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BRUNO J. G. DECHAMPS

Über Pferde

SjT

EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE
DES PFERDES

Bibliotheek Diergeneesicunde
~ Universiteit Utrecht

Mit ;o Tafelseiten, i Färb tafel und 2 Abbildungen im Text

IM VERLAG ULLSTEIN

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Kartenentwürfe, Farbtafel und Abbildungen im Text: Lothar A. Helmcke
Zeichnung der Vorsätze: Elisabeth Aringardt

Umschlagbild: Das Schimmelfohlen, nach dem Gemälde von Hans Jürgen Kallmann,
mit Genehmigung des Walter Rau Verlags, Kempten/Allgäu. Entwurf: Werner Bürger
© 1957 by Ullstein A. G., Berlin
Alle Rechte, auch die der photomechanischen Wiedergabe, vorbehalten
Printed in Germany, West-Berlin 1957

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Inhalt

Pferde sind wie große Herren ................................................7

Vorspiel in der Arche ...................................................9

Im Anfang war das Pferd........................................................12

Der Herr der Herden ..............................................................15

Die Ahnen..........................................18

Das Spiel mit den Farben........................................................22

Wettzüchten - Wettrüsten........................................................29

Das Zuchtziel änderte sich......................................................33

Pferde für heute.................................................................37

Der Fachmann nennt es »Blut« ..............................................42

Die rheinischen Schwerathleten..............................................46

Es gibt eine Zunftsprache........................................................50

Kaltblut und Kleinpferde zwischen Norwegen

und Österreich......................................................................60

Ostpreußen................................................................................66

Trakehnen..................................................................................70

Kladrub und Lipizza................................................................79

Springsport und Pferdezucht..................................................84

Warmblut zwischen Marsch und Alpen ..........................90

Der Sohn der Luft....................................................................100

Ein Spiel für Lords und Squires ............................................107

Die Spielregeln der Natur...................................113

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Hierarchie im Pferdehimmel....................................................121

Der grüne Rasen ......................................................................125

Die leidigen Finanzen..............................................................131

Wetten ........................................................................................140

Im Sulky auf der Sandbahn ....................................................147

Pferde und Götter ....................................................................150

Von der Frömmigkeit der Roßnarren....................................154

Göttliche Spiele ........................................................................161

An der Schwelle einer neuen Zeit..........................................172

Ein kleines Pferde-Abc............................................................176

Statt eines Quellermachweises ................................................182

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Pferde sind wie große Herren

Immer wieder werden die Pferdefreunde von ihren Lieblingen erzählen.

Sie wollen mitteilen von der Freude, die sie im Sattel oder beim Anblick
schöner Pferde erlebten, austauschen, was sie an Erfahrung und Erkenntnis
im vertrauten Umgang mit dieser vollendeten Kreatur gewannen. Dank sagen
für die Freundschaft edler Rosse, die ihr Leben formen half. Kurz, ihr Herz
ist voll von einem Gefühl, das sich äußern will. Sie nennen es wahre Liebe.

Mit dieser Liebe allein über Pferde zu schreiben, genügte, wenn es nicht
heute so schwierig wäre, dabei den rechten Ton für die Kinder des be-
ginnenden »Zeitalters der Technik« zu treffen. Sie haben zum Pferd, das
nicht mehr selbstverständlich zu ihrem Leben gehört, häufig ein befangenes
Verhältnis. Dann stehen sie der vornehmen und gelassenen Kreatur unsicher
gegenüber. Sie werden sentimental. Sie geheimnissen eine Metaphysik in das
Pferd hinein und sprechen von ihm in einer geradezu liturgisch klingenden
Sprache; Wie wenig angemessen dies ist, mag der erfahren, der so Pferden sich
nähern will: Sie werden zu ihm kein Zutrauen fassen; wie große Herren
mögen sie hinter seiner Schmeichelei ein schlechtes Gewissen, zudringliche
Lüge wittern.

Aber auch jene haben unrecht, die vom Pferd wie von einem Ding spre-
chen; einem Ding, das zur Fortbewegung benutzt werden kann, dessen
Fleisch bares Geld wert ist, das den modernen Großstadtverkehr behindert,
aber guten Dung für den Acker, die Champignonzucht oder den Vorgarten
hergibt. Diese Menschen, denen dumm oder zynisch auch das Wort »Men-
schenmaterial« von den Lippen konunt, werden als Reiter fühllose Pferde
finden und im Stall bösartige Schläger erziehen.

Pferde verlangen Distanz. Sie haben dem Menschen jahrtausendelang
willig und bescheiden gedient, doch sich nie mit ihm gemein gemacht. Es
blieb immer ein Abstand, eine Fremdheit, die es zu achten gilt. Tritt der
Mensch den Rossen taktlos entgegen oder in sentimentaler Verehrung zu
nahe, so bleiben sie ihm verschlossen. Nur wer seine Pferde als freie, leben-

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dige Partner, als Geschöpfe Gottes anerkennt, wird ihre Schönheit und den
Adel ihres Wesens und schließlich auch ihre Zuneigung erfahren. Nur ihm
werden die Rosse offenbaren, was es heißt, Mensch zu sein: teilhaftig der
Natur und doch ihr nicht verhaftet, sondern ihr Herr.

Das »Zeitalter der Pferde« ist vorüber. Aber wir hoffen nicht ohne Grund,
daß die Pferde auch in Zukunft ihre alte Aufgabe erfüllen werden: die Men-
schen zu Menschen zu machen. Denn die Rosse sind für den Menschen ge-
schaffen wie die Welt: Nicht daß er sie tatenlos anbete oder gewaltsam unter-
joche, sondern daß er ihre Kräfte entfalte, sie bändige und ordne - sie zu sich
selbst bringe. Das Pferd war dem Menschen seit jeher dazu ein vorzüglicher
Lehrmeister.

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Vorspiel in der Arche

Wie entscheidend die Rolle war, die das Pferd im großen Welttheater
spielte, hat erst die moderne Geschichtsschreibung undAnthropologie
entdeckt. Denn die Lebensgemeinschaft von Mensch und Pferd ist älter als
jene kurzen dreitausend Jahre, die Goethe noch meinte, wenn er von »der«
Geschichte sprach. Allerdings ist diese Symbiose auch wieder nicht so alt
wie der Mensch oder gar das Pferd selbst.

Der Morgen des sechsten Schöpfungstages, da Gott dem Adam den Odem
einhauchte, dämmerte, wie wir heute wissen, schon vor etwa einer Million
Jahren. Bevor aber Gott dem Menschen erlaubte, zu Pferde zu steigen, ließ
er ihn sich nahezu neunundneunzig von hundert Jahrzehntausenden auf die-
sen großen Augenblick vorbereiten.

Erst nach der Epoche der vier Eiszeiten, die wir mit dem Namen der
Sintflut für die neue Terminologie etwas veraltet »Diluvium« nennen, sollte
die Erde, von Gletschern geglättet, ihr endgültiges Gesicht behalten. Da-
nach sollte auch der dynamische Prozeß der eigentlichen »Geschichte« be-
ginnen und jener Typ Mensch entstehen, den wir heute noch auf den ersten
Blick als unseren Ahn und Bruder nicht nur der Kopf- und Kieferform,
sondern auch der Geistesart nach erkennen. Erst vor etwa zehntausend
Jahren ward verheißen: »So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat
und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.«

Währ end der ganzen letzten Eiszeit flossen wahrhaft sintflutliche Wasser-
massen von den Gletschern des westlichen Tienschan durch den Aral- und
Kaspisee zum Mittelmeer. Ein riesiger Dardanellenfluß, eine den damaligen
Verkehrsmitteln unzugängliche Wasserwüste, riegelte nach Süden zu ein
Tief landbecken ab, das im Norden vom Schnee und Eis der Polargletscher,
im Osten und Südosten von Altai-Gebirge und Himalaja und im Westen von
dem weit nach Norden sich erstreckenden Kaspisee und dem gewaltigen,
durch unwirtliche Schneetundren fließenden Wolgastrom zugesperrt war.
In diesem eurasischen Eiskäfig war zu Beginn der vierten und letzten Eiszeit,

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also vor nun etwa fünfundvierzigtausend Jahren, ein kleines Häuflein Men-
schen eingeschlossen und von der übrigen Menschheit abgesondert worden.
Vielleicht hatten sie nach den ersten drei Eiszeiten Noahs Arche durch einen
Hinterausgang verlassen, vielleicht aber müssen wir sie als die Besatzung auf
der Arche des eurasischen Festlands, von der die Bibel berichtet, erkennen.
Jedenfalls waren sie dazu ausersehen, in später Zukunft die Welt zu erobern
und ihr ihren Stempel aufzudrücken.

Kälte, Eis und Schnee engten den Lebensraum der Eingeschlossenen mit
der Zeit immer weiter ein. Die Menschen aber vermehrten sich, und der jagd-
baren Tiere wurden weniger. Die Not war groß, aber sie machte erfinderisch.
Sie ließ unsere Vorfahren eine ganz neue Lebensweise entdecken; sie zwang
sie dazu, im Lauf der Jahrtausende von der Jagd auf Tierzucht und Land-
streicherei, auf den Nomadismus umzusatteln.

Bei der Jagd auf Herdentiere folgte die Horde der Jäger dem Wild, das zu
jeder Jahreszeit andere Weideplätze aufsuchte. Die Jäger gewöhnten sich
daran, bei einer bestimmten Herde zu bleiben und mit dieser umherzuziehen.
Sie lernten die Gewohnheiten der Tiere kennen und bald auch, Mütter und
Jungtiere zu schonen, die Herden zu pflegen und zu »bewirtschaften«. Denn
anders als der Jäger auf Einzelwild, der erlegt hatte, was ihm vor die Speer-
spitze kam, behielt der Herdentierjäger der Steppen immer die ganze Herde,
»seine« Herde, vor Augen und konnte zusehen, wie sein Fleischvorrat sich
vermehrte oder verminderte. Wer unnütz tötete, den straften die Götter.

Das Ren war wahrscheinlich das erste Tier, das der Mensch zu züchten
lernte; bis heute verharren nur Rentierzüchter in jenem Zwischenzustand
von Jägernomaden mit halb wilden, halb gehegten Herden. Nach dem Ren
machte der Mensch sich dann wohl zunächst die Boviden, das Rindvieh, ver-
traut und schließlich die Equiden: Onager, Esel und Pferd.

Die Tiere gewöhnten sich an ihren ständigen Begleiter, der darauf aus
war, sie zu erlegen. Aber die Art ihres Zusammenlebens blieb die gleiche
wie zuvor, wenn auch die Hirtenvölker im Lauf der Jahrtausende lernten,
die Herden nach eigenem Willen auf geeignete Weiden zu lenken und ihre
Größe tätig mitzubestimmen.

Die Lebensweise des Menschen aber änderte sich radikal, sobald er sich
zum Gefährten der Tiere machte. Bei den Jägern hatten Kleinfamilien ver-
streut gelebt, weil für eine größere, zuhauf lebende Gruppe ein Jagdgrund

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nicht ausgereicht haben würde. Diese kleinen Familien konnten aber mit
vielköpfigen Herden nicht fertig werden. Deshalb blieben die Kinder, Enkel
und Urenkel der Herdenzüchter auch nach der Heirat bei der Familie; bei
jener Großfamilie der Nomaden, die wir auch heute noch bei den Nomaden
des Nahen und Fernen Ostens finden.

Diese große Hirtenfamilie, die Sippe, der Stamm, brauchte eine straffe
Organisation, eine hierarchische Struktur und auf ihren gefährlichen Wan-
derungen einen Führer, der zugleich unbestritten und in allen Wechselfällen
des Nomadendaseins erfahren sein mußte. So trat damals der Mann, der
schon bei den Jägern in der Kleinfamilie die Hauptperson gewesen war, als
weiser, vielgereister Stammvater und Stammesfürst die Herrschaft über die
patriarchalische Großfamilie an. Nach und nach drang diese Struktur in alle
Lebensbezirke ein. Im religiösen Leben kündete sich bald die große Wende
an: Von den unheimlichen Geistern und grausigen Göttern der Jäger und
Pflanzer erlöste die Nomaden der in seiner Güte, Weisheit und Strenge ihrem
Patriarchen gleichende eine Licht- und Himmelsgott.

Aber dies alles war erst Vorbereitung, Vorspiel zu jenem Drama der Ge-
schichte, das beginnen sollte, als der erste Nomadenjunge dreist auf einen
Pferderücken sprang.

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Im Anfang war das Pferd

Die Mutter des Jxingen, der sich auf den blanken Roßrücken gewagt hatte,
war zu Tode erschrocken, als sie ihn im Gewimmel der Herde davon-
galoppieren und plötzlich, unsanft abgeworfen, in weitem Bogen wieder zur
vertrauten Erde zurückfliegen sah. Sie wußte nur, daß man ruhige Stuten
aus der Herde fing, ihnen Zelte und Töpfe aufpackte oder sie vor die Som-
merschlitten spannte, auf die man die Alten und Kranken und den Hausrat
lud. Der Vater aber nahm seinen Sohn bei den Ohren, schalt ihn tüchtig aus
und belehrte ihn über die jahrtausendealten Bräuche der Turkvölker des
Altai-Gebirges (denn dort geschah dies wahrscheinlich) im Umgang mit
Pferden.

Der Junge vergaß Schrecken, Schrammen und Schelte ; das betörende Ge-
fühl des raschen Dahinfliegens auf dem Rücken des starken Hengstes aber
blieb in ihm lebendig. Immer wieder träumte er von seinem abenteuerlichen
Ritt. Dann weckte das Glück ihn auf. Wach lag er im Zelt, hörte die Rosse
das Gras rupfen und spann seinen Traum in die Zukunft: Er wird, wenn er
erst einmal groß ist, sich wieder auf ein Roß schwingen, um geradenwegs
in die Sonne zu reiten. Und das Roß wird glücklich sein, ihn zu tragen und
mit ihm zu fliegen, wohin er sich wünscht. Denn es wird seinen Willen erraten
und sich zu eigen machen. Der Wille des Mannes und die Kraft des Tieres
werden eins sein : eine Lust und eine große Macht, die sich nicht mehr fürchten
müssen vor Menschen und Geistern und denen nichts widerstehen kann.

Sein Traum ließ den Nomadenjungen nicht ruhen, und die Unruhe er-
griff sein Volk und steckte die Nachbarn an, bis nach vielen, vielen Genera-
tionen Halfter, Trense und Kandare, Sattel und Steigbügel den Traum Wirk-
lichkeit werden ließen.

Das Eis der Gletscher schmolz, und die Ströme der Eiszeit trockneten aus.
Die Zeitenwende nahte. Ein paar Rinderhirten trieben ihre Herden über die

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Berge nach Süden. Dort fanden sie Pflanzer, deren nackte Weiber in tropi-
scher Hitze den Hirten bisher unbekannte Geräte durch die Äcker zogen:
Handpflug und Handkarren. Die Pflanzer aber bestaunten die großen und
starken Tiere der Leute aus dem Norden, spannten sie vor den Pflug und
wurden so zu Bauern, wie wir sie heute, rund zweihundertzwanzig Genera-
tionen später, noch kennen. Fortan sorgten bei ihnen die Männer für Vieh
und Feld, die Frauen für das Haus, den Gemüsegarten und das Kleinvieh.
Friedlich und genügsam lebten sie in einzelnen Höfen und weit verstreuten
Siedlungen, nicht ahnend, welches Unheil die Rinderhirten, denen sie so
viel verdankten, noch über sie bringen sollten.

Nur wenig später, gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr., kamen
ganze Völkerschaften von Rinderhirten, diesmal als Eroberer. Sie stellten
auf die Probe, was sie zur Eiszeit im eurasischen Gefängnis gelernt hatten:
nicht mehr den Herden einfach zu folgen, sondern sie zu lenken nach einem
weit vorausschauend angelegten Plan und in großen Gruppen gut organi-
siert zu leben und zu wandern.

Mit diesen Künsten waren die Nomaden allen in anderen Gesellschafts-
und Wirtschaftsformen lebenden Menschen (vor allem aber den Bauern)
kriegerisch weit überlegen. Sie allein konnten in Massen auftreten, weil nur
sie genügend Proviant mitführten: ihre großen mitwandernden Herden. So
durften sie es wagen, von den üblichen Weidewegen einmal abzubiegen,
nicht um im Frühjahr oder Herbst zurückzukehren, sondern um neues Land
zu suchen, wo es weniger Gedränge um die Weideplätze gab.

Die Pflanzer und Bauern des Südens erschraken gewaltig, als die kriege-
rischen Stiermenschen, die Minotauren, von Turkestan her über sie kamen.
Sie unterwarfen sich. Die Eroberer aber - die erste »Herrenschicht« der
Weltgeschichte - lebten von der Arbeit der Bauern und organisierten die
ersten, zwar noch recht kleinen Stadt-Staatswesen, in denen nun viele
Menschen verschiedenen Standes zusammen leben konnten. Zum erstenmal
wurde die Arbeitsteilung, die Grundlage jeder Kultur, möglich. Es entstan-
den die ältesten Hochkulturen, von denen wir die minoische auf Kreta am
besten kennen: Sumer und Akkad im Zweistromland, die dynastische in
Ägypten, die Harappa-Kultur am Indus und die kykladische und frühhella-
dische in der Ägäis und in Griechenland. Die Geschichte hatte begonnen.
Oder besser: ihr war ein Anfangspunkt gesetzt.

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Inzwischen hatten die Bewohner des Altai-Gebiets einige Schritte auf dem
Wege zur Verwirklichung jenes Traums getan, der den ersten Reiter be-
glückte. Doch ohne die kunstreiche Erfindung der Trense konnte der
Mensch die Pferde noch nicht bändigen, die so viel temperamentvoller,
schneller und nerviger als die braven Rinder waren. Ohne dieses Mittel
blieb das Reiten halsbrecherisch, konnte es noch nicht eine machtvolle
Kriegstaktik werden.

Da wanderten auch Pferdezüchter in das Land der Bauern, und zwar in
das Siedlungsgebiet der Semiten und Indogermanen, der Völker, die am Be-
giim unserer Gescliichte stehen. Auch sie sahen dort den Karren, der mittler-
weile ein Ochsenwagen geworden war. Statt der Rinder spannten sie ihre
Pferde davor. Aber die Pferde hatten Angst vor dem seltsamen Gefährt. Sie
jagten davon, in die Steppe hinaus. Solch wilder Fahrt war der Wagen nicht
gewachsen. Er war für den Ochsentrott konstruiert : ein einfacher Kasten,
lose auf eine sich mitdrehende Achse gelegt, die mit ungefügen Scheiben-
rädern fest verkeilt war. Trotzdem litt auch der erste Rosse-»Lenker« wie
der erste Reiterbursche der Geschichte seit dieser Fahrt an Sausewahn.

Mit diesem Ereignis war dem Erfindungsgeist der Menschen eine neue
Aufgabe gestellt. Blieb das Reiten vorerst noch zu schwierig, so brachte
der Pferdewagen als Streitwagen der Indogermanen und Semiten nun die
Geschichte in Gang. In nicht mehr als zweitausend Jahren lernten diese
Völker, einen eleganten Rennwagen zu bauen. Schlanke Speichenräder dreh-
ten sich bald um feststehende Achsen, und die Pferde, mit Trense und Kandare
gezäumt, wurden nun vom Wagen aus mit Peitsche und Zügel gelenkt, nach-
dem lange ein Treibstock unvollkommene Dienste geleistet hatte, meist aber
Fußsoldaten die Rosse am Halfter hatten führen müssen.

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Der Herr der Herden

Man kann sich die Wandlung der Menschen im Innern Eurasiens von
der Einschließung in den Eiskäfig bis zum Ende des 3. Jahrtausends
V. Chr. gar nicht dramatisch genug vorstellen.

Vordem waren sie als Jäger und Pflanzer in eine magische Welt verstrickt
gewesen. Überall drohten Geister, herrschten Totems und Tabus. In einer
phantastischen Welt hielt den Menschen die Lebensangst gefangen. Zwar
suchte er sich zu sichern und stellte allerlei Zauber an. Aber tätig durfte und
konnte er die magische Umwelt nicht ändern. Er blieb in ihren Bann ge-
schlagen. Ängstlich gehorchte er den Geistern, befolgte er die Riten und
Bräuche, die sie forderten. Sie bestraften ihn wegen der kleinsten Verletzung,
der leisesten Neuerung. Die Welt der Pflanzer und Jäger war statisch, un-
veränderlich.

Der Viehzüchter aber und vor allem der Reiternomade war der Herr der
Herden.

Er befreite sich aus den magischen Verstrickungen und nahm sein Ge-
schick in die eigenen Hände. Denn er mußte die Herde und die Großfamilie
organisieren und mit wacher Vernunft durch die Fährnisse des Steppen-
daseins führen. Auf seinen Wanderungen erfuhr er die Weite der Erde, ge-
wann er Übersicht über seine Umwelt und Kraft zu willensstarkem, plan-
vollem Tun. Die Welt der Reiter war dynamisch wie die Geschichte, die mit
ihren Eroberungszügen begann.

Der lichte Gott des Himmels besiegte die dumpfen Geister. Der Priester
der Reitervölker beschwor nicht mehr die dunklen Schatten, er ritt selbst in
ekstatischem Zauber in einen hellen Himmel. Und die Toten verloren, da
man auf den Wanderungen rasch ihre Gräber verließ, ihre bannende Kraft so
sehr, daß die Reiter ihre sterblichen Hüllen bald nur mehr in die Steppe
warfen und liegenließen.

Der Reiter, auf raschem Pferd erlöst von der Schwerkraft der Erde, war
zum Herrn geboren: Frei, kühn und kraftstrotzend, selbstsicher, hellen,

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frischen Geistes, expansiv und aggressiv, war er allen, denen er begegnete,
überlegen. Wo er mit seinem Roß erschien, gründete er Staaten und weite
Reiche. Reitervölker waren Völker von Herren und Herrschern.

Wo dieser neue Mensch auf den alten traf, unterwarf er ihn. Allerdings
unterjochte er ihn auch. Seit es Reiter gibt, gibt es Herren und Knechte. Und
die Knechte zitterten vor ihren Herren, die sie in ihrem Schrecken für Men-
schenpferde oder Pferdemenschen, für Kentauren, hielten: Um einen Meter
größer als sie selbst brausten diese Angst erregenden Wesen heran und hie-
ben von oben her auf ihre friedlichen Feinde ein. Unerwartet, rasch und mit
brutaler Kraft kamen die Eroberer über die umfriedete, seßhafte, bäuerliche
Welt. Raubend und Tribut fordernd lebten sie von der Arbeit der Unter-
jochten. Wie erst in unserem Jahrhundert wieder Panzerwagen und Sturz-
kampfbomber erfüllten die Pferde die einen mit einem neuen Sausewahn, die
andern aber mit panischer Furcht.

Als der Streitwagen ein brauchbares Kriegsinstrument geworden war und
seinen Schöpfern ein Machtgefühl gab, das sie eroberungslüstern stimmen
mußte, verdarben am Kaspisee, wo die Indogermanen saßen, die Weiden,
während die volkreichen Stämme sich mehrten. Das Land trocknete aus,
Wüsten bildeten sich. Nach Westen, Süden und Osten aber führten drei
Steppenkorridore in nun fruchtbare Länder: nach China, nach Indien und
Kleinasien und nach Europa.

So brachen um das Jahr 2000 v.Chr. die Streitwagenvölker auf, um
1200 v.Chr. die Reitervölker. Schrecken verbreitend zerstörten sie die alten
Hochkulturen der Bovidenzüchter. Doch ihr Sinn für weiträumige Ordnung
und ihr Herrscherwille ließen sie mit Hilfe ihrer Pferde neue große Reiche
gründen. Welle folgte auf Welle bis zum Ende der Völkerwanderungen
und der Türkenkriege. Die großen Reiche und Staaten aber blieben bis auf
unseren Tag, einander ablösend, unterwerfend, erobernd und zerstörend, sich
gegenseitig befruchtend, miteinander rivalisierend, immer neue Kulturen
hervorbringend.

Mit dem ersten Schub der Streitwagenvölker nach Süden und Südosten
gelangten die achäischen Griechen auf ihre Halbinsel, die Hethiter nach
Kleinasien, die Hyksos nach Ägypten, die Arier nach Iran und die Zerstörer

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»Udpferd, wohl Tarpan. Mam-
nutelfenbein aus
der Vogelherd-
löhle bei Stetten obLontal, Alt-
teirzeit. Tübingen, Institut für
/or- und Frühgeschichte der

Jniversität

Wildpferd, wohl Diluvialpfcrd.
Gravierung in einer Höhle von
Labastide, Departement Hautes-
Pyrénées, Altsteinzeit

j Wildpferd, wohl Przewalski-
pferd. Bernstein aus Wolden-
berg im Kreis Friedeberg in der
Neumark, Ende des 3. Jahr-
tausends
V. Chr. Berlin, Staat-
liches Museum für Vor- und
i Frühgeschichte

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Kriegswagen, von den Hyksos nach
Ägypten gebracht. Kleinwüchsigkeit
und Senkrücken sind für die in Ägyp-
ten eingeführte Pferderasse charak-
teristisch. Wandmalerei im Grabe des
Menna zu Theben, um 141 o v. Chr. :

Ägypter auf ungesatteltem Pferd. Be-
malte Holzplastik, um 1600 v. Chr.
New York, Metropol. Museum of Art

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der Harappa-Kultur nach Indien. Mit den Reitervölkern um 1200 v.Chr.
zogen die Meder und Perser nach dem Iran, die Arier weiter nach Indien,
die Phryger nach Kleinasien, die Aramäer nach Syrien, die Israeliten und
Philister nach Palästina. Weiter ging der Zug nach Ägypten, während im
Osten die Reiterhorden China erreichten. In Europa, bei der westlichen
Heeressäule, zweigten Slawen und Litauer nach Norden ab, in Pannonien
brachen die lUyrier, die dorischen Griechen und die Veneter nach Süden in
den Balkan und an die Adria auf. Die Italiker wanderten von Süddeutsch-
land aus nach Süden, während die Kelten weiter westwärts zogen. Ein Rest
ritt gen Norden, wo er mit der unterworfenen Urbevölkerung zum Volk der
Germanen verschmolz.

Nur die Länder und Völker, die der Reitersturm erreichte (wenn auch
spät, wie Amerika mit den Spaniern), wurden in den Bannkreis der Ge-
schichte gezogen. Die »Fußgängervölker« zählen bis heute als »Naturvöl-
ker«, die außerhalb unserer Geschichte leben. Bei den geschichtlichen Völ-
kern aber, in den großen chinesischen und indischen Hochkulturen sowohl
als im bewegten Auf und Ab der Kulturen der westlichen Welt, entstanden
zur gleichen Zeit nach dem Aufeinanderprall der dumpfen Naturverstrickt-
heit mit dem hellen, wachen, bewußten und ordnenden Reitergeist die gro-
ßen religiösen und philosophischen Weltdeutungen. Zwischen 800 und
200
V. Chr. lebten in China Konfuzius und Lao-tse, lehrte in Iran Zarathu-
stra, dachten in Griechenland Homer, Parmenides, Heraklit und Piaton, Thu-
kydides und Archimedes, deren Bücher voll von Reitergeschichten sind und
deren Bilder großenteils aus der Pferdesprache stammen. In Indien, wo die
großen philosophischen Bücher der Upanischaden entstanden, meditierte
Buddha, und in Palästina bereiteten Elias und Jesaja, Jeremias und Deutero-
jesaja die große Zeitenwende vor.

Das Pferd hatte die Welt umgestürzt und die »Geschichte« erst beginnen
lassen.

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Die Ahnen

it dem Pferd »begann« die menschliche Geschichte; mit dem Men-
. .VJL sehen hub aber auch für das Pferd eine neue Epoche an. Es stammt
nämlich aus einer großen und sehr alten Familie, die zu Beginn der letzten
Eiszeit schon auszusterben drohte.

Von Urahnen dieser Familie hat man Knochen gefunden, die über fünfzig
Millionen Jahre alt sind. Die Stammeltern unserer Pferde lebten also schon
zu Beginn der Erdneuzeit, des Tertiärs: kleine, fuchsgroße Dickicht-
bewohner, die vorn auf vier und hinten auf drei Zehen liefen imd noch keine
reinen Vegetarier waren. Aus dieser Urform des Eozänpferdchens entwik-
kelte sich dann eine Vielzahl verschiedener Arten, die im Lauf der Jahr-
miUionen größer und kräftiger wurden und sich darauf einrichteten, als
flüchtige Herdentiere im heraufziehenden Zeitalter der Steppen zu leben.
Ihre Mittelzehe, heute das Pferdebein, wuchs länger, steiler und stärker, die
Seitenzehen verkümmerten, Gebiß und Magen stellten sich auf reines Pflan-
zenfutter, auf Steppengras um.

In Europa und Asien scheinen die verschiedenen Pferdearten schon ein-
mal ausgestorben gewesen zu sein. Augenscheinlich aber wechselten dann,
wie erst 1955 wieder ein Knochenfund bewiesen hat, noch einmal neue
Equidenstämme aus Amerika über die damals noch bestehende Landver-
bindung der Beringstraße auf den eurasischen Kontinent über. Trotzdem
schien mit der letzten Eiszeit die Epoche der Equiden endgültig vorüber zu
sein. In dem von ihnen vormals so dicht bevölkerten Amerika starben sie
ganz aus, und in Eurasien und Afrika blieben nur in wenigen Landstrichen
die nubischen und asiatischen Esel, die Zebras und die wilden, eigentlichen
Vorfahren unserer heutigen Pferde erhalten; auch von ihnen wären heute
wahrscheinlich nur noch ein paar Skelette in naturkundlichen Museen zu
finden, wenn nicht der Mensch aus dem Jagdtier ein Haustier gemacht
hätte.

Aber die Pferde hatten nicht nur das Glück, daß der Mensch ihre Art

m:

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erhielt. Auch ihre Schönheit und ursprüngliche Eigenart blieb ihnen erhal-
ten. Zunächst nutzten die Nomaden zwar nur das saftige Fleisch der Jung-
tiere und, wie die Bräuche mancher asiatischen Stämme noch heute lehren,
vielleicht auch die Milch der Stuten. Als aber der Mensch gelernt hatte,
Pferde mit Bedacht zu züchten und in der Zucht planvoll zu verändern, dien-
ten die Rosse schon dem Kriegshandwerk. Vor dem Streitwagen und imter
dem Reiter mußten sie auf den großen Wanderungen temperamentvoll,
schnell, ausdauernd und genügsam sein. So durften sie die Eigenarten flin-
ker, flüchtiger Steppentiere behalten und blieben davor bewahrt, wie andere
Haustiere auf Wolle, Fleisch oder Milch gezüchtet zu werden.

Seine Pferde wünschte sich der Mensch seit jeher und bis auf den heutigen
Tag schön und edel. Nicht verspielt oder niedlich, nett oder abstrus, massig
oder produktiv sollten sie sein, sondern leistungstüchtig, von sprühendem
Temperament und sportlichem, seriösem Charakter - von männlichem
Adel der Hengst, von vollendeter weiblicher Noblesse die Stute.

Dieses Ziel aber erreichten die Menschen erst nach der unablässigen Mühe
und den Erfahrungen vieler Züchtergenerationen. Die rassigen Rennpferde,
die wir heute auf dem »grünen Rasen« bewundern, die Turnierpferde, denen
die Menge zujubelt, die von Dichtern besungenen Herden der großen Zucht-
stätten sind das Ergebnis einer immer mehr verfeinerten, durchdachten und
behutsamen Auslese, Veränderung und Veredelung. Unsere heutigen Pferde-
rassen sind Kunstrassen.

Drei Rassenkreise hat der Mensch vor dem Untergang bewahrt: in Süd-
ost- und Osteuropa und in Westasien den »Tarpan«, in der Mongolei und
ihren Randgebieten das »Przewalskipferd« und in Westeuropa verschiedene
Arten eines »Diluvialpferdes«.

Vom Tarpan, einem leichten, trockenen, schlankgliedrigen und etwa
130 Zentimeter hohen Pferdchen, stammen wahrscheinlich die stolzen orien-
talischen Rosse und die osteuropäischen Koniks und Panjes ab. Noch bis ins
vorige Jahrhundert hinein lebte er wild in der südrussischen Steppe. Aber
weil die wilden Hengste es auf die zahmen Pferdedamen abgesehen hatten,
machten die Bauern erbitterte Jagd auf ihn. Sie sollen den letzten seines
Stammes 1879 bei Askania Nowa in Südrußland schmählich erschlagen
haben.

Wilde Przewalskipferde - so genannt, weil der russische Hippologe Prze-

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walski sie zuerst beschrieb - lebten noch vor dem letzten Krieg vereinzelt in
der Dsungarei. In München kann man sie auch im Zoologischen Garten
bestaunen. Sie hatten stärkere Knochen, einen beinahe unförmig großen
und ramsnasigen (im Profil konvexen) Kopf, waren gedrungen und etwas
größer als der Tarpan und wurden die Vorfahren der Mongolenpferde und
vieler ostasiatischer Rassen, aber auch der ursprünglichen ungarischen Land-
pferde. Da die Mongolen auf ihren Rücken immer wieder in das Abendland
einbrachen, fließt das Blut dieser Rosse sicher noch in vielen anderen Pferde-
schlägen Europas mit.

Die Diluvialpferde schließlich waren die Ahnen unserer ursprünglichen
westeuropäischen Landschläge, vor allem der Kaltblutrassen. Da sie nicht
in den weiten Steppen Eurasiens, sondern auf den saftigen Böden des wal-
digen Westens lebten, gediehen sie massiger und waren sie wehrhafter und
deshalb weniger flink und flüchtig als der Tarpan und das mongolische
Wildpferd.

Alle diese Pferde waren noch sehr klein, und ihre Nachfahren wuchsen
erst im Laufe der Geschichte. (Der Tarpan beispielsweise »hatte etwa 130
Zentimeter Stockmaß«, während ein ostpreußisches Pferd heute im Durch-
schnitt 160 Zentimeter mißt. Das Stockmaß wird genommen, indem der
Schieber eines Maßes, wie es der Arzt auch für uns Menschen braucht, auf
die höchste Stelle des Widerrists - auf die Erhebung im Rückgrat des Pfer-
des über der Schulter gleich hinter dem Halsansatz - heruntergeschoben
wird.) Nur die Ponies und Kleinpferde, die der Rasse nach von unseren Pfer-
den wahrscheinlich nicht verschieden sind, blieben im Größenwachstum
zurück. Wie viele andere Lebewesen wuchsen sie auf Inseln, beispielsweise
auf den Lofoten, den Shetlandinseln und in Island, sogar in besonders klei-
nen Zwergformen.

Farbe und Haarwuchs der eingezähmten Pferde aber änderten sich plötz-
lich: in Mutationen, sprunghaften Veränderungen des Erbgutes, wie sie oft
als Folge der Domestikation vorher wild lebender Tiere beobachtet werden.
Die Wildpferde trugen nämlich noch jene Tarnfarbe, die wir als Kinder bei
Hasen bewunderten, wenn wir ins weiche Fell bliesen und immer neue Farb-
schattierungen hervorzauberten. Im wildfarbenen Haar sitzen Farbkörper-
chen einer Grundfarbe in jedem einzelnen Haar zur Haarspitze zu immer
dichter beieinander. Die Haare sind also an der Wurzel beinahe weiß und

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Ein Pharao überrennt mit seinem Hengstgespann asiatisches Fußvolk. Hunde stoßen in den wirren Haufen.
Malerei auf einer Truhe aus dem Grabschatz des Tut-ench-Amun, um 1355 v.Chr. Kairo, Ägyptisches Museum

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Löwenjagd zu Pferd. Teil eines Sockelreliefs vom Palast des Königs
Assurbanipal in Kujundschik-Ninive, um 668-626 v. Chr.

London, Britisches Museum

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an der Spitze fast schwarz; daher wirkt die Farbe des ganzen Fells ver-
schwommen, »gedeckt«. So war der Tarpan mausgrau, das mongolische
Wildpferd lehmgelb bis rotbraun; ihrem Rückgrat entlang lief ein schwarzer
Streifen, der »Aalstrich«, den manche Fohlen, vor allem die den Wild-
pferden noch näheren Pony- und Kleinpferdekinder, auch heute noch mit
auf die Welt bringen, um ihn jedoch meist bald zu verlieren. Auch über
der Schulter (Schulterkreuz) und an den Beinen zeigten sich dunkle Quer-
streifen; die Bauchseite war hell.

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Das Spiel mit den Farben

Als die Pferde unter der Hut des Menschen die Gefahren der Freiheit ver-
gaßen, legten sie sich ein neues, farbenprächtiges Fell zu, das ihnen in
der Steppe zum sicheren Untergang gereicht hätte. Plötzlich verteilte sich
das Pigment, der Farbstoff, gleichmäßig von der Wurzel bis zur Spitze über
die Haare, nur bei den einzelnenPferden in verschiedener Dichte. Die Mähne,
die bei den Wildpferden kurz, struppig und aufrecht gestanden hatte, wuchs
weicher und fiel nun lang am Hals und mit einem frechen Wuschel in die
Stirn. Wallende Mähne und Domestikationsfarben verraten uns beispiels-
weise, daß die frei im »wilden Westen« Amerikas lebenden Pferde Nach-
kommen verwilderter Hauspferde der frühen Einwanderer und keine echten
Wildpferde sind.

Natürlich konnte die Natur auch für die Farben der Hauspferde nur die
Töne liefern, die schon im Fell der Wildpferde angelegt waren: von Weiß
über ein schmutziges Graugelb und Rotbraun bis zu Schwarz - je nachdem,
wie dicht die Farbkörperchen in den Haaren sitzen. Man unterscheidet fünf
Farbgruppen : Schimmel, Rappen, Falben, Braune und Füchse. Bei den brau-
nen und rotbraunen Rossen aller Schattierungen kommt es auf die Farbe
von Mähne und Schweif an. Sind diese schwarz, nennt man sie Braune, sind
sie nicht schwarz, so heißen sie Füchse.

Wer unter Pferdeleuten nicht als Laie gelten will, muß außerdem lernen,
die Hellbraunen mit ihren gelblichbraunen, »grünen« Beinen von den Gold-
und Schwarzbraunen zu unterscheiden und die unklar rotgelbgrauen
Lehmfüchse von den Kupfer- und Goldfüchsen oder den Leberfüchsen,
deren dunkel-, fast braunrote Haare hellere Spitzen haben; er muß die matt-
schwarzen, manchmal fast graubraunen Kohl- oder Sommerrappen und die
eigentlich kohlpechrabenschwarzen Glanzrappen auseinanderhalten können
und sich unter den Schimmeln auskennen.

Zunächst unterscheidet man »unveränderliche« oder »weißgeborene« und
»veränderliche« Schimmel. Aber die unveränderlichen Schimmel sind keines-

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■Wegs alle in der Haarfarbe unveränderlich, noch werden sie alle wirklich
weiß geboren. Vielmehr zählt man außer den »echten«, rein weißen Schim-
meln und den »Kakerlaken« - Albinos mit hellrötlicher Haut und farb-
losen Augen, die häufig unfruchtbar und manchmal ein wenig dekadent
sind - auch jene Pferde zu den weißgeborenen Schimmeln, deren Grund-
haar zwar farbig ist, bei denen aber auf heller Haut über den ganzen Körper
verteilt und in Mähne imd Schweif ziemlich dicht weiße Haare zu sehen
sind. Diese Pferde, die je nach ihrer Grundfarbe Mohren-, Rot-, Braun- oder
Isabellschimmel genannt werden, kommen dunkel auf die Welt und hellen
erst im Laufe ihres Lebens immer mehr auf. Die veränderlichen Schim-
mel dagegen werden alle dunkel geboren; sie haben vor allem auch eine
dunkle Haut und dunkle Hufe, meist ziemlich lichte Köpfe und Beine und
weiße Schweifspitzen. Zu ihnen, die ebenfalls mit jedem der beiden jährlich
im Herbst und Frühling fälligen Haarwechsel etwas weißer werden, zählen:
die Apfelschimmel, auf deren Fell meist mathematisch genau verteilte weiße
Kringel mit dunklen Randhaaren abgezeichnet sind, die sich beim Aufhellen
auf der Kruppe am längsten halten; die Fliegenschimmel mit ihren kleinen
dunklen Punkten; die Eisen-, Blau- und Schwarzschimmel; und eigentlich
auch die Stichelbraunen, Stichelrappen und Stichelfüchse, in deren dunk-
lem Fell nur einzelne weiße Haare stehen.

Der Wildfarbe am nächsten kommt die der Falben, die auch häufig noch
den Aalstrich und das Schulterkreuz zeigen. Der Semmelfalb ist gelblich-
weiß, der Mausfalb, wie der Name sagt, maus- bis aschgrau; beim Gelb-
falben ist das Fell gelbgrau. Die Mähne dieser Falben ist dunkel gefärbt wie
bei den Braunen. Hell wie bei den Füchsen sind Mähne und Schweif bei den
Isabellfalben, die ihren Namen einem Hemd verdanken, das die Regentin
der Niederlande, Erzherzogin Isabella, so lange zu tragen geschworen hatte,
bis ihr Gatte Ostende erobert hätte. Die Eroberung ließ ein wenig auf sich
warten - genauer: drei Jahre -, imd das Hemd nahm in so langen ununter-
brochenen erzherzoglichen Diensten eben jene schwer definierbare graugelbe
Farbe an, die fortan unter dem alldurchlauchtigsten Namen populär werden
sollte.

Übrigens gab es zur Zeit der Erzherzogin Isabella unter den Andalusiern,
denin der ganzen Welt bis zumlS. Jahrhundert bevorzugtenModepferden,
noch recht viele Falben; sie sind unterdessen seltener geworden. Die

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Modefarben des 17. und 18. Jahrhunderts aber waren die Scheckfarben,
die heute noch bei Ponypferden häufig sind. Da gibt es die großgescheckten
Pferde, bei denen große, unregelmäßige Patten heller Haut mit weißem
Haar in das farbige Fell gestreut sind : die marmorierten Achatschecken, die
Porzellanschecken, Braunschecken, Rotschecken und Schwarzschecken.
Und da sind die Braun-, Rot- und Schwarztiger mit ihren dunklen, eher
regelmäßigen Haut- xmd Haarflecken im hellen Fell: die Farben, laut und
kräftig, dem Geschmack einer sinnenfreudigen, festlich gestimmten Epoche
entsprechend; und Buntheit galt damals als teuer und vornehm. Die Tiger-
farbe findet man noch heute häufig beim süddeutschen Kaltblut und seinen
österreichischen Verwandten.

Die Beschreibung der einzelnen Schattierungen der fünf Farben ist in
früheren Zeiten zu einer hohen literarischen Kunst entwickelt worden; in
Zeiten, da auf modische Anspannung vor Luxuswagen und auffallend
schöne Reitpferde ebensoviel Wert gelegt wurde wie heute auf die Wahl
eines eleganten Automobils. Für exzentrischen Snobismus waren damals
nicht weniger Leute zu haben als heute, und die fein differenzierten Pferde-
farben boten geschmacklerischer Phantasie mehr Möglichkeiten als die Pro-
dukte maschineller Serienfertigung. Ein Hippologe des 19. Jahrhunderts
unterscheidet noch allein zehn Falb- und Isabellnuancen: den Blaßisabell,
den er auch Hermelin nennt, den strohgelben Hellisabell, den Goldisabeil
und den gemeinen Isabell (Semmelfalb), den Dunkelisabell und den Dunkel-
falb, den geapfelten Falb und den Mausfalb, den Rehfalb und den gemeinen
Falb. Er beschreibt ausführlich Hellfuchs, Lehmfuchs, Goldfuchs, Rotfuchs,
Kupferfuchs, Dunkelfuchs, Brandfuchs, Schweißfuchs, Schwarzfuchs, Kohl-
fuchs und Stichelfuchs. Unter den Braunen nennt er Fahlbraun, Rehbraun,
Hellbraun, Goldbraun, Rotbraun, Kirschbraun, Kastanienbraun, Schwarz-
braun, Stichelbraun und Apfelbraun. Er erzählt von Atlas-, Glanz- und
Sammetschimmeln, Grau- und Rot-, Brand- und Schwarzschimmeln, Moh-
renschimmeln und Mohrenköpfen, Fliegen-, Forellen-, Star-, Honig- und
Weinschimmeln, Blauschimmeln, Zimmetschimmeln und Pfirsichblutschim-
meln. Er schwelgt geradezu in einer ästhetischen Farbenlehre.

Unsere Zeit ist dagegen erschreckend sachlich geworden. Die Pferde-
zuchtverbände sollen sich in Zukunft bei den Eintragungen in ihre Stut-
bücher auf die folgenden Farben beschränken :

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PFERDEFARBEN. Von links nach rechts, erste Reihe: Brauner, Fliegenschimmel,
Dunkelbrauner, Kohlrappe, Rotfuchs, Glanzrappe, Milchschimmel, Hellbrauner

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Zweite Reihe: Goldfuchs, Schabrackcntigcr, Falbe, Blauschimmel, Isabcll, Schwarzbrauner,
Apfelschimmel, Porzellanschecke.
DriHe Reihe: Fuchsschecke, Schweißfuchs, Muskatschimmcl

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Reiter mit Frau. Bis ins späte 19. Jahrhundert war es üblich, daß Frauen vor oder hinter dem Reiter
auf demselben Pferd ritten. Marmorrelief, i. Jahrhundert n. Chr. Neapel, Nationalmuseum

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Hellfuchs, Fuchs, Dunkelfuchs
Rappe

Hellbraun, Braun, Dunkelbraun, Schwarzbraun
Albino

Schimmel, Hellfuchsschimmel, Fuchsschimmel, Dunkelfuchs-
schimmel, Rappschimmel, Hellbraunschimmel, Braunschimmel,
Dunkelbraunschimmel

Isabell

Falbe

Schecke

Tiger

Alle Besonderheiten, wie die Muskat- und Fliegenflecke vieler Schimmel,
die Apfelung und die Stichelhaare, werden zwar als Kennzeichen noch genau
aufgeführt. Aber sie verhelfen dem Roß, das sie auszeichnen, nicht mehr
zur Individualität beispielsweise eines Fliegen- oder Muskatschimmels, wenn
man sich an die sachlich sicher gerechtfertigte offizielle Schreibweise hält.
Diese Gleichmacherei, die - um ein anderes Beispiel zu nennen - auch alle
Blau-, Grau-, Eisen- und Mohrenkopfschimmel einfach zu gewöhnlichen
Rappschimmeln degradiert, soll deshalb vorerst nur den amtlichen Ver-
zeichnissen vorbehalten bleiben. Es läßt sich indes nicht leugnen, daß auch
der Blick mancher zünftigen Pferdefreunde für das nuancenreiche Spiel der
Farben von der neuen Sachlichkeit schon ein wenig getrübt worden ist.

Es gibt jedoch keinen Pferdefreund ohne Lieblingsfarbe. Als Rechtferti-
gung für die unsachlichen Vorlieben wird eine eigene Psychologie der
Pferdefarben getreulich von Generation zu Generation weitergegeben,
obwohl die Tatsachen sie Tag für Tag widerlegen. Danach sollen die Brau-
nen sanguinisch, die Füchse cholerisch, die Rappen natürlich melancholisch
und die Schimmel fromm und phlegmatisch sein. Beliebt sind heute vor allem
die Füchse, nicht sosehr, weil unsere Zeit eine merkwürdige Vorliebe für
Choleriker zu haben scheint, sondern weil keine andere Farbe ein rassiges

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Pferd so bestechend »modelliert«. Wer allerdings früher darauf bedacht sein
mußte, einen gleichmäßigen Viererzug für seinen Wagen zusammenzustel-
len, mißtraute den Füchsen; sie wechseln zu leicht die Farbe, dunkeln gern
ein wenig oder hellen auf. Maler haben eine besondere Vorliebe für Schim-
mel. Zweifellos wirkt die weiße Farbe ungemein gediegen und vertrauens-
würdig. Deshalb haben Fürsten und Feldherren sich zu allen Zeiten ihren
Untertanen vmd Soldaten gern auf Schimmeln gezeigt, und Hegel hat Napo-
leon als den »Mann auf dem weißen Pferd« zu einem weltgeschichtlichen Be-
griff gemacht. Im übrigen haben die Schimmel das gewichtige Argument
für sich, daß in ihren Adern häufig arabisches Blut fließt. Zünftige Pferde-
leute ziehen indes meist vornehme und unauffällige Braune vor. Man findet
sie tatsächlich häufiger bei edlen Schlägen als bei gemeinen.

Auf keinen Fall aber mag der Kenner die im Zirkus, in Südamerika und
bei manchen Alpenbauern beliebten Schecken, von denen die Araber sagen,
sie seien Brüder der Kuh. Er hütet sich überhaupt vor Pferden mit auffälli-
gen »Abzeichen«, Albinismen, weißen Flecken, unter denen die Haut hell,
also pigmentlos, durchscheint. Die exakte Beschreibung der angeborenen
und unveränderlichen Abzeichen ist der Steckbrief der Pferde. So kann es
beispielsweise imPferdepaß inderRubrikfürKermzeichenheißen: »Schweiß-
fuchs; Blümchen und Schnippe; vorn: rechts hoch gestiefelt; hinten: links
gefesselt«. Das bedeutet, daß dieser glänzend dunkelrote Fuchs mit grau-
weißer oder gelbgrauer Mähne (also ein Schweißfuchs) auf der Stirn einen
kleinen weißen Fleck hat (ein Blümchen), daß ebenso an seiner Nasenspitze
oder auf der Oberlippe ein weißer Tupfen zu sehen ist (die Schnippe) und
daß die rechte Vorderhand bis zur Vorderfußwurzel, an der linken Hinter-
hand die »Fessel« (das enge, schräg stehende Glied zwischen Hufkrone und
»Köte«, dem untersten Gelenk) weiß ist. Wäre der Fleck auf der Stirn
kleiner, dann müßte er »Flocke« heißen; wäre er größer, spräche man von
einem »Stern«. Liefe gar ein weißer Streifen von der Stirn bis zur Nase, so
hätte unser Fuchs eine »Blässe« oder - wenn der Streifen sehr breit wäre -
eine »Laterne«.

Die wildfarbenen Pferde wären wahrscheinlich nicht so schnell völlig aus-
gestorben, wenn der Mensch nicht nachgeholfen und die in der Farbe ver-
änderten Rosse in der Zucht vorgezogen hätte. Aber erst die Zuchtfarben
zeigten so recht das Relief der einzelnen Muskelpartien und deren wunder-

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voiles Zusammenspiel; sie gaben dem Rappen seinen unheimlichen, dem
Fuchs seinen bestechenden, dem Braunen seinen vornehmen und dem
Schimmel seinen unschuldsvoll damenhaften Glanz - dem Züchter aber
ein neues Moment der Spannung in seiner Liebhaberei.

Die Zuchtfarben sind zwar erbfest, aber es gibt unter ihnen dominante
und rezessive: solche, die durchschlagen, und andere, die überlagert
werden. Da die Ahnenreihe lang und bei vielen Pferden nicht genau er-
forscht ist, bleibt häufig offen, welche Farbe bei den Kindern durchbrechen
wird. (Siehe auch Seite 115.)

Bei Schimmeln ist es jedenfalls sicher, daß entweder ihr Vater oder ihre
Mutter ein Schimmel war. Denn die Schimmelfarbe überspringt die Gene-
rationen nicht, sie wird, wie die Erblehre sagt, nur dominant vererbt. Trotz-
dem haben Schimmelmütter oder Schimmelväter keineswegs immer Schim-
melkinder. Auch wenn sich zwei (erbimreine) Schimmel zusammentun, ist
das nicht sicher. Nur weim ein Schimmel von zwei erbreinen Schimmel-
eltern abstammt, also selbst »erbrein« ist, hat er auch mit andersfarbigen
Ehepartnern immer Schimmelkinder. So der Celler Araberhengst Amurathl,
der sechshundert Schimmelfohlen zeugte. Aber bei den Nachfahren von
Amurath I wird die Schimmelfarbe immer weiter »verdrängt« werden;
irgendwann wird die »Schimmellinie« bei ihnen abreißen, um nie mehr auf-
zutauchen. So will es die Tragik der Schimmel, die deshalb ohne mensch-
liche Rettungsaktionen immer seltener werden müßten.

Anders verhält es sich bei den Füchsen. Sie sind immer erbrein und haben,
untereinander gepaart, nur Fuchsfohlen. Rappen und Braune dagegen sind
manchmal erbrein, manchmal erbunrein. Nur die erbreinen haben aus-
schließlich Fohlen der eigenen Farbe, und auch sie nur daim, wenn sie mit
erbreinen Partnern gepaart werden (also nicht wie die Schimmel auch dann,
wenn nur ein Elternteil von zwei erbreinen Eltern der gleichen Farbe ab-
stammt). Erbunreine Rappen haben miteinander (theoretisch genau) fünf-
undsiebzig Prozent Rappfohlen und fünfundzwanzig Prozent Fuchs- und
Isabellfohlen, aber keine braunen, weil die schwarze Farbe über die braune
dominant ist. Zwei erbunreine braune Eltern haben Braun-, Fuchs-, Rapp-
vmd Isabellfohlen. Das Fuchsfohlen kommt in der Regel gelbrot, manchmal
aber auch graubraun wie das Braun- oder Falbfohlen oder braunschwarz zur
Welt, das Rappfohlen schwarz, aber auch mausgrau wie manche Braun-

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fohlen, das Schimmelfohlen, wie es bereits erwähnt ist, manchmal schon
weiß, meist allerdings in seiner dunklen Grundfarbe. Die endgültigen Far-
ben zeigen sich erst, wenn die Pferdekinder die Milchhaare lassen. Bis dahin
müssen die Züchter Geduld haben.

Aber damit vorerst genug von der Biologie. Bevor noch die Wissenschaft
die Gesetze der Vererbung entdeckte, hatte das Ingenium Pferde züchtender
Menschen die Zucht edler Rosse schon zu einer hohen und subtilen Kunst
entwickelt. Und heute noch sind schöpferische Phantasie und züchterischer
Spürsinn die wichtigsten Gaben für den Adepten dieser Kunst.

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Sportliches Wagenrennen im Zirkus. Die Pferde sind vierbreit vor den ungefederten
Wagen gespannt. Tonrelief, i. Jahrhundert n. Chr. London, Britisches Museum

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Militärisches Manöver. Marmorrelief am Sockel der zerstörten Säule des Antoninus Pius,

nach i6i n. Chr. Rom, Vatikan

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Wettzüchten — Wettrüsten

Die genaue Geschichte der Pferdezucht von den Tagen der ersten Ein-
zähmungen an liegt weithin im Dunkel; wir sehen nur die späten Er-
gebnisse. Immer aber setzten zwei vorgegebene Größen der Phantasie der
Züchter Grenzen: Sie fanden einerseits eine bestimmte Erbmasse in den
Pferden ihrer Väter, das Klima ihrer Heimat und deren Boden und Futter-
möglichkeiten. Und andererseits bestimmte der »Markt«, der Zweck, dem
die Rosse dienen sollten, ein jeweils genau umrissenes Zuchtziel.

Ganz allgemein gesprochen, war das Zuchtziel jahrtausendelang das
tüchtige Streitroß, das Militärpferd. Denn von den großen Eroberungs-
zügen der Streitwagen- und Reitervölker bis zur Erfindung der modernen
Maschinenwaffen schenkte die Siegesgöttin dem ihre Gunst, der die meisten
und besten Pferde geschickt in die Schlacht zu führen verstand. Die Pferde-
zucht war dazumal die wichtigste Rüstungsindustrie, und das Wettzüchten
ist die ältere Form des Wettrüstens.

So unterwarf schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts v.Chr. derMeder-
fürst Hammurapi - vor seinen Wagen die Rosse des sagenhaften Pferde-
landes Nisäa, wo die Luzerne zu Hause war und die Pferde groß und kräftig
wuchsen - seine Nachbarn und gründete das großbabylonische Reich.
Vierhundert Jahre später, um 1300 v.Chr., als den Juden die Flucht aus
dem mächtigen, pferdereichen Ägypten nur gelungen war, weil ihre Ver-
folger mit Mann und Roß und Wagen im Roten Meer ertranken, befreiten
sich die Assyrer vom babylonischen Joch. Diesen ersten Erfolg verdankten
sie wahrscheinlich einer technischen Erfindung : Sie hatten Deichseln und
Radnaben ihrer Streitwagen mit Sensen und Sicheln bewehrt. Beherrscherin
des ganzen Nahen Ostens aber wurde ihre Hauptstadt Ninive, weil das poli-
tisch begabte Volk der Assyrer ein Reitervolk wurde. Die neue Kriegs-
technik des Reitens machte sie beweglicher als ihre Feinde und den Völkern,
die nur den Streitwagen kannten, überlegen.

Als auch das assyrische Reich zerfiel - nachdem die Satrapen des eben

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eroberten Ägyptens, auf das Rüstungspotential der ägyptischen Pferde
gestützt, sich unabhängig gemacht und in Medien Kyaxares mit einer Streit-
macht auf nisäischen Pferden sich aufgelehnt hatten -, trat das Reitervolk der
Perser unter Kyros II., dem Großen, um 550 v. Chr. das Erbe der Herrschaft
an. Auch dieses Reich zerschlug ein Reiterführer, der größte der Geschichte :
Alexander der Große, dessen Vater, Philipp II. von Mazedonien, schon seinen
Sieg über Griechenland einer wohlgerüsteten Reiterei zu danken gehabt
hatte.

Mit dem Schreckensruf »Hannibal ante portas« war wieder ein Reiter-
führer gemeint: Hannibal stand vor den Toren Roms. Sein Sieg über das
ruhmreiche römische Heer bei Cannae ist nicht nur seiner genialen Erfin-
dung der »schiefen Schlachtordnung« zuzuschreiben, sondern auch der
überlegenen Taktik seiner Kavallerie. Caesar war der Reorganisator, ja, wie
manche meinen, erst der eigentliche Schöpfer der römischen Reiterei. Cim-
bern und Teutonen, Vandalen und Hutmen, Goten, Langobarden und Mau-
ren, Magyaren, Mongolen und Türken siegten in der Schlacht, weil ihre
Pferde zahlreicher, ausdauernder und schneller, ihre Reiter gewandter und
sattelfester waren als die der seßhaften Kulturvölker.

Diese aber, selbst die Nachfahren reitender Eroberer, lernten sich zu
wehren. Vor allem die Franken hatten ihre reiterliche Tradition gewahrt.
Einer ihrer Fürsten, Childerich aus dem Haus der Merowinger, gilt als der
Erfinder des Hufbeschlags und Wiedererfinder des Steigbügels. Die römi-
schen Reiter waren noch mit Hilfe eines Doms an ihrer Lanze aufgesessen (die
sarmatischen Steigbügel des Altertums, die schon etwa in der Mitte des
2. Jahrtausends v. Chr. sich auszubreiten begonnen hatten, waren offenbar -
wie vieles alte Roßwissen - in Vergessenheit geraten) und hatten immer
wieder lange Marschpausen auf ihren Kriegszügen einlegen müssen, damit
die Hufe ihrer Pferde, die sich auf den harten Heerstraßen rasch abnutzten,
nachwachsen konnten. Hufeisen taten den fränkischen Pferden wie noch
heute den Kaltblütern besonders not, denn ihre Hufe waren und sind weicher
als die der Steppenpferde.

Childerichs Sohn, Chlodwig, einte die Franken unter seiner Herrschaft.
Zweieinhalb Jahrhunderte später aber usurpierte das pferdeverständige Ge-
schlecht der Karolinger die Macht der Merowinger. Karl Martell, der Groß-
vater Karls des Großen, nahm der Kirche Land und gab es als Lehen seinen

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Mannen mit der Aufgabe, auf diesem Boden Rosse zu züchten und ihm mit
ihren Hintersassen zu Pferde Kriegsdienst zu leisten; das war die Geburts-
stunde unseres Adels. Nur mit Hilfe dieses neuen Reiterstandes konnte
MarteU im Jahre 732 bei Tours und Poitiers den Siegeszug der Mauren auf-
halten.

Als zweihundert Jahre später Heinrich I. sich den ins Reich einfallenden
Magyarenreitern gegenüber unterlegen sah, schloß er einen Waffenstillstand
für neun Jahre, erweiterte rasch imd mit allen Mitteln die Kapazität seiner
Rüstungsindustrie, der Pferdezucht, und schuf ein Reiterheer, das unter der
Herrschaft seines Sohnes, Ottos L, mit überlegener Taktik 955 die gewaltige
Ubermacht der Magyaren auf dem Lechfelde besiegte.

Eben jene Magyaren verteidigten wieder fünfhundert Jahre später Un-
garn tapfer gegen das Reitervolk der Türken. Doch erst die moderne Kaval-
lerie des Prinzen Eugen von Savoyen vermochte die Muselmanen Ende des
17. Jahrhunderts endgültig zu vertreiben.

Die Reiterei des Großen Kurfürsten besiegte die Schweden. Den ersten
Schlesischen Krieg entschied die österreichische, den zweiten die nach dieser
bitteren Erfahrung reorganisierte preußische Kavallerie. Auch im Sieben-
jährigen îCrieg bestimmten die Husaren des alten Zieten und SeydHtz'
Dragoner noch einmal die Schlachten. Dann aber kündeten die Zündnadel-
gewehre Napoleons und die dröhnenden Geschütze der Artillerie ein neues
Zeitalter an. Marschall Blücher und der Sieg bei Waterloo, Königgrätz,
Vionville und Mars-la-Tour sind gewiß noch glänzende Namen in der Ge-
schichte der kriegerischen Reiterei. Die Schlacht aber entschieden von nun
an Infanterie und Artillerie, Panzer- und Luftwaffe: die Technik, das Mate-
rial.

Hinter den Linien behauptete sich das Pferd als Zugtier vor Geschützen
und Wagen und als Retter in Situationen, in denen die Motoren versagten,
für eine Weile noch in einer wichtigen Helferrolle. Im ersten Weltkrieg
taten 1,5 Millionen Pferde Dienst, 900000 verloren ihr Leben. Auch im
zweiten Weltkrieg konnten die Heere nicht auf die »Lieferungen« der
Pferdezucht verzichten.

Das Hohelied von den Pferden des Materialkrieges ist oft genug gesungen
worden. Wer einem solch tapferen Pferd sein Leben verdankt, wer es hilflos
leiden und sterben sah, wird es nie vergessen können.

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Herzzerreißend und Schauder erregend waren auch die letzten Bilder
kriegerischer Reiterei, die eine Wochenschaukamera einfing, als polnische
Kavallerie am Anfang des letzten Krieges mit eingelegter Lanze auf schlan-
ken, edlen, gehorsamen Rossen kühn gegen feuerspeiende, heiser und trok-
ken bellende Münder von Panzerwagen heransprengte. Die Unmenschlich-
keit der modernen Kriegführung offenbart sich da am deutlichsten, wo die
stumme Kreatur in ihre Maschinerie gerät.

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Wotan mit seinem Roß»Sleipnir«.
Goldscheibe aus Pliezhausen in
Württemberg, um 700. Stuttgart,
Württemberg. Landesmuseum

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Karl der Große. Bronzestatuette, 9. Jahrhundert
(Pferd ergänzt im 16. Jahrhundert). Paris, Cluny-Museum

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Das Zuchtziel änderte sich

N'un ist das Soldatenpferd sich im Lauf der Geschichte nicht gleichge-
_ blieben. Das Zuchtziel änderte sich mit der Technik und der Taktik des
Krieges. Seit den Eroberungszügen im Altertum und bis auf den heutigen
Tag, also seit mehr als viertausend Jahren, ist das Blut der ursprünglichen
Pferderassen teils zufällig und planlos, teils mit bestimmter Absicht immer
wieder vermischt worden, viel bunter noch als das der Menschen in den
Metropolen der Reiche und an den von Kriegsleuten befahrenen Heer-
straßen.

Als Karl Martell bei Tours und Poitiers die Mauren schlug, zeigte sich,
daß die schweren Pferde der Franken (die, wie wir uns erinnern, hauptsäch-
lich den Rassen des Diluvialpferdes, des schweren westeuropäischen Wald-
pferdes entstammten) den leichten, wenn auch flinken orientalischen Rossen
der Muselmanen in der Schlacht überlegen waren. Denn die Rüstungen der
Reiter waren schwerer geworden, und die stämmigen kaltblütigen Pferde
standen fester, wenn die Haufen aufeinanderprallten. Andererseits konnten
die Franken ihren Sieg nicht nutzen, weil ihre ungefügen, massigen Streit-
rosse dem geschlagenen Feind nicht rasch genug zu folgen vermochten.
Karl Martell ließ deshalb die fränkische Zucht mit orientalischen Beute-
pferden veredeln. Auch die Araber kreuzten ihre leichten Pferde mit den ur-
sprünglichen, schweren Landschlägen Spaniens.

In den folgenden Jahrhunderten wurde der Krieg immer mehr Sache des
neuen Ritterstandes, der ja schon seinen Namen im Deutschen vom Reiten,
in den romanischen Sprachen als chevalier, cavaliere, caballero vom Pferd
hat. Die Rüstungen der Ritter und der Pferde - denn auch diese zwängte
man nun in Eisenpanzer - wurden immer gewichtiger, und so mußten auch
die Rosse, die dieses Gewicht in der Schlacht und beim Turnier zu tragen
hatten, stark und stämmig gezüchtet werden.

Gleichzeitig sollten die Ritterpferde aber wendig, schnell und tempera-
mentvoll sein. Da jenes schon von den Arabern gezüchtete neue spanische

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Roß, der »Andalusier«, Masse mit Adel und Nerv am glücklichsten ver-
einte, wurde es als das begehrteste Pferd des Mittelalters bis zur Zeit der
Renaissance und des Rokoko aus Spanien in alle Länder Europas exportiert
und dort weitergezüchtet. Die Masse der Ritterpferde blieb indes klein imd
stämmig, gedrungen und ungelenk, kaltblütig. Für Jagd und Reise benutz-
ten die Ritter auch leichtere Pferde, die mehr orientalisches Blut führten.
Die Damen ritten auf den eleganten und frommen »Zeltern«.

Das spanische Pferd mit barocken Linien, stark gebogenem Hals, Senk-
rücken, gespaltener Kruppe, Ramsnase und fast zerbrechlich anmutenden,
feinen Gliedmaßen haben die Maler des Mittelalters und der Renaissance
(Dürer allerdings oft in häßlichen Exemplaren), sowie später noch Rubens,
van Dyck und Wouwermans für uns abgeschildert. Von den heutigen
Rassen kommt ihm der Lipizzaner, ein direkter Nachkomme, am nächsten.
Als Modepferd löste den Andalusier der etwas leichtere und edlere Neapoli-
taner ab: Als Neapel zu Beginn des 16. Jahrhunderts spanisch wurde,
brachten die neuen Herren ihre Andalusier mit und kreuzten sie mit den
heimischen Pferden oder echten Orientalen.

Da die Pferdezucht Sache der Ritter war, geriet sie in eine Krise, als das
Rittertum verarmte und neue Gesellschaftsformen sich ankündigten. In-
zwischen hatten aber auch die Hintersassen der Herren wieder gelernt, mit
Pferden umzugehen. Und während Karl der Große, obgleich ein welt-
berühmter Pferdezüchter und gewandter Reiter, seine Inspektionsreisen noch
mit dem sicheren Ochsengespann unternommen hatte, weil die Fahrkunst
des Altertums schon lange in Vergessenheit geraten war, spannten die Bau-
ern nun die schweren Rosse ihrer verarmten Herren statt der Kühe und Och-
sen vor Pflug und Egge. Die Kaufleute, Herren einer neuen Zeit, züchteten
sie für ihre Wagenkolonnen und stellten sie in den Dienst des aufblühenden
Handels. Für den Krieg schien das Pferd nicht mehr brauchbar zu sein,
nachdem das Schießpulver das Kriegshandwerk revolutioniert hatte. Die
Ritter, die in ihren keineswegs kugelsicheren, häufig fest mit womöglich
vergoldeten Eisensätteln verschraubten Prunkrüstungen bis zu dreihundert
Kilo wogen, waren auf ihren schwerfälligen, massigen Rossen jeden Schuß
billigen Pulvers wert. Sie mußten sich von den Kriegsschauplätzen zurück-
ziehen.

Fast zweihundert Jahre lang beherrschte das Fußvolk der Landsknechte

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das Schlachtfeld. Dann aber war es der Pferdezucht und der Reitkunst gelun-
gen, sich der neuen Kriegstechnik wieder anzupassen. Die schweren Ritter-
gäule blieben den Bauern und Handelsherren. Mit Andalusiern, Neapolita-
nern, Orientalen und leichten Landpferden aber züchtete man ein wen-
diges, flinkes Pferd für die moderne Kavallerie, die gelernt hatte, im ge-
schlossenen Verband zu kämpfen und statt der Turnierlanzen leichte Säbel
und Pistolen zu handhaben. Italienische Reitlehrer, im 16. Jahrhundert an
jedem europäischen Hof zu finden, hatten inzwischen einem neuen Stil der
Reitkunst Geltung verschafft.

Im Dreißigjährigen Krieg zeigten die neuen Reiterregimenter - die
schweren Kürassiere, die zuerst noch fast wie Ritter geharnischt waren,
später aber nur Brustpanzer und Helm behielten, und die leichteren Drago-
ner, aufgesessene Infanterie mit einem »Dragon«, einem Drachen, in der
Standarte -, zeigte diese moderne Kavallerie, was sie konnte. Nachfahren
der Ritter, die inzwischen als Landsknechtsführer einen manchmal recht
zweifelhaften Raubritterruhm vermehrt hatten, traten als Offiziere in die
Kavallerieregimenter ein und wurden in die Zucht der stehenden Heere
genommen. Eine neue Ära kriegerischer Reiterei und reiterlicher Adels-
tradition zog herauf.

Woher aber die Pferde für die neuen Regimenter nehmen? Die Ritter-
gestüte waren verfallen. Von einer Landespferdezucht, wie wir sie heute
kennen, war noch keine Rede. Regellos wurde importiert und durcheinander-
gezüchtet. Noch Friedrichs des Großen Husarenpferde beispielsweise stamm-
ten aus der Walachei und aus Polen, aus der Ukraine und der Moldau,
einige auch aus Ostpreußen und der Mark. Sie waren boshaft und bockig,
schon in der Jugend verdorben und mit allen anatomischen und charakter-
lichen Mängeln behaftet. Friedrich selbst ritt einen Neapolitaner, den soge-
nannten Mollwitzer Schinunel. Sein Leibpferd Condé, ein Fliegenschimmel,
war in England geboren.

So begannen nun die Regierungen sich um die Pferdezucht zu kümmern,
die wieder eine Rüstungsindustrie geworden war. Im 18. und beginnenden
19. Jahrhundert entstanden in Europa, vor allem in Frankreich, den öster-
reichischen Erblanden, Rußland und Preußen, obrigkeitliche Gestüte, in
denen selbst manchmal Remonten (Pferderekruten) gezüchtet wurden, die
aber vor allem und später meist ausschließlich die Landespferdezucht mit

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geeigneten Hengsten versorgten und damit Ordnung in das Rassendurchein-
ander brachten.

Zuchtziel war zunächst das immer leichtere, wendige, edle Kavallerie-
pferd, das einen langen Galopp und Attacken in »voller Karriere« (dem
schärfsten Galopp) aushielt. Das englische Vollblut trat seine Herrschaft in
den Gestüten an. Seit Mars-la-Tour undVionville, endgültig, seitdem in den
Materialschlachten des ersten Weltkrieges die Reiterregimenter absitzen und
in die Gräben klettern mußten, wurden indes immer weniger leichte Pferde
gebraucht. Je mehr Bedeutung die Artillerie gewann, zu desto höheren
Ehren kamen wieder die schweren Gäule, wenn auch das Warmblutpferd
des neuen Typs sich im zweiten Weltkrieg vor dem Wagen und vor leichten
Geschützen in jedem Gelände ebensogut bewährte wie unter dem Reiter.

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Normannischer Reiterzug. Aus dem
gestickten Wollteppich von Bayeux,
Ende des ii. Jahrhunderts. Bayeux,
Kathedrale

Bischof segnet Stuten und Fohlen.
Miniatur aus einem Manuskript des
Johannes Skylitzes, 11. Jahrhundert.

Madrid, Nationalbibliothek

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Die Heiligen Konstantin und
Theodor zu Pferd. Zeichnung aus
dem Christusblatt des Kreises der
Herrad von Landsperg, um 1180.
Freiburg/Breisgau, Augustiner-
museum

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Pferde für heute

Das Militärpferd, die Remonte, bestimmte nicht mehr allein den Markt,
wenngleich die Obrigkeit bei
ihren Förderungsmaßnahmen immer zu-
erst an den Bedarf des Heeres dachte. Neben den althergebrachten zivilen
Roßdiensten der Nachrichtenübermittlung und des Reiseverkehrs waren die
neuen in Handel, Gewerbe und Landwirtschaft immer wichtiger geworden.
Vor den schweren Lasten des industriellen Güterverkehrs, den Pferdebah-
nen und Lastkähnen und auf besseren Straßen brauchte man ebenso den
Kaltblüter, ein zwar langsames, aber zugkräftiges Schrittpferd, wie in der
Landwirtschaft, wo bald tiefer gepflügt wurde und der Hackfruchtbau, vor
allem der Zuckerrübenbau, sich ausbreitete. So trat zu Beginn unseres Jahr-
hunderts das rheinische Kaltblut seinen Siegeszug an.

In einer schnellebigen Zeit war allerdings auch der Hausse in schweren
Pferden keine lange Dauer beschieden: Eisenbahn, Automobil und Maschi-
nenwaffen hatten zunächst die Tendenz zum schweren Pferd verstärkt, weil
sie das schnelle Wagen- und Kavalleriepferd arbeitslos machten. Bald -
endgültig nach dem zweiten Weltkrieg - übernahmen aber Lastwagen und
in der Landwirtschaft Traktoren gerade die Aufgaben der Schwerathleten
unter den Pferden.

Bis zum Ende des ersten Weltkrieges dauerte noch der Streit zwischen
den Forderungen der Armee, die das leichte, und denen des Gewerbes und
der Landwirtschaft, die das schwerere Pferd wollten. Die bäuerlichen Züch-
ter, die für ihre Landwirtschaft eigentlich den neuen Typ des schweren
Wirtschaftspferdes gebraucht hätten, mußten auf ihren Absatz an den Haupt-
kunden, das Heer, bedacht sein, dessen Remontekommissionen noch Jahr
für Jahr etwa 16000 edle Halbblüter kauften. Bei der Zucht dieses edlen
Pferdes half ihnen der Staat ; et ermunterte sie mit Prämien und patriotischem
Zuspruch. Dagegen ließen die Landgestüte, die sich naturgemäß den Wün-
schen der Militärgewaltigen fügen mußten, sie bei der Zucht der schweren
Pferdeschläge häufig im Stich.

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Noch ehe man sich hatte einigen können, schuf das Kriegsende erbar-
mungs- und übergangslos neue Tatsachen. 900000 Pferde waren auf den
Schlachtfeldern geblieben. Die Armee brauchte keine Pferde mehr. In lan-
gen Güterzügen rollten ganze Herden edler Pferde als Reparationsgut in die
Siegerländer. Inflation und Landwirtschaftskrise taten ein übriges. Die
deutsche Warmblutzucht schien dem Ende nahe, denn für die Arbeiten in
der Landwirtschaft waren ihre »Produkte« meist zu leicht und zu tempera-
mentvoll geworden.

»Rettet das Pferd !« lautete der bestürzte und bestürzende Ruf der Züchter.
Die ersten Nachrufe auf das scheinbar vergangene »Zeitalter des Pferdes«
erschienen. Doch was unmöglich schien, geschah : die Rettung der Warm-
blutzucht gelang in einem bravourösen Bemühen. Rigoros, aber mit Kunst
und Bedacht wurde sie »umgestellt«. Zuchtziel war nun das vielseitige, für
alle landwirtschaftlichen Arbeiten geeignete Bauernpferd. Das Warmblut-
pferd mußte also stärker, »kaUbriger«, rumpfiger, tiefer gestellt werden,
»über viel Boden stehen«. (Diese Fachausdrücke, die nicht von Sprachkünst-
lern erfunden wurden, werden noch verständlich werden.) Auch als diese
»verstärkten« Pferde im zweiten Weltkrieg noch einmal »Soldaten« werden
mußten, zeigte sich, daß sie den Anforderungen dieses Krieges besser ge-
wachsen waren als ihre Vorfahren.

Nach dem zweiten Weltkrieg brauchten die Züchter das nach dem ersten
begonnene Werk nur fortzusetzen. Von Reparationslieferungen blieben
sie diesmal verschont. Die Landespferdezucht war intakt, der Bedarf im
Zeichen des Treibstoff- und Maschinenmangels zunächst noch groß. Für die
Pferdezüchter im Westen Deutschlands war die Basis also gesund. Das soll-
ten bald auch neue, glänzende Erfolge im Pferdesport beweisen. Doch das
Heiligtum der Pferde, Trakehnen, und die anderen großen Zuchtgebiete im
deutschen Osten waren verloren; Grund genug zu bitterer Trauer für die
Pferdefreunde in aller Welt.

Im Atomzeitalter scheint die Kriegsmaschinerie nun ganz und gar auf das
Pferd verzichten zu wollen, wenn auch beispielsweise auf den verschlamm-
ten koreanischen Kriegsschauplätzen brave asiatische Pferdchen der »stolzen
Technik« immer wieder aushelfen mußten. Auf den Saumpfaden an Flüssen
und Kanälen wächst Unkraut; schon lange fahren die Kähne mit eigener
Kraft. Grubenpferde werden immer seltener. Die letzten, schon lange

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vereinsamten Stadtpferde werden als »Verkehrshindernisse« aus den
überfüllten Straßen der Innenstädte verbannt, wenngleich dies der wirt-
schaftlichen Vernunft zuwiderläuft. Denn für den Spediteur und Bierver-
leger ist das Pferdegespann im Nahverkehr noch immer billiger als der Last-
wagen, der bei fortwährendem Halten und Wiederanfahren zuviel Treib-
stoflF verbraucht und rasch verschleißt.

Nur die Landwirtschaft kann auf das Pferd als Helfet nicht verzichten.
Wie lange noch? Bei dieser Frage tut man gut, sich vor Illusionen zu hüten.
Eine vor Enttäuschungen sichere, aber zukunftswillige Skepsis dient der Er-
haltung der Pferdezucht besser als pathetischer Zweckoptimismus. »Keine
Arbeit in der Landwirtschaft, die bisher von Pferden verrichtet wird - ein-
geschlossen die Düngerproduktion -, könnten nicht eines Tages auch tech-
nische Hilfsmittel leisten. Wenn die Industrie noch nicht alle technischen
Möglichkeiten ausschöpft und entwickelt, so liegt das an einer vorläufig un-
günstigen Rentabilitätsrechnung.« Achtundneunzig Prozent aller Pferde in
der Bundesrepublik tun aber heute auf dem Acker Dienst, und eine wirkliche
Zucht ist nur auf diesem breiten Fundament möglich.

Vorerst allerdings fordert der Rechenstift noch das Pferd. Für viele kleine
Betriebe mit kleinflächigem Acker ist das Roßgespann billiger als der Trak-
tor. Auch größere Betriebe verrichten viele Dienste rentabler mit Pferden.
Auf unebenen Feldlagen und in empfindlichen Kulturen sind die ungefügen
Trecker häufig unbrauchbar. Als im regennassen Herbst des Jahres 1954 die
Rüben auf die Ernte warteten, suchte mancher vollmechanisierte Betrieb
händeringend ein paar Pferde, um die schweren Erntewagen aus den glit-
schigen Lehmfeldern herauszuholen - und die Trecker dazu. Aber: Das
Pferd verlangt Futter und Pflege, auch wenn es nicht arbeitet. Es richtet
sich nicht nach dem Achtstundentag. Mancher Bauernsohn, der in seinen
bequemen Traktor vernarrt ist, weiß mit Pferden schon nicht mehr recht
umzugehen. Früher bildete ja das Militär jährlich Tausende junger Menschen
in der Pferdepflege aus. Der Mangel an Pferdeverstand hat sogar Einfluß
auf die Zucht gehabt und zur Verbreitung des geduldigeren, ruhigeren,
■willigeren und weniger pflegebedürftigen Kaltblüters beigetragen. Motoren
setzen sich zwar gegen schlechte Pflege noch bockiger zur Wehr als die
geduldige Kreatur, aber Pferde können krank werden, und es lassen sich
init ihnen zur Zeit des größten Arbeitsanfalls - und die Landwirtschaft

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bleibt nun einmal ein Stoßgeschäft - nicht so beliebig viele Überschichten
machen wie mit dem Trecker. Ein Pferd braucht eine Nährfläche, die für
rund sieben Menschen oder zwei Milchkühe ausreichen würde. Gewiß
»ergänzt das Pferd sich selbst« und »produziert« darüber hinaus noch Fohlen
zum Verkauf. Indes lohnen sich Zucht und Fohlenaufzucht heute nur noch
in Landstrichen, wo billiges Futter wächst. Das Argument, daß Pferde
kein »Bargeld fressen«, spielt bei der veränderten wirtschaftlichen Ein-
stellung der Bauern heute keine so große Rolle mehr wie früher. Das Pferd
kann mit dem Traktor nicht konkurrieren, aber es muß ihn noch ergänzen.

Etwa fünfundsiebzig Millionen Pferde grasen noch auf den Weiden der
Welt, achtzehn Millionen in Südamerika, sechzehn in Europa, dreizehn in
Nordamerika, zehn in Asien, vierzehn in der Sowjetunion. Das sind rund
fünfzehn Prozent weniger als 1938. In der Bundesrepublik wurden nach dem
Krieg, als es weder neue Schlepper noch Treibstoff dazu gab, sogar mehr
Pferde gezogen als 1938 (1541000). Viele Bauern flohen zudem mit ihrer
Reichsmark in den »Sach«wert Pferd. Nach der Geldneuordnung war des-
halb das Angebot so hoch wie nie zuvor. Dann begann, 1949 bis 1950, die
Mechanisierung der Landwirtschaft nach der Kriegspause und bei unver-
hofft guter Finanzlage gleich mit Riesenschritten. In den fünf Jahren vom
I.Januar 1949 bis zum I.Januar 1954 nahm die Zahl der Traktoren von
75000 auf 300000 zu. Der Bestand von 1570400 Pferden des Jahres 1950
aber hatte sich im Dezember 1954 zwar nicht entsprechend, aber doch um
fast ein Viertel vermindert; man zählte nur noch 1171700, davon über die
Hälfte Kaltblüter. Die Stutenbedeckungen gingen von 362028 im Jahre
1948 auf 70680 im Jahre 1953 zurück. In diesem Jahr wurde nicht einmal
die Hälfte auch nur aller »eingetragenen«, also der von den Zuchtverbänden
für die Zucht als höchstwertig anerkannten Stuten dem^Hengst zugeführt.
1954 hatte die Kurve zwar den Tiefstpunkt offenbar überwunden, aber
der »Hauptverband für Zucht und Prüfung deutscher Pferde«, der Dach-
verband aller Zuchtverbände, konnte doch nur rund zweitausend Pferde-
hochzeiten mehr melden. Die Pferdebevölkerungspyramide steht auf einer
schmalen Spitze, und nur mit Mühe gelingt es, sie wieder einigermaßen aus-
zubalancieren.

Das wird wahrscheinlich, selbst von weiteren technischen Überraschun-
gen einmal abgesehen, noch ein Weilchen so weitergehen, zunächst bis etwa

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jenes Maß an Motorisierung erreicht ist, das die durchrationalisierten Agrar-
wirtschaften haben wollen. In England sank die Zahl der Pferde seit der
Vorkriegszeit bis 1951 von 1107000 auf 549000, in den Vereinigten Staaten
von 11570000 auf 4763000 und in Kanada von 2864000 auf 1683000. Die
Experten errechneten 1955 für die deutsche Landwirtschaft einen Mindest-
bedarf von 930000 Arbeitspferden, der - auf längere Sicht gerechnet -
wahrscheinlich ein Höchstbedarf werden würde. Trotz dem Bestand von
nahezu 1,2 Millionen Pferden reichen die Stutenbedeckungen der letzten
Jahre nicht aus, diesen Mindestbedarf zu sichern. Auch deshalb spricht man
schon wieder von einer »Krise der Pferdezucht«. Soll ein Pferdebestand sich
normal ergänzen, der Altersaufbau in Ordnung bleiben, so muß jährlich etwa
ein Sechstel der Arbeitspferde als Zuchtstuten zum Hengst gebracht werden.

Die Landwirtschaft braucht heute ein praktisches und wirtschaftliches,
also vor allem futterdankbares, gesundes und anspruchsloses Arbeitspferd.
Für die superschweren Kaltblüter hat sie keine Verwendung mehr. Bei den
Pferdeschauen werden deshalb neuerdings häufig die kleinsten Zuchtstuten
und -hengste der Kahblutrassen prämiiert; das landständige, verstärkte
deutsche Warmblut findet neue Freunde; und auch die Zucht von Klein-
pferden und Ponies wird in Deutschland seit neuestem planmäßig und mit
Erfolg betrieben.

Vom kleinen Streitroß der Eroberervölker zum massigen Turnierpferd
der Ritter, dann wieder zum wendigen, edlen Kavalleriepferd einerseits und
mächtigen Karrengaul andererseits, schließlich zum mittelschweren Wirt-
schaftspferd: das also war die Entwicklungslinie in der Zuchtgeschichte
unserer Pferde. Natürlich ist dieser rote Faden nur sichtbar in der groben
Verallgemeinerung und Zusammenschau. Im einzelnen differenzierten und
spezialisierten sich die verschiedensten Zuchtrichtungen, wenn auch je nach
den technischen Gegebenheiten bald die eine, bald die andere an Boden ge-
wann und verändernd auf die übrigen wirkte. Die Rassen und Arten wandel-
ten sich unter der formenden Hand des Menschen und unter dem Einfluß
von Klima und Scholle.

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Der Fachmann nennt es »Blut«

Wie jede Fachsptache und erst recht jede altehrwürdige Zunftsprache
steckt auch die der Pferdeleute für den Laien voller Geheimnisse. In ihr
gibt es ganz besonders vertrackte, fast geheimbündlerisch anmutende For-
meln, und wer in den Geheimbund der Roßnarren aufgenommen werden
will, muß sie kennen.

Freilich macht es einige Mühe, einen Mathematiker zu verstehen, wenn
er von Determinanten, Logarithmen oder Integralen spricht. Doch er kann
seine Begriffe kurz und bündig definieren. Pferde aber sind lebende Wesen.
Auf ihre lebendige Wirklichkeit passen keine toten Begriffe. Nichts ist
exakt abzugrenzen, alles ein Mehr oder Weniger. Viele Formeln der Pferde-
sprache sind deshalb konventionelle Abkürzungen für umständliche Be-
schreibungen wandelbarer Erscheinungen. Sie führen nicht zu festen Vor-
stellungen, sondern setzen eine mannigfaltige Anschauung schon voraus.
Sie schlagen Saiten an; die Töne muß der Gesprächspartner selbst aus dem
Schatz seiner Erfahrungen hervorbringen können.

Wenn die Pferdeleute beispielsweise davon sprechen, ein Roß habe viel
oder wenig »Nerv«, dann meinen sie seine Härte, Zähigkeit und Willens-
kraft, seinen Ehrgeiz, sein Temperament. Sie meinen, daß viel oder wenig
»Draht darin steckt«. Oder: Was hat es mit der Formel vom »trockenen«
Pferd auf sich? Mit Feuchtigkeit und Nässe hat sie nichts zu tun. Das »trok-
kene« Pferd zeigt kein überflüssiges Fett. Seine Gelenke, Muskeln und Seh-
nen liegen klar und wie gemeißelt unter dem Fell. Fast glaubt man, die
Struktur des festen Gewebes zu erkennen; nichts ist schwammig und ver-
schwommen.

Es entsteht ein Bild vor unserem inneren Auge, wenn es heißt, ein Pferd
habe viel »Nerv«, viel »Draht«, viel »Feuer«, es sei »trocken« und »edel«.
Ja selbst jene vagen Formeln vom »Adel«, von der »Masse« (des Pferdes),
die den »Adel« (des Pferdes) bedrohe, von »Masse mit Adel« oder »Adel
trotz Masse« sind verständlich, wenn man nur genau hinschaut und sie in

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sich klingen läßt und ihnen nachhorcht, statt mit der phantasielosen Pedan-
terie unseres rechnenden Säkulums genau umrissene, mathematisch ein-
deutige Begriffe zu verlangen.

Schon in den vorigen Kapiteln haben wir uns einiger Fachausdrücke der
Pferdesprache bedienen müssen, für die wir noch eine Erklärung schuldig
sind. Da war zunächst von »Warmblut« und »Kaltblut« die Rede. Die Be-
zeichnungen haben mit der Flüssigkeit Blut und ihrer Temperatur über-
haupt nichts zu tun. Wenn Pferdeleute von »Blut« sprechen, dann haben sie
immer jene übertragene Bedeutung im Sinn, die diesem Wort auch in der
Redensart vom »blauen Blut« innewohnt. Die »Blutlinien« beispielsweise,
von denen die Züchter fortwährend reden, sind Erblinien. Und zwar bei
uns gewöhnlich die Erblinien der Hengste, während die Araber meist nur
die Erblinien der Stuten kennen vmd beachten - vielleicht in einem mutter-
rechtlichen Atavismus, vielleicht aber mit gesunder Skepsis auch deshalb,
weil die Mütter der Fohlen immer zuverlässig bekannt, ihre Wüstenliebschaf-
ten aber manchmal geheinmisvoll oder vorgetäuscht sein können. Die Ein-
teilung ganzer Zuchtgebiete in Hengstfamilien hat freiUch den Vorteil, daß
sie übersichtlicher bleibt. Es gibt ja viel weniger Hengst- als Stutenfamilien,
weil die Menschen im Pferdereich die Vielweiberei einführten und die Kunst
des Verschneidens nur wenigen Hengsten ihr Mannestum läßt. Anderer-
seits ist für den einzelnen Züchter die Einteilung in Stutenfamilien häufig
deshalb praktischer, weil dabei diese viel kleineren Familien überschau-
barer bleiben. Die englische und neuerdings auch die deutsche Vollblut-
zucht halten sich deshalb häufig an das matriarchalische Prinzip, das vom
Bodenständigen und Stabileren ausgeht. Das Bleibende einer Zucht, die
Grundlage, sind ihre sorgfältig auf- und ausgebauten, konsolidierten Stuten-
stämme. Die Hengste sind das freiere Kombinationselement. Sein Erbe
übernimmt ein Fohlen natürlich von beiden Elternteilen, wenngleich die
Zuchthengste auch danach ausgesucht werden, ob sie »kräftig vererben«,
ob sie also fähig sind, ihrer Nachkommenschaft deutlich ihren Stempel auf-
zudrücken.

Wer unter Roßnarren mitreden will, muß die wichtigsten Hengstlinien
der bedeutenderen Zuchten im Kopfe behalten und wissen, welche Blut-
linien die berühmten Renn- und Turnierpferde im Stammbaum führen. Von
den größten Heroen der Pferdewelt, mindestens den Derbysiegern, muß der

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Zünftige sogar die ganze Stammtafel, den gesamten »Pedigree« der Helden,
über mehrere Generationen auswendig hersagen können. Pferdeleute haben
deshalb in der Regel einen ausgeprägten Sinn für Familiengeschichte und
Genealogie, und sie neigen häufig dazu, auch beim Menschen den Stamm-
baum für allein wichtig zu halten, Umwelteinflüsse aber über Gebühr zu
mißachten.

»Blut« ist also in der Pferdesprache die mythische Umschreibung von
»Erbmasse«. Warm-und Kaltblut sind Bezeichnungen für eine jeweils ganz
bestimmte Erbmasse, für zwei Rassenkreise; wenn man so will, sogar für
die beiden Rassenkreise. Denn die Kaltblüter sind im wesentlichen Nach-
kommen des westeuropäischen Diluvialpferdes, die Warmblüter Urenkel des
Tarpans und des Przewalskipferdes. In diese beiden Gruppen lassen sich die
etwa hundert Pferderassen der Welt aufteilen.

Nun nennen viele ältere Pferdeleute das Warmblut (der Name gilt erst seit
1923 offiziell) auch »Halbblut«. Sie nämlich teilen die Pferderassen in drei
Gruppen auf: Vollblut, Halbblut und Kaltblut.

Vollblüter - eine spezielle Kunstrasse, von der wir noch erzählen werden
- sind zwar ebenfalls Nachkommen des Tarpans, aber sie sind die edelsten
und tüchtigsten Vertreter ihrer Art, das höchstgezüchtete Geschlecht, die
Aristokraten der Pferdewelt. Eben deshalb nennt man sie »Vollblut«, was
nicht heißen soll, daß ihre Adern voller mit Blutflüssigkeit gefüllt wären,
sondern daß sie das vornehmste »Blut« im züchterischen Sinne führen. Der
Ausdruck »Vollblut« ist eine willkürliche Übersetzung des treffenderen
englischen Wortes »thoroughbred«, das soviel wie »überaus sorgfältig ge-
züchtet« oder »durch und durch gezüchtet« bedeutet.

Halbblüter mit großem Vollblutanteil »stehen hoch im Blut«, sagt der
Fachmann, und zwar je mehr Ahnen aus der vornehmen Familie der Voll-
blüter in ihrem Pedigree verzeichnet sind, desto höher. Pferde, die hoch im
Blut stehen, nennt man kurz und bündig auch »Blutpferde«. In den Adern
der Halbblüter rinnt also nicht halb soviel, sondern nur halb so vornehmes
Blut wie in den Adern der Vollblüter.

»Halbblut« ist demnach eigentlich ein Name nur für die sogenannten
»konsolidierten Kreuzungen« zwischen Vollblut und Warmblut, also für
jene inzwischen eigenständigen Pferdeschläge, die aus solchen Kreuzungen
hervorgegangen sind. Es gibt in Osteuropa auch Nachfahren des Tarpans,

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Der Hohe Reiter vom Grabmal des Barnabö Visconti,
um 1575. Mailand, Archäologisches Museum

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Turnierkämpfe. Die Ritter in voller Rüstung reiten auf ungepanzerten Pferden.
Federzeichnung aus der Bilderhandschrift »Der welsche Gast« von Thomasin von Zerklaere,
Anfang des 15. Jahrhunderts. München, Bayerische Staatsbibliothek

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die nicht mit Vollblütern gekreuzt wurden, die also Warmblüter sind, ohne
eigentlich Halbblüter zu sein. Manche Fachleute meinen auch, das Halb-
oder Warmblut stehe zwischen dem Vollblut und dem Kaltblut. Daran
stimmt sicher, daß die europäischen Warmblüter, wahrscheinlich sogar die
afrikanischen Berber aus alter, aber häufig auch aus jüngerer Zeit kaltblütige
Ahnen in ihrem Stammbaum führen.

Man spricht in einem engeren Sinne von englischem Halbblut, wenn
englisches, und von arabischem Halbblut, wenn arabisches Vollblut mit
Warmblut gekreuzt wurde. Anglo-arabisch heißt das Voll- oder Halbblut,
wenn sein Pedigree mindestens fünfundzwanzig Prozent arabischen »Blut-
anteil« ausweist. Statt einer Fürstenkrone führt das englische Vollblut ein »xx«
und das arabische ein »ox« hinter seinem Namen, statt einer einfachen Adels-
krone das arabische Halbblut ein »o« und das englische ein »x«. Finden wir
hinter dem Namen eines Pferdes die Hieroglyphen »xxoo«, so haben wir ein
anglo-arabisches Vollblut vor uns.

Außer nach dem »Blutanteil« (noch einmal: Vollblut, Warmblut, Kalt-
blut; auch Halbblut und Mischblut) werden die Pferderassen auch nach
»Masse« und Gewicht in »schwere«, »mittelschwere« und »leichte« einge-
teilt. Die einzelnen Typen dieser Rassenkreise werden meist nach ihrer
Zuchtlandschaft benannt.

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Die rheinischen Schwerathleten

Wie unterscheiden sich nun die Kaltblüter von den Warm- (und Voll-)
blütern, die Urenkel des Diluvialpferdes von den Bluterben desTarpans?
Als Prototypen mag man sich für den Kaltblüter eines der schweren belgi-
schen Pferde, wie sie vor Brauereiwagen zu sehen sind, und für den Voll-
blüter, den »wärmsten« Warmblüter, ein Rennpferd vorstellen. Dann sprin-
gen die Unterschiede im »Exterieur« sofort ins Auge :

Die Knochen des Kaltblüters sind viel stärker, er ist »tiefer gestellt« (das
heißt: seine Beine sind im Verhältnis zum massigen, breiten Körper kürzer),
seine Formen, auch der Kopf, sind klobiger und gedrungener, die Augen
kleiner. Am dicken Hals waUt eine fast immer nach beiden Seiten frisierte
dichte, recht derbe Mähne, und an den Fesseln zeigen sich ebenfalls Haar-
büschel, der »Kötenbehang«. Seine Kruppe (der hinterste Teil des Rückens)
ist »gespalten«, also nicht so rund wie beim Warmblüter, weil auf beiden
Seiten des Rückgrats mächtige Muskelpakete hervortreten.

Der Kaltblüter wird früher reif als der Warmblüter, meist schon im Alter
von zwei bis drei Jahren, nicht erst als Drei- bis Fünfjähriger. Er ist ein
Schrittpferd, während Warmblüter Galopppferde sind; Trab und Galopp
liegen dem Kaltblüter nicht, er wird schnell müde dabei. Gelassen und ruhig,
leicht zu behandeln, geduldig und gleichmäßig in der Arbeit, zieht er auf
dem Acker unbeirrbar Furche um Furche, ignoriert er in der Großstadt den
lärmenden, hastigen Verkehr. Diesen Charaktereigenschaften verdankt er
seinen Namen. Seine Bluttemperatur wird in der Regel eher etwas höher
sein als die des Warmblüters : Wie die Gevatter des FalstafF unter den Men-
schen, hat auch dieser Schwergewichtler einen höheren Umsatz als seine
schlankeren Kollegen. Und ebenso wie die Falstaffs ist auch er, wie vor
allem die Erfahrungen der beiden Weltkriege bewiesen haben, in der Regel
weniger hart, gesund und widerstandsfähig. Vor allem der besonders schwere
Kaltblüter läßt in der Leistung sofort nach, wenn er einmal nicht so gut
»im Futter ist«.

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Auf den saftigen Weiden der Niederlande und des Rheinlands, in der
Eifel und auf dem Hunsrück wurden schon in alten Zeiten schwere Pferde
gezogen. Römische Feldherren berichteten ihrem Senat darüber; Karls des
Großen Mustergestüte verdankten diesen Kaltblütern ihren Ruhm. Im Mit-
telalter ließen die Ritter ihre Turnierrosse aus dem Gelderland kommen; und
bald kauften dort auch die Agenten der Handelsherren die kräftigen Pferde
für ihre Wagenkolonnen und gründeten eigene Gestüte. Der Verfall des
Ritterstandes und vor allem der Dreißigjährige Krieg mit seinen argen Ver-
wüstungen und Plündereien zerstörten dann viele der blühenden Zuchten.
Damit nicht genug, ließ auch in den folgenden anderthalb Jahrhunderten
die Politik die Bauern nicht zur Ruhe kommen. Bis schließlich das bunt-
gewürfelte Heer der Heiligen Allianz Pferde requirierend nach Waterloo mar-
schierte, spannten immer wieder Heerhaufen aus vielen Ländern den Bau-
ern die besten Rosse aus dem Pflug. Ein Glück noch, wenn sie Schindmähren
dafür stehenließen. So war es um die rheinische Pferdezucht zu Beginn des
19. Jahrhunderts schlimm bestellt.

Als der Wiener Frieden endlich Ordnung geschaffen hatte, riefen die rhei-
nischen Bauern den preußischen König um Hilfe an, der seinen Besitz auf
dem linken Rheinufer bei diesem Friedensschluß so trefflich hatte vermeh-
ren können. Der königliche Rat konnte sich auf die Dauer den Bitten der
neuen Untertanen nicht verschließen: 1839 wurde in Wickrath bei Greven-
broich ein Landgestüt gegründet.

Die preußische Gestütsverwaltung hatte dabei jedoch, wie sich bald her-
ausstellte, weniger an die Bauern und ihre Landwirtschaft gedacht als an die
Sorgen der Kavallerie. Und sie glaubte wohl, was in Ostpreußen möglich
gewesen sei, müsse auch der Rheinprovinz gut tun. Also schickte sie Hengste
aus Trakehnen nach Wickrath, die mit den degenerierten rheinischen Land-
pferden allerlei merkwürdiges Mischblut zur Welt brachten. Als die Trakeh-
ner Hengste nicht einschlugen, versuchte man es nüt schweren Warmblü-
tern, mit Normännern, Oldenburgern und Mecklenburgern.

Die Bauern, denen preußische Importe ohnehin nicht angenehm waren,
rissen sich um die wenigen in Wickrath aufgestellten Kaltbluthengste,
die aus dem benachbarten Belgien und aus England eingeführt worden
waren. Der Ruf nach einem schweren Schritt- und Zugpferd, wie man es
vor allem in der Lütticher Gegend zog, erschallte immer unüberhörbarer,

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als auf den fetten Böden des Rheinlands der Rübenbau und damit die Tief-
kultur sich ausbreiteten und die rheinischen Industrien von der Jahrhundert-
mitte an sich mächtig entwickelten. Noch 1875 standen aber im Wickrather
Landgestüt nur neun Kaltbluthengste, dagegen siebenunddreißig Warm-
blüter. 1876 hatte dann die Regierung endlich ein Einsehen und erkannte
für die Rheinprovin2 als offizielles Zuchtziel das kaltblütige Arbeitspferd an.

Die belgischen Kaltblutzüchter erlebten nun fette Jahre; das Rheinland
importierte aus dem Nachbarland viele wertvolle Hengste und Zuchtstuten
und entwickelte auf dieser Grundlage in den folgenden Jahrzehnten das
belgisch-deutsche Kaltblutpferd, das seit 1917 als Brand ein »R« mit einer
Krone darüber auf der Hinterbacke trägt. Der rheinische Züchterverband
zählt heute über elftausend Mitglieder mit etwa neunzehntausend im Pferde-
stammbuch eingetragenen Stuten und rund sechshundert Hengsten.

Diese Zucht ist auch ein Beispiel dafür, welch entscheidenden Einfluß
bevorzugte und kräftig vererbende Hengste haben können. Fast zwei Drit-
tel der im Rheinland gezogenen Kaltblüter stammen nämlich von dem erst
1916 im Hennegau (einer ihrer Kaltblutpferde wegen berühmten Landschaft
an der belgisch-französischen Grenze um die obere Scheide und Sambre)
geborenen Hengst Albion d'Or ab. Seine Linie beherrscht außerdem die
meisten Zuchten des rheinisch-deutschen Kaltbluts in den anderen deut-
schen Landschaften, oft noch ausschließlicher als im Rheinland. In Belgien
selbst gehören drei Viertel aller Zuchtpferde zu seiner Familie. Neben der
Albion-d'Or-Linie muß man sich nur noch die Familie des Brabanter Heng-
stes Lothar III merken, der ein knappes Drittel der rheinischen Kaltblüter
angehört. Der Rest verteilt sich auf mehrere andere Stämme.

Der Ruhm der Hengste ist ihre Nachkommenschaft, der Traum der Züch-
ter ein Hengst wie Albion d'Or. Vor vierzig Jahren erst kam er mit stak-
sigen Beinen im Stall eines belgischen Bauern zur Welt. Wo sind die vor-
nehmen Hengstfamilien geblieben, die damals ihrer Macht sicher waren?
Aber wie bald werden neue Hengstlinien auch den Namen Albion d'Ors
wieder vergessen machen? Pedigrees sind eine spannende Lektüre. Sie be-
flügeln die Phantasie und wecken den Sinn für die Poesie der Geschichte. Es
gibt mehr Menschen auf der Welt, die sich in den Pedigrees berühmter
Pferdefamilien auskennen, als Historiker und Monarchisten, die die Stamm-
tafeln der menschlichen Herrscherhäuser im Kopf haben.

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Lorcnzo Mcdici als jüngster König auf rcichgczäumtem Pferd.
Das Bein ist wegen der langen Paradesporen durchgedrückt und vorgestreckt.
Aus dem Fresko »Die Anbetung der Könige« von Benozzo Gozzoli, 1459-1463.

Florenz, Kapelle des Palazzo Medici

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Landmann beim Eggen des Feldes. Frühe Darstellung von Pferden in der Landwirtschaft.
Oktoberbild aus dem Breviarium Grimani, Ende des 15. Jahrhunderts.
Venedig, Marliusbibliothek

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Die Erfolge der rheinischen Bauern machten bald Schule. Zuerst wurden
die Züchter in Westfalen und Sachsen aufmerksam, wo die Boden- und Wirt-
schaftsverhältnisse denen des Rheinlands ähnlich sahen. Auch in Sachsen
waren Versuche, Remonten zu ziehen, gründlich fehlgeschlagen. Darauf
hatte man dort seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunächst versucht, mit
französischen und englischen Kaltbluthengsten weiterzuzüchten. Erst nach
1905 ging man endgültig zur Zucht mit belgischen und später rheinisch-
deutschen Hengsten über. Ganz so schwer wie im Rheinland sind die säch-
sischen Pferde allerdings nie geworden. In Westfalen wurden bis zur Mitte
des 19. Jahrhunderts nur Warmblüter gezüchtet. Aber dann verlangten die
Lieferanten der Ruhrindustrie und die Bauern, vor allem die auf den besse-
ren Böden im Süden des Landes, auch hier schwere Arbeitspferde. Nach
wenigen englischen Kaltblütern wurden 1881 die ersten belgischen Pferde
importiert. Westfalen und Sachsen zählen heute schon wie das Rheinland
zu den »älteren Zuchtgebieten« der rheinisch-belgischen Pferde. Um die
Jahrhundertwende begann dann der berühmte »Siegeszug« dieses Typs. Es
entstanden die »jüngeren Zuchtgebiete« in Schlesien und Thüringen, im
ostpreußischen Ermland und im Norden Westpreußens. In Pommern, Bran-
denburg und in weiten Gebieten Niedersachsens, in Hessen, Baden, der
Pfalz und in Südholstein zogen die Erben von Albion d'Or und Lothar III
ein und gründeten zahlreiche Familien.

Zuerst konnten die rheinischen Kaltblüter den Bauern und Fuhrleuten
gar nicht groß und schwer genug sein. Seit aber der Motor im Güterverkehr
und auf dem Acker eine ernste Konkurrenz geworden ist, kommt es ihnen
darauf an, einen gesunden und fruchtbaren Kaltblüter zu züchten, der bei
möglichst anspruchslosem Futter den Traktor ergänzt. Deshalb soll er heute
möglichst »trocken«, »hart«, »leichtfuttrig« und »gängig« sein, »mittel-
schwer«, »rumpfig« und »gedrungen«; er soll »in einem mittleren Rahmen
stehen«.

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Es gibt eine Zunftsprache

Hier müssen wir wieder wenigstens einige dieser Ausdrücke erklären, die
in allen Zuchtzielerklärungen der Züchterverbände zu finden sind. Was
»trocken« - und im Gegensatz dazu »schwammig«, »unklar« und »ver-
schwommen« - bedeutet, haben wir uns schon klargemacht. Wir wissen
schon, daß die Trockenheit - ebenso wie »Nerv« und »Temperament« -
mit dem »Adel« zu tun hat, der nach anderer Deutung eine alte, fleckenlose
Abstammung von Klassepferden voraussetzt.

Adlige, nervige, trockene, temperamentvolle Pferde sind immer auch
»ausdrucksvoll«. Allerdings verlangt der Züchter vom Hengst einen ande-
ren Ausdruck als von der Stute. Er soll ausgeprägt »männlich«, die Stute
hingegen mütterlich aussehen. Der Kopf des Hengstes ist etwas schwerer
und gedrungener als der der Stute, deren Gesichtsausdruck vor allem
um die Augenpartie weich und weiblich wirkt. Auch hat die Stute einen
schlankeren, längeren und weniger muskulösen Hals. Ihr Mittelstück
(zwischen Rumpf und Becken) ist lang, Hinterhand und Becken sind stärker
und breiter gebaut als die Vorderhand. Der Hengst hingegen hat wie der
menschliche Adonis wenig Hüften und ist auf der Vorderhand, in Brust und
Rumpf stärker als auf der Hinterhand. Sein Mittelstück muß besonders gut
»geschlossen« seia. Hengste, die nicht »hengstig« aussehen, die »wenig
Ausdruck haben«, sind nicht viel wert. Man könnte sie mit Wallachen ver-
wechseln, in die sie bald verwandelt werden, wenn sie zur Zucht nicht tau-
gen, und die - je früher sie verschnitten werden, um so mehr - »im Typ
zwischen Hengst und Stute stehen«.

»Hart«, »gesund«, »leistungsfähig«, »ausdauernd«, auch diese Termini
sprechen für sich selbst. Nur kann man Härte und Ausdauer einem Pferd so
wenig wie einem Menschen ohne weiteres ansehen.

Über Leistungsfähigkeit und Ausdauer geben zuverlässig nur die mannig-
fachen Leistungsprüfungen Auskunft, die von den Zuchtverbänden und
staatlichen Prüfungsbehörden ausgedacht wurden. Die bekanntesten und

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ältesten Leistungsprüfungen sind die Vollblutrennen, von denen noch die
Rede sein wird, und - etwa seit dem ersten Weltkrieg - die »Pferdeleistungs-
schauen«: die Reit- und Fahrturniere. Aber auch für Kaltblüter und Wirt-
schaftspferde werden seit rund dreißig Jahren allerlei offizielle Prüfungen
veranstaltet, wenngleich diese, wie alle »Materialprüfungen«, sich keiner so
großen Volkstümlichkeit erfreuen wie die spannenden Jagdspringen und
die Ereignisse des Turfs. Wer ein Zuchtpferd kaufen will, tut gut, sich nach
seinen Prüfungsergebnissen und nach denen seiner Vorfahren und Ver-
wandten zu erkundigen. Je länger und konsequenter die Tradition offizieller
Leistungsprüfungen für alle Zuchtpferde einer Pferderasse durchgehalten
wird, desto sicherer wird man die tüchtigen und gesunden Familien heraus-
finden und in der Zucht bevorzugen können.

Das durchschnittliche Lebensalter ist bei den einzelnen Pferderassen ver-
schieden hoch. Zwergpferde können mit dreißig bis vierzig Jahren rechnen;
viele werden noch beträchtlich älter. Unter den Pferden normaler Größe
würden die Vollblutaraber die kleinste Lebensversicherungsprämie zu zah-
len haben, denn ihre durchschnittliche Lebenserwartung ist mit fünfund-
zwanzig bis dreißig Jahren die größte. Sie sterben auch besonders häufig
eines natürlichen Todes, weil sie noch im hohen Alter frisch und rüstig sind.
Rheinische Kaltblüter hingegen enden im Durchschnitt im Alter von etwa
zehn bis fünfzehn Jahren beim Schlachter, weil ihre Leistung dann meist
nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zum Futteraufwand steht.
Gesundheit und Langlebigkeit gehören bei allen Lebewesen zu den Fami-
lieneigenschaften. Für seine Stuten wird der Züchter also einen Hengst
suchen, dessen Vorfahren möglichst alt geworden vmd lange leistungs-
fähig geblieben sind.

Fruchtbarkeit scheint sich besonders bei den Stuten zu vererben. Eine
gesunde Stute sollte eigentlich in jedem Jahr ein Fohlen zur Welt bringen.
Man muß aber schon zufrieden sein, wenn eine Stute nur die Hälfte ihrer
reifen Lebensjahre trächtig ist. Da beim Hauspferd die Natur ihr schöpfe-
risches Spiel nicht frei entfalten kann, ist auch der Züchter für manches Ver-
sagen verantwortlich. Züchterverbände zeichnen die Stuten aus, die in den
ersten vier Zuchtjahren vier oder in acht Zuchtjahren sieben oder aber ins-
gesamt zehn lebende Fohlen zur Welt gebracht haben. Die Kleinpferde, die
in jeder Beziehung das Wilderbe am treuesten bewahrt zu haben scheinen

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Exterieur

1

Nüstern

15

Widerrist

27

Köte

42 Unteratm

2

Nase

16

Rücken

28

Fessel

(Vorderröhre)

3

Gesicht

(Sattellage)

29

Kniescheibe

43 Vorderfußwurzel

4

Auge

17

Lende

30

Flanke

(Vorderknie)

5

Stirn

(Nierenpartie)

31

Rippen

44 Vorderarm

5a

Schopf

18

Hüfte

32

Bauch

45 Brust

6

Ohren

19

Kruppe (Kreuz)

33

Sporader (Herz)

46 Bugspitze

7

Genick

20

Schwanzrübe

34

Ellenbogen

47 Schulter

8

Maul u. Lippen

21

Hinterbacken

35

Kastanie

48 Kehle

9

Unterlippe

22

Unterschenkel

36

große Beugesehne

A Vorhand
(Vorderhand)

10

Kinnkettengrube

(Hosen)

37

Ballen

11

Kehlgang

23

Achillessehne

38

Huf

12

Ganasche

24

Sprunggelenk

39

Krone

B Mittelhand

13

Hals

25

Kastanie

40

Fessel

(Mittelstück)

14

Kamm u. Mähne

26

Schienbein

41

Köte

C Hinterhand

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Skelett

1 Kleinkiefcrbein

14

Brust- u. Rücken-

25

Griffelbein

36 Hufbein

2 Nasenbein

wirbel

26

Röhrenbein

37 Kronbein

3 Oberkieferbein

15

Lendenwirbel

(Hinterröhre)

38 Fesselbein

4 Jochleiste

16

Kreuzbein

27

Sesambein

39 Röhrenbein

5 Stirnbein

17

Schwanrwirbel

28

Fesselbein

(Vorderröhre)

6 Scheitelbein

18

Sitzbeinhöckec

29

Kronbein

40 Vorderfußwurzel

7 Kiefergelenk

19

Darmbein

30

Hufbein

(Vorderknie)

8 Hinterhauptbein

9 Schneidezähne

20

Dartnbeinhöcker

31

Kniegelenk

41 Vorarmbein

10 Backenzähne

21

Oberschenkelbein

32

Kniescheibe

42 Ellenbogengelenk

11 Unterkieferbein

22

Unterschenkelbein

33

Rippen

43 Armbein

12 Halswirbel

23

Sprungbeinhöcker

34

Ellenbogenhöcker

44 Brustbein

13 Schulterblatt

24

Sprunggelenk

35

Sesambein

45 Schultergelenk

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und die auch von der Natur und den Menschen am wenigsten verwöhnt wur-
den, sind am fruchtbarsten. Bei den Vollblütern rechnet man mit funfund-
siebzig Prozent Fruchtbarkeit, mit etwas mehr bei ostpreußischen, mit
etwas weniger bei hannoverschen Warmblütern.

Unter harten Bedingungen aufgezogene Pferde sind gesünder als ver-
wöhnte, und »bodenständige« weniger anfallig als importierte. »Bodenstän-
dig« nennt man ein Roß, das sich in mehreren Generationen den Lebens-
verhältnissen seiner Landschaft angepaßt hat. Es verträgt dann deren Klima,
Wasser und Futter und auch die landesüblichen Bakterien besser als seine
importierten Artgenossen. Die Bodenständigkeit gehört deshalb zu den
wichtigsten Zuchtzielen in »jüngeren« oder »Nachzuchtgebieten«. Sie ist
indes nicht immer leicht zu erreichen. Die Züchter des rheinisch-deutschen
Kaltbluts beispielsweise mußten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit
den importierten Belgiern entweder in Verdrängungskreuzungen ihre Zucht
verbessern - da wären die paar eingeführten belgischen Blutstropfen
bald im Meer des alten Pferdebestandes untergegangen - oder aber
(in Wirklichkeit: und gleichzeitig auch) eine ganz neue, von den bisher
landeseigenen Pferdebeständen unabhängige Zucht aufbauen. Das aber hätte
bald einen gefährlichen Grad von Inzucht ergeben, und es wäre auch zu-
wenig gewesen. Deshalb mußte zunächst mit immer neuen Importen eine
genügend breite »Zuchtbasis«, die Voraussetzung jeder Bodenständigkeit,
geschaffen und auch danach und bis heute immer wieder für »Blutzufuhren«
zur »Blutauffrischung« gesorgt werden. Als bodenständig karm eine Zucht
erst dann gelten, wenn die große Masse der Zuchthengste im Lande selbst
gezogen wird und von im Lande aufgewachsenen Eltern abstammt. Erst
darm ist sie, um im Fachjargon zu bleiben, »von der Blutzufuhr aus fremden
Zuchtgebieten unabhängig«, was nicht heißt, daß nicht immer wieder
fremde »Blutströme« zur Verbesserung bestimmter Fehler einer Rasse oder
zur Veredelung in die nun bodenständige Zucht »eingeleitet« werden.
Man kreuzt beispielsweise auch in die ältesten deutschen Warmblutzuchten
bisweilen Vollblüter ein, um zu verhindern, daß die Pferde auf unseren
Böden zu schwer und kalt werden.

Ist eine Zucht einmal bodenständig, so stellt sich bei sorgfältiger Zucht-
wahl bald auch »Ausgeglichenheit« ein. Die Blutströme gleichen sich ein-
ander an und aus, da sie vermengt und die vom Idealtyp am meisten abwei-

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chenden Hengste und Stuten von der Zucht ausgeschlossen werden. Als die
ausgeglichenste deutsche Pferderasse gilt das oldenburgische Warmblut,
das seit Jahrhunderten konsequent im gleichen Typ gezogen wurde. Zum
Begriff der Ausgeglichenheit aber waren die nach Farben getrermten Stuten-
herden Trakehnens geworden. Dies hat Rudolf Georg Binding wie kein
anderer beschrieben:

»Die Herden sind Völker, und das Einzeltter gibt sich auf, schmückt sich
mit keinen Besonderheiten, ist eingeglichen in seinesgleichen. Jede dieser
Mütter hat ihr gutes Gesicht, das Eigene ihres Wesens, wohl unterscheidbar
vom Gesicht und Wesen ihrer Nachbarin und Weidegenossin; aber sie bleibt
in der Schar der Herde, wie durch höhere Bestimmung ihr eingeeignet, in
gleichem Tun und Lassen, in gleichen Bewegungen, in ihrem Gleichmut, in
ihrem Daseinsrecht.«

Die Ausgeglichenheit des einzelnen Pferdes bedeutet etwas anderes: die
Harmonie der Körperteile zueinander. Diese Harmonie ist eine Voraus-
setzung nicht nur der Schönheit und des Adels, sondern auch der Leistungs-
fähigkeit. Denn nur ein Pferd, das »sich in allen Gangarten selbst trägt«,
kaim sich frei, schwimgvoll und schwebend bewegen und seine Kräfte öko-
nomisch nutzen. Nur ein solches »Gleichgewichtspferd«ist also »gängig«:
zeigt einen sicheren und energischen, raschen und langen, raumgreifenden
Schritt (eine ganze Schrittbewegung je nach Rasse etwa 140 bis 220 Zenti-
meter), einen regelmäßigen, freien und schwungvollen Trab und einen
kraftvollen, langen Galopp.

Für den schweren Kaltblüter ist der Schritt die natürliche Gangart. Doch
verlangt man von ihm manchmal auch ein wenig »Trabvermögen«, obwohl
er in dieser für ihn höchst unökonomischen Gangart unverhältnismäßig viel
Kraft aufwenden muß. Die leichten Pferde aber strengt der Trab in der
Regel nicht mehr an als der Schritt, und zwar je leichter sie sind, um so weni-
ger. Eine Trabbewegung bringt das Pferd je nach Rasse 2 bis 4 Meter vor-
wärts, die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt etwa 15 bis 20 Stunden-
kilometer. Den Weltrekord für eine englische Meile (1609 Meter) lief der ame-
rikanische Renntraber »Greyhound« 1938 in einer Minute und 55,25 Sekun-
den. Das kommt theoretisch einer Geschwindigkeit von rund 50 Stunden-
kilometern gleich. Auf dem grünen Rasen kämpfen die Vollblüter im
Galopp gar mit Spitzengeschwindigkeiten von rund 60 Stundenkilometern

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um den Sieg. Im Galoppsprung schnellt das Pferd sich bis zu 10 Meter
(durchschnittlich aber nur etwa 3,50 Meter) weit vorwärts.

Es hat lange gedauert, bis die Menschen den Ablauf der eigentümlichen
Galoppbewegung (eine Hinterhand, dann die andere zugleich mit der dia-
gonal gegenüberliegenden Vorderhand, dann die andere Vorderhand) richtig
begriffen. Die alten Griechen, denen noch die Gaben exakter Naturbeob-
achtung und der Geduld eigen waren, hatten ihn zwar, wie ihre Reiterbilder
beweisen, schon einmal genau erforscht. Darm aber ging dieses Wissen ver-
loren, und die Neuzeit war erst mit Hilfe eines Kunstmittels, der Mo-
mentphotographie, imstande, es wiederzufinden. Im 19. Jahrhundert noch
malte Théodore Géricault jenes berühmt gewordene »Derby«, auf dem die
Rennpferde gleichzeitig die Vorderhand weit nach vorn und die Hinterhand
fast waagerecht nach hinten strecken. Es gehört nicht viel Logik dazu, zu
bemerken, daß dieser »fliegende Galopp« nur in der Malerei und nicht in
der Natur möglich ist (obwohl es eine Reihe von Tieren - mit anderen Kör-
perproportionen - gibt, die sich mit beiden Hinterbeinen gleichzeitig ab-
schnellen und auf beiden Vorderbeinen aufspringen, beispielsweise die
Hasen). Trotzdem verbildlicht das »Derby« Géricaults die stürmische,
atemraubende Vorwärtsbewegung im Renngalopp so zwingend, daß manche
Künstler bis heute - nun wider besseres Wissen und absichtsvoll, auf eine
versteckte Weise expressionistisch - vom »fliegenden Galopp« nicht mehr
lassen wollen.

Von einem Pferd mit federnden, schwungvollen, räumenden Gängen sagt
man auch, es habe »eine gute Mechanik«: Sein »Bewegungsapparat«, der
Mechanismus seiner Glieder, funktioniert harmonisch und wie mühelos. Es
versteht sich von selbst, daß nur Gleichgewichtspferde eine gute Mechanik
haben körmen. So hat sich der Kreis von »Gleichgewicht«, »Gängigkeit«
und »Mechanik« wieder geschlossen, und ein Begriff erläutert den anderen.

Nun lehrt die Erfahrung, daß zu große Pferde selten »im Gleichgewicht«
sind. Auch gelten sie nicht als ausdauernd, weil sie zuviel Kraft zur eigenen
Fortbewegung verbrauchen. Ihre meist zu langen und oft auch schwachen
Beine sind außerdem häufig anfällig und früh »verbraucht«. Immer wieder
erweisen sich kleinere Pferderassen den großen gegenüber an Ausdauer, Härte
und Gesundheit überlegen. Man unterscheidet gewöhnlich Zwergpferde mit
weniger als 100 Zentimeter, Kleinpferde mit zwischen 100 und 150 Zenti-

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meter und große Pferde mit über 170 Zentimeter Stockmaß. Das Optimum
der Größe hängt von der Rasse ab. Zu groß kann also ein Kleinpferd schon
mit mehr als 150 Zentimeter Stockmaß sein, während ein Ostpreuße mit
weniger als 155 Zentimeter eher als zu klein gilt.

Zu große Pferde sind in der Regel auch wenig »futterdankbar«. »Futter-
dankbarkeit« und »Leichtfuttrigkeit« - viel gebrauchte Begriffe, seit es bei
der Pferdezucht so sehr auf die Wirtschaftlichkeit ankommt - bedeuten,
genaugenommen, nicht dasselbe. Doch laufen sie beide auf das gleiche hin-
aus. Denn »leichtfuttrige« Rosse - Pferde, die keine Schmecklecker sind
und die bei normalen Rationen einfachen Futters kräftig gedeihen und lei-
stungsfähig bleiben - müssen gute Futterverwerter sein. Und »schwer-
futtrige« Pferde, die große Portionen bestenHafers fressen, ohne jemals recht
zu Kräften zu kommen, sind selbstverständlich nie futterdankbar.

»Hoch« oder »hoch gestellt« ist ein Pferd mit langen Gliedmaßen und
»wenig Tiefe«. Seine Brust ist, in der Senkrechte gemessen, im Verhältnis
zu schmächtig, seine Beine dagegen sind relativ zu lang. Unter zugleich
großen und hohen Pferden »geht viel Wind durch«. Aber auch ein »kleines«
Pferd kann natürlich »hoch« gestellt sein. Die »Höhe« darf man außerdem
nicht verwechseln mit dem »Rahmen, in dem ein Pferd steht«. Die gedach-
ten Leisten dieses »Rahmens« muß man sich vielmehr an die Vorder- und
Hinterhand und die »Rückenlinie« und die »Standlinie« herangeschoben vor-
stellen, so daß Hals, Kopf und Schweif aus diesem Gemälde herausragen. Je
nachdem, wie weit der »Rahmen« bei dieser Prozedur gespannt werden muß,
haben wir ein »groß-, mittel- oder kleinrahmiges« Pferd vor uns. Bildet der
Rahmen ein Quadrat, so hat das Pferd ein »Quadratformat«. Aber der Ost-
preuße beispielsweise ist im Durchschnitt etwa 4 bis 10 Zentimeter länger
als groß. Sein Rahmen hat die Form eines Rechtecks, eines Oblongs, dessen
Langseiten die »Rücken-« und »Standlinie« sind. Wirtschaftspferde sollten
immer ein Rechteckformat haben. Die Vollblutfachleute aber werden sich
wahrscheinlich bis zum JüngstenTag darüber streiten, ob dieTheorie zu Recht
besteht, nach der für Rennpferde eine ausgesprochene Quadratform die gün-
stigste ist. In der Tat sindVoUblüter, vor allem Vollblutaraber, häufig quadra-
tisch gebaut. Auch ist das Vollblut als Rasse höher gestellt als beispielsweise
das Kaltblut. Feste Idealmaße lassen sich für Rahmen und Tiefe nicht geben.

Wir müssen nun noch erklären, was »Schwere«, »Masse« und »Kaliber«

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bedeuten. Zunächst ist ein Pferd einfach schwer wie jedes andere Ding. Es
hat ein bestimmtes Gewicht. Zwergpferde wiegen rund 2 bis 3 Zentner,
Ponies zwischen 3 und 5, Kleinpferde bis zu 8 Zentner. Unter den größe-
ren Pferden sind die arabischen Vollblüter die leichtesten, sie wiegen 8 bis
9 Zentner, die englischen Vollblüter dagegen 9 bis 10. Von den deutschen
Warmblütern folgen dann ia der Schwere die Ostpreußen mit etwa 12 und
die Hannoveraner und Holsteiner mit rund 13 Zentnern. Oldenburger und
Ostfriesen mit üiren 14 bis 15 Zentnern zählen schon zu den schweren
Warmblutpferden. Ein schweres belgisches Kaltblut wiegt mit fast 20 Zent-
nern etwa acht Zwergpferde auf. Die rheinischen Kaltblüter sind um 2 bis
5 Zentner leichter, und süddeutsche Noriker wiegen ungefähr ebensoviel
wie Oldenburger und Ostfriesen.

»Masse« ist im Unterschied zur »Schwere« die Ausdehnung eines
Pferdes, hauptsächlich in der Länge und Breite gemessen. Das »Kali-
ber« schließlich ergibt sich, wenn man das Gewicht des Pferdes in Bezie-
hung zu seiner Größe setzt. Ein »kalibriges« Pferd hat also für seine Rasse
imd Größe einen beträchtlichen Umfang und Knochen von guter Stärke.
Manche Leute verstehen unter Schwere auch eine Kombination aus Größe,
Gewicht (also der eigentlichen Schwere), Masse und Kaliber.

Jetzt begreifen wir, wovon die Experten bei der Hengstparade, bei Stu-
tenschauen oder Körungen sprechen. Wir können nun besser zuhören, mit-
reden noch nicht ganz. Denn es gibt am Pferd keine Sehne und kein Knö-
chelchen, keinen Muskel und kein Gelenk, dessen sich die Wissenschaft
nicht bemächtigt hätte und zu dem nicht jeder Eingeweihte seine eigene,
mit viel Temperament verteidigte Theorie hätte. Den Laien verrät meist
sein Mangel an origineller Dickköpfigkeit und das »Fehlergucken« : Er stellt
fest, daß ein Roß »Hasenhacken« hat oder »kuhhessig« und »überbaut« ist,
und kommt sich dabei mächtig wichtig vor.

Fehlergucker sind Miesmacher. Sie hätten wegen allzu vieler Fehler im
»Exterieur« manches Pferd zum Roßschlächter geschickt, das in die Reihe
der größten Heroen von Turf und Turnierplatz aufrückte. Manches von
allen äußeren Fehlern freie Roß hingegen versagte kläglich, wenn es etwas
Außergewöhnliches leisten sollte.

Die wirklichen Pferdekenner und -Züchter sind eine Kaste liebenswerter
Leute für sich. Wir können sie getrost bei ihrer ewigen Fachsimpelei lassen,

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die ihr Lebenselixier und Jungbrunnen, ihr Hobby ist. Wir wollen dabei die
Ohren spitzen, aber uns nicht hineinmischen. Kurz: Wir wollen uns freuen
an unseren Rossen, ihre kleinen Fehler liebevoll übersehen und das lebens-
weise Sprichwort nicht vergessen: »Wer Pferd' und Frauen suchet ohne
Mängel, hat nie ein gutes Roß im Stall, im Haus nie einen Engel.«

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Kaltblut- und Kleinpferde zwischen Norwegen
und Österreich

Selbstbewußt und zielstrebig bis zum Eigensinn herrschen die Bauern des
saftigen schleswigschen Marschlands auf ihren alten Höfen; sie lieben
die Freiheit, und ihre Pferde züchteten sie seit je mit eigenen Hengsten, unab-
hängig von den Gestüten des Staates, der sie gern für die Remontezucht
gewonnen hätte. Schon 1888 mußte für das Land nördlich der Eider als
Zuchtziel der kaltblütige »Schleswiger« proklamiert werden, wie er dort
wuchs und wie die Bauern ihn haben wollten. Dieser Schleswiger war damals
noch ein halbes Warmblutpferd, sehr gängig und temperamentvoll, groß
und lang.

Als das rheinisch-deutsche Kaltblut sein Herrschaftsgebiet nach Norden
ausdehnte, im südlichen Schleswig-Holstein, vor allem im Lübecker Land
die Warmblüter verdrängte und auch in Dänemark immer mehr Freunde
fand, kapitulierten die schleswigschen Bauern nicht. Unbeirrbar zäh form-
ten sie ihr bodenständiges Pferd zu einem Kaltblüter des modernen Typs,
der die Konkurrenz der Belgier wohl aushalten kann. Der Schleswiger
wurde tiefer gestellt, kürzer aber breiter, kalibriger aber leichtfuttriger ge-
züchtet. Weil die Hengste dazu aus der auf englischer Grundlage (vor allem
mit dem Sufifolk-Hengst Oppenheim LXII) aufgebauten dänischen Zucht
kamen, nennt man die Schleswiger, fast ausnahmslos Füchse, auch »Dänen«.

Der Schleswiger ähnelt den rheinischen Kaltblütern - für die nun seit
1946 der Nord-Ostsee-Kanal als offizielle Grenze gilt - im Typ so sehr, daß
er ihnen nur seine Bodenständigkeit und die verbissene Treue seiner Züch-
ter voraus hatte, als er um seine Existenz kämpfen mußte. Im Süden Deutsch-
lands - in Bayern und Württemberg und im Schwarzwald - wuchs unter
anderen Boden- und Wirtschaftsverhältnissen auch ein im Typ verschiede-
nes Kaltblutpferd, dem der rheinische Schlag nichts anhaben konnte. Es ist
leichter, wendiger und trockener.

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Glaubt man Tacitus iind seinen über Germanien berichtenden Kollegen,
so gab es zur Zeit der Römer in der römischen Provinz Noricum (zu der
außer den österreichischen Alpenländern auch große Teile des heutigen
Bayern gehörten) kleine, aber relativ schwere struppige Kaltblutpferdchen,
niit denen sich nicht viel Staat machen ließ. Die österreichischen und süd-
bayerischen Bauern aber blieben diesem für ihre Arbeit sehr tauglichen
Schlag treu, auch als später Fürsten und Klosterherren in ihren Gestüten
warmblütige Reit- und Kutschpferde züchteten und die Bauern anhielten,
ihnen dabei zu helfen. Die bayerischen Bauern waren frei auf ihren alten,
eigenen Höfen, und sie sahen zu, daß ihre Stuten sich an die zahlreichen
Bauernhengste hielten, die importierten warmblütigen Adelshengste aber
verachteten. Prekär wurde die Lage für die norischen Pferde allerdings, als
im 18. Jahrhundert die ersten Landgestüte gegründet wurden, deren Hengste
den Bauern unentgeltlich zur Verfügung standen, und gleichzeitig auch
allerlei Prämien zur Warmblutzucht lockten. Aber die Bauern verteidigten
ihre braven Arbeitspferde selbst noch im 19. Jahrhundert vor den »National-
hengsten«, als es der Regierung nicht mehr so sehr um Nachwuchs für den
königlichen Marstall, sondern um Remonten für die Armee ging. Nur in
den Gebieten um die Gestüte selbst gelang der Aufbau von Warmblutzuch-
ten, die teilweise bis heute bestehen und gedeihen, und Warmblut von aller-
lei Herkunft wurde auch in den kaltblütigen Landschlag eingekreuzt. In den
entlegeneren Gebieten und vor allem im Chiemgau hielt sich jedoch das
kaltblütige Bauernpferd bei ständiger Blutzufuhr aus Österreich bis zum
ersten Weltkrieg.

Die bayerische Kaltblutzucht war damals nicht sehr einheitlich. Zwei
Typen ließen sich jedoch deutlich voneinander unterscheiden: der leichtere
»Oberländer« und der schwerere »Pinzgauer«. Nun war der Oberländer zwar
zu leicht, manchmal gar kümmerlich, aber trocken, wendig und relativ edel;
der Pinzgauer hatte eine schlechte Hinterhand mit einer stark abfallenden,
»abgeschlagenen« Kruppe und war etwas zu lang, aber dafür auch sehr
kräftig und leistungstüchtig. So gingen die bayerischen Züchter daran, die
beiden Schläge zu dem Mitteltyp zu verschmelzen, der von 1934 an offiziell
zunächst »Oberländer«, seit 1948 nun »Süddeutsches Kaltblut« oder ein-
fach »Noriker« heißt und dessen Zuchttiere als Brand ein Edelweiß auf der
linken Hinterhand führen. Auch der Noriker wird heute tiefer, breiter und

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rumpfiger gezogen als seine Vorfahren, und man sagt, daß der »neue Typ«
nur vier Pfund Hafer frißt statt der zehn, die sein großrahmiger und höherer
Vorfahr der dreißiger Jahre täglich brauchte, um bei Kräften zu bleiben.

Seit den zwanziger Jahren hat sich der Noriker in ganz Bayern verbreitet.
Er eroberte 1925 Teile Württembergs und seit 1935 das ganze Schwaben-
land, nachdem dort vorher Kaltblut auf rheinisch-deutscher Grundlage
gezüchtet worden war. Auch das Schwarzwälder Kaltblutpferd wird nun
wieder mit norischen Hengsten aufgefrischt, nachdem die schweren rheini-
schen Hengste in ihrer Nachzucht auf den armen Böden des Hochschwarz-
walds versagt hatten. In jenem für die Geschichte des Norikers an der Nord-
grenze seines Verbreitungsgebiets so ruhmreichen Jahr 1935 rückte indessen
vom Süden her ein neuer Konkurrent ein: das Haflinger Pferd.

Die Kamera gewann dem Haflinger, einem außergewöhnlich hübschen
und photogenen Pferd, viele Liebhaber. Fast alle Haflinger sind Goldfüchse
mit Aalstrich und einer langen, dichten, nahezu weißen Mähne, die mit
einem frechenWuschel zwischen kleinen Mauseohren und großen, ausdrucks-
vollen Augen in die Stirn fällt. Weich und golden spannt sich das Fell über
einem festen, breiten Tragrücken und einem wohlproportionierten, runden
Leib. Der dichte Schweif reicht fast bis zum Boden. Ein gut geschnittenes,
edles Gesicht und trockene Gliedmaßen mit tadellosen, festen und runden
Hufen verraten adlige Herkunft und harte Aufzucht. Kein Wunder also,
daß Pferdebilderbücher dieses Bergkleinpferd bevorzugen und daß es
manchmal vor malerischer Alpenkulisse auf illustrierten Zeitschriften das
»Covergirl« ersetzt.

In die Ställe der Bauern aber findet der Haflinger seinen Weg, weil er
ungewöhnlich hart und gesund, fruchtbar (neunzig Prozent) und langlebig
(dreißig bis vierzig Jahre), kräftig und gängig ist. Im Gebirge werden schon
die Jährlinge »geälpt«; man schickt sie im Frühjahr, noch zur Zeit der letz-
ten Frühjahrsfröste, auf die Hochalmen, ohne Schutz vor Frost und Schnee,
ohne Stall und ohne Hafer.

Die Berge sind das eigentliche Element der Haflinger Pferde. Auf relativ
langem Rücken tragen diese Rosse schwere Lasten und Reiter ebenso tritt-

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sicher über gefährliche und steile Bergpfade wie Maultiere. Man darf und
muß sie dabei nicht treiben, denn Herz und Lunge sagen ihnen, was sie sich
zutrauen dürfen; und sie geben her, was sie leisten können. Der Haflinger
geht stets außen an der Kante des Pfades, dicht an dem Abgrund, um
Last oder Reiter nicht an der Felswand zu scheuern. In der Ebene und bei
besserem Futter wachsen Haflinger Pferde etwas größer, schwerer und
weniger trocken; aber ihr Blut wahrt ihnen auch hier ihre besten Eigen-
schaften: Gutmütigkeit, Arbeitswillen und Genügsamkeit. Deshalb findet
man bei uns diesen Schlag heute schon nicht mehr nur in den bayerischen
Voralpen, wo er inzwischen ganz heimisch geworden ist. Sogar im Harz
und im Teutoburger Wald versucht man, den Haflinger bodenständig zu
machen. Doch sind diese Versuche bisher nicht recht geglückt.

Das Blut der Haflinger ist ein Streitobjekt für Hippologen. Die einen
sprechen von ihnen als »typisch warmblütigen Kleinpferden«, die anderen
rechnen sie kurzerhand zu den Kaltblütern. Niemand aber wird diesen
Streitfall ganz klären können.

Auch die Abstammung der menschlichen Bewohner jenes schwer zugäng-
lichen Hochplateaus von Söckl in den Etschländer Bergen, das sich
vom Sarntal über Hafling nach Meran hinzieht, ist ja ein wenig dunkel.
(Übrigens gab das Dorf Hafling, nach dem der Haflinger seit der Jahrhun-
dertwende genannt wird, nur den Namen. Das eigentliche Zuchtzentrum
war das Dorf Jenesien.) Man nimmt an, daß sie Nachkommen der Ostgoten
sind, die sich nach der Schlacht am Vesuv hier niederließen, um endlich seß-
haft zu werden. Wahrscheinlich brachten schon sie orientalische Pferde von
ihren Kriegszügen mit hierher und paarten sie mit den norischen Gebirgs-
pferden. Auch mit den heimkehrenden Kreuzrittern kamen darm wieder
Orientalen in diese Gegend.

Mit so veredelten norischen Pferden des Hochplateaus von Söckl wurde
aber erst im späten 19. Jahrhimdert die neue Rasse der Haflinger ge-
züchtet. Ein Ururenkel des vom österreichischen Staatsgestüt Bâbolna aus
Arabien eingeführten Vollblutarabers El Bedavi, der in Radautz, ebenfalls
einem kaiserlichen und königlichen Gestüt, gezogene Halbbluthengst El
Bedavi XXII, hatte 1874 mit einer Tiroler Stute einen Sohn, der nach sei-
nem Züchter »Folie« genannt wurde und - was der Züchter kaum geahnt
haben mag - Stammvater einer neuen Rasse, aller Haflinger, werden sollte.

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Die Haflinger sind also Produkte der Inzucht. Daher ist diese Rasse so aus-
geglichen.

Die Fuchsfarbe des Folie - und damit aller Zuchttiere, denn nur Füchse
werden in das Haflinger Hauptstaoambuch eingetragen - war das Erbteil
seiner bürgerlichen Mutter. Adel und Schönheit dieser Tiroler »blonden
Pferde« aber stammen aus der Arabischen Wüste. Kein rassestolzer bayeri-
scher Haflingerzüchter versäumt, von El Bedavi zu sprechen, wenn man
seine Rosse bewundert. Sieht man aber auf die kräftige gespaltene Kruppe
dieser Pferde, so zeigt sich das kaltblütige Erbteil. Im Streit um Kalt- oder
Warmblut zitiert man am besten salomonisch: »Vorne ein Fürst, hinten ein
Bauer«. Jener Typ ist uns schon von Goethes Jugenddrama her nicht un-
sympathisch.

Bereits vor dem ersten Weltkrieg hatte das Haflinger Pferd Züchter-
freunde auch außerhalb Südtirols in Österreich gefunden. Als Südtirol ita-
lienisch wurde, brachte die österreichische Gestütsverwaltung Hengste aus
ihrem Hengstdepot nach Zams in Nordtirol. Dort wurden sie zunächst, weil
zu wenig Haflinger Stuten verfügbar waren, mit allerlei Kleinpferden des
Balkans gekreuzt. Erst als diese Versuche fehlschlugen, kauften österreichi-
sche Bauern wieder Zuchtstuten in Südtirol. Obwohl sich die Haflinger
Zucht dann nach Bayern ausdehnte, blieb sie außerhalb Tirols bis 1938 unbe-
deutend, weil Österreich genug Maultiere und vom Balkan stammende
Kleinpferde besaß und in Bayern die Grundlage für eine größere Zucht noch
zu klein war. Dann aber sorgten die deutschen Militärbehörden dafür, daß
die Zucht von Haflingern für die Gebirgstruppen mit allen Mitteln geför-
dert wurde. Auch nach dem letzten Krieg hatten die Züchter dieses kleinen
und genügsamen, aber kräftigen Pferdes über Mangel an Nachfrage nie zu
klagen.

Den Versuchen der Haflinger Bergpferde, die Grenzen Bayerns nach
Norden zu überschreiten, war dennoch kein rechter Erfolg beschieden, auch
weil Bayern und Österreich nicht genügend Zuchtstuten exportieren konn-
ten. In den deutschen Mittelgebirgen und in den nordwestdeutschen Mooren
ist man aber ebenfalls seit langer Zeit daran gewöhnt, mit kleinen Pferden
zu arbeiten. Nur hat man dort früher Kleinpferde nicht selbst gezogen, son-

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fl^.

Pferde und Reiter. Studien zum
^Reiterstandbild des Francesco
Sforza von Leonardo da Vinci.
Windsor Castle

Pegasus, das geflügelte Dichter-
fî'fi, ^^rird von Bellerophon gc-
Dändigt. Bronzestatuette von
ertoldo di Giovanni, nach
H8o. Wien, Kunsthistorischcs

^luscum

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dem - meist aus Ost- und Südosteuropa - eingeführt. Als die Bauern nach
dem ICrieg diese Pferde nicht mehr kaufen konnten, sahen sie sich nach
einem anderen Schlag um, den sie selbst ziehen konnten. Seitdem beginnt
sich von Norden her bis nach Württemberg hinein die Zucht norwegischer
Fjordpferde auszubreiten. Vor allem Bauern auf kleinen Wirtschaften in
schwierigem Gelände, wie manche rheinhessischen Winzer, finden Gefallen
an dieser uralten, den Wildpferden noch sehr nahestehenden und deshalb
gesunden und anspruchslosen Rasse, die hauptsächlich in den westlichen
Provinzen Norwegens gezogen wird. Diese etwa 140 Zentimeter (Stockmaß)
großen Pferdchen brauchen nur rund die Hälfte der Futterfläche, die be-
scheidene Großpferde beanspruchen, und sie sind so brav, daß auch Frauen
und Kinder leicht mit ihnen umgehen können.

Die Fjordpferde sind sämtlich Falben in mancherlei Schattierungen mit
dem Wilderbe dunkler Querstreifen an den stabilen (nicht immer korrekt
stehenden) Beinen und des Aalstrichs, der, bei den Schwarzfalben schwarz,
bei den Rotfalben rot, Mähne und Schweif verbindet und sich bis in dunkle
Strähnen des Stirn- und Schweifhaars fortsetzt. Ein verhältnismäßig großer
Kopf mit breiter, flacher Stirn, hübschen großen Augen und kleinen, nach
außen stehenden Ohren sitzt auf einem sehr muskulösen kurzen Hals über
einer kräftigen Schulter und einem gut gerundeten Rumpf. Wie der Haflin-
ger ist auch das Fjordpferd trotz aller Gedrungenheit geschmeidig und be-
weglich und im Gebirge erstaunlich trittsicher. Kein Wunder also, daß sich
die Zucht dieser gutmütigen und genügsamen Kleinpferde in Norwegen
seit den zwanziger Jahren verdoppelt hat und daß sie auch nach Dänemark,
England und Deutschland Eingang fand. Allerdings wird sie in diesen
Ländern nur Sinn haben, wenn sie auch auf die Dauer so extensiv und billig
betrieben wird wie im rauhen, unwirtlichen Gebirgsland um die westnorwe-
gischen Fjorde. Jedenfalls haben sich die Fjordpferde bei uns schneller
Freunde erworben als manche anderen Kleinpferde, mit denen ebenfalls
seit dem Krieg Zuchtversuche angestellt werden.

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Ostpreußen

Ostpreußen mit:Trake]inen - Georgenburg - Insterburg - Elchniede-
rung - Ragnit - Darkehmen - Goldap - Gumbinnen - Pillkallen -
Stallupönen - Treuburg - Angerburg - Rastenburg - Weedern - Judit-
ten - Kallwischken - Lenken - Gerdauen - Braunsberg ist das Land der
Pferde nicht mehr. Im Reich des »edlen ostpreußischen Warmbluts Tra-
kehner Abstammung«, in der Heimat jenes starkmütigen, treuen und hand-
festen Menschenschlags, der dem Pferd verschworen war wie kein anderer
deutscher Stamm, trat die Öde wieder die Herrschaft an.

Die Geschichte des Pferdes in Ostpreußen reicht bis in die Tage des
»großen Trecks«, jenes grauenvollen Auszugs in die Fremde, eines Leidens-
wegs nicht nur der Menschen, sondern auch ihrer Rosse. Diese Flucht war
eine letzte grandiose Leistung des ganzen großen ostpreußischen Pferde-
volks. Nachdem »die Dienststellen der Partei« die Flucht so lange hinaus-
gezögert hatten, bis ein geordneter Rückzug vor der Roten Armee nicht
mehr möglich war, durften die Bauern ihre Pferde endlich vor die Wagen
mit den ihnen teuersten Habseligkeiten spannen, mußten sie ihr Land ver-
lassen. Keine Marathonfahrt verlangt, was die ostpreußischen Pferde nun
zu leisten hatten.

Durch Tag und Nacht ging die Winterfahrt der überbeladenen Wagen,
auf schlechten, überfüllten Straßen und querfeldein, im Wettlauf mit den
russischen Panzerspitzen und unter ihrem Feuer, über das Eis des Frischen
Haffs, in das die feindliche Artillerie Löcher und Spalten gerissen hatte. Am
anderen Ufer die steile Böschung; sechs Stunden lang zogen die Hengste
des Braunsberger Landgestüts die Wagen der Bauern dort hinauf. Sechs
Stunden, nach langem Marsch, inmitten fieberhafter, aufgeregter und hasten-
der, verzweifelnder, jammernder und fluchender Menschen. Eisig pfiff der
Ostwind. Im Schneetreiben auf dem Haff waren die Hände vor den Augen
kaum sichtbar und die eingebrochenen Wagen und Pferde, die erfrorenen
und zu Tode getroffenen Soldaten, Kinder, Greise und Frauen zu einer fast

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unwirklichen Kulisse des Grauens erstarrt. Wie bald war der Ballen Heu
verbraucht, der Hafersack leer. Überall nur Schrecken, Hunger und Tod. -
Die Pferde aber zogen die schwere, kostbare Last und liefen um das Leben
ihrer Herren: brave ostpreußische Hengste und Stuten mit dem Elchschau-
felbrand, Söhne und Töchter eines harten, in Jahrhunderten auf höchste
Leistung gezogenen Pferdegeschlechts in der Stunde äußerster Bewährung.

Manches treue Pferd blieb am Wege, mit gebrochenen Beinen, von Pan-
zergranaten zerrissen, von einer Maschinengewehrgarbe hingemäht. Viele
wurden auf der verstopften Treckstraße von Panzern gestellt und gefangen,
ausgeschirrt und nach Osten getrieben, vor eine russische Pak gespannt
oder erschlagen. Was in Jahrhunderten mit Mühen und Kunst geschaffen
wurde, war in wenigen Wochen vernichtet und zerstreut."

Die Geschichte des Pferdes in Ostpreußen fand in einem Inferno ihr Ende.
Das letzte Kapitel der Geschichte der »Warmblutpferde Trakehner Ab-
stammung« aber ist damit nicht abgeschlossen. Wenn Gott Menschen und
Tieren gnädig war, zogen diese harten, tüchtigen Pferde die Treckwagen
ins westliche Reich. Übrig blieb eine Elite, gesiebt in der schärfsten aller
Leistungsprüfungen.

Mit ihren Herren teilten die Pferde nach der Flucht das Schicksal der Ver-
triebenen. Der weitaus größte Teil der ostpreußischen Zuchtpferde fiel in
Mitteldeutschland bei Torgau schließlich doch noch den Eroberern in die
Hände. Die wertvollsten Zuchttiere mußten wieder die Reise nach Osten
antreten, nun im Viehwagen und mit einem Ziel, das weit von der alten
Heimat entfernt lag. Was in der Sowjetzone an ostpreußischen Pferden
blieb, wahrscheinlich einige Tausend eingetragener Stuten und eine ganze
Reihe wertvoller Hengste, ist dort nie wieder zusammengefaßt worden und
ging in der Landespferdezucht unter.

Nur wenige ostpreußische Pferde konnten in die von den Westmächten
besetzten Zonen entkommen. Ein hoher englischer Offizier, mit dem sprich-
wörtlichenPferdeverstandseinerNation beschenkt, rettete siebenundzwanzig
von den etwa dreihundertfünfzig Stuten des Hauptgestüts Trakehnen, den
edelsten Pferdetöchtern des Landes Ostpreußen, in die britische Zone.
Außerdem fanden rund tausend Stuten und sechzig Hengste den Weg nach
dem Westen Deutschlands. Sie wurden über die ganze Bundesrepublik zer-
streut und wie ihre Besitzer nicht immer und überall gern gesehen.

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Die einheimischen Bauern lamentierten über den Kahlfraß, den die Pferde-
flüchtlinge verursachten; sie mögen manchmal auch die Konkurrenz der be-
rühmten Pferde aus dem Osten auf dem reichlich versorgten, arg eingeeng-
ten heimischen Markt gefürchtet haben. Immer wieder versuchten sie, den
heimatlosen Bauern die Pferde abzukaufen. Aber das wollten die Flüchtlinge
nicht zulassen. Für sie waren die Pferde das einzige, das sie noch an die ver-
lorene Heimat erinnerte. Würden sie nicht erst ohne ihre Pferde aufhören,
Ostpreußen und Bauern zu sein? Würden sie nicht erst dann verloren, ganz
bloß und ausgeliefert, ganz heimatlos sein, weim sie sich für schnödes Geld
von ihren Lebensrettern und Lebensgenossen trennten? Hatten sie nicht
oft genug die Pferde ausgespannt, werm der Wagen mit der Habe zu schwer
wurde, und waren allein mit diesem kostbarsten Besitz weitergeflohen? Und
doch wußten sie manches Mal nicht, wie sie ihre treuen Gefährten ohne Hof
ernähren sollten.

Noch heute leben die ostpreußischen Pferde - 1954 waren es sechshun-
derteinundsiebzig Stuten bei vierhunderteinunddreißig Züchtern und fünf-
undfünfzig Hengste, 1944 in Ostpreußen fünfundzwanzigtausend (einge-
tragene) Stuten bei fünfzehntausend Züchtern - über die ganze Bundes-
republik verteilt in der Diaspora. Doch die Züchter des Warmbluts Trakeh-
ner Abstammung haben sich wieder zu einem Verband zusammengeschlos-
sen. In der niedersächsischen Hengstaufzuchtanstalt Hunnesrück entstand
zunächst ein kleines Trakehner Gestüt, und 1956 pachtete der Verband in
Schleswig-Holstein das Gut Rantzau, das nach seinem Wunsch wieder gleich-
zeitig Trakehner Hauptgestüt und Zentrum der deutschen Pferdezucht wer-
den soll. Selbst in den Flautejahren 1951 bis 1953 waren die ostpreußischen
Hengste weit und breit die meistbeschäftigten; sie vertrauten mancher Stute
aus fremdem Blut üir Erbe an. Die Trakehner Zucht ist die einzige Warm-
blutzucht, die die Nachfrage nicht befriedigen kann. Ob der erhaltene Be-
stand für Spitzenleistungen auf die längere Dauer eine genügend breite
Grundlage abgibt und ob sich der Typ auf fremder Scholle - die Schwäbi-
sche Alb wäre eine angemessenere Landschaft für diese harten Pferde als das
norddeutsche Flachland - nicht wandelt, muß allerdings abgewartet werden.

Nein, die Geschichte des ostpreußischen Pferdes ist noch nicht zu Ende.
Sie zu verzeichnen ist auch deshalb aktuell, weil das, was in Ostpreußen von
der preußischen Gestütsverwaltung, von sachkundig und begeistert geführ-

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Das »Spiel der Könige«: Polo in seinem Ursprungsland Persien.
Miniatur, Mitte des i6. Jahrhunderts. Berlin, Islamisches Museum

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ten Privatgestüten und von einer dem Pferd verschworenen Bauernschaft
geleistet wurde, beispielhaft für den planvollen Aufbau einer Landespferde-
zucht ist. Wir könnten uns kein besseres Schulbeispiel wünschen, wenn wir
die Bedeutung der Staats- und Privatgestüte und der Züchterverbände
für die Zucht edler Pferde kennenlernen wollen.

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Trakehnen

Der erste schriftliche Bericht über die Pferde im Land der heidnischen
Preußen stanunt aus der Feder des Angelsachsen Wulfstan, der im
9. Jahrhundert diese damals noch recht wilde, aber für reiselustige Englän-
der leichter als heute zugängliche Gegend aufsuchte. Wulfstan lernte die
Pnizzen als ein Völkchen kennen, das zu Pferde auf die Jagd und in den
Krieg zog und allerlei Reiterspiele liebte. Brach ein Krieg aus, so brachten
die preußischen Landschaften rund dreißigtausend berittene Mannen zusam-
men, eine Zahl, die manchen Generalstäbler im brandenburgischen Berlin
tausend Jahre später beglückt hätte.

Die Pferde der Pruzzen waren kleine, flinke und harte Tarpanenkel, die
aus dem Land selbst stammten, wo ihre wilden Geschwister noch bis ins
16. Jahrhundert hinein in Wäldern und Steppen ein freies Dasein führten.
Als die Ritter des Deutschen Ordens das Land der Preußen eroberten und
befriedeten, brachten sie zwar ihre schweren Rittergäule mit, aber sie hüte-
ten sich weislich, die beiden Rassen zu vermischen. Der Orden selbst be-
hielt zwar für den Krieg die schweren Pferde und gründete Gestüte, in denen
sie nun auch im preußischen Land gezogen wurden. Seine Ordensgüter ließ
er jedoch mit den bodenständigen, anspruchslosen »Schweiken«, »den Kräf-
tigen, Gesunden«, bewirtschaften und züchtete diese häufig noch wildfarbe-
nen Pferdchen mit dem Aalstreif bald auch in besonderen »Ackergestüten«.
Überdies erwiesen sich die raschen, ausdauernden Schweiken als kriegstaug-
lich, sobald der Orden aus dem landsässigen Adel eine leichte Kavallerie
rekrutierte, die »Turkopolen«. Im wesentlichen aber stand die Pferdewelt
Preußens für unsere Begriffe noch köpf: man ritt die schweren Ritterpferde;
die leichten und wendigen Schweiken dienten auf dem Acker.

Als die Macht des Ordens versank, verfiel auch die Zucht der schweren
Pferde, die ohnehin nur im Westen des Landes beheimatet gewesen war. Die
Schweiken traten wieder die Alleinherrschaft an. Eine neue Ära der ost-
preußischen Pferdezucht begann erst im 18. Jahrhundert, als die Rosse im

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jungen Königreich Preußen wieder zu militärischen Ehren gelangten und
Friedrich Wilhelm I. Ordnung in die Pferdezucht brachte. Seine erste Maß-
nahme war entscheidend: Er gründete das Trakehner Gestüt.

Nach dem Rat des Alten Dessauers ließ der Soldatenkönig eine Reihe
königlicher Gestüte, die meist seit der Zeit des Ritterordens erhalten geblie-
ben waren, in den Sumpfniederungen des Pissa-Flusses zusammenführen, in
einem ziemlich wüsten, von der Pest entvölkerten Jagdgrund litauischer
Fürsten zwischen Gumbinnen und Stallupönen. Soldaten, die zum Ärger
des fleißigen Königs untätig in Memel lagen, mußten diesen Platz entwäs-
sern und urbar machen. Von 10000 Morgen bis 1921 auf 25000 Morgen
vergrößert, von denen 12000 unter dem Pflug waren, sollte er ein Mekka
der Warmblutfreunde werden, das vielgerühmte »Heiligtum der Pferde«.

1732 war die erste Belegschaft des Königlichen Stutamts Trakehnen ver-
sammelt, darunter fünfhundertdreizehn Mutterstuten. Zweck der Einrich-
tung war vorerst die Zucht von Pferden für den königlichen Marstall und,
nachdem der König das Stutamt 1739 seinem Sohn, dem späteren Alten
Fritzen, geschenkt hatte, ein möglichst großer Gewinn an klingender Münze.
Geld konnte der Große Friedrich immer gebrauchen, für die Pferdezucht aber
hatte er nicht sonderlich viel übrig und verstand auch wenig davon; die Tra-
kehner Rosse hielt er für unfromm. Zudem war er durchaus kein guter Reiter.
So zog er, dem Zeitgeschnuck gehorsam, Pferde der englischen Zucht, die
damals schon in hoher Blüte stand, bei weitem vor, wiewohl er zugeben
mußte, daß die Trakehner den Weg von Potsdam nach Berlin um mehr als
eine halbe Stunde schneller hinter sich brachten als die englischen Pferde,
die solche strapaziösen Fahrten auch nicht lange aushielten.

Als die Einnahmen nicht nach Wunsch flossen, verlor Friedrich das Inter-
esse an Trakehnen. In seinem Testament verfügte er nicht über das Besitz-
tum; so fiel es nach seinem Tode an die preußische Krone. Nun erst über-
nahm Trakehnen seine Rolle als Zentrum und Blutquell der ostpreußischen
Landespferdezucht. Das Königliche Stutamt wurde »Hauptgestüt«. 1787
gründete dann die Preußische Gestütsverwaltung in Ostpreußen das erste,
das »Litauische« Landgestüt. Es gab deren schließlich vor Kriegsende vier
(nachdem das Landgestüt Gudwallen 1932 aufgelöst worden war) : Georgen-
burg, Rastenburg, Braunsberg und Marienwerder.

Ein staatliches Gestüt wird mit dem Titel »Hauptgestüt« nicht sosehr des-

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halb ausgezeichnet, weil es das wichtigste im Lande ist. Im Unterschied zu
den ebenfalls staatlichen »Landgestüten« nennt man vielmehr jene Gestüte
so, in denen selbst Pferde gezogen werden. Die besten Söhne eines Haupt-
gestüts sind dazu bestimmt, als »Landbeschäler«, als Deckhengste in den
Landgestüten, die Landstuten zu bespringen. Einige von ihnen, die aller-
besten, bleiben als »Hauptbeschäler« im Hauptgestüt. Ebenso werden die
erlesensten Töchter dort wieder in die Mütterherden »einrangiert«, um die
Tradition ihrer Familien fortzusetzen.

»Landgestüte« dagegen sollten eigentlich gar nicht Gestüte heißen, weil
in ihnen keine Stuten zu finden sind. Dort leben die Hengste in der stren-
gen männlichen Abgeschiedenheit exklusiver Herrenklubs. Nur zur Zeit der
Pferdeliebe, meist von Februar bis Juni, begeben sich die Klubmitglieder
auf Geheiß ihres Herrn, des Landstallmeisters, auf ihre »Stationen«, um
nach den Pferdetöchtern des Landes zu sehen; je nachdem, wie sie zu den
Pferdedamen der einzelnen Distrikte passen, werden sie auf »Deckstellen«,
»Beschälplatten«, verteilt und bespringen dort die ihnen zugeteilten Stuten.
Im Frühsommer kehren sie zu den Landgestüten zurück, wo sie in der
Regel auf dem Acker für ihr eigenes Futter sorgen müssen. Pferdehoch-
zeiten werden meist nur bis Juli gefeiert, weil Stuten ihre Fohlen elf Monate
tragen und, bevor die neue Ernte beginnt, gefohlt, eigentlich sogar die Fohlen
schon abgesetzt haben sollen. Den Pferdekindern tut das würzige, kräftige
Frühjahrsgras gut. Vollblutmütter läßt man vorzüglich im Februar und März
decken - wenn sie dann »rossig« (empfängnisbereit) sind -, weil die Renn-
ordnung das Alter der Pferde nach dem Geburtsjahrgang bemißt und ein
Vollblüter für seine ersten Rennen als Zwei- und Dreijähriger möglichst weit
entwickelt sein soll. Der günstigste Geburtstag eines Rermpferdes wäre also
der, den die Rennordnung für alle Vollblüter kurzerhand annimmt: der
I.Januar.

Doch zurück zu Trakehnen: Als die erste Remontekommission der preu-
ßischen Armee ostpreußischen Züchtern 1788 für ein Garde-du-Corps-
Pferd achtzig, für ein Dragonerpferd sechzig und für ein Husarenpferd fünf-
undvierzig Reichstaler, klingendes bares Geld, gezahlt hatte, gewann die
Bauernschaft rasch Geschmack an diesem »Nebenverdienst«. Sie wollte die
Pferde schon so züchten, wie die Herren in Berlin sie haben wollten. Woher
sollten sie aber die Väter der Remonten nehmen? Wie bessere Remonten-

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mütter ziehen? Fremde, wertvolle Zuchthengste konnten sich die Bauern
nicht leisten. Genossenschaften gab es noch nicht. Außerdem kannten die
Bauern wohl kaum die besten Zuchthengste. Was gut tat, konnten nur kost-
spielige Experimente, lange Erfahrung, Übersicht über einen größeren Markt
und weltweites hippologisches Wissen lehren. Hier mußte der Staat helfen,
der dazu allein in der Lage war.

Den Kriegsherren des Mittelalters war kein besserer Weg zur Förderung
der Pferdezucht geblieben, als sie dem Ritterstand zu überlassen und in Kron-
gestüten für den eigenen Bedarf Pferde selbst zu ziehen. Die zentralistischen
Beamtenstaaten des 18. und 19. Jahrhunderts verfügten über wirksamere
Mittel, den Stand der ganzen Landespferdezucht nach den jeweils neuesten
Erkenntnissen und Bedürfnissen zu heben und zu lenken und so die Land-
wirtschaft mit geeigneten Arbeitspferden und die Kavallerieregimenter der
wachsenden Heere mit Remonten zu versorgen. Das erste (Zwangs-) Mittel
war damals wie heute die Körordnung: Die Behörde erlaubt nur solchen
Hengsten, ihre Manneskraft zubehalten und sich mannbar zu betätigen, die
von einer Kommission aus Beamten und Vertretern der Bauernschaft für gut
befunden werden. Das zweite (Lock-) Mittel ist das Geld: Die Gestüts-
verwaltung kauft angekörte Hengste und gibt sie billig oder gar kostenlos
zum Decken her; gute Zuchterfolge aber werden mit noch besseren Ver-
kaufserlösen, Prämien und Ehren belohnt. Pferdezucht ist wie alle mensch-
liche Kulturleistung nur auf einer breiten Basis möglich. Je breiter die Basis,
desto höher kann die Spitze der Leistungspyramide hinaufgetrieben werden.

Um eine breite Grundlage zu schaffen, kam es in Ostpreußen zunächst
darauf an, die Pferdezucht des ganzen Landes zu einem einzigen Bau zu-
sammenzufügen, einen einheitlichen Blutaufbau zuwege zu bringen. Immer
wieder mußten dann die wertvollsten Blutströme herausgesondert und ihnen
die erste Geltung verschafft werden. Die Pyramidenspitze mußte jeweils als
Maßstab für das Ganze dienen; das Schlechtere mußte ausgeschieden und
in der Zucht verdrängt werden. Dies ließ sich nur bewerkstelligen, wenn
eine zentrale Leitung die Blutströme lenkte und einander anglich.

Eckstein des ganzen Baus war das Hauptgestüt Trakehnen, wo aus den
besten Stuten des Landes, aus der schließlich ausgeglichensten Pferdefamilie
der Warmblutzucht, die Hengste gezogen wurden, die das Pferdevolk Ost-
preußens nach ihrem Bilde formten. Es diente der Landeszucht zugleich als

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»Gleichschaltungsbehörde« und als Einlaßventil für das fremde Blut, das
zur Auffrischung, Veredelung oder Verstärkung importiert und hier assimi-
liert wurde. Die Vollblüter beispielsweise, die in der Geschichte des ost-
preußischen Pferdes eine überaus wichtige Rolle spielten, hinterließen ihr
Erbe zunächst den Trakehner Herden. Erst auf dem Umweg über die Land-
beschäler aus diesen Herden floß ihr Blut dann, sozusagen in kleinen Dosen
und ohne Durcheinander anzurichten, in die Landespferdezucht. Seit 1787
haben in der ostpreußischen Warmblutzucht nur Trakehner Hengste oder
von Trakehner Vätern im Lande gezogene Hengste die Landstuten besprun-
gen. Deshalb ist die Zuchtgeschichte des ostpreußischen Warmbluts die
Geschichte des Trakehner Hauptgestüts, und deshalb heißen die Pferde mit
dem Elchschaufelbrand (ebenfalls 1787 eingeführt; die echten Trakehner
tragen eine doppelte, die einfachen Ostpreußen nur eine einfache Elch-
schaufel) »Warmblut Trakehner Abstammung«.

Bis 1787 hatten in Trakehnen Hengste verschiedener Rassen gedeckt. Von
einem präzisen Zuchtplan oder einheitlichen Blutaufbau konnte also keine
Rede sein, wenngleich die Erfahrungen Friedrichs IL auf der Chaussee von
Potsdam nach Berlin beweisen, daß die Trakehner Pferde schon damals
ungewöhnlich leistungsfähig gewesen sein müssen. Bei der Übernahme 1787
hielt der Leiter der Preußischen Gestütsverwaltung, Oberlandstallmeister
Graf Lindenau, gleich ein neues Konzept bereit. Zur Verbesserung der noch
sehr kleinen und unansehnlichen Ostpreußen wurden zunächst hauptsäch-
lich Orientalen eingeführt, daneben englische Halbblüter. In Ostpreußen
bewährte sich nun die gleiche Methode, mit der lange vorher schon in Eng-
land die Zucht des Vollbluts begründet worden war: die Veredelung der
Landpferde mit orientalischem Blut. Die landständigen Tarpanenkel ver-
mischten sich mit ihren größeren, hochgezüchteten Artgenossen, die in-
zwischen vom gemeinsamen südrussischen Blutquell aus rund um das Mit-
telmeer gewandert waren und unterwegs manchen Fremdling in ihre Fami-
lie aufgenommen hatten. Sechzehn Söhne des Hauptbeschälers »Turkmai-
natti« aus dem Friedrich-Wilhelm-Gestüt bei Neustadt an der Dosse waren
die wichtigsten Vererber der ersten Epoche des Hauptgestüts.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts begannen dann die größeren und stärke-
ren englischen Vollblüter die erste Rolle zu übernehmen. Dabei berücksich-
tigte LandstaUmeister von Burgsdorf (1814 bis 1843) die Wünsche der

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ostpreußischen Landwirtschaft. Seine Nachfolger aber verdarben es mit
den Bauern gründlich, als sie die Zucht immer mehr auf ein schnelles Ga-
lopppferd abstellten. Der Wunsch des Heeres nach immer leichteren Kaval-
lerieremonten und die Bedürfnisse einer intensivierten Landwirtschaft woll-
ten sich nicht mehr auf einen Nenner bringen lassen; zwischen Bauern und
Gestütsverwaltung hub ein Kleinkrieg an. Es zeigte sich die Kehrseite der
gleichwohl unumgänglichen und segensreichen staatlichen Lenkung der
Pferdezucht: Widersprachen sich das Zuchtziel der Bauern und das des
Staates, so mußten die Bauern im Streit mit der mächtigen Obrigkeit über
kurz oder lang unterliegen. Der Trakehner Landstallmeister von 1895 bis
1912, Herr von öttingen, erklärte kategorisch: »Jetzt ist der einzige
Zweck Trakehnens, Reproduktoren für KavaUerieremonten zu produ-
zieren.« Im gleichen Sinne, mit einem Hinweis auf die geringe Rentabilität
vieler Warmblutzuchten, prägte er auch das Wort: »Warmblut züchtet der
Idealist, Kaltblut der Materialist.« Schon vor seinem Amtsantritt hatte in
Trakchnen das Vollbluterbe überwogen. Jetzt wurden jedes Jahr drei bis
fünf neue Vollbluthengste aufgestellt, 1913 gar neun und 1914 noch einmal
sechs. 1913 deckten dreizehn englische Vollbluthengste dreihundertvierzig
von den vierhundertdrei ohnehin im Blut schon sehr hoch stehenden Tra-
kehner Stuten.

Mochten die Bauern auch murren, auf ihren Weiden wuchs die edelste,
härteste und leistungsfähigste Halbblutrasse heran. Neunmal in den vierzehn
Jahren von 1923 bis 1936 gewannen ostpreußische Pferde das schwerste
internationale Hindernisrennen, die Pardubitzer Steeplechase (16900 Meter).
1928 waren bei der »Großen Pardubitzer« unter den fünf Ersten gar vier
Ostpreußen. Auf den Turnierplätzen des In- und Auslandes holten die Pferde
mit dem Elchschaufelbrand sich allenthalben goldene Schleifen; sie hatten
den größten Anteil an der glänzenden Reihe deutscher Dressurpferde, wäh-
rend Hannoveraner und Holsteiner im Springsport überlegen blieben. Bei
den Olympischen Reiterspielen 1936 feierten sie unvergeßliche Siege: Zum
erstenmal konnten Vertreter einer Nation gleichzeitig den Einzel- und den
Mannschaftssieg in der Olympiadressurprüfung, in der Military und im
Jagdspringen erreiten. Die Sieger in der Dressur, »Kronos«, »Absinth« und
»Gimpel«, stammten allesamt aus ostpreußischer Zucht.

Nach dem ersten Weltkrieg waren Remonten und Galoppvermögen plötz-

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lieh nicht mehr gefragt. Als Arbeitspferd für die Landwirtschaft aber stand
der Ostpreuße zu hoch im Blut, war er zu leicht und temperamentvoll. Wie
glänzend indes gerade in Ostpreußen jenes Programm der »Verstärkung«
gelang, von dem schon die Rede war, bewiesen die wunderbaren Familien
der letzten großen Trakehner Hauptbeschäler aus der Zeit zwischen den
Kriegen: Tempelhüter und Dampfroß. Tempelhüter allein hinterließ sechs-
undfünfzig Beschäler und neunundfünfzig im Hauptgestüt einrangierte
Mutterstuten eines neuen, prächtigen, verstärkten Typs; sein Standbild
wurde auf dem Ehrenplatz vor dem Wohnhaus des Landstallmeisters in
Trakehnen aufgestellt. Er war ein Sohn des berühmtesten Trakehner Voll-
blutbeschälers, des Pferdefürsten Perfektionist xx, von dem Liebhaber der
ostpreußischen Zucht nie ohne schwärmerische Begeisterung sprechen.

Wer weiß, welcher Ruhm dem Hauptgestüt noch beschieden gewesen
wäre, wenn es nicht im Herbst 1944 innerhalb von drei Stunden zu Fuß die
Flucht hätte antreten müssen, wie schon viermal vorher: als 1794 polnische
Insurgenten das Land unsicher machten, während der Napoleonischen
Kriege 1806 und 1813 und im ersten Weltkrieg. Diesmal jedoch sollte es
nicht nach kurzem Gastaufenthalt in befreundeten Gestüten wieder heim-
kehren. Sein Schicksal wurde eine unheilbare Zerstreuung.

Trakehnen bleibt ein Traum für jeden Pferdefreund und auch für jeden
Reiter. Hier gingen die »ausgemusterten«, nicht für die Zucht bestimmten
Wallache und Stuten einen ganzen Sommer lang Jagd hinter der Meute.
Querfeldein im schönsten, abwechslungsreichsten Gelände, das Geläute der
Meute vorweg, ritt man auf jungen Pferden, denen es täglich mehr abzu-
verlangen galt. Was ist Trakehnen nun ohne seine Herden? Was sind wir
ohne Trakehnen? — Da stehen sie an der Reitbahn im Tattersall, die jungen
Reiter der Großstädte im Westen Deutschlands : Jede Reitstunde hat sechzig
genau gezählte Minuten; der Reitlehrer ist darauf bedacht, die Pferde zu
schonen; beim Ausreiten in den Stadtwald schreibt die Forstverwaltung
die Wege vor. So ziemlich alles, was wirklich Spaß macht, ist »verboten«.

Aber so herrlich Trakehnen auch glänzte, es war doch nur der ostpreußi-
schen Landespferdezucht zu dienen bestimmt. Diese aber war Sache der
ganzen Bauernschaft geworden. Rund fünfzehntausend Züchter schöpften
aus dem Blutquell des Hauptgestüts. Achtzig Prozent der fünfundzwanzig-
tausend eingetragenen Mutterstuten - es gab zwischen den Kriegen in Ost-

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„.'il :Är< . .

Kaiser Karl V. über das Schlachtfeld von Mühlbcrg reitend. Der Sieger, in leichter
Rüstung mit ungeschienten Beinen, hält den Hengst, der nur noch andeutungsweise
gepanzert ist, leicht am Zügel. Gemälde von Tiziano Vecelli, 1548. Madrid, Prado

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preußen etwas über vierhunderttausend Warmblutpferde - standen in den
Ställen kleiner Bauern, taten auf ihren Äckern Dienst; meist nur eine oder
zwei auf jedem Hof. (Der Großgrundbesitz überwog in Ostpreußen nicht
so sehr, wie eine landläufige Legende wissen will: die Anzahl der »Groß-
betriebe« mit über 100 Hektar nicht immer guten und oft sehr geringen
ostpreußischen Bodens betrug weniger als ein Drittel aller Landwirtschaften,
knapp zehn Prozent mehr als im ehemaligen Deutschen Reich.)

Als die Pferdezucht eine »Landespferdezucht« wurde, gründeten die Bau-
ern Züchterverbände, die sich schließlich ihrerseits wieder zu »Dachverbän-
den auf höchster Ebene« zusammenschlossen und manchmal auch einen
halbstaatlichen Charakter annahmen. Nur mit ihrer Hilfe kormten die Krisen
der neueren Zeit gemeistert werden. Einerseits das ergänzende Pendant,
andererseits das Gegengewicht zum Staat, setzten sie die Wünsche der
Züchter bei den Trägern der staatlichen Macht durch, halfen sie aber auch,
den einzelnen Züchter in die Ordnung des Ganzen einzufügen. Heute, da
der Staat als Kriegsherr und Remontenkäufer kein Interesse mehr an der
Pferdezucht hat, kämpfen die Verbände mit ihm im wesentlichen nur noch
um die Gelder zur Förderung der Zucht, vor allem um die Versorgung der
staatlichen Gestüte. Das Zuchtziel können sie nun ziemlich selbstherrlich
bestimmen.

Eines der vorzüglichsten Mittel, ein bestimmtes Zuchtziel zu erreichen
und auch in den Stutenstämmen nur das beste Blut zu fördern, ist nun neben
Geldprämien für besondere Zuchtleistungen das »Stutbuch«, das Register
des Verbandes, ebenfalls eine Einrichtung, die von den englischen Vollblut-
züchtern übernommen wurde. In das Stutbuch werden die Zuchttiere ein-
getragen, die der Verband als würdig aner kermt; gewöhnlich erhalten sie als
»Gütezeichen« den Brand des Verbandes. Die Eintragung ins Stutbuch und
der Brand sind keine rein platonischen Ehren. Sie steigern den Wert eines
Pferdes.

Meist unterscheidet man mehrere Abteilungen im Stutbuch: ein Haupt-
stammbuch, ein Stammbuch und ein Vorregister. In das Hauptstammbuch
werden beispielsweise Stuten eingetragen, die neben tadellosem Körper-
bau und entsprechenden Leistungen vier Generationen anerkarmter Vor-

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eitern aufzuweisen haben. Im Stammbuch werden die^Stuten aufgeführt,
von denen nur die Eltern und Großeltern ohne Ausnahme im Hofkalender
ihres Schlages verzeichnet stehen. Das Vorregister schließlich ist die unterste
Abteilung, in die meist jene Stuten aufgenommen werden können, die in
Typ und Bau bestimmten Mindestforderungen genügen und von einer Mut-
ter der jeweiligen Rasse und einem anerkannten Hengst abstammen. Erst
deren Enkel köimen also ins Stammbuch aufrücken, erst ihre Urenkel ins
Hauptstammbuch; immer vorausgesetzt, daß sie in Leistung und Körper-
bau dem Zuchtziel entsprechen.

Keine deutsche Pferdezucht hat so früh und so konsequent ihre Pferde auf
Leistung gezogen wie die ostpreußische. In Rennen und Turnieren wurden
in Ostpreußen jährlich etwa zweitausend Pferde auf Herz und Nieren ge-
prüft. Seit 1926 mußten alle Zuchthengste in der Hengstprüfungsanstalt
Zwion-Trakehnen beweisen, was sie zu leisten vermochten. Ein ganzes Jahr
lang wurden sie unter dem Reiter, vor dem Wagen und vor dem Pflug hart
herangenommen und täglich genau beobachtet. Bei der Abschlußprüfung
in Trakehnen bekam jeder von ihnen ein detailliertes Zeugnis mit vielen
Noten in allen Fächern, vor allem auch für seine Charaktereigenschaften.
Wer das Examen nicht bestand, wurde unbarmherzig zum Wallach degra-
diert, wie gut er auch gezogen und wie begeistert er immer wegen eines
tadellosen Exterieurs zu dieser Prüfung zugelassen worden war. Nach die-
sem Vorbild wurde für das hannoversche Zuchtgebiet in Westercelle eine
Hengstprüfungsanstalt eingerichtet.

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Kladrub und Lipizza

In Trakehnen entstand eine neue Pferderasse aus dem Land und für das
Land, österreichische Hofgestüte vollbrachten eine nicht minder bewun-
dernswerte Leistung. Sie galt allein der Schönheit, der hippischen Kultur,
dem festlichen Gepränge, nicht einem vergleichsweise banalen Nutzen für
die Landespferdezucht.

Als man im 16. Jahrhundert in Kladrub und Lipizza begann, aus den
edelsten Rassen der alten Zeit vollkommene Pferde für den Marstall des
kaiserlichen Hofs in Wien zu züchten, war von einer Landespferdezucht
noch keine Rede; die Kavaliere und Herrscher suchten sich mit den in
ihren »Stuttereyen« kunstvoll gezogenen Rossen zu übertreffen. Wo es dar-
um ging, herrscherliche Macht und Würde prunkvoll zur Schau zu stellen,
geschah dies zu Pferde. Die Rosse selbst mußten Repräsentanten des Herr-
schertums sein. Verlaß war in der Schlacht und unter den Augen einer
schau- und spottlustigen Volksmenge nur auf einen Hengst - Stuten oder
Wallache standen hohen Herren nicht an -, den man selbst im eigenen
Gestüt von zuverlässigen Ahnen gezogen und von den ersten Fohlentagen
an beobachtet und erzogen hatte. Vor den Galawagen und im Prunkzug
mußten die Pferde gut zusammenpassen, sie mußten also aus einer Zucht
stammen. Wien war eine besonders pferdefreudige Stadt, und der Glanz des
mächtigen Hofes entfaltete sich üppig.

Der Herrscher wollte und mußte sich der Menge möglichst lange zeigen;
und doch durfte sich sein Roß nicht müd und lahm dahtnschleppen. Es
sollte hohe und stolze Gänge vorführen, dabei aber nicht recht von der
Stelle kommen. Diese höfische Eigenart machten sich die Alt-Kladruber
Pferde wie kein anderer Schlag zu eigen. Kaiser Ferdinand I. hatte für sein
1562 an der Elbe, 70 Kilometer östlich Prag, gegründetes Gestüt Kladrub
Zuchtpferde aus Andalusien kommen lassen. Jene Spanier mit dem hohen
»spanischen Tritt«, die auch den neapolitanischen, normännischen und
frühen norddeutschen edlen Pferden, den Frederiksborger Dänen, hollän-

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dischen Hardtrabern und englischen Hackneys ihr bestes Bluterbe, vor
allem aber die Fähigkeit zu auffallender Grandezza im Trab mitgegeben hat-
ten. In Kladrub ist dann bei der Zuchtwahl auf diese hohen, beinahe fuch-
telnden Gänge, die Hippologen auch relativ langen Röhrbeinen zuschrei-
ben, immer wieder der größte Wert gelegt worden. In der frühen Zeit gal-
ten außerdem auch aufsehenerregende Farben als schön und vornehm. Noch
bis ins 18. Jahrhundert hinein waren deshalb die meisten Kladruber kunter-
bunte Schecken und Tiger; man liebte bei Hofe vor allem Schabracken-
tiger und Porzellanschecken.

Zu den spanischen Kladrubern gesellten sich im 18. Jahrhundert Zucht-
pferde des italienischen Schlags, und ungefähr zur gleichen Zeit ging man
auch mehr zur Zucht reiner Farben über. Vier Hengste wurden die Begrün-
der der Kladruber Blutlinien, die rein erhalten blieben, bis die Donaumonar-
chie zusammenbrach, kein Hof mehr Pferde brauchte und der tschechische
Staat der nun nutzlosen Tradition des Gestüts ein Ende setzte. Auf den ita-
lienischen Hengst Pepoli gingen die Stammväter der Schimmellinie (die,
leicht verändert, in wenigen Exemplaren noch heute fortlebt) Generale und
Generalissimus zurück. Die Nachkommen dieser beiden Hengste deckten
Generation um Generation die Töchter der jeweils anderen Linie. Die
Hengste zweier Rappenlinien, der Stämme von Sacromoso und Napoleone,
besprangen ebenso von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wechselseitig ihre weib-
lichen Nachkommen. Dieser engen Verwandtschaftszucht schreibt man die
geringe Fruchtbarkeit der späten Kladruber Pferde zu. Die Rossigkeit ihrer
Stuten, heißt es, sei oft nur »im Fluge zu erhaschen« gewesen.

Die Kladruber waren sehr kräftige, bis zu 190 Zentimeter Bandmaß große
Pferde, deren deutlich gemeißelter Kopf mit dem klassischen Profil der
andalusischen Nase stolz auf aufrechtem, geschwungenem Hals getragen
wurde. Ihr hoher, runder Gang mit gebogenem Knie kam aus einer hoch
gehobenen Schulter und war doch elegant und von königlicher Anmut:
Pferde, wahrhaft majestätisch in Haltung und Bewegung. Zum letzten Male
taten schwere Kladruber Rappen des Wiener Hofmarstalls ihre Pflicht, als
sie imNovember des Kriegsjahres 1916 Kaiser Franz Joseph zur letzten Ruhe
in die Kapuzinergruft brachten.

In Kladrub wurden außer diesen klassischen Reit- und Wagenpferden
auch englische Halbblüter nach Cleveland-Bay-Hengsten gezogen: die

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Drei Reiter in verschiedenen Stellungen. Gestalt und Farbe der wohl aus dem Stall des
Künstlers stammenden Pferde entsprechen dem Zeitgeschmack des 17. Jahrhunderts.
Gemälde von Peter Paul Rubens, um 1610—1615. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum

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Rcitcrgcfccht am Waldrand. Aus dem Gemälde von Abraham Calract,
Ende des 17. Jahrhunderts. Amsterdam, Rijksmuseum

Pferdestall im Rastquartier. Aus dem Gemälde von Philips Wouwermans,
Mitte des 17. Jahrhunderts. Amsterdam, Rijksmuseum

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Kladruber Braunen. Diese Herde hellbrauner Pferde mit tiefschwarzen Bei-
nen, ein Pferdevolk von vollendeter Ausgeglichenheit ohne jedes Abzeichen,
wurde ebenfalls nach 1918 aufgelassen. In der Zeit vor dem ersten Weltkrieg
stellte sie etwa zweihundertfünfundzwanzig von den rund fünfhundert
Wagenpferden, die Futter aus den Krippen der Wiener Hofstallungen fraßen.
Fünfzig andere waren »Spaniolen«, schwere Karossiere, Rappen und Schim-
mel, für die Prunkzüge. Die übrigen zweihundertfünfundzwanzig aber
kamen aus Lipizza, jenem Hofgestüt in Istrien, das die heute wohl auf der
Welt berühmteste in einem Gestüt hervorgebrachte Rasse züchtete.

Hoch auf dem Karst, sozusagen in einer von Bären und Wölfen bedrohten
Steinwüste, über die der Schirokko und die schneidend kalten Borastürme
fegten und in der nur spärlich ein allerdings äußerst nahrhaftes Gras wuchs,
gründete Erzherzog Karl, der Sohn Ferdinands I., bei dem Dorf Lipizza,
nicht weit von Triest, 1580 das Gestüt, das die Zuchtstätte der edelsten
Schulpferde werden sollte. In dieser für die Zucht widerstandsfähiger und
anspruchsloser Pferde wie geschaffenen Gegend waren offenbar schon seit
den sagenhaften Tagen der Veneter harte Pferdegeschlechter gezogen wor-
den. Im Mittelalter waren die mutigen Karstpferde von Rittern und Edlen
sehr geschätzt, und auch die spanischen Rosse - leichte, stark mit Berber-
blut veredelte »Geneten« und kräftige kastilische »ViUanos« -, die der Erz-
herzog dazu für sein Gestüt heranschaffen ließ, gediehen in der Luft über
dem Gestade des Adriatischen Meers so vorzüglich, daß man bald daran-
ging, das Gestüt zu vergrößern und weitere Zuchtpferde aus Italien, später
auch aus dem dänischen Frederiksborg und aus Kladrub einzuführen.
Diese Blutzufuhren brachten sehr spätreife, für die Schulreiterei begabte
Pferde des spanisch-orientalischen Typs nach Lipizza.

Heute kennen wir die Lipizzaner vor allem in der stolzen, klassischen
Form und Schimmelfarbe, in der sie die Wiener Hofreitschule der ganzen
Welt bekannt gemacht hat. In der frühen Zeit aber überwogen auch in den
Herden von Lipizza die Schecken und Tiger, daneben vor allem Falben und
Isabellen. Noch 1868 wurde auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung ein
Sechserzug Lipizzanerschecken vorgeführt. Heute überwiegen zwar die
Schimmel in dieser Rasse, aber es gibt nach wie vor unter den Lipizzanern
auch Falben, Braune, Rappen und Füchse. Sechs Hengstlinien aus der Zeit
um die Wende zum 19. Jahrhundert leben noch heute fort: die drei Schim-

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mellinien des Maestoso, des Frederiksborgers Pluto und des Arabers Siglavy,
die Linien zweier Neapolitaner, des braunen Neapolitano und des Rappen
Conversano, und die Linie des falbfarbenen Kladruber Hengstes Favory.

Ungleich den Kladrubern, von denen nur wenige Hengste vor und nach
1918 in der Landespferdezucht verwendet wurden, haben die Lipizzaner
auch außerhalb ihres Stammgestüts viele Züchterfreunde gefunden. In Un-
garn und Jugoslawien, in der Slowakei und in Rumänien, in Italien und
Polen sind diese harten und gesunden, schnellen und ausdauernden Pferde
in Privat- und Staatsgestüten rein gezogen und teilweise auch der Landes-
zucht dienstbar gemacht worden. Für die Bauern aber war die Schimmel-
farbe unpraktisch. Deshalb sucht man sie in manchen Nachzuchten wieder
zu verdrängen.

Wie Trakehnen ist auch Lipizza von politischen Wirren nicht verschont
geblieben. 1809 wurden seine Herden vor den Franzosen nach Ungarn in
Sicherheit gebracht. 1918 fiel es mit dem Karstgebiet um Triest an Italien.
Ein Teil der Zuchtpferde blieb Österreich jedoch erhalten und fand im Staats-
gestüt Piber in der Steiermark eine neue Heimat. In den Jahren 1942 und
1943 wurden die Lipizzaner aus Piber, aus Jugoslawien und aus Sieben-
bürgen im böhmischen Gestüt Hostau und in einem polnischen Gestüt noch
einmal zusammengeführt. In Hostau standen schließlich vierhundert Schim-
mel aus gemeinsamem Lipizzaner Blutquell vereint. 1945 hatte dieses unge-
wöhnliche Pferdefamilien-Treffen ein turbulentes Ende. Es gelang noch, die
wertvollen Pferde über den Böhmerwald nach Österreich vmd mit knapper
Not auch von der russisch besetzten in die amerikanische Zone zu bringen.
Von da reisten die meisten bald in ihre Heimatländer zurück.

Die Lipizzaner österreichischer Nationalität fanden wieder im Bundes-
gestüt Piber und bei Wels in Oberösterreich - wo auch die Hofreitschule,
aus dem besetzten Wien geflüchtet, unterschlüpfte - eine Bleibe. Dort wei-
den heute noch die edlen Herden, die das züchterische Kulturerbe der älte-
sten europäischen Warmblutrasse treu weitertragen. Die besten Junghengste
aus Piber werden nach wie vor nach Wien in die Hohe Schule der Reiterei
geschickt. Als die Besatzungstruppen diese Stadt verlassen hatten, kehrten
die Lipizzaner Hengste mit ihren Bereitern in den prächtigen Barockbau
Fischer von Erlachs am Michaeler Platz zurück. Und am ersten Tag nach
der Räumung Österreichs, am 26. Oktober 1955, feierte das offizielle Wien

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den Beginn einer neuen Epoche österreichischer Geschichte in der spanischen
Reitschule mit dem Genuß klassischer Reitkunst auf klassischen Pferden, mit
Levade und Capriole. Die nach uralten, nur mündlich von Bereitergenera-
tion zu Bereitergeneration überlieferten Regeln vorgeführten Künste, von
denen Präsident und Kanzler des österreichischen Bundes und eine andäch-
tige Menge sich begeistern ließen, waren noch die gleichen, denen der Grün-
der der Schule, Kaiser KarlVI., zugeschaut hatte. Und das Bildnis des Kaisers,
von drei Kristall-Lüstern mit je einhundertacht Kerzen angestrahlt, sah drei-
hundertfünfundsiebzig Jahre nach der Errichtung des Hofgestüts Lipizza
auf Pferde herab, die in Haltung und Manier, in Kraft und Gesundheit, Ge-
lehrigkeit und Mut das Erbe der Jahrhunderte bewahrt haben.

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Springsport und Pferdezucht

In den Sommermonaten spielen die Kinder der alten Kaiserstadt Aachen
allesamt »Reitturnier«. Sorgfältig und je nach »Springvermögen«verteilen
die Buben und Mädchen die Rollen unter sich: Schang - anderswo nennt
man ihn Johann - ist Fritz Thiedemann auf Meteor, Schorsch - laut Tauf-
schein Georg - wird Hans Günter Winkler auf Halla, Tünnes - weiter öst-
lich Anton genannt - und Karl fühlen sich als Francisco Goyoaga und
Raimondo d'Inzeo, Mariechen und Kathrinchen spielen Helga Köhler und
Gerlinde Merten. Über Besenstiele, Parkbänke und Lattenzäune reiten sie
in Galoppsprüngen um die Weltmeisterschaft oder den Großen Preis von
Aachen. Wer die stärksten Lungen hat, reißt das Amt des Richters an sich.
Während die Kleinen Muskeln und Lunge üben, fließt den Großen nach den
Aachener Turniertagen beim Bridgekränzchen und am Stammtisch, im
Chefbüro und an der Werkbank der Mund über vom Geschehen des Reiter-
festes. Und was da gesagt wird, zeugt von ganz erstaunlich intimer Sach-
und - vor allem - Personenkenntnis. Das Aachener Reit-, Spring- und
Fahrturnier zieht die ganze Gegend an der belgisch-holländischen Grenze in
seinen Bann. Gäste aus aller Welt und aus allen Schichten - fünfzigtausend
waren es 1955 beim Weltchampionat der Springreiter - versammeln sich
Tag für Tag auf dem weiten Turnierplatz in der Soers, um den Wettkampf
der besten Reiter der Nationen zu sehen. Morgens, bei den Material- und
Dressurprüfungen, sind die Fachleute unter sich in einer Atmosphäre feier-
licher und angespannter Konzentration. Nachmittags, bei den großen Jagd-
springen, wird der Sattelplatz ein Treffjpunkt all jener, die in der Reiter-
welt und im Lande Rang und Namen haben. Turnierreiter im Roten Rock
und Anaazonen im kleidsamen Dreß, Repräsentanten des Staates und der
Gesellschaft, Mitglieder ausländischer Fürstenhäuser und Diplomaten,
Honoratioren der Stadt, fachkennerische Bauern und Pferdezüchter geben
sich vor der Tribüne ein Stelldichein, umdrängt von jugendlichen Auto-
grammjägern. Das rheinische Temperament der einheimischen Besucher

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Kaiser Karl VI., der Gründer der Spanischen Hofreitschule in Wien,
auf einem Lipizzaner. Gemälde eines unbekannten Meisters, i. Hälfte
des i8. Jahrhunderts. Wien, Hofburg (Wintcrreitschule)

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M

Maria Theresias großes Damenkarussell in der Spanischen Hofreitschule in Wien.
(In der Mittellogc hängt das umseitig gezeigte Bildnis des Kaisers.) Gemälde aus der
Schule Martin van Meytens, 1743. Wien, Schloß Schönbrunn

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sorgt für eine heitere und lebendige Stimmung. An den »Ahs« und »Ohs«
der schnell und unbefangen reagierenden Menge mag man die rasch gefaßte
und ohne allzu große Gene geäußerte Sympathie oder auch Abneigung der
turnierbegeisterten Aachener Bevölkerung erkennen, wenn die ihr meist seit
vielen Jahren bekannten Reiter über den phantasievoll mit natürlichen und
künstlichen Hindernissen gespickten Parcours im großzügigen Geviert
gehen. Wehe dem Reiter, der sein Pferd unfair spornt oder schlägt! Atem-
lose Stille bei schwierigen Sprüngen. Hörbares Herzklopfen beim Stechen
der Favoriten. Von keiner Sperre zu bändigende Begeisterung, wenn der
»Preis der Nationen«, der »Große Preis von Aachen«, das »Weltchampionat
der Springreiter« endlich entschieden ist. Und schließlich, am letzten Tag,
nach dem abschließenden Aufmarsch der Nationen, wenn aber Tausende von
Taschentüchern den geliebten Pferden und umschwärmten Amazonen und
Reitern nachwinken, ein Herzweh ob all der schönen und begeisternden
Stunden, die ein rechtes Reitturnier beschert.

Aachen ist nur ein Beispiel. In Berlin und Dortmund, Hamburg und Wies-
baden, Flensburg und Ludwigsburg - wo immer große und kleine Turniere
stattfinden, versammeln sich Jahr für Jahr mehr Menschen, um den Reiter-
spielen zuzusehen. Jedenfalls in gesellschaftlicher, aber auch in sportlicher
Hinsicht haben die Reitturniere etwas von den Vollblutrennen übernom-
men. Es ist kein Zufall, daß 1955 und 1956, zwei Jahre hintereinander, die
deutschen Sportjournalisten einen Reitersmarm, den Weltmeister der Spring-
reiter und Olympiasieger Hans Günter Winkler, zum populärsten Sportler
des Jahres kürten, trotz aller Konkurrenz der Fußball-, Radfahr-, Box- und
Eislaufstars.

Jeder Leser des Sportteils unserer Zeitungen konnte staunend verfolgen,
wie erfolgreich schon kurz nach dem Kriege deutsche Reiter und Pferde sich
auf den großen internationalen Turnieren behaupteten: trotz dem Verlust
der großen Zuchtgebiete in Ost- und Mitteldeutschland und obwohl es
Reit- und Fahrschulen des Heeres bei uns nicht mehr gab, die in aller Welt
- ohne Rücksicht auf die Kosten - die Turniere mit ihren Equipen be-
schicken. Wer sich mehr für den Wirtschaftsteil der Zeitungen interessierte,
fand dort nicht selten eine kleine Notiz: soundso viele wertvolle Reit- oder
Zuchtpferde seien ins europäische oder überseeische Ausland verkauft
worden.

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Wenn der Rundfunk Nachrichten von den internationalen Reitturnieren
bringt, spitzen die Bauern in Holstein, im Hannoverschen und in den anderen
deutschen Warmblutzuchtgebieten die Ohren. Sie kennen jedes Pferd, von
dem da die Rede ist, so gut wie die Fußballfans die Helden des Lederballs.
Ja noch besser. Denn die Väter, Großväter und Urgroßväter dieser Rosse
waren die Ahnen auch ihrer Stuten und Fohlen. Sie sind stolz, wenn sie
hören, wie die Römer auf der Piazza di Siena, die New Yorker im Madison
Square Garden, die Kanadier in Toronto, die Schweizer in Luzern, die Fran-
zosen in Nizza, die pferdeverständigen Iren bei der Dubliner Horse Show,
die nüchternen Londoner in White City, die heißblütigen Spanier in Madrid,
das große internationale Publikum der Olympischen Reiterspiele in Stock-
holm und auf dem Turnier in Aachen den deutschen Reitern und »ihren«
Pferden zujubeln. Befriedigt nicken die Bauern sich zu, wenn sie erfahren,
daß beispielsweise beim Turnier in Rom 1954 Spanier, Türken und Italiener
auf deutschen Pferden nicht schlecht abschnitten. (Von den einhundert-
zwanzig Pferden, die dort starteten, waren dreiunddreißig in Deutschland
gezogen, zwanzig davon gingen unter ausländischen Reitern.) 1953 starteten
deutsche Reiter auf sechzehn ausländischen Turnieren, darunter in sieben
offiziellen internationalen (CHIO - Concours Hippique International Offi-
ciels; Französisch ist die offizielle Turniersprache der FEI, der Fédération
Equestre Internationale). Sie siegten dort fünfundsiebzigmal und wurden
zweihundertzweiundneimzigmal placiert. Dies Ergebnis übertraf sogar die
Vorkriegserfolge. 1954 und 1955 gewann Hans Günter Winkler auf seiner
Stute Halla, der in Hessen gezogenen Tochter eines deutschen Traber-
hengstes und einer französischen Mutter unbekannter Abstammung, das
Weltchampionat der Springreiter in Madrid und Aachen. Fritz Thiedemann
empfing 1954 in London aus der Hand der englischen Königin den King
George V. Cup. Aus Stockholm, von den Olympischen Reiterspielen 1956,
brachten deutsche Reiter die meisten Medaillen mit nach Hause (zwei gol-
dene, drei silberne und eine bronzene). Bis in die Vereinigten Staaten und
nach Kanada führten siegreiche Turnierreisen. Die Ätherwellen des Sport-
funks trugen den Ruhm der deutschen Warmblutzucht in alle Welt.

Warmblutzüchter freuen sich darüber noch ein wenig mehr und anders
als Sportfreimde, weil der Erfolg der deutschen Pferde auf den Pferde-
leistungsschauen - wie die Turniere offiziell heißen - sich für sie bald in

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klingende Münze umsetzt. Der Turniersport ist nänJich nicht nur eine
noble Passion. Er gehört als Leistungsprüfung zur Kontrolle und Verbesse-
rung der Zucht - und als Werbung zum Geschäft. Die Spanier beispiels-
weise hielten früher nicht viel von deutschen Pferden. Jetzt haben sie in
wenigen Jahren viele Pferde mit großen Namen in Deutschland gekauft:
»Quoniam« frißt schon länger spanischen Hafer. 1953 gingen der Holsteiner
»Bayamo« und der junge, vielversprechende Hannoveraner »Derby« über
die Pyrenäen, 1954 die Holsteinerin »Baden« und der 1953er Springderby-
sieger »Cäsar«. Der Hannoveraner »Fahnenkönig« und andere folgten.

Die Spanier sind nur ein Beispiel. Jahr für Jahr werden wieder deutsche
Pferde ins europäische und überseeische Ausland verkauft. 1953 waren es
noch über dreiundzwanzigtausend für mehr als vierzehn Millionen Mark,
1955 zwölftausendzweihundertsechsundfünfzig Pferde für fast zehn Millio-
nen Mark. Die schweizerische Armee und die Turnierställe der benachbarten
Niederlande, Italiens und der Türkei gehören zu den treuen Kunden, aber
auch Nord- und Südamerika. In Ost- und Südafrika gibt es eine Reihe von
Gestüten, die ihre Zuchten auf deutschem Blut aufbauen. Dabei ist die volks-
wirtschaftliche Devisenrechnung nicht so wichtig wie die Verbreiterung der
finanziellen Basis unserer Pferdezucht.

Die deutschen Züchter haben nicht immer auf Absatz im Ausland zählen
können. Zwar genossen die norddeutschen Pferde, vor allem die Oldenbur-
ger und Holsteiner, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts einen guten Ruf an
den europäischen Höfen. Aber gleichzeitig mit dem Verfall der fürstlichen
und bischöflichen Gestüte, mit der Unsicherheit, die bald darauf die deut-
sche Pferdezucht zurückwarf, kam das neue Modepferd über den Ärmel-
kanal: das englische und irische Pferd. Bis zum ersten Weltkrieg noch wurde
mancher biedere Hannoveraner oder Holsteiner von Roßtäuschern als Ire
verkauft, weil er so leichter an den auf Vornehmheit bedachten Mann zu
bringen war. Erst langsam stellte sich der Ruf der deutschen Warmblut-
zucht und damit ihr Export wieder her.

Die Erfolgskurve im Reit- und Fahrsport lief dieser Entwicklung parallel.
Zwar gab es Turniere in Deutschland schon seit den neunziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts, aber sie waren fast interne Angelegenheiten der
Armee. Das Hauptaugenmerk galt noch den Vollblutrennen. Bei den ersten
Olympischen Reiterspielen 1912 in Stockholm zeigten sich die Schweden

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weit überlegen. Das spornte den Ehrgeiz an. Ein »Deutsches Olympiade-
komitee für Reiterei« wurde gegründet. 1916 wollte man bei den Olympi-
schen Spielen in Berlin beweisen, was deutsche Pferde leisten konnten. Aber
1916 fanden die Olympischen Spiele nicht statt.

Nach dem Krieg wurden die deutschen Reiter boykottiert, und die
deutsche Pferdezucht litt Not. Doch bald ritt Freiherr von Langen über
die Hindernisse holländischer, italienischer, schwedischer und schwei-
zerischer Turnierplätze; er war Meister in Vielseitigkeitsbewerben und
siegte auch - bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam - in schwe-
ren Dressurprüfungen; das Aachener Reitturnier auf einem der schönsten
und größten Turnierplätze der Welt wurde vom internationalen Verband als
»offizielle« internationale Prüfung anerkannt. Steil aufwärts führte der Weg
zu jenen großen Erfolgen von 1936 in Berlin.

Gleichzeitig aber nahm in den letzten drei Jahrzehnten auch im Inland
der Turniersport einen grandiosen Aufschwung. Die Zahl der großen und
kleinen Leistungsschauen wuchs ständig an. Sie wurden besser beschickt
und mit Schaunummern ausgeschmückt, und die Tribünen für die Zuschauer
mußten von Jahr zu Jahr weiter ausgebaut werden. Aus exklusiven Ereig-
nissen der großen Gesellschaft sind inzwischen Volksfeste geworden. Unter
den gefeierten Turnierreitern der letzten Jahre überwiegen die Bauernsöhne,
die die Pferde ihrer Väter und ihrer Landschaft auf den Turnieren zeigen.
Vor mehr als zwei Millionen Zuschauern starteten 1956 bei solchen Lei-
stungsprüfungen rund fünfundsiebzigtausend Pferde, von denen etwa vier
Fünftel Arbeitspferde waren.

Die Arbeitspferde vor dem Pflug haben die Mehrheit von achtundneunzig
Prozent; tatsächlich kommt der Erfolg ihnen und ihren Geschlechtern zu-
gute. Aber der Pferdesport ist älter als alle Züchtervereinigungen und Lan-
despferdezuchten, eine alte menschliche Leidenschaft, tief eingewurzelt in
Jahrtausenden.

Vielleicht ist die Freude daran ein Atavismus auf Urzeiten. Könnten wir
in die Reiter hineinsehen, die da »für ihren Verein, ihre Landschaft, ihre
Nation« starten, so würden wir feststellen, daß sie nicht für oder gegen Ab-
strakta reiten, im Grund ihrer Seele nicht »einer Sache dienen« oder an die
Pferdezucht denken, sondern daß ihnen das Herz höher schlägt, das Blut
schneller pulst, daß der Ehrgeiz sie drängt, die Lebenslust sie packt wie

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schon die alten Reitervölker bei ihren Spielen zu Pferde. Deshalb reiten sie,
und deshalb lieben wir den Pferdesport. Wenn Begeisterung uns erfaßt, fällt
alles Bewußtsein von uns ab, und alle historischen Zufälligkeiten werden un-
wichtig. Tief innen spüren wir, daß der Mensch zum Reiten geboren ist. Der
Wettkampf der edlen Geschöpfe, das Spiel der Muskeln und Sehnen an den
wundervollen Leibern der über die Hindernisse fliegenden Rosse, die Har-
monie zwischen Mensch und Tier bis in die letzte Faser beider wie mitein-
ander verschmolzener Körper in der Dressur sind frei von aller Zweckhaftig-
keit, einfach schön, ein Labsal für die Seele, Balsam für die von der Technik
geschundenen Nerven.

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Warmblut zwischen Marsch und Alpen

Holstein und Hannover, Oldenburg und Ostfriesland sind die Haupt-
zuchtgebiete des deutschen Warmbluts, wenn auch in anderen Teilen
unseres Landes tüchtige Warmblutpferde wachsen und in Württemberg, im
bayerischen Rottal und in der Pfalz eigene, bodenständige Rassen gezüchtet
werden. Pferdezucht braucht große Weideflächen, auf denen die Rosse sich
tummeln, ihre Lungen weiten, die Muskeln stählen und frisches, würziges
Gras finden können. Je eher der Weidegang im Frühjahr beginnen und je
länger er in den Herbst, ja in den Winter hinein ausgedehnt werden kann,
desto besser gedeihen die Fohlen und die jungen Pferde. Das milde Seeklima
mit Temperaturausgleich und reichlichen Niederschlägen läßt die Weiden
im Norden Deutschlands lange gangbar bleiben.

Gäbe es keine Landwirtschaft mit traditioneller Struktur und Bodenauf-
teilung, könnten die Pferde sich frei ihren Standort wählen, so wären leichte
und edle Schläge kaum in den feuchten Niederungen der Marschen zu finden.
Dort würden vielmehr die massigeren Kaltblutrassen eine Heimat suchen,
wie sie es ja auch wirklich taten, bevor der Mensch die Erde nach seinem
Willen formte. Die Scholle wirkt nämlich aufs Pferd genauso, wie der Laie
es sich vorstellt: gedrungene, dicht behaarte Typen wachsen in kaltem, edle
und »seidig bespannte« in heißem Klima. Schwerfällige Pferde mit großem
Hunger nach Massenfutter gedeihen besser auf feuchten Böden, trockene,
nervige und genügsame Rosse dagegen in heißen Trockengebieten. Lunge
und Herz weiten und kräftigen sich in hoch gelegenen Landstrichen, wo die
Quellen reineres und härteres Wasser hergeben, das Gras kürzer, würziger
und nahrhafter wächst, ein Höhenreizklima und freie frische Winde auch das
Nervensystem und die ganze Konstitution gesund und kraftvoll sich ent-
wickeln lassen und die Hufe auf hartem Boden fest werden. Ein ähnliches
Reizklima begünstigt die Zucht edler Pferde auf den britischen Inseln und in
Irland, wo zugleich der Golfstrom für einen langen Weidegang sorgt. In
Deutschland ist eine Kombination dieser beiden wichtigen Faktoren selten

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und nie so ideal zu finden. Deshalb haben die meisten deutschen Vollblut-
zuchten Standorte im Westen, vorwiegend in der Rheinebene, gewählt, und
deshalb müssen unsere warmblütigen Rassen in weichem, mildem Niede-
rungsklima immer wieder mit edlem Blut aufgefrischt werden, wenn sie
nicht auf die Dauer »zu kalt« werden sollen. Dennoch blieb die Pferdezucht
hauptsächlich entlang den Küsten von Nord- und Ostsee heimisch, wo sie
im Mittelalter schon geblüht hatte, als die flämischen Ritterpferde Weltruhm
erlangten.

In Holstein züchteten schon im 14. Jahrhundert Klosterherren und später
die holsteinischen Herzöge mit Liebe und Verstand aus landeseigenem und
orientalisch-spanischem Blut ein starkes, aber schönes und gängiges Kriegs-
roß im andalusischen Typ. Aus allen Ländern kamen Roßhändler, um diese
Pferde zu kaufen. Sogar ins Stammland der Andalusier selbst, an das spani-
sche Gestüt Córdoba, wurden Zuchthengste geliefert. Mit den »Schwarzen
Holsteinern«, wie man sie nannte, begründete noch im 18. Jahrhundert Han-
nover im Landgestüt Celle seine Zucht. Auch Mecklenburg nährte seine
Gestüte aus dieser Blutquelle. Dann aber war die Zeit des spanisch-neapoli-
tanischen Typs vorüber. Ein weit über das europäische Festland gespannter
Roßhandel hatte zudem die holsteinischen Bauern von der soliden Zucht
abgelenkt, sie verfiel und mußte später ganz neu aufgebaut werden. Die heu-
tigen Holsteiner haben mit den andalusischen Pferden früherer Jahrhunderte
fast keinen Tropfen Bluts mehr gemein.

Der neue Typ wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts hauptsächlich mit
Vollbluthengsten geschaffen, die der Herzog Christian August zu Schleswig-
Holstein-Sonderburg-Augustenburg damals schon selbst zog. Als die Pferde
zu leicht zu werden begannen, räumte man schweren englischen Halbblut-
hengsten in den Gestüten den ersten Platz ein. Von der Mitte des 19. Jahr-
hunderts an kamen hauptsächlich hannoversche Hengste ins Land, später
auch Ostpreußen. Seit 1900 erst treibt Holstein wieder Reinzucht fast nur
mit aus dem Lande stammenden Hengsten, wenn auch hannoversche Zucht-
pferde in Holstein ebenso anerkannt werden können wie umgekehrt hol-
steinische im hannoverschen Zuchtgebiet.

Fast alle Hengste gehörten früher wie in Schleswig den auf ihre Unab-

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hängigkeit bedachten Bauern oder ihren Genossenschaften. Erst in der
Krise nach dem ersten Wehkrieg, 1926 und 1927, mußte der »Verband der
Pferdezüchter in den holsteinischen Marschen« (1897 gegründet; die »Reit-
und Fahrschule Elmshorn« dieses Verbandes, die nach dem letzten Kriege
mit Fritz Thiedemann so große Triumphe feierte, wurde schon 1894 errich-
tet) seine Hengste dem Staat verkaufen. Heute besitzt das nach 1866 von der
preußischen Gestütsverwaltung gegründete und damals ziemlich einflußlose
Landgestüt Traventhal fast drei Viertel aller Zuchthengste.

Kräftige, federnde Sprunggelenke haben den häufig hellbraunen Holstei-
nern in den letzten Jahrzehnten im Springsport zu einem Ruhm verholfen,
der dem ihrer mittelalterlichen Vorfahren kaum nachsteht. Sie verdanken
diese starken »Sprungfedern« nicht zuletzt dem Umstand, daß die Weiden
auf den Marschen früher nicht dräniert waren; oft sanken die Pferde tief in
den Schlick; nur mit mächtigem Schub aus der Hinterhand konnten sie vor-
wärts kommen, Futter finden und vor der Flut fliehen. Der »Schub aus der
Hinterhand« erlaubt es diesen Pferden auch, bei »hoher Aktion«, einem flei-
ßigen und schwungvollen Hochtreten der Vorderhand, weit voranzukom-
men. Diese Kombination von hoher Aktion und räumendem Vorwärts-
treten, die wundervoll schwebenden, stolzen Gänge machten schon den
Holsteiner früherer Zeiten zu einem der gesuchtesten Wagenpferde für hohe
Herrschaften. Noch heute halten wir den Atem an, weim auf einem Fahr-
turnier ein Sechser- oder Achterzug völlig gleichfarbener und zum Ver-
wechseln ähnlicher Holsteiner vorübertrabt.

Ihre Tüchtigkeit als Zug- und Sprungpferde rechtfertigt das Ansehen der
Holsteiner auf dem Turnierplatz wie auf dem Acker, wo im Grunde die
gleichen Eigenschaften gefordert werden. Es ist deshalb kein Widerspruch,
wenn nach dem Willen seiner Züchter der Holsteiner sowohl ein »edles,
kräftiges Reit- und Wagenpferd mit starken Knochen und hohen räumenden
Gängen« als auch ein Wirtschaftspferd für den Bauern sein soll. Berühmte
Holsteiner Turnierpferde (Bianka, Walküre, Wange, Nordland, Baden,
Original-Holsatia, Fenek, Trajan, Loretto) stammen aus der Blutlinie des
1877 geborenen Achill.

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Die Paketpost von Ludlow/England. Achterzug von Percherons, den schweren, ursprünglich
französischen Pferden. Ihre Züchter behaupten, daß in den Adern dieser Pferde arabisches Blut
fließe. Aus dem Gemälde von Jacques-Laurent Agasse, 1801. Basel, öffentliche Kunstsammlung

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In Holstein standen 1950 etwa vierzehntausend eingetragene Stuten bei
rund zehntausend Züchtern. In den Ställen von etwa zwanzigtausend han-
noverschen Züchtern rupften etwa dreißigtausend Zuchtstuten Heu aus den
Raufen. Das Zuchtgebiet Hannover ist heute das größte geschlossene Warm-
blutzuchtgebiet Europas.

Pferdeverstand und Freude an der Pferdezucht sind im Hannoverschen
althergebrachte Tugenden. Unter den Dächern der niedersächsischen Bau-
ernhäuser mit den gekreuzten Pferdeköpfen an den Giebeln wohnen oft
noch heute Mensch und Pferd Tür an Tür beisammen. Über die Grenzen des
Landes hinaus drang der Ruhm der hannoverschen Pferdezucht, als im 15.
und 16. Jahrhundert dort - wie auch in Holstein, Oldenburg und Ostfries-
land - Andalusier imd Neapolitaner gezogen wurden. Pferde dieses Typs,
»Schwarze Holsteiner«, waren auch die ersten Hengste des Landgestüts
Celle, das Georg IL, König von England und Kurfürst von Hannover, im
Jahre 1735 (drei Jahre später als der preußische Soldatenkönig Trakehnen)
gründete. Es diente, anders als Trakehnen, gleich von Beginn an der Landes-
pferdezucht.

Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Celle Hengste der ver-
schiedensten Herkunft, hauptsächlich Mecklenburger, aufgestellt. Dann be-
gann auch Harmover Vollbluthengste einzuführen. Die Bauern begeisterten
sich zunächst rasch für das edle Blut. Bald aber machte sich auch hier ein
Mangel an Wirtschaftspferden bemerkbar. Mit kräftigen deutschen und eng-
lischen Halbbluthengsten wurde dann wieder verstärkt. Ein Celler Land-
stallmeister, Herr von Unger, berichtete darüber, und wir zitieren aus dem
Bericht, weil er zugleich als ein gutes Beispiel für Züchterdenken und Züch-
tersprache gelten darf :

»Nachdem Mecklenburg durch übertriebene Verwendung von Vollblut
zuerst den großen und starken Wagenschlag eingebüßt und daim durch Ver-
wendung von SufFolk- und Norfolk-Hengsten sein Zuchtmaterial unsicher
in der Vererbung gemacht hatte, mußte man sich den Ankäufen von Beschä-
lern in Mecklenburg ab- und England mehr zuwenden. Es kamen von dort
nicht nur Vollblut-, sondern auch wertvolle Halbbluthengste in das Gestüt
und wirkten günstig. Die englischen Halbbluthengste damaliger Zeit, meist
Produkte der Kreuzung mit Vollblut, besaßen den noch nicht so hoch ver-
edelten Mutterstuten des hiesigen Landes gegenüber meist eine durchschla-

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gende Vererbungsfähigkeit ihrer guten Formen. So sind allmählich diese
englischen Formen mehr oder minder in die hannoversche Zucht über-
gegangen; das hiesige edlere Halbblutpferd zeigt sich schon seit einer Reihe
von Jahren dem englischen sehr ähnlich. Allmählich aber bildete sich in den
guten Zuchtgegenden bei sorgfältiger Paarung sowohl nach Exterieur als
nach Abkunft ein Stamm constant gezogener edler und dabei starker Pferde
heraus, demgegenüber die nicht so constant gezogenen, aus England ein-
geführten Halbbluthengste sich mehr und mehr unsicher in der Vererbung
zeigten. Da sich nun gleichzeitig eine Verfeinerung der Mutterstuten bemerk-
bar machte, als Folge der Verwendung von zuviel Vollblut bei ungenügen-
der Aufzucht, so wurde der Plan gefaßt, mit Hengsten des besten und stärk-
sten Blutes edler harmoverscher Zucht eine vorsichtige Rückkreuzung zu
machen, um Stärke wiederzugewinnen, ohne an Adel wesentlich einzubüßen.
Dieser Plan, am Anfang der sechziger Jahre eingeleitet, kam erst nach dem
Jahre 1866 zur Ausfühnmg und bewährte sich als ein vollständig richtiger.«

Hannover folgte also von etwa 1860 an dem ostpreußischen Beispiel, mit
im Lande selbst gezogenen Hengsten eine eigene Halbblutrasse zu konsoli-
dieren und nur zu deren Korrektur planvoll bestimmte fremde Blutströme
einfließen zu lassen. Obwohl auch die hannoverschen Züchter sich vor dem
ersten Weltkrieg ganz auf die Wünsche der Armee eingestellt hatten, sind
ihre Pferde doch nie so leicht und temperamentvoll geworden wie die Ost-
preußen. Sie hatten es deshalb auch nach dem Krieg nicht so schwer, sich
auf das neue Zuchtziel umzustellen, das sie folgendermaßen formulierten:
»Ein Warmblutpferd, so stark, wie es die Scholle trägt, das jede Arbeit in der
Landwirtschaft verrichten kann, aber auch so viel Blut, Nerv und Gang
besitzt, um als starkes Reit- vuid Wagenpferd Verwendung zu finden.« Auch
für heutige Bedürfnisse werden die Hannoveraner auf den fetten Marsch-
weiden eher zu groß und zu massig. Deshalb spielt noch immer das Vollblut
seine wichtige veredelnde Rolle. Über zwanzig Vollbluthengste und viele
Vollblutsöhne decken im hannoverschen Zuchtgebiet.

Drei Landgestüte versorgen das hannoversche Zuchtgebiet mit Heng-
sten: das altehrwürdige in Celle, dessen Hengstparaden Jahr für Jahr viele
tausend Menschen in die alte Pferdestadt locken; das erst 1925 gegründete
Landgestüt Osnabrück und seit 1945 das braunschweigische Landgestüt
Harzburg.

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Nun ist Hannoveraner nicht gleich Hannoveraner. Man muß vielmehr
die knochenstarken, schwereren und tieferen Reit-, Wagen- und Wirtschafts-
pferde aus den Hochzuchtgebieten um Stade und Hadeln von den edleren
und leichteren Hannoveranern (Reit- und Wagenpferden) aus der Gegend von
Hoya und umVerden unterscheiden. Für Besitzer von Reitpferden und solche,
die es werden wollen, ist vor allem der Name Verden ein Begriff. In diesem
Städtchen finden alljährlich im Frühjahr und im Herbst vor großem inter-
nationalem Publikum und bei feierlichem Zeremoniell Reitpferdeauktionen
statt. Die wichtigsten Hengstlinien sind dort die des Flingarth (Fling, Flirt,
Flint, Feiner Kerl, Flugfeuer II, Flavius, Flügeladjudant, Futurist), des
Almfex II und des Vollblüters Adeptus.

Als vielseitiges und praktisches Warmblutpferd hat der Hannoveraner
auch in anderen Landschaften Freunde gefunden. Mecklenburg baute seine
Zucht, nachdem sie im frühen 19. Jahrhimdert an rasch wechselnden und
ziemlich unüberlegten Experimenten mit verschiedenen Vollbluttypen zu-
gnmde gegangen war, auf hannoverscher Grundlage wieder auf. Schöne
Früchte reiften gerade heran, als der Ausgang des zweiten Weltkrieges sie
wieder verdorren ließ. Das gleiche Schicksal litt die pommersche Pferde-
zucht, die ebenfalls seit 1922 ganz auf hannoverschem Blut neu aufgebaut
wurde. In Brandenburg konkurrierten die hannoverschen Rosse mit den
Ostpreußen, doch war Haimover um einige Längen voraus (etwa die Hälfte
gegen ein Viertel Ostpreußen und ein Viertel Brandenburger). Auch nach
dem Kriege gingen wieder Hengste aus Hannover an das heute einzige
Warmbluthaupt- und -landgestüt der Sowjetzone, Neustadt an der Dosse,
das frühere Friedrich-Wilhelm-Gestüt. In Westfalen schließlich, wo die
Warmblutzucht lange nicht recht heimisch werden wollte und sehr unein-
heitlich aufgebaut war, wird seit 1920 nur noch mit Hannoveranern weiter-
gezüchtet.

Hannoveraner und Holsteiner ähneln sich im Typ. Zwischen den Zuchten
dieser beiden Länder gab es seit jeher mancherlei Verbindungen und Blutaus-
tausch. Eine eigenständige Entwicklung aber nahm die Pferdezucht im be-
nachbarten Oldenburg. Auch dort blühte sie schon im Mittelalter als wich-
tigste Quelle des Wohlstands. Graf Johann XVI. von Oldenburg (1578 bis

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1603) und sein Sohn, Graf Anton Günther (1603 bis 1667), hatten orienta-
lische, andalusische und neapolitanische Hengste eingeführt, um den schwe-
ren und großen Landschlag in ihren Gestüten zu veredeln. Tüchtige Wagen-
pferde, die vor den Staatskarossen vieler europäischer Höfe gingen, waren
der Erfolg. Da die Oldenburger Bauern einem bis zur Dickköpfigkeit be-
harrlichen Menschenschlag angehörten und schon die Grafen Johann und
Anton Günther die Pferdezucht bei den Bauern verankert und gefördert hat-
ten, da außerdem ein staatliches Gestüt gar nicht bestand, die zuständige
Regierung aber in wenig mehr als hundert Jahren zuerst von Oldenburg
1744 nach Berlin, dann 1807 nach Den Haag, 1810 nach Paris, 1815 nach
Hannover und schließlich 1866 wieder" nach Berlin wechselte, konnten die
Züchter ziemlich ungestört von der Obrigkeit einem beharrlichen Konser-
vatismus frönen.

Als schließlich auch in Oldenburg die Zucht auf den neuen Typ umge-
stellt werden mußte, war die Landrasse so konsolidiert, daß nichts sie leicht
aus der Ordnung, Einheitlichkeit und Ausgeglichenheit bringen konnte. Bis
heute gelten die Oldenburger als die ausgeglichenste Landrasse der Welt.
Nach dem alten Zuchtziel sollte in Oldenburg ein »starkes, elegantes Kutsch-
pferd mit hohen räumenden Gängen« wachsen. Erst 1820 begarm das Land,
auch fremde Hengste, die diesem Ziel entsprachen, einzuführen. Zunächst
engUsche Halbblüter, dann im ganzen vier Vollblüter und etwa vierzig Han-
noveraner. Schließlich drei Anglo-Normannen, von denen einer, »Norman«
(1870 bis 1887), eine große und einflußreiche Nachkonunenschaft hinterließ.
Heute stammen sowohl die oldenburgischen als auch die ostfriesischen
Hengste allesamt von drei Stammvätern ab : über achtzig Prozent von eben
j enem »Nortimn«, dessen männliche Nachkommen an Zahl j ede andere Familie
der deutschen Warmblutzucht übertreffen, etwa ein Sechstel von dem Hanno-
veraner »Emigrant« und ein kleiner Rest von »Lupus xx«. Dieser Vollblüter
kam 1936 ins Land, als nach einer langen Zeit der Reinzucht (1850 wurde der
letzte Vollblüter eingeführt, und nach 1880 hat auch kein anderer Hengst
fremder Rasse neue Nachkommen hinterlassen) wieder eine Blutauffrischung
nötig geworden war. Lupus folgte 1950 schließlich wieder ein mit viel Vollblut
veredelter Normanne. Die Bauern sehen vor allem auf die Rückenlinie der
Söhne und Töchter dieser Hengste. Sie ließ beim Oldenburger zu wünschen
übrig.

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Morgenarbeit der Rennpferde. Stich von Charles Hunt
nach dem Gemälde »Beim Training« von James Pollard

Das Derby in Epsom im Jahre 1821. Gemälde von
Theodore Géricault. Paris, Louvre

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Reiter am Strand. Gemälde von Max Liebermann, 1903.
Köln, Wallraf-Richartz-Museum

Vor den Tribünen. Die Reiter im amerikanischen Sitz auf
schmal und hochbeinig aufgezogenen Vollblutpferden.
Gemälde von Edgar Degas, um 1879. Paris, Louvre

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Die ostfriesische Warmblutzucht war mit der oldenburgischen stets eng
verbunden. Die Blutlinien der wichtigsten Hengste sind in beiden Land-
schaften die gleichen, doch werden die Ostfriesen noch schwerer als die
Oldenburger. Der ostfriesische Hengst Eckboom gilt als das schwerste
Warmblutpferd der Welt. Er wiegt 950 Kalo.

Ostfriesland zählt etwa sechstausendfünfhundert eingetragene Stuten bei
viertausendachthundert Züchtern, Oldenburg zwölftausendfünfhundert bei
sechstausendfünfhundert Züchtern. Es versteht sich von selbst, daß die Züch-
ter schwerer Wagenpferde unter den Krisen der letzten Jahrzehnte weniger
zu leiden hatten als die Lieferanten leichter Kavallerieremonten und daß der
Oldenburger überall dort Anklang finden mußte, wo schwere Böden ein
zwar schweres, aber nicht eben kaltblütiges Pferd forderten. Sechshundert
der in Deutschland deckenden achthundert Zuchthengste dieser Rasse stehen
in Nachzuchtgebieten, die meisten in Sachsen und Sachsen-Anhalt, Thürin-
gen, Hessen-Nassau, Kurhessen und in Baden. (Früher war Schlesien das
wichtigste Nachzuchtland.) Auch im Ausland gibt es zahlreiche Zuchten die-
ses kräftigen, edlen und ausdrucksvollen Pferdes.

Das württembergische Haupt- und Landgestüt Marbach an der Lauter,
malerisch und gesund auf den kalkreichen Böden der Rauhen Alb gelegen,
ist eines der ältesten erhaltenen Hofgestüte Deutschlands, schon 1593 von
den schwäbischen Landesherren gegründet, die dort prächtige Rosse für
ihren Marstall züchten ließen. Die Landespferdezucht aber darbte lange in
einem Gebiet, in dem sie schon wegen der Agrarstruktur - kleine und klein-
ste Wirtschaften mit Realteilung - nicht wie in Norddeutschland ein bevor-
zugter Betriebszweig der Landwirtschaft sein konnte. Bis ins späte 19. Jahr-
hxmdert hinein experimentierte man in Marbach mit Hengsten von verschie-
dener Herkunft. Erst 1870 entschloß man sich endlich, konsequent ein
Warmblutpferd im Anglo-Normänner Typ zu züchten. Heute präsentiert
sich der Württemberger als ein besonders zeitgemäßes, starkknochiges,
tiefes, anspruchsloses und im Temperament sehr ruhiges Wirtschaftspferd,
das in Fachkreisen den Titel »Herr und Bauer« trägt. Es wächst vor allem
im Oberland und auf der Alb.

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Das »Zwcibrücker Warmblut« hingegen kann auf einen alten eigenen
Stammbaum stolz sein. Klosterherren und Kurfürsten hatten seit dem 16.
Jahrhundert in der Rheinpfalz orientalische Pferde gezogen, die später im
Stammgestüt Zweibrücken (1752) mit englischen und anglo-normännischen
Hengsten auf den neuen Typ umgezüchtet wurden. Um 1800 waren diese
Rosse so berühmt, daß die Gestüte Trakehnen und Neustadt/Dosse, die
Donauländer und Frankreich Zweibrücker Hengste bezogen, um ihre neuen
Zuchten damit aufzubauen. Auch Napoleons Schlachtroß »Fayoume«
stammte dorther. Die Napoleonischen Kriege zerstörten die Zucht. Sie wurde
mit orientalischem und englischem Vollblut wiederaufgebaut und später -
aufs neue seit 1940 - mit Normännern verstärkt. Bis heute sind die Zwei-
brücker selbst für die Pfälzer Sandböden etwas zu leicht und edel geblieben.

In Bayern hat das Warmblut seit alten Zeiten im Rottal eine Heimat. Je
nach romantischen Neigungen oder standhafter Treue zur abendländischen
Kultur betrachtet die Überlieferung die ursprünglichen Rottaler als ein
Geschenk der römischen Heere oder als eine Erbschaft der im Tal der Rott
blutig geschlagenen Hunnen. Jedenfalls trugen Rottaler Füchse schon die
Kreuzritter ins gelobte Land, Seite an Seite mit den flämisch-friesischen
Ritterpferden. Eine planvolle Landespferdezucht nahm dann schon im 16.
Jahrhundert ihren Anfang, als die Klöster im unteren Rottal Zuchthengste
für die Bauern aufstellten. Im 18. Jahrhundert kamen nicht Vollblüter, son-
dern englische Halbbluthengste ins Land, später Oldenburger. Der Rottaler
ist wie der Württemberger ein breites, tiefes und starkknochiges Wirtschafts-
pferd.

Nie zuvor wurden in unseren Breiten die Pferde in der Masse so vollkom-
men gezogen, wenn auch das Ziel, schließlich alles Mischblut und alle »zucht-
iinwürdigen« Familien von der weiteren Zucht auszuschließen, noch lange
nicht erreicht ist.

Es waren wissenschaftliche Erkenntnisse und die der rationalen Denk-
weise entsprungenen Methoden moderner Organisation, die den Erfolg der
Landespferdezucht erst möglich machten und denen jene ausgeglichenen,
edlen Pferdevölker Trakehnens, Hannovers, Holsteins und Oldenburgs ihre
Leistungstüchtigkeit und Schönheit verdanken.

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Wie hatte es doch begonnen? Die Muselmanen hatten die edlen Rosse des
Orients nach Spanien gebracht und dort um das Jahr 800 mit den Landpfer-
den gepaart. Im Mittelalter führte Europa spanische und neapolitanische
Pferde ein und ahmte das Experiment, Orientalen mit einheimischen Schlä-
gen zu vermählen, nach, als die Kreuzritter orientalische Hengste von ihren
Kriegszügen heimbrachten. Die Produkte dieser Kreuzung, die »Spanier«
mit ihren Ramsnasen, eroberten die Höfe, als die schweren Ritterpferde vor
den Folgen der Erfindung des Mönches Berthold Schwarz, den Feuerwaffen,
kapitulieren mußten, und sie wurden die Ahnherren jener neuen Pferdegene-
ration, die in den Kavallerieregimentern der Neuzeit Dienst tun sollten. Die
Pferdezucht der fürstlichen Stuthöfe reichte für den Bedarf der wachsenden
Heere bald nicht mehr aus. So lehrten die Landesherren ihre Bauern wieder
die noble Kunst der Zucht edler Rosse, die diese oft lange schon vergessen
hatten. Kaum hatte die »Landespferdezucht« im 17. und 18. Jahrhundert
ihren Anfang genommen, da tauchte ein neuer Begriff, ein neues Idol, eine
»neue« Rasse auf: das englische Vollblut. Nach Deutschland wurden von
etwa 1790 bis 1880 englische Halbblüter, seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts
immer mehr Vollblüter, vorübergehend gegen Ende des 19. Jahrhunderts
auch Anglo-Normänner (Oldenburg, Württemberg, Zweibrücken, Rottal)
eingeführt. Schließlich - zuerst in Ostpreußen (etwa von 1870 an), dann in
Hannover (1885), Oldenburg, Ostfriesland und Holstein (1900) und in den
übrigen Warmblutzuchtgebieten - fanden die neuen Rassen ihr Gesicht und
die Züchter Zuversicht zur Reinzucht. Erst seitdem gibt es das »Deutsche
Warmblut«. Und erst heute nähert es sich seiner Vollendung.

Den gemeinsamen Blutquell aller edlen Pferde aber müssen wir im Mär-
chenland Arabien suchen, wo vor tausendundeiner Nacht der erste »Sohn
der Luft« geboren wurde.

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Der Sohn der Luft

In Summa ist also das edelste Wüstenpferd ein ziemlich mythisches Tier,
viel beschrieben, selten gesehen und vielleicht noch seltener oder gar nie
nach Europa gekommen, es müßte denn indirekt durch die Auktion der
Pferde von Abbas Pascha (f 1854) geschehen sein, der allerdings wohl Lust
und Gelegenheit hatte, das Vorzüglichste zu erwerben«, so belehrt uns ein
älteres Standardwerk des Hippologen Schwarznecker. Er spricht vom »Sohn
der Luft«, jenem Vollblutaraber aus dem ehemaligen Wahabitenreich auf dem
Hochplateau des Nedjed, der seit je das Traumroß aller Pferdenarren, das
Wunschziel aller Pferdereisen in den Vorderen Orient, die »Krone der Schöp-
fung« der Roßpoeten war. So viele wagemutige Engländer, Franzosen,
Polen und Deutsche in Arabien einen »echten« Nedjed-Hengst für
schwere Pfund Sterling von orientalischen Händlern erstanden - das Waha-
bitenreich selbst hat seinerzeit wahrscheinlich kein Christenhund lebend ver-
lassen -, so viele Wüstensöhne rühmten sich möglicherweise vor dem Pro-
pheten des Verdienstes, einen »Giaur« betrogen zu haben.

Ehe gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die alten Nomadensitten ver-
fielen, haben nämlich die Beduinen des Nedjed, einem strengen Brauch fol-
gend, ihre Pferde nie verkauft, sondern immer nur verschenkt. Und wenn
sie politische »Geschenke« machten, das heißt, Tribut zahlen mußten, dann
wählten sie sehr mittelmäßige Hengste aus ihren Herden. Diese Pferde wur-
den dann von Europäern an den Höfen von Konstantinopel, Kairo oder
Teheran als Wundertiere mit fast religiöser Inbrunst angestaunt und geprie-
sen. Nie aber ließen die Beduinenstämme des Nedjed es zu, daß eine Stute
aus einer der fünf berühmten arabischen Pferdefamilien in fremde Hände
geriet. Denn sie glaubten, die Stuten seien beim Erbgang wichtiger als die
Pferdeväter. Deshalb rechneten sie auch die Fohlen zu den Familien ihrer
Mütter.

Allerdings gab es damals in der Wüste eine Reihe wild blickender Männer
ohne Ohren. Man hatte sie ihnen kurzerhand abgeschnitten, als sie beimRoß-

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Kladrubcr vor höfischem Gakschlitten. Österreichisches Gemälde, um 1860.

Wien, Kunsthistorisches Museum

Zwölf Lipizzaner Schimmelhengste der Spanischen Hofreitschule in Wien

im Vorwärts- und Seitengang

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Rein gezogener Araber aus dem ehemalig Fürstlich Wicdschcn Gestüt, Weil/Württemberg.
Die gerade Kruppe mit dem hochangesetzten Fasanenschwanz ist für die Zucht charakteristisch

Rein gezogene Araberschimmelstuten aus dem Gestüt des Freiherrn von Nagel, Vornholz/ Westfalen.
Die linke Stute zeigt den typisch edlen Kopf mit der leicht eingebogenen Nase (Hechtkopf)

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diebstahl ertappt wurden. Ob sie indes so gewissenlos waren, ein gestohle-
nes Pferd aus edler Familie einem Christen zu verkaufen, ist zweifelhaft.
Pferdediebstahl zählte wohl zu den kleineren Sünden, denn schon der Pro-
phet Mohammed hatte gesagt: »Zwei Ursachen hat jedwedes Übel: Weib
und Pferd.« Er war der Begründer der eigentlichen arabischen Pferdezucht.

Die Araber sind nämlich ein sehr junges Reitervolk. Erst seit etwa dem
3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. sattelten sie vom Kamel auf das Pferd um.
Auf Kamelen ritten, nach Herodot, die Araber noch mit dem Heere des
Xerxes in die Schlacht. Auf einem Kriegszug in Arabien wurden dreißig-
tausend Kamele und zwanzigtausend Rinder erobert - aber kein einziges
Pferd. Und auch die Geschichtsschreiber der Römer von Strabo bis Publius
Vegetius wissen von Pferden aus Arabien noch nichts zu berichten.

Mohammed fand zwar schon Pferde in seiner Heimat vor. Erst dieser
geniale Gründer eines großen Reiches und Beweger der nahöstlichen und
schließlich der abendländischen Geschichte aber machte aus seinen Musel-
manen ein kämpferisches Reitervolk. Er gab der arabischen Pferdezucht eine
religiöse Weihe, wohl wissend, daß sie die Grundlage der kriegerischen Ex-
pansion des Islam sein müsse. (Das ist gewiß eine sehr rationale Erklärung
für die beispiellose, orientalisch überschwengliche Roßliebe, die aus zahl-
losen arabischen Pferdelegenden und Erzählungen spricht. Aber der Pro-
phet selbst war ein kluger, kühl und zweckhaft denkender Marm. Wieviel
zweckfreie Liebe, eben wahre »Narretei« bei einer Sache ist, zeigt sich immer
erst in Perioden der Geschichte und bei Leuten, für die diese Sache keine
bare Notwendigkeit und Nützlichkeit mehr ist.) Der Koran verspricht »dem
Gläubigen, der sein Pferd so aufgezogen hat, daß er damit in den HeiUgen
Krieg ziehen kaim«, daß »jeder Schweißtropfen seines Pferdes auf die Waag-
schale geworfen werden wird, auf der seine Tugenden gewogen werden«.
Dem genialen Züchter Mohammed ist es aber vor allem zu danken, daß das
junge Reitervolk der Araber die älteste rein gezogene Pferderasse der Welt
schuf: »Der böse Geist«, so lehrt der Koran, »wagt nicht, in ein Zelt zu
treten, in dem ein Pferd reinen Blutes sich aufhält.«

Mohammed mag es mit seinen Arabern nicht leicht gehabt haben. Die
Tierliebe ist über die Zonen unserer Erdkugel ziemlich ungleichmäßig ver-
teilt, und in südlichen Breiten findet sich gar zu häufig eine Mentalität, die
der manchmal geradezu sektiererischen Hätschelei und Vergötterung der

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Kreatur im Norden entgegengesetzt ist. Noch in den arabischen Reise-
berichten der leichtsinnigen Roßkäufer des 19. Jahrhunderts werden die
Söhne der Wüste als zwar ungewöhnlich wilde, aber erschreckend gefühl-
lose Reiter geschildert.

Trotzdem hielten die Araber ihre Pferde gut. Dafür hatte der Prophet
gesorgt. Seine Vorschriften waren, wenn dieser respektlos-respektvolle Ver-
gleich gestattet ist, eine orientalische und religiöse Fassung der Lehren
Tschingis Chans wie aller Kavalleriewachtmeister über die (mindestens)
Gleichberechtigung von Mann und Pferd. »So viele Gerstenkörner ihr
euren Pferden gebt, so viele Sünden werden euch im Jenseits vergeben
werden.« Denn: »Als Gott das Pferd erschaffen hatte, sprach er zu dem
prächtigen Tier: >Dich habe ich geschaffen ohnegleichen. Alle Schätze der
Welt liegen zwischen deinen Augen. Meine Feinde wirst du unter deine Hufe
werfen, meine Freunde aber auf deinem Rücken tragen. Dies soll der Sitz
sein, von dem Gebete aufsteigen zu mir. Überall auf der Erde sollst du
glücklich sein und allen anderen Geschöpfen vorgezogen werden : Denn dir
wird die Liebe des Herrn der Erde gelten. Fliegen sollst du ohne Flügel und
siegen ohne Schwert !<« Die Fohlen waren den Kindern der Araber gleich-
gestellt, schliefen zwischen ihnen im Zelt wie die Mutterstuten unter den
Erwachsenen und waren ihre Spielgefährten. Später hielten sie als erwach-
sene Waffengefährten beim schlafenden oder gefallenen Reiter die Wache.
Einem neuen Pferd las der Beduine morgens und abends eine Sure aus dem
Koran vor, dem Fohlen legte er ein geweihtes Amulett zum Schutz vor
bösen Geistern um den Hals, bei der Geburt der Füllen betete er und trug
sie auf den Armen. Bei solchen Weisungen und Bräuchen lebten die arabi-
schen Reiterstämme mit ihren Rossen so vertraut wie so spät kein anderes
Volk mehr.

Die fünf arabischen Pferdefamilien stammen, so erzählt die Legende, von
den gesegneten Stuten Mohammeds ab, die wiederum als Nachkommen der
berühmten Pferde König Salomos gelten. Der Prophet ließ viele Stuten in
eine Koppel schließen und tagelang hungern und dürsten. Dann wurde die
Koppel aufgelassen, und im gestreckten Galopp jagten die Stuten zur nahen
Wasserstelle. Da ließ Mohammed zum Sammeln blasen, und fünf von den
Stuten gehorchten augenblicklich dem Ruf ihres Herrn und kehrten zu ihm
zurück. Der Gesandte Allahs segnete sie, und sie wurden die Stammütter

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der großen Familien: Koheilan el Adjus, Siglavi, Hadban, Hamdani, Oba-
jan. Nach einer anderen Version zeichneten sich die fünf Stanunütter in der
Schlacht von Mekka aus. Nach dreitägigem Getümmel zeigten nur sie sich
noch frisch und kampffähig. Oder es wird erzählt, bei der Flucht des Pro-
pheten von Mekka nach Medina hätten von fünfundneunzig Stuten nur diese
fünf die beschwerliche Strecke auf einen Ritt gemeistert. So dicht umwoben
von Sagen und Legenden ist dieses Fürstengeschlecht unter den Rossen, daß
die Wahrheit über seine Geschichte wohl auf immer verborgen bleibt.

»Der Sohn der Luft spricht zum Adler: >Komm herab, oder ich fliege hin-
auf zu dir.<« »Sein Gesicht ist so scharf, daß er in dunkler Nacht avif dem
Boden ein Menschenhaar sehen kann.« »Er ist so leichtfüßig, daß er auf dem
Busen deiner Geliebten tanzen könnte, ohne sie zu verletzen.« Ob solche
Fabelwesen orientalischer Erzählkunst je wirklich lebten und ob die besten
ihres Stammes Arabien je verließen, ist, wie gesagt, unsicher. Doch gelang-
ten in den letzten hundert Jahren einige Hengste in europäische Gestüte, die
zumindest nach unseren, vielleicht ahnungslos bescheidenen Begriffen Elite-
araber waren.

Nur die Pferde, die nachweislich und ausschließlich auf diese »Origi-
nalaraber« zurückgehen, haben das Recht, Vollblutaraber genannt zu wer-
den und den Adelstitel ox hinter ihrem Namen zu führen. Man schätzt, daß
in einen Gotha dieser international anerkannten Adelsfamilien, den die
ägyptische Regierung - in deren Herrschaftsbereich heute die größten und
bestbestückten Arabergestüte liegen - bald herausgeben will, nur etwa
fünfzehnhundert von eineinhalb Millionen orientalischen Zuchtpferden auf-
genommen werden können. Im Orient sind die Hauptzuchtländer Ägypten,
die arabischen Staaten und der Irak. In Europa führten Ungarn mit seinen
Gestüten Babolna und Radautz und Polen mit dem Staatsgestüt Janow-
Podlaski und dem Privatgestüt des Fürsten Sangusko in Gumniska in
der Araberzucht. Aber auch in Frankreich und England, in Rußland, der
Tschechoslowakei und den Balkanstaaten werden heute noch Araber rein
gezogen. Auf »gepflügtem Boden« wachsen sie etwas größer und massiger.
Verloren aber bisher ihre begehrenswerten Eigenschaften nicht.

Von »sagenhafter« Ausdauer, Leistungsfähigkeit und Genügsamkeit,
jahrhundertelang im Zelt seines Herrn zu Anhänglichkeit und gutem Tem-
perament erzogen, ist das arabische Pferd klug wie kein anderes und zudem

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ein Schönheitskönig unter den Rossen. Sehr klein (1,35 bis 1,50 Meter
Stockmaß), sehr trocken, trägt es auf schlankem, biegsamem Hals einen fein-
geschnittenen kleinen Kopf mit spitzen, eng beieinanderstehenden Ohren.
Große, dunkle Augen blicken, ein wenig hervortretend, klug und unter-
nehmungslustig in die Welt. (Der arabische Züchter sah seit jeher zuerst
nach dem Kopf, dann nach der Hinterhand.) Das oft weiße, seltener auch
fuchsfarbene oder hellbraune Haar über der in der Regel fast blauschwarzen
Haut glänzt seidig und dünn, die weiche Mähne wird stolz getragen, die
Schulter ist lang und schräg, der Körper gedrungen und rumpfig. Klar treten
die federnden Gelenke hervor.

Die Stärke des arabischen Vollbluts ist die Galoppade. Schritt und Trab
sind nicht immer vollkommen. Die Beduinen kannten den Trab kaum. Meist
zackelten sie entweder in einem flachen, unregelmäßigen Schritt daher, oder
sie preschten in voller, wilder Karriere. Ist der Araber dem englischen Voll-
blut auf kurze Strecken an Schnelligkeit unterlegen, so schlägt er es bei
Dauerleistungen. 300 Kilometer in achtundvierzig Stunden bewältigt so
leicht kein Pferd einer anderen Rasse. Im Sport halten die Araber auch den
Weitsprungrekord: Balcano sprang 8 Meter weit, Coeur Joli 8,10 Meter,
Amado mio 8,30 Meter.

Seine beispiellose Schönheit, sein unwiderstehlicher Charme und seine
sprichwörtliche Gutmütigkeit und Treue allein würden diesem Pferd nicht
den Titel eines »Edelsteins der Pferdezucht« eingetragen haben; sie würden
nur erklären, warum der Araber ein Lieblingspferd von Kindern und vor-
nehmen Frauen wurde. Der Züchter, der mit orientalischem Blut veredelt,
schätzt an ihm seine Gesundheit, Härte vmd Zähigkeit, eine außergewöhn-
liche Lebens- und Leistungsdauer und eine unvergleichliche Fruchtbarkeit
und Genügsamkeit. In anderthalb Jahrtausende langem Wüstenleben lernte
das arabische Pferd zu hungern und zu dürsten und die starken Temperatur-
schwankimgen seiner Heimat zu ertragen. Unbarmherzig traf die Natur der
Wüste ihre strenge Auswahl. Neuerdings werden deshalb bei der Verede-
lung des deutschen Warmbluts wieder häufiger arabische Hengste benutzt,
nachdem sie eine Zeitlang vom englischen Vollblut fast ganz verdrängt
waren.

Die deutschen Araberfreunde haben ihr Mekka im Schwabenland. Dort
betrieben Württembergs Könige im Krongestüt Weil eine blühende Araber-

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Zucht, deren Erbe 1932 das Hauptgestüt Marbach übernahm und seitdem
treu hütet. Die Weiler Araber vererbten ihren Adel und ihre Schönheit, ihre
Leistungsfähigkeit und Genügsamkeit in fast allen deutschen Warmblut-
zuchten. Der 1881 geborene, wahrlich weltberühmte »Weiler Amurath«
wurde in Radautz Hauptbeschäler und kann sich heute einer weit über eine
Million zählenden Nachkommenschaft rühmen. Auch einige Privatgestüte
ziehen in der Bundesrepublik Araber reinen Bluts. Die Züchter und Freunde
des arabischen Pferdes haben sich zu einer eigenen Gesellschaft mit Stutbuch
zusammengeschlossen.

Aber was wissen wir von jenen sagenhaften Orientalen, die vor vielen
hundert Jahren Stammväter der neuzeitlichen europäischen Pferdezucht
wurden? Die ursprüngliche Heimat des Arabers müssen wir wahrscheinlich
in Libyen und Persien suchen. Von dort kamen Rosse natürlich nicht nur in
das Land, das später unter der Führung des Propheten Mohammed ein neues
Zentrum der Pferdezucht und der Ausgangspunkt der islamischen Welt-
bewegung werden sollte. Sie breiteten sich überall im nördlichen Afrika und
im Vorderen Orient aus und vermischten sich mit verwandten Schlägen. Um
das Jahr 700 eroberten dann die Araber mit einem Heer von fünfundsiebzig-
tausend Reitern Nordafrika, und wieder vermischte sich das Blut ihrer und
der dort heimischen Rosse, vor allem der numidischen Pferde, der Vorfahren
der Berber, des zahlreichsten orientalischen Pferdevolks.

Den Abendländern war die Rassenvielfalt dieser Pferde so fremd, daß sie
die Orientalen - willkürlich oder je nach dem Land, in dem sie zufällig sie
fanden - Berber, Araber, Perser oder Türken nannten.

Seit den orientalischen ICriegszügen der Griechen und Römer sind immer
wieder Pferde aus diesem Rassenkreis nach Europa gekommen. Da die
Orientalen im Abendland so sehr bewundert wurden, die kostbarsten Güter
des Morgenlandes, Kriegsbeute oder Geschenke der Fürsten waren, ist uns
von vielen berühmten Importen überliefert worden; beispielsweise von den
arabischen Rossen, die um das Jahr 800 der Herrscher des Morgenlandes,
Harun al-Raschid, seinem abendländischen Gegenspieler, dem großen Kai-
ser Karl, zum Geschenk machte. Besonders heller Ruhm umstrahlt jedoch
die Namen jener drei orientalischen Hengste, die Stammväter des englischen
Vollbluts werden sollten. Diese Begründer der Vollblutdynastie waren viel-
leicht keine ungewöhnlich prächtigen und tüchtigen Vertreter ihrer Rasse.

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Von einem der Patriarchen wissen wir sogar, daß er häßlich und unkorrekt
gebaut war. Ihre Nachkommen aber traten das Erbe der orientalischen Herr-
schaft im Pferdereich an, bewundert und verehrt von Spitzbergen bis Kap-
stadt, von Newmarket bis Newmarket rund um den Erdball.

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Ein Spiel für Lords und Squires

Herrschaft heißt im Pferdereich: Leistung, Härte, Gesundheit. Wo natür-
licherweise keine Steigerung der Leistungsfähigkeit mehr möglich
schien, vermochte es menschliche Kunst, den Stand der Leistung dennoch
weiter hinaufzutreiben: Englischen Edelleuten gelang das Kunstwerk »Voll-
blut«. Es entsproß nicht jener ernsten und kühlen Berechnung, mit der die
Menschen gemeinhin der Natur beizukommen suchen imd sie übertreiben,
überhöhen oder verderben, sondern einem Hobby, einer sehr englischen,
sehr feudalen Leidenschaft, einer zunächst ziemlich absurden, »verrückten«
Idee. Seit je widerstehen ja die Engländer beharrlich der verderblichen Ver-
suchung, alles und jedes in Logik aufzulösen; und doch haben sie einen
Hang zu handfester Vernunft. Wer sich mit der Geschichte und Theorie der
Vollblutzucht befaßt, stößt immerzu auf diesen nur scheinbaren Widerspruch.
Einerseits erfährt er jenen äußerst rationalen Begriff der Leistungszucht und
hört von ihrem Nutzen für die Landespferdezucht; stellt er fest, daß der
Staat aus diesem ökonomischen Grund in eigenen Gestüten und mit Sub-
ventionen Vollblutzucht und -prüfung betreibt vind fördert; findet er
Bibliotheken voll seriöser wissenschaftlicher Literatur über die Prinzipien
dieser Leistungszucht, die Vorbild aller anderen in der Tierzucht wurde.
Andererseits aber sieht er, wie eine höchst irrationale Lust am schöpferi-
schen Spiel dieses Kulturphänomen erst erfand und bis heute bewegte und
erhielt.

Die Landpferde der britischen Inseln und des immergrünen irischen Hafer-
eilands galten seit jeher als besonders gestmd und tüchtig. Sie fanden auf
leichten und kalkreichen Böden das nahrhafteste Gras, und der Golfstrom
sorgte für ein ideales Pferdeklima. Schon Caesar veranlaßten Meldungen
seines Geheimdienstes über die britannischen Reiter, den Kanal mit einer
starken Kavallerietruppe zu überqueren, obwohl der Seetransport der
Kriegsrosse beschwerlich war. Seine Kavallerie war auf den tüchtigsten
Pferdeschlägen des römischen Imperiums beritten, und man darf annehmen,

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daß diese Besatzungspferde auch im nüchternen England nicht enthaltsam
lebten. Von Kaiser Severus wissen wir, daß er zu Beginn des 3. Jahrhunderts
in Britannien mit orientalischen Pferden Rennen veranstaltete. Wahrschein-
lich waren Pferderennen schon damals bei den Angelsachsen Brauch - ge-
schichtliche Zeugnisse von Rennen gibt es allerdings erst aus dem 12. Jahr-
hundert -, und Severus mag sie deshalb für das richtige Mittel gehalten
haben, den pferdeverständigen Untertanen Roms im hohen Norden mit
seinen ausgesuchten Orientalen ebenso zu imponieren, wie viele hundert
Jahre später noch Besatzungsmächte nach siegreicher Schlacht ihre unter-
legenen Gegner mit friedlichen Mitteln, vor allem der »Kulturpolitik«, für
sich zu gewinnen suchten. Severus hatte wohl erkannt, daß die Leidenschaft
für schnelle Pferde und Rennen den Briten eingeboren ist.

Die Feuer dieser Leidenschaft brennen still, aber heiß und beharrlich, und
sie strafen alle bösen Zungen Lügen, die dem Inselvolk Mangel an Tempera-
ment und Begeisterungsfähigkeit nachsagen. Kein Wunder also, daß die
Patrone des englischsten und königlichsten Sports, eben die Könige Eng-
lands und ihre adligen Vasallen, kein Opfer scheuten, in den Besitz der edel-
sten und schnellsten Pferde der Welt zu gelangen. König Athelstan erhielt
von Hugo Capet (f 996), dem Stammvater des französischen Herrscher-
geschlechts der Kapetinger, orientalische Hengste als ein ihm angemessenes
Geschenk. Zur Zeit Wilhelms des Eroberers (1027 bis 1087) bestückte sein
Adel Gestüte mit spanischen Hengsten. Heinrich I. (1068 bis 1135) kaufte
einen angeblich echten Araber und marokkanische Berber, Richard Löwen-
herz (1157 bis 1199) zwei Orientalen aus Zypern. Der Fluß, sei es verdünn-
ten oder unverdünnten orientalischen Bluts, versiegte offenbar nie ganz.
Und bevor noch im 17. Jahrhundert mit einer nun planmäßigen Kreuzung
englischer Stuten mit orientalischen Hengsten begoimen wurde, muß
der englische Landschlag, müssen vor allem die Stutenbestände der könig-
lichen und adeligen Gestüte viel edles Blut geführt haben. Der Trainer
Heinrichs VIII. (ja, das gab es damals bereits) trug schon den stolzen und
abenteuerlichen Titel eines »Meisters der Berberpferde«; sein Herr ließ
Agenten in der Türkei, in Spanien und Neapel nach Pferden für seinen
Rennstall fahnden.

Allerdings hub jenes pferdeschicksalhafte 17. Jahrhundert mit einer Nie-
derlage für die Arabomanen und ihre Freunde, die orientalischen Hengste,

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an. Gleich der erste verbürgte Araber der englischen Geschichte, den Ja-
kob 1. 1602 von seinem Agenten Markham in Konstantinopel für die da-
mals unglaubliche Summe von einhundertfünfzig Pfund Sterling hatte kau-
fen lassen (in seiner ganzen Regierungszeit gab er laut Quittung des Finanz-
ministeriums nur vierhundert Pfund Sterling für Pferde aus) und der des-
halb den Namen Markhams Arabian erhielt, versagte auf der Rermbahn
kläglich. Zur Strafe enthielt man ihm alle Pferdedamen; die Engländer
fühlten sich in der Erfahrung bestärkt, daß keine Rasse der Welt die ihre
übertreffe - auch keine Pferderasse -, und die Importe wurden für eine
Weile eingestellt.

So tüchtig die englischen Pferde aber auch gewesen sein mögen, es sollte
sich bald zeigen, daß ihre Eigenschaften und die der orientalischen Pferde
sich glücklich ergänzten, auch wenn die Araber ihren lange akklimatisierten
und auf Schnelligkeit gezogenen englischen Vettern auf der Rermbahn in der
Regel schon nicht mehr gewachsen waren. Deshalb wurde um die Mitte des
17. Jahrhunderts der Hengst White Turk, mit dem der älteste Pedigree be-
ginnt, fleißig zur Zucht benutzt. Er gehörte Mr. Place, dem Gestütsmeister
des Diktators Oliver Cromwell, der, obwohl ein strenger Puritaner, einen
überaus prächtigen Marstall sein eigen nannte. Mit der Restauration hub
eine neue Epoche orientalischer Veredelung an, als Karl II., von 1660 bis
1685 Englands König, wieder seinen Gestütsmeister in die Levante schickte
und ihn aus Tanger zwölf Berberstuten - die »Royal Mares «, die als Stamm-
mütter des Vollbluts berühmt gewordenen »Königlichen Stuten« - und
einige Hengste mitbringen ließ, denen in den folgenden Jahrzehnten offen-
bar viele Brüder, aber auch Schwestern folgten. Er rief auch die Rennen zu
Newmarket wieder ins Leben, die sein unglücklicher Vorfahr Karl I. vor
dem Bürgerkrieg und der Herrschaft Cromwells begründet hatte. Von nun
an paarte man die importierten und einen ausgesuchten Stamm edler ein-
heimischer Stuten nur noch mit orientalischen Hengsten: Aus einer - in
der Rückschau ist man versucht zu sagen: groß angelegten - »Verdrän-
gungskreuzung auf Orientalen« wuchs das englische Vollblut. Wir ver-
danken es dem Spieltrieb englischer Gentlemen, die jahrhundertelang Pferde-
zucht für den Rennsport betrieben, und der Gunst der Verhältnisse im
»Merry Old England« der Restauration.

Dies England, von den kontinentaleuropäischen Wirren verschont, war

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reich. Der feudale, leicht spleenige Lebensstil einer sorgenlosen, begüterten
und kultivierten Kavaliersschicht prägte ihm seinen Stempel auf. Das be-
liebteste Gesellschaftsspiel dieser Kavaliere waren die Pferderennen. Und
auch dieses Gesellschaftsspiel gewann Reiz aus der strengen Beachtung
komplizierter Regeln. Zum wirklichen Spiel gehört ja ein gewisser, wenn-
gleich ein wenig ironischer Ernst, und ohne Überspanntheiten, feste Bräuche
und Zeremonien, ohne den Luxus des Wichtignehmens scheinbarer Un-
wichtigkeiten sind die großen kulturgeschichtlichen Spiele der Gesellschaft
nicht denkbar und würden sie ihres unschätzbaren Wertes entbehren.

Heute bewundern die Hippologen die geniale Instinktsicherheit und
Kunst, mit der die englischen Lords und Squires jene »Prüfungen« erfanden,
die sich bis auf unseren Tag bei der Leistungszucht bewähren. Sie vergessen
dabei, daß es den Kavalieren des 18. Jahrhunderts noch nicht um die viel zi-
tierte »Leistungsprüfung des Zuchtmaterials« ging, sondern um ein faires
und spannendes Spiel. Die Rennen wurden nicht der Zucht zuliebe veran-
staltet, sondern man züchtete, um bei den Rennen triumphieren zu können.
Bis heute hat sich nur der Stil gewandelt, die Leidenschaft blieb die gleiche,
und sie ist nach wie vor die Seele des Turfgeschehens. Für die unmittelbar
Beteiligten bleibt der Nutzen der Landespferdezucht eine »zusätzliche« An-
gelegenheit, die allerdings mit absoluter Zweckgerechtigkeit erfüllt wird.

Da zu jedem richtigen Hobby auch Fachsimpelei gehört und die Theorie
des Spiels als ein eigenes zusätzliches Spiel seinen Reiz vervielfacht, erfanden
die Engländer den Rennkalender und das »General Stud Book«, das Ge-
stütsbuch: Sie schrieben die Ergebnisse der Rennen auf und stellten sie nach
jeder Saison zum Rennkalender zusammen; und sie erforschten die Pedi-
grees der erfolgreichen Pferde und sammelten sie im Stud Book. Jedermann
sieht leicht, welch unendlichen Stoff ein kombiniertes Studium dieser beiden
Bücher der Phantasie, der Spekulation, dem Spieltrieb liefert. Erst das histo-
rische Wissen über das Schicksal der Vollblutfamilien, das Drama ihrer Ent-
wicklung, das Auf und Ab der Lebensbahnen gab dem Turfgeschehen kul-
turgeschichtliche Würde.

Aber nun geschah erst das Merkwürdige und auf den ersten Blick ganz
und gar Irrationale: Nachdem 1727 der erste Rennkalender erschienen war
(1709 war die offizielle Aufzeichnimg der Rennergebnisse eingeführt wor-
den) und ein Mr. JamesWeatherby, »Keeper of the Match-Book« in New-

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market, 1791 das General Stud Book zu schreiben begonnen und dessen
ersten Teil in den Jahren von 1793 bis 1808 herausgegeben hatte, hieß es auf
einmal in der Einleitung zu den späteren Bänden dieses fabulösen »G.St.B.« :
»No horse or mare can be considered as eligible for admission unless it can
be traced without a flaw on both the sire's and the dam's side of its pedigree
to horses and mares themselves akeady accepted in the earlier volumes of
this book.« Oder zu deutsch: »In das Gestütsbuch wurden seither nur noch
Pferde eingetragen, die ausschließlich (ohne den geringsten dunklen Punkt
in der Ahnentafel) von den schon dort verzeichneten Hengsten und Stuten
abstammten.« So lautet zugleich die ganze und einzig richtige Definition des
Begriffs »Vollblut«. Künstlicher katm gewiß keine »Rasse« konstituiert wer-
den. Der Name »thoroughbred« (durch und durch gezüchtet, überaus
sorgfältig gezogen) taucht zum ersten Male in einer Rennzeitung, dem
»Sporting Magazine« von 1806, auf.

Oft hört man die Deutung, auf eine so absonderliche Idee hätten nur
Aristokraten kommen können, die, ein wenig versnobt, die Vorstellungs-
■welt des Gothaischen Hofkalenders auf ihre Rennpferde übertragen und
ihnen die Privilegien verliehen hätten, die in Frankreich gerade verlorenge-
gangen waren. Aber erst die Republik schnitt ja dem »frischen Blut« den Zu-
zug in die vor allem in England bis heute relativ offene Klasse der im Gotha
Verzeichneten ab. Den Adel in eine unwiderruflich geschlossene Kaste zu
sperren, war eine demokratische Idee. James Weatherby und seine Freunde
wollten wahrscheinlich nur eine Regel mehr erfinden, den Kreis der Mit-
spieler eingrenzen, der Lust am Schema frönen und das Spiel überschaubarer
machen. (Immerhin, rechnet man eine Pferdegeneration zu durchschnittlich
acht bis neun Jahren, können die Vollblüter allesamt auf rund dreißig Ge-
nerationen ausschließlich adliger Ahnen stolz sein. Menschliche Adelsge-
schlechter müssen - weim der frivole, aber erhellende Vergleich gestattet
ist -, um damit konkurrieren zu können, eine Tradition von mindestens
neunhundert Jahren nachweisen. Das gelingt nicht vielen.)

Deimoch war die Schließung des »G.St.B.« eine entscheidende und ge-
niale Tat - ob das nun in der Absicht seines Verfassers lag oder nicht. Denn
Während Zuchtversuche am Geistwesen Mensch nicht nur ein teuflisches,
sondern auch auf den Menschen nicht passendes Unterfangen wären, gibt es
bei Reimpferden durchaus eindeutige Kriterien für die Zuchtwahl. Bei ihnen

III

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kommt es auf guten Wuchs, Stärke und robuste Gesundheit an : auf ziemlich
einfache, jedenfalls eindeutig feststellbare und hauptsächlich physiologische
Merkmale. Der Ehrgeiz der Pferde, stolz »Charakter« genannt, ist nur Aus-
druck des uralt eingewurzelten Triebs unbewehrter Steppentiere, bei der
Flucht der erste, also der Gefahr am weitesten entrückt zu sein. Der angeb-
liche Kämpfermut entpuppt sich als ganz natürlich-kreatürliche Angst,
wenngleich eben nur unverdorbene Pferdegemüter sich diesen Trieb und die
Willenskraft, ihm unbedingt zu folgen, bewahrt haben. Wenn nun aus dem
im ersten Teil des General Stud Book gesammelten Kapital erstklassiger An-
lagen für diese einfachen physiologischen Eigenschaften immer nur die
besten Posten erhalten und vervielfacht, die weniger erwünschten aber rück-
sichtslos ausgemerzt wurden, mußte die Tüchtigkeit der ganzen Rasse wach-
sen. Den Erfolg dieser Methode haben die Vollblüter bewiesen. Schon seit
langem vermag auf dem grünen Rasen kein anderer Schlag mehr mit ihnen
Schritt zu halten. Sie sind also wirklich die Besten, die »Aristoi«.

Deshalb gibt es auch schon seit langem keinen sozusagen moralischen
Grund mehr, die Privilegien der Vollblutkaste abzuschaffen. Praktisch
spricht sogar dagegen, daß kastenfremde Pferde, wie tüchtig sie selbst immer
sein mögen, verdeckte Erbmängel in die seit dreißig Generationen Rein-
zucht erbsicher gewordene Vollblutfamilie einschleppen und so deren Ver-
erbung wieder unsicher machen können. Diese Erkenntnis hat Hippologen
im Rückblick davon sprechen lassen, die absurd erscheinende, spielerische
Idee, aus dem Vollblut eine geschlossene Kaste zu machen, habe einen bis da-
hin »labilen Zuchtzustand« beendet, »nach dem jedes Pferd, gleich welcher
Abstammung, wenn es nur eine möglichst gute Rennleistung besaß, zur
Vollblutzucht zugelassen wurde«.

Wenn dennoch 1950 das General Stud Book wieder für die wenigen fast
vollblütigen Halbblüter mit erstklassigen Rennleistungen geöffnet wurde, so
beweist dies nur Mangel an Pietät, einen geradezu banausischen Gerechtig-
keitsfanatismus und einen Rationalismus, der in seiner Phantasielosigkeit
keinem wahren Pferdefreund ansteht.

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Rheinisch-belgischc Kaltblüter, die typischen Schritt- und Zugpferde, vor einem

Brauereiwagen

Schlcswiger Kaltblüter im Gespann. Diese halbschwcren Bauernpferde sind wegen
ihrer Leistung auf dem Acker in Nord- und Ostdeutschland sehr beliebt

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Shetlandponics sind tüchtigc Arbeiter:

Ein Gespann aus dem Gestüt Luisenhof in Hagenbecks Tierpark
vor einem mit Stroh beladenen Wagen

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Die Spielregeln der Natur

Die Verwandtschaft der Vollblüter ist offenbar ein wichtiges Geheimnis
ihres Erfolgs. Den englischen Züchtern des frühen 19. Jahrhunderts
blieb zunächst gar keine andere Wahl, als die wenigen Rennpferde der
Spitzenklasse miteinander zu paaren, mochten deren verwandtschaftliche
Bindungen auch noch so eng sein. Es stellte sich heraus, daß alle Voll-
blüter, die heute auf den Rennplätzen der fünf Kontinente um den Lorbeer
kämpfen und mit ihrem Blut sämtliche warmblütigen Pferderassen der
Welt veredelten, von nur etwa fünfundvierzig Stuten und drei orientalischen
Hengsten abstammen. Den allergrößten Teil stellt sogar die Nachkommen-
schaft nur eines Hengstes, der ein Nachfahr von zweien dieser drei Stamm-
väter war : des fabel-haften Eclipse.

Eclipse selbst war schon das Produkt einer geradezu unwahrscheinlichen
Inzucht. Unter seinen Vorfahren gab es einen Hengst Spanker. Dieser zeugte
mit seiner eigenen Mutter eine Stute, die allein viermal in Eclipses Pedigree
erscheint. Neunmal ist D'Arcys White Turk, sechsmal D'Arcys Yellow Turk
aufgeführt, um nur Beispiele zu nennen. Und unter den Nachkommen des
Eclipse gibt es unzählige, die immer wieder mit Bedacht oder leichtsinnig
auf bestimmte, besonders hochgeschätzte Zwischenglieder der Kette in-
gezogen wurden. In Deutschland machte sich vor allem das Gestüt Wald-
fried mit der nahen Inzucht auf die ruhmreichste deutsche Vollblutstute,
Festa, eine Tochter des Eclipse-Nachkommen St. Simon, einen Namen; und
auch hier wie in Trakehnen und in der amerikanischen Traberzucht hat sich
diese Methode bewährt.

Nun ist die Inzucht kein Zauber. Ihre Erfolge - und ihre ebenfalls häufi-
gen, wenn auch für die Zucht im ganzen vorübergehenden »Mißerfolge« -
beruhen vielmehr auf Gesetzen der Natur, die in den Grundzügen nicht all-
zuschwer zu begreifen sind. Wir müssen uns dazu nur ein wenig in die Erb-
lehre vertiefen.

Lebewesen aller Art, so lehrt die Biologie, können nur die Eigenschaften
8 113

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ausbilden - der Biologe sagt: in ihrem »Erscheinungsbild« oder »Phäno-
typus« verwirklichen -, die in ihnen angelegt sind, für die also - um wieder
in der Fachsprache zu reden - Anlagen in ihrem »Erbbild« oder »Geno-
typus« zu finden sind. Diese Erbbilder werden, wie der Name sagt, von Ge-
neration zu Generation vererbt. Und zwar werden bei zweigeschlechtlichen
Wesen wie den Pferden bei jeder Zeugung die Genotypen des Männchens
und des Weibchens auf eine komplizierte Weise gemischt zu dem neuen Erb-
bild ihrer Frucht. Im Genotypus eines Fohlens können also nur die Anlagen
sich finden, die schon in der Samenzelle des Hengstes und der Eizelle der
Stute vorhanden waren. Bei der Vereinigung dieser beiden Zellen, der »Ga-
meten«, verbinden und scheiden sich die »Chromosomen« (die »Kern-
schleifen«, in denen die Träger der Erbanlagen sitzen) der Eltern allerdings
so, daß in den Zellkernen des neuen Lebewesens eine Mischung aus
Chromosomen des Vaters und der Mutter entsteht.

Wie kompliziert und zufällig dieser Vorgang im einzelnen verlaufen mag,
er unterliegt doch festen Regeln. Diese Regeln hat ein Augustinermönch,
Gregor Mendel, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für uns ent-
deckt, als er Erbsen von verschiedener Form und Blütenfarbe miteinander
kreuzte. Dabei fand der Pater zunächst das Grundgesetz der »Aufspaltung« :
das Gesetz, nach dem sich die in der Kindergeneration gemischten Anlagen
von Vater imd Mutter in der Enkelgeneration wieder aufteilen.

Am einfachsten zeigt sich dieses Gesetz beim Erbgang der Wunderblume.
Befruchtet man die Blüten weißer Wunderblumen mit dem Staub von rot-
blühenden, so wachsen aus dem Samen Pflanzen, die rosa blühen. Sie haben,
weim das Anlagenpaar für die weiße Farbe mit AA, das für die rote mit BB
bezeichnet wird, also die Farbanlagen AB. Kreuzt man diese gemischt-
farbigen Pflanzen, so entstehen in der nächsten Generation nur noch fünfzig
Prozent rosa blühende, aber wieder je fünfundzwanzig Prozent rot und weiß
blühende Wunderblumen. Die Anlagen haben sich also, im einzelnen Fall
zwar willkürlich, in der Masse aber dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit
entsprechend, gemischt:

AB X AB

I_I

I-1 \-1

AA AB AB BB

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Nun ist die Sache keineswegs immer so einfach wie bei den Wunder-
blumenfarben; denn die Anlagen drängen nicht alle gleich stark zur Ver-
wirklichung im Erscheinungsbild. Man unterscheidet vielmehr, wie wir
schon in dem Kapitel über die Pferdefarben (Seite 27) erzählten, »rezessive«
und »dominante« Anlagen. Die dominanten überdecken die rezessiven. Die
zu einer dominanten Anlage gehörenden Merkmale erscheinen also immer,
wenn diese Anlage vorhanden ist; die von den rezessiven Anlagen verur-
sachten Merkmale hingegen können nur dann im Phänotjrpus ausgebildet
werden, wenn die entsprechenden dominanten Anlagen fehlen. Ist beispiels-
weise, wie bei Mendels Erbsen, die Anlage zu einer Farbe a rezessiv, heim-
lich vererbend, die der anderen Farbe B dominant, so entsteht in der ersten
Generation nicht eine Mischfarbe, sondern es erscheint bei allen Individuen
- so als hätten sie ihr Erbteil nur von einem Elter mitbekommen - die
Farbe B, weil diese ja die Farbe a überdeckt. Kreuzt man aber diese »erb-
unreinen« Individuen, so kommt das Erbe der a-farbigen Voreltern wieder
zum Vorschein. Nach dem Gesetz der Aufspaltung werden nur fünfund-
siebzig Prozent der Individuen der nächsten Generation B-farbig (davon
sind zwei Drittel erbunrein, ein Drittel ist erbrein), fünfundzwanzig Prozent
aber werden a-farbig (sie müssen alle erbrein sein, um überhaupt diese Farbe
zeigen zu können) : aB X aB

1-1

aa aB aB BB

Bei den Pferden verhält es sich ebenso mit der Vererbung der Fuchsfarbe,
die rezessiv, und der braunen Farbe, die über die Fuchsfarbe dominant ist.
Und wir verstehen jetzt, warum wir oben sagen konnten, Füchse seien, was
ihre Farbe angehe, immer erbrein (homozygot), Braune manchmal erbrein,
manchmal aber auch erbunrein (heterozygot). Kein Züchter kann indes
einem braunen Pferd ansehen, ob seine Farbe erbrein oder -unrein ist. Da
man außerdem Pferde nicht so beliebig und so billig vermehren kann wie
Erbsen, bleibt die Spekulation auf das Gesetz der Wahrscheinlichkeit, das
erst bei großen Zahlen in sein Recht tritt, in der Pferdezucht riskant. Bei
jeder einzelnen Zeugung sind immer alle Möglichkeiten - die guten wie die
schlechten - offen, wenn auch nicht gleich wahrscheinlich.
Damit nicht genug, ergibt sich eine weitere Schwierigkeit bei der An-

8- 115

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Wendung der Mendelschen Erbregeln im züchterischen Alltag aus der Tat-
sache, daß die Anlagenpaare für die einzelnen Merkmale - und zu manchen
Eigenschaften gehören mehrere Anlagenpaare, die allein unwirksam bleiben
- völlig unabhängig voneinander »mendeln«. Auch dies Gesetz sei wieder
mit einer Formel anschaulich gemacht.

Nehmen wir an, es gebe eine einzige Anlage für die Fähigkeit eines Renn-
pferdes zum »Speed« - nämlich die Fähigkeit, auf kurzer Strecke alle Kraft-
reserven mobil zu machen und ein Höchstmaß an Geschwindigkeit zu er-
reichen -, und diese Anlage sei dominant (S) über eine rezessive Anlage (1),
die diesen Speed unmöglich, das Pferd also langsamer mache. Dann würden
bei der Paarung eines tüchtigen fuchsfarbenen (f) Speeders (Anlagen-
paare ff SS) mit einer langsamen braunen (B) Stute (Anlagenpaare B 11)
zunächst lauter schnelle Braune geboren. Paarte man nun die erbunreinen
braunen Speeder dieser Generation untereinander, so würden sich die An-
lagen, jede für sich, mit diesem Ergebnis weiter aufspalten :

Gameten

des Vaters

BS

fS

B1

fl

der Mutter

BS

BB SS

Bf SS

BB S1

Bf S1

fS

fBSS

ff SS

fBSl

ff S1

B1

BB IS

Bf IS

BB 11

Bf U

fl

fBlS

ff IS

fB 11

ff 11

Könnte das Gesetz der Wahrscheinlichkeit in sein Recht treten, würden also
geboren: neun braune Speeder (davon einer für beide, je zwei für je eine der
Eigenschaften erbrein, vier in jeder Hinsicht heterozygot); drei schnelle
Füchse (davon einer auch für die Fähigkeit zum Speed erbrein) ; drei lang-
same Braune (davon einer auch für die braune Farbe erbrein) und ein lang-
samer Fuchs.

Wollte man eine solche Tafel für alle die noch ungezählten Anlagen auch
nur eines Pferdeelternpaares aufstellen, so würde man Bände brauchen, da
die Zahl der möglichen Verbindungen mit jedem Anlagenpaar geometrisch
wächst. Selbst wenn man ein Schema beispielsweise nur für die Anlagen der
Fähigkeit zum Speed ausschreiben wollte, geriete man ins Aschgraue. Diese
Fähigkeit führen zwar einige Wissenschaftler hauptsächlich auf die Mög-
lichkeit, die Zahl der roten Blutkörperchen (beim Vollblut in der Regel
zwischen neun und zehn Millionen pro Kubikmillimeter Blut) beim Galopp
möglichst plötzUch und stark zu vermehren (um etwa ein Viertel). Doch ge-

116

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hören außet dem raschen Einsatz einer hohen »Blutreserve« zu einem
guten Speed auch noch sehr viele andere Voraussetzungen, etwa: Ge-
sundheit und Leistungsfähigkeit von Lunge und Kreislauf und vielen ande-
ren Organen und selbstverständlich auch ein in allen seinen Teilen geeig-
neter Körperbau. Diese Eigenschaften hängen von unendlich vielen,
manchmal voneinander abhängigen, aber getrennt mendelnden Anlagen ab.
Kurz, die lebendige Wirklichkeit ist zu kompliziert und vielfältig, als daß
man sie in ein biologisches Rechenexempel auflösen könnte. Dennoch blei-
ben die von Mendel entdeckten, aber erst nach seinem Tod um 1900 von
anderen Wissenschaftlern wiedergefundenen und anerkannten Gesetze der
Natur gültig. Sie verraten keine völlig sicheren Rezepte, aber sie lehren uns
die Prinzipien, nach denen der Züchter handeln muß.

Zurück zur Inzucht: Das scheinbar Geheimnisvolle dieser Zuchtmethode
der Rückkreuzung in die eigene Familie sind also jene rezessiven Anlagen,
die plötzlich »herausmendeln« und wirksam werden können. Sie mögen
einmal guten, ein andermal unliebsamen Merkmalen und Eigenschaften ent-
sprechen. Die vorteilhaften Eigenschaften aber möchte man herauszüchten,
verstärken, »verdoppeln« und in den Herden festigen, die kranken hin-
gegen ausmerzen. Solange rezessive Erbkrankheiten und Unzulänglich-
keiten versteckt bleiben, werden sie von Generation zu Generation fortge-
schleppt. Kommen sie heraus, so können die Träger der schwachen Erb-
masse von der weiteren Zucht ausgeschlossen werden. Deshalb sollte man
in diesen Fällen nicht von Mißerfolgen der Inzucht sprechen.

Allerdings führte die immer wieder bis zur Inzucht getriebene Reinzucht
iimerhalb der Vollblutkaste nur deshalb nicht zu dauernden Schäden, weil
sie gleichzeitig ununterbrochen auch eine strenge Leistungszucht war. Bei
den Rennen mußten Erbmängel notwendig zutage treten, und da für die
Rennen gezüchtet wurde, verwehrte man den Trägern der Erbmängel rück-
sichtslos den Weg zurück ins Gestüt. Erst die von spielenden englischen
Gentlemen erfundene Kombination von Reinzucht in engstem Sinne und
strengster Leistungszucht war also der Schlüssel zum Erfolg der Vollblüter.

Eine ganz andere Frage ist, ob fortgesetzte Inzucht nicht auf die Dauer
eigentliche »Inzuchtschäden« zur Folge haben muß. Darüber streiten sich
die Gelehrten noch. Jedenfalls treten solche Schäden, zu denen mit an erster
Stelle eine Verringerung der Fruchtbarkeit zu gehören scheint, erst nach sehr

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vielen Generationen stärkster Inzucht auf. Und sie betreffen offenbar nur das
Erscheinungsbild, nicht aber die Erbmasse selbst. Der Widerstand früherer
Zeiten gegen die Inzucht rührte nicht aus Erfahrungen bei der Pferdezucht,
sondern aus moralischen Vorstellungen her, die für die Menschen gelten,
obwohl sie auch da nicht immer und überall die gleichen waren. Dem ägyp-
tischen Geschlecht der Ptolemäer beispielsweise gebot das Gesetz ihrer
Dynastie, der Herrscher müsse seine Schwester heiraten. Verfolgt manKleo-
patras Stammbaum über zehn Generationen zurück, so findet man bei ihren
Vorfahren fünf Inzucht- und drei Inzest-Ehen. Nach allem, was uns von
Kleopatra überliefert ist, hatten indes weder ihr Geist noch ihre weiblich
anmutigen Reize oder ihre Lebenslust bei diesem Ahnenschwund Schaden
gelitten. Es gibt unendlich viele Theorien über die Anwendung der Inzucht
in der Pferdezucht, über die »Anhäufung« bestimmter begehrter »Blutanteile«
mittels »Verdoppelungen«, verdoppelterVerdoppelungen, »Auskreuzungen«
und »Verdrängungskreuzungen«. Heute glaubt man zu wissen, sparsame und
behutsame Inzucht auf die vierte bis sechste Ahnenreihe sei am aussichts-
reichsten. Und man verweist dabei auf die Erfolge der deutschen Vollblut-
züchter in den zwanziger Jahren, die vornehmlich die besten Linien der
Mutterfamilien mit der Wahl der Väter zu verdoppeln suchten. Jedenfalls
erheben erst die komplizierten Verschlingungen der Vollbluterblinien das
Pedigreespiel zu einer so reizvollen und schwierigen Wissenschaft. Und ohne
Zweifel würde es ohne Inzucht die überragenden Leistungen des Vollbluts
überhaupt nicht geben.

Vor dem Hintergrund der Mendelschen Regeln erscheint auch der Begriff
der Linienzucht in einem neuen Licht. Die Linienfanatiker sehen in einem
Stammbaum immer nur auf eine der beiden Ahnenreihen am Rande der
Tafel, meist - wie bei den Ahnentafeln von Monarchien mit männlicher Erb-
folge - auf die Männerseite. Diese Blickverengung ist gefährlich, weil ja
jedes Fohlen etwas vom Erbgut aller Vorfahren mitbekommt. An welcher
Stelle im Pedigree der für seine Eigenschaften wichtigste Vorfahr steht, ist
gänzlich dem Zufall überlassen. Oder umgekehrt: Ein hervorragender Ahn
wird sich von jedem Platz im Stammbaum aus bemerkbar machen. In dem
Enkel eines berühmten Hengstes findet sich aber vermutlich nur noch ein
Viertel, in seinem Ururenkel ledigUch noch ein Sechzehntel seines geprie-
senen »Bluts«. Ebenso steht es bei den Mutterlinien mit der »Blutverdün-

118

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nung«. Etwas anderes ist es allerdings, wenn man davon spricht, welche
Rollen bestimmte Hengstlinien beim Aufbau und bei der Umwandlung von
ganzen Landeszuchten spielen können. Auch haben die Begriffe der Hengst-
und der Stutenfamilie ihre vernünftige züchterische Bedeutung. Diese Fa-
milien, die alle Nachkommen einer Stammutter oder eines Stammvaters
umfassen, machen erst einen Vergleich zwischen Verwandtschaftsgruppen
möglich. Eine Familie, die in vielen Generationen - wenn auch mit Hilfe der
jeweiligen Partner - hervorragende Kinder hervorbrachte, verdient mehr
Vertrauen als eine schwächliche. Ihre immer wieder vererbten, typischen
Eigenschaften gaben dem Züchter Hinweise für seine Wahl. Lange und
streng konsolidierte Stutenstämme sind die Basis jeder kontinuierlichen
Zucht, bei der immer weniger Chancen für unerfreuliche Aufspaltungen
bleiben. (Die Stutenfamilien sind vielleicht auch deshalb wichtiger, weil
offenbar eine Reihe von Eigenschaften nicht über die Chromosomen, son-
dern mit dem Plasma, also nur von der mütterlichen Eizelle, vererbt wird.)
So hat die Familienzucht ihren guten Sinn, nicht aber der Linienwahn als
eine abergläubische oder monarchistische, wenngleich reizvolle und syste-
matische Methode, Pedigrees zu studieren.

Die Erkenntnisse der Wissenschaft haben der Zucht gesicherte Unterlagen
für eine Planung auf lange Sicht gegeben und etwas von der instinktsicheren
Unmittelbarkeit, die schon den Herdenviehzüchtern der Frühzeit eigen war,
genommen. Die alte englische Regel, ein Derbysieger werde am sichersten
von einem Derbysieger und aus einer Oaksiegerin gezogen, gehörte - ob sie
nun für den Einzelfall richtig war oder nicht - gerade noch einer Zeit an, die
nur von der Erfahrung ausgehen koimte, daß das Tüchtigste vom Tüchtig-
sten stammt. Trotzdem sind die englischen Züchter schon damals in der
Praxis (beispielsweise der Inzucht) auch der neuesten Theorie vorausgeeilt.
Ihr Pferdeverstand wies ihnen den richtigen Weg.

Dieses intuitive Element machen auch die Erkenntnisse der Biologie nicht
überflüssig. Denn die Zucht edler Pferde ist keine Technik, sondern eine
hohe Kunst. Ein gutes Roß läßt sich nicht wie ein Rennwagen konstruieren.
Am wenigsten da, wo die Verhältnisse weniger übersichtlich und erforscht
sind als in der Vollblutzucht, beispielsweise, wo es darum geht, ganze Landes-
zuchten umzustellen, zu »verstärken«. Wird ein schwerer Hengst mit einer
leichten Mutterstute gepaart, so haben sie keineswegs notwendig ein lei-

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stungsfähiges und harmonisches mittelschweres Fohlen miteinander. Allzu
leicht wird die Frucht dieser Verbindung ein häßlicher, unausgeglichener
Mischmasch mit den schlechten Eigenschaften beider Seiten sein. Welche
Pferdeehe die richtige ist, das sagt dem Züchter ein in vielen Generationen
entwickelter Spürsinn. Über wissenschaftliche Theorien streitet er mit
seinen Nachbarn und mit den professionellen Pferdegelehrten. Wenn er
einen Hengst für seine Stute aussucht, läßt er sich von seinem Fingerspit-
zengefühl beraten. Er denkt ein paar Pferdegenerationen zurück, läßt die
Eltern und Voreltern der Ehekandidaten vor seinem irmeren Auge noch ein-
mal vorüberziehen und erfühlt, welche Familien am besten zueinander
passen, wie die besten Eigenschaften beider Ahnenreihen sich wohl in einem
Fohlen vereinen ließen, das dem idealen Wunschbild seiner Phantasie am
nächsten käme.

Daß ein Züchter und seine Zuschauer in reiferen Jahren schon bis zu zehn
Pferdegenerationen aus eigener Anschauung kennen und die Erblinien der
prominenteren Vorfahren, vor allem der Hengste, weit zurückverfolgen
können, macht dieses schöpferische Spiel so reizvoll. Die Pferdezucht ist
auch kein sachliches Geschäft wie jedes andere. Sie ist eine Leidenschaft, und
nur wer mit Passion bei der Sache ist, hat Erfolg. Wen dieses beglückende
Erbübel der Menschheit einmal packt, den läßt es nicht mehr los.

Wer kennt schon die Züchter der großen Pferde der Weltgeschichte, deren
Namen jeder wahre Roßnarr wie eine Heiligenlitanei hersagen kann? Und
doch haben Menschen diese Pferde wachsen lassen. Die Natur gab der for-
menden Kraft menschlicher Phantasie und Kunst nur das »Material« und -
allerdings - die Spielregeln hinzu.

»Blut ist der Saft, der Wunder schafft.« Die Spielregeln der Natur bestehen
unveränderlich. Doch bei jeder Pferdehochzeit lassen sie Platz für unge-
zählte Überraschungen, für das Glück und für manches Mißgeschick. »Pferde
werden geboren«, heißt ein altes Wort der Züchter, die sonst gern verlet-
zend von »Pferdeproduktion« sprechen. Aus ihrer nüchternen Sprache über-
setzt heißt dies: Geheimnis umwittert die Geburt eines Fohlens. Göttin
Fortuna mischt die Karten mit, wenn auch der Züchter alles bedenken, den
Erfahrungsschatz der Jahrtausende ausschöpfen vmd die Entdeckungen der
Wissenschaft nutzen muß.

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Hierarchie im Pferdehimmel

Roßnarren haben feste Vorstellungen von einer Hierarchie im Pferde-
.himmel, der für die theologisch Unbegabten unter ihnen der siebente ist
und von dem Paradies, in das zu gelangen sie selbst mit all ihrer Pferdeliebe
streben, nicht streng geteilt sein soll. Sie hoffen, dort die Bekanntschaft aller
jener Pferde zu machen, die sie auf Erden nur aus ihrer leicht zerlesenen
Pedrigeesammlung kennenlernten; und sie glauben, daß unter diesen die drei
Stammväter des Vollbluts einer allseits verehrten Patriarchenrunde präsi-
dieren. Uns Erdenwallern sind über diese ehrwürdige Hierarchie vorerst
nur ein paar karge Bemerkungen im General Stud Book und einige mehr
legendenhafte Überlieferungen bekannt:

Der älteste der Patriarchen, Beyerley Turk, das türkische Reitpferd des
Rittmeisters Beyerley im Kriege König Wilhelms gegen Irland, betrat den
Boden Englands wahrscheinlich schon um 1689. Unkontrollierbare Ge-
rüchte behaupten, Rittmeister Beyerley habe ihn 1686 bei der Belagerung
Wiens erobert.

Zur Zeit der Königin Anna kaufte der britische Konsul in Aleppo, Mr.
Darley, dort einen Araber, den er in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts
seinem Bruder nach Yorkshire schickte. Aus den Lenden dieses Arabers von
Herrn Darley, des Darley Arabian, sollte der bedeutendste Vollblutstamm
hervorgehen, nämlich der seines Ururenkels Eclipse.

1730 schließlich fand nach allerlei Irrfahrten der Dritte im Bunde, Godol-
phin Arabian, den Weg auf die britischen Inseln. Wahrscheinlich nennt man
ihn zu Unrecht »Arabian«. Er sollte wohl Godolphin Barb heißen, detm
dieses lange verkannte Vererbungsgenie stammte aus Tanger, von wo er als
ein Geschenk des Kaisers von Marokko in den Marstall Ludwigs XV. ge-
langt war. Offenbar fand aber der verwöhnte Fürst an dem unedlen Berber,
dem man Schweinsohren und einen häßlichen Speckhals nachsagt, wenig
Gefallen. Er verkaufte oder verschenkte ihn bald. Immerhin fiel der Hengst
- so erzählt die Legende - eines Tages, als er eine Wasserkarre durch die

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staubigen Straßen der französischen Hauptstadt zog, einem englischen
Züchter sofort auf. Jener Mr. Coke ließ das Karrenpferd aus den Sielen
spannen und nahm es mit nach England.

Aber auch Mr. Coke brauchte noch einen zweiten Wink des Schicksals,
bevor er merkte, was in seinem Berber steckte. Er hatte diesem zunächst in
seinem Gestüt den Posten eines Probierhengstes für den favorisierten Hengst
Hobglobin angewiesen : Godolphin durfte - oder mußte, wie man will -
die Stuten von Mr. Coke liebkosen, bis sie sich willig zeigten und vor Sehn-
sucht bebten (er durfte sie »probieren«). Dann aber wurde er, wie es nun
einmal das Schicksal der Probierhengste ist, in seine Box zurückgeführt,
während Hobglobin die Früchte seiner Anstrengungen mühelos erntete.

Nun wollte der Zufall, daß Hobglobin sich beharrlich weigerte, der Stute
Roxana nahe zu kommen, und Mr. Coke, der Mühen schließlich müde, über-
ließ sie ärgerlich als ein seltenes Vergnügen seinem Findling aus Paris. Elf
Monate darauf gebar Roxana ein prächtiges Fohlen, das den Namen Lath
erhielt und das nach Flying Childers berühmteste Rennpferd seiner Zeit
wurde. (Flying Childers, aus der Familie des Darley Arabian stammend, war
das erste nachweisbar ungeschlagene Pferd der Turfgeschichte.) Godolphin
ward darauf seines schmählichen Postens enthoben und gelangte als ein
begehrter Vater vieler Kinder zu unsterblichem Ruhm. Mr. Coke verkaufte
ihn an einen Kaffeesieder namens Williams, und schließlich gelangte der
Hengst in den Stall von Lord Godolphin, der ihm den Namen gab und auf
dessen Besitz in Cambridgeshire er 1753, im Alter von etwa dreißig Jahren,
hochgeehrt starb.

Um es den Pedigree-Enthusiasten späterer Jahrhunderte etwas leichter
zu machen, waren die Familien von Beyerley Turk und Darley Arabian nach
vier und die des Godolphin Arabian nach drei Generationen in der männ-
lichen Linie nur noch mit je einem Hengst vertreten, so daß man auch diese
drei Jüngeren die Stammväter des Vollbluts neimen kann: Beyerley Turks
Ururenkel King Herod, Godolphin Arabians Urenkel Matchem und Darley
Arabians Ururenkel Eclipse. Über seinen ungeschlagenen Sohn Regulus und
dessen Tochter Spiletta war Godolphin Arabian auch der Urgroßvater von
Eclipse (und ihm also sogar um eine Ahnenreihe näher als Darley Arabian).

Dieser Eclipse hat im Pferdehimmel den eigentlichen Platz des starken
und strahlenden Helden, noch über den Patriarchen, die nicht aus eigener

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Leistung, sondern »nur« als Erzeuger zu Ehren kamen. Er ist das gefeiertste
Roß der Turfgeschichte und - wenn man von Pferden absieht, die als
Reitpferde berühmter Herren, also nicht um ihrer selbst willen, in den Anna-
len verzeichnet stehen - das berühmteste Pferd der Weltgeschichte. Von
Eclipse stammt, wie gesagt, der weitaus größte Teil aller Vollblüter ab, und
die Parteigänger der Darley Arabian-Linie behaupten gern, auch die Nach-
kommen der beiden anderen Stammhengste hätten ihr bestes Erbteil von
ihm. Denn die drei Linien sind, wie sich versteht, zur Freude der Pedigree-
kenner auf das mannigfaltigste verquickt und die Blutanteile kaum mehr
auseinanderzuhalten. Heute zählen die Stämme von Matchem, der dreihun-
dertvierundfünfzig Sieger zeugte, und von Herod nur noch relativ wenige
Vertreter. King Herod und viele seiner Nachkommen litten an Nasenbluten:
ihre Blutgefäße hielten die ungeheuerliche Belastung der Rennen nicht aus.
Von 1778 bis 1800 gewannen Herods Kandeskinder noch beinahe die Hälfte
aUer klassischen Rennen Englands, hundert Jahre später nur noch etwa ein
Zwanzigstel.

Eclipses 200. Geburtstag werden seine Verehrer am 1. April 1964 feierlich
begehen können. Zweifellos werden sie mit Ehrfurcht der Stunde gedenken,
zu der - während einer Sonnenfinsternis, die dem Heros den Namen gab -
im Stall Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Wilhelm von Cumberland
jenes Fohlen fiel, in dessen Biographie es heißen sollte : »Er wurde nie ge-
schlagen, noch zahlte er jemals Reugeld und wurde von jedem Sportsmann
für das beste und schnellste Pferd gehalten, welches jemals, sowohl vor als
nach den Zeiten des Flying Childers, gelaufen.«

»Eclipse war ein schöner heller Fuchs mit Blässe und einem bis zum
Sprunggelenk weißen rechten Hinterbein.« Als der Herzog starb, ging der
junge Hengst für fünfundsiebzig Guineen an einen Mr. Wildman, seines
Zeichens Schafhändler, und wurde später, im zweiten Rennjahr, Eigentum
eines Mr. O'Kelly. Vom Mai 1769 bis zum Oktober 1770 gewann Eclipse
achtzehn Rermen, alle, in denen er lief. Er brachte seinen Besitzern ein Ver-
mögen ein, angeblich allein dreißigtausend Pfund an Renngewinnen. Sein
»Ehrgeiz« ließ keinen Rivalen vorbei - dabei kannte er weder Peitsche noch
Sporen -, und seine Konstitution hielt alle Anstrengungen aus. »Eclipse
first, and the rest nowhere« (Eclipse der Erste, der Rest nirgends) ist
seitdem in England ein gängiges Wort. 1771 begann der Hengst seine »Ge-

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stütskarriere«. Er zeugte bis zu seinem Tod im Jahre 1789 etwa vierhundert
Fohlen. Von seinen Söhnen erwarb den größten Ruhm der Hengst mit dem
originellen Namen Pot-8-os (geboren 1773. Er sollte eigentlich »potatoes«
[Kartoffeln] heißen. Da aber der Stallbursche, der den Namen aufschreiben
sollte, sich darunter nichts vorstellen konnte - wer kannte damals schon
Erdäpfel! -, dachte er, es sei ein »pot«, ein Topf, mit acht Henkeln [eighto's]
gemeint. Und so schrieb er es hin). Die Nachfahren von Eclipse aber be-
geistern noch heute von Geschlecht zu Geschlecht die Turffreunde in aller
Welt.

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Der grüne Rasen

Schnelligkeit heißt, oberflächlich betrachtet, der Götze, dem die Vollblut-
zucht opfert. Die Pferde in der Landwirtschaft aber brauchen nichts we-
niger als die Fähigkeit, rasch zu galoppieren. Und ein Schah von Perslen hat
einmal richtig bemerkt, er müsse kein Rennen besuchen, um zu wissen, daß
ein Pferd schneller läuft als das andere. Wozu also das schöne Geld in die
Vollblutzucht stecken und auf die Rennbahn tragen?

Wer so denkt, hat unrecht. Denn, wir sagten es schon, sosehr es den
englischen Gentlemen des 18. Jahrhunderts um ihr Hobby und nicht um
irgendeine Nützlichkeit ging, so instinktsicher trafen sie doch das Rechte
auch für die banalen Zwecke der Landespferdezucht, weil es der Natur der
Pferde angemessen war. Mit den Rennen schufen sie das kultivierte Mittel,
das allein den mit der Zivilisation unwiderbringlich abgebrochenen oder
verkehrten Prozeß der natürlichen Auslese ersetzen kann : Nicht nur, weil die
Pferde als flüchtige Steppentiere geschaffen wurden, über deren Sein oder
Nichtsein auch unter natürlichen Bedingungen die Schnelligkeit entschied,
sondern vor allem auch, weil nur ein völlig gesundes Pferd das scharfe
Training und die unerbittliche »Zerreißprobe« der Reimen aushält.

Der kleine Bruchteil jeden Jahrgangs (knapp zehn Prozent), der sich in
die beste Klasse durchkämpfen kann, um daim seine Härte und Gesundheit
vererben zu dürfen, ist wirklich auf Herz und Nieren geprüft. In ihm steckt
keine Schwäche irgendeines Organs, sonst wäre sie ihm zum Verhängnis
geworden. Diese scharfe Auslese - kombiniert mit dem System des numerus
clausus, der in zwei Jahrhunderten absolut konstant gezogenen Rasse -
garantiert, wie wir schon sahen, eine unvergleichliche Zuverlässigkeit der
Vererbung. Und daher ist der alte Satz des Grafen Wrangel begründet:
»Ohne Rennen kein Vollblut, ohne Vollblut kein Halbblut und ohne Halb-
blut kein gutes Gebrauchspferd.« Oder, wie der ältere Graf von Lehndorff
es sagte: »Zu einem guten Rennpferd gehört erstens Gesundheit, zweitens
Gesundheit und drittens viel Gesundheit, und Zweck der Vollblutzucht ist,

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diese Gesundheit in Glieder, Konstitution und Nerven der gesamten Halb-
blutzucht einzuimpfen«.

Übrigens sind Herz und Lungen der Rennpferde nicht nur gesünder,
sondern nach langem Training natürlich auch leistungsfähiger als die nor-
maler Arbeitspferde. Und wenn auch der Name nicht daher kommt, so ist
tatsächlich doch die Blutmenge der Vollblüter um etwa zwei bis drei Liter
größer. Deshalb wiegt auch ihr Herz bis zu vier Pfund mehr; die Lungen
können der größeren Blutmenge mehr Sauerstoff mitgeben, und der Puls
schlägt infolgedessen langsamer (um rund dreißig Schläge in der Minute),
so daß er auch bei größeren Anstrengungen mithalten kann.

Trotzdem war die Zweckmäßigkeit der scheinbar so einseitigen Probe auf
Gesundheit und Leistungskraft in Deutschland lange heiß umstritten. Einer
der bedeutendsten Landstallmeister Trakehnens, Herr von Burgsdorf, ver-
dammte noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhimderts die Rennen als das
»größte Hasardspiel der Welt«. Bewegt beklagte er, »Ebenmaß, Regelmäßig-
keit im Bau und Gange, Reinheit der Knochen, Gewandtheit und Schönheit«
würden ganz dem Streben nach Schnelligkeit geopfert, und es müsse »jene
einzige Richtung der Engländer bei der Zucht ihrer Vollblutpferde diesen
ganzen Stamm verderben«. Ja, er behauptete, die Engländer hätten bereits
das beste, edle Blut verunreinigt; »der durchaus fehlerhafte Gebrauch hat
den Verfall desselben vollendet«.

Die Geschichte hat den wahrscheinlich seriösesten Kenner der Pferde-
zucht im damaligen Deutschland widerlegt. Unbestechliche und unvorein-
genommene Zielphotos wiesen derVoUblutzucht einen besseren Weg als die
von der Mode und allerlei Zufälligkeiten mitgeformten Geschmäcker auch
der fachtüchtigsten Körkommissionen. So treffsicher wurde das System der
Rennen entwickelt, daß niemand ein besseres zu nennen weiß und seit den
Tagen der altenglischen Lords und Squires auch nichts Wesentliches geän-
dert werden mußte, werm man davon absieht, daß seitdem die Vollblüter,
»auf Frühreife gezogen«, nicht mehr, wie noch Eclipse, erst mit fünf Jahren
auf der Rennbahn beweisen müssen, was in ihnen steckt, sondern schon als
Zweijährige. Für die Zwecke der »Prüfung des Zuchtmaterials« auf Gesund-
heit und Leistungskraft bewähren sich nach wie vor die Flachrennen über
Mittel-»Distanzen«. Unter ihnen sind noch immer jene fünf die wichtigsten
und prominentesten, die man seit langem schon die »klassischen« nennt:

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Two Thousand Guineas (seit 1809), One Thousand Guineas (seit 1814),
Derby, Oaks und St. Leger. Oder, wie die entsprechenden Rennen bei uns
in Deutschland heißen: Henckel-Rennen, Schwarzgold-Rennen, Deutsches
Derby, Preis der Diana und St. Leger.

Auch der Laie weiß, daß das Derby das klassischste aller klassischen Ren-
nen ist, gibt es doch auch ein Spring- und ein Traber- und neuerdings ein
Fahr- und ein Dressurderby. Es wurde 1780 zum erstenmal gelaufen, als der
ehrenwerte Lord Derby für sich und Lady Hamilton in Epsom ein Schloß
gebaut hatte, das er mit diesem Rennen vor erlesenem Publikum gebührend
einweihte. Auf die Idee mag er nicht nur verfallen sein, weil die Derbys da-
mals wie heute einen konkurrenzfähigen Rennstall besaßen. Der Platz hatte
vielmehr schon eine ältere Tradition gehabt; Epsom war offenbar bereits im
Mittelalter der Schauplatz glänzender Reiterspiele gewesen.

Vier Jahre vor dem ersten »Derby«, 1776, hatten sich die englischen Turf-
freunde zum ersten St. Leger in Doncaster versammelt. Dieses Rennen hat
seinen Namen nicht von einem Heiligen, sondern von dem Obersten John
Hayes St. Leger, der Kunstfreunden ein Begriff ist, weil Thomas Gains-
borough ein vielbewundertes Konterfei von ihm malte. Die Rennen zu
Newmarket um die »King's Plates« gibt es schon seit den Tagen Karls I.,
die Tradition auch dieses Platzes reicht noch viel weiter zurück. In Ascot
schließlich findet sich das vierte englische »Headquarter of the Turf«.

Das erste deutsche Vollblutrennen fandl822 im mecklenburgischenDobe-
ran statt. Später wurde (Berlin-) Hoppegarten, heute hinter dem Eisernen
Vorhang von der Bedeutung eines Provinzbähnchens, »das deutsche New-
market« genannt. Gegenwärtig heißen die »großen« Plätze des deutschen
Galoppsports: (München-)Riem, (Baden-Baden-)Iffezheim, (Frankfurt-)
Niederrad, (Köln-)Merheim, îCrefeld, (Düsseldorf-) Grafenberg, Horst (-Em-
scher), (Dortmund-)Wambel, (Mülheim-) Raffelberg und (Hamburg-) Horn.
Auf vielen anderen Plätzen, beispielsweise in Neuß, finden zahlreiche weni-
ger prominente Rennen statt, wenn auch längst nicht mehr jede größere
Stadt ihre regelmäßigen Rennen hat wie zu Beginn des Jahrhunderts. Die
Ökonomie zwang auch hier zur Zentralisierung.

Klassische Rennen heißen nicht nur ihrer ehrwürdigen Tradition wegen
so; sie werden auch »unter klassischen Bedingungen gelaufen«: Hengste
und Stuten (also keine Wallache) eines Jahrgangs tragen ohne Rücksicht auf

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frühere Erfolge alle das gleiche Gewicht; nur die Pferdedamen »haben
drei Pfund erlaubt«: ihre Last ist um anderthalb Kilo leichter als die ihrer
prospektiven Gatten, was man dem schwachen Geschlecht höflichkeits-
halber wohl zugestehen darf, ohne den Wettbewerb zu verfälschen. Die One
Thousand Guineas und die Oaks (die »Eichen«, das Rennen fand ursprüng-
lich - zuerst 1779 - wohl in der Nähe eines Eichenwäldchens statt), in
Deutschland das Schwarzgold-Rennen - 1600 Meter - und der Preis der
Diana - 2000 Meter - (beziehungsweise der den Oaks mehr entsprechende
Deutsche Stutenpreis in Wambel) sind den Stuten vorbehalten. Um die
klassischen Ehren können sich nur die Dreijährigen bewerben, der hoff-
nungsvolle Jahrgang jener Hengste und Stuten, die im darauffolgenden Jahr
zur Zucht tauglich wären und die in diesen eigentlichen Zuchtprüfungen
ihr Reifezeugnis erwerben sollen. Genaugenommen haben sie, wenn sie
zum Henckel-Rennen antreten, die »Zerreißprobe«, um die es geht, schon
bestanden. Denn sie begirmt bereits beim Training.

Das Leben eines Vollblutpferdes ist kein Honigschlecken zwischen weni-
gen Rennen. Seine Privilegien bleiben an außergewöhnliche Leistungen
geknüpft. Den Fohlen sind, wenn die Mütter sie im Frühsommer aus ihrer
Obhut und Nahrung entlassen, wenige Kindermonate unbeschwerten Tum-
meins auf der Koppel gegönnt. Nach einem Winter bei kräftigem Futter im
Stall lernen sie dann noch einmal einen Sommer lang auf freien Weiden das
Galoppieren im ausgelassenen Nachlaufspiel. Schon im Herbst aber werden
die Jährlinge »eingebrochen« (an Sattel und Reiter gewöhnt) und in den
Rennstall geschickt, wo ein Trainer sie in strenge Zucht nimmt.

In der »Trainieranstalt« des Rennstalls wird der junge Vollblüter nun
zwar von Burschen, Arzt und Trainer umhegt und gepflegt und »individuell
behandelt«, aber er muß jeden Morgen im Frühnebel hinaus auf die Sand-
oder Grasbahn zu harter Arbeit. Langsam werden Herz und Lunge an immer
größere Leistungen gewöhnt. Es geht nicht viel anders zu als bei der Vor-
bereitung von Leichtathleten auf die Olympischen Spiele. Und wie bei den
Menschen stellt sich bald heraus, ob ein Rermpferd zum »Flieger« oder zum
»Steher« geboren ist, ob seine Konstitution es wie einen drahtigen Läufer
zu Höchstleistungen in kurzen Fliegerrennen (1000 bis 1400 Meter), in Mit-
teldistanzen (1600 bis 2200 Meter) oder wie einen Langstreckenläufer zu
Steherrennen (ab 2400 bis 3200, im Ausland, vor allem in Frankreich, auch

128

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Ûer Haflinger als Tragtier in der besten Zweck-
leistung seiner bergischen Heimat

"^oriker unter bäuerlichen Reitern. Den Schlag
j'^'t der berühmten Fleckenschimmelzeichnung
^^nnt man meist aus den Schaugespannen großer
"faucreien

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Ostfriesen im Tandem (zwei Pferde »lang«, voreinander gespannt), der für
den Fahrer schwierigsten Anspannung. »Focko« und »Gerrit«, gefahren
von C. Fegter-Nordcn

Oldcnburger, die einzigen warmblütigen Trab-Pferde, die auch für schwcre
Fuhren eingesetzt werden

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bis 4000 oder 5000 Meter) prädestiniert. Das Training von Rennpferden ist
gan2 offenbar eine Geheimwissenschaft. Jeder Trainer hat sein eigenes
System, und es gibt unzählbar viele Geheimrezepte. Bis zum ersten Welt-
krieg verfügten über dieses Geheimwissen fast nur Engländer, und sie gaben
es nur mündlich ihren Schülern weiter. Selbst das Graditzer Vollblutgestüt
des preußischen Staates ließ seine Pferde von englischen Trainern »fit ma-
chen« und »herausbringen«, wie ja überhaupt der »Turf« mit all seinem
Drum und Dran bis in die Kleidersitten und den Fachjargon hinein in allen
Ländern als ein importiertes Stück englischen Lebens bis heute unverkenn-
bar geblieben ist.

Zu Beginn des Rennjahres dürfen die Zweijährigen zunächst nur zu-
schauen. Alle Aufmerksamkeit gilt dem privilegierten Jahrgang der Drei-
jährigen. Erst im Juni werden die Jüngsten zum erstenmal »über die kür-
zeste Distanz (1000 Meter) geschickt«, imd bis zum Ende der Saison im
Oktober erreichen sie die erste »Mitteldistanz« von 1600 Metern (einer eng-
lischen Meile). Wer diese erste Saison gut übersteht und nicht zu den im
Gestüt gebliebenen Geschwistern zurückgeschickt wird, um mit ihnen zu-
sammen bei der nächsten Auktion zum Verkauf gestellt zu werden, muß sich
jetzt auf das große Jahr vorbereiten. Viele Zweijährige haben inzwischen,
meist nach »Verkaufsrennen«, den Besitzer gewechselt und sind vielleicht
aus dem Rennstall eines Gestüts in einen anderen umgezogen, dessen Besit-
zer keine eigene Zucht betreibt.

Hoffnungsfroh treten sie als Dreijährige im Frühjahr zum Henckel-Ren-
nen (1600 Meter) in Horst(-Emscher) an, werden dann nach (Köln-) Merheim
gebracht, wo sie im Union-Rennen (2200 Meter) ihr Können zeigen müssen.
Ende Juni geht es in (Hamburg-) Horn um den Sieg im Deutschen Derby
(2400 Meter), schließlich gilt es, im Herbst das letzte klassische Rennen, das
St. Leger in (Dortmund-)Wambel (2800 Meter), zu bestreiten. Für die Stu-
ten erhebt sich im Frühjahr und im Sommer die Frage, ob sie im Henckel-
Rennen oder im Derby mit den Hengsten um die Wette laufen sollen, oder
ob ihnen die entsprechenden Damen-Rennen - das Schwarzgold-Rennen in
(Düsseldorf-) Grafenberg und der Preis der Diana in (Mülheim-) Raffelberg -
mehr Erfolg versprechen. Daß Stuten Hengsten den Sieg streitig machen
können, hat erst 1955 wieder die Ticino-Tochter »Lustige« bewiesen, als sie
in Horn beim Derby ihre Rivalen schlug. Immerhin wurde dieser Stutensieg,

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der zehnte seit der Gründung des Deutschen Derbys im Jahre 1869, beson-
ders gefeiert. Zuletzt hatte 1949 »Asterblüte« das Blaue Band für die Damen
davongetragen. Früher erwarben Patience, Nereide und Schwarzgold als
überlegene Derbysiegerinnen unsterblichen Ruhm. Eine Stute, die so erfolg-
reich war, ist für die Zucht fast ebenso begehrt und teuer wie ein Hengst,
der »die dreifache Krone« gewann: das Henckel-Rennen, das Derby und
das St. Leger. Die englische Turfgeschichte kennt eine Reihe von Trägern
der dreifachen Krone. In Deutschland hat bis heute noch kein Pferd dieses
Ziel erreicht. Der erste in Frankreich gezogene Hengst, der die englische
dreifache Krone und dazu noch den Ascot Gold Cup gewann, war Gladia-
teur, ein Ururenkel von Pot-8-os. Nach ihm heißt der Prix Gladiateur, eines
der berühmtesten französischen Rennen.

Für die relativ kleine Elite, die sich für die klassischen Prüfungen qualifi-
zieren und sie gar mit Bravour bestehen konnte, bleibt das erste große Renn-
jahr manchmal auch das letzte. Ihm folgen höchstens noch ein zweites und
drittes; dann kehren diese Besten in die Gestüte zurück, erholen sich bei
guter Pflege von den Strapazen des Turfs und werden darauf ihrer eigent-
lichen Bestimmung zugeführt: als Väter und Mütter einer neuen Vollblut-
generation das Leben zu geben. Das Rennpublikum vergißt seine Helden
nicht, sondern wartet gespannt, ob ein paar Jahre später die Kinder ihren
Eltern Ehre machen. Über die Vorgänge im Gestüt, die Bedeckungen, Ge-
burten und ersten Trainingserfolge, berichten inzwischen die Rennjournale.

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Die leidigen Finanzen

E4n großer Teil der Pferde, denen die Rückkehr ins Gestüt versagt wird,
/bleibt im RennstaU; nur wer keinerlei Aussicht mehr auf »ein Geld« hat,
muß Abschied nehmen von der erregenden und eleganten Welt des Sports
imd eine ganz gewöhnliche Pferdeexistenz suchen. Für die Dauergäste der
Rennställe gibt es, solange sie gesund und leistungsfähig bleiben, genug zu
tun. Denn außer den klassischen Prüfungen werden das ganze Jahr über,
von Anfang Mai bis Ende Oktober, auf allen Plätzen der fünf Kontinente
zahlreiche Rennen gelaufen, die der Zucht nicht sosehr als Leistungsprü-
fungen, sondern als Finanzquellen dienen. Gestüte, Rennställe und Renn-
plätze kosten eine Menge Geld, und dieses Geld muß das Publikum auf die
Rennplätze tragen.

Ursprünglich hatten die noblen englischen Lords das Kapitel der Finan-
zen, das für sie noch kein leidiges war, unter sich abgemacht. Zwar ging es
bei Pferderennen immer schon um die Wette. Aber diese Wette schlossen die
Rennstallbesitzer untereinander ab. Sie zahlten - je nach den Chancen, die
sie ihren Pferden zubilligten - einen großen oder kleinen Einsatz, den der
Sieger als Preis mit nach Hause nehmen durfte. Sie trugen also die Kosten
ihres Hobbys selbst und verteilten sie lediglich nach Glück und Leistung unter
sich. Heute gilt der Satz »Das VoUblut trägt sich selbst« in einem anderen
Sinne : Die Pferde insgesamt verdienen nun ihren Unterhalt bei den Rennen.
In Deutschland beträgt der Einsatz der Pferdebesitzer in die Preiskasse nur
noch etwa ein Fünftel der Preissumme, die zusammen mit den Erlösen aus
Verkäufen zur Erhaltung der Vollblutzucht ausreichen muß. Vom Rest
schießt nur einen kleinen Teil der Staat zu, der als Schutzherr der Landes-
pferdezucht und vor allem als Steuereinnehmer ein Interesse an der VoU-
blutzucht hat. Einen kleinen Teil zahlen auch Kommunen und Wirtschafts-
unternehmen, die Großmut mit Werbechancen für Fremdenverkehr und
Markenartikel zu verbinden wissen. Den Löwenanteil aber müssen die Renn-
vereine selbst aufbringen. Unter ihren Einnahmen spielen wieder die Ein-

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trittsgelder nur eine Statisten-, der Anteil an den Wetteinnahmen des Totali-
sators die Hauptrolle. Sollen die Gestüte zum nötigen Gelde kommen, so
muß der Totalisator ständig in Betrieb bleiben. Deshalb die Vielzahl der
Rennen. Allerdings hat dieses System auch seine Nachteile und Gefahren :
Wenn nämlich der Finanznöte der Züchter wegen viele leichte Rennen auch
für mittelmäßige »Cracks « organisiert werden, so sind die Züchter versucht,
ihre »Produktion« auf »Masse« einzustellen. Diese Masse verlangt dann wie-
der Futter und ruft nach immer mehr und immer leichteren Rennen. Die
Folge sind viele Cracks, aber wenig glänzende Sterne amTurfhimmel, Renn-
»betrieb« statt rücksichtsloser Leistungszucht.

Auch der Rennbetrieb hat indes strenge Regeln und ein züchterisch lo-
gisches System. Um Vergleichsmaßstäbe zu gewinnen, werden »Alters-
gewichtsrennen« und »Ausgleiche« ausgeschrieben. Altersgewichtsrennen
werden manchmal unter klassischen Bedingungen gelaufen : Die Gewichte,
die die Pferde im Reimen zu tragen haben, sind dabei ohne Ansehen der
Person nur nach dem Alter verteilt. Meist aber wird ein System von »Pöna-
lisierungen« angewandt: Für jede fünfhundert oder tausend Mark, die ein
Pferd gewinnt, muß es im nächsten Rennen mehr Gewicht aufnehmen.

In den Ausgleichsrennen werden die Gewichte nach Alter und Erfolg so
verteilt, daß theoretisch jedes Pferd die gleiche Chance hat. Manche Leute
finden das besonders spannend. Im Grunde hat aber diese Methode etwas
Perverses ; denn beim Wettlauf gebührt dem Tüchtigen die bessere Chance.
Für den Ausgleich führen Spezialisten ein besonderes Buch, den »General-
ausgleich«. Nach vielerlei Gesichtspunkten (aber nicht nach der Gewinn-
sunmie) werden die Leistungen aller Rennpferde in Beziehung zueinander ge-
setzt. Jeder kleine oder große Vorsprung in jedem Rennen wird in Gewichte
umgerechnet, nie zur Zufriedenheit der Betroffenen, aber zur Genugtuung
der wenigen »Ausgleicher«, die diese schwierige Kunst beherrschen und die
glauben, so einen objektiven Maßstab für die Gesamtleistung einzelner
Pferde und ganzer Jahrgänge aufgerichtet zu haben. Einen rechten Turf-
narren interessieren die objektiven Maßstäbe wenig, die subjektiven
Leistungen seiner Lieblinge dagegen sehr, und er ist über die hämischen
Relativierungen des Ausgleichers ehrlich entrüstet.

Manches brave Pferd, das auf der Flachrennbahn seinem Namen keinen
Glanz zu geben vermochte, erringt in späteren Jahren noch auf der Hinder-

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Zwei Stammväter der leichteren Hannoveraner aus der Gegend um Verden:
der Vollblüter »Adeptus«, von dem es nur das hier gezeigte, 1896 gemalte
Bild von E.Volkers im Landgestüt Celle gibt, und der 1906 in Ahnebergen

bei Verden geborene Hengst »Flingarth«

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Zuchtregistet der Station Otcrson. In ihm ist die berühmte »Ebba«
eingetragen, eine Stute, die in der hannoverschen Zucht Gcschichtc
gemacht hat. Declcstelle Otcrson bei Verden/Aller

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nisbahn Lorbeeren. Zum »Sport zwischen den Flaggen« (weil die Bahn
nicht eingegrenzt ist, der Reiter vielmehr seinen Weg zwischen Flaggen hin-
durch »suchen« muß) oder, wie man ihn auch seiner geringen Bedeutung
für die Zucht wegen nennt, zum »illegitimen Sport« finden die meisten Pferde
erst, wenn sie auf der Flachrennbahn ausgedient haben. Für den Laien sind
die malerischen Jagd- und Hürdenrennen oft interessanter als die kurzen
und etwas einförmigen Rennen auf der Flachbahn. Auch die Ästheten
unter den zünftigen Turffreunden finden an ihnen ein hohes Vergnügen. Die
eingeschworenen Kenner aber verachten sie - zu Unrecht - ein wenig. (Als
das größte Ereignis im Hindernissport gilt die »Grand National Steeple-
chase« in Liverpool, die über einen 7200 Meter langen, sehr schweren Par-
cours führt. So schwer und tückisch war dieser Parcours, daß man ihn um-
bauen mußte, nachdem 1954 unter den Augen der Königin mehrere Pferde
zu Tode stürzten. Auf dem Kontinent galt früher die »Große Pardubitzer«
Steeplechase als das Gegenstück zur »Grand National«.)

Vollblutzucht bleibt trotz all diesen Verdienstmöglichkeiten ein riskantes
Geschäft. Ein Rennpferd braucht schon einen finanzkräftigen Mann, damit
es überhaupt gezeugt werden kann. Denn hervorragend beleumundeten
Deckhengsten, wie beispielsweise einem Ticino oder Niederländer, muß
eine gestütsfremde Stute ein hübsches vierstelliges Sümmchen als Mitgift
mit in die Ehe bringen, weim sie erhört werden will. Selbst von einem Foh-
len aus gut dotierter Ehe aber weiß niemand mit Sicherheit vorauszusagen,
ob es jemals auch nur ein mittelmäßiges Rennpferd werden wird. Für die
ganze Mühe entschädigen finanziell nur die großen »Treffer«, die außer
Renngewinnen bis ins hohe Alter hohe Deckgelder einbringen oder für viel
Geld verkauft werden können, auf die mancher Züchter aber ein Leben lang
vergebens hofft. Werm ein begehrter Deckhengst, ein »Ungeschlagener«
vielleicht, der von der Rermbahn schon ein kleines Vermögen mit nach
Hause brachte, für über eine Million Mark in harten Dollars nach Süd- oder
Nordamerika übersiedelt, melden die Zeitungen dies mit Recht als eine
große Sensation. Und wenn man die Zahl der Hengste allererster Klasse auf
die Zahl der Gestüte umrechnet, so wundert man sich, wie alle jene Gestüte
und Rennställe überleben, denen ein solcher Glücksfall in einer Menschen-
generation nie zustieß. Auch die glücklicheren unter den Züchtern sind froh,
wenn nur alle zehn oder fünfzehn Jahre »ein großer Treffer herauskommt«.

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Und gar so groß sind auch diese Treffer in Deutschland in den letzten zwan-
zig Jahren nicht mehr gewesen. Dafür sorgt schon das Klima, das den Eng-
ländern und Franzosen einen Vorsprung gewährt.

Der Fußballtoto hat das Wettmonopol der Rennvereine gebrochen und
macht mit seinen Mammutquoten auf geringe Einsätze den Totalisatoren
und Buchmachern arge Konkurrenz. Der Staat verwendet seine Einnahmen
aus den Wettsteuern, die früher zweckgebunden waren, nicht mehr aus-
schließlich zur Förderung der Vollblutzucht. Manches alte und verdiente
Gestüt steht vor dem Ruin, Niederländer, der mit Abstand wertvollste VoU-
bluthengst der letzten Jahre, mußte, von einer weiteren Öffentlichkeit fast
unbemerkt, für relativ wenig Geld an die Landwirtschaftsbehörden der
Sowjetzone verkauft werden. Der Mutterstutenbestand der Zone hat sich
schon von 1947 bis 1956 beinahe versechsfacht, von rund fünfzig Stuten auf
über dreihundert. In der gleichen Zeit ging er in der Bundesrepublik um
fast die Hälfte zurück, von über achthundert Stuten auf weniger als fünf-
hundert. Zwei Drittel der im Oktober 1955 in Köln zum Verkauf gestellten
jungen Pferde gingen über die Zonengrenze. In Westdeutschland findet sich
anscheinend keine Stelle, die den Ausverkauf der deutschen Gestüte ver-
hinderte. Auch in dieser Beziehung haben es die Engländer und Franzosen
besser.

»Die Franzosen«, das ist das Stichwort für jene, die glauben, mit den
Gestüten und Rennställen müsse doch wohl ein Geschäft zu machen sein.
Unvermeidlich taucht bei ihnen der Name des Monsieur Boussac auf, des
Mannes, der mit seinen Zuchterfolgen den Ruhm der englischen Voll-
blüter zurücktreten ließ. Der vermutlich reichste Mann des Frankreich
nach dem zweiten Weltkrieg verdient sein Geld in der Textilbranche und
mag daher eine angeborene Vorliebe für riskante, krisenanfällige Geschäfte
mitgebracht haben. Vielleicht hat auch gesellschaftliches Geltungsstreben
bei seiner Liebhaberei eine Rolle gespielt. Derm der Turf macht - wenig-
stens im Ausland, imd das goldene Fundament vorausgesetzt - immer noch
gesellschaftsfähig. Die Rothschilds und die Hennessys beispielsweise hatten
schon vor Boussac als Züchter und Rermstallbesitzer solchen Ruhm erwor-
ben, daß sie sogar in den englischen »Jockey-Club« aufgenommen wurden,
jenen Klub der Rennstallbesitzer (keineswegs der Jockeys), dem einst und
teilweise auch heute noch neben manchen »neuen Leuten« der älteste eng-

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lische Adel angehörte, vor dem ersten Weltkrieg auch einige schwerreiche
ungarische Magnaten und russische Fürsten (und der deutsche Landstall-
meister Graf Georg von Lehndorflf).

Boussac, der Art nach jenem phrygischen König Midas verwandt, dem
Dionysos die Gabe verlieh, in Gold zu verwandeln, was immer er mit seinen
Händen berührte (obgleich unser französischer Zeitgenosse darob nicht
verhungerte), hat aus seiner Vollblutzucht ein blühendes Geschäft gemacht.
Mit ein paar Mutterstuten begann er erst vor etwa fünfunddreißig Jahren
seine heute weltberühmte Zucht, und mit der Jahresgewinnsumme seines
Stalles führt er in fast ununterbrochener Folge die Liste der erfolgreichsten
Rennställe Europas an. 1950 gewarm er sogar das englische Derby zu Epsom.
Aber Boussac ist eine Ausnahme, und nur er selbst weiß, wieviel er in dieses
Geschäft, das zugleich sein Hobby ist (oder umgekehrt), investierte.

Der Aufbau großer Gestüte ist nie Sache ausgesprochen armer Leute ge-
wesen. Die »Nabobs« regieren noch immer in den Jockey-Klubs der Welt.
Ihre Namen allerdings wechselten. Nach den feudalen Großgrundbesitzern
der guten alten Zeit trugen Bankiers und schließlich Industrielle sich in ihre
Mitgliederlisten ein, etwa in dem Maße imd zu der Zeit, als sie sich mit den
Feudalherren verschwägerten. Deshalb sind jedoch die alten Namen nicht
alle von den Listen verschwunden, am wenigsten im konservativen England.

Im Rennjahr 1954 beispielsweise führte zum erstenmal in der Geschichte
des englischen Turfs der Monarch, Königin Elisabeth II., die Reihe der
erfolgreichsten Stallbesitzer Englands an (Gewinnsumme 482 000 DM).
Winston Churchill, der sich im gleichen Jahr von der Bürde seines Minister-
präsidentenamtes schweren Herzens trennte, stieg als freier Mann sogleich
mit großem Eifer, beträchtlichen Mitteln und einigem Erfolg ins »Retm-
geschäft« ein. Sir Winston setzte damit nicht nur die Tradition des alten
Namens Marlborough fort, sondern auch die mancher Vorgänger im Amt
des Premierministers, unter denen Lord Rosebery den Turf freunden am
besten bekannt ist, weil man von ihm die Anekdote erzählt, er habe als
junger Mann drei Wünsche gekannt: Er wollte Premierminister werden,
das Derby gewinnen und die reichste Erbin der britischen Inseln zu seiner
Frau machen. Seine Wünsche gingen in Erfüllung.

Als bedeutendsten gesellschaftlichen Wandel des Turfs empfand die engli-
sche Öffentlichkeit die Erhebung des Meisterjockeys Gordon Richards, des

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englischen Otto Schmidt, in den Adelsstand. Die junge Königin hätte kaum
einen sichereren Weg in die Herzen ihrer Untertanen finden können als mit
dem Ritterschlag für Sir Gordon, einen der populärsten Männer der briti-
schen Inseln. Soziologen mögen darüber streiten, ob dieser Ritterschlag
besser unter die Uberschrift »Verbürgerlichung« oder »Erhaltung des Feu-
dalismus« paßt. Jedenfalls bleiben »Turf« und »Nobility« in England ein
Begriffspaar. Inzwischen sind allerdings zugleich mit einigen erlauchten
englischen Namen auch die russischen und ungarischen nach dem ersten
Weltkrieg aus der Mitgliederliste des englischen Jockey-Klubs verschwun-
den (wenngleich in der Union der Räterepubliken seit langem wieder Voll-
blutrennen stattfinden, und zwar um Geldpreise, die nun die Kassen der
Staatsgestüte füllen). Statt dessen findet man in dieser Liste den Namen Aga
Khans, dessen Sohn von der Familie der Ismaelitengötter behauptet hat, sie
sei eigentlich eine Familie besonders begabter Pferdehändler. In der Wert-
skala vom Nomadentum hergeleiteter Tradition zweifellos ein hoher Titel.
Aga Khan ist wahrscheinlich der gefährlichste Konkurrent des Monsieur
Boussac, und sein Sohn Ali scheint es ihm gleichtun zu wollen. Ali Khan
feierte glänzende Erfolge als Amateur jockey, und seine Existenz beweist,
daß der Typ des schwerreichen, müßiggehenden, die bürgerliche Moral ein
wenig verächtlich ignorierenden Dandy als eine Randfigur der Rennbahn
nicht aussterben will. Auf dem grünen Rasen und bei den rund zweihundert-
fünfzig Vollblutstuten des in Irland stationierten Gestüts der Khane fühlt
Ali sich offenbar am wohlsten, und dort gewinnt er für Turfnarren sogar
eine achtenswerte Statur.

Die Linie vom Großgrundbesitz über die Hochfinanz zur Industrie ist
auch in der deutschen Vollblutzucht deutlich sichtbar. In Deutschland ver-
lief sie gleichzeitig von Ost nach West, eben zum Geld, zum Publikum, zur
neuen Industrie, aber auch zu länger schneefreien, günstig gelegenen Kop-
peln. Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert führte Graf Plessen die
ersten Vollblüter nach Mecklenburg ein. Seit 1818 folgte Baron Biel seinem
Beispiel, der Organisator der ersten deutschen Rennen in Doberan (1822)
und Güstrow.

Übrigens kaufte Biel für sich und seine Freunde die Vollblüter von jenem
Mr.Tattersall, nach dem viele deutsche Reitschulen und Mietställe früher
benannt waren. Der Verfasser gesteht, daß er als Kind glaubte, ein Tattersall

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sei ein Saal, in dem man »tattere«. Es mag sein, daß er »Tattern« für eine Um-
schreibung des deutschen Trabs, des schüttelnden Trabs ohne Heben in den
Bügeln, hielt. Die Sache kam ihm später merkwürdig vor, aber er ging ihr

lange nicht auf den Grund. Das Etablissement, das Richard Tattersall 1766

b-

am Hydepark Corner in London einrichtete und das hundert Jahre später
nach Knightsbridge verlegt wurde, war bis vor kurzem der Treffpunkt der
eleganten und reichen Turfwelt, ein Platz, an dem viele Pferde ihren Be-
sitzer wechselten, und der Ort vieler Abschlüsse von Rennwetten. Die Firma
besteht weiter in Newmarket, dem heutigen Mittelpunkt des englischen
Turfs.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb Mecklenburg die Heimat
der deutschen Vollblutzucht. Zu Plessen und Biel gesellten sich vor allem
der Herzog von Holstein-Sonderburg-Augustenburg, das Großherzoglich
Mecklenburgische Gestüt Redefin und Graf Hahn-Basedow. Dann verlegten
sich auch Schlesier auf die Vollblutzucht und übernahmen bald die Führung;
von einem schlesischen Adels- und Züchtergeschlecht hat das Henckel-
Rennen seinen Namen. 1847 erschien zum ersten Male die deutsche Abteilung
des General Stud Book, das »Allgemeine Deutsche Gestütbuch«. Die neue
Mode erfaßte bald wie eine plötzlich anwachsende Welle das ganze Land.

Da sehr rasch auch die Bedeutung des Vollbluts für die Landespferde-
zucht erkannt wurde, nahm der Staat selbst sich seiner an. Nachdem die
preußischen Staatsgestüte schon Vollbluthengste als Beschäler und in Tra-
kehnen und Neustadt-Dosse auch Vollblutstuten zur Reinzucht aufgestellt
hatten, wurde 1866 in Graditz ein eigenes staatliches Vollblutgestüt gegrün-
det und dem angesehensten Landstallmeister, dem Grafen Georg von Lehn-
dorff, anvertraut. Der Rennstall dieses Gestüts war bald so vorzüglich ver-
sorgt und geführt, daß besondere Bestimmungen seine Pferde von vielen
Rermen ausschließen mußten. Die ausländische Konkurrenz, vor allem die
französische, war allerdings auch ihnen gewachsen.

Hippologen begründen das Versagen der frühen deutschen Vollblutzucht
damit, daß die Züchter lange glaubten, das Vollblut sei so sehr ein englisches
Erzeugnis, daß man es nie ganz in Deutschland einbürgern könne. Sie mein-
ten, immer wieder müßten Importe aus England für eine lebendige Ver-
bindung mit dem Blutquell und für den ausgeprägt englischen Typ dieser
Rasse sorgen. Außer dem Gestüt Waldfried legten sie es deshalb nicht dar-

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auf an, bestimmte, ausgesuchte Familien bodenständig zu machen. Erst die
Not des ersten Weltkriegs und seine Nachwehen sorgten dafür, daß die Züch-
ter (vor allem seit etwa 1925) zu der Tugend gezwungen wurden, neue Wege
zu gehen und dem Waldfrieder Beispiel nachzueifern. Die Erfolge in der
Blütezeit der deutschen Vollblutzucht vor dem zweiten Weltkrieg gaben den
Vertretern der Theorie der Bodenständigkeit recht.

Auch bevor Graditz am Ende des letzten Krieges geplündert wurde, lagen
die großen deutschen Vollblutgestüte schon im Westen. Seitdem das Gestüt
Weil des Königs von Württemberg und seiner Tochter, der Fürstin zu Wied,
nicht mehr existiert und das ehemals elsässische Gestüt Walburg der In-
dustriefamilie von Haniel aus der Reihe der Großen ausschied, weil es immer
wieder verlegt werden mußte und diese Ortswechsel nicht überstand, sind
die großen Namen heute : Waldfried, Schlenderhan und Erlenhof; und wei-
ter: Röttgen (bei Köln gelegen und mit dieser Stadt auch durch das »Eau de
Cologne« verbunden; seine Herrin besitzt das Haus in der Glockengasse
Nr. 4711), Isarland (bei München), Zoppenbroich, Ebbesloh, Asta und
Mydlinghofen, Ravensberg und Werne (diese alle ebenfalls im Rheinland
und in Westfalen gelegen).

Schlenderhan, das älteste der »Großen«, 1871 in der Nähe von Köln ge-
gründet, ist Besitz der Bankiersfamilie der Freiherren von Oppenheim. Es
hat den besten deutschen Vollblutvererber, den neunfachen deutschen »Be-
schäler-Champion« Oleander, hervorgebracht (1924 geboren, 1947 verun-
glückt). »Beschäler-Champion« wird der Hengst, dessen Kinder in einer
Saison die höchsten Gewinne »zusammengaloppieren«.

Waldfried ist das der älteren Generation bekannteste Gestüt. Denn hier
- nahe bei dem Frankfurter Rennplatz Niederrad - brachte Festa ihre be-
rühmten Kinder zur Welt, die mit ihrer Nachzucht im ersten Viertel unseres
Jahrhunderts das Turfgeschehen beherrschten : Festino, Fels, Fabula, Faust
und Fervor. Die überaus bedachtsamen Kombinationen der Waldfrieder
Blutlinien haben den Pedigree-Enthusiasten ein reiches Feld für ihr Hobby
bestellt. Sie Heben dieses Gestüt deshalb besonders. Professor von Dietze
beispielsweise, gegenwärtig Präsident der Generalsynode der Evangelischen
Kirche in Deutschland, hat einmal bekannt, er kenne sich in den Waldfrieder
Stammbäumen bis in die letzten Verästelungen hinein genau aus. Waldfried
gehört zu den »Industriegestüten«. Mit zwei Mutterstuten wurde es 1898

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von dem Frankfurter Industriellen Geheimrat Arthur von Weinberg und
seinem Bruder Carl gegründet. 1901 kaufte Geheimrat von Weinberg in
Newmarket für zwanzigtausend Mark Festa, eine Stute, die auf der Renn-
bahn nichts Besonderes geleistet hatte, aber eine Tochter des ungeschlagenen
St. Simon war, des berühmtesten englischen Hengstes seiner Zeit. Ihre Mut-
ter hatte die Oaks gewonnen und Festa nach auslaugender Rennlaufbahn als
erstes Fohlen geboren. Weinberg kalkulierte, daß die Erbmasse gut sein
müsse, wenn auch die Konstitution des erstgeborenen Fohlens schwach sein
mochte. Er behielt recht. Festas Sohn Fels brach 1905 beim Zukunftsrennen
in Iffezheim das lange währende Monopol der Franzosen, und jedes ihrer
in Deutschland geborenen fünf Kinder gewann Riesensummen. Vor dem
ersten Weltkrieg lagen die Jahresresultate des Gestüts nicht selten bei 700000
und mehr Mark nur an Renngewinnen. Anfang der zwanziger Jahre aber
schien die große, von Festa beherrschte Zeit endgültig vorbei. Schlender-
han hatte wieder die Führung übernommen. Inzwischen floh das Gestüt
Waldfried vor der wachsenden Stadt Frankfurt zum Römerhof bei Köln.
Nachdem die Verbindung des Festabluts mit dem der sogenannten Graditzer
»Heldenfamilien« gelungen scheint, tritt Waldfried wieder in den Vorder-
grund.

Erlenhof wurde 1922 von dem Frankfurter Fabrikanten M.J.Oppen-
heimer bei Homburg vor der Höhe gegründet und sammelte schon bald dar-
auf reiche Lorbeeren. Heute gehört es dem Hause Thyssen. Die Namen der
Erlenhofer Derbysieger Graf Isolani (übrigens ebenfalls ein Nachkomme
der Festa), Athanasius, Nereide, Ticino, Nordlicht, Niederländer und Neckar
sind noch in aller Munde.

1954 sah die Erfolgsstatistik der deutschen Vollblutgestüte so aus:

Zahl

Zahl

Gewinnsumme

Züchter

der Pferde

der Siege

in tausend DM

Waldfried

48

91

436

Erlenhof

50

72

238

Röttgen

49

57

232

Isarland

62

110

180

Schlenderhan

36

50

147

Zoppenbroich

22

37

121

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Wetten

Rennställe und Vollblutgestüte - wenn sie beim Kauf der Zuchtpferde und
.vor allem bei der Bedeckung ihrer Stuten mit einer Mischung von Glück
und Verstand richtig »gewettet« haben - leben vom Geld der Wettlustigen.
Unter den Turffreunden, die Renntag für Renntag zum grünen Rasen pil-
gern, sind indes nicht wenige, die ebenfalls von den Einsätzen ihrer Mit-
pilger ein Sümmchen mit nach Hause nehmen möchten. - Das Streben nach
Gewinn ist im Menschen genauso eingewurzelt wie die Lust zu wetten,
jenes bubenhafte Rechthaben- und Vorherwissenwollen.

Pferdefreunde finden schon deshalb an der Rennwette nichts ernstlich
Lasterhaftes, weil der Totalisator Finanzdünger für die Vollblutzucht liefert.
Sie mögen sich auch nicht gern zugeben, daß es Leute geben soll, die bloß
wetten, um bequem Geld zu »verdienen«. Freilich gibt es dem Wetteufel
verfallene Dauergäste der Totalisatoren. Der rechte Turfnarr aber setzt nicht
so sehr kalt und schnöde berechnend Geld gegen Geld ein. Er spielt viel-
mehr, und zwar in einem sehr harmlosen und liebenswerten Sinn: er bekräf-
tigt mit einem Einsatz, mit einem persönlichen Risiko, daß er in diesem Ren-
nen seinem Favoriten den Sieg wünscht und zutraut oder daß er überzeugt
ist, ein bestimmtes anderes Pferd werde als Sieger die Ziellinie passieren.
Diese Investition von Herz erhebt ihn weit über die Lotto-, Toto- und Rou-
lettespieler.

Er hatte natürlich beim ersten Rennen noch keine Lieblinge erkoren, ihre
Pedigrees noch nicht studiert, ihre Karriere nicht ängstlich von Rennen zu
Rennen verfolgt; damals paßte er noch nicht eifersüchtig auf die Entwick-
lung der Söhne und Töchter seiner einstmaligen Favoriten auf; und auf dem
Rennplatz irrte er noch als ein etwas unsicherer Neuling herum, der sich
vergebens bemühte zu begreifen, was da vorging und was die Hieroglyphen
auf den Anschlagtafeln, im Programm und in der unerläßlichen, am Eingang
erstandenen Turfzeitung wohl bedeuten könnten. Vielleicht hatte ihn nur
die Neugierde dorthin getrieben, vielleicht auch die Langeweile auf der

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Zwei- und dreijährige Hannoveraner auf Krautsand im Landkreis Stade,

dem Hochzuchtgebiet schwererer Pferde

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Suche nach einem Nervenkitzel. Aber die Atmosphäre des Turfs, der Zau-
ber des grünen Rasens nahmen ihn gleich gefangen, und ehe er sich's versah,
gehörte er schon zur Zunft der Turfnarren.

Diese Zunft ist gleichzeitig demokratisch und exklusiv. Menschen aus
allen Schichten gehören ihr an. Aber sie geben sich keine sonderliche Mühe,
»Neuen« den Zugang zu erleichtern und sie in die Geheimnisse des Turfs
einzuführen. Vom Ansager am Mikrophon bis zum Redakteur einer Renn-
zeitung spricht jedermann eine verklausulierte Sprache, und niemand wagt
ein Wort der Erläuterung. Echt zünftlerisch setzt man voraus, daß die Ein-
richtungen und der Fachjargon eines so altehrwürdigen und traditions-
gesättigten Sports jedem ernst zu nehmenden Menschen bekannt sein müs-
sen. Wer sich nicht auskennt, wird vornehm übersehen. Ganz Zünftige be-
dauern sogar, daß die in den allerverwegensten Sprachbildern schwelgende
Sprache der Rennberichte in der Fachpresse neuerdings so weit herabgekom-
men sei, daß selbst der Laie sie beinahe, wenn auch nicht vollkommen ver-
stehen könne.

Ein allmähliches und nicht sosehr mühevolles als genußreiches Einleben
in die Zunftsprache kann nun tatsächlich keinem Turflehrling erspart wer-
den. Aber ein paar Tips für den ersten Renntag dürfen wir ihm wohl ver-
raten: Ein Rennen beginnt keineswegs auf dem gepflegten Rasen, sondern
auf der Waage. Und die erste Zahl, die auf der Starterliste hinter der Nummer
des Pferdes verzeichnet steht, bezieht sich auf das Gewicht, das es in diesem
Rennen zu tragen hat. Dieses Gewicht muß unmittelbar vor und sofort nach
dem Rennen geprüft werden. Dabei wird gewogen: der Reiter noitsamt sei-
nem Dreß in den bunten Farben seines Stalles (aber ohne seine Peitsche)
und der Sattel mit Bügeln, Gurten, Unterlage und - falls vorhanden - Mar-
tingal (aber nicht das Zaumzeug, der Maulkorb und die Bandagen, falls das
Pferd sie trägt). Fehlendes Gewicht wird in kleinen Täschchen am Sattel
untergebracht. Wiegt aber das Gewicht trotz der federleichten Ausrüstung
schwerer als gestattet, kann also der Reiter, wie der Fachausdruck heißt,
»das Gewicht nicht in den Sattel bringen«, so muß dies dem Publikum aus-
drücklich mitgeteilt werden. Hinter dem Namen des Jockeys findet sich
dann die Abkürzung »tr.« mit der Zahl der Kilo, die das Pferd tatsächlich
»trägt«. Steht aber hinter dem Namen des Reiters die Abkürzung »erl.« mit
einer Zahl, so will dies sagen, daß soviel Kilo wie verzeichnet von dem eigent-

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lieh zudiktierten Gewicht abgezogen werden dürfen, »erlaubt« sind. Solch
eine »Gewichtserlaubnis« wird bei Flachrennen (außer bei den »Handicaps«,
den Ausgleichsrennen) Stuten und inländischen Wallachen erteilt, bei Hin-
dernisrennen auch inländischen Pferden, die als Zwei- oder als Zwei- und
Dreijährige noch nicht gestartet sind. Außerdem gesteht man 3 Kilo Vorteil
jenen Jockeylehrlingen, Jockeys und Amateuren zu, die noch keine dreißig
Rennen der Klasse A gewonnen haben. (Zu dieser Klasse gehören alle Ren-
nen, bei denen für mehr als insgesamt tausend Mark Preise verteilt werden.
Rennen mit geringeren Preisen zählen zur Klasse B. »Jockeys« sind im Un-
terschied zu den Amateur-Rennreitern nur die Berufsreiter mit abgeschlosse-
ner Lehre und offizieller Lizenz.) Ausländische Pferde müssen - außer in
Ausgleichsrennen - 3 Kilo mehr als Inländer tragen, es sei denn, das »Direk-
torium für Vollblutzucht und Rennen« als oberste Leitung des deutschen
Rennbetriebs habe diese Bestimmung für ein Rennen aufgehoben und es
damit zu einem »internationalen« erklärt. (Als Inländer gelten übrigens auch
die Pferde, die in der Sowjetzone geboren oder in ihrem Geburtsjahr dort-
hin eingeführt wurden.)

Was der Retmplatzbesucher sonst noch an Abkürzungen in seinem Pro-
gramm entdeckt, wird er mit einiger Phantasie selbst enträtseln können.
Vielleicht wundert er sich allerdings, bei einigen Pferden statt einer Alters-
angabe »4j.« oder »3j.« nur ein »a.« zu finden. Es bedeutet ganz einfach
»alt«, und so werden beim Turf respektlos alle Pferde genaimt, die sieben
Jahre oder mehr zählen. Wir erinnern uns, daß Rennpferde der Einfachheit
halber am 1. Januar Geburtstag feiern müssen. Von dem auf ihre Geburt
folgenden Neujahrstag an gelten sie als Jährlinge, vom nächsten Jahres-
wechsel an als Zweijährige und so fort, bis sie eben von ihrer siebenten
Silvesternacht an »alt« sind. Ist dem Neuling ein aufmerksames Auge für
Pferde angeboren, so wird er bemerken, daß die römischen Ziffern, mit
denen die Ausgleichsrennen in Klassen eingeteilt werden, Qualitätsgrade
bezeichnen. In einem Ausgleich I werden Pferde sehr guter, in II solche
guter Klasse zu einem Feld zusammengestellt. In Ausgleichsrennen III und
IV laufen Pferde mäßiger beziehungsweise geringer Klasse.

Nach dem Wiegen werden die Pfeirde gesattelt und in den »Führring«
gebracht, wo das Publikum sie ehrfürchtig anstaunt und die Kenner sie
kritisch beobachten, um in den letzten Minuten vor dem Abschluß der

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Wette herauszufinden, ob ihr Favorit sich guter Laune zeigt. Im Führring
spielt sich auch ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Turf lebens ab. Denn
hier präsentieren sich die Mitglieder der Rennvereine, die Züchter, Stall-
besitzer und Trainer ebenfalls der Menge. Wenn die Zeit gekommen ist,
sitzen die Jockeys auf und reiten in die Bahn, um hier noch einmal, vor den
Tribünen, ihre Pferde vorzuführen, erst im Schritt (in der »Parade«) und
schließlich im »Aufgalopp«. Dann macht sich das »Feld« hinter den »Bän-
dern« (Gummiseilen, die auf das »Los« und das Flaggenzeichen des Starters
nach vorn hochgezogen werden) zum Start fertig und wird, vielleicht nach
einigem nervösen Hin und Her, »auf die Reise geschickt«. Wer zum ersten-
mal einem Rennen zuschaut, wird vom eigentlichen Wettlauf, der nun schnell
und ein wenig verwirrend folgt, noch nicht viele Einzelheiten aufnehmen
können. Er wird sich vielmehr, wenn er am nächsten Tag den Rennbericht
in der Fachzeitung liest, wundern, welches Epos sich tatsächlich vor seinen
Augen abspielte, während er nur ein Knäuel von Pferden und Reitern sah,
das rund um den Platz jagte. Den Blick für die einzelnen Pferde und die
Taktik der Reiter zu gewinnen und die spannenden Details des Endkampfs,
des »Finish«, wahrzunehmen, bleibt ein Ergebnis längerer Übung. Wir wol-
len nur erklären, was es bedeutet, wenn das Ergebnis folgendermaßen ver-
zeichnet wird: »k.K., K.,2 L., H., W.« Das will sagen,der Zweite sei nur um
einen »kurzen Kopf« zu spät für den Sieg mit seinem Kopf an der Visier-
linie zwischen den Zielpfosten angekommen. Wahrscheinlich hat dies ein-
wandfrei erst das unbestechliche und täuschungsfreie Zielfoto gezeigt. »k.K.«
ist also die berühmte Nasenspitze, die es indes im Turfdeutsch gar nicht gibt.
Der Dritte, sagt der Richterspruch, lag ebenfalls nicht weit zurück. Er kam
neben dem Zweiten um einen ganzen »Kopf« später durchs Ziel. Die Spit-
zengruppe erreichte also die Zielpfosten in schöner, aufregender Geschlos-
senheit. Erst zwei »Längen« (2 L.) dahinter kamen zwei weitere Pferde ein,
von denen wiederum das eine dem anderen nur um Halseslänge (H.) voraus
war. Der Rest folgte schließlich mit mehr als zehn Längen Abstand, mit
»Weile« (W). Überflüssig zu sagen, daß die Längen beim Turf natürlich
Pferdelängen sind.

Die Glücklichen unter den Wettern warten, wenn das Ergebnis endlich
bekanntgegeben ist - was bei knappen Rennen, bei denen das Zielfoto ent-
scheidet, oder bei Rennen, nach denen gegen einen Placierten, weil er sich

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regelwidrig verhalten hat, »Protest« eingelegt wurde, eine Weile dauern kann
-, die Glücklichen also warten nun noch gespannt auf die Verkündung der
(Gewinn-) Quoten. Sie sieht geschrieben so aus (Großer Preis von Baden-
Baden 1956): 1. Masetto (G. Streit), 2. Crâneur, 3. Olivieri; 9 If.; Toto: 29;
16, 28, 33; EW 556. Oder in Worten: Diejenigen, die eine Siegwette auf den
von dem Jockey Streit gerittenen Masetto (jetzt werden nur noch die Reiter
der Sieger genannt) riskiert hatten, bekommen für zehn Mark Einsatz neun-
undzwanzig Mark heraus. Wer aber diesem tüchtigen Waldfrieder Hengst,
der im Jahr vorher den Großen Preis von Baden-Baden wahrscheinlich nur
deshalb verloren hatte, weil der Starter aus Rücksicht auf einen ausländischen
Gast, dessen Pferd sich ungebärdig benahm, den Start so lange hinausge-
zögert hatte, bis schließlich Masetto die Nerven durchgegangen waren -
wer also Masetto nur zugetraut hatte, daß er als einer der ersten Drei über
die Ziellinie gehen, daß er nur placiert werden würde, bekam für seine vor-
sichtige »Platzwette« nur sechzehn Mark für zehn. Auf die Platzwetten für
Crâneur wurden achtundzwanzig, auf die für Olivieri dreiunddreißig Mark
gezahlt. Man sieht schon, daß die Gewinnquoten nicht nach der Leistung
der Pferde bemessen werden. Vielmehr fließt das Geld für die Siegwetten und
das für die Platzwetten in je eine eigene Kasse und wird dann - nach Abzug
von einem Sechstel Steuern - verteilt, bei den Platzwetten zu gleichen Häuf-
chen unter den Wettern je eines Pferdes. Deshalb verspricht es wenig Ge-
wirm, wenn man auf einen heißen Favoriten »Sieg« setzt. Es könnte sogar
sein, daß »er für Platz mehr zahlt« als für Sieg, wenn die Platzwetten auf
mehr Pferde verteilt sind. Ein Außenseiter, der noch eben auf dem letzten
»Platz« einkommt, mag bei den Platzwetten mehr zahlen als der Sieger, und
so fort. Die mathematisch Begabten unter den Wettern finden bald heraus,
daß Risiko und Chancen in der Regel ziemlich gerecht verteilt sind, weil die
Kenner das Gros der Wetter stellen. Für die Ausnahmen sorgen aber immer
wieder das Glück und das Mißgeschick von Pferden und Reitern. Ehe man
eine Platzwette abschließt, muß man sich vergewissern, wie viele Pferde im
Rennen placiert werden. Laufen weniger als sieben Pferde (beispielsweise
»5 If.«), gibt es nur zwei Plätze, laufen mehr, gibt es drei. Bei Rennen mit
weniger als vier Pferden fallen die Platzwetten ganz aus. Manchmal kann
man eine Wette überhaupt nicht loswerden, dann nämlich, wenn das Pferd,
auf das man setzen will, nicht rechtzeitig gemeldet wurde, so daß die Vor-

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Der berühmteste Trakchner Vollblutbeschäler »Perfektionist« und dessen
Sohn »Tcmpelhüter«. Ihre Nachkommen sind noch die besten Vererbcr
der Trakehner Zucht, die heute in Westdeutschland fortgesetzt wird

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Die Trakehner Rappherde : Mutterstuten und Fohlen
auf dem Vorwerk Gurdszen, 1938

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wetten, die in den Wettbüros abgeschlossen wurden, unter falschen Voraus-
setzungen kalkuliert worden wären, wenn dieses Pferd bei der Wette zählte.
Im Programm findet sich in diesem Fall der Vermerk »o. W.« (ohne Wetten).
Wetten gelten erst, wenn sich die Pferde »unter der Order des Starters«
befinden. Geht vorher eines durch oder fällt es, so können die Wetter ihr
Geld zurückverlangen.

Aber es ist noch zu erklären, warum beim Großen Preis in Iffezheim
fünfhundertsechsundfünfzig für zehn Mark ausgezahlt wurden. »EW« heißt
»Einlaufwette«. Sie gewinnt, wer die Reihenfolge der ersten beiden Pferde
richtig vorausgesagt hat. Da es dabei sehr viel mehr falsche Voraussagemög-
lichkeiten gibt, ist das Risiko größer, die Quote aber in der Regel auch be-
trächtlich höher. Die Einlaufspezialisten bestellen am Totalisator ihre Wette
häufig »hin und zurück«, was ja nur bei hohen Quoten sinnvoll sein kann.
Sie hätten im Badener Fall also sagen müssen: »Masetto-Crâneur und zu-
rück«, womit sie auch für den Fall gewonnen hätten, in dem Crâneur gesiegt
und Masetto den zweiten Platz besetzt hätte. Manchmal gewirmen sie dabei
sogar beide Wetten, dann nämlich, wenn ihre Erwählten in einem »toten
Rennen« beide Sieger bleiben, wenn also beide zugleich die Ziellinie pas-
sieren. In Mülheim sah das Totoergebnis in einem solchen Fall kürzlich
folgendermaßen aus : »Toto : 42, 31 ; 30, 20, 81 ; EW. : Kara Burnu auf Wild-
fang 170, Wildfang auf Kara Burnu 186.«

Beim Trabsport sind die »italienischen Wetten« beliebt, bei denen merk-
würdigerweise nur der Zweite richtig vorausgesagt werden muß. Es bleibt
unerfindlich, warum es so verdienstvoll sein soll, nur den Zweiten zu
nennen. Aber der Wetteufel ist erfinderisch, und das Spiel kann nicht viel-
fältig genug sein. Es gibt noch eine ganze Reihe von Spezialwetten, manch-
mal recht komplizierter Art, die man bei den privaten Buchmachern ab-
schließen kann, die ebenfalls auf dem Rennplatz ihre Schalter haben. Nur
hüte man sich vor Gaunern, die sich als Buchmacher ausgeben, denen aber
die Lizenz dazu fehlt. Es ist auch in jedem Falle ratsam, von Geheimtips ab-
zulassen, die häufig mit großem Fleiß und manchmal auch mit Erfolg aus-
gestreut werden, zum Vorteil derer, die aus den daraufhin abgeschlossenen
falschen Wetten mit hohen Quoten ihren Gewinn ziehen.

Wenn der Turf lehrling ins Gesellenalter kommt, wird er sich darauf ver-
stehen, »Formen« zu studieren: Die Reimsport-Zeitungen geben genaue

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Auskunft darüber, wie die startenden Pferde in ihren letzten Rennen ab-
schnitten, ob ihre Form also wächst oder schlechter wird. Er wird dann auch
wissen, welchen Boden seine Favoriten brauchen, um besonders glanzvoll
aufzutreten, ob das »Geläuf« trocken oder naß und »tief« sein sollte. Hoffent-
lich aber glaubt er nie, das Wetten sei wichtiger als das Rennen selbst. Dem
rechten Turfnarren, wir sagten es schon, geht es um den Kampf seiner Pferde.
Er liebt die Spannung und Atmosphäre des Turfs. Ihr gibt die Wette Würze.
Wo sie jedoch zum Selbst- oder Hauptzweck wird, ist sie vom Übel.

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Im Sulky auf der Sandbahn

Spricht ein zünftiger Turffreund von »Sport«, so meint er ganz selbstver-
ständlich den Sport: das Turfgeschehen. »Leibesübungen«, die mit Pfer-
den nichts zu tun haben, ist er nicht bereit, als »Sport« anzuerkennen. Aber
auch in ihrem Reich müssen die Vollblutfreunde inzwischen um ihre eigent-
liche Domäne Grenzen ziehen und ausdrücklich von »Galoppsport« reden.
Dies nicht nur wegen des zwar altehrwürdigen, aber »illegitimen« Hinder-
nissports, sondern vor allem, um sich vornehm von einer neumodischen
Erfindung abzugrenzen, dem Trabsport. Denn der Trabsport gilt nicht als
fashionable, wermgleich (für manche auch: gerade weil) er eine größere
Volkstümlichkeit gewann als der Galoppsport. Während dieser im Augen-
blick in Deutschland kaum mehr Ausdehnungstendenzen zeigt, gewinnt der
Trabsport noch immer neue Freunde. Er wandert beispielsweise, und das ist
für seinen soziologischen Hintergrund bezeichnend, im Ruhrgebiet mit der
Kohle nach Norden in die Gebiete, die der Bergbau eben erst erschließt. So
ist in Dinslaken erst kürzlich eine neue Trabrennbahn eröffnet worden.

Trabrennen werden, wie sich versteht, nicht im Sattel geritten, sondern
gefahren. Mit gespreizten Beinen sitzt der Jockey dicht hinter dem Pferd auf
einem leichten, zweirädrigen, gummibereiften Wagen, dem »Sulky«. Im
Renntrab geht es um die Bahn; galoppiert das Pferd mehrmals an, wird es
»disqualifiziert«. Beim Ausgleich werden nicht größere Gewichte aufge-
packt, sondern »Zulagen« diktiert, zusätzliche Strecken von je 20 Metern, je
nach der Summe des gewormenen Geldes. Häufig, vor allem in Amerika,
geht es in Stichfahrten, »Heats«, um Streckenrekorde. Für die Wetter und
die »Sehleute« unter den Reimbegeisterten bietet der Trabsport sicher eben-
soviel Reize, wenn nicht gar mehr Spannung als der Galoppsport. Aber sein
geschichtlicher Hintergrund und die Zuchtgeschichte der Traberrasse ent-
behren der Romantik, sie geben der Phantasie nicht halb so viel Nahrung
wie das Epos der Vollblüter.

Nützlichkeitserwägimgen standen offenbar Pate, als der russische Graf

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Oriow Ende des 18. Jahrhunderts auf die Idee kam, eine Rasse zu züchten,
deren vorzüglichste Eigenschaft ein schneller Trab sein sollte. Ausdauernde
und rasche Trabpferde brauchte man damals ja vor Reise- und Luxuswagen.
Es zeigte sich, daß bestimmte Pferde besonders gute Anlagen für diese
Gangart besaßen, und mit den bewährten Mitteln der Kreuzung mit Orien-
talen und der Inzucht suchte Graf Orlow diese Anlagen herauszumendeln.
Französische und später amerikanische Züchter eiferten ihm nach, die Ame-
rikaner mit solchem Erfolg, daß ihre Pferde bald die Rennbahnen und Tra-
bergestüte in aller Welt eroberten.

Die amerikanische Traberzucht verdankt ihr bestes Erbe englischen
Vollblütern. Ihr berühmter Stammvater war »Messenger« (aus der Linie
DarleyArabian -Flying Childers - Snap) beziehungsweise sein Nachkomme
»Hambletonian 10«, der von 1849 bis 1875 lebte und eintausenddreihundert-
dreiunddreißig Kinder zeugte. Von ihm stammen achtzig Prozent aller ame-
rikanischen Traber ab, in deren Adern jedoch auch das Blut einheimischer
Pferde fließt, jener Pferde nämlich, die Columbus und Cortez aus Spanien
mitbrachten. Die gewalttätigen Konquistadores des blutigen Cortez darf man
sich nicht als eine auch an Zahl gewaltige Kavalleriebrigade vorstellen. Nicht
mehr als vierunddreißig Kriegsrosse luden sie an den Ufern der Neuen Welt
aus ihren Schiffen. Einige überlebten die Strapazen der Feldzüge in den
Pampas nicht, einige machten aus braven Indios die ersten indianischen
Pferdediebe. Allein von den wenigen Pferden, die alt oder krank und klappe-
rig ausgemustert und in die Steppe freigelassen wurden, stammen die »wil-
den« Pferdeherden des Vierten Erdteils ab, jene sagenhaften Mustangs, von
denen die Wildwestgeschichten erzählen.

Die Traber eroberten sich rasch ein Reimpublikum, vor allem in den Ver-
einigten Staaten, wo 1825 der New York Trotting Club gegründet wurde,
von etwa 1875 an darm auch in Deutschland. Für die Landespferdezucht
blieben sie von einer sehr untergeordneten Bedeutung, selbst als das Auto-
mobil rasche Kutschpferde noch nicht in die Rolle reiner Luxusgeschöpfe
gedrängt hatte. Die Traberhengste waren vollauf damit beschäftigt, Nach-
wuchs für die Rennställe zu besorgen. Zudem hatten sich ihre Körper-
formen ganz dem einseitigen Zweck höchster Trableistung angepaßt: ihre
Kruppe war meist zu hoch (»überbaut«), die Schulter und die Hinterhand
»zu steil«, die Vorderfußwurzel zu flach. Manche Experten sahen darin eine

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Bestätigung für die Theorie, daß der Trab dem Pferd weniger natürlich sei
als der Galopp. In den letzten drei Jahrzehnten sind jedoch diese Mängel im
Exterieur ziemlich gründlich ausgemerzt worden, und da die Traber harte,
ausdauernde und verhältnismäßig genügsame Pferde sind, finden sie neuer-
dings auch in der Landespferdezucht mehr Beachtung.

Das Traber-Gestütbuch ist keine rein aristokratische, sondern eine gut-
bürgerlich-demokratische Einrichtung: Leistung (1,33 Minuten für 1000
Meter) erzwingt die Zulassung auch für jene Individuen, die keine flecken-
lose Traberabstammung nachweisen können. Die Popularität der Trabren-
nen hat das Trabervolk ständig wachsen lassen. In Deutschland gibt es heute
allein über zweitausend Zuchtpferde. Und da Trabrennen viel weniger an den
Kräften, Sehnen und Gelenken der Pferde zehren, viel weniger Zerreiß-
proben sind als die Galopprennen, dauert die Traberkarriere auf der Renn-
bahn in der Regel länger als die der Vollblüter.

Sonntag für Sonntag wallfahrten die Trabrennfreunde hinaus an die Sand-
bahnen, deren wichtigste Ruhleben und Mariendorf (Berlin), Farmsen
und Bahrenfeld (bei Hamburg), Daglfing (bei München), Gelsenkirchen
und Recklinghausen heißen. Sie füllen dort zum Ärger der Vollblutzüchter
die Kassen des Totalisators mit beträchtlichen Summen. Was aber der Ga-
lopp- dem Trabsport immer voraushaben wird, ist die Atmosphäre des ech-
ten Turfs, der großen eleganten Welt; die Noblesse eines alten, traditions-
reichen Hobbys von Gentlemen und für Gentlemen.

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Pferde und Götter

Die hochedlen und wohlgeborenen Vollblüter, in deren Adern die Quint-
essenz adligen Pferdebluts fließt, sind ohne Zweifel das tüchtigste und
schönste Geschlecht in der naturgeschichtlichen Entwicklung unserer gelieb-
ten Rosse. Wenn die Erfahrungen eines umstürzlerischen Jahrhunderts uns
nicht ein so lebendiges Gefühl für die Relativität alles Erreichten, für den
Wandel und die Geschichtlichkeit alles vom Menschen berührten Seins ge-
lehrt hätten, möchte man glauben, mit dieser Aristokratie des Pferdevolks
sei ein absoluter Höhepunkt, ein Schlußpunkt der Zuchtgeschichte erreicht
worden.

Wer aber vomPferd wissen will, darf sich mit der Kenntnis seiner Natur-
geschichte nicht begnügen : sie führt nur von einer Seite an das Phänomen
Pferd heran. Das »Zeitalter des Pferdes«, dessen Ende die Historiker in un-
seren Tagen nüchtern konstatieren, trägt ja deshalb seinen Namen zu Recht,
weil die Rosse seine politische, soziale und kulturelle Geschichte bis in die
letzte Äußerung hinein prägten - weil dieses Zeitalter tatsächlich auf dem
Rücken der Pferde begründet war. Die Naturgeschichte der Pferde ergab
sich als ein Nebenprodukt der menschlichen Geschichte.

Spannen wir den Bogen noch einmal zurück zu jenen frühen Tagen der
Menschheit, da das Pferd die »Geschichte« erst in Bewegung setzte, da die
Streitwagen- und Reitervölker aus der südrussischen Steppe nach Süden,
Osten und Westen aufbrachen und in China und Indien, im Vorderen Orient
und in Europa die ersten Großstaaten und weiträumigen Hochkulturen
schufen.

Auf dem Rücken ihrer Rosse hatten diese Völker sich aus den magischen
Verstrickungen des Sammler-, Jäger- und Pflanzerdaseins befreit. Das Pferd
hatte ihnen die Weite der Welt erschlossen, die Völker der Erde unterworfen
und sie zur Freiheit des Menschseins wiedergeboren. Das Roß war nicht nur
ihr Lebensunterhalt, sondern ihr Lebens-, Spiel- und Kampfgefährte -
und das Unterpfand ihres Herrschertums. Wie hätten sie da den Himmel und

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seine Götter nicht nach dem Bilde ihrer Reiterwelt sich vorstellen, ihr kost-
barstes Gut nicht den Göttern weihen und als Opfergabe darbieten sollen.

Zu Pferde glaubten sich die weißen Schamanen der Nomadenvölker in
den Himmel des einen Reitergottes, die schwarzen Schamanen in die Unter-
welt versetzt. In den Himmel schienen auch die Rosse fliegen zu sollen, die
als Opfergabe an den Kultstätten der Nomaden auf Pfähle gespießt wurden.
Am Grabe des Herrn starben seine Pferde den Opfertod, Weggefährten ins
Reich der Schatten, Zeugen seiner Macht auch dort, dem Toten zugehörig
als intimster Besitz wie die Witwen der Inder, die ihren Gatten auf den
Scheiterhaufen folgten. Auf dem Grab eines Skolotenkönigs fand man die
Gerippe von fünfzig Pferden und fünfzig Dienern, auf Skythengräbern
selbst noch der späten Zeit, als dieses Volk längst mit griechischer Kultur
vertraut war, die Gebeine von Pferden, Dienern und Frauen. In Persien
starben bei den Mithrasfesten Pferde zu Ehren der Sonne.

Obwohl in unseren Breiten christliche Missionare schon vor über tausend
Jahren die Pferdeopfer der Germanen ächteten, sind die Maschinenmenschen
des rational denkenden, aufgeklärten 20. Jahrhunderts noch immer nicht be-
reit, ihre Pferde mit anderen Tieren als Fleischproduzenten gleichzusetzen.
Noch scheint ein Gefühl lebendig, das die Pferde von den Göttern nur aus-
geliehen glaubt und die Roßschlächterei für ein Sakrileg hält. Die Missio-
nare ächteten mit den Opfern auch das Opferfleisch, und bis heute dünkt uns
das Fleisch unserer Pferde eine frevelbehaftete Speise.

Daseinsmacht, Lebensfreude, Leichtsinn und Frivolität drängten den
blutigen Ernst der Pferdeopfer bald ins Unterbewußtsein zurück. Das Pferd
aber behauptete in einer immer reicher sich entfaltenden Reiterkultur seine
Stellung im Mittelpunkt des kultischen und kulturellen Lebens. Die Ger-
manen konnten sich Wotan nicht ohne seinen göttlichen Hengst Sleipnir
vorstellen. Wie die Griechen erkannten sie außer den Menschen allein den
Pferden göttlichen Ursprung zu. Nach der griechischen Sage entsprang dem
Rumpf der Meduse, als Perseus ihr das Haupt abschlug, der geflügelte Pega-
sus, auf dem Bellerophon, der erste Reiter, die Chimäre besiegte. Auf dem
Olymp sorgten die Götter mit eigener Hand für ihre Pferde, fütterten sie mit
Ambrosia und tränkten sie mit Nektar. Glücklich durfte sich schätzen, wer
solche Götterrosse zum Geschenk erhielt, wie Peleus, der Vater des Achill,
von Zephir und Okeanos, dem Wind- und dem Meergott, den Balios und

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Xanthos. Pallas Athene selbst hatte die Menschen gelehrt, die Pferde zu zäh-
men und ihnen den Zaum anzulegen. Zu Pferde stellten die alten Griechen,
wie uns Xenophon, der große Feldherr und Autor der ältesten erhaltenen
Reitlehre, berichtet, ihre Götter dar, und mit den Göttern ehrten sie ihre
Pferde, während die Rosse des Zeus in rasender Fahrt mit dem Sonnen-
wagen des Götterfürsten am Himmelszelt die griechische Welt umkreisten.

Die ganze Mythologie und Literatur der Griechen ist wie von Reitern für
Reiter gemacht. Wie herrlich und kermtnisreich beschreibt Homer die sagen-
haften Pferde des Trojanischen Krieges ; und wo er nicht von Pferden und
»rossebezwingenden« Helden spricht, findet er Bilder aus der Pferdesprache.
So in der »Odyssee« : »Wie vier Hengste, zu einem Gespann vereinigt, von der
Geißel getrieben dem Blachfeld entstürmen, in reißender Eile, hoch sich auf-
bäumend, ihren Weg nehmen: So erhob sich der Spiegel des Schiffs, und
mächtig toste dahinter das Purpurgewoge des aufrauschenden Meeres«. Das
ist der literarisch-künstlerische Ausdruck für jenes Empfinden, das auch die
Wikinger Pferdeköpfe an den Bug ihrer Schiffe schnitzen ließ. Das Schiff,
die Möglichkeit, planvoll die unendlich scheinenden Meere zu befahren und
neue Länder zu entdecken, war nur dem Pferd vergleichbar, die Welt nur vom
Pferd her zu begreifen.

Mutet mehr als ein Jahrtausend später die Verherrlichung der Rosse im
Koran wie eine Kriegslist des eroberungslüsternen Propheten und Reiter-
strategen Mohammed an (der nach der Legende als ein kriegerischer Heiland
auf dem Wunderpferd Burak vom heiligen Felsen Jerusalems in den Himmel
entrückt wurde), so erscheint der Roßkult der Griechen noch als der Aus-
druck einer uralten und langsam gewachsenen, mit der Zeit säkularisierten
religiösen und sowohl ästhetischen als handfesten Reiterkultur. Je weltlicher
diese Kultur wurde, desto augenscheinlicher wandelte sich der Kult zur
äußeren Form.

Während Piatons philosophische Gleichnisse aus der Pferdewelt das hippi-
sche Weltbild aufs äußerste vergeistigen, berichtet der griechische Historiker
Plutarch über Philipp von Mazedonien, daß dieser am schönsten Tage seines
Lebens drei Freudenbotschaften erhielt : Sein Feldherr Parmeneon hatte die
Illyrier besiegt; bei den Olympischen Spielen hatte sein Pferd den Lorbeer
gewonnen; und sein Sohn Alexander erblickte an diesem Tage das Licht der
Welt. Plutarch berichtet die Ereignisse in dieser Reihenfolge, und nach

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allem, was wir von Philipp wissen, schreitet sie von dem ihm Wichtigsten zum
Nebensächlichen fort. Der Rennsieg in Olympia machte dem Mazedonier-
fürsten seinem Namen entsprechend mehr Freude als die Geburt des Thron-
folgers; ein Zeichen sehr männlicher, sehr hochgradiger Roßnarretei.

Als Philipp von seinem Stallmeister ermordet worden war und Alexander
auszog, um das Reich zu vergrößern, ritt er Bukephalos, einen Hengst, der
mit ihm in die Lehrbücher der Geschichte einging; dank Plutarch, der
selbst ein Roßnarr gewesen sein muß. Bukephalos - zu deutsch: Ochsen-
kopf, angeblich nach einem Brandzeichen am Halse des Hengstes - trug
nur seinen Herrn, Als der Hengst starb, erhielt er ein überaus prächtiges
Staatsbegräbnis. Der berühmteste Bildhauer durfte ihm ein Denkmal setzen,
und beim Bestattungsplatz gründete man die Stadt Bukephala. Wenigen
Menschen nur wurden solche Ehren zuteil.

Wie Bukephalos mit Alexander dem Großen, so wurde Asturcus mit
Caesar berühmt. Auch Asturcus, in Caesars Haus geboren, duldete nur den
Imperator auf seinem Rücken, auch er wurde nach griechischer Sitte mit
großem Pomp zu Grabe getragen. Denn mit der griechischen Kultur hatten
die Römer auch den Brauch übernommen, berühmte Pferde in Prachtgrä-
bern beizusetzen und ihnen, großartige Standbilder zu errichten. Wie die
alten Ägypter mumifizierten sie die Leichen ihrer Pferde.

Zur späten, frivolsten römischen Kaiserzeit paßte der Roßkult sich
den neuen, höchst kultivierten, aber für unsere Begriffe vielleicht etwas bi-
zarren Lebensformen an. Der Menschenverächter Caligula beispielsweise
saß mit seinem Leibroß Incitatus zu Tisch und ließ ihm in goldenen Schüs-
seln auftragen. Seiner Auffassung vom vergleichsweisen Wert der Menschen
und Pferde entsprach, daß er Incitatus zum Pontifex maximus, also zum
obersten Priester
des Weltreichs, und zum Bürgermeister von Rom ernannte.
Es ist freilich nicht bekanntgeworden, ob Incitatus sich irgendwelche Amts-
verfehlungen zuschulden kommen ließ.

Und es war nicht Caligulas schlechtestes Ich, das in aller menschlichen Un-
zulänglichkeit bei den Pferden Trost und den Spiegel unverdorbener, von
menschlichen Möglichkeiten der Bosheit nicht versuchter Natur gesucht
haben mag. Uns scheint, daß er die Quellen seines Menschseins nicht ganz
und gar verschüttet haben konnte, wenn er der Roßnarretei frönte. Derm
alle Roßnarretei hat einen Grund von Frömmigkeit.

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Von der Frömmigkeit der Roßnarren

s ist nicht das gleiche, wenn der hoffnungslose Pessimist Schopenhauer
seinen Hund gotteslästerlich »Mensch« nannte, weil der sich schlecht
benahm, und wenn Jonathan Swift uns von der wunderlichen Reise
Gullivers in das Land der edlen Houyhnhnms erzählt, in das Land der
Pferde, die Gulliver lehrten, sich seiner Artgenossen gründlich zu schämen.
Gulliver, so behauptet Swift, war dem Selbstmord nahe, als die Houyhn-
hnms, Idealwesen schlechthin, ihn zwangen, in seine barbarische Menschen-
heimat zurückzukehren. Das rechte Maß indes trifft wohl G. K. Chesterton,
der große englische Publizist und Romancier, wenn er in »The Everlasting
Man« sagt: »George Wyndham erzählte mir einmal, daß er eines der ersten
Flugzeuge zum erstenmal habe aufsteigen sehen und daß dies wundervoll
gewesen sei; nicht so voller Wunder jedoch wie ein Pferd, das einem Men-
schen erlaubt, auf seinem Rücken zu reiten. Ein vornehmer Mann auf einem
edlen Pferd, so behauptete ein anderer, sei die nobelste Erscheinxing der
körperlichen Welt. Solange Menschen dies in der richtigen Weise empfinden,
ist alles gut. Die beste Art, es zu würdigen, muß von Leuten überliefert
werden, die eine Tradition in der rechten Behandlung von Tieren haben;
von Männern mit einem gesunden Verhältnis zu Pferden. Wenn ein Junge
sich eines Vaters erinnert, der ein Pferd ritt, der es gut ritt imd gut behan-
delte, wird er immer wissen, daß dieses Verhältnis befriedigen kann und be-
friedigen wird... Er wird nicht auf den großen modernen Philosophen
hören, der ihm erklärt, eigentlich müsse das Pferd auf dem Menschen reiten.
Ihn wird nicht die pessimistische Schrulle eines Swift plagen, Menschen
müßten als Affen verachtet und Pferde wie Götter verehrt werden. . . Die
Fabel vom geflügelten Pferd wird ihn nicht ganz und gar unnatürlich dün-
ken: er wird wissen, warum Ariosto manch einen christlichen Helden in
einen luftigen Sattel setzte und zum Himmelsreiter machte. Denn das Pferd
ist wirklich zusammen mit dem Menschen emporgehoben worden, am
höchsten in dem Sinne, in dem wir von >Rittertum< (Ritterlichkeit usw., im

e

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Englischen alles in dem Wort >chivalry< enthalten) sprechen. In diesem
Wort ist der Name des Pferdes der höchsten Gesinnung und dem höchsten
Augenblick des Menschen gegeben worden, so daß wir beinahe sagen könn-
ten, das hübscheste Kompliment für einen Mann sei, ihn Pferd zu nennen.«

Pferdeliebe macht auf eine andere Weise fromm als die allgemeine Tier-
liebe der Vegetarier. Wir würden sagen, sie sei zugleich geistiger und hand-
fester, ja märmlicher, wenn nicht gerade Frauen ihr am tiefsten verfielen.
Jedenfalls ist sie weniger theoretisch, unmittelbarer, mit den Augen und
allen daseinsfreudigen Sinnen erfahren, weniger sentimental und doch ro-
mantisch-idealistisch. Sie paßt zum heiligen Ritter, nicht zum schrulligen
Sektierer; sie steht Tennysons unvergleichlicher Lady Godiva an, nicht Ver-
ehrerinnen gemästeter Schoßhündchen.

Pferde sind eben nicht einfach Tiere wie Hunde und Katzen, Giraffen,
Kaninchen oder Kühe. Im Althochdeutschen »asz«-en die Rosse, während
alle anderen Tiere und manchmal auch ungehobelte Menschen »vrasz«-en.
Pferde wurden noch im allerchristlichsten Mittelalter wie Menschen vor
Gericht gestellt, verurteilt, ins Gefängnis geworfen oder gehenkt. Aufge-
klärte Gemüter, denen solche Personifizierung nur noch ein verachtens-
werter Mystizismus scheint, mögen sich an Goethe halten, der - dem Pferd
ebenfalls eine Sonderstellung reservierend - zu Riemer bemerkte: »Die
Natur könnte kein Pferd bilden, wenn nicht alle übrigen Tiere vorauf-
gingen, auf denen sie, wie auf einer Leiter, zur Struktur des Pferdes empor-
stieg«. Oder wie ein Engländer es sagte: »Die Begeisterung, die der An-
blick einiger weniger Könige und aller Rosse entfacht, stammt aus derselben
tief eingewurzelten Empfindung.«

Auch Jonathan Swift war ein Engländer, und als er 1726 Gullivers
»Travels into several remote Nations of the World...« erscheinen ließ, war
England mehr denn je ein Land der Pferdeliebhaber. Noch heute aber sagt
tnan den Briten nach, daß jeder halbwegs Gebildete unter ihnen zu sagen
weiß, wann Matchem, der große Heros des Turfs, geboren wurde (nämlich
1758), und noch heute gibt es dort bei den Begräbnissen berühmter Renn-
pferde Ale und Kuchen, wie zuerst bei der Beerdigung des Godolphin Ara-
bian 1753 und später bei der des Eclipse. Als in den Vereinigten Staaten das
Rennpferd Man o'War zu Grabe getragen wurde, folgten zweitausend
Menschen dem Sarg. Wie die Rennpferde der alten Ägypter, Griechen und

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Römer wurde Man o'War balsamiert. Neun Leichenreden priesen seine Taten.
Auf allen Rennbahnen gedachte man seiner in einer Schweigeminute. Ein
Engländer erzählt, daß auf dem Pferdemarkt eines kleinen Landstädtchens
die Bauern ihre Häupter entblößten, als ein altes Pferd vorgeführt wurde:
Marshland Shales, ein einst gefeierter Vollblüter. Auch der Chronist zog
seinen Hut, was er niemals, wie er beteuerte, vor Graf oder Baron getan
haben würde.

Solche Ehrfurcht scheint nur auf den ersten Blick blasphemisch; sie ist
eine hohe Tugend. Und Pferdenarren schämen sich ihrer nicht, sondern
sind mit Recht stolz darauf. Denn diese fromme Ehrfurcht wird aus dem
Überschwang des Herzens geboren, das die geheimnisvolle, unausschöpf-
bare Schönheit der Kreatur berührte, aus dem Erlebnis der Schöpfung
Gottes, die sich in seinen Pferden offenbart.

Ein Blick in die Literatur der Welt lehrt, wie fruchtbar und bestimmend
dies Erlebnis war. Er lehrt jedoch auch, wie verschieden die Zeiten und
Völker es auffaßten und deuteten. Der Lauf der Welt und die Eigenarten der
Nationen spiegeln sich im Verhältnis der Reiter des Dichterrosses Pegasus
zum Pferd. Man mag dabei an so extreme Gegensätze wie den zwischen
Homers Heldengesängen und Suetons Berichten über Caligulas Incitatus
denken oder die Beschreibung eines Wagenrennens in Sophokles' »Elek-
tra« - »... Dann klang die Erzdrommete. Und sie flogen, laut den Rossen
rufend und die Zügel schwenkend . . .« - mit der Schilderung der modernen
Rennen in Flauberts »Sentimentaler Erziehung« oder Tolstois »Anna Ka-
renina« vergleichen. Im Ohr denVersVergils aus der»Aeneis«, an dem wir in
der Schule die Hexameterregel lernten : »Quadrupedante putrem sonitu quatit
ungula campum«-, mit diesem Vers im Ohr mag man nachlesen, wie Remar-
que in »Im Westen nichts Neues« das Schreien der verwundeten Pferde des
Materialkriegs beschreibt. Oder man mag vergleichende Völkerpsychologie
betreiben. Da sind die Rosinante des Ritters von der traurigen Gestalt in
Cervantes'»Don Quijote« und die eleganten Pferde und Reiter der großen
französischen Gesellschaftsromane; es war ein Franzose, de Lamartine, der
mit Sinn für Gloire und Staatskunst das Wort geprägt hat, das Pferd sei »le
piédestal des rois«, der Thron der Könige. Da sind die typisch englischen
Jagdgeschichten, die unaufhörlich vorüberfahrenden mehrspärmigen Wagen
in Dickens' Romanen und die zugleich spöttisch scharfe und doch versöhn-

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liehe englische Gesellschaftskritik, die in der Pferdewelt ansetzt. Die Figur
des Mr. Jorrocks beispielsweise, mit der Robert Surtees in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts die vom vornehmen Sport mächtig angezogenen Em-
porkömmlinge aus der Kleinbürgerschicht karikierte. Sagt Jorrocks : »I am
a sportsman all over, and to the backbone. - 'Unting is all that's worth
living for - all time is lost wot is not spent in 'unting, - it is like the hair
we breathe - if we have it not we die - it's the sport of kings, the image of
war without its guilt, and only five-and-twenty per cent of its danger.«
(Ick bin 'n Sportsmann von ob'n bis unt'n und bis auf die Knoch'n - man
lebt nur im Satt'1. Allens andre is verlorne Zeit - [Fuchs-]jag'n is wie
Essen und Trinken - wenn wir't nich hab'n, jehn wir ein - een keenig-
licher Sport, is wie Kriech ohne Schuld un bloß halb so jefährlich.) Oder er
doziert seinen Freunden: »Well did that great man, I think it was Walter
Scott, but if it warn't, 't was little Bartley, the boot-maker, say, that there
was no young man wot would not rather have a himputation on his morality
than on his 'oss-manship, and yet, how few there are wot really know
anything about the matter!« (Da hat der jroße Mann, et war wohl Walter
Scott, jesacht - aber wenn't nich Scott war, denn war't der kleene Schuster,
der Bartley, der so richtich sachte: »Et jibt keenen jungen Mann, der't
nich vorzieh'n täte, wenn eener sachte, er is'n Lump, als daß se sach'n, er
kann nich reiten. Dabei jibt's wenige, die et wirklich können«.)

Da sind schließlich unsere deutschen Dichter. Nur wenige Jahre, bevor
die Bücher über den ehrenwerten Mr. Jorrocks erschienen, sprach Goethe
au Eckermann: »Warum konnten wir vorhin einige der Reitpferde, die uns
begegneten, schön nennen, als eben wegen der Zweckmäßigkeit ihres Baues ?
Es war nicht bloß das Zierliche, Leichte, Graziöse ihrer Bewegungen,
sondern noch etwas mehr, worüber ein guter Reiter und Pferdekermer reden
müßte und wovon wir andern bloß den allgemeinen Eindruck empfinden«.
»Könnte
man nicht auch«, sagte ich (Eckermann), »einen Karrengaul schön
nermen, wie uns vorhin einige sehr starke vor den Frachtwagen der Bra-
banter Fuhrleute begegneten?« »Allerdings«.erwiderteGoethe, »und warum
nicht? Ein Maler fände an dem stark ausgeprägten Charakter, an dem
mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen und Muskeln eines solchen
Tieres wahrscheinlich noch ein weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei
Schönheiten als an dem mildern, egalern Charakter eines zierUchen Reit-

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pferdes«. »Die Hauptsache ist immer«, fuhr Goethe fort, »daß die Rasse rein
und der Mensch nicht seine verstümmelnde Hand angelegt hat. Ein Pferd,
dem Schweif und Mähne abgeschnitten, ein Hund mit gestutzten Ohren, ein
Baum, dem man die mächtigsten Zweige genommen und das übrige kugel-
förmig geschnitzelt hat, und über alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend
auf durch Schnürbrüste verdorben und entstellt worden, alles dieses sind
Dinge, von denen sich der gute Geschmack abwendet und die bloß in dem
Schönheitskatechismus der Philister ihre Stelle haben.«

Vielleicht hat keine Nation so tief und manchmal fast mystisch über das
Pferd philosophiert wie die deutsche, keine so treffend und klar vor allem
arabische Pferde beschrieben und die Atmosphäre der reiterlichen großen
Welt eingefangen wie die französische, ist keine so liebevoll und nüchtern
zugleich in die Psyche des Pferdes eingedrungen wie die englische. Vielleicht
ist es auch kein Zufall, daß die beiden schon jedem Schüler bekannten Pferde
der deutschen Literatur dem Pferdehändler Michael Kohlhaas gehörten.
Aber nicht nur die Pferdephilosophie, auch die Verbindung von Pferd und
Tod und Krieg ist den Deutschen überaus geläufig. Das geht von Schillers
noch geradezu lebenslustigem »Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs
Pferd 1 / Ins Feld, in die Freiheit gezogen / . . . Und setzet ihr nicht das
Leben ein,/Nie wird euch das Leben gewonnen sein« über Heines »Das ist
der böse Thanatos, / Er kommt auf einem fahlen Roß; / Ich hör' den Huf-
schlag, hör' den Trab, / Der dunkle Reiter holt mich ab . . .« und Hauffs
»Morgenrot, / Leuchtest mir zum frühen Tod? / . . . Gestern noch auf
stolzen Rossen, / Heute durch die Brust geschossen, / Morgen in das kühle
Grab!« zu Hoffmann von Fallerslebens »Ich hab' mein Roß verloren, mein
apfelgraues Roß«; und von Lenaus »Wir sprengen hinein in die laute
Schlacht, / Es tanzen die wiehernden Rosse / Dahin, wo der Donner am
stärksten kracht, / Weit voran dem trippelnden Trosse: / Dem Reiter kre-
denzt auf sein stürmisch Gebot/Den ersten, den feurigsten Trunk der Tod ! «
zu Emanuel Geibels : »Der schnellste Reiter ist der Tod/Der überreitet das
Morgenrot!«

Doch da reitet auch der tollkühne und immer frohgemute Baron von
Münchhausen durch die Gefilde der deutschen Literatur, den G.A.Bürger
beherzten Reitern Stückchen voller guter Ratschläge wie diese erzählen läßt :
»So leicht und fertig ich im Springen war, so war es auch mein Pferd. Weder

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Gräben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradesten Weg zu
reiten. Einst setzte ich darauf hinter einem Hasen her, der querfeldein über
die Heerstraße lief. Eine Kutsche mit zwei schönen Damen fuhr diesen Weg
gerade zwischen mir und dem Hasen vorbei. Mein Gaul setzte so schnell und
ohne Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, wovon die Fenster aufge-
zogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Hut abzuziehen und die
Damen wegen dieser Freiheit um Verzeihung zu bitten. Ein anderes Mal
wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vor-
kam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft
wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größe-
ren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Male zu
kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast.
Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines
eigenen Armes mich an meinem Haarzopfe, samt dem Pferd, welches ich fest
zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.«

Friedrich von Bodenstedt prägte die Verse: »Das Paradies der Erde/liegt
auf dem Rücken der Pferde,/in der Gesundheit des Leibes/und am Herzen
des Weibes«. Schiller, der seine Schwaben kannte, fabulierte über den ins
Joch gespannten Pegasus: »Auf einen Pferdemarkt - vielleicht zu Hay-
market, / Wo andre Dinge noch in Ware sich verwandeln, / Bracht' einst ein
hungriger Poet / Der Musen Roß, es zu verhandeln. / Hell wieherte der
Hippogryph / Und bäumte sich in prächtiger Parade ; / Erstaunt blieb jeder
stehn'und rief: / Das edle, königliche Tier! Nur schade, / Daß seinen
schlanken Wuchs ein häßlich Flügelpaar/Entstellt! Den schönsten Postzug
würd' es zieren. / Die Rasse, sagen sie, sei rar, / Doch wer wird durch die
Luft kutschieren? / Und keiner will sein Geld verlieren. / Ein Pachter end-
lich faßte Mut./Die Flügel zwar, spricht er, die schaffen keinen Nutzen; /
Doch die kann man ja binden oder stutzen,/Dann ist das Pferd zum Ziehen
immer gut. / Ein zwanzig Pfund, die will ich wohl dran wagen; / Der
Täuscher, hoch vergnügt, die Ware loszuschlagen,/Schlägt hurtig ein. >Ein
Maxm, ein Wort!< / Und Hans trabt frisch mit seiner Beute fort.« Und
Goethe rief, sicher nach einem frischen Ritt und in einer Stimmung, die
jeder Reitersmann kennt, mit jugendlich-romantischer Inbrunst aus: »Laßt
mich nur auf meinem Sattel gelten! / Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! /
Und ich reite froh in alle Ferne, / Uber meiner Mütze nur die Sterne.«

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Als ein Später hat uns dann am Ende des Zeitalters der Pferde Rudolf
Georg Binding in seiner »Reitvorschrift für eine Geliebte« jene unvergeß-
lichen Worte geschrieben: »Reiten ist Wille ins Weite, ins Unendliche . . .
Deines Pferdes Rücken unterwirft Dir die Welt. . . Deines Pferdes Huf
stößt Dich ab, und alles Vergangene versinkt. Die Erde verläßt Dich. Gegen-
wart trägt Dich auf ihrer zartesten Schneide. Du schwebst____Der Himmel

ist hoch und die Erde ist weit. Drei Fuß höher über dem Boden als andere
Menschen, gibt Dir ein ewiges Gefühl davon.« Ein beschwörender Ruf in
eine Welt, die sich besinnungslos der Technik hinzugeben droht. Weisheit,
die nur Abschied und Verlust vermitteln kann. Wahrheit, die dennoch nicht
vergeht.

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J^lolstciner im Zweigespann. »Fels«
"^nd »Lcsigfelder« gehörten zu den
bekanntesten und
erfolgreichsten
Carossiers des Holsteiner Verbandes
Anfang der zwanziger Jahre

Holsteiner »Nordland« unter
Rittmeister
Marten von Bamekow

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Göttliche Spiele

Den tüchtigsten Rennpferden, den Freunden freudvoller Tage, setzten die
alten Kulturvölker Denkmale. Waffenbruderschaft in rauher Kriegszeit
versteht sich von selbst; des Menschen Liebe gilt von je den Spielgefährten.

Unter den Spielen zu Pferde sind die Rennen wahrscheinlich die ältesten
und universalsten. Wir finden sie bei jedem Reitervolk. Es war ja die
Schnelligkeit der Rosse, die die ersten Reiter berauschen mußte, als sie in
grauer Vorzeit sich auf den Rücken der starken Tiere wagten, die schwere-
lose Schnelligkeit, der uralte, geheimnisvolle Traum der Menschheit.

Spiele müssen spannend sein, und nichts vermittelt sportliche Spannung
in so klassisch einfacher, elementarer Weise wie der Wettlauf. Auch das
Streben nach Besitz scheint dem Menschen eingeboren zu sein. Seit jeher
ging es deshalb bei den Rennen augenscheinlich nicht nur um Lust und
Ehre, sondern auch »um die Wette«, um den Preis. Bei den Mongolen, den
unmittelbarsten Erben der alten Reiternomaden, denen wir alle Spiele zu
Pferde, bis auf die Turniere, verdanken, warten noch heute so hohe Preise
auf den Sieger, wie der Stamm oder sein Fürst eben zu bieten vermögen. Die
Usbeken beispielsweise setzten noch zur Zeit unserer Väter nach altem
Brauch bei Pferderennen folgende Preise aus: dem Sieger eine hübsche
junge Maid nebst Aussteuer, dem Zweiten fünfzig Schafe, dem Dritten
einen Knaben, dem Vierten ein Pferd, dem Fünften ein Kamel, dem Sechsten
eine Kuh und dem Siebenten (magische Zahl) zum Spott eine Wassermelone.

Die Rennen dauerten manchmal mehrere Tage und gingen querfeldein,
über Strecken von zweihundert und mehr Kilometern. Aber auch kleine,
urtümliche, sozusagen improvisierte Rennen liebten die Nomaden. Im
Sattel lebten sie ja, Männer wie Frauen, Greise wie Kinder; im Sattel spielten
sie auch. Wuchsen die Mongolenkinder heran, so mochte - um nur ein Bei-
spiel zu nennen - ein erblühendes Mädchen nach der Sitte der Ahnen einen
kräftigen Burschen zur »Liebesjagd« rufen. Gleich stürmten sie los : Der Er-
wählte mußte versuchen, sie einzuholen, sie zu umarmen oder wenig-

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stens ihre Brüste zu berühren. Spott war ihm sicher, ritt das Mädchen
rascher oder konnte es sich seiner mit der Reitpeitsche erwehren. Rauhe,
aber herzhafte Sitten.

Jener Angelsachse Wulfstan, der im 9. Jahrhundert den Pruzzen in Ost-
preußen einen Besuch abstattete, erlebte dort eine Erbteilung nach Reiter-
art : An dem Tage, da einem in den Reiterhimmel gefahrenen Pruzzen der
Scheiterhaufen gerichtet wurde, teilten die Trauergäste seinen Besitz, »so-
viel davon nach dem Trinken und Spielen noch übrig« war, und legten die
Teile auf einer Strecke vom Totenhaus aus an verschiedenen Stellen nieder,
den größten am weitesten entfernt, den kleinsten gleich am Hause. Dann
ritten die Besitzer der schnellsten Pferde des Landes einige Meilen weit fort
und starteten ein Rennen auf das Erbe. Der schnellste erreichte als erster
den größten Haufen, und so fort, bis das Erbe genommen war: nach Rang
und Macht, denn die schnellsten Pferde gehörten den Großen des Landes
oder erhoben sie doch zu mächtigen und angesehenen Herren.

Bei allen alten Kulturvölkern standen die Pferderennen im Mittelpunkt
des gesellschaftlichen Lebens. Aus Ägypten wird über Rennen schon
zweitausend Jahre v. Chr. berichtet. In Persien ließen an hohen religiösen
Festtagen die Vornehmsten des Landes ihre Pferde um die Wette laufen.
Glanzvoller Höhepunkt des Pferdesports im Altertum aber waren die
Wagenrermen in Griechenland und Rom. Das Mekka der antiken Turf-
narren war Olympia. Dort galt es, von 676 v. Chr. an bei Wagenrennen,
vom Jahre 645 an auch bei Reiterrennen, den Lorbeer zu erringen.

Caligulas Kult um Incitatus mag noch als seine Privatsache gelten, wie-
wohl er Kaiser und Gott der Römer war und Incitatus'Ämter die Priester und
Bürger Roms verhöhnten. Die Rennen aber waren öffentliche Angelegen-
heiten, an denen die Massen teilnahmen. Hier erreichte die Roßnarretei, die
Hippomanie, zuzeiten solche Grade, daß der Grieche Prokop die Rennen
mit Recht Ausbrüche eines epidemischen Wahnsinns nennen konnte. In der
Kaiserzeit erregten die Wagenrennen zu Rom die Leidenschaften der Massen
so sehr, daß die Parteinahme für eine der vier Mannschaften, die blaue,
weiße, grüne oder rote, das Schicksal der Kaiser entscheiden konnte. Die
Mannschaften, Lieblinge des Volkes, und ihre Freunde gewannen politische
Macht. Sie wurden Parteien. Noch heute messen die Historiker bei ihren
Kalküls der Tatsache die größte Bedeutung zu, daß Caligula die grüne, Cara-

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calla die blaue, Commodus wieder die grüne und der schlaue Heliogabalus
gar beide Parteien begünstigte. Der eitle Nero suchte als Wagenlenker die
Gunst seiner Untertanen zu gewinnen. Auch Kaiser Commodus lenkte in
siebenhundertfünfunddreißig Rennen die Rosse um die Pilaren. Nero und
Tiberius nahmen ebenso wie vor ihnen die Großen des griechischen Welt-
reichs an den Olympischen Spielen teil, Nero mit einem Fohlen-Zehn-
spänner.

Die römischen Freunde der Rennbahn sahen übrigens denen späterer
Zeiten offenbar schon sehr ähnlich. Jedermann wußte, so erzählt Chrysosto-
mos, Namen, Abstammung und Herkunftsland der Rennpferde. Und ob-
wohl es einen Totalisator noch nicht gab, steht zu vermuten, daß hohe
Wetten riskiert wurden und mancher reiche Mann sich bei Rennen in den
Ruin stürzte. Castor und Pollux, die göttlichen Schirmherren der Rennbahn,
techtelmechtelten seit je mit der wetterwendischen Frau Fortuna.

Das kulturelle Erbe Roms bewahrte Byzanz. Mit ihm auch die Tradition
der Pferderennen. Hier war es, daß die Rennleidenschaft, hoffnungslos mit
der Politik verquickt, sich überschlug. Als die blaue Mannschaft und die
grüne, die Veneti und die Parasini, die auch in Byzanz bei der Kaiserwahl
ein gewichtiges Wort sprachen, sich im Jahre 545 statt eines Rennens ein
Gefecht lieferten, erhob sich ein Aufstand, dem der Kaiser Justinian, selbst
ein berühmter Rossebändiger, nur mit Mühe und Not heil entrann. Drei-
tausend Menschen ließen dabei ihr Leben. Ein Aufruhr beim Erscheinen
der Mannschaften, der »factiones«, im Jahre 532 forderte gar dreißigtausend
Menschenleben. Die erfolgreichen Pferde aber erhielten wie einst die Sieger
von Olympia eine Staatsrente, das Gnadenbrot bis zum Lebensende.

In Byzanz entartete die alte Tradition, in Westrom wuchs nach dem Zu-
sammenbruch des Reiches Unkraut in vielen Arenen. Trotzdem gab es auch
hier noch Rennen. Hatten doch die jungen Eroberervölker aus dem Norden
ein noch ursprünglicheres Verhältnis zum Pferde. Theoderich protegierte
die Bahnen Roms, der Merowinger Childerich die von Paris. Immer aber
entfachte der Zirkus solch unbändige Leidenschaften, daß die Kirche schließ-
lich jeden mit dem Bann bedrohte, der die Rosse lenkte. Erst im 15. Jahr-
hundert erlebten in Rom die Rennen eine zweifelhafte Renaissance. Seitdem
vergnügten sich die Römer wieder auf recht grobe Weise bei dem Corse dei
Barbari, den Rennen der Berberpferde, die man ebensogut auch barbarische

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Rennen nennen könnte. Jnberittene, ungezäumte und ungesattelte Pferde
wurden um die Wette von der Piazza del Popolo über den Corso zum Pa-
lazzo Venezia gejagt. Bisweilen ließ man zum Gaudi des Pöbels auch Esel,
alte Männer oder Juden um die Wette laufen. Ein schweres Unglück machte
1882 dem unwürdigen Treiben ein Ende, das Madame de Staël in ihren be-
rühmten Reiseberichten geschildert hat.

Indessen hatte 1447 in Bayern eine Verordnung des Landesherrn den
Bauern befohlen, wieder Rennen abzuhalten. Jetzt hieß das Motto nicht
mehr »panem et circenses«, sondern nüchtern und zweckvoll, »um der
(kriegswichtigen) Reitkunst aufzuhelfen«. Von England, wo Rennen min-
destens wieder seit dem 12. Jahrhundert nicht im Zirkus, sondern auf den
Gütern des Königs und der Junker veranstaltet wurden, sollte bald die neue
Epoche ausgehen: »Sport« hieß ihr Schlagwort. Von Nutz und Frommen
für die Landespferdezucht redeten im aufgeklärten 19. Jahrhundert dann die
Deutschen.

Spiele zu Pferde - unendliche Zahl. Da ist die Baiga der Mongolen, eine
Art reiterlichen amerikanischen Fußballs, bei dem es darum geht, einen
Hammel zwischen Knie imd Pferdeleib zu halten und mit List, Geschick-
lichkeit xind Brachialgewalt gegen die Spielgenossen zu verteidigen. Da ist
das Fangespiel der Nomaden, das Speerreiten der Mannschaften in Vorder-
asien, das überaus kunstvolle und rituelle Bogenschießen zu Pferde bei
den asiatischen Völkern, das schon tausend Jahre v. Chr. Schulfach der
chinesischen Adelssöhne war und später eine glanzvolle Renaissance in
Japan erlebte. Da ist die Fantasia, die vorgetäuschte Reiterattacke der Bedu-
inen, und schließlich der »König der Spiele«, oder das »Spiel der Könige«,
wie der Name sagt: Polo, das älteste aller Torspiele, das die Perser erfanden.

Die ersten Berichte über das Polospiel stammen aus dem 7. Jahrhundert
V. Chr. Dann galt es bei den Persern als unerläßliche Bewährungsprobe für
die Königs- und Adelskinder; auch die Prinzessinnen mußten sich darin
üben. Der Poloplatz vor dem königlichen Palast war der Treffpunkt der Ge-
sellschaft und der Festplatz des Volkes. Noch heute bezeichnen altehrwür-
dige marmorne Torpfosten vor dem kaiserlichen Palast in Teheran den
kulturellen Mittelpunkt des altpersischen Weltreichs. Nur Eishockey ließe
sich mit diesem Spiel, das wie kein anderes Geistesgegenwart, Mannschafts-
geist und eine rasche, kunstvolle Taktik fordert, vergleichen. Doch auch auf

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Polo, das schnellste und älteste Torspiel, auf der Olympiade zu Berlin 1936
»Puramus«, einer der besten Traber auf deutschen Bahnen, siegte 1952 im

Deutschen Traber-Derby

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Ausritt zur Jagd. Die Meute der ehemaligen
Kavalleriescliule in Krampnitz, 1941

Das »Feld« am Großen Graben in Döberitz, westlich von Berlin-Spandau.
Die Damen ritten damals auch auf der Jagd fast ausnahmslos im Damensattel.
Berliner Parforce-Jagdclub, 1928

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dem glattesten Eis steht der Hockeyspieler nur auf seinen eigenen Beinen.
Polo hingegen ist ein Spiel für Kentauren. Wer hier die vier Beine seines
Pferdes nicht beherrscht wie seine eigenen, hat schon verloren.

Von Tokio bis Sparta spielte bald die alte Welt dieses grandiose Spiel.
Welche Leidenschaft es entzündet, konnte man bis gestern in China und kann
man heute noch vor allem in Indien, Japan, Persien, dem Ursprungsland, in
Südamerika und der Türkei erleben. Aber auch in England, wo der Herzog
von Edinburgh zu seinen Favoriten zählt. Englische Kolonialoffixiere, die
in Indien die Langeweile plagte, brachten das Spiel nach Europa. 1859 ver-
suchten die Mitglieder eines ersten englischen Poloklubs im indischen Mani-
pur den Ball durchs Tor zu treiben, bevor er noch die Erde berührte. 1863
wurde in Kalkutta der berühmte »The Original Polo Club« gegründet, und
1869 rammte man die ersten Torpfosten in den Boden des englischen Mutter-
landes. Der Sportteil englischer Zeitungen verrät, welche Gunst das erre-
gende Spiel dort auch beim breiten Publikum findet. Im übrigen Europa
allerdings vergnügen sich die Poloklubs in solch exklusiver Abgeschieden-
heit, daß sie den Freunden schneller Spiele meist unzugänglich sind.

Eine andere Form des Spiels ist die Hetzjagd, schon bei den Nomaden
geübt. Dem schnellsten Wild, der Antilope und dem Wolf, setzten die Mon-
golen in der endlos weiten Steppe nach. Dem Fuchs, dem flinken, wendigen
und verschlagenen Wild unserer Wälder, gilt die Parforcejagd in unseren
Breiten, seitdem die Abendländer im 13. Jahrhundert die mongolische Sitte
nachahmten. Nur mit einer Peitsche durften die Mongolen das parforce-
gejagte Wild erlegen. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts stellt bei uns die
Meute der Hunde den Fuchs ; imd nur, wenn es im Jagdbericht heißen kann
»Halali auf freiem Feld«, sind die Reiter ganz zufrieden. Die berühmtesten
Jagden des Kontinents wurden in dem wundervollen, weiten Jagdgelände
um Pardubitz auflebendes Wild geritten. Im Herbst trafen sich dort die Vor-
nehmen der Donaumonarchie und der benachbarten Länder.

Die britischen Inseln sind das klassische Land auch der Reitjagden. Das
älteste uns erhaltene einschlägige Dokument ist die von 1279 datierte Er-
laubnis König Eduards I. für Adam de Everingham, den Fuchs in den »Kings
Chases and Warren ofHolderness«zu stellen. Durch ganz England und Irland
jagen noch heute Jäger und Hunde den roten Fuchs. Die klassischen Hoch-
burgen der Fuchsjagd sind in den Randgebieten der Industrie in Mittel-

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england zu finden, in den sogenannten Shires. Den in der Regel etwa fünfzig
Erlesenen, denen es bei einer englischen Jagd vergönnt ist, zu Pferde den
Hunden zu folgen - heute sind darunter sehr viele junge Mädchen, die ihre
Pferde selbst pflegen müssen -, folgt ein Strom schaulustiger, sportbe-
geisterter Menschen. Eine merkwürdig demokratische Veranstaltung : Wohl
sind der Master und die wenigen Erprobten, denen er das Recht, einen roten
Rock zu tragen, als Auszeichnung verliehen hat, auch heute noch meist
Landgesessene und Edelleute; aber das Gros der Reiter stellen die Bauern
mit ihren Söhnen und Töchtern, der Dorfbriefträger, der seinen struppigen
»Hunter« sozusagen im Vorgarten seines Häuschens hält, groß und klein
derer, die das Land und die Landschaft lieben.

Hier und da auf einem entlegenen irischen oder schottischen Gut mag man
auch noch eine urtümliche Jagd, ungestört von Zuschauern und Auto-
kolonnen, erleben: Wie im herbstlichen Frühdunst der »Huntsman« die
Hunde auf einen lange vorher ausgemachten Fuchs anlegt und auf die Reise
schickt. Wie die Meute mit hellem Geläut, Nase und Rute dicht am Boden,
dahinjagt, die Fährte deckt. Dahinter die Kavalkade, Mensch und Tier mor-
gendlich erregt und heiter, aufmerksam auf die Arbeit der Hunde, konzen-
triert auf die Hindernisse der Natur, Bäche, Hecken, Gräben und Holzzäune.
Dazu der Klang der Jagdhörner... Ein Traum nur für die meisten Reiter
im Bannkreis unserer großen Städte, wo die Jagdgesellschaft allzuoft auf ge-
pflegte Wege gebannt und vor Flurschäden ängstUch zwischen Stacheldraht
und frisch gepflügten Äckern einer künstlich gelegten Fährte folgt. Aber der
Frühnebel blieb auch uns, das Bunt der Herbstwälder, manchmal auch das
aufpeitschende Geläut einer Meute - und die ungeduldig pullenden Pferde,
die wie die Menschen auch im Stadtwald noch Jagdleidenschaft und Lebens-
lust packt.

Spiel ist schließlich, versteht man es recht, auch das Reiten selbst, das reine
Zusammenspiel von Mensch und Pferd. Und die Wandlungen dieses Spiels
spiegeln die Geschichte des Liebesverhältnisses dieser beiden füreinander
geschaffenen Wesen wider.

Den Nomaden war das Reiten noch selbstverständlich. Fast nur zum
Schlafen und Gebären verließen sie den Pferderücken. Schon die Babies
wurden in den Kindersattel gebunden. Zwei oder drei Jahre alt, lenkten sie
ihre Pferde selbst. Und sie lernten, eine mit Stutenmilch gefüllte Schale im

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Galopp vom Boden aufzunehmen, ohne auch nur einen Tropfen zu ver-
schütten, wie unsere Kinder das Kreiselspiel oder Seilspringen lernen. Die
Reiternomaden verwuchsen mit ihren Pferden so zu Kentauren, daß ein
kluger Mann, der mit einem wahrlich reittüchtigen Kosaken und einem Kir-
gisen die Steppe durchquerte, seine Begleiter bisweilen die Pferde wechseln
ließ. Unter dem Kirgisen erholten sich die Tiere selbst auf anstrengendem
Marsch.

Spätere Zeiten empfanden und betrieben das Reiten als eine Kunst. Als
eine Kunst jedoch in jedem Sinne des Wortes: als eine Kunstfertigkeit, die
man in strenger Schulung von Reitmeistern lernt, und als ein Kunstmittel,
ein Mittel künstlerischen Ausdrucks, wie es in seltener Vollendung, nach
alten, klassischen Regeln, in der Wiener Hofreitschule gepflegt wird.
Niemandem, der die Meister der Spanischen Reitschule im von Fischer
von Erlach erbauten Saal die Figuren der Hohen Schule zelebrieren sieht,
wird der künstlerische Charakter und der kulturelle Gehalt dieses Spiels
entgehen können. Und jeder, dem es einmal gelang, sich und sein Pferd
so vollkommen übereinzustimmen, wie die Dressur es verlangt, weiß, daß
dies Gelingen den Reiter befreit wie vielleicht den Tänzer der Ausdrucks-
tanz.

Künstlernaturen haben schon immer ein intimes Verhältnis zum Pferd
gehabt. Das Roß ward so sehr - nach dem Wort de Lamartines - »le
piédestal des rois«, der Thron der Könige und Krieger, daß diese Tatsache
dem Bewußtsein entschwand. Unsere Phantasie kann kaum mehr anders,
als unserem geistigen Auge Alexander auf Bukephalos, Caesar auf Asturcus,
Caligula auf Incitatus, den Cid auf Babieca, Napoleon auf Marengo oder
Vizir und Wellington auf Copenhagen vorzustellen. Viel weniger selbst-
verständlich aber scheint es ihr, die großen Dichter, Maler und Bildhauer
oder die Staatskünstler der neueren Zeit auf dem Pferderücken zu denken.
Dabei waren beispielsweise Dante und Leonardo, Rubens und Locke be-
rühmte Reiter. Von Michelangelos vollendeter Reitkunst mag mancher Rö-
mer mehr als von seiner Bildkunst gehalten haben. Noch als fünfundachtzig-
jähriger Patriarch ritt er täglich durch die Straßen der Ewigen Stadt. Tol-
stoi sprang noch als Achtzigjähriger bei seinem täglichen Spazierritt auf
Délire über Zäune und Gräben. Sein Pferd wurde nahe bei seinem Grab
bestattet. Auch Shakespeares Dichtung verrät, daß er viel von Pferden

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wußte und sie liebte. In »Troilus und Cressida« beschreibt er fachmännisch
einen Araber. Mit König Lear rät er seinen Zuschauern: »Reite mehr als du
gehst!«

Goethe, Schliemann und Maupassant ritten mit bewundertem Geschick,
Schiller dagegen trotz allen Reiterliedern recht unbeholfen, Beethoven gar
nicht und Richard Wagner außerordentlich schlecht. Reitern scheint das
ganz verständlich. Sie finden es auch erhellend, zu wissen, daß Bismarck
brillant zu Pferde saß und Reichspräsident Ebert, der aus Pferdeliebe Sattler
geworden war, jeden Morgen im Berliner Tiergarten ritt, was ihm manche
Parteifreunde verübelten; daß der Baumeister des tschechischen Staates,
Masaryk, noch fünfundsechzigj ährig ein begeisterter Reiter wurde und bis
ins hohe Alter täglich drei Stunden im Sattel saß und daß Adenauer es
ebenso hielt, bis der Krieg ihm sein Pferd nahm; daß Napoleon zwar gern
und möglichst Parforce, aber schlecht ritt und Hitler nie auf einem Pferd
zu sehen oder nur denkbar war.

Kunsthistoriker haben herausgefunden, daß das Pferd eines der am häu-
figsten verwendeten Motive der bildenden Kunst ist. Sie spiegelt den Stand
der Reitkunst und das Verhältnis der Epochen zum Pferd getreulich wider.

Die griechischen Standbilder verraten eine so genaue Kenntnis der Ana-
tomie und der Bewegung des Pferdes, wie erst die neue Zeit sie mit Hilfe der
Momentphotographie wieder erwarb. Schon im Altertum war das Reiten
eine bewußt nach Regeln disziplinierte Kunst, und auch die Wagenrennen
in der Arena mit ihren scharfen Wendungen verlangten eine exakte dressur-
mäßige Vorbereitung von Fahrern und Pferden. Die antike, sportliche Reit-
weise läßt sich erst wieder mit der modernen vergleichen. Denn die Reit-
kunst des Altertums verfiel mit der antiken Kultur. Die Ritter des Mittel-
alters, in zentnerschwerer Rüstung und auf gepanzertem Pferd, saßen im
Eisensattel - manchmal gar festgeschraubt, um beim Turnier und im Kampf
den Stoß des Gegners besser auszuhalten - nicht wie Sportsleute zu Pferde,
sondern wie Götzen auf klobigem Thron. Das Eisen hinderte Mensch und
Tier, sich zu einem Wesen zu verbinden. Und die Kunst - denken wir nur
an die Pferde- und Reiterdarstellungen Dürers oder Raffaels - offenbart
diese Entfremdung. Nur wo die Renaissance das Leben neu zur Daseins-
freude formte, belebten sich wieder Reitkunst und Pferdemalerei; man denke
an die prächtigen Rosse, die beispielsweise Tizian imd Pisanello malten.

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Die Reiterstandbilder desColieoni in Venedig (Verrocchio) und desGatta-
melata in Padua (Donatello) dürfen die berühmtesten neben der bronzenen
Statue des Marc Aurel in Rom (bereits aus dem
z. Jahrhundert n. Chr.) ge-
nannt werden.

Der Umschlag des Lebensgefühls nach der Reformation versperrte die
neu sich bahnenden Wege. Während Luther selbst noch in saftigen Sprüchen
seine Liebe zum Pferd kund tat - »Wer nicht Lust hat an einem blanken
Schwert, und nicht Lust hat an einem stolzen Pferd, und nicht Lust hat an
einem schmucken Weib, der hat kein Herz in seinem Leib« -, erklärte sein
Bewunderer, der fromme Kurfürst von Sachsen, es lerne sich wohl von
selbst, wie man zwei Beine über ein Pferd hängen solle. Das könnten auch
die Roßbuben. Doch wie man gottselig leben solle, dazu bedürften er und
seine Söhne gelehrter Leute und guter Bücher.

Sinnenfreudige Maler wie Rubens, der einen bewunderten Reitstall besaß,
und van Dyck, der als Reiter weit und breit bekaimt war, stehen dann am
Beginn einer neuen Epoche der Pferdemalerei. Inzwischen hatte der spa-
nische Reitstil Europa erobert. Die Verehrung van Dycks, des Malers eng-
lischer Gentlemen, für Tizian, den Maler der eleganten Welt Venedigs,
bezeugt eine Seelenverwandtschaft, die Reitersleute schneller als Kunst-
historiker begreifen. Wiederum einen neuen Stil der Pferdemalerei brachte
schließlich die moderne Sportreiterei im 19, Jahrhundert hervor.

Natürlich ist das Zusammenspiel mit dem Pferde im Zeitalter der Rosse
nicht nur ein subtiles Vergnügen zartbesaiteter Künstlerseelen, ein standes-
gemäßer Zeitvertreib hoher Herren oder ein harter Sport ehrgeiziger Kämp-
fer in der Arena gewesen. Immer war damals das Reiten wesentlicher Be-
standteil der Kriegstechnik, Unterpfand des Sieges und der Herrschaft. Das
aus ursprünglichem Trieb geborene Reiterspiel der Nomaden verwandelte
sich rasch - und einem ebenso ursprünglichen Trieb gehorchend - in blu-
tigen Ernst, als sie aufbrachen, ihre Nachbarn zu unterwerfen und zu Knech-
ten zu machen. Reiten, kvmstfertige Beherrschung der Rosse, wurde Pflicht
und Notwendigkeit.

Kyros der Große befahl von Staats wegen allen Persern, vom sechsten
Lebensjahre an reiten zu lernen. Wer in seinem Reiche außerhalb seines Hau-
ses zu Fuß angetroffen wurde, hatte strenge Strafe zu erwarten. Auch Tschin-
gis Chan, der die Schädel seiner Feinde zu Pyramiden häufte, aber jeden aus

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der Goldenen Horde ausstieß, der ein Pferd schlug, nahm die Bestimmun-
gen über die Ausbildung seiner Untertanen im Reiten in die Gesetzessamm-
lung auf. Die Teilnahme an der herbstlichen Hetzjagd war Pflicht und nicht
nur Vergnügen. Speerreiten und Bogenschießen zu Pferde, Polo und Baiga
waren spielerische Vorbereitung auf den Krieg, »Wehrertüchtigung der
Jugend«. Seit jeher sahen die Herren darauf, daß ihre Söhne sich im Reiten
übten, um zur Herrschaft fähig zu werden und zu bleiben. Nicht nur bei den
alten Nomadenvölkern, auch noch bei den Persern und Römern gewann man-
cher tüchtige Reiter den Thron im Sattel. Darius ließ sich auf seinem Grab-
mal den besten Reiter seines Volkes nennen. Von ihm erzählt allerdings die
Legende, er sei nicht so sehr seiner Reitkunst wegen König geworden als
dank einer List seines Stallmeisters. Die Rivalen hatten - so berichtet
Herodot - vereinbart, die Herrschaft solle nehmen, wessen Pferd beim Früh-
ritt zuerst wiehere. Gleich vor der Stadt ließ daraufhin am Abend vor dem
»Gottesgericht« Darius' Stallmeister den Hengst seines Herrn eine junge
Stute bespringen. Als der Hengst am Morgen nach der Liebesnacht sich dem
für ihn beziehungsreichen Ort näherte, übermannte ihn brünstige Erinne-
rung; er wieherte bebend vor Sehnsucht. Darius aber wurde König und
führte bald die skythische Reitertaktik bei den Persern ein.

Auch die neue klassische Reitkunst war aus der Notwendigkeit geboren,
nun mit leichten Waffen und Pistolen zu plänkeln, statt in kompakter Wucht
mit der ganzen Masse der Reiter gegen den Feind zu reiten. Jede der Figuren
der Hohen Schule hat einen kriegerischen Sinn, selbst wenn er nur nach-
träglich erfunden sein sollte. Die Kapriole beispielsweise - ein Luftsprung
bei kräftigem Ausschlagen der Hinterhand - sollte angeblich dazu dienen,
dem Reiter im Handgemenge Platz zu schaffen und den Rücken freizu-
halten. Das Karakolieren, das Reiten in Schlangenlinien, sollte immer
andere Reihen der nun lockeren Reiterformation zum Schuß mit der Pistole
kommen lassen.

Verloren die reiterlichen Übungen ihren kriegerischen Sinn, so wurden sie
wieder freigesetzt als reines, zweckfreies Spiel, zurückversetzt in jenen ur-
tümlichen und unschuldsvollen Zustand, der ihnen eigentlich gemäß ist.
Wir dürfen uns freuen, daß die Pferde nun ganz dem Frieden und uns zu
Spielgefährten zurückgegeben sind. Von der »wehrerzieherischen Funk-
tion des Reitunterrichts« ist gottlob keine Rede mehr. Dennoch bleibt

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das Pferd der große Erzieher der Menschen: zu den Urbanen und bürger-
lichen Reitertugenden der Geduld und der Selbstbeherrschung, des Mutes
und der Selbstbehauptung und des Hinhorchens auf Gottes Natur.

Wir können dem Reitersmann Goethe glauben, wenn er sagt: »Warum
deim auch eine Reitbahn so wohltätig auf den Verständigen wirkt, ist, daß
man hier, vielleicht einzig in der Welt, die zweckmäßige Beschränkung der
Tat, Verbannung aller Willkür, ja des Zufalls, mit Augen schaut und mit
dem Geiste begreift. Menschen und Tiere verschmelzen hier dergestalt in
eins, daß man nicht zu sagen wüßte, wer derm eigentlich den anderen
erzieht«.

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An der Schwelle einer neuen Zeit

Wir befinden uns im letzten, sichtbarsten Akt des Dramas der industriellen
Revolution: Sie wird vollendet sein, wenn der Unterschied von Stadt
und Land endgültig eingeebnet sein wird - ein Vorgang, an dem kein
Trachtenverein und kein Reit- und Fahrturnier etwas ändert; vollendet,
wenn das letzte Pferd geschlachtet ist, das letzte, das mit demselben Kopf-
nicken, im selben Trab und wohl mit denselben Zurufen vor einem Wagen
ging, der nicht viel anders aussah als die Fahrzeuge, auf denen Karl der
Große seine Ernte einfahren ließ. Inzwischen haben die Menschen vor den
Fernsehschirmen ihre Ahnen vergessen, die Weinjahre, die Feste und bald
ihr eigenes Leben, das sie am Rande des Verstummens führen. Sie wollen
kein Gedächtnis, sie wollen Sicherheit.« Das sagte der Göttinger Historiker
Hermann Heimpel im Sommer 1955 vor Frankfurter Studenten in einem
Vortrag über den »Inhalt der deutschen Geschichte«.

Wir vermögen es nicht zu glauben. Sicher wird die industrielle Revolution
schließlich »den Unterschied von Stadt und Land endgültig einebnen«, trotz
aller Trachtenvereine - aber mit Reit- und Fahrturnieren. Eine neue Zeit
wird kommen nach dem vieltausendjährigen Zeitalter der Pferde, aber der
Mensch wird »das letzte Pferd« ebensowenig schlachten können, wie er
seine Ahnen ganz zu vergessen vermag. Die Geschichte ist mächtig. Sie
mag schlummern in den Tiefen des Unterbewußten, aber sie entläßt uns nicht,
bis sie sich vollendet.

Der Mensch des Atomzeitalters wird ein anderes Verhältnis zum Pferd
und zum Pferdesport gewinnen als jenes, an dem manche Alten, Söhne noch
eines versinkenden Zeitalters, sich festklammern. Ein neues Verhältnis und
doch das ursprüngliche, von manchen Fehlentwicklungen nicht mehr be-
rührte.

Denn es war durchaus nicht alles edel, was der Mensch mit dem Pferd
vollbrachte. Seitdem die Reitervölker in die Bauernkulturen einbrachen,
ist das Pferd nicht nur Waffengefährte im Krieg gegen äußere Feinde,

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Pferdemarkt von heute: Hannoversche Elitepferde
auf einer Verdener Auktion in der Nicdersachsenhalle

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Reiterlicher Nachwuchs :

Studenten auf einer Parforce-Jagd durch den Grunewald

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sondern auch Machtmittel der Herrenschichten im »innenpolitischen«
Kampf und sichtbares Zeichen ihrer Macht und ihrer gesellschaftlichen
Stellung gewesen. Die Reiter kamen als Zerstörer. Sie waren keine »reinen«
Pferdenarren. An ihren Händen klebte Blut.

Erst spät schufen sie selbst Kultur, dazu instand gesetzt von der Arbeit
der Bauern, von der sie lebten. Hoffärtig und mißtrauisch der kultivierten,
aber auch, wie sie glaubten, überfeinerten, dekadenten, morbiden und kraft-
losen Lebensweise ihrer Untertanen oder von Zeit zu Zeit geplünderten
Nachbarn gegenüber, weigerten sie sich anfangs, »gemeine Arbeit« zu tun.
Das Selbsterhaltungsgesetz herrschender Nomaden befahl, wie Jonadab im
Alten Testament dem Volk der Rechabiter: »Ihr und eure Kinder sollt
nimmermehr Wein trinken und kein Haus bauen, keinen Samen säen,
keinen Weinberg pflanzen noch haben, sondern sollt in Hütten wohnen euer
Leben lang.« Noch 1690 beschlossen die Donkosaken, jeden der Ihren, der
Boden bebauen wollte, mit einem schmählichen Tode zu bestrafen.

Die Adelskasten auch der späteren Zeiten herrschten auf ihren Burgen,
die über das Land hinausragten wie die Ritter als wandebde Bergfriede in
ihren Rüstungen zu Pferde über ihre Untertanen. (Noch heute heißen des-
halb »hoch«gestellte Leute »Exzellenzen«, Hinausragende.) Die Formen
wandelten sich, das Prinzip aber blieb das gleiche. Die Menschheit hatte
Geschmack an der Herrschaft gefunden, die Erbsünde blieb. Immer war
der Anfang zerstörerisch, wild und blutig, das Ende vornehm, kultiviert und
»ritterlich«. Diese Erkenntnis schmälert die gewaltigen Leistungen des Adels
nicht. Recht verstanden, läßt sie seinen Weg, seine geschichtliche Funk-
tion und auch seine Verdienste deutlicher erscheinen.

Lange waren Reiten und Pferdebesitz ein Privileg der großen Herren und
ein Ausdruck ihres Standesbewußtseins. Noch 1806 erklärte ein stolzer Herr
in Preußen - vom Siegeszug des napoleonischen Revolutionsheeres nicht be-
eindruckt oder gerade aufgebracht von der französischen Gleichmacherei -
kategorisch: »Ein preußischer Edelmann geht nicht zu Fuße.« Als der Feu-
dalismus abzubröckeln begann, bemühten sich die reichen Bürger um die
Lebensweise der Adelsherren. Es mag sein, daß sie häufig das Reiten, zu
dem sie keine alte innere Beziehung hatten, wichtiger und ausschließlicher
als ein Standeszeichen ansahen und benutzten als die alten Feudalherren,
denen es eine selbstverständliche Lebensäußerung geworden war. Noch um

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die Jahrhundertwende stand morgens am Englischen Garten in München
ein Alter, der ehrfürchtig Staunenden gegen eine Gebühr die Namen der
vorüberreitenden Vornehmen aus den umliegenden Villenvierteln nannte.

Dies alles ist vergangen und verweht, wenn auch in manchem Reiter-
vereinsmitglied noch ein Restchen Feudalismus, ein letzter Funke von
Ritterromantik, vielleicht sogar ein wenig Dünkel stecken mag. Aufs
Ganze gesehen eine quantité négligeable. Wir dürfen, weim wir in die
Zukunft blicken, konstatieren: Zwischen Mensch und Pferd steht kein
soziales Vorurteil mehr. Ihr Verhältnis ist weitgehend gelöst aus alten sozio-
logischen Bezügen, frei zur Unmittelbarkeit.

Manche Leute sprechen schon davon, das Reiten sei ein Volkssport
geworden. Immerhin zählten die nahezu eintausendvierhundert deutschen
Reitervereine 1956 mehr als vierzigtausend Mitglieder. Bauernsöhne er-
obern die Turnierplätze, Industriewerke lassen ihre Lehrlinge auf Pferden
werkseigener Ställe sich tummeln, und die wachsende Anzahl junger Reiters-
leute, die ihre Groschen zum Tattersall tragen, treibt die reine Liebe zum
Pferd.

Eine Jugend, der die Technik selbstverständliches Mittel, aber nicht mehr
Gegenstand pseudoreligiöser Verehrung ist, langweilt das reibungslose, nur
logische Funktionieren der Mechanismen. Sie sucht das Abenteuer der Seele,
das die Sensationen der Technik auf die Dauer nicht bieten können. Sie findet
es wieder im Sattel.

Die Revolution beginnt in den Städten, wo die Verkümmerung des
Menschseins schon schmerzlich fühlbar wird. Auf dem Lande brandet die
Flutwelle der Technik erst an. Dort bauen die Söhne der Bauern noch
Pferdeställe in Treckergaragen um und sparen auf ein motorisiertes Gefährt.
Die Stadtjugend aber entdeckt wieder die alte Weisheit, daß das Glück die-
ser Erde auf dem Rücken der Pferde liegt.

Weim das Zeitalter des Pferdes dennoch vorüber ist, das Liebesverhältnis
zwischen Mensch und Pferd ist so jung wie an jenem ersten Reitertag in der
Steppe, da die Geschichte begarm. Es kann nicht altern. Denn Mensch
und Pferd sind füreinander geschaffen. Der Mensch, so glauben alle Roß-
narren zu wissen, ist erst wirklich Mensch, seit er reitet; und er wird ein
Mensch bleiben, solange er reitet.

»Das Pferd«, sagt Goethe, »steht als Tier sehr hoch, doch seine bedeu-

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tende, weitreichende Intelligenz wird auf eine wundersame Weise durch ge-
bundene Extremitäten beschränkt. Ein Geschöpf, das bei so bedeutenden,
ja großen Eigenschaften sich nur im Treten, Laufen und Rennen zu äußern
vermag, ist ein seltsamer Gegenstand für die Betrachtung, ja man überzeugt
sich beinahe, daß es nur zum Organ des Menschen geschaffen sei, um gesellt
zu höherem Sinne und Zwecke das Kräftigste wie das Anmutigste bis zum
Unmöglichen auszurichten.«

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Ein kleines Pferde-Abc

Aalstrich. Das Fell der Wildpferde zeigte entlang dem Rückgrat einen
dunklen Haarstreif, den »Aalstrich« oder »Aalstreif«. Im Fohlenalter tra-
gen ihn manchmal auch heute noch vor allem die den Wildpferden näher
stehenden Ponies und Kleinpferde, manche, wie die Fjordpferde, behalten
ihn sogar. Auch bei anderen Pferden schlägt das alte Erbe manchmal durch.
So kam beispielsweise der Vollblüter »Wirbelwind« mit einem Aalstreif
zur Welt.

Abzeichen. Die angeborenen und unveränderlichen Albinismen, weiße
Stellen im Fell der Pferde auf pigmentloser Haut, nennt man »Abzeichen«.
(Siehe Kapitel »Das Spiel mit den Farben«.)

Andalusier. Zuchtmittelpunkt für die vom Mittelalter bis zum Rokoko
begehrteste Pferderasse, die »Spanischen Pferde«, war das Gestüt Córdoba
und die dieses Gestüt umgebende Landschaft Andalusien. Deshalb nannte
man die spanischen Rosse auch »Andalusier«. In ihren Adern floß das
Blut der ursprünglichen spanischen Landpferde, die schon zu Zeiten der
Römer berühmt und wahrscheinlich auch damals schon mit Orientalen
veredelt waren, und das der orientalischen Pferde, die die Mauren auf
ihren Eroberungszügen mitgebracht hatten. Als Neapel spanisch gewor-
den war, paarte man dort die sehr edlen einheimischen Pferde und echte
Orientalen mit den Pferden der neuen Herren. Der damals um einen Grad
leichtere und edlere »Neapolitaner« löste dann den »Andalusier« als Mode-
pferd ab.

Beschälplatte. Den Vorgang des Begattens nennt man bei Hengsten »Be-
schälen«, »Decken« oder »Bedecken«, auch »Springen« oder »Besprin-
gen«. Zuchthengste heißen deshalb »Beschäler«. Gehören sie einem Land-
gestüt, so tragen sie den Titel »Landbeschäler«; dienen sie der Zucht in
Hauptgestüten, nennt man sie »Hauptbeschäler«. Die über das Land ver-
teilten »Deckstationen«, auf denen die »Landbeschäler« zur »Deckzeit«
(meist vom I.Februar bis Ende Juni) den Privatzüchtern zur Verfügung

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stehen, heißen »Beschälplatten«. Hengste tun ihre ersten Sprünge meist
im Alter von vier Jahren. In der Blüte ihrer Jahre bespringen sie bis zu
achtzig Stuten im Jahr, in Ausnahmefällen auch mehr. In der Vollblut-
zucht wird der Hengst zum »Beschäler-Champion« des Jahres erklärt,
dessen Kinder in diesem Jahr die höchste Summe an Geldpreisen ge-
winnen konnten.

Diluvialpferde. Die wilden Vorfahren der ursprünglichen westeuropä-
ischen Pferderassen, vor allem der Kaltblüter, nennt man auch »Wald-
pferde«. (Siehe Kapitel »Die Ahnen«.)

E qui den. Das Pferd gehört einer größeren Säugetierfamilie an, zu der auch
der Esel, der Onager und andere Halbesel sowie das Zebra zählen.

Exterieur. Das Erscheinungsbild des Pferdes, wie es sich dem Beschauer
darbietet.

Halbblut. Pferderassen und Pferdeindividuen, die aus einer Kreuzung mit
Vollblut hervorgingen, nennt man »Halbblut«. So gilt diese Bezeichnung
einmal als Synonym für »Warmblut«; in einem engeren Sinn aber spricht
man von englischem Halbblut (»x«), wenn englisches Vollblut (»xx«), von
arabischem Halbblut (»o«), wenn arabisches Vollblut (»ox«) mit Warm-
blut gekreuzt wurde. (Siehe Kapitel »Der Fachmann nennt es >Blut<«.)

Hauptgestüt. Staatliche Gestüte, in denen selbst Pferdezucht betrieben
wird, nennt man »Hauptgestüte«. Die Zucht der Hauptgestüte dient dazu,
geeignete »Landbeschäler«, Hengste für die Landespferdezucht, bereit-
zustellen. (Siehe Kapitel »Trakehnen«.)

Hinterhand. Pferde haben zwar ein rechtes und ein linkes Hinterbein,
aber nie in der Mehrzahl Hinterbeine, statt dessen: die »Hinterhand«.
Entsprechend heißen die Vorderbeine »Vorderhand«.

Hippologie. Im Griechischen heißt das Pferd Hippos. Somit bedeutet:
Hippologie »Pferdekunde« oder »Wissenschaft vom Pferd«, Hippodrom
»Wagenrennbahn« (heute auch »gedeckte Reitbahn«), Hippomanie
»manische« oder »übertriebene Pferdeliebe« imd Philipp »Pferdefreund«.

Kaltblut. Die mächtigen Pferde beispielsweise, die man vor Brauereiwagen
sehen kann, sind Kaltblüter. Sie gehören zu den Nachkommen des Dilu-
vialpferdes. Man erkennt sie am klobigen Kopf, an ihren starken Kno-
chen, dem Kötenbehang und an der »gespaltenen« Kruppe. (Siehe Kapitel
»Der Fachmann nennt es >Blut<«.)

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Körordnung. »Kören« bezeichnet die Auswahl und Anerkennung der
zuchttauglichen Haustiere, also auch der Zuchtpferde, vor allem der
Hengste. Zuchthengste werden von einer aus Sachverständigen gebildeten
»Körkommission« nach einer genau festgelegten und von den staat-
lichen Tierzuchtbehörden sanktionierten »Körordnung« gekört.

Kruppe. Das Becken der Pferde zwischen den Schweif- und Lendenwirbeln
und dem Kniegelenk nennt man »Kruppe«. Kaltblüter haben eine »ge-
spaltene« Kruppe, weil die auf beiden Seiten der Kruppe deutlich hervor-
tretenden Muskelpakete über dem Rückgrat einen Spalt erscheinen lassen,
während beim Warmblüter beide Seiten des Beckens weich ineinander
übergehen.

Landgestüt. Seitdem der Staat sich der Landespferdezucht atmahm, stellt
er den Züchtern zu günstigen Bedingungen Hengste zur Verfügung.
Diese Hengste stehen in »Landgestüten« und werden zur Deckzeit von
dort nach den jeweiligen Bedürfnissen auf »Beschälplatten« im Lande ver-
teilt. In Landgestüten findet man also nur Hengste, keine Stuten; sie
treiben keine eigene Pferdezucht, wie das die Hauptgestüte tun. (Siehe
Kapitel »Trakehnen«.)

Landschlag. Bei Pferden spricht man wie bei Menschen statt von Rassen
auch von »Schlägen«. »Landschläge« nennt man meist die noch nicht
systematisch veredelten und durchgezüchteten Rassen, die ursprünglich
in den einzelnen Landschaften lebten. Man spricht auch von Landpferden
im Unterschied zu hochgezüchteten Gestüts- und Klassepferden.

Landstallmeister. So nennt man die Leiter staatlicher Gestüte. Wie weit
aber der Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Landstallmeister
über die Verwaltung ihrer Haupt- oder Landgestüte hinausreicht, mag ein
Beispiel zeigen: Der baden-württembergische Landstallmeister Dr. Wenz-
1er trägt einmal die Verantwortung für das Haupt- und Landgestüt Mar-
bach an der Lauter. Dazu gehören der innere Gestütsbetrieb mit der Sorge
für eine große Anzahl von Beamten, für die Hengste des Landgestüts und
für eine Reit- und Fahrschule, daim die sachgerechte Verteilung der Land-
beschäler auf die Bezirke (wozu wieder eine intime Kenntnis der Ver-
erbungseigenarten der Hengste und der Stutenbestände im ganzen Lande
Baden-Württemberg imd diplomatisches Geschick im Umgang mit den
Züchtern nötig ist), eine recht komplizierte Landwirtschaft mit rund

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1000 Hektar Ackerland und großem Viehbestand und schließlich das
Hauptgestüt mit mannigfaltigen Zuchtproblemen und schwierigen Ent-
scheidungen. Er muß die Hengste für das Gestüt ankaufen, jedem
Privathengst sein Placet geben und das gewichtigste Wort bei der Stuten-
körung und bei Pferdeschauen sprechen. Kurz, er bestimmt die Geschicke
der gesamten Landespferdezucht. Als die Armee noch die Pferdezucht
protegierte, waren solche Aufgaben leichter zu bewältigen. Heute er-
schöpft sich ein allzu großer Teil der Energie im Kampf um Finanzmittel
und Stellenpläne. Preußen mit seinen verschiedenen Zuchtgebieten hatte
mehrere Landstallmeister, die einem Oberlandstallmeister unterstanden.
Die ziemlich souveränen und mächtigen Herren der Pferdezucht früherer
Zeiten stammten fast ausnahmslos aus wohlmögenden Adelshäusern.

Orientalen. Die recht verschiedenartigen Pferderassen des Nahen Ostens
und Nordafrikas, von denen die der Wüstenaraber die berühmteste und
edelste, die der Berber die an Zahl größte ist, nennt man in der Geschichte
der Pferdezucht häufig vereinfachend »Orientalen«. Pferdeleute haben
immer einen Blutanteil von Orientalen im Sinn, wenn sie von »schon
sehr edlen« Pferden oder von »Veredelung« sprechen. Vom Beginn des
19. Jahrhunderts an »veredelte« man in Deutschland allerdings haupt-
sächlich mit Vollblut. Aber auch das Vollblut geht ja fast ausschließlich
auf orientalische Stammeltern zurück.

Pedigree. Pferde haben keinen Stammbaum, sondern einen »Pedigree«. Sie
geben sich also englisch. Pedigree ist nämlich das englische Wort für
Stammbaum.

Przewalskipferde. Der russische Hippologe Przewalski hat zuerst eine
dann nach ihm benannte Wildpferderasse beschrieben, als deren Nachfah-
ren viele ostasiatische, aber auch osteuropäische (beispielsweise ungari-
sche) Pferderassen gelten. (Siehe Kapitel »Die Ahnen«.)

Ramsnase. »Ram« ist das englische Wort für Widder. Ramsnasige Pferde
haben wie der Widder eine etwas nach außen gebogene, konvexe Nase.
Im Gegensatz dazu hat der Wüstenaraber ein nach innen gebogenes, kon-
kaves Nasenprofil. Ramsnasen findet man in Deutschland besonders
häufig bei den Hannoveranern.

Remonten. Dieses Wort gehört, genaugenommen, nur in den militärischen
Sprachschatz. So hießen die jungen, noch nicht zugerittenen Militär-

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pferde. Sie wurden von Remonte- oder Remontierungs-Kommissionen
der Armee bei den Bauern angekauft.

Schulterkreuz. Es ist wie der Aalstrich eine Farbeigentümlichkeit im Fell
der Wildpferde, ein dunkler Streifen quer über der Schulter.

Stockmaß. Früher wurde die Größe des Pferdes meist mit dem »Bandmaß«
gemessen; mit einem Meterband umspannte man den Bogen von der
höchsten Erhebung des Widerrists über den Rumpf bis zum Boden. Da
der Umfang des Rumpfes dabei die Maßzahlen verfälschte, nimmt man
heute nur noch das »Stockmaß«. An einem Maßstab ist rechtwinklig ein
Querschieber angebracht, der auf den Widerrist herabgeschoben wird, so
daß man die reine Höhe des Widerrists über dem Boden erhält.

Stutbuch. Die anerkannten Zuchthengste und -stuten der einzelnen Zucht-
landschaften werden bei den Zuchtverbänden in Register, »Stutbücher«,
eingetragen. In den Stutbüchern findet man also keineswegs nur Stuten
verzeichnet. Der Name ist eine unzutreffende Übersetzung des englischen
Worts »studbook« (= Gestütsbuch oder Zuchtbuch). Das älteste und
berühmteste Register ist nämlich das »General Stud Book« der englischen
Vollblutzucht. (Siehe Kapitel »Trakehnen«.)

Tarpan. Von der Wildpferderasse der Tarpane, kleinen, trockenen und
schlankgliedrigen Pferdchen, stammen die warmblütigen Pferde ab.
(Siehe Kapitel »Die Ahnen«.)

Turf. Das englische Wort für Rasen, »turf«, wurde auch der Inbegriff für
den Rasen, den Rennplatz, eigentlich aber für den Rennsport selbst mit
all seinem Drum und Dran.

Vollblut. Pferde, die ausschließlich von den im ersten Teil des »General
Stud Book« verzeichneten Hengsten und Stuten abstammen, heißen
»Vollblüter«. Hinter ihrem Namen erscheint das Zeichen »xx«. Der Name
ist eine willkürliche Übersetzung des englischen »thoroughbred«
( = sorgfältig gezüchtet). Pferde, die ohne Ausnahme auf anerkaimte
Original-Araber zurückgehen, führen ein »ox« hinter dem Namen und ge-
hören der Kaste des »Arabischen Vollbluts« an. (Siehe die Kapitel »Der
Fachmann nennt es >Blut<«, »Der Sohn der Luft« und »Ein Spiel für
Lords und Squares« ff.)

Warmblut. Pferde, die zum Rassenkreis der Tarpan- (und Przewalski-
pferd-) Nachkommen gehören und die man - im Unterschied zu den Kalt-

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blütern - vor allem am edleren Ausdruck, am feineren Gliederbau und
Kopf, an seidiger Mähne und runder Kruppe erkennt, heißen »Warm-
blüter«. Die »warmblütigsten Warmblüter« - wenn man so sagen darf -
sind die Araber und Vollblüter, die als Protot)rpen des Warmblutpferdes
gelten dürfen. Nach anderem Sprachgebrauch heißen jedoch solche
Pferde Warmblüter, die aus Krexizungen mit Vollblut hervorgingen.
(Siehe Kapitel »Der Fachmann nennt es >Blut<«.)

Widerrist. Erhebung im Rückgrat des Pferdes über der Schulter gleich
hinter dem Halsansatz. Er soll deutlich und schön ausgeprägt sein.

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Statt eines Quellennachweises

Der Verfasser dieses Buches ist ein Liebhaber, kein Hippologe. Er
wollte keine Wissenschaft betreiben, sondern vom Pferd erzählen. Deshalb
hat er auf den Ballast von Fußnoten verzichtet.

Trotzdem möchte er denen, die sich genauer informieren wollen, einige
Bücher nennen, die diesen Dienst versehen können. Damit dankt er den
Autoren, deren Schriften er noch einmal zur Hand genommen hat, um
seinem Gedächtnis aufzuhelfen und vieles zu lernen, was er hier weiter-
gegeben hat. Er glaubt zu wissen, daß seine dem Pferd verschworenen ge-
lehrten Kollegen sich über jedes Buch freuen, das dazu beitragen kann, den
Pferden zu helfen und der Zunft der Pferdeliebhaber neue Freunde zu werben.

Über die frühesten Reiterkulturen findet der Leser alles Wissenswerte
im zweiten Band des Werkes von Wilhelm Schmidt »Rassen und Völker«
(Luzern 1946). Schmidt räumt mit großer Akribie den Unsinn derer ab, die
um jeden Preis auch die Pferde und das Reiten aus dem nordischen Götzen-
himmel stammen lassen wollten. Eine groß angelegte Soziologie und Ge-
schichte der Reiterzüge und Reiterüberlagerungen sowie der soziologischen
Folgen dieser Ereignisse bis auf unseren Tag entwickelt Alexander Rüstow
in seiner »Ortsbestimmung der Gegenwart« (vor allem im ersten Band, Erlen-
bach-Zürich 1950). Ihm weiß sich der Verfasser auch als Schüler verpflichtet.
In Fragen der Zucht und der Zuchtgeschichte hält man sich am besten an das
von Wilhelm Zorn herausgegebene Lehrbuch »Pferdezucht« oder an Uppen-
borns »Pferdezucht und Pferdehaltung« und an Graf Siegfried von Lehndorffs
»Ein Leben mit Pferden«. Ein überaus liebenswertes Büchlein über Vollblut
und Rennen schrieb Werner E. Süskind : »Pferderennen. Ein Steckenpferd«
(München 1950). LiebhabervonReiterspielen kennendasBuchvonCarlDiem
»Asiatische Reiterspiele«. Mit der Kulturgeschichte der Pferde befaßte sich
neuerdings Benno Stockvis: »ManenPaard«(Lochem 1950) und: »Hetpaard
in de literatuur« (Lochem, ohne Jahr). Die ergiebigsten Quellen des Pferde-
wissens aber sind alte Reiter, Züchter imd Pferdenarren.

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Quellenverzeichnis der Abbildungen

Alinari, Florenz: S. 25 unten, 44 • Anderson, Rom: S. 25 oben, 29 • Bildarchiv der österrei-
chischen Nationalbibliothek, Wien: S. 84, 85 • Bildarchiv, Rheinisches Museum, Köln: S. 97
oben . Deutsches Archäologisches Institut, Berlin: S. 24 oben • Fritz Eschen, Berlin, nach dem
Abguß in der Gipsformerei der Ehem. Staatlichen Museen Berlin: S. 24 unten • Foto Marburg:
S. 37 unten . Giraudon, Paris: S. 36 oben, 96 unten, 97 unten • Kurt Lange, Oberstdorf
(Allgäu): S. 17 oben, 20 • Werner Menzendorf, Berlin: S. 100 unten, 101, 108, 109 oben und
Mitte, 112, 113, 128,'129, 140, 141, 144, 145, 160, 161, 164, 165, 172 • Pferdemuseum Verden
(Aller): S. 132 unten • Ullstein Bilderdienst: S. 109 unten • Ullstein Büderdienst-Kindermann:
S. 173 • Verband hannoverscher Warmblutzüchter, Hannover: S. 132 oben

Die Wiedergabe des Studienblattes von Leonardo da Vinci (S. 64) erfolgt mit Erlaubnis Ihrer
Majestät der Königin von England (Copyright reserved). Das Zuchtregister der Station Oterson
(S. 133) vermittelte uns Herr Erich Qausen, Wahnebergen bei Verden (Aller)

Die übrigen Aufnahmen stellten die in den Bildunterschriften genannten Museen und Biblio-
theken zur Verfügung oder sie entstammen dem Verlagsarchiv

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