewiller, er isl der immittelbare Verursacher des Todes ihrer Kinder, des-halb fürchlen ilui die Eingeborenen. Motogon, meinen sie, sei liingsl allersschwaeh und lot, und sie bezeugen ihm daher keine Art von Verehrung. Aber auch Gienga, obgleich er noch immer die Kraft besitze den Menschen alles rnögliche Uebel zuzufiigen, wird nie durch irgend welche Handlung versöhnt. Niemals, so schliesst der Bi-schof, babe ich irgend einen Akt ausseren Gottesdiensles bei ihnen bemerkt, noch sah ich irgend etwas, was auf irgend welche innerliche Goltesverehrung hindeulen konnle. »

II. Zu § 5.

Ueber den Anthropopathismns sag! Leopold Einstein (Ausland, 3. Mai 1880):

Der Mensch erblickle wirklich (und nocli heute ist es so) allenlbalben sein eigcnes Ich. . . . Die Nalur spie-gelte ihm übcrall sein eigenes Wesen. So erblickle er im grünenden Lenze den lachenden Jüngling, im wolkenden Herbste den hinsterbenden Greis. So sah er in der Sonne den feurigen Sounenberren (Baal), den Konig dor Well (Melech, Moloch), im Monde des Sounenmanns Gemaldin, die llimmelskonigin (Melechelh-Haschamaim, Jerem. -14, 18), und so dachle er sich alle Dinge von einem menschlichen Geisle belebl und bewegt, wie dies noch heute die Denkweise des Kindes und des ungebil-delen Menschen ist. So vernahmen unsere alien Deulschen in dom Donner des Gewitters das Briillen eines Stiers und

-ocr page 35-

sic sahen in dein Hlilze sein blilzendes Horn. Deslialb war Thor, der IJonnergoU, slierköpfig gedachl und abge-bildet. Die Furcbl vor dein Blitze, der in Begleitung des grollenden Donners liernieder fiel, erzeugie liier die Idee, dass er ein wilder Ur sei, der ja gleicbfalls mil blilzen-den llörnern mul donnerndem Gebrüll über die erschreek-ten Menschen der Urzeit berliel. Deshalb beisst tinch der Sonnenstrabl im Ilebriiisclien keren, daber karan, slrablen und coronare, kronen. Und so steilten sicb die Alten den Donnergott vor, als Menscben mil dem Slierkopfe, und ebenso dacblen sie sicb audi die Slenie als inenscbliebe Wesen u. s. w.

Und O. Scbrader: Eine neue und bedeutungsvolle Seile nimml die Nalurerscbeinung an durcli die scbon in der Urspracbe der Ariër vollzogene Unterscbeidung der Gescblecbler. Es gibt nun milnnlicbe und es gibl weib-licbc Naturgoltbeilen. Dvans und Agni sclieinen dem Ariër miinnliob, Usbas isl ihm ein Weib. Dainit isl die Vergleicbnng der Vorgiinge in der Nalur der meuscb-licben Phantasie wesentlicb niiber gerückt. Eine Fülle neuer Vorstellungen springt nun bervor. Die Usbas er-seiieint als die festlicb gescluniickte Braut, welcbe der feurige Sonnengott verfolgt, oder als die junge Mutter, die die knnftige Sonne unter iiirem Horzen tragt, oder als die gescbaftige Hausfrau, die mil dem frübesten von ilirein Lager sicb erbebt, so werden die allesten Ariër gedacbl und — getrüumt baben. Und nacb dem Bilde der irdiscben 1'aniilie, wo der Einlluss des Eiuzelnen dem Willen des Ilerrn gegenüber versclnvindel, regl sicb allmablieb leise das Bestreben, audi die Macbl der Naturgewalten gegeneinander abzustufen . . . die Farben-pracbt des jungen Frührol loten die Slrablen der böber sleigenden Sonne, die Sonne selbsl verbirgl sicb binter finslere Gewillerwolken, ewig unveranderl scbaul nur der Himmel auf die Erde berab : er isl also der Erzenger,

-ocr page 36-

— 28 —

Vater und llerr (Ci'k Dyaus-pitar, Ju-piter) und

sie die Kinder, die Himmelserzeugten und Himmlischen (deva, deus, von div, strahlen, wie dyaus). Doch der Geist der Ariër begnügt sicli nicht mil der Vorstellung, er will audi begreifen und denion. Wie mag es kommen, wird man sich schon in der Urzeil gefragt haben, dass Sonne und Mond durch so ewigen Wechsel verhuilden am Uimmel erscbeinen? Sic werden wohl in einem Ver-ballnis zu einander slchen, sie werden wahrscheinlicb Mann und Frau sein. Allein wie kommt's, dass sie nie zusammen erscheinen, sondern dass eincs üiehl, wenn sich das andere erbebl. Aucli darauf anlwortel das kitul-licbe Gemül der Ariër: Mond und Sonne müssen eben schlechlc Ehegallen sein. Und so weiier, und so weiier. Wir sind hier an dem Quell angekommen aus dem die wogenreicbe Flul der ariscben Marchen und Mythen enlspringl.

III. Zu § 12.

Fetiscb (porlugiesisch feilico, faolilium quid, von f'acere im Sinne von anlhun, bezaubern, also ein Zauber-übeudes) isl ein bcliebiger, der organiscben oder anorga-niscben Natur angebörender Gegensland, der cnlweder als boheres Wesen oder als Wohnsilz, Hülle , Verkorperung eines solchen betrachtel wird. Felischismus oder die Ver-ebrung von Feliscben («Verebrung» cum grano salis zu verslehn!), gleicbbedeulend mil Pandamonismus, isl die allerniedersle Form der Religion, die Religion der noch im Stadium der Kindheil stebenden Menschheil. Zwar, einer von Max Müller und anderen verlretenen Ansicht zufolge, ware er nicht sowohl Anfang, als viehnebr cine Corruption der Religion ^ die kindisch g e w o r dene Religion. M.'s Theorie entbebrt je doch des durchschlagenden Ho-weises. Unserer Ansicht nach kann Felischismus beides zugleich, hier Rudiment, dort Verkümmerung der Gollcs-

-ocr page 37-

verehning sein. Tliatsiichlich linden wir iiin heute noch, nicht elwa nur bei den auf der niedrigsten Stufe der Cul-lur znriickgebliebenen Vólkern Nordasiens, Africas, Americas und Auslraliens, sondern als Zauberei vielfach aucli in der Landbevölkerung der gebildetslen Staaten Europas. Als die niederste und altesle Form des religiösen Bewusst-seins lebl sie hier fort neben den hochsten und vollendet-sten Formen der Religion, ja innerhalb derselijen, gleichwie im Bereiche der organischen Nalur die elemenlarischsten Pflanzen- und Tierarten neben den höcbslentwickellen fbrtbestehen.

Der Felischismus niederster Art (unmiltelbare Verehning des sinnlichen (jegenstandes) beruhl auf der kintli-schen Selbstspiegelung, vermöge welcher der Urmensch, wie das Kind in seinem Si)iolzeug, iiberall in der Natur ein ihm iilinliches Lebendiges lindet, derjenige zweiter Stufe (eigentlicher Fetischismus) auf dein allen Urvolkern gemeinsamen Geisterglauben (Spiritualismus, Animismus,1welclier selhst aus der Reflexion über die Ersclieinungen des Schlafes und des Todes entsprungen ist. Der bisher sich selbsl bewegende Körpcr liegt jetzt als starre regungs-lose Leiche da. Es muss also vorher et was in ihm gewesen sein, was ibn bewegte, eine l rsache seiner Lebendigkeit, und dass er starr und regungslos, ist die Folge davon, dass jenes Etwas mit der letzten Ausatmung, und als solche (Atem, Odem, Hauch, nefesch, ru'ch, anemos, psyche, spiritus, anima) aus ihm entllohen ist. Bekraftigt in diesciu Schlusse wird der Xaturmensch durcli die Thatsachen des Schlafs und (h-s Traums. Rubig und regungslos liegt der Schlafende da, wiihrend er doch, nachdem er wieder erwachl, zn erzahlen weiss, wie er

1

A n i in i s in ns mul Spiritualismus werden von don Reli-gionsforschern so untcrscliieden, dass Animismus einfnch dou Glauben an Geister, Spiritualismus dagegen oder Spiritismus den Glauben an die Mügliohkeit diese durch Zaubennaclit, zu beherrschen bedeutet.

-ocr page 38-

frci iin Raume sicli bewegt, draussen in Wald und Flur hemmgeschweif'l, die bekanuten Toten (d. b. eben jeues aus iluien gowicbene und sie überlebende Elwas) wieder gelroffen und mil ibnen verkelui babe u. s. \v., u. s. w. Der so Herumscbweifende und der ruhig Daliegende kön-nen doch niclil ein und dasselbe Wcsen sein. Jener isl vielmebr ein anderer als dieser : er komint und gebl, er liiiU sicli in diesem anf und bewegt ibn, er entweicbl ans ilun und liissl iim regungslos. Wir alle baben so unsern Üoppelgiingcr, in uns allen, sofern wir leben, wobnl ein soldier unsicblbarer Beweger, Lebenshaucb , Geisl oder Seele, und desgleicben ausser uns, in allem Lebendigen. Lnfl und Wasser, Berg und Thai, Wald und Steppe, Wolke nnd Abgrund, was saust und braust, was llutet und rauscbt, was stoluit und drohnt, was acbzet und jubelt, was grünt und blüht, was kreucht und lleucbt, was kommt und gebt, entstebt und vergebt, es ist alles bes eelt, alles von Ge is tern erfiilll. Diese sebweben f'rei berum oder nebmen Wohnung in bestiinmten Gegen-standen, gleicbgültig ob diese dem Tier-, Pilanzen- oder Sleinreicbe angebören, und solebe Gegenstiinde 1 werden dann als Fe t is c be,2 d. b. als göttlicbe Dinge verebrt. Mit liöberer Macbt ausgestattet, werden sie als Selmtz-mittel gebraucbt, teils von Einzelnen, teils von Fami-lien, Stammen, Volkerscbaften. Es gibt Privatfetiscbe (z. B. ein Slück llolz, an welches ein Neger den Fuss stosst, wird ilun zum Fetisch) und Volksfetiscbe (Tiger, Schlange, Biir u. s. w.); es gibt künstliche und natiirliche Fetische, wovon Sammlnngen im British Museum und anderwarts sicli befinden. Üie kindische Phantasie bal bier einen unhegrenzten Spielranm.

1

Baura, Stern, Stück Holz, Tiers oder blos Horn, Klaue, Büschel Haare u. s \v. 2 Der Ausdruck flndet sicli augeblich zuerst bei

2

De Brosses : Du culte des dieux fetiches, 1760.

-ocr page 39-

Vom Fetische und deiu Verhaltnisse des Gliiubiaen

O

zu ihm gilt natürlicli, was von den «Geistern» überhaupt gesagl worden ist, als deren Verkörperung sie betrachtet werden. Es ist im Bereiclie des Fetiscbismus weder ob-jectiv von ebrfurchtgebietenden eigentlichen Gottern, nocb subjectiv von «scblechthinigem Abbiingigkeitsgefiilil » die Rede; ja der Fetisobdiener fiihlt sieb seinen Feliscben gegenüber so wenig abluingig, er bal vor ibnen so wenig Khrfurcbl, dass er sie missbandelt, zerbricbt, in's Wasser wirft, also straft, und gcgen andere vertauscbt, wenn sie seinen Wünscben zuwiderbandeln, seinen \\'illen nicht erfüllen. Der eigentliebe Untergebene, bal man richlig gesagl, ist bier nicht der Menscb, sondern die Gottbeit. Der Feliscb oder sein «Geisl» verbiilt sieb zmn Golle des l'olylbeismus und Monolbeismus, wie die Puppe, womit das Kind spiell, zu den liealiliiten des Mannesalters.

Spuren, und recht deullicbe Spnren, dieses kindlich familiüren Verhallnisses zwiscben Gotl und Menscb, dieser «noch spielenden Religion» finden sich audi in den höberen Formen des Polylbeismus und Monolbeismus. Es ist richtie

v O

bemerkt worden, dass wenn ■/.. B. Xerxes das Meer peit-schen liisst, um es zu bestrafen, dies eine echl feliscbis-tiscbc Praxis ist. Desgleicben wenn. wie Livius berichtel. ein rümiscber Feldherr, vor einem Treilen mit den Kartha-gern, die heiligen Ilübner in's Meer werfen liisst, weil sie nicht fressen wollen, «damil sie doch wenigstens saufen». Ja bis in's Cbristenlum binein liisst sich die Spur feti-schistiscben Religionswesens verfolgen. Ilierher gehort: jener süddeutsche Bauer, welcher den heiligen Floriau, der den Dorfbrunnen ziert, in's Wasser wirl'l, weil er bei einer Feuersbmnsl nicht helfen will, und der entrüslel ausruft: enn du nicht löscben willst, so sauf! — jene Tyrolerin, welche, bei der Nacbricht vom Tode ihres Kindes, um dessen Leben sie lange mil der Madonna gerungen halte, dieser das lose befestigte Christuskind

-ocr page 40-

aus dem Arme reisst, und es in den nahen Bach wirft, mil den Worlen : So solist aucli du spüren wie es that, ein Kind verlieren, u. s. w., n. s. \v.1

In der niedrigsten nnd kindischslen Form finden wir noch heule den Felischismus bei den noch vorhandenen Wilden Auslraliens, bei den Maoris auf Nenseeland, über-haupl in Polynesien sowie audi in Africa, besonders in der sogenannlen grossen Negerrasse.2 Eine hohere Stufe nirnml er bei den «Indianern» America's ein, \vo sogar ein monolheislischer Zug sich kundgibt, insofern üijer allen Geistera der eine «grosse Geist» (Maniluj herrschen soil. 3 Auch werden hier die Gulter mil Namen uuler-schieden: was bereits ein Charakterislicum des über den Felischismus sich erhebenden Polylheismus isl.

Auf allen Stufen des Felischismus linden wir übrigens

1

Vgl. Erliiutorung V. 3 Dieselbe zerfallt, nach Pott's gi'ünd-lichen Untersuchnngen, in 4 sehr verschiedene Rassen, nilmlich

2

Die Hidatias oder Grosventres am Missuri nennen ihn den alten unsterblichen Mann, den grossen Geist, das grosse Geheimnis. Uebrigens verehren audi s i e, ausser ihm, alles was es in der Natur gibt. Nicht nur der Mensch, sondern Sonne, Mond, Sterne, allo niedern Tiere, alle Biiume und Pflanzen, Flüsse und Seen, viele verschlagene Steine und losgei'issene Felsen, selbst Hügel, Vorsprünge die allein stehn, ja alles was nicht von Menschenhilnden gemacht ist und ein unabhiingiges Wesen hat, oder individualisirt werden kann, besitzt einen Geist, oder richtiger einen Schatten. Diesen Schatten gebührt ein gewisser Respekt und Verehrung. obgleich nicht allen in demselben Masse . . . Die Sonne winl hochverehrt und man bringt ihr viel kostbare Opfer.» (Ethnography and Philology of the Hidatsa Indians by Washington Matthews, Washington 1877, citirt von Max Muller, Ueber die Wahrnehmung des Unendlichen.)

3

1. die Bantu Leute), von Kongo- nnd Nigermündung bis zum Oranjefluss, begreifend : die Kaffevn, Zulu, Sambesi- und San-sibaibewohner im Osten, die Betsclmanen, Matabele unci zabl-veiche Stamme im Centrum und Westen Africas; 2. die eigent-lichen Neger (Senegambier, Sudanesen , Gallavölker); !i. die Hottentoten und Buschmiinn er, die tiefste aller Rassen (südlich der Qalla); 4. Die Nu bi er, mit Aussehluss der vielfach gekreuzten Abessinier: die kleinste aber entwickeltste Gruppe in dem frtther mit dem Namen « Neger » bezeichneten Völkercomplex.

-ocr page 41-

:):] —

den ünslerbliclikeilsglauben, in welchem das innersle Wesen aller Religion, das Nichtslerbenwollen, znm ])e-redten Ansdruck konnnt. Bei den Maoris herrschl dieser Glaube sogut, ja fast nocli entsciüedener als in den höch-slen Religionsformen. Nnr denkt sich der Wilde das Jen-seits als einfache Fortsetzung des Diesscits. Wer hier Skiave war, wird dort einfach wieder Skiave sein, wer hier Ilanptling war, isl es auch dort. Hei der Bestattung eines Hfiuptlings wird nnr deshalb eine Anzabl Sklaven getölet, damit sie ilnn iuquot;s Jenseils folgen nnd ihn dort bedienen; desgleichen seine Gattinnen, damit er im Jen-seits nicht nnbeweibt sei. Üie uus befreindende Resignation dieser Menschen dein Tode gegenüber erklilrt sicb gerade aus der Znversichllichkeit ihres Glanbens an die individuelle Fortdaner als einfache Fortsetzung des dies-seitigen Lebens ohne Vergeltnng.

üebrigens versichern einzelne Missionare, dass eia im höhern Sinne etliisches Moment dabei nicht ganz-lich fehlt. Beim Eidschwure der Neger werden ine nnd da Fetische berührt nnd /,u Zeugen genommen. Anch findet sich bei den Negern der Glaube, dass sie im Jen-seits ibren Fetischen Rechenschaft von ihreni Leben ab-legen müssen.

Den kindischen Vorstellungen von den «hoheren Machten», wie sie dein Fetiscbisnms eignen, entspricht selbstverstandlich noch kein eigen tlicher Cultus, sondern vorerst uur ein kindisches Vorspiel zu dem was wir als Gottesdienst zu bezeiclinen pflegen. 1 Es bestebt dassolbc beinahe ausschliesslich in Zauberei, d. b. An-wendung von Formeln nnd llandlungen wodurch die boheren Machte beschworen werden sollen. Der Priester ist vorerst identisch rnit dein Zauberer nnd Wabrsager, der initlelst gewisser \'errichtungen Macht iiber die Geister

1

Vgl. übi'igens Erlautevung I.

-ocr page 42-

zit gewinnen und so ilire Macht zu breohen suclil. Dabei zeigl er des ('jflerii, zumal l)ei den sogenannten turanischen Vólkern Nordasiens1, die unter dem Namen Schainanis-mus2 bekannte Tendenz sich tuis dem gewobnliclien Lebeu nnd nücblernen besonnenen Zuslande in einen solchen der nervösen Erreglheit, der Begeisterung und schliesslicli der Ekstase zu verselzen, znm Behuf des Erkennens des goltliclien Willens und der Zukunft. Die Millel dazu sind Enthaltung von Speise fasl bis zum Hungerlode, berau-scbende Getriinke. rauschende und berauscliende Musik, wirbelnder Tanz u. s. w. Indem der Geisterglaubige sich berauscht, macht er sich Mul zum Kampfe mil den zahllosen Gespenslern und Dilmoneu, die ibm nachstcllen und die er bannen zu können glaubt, sobald der Geist miichlig in ihm erregt isl, wahrend er sich im nücblernen Slande ihnen nichl gewacbsen fübll, sicb überall und auf jedem Scbrill dem Zauber ausgeselzl wahnl.

^'ie der Felischistnus so halll auch der mil ihm verbundene Schamanismus in den holier enlwickellen Religionen nach. Der berauscliende Maoma- oder Soma-Trank (Gerslenspirilus), der den Turaniern südlich benach-barten und geislig holier slehenden Irianer und Inder, die Orgiën des semilisch - griecliischcn Baal-Dionysos-diensles, die orgiasliscben Zauberer des spaleren Vedis-mus und Mazdaismus, die rasende Pylhia im delphischen Apollocull, die ekslalischen Vorkommnisse in alleren und neueren Seclen, das Flagellanlenlum im kalholischen

1

Mongolische Hasse (Tschuktschen, Jakuten, Tunguscn, Kirgisen, Buriltcn). In Nordamerica ist der Schamanismus bosonders staik ausgepragt bei den Koloschen. (S. den Artikel von Dr. Berghaus im Magazin für die Lit. des In- und Auslands, 1887, Nr. 33.) 2 Das Wort « Saman» soweit es Geistbescluvörer heisst. kommt eigentlich nur bei den Tungusen vor. Die Ableitung vom indischen «jamana» ist höchst zweifelhaft. S. einen Artikel von Schott in den Philol. Abhandlungen der Berliner Akademio der Wissenschaften: Uebcr

2

den Doppolsinn des Wortes «Schamanc».

-ocr page 43-

Miltelaller, ja, die mil klingendem Spiele einherziehende Salvation army, dies alles — um nur einige wenige 15ei-spiele zu erwiilinen — sind Erscheinuugcn schamanis-tischer Art : atavistische Nachklüngc aus der Kindheit des Menschengeistes.

IV. Zu § 13.

In den «Göttern» wie in den «Geistern» bildel sich der Mensch ab, in den Geistern der kindische, in den Göttern der jugendlich aufstrebende und geislig erstarkle Menscli. Waren die Fetische Kinder und Puppen, so sind die Gutter des 1'olytheisinus kraft- und lebensvulle Persönlichkeiten, und wie in der Jugend der Geschlechts-trieb eine Ilauptrolle spielt, so audi bei ihnen. Man denkt sie sich miinnlich oder weiblich, durcii das Band derEhe verhuilden, Kinder zeugend u. s. w. .Ieder Gott hal seine Gharaktereigentümlichkeit, seine Erlebnisse, seine Geschichte. Eine solche Geschichte, Erziihlung, Götter-sage, aus der dichtenden Volkerphantasie entsprungen, isl ein My thus, das gauze desselben, sofern es durch Tradition lixirt wird, die Mythologie.

Um das mil diesem Worte bezeichnete «buute Ge-misch von Sinn und Unsinn» riclilig zu verstellen und anderes darin zu linden als Albenihcit und Unwissen-heil, muss man sich auf den naiven Standpunkt ihrcr ür-heber zu versetzen wissen. Dein Kinde, sagten wir, isl alles lebendig, es redet mit seiner Puppe als mil seinein alter ego; und der Jüngling isl. noch ein halbes Kind. Die früheren Jahrlmuderte konnten sich nicht auf diesen naiven Standpunkt zuriickversetzen. Daher ihre Gering-schatzung der Mythologie. Schon den Philosophen und Forschern des spütern Altertums fehlte der richtige Sinn

-ocr page 44-

— 36 —

fur dieselbe. Sie waren, wo es die Mythologie zu deuten gall, in nicht geringer Verlegenheit. Entweder lliichteteii sic, wie die Stoiker, zur Allegoric, oder sie erblicklen im Mylhus idcalisirte wirkliche Geschichte. So Euhemerus (30Ü v. Chr.) mid seine Schule.

Gründlicher isl Wesen und Ursprung der Mythologie ersl scil der zweilen Uiilflc des vorigen Jahrhunderts (I). Hume, Natural history of religion, und Chr. G. Heyne, Creuzcr's Vorlaufer) und besouders in unsenn Jahrhunderl sciteus der Philosophic und naincntlich der Philologie imtersucht worden. Unter den Philosophen hat sich, nach Hume, vornelnnlich Schelling, ualer den Philologen, Goltfried Hermann, Grcuzer, Otfried Miiller und Max Miiller um die Wissenschaft der Mythologie verdient gemacht.

Wahrend man diese ehedem als ein Gewirr poetischer oder altweibischer Faseleien oder gar als Carricatur der heiligen Schrift alten Testaments gering schatzte, isl sie für Schelling ein logischer Process und zwar ein realer Process des Gottesbewusstseins im menschlichen Bewusst-sein. Die Götter in ihrer historischen Anfeinanderfolge siiul ihm die Etapen des Selbslbewusslwerdens Gottes in der Geschichte. Audi He r m a n n (Mythologia Graecorum anliqua, 1807) erblickt in aller Mythologie Philosophic, in allen Mythen im letzten Grundc philosophische Wahrheit. Schelling's und Hermann's Systcme vertreten also das der früheren geringschatzenden Auffassung entgegenge-setzte Extrem, sind aber deshalb einseitig. Die der Mythologie zu Grnnde liegenden Wahrheiten sind zumeist schlichte, einfache Siitze aus der tagtaglichen Erfahrung des Ackerbauers oder des Hirten, in die Form anthropo-morphisirender Dichtung eingekleidet. Bei den Liebes-abenteuern des Zeus, bei den Leistungen des Herakles, bei den Gewittermythen der Inder und Griechen liegt dies klar zuTage: jene Abenteuer drücken die einfache Wahr-

-ocr page 45-

heit aus, class der reguende lliininel die B^rde befruchlet; die Arhöilen des Herakles sind die W'irkungen und astro-noraischen Bezieliungen der Sonne u. s. \v. Es sind die verschiedensten Xatnrerscheinungen in der Geslalt mensch-liclier Erlebnisse, also noch lange keine Pliilosopliie. Es gibt zwar allerdings philosophisehe Mythen, womit aber noch nicht gesagt ist, dass alle Mythen Philosophic enthalten. Richtig ist indess die Ansicht Hermann's, dass die Mythologie etwas besseres und im letzten Grunde vernünftigeres ist, als das, wofür man sie wollte gelten lassen.

Im Unterschiede von Hermann's System fancl Greuzer (Symbolik und Mythologie der alten Volker, (5 Handc, in der Mythologie überall Religion. Ihm ist sie wesent-lich ein Erzeugnis des religiösen GemiUs und der Phantasie, welehe darauf ausgeht, Ideen, Vorstellungen, ]?ilder zu entwerfen von den «höheren Wesen, die wir ahnen». Indem er aber diese Vorstellungen, Rilder und Sagen, wie sie bei den verschiedensten Vul kern und Stammen sich ihm zeigen, vergleichl und einander sehr ahnlich findet, drangtsich ihm — und dies ist das Haupt-characteristicnm seines Systems — die Vermutung auf, dass alle Mythologien und Religionen wesentlich mit einander verwandt1 und sümtlich von einer Urreligion abstammen, welehe Monotheismus gewesen, durch die Vervielfaltiguag aber der Stiimine und Volker zum Poly-theismus geworden sei. Einen Teil dieser Ansicht freilioh nur einen Teil, hal die vergleichende Philulogie dadurch bekrüftigt, dass sie den gemeinsainen Ürsprung der meisten europaischen Volker und der südasialischen

1

Ev liat dies mit besouderem Erfolg für die Sago vom babylo-nischen Turme uachgewiesen S. die Bolege zu Creuzer's Ansicht in der Deutschen Rundschau, 188(5, X (Das geographische Bild der Menschheit von Friedrich Ratzel, p. 57-59).

-ocr page 46-

— 38 —

Ariër1 darlhul. Zend, Sanskrit, Griechisch, Lateinisch, Deutsch, die slavischen Sprachen, sind alle Abkommlinge, Varietiiten, Dialekte einer gemeinsamen Ursprache, wie heutzutage Frauzösisch, Ilalienisch, Spanisch und Porlu-giesisch Abkommlinge des Laleinischen sind. Und wie die Verwandlschafl der Sprachen, so hat sich, millclst Vergleichung der Gottornamen, auch die Verwandtschaft der Religionen und Mylhologien aller dieser Völker nach-gewiesen , so dass diese verschiedenen Mylhologien ge-wissermassen nur verschiedene Dialekte der einen Ur-religion der Ariër zu betrachten sind: Der griechische Uranos, z. B., ist der indische Varuna, der griechische Zeus der indische Dyaus (der heitere Ilimmel, auf den der Genetiv Aio; noch deullicher hinweist), der lateinische .lo oder Ju-piter, der germanische Zio oder Tin (der im englischen Tuesday und im süddeutschen Zisdy fortlebt). Auch dies ist im Creuzer'schen Systeme richtig, dass die ursprünglichen raythologischen Vorstellungen, aus welchen die weiteren sich entspannen, sehr einfach waren. \\'o spater drei, vier, ja zehn verschiedene Gottheiten sich Itreil machten, war ursprünglich nur eine. Aus dein einen Sonnengott ist Baal, Bel, Apollo, Moloch, llerakles und eine ganze Menge von besonderen Göttern geworden. Soweit ist Creuzer's Hypothese von einem ursprünglichen Monotheismus zutrcffend. Allein diese eine Gottheit, die sich in mehrere zerteilte, war deswegen nicht die ein-zige, es gab neben ilir noch andere, die sich ebenfalls in der Volksphantasie vervielfaltigt haben (der Mond, die Erde u. s. w., u. s. w.). Es kann daher wohl von Ileno-

1

Der Ausdruck Indo-Germanen, womit man ehedem und jetzt wieder vielfach die arische Völkerfamilie zu bezeichnen pflegt, weist auf ilire beiden extremen Vertreter hin im aussersten Osten und im aussersten Westen. Er ist, richtiger als der gleichfalls beliebte «Indo-Europaer», insofern auch die grosse Mehrzahl der Nord- und Süd-americaner besagter Rasse angehört.

-ocr page 47-

— :?() —

theismus im Sinne von ^^ax Muller, nicht aber von ur-spriinglichctn Monolheismtis ira eigenllicheii Sinnc die Rede sein. Auch das ist nicht richtig, dass die Mythologie n u r Religion enthalten soil. M\rthologie ist, wie M. Muller treffend sagl, weder Philosophie allein, noch Religion allein, noch allein Naturbeschreibungin poelischer Form, sie ist viehnelir eine eigenlümliche Art und Weise, die üinge vorzustellen und auszusprechen, eine poelische Auffassungsweise, die auf allen inöglichen In-hall Anwendung gefunden.

Nachdem Creuzer's grosser und der Wissenschaft zu früh entrissener Nachfolger Ollried Müller (Prolegomena zu eiaer wissenschaftlichen Mythologie, 1825) unter teilweiser Anlebnung an den Euhemerismus wieder hesonders auf die historisch ea Elemente des Mythus hingewiesen, hat in unseren Tagcn der Oxforder Gelehrte deutschen Ursprungs Max Müller eiu Erkltirungssystem aufgestellt, das wir, seiner OriginaliUit wegen, ausfiibr-licher erörtern wollen. Wir lassen dabei, wo immer möglich, ihm selbsl das Wort.

Zu der dichtenden Phantasie, die bei Hermann eine mehr philosophirende, bei Creuzer eine mehr religiose ist, fügt Müller einen zwei ten Factor der Entstehung der Mythologie hinzu: niimlich den philologischen, den slcls fliessenden und sich veriinderndeu Einduss der Sprache, naher, das Nicbtmebrverslelin und Missverstebn der Sprache der Vorfahren. Er bemerkt, dass, «wenn die Sprache der Ausdruck des Gedankens, auch umge-kebrt der Gedanke ein Erzeugnis der Sprache ist, und definirt die Mythologie: eine figürliche Redeweise, die spil ter fur bare Miinze galt, oder aucii, eine olte Form der Sprache, einen unversliindlich gewordenen Dialekt.

Sehn wir an einer Reihe von concreten Beispielen, was er mit diesem Satze meint.

4

-ocr page 48-

— iO —

Die meislen Völker verehrlen ursprünglich als Haupt-golt den Himrael und dessen Galtin, die Erde. Dieser Goll ist ursprünglich einer, aber er hat die verschieden-slen Attribute, er erscheint in den verschiedensten Zustanden, einmal licht, dann wolkig und stürmisch, don-nernd, blitzend und regnend. Der Fromme ruft ihn an, der Dichter besingt ihn, einmal als hei teren, lachenden, dann als den Zürnenden, und wiederum als den Segenspendenden, d. h. er ruft einmal den Ileiteren, das andere mal den Donnerer, das dritte mal den Segenspender an. Diese Appellative, die ursprünglich einen und denselben Gott bezeichneten, werden alhnahlich zu festen Eigennamen, deren Bedeutung in Vergessenheit gerat und die man fortan auf verschiedene Subjecte (Götter) bezieht. Statt eines Himmelsgottes halte man dann einen Leuchtenden (Diu), einen Donnerer (Thor, Ur, Itar), einen Sturmbewegten (Indra) u. s. w. Statt des einen Sonnengottes Helios oder Surya, batte man den Phcebus Apollo (Bal, Bel), den Ilerakles — Daphnepboros — Mantis — Idaios — Olympios — Pangenetor — Endy-mion 1 u. s. w., u. s. w. Ursprünglich war mil allen diescn Ausdrücken Helios, Phoebos, Apollo, Ilerakles, Endymion, dieselbe Sonne in verschiedenen Beziehungen gemeinl, spiiter ging der Sinn dieser Bezcichnungen verloren, und es entsland die Meinung, dass es sich um viele handle; der relative Monotheismus ging in 1'oly-theisinus über, und zwar durch einfaches Missver-s tandn i s.

Und wie die Vervielfaltigung der Götter, so erklart sich auch die Bildung der Mythen, d. h. der an die Goiter geknüpften Sagen, vielfach durch solches Nichtmebrver-stehen dor Sprache der ^ titer. Die jugendliche Mensch-

1

Endymion (ivï'jw, eintauchen) ist die in's Meer eintauchende, also nntergehende Sonne.

-ocr page 49-

heil hatle jedenfalls cine poelischere l)ilderreicliere Spraclie als die spalere. Wir, die spiilern, sagen v.. B. es wird dunkel, oder auch : die Sonne gehl unler nnd der Mond geht auf, oder über der unlergehenden Sonne gelit der Mond auf. Slutl dessen saglen die Vorfaliren: Selene (der Mond) wacht über Kndvmion, Selene folgl Kudvmion, li('l)l Endyniion, küssl Endymion und vcrlierl ihn. Diese Ausdrücke erliielten sicii, man nahm sie am Ende würt-lich nnd es enlstand das Marchen, Endymion sei ein junger Bursche gewesen, den ein Miidchen namens Selene geliebl und verloren habe. «Und waren die Kinder, fiigt M. liinzu, neugierig, noch mehr zu boren, so gab es jederzeil eine ürossmulter, der es Freude niacble zu er-ziililen, dieser Endymion sei der Sohu der Protogeneia oder Morgendammerung, oder der Kalyke (Nacht) gewesen, und so rollt der Mythus, einmal in Bewegnng gesetzl, fort und schwillt an in's Unabsebbare; seine Eltern heissen: Phantasie und Missverstiindnis.»

Ein anderes Beispiel aus der griechischen Mythologie. Die Vorfaliren redeten von Apollo delios (^vTXio?), dem hellen, leuchtenden Sonnengott. Allnuihlich ging die Beden tung von als heil verloren ; man deutete

delios: von oder aus Delos, und so enlstand die Mythe der Geburt Apollos auf Delos: sie entstand, m. a. W., aus einem Missverslandnis.

Ein drittes und lelztes aber sprechendes Beispiel, wiederum aus der griechischen Mythologie: Die Vorfaliren schon verehrlen als höchsten Gotl den Zeus. Sic nannten ihn den Golt der Zeiten, d. h. der ewige Gotl, Zeus xpoviwv oder xpovt^vi;, Ableitungen auf iwv und batten ursprünglich nicht ausschliesslich palronymische Bedeu-tung nnd drückten eine Xbeliebigc Beziehnng aus. Zeus Icronion hiess also nicht Zeus, Sohu des Kronos, sondern im Gegenleil: Zeus, Herr des Kronos, d. h. ewiger. Als aber spaier diese Endungen nur noch als Palronyme

-ocr page 50-

gcdeulel warden, erklörle man im Gegeusatze zum wahreu ursprünglichen Sinne: Zeus, Sohn des Kronos, uud ergab sich so die bekannle Kronosmylhe, die also wiederum eine Tochler der Phanlasie und — des Missverstand-nisses ist.

Auch wir, erinuerl Müller, verslelm in unsern modernen Spraclien vieles nicht mehr, was sieli zwar formal darin erhalten, ursprünglich aber einen arndern Sinn lialle. Wer weiss wobl noch, dass Tochler eigenllich und ursprünglich Melk er in (sanskr. Duhilar), pecuniar eigenllich auf den Viehsland ('peculium, pecunia, pecus) bezüglich heissl, dass Klei nod einsl die mindesl werl-vollen Slücke, namenllich Eingeweide des geschlachlelen Viebs, die der Melzger zuwog, bedeulelhal? Eine Mythe aber gab die andere und aus allen mil einander enlwickelle sich an der Hand der dichtenden Volksphantasie ein ganzer Cyclus von Mythen. Müller schliesst aus alledem: Die Entstebung der Mythen bat zwei Hauptfactoren : einen pos i liven und einen negativen. Der positive isl die anthropomorphisirende Phanlasie, der negative die sich von Geschlecht zu Geschlechl umbildende und veriindernde Sprache und in Eolge davon das nicht mehr verstehn oder auch das wörllicb nebmen alter poetischer Redens-arten. Also kurz gesagt: Die Mythologie isl hervor-gegangen aus Phanlasie und M i s s v e r s t a nd n i s.

Fragen wir noch : wie hal sie sich befestigt und erhalten? so antworlct derselbe Gelchrle : «Befestigt und erhalten bat sie der angeborene Uespekl der Menschen (ihre religiose Pietat) vor dein Allen, Ueberlieferten. Die Ueberlieferungen sind ofl seltsam, wnnderlich, ja nach Massgabe der zeitgenössischen Ideen immoralisch, und doch niminl sie jede Generation an und gcstaltel sie so, dass sie erlraglich werden, oder gar einen liefern Sinn erhalten. Wir wissen, dureb Missionare, von vielen Hindus, die nicht den mindesten Glauben mehr haben, und

-ocr page 51-

— 43 —

doch die Knie beugen vor den Bildern Wishnus mui Shivas. Die Tradition hal sie eben gelieiligt. Aehnlich isl die Elirerhielung die ein Socrates, ein Plato, den Volksgöttern zolll. Das Unertragliche in der mythologi-schen Tradition suchen sie mittelst der Allegorie um-zudeuten, ihm einen liefern Sinn unterzulegen. Andere, wie Pindar, andern sie geradezu . . . dabei bleiben nber doch die Namen: Manner, die die liücliste, reinste Vor-stellung von der Gottheit batten, nenneu sie immer noch Zeus. Also die Macht der Tradition, die Pietüt gegen das von den Viitern nberkommcne, das ist der Ilauptfactor, der die Mythen befesligct, erbalten hat. Dazu kommt «her wiederum die Sprache, die der religiösen Tradition machtig unter die Arme greift. Sagen wir doeli jetzt noch: die Sonne geht auf, geht unter. Regenbogen, Donnerkeile, ohne auch nur entfernt an die Richtigkeit dieser Ausdrücke zn glauben. Sprechen doch die «liberalen» Geistlichen von Evangelium, Heiland, AN'ort Gottes, und denken sich dabei ctwas ganz anderes als die Vüter. Die Sprache bal eben diese Ausdrücke sanctionirl; wir gebrauchen sie auch dann, wenn ihr ursprünglicher Sinn uns f'remd geworden isl. » 1

So weit Max Müller, der, wie sie sehen, die relative Wahrheit früherer Ansichten in sein System aufgenommen bat, somit allseiliger ist als seine Vorgiinger. Worin auch er wiederum einseitig wird, das ist seine allzuslarke Be-lonung und offenbare Ueberschatzung des philologiscbeu Factors. Wie gross und bedeutend auch die Bolle dieses negativen Factors der Mythologie gewesen sein mag, ihr Ilauptfactor bleibt, unserer Ansicht nach, der positive: die anthropomorphisirende (das Menschliche und die menschlichen Veriiiillnissc in die Natur hineintragende Phantasie im Dienste des religiösen Gefühls.

1

Essays II, 12

-ocr page 52-

Audi darin niöchlen wir Max Miillcr kaum bei-pflichlen, dass er die Mythologie eine figiirliclie Rede-weise nennt, die spiiter wörtlicli genommen, also missverstanden wurde. Weun die Vorfahren gesagl halten : Selene liebt Endymion, folgt ihm, kiisst ihn, verliert ihn, Helios schaut, Helios sendet seine Pi'eile, so waren dies in ihrem Munde durchaus keine Tropen, Bilder, Gleich-nisse, sondern eigen tlich gemeinte Anthropomor-phismen.

Mythologie ist eintach : ein natürliches Spiel der dichtenden Volksphantasie, sie ist (nach Simroeks treffender Definition) Po esie und zwar die altestePoesie der Völker. «Sie hat sich aber — und dies ist die Wahr-heit des Müller'schen Systems — entwiekelt nnter wesent-licher Mitwirkung der Sprache und erhalten Dank dein angebornen Respekt der Menschen vor dem Altherkömm-lichen. Denn : was grau vor Alter ist, das ist ihm heilig.»

V. Zu § 14.

Zur Gharakteristik des modernen Polytheismus oder vielmehr Polydiimonismus bringt die « Gartenlaube» (1886, Heft 10) folgende kostliche Illustration : «Unter den Dorf-bewohnern Siulitaliens herrschen noch hcute die wunder-lichsten Ansichten über die Macht und das Ansehen der «Heiligen». Dieselben sind in förmliche Rangstufen ein-geteilt, deren Grenzen allerdings so locker gezogen sind, dass sich über die Macht des einen Heiligen zu der eines andern wohl streiten lasst. Naraentlich gilt dies von vielen Schutzheiligen der einzelnen Dürfer . . . Eine Ortschaft verachtet den Schutzpatron der andern und verspottet ihn auf alle mögliche Weise. Wie weiland die Guelfen und Ghibellineu fallen die Anhiinger oder richtiger Parteigiinger über einander her, und der Streit über die Heiligen spal-tet selbst die Familien, wenn die Frau mit den Töchtern

-ocr page 53-

— 45 —

vielleichl zufüllig S. Giovanni, der Vater mit den Soluien S. Anionic anhüngt. Namenllieh bei den Festen komnil der lleiligenstreil zum Ausbrueh. In einem sizilianiscben Orle, Medica, giht es die Parteien der S. Georgianer und der S. Peterianer; die Letzterea Ihun dem Heiligen der Ersleren allen Schabernack an und umgekebrt. Die S. Georgianer löscbten einmal am S. Petertage alle in der Kirche angezündelen Kerzen dadurch, dass sic Ilunderte von Fledermiiusen losliessen. Am S. Georgstage kam daim die Rache der Pelrusmanner: sie nahraen den Ziind-scliwamm aus allen Morsern heraus und schlugen Nagel liineiii, so dass das Fest in der Stille gefeiert und der KnallefFekt verloren gehen musste . . . Der Ilass steigert sicb bis zur Schandung des Heiligtums, bis zum Ein-brucli in dieKirchen: zur Unscbadlicbmachung des feind-licben Heiligen . . . Wer Heidentum kennen lernen will, braucht vvahrhaftig niebt nacb Inner-Africa zu reisen.»

-ocr page 54-