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Homoopathie und Cholera.
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Zur Beurteilung, Yerhlitung
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und
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erfolgreiclien Behandlung der Seuche.
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Von
Emil Schlegel,
Arzt in Tubingen.
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Tubingen,
Selbstverlag des Verfassers
1892.
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£>ruck von W. Armbruster & O. Riecker in Tubingen.
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V o r w o r t.
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Cregenwartige Schrift ist das Ergebnis personlicher
Studien und Vorbereitungen fiir die Choleragefahr. Mit leichter Miihe liessen sich die gewonnenen Anhaltspunkte fiir die Veroffentlichung bearbeiten, wovon sich der Verfasser allgemeineren Nutzen versprechen muss. Tubingen, 15. September 1892.
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ei den Cholerabetrachtungen der verschiedenen Schulen
spielen gewohnlich die atiologischen und anderweitige hypo- thetischen Verhaltnisse dieser Krankheit die Hauptrolle. Wir konnen leider fiir dieBehandlung der morderischen Seuche auf dem Schulgebiet nur ausserordentlich wenig lernen. Ganz im Gegensatz dazu fiihrt uns das Verhaltnis von
Homoopathie und Cholera sogleich in die Mitte der Sache, fiihrt uns sofort zur Inangriffnahme der therapeutischen Aufgaben, die wir uns angesichts der furchtbaren Verheerungen, welche durch diese Krankheit im Leben und Wohlstand des Volkes angerichtet werden, in erster Linie stellen miissen. Wir sind in der gliick- lichen Lage, unsere Betrachtungen an der Hand einer klassischen Schrift Hahnemanns beginnen zu konnen. Sie ist erschienen im Jahre 1831 zu Leipzig, liegt in dritter Auflage vor und hat den Titel: ,,Die sicherste Heilung und Ausrottung der asiatischen Cholera". Hahnemann fiihrt in dieser Schrift bekanntlich den Kampfer als fast ausschliessliches Heilmittcl auf und zahlreiche Arzte haben inzwischen die segensreiche Wirksamkeit des Hahne- mann'schen Verfahrens erprobt und bestatigt. Es muss Eingangs der Hahn em ann'schen Schrift sofort auffallen, dass der Autor sechs Hauptformen der asiatischen Cholera auffiihrt, von vvelchen nur die letzte mit Ausleerungen verbunden ist, wahrend Hahne- mann geradezu sagt: ,,in den gewohnlichen Fallen stirbt man ohne Erbrechen und Durchfall". Seine sechs Hauptformen sind in kurzem 1. Schwindel, Brennen im Magen und Schlund, unbeweg-
liches Daliegen, Verglasung der Augen und Tod. 2. Kalte, Blauvverden, Krampfe, Tod.
3. Ohne Vorboten plotzlich Starrkrampf und Tod.
4. Kopf- und Gliederschmerzen, starke Hitze, Brennen im
Bauch, Schweiss, Starre und Tod. |
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5. Blutauswurf mit Brusfbeschwerden, haufige Gehirnstiche,
Tod. 6. Plotzliches Sinken der Krafte, wasseriger Stuhl, Erbrechen,
eingefallenes Gesicht, Herumvverfen, Angst und Mul- losigkeit, Erkalten des Korpers und Tod. Es waren nicht eigene Beobachtungen, welche Hahnemann
hiebei leiteten, vielmehr beruft er sich auf ,,bessere Beobachter in Galizien". In der Natur der homoopathischen Heilkunst liegt es, einerseits dass sich Hahnemann so auf einen Feind richten konnte, den er noch nicht gesehen hatte, der ihm aber durch zuverlassige Beschreibung bekannt geworden war, andererseits erklart die Charakteristik, welche Hahnemann von der Gestaltung der Cholera gab, dass er keines der von ihm gepriiften und homoopathisch eingefiihrten Arzneimittel Ars. Cupr. Veratr. und andere in erster Linie beriicksichtigte. Ferner erklart sich aus dem spatern haufigeren Auftreten der asiatischen Cholera in Form von Brechdurchfall, dass die Schiller Hahnemanns erst allmahlig iiber die Heilanzeige dieser Mittel, sowie einiger andern wie Ipecac., der Holzkohle, der Zeitlose, des Mutterkorns, und an- derer, bessere Bestimmungen treffen konnten, als der Meister selbst, welchem die Krankheit wesentlich nur in der Form der fur Kampfer geeigneten Falle bekannt geworden war. In der That finden wir bei den allerschlimmsten Epidemieen
die Kampferfalle ungewohnlich haufig. An der Hand von Hahnemanns Anleitung, geben wir nun
seine Vorschriften, die sich so wirksam und so echt volkstumlich erwiesen haben. Hahnemann sagt: der wahre Arzt braucht ein Heilmittel, i. das selbst ganz einfach,
2. leicht zu haben,
3. sofort wirkend,
4. dem Krankheitscharakter am angemessensten,
5. von Jedermann ohne Fehl anzuwenden,
6. ganz gefahrlos ist und
7. den Behandler vor eigener Ansteckung bewahrt.
„Kampfer ohne Nebendinge und gehorig angewendet hilft und errettet vom Choleratod". Es werden zwei Theeloffel Kampfer-
spiritus mit '/» Liter heissem Wasser verschiittelt und davon |
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alle Minute ein kleiner Theelbffel genommen. Man kann auch
den Kampfergeist tropfenweise mit etwas Wasser geben, dabei Reiben eines entkleideten Teiles des Korpers nach dem andern mit einem auf die rechte Hand gezogcnen wollenen Handschuh, der an der Innenseite von Zeit zu Zeit mit Kampfergeist be- feuchtet wird. Die tibrigen entkleideten Teile des Kranken konnen in eine wohldurchwarmte, mit Kampfer durchraucherte Decke eingehiillt werden. Der Kampferdunst drangt sich so dem Kranken bei jedem
Atemzug auf, wenn schon die Mundsperre das Einnehmen un- moglich macht und so kann der Kampfer den Kranken auch da noch retten, wo Eiskalte, Starrkrampf und Bewusstlosigkeit jede andere Hilfe ausschliessen. Diese einfache Behandlung kann jedermann gezeigt werden
und es soil der Arzt 20 —30 Gehilfen iiberwachen, welche sofort bereit sind, die neu angezeigten Kranken in Behandlung zu nehnien. Von dem Kampfer kann die erwarmte Losung auch als Klistir in den Mastdarm eingespritzt werden. Im Stadium des Choleratyphoids empfiehlt Hahnemann Bryonia abwechselnd mit Rhus. Dort, wo wasserige Diarrhoe mit Erbrechen bei unauslosch-
lichem Durst vorhanden sind, hilft noch Cuprum vorzuglicher als Veratr. Als Praservativmittel kann Kampfer nicht dienen, dagegen eignet sich hiezu wochentlich einmal friih niichtern ge- nommen Cuprum in hoher Potenz. Jedes Verlangen des Pa- tienten ist mit Massigkeit zu befriedigen. Diese einfachen Vorschriften erschopfen den Inhalt der
Hahnemann'schen Schrift noch nicht. Es ist ftir die heutige Zeit von hohem Interesse, dass der grosse Arzt sich auch noch in folgenden, vor der jetzigen Erkenntnis und vor den heutigen An- forderungen vollstandig stichhaltigen Worten, beziiglich der Des- infektion ausspricht. ,,Um aber auch die Ansteckung und Verbreitung des pest-
,,artigen libels, das wahrscheinlich auf einem lebendigen Miasm ,,beruht, gewisser als bisher zu verhiiten, miissen nicht nur alle ,,Bekleidung, Wasche u. s. w. der an Cholera Erkrankten, son- ,,dern auch aller aus angesteckten Orten gekommenen Fremden „Bekleidung, Wasche u. s. w. in den Contumazen zwei Stunden |
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„lang in einer Backofenhitze von 8o° R. durchhitzt werden,
„einer Hitze, in welcher alle bekannten Ansteckungsstoffe und ,,so auch die lebenden Miasmen vernichtet werden. Die so Ent- ,,kleideten werden indessen am ganzen Korper durch schnelles ,,Waschen gereinigt und mit reinleinener oder barchenter zum ,,Contumazhause gehoriger Kleidung versehen, bis ihr eigenes ,,Zeug durch jene Hitze gereinigt ist". Auch in diesen Vorschriften horen wir das Urteil eines er-
leuchteten und seiner Zeit vorausgeeilten Arztes ; es spricht daraus die voile Beachtung der Contagionsmoglichkeit. Es ist mir unbekannt, ob Hahnemann personlich zur Be-
handlung von Cholerakranken Gelegenheit hatte; dagegen zeigt eine ganze Reihe seiner Schiiler nicht nur Empfanglichkeit fur seine Vorschriften, sondern es liegen auch zahlreiche Zeugnisse von Arzten und Laien liber die im grossen Stil geiibte Kampfer- behandlung der Cholera mit ausgezeichnetem Erfolge vor. Wir werden darauf noch zuriickkommen und wollen nun zunachst die Beobachtungen von einer Reihe bewahrter Hahnemann'scher Arzte mustern, um die Kampferbehandlung durch die Behand- lung mit homoopathischen Arzneimitteln in kleinen Dosen, wie sie Eingangs namentlich erwahnt worden sind, zu erganzen. Konstantin Hering sagt in seinem „Homoopathischen
Hausarzt", dass Schwefel in einer wollenen Fussbekleidung ge- tragen vorziiglich vor Cholera schiitze. Er selbst verschmaht es, spezielle Beobachtungen hiefiir an-
zufiihren, dagegen finden wir eine nachdriickliche Bestatigung dieses prophylaktischen Verfahrens bei Jahr. Die Empfehlung beruht unter anderem auch darauf, dass Sulfur in seinen Wirk- ungen zur Cholera eine gewisse Ahnlichkeitsbeziehung aufvveist. Hering raumt diesem Mittel in 30. Potenz sogar die erste Stelle in der Behandlung der Cholera ein, wenn nach Mitternacht Durchfall mit Wadenkrampfen, Kalt- und Blauwerden des Korpers sich einstellt. Er lasst nach jedesmal zwei Stiihlen eine Gabe der Wasserlosung nehmen. Auch diese Erfahrung wird von Jahr ausdriicklich bestatigt
und beim Beginn der so bezeichneten Erkrankung ist dieselbe in hohem Grade beachtenswert mit der Einschrankung, dass sie weniger Aussicht auf Erfolge bietet, wenn es sich bei den Er- |
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krankungen urn Individuen handelt, die sich prophylaktisch schon
mit Schwefelmilch versehen hatten. Bei der mit plotzlichen Anfallen hervortretenden Cholera
bezeichnet auch H e r i n g den Kampfer als Hauptmittel; er er- innert aber daran, dass man ihn nicht bei jedem leichten Durch- fall nehmen soil und sagt, dass ein Zuviel durch einige Loffel schwarzen Kaffees unschadlich gemacht werden kann. Ipecac. Veratr. und Cuprum werden als Choleramittel an-
gefiihrt, die in geeigneten Fallen gegeben werden sollen, so oft die Krampfe wieder schlimmer werden; bei grosser Herzensangst, Hin- und Herwerfen und unloschlichem Durst, ist das Haupt- mittel Arsenic. Ist Erbrechen und Kalte gebessert, aber der Kranke wie betaubt, mit verwirrtem Aussehen und rotem heissem Gesicht: Plyoscyamus, bei Schlafsucht spater Opium. Fiir alle Falle muss Schweiss durchaus abgewartet werden und der Kranke oder Reconvalescent darf einen Tag lang nur trockenes Weiss- brot essen. Interessante und zuverlassig scheinende Beitrage giebt uns
Jahr in seinen „Klinischen Anweisungen", Leipzig 1867, und in seinem „Therapeutischen Leitfaden", Leipzig 1869. Wie schon erwahnt, hat er die Schwefelmilch als Prophylacticum stichhaltig gefunden und er hat sie auch gegen den vom ihm als Cholerose bezeichneten Zustand mit Erfolg angewendet. Jahr beschreibt die dem Choleraausbruch vorangehenden Zeichen als fieberhaften Zustand, Ermattung, Nachtschweisse, Erbrechen, Angst, Durchfall, Atembeschwerden, Schwindel, Kopfweh, leichte Wadenkrampfe die sich ungewohnlich haufig unter den Menschen zeigen und wo ein schmerzloser Durchfall als ernsteste Erscheinung die hochste Beachtung verdient. Dieser Durchfall kann die von den vorangegangen Anzeichen
befallenen Menschen sogar von diesen befreien; er geht aber of- fers blitzartig in die Cholera uber. Eben diese Cholerose- ist es, gegen welche Jahr die Schwefelmilch in einer Weise wirksam gefunden hat, dass die Stoning unter ihrer Einwirkung aufhorte und die Verdauung sich normal gestaltete. Im Ubrigen empfiehlt er zur Bekampfung derselben Sulfur in Potenzen und je nach den Erscheinungen Aeon., Ipec, Puis., Bryon., Carbo, Veratr., Arsen., Belladonna, Ferrum, Chamom., Coloc. sowie Kampferspiritus ins- |
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besondere gegen Schwindel und Kopfweh in kleinen wiederholten
Gaben, wahrend die andern Arzneien moglichst nicht zu wieder- holen sind. Bei Cholerine, wenn Erbrechen fehlt, wasserige Stiihle eintreten, absolut schmerzlos, kothig: Phosphor und bei klebriger Zunge Acid. Phosphor., sowie in andern Fallen Secale und Sulfur. Fur die eigentlichen Cholerafalle pracisiert J a h r die Heil-
mittelanzeige dahin: Ipecac, wenn Erbrechen und Durchfall sich gleich zu Anfang einfinden und wenn sie noch anhalten, nach- dem die grosste Gefahr beseitigt ist. Veratrum ist das Hauptmittel in fast alien Cholerafallen m i t
haufigen Ausleerungen, Eiskalte, Schwache und Waden- krampf. Es passt nachher oftmals Arsen., Cuprum, wo convul- sivische Bewegungen der Finger und Zehen und des Gesichts vorhanden sind, bei krampfhaften Kolikschmerzen und Kollern. Arsenic bei Herzensangst, Brennen, Durchfall, Erbrechen, trockener Zunge, Hin- und Herwerfen, Eiskalte, klebrigem Schweiss, wo es gleich anfangs sehr schlimm steht. Secale, wenn das Erbrechen aufgehort hat, die Stiihle noch farblos abgehen, auch bei schneller Erschopfung, Eiskalte, Angst, Wadenkrampf, Kollern; es besteht Durst und Abneigung gegen die Bedeckung. Karnpfer, bcsonders wenn keine Ausleerungen vorhanden sind, etwas oder auch kein Durst, schnelles Hinsinken der Krafte, Blaue, Eiskalte, Angst, Erstickungsfurcht, unbestimmte Klagen. Kampfer passt nicht, wo Eiskalte, Blaue, Krampfe und Stohnen fehlen. Beim Choleratyphoid in der Reconvalescenz gibt J a h r
Aeon., Carbo, Bellad., Phosphor, Bry., Lach., Merc, Rhus und Cocculus als hilfreich an und hebt noch Sulfur und Calcarea als Mittel gegen die Schwache in der Reconvalescenz hervor. Bo lie, „Anleitung zur Heilung der Cholera", Aachen 1866,
fiihrt besonders Veratr. ins Feld und zwar schon gegen die ersten Durchfalle. Ein Tropfen der Urtinktur nach jedem Durchfall, so- wie aber Durchfall mit Aconitsymptomen, namlich Frost ra i t n achfolgender Hitze, das letztgenannte Heilmittel in erster Potenz. Bemerkenswert hebt er noch Phosphor als Choleramittel hervor biei Weh in der linken Brustseite und fortwahrendem Aus- fliessen aus dem gelahmten After. Er beruft sich auf viele Zeug- nisse anderer Arzte iiber die vortreffliche Wirkung des Veratrum |
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in erster Potenz, unter andern auch auf die Beobachtungen eines
Allopathen, der mit bestem Erfolg Veratrin in sehr kleinen Dosen gab. Als Desinfectionsmittel fiir die Ausleerungen em- pfiehlt Bolle das tagliche Vermischen derselben mit Eisenvitriol und als Schutzmassregel rat er dringend, keinen fremden Abtritt zu beniitzen. In seiner Zeitschrift erwahnt er die drei homoo- pathischen Arzte Triers, welche im Jahre 1849 e'wa 1000 Cholera- kranke in Spitalern mit einem Verlust von 10—18 °/0 behandelt haben. Dr. Kammerer's „ Homoopathische Behandlung der asia-
tischen Cholera", 1831, empfiehlt Veratr. abwechselnd mit Cupr. als Heilmittel und beruft sich auf eigene Erfahrungen in dieser Richtung. Als Prophylacticum empfiehlt er Cuprum nach Hahnemann. Ebenso tritt er fiir die Kampferbehandlung ein, warnt vor dem Ubermass und hebt als ntitzliches Unterstiitzungs- mittel das kalte Wasser hervor. Dr. Kurz, kurze Anweisung fiber die homoopathische Be-
handlung der asiatischen Cholera, Breslau 1836, berechnet die homoopathische Sterblichkeit auf hochstens 9 Procent, empfiehlt Cuprum und Veratrum im Wechsel als Vorbeugemittel und be- spricht ausfiihrlich die Behandlung der vorlaufigen Cholerinen, ge- gen welche er bei langsamem Verlauf, bei Schwindel im Liegen, Ohrensausen, klebrige Zunge, Kollern, Durchfallstiihlen Phosphor und Acidum phosphor, hervorhebt. Wo ohne vveiteren Schmerz lautes Kollern voranging: Ferrum met., Calcarea carbon., bei lang sich hinziehendem Durchfall Tinct. sulfuris. Auch Nux vom, kommt hier zu seinem Rechte. Gelegentlich bemerkte er, dass dass Arsenik 30 und Secale cornutum 3 auch bei der Cholerine der Kinder sehr hilfreich seien; letzteres (wie auch bei Erwach- senen) bei seltenerem Erbrechen, haufigem Durchfall, unersatt- lichem Durst, verzerrtem Gesicht. Bei der schlagflussartigen Cholera mit Erstickungsangst, Aufschreien bei Beriihrung der Herz- grube, wobei Durst, Ubelkeit, Erbrechen und Durchfall zuriick- treten, passt der Kampfer, der am falschen Ort Nachteil bringen kann und nur 15 Minuten zur Entfaltung der Heilwirkung braucht. Vor alien andern Mitteln behauptet Veratrum bei Brechdurch- fall den ersten Rang. Ob der Korper warm oder kalt, Krampfe vorhanden, die Heiserkeit gering oder stark, der Durst mehr |
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oder weniger, der Harn unterdriickt oder vorhanden, man gebe
Veratrum 12 bei gussweisem Erbrechen und Laxiren. Im Ubrigen kommen hier noch Arsenik mit den bekannten
Indicationen, Cuprum (Zusammenschniiren der Brust hervorge- hoben), Secale (heftige Gliederschmerzen), Cicuta virosa (heftiges Erbrechen und wenig Durchfall), sowie Aconit, Lauroceras. und Nicotiana zur Geltung. Von neueren Werken zeichnet sich Schwabe-Puhlmami's
homoopathische Therapie durch eine ziemlich pessimistische Beurteilung der homoopathischen Erfolge aus und schreibt die zum Teil von anderer Seite hervorgehobenen so giinstigen Mor- talitatsverhaltnisse dem verschiedenartigen Charakter der Epide- mien, oder personlichem Charlatanismus der Berichterstatter zu. Mir will es scheinen, dass das Buch, welches ja tiberhaupt eine Ehre darin sucht, die urspriingliche Homoopathie wissenschaftlich, d. h. nach den gerade herrschenden Anschauungen umzuformen, seine Berichtsquellen eben dem ihm zusagenden Geiste entnommen hat, dessen Leistungen stets untergeordnete bleiben werden. K a m- p f er wird natiirlich angefuhrt, konnte aber angeblich seiner Zeit in Leipzig wegen uniiberwindlicher Antipathie der betreffenden Individuen nicht energisch augewandt werden. Dagegen muss ich darauf hinweisen, das Kampfer gerade
in denjenigen Fallen angezeigt erscheint, wo die Kranken halb- bewusst oder bewusstlos daliegen, wo ihre unbestimmten Klagen gewiss zuletzt dem Kampfer gelten. Es ist mir auch auffallend, dass die energischen Vertreter der auswiihlenden Kam- pfertherapie von diesen Klagen gar nichts erwahnen. Schwa be verfehlt iibrigens nicht, dem Kampfer die Zeug-
nisse von Quin, Kurtz, Bakody, Rubini, Veith zu ge- wahren. Empfohlen wird auch die Phosphorbehandlung Kafkas: Pposphor 3 mit Schwefelather versetzt. Hier finden wir noch eine spezielle Hindeutung auf den Genius epidemicus bei der Cholera, indem die Heilerfolge Rapps bei Choleradiarrhoe 1873 mit N i t r u m hervorgehoben werden. Bruckner in seinem Hausarzte (Leipzig b. Schwabe) warnt
vor dem Opium in pramonitorischer Diarrhoe, wodurch das Cho- lerathyphoid gefahrlich werde. Er erwahnt des manchmal epide- misch-therapeutischen Charakters von Secale, welchem die Eigen- |
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tiimlichkeit zukomme, grosses Verlangen nach sauern Getranken
zu bewirken. Sulfur empfiehlt er als Prophylacticum und Heil- mittel, wobei aber auch die Kampfertherapie, sowie Cuprum, Veratrum und Arsenic zu ihrem Recht kommen. Deventer, homoopathischer Ratgeber, Berlin 1870, ver-
langt Desinfection und wiinscht der schlimmen Wirkung der Cho- lerafurcht halber die offentliche Besprechung der Seuche in den Zeitungen verboten. Der Laienarzt J. P. Moser in seiner Choleraschrift 1884
beruft sich auf personliche Erfahrungen mit der schiitzenden Wirkung einer auf der Herzgrube getragenen Kupferplatte; er bringt eine Statistik von 14 namenllich angefiihrten homoo- pathischen Arzten iiber 1712 Cholerafalle mit 6, 13 % Verlust. Motz, Compendium der homoopathischen Therapie, Bonn
1886, befindet sich in seinen Mitteldiagnosen in tJbereinstimmung mit dem schon Gesagten, ftihrt auch Colocynthis als Mittel an seinem Platze an bei heftigem quetschendem Leibschmerz, erleich- tert durch Druck, bei Urinverhaltung. Auf die Empfehlung von Buchner vvird auch Cuprum arsenicosum hervorgehoben, dessen Symptomatologie den beiden Componenten entspricht. Eine besonders beachtenswerte Erscheinung fiir die Cholera-
therapie ist Harst's erprobte Behandlung. der Cholera, Heilbronn 1831. Der Autor, geboreher Wiirttemberger, ist ein ungarischer Arzt, dessen Zuschrift Justinus Kernel' mit warmer Empfehlung zum Druck befordert hat, indem er darauf hinvveist, dass das Heilverfahren die auch von Berliner Arzten erprobte, von Hahnemann empfohlene Wirksamkeit des Kampfers bestatige. Harst betrachtet als den therapeutischen Hauptweg einen
reichen allgemeinen Schweiss hervorzubringen, welchen Heilplan, wie er sagt, auch mehrere Nichtarzte durch geringe diaphoretische Mittel glticklich ausfiihrten. Von 100 Menschen, die auf sich acht geben, bleiben im Gegensatz zu Wechselfieber, Ruhr und andere Seuchen, 97 von der Cholera verschont. Anne, Verkom- mene und Schlemmer werden befallen. Das Geld fiir die un- niitzen Contumazanstalten sollte man zur Ernahrung der Elenden verwenden. Die Seelsorger sollten die Menschen ermahnen, ihre Korper und die Wohnhauser sehr reinlich zu halten und ihnen sagen, dass die Krankheit nicht ansteckend sei und einer dem |
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andern in der Gefahr beistehen solle. Ein allgemeines Spiral,
sei es auf dem Lande oder in der Stadt, ist nicht zu empfehlen, weil es auf geschwinde Erwarmung und Hilfeleistung ankommt. Es ist sofort ein gutes Belt notvvendig, geeignet, reichlich Schweiss hervorzubringen. Nach der Starke des Ortes sollen eine Anzahl kraftvoller Leute abgerichtet werden, das Frottieren zu vollziehen. Bekommt Jemand Schwindel, Angstgefiihl, Kopfschmerzen, Grim- men, Reissen in den Armen und Fiissen, wo die Glieder kalt werden, bei vielen gleich anfangs Brechen und Abweichen sich zeigt, so mussen die eingeschulten Personen ihr Geschaft ver- richten. Bis eine ankommt, wird Wasser zum Sieden gebracht und urns Feuer werden Mauerziegel gelegt, der Kranke gleich entkleidet, ins Bett gebracht, gut zugedeckt. Nun wird baldigst eine Handvoll Kampfergeist in den Unterleib eingerieben, dann werden die kalten Glieder auf dieselbe Art behandelt. Der Kranke bekommt alle Viertelstunden reichlich (leichten Thee) zu trinken und wird bis an den Mund zugedeckt. Zum allgemeinen Ge- trank taugt Gerstenwasser aus roher Gerste gesotten. Sollte ein Kranker schon zu sehr erstarrt sein, so ist sehr dienlich ein im- provisiertes Dampfbad; audi wird dem Kranken alle 5 Minuten etwas Kampfer, mit Zucker abgerieben, innerlich gegeben. Rademacher, in seiner Erfahrungsheillehre, erklart die
Cholera, uber welche er in zwei verschiedenen Seuchezeiten per- sonliche Erfahrung, allerdings in beschranktem Maasse, machen konnte, fur ein Urleiden des Gehirns. Zur vorlaufigen Stillung des Erbrechens, damit Einnehmen uberhaupt mdglich werde, giebt er Natrum aceticum; das Haupt- und Organmittel ist aber Aqua nicotiana, das sich in obiger Verbindung dem zuverlassigen Wahrheitsfreund und treuen Beobachter als „Zaubertrank" aus- nahmslos bewahrt hat. Im Stadium des Typhoids giebt er Ta- bakwasser mit Eisentinktur; bei einem vielleicht im Zusammen- hang mit dem Genius epidemicus der Cholera aufgetretenen furchtbar heftigen krampfhaften Lendenschmerz heilt er ebenfalls mit Eisen und Tabak. — Die Thatsache der Ahnlichkeit inten- siverer Tabakvergiftung mit der Cholera berechtigt uns zu Ver- trauen in die Rademacher'sche Heilweise und erlaubt uns diesen hervorragenden Arzt als Biirgen filr die Wahrheit der Ahnlich- keitsbeziehung auch in diesem Fall in Anspruch zu nehmen. |
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Eine originelle Erscheinung in der therapeutisch beachtens*
werten Choleralitteratur ist noch Baron von der Recke, die Cholera, Heidelberg 1873.
Die Krankheit beruht auf Ansaramlung und Heraufsteigen von Wiirmern, eine Annahme, die zunachst den Spott herausfordern kann, welche aber der Verfasser auf personliche Beobachtung begriindet, dass „nicht allein bei Cholerakranken im Vomirten und in den Ausleerungen, sondern auch bei Gesunden und an andern Krankheiten Leidenden aus jedem Alter sich wahrend der Choleraepidemie Spulwiirmer affallend haufig und nicht selten in grossen Massen vorfinden. Gar oft meldeten sich Personen, denen in der Nacht Wurmer trocken abgegangen sind". Sein Heilmittel ist die Tinctura Artemisiae absinth., zur Bliitezeit aus den Spitzen bereitet. v. d. Recke hebt zur Pathologie der Cholera hervor, dass der beangstigende Druck in der Herzgrube das einzig Con- stante im Symptombild und den wahren Anhaltspunkt zur Fest- stellung der Krankheitsdisposition bilde, da Niemand an der Cho- lera erkranke, der von diesem Drucke frei ist, oder durch An- wendung eines passenden Mittels freigemacht wird. Ich finde diese Angaben sehr beachtenswert und kann nicht umhin darauf hinzuweisen, dass von der Recke in der Annahme parasitarer Ausscheidungsstoffe vollstandig mit der modernen Choleratheorie einig geht, wahrend er in der Ausfiihrung der Ideen freilich weit abvveicht. Unmoglich ware es nicht, dass beide Standpunkte sich vereinigen lassen, wie auch die epidemiologisch Denkenden unter den Arzten die Beunruhigung etvvaiger Eingeweidewiirmer geneigt sein werden als moglichen Effect einer allgemein einwirkenden Ursache anzusehen. Wir wenden uns nun noch kurz zu der ausschliesslichen
Wasserbehandlung der Cholera, die an Einfachheit und Er- reichbarkeit des Mittels, an Wirksamkeit und Erfolg bei v e r- standiger Anwendung von keiner andern Methode iiber- troffen, ja vielleicht erreicht werden diirfte, wahrend die V e r b i n- d u n g der bewahrten Heilverfahrensarten aller Richtungen und die zweckmassige Auswahl im Einzelfalle Seitens des sofort eingrei- fenden Arztes die Cholera iiberhaupt nach unsrer Uberzeugung zu einer Erkrankung zu gestalten vermag, die keine Lebensgefahr mehr zu entfalten fahig ist, vorausgesetzt, dass eben sofort |
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bei Beginn auch die Reaktion schon kunstgemass hervorgerufen
wird. Dr. Fr. Raimann, Universalhandbuch der Wasserheilkunde,
Ulm 1844, fiihrt 18 arztliche Autoren iiber Kaltwasserbehandlung der Cholera auf, welche fiir die Trefflichkeit der Methode zeugen. Von 23 durch Priessnitz unmittelbar Behandelten unterlag nicht einer. Kalte nasse Einhiillungen, bei fortwahrendem Reiben, Sitzbad, Trinken kalten Wassers, Klystire von solchem, wobei das Verfahren am offenen Fenster auf einem Sessel mit umgehangtem nassem Leintuch stattfmdet. In vorgeschrittenen Fallen und bei sehr schwachlichem Korper gehort dazu allerdings die sorgfal- tigste Uberwachung; es wird deshalb unter solchen Umstanden abgeschrecktes Wasser empfohlen. Sanitatsrat Dr. M e y n e r, auf eigene Erfahrungen in friihe-
ren Epidemieen gestiitzt, empfiehlt im Ratgeber fiir Gesunde und K r a n k e anlasslich der gegenwartig drohenden Gefahr Halbbad mit Reiben, sodann Einpackung mit Warmsteinen und Leibumschlag. Er tritt fiir Beibehaltung einer zwanglosen mas- sigen Diat ein, beruft sich darauf, dass er wahrend einer Epi- demie auch Gurkensalat sich habe schmecken lassen. Dr. Winternitz liisst sich in den Kneipp-Blattern dahin
vernehmen, dass Cholera fiir denjenigen, der mit dem Wasser befreundet ist, keine gefahrlichere Krankheit sei als jede andere, deren Bekampfung uns mittelst aufmerksamer Wasserbehandlung gelingt. Dr. Lahmann in der Deutschen Warte empfiehlt Frot-
tierungen, kalte Waschungen, Umschlag. ■— In Ankniipfung an die K o c h'schen Beobachtungen, nach
welchen die saure Beschaffenheit des Magensaftes vSchutz gewahrt gegen die wirksame Invasion der Cholerabacillen ist es interessant, dass Rademacher's Magenmittel in seiner Verordnung durch Na- trum aceticum eine massige Saure reprasentiert und dass der ho- moopathische ArztDr. Hensler in der Berliner Zeitschrift, 1885, zwei Falle mitteilt, in welchen der Genuss von Sauer- krautwasser, welches aufgegebene Cholerapatienten gegen ihren Durst begehrten, die Wendung zum Bessern herbeigefiihrt hatte. Dieses Sauerkrautwasser, wesentlich Milchsiiure enthaltend, diirfte somit vvie auch Sauermilch und stark verdiinnter Weinessig |
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als Diatetikum bei Cholera sehr beachtenswert sein. Cuprum
in Verbindung mit Essigsaure als Cuprum acet. i. Verdiinnung hat Dr. Scheffer in Venedig 1849 bei Cholera angewandt und er will von 80 Kranken nur zwei verloren haben. |
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Nach dem bisher gemusterten, doch ziemlich reichen Material
und nach den Aussagen zuverlassiger Beobachter erscheint uns die Cholera als eine Seuche, welche vorwiegend die Hiitten der Armut und Verkommenheit heimsucht, aber audi Diejenigen nicht verschont, welche in bessern Verhaltnissen leben konnen, ohne von einer guten Einsicht in die Lebensbedingungen Gebrauch zu machen, oder eine solche nur zu besitzen. GenuGsucht, Mangel an Reinlichkeit, starker Gebrauch geistiger Getranke, schlechte arztliche Belehrungen, Inanspruchnahme von Opium und Schnapsen bei der drohenden Choleragefahr vereinigen sich, der Seuche auch dort Zugang zu verschaffen, wo sie leicht erfolgreich abgewehrt werden konnte. Bricht die Krankheit wirklich aus, so ist sie immer noch als eine durchaus heilbare zu beurteilen, soferne noch jetzt die rechten Maassregeln ergriffen werden. — Damit in dieser Hinsicht keine Minute Zeit verloren gehe, belehre jeder Arzt die Personen seines Wirkungskreises in der Weise, dass sofort ein entschlossenes Handeln eintreten kann und der arztliche Besuch, der vielleicht durch andre dringende Zwischenfalle verzogert werden kann, weniger den Zweck habe, die Behandlung erst ein- zuleiten, als vielmehr sie zu uberwachen und den weiteren Ver- lauf der Reconvalescenz giinstig zu gestalten. Auf diese Weise wird es vielleicht fiir alle Falle moglich sein, den im hochsten Grade gefahrlichen Transport in ein Seuchenspital zu umgehen, indem nach langstens einer halben Stunde die Besserung im Be- finden des Kranken ersichtlich sein muss und seine Uberbringung nach einem Choleraspital iiberfliissig erscheint. Eine halbe Stunde diirfte es aber auch mindestens andauern, bis nach erfolgter Be- nachrichtigung Wagen oder Sanfte der bffentlichen Seuchenanstalt zur Stelle sein konnen. — Wer die Natur der Choleraerkrankung — nicht aus theo-
retisierenden Gesichtspunkten, sondern im Hinblick auf die nie- 2
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dergeworfene und kampfende Lebensfahigkeit des Organismus —
einigermassen iiberdenkt und dazu unsere Zusammenstellung von zuverlassigen, wenn auch schlichten Angaben der Homoopathen und Wasserarzte in Betracht zieht, der findet zuerst ganz von selbst und er findet sodann die Bestatigung vertrauenswerter Manner dariiber, dass es sich darum handelt, schleunigst eine Gegenwirkung des Organismus anzubahnen, deren Ausdruck sich in Belebung des Kreislaufs und Herbeifuhrung von Schweiss kundgeben muss. Angesichts dieser Aufgabe und Angesichts ihrer gliicklichen Losung durch zuverlassige Cholerabeobachter und Arzte erscheint es als reiner Mord, als Besiegelung des Schicksals der armen Opfer, die Kranken aus der ersten und besten Reactionsmoglichkeit herauszureissen und sie — vielleicht auf einem mehr als viertelstiindigem Wege, vielleicht in vorge- riickter Jahreszeit, bei leichter Bedeckung, wobei alles moglichst fiir Desinfektionszwecke, nicht aber fur Ervvarmung des Kranken eingerichtet ist — wegzufiihren. Nur in denjenigen Fallen ware ein modificirtes Transportverfahren zu rechtfertigen, wo dasselbe in Verbindung mit den Verhaltnissen des Spitals immer noch mehr Wahrscheinlichkeit der Wiedergenesung gewahren wiirde, als die vielleicht schmutzstarrende und keine Pflege gewahrende Wohnung des armen Erkrankten. Riicksicht auf die Ansteckungs- moglichkeit der Angehorigen desselben tritt in zweite Linie zuriick, denn schon nach den allerersten Choleraausleerungen ist eine solche Stube durchaus verseucht und bis der Kranke ab- geholt wird und der Raum entkeimt wiirde, haben seine samt- lichen Familienglieder langst Gelegenheit zur Aufnahme von Ba- cillen gehabt. Wenn es n u r auf diese ankame, konnte iiber- haupt der einzelne Organismus niemals wieder genesen und der Gesamtorganismus der Culturmenschheit niemals mehr von Cholera wieder frei werden. Nur solche Ungliickliche diirften auch selber Bereitwilligkeit zeigen, den Choleraspital-Transport einzugehen, die kein Verstandnis fiir die allernachsten Bediirfnisse ihrer Lage besitzen. Gewaltanwendung aber Seitens der Obrigkeit lasst sich nach Voranstehendem keineswegs rechtfertigen; sie wiirde nur blind en Eifer bezeugen und namenloses Ungliick schaffen. Eben auf diesem Wege der Behandlung durch die herrschende Schule hat die Cholera stets ihre schrecklichen Opfer gefordert. |
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Pettenkofer, der weitestblickende der neueren wissen-
schaftlichen Choleraforscher, sagt in seinem Buche „der epide- miologische Teil des Berichts der deutschen Cholerakommission", Munchen 1888: ,,Diese Ansichten sind wesentlich die namlichen, welche
schon vor mehr als 50 Jahren beim ersten Erscheinen der Cholera in Europa geherrscht und zur Ergreifung von Massregeln gefiihrt haben, mit welchen thatsachlich nicht nur nichts geniitzt, sondern sogar viel Unheil angerichtet wurde, insofern dadurch die Blicke der Arzte, der Laien und der Behorden von andern thatsachlich wirksamen Massregeln abgelenkt und auf solche hingelenkt wurden, welche wohl dieser Theorie entsprechen, aber praktisch unwirksam sind, wie die bisherige Geschichte der Cholera in Europa zur Geniige zeigt". Lasst sich also zwangsweise angeordneter Krankentransport
im Beginn der Choleraerkrankung weder rechtfertigen, noch durchfiihren, so ware es geradezu ein Verbrechen, denselben noch erzwingen zu wollen, wenn die Reaction beim Kranken schon eingetreten, der Schweissausbruch schon angebahnt oder vollzogen ist. Man wtirde unter diesen Umstanden den Recon- valescenten in die grosste Gefahr aufs neue stiirzen. Frage sich doch jeder Arzt, der irgend Sinn fiir Taktik und Strategic in den Lebenskampfen besitzt, die wir Krankheiten nennen, frage sich jede behordlich anordnende oder vollziehende Person, ob sie es wiinschen konnte, selbst in solcher Weise behandelt zu werden, oder die Angehorigen so behandelt werden zu sehen. Wir wissen es aus den Berichten der Hamburger Arzte in gegen- wartiger Epidemie, dass es sich bei diesen entsetzlich traurigen Vorgangen fast immer auf eine Trennung ohne Wiedersehen handelt 1 Was man aber zur gebiihrlichen Befriedigung von Anspriichen
thun kann, welche vom contagionistischen Standpunkte aus mit Recht erhoben werden, ist folgendes: Wo die Seuche starker auftritt und wo die Moglichkeit dazu irgend besteht, werde in jedem Hause ein Zimmer geraumt, mit einer eisernen Bettstelle und altem Bettzeug nebst frischem Stroh versehen. Ausser der einfachen aber gut warmenden Liegerstatte darf das Zimmer nur Holzstuhl und einfachen Tisch enthalten. Ein Ofen ist nicht un- 2*
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bedingt notig, da der Aufenthalt in dem betreffenden Raume
keinesfalls lang zu dauern hat. Als Gerate braucht man noch Kiibel, Eimer, Trinkgefasse, dazu ein Leintuch, Frottiertuch. Als Arzneimittel ein Flaschchen Kampfergeist, als Desinfektionsmittel ein grosseres Gefass mit frischgebranntem Kalk, der den Ent- leerungen jedesmal ziemlich reichlich zugesetzt wird. Etwaige wertvollere Gebrauchsgegenstiinde werden spater mit Carbolvvasser gereinigt, Weisszeug wird im Backofen erhitzt oder im dazu eigens von der Gemeinde beschafften Entkeimungsofen und ge- ringere Gebrauchsstucke samt Stroh werden verbrannt; ebenso der verwendete Waschschwamm. So vorbereitet kann ein jedes Haus seine Kranken selbst
in Vervvahrung und Pflege behalten; es handelt sich jetzt nur um die richtige Behandlung der von der Seuche Befallenen, welchen also vor Allem eine rasche kalte Abwaschung mit Frot- tierung des ganzen Korpers zuzuwenden ist, wonach sie sofort ins Bett zu verbringen sind. Was weiter mit denselben zu ge- schehen hat, folgt in der Zusammenstellung flir die Praxis am Schlusse; vorlaufig noch einige allgemeine Bemerkungen : Es gewiihrt einen eigentiimlichen Anblick zu sehen, dass sich
auch heute noch die Ansichten der hervonagendsten Cholera- forscher in Bezug auf die Entstehungsbedingungen der Seuche dia- metral gegenuberstehen. Pettenkofer halt an seinem epidemio- logischen Standpunkt, der die grossen thatsachlichen Verhaltnisse des Ausbruchs, der Wege und des Verschwindens der Seuchen wiirdigt, der bacteriologischen Partei gegeniiber, welche die Krank- heiten ins Kleine verfolgt, fest; der bedeutende Gelehrte kann es nicht rechtfertigen, dass in an sich strittiger Sache und wo die Verhaltnisse auf nur bedingte Geltung der bacteriologischen An. schauungen hindrangen, die auf letztere gegriindeten Massregeln mit dem Pompe wissenschaftlicher Unfehlbarkeit ins Werk gesetzt werden: ,,Auch ich wiirde an die Desinfektion glauben und sie empfehlen, wenn mir nicht eine langjahrige und vielseitige epide- miologische Erfahrung gelehrt hatte, dass von den Choleraaus- leerungen die Infektionen bei Epidemien nicht ausgehen". „Bei den Erstlingsepidemien in grosseren Orten in einem
Lande findet man in der Regel keinen personlichen Enschlepper des Cholerakeims von aussen und unter den ersten 10—12 Cholera- |
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fallen nicht den geringsten personlichen oder ortlichen Zusammen-
hang, wie ich und Andere es an einer Reihe von Stadten gezeigt haben". Uber die Frage der Contagiosity, vvelche auch fur Pettenkofer eine bedingungsweise offene ist, urteilt er vom praktischen Gesichtspunkt aus dahin, dass es fiir den Verlauf der Epidemie giinstig sei und tiberaus giinstig fiir Wohlstand und Ver- halten der Einwohnerschaft, wenn die Cholera als eine nicht an- steckende Krankheit erklart werde. Im Gegensatz zu den heute beliebten Experimenten gegeniiber der Seuche und der von ihr Befallenen, im Gegensatz zu dieser jetzigen Methode, welche die Freiheit des Einzelnen beschrankt, ihm grosse Opfer aufhotigt und das Leben bedroht, hat man auch jenes Experiment, die Cholera als eine nicht ansteckende Krankheit zu erklaren, im Grossen schon gemacht und zwar 1836 in Bayern, wo die so empfangene Epidemie einen leichten Verlauf nahm und in gleicher Weise wieder erlosch, wie dort, wo man mit Feuer und Schwert dagegen wiiten zu miissen glaubte. Man lese bei Pettenkofer Naheres iiber diesen Versuch nach. — Vielleicht kann man mit dem gleichen Rechte die Cholera als
ansteckend und als nicht ansteckend erklaren; es kommt eben auf die Bedingungen an, welche sich bei der Infektionsgelegenheit gel- tend machen. Was niitzt uns aber eine Warnung vor Ansteckung, was niitzt die Absperrung des Verkehrs, wenn wir trotzdem nicht die Mittel besitzen, Milliarden von Ansteckungskeimen auf ihren dunkeln Verbreitungswegen aufzuhalten. Und andererseits: was schadet die Ubertragung von Pilzkeimen, wenn wir unser Leben und dasjenige der unserem Wirkungskreis Anbefohlenen zu schiitzen verstehen ? Niemand vermag den Beweis zu liefern, dass die Cholerakeime nur zur Zeit der Epidemieen iiberhaupt vorhanden sind; es ist ganz wohl moglich, dass sie immer in hinreichender Menge vorkommen, um Epidemieen zu erzeugen, dass aber nur zu gewissen Zeiten die Ausreife der Verhaltnisse zur Seuche stattfindet. Die Ab- hangigkeit der Cholera von den allgemeinen Bedingungen des Lebensschutzes und der Gesundheit, sowie die Thatsache, dass ein von Cholera Befallener iiberhaupt genesen kann, drangen die Be- deutung der Bakterien in die zweite Linie zuriick! Dennoch muss man ihrer Existenz und ihrer bedingungsweise m
zweifellosen Fahigkeit zu inficieren Rechnung tragen, man muss das |
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Seine thun, sich und andere vor einer Gelegenheitsursache zu
schutzen, sei es durch Vermeiden unnotigen Verkehrs an Cholera- lokalitaten, durch grosse Reinlichkeit, durch Vorsicht im Essen und Trinken, durch Entkeimung und Vernichtung von beschmutzten, verdachtigen Gegenstanden. Merkwiirdig ist es, dass wir Hahne- mann unter den Contagionisten erblicken und ihn mustergiltige Vorschriften zur Desinfektion geben sehen. Es beweist dies seine theoretische Erleuchtung , wo er doch keine Cholerakranken unter den Handen hatte. Andererseits istHarst entschiedener Nicht- Contagionist und er selbst behandelte zahlreiche Cholerakranke mit der Einsicht eines aufs Praktische gerichteten erfolgreichen Arztes. — Die Trinkwassertheorie, welche auch fur den jetzigen Hamburger Ausbruch wieder stark in Anspruch genommen wurde, lasst bereits auch fixr diese spezielle Aufgabe im Stich. Die dies- malige Hamburger Epidemie gehort zu den explosionsartig auf- tretenden, fur welche P e ttenk of ers obige Beschreibung passt. Aber statt die Keime gleichmassig iiber die Stadt auszusaen, wie es von der Wasserleitung zu erwarten gewesen ware, wirkte die epidemiologische Ursache deutlich in der Weise ein, dass die Ver- teilung eine ganz ungleichmassige geworden und ganz vorvviegend der Hafen, seine Nachbarschaft und die daran grenzenden auf der Marsch belegenen Teile der Stadt heimgesucht sind, in Uberein- stimmung mit Pettenkofer also die Stadtteile, welche auf einem mit organischen Massen erftillten Boden erbaut sind. (Arztlicher Centralanzeiger, Hamburg den 12. September.) Gleicherweise wird bereits aus New-York gemeldet, dass
das Auftreten der ersten fiinf Cholerafalle in der Stadt ein Ratsel sei, indem alle diese Erkrankungen Eingesessene, welche an ganz verschiedenen Punkten wohnten und keinen Verkehr nach aussen hatten, betrafen. Kurzum, wir sehen, dass auch heute noch iiber so wichtige
Dinge Meinungsverschiedenheiten unter berufenen Gelehrten moglich sind. Wie will man nun ein einheitliches, enorm kostspieliges und die Freiheit der Bevolkerung, ja ihr Leben bedrohendes Vorgehen der Behorden rechtfertigen ? Vollends verwirrt erscheint die ganze praktische und theore-
« tische Cholerafrage durch folgendes: In Ubereinstimmung mit
alteren und auch von homoopathischer Seite stark hervorgehobenen
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Beobachtungen bemerkt ,,ein Hamburger Arzt" im Arztlichen Cen-
tralanzeiger folgendes: Seit Mitte August war eine stetige Zunahme von Brechdurchfallen zu beobachten; man stand nun vor der Frage, ob man die ausserordentlich grosse Zahl derselben alle als epi- demische Cholerine und nur die schweren Falle als Cholera melden solle, oder ob man alle Falle einfach als Brechdurchfall melden und es der spateren Statistik iiberlassen solle, die letal verlaufenen Falle als Cholera zu bezeichnen. Diese noch unentschie- denen Verhaltnisse etc. Dies ist eine B eobac htung aus demLeben, aber
ein schwerer Schlag ins Angesicht der bacteriolo- gischen Schule, ein todtlicher Stoss gegen etwaige gewaltsame Massregeln der Regie rung. Wie kann Angesichts solcher Umstande irgend eine extrem
contagionistische Theorie, wie kann sich hier noch irgend eine praktische Vorschrift fiir Isolierung und Desinfektion den geringsten Erfolg versprechen. ,,0 glucklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen !" — Ist es denn nicht auf den ersten Blick sichtbar, dass man
unter solchen Umstanden hundert Ausleerungen passieren lasst und — da die Cholerine allerorts befallt — durch die Umstande mit Naturnotwendigkeit passieren lassen muss, bis eine einzige desinfi- ciert werden kann? Oder hat die Cholera mit diesen ihren naturlich verbundenen Vorlaufern gar nichts zu thun ? Ist es Zufall, nicht Entwickelung, dass zu Cholerazeiten sich die Krankheitsfalle so gestalten und mischen? Oder dauert es etwa nicht 24 Stunden, bis der heutige Schularzt aus den verdachtigen ersten Erkrankungen eines Ortes den pathogenen Keim hinreichend isoliert und erkannt hat ? Oder gelangen nicht Milliarden solcher Keime auf Erdfcoden, fremde und heimische Abtritte, in fliessendes und stehendes Wasser, ehe die Behorden irgend davon erfahren und dagegen einschreiten? Solange Menschen Menschen bleiben und die Cholera Seuchen macht, werden sich diese Verhaltnisse mit Naturnotwendigkeit immer wieder vollziehen und alle Verstandigen dahin drangen, ihren Schutz nicht in der aussern, sondern durch personlich rich- tiges Verhalten in der eigenen Sphare zu suchen. Denn noch ist der Mensch nicht in die Natur und iiber dieselbe gestellt, urn von einem elenden Spaltpilz umgebracht zu werden! Er sei ein Herr |
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seiner selbst und er wird audi nicht mehr achten des Gewiirms und
Unkrautes, das zu klein geschaffen ist, um seines Auges wiirdig zu sein. ,,Fernrohren und Mikroskope verderben den gesunden Sinn des Menschen" ist ein Wort von Gothe , das sich heutzutage der Wissenschaft sehr zur Beachtung empfehlen diirfte. Sehen vvir die Dinge nicht zu nah und halten wir sie nicht zu weit ab, so er- scheinen sie in ihren vvahren Verhaltnissen zu uns, sie erscheinen menschlich und so kann sie die Kunst brauchen. So auch die Heilkunst. — Mit den nachfolgenden Anvveisungen, welche nach wohlbe-
griindeter eigener Uberzeugung frei modificiert werden konnen, mache jeder Arzt bei Zeiten die Personen seines Wirkungskreises bekannt, er wahle sich einzelne aus, denen er das Vertrauen schenken kann, furchtlos, umsichtig und menschenfreundlich zu Werke zu gehen und instruiere diese besonders; auch sorge er dafiir, dass in geeigneten Hausern Stuben nach obigen Anfor- derungen eingerichtet werden, sobald die Gefahr des Seucheaus- bruches naher kommt. Wer zu solchen Zeiten nicht willig und einsichtig genug ist, das Stiickchen Brot seines eigenen Wissens und Konnens mit seinen gefahrdeten Brudern zu teilen, der taugt wahrlich nicht zum Arzte, er wird zum Morder. Wenn die Choleraseuche ausbricht oder droht. so bessre
Jeder seine Lebensweise nach innen und aussen, wo es irgend Not thut. Ein gut gebautes, gut im Stand gehaltenes, gut ge- fiihrtes Schiff widersteht dem verderblichen Wirbelsturm m i t grosserer Wahrscheinlichkeit als ein schlechtes und verwahrlostes. Ungiinstige Lebensgewohnheiten sind abzu- legen, Geniisse, welche auch schadlich sein konnen, sind ein- zuschranken, insbesondere der personliche Verbrauch geistiger Getranke und der Tabakgenuss. In den Wohn- raumen ist vermehrte Reinlichkeit und fleissigere Liiftung zu beobachten; die Kleidung sei rein und warm fur Abkiihlungs- gelegenheiten; die Strumpfe sollen sein von Schafwolle, die Stiefel hinreichend hoch und warm. Mindestens einmal per Woche ist der ganze Leib von Kopf bis zu den Ftissen mit kaltem oder etwas abgeschrecktem Wasser griindlich abzu- waschen. — Bei jedem Waschewechsel soil in jeden Strumpf eine
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Messerspitze Schwefel eingestreut werden. — Fleisch esse
man nur einmal taglich; Mehlspeisen, gutes Brot, Gemiise, gekochtes Obst, Kartoffeln, gutes Backwerk mogen die Haupt- nahrung bilden. Milch ist besser nur gekocht zu geniessen; Sauermilch ist nicht verboten; ebensowenig Salat, Gurken, sonstige saure und massig wiirzige Zuspeisen, die mit reinem Essig bereitet sind. Uberhaupt bleibe man bei seiner ge- wohnlichen Kost mit obigen Einschrankungen; biirgerliches Essen ist das beste, Furcht und Angst gegeniiber den ge- wdhnlichen Nahrungsmitteln, heissen sie vvie sie wollen, ist nicht am Platze. Gutes Quellwasser ist stets dienlich; Leitungswasser, wenn Cholera schon ausgebrochen, ist g e- kocht zu trinken und cbenso das Wasser von Grundwasser- brunnen. — Hat man sich durch Schwefel gegen die Choleragefahr
geschiitzt und treten trotzdem Unwohlsein mit verdachtigem Charakter, oder anmahnende Diarrhben auf, so diirften Vera- trum oder Ipecac, oder eines der andern oben angefiihrten Mittel bei geeigncter Schonung geniigen; man kann dabei seinen Geschaften noch mit Einschrankung nachgehen. Ist der so von Unwohlsein Befallene noch nicht durch Schwefel geschiitzt, so geschehe es sofort und dies allein, nebst Sulfur zu innerlicher einmaliger Gabe wird vielleicht hinreichen, das Unwohlsein abzuschnciden. Kommt es dennoch zu cholera- artigem Befallensein, so ist die Krankheitsform mit reichlichen Ausleerungen besonders geeignet fiir Veratrum, wovon nach jedem zweiten Durchfall oder Erbrechen eine kleine Gabe (i Tropfen der ersten Potenz) zu nehmen ist. Diejenige Form aber, welche schlagflussartig und mit schneller Starre ver- lauft. steht unter dem Zeichen des Kampfers und soil durch Eingeben von Kampfergeist in warmem Wasser, durch Kly- stire von solchem und Einreibungen mit solchem behandelt werden. Sind schmerzhafte Krampfe mit Zusammenziehen der Finger vorwaltend, so ist Cuprum aceticum I zu geben, alle Viertelstunden 3 Tropfen. Wo es so ernst geworden ist, darf die Wasserbehandlung nicht versaumt werden und auch in den Anfangsstadien schon gehe sie nebenher. Man bringt den Kranken in das hergerichtete Zimmer, wiischt ihn |
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zunachst ganz kalt ab, reibt ihn sodann mit kaltem nassem
Leintuch noch eine Zeit lang, sodann erst bringt man ihn zu Bett und frottiert ihn mit Kampfergeist, wenn nicht als- bald schon als Folge dieser einfachen Wasseranwendung sich Riickkehr der Lebenswarme und Erleichterung zeigt. Man wiederholt auch die Waschung recht kalt, aber rasch, sobald ihre gute Wirkung ersichtlich wird, um diese desto sicherer festzuhalten. Nun muss Schweiss kommen und die Gefahr ist zunachst voriiber, wenn durch warme Bedeckung und fort- gesetztes Reiben und Einnehmen dieser Schweiss erhalten bleibt. Der Durst des Kranken wird durch Wasser in hau- figen kleineren Portionen oder durch Gerstenthee (Absud von roher Gerste) und durch Befriedigung seiner etwaigen sonstigen Geliiste in dieser Richtung (z. B. Wasser mit etwas Weines- sig, Limonade von Citronen frisch bereitet, Sauermilch etc.) gestillt; von Geistigem darf nur ganz guter alter Wein wie Arznei gegeben werden, aber erst, wenn es schon besser geht. Die arzneiliche homo'opathische Behandlung kann je nach der begriindeten Uberzeugung des Arztes auch etwa unter Beriick- sichtigung des besondern Charakters der Epidemie modificiert geleitet werden; diese zusammengefassten Vorschriften sind wesentlich nur fur die Instruktion der Laien bestimmt; zu einem differenzierenden Vorgehen besitzt nur der Arzt die notigen Arzneimittelkenntnisse nach Hahnemann's Anleitung (reine Arzneimittellehre auf Grund der Priifung der Arznei- krafte an Gesunden). Es ist deshalb auch hier die Rede von den tiefen Arzneipotenzen, welche eine weniger feine Unter- scheidung der Einzelfalle erforden als die hohen und von denen Bolle mit Recht sagt, dass ihre Wirksamkeit von keiner Seite bezweifelt vverde, was gegeniiber der hohen allerdings (leider!) noch vielfach der Fall ist. — Ist auf die geschilderte Weise der Anprall der Krank-
heit zuriickgewiesen, was bei diesem Verfahren mit der gross- ten Wahrscheinlichkeit zu erwarten, so handelt es sich da- rum, die Besserung sicherzustellen und den Kranken iiber die nachsten Tage vollends zur Gesundheit zu geleiten. Haben die Ausleerungen aufgehort, so bringt man wahrend der nun- mehr eingetretenen leichteren Fieberhitze den Kranken in sein |
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gewohnliches Bett, giebt ihm ganz vonviegcnd trockenes
Weissbrod von guter Beschaffenheit zu essen, gewahrt ihm audi etwas Schleimsuppe mit Kalbsfussbriihe gekocht, doch sehr massig und achtet auf die Regungen seiner Ess- lust, welche durch Reisspeise, Brei, Brot, etwas gekochtes Obst und endlich auch gutes Gemiise, zuletzt durch wenig Fleisch befriedigt werden diirfen. Inzwischen wird wohl auch ein Arzt etwa noch ntitige Arzneien verordnen konnen, worunter Belladonna oder Hyos., Acid. phos. oder Phosphor, Calcarea carb., Sulfur und die oben gegen Choleratyphoid angefuhrten besonders zu benicksichtigen sind. Grdsste Scho- nung ist in der nachsten Zeit noch notwendig und bei beson- ders hervortretender Schwache diirfte (in Ubereinstimmung mit Rademacher) Hensel's Tonicum am Platze sein. — Sobald der Kranke gebessert das Seuchezimmer verlassen hat, reinige man das letztere grundlich unter Desinfektion der Gegenstande und Verbrennung des Strohs, wie friiher ange- geben. Das gebrauchte Wasser schiitte man nicht ohne Weiteres aus, sondern verriihre es zu einer diinnen Kalkmilch, welche erst am nachsten Tage weggeleert wird. Hat man vorher den ganzen Fussboden mit Stroh belegt und die- ses nachher verbrannt, oder ihn mit Torfmull oder Sag- spahnen, oder Erde bedeckt, welche spater mit Kalk ver- riihrt werden, so ist das Mdglichste geschehen. Starkriechende Desinfektionsmittel sind zu meiden; Hahnemann bezeichnet insbesondere Chlordampfe als schadlich. Die homoopathischen Heilmittel sind zuverlassig aus
Dr. Will mar Schwabe's und aus A. Marggrafs
homoopathischer Officin in Leipzig zu beziehen; in Suddeutschland von Hofrat Virgil Mayer's Apotheke in Cannstatt;
Zahn & Seeger's Hirsch-Apotheke in Stuttgart;
Uhland'scher Apotheke in Stuttgart;
Professor Dr. Mauch's Apotheke in Goppingen;
Gmelin'scher Apotheke in Tubingen;
Mar cklin'scher Apotheke in Tubingen;
sowie aus andern, dem Verfasser weniger personlich bekannten, approbirten Anstalten. |
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Katnpferspiritus stellt man sieh einfach dadurch her, dass
man in gutem (nicht denaturirtem!) Weingeist moglichst viel Kampfer auflost. Auch Kornbranntwein und dergleichen kann dazu verwendet werden. Am Schlusse dieser Abhandlung gestatte ich mir unter Dankes-
bezeugung gegen den Herrn Collegen folgenden Brief des Herrn Dr. Hesse, homoopathischen Arztes im Hamburg, zu verbf- fentlichen, welcher in einer mich iiberraschenden Weise die Grundgedanken der Schrift beleuchtet und deren Drucklegung rechtfertigt, indem Heir Dr. Hesse gerade dasjenige schliess- lich als notwendig ausspricht, was diese Anleitung vorbeugend bezweckt. Hamburg, den 12. September 1892.
Werter Herr College!
Zuerst habe ich ausschliesslich Kampfer benutzt und war mit
meinen Resultaten nicht unzufrieden. Ich bin trotzdem davon zu- riickgekommen. Erstens passt Kampfer nicht fur alle Falle. Hat man ihn aber gegeben, so ist die Wirksamkeit der andern Arzneien nach ihm ungemigend. Zweitens ist bei einem Teil der Patienten Antipathie vorhanden und auch in diesen Fallen leidet die Wirkung der andern Mittel durch den vorher genommenen Kampfer. Cuprum fand ich nur in einzelnen Fallen indiciert, wo die Krampfe beson- ders hervortraten, in einem Falle Secale. Fur Arsen. sprachen die Symptome nicht: die Durchfalle waren massig, Durst auf grosse Quantitaten, keine ausgesprochene Todesangst. Am meisten in Frage kommen Veratrum und Kampfer und da halte ich es fiir praktischer, mit Veratrum zu beginnen, alle 10 Minuten und erst wenn die Wirkung versagt, dann Kampfer. Fiir ausserordentlich wichtig halte ich das in Schweiss Bringen und Erhalten durch heissen Grog bei Mannern, Thee mit Cognak bei Frauen, dasselbe oder heisse Milch bei Kindern '), Frottierungen, I) Ich bemerke hierzu, dass die alkoholfreien Getranke und die in
me'iner Anleitung angegebenen Wasseranwendungen mir zweckdien'icher er- schcinen. Schlegel. |
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Die Schadlichkeit des Transportes haben Sie richtig hervor-
gehoben'), wenn auch die Kranken in wollene Decken eingehiillt wurden. Die Hauptthatigkeit der Arzte bestand in dera Hinaus- transportierenlassen in die Spitaler. Doch war es kein Muss, ver- allgemeinert sich aber dadurch, dass die grosste Menge der Er- krankten dem untern Stande angehorte, also den Kassen unter- worfen war. Im Krankenhause selbst ist die Behandlung , wie mir College Walz erzahlte, der in diesen Tagen die hiesigen Spitaler besuchte, eine einfache : die Patienten erhalten alle moglichen Ge- tranke, Eis, als Arznei teilweis Calomel, teilweise Kochsalzinjek- tionen, letztere mit sichtbarem Erfolg auf den schon verschwun- denen Puis, aber meist voriibergehend. Meine Erfolge wurden durch die verschiedenartigsten Umstande beeintrachtigt. Hat man Zeit, seine Clientel im Beginne oder vor der Epidemie zu instruieren, so steht man weit giinstiger da, als wie ich, der ich telegraphisch zuriickberufen, in die Hohe der Epidemie hineingeworfen, Tag und Nacht nicht zur Besinnung kam. Fiinf Stunden nach Beginn der Krankheit war der friiheste Termin, dessen ich mich entsinne, dass ich den Kranken sah (man muss die Verhaltnisse der Grossstadt in Betracht ziehen). Selten waren die Falle, wo nicht auf allo- pathische Verordnung Opium genommen war. Die Arzte in der Privatpraxis verschrieben ausserordentlich viel Opium; ich habe aber auch in leichteren Fallen keinen Stillstand des Durchfalls hier- nach gesehen. Bei einigen wurde ich wenige Stunden vor dem Tode gerufen. Eine Patientin verlor ich, nachdem sie relatives Wohlbefinden erlangt hatte, an einem Riickfall, einen jungen Mann gestern an Choleratyphoid mit Darmblutungen, einen Patienten an Erschopfung trotz aller Reizmittel am vierten Tage, als ich glaubte, mit ihm das Schlimmste iiberstanden zu haben. Das Ganze ist bei der Ausdehnung der Stadt aufreibend. Die Erfolge in den Spitalern schatzen die dortigen Arzte auf 50 Prozent. Stiinde ich noch einmal vor der Epidemie, so wiirde ich mir
Belehrung drucken lassen und an meine ganze Clientel verteilen. Auf diese Weise geht gar keine Zeit verloren. Was das heissen will, sieht man an den akuten Fallen, die in 9—12 Stunden letal verlaufen. Dabei wiirde ich das Hauptgewicht legen auf 1) Dia- |
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l) (in einem Privatbriefe.)
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phorese (Schweisserzeugung) mit Frottierungen, 2) die Arzneien
Veratr. und Kampfer. Ich lasse nun zur Vorbeugung Schwefelmilch in die Striimpfe
streuen und Kampfer auf der Brust tragen. Der Beruhigungseffekt ist allein schon hoch anzuschlagen. Mit herzlichem Grusse Ihr
Dr. Hesse.
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Hamburg, 16. September 1892.
Eines muss ich Ihnen unbedingt noch mitteilen, was ich
in meinem letzten Briefe unterlassen habe zu bemerken : Sovvohl die schweren, als auch die mittelschweren Falle beginnen fast ausnahmslos in den Friihstunden, 3,4 Uhr, mit Kollern und Durchfallen, die mehrmals schnell nacheinander aus dem Bett treiben. Seit einigen Tagen habe ich Sulfur in Anwendung ge- bracht bei einer grosseren Anzahl von leichten und mittelschweren Fallen; es war in einigen Fallen das sofortige Aufhoren der unwillkiirlichen Ausleerungen auf Sulfur 3 frappant. Dr. H.
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