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KLEINE SCHRIFTEN ÜND STUDIEN ZUR
KUNSTGESCHICHTE.
ZWEITER THEIL.
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ZUR
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Mil Illustrationen und andern artistischen Beilagen.
VERLAG VON EBNER & SEUBERT
1854.
KUNSTH»STOnl8€H !iHJÜT(TUüT |
DER RIJKPM^'IVEt^lTEn UTF^'^C- i*^
S a m m 1 u n g e II des B e r ] i ti e r M u s e u m s.
(Kunstblatt, 1838, Nro. 33.)
Die Sammlungen des königlichen Museums erfreuen sich fortwährend
der interessantesten Bereicherungen. So sind für die Gemäldegallerie vor
Kurzem drei vorzüglich meisterhafte Bilder erworben worden. Das eine
ist ein Genrebild vo^i Gerhard Terburg, mit dem Monogramm des
Künstlers versehen; es stammt aus der Sammlung des Herzogs von Berry
und gehört, als merkwürdige Ausnahme, dem niedern Genrefache an. Es
stellt verschiedene Baulichkeiten innerhalb eines ehemaligen Klosterhofes
zur Seite einer Kirche dar: ein ärmliches Wohnhaus auf der einen Seite
und daneben eine holzgebaute Schleifmühle, die durch ein Pferd getrieben
wird. Vor derselben der grosse Schleifstein, an dem der Schleifer ein
Instrument schärft; an einen Pfosten der Mühle lehnend und auf die Voll-
endung der Arbeit wartend, steht der Besitzer des Instrumentes, eine; er-
götzlich geduldige Figur. Vor dem Hause sitzt eine Frau, welche einem
Kinde das Ungeziefer absucht, auch diese Gruppe mit sehr guter Laune
gemalt; daneben allerlei Geräth. Das Gemessene, Gehaltene, was Terburg
eigen ist, wirkt in diesen leicht und geistreich gemalten Gestalten auf eine
vortrefflich komische Weise; die Charakteristik in den Köpfen lässt die
grosse Freiheit seines Talentes erkennen. Nicht minder meisterhaft ist
alles Beiwerk, namentlich das Verwitterte, Zerbröckelte an Holz und Stei-
nen behandelt. Nur eine grössere malerische Totalwirkung wäre dem Bilde
zu wünschen. — Das zweite Bild ist eine Seestück von Wilhelm van
der Velde: eine offene, flache See, von leichtem, frischem Winde bewegt,
so dass die Wellen in ebenmässigen'Linien laufen und kurz überschlagen.
Eine Reihe stattlicher Schiffe mit prächtig dekorirten Hintertheilen segelt
hinter einander in die Tiefe des Bildes hinein. Der Himmel ist mit leich-
ten Wolken bedeckt. Eine kühle, klare Stimmung breitet sicli über das
Ganze hin und die etwas strenge Behandlungsweise erscheint solcher Auf-
fassung angemessen. — Das dritte Bild ist ein Stillleben von Wilhelm
van Aelst (mit der Jahrzahl 1653): eine Gruppe getödtctcn Geflügels,
11
Berichte und Kritikeu,
sowohl durch die schöne Harmonie in der Compositiou und der Färbung,
als durch die feine und schlichte Naturwahrheit in höchstem Maasse aus-
gezeichnet.
Die königliche Kunstkammer (die bekanntlich eine besondre Abthei-
lung des Museums bildet) ist neuerlichst u. a. mit einem merkwürdigen
Stücke, einem hochalterthümlichen Jagdhorn von Elfenbein, dessen äusse-
rer Bogen 1 Fuss 7 Zoll misst, bereichert worden. Die ganze äussere
Fläche des Horns ist mit geschnitzten Reliefdarstellungen geschmückt: in
einander verschlungene Rankenwindungen, die verschiedene (im Ganzen
sieben) Reihen von Kreisen bilden und in denen die mannigfaltigsten Thier-
gestalten enthalten sind. Diese Darstellungen sind tief ausgegraben und in
einer strengen, zum Theil phantastischen Stylisirung mit sicherer Technik
ausgeführt; die geistreich gemessene und doch n^iive Weise, wie die Thiere
stets den geschlossenen Raum füllen, lässt die Hand eines vorzüglichen
Meisters erkennen. Auf dem Grunde der Reliefs zeigen sich die Spuren
von Farbe. Die ganze Behandlungsweise erinnert an die Verzierungen der
Handschriften, die in der Zeit des elften Jahrhunderts gefertigt sind. Das
Horn stammt aus der Sammlung des vor einigen Jahren zu Heidelberg ver-
storbenen Domherrn von Wambold, und soll, einer Tradition zufolge, im
Dom von Speyer befindlich gewesen sein. Die Schätze des letzteren waren,
trotz seiner mannigfachen Schicksale, vom frühesten Alterthum bis zum
Jahre 1793 erhalten geblieben; in diesem Jahre wurden sie vor den Fran-
zosen geflüchtet und sodann zerstreut. Die Umstände, dass diese Zerstreuung
der Kirchenschätze der Gegenwart so nahe liegt, und dass die Sammlung, aus
welcher das Horn zunächst herstammt, in der nächstenNachbarschaft von Speyer
befindlich war, scheint jene Tradition sehr glaubwürdig zu machen; auch
befinden sich in einem alten Verzeichnisse von Kleinodien, die, aus dem
Kloster Limburg herrührend, im Jahre 1058 dem Speyrer Dome vermacht
wurden, sechs „Hörner von H(jlfantzehnen" erwähnt (Simons hist. Beschr.
aller Bischöfe von Speyer, S. 47), unter denen das in Rede stehende mit
einbegriffen gewesen sein dürfte. — Uebrigens Ist die Erwerbung dieses
Hornes für die königliche Kunstkammer um so interessanter, als sich eben-
daselbst, bereits seit einigen Jahren, ein Kasten von Elfenbein befindet,
dessen vollkommen übereinstimmende Verzierungen auf gleiche Zeit, glei-
ches Lokal, vielleicht auch auf ein imd dieselbe Werkstätte deuten,
und der ebenfalls aus Speyer herstammen könnte, da in dem angeführten
alten Verzeichnisse auch eines elfenbeinernen Reliquienkastens gedacht wird.
In andrer Beziehung reiht sich das Horn, vortheilhaft ergänzend, verschie-
denen andern elfenbeinernen Jagdhörnern an, die auf der Kunstkammer
bewahrt werden und von denen das eine, dem Charakter seiner Schnitz-
werke nach, mit Bestimmtheit der karolingischen Periode zuzuschreiben
ist, ein zweites, sehr grosses, mit alt-arabischen Ornamenten geschmückt,
ein drittes in hindu-portugiesischeni Style (um 1500) gearbeitet ist.
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Die Matthias-Kapelle auf der oberen Burg bei Kobern a d. Mosel. 7
Die Matthias-Kapelle auf der oberen Burg bei Kobern an der
Mosel. Beschrieben von Ernst Dronke, Dr. der Philosophie, Professor
etc., und Johann Claud ius von Lassaulx, königl. Bauinspector etc.
Coblenz, 1837.
(Kunstblatt, 1838, Nr. 86.)
Vorliegende Monographie macht uns mit einem kleinen, aber in eigen-
thümlichem Reichthum durchgebildeten Gebäude bekannt, welches für die
Geschichte der mittelalterlichen Baukunst in Deutschland, und zwar für die
Uebergangsperiode aus dem sogenannten byzantinischen in den gothischen
Baustyl, von namhafter Wichtigkeit ist. Die Schrift (68 Seiten in 8.)
entwirft mit grosser Klarheit und Sachkunde ein Bild dieses Gebäudes
und all seiner merkwürdigen Einzelheiten, unterstützt durch bildliche Dar-
stellungen auf einem säubern Stahlstiche und zwei in Stein gravirten Blät-
tern, welche den Grund- und Aufriss, den Durchschnitt, Detailzeichnungen
und — was besonders dankenswerth erscheint — eine grosse Menge von
Profilen der architektonischen Glieder vorführen. Mit der Beschreibung
des Gebäudes sind historische Nachrichten, weitere Blicke auf Bauwerke
von verwandter Anlage u. A. m. verbunden.
Die Matthias-Kapelle gehört zu jenen selteaen Gebäuden des Mittel-
alters, deren Grundform sich auf die Verhältnisse des Kreises bezieht. Ihr
Grundriss bildet ein Sechseck, an dessen eine Seite sich, im Dreiviertel-
kreise, der Paum des Altares anschliesst. In der Mitte jenes Hauptraumes
bildet sich eine sechseckige Pfeilerstellung, über welcher sich, fast thurm-
artig, eine sechseckige Kuppel erhebt. Letztere ist durch ein sechstheiliges
Kreuzgewölbe geschlossen; die niedrigeren Seitenräume sind, als besonders
seltnes Beispiel, mit eigenthümlich gefächerten halben Tonnengewölben,
der Altarraum mit einem ähnlich gefächerten kuppelartigen Gewölbe be-
deckt. Die Pfeiler, welche die mittlere, sechseckige Kuppel tragen, beste-
hen ein jeder aus fünf vollständig ausgearbeiteten Säulen; die Bögen, die
die Pfeiler verbinden und über denen die Wände der Kuppel ruhen, haben
die Form des Spitzbogens. Im Uebrigen herrscht durchweg die Form des
Rundbogens, — grösseren Theils jedoch eines gebrochenen, kleeblattähnli-
chen Bogens, vor. Selbst die sämmtlichen unteren Fenster des Gebäudes
haben diese bunte Kleeblattform; zwischen ihnen sind im Innern flache,
an die Wand lehnende Arkaden mit ähnlich gebildeten Bögen, im Aeusse-
ren flache Wandpfeiler mit buntem Bogenkranze, angeordnet.
Lassen diese allgemeinsten Bestimmungen der Anlage schon ein be-r
sondres Raffinement von Seiten des Baumeisters erkennen, so tritt dies noch
ungleich mehr in andern Beziehungen hervor. Dahin möchte Referent zu-
nächst die überraschende Congruenz der einzelnen Maassbestimmungen
rechnen, w^elche letzteren, indem sie sich überall in die einfachsten Ver-
hältnisse auflösen, entschieden auf eine vollkommen durchgeführte Absicht
hindeuten. Dahin gehört vornehmlich die ungemein reiche, bunt wech-
selnde Ausbildung des Details, der es gleichwohl nicht an gewissen be-
stimmten Principien fehlt. Die Säulenkapitäle, auch ihre Deckglieder, sind
überall mit zierlichst buntem Blattwerk des spätesten byzantinischen Styles
versehen, in den Profilen der architektonischen Glieder zeigt sich die
8 Berichte und Kritiken.
lebhafteste Beweglichkeit, welche die Schwere der älteren Formen des by-
zantinischen Baustyles durch energischen Schwung, durch weichere Modu-
lation, durch scharfes, keckes Unterscheiden u. s. -w. zu einer neuen, rei-
cheren Wirkung umzugestalten strebt. Diese Beweglichkeit erstreckt sich
so weit, dass sogar dieselben Bauglieder an den verschiedenen Stellen des
Gebäudes, vornehmlich die Ringe, welche die Säulen umfassen, die Säulen-
basen, die Archivolten der Säulenstellung am Inneren der Wände, in stets
wechselnder, neuer Bildung vorgeführt werden. Nur die Gewölbrippen
haben zumeist noch die einfache Form eines Wulstes beibehalten. Ja alle-
dem aber tritt uns mit Bestimmtheit das Bild einer künstlerischen Periode
entgegen, in welcher die Keime einer neuen Entwickelung sich mit Gewalt
zur Gestaltung hervordrängten, grosse Meister nicht ohne Besonnenheit die
j| ' übersprudelnden Kräfte in gesetzmässigen Kreisen zusammenzuhalten streb-
ten, und selbst, wie im vorliegenden Fall, dem bunten Getriebe das Gepräge
der Grazie aufzudrücken wussten. Es sind, nur immer noch durch die Grund-
form der sogenannten byzantinischen Architektur gefesselt, dieselben Ele-
mente, die sich im Gothischen, wenig später, in lauterster Entwickelung zeigen.
Ueber die Zeit der Erbauung dieser merkwürdigen Kapelle bieten die
ziemlich ausführlich mitgetheilten historischen Notizen über die Herrn von
Kobern und über die Kapelle selbst wenig Bestimmtes. Der gewöhnlichen
Annahme, dass die Kapelle ein Eigenthum der Tempelherren gewesen sei,
wird mit üeberzeugung widersprochen. Vornehmlich in Bezug auf die
Eigenthümlichkeiten des Baustyles wird — und gewiss richtig — die erste
Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts als die Erbauungszeit angenommen,
womit denn auch die anderweitigen historischen Verhältnisse des Ortes
wohl übereinstimmen. Die polygone Form der Kapelle veranlasst die Ver-
fasser vorliegender Monographie, näher auf die Bedeutung dieser Form in
der christlichen Architektur, — in den Baptisterien und in den sogenann-
ten Heiliggrab-Kirchen, welche letzteren eine Nachahmung der Kirche des
heiligen Grabes zu Jerusalem enthielten, — einzugehen und im Anhange
ein Verzeichniss und eine kurze Charakteristik von 61 der merkwürdigsten
alten Rund- und Polygongebäude, in und ausser Deutschland, mitzutheilen.
Die Matthiaskapelle war nach und nach in Verfall gerathen; seit der
letzten Zeit des vorigen Jahrhunderts hatte sie sogar ohne Aufsicht offen
gestanden und war mannigfach beschädigt worden. Im Jahr 1819 jedoch
war sie der königlich preussischen Regierung als Staatseigenthum übergeben,
zunächst das Nothwendigste zu ihrer baulichen Unterhaltung angeordnet,
vor zwei Jahren aber eine vollständige und durchgreifende Restauration
ins Werk gesetzt worden. Herr von Lassaulx, der diese Restauration aus-
geführt, legt über sein Verfahren in der vorliegenden Schrift Rechenschaft
ab und giebt zugleich Kunde von einigen dabei angewandten eigenen Er- •
lindungen, die für ausübende Architekten, besonders bei kleineren Kirchen-
bauten, von vorzüglicher Wichtigkeit sein dürften. Dahin gehört nament-
lich eine Art musivischer, aus kleinen, mehrfarbigen Backsteinen bestehen-
der Fussböden, die sich durch Gefälligkeit für das Auge, durch leichte
Ausführbarkeit und Wohlfeilheit auf gleiche Weise empfehlen, und die
auch in Bezug auf die Dauer einen bedeutenden Vorzug vor vielen bekann-
ten Einrichtungen zu behaupten scheinen.
Der so mannigfach belehrenden Schrift ist ein Schlusswort" ange-
hängt, welches den Vorschlag zur Stiftung eines Vereins zur Herausgabe
vaterländischer Baudenkmale cuthält.
Ein Bild von Correggio. 9
Wir glauben im Interesse der Leser dieses Blattes zu handeln, wenn
wir das ganze Schlusswort folgen lassen: —
„Die Beschreibung eines der zierlichsten und eigenthümlichsten Monumente
des Mittelalters, weltho in den vorliegenden Blättern enthalten ist, wird den
Freunden alter Kunst hoffentlich nicht unwillkommen sein. Die Herausgeber
hätten dieselbe gern mit ausführlichen Rissen ausgestattet, deren vollständige
Zeichnungen seit Jahren bereit liegen. Allein so lange sich nicht, wie in Eng-
land bereits vor länger denn sechzig Jahren geschehen ist, Gesellschaften von
Kunstfreunden zur würdigen Herausgabe vaterländischer Denkmale bilden, möch-
ten ähnliche Unternehmungen Einzelner, wie bisher, nur mit bedeutendem Geld-
verluste endigen. Nun lassen zwar die Verhältnisse unseres Vaterlandes keine
Beisteuern im englischen Maassstabe erwarten; auf Werke gleich der Archteolo-
gia britannica und so viele andere elegante Monographien werden wir wohl jeden-
falls verzichten müssen. Jedoch bedarf es einerseits auch nicht solcher Pracht-
werke, da einfache, genaue, aber möglichst ausführliche Risse dem wahren Zwecke
förderlicher sind, als die schönsten, malerischen Ansichten; anderseits können
auch die Deutschen mit wenigerem Gelde viel mehr ausrichten, als die Engländer
mit ungleich grösseren Summen. Wie leicht es aber bei uns ist, massige Bei-
träge zu erhalten, wenn Massiges, verbunden mit leisen Holfnungen auf grösseren
Gewinn, dafür gegeben wird, beweisen die vielen, in neuer Zeit entstandenen
Kunstvereine. Sollte nun nicht auf ähnlichem Wege die Herausgabe unserer
vaterländischen Bau-Denkmale in einer, wenn auch nur anständigen, dabei aber
vollständigen Weise zu Stande zu bringen sein? Indem wir daran nicht zwei-
feln, erlauben wir uns, folgenden Vorschlag zu machen:
„Es bilde sich eine Gesellschaft von zweihundert Theilnehmern mit einem
jährlichen Beitrage von fünf Thalern. Vorausgesetzt, dass die Aufnahmen und
Risse unentgeltlich mitgetheilt würden , was wohl zu erwarten steht, da fast von
jedem bedeutenden Bauwerke dergleichen vorhanden sind, und der Besitzer sie
aus Liebe zur Sache und zur Verherrlichung des Denkmales gewiss gern leihen
wird; so liessen sich für jene Summe fünfhundert Exemplare eines Werkes von
zwanzig Blättern, in der Ausführung gleich dem Werke von Schmidt über die
Liebfrauenkirche in Trier, im Format und Papier gleich dem Boisser(^e'schen,
nebst dem nöthigen Text beschaffen, von denen, zweihundert an auswärtige
Kunsthandlungen gegen ältere oder neuere ähnliche Werke vertauscht und hun-
dert zur Bestreitung der Nebenkosten dem Buchhandel überlassen werden könn-
ten. Von den übrigen zweihundert Exemplaren würde jeder Theilnehmer ein
Werk erhalten, welches im Buchhandel mehr kostete, als sein Beitrag betrüge,
ausserdem aber noch eines der eingetauschten zu verloosenden Werke von grös-
serem oder minderem Werthe."
,,Sollte dieser Vorschlag nur einigen Anklang finden, so werden Lusttra-
gende freundlichst gebeten, dies den Herausgebern kund zu thun; sie werden
keine Mühe scheuen, eine gute Sache ins Leben einzuführen, und sie können
dies um so zuversichtlicher versprechen, als ihnen nicht nur viele Risse höchst
bedeutender Gebäude, z. B. der herrlichen Klosterkirche zu Laach . der Stifts-
kirche zu Münster, der Niederburg zu Rüdesheim, zu Gebote stehen, sondern
auch von Freunden ähnliche Aufnahmen zugesichert worden sind, so dass ein
Vorrath für mehrere Jahre bereits vorhanden ist,"
Ein Bild von Correggio. Berlin, im Juni 1838.
(Kunstblatt, 1838, Nr. 58.)
Kürzlich hat hier ein Originalgemälde Corregio's, von dessen Existenz
in Berlin seither nichts bekannt war, unter den Künstlern und Kunstfreuu-
9 Berichte und Ki'itiken.
den ein sehr lebhaftes Interesse erregt; ich beeile mich, Ihnen über diese
merkwürdige Erscheinung — ich möchte fast sagen Entdeckung — kurzen
Bericht zu erstatten.
Das Bild befindet sich im Besitz des Hrn. Stadtraths Reimer; vor eini-
gen Jahren soll es aus Italien gekommen sein. Es ist auf Leinwand ge-
malt und misst gegen 13 Zoll im Quadrat. Es stellt eine heilige Nacht
dar, indem das Licht, ähnlich wie bei dem bekannten grossen Gemälde zu
Dresden, von dem Christuskinde ausgeht; auch hat es in Einzelheiten der
Compositioü Aehnlichkeit mit dem Dresdener Bilde, ist im Ganzen aber
so abweichend , dass es auf keine Weise als eine Skizze zu diesem be-
trachtet werden darf. Im Gegentheil ist die Malerei mehrfach übergangen
und die ganze Behandlung, wenn gleich leicht, doch so vollendet, dass
man das Bild für mehr als einen blossen Entwurf zu halten berechtigt ist.
Wie auf dem Dresdener Bilde, so sieht man auch hier in der Mitte
die Krippe stehen, in welcher der Säugling liegt, dahinter die Mutter,
welche, ganz in ähnlicher Bewegung, die Arme um das Kind breitet. Diese
ganze Haltung des Oberkörpers der Madonna ist dieselbe (nur in entgegen-
4 gesetzter Bewegung) wie auf dem Dresdener Bilde; alles Uebrige der Com-
position aber ist abweichend. Zur Seite der Krippe wird mehr von der
Gestalt und von den Beinen der Maria sichtbar als dort, so dass sich die
schöne Bildung und die leichte Lage des Körpers freier vor dem Auge des
Beschauers entwickelt. Das Kind ist fast ganz unbekleidet und reizend
bewegt. Auf der andern Seite (wo auf dem Dresdener Bilde die Frau mit
I der Taube steht), sind hier zwei Engelknaben, die mit neugieriger Naivetät
I das Christkind betrachten; im Vorgrunde (statt des stehenden alten Hirten)
I sitzt ein junger Hirt, der einen Ziegenbock auf dem Schoosse hält und
I ebenfalls nach der Krippe hinüberblickt. Die Wolken mit den Engeln,
I oberwärts, sind hier nicht vorhanden. Im Hintergrund, in der Thüre des
Stalles, bemerkt man Joseph mit dem Esel, aber wiederum in andrer
Stellung, als auf dem grossen Bilde. Durch die Thür sieht man ins
Freie hinaus; über den Bergen dämmert der Morgen. Die Lichtwirkung
in diesem kleinen Bilde ist im höchsten Grade meisterhaft. In den reich-
haltigsten Abstufungen verbreitet sich das Licht über die umgebenden
Gegenstände. Das Kind erscheint Avie in Licht getaucht, das Gesicht der
Mutter, welche sich über dasselbe neigt, wie von blendendem Glänze
Überflossen; in den dunkelsten Partieen webt und spielt das Licht fort, so
dass man überall eine volle, kräftige Farbe, nirgend ein dumpfes Schwarz
oder Grau erkennt. Ebenso sind die Farben selbst durchweg von einer
reinen, gesättigten Schönheit, und stehen in wunderbarer Harmonie zu
einander. Dabei athmet jede Gestalt, jeder einzelne Körpertheil derselben,
das feinste, zarteste Lebensgefühl. Es giebt nichts Reizvolleres, als dies
mit Händchen und Füsschen sich lebhaft bewegende Kind, dessen Anmuth
durch die Verkürzung, in der man es sieht, auf keine Weise beeinträch-
tigt ist; ebenso anmuthig ist der vordere der beiden Engelknaben; die
ganze Bewegung der Maria ist voll der holdseligsten Grazie. Einen kräf-
tigen Contrast bildet hiegegen die energische, fast glühende Gestalt des
jungen Hirten im Vorgrunde. Es ist unbegreiflich, wie Correggio alles
dies mit den leichten, breiten Strichen, mit denen (h»s ganze Bild gemalt
ist, hervorzubringen im Stande war.
Was aber diesem Bilde vor so vielen Arbeiten seiner Hand, denen
allen es in Bezug auf die Malerei selbst gleich zu stellen scheint, einen
Ein Bild von Correggio.
grossen Vorzug giebt, das ist das schöne, gediegene Maass im Ausdruck
des Gefühls, welches hier überall durchgeht. Die Composition ist durch-
aus ruhig, voller Würde und Adel; die Gestalten entwickeln sich klar
und einfach, ohne alle gesuchten Verkürzungen; keine einzelne Geberde
ist in einem solchen Maasse gesteigert, dass sie etwa an Manier streifte
oder wirklich dazu würde, — was man sonst bei der Betrachtung von Cor-
reggio's Gemälden nicht gar selten zu überwinden hat, um zu dem Ge-
nüsse seiner eigenthümlichen Vorzüge zu gelangen. Es ist vielmehr durch-
weg eine Unschuld in dieser Grazie, welche man in der That als das Er-
gebniss der glücklichsten Stunde betrachten darf. — Als einen andern
Vorzug muss ich auch den Umstand hervorheben, dass das Bild nur sehr
wenige Retouchen, keine in den sämmtlichen Haupttheilen der Composition,
hat, dass man vielmehr fast überall noch die ursprüngliche Pinselführung
verfolgen kann, dass fast durchweg die Farbe noch in ihrer ganzen ur-
sprünglichen Kraft wirkt.
Ueber die Originalität eines Bildes von so ganz entschiedenen Vorzü-
gen kann kein Zweifel obwalten; auch ist von Allen, die dasselbe neuer-
dings gesehen haben — Künstlern und Kunstforschern — soviel mir be-
kannt, kein Zweifel ausgesprochen worden. Schwieriger dürfte es sein,
die Stelle, welche das Bild in dem Entwickelungsgange des Meisters ein-
nimmt, namentlich das Verhältniss zu dem grossen Dresdener Bilde, zu
bestimmen. Der einfachen Composition wegen möchte man zunächst ge-
neigt sein, das in Rede stehende Bild für ein Vorstudium zu diesem zu
betrachten; erwägt man aber die grosse Reinheit und Vollendung der
Composition, die in der That erhebliche Vorzüge im Vergleich mit der
Composition des grossen Bildes hat, so darf man wohl, wie es scheint,
mit besserem Grunde annehmen, dass Correggio das kleine Bild nach jenem
gemalt und dass er hierin sich selbst zu mässigen und zu läutern ver-
sucht habe.
Beiläufig bemerke ich, dass noch von verschiedenen Skizzen oder
ähnlichen kleinen Bildern der heiligen Nacht, als Originalen Correggio's,
berichtet wird; doch reichen die Mittel, die ich eben zur Hand habe (das
Bedeutendste im zweiten Bande zu Füssli's Künstlerlexikon) nicht aus,
um auch über diese, und ob das besprochene Bild etwa mit Einem von
ihnen identisch sei, etwas zu bestimmen.
11
Jedenfalls ist hier, im kleinen Raum, das ganze Geheimniss der Kunst
der Malerei beschlossen, und ich darf somit wohl den Wunsch hinzufügen,
(lass ein solches Meisterwerk ersten Ranges dem Vaterlande, dereinst an
(HTentlicher Stelle, erhalten bleiben möge
') Nachträgliche Bemerkung. — Das Bild ist seitdem in die Gemäldegallerie
des Berliner Museums übergegangen und derselben unter Nro. 223 eingereiht
worden. Es hat aber dort nur die Bezeichnung als „Schule des Correggio,"
nicht als Arbeit des Meisters selbst, davon tragen können. Hatte mein Ent-
zücken -über die Schönheit des bis dahin vergrabenen kleinen Schatzes mich viel-
leicht doch zu weit geführt?
12 Berichte und Ki'itiken.
Denkmale dei Ba u kuiist des Mittelalters in Sachs en. Bearbeitet
und herausgegeben von Dr. L. P uttrich etc. — Lief- 3 der ersten Abtheil.'.
Lief. 5 u. 6. der zweiten Abtheil. — Leipzig, 1838.
{Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, 1839, No. 67, f.)
1:1
Das in der Ueberschrift genannte Unternehmen des Hrn. Dr. Puttrich
hat bereits bei allen Freunden des vaterländischen Alterthums gebtihrende
Anerkennung gefunden, Geschmackvolle Ausstattung, sorgfältig gearbeitete
und mit künstlerischem Sinn ausgeführte Abbildungen fesseln das Auge
und sichern dem Werke auch von Seiten des Laien eine mehr als gewöhn-
liche Theilnahme; die Darstellung wichtiger, zum grössten Theile seither
fast gar nicht bekannter Monumente, die hinzugefügten Erläuterungen und
historischen Commentare geben demselben einen bleibenden wissenschaft-
lichen Werth. Zum ersten Male wird uns hier, während die Monumente
des westlichen Deutschlands schon vielfach untersucht, beschrieben und ab-
gebildet sind, eine Uebersicht über diejenigen Denkmale eröll'net, welche
den sächsischen Gegenden, dem Sitze einer merkwürdig ausgebildeten Cul-
tur in den früheren Jahrhunderten des deutschen Mittelalters, angehören.
Und schon gegenwärtig sind diese Mittheilungen für die Wissenschaft der
deutschen Kunstgeschichte (oder richtiger gesagt: der deutschen Culturge-
schichte im Allgemeinen) im höchsten Maasse folgereich geworden-, wir
sehen hier die Zeugnisse eines geistigen Aufschwunges um die Zeit des
Jahres 1200, welche — wie in Italien erst ungleich später — das Gepräge
der grossartigsten und gediegensten Vollendung tragen und deren Existenz
uns nur dann begreiflich wird, wenn wir die übrigen Bestrebungen dieser
glücklichen Periode, namentlich die Fülle poetischer Meisterwerke, welche
diese Zeit erstehen sah, mit jenen künstlerischen Erzeugnissen in Vergleichung
stellen. Doch ist es nicht meine Absicht, hier auf die sämmtlichen Lei-
stungen des Puttrich'schen Werkes, wie uns dieselben bis jetzt vorliegen,
zurückzugehen; mehrfach schon ist über die früheren Mittheilungen gespro-
chen worden, und auch ich müsste wiederholen, was ich bereits an anderem
Orte (in verschiedenen Jahrgängen des „Museums'') über dies Unterneh-
men geäussert habe. Hier nur ein kurzer Bericht über die neuesten Lie-
ferungen, die theils der ersten Abtheilung des Werkes (welche die Monu-
mente im Königreich Sachsen und den sächsischen Herzog- und Fürsten-
thümern umfassen soll), theils der zweiten Abtheilung (den Denkmälern
der preuss. Provinz Sachsen gewidmet) augehören.
Die dritte Lieferung der ersten Abtheilung enthält, auf 7 lilhographir-
(en Blättern, eine Darstellung der goldnen Pforte der Domkirche
zu Freiberg (im sächsischen Erzgebirge) und ihrer Einzelheiten , nebst
dazugehörigem erläuternden Texte. Die Domkirchej in ihrer gegenwärtigen
Beschall'enheit,, ist ein Gebäude aus der späteren Zeit des 15. Jahrh.; die
,.goldne" Pforte ist der Ueberrcst eines altern Kircheiibaues, der früher an
derselben Stelle befindlich gewesen war. Sie trägt das Gepräge des soge-
nannten byzantinischen Styles in dessen zierlichster Entwickelung, gehört
somit der Zeit an, welche in Deutschland dem ersten bedeutenderen Auf-
treten des gothischen Styles unmittelbar vorangehl; nähere Urkunden über
Donkmalc der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. 13
die Zoit ihrer Erbauung sind nicht vorhanden Die breit ausladenden
schrägen Anschlagsmauern der Pforte sind mit reichen Säulenstellungen ge-
schmückt, über denen sich reichgeschmückte Bögen in concentrischen Halb-
kreisen emporwölbeu. Zwischen den Säulen sind grosse Statuen angebracht;
eine grosse Menge andrer Figuren reiht sich zwischen jenen Bogen Wölbun-
gen empor; ebenso ist die halbkreisrunde Platte, welche die eigentliche
Bedeckung der Pforte bildet, mit einem bedeutsamen Hautrelief versehen.
Letzteres stellt, auf die Widmung der Kirche sich beziehend, die Anbetung
der Könige dar; in den Statuen zwischen den Säulen scheinen vornehmlich
Personen des alten Testaments und andere Verkündiger des Heilandes ver-
gegenwärtigt zu sein; in den Figuren zwischen den BogenwÖlbungen erkennt
man, neben einer eigenthümlichen Darstellung der Dreieinigkeit, die Ge-
stalten von Engeln, von Aposteln und andern heiligen Vätern, und in dem
äussersten Bogenkreise eine Auferstehung der Todten, — letztere so ange-
ordnet, dass eine Figur über der andern aus dem Grabe emporzusteigen im
Begrift" ist, in der Mitte der Engel des Gerichts, — eine gewiss eben so
seltene, wie mit höchstem künstlerischem Geschick ausgeführte Darstellung.
Betrachten wir nun zunächst das Ganze dieses Werkes, Avie es in sei-
ner architektonischen Anordnung zusammengefasst und gegliedert wird, so
ist es vornehmlich der grossartige Grundgedanke der Composition, der un-
ser höchstes Interesse in Anspruch nimmt. Auf der Hauptstelle, in dem
wirklichen Mittelpunkte des Werkes (in dem erwähnten Hautrelief), erblicken
wir die Erscheinung des Heilandes in der irdischen Welt, zu dessen Ver-
herrlichung die Schätze und lleichthümer der Welt dargebracht werden:
Maria, die Hauptfigur dieser Darstellung, zugleich in jener königlich ma-
tronenhaften Würde, in welcher sie gern als die Repräsentantin der Kirche
Christi gefasst wird. Unterwärts stehen die Gestalten des alten Bundes,
welche zugleich die Verkündiger des neuen sind; oberwärts die Gestalten
und Zeugen des neuen Bundes; im äussersten Kreise endlich erscheint die
Vollendung des Versöhnungswerkes, denn in allen Figuren der Auferstehen-
den sieht man hier nur Geberden innerer Ruhe, der Anbetung und Beseli-
gung. Der Grundgedanke des Christenthums, in Bezug auf Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft, ist es, der die zahlreichen Einzelheiten dieses
merkwürdigen Werkes durchdringt und zu einem bedeutungsvollen Ganzen
vereinigt. So war überhaupt die Kunst des Mittelalters, und namentlich
in jener glücklichen Periode; ähnlich bedeutsame Grundgedanken, in mehr
oder weniger symbolischer Gestaltung, pflegen die vielfach complicirten
Werke jener Zeit zu erfüllen , auch wo dieselben der heutigen flüchtigen
Betrachtung oft willkürlich oder räthselhaft erscheinen. Besonders in dem
bildnerischen Schmuck der Portale pflegt sich dergleichen gern in mannig-
facher Weise auszubreiten, wie z. B. das Hauptportal der neuerlich bekannt
gemachten' schönen Liebfrauenkirche zu Trier hiedurch ebenfalls eigenthüm-
lich interessant ist; und es wäre wohl zu wünschen, dass überhaupt auf
diesen Punkt der, freilich nicht überall ganz leicht zu bestimmenden inne-
0 Der Herausgeber setzt die Erbauungszeit der goldenen Pforte (oder der
Kirche, welcher sie ursprünglich angehörte) aus gewissen historischen Gründen
zwischen 1175—1189. Ich würde es, rücksichtlich des Styles sowohl der archi-
tektonischen wie der bildnerischen Theile der Pforte, nicht wagen, die Zeit ihrer
Erbauung vor dem dreizehnten Jahrhundert anzunehmen. Doch würde die Aus-
einandersetzung meiner Gründe hier zu weit führen.
4
-ocr page 13-14 Berichte und Ki'itiken.
rem Bedeutung solcher "Werke mehr Aufmerksamkeit verwandt würde, als
seither in den meisten Fällen geschehen ist.
Erscheint die goldne Pforte zu Freiberg schon in dem eben besproche-
nen Bezüge als ein wichtiges Denkmal deutscher Kunst, so ist dies viel-
leicht in noch höherem, jedenfalls in ungleich mehr überraschendem Grade
der Fall, wenn wir das Element der eigentlich künstlerischen Ausführung
ihrer Einzelheiten ins Auge fassen. Denn in der That waltet in diesen
Sculpturen fast durchweg ein so ausgebildeter, ein so classischer Schön-
heitssinn, dass wir bei ihrer Betrachtung der höchsten Vollendung der Kunst
nahe zu stehen glauben. Allerdings zwar erkennt ein geübtes Auge in
verschiedenen Motiven die Elemente des sogenannten byzantinischen Styles,
wie solcher in den deutschen Werken des zwölften Jahrhunderts durch-
gehend, und zwar zumeist in unerfreulicher Härte, angetrolfen wird; aber es
sind diese Motive auf's Edelste ermässigt: und gerade dasjenige, was in
der byzantinischen Tradition Grossartiges überliefert worden ist, erscheint
hier mit glücklichstem Sinne aufgefasst, bedeutsam ausgebildet und frei be-
lebt. Es ist der hohe Geist der Antike, der — nach seiner Erstarrung im
Byzantinischen — hier zu neuem Leben erwacht; und doch ist zugleich
mit dieser classischen Erhabenheit eine Milde des Sinnes, ein zartes religi-
öses Gefühl verbunden , wie solches nur aus dem Boden des christlichen
Mittelalters hervorgehen konnte. In alledem sind diese Arbeiten nur mit
den Werken des grossen italienischen Meisters Nicola Pisano zu vergleichen;
doch scheinen sie vor den letzteren noch den ebengenannten Vorzug grös-
serer Milde zu haben, während sie ihnen vielleicht (was aus den vorliegen-
den Abbildungen nicht ersichtlich sein kann) an Feinheit in der Behand-
lung der Form nachstehen mögen. Aber die Blüthe des Nicola Pisano ist
jedenfalls bedeutend später (in der späteren Zeit des dreizehnten Jahrhun-
derts), als die Ausführung der Sculpturen der goldnen Pforte ; — und wohl
scheint es sehr glaublich, dass Meister, die so Vorzügliches zu leisten im
Stande waren, auf die Ausbildung der italienischen Kunst, die im Anfange
des dreizehnten Jahrhunderts noch sehr roh erscheint, von namhaftem Ein-
flüsse gewesen sein mögen ; hiedurch würde dann auch das ganz Räthsel-
hafte in der plötzlichen I^rscheinung des Nicola Pisano verschwinden. Las-
sen sich doch fortwährend, bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts,
bemerkenswerthe Einflüsse der nordischen Kunst auf die italienische nach-
weisen, während das umgekehrte Verhältniss (zwar der hergebrachten, aber
völlig grundlosen Meinung entgegen) erst gegen die Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts, mit dem Verfall der nordischen Kunst, eintritt.
Denn es muss bemerkt werden, dass die Werke der goldnen Pforte zu
Freiberg keinesweges ganz isolirt in der deutschen Kunstgeschichte dastehen.
Zunächst schliessen sie sich unmittelbar an die merkwürdigen Sculpturen
an, welche sich in der Kirche des sächsischen Klosters Zschillen (Wechsel-
burg) befinden und die von Puttrich bereits in früheren Lieferungen seines
Werkes bekannt gemacht sind. Es ist dieselbe Weise der Auffassung und
Behandlung, in einzelnen Gestalten selbst so viel Uebereinstimmendes, dass
man zu der Meinung genöthigt wird, beide Arbeiten seien unter der Leitung
eines und desselben vorzüglich begabten Meisters gearbeitet worden. Nur
erscheinen die Freiberger Arbeiten als die vollendeteren, und sie werden
demnach als die späteren betrachtet werden müssen. Ausserdem ist aber
auch neuerlich noch auf mancherlei andere Werke bildender Kunst aus je-
ner Periode aufmerksam gemacht worden , die, wenn auch den genannten
• ^
mm
»iiilMittUiü
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. 15
Sculpturen an Vollendung nicht gleich, doch eine verwandte Sinnesrich-
tung, grosse Aehnlichkeit des Styles, überhaupt ein ähnliches Bestreben
erkennen lassen, so dass — wie wenig auch jene Periode noch genügend
erforscht sein mag — doch der Thatbestand (dass diese Werke von ratio-
nell gebildeten Künstlern ausgeführt wurden) und die Zeitbestimmung
wenigstens im Allgemeinen sicher stehen. —
Von der zweiten Abtheilung des Puttrich'schen Werkes sind neuerlicl»
die fünfte und sechste Lieferung erschienen, welche, als ein zusammenhän-
gendes Ganze, auf 10 Blättern nebst Text die Alterthümer von Schul-
Pforte umfassen'). Unter den bildlichen Mittheilungen dürfte hier zu-
nächst die Titelvignette hervorzuheben sein, welche eine vortrefflich aufge-
fasste und in ungemein schöner Haltung radirte Ansicht von Schulpforte
(gez. von Gerhardt, gest. von Witthöft) enthält; es verdient dies kleine
Kunstwerk um so mehr eine besondere Erwähnung, als heutiges Tages in
den landschaftlichen Bildern leider die Maschinenarbeit des Stahlstiches so
bedeutend vorherrscht und die Kunst der Radirung, worin früher so viel
Geistreicheres geleistet wurde, fast ganz aus der Uebung gekommen zu sein
scheint. — Unter den Alterthümern von Schulpforte tritt uns, als das be-
deutendste Werk, die ehemalige Klosterkirche entgegen, von der ausser
dem Grundriss und einigen Details, zwei malerische Ansichten des Aeus-
seren, eine schöne Ansicht des Altarrauraes, im Inneren der Kirche, und
eine Darstellung der an dem Giebel der Kirche befindlichen, etwas rohen,
aber nicht uninteressanten Sculpturen mittgetheilt werden. Die Kirche ge-
hört grösseren Theils der früheren, einfacheren Entvvickelungs-Periode des
gothischen Baustyles an und ist, indem sich einzelne Theile mit Sicherheit
bestimmen lassen, ein wichtiger Haltpunkt für die Chronologie iinserer vater-
ländischen Monumente. Der Herausgeber bestimmt für die Gründungszeit
der Kirche, zufolge einer am Chore befindlichen Inschrift, das Jahr 1251-,
die Einweihung fand im J. 1268 statt; doch muss, wie der Herausg. bemerkt,
der westliche Theil der Kirche mit Einschluss der Fa^ade als ein später
erfolgter Anbau betrachtet werden. Letzteres ist ohne Zweifel richtig. Das
Jahr 1251 kann aber nur, wie auch die Inschrift bemerkt, von dem Chore
(„Sanctuarium") gelten, denn es finden sich im Inneren der Kirche, und
zwar im Mittelschiff, bedeutende Theile eines Baues, an welchem man noch
ein entschieden byzantinisches Gepräge bemerkt, die also älter sind als das
Uebrige, und die jedenfalls noch in das zwölfte Jahrhundert gehören dürf-
ten. Bei dem Umbau, der ohne Zweifel hier mit dem J. 1251 eingetreten
ist, hat man diesen Theilen sodann die gothischen Theile, so gut es gehen
wollte, angefügt. Von diesen eigenthümlich interessanten Verhältnissen
giebt leider der Herausgeber weder in seinen Abbildungen eine*Anschauung,
noch erwähnt er ihrer im Texte Mit Sicherheit können wir somit, nur
für den Chor die Zeit von 1251 bis 1268 in Anspruch nehmen, aber wir ge-
winnen dadurch, indem der Chor in einem in sich abgeschlossenen und
harmonischen Style ausgeführt ist, ein um so mehr charakteristisches Bei-
spiel für die genannte Zeit, was bei unsrer leider noch immer so beschränk-
ten Kunde von dem Entwickelungsgange der vaterländischen Kunst, gerade
von höchster Wichtigkeit sein muss.
Beide Lieferungen werden auch als ein selbständiges Werk ausgegeben. —
Näher habe ich diese Verhältnisse der Kirche von Schulpforte vor einigen Jah-
ren im „Museum," 1834, Nr. 20, besprochen (Kl. Schriften, I, S. 172j.
15 Berichte und Ki'itiken.
Von den übrigen Monumenten Schulpforte's werden sodann der byzau-
tinisclie Theil des Kreuzganges in einer meisterhaft gearbeiteten malerischen
Ansicht und die sogenannte Abtkapelle in einer kleinen äusseren und Iii
einer ebenfalls sehr schönen inneren Ansicht gegeben. Die Abtkapelle ist
ein kleines Gebäude aus der letzten Zeit des byzantinischen Styles , von
einer anziehenden Structur des Innern; einige von ihren Details scheinen,
nach den Bemerkungen des Herausgebers zu schliessen, bereits auf den
Uebergang in die Detailformen des gothischen Styles hinzudeuten. Eine
geometrische Darstellung dieser Details wäre sehr erwünscht gewesen, —
wie denn überhaupt auf die Beobachtung der arcliitektonischen Gliederun-
gen nie zu viel Sorgfalt verwandt werden kann. In den meisten Fällen
halte ich dafür, dass die Untersuchung dieser Formen, in denen ja das ei-
gentliche innere Leben der Architektur pulsirt, für die Erkenntniss des
Styles bei weitem wichtiger ist, als die Rücksicht auf die Gesammtanlage
des Gebäudes, die sich mehr oder weniger nach bekannten Schematen wie-
derholt. — Ausser einer ebenfalls interessanten Thür im byzantinischen
Style, die der Herausg. unter den ehemaligen Klostergebäuden von Schul-
pforte entdeckt hat, sind in den Abbildungen endlich noch einige kleinere
Werke enthalten, die, an sich von geringerer Bedeutung, doch zur weite-
ren Erkenntniss der Sinnesweise des Mittelalters dienen.
Alterthümer und Kunstdenkmale des Erlauchten Hauses
Hohenzollern. Herausgegeben von Rudolph Freiherrn von Stillfried.
Stuttgart und Tübingen. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1833.
(Gross Folio.)
(Kunstblatt, 1839, Nro. 51.)
Unter dem vorstehenden Titel ist neuerlich das erste Heft eines Wer-
kes erschienen, dessen vorzüglichstes Interesse zwar ein allgemein histori-
sches ist, das indess durch die Pracht und den Geschmack seiner Ausstat-
tung, mehr noch durch einen Theil der Gegenstände, welche es dem Be-
schauer vorführt, auch die nähere Aufmerksamkeit des Kunstfreundes in
Anspruch nimmt. Der Herausgeber stellte sich die Aufgabe, „dem Ge-
schichtsfreunde, dem Alterthumsfreunde und dem Kunstfreunde gleiche
Theilnahme'einzuflössen"; sein Werk soll „eine Gallerie bilden, in welcher
das Auge, neben den Abbildungen von Urkunden, auch die Abbildungen
anderer geschichtlich bedeutungsvoller Alterthümer findet, von den ehrwür-
digen Schutz- und Trutzwerkzeugen früherer, stärkerer Generationen bis
herab zu den kleinen Bildwerken der Siegel und Münzen."
Das vorliegende erste Heft enthält sechs grosse lithographirte, zum
Theil colorirte Blätter, nebst dazu gehörigem, historisch erläuterndem Texte.
In den letzteren sind mehrere vortreffliche Radirungen von kleinerer Dimen-
sion eingedruckt.
Die beiden ersten Blätter enthalten Facsimiles von Urkunden, durch
welche die altüberlieferte Sage, dass das brandenburgisch-preussische Re-
gentenhaus aus dem Geschlechte der Hohenzollern stamme, zum ersten
'V
Alterthümor uud Kunstdenkmale des Erlaiicliten Hauses Hohenzollwrn. 17
Mal auf nähere, historisch gültige Beweise zurückgeführt wird. Die fol-
genden Blätter sind der Münsterldrche des Klosters Heilsbronn in Fran-
ken, zwischen Anspach und Nürnberg, gewidmet, welche längere Zeit hin-
durch förmlich als Begräbnisskirche des Hauses Hohenzollern gedient hat,
und noch gegenwärtig viele Denkmale von nürnbergischeu Burggrafen, bran-
denburgischen Markgrafen und Kurfürsten aus dem ebengenannten Hause,
sowie von Mitgliedern ihrer Familie in sich einschliesst. Es werden von
dieser Kirche der Grundriss, eine innere und eine äussere Ansicht, ein
grosses Fenster mit Glasmalereien und einige architektonische Details mit-
getheilt.
Die Kirche erscheint in ihrer ursprünglichen Anlage als eine Basilika
im byzantinischen Style, mit einem Querschiflf, das Hauptschiff durch Säu-
lenstellungen mit Würfelkapitälen und Halbkreisbögen gebildet, und mit
flacher Decke versehen. (Die Säulenstellungen sind nicht, wie es in den
Basiliken andrer Gegenden häufig vorkommt, mit Pfeilern vermischt.) Doch
ist diese Anlage durch spätere Erweiterungen und Einbauten mannigfach
veräudert. Der Chor ist zur Zeit des gothischen Styles beträchtlich ver-
grössert worden, das südliche Seitenschiff ist in derselben Periode verdop-
pelt, tind auf der Westseite der Kirche eine grosse Kapelle, durch eine
Treppe von dem Hauptraume der Kirche gesondert, vorgebaut worden.
Später hat man zwei Querwände quer durch die Kirche gezogen, so dass
dieselbe gegenwärtig in drei Haupträunie zerfällt. Der Grundriss unterschei-
det die verschiedenen Perioden dieser Bauanlagen.
Die byzantinischen Theile der Kirche erscheinen nach den vorliegen-
den Abbildungen sehr einfach; namentlich die Würfelkapitäle der Säuleu
des Hauptschiffes entbehren alles plastischen Schmuckes. So dürfte kein
Grund vorhanden sein, um es zu bezweifeln, dass dies Theile jener Kirche
seien, welche Bischof Otto von Bamberg, der das Kloster gründete, erbauen
und im J. 1136 einweihen Hess. Zugleich aber dürfte die Einfachheit einer
so bedeutenden Kirche — einer Kirche, die von einem so lebhaften Freunde
der Architektur, wie Bischof Otto bekanntlich war, erbaut wurde — in ge-
wissem Maasse als charakteristisch für den Kunstgeschmack ihrer Ent-
stehungszeit betrachtet werden, und als eine Warnung gegen die noch im-
mer beliebten, willkürlich frühen Altersbestimmungen unserer mittelalter-
lichen Architektur gelten können. Etwas reicheres byzantinisches Detail
gewahrt man an der, dem südlichen Kreuzflügel angefügten Ileidecker
Kapelle, nämlich an der Bekrönung ihrer Altarnische, welche letztere —
höchst eigenthümlich — wie ein Erker über das Fundament der Kapelle
hinaustritt und durch einen kolossalen Kragstein getragen >vird. Eine in
den Text eingedruckte Radirung giebt ein näheres Bild dieses interessan-
ten Architekturstückes Vielleicht ist schon diese Kapelle ein in der spä-
teren Zeit des zwölften Jahrhunderts hinzugefügter Anbau. Die gothischen
Theile der Kirche erscheinen, wenigstens im Aeusseren, ebenfalls einfach,
und nur das zierlich durchbrochene Thürmchen über dem Chore giebt ein
Beispiel von der reicheren Entfaltung dieses Styles. (Aus früher Reise-Erin-
nerung ist dem Unterzeichneten auch von dem, im gothischen Style erweiterten
südlichen Seitenschiff der Eindruck reicherer Architekturformen geblieben.)
Das Glasgemälde, welches auf dem letzten Blatt des vorliegenden Hef-
tes, sauber colorlrt und sehr charakteristisch im Style der Zeichnung, vor-
geführt wird, enthält in drei Abtheilungen eine Darstellung des gekreuzig-
Kugler, Kleine Schriften. H. 2
-ocr page 17-18 Berichte und Ki'itiken.
len Heilandes, und die Bildnisse des-im Jahr 1297 verstorbenen Burggra-
fen Friedrich von Nürnberg und seiner beiden Gemahlinnen, nebst Inschrif-
ten, Wappen und reichem Ornament, Doch ist diese grosse Darstellung
nicht rein erhalten; ein grosser Theil des Ornamentes ist als willkürliche
Füllung, selbst ohne Formensimi, eingesetzt worden, und aus der ganzen
Anordnung ersieht man, dass die Glasgemälde ursprünglich für ein älteres
Fenster, wahrscheinlich der spätesten Entwickelungszeit des byzantinischen
Styles angehörig, gefertigt waren. Doch lassen die Figuren mit Entschie-
denheit den Styl der deutschen Kunst, welcher sich hier im dreizehnten
Jahrhundert zu entwickeln begann, erkennen. — Die übrigen, in der Mün-
sterkirche vorhandenen Denkmale (zum Theil auch von namhafter kunst-
geschichtlicher Wichtigkeit) werden nur summarisch in den Textblättern
aufgezählt.
Der Eindruck, den die eben besprocheneu Mittheilungen auf den Sinn
und Geist des Beschauers hervorbringen, ist der einer, mit grosser Liebe
unternommenen, mit Treue und Sorgfalt durchgeführten Arbeit. Wir kön-
nen im Interesse der Kunst wie in dem der Geschichte nur wünschen, dass
der Herausgeber durch Nichts in seinem schönen Unternehmen gestört
werden, und dass er sein Werk, dem freilich ein reiches Material vorlie-
gen dürfte, in gleicher Weise bis zum Schlüsse vollenden möge.
Ueber das mit 33 Miniaturen gezierte Brevier Philipps II. von
Spanien. Im Besitze Ihrer Durchlaucht der Fürstin zu Putbus. Yon
Fr. v. Schönholz. Berlin, 1837. (28 S.)
(Kunstblatt, 1840, Nro. 24.)
Die vorstehend genannte kleine Schrift enthält die Beschreibung einer
Reihe von Miniaturbildern, die unter den aus der altflandrischen Schule
hervorgegangenen Miniaturen eine nicht unwichtige Stelle einnehmen; der
Verfasser hat sich durch seine genaue und sorgfältige Charakteristik An-
spruch auf den Dank der Freunde mittelalterlicher Kunst erworben. Das
Brevier, dessen bildliche Darstellungen er schildert, ist ein kleines Büch-
lein in Duodezformat; eine vorn hineingeschriebene Notiz vom J. 1652,
unterzeichnet: „Cornifis v. Ullfeldt, Grand Maistre du lioyaume de Dene-
mark^'^ besagt, dass das Werk früher von König Philipp II. besessen sei,
und dass es der Unterzeichnete an den bekannten schwedischen Feldmar-
schall Wrangel geschenkt habe. Aus dem Besitze Wrangel's ist dasselbe
durch Erbschaft an das Haus Putbus gekommen. Eine spätere Notiz be-
nennt den Maler, der die Miniaturen ausgeführt, als „Pietro de la Mare" (?),
eine Angabe, die indess durch irgend ein besonderes Missverständniss her-
vorgebracht zu sein scheint. Es herrscht in den Bildern eben vollständig
der Styl und die Behandlungsweise der Fyck'sehen Schule. Es sind dreis-
sig Scenen aus der Geschichte des F]vangeliunis; vor diesen eine symbo-
lische Darstellung der Verherrlichung Maria, zum Schluss eine Ilalbfigur
der Maria mit dem Kinde. Ausser diesen ist. zu Anfang der Bilderfolge,
Uebor das mit 33 Miiüatiireri geziert« Brevier Philipps II, von Spauien. 19
noch ein besonderes Blatt zugefügt (eingeklebt) worden, ein Brustbild
Christi, das aber von dem Charakter der übrigen Miniaturen abweicht;
hier sieht man nämlich bereits eine Art italienischer Auffassungsweise (wie
bei B. van Orley und seinem Zeitgenossen), doch ist auch hier noch die
Behandlung äusserst zart und sauber. Alles Einzelne der Bilder ist in der
genannten Schrift ausführlich und mit Sinn geschildert; nur in dem knnst-
historischen Urtheil geht der Verfasser, der in dem grössten Theil der
Miniaturen Arbeiten von Memmeling's Hand erkennt, etwas zu m eit. —
Ich hatte das Glück, im vorigen Sommer, bei Gelegenheit einer Kunstreise
durch Pommern, das zierliche Brevier zu sehen, und erlaube mir, hier
einige besondere Bemerkungen beizufügen. Ich glaubte, in den Verfertigern
der Miniaturen Nachfolger des Memmeling zu erkennen; eine nähere Be-
stimmung wage ich nicht zu geben, da ich bis jetzt nur einzelne Arbeiten
der flandrischen Miniatoren gesehen habe. Dass ein Meister, wie Memme-
ling, selbst nicht daran Theil gehabt, geht aus der Behandlung des Körper-
lichen hervor, das, auch an den besten Figuren, zu wenig genügt; beson-
ders die Extremitäten sind mangelhaft, die Hände meist allzuklein und ohne
Verständniss. Daher sind die Figuren, die keine weite Gewandung tragen,
zumeist von untergeordnetem Werthe; die weilgewandeten sind aber oft
sehr bedeutend; in dieser Weise bringt namentlich die Darstellung der
Verklärung CHristi eine eigenthümlich grossartige Wirkung hervor. Vor-
züglich schön, von einer eigenen Weichheit und Milde, sind die Köpfe,
namentlich die weiblichen, die an die Köpfe derjenigen Gemälde, welchc
man dem Schoreel zuzuschreiben pflegt, erinnern. Doch kommen bei
ihnen auch die rundlichen Formen der Kölner Schule vor. (Hiebe! ist
zu bemerken, dass in der Darstellung-der Anbetung der Könige der eine
von diesen Königen eine direkte Nachahmung des bekannten Kölner Dom-
bildes verräth.) Zugleich spricht sich in den Köpfen die mannigfachste
Indlvidualisirung aus, die vornehmlich In der Ausgiessung des heiligen
Geistes auf eine höchst meisterhafte Weise, und mit dem tiefsten Ausdrucke
verbunden, erscheint. Die Darstellung leidenschaftlicher Scenen ist dage-
gen ungeschickt und ohne Kraft. Die Halbfigur der Madonna am Schluss
zieht durch eine rührende Weichheit und Milde an; auch ist die räumliche
Anordnung dieses Blattes vorzüglich gelungen. Die Farben sind in allen
Bildern durchweg ungemein schön; das Landschaftliche hat den Styl eines
l'atenier und ähnlicher Meister.
Baudenkmale von Trier.
(Knnstblatt, 1840, Nro. 56, ff.)
Trier behauptet rücksichtlich seiner Baudenkmale einen ganz eigen-
thümlirhen Werth unter den deutschen Städten. Keine ist vorhanden, die
so zahlreiche, so grossartige, so interessante Ueberreste römischer Herrlichkeit
aufzuweisen hätte; für die Entwickelungsstadien der Baukunst im früheren
Mittelalter finden wir dort höchst charakteristische Beispiele; die ersten
Motive der gothischen Architektur treten uns dort in der merkwürdigsten
Gestaltung und eigenthümlichsten Ausbildung entgegen : auch für die reichere
20 Bericlite inid Kritiken.
Vollendung des gothisclien Styles, sowie für diu verschiedenen Epochen
der modernen Kunst felilt es in Trier wenigstens nicht an bezeichnenden
Beispielen, wenn dieselben auch an Bedeutsamkeit denen der früheren Zeit
nachstehen. Die Betrachtung der Trier'schen Monumente dürfte somit für
das Ganze des Entwickelungsganges der Baukunst in Deutschland ebenso
belehrend sein, wie namentlich durch die vorzüglichsten der dortigen
Denkmale einzelne Punkte der Baugeschichte auf die erfreulichste Weise
lebendig vergegenwärtigt werden.
Mancherlei ist bisher über die Denkmale von Trier geschrieben imd
mitgetheilt worden; doch hat dasselbe noch wenig hingereicht, um ihnen
die wissenschaftliche Bedeutung, auf welche sie, grösstentheils, so vollgül-
tigen Anspruch haben, zu Theil werden zu lassen. Zugleich betreffen die
bisherigen schriftlichen und bildlichen Mittheilungen zumeist nur die Mo-
numente des römischen Alterthums; und auch nur im seltenen Falle ist
theils die eigenthüraliche Beschaffenheit, theils die eigenthümliche Bedeu-
tung dieser letztgenannten "Werke in dem Maasse entwickelt worden, dass
die archäologische Wissenschaft und die Geschichte des Kömerlebens an
deutscher Grenze die entsprechenden Yortheile daraus gezogen hätten. Ja,
wir hören sogar, dass die Aufgrabungen, welche zur vollständigen Kennt-
nissnahme der dortigen Römerwerke erfordert werden, noch keineswegs in
genügender Weise durchgeführt worden sind. Eine allgemeine Uebersicht
der römischen Monumente finden M'ir in dem Werke von C. F. Quednow:
„Beschreibung der Alterthümer in Trier und dessen Umgebungen aus der
gallisch-belgischen und römischen Periode, mit 28 Kupfertafeln (Trier,
1820)", einer Arbeit, die seither noch durch keine neuere ersetzt ist, ob-
gleich die darin enthaltenen bildlichen Darstellungen nicht eben genügend
erscheinen und der Text, in kunsthistorischer Beziehung, von sehr dilettan-
tistischen Ansichten keineswegs frei ist. Daneben sind besonders J. H. Wy t-
tenbachs „Neue Forschungen über die römischen architektonischen Alter-
thümer im Moselthale von Trier (Trier, 1835)", zu nennen; diese kleine
Schrift enthält mannigfach interessante Daten und unterscheidet sich von
den früheren Schriften Wyttenbachs über Trier und seine Alterthümer
durch gründlicheren archäologischen Sinn. Ueber einige der dortigen Mo-
numente sind in neuerer Zeit besondere kleine Werke erschienen, die,
wenigstens im Einzelnen, ebenfalls sehr dankenswerthe Mittheilungen ent-
halten Eine umfassende, gründliche und würdige Darstellung der sämmt-
lichen Baudenkmale von Trier verspricht ein neubegonnenes Werk:
„Baudenkmale der römischen Periode und des Mittel-
alters in Trier und seiner Umgebung, herausgegeben von dem
Architekten Christian Wilhelm Schmidt",
dessen bis jetzt erschienene Lieferungen (Trier 1836 u. 1839) sich bereits
Zu erwähnen ist hiebei namentlich noch die kleine Schrift von Michael
Franz Joseph Müller „Literatur-Anzeige , welche über die in der Stadt
Trier und ihren Umgebungen theils noch bestehenden, theils aber zerstörten Bau-
ten, Denkmäler, Inschriften etc. aus der ältesten und mittlem Zeit, einige Kunde
geben." (Trier, Lintz'sche Buchhandlung, 42 S. in 8.) Der Verf. führt hierin
die sämmtlichen bedeutenderen Monumente der Reihe nach an und giebt bei
jedem Einzelnen, ausser einigen Bemerkungen, eine Uebersicht der betreffenden
Literatur. Sehr dankenswerth ist es. dass er besonders auch auf Abhandlungen
in Zeitschriften, Programmen u. dergl. liücksicht nimmt, die dem Forscher, der
mit der Lokalliteratur jener Gegend nicht näher bekannt ist, leicht entgehen dürften.
Baudunkmale von TriBr.
dem AllertrelTIichsteii anreihen, was wir über die Kunde deutscher Denk-
mäler besitzen. Der Herausgeber hat es indess vorgezogen, zunächst nicht
die Werke der r(5mischen Periode, sondern vor diesen die noch ungleich
weniger beachteten und weniger bekannten Denkmale des Mittelalters er-
scheinen zu lassen—
Die erste Lieferung ist der Liebfrauenkirche zu Trier gewidmet
und besteht, ausser dem geschmackvoll verzierten Titelblatte, aus neun
in Stein gravirten Blättern in Grossfolio, nebst 53 Seiten Text in
Quart. Die zweite Lieferung enthält den Dom zu Trier, die St. Willi-
brordskirche zu ICchternach, die St. Matthiaskirche mit dem Kloster da-
neben und die St. Maternuskirche zu St. Matthias, Vorstadt von Trier; sie
besteht aus zehn in Stahl gestochenen Blättern in Folio, einem in Stein
gravirten Blatte (als Zugabe) und 132 Seiten Text in Quart. Die in Stein
gravirten Blätter der ersten Lieferung sind sehr wohl gearbeitet; indess
musste natürlich der Stahlstich, der bei den Blättern der zweiten Liefe-
rung angewandt ist, und in dem auch alle folgenden Lieferungen ausge-
führt werden sollen, in jeder Beziehung ungleich günstiger wirken, nament-
lich für die grössere Zartheit der Linienführung und für den Umstand,
dass durch seine Anwendung der Maassstab, ohne der Deutlichkeit irgend
Abbruch zu thun, kleiner angenommen, somit eine beträchtlich grössere
Anzahl bildlicher Darstellungen in dem Räume Einer Lieferung vereinigt
werden konnte. Die Risse und Ansichten sind durchweg ebenso geschmack-
voll , wie mit feinstem Verständniss für das Charakteristische gearbeitet.
Vorzüglich ist es anzuerkennen , dass der Herausgeber mit vollkommener
Entschiedenheit den wissenschaftlichen Zweck seiner Aufgabe im Auge
behielt und es sich angelegen sein Hess, diejenigen Motive sorgfältigst ge-
nau zu entwickeln, die besonders zur-Bezeichnung der verschiedenen bau-
geschichtlichen Perioden dienen. Hieher rechne ich namentlich, ausser
den allgemeineren Verhältnissen der verschiedenen Bauwerke, die in Auf-
rissen und Durchschnitten gegebene Darstellung der architektonischen Glie-
derungen, sowie die Darstellung andrer charakteristischer Einzelheiten —
Vorzüge, die leider noch immer bei Werken solcher Art sehr selten sind.
Der Text dient auf anspruchlose Weise zum genaueren Verständniss der
Zeichnungen.^ In dem Text der ersten Lieferung ist der historische Theil
von Wittenbach gearbeitet; in dem zur zweiten Lieferung hat der
Herausgeber selbst die schwierige Arbeit, den Bezug der historischen
Notizen auf das Vorhandene des Baues (namentlich was den Dom anbe-
triiVt) nachzuweisen, auf eine sehr gediegene Weise durchgeführt. Beiden
Lieferungen sind ausserdem noch besondere Aufsätze von J, G. Müller
beigefügt, welche dankenswerthe und geistreiche Erläuterungen der mit
den Bauanlagen verbundenen Bildwerke enthalten. So dürfen wir ohne
Bedenken das Schmidt'sche Werk als eine lautere Quelle betrachten, um
uns über die historischen und ästhetischen Eigenthümlichkeiten der Bau-
denkmale, denen dasselbe gewidmet ist, genügend zu unterrichten.
Ein sehr eigenthümliches Interesse gewähren unter diesen der Dom
von Trier und die zu ihm gehörigen Nebengebäude, welche auf den
sieben ersten Blättern der zweiten Lieferung und auf denen der ersten
enthalten sind, (Denn auch die Liebfrauenkirche gehört zu diesen Neben»
gebäuden; der Herausgeber liess sie, vor dem Uebrigen, in der ersten Lie-
ferung erscheinen, um dadurch für den Abschluss der schwierigen" Unter-
suchungen, welche der Dom selbst erforderte, genügende Zeit zu gewinnen.)
21
22 Berichte und Ki'itiken.
Die versdiicdenen Motive der Baukunst des Mittelalteis, iiameiitlicli die-
jenigen, welche dem Zeiträume von den späteren Werken der Römerzeit an
bis zum ersten Entwickelungsstadium des gothisclien Baustyles angehören,
treten uns hier in charakteristischen Beispielen entgegen , und zwar mit
einer historischen Bestimmtheit, — deren Entwickelung freilich das Ver-
dienst des Herausgebers ist, — dass wir sie grossentheils als feste An-
knti[)fungspunkte für die Chronologie der mittelalterlichen Baugeschichte
benutzen können. Besonders merkwürdig ist der Dom selbst. Er besteht
aus sehr verschiedenartigen Theilen, je nach den verschiedenen Perioden,
in welchen dieselben ausgeführt wurden: aber diese Theile stehen zumeist
keineswegs (wie man anderweitig Beispiele zur Genüge hat) in ihrer selb-
ständigen Gestalt nebeneinander; vielmehr sind dieselben jedesmal, wenn
Erweiterungen oder Veränderungen des Gebäudes stattfanden, der neuen
Anlage gemäss auf eine Weise verändert und umgewandelt worden, dass
das schärfste Auge, die unermüdlichste Sorgfalt, die erfahrenste Kritik
erfordert wird, um das Spätere von dem Früheren sondern, um die ur-
sprüngliche Anlage und eine jede Erneuerung des Gebäudes in ihrer eigen-
thümlichen Gestalt erkennen und diese in ihrem Zusammenhange ent-
wickeln zu können. Der Herausgeber hat diese reproducirende Kritik mit
so glücklichem Erfolge angewandt, dass seine Arbeit, wie es scheint, Nichts
zu wünschen übrig lässt.
Es würde zu weit führen, wollte ich hier alle die einzelnen Merkzei-
chen namhaft machen, durch deren Entdeckung und Berücksichtigung es
dem Herausgeber gelungen ist, ein in unsrer deutschen Baugeschichte noch
so seltenes Resultat zu gewinnen. Ich begnüge mich, hier nur eine kurze
Charakteristik der verschiedenen Gestaltungen des Domes, wie sie durch
diese Arbeit entwickelt sind, mitzutheilen. Die erste Anlage des Domes
gehört der römischen Zeit an, Sie bildete im Grundplan ein Quadrat, mit
halbrundem Ausbau auf der Ostseite. Im Innern standen vier grosse Säu-
len korinthischer Ordnung, ebenfalls in quadratischer Stellung; auf ihnen
und den entsprechenden Wandpfeilern ruhten kräftige Schwibbogen, welche
eine Hache Holzdecke trugen. Zwei Reihen grosser überwölbter Fenster
liefen an den Wänden hin. Plan und Durchschnitt dieser römischen An-
lagen sind auf Tat". I der zweiten Lieferung enthalten. Der Herausgeber
sucht es mit Wahrscheinlichkeit zu erweisen, dass dies Gebäude (der Sage
nach ein Pallast der Helena) nicht, wie man zunächst vermuthen könne,
eine Basilika (im antiken Sinne des Worts), sondern dass es eine der von
Constantin erbauten christlichen Kirchen gewesen sei. Gewiss wäre es für
die Geschichte der christlichen Kirchenbaukunst sehr interessant, wenn
diese Ansicht vollkommen gesichert wäre und wir hiev den Plan einer
bedeutenden Kirche aus jener frühen Zeit vor uns sähen. Gleichwohl
dürfte die Ansicht, dass das Gebäude zu dem Behufe einer Basilika er-
richtet worden sei, nicht ganz abgewiesen werden können; denn wenn
seine Gestalt auch von der Vitruv'schen Vorschrift abweicht, so finden
wir doch andre Basiliken des classischen Alterthums, die damit nicht
übereinstimmen. Zugleich ist auch das kein Gegenbeweis, dass Trier
ausserdem schon eine zweite geräumige Basilika, den sogenannten Kaiser-
f)allast, besessen habe; vielmehr gedenkt der von Wyttenbach (in seinen
„Neuen Forschungen") angeführte Eumenius in seiner Rede vom Jahr
310 ausdrücklich m e h r e r e r Basiliken, die Constantin selbst in
Trier errichtet habe, indem er sagt: „Ich sehe Basiliken, das Forum,
Baudeukinale vou Trier. 23
wahlhaft königliche Werke, und den Sitz der Gerechtigkeit, alle so hoch
aufsteigend" etc. Doch mag ein solcher Zweifel, wenigstens für das All-
gemeine der Gcschichte der Baukunst, von keinem erheblichen Belange
sein, da höchst wahrscheinlich die Kirchen jener Zeit noch keine durch-
geführte rituelle Einrichtung hatten (wie solche allerdings bei der Mehr-
zahl der bekannten altchristlichen Basiliken bereits nachzuweisen ist) und
da sie sich wohl ziemlich entschieden der Anlage vorgefundener heid-
nischer Bauwerke, sofern diese nur dem beabsichtigten Zwecke nicht ent-
gegen war, anschlossen.
Die erste Umwandlung des Domes fällt, historischen Nachrichten zu-
folge, in die Zeit des elften Jahrhunderts. Das Gebäude wurde an der
Westseite, in Symmetrie mit dem römischen Grundplan, verlängert und
dort ebenfalls ein halbrunder Ausbau mit einer kleinen Krypta, sowie zwei
kleine Kundthürme auf den Ecken angelegt. Das Innere des alten Baues,
der den Verfall drohte, ward ausgebessert und die Säulen mit Pfeilern
ummauert; Pfeiler traten auch in dem neu hinzugefügten Theile an die
Stelle der Säulen. Im Uebrigen wurde ganz die alte Construktion beibe-
luilten, und über den Schwibbogen, welche die Pfeiler verbanden, ruhte
ebenfalls eine flache Decke. Gleichzeitig mit dieser Anlage erscheinen
sodann einige Gewölbe ausserhalb des Domes, theils auf der Ostseite, theils
auf der Südseite belegen (die letzteren gegenwärtig als Keller des bischöf-
lichen Palastes dienend). Taf. I giebt Grundrisse und Durchschnitt dieser
Erneuung des Domes, Taf. II enthält die Ansicht der Westseite des Domes,
von den (übrigens geringen) späteren Veränderungen befreit, Taf. VI ent-
hält verschiedene, dieser Bauzeit angehörige Details. BemerkensAverth ist
an den letzteren, sowie an den Pilasterverzierungen der westlichen Fa^ade,
wie hier noch immer die Formen der römischen Architektur (nur in
schwerer Gestaltung) vorherrschen. Nur die Anwendung jener kleinen
rundbogigen Friese im Aeusseren, die indess auch noch mit horizontalen
Friesen wechseln, sowie das Vorkommen einzelner, einfach gebildeter
Würfelkapitäle deutet hier auf den ersten Beginn des sogenannten byzan-
tinischen Styles. Es war mir sehr interessant, in der Herausstellung dieser
Motive eine Bestätigung dessen zu finden, was ich anderweitig (in der
„Beschreibung und Geschichte der Schlosskirche zu Quedlinburg" etc.) über
den Baustyl des elften Jahrhunderts, in Bezug auf die am Harz gelegenen
Bauwerke, nachzuweisen Gelegenheit gefunden habe.
Im zwölften Jahrhundert fanden neue und fast noch bedeutendere
Veränderungen des Domes statt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
wurde nämlich der östliche Chor in erweiterter Gestalt und reicherem Style
neu erbaut und eine Krypta unter demselben angelegt; um den Schluss des
Jahrhunderts wurde die ganze Kirche überwölbt und zu diesem Behufe
auf eine solche Weise umgestaltet, dass fast nur der untere Theil der
Pfeiler seine frühere Beschaffenheit behielt. Dies Alles ist in dem Grund-
riss und dem Durchschnitt der Gesammtanlage auf Tafel III und IV (in
denen die verschiedenen Bautheile und ihre Spuren charakteristisch be-
zeichnet sind), in der Ansicht der Ostseite auf Taf. V und in den zahlrei-
I iien Details auf Taf. VI in genügender Klarheit dargestellt. Wir sehen
hier den byzantinischen Baustyl in seiner reichsten Ausbildung vor uns,
so jedoch, dass es im Einzelnen bereits an Motiven zum Uebergange in
den gothischen (germanischen) Baustyl nicht fehlt. Der Spitzbogen er-
scheint zwar nur in einigen untergeordneten Fällen, welche den spätesten
24 Hericlite und Kritiken.
Umänderungen dieser Periode angehören. Merkwürdiger ist es, dass der
Östliche Chor nicht mehr im Halbkreis, sondern in einer polygonen Form
und mit heraustretenden einfachen Strebepfeilern, den an dem Kuppelge-
wölbe angewandten Gewölbrippen entsprechend, angelegt ist; und fast
noch mehr, dass die architektonischen Gliederungen in den veränderten
Theilen des Schiffs sich schon den leichten, feinen, spielend belebten For-
men des gothischen Styls annähern.
Die Veränderungen, welche am Schluss des Mittelalters und in mo-
derner Zeit mit dem Dome vorgenommen wurden, sind theils unerheblich,
thöils nur zur Verunzierung des Gebäudes gereichend, somit hier zu
übergehen.
An die Umwandlungen des Domes im zwölften Jahrhundert schliessen
sich sodann die mit ihm in Verbindung stehenden Gebäude des Kreuz-
gangs und der Liebfrauenkirche an. Die Motive, welche in den
ebengenannten Theilen des Domes auf eine Entwickelung zu den Formen
des gothischen Baustyls hindeuteten, zeigen sich in diesen beiden Gebäu-
den mit ungleich grösserer Entschiedenheit aufgenommen, und zwar so,
dass der Kreuzgang mit den verschiedenen ihm zugehörigen Räumen etwa
in der Mitte zwischen dem byzantinischen und gothischen Baustyle steht,
während bei der Liebfrauenkirche die Elemente des letzteren schon we-
sentlich vorherrschen. Selten nur dürfte man Gelegenheit haben, die Sta-
dien dieser Entwickelung in so nahe zusammenhängendem Räume und in
so charakteristischer Weise, wie es hier der Fall ist, zu beobachten. Von
dem Kreuzgange ist der Grundriss auf Taf. III enthalten; Durchschnitte und
Details desselben finden sich auf Taf. VII. Ueber seine Erbauungszeit ist
nichts Sicheres bekannt; ohne Zweifel aber ist er unmittelbar vor der
Liebfrauenkirche, somit im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, erbaut.
— Der Liebfrauenkirche , deren gegenwärtiger Bau im J. 1227 gegründet
wurde, ist, wie bereits bemerkt, die ganze erste Lieferung des Schmidt'schen
Werkes gewidmet. Ihre in jeder Beziehung höchst interessante Eigen-
tliümlichkeit veranlasste eine so ausführliche Behandlung, denn gewiss
steht sie, sowohl was ihre Anlage, als was die an ihr hervortretenden
Entwickelungsmomente und ihren Schmuck betrifft, als ganz einzig in
ihrer Art da. Sie verbindet die Formen eines Rundbaues mit denen einer
Kreuzkirche, so nämlich, dass sich um die erhöhten Räume eines fast
gleichschenkeligen Kreuzes niedrigere Nebenräume, die Winkel zwischen
den Kreuzesarmen ausfüllend, umherreichen; doch bildet ihre äussere Um-
fassung nicht einen wirklichen Kreis, sondern sie ist aus zwölf kleinen,
polygonisch hervortretenden Ausbauten zusammengesetzt. Die ganze Pracht
des byzantinischen Styles in seiner letzten Ausbildung zeigt sich an den,
zumeist mit schönen Sculpturen verzierten Portalen der Kirche; sonst aber
klingt das byzantinische Element nur noch in gewissen Einzelheiten der
Bildung nach, während das gothische Princip bereits — aber in einer
klaren, keuschen Ruhe — im Uebrigen als vorherrschend erscheint. (Aus-
führlicher über die Besonderheiten dieses schönen Bauwerkes habe ich be-
reits früher, nach dem Erscheinen der ersten Lieferung des Schmidt'schen
Werkes, an anderm Orte gesprochen. Vergl. Thl. I, S. 463 ff.)
An die älteren Theile des Domes von Trier reihen sich diejenigen
Bauwerke an, welche auf,den_übrigen Blättern der zweiten Lieferung vor-
geführt werden. Taf. VIII enthält Risse und Detailzeichnungen der St.
Wilibrordskirche zu Echternach. Diese Kirche bildet ebenfalls ein
hi
Baudeukmale von Trier. 25
wichtiges Beispiel für den Entwickelungsgang der deutschen Baukunst; sie
gehört der frülieren Zeit des elften Jahrhunderts an und wurde 1031 ein-
geweiht; ihr Styl ist der der gleichzeitigen deutschen Basilika und ent-
spricht unter andern denen von Huyseburg und Drübeck am Harze (ver-
gleiche die Beschreibung und Geschichte der Schlosskirche zu Quedlin-
burg etc.), indem in ihr Säulen und Pfeiler wechseln, und zwar so, dass
die Pfeiler jeder Seite durch grössere Bögen verbunden sind und diesen
die kleineren, von den Säulen getragenen Bögen untergeschoben erschei-
nen. Sehr bemerkenswerth ist es, dass die Säulenkapitäle und auch die
Käinpfergesimse der Pfeiler wiederum ganz in antiker Weise gebildet sind.
Die Gewölbe und die sämmtlichen Fensteröffnungen, einer späteren Re-
stauration angehörig, sind in gothischer Weise ausgeführt und entsprechen
den Formen der Liebfrauenkirche zu Trier.
Taf. IX enthält die westliche Fagade der Kirche zu St. Matthias bei
Trier und Taf. X Grund- und Aufrisse, sowie Detailzeichnungen dersel-
ben Kirche und des dazu gehörigen Klosters. Die gegenwärtig vorhandene
Kirche ist im zwölften Jahrhundert erbaut und 1148 eingeweiht worden.
Sie bildet ebenfalls einen basilikenartigen Bau, mit einem Querschiffe vor
dem Altarraum; doch werden hier die Arkaden des Schiffes bereits durch
kräftige Pfeilerstellungen gebildet, deren Kämpfer- und Fussgesimse auf
geschmackvolle und neubelebte Weise aus den Gliedern des attischen Säu-
lenfusses zusammengesetzt sind. Die Ueberwölbung der schmalen und
niedrigen Seitenschiffe gehört eben dieser Bauzeit an, das Schiff aber hatte
ursprünglich eine flache Decke. Eine wesentliche Veränderung wurde im
J. 1513 durch Meister Justus von Wittlich ausgeführt, indem der Chor-
schluss eine gothische Formation erhielt, das Schiff mit zierlich leichtem
Netzgewölbe bedeckt und auf der Mitte der Fronte ein eigenthümlicher
(ilockenthurm errichtet ward; in dem letzteren sind die byzantinischen
Formen der Fa^ade nachgeahmt, aber in einer bunten, brillant-phantasti-
schen Weise, etwa so, wie die Karthause bei Pavia erscheint. (Gewiss
ein seltenes Beispiel in der deutschen Baugeschichte!) Der oberste, flache
und mit freien Geländern versehene Abschluss dieses Thnrmes ist aber
erst im J. 1788, nach einem Brande, hinzugefügt; er ist in bunten, doch
nicht eben geschmacklosen Formen des Rococostyles gehalten und schliesst
sich wiederum dem Uebrigen ganz leidlich an. — Die Klostergebäude ge-
l)ören der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts an und enthalten ein
gleichmässiges Gemisch byzantinischer und gothischer Elemente.
In der Nähe der Matthiaskirche und in Verbindung mit ihr stand end-
lich noch eine kleine, dem heil. Maternus geweihte Kirche, welche im
.1. 979 errichtet war, im J. 1783 abbrannte und darauf völlig abgetragen
ist. Der Herausgeber hat auch von ihr, als Anhang zum Texte, Grund-
und Aufrisse nach einer alten Zeichnung der Kirche mitgetheilt. Sie war
eine einfache Kreuzkirche, ohne Seitenschiffe, mit einem Thurm über der
Durchschneidung des Kreuzes, und mit kleinen, halbkreisförmig überwölb-
ten Fenstern, — auch sie ein charakteristisches Beispiel für die Bau-
periode, der sie angehörte.
Gewiss wird ein Werk, wie das genannte, welches so gediegene Be-
lehrungen bringt, von den Freunden der deutschen Baugeschichte mit dem
grössten Beifall aufgenommen werden; wir sehen den Fortsetzungen desr
selben mit lebendiger Erwartung entgegen.
25 Berichte und Ki'itiken.
In dem alten Flügel der Burg, — denn ehemaligen „Palas", — zeigt
sicli noch zum grossen Theil die ursprüngliche Anlage, die, früher ver-
mauert und verdeckt, bei der gegenwärtig bevorstehenden Erneuung des
Schlosses wieder frei gemacht ist. Es ist die feine und geschmackvolle
Ausbildung des romanischen Baustyles, wie derselbe sich gegen 1200 ent-
wickelt; die Säulenkapitäle sind mit zierlichst geschmackvollen ornamen-
tistischen Sculpturen versehen. — Die Anlage ist ungefähr der des Kaiser-
pallastes von Gelnhausen vergleichbar. Die Fa^ade enthielt mehrere ofl^ne
Arkadengallerien übereinander; hinter den Gallerien lief in jedem Geschoss
ein schmaler Mauergang hin, und man schaute von diesem über eine nie-
dere Brüstungsmauer, auf der sich die Arkaden erhoben, hinaus. — Im
Erdgeschoss sind grössere Arkaden, doch nur, dem hier sich senkenden
Boden entsprechend, auf der rechten Seite des Gebäudes. Grüssere Halb-
kreisbögen, auf nach der Tiefe gekuppelten Säulen ruhend und durch
Pfeiler, an die sich Säulen lehnten, getrennt, umschlossen kleinere Bögen;
die letzteren wurden vermuthlich von je einer Säule getragen. "Wo der
Boden, ganz nach rechts zu, noch tiefer abfällt, befinden sich unter dem
Erdgeschoss einfache Souterrains. — Zu der Gallerie des zweiten Geschos-
ses führt eine äussere Freitreppe empor. Die vorhandene Treppe ist aus
neuerer Zeit, doch Avar ursprünglich, wie es scheint, wohl eine ähnliche
Anlage vorhanden. Im Inneren enthält das zweite Geschoss grosse geräu-
mige Waffensäle, deren Einrichtung etwa aus dem sechzehnten Jahrhundert
lierrührt, deren .Hauptbalken aber von schönen schlanken Säulen spätroma-
nischen Styles getragen werden. An diese Säle stösst die Kapelle, deren
Architektur, von minder edler Anlage, durch einen unkünstlerischen Um-
bau ebenfalls aus der Zeit des sechzehnten Jahrhunderts wesentlich ver-
ändert ist. Das zweite Geschoss wird im Aeusseren durch einen rundbo-
gigen Fries mit niederlaufenden Lissenen und ein Kranzgesims abge-
schlossen. — Das dritte Geschoss mit seiner kleineren Arkaden-Gallerie
scheint dem Uebrigen ein wenig später zugefügt. Die weiten Räume des
Inneren sind hier ohne Säuleu. Sehr eigenthümlich aber ist es, dass sich
hier jener hinter der Fa^ade hinlaufende Mauergang, wie nach aussen durch
die Gallerie, so nach dem Inneren durch äiinliche kleine Arkadenfenster
öffnet. Die Details sind hier einfach spätromanisch, ohne erhebliche Be-
sonderheiten.
An dem durch seine ganze Anlage eigenthümlich merkwürdigen Dome
sind vornehmlich drei charakteristisch verschiedene Bau-Perioden wahrzu-
nehmen.
Die erste Periode umfasst den grösseren Theil der Thürme und das
ursprüngliche Querschiff. Hier sehen wir spätromanische und übergangs-
artige Formen. — Diesen Bautheilen schliessen sich die älteren Theile des
Reisenotizen vom J. 1840. Erfurt. 27
Kveuzganges an, nemlicli die drei Arkaden auf der Ostseite desselben. Die
beiden ersten, nach der Kirche zu belegenen Arkaden sind in sehr zierli-
cher späfromanischer Weise, mit leichten Germanismen, gebildet. Die dritte
Arkade aber, obgleich mit den vorigen ganz zu einem Bau gehörig, zeigt
bereits mit Entschiedenheit primitiv germanische Formen.
Die zweite Periode ist die des stattlichen Chores, dessen Gründungs-
zeit die am Aeusseren befindliche Inschrift angiebt: „Incepta est hec
structura ]i{ujus) chori aiTo dni m" ccc® xlix" anuciaciois M« " Im Inneren
des Chores vornehmlich erscheint eine sehr edle Entwickelung des gothi-
schen Baustyles. Zwischen den Fenstern steigen Gurtträgerbündel mit
Blätterkapitälen empor. Das Einzelne hat noch strenge Formation. Das
Stabwerk der Fenster ist von reicher, doch nicht mehr recht elastischer
Composition.
Die dritte Periode ist die des Schilfes, aus dem fünfzehnten Jahrhun-
dert. Es ist, bei ungewöhnlicher und nicht regelmässiger Anlage, doch
durch sehr schöne Verhältnisse ausgezeichnet. Mittel- und Seitenschiffe
sind gleich hoch. Die Pfeiler, -welche die Schiffe trennen, (zweimal vier)
sind in der Grundform achteckig, mit starken Halbsäulen auf den Ecken;
auch hat die Mehrzahl der Pfeiler zwischen diesen Ecksäulchen nicht ge-
rade Flächen, sondern starke Einkehlungen. Die Erscheinung der Pfeiler
wird dadurch eigenthümlich reich uiul kräftig. Zugleich sind Jene Eck-
säulclien mit einfachen Kelchkapitälen versehen, was für den kräftigen Ge-
sammteindruck ebenfalls mitwirkt. Das Stabwerk der Fenster ist in diesem
'fheil des Domes buntgeschweift.
Notizen über einige Bildwerke und Schnitzaltäre zu Erfurt.
In der Predigerkirche:
Innerhalb des Lettners die Statue einer Madonna, aus Sandstein ge-
-ocr page 27-28 Berichte und Kritiken.
hauen uud bemalt, stehend, das Kind auf dem Arme, lu der geschweiften,
manierirten Stellung der Sculpturen des vierzehnten Jahrhunderts, sonst
aber in ausgezeichnet schöner Behandlung des germanischen Styles. Auch
das Nackte fein gefühlt.
Altarschrein aus der späteren Zeit des fünfzehnten Jahrhunderts. Im
Inneren Schnitzvverk, bemalt und vergoldet, auf der Aussenseite der Flügel
Gemälde. Schnitzwerk wie Bilder sehr handwerksmässig, nur auf ersteren
einige zartgefühlte weibliche Köpfe.
In der ßarfüsserkirche:
Grabstein der Gattin des Rud. Ziegeler, vom J. 1370. Höchst trefflich,
in feiner und edler Durchbildung des germanischen Styles,
Grabstein des Bischofs Albert von Weichlingen, vom J. 1371. Aelinlich
ausgezeichnet, dieser besonders auch durch die schon sehr individuelle Be-
handlung des Gesichts.
Arbeiten eines grossen Schnitzaltares, noch in den Typen des germa-
nischen Styles. Hauptdarstellung: die Krönung der Maria; zu den Seiten
Christi Geburt und Darstellung im Tempel, Auferstehung und Pfingstfest.
Ausserdem die zw^ölf Apostel. Reich, die Gewandung in weich germani-
scher Fassung, doch im Ganzen eine gewisse Starrheit des Gefühls. Die
Seitenreliefs untergeordnet. Auf den Aussenseiten der Flügel Gemälde von
Heiligen, Diese sind etwas bedeutender im künstlerischen Gefühl, wenn
auch einfach in der Anlage. Beachtenswerthe Nachfolge der Kölnischen
Schule,
In der Severinkirche:
Statue einer Madonna aus Sandstein, am Eingange des Chores; auf
der Plinthe der Name des Bildhauers: ,.Joh. Gerhart." Germanischer Styl.
Zwar ohne feinere Durchbildung, doch in dem Allgemeinen der Anordnung
nicht ohne Verdienst.
In der Reglerkirche:
Grosser Schnitzaltar, von Schorn mit Bestimmtheit dem Michael
Wohlgemuth zugeschrieben. Im Inneren zwölf Abtheilungen mit Relief-
darstellungen, welche Scenen der Geschichte des neuen Testamentes ent-
halten, Dazwischen kleine Statuetten von Heiligen. An der Staffel Reliefs
aus der Geschichte der heiligen Agnes. Oberwärts eine freistehende archi-
tektonische Krönung mit andern Heiligenstatuen. In dem Ganzen dieser
Arbeit ist, der Richtung Wohlgemuths allerdings entsprechend, ein Streben
nach Charakteristik und Individualisirung wahrzunehmen, auch linden sich
einzelne grossartige Gewandmotive. Im Uebrigen aber herrscht ein hand-
werksmässiges Element vor. — Auf den Flügeln vier grosse Gemälde auf
Goldgrund, Dornenkrönung, Geisselung, Erscheinung Christi und Pfingstfest.
Hier die Eigenthümlichkeit Wohlgemuths noch entschiedener sichtbar, als
bei den Schnitzwerken. Einige Kopie von der ihm eigenen idealen Schön-
heit; doch das Ganze durch seine grelle Charakteristik wenig erfreulich,
die Peiniger höchst Aviderlich. (Ob ganz sicher von Wohlgemutli?) — Auf
den Aussenseiten der Flügel gemalte Heiligengestalten; mehr Gesellen-
Arbeit ')•
') Notiz über die riügelgeinälde , nach ihrer im J. 1851 erfolgten Restan-
ration ; —
Vor den dargestellten Scenen, auf allen vier Bildern hinlaufend, ist eine
i^ettner-Architektm" grau in grau gemalt; unten schlanke Säuk'hen, Bildernischen
Reisenotizen vom .T. 1840. Conrad von Eimbeck zu Hallö.
Bildluiiifir zu Anfange des 15. Jahrhunderts in der Moritzkirche zu Halle.
Die in dieser Kirche befindlichen Arbeiten des genannten Meisters
tragen den allgemeinen Charakter der Zeit, mit einer gewissen Derbheit
ausgesprochen. Die Gewandung erscheint spätgermanisch und ist zum Theil
mit feiner Ueberlegung und Gefühl gearbeitet. Das Nackte zeigt eine sehr
entschiedene und im Einzelnen glückliche Natu:ralistik. Es sind folgende
Werke:
1. Hautrelieffigur des heil. Mauritius; darunter auf dem Postament die
knieende Gestalt des Kaisers Maximilian. Inschrift: A. CCCCXI i) Conra-
dus de Einbecke me perfecit. Kurzes, derbes Körperverhältniss, buntes
llitterkostüm der Zeit, mit Schellen am Gürtel. Hienach die volksthümliclie
Beneniuing der Figur: „der Schellenmoritz."
2. Christus an der Martersäule. Namens-Inschrift,
3. Kolossalstatue des Eccehomo mit sämmtlichen Passionszeichen. Die
Seitenwunde sehr tief; von da der Blutstrom zum Fusse hinab völlig wie
ein Flechtwerk. Im Uebrigen diese Figur wegen der eben erwähnten
Vorzüge besonders beaohtensvpertlf. Nach Dreyhaupt, Beschreibung des
Saalkreises (I. p. 1085) ursprünglich mit der Namens-Insclirift und der
Jahrzahl 1416.
4. Kleinere Mater dolorosa. Reliefartig; roher.
5. Kleines Relief der Anbetung der Könige. Etwas roh trecentistisch,
zugleich aber nicht minder naturalistisch. Namens-Inschrift.
tragend (mit kleinen Engelgestalten, ebenfalls grau in grau, die klagend oder mit
freudiger Geberde die Ilaupthandlung begleiten); die Nischen durch geschweifte
Bögen verbunden. Darüber eine Gallerte mit je sechs niederwärts zuschauenden
Personen (deren viele gekrönt sind, — also vielleicht Vorfahren der Maria), Am
obern Rande noch eine zweite Gallerie, ebenfalls mit kleinen (nicht grau in
grau gemalten) Engeln, Die Haupthandlungen sind im Allgemeinen gut dispo-
nirt. Die Körperlichkeit der Dargestellten aber ist kümmerlich und verzwickt,
im Nackten sehr unerquicklich, Hände und Füsse äusserst knöchern. Gelegent-
lich, bei bewegteren Gestalten , sind perspektivische Verkürzungen mit Absicht
augebracht, doch ist auch dergleichen nicht mit Glück durchgebildet. Streben
nach entschiedener Charakteristik, Bei Christus und besonders bei Maria, auch
einzelnen Jüngerköpfen, eine gewisse idealistische Richtung (der aber, bis
auf einen volleren Marienkopf, die Kümmerlichkeit des allgemeinen Gefühles doch
die Wage hält). Mit besonderem Rafllnement sind die ungehobelten, gemeinen
und ekelhaften Bildungen der Schergen behandelt; ebenso das gemein Nieder-
trächtige in ihrem "Ausdruck und das Gepeinigte in den Köpfen Christi auf den
ersten Bildern. In der Dornenkrönung wird ihm eine enggeflochtene, mit einem
Walde von laugen, dichten und dicken Dornen versehene Krone mit Hebebäumen
in Haut und Fleisch hineingepresst und deren Wirkung auf die Haut und der
krampfhafte Ausdruck seiner Züge mit Henker-Begeisterung wiedHrgegeben, Die
Farbe hat eine gewisse malerisch plastische Fülle. Die Behandlung ist durch-
Aveg handwerksmässig. Gelegentlich zeigt sich in einigem Nebensächlichen ein
feinerer Natursinn. — Auf den Aussenseiten des ersten und des letzten Bildes
,)e sechs Heilige, einfach statuarisch behandelt, in zwei Reihen unter rundbogigen
Arkaden.
') 1411.
29
30 Berichte und Ki'itiken.
Ucber die altdeutsche Kunst d er Hol zschni tz e r e i und über
einige Altarwerke in Halle.
(Allg, Preussische Staatszeitung, 1840, 2. August.)
Wenige Jahrzehnte sind es her, seit das Interesse für die Kunst des
deutschen Mittelalters neu erwacht ist: aber eine grosse Anzahl von Kunst-
werken hohen und höchsten Ranges ist in dieser kurzen Frist bereits aus
dem Dunkel, welches sie zu umhüllen schien, aufs Neue ans Licht getreten.
In den Domen und andern öffentlichen Gebäuden, die unsre Väter aufge-
führt, in den frommen Gemälden, mit denen sie dieselben geschmückt, ist
uns das Leben, welches jene ferne Zeit erfüllte, wiederum gegenwärtig ge-
worden. Gleichwohl ist uns auch bis heute noch gar Vieles unbekannt ge-
blieben, und ein jeder neue Schritt, den wir zur Untersuchung der Vorzeit
unseres Vaterlandes thun, führt uns zu neuen Entdeckungen, oft zu bedeut-
sameren, als mit welchen die mühseligen Reisen in fremde Welttheile be-
lohnt werden. Von der Höhe, welche die deutsche Sculptur im fünfzehnten
Tind sechzehnten Jahrhundert erreichte,«hatteu wir bis jetzt kaum eine Ah-
nung; eins ihrer Hauptfächer, so vielfache Beispiele auch in demselben
enthalten sind, ist nur erst in den seltensten Fällen gewürdigt worden.
Ich meine hiemit jene ganz eigenthümliche Kunst der Holzschnitzerei, welche
in Verbindung mit den Farben des Malers, die umfassendsten Altarwerke
hervorgebracht hat. Es scheint, dass diese Kunst vorzugsweise in Nord-
deutschland Ihre Blüthe erreicht habe. Fast überall, wo der Fanatismus
der Bilderstürmer nicht hingedrungen ist, finden wir hier grossartige Altar-
werke, Bilderschreine, die mit den Statuen heiliger Personen und mit leb-
haft bewegten Scenen der heiligen Geschichte angefüllt und zugleich mit
architektonischen Ornamenten von zierlichster Bildung geschmückt sind.
Die Gewänder dieser Figuren strahlen zumeist in goldnem Glänze, ihre
Köpfe sind durchweg auf eine wundersam zarte Weise bemalt; durch das
letztere Mittel erhalten sie eine Lebenfülle, eine Tiefe und Innigkeit des
Ausdruckes (ohne dabei nur im Entferntesten an die gespensterhafte Le-
bendigkeit der Wachsfiguren zu erinnern), dass wir unter allen Erschei-
nungen in der Geschichte der Kunst uns vergebens nach ähnlichen Leistun-
gen umsehen. Ein grosser Mittelschrein enthält in der Regel dieHauptdar-
stellung, bewegliche Seitenschreine bilden die Flügel; wenn diese geschlos-
sen sind, sieht man sie, oft auch noch ein zweites Flügelpaar, mit wirk-
lichen Gemälden geziert. Ein andres Gemälde oder Schnitzwerk bildet
insgemein den Untersatz des Ganzen, und über letzterem erheben sich mehr
oder weniger reich gestaltete, frei durchbrochene Baldachine, in denen wie-
derum geschnitzte Statuen enthalten sind.
Was literarisch über die Würdigung dieser Kunst-Gattung vorliegt,
ist bis jetzt äusserst gering. Ausser zwei Aufsätzen im „Kunstblatt" (der
eine von unserm Mitbürger, Herrn Professor Wach, 1833, No. 2, f., der
andre von Herrn Hofrath v. Schorn, 1836, No. 1, ff.) wüsste ich nur
eine kleine Schrift des letzteren zu nennen: „Ueber altdeutsche Sculptur,
mit besonderer Rücksicht auf die in Erfurt vorhandenen Bildwerke; ein
Vortrag, gehalten in der festlichen Versammlung der Königl. Akademie
gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, am 3. August 1838. (Erf. 1839)."
Reisenotizen vom J. 1840. Altarvverke etc, in Halle. 31
Die grössere Zahl der Bildwerke, welche Erfurt enthält, besteht in sol-
clien Schnitzaltären, die zugleich die verschiedenen Epochen der kunst-
historischen Entwickelung bezeichnen und zum Theil von vorzüglichem
Werthe sind; Hr. v. Schorn hat sich das Verdienst erworben, diese Punkte
mit grosser Klarheit und mit sichrer Kennerschaft zur Anschauung zu brin-
gen. Doch beschränken sich solche Arbeiten, wie oben angedeutet, keinös-
weges auf einzelne Punkte von Norddeutschland. Pommern z. B., ob-
gleich in der ersten, wie in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr-
iiunderts durch vieles Kriegsunglück verwüstet, bewahrt noch gegenwärtig
eine bedeutende Anzahl, zum Theil sehr werthvoller Schnitzwerke; das
grosse Altarwerk, welches dort in der Kirche von Tribsees erhalten ist,
gehört unbedenklich zu den ersten Zierden deutscher Kunst und steht, was
den Kunstwerth anbetrilTt, in der That etwa mit dem berühmten Dombilde
von Köln auf gleicher Stufe. Der Unterzeichnete hatte im vorigen Jahre
Gelegenheit, die Kunstalterthümer von Pommern genauer zu untersuchen-,
es werden sich über dieselben an anderm Orte die ausführlichen Mitthei-
lungen vorlegen lassen.
Sei es mir hier vergönnt, die Aufmerksamkeit der Leser dieses Blat-
tes auf einige vortreffliche Altarwerke zu leiten, die sich in Halle befin-
den und die ich kürzlich kennen zu lernen das Glück hatte. Vorzüglich
bedeutend ist hier das grosse, neuerlich gereinigte Altarwerk, in der Ul-
riclis kirche. Dasselbe enthält im Mittelschrein Christus und Maria, auf
einem Throne sitzend, den ersteren in der Geberde des Weltrichters, die
letztere als Fürbitterin am Tage des Gerichts; auf jeder Seite steht ein hei-
liger Bischof; auf dem Flügel zur Linken stehen (ebenfalls als geschnitzte
Statuen) zwei weibliche, auf dem zur Rechten zwei ritterliche männliche
Heilige. Die äussern Seiten dieser Flügel und die inneren eines zweiten
Flügelpaares enthalten gemalte Darstellungen aus der Geschichte der Ge-
burt des Erlösers; auf den äusseren Seiten des letzteren sind die Gestalten
der 4 Kirchenlehrer gemalt. Ein reicher Tabernakelbau mit kleineren Sta-
tuen krönt das Werk; seinen Fuss bildet ein Gemälde mit den Brustbildern
weiblicher Heiligen. Auf einem der Flügelgemälde findet sich, die Zeit des
Werkes bestimmend, die Jahrzahl 1488. Die Malereien sind in derbtüch-
tiger Weise, etwa im Charakter der westphälischen Schule jener Zeit, aus-
geführt. Die Schnitzwerke sind höchst bedeutend; ihr Styl ist dem der
Gemälde angemessen und zugleich für plastische Wirkung vortrelflich durch-
gebildet. Naturwahrheit ist in ihnen mit Glück erstrebt, zwar nicht bis
ins feinste Detail hinein durchgeführt, dies aber durch die leicht stylisirte
Bemalung (im Nackten) auf bedeutsame Weise ergänzt. Höchst trefflich
und würdig erscheinen besonders die beiden heiligen Bischöfe des Mittel-
schreines , sowohl was die grossartig statuarische Anlage anbetrifft, als in
Bezug auf Charakter und Ausdruck; Aehnliches ist auch von den Statuen
der beiden weiblichen Heiligen zu sagen. Der Eindruck des Ganzen ist
klar und harmonisch. Auffallend und diesen Gesaramt-Eindruck allerdings
störend, ist es nur, dass man bei der neuerlichen Kestauration den äusseren
Flügeln eine ungehörige Stellung (neben der Hinterseile des Mittelschrei-
nes) gegeben hat; auch hat man es unterlassen, die Rückseiten der letzte-
') Ueber die Bildschnitzerei im südl. Deutschland, und zwar in Schwaben,
haben wir so eben sehr wichtige Beiträge erhalten, in der von C. Grüneisen
und E. Manch herausgegebenen Schrift: „ülm's Kunstleben im Mittelalter."
32 Berichte und Kritiken.
ren, die Bilder der Kirchenlehrer, deren Malerei keinesweges schlecht ist,
gleich den übrigen zti reinigen. —
Ein eigenthümlich zierliches Schnitzwerk späterer Zeit ist die in der
Ulricliskirche befindliche Kanzel, vom J. 1588. Sie ist in dem heileren
Style der Renaissance reich durchgebildet und mit verschiedenen Reliefs,
Scenen der heiligen Geschichte darstellend, geschmückt. Der Grund ist
Aveiss, die Zieraten sind vergoldet. Auch die Werke solcher Art sind für
die spätere Zeit der Blüthe deutscher Kunst, die bald durcli den dreissig-
jährigen Krieg zu Grabe getragen werden sollte, sehr bezeichnend. In
Pommern habe ich ebenfalls mancherlei Bedeutendes in dieser Weise ge-
funden.
Ein andres Altarwerk sieht man in der N eumarkt (oder Laurenti-
Kirche zu Halle. Dies scheint unter dem Einflüsse jenes grossartigeren
der Ulrichskirche entstanden zu sein; die Anlage in Schnitzwerken und
Gemälden gehört demselben Style an, hat im Einzelnen wiederum manches
Verdienstliche, ist jedoch im Ganzen nicht geeignet, mit jenem auf gleiche
Stufe gestellt zu werden. — Ein drittes Werk des Mittelalters befindet
sich über demAltar der M o r it zkirch e. Auch dies ist ein mit geschnitz-
ten Statuen ausgefüllter Sclirein, über dem sich ein zierlich gebildeter Taber-
nakelbau frei erhebt. An den Flügeln ist hier aber kein Schnitzwerk; sie
sind dreidoppelt und auf jeder Seite mit den lebensgrossen Gestalten hei-
liger Personen bemalt. Das Schnitzwerk des Mittelschreines ist wiederum
der Beachtung keinesweges unwerth, das Hauptinteresse beruht hier indess
in jenen Flügelgemälden, in denen sich ein sehr eigenthümlich gebildeter,
noch etwas alterthümlicher Meister ankündigt. Die grossartigen, oft weich
gezogenen Linien der Gewandung, die scliönen stillen Gesichter der Heili-
gen, besonders der Weiber, dabei die besondre nationeile Bildung der
Köpfe, geben diesen Gemälden einen ganz eignen Reiz. Die Technik ist
zwar noch streng, die Zeichnung scharf, doch fehlt es im Einzelnen nicht
an genügender Durchbildung und Modellirung.
Endlich ist noch das grosse Altarwerk zu erwähnen, welches sich über
dem Altar der Frauenkirche zu Halle, der sogenannten Marktkirch e,
befindet. Dies Werk gehört zwar nicht dem Kreise der Schnitzarbeiten an ;
d^ indess die Gemälde, aus denen dasselbe besteht, in mehrfacher Bezie-
hung ein bedeutendes Interesse gewähren und da ihrer bisher in den Lehr-
büchern der Kunstgeschichte kaum gedacht ist, so mag es wohl nicht un-
passend sein, hier einige Worte über dasselbe beizufügen. Es ist ein Werk
von der Hand des Lucas Cranach (des Vaters), nach der Dreyhaupt'-
schen Chronik im J. 1528 gemalt, eins der merkwürdigsten und ohne Zwei-
fel das grossartigste unter den Altarblättern, die man von ihm besitzt. Auf
dem Mittelbilde sieht man, überlebensgross, die h. Jungfrau mit dem
Kinde, von einem Halbmonde (dem Wappenbilde der Stadt Halle) getra-
gen; hinter ihr ist Goldgrund, von Wolken umgeben, aus denen Engels-
köpfe hervorschauen; oberwärts J zu jeder Seite, erscheinen zwei ganze
Die Ulrichskirche enthält ausserdem ein bronzenes Taufbecken vom Jahr
1435. Es trägt die Inschrift: Anno domini MCCCCXXXV me Ludolfus van
Brunsvic unde sin sone hinrik geghoten to Magdeborch. Das Becken ruht auf
den Figuren der vier Evangelisten und ist mit Reliefs geschmückt, welche Chri-
stus, Maria und die zwölf Apostel vorstellen, in derben, kurzen Formen des ger-
manischen Styles, zum Theil aber in schöner Stylistik, besonders was die Ge-
wandung betrifft.
Rüisenotizon vom .1, 18iO, Altarwerke fetc. in Halle.
Kngelgestalteii. Unterwärts zur Linken kniet anbetend, wiederum überle-
l)ensgross, der berühmte Kardinal Albrecht von Brandenburg, Kurfürst von
Mainz etc. Die Flügelbilder, die das Mittelbild einschliessen und mit de-
nen zusammen jenes erst als ein Ganzes erscheint, enthalten ein jeder die
gleichfalls colossale Gestalt eines ritterlichen Heiligen, in siegreich fort-
schreitender Stellung, eine aufgerollte Fahne tragend; der zur Linken, in
reichgeschmückter Rüstung, ist der heil. Mauritius; der zur Rechten, der
einem zu Boden geworfenen Kaiser (einem der Christenverfolger) den Fuss
auf die Brust setzt, scheint den h. Georg vorzustellen. Die Gestalten stehen
in erhabener, feierlicher Ruhe da; Maria erscheint wahrhaft als Königin^
des Himmels; und der goldne Grund dient sehr entschieden, sie auch in
weiter Ferne dem Auge bedeutsam entgegenzuführen. Formen und Behand-
lungsweise sind zwar überall die des genannten Meisters., doch erscheinen
sie hier durchaus in würdigster Fassung. Unter dem Mittelbilde findet
sich ein hohes Untersatzbikl, welches eine Reihe von Flalbfiguren, etwas
unter Lebensgrösse, enthält: Maria mit dem Kinde und die vierzehn Noth-
helfer; im Gegensatz gegen die Majestät der Hauptbilder entwickelt sich
hier die ganze, dem Cranach eigenthümliche Anmuth. Uebrigens sind ge-
genwärtig von den Flügelbildern des Altarwerkes nur jene, eben bespro-^
chenen inneren Seiten sichtbar; der Dreyhaupt'schen Chronik zufolge aber
waren die Flügelbilder dreidoppclt und auf jeder Seite bemalt. Einen der
äusseren Flügel sah ich in der Sakristei zurückgestellt; er enthält die, wie-
derum überlebensgrosse Gestalt des Engels, welcher der (auf dem corres-
pondirenden Flügelbilden zu suchende) h. Jungfrau den himmlischen Gruss
bringt— Die Kirche, in der sich das grosse Werk befindet, verdankt,
wie das Gemälde, ihre Entstehung dem lebendigen Kunstsinn des Kardinals
Alhrecht; sie wurde im J. 1529 erbaut und bildet eins der würdigsten und
lautersten Beispiele aus der letzten Nachblüthe der gothischen Baukunst in
Deutschland. Kirche und Altarbild machen somit ein Ganzes aus , und
wohl mögen die Nachkommen zu dem Bilde des Stifters, eines der Vor-
fahren unsres erhabenen Königlichen Hauses, mit dankbarer Verehrung
emporblicken; hat ihn die Geschichte früher, von Partei-Interessen-befan-
gen, zwar mannigfach verkannt, so wird gegenwärtig eine vorurtheilslose
Anschauung seines Lebens und Wirkens auch seine grossen Verdienste und
die edle Milde seines Charakters gewiss nicht vergessen lassen. Und wohl
mag die Stadt, die er liebte und deren Hauptkirche dies Werk als ihr höch-
ster Schmuck ziert, stolz darauf sein, dass das eigne Wappenbild hier als
Träger der himmlischen Gnade (wenn auch in der Anschauungsweise jener
Tage) erscheint. Hoffentlich wird jetzt, wie die Kirche selbst neuerlich
gereinigt und restaurirt ist, so auch das Bild von dem Schmutz der ,Jahr-
hunderte, der noch darauf liegt, bald befreit werden; dann wird dasselbe,
— denn es scheint durchaus unverletzt zu sein, — den heiligen Raum in
seiner ganzen Farbenpracht, die Cranach eigen ist, und die er hier mit be-
sondrer Vorliebe entwickelt zu haben scheint, durchleuchten.
') Nach späterer Auffassung wären die_ Bilder, welche die eigentliche innere
Darstellung des Altarwerkes ausmachen, von Matthäus Grunewald gemalt,
der Vieles für den Kardinal Albrecht fertigte und den man für einen Mitschüler
des älteren Cranach oder selbst für dessen Lehrer zu halten nicht abgeneigt ist,
I>ie äusseren Seiten der inneren Flügel und die inneren Seiten der äusseren
Ungel sollen dann von Cranach, die äusseren Seiten der letzteren von einem
geringeren Schüler Grunewalds herrühren.
Kujlcr, Kleine Schriften. II. 3
4
-ocr page 33-34 Berichte und Kritiken.
Ueberhaupt aber mag eine Stadt wohl gerühmt und glücklich geschätzt
werden, die so mancherlei hochbedeutsame Werke aus den Tagen der Vor-
zeit unversehrt und an ursprünglicher , angemessener Stelle erhalten hat;
da findet der Sinn der Nachkommen eine feste Stütze, sich würdig aufzu-
erbauen, einen lebhaften Anreiz, auch die Gegenwart auf gleiche "Weise
würdig zu gestalten '),
Bemerkungen über die Kirche von Paulinzelle.
(Neue Mittheihingen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen, heransg.
von dem Thüriiig, Sachs. Verein für Erforschung des vaterl. Alterthums. Bd. II,
lieft I, 1841.)
Die Kirche des Klosters Paulinzelle im Thüringer Walde, gegenwärtig,
wie bekannt, eine überaus malerische Ruine, bildet ein wichtiges Beispiel
für die Anschauung des altern romanischen (oder byzantinischen) Styles
der deutsch-mittelalterlichen Architektur. Sie zeichnet sich durch einige
besondre Eigenthümlichkeiten der Anlage aus, für deren nähere Betrach-
tung icli die Aufmerksamkeit der Leser auf einige Augenblicke in Anspruch
zu nehmen wage. In Rücksicht auf die historischen Verhältnisse des Klo-
sters beziehe ich mich hiebei auf die Notizen, welche die treffliche „Ge-
schichte des Klosters Paulinzelle, von Dr. L. F. Hesse" (Rudolstadt, 1815) 2)
enthält.
Das Gebäude zerfällt in zwei verschiedene Theile. Der eine ist die
eigentliche Kirche, der andere eine geräumige Vorhalle, welche an der
Vorderseite der Kirche in beträchtlicher Ausdehnung vortritt. Was zunächst
die Kirche selbst anbetrifft, so hat diese die Gestalt einer reinen Basilika:
— derjenigen Bauform, die, aus antiken Elementen hervorgegangen, in der
altchristlichen Kunst ihre eigenthümliche Ausbildung erhielt und die spä-
ter (nächst Italien) vornehmlich in Deutschland häufig zur Anwendung ge-
kommen ist. Säulenreihen trennen das Mittelschiff von den Seitenschiffen;
sie sind durch Halbkreisbögen verbunden, welche die erhöhten Mauern des
Mittelschiffes tragen; sämmtliche Räume, mit Ausnahme der (jetzt zumeist
zerstörten) Altarnischen, hatten eine flache Bretterdecke. In der Mehrzahl
der deutschen Basiliken wechseln viereckige Pfeiler mit Säulen, oder es
sind statt der letzteren allein Pfeiler angewandt; die hier erscheinende,
ursprüngliche Einrichtung der reinen Säulenreihe ist dagegen nicht sonder-
lich häufig, und ich wüsste als entsprechende Beispiele nur den Dom zu
Constanz, die Kirche des Klosters Petershausen bei Constanz, den Münster
zu Allerheiligen in Schaffhansen,, die Kirche des heil. Georg zu Hagenau
im Eisass, die Aureliuskirche des Klosters Hirschau in Schwaben, die
Obiger Aufsatz war mit der Nebenabsicht geschrieben, dahin zu wirken,
dass das zuletzt erwähnte grosse Altarwerk seiner ursprünglichen Stelle erhalten
bleibe. Es hat aber doch einem modernen Gemälde— von J. Hübner — wei-
chen müssen. — Zu vergleichen sind damit die aus Chroniken und Urkunden
genommenen Berichtigungen und Ergänzungen in Hesse's Beiträgen zur Ge-
schichte des Mittelalters I., 2. (Hamburg 1836) Anhang, S. 337. mit einer An-
sicht der Klosterruine. (Anm. der Redaction.)
Bemerkungen über die Kirche von Paulinzelle.
Schottenkirche zu Regensburg, die Kirche des Klosters Heilsbronn in Fran-
ken, die Kirclie St. Jakob zu Bamberg und die Kirche auf dem Moritz-
berge zu Hildesheim zu nennen, — Alles Gebäude, die theils aus der spä-
tem Zeit des 11-, zumeist aber aus dem 12. Jahrhundert herrühren, wenn
sie auch in der Folge manche Veränderungen erlitten haben. Die Säulen
der Paulinzeller Kirche haben ein schlankes Verhältniss; dabei aber sind
ihre (in der attischen Form gebildeten) Basen sehr schwer, ebenso auch die
Kapitale, welche sämmtlich in der einfachen "Würfelform gebildet und mit
sehr einfacher Verzierung versehen sind. Doch hat das Deckgesiras über
den Kapitalen eine geschmackvolle Gliederung; auch bringen die Gesimse,
die an der Wand über den Säulen emporsteigen und die jene Halbkreis-
bögen rechtwinklig einschliessen, einen ansprechenden Eindruck hervor.
Die letztgenannten Gesimse haben die bekannte würfelartige Verzierung.
Historischer Nachricht zufolge wurde die Kirche um das J. 1105 ge-
baut; ich finde keinen Grund, den Bezug dieser Bauzeit auf das noch vor-
liandene Gebäude irgend zu bezweifeln. Sehr wiclitig ist hiebei das Ver-
hältniss von Paulinzelle zu dem schwäbischen Kloster Hirschau, von wo
die ersten Aebte und Mönche nach Paulinzelle kamen; namentlich ist zu
bemerken, dass der erste Abt von Paulinzelle, Gerung, als im J. 1092 die
Conventualen zu Hirschau in das dortige neue Peterskloster einzogen, als
Prior nebst zwölf Mönchon in dem älteren Aureliuskloster zurückgeblieben
war. Die Gebäude von Hirschau dürften also das Vorbild zu denen von
Paulinzelle gegeben haben. Leider sind die Anlagen des Klosters sehr
zerstört. Erhalten ist zunächst nur ein Theil der Aureliuskirche, welcher Säu-
lenreihen von ähnlicher Beschaffenheit, wie die von Paulinzelle, zeigt, nur
mit dem Unterschiede, dass die Schäfte der Säulen hier ungleich kürzer
und stämmiger, auch die Deckgesimse über ihren Kapitälen einfacher ge-
bildet sind. Der erste Bau dieser Kirche wurde im J. 838 vollendet; im
J. 1003 aber wurden die Mönche daraus vertrieben, und das Kloster stand
63 Jahre leer, bis es im J. 1066 neu bevölkert, in seinen Baulichkeiten
wiederhergestellt, und die Kirche im J. 1071 neu geweiht wurde. Den
letztgenannten Jahren ist unbedenlclich der erhaltene Rest der Aurelius-
kirche zuzuschreiben; ihn für einen Theil des Baues vom J. 838 zu hal-
ten, widerspricht vornehmlich der Umstand, dass an der Formenbildung
seiner Theile nichts mehr vorkommt, was eine direkte Nachwirkung der
Bauweise des classischen Alterthums, die wir in der karolingischen Periode
noch mit zuversichtlicher Bestimmtheit annehmen müssen, verriethe. Spä-
ter aber kann jener Rest der Aureliuskirche auch nicht sein^ da schon im
J. 1083 die Lage des Hiischaiier Klosters verändert, dasselbe erweitert und
eine neue Kirche, die Peterskirche, erbaut wurde, welche man im J. 1091
einweihte. Von dieser Kirche haben sich, mit Ausnahme eines Thurmes,
nur formlose Trümmer erhalten; doch geht aus den letzteren wenigstens
hervor, dass sie im Innern nicht Säulen, sondern Pfeiler hatte. Die Au-
reliuskirche gab somit das Vorbild für die von Paulinzelle, und es kann
dies, bei dem angegebenen näheren Verhältnisse des Abtes Gerung zu der-
selben, auch nicht weiter befremden. Zugleich aber dient die Ueberein-
stimmung zwischen diesen beiden Kirchen noch zu einer weiteren Bestäti-
gung der obigen Angabe über die Bauzeit der Aureliuskirche (denn jeden-
falls werden die Werkmeister doch in dem Style ihrer Zeit gearbeitet,
niclit aber einen um mehrere Jahrhunderte älteren nachgeahmt haben);
35
c
w
36 Berichte und Kritiken.
die grössere Einfacliheit der Aureliuskirclie aber wird dabei durch den
Zwischenraum von 30—40 Jahren genügend erklärt').
Fast noch interessanter als die eigentliche Kirche von Paulinzelle ist
jener schon erwähnte ausgedehnte Vorbau an ilirer Vorderseite. Dieser
gehört jedoch nicht der ursprünglichen Anlage an, sondern ist, wie sich aus
äusseren unzweideutigen Kennzeichen erglebt, sammt dem brillanten Por-
tale, welches aus ihm in die Kirche führt, erst später angefügt worden.
Dms Portal hat an seinen schrägen Seitenwänden je vier schlanke freistehende
Säulen, deren Kapitale, in ihrer Ilauptform denen der Kirche ähnlich, mit
phautasUschen Figuren verziert, doch auch noch roh gearbeitet sind. Dar-
über erhebt sich der vielfach gegliederte Halbkreisbogen, der das Portal
überwölbt und dessen Formation auf die spätere Zeit des romanischen Sty-
les hindeutet. Die Vorhalle selbst besteht aus einem Mittelschiff mit zwei
Seitenschiffen, ähnlich denen der Kirche, die hier aber nicht durch Säulen-,
sondern durch Pfeilerstellungen getrennt werden. Auf jeder Seite stehen
zwei Pfeiler zwischen den entsprechenden 'Wand])feilern. Begrenzt wurde
die Halle durch zwei starke viereckige Thürme auf den anderen Ecken, von
denen aber nur noch der eine erhalten ist. Die Pfeiler der Halle sind vier-
eckig, mit in die Ecken eingelassenen Stäben und Halbsäulchen, — eine
Bildungsweise, die wiederum der spätromanischen Bauzeit entspricht und
z. B. an den Kirchen von Bürgeln und Wechselburg in Sachsen wieder-
kehrt; die Halbkreisbögen über den Pfeilern haben dieselbe Gliederung,
lieber den letzteren, der Höhe des Portales entsprechend, läuft ein, aus ein-
fachen Rundstäben bestehendes Gesims hin. Dies diente, wie sich aus noch
vorhandenen Balkenlöchern aufs Deutlichste ergiebt, einer Balkendecke zur
Unterlage, so dass mithin die Vorhalle eine, im Verhältniss zur Kirche nur
geringe Höhe hatte und dass über derselben, wie die weiter emporsteigen-
den und mit Fenstern versehenen Mauern bezeugen, eine obere Halle an-
geordnet war. Aus letzterer öffnete sich eine kleine Arliadenreihe, welche
oberhalb des Portales hinläuft, nach dem Inneren der Kirche.
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Ii' ^
In der, von Hrn. Direktor Ranke und mir verfassten „Geschichte und
Heschreibung der Schlosskirche zu Quedlinburg" etc. habe ich Gelegenheit
gehabt, eine Reihe von älteren, am Nordrande des Harzes belegenen Basi-
liken zu besprechen ; ich bin dabei zu der Bemerkung veranlasst worden,
dass die Anlage einer Loge auf der Westseite der Kirche, gegen das Innere
derselben durch Arkaden geöffnet, als ein integrirender Theil dieser Bauten
betrachtet werden muss. Doch habe ich überall diese Loge nur als einen
Bautheil von verhältnissmässig geringer Tiefe (etwa der Breite der Seiten-
schiffe gleich oder doch nur wenig breiter) befunden. Die Anlage einer
Loge von so bedeutender Ausdehnung dagegen, wie die obere Halle vor
der Kirche von Paulinzelle zeigt, muss nothwendig aus ganz besonderen
Bedürfnissen hervorgegangen sein. Ich meine indess, den Grund in den
Verhältnissen des Klosters gefunden zu haben. Es war zugleich ein Mönchs-
und ein Nonnenkloster, und die Kirche diente beiden zur Abhaltung des
Gottesdienstes. Wie aber häufig genug bei so bedenklichen Einrichtungen
geschah, wird man ohne Zweifel aucli hier die Gemeinschaft der Mönche
>t
'j Vgl, den Aufsatz von Krieg v. Hochfelden über „die alten Gebäude im
ehemaligen Kloster Hirschau," in Mone's Anzeiger zur Kunde der teutschen
Vorzeit, 1835, S. 101 IT.; 259 ff. und die dazu gehörigen Tafeln. (Der Verf.
nimmt übrigens keinen Anstand, die Keste der Aureliuskirche noch dem J. 839
zuzuschreiben.)
Ueber den Königsstubl von Rheiise, 37
*
und Nonnen in einem und demselben Räume mit einer guten Kirchenzudit
für unvereinbar gehalten und somit darauf Bedacht genommen haben, den
letzteren ihren besonderen, zurückgezogenen Platz anzuweisen. Hiezu gab
eine, nach Art jener Loge, aber geräumiger eingerichtete Emporkirche, die
ihren besonderen Zugang haben konnte, die durch die oben genannte Ar-
kade mit dem Inneren der Kirche in Verbindung stand und somit das
Anhören der Messe gestattete, gewiss die beste Gelegenheit. Was die un-
tere Halle anbetrifft, so wird auch diese wohl kein müssiger Schmuck ge-
wesen, sondern ebenfalls für praktische Zwecke benutzt worden sein. Die
Kirchenzucht erforderte solche Vorräume, für diejenigen sowohl, welche
noch nicht völlig in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen, als für die,
welclie für längere oder kürzere Zeit aus derselben ausgestossen waren.
Bei den alten christlichen Basiliken waren diese Theile ein wesentliches
Xul)ehör; auch im Verlauf des Mittelalters finden sich anderweitig mehrere
Beispiele derselben.
Für die Zeit des besprochenen Anbaues sind die Eigenthümlichkeiten
seiner Formation, welche auf die späteren Jahre des zwölften Jahrhunderts
deuten, hinlänglich bezeichnend/^ Ohne Zweifel fällt er in die Regierung
des dritten Abtes, Gebhard, 1163—1195, der sich besondrer Auszeichnun-
gen zu erfreuen hatte und namentlich das Vorrecht des Tragens der Inful
(M'hielt. Die reichere Ausbildung der in Rede stellenden Bautheile, na-
mentlich des Portales, welches ein gewisses Bewusstsein höherer Würde
v(!rräth, scheint mit s,o ausgezeichneten Lebensverhältnissen zugleicl) wohl
in IJebereinstimmuug zu stehen.
Ueber den Königsstuhl von Rhense.
(Allg. Preuss. Staats-Zeitung, 1841, 13. Januar)
Die Kunde, dass in Koblenz eine Gesellschaft zusammengetreten ist,
mit der Absicht, den alten Königsstuhl von Rhense neu zu bauen und
durch solches Unternehmen der Mit- und Nachwelt ein Zeugniss deutscher
Gesinnung aufzustellen, hat allgemeines Interesse erregt; es dürfte hier
wohl am Orte sein , über jenes merkwürdige Denkmal deutscher Vorzeit
einige nähere Angaben, soweit es die vorhandenen Hülfsmittel gestatten,
vorzulegen.
Das Städtchen ilhense, eine kurze Strecke oberhalb Koblenz am Rhein
gelegen, war in alter Zeit der Ort, an welchem die Kurfürsten des Reiches
sich zu den wichtigsten Berathungen, namentlich zu denen über die Wahl
des Römischen Königs (des nachmaligen Kaisers), versammelten, Rhense
schürte dem Kurfürsten von Cöln; die drei aiidern Rheinischen Kurfür-
sten, die von Mainz, Trier und von der Pfalz, hatten Besitzungen in
folchcr Nähe des Ortes, dass sie in ilirem Eigenthum die Trompete des
Heroldes, der sie zur Versammlung berief, vernehmen konnten. In einem
Haumgarten vor der Stadt, aus hohen. Nussbäumen bestehend, hielten sie
iiire Berathungen; dort ward der Königsstuhl gebaut, eine hohe Tribüne,
auf welcher sie, unter freiem Himmel und im Angesichte des Volkes, zu-
38 Berichte und Kritiken.
•
sammenkanion. Es war ein aclitseitiger Bau, etwas über 15 Fuss hoch
und 23V2 Fuss breit. Acht freistehende Pfeiler und eine Säule in der
Mitte trugen das spitzbogige Gewölbe, über dem sich die Sitze der sieben
II Kurfürsten erhoben; diese nahmen sieben Seiten des Achtecijs ein, wäh-
IP rend auf der achten eine Treppe emporführte. Das Bauwerk war ein
H Denkmal alter national-deutscher Sitte. Unter freiem Himmel, unter Bäu-
men wurden in der Frühzeit der deutschen Geschichte die Versammlungen
des Volkes gehalten; auf steinerner Bühne stand derjenige, welcher zum
Ii'. Volke zu sprechen hatte. Hier aber erscheint die Bühne in der Form,
|| welche die christliche Kunst, in den Ambonen der Kirche, als ein von
|j|f Säulen oder Pfeilern getragenes Gerüst, ausgebildet hatte,
ir Die erste Erwähnung von den Versammlungen der Kurfürsten zu Rhense
Ii' findet sicli im Jahre 1308; indess wird dabei ausdrücklich bemerkt, dass
|! sie, was den genannten Ort anbetrifft, auf alter Sitte beruhten. Meh«>-
fach wiederholen sich dieselben im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts;
i ; vornehmlich berühmt ist unter ihnen die Versammlung des Jahres 1338,
welche den Kur-Verein von Rhense, die Freiheit der Wahl gegen fremd-
|f' herrische Anmaassungen zu sichern, gründete. Doch wird dabei zumeist
nur des „Baumgartens" bei Rhense, nicht aber des Königsstuhles gedacht,
ä Ob eine Tribüne ähnlicher Art vor dem Jahre 1376 vorhanden gewesen,
^ ist nicht zu sagen; von diesem Jahre wird (ohne Zweifel auf den Grund
j urkundlicher Bestimmung) berichtet, dass damals Kaiser Karl IV. den Bau
I'. befohlen habe. Dies ist dasselbe Jahr, in welchem die Kurfürsten eben-
daselbst den Sohn des Kaisers, Wenzel, zum römischen Könige erwählt
hatten. Vorzüglich bedeutsam erscheint der Königsstuhl im Jahre 1400,
nachdem man Wenzel abgesetzt hatte; die Wahl Ruprechts von der Pfalz
war es, die nunmehr zu höchst feierlicher Benutzung der Tribüne Anlass
gab; der neugewähltc König selbst wurde dort dem versammelten Volke
dargestellt und empfing, auf dem Königsstuhle stehend, die Huldigung.
Später verschwindet allrnählig die höhere Bedeutung des Ortes. Kaiser
Maximilian 1. ward nur vorübergehend, als er zur Krönung nach Aachen
reiste, auf den Königsstuhl geführt; bei der Wahl Maximilians II. gedachte
man noch der altherkömmlichen Sitte, fand indess ihre Befolgung nicht
mehr für nöthig. So darf es nicht befremden, wenn die Sorge für die
Erhaltung des Denkmals allrnählig nachliess. Die Bürger von Rhense, denen
Karl IV. den Bau aufgetragen, hatten für seine Unterhaltung zu sorgen;
dafür erfreuten sie sich mannigfacher Begünstigungen, die ihnen auch noch
im Jahre 1521 bestätigt wurden. Hundert Jahre später aber war der Kö-
nigsstuhl bereits so verfallen, dass man seinen Umsturz befürchtete; eine
Erneuung, die im Jahre 1624 stattfand, rettete ihn noch für die kommen-
den Generationen. Ueber seine ferneren Schicksale, bis auf seinen Unter-
gang, liegen keine näheren Angaben vor. Unter der französischen Herr-
schaft, im Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts, wurde er abgebrochen.
Ein Paar unbedeutende Denksteine unter hohen Nussbäumen, zur Seite der
jetzigen Chaussee, bezeichnen die Stelle, wo er einst stand.
Ueber die künstlerische Ausbildung, in welcher der Königsstuhl er-
schien, haben wir leider keine nähere Kunde. Was oben von seiner Form
gesagt wurde, gründet sich auf die Beschreibungen, die sich in älteren
topographischen Schriften vorfinden j einige derselben enthalten rohe Ab-
bildungen des Denkmals, doch ist aus den letzteren auch nicht viel mehr
zu entnehmen. In einem Gehöft zu Rhense finden sich einige Theilc der
fi
Ueber den Königsstubl von Rbense, 39
mittleren Säule, in einem andern sieben Kapitälgesimse, in Kellerpfeiler
vermauert, sowie auch einige sehr einfache Sockel; diese sollen von den
Pfeilern des Königsstuhls herrühren und bei dessen Abbruch an ihre jetzige
Stelle gebracht sein. Die genannten Stücke würden für den Neubau des Denk-
mals von grossem Werthe sein, hätte ihre Form, namentlich die der erwähnten
Kapitälgesimse, nicht etwas sehr Befremdliches. Sio scheinen mehr auf eine
missverstandene Nachahmung der Antike zu deuten, als dass sie den aus-
gebildeten gothischen Formen des vierzehnten Jahrhunderts entsprächen.
Sie könnten also, dem Entwicklungsgänge der deutschen Baukunst gemäss,
möglicher Weise an die ältere Bauperiode um das Jahr 1200 erinnern; da
aber, dem Obigen zufolge, nicht anzunehmen ist, .dass das Denkmal in so
früher Zeit entstanden sei, so sieht man sich genöthigt, die genannten Bau-
stücke einer späteren Zeit, und zwar jener Erneuung des Jahres 1624 zu-
zuschreiben. Es ist somit auf sie bei der jetzigen Wiederherstellung, — da
man doch den alten Königsstuhl des vierzehnten Jahrhunderts, und nicht
dessen Restauration im siebzehnten, im Auge hat, — nicht füglich Rück-
sicht zu nehmen; und dies um so weniger, als ihre Benutzung oder Nach-
bildung zugleich die Anwendung schwerer viereckiger Pfeiler und unge-
gliederter Bögen, die bekanntlich in den Formen der gothischen Archi-
tektur eine sehr unschöne Wirkung machen, mit sich führen würde.
Es ist nach alledem, wie es scheint, unmöglich, ein Facsimile des
alten Denkmals aufzuführen, und es wird die besondere Ausbildung des
neuen — abgesehen von jenen allgemeinen Bestimmungen der Anlage —
der künstlerischen Phantasie überlassen bleiben. Manch Einer könnte
somit die Ansicht aufstellen, dass unter diesen Verhältnissen der Neubau
überhaupt überflüssig sei. Das möchte indess eine gar engherzige Meinung
sein. Denn nicht um das Detail der Form handelt es sich hier, sondern
um die Bedeutung, welche das Denkmal für seine Zeit hatte und welche
die Erinnerung an dasselbe für unsere Zeit haben soll. Es war der Ort,
der die Häupter Deutschlands zum gemeinsamen Thun vereinigte, der Ort
wo sie die höchsten Angelegenheiten des Vaterlandes beriethen, wo sie
zur Einigung in sich und zur Kräftigung gegen die Anmaassungen fremd-
lierrischer Gewalt heilsame Beschlüsse fassten; die Erueuung des Denk-
mals aber soll auch uns ein Zeichen der Einigung, nach innen und gegen
aussen, sein. Für jetzt bleibt uns nur der Wunsch, dass diese Erneuung
in würdiger künstlerischer Gestalt, — der höchsten Ausbildung gemäss,
welche die gothische Baukunst im vierzehnten Jahrhundert erreicht liatte, —
geschehe, und dass Jiinlängliche Mittel zusammenfliessen mögen, damit
die zwiefaclie Bedeutung des Denkmals , für die Vergangenheit und für
die Gegenwart, zugleich in lebendiger Bilderschrift könne ausgesprochen
werden.
Nachträglich. (1852._)
Der vorstehende Artikel hatte einige Opposition hervorgerufen, und es
fohlte nicht — da verschiedenartige Interessen bei der Sache berührt wa-
ren an manchem Widerspruch. Durch freundliche Mittheilungen meines
nunmehr verewigten ^Freundes, des Bauinspector von Lassaulx zu Coblenz,
ergab sich, dass in der That die Zeichnungen der Kapitälgesimse, die
ich von andrer Seite empfangen hatte und auf denen meine ketzerische
Kritik beruhte, nicht ganz richtig waren. Die ohne Zweifel zuverlässigeren
Zeichnungen,, die er mir zusandte, zeigten Formen, wie ^ie auch sonst an
40 Berichte und Kritiken.
derjenigen Klasse spälgothischer Bauwerke des Rheinlaiides, welche das System
auf seine einfachsten Principien zurückführt, vorkommen; beachtens-
werth war dabei der Umstand, dass das einfache achteckige Gesims der
(gleichfalls achteckigen) Mittelsäule concave Seitenflächen hatte, dem Ver-
hältniss der Kappen und Gurte des von demselben ausgehenden Gewölbes
entsprechend, — dass hierin also doch, bei aller Simplicität der Anlage,
ein künstlerisches Gefühl sich geltend zu machen wusste. Die äussere
achteckige Pfeilerstellung aber musste auch nach diesen Ergebnissen und
namentlich nach Ansicht einer, noch später aufgetauchten Abbildung des
Königsstuhles, die einer in Wien, in den neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts erschienenen Sammlung von Rheinansichten angehörte und die
ein nicht minder zuverlässiges Gepräge trug, als eine nur ziemlich rohe
Composition erscheinen. Die Pfeiler ergaben sich nämlich auch hienach als
einfach viereckige Masse (halb so breit als tief), und über ihrem Kämpfer-
gesims schieden sich Strebepfeiler und Bogen, jener aufsteigend, dieser zum
nächsten Pfeiler gewandt, beide wiederum von allereinfachster Form und
ohne dass, namentlich unterwärts an dem Pfeiler selbst, irgend eine Yer-
mittelung oder Vorbereitung, wie solche bei derartigen Verhältnissen im
wesentlichen künstlerischen Princip der gothischen Architektur liegt, an-
gewandt war.
Das Werk konnte demnach allerdings, seiner ursprünglichen Anlage
sich etwas mehr annähernd, als von mir vorausgesetzt war, reconstruirt
werden. Aber das viel Wesentlichere bei der Sache blieb immer die Idee
uud die Bedeutung der letzteren für die Zeit, welche eine solche Recon-
struction unternahm.
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M i 11 h e i 1 u n g e n v o m R h e i n.
(Kunstblatt, 1841, Nro. 15.)
Ks liegen uns so eben ein Paar kleine Schriften über rheinische Archi-
tekturen vor; ein kurzer Bericht über dieselben dürfte hier seine geeignete
Stelle linden.
Zuerst ist eine Brochüre zu nennen, deren Titel lautet: „Einige
Worte über den Dombau zu Köln, von einem Rheinländer an
seine Landsleute gerichtet." Der Ertrag ist für den Dombau
bestimmt. Koblenz, 1840." — Unter den verschiedenen Schriften, die
iu neuerer Zeit über den Kölner Dom erschienen sind, ist diese ohne
Zweifel (obgleich nur 35 Seiten in Octav umfassend) besonderer Aufmerk-
samkeit würdig.
Der Zweck des ungenannten Verfassers ist, das thätige Interesse für
die Förderung des Dombaues zu erhöhen. Mit einer Begeisterung, die
unverkennbar aus dem Herzen strömt, spricht er für diese .Sache. Er setzt
die hohe Bedeutung der gothischen Architektur uud die höchste des Kölner
Domes — im Gegensatz gegen die italienischen, französischen und engli-
schen Dome — auseinander; dann spricht er, die Theilnahme, welche die
preussische Regierung diesem Werke widmet, ehrenvoll anerkennend, von
der Weise, wie vermehrte Mittel zu beschaffen sein dürften.. Er legt den
Mittheiluugeu vom Rhein. 41
-mr
Kölnern, und den Rheinländern überhaupt, die Pflicht einer persönlichen,
doch nur geringen Beisteuer ans Herz; er weist es nach, in wie blühen-
dem Zustande das Land ist, und wie Vieles, was das erhabene Werk aufs
Mächtigste fördern dürfte, für nichtige Zwecke vergeudet wird. Dabei fehlt
es freilich nicht an manchen scharfen und sarkastischen Seitenblicken; aber
es schcint, dass auch wohl mit scharfen Wafl'en gefochten werden mag, wo
CS das höchste Ziel gilt und wo stumpfe "Waffen nicht ausreichen. Schliess-
lich spricht der Verfasser, damit das Wirken der Einzelnen zur Einheit
gedeihen möge, von der Stiftung eines Vereins in Köln, zur Förderung des
Dombaues, und untergeordneter Gesellschaften in den übrigen rheinischen
Städten. Gewiss dürfte eine solche Einrichtung, mit Energie ins Leben
eingeführt, vom glücklichsten Erfolge gekrönt werden. Indem wir der
ganzen Schrift unsern entschiedenen Beifall nicht versagen können, sehen
wir uns jedoch genöthigtj in Einem Punkte dem Verfasser entgegenzutreten.
Von der Theilnahme des gesammten Deutschlands für diese Angelegenheit
will er nicht viel hoffen; dies scheint sich indess minder auf die übrigen
abweichenden Interessen der guten Deutschen (die der Verfasser sarkastisch
genug ausmalt), als darauf zu beziehen, dass er den Dom von vornherein
und vorzugsweise als ein Denkmal des Katholicismus, und zwar als das
bedeutendste Denkmal desselben, bezeichnet. Eine solche Ansicht fasst
aber die Bedeutung des Domes gar einseitig auf. Vor allen Dingen ist
der Kölner Dom ein Denkmal des deutschen Geistes, ist er das Zeugniss
der erhabensten Vollendung, welche die Architektur, und zwar durch die-
sen deutschen Geist, gefunden hat, so lange überhaupt die Menschen ge-
strebt haben, durch sinnliche Formen das Uebersinnliche auszudrücken.
Ein katholisches Work ist der Dom nur, weil er zugleich ein christliches
ist, und weil er in jener Zeit gegründet ward, da im Christenthum ver-
schiedenartige Auffassungsweise noch nicht äusserlich auseinander getreten
war. Oder verleugnen wir, die wir Protestanten genannt werden, die
Vorzeit unsrer Geschichte ? oder wiegt unser Gefühl für den erhabenen
Sinn unsrer Väter und für das Land unsrer Väter, wenn ihr es auf die
Wagschaale leget, auch nur um einen Gran weniger? Nein! der Dom von
Köhl ist ein deutsches Werk, es ist das höchste aller Werke, welche
Deutschland im Bereiche sichtbarer Formen geschaffen hat, es ist das Werk,
welches den Stolz Deutschlands vor allen Nationen der Erde ausmacht; er
ist das Bundeszeichen, um welches alle Völker deutscher Zunge sich ver-
einigen müssen, und ganz Deutschland hat die Pflicht, dies Werk, wie es
seinem Meister offenbart ward, der Vollendung entgegenzuführen!
Eine zweite Schrift, die wir zu besprechen haben, ist von antiquari-
schem Interesse. Sie ist in dem „Programm zur Herbst-Schulprü-
Uing in dem königlichen Gymnasium zu Koblenz, September
1840, enthalten, und betrifft; das Maifeld und die Kirche zu Lon-
nig, — eine historisch-topographische Untersuchung von dem Gymnasial-
Oberlehrer P. J. Seul, nebst architektonischen Bemerkungen und Zeich-
nungen über die Kirche zu Lonnig, von dem königl.. Bauinspector Hrn.
v. Lassau Ix. — In diesen Mittheilungen lernen wir ein, für die Archi-
tekturgeschichte des deutschen Mittelalters nicht unwichtiges kirchliches
Gebäude kennen. Die Kirche von Lonnig (früher einem Kloster angehö-
rend) bestand aus zwei verschiedenartigen Theilen. Der ältere Theil, von
dem nur noch geringe lieste vorhanden sind, war ein Rundbau von 60 Fuss
Durchmesser im Lichten, in seiner Anlage der, zwar beträchtlich grösseren
3
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Bericlite uud Kritiken.
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Der Graf August de Bastard war kürzlich in Berlin und gewährte den
Freunden der Kunstgeschichte eine Ansicht der bis jetzt vollendeten Blät-
ter seines prachtvollen und schon mehrfach erwähnten Werkes, welches
den Titel führt: „Peintures et Ornements des Manuscrits classes dans l'ordre
chronologique pour servir a l'histoire des arts du dessin depuis le IVe
sibcle de l'öre chrätienne jusqu'k la fln du XVIe." Vielleicht ist es für
die Leser dieser Blätter nicht uninteressant, einige nähere Angaben über
und sechzehneckigen Münsterkircke zu Aachen ähnlich , so dass sich näm-
lich um einen mittleren Raum ein mit Gewölben überspannter Umgang und
über diesem eine gleichfalls gewölbte Gallerie umherzog. Bestimmte An-
gaben über das Alter dieser merkwürdigen Kapelle fehlen; die erhaltenen
Details des Rundbaues selbst sind äusserst roh und einfach, und dürften,
mit den historischen Verhältnissen übereinstimmend, auf die Zeit des elf-
ten Jahrhunderts, wenn nicht auf eine noch frühere, zurückdeuten. Eine
an der Westseite vorhandene Vorhalle (die noch ganz vorhanden ist) zeigt
aber bereits eine mehr entwickelte Ausbildung des sogenannten byzantini-
schen oder romanischen Baustyles, und Herr v. Lassaulx setzt demnach,
anderweitigen sicheren Analogieen folgend, das Alter des gesammten Baues
in die Zeit um 1140. Doch dürfte vorerst noch in Frage zu stellen sein,
ob jene Vorhalle nicht etwa jünger als der Rundbau und diesem in der
genannten Zeit angefügt sein möchte, was in Rücksicht auf die Detailfor-
men wahrscheinlich, indess wohl nur durch Untersuchung an Ort und
Stelle zu entscheiden ist. — Der zweite Theil der Kirche von Lonnig ist
ein Chorbau, der sich ostwärts von dem ehemaligen Rundbau erhebt. Er
ist nicht bis an den letzteren herangeführt worden und scheint auch nicht
zu einer Vereinigung mit diesem, vielmehr zu der Ausführung eines ganz
neuen, grösseren Kirchengebäudes bestimmt gewesen zu sein. Der Styl des
Chores entspricht ganz derjenigen reicheren und bunteren Gestaltung der
romanischen Bauweise, die sich an den rheinischen Kirchen aus dem An-
fange des dreizehnten Jahrhunderts so häufig findet, namentlich dem Chore
der Pfarrkirche zu Andernach. Dieser Chorbau hatte in den letzten Jahr-
hunderten als Kirche gedient, war indess für die heutigen Bedürfnisse zu
eng geworden; er ist neuerlich, durch Hrn. v. Lassaulx, erweitert, diese
Hinzufügung jedoch dem Style der alten Theile wohl entsprechend ausge-
führt worden, sowie auch die nöthige Restauration der letzteren in dem-
selben Sinne ins Werk gericlitet ist. Herr v. Lassaulx schliesst seine Be-
merkungen mit den hierauf bezüglichen Worten: „Dass der Unterzeichnete
übrigens sehr gerne einige Zeit und Reisen geopfert, um ein gutes Werk
zu fördern und köstlichen Resten alter Kunst ein so vielfach gefährdetes
Dasein länger zu fristen, wird wenigstens jeder wahre Freund dieser Kunst
ganz begreiflich finden."
Ueber das Werk des Grafen August de Bastard zur Geschichte
der Miniaturmalerei des Mittelalters.
(Kunstblatt, 1841, Nro, 20.)
I
-ocr page 42-Zur Geschichte der Miniaturmalerei des Mittelalters. 43
die Absichten des Herausgebers und über die grossartige Ausführung der-
selben zu erhalten.
Das von dem Grafen de Bastard unternommene Werk eröffnet, wie es
mir scheint, für die Geschichte der Kunst eine ganz neue Behandlungs-
weise; es giebt ihr eine Grundlage, durch welche allein dieses Fach der
Wissenschaft in seiner höchsten und wahrsten Bedeutung, — in "seinem so
unendlich wichtigen Verhältnisse zur Entwickelungsgeschichte des mensch-
liclien Geistes, dem letzten Ziele aller historischen Wissenschaft, — her-
gestellt werden kann.- Zwar behandelt das genannte Werk, wie oben an-
gedeutet, nur einen einzelnen Abschnitt der Kunstgeschichte, den des Mit-
telalters; doch ist gerade dieser Theil, was unsere bisherigen Kenntnisse
anbetrifft, so schwierig, so dunkel, so räthselhaft — auf der andern Seite
aber, rücksichtlich der mannigfach durch einander spielenden Volksthüm-
lichkeiten, rücksichtlich der verschiedenartigen Weise, wie neue Gultur-
verhältnisse sich aus denen einer untergegangenen Welt entfalten, von so
eigenthümlicher Bedeutsamkeit, dass gerade durch seine Aufklärung der
Culturgeschichte ein höchst wesentlicher Dienst geleistet wird.
Die Idee des Werkes an sich scheint freilich sehr einfach: es besteht
zunächst eben nur aus einer Reihe bildlicher Darstellungen, welche die
Kunstwerke verschiedener Völker und Zeiten der genannten Epoche getreu
vergegenwärtigen. Wenn eine solche Weise der Sammlung und Vergegen-
wärtigung schon im Allgemeinen mannigfaches Interesse darbietet, so wird
sie jedoch ihre höhere wissenschaftliche Bedeutung erst durch wissenschaft-
lich begründete Anordnung und Auswahl erhalten können. Eine Auffas-
sung dieser Art tritt aber, nach den zahlreichen Proben zu urtheilen,
durchweg an dem Werke des Grafen de Bastard hervor. Nicht nur sind
die einzelnen Darstellungen überall den wichtigsten Denkmälern entnom-
men; nicht mir spricht sich an ihnen bestimmt das Allgemeine des histo-
rischen Entwickelungsganges aus; auch die feinsten volksthümlichen Unter-
schiede treten in ihnen, der gewählten Anordnung gemäss, dem Auge
des Beschauers entgegen, und gerade diesen Punkt mit grosser Schärfe
\ind Bestimmtheit verfolgt und klar gemacht zu haben, ist, wie es mir
scheint, eines der vorzüglichsten und eigensten Verdienste des Heraus-
gebers. Wir sehen in diesen Blättern, wie in einem Spiegel, die charak-
teristischen Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Völker, welche die neue
Geschichte Europas gegründet haben, vor uns; die Weise, wie sie die Er-
scheinungen des Lebens aufgefasst und sich zu eigen gemacht haben,, die
besondere Richtung ihres Gefühles und ihrer Gedanken, tritt uns hier
lebendig und körperlich entgegen. Neben dem bedeutsamen Verharren der
byzantinischen Kunst an entschieden antiker Darstellungsweise (vornehmlich
bis zum dreizehnten Jahrhundert), machen sich die Eigenthümlichkeiten
der angelsächsischen, der französischen, der deutschen, der italienischen
Kunst u. s. w. aufs Entschiedenste bemerklich.
Dass der Herausgeber für diesen Zweck nur Handschriftbilder ausge-
wählt hat, ist ihm nicht als eine einseitige, willkürliche Beschränkung an-
zurechnen. Fast im ganzen Laufe des Mittelalters ist, so viel wir irgend
aus den vorhandenen Monumenten urtheilen können, die bildliche Darstel-
lung auf dem Pergamentblatte, auf der Tafel, an der Kirchenwand dieselbe,
und erst in der späteren Zeit des Mittelalters, wo das Individuum freier
aus den Banden des allgemeinen Volkscharakters heraustritt, beginnen auch
dem Geiste nach die verschiedenen Weisen künstlerischer Darstellung sich
44 Berichte und Kritiken.
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zu unterscheiden. Für diese letztere Zeit indess liegt überhaupt ein so
reiches und mannigfaltiges Material vor uns, dass wir hier, wie es scheint,
zu näherer Kenntniss kaum eines so unendlich mühsamen Unternehmens,
wie das in Rede stehende, bedürfen. Zugleich aber sind die Miniaturen
für alle früheren Zeiten des Mittelalters bedeutend wichtiger, als die Tafel-
und "Wandgemälde. Nicht nur sind die Darstellungen, die sich in ihnen
vorlinden, ungleich mannigfaltiger; nicht nur sind ihrer, wenn auch an vielen
einzelnen Orten zerstreut, ungleich mehrere erhalten; auch an sich sind die
bildlichen Darstellungen derManuscripte durchweg, bis auf die seltensten Aus-
nahmen, rein und unverfälscht und ohne diejenigen späteren Ausbesserungen,
die den ursprünglichen Charakter bei jenen grösseren Werken nur zu häufig
verändert haben, auf unsere Zeit gekommen. So ist auch das verschiedene
Alter der Miniaturen und das Lokal, •dem dieselben angehören, theils durch
die in ihnen häufig vorhandenen geschichtlichen Urkunden, theils durch
mannigfache Nebenumstände mehr oder minder genau zu bestimmen, wäh-
rend dies bekanntlich bei den grösseren "Werken in der Regel seine beson-
deren Schwierigkeiten hat. Aus diesen Punkten und vornehmlich aus den
beiden letzten, geht es hervor, dass das Studium der Handschriftbilder für
die genannte Kunstepoche mit grosser Entschiedenheit als das wichtigste
bezeichnet werden muss, und dass in demselben zugleich, was das "Wesent-
liche des Entwickelungsganges der Kunst anbetrifl't, das Studium der andern
bezüglichen Werke mit eingeschlossen ist.
Eine Vergegenwärtigung solcher Bildwerke (nach den ebengenannten
Principien geordnet) durch einfache Umrissdarstellungen wird der kunst-
historischen Forschung unbedenklich sclion ein v^^ichtiges Hülfsmittel dar-
bieten; auch besitzen wir, wie bekannt, bereits mancherlei (obgleich höchst
selten erst genügende) Werke dieser Art, sowie einige wenige Werke, in
denen man zugleich auf eine Andeutung der bei den Originalen angewand-
ten Färbung Bedacht genommen hat. Gleichwohl sind alle diese Werke,
für den höheren Gesichtspunkt nur als unvollkommene Hülfsmittel zu be-
trachten, und auch wenn man die Kunst des farbigen Steindruckes dafür
anwenden wollte, würde man immer nicht zu den erwünschten Resultaten
gelangen. Denn keines der bisher angewandten Mittel ist geeignet, die
I jedesmalige besondere Eigenthümlichkeit, die scheinbar kleinen und doch
; ; oft so wichtigen Unterschiede der Färbung, der Modellirung, der Linien-
^ führung in den Originalen wiederzugeben. Nur wo dies vollständig der
Fall ist, wo diQ Nachbildungen als wirkliche Facsimiles der Originale er-
w, scheinen, wo ihre Zusammenstellung uns gewissermaassen eine unmittelbare
Uebersicht der Originalwerke gewährt, werden wir den Gang der Ent-
wickelung der Kunst mit seinen lokalen Unterschieden vollständig beob-
achten und aus solcher Beobachtung alle nöthigen wissenschaftlichen Schluss-
folgerungen ziehen können. Eine Zusammenstellung dieser Art zu liefern,
war die Absicht des Herausgebers; die zahlreichen Proben, die er vorge-
iV legt hat, geben ihm das Zeugniss^ dass er seine Absicht in einer bewun-
derungswürdigen, bisher noch nie gesehenen Vollkommenheit erreicht hat.
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Das reiche Material, welches sich dem Herausgeber zunächst in seiner
Heimat darbot, ist mit umfassender Auswahl' benutzt; aber keineswegs
allein die, zwar schon so unendlich reiche Pariser Bibliothek, sondern
aucli die Bibliotheken der französischen Provinzen, in denen zum Theil
die seltensten und kaum weiter gekannten Schätze vorhanden sind. Die
! ' Reise, die er gegenwärtig in Deutschland und Russland macht, wird dieser
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-ocr page 44-Zur Geschichte der Miniaturmalerei des Mittelalters. 45
Auswahl ein noch ausgedehnteres Feld darbieten. Was die Ausführung
betrifft, so sind die Blätter vorerst lithographirt; wo in den Originalen
eine Federzeichnung zu Grunde liegt, besteht die Lithographie aus ähnlich
scharfen Strichen, sonst sind es zumeist nur schwach angedeutete Umrisse,
ähnlich einer Bleistiftzeichnung. Darüber nun ist mit freier Hand die
Malerei ausgeführt, welche durchaus, sowohl der Faibenwahl als der ge-
sammten Behandlung nach, in den verschiedenen Arten der Vergoldung
und in allem sonstigen Schmuck, die Eigenthümlichkeit der Originale wie-
derholt. Wer sich ernstlicher mit den Miniaturen des Mittelalters beschäf-
tigt hat, wird hier mit vollster Ueberzeugung die genauesten Facsimiles
derselben erkennen müssen, üeberall gewähren sie den vollkommensten
Eindruck der Originale ; die alten Künstler, welche die letzteren gefertigt
haben, scheinen in ihnen auf's Neue lebendig zu sein. Welche Mühen,
welche Versuche diesen Meisterarbeiten voTangegangen, wie die Künstler
zur Anfertigung solcher Copien auf ganz eigene Weise herangebildet sein
müssen, welche Sorgfalt bei der Herstellung jedes einzelnen Blattes, bei der
Behandlung der so häufig wechselnden und oft sehr kostbaren Materialien
nöthig ist, dies ergiebt sich dem Beschauer auf den ersten Blick. Nur die
Gründung eines ganz eigenthümlichen Institutes -konnte ein solches Werk
möglich machen. Dass bei solcher Anlage der Preis des Werkes über alle
hergebrachten Verhältnisse hinausgehen muss, dass nur sehr reiche Privat-
personen (wie es deren Vorzugsweise fast nur in England giebt), nur reich
dotirte öffentliche Institute-dasselbe werden erwerben können, versteht
sich von selbst. Zur Förderung des Werkes jst von Seiten der königlich
französischen Regierung mit hochsinniger Liberalität eine Summe angewie-
sen worden, welche mit der Bedeutsamkeit des Werkes in Verhältniss steht,
l^s erscheint in einzelnen Lieferungen, von denen 11 bereits vollendet sind.
Das nächste und allgemeinste Interesse, welches das in Rede stehende
Werk darbietet, ist das der künstlerischen Entwickelung des Mittelalters.
Damit aber verbinden sich noch viele andere, und auch auf diese ist bei
der Auswahl des Einzelnen durchweg Bedacht genommen. Für die ganze
Typik des Mittelalters, für die religiöse Anschauungsweise, für die kirch-
liche Symbolik, für die Darstellung von Costümen, Sitten und Gebräuchen,
für die Paläographie u. dgl. m. bieten sich hier nicht minder die reichhal-
tigsten und wünschenswerthesten Aufschlüsse, die durcli die Vollkommen-
heit der Darstellungen wiederum um so vollkommener sein müssen. Mit
Einem Wort, das Werk des Grafen de Bastard — weit entfernt, müssigem
Dilettantismus eine leere Unterhaltung zu bieten — erfüllt seinen Zweck
in jedem Betracht. Es gewährt den Eindruck einer Gemäldegallerie, die
mit strengster Avissenschaftlicher Kritik angeordnet ist und in der sich keine
Lücke findet. , . '
Aus den Blättern, welche der Graf de Bastard vorlegte, geht unmittel-
ba^r, wie im Vorigen angedeutet ist, die wissenschaftliche Bedeutung seines
^Nerkes hervor; es lässt sich somit schon von selbst erwarten, dass auch
der erläuternde Text, den er mit demselben verbinden wird, solcher Be-
deutung entsprechen werde. Ich freue mich, hinzufügen zu können, dass
nach Allem, was"mir der Graf de Bastard mündlicli über die Einrichtung
dieses Textes, über die Art und Weise der dazu aufgewandten, sehr aus-
gedehnten Studien, über die von ihm und seinen Mitarbeitern befolgte
Richtuug mitgetheilt hat, ebenso das Gediegenste und Gründlichste zu er-
warten sein dürfte. Denn neben der vollkommenen Beschreibung und Er-
m
klärung der einzelnen Blätter werden zugleich specielle wissenscliaftliche
Untersuchungen mitgetheilt werden, und zwar: über die besondere, bei
jedem Einzelnen angewandte Technik; über die Einflüsse classisch an-
tiker Darstellungsweise auf die Typen des christlichen Mittelalters; über
den wichtigen und bisher noch keineswegs genügend aufgeklärten Punkt
der so ausgedehnten selbständig christlichen Symbolik, über das Aeussere
der Bildung in Costümen u. dgl. m. üeberall, wo es nöthig ist, soll aucli
hier der Gang der Untersuchung durch in den Text eingedruckte einfache
Abbildungen anschaulich gemacht werden. Wie mich der Graf de Bastard
versichert, so haben sich für diesen Zweck — gleichwie er für die künst-
lerische Darstellung ein eigenes Institut gegründet hat — mehrere nam-
hafte Gelehrte mit ihm verbunden; der erläuternde Text dürfte somit schon
an sich zu einem umfassenden Compendium der Kunstalterthümer des
Mittelalters werden.
Etudes sur TAllemagne, renfermant une histoire de la
I)einture alleraande. Par Alfred Michiels. Paris, 1840.
IL Vol.
(Kunstblatt, 18dl, Nro. 37.)
Der Gang der 'Weltgeschichte hat Frankreich, das sich weiland in Sa-
chen des Geistes und Geschmackes mit einer grossen Mauer, höher und
breiter als die chinesische, umgürtet hatte, seit etlichen Jahren veranlasst,
über diese Mauer hinauszuschauen und die Existenz dessen, was draussen
lag, zu begreifen. Mit solcher Erkenntniss hat sich sehr bald die Einsei-
tigkeit und Unzulänglichkeit der früheren Anschauungsweise ans Licht ge-
stellt; man musste fortan bemüht sein, diese Mängel durch eifriges Studium
des Fremden auszuglciclien. So begierig man vor Zeiten in Deutschland
die französischen Classiker las, so begierig liest man jetzt in Frankreich
die deutschen; so ■ häufig man damals den Rhein und die Vogesen oder
Ardonnen von Osten nach Westen überschritt, ebenso leicht hat man jetzt
die Wege kennen gelernt, die von Westen nach Osten herüberführen.
Manch ein geistreiches und manch ein oberflächliches Buch ist seit den
letzten Jahren in französischer Sprache erschienen, das unsre Nachbarn
jenseit der genannten Grenzscheide von unserm Sinnen und Treiben Kunde
giebt. Das in der Ueberschrift genannte Werk hat denselben Zweck.
Das Werk ist aus verschiedenartigen Aufsätzen zusammengestellt. Ein
grosser Theil derselben bezieht sich auf deutsche Literatur und auf deutsche
Schriftsteller. Diese zu beurtheilen ist hier nicht der Ort, und mag ein
solches Geschäft andern Blättern überlassen bleiben. Hier soll nur über
diejenigen Aufsätze Bericht erstattet werden, welche sieh auf deutsche
Kunst beziehen, und die Insofern wenigstens'ein eigenthümliches Interesse
erwecken, als sie, so viel dem Referenten bekannt, die ersten sind, die
französischer Seits näher auf diesen Gegenstand eingehen. Sie bestehen
aus verschiedenen kleineren, im ersten Theile enthaltenen Aufsätzen; welche
von der Architektur des deutschen Mittelalters handeln, und aus einer
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Etudes sur rAllemagne.
grossen Arbeit, welche die Hälfte des zweiten Theiles ausfüllt und die im
Titel genannte Geschichte der deutschen Malerei enthält.
Der Styl des Verfassers ist nicht ohne eigenthümlichen Reiz. Er hat
eine wirksam poetische Darstellungsweise und versteht es, die Gegenstände,
die er vorführt —, wenn auch dämmernd in dem Hauche einer elegischen
oder sentimentalen Stimmung — doch anziehend und lebenvoll zu ver-
gegenwärtigen. Seine Schilderungen des Münsters von Freiburg, des einen
Seitenportales am Strassburger Münster, des Thaies und der Abtei vpn
Laach u. s. w. gewähren eine unterhaltende Lectüre. Mit dem ästhetischen
Standpunkte indess, den der Verfasser da, wo er Eigenes giebt, einnimmt,
können wir uns nicht füglich einverstanden erklären; es ist der einer ein-
seitigen Ueberschätzung des Mittelalters, den wir Deutsche zwar auch
kennen gelernt, als wir zuerst die Entdeckung gemacht hatten, dass das
Mittelalter keineswegs eine Zeit der Barbarei gewesen sei. Die Franzosen
sind uns in diesen romantischen Interessen etwas spät nachgefolgt: wir
wollen hoffen, dass auch bei ihnen sich die Anschauung der vergangenen
Knnstepochen läutern werde. Die vollendete Schönheit der gothischen
Architektur zu würdigen, bedarf es keiner missgünstigen Seitenblicke auf
die griechische Architektur, deren nicht minder vollendete Schönheit nur
einem befangenen Auge unverständlich sein kann.
Mit einer gewissen Entschiedenheit spricht sich der Verfasser tiber den
historischen Entwickelungsgang der gothischen Architektur aus. Er sucht
die Meinung der deutschen Alterthumsforscher, dass dieser Styl der Bau-
kunst Deutschland eigenthümlich angehöre und somit ausschliesslich als
„deutsch" zu bezeichnen sei, zu widerlegen, und reclamirt im Gegentheil
die Elire der Erfindung und Ausbildung dieses Styles für Frankreich.
Schwerlich dürfte heutiges Tages — sofern es sich überliaupt um kritisches
Urtheil handelt — noch Jemand in Deutschland zu finden sein, der jenem
übelverstandenen Patriotismus noch weiter nachhinge; im Gegentheil haben
diejenigen, die sich weiterer Forschung in diesem Gebiete unterzogen, die
grosse und unzweifelhafte Bedeutung, die Frankreich für den Entwicke-
lungsgang der gothischen Architektur hat, auch bei uns anerkannt. Ja, es
fehlt neuerlich selbst nicht an deutschen Forschern, die ganz auf der Seite
unsres französischen Autors stehen und den wahren Ursprung und die
wahre Blüthe der gothischen Baukunst nur in'Frankreich finden. Es mag
somit nicht ganz unpassend sein, auf die Ansichten des Verfassers über
diesen Gegenstand und auf letzteren selbst etwas näher einzugehen. Ich
binde mich hiebei indess nicht an die Reihenfolge dir Gründe, die der
Verfasser vorbringt; ich ziehe es vor, diejenigen, die mir als die schwä-
cheren erscheinen, voranzustellen.
Das Argument, mit dem der Verfasser, am Schlüsse seiner Untersu-
chungen, alle Widersprüche zu beseitigen sucht, ist philosophischer Art:
„ich will es versuchen, unsre Nachbarn mit ihren eigenen Watfen zu schla-
gen", so sagt er. In der Kunst seien zwei verschiedene Tendenzen thätig,
die Idee {la soif de Vinfini) und die Phantasie; jene sei im Norden, diese
im Süden zu Hause; jene strebe ins Formlose hinaus, diese arbeite auf die
materielle Form hin; Frankreich habe aber die glückliche mittlere geogra-
phische Lage, so dass hier aus der Bereinigung beider Tendenzen die
schönsten Resultate für die Kunst hervorgehen müssten. Ich will diese
geographische Prädestinationsichre dahin gestellt lassen; nur die Lage der-
jenigen französischen Monumente, an denen sich ein eigenthümlicher go-
47
ii?!)
48 Berichte und Kritiken,
thischer Styl entwickelt, will ich hier berühren. Es ist nur ein kleiner
Theil im Nordosten Frankreichs, den diese Monumente einnehmen; nur in
Isle de France, Champagne und den Grenzdistricten der benachbarten Pro-
vinzen finden sie sich. (Der Verfasser selbst weist, zu einem andern Zwecke,
in einer grossen Note am Schlüsse des Bandes dasselbe Verhältniss nach.)
Das bedeutendste Monument im Norden von Frankreich, die Kathedrale
von Amiens, liegt freilich schon eben so südlich wie Darmstadt; der süd-
lichste Vorposten aber, Notre-Dame von Dijon, liegt auch nicht südlicher
als Innspruck. Dieser Beweisführung zufolge würde somit wenigstens
Süddeutschland für die Entwickelung der gothischen Architektur ebenso
prädisponirt erscheinen als Frankreich.
Dann spricht der Verfasser von der geringen Anzahl an bedeutenderen
gothischen Monumenten in Deutschland; statt deren finde man Kathedralen
im sogenannten byzantinischen Style durchaus vorherrschend. Er hat dabei
aber nur das Rheinthal im Sinne; was weiter östlich liegt, berührt er
kaum. Das giebt für die Sorgfalt seines Studiums freilich kein günstiges
Vorurtheil. Im llheinthal macht er auch nur vier gothische Kirchen, die
Dome von Strassburg, Freiburg, Köln und die Kirche von Altenberg nam-
haft (Oppenheim u. A. scheint er gar nicht zu kennen). Auch lässt er von
jenen vieren nur zwei als eigentlich deutsche Gebäude gelten, da Freiburg
und Strassburg der Grenze des französischen Lebens zu nahe lägen, als
dass sie für Deutschland selbständige Bedeutung haben könnten. Das ist
freilich eine wohlfeile Argumentation. Im Gegentheil scheint es mir, dass
wir Deutsche nicht nur auf jene ausgeschlossenen Gebäude, sondern auch
noch auf einige andre, auf die Frankreich gegenwärtig stolz ist, ein sehr
wohlbegründetes Anrecht haben. Nicht blos das Eisass ist ein rein deut-
sches Land , auch Lothringen ist seit nicht gar langer Zeit erst französirt
worden; die schöne Kathedrale von Metz ist nicht im Style der franzö-
sischgothischen, sondern der deutschgothischen Architektur erbaut.
Ein weiterer Beweis für die geringe Blüthe der gothischen Architektur
in Deutschland ist dem Verfasser die verhältnissmässig geringere Anwen-
dung der Sculptur und der Glasmalerei. ^Die deutschen Architekten",, sagt
er, „würden niciit gewusst haben, was sie mit den dreitausend Statuen
von Rheims hätten anfangen sollen.'' Es liegt allerdings etwas Wahres iu
diesen Worten; aber ich meine, es gereicht nur zum Ruhme jener deut-
schen Architekten, dass sie die Fa^aden ihrer Dome nicht in einer gleich
maasslosen Verschwendung mit Sculpturen überdeckt haben. Was der
Verfasser über deutS^che Glasmalereien beibringt, verräth nur eine starke
Ignoranz und bedarf keiner Widerlegung.
Derjenige Beweis für die Ansichten des Verfassers, der wirklich eini-
ges Gewicht hat, ist der, dass man die primitive Entwickelung der gothi-
schen Architektur in Frankreich augenscheinlich verfolgen könne, während
dies in Deutschland auf keine Weise der Fall sei. Dies ist auch der
Punkt, der bei den neueren deutschen Forschern Anklang gefunden hat.
„Der Bogen", so sagt der Verfasser über die ersten Typen des gothischen
Elementes in Frankreich, „entfernt sich leis vom Halbkreise, zieht seine
Seiten zusammen und verlängert sie gegen den Himmel hin. Zu Anfang
hat mau grosse Mühe, zu unterscheiden, ob es, Spitzbogen oder Halbkreis
ist. Gleichzeitig erheben sich Tljürme zu den Seiten der Fa^ade; drei
Pforten öffnen sich an ihrem Fusse; die Giebelseiten des Querschiifes ent-
fallen sich zu prächtigen Portalen, die Seiten wände der Eingänge um-
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Etudes sur TAllemagriH.
kränzen sich mit Figuren, die dreifache Eintheilung der Geschosse wird
zur festbestehenden Regel u. s. w. ; mit einem Wort, wenn man den letzten
Stein von Saint-Georges zu Bocherville behauen, hat, so ist der gothische
Plan vollendet." — In der That scheint die Anordnung der gothischen
Fa^ade in Frankreich ihren Ursprung zu haben; schon in den ältesten by-
zantinischen Kirchen der Nörmandie (denen von Caen) dürfte man ihr Vor-
teild erkennen; iii der That scheint sich dort eine der zierlicheren Eigen-
tluimliclikeiten. des gothischen Kathedralstyles, der Kranz der Kapellen,
(ier den Chor umgiebt, zuerst und am Gonsequentesten auszubilden; in der
That scheinen die ältesten gothischen Kirchen in Frankreich älter zu sein,
als die ältesten in Deutschland.
Doch sind auch noch einige andre Verhältnisse ins Auge zu fassen.
Jene ganz allmälüigen Uebergänge aus dem Rundbogen in den Spitzbogen
sind in Deutschland ebenso nachzuweisen, wie dies u. A. Wetter für die
verschiedenen Bautheile des Domes von Mainz auf sehr schöne Weise aus-
geführt hat. Dass der sogenannte Uebergangsstyl in Deutschland nicht vor-
handen sei, ist eine reine Chimäre. Nicht blos zeigt er sich, neben den
mannigfachsten Ausartungen des byzantinischen, an den Bauten des Nieder-
rheins auf eine unverkennbare Weise; er hat sogar~in Deutschland eine
ganz eigenthümliche Gattung von Gebäuden hervorgebracht, wie sie, mei-
nes Wissens, in andern Ländern gar .nicht oder nur als vereinzelte Aus-
naliraen vorkommen.' Ich meine jene Kirchen, bei denen alle Gewölblinien
des Inneren in Spitzbögen geführt sind, während im Detail allerdings noch
byzantinischer Formensinn vorherrscht und während das gesammte Aeussere,
namentlich die Fenster und Thüren, noch byzantinischen Charakter trägt.
Ich rechne dahin das Schiff des Naumburger Domes, die Stiftskirche von
Frizlar, den Dom von Bamberg, die Pfarrkirche zu Neustadt an der .Wien,
u. a. m. (Man muss diese Gebäude freilich nicht, -wie es hier und dort
wohl geschieht, unkritischer Weise in das elfte oder zehnte Jahrhundert
setzen.) Bei aadern, wie z. B. bei der Stiftskirche zu Limburg an der
Lahn , sind dann auch schon die äusseren Oeffnungen im Spitzbogen ge-
bildet. Es lässt sich eine ganze Stufenleiter von Gebäuden namhaft ma-
chen, die allmählig zu den Formen der reinen gothischen Architektur
hinüberlciten.
Gleichwohl ist in diesem Entwickelungsgange Ein Element zu berück-
sichtigen, welches mir bei Weitem das Wichtigste zu sein scheint und bei
dem besonders ich einen, wenn auch mittelbaren und bediligten Einfluss
von Seiten Frankreichs annehmen möchte. Dies ist der Punkt, wo der
feinere Organismus des Inneren, das' System der Bildung der architektoni-
schen Glieder jenes byzantinischen Princips, das'.bestimmende Gesetz der-
HorizontalliHie verlässt und die umgekehrte Richtung in das Vertikale, die
eben- den ßlieder-n einen ^so^verschiedenen CharaktCF gewährt j annimmt.
Diese Umwandlung scheint mir wesentlich an- denjenigen Zeitpunkt ge-
knüpft', wo- die byzantinische Grundfofm des' Pfeilers (im Inneren' der
Kirche, zwischen den Schiflen) verschwindet und statt deren die aufstre»
bende, lebendigere Grundform der Säule erscheint. In schwefer und fast
uranfänglicher Weise, als kurze gedrückte Säule'ohne Gliederung, sehen
wir diese Form in den ältesten gothischen Kirchen Frankreichs, z. B. in
Notre-Dame zu Paris; später wird die Säule höher und es lehnen sich
Halbsäulchen^ als Träger der Gewölbgurte an tlieselbe an, in einer Weis,
edoch, dass jene'— an sioh-auch noch rohe — Grundform hief charake-
Kiigler, Kleine Schrinen. II, . • . ' ' 4
49
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Berichte und Kritiken.
teristisch vorherrschend bleibt.^ Dies wäre somit ein sehr eigenthümliches
Element der französischen Architektur, und da dasselbe dort unstreitig
früher erscheint als die verwandten Motive in Deutschland, so dürfte man
bei der Betrachtung der letzteren auch auf jenes zurückkehren müssen.
Dabei aber ist es sehr auffallend, dass jene Säulenform in Frankreich
ohne alle Vorbereitung, ohne dass hierin wenigstens eine Ahnung jener
gerühmten Uebergangsmotive sichtbar würde, an die Stelle des byzantinU
sehen (in späterer Zeit reich gegliederten) Pfeilers tritt. Die Vermuthung
oder vielmehr der folgerichtige Schluss liegt sehr nahe, dass dieser plötz-
liche Wechsel durch äusserliche Umstände, — durch fremden Einfluss ver-
anlasst sei. Blicken wir umher, ein architektonisches System aufzufinden,
welches dieser französischen Neuerung als Grundlage gedient haben dürfte,
so sehen wir ein solches ziemlich deutlich in den sicilianisch-normannischen
Bauten des zwölften Jahrhunderts (über die wir jüngst durch mehrere Werke
unterrichtet sind) vor uns. Dort sind es Basiliken,, der Hauptform nach
altchristlich und zunächst nur in kleinen Einzelheiten durch neugriechi-
schen und saracenischen Einfluss modificirt. Ganz eigenthümlich aber ist
ihnen, — wohl auch durch saracenischen Einfluss hervorgebracht, — der
Spitzbogen über den Säulen, dem sich dann spitzbogige Fenster und Por-
tale anschliessen. Auf welchem Wege dies eigenthümliche Element der
Architektur (Säulen und Spitzbogen) nach Frankreich hinübergetragen sein
dürfte, um dort, in Vereinigung mit den nationalen Principien, ein neues
System der Architektur hervorzubringen, wüsste ich für jetzt zwar nicht
mit genügender Bestimmtheit nachzuweisen. Vielleicht aber hat Frank-
reich dieses Element gar nicht einmal aus erster Hand aus Sicilien; viel-
leicht ist es zuerst nach den Niederlanden hinübergetragen, wo dasselbe
das ganze spätere Mittelalter hindurch mit ungleich grösserer Einseitigkeit
und ganz ohne Verbindung mit den Principien des Gewölbebaues erscheint.
Leider kenne ich zu wenig das Detail der niederländischen Bauten, um
diesen Punkt gegenwärtig vollständig erörtern zu können.
Ich habe schon vorhin bemerkt; dass die Grundform der Säule in den
französischen Kathedralen sich auch in der Folgezeit auf eine auffällige
Weise bemerklich macht. So ist es in der That: die an sie angelehnten
Halbsäulchen treten mit ihr in keinen organischen Zusammenhang; selbst
zwischen den Gewölbgurten und der Säule und ihjen Halbsäulchen erscheint
der Zusammenhang (die Entwickelung der eineii Form aus der andern)
schwer, sogar den Bögen fehlt es an einer vollendet bewegten Bildung
(^es Profiles. Alles dies bleibt, wie leicht und kühn auch die übrigen
baulichen Verhältnisse in späterer Zeit werden, in der Architektur des
nördlichen Frankreichs stereotyp; eine weitere innere Entwickelung findet
hier nichl statt. Nur einige wenige Gebäude, wie z.B. St. Ouen zu Rouen,
sind davon auszunehmen; aber die neuen, weichen Gliederformatiönen,- die
bei diesen erscheinen, sind-nicht aus einer stetigen Formbildung des na-
tionalefi Elementes hervorgegangen, vielmehr, wie.es Scheint, -durch'frem-
den Einfluss (möglicher Weise durch den Einfluss unserer spätgothischen
Bauten) hervorgebracht, — Wie anders aber gestaltet sich das Verhältniss
in Deutschland! Mögen wir auch die Grundform der Säule für das Innere
der gothischen Kirchen aus Frankreich erhalten haben , schon in ihrer er-
sten Anwendung (wie z, B. in der Elisabethkirche zu Marburg) tritt sie
uns in einer mehr organischen Verbindung mit den an sie gelehnten Halb-
säulchen entgegen; von der so lebenvollen, »so klar bew'egten, so völlig
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-ocr page 50-Etudes Sur rAllemagao,
harmonischen Durchbildung aber, in welcher dies Princip wenige Jahre
später im Kölner Dome, in der Katharinenkirche von Oppenheim und in
vielen andern Gebäuden erscheint, findet sich in Frajikreich keine Spur.
Was die Bildung der gothischen FaQade anbetriflTt, so ist schon oben
bemerkt, dass diese ohne Zweifel Frankreich zunächst ganz eigenthümlich
ist; auch hat sie sich dort im weiteren Verlauf »zu einer besonderen und
grossartigen Pracht gestaltet. Deutschland wird auclr dies Motiv von
Frankreich erhalten haben; aber eben sosehr, wie das Princip des Inneren,
hat es auch dies künstlerische Element zu einer ganz neuen, ungleich mehr
organischen und zugleich bedeutsameren Erscheinung umgestaltet. Indem
es die lästigen Arkadenreihen der französischen Fa^ade abwarf, schaffte es
der freien Entwickelung, der selbständigen Gliederung der Strebepfeiler
Raum und gelangte es dahin, jene Wirkung eines stetigen Emporsteigens
bis in die äusserste Spitze zu erreichen, welche der Triumph der gothischen
Thurmarchitektur ist.
Noch ist ein Wort von jenen Kapellenreihen zu sagen, welche bei der
Mehrzahl der französisch-gothischen Kathedralen den Chor umgeben. Sie
sind in Frankreich vorzugsweise zu Hause, sie scheinen aucli dort am
frühesten vorzukommen. Gleichwohl muss ich bemerken, dass wir auch
bei uns in vielen spätbyzantinischen Gebäuden ein Vorbild dazu, in jenen
kleinen Nischen des Chores oder des Chorumganges, finden, .und dass sie,
ganz ausgebildet, auch bei uns schon an einem gothischen Gebäude frühe-
ster Zeit (am Chore des Magdeburger Domes aus den ersten Jahren des
dreizehnten Jahrhunderts) erscheinen. Nicht minder sind sie an einzelnen
Gebäuden des vollendet gothischen Styles, wie z. B. am Kölner Dome,
angewandt. Dass sie im Allgemeinen seltner vorkommen, als in Frank-
reich, möchte ich indess nicht als einen sonderlich drückenden Mangel
betrachten. Im Gegentheil scheint es mir, als ob die reiche Vollendung,
welche der Grundriss des gothischen Gebäudes durch sie erhält, mehr nur
auf dem Papier als in den ausgeführten Bauwerken sichtbar werde; für
den Totaleindruck des Inneren wenigstens scheinen sie mir nur von unter-
geordneter Bedeutung.
Fassen wir nach alledem das Resultat kurz zusammenso wird man
sagen müssen, dass Frankreich allerdings in der Entwickelung der gothi-
schen Architektur ein sehr wichtiges Mittelglied ausmacht, dass es ohne
Zweifel Kinfluss auf Deutschland ausgeübt hat, dass dieser Einfluss aber
keineswegs ein ausschliesslicher gewesen ist und'dass im Gegentheil die
Blüthe der gothischen Architektur Deutschland angehört, Auch.w^nn wir
nach England, der dritten unter den drei Grossmächten der gothischen
Architektur, hinüberblicken, bleibt.das Re^tat ungeschwächt. Auf letzti-.
res jedoch näher einzugehen, ist hier nirtit der Ort; doch wird sjch für
den Unterzeichneten anderweitig Gelegenheit finden, auf dies ganze Thema
ausführlicher zurückzukommen. Schon das Vorstehende ist minder des
französischen Autors, als derjenigen Dejitschen wegen,, die seine Meinung
theilen, niedergeschrieben.
Das Urtheil über die Geschichte der deutschen Malerei, welche der
Verfasser im zweiten Theil seines Werkes mittheilt, wird sich, obgleich
sie an Umfang ungleich bedeutender ist,' einfacher fassen lassen.. Zuvor
scheint es indess nöthig, das Vorwort, mit welchem der Verfasser diesen
Abschnitt einleitet, hierher'zu setzen. „Die Geschichte der J^alerei. in
Deutschland (so heisst es dort),-welche wir dem Urtheil des Publikums
51
■4
-ocr page 51-Bt'riclite uud Kritiken.
voilegen, ist die einzige, die in unserer Spraclie existirt. Was auch ihre
Felller sein mögen, so hat sie doch den Vortheil, dass ihr keine Neben-
hiihlerin den Rang streitig macht. Die bei uns erschienenen Bücher ent-
halten mir sehr wenig Angaben über die deutsche Kunst. Mit Ausnahme
weniger Zeilen bei Felibien und d'Argenville, einiger von Descamps ver-
fasster Biographien und einiger Artikel in den Revuen, besitzen wir nichts
über diesen Punkt; wenn wir Dürer genannt haben, sind wir mit unserer
Wissenschaft zu Ende. Die alten Maler von Köln, von Sachsen, von Bayern
schliefen in tiefer Vergessenheit, wenn wir ihre einzigen Bewunderer wären.
Was wissen wir von den Figuren, welche die Handschriften des Mittel-
alters schmücken? was von den Eigenthümlichkeiten, die sie auszeichnen?
was von den Punkten, in denen sie das Gepräge des deutschen Geistes
erkennen lassen? was von den Absichten der Zeichner bei den schlichten,
zierlichen und phantastischen Gebilden ihrer Hand? Weit entfernt davon,
ahnen wir nicht einmal ihr Vorhandensein; der Wunsch, sie bekannt zu
machen, hat uns die Feder in die Hand gegeben. Die Schüler Dürer's,
Cranach's, Holbein's erfreuen sich bei uns keines sonderlichen Ruhmes;
gleichwohl haben mehrere von ihnen die Kraft und die Geschicklichkeit
der grossen Meister, Die Nacht, die sie umgiebt, wird fortan minder
trübe sein. Auch über die neueren Schulen denken wir Einzelnesv mit-
zutheilen. — Uebrigens hat uns diese Geschichte keine grosse Mühe ge-
kostet. Es sind deutsche Schriftsteller, aus denen wir fast alle Thatsachen
gezogen haben, und in den meisten Fällen haben wir wörtlich über-
setzt. Dieser schätzbaren Grundlage haben wir persönliche Bemerkungen,
Umstände, die unsern Führern unbekannt waren, zugefügt; wir haben
im Uebrigen Sorge getragen, dem Ganzen eine zweckmässige Anordnung
zu geben. Es ist unnütz, hinzuzufügen, dass Kugler, Fiorillo und Rac-
zinsky die Autoren sind, deren Schriften wir zumeist in Contribution ge-
setzt haben."
Gewiss müssen wir uns über solche Absicht freuen; gewiss darf es
uns nicht gleichgültig sein, . ob die Werke unseres.Vaterlandes im Nach-
barlande geschätzt, ob die Forschungen, mit denen wir uns beschäftigt,
auch dort bekannt gemacht und gewürdigt werden. Auch wenn demnach
die vorliegende Arbeit für uns wenig Neues bringt, haben wir sie willkom-
men zu heissen, — vorausgesetzt, dass das, was sie bringt, in reiner Ge-
stalt erscheine. Sehen wir somit etwas näher zu.
Das eben mitgetheilte Vorwort klingt ganz bescheiden; der Verfasser
gesteht es. selbst, dass er das Wichtigste aus deutschen Schriftstellern ent-
lehnt. D'och dürfte man- nach seinen Worten wenigstens in der Anordnung
tfes Ganzen einen namhaften ^theil "^eiuer Hand vermuthen. Im Texte
selbst ist weiter keine Andeutung über die von ihm'benutzten Quellen,
vorhanden. Die in vielen Aeusserungen hervortretende Persönlichkeit lässt
aber voraussetzen, dass dies die des Verfassers sei, dass er somit keines-«
wegs bloss als Uebersetzer thätig'^gewesen sei; auch findet, sich (S, 341)
eine Stelle, worin er alte Malereien in Sachsen anführt und ausdrücklich
hinzufügt: „Fiorillo nennt uns'dort ..eine grosse Anzahl gothischer Malereien,
d'ie wir nicht gesehen haben, die wir aber nach ihm beschreiben
könnenv" die einfache Schlussfolgerung scheint also, dass er bei dem
Uebrigen selbstthätig gearbeitet babe. Die Schlussfolgerung ist aber falsch.
Die gaiizQ Arbeit ist nichts als eine wörtliche Uebersetzung derjenigen
Abschnitte meines'„Handbuches der Ges'chichtc-dfer Malerei eto^", die von
52
'■-.iSf
4
i fi
3, •
-ocr page 52-Etudes sur rAllemagne.
deutscher Kunst handeln, mit einigen eingeschobenen Stellen aus Fiorillo
imd mit einigen eigenen Bemerkungen «her deutsche Bilder in Colmar
und Paris. Von Raczinsky findet sich, trotz der Erklärung des Vorwortes,
keine Zeile in der gailzen Arbeit; eben so wenig irgend ein, einer andern
Quelle entlehntes Wort. Das Verhältniss ist dies, dass von. den 216 Seiten
des in Rede stehenden Abschnittes circa I82V2 mir angehören, circa 19
Fiorillo, circa WI2 <iem Verfasser.
Wir haben es demnach im Wesentlichen nur mit einer wörtlichen
Uebersetzung zu thun. Der Styl, die leichte geschmackvolle Redeweise
des Verfassers ist schon oben., gerühmt worden. Er weiss sich im Allge-
meinen dem deutschen Charakter zu fügen, und es gewährt ein eigenthüm-
liches Vergnügen, das Echo der eigenen Gedanken in den fremden Klängen
zu vernehmen. Dass ein Franzose den deutschen Gedanken eines deutschen
Schriftstellers über deutsche Kunst überall genau nachfolgen solle, wäre
freilich zu viel verlangt; wir werden somit die französischen Ausdrücke,
die er an die Stelle der deutschen setzt, nicht immer ganz scharf abzuwä-
gen luiben ; doch wäre wohl, wie es mir scheint, bei einiger Sorgfalt man-
cherlei Schiefes im Ausdrucke zu vermeiden gewesen. Zuweilen tritt aber
doch der französisciie Geist allzu auffallend hervor. Wenn ich z. B. von
Dürer) in Bezug auf die Tagebücher seiner niederländischen Reise, sage:
.,Fr zeigt sich hier als einen Mann, der sich langjähriger fleissiger Arbeit
ijewusst war und der nun denjenigen Vortheil davon zu ziehen suchte,
den ein jeder redliche Mann wünschen muss;" so übersetzt dies Herr
Michiels: ^^Elles [les notes) moiitrent. un komme qui a conscience de son
ardeur, de son coiirage au travail, et qui ne cherche qu'ä employer. digne-
inent sa gloire.'-^ Das hiesse freilich den ehrlichen Deutschen von damals
zu einem der modernen, in der Welt umherreisenden französischen Vir-
tuosen umstempeln! Dann ist auch eine grosse Menge wirklicher Ueber-
setzuiigsfehler vorhanden, die theils die Ideen des ursprünglichen Verfas-
sers, besonders aber die thatsächlichen Angaben oft genug verdrehen.
Wenn ich z. B. sage, dass die spätem Italiener es erspriesslich gefunden
hätten, Dürers Compositionen ins Italienische zu übersetzen, so macht
Michiels daraus eine Uebersetzung seiner theoretischen Werke, von denen
an jener Stelle gar keine Rede war. Wenn Fiorillo Dürer's Aeusseres,
namentlich seine „schöne Bildung" rühmt, so macht Michiels daraus eine
„schöne Erziehung'', die wiederum sehr modern klingt. Aus der „einge-
legten Lanze", mit der (in Altdorfer's Alexanderschlacht) Alexander auf
den Darius eindringt, macht Michiels eine Lanze, „geschmückt mit einge-
legter Arbeit"; aus einer „Morgenlandschaft" eine „morgenländische Land-
schaft." Die ,,dunkeln Umrisse", die an den Formen eines alten Bildes
vorherrschend sind, werden bei ihm zu „Umrissen, die sich kaum erkennen
lassen." Wenn ich von dien Blättern der Dürer'schen gestochenen Passion
sage: „Auch unter diesen ist Vieles vom vorzüglichsten Werthe vorhanden,"
so übersetzt Michiels: „Von ihnen sind uns viele erhalten" u. s. w. Wenii
ich von Dürer's Ehrenpforte sage, die Arcliitektur derselben sei -durch „die
bildlichen Darstellungen'.' uiigemeiu beschränkt worden, so lässt er sie durch
^die Bedingnisse des Holzschnitts" zerbrochen sein. Wenn ich bemerke,
dass Altdorfer's Kupferstiche seinen Gemälden nicht „nachstehen", so''über-
^^tzt er: „sie gleichen ihnen nicht"- u. s. av., u. s. w. Ich fürchte, die
■eduld des Lesers zu ermüden, wollte ich noch weiter in dieser Aufzäh-
l'Hig fortfahren.
53
'TW:
53 Berichte und Kritiken.
54
AVas die aus Fiorillo eingeschobenen Stücke anbetrifft, so bat der
Uebersetzer hier und da ganz wohlgethan, durch sie seinen Landsleuten
einige Notizen über die äusseren Verhältnisse der Künstler zu geben, in
denen ich absichtlich sehr kurz war, da ich keine Geschichte der Maler,
sondern eine Geschichte der Malerei schreiben wollte, und die erstere uns
bereits aus hundert Büchern bekannt ist. Ein behagliches Gefühl hat es
•y cj
mir freilich nicht erweckt, das sogenannte häusliche Unglück des guten
Dürer, das schon so breit getreten ist, das mit seiner Kunst gar nichts zu
thun hat und das die Ehre seiner Männlichkeit am Ende nur in ein zwei-
felhaftes Licht stellt, auch hier in aller Breite wiederzufinden. Schlimmer
aber ist es, dass der Uebersetzer bei diesen eingeschobenen Stellen oft mit
sehr geringer Ueberlcgung verfährt, dass er keineswegs wahrnimmt, dass
die in ihnen enthaltenen Urtheile mit den meinigen oft in directem Wider-
spruch stehen, dass er demnach — sofern er das Ganze als sein Werk
darstellt — auch mit sich selbst in Widerspruch geräth. So habe ich mich
z. B. bemüht, die ideale Richtung der deutschen Kunst im vierzehnten
Jahrhundert und im Anfange des folgenden in ihrer eigenthümlichen Be-
deutung zu entwickeln, während man früher voraussetzte, dass mit dem
Begriffe des Deutschen in der Malerei und Sculptur jenes steifleinene We-
sen, das am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts seinen Triumph feiert,
unzertrennlich verbunden sei. Gleichwohl schiebt der Uebersetzer bei Ge-
legenheit der Prager Schule des vierzehnten Jahrhunderts (die eben ein
Glied der deutschen Kunst jener Zeit ausmacht) grosse Stellen aus Fiorillo
ein, welche die Vorzüge und die Mängel der „böhmischen" Schule im Ge-
gensatz gegen die „deutsche" Schule (worunter die Künstler jener spätem,
steifleinenen und mehr naturalistischen Epoche yerstanden werden) ent-
wickeln sollen; und doch kümmert es ihn gar nicht, dass diese breiten
Bemerkungen durch das, was ich vorher und nachher über die ältere deutsche
Kunst gesagt habe, vollkommen negirt werden. Dann beschreibt er, bei
Gelegenheit der Nachfolger der altkölnischen Schule, den Gemäldecyklus
der bekannten Lyversberg'schen Passion, wie er diese Beschreibung bei
Fiorillo vorgefunden; später, bei Gelegenheit der kölnischen Meister, die
unter Einfluss der Niederländer arbeiten, führt er denselben Cyklus zum
zweiten Mal; mit den Worten meines Handbuches, als ein ganz neues Werk
ein; auch übersetzt er hiebei zuerst richtig, dass man diese Werke ohne
zureichenden Grund mit dem Namen des Israel von Meckenen benannt
habe, fügt aber wenige Zeilen darauf, durch den leichtsinnigsten Ueber-
setzungsfehler veranlasst, hinzu; „man komme gegenwärtig, darin überein,
diese Werke dem genannten Meister zuzuschreiben" u. s. w.
Die eigenen Mittheilungen des Uebersetzers dürften dagegen sehr wohl
geeignet sein, unser Interesse in Anspruch zu nehmen. Sie geben Bericht
über eine bedeutende Anzahl von Gemälden, die sich in der Bibliothek
von Colmar befinden und über die, so viel mir bekannt, von deutschen
Kunstforschern noch kein genügender Bericht vorliegt. Es sind Bilder, die
theils dem Martin Schön, theils Dürer zugeschrieben werden. Als Werke
des Martin Schön nennt der Verfasser 17 Tafeln 'mit Scenen der Leidens-
geschichte Christi; von Dürer seien 13 Tafeln, zum Theil sieben bis acht
Fuss hoch, vorhanden, Madonnenbilder, Scenen der Verkündigung, der Ge-
burt Christi, der Kreuzigung, Auferstehung, ein heil. Sebastian und mehrere
auf den h. Antonius bezügliche Darstellungen. Der Verfasser schildert die
Coinposition dieser Gemälde und versucht es nach seiner Weile, ihre cha-
k;
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Sammlung vou Denkmälern der ArchitektuFj Sculptur uud Malerei. 55
rakteristisclien Eigenthümlichkeiten bezeichnen. Von den Dürer'schen
Bildern sagt er: „Alles bezeugt, dass Dürer ihr Urheber ist; die Zeich-
nung, die Composition, die Farbe, das Monogramm des Malers lassen dar-
über keinen Zweifel aufkommen." Gleichwohl scheint die Charakteristik,
die er von den einzelnen Stücken mittheilt, auf mancherlei Unterschiede
der künstlerischen Behandlung hinzudeuten. Es wäre im höchsten Grade
wünschenswertb, dass ein gründlicher Kenner deutscher Kunst diese Werke
einmal einer genaueren Betrachtung unterzöge. Ausserdem nennt der
Verf. noch zwei in Frankreich vorhandene Gemälde: eine Mannalese von
Martin Schön, im Museum von Paris (während jedoch Hr. Dr. Waagen in
seinem ausführlichen Werke über Paris, S. 541,'versichert, dass von die-
sem Meister Nichts vorhanden ist), und ein Dürer'sches Bild vom J. 1504
im Besitz des Hrn. de Perigny. Das letztere bezeichnet er als „Marius auf
den Ruinen von Carthago", ein Gegenstand, der — falls diese Bezeichnung
richtig sein sollte — unter den von Dürer sonst behandelten Gegenständen
etwas befremdlich dastehen dürfte. — Noch ist schliesslich zu bemerken,
dass der Verf. im ersten Bande seines Werkes, bei Gelegenheit der Be-
schreibung des Freiburger Münsters, einige nähere Notizen über die dort
vorhandenen Gemälde von Hans Baidung und von Holbein giebt. Eben
dort, bei seiner Schilderung des Oktoberfestes in München, kommt er aucTi
auf die neuere Münchner Kunst zu sprechen. Ueber diese weiss er wenig
Günstiges zu sagen, doch verräth sein Urtheil hier, zum Theil wenigstens,
grosse Einseitigkeit. (Die Bemerkung indess, man solle München nicht
Neu-Athen, sondern Neu-Alexandrien nennen, scheint gar nicht übel.) In
einer Schlussnote entschuldigt er sich wegen dieser herben Kritik: er sei
erst 21 Jahr alt gewesen, als er München besucht habe.
Für jene Notizen über die Colmarer, auch für die .über die Freiburger
Bilder müssen wir dem Verfasser Dank wissen. Im Uebrigen wollen wir
hofi'eu, dass sein Buch die Franzosen auf die Schätze der deutschen Kunst
wenigstens aufmerksam machen und sie zu einer sorglicheren Bekanntschaft
mit diesen und mit unsern Forschungen'veranlassen möge.
I
Sammlung von Denkmälern der Architektur, Sculptur und
Malerei vom 4ten bis zum löten Jahrhundert. In 3335 Abbildun-
gen auf 328 Kupfertafeln. Gesammelt und zusammengestellt durch J.B.L'.G.
Seroux d'Agincourt, nebst erläuternden Texten, revidirt von A. Ferd.
von Quast, und später erscheinenden Ergänzungsheften, zunächst für die
Architektur von A. F. von Quast, Hofbaurath Stüler und mehreren Mitglie-
dern des Architektenvereins. — Berlin, Enslin's'che Buchhandlung.
(Kunstblatt, 1841, Nro. 40.)
l)as grosse Werk von d'Agincourt ist Allen bekannt,- die sich mit der
Geschichte der Kunst im christlichen Zeitalter beschäftigt haben. Trotz
') Dies ist,, seitdem obiger Aufsatz geschrieben worden , durch Hrn. v.
Quandt im Kunstblatt vom J, 1840, Nro. 76 ff, geschehen.
Berichte und Kritiken.
der mehrfachen Mängel, an denen dasselbe zu leiden hat, ist es doch
— bei der überaus grossen Anzahl bildlicher Darstellungen, die es enthält, —
zu einer fast unentbehrlichen Grundlage für die bezüglichen Studien ge-
worden; auch im weiteren Fortschritt sieht man sich sehr häufig genöthigt,
auf dies Werk zurückzukehren. Es ist eben so reich an üebersichten, wie
es in vielen Einzelheiten als die einzige leicht zugängliche Quelle betrach-
tet werden muss: bei einer namhaften Anzahl von Gegenständen ist es in
der That bereits die einzig brauchbare Quelle für kunsthislorische For-
schungen geworden, indem die Originalwerke (wie z. B. die interessanten
Darstellungen der ehemaligen Bronzethüren von St. Paul bei Rom) seit der
durch d'Agincourt veranstalteten Aufnahme untergegangen sind. Von be-
sonderer Wichtigkeit ist das Werk für einige der interessantesten Forschun-
gen, die gegenwärtig im Gebiet der mittelalterlichen Künstgeschichte ange-
regt sind, namentlich in Bezug auf die Geschichte der Miniaturmalerei des
Mittelalters, für die in diesem Augenblick (nach dem Vorgange des Baron
Kumohr) durch den Grafen de Bastard, durch Waagen u. A. so Bedeuten-
des geleistet ist und noch geleistet wird. Hier bieten d'Agincourt's zahl-
reiche Nachbildungen von Miniaturen willkommene Anknüpfungspunkte;
und wie sich diese besonders auf die Werke römischer Bibliotheken be-
ziehen , so finden sie wiederum in den neuen Mittheilungen, welche die
„Beschreibung der Stadt Rom" darüber giebt, auf erfreuliche Weise eine
noch weitere, dem heutigen Stande der Wissenschaft angemessene Wür-
digung,
Unter dem obigen Titel ist kürzlich eine deutsche Ausgabe des d'Agin-
court'schen Werkes erschienen , w^elche dasselbe ebenso bei uns zum Ge-
meingute macht, wie es von Franzosen und Italienern bereits der ihnen
eigenen kunsthistorischen Literatur zugezählt wird. Die deutsche Ausgabe
hat die Platten der italienischen benutzt. Einzelne von diesen Platten
sind allerdings nicht ganz fehlerfrei. Wenn bereits die französischen Ori-
ginalplatten nicht immer (und namentlich nicht bei den Abbildungen von
kleinem Maassstabe) mit genügender Schärfe auf die Eigenthümlichkeiten
der darzustellenden Gegenstände eingehen, weiin Manches bei ihnen zu
unbestimmt und zu undeutlich wiedergegeben ist, so ist es sehr natürlich,
dass solche Mängel in Nachstichen hier und da noch etwas mehr hervor-
traten. Gleichwohl sind diese Mängel, was den nächsten und vorzüglich-
sten Zweck des Werkes anbetrifft, nicht besonders erheblich; das Werk
soll vorzugsweise zur Uebersicht dienen , es soll die Hauptunterschiede in
den Stufen des Verfalles und des Entwickelungsganges der Kunst, die ver-
schiedenen Weisen der Composition u. dgl., in ihren bedeutsamsten Um-
rissen zur Anschauung bringen, und dazu vorerst reichen auch die Nach-
stiche lün. Doch nicht alle Blätter sind Nachstiche. Im Gegentheil
enthalten ^manche der italienischen Platten wesentliche Berichtigungen und
zeichnen 'sich vor denen der französischen Originalausgabe vortheilhaft
aus. So sind z. B. in der letzteren die Darstellungen aus den" Frescoge-
mälden, welche Dom, Ghirlandajo im Chor von S. Maria Novella zu Flo-
renz gemalt hat (Mal. T. 157.), höchst roh und fehlerhaft gestochen, in
der italienischen Ausgabe dagegen auf eine ebenso charakteristische und
richtige, wie geschmackvolle Weise wiedergegeben. Sodann ist diese ita-
lienische Ausgabe an Einer Stelle durch hinzugefügte Kupferstiche ver-
mehrt und liefert in diesen eine nicht unwichtige Bereicherung der italie-
nischen Kunstgeschichte. Es sind die als ISr. XXI, A—C, bezeichneten
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Saniuiluiig von Deukmälera der Architektur, Sculptur und Malerei. 57
Tyfelu der Sculptur, welche, in sehr sauberen Umrissen eine Darstellung
I der in Gold und Silber getriebenen, mit Emaillen, edeln Steinen u. dgl.
' geschmückten Bekleidung des Hochaltares von S. Ambrogio zu Mailand
• enthalten. Dies merkwürdige Weilt reiht sich den wenigen , auf unsere
Zeit gekommenen Arbeiten solcher Art als eines, der interessantesten an.
Zufolge der (lateinischen) Inschrift, die sich daran befindet, würde es aus
der ersten Hälfte des 9ten Jahrhunderts herrühren. Doch kann ich nicht
umhin, zu bemerken, dass die Zeichnung dieser Platten sowohl, als die
Eviunerung, welche der Anblick des Originales in mir nachgelassen hat,
meinem Urtheil nach weniger für das 9te Jahrhundert mit seinen karolin-
gisoh antiken Elementen, als für das 12te (frühestens für das. Ute) spfe-
clien. Da indess meine Erinnerung- schon etwas verblasst ist, auch die
vorliegenden Zeichnungen nicht genügende Grösse haben, so will ich für
jetzt noch kein schliessliches Urtheil aussprechen. Vielleicht erhalten wir
von unseru Kunstreisenden gelegentlich eine näher charakterisirende Mit-
tlieilung über dies interessante "Werk.
Indem sonach die nicht sehr wesentlichen Mängel der italienischen
Ausgabe durch wesentliche Vorzüge ausgeglichen werden, hat die der ita-
lienischen folgende deutsche Ausgabe noch einen ganz eigenthümlichen
und sehr reellen Vorzug. Aus dem Preise dieser, obschon sehr anständig
ausgestatteten Ausgabe geht nämlich hervor, dass allein die Benutzung vor-
handener Platten den Verleger in den Stand setzte, den billigsten Anfor-
derungen zu entsprechen und ein Werk, wäches früher nur in den bedeu-
^ tendsten Bibliotheken zu finden war, zu einem Handbuche im eigentlichen
Sinne des Wortes zu machen. Der Preis der deutschen Ausgabe beträgt
32 Thaler, d. h. noch nicht den Mnften Theil der früheren; dabei ist zu-
, gleich die Einrichtung getroffen, dass nunmehr auch die einzelnen Abthei-
lungen, getrennt von den übrigen,.zu beziehen sind, und zwar als: Denk-
mäler der Architektur (zu 9 Thalern), der Sculptur (zu 7 Thlrn.), und die,
freilich sehr umfangreiche, der Malerei (zu 20 Thlrn.). Durch diese Ein-
richtung wird fortan die Benutzung des Werkes wesentlich erleichtert und
5 somit denjenigen kunsthistorischen Studien, für welche dasselbe die Mittel
enthält, ein günstigeres und leichter zugängliches Hülfsmittel gegeben sein.
Auf öffentlichen Bibliotheken sind so umfassende Werke nur selten voll-
ständig durchzuarbeiten, während sich die Resultate bei der dem Einzelnen
bequemeren Einrichtung seiner Arbeit natürlich um so genügender ergeben
müssen. Besonders betrifft dies den Inhalt der Denkmäler der Architektur.
Bei der von d'Agincourt gewählten (und seinem Standpunkte wenigstens
I angemessenen) Einrichtung ist e« hier sehr schwierig, den, ganzen Reich-
thum seiner Mittheilungen zu übersehen; man muss "Gelegenheit haben,
sich mit allen Einzelheiten vollständig vertraut zu machen, um die viel-
lachen Bclelirungen sich aneignen zu können, die in der That darin ent-
halten sind. Vielleicht entschliesst sich der deutsche Herausgeber, zum
Behuf des Nachschlagens noch ein übersichtliches Verzeichniss der auf den
verschiedenen Tafeln zerstreuten Theile der einzelnen Bauwerke — der
Grund- und Aufrisse,^Durchschnitte, Details verschiedener Art, — nach-
zuliefern. Ein solches würde die Brauchbarkeit dieses Abschnitts gewiss
noch bedeutend erhöhen.
Der Text der deutschen Ausgabe ist auf eine umsichtige Weise eben-
falls für die Zwecke des Handgebrauches bearbeitet worden. D'Agincourt's
lext ist sehr ausgedehnt und', wenn auch reich an manchen wichtigen
58 Berichte und Kritiken.
Mittheilungen (wohin z. B. die Auszüge aus dem Liber pontiiicalis gehö-
ren), doch im Allgemeinen nicht recht erspriesslich behandelt und nament-
lich durch den Standpunkt des Autors, den die heutige kunsthistorische
Auffassungsweise nicht mehr kann gelten lassen, wenig fördersam, nament-
lich nicht, nm als Grundlage für kunsthistorische Studien zu dienen. Der
deutsche Herausgeber hat somit wohlgethan, den Text auf eine massige
Erläuterung des auf den einzelnen Kupfertafeln Dargestellten einzuschrän-
ken. Hr. v. Quast hat dabei zugleich die Irrthümer d'Angincourts hin-
sichtlich der Zeitangabe oder der Künstlernamen so viel als möglich zu
berichtigen und seine Ausgabe solcher Gestalt mit den ^Anforderungen der
heutigen Wissenschaft in Einklang zu bringen gestrebt Dass manche Jrr-
thümer d'Agincourts nur als solche bezeichnet werden und statt ihrer noch
keine anderweitig bestimmten Erklärungen gegeben sind, dürfte keinen
Tadel verdienen, da wir Alle sehr wohl wissen, wie viele Punkte in der
neueren Kunstgeschichte noch einer genaueren Erörterung bedürfen. Vor-
nehmlich betrifft dies die Angabe über die Geschichte der italienischen
Architektur. Hier ist zwar durch Cordero, besonders was die frühere Ent-
wickelungsgeschichte anbelangt, bereits vortretflich vorgearbeitet worden,
und es sind durch ihn, nach meinem Dafürhalten, manche Punkte schon
auf eine genügende Weise aufgeklärt, — wie z. B. das Alter der Kirche
S. Micchele zu Pavia (bekanntlich eine der entscheidendsten Streitfragen
in der italienischen Kunstgeschichte), das Cordero aus sehr guten Gründen
zwischen 1050 und 1150 setzt, Hr. v. Quast geht hierauf nicht näher ein,
sondern begnügt sich nur, bei der Kirche S. Micchele und den ihr ent-
sprechenden Gebäuden auf die gewöhnliche Meinung, die sie in das Zeit-
alter der Longobardenherrschaft setzt, 'hinzudeuten, ohne dieselbe weiter
vertreten zu wollen. Vielleicht indess erscheinen ihm Cordero's Ausein-
andersetzungen noch nicht erschöpfend genug, so dass hier — wie an andern
Stellen des Textes — die weitere Durchführung der eigenen Meinung einen
Raum in Anspruch genommen hätte, durch den der nächste Zweck der
deutschen Ausgabe des d'Agincourt, ein Werk für den Handgebrauch zu
liefern, mehr oder weniger möchte aufgehoben sein, — Im Uebrigen dürfte
der deutsche Herausgeber nur sehr wenig Irrthümer des Originaltextes
übersehen haben. So kann z. B. das eine der schönsten Gemälde in der
Kirche del Carmine zu Florenz, Kapelle Brancacci, mit dem Martyrthume
des heil. Petrus (Malerei T. 148), nicht mehr als ein Werk des Masaccio
gelten, sondern ist als dem Filippino Lippi angehörig zu betrachten. Hin
und wieder hätte der Herausgeber auch bei Angäben des Originaltextes,
dass dies und jenes Werk bisher noch nicht edirt sei, die neueren Kupfer-
werke berücksichtigen können, besonders in Fällen, wie bei den schon
oben genannten Fresken Ghirlandajo's in S. Maria Novella 'zu Florenz
(Malerei T. 157), wo er den Text mit den Worten anhebt: „Diese noch
unedirten Gemälde" u. s. w., obgleich die letzteren, seit d'Agincourts erster
Mittheilung, durch Lasinio so ausführlich wie charakteristisch gestochen sind.
Ebenso wäre auch über die seit d'Agincourts Zeit stattgefundenen Ortsver-
gnderungen mancher Gemälde eine Auskunft nicht unerwünscht gewesen,
wie z. B. bei dem merkwürdigen Gemälde von Mazzolino (Mal. T. 198),
welches sich gegenwärtig im Besitz des Hrn. E. Solly zu London befindet;
oder über das schöne Madonnenbild von Raphael im Besitz des Lord Gra-
vagh zu London (Mal. T, 184), über welches hier die Angabe des Original-
Kunstwerke und Künstler in England und Paris.
lextes, dass dasselbe sich „zu Rom im Palast Borghese ^ im Zimmer de»
Fürsten "Aldobrandiiii" , befinde, beibehalten'ist.
Indess sind solcher Versehen, Avie gesagt, nur wenige und nicht son-
derlich bedeutende, und die deutsche Ausgabe ist unbedenklich als' eine
erfreuliche und dankenswerthe Erscheinung für die Fächer des kunsthisto-
rischen Studiums zu bezeichnen. Ich habe noch hinzuzufügen, dass der
Werth des Werkes durch die verheissenen Ergänzungshefte, die zunächst
der Architektur gewidmet sein sollen, noch bedeutend erhöht werden
dürfte. Herr Hofbaurath Stüler und Herr v. Quast haben beide-von ihren
Kuustreisen, vornehmlich aus Italien, so umfassende wie sorgfältige archi-
tektonische Studien heimgebracht, welche über Vieles, das seither noch
gar nicht oder nur mangelhaft bekannt war, ein ganz neues Licht verbrei-
ten. Diese und ,die gründliche historische und kunsthistorische Bildung
des Herausgebers (die er, was das classische Alterthum betriflft, u. A.
durch den vortrefflichen Text zu seiner sehr erweiterten Ausgabe von In-
wood's Erechtheion bereits zur Genüge bethätigt hat) lassen uns in jenen
Ergänzungsheften einen wesentlichen Gewinn für die kunsthistorische For-
schung erwarten. Hoffentlich wird das Gesammtwerk diejenige Theil-
nahme finden, welche zur Erfüllung des Versprechens einer solchen Fort-
setzung nöthig sein dürfte.
V.
Kunstwerke und Künstler in» Englan d und P aris. Von Dr. G. F.
Waagen, Director der Gemäldegalerie des königl. Museums zu Berlin.
3 Theile, Berlin, 1837—1839.
(Kunstblatt, 1841, Nro. 41.)
J.. 'I
Wenn über ein Werk, das zu den wichtigsten der neueren Kunstlitera-
tur gehört, erst einige Zeit nach dessen Erscheinen Bericht erstattet wird,
so möge eben diese Wichtigkeit des Werkes der verspäteten Anzeige zur
Entschuldigung dienen. Das Buch des Hrn. Director Waagen hat einen so
mannigfaltigen, so viel gegliederten Inhalt^ dass es nicht füglich gelesen
werden kann, wie man wohl andre Bücher liest; es greift fast in alle
Zweige der Kunstgeschichte,, ein, es bietet nach allen Seiten so viel neue
und bedeutsame Einzelheiten, dass eine umfassende Würdigung kaum elier
möglich sein dürfte, als bis man alles Einzelne seines Inhaltes dem grossen
Ganzen des kunsthistorischen Entwickelungsganges eingereiht und einge-
arbeitet hat. Erst nach einem Studium, solcher Art vermag man es zu
übersehen, wie das Gebäude der kuns'thistorischen Disciplin durch dies
Buch an vielen Stellen neu gestützt und befestigt wird, wie es an vielen
andern in ungleich reicherer Ausbildung als bisher erscheint, wie in ihm
so manche ganz neue Räume'für unser Auge eröffnet werden.
Die beiden ersten Theile des Werkes bilden unter dem'- besondern
Titel: „Kunstwerke und Künstler in England", ein für sich bestehendes
Ganze. In Bezug auf sie ist zunächst ein Wort über ihr Verhältniss zu
Passavant's „Kunstreise durch England und Belgien" zu sagen, in welchem
Buche uns zum ersten Mal ein genauer und gründlicher Einblick in die
59
60
Berichte uud Kritiken.
Kuustschätze, die das reiche England besitzt, gegeben war. Beide Werke
behandeln einen grossen Theil der wichtigsten unter diesen Kunstschätzen.
Doch dürfen wir desshalb Waagen's Arbeit nicht überflüssig nennen, oder
etwa wünschen, dass er über die von Passavant bereits besprochenen Ge-
genstände möge kürzer hinwegegangen sein; im Gegentheil ist es sehr er-
freulich , dass wir über diese Gegenstände nunmehr zwei, zu einem gründ-
lichen Urtheil berufene Stimmen vernehmen können, auch wenn dieselben
nicht überall auf gleiche Weise lauten. Waagen's ganze Auffassung und
Behandlung ist eben eine andre, als die von Passavant, und die Verglei-
chung Beider ist wohl geeignet, dem Leser eine selbständigere Anschauung
zu bereiten, soweit eine solche überhaupt durch das geschriebene Wort
vermittelt werden kann. Dann hatte Waagen Gelegenheit, seine Heise
weiter auszudehnen als sein Vorgänger, somit über manche Sammlungen,
deren Anschauung dem letzteren nicht gestattet war, Bericht zu geben;
vornehmlich ist es wichtig, dass er seinen Gesichtskreis nicht so eng be-
schränkt, wie Passavant, der im Wesentlichen nur von Gemälden und
Handzeichnungen spricht, und auch über die spätere Zeit, besonders über
die Cabinetsbilder des siebzehnten Jahrhunderts, die geradehin einen der
Glanzpunkte der englischen Kunstsammlungen ausmachen, nur einzelne
gelegentliche Andeutungen giebt. Im Gegentheil zieht Waagen Alles, was
der bildenden Kunst, vom frühesten Alterthum bis in die jüngste Gegen-
wart herab, angehört, in seinen Bereich und tritt uns somit in der grössten
Vielseitigkeit der Anschauung und des Uitheils gegenüber;' — Dasselbe gilt
von dem dritten Theil seines Buches, der den besonderen Titel führt:
„Kunstwerke und Künstler in Paris." Dieser Theil bildet durchaus eine
neue Erscheinung im Gebiete der Kunstliteratur und füllt eine der empfind-
lichsten Lücken aus, da es uns bisher an einer umfassenden uud gründ-
lichen Charakteristik der ausgezeichneten Schätze, die in 5en Kunstsamm-
lungen von Paris bewahrt werden, noch durchaus mangelte. Zwar werden
hier im Wesentlichen nur die in den öffentlichen Sammlungen befindlichen
Werke besprochen; doch enthalten diese für Paris bei Weitem das Wich-
tigste, während in England die ungleich grössere Mehrzahl vorzüglicher
Werke in den Privatsammlungen aufgesucht werden muss. Zudem sind die
merkwürdigsten Privatsammlungen von Paris bereits vor dem Druck des
Waagen'schen Buches aufgelöst worden.
In der äusseren Behandlung sind die Theile des Waagen'schen Wer-
kes, welche sich auf England beziehen, von dem, der es mit Paris zu thun
hat, unterschieden, wie dies die Beschaffenheit des Stofl'es mit sich bringen
musste. In den ersten Theilen musste über eine grosse Anzahl von ein-
zelnen, zumeist zwar sehr werthvollen, doch nicht gerade sehr umfassenden
Sammlungen Bericht erstattet werden. Das Ganze zerfällt hier somit in
viele kleine Theile, die aber durch eine anmuthige Schilderung englischer
Sitte und englischen Lebens und der Umgebungen des letzteren verbunden
werden. Das Buch hat die Form vertraulicher Briefe, und'wer den eigent-
lichen Kern, die Kunstberichte, überschlagen wollte, würde auch in jenen
Schilderungen eine unterhaltende und belehrende Leetüre finden. Auf
diese näher einzugehen, ist hier indess nicht der Ort; nur mag bemerkt
werden, dass auch in ihnen durchweg die feine, künstlerisch gebildete
Auffassungsweise des Verfassers hervortritt. Im dritten Theil waren zwar
ebenfalls verschiedene Sammlungen zu''besprechen, die aber, als die Insti-
tute Einer grossen Residenz, nicht durch Zufall, sondern nach wissenschaft-
-r-i.'. .
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Kunstwerke und Künstler in England und Paris,
liehen Gesichtspunkten von einander gesondert sind. In diesem Theil
herrscht somit eine wissenschaftliche Anordnung vor, der reichhaltige Stoff
wird nach seiner selbständigen Eigenthümlichkeit und nach dem Gange
der historischen Entwickelung in grösseren Massen geordnet, während die
l<'orm der Briefe und die. Schilderung anderweitiger Lebensverhältnisse mehr
in den Hintergrund tritt. In der folgenden üebersiclit fassen wir den In-
lialt der drei Theile ebenfalls nach diesen wissenschaftlichen (kunsthisto-
rischen) Gesichtspunkten zusammen.
Beide Abschnitte seines Werkes, was dessen wissenschaftlichen Inhalt
anbetrifft, eröffnet der Verfasser mit einer ziemlich ausführlichen geschicht-
lichen Darstellung des Sammeins, der Kunstliebhaberei, der Kunstbildung
überhaupt in den betreffenden Ländern. ^ Hiedurch gewinnt der Leser eine
sichere Anschauung des Terrains, in welches ihn die folgenden Mittheilun-
gen einführen sollen; aber auch unabhängig von diesem nächsten Zweck
haben jene Darstellungen ein grosses, eigenthümliches Interesse. Sie stehen
den allgemeinen geschichtlichen Verhältnissen, den glanzvollsten Erschei-
nungen des Lebens, wie dem jähen Absturz, in den diese hinabgesunken,
als sprechende Zeugnisse zur Seite; sie bilden überhaupt ein wichtiges
culturgeschichtliches Moment , und es dürftezu interessanten Resultaten
führen, wenn diese Darstellungen selbständig und weiter umfassend, auch
in Bezug auf die übrigen europäischen Länder, durchgeführt würden.
Schon gegenwärtig giebt der "Vergleich zwischen den französischen und
den englischen Kunstinteressen zu mancherlei Bemerkungen Anlass. In
England kommt vorzugsweise nur das eigentliche Sammeln in Betracht; in
Frankreich dagegen greifen die Kunstinteressen vielfach und oft sehr be-
deutend in das Leben ein. Hier sehen wir bereits in der zweiten Hälfte
des vierzehnten Jahrhunderts, unter König Karl V. und seinem Bruder
Jean von Berry, Sammlungen enstehen; namentlich für das Fach der
^Miniaturmalerei werden die Künstler verschiedener Länder in Anspruch
genommen. Wichtiger ist, was in der ersten Hälfte des sechzehnten
-Jahrhunderts unter Franz L und Heinrich IL geschah; grossartigere Samm-
lungen wurden angelegt, italienische Künstler wurden ins Land ge-
zogen , sie führten sehr umfassende Werke aus und gründeten eine eigen-
tliümliche Kunstschule, die von Fontainebleau. Wurde auch der Glanz
dieser Zeit durch die unmittelbar darauf folgenden Revolutionskriege sehr
getrübt, so war dem französischen Kunstleben doch bereits eine eigen-
thümliche Richtung eingeimpft. Franz dem Ersten steht in England Hein-
rich VIII. gegenüber; doch war dessen Kunstliebhaberei minder um-
fassend, und vornehmlich ist hier nur, im Gegensatz gegen die in
Frankreich arbeitenden Italiener, Holbein und dessen Thätigkeit in England
zu nennen. Ungleich bedeutender erscheint die Wirksamkeit Karls I. im
zweiten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts; 'durch ihn und dufch gleich-
gesinnte Grosse kam .eine grosse Menge. der seltentsten Kunstschätze
nach England. Aber riach seiner Hinrichtung wurden die .letzteren wie-
der in alle Welt zerstreut, und seine Nachfolger vermochten, nur We-
niges aus dem grossen Schiffbruche zu retten. In derselben Zeit beginnt
in Frankreich der Glanz der Regierung Ludwigs XIV-;-aufs Umfassendste
ward wiederum ^gesammelt und sonst auf mannigfaltige Weise für die
Kunst gewirkt; Vieles aus den zerstreuten englischen Sammlungen kam
.letzt, auf grösseren oder kleineren Umwegen, nach Frankreich. Priv'atper-
sonen zeigten ein gleiches Strebeij .wie der König.. So auch seine Nach-
61
62 Berichte und Kritiken.
Vi'" !MiUf"
folger, zunächst der Herzog von Orleans (Regent während der Minderjäh-
rigkeit Ludwigs XV.), dann die beiden folgenden Könige. Auch in Eng-
land war man in dieser Periode nicht müssig-, doch betrachtete man'die
Kunstwerke mehr nur als'Dekoration für die Schlösser, als dass man sie
um ihres selbständigen Werthes willen gesammelt hätte. • Nun aber brach
der Sturm der französischen Revolution los, und was an den Besitzthümern
der Grossen durch dieselben nicht vernichtet ward, kam auf den Markt
und ging nach England; so die berühmte Galerie Orleans, so unzähliges
Andre. Von dieser Zeit beginnt die erhöhte Kunstliebe von Seiten der
Engländer, und fast überall hat das Trefflichste, was käuflich wurde,
dort seine Heimat gefunden. Wiederum jedoch wusste sich Frankreich für
solche Verluste schadlos zu halten, indem es, wie einst die Römer, aus
der Beute aller besiegten Länder, das Herrlichste an Werken der Kunst in
Paris zusammenhäufte. Mit Napoleons Sturz musste zwar das Wichtigste
zurückgegeben werden; doch ist auch so noch Paris im Besitz höchst um-
fassender Schätze geblieben. —' Hr. Waagen geht auf alle diese einzelnen
Umstände näher ein und giebt durch Auszüge aus den Verzeichnissen der
vorzüglichsten Sammlungen, die im Laufe der Zeit entstanden waren, eine
nähere Anschauung des Einzelnen.
Unter den eigentlichen Kunstberichten seines Werkes sind zunächst
die über Gegenstände des Alterthums hervorzuheben. Der ganze Reich-
thum der Antikensammlungen im Museum von Paris, die Schätze des brit-
tischen Museums, die mannigfachen Werke alter Kunst, die in den Palästen
und Schlössern der englischen Grossen zerstreut sind, werden unsern Augen
vorübergeführt. Mehr oder weniger ausführlich, mit besonnener künstleri-
scher Kritik, geht der Verfasser auf alles Einzelne ein und stellt dessen
Bedeutung für den Gang der kunsthistorischen Entwickelung fest. So viel
ich zu urtheilen im Stande bin, sind wir dem Verfasser schon für diese
Berichte zu sehr grossem Danke verpflichtet. Die neuere Zeit hat unge-
mein wichtige Entdeckungen im Gebiete der alten Kunst veranlasst; ganze
Reihen neuer Darstellungen, neuer Gegenstände sind uns entgegengetreten,
und diesen hat sich die Forschung mit vorzüglicher Liebe zugewandt;
dadurch aber ist im Fache der Archäologie ein, fast ausschliesslich gelehr-
ter Standpunkt in den Vorgrund gerückt, und die einfach künstlerische,
und darum doch eben die belohnendste und folgereichste Auffassungsweise
ist zuweilen wohl über die Gebühr vernachlässigt worden. Diese nun
vertritt Herr Waagen, und gewiss mit grossem Glück; das Auge, das in
den Werken der neueren Kunst die feineren Unterschiede und die Ent-
wickelungsverhältnisse zwischen den verschiedenen Schulen, den einzelnen
Meistern und den einzelnen Werlien der letzteren zu verfolgen gewohnt
warj betrachtet in ähnlicher Weise die Arbeiten antiker Kunst, wo solche
Verhältnisse nicht in gleichem Maasse zu Tage, zu liegen scheinen; so tre-
ten auch hier für die Entwickelung und für den Bildungsgang manche
Momente klar hervor, die von den Archäologen bisher nicht eben so an-
schaulich dargestellt wurden. — Zuerst ist d«r Berichte über die einzelnen
Werke ägyptischer Kunst, die sich in London und in Paris befinden, zu
gedenken; ditT allgemeinen Stylgesetze werden ausführlich charakterisirt;
die neuere Erklärung der Hieroglyphen giebt-willkommene Gelegenheit,
die Stylunterschiede historisch zu bestimmen. Im letzteren Bezüge ist
besönders interessant,.was über die Veränderungen in der späteren Zeit
der selbständigen ägyptischen Kunst (nach Werken des Louvre) mitgetheilt •
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63
Kunstwerke und Künstler in England und Paris,
wird. Einige gehaltreiche Worte über persepolitanische Sculpturen und
Gypsabgösse von solchen, die sich im brittischen Museum befinden, sind
ebenfalls nicht zu übersehen. Dann folgen Bemerkungen über die altgrie-
chischen und ihnen entsprechenden archaistischen Werke im Louvre. Vor-
züglich wichtig aber ist die ausführliche Charakteristik der griechischen
Sculpluren aus der Zeit des Phidias, im brittischen Museum; der Verfas-
ser setzt auf eben so einfache, wie durchgreifend klare Weise die gross-
artigen Stylgesetze, die bei diesen Werken obwalten, und ihre Unterschiede
auseinander. Hieran reihen sich die Bemerkungen über die gleichartigen
Werke in Paris, besonders über die eigenthümlich interessanten Fragmente
von den Sculpturen des Jupitertempels zu Olympia. Eben so wird die Folge-
zeit der griechischen Kunst in Betracht gezogen. Die Statue der Venus
von Melos (im LouvreJ giebt Gelegenheit, das Wesen der künstlerischen
Richtung des Scopas und seiner Schule näher zu entwickeln; der Verfasser
geht hiebei zugleich auf die künstlerischen Elemente der Niobidengruppe
über, deren Erfindung er, wie es scheint, mit gutem Grunde, dem Scopas
(im Gegensatz gegen Praxiteles) zusöhreibt. Sodann sind es vornehmlich
die reichen Schätze des Louvre, aus den späteren Zeiten der griechischen
Kunst, aus der römischen Zeit und bis zu dem Ende antiker Kunstübung,
die von dem Verlauf der letzteren ein anschauliches Bild gewähren; die
einzelnen Abschnitte dieses Zeitraumes werden übersichtlich geschildert,
die einzelnen Werke als die Belege zu diesen Schilderungen mehr oder
weniger ausführlich charakterisirt. Ich wüsste nicht, dass uns über di^n,
so eigenthümlich schwierigen Theil der antiken Kunstgeschichte ähnlich
umfassende und begründete Bestimmungen vorlägen. Auf die Notizen über
Anticaglien der verschiedensten Art, Bronzen, Gemmen, Münzen, Gefässe
und Geräthe näher einzugehen, würde hier zu weit führen.
Für den Üebergang aus, der antiken Kunst in die des christlichen
Zeitalters sind zunächst die Notizen über einige consularische Diptycha
aus dem fünften und sechsten Jahrhundert, zu Paris befindlich, von grossem
Werth. — Wichtige'r jedoch für diesen Üebergang, und von der umfas-
sendsten Bedeutung für den gesammten Entwickelungsgang der bildenden
Kunst in der Zeit des Mittelalters sind die ausführlichen Mittheilungen,
welche Herr Waagen über die Miniaturmalereien in den Manuscripten giebt.
Die reichen Schätze solcher Art, die sich in den Pariser Bibliotheken be-
finden, werden in chronologischer Folge vorgeführt; die Mittheilungen über
die Miniaturen englischer Bibliotheken sind aufs Trefflichste geeignet,
diese üebersicht zu vervollständigen. Wir sehen hier zum ersten Mal, so
viel wichtige Mittheilungen ;wir auch bereits über einzelne Miniaturmale-
reien besitzen, die bildende Kuns't des Mittelalters in genetischer Entwicke-
luug vor uns; an mehreren Stellen tritt uns auf überraschende Weise ein
seither ungekannter Zußammenhang entgegen, 'An solchen Werken zwar,
die sich, wie der ambrosianisclfe Hpmer, der vaticanische Virgil, dias Ma-
iiuscript der Genesis zu Wien, noch unmittelbar an die classische Kunst
anreihen, fehlt es in dieser Üebersicht. Doch stehen die älteren Arbeiten-
speciell byzantinischer Kunst, dem neunten und zehnten Jahrhundert an-
geh()rig, die sich auf der Pariser Bibliothek befinden, dem classischen Al-
terthum ebenfalls»noch auffallend nahe; an diese reihen sich die folgenden
Werke byzantinischer Kunst an, die noch im zwölften Jahrhundert bedeu-
tend, und erst im dreizehnten und vierz.ehnten wesentlich entartet erschei-
nen. So fehlt es" auch für die Barbarisirung der gleichzeitig^ italienischen
ß
63 Berichte und Kritiken.
64
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Kunst nicht an Beispielen. Sehr wichtig sind sodann die Arbeiten der
karolingischen Periode. Der Charakter der Arbeiten unter Karl dem Gros-
sen wird nach sicheren Beispielen festgestellt und die Werke des neunten
Jahrhunderts, namentlich die aus der Zeit Karls des Kahlen, von diesen
unterschieden. (Die Bibelhandschrift in S. Calisto zu Rom, früher in St.
Pavil vor der Stadt, die durch d'Agincourt bekannt ist, wird als der Epoche
Karls des Kahlen angehörig bezeichnet.) Diesen, noch immer antikisiren-
den Werken gegenüber stehen die der angelsächsischen Kunst, deren Blüthe
schon der Zeit um 700 angehört und die eine höchst eigenthümliche Aus-
bildung eines nordischen (gewiss auf alt-nationaler Grundlage beruhenden)
Formensinnes bekunden; auch in der fränkischen, so wie selbst in der nie-
derländischen Kunst zeigt sich ihr Ei,nflnss. Dann folgt die Blüthe deut-
scher Kunst zur Zeit der sächsischen Herrschaft, unter byzantinischem
Einfluss; als wichtige Beispiele werden hier das Evangeliarium zu Trier
und das aus Epternach in der Bibliothek von Gotha, beide aus dem zehn-
ten Jahrhundert herrührend, genannt. (Ihnen reihen sich die zahlreichen
Miniaturen dieser und der nächsten Zeit, aus dem Domschatze von Bam-
berg, jetzt zumeist in Blünchen befindlich, an.) Für die mannigfaltigen
Uebergänge im elften und zwölften Jahrhundert, in denen byzantinisch
antike Einflüsse und nordische Formenweise durcheinander gehen, eben so
für den lebhaften Aufschwung der Kunst lim das Jahr 1200, werden zahl-
reiche Beispiele angeführt; noch mehrere für die Entwickelung und Aus-
bildung der gothischen Kunstrichtung in den verschiedenen Ländern im
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, in denen zuerst die nationalen
Elemente frei und unbehindert hervortreten. Höchst bedeutend ist sodann
der neue Aufschwung, den die Kunst in der zweiten Hälfte des vierzehn-
ten Jahrhunderts bei den Franzosen und Niederländern nahm. Hier ver-
bindet sich mit der grösseren Strenge des gothischen Styles bereits das
Streben nach Naturalistik und eigentlich malerischer Wirkung; namhafte
Künstler, wie A. Beaunevveu, Jacquevrart, Hodin u. A., treten
uns entgegen, — und die Kunstschule, aus welcher die van Eycks hervor-
gegangen sind, - steht deutlich vor unsern Augen. Wie aber diese Meister
sich aus der Schule der Miniaturmalerei herausgebildet, so haben auch
sie und ihre Nachfolger eine grosse Menge der interessantesten Werke sol-
cher Art geschaffen. Der bedeutenden Anzahl schon bekannter Arbeiten
werden hier mancherlei neue und zum Theil sehr wichtige zugefügt, vor-
nehmlich aber wird das Brevier des Herzogs von Bedfort (jetzt zu Paris),
an welchem die Brüder van Eyck selbst und ihre Schwester Margaretha
gearbeitet, ausführlich charakterisirt. Neben der niederländischen Schiile
des fünfzehnten Jahrhunderts efitwickelte sich, in der zweiten Hälfte des-
selben, wiederum eine eigentliümliche'französische Schule der Miniatur-
malerei, die in einzelnen'Leistungen allerdings .den Niederländern ver-
wandt,, in andern aber ailch sehr selbs.tändig erscheint. Das Haupt dieser
Schule ist Jean Foiiquet von Tours, Hofmaler Ludwig's-XL Dann
•treten in die französische Kunst zugleich italienische Einflüsse hinein, und
schon in der früheren Zeit des sechzehnten Jahrhunderts, namentlich in
den Arbeiten des Godefroy, zeigen sich hier.Leistungen, die als das
Vorbild der späteren Schule von Fontainebleau erscheinen. Endlich ist
Hoch der Bemerkungen über italienische Miniaturmalereien des fünfzehnten
Jahrhunderts, namßntlich über Arbeiten des Attavante, und über solche,
Kunstwerke und Künstler in England und Paris. 05
die dem sechzehnten Jahrhundert, namentlich dem Giulio Clovio ange-
iiören, zu gedenken.
Die Betrachtung der Miniaturmalereien führt zu den Werken der mo-
dernen Kunst, wie sich diese vornehmlich in den Staffeleigemälden darstellt.
Die zahlreichen Gemäldesammlungen von England, die grosse Sammlung
des Pariser Museums geben dem Verfasser den reichhaltigsten Stoff zu
Bemerkungen, denen denn auch der grössere Theil seines Werkes gewid-
met ist. Hier aber ist auch die Reihe dieser Darstellungen so gross und
mannigfaltig, dass es unmöglich wird, auf die einzelnen Punkte einzu-
gehen, und dass nur die allgemeinste Uebersicht gegeben werden kann.
Von Werken der Entwikelungsperioden des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts kommt nicht eben viel vor, doch darunter Einzelnes von
grosser Bedeutung-, manche merkwürdige Bilder altitalienischer Meister
(z. B. ein beglaubigtes von Simone di Martino in der Liverpool-Insti-
tution) werden näher besprochen,' besonders aber manche sehr wichtige
Bilder der flandrischen Meister dieser Zeit. Wie reiche Schätze von den
grossen Meistern des sechzehnten Jahrhunderts in Paris und in den eng-
lischen Sammlungen bewahrt werden, ist bekannt; ich müsste fast die ganze
Nomenclatur der Kunstgeschichte jenfer Zeit ausschreiben, wollte ich das
Einzelne nennen. Ich erinnere nur flüchtig daran, dass die vorzüglichsten
und sichersten Werke von Leonardo da Vinci sich in Paris befinden,
dass uns also über diese zum erstenmale ein begründetes Gutachten vor-
gelegt wird; dass so viele von Raphael, von Tizian, von Correggio
u. s. w. hier ausführlich zur Sprache kommt; dass bei Weitem die Mehr-
zahl Holbein'scher Gemälde sich in England befindet, und dass wir, da
dieselben häufig mit dem Datum versehen sind, durt^h die Charakteristik
der einzelnen Bilder und deren Zusammenstellung endlich eine genügende
Anschauung von Ilolbeiii's weiterem Bildungsgange gewinnen können, und
dergl. m. Aber auch über viele andere, minder bekannte Meister erhalten
wir Aufschluss und nähere Bestimmungen; um nur Ein Beispiel anzufüh-
ren, erwähne ich der niederländischen Meister aus dem Anfange des Sech-
zehnten Jahrhunderts, von denen manche, wie z, B. Mabuse, erst hier
ihre genügende Würdigung finden; auch über den noch immer so räthsel-
haften Schoreel und über den Meister der ihm früher zugeschriebenen
Bilder finden sich Andeutungen. Als noch bedeutender möchte ich das
bezeichnen, was uns über die Meister des siebzehnten Jahrhunderts gebo-
ten wird, theils über die Historienmaler dieser Periode, vornehmlich aber
über die Cabinetmaler, im Fache der Landschaft und der Genremalerei.
Wer es durch eigene vergebliche Mühe empfunden hat, wie äusserst un-
zulänglich die bisherigen schriftlichen Mittheilungen über diesen merkwür-
digen Theil der modernen Kunstgeschichte sind, wird es dem Verfasser
sehr lebhaft Dank wissen, dass er es sich nicht hat verdriessen lassen,
über diese kleinen Werke, deren Inhalt zumeist so schwer mit Worten zu
bezeichnen ist, gelreu und' sorgfältig Rechenschaft zu geben. Freilich war
er dazu auch durch den Gang seiner Reise unmittelbar aufgefordert; denn
wenn auch Paris für diese Fächer der Kunst, im Verhältniss zu den deut-
schen Sammlungen, nicht eben viel Neues und Eigenthümliches darbietet,
so ist dies bei den englischen Sammlungen in um so reicherem Maasse
der Fall. Dort haben bei Weitem die wichtigsten Schätze solcher Art ihr
Unterkommen gefunden; von allen in die genannten Fächer einschlagen-
Kugler, KUine Scbriflen. H. 5
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Bericlite und Kritiken.
den Meistern sind dort die gelungensten und glücklichsten Werke vorhan-
den, manche, die wir diesseits des Canales fast gav nicht oder nur aus
untergeordneten Machwerken kenneri, treten* uns dort in glänzendster Ent-
faltung ihres Talentes entgegen. — Nicht minder ausführlich ist ferner der
Bericht, den der Verfasser über die neuere und die heutige Malerei in
England und Frankreich gieht, so dass wir, wenn wir uns die bekannten
Bestrebungen unserer Landsleute hinzunehmen, eine vollständige Anschauung
von dem Kunstleben unserer Tage, zu welchem uns die grossen Leistun-
gen der Vergangenheit geführt, vor uns haben.
Doch ist mit alledem der Inhalt des Werkes noch nicht beendet,
lüeber die Sammlungen von Handzeichnungen älterer Meister erhalten wir
mannigfache belehrende Auskunft; eben so über die Kupferstichsammlun-
gen, die besonders zu manchen gehaltreichen Bemerkungen über die Ur-
s|)rünge dieser Kunst und über die. Werke der älteren Meister Anlass geben;
nicht minder über die Arbeiten moderner Sculptur in ihren verschiedenen
Zweigen, so weit Beispiele derselben dem Verfasser entgegentraten. Schliess-
lich fehlt es auch nicht an näheren Angaben über die Werke der Archi-
tektur. Einige Kirchen und Schlösser des englischen Mittelalters werden,
wie auch der englisch-gothische Baustyl überhaupt, näher charakterisirt;
eben so werden die heutigen Leistungen der Baukunst in England und in
Paris mehrfach ausführlich besprochen. — Nehmen wir nach alledem hin-
zu, dass den beiden Abschnitten des Werkes sorgfältige Register, zum
Nachschlagen für alles Einzelne, beigefügt sind (dem Theil über Paris auch
ein Nummerregister, um denselben als Handbuch beim Besuch des dortigen
Museums benutzen zu können), so möchte man schon geneigt sein, das
Werk — wären es nicht eben drei, zum Theil recht starke Bände — als
ein Noth- und Hülfsbüchlein für Alle, die sich mit kunsthistorischen Din-
gen beschäftigen, zu bezeichnen.
Ich freue mich, dass ich zum Schluss dieser Anzeige noch hinzufügen
kann, dass wir in kurzer Zeit wiederum ein ähnliches Werk aus der Feder
des Hrn. Waagen zu erwarten haben. Es wird die Resultate einer Kunst-
reise durch Deutschland, von Berlin bis München und Wien, enthalten.
Der erste Theil, der, wie ich höre, bereits vollendet ist, \v:ird|die Resul-
tate der Reise bis München, durch Sachsen, Franken und einen! Theil von
Schwaben umfassen und unter Anderm für die Entwickeluug der Schule
von Franken die wichtigsten Beiträge bringen.
fit
HfT
Das Erenhtlmioii zu AthnTi.
Das Erechtheion zu Athen nebst mehreren noch nicht bekannt ge-
machten Brnchstücken der Baukunst dieser Stadt und des übrigen Grie-
chenlands. Nach dem Werke des Hrn. In wo od mit Verbesserungen und
vielen Znsätzen herausgegeben, durch eine genaue Beschreibung dieses
Tempels und eine vollständige Geschichte der Baukunst in Athen vermehrt
durch Alexander Ferdinand von Quast, Ehrenmitglied der archäo-
logisclien Gesellschaft in Athen. Berlin, 1840. Verlag von George Gro-
[)ius. (Atlas in Grossfolio mit 42 Tafeln; Text in Octav, 193 Seiten und
4 Inschrifttafeln.}
CKuustblatt, 1841, Nro. 47.)
Ueber das genannte Werk ist in diesen Blättern schon vor einiger
Zeit gesprochen; doch ist im Wesentlichen nur das Gebäude des Erech-
theums, wie wir dasselbe durch diese und andre Mittheilungen kennen,
nicht aber die Arbeit des Herausgebers und ihre etwanige Bedeutung für
die heutige Kunst und Wissenschaft ins Auge gefasst worden. Es dürften
somit die folgenden Bemerkungen für das Interesse des Lesers gleichwohl
nicht überflüssig sein.
Das Erechtheum, was seine Anlage betrifft, schon an sich ein sehr
interessantes archäologisches Problem, steht in künstlerischer Bedeutung
ganz ■einzig unter den architektonischen Resten der griechischen Blüthezeit
da. Es ist das reichste und edelste Werk ionischen Styles, das wir ken-
nen; seine Formen sind durchweg in einer gemessenen Schönheit, gebildet,
in einer Eleganz und Präcision ausgeführt, dass seine Betrachtung das lau-
terste Wohlgefallen, eine nie endende Bewunderung erweckt, und dass es
als einer der allerwichtigsten Gegenstände für das künstlerische Studium
bezeichnet werden muss. Durch das bekannte Werk von Stuart besassen
wir schon früher eine allgemeine Darstellung dieses Gebäudes; diese Dar-
stellung ist allerdings insofern auch für unsre Zeit noch höchst wichtig,
als manche Stücke des Baues seit der durch Stuart veranstalteten Aufnahme
untergegangen sind; das architektonische Detail jedoch, in den zarteren,
feineren Motiven seiner Ausbildung, wodurch eben jene höchste Vollen-
<iiing der griechischen Architektur bezeichnet wird, aufzufassen, war überall
und so auch hier nicht Stuarts Sache; — er hatte hinlänglich zu thun,
indem er vorerst nur die allgemeine Bedeutung der griechischeu Formen
dem verdorbenen römischen Geschmack seiner Zeit gegenüberstellte. Inwood
war es, der in seinem Werk über das in Rede stehende Gebäude [the Erech-
theion of Athens) mit rühmlicher Sorgfalt auf die eigenthümliche Bildung
der Einzelheiten einging, der dieselben in grossem Maassstabe, ihre pla-
stisclie Formation überall durch eingezeichnete Proflldurchsclinitte dar-
stellte, der solcher Gestalt Gelegenheit gab, das anmuthvollste Werk grie-
chischer Architektur fast vollständig vor dem inneren Blick aufzurollen.
Zugleich hatte Inwood darauf Bedacht genommen, eine Reihe andrer atti-
scher Architekturfragmente und dekorativer S'tücke, die demselben reiche-
ren, glänzenderen und zierlicheren Style angehören, ebenso ausführlich mif-
zutheilen, so dass sein Werk das zwiefache Verdienst hatte: diesen Styl
uns sowohl in einer Vollendung und Ausbreitung zu vergegenwärtigen,
') Kunstblatt, 1840, Nro. 99.
(57
G8 Berichte und Kritiken.
von der wir frülier keinen Begriff hatten, als uns auch auf eine höchst
charakteristische und umfassende Weise in denselben einzuführen.
Nach alledem musste eine deutsche, für uns bequem zugängliche Aus-
gabe seines Werkes sehr erwünscht sein. Dennoch war sein Werk nicht
frei von Mängeln. Trotz dem, dass er eine so viel grössere Sorgfalt als
Stuart dem architektonischen Detail zugewandt hatte, war auch er nicht
mit voller Unbefangenheit an dessen Aufnahme gegangen; er hatte nament-
lich die verschiedenen Nüancen der Bildungsweise, die an den verschie-
denen Theilen des Gebäudes — mit so höchst feinem, künstlerischem Ge-
fühl — hervortreten, nicht durchweg beobachtet; er hatte diese Formen
im Gegentheil auf gewisse Weise verallgemeinert und dadurch ihre Bedeu-
tung wiederum in Etwas verflacht. Dem deutschen Herausgeber aber wurde
durch den Architekten, Hrn. Schaubert zu Athen, eine Reihe genauerer
Zeichnungen mitgetheilt, in denen eben diese Unterschiede mit der höch-
sten Sorgfalt beobachtet sind, in denen z. B. die verschiedenen Formen
der Gliederungen, die verschiedenen Zierden unter den Kapitalen der Säu-
len und Halbsäulen aufs Deutlichste hervortreten. Diese Zeichnungen, in
der Grösse der Originale, bildeten eine sehr wichtige Bereicherung und
Verbesserung des Werkes. Ihnen schlossen sich Zeichnungen von andern
Architekturtheilen, ebenfalls von Schaubert mitgetheilt, an, theils solche
die demselben Style entsprechen, theils solche, die andern Ordnungen oder
einer anderweitig freien Bildungsweise angehören. Das Einzelne dieser
neuen Mittheilungen ist hier nicht wohl namhaft zu machen; es genüge,
auf die Darstellung einiger sehr wichtigen Details vom Parthenon (über
das wir fast immer noch auf Stuarts ungenügende Zeichnungen angewiesen
sind), auf einige eigenthümlich interessante thebanische Fragmente, zu-
gleich auch auf die Mittheilung polychromer Dekoration an dem soge-
nannten Theseustempel, in farbigem Steindruck ausgeführt, hinzudeuten.
Diesen Schaubert'schen Mittheilungen hat Hr. v. Quast endlich einige, nicht
minder wichtige, hieher gehörige Darstellungen aus Vulliamy's Eaieinples
of ornamental scidpture in architecture beigefügt. — Die deutsche Ausgabe
des Erechtheions ist nach alledem als eines der wichtigsten Werke für
unsre Kenntniss der griechischen Architektur in ihrer zartesten Vollen-
dung zu bezeichnen und für das Studium derselben, vornehmlich von Seiten
der ausübenden Architekten, von höchster Bedeutung.
Der Text zerfällt in drei Abschnitte; der letzte von diesen enthält
eine kurze Erklärung der Kupfertafeln, theils nach Inwoods Worten, theils
mit denen des deutschen Herausgebers. Die beiden andern sind ganz von
dem letzteren gearbeitet und ebenso wichtig im architekturhistorischen,
wie im archäologischen Bezüge. Der zweite Abschnitt enthält die Ge-
schichte des in Rede stehenden Gebäudes, eine genaue Charakteristik des-
selben und einen Versuch zur Erklärung seiner einzelnen Theile. Alle
Hülfsmittel, die hiebei zu Gebote stehen, sind mit sorgfältigster Umsicht
benutzt, und das Resultat hat, wo es sich nicht zur vollen Sicherheit er-
hebt, wenigstens den Anspruch auf sehr grosse Wahrscheinlichkeit; zur
durchgreifenden Gewissheit kann dasselbe freilich erst gelangen, wenn das
Innere des Gebäudes, was bis jetzt noch nicht geschehen , vollständig
durchforscht und aufgegraben sein wird. Aber auch so sind die hier mit-
getheilten Untersuchungen, welche die interessantesten Fragen der atheni-
schen Archäologie 'berühren, mit entschiedenem Dank aufzunehmen. Ueber
die merkwürdigen Bauinschriften des Erechtheums, w^elche Hr. v. Quast
M.
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.1
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-ocr page 68-Das Erecbtheion zu Athen.
■■-.'iTvi:!---!"-'^.-;.
69
iin Original und in der Uebersetzung mitlheilt, wird eine umfassende und
folgenreiche Kritik vorgelegt. Der erste Abschnitt des Textes giebt den
„Umriss einer Geschichte der Baukunst in Athen.'' In seiner Vollständig-
keit und in der Anwendung einer genauen historischen Kritik (nur in Be-
zug auf die ejeusinischen Bauten verharrt der Ünterzeichnefe bei seiner,
von der des Verfassers zum Theil abweichenden Ansicht) bildet dieser
Abschnitt einen sehr erfreulichen Beitrag zu einer gründlicheren Geschichte
der Architektur, als wir bis jetzt besitzen; die dunkleren Partieen dieser
Geschichte — vor den Perserkriegen und nach dem peloponnesischen
Kriege — sind hier ebenso klar entwickelt, wie die der Glanzzeit unter
Perikles.
Es ist bemerkt worden, die deutsche Ausgabe des Erechtheions hätte
füglich so lange unterbleiben» können, bis die zu hoffenden, genaueren
Durchforschungen ira Inneren des Gebäudes alles, für uns aufbehaltene
Licht über dasselbe ^verbreitet haben würden. Diese Bemerkung scheint
aber sehr überflüssig zu sein. Abgesehen davon, dass Inwood das Gebäude
(auch was einige wichtige The.ile im Inneren desselben betrifft) noch voll-
ständiger erhalten sah und darstellte, als es heute erscheint, so darf es
schon für den Fortschritt der archäologischen Wissenschaft nicht gleich-
gültig sein, hier eine Reihe von mehr oder weniger gesicherten An-
knüpfungspunkten gewonnen zu haben. Der Hauptwerth des Werkes aber
ist ein praktisch künstlerischer. Ich habe schon angedeutet, dass hier für
das Studium und für die Ausbildung des Architekten die wichtigsten Mit-
theilungen gegeben sind; und hätten uns dieselben sollen vorenthalten
werden, bis, vielleicht nach einer Reihe von Jahreu, noch einige wenige
neue Ergebnisse hinzugekommen waren?
■3.
'S,
*
KS
""iy'v'^- ...................-
1. Das römische Denkmal zu Igel.
(Jiaudenkuiale der Kömiscben Periode und des Mittelalters in Trier und seiner
Umgebung, lierausg. von Cliristian Wilhelm Schmidt, Lief. 5.)
Ein&r der merkwürdigsten und eigenthümlichsten Ueberreste ans dem
Zeitalter des römischen Glanzes ist das Denkmal, welches sich in dem
Dorfe Igel, zwei Stunden oberhalb Trier, auf dem linken Ufer der Mosel,
dem lachenden Thale gegenüber, durch welches die Saar der Mosel zueilt,
auf unsere Tage erhalten hat. An vielen Stellen zwar verwittert und be-
schädigt, ist das Monument im Ganzen dennoch'so wohl erhalten, wie kaum
ein zweites unter den bedeutenderen Römerwerken, die auf deutscherii
Boden gegründet waren. Eine reiche und äusserst mannigfaltige Bilder-
schrift dem Auge darbietend, hat es von früh au das Interesse der Forscher
in Anspruch genommen. Eine unendlich weitschichtige Literatur liegt über
dasselbe vor; doch erst in jüngster Zeit sind diejenigen genauen und un-
befangenen Darstellungen der darauf enthaltenen Bildwerke gegeben,, sind
diejenigen kritisch archäologischen, Untersuchungen über die letzteren an-
gekellt worden, welche allein zur Eijträthselung dieser Bilderschrift führen
können, soweit- eine solche überhaupt noch möglich ist. Mit dankbarer
Die gesammto frühere Literatur (bis 1826) und die bis dahin stattge-
fundeuen Erklärungsvorsuche' enthält das Werlt: „Abbildung des römischen Mo-
iuiments in Igel,' gez. und litli. von Chr. Ha wich, mit erl. Text von.J. M.
Neurohr. Trier, 1826. '(Die dabei befindlichen Abbildungen sind jedoch un-
brauchbar) Diesem ist zunächst noch der bezügliche Abschnitt in Wytten-
bi\chs neuen Forschungen [S. 78 — 98] anzuschliessen. Die genauesten
Abbildungen, rücksichtiich des Inhalts der Darstellungen, aber nicht rücksicht-
lich ihres Styles,
sowie eine gründliche Beschreibung derselben enthält das Werk;
„Das römische Denkmal in Igel und seine Bildwerke, mit Rücksicht auf das von
.iMiiim
-ocr page 70-1. Das römische Denkmal zu Igel. 71
Benutzung dieser jüngsten Mittheiluugeu und nach eigener mehrmaliger
Besichtigung des Denkmals selbst, habe ich mir eine Ansicht über das-
selbe, im Ganzen und im Einzelnen, festzustellen gesucht, die ich dem
geneigten Leser im Folgenden vorlege.
Das Monument ist ein schlanker thurmartiger Bau von viereckiger Ge-
stalt, dessen Aeusseres architektonisch durchgebildet und durchweg mit
Relief-Sculpturen geschmückt ist. Die Stellung desselben ist nach den
Himmelsgegenden orientirt, die Hauptseite nach Süden , der Strasse und
dem Flusse zugewandt. Die Grundfläche misst 16 Fuss 4 Zoll in der
Breite und 13 Fuss 7 Zoll in der Tiefe; d/e gegenwärtige Höhe beträgt 71
Fuss 3 Zoll, Das Material ist ein feinkörniger weissgrauer Sandstein. Die
Werkstücke, von verschiedener Grösse, liegen in Schichten über einander,
die regelmässig um das ganze Monument herumlaufen; die Steine sind,
ohne ein sonstiges Bindungsmittel, vortrefflich aufeinander gefügt. Die
sichere Erhaltung der Gesammtmasse lässt auf sorgfältige Verankerung im
Innern durch ein dauerhaftes Metall schliessen; besonders die Spitze, wo
auf einem Flächenraume von 2 Fuss 5 Zoll Länge und 1 Fuss 11 Zoll
Breite ein Aufsatz von etwa 120 Centner Gewicht getragen wird, berech-
tigt zu diesem Schlüsse. Herausgedrungene Spuren grünen Oxyds, deren
chemische Untersuchung starken Kupfergehalt erkennen Hess, dienen eben-
falls zur Bestätigung dieser Ansicht. Die Steine sind von verschiedener
Festigkeit. In vielen Partieen ist (wie bereits bemerkt) die Oberfläche
verwittert; mancherlei Beschädigung, zum grossen Theil muthwillige, hat
ausserdem stattgefunden, auch sind an vielen Stellen neue Steine, zur Aus-
besserung des Schadhaften eingesetzt; so dass uns gegenwärtig die reichen
Cyklen der bildüclien Darstellungen nur noch in einer mehr oder minder
fragmentarischen Gestalt entgegentreten.
Was zunächst die architektonische Anordnung des Monuments anbe-
trifft, so erscheint dieselbe in einer Bildung und Zusammensetzung der
_Formen, welche ein entschieden spätrömisches Gepräge trägt, welche die
gesetzliche Einfalt des antiken Architekturstyles bereits vermissen lässt,
dennoch aber einen eigenthümlich bedeutsamen Eindruck hervorbringt und
II. Zunipft nach dem Originale ausgeführte 19 Zoll hoho Modellj beschrieben
und durch Zeiohnungeu erläutert von C. Osterwald. Mit einem Vorwort von
Göthe. Cobleiiz 1829." (Das-Modell wurde, gleich den grösseren Studien zu
demselben und zu der Zeichnung von einem, zu diesem Uehufe erbaueten Ge-
rüste ausgefertigt, so dass alles p]inze]ne in der Nähe untersucht werden konnte.
Das geistvolle Vorwort Göthe's findet sich besonders abgedruckt in seinen ge-
sammnlteu Werken, kleine Ausgabe, Bd. 44, S. 18Ö—193). Abbildungen, die
zwar minder genau sind, als die eben genannten, die aber den schönen Styl der
Originalsculpturen besser wiedergeben, finden sich in dem grossen Werke„Ma-
lerische Ansichten*'der merkwürdigsten AHer^hümer und vorzüglicher Naturanla-
gen im Moselthale, bei Trier, gez. u.'lith. von J. A. Ramboux," mit erläutern-
dem Texte von J. IJ. W y t-t en b ach.'^ Die erste gründlich archäologische
Erläuterhng der Darstellungen, auf das Osterwald'sche Werk gestützt, giebt eine
Abhandlung von L. Schorn: „Versuch einer vollständigen Erklärung der Bild-
werke an dem römischen Denkmal zu Igel,'' abgedruckt in den Abhandlungen der
philosophisch-pliilologischen Klasse der K. bayerischen Akademie der 'Wissen- ,
Schäften, Bd. I. München 1835. (S. 257—306). Ohne von dieser Arbeit Kunde
zu haben, und ebenso auf die'Osterwald'schen Blätter gestützt, gab ich einen
anderri, nur mehr die Hauptmomente iu's Auge fassenden Erkläruugsversucb,
im Schorn'schen Kunstblatt 1840, Nr. 57. f".
72 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
schon an sich als das Zeugniss eines noch immer regen Lebensgefühles zu
betrachten ist. Der Haupttheil des Monumentes, der mittlere Theil dessel-
ben, besteht aus einem Pilasterbau von 20 Fuss 2 Zoll Höhe. Die Pilaster
treten an den Ecken des Monumentes hervor und tragen ein vollständiges
Gebälk. Dieser Bau ruht auf einem Podest von 8 Fuss Hölie, der von
vier, wenig untereinander vortretenden Stufen (zusammen 8 Fuss 4 Zoll
hoch) getragen wird. Ueber dem Gebälk des Haupttheiles ist eine, mit
einem Kranzgesims geschmückte Attika (7 Fuss 10 Zoll hoch) angeordnet,
Ueber der letztern springt an jeder Seite ein Giebel vor, und hinter den
Giebeln erhebt sich eine pyramidale, bauchig geschweifte Spitze, die von
dem Gesims der Attika an eine Höhe von 14 Fuss 10 Zoll erreicht. Ueber
dieser Spitze endlich ruht ein Kapital von 3 Fuss 11 Zoll Höhe, welches
einer zusammengesetzten freien Sculptur von gegenwärtig 8 Fuss 2 Zoll
Höhe zur Unterlage dient. Der Styl in den architektonischen Details und
Ornamenten verräth nicht minder deutlich die spätrömische Zeit, überall
jedoch nimmt man noch eine sorgfältige Durchbildung walir. In den Ge-
simsprofilen herrscht die Form des römischen Karnieses vor; alle bedeu-
tenderen Gesimse sind mit sculptirtem Blätterwerk, zumeist in verschieden-
artiger Akanthusbildung geschmückt. Das Kranzgesims des Pilasterbaues
besteht aus einer Hohlkehle und zweien Karniesen, alle drei Glieder
reich in der eben angegebenen Art verziert, eine Anordnung, die an sich
allerdings ziemlich schwer erscheint, die indess in dem Reichthum des
Ganzen eine gewisse Rechtfertigung linden dürfte. Die Kapitäle der Pila-
ster gehören der sogenannten componirten Ordnung an; sie sind jedes mit
einem menschlichen Kopf geschmückt und im Ganzen von vortrefflicher
Wirkung; doch ist das Detail der Akanthusblätter an ihnen bereits sehr
verwittert. Auffallend sind nur die Basen der Pilaster, die, ziemlich roh,
nur aus einem würfelartigen Untersatze bestehen; vielleicht dass die Ab-
sicht, die B;isis, (wie alle übrigen Flächen, die dazu nur irgend geeignet
waren) mit Sculpturen zu versehen, hier eine solche unarchitektonische
Form veranlasst hat. — Ueber den vier Ecken der Attika, zwischen den
Giebeln, sieht man würfelförmige Vorsprünge. Die auf der Nordwest- und
auf der Südost-Ecke gehören einer neueren Restauration an; diq andern
beiden sind alt und lassen auf ihren Seiten, zwar sehr beschädigt,< die fla-
chen Reliefs sitzender Figuren erkennen. (Ohne Zweifel hatten diese, jetzt
nicht mehr zu deutenden Figuren Bezug auf die Gegenstände, die ursprüng-
lich auf jenen Vorsprüngen aufgestellt waren.) Die Giebel über den schma-
leren Seiten (über der Ost- und Westseite) sind niedriger als die beiden
andern; doch sind über ihnen schmale würfelartige Erhöhungen angeibracht,
welche die Verschiedenheiten der Höhe einigermaassen ausgleichen. Ausser-
dem sieht man über jeder Giebelspitze viereckige Vertiefungen in der Ab-
dachung, woraus hervorzugehen sclveinf,7dass hier über den Giebeln beson-
dere Gegenstände aufgestellt waren. Aus alledem- d^rf man mit ziemlicher
Sicherheit "entnehmen, dass dfe Spitzen und .die Ecken der Giebel freie
Verzierungen, vielleicht Statuen trugen; diese"irlürften füi; den arcliitekto-
nischen Gesammt-Eindruck des Werkes, für die freiere und mehr harmo-
nische Entwickelung seiner Theile nach oben hin .(fast möchte ich sagen :
als eine Vordeutung auf das Princip des gothischen Thurmbaues) sehr
günstig gewesen sein, während gegenwärtig der ganze pyramidale Obertheil
zu stark zugespitzt erscheint. — Die Kanten der Abdachung endlich sind
1. Das römische Denkmal zu Igel. 73
mit schmalen Bändern eingefasst, die Seiten der Abdachung, im Einschluss,
dieser Bänder, mit reihenweis geordneten Blattschuppen verziert.
Sämmtliche freie Flächen des Monumentes sind mit Reliefsculpturen
von nicht starker Erhebung bedeckt: die Giebelfelder, die Seiten dex Attika,
der Fries des Pilasterbaues, die grossen Felder zwischen den Pilastern, so
wie die Flächen der letztern selbst, die Seiten des Podestes, .endlich auch
die drei Stufen-zunächst unter diesem, so dass eigentlich nur die unterste
Stufe des gan'iien Denkmals unverziert erscheint. Jedes Relief, wo es nicht
etwa (wie in den Giebeln) durch Gesimse eingefasst -wird, ist von erhöhten
Rändern umgeben; sogar an den Flächen zwischen den Pilastern findet
sich noch ein über die Grundfläche der bezüglichen Reliefs erhöhter Rand,
der auch zur Seite der Pila&terkapitäle 'in gebogener Linie fortgeführt ist
(welches Letztere freilich nicht einen sonderlich schönen Eindruck hervor-
bringt). Oder vielmehr: die Reliefs sind in die Flächen des Monumentes
gewissermaassen eingesenkt, so dass diese nur als erhöhte Ränder stehen
bleiben, dass demnach die architektonische "Wirkung nicht geradehin beein-
trächtigt wird. Freilich macht eine so grosse Ueberfüllung mit Bildwerken
immer einen unruhigen, für den ersten Augenblick fast verwirrenden Ein-
druck auf den Sinn des Beschauers; doch wirkt dem ein gemessenes Styl-
geföh] im Einzelnen, ein kluger Wechsel in den Weisen der Darstellung,
die in den verschiedenen Abtheilungen vorherrschen, nicht unglücklich
entgegen, besonders aber der Umstand, dass das Ganze in dem gegenseiti-
gen Zusammenhange seiner Theile als ein Gewebe sinnvoller Symbolik
erscheint, dass somit — wenn auch nicht geradehin als nachahmungswür-
dig, -so doch mit entschiedener Wirkung auf das Gemüth des unbefangenen
Beschauers — das Interesse nach einer andern Seite abgeleitet wird. Das
künstlerische Verdienst der Sculpturen muss grossentheils als ein noch sehr
erhebliches bezeichnet werden. Es fehlt im Einzelnen zwar nicht an Män-
geln in der Proportion, sowie auch, bei der Darstellung, bewegterer Hand-
lungen, nicht an harten und gespreizten Stellungen. Doch sind diese Miss-
stände, im Gegensatz gegen die im Ganzen vorherrschenden Vorzüge, nicht t
gar auffallend. Diese bestehen in einer zumeist wohlgelungenen, gemesse- |
neu Füllung des Raumes, in einer ansprechenden freien Naivetät in Stellung ;|
und Geberde, in einem trefflichen Ausdruck von Adel und Würde, der V
vornehmlich durch grossartige Anlage der Gewandung hervorgebracht wird,
besonders aber in einem noch durchweg lebendigen Gefühle für das Nackte
und für körperliche Anmuth überhaupt. Wir sehen hier,, so verwittert auch
Vieles ist, noch eine durchweg tüchtige römische Schule vor uns, bei der
wir einzelne Mängel gewiss richtiger auf Rechnung ihrer Entlegenheit von
den italienischen Kunststätten setzen werden, als wenn wir sie.den Zeitßn "
einer schon allgemeineren Entartung der'Kunst-zuschreiben'wollten. Nach '
■nveinem Dafürhalten, "in Rücksicht .auf'die* Architektjar und auf die Sculp- _
•tur des Monumentesist es''am Passlichsten und unbedenklich wfuiigsteii«, . - '
nicht gar fpn- Von rfer Wahrheit, wenp. wir dasseibp den' Zfeit^n der Ante- , ?
nine, d. h. etwa dem dritten Viertel des zweiten Jahrhunderts naoh Christi .
Geburt zuschreibVn, somit einer Beträchtlich'früheren Zeit, als Trtfer zur
kaiserlichen Residenz erhoben ward!
Gehen wir nunmehr auf den Inhalt der einzelnen Darstellungen über,
so ist die erste Frage die nach .dem eigentlichen Zwecke des Denkmals. ' (U
•Diese Frage beant\yortet sich sehr* leicht. Eine, zwar fragmentirte Inschrift, ' t;
die sich unter vorzüglichst i^n .dic,Augcn'fallen(l5en Relief ^n der yor- ^ ^ j]
i
Rheiureisö, 1841. Erster Absghuitt.
derseite des Monuments befindet, der Gegenstand dieses Reliefs, so wie der
der Bekrönung des Ganzen, bezeichnen dasselbe klar nnd entschieden als
Grabmonninent.
Der zunächst wichtige SchU'issel zur Erklärung der Darstellungen ist
natürlich die Inschrift. Leider ist dieselbe, wie eben angedeutet, iücht
mehr in vollständiger Reinheit erhalten. Sie besteht aus acht Zeilen, von
denen in der ersten Zeile nur wenige Buchstaben, in der zweiten kaum
einer, in der letzten auch nur geringe Theile noch zu lesen sind, vielfacher
Verwitterung und Beschädigung im Einzelnen der übrigen Zeilen nicht zu
gedenken. Es ist somit ein für das Lesen alter Inschriften vorzüglich
geübtes Auge erforderlich, um dieselbe, soweit es überhaupt möglich ist,
genügend zu entziffern. Ich setze hier die neueste Lesart her, die von
einem, durch sein gründliches epigraphisches Werk bewährten Kenner
herrührt ').
Dis (manibus) Secu(udini).........
74
f» f
uo .... es Secundini Securi et Publiae Pa-
catae coniugi Secundini Aventini et Lucio Sac-
cio Modesto et Modestio M(ac)edoni filio ei-
ius ... Secundinus Aventinus et Secundi-
nus Securus parentibus d(ef)unctis et .....
(sibi) vivi.........(? posu)erunt
Wir ersehen hieraus, dass zwei Männer des Secundiiiischen Geschlechts,
»Secundinus Aventinus und Secundinus Securus, das Denkmal ihren ver-
') L, Lersoh, Centrahinisoum rheinläiidischer Inschriften, III. S. 17. — loh
bin jedoch in Einem Worte von Lorsch abgewichen, indem ich in der vierteu
Zeile coniugi statt cuniugis Jese; (für das s am Schinsse des Wortes findet
sich nämlich, wie auch aus der von Osterwald, t. II, mitgetheilten Darstelhing
der Inschrift zu ersehen, kein genügender Raum.) Für den wesentlichen Inhalt
der Inschrift ist dieser Unterschied nicht erheblich; doch ist zu bemerken, dass
bei der Anwendung des Dativs (welche in Rücksicht der äussern Umstände als
die wahrscheinlichere anzunehmen ist) der Name der bezüglichen Person , der
Piiblia Pacata, in einer gewissen näheren Beziehung zu den nächstfolgenden Na-
men, d. h. in einer etwa gleichen Geltung für die Zwecke des Monuments , er-
scheintj während derselbe, bei .Anwendung des Genitivs (somit noch als' von dem
Dis manibus zu Anfange der Inschrift abhängig) in näherem Bezüge zu den vor-
angegangenen, jetzt zumeist erloschenen Worten stehen würde. Dass diese Unter-
scheidung für die Erklärung des über der Inschrift befindlichen Reliefs nicht
gleichgültig ist, wird sich im Folgenden ergeben. Sonst hat Osterwald in sei-
ner Darstellung der Inschrift noch manche andere Abweichungen von Lersch, die
indess, soweit die Inschrift überhaupt verständlich ist, ohne wesentliche jBedeu-
tuDg für ihren Inhalt sind. Statt des es der dritten Zeile (vor Secundini Se-
curi) erscheinen bei ihm die Buchstaben Iis. Diese Abweichung ist insofern
nicht unwichtig, als man die genannten Buchstaben zu dem Worte Alis (flliis)
ergänzt hat, woraus hervorgehen würde, dass in den ersten^ Zeilen nicht von
Einer Person, sondern .von mehreren Personen die Rede war, dass mithin däs
über der Inschrift befindliche Relief anders aufzufassen sein dürfte, als in der-
jenigeii Weise, welche ich für die richtigste halte. Da diese Ergänzung aber rein
willkürlich ist (somit der Genitiv Secundini Securi auch sehr wohl durch ein
anderes Verhältniss zu den vorhergegangenen Worten erklärt werden kann) und
da die ganze Lesart unsicher ist, so wird man mir verzeihen, wenn ich mich hie-
durch in meiner Auffassung nicht irren lasse.»Beiläuflg bemerke ich noch, das.^i von
einer Verfälschung der Inschrift, wie von Einzelnen angenommen, keine Spur
zu entdecken ist. Hierüber hat auch schon Osterwald näher gesprochen.
A
m
-ocr page 74-1. Das römische Deuknial zu Igel. 75
storbeiieii Verwandten und — höchst wahrscheinlich wenigstens — zugleich
sich selbst, bei iliren Lebzeiten gesetzt haben. Unter jenen sind-die Namen
dreier Personen erhalten: Publia Pacata, die Gemahlin ohne Zweifel des
einen der beiden Stifter (des Secundinus Aventinus), sodann zwei Männer,
Lucius Saccius^ Modestus und dessen Sohn Modestius Macedo. Ob zu An-
fange der Inschrift eine oder mehrere Personen, dem Kreise der Verwandt-
schaft angehörig, genannt waren, ist aus der Inschrift selbst nicht mehr mit
Sicherheit zu ermitteln. Jedenfalls gebührte die erste Stelle der Inschrift
der Person (oder den Personen), die man vorzüglich zu ehren gedachte.
Nach meiner Auffassung des über der Inschrift befindlichen Reliefs war
an jener Stelle nur von Einer Person die Rede, von welcher, dem vorhan-
denen Räume gemäss, eine ausführlichere Kunde gegeben sein musste und
der somit, wie es scheint, das Denkmal vorzugsweise gewicTmet war.
Dass auch diese dem Secundinischen Geschlechte angehörte, scheint sowohl
aus den ersten Fragmenten der Inschrift hervorzugehen, als aus der in der
dritten Zeile enthaltenen "Bezugnahme auf den einen der beiden Stifter,
den Secundinus Securus, zu dem sie somit in einem besonders näheren
Verhältnisse gestanden haben dürfte. Eine Anzahl anderer Steinschriften,
die zu verschiedenen Zeiten gefunden sind, bezeugt die »Ausbreitung und
die Bedeutsamkeit des Geschlechtes der Secundiner, vornehmlich in der
Gegend von Trier. Ohne Zweifel hatten sie an der Stelle des jetzigen
Ortes Igel, worauf das Vorhandensein des Monuments und auch einzelne
seiner Darstellungen, wie es scheint, hindeuten, einen ansehnlichen Land-
besitz. Es ist selbst nicht ohne Grund die Vermuthung aufgestellt wor-
den, dass der Ort den Secundinern seinen .Ursprung oder wenigstens seinen
Namen verdanke, indem sie denselben nach dem Orte ihrer ursprünglichen
Heimat, welche man in Aquileja findet, benannt hätten, woraus im Laufe
der Zeit die gegenwärtige Benennung entstanden sein dürfte
Das grosse Relief, welches unmittelbar über der Inschrift, auf dem
Hauptfelde der Vorderseite zwischen den beiden Pilastern, enthalten ist,
steht zu der Inschrift in nächster Beziehung. Es ist die Dedicationstafel,
wie man dieselbe so häufig auf den Grabdenkmälern des Alterthums findet,
eine Darstellung derjenigen Personen, denen das Monument gewidmet war,
und zwar — was wenigstens die vorzüglichst charakteristischen Figuren
.anbetrifft — in dem Momente feiner Abschiedsscene, in welcher Weise der
milde Geist des Alterthums insgemein die Trennung von dem geliebten
Verstorbenen zu versinnlichen pflegte. Aus beträchtlich vertieftem nischen-
artigem Grunde, erheben sich drei stehende männliche Gestalten von fast
colossalfer Grösse (die beiden äussern über 8 Fuss hoch, die mittlere etwas
kleiner); über ihnen sind drei Medaillons mit Brustbildern angebracht.
Von den erstgenannten jGestalten erscheint die zur Rechten'(vom Beschauer
aus) mit einer reichgefalteten Toga bekleidet, und, der Hauptrichtung des
Körpers gemäss ,, im Fortgehen- begriflen; sie wendet sich dabei gegen die
mittlere zurück und reicht dieser die rechte Hand Von der mittleren.
') Vgl. Sch<»ru a. a. 0. S. 276. -— Die Doppolbewegung in der genann-
ten Gestalt ist vollkommen deutlich, obschon der linke Fuss die Bewegung des
Fortgehens nicht so scharf ausdrückt, als in der Osterwald'schen Zeichnung. Der
rethte Fuss und ein Theil des denselben bedeckenden Gewandes siud im Original
überaus unglücklich und atif eine höchst störende Weise" aus Stein neu gearbei-
tet; es wäre sehr .wünschenswerth, wenn man diese gäpzlich missratheue Restau-
76 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
Figur ist der ganze obere Theil, Kopf und Brust, zerstört. Auch sie er-
scheint mit der (männlichen) Toga bekleidet, unter der ein längeres Ge-
wand bis gegen die Knöchel herabreicht. Man hat diese Gestalt ohne
Grund für eine weibliche ausgegeben; sie kann entschieden nur als die
eines vornehmen Jünglings aufgefasst werden. Die Figur zur Linken, die
am besten erhalten ist, steht gegen die beiden andern gewandt; sie tragt
eine kurze, bis an's Knie reichende, ungegürtete Tunica (keine Toga) und
hält in den Händen ein Stück Gewand , das in schönen Falten niederfällt.
Die ganze Composition dieser drei Gestalten, soviel daran auch im Einzel-
nen beschädigt ist, hat ein sehr ansprechendes Gepräge, besonders die Würde
in der zur Rechten und die Naivetät in der zur Linken. Von den Medail-
lons ist das in der Mitte grösser als die beiden andern; der darin enthal-
tene Kopf ist entschieden männlich, dagegen der in dem Medaillon zur
Linken, soweit die Verwitterung dieser Köpfe noch ein Urtheil zulässt,
als ein weiblicher erscheint.
Die nähere Erklärung dieser Personen ergiebt sich, nach meinem Da-
fürhalten, fast von selbst aus der Inschrift. Die stehende Figur zur Rech-
ten nimmt olfenbar Abschied von der mittleren; jene bezeichnet somit einen
Verstorbenen, diese einen Ueberlebenden. Die Figur zur Linken, in der
durchaus Nichts auf ein Scheiden hindeutet, muss ebenfalls als die eines
Ueberlebenden gefasst werden. Wir sehen in den beiden letzteren somit
die beiden Stifter des Monuments vor uns, die dasselbe ausser ihren ver-
storbenen Verwandten auch sich selbst (wie die Inschrift ausdrücklich an-
zudeuten scheint) gesetzt hatten. Die Gestalt zur Rechten aber muss, da
sie auf eine so ungleich bedeutsamere Weise hervorgehoben ist, als die
Bilder in den Medaillons (die wir als die der übrigen Verstorbenen zu
betrachten haben) nothwendig als diejenige gelten, welcher das Monument
vorzüglich gewidmet Avar. Dies führt uns zu der, schon oben ausgespro-
chenen Annahme, dass in den ersten Zeilen der Inschrift nur von Einer,
aber von einer vorzüglich bedeutenden Person, wohl dem Haupte der
Familie, die Rede war. Da sie ferner nur mit der mittleren Figur in eine
nähere Beziehung gesetzt ist, so erkennen wir in dieser den Secundinus
Securus, der in der Inschrift als in irgend einem nähern Verhältniss zu
jener Hauptperson stehend, bezeichnet wird; zugleich erkennen iwir,- dass
derselbe sich noch im Jünglingsalter befand. Die Figur zur Linken stellt,
mithin den Secundinus Aventinus dar. Dies letztere findet noch eine
zw^eite Bestätigung in dem weiblichen Medaillon, welches über seinem
Haupte angebracht ist, und ohne Zweifel das Bildniss der Publiä Pacata,
die wir als die verstorbene Gemahlin des S. Aventinus betrachten dürfen,
enthält. In den beiden andern Medaillons sehen' wir ejidlich die Bild-
nisse jener beiden Seitenverwantiteil'"; von denen' die' I.iischrift' ausserdem
noch Knndegiebt; und-zwar in--deiin^ grösseren in der, Mitte das des Vaters,
des-Lucius Saccius Modestus, in dem zur'Rechten'Jas ..des Sohii'es, des
, Modestius Macedo. Auffallend ist'das -Gewandstück, welches die jFig-ur
zur Linken, die ich für den Secundinus Aventinus halte,-über ihrtn HäH;
den trägt. Falls'nicht oberwärts auf diesem Gewände irgend ein besonde-,
rer Gegenstand liegend sollte dargestellt gewesen sein /was der gegenwär-
tig beschädigte Zustand dieser Stelle zu entscheiden hindert), wäre ich
♦
ration wieder fortmeisseln liesse. Der Kopf und der, linke Arm derselben Gestalt
sind, pbeufalls schlecht, aus Cement ergänzt.
i
1. Das römische Denkmal zu Igel. 77
sehr geneigt, dies (^wandstück mit dem auf dem Hauptfelde der Attika
(vergl. unten) parallel zu stellen und gleich dem letzteren als ein zur
Schau getragenes Zeichen des Geschäftsbetriebes, der die Blüthe der Fa-
milie begründet, zu erklären. Hiermit würde auch die nicht feierliche, fast
möchte ich sagen: werkmeisterliche Kleidung der in Rede stehenden Per-
son sehr wohl übereinstimmen. Ich möchte, noch näher bestimmend, hin-
zufügen, dass auf diesen Secundlnus Aventinus etwa die Sorge für den
eben angedeuteten Geschäftsbetrieb übergegangen war, während sich auf den
.jungen Secundinus Securus, der dem Verstorbenen näher stand, höhere
Würden vererbt zu haben scheinen.
Ich erwähnte bereits, dass nicht bloss die Inschrift und die eben be-
sprochene Dedicationstafel die Bestimmung des Monuments als ein Grab-
denkmal aussprechen, sondern dass auch die Bekrönung, die sich über der
schlanken Spitze des ganzen Werkes erhebt, dieselbe Bedeutung hat. In
ihr ist dieser Begriff in einer symbolischen Fassung ausgedrückt. Zugleich
steht derselbe nicht vereinzelt för sich da; vielmehr ist die darin enthal-
tene Beziehung auf Unsterblichkeit mit andern Beziehungen auf Natur- und jjr
Menschenleben eigenthümlich sinnreich zu einem grösseren Gedankenkreise 'i
verbunden, in einer Weise, dass uns hier der Gesammtinhalt aller übrigen
Bildwerke, die vielgegliederte Bedeutung derselben, in ihren Grundzügen
eng verbunden entgegentritt. Das Verdienst der geistvollen Erklärung der
sämmtlichen Theile der Bekrönung und ihres gegenseitigen Zusammenhan-
ges kommt vornehmlich Schorn^) zu; ich kann hiebei nur den Angaben
meines, der Wissenschaft leider allzufrüh entrissenen Freundes folgen.
Es ist bemerkt worden, dass die Spitze des Monuments durch ein jj
Kapital abgeschlossen wird und dass von diesem eine freie Sculptur ge- ^
fragen wird. Die Haupttheile der letzteren bestehen aus einer grossen
Kugel, über welcher sich die Reste eines Adlers erheben; mit halbentfal-
teten Flügeln scheint dieser so eben im Begriff, sich von der Kugel em-
porzuschwingen. Der starke Schwanz des Adlers steht allein noch mit
der Kugel, und zwar mit ihrer^hinteren Seite, in Verbindung; seine Vor- ;
deransicht ist der Südseite zugewandt, derselben, an welcher sich die In-
schrift und die Dedicationstafel befinden. Kopf und Hals des Adlers sind
nicht mehr vorhanden. An seiner Brust geht zu beiden Seiten eine Dra- I
perie herunter, und unterhalb dieses Gewandes sieht man die unteren '
Theile eines menschlichen Körpers, zattgebildete Beine im Charakter des
früheren Jünglingsalters, in schwebender Stellung, erhalten; die übrigen
Theile dieser Gestalt sind leider zerstört. Offenbar war hier ein zarter
Jüngling vorgestellt, der von dem Adler emporgetragen ward, somit un-
zweifelhaft kein andrer, als Ganymed, den der Adler des Zeus zu den ^
Wohnsitzen der Götter entführte®). Es versteht sich aber von selbst, dass t
1) A. a. 0. S. 277 fif. Ich nehm« keinen Anstand, hier und da Schorn's y
eigene Wofte zü wiederholen. — Es ist fast unbegreiflich, dass mau seither f
in dieser obersten Gruppe entweder nur einen Adler, oder," nachdem man jene i
Draperie und die Theile eines menschlichen Körpers entdeckt haben mochte,
dennoch in ihr nur Eine Gestalt, einen geflügelten Genius, eine Fama oder der- j'
gleichen, erkennen zu müssen glaubte. Es bedurfte nicht der Gerüste, durch /
deren Benutzung die erste richtige Darstellung in dem Zumpft'scheu Modell und
in Osterwald's Blättern gegeben ist; schon ein scharfes Auge oder die Hülfe
eines massigen Fernglases, führt zur Erkenntniss dessen, was auf dem Gipfel des '
Monumentes dargestellt ist. Noch ist zu bemerken, dass seltsamer Weise an j
V
- !
t
-ocr page 77-77 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
78
die Wahl einer soJchen Darstellung an der bedeutsamsten Stelle des gan-
zen Monuments durch eine ganz besondere Absicht veranlasst sein musste:
sie hat unbedenklich, wie alles übrige Bildwerk des Monuments, welches
sich in den Formen der alten Mythe bewegt, einen tieferen Sinn; und
/war deutet sie, wie sich aus dem Charakter der Ganymedes-Mythe ohne
alles Weitere von selbst ergiebt, auf das Scheiden eines geliebten Todten
von der Erde, auf die Entführung seiner Seele zu einem verklärten Jen-
seits. Dass die Jugend des Ganymed zugleich speciell auf einen Früh-
verstorbenen gedeutet werden müsse, scheint mir hiebei nicht nothwendig;
wollte man hierauf ein Gewicht legen, so möchte es vielleicht einer sym-
bolisirenden Kunst mehr entsprechen , wenn man nicht sowohl an die ver-
storbene Jugend des Körpers, als an die neubeginnende Jugend der Seele
dächte. Ueberhaupt aber liegt es im Wesen symbolischer Kunstdarstellun-
gen, dass ihr Inhalt nicht so bestimmt wie durch das Wort (ob auch er-
greifender) ausgedrückt wird, dass sie dem Geiste des Beschauers immer
wie ein anziehendes Räthselspiel gegenübertreten, und dass neben der
Grundbedeutung gleichzeitig auch mancherlei Nebenbezüge in der Darstel-
lung enthalten sein können. So mag auch hier die vorzüglich in die Augen
fallende Gestalt des Adlers beiläufig zugleich auf jenes, nach dem Adler
genannte Aquileja, sodann auf das Feldzeichen der römischen Legionen
(das bekanntlich in einem Adler bestand) als Sinnbild römischer Macht
und Herrlickeit, endlich auf den König der Götter, den Lenker der Welt
selbst, dessen dienstbarer A'ogel der Adler war, zu deuten sein.
Die Kugel, von welcher sich der Adler mit Ganymed emporschwingt,
ist als der Erdball zu fassen, von dem die Seele des Verstorbenen geschie-
den. Diese Kugel wird von vier colossalen weiblichen Büsten getragen,
welche sich über den vier Ecken des Kapitals erheben. Sie sind unbe-
kleidet und mit langen, über die Schultern herabfliessenden Haaren darge-
stellt; ohne Zweifel sehen wir in ihnen Wasserwesen, Töchter des Ocea-
nus, vor uns, als Andeutung des feuchten Elementes, auf welchem die
Erde ruht. Nahe unter den Achseln, in horizontaler Linie abgeschnitten,
sind sie ohne weitere architektonische oder sonstige Vermittelung auf die
Oberfläche des Kapitäls aufgesetzt. Diese Anordnung hat allerdin^^s etwas
Unharmonisches, was indess nur im geometrischen Aufriss des Mojnuments
sonderlich auffällig ist '); in der ])erspectivischen Ansicht von unten fällt
der Uebelstand grösstentheils fort. — In nächster Beziehung zu diesen
Darstellungen stehen sodann die sehr eigenthümlichen figürlichen Verzie-
rungen des Kapitales. An jeder der vier Ecken desselben befindet sich
if
der Vorderseite des Adlers eine Eisenstange herabgeht, welche, ohne die Sculp-
tur zu berühren, in die Kugel eingelassen ist. Sie überragt um ein Beträcht-
liches den Adler an Höhe. Vermuthlich ward sie gelegentlich eingefügt, um
einer jetzt nicht mehr vorhandenen Restauration den nöthigen Halt zu geben.
Da, wie mir gesagt ward, der Blitz schon mehrfach in diese Stange eingeschlagen
haben soll, so erscheint ihre Beseitigung als dringend nöthig für die Erhaltung
des ganzen Denkmals.
') So in den Osterwaldschen Blättern. Dass der Obertheil des Monuments
absichtlich auf die perspectivische Wirkung berechnet ist, geht u. a. aus der
Form der Kugel hervor, die im geometrischen Aufriss beträchtlich, in einer
elliptischen Linie, überhöht erscheint. Jene Büsteu hat man früher allgemein
für Sphinxe angesehen, ein Irrthum, der sich durch ein scharfes Auge ebenso
deutlich herausstellt, wie der mit dem Adler.
1. Das römische Denkmal zu Igel. 79
ein schlangenfttssiger Gigant in der Stellung eines Gefesselten, mit auf den
Rücken gebundenen Armen, gleichsam als Träger der oberen Gruppe.
Diese Figuren bezeichnen die besiegten Naturkräfte, und ohne Zweifel sind
sie hier specialer, als die Personification des Feuers (in seiner Bändigung
zum Heile des Weltalls), zu fassen. Wir erblicken demnach in diesen ver-
schiedenen Darstellungen zugleich eine Andeutung auf die vier Elemente,
welche den Bau der Welt ausmachen: Feuer, Wasser, Erde und Luft,
welche letztere wiederum durch die Gestalt und durch die Bewegung des
Adlers vergegenwärtigt sein dürfte. Die Schlangenfüsse jener Giganten-
figuren verschlingen sich sodann, in der Mitte einer jeden Seitenfläche des
Kapitäles, auf eine Weise, dass sie völlig den Schlangeuknoten des Mer-
kuriusstabes bilden. Gewiss ist diese Form (zumal an einem Werke, wel-
ches durchweg von Symbolik erfüllt ist) nicht als ein müssiger Zierrath
angebracht. Wir dürfen dieselbe ohne Zweifel als das Sinnbild mensch-
lichen Verkehrs , und zwar eines handel- und gewerbtreibenden Verkehrs,
betrachten; vielleicht ist es auch nicht"zu viel herausgedeutet, wenn mau
diesen-Verkehr als auf Mitteln begründet annimmt, welche auf denjenigen
Naturkräften, die durch die Gigantenfiguren bezeichnet sind, beruhten.
(Es wäre somit die Andeutung eines Gewerbes und Handels, welches ge-
wisser Naturkräfte, etwa derjenigen, die bei der Chemie zur Sprache kom-
men, zur Erzeugung seiner Produkte bedarf. Die Uebereinstimmung einer
solchen Annahme,mit andern Bildern des Denkmals wird sich weiter unten
ergeben.) Endlich ist noch zu bemerken, dass die oberen Windungen der
genannten Schlangenkuoten auf jeder Seite des Kapitäles einen mensch-
lichen Kopf in sicK elnschliessen. Diese vier Köpfe sind von verschie-
dener Bildung, und man unterscheidet in ihnen deutlich die Darstellung
des kindlichen, des Jünglings-, des Mannes- und des Greisenalters. Hie-
durch scheint ausgesprochen zu sein, dass jener Verkehr als ein ganzes '
Leben, in seinen verschiedenen Stadien, umfassend gedacht Averden solle.
Bürgerliches, vorzugsweise gewerbliches Leben in den verschiedenen
Momenten seiner Entwickelung; die verschiedenen Steife und Kräfte, welche
die Welt bilden und welche sich dem Leben des Menschen zur freien Be-
nutzung darbieten; über den irdischen Verhältnissen und Bestrebungen
aber die entschiedene und vorzüglich in die Augen fallende Hindeutung
auf ein höheres Jenseits, — diese Dinge erscheinen somit als die Haupt-
punkte, welche in den Formen d,er Bekrönung des Monumentes vergegen-
wärtigt sind und welche wir demnach ohne Zweifel auch als die Grund-
lage des Inhalts der übrigen Darstellungen betrachten dürfen. Was dört I
zum Theil nur in einfachen Sinnbildern ausgedrückt ist, tritt uns in den
.andern Gegenstäriden voller, in einer mehr künstlerischen Durchbildung,
in mehr individuellem Bezüge, entgegen. Zur vorläufigea Orientirung über
die letzteren ist "zu bemerken, dass dieselben theils, wie an der 13ekrö-
nung, in mythisch-symbolischer Darstellung, theils, wie an der Dedica-
tionstafel,^ als Gestalten des wirklichen Lebens vorgeführt werden.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die grosse Menge bildlicher
Darstellungen, \yelche an all jenen unteren Theilen des Denkmals enthal-
ten sind, zumal, da bei ihnen 'durchweg eine so besonnene künstlerische
Anlage sichtbar wird,, nicht ohne einen bestimmten Plan, ohne eine be-
stimmte Reihenfolge, ohne eine regelmässig fortschreitende Entwickelung
des Gedankens ausgeführt sein werde. Es ist somit vorerst nöthig, sich
über diesen Plan, über die Folge, in welcher die Bildwerke betrachtet
4..
r
80 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
werden müssen, zu verständigen. lu Rücksicht hierauf ist aber zunäclist
mit derselben Entschiedenheit vorauszusetzen, dass die Bildwerke einer
Jeden einzelnen architektonischen Abtheilung, indem sie durch die räum-
lichen Unterschiede auffällig in besondre Cyklen,getrennt werden, unter
sich im näheren Zusammenhange stehen müssen; was denn auch schon
durch die flüchtige Ansicht des Monumentes und der in den verschiedenen
Absätzen vorherrschenden Charakteristik der Darstellungen bestätigt wird.
Sodann dürfen wir annehmen, dass auch wohl jede Seite des ganzen Mo-
numentes, von oben nach unten betrachtet, gegenseitige Beziehungen ent-
halten möge. Es kommt somit vornehmlich darauf an, ob Mir die Cyklen
der einzelnen Absätze des Denkmals (oder die ganzen Seiten desselben)
von der Linken zur Rechten, oder von der Rechten zur Linken vorschrei-
[f tend betrachten müssen. Da diese Darstellungen aber, in ihrer Gesammt-
masse, förmlich als eine Bilderschrift anzusehen sind, so scheint — bei
einem Volke, welches gleich uns von der Linken zur Rechten zu schreiben
gewohnt war — auch diese Folge die natürlichste zu siein Eine' gewich-
tige Bestätigung erhält diese Annahme durch die verschiedene Form jener
menschlichen Köpfe, die an den Seiten des die Spitze des Monumentes
krönenden Kapitäles , von den Schlangenknoten eingefasst, enthalten sind.
Es ist bemerkt worden, dass in der verschiedenen Bildung dieser Köpfe
die vier Alter des Menschen dargestellt sind; die vorschreitende Folge ist
auch hier die von der Linken zur Rechten, so nämlich, dass der kindliche
Kopf an der Ostseite, der Jünglingskopf an der Nordseite, der männliche
an der Westseite, der Greisenkopf an der Südseite, der Hauptseite des
ganzen Monumentes, enthalten ist. Unbedenklich wird eine Entwickelung
der Gedankenfolge an so bedeutsamer Stelle, wo der Grundinhalt des
ganzen Werkes zusammengefasst erscheint, nicht zufällig sein; wir werden
gewiss nicht irren, wenn wir die Anordnung dieser Köpfe als den eigent-
lichen Schlüssel zur Lösung der ebenberührten Frage betrachten, gleich
ihnen in der Bilderfolge der einzelnen Cyklen eine Ilindeutung auf die
verschiedenen Stadien des Lebens oder auf die gleichartigen Entwicke-
lungsmomente besonderer Verhältnisse annehmen, gleich ihnen auf der
Ostseite beginnen und auf der Südseite schliessen. Dass die Hauptseite
des Monumentes den jedesmaligen Schluss der einzelnen Cyklen enthält,
ergiebt sich schon daraus, dass hier zunächst — wie an der oljenbespro-
chenen Dedicationstafel — die Bedeutung des Ganzen als eines Grabmonu-
raentes, ausgedrückt sein musste. Dennoch ist zu bemerken, dass sich hier
nicht bloss Beziehungen auf den Tod, sondern, ebenso natürlich,-auch
Darstellungen vorfinden, welche als allgemeine Repräsentation der Bedeu-
tung und der Würde des Geschlechtes oder der Person, welcher das Denkmal
gewidmet war, zu fassen sein dürften; es sind die Darstellungen der Haupt-
seite somit ebenso nöthig an den Anfang, wie an den Schluss der Betrach-
tung eines jeden einzelnen Cyklus zu stellen.
Wir betrachten die folgenden Darstellungen nach den verschiedenen
Cyklen, welche durch die architektonischen Abtheilungen gebildet werden,
und beginnen mit den obersten, welche sich den Figuren der Bekrönung
zunächst anreihen. Da von dem, was über den Spitzen und Ecken der
Giebel angebracht war, nichts erhalten ist, und da die schwachen Reste
figürlicher Darstellung auf den würfelförmigen Vorsprüngen der Giebel-
ecken (wie bereits bemerkt) keine Deutung mehr zulassen, so haben wir
es zunächst mit den im Einschluss der Giebel enthaltenen Reliefs zu thun.
1. Das römische Denkmal zu Igel. 81
Dies sind sämmtlich mythologische Gegenstände, und zwar solche, die,
nach meiner Ansicht, das Walten göttlicher Wesen über dem Leben des
Menschen und dessen verschiedenen Stadien ausdrücken, vielleicht auch
mit Rücksicht auf die an gewisse Lokalitäten oder an das Secundinische
Geschlecht geknüpfte Verehrung besondrer Gottheiten.
So sehen wir — die Darstellung in dem Giebel der Vorderseite vorläufig
dahingestellt — in dem Giebel der Ostseite einen colossalen weiblichen Kopf,
neben dem auf jeder Seite eine Hirschkuh hervorspringt. (Es ist aber nur
die eine Seite erhalten, indem fast die Hälfte des Giebels aus neuerer Re-
stauration besteht.) Unbedenklich ist hier Diana zu erkennen, die, in
Rücksicht auf den kindlichen Kopf an der entsprechenden 5eite des Kapi-
tals, in ihrer Eigenschaft als Pflegerin und Schützerin des Jugendlichen,
nicht unwahrscheinlich selbst als die Geburtsgöttin, als Diana llithya, als
Dea Lucina, zu fassen ist; ähnlich, wie sie auch an dem Hauptrelief der-
selben Seite des Monumentes, zwischen den Pilastern, wiederkehrt.
In dem nördlichen Giebel sieht man einen jugendlich männlichen
Kopf in einem strahlenartigen_ Nimbus, zu dessen Seiten je zwei flüchtige
Rosse hervorspringen; es ist Phoebus Apollo, durch den Nimbus als
Sonnengott bezeichnet, der Heilbringende und Ordnende im Allgemeinen,
hindeutend auf die Sonnenhöhe des Lebens, als Helios zugleich (was für
andre auf der Nordseite des Monuments enthaltene Reliefs nicht unwichtig
ist) der Hüter der Strassen. Die ktlnstlerische Anordnung dieser Darstel-
lung selbst ist ungemein trefflich; sie füllt den Raum in vollkommen ge-
messener Weise 'aus und ist auch im Detail sehr schön durchgebildet. Sie
ist freilich, wie auch die ebenbesprochene Darstellung der Diana, in einer
mehr ornamentistisch sinnbildlichen Weise gehalten, als dies etwa von
Seiten griechischer Künstler zu erwarten gewesen wäre; in der römischen
Kunst, und bereits in den besten Zeiten derselben, ist sie aber keines-
weges ohne Beispiel
In dem westlichen Giebelfelde erscheint eine schlafend ruhende weib-
liche Figur, halbnackt, die linke Hand auf einen Krug gestützt, die rech'te
auf das abgewandte Haupt gelegt; auf sie zu eilt ein Mann mit Helm,
Schild und Lanze, nackt, und nur eine leichte Chlamys ihm nachflatternd.
Die Darstellung ist ganz die öfters vorkommende des Mars und der Rhea
Sylvia; sie stimmt auch mit der Schilderung, welche Ovid von dieser
Scene giebt , überein. Gewiss folgte der Bildner hier den Typen einer
solchen Darstellung; doch ist bereits bemerkt worden , dass es, dem
symbolisirenden Charakter des ganzen Werkes gemäss, hier näher liege,
in der weiblichen Gestalt, statt an die Person der Rhea Sylvia zu denken,
eine Nymphe und zwar die Nymphe der Mosel vergegenwärtigt zu sehen;
so dass das Ganze auf die Vereinigung römischer Macht mit der Frucht-
barkeit des Mosellandes zu deuten wäre. Mit solcher Ansicht vollkommen
übereinstimmend, möchte ich aber in der Erklärung der Darstellung noch
etwas weiter gehen. Bei dem mehr idyllischen Inhalte der Scene ist es
wohl erlaubt, den Mars, trotz seiner, durch die spätere Kunst festgestellten
So findet sich eine ähnliche, neuerlich erworbene Darstellung, eine freie,
Gruppe aus gebranntem Thon, deren Schönheit die höchste Auszeichnung ver-
dient, im Antiquarium des Berliner Mnseums. — Fast, Hb, III, 1. ff. ,—
Schorn, a. a. 0. S. 283.
Kugler, Kleine Schrifien, H 6
-ocr page 81-82 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
Attribute, in derjenigen Bedeutung zu fassen, welche er ursprünglich bei
den Römern hatte, und welche auch bei ihnen, obschon häufig durch den
Begriff des Kriegsgottes verdunkelt, doch nie erloschen ist: nämlich als
schützenden, segnend waltenden Naturgott, als Mars Silvanus. Dies führt
uns auf den Verkehr mit der Natur, der nach meiner Ansicht auch andern
Bildern derselben Westseite zum Grunde liegt; zugleich cTürfte die tiefe
Ruhe in der Gestalt der Nymphe auf diejenige Ruhe zu deuten sein, welche
der Abend des Lebens mit sich führt. Noch muss bemerkt werden, dass
das ebenbesprochene Relief wiederum vortrefflich gearbeitet ist und sich
vor allen übrigen durch gute Erhaltung auszeichnet.
Im südlichen Giebel endlich, in dem der Hauptseite, sieht man die
Darstellung eines, nur mit der Chlamys bekleideten Jünglings, der einen
Krug und Stab in den Händen hält, zwischen zwei, ebenfalls fast nackten
weiblichen Gestallen, die ihn an den Armen zu sich ziehen. Die Bewe-
gung ist leidenschaftlich, in den Geberden des Jünglings erkennt man
deutlich eine Abwehr gegen den Ungestüm der Weiber. Die ältere Er-
klärung, welche hier den Bacchus zwischen zwei Bacchantinnen erkennen
wollte, ist durchaus unstatthaft; es kann nur Hylas vorgestellt sein, der
von den Nymphen geraubt wird. Die symbolische Bedeutung einer sol-
chen Darstellung an einem Grabmonumente ergiebt sich wiederum von
selbst: sie ist geradezu als ein Sinnbild des Todes dessen, dem das Denk-
mal vorzüglich gewidmet war, zu fassen. Während wir demnach auf den
übrigen Giebeln die Darstellung segnender, hülfreicher Gottheiten sahen,
erblicken wir hier, wo vornehmlich die Bedeutung des Ganzen, als Grab-
mal hervortreten musste, dämonische Wesen, welche das Leben vernichten.
Doch scheint es mir, dass hier wiederum mehr als etwa nur die allge-
meine Andeutung des Todes gegeben sei. Für eine solche genügte bereits
der Ganymedesraub auf dem Gipfel der Bekrönung. Das Gewaltsame der
ganzen Darstellung, das heftig Widerstrebende in der Gestalt des Hylas,
scheint auf einen plötzlich gewaltsamen Tod, die Versinnlichung desselben
durch die Nymphen auf einen Tod in den Wellen des Flusses zu deuten.
Was die künstlerische Ausführung anbetrifft, so hat dies Relief, besonders
die Gestalt des Hylas, etwas Gespreiztes und Dürres. Vielleicht mochte
das Geschick des Künstlers zu einer Darstellung von also bewegter Hand-
lung nicht ausreichen, zumal wenn ihm (wie bei dem Relief des Mars
anzunehmen ist) kein genügendes Vorbild vorlag; vielleicht hat aber auch
die Verwitterung des Steines das Ihrige hinzugefügt, um die Gestalten
dürrer, somit schroffer, erscheinen zu lassen, als es ursprünglich der Fall
sein mochte.
In den erhaltenen Giebelecken (auf der Nordost- und auf der Südwest-
Ecke) sieht man grosse liegende Urnen dargestellt, aus denen Wasser her-
vorströmt; ohne Zweifel waren ) eben solche auch in den gegenwärtig er-
neuten Giebelecken vorhanden. Bei der regelmässigen Wiederholung dieses
Symbols scheint es mir am Natürlichsten (da dasselbe doch gewiss nicht
als müssige Dekoration angesehen werden darf), wenn man darin eine An-
spielung an das von der Mosel bewässerte Land findet; der Inhalt der
beiden zuletzt besprochenen Reliefs würde durch solche Erklärung noch
') Die eine dieser Figuren, welche gegenwärtig mit einem unförmlichen
Mantel bekleidet erscheint, ist in späterer Zeit von plumper Hand ergänzt wor-
den. Von dem Original ist nur der Kopf erhalten. (Anm. von Chr. W. Schmidt.)
iv» j
I
l. Das römische Denkmal zu Igel.
prägnanter werden. — In den Gesimsen der Giebel sieht man seltsam
dekorative Darstellungen, aus Masken, sch-w^ebenden Genien und Schilden
bestehend; für diese weiss ich keine Erklärung zu geben. Als auffallende
Incongruenz in dem gegenseitigen Verhältniss der in den Giebeln enthal-
tenen Darstellungen ist sodann noch einmal (wie aus den vorigen Schil-
derungen bereits hervorgeht) zu erwähnen, dass je zwei nebeneinander-
stehende Giebel theils mit grossen Köpfen und dem Zubehör derselben,
theils mit ganzen Figuren in dramatisch bewegter Handlung ausgefüllt sind.
Hierin erkennt man allerdings einen Mangel an dem nöthigen ästhetischen
Gleichmaass, somit ein Zeugniss für einen schon sinkenden Zustand der
Kunst; vielleicht deutet auch dies darauf hin, dass der Bildner zum Theil
nicht ohne Vorbilder gearbeitet hat, und dass ihm, für die ebengenannten
Stellen, deren verschiedenartige vorlagen. Gleichwohl ist wiederum anzu-
führen, dass dieser üebelstand vor dem Monumente selbst, wo man stets
nur die einzelne Seite vor Augen hat, und wo die grossen Dimensionen
eine nähere Aufmerksamkeit auf das Einzelne in Anspruch nehmen, bei
weitem weniger auffällig wirkt, als wenn man die sämmtlichen Seiten in
kleinen, schnell übersichtlichen Abbildungen betrachtet').
Die Bilder der Attika führen uns in die bürgerlichen Verhältnisse der
Familie ein. Ich beginne die Betrachtung derselben mit dem zunächst
wichtigen und charakteristischen Relief der Vorderseite. Wir sehen in
demselben eine Versammlung verschiedener Personen vor uns; Architek-
turen auf beiden Seiten des Hintergrundes lassen auf die Darstellung eines
inneren Raumes schliessen. Zwei Personen in der Mitte halten, über
einem jetzt unförmlichen grossen Geräthe, das auf der Erde Steht und ein
Kessel gewesen sein mag, einen ausgebreitet hängenden Gegenstand; ohne
Zweifel ein Stück Zeug. Zur Linken trägt einer ein zweites grosses Zeug-
stück herein, das ihm ein Andrer abzunehmen scheint; zur Rechten sind
andre Figuren; in der Mitte ist Mehreres verdorben. Sämmtliche Figuren
tragen kurze, ungegürtete Tuniken, so dass man sie mit gutem Grunde
für Arbeiter halten darf. Man erklärt dies Bild, und gewiss richtig, für
eine Andeutung des Geschäftsbetriebes der Familie, in welchem eine Ge-
Noch muss ich bemerken, dass ich in der Erklärung der Giebel-Reliefs
von Schorn (a. a. 0. S. 282 jff.) zum Theil abgewichen bin, indem mir die Deu-
tung, welche Schorn bei diesen Darstellungen als die vorherrschende zu Grunde
legt, nicht ganz passlich und nicht vollkommen durchführbar erscheint. Schorn
findet in ihnen nämlich die vier Tageszeiten vergegenwärtigt, so dass der Hylas-
raub den Morgen, Diana den Abend , Helios den Tag, das Belief des Mars die
Nacht vorstelle. Für den Hylasraub scheint die angegebene Bedeutung aber
etwas gezwungen; und in Bezug auf die Diana ist zu bemerken, dass ihr der
Halbmond fehlt, der sie zur Luna machen muss. (Aeltere Erklärer wollen die
Andeutungen desselben zwar gesehen haben; da sie aus den Darstellungen je-
doch, wie im Obigen bereits einige Beispiele gegeben sind, alles Mögliche her-
ausgesehen haben, wovon in der That oft Nichts vorhanden ist, so scheint es
mir, dass man auch hierauf nicht bauen dürfe. Gegenwärtig ist Nichts von einem
Halbmonde über dem Kopfe der Diana zu finden). Sodann müsste man doch
wohl erwarten, dass die Darstellungen sich in der durch den Wechsel der Tages-
zeiten bedingten Folge aneinanderreihten, was aber in Schorn's Erklärungen nicht
der Fall ist, auch nicht eintritt, wenn man etwa zwischen dem Marsbilde und
dem der Diana die Rollen wollte wechseln lassen. Endlich bleibt es immer be-
denklich, dass die Darstellungen nicht den Himmelsgegenden zugewandt sind,
denen die angenommenen Tageszeiten doch wohl entsprechen müssten.
83
w
84 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
wandfärberei zu erkennen ist; jenes unförmliche Geräth dürfte sodann den
Färbekessel vorgestellt haben, aus welchem das eben gefärbte Gewandstück
herausgezogen worden. Die anderweitigen Beziehungen auf Gewerbe und
Handel, die sich auf dem Monumente finden, jenes zweite zur Schau getragene
Gewandstück in den Händen der als Secundinus Aventinus bezeichneten
Person auf der Dedicationstafel, die unter den Reliefs des Frieses enthaltene
Darstellung eines chemischen Laboratoriums (ohne Zweifel eine Färberei)
rechtfertigen eine solche Auffassung des in Rede stehenden Reliefs; zu-
gleich ist als weitere Unterstützung dieser Ansicht zu bemerken, dass
Trier zu jener Zeit durch bedeutende Gewandfabriken ausgezeichnet war.
Das Relief ist indess nicht als eine genreartige Darstellung nach unsern
Begriffen zu fassen; es war nicht die Absicht, eine einzelne, vorüber-
gehende Scene aus dem Leben zu geben; vielmehr liegt in der Weise,
wie das Gewandstück in der Mitte des Bildes dem Beschauer entgegenge-
breitet wird, etwas entschieden Repräsentirendes. Es war unbedenklich
die Absicht, hier, an der Hauptseite des Monuments, in gewissermaassen
allgemein gehaltenen Zügen auch dasjenige zur Schau zu stellen, worauf
die Blüthe, der Reichthum, das Ansehen der gefeierten Familie be-
gründet war. Das Bild an der Hauptseite des Podest's, von dem weiter
unten, scheint in solchem Bezüge, mit dem ebenbesprochenen zu cor-
respondiren.
Das Relief an der Ostseite der Attika wird ebenfalls durch Architek-
turen als Darstellung im Inneren eines Gebäudes bezeichnet. Man sieht in
der Mitte einen Tisch; auf der einen Seite desselben eine, in einem Lehn-
stuhl sitzende männliche Gestalt, vorübergebeugt; neben ihr eine stehende.
Gegenüber eine an den Tisch gelehnte Person,- von der man vermuthen
darf (die Darstellung ist hier ziemlich verwittert), dass sie Geld auf den
Tisch zähle; links neben dieser, im Vorgrund, eine vierte, welche in das
Gemach hereinzutreten und etwas zu lesen scheint; diese letztere wie-
derum deutlich in dem Arbeiter-Costüm. Vermuthlich sieht man hier eine
Comtoir-Scene, oder doch— um moderne Begriffe und specielle Ausdeu-
tung des nicht wohl Erhaltenen bei Seite zu lassen — eine Darstellung,
welche die Ordnung und Verwaltung eines Geschäftsbetriebes zum Gegen-
stande hat.
Die Darstellung auf der Nordseite ist mythisch-symbolischelr Art, doch
auch sie in nicht minder deutlichem Bezüge auf die Verhältnisse des bür-
gerlichen Geschäfts. Auf jeder Seite desselben steht ein Greif in grosser
Dimension mit emporgerecktem Halse; zwischen den Greifen ein nackter
Jüngling in lebhafter, drohend bewegter Stellung, fast als ob er sie mit
Heftigkeit am Zügel führe. Die Greifen aber sind im griechischen Mythus
die Hüter des Goldes, welches ihnen die bei den Hyperboreern wohnen-
den Arimaspen in mühsamem Kampfe abringen. Es ist hier somit die
Andeutung eines gewinnreichen Erwerbes gegeben, dessen Förderung aber
nicht ohne Mühen und Sorgen gelungen war; wie dies Letztere auch die
Geberde jenes Jünglings erkennen lässt, obgleich in demselben kein ein-
äugiger Arimaspe dargestellt ist. (Auffallend sind die bildnerischen Miss-
verhältnisse in dem Körper dieses Jünglings, dessen oberer Theil'bedeu-
tend schmaler als der untere erscheint.) Noch ist zu bemerken, dass in
den Greifen zugleich ein besondrer Bezug auf das darüber befindliche
Apollobild erkannt werden muss; gemäss der hyperboreischen Herkunft
des Apollo, die sich in der antiken Mythe findet, waren sie diesem Gotte
' »
i.
85
1. Das römische Denkmal zu Igel.
heilig, und so erscheint er zugleich als der eigentliche'Gewährer des
Segens, den die Greifen bewahren.
Auf der Westseite der Attika sieht man ein leichtes, ~ offenes, zwei-
rädriges Fuhrwerk, das von zwei Maulthieren gezogen wird. Auf dem
Wagen sitzen zwei männliche Personen, ein jüngerer, welcher Zügel und
Peitsche (oder Geisse!) führt, und ein älterer, der jenen, wie es scheint,
fahren lehrt oder ihm dabei behülflich ist. Der Wagen ist so eben -aus
einem seitwärts angedeuteten'Stadtthore hervorgekommen; hinter den Maul-
thieren sieht man einen Meilenzeiger, auf welchem das Zeichen L IUI
enthalten ist. Man liest das letztere als Lapis quartus und deutet es auf
die Entfernung Igels von Trier, welche vier römische Meilen beträgt; wo-
nach sodann jenes Thor das von Trier sein würde. Nach dieser, wenig-
stens nicht unpässlichen Erklärung und nach dem ganzen Zusammenhange,
den ich in den, noch deutlich erkennbaren Bildwerken des Monuments
finde, scheint es mir am Angemessensten, hier an heiteres Landleben und
Villeggiatur zu denken, dazu man sich, die Stadt verlassend, anschicke;
so dass auf die Mühen des Erwerbes hier der Genuss des Lebens folgen
würde. Das darunter befindliche Bild des Frieses scheint mir für solche
Annahme eine ziemlich deutliche Bestätigung zu geben; auch dürfte es
vielleicht nicht ganz unschicklich sein, wenn man in dem ältereu der bei-
den Männer das Bild jenes vorzüglichst verehrten Anverwandten, der. als
die Hauptperson der Dedicationstafel zu betrachten ist, in dem jüngeren
das' Bild des Secundinus Securus erkennen wollte. Sonst hat man bei
dieser Darstellung auch an leichten Waaren-Transport oder an ein leichtes
Postfuhrwerk gedacht; es scheint mir indess ein solcher Bezug minder
nahe zu liegen, zumal wenn man den nothwendigen Zusammenhang Und
die gegenseitigen Bedingnisse der Darstellungen ins Auge fasst. — Ein-
zelne Beschädigungen abgerechnet, ist das ebenbesprochene Relief wie-
derum vortrefflich erhalten, besonders die beiden männlichen Figuren, die
in überaus anmuthiger, wahrhaft classischer Naivetät componirt sind.
Auch die Arbeit an den Köpfen der beiden Maulthiere ist hier höchlichst
zu rühmen.
Die Reliefs in den Friesen des Pilasterbaues enthalten kleine, zumeist
figurenreiche Darstellungen, in denen sich die bürgerlichen Verhältnisse
der Familie noch deutlicher und entschiedener, als in denen der Attika,
aussprechen. Sie erscheinen, was das Verhältniss ihrer künstlerischen Aus-
führung zu denen der übrigen Reliefs betrifft, als leichte, aber zumeist
recht tüchtig gearbeitete Skizzen, falls ihnen das Gepräge der letzteren
nicht vielleicht durch die Verwitterung zu Theil geworden sein sollte, die
natürlich bei kleinen Dimensionen einen ungleich auffälligeren Einfluss
hervorbringen muss als bei grossen
Der Fries an der Vorderseite des Denkmals wird durch zwei kleine
Säulen in drei Abtheilungen getheilt; es scheint eine geräumige Säulen-
halle mit zwei Nebenräumen vorgestellt zu sein. In dem mittleren Räume
sieht man ein festliches Mahl; zu den Seiten eines Tisches, rechts und
links, sitzen zwei Männer in eigenthümlich grossen (fast modern erschei-
nenden) Lehnstühlen; zwei Diener hinter dem Tische tragen die Speisen
auf. In dem Räume zur Linken sieht man einen zierlich gearbeiteten
Die Figuren dieser Friese haben keineswegs das Verkrüppelte und
Gnomenartige, wie auf Osterwald's Abbildungen,
Rheinreise, 1841. Erster AbscLnitt.
Schenktisch; ein Diener ist im Begriff, ein Gefäss herunterzunehmen, ein
andrer schenkt aus einem zweiten Gefässe in eine Trinkschale ein. In
dem Räume zur Rechten scheint mao die Speisen für das Mahl bereit zu
stellen, oder es dürfte hier etwa die Küche vergegenwärtigt sein. Da in
dieser Darstellung, zumal sie sich an der Schauseite des Monuments und
zunächst über der Dedicationstafel befindet, natürlich aber kein gewöhn-
liches Mahl enthalten sein kann-, da ihr vielmehr eine besondre und aus-
gezeichnete Bedeutung beiwohnen muss, so hat man, meines Bedünkens,
hier nur an die Feier des Leichenmahles zu denken, womit sodann sehr
wohl übereinstimmt, dass sich uns für jene beiden, in den Lehnstühlen
sitzenden Personen die beiden üeberlebenden, die Stifter des Monuments,
ganz von selbst und ungesucht darbieten.
Auf dem Fries der Ostseite erkennt man , wie bereits bemerkt, die
Darstellung einer Werkstätte, die man am Sichersten als eine Färberei be-
trachten darf. Architekturen auf beiden Seiten des Grundes deuten einen
inneren Raum an. Zur Rechten sieht man einen Heerd mit einem in den-
selben eingelassenen Kessel, in welchen ein Arbeiter, wie es scheint, etwas
hineingiesst, während ein andrer mit einem Geräthe in dem Kessel zu rüh-
ren oder etwas daraus hervorzuziehen im Begriff ist. In der Mitte, von
einem starken Gestell gehalten, steht ein anderes rundes Gefäss, ohne
Zweifel wiederum ein Kessel, bei dem ein dritter Arbeiter beschäftigt ist.
Dann folgt ein Tisch mit Schüsseln und andern, nicht mehr deutlichen
Gegenständen, neben ihm ein vierter Arbeiter. Ein fünfter tritt zur Linken
durch eine Thür herein und trägt (ebenso wie jener Mann auf dem Haupt-
relief der Attika) ein Gewandstück über der Schulter. An die Darstellung
einer Kochküche, die, nach Andrer Erklärung, die Vorbereitungen zu dem
eben besprochenen Festmahle enthielte, ist hier gar nicht zu denken.
Jedenfalls sehen wir eine gewerbliche Beschäftigung vor uns; und da sie
an der Ostseite, der Anfangsseite der Cyklen, erscheint, so haben wir
hierin ohne Zweifel den Beginn der Thätigkeit, welche den Wohlstand der
Familie begründet, zu suchen.
Der Fries der Nordseite stellt uns den naturgemässen Fortschritt dieser
Thätigkeit, den Handel mit den Selbst erworbenen Produkten,idar. Man
sieht einen Berg angedeutet, auf dessen einer Seite ein beladenes Maul-
thier hinauf, auf der andern Seite hinabgetrieben Avird. Zu beiden Seiten
sind Gebäude dargestellt, wohl als Andeutung der verschiedenen Ortschaf-
ten, die, durch das Gebirge getrennt, durch den Handel mit einander in
Verbindung gesetzt wurden. Auf dem Gipfel des Berges erscheint ein
kleines Häuschen, etwa ein Gasthaus oder ein Posthaus oder ein Stations-
gebäude andeutend. In künstlerischem Belange triflt diese Composition der
Vorwurf, dass sie zerstreut und ohne eigentliche Wirkung ist, was, der
allerdings ungünstigen Aufgabe izum Trotz, dennoch wohl zu erreichen
gewesen wäre.
Auf dem Friese der Westseite endlich sieht man sechs Männer, welche
durch ein zur Linken angedeutetes Thor eingetreten sind und einem sie-
benten, der, unter einem Baldachin stehend, als Herr bezeichnet wird, mit
unterwürfiger Geberde Abgaben darbringen. Sie tragen, als Landleute,
zum Theil Stäbe in den Händen; unter den Gaben erkennt man deutlich
einen Hasen und Fische. Hierin scheint ziemlich bestimmt der Besitz an
Feldern und Gewässern ausgedrückt, der sich, wiederum als naturgemässe
Folge, den durch den Handel erworbenen Reichthümern anreiht.
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'i r
Hi),
1. Das römische Denkmal zu Igel. 87
Hierauf folgen die Darstellungen an dem Haupttheile des ganzen Mo-
numents, die zwischen den Pilastern befindlichen. Die wichtigste dersel-'
ben, die Dedicationstafel, ist bereits oben besprochen worden; die andern
Darstellungen sind wiederum mythisch-symbolischer Art, doch so, dass
man hier die bedeutsamsten Entwickelungsmomente des persönlichen Le-
bens , ohne Zweifel in unmittelbarem Bezüge auf die Hauptperson der De-
dicationstafel, erkennt. — Zunächst ist indess noch Einiges über die bild-
nerische Dekoration der Pilaster, welche diese Darstellungen einschliessen,
hinzuzuftigen. Die Schäfte der Pilaster zerfallen in vier Felder, in deren
jedem ein Knabe dargestellt ist, der in anmuthiger Bewegung über seinem
Haupte ein flaches, mit Blättern verziertes Kapital hält; die Kapitäle der
unteren Abtheilungen bilden stets die Träger für die oberen. Die Bewe-
gungen dieser Knaben sind sehr mannigfaltig; in Bezug auf das lebendige
Gefühl für das Nackte, auf die Grazie der Form, auf die liebliche Nai-
vetät der Bewegung gehören sie zu den schönsten Theilen des ganzen
Monumentes; überhaupt reihen sie sich den anmuthigsten Darstellungen
solcher Art, die man aus dem Alterthum kennt, nicht unvortheilhaft an.
Unbedenklich sind sie an dieser Stelle als heitere Genien des Lebens auf-
zufassen. So erscheinen sie an der Vorderseite des Denkmals, so an den
beiden Nebenseiten; an der Hinterseite (der Nordseite) treten statt ihrer
jedoch andre Darstellungen ein, von denen hernach die Rede sein wird.
An den Basen der Pilaster, soweit diese deutlich erhalten sind, sieht man
Schwäne dargestellt, welche eine Scheibe oder vielleicht einen Kranz im
Schnabel halten. Hierin scheint eine Andeutung auf das feuchte Element,
Avelches den Grund des irdischen Lebens ausdrückt, enthalten. Zugleich
darf mau auch wohl einen Wechselbezug zwischen dieser Darstellung und
dem in den Pilasterkapitälen enthaltenen menschlichen Kopfe annehmen und
in dem letzteren, da die Schwäne dem Apollo heilig waren, ein Bild dieses
Gottes erkennen, der sodann (zumal in seiner Nebenbedeutung als Helios)
die sonnige Höhe und das fördernde Licht des Lebens versinnlichen würde.
Die Flächen zwischen den Pilastern auf den beiden Schmalseiten des
Denkmals, auf der Ost- und Westseite, sind durch Leisten, welche in der
Mitte quer durch dieselben hindurchlaufen, eine jede in zwei Felder ge-
theilt, so dass sie je zwei kleinere Reliefs enthalten, während die grosse
Fläche an der Nordseite nur durch Ein Relief ausgefüllt wird. Leider ist
nur das letztere Bild einigermaassen genügend erhalten; die andern haben
mehr oder weniger bedeutend gelitten, so dass bei ihnen nur Vermuthun-
gen über die vorhanden gewesenen Darstellungen möglich sind; doch lässt
sich die Vermuthung über den Inhalt einzelner von ihnen bis zur wahr-
scheinlichen Gewissheit steigern. Sie scheinen sich sämmtlich auf den
Mythus des Herkules zu beziehen und unter dem Bilde dieses, durch
seine Mühen wie durch seine Thaten gleich ausgezeichneten Heroen zu-
nächst die Anstrengungen eines schlichten menschlichen Lebens und die
glücklichen Erfolge derselben zu vergegenwärtigen
Das obere Bild der Ostseite, das wenigstens in seinen wichtigsten
Theilen noch erhalten ist, stellt ohne Zweifel die Geburt des Herkules
dar, dem Mythus'gemäss, der diese Geburt als eine verzögerte und wider
Ich folge hierin den sinnreichen und sehr wohl begründeten Deutungen,
welche Schorn (a. a. 0. S. 286 fif.) für das Einzelne giebt, indem es mir scheint,
dass diese sich aufs Treffendste mit meiner Auffassung des Ganzen vereinigen.
88 llheinraise, 1841. Erster Abscliuitt.
Willen der Uithya {der göttlichen Geburtshelferin) erfolgte, erzählt. Eine
> weibliche Gestalt, halbentblösst am Boden liegend und auf den linken
I Arm gestützt^ ist als Alcmene zu betrachten; ihr entgegengewandt, in hef-
i tiger, fast drohender Geberde, eine andre Gestalt, deren kurzgegürtete
ffi. Tunika, sowie das über dem Kopfe fliegende Gewand vorzüglich der Diana
I (hier Diana Ilithya) gemäss ist; als Geburtshelferin trägt sie ein Kindchen
von sehr kleiner Dimension, somit unbedenklich ein neugebornes, in der
Hand, aber unfreundlich in der Art, äass sie dasselbe am rechten Sehen-
'j kel gefasst hält, und dass Kopf und Aermchen niederhangen Ein, für
|| • solche Erklärung nicht ganz passender Baum zwischen den beiden Haupt-
[f figuren, der auf ein landschaftliches Local deutan würde, darf als eine
nicht sonderlich gewichtige Licenz von Seiten des spätrömischen Künst-
lers betrachtet werden. — Das untere Bild der Ostseite ist höchlichst zer-
stört; man erkennt hier nur noch, am untern Theil des Reliefs, geringe
Reste einer einzelnen Person, den Kopf und den einen Arm, den sie auf
f den Kopf gelegt hält. Schorn vermuthet, dass hier die Begebenheit mit
den Schlangen, welche zur Wiege des Herkules kamen, möchte dargestellt
gewesen sein; so dass man in diesem Kopfe (andern antiken Darstellungen
; derselben Scene gemäss) den Herkules selbst, oder etwa die Alcmene zu
. erkennen hätte. Die Vermuthung, obgleich sie natürlich nur als eine
ff solche bezeichnet werden kann, scheint mir insofern nicht unpassend, als
hier ohne Zweifel eine Darstellung zu erwarten ist, welche zuerst eine
; Bethätigung der heroischen Kraft in Ueberwindung des widerwilligen Ge-
schickes vergegenwärtigte.
Das grosse Relief der Nordseite entwickelt eine umfassendere Symbo-
lik, die allerdings von der Andeutung individueller Verhältnisse wiederum
zu allgemeinen Begrifl'en hinausführt. Wir sehen hier einen grossen brei-
ten Kreis vor uns, auf welchem die Zeichen des Thierkreises dargestellt
' sind. Innerhalb des Kreises erblickt man einen von vier flüchtigen Rossen
gezogenen Wagen, auf welchem Herkules steht, an seinem Körperbau und
an der Keule in seiner Linken deutlich erkennbar; über ihm erscheint der
t
^ ') Osterwald's Zeichnung, auf welcher diese Erklärung begründet ist, darf
gewiss als richtig und genau angesehen werden, zumal, da er zugleibh eine Dar-
^ Stellung des erwähnten Kindchens auf einer besondern Tafel im grofesern Maa^s-
f' Stabe und vollkommen detaillirt mittheilt. Ich muss freilich bemerken, dass das
f ganze Relief, abgesehen von einzelnen Beschädigungen, ausserordentlich abgewit-
tert ist. Doch steht mir hier kein Urtheil zu, da ich beide Male, als ich Igel
besuchte, für diese, der Sonne nur am frühen Morgen zugewandte Seite des
' Monuments eine höchst ungünstige Beleuchtung hatte, jenen lichtgrauen Wolken-
t himmel, der Alles mit Reflexen zu füllen und jede Schattenwirkung an den der
';> Sonne entgegengesetzten Stellen aufzuheben pflegt.
I (0. Jahn, in den Jahrbüchern des Vereins von Alterthumsfreunden imßheinlande,
XI, S. 63 ff., ist gegen die oben gegebene Erklärung des Reliefs der Ostseite,
ft die nicht bloss durch den Baum schwierig werde , sondern bei der auch die
ganze Deutung gezwungen sei. Üeberhaupt habe man nicht nöthig, alle Bilder
^ auf die Herkulesmythe zu deuten, da ja ohnehin oft auf Monumenten, besonders
der späteren Zeit, zwei verschiedene Mythen benutzt wurden, um als typischer
Ausdruck der Idee des Urhebers zu dienen. Offenbar, so bemerkt er, ist Thetis
dargestellt, welche im BegriiT ist, den neugebornen Achilleus in das Wasser der
Styx zu tauchen. Er verweist dabei auf das ganz ähnliche capitolinische Relief,
Mus. Capitol. IV, 17. Ich kann mich gegen das Triftige dieser Bemerkungen
nicht verschliessen.)
Iii
ms
1. Das römische Denkmal zu Igel.
Obertheil einer weiblichen Gestalt, die durch den Helm und die Bildung
des Gesichts ziemlich bestimmt als Minerva bezeichnet wird; ihr sind das
Haupt und die rechte Hand des Helden entgegengewandt. Ausserhalb des
Kreises, in den oberen und unteren Ecken des Reliefs, sieht man vier
grosse Häupter, mehr oder weniger beschädigt, die unteren grösser als die
oberen; aus dem Munde hervortretende Strahlen bezeichnen sie als Dar-
stellung der vier Hauptwinde; auf dem unteren Kopfe zur Linken erkennt
man auch noch eine Andeutung der Flügel, die hier ebenfalls zu ihrer
Charakteristik als Winde dienen. Die Haupttheile des Reliefs sind vor-
tretflich componirt und füllen den Raum auf eine Schöne Weise aus: nur
die Köpfe der Windgötter erscheinen bereits schwer und nicht mehr recht
im reinen classischen Gefühle. Der Inhalt der Darstellung, wie bereits
angedeutet, ist doppelsinnig; es ist hier sowohl auf ethische als auf kos-
mologische (oder etwa: auf mikrokosmische und auf makrokosmische) Be-
griffe hingedeutet, die sich indess gleichwohl zu einem höheren Ganzen
vereinigen. Zunächst nämlich ist Herkules der Repräsentant der morali-
schen Kraft, die das verhängte Mühsal des Lebens überwindet. Wie seine
Thaten nach alter symbolischer Auslegung zuweilen astronomisch, als auf
die Momente des Thierkreises^ deutend, aufgefasst werden, so kann man
hier die Zeichen des letzteren-auch als Sinnbilder seiner Thaten, als Ver-
gegenwärtigung jener Kämpfe des Lebens, erklären. Minerva, die Göttin
der Weisheit, ist ihm als Schützerin zugesellt, weil die Kraft zu ihrer
Läuterung der Weisheit bedarf; zugleich gemahnt die ganze Darstellung
an die Apotheose des Herkules, so dass nicht bloss der Kampf mit den
Widerwärtigkeiten, sondern auch der Lohn des Kampfes ausgedrückt ist.
Sodann aber hat Herkules in der Symbolik des Alterthums auch eine höhere
Bedeutung; er bezeichnet die oberste Leitung der Weltkräfte, er ist Helios
selbst, der Lenker des Himmels; er vergegenwärtigt die aufwärts strebende
Feuerkraft, welche die Welt ernährt und erleuchtet. Auf solche Bedeutung
beziehen sich wiederum der Thierkreis (hier nicht sinnbildlich genommen)
und die Darstellung der Winde. Doch auch diese letztere Auffassung
schliesst wieder die erstere in sich ein, indem ausdrücklich gesagt wird:
Herkules sei als diejenige Kraft der Sonne zu betrachten, welche dem
menschlichen Geschlecht zu der Fähigkeit verhelfe, tugendhaft zu sein und
dadurch den Göttern ähnlich zu werden '), Endlich noch mag es nicht
überflüssig sein, zu bemerken, dass Herkules, gleich Helios, der Schützer
der Strassen und als solcher besonders von den Handeltreibenden ver-
ehrt war. Wir können nach alledem wohl sagen, dass das Bild in drei-
facher Steigerung des Gedankens, auf das erfolgreiche Streben nach Erwerb,
auf die glücklich überwundenen Kämpfe mit den Mühsalen des Lebens
und auf die durch solche Kämpfe erworbene Läuterung des moralischen
Bewusstseins hindeute; wodurch sodann der Zusammenhang desselben mit
den Cyklen des Monuments überhaupt festgestellt sein würde.
Hiermit stimmen zugleich die Darstellungen überein, welche sich au
den Pilastern der Nordseite befinden, und welche, wie bereits bemerkt wor-
den, von den Darstellungen der übrigen Pilaster abweichend sind. In den
drei untern Feldern derselben erblicken wir nemlich die Gestalten schlan-
gen füssiger Giganten, welche in lebhafter, zum Theil leidenschaftlich erreg-
89
*) Macrob. Saturn, I, 20, p. 309, Vergl. das Nähere bei Schorn, a. a. 0.
S. 293 ff., auch Wyttenbach, Neue Forschungen, S. 88.
aäim
-ocr page 89-i
Rheinreise, 1841, Erster Abschnitt,
ter Weise gegen das Deckglied eines jeden Feldes* anringen. Wie in den
Giganten, -welche das Kapital auf der Spitze des Monuments schmücken,
so scheinen auch in diesen Gestalten zunächst die unteren tellurischen
Kräfte, namentlich die des Erdfeuers, ausgedrückt zu sein. Die Figuren
in den beiden oberen Feldern tragen ein anderes Gepräge und scheinen
Mars und Merkur darzustellen, auf die Besiegung jener dämonischen Kräfte
durch die lichten Götter des Olymp hindeutend. Zugleich ist es vielleicht
nicht unpässlich, bei dem Merkur wiederum an Handel, bei dem Mars (hier
ebenfalls als Mars Silvanus gefasst) an Landbau zu denken; und dies um
so mehr, als sich Merkur auf der linken Seite (im Uebergange von der
Ostseite des Monuments), Mars auf der rechten (im Uebergange zur West-
seite) befindet.
Für die Reliefs zwischen den Pilastern der Westseite sind durch Schorn
sehr geistreiche Erklärungen gegeben, die, ob auch wegen des fragmentir-
ten Zustandes dieser Darstellungen nicht völlig sicher, doch schwerlich
durch bessere zu ersetzen sein möchten. In dem oberen Felde sieht man
links eine ungemein trefl'lich gearbeitete männliche Figur, von schönem,
kräftig jugendlichem Körperbau, die einen Stab in der Rechten emporhält
und vor einer sich emporrichtenden Schlange zurückzuweichen scheint;
rechts die fast unkenntlichen Fragmente einer andern Gestalt, und dieser
zugewandt, im oberen Räume der Darstellung, die obere Hälfte einer
Minervenfigur (der Minerva auf dem Bilde der Nordseite ganz entsprechend).
Die Erklärung, dass hier der Kampf mit der lernäischen Hyder vorgestellt
gewesen, scheint mir völlig .treffend; die erhaltene Gestalt würde hiernach
als lolaus zu betrachten sein, der die Hälse der Hyder, um das stet'e Nach-
wachsen der Köpfe zu verhindern, mit Feuerbränden auszubrennen hatte;
jene unkenntliche Gestalt aber würde den Herkules vorgestellt haben. Die
Bedeutung einer solchen Darstellung scheint mir für die Zwecke des Mo-
numents ziemlich nahe zu liegen; ich würde darin sinnbildlich die Be-
freiung eines Bodens von wildem Gewässer, den Schutz gegen das Wasser
überhaupt, um den Boden für die Zwecke des Landbaues urbar zu machen,
ausgedrückt sehen. Dass dergleichen in dieser Gegend, die noch gegen-
wärtig so häufigen üeberschwemmungen ausgesetzt ist, zumal bei den
Stockungen des leichteren Abflusses, welche das Zusammenströmen zweier
Flüsse naturgemäss hervorbringt, sehr nöthig sein mochte, bödarf keines
weiteren Nacliweises. — Auf dem unteren Bilde sieht man die Reste einer
weiblichen, unter einem Baume sitzenden Gestalt; ihr gegenüber die Reste
einer männliclien, welche den rechten Fuss mit scharfgebogenem Knie auf
eine Erliöhung stützt, in der linken Hand einen starken Stab, oder wahr-
scheinlicher eine Keule, hält und die rechte Hand, wie es scheint, gegen
den Baum emporstreckte. Es ist kaum zu zweifeln, dass hier der Garten
der Hesperiden vorgestellt war und Herkules, welcher die goldenen Aepfel
vom Baume pflückte. Eben so klar ist es, dass solche Darstellung den
heiteren Genuss des Landlebens würde vergegenwärtigt haben.
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Die Darstellungen des Podests haben zum Theil wiederum sehr gelit-
ten. Soviel von ihnen erhalten ist, scheint es, dass sie, ähnlich denen der
Attika, sich auf die bürgerlichen Yerhältnisse der Familie bezogen. ^Zunächst
ist die Darstellung an der Südseite zu besprechen, die indess auch schon
sehr beschädigt ist. Man sieht hier eine zahlreiche Versammlung, die sich
um zwei Tische, wie es scheint, umherreiht. Auf der linken Seite sitzt ein
Mann auf einem Sessel, unter einer Art von Baldachin, der seine Stelle al»
"rfttltnirt^
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1. Das römische. Denkmal zu Igel.
einen besonderen Ehrenplatz bezeichnet; er liest etwas vor, was die den
ersten Tisch Umstehenden mit Aufmerksamkeit anhören. Das Feierliche
der Darstellung lässt auf die Vornahme eines besondern feierlichen Aktes,
et-wa auf die Vorlesung eines kaiserlichen Decretes zu Ehren der Familie
oder ihres Oberhauptes, oder auf Aehnliches, schliessen. Die an dem an-
dern Tische scheinen ebenfalls einem Vortrage in gemessener Ruhe zuzu-
hören. Man hat in dem letzteren Tische ein Lagerbett, somit das Kranken-
lager jenes Familienhauptes, und dem eutsprechend in der ersten Scene
die Vorlesung des Testaments erkennen wollen; so sehr passlich diese Er-
klärung sein würde, so habe ich mich doch nicht überzeugen können, dass
hier wirklich ein Lager vorgestellt gewesen sei.
Das Bild auf der Ostseite des Podests ist, bis auf die schwachen Spu-
ren einer menschlichen Figur, so zerstört, dass von dessen Inhalt auch keine
Hypothese mehr aufzustellen ist; dies ist um so mehr zu bedauern, als hier
vermuthlich wiederum eine Anspielung auf das Gewerbe, womit die Thätig-
keit der Familie begonnen, enthalten war. — Auch das Bild auf der Nord-
seite ist in hohem Grade zerstört. So viel ich davon zu erkennen ver-
mochte , schien es mir in der Mitte einen grossen Ballen, oder vielmehr
deren mehrere übereinandergepackt, und auf einem eignen schlangenartigen
Gewinde (der Andeutung von Wellen?) ruhend, vorzustellen; sodann hin-
ter demselben und zu seinen Seiten mehrere Personen in den Geberden
angestrengter Beschäftigung, einet zur Rechten namentlich in der Geberde,
als ob er ein Schiff abstossen wolle. "Wenn überhaupt etwas Näheres hier-
über zu sagen ist, so scheint es mir am Passlichsten, in dem Bilde ein Ar-
rangement zum Waarentransport — somit wiederum Bezugnahme auf Han-
delsthätigkeit, zu erkennen. Andre haben eine Kam'pfscene darin sehen
wollen , für die ich aber keine Bestätigung fand. — Das Bild auf der
Westseite ist hinreichend deutlich erhalten. Es stellt einen vierrädrigen
Wagen dar, hochbepackt und überschnürt, der von drei Maulthieren gezo-
gen wird und so eben aus einena Thore hervorkommt. Die nächste Erklä-
rung scheint, hiebei an den Landtransport von Waaren zu denken; doch
wäre es auffallend, dass dergleichen zweimal an dem Denkmal vorkommen
sollte, da eine ähnliche Darstellung (abgesehen von der Darstellung des
zuletzt besprochenen Reliefs) schon an dem Fries der Nordseite enthalten
war. Ich möchte hier somit, und vorausgesetzt, dass überhaupt meine Auf-
fassung der Darstellungen der Westseite richtig ist, lieber eine Uebersiede-
lung aus der Stadt auf das Landgut erkennen, ähnlich wie in der entspre-
chenden Darstellung der Attika, so dass hier etwa die nöthigen Efl'ektea
hinausgeführt würden, während es sich dort vorzugsweise nur um die Per-
sonen handelte.
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mm
Endlich sind noch die Darstellungen auf den drei Stufen unter dem
Podest zu besprechen. Von diesen sind die auf der Südseite gänzlich ver-
wittert und die auf der Ostseite durch neuere Steine ersetzt; die auf der
Nordseite sind deutlich erkennbar, die auf der Westseite in halbbeschädig-
tem Zustande erhalten. Die Darstelhingen der beiden letztgenannten Seiten
So namentlich Osterwald. Ich bedauro sehr, der schönen Erklärung nicht
folgen zu können, welche Schorn, Osterwald's Andeutungen folgend, von diesem
Relief giebt. Er findet darin nämlich den Kampf des Achill mit dem Flnasgotte
Skamandros dargestellt, als Andeutung der Regelung des Flussbettes zur Siche-
rung der Schifffahrt.
92 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
correspondiren mit einander, was den Gesammtiiihalt und den der einzelnen
Absätze betrifft; es ist demnach wohl mit Zuversicht anzunehmen, dass
iiuch die auf den beiden andern Seiten ursprünglich ähnlich beschaffen wa-
ren. Wir sehen in ihnen Scenen des Wasserlebens, theils in mythischen
Bildern, theils als Darstellungen des Lebens vorgestellt, als Andeutungen
des gemeinsamen Grundes, über dem sich, nach der Anschauung des Alter-
thums, das irdische Leben erhebt, dabei zugleich mit besondrer Bezug-
nahme auf die Hauptstrassen des Verkehrs, welche, zumal für jene bergi-
gen Gegenden, das Wasser darbietet. Auf den obersten Stufen erkennt
man Genien, die mit Delphinen scherzen, als Andeutungen des heiteren
Spieles der Wellen auf der Oberfläche des Wassers; auf der untersten Tri-
tonen im Kampfe mit Hippokampen, die wilde Gewalt des Elementes und
die Gefahren, die in seinem Schoosse verborgen sind, anzudeuten. Auf
der mittleren Stufe wird ein mit Ballen beladener Nachen von Männern
am Ufer gezogen, und zur Seite sitzt der Flussgott in feierlicher Ruhe.
Nachdem wir uns in dieser Art den Inhalt und die Bedeutung der
einzelnen Darstellungen in ihrer Folge an den einzelnen Absätzen des
Monuments soweit klar zu machen gesucht haben, als es gegenwärtig
noch möglich zu sein scheint, dürfte es für die Anschauung des Ganzen
nicht unvortheilhaft sein, wenn wir denselben noch einmal — jetzt aber
in dem Zusammenhange, welchen die Darstellungen an den einzelnen Sei-
ten des Monuments einnehmen und in welchen sie sich der Betrachtung
zunächst darbieten — flüchtig überblicken. Hiebei dürfte vorauszuschicken
sein, dass, wie eben bemerkt, der Inhalt der Darstellungen an den Stufen
als allen vier Seiten gemeinsam anzunehmen ist, und so auch der Inhalt
des grösseren Theils der Bekrönung, an welcher letzteren sich jedoch der
vorzüglichst wichtige Theil, die Darstellung des Ganymedenraubes, we-
sentlich auf die Vorderseite bezieht; dass ferner die Reliefs zwischen den
Pilastern als die Hauptdarstellungen der einzelnen Seiten zu betrachten
sind, zu denen zunächst die Darstellungen in den Friesen im Verhältniss
eines erläuternden Textes, die in der Attika und im Podest sodann im
Verhältniss einer weiteren Ausführung dieses Textes zu stehen scheinen;
und dass endlich die Darstellungen in den Giebeln den Abschluss für
jede Seite ausmachen.
So sehen wir denn an der Vorderseite im Hauptrelief diej Gedächtniss-
bilder derer, denen das Monument gewidmet ist, und den'Abschied des
vorzüglichst verehrten Familienhauptes von den Freunden, mit Angabe
der Namen in der darunter befindlichen Unterschrift; im Friese das Mahl
der dem Familienhaupte gewidmeten Leichenfeier; in der Attika und im
Podest Scenen, welche den Glanz und die Würden der Familie zu ver-
gegenwärtigen scheinen und deren Begründung wiederum das Verdienst
jenes vorzüglichst verehrten Mannes sein mochte; im Giebel das Denkmal
des Todes, dem derselbe, wie es scheint, erlag. Darüber sodann, in der
Bekrönung, allgemeine Symbole der Welt und ihrer Kräfte, über welchen
die Seele des Entschlafenen zu einem höheren Jenseits emporgetragen
wird. — An der Ostseite erblicken wir, im oberen Theil des Hauptfeldes,
die Geburt eines Helden, dessen Zukunft reich an Thaten und Leiden war,
doch endlich zur Apotheose führte. Was unter dieser Darstellung vorhan-
den war, ist nicht mehr mit einigermaassen zuversichtlicher Vermutliung
zu sagen (somit natürlich auch nicht die volle Deutung der ganzen Seite
zu geben), in Fries und Attika erscheinen uns die Bilder eines Geschäfts-
J'f
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^Wiri--
1. Das römische Denkmal zu Igel. 92
93
betliebes, von dem wir annehmen dürfen, dass durch seine Begründung
die Blüthe der Familie ihren Ursprung genommen hatte. Im Giehel das
Bild einer Göttin, die als die Beschützerin des Jugendlichen gilt. Es
scheint nach alledem nicht unrichtig, wenn man an dieser Seite die An-
fänge und die Gründung der Existenz dargestellt sieht. — An der Nord-
seite erscheint im Hauptfelde ein Bild eben jenes gewaltig kämpfenden
Helden, in einer symbolischen Fassung, welche seine ganze Bedeutsamkeit
zu vergegenwärtigen bestimmt ist. Fries und wohl auch Podest deuten
auf die Mühen des Handels, die Attika auf den daraus erfolgten Gewinn.
Das Giebelbild stellt die Gottheit dar, welche als ein Schützer solchen
Strebens, überhaupt als ein Sinnbild der reichsten Entfaltung des Lebens
zu betrachten ist. — Die Hauptdarstellungen der Westseite lassen uns, wie-
derum unter dem Bilde des Herkules, den Erwerb und den Genuss länd-
lichen Besitzes, den Lohn für die Tage des Mühsais, erkennen. Der Fries
giebt dasselbe als eine Scene des Lebens; Attika und Podest scheinen
eben dahin zu deuten. So auch der Giebel, in welchem der schützende
Gott des römischen Volkes (seinem ursprünglichen Begriffe nach ein Natur-
gott) sich der Nymphe des Mosellandes zugesellt. — Solchen Bildern
schliesst sich sodann wiederum unmittelbar der Inhalt des an der Südseite
Enthaltenen an.
Die Vermischung idealer Darstellungen mit solchen, welche dem Ge-
biete des Lebens angehören, bildet eine charakteristische Eigenthümlichkeit
der römischen Kunst. Die Römer gingen nicht von jener idealen Welt-
anschauung aus, welche in der griechischen Kunst ihre Verkörperung ge-
funden hatte; es war ihnen mehr um die Darstellung des Wirklichen, des
Gegenwärtigen zu thun; aber sie wussten sich gleichwohl mit Sinn und
mit Geschmack auch die von den Griechen ausgebildeten Typen anzueig-
nen und durch die Verbindung dieser mit den Erscheinungen des gemeinen
Lebens, dem letzteren eine höhere Würde, eine eigenthümüche Grossheit
zu geben. Die idealen Gestalten verloren bei ihnen allerdings die freie
poetische Existenz, die sie bei den Griechen gehabt hatten; sie wandten
sie vorzugsweise zur Vergegenwärtigung moralischer Begriffe an; aber das
lebenvolle Bild machte den Begriff ebenfalls lebendig, 'es hob die trockne
Abstraction desselben auf, und gab ihm, wenn auch keinesweges eine
schärfere Umgrenzung, so doch eine mehr individuelle, mehr persönliche.
Beweglichkeit. Auf anziehende Weise spielen hier die Begriffe, wie es
ihre Erzeugung im Geiste des Menschen mit sich bringt, ineinander über;
eine einzelne Andeutung ruft eine ganze Reihe von Gedanken hervor. Die
römische Kunst, in ihrer selbständigen Eigenthümlichkeit, ist recht eig^t-
lich eine Bilderschrift; Bild und Gedanke sind in ihr nicht überall, wie
in der griechischen Kunst, eins und dasselbe; aber ihre Symbolik ist der
Art, dass sie, die Sinne ergreifend, den tieferen Inhalt ahnen lässt und
unwillkürlich zur Lösung des anmuthvollen Räthsels anreizt.
Unbedenklich gehören die Bildwerke des Monuments" von Igel zu den
merkwürdigsten Denkmalen solcher Art, welche sich auf unsre Zeit er-
halten haben. Der Reichthum der Darstellungen, die geistreiche Verkör-
perung der Gedanken, die zum grossen Theil so ausgezeichnete Trefflich-
keit der künstlerischen Behandlung räumen ihnen diese ehrenvolle Stelle
ein. Was aber ihre besondre Eigenthümlichkeit anbetrifft, so wüsste ich
ihnen kein andres Werk an die Seite zu stellen. Mir ist kein zweites
Beispiel bekannt, in welchem die schlichten Verhältnisse des bürgerlichen
94 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
Lebens im Alterthum auf eine gleich umfassende Weise von dem Glänze
der classischen Poesie durchleuchtet uns entgegenträten; liein zweites Bei-
spiel, in welchem, statt des blutgetränkten Lorbeers, statt des Scepters
und der Fasces, die einfach treue Erfüllung der Pflichten des Daseins auf
eine gleich tiefsinnige Weise künstlerisch verklärt erschiene.
Und gar eigen wird es dem Wandrer zu Muthe, wenn er den Blick
von den Bildwerken des alten Denkmals niedergleiten lässt auf die Dächer
des Dorfes und auf die Thäler der Saar und der Mosel. Aus dem Be-
wusstsein des Volkes ist die Deutung jener Bilderschrift lange verschwun-
den. Nur vielleicht eine unwillkürliche Scheu vor der hohen Würde jener
Gebilde, vielleicht auch nur irgend ein Aberglaube war es, was sie im
Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende schützend erhielt. Aber die Be-
redsamkeit der classischen Poesie, die in ihnen waltet, ist dennoch nicht
erloschen. Wir fühlen es mit, wie sie auch hier, fern, fern von den Landen
ihres Ursprungs eine neue Heimat erAvorben , wie sie auch hier das Leben
bis in das Innerste des Hauses und der Familie durchdrungen hatte. Und
vor den Augen unsres Geistes steigt die Welt des Alterthums empor, in
dem jugendlich heiteren Adel, dessen sie fort und fort, bis hinab in die
Zeiten ihres Verderbens und ihres Sturzes, sich ein gut Theil zu bewah-
ren vermochte, und lebendig tritt uns jener glanzvolle Verkehr entgegen,
welcher einst die Säume dieser Berge, die Ufer dieser Ströme erfüllte.
-"i
2. Der römische Basilikenbau, näher entwickelt nach den Resten
der antiken Basilika von Trier.
(Kunstblatt, 1842, Nr. 84, flf.)
Üfe'^^illf
Das Gebäude der Basilika hat ein zwiefaches Interesse für die kunst-
historische Forschung. Es gehört auf der einen Seite zui den gross-
artigsten Gestaltungen, in denen das antike Leben sich ausgeprägt hatte,
auf der andern trägt es in sich den Keim zu der Gestaltung eines neuen
Lebens; es verbindet unmittelbar die beiden grossen Epochen der Welt-
geschichte, die des heidnischen Alterthums und die des christlichen Zeit-
alters. Die antike römische Basilika gab das Vorbild für den ältesten
christlichen Kirchenbau; in leisem, aber stets bewegtem Fortschritte ent-
wickelte sich aus ihr jene wundersame Architektur, welche wir in den
gothischen Domen staunend verehren; und als man die Formen der mit-
telalterlichen Architektur verliess und zu deneu des Alterthums zurück-
kehrte, da bestrebte man sich, auch der Kirche wiederum das einfache
Gepräge der Basilika zu geben. Allerdings zwar stehen die modernen
Basiliken, die eigentlich diesen Namen verdienen, nur vereinzelt Ida; man
konnte sich nicht auf umfassende Weise all derjenigen, zum Theil so
wirkungsreichen architektonischen Elemente entledigen, die im Verlauf
der Zeiten sich hervorgebildet hatten; dennoch ist das Streben danach
nicht erloschen. Die nähere Bekanntschaft mit dem reinen griechischen
2. Der römische Basilikenbaii. —■ Basilika von Trier, 95
Säuleiibau hat demselben eine neue Nahrung gegeben , und vornehmlich
in der jüngsten Zeit haben sich Entwürfe und Ansichten geltend zu ma-
chen gesucht, welche das Gebäude der christlichen Kirche völlig wiederum
in der "Weise der antiken Basilika gestaltet wissen wollen, um so das
künstlerische Bestreben in den Urzeiten des Christenthums, dem damals
keine freie Entwickelung vergönnt war, auf seine reinen Principien zu-
rückzuführen.
Hiebei kommt es natürlich vor Allem darauf an, sich von der antiken
Basilika eine möglichst klare Anschauung zu verschaffen. Aber die Ein-
richtung derselben hat für uns bisher noch vieles Dunkle gehabt; wir
kannten nur die allgemeinen Bestimmungen ihrer Anlage; für die Beson-
derheiten der Ausführung lag uns keine nähere Anschauung vor. Ich darf
somit hoffen, dass die folgenden Mittheilungen über einen Baurest aus den
Zeiten des classischen Alterthums, der uns einer solchen Anschauung um
ein Bedeutendes — und mehr als irgend ein andrer unter den uns be-
kannten Resten der Römerzeit — näher führt, nicht ohne Interesse dürften
aufgenommen werden. Sie beziehen sich auf denjenigen unter den merk-
würdigen römischen Bauresten in Trier, der in die westliche Seite des
ehemaligen churfürstlichen Palastes verbaut ist und der durch die Volks-
sage , .jedoch ohne weitere Begründung, zu einem Palaste Constantins des
Grossen gemacht wird. Ich hatte vor Kurzem Gelegenheit, diesen Baurest,
der entschieden nur eine Basilika gewesen sein kann, genau zu unter-
suchen. — Ehe ich jedoch auf denselben näher eingehe, erlaube ich mir,
dasjenige übersichtlich zusammenzustellen, was bisher über die Anlage der
antiken Basiliken bekannt war, und was die Grundlage der folgenden
Untersuchungen ausmachen muss.
Die selbständige und charakteristisch eigenthümliche Ausbildung der
Basiliken gehört den Römern an; sie errichteten dieselben für die gemein-
samen Zwecke des kaufmännischen Verkehrs und der bürgerlichen Rechts-
pflege. Die Basiliken bestanden demgemäss aus zwei Haupttheilen: aus
dem Raum für das Publikum, der eine oblonge Grundfläche hatte und für
den Handelsgebrauch die eigentliche Börse bildete, und aus dem Tribunal,
welches an jenen in der Form eines Halbzirkels, die Sitze der Richter
umschliessend, angelehnt war. Die Ausdehnuiig, vornehmlich die des
oblongen Raumes, musste natürlich, je nach den besonderen Bedürfnissen,
auf die verschiedenartigste Weise wechseln. So haben sich einzelne Reste
von Basiliken erhalten, welche den oblongen Raum nur klein und ohne
eine, durch Säulenarchitektur hervorgebrachte Abtheilung (d. h einschiffig)
zeigen: zwei in Italien, in dem alten Aquino und zu Präneste, eine dritte
unter den Ruinen von Palmyra in Syrien. Ihnen ist als vierte die soge-
nannte Basilika Sinciniana in Rom hinzuzufügen, die später (unter dem
Namen S. Andrea in Barbara) als christliches Gotteshaus benutzt ward;
diese ist gegenwärtig nicht mehr vorhanden, doch haben sich Zeichnungen
ihrer ursprünglichen Anlage erhalten. — Reste solcher Art sind indess
nicht geeignet, eine höhere Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen; von
vorzüglicher Wichtigkeit, zumal für die Städte, welche als die Brenn-
punkte des römischen Lebens betrachtet werden müssen, sind nur diejeni-
gen Basiliken, die eine grössere Ausdehnung und demgemäss eine glänzen-
dere Einrichtung hatten. Den Berichten der alten Schriftsteller zufolge
dürfen wir annehmen, dass in solchen an den Langseiten innerhalb des
oblongen Raumes Säulenstellungen angeordnet waren, durch welche sich
96 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
schmalere Seitengänge von einem breiteren Mittelraiime sonderten (dass
somit drei Schiffe entstanden); dass über diesen Seitengängen Gallerien,
insgemein durch eine zweite Säulenstellung über der ersten gebildet, hin-
liefen ; und dass sich auf der einen Schmalseite des Gebäudes der Haupt-
eingang, auf der andern das Tribunal befand. Eine solche Einrichtung
geht namentlich aus der allgemeinen Vorschrift hervor, welche Vitruv für
die Erbauung der Basiliken giebt; dass davon jedoch im Einzelnen manche
Abweichungen gestattet sein mussten, folgt aus der Beschreibung der Ba-
silika, welche Vitruv selbst zu Fano erbaut hatte (obschon die Besonder-
heiten dieser Anlage, die er dem Leser angelegentlichst empfiehlt, seinem
baukünstlerischen Geschmacke gar keine grosse Ehre bringen). Die Reste
dreischiffiger Basiliken, die sich .auf unsre Zeit erhalten haben , sind aber
nur äusserst gering; ausser den Ueberbleibseln eines kleinen Gebäudes
solcher Art zu Otricoli und ausser einem, ebenfalls nur kleinen kirch-
lichen Gebäude zu Alba am Fuciner-See, in dem man eine antike Basilika
erkennen zu müssen meint, ist nur die allerdings bedeutende Basilika von
Pompeji zu nennen, von der aber wiederum nicht so genügende Reste
erhalten sind, dass wir die ganze Einrichtung, welche das Gebäude hatte,
hinlänglich klar erkennen könnten, die auch in der Form des Tribunals
von dem römischen Princip abweicht; letzteres nämlich ist in einer Weise
angeordnet, die, analog den vielen Gräcismen, welchen man in Pompeji
begegnet, mehr auf griechische Vorbilder schliessen lässt. Dann dürften
einige fragmentirte Grundrisse basilikenartiger Bauten zu nennen sein, die
sich auf den Bruchstücken des bekannten capitolinischen Planes von Rom
erhalten haben. Aber auch diese geben unsrer Anschauung durchaus kein
genügendes Bild; vorzüglich wichtig ist es nur, aus diesen Fragmenten zu
bemerken, dass der Grundriss desjenigen Gebäudes, welches man für die
vielgerühmte, höchst prachtvolle Basilika des Paullus Aemilius hält, ein
Paar Säulenreihen, quer vor dem Tribunal hinlaufend, zeigt, und dass
auch an den Langseiten des oblongen Raumes je zwei Säulenreihen (somit
fünf Schiffe) angedeutet zu sein scheinen, obgleich dies letztere nicht mit
völliger Sicherheit aus den Punkten und Lineamenten des Planes zu fol-
gern sein dürfte. — Den grössten Nachdruck legt man insgemein , wo es
darauf ankommt, von der antiken Basilika eine genügende Anschauung zu
geben, auf die Basiliken der altchristlichen Zeit, von denen sich in Rom
und in Raveuna sehr zahlreiche Beispiele erhalten haben, juud die nach
dem Muster von jenen, ob auch für andre Zwecke, erbaut worden sind.
Gewiss geben diese altchristlichen Basiliken die allgemeinen Elemente der
antiken — nach den obenangeführten Bestimmungen — wieder; ob sie aber
auch für die Besonderheiten der architektonischen Anlage als ebenso maass-
gebend zu betrachten sein möchten, scheint sehr zweifelhaft.; Ich möchte
im Gegentheil behaupten, dass jene Erhöhung des Mittelschiffes, wel-
che in den altchristlichen Basiliken durchgehend gefunden und welche
dadurch hervorgebracht wird, dass man über den Colonnaden des Inneren
besondre "Wände aufsetzen lässt, durchaus dem antiken Formengefühle,
dem ganzen Princip des antiken Säuleübaues, der über dem Gebälk der
Säulen alle weitere Last vermeidet, widersprechend sei. Dies geht schon
daraus hervor, dass bei den altchristlichen Basiliken die Säuiien in der
Regel durch Bögen verbunden werden, welche der Last jener Wände mit
lebendiger Kraft entgegenstreben; wo aber im strenger classischen Sinne
(wie in S. Maria maggiore zu' Rom) statt der Bögen gerade Architrave
ix
Ii
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2. Der römische Basilikenbaii. —■ Basilika von Trier, 97
angewandt sind, da wird das ünantike einer solclion Anlage auf doppelt
empfindliche Weise bemerkbar. Nur Eine der altchfistlichen Basiliken
Roms zeigt in ihrer ursprünglichen (obschon in neuerer Zeit völlig ver-
änderten) Einrichtung eine Anlage', die ohne Zweifel den antiken Basiliken
näher entsprechend war. Dies ist die Basilica Sessoriana, deren Gründung
in die Zeit Constantins des Grossen fällt und die gegenwärtig den Namen
S. Croce in Gerusalemme führt. Nach ihrer ursprünglichen Einrichtung,
von der uns die erhaltenen Zeichnungen Kunde geben , wurde sie durch
zwei Reihen von je sechs colossalen Säulen in drei gleich hohe Schiffe
getheilt, während die Seitenwände durch je zwei Reihen übereinander ge-
ordneter Fenster, von sehr bedeutender Dimension und im Halbkreisbogen
überwölbt, ausgefüllt wurden; die Stellung der Fenster entsprach den
Zwischenweiten zwischen den Säulen. Es ist möglich (obgleich hier kei-
neswegs mit irgend einer Bestimmtheit nachzuweisen), dass in Ueberein-
stimmung mit den oberen Reihen der Fenster ursprünglich auch Gallerien
über den Seitenschiffen angeordnet'waren; die Balken, auf welche der
Boden der Gallerien aufgelegt sein musste, würden in diesem Falle etwa
— allerdings aber sehr unschön ~ in die Schäfte der Säulen eingelassen
gewesen Söin, wie man eine ähnliche Einrichtung bei der Basilika von
Pompeji annehmen zu müssen glaubt und wie dieselbe auch, obgleich
durch eine anderweitig unschöne Vermittelung motivirt, in der Vitruvi-
schen Basilika von Fano. stattfand.
Wir sind nach alledem nicht im Stande, uns von der antiken römi-
schen Basilika ein andres, als nur ein sehr allgemein gehaltenes Bild zu
entwerfen, üeber die Einrichtung der Umfassungsmauern und der Fenster,
vornehmlich aber über die Bedeckung des Innern (oder deren etwaniges
Nichtvorhandensein) fehlt es uns fast^an aller näheren Bestimmung. Nur
die zuletzt genannte Basilica Sessoriana giebt uns hierüber einige beson-
dere Winke; doch kann auch dies Gebäude wiederum nicht als völlig
maassgebend betrachtet werden, zumal wenn.man dasselbe, wie es in den
vorhandenen Zeichnungen erscheint, als aus gleich hohen Schiffen gebildet
annimmt. Um so grösseren Werth hat für uns der genannte Baurest von
Trier, den wir sonder Schwierigkeit in seiner ursprünglichen Einrichtung
zu reconstruiren vermögen und zu dessen Betrachtung ich nunmehr zurück-
kehre 3).
Er besteht aus der einen, gen Westen gewandten Langseite des Baues
und aus der kolossalen, im Halbkreis erbauten Nische des Tribunals, die
sich der Langseiie gen Norden anschliesst. Von der Östlichen Langseite
sind noch Spuren vorhanden; im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts
stand auch diese noch aufrecht. Die Länge der Westfronte beträgt 182
Fuss, die Tiefe der Nische etwa 43 Fuss; die Höhe der letzteren mit ihrer
gegenwärtigen (aber schwerlich ursprünglichen) Zinnenbekrönung, welche
der Westfronte fehlt, beträgt 97 Fuss über dem Erdboden, die ursprüng-
liche Breite des Gebäudes wird auf 108 Fuss angegeben Die Westseite
*) Bei Ciampini, Vetera monimenta, L t. IV. V. — Ich kann hiebei
leider nur auf die nicht genügende Darstellung des genännten Baurestes verwei-
sen , welche sich bei Quednow, Beschreibung der Alterthümer in Trier etc.
Tbl. II. S. I ff findet. Gründlichere Darstellungen sind in dem Werke von Chr.
W. Schmidt über die Baudenkmale von Trier (Lief. 4) zu erwarten.— Nach--
Kugter, Kleine Schrlflen. II. r
............. .
98 Rheirireise, 1841. Erster Abschnitt.
enthielt, wie man aus den deutlichsten Spuren ersieht, zwei Reihen von
je neun hohen und weiten, im Halbkreisbogen tiberwölbten Fenstern, die
nachmals vermauert und durch kleine, die alten Fensterbögen beeinträch-
tigende Oeffnungen ersetzt sind. Zwischen den Fenstern springen, nach
aussen und nach innen, starke Wandpfeiler vor, welche oberwärts ebenfalls
durch halbkreisbogige Ueberwölbungen, concentrisch mit den Bögen der
oberen Fenster, verbunden waren. Man sieht diese Einrichtung besonders
deutlich im Innern des Gebäudes, in den gegenwärtigen Dachräumen, er-
halten; sie bezeugt einen glücklichen Sinn für ein eben so solides, wie
künstlerisch durchgebildetes Gefühl, indem diese Verbindungsbögen für den
Eindruck des festen Zusammenschlusses der Masse vorzüglich wirksam sein
mussten. Auch die grosse Nische des Tribunals war mit zwei Fensterrei-
lien und mit überwölbten Wandpfeilern zwischen denselben, die letzteren
aber beträchtlich breiter als die Pfeiler der Langseite^ versehen. In der
nördlichen Ecke der Langseite ist eine kleine Wendeltreppe angebracht;
ähnliche waren zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auch noch in den
übrigen drei Ecken des Gebäudes vorhanden. Vor der Nische wölbt sich
oberwärts, nach'dem inneren Räume des Gebäudes hin, ein kolossaler, 60
Fuss weiter Schwibbogen, von 7 Fuss Stärke und 4Y3 Fuss Höhe. Die
Nische selbst ist nicht, wie man etwa voraussetzen möchte, überwölbt, und
es ist auch keine Spur irgend einer Art vorhanden, woraus hervorginge,
dass sie ursprünglich ein Gewölbe gehabt hätte oder zur Aufnahme eines
solchen eingerichtet gewesen wäre. Das Materia] des Gebäudes besteht
durchweg aus Ziegelsteinen, die 15 Zoll lang und breit und IY4 Zoll dick
sind und die durch Mörtellagen von derselben Dicke verbunden werden.
— Noch ist als ein alter Bautheil im Innern des Gebäudes eine mächtige
Arcade, aus drei Pfeilern und Halbkreisbögen bestehend und aus starken
Sandsteinquadern gebildet, zu nennen, die fast in der halben Tiefe der
Nische des Tribunals quer hindurchläuft und die in den gegenwärtigen
Dachräumen freistehend erscheint. Doch ergibt sich aus dem abweichenden
Material, aus der rohen Form der Kämpfergesimse, vor allem aber aus der
ganz willkürlichen Anordnung dieser Arcade, dass sie nicht zu dem ur-
sprünglichen Bau gehört haben kann; sie fällt wahrscheinlich in die Zeiten
der fränkischen Herrschaft, in denen das Gebäude, wie angegeben wird,
als königliche Pfalz benutzt wurde. In eben diese Periode dürfte auch die
grosse, aus Quadern aufgerichtete Mauer gehört haben, welche das Gebäude
an seiner vorderen Schmalseite, gen Süden, noch zu Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts, ehe die spätem Umbauten unternommen wurden, abschloss.
Bei Gelegenheit dieser Umbauten entdeckte man im Innern die Reste eines
brillanten Fussbodens von Marmor, so wie mancherlei eigenthümliche An-
lagen, die aber wiederum zum Theil den Veränderungen des Baues aus
der fränkischen Zeit zuzuschreiben sein dürften. In dem Tribunal fand
man ein kellerartiges Gemach; wenn dies der noch gegenwärtig an dersel-
ben Stelle vorhandene Keller ist, so möchte ich dasselbe ebenfalls lieber
auf Rechnung der fränkischen Umbauten setzen, als etwa mit jener Krypta
träglich. Nach dem inzwischen erschienenen Werke von Schmidt beträgt die
Breite des Schiffes der Basililia im Lichten 88 Fuss 2 Zoll, die Länge desselben
ein Paar Fuss über das Doppelte, die ganze Länge der Basilika mit Inbegriff dos
Tribunals 233 Fuss 4 Zoll. Die Höhe vom Fassboden bis zur Decke betrug
98 bis 100 F. Rheiul.
X
2. Der römische Basilikenbau. — Basilika von Trier.
unter dem Tribunal jier Basilika von Pompeji, die man für ein Gefängniss
hält, parallel stellen
Ueber die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes sind bisher die
verschiedenartigsten Meinungen aufgestellt worden. Gewöhnlich hält man
dasselbe, wie bereits bemerkt, für den Ueberrest eines Constantinischen
Palastes, obgleich das Ganze in seiner Anlage durchaus nichts "Wohnliches
hat, auch wenn man hiebei den grossartigsten Maassstab anlegen wollt«;
diese Meinung scheint nur auf mittelalterlicher Tradition zu beruhen, die
einen Bau, der zu einer königlichen Pfalz, zu einem Castell, später zum
erzbischöflichen Hofe umgewandelt war, auch von Hause aus als für Zwecke
solcher Art bestimmt ansehen mochte. Seit dem Erwachen wissenschaft-
licher Forschungen hat mau andre Hypothesen aufgestellt, die^jedoch im
Wesentlichen auch nicht besser begründet sind; theils führte die Nische
des Tribunals dahin, hier an ein Lokal für scenische Spiele zu denken,
dem sich sodann, als der Hauptkörper des Gebäudes, etwa ein Hypodrom
(ein schattiger Spaziergang) angeschlossen habe, theils wurde bemerkt, das
Gebäude müsse zu der, um eine beträchtliche Strecke weiter südwärts be-
legenen Thermen-Anlage (am ehemaligen Altthöre) gehört haben Erst
in neuester Zeit ist durch Steininger die einzig richtige Ansicht ausge-
sprochen worden, dass hier die Reste einer Basilika vor uns ständen; denn
in der That deuten die erhaltenen Theile, den obigen Mittheilungen zufolge,
aufs Entschiedenste nur auf eine Anlage solcher Art, während die ander-
weitig ausgesprochenen Meinungen und die Hypothesen, die man ausserdem
etwa noch übei- den Zweck des Gebäudes aufstellen möchte, in den auf
unsere Zeit gekommenen Beschreibungen antiker Gebäudegattungen und in
den erhaltenen Monumenten durchaus keine Bestätigung finden.
99
Schon die erhaltenen Theile des in Rede stehenden Gebäudes geben
demnach für unsere Kenntniss des antik-römischen Basilikenbaues sehr
wichtige Beiträge; wir sehen hier die Einrichtung der Aussen wände mit
ihren Fenstern und mit einem sinnreich durchgebildeten Pfeilersystem
deutlich vor uns; wir erhalten eine eben so bestimmte Anschauung von
der innern architektonischen Anordnung der Nische des Tribunals. Diese
erhaltenen Theile und ihre Maassverhältnisse geben uns zugleich aber auch
die deutlichsten Aufschlüsse über die anderweitigen Einrichtungen, die im
Innern müssen stattgefunden haben. Natürlich werden hier, wie in allen
grösseren Basiliken, Säulenstellungen an den Langseiten angeordnet gewesen
sein, und natürlich werden dieselben den Wandpfeilern entsprochen haben,
so dass die Fenster, wie an der Basilica Sessoriana, mit den Zwischenweiten
zwischen den Säulen correspondiren mussten. Es kommt nun zunächst in
Frage, ob auf jeder Seite nur Eine Säulenstellung oder ob deren zwei über-
einander vorhanden waren. Dies zu bestimmen, geben wir fürs Erste den
Säulen (muthmaasslich kbrinthischen, wie fast durchgehend in den spätem
römischen Bauten) eine Höhe von 10 unteren Durchmessern, dem Gebälk eihe
Höhe von 2 Durchmessern, — als durchschnittliche Maassbestimmungen, die
') Di« handschriftlich erhaltene Nachricht über den Zustand des Gebäudes
zu Anfange des 17ten Jahrhunderts und über die Entdeckupgen , welche mau
damals im Innern derselben machte, siehe bei Steininger, die Ruinen am Alt-
thöre zu Trier, 8. 44. — Quednow, Th. II. T. I. ergänzt auf der Südseite des
Gebäudes eine grosse Nische, der auf der Nordseite ganz entsprechend, obgleich
hiefür kein andrer Grund vorhanden ist, als der eines ganz willkürlich ange-
nommenen symmetrischen Gesetzes. — ■') In der angeführten Schrift S. 47.
100 Rbeinreise, 1841. Erster Abschnitt.
für den spätem römischen Säulenbau vorzüglichst charakteristisch sind;
sodann nehmen wir die lichte Höhe des Gebäudes auf etwa 96 Fuss an
Für Eine Säulenreihe auf jeder Seite erhalten wir hienach Säulen von etwa
80 Fuss Höhe und 8 Fuss Stärke im untern Durchmesser, die uns schon
an sich allzu kolossal bedünken möchten, deren Annahme aber in Rück-
sicht auf die zugleich sehr engen Zwischenweiten völlig'unstatthaft wird.
Denn da der Raum von Fenster zu Fenster etwa 19 Fuss beträgt, so blei-
ben uns für die Zwischenweiten etwa nur 11 Fuss (d. h, nicht viel über
einen untern Durchmesser) übrig, was den Gesetzen des römischen Säulen-
baues ebenso, wie den Bedürfnissen eines frei bewegten Verkehrs wider-
spricht. Wir können somit nur zwei Säulenstellungen übereinander, d. h.
dem regelmässigen Basilikenbau gemäss, Gallerien über den Seitengängen
annehmen, die zugleich den zwiefachen Fensterreihen der "Wände entspre-
chen. Auch hiebei bleiben uns für die Säulenarchitektur noch sehr be-
deutende Verhältnisse übrig. Die untern Säulen sind demnach als etwa
45 Fuss hoch und im untern Durchmesser 4'/2 Fuss stark anzunehmen, wo-
durch die Zwischenweiten eine Breite von etwa 147o Fuss, d. h. von ein
wenig über drei Durchmessern erhalten. — P'erner kann auf jeder Lang-
seite des Baues nur Ein Seitengang und auch dieser nicht von beträcht-
licher Breite angeordnet gewesen sein. Die Breite der Maueransätze auf
der Nordseite, rechts und links von der Oeffnung der Nische des Tribu-
nals, giebt hier das bestimmende Maass. Diese beträgt auf jeder Seite nur
etwa 16 Fuss, so dass, die Säulenstärke abgerechnet, nur etwa 11 Vs Fuss
für die Breite des Säulengangs bleiben. .Wollten wir die Gänge breiter
annehmen und die Säulenarchitektur vor die Pfeiler der Nische vortreten
lassen, so würde die Architektur digr Gällerie den Bogen der Nische auf
die widerwärtigste Weise zerschnitten haben; wollten wir etwa (wie auf
dem oben genannten Grundriss der Basilika des Paullus Aemilius) die ge-
sammte Säulenarchitektur quer vor dem Tribunal durchgehen lassen , so
verlöre der Bogen desselben alle Bedeutung. — Dieser grosse Schwibbogen
ferner hat nur einen constructiven Zweck. Ein ausschliesslich ästhetischer
Zweck desselben, als zum Einschluss der Nische für die Anschauung der
letztern von dem grossen oblongen Räume aus dienend, ist auf keine Weise
vorauszusetzen. Da die Nische, in der Form eines halben Gylinders, nicht
mit einem Gewölbe versehen ist, so bilden sich oberwärts in derselben zu
den Seiten jenes Schwibbogens, Winkel von hässlicher, schvvankender Ge-
'f : .
Nach der gegenwärtigen Höhe des Erdbodens dürften etwa neunzig Fuss
anzunehmen sein; die übrigen sechs Fuss rechne ich, als etwaiges Minimum, auf
die im Verlauf der Jahrhunderte erfolgte Ueberhöhung des Erdbodens. Ich be-
merke, dass ich die Zahlenbestimmungen auf Quednows Aufnahmen gründe, wel-
che letzteren allerdings nicht genügend erscheinen; doch können einige Fuss mehr
oder weniger bei einem Gebäude -von so ausgedehnten Dimensionen keinen er-
heblichen Unterschied hervorbringen. Für die Zwecke obiger Berechnung sind
schon ungefähre durchschnittliche Maassbestimmungen vollkommen hinreichend.
Noch füge ich hinzu, dass ich bei den Bestimmungen über die vorhanden
gewesene Säulen-Architektur die eigentlich klassische Behandlung derselben, mit
geradem Gebälk, im Sinne gehabt habe. "Wollte man statt dessen bereits eine
Verbindung von Säulen und Bögen annehmen , wie solche in spätest römischer
Zeit allerdings zuweilen vorkommt, so ist dennoch nicht ausser Acht zu lassen,
dass hiebei durchgehend noch, und namentlich bei länger fortgesetzten Colonna-
den, die herkömmlichen Gesetze der Säulenordnung beobachtet wurden.
mam
-ocr page 100-2. Der römische Basilikenbaii. —■ Basilika von Trier, 101
stalt, deren Beschaffung wahrlich nicht aus ästhetischen Gründen, sondern
nur durch eine äussere Nothwendigkeit veranlasst sein konnte. iWo die
Nische durch ein halbes Kuppelgewölbe bedeckt ist, fällt dieser Uebelstand
natürlich weg, aber auch hiebei ist der Schwibbogen zunächst aus äusseren
Gründen veranlasst, damit sich nämlich das Gewölbe an ihn anlehnen
könne. Wollte man etwa sagen, dies letztere sei in der Gestaltung des
Tribunals als Regel anzunehmen, und im vorliegenden Falle habe man,
obgleich das Kuppelgewölbe sei weggelassen worden, dennoch jenen cha-
rakteristischen Bogen aus herkömmlicher Gewohnheit beibehalten, so hiesse
dies doch ein allzu bedeutsames und mächtiges Werk , wie der Bogen
in der That ist, auf Eechnung eines blossen Schlendrians setzen. Der
Schwibbogen, ich wiederhole es, hat nur einen constructiven Zweck: den
nämlich, dem Balkenwerk, welches die Bedeckung des Tribunals trug, zur
Unterlage zu dienen. Hieraus folgt aber unmittelbar, als der wichtigste
Umstand dieser Untersuchungen, dass der mittlere Haupttheil des oblongen
Raumes (dessen lichte Breite etwa 60 Fuss betrug) unbedeckt war. Denn
wenn etwa vorausgesetzt würde, dass man hier, als Träger der Ueber-
deckung, irgend eine künstliche Dachrüstung angewandt habe, so wäre es
widersinnig und dem praktischen Sinne der Römer gänzlich widersprechend
gewesen, wenn dieselbe Einrichtung, nicht auch bei der Ueberdeckung des
Tribunals stattgefunden hätte. Dem steht aber das Vorhandensein des
•Schwibbogens entgegen, welcher nunmehr gegen den offenen Mittelraum
hin einen festen Abschluss und Zusammenhalt des Gebäudes bildete.
So erscheint uns die Einrichtung des Gebäudes ganz dem offnen, freien
Charakter des Verkehrs im Alterthum gemäss : in der Mitte, als Hauptraum,
ein weiter olfner Säulenhof, dem sich zu den Seiten bedeckte Seitengänge
und Gallerien, im Grunde das gleichfalls bedeckte Tribunal anschlossen,
beide dem Publikum (vornehmlich den Handelsleuten) und den Richtern
einen flüchtigen Schutz gegen die Witterung, wenigstens gegen den Regen,
gewährend. So luftiger Einrichtung entspricht denn auch die kolossale
Dimension der ringsum offenen Fenster. (Bei der oben genannten Basilica
Sessoriana.in Rom gingen die untern Oeffnungen, grossen Thoren gleich,
sogar bis auf den Fussboden nieder, so dass eine Einrichtung dieser Art
die allergrösste Freiheit des Verkehrs gestatten musste.) Auch von der
Basilika von Pompeji wird vorausgesetzt, dass der mittlere Raum unbedeckt
war. Nach meinem Dafürhalten fand diese Einrichtung insgemein bei den
grösseren Basiliken statt. Man kann sie gewissermassen als ins Enge ge-
zogene (und allerdings für besondere Einzelwecke bestimmte) Fora bezeich-
nen, wie denn, umgekehrt, die ersten bedeutenderen Basiliken Roms be-
kanntlich geradehin eine Erweiterung des dortigen Forums und seiner Be-
dürfnisse bildeten. Ebenso kann man sie, mit Ausschluss der besonderen
Form des Tribunals, den Hypäthral-Tempeln parallel stellen, deren Einrich-
tung auf sie wiederum nicht ohne Einfluss gewesen sein dürfte.
Nach alledem scheint es mir, dass wir die Basilika von Trier als ein
charakteristisches Beispiel der ganzen Gebaudegattung, welcher sie ange-
hört, betrachten dürfen; obschon wir die Zeit ihrer Erbauung nicht näher
bestimmen können und diese, möglicherweise, erst in das vierte Jahrhun-
dert nach Christi Geburt fallen dürfte. Die allgemeinen Grundzüge der
Anlage, welche uns hierin vorliegen, hindern uns nicht, für die verschie-
denen Epochen der römischen Architektur eine verschiedenartige Behand-
lung des architektonischen Details anzunehmen. Nur über die Einrichtung
liheinreise, 1841. Erster Absclmitt.
der Vorderseite erlialteii wir hier keinen Aufschluss, indem von dieser keine
Spur mehr vorhanden ist und sie. wie aus den mitgetheilten Berichten her-
vorgelit, schon in früher Zeit verändert sein musste. Doch hat die Restau-
ration der Fa^ade eines antiken Gebäudes, da uns hievon so vielfache
Beispiele vorliegen, für uns keine erheblichen Schwierigkeiten; auch für
den Fall nicht, wenn man an der Vorderseite, nach Vitruvs Vorschlag, ein
Chalcidicum vorgebaut annehmen \\rollte, indem ein solches Baustück, wie
bekannt, im Wesentlichen nur aus einer Vorhalle und aus einem unbedeck-
ten Söller oder Altan über deren Decke bestand.
Beiläufig mag noch bemerkt werden, dass uns die eben besprochene
Basilika zugleich einen nicht unwichtigen Fingerzeig für die Topographie
des alten Trier giebt. Die Bedeutsamkeit ihrer Dimensionen lässt nicht
voraussetzen, dass sie in einer untergeordneten Gegend der Stadt belegen
gewesen sei-, vielmehr wird sie ohne Zweifel wie überall die wichtigeren
Basiliken, am Forum, und zwar mit ihrer Vorderseite gegen dasselbe ge-
richtet, gelegen haben. Hieraus folgt, wenigstens mit grösster Wahrschein-
lichkeit, dass das Forum von Trier ungefähr die Stelle des heutigen Palast-
platzes eingenommen habe.
Blicken wir nunmehr noch einmal auf das Verhältniss der antiken Ba-
siliken zu dem christlichen Kirchengebäude zurück, so erscheint das Be-
streben, das letztere nach dem Vorbilde jener zu behandeln und seine
Formen demgemäss in reiner Classicität zu bilden, nicht als ein vollkom-
men berechtigtes. Die charakteristisch eigenthümliche Einrichtung des
Mittelschiffes in der altchristlichen Basilika, auf welcher von vornherein
die bedeutsame Wirkung des christlichen Kirchengebäudes beruht, ist iu
der antiken Basilika nicht vorgebildet. Sie steht im Widerspruch gegen
die Gesetze des antiken Säulenbaues; sie ist eine Neuerung, welche die
antiken Formen und deren Eindruck auf das Auge und auf das Gemüth des
Beschauers verdirbt. Sie kann demnach mit den classischen Bauverhält-
nissen nicht ausgeglichen werden; sie gehört nicht der künstlerischen Ge-'
fühlsweise einer vergangenen Zeit an, sie deutet vielmehr auf neue Gesetze
auf neue Entwickelungsmomente, und zwar auf diejenigen, welche sich iu
den Baustylen des Mittelalters, in dem romanischen (sogenannt byzantini-
schen) und vornehmlich in dem gothischen, zu so grossartiger Consequenz
ausgebildet haben. Es dürfte somit vortheilhafter sein, ni?ht den unent-
wickelten Keim, sondern die in glänzender Fülle aufgeschlossene Blüthe
zum Gegenstande des künstlerischen Studiums zu machen ^
') Schmidt hat (1845), in seinem oben angeführten Werke, die Vermuthung
ausgesprochen, dass die Basilika von Trier im Inneren — meiner Voraussetzung
entgegen — keine Säulengallerien gehabt habe. Gegenwärtig wlijd sie bekannt-
lich, und zwar als grosser einscliiifiger Raum, zur Kirche für die evangelische
Gemeinde bestimmt, wiederhergestellt. Es haben sich dabei Reste alter Säalen-
stellungen vorgefunden, die in solcher Art indess, ihrer Anordnung nnd ihrer
Behandlung nach, nicht mit dem Bau gleichzeitig sein konnten , vielmehr Um-
wandlungen der inneren Anlage in der fränkischen Epoche anzugehören scheinen.
102
tT'-i
3. Die Porta Nigra zu Trier. 103
Ich habe über die kunsthistorische Stellung dieses merkwürdigen Bau-
denkmals eine Streitfrage angeregt und erlaube mir, einiges dahin Gehörige
im Folgenden zusammenzustellen.
(Kunstblatt, 1840, Nro. 56.)
\
Unstreitig das merkwürdigste unter den ältesten Baudenkmalen von
Trier ist die Porta Nigra; die besondre "Weise, in der sie angelegt und
aufgeführt ist, giebt ihr einen ganz eigenthümlichen Werth unter Allem,
was von "Werken römischen Styles auf unsere Zeit gekommen ist.. Aus der
ganzen Einrichtung des Baues scheint sich deutlich zu ergeben, dass der-
selbe die Zwecke eines Thores mit denen einer Art kleiner Citadelle
(Porta mit einem Propugnaculum) verband; die thurmartigen Vorbauten
der Seitenflügel und die bedeckten Gänge über den äusseren \ind über den
inneren Thoren dienten ohne Zweifel zur Vertheidigung des Einganges, der
kleine Hof in der Mitte zu den Rüstungen u. dgl., das Innere der Flügel-
gebäude zur Wohnung der Soldaten. Die von Hirt (in seiner Geschichte
der Baukunst bei den Alten) ausgesprochene Ansicht, dass das Gebäude
zugleich als Prätorium oder als Wohnung dfessen, dem der Oberbefehl
über die Festungstruppen anvertraut war, gedient habe, scheint ziemlich
willkürlich und selbst unpassend; eben so die Meinung Derer, welche der
Porta einen griechisch-etruskischen Ursprung zutheilen, dass sie nämlich
zugleich zu Volksversammlungen bestimmt gewesen sei.
Ueber die Erbauungszeit der Porta sind mancherlei, zum Theil sehr
sonderbare Ansichten aufgestellt worden. Die Einen, besonders Quednow '),
geben ihr, wie eben angedeutet, einen griechischen Ursprung (sie sei durch
Griechen, die nach dem peloponnesischen Kriege bis hieher ausgewandert,
aufgeführt worden); die Andern wollen, dass sie von Etruskern — von
einer Abzweigung jener Etrusker, die vor den Galliern nach Rhätien flüch-
teten (!!) — erbaut sei. Diese etrttskische Abkunft hatte Wyttenbach früher
verfochten; in seinen „Neuen Forschungen übe? die römischen architektoni-
schen Alterthümer im Moseithale von Trier" hat er indess diese Meinung
zurückgenommen und ihre Erbauung Kaiser Constantin dem Grossen zuge-
schrieben, durch den (zufolge einer Rede des Panegyrikers Eumenius) die
Wiederherstellung Triers erfolgt und namentlich die ganze Mauerumgebung
des Ortes erneut war. Auch Hirt setzt die Erbauung der Porta in die Con-
stantinische Periode; und allerdings kann es für den, der nur einigermaas-
sen mit den Formen der antiken Kunst bekannt ist, kein Zweifel sein,
dass an ihr der Charakter spätrömischer Kunst mit Entschiedenheit sieh
ausspricht.
Indess scheint es mir nöthig, wenn man bei Wyttenbach's und Kirfs
Ansicht verharren will, dass diese noch gegen einen Zweifel von andrer
Seite gesichert werde; es dürfte nämlich in Frage kommen, ob die Porta
nicht vielleicht noch später, zur Zeit der fränkischen Herrschaft, zwischen
den Verwüstungen, welche Trier im fünften Jahrhundert, und denen, welche
Beschreibung der Alterthümer von Trier, etc.
-ocr page 103-104 RheiDi'eise, 1841. Erster Abschnitt.
es im neunten Jahrhundert (882, durch die Normannen) zu erdulden hatte,
yt aufgeführt sei. Dass in jener Zeit noch durchaus antike Bildung vorherrscht,
4< jf^tzt wohl zur Genüge erwiesen v und in der That scheint die rohe Ein-
fachheit der Gesimsformationen, welche an der Porta durchgehend gefun-
,.r| den werden — sie bestehen tiberall nur aus schmaler Platte und schräger
I Schmiege, und auch die Kapitale und Basen der Säulen sind auf dieselbe
'I Weise gebildet — fast besser mit den letzten Nachklängen antiken Geistes,
»'f als mit einem Prachtbau der Constantinischen Zeit übereinzustimmen.
Auch fehlt es nicht an Zeugnissen, dass in Jener späteren Zeit noch
Bauwerke von ähnlich grossartiger Anlage aufgeführt wurden. Wyttenbach
selbst (a. a. 0. S. 18, Anm.) bringt ein solches bei, indem er der grossen
Burg erwähnt, welche Erzbischof Nicetius eben in jener Gegend erbauen
liess, und welche Venantius Fortunatus (Carmen de Castello NicetiiÄrchiep.
f,' Trev. super Mosellam) mit folgenden Worten beschreibt: „Den Berg um-
, giebt, Felder einschliessend, eine Mauer mit dreissig Thürmen, die sich
bis zur Mosel liinabzieht. Auf dem Gipfel des Berges strahlt das Schloss,
ein anderer Berg, dem ersten aufgelastet. Drei Stockwerke hoch schwebt
I es erhaben auf marmornen Säulen und schaut auf des Flusses Schiffe" etc.
' I Wichtiger noch scheint mir eine Notiz, welche Quednow (S. 32) beibringt.
J Er berichtet nämlich, dass vor nunmehr etwa zwanzig Jahren eine Auf-
T ■ grabuug an der Hauptfronte der Porta (an den Thoren) veranstaltet wurde,
bei welcher man auf den ursprünglichen, fünf Fuss unter der jetzigen
<1; Oberfläche liegenden Fussboden hinabging. (Woraus dieser bestand, sagt
Quednow nicht.) Zwischen diesem Boden aber und dem gegenwärtigen in
der Mitte fand sich noch ein andrer j aus grossen Kalksteinplatten zusam-
mengesetzter und gut erhaltener Fuss'boden. Dieser gehört mithin einer
zweiten Periode der Benutzung des Thores an. Da solche Ueberhöhungen
,. des ursprünglichen Pflasters aber grossen Zerstörungen, welche den Boden
''' rings mit Schutt "und Trümmern überhäuft, ihren Ursprung zu verdanken
pflegen, da hier eben nur Eines Pflasters und keiner weiteren auffallenden
Schicht zwischen dem heutigen und dem ursprünglichen Boden erwähnt
wird, da die Benutzung des Thores als eines solchen überhaupt nur bis
zum Jahr 1035 , in welchem dasselbe zur Kirche umgewandelt wurde,
b reicht: so dürfte man vielleicht nicht ganz ohne Grund annehmen, dass
dieses Pflaster erst in Folge jener Zerstörung Triers durch die Normannen
(882) entstanden ist, und dass, wäre die Porta bereits vor den Zerstörun-
gen des fünften Jahrhunderts erbaut gewesen, auch in Folge dieser letzte-
ren die Spuren besonders überhöhter Fussböden hätten erscheinen müssen,
wie solches anderweitig, besonders in Frankreich, bei den Zerstörungen
jener Jahrhunderte förmlich als Regel beobachtet ist. Doch wäre es vor-
eilig, wollte mau gegenwärtig bereits solche Schlüsse als gesichert anneh-
men. Vielmehr dürfte es vorerst dringend nöthig sein, noch einmal Auf-
grabungen des Terrains um 4ie Porta Nigra und in derselben zu veran-
stalten, und zu untersuchen, ob vielleicht ausser jenem Zwischenpflaster
noch andere Erd- oder Schuttschichten zu unterscheiden sind, und ob diese
vielleicht ein bestimmteres Resultat gewähren. Hierauf scheint man bei jener
Aufgrabung wenig geachtet zu haben, fand es überhaupt auch wohl über-
flüssig, da man, wie es scheint, von vornherein von jenem mythischen,
griechisch-etruskischen Ursprünge der Porta überzeugt war-^
Ein zweites, nicht minder eigenthümliches Interesse gewährt die Porta
Nigra der Baugeschichte des Mittelalters durch ihre Umwandlung in eine
3. Die Porta Nigra zu Trier. 105
Kirche, in welcher Gestalt sie fast acht Jahrhunderte hindurch, vom Jahre
1035 bis zum Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts, dagestanden hat-
Hievon ist nur der auf der Ostseite angefügte Chorbau stehen geblieben.
Die Weise, wie man sich mit den damaligen liturgischen Bedürfnissen dem
vorhandenen""Gebäude gefügt, wie man dessen einzelne Theile benutzt und
umgebildet, dürfte einen sehr charakteristischen Blick in die Sinnes- und
Geistesrichtung des Mittelalters gewähren. Es wäre wohl zu wünschen,
falls Risse von dein Zustande der Porta aus jener Zeit (oder — nach ihrem
damaligen Namen — der Simeonskirche) vorhanden sind, dass auch diese
veröffentlicht würden. Mir ist nur die von Casp. Merian gestochene und
allerdings schon sehr belehrende Ansicht des Aeusseren bekannt, welche
sich in den Äntiquitates et annales Trevirenses von Brower und Masen
(lß70) befindet.
(Kunstblatt, 1844, Nro. 38.)
In No. 56 des Kunstblattes vom Jahr 1840 hatte ich die Hypothese
aufgestellt, dass die Porta Nigra, statt in die spätrömische, in die Periode
der fränkischen Herrschaft gehören dürfe, besonders wegen der Rohheit
der Detailformen (nach Maassgabe der Abbildungen in Quednow's Werk
über die Allerthümer von Trier), und weil wir noch aus der fränkischen
Zeit Berichte von ähnlich imposanten Gebäuden, die in jener Gegend auf-
geführt wurden, besitzen; ich hatte wenigstens darauf aufmerksam gemacht,
dass, wenn man das Gebäude noch ferner der Zeit Constantins des Grossen
zuschreiben wolle, wie in der jüngsten Zeit' im Gegensatz gegen ältere,
sehr fabelhafte Ansichten geschehen, man die erforderlichen Gegengründe
auch gegen diese Hypothese beibringen müsse. Nachdem ich das Gebäude
sodann an Ort und Stelle selbst gründlich untersucht, fügte ich, in den
Nachträgen zu meinem Handbuch der Kunstgeschichte*), S. 864, die Be-
merkung hinzu, dass jene Vermuthung mir inzwischen zur Ueberzeugung
geworden, und dass die Porta Nigra somit vornehmlich dem sogenannten
Palazzo delle Torri zu Turin parallel zu stellen sei, welchen Cordero aus
sehr überzeugenden Gründen dem achten Jahrhundert n. Chr. zuschreibt.
Ohne Bezugnahme auf meine letztere Erklärung sagt Herr Dr. L. Urlichs
gegenwärtig in dem so eben erschienenen vierten Heft der Jahrbücher des
Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande, bei Gelegenheit einer
Kritik der Schmidt'schen Baudenkmale von Trier: n^^® bewunderungs-
würdigen römischen Denkmäler in Trier und der angrenzenden Gegend
sind zwar vielfältig besprochen und namentlich von Einheimischen, worun-
ter sich die Herren Wyttenbach und Steininger besondre Verdienste er-
warben, erläutert worden; indessen fehlte es bis jetzt, da das Buch vou
Quednow dem heutigen Stande der Wissenschaft nicht genügt, an der un-
entbehrlichen Grundlage aller Forschungen, an zuverlässigen und auch das
Einzelne und anscheinend Geringfügige nicht verschmähenden Abbildungen.
Daher rühren denn selbst bei ausgezeichneten Männern, welche,--wie Herr f
Steininger, die Basilika richtig erkannten, Irrthümer, wie die sonderbare
Annahme, die Thermen seieri ein Pantomimentheater, oder die Porta Nigra
se.i ein Werk fränkischer Zeit (Kugler im Kunstblatt 1840, No. 56)." Diese
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') Erste Auflage. ,
-ocr page 105-Rheinreise, 1841. Erster Abschnitt.
106
Worte veranlassen mich, die Gründe für meine Behauptung hier näher
darzulegen, soweit dies überhaupt ohne Abbildungen, deren ich keine
genügenden zur Hand habe, möglich ist.
Bei allen kunsthistorischen Untersuchungen kommt es bekannter Maassen
zunächst und vorzugsweise auf die künstlerische Bedeutung des fraglichen
Werkes, auf den ästhetischen Organismus desselben an; diesen mit klarem
Blick aufzufassen, hat seine Schwierigkeiten, aber es muss eben gewagt
werden. Auch im vorliegenden Falle gehe ich hievon aus. Dass die
Composition der Porta Nigra eine römische Erfindung ist, bezeugt schon
der flüchtigste Blick auf das Gebäude; eine nähere Untersuchung jedoch
lässt eine sehr unrömische, sehr entschieden barbarisirte Behandlungsweise
der Detailformen, und besonders derjenigen, die für die antike Architektur
vorzüglich charakteristisch sind, erkennen. Es ist nur ein Umstand, der
gerade hier diese nähere Untersuchung eigenthümlich erschwert, sie jedoch
keineswegs unmöglich macht. Das Gebäude der Porta Nigra ist nämlich
nicht vollendet worden; es fehlt demselben zum guten Theil die letzte
Glättung; Vieles daran erscheint erst im Rohen zugehauen, und so dürfte
man von vornherein geneigt sein, anzunehmen, dass jener Barbarismus der
Detailformen eben auf Rechnung des Rohbaues zu schreiben, dass hierin
bei der Vollendung des Ganzen eine ganz andre Weise der Ausführung
beabsichtigt gewesen sei. Bei einer aufmerksamen Betrachtung des Ge-
bäudes erkennt man aber doch bald, was daran wirklicher Rohbau ist,
was zu einer weiteren Ausarbeitung fähig war oder nicht, und was trotz
einer nicht sonderlich zarten Behandlungsweise als wirklich vollendet be-
trachtet werden muss. Der architektonische Schmuck des Gebäudes besteht
aus einer Art dorischer Halbsäulen und Pilaster in mehreren Geschossen,
zwischen denen sich, mehr oder weniger durchgängig, gewölbte Fenster-
oder Thüröffnungen befinden. Auffallend erscheinen zunächst manche nur
flach angelegte Gliederprofllirungen, in einer Weise, dass daraus nie ein
eigentlich römisches Gliederprofil ausgearbeitet werden konnte, wie z. B.
die Basis der Säulen meist aus einer viereckigen Platte und aus einem
breiten, wenig vorspringenden Bande besteht, und wie das Kämpfergesims
sehr roh durch eine hohe, flache Platte gebildet wird. Dergleichen mag
indess mehr als eine rohe, denn als eine im eigentlichen Siiine des Wortes
barbarisirte Formenbehandlung gelten. Auffallender ist die Form sämmt-
1 icher durchlaufenden Horizontalgesimse, die (wie so häufig in der frü-
heren Zeit des mittelalterlich romanischen Styles) nur aus einer Platte und
aus einer schrägen Schmiege unter dieser bestehen und dabei stark aus-
laden , so dass die Platte selbst nur eine sehr geringe Vorderfläche hat.
Eine durchgehende Bestimmtheit in der Behandlung dieser Gesimse lässt
sie zumeist als wirklich vollendet erscheinen, während solche Theile, von
denen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass sie abgemeisselt,werden soll-
ten, wie z. B. die vorspringenden Einfassungsstreifen an den Keilsteinen
in Architrav und Fries (über den Portalen) ungleich roher und willkür-
licher ei-scheinen. Das Entschiedenste aber ist die Form der Kapitale.
Während 'die der Halbsäulen im Erdgeschoss in Anlage und Verhältnissen
flen römisch-dorischen Kapitalen noch ungefähr zu vergleichen sind, ist
dies bei den übrigen ganz anders; bei diesen ist die Deckplatte ganz
schmal und dagegen das Glied, welches die Stelle des antiken Echinus
vertritt, übermässig hoch, mehr kelchartig, und bildet zugleich einen ganz
rohen Uebergang aus der viereckigen Deckplatte in die Rundform der Säule.
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3. Die Porta Nigra zu Trier. 107
was Kapital erscheint hier somit der rohen byzantinischen (wenn meist
auch reicii dekorirten) Grundform des Säulenkapitäls ganz entsprechend.
Die solche sich z. B. an S. Marco zu Venedig und im Einzelnen sogar an
frühest mittelalterlichen Gebäuden in Deutschland findet , und die wir
als Uebergang zu der bekannten mittelalterlichen Form des sogenannten
Würfelkapitäles betrachten dürfen. Abgesehen davon, dass aus dieser
Form nimmer ein antik dorisches Kapital herausgemeisselt werden konnte,
so ist sie auch, mit Einschluss des darunter befindlichen Ringes und des
Ansatzes des Säulenschaftes, an der Porta Nigra durchgehend mit einer
gewissen wiederkehrenden Bestimmtheit angegeben, während die Säulen-
schäfte selbst wiederum zumeist nur die rohe Anlage zeigen. Noch auf-
fallender endlich, und im allerhöchsten Maasse unantik, ist der Umstand
dass auch die sämmtlichen Pilaster, die im Aeusseren und im Inneren des
Gebäudes vorkommen, mit demselben, stark und unschön ausladenden
Kapitale versehen sind, einer Form, die in dieser Anwendung später bei
den Pilastern an der Westseite des Domes von Trier offenbar als Vorbild
gedient hat, bei den letzteren aber durch flachere Behandlung sich in ein
künstlerisches System schon wieder mehr einfügt.
An einigen Stellen der Porta Nigra finden sich allerdings glatt und
elegant behandelte Detailformen; diese gehören aber nicht dem ursprüng-
lichen Bau, sondern einer schon wieder sehr ausgebildeten Kunstepoche
an, und lassen somit auf das Uebrige keinen Rückschluss machen. Sie
rühren aus der Zeit her, da das Gebäude als Kirche diente, die interes-
santeren ohne Zweifel aus der Zeit, in welcher der Chor angefügt wurde.
Dahin ist zunächst die Glättung der Formen an der Thür, die aus dem
westlichen Flügel des Gebäudes auf die Stadtmauer führte, mit den an
den Gesimsen angebrachten Kreuzen zu rechnen. Dann die zierlich deko-
rirte Thür, welche von der Stadtseite her in das Obergeschoss desselben
westlichen Flügels führte, und ebenso auch einige saubere Dekorationen
gegenüber am östlichen Flügel. (Von den in der Rococozeit umgemeissel-
ten Formen brauche ich natürlich nicht zu sprechen.)
Nach meiner Ansicht haben wir hier somit ein Gebäude, welches bei
einer noch entschieden römischen Grundanlage doch schon eine Behand-
lungsweise der wichtigsten Detailformen erkennen lässt, die nicht mehr
römisch zu nennen ist, sondern bereits barbarisirt und der nächrömischen,
der byzantinischen Kunstepoche entsprechend erscheint. Ist dies richtig,
so scheint es auch ganz angemessen, das Gebäude der Zeit der fränkischen
Herrschaft, in der, wie oben bemerkt, die Anlage bedeutender Bauten
nicht sofort unterblieb und in der die römische Cultur überhaupt einer
ähnlichen Barbarisirung unterlag, zuzuschreiben. Will man den constan-
tinischen, oder allgemeiner, den römischen Ursprung des Gebäudes sichern,
so ist es vor allen Dingen nöthig, nachzuweisen, dass schon in römischer
Zeit eine solche Umwandlung der architektonischen Formen stattgefunden
hat, wofür es meines Wissens bis jetzt noch an dokumentirten Beispielen
fehlt. Ich will"meine Behauptung keinesweges als eine völlig unwiderleg-
liche aufgestellt haben; so lange aber eine solche Widerlegung, und zwar
') Z. B. in der Gruftkirche der Wipertikirche bei Quedlinburg; s. die von
F. Ranke und mir herausgegebene Geschichte und Beschreibung der Schloss-
kirctie zu Quedlinburg etc. (Tbl. 1. dieser Samtulung, S. 596, oben.)
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Rheiureise, 1841. Erster Abschnitt.
eine wirklich begründete, nicht stattgefunden hat, erlaube man mir, den
kahlen Vorwurf eines „Irrthums" von mir abzulehnen.
Kunstblatt, 1846, Nro. 35.
(Aufsatz von Leopold Eltester in Koblenz.)
Chr. W. Schmidt hat in seine Sammlung der römischen Bauwerke in
und um Trier iauch die Porta nigra aufgenommen und zuerst im Widerspruch
mit allen bis jetzt aufgestellten Meinungen dieses räthselhafte Thor als das letzte
Denkmal römischer Herrschaft in den Rheinlanden aufgeführt, es nämlich in die
Mitte des 5ten Jahrhunderts und zwar kurz vor die letzte Zerstörung von Trier
durch die Franken und den gänzlichen Untergang der römischen Herrschaft in
unsern Gegenden im Jahr 464 gesetzt.
Diese Meinung hält unserer Ansicht nach zwischen den beiden extremen
Ansichten, die über das Alter der Porta nigra Eingang gefunden haben, die allein
richtige Mitte. "Während nämlich die altern Forscher dasselbe nicht weit genug
in die Vorzeit hinaufrücken konnten und von einem gallo-belgischen oder gar
etruskischen Werke fabelten, welches die Römer in Trier schon angetroffen,
haben die jüngsten Kunsthistoriker sich bemüht, den Ursprung derselben in die
spätest mögliche Zeit zu versetzen, und namentlich hat Professor Kugler die
Erbauungszeit ganz bestimmt in die fränkische Zeit verlegt und sich durch seine
Vergleichung mit dem angeblich im 8ten Jahrhundert erbauten Palazzo delle Torri
in Turin für die karolingische Epoche entschieden: eine Meinung, die in Kin-
kel bereits Vertheidiger gefunden hat.
Kugler sagt in seiner Kunstgeschichte®) an verschiedenen Stellen (S. 307,
350 und 864) wiederholt, dass die ganze "Weise der Dekoration der Porta nigra
dem klassischen Alterthum fremd sei, und auch zu bestimmt dem ersten Auf-
treten des nordischen Formensinns entspräche, als dass das Monument noch fer-
ner, wie seither geschehen, als ein eigentlich römisches bezeichnet werden könne.
Gegen die im Kunstblatt von 1844, Nr. 38, näher motivirte Behauptung unsers
ausgezeichneten Kunstkenners mit dem vornehmen Achselzucken aufzutreten, wie
dies namentlich von Trier aus geschehen ist, halten wir mit der lihre der "Wis-
senschaft und der Freiheit der Forschung für unverträglich und möge denn der-
selbe Gründe hören, warum seine Ansicht nicht die richtige sei.
1) Noch eines besonderaUmstandes muss ich nachträglich gedenken. In der
Tribunalnische der ohne Zweifel coiistantinischeu Basilika zu Trier stand, bis
auf die gegenwärtig (1851) im Werk begriffene Restauration des' Gebäudes, eine
mächtige Arkadenstellung, aus drei Pfeilern und Bögen bestehend. Sie war aus
Sandsteinquadern erbaut, während die Basilika ein Ziegelbau ist. Dies und der
Umstand, dass sie der Nische ganz disharmonisch eingefügt war, liess es mit
Entschiedenheit erkennen, dass sie nicht dem ursprünglichenBau, sondern einer Zeit
angehörte, in welcher die Zwecke desselben den Lebensverhältnissen nicht mehr ent-
sprachen und ihm eine wesentlich abweichende Bestimmung gegeben
wurde. Wyttenbach hat vermuthet, dass die Arkadenstellung aus
fränkischer Zeit berühre, was in der That die früheste Zeit ist, in
welche man sie setzen kann. Nun hatten die Pfeiler ein Kämpfer-
gesims (zugleich unantiker Weise nur uiiter den .Bogenlaibungen,
nicht an den Vorder- und Hinterseiten), welches wiederum nur aus
Platte und schräger Schmiege bestand. Dies erinnert aber durch-
aus (wie auch das Steinmaterial) an die Detailformen der'Porta
Nigra und giebt demnach wiederum für die von mir vorausgesetzte
spätere Bauzeit der letzteren einen, doch nicht ganz gleichgültigen
Beleg. ^ . - .
'■') Erste Auflage
108
ff. i
I >>■*
3. Die Porta Nigra zu Trier. 109
Wenn wir weit davon entfernt sind, den Behauptnngen Kugler's hinsicht-
lich des Charakters jenes Bauwerks in irgend etwas entgegenzutreten, so müssen
wir dennoch, gestützt auf die historischen Zeugnisse, die Behauptung des.frän-
kischen oder nachrömischen Ursprungs auf das Lebhafteste bekämpfen und uns
mit Schmidt für die lang gehegte TJeberzeugung bekennen , dass die Porta ein
römisches Bauwerk und zwar aus der Mitte des 5ten Jahrhunderts sei.
Es sagt nämlich der Erzbiachof Poppo .von Trier in der Urkunde über die
Veränderung der Porta nigra in eine Kirche zu Ehren des heil. Simeon, der in
derselben ein Einsiedlerleben geführt hatte und gestorben war, vom Jahr 1042:
in porta, que apud gentiles Marti consecrata memoratur , ecclesiam aediflcan-
tes und der Erzbischof Eberhard in einer Urkunde von 1048 erzählt eben-
falls: Pappo archiepiscopus in loco , antiquitus porta Martis nuncupato, ubi
requiescit corpus beati Simeonis confessoris, ecclesiam Deo cousecravit. Und
dass dieses aus ursprünglich graurothem Sandstein errichtete Thor schon im
Ilten Jahrhundert ein schwarzes genannt wurde, augenscheinlich desshalb , weil
die Steine von Alter geschwärzt waren, beweist Abbas Eberarduus Vita S. Si-
meonis c. 3: (Simeon) in turri, quae autea Nigra-porta vocabatur, parvum
tegurium expetiit. Es war also im Ilten Jahrhundert in Trier noch bekannt,
dass dieses Gebäude eine Porta Martis gewesen und hiess vielleicht auch damals
noch Marspforte, wie noch' in Köln. Und nun denke mau noch an einen frän-
kischen Ursprung! -■•
Die Frauken , welche bei ihrer üeberschwemmung des römischen Galliens
eher an der Zerstörung der vorgefundenen Baudenkmale ihre rohe Kraft erprob-
ten, als an der Errichtung eines so kostbaren Werkes, wie unsere Porta, wozu
ungeheure Steinblöcke meilenweit herangeschleppt und behauen werden mussten
— die Franken also, welches Interesse sollte sie wohl bewogen haben können,
ein von ihnen erbautes Thor nach dem Kriegsgotte ihrer Feinde zu benennen?
Was für Gründe vollends sollten im Sten Jahrhundert sie dazu bewogen haben
können, in welcher Zeit Herrscher und Volt bereits zum Christenthum sich be-
kannt hatte? Oder sollte man annehmen dürfen, dass die Trierer schon zwei
oder drei Jahrhunderte nach der Erbauung des Thors vergessen hätten, dass sie
dieses Werk einem Könige ihrer eignen Dynastie oder einem Grossen ihres ger-
manischen Blutes verdankten und sich desshalb mit dem erfundenen römischen
Namen aushalfen? Dieses ist eben so wenig glaublich, als auch' der fernere
Umstand, dass dieses Gebäude schon nach zwei Jahrhunderten vom Alter so ge-
schwärzt sein konnte, um es mit Fug schwarzes Thor, Nigra-porta zu nennen.
Wenn wir bisher den genügenden Beweis geliefert zu haben glauben, dass
die Frauken die Porta nicht gebaut haben, so wird es uns auch nicht eben
schwer fallen nachzuweisen, dass sie es auch nicht konnten.
Erstens war Trier während der ganzen fränkischen Zeit von 4 50 bis 900 nur
vorübergehend in den ersten Zeiten Aufenthaltsort fränkischer Könige, wie des
Clodebalt, Siegemer und Siegebert, nie aber der Mittelpunkt der Monarchie oder
ihrer späteren Spaltungen; denn bekanntlich gehörte die Stadt zu dem austra-
sischen Reiche, dessen Hauptstadt und Königssitz Metz war. Auch zugegeben, dass
ein solcher König in Trier hätte bauen wollen, was würde er zuerst gebaut ha-
ben? Doch unstreitig einen Pallast für sich oder eine Kirche, und diess Hess
sich damals gewiss leicht ausführen , da die prächtigen Ruinen eines Pallastes
selbst und einer später wirklich zu solchem Zwecke dienenden Basilika aus der
konstantinischen Zeit noch aufrecht standen. Ein blosses Stadtthor zu bauen,
und zwar ein so prächtiges Thor, wie die Porta, für eine halb in Schutt lie-
gende Stadt, wozu die Quader aus den drei Meilen entfernten Brüchen von Pfal-
zel herbeizuschaffen und mühsam zu behauen waren; einen solchen bürgerfreund-
lichen Gedanken kann man den fränkischen Herrschern vor Karl dem Grossen
nicht wohl zutrauen. König Chilperich befahl zwar, dass die Stadtmauern der
Hontheim historia trevirensis t. I. p. 879. — Hontheim bist. trev. t.
I. p. 385. — •■') Hontheim bist. trev. t. I. p. 379.
Rheinreise, 1841. Erster Abschnitt.
Römerstädte herzustellen seien, wie uns Gregor von Tours erzählt,*) aber dies
waren gewiss nur sehr kunstlose Reparaturen und gewiss wird selbst der stol-
zeste fränkische Herzog öder Graf, der zu Trier befehligte, wenn Karl der Grosse
zu seiner Rheinbrücke in Mainz das römische Material nicht verschmähte, kein
Bedenken getragen haben, zu dieser Wiederherstellung der Festungswerke, die
immensen Ziegel- und Steinhaufen zu benutzen, die von der glänzenden Augusta,
seit den ersten Besuchen seiner Ahnen übrig geblieben waren. Und wozu hätte
den Franken überhaupt ein solches Thor und namentlich die Räume über den
Doppelbogen genutzt, sie, welche ihre öffentlichen Versammlungen unter freiem
Himmel abzuhalten pflegten, und war der ursprüngliche Zweck so bald ver-
schwunden, dass man kurze Zeit später das Thor in eine Kirche verwandelte?
Unsere Porta nigra ist wirklich ein ächt römisches Bauwerk , dafür spricht
Namen, Ansehn und Geschichte, dass es aber ein sehr spätes Erzeugniss römi-
schen Geistes und klassischer Kunst sei, dafür wollen wir dankbar die Hülfe
in Anspruch nehmen, die Professor Kugler sfllbst geboten hat. Derselbe schliesst
nämlich von dem sogenannten Palazzo delle Torri in Turin rückwärts , einem
Gebäude, das in das 8te Jahrhundert gehören soll. Nun sagt aber ein sehr ge-
achteter Kunstfreund, Dr. Alfred Reumont, in Nr, 81 des Kunstblatts von
1845 von diesem unserem fraglichen sehr ähnlichen Thore, ebenfalls mit zwei
sechzehnseitigen Thürmen und der nämlichen Anordnung der Fagade ausgestat-
tet, dass nur der italienische Kunsthistoriker Cordero allein der gewöhnlichen
Ansicht, die dieses Stadtthor von jeher für'römisch gehalten habe, gegenüber,
einen lombardischen Ursprung desselben behaupte, und bekennt sich selbst eben
wegen der Aehnlichkeit mit der Porta nigra, auch für das Römerthum des
Palazzo.
Wir geben allerdings gern zu, dass nicht mehr der alte klassische Geist die
massiven Formen der Porta durchweht und dass ein nordischer Einfluss an dem
Ganzen sehr stark bemerkbar sein mag. Diess ist aber sehr leicht zu erklären,
weil noth wendiger Weise unter dem ^rauhen Himmel Germaniens mitten unter
einer wesentlich aus nordischen Elementen zusammengesetzten Bevölkerung, selbst
der feinste italienische Geschmack unter aufgedrungenem Fremdartigen leiden
musste. Man betrachte z. B. nur einen in Dorow's römischen Alterthümern
in und um Neuwied abgebildeten Altar, der am zerstörten Kastelle Victoria ge-
funden, jedenfalls älter als das 4te Jahrhundert ist, denn schon zu Valentinian's
Zeit wurde das Kastell zerstört. Niemand würde zweifeln, ein byzantinisches
Werk des 9ten oder lOten Jahrhunderts vor sich zu sehen, stünden nicht Fund-
ort und Zweck damit im Widerspruch. Soldaten waren dort die Künstler und
wahrscheinlich danken wir auch unsere Porta einer müssigen Legion , die, wie
schon Jahrhunderte früher, grösstentheils aus Barbaren aller Zorjen zusammenge-
setzt war. Germanischen und gallischen Fäusten gelang es wohl nur, die grossen
Blöcke auf einander zu thürmen, ihnen gehört die Detailbildung, vielleicht" selbst
die Konzeption des Ganzen an und mag dieses Gebäude nun vor der Zerstörung
von 464 oder vielleicht schon früher vor 400, 411, 418 oder 440 entstanden
sein, es blieb unvollendet, sobald mit der Auflösung der Römerherrschaft der
Sinn für solche Werke verloren ging.
Ausser dem sehr in Zweifel stehenden Pallast des Bischofs Nicotins von
Trier irgendwo an der Mosel und den Pallastbauten Karls des Grossen zu Aachen,
Ingelheim und Nymwegen ist uns auch kein grösseres fränkisches Werk am Rhein
bekannt geworden, und sehen -^ir nicht ein, warum Kugler bloss der nordischen
Formen willen die Porta nigra, wie auch den sogenannten Klarenthurm in Köln
der Römerzeit entziehen und in die germanische versetzen will.
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R'iä
Schliesslich legt der Einsender den Schriftkundigen Proben von Schriftzügen
') Gregor. Turon, Liber VI- c. ult. Chilpericus rex. misit ad duces et comi-
tes civitatum, ut muros componerent urbium resque suas cum uxoribns et Öliis
intra murorum munimenta concluderent atque repugnarent viriliter, si necessitas
exigeret.
3. Die Porta Nigra zu Trier. 110
Tor, welche in grosser Anzahl und oft wiederholt, wohl als Handzeichen der
Steinmetzen^ die Quader der Porta nigra bedecken. Wenn diese gleich himmel-
weit vjon den klassischen Linien römischer Lapidarschrift entfernt sind und
gewiss eher byzantinischer Mönchsschrift näher kommen, so beweisen sie doch
wenigstens, dass die Urheber derselben nicht deutsch, sondern wohl eher latei-
nisch (oder griechisch?) gesprochen. Professor Pertz in Berlin, dem sie eben-
falls vorgelegen , hält sie für sehr alt und aus den ersten Zeiten schriftlicher
Aufzeichnung, verhehlte jedoch nicht dabei, dass aus solchen Steinhauerzeichen,
die sich oft wie Familienwappen von Geschlecht zu Geschlecht fortzuerben pfleg-
ten, keine Schlüsse auf die Zeit ihres Ursprungs gezogen werden könnten.
Kunstblatt, 1847, Nr. 20.
(Aus einem Aufsatz von Gottfried Kinkel über das Werk: „Die Bau-
werke in der Lombardei vom 7ten bis zum 14ten Jahrhundert, gezeichnet
und durch historischen Text erläutert von Friedrich Osten. Erste
Lieferung.) ^
.... Das dritte mitgetheilte Gebäude ist der vielbesprochene Palazzo delle
Torri zu Turin. Das Mittelstück ist ein schöner Bau mit Halbpfeilern in reinem
Gefühl und einfach-feinen jonisirenden Zahngesimsec. Die beiden 16eckjgen
Thürme aber, welche diese Schauseite einfassen, erscheinen (auch abgesehen vpn
ihren viel späteren Zinnenaufsätzen) ohne Harmonie mit dem Mittelstück. Sie
sind durch vier Reihen ganz einfassungsloser Fenster durchbrochen , von denen
keine den Fensterreihen des Mittelbaues sich anschliesst. Hierin behält die
sonst nahverwandte Porta nigra zu Trier einen hohen Vorzug, indem bei ihr die
flank4renden Thürme durch gleiche Halbsäulenverzierung und den Fortlauf der
Fensterreihen mit in die grossartige Anlage hineingezogen sind. Dagegen erin-
nert der Palazzo sowohl in der Gesammtanlage der verzierenden Säulen, als
besonders in den Gesimsen bedeutend an die Vorhalle von Lorsch unweit der
Hergstrasse, Da nun jener in Urkunden erst seit Karl dem Grossen erwähnt
und von Herrn Osten gleichfalls. unter die letzten selbständigen Herrscher des
Volks verlegt wird, so wird er mit Lorsch gerade in einö Zeit fallen, und beide
Gebäude bestätigen einander. Denn es ist trotz Allem, was darüber neuerlich
behauptet (aber nicht bewiesen) wurde, der Palazzo weder für ein römisches,
noch Lörsch für ein spätromanisches Werk anzusehen.
Nachschrift von,F. Kugler.
Das im Vorstehenden besprochene Heft giebt mir einen Anknüpfungs-
punkt, um einem Aufsatze des Herrn Eltester über die Porta nigra in
Trier (in Nr. 35 des vorjährigen Kunstblattes), worin derselbe meine An-
sicht, dass dies Bauwerk nachrömisch und erst der fränkischen Zeit an-
gehörig sei, zu widerlegen sucht, einige Gegenbemerkungen hinzuzufügen.
Aeussere Verhältnisse, die mich schon seit mehreren Jahren der eignen
Thätigkeit in kunsthistorischen Spezialstudien entzogen, haben mich hiezu
nicht eher kommen lassen, und auch jetzt bin ich ausser Stapde, die Streit-
frage in ihrem ganzen Umfange ^wieder aufzunehmen, muss diess vielmehr
einstweilen Andern überlassen. Ich hatte mich für meine Behauptung u. A.
auf die Verwandtschaft der Porta Nigra mit dem Palazzo delle T.orri.,zu
Turin bezogen, der schon durch Cordere (in dessen gekrönter Preis-
schrift pdeir italiana architettura durante la dominazione Longobarda."
selbständig und zugleich in den Commentarj dell'Ateneo di Brescia, 1828,
Rheinreise, 1841, Erster Abschnitt.
herausgegeben) als longobardisch bezeichnet ist. Herr Eltester meint aber,
dass dies Zeugniss, zufolge einer allgemeinen, von Herrn v. Reumont aus-
gesprochenen Aeusserung, wenig Gültigkeit haben dürfe; ich würde ge-
wünscht haben, dass er statt dessen lieber Cordero's Buch zur Hand
genommen hätte, um sich zu überzeugen, dass es unter den italienischen
Forschern über italienische Architekturgeschichte -wohl kaum Einen giebt,
der neben Cordero genannt zu werden verdient, und mithin seine Autorität
gerade von ganz besonderem Gewichte sein muss, wenn schon sein Buch,'
mit Rücksicht auf die anderweitigen Forschungen der letzten 20 Jahre,
vielfacher Erweiterung bedürftig sein wird. Herr Osten, dem wir vorläufig
wenigstens ein nicht minder sicheres ürtheil zutrauen müssen, hat sich nun
ebenso wie Cordero über den Palazzo delle Torri ausgesprochen, wodurch
der — überhaupt erst noch zu führende — Gegenbeweis noch schwieriger
geworden sein möchte.
Das Gewicht der positiven, äusserlich historischen Gründe, die Herr
Eltester für das römische Alter der Porta nigra anführt, verkenne ich
keineswegs, doch scheinen sie mir noch nicht entscheidend, und dies um
so weniger, als er es wiederum versäumt hat, für seine Behauptung, dass
der fränkische, in dortiger Gegend erbaute Prachtpallast des Bischofs Nice-
tius (auf den ich gleichfalls Bezug genommen) sehr im Zweifel stehe,
Gründe beizubringen. Dass ich übrigens, wie er von mir-behauptet, die
Porta nigra in das 8te Jahrhundert gesetzt hätte, ist mir nirgend einge-
fallen.
Ich bekenne es sehr gern und aufrichtig, dass ich durchaus nicht
Eitelkeit genug habe, für die Ansicht, die ich in Betreff der Erbauungs-
zeit der Porta nigra ausgesprochen, zum Märtyrer zu w^erden. Ist diese
Ansicht falsch, so mag sie getrost fallen; wäre es mir augenblicklich ver-
gönnt, diese Forschungen fortzusetzen, und stiessen mir genügende Gegen-
beweise auf, so würde ich selbst der Erste sein, sie zu veröffentlichen. Aber,
da ich Gründe (und ich denke: keine ganz oberflächlichen) angeführt hatte,
so darf ich dasselbe doch auch von den Gegnern erwarten. Und sollten
diese sich finden, so wird es mich jedenfalls freuen, durch motivirten
Widerspruch die Forschung wirklich gefördert zu haben.
112
St
Handbuch der Kuntgeschichte von F. Kugler. Zweite Auflage, 1848,
S. 351,
(Anmerkung von J. Burckhardt.)
i
Die bei diesem Anlass (Annahme der Porta Nigra als früh-merowin-
gischer Bau) schon in der ersten Auflage ausgesprochene Ansicht hat viele
Gegner gefunden, welche indess meist bei der blossen Gegenbehauptung
stehen geblieben sind, statt Gründe mit Gegengründen zu widerlegen. So
begnügt sich z. B. ein neuerer Kritiker (Salzburg und seine Baukunst, von
F. M., in Förster's Bauzeitung, Jahrgang 1846) damit, der Merowingischen
und Karolingischen Baukunst von vornherein den Generalchirakter der
„Kleinheit und Miserabilität" zuzutheilen, die notorisch grossen Gebäude
theils daraus wegzuläugnen, theils als „Ausnahmen" zu bezeichnen und
schliesslich die damaligen Autoren für Aufschneider zu erklären. Dass der
'M
' 3. Die Porta Nigra zu Trinr. 113
Maassstab der Bauten jener Zeit häufig kleiner war, als im späteren Mit-
telalter, ist längst kein Gelieimniss, aber die Porta nigra kann ja eben
eine jener doch wohl nicht so seltenen „Ausnahmen'' gewesen sein. Wen-
den wir uns zu denjenigen Gegenansichten, welche durch Gründe Berück-
sichtigung verdienen, so findet sich, dass-bereits"eine nicht unbeträcht-
liche Concession gemacht wird. Chr. W. Schmidt (Baudenkm. zu Trier,
Lief. V.) und L. Eltester (Kunstbl.-1846, No. 35, -vergl. 1847, No. 20),
geben zu, dass der Bau nicht aus constantinischer Zeit sei, indem er in
; der That von den übrigen constantinischen Bauten Trier's in Stoff und
Form gar zu auffällig abweicht; sie nehmen desshalb die allerletzte Zeit
der römischen Herrschaft, gegen das Jahr 464, dafür in Anspruch. Allein
man sehe wohl zu, ob die historische Probabilität, die man gegen die
nierOwingische Epoche geltend macht, der Annahme der letzten römischen
Zeit nicht noch ungünstiger ist, und ob nicht eine Zeit, wie die des kraft-
• ; vollen Theodorich von Austrasien (511 — 584) und seines ruhmbegierigen
i Sohnes Theodebert (534 — 548) am Ende besser mit diesem Gebäud« har-
y nionirt, als jene letzten zwei Jahrzehende des seit Genserich in Auflösung
i begrilfenen Römerreichs. Die Porta nigra ist ein Luxusbau und kann wohl
I schon desshalb kaum in eine solche Zeit der Noth gehören. — Hrn. El-
tester's historische Argumente sind ein sehr dankenswerther Beitrag zu
dieser Frage und lassen sich hier nicht mit ein Paar Zeilen erledigen;
doch dürfen wir einstweilen Folgendes dagegen bemerken : 1) Eine Porta
i Martis gab es in Trier wahrscheinlich, wie in vielen andern römischen
Städten, schon seit der römischen Erbauung, so dass sich der Name an die
Oertlichkeit, nicht an das jetzige (nach Hrn. Eltester's eigener Annahme
erst in christlicher Zeit errichtete) Gebäude knüpft. 2) Wie oft Trier
■ der temporäre Aufenthalt der früheren*aiistrasischen Könige war, können
wir bei der Spärlichkeit ihrer Urkunden und der sonstigen Ueberlieferun-
gen dieser Gegend gar nicht wissen; immer aber war es mit Metz und
Köln die wichtigste Stadt des austrasischen Reiches im sechsten Jahrhun-
' dert. 3) In das achte Jahrhundert haben wir die Porta nie versetzen wol-
len, sondern nur in die fränkische Zeit überhaupt. 4) Ueber das neuerlich
durch F. Osten mit höchster Wahrscheinlichkeit festgestellte Alter des
wichtigsten Aiialogons, des Pallazzo delle Torri zu Turin, s. oben. Die
' ungeheure Solidität des Quaderbaues aber, welcher die Porta vor allen
Römerbauten Trier's auszeichnet, findet ihr würdigstes Gegenstück in dem
vielleicht gleichzeitigen Grabmal Theodorichs des Grossen bei Ravenna,
gegen dessen ostgothischen Ursprung auch alle mögliche Einwendungen sich
erheben Hessen, wenn derselbe nicht anderweitig vollkommen gesichert
wäre ' -
') Ich füge nachträglich noch die Notiz über ein jüngste« Votum bei, wel-
ches über die Porta Nigra abgegeben ist. Es ist in der Schriftt „die Porta
Nigra und das Capitoliuin der Treviris, von Dr. P. A. Linde, Trier,
1852" enthalten. Der Verf. fertigt meine Ansicht mit der Bemerkung ab, dass
die Germanen des Gten Jahrhunderts zu roh gewesen seien, um einen solchen
Kunstbau auszuführen. Ich habe Indess nicht gesagt, dass ihn Germanen gebaut
hätten, sondern nur, dass er in der Epoche der fränkischen Herrschaft entstan-
den sei. Di« eigne Ansicht des Verfassers ist die, dass die Porta' ein , zugleich
Kugler, Kleine Schriften. II. 8
Rheinreise, 1841. Erster Abschnitt.
114
4. lieber die ursprüngliche Anlage des Domes zu Trier.
Ein sehr eigenthümliclies Interesse für die Eutwickelungsgeschichte
der Architektur gewährt der Dom zu Trier in seiner ursprünglichen An-
lage, — ein basilikenartiger Bau, in Material, Form und Behandlung noch
den Elementen der antiken Kunst entsprecliend. Im Lauf der Jahrhun-
derte sind aber mit diesem Gebäude mehrere höchst umfassende Verän-
derungen vorgenommen; ein dreimaliger Umbau, im elften Jahrhundert,
in der späteren Zeit des zwölften und im Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts, im achtzehnten Jahrhundert, — kleinerer Bauveränderungen zu
geschweigen, — hat die ursprüngliche Beschaffenheit der Anlage auf eine
Weise verwischt, dass diese fast ganz verschwunden zu sein scheint.
Dennoch ist es der jüngsten Forschung möglich geworden, eine genügende
Reihenfolge so-charakteristischer Merkmale jener ersten Anlage aufzufinden
und die ursprüngliche Verbindung derselben so überzeugend herauszustel-
len, dass sich hiedurch das Ganze in seinem inneren Zusammenhange
und in vollkommener Integrität vor unsrer Phantasie auf's Neue auferbaut.
Herr Chr. W. Schmidt („Baudenkmale in Trier und seiner Umgebung,
Lief. 2"J hat das Verdienst, diese höchst schwierige Aufgabe mit bewun-
derungswürdigem Scharfsinn gelöst zu haben; mir ist unter den bisherigen
Leistungen der Architektur-Geschichte keine Arbeit bekannt, die ich dieser
zu vergleichen wüsste; es dürfte selbst in Frage zu stellen sein, ob die
Entzifferung der schwierigsten Palimpsesten (und der Dom von Trier ist in
der That ein Palimpsest von überaus verwickelter BeschaiFenheit) auf glei-
chen Ruhm Anspruch habe. Ich biii allen Merkzeichen, welche Hr. Schmidt
über die ursprüngliche Anlage des Doms aufgefunden und bekannt gemacht
hat, an Ort und Stelle mit Sorgfalt nachgegangen , und ich kann seinen
sämmtlichen Angaben und den Folgerungen, welche er aus diesen zur
Reconstruction des Gebäudes zieht, nur mit vollkommenster Ueberzeugung
beipflichten.
Hienach war der alte Dom von Trier, was das Allgemeine seiner
Disposition betrifft, ein quadratischer Bau, im Aeusseren il32 Fuss 8 Zoll,
im Inneren 121 Fuss 8 Zoll breit. In ihm standen, ebenfalls im Quadrat,
vier mächtige korinthische Säulen , denen an den Wändeip acht stark vor-
springende Pilaster entsprachen. Die korinthischen Pilasterkapitäle sind
noch an ihren ursprünglichen Stellen vorhanden und zum Theil im Inneren
des Domes sichtbar. Die Säulen hatten voneinander einen Abstand von
etwa 52 Fuss, von den Pilastern einen Abstand von etwa 26 Fuss; sie
als Stadtthor dienender Triu im phb ogen gewesen sei. der dem Yalentiiiian und
dem Gratiati für einen Sieg, welchen sie im Sommer S'iS über die Alamanuen
erfochten, errichtet worden,) wobei sich der Doppelbogen des Thores auf das
Kaiser paar beziehe. Ich halte es für überflüssig, diese Annahme, die durch
Nichts an dem Thoro selbst, nicht einmal durch das geringfügigste Inschriftzei-
chen, geschweige denn durch die Spur irgend einer besonderen bildlichen Aus-
stattung bestätigt wird, zu widerlegen. Nur das mag noch als Curiosum ange-
führt werden, dass das Thor nach des Verfassers Deutungen, mit Bezug auf das
voraussetzliche Lokal jenes Sieges,-.aus einer Porta Nigra zu einer Porta Nicra,
einem Neckarthore, wird, ebenso wie auch der Schwarzwald (Silva Nigra) eigent-
lich ein Neckarwald (Silva Nicra) sei. F. K.
fiwjwggrri'nwgg?'
-ocr page 114-4. Uobcr die ursprürigUcho Anlage des Domes zu Trier, 115
waren, dem entsprechend, unter sich durch grössere, mit den Pilastern
durch kleinere Schwibbogen verbunden. In Üebereinstimraung mit der
Weite des grösseren Säulenab&tandes war an der einen Seite des Gebäudes
eine hinaustretende Absis angebracht.
Eine wesentlich abweichende Ansicht über die ursprüngliche Anlage
des Domes hat J. Steininger geltend zu machen gesucht. Diese ist in
seinen „Bemerkungen zur Geschichte des Domes zu Trier" enthalten, welche
zuerst in dem Trier'schen Gymnasial - Programm vom Herbste des Jahres
1839 erschienen sind und sich aufs Neue in Augusti's „Beiträgen zur
christlichen Kunst-Geschichte und Liturgik (1841)" abgedruckt finden.
Ilr. Steininger bezieht sich auf die Kupfertafeln des Schmidt'schen Werkes,
ignorirt aber auf eine fast befremdliche und für den Zweck einer wissen-
schaftlichen Forschung nicht wohl zu rechtfertigende Weise den Text des-
selben, — d, h, nicht etwa bloss die von Hrn. Schmidt gewotjnenen Re-
sultate, sondern auch die ganze Reihe jener äusseren Merkmale, auf denen
die letzteren beruhen. Er spricht vielmehr in einer Weise, als ob die
letzteren, nach den von Schmidt angegebenen, sehr deutlich erkennbaren
Unterschieden der verschiedenen Bauzeiten des Domes, gar nicht vorhan-
den seien. Indess steht die Richtigkeit der Schmidt'schen Beobachtungen,
für den wenigstens, der die Augen aufthun will, fest, und so löst sich das
aus Steininger's Annahmen hervorgehende Resültat, von selbst zum inhalt-
losen Nebelbilde auf. Seine Irrthümer gehen besonders daraus hervor,
dass er weder das römische Mauerwerk von dem derjenigen Erneuung des
Baues, welche im elften Jahrhundert durch Erzbischof Poppo begonnen
ward, noch die architektonischen Details des elften Jahrhunderts von
denen, welche dem Schlüsse des zwölften Jahrhunderts angehören, unter-
scheidet, (Der frühromanische Architekturstyl des elften Jahrhunderts ist
von dem spätromanischen am Schlüsse des zwölften so auffällig abwei-
chend, dass, wer diesen Unterschied nicht empfindet, auch nicht wohl
berufen scheint, in kunsthistorischen Dingen ein Urtheil abzugeben.) So
kommt er zunächst dazu, für die römische Anlage des Domes einen grös-
seren Umfang in Anspruch zu nehmen, als jene sicheren Kennzeichen er-
geben. Indem er sodann die ganze Umfassung des gegenwärtigen Domes
dem im elften Jahrhundert von Poppo begonnenen Neubau zutheilt, er-
geben sich ihm zugleich, durch künstliche Berechnung, zwei Drittheile
desselben als der Umfang eben jenes Römerbaues; was mit der bald nach
Poppo's Tode verfassten Angabe der Gesta Trevirorum (dass dieser Erz-
bischof den alten Bau um ein Drittheil vergrössert) genau übereinstimme,
während dies bei den anderweitig angenommenen Bauverhältnissen nicht
der Fall sei. Auf Letzteres genügt aber, abgesehen von den irrthümlichen
Voraussetzungen, die Bemerkung, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass
der Berichterstatter der Gesta Trevirorum sich naiv nach dem Augijnmaasse,
als dass er sich nach vorgenommener künstlicher Messung und Berechnung
geäussert habe. — Das Weitere ist mibder erheblich. Steininger läu'gnet,
dass die eine der Säulen, wie dies die gewöhnliche Lesart der Gesta Tre-
virorum besagt, vor Poppo's Zeit zusammengestürzt sein könne,-indem
sodann, wenn mit dieser Säule natürlich die auf ihr ruhenden Bögen ge-
stürzt, bei dem Mangel der durchgehenden Widerlage gegen die Bögen,
auch das ganze Gebäude hätte zusammenstürzen müssen. Er vergisst aber
die bindende Kraft des Mörtels, die, wie wir täglich an vielen Ruineh
sehen, die übrigen Bögen schon füglich aufrecht erhalten konnte. (In seit-
■f
Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
sameni Widersprucli hiogegen construirt er spiKor die ursprüngliche Anlajre
des Gebäudes so, dass Säulenreihen dasselbe in ein MittelschilV und zwei
Seitensehiffe gelrennt hätten, und dass tiber die Seitenschifle, von den
Säulen gegen die Seitenwände, Bögen wären gespannt worden, ohne irgend
eine Widerlage im Miltelschifl'!) —Die noch vorhandenen, unterwärts
eckigen Pilasterkapitäle hält er für Säulenkapitäle und nimmt in Folge
dessen an, dass an ihren Stellen auch Säulen gestanden hätten. — Er
läugnet, dass das vor dem Dome liegende Stück Säulenschaft das der etwa
gestürzten (und zu diesen Kapitälen gehörigen) Säule sein könne, da seine
Verhältnisse, in Uebereinstimmung mit denen der Kapitäle, nicht genau
auf Vitruv's Kegeln über die korinthische Säulenordnung passen. Jeder-
mann weiss aber, dass Vitruv überhaupt kein vollkommen sicherer Begu-
lator für die antike Kunst ist, am Wenigsten für eine so späte Zeit, wie
die, um welche es sich hier jedenfalls handelt. Die zu demselben Behuf
aus Willheim angeführte Stelle, die dem unteren Ende eines Schaftstückes
ungefähr 7 Fuss Durchmesser giebt und dessen Höhe auf 40 Fuss berech-
net, dient auch nicht zur Widerlegung, da in diesen Maassbestimmungen
ein Widerspruch liegt (sie somit nicht als genau gelten können), auch bei
der Meinung, dass Wiltheim dorische Säulen im Sinne gehabt, das Vor-
handensein jener korinthischen Kapitäle übersehen ist.
In Folge all dieser falschen oder willkürlichen Voraussetzungen recon-
struirt Steininger die ursprüngliche Anlage des Domes als einen basiliken-
artigen Bau mit Säulenreihen von je sieben Säulen und mit jener bau-
widrigen Bogenconstruction in den Seitenschiffen. Doch meint er, der Bau
habe kein IMbunal (Absis) gehabt, (obgleich von Schmidt die Spuren
eines solchen nachgewiesen sind); und da derselbe auch sonst nicht völlig
mit Vitruv's als unbedingt gültig angenommenen Vorschriften für die Ein-
richtung der Basilika übereinstimmen will, so behauptet er, es sei das
Forum gewesen, welches Constantin erbaut habe; aber kein Forum civile,
dergleichen zu jener Zeit seine Bedeutung längst verloren gehabt hatte,
sondern ein Forum niindinarium, eine Waarenhalle. — Es ist überflüssig,
auf diese ganz in der Luft schwebenden Folgerungen etwas Weiteres zu
erwidern. ' ^
Hr. Schmidt hält die ursf)rüngliche Bau-Anlage,, wi^ er dieselbe ge-
wiss richtig reconstruirt, für eine christliche Kirche, die durch Constantin
erbaut worden. Dass das Gebäude von vornherein für die Zwecke des
christlichen Gottesdienstes bestimmt worden, ist auch mir durchaus wahr-
scheinlich; nicht so, dass es in die Zeit Constantins gehöre. Ich kann
auch hier nicht umhin, ketzerischer Weise • einige kritische Anmerkun-
gen zu machen, die der Anlage indess, was sie ihr von der Zahl ihrer
Jahrhunderte vielleicht abnehmen,, dadurch ersetzen dürften, dass sie ihr
eine grössere Bedeutung für den Fortschritt der architektonischen Ent-
wickeiung geben, in ihr eines der so seltenen Beispiele für das primitive
Aussprechen jener Wandlungen der Architektur, die bei dem beginnenden
Uebergange aus der Zeit der classischen Antike in die des Mittelalters
stattfanden, erkenneUi
Ich sehe in dem Plan dieser Anlage geradehin ein byzantinisirendes
Element. Ganz dem byzantinischen Systeija des Centraibaues pntsprechend,
bildet das von den vier Säulen bezeichnete Mittelquadrat den Haupttheil
der Anlage; demselben schliessen sich, durch die grösseren Schwibbögen
vermittelt, die Flügel eines gleichschenkligen Kreuzes an, ebenfalls völlig
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4. Ueber die iirsprüngliche Anlage des Domes zu Trier.
wie in den einfachen byzantinischen Kirchenanlagen. Für eine solche
Disposition wüsste ich aus frühchristlicher Zeit im Abendlande kein wei-
teres Beispiel namhaft zu machen. Freilich hat dieselbe auf den oberen
Ausbau, da Gewölbe^ nicht vorhanden sind, keinen anderweitigen Einfluss
ausgeübt, als den der verschiedenen Grösse der Schwibbogen. Es ist viel-
mehr noch wie ein Zwiespalt zwischen der neuen Disposition und dem
traditionell gültigen Oberbau des Basilikensystems. Aber gerade hierin
scheint sich der architekturgeschichtlichen Beobachtung ein eigenthümliches
Interesse darzubieten. Es ist eben ein neues Element, das, ohne sich selbst
klar zu sein, nach Entwickelung strebt, sei es, dass dasselbe aus eignem
dunkelni Drange des Baumeisters oder des Bauherrn hervorgegangen war,
oder — was wahrscheinlicher — dass es aus jener Gegend (dem orientali-
schen Reiche) herübergetragen wurde, wo es sich vielleicht schon, iu Ueber-
einstimmung mit der technischen Gesammt-Construetion, entschiedener be-~
thätigt hatte.
Neben dieser Disposition des Planes ist die künstlerische Behandlung
jener Pilasterkapitäle, der einzig erhaltenen Einzeitheile des ursprünglichen
Baues, in Betracht zu ziehen. Sie haben, wie schon bemerkt, die Disposi-
tion der Kapitale korinthischer Ordnung; sie sind ziemlich roh behandelt,
die Blätter ganz einfach nur . als breite Schilfblätter gebildet; die ganze
Bescliaffenheit ist so, dass man — aber nicht in dieser Rohheit an sich,
sondern vielmehr in der eigenthümlichen Fassung, der Form — das Üeber-
gehen in mittelalterliche Gewöhnungen wahrnimmt. Statt des leichten ko-
rinthischen Abakus ist hier über den Kapitalen, schon besonders unantik,
ein hohes Deckgesims mit hohem aufrechtstehendem Karniesprofil angeord'-
uet. In der Sculptur der Blätter und Voluten ist eine gewisse unplastische
Schnittmanier, die im elften Jahrhundert (z. B. in den ähnlichen korinthi-
schen Kapitalen der Schlosskirche zu Quedlinburg} entschieden vorherrscht.
Doch aber ist in dem Schwünge der Linien, in dem üeberschlagen der
Blätter, in der Art, wie Alles mehr aus dem Ganzen herausgearbeitet ist,
(während z. B. in den Blätterkapitäleu von der Westfa^ade des Trierer
Domes Kelch, Blätter und Voluten überall mehr gesonderte Theile bilden)
noch mit Entschiedenheit antike Reminiscenz wahrzunehmen.
Die Behandlung der Kapitäle führt also zu demselben Ergebuiss wie
die Disposition des Plaues der ursprünglichen Anlage. Das heisst: wir
haben es hier mit einem Bau zu thun, in welchem die von der antiken
Tradition festgestellten Fllemente sich, dem Hereinklingen einer schon mit-
telalterlichen Gefühlsweise gemäss, umzubilden beginnen. Die Zeit Con-
stantins, die Zeit der Römerherrschaft überhaupt, erscheint hiefür nicht mehr
sonderlich passend; wir werden vielmehr auch hier auf die frühere Zeit
der fränkischen Herrschaft hingeführt. Suchen wir nach historischen An-
knüpfungspunkten für die Epoche dieser spätem Ausführung des Baues, so
begegnen uns auch hier (wie bei den ÜJitersuchungen über die Porta Nigra)
einige Verse des Venantius Fortunatus, der darin von seititmi älteren Zeit-
genossen, dem Erzbischofe Nicetius (532—563} die Sorge für Wiederh'er-
stellung des Trierer Domes und den Erfolg derselben zu. preisen scheint;
Templa vetusta Det remvasti in cubnine imsco
Et flovet senior, te reparante, doinus.
Man hat diese Stelle auf minder wichtige Reparaturen am Domie. ge-
deutet; der Pentameter, in seiner poetischen Ausdrucksweiso, kann aber
117
118 Rheiureise, 1841, Erster Abschnitt.
ebensogut einen glänzenden Neubau bezeichnen. Wir dürften somit nicht
ohne Berechtigung die besprochene Bau-Anlage der Zeit um die Mitte des
sechsten Jahrhunderts zuschreiben Irinnen.
(J. Gailliaband's Denkmäler der Baukunst, Lief. IX.)
Die Ufer des Rheins, von der Nahe bis hinab zur Ruhr, enthalten einen
grossen Reichthum kirchlicher Gebäude aus der späteren Zeit des romani-
schen Styles, desjenigen, der insgemein mit dem unpassenden Namen des
byzantinischen Styles hezeichnet wird. Neben wenigen Baoresten aus dem
elften Jahrhundert sieht man hier mannigfaclie Beispiele der reichen und
imposanten Eutwickelung, zu der sich dieser Baastyl im zwölften Jahrhun-
dert, vornehmlich in dessen zweiter Hälfte, ausbildete; unrl noch mehrere
aus dem Ende dieses und ans dem Anfange des folgenden Jahrhunderts,
in welcher Zeit der romanische Styl mancherlei phantastische Umbildung
erhielt und sich mehr und mehr zu der Gefühlsrichtung des gothischen
Baustylcs hinüberzuneigen begann. Die Freude an der Aufführung präch-
tiger kirchlicher Bauwerke fand in dieser letzteren Zeit durch äussere Ver-
anlassung eine reichliche Nahrung. Die verheerenden Kriege zwischen den
beiden Gegenkönigen Philipp von Schwaben und Otto von Wittelsbach
brachten vielen der vorzüglichsten Oerter des Niederrheins Verwüstung und
Zerstörung ihrer Monumente : man Hess es sich nunmehr angelegen sein, die
Schäden, die man erlitten, mit grösstem Eifer zu ersetzen und was an den
Bauwerken im Ganzen oder Einzelnen zerstört war, auf eine glänzendere
Weise wieder herzustellen.
Zu den grossartigsteu Gebäuden dieser Epoche gehört ;dcr Münster von
Bonn, welcher den heiligen Märlyrern Cassius und Florentius gewidmet ist.
Ernst und majestätisch steigt er aus den übrigen Baulichkeiten der Stadt
empor, ein bedeutsamer Mittelpunkt für die reizvolle Gegend, die sich um
den heitern Musensitz ausbreitet. Der langgestreckte Chor des Münsters
erhebt sich über einer geräumigen Crypta. Der Chor-Absi$ zur Seite stehen
zwei schlanke viereckige Glockenthürme. Auf den Chor folgt ein breites
Querschiff, über dessen Mitte ein dritter Thurm, jene beiden ersten mäch-
tig überragend, emporsteigt. Dann erst folgt das weite dreitheilige Schiff
der Kirche. Im Westen wird dasselbe durch einen viereckigen Vorbau be-
grenzt, der im Innern eine zweite Absis in sich einschliesst und der auf
den Seiten durch zwei runde Treppenthürmchen mit schlanken Spitzen ein-
gefasst wird. Wie die Dächer nhd die Thürme des Münsters sich malerisch
emporgipfeln, so erscheint auch der Grundriss, durch die eben genannte
Anordnung, eigenthümlich bedeutungsvoll. Die beiden Thürme zu den Sei-
ten der östlichen Chor-Absis bilden im Grundriss eine Art kleineren Quer-
schiffes, dem Hauplquerschifl' an Länge und Breite untergeordnet;'das Ganze
des Grundrisses erscheint in dieser Weise in der Form eines doppelten,
crzbischöflichen Kreuzes.
■
Die grossartige bauliche Erscheinung des Münsters wird durch sein
historisches Verhältniss zur Genüge gerechtfertigt. Nächst dem Dome
von Köln war er die wichtigste Kirche des gesammten kölnischen Erz-
bisthums. Der Propst des mit dem Münster verbundenen Collegiatstiftes
war zugleich erzbischöflich kölnischer Diakonus der Dekanate des Aargaues,
des zülpicher Gaues'iind des Avelgaues, und hatte in dieser Eigenschaft
eine eigenthümlich einflussreiche kirchliche Stellung. Ueber die Geschichte
des Münsterbaues an sich ist übrigens nicht gar viel bekannt. Die Kaiserin
Helena, die Mutter Gonstantins des Grossen, wird als die Erbauerin des
Münsters gepriesen; doch ist aus so früher Zeit nichts erhalten. Eine alte
Steinschrift benennt Gerhard, aus dem alten und reichen Geschlecht der
Grafen von Sayni, der ein halbes Jahrhundert lang, von 1130 bis 1180,
Propst des Münsterstiftes war, als den neuen Schöpfer der Kirche. Doch
kann durch ihn nur ein verhältnissmässig geringer Theil der gegenwärtig
vorhandenen Kirche erbaut worden sein, da eine nähere Betrachtung des
Gebäudes erhebliche Verschiedenheiten des Baustyles, somit auch der Bau-
zeit, erkennen lässt. Einzelne Theile gehören noch der frühromanischen
Periode des elften Jahrhunderts an-, andere Theile, und zwar das Meiste,
jener späteren Uebergangsepoche, die in den Anfang des dreizehnten Jahr-
hunderts fällt. Ohne Zweifel wurde die Ausführung dieser späteren Theile
herbeigeführt durch den Propst Bruno, gleichfalls einen Grafen von Sayn,
der von 1205 bis 1208 den erzbischöflichen Stuhl zu Köln bekleidete und
der zur Vollendung des umfassenden Unternehmens ein bedeutendes Legat
hinterlassen haben mochte. Mit dieser Annahme stimmt wenigstens sehr wohl
überein, dass der Mönch Cäsarius von Heisterbach in seiner. Beschreibung
der Reliquien seines Klosters Gebeine von Märtyrern der thebaischen Legion
anführt und dabei ausdrücklich bemerkt, sie seien bei der Erneuerung des
Münsters von Bonn gefunden worden. Cäsarius aber schrieb um das Jahr
1221, und die Kirche von Heisterbach, unfern von Bonn in einem maleri-
schen Thale des Siebengebirges belegen, wurde erst von 1202 bis 1233 er-
baut. So enthält der Bonner Münster charakteristische Beispiele für die
verschiedenen Entwickelungsepochen des romanischen Baustyles, die sich
indess in ziemlich harmonischer Weise zu einem Ganzen zusammenfügen,
von denen aber freilich die Beispiele der letzten Entwickelungszeit über-
wiegend sind.
Aus der frühromanischen Bauperiode des elften Jahrhunderts rühren
zunächst die beiden Seitenwände des Chores, zwischen den Thürmen der
östlichen Absis und dem Querschiff, aufwärts bis gegen die dort befind-
lichen kleinen Rundfenster, her. Man sieht an diesen Wänden im Aeusse-
ren ganz flache Bogennischen zwischen schlank aufsteigenden Pilastern ;
das Material besteht aus sorgfältig gearbeiteten und gelegten Ziegeln, die
in den Bögen ziemlich rhythmisch mit Tuffsteinen von hellgelblicher Farbe
wechseln. An der Nordseite (s. den Stahlstich bei Gailhabaud) ist das
Material durch Mörtelbewurf verdeckt; an der Südseite jedoch liegt es
Olfen da. Es ist in dieser Technik, zunächst in der Anwendung'der Ziegel
überhaupt, dann in dem Farbenwechsel zwischen den Tuffsteinen und den
rothen gebrannten Ziegeln, noch ein römisches Element, wie sich dasselbe,
auf die eine oder die andere Art, auch sonst in rheinländischen Bauten
aus der Zeit des elften Jahrhunderts mehrfach findet; so in den, aus die-
ser Zeit herrührenden Theilen des Domes von Trier; so in dem, vielleicht
noch aus der späteren Zeit des zehnten Jahrhunderts herrührenden Vorbau
120 libeitireise, 1841.^ Erster Abaclmitt,
-WT'
auf der Westseite der Kir.clie St. Pantaleon zu Köln. Auch in jener Weise
der Dekoration mit flachen Arkaden-Nischen klingt noch etwas von römischer
Anorduung nach, und auch diese wiederholt sich, ganz in derselben Weise,
an einigen Bauten jener Gegend, die ein ähnlich hohes Alter haben, na-
mentlich an den Seiteuwänden des Chores von St. Gereon zu Köln, sowie,
obgleich mehr beeinträchtigt, an der Kirche von Zülpich. ^ Sodann scheint
auch der Tjieil der Crypta, welcher im Einschluss der ebengenannten Seir
tenwände liegt, also ihre grössere westliche Hälfte, dem elften"Jahrhundert
anzugehören. Die Crypta dehnt sich, wie bereits bemerkt, unter der gan-
zen Länge des Chores hin und wird durch Säulen- und Pfeilerstellungen
ausgefüllt; auch hat sie kleine Nebenräume unter.den vieieckigen Thürmen.
Die Säulen und Pfeiler der ebengenannten westlichen Hälfte unterscheiden
sich von den übrigen theils durch flachere Kapitälformen, theils durch feine
Bildung des Deckgesimses, welche wiederum noch mehr an die römischen
Formen erinnert. Die Säulen der östlichen Hälfte dagegen gehören dem
Neubau der Absis an, von dem hernach die Rede sein wird.
Ausserdem scheinen aber auch die Fundamente der Absis und die der
beiden Thürme zu ihren Seiten, die aus verschiedenartigem und zum Theil
rohem Material bestehen, noch aus dem elften Jahrhundert herzuröhren.
An einer Ecke des nördlichen Thurmes sieht man sogar ein Stück eines
römischen Pilasterschaftes, ein Zeugniss der altrömischen Cultur, die sich
in diesen Gegenden, und namentlich auch in Bonn, festgesetzt hatte, mit
vermauert. Jedenfalls sind diese Fundamente älter als der Bau, der sich
über ihnen erhebt. — Dann ist auch der viereckige Vorbau auf der West-
seite mit seinen runden Treppeuthürmchen dem elften Jahrhundert zuzu-
schreiben. Das Material besteht hier wiederum zumeist aus gebrannten
Ziegeln; auch findet sich eine Anlage solcher Art gar nicht selten, wenn
auch auf eine oder die andere Weise modificirt, an ähnlich frühen Bau-
ten der Rheinlande. Den Grundtypus sgheint die im elften Jahrhundert
erbaute Westfa^ade des Domes von Trier mit ihren runden Eckthürmen
gegeben zu haben, wie sie selbst wieder aus Nachahmung der römischen
Thermen in Trier entstanden ist. Der obere Theil der Rundthürme am
Bonner Münster ist jedoch später; ebenso die innere Anordnung des,gan-
zen Vorbaues. — Aus alledem geht schliesslich hervor, dass der Münster
schon im frühen Mittelalter dieselbe Ausdehnung hatte, , wie gegenwärtig.
Die sämmtlichen übrigen Theile des Münsters sind aus Hausteinen er-
baut. Zunächst ist die östliche Absis mit ihren beiden Thürmen und dem
Theile des Chores und der Crypta, den sie zwischen sich einschliessen, zu
erwähnen. Diese Theile gehören der Zeit des Propstes Gerhard an, der
mit ihnen eine Erneuerung des älteren Gebäudes, dessen Reste wir so eben
betrachtet haben, anfing. Sie mögen etwa um die Mitte des zwölften Jahr-
hunderts begonnen sein. Dass sie weder einer früheren noch einer späte-
ren Bauperiode angehören, geht aufs Entschiedenste aus ihrem Style her-
vor, der durchaus den F/ormen entspricht, wie sie zu jener Zeit in den
Rheinlanden üblich waren. Vorzüglich wichtig ist in diesem Betracht eine
Vergleichung mit der merkwürdigen Kirche von Schwarz-Rheindorf, die,
Bonn unmittelbar gegenüber, auf der rechten Seite des Rheines liegt und
zufolge einer, in ihrem Innern noch vorhandenen Inschrift, irn Jahre 1151
geweiht wurde; Propst Gerhard wird selbst unter den vielen, namentlich
aufgeführten Zeugen der Weihung genannt. Wie an dieser Kirche, so ent-
wickelt sich auch an den in Rede stehenden Theilen des Bonner Münsters
TTTItlSri?
-ocr page 120-5. Der Münster von Bonn, 121
J^IJf.1 UM'"
der romanische Baustyl in reichen, aber zugleich noch in durchaus stren-
gen Formen. Für die reiche Decoration au dem Aeusseren der rheinlän-
dischon Bauwerke des zwölften Jahrhunderts geben diese Theile ein völlig
cliarakteristisches Beispiel. Jene Säulen zur'Bekleidung der Mauern, von
denen die unteren durch gerade Gesimse, die oberen durch starke Halb-
kreisbögen verbunden werden; jene rundbogigeu Friese, jene zierliche
Arkadengallerie unter dem Dache der Absis, jene reichlichen Arkad£ufeu-
ster der ThÜrnie bilden hier die vorzüglichst in die Augen fallenden Eigen-
thümlich Reiten der Anlage. Im Detail kommen aber auch schwere und
barocke Formen vor, wie sie eben in den Rheinlanden (ungleich seltner
etwa in Thüringen oder Sachsen) erscheinen. Dahin gehört namentlich die
unschöne Form des Kranzgesimses der Absis: ein starker Wulst, der mit
einem versetzten Stabwerk ornamentirt ist und der, ohne den Untersatz
einer festen Platte, von Consolen getragen wird. — Das Innere der genann-
ten Bautheile ist höchst einfach. Die Fenster der Absis sind in späterer
Zeit erweitert und mit gothischem Stabwerk ausgesetzt worden. — Dann
gehören noch der Kreuzgang und die alten Theile des Kapitelhauses, auf
dtM' Südseite des Münsters, in dieselbe Bauzeit. Von ihnen wird weiter
unten die Rede sein.
Nach Auiführung dieser, durch Propst Gerhard unternommenen Bau-
tlieile scheint die begonnene Enieuung des Münsterbaues für einige .Zeit
eingestellt worden zu sein, und erst die allgemeine Bauthätigkeit, die nach
jenen verheerenden Kriegen erwachte, scheint auch hier zur Fortsetzung
des Unternehmens angetrieben zu haben. Wir gewahren in den nunmehr
folgenden Theilen des Münsters die leichteren, eleganten, mehr flüssigen
Formen aus der letzten Entwickelungszeit des romanischen Baustyles, wie
sie im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts üblich wurden, dabei aber
auch im Einzelnen schon Ausartung des Ueberlieferten und Einmischung
fremdartiger Formen, die eine folgende Eutwickelung der Architektur vor-
bereiten halfen. In diesem Betracht ist namentlich anzuführen, dass die
Form des Spitzbogens, die sich nachmals im gothischen Baustyle zu ihrer
höheren Selbständigkeit ausbilden sollte, hier bereits sehr bedeutend und
cinilussreich hervortritt. Im Wesentlichen sondern sich die folgenden Bau-
theile in vier Abschnitte, die, wie sie den Fortgang der Erneuung des
Baues von den östlichen zu den westlichen Räumen hin bezeichnen, zu-
gleich als ebenso viele Stadien der Bauführung zu unterscheiden sind.
Zunächst ist die westliche Hälfte des grossen Chores zu nennen, bei der
man die neue Arbeit begann, aber doch, wie es scheint, noch keine voll-
ständige Erneuung des Alten wagte. Vielmehr liess man hier noch jene
alten, aus dem elften Jahrhundert herrühreiiden Seiteumauern stehen; man
l'ührte sie nur höher empor und bedeckte den Raum zwischen ihnen mit
einem neuen Gewölbe. Die Bögen des letzteren sind, nach romaniscl^ aus-
gebildeter Weise, im Spitzbogen geführt. Die neuen Oberwände erhielten
kleine Rundfenster, und diese wurden im Aeusseren durch flache Spitz-
bogennischen umschlossen.
Als ein vollständiger und eigentümlich brillanter Neubau tritt uns
sodann vorerst das Querschiif entgegen. Die Flügel desselben sind in der
Form von Absiden gestaltet, eine Weise der Anordnung, die bereits in der
Mitte des elften Jahrhunderts an der Kapitolskirche von Köln erscheint
und sich an andern Kölner Kirchen des zwölften Jahrhunderts wiederholt.
Hier erkennt man indess die romanische Spätzeit daran, dass die Ab-
im
Rheinreise, 1841. Erster Abschnitt.
siden nicht mehr halbkreisförmig, sondern bereits polygonisch (fünfseitig)
geschlossen sind, sodann an der ganzen eleganten und reichen, selbst über-
reichen Weise der Dekoration. In letzterem Betracht ist besonders auf die
Einrichtung aufmerksam zu machen, dass die kleine rundbogige Arkaden-
Gallerie unter dein Dache oberwärts und unterwärts noch durch kleine
Bogenfriese hegleitet wird, wodurch eine auffallende Tautologie der Formen
entsteht. Ein Blick der Vergleichung auf die Gallerie der östlichen Absis
zeigt die viel grössere Ruhe und Klarheit, die dort durch die einfachere
Anordnung vorherrscht. Die innere Dekoration des QuerschifTes ist eben-
falls höchst ausgebildet. Die "Wölbungen sind auch hier durchaus spitz-
bogig. — Die Dekoration des mächtigen achteckigen Kuppelthurmes über
dem Mittelfelde des Querschiffes ist einfach und ruhig gehalten. Die Ar-
kadenfenster desselben sind ebenfalls bereits im Spitzbogen gewölbt.
Von vorzüglicher Schönheit ist der Hauptthell des Baues, das dreithei-
lige Langschiff', namentlich das Innere desselben. Das Mittelschiff' steigt
würdig ixnd in kraftvoller Majestät zwischen den beiden niedrigeren Sei-
tenschiffen empor. Stolz geschwungene Arkaden aus reich gegliederten,
mit Halbsäulen besetzten Pfeilern und Halbkreisbögen bestehend, trennen
die Schiffe von einander. Ein Theil der Pfeilergliederungen zieht sich an
den Oberwänden des Mittelschiffes empor, und trägt oberwärts die spitz-
bogigen Rippen und Gurte des Gewölbes, üeber den Bögen der Arkaden,
von diesen Gurtträgern unterbrochen, läuft eine zierliche Bogengallerie hin,
darüber die, wiederum mit Arkaden verzierten Fenster. In den Lünetten,
welche die Gewölbe der Seitenschiffe bilden, sind fächerförmige Fenster
angebracht, deren hohe Lage und bedeutende Dimension ein vortreffliches
Seitenlicht einfallen lassen. In dem nördlichen Seiteuschiffe befindet sich
das Hauptportal des Münsters, im reichen, gegliederten Spitzbogen gebildet.
Zwei andere Portale führen auf der Südseite in den Kreuzgang. Im Aeus-
seren des Schiffbaues bemerkt man insofern schon eine bedeutende Hin-
neigung zu den Principien des gothischen Baustyles, als über den Wänden
der Seitenschiffe, gegen die Wände des Mittelschiffes hin, sich Strebebögen
erheben. Ausserhalb vor den Fenstern des Mittelschiffes, zwischen diesen
Strebebögen läuft eine überaus leichte spitzbogige Arkadengallerie hin.
Für den Antheil, den das Haus der Grafen von Sayn an der gesammten
Erneuung des Münsters gehabt zu haben scheint, ist die Bemerkung nicht
überflüssig, dass sich an der alten Abteikirche von $ayn ganz ähnliche
Arkadengallerien im spitzbogig romanischen Style (dergleichen sonst nicht
häufig sind) vorfinden.
Der vierte Abschnitt des Neubaues betrifft die westliche Absis, die in
den alten viereckigen Vorbau an dieser .Stelle eingesetzt ist. Sie bildet
im Grundriss einen gedrückten Halbkreis und ist, in sehr zierlicher Weise,
mit Halbsäulchen und Bögen besetzt. Doch ist sie nur bis auf zwei Drit-
theile des Raumes emporgeführt. Oberwärts erscheint wieder der ursprüng-
liche viereckige Raum, d^r aber, gleich den übrigen Haupttheilen des Neu-
baues, im Spitzbogen überwölbt ist.
Der Kreuzgang zur Seite' des Münsters rührt aus dem zwölften Jahr-
hundert, und zwar aus der Zeit der Verwaltung des Propstes Gerhard, her.
Hier (ritt uns wieder der strenge romanische Styl, doch ebenfalls in reicher
Ausbildung, entgegen. Die Kapitale der Säulenarkaden, welche sich aus
dem Gange nach dem freien Räume in der Mitte öffnen, sind sehr mannig-
fach gebildet, theils in der gewöhnlichen abgestumpften Würfelform, theils
122
«fi
6. Der Dom von Köln und seine Architektur. 123
mit Blattwerk geschmückt, theils mit flgärlicheii Sculpturen versehen, Alles
aber streng und nur mit geringer Ausladung ausgemeisselt. Eigenthümlicli
interessant ist es, dass auch die oberen Räume über dem Kreuzgange und
(leren verschiedenartige Anordnung, wenigstens was das Aeussere anbetrifft,
meist wohl erhalten sind- — Das eigentliche Stiftsgebäude ist als Pfarr-
wohnung verbaut. Doch haben sich manche Einzeitheile in ihrer ursprüng-
lichen Beschaifenheit erhalten, namentlich ein geräumiger Saal zur Seite
des südlichen Kreuzflügels der Kirche; er ist mit Kreuzgewölben bedeckt,
die von zwei Säulen getragen werden.
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6. Der Dom von Köln und seine Architektur.
(Deutsche Vierteljahrsschrift, 1842, Heft III, Nr. XIX.)
Unter allen deutschen Städten bewahrt das alte heilige Köln die zahl-
reichsten und ergreifendsten Denkmale einer grossen Vergangenheit; unter
allen deutschen Domen ist der Dom von Köln als das herrlichste und be-
deutsamste Bauwerk zu preisen. Majestätisch ist seine Anlage, riesig sind
seine Verhältnisse. In heiliger Kreuzesform gegründet, besteht er aus fünf
Langschiffen, M^elche von drei Querschiffen durchschnitten werden; der
Chor, gen Osten, ist siebenseitig geschlossen und mit einem Kranze von
sieben Kapellen umgeben;, an der Eingangsseite , gen Westen, sind zwei
colossale Thürme angeordnet. Nach allgemeinen Maassbestimmungen be-
trägt die Gesammtlänge des Domes im Inneren 450 Fuss, die Breite 150
Fuss, die Länge des Querschitfes 250 Fuss bei 100 Fuss Breite; das Haupt-
schiff, dem sich die Seitenschiffe an Breite und Höhe unterordnen, ist
50 Fuss breit und erhebt sich im Scheitel seines Gewölbes zu einer Höhe
von 150 Fuss; das Dach des Hauptschiffes hat 200 Fuss Höhe; die Höhe
der Thürme auf der Westseite ist auf 525 Fuss berechnet. Die Formen des
Gebäudes zeigen die edelste, reichste und würdevollste Ausbildung des-
jenigen Baustyles, für den die seichten Schönheitslehren eines fremdländi-
schen Volkes den Spottnamen des „gothischen" Styles erfunden haben, in
dem wir aber heutiges Tages eine unvergleichlich wundersame Lösung der
umfassendsten und tiefsinnigsten architektonischen Aufgaben bewundern,
und dessen Spottname für uns zu einem (Ehrennamen geworden ist.
Aber der Dom ist nicht vollendet worden; nur als das Bruchstück
eines grossen Gedankens steht er vor unsern Augen da. Was seine Grün-
der erhabenen Sinnes beabsichtigten, was die Bauschule, der die Ausfüh-
rung des Riesenwerkes oblag, in stets reicher sich entfaltender Schönheit
darzustellen wusste, davon sind nur einzelne Theile in die Lüfte empor-
gewachsen. Zwiespalt im Herzen der Stadt, Kriege und andres Missge-
schick hemmten nur zu häufig die fördernde Theilnahme, ohne welche die
Ausführung des Unternehmens unmöglich war, bis sie zuletzt gänzlich
erlosch und die Werkleute den Meissel und den Hammer aus der Hand
legten. Nur der Chor des Domes ist -zur Vollendung gekommen; dio
Räume des Querschiffes und des Vorderschiffes sind zumeist nur bis zur
'1
I^üä
-ocr page 123-Rheiureise, 1841, Erster Abschuitt.
Kapitälhöhe der Seitengäiige emporgebaut; von dem südlichen Thurme
steht nur wenig mehr als das untere Drittheil, während der nördliche Thurm
sich sogar kaum erst über seine Fundamente erhebt. Auch so zwar ragen
die Haupltheile dessen, was vorhanden ist, namentlich der Chor und jenes
Thurmstück wie Felsgebirge aus dem Häusermeere der Stadt empor, so
dass der Reisende aus einiger Entfernung nur sie wahrnimmt, und die
übrigen Thürme der Stadt gegen diese ungeheuren Bruchstücke zu ver-
schwinden scheinen. Und auch an dem Vorhandenen bereits kann man
die ganze wunderbare Schönheit und Majestät des architektonischen Styles
abmessen und den Gedanken der Gründer und Baumeister des Domes bis
in ihre innersten Geheimnisse nachfolgen.
Die geringe Theilnahme, welche das Domgebäude in den Zeiten des
verdorbenen Geschmackes fand, in jenen Zeiten, da man, in kümmerlicher
Afterweisheit befangen, unter dem Worte ,.gothisch" soviel verstand als
„barbarisch", hatte es dahin gebracht, dass dem Dome selbst die nöthige
Sorge für die Erhaltung der zur Ausführung gekommenen Theile mehr oder
weniger vorenthalten blieb. Der Chor drohte zur Ruine zusammenzustür-
zen, und man freute sich bereits auf die malerische Wirkung, welche er
in diesem Zustande hervorbringen müsse.. Da hemmte König Friedrich
Wilhelm III. mit segensreicher Hand den weiteren Verfall; man schritt zur
Herstellung der beschädigten Theile, zur Ergänzung derer, welche be-
reits verloren gegangen, zur Erneuerung derer, welche verwittert waren und
der Sicherheit des Ganzen Gefahr drohten. Nach einer Reihe von Jahren
voll rastloser Anstrengung, nach einem fortgesetzten höchst bedeutenden
Kostenaufwande, steht nunmehr der Chor des Domes wiederum in seiner
alten Pracht und Schönheit da.
Die Fortschritte dieses Herstellungsbaues hatten den Muth und die
Fähigkeit zur Arbeit zusehends im Wachsen gezeigt; man erkannte es,
dass unsre Zeit wohl im Stande sei, dasselbe zu leisten, was die alten
Meister des Baues geleistet hatten. Doch wagte man es kaum, und nur
als einen Wunsch, den man sofort in das Reich idealer Träume verwies,
den Gedanken an eine eigentliche Fortsetzung des Baues, an eine Vollen-
dung dessen, was die alten Meister unvollendet hinterlassen hatten, auszu-
sprechen. War doch die Vollendung des Querschiffes und der Langschille
auf zwei Millionen, die Vollendung der Thürme auf drei Millionen Thaler
berechnet worden! Friedrich Wilhelm IV. aber hat jköniglichen Sinnes
das ernste Wort der Vollendung ausgesprochen, und tausendstimmigen
Widerhall hat dasselbe in allen Gauen des deutschen Vaterlandes gefunden,
Aller Orten ist der Eifer erwacht, zu 'diesem Unternehmen, das der Ehre
des gemeinsamen deutschen Namens gilt, beizusteuern; mannigfache Ver-
eine haben sich gebildet, um diesen Eifer zu fördern, ihm die zweck-
mässigste Richtung zu geben und die Kräfte nach bestimmtem Plane zu-
sammenzuhalten ; wir dürfen es mit Zuversicht hoffen, dass das königliche
Wort nicht vergeblich giesprochen sei.
Unter solchen Umständen ist es wohl an der Zeit, die Eigenthümllch-
keiten des Gebäudes, dessen Vollendung so viele Kräfte sich widmen, mit
näherem Eingehen auf das Einzelne darzulegen und das, worin es charak-
teristisch so bedeutsam ist, mit einiger Ausführlichkeit zu entwickeln. Die
folgenden Blätter sind diesem Zweckc gewidmet. Wenn meine Auffassung
in Rtwas von den gangbaren Ansichten abweicht, so kann ich doch im
Voraus bemerken, dass sie auf einer sorgfältigen Untersuchung des Gebäu-
124
Iti'
.iJiiiB!
fi. Der Dom von Köln uud ffeine Architektur. 125
dos selbst beruht, dass sie, statt meine Bewundeninp; für den Dom zu
scliwäcbeii, vielmehr nur dieselbe zu erhöhen geeignet ist, und dass ich in
dem Bestreben, die Vollendung-des Domes herbeizuführen, eine der edel-
sten Aeusserungen des deutschen Geistes, die Verheissung einer schienen
und beglückenden Zukunft erkenne. —
Die äussere Geschichte des Dombaues, soweit die dürftigen schrift-
lichen Nachrichten, die auf unsre Zeit gekommen sind, sich zu einer sol-
chen zusammensetzeu lassen, ist bereits mehrfach abgehandelt worden^).
Hier genügt es, die Hauptpunkte dieser Geschichte, und vornehmlich die
Jahrzahlen, auf welche es dabei ankonamt und für die uns beglaubigte
Zeugnisse vorliegen, nur kurz zu berühren.
An der Stelle des gegenwärtig vorhandenen Domes war im Anfang des
neunten Jahrhunderts, zur Zeit Karls des Grossen, ein älteres Domgebäude
aufgeführfc_ worden. "Dies letztere mochte den Bedürfnissen seiner Zeit sehr
.'ingemessen ge.wesen sein; nachdem indess Jahrhunderte vorübergegangen
waren und die Macht der Erzbischöfe und der Glanz der heiligen Stadt
gewaltig zugenommen hatten, wollte dasselbe als Hauptkitche nicht mehr
passend erscheinen. Schon Krzbischof Engelbert hatte im ersten Viertel
des dreizehnten Jahrhunderts den ernstlichen Vorsatz gefasst, ein neues
Domgebäude an die Stelle des älteren zu setzen, und auch die nöthigen
Vorbereitungen zu solchem Unternehmen eingeleitet; sein plötzlicher ge-
waltsamer Tod (1225) Hess aber die Sache nicht zur Ausführung kommen.
Conrad, Graf von Hochsteden, der im Jahre 1238 zum Erzbischöfe gewählt
wurde, ein Mann von hochstrebendem Geiste und von ungemeiner Energie
des Willens, zugleich einer der reichsten Fürsten seiner Zeit, scheint den
Plan des Neubaues wiederum aufgenommen und ebenfalls bereits die Vor-
kehrungen dazu getroffen zu haben, noch ehe eine Feuersbrunst "im Früh-
jahr 1248 den alten Dom so beschädigte, dass nunmehr der Neubau nicht
länger aufgeschoben werden durfte. Schon am 14. August desselben Jahres
wurde der Grundstein zu dem letzteren unter grosser Feierlichkeit, in Ge-
genwart'des neugewählten deutschen Königs Wilhelm, Grafen von Holland,
und vieler andrer Fürsten und Herren, deren Heere damals die Krönungs-
stadt Aachen belagert'hielten, gelegt. Vielleicht hatten die Nähe dieser
hochgestellten Personen und der Glanz, den ihre Gegenwart der Feierlich-
keit verleihen musste, die Grundsteinlegung mehr beschleunigt, als es ohne-
dies-der Fall gewesen wäre; vielleicht waren die Pläne zu dem Riesenbau,
den Conrad ins Werk zu richten gedachte, noch nicht vollständig ausge-
arbeitet, war über die Beschaffung und Zurichtung der Materialien noch
nicht das Nöthige angeordnet. Wir können hierüber Nichts mit Gewissheit
entscheiden. Wenn aber auch der wirkliche Beginn des Baues um ein
Geringes später erfolgt sein sollte, als jenes Datum der Grundsteinlegung
besagt, so ist dies doch für die kunsthistorische Stellung des Gebäudes
ohne alle Bedeutung. Jedenfalls bezeichnet das Jahr 1248 wenigstens im
Allgemeinen die Periode, welcher die ersten Pläne des Domes, nach denen
die älteren Theile aufgeführt wurden und die auch für das Ganze maass-
gebeud blieben, angehören. Die Meinung, die sich neuerlich wohl gelteiid
zu machen gesucht hat, dass man damals mit andern architektonischen
') Vergleiche S. Boisseree, Geschichte und Beschreibung des Doms von
Köln etc. — De Noel, der Dom zu Köln. — "A. von Binzer, dör Kölner Dom.
— U. A. m.
126 . liheirireise, 1841. Erster Abschnitt.
Entwürfen umgegangen sein müsse, und dass selbst die Grundgestalt des
gegenwärtig vorhandenen Gebäudes einer späteren Epoche angehöre, wird
durch eine nähere Betrachtung der Eigenthümlichkeiton des letzteren ent-
schieden widerlegt.
Zü Anfang scheint man das ungeheure Unternehmen mit rüstigem Eifer
gefördert zu haben. Nur zu bald aber musste, in Folge der unseligsten
Zerwürfnisse und mannigfacher Kriege, diese Thätigkeit erlahmen, so dass
erst vierundsiebzig Jahre nach der Grundsteinlegung der Chor vollendet
war. Im Jahre 1322 erfolgte seine "Weihung. Ueber den Bau der übrigen
Theile des Domes, der Schiffe und der Thürme, der bis-ins sechzehnte
Jahrhundert hinein währte, fehlt es uns fast an aller näheren historischen
Nachricht. Zu bemerken ist nur, dass im Jahre 1437 der südliche von
den Thürmen der Westseite seine gegenwärtige Höhe erreicht hafte, indem
damals'die Glocken in demselben aufgehängt wurden, auch der grosse
Krahn, der auf diesem Thurme als ein mahnendes Wahrzeichen der Stadt
stehen geblieben ist, mit einem Dache versehen ward. -
Der Beginn des Dombaues fällt in eine Zeit der lebhaftesten geistigen
Entwickelung, die besonders für Deutschland einen grossen Reichthum der
bedeutsamsten Erscheinungen theils bereits hervorgebracht hatte, theils
noch hervorbringen sollte. Die Kreuzzüge, deren inneres Wesen dem real
verständigen Charakter unsrer Zeit fast unbegreiflich ist, hatten sich zuerst
als durchgreifendes Zeugniss einer schwärmerisch - idealen Sinnesrichtung
geltend gemacht, sie hatten zugleich auf die besondere Ausbildung der
letzteren im höchsten Maasse zurückgewiriit. Die verschiedenartigste;! Na-
tionalitäten, Occident und Orient, waren miteinander in unmittelbare Be-
rührung gekommen; man war aus der schrotfen Vereinzelung herausgetre-
ten, aber man war sich zugleich auch seiner selbständigen Eigenthümlich-
keit lebhafter als bisher bewusst geworden. Weltliches und geistliches
Ritterthum hatten sich ausgebildet und gaben dem Leben des Tages einen
erhöhten , mehr geläuterten Adel. Die Stimmen einer nationalen Poesie,
ebenso tiefsinnig und kunstvoll im Epos wie zart und anmuthvoll im Liede,
klangen weit durch die Lande. Endlich auch hatte sich das Auge für die
Schönheit der äusseren Form aufgethan, und der Flögelschlag einer neuen
Seele bewegte sich in den Gebilden der Kunst.
Vorzüglich charakteristisch tritt uns das reiche Leben jener Zeit in
den Denkmalen der Architektur entgegen, indem überhaupt diese Kunst,
gleich der Sprache, recht eigentlich das Erzeugniss volksthümlicher Zu-
stände ist. Der romanische Baustyl (den man insgemein sehr unpassend
mit dem Namen des „byzantinischen" zu bezeichnen pflegt) hatte von der
späteren Zeit des zwölften Jahrhunderts ab mehr und mehr von seiner
düsteren Strenge, von seinem herben Ernste nachgelassen-, die Gebäude
dieses Styles wurden fortan gern auf eine heiter erhabene, mehr oder we-
niger malerische Wirkung angelegt; die Einzelformen begannen sich freier
und mannigfaltiger aus > der Masse zu lösen, in ihrer Bildung den Puls
eines wärmeren Lebensgefühles anzukündigen. Deutschland besitzt zahl-
reiche Denkmale dieser Art; besonders aber sind es die nördlicheren Rhein-
gegenden und die an dieselben angrenzenden Lande, welche uns hiefür die
mannigfaltigsten Beispiele zeigen. Auf die verschiedenartigste Weise ist
man hier bestrebt, die regen und stets lebhafter sich entwickelnden Kräfte
des Daseins in den Werken der Architektur zum Ausdrucke zu bringen.
Zunächst zwar in der Bildung der feineren Einzelnheiten nicht ebenso rein
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 127
wie die Bauwerke derselben Gattung in andern Gegenden Deutschlands,
namentlich wie die von Sachsen und Thüringen/zeichnen sich die rheini-
schen Monumente doch auf ganz eigenthümlicho Welse durch die Fülle
und die Bedeutsamkeit ihrer Gesamratcompositiou, sowie durch den reichen
Wechsel der architektonischen Dekoration aus; bunte Gesimse, Säulen-
und Bogenwerk werden zu ihrer Ausstattung nicht selten fast verschwen-
derisch angewandt; die schlichte Form des Halbkreisbogens, der sonst als
eins der charakteristischen .Kennzeichen des romanischen Baustyles gilt,
genügt oft schon dem. erregten Gefühle nicht mehr, und man greift statt
seiner zu der bewegteren Form eines rosettenartig gebrochenen Bogens und
noch mehr zu der des Spitzbogens. Von dem Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts ab erscheint der letztere an. den deutschromanischen Bau-
werken bereits sehr häufig. Bis gegen die Mitte des Jahrhunderts erhält
sich der romanische Baustyl in dieser seiner reicheren, zum Theil phah-
taslischen Umbildung als eine mehr oder minder gültige Norm. Ich wi^y^
für diese Bemerkungen nur einige der zahlreichen Bauwerke spätroinani-
schen Styles in den rheinischen Gegenden namhaft machen. Für jene
Eigenthümlichkeiten der Composition des Ganzen, die besonders auflal-
lig an der Chorpartie der Kirchen hervortreten, sind zunächst die Apo-
stelkirche und Gross St. Martin zu Köln^ sowie St, Quirin zu Neuss, diese
Kirche im Jahr 1208 gründet, zu nennen. Dann, wiederum als ein Ge-
bäude von sehr eigenthümlicher Anlage, die Kirche von Kloster Heister-
bach im Siebengebirge, gebaut 1202—1233, deren Chor gegenwärtig eine \
der reizvollsten Ruinen des Rheinlandes bildet. Zu den merkwürdigsten i
Beispielen des spitzbogig romanischen Styles gehört das zehnseitige Schiff
von St. Gereon in Köln, 1212—1227, dem eine noch zierlichere Tauf-
kapelle desselben Styles angebaut ist. Ebenso merkwürdig, obgleich den
romanischen Spitzbogen wiederum wesentlich anders darstellend, erscheint
der Dom von Limburg an der Lahn, zwischen 1212 und 1235. So auch
die, zwar kleiqe Kirche des Nonnenklosters St. Thomas in der südlichen
Eifelgegend, vollendet 1225. Der kleine Chor der Pfarrkirche von Rema-
gen, der gleichfalls hierher gehört, ist erst 1246 gew^eiht worden. Und
noch später fällt die Weihung der Kirche St. Cunibert in Köln, indem j
dieselbe erst im Jahre 1248 durch Conrad von Hochsteden stattfand, in
demselben Jahre, in welchem er den Grundstein zu seinem Dome legte. j
Es lag jedoch in dieser Umgestaltung des romanischen Baustyles kein .i
Element, welches von innen heraus zu einer weitern Entwickelung führen ^
konnte; so anziehend, so anmuthvoll selbst jene Denkmale zum Theil er-
scheinen, so'bilden sie doch eigentlich nur die letzten Ausgangspiiukte
eines architektonischen Systemes, welches in sich zu entschieden abge-
schlossen ist, als dass man es zugleich etwa als die niedrigere Entwicke-
luugsstufe zu' einem zweiten betrachten dürfte. Sollte der erregte Drang
der Zeit sein Recht behaupten und im Fache der Architektur eine vollkom-
menere, mehr entwickelungsfähige "Verkörperung finden, so mussten für ihn
neue architektonische Grundformen gewonnen werden. In der That aber
lagen diese bereits vor. Gleichzeitig mit den vorgenannten spätromanische^
Bauten in Deutschland war im nördlichen Frankreich der gothische Baustyl
ins Leben getreten, derjenige Styl, in dessen innerem Wesen es lag, die
durchgreifendste Gliederung der Mas8(5, die reichste.Mannichfaltigkeit der
Bewegung, die lebhafteste Erhebung des Gemüthes zum Ausdrucke zu brin-
gen. Die Ursprünge des gothischen Baustyles beruhen auf einer naiven,
■nii'rt'Tiüirtiii
-ocr page 127-Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
an sich nocli unorganischen Verbindung aUchristlicher und orientalischer
Elemente; sie finden sich vorzugsweise da, -wo beide Elemente das Leben
als gleichberechtigte durchdrungen hatten: in Sicilieri. Dies Land hatte
Jahrhunderte lang unter saracenischer Herrschaft gestariden; durch die
Normannen in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts dem christlichen
Glauben zurückerkämpft, gingen hier gleichwohl noch geraume Zeit Chri-
stenthum und Islam, der Ernst des Occidents und die Phantasie des Orients,
Hand in Hand. Die sicilianisch - normannischen Architekturen, deren
wichtigste dem zwölften Jahrhunderte angehören,, zeigen den Säulenbau
der altchristlichen Basilika mit der arabischen Form des Spitzbogens ver-
bunden. Merkwürdig ist es, dass man neuerlich auch in Deutschland einige
Bauwerke dieser Gattung aufgefunden hat; das interessanteste derselben ist
die Kirche von Merzig an der Saar, deren anderweitige Architekturformen
jeiüoch mit den oben genannten spätromanischen Gebäuden der rheinischen
Ijj^egenden übereinstimmen. Im növdliehen Frankreich aber fügte man,- be-
reits in der späferrä Zeit des zwölften Jahrhunderts, jenen sicilianischen
Elementen noch ein drittes hinzu, das Gewölbe, nach denjenigen Princi-
pien, wie sich dasselbe allerdings schon im romanischen Baustyle vorgebil-
det hatte; und hierait war der Beginn zu einer ganz neuen Entwickelung
gegeben. Die Säule — deren GruiKlform eine ungleich individuellere ist, als
"die im romanischen Gewölbebau angewandte Grundform^ des viereckigen
Pfeilers — war von vorn herein zur Ausbildung der lebenvollsten. Glie-
derung geeignet; der Organismus der letztern konnte sich nnmittelbar in
der Gliederung des Gewölbes fortsetzen; das aufstrebende Element, welches
hierin lag, fand in der spitzbogigen Form der Wölbungen seine angemes-
senste Vollendung. Als ein(3 anderweitig unmittelbar^i Folge erscheint bei
diesem architektonischen System, im Aeusseren der Gebäude, der Strebe-
pfeiler sammt Allem, was von ihm abhängt, so dass auch für die äussere
Masse der Architektur eine stetig durchgehende Gliederung und ein ent-
schieden aufwärts strebender Charakter gewonnen ward. Gleichzeitig mit
einer solchen durchgreifenden Umgestaltung der Formen war man in Frank-
reich auf eine möglichst grossartige Anordnung des Grundplanes der kirch-
lichen Gebäude bedacht, indem man hier gewisse Elemente, die sich aller-
dings im romanischen Baustyle bereits angekündigt hatten, auf eine sinn-
volle "Weise zu einer erhöhten Wirkung umzubilden wüsste; vornehmlich,
gehört hieher der Kranz der Kapellen, welche den Chor umgeben. Frank-
reich besitzt eine bedeutende Anzahl von Kathedralen, die von Paris,
Chartres, Rheims und viele andere, welche das erste A^iftreten und die
erstep Entwickelungsstufen des gothischen Baustyles erkennen lassen. Aber,
wie schön zum Theil auch die räumlichen Verhältnisse dieser französischen
Gebäude erscheinen, mit wie reicher, nicht selten sogar überreicher Deko-
ration dieselben auch versehen wurden, man vermochte hier dennoch nicht
von jenen ersten Entwickelungsstufen zu einer vollendeten Ausbildung des
Systemes zu gelangen; i^an brachte es nicht zu einer vollkommen organi-
schen Entwickelung, zu einem innerlich bedingten Zusammenhange der
Formen; man erreichte nicht, weder im Innern noch im Aeussern, jene ste-
tig aufwärts schreitende Bewegung, welche doch als das Grundgesetz des
gothischen Baustyles erscheint und welche das höchste Ziel, die eigentliche
Vollendung desselben ausmacht. .
In Deutschland finden sich vor dem Anfange des dreizehnten Jahrhun-
derts keine Gebäude, die auf "die Anwendung des gothischen Systemes
'128
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 129
schliessen lassen. Auch im ersten Viertel dieses Jahrhunderts treten nur
erst sehr vereinzelte Elemente desselben auf, die überdies noch mit den
Formen des romanischen Styles stark versetzt sind, die somit noch nicht
als wirkliche Anfänge des gothischen Styles gelten können. Das merkwür-
digste Beispiel dieser Gattung ist der im Jahre 1208 oder 1211 gegründete
Chor des Magdeburger Doms. Erst das zweite Viertel des dreizehnten
Jahrhunderts bezeichnet den wirklichen Beginn des gothischen Baustyles
in Deutschland. Die wichtigeren Zeugnisse desselben gehören den nördli-
chen Rheinlanden und ihren Nachbargegenden an; hier treten uns somit
gleichzeitig und auf eigenthümlich umfassende "Weise die letzten Denkmale
einer alten, die ersten Denkmale einer neuen Geistesrichtung entgegen, und
in erhöhtem Maasse erkennen wir das so überaus rege Wechselspiel der
Kräfte, welches der Grundsteinlegung des Kölner Domes, in seiner unmit-
telbaren Umgebung, voranging. Die frühgothischen Architekturen in
Deutschland lassen es, obschon nur zum Theil und mehr oder weniger
deutlich, erkennen, dass sie unter Einfluss jener älteren französischen Ge-
staltung des gothischen Styles entstanden sind, dass man, was natürlich auf
keine Weise befremden kann, die Regeln, welche man dort bereits zu
Grunde gelegt fand, sich anzueignen und zur Hervorbringung neuer Erzeug-
nisse zu benutzen bemüht war. Aber die deutschen Architekten, welche
den gothischen Baustyl in ihre Heimat einführten, waren keine Nachah-
mer; mit vollkommener Freiheit iind Selbständigkeit fassten sie jene fran-
zösischen Grundprincipien auf; sie erkannten die tiefere Bedeutsamkeit,
welche in den Grundformen des neuen Styles verborgen lag und welche
den eigenen Erfindern desselben dunkel geblieben war; sie kamen, wenn
freilich auch erst allmälig, dahin, das, was in der französischen Architektur
nur als Beginn, als eine verhaltnissmässig niedere Entwickelungsstufe er-
scheint, zur höchsten Vollendung, zur reinen Harmonie, zur geläuterten
Schönheit durchzubilden.
Schon das ist als ein beachtenswerthes Zeugniss für die Selbständig-
keit, mit welcher der gotliische Baustyl in Deutschland angewandt wurde,
zu erwähnen, dass man bei unseren frühgothischen Gebäuden mancherlei
pjigenthümlichkeiten und Verschiedenheiten der Gesammtanlage, und vor-
nehmlich des Grundplanes wahrnimmt; es ist, als ob sich hierin das Be-
streben andeute, diejenige Hauptform aufzusuchen, die dem heimischen
Geiste als die vorzüglichst entsprechende erscheinen möchte. Indess ist
dieser Umstand nicht geradehin als etwas vorzüglich Rühmenswerthes her-
vorzuheben. Man könnte im Gegentheil vielleicht auch sagen, dass so ver-
schiedenartige Bestrebungen nicht undeutlich die Absonderung des Einzel-
nen aus der Gesammtrichtung des Volkes, das Verlangen nach subjektiver
Gültigkeit und Berechtigung, die Vereinzelung der Interessen, kurz, dass
sie denjenigen Fehler im Charakter des deutschen Volkes bezeichnen, der
leider für unser schönes Vaterland so oft von unheilbringenden Folgen
gewesen ist. Ungleich wichtiger ist es, dass an den frühgothischen Gebäu-
den in Deutschland yon vorn herein ein viel lebendigerer Sinn für die'
Durchbildung der Ei'nzelform, als wie in Frankreich, erscheint, für eine
Durchbildung, welche auf dem Grundgesetz des Systemes beruht und welche
somit allein eine organische Gestaltung des Ganzen herbeiführen konnte.
Zugleich tritt dieses Bestreben nach erhöhter Durchbildung dennoch mit
einer eigenthümlichen, fast jungfräulichen Schüchternheit nnd Keuschheit
Kugler, Kleine Schriflen. II. 9
-ocr page 129-130 . liheirireise, 1841. Erster Abschnitt.
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auf. Im Gegensatz gegen die phantastische, üppig spielende Weise der
spätromanischen Architektur in Deutschland erkennt man hierin recht deut-
lich den Beginn einer neuen, noch jugendlich reinen Geistesrichtung. Einen
nicht minder vortheilhaften Gegensatz bildet diese Eigenschaft aber auch
gegen die Eigenthümlichkeiten der französisch-gothischen Architektur, die,
schwer und unansgebildet in ihren Grundformen, sich dennoch schnell mit
einer prunkhaft reichen Dekoration erfüllt.
Als eines der wichtigsten frühgothischen Monumente in den westlich
deutschen Landen ist zunächst die Liebfrauenkirche von Trier, gebaut von
i 1227 bis 1244, zu nennen. Höchst eigenthümlich und sinnreich in seiner
I Gesammtanlage, lässt dies Gebäude in seinen vorzüglichst charakteristischen
\ Formen allerdings den französischen Einfluss erkennen, erscheint in den
5 Einzelheiten aber zugleich aufs Anmuthvollste durchgebildet, wenn schon
I ein reiner Organismus für das Ganze noch keineswegs erreicht ist. — Ohne
Zweifel derselben Zeit angehörig ist die Kirche vou Offenbacb am Glan
(einem Nebenfluss der Nahe), über deren Erbauungszeit zwar kein äusseres
Datum vorliegt. Hier erscheint, sehr eigenthümlich, eigentlich Nichts von
unmittelbar französischem Einfluss; es wird in dieser, zugleich in meister-
hafter Technik ausgeführten Kirche vielmehr eine Bildungsweise bemerk-
lich, die sich noch auf gewissen Principien der deutsch-romanischen Archi-
tektur zu gründen scheint, obgleich die letztern bereits wesentlich der
gothischen Gefühlsweise gemäss umgewandelt sind. Sie beruht auf dem
Gesetz einer gewissen, mehr durchgreifenden Gliederung, als solche in den
frühgothischen Gebäuden Frankreichs sichtbar wird. — Dann ist die maje-
stätische Elisabethkirche zu Marburg, 1235—1283, zu nennen, in der das
französische Princip, zwar noch in sehr strengen Formen, doch bereits auf
entschieden charaktervolle Weise in's Deutsche umgewandelt erscheint.
Ihr kann man die Stadtkirche von Ahrweiler anreihen; deren ursprüngliche,
nachmals zum Theil veränderte Anlage der Zeit zwischen 1245 bis 1274
angehört. — Im strengen frühgothischen Style, der Elisabethkirche von
, Marburg ebenfalls verwandt, erscheinen ferner die älteren Theile der ehe-
maligen Dominikanerkirche zu Koblenz, gegründet 1239, die gegenwärtig
als Militärinagazin benutzt wird. Aehulich auch die im Jahre 1260 geweihte
Minoritenkirche zu Köln, von der die Sage geht, da^s sie von den Arbei-
tern des Domes in ihren Mussestunden gebaut worjden sei. — Eine der
merkwürdigsten frühgothischen Kirchen jener Gegend ist die fast gar nicht
i' bekannte des ehemaligen Klosters Marienstadt im Herzogthum Nassau; ich
weiss über sie für jetzt kein Datum anzugeben, doch gehört sie ohne Zwei-
fel zu den ältesten ihrer Gattung in Deutschland. Ihre Formen sind höchst
schlicht, streng und einfach; die Gesammtanlage aber ist nicht ohne eigen-
thümliche Grossartigkeit, und vornehmlich ausgezeichnet durch einen Kranz
von sieben Kapellen, welche den Chor umgeben. Die letztern haben jedoch
noch nicht die gothische polygone Grundform, sie sind vielmehr noch halb-
rund gebildet, wie die Altartribunen an den Kirchen romanischen Styles ')•
Notiz über die Kirche von Marienstadt, nach v. Lassaulx's Zeichnungen :
Dreischiffig, mit schmalerem Umgang um den Chor und dem Kranze der sieben
halbrunden Kapellen. Die Seitenschiffe von beträchtlicli niedrigem Verhältniss.
Kurze, starke Ilundsäulen mit einfachem, undekurirtem Kelchkapitäl. Die Bogen
von Säule zu Säule mit ganz einfachem dreiseitigem Mauerprofll. lieber den
Kapitalen, mit besondrer Basis aufsetzend, Halbsäulchen als Gurtträger. Im Chor
'f..
-ocr page 130-6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 181
— In mehrfacher Beziehung ähnlich, doch ungleich reicher und vollUom-
mener gothisch ausgebildet, erscheint sodann die im Jahre 1255 gegründete
Kirche von Kloster Altenberg, unfern von Köln, die insgemein, was sie
auch bereits der Zeit nach ist, als die Nachfolgerin des Kölner Domes be-
zeichnet wird. An dem letzteren zeigt sich wiederum eine ähnliche Grund-
anlage: er tritt am Mächtigsten abschliessend und am Höchsten erfolgreich
in die Reihe derjenigen architektonischen Bestrebungen ein, welche durch
die so eben genannten Gebäude vergegenwärtigt werden. Wir wenden uns
nunmehr seiner näheren Betrachtung zu. —
Die Gründung des Domes fällt, wie oben bereits angegeben wurde, in
das Jahr 1248; die Ausarbeitung der ursprünglichen Pläne desselben steht
unbedenklich zu diesem Jahre im nächsten Verhältniss, d. h. sie wurden,
wenn nicht vielleicht schon etwas früher, so doch entweder noch in dem-
selben Jahre oder gleich darauf gefertigt. Ueber den Namen des Meisters
aber, dera dieselben zuzuschreiben sind, liegt keine historische Nachricht
vor. Indess haben sich zwei verschiedenartige Meinungen, beide nicht
1 gänzlich unbegründet, geltend zu machen gesucht, um für diesen Namen
eine historisch bestimmte Persönlichkeit zu gewinnen.
Zunächst ist eine alte Sage anzuführen, der es neuerlich nicht an Ver-
tretern gefehlt hat, Sie nennt als den Erfinder jener Pläne einen Mönch,
Bruder Albertus, der damals das Amt eines Lesemeisters im Domini-
• kanerkloster zu Köln verwaltete. Dieser Albertus war der tiefsinnigste
Denker seiner Zeit, der alle Gebiete des menschlichen Wissens umfasst
hielt und dessen Forschungen zum Theil weit über die Grenzen hinatis-
griffen, welche der damaligen Wissenschaft gesteckt waren. Seine Zeltge-
nossen schrieben ihm die Kenntniss magischer Künste zu, und manch ein
Verhältniss seines Lebens vermochten sie nur zu begreifen, indem sie dasselbe
zum gaukelnden Mährchen oder zur sinnvollen Legende umgestalteten.
I Aber die fleckenlose Reinheit seines Charakters machte ihn zugleich hoch-
geachtet bei Hohen und Niedern; er stand sowohl zu Erzbischof Conrad
in einem näheren Verhältnisse, als ihm auch die Bürger der Stadt innigste
Verehrung erwiesen. Die Geschichte hat ihm einen Beinamen gegebeoi
den sie sonst für die Männer der Wissenschaft nicht passend zu finden
scheint; sie nennt ihn Albertus Magnus Es ist die Eigenthümlich-
keit der Sage, dass sie ausgezeichnete Persönlichkeiten gern zu Trägern
aller derjenigen bedeutsamen Erscheinungen macht, durch welche ihr Zeit-
I alter charakterisirt wird, so dass diese Persönlichkeiten riesenhaft über die
I Häupter der andern Sterblichen hinauszuragen scheinen. So möchten wir
I auch hier von vornherein geneigt sein, der Sage die reale historische Gül-
tigkeit abzusprechen. Dennoch gewinnt dieselbe bei näherer Betrachtung
eine etwas ernstere Bedeutung. Es scheint, dass Albert, der in den mecha-
nischen Künsten so erfahren war,, dass er redende Automate zu verfertigen
wusste, auch im Fache der Architektur selbständig und mit Erfolg thätig
je drei solcher Halbsäulchen; hinter Ihnen ein Umgang. Die Pfeiler in der
Mitte des Kreuzes nach der Chorseite zu eckig, mit je vier Halbsäulen; die nach
der SchifFseite zu rund , mit je acht Halbsäulen. Im Schiff zweimal sechs frei
stehende Rundsäulen. Die Strebepfeiler in mehrfachen Absätzen, schwere ein-
fache Strebebogen gegen das Mittelschiff schlagend. Auch vom Chor sind Strebe-
bögen gegen den Oberbau geschlagen.
') Näheres über seine Geschichte siehe bei Echard et Qü^tif, Scriptor«is
ordinis praedicatonim, I. p. 162. »
A
4
Uheiureise, 1841. Erster. Abschnitt,
132
s
I
gewesen sei. Wenigstens wird berichtet, dass er, in späteren Jahren, den
Chor der Kirche seines Klosters in Köln anf meisterliche Weise habe bauen
lassen; und ohne Zweifel ist dies dahin zu deuten, dass ihm selbst die
Bauführung oblag, indem man, ohne eine solche Annahme, vielmehr den
Vorsteher des Klosters, den Prior, als denjenigen würde genannt haben,
durch dessen P'ürsorge die Erneuung der Klosterbaulichkeiten sei einge-
richtet worden. Leider ist diese Kirche in neuerer Zeit abgerissen worden,
so dass man, was für die vorliegende Frage sehr wichtig gewesen wäre,
den an ihr hervortretenden architektonischen Styl mit dem des Domes nicht
mehr in Vergleichung stellen kann i). So wird Albert auch als der Er-
bauer der Dominikanerkirche zu Freiburg genannt. Dass eine bedeutende
Anzahl von Kirchen und Altären durch ihn geweiht worden, deutet wenig-
stens auf persönliche Gegenwart bei neuen Bauanlagen. Ob sich in den
höchst zahlreichen Schriften Alberts vielleicht Stellen über die Architektur
vorfinden, -weiss ich nicht zu sagen; doch ist zu bemerken, dass er als der
Verfasser besonderer Abhandlungen: über die Geometrie, über das Thea-
terwesen (so in der That!) und über die Perspektive, genannt wird. Lei-
der sind auch diese Abhandlungen verloren gegangen; indess bezeugen sie
wenigstens eine Bekanntschaft mit Wissenschaften, die mit der Kunst, und
namentlich mit der Architektur, eine ziemlich nahe Berührung haben. Be-
denken wir aber, dass ein in den mathematischen Wissenschaften, in der
Mechanik, selbst in der Architektur ausgezeichneter Mann, dessen Geist'
zugleich die Tiefen der Philosophie durchdrungen hatte, sich damals in
Köln aufhielt und vom Erzbischofe des höchsten Vertrauens gewürdigt
ward, so ist es an sich auf keine Weise unwahrscheinlich, dass dieser auch
bei einem Bauwerke, welches der Erzbischof zu dem grossartigsten seiner
Zeit machen wollte, dessen Ausführung die umfassendsten mathematischen
und mechanischen Kenntnisse voraussetzte, dessen Entwurf auf einer tief-
einnigen Symbolik (den Besondetheiten der räumlichen Einrichtung gemäss)
beruhte, wesentlich betheiligt war.
Indess scheint diese Annahme durch die zweite Meinung, über den
Erfinder der Pläne für den Dom und durch die gewichtigen Gründe, auf
denen dieselbe beruht, beseitigt zu werden. Es ist eine Urkunde vom
Jahre 1257 auf unsre Zeit gekommen, in welcher das Domkapitel von Köln
einem Meister Gerhard, der als Steinmetz und als Vorsteher des Dom-
baues bezeichnet wird, wegen der Verdienste, die er sich um das Dom-
kapitel erworben, eine Hofstätte von namhafter Ausdehnung gegen einen
Erbzins übergiebt, und zwar diejenige Hofstätte, auf welcher derselbe
Meister Gerhard sich bereits ein grosses steinernes Haus auf seine eigenen
Kosten erbaut Jiatte. Die Urkunde legt den Schluss nah, dass mau in
Wallraf, in seinen Beiträgen zur Geschichte der Stadt Köln, S. 196, wo
er die Ehre der Erfindung der Dompläne für Albert in Anspruch nimmt, sagt,
freilich nur mit sehr allgemeinen Worten, der Chor der Dominikanerkirche sei
in einem mit dem Domehore verwandten Geschmack ausgeführt gewesen. Auf
dem kolossalen, in Holz geschnittenen Prospekte der Stadt Köln von Anton von
"Worms erscheint derselbe als ein Bauwerk von etwas vereinfachter Form und
Anlage, doch sind die zahlreichen Baulichkeiten der Stadt hier überhaupt nur
ziemlich einfach und derb umrissen. Auf dem zierlichen Prospekte Kölns von
Wenzel Hollar wird der Chor der Dominikanerkirohe'durch die Kirche S. Maria
ad Gradus fast ganz verdeckt. — Vollständig abgedruckt bei J. D. Passavant,
Kunstreise durch England und Belgien, S, 426.
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 133
diesem Gerhard den ursprünglichen Erfinder des Domes zu verehren habe,
und sie ist bereits geraume Zeit auf solche Weise gedeutet worden. Dass
er sich auf eigene Kosten ein grosses steinernes Haus gebaut, lässt schon
an sich, den Verhältnissen jener Zeit gemäss, auf eine angesehene Stellung
im Leben schliessen; die Bezeichnung des Mannes als Steinmetz wider-
spricht dem nicht, denn sie nennt eben nur das Gewerbe, welchem er
angehörte, und es ist bekannt, dass alle Kunst damals noch von dem gold-
iien Boden des Handwerkes ausging. Dass er, der Vorsteher des Dombaues,
sich besonders zu belohnende Verdienste um das Domkapitel erworben,
macht es wenigstens höchst wahrscheinlich, dass diese eben in der Führung
des Dorabaues selbst bestanden; und nicht un\vahrscheinlich ist es, dass
hierin das Wesentlichste, was vorausgegangen sein musste, die Ausarbei-
tung der Pläne, mit einbegriffen war, da man neun Jahre nach jener so
höchst eilig unternommenen Grundsteinlegiing schwerlich bereits um ein
Bedeutendes über die ungeheuren Fundamente des Baues emporgerückt war.
Beide Meinungen schliessen scheinbar einander aus; beide, und auch
die zweite, sind nicht so fest begründet, dass sie nicht noch einer dritten
Möglichkeit über den Urheber Raum geben könnten; beide lösen nicht das
iierade hier so auffallende Räthsel, dass die Geschichte für den ursprüng-
lichen Meister eines Baues, welcher als eine Wundererscheinung auf deut-
schem Boden emporwuchs, welchen Erzbischof Conrad zur höchsten Ver-
herrlichung seines Namens unternahm-, und von dessen erstem Beginn uns
sonst so manche Nebenumstände bekannt sind, keine bestimmte Erinnerung
aufzubewahren vermochte. Wo unmittelbare historische Zeugnisse fehlen,
kann man die historische Wahrheit immer nicht mit vollkommen überzeu-
gender Entschiedenheit aussprechen, und dem Zweifel wird dabei immer
ein grösserer oder geringerer Raum bleiben; indess scheint mir, unter Be-
rücksichtigung der sämmtlichen vorgenannten Verhältnisse, eine Auffas-
sung folgender 'Art bei Weitem'die passlichste zu sein.
Für beide Männer, sowohl für Gerhard als auch für Albert, sind
Gründe vorhanden, denen zufolge ein jeder von ihnen als Urheber der
Pläne betrachtet werden könnte. Wohlan! werfen wir die beiderseitigen
Ansprüche zusammen und geben wir ihnen Beiden die gemeinsame Ehre
der Urheberschaft! Hiebei ist es nicht nöthig, irgend eine der Ansichten,
die sich uns aufdrängen,, zu verläugnen, und'auch alle weiteren Fragen
lösen sich von selbst. Freilich ist dies nicht der Fall, wenn wir uns nicht
unserer modernen Anschauungsweise zuvor entäussern. Wir sind der Mei-
nung, dass das Kunstwerk vollkommen abgeschlossen, fertig und selbstän-
dig aus dem Geiste des Gottbegabten, wie die gerüstete Pallas aus dem
Haupte des Vaters der Götter, in die Erscheinung trete; und wirklich ist
dies so in dem Zeitalter individueller Berechtigung, in welchem wir leben,
— vorausgesetzt, dass es sich um wahrhafte Kunstwerke handle, die frei-
lich so, überaus häufig nicht gefunden werden. Anders aber verhält es sich
in den Zeiten einer naiven, sich rein volksthümlich entwickelnden Kunst-
thätigkeit, und vorzugsweise in dem Gebiete der Architektur '). Je nach-
dem das volksthümliche Element mehr oder weniger entschieden vor-
herrscht, in gleichem Maasse macht sich auch eine gemeinsame k-ünstle-
Die moderne Architektur, die noch immer vorherrschend auf der Grund-
lage eines gelehrten Studiums beruht, ist keine volkstbümlicbe Architektur. Sie
kann es aber wiederum werden,
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,J Vii Rheiüreise, 1841. Erster AbscLnitt.
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i rische Richtung, eine gemeinsame Weise der Auffassung der Formen, ein
übereinstimmendes Streben nach dem Ausdrucke der Empfindung bemerk-
lich. Es versteht sich von selbst, dass auch hier die begabteren Geister
von den minder begabten sehr deutlich zu unterscheiden sind, und nicht
etwa bloss in dem grösseren äusserlichen Geschicke; aber -was sie so be-
deutend macht, besteht doch eben nur darin, wie sie jene gemeinsame
Richtung zu einer höheren Consequenz, zu einer edleren Läuterung durch-
gebildet haben. Die Geschichte der Kunst bietet dafür unzählige Beispiele
I;, dar. Und vor Allem, wie bemerkt, ist dies der Fall in der Architektur,
I welche es nicht mit individuell abgeschlossenen Darstellungen zu thun hat,
deren Formen im Gegentheil auf allgemeineren Gesetzen gegründet sind
|| und aus den allgemeinen räumlichen Verhältnissen, Bedingnissen und Ent-
wickelungsmomenten hervorgehen. Die Architektur, deren Grösse und
Wirkung darin beruht, wie sie die Einzelformen nach einem gemeinsam
durchgehenden Gesetze bildet und in dieses aufgehen lässt, enthält recht
eigentlich die künstlerische Aeusserung des Gemeinsamen in den Zustän-
den der Zeit, dem das Streben des Einzelnen sich unterordnen muss.
Für solche Anschauungsweise hat es in der Tliat nichts Befremdliches,
wenn wir gewissermaassen zwei Meister für einen bedeutsamen Bau an-
nehmen i), und nicht etwa bloss in dem Verhältniss, dass der eine als
fördernder Kritiker, der andre doch als der wirkliche Schöpfer und Aus-
ß führer, oder der eine als geistiger Urheber, der andre nur als handwerk-
licher Arbeiter dastände. Die allgemeine räumliche Anordnung des Kir-
chengebäudes, der Styl, in welchem dasselbe ausgeführt werden sollte,
waren gegeben. Schon hiebei ist es vielleicht nicht ganz überflüssig, zu
bemerken , dass die Disposition des Grundplanes des Kölner Domes jenes
i',: Schema befolgt, welches in den französischen Kathedralen vorlag, und
?| dass Albert gerade vor der Zeit der Grundsteinlegung sich einige Jahre in
Frankreich aufgehalten hatte. Er konnte diesen Aufenthalt sehr wohl be-
nutzt haben, besondere nähere Studien über die Bauweise zu machen, die
' ^ in Frankreich bereits längere Zeit üblich war; ja, es ist selbst nicht un-
möglich, dass ihm Erzbischof Conrad, falls er den Neubau schon früher
beabsichtigt, bestimmte Aufträge zu diesem Zwecke gegeben hatte. Dann
jj." hatten sich in Deutschland in der jüngstverflossenen Zeit gewisse sehr
beachtenswerthe Modifikationen jenes neuen Baustylies geltend gemacht.
Warum sollte es nun so gar seltsam sein, wenn zwei ausgezeichnete Männer
r sich vereinigten, um durch gemeinsame Berathung die Grundgesetze dieser
Bauweise einander zur vollkommenen Klarheit zu bringen; bei Berücksich-
^ tigung der neuesten deutschen Bestrebungen das, wa's etwa als Willkür-
Ji : lichkeit erscheinen mochte, von denjenigen Elementen zu sondern, die in
der That als eine Weiterbildung des Systemes zu betrachten waren; sodann,
selbständig fortschreitend, die höhere Ausbildung zu bestimmen, deren
T jener Baustyl nach ihrer Einsicht fähig war, und hiebei zugleich zu einem
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' ') Ich bemerke hiebei, dass ein« Annahme, wie die obige, auch anderweitig
in der Geschichte der Architektur nicht ohne Beispiel ist. So ist der Haupt-
' tempel von Athen, der Parthenon, durch zwei Meister, Ictinus und Callicrates,
^^ erbaut worden. So erfanden und leiteten zwei Mönche. Sisto und Ristoro, ge-
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meinschaftlich den im Jahre 1279 begonnenen Bau der Kirche S. Maria Novella
zu Florenz. Geistliche, wie die eben genannten und wie Albertus Magnus,
treten im Mittelalter sehr häufig als Baumeister auf.
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-ocr page 134-6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 135
Emiresultat über das angemessenste Verhältniss der räumlichen Maasse,
sowie über den Charakter der Einzelformen des Baues zu kommen? Wenn
eine bestimmte Grundlage gegeben ist, wenn es nicht auf eine vollkommen
neue und absolute Erfindung ankommt, so lässt es sich ganz wohl denken,
dass das in dem Gegenstande selbst liegende Gesetz durch eine gemein-
schaftliche, sich gegenseitig anregende und ergänzende Thätigkeit ent-
wickelt werden könne, ja, in gewissem Betracht noch reiner und entschie-
dener, als wenn der Einzelne in den Schranken seines eigenen Selbst be-
fangen bleibt. Freilich gehört dazu eine vollkommene Hingebung an die
Sache und ein ebenso vollkommenes Aufgeben der persönlichen Eitelkeit,'
die, wie so häufig in moderner Zeit und wie so selten im deutschen Mit-
telalter, das Eigenthum an einem jeden Gedanken oder an einem jeden
Viertel eines solchen ängstlich für alle Zeiten sicher zu stellen sucht.
Aber was hindert uns, den beiden Männern, Albert und Gerhard, jene
Höhe einer wahrhaften geistigen Bildung zu versagen? und um so mehr,
als doch im Uebrigen ihre Lebenswege und die Interessen, welche sie
persönlich verfolgten, gewiss weit genug auseinander lagen. Der eine war
ein schlichter Mönch, der, abgeschieden von der Welt, in seiner stillen
Zelle wohnte, in die er auch später, nachdem er sich ein Paar Jahre als
Bischof von Regensburg mtlhsamen und zerstreuenden amtlichen Pflichten
unterzogen hatte, nach Ruhe verlangend zurückkehrte; der andre war ein
Werkmann, den sein Beruf mitten in den Verkehr des Tages und in das
fröhliche Treiben der Menge geführt hatte; der eine lebte in der idealen
Welt des Gedankens und strebte hier auf die Geister der Menschen zu
wirken, der andre hatte Meissel und Hammer zu schwingen und über der
Arbeit der rüstigen Schaaren," die ihm untergeordnet waren, zu wachen.
Uebrigens, wie sich zwar wohl schon von selbst versteht, meine ich nicht,
dass sie sich auf eine oder die andre Weise etwa in die Ausarbeitung der
Pläne getheilt hatten, dass der eine etwa den Chor, der andre die Thürme
zu entwerfen übernahm; ich denke mir, dass das Ganze als das Ergebniss
ihrer beiderseitigen Forschungen wie mit einer inneren Nothwendigkeit
emporgewachsen war, und dass dann vielleicht — wenn man es sich noch
weiter ausmalen will — Meister Gerhard das Pergament hinbreitete und
die nöthigen Lineamente auf dasselbe niederzeichnete, jenes Ergebniss
sofort für die Ausführung des Baues festzuhalten, dass sich ihm, bei der
Zeichnung oder- beim Bau selbst, möglicher Weise auch manche Einzel-
heit in einer noch bestimmteren, noch mehr angemessenen Form ergeben
mochte. Das Wesentliche der Composition war, unter solchen Voraus-
setzungen, doch so wenig sein besondres Eigenthum wie das des Albert;
ja sie Beide hatten dasselbe nur aus bereits vorhandenen Elementen ge-
wonnen. So mag es auch nicht weiter auffallen, wenn von einem Erfinder
der Pläne keine Rede ist.
Dies Alles hängt freilich in der Luft'), indem es, um solchen An-
nahmen eine vollkommene historische Gültigkeit zu geben, an genügend
sicheren Ausgangspunkten fehlt. Ich würde den geneigten Leser auch nicht
Und um so mehr, als die „Diplomatischen Beiträge zur Geschichte der
Baumeister des Kölner Domes von A. Fahne" (welche nach der Abfassung des
obigen Aufsatzes erschienen), in dem Meister Heinrich Suuere noch einen
dritten, mit erheblichen Rechtsansprüchen versehenen 'Petitor structurae majorit
ecdmae Coloniensi$, und zwar schon im Jahr 124 7, haben auftreten lassen.
Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
13G
mit so weitläuftiger Vermutliung hingelialteu haben, wäre eine Anschau-
ungsweise dieser Art nicht zugleich für die richtige Auffassung des ganzen
Domgehäudes, soviel davon ausgeführt oder uns in alten Baurissen be-
kannt ist, von der höchsten Wichtigkeit. Aehnlich, wie ich annehmen
möchte, dass der ursprüngliche Plan entstanden sei, hat sich das Gebäude
selbst, in gewissen, voneinander verschiedenen Stadien der Baufühning,
entw^'ckelt. Die Formen des Gebäudes sprechen es aus, dass ein jeder
Haupttheil desselben eine erhöhte Entfaltung oder eine erneute Umbildung
der ursprünglichen Anlage ausmacht. Der Kölner Dom ist nicht die Er-
findung eines einzelnen Meisters; er ist — viel entschiedener, als man
dergleichen sonst wohl von den Werken der Menschen zu sagen pflegt —
das Erzeugniss der Zeit und des Volkes, denen er angehört und denen
dafür vorzugsweise die Ehre und der Ruhm gebührt. Ich muss es aber
noch einmal ausdrücklich bemerken, dass der Dom keinesweges, wie so
häufig die kirchlichen Gebäude des Mittelalters, als ein Aggregat verschie-
denartiger und durch den Zufall zusammengewürfelter Stücke betrachtet
werden darf: er besteht allerdings aus verschiedenartigen Theilen, aber
dieselben sind dennoch nur die Ausflüsse eines gemeinsamen Grundgesetzes,
der Dom ist dennoch ein Ganzes, wie die Baugeschichte schon in diesem
Bezüge kein zweites Beispiel darbietet. —
Betrachten wir nunmehr den Dom näher, und zwar nach den Theilen
und Entwickelungsstadien, wie sich dieselben, dem verschiedenartigen
Charakter der Formen gemäss, voneinander sondern.
Dem ursprünglichen Entwürfe gehört zunächst der Grundplan des
ganzen Gebäudes an. Schon diesen haben wir als das Werk der tiefsin-
nigsten Meisterschaft zu preisen. Allerdwf|s zwar ist derselbe, wie be-
merkt, nach bereits vorhandenen Mustern, nach den Plänen der franzö-
sisch-gothischen Kathedralen, entworfen, ebenso wie die letzteren durch
die allmählige Weiterbildung älterer Grundrissformen entstanden sind. Die
Elemente waren gegeben; aber während sie in jenen Yorbildern mehr oder
weniger ohne den rechten Zusammenhang, ohne das gegenseitig sich be-
stimmende Verhältniss, ohne das Gesetz einer vollkommen abschliessenden
Entwickelung nebeneinander stehen, erscheinen sie hier auf die folgerich-
tigste Weise zu einem unvergleichlich harmonischen Ganzen verschmolzen.
Der Kranz der Kapellen, welche den Chor umgeben,! hatte bei den fran-
zösischen Kathedralen häufig eine fünfschifflge Einrichtung des Chores zur
Folge gehabt; im Vorderschiff aber hatte man an der einfacheren drei-
schiffigen Anordnung festgehalten, so dass die beiden Haupttheile des Ge-
bäudes wesentlich voneinander abwichen und der hintere als ein, für das
Ganze zu massenhafter Auswuchs erschienen war i). Im Grundriss des
Kölner Doms aber sind durch die Einführung der fünf Schiffe auch in der
vorderen Hälfte des Gebäudes, und durch die Art und AVeise, wie dies
eingerichtet worden, jene üebelstände aufs Vollkommenste beseitigt und
die Theile zu einem Ganzen verbunden, welches durchaus als Ein Guss
erscheint. Sodann sind jene Choriiapellen selbst bei den französischen
Kathedralen theils noch aus der Masse nicht genügend gelöst, theils treten
ffr
Notre-Dame von Paris ist zwar bereits in der Gesammtanlage füufschiffig-;
doch sind in dem Plan dieser Kirche im Uebrigen so abweichende Motive, dass
dtTselbe liier nicht in Betrachtung kommen kann.
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 137
sie vereinzelt, minder wirkmigsreich aus der Masse hervor. Im Kölner
Dome hat eine jede von ihnen ebenso ihre selbständige Ausbildung, wie
sie im innigsten Zusammenhang miteinander stehen und zugleich das Ganze
des Planes in einem vollständig harmonischen Akkord ausklingen lassen.
Ebenso stehen hier alle übrigen räumlichen Verhältnisse im schönsten
Gleichniaasse zueinander, namentlich was die gewichtig grossartige und
doch nicht überwiegende Ausbreitung des Querschiffes, und was die Aus-
dehnung der mittleren Schiffe zu den Seitengängen anbetrifft'. Mit Einem
Worte: der Grundplan des Kölner Domes tritt uns,-nach mehr oder we-
niger unvollendeten Vorbildern, entschieden als das gediegenste Meister-
werk seiner Art entgegen. Ihm zunächst haben wir die hohe Bedeutsam-
keit dieses Gebäudes, durch alle Stadien des Baues hin, zu verdanken.—
Nur die Anlage der Thürrae schliesst sich dem Uebrigen nicht in voll-
kommen durchgreifender Kongruenz an; aber ihr Bau ist auch bereits
später. Zwar ergiebt sich aus den Gesetzen des Grundplanes, dass die
allgemeine Einrichtung der Thürme ursprünglich schon auf ähnliche Weise
festgesetzt sein musste; sie hatten aber in ihrem ursprünglichen Entwurf
ohne Zweifel einfachere Formen, und es ist wenigstens möglich, dass hie-
bei ihre Anlage mit den übrigen Theilen noch unmittelbarer überein-
stimmte. Hierüber weiter unten das Nähere.
Der Grundriss enthält aber nur das allgemeine Gesetz der Anlage.
Als wirklich ausgeführt nach den Formen des ursprünglichen Entwurfes
ist die untere Hälfte des Chores bis zu derjenigen Höhe, in welcher
das Mittelschiff desselben über^die niedrigeren Nebenräume emporzusteigen
beginnt, zu nennen. Auch hier zunächst^ erscheinen die allgemeineren
räumlichen Bestimmungen, die der Höhe des Inneren zur Breite, und die
Art und Weise, wie diese Maassbestimmungen sich den Linien der Detail-
formen gemäss entwickeln, in vorzüglich ausgezeichneter Schönheit. Es
waltet hier ein Gesetz, welches erhabene Ruhe und stetige aufwärts stei-
gende Bewegung aufs Glücklichste vereint; besonders wirksam für solchen
Eindruck ist die vortrefflich empfundene, ebenso leicht wie bestimmt em-
porsteigende Linie des Spitzbogens im Gewölbe. — In der Bildung der
Detailformen kündigt sich das Gesetz einer höher organischen Entwicke-
lung an, als solche bis dahin in den französischen Kathedralen gefunden
wird. Es zeigt sich hier eine sinnvolle Beobachtung derjenigen Bestre-
bungen, durch welche sich die deutsch- gothische Architektur von vorn-
lierein in ihrer selbständigen Bedeutung kundgegeben hatte; diese Bestre-
bungen sind weiter gefördert, doch sind sie noch nicht zu ihrem Abschlüsse
gebracht. Ein vollständig durchgehender Organismus ist in den Formen
noch nicht erreicht, und dies ist der Punktin welchem das unmittelbar
nahe Verhältniss zu denjenigen deutsch-gothischen Bauten, welche im
zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts gegründet wurden, nament-
lich etwa zu der Elisabethkirche von Marburg, recht anschaulich und
überzeugend hervortritt. Der bei Weitem wichtigste Fortschritt in der
Formenbilduhg besteht in der Gliederung der Gewölbebögen, welche hier
zum ersten Mal die vollkommen reine und klare Entwickelung des Prin-
cips der gothischen Gewölbeformation erkennen lässt; hierauf ist sehr ent-
schiedener Nachdruck zu legen, da unter allen Einzelformen der gothischen
Architektur die des Gewölbebogens, in welchem sich die sämmtlichen ar-
chitektonischen Kräfte zu einem gemeinsamen Ausdrucke vereinigen müssen,
j-
Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
138
die vorzüglichst charakteristischen sind ')• Die übrigen Einzelheiten an
den in Rede stehenden Bautheilen erscheinen noch mehr oder weniger
streng und selbst befangen, noch nicht zum vollkommenen Bewusstsein
dessen, was in ihnen ausgedrückt werden soll, durchgebildet. Die Pfeiler
haben die angemessene Grundform der Säule: aber die kleineren Halbsäu-
len, die an ihnen als die Träger der Gewölbebögen hervortreten, lösen
sich noch nicht durchweg mit leicht geschwungenem Uebergange aus der
Masse; sie legen sich zumeist noch vereinzelt an diese an ^j. Dies bezeugt
sogar die technische Ausführung, indem augenscheinlich, zum Theil we-
nigstens, der Kern der Pfeiler isolirt für sich aufgeführt ist und jene Halb-
Säulen ihm erst nachher angeheftet sind; und doch ist das Basament der
Pfeiler durchweg als ein Ganzes bereits auf die Aufnahme der Halbsäulen
berechnet, so dass man keinesweges, etwa durch diese naive Technik ver-
leitet, annehmen darf, es sei ursprünglich die Absicht gewesen, die Pfeiler
ganz ohne solche Halbsäalen hinzustellen. Die Gliederungen des Basa-
rnents, die Kapitälzierden der Pfeiler erscheinen ebenfalls noch herb, die
letzteren noch etwas flach. So ist auch die FensterrArchitektur, obgleich
ebenfalls um einen Schritt weiter entwickelt als die der Marburger Kirche,
gleichwohl noch nicht zu vollständigem Ebenmaasse ausgebildet. Die Um-
fassung der Fenster ist breit und, im Aeusseren, durch einen noch schwe-
ren ornamentirten Bogen überwölbt; das Stabwerk hat zwar bereits schlanke
Formen, aber es fügt sich noch nicht völlig in derjenigen elastischen Span-
nung ineinander, welche den vorzüglichsten Reiz der rein ausgebildeten
und noch nicht entarteten Fenster-Architektur des gothischen Styles aus-
macht. Die nach aussen hinaustretenden Strebepfeiler endlich sind noch
höchst massiv, ganz jenen Felsenlasten vergleichbar, aus denen die Strebe-
pfeiler an der Elisabethkirche von Marburg, vornehmlich an der Fagade
derselben, bestehen.
Wir sehen nach alledem in dem ersten Entwürfe die allgemeinen räum-
lichen Verhältnisse durchweg aufs Glücklichste bestimmt, für die Einzel-
formen ein edleres Gesetz der Durchbildung zu Grunde gelegt, dasselbe
aber noch nicht durchgeführt, und namentlich das Aeussere noch in schwe-
rer Form erscheinend. Dies Letztere wirkt indess für das Uebrige des
Baues insofern nicht entschieden ungünstig, als der untere Theil desselben
den Träger eines reichen und vielgestaltigen Obertheilfs ausmacht und in
solcher Eigenschaft kräftiger und massenhafter als jener gehalten sein muss,
wenn dafür auch schon ein minder schwerer Kraftaufwand genügt hätte.
Einem zweiten Stadium des Baues gehört der obere Theil des
Mittelschiffes im Chore an. Die abweichende Form der Fenster be-
zeugt es, dass schon hier eine Umgestaltung des ursprünglichen Entwurfs
vorgenommen ist. Diese Abweichungen sind nicht, wie man ohne nähere
Untersuchung vielleicht annehmen möchte, der Art, dass sie nur durch die
verschiedene Bestimmung der Oberfenster von den Unterfenstern bedingt
wären, dass man jene vielleicht absichtlich und von Hause aus, um sie an
ihrer erhabneren Stellung auszuzeichnen, reicher und leichter habe gestal-
ten wollen, als diese. Es ist im Gegentheil in der Architektur der oberen
Fenster ein ungleich mehr durchgebildetes Princip wirksam, als in der der
untern; 'alle Befangenheit, die in der letzteren noch bemerklich war, ist
Vergl. die Profile der Gewölbgiirte, Fig. 3 u. 4, auf der anliegenden Taf. 1.
!ü
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«) Verg]. die Pfeilerprolile, Fig. 1. u. 2, auf der anl. Taf. I.
mätt
-ocr page 138-6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 139
hier verschwunden; die Entwickelung der Formen gestaltet sich in der
reinsten Elasticität und Harmonie, so dass uns hier — zugleich mit Rück-
sicht auf die nicht minder vollendeten Giebel, welche die Fenster krönen,
— das edelste Beispiel gothischer Fensterarchitektur entgegentritt ')• Der
I nterschied der äusseren Lage bewirkt es nur, dass die Abweichungen
keine disharmonische Störung in das Ganze bringen; ja, es glebt fast eine
gewisse natürliche Befriedigung, wenn das Auge, indem es von den untern
zu den obern Fenstern emporsteigt, nicht bloss von strengeren zu milde-
ren Formen, sondern zugleich auch von einem minder, entwickelten zu
einem höher ausgebildeten Organismus übergeht. Bei der später erfolgten
"Vollendung des äusseren Seitenschiffes auf der Nordseite, im vorderen
Räume der Kirche, hat man die Fenster, welche doch mit den Unterfen-
stern des Chores in gleicher Linie stehen, nach dem Gesetz der Oberfen-
ster des letzteren gestaltet. — Ob das Mittelschiff des Chores schon ur-
sprünglich auf die bedeutende Höhe berechnet war, welche dasselbe gegen-
wärtig hat, dürfte sehr schwer zu entscheiden sein.. Gegenwärtig erscheint
seine Höhe für den Eindruck des Innern allerdings fast übertrieben; es
ist aber zu bemerken, dass die perspektivische Wirkung des Innern bei
der Vollendung des ganzen Domes nothwendig eine ganz andere sein
muss, als jetzt bei der verhältnissmässig nur geringen Länge des Chores.
Das dritte Stadium des Baues, wiederum eine Umbildung des in dem
ursprünglichen Entwürfe Gegebeneu, vergegenwärtigt sich uns in jenem rei-
chen Systeme von Strebethürmen und Bögen, welche sich über
den Seitenräumen des Chores erheben und gegen das eben besprochene
erhöhte Mittelschiff desselben hinüber geschlagen sind. Ein System solcher
Art gehört überhaupt zu den eigenthümlichsten und sinnvollsten Gestaltun-
gen der gothischen Architektur. Der Druck der Gewölbe in den Seiten-
schiffen fand in den an diesen hinaustretenden Strebepfeilern- sein Wider-
lager; für die Gewölbe des erhöhten Mittelschiffes waren aber keine Strebe-
pfeiler von genügender Stärke anwendbar, und man ersetzte dieselben,
indem man jenen Gewölbdruck durch kühn gesprengte Strebebögen auf
die Strebepfeiler der Seitenschiffe hinaus leitete, welche letzteren hiebei
thurniartig erhöht wurden. Bei fünfschiffigen Kirchen mussten zu demsel-
ben Zwecke, falls die Strebebögen nicht übermässig lang gespannt werden
sollten, auch über denjenigen Pfeilern des Jnnern, deren Reihe das äussere
und das innere Seitenschiff sondert, Thürmchen emporsteigen, so dass die
Bögen sich verdoppelten; und da eine solche Anordnung an sich zu breit
gewesen wäre, so mussten die Strebethürme, um mit den übrigen Bauver-
hältnissen in Harmonie zu treten, noch höher emporgeführt und statt der
zwei Bögen zwischen ihnen und der Wand des Mittelschiffes deren je vier
angeordnet werden. Auf diese Weise ist das genannte System am Chore
des Kölner Domes beschaffen; zugleich ist dasselbe im Einzelnen (wenig-
stens an (^er Südseite) aufs Reichste und Glänzendste durchgebildet, so
dass hierin wesentlich der höchst brillante Eindruck des Aeusseren, ja fast
am meisten der weitverbreitete Ruhm des Gebäudes begründet ist. Es ist
„der heilige Wald, in dessen Schatten das Gotteshaus ruht;" es sind „die
') Zwischen den Fenstern des Oberbaues treten ;— nach der ursprünglichen
Anlage und nicht völlig congruirend mit dem System der Strebebögen ^vergl. das
Folgende) — Pfeilerecken, die mit leichten Thürmchen bekrönt sind, als Stre-
ben hervor.
Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
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tausend Arme, welche der Dom, wie in der Feier des Gebetes, zum Him-
mel emporstreckt." — Walirscheini ich war der Dom bereits ursprünglich
auf eine Anlage ähnlicher Art berechnet, was schon au sich die gewaltige
Colossalität der unteren Strebepfeiler erkennen lässt; ohne allen Zweifel
hatte diese Anlage ursprünglich aber in ungleich einfacheren Formen aus-
geführt werden sollen. Es sind äussere und innere Gründe vorhanden, aus
denen es hervorgeht, dass dies System in der Art, wie es zur Ausführung
gekommen, weder bei dem-Bau der unteren Theile des Chores, noch bei
dem Bau.seines Oberschiffes beabsichtigt war. Für's Erste ist zu bemerken,
dass sich an den Strebepfeilern der Seitenschiffe noch durchaus keine An-
deutung der reichen Gliederung, welcl^ bereits am Fusse der über ihnen
ruhenden Strebethürme beginnt, keine Vorbereitung auf eine solche, wie
sie doch im ganzen Princip des gothischen Baustyles liegt, findet. Sodann
sind die Strebethürme in ihrer Masse zwar schwächer als die Pfeiler, über
denen sie emporsteigen, an ihren Seiten aber (kreuzförmig im Grundrisse)
mit Ausladungen versehen, wodurch sie dennoch eine grössere Gesammt-
breite erhalten, und zwar in solchem Maasse, dass sie sogar auf nicht un-
erhebliche Weise über die Bögen der Fenster der Seitenschiffe hinaustre-
ten. Dies ist in der That ein Mangel an Congruenz, welcher nicht als das
Ergebniss eines einzelnen und mit vollkommener Gesetzlichkeit durchge-
bildeten Planes betrachtet werden kann. Auch die Strebethürme, die sich
über den Pfeilern zwischen den Seitenschiffen erheben, sind stärker als
diese Pfeiler und ruhen zum Theil auf den Bögen des Gewölbes; doch
wird dies natürlich durch das Auge des Betrachtenden nicht wahrgenom-
men. Zugleich beschränkt die grosse Breitenausdehnung der Strebethürme
die Ansicht der Oberfenster, so dass man bei der mässigsteu Entfernung von
dem Gebäude keines derselben (mit Ausnahme der Fenster am Chorschluss)
vollständig übersehen kann. Endlich ist es höchst auffallend, dass die in-
neren Strebebögen mit der Wand des Oberschiffes ursprünglich nicht in
Verband standen; sie waren erst später eingefugt; ja es hat sogar, um sie
anbringen zu können. Manches von der Struktur und von den Zierden jener
Oberwände auf willkürliche Weise müssen abgeschnitten werden. Bei sol-
chem Verfahren kann man hier nicht an eine ähnlich naive Bauführung
denken, wie bei jenen Pfeilern des Innern, denen die Halbsäulenf obgleich
ursprünglich beabsichtigt, doch erst später angefügt sjnd; es hiesse bei
einem Gebäude, das im üebrigen so höchst meisterlich ausgeführt ist, einen
allzu grossen Mangel an Ueberlegung von Seiten der leitenden Behörde
voraussetzen. (An der östlichen Oberwand des Querschiffes, die zum Theil
emporge.führt ist, erscheinen allerdings die in Verband stehenden Ansätze
der Strebebögen; aber dies ist wiederum auch ein späterer Theil des
Baues.) — Was nunmehr die besondere Ausbildung der Strebethürme an-
betrifft, so sehen wir hier auf's Neue einen sehr erheblichen Fortschritt
in der Entwickelung des gothischen Styles. Früher hatte man .sie nur als
schwere Mauermassen, etwa mit einer einfachen Bedachung versehen, em-
porgeführt; dann hatte man sie, ohne jedoch das Princip der Masse eigent-
lich aufzugeben, an ihrer Vorderseite mit einem mehr oder weniger ge-
schmückten Tabernakelbau ausgestattet. In dieser Art sind vornehmlich
die Strebethürme der französischen Kathedralen behandelt. Hier dagegen
erscheint an diesen Bautheilen zum ersten Mal eine wahrhaft selbständige
architektonische Entwickelung. Sie sondern und gliedern sich in einzelne
Theile, die von dem gemeinsamen Stamme als kleinere Vorsprünge, Stre-
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 141
ben und Thürmchen sich ablösen und so, in stetig aufwärts steigender
ISewegung, bis zur obersten Spitze sich emporgipfeln. Es ist jenes Prin-
cip, welches auch das Aeussere des gothischen Bauwerkes zu einem Be-
wegten, organisch Belebten macht, welches aber erst zur Erscheinung kom-
men konnte, nachdem der Organismus des Innern — der hierin auf die
Oberfläche, auf das Aeussere des Gebäudes sich fortsetzt — durchgebildet
und in seiner eigenthiimlichen Bedeutung zum Bewusstsein gekommen war.
So reiches Formenspiel aber die Einführung dieses Systemes an den in
Rede stehenden Strebethürmen auch hervorgebracht hat, so erkennt man
dennoch, dass es sich auch hier wiederum um ein noch in der Entwicke-
lung begriffenes Princip, um ein solches, welches den Höhenpunkt gesetz-
lich harmonischer Durchbildung noch nicht vollständig erreicht hat, han-
delt. In der Anordnung des Nischenwerkes, welches die Dekoration der
Strebethürme und ihrer Einzeitheile ausmacht, klingt noch Etwas von jener
grösseren Schwere, von jenem, dem Gesetze einer aufsteigenden Bewegung
nicht günstigen Parallelismus nach, welcher der gesammten äusseren Deko-
ration französisch gothischer Gebäude, namentlich ihrer Fa^aden, zu Grunde
zu liegen pflegt. Allerdings bezeugt die Art und Weise, wie diese Deko-
ration au den Strebethürmen des Kölner Domehores angewandt ist, einen
Fortschritt, der bereits weit über der Entwickelungsstufe der französischen
Architektur steht; aber erst an den Thürmen der Westseite erscheint das
Priucip auf dem Gipfel seiner Vollendung. Eine genaue Yergleichung
zwischen beiden Bautheilen führt von selbst zu einem solchen Resultat.
Auch das muss als ein Zeugniss noch nicht vollständig gereifter Entwicke-
Uing angeführt werden, dass am Chorschluss, zwischen den Kapellen, welche
den Chor umgeben-, die äusseren und die inneren Strebethürme unmittel-
bar neben einander rücken, so dass sie eine zusammenhängende, und zwar
eine überaus kolossale Masse bilden, dass dennoch aber ein jeder Theil
sein eigenthümliches, durch die ursprünglich isolirte Stellung bedingtes
System der Gliederung und Dekoration behält, und dass die Formen kei-
nesweges in einen innerlichen, sich gegenseitig bedingenden Zusammen-
hang treten. — Die reichere Entfaltung der eben besprochenen Formen
findet übrigens nur an der Südseite des Chores statt. Leider jedoch sind
sie zum grösseren Theil verdorben oder auf eine sehr schwerfällige Weise
erneut worden, indem der Beginn der Restauration des Chores gerade an
dieser Seite erfolgte und die frühere Leitung derselben, wie rühmlich auch
im technischen Bezüge, doch von dem, was die Hauptsache war, von der
ästhetischen Bedeutung des Wiederherzustellenden, keine Ahnung gehabt
zu haben scheint. Erst wo die Thätigkeit des jetzigen Dombaumeisters,
Herrn Zwirner, eintritt, da erscheinen auch die Formen auf's Neue ganz
in ihrer eigenthümlichen Schönheit und Bedeutsamkeit, wie denn über-
haupt Alles, was unter Zwirner's Leitung gefertigt ist, das geistvollste Ein-
gehen auf die Absichten der alten Meister verräth. Mit dem Beginn der
Chorrundung ist das System der Strebethürme und Bögen, schon in der
ursprünglichen Ausführung, fortschreitend einfacher behandelt worden; die
frei emporsteigenden Theile, das reicher ausfüllende Zierwerk verschwin-
den mehr und mehr, bis die auf der Nordseite belegenen Theile das ganze
Princip der architektonischen Entwickelung nur noch in den einfachsten,
unbedingt nöthigen Grundformen erkennen lassen. Diese einfacheren Theile
sind, wie sich aus der ganzen technischen Behandlung ergiebt, später aus-
geführt, als jene reicher durchgebildeten; es scheint, dass der Wunsch, den
U2
Rheiiireise, 1841. Erster Abschnitt.
Chor möglichst rasch und mit möglichst geringen Kosten zu vollenden, die
Vereinfachung herbeigeführt hat.
So giebt uns das Aeussere des Chores bereits das Bild einer dreifachen
Entfaltung des gothischen Styles. Aber ich habe bereits bemerkt, dass
das Verhältniss der Oberfenster zu den Unterfenstern keinen disharmoni-
schen Eindruck hervorbringt; ich muss dasselbe von dem Verhältniss der
Strebethilrme zu den Strebepfeilern, auf denen sie ruhen, sagen. Zwar
fehlt hiebei eine eigentliche Entvsrickelung der oberen reichen Formen aus
der unteren Masse der Strebepfeiler; doch bleibt auch dies insofern minder
auffällig, als der gesamrnte Untertheil des Chores fast nur wie ein Unter-
bau erscheint, der dazu bestimmt ist, jene reich ausgebreitete Fülle auf-
wärts strebender Formen zu tragen. Es liegt hierin ein ganz eigenthöm-
licher phantastischer Reiz, der überwältigend auf das Gemüth des Beschauers
wirkt. Dennoch aber muss ich es bemerken, dass es schwer, ja fast un-
möglich wird, bei der Betrachtung dieser Formenfälle, die sich nothwendig
dem Auge im mannigfaltigsten Wechsel durcheinander schiebt, zu einer
reinen Empfindung der Grundformen, der eigentlich bestimmenden'archi-
tektonischen Gesetze zu gelangen. Jenes Aussenwerk an Strebethürmen
und Bögen, dessen Dasein allerdings vollkommen gerechtfertigt ist, erscheint
zu reich, zu anspruchvoll; es beeinträchtigt den eigentlichen Oberbau des
Chores (sein erhöhtes Mittelschiff), der doch der Körper des ganzen Ober-
theiles ist, durch den erst die bunte Dekoration, die um ihn her aufsteigt,
ihre Bedeutung, den Zweck ihres Daseins empfängt. Wir sehen hierin
wiederum recht deutlich, wie in den Strebethürmen und Bögen ein neues
architektonisches Gesetz auftritt, wie aber die Kräfte, die durch das letztere
in's Leben eingeführt werden. noch übersprudeln, noch des strengeren
Maasses, der weiseren Zügelung entbehren. Ich bin auf's Entschiedenste
überzeugt, — die Behandlung des Thurmbaues auf der Westseite bürgt
dafür — dass man im Fortschritte des Baues, bei der Aufführung der
Strebethürme und Bögen am Vorderschiff des Domes dies strengere Maass
würde gefunden, dass man sie, wenn gewiss auch noch inniger durchge-
bildet, doch zugleich auf einfachere, mehr übersichtliche Verhältnisse würde
zurückgeführt haben. Uns aber steht jetzt die Vollendung des Vorder-
schiffes bevor: es könnte in der That kein schöneres Zeugniss für das
innigste und wahrhafteste Verständniss dessen, was diie alten Meister uns
hinterlassen, geben, als wenn man hier auf eine Vereinfachung solcher Art
Bedacht nähme. Sage man nicht, es sei unsere Pflicht, in der Weise, wie
die alten Meister begonnen, fortzufahren, oder vielmehr die Formen, die
wir in den vollendeten Theilen des Domes erblicken, ohne Anspruch auf
eigene Erfindung nachzuahmen; wie jene Meister fort und fort an dem Baue
gebildet, die Principien des Styles immer klarer und edler entfaltet haben,
in derselben Weise müssen auch wir das Werk beginnen, wenn wir uns
ihnen ebenbürtig an die Seite stellen, wenn wir überhaupt den Anspruch
machen wollen, als Vollender des Werkes zu gelten. Und sage man nicht,
jene Zeit liege uns zu fern, als dass wir es hoffen könnten, gleich den
alten Meistern uns in die innerlichsten Principien des Styles hineinzuleben
und aus diesen heraus zu einer gültigen selbstschöpferischen Wirksamkeit
TM gelangen. Der jetzige Meister des Dombaues hat solchen Einwurf durch
die That bereits genügend widerlegt. Nicht bloss am Dome hat er das
umfassendste Verständniss des Styles kundgegeben; auch an einem selb-
ständigen Bau, der Kirche von Apollinarisberg, die zwar zu Folge äusserer
V S'
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üäiä
-ocr page 142-6. Der Dom von Köln und seine Architektur. 143
Bestimmungen eine wesentlich abweichende Disposition erhalten musste,
hat er die gothischen Formen in so gesetzlicher, so rein vollendeter Schön-
heit zur Erscheinung zu bringen gewusst, dass die einzelnen Theile dieses
Gebäudes den Vergleich mit den edelsten gothischen Monumenten des deut-
schen Mittelalters nicht zu scheuen haben. Beiläufig mag auch noch be-
merkt werden, dass eine Vereinfachung des Systems der Strebepfeiler und
Bögen, — freilich in dem Sinne, wie ich mir dieselbe denke, und nicht
etwa in der roheren Art, wie sie an der Nordseite des Chores bereits er-
scheint, — immerhin auch Einiges zur Verringerung der Kosten der Aus-
führung beitragen könnte.
Mit den Theilen, die als die zuletzt ausgeführten des Chores erschei-
nen, sind wir nunmehr bis zum Jahre 1322, in welches wir die Vollendung
desselben setzen dürfen, gekommen. In welchen Jahren, vor dieser Epoche,
die zwei ersten Umbildungen des ursprünglichen Planes statt gefunden,
lässt sich nicht näher bezeichnen. Eben so wenig, wann die beiden späte-
ren Umbildungen, welche die Vorderschiire und die Thürme betreffen, vor-
genommen sind. Doch stehen diese beide, wie es scheint, dem Jahre 1322
sehr nah; es ist selbst nicht unmöglich, dass der Plan für die Vorderschiffe
noch vor der Vollendung des Chores umgearbeitet, auch seine Ausführung
bereits begonnen wurde.
Bei den Vorderschiffen konnte die Umarbeitung des ursprüngli-
chen Entwurfes natürlich nur die Behandlung der Einzelformen betreffen,
da eine Abweichung von der zu Grunde gelegten' allgemeinen Anordnung,
zumal von der ursprünglichen, höchst vollendeten räumlichen Disposition,
zur herbsten Entstellung des Ganzen geführt haben würde. Da sie aber
zumeist nur bis zum Ansatz der Gewölbe der Seitenschiffe emporgeführt
j sind, so kommt hier, vorzugsweise nur die Bildung der Pfeiler in Betracht,
i Die Pfeiler des Mittelschiffes, die stärkeren Pfeiler, sind hier wesentlich
verschieden gebildet von den schwächeren, welche die inneren und die
äusseren Seitenschiffe von einander trennen. Jene befolgen das Princip der
Pfeiler im Chore, aber sie zeigen dasselbe in seiner edelsten Läuterung
und Vollendung. Es liegt auch bei ihnen noch, als Hauptform, die Form
der Säule zu Grunde; aber die Halbsäulen, mit denen diese besetzt ist,
; lehnen nicht mehr äusserlich an, vielmehr entwickeln sie sich mit selbstän-
diger Bewegung aus dem cylindrischen Kerne, so dass die Pfeilermasse als
ein Ganzes voll Leben und Organismus erscheint. Doch ist diese Bewegung
keinesweges, wie sonst wohl bei den deutschen Gebäuden aus der Blüthe-
zeit des gothischen Styles, bis zu dem Grade gesteigert, dass die Grund-
I form sich völlig auflöst und solcher Gestalt die Bedeutung des Ganzen
I wiederum verringert wird •). Die Bildung; der Pfeiler zwischen den Seiten-
I schiffen beruht bereits auf der Grundform des eigentlichen eckigen Pfeilers;
« aber in der Art und Weise, wie die stärkeren Halbsäulen hier an den
I Seitenfläciien vortreten, und wie die schwächer-en an den Ecken, zwischen
tiefgeschwungenen Einkehlungen, angeordnet sind, zeigt sich auch hier
I noch eine höchst lebenvolle Gliederung. Es ist hierin nur ein etwas ge-
I ringerer Grad von Energie, der gerade für die Stellung und die Bedeufung
dieser Pfeiler vollkommen angemessen scheint und einen wirkiingsreichen
Kontrast gegen jene stärkeren, kräftiger gestalteten Pfeiler bildet, welche
nicht bloss die Wölbungen, sondern auch die Wände des Mittelschiffes zu
') Vergl. das Pfeilerprofll, Fig. 1, auf der anliegenden Taf. II.
■ -.ii
-ocr page 143-Rheinr^ise, 1841. "Erster Abschnitt.
tragen bestimmt sind - Die Basaraente der in Rede stehenden Pfeiler
sind durchweg in volleren und weicheren Formen, die Blätter ihrer Ka-
pitale kräftiger hervorquellend gebildet, als Alles dies an den Chorpfeilern
gefunden wird, — So bemerkt man auch an den Fenstern die Anlage einer
volleren und kräftiger wirksamen Gliederung als an den ünterfenstern des
Chores."
So deutet bei den Vorderschiffen Alles daraufhin, dass das Gefühl
für den Organismus der inneren Bauformen sich nunmehr zum vollständig
klaren Bewusstsein entfaltet hatte und dass man die Schönheit, die in dem
Ganzen, in den allgemeineren Maassen und Verhältnissen begründet war,
auch bis in die geringsten Einzelheiten hinab zu entwickeln vermochte.
Ueber das Aeussere lässt sich nur sagen, dass man an den Seitehschiiyen
jene massigen Strebepfeiler, wie sie bereits für den Chor zur Ausführung
pkommen waren, beizubehalten für gut fand, mit sehr richtigem Takt,
indöm eine leichtere, mehr gegliederte Behandlung derselben die Harmonie
des Ganzen auf empfindliche "Weise gestört haben würde.
Das äussere Seitenschiff auf der Nordseite ist in der letzten Periode
des Dombaues vollendet worden. Die Architektur der Fenster ist hier,
wie bereits bemerkt, ganz in der schönen Weise ausgeführt, für welche die
Fenster am Oberbau des Chores das Vorbild gaben. Die Gurtungen des
Gewölbes scheinen aber bereits eine etwas breite und schwere Bildung zu
haben 2). Besonders zu bemerken ist es, dass derjenige Strebepfeiler, der
sich am Ende dieses Seitenschiffes dem kaum erst begonnenen nördlichen
Thurme anschliesst, abweichend von den übrigen mit einer bunten Deko-
ration, in geschweiften und gewundenen Formen, wie dergleichen im An-
fange des sechzehnten Jahrhunderts gefunden werden, versehen ist. Dieser
Strebepfeiler ist am ganzen Dome das einzige Beispiel von willkürlicher
Behandlungsweise eines Einzeltheiles und zugleich von entarteter Formen-
bildung. Und dennoch ist die letztere wenigstens im Ganzen so-gefügt,
dass man auch hierin noch die reinen Principien der Schule nachklin-
gen fühlt.
Wie an den Vorderschiffen uns der Organismus des Inneren in seiner
vollendeten Gestalt entgegentritt, so endlich der des Aeusseren an der
Architektur der Westseite und an den beiden Thürmen, welche
dieselbe schmücken. Wir haben über diesen Theil des Domes ein voll-
ständiges Urtheil, indem die Anordnung des Ganzen uiis in den alten, sehr
ausführlichen Baurissen (die bekanntlich, von Moller im Facsimile heraus-
gegeben sind) vorliegt, für die Behandlung des architektonischen Details
und für die Wirkung desselben aber derjenige Theil der Westseite, der
zur Ausführung gekommen, die umfassendsten Beispiel^ giebt.
Dass wir auch hier nicht ein Stück des ursprünglichen Entwurfes vor
uns haben, dass somit jene merkwürdigen alten Baurisse nicht etwa von
der Hand des Meister Gei'hard (oder wie man sonst den Urheber des ersten
Planes für den Dombaii nennen will) herrühren, dass sie vielmehr die
letzte und zugleich die bedeutsamste Um- und Ausbildung des letzteren
ausmachen, dies wird für den, welcher dem bisherigen Gange meiner Un-
tersuchungen gefolgt ist, nichts Befremdliches mehr haben. Doch sind
auch hier die besonderen Merkmale, auf denen meiiie Annahme beruht,
144
Ii
M .1
1) Vergl, das Pfeilerprofll, Fig. 2, auf der anliegenden Tafi II. — Vergl.
die Profile der Gewölbgurte, Fig. 3 und d, auf der anl. Taf II.
6. Der Dom von Köln iiud Beine Architektur. 145
anzuführen. So muss es fürs Erste als ein entscheidender Umstand her-
vorgehoben werden, dass die Strebepfeiler des Thurrabaues wesentlich
anders behandelt sind, als die der gesammten übrigen Theile des Dom-
gebäudes; während die letzteren durchaus massenhaft und ohne alle Glie-
derung erscheinen, so entwickelt sich bei jenen schon vom Fusse an ein
lebhaft bewegter Organismus, der in stetigem Fortschritt bis zum letzten
obersten Gipfelpunkte der Thürme emporsteigt. Man könnte sagen, es sei
dies eben ursprüngliche Absicht j man habe von vornherein das Bedürfniss
empfunden, den gesammten Thurmbau reicher zu gestalten, um dadurch
der Schauseite des Gebäudes die nöthige Auszeichnung zugeben, und man
sei dazu gewissermaassen gezwungen gewesen, weil der schon ursprünglich
gesetzliche reichere Schmuck der Portale auch für die umgebenden Bau-
theile eine Anordnung ähnlicher Art bedingen müsse. Wir können dies
im Allgemeinen wohl zugeben; wir müssen aber ebenso bestimmt voraus-
setzen, dass man hiebei dennoch, wie überall bei den reicher dekorirten
Bauten frühgothischen Styls, das massenhaft strenge Gründprincip werde
beibehalten und den Schmuck als solchen mehr nur an gewissen Eitfzel-
theilen zur Anwendung gebracht haben. Und da auch an den Vorder-
schifl'en die alte Form der Strebepfeiler beibehalten ist, so zeigt dies zu-
gleich , dass auch ihr Entveurf älter sein muss, als der zu dem Thurmbau.
Denn hätte man auf der einen Seite bereits die reichere Gliederung des
letzteren, auf der andern nur die strenge Massenhaftigkeit der Streben am
Chore vor sich gehabt, so würde man hier unbedenklich, um einen Ueber-
gang von dem Einen zu dem Andern zu bilden, nach einer mittleren Stufe
der architektonischen Dekoration gestrebt haben; während gegenwärtig der
letzte Strebepfeiler des Vorderschiffes in seiner kahlen Strenge sich ganz
unvermittelt dem vielgestaltigen Wechsel der Formen am Thurmbau an-
reiht. — Nicht minder wichtig ist der Vergleich des letzteren mit der
architektonischen Ausbildung der Strebethürme am Chor. Denn während
diese, wie bereits oben bemerkt, allerdings die entschiedene Absicht einer
reichen architektonischen Gliederung zeigen, während sie aber noch nicht
im Stande sind, hiebei die ursprüngliche Schwere völlig zu Überwinden,
und in der aufwärts strebenden Bewegung noch manche.Stockung erkennen
lassen, so erscheint dasselbe Princip am Thurmbau, am Ganzen wie an
allen, auch den geringsten Einzelheiten, zur vollkommensten Lebendig-
keit, zur allerlautersten Harmonie durchgebildet. Es hiesse alle Gesetze
der Entwickelung des menschlichen Geistes geradezu auf den Kopf stellen,
wollte man sagen, man habe es für gut befunden, gleichzeitig, je nach den
verschiedenen Bautheilen verschiedene Principien solcher Art aufzustellen
und, nachdem man hier bereits das Vollendetere gefunden, dennoch dort
an dem minder Organischen festzuhalten oder dazu zurückzukehren. —
Endlich ist zu bemerken, dass sich überhaupt die Anlage der Thürme
dem übrigen Bau nicht vollkommen congruent anschliesst. Namentlich
decken ihre östlichen, in der Flucht der äusseren Kirchenmauern hinaus-
tretenden Streben die dort befindlichen Fenster zur Hälfte zu. Es hat
zwar überall in der gothischen Architektur die Verbindung dieser Strebe-
pfeiler des Thurmbaues mit den Kirchenmauern besondre Schwierigkeiten;
doch würden dieselben in einem Plane, der ganz als Ein Guss erschiene,
gewiss minder auffällig geblieben sein, als hier, wo eine ältere Einrich-
tung, die nicht mehr verläugnet werden konnte, vorlag und wo eine neue
hinzutrat, die nicht minder ihr selbständiges Recht forderte.
Kugler, Kleine Schriflen. II. 10
■
M
146 . liheirireise, 1841. Erster Abschnitt.
Höchst interessant und höclist belehrend für die Entwickelungsge-
schichte der gothischen Architektur würde es sein, wenn uns der Entwurf
zu den Thürmen nach den ursprünglichen Plänen des Domes erhalten wäre.
Dies ist aber nicht der Fall, und so können wir die Einrichtung desselben
nur vermuthungsweise näher bestimmen. Indess scheint mir das vollkom-
men sicher, dass die Thürme schon ursprünglich auf dieselbe Ausdehnung
der Grundfläche berechnet waren, welche ihnen gegenwärtig eingeräumt ist,
dass sie nämlich auf jeder Seite die Breite der beiden Seitenschiffe ein-
nahmen. Sie mussten, für die Vorderansicht, nothwendig die geringere
Höhe der letzteren, im Verhältniss zum Mittelschiff decken; und wollte
man diese Nothwendigkeit nicht zugeben, so würde doch jede andre Ein-
richtung der Thürme, etwa wenn man die letzteren nur vor die äusseren
Seitenschiffe setzen und ihnen die geringe Breite von diesen geben wollte,
die Harmonie des Ganzen schon an sich allzu empfindlich aufgehoben
haben. Durch das gegebene Grundmaass und durch die gegebene Höhe
des Mittelschiffes', welches sich in dem Zwischenbau zwischen den beiden
Thürmen fortsetzen musste, war zugleich aber auch ein Massen- und Hö-
henverhältniss bedingt, welches von dem des vorhandenen Baurisses nicht
auffallend abweichen konnte; und hieraus ergiebt sich, dass der letztere in
der That als die Umbildung — und zwar als die erhöhte Durchbildung —
eines älteren Entwurfes zu betrachten ist. — Die Art und Weise, wie
ursprünglich die Anlage und die Ausführung des Thurmbaues beabsichtigt
worden, können wir uns vielleicht nicht mit Unrecht als dem Thurmbau
der Elisabethkirche zu Marburg ähnlich vorstellen. Diese Kirche ist, wie
bereits oben bemerkt, im Jahr 1235 gegründet und 1283 vollendet worden.
Der Plan, nach welchem sie ausgeführt ist, erscheint wesentlich als ein in
sich abgeschlossenes Ganzes; doch auch in ihr bemerkt man, wenigstens in
der Ausbildung des Details, Verschiedenheiten, die wiederum die verschie-
denen Stadien der Bauführung charakterisiren. Die östlichen Theile ihres
Inneren haben strengere, die westlichen mehr entwickelte Detailbildungen,
so dass diese als die jüngeren erscheinen. Ihre zumeist gen Westen be'
legenen Theile, die Thürme, sind somit gewiss erst um ein Namhaftes
später als 1235, vielleicht etwa gleichzeitig mit der Gründung des Kölner
Domes oder noch später, begonnen. Ja, man erkennt selbst an ihrem
Aufbau mehrfache und verschiedenartige Modifikationen der ursprünglichen
Anlage; man sieht es auch hier aufs Deutlichste, d,ass es erst in Folge
mehrfacher Versuche möglich wurde, in den Thürmen jenes schlanke und
leichte Emporsteigen zum Ausdrucke zu bringen, wodurch sie sich von
allen älteren Bauten der Art, namentlich von den Thürmen der französi-
schen Kathedralen, bereits so vortheilhaft unterscheiden und die eigen-
thümliche Ausbildung des deutsch - gothischen , Thurmbaues vorbereiten.
Und doch ist hier nur erst das Allgemeine der Wirkung erreicht; doch ist
das Princip an sich noch keinesweges zu einer gesetzlichen Fntwickelung
gediehen, erscheint alles Einzelne noch herb und streng, zum Theil sogar,
im Widerspruch gegen den Gesammtcharakter, noch übermässig lastend.
Der ursprüngliche Entwurf zu dem Thurmbau des Kölner Domes muss,
.zufolge der Disposition des Grundplanes, von Hause aus reicher, in einer
mehrfachen Theilung der Masse, angelegt gewesen sein; eine höher ent-
wickelte Ausbildung anzunehmen, haben wir jedoch keinen Grund.
Man hat es als einen Mangel an der Fa^ade des Kölner Domes, wie
dieselbe nunmehr in jenen vorhandenen Baurissen erscheint und wie,sie
rl-i
147
6. Der Dom von Köln und seine Architektur.
^
theilweise zur Ausführung gekommen, bezeichnet, dass die Thürme im
Verhältnlss zu dem Zwischenbau eine so gar überwiegende Breite einneh-
men und dass sie aus diesem Grunde (der Theilung der Seitenschille analog)
in den beiden Untergeschossen durch Strebepfeiler und Verdoppelung der
Fenster getheilt sind, während diese Theilung im dritten Geschoss auf-
hört. Man stellt einer solchen Anordnung als die klarere und glücklichere
diejenige gegenüber, welche sich an den vorzüglichsten französischen Ka-
thedralen findet, wo der charakteristisch vorherrschende Mittel- oder Zwi-
schenbau der Fa^ade von den Thürraen auf eine leichtere, minder an-
spruchvolle Weise eingeschlossen werde. Gewiss ist das edle Maass, wel-
ches sich hierin wenigstens bei einigen französischen Fa^aden, namentlich
bei der der Kathedrale von Rheims, ausspricht, rühmlichst anzuerkennen;
doch scheint es mir, dass man bei solcher Ansicht die eigenthümliche Be-
deutung der Facade des Kölner Domes, die wiederum ungleich höhere Stufe
der Entwickelung, welche er auch hierin einnimmt, gänzlich verkenne.
So mächtig und energisch wirksam das System der am Kölner Thurmbati
vortretenden Strebepfeiler ist, so gestaltet sich derselbe dennoch zu einem
ungleich inniger zusammenhängenden Ganzen; man darf hier eigentlich
gar nicht mehr von einem Zwischenbau und von Thürmen, die ihn ein-
schlicssen, sprechen. Die Thürme, obgleich vollständigst in den unteren
Geschossen vorbereitet, erhalten doch erst eine selbständige Bedeutung
da, wo sie über dem Dache des Mittelschiffes isolirt emporsteigen: das
Ganze ist nun eine einzige, wenn auch reich gegliederte Facade, aus Avel-
cher sich erst nach oben hin zwei grossartige Thürme, die in der Faijade
entwickelten architektonischen Kräfte zum Abschlüsse zu bringen, erheben.
Als der Haupttheil der Facade erscheint für solche Auffassung allerdings
der Mittelbau, dem sich zur Linken und znr Rechten je zwei beträchtlich
schmalere Seitentheile anreihen. Der Mittelbau hat unterwärts, wie ge-
wöhnlich, das Hauptportal; die beiden Nebenportale in den zunächst an-
grenzenden Seitentheilen verbinden die letzteren aufs Innigste mit dem
Mittelbau und wirken wesentlich für den Zusammenhang der Masse mit
Der Mittelbau hat ferner, über dem Portal, das durch seine Dimensionen
und durch reiche Gliederung ausgezeichnete Hauptfenster, welches gleich-
wohl aufs F>ntschiedenste dem allgemein durchgehenden Formengesetze
folgt; es bildet gewissermaassen den glänzendsten Brennpunkt dieses Ge-
setzes, somit den wahren Mittelpunkt eines in sich zusammenhängenden
Ganzen, während das grosse Rundfenster in der Fa(jade französischer Ka-
thedralen ausser Zusammenhang mit dem Uebrigen steht, nur in sich allein
seine Gültigkeit hat und nur in der grösseren oder geringeren Zusammen-
hanglosigkeit des Ganzen seine Berechtigung findet. In vielfach geglieder-
') Die harmonische Einrichtung des Ganzen bedingte es, dass ein jedes der
beiden Seitenportale gewissermaassen in eine Fensterarchitektur eingesetzt wer-
den musste, so dass auf jeder Seite über der Bogenwölbung, die mit ihrem be-
sondern Giebel gekrönt wird, nochmals Hogen und Giebel erscheinen. Eine
andere passliche Einrichtung ist hier schwerlich zu ersinnen, doch bleibt die
Tautologie der Formen an sich unschön. Für das höchst komplizirte Verhältniss
der gdthischen Architektur ist aber dieser Mangel in der That nicht grösser, als
etwa für das höchst einfache System der griechisch-dorischen Architektur der
Mangel an üebereinstimmung zwischen der Stellung der'Eck-Triglyphe und der
Ecksäule, der auf dieselbe Weise durch die höhere Harmonie des Ganzen be-
dingt ist.
148 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
ter, aber ungetheilter Kraft, in gleichmässiger Bewegung und Entwicke-
]ung steigt die Fa^ade bis zur Höhe des Mittelschilfes, dessen Giebel den
Mittelbau krönt, empor. Von hier ab beginnt, wie bemerkt, die Theilung
der Masse in den Thürmen. Die reichere Anordnung der Seitentheile,
welche in den Untergeschossen beobachtet war, vereinfacht sich, und zwar
in einer Art, dass die vermittelnden Uebergänge sich höchst klar darlegen,
und die Thürme erhalten nunmehr erst ihren selbständig gültigen Unterbau.
Dann folgt jenes leichte, luftige, achtseitige Obergeschoss der Thürme,
welches keine andre, als nur die deutsch-gothische Architektur kennt und
ohne welches eine eigentliche Vollendung des gothischen Thurmbaues doch
geradehin unmöglich ist; und über diesem endlich schiesst die schlanke
achtseitige Pyramide, mit dem reizvollen Spiel all des durchbrochenen
Sprossenwerkes, welches die Räume zwischen ihren Rippen ausfüllt, in
die Lüfte empor.
Die Gesammtkomposition des Thurmbaues, die schon an sich einzig
in ihrer Art erscheint, erhält indess ihre volle Bedeutsamkeit erst durch
die Durchbildung des Einzelnen, durch die Art und Weise, wie sich mit
den grossen und entschieden vorherrschenden Hauptformen eine leicht ge-
gliederte Dekoration als ein innerlich Nothwendiges, als der eigentliche
Ausdruck vollkommenster Belebung, verbindet. Wie die einzelnen Theile
schlank und strahlenartig emporsteigen; wie sie, je nach ihrer stärkeren
oder schwächeren Ausladung, freier und höher oder mehr der Mauer an-
geschmiegt von der Masse sich ablösen; wie jedes, auch das geringste Stück
auf vollkommen organische Weise (im Gegensatz gegen die Willkürlich-
keit einer lediglich dekorirenden Form) entwickelt ist und doch im innigsten
Zusammenhange mit den übrigen Einzelheiten und mit dem Ganzen steht;
wie das letztere, ruhig und unaufhaltsam emporsteigend, durch den reiz-
vollsten musikalischen Rhythmus erfüllt wird, — alles dies ist auf eine fast
unbegreiflich meisterhafte Weise durchgeführt. Hier ist durchaus nicht
mehr von massenhaften Grundformen, auf denen ein reiches Detail nur
etwa aufgelegt sei, die Rede, wie dergleichen bei französisch- oder fran-
zösirend-gothischer Arqhitektur erscheint; die Masse ist im Gegentheil von
innen heraus flüssig geworden; alles Einzelne quillt mit unüberwindlicher
Kraft, und doch wiederum einem gemeinsamen Gesetze folgend, aus der
Masse hervor. Keine der vorhandenen Abbildungen, sejlbst nicht das grosse,
sonst doch so verdienstliche Boisseröe'sche Prachtwerk, gibt von dieser
innerlichen Lebensfülle der Formen und von der höchst wunderbaren Har-
monie, die gerade durch sie in der malerischen Wirkung des Gebäudes, in
dem Eindruck desselben auf das Auge des Beschauers, hervorgebracht
wird, einen genügenden Begriif. Dies kann man nur in eigner Anschauung
des zur Ausführung Gekommenen beurtheilen. Mir aber scheint jenes
Bruchstück des Kölner Thurmbaues dasjenige Werk zu sein, welches auf
dem Höhepunkte alles dessen steht, was bisher durch die Architektur ist
geleistet worden. Bei so ganz ausgezeichneter Bedeutsamkeit des Thurm-
baues darf man gewiss auf die verhältnissmässig doch nur geringen Inkon-
gruenzen, die sich in seiner Verbindung mit dem übrigen Kirchengebäude
zeigen, kein zu grosses Gewicht legen.
Eins indess muss ich hiebei noch bemerken. Während das Aeussere
der gothischen Architektur in dem Thurmbau des Kölner Domes seine er-
denklich höchste Entfaltung findet, so beginnt gleichzeitig der Sinn für
das Innere bereits, ob auch erst in leisester Andeutung, schwächer zu wer-
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6. Der D^m von Köln und seine Architektur. 148
den. Dies zeigt sich vornehmlich im Innern der Thurmhallen, in dem
Yerhältniss der Formen der Gewölbebögen zu den Formen ihrer Träger,
oder vielmehr darin, dass die ursprünglich nothwendige Verschiedenheit
dieser Formen bereits zum grossen Theil aufgehoben ist. Während in der
Gliederung der Pfeiler ursprünglich der Grundsatz feststeht, sie als Säulen-
bündel zu gestalten, so läuft hier zumeist die Gliederung des Bogens ohne
Unterbrechung an ihnen nieder. Allerdings erhält eine solche Anordnung
hier insofern ihre Rechtfertigung, als die kolossalen Pfeiler im Innern des
Tliurmbaues nothwendig den Charakter einzelner Organismen verlieren
müssen; sie erscheinen mehr als Mauermassen und die Oeffnungen zwischen
ihnen gestalten sich mehr (Jen Fensteröffnungen analog, bei denen eine
ähnliche Weise der Gliederung zu Grunde gelegt werden muss. Dennoch
scheint es mir, dass man die letztere hier minder umfassend würde zur
Anwendung gebracht haben, wäre der Sinn für den Organismus des Innern
noch in seiner vollen Stärke vorhanden gewesen; wenigstens geht die Cha-
rakterlosigkeit'der Formen des Innern, die im Verlauf der Zeit immer mehr
zunimmt, zunächst gerade von demselben Princip aus. welches hier bereits,
ob auch nicht ganz ohne Grund, zur Erscheinung kommt
So darf dieser Umstand wohl als ein neuer Beleg für die verhältniss-
mässig späte Zeit, in welcher der vorhandene Entw^urf des Thurmbaues
gefertigt wurde, gelten. Wir werden nicht erheblich irren, wenn wir den-
selben etwa in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts setzen, d. h. etwa
um ein Jahrhundert später, als der Grundstein zu dem Dome selbst gelegt
wurde. Diese Zeitbestimmung ist für die ganze Geschichte der Entwicke-
lung der gothischen Architektur, die nur erst nach ihren allgemeinsten Be-
stimmungen festgestellt ist und in der noch so viele willkürliche Annah-
men Gültigkeit haben, nicht unwichtig. Es stellt sich z. B. hiedurch erst
das historische Verhältniss der Fagade des Kölner Domes zu der des Strass-
burger Münsters, welche im Jahre 1277 durch Erwin von Stieinbach ge-
gründet wurde, als ein eigentlich naturgemässes dar; es ist wenigstens nicht
mehr so gar befremdlich, dass Meister Erwin im Wesentlichen noch ganz
das System der französisch-gothischen Fa§ade befolgte und dasselbe nur
zu einer Anmuth entfaltete, die freilich schon an sich über Allem steht,
was durch französische Architekten selbst geleistet worden ist. Trotz die-
ser zierlichen Ausbildung ist es fast undenkbar, dass ein so viel höherer
Organismus, wie es der des Kölner Thurmbaues ist, auf Erwin nicht sollte
irgend einen Einfluss ausgeübt haben, wäre derselbe damals in der That
bereits zur Erscheinung gekommen.
Der Dom von Köln ist nicht die Erfindung eines einzelnen Meisters,
der etwa in einsamer Höhe über den Wünschen und über den Strebungen
seiner Zeit dastand; nicht ein wunderbares Meteor, das uns mit Staunen
erfüllt, das aber, weil es abweicht von dem natürlichen Gange der Dinge,
uns fremd bleibt und unser Inneres unberührt lässt. Er ist das Werk einer
Schale, einer Reihe von Geschlechtern, die, ihre Gedanken mit stets er-
Uiebei ist auch der grossen Sakristei zu gedenken, welche der Nordseite
des Kölner Domes, östlich vom Querschiff, angebaut ist. Es ist eine eigen-
thüralich interessante Architektur und ebenfalls noch aus guter gothischer Zeit:
ei" quadratischer Raum, mit einem Pfeiler in der Mitte, welcher die Gnrte der
Kreuzgewölbe trägt. Die letzteren laufen an ihm nieder, haben gleichwohl aber
noch ihre selbständigen Blätterkapitäle. • <
Rheinreise, 1841. Erster Absclinitt.
neuter Kraft dem einen grossen Plane zuwendend, die Bedeutsamkeit des-
selben immer Idarer, immer freier, in stets mehr geläuterter Schönheit zu
entwickeln vermochten. Wir sehen den Bau, wie mit ieiner inneren Noth-
wendigkeit, in verhältnissmässig schlichten Anfängen beginnen ;" wir kön-
nen der Ausbildung dieses Gedankens Schritt^Vor Schritt nachfolgen; er
bleibt uns auch da verständlicli, wo er in 'der reichsten Entfaltung aller
Kräfte wie ein tausendstimmiger Hymnus von der Erde zum Himmel em-
porsteigt. Ueberaus merkwürdig ist es freilich, wie diese Schule Jahrhun-
derte hindurch an dem einen Grundplane und an den in ihm gegebenen
Bestimmungen festzuhalten wusste, wie es nur das eine Grundgesetz ist,
das sie unausgesetzt, auch bei den Aeusserungen der regsten und leben-
digsten Kraft, befolgte; wie der Willkür des Einzelnen, die so oft die
schönsten Erscheinungen der Geschichte verdirbt, hiebei kein Raum gege-
ben war. Hierin aber liegt doch nichts Fremdartiges für uns; es ist eben
das Zeugniss einer Höhe der allgemeinen geistigen Bildung, eines die Masse
durchdringenden'Ernstes der Gesinnung, welches wir, wie schwer es-aucli
für jene, so oft verkannten Zeiten in die Wagschale falle, doch mit innig-
ster Hingebung zu verehren vermögen. Und in dieser Gemeinsamkeit der
Bestrebungen beruht es, dass der Dom, trotz der verschiedenartigen Weise
in der Ausbildung des Einzelnen, dennoch als ein grossartiges Ganzes er-
scheint und dass der hier und da bemerkte Mangel au organischem Zusam-
menhange zu geringfügig ist, als dass er diesen Eindruck des Ganzen we-
sentlich stören könnte.
Und jene Schule, die so fest an dem Begriff des Ganzen festzuhalten
wusste, während sie die volksthümlichste aller Künste zu ihrer höchsten
Entwickelung führte, was war sie? welche Bedeutung hat sie für unsere
Betrachtung? — Sie war das künstlerische Organ des Volkes; sie war es,
die den Formensinn des Yolkes, dem sie angehörte, die die Art und Weise,
wie das Volk sein Gefühl für das Unendliche, wie es die Erhebung seines
Gemüthes von den Banden der Erde, seine Gottesverohrung in sichtbarer,
fassbarer, wirkungsreicher Form ausgedrückt wissen wollte, zur Erscheinung
brachte. Die Reihe der Meister, die den Kölner Dom gebaut, bezeichnet
nur die Stimmführer des deutschen Volkes. Der Kölner Dom ist, im
vollsten Sinne des Wortes, ein Nationalwerk, ein Werk des deutschen
Volkes. — .
Wer die Rechte unserer Nachbarn jenseit der Ardennen zu vertreten
gewillt ist, mag hier vielleicht in Erinnerung bringen, dass es mit der
nationalen Bedeutsamkeit des Kölner Domes doch eine etwas bedenkliche
Sache zu sein scheine. Das System des Kölner Domes sei ja, wie es auch
in den vorstehenden Betrachtungen mehrfach bemerkt ist, ursprünglich in
Frankreich zu Hause und erst von dort aus zu uns gelangt. Dies ist aller-
dings ganz richtig, insofern in Frankreich — wie es wenigstens alle Wahr-
scheinlichkeit hat — zuerst diejenigen, bis dahin beziehungslosen oder nur
ganz willkürlich verbundenen Formen, welche die Grundlage des gothischen
Baustyles ausmachen, zu einem sich gegenseitig bedingenden Ganzen zu-
sammengefügt wurden. Der Ursprung des gothischen Baustyles gehört so-
mit ohne Zweifel Frankreich aii, und die ursprüngliche Erfindung dessel-
ben, wenn man sie so nennen will, ist ein Ruhm, der den Franzosen, ohne
den Vorwurf blinder Parteilichkeit und Nationaleitelkeit, auf keine Weise
geschmälert werden darf. Bei ihnen tritt zuerst diejenige Bauweise auf,
in welcher die geistige Richtuug des gösammten Zeitalters ihren angemes-
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6. Der D^m von Köln und seine Architektur. 151
seilen Ausdruck fand. Die Franzosen, die schon im frühen Mittelalter als
die „nacli neuen Dingen begierigen" bezeichnet werden, scheinen überhaupt
im europäischen Staatsleben dazu bestimmt, sich der erwachenden Zeitrich-
tungen, soweit es auf äusserlich Hinstellbares ankommt, zuerst zu bemäch-
tigen und ihnen ein bestimmtes, angemessenes Gepräge zu geben; dio Ge-
schichte weist dafür, bis in die jüngste Gegenwart herab, wenigstens hin-
länglich zahlreiche Beispiele auf. , Von einem geistigen Eigenthum aber,
zumal bei Gegenständen, deren wesentlichste Bedeutung nicht durch die
individuelle Eigenthümlichkeit des einzelnen Menschen oder des einzelnen
Volkes bedingt ist, sondern auf einer allgemeinen Zeitrichtung beruht, kann
nur so lange die Rede seinals die erste Auflassung und Gestaltung, in
welcher allein das Erzeugniss des ersten Urhebers besteht, beibehalten
wird. Nicht dass der Male^D^vid den ersten Konsul der französischen
Republik über die Alpen reitend malte, sondern wie er ihn malte, wie er
in Haltung und Geberde des Mannes die grossartigste historische Symbolik
zur Erscheinung zu bringen wusste, ^dies ist es, was sein geistiges Eigen-
thum an dem Bilde ausmacht. So wenig man sagen kann, dass die Ideen,
die seit einem halben Jahrhundert die Welt bewegen und zu deren Er-
wcckung und Gestaltung die französische Revolution aufs Wesentlichste
wirksam gewesen ist, ausschliesslich den Franzos'en angehören, eben so
wenig kann man es von der gothischen Architektur sagen. Sie fanden
zuerst, wie es scheint, die neue Kombination der architektonischen Formen;
aber das blosse Formular, das todte Schema ist von der künstlerischen
Schöpfung noch unsäglich weit entfernt. Diese Kombination eröffnete der
damaligen allgemeinen Geistes- und Sinnesrichtung ein neues Feld: es
kam nunmehr darauf an, w^as die Franzosen selbst, was die übrigen Völ-
ker, die schnell ihrem Beispiel folgten, daraus zu schaffen wussten.
Ich habe bereits früher bemerkt, dass die französisch-gothische Archi-
tektur, bei manchen eigenthümlichen Vorzügen, doch im Wesentlichen auf
einer niedrigen Stufe der Entwickeluug stehen blieb, während man in
Deutschland von vorn herein darauf ausging, den gothischen Baustyl tiefer,
mehr seiner innerlichen Bedeutung gemäss aufzufassen, und in solcher
Richtung zu Resultaten gelangte, die von denen der französischen Bestre-
bungen in höchst charakteristischer Weise verschieden sind. Der deutsch-
gotlüsche Baustyl ist etwas wesentlich Anderes geworden, als der franzö-
sische. Dasselbe gilt auch von» der Behandlungsweise dieses Baustyles in
den übrigen Landen des europäischen Occidents; ein jedes Volk machte
ihn zum selbständigen Ausdrucke seiner nationalen Eigenthümlichkeiten;
in den Niederlanden, in England, in Italien, in der pyrenäischen Halb-
insel erscheint er in stets neuer und charakteristischer Gestalt. Hiebei ist
indess zu bemerken, dass die Bauwerke dieser Länder zwar mannigfach
interessante Erscheinungen darbieten, dass einzelne Elemente an ilinen
zwar nicht selten auf eine ansprechend schöne Weise ausgebildet sind und
einen eigenthümlichen Reiz entfalten, dass sie aber dennoch, so wenig wie
die französischen Architekturen, zu einer wahrhaften Durchdringung des
Gegenstandes, zur Herstellung eines wahrhaft organischen Ganzen, zur Ent-
wickelung einer vollendeten Schönheit nicht gelangt sind. Die Nüchtern-
heit in den niederländischen Bauten, die zum Theil nur eine willkürliche
Dekoration gestattete; das bunte Spiel mit den Einzelheiten, welches in
England den Sinn für das Ganze beschränkte; die Vermischung mit ganz
widersprechenden Elementen, welche sich an den Architekturen der süd-
152
Bheinruise, 1841. Erster Abschnitt.
liehen Länder zeigt, alles dies stand einer solchen Entwickelung allzu hem-
mend im Wege.
Die edelste und reinste Durchbildung der gothischen Architektur gehört
ausschliesslich Deutschland an. Freilich nicht in der Weise, dass alle
deutschen Gebäude dieses Styles auf dem Gipfelpunkte der künstlerischen
Vollendung ständen. Ihr Werth ist im Gegentheil hundertfach und mehr
als hundertfach abgestuft; aber das Streben nach solcher Vollendung, das
Bewusstsein der Gründe, auf denen dieselbe beruht, tritt bei ihnen, oder
wenigstens bei ihrer höchst überwiegenden Mehrzahl, überzeugend hervpr;
auf hundertfach abgestufte Weise nähern sie sich der Vollendung. Der
Dom von Köln aber steht auf der höchsten Stufe dieser Bestrebungen. —
Der Dom von Köln ist ein Werk des deutschen Volkes. Er ist das
erhabenste Denkmal deutschen Geistes, soweit das Bereich sichtbarer For-
men geht. Und er ist das erhabenste unter allen Werken der architekto-
nischen Kunst, der volksthümlichsten unter allen Künsten
7. Die öffentlichen Museen von Köln und Düsseldorf.
(Allg. Preuss. Staats-Zeitung, 1841, 9. Okt.)
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I ii
Die Kölnische Malerschule bildet eine der interessantesten Erscheinun-
gen im Bereiche der älteren deutschen Kunst, in ge^vissem Betracht die
merkwürdigste von allen; in ihr waltet eine ideale Richtung, und zwar
eine echt und eigenthümlich deutsche, vor, die von dem hausbackenen
und zumeist auch von dem phantastischen Wesen, worin man gewöhnlich
den Grundcharakter der älteren deutschen Kunst zu finden meint, aufs
Entschiedenste abweicht. Es mag genügen, hier nur an das Dombild von
Köln zu erinnern, dessen Ruhm, seit Friedrich Schlegel zuerst eine neue
Begeisterung für die alten vergessenen Schätze der Heimat hervoirgerufen,
auf keine Weise geringer geworden ist, so traurige Schicksale das wunder-
bare Werk auch unter den Händen seiner Restauratoren erlitten hat. Dies
Bild und einzelne andere, die auf den Höhepunkten der künstlerischen
Entwickelung stehen, erfreuen sich allerdings mannigfacher Theilnahme
von Seiten der Laien und Kenner; weniger bekannt ist die grosse Breiten-
Ausdehnung und die reiche organische Gliederung der Schule, die vom
Anfange des dreizehnten bis zum Beginn des sechzehnten Jahrhunderts —
und selbst bis zum Anfange des folgenden — in lebhafter Thätigkeit er-
scheint, die in den verschiedenen Fächern der Tafelmalerei, der Wand-
und Glasmalerei vielfach Bedeutendes geleistet hat, und die uns in Köln,
für die angedeutete Periode, einen der Hauptsitze einer geläuterten, wahr-
haft humanen Kultur erkennen lässt. Hier bietet sich der historischen For-
') Ich komme weiter nnten, bei Besprechung der zweiten Auflage des Bois-
seröe'schen Werkes über den Kölner Dom/, noch einmal auf dessen Architektur,
und namentlich auf die Anlage der Giebelseiten des Querschiffes zurück,
7. Die öfifeiitlicheu Museen von Köln und Düsseldorf. 153
scliung noch ein weites Feld dar, welches, bisher nur wenig angebaut, sehr
erfreuliche Resultate für die Anschauung der vaterländischen Geschichte
holfen lässt.
Köln hat das Glück gehabt, dass bis jetzt der gewiss überwiegende
Theil seiner alten Kunstschätze in den heimischen Mauern zurückgeblieben
ist, während anderwärts nur zu häufig das, was die Stapelplätze deutscher
Malerei besessen, nach allen Himmelsgegenden hin zerstreut wurde;, in
solchem Betracht bietet z. B. Nürnberg ein leider nur zu bezeichnendes
Gegenbild dar. Als ein ganz besonders günstiges Ereigniss ist es hervor-
zuheben, dass eine der umfassendsten Kunstsammlungen Kölns, diejenige,
die von Wallraf mit unerniüdlichem Eifer zusammengebracht wurde,
durch den liochherzigen Sinn ihres ehemaligen Besitzers der Stadt als öffent-
liches Eigenthum (als städtisches Museum) verblieben, ■ dass sie solcherge-
stalt vor Entführung oder Zerstreuung geschützt und dass in ihr ein Stamm
gewonnen ist, mit dem sich in Zukunft, falls das edle Beispiel ihres Grün-
ders weiteren Anklang finden sollte, noch manches Andere von den reichen
Privat-Besitztliümern Kölns vereinigen dürfte. Die "Wallraf sehe Sammlung
bildet ein Lokal-Museum, dergleichen — was eben die lokale Bedeutung
anbetrifl't — sonst nur einzelne italienische Städte aufzuweisen haben. Aus-
ser den Gemälden besitzt dasselbe auch eine namhafte Anzahl von Sculp-
turen, von Architekturstücken, von künstlerisch ausgebildeten Prachtgerä-
then u. dgl. m. •
Der grosse Umfang und die grosse Bedeutung des Wallraf'schen Mu--
seuras sind für jetzt freilich nur mehr zu ahnen als mit genauer Bestimmt-
heit anzugeben. Das Lokal, in welchem sich die Sammlung befindet, reicht
bei weitem nicht hin, um alles "Werthvolle nur einigermaassen genügend
zur Anschauung zu bringen; überhaupt will dasselbe der Würde einer
Stadt, wie Köln, nicht eben ganz angemessen erscheinen, und selbst für das
erste Bedingniss einer baulichen Sicherheit dürfte Manches zu wünschen
sein. Von den Gemälden der Sammlung ist nur ein Theil in den öff'ent-
lich zugänglichen Räumen aufgehängt; eine schier unübersehliche Menge
findet sich in Korridoren und Remisen überein andergehäuft, zum Theil den
Einflüssen des Wetters und durchweg denjenigen Beschädigungen ausgesetzt,
die nothwendig entstehen müssen, wenn man hier nur ein wenig zu räu-
men beginnt. In jenen öffentlichen Sälen sieht man allerdings eine bedeu-
tende Anzahl höchst schätzbarer Stücke; aber auch in den übrigen Räumen
dürften noch die werthvollsten Sachen verborgen sein. Bei einer nur flüch-
tigen Durchmusterung der Korridore (das übrige Lokal machte eine solche
fast unmöglich) fand ich daselbst eine namhafte Reihe von Bildern," die
für die Entwickelungsgeschichte der Kölner Schule das höchste Interesse
darbieten, so wie auch von solchen, die zu ihren anmuthigsten Blüthen ge-
zählt werden müssen. Ich nenne nur ein Beispiel: ein unzweifelhaftes
Jugendwerk des Dombildmeisters, die heilige Ursula mit ihren Gefährtin-
nen vorstellend; leider hat gerade dies Bild vielfache Beschädigungen er-
litten, aber auch so noch leuchtet die hohe ideale Schönheit desselben sieg-
reich hervor. Auf dem Hofe des Museums liegt der grössere Theil der in
vielfacher Hinsicht interessanten architektonischen Fragmente umher. Von
Gras und Kräutern überwachsen, ruhen hiej die sämmtlichen Stücke der
viel besprochenen ehemaligen Paphenpforte Cvon Wallraf als Porta Paphia
benannt); das Thor ist erst in neuerer Zeit, da es an seiner ursprünglichen
Stelle den Verkehr allzu störend hemmte, abgebrochen worden; dasselbe
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154
Rbeinreise, 1841. Erster Abschnitt.
an einer passenderen Stelle, etwa auf dem genannten Hofe, auf's Neue
aufzurichten, würde nur geringe Schwierigkeit verursachen. Jetzt ahnt
man kaum, dass diese Steine das Gepräge des edelsten römischen Kunst-
styles (des ersten Jahrhunderts nach Christi Gehurt), wie kein zweites
Römerwerk in deutschen Landen (und wie auch nicht so überaus viele
Monumente auf italienischem Boden), tragen, während man doch sonst auch
dem unbedeutendsten Denkmal aus klassischer Zeit, das sich diesseits der
Alpen findet, oft nicht genug der Ehren anzuthun weiss.
Es geschieht gegenwärtig so Manches zur Erhaltung und zur Erneuung
der Kölnischen Denkmäler, und es sind namentlich, seit der "Weiterbau
des Domes in Aussicht gestellt ist, so begeisterte Worte für ein Unterneh-
men, welches Köln des höchsten Ruhmes theilhaft machen soll, gesprochen
worden, dass es vielleicht nur der Anregung bedarf, um auch dem städti-
schen Museum einige nähere, fördernde Theilnahme zuzuwenden. Ohne
Zweifel ist es nur die unzureichende Kenntniss von dem Werthe dieser
höchst umfassenden Sammlung, wodurch die theilweise so traurige Ver-
nachlässigung derselben seither verschuldet worden. Es scheint fast über-
flüssig, noch besonders zu erwähnen, welche wichtige Fördernisse das
Museum, zweckmässig und würdig eingerichtet, dem Studium der heimi-
schen Geschichte, der wissenschaftlichen und der Kunstbildung und ganz
im Allgemeinen der edleren Gemüthsbildung zuführen müsste; wie das-
selbe unter den Glanzpunkten von europäischer Berühmthdt, welche die
Mauern Kölns einschliessen, als einer der hellsten erscheinen würde; und
wie die Sammlung auch, falls man von jenen geistigen Fördernissen ab-
sehen will, durch den vermehrten oder verlängerten Besuch der Fremden
in der Stadt, der alsbald erfolgen würde, äussere, wohl ebenfalls nicht zu
verachtende Vortheile gewähren dürfte, während in ihr gegenwärtig ein
grosses Kapital nicht bloss zinsenlos daliegt, sondern auch täglich mehr an
seinem eigenen Werthe verliert. Wie grossartig, wie würdig und erfreu-
lich erscheint solchen Einrichtungen gegenüber der vortreffliche Zustand
det Sammlungen des Städerschea Institutes zu Frankfurt a. M., dessen Ent-
stehung doch ganz in ähnlicher Weise erfolgt ist, wie die des Kölnischen
Museums!
Wenn das letztere vorzüglich geeignet ist, eine der Hauptrichtungen
der älteren deutschen Malerei zu ^yertreten, so bietet das benachbarte Düs-
seldorf eine Gelegenheit, die italienische Malerei in ihfen verschiedenen
Entwickelungsstufen kennen zu lernen, wie solche gewiss nicht zum zwei-
tenmal zu finden sein dürfte. Ich meine die grosse Sammlung der Aqua-
relle (mehr als 300 Blätter), die von Ramboux nach italienischen Wer-
ken gefertigt sind und die seit kurzer Frist eine HauptsSierde der Samm-
lungen der Düsseldorfer Akademie ausmachen. Allerdings sind dies nur
Kopien, und zwar mcistentheils, da sie vornehmlich nach grossräumigen
Wandgemälden ausgeführt sind, Kopien von beträchtlich verkleinertem
Maassstabe. Aber sie vergegenwärtigen uns die Originale in einer so höchst
meisterhaften Weise, dass sie inderThat nichts zu wünschen übrig lassen;
der Künstler hat sich überall in den Geist und Charakter seines Originales
so vollständig hineingearbeitet, er hat dasselbe durchweg so von innen her-
aus, so im Gefühle des Ganzen, so frei von aller sklavischen Aengstlich-
keit, die sonst nur zu häufig den Kopien anzidiängen pflegt, reproduzirt,
dass seine Arbeiten vielmehr den Eindruck eines selbständigen Schaffens
als den- der Nachahmung hervorbringen. Dies ist um so mehr zu bewun-
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7. Die öffentlichen Museen von Köln und Düsseldorf.
dem, als die-Aufgaben im höchsten Grade mannigfaltig waren; sie begrei-
fen sowohl*die Werke aus den ältesten, der Antike noch nahe stehenden
Zeiten der christlichen Kunst, als solche aus den Perioden des dumpfen
Verfalles im weiteren Mittelalter, aus denen des Wiedererwachens im zwölf-
ten, dreizehnten und vierzehnten, so wie der steigenden Entwickelung im
fünfzehnten Jahrhundert, aus der grossartigen Blüthen-Epoche im Anfange
des sechzehnten und endlich aus den Zeiten der Ausartung in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Der Charakter der alten Mosaiken, der
einfache Vortrag der Giottisten sind eben so treu wiedergegeben, wie die
sorgfältig zierliche Technik des Perugino, die grossartig freie Behandlung
der Buonarotti'schen Fresken, der Schiller der Tapeten Raphaels und das
leichtsinnige Verfahren der späteren Manieristen. In ihrer unmittelbaren
Zusammenstellung, in der Bequemlichkeit, mit der man hier gründlich
kritische Vergleichungen anstellen kann, bieten diese Aquarelle sogar Vor-
theile dar, welche natürlich die über ein ganzes Land und zum Theil au
die entlegensten Punkte zerstreuten Originale auf keine Weise gewähren
können.
Doch ist es auch bei dieser ganz unschätzbaren Sammlung zu bedauern,
dass es ihr zur Zeit noch an einem geeigneten Lokale' mangelt. Nur etwa
für ein Drittheil der Aquarelle hat sich bis jetzt ein öffentlich zugänglicher
Raum finden wollen. Hier sieht man dieselben auf eine allerdings sehr
zweckmässige und wohlbedachte Weise unter Glas und Rahmen und in
angemessener Ordnung aufgehängt; die übrigen werden noch in Mappen
aufbewahrt. Auch zu diesen steht allerdings der Zugang zu gewissen Stun-
den frei; doch würde natürlich die Betrachtung ungleich beiehrender, un-
gleich mehr fördernd und bildend sein, wenn man auch sie im vollkomme-
nen Ueberblick vor sich haben und die überall nöthige Vergleichung un-
behindert vornehmen könnte, ganz abgesehen davon, dass den Blättern erst
unter Glas und Rahmen eine vollkommene Erhaltung gesichert ist. Das
Vorhandensein der Sammlung macht die Beschaffung eines erweiterten
Lokales zur dringenden Pflicht, und es dürfte selbst nöthig sein, dasselbe
noch auf eine weitere Ausdehnung anzulegen, als die gegenwärtige Grösse
der Sammlung verlangt. Denn so umfassend dieselbe auch ist, so muss
man sie gleichwohl nur erst als eine Grundlage für weitere Erwerbungen
betrachten; gerade in ihrem Reichthum liegt das Bedürfniss, sie zu einem
vollständigen Abschlüsse zu bringen. Einzelne Meister, einzelne Schulen
und, Epochen sind hier sehr genügend repräsentirt, einzelne Lokale (wie
z. B.,die an Wandmalereien so reiche Kirche des heiligen Franciscus zu
Assisi) sind ziemlich vollständig ausgebeutet, während andere Elemente
der italienischen Kunst allerdings minder günstig vertreten werden. Bei
einer durchgreifend planmässigen Darstellung der italienischen Malerei in
ihren sämmtlichen Richtungen würde natürlich der Werth der Sammlung
noch im bedeutendsten Maasse erhöht werden, und man darf wohl sagen,
dass Ramboux's Talent auch berufen sei, das Begonnene zu Ende zu
führen.
Denken wir uns die beiden genannten Museen der preussischen Rhein-
I)rovinz auf eine vollkommene Weise eingerichtet, so muss natürlich der
wogen ihrer Nähe sowohl ausführbare Vergleich zwischen beiden wiederum
auf eine ganz eigene Weise belehrend wirken. Schon jetzt, wo doch nur
einzelne Theile der Sammlungen dazu eine bequeme Gelegenheit bieten,
isl dieser Vergleich im höchsten Grade interessant. Man kann nicht leicht
155
156 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
auf eine mehr überraschende und eindringliche Weise über den Unter-
schied zwischen deutschem und italienischem Wesen, schon von dem er-
sten Beginne künstlerischer Aeusserungen ab, unterrichtet werden, als
wenn man sich, voll von dem Eindruck der Kölner Kunstschätze, dem
raschen Fluge des Dampfschiffes hingiebt und dann nach wenig Stunden
vor jene getreuen Nachbildungen der Denkmale des Südens tritt; ich
möchte sagen , dass man diesen Eindruck gerade hier um so stärker em-
pfindet, als die Blüthen-Periode der Kölnischen Malerschule in manchen
Aeusserlichkeiten eine verwandte Richtung mit dem Streben der gleich-
zeitigen italienischen Kunst verräth. Dass endlich so bedeutsame Leistun-
gen der Vorzeit, wenn sie vollständig imd unbehindert dem Leben der
Gegenwart gegenübertreten werden, auch auf das heutige künstlerische
Streben einen namhaften und gewiss erhebenden Eindruck hervorbringen
müssen, scheint in der Natur der Sache zu liegen.
4
ZWEITER ABSCHNITT. NOTIZEN UND STUDIEN.
A. NOTIZEN UND STUDIEN AUF DER REISE NACH DEM RHEIN.
Martinskirclie, 1443. — Das Aeussere fast roh. Im Innern zwei-
mal 5 freistehende Pfeiler. Das Mittelschiif um Etwas und in nicht schö-
nem Verhältniss über die Seitenschifle erhöht. Die Pfeiler mit Säulenbündeln
Ii
als Trägern der Gewölbgurfe; die weichprofilirten Glieder der Schwibbögen
an ihren Seiten niederlaufend. Die Basen der Pfeiler leidlich gut und
kräftig gebildet. Die Kapitale mit umherlaufendem Blätterkranz. Im Mittel-
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158
schiff bunte Sterngewölbe. Der Chor allein
hinaustretend, dreiseitig gesclilossen. Das
Fensterstabwerk einfach spätgothisch, flach
profilirt. Der'Total-Eindruck nicht erhaben,
doch immer würdig. (Modern rosa und him-
melblau angestrichen und vergoldet.)
Stiftskirche. — Auf einer, zum Theil noch ziemlich roh romanischen
Grundlage zeigt sich hier bereits ein nicht undeutliches Streben nach dem
Uebergangsstyle; einzelne Motive deuten schon ziemlich bestimmt, trotz
jener rohen und schweren Elemente, auf die spätromanische Zeit. Doch
gilt dies zumeist nur von dem Innern, wo vielleicht die durch die neuen
Elemente erzeugte Verwirrung der Begriffe jene Rohheit veranlasst haben
mochte, während sich im Aeussern das Alte unbehindert und dabei in un-
gleich mehr ausgebildeter Eleganz entfaltet. (Beträchtlich hievon verschie-
den ist die im elegantesten Uebergangsstyle ausgeführte Vorhalle auf der
Westseite.)
Die Kirche hat ein hohes Mittelschiff, niedre Seitenschiffe, zwei vier-
eckige Thürme vor den letzteren und zwischen diesen eine Halle, ein
Querschiff und eine fünfseitig geschlossene Absis; unter Chor und Quer-
schiff eine Krypta.
Im Innern des Schiffes wechseln stärkere und schwächere Pfeiler. Jene
sind unter sich durch grössere und mit den schwächeren Pfeilern durch
kleinere Bögen (im Einschluss der grösseren) verbunden. Die Bögen sind
spitz; die grösseren stehen in sehr unschönem Verhältniss zu den (im
Halbkreise geschlossenen) Oberfenstern, indem ihr Scheitel bis zur Höhe
der Sohle der letztern emporreicht. Die beiden grossen Bögen zunächst
am Querschiff steigen jedoch minder hoch empor; der auf der Nordseite
ist sogar noch halbrund, was einen günstigeren Eindruck hervorbringt.
Die schwächeren Pfeiler sind einfach quadratisch, mit breit vortretenden
W»!!
Rheinreise, 1841, Zweiter Abschnitt.
Notizen und Studien. Ffizlar.
Halbsäulen auf jeder^Seite. (Die nach dem Mittelschiff zugewandte Säule
—j'das Ergebniss eines mangelhaft ausgebildeten Systems — trägt jedoch
nichts und»erscheint somit müssig.) Die stärkeren Pfeiler haben an ihrer
Vorder- und Hinterseite, als Gurtträger, einen vorspringenden Pilaster mit
einem Bündel von drei Halbsäulen. Dieselbe Formation haben auch sonst
die Gurtträger. Die Kapitälgesimse, in
einer tautologischen und 'in der Haupt-
masse doch rohen Profilirung, sind ziem-
lich durchgehend um die ganze Pfeiler-
masse herunigekröpft; dasselbe ist der
Fall bei den Basamenten, die eine etwas
steil attische Formation haben und mit
Eckvorsprüngen über dem unteren Pfühl
versehen sind.
Die Gewölbe sind spitzbogig, die Kreuz-
gurte im beträchtlich überhöhten Spitz-
bogen. Auch die Stirnbögen sind spitz,
doch nicht überall entschieden. Die Qüer-
gurte haben das Profil eines einfach
breiten Bandes; so auch die Kreuzgurte
im Langschiff und in den Flügeln des
Querschiffes, was sich sehr roh macht.
Der Quergurt vor der Absis hat Rund-
stäbe, die in die Ecken des Bandes eingelassen sind. Die Gurte in den
fünf Ecken des Gewölbes der Absis und die Kreuzgurte des nächsten Chor-
Ii
r./r^f
feldes haben einen vortretenden starken Rundstab; die des Mittelfeldes
im Querschiff ein roh eckiges Profil.
Das nördliche Seitenschiff ist alt (die Fenster zum Theil erneut). Das
südliche Seitenschiff ist später, breiter, reich gothisch und durch Rundsäu-
len in zwei Schiffe gesondert. Daran lehnt ein schöner, einfach gothischer
Kreuzgang. — Im Schiff der Kirche ein schönes gothisches Tabernakel, ohne
sonderliche Sculptur.
In der Krypta'sind die Theile unter den Flügeln des Querschiffes als
besondre Räume abgetrennt. Der Hauptraum schliesst, gleich dem Oberbau
des Chores, fünfseitig ab. Alles Detail ist dem des Oberbaues gleich. Der
Hauptraum hat zweimal 6 Säulen; die beiden Säulen zunächst am Altar
mit streng romanischen Blätterkapitälen, die andern mit einfachen Würfel-
kapitälen, welche kaum mit ein Paar Linien verziert sind. Die Eckvor-
sprünge an dem untern Pfühl der Basen sind zum Theil schon als voluten-
artig gerollte Blätter gebildet. Kreuzgewölbe ohne alle Gurtung. — Der
Seitenraum der Krypta unter dem südlichen Flügel des Querschiffs ist
nicht mehr vorhanden; (Umbau durch die jetzige Sakristei.) Der unter dem
nördlichen Flügel ist erhalten. Der Boden ist hier höher als im Haupt-
raum der Krypta. Zwei sehr kurze Säulen; die eine mit einem Blätter-
160
SSÜS'^.S^SJj^i«!.*.. .'WIK' ..U.III, lfmm,. . J'iü!
Rhüinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
kapital; die andre mit einem Würfelkapitäl, verziert mit Kreisen, welclie
mit den Wangenlinien des Würfels parallel laufen. '
Das Aeussere. Die beiden Thürme ziemlich einfach, mit Gesimsen,
Wandstreifen und rundbogigen Friesen; oben zwei Geschosse mit rundbo-
gigen Säulenfenstern. — Die grossen, im Halbkreisbogen überwölbten Fen-
ster (des Mittelschiffes) fein eingefasst, aber in zierlicher Profilirurig. Kund-
bogenfries; darüber ein Band aus eckig vortretenden Steinen. Zwischen
den Fenstern Lissenen, in unmittelbarer Verbindung mit dem Rundbogen-
friese. Beides sehr elegant und reich profilirt, mit Karnieseri, etwa im Style
des Bamberger Domes. So auch das QuerschilT, in dessen Giebel aber
frühgothische Fenster eingesetzt sind. — Der Chorschluss, auch im Aeus-
sern fünfeeitig, mit reichster Ausbildung derl^Profilirung. Die Fenster breit,
das Profil ihrer"Einfassung zum Theil schon in das der Wandstreifen auf
den Ecken hineingezogen. Um die Fenster der Krypta ist das Profil des
Fossgesirases umhergezogen, was sich sehr gut macht. Oben an der Absis,
unter dem Dach, rundbogige Arkaden. Die ganze Absis trägt im Aeussern
entschieden spätromanischen Charakter, ist aber gewiss nicht später als der
übrige Bau. — Der nördliche Kreuzflügel hat eine Vorlage mit kleiner
halbrunder Absis, die mit vertikalen Stäben dekorirt ist; sie trägt
Notizen und Studien.- Marburg. 161
jedoch einen modernen Oberbau (das Archiv). An der Südseite ist das
Ursprüngliche dieser Anordnung nicht mehr vorhanden.
Vor die Westseite ist später, — wie sich schon aus den Steinfugen deut-
lichst ergiebt, — eine niedjige Vorhalle im weiter entwickelten Ueber-
gangsstyl angebaut worden. Sie hat im Innern freistehende Säulenpfeiler
(von der Formation der schwächeren Pfeiler im Schiff der Kirche) und
Wandpfeiler (Pilaster mit eingelegten Ecksäulchen). Im Gewölbe sind nur
die Hauptgurte angewandt (keine Kreuzgurte);' bei breiteren Entfernungen
sind sie im Rundbogen, bei kleineren im Spitzbogen geführt. Im Orna-
ment herrscht die allerzierlichste Entfaltung des Uebergangsstyles, wie zu
Conradsburg, am Chor des Magdeburger Domes, am Querschiff des Frei-
burger Münsters. Gothische und romanische Blätterkapitäle, figürliche
Sculpturen, u. s. w. Zierlichste Ausführung. — Im Aeusseren zeigt sich
die Brillanz des Uebergangsstyles besonders auffällig; die romanischen
Elemente erinnern besonders etwa an das Querschiff des Freiburger Mün-
sters. Aber der Architekt ist durch die Elemente des schon vorhandenen
gothischen Styles wiederum beträchtlich verwirrt worden. Am Hauptportal
herrscht der brillante Rundbogen vor; an den Fenstern erscheint ein, nur
wenig ornamentirter Rundbogen in brillantem, spitzbogig romanischen^ Ein-
schluss. Darüber spitzbogige Gesimse, die schon einen vollkommen aus-
geprägten frühgothischen Charakter tragen. —
Franciscanerkirche (Protesta'ntische K.) — Ein wenig be-
deutendes spätgothisches-Gebäude. Der Chor einschiffig; als Gurtträger
gute Halbsäulen auf Consolen. Das Schiff mit einem Seitenschiffe, von
gleicher HöKe, durch zwei achteckige und einen runden schlanken Pfeiler
von jenem abgetrennt. Hier sehr rohe. Schwibbogen. Gewölbgurte im
späten Charakter.
Elisabethkirche. — Im Allgemeinen merkwürdig, wie hier das
Grundprincip des germanischen Styles mit völliger Entschiedenheit sich aus-
spricht, zugleich aber noch völlig primitiv, noch keineswegs mit sicherem
Bewusstsein in die Erscheinung tritt, und wie selbst die veralteten roma-
nischen Elemente noch eine deutlich erkennbare Nachwirkung ausüben.
Dies zunächst in der Gesammt-Anlage des Innern, namentlich
der gleich hohen und doch sehr schmalen Seitenschiffe und der Doppelreihen
der Fenster, was kein günstiges Gesammtverhältniss liervorbringt.
In der Pfeilerbildung (einschliesslich der Kapital - und Basenbil-
dung) ist das Princip der isolirten Säule noch immer vorherrschend. Die
Die Doppelreihen der Fenster, übereinander, an deren Stelle in später-
gothischea. Gebäuden eine einfache Reihe sehr hoher Fenster tritt, erklärt sich,
wie es scheint, sehr leicht. Einmal lag das Beispiel der unmittelbaren Vorgänge-
rin der Elisabethkirche — das der Liebfrauenkirche zu Trier — vor, wenn dort
auch anderweitige Gründe die Veranlassung gaben; dann gehörte ohne Zweifel
erst eine gereiftere Erfahrung dazu, um den leichten Bau so hoher Fenster, wie
sie die spätergothische Zeit an derartigen Gebäuden liebt, wagen zu Können.
Kugler, Kl. Schriflen. II. ' 11
-ocr page 161-162 Rhoinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
eigentlichen Schiffpfeiler sind in ihrer Säulen-Massigkeit noch beträchtlich
schwer; in merk-würdigem Contrast dagegen steht jedoch die durch Halb-
säulen und Einkehlungen gegliederte Bildung der vier Kreuzpfeiler und der
Gurtträger an den Wänden der Seitenschiffe. — Noch auffallender sind die
zwei höchst colossalen Rundpfeiler unter den Thürmen. (An ihrer Rück-
seite mit der Giebelmauer verbunden, schliessen sie eine hohe Halle, dem
Mittelschiff entsprechend, zwischen sich ein).
Uebrigens erscheinen nur die 2mal 2 Pfeiler des Schiffes zunächst dem
Querschiff in der strengen alterthümlichen Form; die 2mal 3 folgenden
sind mit Abweichungen versehen, die auf spätere Bauzeit deuten. So sind
bei den ersteren die Säulenfüsse noch rund um die Pfeiler herumgezogen,
während sie bei den letzteren bereits eine polygonische Form haben.
(Auch noch andre Elemente späterer 2leit.)
Aehnliches Verhältniss bei den Gurt-ungen. Die Schwibbogen und
Quergurte im Allgemeinen noch mit Uebergangsmotiven (k la Franpaise);
im Querschiff namentlich hat die mittlere Platte dieses Gurtprofiles noch
eine grössere Breite, während sie später schmaler wird. Dann sind bei
den späteren unter jenen reichen Gurtungen die vorkommenden Rundstäbe
zum Theil durch birnenförmige Stäbe ersetzt, — Die Kreuzgurte von vorn-
herein birnenförmig. Ueber den älteren Schiffpfeilern setzen sie roh, un-
mittelbar vorspringend , über der Rundplatte des Kapitäles auf (nicht in
der zierlicheren Abschrägung, wie diese bei Moller angegeben.) Bei den
späteren Schiffpfeilern aber hat die Rund-
platte, um den Kreuzgurt zu tragen, einen
besondern kleinen Vorsprung von drei-
eckiger Gestalt, sowie einen fünfeckigen
für die Quergurte.
Alle Bögen der ("sehr schmalen) Sei-
tenschiffe sind mit erhöhten Schenkeln
construirt; dabei in einzelnen Fällen
wieder manche eigenthümliche Ueber-
gangsraotive, um zu einem passenden Arrangement zu kommen.
' Die Stirnbögen an den Wänden der Seitenschiffe sind stets durch
Rundbögen, die von besonderen Säulchen getragen werden, gebildet, was
auch noch übergangsartig erscheint. — Die Fenster-Architektur ist
sehr primitiv und ebenfalls noch romanisirend. Noch ohne alles elastische
Princip. Pfeiler an den Seiten und in der Mitte; vor ihnen, nach ausseu
und innen, frei vortretende Säulchen. Auf der Fensterschräge stehend, wird
die Basis der Säulchen von einer Console getragen (somit noch kein un-
mittelbares Hervortreten aus der Schräge). In den Bögän der Fenster er-
scheint die Säule nur eben als Rundstab weiter emporgeführt. '
Die Strebepfeiler stark und in vielfachen Absätzen; noch nicht in
recht selbständiger Ausbildung. Oberwärts sind sie nicht auf Thürmchen be-
rechnet, schliessen vielmehr mit einer, von einer besonderen Console ge-
tragenen Platte ab, aus der die Regenrinne hinausführt. Dann sind sie
gegenseitig mehrfach verbunden. Zunächst durch breite, vorspringende
Bögen über den Oberfenstern (an der Stelle deö späteren Giebels), über
denen das starke Hauptgesims hinläuft. Sodann durch die Gallerie zwischen
den Fenstern, deren unteres Profil aus grossen Hohlkehlen und Rundgesim-
sen besteht. (Die iintere Fenstermauer ist nicht stärker als die obere).
Ferner durch die Gallerie unter den Unterfenstern. Das Gesims dieser
Notizen und Studien. Marburg. 163
Gallerie läuft rings um die Kirche
umher.
a. ist (las eigentliche Gesims
der Gallerie, die durch die Streben
hindurchläuft.
b. ist das Gesims, wie es sich
an den Strebepfeilern, an den Thür-
men etc. verwandelt. (Das untere
Karnies auch noch einigermaassen
im Uebergangs-Charakter.)
An dem Hauptportal zwi-
schen den Thürmen ist das Gesims
b. als äussere Umfassung des Spitz-
bogens umherg rführt. Der Spitzbogen selbst noch fast in englisch-roma-
nischem Charakter. Die Durchbildung noch nicht sonderlich organisch:
schräge Seitenmauern, an die sich die Rundsäulen nur anliehnen, doch das
Bogenprofll reich entwickelt und principmässig. Die Blättersculptur am
Portale sehr kunstreich, die Blätter in den beiden Bogenkehleu ganz frei
unterarbeitel.
Die Strebepfeiler der Thürme mächtig übereinandergepackt und in
besonders vielen Absätzen: der Ausdruck sehr ernster Kraft und Solidität,
aber noch nicht ein freies Bewusstsein über die zweckgemässe Verwendung
der Mittel. In schräger, perspektivischer Ansicht herrschen diese kolossa-
len Lasten durchaus vor; in der vollkommenen Vorderansicht entwickelt
sich dagegen das eigentlich ästhetische Princip, und zwar schon die voll-
ständige Grundlage des deutsch-germanischen Princips beim Thurmbau.
— An dem Oberbau der Thürrae scheint von dem ursprünglichen Plane
abgewichen.* Darauf deutet zunächst der plötzliche und starke Absatz
der Streben, welcher in der Mitte der Langfenster eintritt. Ob der
nördliche Thurm bis zur Balustrade älter als der südliche bis dahin,
möchte schwer zu entscheiden sein; der hier vorhandene abgeschnit-
tene Fenstergiebel bleibt räthselhaft. Der Aufsatz des nördlichien Thurmes,
im verjüngten Viereck anfangend und mit einfachen Strebethürmchen ein-
gefasst , scheint später als der Aufsatz des südlichen Thurmes , wo der
viereckige Untersatz fehlt, auch sonst das ganze Gepräge noch etwas stren-
ger ist; doch sind hier die schweren und zugleich reicher dekorirten Strebe-
thürmchen . wieder entschieden ein spätererer Zusatz. Eigenthümlich ist
beiden Thürmen die Verjüngung der Spitze hinter dem Kranz, und viel-
leicht das ganze Stück vom Kranz abwärts bis zur Balustrade ein Vorspiel
des achteckigen Zwischengeschosses bei den späteren deutschen Thürmen.
(Es zeigen sich hienach bei der Thurmanlage mehrfach wechselnde Ver-
suche, um zu einem genügend wirksamen und bedeutsamen Schlüsse zu ge-
langen.) Der bunte Giebel des Mittelschiffes ist entschieden später. ' Er
ist in einem abweichenden System und aus einer völlig verschiedenen
Steinart gearbeitet..
Höchst merkwürdig sind endlich die beiden kleinen rundbogigen
Seitenportale, die unter den Fenstern in die Kirche führen. Es ist
noch'der rein romanische Styl, obschon in seiner letzten Gestalt. Be-
sonders reich ist das auf der Südseite, den Portalen der Liebfrauenkirche
in Trier verwandt. Das Laubwerk hat übrigens nichts romanisch Conven-
tionelles mehr, doch sieht man an einem Kapitale noch Drachenfiguren
164 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt,
i2;anz nach romanischer Art. Die Anwendung rundbogiger Portale wurde
an diesen Stellen vielleicht zunächst nur durch äussere Gründe veranlasst,
da die Höhe unter den Fenstern beschränkt war. Jedenfalls aber sieht man
recht deutlich, wie man hier im J. 1235 (oder vielleicht noch später), bei
entschiedener Aufnahme des germanischen Princips, noch völlig den roma-
nischen Formen zu folgen wusste, und wie zu derselben Zeit da, wo das
germanische System noch nicht hingfedrungen war, das romanische noch
ausschliesslich befolgt werden mochte.
Bildwerke an und fn der Elisabethkirche:
Die Sculpturen des Portales — Madonna und Engel — germanisch roh.
Die Grabmonumente, besonders die älteren, sind, was die Ausbil-
dung der Sculptur betrifft, noch keineswegs sehr bedeutend. In den Ge-
sichtern noch viel Starres und Typisches. Besonders gilt dies von dem
Sarkophag des Landgrafen Conrad von Thüringen und Hessen, Hochmei-
sters des deutschen Ordens, gest. zu Kom 1243.
Der vergoldete Sarkophag der h. Elisabeth ist in seinen Figuren
und Reliefs ebenfalls nicht sonderlich künstlerisch. Einzelnes in den Ge-
wändern ist gut gelegt und gut durchgebildet. Die Köpfe ganz starr und
ohne Lcbensgefühl.
Fünf Schnitzaltäre von nicht grosser Dimension und, ohne höhere
Bedeutung. Der Styl ist wohl im Wesentlichen als ein süddeutscher zu
bezeichnen, die Behandlung malerisch spielend, die Ausführung meist
handwerksmässig starr. — Nur der eine Schrein mit; der Darstellung der
heiligen Sippschaft zeichnet sich durch gewisse grossartige Motive der
Gewandung aus.
Holzstatue der h. Elisabeth, aus der Zeit um 1520. Uebertüncht. In
der Anlage sehr zart empfunden, in der Ausführung jedoch, besonders in
den Brüchen der Gewandung, nur ziemlich leicht und handwerklich flüchtig.
Glasmalereien im Hauptchor, alt, teppichartig, das Figürliche zum
Theil roh; sehr verflickt.
# Grosser Teppich mit der Geschichte des verlornen Sohnes, aus der
Zeit um 1400. Rohe Arbeit. —
Die lutherische Pfarrkirche (Marienkirche). — Im Princip
durchaus nach der Elisabethkirche, aber beträchtlich sp^er, wohl um 1400.
Die Pfeiler niedriger und in viel brjeiteren Zwischenräumen, was sich
übrigens für das System gleich hoher Schiffe besser macht. Die Basen der
Halbsäulen polygonisch-, die Gurtungen der Gewölbe, im Detail, viel mehr
nach dem flachen Kehlenprincip. Ein Thurm vor der Westseite, in der
Mitte; sein Aeusseres mit mächtigen Streben, diese aber zum Theil mit
Blendwerk dekorirt. — Später (etwa um 1470) sind die Seitenschiffe zu
den Seiten des Thurmes vorgeführt; dabei im Inneren Mancherlei seltsam
. I
I
Notizen und Studien, Wetzlar. 165
vei-baut. — Aus dei'selbeu Zeit scheint der Chor (ohne Querschifl), dessen
Streben auf eigenthümliche Weise nach innen gelegt sind.
Die Kirche enthält verschiedene Denkmäler aus der Zeit um und
nach 1600.
Stiftskirche. (S. die beiliegende Grundrissskizze).
f
Von einem alten Bau, welcher etwa der Mitte oder der zweiten Hälfte
des Ilten Jahrhunderts angehört, steht noch der Rest der Thurm-Anlage,
im Einschluss der Mauern der erAveiterten, aber nicht vollendeten späteren
Thurm-Anlage. Der alte Thurmbau, mit halbrund vortretenden Treppen-
thürmchen auf den Seiten, ist meist sehr, roh aus Basalt gebaut, mit unter-
mischten Sandsteinquadern, aus welchen letzteren namentlich alle wichti-
geren Gesimse und das interessante Portal gefertigt sind.
Im Anfange des 13ten Jahrhunderts ist sodann ein Neubau begonnen,
und derselbe die ganze Periode des gothischen Baustyles hindurch schritt-
weise zur Ausführung gebracht, so dass die Stiftskirche ein sehr eigen-
thilmliches Compendium der gothischen Architektur bildet. Nach ihren
verschiedenen Zeiten sondern sich die Bautheile folgender Gestalt:
1. Die westliche Hälfte des Chores, c. 1220.
Unbedenklich riss man zuerst nur den alten Chor nieder und fügte
den Neubau dem stehen gebliebenen Querschiff au; man begann mit dem
Stücke,, welches sich dem letzteren zunächst anschloss. Dies ist in noch
unentwickeltem frühgermanischem Style, mit sehr bedeutenden Nachwir-
kungen des romanischen ausgeführt.
Das Innere mit hohen, nur zur oberen Hälfte offnen germanischen
Fenstern und einer eigenthümlich angelegten Gallerie unter denselben, in
der Dicke der Mauer, (Ueber das Detail der Anlage s. d, Zeichnungen.)
Das Aeussere mit heraustretenden Streben, Auch hier ein Umgang
vor den Fenstern (aber in der Höhe,der Fensteröffnung). Die spitzbogige
Umfassung der Fenster wird frei von leichfen viereckigen Pfeilern getragen.
Das Aeussere^ roher als das Innere.
Zu den Seiten des westlichen Chortheils niedre Anbauten (seitenschiff-
artig), die, wie sich aus einigen Spuren ergiebt, nicht gleichzeitig, aber
doch unmittelbar nach demselben gebaut sind. Sie scheinen ursprünglich
nicht gewölbt gewesen zu sein. (Gegenwärtig haben sie späte Kreuzge-
wölbe). Aus dem südlichen Anbau führt ein mit Säulen geschmücktes
spitzbogiges. Portal, im Uebergangsstyl, in die Kirche. Vielleicht bildeten
die Anbauten ursprünglich öffne Vorhallen.
Die Skizze des Grundrisses, nur nach dem Augenmaasse aufgenonamen,
macht keinen Anspruch auf, die Genauigkeit einer architektonischen Aufnahme,
Sie soll nur (wie überhaupt meine Skizzen) zur Erläuterung des Textes dienen.
166 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
2. Die östliche Hälfte des Chores, etwa seit 1230.
Reiner germanisch, doch immer noch mit charakteristischen Ueber-
gangsmotiven. In den germanischen Theileu der Elisabethkirche zu Mar-
burg vergleichbar.
Im Inneren besonders auffallend und auf eine Veränderung des Sy-
stemes in diesem Theile selbst deutend: der unorganische Ansatz der Gurte
des Stirnbogens über den romanisirenden Pilastern.
Im Aeusseren zu bemerken: das Consolengesims über den Fenstern
und die noch romanische Arkade in den Giebeln.
Die Seitenräume neben dem östlichen Chortheil, die Sakristei auf der
südlichen und das Archiv auf der nördlichen Seite sind späte Zufügung.
'4
iif-
¥
3. Der südliche Flügel des Querschiffes.
Hiemit beginnt für die General-Anlage das eigentlich neue System. —
Noch streng germanisch, die Strebepfeiler nach innen stehend. Lisseuen
im Aeusseren, mit eckig romanisirendem Gesims. Der Giebel durch vier-
eckige Thürme flankirt (wie zu Limburg). Im Giebel eine Art Loge, spitz-
bogige Nischen auf viereckigen Pfeilerchen, wie an dem äusseren Umgange
des westlichen Chortlieiles. Im Griinde der Nischen, von gebrochenen Bö-
gen eingerahmt, Spuren von Malerei. (Erneuung der Malerei aus der spä-
teren Zeit des löten Jahrhunderts.) — Zu bemerken die bedeutende Con-
fusion bei der Anfügung dieses südlichen Flügels des Querschiffes an die
älteren Theile. Dort in der Ecke ist noch ein kleines, völlig spätromani-
sches Thürmchen erhalten (wohl dem Beginn des Neubaues angehörig; auf
der Nordseite wenigstens die Spur eines solchen Thürmchens). Der süd-
liche Anbau des Chores öffnet sich (wie auch der nördliche) durch einen
Spitzbogen gegen das Querschiff; jenen kreuzt sodann ein grosser Rund-
bogen, der dem Neubau des Querschiffes angehört, der hier die neue Wand
trägt und den erwähnten Thurm stützt.
t
4. Das südliche Seitenschiff, nebst den Schiffpfeilern auf
dieser Seite.
Im Styl der Elisabethkirche" von Marburg, mit romanischen Reminis-
cenzen, das Seitenschiff so hoch wie das Mittelschiff.
Inneres. Die Verhältnisse glücklicher als im Mittelschiff. Rund-
pfeiler mit 4 Halbsäulen; so auch die Pfeiler im Kreuz des.Querschiffes.
Das Basament streng, um Pfeiler und Säulen rund umhergezogen. Das
Deckgesims der Kapitäle stark, das Blattwerk früh germanisch; die Kreuz-
gurte von besondern Consolchen, welche bereits unter dem Kapital vortre-
ten , getragen. Solche Consolchen auch zu den Seiten der Gurtträger an
den Wänden. Die Quergurte noch sehr romanisirend. Die Fenster mar-
burgisch gegliedert. Das Seitenschiff nach der Thurmseite durch eine rohe
Füllmauer abgeschlossen.
Im Aeusseren Lissenen zwischen den Fenstern, vor denen aber
Strebepfeiler vortreten. Ueber den Pfeilern roh viereckige Pyramiden-
thürmchen. Giebel wie am Chorschluss, doch die Arkaden in denselben
vollkommen spitzbogig. — In das südliche Seitenschiff führt ein noch
Notizen und Studien, Wetzlar. 167
romanisches Portal, nicht gar schön, mit Statuen frühgermanischen,' doch
auch nur rohen Styles.
5. Der nördliche Flügel des Querschiffes utid das erste
Fenster des nördlichen Seitenschiff es j c. 1300.
Durchaus im reinen und höchst vollendeten germanischen Styl. Die
gesammte Fensterarchitektur vorzüglich schön, aussen mit Giebeln, die mit
Rosettenwerk von edelster Bildung ausgefüllt sind. (Leider der Giebelbau
durch das Dach abgeschnitten.) — Der nördliche Pfeiler im Kreuz des
Querschiffes stärker als der südliche, mit acht Säulchen, die sich zierlich
aus der Cylinderfläche hervorlösen, dabei auch noch mit Consolchen; das
Basament polygonisch. Die Gurtgliederung einfach schön.
(An der östlichen Seite des nördlichen Kreuzflügels beabsichtigte man,
den Chor später in gleicher Weise [mit hohem Umgange] zu erneuen. Eine
rohe Füllmauer schliesst den grossen Bogen, der in den Umgang führen
sollte. "Wie man sich dabei auf der Südseite benommen haben würde,
bleibt dunkel.)
Bis hieher sind die Steine im Aeusseren des Gebäudes sehr verwittert.
Die folgenden Theile aus festeren Steinen.
6. Das nördliche Seitenschiff und die Schiffpfeiler auf
dieser Seite, c. 1360.
Die Schiffpfeiler ohne Consolchen, der dem Kreuzpfeiler zunächst ste-
hende noch mit eckigem, die ändern mit rundem Deckgesims, in flacher
und leichter Bildung. Das Blattwerk in völlig gothischem Styl. Das Basa-
ment -polygonisch. Die Gurtungen des nördlichen Seitenschiffs, sowie die
des'Mittelschiffs, auch das Profil der Fenstereinfassung mit vorherrschen-
den Kehlen. Das Aeussere schlicht.
7. Die untere Hälfte des Thurmbaues, c. 1350, oder schon 1326
(nach Chelius).
In einem eleganten, doch immer noch etwas strengen Gothisch.
8. Die obere Hälfte des Thurmbaues, lötes Jahrhundert.
vEine andre Formenweise, ziemlich einfach und streng massig, doch im
Einzelnen ein buntes, gemustert dekoratives Stabwerk, z.B. au einigen
Flächen der Streben und namentlich in der Füllung des Bogens der Fen-
sternische über dem südlichen Thurmportal.
Der südliche Thurm ist bis zum Abschluss (bis zur Galerie) des vier-
eckigen Baues vollendet. Der nördliche aber ist nur wenig über jener
ersten Anlage (No. 6) fortgesetzt; er ist ganz offen und es sind nur die
äusseren Umfassungsmauern desselben vorhanden. Doch ist nicht bloss der
südliche Thurm, sondern auch das Portal der Westseite bereits mit Sculp-
turen versehen, —
Vor dem Chore befindet sich ein Lettner, von leichten angenehm
dekorativen Verhältnissen, den bestgothischen Theilen der Kirche ver-
wandt, somit bei Vollendung des Querschiffs, c. 1300, gearbeitet. (Auf
beiden Seiten ist er durch je zwei schlechte Holz-Arkaden erweitert.) —
Zur Verdeutlichung des Vorstehenden mögen die beiliegende Grund-
rissskizze und die folgenden Detailskizzen dienen.
168 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt,
-ocr page 168-Notizen und Studien, Wetzlar. 168
169
Details des alten Thurmbaues:
Profil der hkinen Bögen des
Purlales, über der Säule.
Profil des Hauptbogens des
Portales.
Porlal des siidlichcn Seilenschiffes.
Details des Portales-am südlichen Seitenschiff;
Profil des Bogens. Y^
170 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Details im Chor, mit Bezug auf die Skizze des Längendurch-
schnittes: ,
-ocr page 170-Notizeo uud Studieu, Wetzlar. 171
Details im Chor, mit Bezug auf die Skizze des Läugeudurch-
schüittes :
Kapitälgesims am
Portal, Rückseite von
im Durcbschnilt.
Profil der Ringe, 3
Profil der Gurte der
Kreuzgewölbe, 8.
Prem der Basis der Wnnd-
sfiuleii, 7.
172 Rheinreiso, 1841. Zweiter Abschnitt.
Profil der Fenslereinfassung am Chorscliliiss
und am südl. Flügel des Querschiires.
T
t i
Dachgesims am südlichen Flügel des
Qucrschiffe», öslliche Seile,
Prüll! des Oaehgesimscs
am siidl. Flügel des
yiicr-^chilTes, lisil, Stile,
Notizen und Studien, Wetzlar. 173
Fensterprofil im nördlichen Flügel des
Ouerschiffes.
Basament der nürdlichen
SchlfTpfeiler.
Basamenl der südlichen
Schiirpfeiler.
174 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
'■r
-ocr page 174-Notizen und Studien, Wetzlar. 175
-ocr page 175-176 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
'f
'f
-ocr page 176-Notizen und Studien. Wetzlar. . 177
Bildwerke in und an der Stiftskirche:
Alter grosser Taufstein, im nördl. SeitenschiflF. Einfach mit einer
Art romanischer (hufeisenförmiger) Arkaden in sehr flachem Relief verziert.
Architektonische Sculptu-
ren im Chore; Consolen und Kapitale
an den Wandpfeilern des westlichen
Ghortheiles, in einem romanisch dü-
stern Style. Consolen: 1) ein kauernder
Mann mit zwei Drachen; 2) zwei sich
durehschlingende Drachen. — Kapitale:
1) vier Weiber mit Thieren, von denen
eine einen Drachen säugt (die vier Ele-
mente?); 2) die vier Paradiesesflüsse.
Sculpturen an dem ründbogigen
Portal der Südseite, c. 1250 (?) Sta-
tuen. In der Nische des Giebels Chri-
stus, thronend, als Weltenrichter; über
ihm 2 Engel, die ein^Spruchband hal-
ten. Zu den Seiten des Giebels Kain
und Abel mit ihren Opfergaben. Im
Felde des Rundbogens Maria mit dem
Kinde; Zu den Seiten der Thür vier
Heilige. — Der Beginn des germanischen Styles, noeh alterthümlicher, noch
mehr im Kampf mit den Byzantinismen (oder vielmehr von diesen noch
mehr Reminiscenzen) als an den Statuen des Naumburger Domes (mehr
etwa den Statuen der Liebfrauenkirche zu Trier parallel). Versuche, aus
dem conventioneilen Princip des byzantinischen Faltenwurfes sich zu er-
heben , die hier aber noch viel Schweres und Ungefüges zur Folge haben.
Das eigentlich künstlerische Interesse nur gering.
! | ||||
1 i |
1) Puppen in einem höchst bar-
barisch germanischen Style, Figuren
der Anbetung der Könige, Heilige,
Engel u. s. w.
2) Die Träger der Giebelschen-
kel, meist phantastische, sphinxartige
Figuren, grösseren Theils zerstört;
zwei erhalten, eine männliche und
eine weibliche. Diese in wunder-
würdiger Vollendung, in schönster
Naturlebendigkeit und ganz frei von
conventioneller Stylistik. Der weib-
liche Kopf namentlich höchst anmu-
thig und nobel. (Ursprünglich bemalt;
jetzt dick übertüncht.) '
Sculpturen des 14teij Jahr-
hunderts:
An dem südlichen Portal des
Thurmes. — Im Spitzbogen Christus
als Weltenrichter, zu seinen Seiten,
12
-ocr page 177-178 Rheiureise, 1841. Zweiter Abschnitt.
knieend, Maria, Johannes und zwei kleine En^el. Ausgebildet germaui-
sclier Styl, doch rohe Behandlung. — An den Thürgewänden Statuen der
vier Evangelisten oder Apostel und des h. Jacobus. Ausgebildet germa-
nisch mit trefflichen Motiven im Einzelnen, doch auch noch mannigfach
steif und befangen. Am Besten eine Madonna am Thürpfeilor. — In der
spitzbogigen Nische über der Thür: Christus als Eccehomo, Maria, Johan-
nes und ein Engel (der zweite fehlt). Etwas später germanisch, doch auch
ohne höhere Bedeutung. — In den Bögen der Thür und der Nische, sowie
in den Nischen der Strebepfeiler fehlen die Statuen.
An dem Hauptportal auf der Westseite. — Im Spitzbogenfelde: ober-
wärts die Krönung Maria, darunter die Anbetung der Könige (ein Engel
hält schwebend den Stern). Tüchtig handwerklich , ausgebildet germani-
scher Styl. — In den Bögen: die Püppchen der klugen und thörichten
Jungfrauen, sowie die Figuren von Patriarchen oder Propheten. Diese
scheinen nicht sonderlich bedeutend. — Am Thürpfeiler, unter schönem
gothischem Baldachin, eine Statue der Madonna. Höchst ausgezeichnet
germanisch; edle Fülle der Gestalt (während die andern Figuren durchweg
zu schmal); Gewandung in grossen Linien und Massen; das Gesicht voll,
von grossem Liebreiz. — In den anderweitigen Nischen fehlen auch hier
die Sculpturen.
Bunte Holzsculptur in der Kirche. — Im südl. Flügel des Quer-
schiffes, in eine Art riesigen Kleiderschrankes verschlossen, eine colossale
Madonna mit dem Christusleichnam. Die Madonna von einer allgemein
würdigen Anlage germanischen Styles, der Leichnam über die Maassen
scheusslich. — In dem nördl. Anbau des Chores, der sog. Kapelle des heil.
Grabes; ein grosses zerbrochenes Crucifix, germanisch streng stylisirt, der
abgebrochene Kopf schön. Maria und Johannes, dazugehörig; der letztere
nicht unbedeutend.
Im südl. Flügel des Querschiffes, .unter einem Tabernakel, die Statuen
eines kreuztragenden Christus und des Simon von Cyrene. Ohne künstle-
rischen "Werth, manierirt germanischer Styl.
Im Chor eine Statue der Madonna mit dem Kinde, nicht sonderlich
♦ bedeutend. C. 1500.
Im Chor ausserdem neuere Gemälde ohne sonderlichen Werth.
Darunter Jedoch ein gutes Bild, Christus am Kreuz, im Style des Yan Dyck,
— Unbedeutende Bilder auch in der Kapelle des sog. heil. Grabes.
$
r-
a 1 s m II n t,
Burg auf einem Bergkegel, westlich über Wetzlar.
Verschiedene grosse Stücke der Umfassungsmauern, roh aus Basalt. —
In der Milte der viereckige sogenannte Römerthurm, stark und solid.
Die starken Mauern nach aussen lUnd nach innen mit Quadern, dazwischen
eine Füllung von Basaltsteinen und Mörtelguss. Mehrere Fensteröffnungen,
die sich nach aussen hin meist nur schiessschartenartig gestalten. Die
Quadern im Innern glatt, die Balkenlöcher für die verschiedenen Geschosse
Notizea und Studien. Altenberg an der Lahn.
erhalten. Im obersten Geschoss der Rest eines Kamins mit 2, jetzt uiiförm-
lichen Halbsäulen auf den Seiten. Die Quadern nach aussen rustik (wie
u. A. der Thurm an dem Pallaste von Gelnhausen und Tvie auch noch an
der Coblenzer Moselbrücke aus dem 14ten Jahrhundert). — An der Süd-
westseite ist die Quaderbekleidung fast abgefallen. Das Fundament scheint
Basalt. Das Basament, zum Theil zwar sehr beschädigt, erinnert in Etwas
an römische Art und Weise. An einem grösseren Fenster, auf der Nord-
westseite, scheinen aussen die Reste einer Gliederung romanischen Styles
erhalten. — Der Kalk nicht verschieden von dem der übrigen BurgtrÜmmer.
Altenberg an der Lahn^ unfern Wetzlar,
Kirche des ehemaligenPrämonstratenser-Nonnenklosters.
Einfache Architektur einer Nonnenklosterkirche; um 1267 gebaut ').
Einschiffig, mit einem Querschiff. — Die Kreuzpfeiler zu Dreivierteln vor-
tretend, im System der Elisabethkirche von Mar-
burg; die Kapitale mit glatten Kelchen, nur die
Säulchen in den Ecken des Altarschlusses mit
Blätterkapitälen. Die Quergurte im Kreuz haben
ein bezeichnendes frühgothisches Profil (ähnlich
dem Profil der Schwibbogen zu Altenberg bei
ICöln); die übrigen Gurte haben das gewöhnliche
birnenförmige Profil.
Der grössere Theil des Langschiffe"! wird
durch den hohen Nonnenchor ausgefüllt. Drunter
eine Unterkirche, die sich als
freie Halle gegen den Altarraum
hin öffnet. (Früher reichte der
Nonnenchor noch näher an das
Querschiff und scheint von die-
sem nur durch Ein Feld des
Gewölbes getrennt gewesen zu
sein). Der Nonnenchor wird
durch eine Reihe von Pfei-
lern, die Mitte der Kirche ent-
lang, und durch Kreuzgewölbe
getragen. Die Pfeiler sind in
ihrer Grundform einfach vier-
eckig; die Quergurte der Ge-
wölbe, von einfacherKehlenform,
laufen an ihnen nieder; statt der
Krenzgurte sind nur einfache
Grate. (Dies System, für den
Profil der Pfeiler uiiler dem Nonnenchor. ersten Aüblick Spät erscheinend,
««iiUipii
179
') Vergl. Frhr, von ülmenstein , Geschichte u, topogr. Beschreibung von
Wetzlar, I. ]01.
■üi
-ocr page 179-180 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
ist ohne,,Zweifel eben nur als frühes Auftreten vereinfaditer Formen bei
einfacher Architektur zu betrachten.) Nach Westen zu ist von der Unter-
kirche die ehemalige St. Annenkapelle durch eine Mauer abgetrennt. —
Auf den Nonnenchor, wie in die ünterkirche führen
besondre Fenster. Jene sind schmal, mit sehr ein-
facher Gliederung und ohne Stabwerkj diese sind
klein, ebenfalls ohne Stabwerk, doch mit einem
Säulchen profilirt, das aber kein Kapital hat.
Bildwerke in der Kirche: —
Grabmal der h. Gertrudis, Tochter der h.
Elisabeth, Aebtissin von Altenburg und Erbauerin der Kirchs (gest. 1297).
Das Denkmal, urkundlich, vom J. 1334. In trefflicher Anlage weich ger-
manischen Styles; doch fehlt das feinere Lebensgefühl, besonders im Nackten.
Grabsteine eines Grafen und einer Gräfin Solms. Etwa gleichzeitig.
Der letztere mit denselben Vorzügen und Mängeln.
Epitaphium zur Seite des Hochaltares. Inschrift:, An?io domini
m'^ccccHix'^ ipsa die ^sixti obiit insignis generoms berphardus comes
solmtz et dns in munzeberg cuius anima requiescat in pace fimen. Der Be-
stattete ist knieend und gepanzert dargestellt, vor ihm Schild und Helm.
Nicht eben von sonderlich künstlerischer Bedeutung, doch das Gesicht
ganz leidlich individuell. Drüber, in kleinen Figuren, die , Verkündigung;
nicht bedeutend; eckiger Faltenwurf. Der Stein mit schönem gothischem
Baldachin gekrönt.
Auf dem Nonnenchor ein Altarschrein mit ungemein schöner,
durchaus rein gothischer Architektur, der Epoche um 1300 angehörig. In
der Mitte eine Nische, darin die sitzende Statue der Madonna mit dem
Kinde. Diese in sehr rein germanischem Sty] , die Gewandung würdig
und bedeutsam gelegt; doch die Körperlichkeit, besonders die Bewegung,
noch ohne eigentliches Gefühl, die Köpfe — obschon der der Madonna
fein in den Formen — noch manierirt (conventioneil). Zu den Seiten
fensterartiges Gitterwerk, hinter dem früher Reliquien befindlich gewesen
zu sein scheinen. — Flügel mit Gemälden. Auf der inneren Seite eines
Notizeu und Studien. Alteaberg au der Laim. Braunl'els. 181
jeden 4 Felder, mit Sceneu aus der Geschichte der Maria und den Figurea
des Erzengels Michael und der h. Elisabeth. Auf Goldgrund. Ganz im
Styl der Miniaturen aus der Zeit um 1300; starke Urarisslinien, besonders
für das Nackte; hier auch noch keine Modellirung, sondern nur die Wangen-
röthe angedeutet; dagegen die Gewänder schon auf eine treffliche, mehr
oder weniger conventiohelle Weise modellirt. Manches in der Gewandung
von grossartiger Anlage. In der Auffassung herrscht die Naivetät jener
Zeit. Yon Ausdruck nur erst eine Ahnung. — Die äusseren Seiten sind
spätere Bilder auf Leinwand. Eine Reihe kleiner Scenen der Passions-
geschichte, von einem lustigen Manieristen der zweiten Hälfte des 16ten
Jahrhunderts. Er erscheint etwa wie einer der Holländer dieser Zeit (dem
H. Goltzius verwandt, obschon ohne dessen Energie), mit einem Beige-
schmack der Schule von Fontainebleau. Viel beschädigt.
In der Unterkirche eine Madonnenstatue germanischen Styles (bunte
Holzsculptur). Die Gewandung-weich, feinfaltig und nobel gelegt, die Be-
wegung massig geschweift. Das Körperverhältniss nicht vorzüglicli; das
Gesicht fein, doch auch nicht bedeutend.
Ebendaselbst eine bemalte Statue der Madonna mit dem bekleideten
Kinde auf dem Halbmonde. Ganz grossartig, edel und empfunden, etwa
dem Adam Kraft vergleichbar. Dazu der Kopf der Madonna, obschon
mangelhaft im Einzelnen der Verhältnisse, doch mit zartem Gefühle ge-
bildet.
Gleichfalls in der Unterkirche ein Altarschrein mit geschnitzten Fel-
dern. Geschichte der Aeltern der Maria. Malerisch spielend, doch ganz
artig. Etwas Nürnbergisches im Styl; hübsche weibliche Gesichter.^
Im Querschiff zwei Gemälde, Flügel eines Altarwerkes, an die "Wand be-
festigt; auf jedem zwei Darstellungen: Verkündigung und Geburt Christi,
Darstellung im Tempel und Krönung Mariä. Kölnisch, in der Richtung des
Meister "Wilhelm. In der Gesammtanlage tüchtig, nicht ohne "Würde und
nicht ohne Anmuth, doch noch handwerksmässig. Im Nackten starke
Umrisse.
Ein Gemälde auf dem Nonnenchore. Anbetung der Könige, auf rothem
Grunde mit Sternen. Kölner Schule in der Richtung des Meister Stephan.
Handwerksmässig, doch ganz tüchtig.
Ein Gemälde der Verkündigung in der Uuterkirche — ähnlich auch
ein Gemälde der Dreifaltigkeit in der Sakristei — von einem geistreichen
Manieristen im Style des Michelangelo.
Andre Bilder ohne sonderlichen "Werth.
Starke Mauern und Thürme, die das Schloss malerisch umgeben.
Kräftig grossartige Ausdehnung.
Die Sclilossgebäude meist modern.
Einige alte Reste, namentlich ein grosser starker viereckiger Thurm,
mit einem Rundbogenfriese. —
Schlosskirche spätgothisch, ohne Bedeutung. Gleich niedre Schiffe,
Uund|)feiler ohne Kapitale.
181 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
In derselben:
Ein gutes Epitaphium eines Grafen von Solms und seiner Gemahlin.
C. 1550. Die männliche Gestalt besonders trefflich gearbeitet.
Ein Gemälde des Christus am Oelberge (aus Altenberg). Flau modern.
-'wrmimr^
t'
Die Domkirche zu Limburg an der Lahn.
Nach der trefflichen Gelegenheitsschrift von Dr. Busch: Einige Be-
merkungen über das Alter der Domkirche zu Limburg" (1841, S. 19) unge-
fähr inl J. 1235 eingeweiht.
Im höchsten Grade malerisch in ihrer Composition und in der Lage,
kilhn über dem Felsen, an dem unten die Lahn vorbeifliesst; — zugleich
in der Weise, wie gegen den Chor die alten kurfürstlichen (jetzt mannig-
fach verflickten) Residenzgebäude angebaut sind.
In der ganzen Anlage durchaus das schlicht romanische Princip, mit
reicher Decoration (Die Gliederungen verhUltnissmässig einfach, — die
Kapitale meist mit Schilfblättern).
Sehr grosse Consequenz, be-
sonders was das Innere anbe-
trill't. Hier namentlich die durch-
geführten Emporen merkwürdig.
Gar schön, das Verhaltniss der
Einzeitheile (Gallerien u. dergl.)
Krcuzguri des [BiadsehifTes. ^^ den durchgehenden Haupt-
theilen. Am Wichtigsten, wie
der Spitzbogen sich schon entschiedener geltend macht, und die Gurt-
profile schon völlig in der Uebergangsform stehen.
Im Uebrigen aber die Kirche noch ganz mit den Domen von Naum-
burg, Bamberg u. dergl. parallel (besonders im weiteren Charakter der
j—[ ,__Glieder). Doch noch manches Rund-
^ ijQgjgg (Fenster), und namentlich in
der äusserenDekoration noch vielBunt-
Gcsimse im Aeusseren, Romanisches. ü. a. eckige Gesimse,
ähnlich wie in Wetzlar.
Ueberaus wichtig die höchst umfassende Durchführung des originellen
Ganzen.—
Aus der Zeit des Baues der Kirche rühren her:
Der Taufstein. Die Figuren desselben barock romanisch, zum Theil
widerwärtig; zugleich diejenige grössere Bewegung des romanischen Sty-
les bezeichnend, die etwa zwischen der Richtung der Miniaturen des
AVerner von Tegernsee und des Conrad von Scheyern in der Mitte steht.
Vieles verwittert und verdorben.
Das Grabmal des früheren Gründers der Kirche , des Grafen Conrad
Curcipold (gest. 948). Die Grabplatte mit dem Bildnisse wird freischwe-
bend von 6 Säulen, an denen missförmige Mönche und Bestien lehnen,
gelragen. Der Styl in der Arbeit der Hauptfigur erinnert djenfalls an die
Richtung jenes Werner.
r i"
h
Studieu an liheiu und Mosel. Rojnan. Architektur. Trier etc. 183
wmmmmm
Die Notizen der einzelnen Abschnitte thunlichst in chronologischer Folge.
1. Romanischer Baustyl,
a. Trier und Umgegend.
Abteikirche St. Willibrord zu Echternach. — Basilika von
höchst grossartigen, schönen und leicliteu Verliältnissen; vielleicht der be-
deutendste Basilikenbau des Mittelalters, den Deutschland besitzt, Pfeiler
mit Säulen wechselnd; die Verbindungsbögen zwischen den Pfeilern und
Säuleu durch grössere Bögen von Pfeiler zu Pfeiler umfasst. Es scheint
der im Jahr 1031 eingeweihte Bau zu sein. Als charakteristisch für diese
Epoche können besonders die stumpfe und willkürliche Form der Säulen-
basen und das phantastische Ornament der Kapitale der Eckpfeiler im
Chore gelten. Höchst auffallend und fast räthselhaft ist im Uebrigen die
Regelmässigkeit und Classicität der wichtigsten Details, besonders der
korinthischen Säulenkapitäle. Diese zeigen durchaus, in der ganzen, klar
gesetzlichen Anordnung und Fassung, und in' starkem Widerspruch gegen
die barbarisirte Form der Säulenbasen, einen antik römischen Styl, wobei
jedoch (was aber an sich nicht unantik) die sonst üblichen Akanthusblätter
durch grosse breite Schilfblätter ersetzt sind. Es ist möglich, dass sie (wie
dies in Italien hundertfältig vorkommt) von einem spätrömischen Monu-
mente entnommen sind; auch erscheint ihr Durchmesser zu dem der Schäfte
etwas zu gering. Fast noch auffallender, wenn auch von minder gedie-
gener Bildung, ist das Kämpfergesims der Pfeiler, welches mit einem klar
gemeisselten, doch in später sohlechtrömischer Form componirten Eierstab
nebst Perlenstab geschmückt ist. Da dasselbe auch an den zusammen-
gesetzten Pfeilern vor dem Chore vorkommt, so ist nicht wohl anzu-
nehmen, dass es ebenfalls von einem antiken Denkmal herrühre; vielmehr
wird es erst für die Basilika selbst, etwa nach einem vorliegenden Muster,
gearbeitet sind. — Die Basilika, ursprünglich flach gedeckt, ist später über-
wölbt, (s. unten).
Kapelle zu Mettlach (an der Saar). — Eine achteckige Ruine,
höchst malerisch mit Schlingpflanzen überwachsen, Jm Garten des ehema-
ligen Klosters (der jetzigen grossen Porzellanfabrik), Ohne Zweifel der
mittlere Theil eines Baptisterieh-artigen Baues nach dem Muster des karo-
lingischen Münsters zu Aachen. Ursprünglich acht starke, mit Halbkreis-
bögen verbundene Pfeiler, von hohem Verhältniss; darüber eine zweite,
ähnliche, doch niedrigere und breitere Arkadenstellung, die ursprünglich
wohl mit Säulen'ausgesetzt war; über dieser die oberen Wände mit rund-
bogigen Fenstern. Ob das Ganze ursprünglich mit einer Kuppel über-
wölbt. bleibt fraglich, zumal bei der geringeren Stärke der Obertheile. Die
ük
-ocr page 183-184 ßiieinroise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Kämpfergesimse der Pfeiler sehr einfach, in der Hauptform eine Platte mit
schräger Schmiege, die letztere mit leisem kehlenartigem Schwünge. Wohl
elftes Jahrhundert. — Umgang und Emporen sind nicht mehr vorhanden.
Diese dürften bei dem, etwa im vierzehnten Jahrhundert erfolgten Umbau
fe der Kapelle abgerissen sein. Die unteren Arkaden sind hiebei zumeist in
f: spitzbogige Fenster verwandelt, die oberen mehr oder weniger ganz ver-
|j baut und der Kaum mit einem achteckigen Gurtengewölbe überdeckt. Als
I Widerlager für Letzteres sind am Oberbau schräge Streben angebracht.
L Dieser gesammte Umbau in später gothischen, doch noch sehr geschmack-
t vollen Formen.
Dom zu Trier. Frühromanische Bauperiode. — Ueber die
ursprüngliche, aus alt christlicher Zeit herrührende Anlage desselben vergl.
oben, Abschn. 1,4. Bedeutender Umbau um die Mitte des elften'Jahrhunderts,
unter Beibehaltung der alten Dispositionen. Die alten Säulen mit Kreuz-
pfeilern ummauert oder durch solche ersetzt, die so gestaltete Disposition
etwa zwei Drittheile der Anlage wiederholend, weiter gen Westen fortge-
führt. Charakteristisch besonders die Westfagade mit in der Mitte vortre-
tender Absis, Portalen (und Arkadenfenstern darüber) zu deren Seiten und
runden Treppenthürmen auf den Ecken. Die Technik im Ganzen noch
der römischen nahestehend. In den Schwibbögen ein buntes Farbenspiel,
indem Keile von lichten Sandsteinen mit solchen wechseln, die aus Lagen
rother Ziegel bestehen. Die Absis und die Treppenthürme mit sehr schlan-
ken , Lissenen - artigen Pilastern, die theils gegen gerade Gesimse, theils
gegen Rundbogenfriese aufsteigen. Die Pilaster im Untergeschoss mit
jenem rohen Kapital, welches in der Hauptform aus einer hohen, flachen
Schmiege besteht und den Pilasterkapitälen der Porta Nigra (doch schon
zweckmässiger für die Gesammtwirkung) nachgebildet ist. Die Pilaster des
Obergeschosses mit strenggebildeten, barbarisirt römischen Kapitalen. —
Kleine Krypta unter der westlichen Absis mit einfachen Würfelkapitälen.
Gleichzeitig gewisse, jetzt zu Kellern dienende Räume im bischöflichen
Palast, unfern des Domes, auf der Südseite der Liebfrauenkirche. Beson-
ders merkwürdig der eine dieser Räume, der vier Säulen mit reichen
Blätter- und Volutenkapitälen (charakteristisch im Style der Zeit) enthält.
Die Säulen mit Basen von noch sehr befangener Bildung, auf hohen acht-
eckigen Piedestalen stehend; das Ganze von weitem, freiem und luftigem
Eindruck
Trier. Reste der Irminenkapel 1 e (neben der Pauluskirche). —
Altarnische und Vorraum derselben mit den vier Schwibbögen, darüber
der grosse Thurm. Auch ein kleines Eckthürmchen. Hellgiiaue und rothe
Steine, in den Bögen des Inneren harmonisch wechselnd, imi Aeusseren in
Schichten. Art und Weise des elften Jahrhunderts. — Der Obertheil des
Thurms mit gothischen Fenstern.
Trier. Wohngebäude frühromanischen Styles. — Hieher
gehören die angeblich römischen, sogenannten Propugnacula, deren die
neuere Zeit noch vier kannte. Das besterhaltene Gebäude der Art ist das
in der Diederichsgasse unfern des Marktplatzes belegene, 52 Fuss lang,
Vergl. Schmidt, Baudenkmale von Trier etc. II, Taf. 3, W und Taf. 6,
M'. Ich habe nicht nöthig zu bt'merken, dass die kurzen Andeutungen, welche
ich oben für den vorliegenden Zweck einreihte , iu weiterer Beziehung durch
das Schmidt'sche Werk auf das Reichlichste ergänzt werden.
IT
»
Studieu an Rlieiu und Mosel. Roman. Architektnr. Trier etc. 185
28 Fuss breit, in den Mauern 4 Fuss stark und gegenwärtig noch 44 Fuss
hoch ')• Plinthe von grossen Sandsteinquadern, darüber wechselnd je zwei,
2V2 Fuss hohe Lagen behauener Kalksteine und je zwei Reihen Ziegel-
schichten. Verschiedene Geschosse mjt kleinen Oeffnungen. An der schma-
leren Hauptfront zwei grosse im Halbkreisbogen überwölbte Fenster, durch
einen Steinpfeiler voneinander getrennt; im EinschlussiUer grossen Fenster-
bögen zwei kleinere, die von dem Kämpfergesimse des Pfeilers und einer freien
Säule getragen werden. Die letztere mit jener weit ausladenden Kapitäl-
form, die fast nur (bei den Bauten romanischen Styles) als Auflager tlber
dem Kapital zum Tragen der breiten Bogenlaibung angewandt wird. — Ein
ähnliches, doch minder erhaltenes Bauwerk auf dem Hofe des Regierungs-
gebäudes. — Yermuthlich waren es die festen Häuser edler Geschlechter,
wie deren besonders Italien aus dem früheren Mittelalter mehrere hat, z. B.
der Tor de' Conti, die Casa di Crescenzio u. A. in Rom.
Ebenfalls von ähnlicher Beschaffenheit ist der westliche Flügel des
neben der Westseite der Porta Nigra belegenen Stiftes. Doch ist hier das
Schichtenwerk der Mauern minder regelmässig. Das Gebäude ist langge-
dehnt, in seiner Mitte oberwärts ein Bogenfenster; vier Bögen auf drei
Säulen, mit einer Anordnung, welche der eben beschriebenen entspricht.
Ausserdem im Obergeschoss kleine Fensterschlitze, im Mittelgeschoss etwas
grössere viereckige Fensteröflhungen. Die Erbauung des Stiftes wird mit
dem Ausbau der Porta Nigra zur Kirche des h. Simeon (zweites Viertel
des elften Jahrhunderts) in nächster Beziehung gestanden haben. Dies und
der , in der Verwendung des Materials sich ankündigende BaugeschmacU,
welcher dem Charakter der Westfacade des Domes entspricht, bei der Ab-
wesenheit feinerer Durchbildung der Formen, weist bei den eben bespro-
chenen Gebäuden auf die Bau-Periode des elften Jahrhunderts hin.
Trier, Säule auf dem alten Markt. ■— Antike Granitsäule,
darüber ein , auch oberwärts kreisrundes Kapital, in umgekehrt konischer
Form, d. h. wiederum in dem Profil der einfachen Schmiege, mit einge-
meisselter romanischer Palmettenverzierung. Ueber dem Kapitäl, mit dem-
selben aus einem Stück, ein Steinkreuz. Auf der einen Seite des letzte-
ren ein Lamm in sehr schwachem Relief und flaches Blätterornament; auf
der andern die Inschrift: Ob memoriam signorim Crucis, quae celitus su-
jyer homines venerunt, anno dominicae Incarnationis 958 anno vero episco-
patus sui secundo Henricus Archiepiscopus Trevirensis me erewü. Benovat.
anno 1723. Auf dem Abakus steht: Henricus episcupatus tveverensis me
erewit. Die Inschriften, auch die zweite, nicht ursprünglich. Doch ist es
nicht unmöglich, dass die Säule an die in der ersten Inschrift genannte
Zeit hinanreicht, (Die erwähnte späte Renovation hat, nach Angabe der
Gesta Trevirorum, nur Anstrich und Vergoldung betroffen.)
St. Matthiaskirche bei Trier. — Aus dem zweiten Viertel des
zwölften Jahrhunderts, geweiht 1148. Grosse Pfeilerbasilika im bestimmter
entwickelten romanischen Styl; das Mittelschiff ursprünglich flach gedeckt,
die Seitenschiffe gewölbt. Die Pfeiler viereckig, an der Vorder- und der
Rückseite mit Pilastern, die in den Seitenschifl'en die breiten Quergurt-
bänder des Gewölbes tragen, an der Vorderseite über den Kämpfergesimsen
bis zur Decke des Mittelschiffes emporliefen. Kämpfer- und Fussgesimse
der Pfeiler in einer schon quellenden Gliederung, welche beiderseits der
') Nacli Quednow. Beschreibung der AHerthümer von Trier, II, II. S. 13.
-ocr page 185-Rheinreise, 1841, Zweiter Abschnitt.
Composition der attischen Säulenbasis entspricht. Grosse Krypta, deren
ältere Säulen ähnlich, doch stumpfer gegliederte Basen haben: statt der
Kapitale eine Zusammensetzung von architektonischen Gliedern, ebenfalls
nach einem Princip solcher Art. Das Mittelschiff im Aeusseren mit ge-
raden geschmückten Gesimsen, die von Consolen getragen werden; das
Querschiff mit Ruildbogenfriesen, dessen kleine Bögen in verschiedener
Weise durch grössere Bögen zusammengefasst werden. — Später bedeu-
tende Bauveränderungen.
Trier. Das Neuthor. — Aus weissen und rothen Sandsteinqxiadern
gebaut, wiederum jenem alterthömlichen Farbenspiel entsprechend. Die
thoröffnung sehr einfach im Halbkreisbogen. Scheitrecht gewölbter Sturz.
Nach Angabe der Trier'schen Topographen vom Ende des zwölften Jahr-
hunderts. — Grosses Relief im Bogenfelde (vergl. unten), bestimmt aus
dieser Zeit.
Trier. Chor von St. Simeon (Porta Nigra, während ihrer Be-
nutzung als Kirche). — Eigenthiimliches Beispiel spätromanischer Architek-
tur. Die Absis mit sechs strebenartig vortretenden "Wandpfeilern. Oberwärts
ein zierlicher llundbogeiifries, um die Streben sich herumziehend, und
darüber ein kleiner geradlinig gedeckter Säulengang (statt der sonst üblichen
Arkaden). Die Säulchen tabernakelartig auf den Wandpfeiler« vortretend.
Dom zu Trier. Spätrom anischo Bauperiode. — Bedeutender
und durchgreifender Umbau, im dritten Viertel des zwölften Jahrhunderts
beginnend und bis in die ersten Jahrzehnte des dreizehnten Jahrhunderts
fortgeführt. Zunächst an der Stelle der Absis des ersten Baues (auf der
Ostseite), die Anlage eines weiter vortretenden Chores, der in der Grund-
form bereits polygonisch geschlossen und mit einfachen Strebepfeilern auf
den EcUen versehen ist. Innerhalb des neuen Anbaues einer Krypta von
geräumigem Verhältniss , mit gekuppelten Halbsäulen von noch streng ro-
manischer, zum Theil noch von alterthümlicher Bildung. Der Anbau ober-
wärts mit einem Sterngewölbe bedeckt, mit dicken Wulstgurten, die mit
Schaftringen versehen sind. Säulenwerk als Träger der Gurte. Reiches
Ornament von spätromanischer Art. Arkaden-Gallerien aussen unter dem
Dach des Anbaues. Im Inneren tritt der Chor, erhöht, beträchtlich in das
Mittelschiff" vor. Seine Brüstungswände an den Rückseiten (nach den Sei-
tenschiffen zu) mit zierlich romanischen W^andarkaden. Aehnliche, aber
kleinere und mehr alterthümliche Arkaden im nördlichen Seitenschiff, an
der Ostseite des Gebäudes. (Eigenthümlich auch mehrere reich ornamen-
tirte Bogennischen spätromanischen Styles, im Dom selbst und im daran
anstossenden Kreuzgange; wohl Grabmonumente). — Dann Ueberwölbung
des gesammten Domes, durch welche die frühere räumliche Einrichtung
wesentlich aufgehoben wurde. Die Anordnung von Langschiffen erst jetzt
wesentlich festgestellt, indem die in der Quere stehenden Schwibbögen,
welche noch auf der Disposition der ersten Anlage beruhten, weggenom-
men, die in der Längenrichtung stehenden Schwibbt)geu aber tiefer unter-
wölbt wurden (mit Halbkreisbögen und an den schmaleren Stellen schon
mit Spitzbögen). Ueber den letztern reichgeschmückte und gegliederte Ar-
kaden, schon im Charakter des Uebergangsstyles. Gewölbe mit Kreuzgur-
ten von wulstartigem Profil. — (Anderweitige bedeutende Bauveränderun-
gen in moderner Zeit.)
Stiftskirche zu Pfalzel. — Ein Bau, wie es scheint, aus der
Uebergangsperiode, mit späteren Umänderungen. Halbrunde und halbrund
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Studien au Khein und Mosel, Roman. Architektur. Trier etc. 187
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I gewölbte Absis; ein breites Schiff und eine Art niedrigerer Flügel, einem
^ Querschifl' äluilicli. Die Gewölbe frühgermanisch; die Gurte, von massig
birnenförmigem Profil, ausgehend von Consolen oder von kurzen, auf Con-
soleu ruhenden Gurtträgern. Moderne Fenster. Im Aeusseren die Spuren
kleiner rundbogiger Fenster. Kreuzgang neben der Stiftskirche. Die er-
haltenen Theile desselben im Uebergangsstyl, doch seltsam roh: Pfeiler
mit grossen Flachbögen: im Einschluss der letzteren spitzbogige Arkaden,
deren Säulen mit Blätterkapitälen in den Formen des Ueberganges.
Kirche zu Merzig (an'der Saar). — Säulenbasilika mit Spitzbögen.
Die letzteren im breiten Mauerprofll: die auf der Südseite wenig über den
Halbkreis erhöht, die auf der Nordseite von entschiednerer Spitzbogenform.
Wie in den Bögen, so auch in den Säulenreihen Unterschiede, Die Säulen
der Nordseite mit romanisch ausgebildeten Blätterkapitälen, doch noch in
y ziemlich strengem Styl; die der Südseite durchgehend roher, fast Avie im
I Beginn des frühgermanischen Blattkapitäles, d,' h. Blättervoluten, die sich
auf den Ecken, unter den Gliedern des Abakus, aus der Rundform der
Säule loslösen. Die Fenster des Mittelschiffes klein rundbogig. Die Sei-
; tenschiffe haben, mit den Säulen correspondirend, ziemlich stark vortretende
4 viereckige Wandpfeiler, deren Deckgesims, wo es erhalten, zumeist den
: Gliedern der attischen Basis entspricht und sich in der Höhe der Säulen-
kapitäle befindet. Hienach dürften die Seiteuschiffe schon ursprünglich
überwölbt gewesen sein. (Die gegenwärtigen Gewölbe im Mittelschiff und
in den Seitenschiffen sind spätgothisch). Das Aeussere der Schifftheile
einfach romanisch. Gerade, doch dekorirte Gesimse mit kleinen Consolen.
Die Fenster des Mittelschiffes mit einfach zierlichem Profil. Die Fenster-
delvoration der Seitenschiffe durch Erneuuiig der Fenster überall verdorben.
Merkwürdig und ebenfalls auf die ursprüngliche Ueberwölbung der Seiten-
schiffe hindeutend, die Wandpfeiler zwischen den Fenstern derselben, die,
üb auch nicht stark vortretend, doch schon nach dem Princip der Strebe-
pfeiler in Absätzen gebildet sind, — Querschill" und Chor aussen und innen
in reicher und bunter spätromanischer Weise. Zierliche Wandarkaden im
Inneren der halbrunden Absis; Kreuzgewölbe mit Gurtwulsten; die letz-
teren auch an der Halbkuppel der Absis. Im Aeusseren, besonders an den
Giebeln, allerlei bunte'Gesimsdekoration (z. B. eine Art Umkehrung des
Rundbogenfrieses). ' Die Absis auch im Aeusseren mit Wandarkaden.
Kirche zu Roth (an der Our, Vianden gegenüber). — Kleine Basi-
lika; Pfeiler und Säulen wechselnd und durch Spitzbögen verbunden,
welche von grösseren, im Halbkreise geführten Bögen von Pfeiler zu Pfeiler
s umfasst werden. Die Säulenkapitäle im strengen romanischen Style; die
'f Arbeit übrigens ziemlich roh, namentlich auch an den Deckgesimsen der
; Pfeiler. Die Räume durchgehend in spätgothischer Zeit überwölbt; die
Hauptabsis in dieser Zeit erhöht, mit höheren spitzbo^jgen Fenstern. Eine
i Seitenabsis auf der Nordseite erlialten; im Aeusseren auf sehr seltsame
} Weise mit fünf Reihen kleiner flacher Nischen, fast nach Art der Colum-
barien, bedeckt; in der Mitte ein späteres Fenster,
I Kirche von St. Thomas (an der Kyll). — Kirche eines Nonnen-
; klosters, fast schon Ruine, aussen und innen eigenthümlich malerisch. Ge-
I weiht 1222, beendet 1225. Einschiffig; die westliche Hälfte durch einen
hohen Nonnenchor, der auf einer gewölbten Halle ruht, ausgefüllt. Sehr
I wichtiges Beispiel des Uebergangsstyles, und des romanischen Spitzbogens.
I Der Altarraum fünfseitig geschlossen, mit Säulchen als Gurtträgern und
-ocr page 187-188 Kheiureise, 1841. Zweiter Abschnitt.
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halbrunden Stirnbögen. Der Vorderbogen der Wölbung über dem Altar-
raume spitz mit breiter Laibung, so auch alle übrigen Querbögen. Zwi-
schen dem letzteren Kreuzgewölbe ohne Gurte. In der östlichen Hälfte der
Kirche werden die Bögen von Pilastern getragen; in der westlichen, wo
die Empore des Normenchores, ruhen sie auf mehrfach gegliederten Con-
solen. Die Stirnbögen am Schiif sind spitz; darin Rundfenster (zum Theil
mit Rosetten-Verzierung); die letzteren auch im Aeusseren mit spitzbo-
gigem Einschluss. Darunter Halbkreisbögen, auf beiden Seiten der Kirche
in verschiedenartiger Anordnung. Die Gliederungen einfach viereckig, aber
sehr sorgfältig gearbeitet. Die Empore des Nonnenchores auf Säulen mit
(nicht vollen) Halbkreisbögen und Kreuzgewölben. Merkwürdig ein kleiner
erkerartiger Ausbau an der Ostseite der Empor, wohl eine eigne kleine
Absis für den Nonnenchor. Auf der Nordseite eine spitzbogige Thür mit
romanischer Gliederung und Kelchkapitälen, dergleichen auch sonst in der
Kirche. Gerade Dachgesimse mit einfachen Consolen.
Schloss von Vianden (im Luxemburgischen). — Grossartige, sehr
interessante Ruine, ungemein malerisch auf dem Felsen belegen. Der
Hauptbau aus letztromanischer Zeit, nach 1200. Nach der "Westseite zu
einfach geschmackvolle rundbogige Fenster mit Säulchen, mehr östlich sehr
zierliche und reich ornamentirte Fenster- und Thür-Architekturen. — Vor
Allem schön die Schlosskapelle. Zehnseitig, mit siebenseitigem Chor.
Säulen in den Ecken mit Gurtwulsten; diese ziemlich in der Stärke der
Säulen. An jeder Seite des Zehnecks spitze Stirnbögen; in deren Ein-
schluss je zwei elegant romanische Spitzbogenfenster: darunter je zwei
rundbogige Arkaden auf einer Säule. Alles Detail an Säulen und Säul-
chen, Kapitalen, Schaftringen u. dergl. sehr zierlich und romanisch durch-
gebildet. Unter der Kapelle ein roh gewölbtes Souterrain, mit einer acht-
seitigen Pfeilerstellung in der Mitte. (Zwei dieser Seiten sind breiter und
entsprechen je zwei Seiten des oberen Zehnecks.) Der Raum zwischen
ihnen ist nach oben offen und dort von einer Brüstung umgeben. Früher
sollen auf der Brüstung Säulen gestanden haben, die in der Mitte zusam-
mengelaufen (?). Vielleicht war das Souterrain eine Gruft und wurden
durch die Oeffnung die Leichen hinabgesenkt. — Spätere Umänderungen
und Anbauten des Schlosses. Der sogenannte Rittersaal im früheren go-
thischen Style; Andres, namentlich mehrere schöne Hallen, im Charakter
des fünfzehnten Jahrhunderts. Auch moderne Anbauten. U. A. auch ein
mächtiger Kellerraum, in den Fels gehauen, dessen Gewölbe auf einer
Säulenreihe stehen.
Trier. Wohngebäude spätromanischen Styles. — Ein gros-
ses mehrgeschossiges Giebelhaus in der Simeonsstrasse; Einige Fenster im
romanischen Spitzbogen.
Klostergebäude von St. Matthias bei Trier. — Höchst inte-
ressant in ihrer Gesammt-Anlage Der Styl bezeichnet die letzten Sta-
dien des romanischen, der schon wesentliche Elemente des germanischen
in sich aufgenommen hat. Bezeichnend ist hiefür besonders der Kreuzgang,
mit starken Strebepfeilern, die mit Säulchen besetzt sind und zierliche
Arkaden einschliessen. Die letzteren (wie auch die übrigen Oeffnungen
der Klostergebäude} noch im Rundbogen, der aber schon sehr zierlich ge-
I
') Das Nähere über die Klostergebaude von St. Matthias und den Dom-
Kreuzgang s. bei Schmidt, a. a. 0., Lief. II.
1. «j
1
-ocr page 188-Stadien an Rhein und Mosel. Romaii. Architektnr. Köln etc. 189
gliedert ist; die inneren Ueberwölbungen des Kreiizganges dagegen im
Spitzbogen, dessen Gurte zum Theil schon in das gothische Birnenprofil
übergehen.
Dom-Kreuzgang zu Trier. — Das von dem vorigen Gesagte gilt
ebenso auch von diesem Gebäude. Im Einzelnen tritt hier das germanische
Element noch entschiedener hervor, so dass dieser Kreuzgang in einer
Weise die Mitte zw^ischen romanischem und germanisclrem Style hält, wie
es anderweit sehr selten vorkommen dürfte. Er gehört ohne Zweifel der-
selben Bauperiode an, in der zu seiner Seite (im J. 1227) der Bau der
Liebfrauenkirche begonnen ward. Dies ist aber, seinem Style nacli, schon
ein charakteristisch germanischer Bau. (Vergl. unten.)
■ r
Köln. St. Pantaleon. Aelteste Theile. — Die Kirche gehört
ursprünglich dem zehnten Jahrhundert an; sie wurde 980 geweiht. Aus
dieser Zeit, wie es scheint, rührt der Unterbau des in der Mitte der West-
seite stehej^n Thurmes mit seinen zweigeschossigen Anbauten gen Nor-
den und S^en her. Dass dieser Bautheil älter als der, zwar ebenfalls
noch romanische Hauptbau der Kirche, geht schon daraus hervor, dass die
Breite der Thurmhallen um mehrere Fuss geringer ist, als die Breite des
Mittelschiffes. — Die Thurmhalle stand mit den Ober- und Untergeschos-
sen jener Anbauten durch ursprünglich offene Arkaden, von einem frei-
stehenden Pfeiler und zwei Rundbögen gebildet, in Verbindung. Das
Deckgesims der Pfeiler (Rh. 1.) ist durch ein hohes Karnies
ausgezeichnet Eine ähnliche Arkade, aber mit zwei Pfei-
lern, ist am Obergeschoss der Westseite, über dem Portal vor-
handen ; auch sie scheint ursprünglich (man erkennt sie noch
auf der Aussenseite) offen gewesen zu sein. Nachmals sind
sämmtliche Arkaden vermauert. Nach der Ostseite, gegen das
Kirchenschiff hin, wird die Thurmhalle durch einen grossen und
hohen halbrunden Schwibbogen begrenzt. (Unter diesem ist später, vermuth-
lich um ihn für das Tragen des Thurmes zu verstärken, ein niedrigerer Spitz-
bogen, entschieden im Charakter des romanischen Uebergangsstyles, einge-
wölbt worden.) Die Pfeiler und Bögen der ursprünglichen Anlage sind aus
weissen und rothen Sandsteinen zusammengesetzt, nach jenem, schon bei
den altromanischen Monumenten von Trier besprochenen Geschmack.
Einige der hiezu verwandten rothen Sandsteine sind mit Ornamenten ver-
sehen, einem flach erhabenen, ziemlich feinen Linienspiel, in Composition
und Behandlung ungefähr dem Ornament der fränkischen Grabsteine (von
denen unten) ,vergleichbar. Auf dem einen Stein sind es rautenförmige,
auf dem andern kreisförmige und eckige Verzierungen. Augenscheinlich
Die Anwendung des Karniesproflles, auf Tradition aus der antiken Archi-
tektur beruhend, ist im Allgemeinen bezeichnend für die Epoche des fiühroma-
nischen Styles. Die spätere mehr principmässige Ausbildung des Gewölbebaues
und die Ausbildung der Glieder nach diesem Princip führte sodann vorherr-
schend zu andern Formen.
Rheinreisfi, 1841. Zweiter Absclinitt.
sind diese Steine von einem noch älteren Denitnial entnommen. (Es wird
gesagt, dass zu dem ältesten Bau von St. Pantaleon die Oonstantinisclie
Brücke die Steine habe hergeben müssen,) — Das Innere der Kapellen-
ränme in den Anbauten ist nicht bedeutend; zu bemerken nur, dass in
jedem Geschoss, in der Wand gen Osten, eine nicht grosse Nische ange-
bracht ist. Von dem südlichen Anbau hat sich nur das Untergeschoss er-
halten. — Im Aeus'seren haben die Anbauten wiederum eigenthümlich cha-
rakteristische Dekoration, jene frühe Bauperiode bezeichnend. Horizontale
Friese trennen die Geschosse von einander (wenigstens auf der Nordseite,
wo das Obergeschoss erhalten). Pilaster auf den Ecken und in der Mitte
sind mif jenen hohen flachen Kapitalen, wie sie die Pilaster am Unterge-
schoss der Westfagade des Domes zu Trier haben, versehen (eins dieser
Kapitale ist auch flach würfelfih-mig); zu
deren Seiten sind flachere Pilasterchen
angebracht, von denen rund bogige Friese
ausgehen (Rh. 2.). Die Pilaster sind von
rothem Sandstein. Das Uebrige ist Tuf,
in dem Bogenfries — und so auch in
den Fenstern der Anbauten — mit Zie-
geln wechselnd, und die Bögen auch
flach mit Ziegeln belegt. „
Köln. St. Maria auf dem KapitoL — Das gegenwär^ Gebäude,
seinen wesentlichen Theilen nach, aus der ersten Hälfte des elften Jahr-
hunderts, im J. 1049 geweiht. Ein architektonisches Werk von bedeuten-
der und wirkungsreicher Anlage: eine Pfeilerbasilika, verbunden mit einem
weitgedehnten Chorbau, in welchem byzantinisirende Reminiscenzen zu
einem neuen, höchst eigenthümlichen Ganzen entwickelt erscheinen. Wie
an der alten Basilika von Bethlehem, so laufen auch hier die Flügel des
Querschiffes in Absiden aus, der Hauptabsis an der Ostseite des Gebäudes
an Ausdelinung gleich. Aber die drei Absiden ruhen zunächst nicht auf
einer vollen Mauer, sondern — wie es die byzantinische Architektur seit
der Sophienkirclie von Constantinopel liebte — auf Halbkreisen von (je
sechs) Säulen, hinter denen sich, im grösseren Halbkreise, ein Umgang von
der Breite der Seitenschiffe herumzieht. Den Säulen correspöndiren Halb-
säulen an den Innenwänden der halbkreisrunden Umgänge. Andre Halb-
säulen treten an der Rückseite der sonst einfachen Pfeiler des Vorderschif-
fes und, diesen correspondirend, ah den W^änden der Seitenschiffe hervor,
überall als Träger für die einfachen Kreuzgewölbe, welche durchgehend
diese niedrigeren Räume bedecken. Die Säulen haben beji schlanken Schäf-
ten schwere und klotzige, weit ausladende Würfelkapitäle, zwischen denen
und dem Schafte kein Stab oder ein sonstiges Uebergangsglied vorhanden
ist; doch sind sie mit einem wohlgebildeten Deckgesimse, dessen Haupt-
form ein Karnies ist, versehen. Ganz in derselben Weise sind durchgehend
die Halbsäulen behandelt. (Der Oberbau des Schilfes ist später, und noch
später die Einwölbung des Schiffes. S. unten,) — Im Aeusseren ist beson-
ders die Dekoration am Unterbau der Flügel des Querschifl'es interessant:
Pilaster, aus nicht regelmässigen Lagen rother und weisser Steine beste-
hend, mit Kapitalen, welche ganz denen an der Westfagade des Domes von
Trier entsprechen, und schlanke Halbsäulen, der Art geordnet, dass zwi-
schen je zwei Pilastern entweder eine Halbsäule oder ein (spätgothisch
erweitertes) Fenster steht. Sie tragen ein gerades Gebälk, das. soweit es
i!
B ■
1
Studien an Kliein und Mosel. Roman. Architektur, Köln etc. 191
erhalten, zugleich v^n Consolen unterstützt wird. Die Thüren, Avelche auf
jeder Seite in die Mitte des Halbrundes der Kreuzflügel führen, sind wie-
derum aus rothen und weissen Keilsteinen eingewölbt. Vor diesen Thüren
ziehen sich, iu der Flucht des Querschififes, erhöhte Portiken mit Säulen-
arkaden hin. Auch die Beschaffenheit dieser Säulen deutet auf das elfte
Jahrhundert; ihre Blätterkapitäle, auf lleminiscenzen der römischen beru-
hend, entsprechen den von Quedlinburg; die Basen mit starkem unterem
Wulst. — Der Unterbau des eigentlichen Chores ist mit Pilastern und
Wandsäulen, die durch Halbkreisbögen verbunden werden, geschmückt;
auch die Basis desselben (das Aeussere der Krypta) mit Pilasterarkaden.
Hier ist aber schon Yieles verändert; das Mittelfenster des Umganges' er-
scheint in spätromanischer Form, und die Pilasterkapitäle sind in schlechter
Weise neugebildet. — Die Krypta ist im Innern sehr massenhaft, der Chor-
anlage völlig entsprechend. Säulen und Pfeiler mit" Halbsäulen,-deren
Kapitale denen der Kirche selbst durchaus analog; nur das Deckgesims
derselben aus Platte und einfacher Schmiege bestehend '). — Das Aeussere
des Schiffes sehr roh. Ebenso die Anlage des Thurmbaues. Ein breiter
(erneuter oder neuer) Mittelthurm, zwei alte und rohe eckige Thürme zu
seinen Seiten. In die westliche Vorhalle führt eine (,jetzt verbaute) Thür
mit zwei einfachen Säulen.
Köln. St. Georg. Im Jahre 1067 bereits vollendet (Urkunde bei
Gelen). Ursprünglich eine sehr schlichte Säulenbasilika; die Säulenschlank
und mit demselben höchst schweren einfachen Würfelkapitäle und densel-
ben Deckgiiedern desselben, wie iu St. Marien auf dem Kapitol. In später
romanischer Zeit einfach überwölbt. [Noch später andre Bauveränderun-
gen, namentlich die Einfügung einiger Pfeiler zwischen die Arkaden.) üeber
dem Kirchengewölbe sieht man noch mehrfache acht klassische Reste eines
grossen gemalten Mäanders, der die Seitenwände des Mittelschiffs ober-
wärts schmückte. Der Chor einfach; in der Absis schlichte Wandbögen
auf schmalen Pilastern. Unter dem Chor eine Krypta auf acht Säulen, ganz
denen der Oberkirche entsprechend, und auf zweimal zwei Pfeilern, welche
letzteren die Seitenschiffe von dem Mittelschiffe trennen. Die Fenster spä-
ter erweitert. (Die Taufkapelle von St. Georg s. unten.)
Abteikirche von Brauweiler (unfern Köln). — Von dem alteni
im J. 1061 geweihten Bau (s. Gelen) rührt noch die Krypta her, die sich
geräumig unter dem Chor hinzieht. Im Mittelraum kurze Säulen mit schwe-
ren Würfelkapitälen ; Abseiten, die von jenen durch starke Pfeiler mit
Halbsäulen abgetrennt werden. Die Form der Kapitäle und der ganze
Charakter erinnert an die Kapitolkirche von Köln, doch entspricht die etwas
feinere Arbeit dem um ein W'eniges jüngeren Alter. Einzelne Theile und
F. V. Quast, durch den im zehnten Heft der Jahrbücher des Vereins von
Aiterthumsfreunden im Rheiulande (1847) zuerst die Daten über die Erbauungs-
zeit der Kapitolskirche zusammengestellt waren, hat später die durch den Orgel-
bau verdeckte, aber voJlkommen erhaltene Einrichtung des westlichen Abschlusses
des Mittelschiffes entdeckt und darüber im dreizehnten Heft der genannten Jahr-
bücher Auskunft gegeben. Hienach öffnete sich unterwärts nach der Thurmhalle
eine Arkade mit zwei Säulen. oberwärts ein hoher Bogen , der — ganz nach
dem Muster des karolingischen Münsters zu Aachen — mit einer andern Ar-
kade und darüber mit zwei gegen die obere Bogenwölbung anstossenden Säulen
ausgefüllt ist. Alles dies in besonders schmuckreicher Entfaltung des romanischen
Stvles des elften Jahrhunderts.
192 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Einrichtungen in der Krypta deuten aber zugleich aufweine später erfolgte
Bauveränderung; Einiges davon im Charakter der spätromanischen Formen
des Oberbaiies, bei dessen Ausführung demnach diese Veränderungen mit
vorgenommen sein w^erden. (lieber den Oberbau s. unten.)
Köln. St. Gereon. — Einem, schon in Constantinischer Zeit ge-
gründeten (möglicher Weise in den folgenden Jahrhunderten erneuten)
Rundbau *) wurde im elften Jahrhundert auf der Ostseite ein langer Hoch-
chor hinzugefügt und die so erweiterte Kirche im J. 1069 geweiht. Dieser
Anlage gehört der zwischen dem gegenwärtigen Rundbau und den ostwärts
belegenen Thürmen von St. Gereon befindliche Theil des Chores an. Die
Aussenseiten desselben, aus Tufsteinen aufgeführt, sind mit zweifachen,
ganz flachen und schmalpilastrigen Wandarkaden versehen, die eine über
der andern, die obere ursprünglich mit kleinen Fenstern. Doch deuten
noch erkennbare Spuren dahin, dass später grössere Fenster romanischen
Styles, in andrer Anordnung und die Arkaden durchschneidend, eingebro-
chen wurden. Aber auch diese Einrichtung ist nachmals durch wiederum
anders angelegte noch grössere gothische Fenster und die Hinzufügung der
dazu gehörigen Strebepfeiler wieder aufgehoben. Die Krypta unter diesem
Theil des Chores hat zweimal fünf niedrige Säulen mit rohen Würfelkapi-
tälen, deren Deckgesimse, ebenso wie dies bei den vorgenannten Gebäuden
der Fall, mit dem Karnies gebildet sind. Diesen Säulen correspondiren
Wandpfeiler an den Seitenwänden der Krypta. (Die übrigen Bautheile
von St, Gereon s. unten.)
Bonn. Münster. — Der Theil des hohen Chores, welcher zwischen
den östlichen Thürmen des Münsters und dem Querscliiif belegen ist, ent-
spricht, mit Ausnahme seines später hinzugefügten Obertheiles, völlig dem
oben besprochenen Chortheil von St. Gereon, gehört also derselben, wenn
nicht einer noch frühern Bauepoche an. Denn bei den flachen Wandarka-
den, die auch hier an den Aussenseiten erscheinen, wechseln in den Bögen
selbst (was besonders auf der Südseite erkennbar) Lagen von Ziegeln mit
Tufsteinen ab, u. A. an die entsprechende Anordnung am Vorbau von St.
Pantaleon zu Köln erinnernd. In der Krypta stehen zunächst, gen Westen,
zweimal drei Pfeiler, dann zweimal vier Säulen, diese mit etwas flacherem
Würfelkapitäl und ausladendem Karnies im Deckgesims. Aehnliche Deck-
gesimse auch über den Pfeilern und den entsprechenden Wandpfeilern. —
Ferner scheint der Zeit des elften Jahrhunderts anzugehören : der Unterbau
der östlichen Thürme und der zwischen ihnen vortretenden Absis, sowie
die Anlage der Westseite des Münsters, die ursprünglich als ein breiter
Thurmbau mit runden Treppenthürmchen auf den Seiljea angeordnet war.
(Vergl. meinen Aufsatz über den Münster von Bonn, oben, Abschn. I, 5)
Kirche zu Zülpich. — Am Aeusseren des Chores Spuren, einer
baulichen Anordn.ung, die den Resten des elften Jahrhunderts an St. Gereon
ebenfalls entspricht, wenn auch möglicher Weise etwas jünger ist. Doch
sind hier nur Lissenen mit Bogenansatz erhalten. Später sind Fenster
frühgothischen Styles eingebrochen,_ Die Absis innen rund, aussen eckig.
■— Auf der Südseite des Chors der Annokapelle, jetzt in Unstand. Die
Fenster noch mit Säulen und Säulenbündeln, an den Kapitälen mit Band-
Die Spuren des älteren Rundbaues, die an der Nordseite des gegenwär-
tigen zu Tage treten, sind neuerlich durch F. von Quast nachgewiesen, im 13ten
Heft der Jahrbücher des Vereins der Alterthurosfreunde im Rheinlande.
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Stadien an Rhein und Mosel. 1. Roman. Baustyl. Köln etc. 193
verschlinguDgen und Blättern im Charakter von 1100 oder etwas später. —
Unter dem Chor und unter der Kapelle die Krypta. In jedem Räume
zweimal drei einfache Säulen--mit höchst schlichten
Würfelkapitäleii; eins der letzteren (Rh. 3.) von eigen
geschweifter Form, im Profil karniesartig,, wie gelegent-
lich in der orientalischen Architektur. Unter der Wand
zwischen Chor und Kapelle, somit zwischen den Säu-
lenreihen, drei Pfeiler mit Karnies-Deckgesimsen, also
wiederum mit der bei den vorgenannten Gebäuden cha-
rakteristischen Gliederung. -
Köln. St. Aposteln. — Ein ältester Bau,begonnen im J. 1021,
abgebrannt 1099; ein Neubau, abermals abgebrannt 1199. Von einer, die-
ser älteren Anlagen, vielleicht noch von der ersten, rühren die Arkaden
des Schiffes in ihrer ursprünglichen Form her: viereckige Pfeiler von sclio-'
nem Verhältniss niit breiten Halbkreisbögen; das Deckgesims-der
Pfeiler (Rh. 4.) wiederum in der vUrherrschenden Karniesform.
(Später sind hiemit Aenderungen vorgenommen.) — Ebenfalls
einer der älteren Anlagen gehört der Thurm über der Mitte
der Westseite in seiner ursprünglichen Einrichtung an. An
seinen Seiten halbrunde Treppenthürme, die aber nicht bedeu-
tend emporgeführt. Wechsel von rothen und weissen Sand-
steinen. Zwei spitzbogig moderne Thüren än der Westseite des Thur-
mes scheinen gothisch-modernisirender Zeit anzugehören. (Das Uebrige
s. unten.) •
Münstereiffel. Pfarrkirqlie (ehemalige Stiftskirche). —
Einfache Pfeilerbasilika; das Mittelschiff ursprünglich ohne Gewötbe. Die
Pfeiler mit eigenthümlich gebildetem Deckgesimse (Rh. 5.).
An den Rückseiten der Pfeiler und an den Wänden det
Seitenschiffe schmale P'ilaster.. Spätere Kreuzkappengewölbe
(ohne Gurte); eben solche auch in dem ziemlich ausgedehn-
ten Chor. Nur die alte Absis ist verziert, mit einfachen
Arkaden auf Halbsäulen. ' Ausgedehnte Krypta, meist er-
neut. In ihr nur zwei alte Säulen, mit flachen Blätterkapi-
^ tälen (eine Reihe von Blättern) und .korinthischen Voluten;
Styl des eitlen Jahrhunderts. ' , .
Kirche zu Altenahr. — Einfache Pfeilerbasilika mit einem Quer-
schiff, jetzt roh verschmiert und verputzt. Starke Viereckige Pfeiler mit
einfachem Deckgesims (Rh. 6.). Je ein Pfeiler' um den andern
hat, aufsteigend über dem Deckgesims, einen Wandpilaster, der
jedoch ursprünglich nicht zur Unterstützung eines Gewölbgurtes
bestimmt gewesen zu sein scheint, (Spätgothisches Gewölbe.)
Die Seitenschiffe ebenfalls mit Wandpfeilern und (wohl moder-
nen)' Kreuzgewölben. Üeber den vier starken Schwibbogen des
Quers(^hiffs ein niedriger Thurm mit Arkadenfenstern.' Der Chor einfach
gothisch, nicht bedeutend, doch noch äus'guter Zeit. — Das Aeussere roh
beputzt. -Am südlichen Kreuzgiebel Lissenen und Bogenfries. An der
Westseite ein einfach zierliches rundbogiges Portal mit einer Säule auf
jeder Seite. ' " •
Köln. St. Ursula. — Einfache Pfeilerbasilika. .. An den Rückseiten
der Pfeiler Halb'säuleh mit guten Würfelkapitälen; die Seitenschiffe, ..den
Kugler, Kleine Schriflen. H. 13
-ocr page 193-Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Halbsäulen entsprechend, mit alten Kreuzgewölben. An den Wänden des
(nrsprünglicli flachgedeckten) Mittelschitfes sitzen über den Deckgesimsen
der Pfeiler flache Pilaster auf. Dazwischen die Arkaden von Emporen;
diese jetzt vermauert; doch im Innern der alten Empore eine Arkade noch
sichtbar: ein grösserer Rundbogen, ausgesetzt mit zwei Säulen und drei
kleineren Bögen. — Auf der Westseite eine ausgedehnte Empore, für den
Nonnenchor bestimmt, unterbaut durch eine reich ausgebildete Pfeiler- und
Säulenstellung; was bei der letzteren an ausgebildeten Kapitalen erscheint,
trägt den streng romanischen, aber-nicht mehr rohen Charakter des zwölf-
ten Jahrhunderts. (Diese Einrichtung oben und unten grossentheils ver-
baut.) Ueber der Chorbühne erhebt sich der,Thurm, einfach romanisch,
doch schon im übergangsartigen Charakter; über der Empore, gegen das
Schiff der Kirche hin wird er durch einen breiten, wieder durch eine Ar-
kade unterbauten Schwibbogen getragen. — (Der Chor der Kirche später,
im ausgebildet gothischen Sj^le, mit weiten Fenstern, denen meist das
Stab werk fehlt. Das Mittels?;hiff ebenfalls in ausgebildet gothischer Zeit
überwölbt. Die Fenster der Seitenschifle und eines zweiten Nebenschiffes
auf der Südseite im spätest gothischen Style.)
Köln. St. Mauritius. — Im J. 1144 vollendet. — Einfach roma-
nische Gewölbkirche. Schlichte viereckige Pfeiler, ziemlich schlank und
durch ziemlich breitgespannte Bögen verbunden. Einer um den andern ist
breiter und mit Pilastern versehen, die als Gurtträger emporlaufen; an den
Rückseiten dieser Pfeiler sind ebenfalls Pilaster, während sich an den
Rückseiten der schmaleren Pfeiler Halbsäulen befinden. Dieselbe Einrich-
tung, correspoiidirend, an den AVänden der Seitenschiffe (die nachmals
grossentheils zu KapellenschiiTen durchbrochen sind). Die Halb-
säulen mit einfachen Würfelkapitälen; die Deckgesimse (Rh. 7.)
für die Epoche des zwölften Jahrhunderts charakteristisch:
Platte, Kehle und Wulst. Die Querbögen des Gewölbes sind
einfach breite Streifen, die Kreuzgewölbe ohne Gurte. — Kein
Querschiff, aber drei Absiden auf der Ostseite. — Elin grosser
Theil der Westseite von" der Emporbühne des Nonnenchores
eingenommen. Die Unterwölbung derselben (bedeutend verbaut) ruht in
der Mitte auf Säulen; die eine sichtbare Säule mit einem streng romani-
schen Blätterkapitäl. Oben ebenfalls eine Arkade mit einer Säule, die,
wie es scheint, die östliche Mauer des (ursprünglich wohl mehr ausgezeich-
neten) Thurmbaues trägt. — Im Aeusseren das Oberschiff'mit sehr flachen
Pilaster-Arkaden, zwischen diesen die (später erweiterten) Fenster. Das
Kämpfergesims dieser Pilaster ist ein einfacher Rundstkb, Dieselbe-Deko-
ration ursprünglich an den Seiten-Absiden. Die Haupi-Absis mit "Säulen-
Arkaden über Pilastern. Ueber den Ecken zwischen Haupt-^ und Seiten-
Absiden schlanke, achteckige, einfach romanische Thürrne.
Köln. St. Pantaleon. ~ Das Schiff der Kirche als PfeUerbasilika
mit gewölbten Seitenschiffen. Breite, grosse und geräumige Verhältnisse, na-
mentlich das (sehr spät mit einem flachen Netzgewölbe versehene) Mittelschiff
von breiter Disposition. Einfach viereckige Pfeiler, mit^ den Rundbögen in
gutem Verhältniss; an ihren Rückseiten, und oorrospondirend an den Wän-
den der Seitenschiffe, Halbsäulen; diese jedoch ohne Kapitäl, statt dessen
„das Deckgesims der Pfeiler (welches dem von St. Mauritius ähnlich ist),
wie auch das Fussgesims derselben (in der umgekehrten Form des Deckge-
simses) um sie herumgeführt ist. Die QneVgurte der Seitenschiffe haben das
194
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Stiidieri^an Rhein unj^sÄfosel. 1, Roman. Baiistyl. Köln etc, 195
Wulstprofi], in 'der Stärke der Säulen;
die Kreuzgewölbe ohne Gurte. — Etwas
höhere Schwibbogen gegen den^Chor hin
bilden die Begrenzung von einer Art Quer-
schiif, das über die Seitenschiffe hinaus-
tritt. Die Flügel desselben mit besort-
'dern Absiden (gen Osten). Zwischen der
A;bsi8 des südlichen Flügels und der be-
nachbarten Chorwand, ist ein seltsames,
einfach romanisches Kapellchen mit ei-
gener kleiner Absis eingebaut (Rh. 8.).
Der südliche Flügel, über dem alten Unterbau, im Üebergangsstyle aufge-
führt und namentlich im Inneren zierlich^dekorirt. Die Chor-Absis über
dem alten Unterbau, dreiseitig geschlossen, in einfach gothischer Aus-
führung. ,
Köln. St. Cäcilia. Pfeilerbasilika ohne Querschiff, in der Anord-
nung der Schiffe der von St. Pantaleon durchaus entsprechend. Das Mit-
telschiff mit spätgothischem Gewölbe. Das Aeussere einfach. Rundbogige
Friese mit Lissenen. Wandarkaden mit 7/ierlichen Würfelknaufsäulen um
die Fenster der Hauptabsis.. Die Oberfenster des Schiffes 'mit dickem
Wulstprofil. ,
Köln. St. Jojiaun Baptist. — Afelterer Bau; neue Weihung 1201.
Die Kirche scheint eine einfach romanische Pfeilerbasilika, wohl mit Em-
poren, gewesen zu sein. Doch ist daran ungemein viel verändert. Ein
zweites Paar Seitenschiffe, gleiqh hoch mit den alten, ist angebaut worden,
wobei einfach viereckige Pfeiler stehen geblieben sind. Spätestgothische
Fenster und Gewölbe. . -
Köln. St. Severin,'-— Alte BautheHe: Krypta mit vier Säulen
(Würfelkapitäle und achteckige Schäfte) und zehn viereckigen Pfeilern;
der östliche Theil der Krypta zierlich spätromanisch. In der Kirche _<las
Zwischenfeld, das den Anschein eines ehemaligen Querschiffes hat. Dies
in einfach strengem romanischem Styl. Doch ist hier viel verändert. —
Erasmuskapelle, auf der Nordseite der Kirche (Zugang von der,östlichen
Seite des Kreuzganges), jnit einem Tonnengewölbe und halbrunder Absis.
Kirche zu Lövenich (bei Köln). — Einfache Pfeilerbasilika, docTi
von ansprechender Anlage.' Kleine Absiden an den Seitenschiffen, die
grössere Absis des Mittelschiffes mit einem quadratischen Vorraum, Der
letztere gewölbt, mit Wulstgurten und niedriger als das Schiff, so dass sich
das Aeussere, von der Chorseite aus, malerisch gruppirt. Die Pfeiler ein-
fach viereckig; die Deckgesimse noch mit Karniesen, doch nur unter den
Bögen selbst,.-während die Vorder- und Rückseiten der Pfeiler glatt sind.
Am Aeusseren einfache Rundbogenfriese. An der Wand des Vorraumes
der Hauptabsis ein einfaches Rosenfenster. Die £)berfenster des. Schiffes in
einfach alter Form,, die übrigen später verändert, " . ^
Köln. St. Maria auf dem-Kapitol. — Kreuzgang vor der West-
seite, an der einen Seite noch mit kleinen Arkaden im Einschluss der
grösseren von Pfeilern getragenen Bögen. Diese im Styl des zwölften Jahr-
hunderts, streng romanisch.
Kirche zu Schwarz-Rheindorf. — Doppelkirche, einem Nonnen-
stift zugehörig, von sehr eigenthümlicher Anordnung; in der urspfünglichen
Anlage 1151 geweiht, in den nächsten Jahrzehnten erweitert: Die untere
Rheinreise, 1841. Zweiter .Abschnitt.
196
Kirche für das Volk bestimmt, die obere für die Nonnen, beide durchaus
gewölbt und durch eine im Mittelfelde der Zwischendecke befindliche acht-
eckige grosse, Oeffnung (die nachmals vermauert) miteinander verbunden.
Der Grundriss ursprünglich ein einfaches Kreuz mit kurzen Schenkeln und
auf der Ostseite hinaustretender Absis; die drei andern Kreuzflügel inner-
halb der sehr starken Wände der Unterkirche absiden - förmig, die der
Oberkirche geradlinig geschlossen. Sonst das Innere einfach; die Kämpfer-
geslmse (vorherrschend Kehle und Wulst), wie die sonstigen Gliederungen
in charakteristisch romanischer Bildung. Ecksäulen mit Blätterkapitälen
in dem Felde vor der Absis der Oberkirche. Aussen um den Fuss der
Oberkirche, als Krönung des Unterbaues, eine reiche Arkadengallerie; die
Säulchen derselben mit verschiedenartigst ornaraentirten Kapitalen streng
romanischen Styles, scharf ausladenden, wohlgebildeten Consolen und mit
Eckblättern an den Basen. Das G^isims über den Arkaden ein Wulst mit
versetzter Stab Verzierung, von stark gegliederten Consolen getragen. Ein
ähnliches, anderweit ornamentirtes Gesims auch am Oberbau; darunter ein
Rundbogenfries mit Lissenen, an der Absis mit Halbsäulen, üeber dem
Mitteltheil des Gebäudes ein starker Thurm mit Wandarkaden und Rund-
bogenfriesen. — Erweiterung der Doppelkirche gen Westen, dyrch Hinzu-
fügung zweier Gewölbfelder im Inneren. Sehr merkwürdig die Verbindung
der früheren mit den späteren Theilen in der Unterkirche. Hier lehnt
nämlicli die flache Halbkuppel des absidenförmigen Schlusses der ursprüng-
lichen Anlage rückwärts gegen eine andre ähnliche, von Westen her ein-
gewölbte ITalbkuppel, und zur Unterstützung beider sind, in byzantinisi-
render Weise, zwei* Säulen untergesetzt, deren Bögen in die Kuppelwöl-
bungen einschneiden. Die Säulen von schlanker, elegant romanischer Bil-
dung. Der Arkadengang im Aeusseren ist, mit Benutzung des Vorhandenen,
theilweis an der hinzugefügten Südseite des Gebäudes und an der Westseite
fortgesetzt
Bonn. Münster. — Der östliche Theil des Chores, d. h. die Absis,
die beiden Thürme und das zwischen ihnen belegene Baustück sammt den
darunter befindlichen Theilen der Krypta aus der Zeit um die Mitte des
ZAvölften Jahrhunderts (da hier, urkundlich, bedeutende Bau-Unternehmun-
gen stattfanden). In diesen Theilen . der Krypta vier Säulen mit streng-
gebildeten Würfelkapitälen; ihre Basen mit dem Eckvorsprung. Der Oberbau
namentlich die Absis. im Inneren durchaus einfach. Das Aeussere reich,
X aber durchaus klar und in strenger Bildung des Einzelnen. Zwei Unter-
geschosse, an der Absis und den Thürmen, mit Wandsäulen und Bögen
(die in den oberen Arkaden befindlichen Fenster der Absis später erwei-
tert, ruudbogig^ aber mit gothischem Stabwerk). Eihe Arkadengallerie
unter dem Dache det Absis; darüber das Wulstgesims mit versetztem Stab-
werk. Die Obergeschosse der Thürme mit Rundbogenfriesen und Lissenen
und mit Arkadenfenstern.
Aus derselben Zeit (urkundlich) der vollständig erhaltene Kreuzgang.
Kleine Arkaden von je drei Säulen zwischen Pfeilern. Die Säulenkapitäle
in sehr mannigfaltiger AVeise, aber im strengen romanischen Style und
olme sonderlich ausladendes Relief ornamentirt. Blätter auf den Ecken der
Basen. — Obergeschosse des Kreuzganges. Am westlichen Flügel Arka-
. Gftaaue Untersuchungen und ausführliche Darstellungen in deto Werk
von A. Simons; die Doppqlkirche zu Schwarzrheindorf, Bonn 1846.-
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(ieiifeiister. Am östlichen Flügel Bögen und Lissenen (doch verbaut). Am
südlichen Flügel ein durch Arkaden geöffneter Corridor, auf stark vortre-
tenden Mauerbögen von gedrückter Form ruhend; diese üb.er Säulen mit
AVürfelkapitälen gewölbt, welche vor die Pfeiler des Kreuzganges, an der
Seite des Hofes, frei vortreten. , " . '
Köln. St. Gereon — Die Absis des Chores, die daranstossenden
Thürme und das Feld zwischen beiden, sammt den unter diesen Theilen
belegenen Theilen der Krypta, bilden ähnlich, wie die entsprechende An;
läge des Bonner Münsters, einen Zusatz aus der Zeit des zwölften-Jahr-
hunderts; eine gewisse grössere Opulenz in der Dekoration bei fechon min-
der reiner Würde der Verhältnisse scheint auf eine etwas jüngere Zeit zu
deuten. Dies gilt besonders von den gehäufteren Zierden des Aeusseren.
Auch das Innere der (rococoisirten) Absis ist mit doppelten Wandarkaden
versehen. Der entsprechende Theil der Krypta hat acht Säulen mit sauber
gearbeiteten "Würfelkapitälen (wie an den Wandsäulen des Oberbaues) und
mit Eckblättern an den Basen. An den Wänden der Krypta sind hier
correspondirende Halbsäulen angeordnet. Seitenkapellen der. Krypta unter
den Thürmen. ' ,
Studieii au Khein und Mosel. 1. lloiu&ii. Baustyl. Köln otc.
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Köln. Gross St. Martin. — Merkwürdige und eigenthümlich gross-
artige Nachbildung der Bauanlage von St. Maria auf dem Kapitol, in ihren
älteren Theilen aus der Zeit um die Mitte und nach der Mitte des zwölften
Jahrhunderts^). Die Flügel des Querschiffes ebe^^nso wie dort als Absiden
gestaltet, doch die ganze Choranlage (zunächst im Inneren) von eiitschied-
uerem Höhenverhältniss, näher zusammengerückt und vpn mehr übersicht-
licher, höclist bedeutender Wirkung. Im Detail eine raffinirte Durchbil-
dung des Systems, doch insofern wieder sehr beschränkt, als die'olfenen
Chor-Umgänge der Kapitolskirche hier zu dekorirenden Wand-Arkaden
werden. Auffallend sind' die Kapitäle der Säulen an den unteren Waud-
Arkaden, und den Querschilfs-Flügeln. Sie haben ein Blattwerk von an-
scheinend hochalterthümlicher Bildung und darüber eine Platte wie ein
Architravstück; das Deckgesims darüber (Rh. 9.) hat aber genau die spätere
Gliederung wie an St. Mauritius, St. Pantaleon, St. Cäcilia. In
der Hauptabsis sind die Säulen schlanker, die Kapitäle mehr
kelchförmig, die Aufsätze darüber von derselben Beschaffenheiti
Die Kapitäle der Säulen in den oberen Arkaden aller drei Ab-
shlen sind-kelchförmig und ziemlich einfach (überhaupt'ist alle
.Kapitälarbeit ziemlich roh). Diese oberen Säulen, sehr in die
Höhe gezogen , in ihrer unleren Hälfte polygonisch , in der oberen cylin-
drisch, sind in dieser gesuchten Länge nicht von schönem Eindruck. Die
Halbsäulen an den" Pfeilerecken im Kreuz haben einfache Würfelkapitäle.
— Das Schiif hat mächtige Pfeilerarkaden von hohem, freien Verhältniss.
Die Halbsäulen, an den Rückseiten der Pfeiler und sonst, wiederum mit
einfachen Würfelkapitälen (die aber durchaus nicht mehr die Plumpheit
der iii der Kapitolskirche haben); die Deckgesimse darüber wiederum mit
der, für das zwölfte Jahrhundert charakteristischen Gliederung; — lieber
dieser Pfeiler-r und Bogenstellung des Schiffes beginnt ein späterer Bau.
Er hat zunäcl\§t spitzbogige' Wand-Arkaden, deren Säulchen mit kelchför-
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V. Lassaulx (Archit^sktonisch-historlscbe Berichtigungen und Zusätze zu
der Kleiu'schen Rheinreise, S. 495) hat das Datum einer im J. 1172 erfolgten
Einweihung der. Kirche. ' , .
197 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
198
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mlgeii, entschieden dem Uebergangsstyle angehörigen Kapitalen versehen
sind. Denselben Styl zeigen die Gurtträger; die Gewölbgurt« haben schon
das gothische Profil. Auch das spitzbogige Portal der Westseite gehört
dem Uebergangsstyle, und zwar dessen schönster Ausbildung, an; seine
Säulen sind mit geschmackvoll romanischen Kapitalen versehen, seine Bo-
genwulste ornamentirt, — Im Aeusseren haben die drei Absiden die De-
koration des ausgebildeten romanischen Styles (ähnlich wie am Bonner
Münster und an St. Gereon); die über ihnen emporsteigenden Giebel sind
mit einer Nischendekoration, schon in der Form der spätromanischen Fä-
cherfenster, versehen. Darüber erhebt sich — das Zeugniss einer schon
sehr gesteigerten Opulenz ^ ein mächtiger viereckiger Mittelthurm, flan-
kirt mit achteckigen Erkerthürmchen, von kühner, zum Theil verwegener
Anlage, Unterwärts ruht dessen Masse auf einer offenen Arkaden-Gallerie,
den unter den Dächern der Absiden entsprechend, die selbst die Erker-
thurmchen durchschneidet und einen eigenthümlich kühnen, doch nicht
schönen Eindruck hervorbringt. (Jetzt ist sie bei der Baufälligkeit, zu der
die ganze Anlage führen musste, zumeist vermauert.) Der obere Theil des
Thurmbaues hat anderweitig romanische Dekoration. Im Detail herrscht
dabei übrigens keine 'sonderlich feine Durchbildung.
Köln. St. Aposteln. — Ueber die alten Pfeiler-Arkaden des
Schiffes etc. s. oben S. 193. Der spätere Bau erscheint als nach dem
Brande von 1199 ausgeführt. .Die Wände des Mittelschiffes sind verstärkt
worden , indem vor^die Pfeiler pilasterartige Vorsprünge vorgelegt und
die Bögen mit gleichen Vorsprüngen umwölbt wurden. Ein Pfeiler um den
andern hat zugleich emporlaufende Halbsäulen, als' Gurtträger für das
Gewölbe des Mittelschiffes, erhalten. Ausserdem Halbsäulen an den Rück-
seiten der Pfeiler, mit Würfelkapitälen, die aber beträchtlich höher sind,
als die Deckgesimse der Pfeiler. Die sonstigen Kapitale von charakteri-
stisch spätromanischer, die Deckgesimse von attis'cher Form. Ueber den
verstärkten Arkaden des Mittelschiffes eine kleine rundbogige Gallerie. —
Die letzte Arkade vor dein Querschiff ist schon von Gruud aus nach
dem bei dem Ulnbau befolgten Princip angelegt. Dies ist also kein Rest
niolir des alten Baues, vielmehr ein mit der Choranlage gleichzeitiger
Theil. Die letztere befolgt wiederum das System der Kapitolskirche, in
der bei Gross St. Martin vorhandenen Umbildung desselben. Doch scheint
es, dass man das dortige gesteigerte Höhenverhältniss absichtlich wie-
derum vermeiden wollte; aber man büsste dabei, indem die räüthliche
Eintheilung schwerer, indem die Arkaden in den Absiden breiter und
niedriger wurden, wesentlich an der Grossartigkeit der iniieren Gesammt-
vvirkung ein. Nur dass der Mittelraum mit einer erhöhten Kuppel be-
deckt ist (was bei St. Martin nicht der Fall), gewährti,einen schönen
Eindruck! Dagegen -ist das Aeussere des Chorbaues von ungemein glück-
licher Composition, wohl das geistreichste Beispiel dieser Art. Dass die
Kuppel, in der Mitten nur flach und mit einem kleinen (byzantinisirenden)
Laterncheii gekrönt empgrsteigt, bringt eine ungleich schönere Wirkung
hervor, als der lastende Thurni von St. Martin. Die schlanken, zwischen
den Absiden vortretenden Eckthürme llankiren. die Kuppel vortrell'lich.
Doch ist zu bedauern, dass ihrer nur zwei, an der Ostseite, vorhanden sind;
(die vorspringenden gen Westen, welche die Composition abgeschlossen
hätten, lagen gar nicht im Plane). Auch das erscheint nicht besonders
schön, dass diese Eckthürme (die oburwärts achteckig werden) im Unter-
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-ocr page 198-Studien au Rhein und Mosel. 1. Roman, ßaustyl. Köln etc. 199
bau rund und die Wandarkaden, welche die Absiden in zwei Geschossen
schmückeu, sammt ihren Gallerieu unter dem Dache, im Widerspruch gegen
die Bogenlinien- der Arkaden um sie herumgeführt sind- »Das Detail der
Anlage ist zumeist roh; das Deckgesims z. B.,, welches die an
den unteren Arkaden angewandten Pilaster bekrönt, besteht aus
zwei Wülsten jnit eiuem Eckstäbchen dazwischen (Rh, 10.). —
Das Aeussere des Schifl'es ist sehr einfach. — An der Westseite
ist ein besonderes Querschiff angeordnet. Die innere Dekoration
desselben, die des Schiffes fortsetzend, hat schon denvUeber-
gangscharakter, mit Einführung des Spitzbogens.
Köln. St. Maria auf dem KapitoL —. Der Oberbau der Chor-
partie geliört in die Bau-Periode der ebengenannten Gebäude. Für das
Innere der Hauptabsis sind die Doppelsäulen, welche über je. einer un-
teren Säule frei vor der Wand stehen, und die zierlich romanischen Ka-
pitale derselben bezeichnend; für das Aeussere eine Dekoration, die die
Absiden-Dekoration der* zuletzt besprochenen Gebäude völlig wiederholt.
Im Inneren der Absiden des Quersclüffes sieht man an den entsprechenden
Stellen schlanke Halbsäulen mit Würfelkapitälen von der späteren Forma-
tion. Die Bögen, welche diese,Säulen verbinden, schneiden spitzbogig in
die Halbkuppel ein (was möglicher Weise wieder, von einer späteren An-
ordnung herrühren konnte). Das Aeussere des Oberbaues dieser Querschiff-
flügel ist ziemlich roh; Reste rundbogiger Friese, später erweiterte Fen-
ster etc.; zugleich aber haben dieselben, zur'Stütze ihrer Gewölbe und
schon als Vorläufer des Princips der germanischen
Architektur nach aussen vortretende schwere Stre-
bebögen. (Leichtere Strebebögen an der Haupt-
absis sind abermals späterer Zusatz.)
Köln. Taufkapelle von St. Geo'rg, — Die-
selbe tritt westwärts vor das Mittelschitl' dej? Kirche
vor und' ist mit diesem durch einen breiten, mehr-
fach abgestuften■ offenen Schwibbogen, dessen un-
tere Laibung durch grosse Halbsäulen njit Würfel-
kapitälen getragen wird, verbunden. Es ist ein
Bau von quadratischer Grundfläche, unterwärts mit
drei, von Säulen und Bögen eingefassten Nischen
an jeder der offenen Seiten, oberwärts mit einer
Wand-Gallerie, die sich durcii kleine Arkaden und
die Fensterbögen gegen das InneVe öffnet, über-
wölbt mit einer Hachen.Kuppel. Die ganze Be-
handlung deutet auf spätest romanische Zeit, doch
sind keine Formen des. Uebergangsstyles einge-
mischt. Besonders gilt dies von dem Gesam'irit-
charakter der Säulen und ihrer Kapitale, welche
letzteren die geschmackvollsten Beispiele romani-
scher Ornamentik, zum Theil mit frei untermeis-
selten'Details, enthalteiu Die grossen Säulen unter
dem Schwibbogen mit edel gebildeten, etwas'verzier-
ten Würfelkapitälen. Im Aßusseren der Kapelle ist
besonders der reichgegliederte-Sockel (Rh. 11.)
charakteristisch. Die auffallen.de'Stärke des Mauer-
200 Rlioitireis«, 1841. Zweiter Abschnitt.
welkes dejjtet'darauf hin, dass es im Plane lag, über der Kapelle einen
Tliurnibau auszuführen.
Abteikir'che von Brauweiler. — Mit Ausnahme der älteren
Kry()ta (vergleiche oben) ein grossartiger, in eigenthümlichem Reich-
thuiii durchgeführter Bau aus spätromaniacher Zeit, mit Elementen des
Uebergangsstyles Das Innere der Kirche erscheint in der ganzen Aus-
delinung von vornherein auf Gewölbe berechnet. Im SchilT wechseln ein-
fache viereckige Pfeiler (von zu schlankem Verhältniss) mit solchen, an
denen starke Halbsäulen als Gurtträger für das Gewijlbe emporsteigen.
Darüber, von den Gurtträgern unterbrochen, laufen Wandarkaden von ziem-
lich bedeutender Dimension hin; über diesen grosse Fenster, imAeusseren
mit einer Wulst-Einfassung. Die Gewölbe sind spätgothisch (mit Gurten
von flachem Kehlenprofil); wie die ursprüngliche Einrichtung derselben
gewesen, ist nicht recht deutlich, da auch in der Mitte des einzelnen Ge-
wölbequadrats, über jenen Wandarkaden, romanische Halbsäulen als Gurt-
träger emporsteigen und ein Stück Maueransatz tragen, das etwa dem An-
satz eines Querbogens quer über das Kirchenschiff hin, zu vergleichen
sein dürfte. Vielleicht waren es ursprünglich sechstheilige Gewölbfelder.
Die Säulenkapitäle sind zumeist mit romanischem Blattwerk von später
Art, doch von einer eigentliümlichen, fast ägyptisirenden Bildung, ver-
sehen. Die der Hauptgurtträger aber sind grösseren Theils mit figürlicher
Sculptur herbromanischen Styles bedeckt, in der sich, sehr merkwürdiger
Weise, architektonische Kräfte aussprechen, indem mehrere Halbflguren,
um den Körper des Kapitales sich umherreihend, die Deckplatte und so-
mit auch die Gewölbebögen karyatidenartig stützen und tragen. — Die
SeitenschiÖe liaben ältere Kreuzgewölbe, die an den Pfeilern durchgehend
von schmalen Pilastern, an den Wänden durchgehend von schlanken Wand-
säulen mit Würfelkapitälen getragen werden. Die Kreuzgurte in den Ge-
wölben der Seitenscliiffe haben schon das einfachste Birnenprofll. — Gen
Osten ein Querschill'.' Die etwas niedrigen Schwibbogen in der Durch-
schneidung des Kreuzes im" romanischen Spitzbogen, von Pilastern getra-
gen. Letztere haben als Bekrönung unter dem Deckgesimse einen kleinen
rundbogigen Fries. Die Flügel des Querschiffes durch Chorbrüstungsmauern
von dem Mittelraume abgeschnitten, deren äussere Seiten mit zierlichen
, Arkadennischen und Tablettenwerk geschmückt.— Zwischen Querschiff und
Absis im Zwischenfeld mit seitenschift'artigen Nebeuräumen, die von dein
Mittelraum durch romanisch spitzbogige Arkaden abgetrennt werden. Aus
diesen Seitenräumen führen Thüren in die zu den Seiten der Absis stehen-
den Thürme, die nördliche im gebrochenen Rundbogen, diie südliche im
S[»itzbogen überwölbt. In den Lünetten dieser Thüren Reliefornamente, jo
eine sitzende Figur und gesclimackvoll romanisches Blattwerk, das beson-
ders in der Lünette der südlichen Thür von ausgezeichneter Schönheil ist.
— Die Absis mit zierlichen romanischen Arkaden geschmückt, bei deren
oberen die Säulenschäfte in dersell^en Weise, wie in St. Martin zu Köln,
mit hohen polygonen Untersätzen, doch nicht in so übertrieben spindelför-
Unter dem Abte Godesniann von Freimersdorf, welcher 1226 starb, wurde
die Abtei durch eine Feuersbrunst fast ganz verzehrt. Ohne Zweifel sind die
vorhandene Kir«he und die ihr entsprechenden alten Klosterbaulichkeiten der
nach diesem Brande entstandene Neubau. Vergl. Kistelhneber, Beschreibung des
Land-Arbeitshauses zu Brauweiler, S. 25.
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Studien au Rhein und iVIosel. Roman. Eaustyl, Köln etc. 201
miger Dimension, versehen sind. Der alte Hochaltar in der Absis an der
"Vorderseite mit eleganten romanischen Arkaden. Sehr merkwürdig und
eigenthümlich ist es, dass an die Absis, in der Mitte, sich in gleichzeiti-
ger Anlage noch eine viereckige Kapelle anschliesst, die mit dem Innern
der Absis durch eine oifene Bogenstellung prächtig romanischen Styles in
Verbindung steht. In der Mitte wird diese Bogenstellung durch eine starke
Säule von buntem Marmor mit brillant romanischem Kapitäl ^getragen.
Im Aeusseren zeigt die Chorpartie die übliche spätromauische Anord-
nung : Wandarkaden über einander, und als Krönung ein Tablettenvperk
und ein kleiner Arkadengang. So an der Absis selbstpso an den Thürmen
zu deren Seiten. Die Thürme treten nicht so weit vor, wie die Flügel
des Querschiffes, lehnen auch nicht an dasselbe an. (Der südliche dieser
Thürme hat nur die Dachhöhe der Kirche; der nördliche ist, wohl in
Folge eines Brandes, noch tiefer abgetragen, Ueber der Mitte de^ Quer-
schiffes erhob sich ursprünglich ohne Zweifel'ein Mittelthurm; wenigstens
war die Anlage jedlnfalls darauf berechnet.) An den Giebelwänden des
Querschiffes spitzbogige Wandnischen. — Sehr,merkwürdig die^ westliche
Seite der Kirche. Hier, in der Mitte, erhebt sich ein grosser und starker
Thurm romanischen Styles, unterwärts eine nach dem Innern der Kirche
zu geöffnete Halle bildend. Zu dessen beiden Seiten steigen zwei andre
viereckige Thürme empor, desselben Styles, aber von beträchtlich geringe-
rem Durchmesser, etwa der Anlage der sonst und früher üblichen Treppen-
thürme vergleichbar. Im Untergeschoss sind sie mit dem Haüptthurme
verbunden; oberwärts aber, wo die Geschosse sich, obsclion nur in geringem
Maasse verjüngen, lösen sie sich von demselben ab und steigen frei zu
seinen Seiten empor, was einen sehr eigenthümlichen Eindruck macht.
An der Vorderseite des westlichen Thurmes, innerhalb eines modernen
Vorbaues und durch denselben zum Theil beeinträchtigt, ein altes merk-
würdiges Portal. Zu den Seiten desselben, nicht eben als architektonische
Gliederung zu betrachten, zwei freistehende schlanke Säulen mit romani-
schen Blattkapitälen, vielleicht von symbolischer Bedeutung (etwa Jachin^
und Boas). Am Architrav der Thür eine ziemlich rohe Sculptur, eben-
falls symbolischen Inhalts: innerhalb eines mit Blattwerk verzierten Halb-
kreises ein grosser Ring, um den sich zwei Schlangen-winden, deren jede
sich in den Schwanz beisst; zu den Seiten des Halbkreises zwei Löwen.—
An der Südseite der ^Kirche, ehemals in den Kreuzgang führend, ein sehr
zierlich dekorirtes rundbogiges Portal mit Säulen und Bogenwulsten.
Vom Kreuzgange neben der Kirche ist nocli ein bedeutender Theil
erhalten. Grosse Halbkreisbögen über Pfeilern, in deren Ecken zierlich
romanische Säulen eingelassen sind. (Die Arkaden, im Einschluss dieser
grossen Bögen, fehlen.) Die Querbögen in der Ueberdeckung des Kreuz-
ganges sind einfach dicke, Wulste, auf Consolen ruhend; dazwischen ein-
fache Kreuzgewölbe ohne Gurte. An der Seite der Kirche, wo der Kreuz-
gang abgerissen, sieht man über den Resten desselben an der Kirchenwand
auch noch einige Reste ähnlich zierlicher .gewölbter Oberräume. — An
die Ostseite des Kreuzganges stossen andre Klosterräume an. Zunächst
der Kapitelsaal, auf zwei zierlich romanischen Säuleil, mit ziemlich breit-
gespannten flachen Querbögen, zwischen denen die einfachen Kreuzgewölbe
eingesetzt sind. — Dann die sogenannte Medarduskapelle, auf vier ähnli-
chen Säulen und mit Wandpfeilern. Die Kapelle ist au ihrer Ostseite noch
weiter hinausgebaut, indem sich hier starke viereckige Pfeiler von etwas
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5 a
202 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
höherer Dimension anschliessen. Diese Bauveräuderung scheint noch völlig
demselben Style zu entsprechen.
Abteikirche zu Heisterbach (am Siebengebirge). — Von dieser,
1202 bis 1233 gebauten Kirche steht noch, als höchst malerische Ruine,
der Bau der Chor-Absis. Es ist ein höcht elegantes Beispiel spätromanx-
scher, vorzüglich raffinirter Architektur, wiederum auf der Grundlage des
bei der Kapitolskirche und bei St. Martin zu Köln befolgten Systems. Ein
Säulenkranz von sehr leichten und zierlichen Verhältnissen trennt die
eigentliche Absis von einem um dieselbe herumlaufenden Umgange. Die
Säulen sind doppelt, nach der Tiefe zu. Die vorderen Säulen stehen auf
einer Brüstungsmauer; die hinteren auf andern Säulen von der Höhe die-
ser Mauer. Sie sind durch Spitzbögen verbunden, ihre Kapitale aber schon
in einer entartet flauen Weise des romanischen Styles behandelt. Ueber
diesem Arkadenkranz, zu den Seiten der Fenster des Oberbaues, steht wie-
derum ein Halbkreis von schlanken Säulen, welche durch Rundbögen mit
sehr verlängerten Schenkeln verbunden sind. Die staÄeWand des um die
Absis umherlaufenden Umganges wird durch tiefe Nischen ausgefüllt. Ueber
den letzteren sind kleine "Wandarkaden angeordnet, deren Säulcheu, wo
die Quergurte des Gewölbes des Umganges aufstossen, gedoppelt sind.
Ueber diesen Quergurten erheben sich, gegen den Oberbau hin, einfache
Strebebögen, die auswärts fast gänzlich als schräge Strebemauern erschei-
nen. Den ebengenannten kleinen Wandarkaden völlig entsprechend sind
ähnliche auch am Aeusseren des Umganges vorhanden.
Köln St, Kunibert. — Geweiht 1248, Kirche von durchgebilde-
ter Gewölbe-Anlage, mit einem schmalen QuerschilF auf der Ostseite, über
dessen Flügeln sich Thürme erheben; ein grosses Qaerschiff auf der West-
seite, über dessen Mitte ein (neuerlich eingestürzter) Thurm. Entwicke-
lung des Uebergangsstyles auf einfach romanischer Grundlage. Die Arka-
den des Schiffes noch rundbogig; die Pfeiler wechselnd stärker und schwä-
cher, die letzteren übertrieben schmal und schlank; die Bögen von
angemessener Weite. Das Kämpfergesims (Rh 12.) in vereinfachter
Wiederholung der Form des zwölften Jahrhunderts. Das Fuss-
gesims in derselben B'orm, nur umgekehrt. Ueber den Arkaden,
im Mittelschiff, eine rundbogige Wandgallerie auf Säulen, von
gutem. Verhältniss. Au den Vorderseiten der breiteren Pfeiler
Pilaster und Ecksäulen (die letzteren e/st in einer gewissen
Höhe eingeblendet) als Träger der Gurte des Hauptgewölbes. , An den
Rückseiten der Pfeiler und entsprechend an den Wänden der Seitenschiffe,
schmale Pilaster als Gurtträger. Die Gewölbe der Seitenschiffe noch we-
sentlich rund,.doch die Stirnbögen über den Fenstern .^elliptisch überhöht;
die Kreuzgurte als Wulste, die Schlusssteine als herabhängende kugelartige
Blumen. Im Gewölbe des Mittelschiffs die Quergurtbänder s{)itzbogig, die
Stirngurte (im Wulstprofil) ebenso, die Kreuzgurte im Pro Iii bereits bir-
nenförmig. Die Blätterkapitäle der Säulen in einfach späten Formen. Die
Fenster des Mittelschiffes weit romanisch, die der Seitenschiffe (inncrl^alb
llacher Wandnischen) als achtblättrige Rosen. — Im Chor und dem östli-
chen Qucrschilf- ist der romanische Halbkreisbogen nach aussen zwar eben-
falls noch vorherrschend; im Inneren aber tritt der Spitzbogen noch bedeu-
tender hinzu. So besonders bei den reiche.n Säulenarkaden, welche, die
Absis im Innern, in zwei Reihen über einander, umgeben und von denen
die oberen Spitzbögen in das Halbkuppelgewölbe der (im Grundriss noch
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Studieii au ßhein und Mosel. 1, Romau. Baustyl. Köln etc. 203
halbrunden) Absis einschneiden. Die Fenster der Giebelseitpi des Quer-
schiffes haben perspektivisch schräge Seitenwände, weil 'die innere Bestim-
mung ihrer Lage mit der äusseren (unter den Thürmen) nicht correspon-
dirt. — Das Aeussere ziemlich roh. Die Absis mit roKen Säulen zu den
Seiten der Oberfenster; darüber ein roher Arkadengang. Die östlichen
Thürme oberwärts mit Fenstern und Fensterblenden im Uebergangsstyle.
xVIittelschiff und Seitenschiffe mit rundbogigen Friesen und Lissenen, die
letzteren mit einem Rundstabe als Deckgesims. — An dem (neuerlich ein-
gestürzten und wiederhergestellten) Bau des westlichen Querschiffes sind H
die östlichen Wände, wie die nördliche und südliche Wand noch alt.
Hier ist Alles, auch die Wölbung der Fenster, bereits spitzbögig, obgleich
immer noch in romanischer ßehandlungsweise.
Köln. St. Andreas. — Langschiff und Querschiff (ohne Zweifel
nach einem, im Jahr 1220 stattgehabten Brande) spätromanisch, mit Moti-
ven des üebergangsstyles. Die Arkaden des Langschiffes reich aus Pfei-
lern mit Halbsäulen gebildet; sehr brillante, zum Theil sehr geschmack-
volle romanische Laubkapitäle; über den Arkaden hinlaufend ein Ornäment-
fries von derselben Art. Die Querbögen im Hauptschiff spitzbögig roma-
nisch, die Kreuzgurte dazwischen schon von gothischer Form. Die Schwib-
bogen in der Durchschneidung von Quer- und Langschiff' ebenfalls spitz-
bogig romanisch, auffallend niedrig (aber nicht erniedrigt); darüber ein
achteckiger zierlich romanischer Thurm, mit Arkadenfenstern. Der drei-
seitige Schluss des südlichen Querschiffflügels spät, flachgothisch; der des ;
nördlichen im zierlichen Debergangsstyl, doch auch hier Fenster und Ge-
wölbe flachgothisch. — An die Seitenschiffe sind später gothische Kapellen
angebaut. — Auf der Westseite der Kirche eine geräumige Emporbühne
für die Nonnen, zu den Seiten ausladend, wie ein westliches Querschiff;
die Querbögen spitz. Unter dem westlichen Theil dieser Empore läuft eine
Vorhalle hin, welche die östliche Seite des ehemaligen Kreuzganges bil- I
dete. Diese Hälle im brillanten spätromanischen Uebergangsstyl, ähnlich
dem der Schlosskapelle zu Freiburg an der ünstrut. Die Querbögen sind
ä>;anz wie die der letztern behandelt, die Kreuzgurte im Wulstprofll, die
[Kapitale der W^andsäulen sehr zierlich. —- Der Chor, spätgothiscli (s. unten),
ist um mehrere Stufen erhöht. Im Quersch'iff zwei Seitenthüren, von denen
l'reppcn zu der ehemaligen vermauerten Krypta' hinabführen. •
Köln. St. Maria in Lyskirchen. — Sehr zierliches Beispiel des
romanischen Üebergangsstyles. Breite Arkaden, geräumige Schiffe. Empo- |
ren über den Seitenschiffen, denen die ursprünglich ohne Zweifel vorhan-
den gewesenen Arkaden entnommen sind. Wandpfeiler mit Ecksäulen, als
Gurtträger emporsteigend, mit sehr zierlich romanischen Blätterkapitälen.
Spitzbogiges Gewölbe; die Quergurte mit schönem" Uebergangsprofil, .die
Kreuzgurte schon birnenförmig. — Grosses Portal ah der,Westseite ;'^rund-
bogig, mit je einer Säule und entsprechendem Bogenwulst; auch sonstige
Gliederung. Die Kapitale und das Örnamentglied, welches das Gesims des
Architravs trägt, höchst zierlich "sculptirt, Blätterwerk mit phantastischen i|
Figuren, in sauberster und zugleich edelster romanischer Art. Der Bogen-
wulst mit feinem Blattwerk. — Krypta ohne Säulen, mit polygonem Schluss.
Bei dem Ansatz des letzteren ein Quergurtband, von s^iätromanischen Halb-
Säulen (mit ganz einfachen Kapitälen) getragen. Das Gewölbe des^poly-
gonen Theils geschmackvoll in mehrfadieu Kappen zusammenstossend. —
Die Fenster sämmtlich spätgolhisch erneuert.
•203 r Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
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Köln. St. Severi_n. — Der Chor in sehr elegantem romanischcui
Spitzbogen. Vor den Fenstern der Absis zierliches Säulenwerk und Um-
gang. Sehr geschmackvolle romanische Kapitale. Die Absis noch halb-
rund, doch ihr Gewölbe bereits mit Gurten. In den Fenstern manches
verändert. — Der östliche Theil der Krypta zierlich spätromanisch, Wand-
säulchen mit Blätterkapitälen, Kreuzvvulste etc. — Zu den Seiten des Chors
zwei kleine viereckige Thörme.
Köln. S t. Pantaleon. — Ueber das im Uebergangsstyl Gebaule
vergl. oben S. 195.
Köln. Gross St. Martin. — Theile im Uebergangsstyl. Vergl.
oben S. 197, unten, f.
Bonn. Münster. — Der grössere Theil des Gebäudes in den For-
men des Uebergangsstyles. Vergl. darüber oben S. 121, f. Im Einzelnen ist
noch das Folgende hinzuzufügen. Bei der Erhöhung und Ueberwölbung
der alten westlichen Hälfte des Ostchores sind innen starke Gurtträger-
Säulen mit reichen Blätterkapitälen hinzugefügt. In dem (spitzbogigen)
Gewölbe sind die Quergurte als Platten mit kleinen Wülsten zu den Seiten,
die Kreuzgurte in ausgebildeter und gegliederter Wulstform gebildet. Im
Querschiff sind die Gurtträger auch aus Pfeilerecken und Säulen zusammen-
gesetzt, die Schwibbögen aus je drei Platten bestehend (mit den kleinen
Eckwulsten), die Kreuzgurte schon von birnenförmigem Profil. Dasselbe
Profil erscheint auch an den Kreuzgurten des noch ausgebildeteren Gewöl-
bes des Langschiffes.
Kirche zu Sinzig. — Im Schift" einfache Pfeiler mit Rundbögen; die
Seitenschiffe rundbogig überwölbt. Empore über den letzteren, rundbogig,
mit zierlichen Arkaden auf Doppelsäulen; im Querschiff und im Chor als
schmalere Gallerie herumgeführt, hier aber spitzbogig und mit Pfeiler-
Arkaden. Die Quergurte des Mittelschiffes, gegliedert und auf romanisch
gegliederten Trägern, durchweg spitzbogig; die Fenster aber noch rund,
die im Mittelschiff fächerförmig, als Halbrosetten. Der Chor, fünfseitig ge-
schlossen, mit zierlichem Säulenwerk; die rundbogigen Fenster desselben
innen und aussen spitz umfasst. Ueber dem Mittelfeld des Kreuzes eine
Kuppel mit acht Radiengurten; darüber ein achteckiger Thurm von an-
sprechendem Verhältniss, mit Fenstern im Uebergangsstyl. Das Aeussere
des Chores zierlich dekorirt, Arkaden-Umgang u. dergl. Die Giebelseiten
des Querschiffes und die westliche Fa^ade mit allerlei Rundbogenwerk.
Die Portale an diesen drei Seiten im romanischen S[)itzbogen und dekorirt.
Kirche zu Heimersheim (unfern Sinzig). ~ Im Schiff kurze vier-
eckige Pfeiler mit einfachen Deckgesimsen, verbunden durjch breite Spitz-
bögen, die schon mit in die Ecken eingelassenen Wülsten, gegliedert sind.
Die Seitenschiffe ebenfalls im breiten Spitzbogen überwölbt, die Kreuzgurte
im Wulstprofil. .Ungewölbte rundbogige Emporen über den Seitenschiffen,
ursprünglich mit kleinen spitzbogigen Arkaden, wovon noch ein Rest vor-
handen. Das Mittelschiff mit einfach frühgothischem Gewölbe auf Conso-
len. In der Durchschneidung des Kreuzes vier starke und in späterer Zeit
noch Verstärkte Spitzbögen, von Pilastern und Säulen getragen. Im Mittel-
feld eine ziörliche Kuppel mit acht Radiengurten, darüber ein sehr zier-
lich achteckiger gothis\;her Thurm. Der Chor fünfseitig, mit Ecksäulen,
reich und geschmackvoll. Die drei mittleren Seiten desselben, mit je zwei
schlanken rundbogigen Fenstern, die nach innen durch eine kleine Säule,
nach aussen durch einen Pfeiler getrennt werden. — ^Ueber ihnen schnei-
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Studien an Rhein und MosM, 1. Roman:, Baustyl. Köln etc. 205
den eigenthümliche Stichkappen in die polygone Halbkuppel ein, was ur-
sprünglich ist und wesentlich zu dem reichen Eindruck des Ganzen bei-
trägt. Das Aeussere ist einfach, ßundbogige, auch schon spitzbogige
Friese u, dergl. an Chor, Querschiff und Fagade.
Kirche zu Linz. — Im Schiff kurze Pfeiler mit einfachen Deckge-
simsen und ganz einfachen Halbkreisbögen. Ueber den Seitenschiffen un-
gewölbte Emporen, deren Arkaden im romanischen Spitzbogen mit Säulen-
gliederung. Ein Pfeiler um den andern mit starken Gurtträgern, Bündeln
von je drei Säulen mit Einkehlungen dazwi-
schen. Spitze Querbögen (Rh. 13.) von reicher
Gliederung (mit mehrfachem Wulste) ; dazwi-
schen spätgothische Sterngewölbe. Kein Quef-
schiff. Der Chor fünfseitig, mit je drei Säulen
in den Ecken, die durch mehrfache Ringe ver-
bunden , und schmal spitzbogigen Fenstern* ohne Stabwerk. Das Aeussere
des Chors einfach zierlich, mit Rundbögen und Tabletten., Thurm über
der Westseite mit rundbogigen Arkadenfenstern. ^Sonst das Aeussere, wie
auch die Fenster der Seitenschiffe und Emporen, spätgothisch erneut.
Kirche zu Erpel. — Einfach romanischer Pfeilerbau, ursprünglich
mit Emporen, doch im Innern eine bedeutende Bauveränderung. Der Chor
ganz artig im romanischen Spitzbogen, etwa wie der der Kirche von Hei-
mersheim, mit Säulchen, auch im Aeusseren einfach sauber. Geschmack-
voll romanischer Thurm über der Westseite;
Remagen. Katholische Kirche. — Im Schiff rohe Pfeiler und
Rundbögen, Der kleine Chor, fünfseitig, einfach im Aeusseren, ebenfalls
ein ansprechendes Beispiel des romanischen Üebergangsstyles mit vorherr-
schendem Spitzbogen. Zierliche Säulchen zwischen .den sehr schmalen
Fenstern. Der Chor spätgothisch überwölbt, das Schiff ohne Gevvölbe.
Nach einer Inschrift am Chor 1246 geweiht. ''
Kirche zu Zülpich. — Das Schiff in interessanter Durchführung
des romanischen Spitzbogens, consequent in der Weise des Domes von
Limburg an der Lahn (zwischen 1213—42), doch ohne die dort ange-
wandten Gallerieen. Viereckige Pfeiler mit Spitzbögen, Pilaster und Säulen
mit schönen leichten Kapitälen als Gurtträgern. Gegliederte Bogenlaibungen.
Die Kreuzgurte schon mit ganz bestimmt gothischem Profil. Die zweimal
zwei Fenster dem Chore zunächst romanisch spitzbogig, die folgenden als
fünfblättrige Rosetten. Die letztere Form auch an den Fenstern der
Seitenschiffe " ' "
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Als wesentlich bezeichnendes Beispiel der rheinischen Weise des Üeber-
gangsstyles gehört hieher auch die, weiter gen Norden belegene,- 12055 gegründete
Kirche St. Quirin zu Neuss. In den drei, ziemlich flachen Absiden an Chor
und Querschiff" die Disposition "von /Jross St Martin in einer schon spielenden
Weise wiederholend, in den Schiifen und den Emporen über den Seitenschiffen
der Anordnung des Domes ' von Limburg an der Lahn (mit der systematischen
Durchführung des romanischen'SpiJzbogens) schon nah verwandt, zeigt sie am
Aeusseren und namentlich an der manierirt bunten und überladenen Dekoration
des mächtigen Fa^adenbaues auf der Westseite, schon die höchste Ueppigkeit
und Willkür iii der Anwendung des romanisctien Dekofationsprincips.
Auch nenne ich hier die Kirche von Kaiserswerth, die ich später auf
einer flüchtigen Reise sah. Sie ist romanisch-spitzbogig, in der gewöhnlichen
rheinischen Weise; das Schiff mit einfach viereckigen Pfeilern und gegenwärtig
206 Rheinreise, 1841." Zweiter Absclihitt.
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Besonders einfache Formen des üebergangsstyles in vereinzelten Bei-
spielen: - j,
Kirche zu Euskitchen. — Im Schiff höchst massige viereckige
Pfeiler mit Halbkreisbögen^ Spitzer Schwibbogen vor dem Chor. (Der
Chor einfach, rein gothisch. Seitenschiffe und Gewölbe des Mittelschiffes
spätgothisch.) Thurm über, der Mitte der Westseite; sein Inneres mit dem
Mittelschiff durch einen grossen Halbkreisbogen verbunden. Das südliche
Seitenschiff neben ihm' vorgeführt und mit seinem Inneren durch einen
breiten romanischen Spitzbogen in Verbindung. Der Thurm oberwärts mit
Lissenen und gothischen Rundbogenfriesen.
Kirche zu Adenau. — Die Architektur unbedeutend und verwor-
ren. Vor dem Chor alte romanische Spitzbögen, auf der Nordseite kleiner,
als auf der Südseite. Darüber ein niedriger achteckiger Thurm (eigentlich
viereckig, mit abgeschnitten'en Ecken), mit schweren rundbogigen Arkaden
auf den breiteren Seiten. An der Westseite ein ganz einfaches, doch hüb-
sches rundbogiges Portal (mit lustig buntem altem Thürbeschlag). An der
Westseite auch im Innern ein Paar alte Rundbögen, die aber mit jenen
Spitzbögen nicht correspondiren. Das Schiff zwischen diesen Theilen mit
Rundpfeilern und starken, schweren Spitbögen, was spätgothisch zu sein
scheint, wie es das niedrige Gewölbe mit seinen Kehlengurten ist. Der
Chor hoch, den Thurm im Aeussern fast verdeckend, gerade abschliessend,
einfach im ausgebildeten gothischen Styl.
Kirche zu Meckenheim. — Nur e i tf-Seitenschill^, auf der Süd-
seite. Zwei viereckige Pfeiler mit breiten, starken Spitzbögen. Der Bogen
zum Chor ebenso. Der Chor selbst, durcb spitzbogige Wandnischen an
den Seiten, von ansprechender Einrichtung. Ein einfach viereckiger Thurm
auf der Westseite, mit spitzbogigem Durchgang zur Kirche,, oberwärts mit
einfach breiten spitzbogigeu Fenstern. Die Gewölbe im Schiff spätgothisch.
Kirche zu Deutz. -- Viereckige Pfeiler mit schwe-
ren romanischen Spitzbögen. Das Deckgesims ^der Pfeiler
(Rh. 14.) in sehr alterthümlicher Form, mit ■(veitausladen-
dem Karnies. Querbogen zwischen Schiff und Chor als
romanisches Bogenband. Sonst Vieles in spätest gothischer
Zeit roh verändert. Gewölbe, Fenster, Chorbau. aus dieser
späteren Zeit. . . jifi?»™.-.
Köln. St. Columba. —■ Ursprüngliche Anlage von grosser Eigen-
thümlichkeit. Der Thurm auf der Westseite über, mächtig starken Spitz-
bogen; seine innere Halle nach allen Seiten, auch nach dem kleinen Vor-
bau auf der Westseite, geöflnet und mit dem inneren Kirchenraume in Ver-
bindung. Im Schiff Pfeiler von massiger Breite und auffallend geringer
Stärke, in bedeutenden Abständen voneinander und durch mächtige Rund-
bögen verbunden. Die Pfeilerecken ausgekehlt, in die Bogenecken Rund-
stäbe eingelassen; im Deckgesims ein stark vorspringendes Karnies. CUm-
fassende spätere Bauveränderungen.) — ' ^
Detailbildungen spätromanischen Styles, in vereinzelten, vorzüglich
schönen Beispielen: •
Zu Altenberg bei Köln, von den abgerissenen Klostergebäuden, eine
grosse Anzahl von Kapitalen, Basen, Schaftringen, Consolen. Hier Gli«-
ohue Decke; der Chor dreiseitig geschlossen. Das, gleichfalls im romanis.c,hea
Spitzbogen überwölbte Portal der Westseite hat das Datum: MCCXLIII,
Studien an Rhein und Mosel. 1. Roman,- Baustyl. Köln etc. 207
deriiug und Ornament in schönster Reinheit und Anmuth, in grösster Man-
nigfaltigkeit, in vortrefflich durchgebildeter Plastik. Nichts Phantastisches
und nur wenig Stylloses. , ' -
In St. Ursula zu Köln, auf einer der alten Emporen, vi^r ausge-
zeichnet schöne Kapitale und Basen.
Im Museum zu Köln eine Anzahl von Kapitalen zierlich spätroma-
nischen Styles (von den Klostergebäuden'von St. Pantaleon?) —
Wohngebäude spätromanischen Styles:
An solchen bewahrt insbesondere Köln mehrere charakteristisch in-
teressante Beispiele, die an Fenster- und Thüreinfassungen die üblichen
architektonischen Dekorationsformen , zum Theil in wohlberechneter Ele-
ganz , zur Schau tragen, Hieher gehören u. A. die brillante Fa^ade des
sogenannten Templerhauses in der Rheingasse, eine andre am alten Markt,
und der Bonner Hof in der Georgenstrasse mit einem schönen spätroma-
nischen Portal und einem starken, oberwUrts achteckigen Rundthurm. —
Köln. St. Gereon. — Das Schiflf der Kirche, in länglicher Rund-
form, oder vielmehr in der Form eines länglichen Zehnecks, bildet die
freie Wiederholung einer hochalterthümlichen Anlage (vergleiche oben),
gestaltet dieselbe reich und eigenthümlich im Charakter des Uebergangs-
styles und mischt dem letzteren schon Einzelformen von überwiegend go-
thischem Charakter bei. Zwei Seiten des Zehnecks werden durch das Portal
und den Aufgang zum Chor eingenommen. In den übrigen sind tiefe;halb-
kreisrunde Nischen mit runder Ueberwölbung angeordnet; darüber Logen
mit kleinen, spitzbogig umfassten Arkaden; darüber Halbrosettenfenster im
spitzbogigen Einschluss; darüber schlanke Doppelfenster von einfacher pri-
mitiv gothischer Anlage (die fast willkürlieh eingesetzt erscheinen) unter
reichen romanisch spitzen Stirnbögen. An der Stirnseite der Wandpfeiler
zwischen den Nischen läuft reiches Säulenwerk empor. Das Detail, mit
den Kelchblätterkapitälen, hat romanische Uebergangsformen, ist übrigens
nicht gar fein gebildet. Die zehnseitige Kuppel, 1227 gewölbt, hat birnen-
förmige Gurte. Im Aeussern ist der gothische Charakter d^r schlanken
Oberfenster durch ihre Umfassung noch bestimmter bezeichnet. Dem ent-
sprechen die Strebepfeiler auf den Ecken des Gebäudes und die, vor dem
Obertheil desselben angeordneten einfachen Strebebögen, üeber jenen
Fenstern, zwischen den Streben, läuft endlich eine Bekrönung hin, wdche
alle dahin gehörigen romanischen Zierden zusammenhäuft: ein rundbogiger
Fries, ein Tablettenwerk, eine kleine Arkadengallerie, ein spitzbogiger
Fries mit bunten Consolen und Kranzgesimse im rheinisch romanischen
Charakter. / ■ v'
An die Südseite des Schiifes, so dass der Strebepfeiler des letzteren
in sie hineintritt, ist eine länglich achteckige Taufkapelle in zierlicher
romanisch spitzbogiger Architektur angebaut, mit Spitzbogenfenstern eben
dieses Styles, reich mit Säulen, die mit Ringen und schönen spätromani-
schen Blätterkapitälen geschmückt sind und mit phantastisch profilirten,
zum Theil ornamentirten Gewölbgurten, welche auf bunten Basen über den
Kapitalen aufsetzen und ebenfalls mit Ringen versehen'sind.
•207 r Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Coblenz. St. Ca stör. — Aelterer Bauanlage angehörig: der Unter-
theil des Thurmbaues auf der "Westseite, mit halbrund vortretenden Trep-
penthürmchen an den Seiten, die Wände mit Pilastern (nicht eigentlichen
Lissenen) versehen. Vermuthlich noch aus dem elften Jahrhundert und
einer Erneuung nach den in dieser Zeit stattgefundenen Beschädigungen
(vergl. v. Lassaulx") zugehörig. Die Kapitale der Pilaster des zweiten Ge-
schosses passen zu diesen aber nicht; mit rohen Blättern, mit Zikzakzier-
den u. dergl. geschmückt, sind sie ohne Zweifel einem noch älteren Bau
entnommen. (836 wurde der erste Bau von St. Castor geweiht.)
Ebenfalls als einer älteren Bauanlage angehörig (doch nicht der des
westlichen Thurmbaues, welche schmaler in den Verhältnissen ist, sondern
später als diese) erscheint das Innere des Chores, der, niedrig, schwer,
alterthümlich, sehr bestimmt von den schönen Verhältnissen der übrigen
Theile des Inneren abweicht,
Andernach, Pfarrkirche, — Der nord-
östliche Thurm ist Rest eines älteren Baues, ver-
muthlich aus dem elften Jahrhundert. Er ist massiv
aus rohen Bruchsteinen aufgeführt, die Fenster-
überwölbungen von verschiedenfarbig wechselndem
Material, zum Theil dreifach wechselnd, schwarz,
roth und hell. Die Fenstersäulchen mit schlichten
Würfelkapitälen und einfach stark ausladenden
Consolen. (Rh. 15-3
St. Goar. Stiftskirche.-;-: Brand eines
älteren Gebäudes im Jahr ll37 Lassaulx).
Vielleicht noch von dem damals zerstörten Bau
rührt die Krypta her: zweimal drei freistehende
Säulen mit flachen Würfelkapitälen (Rh. 16.)
von roher Arbeit.und ebenso unförmlichen at-
tischen Basen; die Schäfte der Säule'n dick,
grösstentheils von Marmor: Bogenbänder als
Quergurte und einfache Kreuzgewölbe. — Der-
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selben Bauzeit, oder dem Neubau nach 1137,
scheint im Oberbau der halbrunde Stirnbogen
vor dem (frühgothischen) Chore anzugehören.
Bingen. Pfarrkirche. — Altromani-
sche Krypta, vier einfache Säulen mit Wür-
felkapitälen. Die Altarnische nur in der Breite
des Mittelganges.(Die Kirche selbst spätgothisch.)
Münstermayfeld. St. Martin. — Aeltester Theil: der Thurmbau
auf der Westseite mit halbrunden Treppenthürmchen an den Seiten. Im
Aeusseren sehr einfach mit Lissenen und rundbogigen Friesen; in der
Mitte ein ebenfalls ganz einfaches rundbogiges Portal. Naclv oben zu sind
über den Ecken des Mittelbaues erkerartige Thurmaufsätze, von gothischem
Bogenwerk getragen. Im Inneren des Thurmbaues eine Halle, die sich
gegen die Kirche zu öffnete. Die Kämpfergesimse ihrer Bögen , von der
Form einer umgekehrten ionischen Basis, deuten in ihrer ganzen Beschaf-
fenheit ziemlich bestimmt auf das zwölfte Jahrhundert.
Studien au Rhein und Mosel. I, Roman. Baustyl. Coblenz etc. 209
Abteikirche zu» Laach. — Gebaut von 1093 bis 1156, eines der
wichtigsten Beispiele für die Ausbildung des (rheinisch-) romanischen Bau-
styles in dessen noch strenger und reiner Eigenthümlichkeit. Zunächst,
im Inneren, von vorzüglicher Bedeutung die consequente Anwendung des
Gewölbes und die, hierauf von vornherein berechnete Organisation der
ganzen baulichen Anlage. Grossartig freie Gesarnmtverhältnisse, die Pfeiler
der Arkaden des Schiffes hoch, selbst .schon schlank. Die Pfeiler an Vor-
der- und Rückseite mit starken Pilastern und Halbsäulea versehen, welche
an der Wand des Mittelschiffes empoflaufen. In den Gewölben die Quer-
gui te überall als einfach starke Bänder, dazwischen die Kreuzgewölbe ohne
Gurte. Die Fensteranordnung in den Seitenschiffen vortrefflich: je zwei
Fenster unter je einem Felde des Kreuzgewölbes; die Fenster einzeln durch
Bögen, die von Pilastern getragen werden, und dann jedes Paar zusam-
men durch einen grösseren Bogen umfasst. Die K-ämpfer und andre Deck-
gesimse theils in den Formen der attischen Basis (doch mit beträchtlich
grosser Kehle), theils andre Gliederungen, namentlich auch mehrere Keh-
len übereinander oder auch eine Reihe von Plättchen übereinander. Alles
ziemlich scharf gearbeitet, doch noch herb und ohne elastische Schwellung
in den Linien der Profile. Die Kapitäle der Halbsäulen acht romanisch,
theils Würfel mit verschiedenen Verzierungen, theils Blätterwerk, die Ar-
beit durchweg aber ohne sonderliches'Relief. Die Kapitäle der Seitenschiffe
meist einfache Würfel. — Stark vortretender Chor mit halbrunder Absis
und breites, ebenfalls stark vortretendes Querschilf mit kleineren Absiden
auf der Ostseite. Hier das Innere sehr einfach. ' Die Flügel des Quer-
schiffes etwas niedriger als der Mittelraum. Die Seiteiiabsiden mit einfach
rohem Wulst als Kämpfer unter den Halbkuppeln; die Hauptabsis ganz
ohne derartigen Kämpfer. Kleine Krypta mit sechs Säulen, wovon vier
mit einfachen Würfelkapitälen, zwei mit Blätterkapitälen. — Auf der West-
seite ein querschjffartiger Vorbau, nicht tief und nicht über die Seiten-
schiffe hinaustretend, mit besonderer Absis, ausgefüllt durch eine Empore,
deren üeberwölbung in dem breiteren Räume, welcher die Fortsetzung des
Mittelschiffes bildet, von zwei Säulen getragen wird, mit Kapitalen, welche
ganz dem Charakter der übrigen,entsprechen < '
Das Aeussere durch die verschiedenartige Gipfelung seiner Bautheile
von machtvoller Wirkung. Ueber der Mitte des östlichen Querschiffes ein
breiter achteckiger-Kuppelthurm mit Arkadenfenstern; in den Winkeln
Herr Chr. W, Schmidt, der Herausgeber der Baudenkmale von Trier, hat
später, unter der Tünche de? Innern, die Spuren einer vollständigen pulychro-
matischen Bemalung aufgefunden. Nach den Mittheilungen, welche er mir darüber
gemacht, hatte das Innere durchweg einen feinen hellgraulichen Mörtelüberzug,
der den Grundton, des Ganzen bildete. Alle Pfeilerecken, Rögen und Gewftlbe-
kanten waren mit Streifen von himmelblauer Farbe, die durch ein Paar schwarze
Linien begrenzt wurden, «ingefasst. »Die Wangen der Würfelkapitäle waren ziu-
noberfarben , die untere Wölbung derselben blau, das Band unter dem Würfel
gelb j die oberste Platte der Deckgesimse in dör Regel zinnoberfarben, die an-
dern Glieder in wechselnder Ordnung hellblau, hellgrün, gelb, weiss, jede Farbe
von der andern, wie auch an den Kapitalen, durch schwarze Linien geschieden.
Die frei sculptirten Ornamente ebenfalls farbig, das Blattwerk an den Kapitalen
z. B. hellgrün, mit schwarzen oder andersfarbigen Seitenflächen, auf zinnober-
farbigem Gründe..
Kugler, Kleine Schrirten. II. 14
-ocr page 209-.210 Rheinrtiise, 1841. Zweiter Abschnitt.
von QuerschilV iind Chor zwei schlank aufsteigende viereckige Thi'irme.
üeber der Mitte des westlichen Vorbaues ein andrer starker Thurm, vier-
eckig; zwei Kundthflrme zu den Seiten dieses Vorbaues Zugleich das
Aeussere in reicher Einzeldurchbildung, doch noch nicht in der Weise
eines harmonisch gegliederten Systems. Verschiedenartige. Gesimsformatio-
nen , mit versetzten Stäben, Blattwerk, Bandverschlingungen u. dergl. ge-
schmückt, prMcis gearbeitet, das rheinisch-romanische Dekorationselemeut
bezeichnend, aber noch durchaus nicht so barbarisirend, wie zumeist an
jüngeren Gebäuden. Eundbogenfriese, die aber nur erst an wenigen Thei-
len den wirklich friesartigen Charakter gewonnen haben; meist noch von
zu grosser Dimension, am Oberbau des Langschiffes so, dass der einzelne
Bogen ein Fenster umfasst; auch die Consolen unter den Bögen zum Theil
noch ziemlich stark. Noch kein ausgebildetes Lissenenwerk; theils statt
dessen nocli Pilaster, theils einfache Wandstreifen, an deren Seiten oberwärts,
auf besondern Consolen, die gegliederten Rundbogenfriese ansetzen. De-
koration von ITalbsäulen und grösseren Theils noch von freistehend ange-
lehnten Säuleu an der östlichen Absis und an den westlichen Thürmen. —
Die Fenster des Langschiffes, bestimmt die der Seitenschiffe, später er-
weitert. Am Querschiff die alten Fenster, reich gegliedert und mit Säulen
geschmückt. In den Gliedern und sonst im Aeusseren der, schon im In-
neren erwähnte Charakter der Profilirung.
Zu den Seiten der westlichen Absis führen zwei reichgeschmückte
Portale, welche der Fortführung des Baues in spätromanisclier Zeit ange-
hören, in einen viereckigen, nach der Weise der Kreuzgänge angelegten
Portikus, welcher in eben dieser späteren Epoche hinzugefügt ist. Er ist
mit leichten, eleganten Arkaden versehen; als schöne Eigenthümlichkeit ist
anzuführen, dass den letzteren ähnliche Arkaden an den Innenwänden des
Portikus entsprechen. Sehr brillant die westliche Aussenwand des Porti-
kus, namentlich "^der dort vorhandene zierliche und verschiedenartig deko-
Tirte Fries, sowie das ungemein glänzende Portal in der Mitte. Dies hat
Säulen zu den Seiten, an den Kapitalen derselben und den Gesimsen rei-
chen , durchbrochen und sehr präcis gearbeiteten Schmuck von Blattwerk
und Figuren, und in den Bögen schon Kehlungen. Füllungen mit Blatt-
werk u. dergl. ^
Kirche zu Lonnig'). — Rest eines Rundbaues von baptisterien-
artiger Anlage, etwa nach der Weise des Münsters von Aachen. Hievon
ist ein Vorbau erhalten, der au der Westseite der alten Anlage vortrat
und dessen Rückseite noch die Disposition, welche die letztere hatte, er-
kennen lässt: Waudpilaster. in zwei Geschossen übereinaiider, mit höchst
einfachen Deckgesimsen (Platte und grosse schräge Schmiege), und über
diesen noch die Ansätze der Gewölbe, welche den unteren Umgang der
alten Anlage, sowie die Empore darüber überwölbten. Zu den Seiten
dieser Pilaster noch andre Pilas'terecken mit Deckgesimsen von der Form
der umgekehrten attischen Basis, wie solche in der Mitte des'lswölften
Jahrhunderts üblich war, als Träger der Stirnbögen oder offener Bögen,
welche zum Inneren des Vorbaues füliren. (Aus der üebereinstimmung
dieser letzteren Deckgesimse mit andern Detaüs des Vorbaues uiid schein-
bar auch aus der ganzj?n Beschaffenheit des Mauerwerkes geht übrigens
*) Vorgl. darüber oben, S. 41, f. ^ v
-ocr page 210-Studien an Rhein und Mosel, l. Roman, ßaustyh Coblenz etc. 211
liervor, dass der Vorbau zur alten Anlage gehörte und mit dieser gleich-
zeitig war.) Ohne Zweifel war das Ganze in Folge der Gründung eines
Mönchsklosters, welche 1142 hier stattfand, gebaut.
Ausserdem ein späterer Chorbau, der sich iu erweiterter Ausdehnung
der alten Anlage, allem Anscheine nach, auschliessen sollte, doch nicht
vollendet wurde und neuerlich als selbständiges Kirchengebäude abge-
schlossen ist. Absis und daranstossende Thürme, von denen der südliche
schlank und leicht emporsteigt. Im Aeusseren die in spätromanischer Zeit
bei den rheinischen Bauwerken übliche Dekoration, mit einzelnen üeber-
gangsmotiven. Zu bemerken, dass hier, am Untertheil der, Absis, an den
Pfeilern und auch an den Bögen, noch helle und dunkle Steine in ziem-
lich gleichmässigen Lagen wechseln.
Kirche zu Romersdorf. — Die Stiftung des Klosters soll etwa
1130 fallen; die Kirche, eine gute Pfeilerbasilika, deren Pfeiler ein wohl-
gebildetes Deckgesims tragen, entspricht dieser Zeit. Der nördliche Flügel
des Querschiffes und das nördliche Seitenschiff sind schon im späteren
Mittelalter abgerissen; Chor und TJeberwölbting der Kirche spätgothisch.
An der östlichen Seite des südlichen Querschiffflügels zwei altromanische
Kapellen.
Kirche zu Hirzenach. — Einfache Pfeilerbasilika mif .Querschiff;
letzteres in spätgothischer Zeit überwölbt, Schiff und Seitenschifl'e unge-
wölbt. Die Kämpfer der Pfeiler (Rh. 17.) sehr einfach. Inden
Seitenschiffen kleine rund bogige Fenster; im Mittelschiff höhere,
schon mit spitzbogiger Neigung; im Querschiff rundbogige. Thurm
vor der Westseite, sehr einfach, unterwärts mit flach spitzbogi-
gen Nischen. Früh spitzbogige Halle vor dem Portal der Südr
seite. Der Chor frühgothiäch. -
Coblenz. St. Florin. ~ Ur-"
sprünglich eine einfache Pfeilerbasi-
lika, Styl des zwölften Jahrhunderts.
Die , Pfeiler viereclp'g , ziemlich
schlank , mit wohlgebildeten Deck -
und Fussgesijnsen (Rh. 18 und 19.).
die ersteren der Form der attischen
Säulenbasis entsprechend. Die Zwi-
schenräume zwischen den Pfeil,ern
schon ziemlich bedeutend. Alles
ursprünglich ohne Zweifel flach ge-
deckt. (Die späteren, Ausführungen
s. unten.) Zwei Thürme auf der Westseite, einfach
romanisch mit pilasterartigen Streifen und horizon-
talen Gesimsen, diese den Deckgesimsen der Pfeiler
in der Kirche ähnlich profilirt. Das Obergeschoss
der Thürme spätromanisch bunt.
Coblenz St. Castor. — Der Hauptbau spätromanisch, geweiht 1208.
Das Mittelschiff ursprünglich, ungewölbt. Arkaden auf Pfeilern mit Halb-
säulen, in ungemein schönem und glücklichem Verhältniss. Die Halbsäulen
mit sehr ausgebildeten Kapitalen' spätromanischen Styles; im Deckgesims
derselben aber wieder das ausladende Karniesprofll. In der Durchschnei-
dung des Quersehiffes mit dem Mittelschiff grösse spitzgewölbte Scheid-
bögen. — Die Wände der westlichen Thürme, nach dem Princip der älteren
■■aaü
-ocr page 211-212 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Anlage (vergl. oben S. 208), mit Pilastern; flache Bogenfriese auf flachen
Consolen; auch ein Horizoutalgesims auf Consolen, Die Absis des Chores
aussen mit zierliclier spätromanischer Dekoration. Zu ihren Sdten schlanlc-
aufsteigende Thürme, einfach in ähnlicher Art.
Coblenz. Liebfrauenkirche. — Das Schiff und die zwei Thürme
der Westseite spätromahisch. Arkaden mit einfachen viereckigen Pfeilern
und einfach profilirten Deckgesimsen. Emporen über den Seitenschiifen,
deren Arkaden den unteren entspreclien; hier aber die Pfeiler mit vier
zierlichen romanischen Säulchen in den Ecken, deren Form auch am Bogen
als Wulst herumgeführt ist. In der Dnrchschneidung von QuerschilT und
Mittelschilf erscheint nnter den Seitenbögen (im Mittelschiff) eine seltsame,
theils durch zierliche Architekturformen bewirkte Füllung der Bögen.
(Hier ist mancherlei verbaut.) Der vordere Scheidbogen im Kreuz ist
spitzgewölbt. Der alte Bau setzt sich auch noch in den, nachmals erneuten
und umgebauten Chor hinein fort. Doch sind die Pfeiler hier sehr ein-
fach und nur, wo die Seitenschiffe noch etwas gen Osten vortreten, an den
Rückseiten gegliedert. — Zwischen den Thürmen eine Vorhalle von guter
romanischer Bildung. Die Thürme selbst im Aeusseren spätromanisch mit
charakteristischer Dekoration von Friesen und flachen Nischen. Die unter-
sten Nischen schon-im Spitzbogen, die oberen meist Rundbögen. — Die
Unterfenster der Seitenschifl'e als halbe Rosetten (die Oberfenster und die
des MittelschiflTes spät spitzbogig).
Johanniskirche bei Nieder 1 ahnstein. — Gegenwärtig eine ma-
lerisch luftige Ruine, zum Theil mit Schlinggewächsen bekleidet. Das innere
System ganz das der Liebfrauenkirche zu Coblenz, zum Theil auch diesel-
ben Detailformen; in den Emporen sind die Bögen jedoch mit kleineren
Arkaden ansge.setzt. Die Kirche war ungewölbt. Die P'enster klein, rund-
l)0gig, mit zierlich profilirter Einfassung. Der Chorschluss viereckig, nach
innen zu eine flache Nische bildend. Aussen am Schifl' rundbogige Friese
mit ziemlich grossen Bögen. — An der Westseite, in der Breite des Mit-
telschiffs, ein massig viereckiger Thurm, mit vielen Arkadenfenstern, älter
als die Kirche, lieber dem östlichen Ende des nördlichen Seitenschiffes
ein leichter viereckiger Thurm, im zierlich spätromanischen Style, jünger
als die Kirche.
Ande'rnach. Pfarrkirche. — Ein Hauptbeispiel der spätromani-
schen gewölbten Kirchenanlage mit Emporen über den! Seitenschiflen. Die
unteren Arkaden: viereckige Pfeiler, nicht
hoch, breite Bögen, gute Deckgesimse. Ein
Pfeiler um den andern beträ<^htlich breiter,
mit Gurtträgern (einem breiten Mauervorsprung
und drei Säulen (Rh. 20.) Die Emporen ha-
ben über jedem unteren Bogen je zwei Arka-
den, von einem grösseren Bogen umfasst; sehr
zierlich mit Säulen von schwarzem Marmor
dekorirf; alle Säulen mit sehr zierlichen spätromanischen Blätterkapitälen.
— Die Querbögen in der üeberwölbung des Mittelschifl'es (Rh. 21.) sind
spitz, mit reich gegliedertem Profil; die Kreuz-
gurte (Rh. 22.) haben schon das birnenför-
mige Profil. Die Stirnbögeh sind noch halb-
rund. Die Absis und der Raum vor dieser
sind niedriger wie. das'Hauptschiff; ihre
Studien au Rhein und Mosel. I. Roman. Baustyl. Coblenz etc. 213
Bögen neigen aber ebenfalls schon zum Spitzbogen; ihre Gurtprofile sind
einfacher als jene, doch in demselben Style. Somit sind diese Theile der
Kirche, wenn schon etwas älter, doch unmittelbar vor dem Uebrigen ge-
baut. Die Absis selbst ist im Innern ziemlich einfach gehalten; schlichte
Fenster und. schlichte Nischen unter diesen. (Die Fenster der Kirche über-
haupt einfach.) — Das Aeussere des Chores ganz zierlich in spätromani-
scher Weise, doch etwas rheinisch roh im Gefühl — Das Schiff im Aeus-
sern durchaus schlicht, bis auf die Portale. Das südliche Portal besonders
reich, mit Sculpturen und Malerei; die Kapitälzierden elegant phantastisch,
in rheinischer Weise (von der gräcisirenden Schönheit, die z. B. ähnliche
Arbeiten an sächsisch-thüringischen Denkmälern haben, sehr verschieden); die
nördliche Thür einfacher, aber ebenfalls mit sehr elegantem Kapitälschmuck.
Der Thurmbau der Westseite, unterwärts einfach und mit horizontalen Ge-
simsen, oberwärts, besonders an dem Freibau der beiden starken vierecki-
gen Thürme, in reicher Dekoration des Uebei-gangsstyles.
Boppard. Pfarrkirche^— LangschilF mit'Emporen über den Sei-
tenschifl'en; an den östlichen Seiten des Langschifl'es, statt der Flügel eines
Querschilfes, zwei Thürme; etwas niedrigerer Chor, dreßeitig geschlossen.'
Nach neuerlich in den Altären gefundenen Siegeln wäre das Kirchenschiff
unter Bruno (1102—24), der Chor unter Theodorich.(1212—42) gebaut').
Doch stehen beide Theile, ihrer ganzen Beschalfenhelt nach, in der Zeit
nur sehr wenig auseinander. Sollte die erste Angabe für das vorhandene
Gebäude eine Bedeutung haben, so müsste angenommen werden, dass bei
dem Kirchenschiff ein älterer Bau benutzt, später aber wesentlich umge-
wandelt worden wäre; iiievon möchten dann die Arkaden in ihrer ur-
sprünglichen Anlage herrühren. Alles Wesentliche und vorzüglich Cha-
rakteristische hat den spätromanischen Styl, der ßegierungszeit Theodorichs
entsprechend; der Chor bezeichnende Elemente des Uebergangsstyles.
1
m
Die Arkaden des Schilfes: starke Pfeiler mit breiten Rundbögen und
wohlgebildet romanischen Deckgesimsen (Rh. 23.). An einem
Pfeiler um den andern starke Halbsäulen als Gurtträger für
das Gewölbe emporlaufend. Die Arkaden der Emporen den
unteren entsprechend, ausgefüllt mit kleinen Bogenstellungen
auf sehr zierlichen spätromanischen Säulen. Die Schiffe mit
rundbogigen Fenstern. — Im €hor Säulenbündel, 'auch ein-
"P zelne Säulen, mit Ringen, als Gurtträger; zierliche Profile, sehr
^ zierlich sculptirte Blätterkapitäle im Charakter der letzten
Uebergangszeit. Zwei Reihen Fenster, die oberen noch rundbogig, mit
i^pitzbogigem Einschluss, die unteren als ^volle Kreise. — Die östliche
'Hälfte des Chores ist noch rundbogig gewölbt; die Gewölb-
^ gurte (Rh. 24.) aber schon im birnehförmigen Profil. Mit
dem Zwischenfelde zwischen den Thürmen beginnen sodann
sehr eigenthümliche spitzbogige Tonnengewölbe mit fächer-
artig giufgesetzten Gurten, welche Anordnung sich im Schiff
fortsetzt. Im Zwischenfeld haben sie gebrochen rundbogige
^ jjj ^ , Stirnbögen (Rh. 25.), im Schiff setzen die
Gurte auf geraden Gesimsen .auf. Das
Profil der Gurte im Zwischenfeld ist ein
Rundstäb (Rh. 26.); im Schiff haben die
m
') Mitthciluug vun v. Lassaulx.
-ocr page 213-llbeinreise, 1811. Zweiter Abschnitt,
214
Qiierbögen ein ähnliches breiteres Profil
(Rh. 27.), die Gurte ein schon völlig aus-
gebildetes gothisches Profil (Rh. 28.). Ge-
wiss ist das Gewölbe des Schiffes nicht
gleichzeitig mit dessen Arkaden und wohl
später als. das des Chores.
Im Aeussern haben die Fenster des Mittelschiffes eine brillante, mehr-
fach wechselnde Dekoration spät-romanischen Styles (Rh. 29.). Die Unter-
fenster des nördlichen Seitenschiffes haben einen flachspjtzbogigen Nischen-
Einschluss (Rh. 30.), so jedoch, dass die Spitze des Bogens nur erst gering
angedeutet ist. — An der Südseite ein hübsches romanisches Portal; ein
brillantes rundbogiges Portal , im Ornament edel ausgebildet und jeden-
l'alls'wieder die späte Epoche bezeichnend, an der Westseite. Darüber
mehrere Rund- und Rosenfenster. An dem Aeusseren des Chores der
frühe Spitzbogen schon entschieden vorherrschend.
Boppard. Fr anc i ska n erki r che. — Die Kirche aus dem sieb-
zehnten Jahrhundert. Ein romanisches Portal auf der Westseite rührt von
einem älteren Bau her.
Bacharach. Pfarrkirche. — Grosse Emporen über den Seiten-
schiffen. Starker Thurm auf der Westseite, in der Breite des Mittelschiffes.
Schlanke Rundthürmchen an'den östlichen Seiten des Querschiffes. — Das
Hauptsystem der Wölbungen noch rundbogig. Die unteren Arkaden des
Schiffes mit einfacb viereckigen Pfeilern und zierlichen Deckgesimsen. Sonst
Alles soviel wie möglich mit Säulchen besetzt; ihnen gemäss "auch Wulste
an den Bögen. Ueber den Arkaden der Emporen noch kleine Arkadengal-
lerien. Sehr zierliche und mannigfaltige Kapitale im Styl der Ueb'ergangs-
periode; vielfach angewandte Schaftringe; geschmackvolle Profilirungen,
zierliche Blätter au den Säulenbasen. Wo schmalere Räume zu überspannen
waren, tritt der Spitzbogen hinzu; so in dun Seitenschiffen unter den Em-
poren; so in der Thurinhalle auf der Westseite, die sich nach der Kirche
zu öffnet und durch eine mehrfache Pfeilerstellung ausgesetzt ist, über wel-
cher sich eine ziemlich weite Empore bildet. — Im Aeusseren die Fenster,
namentlich die am westlichen Thurme, mit Säulchen umrahmt. Reiche
Portale; besonders ausgezeichnet das grosse rundbogig überwölbte Portal
auf der Nordseite. Ein verbautes Portal auf der Südseite im Spitzbogen;
auch sonst drängt sich im Aeusseren der Spitzbogen mehrfach ein. Die
Studien an Ilheiu uud Mosel. 1. Roman. Baustyl. Cobleiiz etc. 215
Absis, halbrund, schon mit vortretenden Streben, auf denen, zu deu Seiten
der Fenster, schlanke Basaltsäulen "stellen, eine über die Fenster vortre-
tende Bügen Wölbung (ragend. Arkadengang unter dem Dach der Absis.
Die Gesimse an der Absis sehr edel und geschmackvoll, im spätromani-
schen Style. Die drei Mittelfenster der Absis und die an deu Giebeln des
Querschiffes spätgothisch erneut. Der Thurm auf der Westseite mit einer
später hinzugefügten Zinnenkrönung. — Die Kirche liegt auf abhängigem
Boden, der Chor über Gewölben, die Jedoch augenscheinlich nie eine
kirchliche Bestimmung hatten. i
Clemenskirche (am Rhein, zwischen Trechtinghausen und Rhein-
stein). — Kleines einfaches Gebäude. Im Schiff einfach schwere viereckige
Pfeiler mit Rundbögen. Schilf und Seitenschiff^ ungewölbt; das Querschiff
und die daran lehnende Absis mit Gewölben. Die Absis mit halbrunden
Stirnbögen; doch ist sie bereits mit Säulchen und mit Gurtien, die nach
dem Mittelpunkte des Stirnbogen hinlaufen, versehen. Die übrigen Scheid-
bögen im Querschiff spitz: Halbsäülen mit Ringen etc. als Gurtträger.
Spitzbogiges Portal auf der Westseite; auch sonst Manches, was die Zeit
des Uebergangsstyles bezeichnet. Ein achteckiges Thürmchen über dem
Westende des südlichen Seitenschiffes.
Kirche zu Bendorf____ Kleine Gewölbkirehe spätromanischen Sty-
les, ein anspruchloses, aber sorgfältig durchgebildetes Exemplar dieser
Gattung (Rh. 31.). Schiff uud beträcht-
lich niedrige Seitenschiff^., Einfach
viereckige Pfeiler, ein Pfeilerpaar, ih
der Mitte des Schiffes mit Mauervor-
sprung und Halbsäule als Gurtträger.
Der Bogen der Absis und der dazu
gehörige Alischluss des Gewölbes rund,
die übrigen QuerbÖgen bereits spitz.
Die Profile, ohne'reich zu sein, fein
spätromanisch; ßaubre Blätterkapitäle.
Die Absis im Innern und Aeussern mässig dekorirt- Am Mittelschiff, statt
des Rundbogenfrieses,'grössere, die Fenster umfassende Halbkieisbögen,
zum Theil mit spitzen-wechselnd. t < _ /
Gar den. Stiftskirche. — Chor und Querschiff einfacli^ romanisch,
im Aeusseren dex-Absis die Dekorationsiormen der späteren Zeit des Styles,
im Inneren die Scheidbögen , auch der Stirnbogen der halbrunden Altar-
nische spitzgewölbt. _ ' '
Gü]$ (an der Mosel). Alte Kirche..— Kleine Gewölbkirehe spät-
romanischer Zeit, nicht ohne einfe gewisse Opulenz ausgebildet. Niedrige
Seitenschiffe; die'Arkaden des Schiffes: einfache Pfeiler mit Wohlgegliey
derten Deckgesimseif und'Spitzbögen, üeber den Seitenschiffen Emporen,
deren Arkaden gebrocheneßögen haben. Die Gewölbe der Seitenschüle mit
wulstförmigen Quergurten (Rh. 32.), auf consolenartigcn
Vorsprünge der Deckgesimse der Pfeiler aufsetzend;
die Kreuzgewölbe dazwischen ohne Gurte. In den Ger
wölben' des Mittelschilfes haben die Kreuzgurte das-
selbe Wulstprofil. Strebebögen' zur Stützung des Mittel-
schiffgew Ölbes, meist untM den Dächern versteckt, aber
in Etwas unter .die Gewölbe der Emporen vortretend.
Dci Chor erhöht, mit kl(?iner, unbedeutender Absi^. Die Fenster einfach.
iH
216 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Rundbogenfriese und Lissenen ana Aeussern. Ein Thurm in der Mitte der
Westseite, zu dessen Seiten die Seitenschilfe vortreten.
Klosterkirche zu Sayn. — Kreuzkirche ohne Seitenschiffe. Ael-
teste Bautheile (nach v. Lassaulx vom J. 1202): das Querschiff und die bei-
den anstossenden Felder, des Schiffes und des Zwischenfeldes vor dem
(später gothischen) Chorschluss. Spätromanischer Styl; Wandpfeiler und
Ecksäulen mit zierlichen Blätterkapitälen; breite Halbkreisbögen, der Ge-
wölbeansatz aber schon mit leiser Neigung zum Spitzbogen. Das Mittel-
feld des Querschiffes hat ein Kuppelgewölbe; die Flügel desselben und das
erste Schifffeld haben Kreuzgewölbe mit wulsfförmigen Kreuzgurten. (Das
Zwischenfeld vor dem Chorschluss ist spätgothisch überwölbt.) — Die drei
folgenden Felder des Langschiffes bezeichnen eine unmittelbare Fortsetzung
des Baues. Wandpfeiler und,*statt jener Ecksäulen, schmalere Pfeiler-
ecken auf Consolen. Wulstförmige"® Stirn bögen für die Gewölbe, welche
letzteren aber nicht ausgeführt sind. — Die Fenster auf beiden Seiten des
Langschifles verschieden. Auf der Südseite Halbrosettenfenster. Auf der
Nordseite je drei schmale Spitzbogenfenster nebeneinander, das mittlere
stets höher; aussen mit Säulchen zwischen den Fenstern und mit Spitzbö-
gen, das Ganze dieser äusseren Dekoration als fortlaufende Arkadenreihe.
An der Westseite ein romanisch spitzbogiges Portal.
An der Ostseite des südlichen Kreuzflügels die Sakristei, in demselben
spätromanischen Style, wie die späteren Schifftheile. Einiges Eigenthüm-
liche in der Gewölbe-Construction. ^ Neben der Kirche die geringen
Reste eines zierlich spätromanischen Kreuzganges.
Romersdorf. Klosterbaulichkeiten. — Dieselben gehören durch-
aus zu den schönsten und edelsten Beispielen des spätromanischen Bau-
styles; sie zeigen, bei noch vorherrschendem Rundbogen, sowohl in der
Profilirung der Glieder, als in der Behandlung des Ornamentes die reinste
und vollendetste Durchbildung. Dahin gehört zunächst eine an die Süd-
seite des Querschiffes der Kirche anstossende längliche Kapelle, wohl ur-
sprünglich die Sakristei. Das Gewölbe derselben wird durch einen breiten,
von Säulen getragenen Quergurt in zwei Hälften getheilt; die geschmack-
volle Gliederung desselben und die an seinen beiden Seiten ausgemeisselte
sehr schön gebildete Zickzackverzierung im romanischen Geschmack macht
ihn eigenthümlich merkwürdig. An die Kapelle stösst dier Kapitelsaal an,
ein Raum von den glücklichsten Verhältnissen,-nait sechs Säulen, welche
die Gewölbgurte tragen. Die letzteren sehr rein, die Kreuzgurte schon
ganz leis birnenförmig; die Säulen klar und mit vortrefflichen verschieden-
artigen Kelchblätterkapitälen. — Vom Kreuzgange ist die' östlicjhe und die
südliche Seite erhalten. Die erstere wiederum edel romanisch; doch im
Einschluss der giiössern, von Pfeilern getragenen Rundbögen hier kleinere,
schon gothisirende Spitzbogenarkaden. (Die südliche Seite des Kreuzganges
in edel gothischem Style; von dem Stabwerk der Bogenöffnungen nichts
mehr vorhanden. .
Cobern. Matthiaskapelle ') (auf der obern Burg). Seht merk-
würdiger und brillanter baptisterienartiger Bau. Ein kleiner sechseckiger,
erhöhter Mittelraum, von einem sechseckigen Umgange umgeben, an den
sich, im Dreiviertelkreise, die -Absis anschliesst. Das innere Sechseck
Vergl.^darüber oben, S. 7, f.
-ocr page 216-Studien au Bheiu und Mosel. ^ 1. Roman. Baüstyl. Coblenz ntc. . 217
durch Bündel von je fünf freistehenden Säulen, darüber sich Spitzbögen
wölben, bezeichnet. Der Mittelraum mit einem secKstheiligen Kreuzgewölbe,
der Umgang sehr eigen mit gefächerten halben Tonnengewölben (dem im
Schiff der Pfarrkirche zu Boppard befolgten Systeme entsprechend und auf i
dieselbe Bauzeit deutend) überwölbt. Die Fenster des Oberbaues halbrund,
die andern in gebrochenen Bögen. Wandarkaden ^mit gebrochenen*"Bögeu
an den Wänden des Umganges. — Trotz der heitern 'Gesamintanlage und
trotz des raffinirten Reichthums, der an den Einzeitheilen dieses Gebäudes
sich geltend macht, fehlt demselben doch ein reines künstlerisches Gefühl
und harmonische Durchbildung; es sind Barbarism'en darin, wie sie auch
sonst in der spätromanischen Bauweise der Rheingegenden sich nicht ganz
selten finden. Ueberhaupt mangelt eine eongruente Präcision in der Arbeit.
Manches ist roh, z. B. dass die Kämpfergesimse der WandpfeilerJn den
Ecken des Umganges (zwischen denen die Wandarkaden) durch einen dicken
Wulst gebildet sind; oder dass die äusseren Ecken des sechsseitigen Blittel-
baues , über den Säulen, zwischen den
beckplatten der Kapitale der Säulen nach
dem Umgänge zu überstehen (Rh. 33.).
Diese Säulenbündel haben durchweg eine
starke Säule von rothem Sandstein in der
Mitte« und, vier schwächere von schwar-
zem Marmor umher, von denen die nach
dem Mittelraume zugekehrten wieder
»^sch\tÄcher sind, als die äusseren; jene
-•■sind-fbei ihrer Gesammtlänge allzu dünn
gerathen. Die schwarzen Säulen bestehen fast sämmtlich aus mehreren,
durch buntprofilirte Ringe verbündenen, Stüolten; höchst unschön mächt es
sich, dass, bei der ungleichen Länge der Säulenstücke, diese Ringe nirgend
in gleichmässig übereinstimmender Höhe stehen. Dann haben die Säulen-
kapitäle, wie bunt wechselnder Schmuck bei ihnen auch angewandt ist,
keineswegs eine wirklifeh schöne Bildung; sie sind durchweg zu breit, ihr
Blattwerk durchgehend ohne rechtes Stylgefühl gearbeitet. Auch laden die
Basen der Säulen zu weichlich,- alle elastische Kraft^ aufgebend, aus.' —
Die Äbsis scheint, nach dem Aeusseren zu urtheilen, nicht im ursprüngli-
chen Plane gelegen zu haben. An ihr bildet eine schöne weiche Welle,
das Fuss^ied. Sie hat einen Rundbogenfries mit Lissenen; es sind aber
auch in diesem Friese vpieder Bärbarisraen, indem nämlich ein Bogen
jedes einzelnen Feldes (zwischen je zwei Lissenen) stets kleiner ist, als die
übrigen Bögen desselben Feldes.
Münstermayfeldi "St. Martin. — Der Chor, dessen Absis fünf-
seitig'(aus den Seiten eines Zehnecks) gebildet, ist eins der vorzüglichsten
Beispiele des elegant romanischen Spitzbogens. Er söll 1225 begonnen
sein Ihm gleichzeitig sind die kleinen halbrunden Seitenabsiden des
Querschiffes, das im Uebrigen, wie das Langschiff, gothische Bauweise zeigt.
— im Innern erscheinen die fünf Seiten der Absis zu unterst reicb orna-
mentirt, rundbogige Nikhen mit Ecksäulchen; darüber spitzbogige Fenster
und vor diesen ein schmaler Umgang >von spitzbogig romanischen Arka-
den, aus Säulenbündeln bestehend, die Säulenschäfte mit Ringen etc. Das
') Mittheilung von v. Lassaulx,
-ocr page 217-Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Zwischenfeld, zwischen Absis und
Querschiff, mit derselben Wanddeko-
ration, nur unterwärts keine Nischen,
Das Gewölbe, völlig spitzbogig, doch
noch mit romanischer Profllirung, der
Hauptschwibbogen nach dem Quer-
schiff (Rh. 34.) mit reicher Proflli-
rung, aus Platten, Rundstäben und
Einkehlungen bestehend. Das Ge-
wölbe der Hauptabsis, wie die jener Seitenabsiden, in einer Fächerform.
—- Im Aeusseren starke Pila'ster auf den Ecken des Chorschlusses, nach
r~\-den Linien derselben ebenfalls eckig gebrochen.
(Rh. 35.) In der Breite ihrer Ausladung wöl-
ben sie sich spitzbogig über die spitzbogigen
Fenster. Unter den Fenstern ein spltzbogiger
'k.'if \ Fries. Ueber ihnen ein rundbogiger Arkaden-
Umgang; darüber Giebel mit gebrochen rund-
bogigen Fenstern. — Das Zwischenfeld reicher,, die Fenster zierlich mit
Säulchen eingefasst und ein spltzbogiger Arkaden-Umgang. Hier keine
Giebel.
Kirche zu Ravengiersburg. — Sehr malerisch gelegen. Der
Thurmbau (die beiden Thürme an der Westseite und der Zwischcnbau)
spätromanisch, mit Spitzbögen. Der Eindruck im Allgemeinen dem der
Kirche zu Limburg an der Lahn sehr ähnlich, doch das Ganze massiger:
roher Bruchsteinbau, wobei nur Gesimse und sonstige Details aus Haustein;
mehr barocke Phantasterei. Die verschiedenen Geschosse des Aeussern: —
1) Einfaches Erdgeschoss; grosses einfaches Portal, rundbogiger Fries und
Consolcngesims, wobei — an den kleinen Consolen der Rundbögen und an
den grossen des Frieses — doch schon sehr fein romanische Profllirung. —
2) Im Zwischenbau und in jedem Thurme ein kurzes dickprofllirtes Rund-"
fenster. 'Darüber an den Thürmen je drei grosse, breite,,von langen Blät-
terconsolen getragene Spitzbögen, mit Kugel- oder Blätterzierden im Bo-
gen. Ueber dem Fenster des Mittelbaues dagegen eine Nische mit^ einem
roh byzantinischen Christus in der Mandorla, und über dieser eine Arkade
218
wm
mit verschiedenartigen Säulen barock itomanischer Art
und mit schweren Zackenbögen (Rh.*" 36.). — 3) Erstes
freies Thnrmgeschoss. Blinde Arkaden, am südlichen
Q Thurm rundbogig, am nördlichen spitzbögig — 4) Rei-
chere Säulenfenster, im südlichen Thurm einfach rund-
bogig, im nördlichen mit gebrochenen Bögen. — 5) In
den Giebeln je zwei Arkaden übereinander. — Die architektonischen Glie-
derungen haben meist etwas Dickes und Schweres. Sie sind meist reich
verziert, aber auch mit dickem, zum Theil.eigen schwülstigem-Ornament.
Im Allgemeinen ein wüstes (Gefühl und nicht viel Verstand. ^ Im zweiten
Geschoss der Thürme, gaciz durch sie und den Zwischenbau hinlaufend,
eine Kapelle, einfach, in ausgebildet romanischer Architektur. Die Glie-
derungen zum Theil schwer, zum Theil sehr geschmackvoll. In.-der Mitte,
gen Osten (also nach dem Schiff zu) der Ansatz einer, nachmals veränder-
ten Nische. — Die Kirche selbst roh und^ganz unbedeutend spälgothiscli,
einschiffig, mit flacher Decke. Der Unterbau des Chorschlusses scheint aber
•nocii ilas alte Halbrund zu enthalten.
2äEZ_
zaESiL
-ocr page 218-Studien an Rhein und Mosel. 1. ^Rouian. Raustyl, Cobled'z etc. 319
Kirche zu Sponheim. — Ein höchst Interessanter spätroinanischer
Bau, mit Uebcrgangsmotiven, von denen die Jüngern nicht ganz im ur-
sprüngliclien Plane lagen. Eine Krenzldrche, ursprünglich ohne Seiten-
schiffe: vom Langschiff nur ein Feld vorhanden (hier, auf der Westseite,
der Bau etwa um 1500 roh abgeschlossen); auf der Südseite ein Seiten-
schiff zugefügt. — Ursprünglich nach einfach romanischem Systeme ange-
legt. Schlichte Pllaster im Kreuz der Kirche; ihre Deckgesimse mit ein-
facher Schmiege, auf welcher zum Theil einfaches Blattwerk gemeisselt ist
und die zum Theil auch als flache Kehle erscheint. Die vier Schwibbogen
im Kreuz spitzbogig, mit einfach breiter Laibung. Ueber den Spitzbögen
sehr einfache Consolen, ursprünglich für die^acht Gurte (oder Kauten) des
Kuppelgewölbes. Diese tragen aber nicht die gegenwärtig vorhandenen
Gurte desselben; vielmehr setzen die letzteren auf höher hinaufgerückten
Consolen im Uebergangscharakter, die mit d^n älteren Consolen nicht ge-
nau correspondiren, auf. Alle übrigen Gewölbebögen und Gurte gehören,
wie diese Kuppelgewölbe, einem zweiten Stadium des Baues an, indem sie
den schon zum Germanischen sich neigenden Uebergangsstyl haben. Das-
selbe ist der Fall mit den als Gurtträger hinzugefügten, zumeist mit dem'
Mauerwerk ausser Verband stehenden Ecksäulen und Consolen, deren
leicht bewegte Gliederungen, wie die schilfkelchartigen Kapitale, diesen
Uebergangscharakter aussprechen. Die Gurte in etwas verschiedenartig
weichen frühgermanischen Profilen. Doch haben dabei im Chor die Ge-
wölbkappen noch einen halbrunden Maueränschluss, während im Quer-
und Langschiff ein spitzbogiger Anschluss, und'zwar mit Stirnbögen im
Wulstprofil, erscheint. — Das niedrige Seitenschiff auf der Südseite ist fn
derselben Uebergangsepoche hinzugefügt.
Das Aeussere (mit Ausnahme des roher gehaltenen Seitenschiffes) in
edelster Durchbildung des romanischen Styles, ungleich reiner, als es sonst
au den rheinischen Kirchen dieser Zeit zu'sein pflegt, aus schönen Werk-
stücken sorgfältig gearbeitet. Alles rundbogig. Die vorhandenen Thüren
und Fenster einfach. 'Lissenen an den Ecken* und klare Rundbogenfriesc
von zierlichem Profil. Die unteren Spitzen dieser Rundbögen verschieden-
artig als Consolen gestaltet, zum Theil als Köpfe oder Blumen. Der Rund-
bogeufiies an der Hauptabsis mehr dekorativ gebildet; die an den Seiten-
ahsiden des Querschifl'es in einer Zackenform.' üeberall an Fuss- und
Kranzgesiinsen vortreffliche, reine und geschmackvolle Profile. — Ein
achteckiger Kuppelthurni mit gedoppelten rundbogigen Säulenfenstern von
schöner, -sehr edler Bildung. Jetzt hat der Thurm über den Fenstern ein
modern geschweiftes Dach. Auf einem alten Gemälde aber, welches sich
im Pfarrhause neben der Kirche befindet und eine Ansicht des Klosters
(lud der Gegend mit der Ueberschrift: „Abbatia S. MaVtini in Sponheim
fundata a Comitibus Sponheimensibus Anno MCXXIIII" enthält, hat der
Thurm über den Fenstern noch einen Arkaden-Umgang; darüber acht
Giebel und eine achttheilig pyramidale Spitze.
Im Innern jder Kirche die Reste eines zierlich muslVischen Fussbodens,
aus verschieden gefärbten Ziegeln gebildet.
Frauenkirche, unfern Mayen, — Nicht ausgedehnt und nicht
bedeutend. Der Uebergangsstyl schon wesentlich zum germanischen For-
menprincip sich neigend. Dies besonders am Chore, der mit lang'spitz-
bogigen Fenstern und Streben verse'hen ist. Er hat als Gurtträger Säulen-
bündel mit Eiukehlungen, Gurte von zum Theil noch übergangsartigen
\
-il
220 Rheinreise, 1841, Zwfeiter Absehuitt,
Proiilen und am Zwischenfeld noch halbrunde Stirnbögen mit Wulstprofilen.
Gegen das Schiff zu ein Ansatz säulenartiger Gliederung, der durch die
Ausführung des Schiffes zum Theil verbaut ist; somit das Schiff, obgleich
in etwas mehr alterthümlicher'Form, doch jünger als der Chor. Breite
achteckige Pfeiler (eigentlich breit viereckig", mit abgeschrägten Ecken) und
Spitzbögen mit entsprechender dreiseitiger Laibung. Die Oberfenster in
der Form einer Halbrosette. Die Decke flach. — Nachmals die Seiten-
schiffe abgerissen und die Arkaden vermauert, doch so , dass Fenster in
den Spitzbögen derselben offen gelassen. Die Oberfenster vermauert. Das
Ganze roh verputzt. •
Reichenberg, unfern St. Goarshausen. — Grosse Schlossruine, sehr
malerisch und trefflich ^ belegen. — Ein hoher runder Thurm mit flach
halbrunden Ausbauten, oben ein scharf ausladender Consolenkranz (ur-
sprünglich für eine Gallerie). — Höchst interessant ist die Kapelle, eine
eigenthümlich angeordnete Doppelkapelle nebst Krypta. Hier stehen
der Länge nach je drei Säulen und diese in drei Geschossen übereinander,
wobei die Zwischeuböden weggebrochen. Die Säulenkapitäle haben sämmt-
lich eine einfache Würfelform, oder vielmehr die einer Halbkugel mit ab-
geschnittenen Seiten., Unten, in der Krypta, sind die Säulen kurz und
noch durch breite Gurtbögen verbunden; die letzteren halbrund, einer auch
spitz, doch den andern gleichzeitig. Die beiden oberen Säulenreihen sind
sehr schlank und stehen unmittelbar übereinander. Ueber den obersten
ist noch das Gewölbe vorhanden: spitze Gurtbogen, mit Kreuzgewölben.
— Ein nach dem Hofe zu flach vortretender Erkerthurm wird unten durch
zwei starke kurze Säulen mit frühgermanischen Kapitälen gestützt.
Wohngebäude. — Zu Garden ein altes Hofhaus, unterhalb der
Stiftskirche,.mit Erkern und romanisch rundbogigen Friesen. — Zu Cob-
lenz, in der Nähe von St. Florin, ein Paar romanische Häuser; besonders
zierlich, in spätromanischer Weise, die jetzige Küsterwohnung. Die letz-
tere hat zwei Stockwerke mit überwölbten Zimmern. Der Rauchfangraan-
, tel der Küche zierlich auf zwei Säulen gewölbt. »r «■
Tabernakel in der Kirche von Laach. — Der über dem'Grab-
male des Stifters, jetzt im "Westchor unter der dortigen Empore ^stehende
Tabernakelbau soll von deni Abte Theodorich (1252—1295)^ errichtet wor-
den sein. Ein höchst eigenthümliches Beispiel^ phantastischer, spätest
romanischer Dekoration. Sechs Säulen, schräg stehend (in pyramidaler
Neigung), durch' freie gebrochene Bögen verbunden; darüber ein kleiner
offener Arkadengang (wieder in pyramidaler Schräge); darüber wieder
Bögen und freie Gurte, die sich oben in geschweiften Linien vereinigen.
In den offenen Zwickeln und sonst sind Zwischenbögen angebracht, zum
Theil in der F'orm von Hörnern, wie in der spätgothischen dekorativen
Architektur. Das Ganze seltsam, aber mit Geschmack. Die Profilirungen
meist reich bewegt und geschwungen, die Blätterkapitäle sehr mannigfaltig.
(Der unter dem Tabernakel stehende frühgothische Sarkophag passt zu
demselben nicht.) . ' ,
') Ich füge eluigo Notizen über eine Anzahl • kleiner, "in der Gegend von
Coblenz betludliclier uder bellndlich gewesener Kirchen romanischen Styles, die
ich nach v. Lassaulx's Zeichnungen entnommen, bei; —
iL.
-ü
Studien an llheiii und Mosel. 2. Gemanisclier Baustyl. Trier etc. 923
r I \
Trier. Li ebfrauenkirche — Ein baptisterienartiger Bau zur
Seite des Domes, gebaut 1227 — 1243. Von eigenthümlichster Bedeutung
durch die architektonische Compositiou, durch den Styl der Ausführung
und die so gemessene wie im Einzelnen lebenvolle Beha,ndlung. 'In der
Composition verschmilzt das System des (byzantinisirendenj Centraibaues
mit dem räumlichen Aufbau der (abendländischen) gewölbten Basilika, und ;
zwar mit derjenigen Gestaltung der letzteren, welche, sich bei den'gothi- j
sehen Kathedralen von Nordfrankreich bereits entwickelt hatte. '^ Ein poly- ([
gonischer Rundbau wird kreuzförmig durch ein erhöhtes Lang- und Quer- - f
schiif, dessen Mittelfeld als Kuppel wiederum erhöht ist, durchschnitten. |
Die vier Flügel des Kreuzes, von denen der des Chores weiter hinaustritt, >
sind in Polygonform geschlossen; die Ümrisse der niedrigen Seitenräume {
Bei Altenkirchen. Höchst einfache Pfeilerbasilika, ohne Emporen. >■
Ems. Sehr einfache Pfeilerb,asilika. Kurze Pfeiler und breite, schwere i '
Bögen; darüber (über den Seitenschiffen) entsprechende Emporen. Altarnische V
flach, im nicht vollen Halbkreise, nach aussen geradlinig und mit Pilastern oder
Lissenen versehen. 5
Metternich. Abgerissene Kirche. Pfeilerbasilika mit Emporen Einfach, ■
Geradlinig geschlossener Chor. • , '* >
Vallendar. Abgerissene Kirche.- Einfache, doch spätromaniscTie Pfeiler-
basilika. Kurze, breite Pfeiler mit Rundbögen und entsprechenden Emporen. |
Schilf und Seitenschiffe mit Absiden. Krypta mit zwei Säulen. Die Fenster
der Seitenschiffe kurz halbrund, die übrigen in einfacher Rosettenform. Das j
Mittelschiff mit "spätem Netzgewölbe. Aussen Rundbogenfriese, an'den Absiden J
Niekenig. Kleine romanische GewÖlbkirChe, mit Halbsäulen als Gurt-
trägern. Chor spätgothisch. Scheint nicht sonderlich bedeutend. •
Moselweiss. Nach dem Grundriss wie die Kirche von Bendorf, nur ]
etwas länger und der. Chor ohne Absis, gerad geschlossen. Das Aeussere ein- / '
fach romanisch. ' ~ " -
Oberbreisig. Kleine, aber elegant spätromanische Kirche. Gurttra-
gende Pfeiler, romanisch spitzbogige Gewölbe'im Mittelschiff. Auf der nördlichen
Seite eine Empore, auf der,südlichen nicht; hier vielmehr das Seitenschiff von
der Höhe des Mittelschiffes, Dies südliche Seitenschiff zugleich sehr eigenthüm- ;
lieh überwölbt, mit halbkuppelartigen KappengewÖlben, die sich gegen das j
Mittelschiff anlehnen. So auch die, aus fünf Seiten eines Zehnecks gebildete '
Absis,' wo die Kappen des Gewöltes von den Böge^i ausgehen , die von schlan-
ken Säulchen zwischen den Fenstern getragen werden. (Diese Bögen aber sind (
eigentlich nur der Kappenansatz; .sie haben keine Wulste oder sonstige Glie- j
derung). Im Chor Alles rundbogig. l
Bieber. Sehr eigenthümliche Kiircho. Der Ciior romanisch, rundbogig; i
ohne Absis, doch im^ Innern der geraden Ostwand drei kurze halbrunde Nischen; |
darüber ein grösseres einfaches Rosettenfenster. Das Schiff mit schweren, brei- '
ten und hohen Spitzbögen, die von ganz kurzen achteckigen Pfeilern (je ^inem
auf jeder Seite) und halbach'teckigen Wandpfeilern getragen werden. Das Mittel-
schiff ungewölbt, die Seitenschiffe mit Kreuzgewölben.
') Vergl. oben, S. 24, u. Thl. I, S, 463. . • ij
-ocr page 221-222 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
bilden sich ebenfalls zu (je zwei) kapellenförmigeu Polygonen. Der Styl
ist durchaus germanisch (in seiner primitiven Gestaltung), mit einzelnen
romanischen Reminiscenzen. Starke Rundpfeiler mit je vier Halbsäulen
als Trägern der Gewölbgurte stehen im Durchschnitt des Kreuzes, unge-
gliederte Rundsäulen (über denen die Gurtträger auf besonderen Consolen
aufsetzen) in den Flögeln desselben, Wandsäulen an den Pfeilern und in
den Ecken der Wände. Die Säuleu haben überall als Kapital einen leich-
« ten germanischen Blätterkranz. Die spitzgewölbten, vorherrschend hoch
gezogenen Bögen und Gurte sind überall reich und bunt, in den Kreuz-
gürten mit zierlicher Entwickelung der charakteristisch germanischen Form,
gegliedert. An den Oberwänden der erhöhten Räume des Kreuzes ist eine
^ vollständige Fensterarchitektur angedeutet, deren unterer Theil aber blind
und an der nur der obere Theil, im "Einschluss der Bogenöil'nungen, offen
ist. Dasselbe ist der Fall bei den Fenstern des Kuppelraumes in der Mitte
des Kreuzes. Die Seiten des frei vortretenden Chorraumes und die Stirn-
seiten der andern Kreuzflügel sind nicht durch je e i n Fenster ausgefüllt,
sondern jedesmal durch 'deren zwei übereinander, dem zweigeschossigen
Verhältniss des Inneren (der niedrigeren Seitenräumen mit ihren Fenstern
und der eben bezeichneten B'ensterarchitektur der erhöhten Räume des
Kreuzes) entsprechend. Die Fensterarchitektur selbst ist überall gothisch,
in der früheren Ausbildung: über der zweitheiligen spitzbogigen Arkade,
<1. welche das untere Stabwerk bildet, eine grosse Rosette; mit Säulchen und
analoger Bogengliederung. Die Portale in -den vier Kreuzesflügeln sind
noch halbrund überwölbt und in romanischer Weise disponixt, aber in der
Behandlung und in dem, zum Theil sehr reichen Ornament ebenfalls schon
wesentlich nach der Weise des germanischen Systerns modiflcirt. Das Aeus-
sere gewinnt seine charakteristische Eigenthümlichkeit nur durch diese
Portal- und Fensterarchitektur; die auf den Ecken angeordneten Strebe-
pfeiler sind überall noch ganz schlicht. Die ganze Behandlung trägt, bei
allem Reichthum einzelner Bildungen, noch den Stempel einer sorglichen,
i fast herben Gemessenheit. — Das Gebäude gewährt ein höchst eigenthüm-
' liches Interesse; aber der Meister desselben hat es noch nicht vermocht,
den Gedanken, der ihm vorschwebte, zur wahrhaft künstlerischen Einheit
ZU bringen , ihn bei der Ausführung in wahrhaft organischer Weise zu
gliedern. In der Gesammt-Composition ist, bei allem Ra|fflnement, welches
darin steckt, eine befriedigende Entwickelung nicht erreicht. Die kreis-
artige Disposition des Ganzen und die Kreuzdisposition der erhöhten Räume
i- stehen, ohne sich gegenseitig zu bedingen, neben- und ineinander; der
^ viereckigen Grundform der Thurmkuppel, die sogar durch vier hineinge-
legte Kreuzgewölbe besonders scharf bezeichnet wird, fehlt'der durch die
Gesammtform des Gebäudes erforderte centrale Bezug, der etwa durch eine
Auflösung der Ueberwölbung dieses Raumes in ein Achteck zu erreichen
n'l gewesen wäre. Die starre Form der Rundsäiilen, zumal derer in den Flü-
geln des Kreuzes, contrastirt disharmonisch gegen die sehr bewegten Glie-
derungen der Bögen und'Gurte, was durch ihre hohe Dimension besonders
auffällig wird der in der Mitte nach romanischer Art sie umschliessende
r Diese hohe Dimension macht eine Gliederung der Rnndsäulen, zum Aus-
I' 1 druck der in ihnen aufwärts steigenden Bewegung, entschieden nöthig. Bei
kürzeren ßundsäulen, die mehr nur das Tragen, nicht zugleich auch das ent-
schiedene Aufsteigen der architektonischen Kraft, dargestellt hätten,- wäre dies
' Erforderniss bei weitem weniger dringlich gewesen.
Studien an llheiii und Mosel. 2. Gemanisclier Baustyl. Trier etc. 923
Schaftring hebt diesen Eindruck nicht auf; zugleich sind ihre Kapitale bei
solchem Verhältniss des Schaftes zu flach, dJe feinen attischen Basen .wie
in sich zusammengepresst u. s. w.
Abteikirche zu Echternach. — Die üebcrwölbung der Kirche
und die gesammte Fenster-Architektur frühgermänisch. Die Gurte des Ge-
wölbes im Mittelschiff auf Consolen aufsetzend. Die Fenster-Architektür,
mit den Säulchen innen am Stabwerk, ungemein anmuthig. Am Aeusseren
der Fenster erscheinen statt dessen einfache Schmiegen.
Kirche zu Tholey. — Ein ziemlich rohes frühgothisches GebRude.
Hohes Mittelschiff, niedrige Seitenschiffe; kein Querschiff; aber die Seiten-
schiffe wie das Mittelschiff mit besonderem polygonem Schluss.- Ein Thurm
über der Mitte der Westseite. —-»ßundpfeiler mit je. vier stark heraustre-
tenden Halbsäulen als Gurtträgern. Die Kapitale bestehen nur aus starken
Gesimsen, ohne Blätterschmuck (dergleichen nur an den stärkeren Pfeilern,
die den Thurm tragen). Die Kreuzgurte der Seitenschiffe setzen' consolen-
artig auf. Die Quer- und Kreuzgurte des Mittelschiffes ruhen gemein-
schaftlich auf dem Gurtträger, der, das Kapitälgesims durclischneidend, an
der Wand emporläuft. Die Schiffbögen sind roh, in einfach dreiseitiger
Laibung, profilirt (Rh. 37.); die Gurte des Gewölbes im birnenförmigen
Profil. — Die drei Fenster im Chorschluss des Mittelschiffes
W^^///^ (denen das Stabwerk fehlt) haben die ganze Höhe der Kirche.
Das mittelste von diesen ist im Styl der Fenster der Elisa-
\jmj i)ethkirche zu Marburg gebildet-(mit Säulchen); im Aeusseren
hat dasselbe schon einen, zwar noch nicht spitzen Giebel mit Blätterwerk.
Die Umfassung der beiden Seitenfenster ist viel einfacher, mit flachge-
kehlter Schmiege, profllirt; iih Aeusseren haben diese die vorspringende
üeberwölbung, doch in einfachster Art, die an der Elisabethkirche statt
des Giebels erscheint. Die Fenster in den Chorschlüssen der Seitenschiffe
haben ganz den Styl derer der Klisabethkirche. Die tibrigen Fenster mit
einfachst profilirtem Stabwerk (an der Südseite manches Späthgothische).
Die Oberfenster des Mittelschiffes zunächst am Chprschluss im Hauptbogen
noch halbrund, auf der Südseite (Rh, 38.) mit besonders einfacher Anord-
nung , auf der Nordseite, etwas reicher. Die westlichen Gber-
fenster schmal""spitzbogig. — In das nördliche Seitenschiff führt
eine, noch im Rundbogen überwölbte Thür mit reichem, doch
schon sehr verwittertem Sculpturenschmuck. Das Ganze, und
namentlich das Ornamentistisclie, etwa an die Portale der .Lieb-
ffauenUirchezu Trier erinnernd. Tu dem Hauptrundbogen desselben scheint
übrigens schon eine leise Neigung zur Spitze vorhanden.
Kirche zu St. Arnual! — Chor und. Querschiff frühgothisch. An
den Ecken der mittleren Yierung des Querschiff'es stehen Dreiviertel-Rund-
säulen, im Style der Marburger Elisabethkirche. Die drei ScheidbÖgon
über diesem Räume, nach dem Chor und den Kreuzflügeln zu (Rh. 39.),
hl haben noch eine'flüssige
Gliederung im frühgothi-
schen Charakter; der vierte
Scheidbogen, nach dem
Schiffe zu.(Rh'40.), hat das
roh eckige Profil, mitgekehl-
ten Schmiegen. (In der Weise "des letzteren auch die aus dem Querschifl'in
die Seiteuschiffe führenden Bögen.) — DefChor fünfseitig geschlossen ; ftüh-
224 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
gothisches Gurtträgersystem, spitzbogfig entwickelte Gurte, c Die Fenster-
avchitektur im Chorschluss sehr einfach: zwei Spitzbögen auf einem hohen
schlanken Säulcheu, von einem grösseren Spitzbogen auf Säulchen umfasst
und* ohne weitere Durchbrechung (Rh. 41.); im
Aeusseren nur jene ersten Leiden Spitzbögen, ohne
die Umfassung (Rh. 42.); das Profil hier nur eine
einfache Schmiege. Die Fenster in den Querschiff-
giebeln mit sehr gedrücktem Spitzbogen (aussen fast
völlig rundbogig), mit reicherem, immer noch früh-
gdthischem Rosettenstabwerk. Einfache Streben.
Stiftskirche zu Kyllburg. Einschiffig, breites Schiff und schma-
lerer Chor. Nach einer Inschrift am Pfeiler zwischen Chor und Schiff
1276 begonnen. Gurtträger und Gurtsystem'noch einfach schön; die ersteren
als Bündel vpn je drei schlanken Halbsäulen mit Kapitalen (ohne Blätter-
schmuck); die Gurte in der edelsten Form. Der Bogen zwischen Chor
und Schiff, ohne Gurtträger, roh eckig, mit gekehlten Schmiegen. (Im Profil
der Schiffbögen von Tholey, Rh. 37.) Die Chorfenster schmal und mit
sehr scharfem Spitzbogen; das Stabwerk dem letzteren angemessen, noch
streng, aber ohne Säulchen. Von den Schifffenstern sind die beiden, dem
Chore zunächst, grösser und (soweit sie nicht, verbaut) reich , doch auch
ohne Säulchen; die folgenden gen Westen auffallend kleiner. Alles Profil
der Fenstereinfassung schon in der mehr nüchternen Kehlenmanier. Am
Bedeutendsten ist das Hauptfenster auf der Westseite, das.zugleich, wenig-
stens im Aeusseren, an seinen Hauptlinierf Säulchen hat.
Zur Seite der Kirche ein sehr malerischer Kreuzgang, etwas jünger als
die Kirche. In seinen Haupttheil'en völlig erhalten, doch auf der Süd- und
Westseite schon ohne Gewölbe. Fensterstäbwerk im späteren Styl, eben-
falls nirgend mehr Andeutung von Säulen. Kehlenprofile.
Kirche zu St. Arnual. — Das schlanke Mittelschiff mit,den niedri^
geren Seitenschiffen und dem Thurm über der Mitle der Westseite jünger
als Querschiff und Chor 7-ohne Zweifel der Bau ,-als dessen'Anfang durch
eine in der Vorhalle befindliche Inschrift das Jahr 1315 angegeben wird.
Schon Motive spätgothischer Art. Einfache Pfeiler im Schiff, an denen
das Profil der Schiffbögen (Rh. 48.), eckig, mit tiefer EJinkehluiig^an den
^ Seitenflächen niederläuft; eberiiso an deA Rück-
/^fy/ii^M Seiten, wo die Quergurte der Seitenschiffe dasselbe
Profil haben. An "den Vorderseiten der Pfeiler
je drei Halbsäulen als Gurtträger, aus denen sich
die (birnenförmigen) Gurte ohne" Kapital'oder
sonstigen Uebergang entwickeln. Die Fenster in
mancherlei spätgothischen Formen.
Trier. Jesuitenkirche. —Gleich hohe Schiffe. Rundpfeiler mit
je vier starken Halbsäulen. Umherlaufende Kapitälverzierung, umlier-
laufendes Gesims und umhergekröpftes Basament (dieses nach ausgebildet
gothischer Art). Die Schwibbögen roh und unschön profilirt: die Kreuz-
gurfe birnenförmig. Holle Fenster, deren Profilirung ebenfalls dem spät-
gothischen Wesen entspricht, ohne Stabwerk. — Das Portal der Westseite
im edel durchgebildeten Style des vierzehnten Jahrhunderts. — Innen ail
der Westseite eine spätgothische Emporbühne. — Der Chor modernisirt.
Trier. St. Gangolph.—'Einfach gothische Kirche!, ursprünglich
einschiffig; nicht hoch. fDie Strebepfeiler nach innen stehend, mit je drei
Tikyt,
I ! .
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Studien an Rhein und Mosel. 2. Gemanischer Baustyl. Trier eto.
Gurtträgern; einfache Kapitälgesimse, bjrnenförmige• Gurte. Später ein
nördliches niedriges Seitenschiff angefügt , durch Halbkreisbögea mit dem
Mittelschiff verbunden. — Vor der Westseite ein hoher viereckiger Thurm,
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Sehr einfache Architektur: die ober-
sten Fenster mit etwas Stabwerk; dann Erkerthürmchen als Einschluss
der Thurmspitze.
Stiftskirche zu Pfalzel. — Neben dem Kreuzgange eine kleine
Kapelle, einfach, aber aus edelgothischer Zeit. Merkwürdig ihr, aus
vier Seiten eines Achteckes gebildeter, also in der Mitte
in eine Ecke ausgehender Schluss (Rh. 44.).
Kirche zu St. Wendel. — Angeblich 1320 ge-
gründet; vollendet 1360. Der Chor in etwas früheren
Formen als der Schiffbau, Dreiseitig schliessend; die
Gurtträger aus je drei starken Halbsäulen bestehend,
neben denen auf jeder Seite noch eine schwächere für
den Gurt des Stirnbogens. Die Gurte des Kreuzgewölbes noch im Birnen-
profll, doch schon niit breiter Spitze. Einfache Fenster-Architektur; das
gesammte Aeussere des Chores sehr einfach. Ein noch zum Chore gehö-
riger verengter Schwibbogen scheidet denselben vom Schiff; das an dem-
selben niederlaufende Bogenprofll entspricht dem an den Schiffpfeilern in
der Kirche von St. Arnual. — Der Schiffbau von ungemein schönen Ver-
hältnissen; das Mittelschiff' etwas schmaler als der Chor; die Seitenschiffe
nur wenig niedriger als das Mittelschiff'. Schlanke leichte Rundsäulen,
ursprünglich ohne Kapitäl (wenigstens sollen, nach Chr. W, Schmidt's An-
gabe, der leichte Blätterkranz und die zierlich antikisirenden Deckgesimse,
die sie tragen, einer modernen. Restauration angehören). An den Wänden
der Seitenschiffe je drei Halbsäulen als Gurtträger und ein wellenartiges
Profil zu deren Seiten. Netzgewölbe, dessen Gurte, im Kehlenprofi], sich
leicht und glücklich entwickeln. Die Perspective 4urch das Mittelschiff,
nach dem breiteren Chore hin, sehr schön. Die Fensterarchitektur, in Com-
position und Profilirung, sehr einfach; die Fenster, hoch und nicht zu breit
und weit, werden durch ein horizontales Gesims in zwei Abtheilungen ge- "
sondert. — Das Aeussere einfach; die Strebepfeiler mit Spitzthürmchen, auch
mit geschweiften Dächern. An der Südseite ein hübsches Portal, mit später
gothischem Vorbau. Au (Jer Westfa^ade, zwischen dekorirten Streben, die
mit rohen Statuen geschmückt, ein etwas reicheres, aber schweres Portal,'
wieder von späterem Charakter. Darüber ein hohes Fenster mit spätba-
rockem Stabwerk. Ueber der Höhe der Kirche ist der Westbau noch höher
emporgeführt, namentlich der mittlere Theil als besonderer Thurm mit
barockmoderner Kuppelspitze, über den Seitentheilen leichte Helme. —
An eine der Säulen des Schiffes ist eine Kanzel angebaut, mit dem Datum
1462, in zierlich spätgothischen Architekturlormen und mit handwerks-
mässiger Dekorationssculptur
*
') Der Eindruck, den die Bauformen der Kirche von St. Wendelj oder viel-
mehr die des Schiffbaues, hervorbringen, ist der Art, dass wir dem letzteren auf
den ersten Anblick, den sonst als gültig angenommenen chronologischen Bestim-
mungen gemäss, ein wohl um 100 Jahre jüageres Alter, als oben angegeben, zu-
theilen, d. h. dass wir ihn etwa in die Mitte des löten Jahrhunderts setzen
würden. Indess hat die Vollendung des Baues im J, 1360 durch äussere histo-
rische Gründe die höchste Wahrscheinlichkeit. Und da wir in der Trier'schen
Kugler, Kleine Schrinen. II. ! 15-
225
•226 r Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Kirche zu Klauseh. —Spätgothisch; der Chor 1474 geweiht,
(v. Stramberg, das Moselthal, S,. 378). Nur ein, mit dem Mittelschiff gleich
Gegend mehrfach; schon von der Kirche von Tholey ab , eine Behandlung der
gothischen Bauformen wahrnehmen, die. mit einer Reducirung der Profile der
Gliederungen oft auf das einfachste Maass sich begnügend, schon zeitig zu der-
jenigen Bildungsweise gelangt, die wir sonst als zu den spätgothischen Eigeri-
thtimli(5hkeiten gehörig bezeichnen müssen , so stimmen hier auch die inneren
stylistischen Gründe ganz wohl mit jenem äusseren Ergebniss zusammen. Der
Fall bleibt aber doch sehr merkwürdig und beachteuswerth. Ich halte es daher
nicht für überflüssig, im Folgenden einen älteren Aufsatz mit einer sorgfäitigen
historischen Untersuchung über die Verhältnisse dieser Kirche, der mir freund-
lichst im Manuscript zugestellt wurde und meines Wissens nicht gedruckt ist,
mitzutheilen.
Ik
„Ilemeriiungeii über die Zeil, iii Melclicr die Sl. Weiideler Pfarrkirciie erbiicl worden isl.
„Die St. Wendeler Pfarrkirche darf ihrer Grösse und gothischen Bauart
wegen wohl unter die schönsten Pfarrkirchen des Regierungsbezirkes Trier, viel-
leicht auch des Trierischen Bisthums gezählt werden, wenn man nämlich darunter
jene gottesdienstlichen Gebäude begreift, welche in den frühern oder spätem
Jahrhunderten bloss als Pfarrkirchen gebaut worden sind; denn die Kirchen der
aufgehobeneu geistlichen Stifter und Klöster, welche seit dem Concordat v. J. 1801
durch die französische Regierung den P^farreien zum Gebrauch übergeben worden
sind, wie z. B. die alte Klosterkirche in Tholei, jene zu Mathias bei Trier etc.
gehören nicht in diese Kategorie
„Ich kenne noch zur Zeit keine Urkunde, noch eine andere Schrift, woraus
das Jahrhundert des Baues der St. Wendeler Pfarrkirche mit Gewissheit angege-
ben werden könne; künftig vielleicht bietet sich Gelegenheit, diesen Zeitpunkt mit
Bestimmtheit ermitteln zu können. Dass sich nämlich unter den alten Kirchen-
papieren geschriebene Nachrichten über die Epochen befinden, in denen der Bau
angefangen und vollendet worden, darf ich aus d(<mjenigen glauben, was der
ehemalige gelehrte Pastor Castello (vom 2d. Juni 1792 bis 15. März 1814 Pastor
• in St. Wendel) und nachheriger Domdechant zu Trier mir nicht nur öfter gesagt,
sondern auch am Dedicationsfest der Kirche einigemal in der Predigt vorgebracht
hat, nämlich es sei die St. Wendeler Pfarrkirche i. J, 1320 zu bauen angefangen
und i. J. 1360 vollendet gewesen und eingeweiht worden.
■ I ,,Das angegebene Anfangsjähr des Baues ist mir zwar immer etwas aufifal-
) lend erschienen, weil die Grafen von Saarbrück, welche die Öerrschaft St. Wendel
i. J. 1320 besessen haben, sich derselben nicht viel angenomnien, und diese
Herrschaft daher auch schon i. J, 1327 an den Erzbischof Balduin von Trier
verkauft haben ;a) allein der selige Pastor Castello war als veiu Mann bekannt,
der eine solche Angabe über das Anfangsjahr und den Zeitraum des' Kirchen-
baues ohne genügende Gründe gewiss nicht gethan hätte.
„Der Trierische Geschichtschreiber Brower sagt zwar, dass unter dem Erz-
bischof Boemund II die Kirche gebaüet und i. J. 1360 selbige eingeweiht worden
wäre;'') allein da der Erzbischof Boemund erst i. J. 1354 zur Regierung gekom-
a) Der Graf Simon IV von Sarbrück, Herr zu Commercy, scheint die Burg
und Grafschaft St. Wendel, zur Entschädigung seines Verlustes iu der Fehde,
welche über die Erbschaft der Grafschaft Bliescastel im J. 1275 zwischen dem
Bischof von Metz und dem Herzog Friedrich III. von Lothringen ausgebrochen
war, und in welcher dieser Graf ein Bundesgenosse des Herzogs gewesen , im
Anfange der 1280er'Jahre erhalten zu haben, wobei sich der Herzog aber das
OefFnungs-Recht in der Burg St. Wendel ausdrücklich vorbehalten hat. ^— b) Bro-
weri annal. Tfevir. Tom II, p. 232.
Stndieu an Rhein nnd Mosel. 2. Germanischer Baustyj. Trier etc. 227
hohes Seitenschiff, auf der Nordseite; auf der Südseite ein Paar niedrige
Nebenräume. Die Pfeiler zwischen Mittel--und Seitenschiff achteckig; die
men, so ist es nicht glaublich, dass die grosse St. Wendeler Kirche in 5 bis
Jahren gebaut worden ist, sondern diese Erklärung kann nur andeuten, dass
Boemund den angefangenen Bau zu Ende geführt hat. Indem aber Brower selbst
in St. Wendel gewesen und daselbst die Urkunden und andere auf den Kirchen-
bau und das Jahr der Einweihung der Kirche Bezug habende Schriften eingesehen
hatte, so möchte dessen Meldung über den beendigten Bau und das Einweihungs-
jahr dar Kirche sich auf die folgende Art erklären lassen.
„Das Schilf der Kirche wurde 1. J. 1320 zu bauen angefangen, und bis zu
den Jahren 1348 fortgesetzt, wo die Beendigung wahrscheinlich durch die einge-'
tretene Pest, der schwarze Tod ganannt, unterbrochen wurde, indem durch diese
schreckliche Pest beinahe die Hälfte der damals lebenden Menschen weggerafft
wurde, und die übrig gebliebene andere Hälfte keine Gewerbe noch Ackerbau
mehr treiben wollte, weil der gebeugte Geist der Menschen in jenen Zeiten des
völligen Mangels an richtiger physischer Aufklärung oftmals einen absichtlichen
Plan dem Urheber aller Wesen untergeschoben hat, ein verworfenes Geschlecht
zu züchtigen. ,
,,Nachdem daher von 1351 an die.se Geissei des Menschengeschlechtes aufge-
hört und die Menschen zu ihren Beschäftigungen zurückgekehrt, sich des Lebens
wieder erfreuten, so mochte der Erzbischof Boemund das Chor der Kirche an
das Schiff bauen lassen, und auf diese Art den 40jährigen Bau der Kirche been-
digt haben o)
„Aus allem diesem erhellet, dass die St. Wendeler Kirche im 14ten Jahr-
hundert gebaut und i. J. 1360 eingeweiht worden ist. Sollten aber demungeachtet
noch Zweifel über diese Behauptung um deswillen entstehen, weil die gothisch«
Bauart der St. Wendeler Kirche mehr dem löten als dem 14ten Jahrhundert an-
zugehören scheint, so finde ich mich veranlasst, noch mehrere Thatsachen anzu-
führen, aus welchen die durch Brower angegebene Einweihungsepoche (1360)
dieser Kirche bestätiget wird. . *
„In dem St. Wendeler Kirchenarchiv sind noch eine Menge von Original-
urkunden über die der Kirche gemachten Schenkungen, sowie über die von den
Brüdermeistern dieser Kirche a) gemachten Ankäufe und Pfandbriefe von liegen-
den Gütern; aus diesen Originalurkunden erhellt aber;
1) dass vom Jahr 1300 an., bis 1375 die Brudermeister der Kirche laut vor-
handenen 19 Urkunden kein.Immöbel angekauft haben, sondern dass diese 19
Urkunden nur Schenkungen von adelichen Personen und auch einigen Bürgern
aus der Stadt St. Wendel zum Nutzen der Kirche des hl. Wendelin enthalten;
2) dass aber i. J. 1375 auf St. Valentinstag die Brudermeister der Kirche
den ersten Kauf über Güter zu Rutzweiler um die Summe von 24 Pfund Heller
gemacht, und damit in den Jahren 137'9, 1383, 1388, 1890, 1391 und 1396 fort-
gefahren, und überhaupt während diesem letzten Viertel des 14ten Jahrhunderts
in 10 Urkunden für gekaufte und verpfändete Immöbel die Summe von 676
Gulden rheinischer Währung verausgabt haben;
3) dass V. J. 1400 bis 1450 zu d«>mselben Zweck von den Brudermeistern
nach Inhalt von 27 Urkunden Immobilien gekauft worden sind für 1160 fl. und
»
C) Dass das Chor der St. Wendeler Kirche später als das Schiff derselben
gebauet worden, beweiset selbst für Nichtbaukundige der Umstand, dass die Decke
des Chors eine etwas schiefe Linie gegen die Mitte der Decke des Schiffes bil-
det, was von dem Standpunkt unter der Orgel aus gleich in die Augen fallt.
(Ich meine das Entgegengesetzte — dass das Schiff jünger ist als der'Chor,
— was jener Umstand m. E. eben so gut beweisen kann. F. K.)
In St. Wendel bestand seit undenklichen Zeiten die Bruderschaft des
h. Wendelin, deren Brudermeister aus dem zeitlichen Pfarrer, dem Stadtschult-
heiss und einem Schöffen, die Verwaltung der Kirchen-Einkünfte führten.
228 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Schwibbogen, welche dieselben verbinden, dreiseitig, unmittelbar aus den
Pfeilern übergehend, doch mit .concaven Flächen. Säulchen als Gurtträger,
«
dass -von 1440 bis 1450 das grosse Kauf- und Pilgerhaus erbaut worden ist mit
einem Aufwand von wenigstens .SOOO fl,, so dass also in der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts mehr denn 4000 fl. rhein. verausgabt worden sind, welche
Ausgabe für jene geldarme Zeit äusserst gross war. e)
4) dass V. J. 1450 bis 1500 für gekaufte Guter, Zehnten und Renten sowie
für Güterpfandung nach Inhalt von 45 vorhandenen Urkunden die bedeutende
Summe von 5587 fl. rheinisch, folglich im Laufe des löten Jahrh. 9587 fl. rhein.
Währung von den Brudermeistern der Kirche ausgegeben wurden;
5) dass endlich von 1500 bis 1550 zu denselben Zwecken in 10 Urkunden
5610 fl. rhein, verausgabt worden sind.
„Es bedarf wahrlich keines grossen Scharfsinns, um aus diesen Thatsachen
zu entnehmen, dass der Bau der St. Wendeler Kirche von 1300 bis 1360 geführt
worden sei, well nämlich während diesem Zeitraum die Kirche wohl Güter- und
Rentenschenkungen annehmen, aber keine Immobilien kaufen konnte, was auch
aus den vorhandenen Urkunden deutlich hervorgeht, indem sie, die Kirchenver-
waltung , die Opfergaben der frommen Wallfahrer und die Revenuen der St.
Wendels-Bruderschaft zu dem Bau der grossen Kirche verwenden musste. Selbst
aus dem Umstand, dass der erste Güterkauf i. J, 1375, also noch 15 Jahre nach
der Einweihungsepoche, und nicht früher Statt hatte, erhellt, dass die Gaben und
Renten des Baues noch zu rückständigen Schulden des Baues verwendet worden
sind, was um deswillen anzunehmen ist, weil sich 10 Kaufbriefe seit dem Jahr
1375 in den angegebenen Jahren folgen, und damit im folgenden löten Jahrhun-
dert, von 1408 anfangend, und in den Jahren 1413, 1414, 1415, 1417, 1418,
1419, 1425, 1427, 1429, 1433, 1434, 1435, 1437, 1439, 1440, 1443, 1446,
1447 und 1449 fortgesetzt, für die angegebenen Summen Ankäufe und Erwer-
e) Der Kurfürst Jakob von Sirck schenkte im J. 1440 auf St. Lukas-Tag der
Kirche St. Wendel einen vor der Kirche gelegenen Platz zum Bau einer Halle
und Kaufhaus (einen vnsern vnd vnsers Stiflfts platz vnd flecken vor derselben
Kirchen gelegen, den man bysher den Kaff genannt hat, sagt die Urkunde) da-
mit die Brudermeister diesen Platz zu der Kirche Nutzen verbauen, und eine
Halle und Kaufhaus darauf setzen sollen. Dieser Bau wurde in 5 Jahren be-
endigt, und weil dieses grosse Haus erst im J. 1789 abgebrochen, und das jetzige
Stadthaus auf einen Theil des Platzes gesetzt worden, so war dieses Gebäude mir
(geb. 1769) und vielen noch lebenden Einwohnern hiesiger Stadt wohl bekannt.
Diese Halle, auch Pilger-Euh, und seit der Einnahme von/St. Wendel durch
Franz von Sickingen 1522 auch das Rathbaus genannt, weil in demselben eine
besondere Stube zu den Sitzungen des St, Wendeler Stadtrathes eingerichtet
war, war ganz aus Quadersteinen wie die Kirche, zwei Stockwerk hoch erbauet;
seine Länge der Kirche und Strasse gegenüber war von 60 Fuss, und seine
Breite gegen 80 Fuss. Dieses Gebäude nahm den ""ganzen Platz nicht nur des
heutigen Stadthauses ein, sondern es erstreckte sich noch 5 Schuh vorwärts zur
Kirche gegen Osten, ging mit der südlichen Seite 6 Schuh weiter in die Strasse,
als der heutige Bau, zog sich gegen Westen bis 6 Schuh vor das heutige Packes-,
Haus, von da herunter in gerader Linie gegen die Hausthür des Schlosser Weis-
gerber Hauses über, von diesem nördlichen Punkt wieder herauf auf den östli-
chen Eck des grossen Gebäudes; der Schlossgasse gegenüber ging und fuhr man
unter dieser Halle durch In die untere Gasse, wesshalb sehr hohe steinerne Thore
am Ein- und Ausgang waren. Im ersten Stockwerke wurden die Krämermärkte
gehalten, was leicht geschehen konnte, weil der obere Stockwerk durch mehrere
steinerne Säulen, und nicht durch Mauern getragen wurde, der zweite Stock
diente zur Aufnahme von fremden Pilgern, und war gross genug, um 1000 Men-
schen Raum zu geben.
Studien an llheiii und Mosel. 2. Gemanisclier Baustyl. Trier etc. 923
dergleichen auch in dem ausgedehnten Chore; die Kehlengurte des Netz-
gewölbes gehen aus ihnen im Chore unmittelbar hervor, im Schiff setzen
bungen gemacht worden sind, sowie vom Jahre 1450 bis 1500 für die grosse
Summe Geldes von 5587 fl. rhein. Güter und Renten angekauft worden sind.
,,Dass demnach die St. Wendeler Pfarrkirche im 15. Jahrhundert, während
dessen Lauf selbige die Summe von wenigstens 9585 fl. rhein. (nach jetzigem
Geldeswerth ungefähr 27,000 bis 30,000 fl ausmachend) zum Ankauf von liegen-
den Gütern, ganzen Dörfern, Zehnten, Mühlen und Renten verausgabt hat, nicht
noch den Bau der grossen Kirche geführt und bezahlt habe, wird wohl Niemand
zu behaupten einfallen, die Bauart der Kirche mag übrigens von einer spätem
Zeit scheinen oder nicht.
,,Soll aber dieser geführte Beweis über den St. Wendeler Kirchenbau vor
d. J. 1360 noch nicht hinreichend erscheinen, so wird aus den folgenden That-
sachen, mit Urkunden belegt, die Wahrheit der aufgestellten Behauptung deut-
licher und überzeugender hervorgehen:
a. Dass die alte Kirche der h. Maria Magdalena die, erste Pfarrkirche war,
darüber könnte ich Vieles anführen, was aber der Weitläufigkeit halber nicht
hierher gehört; es mag genügen, dass diese erste Kirche in St. Wendel über, das
Grab des h. Wendelin gebaut und in der Gruft dieser Kirche dieses Grab auf-
bewahrt wurde , bis in der Mitte des l.lten Jahrhunderts die Gebeine des heil.
Wendelin aus dem Grabe genommen, in eine Lade gelegt und nach dem religi-
ösen Geiste des Zeitalters in den Prozessionen urahergetragen wurden, f)
„Nachdem aber die grosse Kirche zur Ehre des h. Wendelin erbaut war,
so verlor die alte Kirche den Namen einer Kirche, und erhielt den einer Kapelle,
obschon noch Gottesdienst darin gehalten wurde.
_„Die neue grosse Kirche scheint aber schon i. J. 1358 erbauet und aujch in
derselben schon Altäre aufgestellt gewesen zu sein, indem der Edelknecht Johann
von Bliesen seine Wiese' zu Niederhofen i. J. 1358 auf Sonntag nach Peterstag
zu einer ewigen Messe auf unser Frauen Altar in der Kirche Sante Wendelin
schenkt, um in St. Wendelins Bruderschsft zu kommen und seiner und seiner
Eltern in den 4 Frohufastenmessen zu gedenken.
b. L J. 1360 auf St. Jakobs-Tag (die neue .Kirche in St. Wendel war i. J.
1360 am Sonntag nach Epiphaniä eingeweiht worden) schenken die Brüder und
Ritter Arnold und Jakob von Odenbach (am Glan) für sich und ihre Erben ihre
Mühle zu Stegen bei Wolfersweiler zu einer Frühmesse in der Kapelle Sente
Maria Magdalena zu St. Wendelin, um in die St. Wendelins Bruderschaft einge-
schrieben zu werden.
c. Der Erzbischof Boemund II. von Trier schenkt i. J. 1361 den 31. Mai
eine silberne Ampel und die Summe von 100 fl. rhein. zu einem ewigen Licht
zur Ehre des h. Beichtigers Wandalin in dessen Kirche in St. Wendel,
d. In demselben Jahr 1361. schenkt Ludwig Herr von Kirckel ein auf seiner
Vogtei gelegenes Haus und Garten, bei der St, We^delinskirche und hinter der-
selben gelegen, zu einer Wohnung für einen Kapellan des Altars vnser liebeu
Frauen. ■
e. I, J. 1379 den 7. Juli verkauft der Ritter Ensfried von Esch und seine
Gemahlin Margarethe den Brudermeistern der Kirche St. Wendel seinen Zehnten
im Dorfe Heisterberg um 250 rheinische Gulden, und zwar zum Nutzen des St,
Nikolasaltars in der St. Wendelinskirche und eines Kapellans zu diesem Altar.
f. I. J. 1383 den 11, Mai verkaufen die nämlichen Eheleute zum Nutzen
f) Es war auch einer der vier grossen Märkte zu St. Wendel auf Magdale-
nen-Tag, und sogar wurde bis zur französischen Revolution, auf den Festtag die-
ser Heiligen, am'-22ten July, der ganze Gottesdienst mit Frühmesse, Hochamt
und Vesper in der alten Magdalenenkirche zum Andenken gehalten^ da selbige
in frühern Zeiten die Pfarrkirche war; auch wurde der Magdalenen-Tag in St.
Wendel bis zum J. 1740 gefeiert.
230 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
sie consolenartig über den Gurtträgerü auf. Hohe Fenster mit buntem spä-
tem Stabwerk. Das Aeussere einfach.
des St. Nikolasaltars und eines Kapellans zu diesem Altar in der Kirche des h.
Wandelin ihre Brühlwiese, im.Dorfe Heriswiler gelegen, den Brudermeistern um
200 fl. rheinisch.
„Aus diesen Urkunden, welche noch im Original vorhanden sind, geht her-
vor, dass i. J. 1379 ausser dem hohen Altar noch zwei andere Altäre, ferner
unser lieben Frau und der des h. Nikolas g) in der neuen Kirche waren, und
auch schon Altaristen, Kapellane genannt, zu diesen Altären angestellt waren, h)
dass auch die alte Magdalenenkirohe schon i. J. 1360 nicht mehr den Namen
einer Kirche, sondern nur den einer Kapelle geführt hat.
„Die folgende Urkunde wird aber noch überzeugender den Beweis liefern,
dass die St. Wendeler Pfarrkirche vor dem Anfang des 15. Jahrhunderts ge-
baut war.
„Der Weihbischof Conrad von Trier bescheinigt nämlich i. J. 1405, auf Licht-
messtag (Frater Conradus misericordia divina episcopus Azotensis reverendorum
Dominorum in Christo patrum et dominorum Domini Wernheri Trevirensis Ec-
clesiae archiepiscopi, et Domini Tylmanni Episcopi Metensis, in pontiflcalibus
vicarius generalis, — fängt die Urkunde an), dass er auf die Bitte des ehrwürdigen
Herrn Otto, des edeln Sohnes des Grafen von Ziegenhein, Probsten der St. Mar-
tinskirche zu Worms, Archidiacon der Trierische'n Domkirche und Pastor^ der
Kirche zum h. Wendelin, Metzer Dioces zwei Altäre in der Mitte der Kirche vor
dem Eingang in den Chor des h. Wandalin (duo altaria in medio Ecclesiae ante
introitum ChoriSt. Wandalini) geweiht habe, und zwar jenen auf der linken Seite
zur Ehre des h. Kreuzes, des h. Abten Anton und der h. Jungfrau Barbara, den
Altar auf der rechten Seite zur Ehre des h. Stephan, der Apostel Peter^ und
Paul, und der h. Elisabeth, dass er, der Weihbischof, an demselben Tage auch
einen Altar in der Gruft unter der Kapelle der h. Maria Magdalena zur Ehre des
h. Michel und aller Engeln, des h. Matheus Apostel und der Matrone St. Anna
mit allen vorgeschriebenen und üblichen Ceremonien und Solemnitäteu einge-
weihet habe etc.
„In dieser Urkunde wird aufs Bestimmteste die Kirche des h. Wendelin von
jener der h. Maria Magdalena unterschieden, indem gesagt wird, dass 2 neue
Altäre in der Kirche des h. Wendelin, und zwar vor dem Chor des h. Wendelin,
und ein anderer Altar in der Gruft der Magdalenenkapelle eingeweiht worden
seien. Da nun nach den angeführten Urkunden in der St. Wendelinskirche die
Altäre unserer lieben Frau und des h, Nikolas schon früher, und sogar besondere
Kapelläne zu diesen beiden Altären angestellt und besoldet waren, zudem das
Chor dieser Kirche blos zur Aufnahme der Reliquien des h. Wendelins bestimmt
war, so fanden sich durch die Weihung der zwei neuen Altäre des h. KreYues
und des h. Stephan, mit dem hohen Altar i. J. 1405 in der St. Wendelinskirche
fünf Altäre, wozu nur die im 14. Jahrh. erbaute und noch'bestehende Kirche
dienen konnte. i
„Endlich sagt noch die schon angeführte Urkunde v.J. 1440 auf St. Lucas
Tag, dass der Kurfürst Jakob der Kirche den freien Platz, vor der Kirche ge-
legen, schenke, um auf demselben eine Halle und Kaufhaus durch die Bruder-
ineister der Kirche aufbauen zu lassen.
g) Noch im J. 1799 waren in der Pfarrkirche St. Wendel unter den-sieben
Altären ein besondrer St, Niklas-Altar und'einer Unserer lieben Frau.— h) Dass
in der alten Magdalenenkirche, die schon seit 1360 nicht mehr die Kirche, son-
dern nur die Kapelle genannt wurde , ihrer Kleinheit halber keine drei Altäre
hätten aufgestellt werden können, erhellet daraus, dass diese Kirche keinen grös-
sefn Umiaiig in der Länge und .Breite hatte , als das heutige Stadtschulhaus,
welches auf dessen Mauern im J. 1810 erbauet worden, und unter welchem die
ehemalige Gruft, durch einen Pilar gestüzt, heute zum Keller dient.
Studien an Rhein und Mosel. 2, -Germanischer Baustyl. Trier etc. .231
Hospital zu Cues. —»Gestiftet 1458. Eine klösterliche Anlage,
deren architektonisch bedeutendere Theile, Kirche und Kreuzgaug, den
spätgothischen Styl in einfach würdiger Gestaltung'zeigen. Die Kirche liat
ein quadratisches Schiit", mit einem schlanken achteckigen Pfeiler in der
Milte, aus dessen Seitenflächen oberwärtg sich die gekehlten Gurte des den
Raum deckenden Sterngewölbes lösen. Der schmalere. Chor mit einem
Netzgewölbe. Aehnliche üeberwölbungen, von verschiedenartiger, nicht
immer ganz schöner Form, im Kreuzgange
Trier. St. Gervasius. — Spätest gothisch. Hohes Hauptschiff mit
ganz zierlich entwickeltem Netzgewölbe. Ein niederes Seitenschiff, auf
der Nordseite. Neben diesem, nach Westen, ein spätgothischer Thurm.
Bittburg.-«^'Oberklrche (Liebfrauenkirche). -- Sehr unbedeutend
„Dieses grosse Gebäude hat aber gerade vor der heute noch vorhandenen
Kirche gestanden; es musste daher i. J. 1440 diese Kirche schon bestanden ha-
ben, weil sonst der Kurfürst nicht sagen gekonnt, dass der zu verbauende Platz
vor der Kirche des h. Wandelins gelegen hätte,
,,Wenn nun die gothische Bauart der St, Wendeler Kirche vifelleicht eher zum
15. als zum 14. Jahrh, gereiht werden konnte, was ich zu beurtheilen nicht im
Stande bin, so beweisen doch die von mir nach Jahr und Tag angeführten Ur-
kunden unwidersprechlich , dass die St. Wendeler Kirche nicht allein vor dem
Anfang des 15. Jahrhunderts, sondern dass sie auch vor dem Jahr 1360 erbaut
worden war. Dass die Blumengewinde, Banken und Schnörkel an unserer Kirche
nicht mehr vorflndlich sind, so ist ja bekannt, dass die Blüthe der gothischen
Haukunst in den Jahren 1320 bis 1360 lange schon vorüber war, und dass daher
die einfacheren Verzierungen, wie selbige an unserer Kirche vorflndlich sind, auch
bei andern Kirchen vorkommen, welche in demselben Zeitraum, wie unsere Kirche,
erbaut worden sind; vielleicht möchten auch Mangel an Geld und andere Ver-
hältnisse auf die einfachere Bauart unserer Kirche eingewirkt haben, besonders
wenn mau erwägt, dass St. Wendel i. J. 1320 nur noch ein grosses Dorf oder
Flecken, und daher die Kirche meistens von den Opfern der Wallfahrier erbaut
worden ist. Es mag aber dieses aus einem Grunde herrühren, woher es nur
wolle, so habe ich doch hinreichend dargethan, dass unsere Kirche im 14. und
keineswegs im 15, Jahrhundert erbaut worden ist, es mag nun die Bauart der-
selben sein, welche sie immer wolle , und jeder Unbefangene wird mir hierin
beistimmen.
„Ich glaube noch bemerken zu müssten, dass eine steinerne Gallerie ausserhalb
von der einen Seite, wo der untere Theil des Daches der Kirche anstösst, an-
fangend, rund um das ganze Portal der Kirche, unterhalb dem Uhrzeiger bis auf
die andere Seite gegangen ist, wo der untere Theil des Kirchendaches anliegt.
Diese steinerne Gallerie, deren Spuren man noch unterhalb dem Uhrzeiger wahr-
nimmt, war ungefähr 2'/2 bis 3 Schuh breit, und mit einer steinernen Brustlehne
von 4 Schuh Höhe versehen. Weil aber sowohl von der steinernen Brustwehr
als selbst von dem Gang der Gajlerie Steine durch die Länge der Zeit verwittert
und herabgefallen waren, so Hess die Kir'chenverwaltung zur Verhütung von Un-
glücksfällen im Anfang der 1750er Jahre diese Gallerie abbrechen." —
Von Stramberf (das Moselthal, S. 319) bemerkt, dass sich in der Weise
wie die Kirche des Hospitals von Cues angelegt, viele kleine Kirchen in dortiger
Gegend vorfinden: zu Uelmen, Driesch, Rokeskyll, Hatzenport, Merl
(abgerissen), Re i I e r - K i r c h, Traben, Zeltingen. Andre in der Form eines
Oblongums: zu Clotten und Ediger mit zwei, zu Namedy, Kempenieh
und Mannebach imit drei Miltelsäulen. Alle Kirchen dieser Art ans gleich
später Zeit. Ein Theil der genannten Gebäude gWiÖrt dem Coblenzer Bezirk
an und wird unten anderweit eingereiht werden,
(
-ocr page 231-232 Kheiureise, 1841, Zweiter Abschuitt.
spätgothisch, wiederum nur mit-einem Seitenschiff, auf der Südseite. Der
Chor modern.
Kirche zu Castell. — Unbedeutend spätgothisch. Drei achteckige
Pfeiler, der Länge nach mitten durch die Kirche (vergl, die vorige
merkung zu Cues); aus ihnen lösen sich, ohne besondren Uebergang, die
spätgothischen Gurte des Netzgewölbes los. Die Fenster schon rundbogig.
Saarbrücken. Schlosskirche. — Spätest gothisch, ohne sonder-
liche Bedeutung. Im Inneren ohne Gewölbe, und über die Maassen ver-
baut und verändert.
Wohnhäuser. — Mehrere zu Trier mit gothischen Giebeln (deren
Giebelgesimse aber wohl nirgend mehr alt). Einfache, doch ansprechende
Fensteranordnung. Besonders charakteristisch zumeist der Rauchfang, der
an der Fagade, etwa in der Mitte des Gebäudes, im Obergeschoss heraus-
tritt und gewöhnlich durch ein geschmackvoll gothisches Stabwerk gestützt
ist. Besonders zu bemerken: das ehemalige Rathhaus zur „Steipe" (jetzt
zu dem „rothen Hause" gehörig). — Zu Trarbach und an andern Mosel-
often schöne Holzhäuser, in buntem Fachwerk. Ein vorzüglich reiches zu
Trarbach aus später Zeit, mit dem Datum 1586.
Köln. St. Maria auf dem Kapitol. — Das Gewölbe des Schiffes
erscheint, dem ganzen "Wesen der Profllirungen nach, als in spätgothischer
Zeit eingesetzt (macht somit die Fortsetzung und *den Beschluss der in
spätromanischer Zeit begonnenen Umwandlungen des Gebäudes aus.) Ober-
halb der Gesimse der Schiffpfeiler setzen die Gurtträger auf, von Consolen
getragen. Die Hauptgurtträger sind ihrer drei, ein stärkerer in der Mitte,
zwei schwächere zu den Seiten, die sich um eine halbe Rundsäule grup-
piren. Sie haben einfache Kapitälgesime. Die Quergurte haben ein. rei-
ches, noch an Motive des Uebergangsstyles
erinnerndes Profil (Rh. 45.); (ihre Haupttheile
werden (nach französischer ^rt) von beson-
dern Basen getragen; die an ihnen befindlichen
Rundstäbe sind, ebenfalls übergangsartig, mit
Ringen versehen. Die Kreuzgurte haben ein
ausgebildet birnenförmiges Profil, doch noch
mit scharfer Spitze.
Köln. Mi noritenkirche, — Geweiht 1260. Einfache frühgothi-
sche Kirche, geräumig und in ziemlich bedeutenden Verhältnissen; die
Seitenschiffe ziemlich niedrig, doch die Pfeiler nicht allzu gedrückt; die
Spitzbögen hoch. Rundpfeiler mit vier Dreiviertelsäulen als Gurtträgern;
die vorderste von diesen an der Wand des Mittelschiffes emporlaufend,
doch so, dass sich das Kapital des Gesammtpfeilers noch um sie herum-
schlingt. Die Kapitale überall in einfacher Kelchform, theils undekorirt,
theils mit einfach aufgelegten oder anschliessenden Blättern im entschieden
frühgothischen Charakter. Die Schwibbogen sind ganz einfach, durch
Studien au Rhein und Mosel. 2. Germanischer-Baustyl. Coblenz etc. 233
schräge Abschnitte und Einschnitte der Mauer,
profilirt (Rh. 46); die Gurte in primitiver Be-
handlung der Birnenform (Rh. 47.). Die Ober-
fenster des Mittelschiffes sind durchaus einfach,
fas"t roh. Der Chor, einschiffig, fünfseitig ge-
schlossen, hat Säulenbündel zu Gurtträgern; hier sind die Fenster ziemlich
entschieden nach dem Princip der Elisabethkirche von Marburg gebildet.
(Die Fenster des südlichen Seitenschiffes haben zumeist ein spätgothisches
Stabwerk ; an das nördliche Seitenschiff stossen die Klostergebäude an.
An der Westfront der Kirche ist ein sehr grosses, reich ausgeseztes Fen-
ster, gleichfalls mit den späteren Formen.) — Die Sakristei bildet einen
ansprechenden Raum, mit einer Rundsäule in der Mitte. Die in ihr zur
Erscheinung kommenden architektonischen Formen sind dieselben, wie in
der Kirche.
Der Dom zu Köln, gegründet 1248, der Chor geweiht 1322. Vergl.
über die Verhältnisse seiner Architektur den obigen ausführlichen Aufsatz,
S. 123, ff.
Kirche der Cistercienser-Abtei Altenberg (bei Köln), — Ge-
gründet K55, geweiht 1379 Kirche von ansehnlichen Dimensionen.
Ein hohes Langschiff mit einem niedrigen Seitenschiff auf jeder Seite;
ebenso ein dreischiffiges Querschiff; der Chor (fünfseitig geschlossen) fünf-
schiffig ansetzend, dann mit einem Kranze von sieben Kapellen umgeben;
die letzteren dreiseitig geschlossen. — Die Architektur der Kirche von
sehr hoher Bedeutung: der reine Germanismus in seiner einfachsten Form.
Die Verhältnisse sehr edel, obgleich die Seitenschiffe dem Mittelschiff', (au
Höhe und mehr noch an Breite) etwas stark untergeordnet sind. Dabei
aber das Streben in die Höhe sehr entschieden; die Spitzbögen sogar meist
beträchtlich überhöht (was freilich auch im Kölner Dome der Fall). Das
Einfache besteht zunächst in der Reduction der Pfeiler auf ihre schlicht-
germanische Grundform — die der Säule; aber auch hier schon in ange-
messenster Behandlung. Basis und Kapital (im'Chor mit schlicht aufgeleg-
ten Blättern, im Schiffe ohne solchen Schmuck), sind völlig einfach Ueber
dem Kapital setzen dann die Gurtträger des Mittelschiffes nicht minder
einfach auf; die Gewölbebögen und Gurte haben jedoch das charakteri-
stische, vollkommen ausgebildete Profil (nur die Schwibbögen von Pfeiler
zu Pfeiler haben als Mittelglied noch eine schmale Plätte). Die Fenster
des Chores sind gleichfalls höchst einfach, fast wie die der Marburger
Elisabethkirche. — Der durch das Gründungsjahr bezeichneten ersten Bau-
zeit entspricht indessen entschieden nur der Chor nebst der östlichen Wafld
des Querschiffes. Das Üebrige erscheint in manchen Einzelheiten abwei-
chend und lässt die Fortführung des Baues in der später gothischen Epoche
erkennen. Doch sind auch hier immer noch ganz gute Formen. Merk-
würdig ist das grosse Fenster im nördlichen Giebel des Querschiffes und
das noch "grössere, höchst stattliche im westlichen Giebel. Die Formen
des Sprossenwerks erscheinen hier in gemässigt spätgothischer Weise, noch
ohne geschweifte Bildung. — Das Aeussere ist höchst einfach. Alles
^cf
-m
') Von einer älteren, der Gründung des Klosters im J. 1152 angehörigen
Anlage der Altenberger Kirche wurden im J. 1846, bei Erheuung des Fussbodens
im Chore, die Mauerreste aufgefunden; Sie trugen das Gepräge des ausgebildet
romanischen Styles.
234 Rheiureise, 1841. Zweiter Abschnitt,
Fensterstabwerk im Aeussern, auch am Chor, ohne Säule. Am Chor sind
ganz schlicht emporgeführte Strebethürme und entsprechende Strebebögen
angeordnet. Sonst treten diese Bögen nur noch an den Giebelfa^aden vor,
gewissermaassen als Titelbezeichnungen für das ganze Bausystem (ähnlich,
wie mehrfach besonders an Gebäuden der spanischen Halbinsel). Statt
ihrer erscheinen im Uebrigen, am LangschifF, nur ganz untergeordnete
Strebemauern. — Der Eindruck des Innern ist sehr schön, der deis Aeus-
sern wenigstens würdig. cDer südliche Flügel des Querschiffs nebst dem
zunächst anstossenden Theile des Chores, sowie das ganze Gewölbe an
Chor und Querschifi' werden, nach der in neuerer Zeit erfolgten Beschädi-
gung der Kirche durch Brand, trefflich erneut.)
Ahrweiler. Stadtkirche. — Kirche von drei gleich hohen Schif-
fen mit schlichten Rundpfeilern, ohne QuerschilF, aber mit drei Chören,
von denen die (fünfseitigen) Chöre der Seitenschiffe in schräger Richtung
über die Flucht der Seitenmauern vortreten, üeber der Mitte der Westseite
ein Thurm. — Im Innern sind steinerne Emporen über der Mitte der Westseite
und dem grösseren Theil der Seitenschiffe angeordnet. Die Anlage der-
selben ist jedoch erheblich später als der ursprüngliche Bau der Kirche.
Dies ergiebt sich theils daraus, wie sie die Pfeiler- und Halbpfeilerformen
theils geradehin verbauen, theils aus der nicht durchweg reinen Weise des
Ansatzes, theils aus der durchaus flachen und rohen Profilirung ihrer Bögen
und Gurte, die von den entsprechenden Profllirungen des übrigen Gebäu-
des wesentlich verschieden ist. — Die Kirche selbst hat, schon in ihrer
ursprünglichen Form, etwas kurze und gedrückte Verhältnisse, was bei den
starken Thurmpfeilern besonders auffallend ist, (Die Pfeiler sind kaum
höher, als die sie verbindenden Bögen, welche letztere sehr überhöht, mit
senkrecht aufsteigenden Schenkeln, gebildet sind.) Die Chorpartie ist in
der Anlage zwar reich, das Hinaustreten der Seitenchöre doch eine etwas
willkührliche Disposition, die auch nicht einen ganz reinen Eff ekt-hervor-
bringt. Man erkennt dabei im Uebrigen den Charakter der früheren gothi-
schen Entwickelungszeit, besonders am Fussgesims der Pfeiler und noch
entschiedener an den Kapitälen mit ihren sparsamen, im Detail aber voll-
gebildeten Blättern. Die Kreuzgurte haben das reinste und edelste Profil;
die Schwibbogen und Quergurte sind einfacher prolilirt,, mit Ecken und
Kehlen, doch noch in breiten und stark gerundeten Formeji. In derjChor-
partie, namentlich im Hauptchor, erscheint ausgebildeter/gothischer Styl:
so an den Gurtträgern, so an den feinen Säulchen mit Kapitäl und Bogen,
welche an den Fenstereinfassungen befindlich. Das Stabwerk der Fenster
ist einfach gesetzmässig, ohne Säulchen, angeordnet. — Im Aeussern er-
scheint es als ursprünglich, dass die Oberfenster der Seitenschiffe dem
Baume über den im Innern befindlichen Emporen entsprechen. Doch las-
een sich dafür vielleicht besondere Gründe auffinden, z. B, dass unter den
;2weiten Fenstern vom Thurme ab (vermauerte) Portale angeordnet sind.
An der Südseite findet zugleich eine besondere Verstärkung der Mauer
statt. Das Portal ist hier zierlich gegliedert, noch im besten golhischen
Styl. Sonst ist das Aeussere sehr einfach. Der achteckige Thurm über
der Westseite, mit seinen Lissenen, zierlichen Fensterprofilen und zierlichen
Giebeln, entspricht, wenn im Uebrigen auch einfach, dem ausgebildeten
Style des vierzehnten Jahrhunderts ')•
M üeber die Stadlkir(!lie zu Ahrweiler ^vergl, die Darstelhingeii deiselbeii
bei F. H. Müller. Heiträge zur teutscheu Kunst und Geschichtskunde dnrch
Studien au Rhein und Mosel. 2. Germanischer-Baustyl. Coblenz etc. 235
Kirche zu Unkel. — Aus frühgothischer und spätgothischer Zeit.
Frühgothisch scheinen zunächst die Wände des Chores mit ihren einfachen
Gurtträgern, -während die Gewölbe des Chores (mit kehlenförmigen Gurten)
erst aus späterer Zeit sind, wie»sich dies aus äusseren Kennzeichen deutlich
ergiebt. Frühgothisch isl sodann die untere Hälfte der ersten Ijeiden Pfei-
ler des Schiffes zunächst am Chor. Es sind kurze, nicht sehr starke Rund-
pfeiler mit einfachem t)eckgesims und mit einem Säulchen vorn, als
Gurtträger für das Mittelschiff. Ursprünglich waren somit niedrige Seiten-
schiffe vorhanden, die erst später, wie auch Spuren im Innern zu verrathen
scheinen, erhöht worden sind; Ueber jene kurzen Pfeiler sind sodann,
indem man die Seitenschiffe mit dem Mittelschiff gleich hoch machte,
höhere und im Durchmesser stärkere llundpfeiler aufgesetzt worden, aus
denen sich, in gewöhnlich später Weise, die Gewölbgurte auslösen. Mau
fand wahrscheinlich diese Verstärkung der grösseren Höhe und des Ge-
wölbedruckes wegen nothwendig; man mochte auch durch die Kühnheit,
eine stärkere Säule über eine schwächere aufzusetzen, imponiren oder eine
Art Räthsel hinstellen wollen. Die übrigen Pfeiler haben die gewöhnliche
Rundform der späten Zeit; doch sind sie, wie jene ersten, mit je einem
Halbsäulchen als Gurtträger vörsehen. — Das Aeussere ist unbedeutend
und einfach. Die Zeit des Um- und Neubaues scheint durch die, über
einer Seitenthüre befindliche Jahrzahl 1502 bezeichnet zu werden.
Köln. An toniterkirche (jetzt evangelische Kirche). —Der
Orden 1298 nach Köln berufen, die Kirche 1350 geweiht (Gelen). Das
vorhandene, ziemlich kleine Gebäude hat die Spuren einer ursprünglich
frühgothisehen Anlage: im Aeussern einfach überhöhte Strebepfeiler und
Strebebögen (wie zu Altenberg), im Innern einfache Dreiviertelsäulen als
Gurtträger. In spätest gothischer Zeit gänzlich umgewandelt. (Vergl.
unten.) t
Köln. St. Gereon, — Die Sakristei, im edel gothischen Style, vom
J. 1316.
Das Hochkreuz bei Godesberg. — Vom J. 1333. Ein einfacher
Steinpfeiler, auf zweckmässige Weise in gothischer Stetigkeit emporgebaut.
Das Mittelgeschoss mit kräftigen Nischen und schräg hinaustretenden Stre-
ben. Anordnung und Profllirung noch rein , einfach und edel. In den
Nischen zwei Statuenreste mit trefflicher Gewandung im Styl des vierzehn-
ten Jahrhunderts. ,
Köln. St. Severin, — Das Schiff der Kirche; niedre Seitenschiffe
und beträchtlich hohes Mittelschiff, Rundpfeiler mit vier starken und vier
schwachen Gurtträgern; diese mit einfachen Gesimskapitälen. Die Pfeiler-
stellungen entsprechen der spätergothischen Zeit; (die Pfeiler unter dem
Kunstdenkmale, Jahrg. II, Taf. 5, 9, 10, lö, 20, 21 und den erläuternden Text,
S. 36 ff. u S. 53 ff. Ein näheres Eingehen auf die kunstgeschichtlichen*Ver-
hältnisse fehlt hier indess. v. Lassaulx, in den Berichtigungen und Zusätzen zu*
der Kleiu'schen Rheinreise, S. 480, giebt als ihre Erbauungszeit kurz die Zeit
zwischen 1245 und 1274 an. Eine gründliche Untersuchung über die Bauge-
schichte dieser Kirche dürfte noch wünschenswerth sein. Es dürfte dabei in
Frage kommen, ob (auch abgesehen von den Emporen, welche mir, wie bemerkt,
als später erschienen sind) nicht vielleicht schon in der Führung des Hauptb^iues
ein Wechsel der Systeme wahrzunehmen wäre; das Verhältniss der Rundpfeiler
zu den Wölbungen und zur Anlage des Ilauptchores möchte hi(;bei besonders zu
berücksichtigen sein.
Uheiureise, 1841. Zweiter Abschnitt,
236
Thurm der Westseite haben aber, obgleich nach demselben Grundprincip
construirt, ein Gepräge, welches mehr an frühgothische Zeit gemahnt). Der
Thurm, über der Mitte der Westseite, von 1394 bis 1411 aufgeführt, ein
starker viereckiger Bau, ist zierlich mit gothischem Leistenwerk geschmückt.
Köln. St. Andreas. — Der Chor, vom J. 1414; einschiffig, in sie-
ben Seiten eines Zehnecks schliessend, in brillanter, spätgothischer Archi-
tektur. Das Fensterstabwerk nicht mehr ganz rein* doch tüchtig gearbeitet.
Keine eigentlichen Gurtträger; statt ihrer laufen die Gurte selbst an den
Fensterwänden nieder (Rh. 48.), über den Chorstühlen abbrechend und
launig durch figürliche Sculpturen gestützt. Im Aeussern des Chores deko-
rirte Streben, deren Absätze sich in Pyramidenthürmcheii auflösen. Aber
dies System erscheint hier roher und, ob die Theile auch massenhaft ge-
halten sind, doch nur reliefartig behandelt. So ist auch alle weitere Deko-
ration, im Gegensatz gegen die organisch lebendige Bilduügsweise, welche
am Thurmbau des Domes herrscht, nur leistenartig. (Das Uebrige ver-
gleiche oben.)
Köln. Der Rathhausthurm. — Gebaut von 1407 bis 1414. In
den drei unteren Geschossen viereckig, in den zwei oberen achteckig; ein
ausgezeichnetes Beispiel reicher leistenartiger Dekoration. Die Horizontal-
linie entschieden und angemessen vorherrschend,
indem zugleich das Stabwerk zwischen und unter
den Fenstern klaren Einschluss und Schmuck bil-
det. Die Fenster (Rh. 49.) im Hauptbogen spitz;
difc eigentlichen Oeffnungen der Fenster jedoch
rundgewölbt, mit gebrochenen Bogenzwickeln; im
üebrigen geschweifte Füllungen, Die eigentliche
Fensterumfassung mit niederlaufendem Birnenpro-
fll; das sonstige Stabwerk zwischen und innerhalb
der Fenster im Kehlenprofil. Zwischen den Fen-
stern in allen Geschossen Consolen, auf denen
ailÄ
■abi
-ocr page 236-Studien au Rhein und Mosel. 2. Germanischer-Baustyl. Coblenz etc. 237
(nicht mehr vorhandene) Statuen standen. Das Portal mit spitzbogigem
Giebel und mit (sehr verletzten) Statuen.; Der Thurm ursprünglich — wie
aus den alten "^Ansichten der Stadt von W. Hollar und Anton von Worms
ersichtlich — mit(, Strebethürmchen über den Ecken und mit steilem pyra-
midalem Dach, dessen Spitze tabernakelartig gekrönt war.
Köln. Haus Gürzenich. —• Um die Mitte des fünfzehnten Jahr-
hunderts (1441—1474 nach v. Lassaulx) gebaut. Haus für Öffentliche Fest-
lichkeiten. Im* Aeussern mit ansprechender, doch nur einfach ausgebilde-
ter Leisten-Dekoration. Die Ecken oberwärts mit Erkern, die von Säulen
getragen werden und deren Brüstungen zierlich gothisch dekorirt sind.
Bonn. Mino ritenkir che. — Spätgothisch; geräumig, im Allgemei-
nen von guten Verhältnissen." Niedere Seitenschiffe und hohes Mittelschiff.^
Ruudpfeiler mit einem Säulchen als Gurtträger für das Gewölbe des Mit-
telschiffs; die Säulchen durchweg mit starkem Kapitälgesims. - (An einigen
Stellen auch Gurtträger an der Seite
der Seitenschiffe.) Die Schwibbogen
von Pfeiler zu Pfeiler, mit kehlen-
fÖrmigen Profilen, frei aus den Rund-
pfeilern heraustretend; doch ihr
mittlerer Theil als Gurtträger an
den letzteren niederlaufend (Rh. 50.);
— Im Chor hohe und lange Fen-
ster; im Mittelschiff verhältnissmäs-
sig kurze Fenster, über schweren
"Wandmassen, Das Stabwerk der
Fenster in mancherlei, noch schönen
und reichen Rosenformen. Alles
Stabwerk und alle Gurte im Keh-
lenprofil.
Kirche zu Rheinbach. — Spätgothisch. Gleich hohe Schiffe in
guten Verhältnissen. Zweimal zwei achteckige Pfeiler, die in die dreisei-
tigen Schwibbögen unmittelbar übergehen. Einfach spätgothische Gewölbe
und einfach späte Fenster.
Kirche zu lyinz. — Spätgothische Restauration, zu der die Sjtern-
gewölbe zwischen den altspitzbogigen Scheidbögen des Schiffes, die Fen-
ster der Abseiten und Emporen und die Formen des Aeusseren (mit Aus-
nahme des Chores und des Thurmes) gehören. Ueber der westlichen
Thür, wahrscheinlich diese Restauration bezeichnend, das Datum 1512.
Köln. St. Peter. — 1524—25 gebaut; die Architektur im spätest
gothischen Charakter. Viereckige Pfeiler mit ausgekehlten Ecken; Empo-
ren über Halbkreisbögen, in derselben Form überwölbt. Netzgewölbe und
Fensterformen in später Art. (Der Thurm noch romanisch.)
Köln. St. Columba. — Bedeutende Umwandlung der älteren, aus
spätromanischer Zeit herrührenden Anlage. Hinzufügung doppelter Seiten-
schiffe mit leichten achteckigen Pfeilern, die mit Rundstäben auf den Ecken
versehen sind. Netzgewölbe, deren Gurte frei aus den Pfeilern vortreten.
Der grössere Theil der Seitenschiffe mit Emporen, die den Anschein haben,
als seien sie wiederum nachträglich in die Pfeiler eingelassen.
Köln. Antoniterkirche (jetzt evangelische Kirche). — Mit
der ursprünglich frühgothischen Anlage (vergl, oben) scheint eine durch-
greifende sehr eigenthümliche Umwandlung vorgenommen. Je ein Pfeiler
11
11
11
•238 r Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
des Schiffes um deu andern scheint herausgenommen und die gegenwärtig
somit im doppelten Abstände stehenden Pfeiler durch eingewölbte grosse,
halbkreisrunde Schwibbogen verbunden. Das
eigenthümliche Kehlenprofil der letztern (Rh,
61.) läuft an den Seiten der Pfeiler nieder.
Diese haben noch die frühgothischen Gurtträ-
ger;, an der Stelle des Gurtträger-Kapitäls
über den voraussetzlich weggenommenen
Pfeilern gehen die Gewölbgurte von Consolen
aus. Die letzteren im-einfachen Kehlenprofil.
Die Gewölbe der Seitenschiffe, in eigner Gurtverschlingung, öffnen sich
fast muschelartig gegen das Mittelschiff, wie in einigen Exemplaren des
spätromanischen Styles. — Die Fenster sämmtlich mit einfach später Ein-
fassung; die im Mittelschiff und in den Seitenschiffen ohne, die im Chor
mit rohem Stabwerk.
Köln. St. Maria auf dem Kapitol. — Kapelle der Familie Har-
denrath, in der südlichen Ecke neben dem Chor; nach einer Inschrif^ über
der Thür vom J. 1466. Zierlich pthisch. Von der Kapelle bis an dio
zwei nächsten Pfeiler des Querschiffflügels, eine zierlich gothische Sänger-
bühne, daran einige, nicht sonderlich bedeutende Sculpturen. — Kapelle
der Familie Schwarz von Hirsch (de Cervo); gegenüber in der nördlichen
Ecke, vom J. 1493. In demselben zierlichen Style; in dem säubern Gur-
tenwerk des Gewölbes mit einigen freistehenden Details. (Restauration
nach dem Muster der Sakristei der Rathhauskapelle.) — •Die Säulen im
Chor der Kirche sind durch ein hohes steinernes Gitterwerk verbunden,
im geschmackvoll spätgothischen Style, für die Säulen selbst aber nicht von
vortheilhafter Wirkung.
Köln. Sakristei der Rathhauskapelle. — Sehr zierlich spät-
gothisches Gewölbe, dessen Gurte sich in geschweiften Linien durchschnei-
den und .daran die von den Gurten ausgehenden gothischen Rosenformen
freistehend gearbeitet sind.
Köln. Spätgothische Kreuzgänge: -—
Von dem verbauten Kreuzgange der ehemaligen Karthause (Garni-
son - Lazareth) ist noch einiges Erhaltene sichtbar. Zierliche Gewölbe
mit durcheinandergeschlungenen Gurten. Das Profil der letzteren noch
birnenförmig,
- Der Kreuzgang der Minoritenkirche noch wohlerhalten, ein höchst
zierliches Beispiel spätgothischer Architektur. Flachbogige Arkaden mit
elegantem Stabwerk.
(Rh. 52) Das Innere
nicht gewölbt, sondern
mit flacher Balkendecke
versehen.
Der Kreuzgang auf
der Nordseite von St.
Severin, ebenfalls sehr
zierlich (Rh. 53.). Sehr
eigeiithümlich der ho-
rizontale Sturz der Arkadenöffnungen, in welche das elegante spitzbogige
Stabwerk eingesetzt ist, (Die Profilirungen | des letzteren mit flachen Keh-
len.) Zwischen den Arkaden treten Strebepfeiler nach der Hofseite vor.
M.fL.
I iTiiXi I
Studien au Rhein und Mosel. 2. Germanischer-Baustyl. Coblenz etc. 239
Im Innern accomodirt sich dig einfache Gewölbdecke auf schlichte Weise
den geraden Linien de| Oeffnungen.
Köln. Spätgothische Hausarchitektur. — Verschiedenes der
Art. Besonders ausgezeichnet das Eckhaus am Hof und Untertaschen-
macherstrasse, namentlich durch seine Zinnenerker, die, in sechs Seiten
eines Zwölfecks über die Mauer vortretend, von schlanken, auf Consolen
ruhenden Säulen getragen werden, was einen zierlich spielenden Formen-
luxus hervorbringt. Unter dem Eckerker ein zierlich spätgothischer Balda-
chin mit einer Madonnenstatue.
*
ecken je eine starke Gurtträgersäule (Rh. 54.). Die Gewölbgurte mit
scharf aKerthümlichem Birnenprofll. Die Fenstereinfassungen mit Säul-
Coblenz. Dominikanerkirche. — Nach dem Manipulus Con-
fluentinarum memorahilium rerum etc., pag. 92, kamen die Dominikaner
1231 oder 33 nach Coblenz. Ihre Kirche wurde 1239 gegründet, hatte aber
langsamen Fortgang. Bulle Innocenz IV. vom J. 1245 zur Förderung des
Baues. Am ersten Schiffl^gen der Kirche die (zwar späte) Inschrift: „In
dem Jar da ma schrieff vo Christi gebvrt mcc vnd xxxiii svnge die bro-
der dis closters die aller erste Mess vff den h. 0«terdag in diesem Prediger
Closter." — Langes Gebäude; fünfseitig geschlossener Chor mit Streben.
Die Seitenschilfe sehr niedrig im Verhältniss zum MittelschilF, ohne Stre-
ben. Im Ganzen zweimal 9 Schififpfeiler. Diese von verschiedener Form.
Zuerst ß Pfeiler auf der Südseite und 4 auf der Nordseite von einfach
eckiger Form; dann 2 Pfeiler auf der Südseite und 1 auf der Nordseite
Tund, mit je vier starken Dreivierlelsäulchen besetzt; dann 4 einfach runde
Pfeiler auf jeder Seite. — Das Ganze im frühgothischen Charakter. Die
Bilduugsweise der Elisabethkirche von Marburg verwandt. In den Chor-
Rheinreise, 1841. Zweiter .Abschnitt.
240
chen. Die SchifFbögen von Pfeiler zu Pfeiler^ sehr primitiv, aus Pfeiler-
ecken construirt. Die Theile des Schiffes zunächst dem Chor die älteren;
hier je drei Gurtträger; die folgenden jtinger; je ein Gurtträger und Keh-
lenprofile in den Gewölbgurten. Die Fussgesimse der Pfeiler parallel um
die Pfeilermassen verkröpft.
Kreuznach. Carmeliterkirche (grössere katholische
Kirche). — Bedeutendes Beispiel eines schweren, barbarisch französisi-
renden Frühgothisch. Hohes Mittelschiff, niedre Seitenschiffe. Kurze dicke
Rundsäulen, nur mit einfach flachem kehlenartigem Deckgesims. Drüber
die breiten Bögen des Schiffes (ganz einfach eckig profilirt) und die als
Gurtträger emporlaufenden Halbsäulen. Die Kapitale der letzteren mit
flachem Kehlenprofil, ohne Blätter. Ansätze von birnenförmig profilirten
Gurten, die aber, bei späterer Vollendung des Baues, als Kehlengurte fort-
gesetzt sind. Die Fensterarchitektur, wie das Ganze, ziemlich roh.
St. Goar. Stiftskirche. — Der Chor frühgermanisch. Die Gurt-
träger-Säulchen mit mehrfachen Ringen. Die Fenster schmal und ohne
Stabwerk; nur das Mittelfenster siit solchem nach einfachster Art (wobei
aber später Veränderungen vorgenommen zu sein scheinen).
Kirche zu Hirzenach. — Der Chor frühgermanisch,
die Behandlung im Style der Marburger Elisabethkirche.
Durchweg starkes und entschiedenes Säulenprincip, nament-
lich bei den Gurtträgern. Das Gurtprofil in eleganter Be-
handlung der frühen Birnenform (Rh. 55.).
Garden, Stiftskirche. — Das Schiff (ohne Zweifel
die unmittelbare Fortsetzung der älteren spätromanischen Bautheile) im
ziemlich entwickelten germanischen Style, wobei gleichwohl noch eine ro-
manisirende Gefühlsweise zu Grunde liegend erscheint. Die Seitenschifle
beträchtlich niedrig. Kurze starke Rundpfeiler mit je vier starken Drei-
viertelsäulen (deren vorderste an der Wand
des Mittelschiffes emporgeführt ist) und mit
umherlaufendem starkem Blätterkapitäl. Die
Schwibbögen des Schiffes (Rh. 56.), von Pfei-
ler zu Pfeiler, sehr breit, wie nach romani-
scher Art, doch im Profil gothisch und zwar
einfache Hauptformen mit feineren Nebenglie-
deru auf eigenthümliche Wei^e verbindend,
üeber den Schwibbögen eine jschwere Wand
und einfache Fenster, noch im frühgothischen
Charakter.
Münstermayfeld. St. Martin. — Querschiff und Schiff ebenfalls
als unmittelbare Weiterführung des im Uebergangsstyle erbauten Chores
erscheinend. (Das Schiff soll aber erst 1332 vollendet sein '). Frühger-
ma,nisch, im System der Kirche von Garden, doch die Verhältnisse ungleich
edler und freier. An den Eckpfeilern des Querschiffes noch einzelne ro-
manisirende Motive, während das Schiff mehr entwickelt ist, z. B, mit
mehrfachen, als Gurtträger emporlaufenden Säulchen, Die Fensterarchitek-
tur sehr einfach, mit Säulchen. Im Aeussern Strebepfeiler mit kurz erhöh-
ter), breiten Aufsätzen (die noch nicht eigentlich als Thürmchen zu betrach-
ten) und_ mit schweren Strebebögen.
') Mittheilung von v. Lassaulx,
-ocr page 240-Studien an Rhein und Mosel. 2. Germanischer BaustyJ, Coblenz eto. 241
Kirche zu Namedy. ~
Der kleine Chor ansprechend
frühgothisch , obgleich höchst
einfach. Die Gewölbgurte in
der einfachsten Form eines vortreten-
den rechtwinkligen Bandes (Rh. 57.)-
• Oberwesel. Wernerskirche.—
Klein und unbedeutend. Doch die drei
Fenster des Chorschlusses in frühgothi-
scher Anordnung des Stabwerkes und
die. Fensterumfassung -in ausgezeichnet
schöner Profilirung. — Die übrigen For-
men spät. —üriter dem Altarraurae
führt ein gewölbtes Thor
als Strassenpassage hin-
durch.
Bacharach. Ru'ilne
der Werner s kirche. —
Auf der Höhe über der
Pfarrkirche, unmittelbar am
Abhänge, belegen und aus
trefflichen Quadern von ro-
them Sandstein gebaut. Ein
östlicher Chor, dreiseitig
schliessend, und diesem zur
Seite ein südlicher Chor
(oderQuerschiffflügel, in der
Anordnung der Elisabeth-
16
.m
-ocr page 241-242 Rheiiireise,. 1841. Zweiter Abschnitt.
kirche von Marburg), Ed e ] s ter gothischer Styl. Die Fenstereinfassungen
und die mit diesen in Verbindung stehenden Gurtträger, besonders im östli-
chen Cliorsohluss in ungemein schöner Gliederung (Rh. 58.). Hier auch, d. h.
in den drei Seiten des Schlusses und in den beiden Fenstern zunächst
neben diesen, ein in reinster Gesetzmässigkeit gebildetes Stabwerk, Das
Säulenprincip darin noch vorherrschend, doch die Säulchen schon sehr
schlank im Verhältniss zu den Eiukehluugen,»auch die zusammengehörigen
durch Kapitälkränzchen verbunden. Die Gurte im reinsten ßirnenprofil.
Die Streben mit zierlichen Spitzthürmchen, die östlichsten auch mit Ni-
schenwerk. — Die Fenster der südlichen Ecke des Ostchores und die des
Südchores nicht mehr in gleichem Grade gesetzmässig gebildet, doch immer
noch sehr trefflich. Das Fenster der nördlichen Ecke des Ostchores da-
gegen schon beträchtlich später.
Noch später ein kleiner, niedrigerer Anbau, der zur Seite des südlichen
Chores, dem Ostchore gegenüber, errichtet ist. Das Mauerwerk desselben
besteht aus rohem Schiefer. Wo es sich den älteren Theilen anschliesst,
^ greift es in diese ein-, doch ist schon äusserlich wahrnehmbar, dass dies
geschehen, als jene Theile bereits standen. Die au denf Anbau vorhande-
nen Profiiirungen sind schwerer und minder elastisch, bestimmt auf spät-
4 gothische Zeit deutend.
Die ursprüngliche Anlage fällt in die Periode von 1300. Ohne Zwei-
f fei hatte man die Absicht, das Gebäude in seiner Ganzheit stylgemäss
I durchzuführen. Doch müssen aueh schon bei Befolgung dieses Planes die
einzelnen Stücke des Baues langsam errichtet worden sein. Später mag
die Schwierigkeit, die erforderlichen Svibstructionsmauern zu gewinnen,
t der Arbeit ein Ziel gesteckt haben, falls nicht etwa schon vorher -ein
früheres breiteres Terrain durch irgend einen Einsturz verkleinert wor-
^ den war.
Coblenz. St. Florin. — Der Chor in spätergothischem Style, einem
neuerlich aufgefundenen Testament zufolge vom J. 1356 Birnenförmige
Gewölbprofile; ziemlich flache Fensterprofile. Sehr eigenthümlich die An-
lage zweier Strebepfeiler, die aussen isolirt (vom Gebäude getrennt) vor
I , ' dem Chore stehen und von denen aus leicht durchbrochene Strebebögen
f S^gen das Gewölbe des Chores geschlagen sind.
f Coblenz. St. Castor. — Grabmal des Erzbischofs Cuno von Fal-
( kenstein (gest. 1388). Eine spitsbogige Wandnische, tabernakelartig um-
^ fasst; in einer sehr glücklich dekorativen Anwendung des gothischen Sty-
les. — Diesem gegenüber das Grabmal des Erzbischofes Werner (gest. 1418),
in seiner architektonischen Dekoration minder edel und verhältnissmässig.
i« Klosterkirche zu Sayn. — Die Hauptanlage s.i oben. Chor-
I schluss aus spätergothischer Zeit, eigenthümlich interessant: ^aus sechs
j Seiten eines Achtecks gebildet, somit über die Flucht der Se'itenwände
hinaustretend und von schöner Lichtwirkung. Polygonsäulchen in "den
Ecken als Gurtträger mit gothischen Blätterkapifälen. Kehlengurte. Das
Gewölbe über dem Zwischenfelde vor dem Querschiff gleichzeitig mit dem
Chorschluss. Wohl spätere Zeit des vierzehnten Jahrhunderts.
Kreuznach. Pauluskirche (grössere evangelische Kirche).
— Unbedeutend modernes Schilf. QuerschifT und Chor gothisch. durch
eine Mauer von der Kirche abgetrennt und (1841) eine verfallende Ruine.
Mittheilung von v. Lassaiilx.
-ocr page 242-Studien au Rhein und Mosel. 2. Germanischer-Baustyl. Coblenz etc. 243
Recht elegantes Beispiel der gotliischen Architektur des vierzehnten Jahr--
hunderts. Das Fensterstabwerk recht zierlich, rosettenartig, nicht in ge-
schweiften Formen , doch der Hauptanordnung nach in einer schon trock-
net schematischen Weise componirt. An den Fenstern keine Säulchen mehr,
vielmehr alles Stabwerk, wie die Fenster-Einfassungen, bereits im Kehlen-
profil. Die Schwibbogen im Innern (im KreuzJ ebenfalls flach und breit
kehlenartig, die Kreuzgurte aber noch in gutem Birnenprofil. Einfache
Strebepfeiler. Das Querschiff schmaler als der Chor; das Mittelfeld also
kein Quadrat, sondern ein Oblongum.
Coblenz. Liebfrauenkirche. — Der Chor aus später gothischer
Zeit, 1404—31, (inschriftlich von dem Baumeister „Joannes de Spey", der
1420 starb, begonnen). Im Innern des Chores noch Einiges von der altern
Anlage. Das Aeussere! ziemlich reich gothisch, in mässig späten Formen.
Die 'Verschlingnngen des Fensterstabwerkes ziemlich willkührlich. Die
Strebepfeiler reich durchgebildet, üii späten Charakter, doch sehr elegant
und mit gutem Geschmack. ^ <
Andernach. Franciskanerkirche (Jetzt ein Stall). — Im Gie-
bel die Wappen des kölnischen Kurftirsten Dietrich von Mörs (1414-63)
und der Stadt Andernach,
Ziemlich ausgedehntes Ge-
bäude. Nur ein Seiten-
schiff, auf der Südseite,
gleich hoch mit dem Haupt-
schitf. Pfeiler, an denen
die kehlenförmigen Profile
der Schwibbögen ohne Un-
terbrechung niederlaufen.
(Rh. 59.) An der Vorder-
seite der Pfeiler je eine
Säule, mit einem Gesims-
kapitäl, über dem die keh-
lenförmigen Kreuzgurte aufsetzen. Einfach späte Fenstereinfassungen mit
Roscttci] '
St. Goar. Stiftskirche. — Das SchilT 1441—69 gebaut (v. Lassaulx);
höher als der (frühgermanische) Chor, gross, geräumig, weit, im Allge-
meinen von sehr schönen Verhältnissen, doch in der Ausführung zumeist
roll. Achteckige Pfeiler, von denen die Schwibbögen dreiflächig, ohne
vermittelndes Deckgesims, ausgehen; doch haben sie zierliche Fussgesimse
und Halbsäulen mit Blätterkapitälen als Gurtträger. Die Seitenschifl'e sind
mit dem Mittelschift" gleich hoch; durch Zwischenbögen und Gewölbe sind
in ihnen breite geräumige Emporen von trefflichem Verhältniss gebildet.
Ueberau Netzgewölbe und späte Gurtformeu. Bei den untern Seitenschiffen
bilden sich kleine Kapellen im Einschluss der Strebepfeiler, Die Fenster
mit fast ganz glatter, flacher Einfassung und mancherlei buntem Stabwerk.
Kirche zu Mayen. — Einfach spätgothisch. Ziemlich bedeutende
Dimensionen und edle Verhältnisse, nur die, mit dem Mittelschiff gleich
hohen Seitenschiffe etwas zu schmal. Einfache Rundsäulen (mit in mo-
derner Zeit hinzugefügten Blätterkapitälen), aus denen oberwärts die.Ge-
wölbgiiTte frei hervorgehen. Schwibbogen «nd Gurte im Kehlenprofil.
Fensteriinordnung und Aeusseres einfach.
Kirche zu Kirchberg. — Spätgothisch, von räumlich guten Ver-
-ocr page 243-liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
hältnissen. Weite, gleich hohe Schilfe; einfache Rundsäulen in leichten
Abständen. Die Basis der Säulen sehr einfach: der etwas verstärkte
Cylinder mit einem schlichten Ansatzgesims. Die Gewölbgurte lösen sich
frei aus den Säulen. Die Gurtprofile kehlenarlig, doch mit iu die Kehlen
eingelegten Rundstäben (Rh. 60.), in breiterer An-
ordnung bei den Schwibbogen, schmaler bei den
andern Gurten. Der Chor in der Breite des Mit-
telschifl's; einfache Rundsäulchen als Gurtträger an
seinen "Wänden. Die Fenster oberwärts mit in
später Weise buntgeschweiftem Stabwerk, von
nüchterner Profilirung. Das Aeussere einfach-, die Streben mit einer ge-
wissen schlicht entwickelten Dachbildung. — Die ganze Anlage etwa der
Kirche von St. Wendel vergleichbar, doch bei Weitem nicht so edel ').
Kirche zu Sobernheim. — Gleich hohe Schiffe von etwas gedrück-
tem Verhältniss. Die Pfeiler sind achteckig; die Schwibbogen und die
Gurte des Kreuzgewölbes, in später Kehlenform, gehen aus ihnen unmittel-
bar und4ohne sonderliche Berücksichtigung der Ecken und Kanten hervor.
Die Fenster in später Stab verschlingung. Zierlich dekorirtes Portal auf
der Nordseite, Der Chor klein und niedrig; seine Fenster im Aeusseren
noch etwas mehr gegliedert als die übrigen. Ein Thurm vor der. Mitte der
Westseite, mit steinerner durchbrochener Brüstung und steinerner acht-
eckiger Spitze.
Simmern. Pfarrkirche. — W^enig ansprechendes Gebäude. Drei
gleich hohe Schiffe; rohe achteckige Pfeiler, ohne Weiteres in die drei-
flächigen Schwibbogen übergehend. Sterngewölbe, auf Consolen aufsetzend.
Die Fenster ebenfalls in ganz später Form, doch das Stabwerk nach oben
zum Theil reich verschlungen. Die Strebepfeiler nach innen gewandt,
gleichwohl im Aeusseren mit der Andeutung ihrer selbständigen Archi-
tektur. — Chor in der Breite des Mittelschiffes, in demselben Style;
durch eine Mauer von dem Schiffe abgetrennt und (1841) dem Verfalle
preisgegeben.
Kirche zu Gemünden (auf dem Hundsrück). — Unbedeutend und
spät, auch der Chor, doch in dessen Anlage noch ein lebendiges architek-
tonisches Gefühl.
Oberwesel. Stiftskirche. — Im Ganzen gross und geräumig, aber
nicht bedeutend; die Architektur des Inneren von roh construktions-
mässiger Anlage und Durchbildung. Hohes Mittelschiff, niedrige Seiten-
schiffe. Die Strebepfeiler der Seitenschiffe stehen nach innen; auch die,
eigentlich sechsseitigen Pfeiler des Mittelschiffes sind an ihrer Vorderfläche
mit strebepfeilerartigen Verstärkungen versehen, die sich obh-wärts zusam-
menwölben, tiefe Nischen bildend, in denen die Fehster des Mittelschiffes
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liegen (Rh. 61.). Die zwei Seiten-
flächen der Pfeiler sind statt der Bo-
gengliederung an den entsprechenden
Bögen beibehalten. Das Stabwerk
der Fenster ist bunt. Ein Portal am
südlichen Seitenschiff 'ist ziemlich
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Von ähnlicher Anlage auch die unfern, im Hessen-Homhurgischen belegene
Kirche von M eisenheiiu, die ausserdem durch den, auf der "Westseite vortreten-
den, mit einem zierlich durchbrochenen Helme versehenen Thurm ausgezeichnet ist.
iiätt-^i-r'-
-ocr page 244-Studien au Rhein u. Mose}. 2; .Germanischer Baustyl. Coblenz etc.
reich gebildet, doch ohne Giebel-Architektur. — Für das Aeussere ist von
vorzüglicher Bedeutung der vor der Westseite stehende Thurm. Er steigt
in viereckiger Masse empor und' hat dann einen achteckigen Aufsatz mit
acht Giebeln und achtseitiger Spitze. Vor den vier Seitenflächen des Ächt-
ecks treten achteckige Eckthürmchen zu Dreiviertheilen vor.
Oberwesel. Ruine der Franciskanerkirche. — Nur ein Sei-
teuschiff, auf der Südseite. Merkwürdig die Stellung und Anordnung der
Pfeiler: viereckig, über Eck stehend, so dass die Schwibbögen (minder
breit, als die Diagonale
des Pfeilers) die zwei-
Üächige Winkelform-
fortsetzen und'die vor-
deren Ecken der Pfeiler
^den Gurten zum Auf'
lager dienen (Rh. 62.).
Oberwesel. St. Martin. — Roh gothisch aus später Zeit; nur ein
Seitenschiff, auf der Nordseite. Merkwürdig der grosse und starke vier-
eckige Thurm auf der Westseite, der, nach Art der Mauerthürme, mit
Zinnen und zinnenbekrönten Erkerthürmchen -über den Eckstreben ver-
sehen ist.
Bingen. Pfarrkirche. — Spätgothisch, geräumig. Die Pfeiler des
Hauptschiffes mit Streben an ihren Rückseiten. — Die beiden Seitenscliiffe
auf der Nordseite in spätest gothischer Hallen-Architektur (der Zeit
um 1500). ^ .
Boppard. Karmel iterkirche. — Unbedeutend gothisch. Auf der
Nordseite ein, mit dem Hauptschiif gleich hohes Seitenschiff''; Streben an
den Rückseiten der Schiffpfeiler. (Das Seilenschiff vielleicht später.) Die
Fenstereinfassungen unbedeutend, das Stabwerk noch ganz leidlich.
Coblenz. Hospitalkirche. — Ghor der ehemaligen Franciskaner-
kirche, wahrscheinlich vom Jahr 1450, wo die Franciskaner das Kloster
bezogen. Höchst einfach spätgothisch.
Kirche zu Münster (Dorf au der Nahe, unweit Bingen). — Spät-
gothisch, einfach einschiffig., doch mit"ganz zierlichem Netzgewölbe. Vor
der Westseite ein einfach romanischer Thurm, dessen Oberbau spätgothisch
mit vierseitig pyramidaler Steinspitze; die letztere mit einem zierlich durch-
brochenen Tabernakelthürmchen gekrönt.
Kirche zu Namedy,. — Der kleine Chor frühgothisch (vergl. oben,
S. 241), Das Schiff spätgothisch, von einfacher Anlage, mit drei, die Mittel-
linie der Kirche entlang stehenden achteckigen Pfeilern, aus denen sich
die Kehlengurte des Kreuzgewölbes frei lösen. In den Verhältnissen sehr
leicht und zierlich '). . ^
1) Notizen über andre spätgothische, zumeist kleinere Kirchen der Gegend
von Coblenz, nach v. Lassaulx's Zeichnungen: —
Niederlützingen. Einschiffig, scheinbar noch aus besserer Zeit. Im
Schiff je drei Halbsäulea als Gurtträger. Die Profilirungen noch in einer gewis-
sen Fülle, in den Gurten noch birnenartig.
Beilstein. Breite Seitenschiffe. Rundpfeiler, Stark vorspringende Stre-
ben. Der Chor geradlinig geschlossen.
Sch warienkirche. Ansprechend spätgothisch. Breite, gleich hohe Schiffe,
zweimal drei Rundpfeiler. Zierliches Netzgewölbe, flache Kehlenproflle.
Obermendig. Beinahe gleich hohe Schiffe, Die Seitenschiffe weit. Zwei-
rr-T-T^
245 lllieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
246
Boppard. Karmeliterkirche. — Orgelbühne an der Westseite der
Kirche, auf leichten Pfeilern, in sehr schöner spätgothischer Architektur.
Oberwesel. Stiftskirche. — Lettner zwischen Chor und Schiff,
auf acht schlanken Basaltsäulen; höchst ausgezeichnet, in zierlich leichter,
fast spielender und doch sehr gesetzmässiger dekorativer Architektur.
Coblenz. St. Castor. ^ Das Mittelschiff, 1498, mit zierlichem Netz-
gewölbe überspannt, zum Theil auf Halbsäulen, aus denen die Kehlengurte
unmittelbar vortreten.
Coblenz. Liebfrauenkirche. — Das Mittelschiff mit buntem Netz-
gewölbe aus der Zeit um 1500.
Florin. — Die Orgelbühne zwischen den Thürmen
aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts. Ihr
4
■ji
Coblenz. St.
und Seitenschiffen
Gewölbe mit flachen Kehlengurten.-
Ravgngiesberg. — Reste des Kreuzganges, in später, rundbogig
gothischer Architektur.
Bürgerliche Architekturen: —
Andernach ist an solchen besonders ausgezeichnet. Dahin gehören
u, a; das Cobleiizer Thor, spitzbogig, mit starken Gliederungen; die Rui-
nen der erzbischöflichen Pfalz vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts,
mit einem kurzen, äusserst mächtigen Rundthurm und einem viereckigen
Thurm, beide mit zierlich gothischen Bogenfriesen, der letztere mit zierli-
chen Erkerthürmchen geschmückt; und der schöne, unten runde, oben
achteckige Mauerthurm am untern Ende der Stadt, aus dem Anfange des
sechzehnten Jahrhunderts.
In Coblenz sind vornehmlich anzuführen: die Vorhalle des ehemals
Leyen'schen Hofes , auf drei achteckigen Säulen, von denen ein zierliches
Netzgewölbe getragen wird, aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhun-
derts ; und das Schöffengerichtshaus vom J. 1530. Das letztere hat im
Erdgeschoss einen Saal mit flachbogigem zierlich buntem Sterngewölbe
und daran anstossend, nach der Moselseite zu , einen Erker von zierlichst
geschmackvoller Anwendung der gothisch'en Dekorationsformen.
Anderweit vorkommende Anlagen, besonders auch Reste alter Befe-
mal zwei achteckige Pfeiler. Sehr zierliches Netzgewölbe; die Gurte mehr oder
weniger consolenartig getragen. Fensterstabwerk bunt geschweift\ Durchgehend
Kehlenproflle. Keine Streben, weder nach aussen, noch, nach Irinen.
Treis. Gleich hohe Schiffe mit Rundpfeilern, !
Kempenich. Einfach. Drei achteckige Pfeiler, die Mitte der Kirche ent-
lang. Netzgewölbe.
Merl. (Abgerissene Kirche.) Klein. Ein achteckiger Pfeilier in der Mitte.
Sehr zierlich reiches Netzgewölbe. dessen Gurte sich ans dem Pfeiler lösen.
Traben. Klein. Ein Rundpfeiler in der Mitte.
Uelmen. Klein, Ein Rundpfeiler in der Mitte. Kreuzgewölbe. Chor
geradlinig geschlossen.
Ediger. Klein. Zwei Rundpfeiler, aus denen sich ganz zierlich die Gurte
des Netzgewölbes lösen. ""
Kelberg. Zwei Rundpfei^er, d ie Mitte der Kirche entlang. Unregelmässige
Seitenschiffe, vielleicht angebaut.
Wanderath. Das Schiff von den Seitenschiffen durch rohe Pfeiler und
Bögen geschieden. Im Schiff, in der Längenachse, zwei Rundpfeiler, aus denen,
immer noch ganz hübsch , die Kehlengurte frei heraustreten. (Der Thurm noch
mit alten rundbogigen Arkadenfenstern.)
Jil
-ocr page 246-Studien an ßheiu und Mosel. Moderne Bauweisen, 247
sUgung, oft von sehr malerischer Wirkung, werdeirhier nicht ))esoüders
aufgeführt. - . ^
(Zum grossen Theil mit alt'ertbiimlichen Reminiscenzen.)
St. Matthias bei Trier. — Mit der, iai zwölften Jahrhundert er-
bauten Kirche wurden in der früheren Zeit des sechzehnten^ Jahrhunderts,
von 1513 ab, bedeutende Veränderungen vorgenommen. Zu diesen gehört,
im Innern, das prachtvoll reiche Netzgewölbe über dem mittleren Lang-
schitT, dem Chor und Querschiff, dessen Gurte ein hohes, fast stabartiges
Profil mit leichterer Andeutung der Kehlenform haben; im Aeusseren der
breite Thurm über der Mitte der FaQade (mit Ausnahme der zu Ende des
achtzehnten Jahrhunderts ^ausgeführten Dekoration des Kranzgesimses.)
Dem Styl des Kirchengebäudes selbst ungefähr, und'wie es scheint, mit
bewusster Absicht entsprechend* wurde dem Thurm eine Art von romani-
scher Einrichtung, mit prächtig geschmückten im überhöhten Bogen einge-
wölbten Arkadenfenstern und mit bunten Gesimszierden, gegebeu. Hiebei
ging man aber nicht auf die speciell romanischen, sondern, im Sinne der
Renaissance, auf autike Formen zurück, und braclite diese in einer wun-
dersam phantastischen, kräftig barocken Weise zur Anwendung..
Köln. St. Georg. — Vorhalle vor einem Portal (spätromanischen
Styles), das in das südliche Seitenschiff führt. Wenig breiter als die Thür
und von nur geringer Tiefe öffnet sie sich nach aussen durch eine rund-
bogige Arkade mit einer Säule in der Mitte und darüber durch eine grosse,
ebenfalls im Halbkreis eingewölbte Bogenöffnung, in der früher ein eher-
nes Cruciflx gestanden haben soll und die gegenwärtig vermauert ist.
Ihre äussere Bekrönuiig Wldet ein halbrunder Giebel; die innere lieber-
Wölbung ist erst in dessen Höhe. Sehr, gemischter Styl. Die Säulen und
Bogenwulste, an den Arkaden wie. am Giebel, -erscheinen wie spätroma-
nisch, mit Ringen; doch sind die Profilirungen der letztern der modernen
Behandlungsweise schon verwandt, während das Blattwerk an Kapitalen
und Basen eine gothisirende Bildung hat. Die Uelierwölbung bildet ein
zierlichst spätgothisches Sterngewölbe. An den äusseren Ecken treten
gothische Strebepfeiler-vor, auch ersjcheinen im Aeussern gothische Ge-
simse. Der Rundgiebel wird durch eine grosse Muschel, im Charakter
der Barockzeit' ausgefällt; in dieser eine Sonnenuhr, deren Ziffern
durch gothische Minuskelbuchstaben bezeichnet sind. Ausserdem ist tiuf
der Sonnenuhr ein Band mit der alterthümlich arabischen Zahl 1536 (die
letzte Ziffer nicht ganz deutlich). Dies ist unbedenklich die Bauzeit der
Halle.'— Der südlichen Thür entsprechend ist eine ähnliche auf der Nord-
seite. Vor dieser eine niedrige Vorhalle mit sehr alterthümlichen Pfeilern
und gothischem Renaissance-Gewölbe.
Zell (an der Mosel). — Landräthliche Wohnung, ursprünglich wohl
ein Jagdsclilösschen, erbaiit von Ludwig von Hagen, Erzb. Kurfürst von
Trier. Sehr interessant in der ganzen Anordnung der Räumlichkeit für
stattliche und behagliche Hauseinrichtu^g um die Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts. Ein Hauptbau, an dem sich die Jahrzahl 1542 findet,
mit runden Erkerthürmen; die Räumchen in dem einen derselben mit
liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt,
zierlichen Gewölbchen. Ein vortretender Flügel, dessen innerer Körper
zwar später, dessen Giebelfa^ade aber noch alt ist, an der letzteren eben-
falls mit unterwärts halbrunden, oberwärts eckigen Erkerthürmen, An dem
einen dieser Thürme das Wappen des Erbauers mit der Jahrzahl 1543,
von einem Kenaissance-Rahmen umfasst. Im Uebrigen noch vorherrschend
gothische Dekoration-, hübsche spätgothische Fensterformen und Bogen-
friese ähnlicher Art. Hiedurch, in Verbindung mit dem malerischen Grund-
plan, die Anlage von' sehr anziehender Erscheinung.
Sonst noch manche, doch minder bedeutende Häuser derselben Zeit
in Zell.
Andernach. Reinkrahnen, am untern Ende der Stadt, vom J.
1554.. Gothischer Bogeukranz; darüber eine Attika bereits nach moder-
ner Art.
Köln. St. Georg. — Tabernakel, links vom Hochaltar, vom J. 1556.
Bedeutend , in der brillant dekorirten Barrock-Architektur modernen Sty-
les. (Die figürlichen S.culpturen klein und roh.)
Coblenz. Ehemalige erzbischöfliche Burg. — Der ältere
Theil nach der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Zierliche Renaissance,
mit manchen gothischen Reminiscenzen, z. B. in den Friesen. Vorzüglich
geschmackvoll, im Renaissancestyl, die von Säulen getragene Wendeltreppe,
an der untersten Säule mit dem Datum 1557. Das Ganze noch immer an-
ziehend malerisch.
Köln. Rathhaus. — Die hintere P"'a§ade desselben, nach dem alten
Markte zu, im Renaissancestyl der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, mit
halbrunden Giebeln, doch von flacher, nicht sonderlich ausgezeichneter
Behandlung. Das Interessanteste sind die vor der Bel-Etage hinlaufenden
Balkons, mit einer eignen gothischen Unterwölbung, und der Erker zwi-
schen denselben. (Die am obersten Geschoss angebrachten grossen Relief-
bilder, Rittergestalten , sind ziemlich roh.).' — Ungleich bedeutender ist
der von 1569—71 ausgeführte Vorbau au der Vorderseite, vielleicht das
vorzüglichste Beispiel des schon zur barocken Pracht sich neigenden Re-
naissancestyles, das jene Gegenden besitzen. Offener Porticus und offene
Halle über demselben, beiderseits Pfeilerarkaden mit frei vortretender!
Säulen, über deren je zweien das Gebälk mit vortritt. Das obere Gebälk
als Krönung des Ganzen wirksam durch die starken, im Frjes'angeordne-
ten Consolen bezeichnet. Treffliche dekorative Sculptur, namentlich am
Untertheil der obern Säulen. Die obere Halle im Innern lüit viereckigen
Pfeilern, deren Seiten ausgefalzt sind, mit antikisirendem Deckgesims und
gothisirendem Kreuzgewölbe. Die oberen Arkaden zum T|ieil noch mit
einem, zwar sehr gedrückten Spitzbogen. — Eine'^ähuliche Gewölbhalle,
wie die obere dieses Vorbaues, im Parterre des gegenüberstehenden soge-
nannten neuen Baues, angefangen 1608. Derselbe im Uebrigen in einem
schweren Baustyl gehalten.
Der Kobenhof zu Bittburg. — Reste eines zierlichen Wohnge-
bäudes, jetzt als Front von schlechten Kabachen au die Strasse hinaus-
tretend. Renaissance mit de^ Datum 1576, im bunten und lustigen Cha-
rakter der Zeit, doch weder sehr geistreich, noch sehr elegant behandelt.
— In einem Seitengässchen ein Portal mit demselben Datum. Dies fast
noch roher in der Arbeit. Im Fries desselben einige leidlich ungeschickte
Sceuen von Rittergefechten (in deren einem der Kopf eines Besiegten
überreicht wird). , ^
248
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Studien an Rhein und Mosel. .1 249
Moderne Bauweisen.
' p •
Andernach. Der'eheraalige. gräflich Leyen'sche Hof..— Brillan-
ter Portalbau im Styl der barocken Renaissance um 1600; lustiges «Säu-
lenwerk und seltsam phantastische, zum Theil fratzenhafte Karyatidenfigu-
ren. Ein breites Rundbogenportal; auf jeder Seite, vortretend, zwei Säu-
len, die einen Erker, ebenfalls mit Wandsäulen, tragen; darüber ein ge-
brochener Giebel. Die Behandlung des Qrnaments schon in der grösseren
Schwere des Barockstyles, docli immer noch mit Geschmack.
Coblenz. Jesuitenkirche. — Gebaut von 1609-1617 (die letz-
tere Jahrzahl am portal). Erstes bezeichnendes Beispiel der nordischen,
auf mittelalterliche Disposition zurückgehenden Jesuiterbauten. Sehr brei-
tes Mittelschiif; der Chor in dessen Breite fortgeführt, fünfseitig geschlos-
sen und mit Strebepfeilern versehen, w4ihrend^die Kirche selbst ohne
solche. Emporen über den Seitenschiffen, von- halbrunden Bögen.getra-
gen, die aus kurzen Rundpfeilern, über Gesims und Consolen, herauswach-
sen. Die Rundpfeiler säulenartig emporgeführt, mit viereckigem antikisi-
rendem Deckgesims, das unter den Ecken von "antikisirenden Consolen
' unterstützt. wird. Die Bögen
von Pfeiler zu Pfeiler halb-
rund, wie die unteren Bögen,
an den Ecken mit Rundstab
und Kehlen profilirt (Rh. 63.).
Auch die Fenster rundbogig,
mit in gothischer Weise ge-
ordnetem Stabwerk. Das Gewölbe (Tonnengewölbe mit Lünetten, statt des
mittelalterlichen Kreuzgewölbes) vom Mittelschiff mit spitzem, an den Sei-
tenschiffen mit halbrundem Anschluss; mit einem Gurten-
netz, das Profil der Gurte mit Rundstab und Kehle (Rh. 64,);
die Gurte ^uf Consolchen aufsetzend. Das Portal im höchst
^H-illanten , etwas abenteuerlichen Barockstyl, mit einer Art
korinthischer Säulen (auch einigen , ziemlich guten Statuen im Style der
Zeit). Darüber ein grosses gothisches" Rosenfenster, mit Eier- und Perlen-
stab in der Umfassung..
Das anstossende Jesuiter - Collegium (jetzt Gymnasial - Gebäude) im
Allgemeinen stattlich, mit manchen bemerkenswerthen Einzelheiten des
barocken Architekturstyles. Der älteste Flügel ist der südliche, vom J.
1588. Dann folgt der westliche, vom J. 1592, mit einem interessanten
Portal nach der Strasse. Später der an die Kirche anstossende nördliche,
vom J. 1695, mit schöner Durchgangshalle.'
Coblenz. St. Georg. — Kleine Kirche vom Jahr löfs, einschiffig,
mit viereckig geschlossenem Chor, noch in gothischer Anlage. Strebe-
pfeiler nach aussen, Flache Fensterseiten; einfaches, aber noch förmlich
durchgebildetes Stabwerk. Zierliches Netzgewölbe, des-
sen Gurte breit, mit Kehlen und Rundstäben (Rh, dö.).
Dabei im Ornament, an den Consolen u, s, w, moderne
Elemente.
Köln. , Öt, Pantaleon, — Das ziemlich flache
Netzgewölbe des breiten Mittelschifles, auf Consolen,
vom Jahr 1620,
Köln. -Jesuitenkirche. — Gebaut von 1621 — 29; eines der bril-
lantesten Exemplare des sogenannten Jesuiterstyles, die Architektur in
ihrer Gesammtwirkung von sehr glänzendem, festlich heiterem ßrnste.
'250 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Hohes Mittelschiff, von den Seitenschiffen durch hohe Rundsäulen mit ba-
rock dekorirten«^ dorischen Kapitalen getrennt. Die Abstände der Säulen
entsprechen ungefähr den antiken Zwischenweiten. Hochsteigende Spitz-
bögen, auf denen fabelhaft barocke Ornamente lagern, verbinden die Säulen.
Das Profil der Bögen in einer schwerfällig wüsten Umbildung des gothi-
schen Birnen- und Kehlenprofils (Rh.
66.). Emporen in der Mitte der Säu-
lenschäfte, wo aus diesen andre, fei-
ner gegliederte Bögen herausspringen.
Hier sind manierirte Engelflguren vor
den Bogenzwickeln, Statuen an den
Säalenschäften angebracht, u. s. w.
lieber den Abseiten, den Emporen,
dem Mittelschiff, dem Chor breiten
sich bunte Netzgewölbe mit sehr flachprofilirten Gurten hin. Der Chor ist
flacher, mit hohen weiten Fenstern. Die Verschlingungen des F'ensterstab-
werkes sind nirgend ganz übel, an dem Hauptfenster der Westseite sehr
brillant. Die Fa9ade ist, neben den gothischen Fenstern, mit antikisirend
barocken Wandpfeilern und sonstiger Barock-Dekoration versehen. Die
Thürme zu ihren Seifen befolgen in ihren oberen Theilen die entspre-
chende Disposition des romanischen Styles.
Am Jesuiter-Collegium, vom J. 1631, -ist unter der einen Seife eine
gute Bogenhalle mit kurzen dorischen Säulen, die sich nach dem Hofe zu
öffnet, zu bemerken.
Boppard. Franciskanerkirche. — Gebaut 1626—62. Einschiffig,
sehr einfache Architektur. In Kreuzgewölben und Strebepfeilern noch
gothisöhes Princip; Spitzbögen kaum noch erkennbar.
Ahrweiler. Die Kirche auf dem Cal varienberge (vor der
Stadt). — Gothisirend, etwa siebzehntes Jahrhundert. Einschiffig, mit
breitspitzbogigem Kreuzgewölbe, das fast wie ein Tonnengewölbe mit Stich-
kappen erscheint. Dünne kehlenartige Gurte. Breitspitzbogige Fenster ohne
Gliederung und Stabwerk.
Pfarrkirche zu Cochem. — Einschiffig, spätgothisch. Der Chor
noch rein; das Schilf dagegen, welches breiter ist und dessen Streben als
gurttragende Pfeiler nach innen stehen, dem modernen Gothiscb, etwa des
siebzehnten Jahrhunderts, angehörig.
Die Klause zu Castell (an der Saar). — Gothisirend, im Rund-
bogen. Die Gurte im beträchtlich späten Profil, mit modernen Einflüssen
nach der Weise des Jesuiterstyles. (Das Aeussere und der Oberbau neu,
Nachahmung des romanischen Styles.)
Kirche zu Saarburg. — Klein, zwei Pfeiler im Innern, viereckiger
Chor, Gemisch von gothisirenden und modernen Elementen. Die Pfeiler
^us vier Halbsäulen mit römisch dorischen Kapitalen zusammengesetzt;
ihnen entsprechend Wandpfeiler, völlig von römisch dorischer Beschaffen-
heit. Spitzbogige Gewölbe; in den Bogenlaibungen und Gurtungen, selt-
s^imer Weise , eine Rundkehle statt der Profllirung. Die Fenster wie in
frühgothischer Disposition: zwei einfach rohe schmäle Spitzbogenfenster,
nebeneinander, im Inneren von einem Rundbogen umfasst. Am Thurm
auf der Westseite eine Art von romanisch-spätgothischen kleinen Arka-
denfenstern.
'Coblenz. Sf. Florin. — Die Gewölbe des Schiffes aus dem sieb-
• Ii
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Studien au Rhein und Mosel. Arfchit. dekorative Kunst. 251
zehnten Jahrhundert. Noch gothisch oder gothisirend. Die Gurtträger
setzen über den Deckgesimsen der Pfeiler auf Consolen auf, Halbsäulen
mif^einer Art frei componiften Blätterkapitäles. Gleichzeitig dürften auch
die schlicht spitzbogigen Fenster des Schiffes sein.
Coblenz. St..Barbara. — Gebaut 1707. Einschiffig; Pfeilervor-
sprünge nach innen; dreiseitig geschlossen. Einfach modern; doch in den
Spitzbögen der Fenster und im Stirnbogeu der (elliptischen) Kreuzgewölbe
noch mit gothischen Reminiscenzen.
Bonn. Jesuitenkirche. — Erbaut gegen 1700, geweiht 1717 (nach
Hundeshagen: ,jDie Stadt und Universität Bonn am Rhein" etc. S. 55).
Sehr eigenthümliches antikisches Gothäsch. Gleich hohe Schiffe von be-
trächtlicher Höhe, durch verhältnissmässig^ schlanke Pfeiler voneinander
getrennt. Die Pfeiler (und ihnen entsprechend auch die Wandpfeiler)
viereckig mit abgeschnittenen Ecken; die Hauptseiten mit antikem Leisten-
werk vertieft und mit stark ausladenden actikisirenden Gesimsen gekrönt.
Die Schwibbögen von'Pfeiler zu Pfeiler (diese verbältniss-
mässig eng) un'd die Querbögen sind spitz, doch haben sie
breite, ebenfalls mit Leistenwerk vertiefte Flächen. Die
Kreuzgurte in spätgothischer Kehlenform. Die Fenster hoch
spitzbogig, mit fad componirtem Stabwerk (Rh. 67.). Die
Fa^.ade modern "barock; die Streben, zu den Seiten der
Spitzbogenfenster, als korinthische Wandpfeiler gestaltet.
Das Obergeschoss der Thürme romanisirend, mit Arkaden-
fenstern unter ründbogigen Friesen. — .
Andre kirchliche Gebäude schliessen sich enger den Anlagen und
Formen des italienischen Baugeschmackes im siebzehnten uud achtzehnten
Jahrhundert an. Dahin gehören: zu Coblenz der Kuppelbau der Carme-
literkirche (gegen 1659); — zu Thal Ehrenbreitstein der Kuppelbau
der heil. Kreuzkirche; — zu Bonn der Kuppelbau von St. Peter in Diet-
kirchen; — zu Trier die modernen TJieile des Domes, aus der früheren
Zeit des }|chtzehnten Jahrhunderts; die Kirche von St. Paulin (ausserhalb
der Stadt, gegründet 1734), ein brillanter, nicht ohne Geschmack durch-
geführter Bau; die Pauluskirche" (im Hospital der barmherzigen Schwe-
stern); die letzten Arbeiten an der Kirche von St. Matthias, das Kranzge-
sims^ des Thurmes und der brillante Poitalbau aii der Fa^-ade, aus der
Spätzeit des achtzehnten Jahrhunderts; — zu Saairbrücken die Lud-
wigskirche (neue Kirche), wiederum ein brillanter und räumlich anspre-
chender Bau aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, — n. A, m.
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II. ARCHITEKTONTSCH DEKORATIVE KUNST.
Köln. Maria auf dem Kapitol. ~ In der westlichen Vorhalle
und in der Kirche selbst, unter der Orgelbühne, eine Reihe merkwürdiger
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252
Grabsteine aus rothem
Sandstein , die auf ein-
fache Weise mit einem
flach erhobenen Stabwerk
verziert sind, das sich
theils kreuzförmig durch-
schneidet , theils durch
Rundungen u. dgl. eine
grössere Abwechselung
hervorbringt. Auf ein-
zelnen finden sich Kreuz-
stäbe, auch Bischofstäbe,
wie es scheint, angedeu-
tet, Auf einem sieht man
ein Lilienscepter und drü-
ber ein Kreuz. — Bei
zweien (in deriVorhalle)
ist der mittlere Theil weg-
gemeisselt, um einer spä-
teren gravirten Darstel-
lung Platz zu machen
(eins von diesen mit dem
Datum 1502),';bei einem
dritten eine spätere Rand-
schrift — Vermuthlich
gehören sie noch der
fränkischen Zeit an. Sie
erinnern übrigens in ge-
wissem Betracht auch an
die Weise englisch roma-
nischerOrnamentik. —Ein
Paar solcher Steine auch
im Museum von Köln.
Köln. St. Georg.
— Alter Taufstein mit
einfach rundbogigen'Ar-
kaden. I
Euskirchen. Kir-
che. — Aber, sehr roh
sculptirter Taufstein mit
Säulen, rohen Gesichtern,
Flachreliefs von Drachen
dergl.
Zülpich. Kirche.
— Kolossaler und höchst
roher Taufstein, auf ecki-
gen Säulen.
Adenau. Kirche.
♦-Roh romanischer Tauf-
stein mit 6 Säulchen.
Studien an Rhein und Mosel, Archit. dekorative Kunst.
253
Altenahr. Kirche.
— Roh romanischer Tauf-
stein mit Säulen.
Unkel. Kirche. —
Taufstein, iu gewöhnlich
romanischer Art.
Garden. Stiftskir-
che. — Alter Taufstein auf
6 Säulen, übergangsartig.
Andernach. Pfarr-
kirche. — Spätromanischer
Taufstein auf 6 Säulen mit
Blätterkranz.
Sayn. Klosterkir-
che.^— Im "Querschiff ein
hübscher spätromanischer
l^ufstein mit Säulenkapitä-
len (deren Schäfte nicht mehr
vorhanden).
Köln. Museum. —
Auf dem Hof alte Taufsteine.
Köln, St. Severin.
Hinter dem Altare, quer
gegen diesen, der Sarkophag
des heil. Severinus, mit dach-
förmiger Bedeckung, auf 4
spätromanisfchen Säulen ste-
hend.
Köln. St. Severin.
— Zur Seile des Hochaltars
ein Wand-Tabernakel mit
zierlich gothischer Umfassung
und Krönung, inschriftlich
vom J. 1378. Merkwürdig,
wie hier noch, in der An-
ordnung der Giebel, in
der Composition der Strebe-
thürmchen u. s. w., der reine
Domstyl beibehalten er-
scheint, obgleich das Ganze
roher dekorativ, behandelt
ist. In den Nischengesimsen läuft übrigens bereits das Birnenprofil (mit
etwas breiter Nase) nieder.
Kirche zu Altenberg bei Köln. — Zierliches Tabernakel zur
Seite des Altares (nur bis zur Höhe des Bogens, der die Pfeiler verbindet).
In spätgothischer Form und nicht mehr in voller architektonischer Kraft
Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
und Strenge, was die Coniposition anbetrifft; doch immer noch recht artig.
Figürchen im spätromanischeü Style, olme grosse Bedeutung.
Köln. Dom. ■— Grosse Saliristei. Gothisches Tabernakel, sehr treff-
lich. Für den etwas niedrigen Raum berechnet, hat es ein stärkeres Brei-
tenverhältniss als gewöhnlich , ist aber nichtsdestoweniger in sehr elegan-
ter, obschon etwas später Weise leicht und lebendig entwickelt und hat
grossen Reichthum harmonischer Linien.
Zülpich. Kirche. — Ueber dem alten Taufstein ein höchst zier-
lich geschnitzter gothischer Deckel, nach dem Motiv durchbrochener Thurm-
spitzen.
Trier. Do m - Kreuzgang. — Ein zierlich gothisches Tabernakel,
an die Wand lehnend.
Remagen. Katholische Kirche. Zur Seite des Hochaltares
ein Tabernakel von schöner gothischer Arbeit, leicht und schlank auf-
steigend, leider zum Theil beschädigt. ,
Mayen. Kirche. — Im Chor zur Seite des Altares ein treffliches
Tabernakel des fünfzehnten Jahrhunderts, ziemlich hoch und in nobler,
wenn auch nicht überreicher Weise durchgeführt. Nichts Figürliches.
Linz. Kirche. — Zur Seite des Altares ein zierlich gothisches Ta-
bernakel, dessen Spitze jedoch etwas schwer componirt ist.
MüJisterei ffel. Pfarrkirche. — Zur linken Seite des Hochaltares,
an der Wand der Absis, ein zierlich tüchtig gearbeitetes Tabernakel vom
J. 1480, mit sich durchschneidenden geschweiften Giebeln, aber geschmack-
voll. Am Fuss der Vorderseite, in jdem das Bild des Donators als kleine
Statuette angebracht ist, findet sich die Inschrift: Fridericus Roir
W CCCC» LXXX«.
Euskirchen. Kirqhe. — Zur Seite des Altars ein sehr zierliches
Tabernakel aus spätest gothischer Zeit, bunt und reich, der Fussbau sehr
elegant und nobel; daran mancherlei kleine figürliche Sculpturen.
St. Wendel. Kirche. — Die Kanzel (vom J. 1462) in zierlich spät-
gothischer Architektur.
Kirchberg. Kirche. — An einem Pfeiler des Inneren .eine Stein-
kanzel, architektonisch dekorirt, ganz hübsch, gegen 1500.
Köln. Dom. — Im südlichen Flügel des Querschiffes ein Weih-
brunnbecken aus schwarzem Marmor, mit gothischem Blattwerk, hübsch,
doch etwas roh.
Kirche zu Wanderath. (Reg. bez. Coblenz.) — Ein einfach hüb-
scher gothischer Taufsteiu aus Nieder-Mendiger Stein. '
St. Arnual. Kirche. — Ein hübscher, doch schon verwitterter spät-
gothischer Taufstein. Daran ein Eccehomo und Engel mit Marter-Instru-
menten.
Bingen. Pfarrkirche. — Grosser spätgothischer, zum Theil sehr
verwitterter Taufstein. (Angeblich karolingisch.)
Köln. Dom. — Die Chorstühle. Die geistreich launigen, zum
Theil mit grossem Geschmack und mit grosser Schönheit gefertigten Schnitz-
werke derselben betreffen, ausser den Knöpfen an den Lehnen, besonders
die Füllstücke unter den Sitzen. Es sind sehr charakteristische Beispiele
für das humoristische Element, das sich hiebei gern geltend macht. Weich
germanischer Styl.
Köln, Maria an f d em Kapi t ol. — Die Chorstühle mit manchen
254
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Studien au Rhein und Mosel. Arfchit. dekorative Kunst. 255
hübschen, zierlichen und launigen Schnitzwerken. Auch in den Kapellen
Cervo und Hardenrath zierlich gothische Gestühle. " -•
Boppard. Karmeliterkirche. — Chorstühle, vortrefflich ge-
schnitzt; sowohl das Ornament ungemein schön und rein, als auch die
mehrfach vorhandenen figürlichen Darstellungen sehr trefflich (Heilige, die
Evangelisten etc.). Einzelnes, wie die ganze Seitenwand, an welcher ober-
wärts Johannes unter zierlichem Baldachin, unterwärts Antonius der Ere-
mit, ist abgusswürdig. An den Lehnen manche Schnurren, z. B. ein Mönch,
der aus einer grossen runden Flasche säuft. — Höchst zierlich und eine
besondere Aufnahme verdienend, der Dreisitz zunächst dem Hochaltar.
Blüthezeit der Chorstuhl-Arbeiten.
Oberwesel. Stiftskirche. — Von den Chorstühlen ist einiges gute
Schnitz werk erhalten. _ '
Clemenskirche am Rhein (unfern Trechtinghausen). — In den
Flügeln des Querschiffes alte Chorstühle mit mancherlei Schnurren.
Bingen. — Ein Paar Sclilagleisten von den Thüren der Pfarrkirche,
jetzt im Besitz des Architekten Eb. Soherr', chorstuhlartig, mit figürlichen
Darstellungen, tüchtig handwerklich aus der Zeit gegen 1500.
Andernach. Pfarrkirche. —""In der Absis, zur linken Seite, ein
Tabernakel als "Wandschrank, der Thürbeschlag von zierlicher Schlosser-
Arbeit. .
Ravengiersburg. Pfarrwohnung. — Ueber dem Heerd der Küche
eine eiserne gegossene Platte, an der Wand stehend, ursprünglich zugleich
den Kamin des anstossenden Zimmers wärmend; auf schöne Weise mit go-
thisch architektonischem Ornament verziert, mit den Zweibrücken'schen
Löwen und der JahrzahK1488.
Köln. Dom. — Vorhalle der grossen Sakristei. Fünf Schränke
(darin die Kirchengewärider), "mit etwas handwerklichem rohem Schnitz-
werk im Style der Bärock-Renaissance; nicht ohne guten Humor.
Namedy. Kirche. — Kanzel, geschnitzt., mit Hermen, Heiligen-
reliefs u. dergl.j-in dem guten Barockstyl der Zeit um 1600.
Köln. Jesuitenkirche (1621—29). — Sehr kunstreich gearbeitetes
prachtvolles Marmorgitter vor dem Altarxaume; sogenannte Communion-
bank.
'Tüchtige Schreinerkunst an Beichtstühlen, u. dergl. ra.
Trier. Dom. — Vor dem westlichen Chore eine grosse tiefe Schale
aus weissem Älarmor, wie eine längliche Muschel, mit schön gearbeiteten
Akanthusranken geschmückt. Angeblich antik; möchte eher als eine Ar-
beit des, siebzehnten Jahrhunderts zu bezeichnen sein. -
Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
256
P
Ii
Trier. Im gräflich Kesselstadt'schen Hause. — Sandstein-
sarkophag mit einer Reliefdarstellung an der Vorderfläche: Noah mit seiner
Familie in der Arche, Vögel und mannigfaches Gethier,' unten vorn der
Rabe, drüber die Taube, die dem Noah das Oelblatt bringt; zu den Seiten
nackte Dekorationsfiguren, Festons -windend. Die Arbeit durchaus roh,
schlechtrömisch, in der Weise der gewöhnlichen römischchristlichen Sar-
kophag-Sculpturen, nur hier im Sandstein noch weniger scharf. Der Ge-
danke der Darstellung aber für die Zuversicht des jugendlich gläubigen
Gemüthes der poesievollste Ausdruck.
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Remagen. Portal am katholischen Pfarrhofe. — Die Pfosten
des Portals auf ziemlich guter attischer Basis. Die Ecken abgefalzt, mit
vortretenden Säulchen, die ebenfalls mit guter attischer Basis (ohne Eck-
verzierung am unteren Wulste) und mit roh phantastischen Kapitalen ver-
sehen sind. Die Pfosten und jeder Keilstein des Portalbogens sind mit
Reliefdarstellungen versehen; andre Reliefs zu den Seiten der Pfosten.
Linker Hand neben dem linken Pfosten sieht man, unterwärts: einen
bärtigen König, scheinbar auf einem Wagen, der von zwei Greifen ge-
zogen wird (die Greifen bewegen sich nach beiden Seiten, doch erkennt
man deutlich, dass sie angeschirrt sind); darüber: einen Nackten mit der
Tonsur, in einer Bütte. Am linken Pfosten selbst: ein Krieger in kur-
zem Rock mit Schild und Lanze, auf irgend einer ungethümen Figur
stehend. Auf den Keilsteinen des Bogens sind zumeist lauter phantasti-
sche, iiixenartige und ähnliche Figuren enthalten. Am refchten Thürpfo-
sten, oberwärts, ein Drache; darunter ein kurzröckiger Mann auf einem
Thiere. Daneben zur Rechten, oberwärts: ein auf die Jagd reitender
Miinn, das Horn blasend; unterwärts''.pin Mann, der eineri^Baum umfasst.
Rücksichtlich des Inhalts dieser Darstellungen mochte man geneigt sein,
au Gegenstände der rheinischen Volkssage zu denken; Manches gemahnt
an die Siegfriedsage; der tonsurirte Mann in der Bütte könnte St. Theonest
vorstellen, den die Rheinweinsage in seiner Bütte bei Kaub landen lässt.
In der Ausführung sind sie durchweg kindisch, roh und unförmlich; sie
scheinen in der That, auch gemäss der Kostümandeutungen, früh zu sein,
d, h. dem elften Jahrhundert anzugehören, dem auch die Architektur des
Portales nicht widerspricht.
Köln. St. Maria auf dem Kapitol. — Die Thür, welche in die
Absis des nördlichen Querschiffflügels führt. Eine Reihe hölzerner Haut-
reliefs, stark vorspringend, in das Rahmenwerk eingelassen. An jeder
Thür drei grosse imd zehn kleine Felder (von denen die untersten theils
'M
r
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I
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■f -d
fi-Bi
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Studien an Rhein und MoseL Sculptur, Roraan. Epoche. " 257
beschädigt sind, theils ganz fehlen). Das Leben Christi von der Verkün-
digung bis zum himmlischen Throne umfassend. In dem traurig barbari-
sirt byzantinischen Style der Zeit vor 1100; rohe kxirze Embryonen mit
dicken Köpfen und kolossalen Extremitäten; die Gewänder als rohe enge
Kittel mit wenigen byzantinischen Falten, das Detail nur eben anged.eutet.
Das die Felder umgebende Rahmenwerk mit Bandgeflechten; dazwisch^'n
überall dicke Knäufe; das Ganze umfasst von dicken Stäben mit streng
romanischem Blattwerk.
Ebendaselbst. — Grabstein der Plectrudis, aussen unter dem Mit-
telfenster, des Chores eingemauert. Langer, einfach strenger romanischer
Styl, noch schematisch, doch die Gewanälinien schon mit einem gewissen
Formengefühl um den* Körper bewegt. Zwölftes Jahrhundert (vielleicht
noch die erste Hälfte desselben). Dem entspricht auch die Laubeinfassung
des Steins.
Köln. Museum. — Einige Sculpturen aus St. Pantaleon, streng ro-
manisch, doch schon mit Formengefühl. Christus und Heilige. Zum Theil
verdorben.
-Köln. St. Cacilia - Relief im Bogenfeld über der Thür der Nord-
seite. In der Mitte die Halbflgur der h. Cäcilia; zu deren Seiten die Hei-
ligen Tiburcius und,Valerianus; über'der Cäcilia, aus dem Bogen herab-
tauchend, ein Engel. Im ziemlich starren romanischen Style, doch schon
dessen spätere Entwickelung; offenbar gleichzeitig mit der Kirche (vergl.
oben S. 195). Die Augen der Figuren bestanden ursprünglich aus blauen
Glasstücken (Angabe von de No61). Das Ganze war gewiss bunt.
Trier. Dom. — An den Wandarkaden,, welche an der Ostseite des-
nördlichen Seitenschiffes befindlich, streng und schwer romanische R^lief-
figuren der Apostel. — An dem vermauerten Portal im südlichen Seiten-
schiff, das mit dem östlichen Chore gleichzeitig, im Bogenfeld: Christus,
Maria und Petrus, noch im romanisch strengen Style.
Trier. Das Neuthor. — Flaches Relief im Bogenfelde. In der~
Mitte, gross, Christus, die Arme ausgestreckt, die rechte Hand segnend,
in der linken das Buch. Zu seinen Seiten, kleiner, rechts Petrus (wie e.s
scheint), links St. Eucharius in vollem geistlichem Ornat. Der Styl ent-
schieden romanisch, aber mit derjenigen Belebung, welche in Deutschland
gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts eintritt. Es ist ein interessantes
Beispiel der Art, besonders in der Figur des Christus, während die des
Eucharius noch die volle offizielle Starrheit hat, die den entsprechenden
Figuren geistlicher Siegel eigeii zu sein pflegt. Die Gestalten trugen auf-
gesetzte Heiligenscheine von Metall; hievon sind nur noch die Nagellöcher
vorhanden. Ebenso sind von der Unterschrift, die mit Metallbuchstaben
aufgesetzt war, nur noch die Löcher da. Dieselbe lautete: „Trevericam
plebem dominus-benedicat et urbem." Ausserdem stand über dem Thore:
„Sancta Treviris."
Ob e/-L ahnst ein. — An der Kirchhofsmauer, der Westseite der
Kirche gegenüber, das Bogenfeld des früheren romanischen Kirchenportales.
Reliefsculptur: thronender Christus; oben zu den Seiten des Nimbus zwei
knieend anbetende Engel; dann auf jeder Seite zwei stehende Heilige und
in jeder Ecke ein kleiner Donator, knieend. Allgemein romanische An-
lage, feiner und wohlausgebildeter Styl, doch ungemein Verwittert und nur
einzelne Gewandpartien noch rein erhalten.
Kugler, Kleine Schrinen. II. - 17 , '
-ocr page 257-258 Rlieinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Kirche zu Biauweiler. — Sculpturen im noch strengen romani-
schen Styl, doch gleichzeitig mit dem Bau der Kirche (Frühzelt des drei-
zehnten Jahrhunderts): Hautrelief in der Crypta, Madonna mit Heiligen:
die Figürchen in den Bogenfeldern der Thüren, welche aus dem Chor in
die Gemächer der östlichen Thürrae führen; ein Paar Heiligenfiguren inner-
halb kleiner Nischen am Aeusse-
ren des westlichen Thurmes und
ebendaselbst eine Reihe andrer,
dem Thierkreise angehöriger Figu-
ren , "Wassermann, Fische, Stein-
bock, Stier, Zwillinge, Krebs.
Andernach. Pfarrkirche.
— Relief des Bogenfeldes am Portal
der Südseite: zwei Engel, die ein
Rund mit dem Lamme halten; gut-
bewegte Arbeit im romanischen
Style zu Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts, sorgfältig, selbst mit
Geschmack, doch nicht sonderlich
geistreich.
Köln. Maria auf dem Ka-
pitol. — Im südlichen Seitenschiff,
an der Ecke neben dem Pfeiler der
Westseite, ein nicht grosses Stand-
bild der Maria mit dem Kinde; —
der Sage nach das Madonnenbild,
welches der h. Hermann Joseph
als Knabe täglich, auf dem Schul-
gange, verehrte; daher auch die
Figur desselben knieend und einen
Apfel darreichend, neuerlich zur
Seite dpr Statue angebracht ist.
Aus der letzten Zeit des romani-
schen Styl esnoch typisch im Ge-
wände, noch nicht entwickelt in
der Körperlichkeit, aber schon voll
tiefen zarten Gefühls, besonders
wie Mutter und Kind das Haupt
mitwahrhaft liebliqh zartem Lächeln
gewährend zur Seife neigen (wobei
freilich die neuere Bemalung für
den Ausdruck bedeutend mitwirkt).
Gewiss eins der anmuthigsten Bei-
spiele für die beginnende Kunst,
wohl nicht vor dem zweiten Vier-
tel des dreizehnten Jahrhunderts. >)
!
1) Die obige Illustration nach einer Zeichnung, welche, mir Hr. De Noel
mitgetheilt hatte.
i
-ocr page 258-•Studien au Rhein und Mosel.' Sculptur, Germanischer Styl. 259
Trier. Liebfrauenkirche. —'Reicher Sculpturenschmuck am
Hauptpprtale. Statuen zu den Seiten desselben, von denen drei erhalten
sind und drei fehlen (eine vierte, vorhandene gehört nicht ursprünglich
hieher und ist später). Im Bogenfelde eine thronende Maria mit dem
Kinde, mit Scenen aus der Jugend Christi zu ihren Seiten in Bezug ste-
hend; in den Bögen selbst fünf Halbkreise mit andern kleinen Gestalten.
Zu den Seiten des Portalbogens je drei Statuen von Erzvätern; über dem-
selben, zu den Seiten des Fensters, die Statuen des Engels Gabriel und
der Maria, im Momente der Verkündigung. Ganz oben, im Giebel der
Schauseite:, die kolossalen Gestalten des gekreuzigten Erlösers nebst Maria
und Johannes — Mit dern Gebäude gleichzeitig, also aus dem zweiten
Viertel des dreizehnten Jahrhunderts. Entschieden im germanischen Style;
die Linien und Falten streng, die Bewegungen noch unfrei; aber der eigen-
thümliche Fluss des Germanischen kündigt sich augenscheinlichst und
zum Theil mit bedeutendem Schönheitssinne an. Na'mentlich ausgezeichnet
sind die Statuen des Gabriel und der Maria; auch ihre Gesichter, obgleich
noch typisch streng, sind doch schon sehr anmuthig. Die leise Kniebe-
-wegung der Maria ist vortrefflich und im Gewände nachempfunden. . Die
Arbeiten sind den Sculpturen germanischen Styles am Bamberger Dome
nah verwandt. Die kleineren Gestalten, besonders die des Bogenfeldes,
sind minder bedeutend. Die Kolossalflguren im. Giebel sind roh, fügen
sich auch noch auf ungeschickte Weise der Umfassung, sind aber nicht
späterer Zusatz. (Sie zeigen hierin noch Unerfahrenheit in der Berechnung
der Maasse.)
Sculpturen am Portal ''der Nordseite. Krönung der Maria (Christus,
Maria und drei Engel, alle stehend) im Bogenfelde. Zwei Engelreigen in
den Halbkreisen der nächsten Bögen, in den übrigen vier Bögen Laub-
ornamente. Die letzteren sehr, zierlich. Die im Bogenfelde enthaltene
Darstellung ungemein glücklich. Es ist auch hier der germanische Styl in
seiner ganzen primitiven Strenge, dabei aber ist die Bewegung ungemein
leicht und empfunden, und dies theilt sich auch der Führung der Gewän-
der mit. Dies ist durchaus die Meisterarbeit unter den Sculpturen der
Liebfrauenkirche. Wie weit übrigens die Behandlung lebendig detaillirt,
Avie weit sie etwa noch conventioneil sein mag, lässt sich bei der sehr
dicken Tünche, die (1841) darüber lagert, nicht entscheiden.
Kirche zu Tholey. — Portal auf der Nordseite, an die Portale
der ebengenannten Kirche erinnernd, mit reichem, doch schon sehr verwit-
tertem Sculpturenschmuck. Am besten erhalten das Bögenfeld mit der
Auferstehung Christi, eine eigenthümliche Darstellung frühgermanischen
Styles. In den Bogenläufen die klugen und thörichten Jungfrauen u. s. w.>
Klosterkirche zu Sayn. ,— Hölzernes Epitaphium in der, Sakristei.
Eine kolossale ritterliche Gestalt, die Hand auf den Kopf eines gekrönten
Kindes legend, das ihr zur Seite steht. Arbeit im frühgermanischen Styl,
interessant, doch im eigentlich künstlerischen Belang nicht gar bedeutend.
0 Das Nähere über den Inhalt dieses Bilder-Cyklus s. iu dem geistvollen
Aufsatze von Joh. üebrg Müller (jetzigem Bischöfe von Münster), welcher sich
im ersten Textheft der Schmidt'schen Baudenkmale von Trier etc. befindet.
wr
260 Rheinroise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Der Faltenwurf hat etwas Geschwungenes, fast wie auf dem (durch Puttrich
, herausgegebenen) Grabsteine zu Wechselburg in Sachsen. Ein Baldachin,
? wie (iber den frühgerraanischen Statuen zu' Naumburg.
Kirche zu Laach.-— Sarkophag des Erbauers, unter dem spätroma-
nischen Tabernakelbau im westlichen Chore (länger als der Durchmesser
des Tabernakels). Gothisch in der frühern Art, mit Nischenwerk an den
"Wänden. Oben darauf die liegende Colossalstatue des Herrn, einfach derb,
frühgemianisch, nicht sonderlich bedeutend. Auf seiner Hand, früher da-
vongekommen und durch v, Lassaulx restituirt, das kleine bemalte Holz-
moclell der Kirche.
Kirche zu Sinzig. — Auf dem Altar im südlichen Flügel des
Querschiffes ein zweites vortreffliches Exemplar jener edelausgebildeten
frühgermanischen Madonnenstatue, die sich in dem Altarschrein auf dem
Nonnenchor der Kirche von Altenberg aa der Lahn vorfindet. (Vergl.
oben, S. 180.)
Oberwesel. St, Martin. — An einem Pfeiler im Innern der Kirche
eine dritte, aber rohere Wiederholung der ebengenannten Madonnenstatue.
Boppard. Pfarrkirche. — Im Schiff, über dem Chorbogen, ein
altes Crucifix aus dem dreizehnten Jahrhundert. — Kloster Marien-
berg (vor der Stadt). In der Kapelle einige Grabsteine aus der späteren
Zeit des dreizehnten Jahrhunderts; gute HaadwerkBarbeiten.
Köln. Dom. — Die kolossalen Statuen an den Pfeilern des Chores,
Christus, Maria und die zwölf Apostel. Germanischer.Styl der Epoche um
1300. Die Gestalten in geschweifter Haltung, nicht frei von Manier, selbst
bis zur Affectation; die Gesichter noch'typisch, an die äginetische Bil-
dungsweise streifend, überhaupt das Gefülil für den körperlichen Organis-
mus nicht sonderlich entschieden. Die Gewandung aber von hoher künst-
lerischer Bedeutung. Die Anordnung der Gewänder ßehr mannigfaltig; dabei
der schönste Fluss germanischer Linien und, was besonders bemerkens-
■werth, eine vorzügliche Ausbildung in dem Gange des Gefältes; nament-
lich die Brüche der Falten auf meisterhafte Weise durchgebildet und leise
spielend zu Ende geführt. Der Natursinn, der sich hiebei zeigt, ist um so
» überraschender, als er in dem Ganzen der Körperlichkeit noch wenig her-
vortritt. — Die Statuen sind völlig polychromatisch behandelt. Das Nackte
ist naturgemäss gefärbt, die Gewänder mit dem reichsten Wechsel der ver-
schiedenartigsten, sehr geistreich componirten Muster, in prachtvoll harmo-
»i nischen Farben und Gold i). Die Säume besonders reich ornamentirt, mit
'I Glasflüssen, welche Edelsteine nachahmen, und mit Glasstücken, auf deren
I Kückseite zierliche, dem Email ähnliche Ornamente aufge^nalt und die so-
[ dann auf einen goldenen Grund aufgelegt sind. An den Stellen, wo das
Gewand sich biegt, ist hiezu Marienglas genommen. Die Pracht dieser
ganzen Bemalung steht eben im Einklänge mit der gesammten Farbenpracht
des Innern. — Ueber den Baldachinen der Statuen sind kleinere, eben-
falls polychromatische Statuen musicirender Engel angebracht.
In der Marienkapelle des Domes (Südseite des Chores), im Altar-
gehäuse, eine treffliche grosse Statue der Maria mit dem' Kinde. In Auffas-
sung, Anordnung und Behandlung den ebengenannten Colossalstatuen sehr
') Allös dies gegenwärtig mit grosser Umsicht nnd Treue erneut. Ich hatte
das Glück, die Statuen im Arbeitslokal, in unmittelbarster Nähe , untersuchen
zu können.
—.....^^.......—: ...................
Studien an Rhein und Mosel. Sculptur, Germanischer Styl. 261
ähnlich; eins der besseren.. Exemplare dieaer Art. Die Bemalung in spä-
terer Zeit erneut, was zunächst aus den Rococo-Mustern des Gewandes
hervorgeht. ^
Köln. Rathhaus. — Im Hanse-Saal, der gegenwärtig mit einem
einfach spitzbogigen Tonnengewölbe bedeckt ist, wird die eine Stirnwand
völlig mit reichen'Tabernakel-Architekturen ausgefüllt; diese in einer
tüchtigen, doch etwas schweren Gothik. In ihnen stehen neun grosse Sta-
tuen von Repräsentanten der Hanse (?) und über den letzeren, in der
Mitte des Spitzbogens , die kleineren Statuen der , heiligen drei Könige.
Jene haben, was den Styl der Arbeit betrifft, ein gewisses Verhaltniss zu
den Apostelstatuen im Domchore; doch sind sie nicht so lang, nicht so
ausgebaucht, auch erscheinen sie nicht, wie diese, in ideal geworfener Ge-
wandung. Die Arbeit selbst ist etwas derb. Die Behandlung der Köpfe,
besonders der Barte, ist der der Apostel sehr ähnlich. Ursprünglich poly-
chrom, sind sie jetzt einfarbig überstrichen.
St. Goar. Katholische Kirche. — Das Gebäude roh, wie ein
Stall. Darin ein trefflicher Grabstein, welcher die Darstellung des heiligen
Goar unter gothischem Baldachin mit vier Engeln, enthält, in edelm, noch
ziemlich typischem germanischem Style. ^ ^
Oberwesel. Stiftskirche. — Der Hochaltar, geweiht 1331. Auf
ihm, ^us dieser Zeit, ein grosses, reiches Schnitzwerk: reiche und sehr
geschmackvolle Architektur mit einer Menge von Heiligenfiguren. Die
letztern sauber germanisch, rdit allem Conventionellen des Styles,. zum
Theil aber auch in schöner statuarischer Würde. (Gleichzeitige Gemälde
au^ den Aussenseiten der Flügel des Altarwerkes, von roher Arbeit. Spä-
terer reicher Aufsatz, aus dem siebzehnten Jahrhundert.)
In der westlichen Ecke des südlichen Seitenschiffes, ein kleines heili-
ges Grab, mit bemalten und vergoldeten Holzstatuetten.' Der Christusleich-
nam auf dem Grabe und die Frauen umhersteheud. In derselben fein
Conventionellen Weise wie die Figuren des Hochaltars.
An dem schönen Lettner, der sich in der Kirche befindet, vier vor-
treffliche Gewandstatuen in noch etwas conventionellem germanischem
Style.
Bingen. Pfarrkirche. — Ein Paar gute Statuen germanischen
J Styles. " ,. ' - ,
i St Matth las bei Trier. — Auf dem Orgelchor eine grosse Holz-
i Statue der Maria mit dem Kiude, bemalt und vergoldet. Handwerklich
tüchtig, mit grosser germanischer Anlage des Gewandes.,
Kirche zu St. Wendel. — Der Hochaltar in der Weise eines Sar-
kophags behandelt, auch wohl, nach der zum Theil verdeckten Inschrift
zu urlheilen, ursprünglich zum Zwecke eines solchen bestimmt. Rings
umher mit gothischen Nischen und in diesen mit Heiligenfiguren in hand-
werklich germaniscliem Style des vierzehnten Jahrhunderts versehen. —
Hinter dem Hochaltar, auf zwei Pfeilern (quer gegen das Fenster hiii), ein
ähnlicher, aber kleinerer Sarkophag, mit den Figuren der Apostel im edlen
Style des vierzehnten Jahrhunderts geschmückt. Auf demselben, stehend,
das Figürlein eines Pilgrims.
Stiftskirche zu Kyllburg. — Am Mittelpfeiler dös zumeist.ver-
bauten Portales der Nordseite eine Madonnenstatue, handwerklich im ger-
manischen Styl.
Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Auf dem Hochaltar ii. A. eine Holzstatue der Maria mit dem Kinde,
ziemlich fein germanisch,-doch nicht besonders geistreich gearbeitet.
Münstereiffel. Pfarrkirche. — Grosser Sarkophag in der west-
lichen Halle der Kirche. Auf demselben liegend die Gestalt eines Ritters,
sehr tüchtig gearbeitet, von 6iner noch gut gothischen Architektur umgeben.
An den Seiten des Sarkophags kleine Reliefflguren von Heiligen, in
tüchtig germanischer Anlage, wenn auch ohne sonderliche Ausbildung.
Zeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.
Kirche zu Unkel. — In einer Seitenkapelle die Theile eines Schnitz-
altars im speziell germanischen Style, doch nicht sonderlich geistreich oder
gefühlt. Biblische oder legendarische Scenen unter zehn Baldachinen und
Figuren von Heiligen unter drei Baldachinen. Neu angestrichen, somit die
"Wirkung der ursprünglichen Bemalung verloren.
Köln. Dom. — Der Hochaltar, aus der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts, sarliophagartig behandelt. Die Masse des Altars aus schwarzem
Marmor, mit darüber gelegter Dekoration aus weissem Marmor. Hievon
der Schmuck der Vorderseite erhalten: eine edelgebildete gothische Nischen^
Architektur mit fast freistehenden Sculpturen 5 in der Mitte eine breitere
Nische mit der Darstellung der Krönung der Maria; je sechs schmalere
Nischen mit den Figuren der Apostel zu den Seiten. Das Figürliche in
guter und, was die Gewänder betrifft, reicher germanischer Anlage, weich
ausgearbeitet, doch etwas schwer und nicht eben mit feinstem Gefühl
durchgebildet. — An der Rückseite waren ursprünglich ähnliche Darstel-
lungen, die bei der Veränderung des Altares im J. 1770 fortgenommen
sind. Einige Stücke von ihnen befinden sich im Kölner Museum.
Köln. Dom. — Altarschmuck der Johanniskapelle, aus der Kirche
der heil. Clara herrührend. Grosser Mittelschrein mit zwei Seitenschrei-
nen, durch zierliche Tabernakelnischeh im reinsten gothischen Style aus-
gefüllt. Von den Sculpturen, die ia4en letzteren enthalten waren, sind
nur noch einige kleine Statuetten vorhanden. Diese, nicht bedeutend, sind
etwa den Marmorsculpturen des Hochaltars vergleichbar, nur etwas länger
in den Verhältnissen und minder künstlerisch in der Behandlung. (Ueber
die merkwürdigen Gemälde dieses Altarschreins s. unten.)
Köln Dom. — Grabmonumente.
262
IFHiF
In der Maternuskapelle das des Erzbischofes Philipp von Heinsberg
(gest. 1191) 1). Die Seiten des Sarkophags sehr eigenthümlich, wie eine
feste Mauerumgebung gestaltet, mit Zinnen, Zinnen - Thürmchen auf den
Ecken und festen Thoren in der Mitte der Langseiten, offenbar als Denk-
mal oder Dokument der diesem Bischöfe zugeschriebenen Mauerumgebung
der Stadt Köln. Auf der oberen Fläche, im Einschluss der Zinnen, die
liegende Gestalt des Erzbischofes, ziemlich steif, im Style des vierzehnten
Jahrhunderts. Das Gesicht verdorben. Ueber dem Kopfe die einfache und
schon in dieser Weise die spätere Zeit der Ausführung bezeichnende In-
schrift: „Philippus ab Heinsberg."
Ueber dies Denkmal und über den Umstand , dass die Denkmäler der
frühern Erzbischöfe des Doms erst nach Vollendung des Chores, also im Verlauf
des Idten Jahrhunderts ausgeführt, vergl. Wallraf, Beiträge zur Geschichte der
Stadt Köln und ihrer Umgebungen, 1818, S. 137. — Ich lasse im Obigen ab-
sichtlich, zur besseren Andeutung der Stylentwickelungen, die betreffenden
Grabmonomente und die ihnen zunächst sich anschliessenden Arbeiten in unun-
terbrochener Reihe auf einander folgen,
•Studien au Rhein und Mosel.' Sculptur, Germanischer Styl. 263
In der Johanuiskapelle' das Monumeot des Erzbischofes Conrad von
Hochsteden (gesü 1261). Bronzestätue, auf dem schwarzmarmornen Sarko-
phagdeekel ruhend. Sehr merkwürdig. Die Figur in einfach germanischem
Style, ohne bedeutendes Hervortreten der Körperlichkeit; die Gewandung
aber in einer Weise durchgebildet, die auffallend an die Gewandung der,
obschon viel mehr manierirten Apost^lstatuen des Chores erinnert. Auch
die Hände sind denen der letzteren ähnlich. Das Gesicht ist ganz vor-
trefflich, kaum noch mit einem Anfluge von typischem Wesen, sehr indi-
viduell und fast ganz lebensweich. Die Statue ist ziemlich stark gegossen
und leider mehrfach, besonders an den Füssen, beschädigt; die reiche de-
korative Umgebung, die sie ursprünglich hatte, ist zerstört J). Auf dem
Sarkophagdeckel die wiederum einfache Inschrift: „Conradus a Hochstedea."
Bonn. Münster. — Im westlichen Chor der Sarkophag des Erz-
bischofes Engelbert IL, der 1268 die erzbischöfliche Residenz von Köln
nach Bonn verlegte und 1275 starb. -Der ganze Styl der Arbeit deutet auf
das vierzehnte Jahrhuhdert., Oben auf dem Sarkophag die Gestalt des
Erzbischofes, mit individuell gebildetem (leider beschädigtem) Gesicht.
Zwei Engel, zu seinen Häupten, tragen die nackte Seele auf einem Tüch-
lein empor; diese sehr schön, aber ebenfalls sehr beschädigt. Die archi-
tektonische Dekoration noch vortrefflich.« Die Umschrift lautet;
Eng'elbertus de Falkenberg Archieps. CoL
Floreat in celis tua laus Veroiia ßdelis.
Filia tu matris Engilberti qua patris.
Que tua metropolis non habet ossa colis.
Köln. Dom. —- Grabmonumento.
In der Michaelskapelle'das des Erzbischofes Walram von Jülich (gest.
1349). Marmorfigur in einfach steifer Haltung und Anordnung; die Gewan-
dung aber trefflich durchgebildet, das Gesicht sehr individuell. Am Rande
der schwarzen Marmorplatte, darauf die Figur ruht, steht auch hier noch
die einfache Inschrift: „Walramus de Juliaco.'' '
In der nördlichen Chor-Abseite das Monument des Erzbischofes Engel-
bert III., Grafen von der Mark (erwählt 1364, gest. 1368), noch bei Leb-
zeiten desselben errichtet 3). Oben die ruhende Figur des Erzbischofes,
gross, germanisch und an sich ziemlich schwer, doch das Gesicht wiederum
individuell 'und weich (die Nase beschädigt). Au den Seiten des Sarko-
phags vierundzwanzig gothische Nischen mit kleinen Figuren, von denen
aber ein Theil schon ganz fehlt, andre verstümmelt sind. Diese sind un-
gemein trefilich, im schönsten, edelsten und reinsten germanischen Styl,
etwa den Gestalten in den Gemälden des sogenannten Meister Wilhelm
vergleichbar, doch durch eine ungleich edlere und mehr durchgebildete
Körperlichkeit ausgezeichnet. Einige, namentlich weibliche Köpfe erschei-
nen schon ganz in dem bekannten Charakter der kölnischen Malerschule.
- ■
Im nördlichen Flügel des jQuerschiffes das Marmorstandbild des Erz-
bischofes Wilhelm von Gennep (gest. 1372), ursprünglich einem Sarkophage
angehörig, jetzt aufrecht an der Wand. Sehr lange Figur, in strenger
Hauptform, doch weich ausgebildetem Style. Die Körperlichkeit steif, die
Arme kurz.
') Später ist das Monument restaurirt-worden. — Bonn. — Gelen,
S. 242 uud Cronica van der hilliger Stat Coellen (1499), ßl. 268, b.
iiää
-ocr page 263-264 Rh«inreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
In der Marienkapelle das Grabmal des Grafen Gottfried von Arnsberg
(lebte 1368) und seiner Gemahlin. Beide Figurenlauf dem Sarkophag lie-
gend, ziemlich schwer, doch von sauberer Arbeit. Beste der interessanten
Bemalung des Ritterkostüms. Kleine Figuren an den Seiten des Sarko-
phags, scheinbar ganz aumuthig, doch meist verdorben.
Coblenz. St. Castor. — Grabmonumente.
Sarkophag des Erzbischofes Cuno von Falkenstein (gest. 1388). Auf
demselben, überlebensgross, die Gestalt des Bis'chofes mit gefalteten Händen.
Das Gesicht sehr individuell, voll und kräftig, die Gestalt sonst nicht eben
sehr edel. Ueber seinem Haupte ein (liegender) Baldachin, und eine (gleich-
falls liegende) Architektur zu seinen Seiten, auf der Fläche des Sarkophags,
In letzterer, an der vorderen, dem Beschauer zugekehrten Seite, drei vor-
treffliche kleine Heiligenfiguren, im schönsten, reinsten und edelsten ger-
manischen Style, völlig frei von allen manierirten Elementen desselben.
An der hintern Seite dieser Architektur sind keine Figuren. Unterwärts,
an der Vorderfläche, ist der Sarkophag mit einer zierlich gothischen Nischen-
Architektur, doch ohne figürliche Darstellungen, geschmückt, (üeber die
Architektur der Nische, darin der Sarkophag steht, ist bereits gesprochen.
Ueber das in dieser Nische enthaltene Gemälde vergl. unten.)
Sarkophag des Erzbischofes Werner (gest. 1418). Die auf demselben
ruhende Figur des Erzbischofes hat eine bessere Anordnung des germani-
schen Styles, als die des Cuno. Zwei Engel halten, stehend, an seinem
Kopfende eine Tafel mit dem Wapp(?n. Diese sind nicht sonderlich,
Köln. Dom. — Grabmonument des Erzbischofes Friedrich von Sar-
Averden (gest. 1414), in der Marienkapelle. Auf dem Sarkophage die Bronze-
flgur des Erzbischofes, im wohlausgebildeten germanischen Style, doch
etwas massig behandelt, im Gesicht grosse Individualisirung. (Das Kissen,
darauf der Kopf der Figur ruhte, und andre Umgebungen derselben feh-
len, 1841.) Die Wände des Sarkophags mit reich gothischen Nischen,
darin die Figuren von Engeln mit Wappen und Aposteln (oder Propheten);
zwischen ihnen der vor Christus knieende Erzbischof und am Kopfende
die Darstellung der Verkündigung. (Das Fussende, 1841, gegen die Wand
vermauert, die Darstellungen der einen Langseite zum Theil in dem auf-
gehöhten Estrich des Fussbodens steckend.) Diese kleineren Figuren sind
von höchster künstlerischer Bedeutung. Mit einem sehr zarten Gefühle für
die körperliche Gestaltung verbindet sich hier die höchste Anmuth und
Zartheit der Linienführung in den Gewändern. Auch die Köpfe sind äus-
serst lieblich. Es ist das schönste Erbe des germanischen Elementes, zur
höchsten Vollendung entwickelt.
Köln. Dom. — Die Sculpturen des vollendeten (südlichen) Seiten-
portales der Westseite. Zu den Seiten des Portales je fünf Nischen für
Statuen, von denen zur Linken drei, zur Bechten zwei vorhanden sind.
Es sind Apostel. (Möglich, dass, um die Apostelzahl voll zu machen, noch
zwei Statuen vor die Portal wände, rechts und links, vortreten sollten.) In
den Bogenwölbungen, unter reichen Baldachinen, lauter sitzende Gestalten:
1) Zweimal drei männliche Gestalten, etwa Propheten; 2) rechts die vier
Evangelisten, links die vier Kirchenlehrer; 3) zweimal fünf Heilige; 4)
zweimal fünf Engel und Erzväter, Letzteres die beiden Gestalten in der
Spitze. In dem sehr hoch zugespitzten Bogenfelde sind drei Reliefstreifen
übereinander, durch reiche architektonische Ornamente getrennt: zu unterst.
sehr klein, sechs sitzende männliche Gestalten im Prophetencharakter;
rar
Studien an Rhein und Mosel. Sculptui». Qermänlgcber Styl. 265
darüber, als Hauptdarstellung, das Marterthum der heiligen Petrus und
Paulus; und über dieser, wie es scheint, die Apotheose der beiden Heili-
gen. (Ein sonderlicher Gedankeninhalt scheint hienach diesen Cyklus bild-
nerischer Darstellungen eben nicht zu erfüllen.) — Die Arbeiten sind
durchweg sehr bemerkenswerth. So zunächst die grösseren Statuen. Sie
haben den reinen germanischen Styl, völlig frei von dem manierirten We-
sen der Apostelstatuen im Chore des Domes; auch sind sie durch ein un-
gleich volleres körperliches Gefühl und eine sehr edel gelegte Gewandung,
die letztere fast wie an Peter Vischer's Apostelstatuetten, ausgezeichnet.
Doch fehlt der Gewandung hier wiederum jenes feine stoffliche Gefühl
und jene künstlerische Durchbildung, wodurch die Chorstatuen so eigen-
thümlich beachtenswerth sind. Die Köpfe sind meist vortrefflich; nament-
lich erscheint der des Johannes in acht kölnischer Weichheit und Anmuth.
Die übrigen Sculpturen haben, was bei den grösseren nicht der Fall ist,
mehr gedrungene Verhältnisse. Sonst "gilt von ihrer Behandlung im We-
sentlichen dasselbe. Es finden sich unter ihfien so würdige, wie anmuth-
volle Motive. — Zu bemerken ist, dass diese Arbeiten nicht unbede,utend
beschädigt sind;- namentlich die hervorstehenden Theile sind mehr oder
weniger stark durch Verwitterung angegriffen.
Was sonst'an Sculpturen, Heiligengestalten u. dergl., in den Balda-
chinen vorhanden ist,, ia denen die Vorderstücke der Streben am Thurm-
bau ausgehen, trägt das Gepräge ähnlichen Styles.
Köln. Rathhausthurm. (1407—14). — Zwischen den Fenstern in
allen fünf Geschossen Consolen, auf denen (nicht mehr vorhandene) Sta-
tuen standen. An den Consolen allerlei launige, zum Theil ausgelassene
Sculptur. — In dem Spitzbogenfelde des Portals Statuen; andre zu den
Seiten desselben auf Säulen. Diese sehr verletzt und scheinbar nicht sehr
ausgezeichnet, doch charakteristisch in der weich - und reichfaltigen Aus-
bildung der Gewänder, die an gewisse Richtungen der Malerschule des
Meister Wilhelm erinnert.
Köln. St. Maria in Lyskirchen. — Madonnenstatue in einer
Nische., aussen an der Absis. Die Haltung noch etwas geschweift; die
Gewandung eigenthümlich reich, breit geordnet,' vielfaltig (auf übertriebene
Weise), dabei aber im Detail mit Feinheit und Geschmack behandelt; auch
Kopf und Hände, sowie das Christkind, sind mit Gefühl gearbeitet. Ein
nicht uninteressantes Beispiel reicher und reich übertriebener germanischer
Sculpturweise der Zeit um oder nach 1400.
Kirche zu Altenberg bei Köln. — An der Westseite, aussen, zu
den Seiten des Thürbogens die sehr anmuthig germanischen Statuen des
verkündigenden Engels und der Maria, voll reiner stiller Naivetät.
, Garden. Stiftskirche. — Auf dem Hochaltar ein Schrein mit
zierlich gothischem Baldachin; darin TerracottaOguren, ganz bemalt und
mit vergoldetem Schmuck: in der Mitte die Madonna, auf der einen Seite
die heiligen drei Könige, verehrend, auf der andern drei andere Heilige.
Der Styl ist weich germanisch, bei den -letzteren drei Heiligen mahierirt,
bei den übrigen Figuren sehr ansprechend, im Charakter der ausgebildeten
Kölner Schule um oder nach 1400. In jenen besseren Figuren zeigt-sich
ein gutes körperliches.Gefühl, edler Fluss der Gewandung, treffliche Bil-
dung der Köpfe. Besonders anmuthig ist die Madonna.
OberweseL S t. Martin, -r In einem modernen Ilolzgehäuse auf
einem Altar aii der Ecke des Seite'nschiffes eine bemalte oind vergoldete
HP
266 Uheinreise, 1841. Zweiter. Abschnitt.
Holzstatue dei-Madonna mit dem Kinde, stehend, eins der allervorzüglich-
sten Wcrlie germanischen und zwar sehr ausgebildeten Styles. In der Ar;i
beit ist nichts Conventionelles mehr, im Style der Gewandung die schönste
Freiheit.
Boppard. Karmeliterkirche" — Im Chor ein tüchtiger Grabstein
vom J. 1390, einen Ritter darstellend, interessant im Kostüm.
An der schonen spätgothischen Orgelbühne einige Statuen in ziemlich
schwergermanischem Style.
Klosterkirche zu Sayn. — Sehr hübsches kleines Epitaphium eines
M Herrn von Stein (zu Nassau), als solches durch das Wappen über den
I Figuren bezeichnet, während Name und Datum nicht vorhanden. Mann
und Frau in starkem Relief; er in buntem Ritterkostüm, sie in edler Anlage
der Gewandung. Treffliche Arbeit im Styl der Kölner Schule, mild in
der Gestaltung und weich in der Behandlung des Nackten, namentlich der
I Köpfe. An den letzteren auch schon ein feineres Formenverständniss.
(An beiden leider die Nase Verstümmelt.)
Coblenz. St. Castor. — Im südlichen Seltenschiff ein grösseres
Epitaphium: Ritter und Dame, in einer gothischen Architektur stehend.
Ohne höhere Kunstbildung, doch in der weichen Schönheit des germani-
schen Styles, besonders inl Gewände der Frau, und dem Charakter der
kölnischen Malerschule ziemlich bestimmt entsprechend.
Köln. St. Kunibert. — In der Kirche, an den westlichen Kreuz-
pfeilern vor dem Chor, zwei grosse Statuen, inschriftlich vom J. 1439,
leider weiss angestrichen und glänzend gefirnisst: Maria, an einem zier-
lich gearbeiteten Betpulte stehend, und gegenüber der verkündigende Engel.
Der Styl ist nicht gerade gross, namentlich nicht an der Maria; interessant
aber ist er wegen desselben üeberganges aus dem Princip weichgermani-
f) scher in eckig gebrochene Linien, der in der kölnischen Malerei an dem
grossen Dombilde ersichtlich wird. Die Köpfe sind zart und entschieden
fj im Charakter der kölnischen Schule; sie haben volles Haar, das bei dem
Engel fein und fast perrückenartig ausgebildet erscheint. Jede der beiden
Statuen steht auf einer reichen Console. Die unter dem Engel befindliche
r ist in zierlich gothischer Architektonik gebildet; die unter der Maria hat
. einen höchst eigenthümlichen Sculpturenschmuck : fünf Engel, von Säulchen
getragen — drei knieende auf liöheren, zwei stehende auf niedrigeren
Säulchen, — eine ungemein schöu und geistreich componirte Gruppe, vOn
grösster Anmuth und kindlicher Lieblichkeit, ganz demi Charakter des
^ Dombildmeisters und dem eigenthümlichen Liebreize desselben entspre-
chend. Das Fussende jeder Console wird von einer kleinen, humoristisch
kauernden Gestalt getragen.
4. Sculpturen von der Mitte des löten..bis zur Mitte des IGten-
-.1
a. Einfache Grabmoiiiunente mit Bildnissen.
Kirche zu St. Arnual. — Sarkophagartiges Monument der Gräfin
I^lisabeth von Lothringen (gest. 1455). Oben darauf ihre Figur in Haut-
/
Studien au Rhein und Mosel. Sculptuten des 15. n. 16. Jahrhrh. 267
relief, in sehr ^ grossartiger, noch germanischer Anlage der Gewandung.
Gesicht und Hände beschädigt. -
Drei nebeneinander geordnete Sarkophage, des Grafen Johann von
Saarbrücken (gest. 1472) und seiner beiden Gemahlinnen. Der Graf, ganz
gepanzert, steif ritterlich. Die erste Gemahlin, Johanna von Loen (gest.
1469), ebenfalls etwas steif und mit Nachklängen des germanischen Styles,
dabei, wie es scheint, ursprünglich mit anmuthiger Behandlung des Gesichts.
Die zweite Gemahlin (bei deren Jnschrift das Sterbejahr unausgefüllt, also
vor ihrem Tode gefertigt), in der ganzen Gestalt von trefflicher und edler
Anlage, doch auch nur von handwerksmässiger Ausführung; das Gesicht
ursprünglich wiederum sehr anmuthig.
ö Bonn. Münster. — Im nördlichen Kreuzflügel die Tumba mit
dem Grabstein des kölnischen Erzbischofes Rupert^ (gest. 1471). Einfache
Figur, etvpas steif, aber in ganz gut naturalistischer Umbildung der alten
germanischen Anlage.
Trier. Liebfrauenkirche. — Grabstein des Erzbischofes Jacob
von Syrck (gest. 1456). Eine vortreffliche Arbeit in grossartigem'Style.
(Der Grabstein stand 1841 in einer alten dunkeln Kapelle,am Dome.)
Coblenz. St. Castor. — Im südlichen Seitenschifl'ein kleines Epi-
taphium vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts : die heil. Jungfrau und
ein knieender Ritter nebst seiner Frau. Durch schöne Motive in der Ge-
wandung ausgezeichnet.
Boppard. Karmeliterkirche. — Ein Pa^r handwerklich tüch-
tige Grabsteine des fünfzehnten Jahrhunderts.
Cues. Kapelle des Hospitals. — Grabstein der Clara Griftz,
ohne Zweifel der Schwester des Kardinal Cusanus. Ganze Figur in ein-
fachen! Flachrelief, aber in trefflich stylistischer Anlage und mit unge- ^
mein glücklichem Lebensgefühl durchgeführt. Wohl .schon Anfang des
sechzehnten Jahrhundisrts und jedenfalls eins der besten Werke dieser ein- i
fächeren Portraitdarstellung, Zwei Engel, sehr anmuthig, halten Wappen :
zu den Seiten ihres Hauptes. Der Grund ist leicht ornamentirt. . |
Bittburg. Ober- o'der Liebfrauenkirche. — Zwei rohe Epi-
taphien der Herrn von Koben, aus dem fünfzehnten und aus dem sechzehn-
ten Jahrhundert, das spätere mit einigem ornamentistischem Putz im Style
des Kobenhofes.
Stiftskirche zu Kyllburg — Einige Epitaphien des fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhunderts, ohne bedeutendes Kunstinteresse.
Köln. St. Gereon. —■ In der westlichen Yörhalle der Grabstfein
eines Geistlichen vom J. 1513. Ganze Figur in flachem Relief, mit guten
Motiven, doch nicht sonderlich geistreich; ein sehr charakteristisches Bei-
spiel für den scharfeckig, geschnittenen und in kleine Ecken ausgehenden
Faltenwurf. ,
Oberwesel Stiftskirche. — Grabmonument (Jes Canonicus Petrus
Lutern (gest. 1515). Seine Figur, lebensgrossMn starkem Relief, in einer
spätgothischen Nische stehend; höchst lebenvoll, die nackten Theile unge-
mein individuell und lebensfrisch-durchgebildet; die Gewandung würdig,
ziemlich grosse Linien mit Dürer'schen Brüchen. In der Architektur,der
Nische, zu den Seiten der Hauptfigur, die kleinen Statuetten der Magdalena
(diese sehr vetletzt) und der besser erhaltenen Martha. Beide trefflich in
ähnlicher Behandlung.
Ebenda, an einem Pfeiler'der Nordseite, ein Epitaphium in moderner
fi
268 Rheinreise, 1841. Zweiter. Abschnitt,
Architektur, die unschön mit gothlschen Reminiscenzen verbunden ist:
„Fraw Elisabet von Gutenstein, geborne Freyherrin von Schwartzenberg."
Ihre Gestalt und die ihres Gemahls in Hautrelief. Der Styl der Sculptur
dem des vorigen Monuments ähnlich, doch das Ganze minder edel. Die
Gesichter fein behandelt. '
Münste.rmayfeld. St. Martin. — Im südlichen Kreuzflügel zwei
einfach tüchtige Grabsteine, ein Herr von Eitz (gest. 1529) und seine Ge-
mahlin (gest. 1531). Ihre Gewandung vo.n guter Anlage.
Kirche zu Klausen. — In der Vorhalle der Kirche ein Grabstein
mit der Ueberschrift: „1535 ist gestorben 'der erenvest Philips her zu Ot-
tenesch.^' Die Figur in Lebensgrösse und nicht starkem Relief; von vorn
gesehen, ganz in der süddeutschen Portraitweise, wie eine Gestalt von H.
Holbein oder N, Manuel, die Behandlung des Kopfes der der schönen
süddeutschen Portraitmedaillons verwandt. Die Arbeit scheint voll treff-
lichen Lebens und mit individualisirender Naturwahrheit durchgebildet;
leider ist sie mit Tünche sehr verschmiert, auch Einiges daran beschädigt.
In der Kirche noch ein ritterlicher Grabstein aus dem fünfzehnten
Jahrhundert. . '
Pfarrkirche zu Cochem. — Ein tüchtig gearbeiteter Grabstein (mit
gänzlich verschmierter Inschrift). Ein Ritter mit langem Bart, im Kostüm
des sechzehnten Jahrhunderts,; ebenfalls ein Beispiel der freien und leicht
naiven Naturwahrheit an den Portraitsculpturen jener Zeit.
Kirche zu St. Arumal. — Im südlichen Seitenschifl'zwei Grabsteine
mit flachem Relief: Heinrich von Soetern (gest. 1545)i^und seine Gemahlin
(gest. 1526). Handwerksmässig, doch an die schöne Zeit der Renaissance
erinnernd. Die männliche, ganz gepanzerte Figur ist die bessere.
Coblenz. Liebfrauenkirche. — In der Vorhalle zwischen den
Thürmen drei Epitaphien mit Bildnissen: Beinhart de Burgdorn, Ihn.,
(ganz tüchtig); — Otto Joachim V07i de Burgthorn, 1547, (recht frisch in-
dividuell) ; — und Guta Blqcherts, Hausfrau des Bichart vo de Burgdorn,
1553, (lebendig und in trefllicher Gewandung).
liA
b. Schnitzaltäre und ähnliche Holzsculpturen,
Köln. St. Kunibert. — Im nördlichen Kreuzflügel eine zienilich
grosse Hautreliefgruppe, die Kreuzigung darstellend, ohne Zweifel von einem
Schnitzaltare, jetzt weiss angestrichen. Ebendaselbst noch z>vei einzelne
Heiligenfiguren und im Chor ein Theil einer Gruppe der Grablegung.
Alles im handwerklich tüchtigen Style, der dem Meister der Lyversberg-
schen Passion parallel steht, doch ohne die grössere Tiefe dieses Malers.
Kirche zu Klausen. — Grosser reicher Schnitzaltar aus der zwei-
ten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. In der Mitte ein grosser, in drei
Theile zeri'allender Schrein. Jeder Theil oberwärts mit ungemein reichen,
höchst geschmackvollen Tabernakel-Architekturen ausgefüllt. Links die
Vorbereitung zur Kreuzigung, in der Mitte die Kreuzigung selbst, rechts
die Kreuzabnahme. Ziemlich figurenreiche Compositionen. Der Styl etwa
dem der westphälischen Malerschule zu vergleichen, doch ohne deren
stärkere Uebertreibungen. Ohne zwar auf eine höhere künstlerische Wir-
kung hinzuarbeiten, entwickelt sich ein frisch'es, kräftiges Leben, mit aller
Studien an Rhein und'Mosel. Sculpturen des 15. n, IG. Jahrh. 269
genrehaften Naivetät jener Zeit. Hierin ist vieles Glückliche, z. B. in
denen, die das Kreuz bereiten, oder in den zu Rosse sitzenden Kriegsleu-
ten unter dem Kreuz; bei letzteren sind auch einzelne Bewegungen der
Pferde oder vielmehr die Gesammtbewegungen von Keiter und Pferd vor-
trefflich. Ebenso sind auch die Köpfe mit mannigfaltiger und ungemein
glücklicher Charakteristik durchgebildet. Die Gruppen der idealen Gestal-
ten sind nicht gerade unglücklich, doch ist hier der Meister weniger in
seinem Element; Einzelnes,,namentlich in den Köpfen, ist sehr anmuthig.
Die Gestalt der in Ohnmacht sinkenden Maria ist vortrefflich und gross-
artig. (üeber die, von dem Styl der Sculpturen wesentlich abweichenden
Gemälde auf den Flögeln des Altars s. unten.) ^
Oberwesel. St. Martin. — Schnitzaltar zur rechten Seite des Hoch-
altares, mit der Geburt Christi. Ende des löten Jahrhunderts; roh puppen-
artig. (Die Flügelmalereien handwerklich tüchtig, Richtung der "Wohlger
muth sehen Schule.)
Coblenz. Bei von Lassaulx. — Ein sehr hübsches kleines Altar-
schnitzwerk der Grablegung. Zeit um 1500.
Kirche zu Adenau. — Hochaltar mit reichem Schnitzwerk, dessen
architektonische Umrahmungen modern sind, im Style des vorigen Jahr-
hunderts. Die Bildwerke desselben, zum/fheil verstellt, rühren aus der
früheren Zeit des 16tcn Jahrhunderts her. 'Es sind drei grössere Statuen;
die Madonna (minder bedeutend) und die beiden Johannes, die, ohne
kräftige Körperlichkeit,, doch Grossartigkeit und Würde in der Gewandung
zeigen; ihr Styl ist der Richtung des Ad'am Kraft vergleichbar, zugleich
durchaus frei von Manier. Sie sind mit weisser Oelfarbe überstrichen. So
auch die kleinen Statuetten der zwölf Apostel, deren Arbeit zwar mehr
nur als Anlage zU betrachten ist, aber im Einzelnen die allergrossartigsten
Motive in Stellung, Geberdung und Gewandung enthält. Ausserdem sind
fünf Hautreliefs vorhanden, welche noch die alte Färbung und Vergoldung
haben: Christus am Oelberg, die Kreuztragung, die Kreuzigung, die Kreuz-
abnahme, die Grablegung. In den Compositionen nicht bedeutend und zu
malerisch gehalten, zeichnen sich doch auch diese Stücke im Einzelnen
durch edle Motive aus. In den Geberden haben sie hin und wieder An-
klänge an Veit Stoss.
Köln. Dom. — Der sogenannte Kreuzaltar im nördlichen Flügel des
Querschiffs. Ein Schrein mit grossen bemalten Figuren: Christus am Kreuz,
Maria und Johannes. Der Christus weniger bedeutend, die beiden andern
recht tüchtig und mit Gefühl gearbeitet. Ein gutes Beispiel aus dem An-
fange. des 16ten Jahrhunderts. {Ueber die Flügelgenäälde s. unten.)
Ebenda, in der Mariakapelle, ein Schrein aus derselben Zeit, der dem
h. Hubertus geweiht gewesen zu sein scheint, jetzt (1841) in Unordnung.
Mancherlei, nicht sonderlich bedeutende Gestalten, durch einander, füllen
den Schrein. Sehr interessant die Predella mit^zwei länglichen Holzreliefs,
darauf derb genrehafte Legendenscenen, mit gutem Humor gearbeitet.
Köln. St. Peter. — Schnitzaltar in der Taufkapelle; im Schrein die
Kreuztragung, Kreuzigung, und Abnahme vom Kreuz. Puppenartige Gruppen
übereinander, unter denen indess'einzelne recht tüchtige Figuren in theils
der süddeutschen Kunst, theils der modernisirend holländischen Richtung
verwandtem Charakter. Im Ganzen ohne eigentlich künstlerisches Gefühl,
Vieles auch capriciös, wie es besonders die kölnische Malerei in der
27Ü Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Frühzeit des sechzehnten Jahrhunderts liebt. (Neu bemalt und blank ver-
' goldet. Die Flügelgemälde unbedeutend.) ,
Kirche zu Euslcirchen. — Grosser Schnitzaltar, dessen Flügel nicht
mehr vorhanden, im nördlichen Seitenschiff. Oben in der Mitte die heilige
Sippschaft, ausserdem drei legendärische Scenen; unten die Verkündigung,
die Geburt Christi, die Anbetung der Könige, nebst den Figuren von Johan-
nes und Paulus. Reiche Compositionen mit kleinen Figuren; auch diese
V in der naiv spielenden Weise., des sechzehnten Jahrhunderts. Besonders
^ geistreiche Auffassung nur selten, am meisten noch und am meisten ge-
-.1 halten in den Legendenscenen.
fi Kirche zu Merl (ein unbedeutendes, roh gothisch modernisirtes Ge-
bäude). — Schnitzaltar, etwa aus der Periode von 1520, in der Anordnung
• und in der Behandlung der Sculpturen nach dem Muster des grossen Alta-
res von Klausen, doch ohne sonderliches Glück, Scenen der Passionsge-
schichte in mehreren Abtheilungen, unterwärts eine Reihe von Scenen aus
der Kindheit Christi. Mancherlei Erfindung im Einzelnen, aber die Figu-
ren klein und puppenmässig gehalten und das Ganze ohne höher künstle-
rische Bedeutung. (Lieber die, im Styl abweichenden Gemälde der Flügel
s. unten.)
Münstermayfeld. St. Martin. — Grosser Schnitzaltar, früher wohl
auf dem Hochaltar; jetzt die Schnitzwerke und die Flügelgemälde, jedes
besonders, übei-den Altären der Seiten-Absiden atifgestellt. Das Schnitz-
werk (Altar der südlichen Seiten-Absis) wiederum dem des Altares von
Klausen, wie dem von Merl entsprechend. Scenen der Passionsgeschichte
(Kreuztragung, Kreuzigung und Kreuzabnahme) und Scenen aus der Ge-
f schichte der Maria. Das Ganze, bei allerhand Erfindungsgabe, doch wieder
sehr puppenartig und bänkelsängerisch, ohne höheren Schwung; manches
Gesuchte, doch auch manches Humoristische von .genrehaft phantastischer
Art. (Ueber die, ebenfalls abweichenden Flügelgemälde s. unten.)
; Köln. Dom. —- Grosser Schnitzaltar in der Nikolauskapelle, aus der
^ ehemaligen Stiftskirche St. Maria ad gradus herrührend. Ueberaus reiches
und grosses Werk, wiederum in der Weise des Altares von Klausen und
etwa nach dessen Muster in die Höhe gebaut. Im Mittelschrein bilden sich
j tiefe, reich ausgefüllte Nischen, so dass die Figuren, namentlich die der
kleineren Nischen, sich mehr als vollständige Gruppen, denn als Haut-
reliefs gestalten. Ueber den Gruppen sehr reiche Baldachine und^andres
Ornament aus spätest gothischer Zeit, Oberwärts drei grosse Darstellun-
gen,- die Kreuztragung, die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz und
Grablegung; an den Seitenwänden derselben vierzehn gaiiz kleine Darstel-
■ lungen aus der Passionsgeschichte. Unter jenen grösseren sechs kleinere
Scenen aus dem Leben Christi. Ausserdem an der Staffel des Altares:
Maria und der verkündigende Engel. Der künstlerische Werth dieser, in
den Gewandungen fast ganz vergoldeten Schnitzwerke ist nicht gar erheb-
lieh; die Compositionen sind überfüllt, den Figuren fehlt es, bei derb
^^ naturalistischer Auffassung, an der höheren Würde, die Behandlung ist
ziemlich schwer. Es ist eine der letzten Aeusserungen selbständig heimi-
■ scher Kunst, ehe dieselbe sich den Einflüssen des Südens ganz hingiebt, —
t' ohne viel Sinn^ doch immer noch mit guten Typen und Naivetät. (Ueber
, die Gemälde an den Flügeln und an der Staffel s. unten.),
Kirche zu Zülpich. — Zwei reiche Schnitzaltäre, Bei dem ersten
das Schnitzwerk in folgenden Reihen^: Die Kreuzigung; die Messe Gregors
Studien au Rhein und Mosel. Sculpturen des 15. u. 16. Jahrh. 271
........ yi 1, 'i'w.iipiii^p^^
und die hb. Anna und Johannes der Täufer (diese in später, noch heimi-
scher, doch effektreicher Grandiosität) zu ihren Seiten; die Marter(des h.
Erasmus, ebenfalls mit*' zwei Heiligen auf den Seiten. Sehr zierlich' go-
thische Baldachine. Die kleinen Figuren zumeist wieder mehr puppen-
artig. — Der zweite Schrein tiberladen. Oben in drei Reihen die Passion
Christi, unjerwärts grössere und" kleinere Gruppen von Heiligen; im Unter-
satz des Schreins auch noch Passionsscenen. Die Compositionen verwor-
ren, der Styl schon moderri manierirt und nur hin und wieder noch mit
würdigeren Einzelmotiven, (üeber die Flügelgemälde beider Schreine
s. unten.} .
Kirche zu Brau weil er. — In derselben zwei Renaissance-Altäre
von Holz,'bemalt und vergoldet, mit hübscher Nischen-Architektur und
nicht bedeutenden Heiligenfiguren. Aus weiter vorgeschrittener Zeit des
sechzehnten Jahrhunderts.
Cues. Kapelle des Hospitals. — Zur Seit« des Choreinganges, j
der Kanzel gegenüber, eine bemalte Holzstatue des h, Nicolaus auf einer /
Console. Trefflich im Style des fünfzehnten Jahrhunderts und gjit indi-
viduell.
Clemenskirche bei Trechtinghausen. —r Im Innern, zu den ^
Im Faltenbruch eckig Und schon zum Knittrigen sich neigend, aber würdig
gefasst und nicht ohte Anmuth durchgebildet.
Kirche zu Altenberg bei Köln. — Im Chor eine grosse Madonnen-
statue, bemalt und vergoldet, oder vielmehr zwei Halbtstatuen, mit den
Rückseiten zusammenstossend und durch einen Strahlennimbus voneinan- ?
der geschieden; Arbeit aus der Zeit um 1520. Die Gewandung, obschon !
ein wenig dickwulstig, doch schön geordnet und mit edlem Sinn und Fein- I
heit durchgebildet. Die Madonnenköpfe in vortrefflichen, fast idealschö-
nen Formen, die Hände sehr zart, die beiden Körper des Christkindes {_]
ebenfalls ausgezeichnet.
■ St. Matthias bei Trier, — üeber den (Rococo-) Chorstählen zehn
Holztafeln mit Flachreliefs. Scenen der Passion Christi, durchaus male-
risch, mit Benutzung Dürer'scher Compositionen; also allerlei Unpassendes
in der Perspektive, doch in tüchtiger Weise ausgeführt. Die Gewänder
meist einfarbig.
Köln. Dom. —*In der Maternüskapelle ein bemaltes Holzrelief des
Eccehomo, nicht bedeutend, mit Dürer'schen Nachklängen. An demselben
das Groppius'sche "Wappen.
Oberwesel. Stiftskirche. — Im nördlichen Seitenschiff, an des-
sen östlichem Ende, die bemalte Holzstatue eines knieen,d betenden Chri-
stus. Der Styl im Uebcrgange zu dem italienisirend modernen; die Durch- ^
'272 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
rsrr
bildung der Gewandung nicht mehr bedeutend; aber der Ausdruck von
sehr ausgezeichneter Schönheit.
V _ - . ' I
Köln. Dom. — Auf dem Altar der heil. Dreiiiönigskapelle ein zier-
lich barockes Gehäuse mit gothischer Ueberwölbung, 3V2 Fuss hoch; darin
•• die kleine Gruppe der Anbetung der Könige, nebst Heiligen und dem Do-
nator. Das Ganze aus vergoldeter Bronze, inschriftlich vom J. 1516. Die
Composition ist nicht gerade plastisch bedeutsam geordnet; doch hat sie
im Einzelnen, namentlich in der Maria, ansprechende und edle Motive
und ist durch saubre Ausführung ausgezeichnet. Der Styl ist etwa der
eines noch alterthümlich edeln Barth, de Bruyn oder verwandter Meister.
d. Heiliges Grab und Crucifix-Darstellungen.
Köln. Maria auf dem Kapitol. — In der westlichen Vorhalle
das Hautrelief einer Grablegung aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Hand-
werksarbeit, doch ganz sinnig ausgeführt. Recht artige weibliche Köpfe,
noch mit der eigenthümlich kölnischen Rundform.
Trier. St. Gangolph. ~ Vor der Kirche ein heiliges Grab, (Grab-
legung als freie Statuengruppe) mit acht grossen Statuen, aus der früheren
Zeit des fünfzehnten Jahrhunderts. Handwerklich; einzelne Figuren indess
nicht ohne grossen Sinn und bewegtes Gefühl. ^
Münstermayfeld. St. Martin. — Ein ähnliches Werk an der
Wand des nördlichen Seitenschilfes. Darüber, unter gothischem Baldachin,
der Eccehomo und vier Engel mit Marterinstrumenten. Einfach hand-
werksmässig; fünfzehntes Jahrhundert. Manche recht gute Köpfe.
Andernach. Pfarrkirche. — Ein ähnliches Werk in einer Sei-
tenkapelle unter dem nordwestlichen Thurm. Ziemlich rohe Arbeit des
fünfzehnten Jahrhunderts, obgleich Einzelnes, namentlich einige Köpfe,
ganz gut.
♦ Remagen. Katholische Kirche. — Wiedernin ein Werk der Art
im Seitenschiff^ Neuerlich bemalt.
Kirche zu St. Wendel. — Zur Linken des Hochaltares, in einer
Nische, ein h. Grab mit acht unterlebensgrossen Figuren. Handwerklich
gegen 1500. i '
Trier. Liebfrauenkirche. — Grosses Werk vom J. 1530. Grosse
Nische in brillanter und geschmackvoll dekorirter Renaissance-Architektur.
Darin ein h. Grab mit acht lebensgrossen Statuen; das Nackte naturgemäss
gefärbt, die Gewänder weiss mit goldnen Säumen. (Diese Bemalung ist
neu, scheint aber das alte Muster wiederholt zu haben.) Die Arbeit ist
r^ nicht ohne Bedeutung, die Ausführung nicht ohne Tüchtigkeit; doch fehlt
die gediegene gemeinsame Wirkung. Die Figuren stehen ziemlich steif,
wie ein lebendes Bild oder wie Wachsfiguren, nebeneinander. Die Köpfe
sind ziemlich naturgemäss behandelt, die Gewänder schon im Style der
Manieristen jener Zeit. — Oben über der Nische ist die Auferstehung in
kleineren Statuen dargestellt.
Studien an Rhein und Mosel. Sculpturen des 15. u. IG. Jahrh. 273
Köln. Gross St. Martin.. — Im nördlichen Seiteuschiff die Statuen
des Crucifixes mit Maria und Johannes. In gewöhnlicher Art, gegen 1500.
Die Maria in bedeutender künstlerischer Anlage.
Köln. St. Mauritius. — Aussen an der Haupt-Absis dieselbe
Gruppe. Gute Arbeit ^ aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts.
Gefühlter und wohl durchgearbeiteter deutscher Styl bei sehr trefflicher
Anlage.
Remagen. Katholische Kirche.-—Im Chorbogen dieselbe Gruppe,
Anfang des 16ten Jahrhunderts. Tüchtige Arbeit; besonders die Maria in
würdiger Gewandung."
Köln, St, Johann Baptist. — Ausserhalb, neben der Nordseite
der Kirche, in einer gothischen Nische dieselbe Gruppe aus Holz, weiss
angestrichen. Grosse Figuren aus der Periode Dürers und seinem Style
einigermaassen verwandt; nicht ohne grossartigen Sinn, besonders in der
Maria.
Köln. Dom. — Ueber der Sakristeithü^ die Figuren von Maria und
Johannes, einer gleichen Gruppe entnommen. Mässig gut, etwas schwer
in der Behandlung; 16tes Jahrhundert.
e. Sonstige Sculptur in Stein.
St. Goar. Stiftskirche. — Treffliche gothische Steinkanzel mit
reicher, doch etwas schwerer, zum Theil durchbrochener Architektur. In
den Nischen der letzteren Christus, die vier Evangelisten und der h. Goar;
sehr tüchtige Handwerksarbeiten im guten Styl aus der späteren Zeit des
löten Jahrhünderts, mit Nachklängen des Germanischen.
Köln. Dom. — Einige Figuren an dem schönen gothischen Taber-
nakel in der Sakristei; gute Beispiele für den Sculpturenstyl des löten
Jahrhunderts. — Im südlichen Fitigel des Querschiffes das zehn Fuss hohe
Standbild des h. Christoph, Derbe und tüchtige, doch in dieser Colossa-
lität nicht ganz erfreuliche Handwerksarbeit der Zeit um oder gegen löOO.
Köln. St. Columba. — In der Nordostecke der Kirche eine Statue
der Maria mit dem Kinde. Artiger Styl des löten Jahrhunderts, obgleich
nur handwerklich. Die Console , auf der die Statue steht, ist gothisch
durchbrochen und darin der englische Gruss dargestellt.
Köln. St. Pantaleon. —' Orgel-^oder ^ängerbühne im westlichen
Theil dej Schilfes; ihrer ursprünglichen Pfeiler beraubt und von einem
ungeschickt barocken Gerüst, das sich unter den Bögen hinzieht, getragen.
(Dass sie nicht etwa ursprünglich ein Lettner war und nachmals hieher
versetzt wurde, geht daraus hervor,' das's sie noch ihre alte, der Mauer
eingefügte Wendeltreppe hat.) In überreichem , spätestgothischem Style,
mit geschweiften, bunt ausgefüllten Bögen; in der Mitte mit^einem^Flach-
bogen, über den geschweifte, sich durchschneidende Bögen emporsteigen.
Das Ganze reich mit spätgothischem Schnörkelwerk dekorirt. Mit mehre-
ren Statuen unter Baldachinen, Maria und Heilige, deren Styl dem des
Meisters der tyversberg'schen Passion entspricht. Die Köpfe energisch
und individuell durchgebildet Sehr anmuthig ist, im Mittelgiebel, das
Flachrelief einer Veronika mit dem Schweisstuche; es zeichnet sich durch
grosse Zartheit und innigen Ausdruck im Geiste der Kölnischen Maler-
Kugler, Kleine Schriften, II, % ' ' 18
-ocr page 273-273 Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
274
schule ans; namentlich ^luch der Christuskopf auf dem Schweisstudie
(dessen Nase leider verstümmelt ist) ist eigenthümlich schön und aus-
drucksvoll.
Köln. St. Ursula. — Unter der vorderen westlichen Halle der
Kirche, am Pfeiler links, ein Hautrelief in Stein, unter gothischem Balda-
chin: die Kreuztragung, klein, figurenreich, in einer Landschaft; etwas
wirr naturalistisch, doch im Einzelnen lebendig, keck und mit kräftigen
Motiven. Bemalt und neuerlich wieder bemalt. Styl der Zeit um 1500.
St. Matthias bei Trier. — In der Krypta, auf dem Altar, ein Stein-
relief, zwei Scenen aus der Legende des h. Matthias enthaltend; tüchtige
Handwerksarbeit (soviel in der Dunkelheit und durch die dicke Tünche
zu erkennen war,)
Ebendaselbst mehrere handwerklich tüchtige Heiligenfiguren aus Stein,
eingemauert, noch dem löten Jahrhundert angehörig.
Oberwesel. Wernerskirche. — An der Aussenseite des Mittel-
fensters ein ziemlich roh ge^beitetes Hautrelief, um 1500. Der h. Werner,
an einen Stamm gebunden, den Kopf nach unten, und zwei Juden, die
ihm das Blut ablassen.
Köln. Dom. — In der Marienkapelle fünf Statuen von Heiligen, an
der Wand befestigt; jede mit der Unterschrift: -„Victor Sacerdos olira
Judaeus." Einfach derbe Arbeiten aus der früheren Zeit des 16ten Jahr-
hunderts.
Zwei andre Statuen mit derselben Unterschrift im südlichen Quer-
schilfflügel, Maria und der Engel Gabriel. Einfach tüchtig gleich den eben-
genannten Figuren; doch die Maria recht anmuthig und empfunden.
Ebenfalls im südlichen QuerschiH'flügel, zunächst der Kanzel, eine
Kreuzabnahme aus derselben Zeit, doch von andrer Hand. Etwas weiter
Faltenwurf, hie und da ohne rechte Energie. Ziemlich zarte Köpfe.
Boppard. Karmeliter ki rche. — Im Chor, an der Nordseite, ein
Marmorrelief, das Epitaphium der „Fraw Margareth von Eitz gepom von
heimstat,^^ gest. 1500. Die Arbeit ist inschriftlich vom J. 1519, gefertigt
von „Loy. H. in Eygstef (Loyen Hering in Eichstädt). Sie stellt die
h. Dreifaltigkeit vor: Gott-Vater, den todten Christus im Arm, und dar-
über die Taube; auf den Seiten Engel, zum Theil mit Marterinstrumenten.
Die Composition ist eine freie Nachahmung von Dürer's bekanntm Holz-
schnitt der h. Dreifaltigkeit, sehr zart ausgeführt, minder brüchig in den
Ecken des Faltenwurfes, aber auch minder geistvoll als das Dürer'sche
Original. Unterwärts kniet die Dame und vor ihr ein Ritter, ihr Sohn:
„Georg des teutschen Ordenss Oberster Marschalk und landkommenthur
der Balley Eisass."
Köln. Maria auf dem Kapitol. — Der ehemalige Toxal oder
Lettner, jetzt in die Westseite der Kirche als Orgelbühne und als 'Fort-
setzung derselben an den Seitenwänden der Kirche verbaut; nach dem auf
einem Täfelchen unter einem Wappen befindlichen Datum vom J. 1523
In dern Buche ^^Köln und Bonn mit ihren Umgebungen" (Köln, bei
Bachem, etwa vom J. 1828) wird S. 98 bemerkt, dass dieser s'^ogenannte Toxal
eine von den Familien Haqueney, Merle, Salm und Hardenrath erbaute Pracht-
kapelle gewesen sei und bis "zum J. 17(57 zwischen dem Presbyterium und dem
Schilf der Kirche gestanden habe. Zugleich wird dort die Erbauungszahl irr-
thümlich, wohl aus Missverstand der alterthümlich gebildeten arabischen Zahl-
zeichen, als 1625 angegeben. Hr. de Noel schilderte mir den Toxal in seiner
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ä;- U-
4,-
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Studien an Rhein und Mosel. Soiilpturen des 15. u. 16. Jahrb. ' 275
Ein äusserst brillantes "Werk,- an welchem sich, wie in der Sculptur, so
noch ungleich mehr in der architektonischen Dekoration, schon mit Ent-
schiedenheit das Element der Renaissance 'geltend macht. Vielleicht ist
dies unter fremdländischem (flandrischem oder französischem) Einfluss ge-
schehen. Reich zusammengesetzte Pfeiler mit bunten zusammengesetzten
Kapitalen tragen die hohe Brüstung; diese wird wieder durch eine bunte
Architektur ausgefüllt, indem ähnlich gestaltete Pfeiler das bunte Haupt-
gebälk, mit zierlich dekorirtem Friese, tragen, während sich zwischen
den Pfeilern barocke, aber höchst brillant und selbst ziemlich geschmäck-
voll dekorirte Nischen bilden. Die Nischen sind theils schmaler und mit
je einem Baldachin bedeckt, theils breiter^ mit je zwei Baldachinen. In
den letzteren sieht man oberwärts in stark vortretendem Hautrelief bibli-
sche Scenen, des alten und des neuen Testaments, dargestellt (im Ganzen
acht) und darunter en medaillon je zwei Wappen. In den schmalem Ni-
schen sind stehende Statuen, Personen des alten Bundes und christliche
Heilige (im Ganzen zwei und zwanzig) enthalten. Der Styl der Sculptu-
ren ist überaus merkwürdig. Es ist noch viel heimathliches Element darin,
besonders in den historischen Darstellungen, nur von Manier und gespreiz-
tem Wesen nicht frei, zum Theil aber doch aujch den guten Arbeiten eines
Veit Stoss sehr nahe stehend. Bei den Statuen tritt dies manierirt Alter-
thümliche minder aufl'ällig hervbr; vielmehr zeigt sich bei ihnen in der
Gewandung und auch in der ganzen Körperlichkeit ein schöner freier Sinn
und edler klarer Styl, der besonders in der Darstellung der christlichen
Heiligen sehr interessante Erscheinungen hervorgebracht hat. Zum Theil
aber macht sich daneben ein Streben nach Schaustellung auf sehr entschie-
dene Weise bemerklich, besonders in den Statuen der Propheten, die
charakteristisch auf die späteren Entwickelungsmomente der Kunst hin-
überdeuten.
Köln. Dom. — Epitaphien.
Das des Domkapitulars Arnold Haldrenius, gest. 1534, an einem der
Kreuzpfeiler der Nordseite. Relief des Christus am Oelberge, in einem
Renaissance-Rahmen. Die Anlage der Sculptur tüchtig, das Gefühl recht
gut im Sinn der Renaissance, die Ausführung jedoch nicht sonderlich
bedeutend.
Das des 'Anton Keyfeld, gestorben 1539, an einem der Kreuzpfeiler der
Südseite. Hautrelief der Auferstehung Christi. Trefiliche, noch heimische
Renaissance, etwas, derb behandelt,^ doch jedenfalls eines der bess'ern
Monumente der Zeit. Zum Theil beschädigt.
Das des Haso Scherrer von Britzheim (ohne Datum), an einem Pfeiler
der nördlichen Chor-Abseite. Kreuzigung Christi im Renaissance-Rahmen.
Nicht sonderlich bedeutend. ' "i
Grabmonument des Erzbisch'ofes Theodorich, Grafen von Mörs (gest.
•
ursprünglichen Beschaffenheit als eine Art Emporbühne, welclie mitten im Mittel-
felde zwischen den drei Absiden der Kirche gestanden habe; auf dem darunter
beflndlichen Altar sei (wie auch das ebengenannte Werk angiebt)," das bekannte
sogenannte Schoreel'sche Gemälde des Todes der Maria, welches mit der Bois-
ser^e'schen Sammlung in die Pinakothek zu München gekommen ist, befindlich
gewesen. Nach de Noels Angabe soll, ausser der Jahrzahl, auch der Name des
Meisters, „Roland", an dem Werke zu lesen sein. Ich habe denselben Jedoch
nicht finden können. ' .
'276 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
1463), im Chor-Umgango, an der Hinterseite des Hochaltares. Gruppe der
Maria mit dem Kinde, der anbetenden Könige und des h. Petrus mit dem
Erzbischofe. Aus der schon etwas vorgeschrittenen Zeit des 16ten Jahr-
hunderts. Ohne sonderliche Bedeutsamkeit des Styles zeichnet sich Vieles
an diesem Werke doch durch naive und gefühlte Lebenswahrheit aus; so
z. B. der Mohrenkönig, so der sehr gute Kopf des Erzbischofes,
Oberwesel. Stiftskirche. — Zur Seite des Hochaltares ein Votiv-
Hautrelief vom J. 1523.' Eine architektonische Nische im barocken Renais-
sance-Styl. Darin die Maria mit dem Kinde, auf dem Halbmonde stehend:
über ihrem Haupte halten zwei Engel (von denen der eine aber nicht
mehr vorhanden) eine Krone; zu ihren Ftissen kniet, in ganz kleiner
Figur, der Donator. Eine sehr treffliche Arbeit, dem Style Dürer's in
Etwas vergleichbar. Das Nackte gut, die Hände der Maria ungemein zart.
(Die Nase der Maria leider abgeschlagen und das Ganze, im J. 1841, sehr
verschmiert.) Ich möchte das "Werk für eine Jugendarbeit des Künstlers,
der die folgende Sculptur gefertigt, oder für eine Arbeit seines Lehrers
halten.
Boppard. Karmeliterkirche. — Im Chor, an der Südseite, das
Epitaphium des „Johann Herr zu Eitz" (gest 1547) und seiner Gemahlin
(gest. 1544). Aus Sandstein; auf einem Täfelchen die Jahrzahl 1548;
Name oder Chiffre des Meisters nicht zu'finden. Ein grosses Werk, von
moderner, reicher, etwas barocker Architektur umfasst. In dem,mittleren
Haupttheil die Taufe Christi (Johannes, Christus und ein Engel, etwa in
Dreiviertel Lebensgrösse); voll Schönheit und Adel, noch im entschieden
heimatlichen Style, aber aufs Gediegenste durchgebildet. Die Gestalt des
Christus in vortrefflicher Naturwahrheit, nur die Brust noch etwas schwach;
der Kopf sehr schön. Höchst ausgezeichnet der Johannes, in einem edel
freien und doch streng gehaltenen Style, in Bewegung und Ausdruck durch-
aus unbehindert. Auf einem Unterfelde zwei reizende bekleidete Engel-
knaben, die eine Schüssel mit dem Haupte des Täufers halten. Zu den
Seiten, in besondern Nischen, die beiden Verstorbenen, lebeiisgross knie-
end, ebenfalls einfach schön und tüchtig. Die Architektur mit reichem
Schmuck, Wappen, Medaillons mit Köpfen etc. Der oberste Aufsatz des
Werkes, auch sonst Manches, leider schon beschädigt. Dick übertüncht.
— Das Ganze einer der leuchtenden Höhenpunkte deutscher Kunst! ^
Köln. St. Georg, — Kleines Epitaphium, rechts vom Hochaltar,
vom J. 1545. Kreuzigung, sehr tüchtig handwerklich im noch heimat-
lichen Style.
Köln. St. Severin. Im südlichen Seitenschiff ein flgurenreiches
kleines Alabasterrelief der Kreuzigung in reichem Rßnaissance-Rahmen.
Naiver Styl der Renaissance. ' .
Köln. St. Andreas. — Sakramenthäuschen neben dem Altar im
. Renaissance-Styl. Nicht sonderlich bedeutend; die Architektur besser als
die Sculptur.
Köln.. St. Gereon. — Der Altar der Krypta in barocker Renais-
sance mit handwerksmässig gearbeiteten leidlich guten Statuen: Christus
am Kreuz, Maria, Johannes und Heilige.
Trier. Dom. — Epitaphium des Erzbischofes Richard von Greifen-
klau (gest. 1531); bezeichnet 1525 und 1527. Neuerlich in^ ausgezeichneter
Weise restaurirt. Eine Nische von sehr zierlicher Renaissance-Architektur.
Das Pilaster- und Plattenwerk reichlichst gefflllt mit Arabesken und Grot-
yi
Studieii an Rlieia und Mosel. Sculpturea,nach der Mitte des 16. Jahrb.
tesken, zum Theil figürlichen Darstellungen, darunter einiges sehr Gute
und Launige; alleijei Andres dekorativ, im Style eines Hopfer. Die
Hauptdarstellung: Christus am Kreuz, Magdalena, Petrus, der den knieen-
den Erzbischof empfiehlt, und Helena. Der Styl iü seiner Grundlage noch
schlicht heimatlich, aber mit sehr entschiedenen Eiüflüssen der manierirt
modernen Richtung. Die Köpfe, soweit sie noch alt, voll individuellen
Lebens und sehr tüchtig ausgeführt. Die Stickereien und sonstiger figür-
licher Schmuck am Kostüm des Erzbischofes von vortrefflicher Anlage, so
namentlich die Figur einer Maria mit dem Kinde in dem Monile auf
seiner Brust.
Epitaphium des ErzWschofes Johann von Metzenhausen (gest. 1540),
ebenfalls neuerlich restaurirt. Grosse' Nischen - Architektur in brillanter
und geistreich barocker Renaissance. In der Hauptnische die grosse Ge-
stalt des Erzbischofs, trefflich und lebenvoll. In den kleinen Seitennischen
Petrus und Paulus; auch sie noch trefflich und in gutem Style, doch schon
mit manierirten Elementen in der Gewandung. Oben darauf noch die Sta-
tuen des Eccehomo, Maria, Johannes, St. Georg und ein andrer ritterlicher
Heiliger; diese zumeist mehr manierirt. Ausserdem noch eine bedeutende
Anzahl zumeist vortrefflicher Dekorativfiguren und Medaillons mit Köpfen,
die zum Theil gewiss Bildnisse enthalten.
Im Domkreuzgang ein handwerklich tüchtiges^Epitaphium vom J. 1530
mit einer Darstellung der Kreuzigung, im früheren, schlichteren Renais-
sancestyl. ..
(Ausserdem im Dom noch andre, meist bunt und unschön zusammeu-
gehäufte Denkmäler imd Altäre aus den Zeiten des Barock- und Rococo-
Styles.)
5. Sculpturen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Oberwesel. Stiftskirche. ^ Im Chor des nördlichen Seitenschiffes
das Epitaphium des Friedrich von Schönburg (gest. 1550), bezeichnet: 1555.
Der Ritter in einer Barocknische stehend; trefflich schlichtes und wohl im
Style gehaltenes Hautrelief. Die Naturbeobachtung im Gesicht nicht son-
derlich bedeutend; der Charakter des-Eisenpanzers sehr gut.
Köln. D 0 m. — Im Chor, an die Brüstungswände anlehnend, die
marmornen Grabmonumente der Erzbischöfe Adolph''von Schauenburg (gest.
1556), au der Südseite, und seines Bruders Anton von Schauenburg (gest.
1558), an der Nordseite; beide errichtet 1561. Sehr ausgezeichnete Re-
naissance. Sarkophage, die von;^ Consolen getragen werden,und auf denen
die Gestalten der Verstorbenen ruhen, üeber jedem Sarkophage eine Tafel
und auf jeder derselben die Relief-Darstellung der Auferstehung Christi.
Zwischen den ConsOlen eine Inschrift-Tafel. Allegorisch dekorative Fi-
guren zu den Seiten der Consolen und als Bekrönung der Monumente.
Die Portraifstatuen sind von vortrefflicher Arbeit, fein und sorgfältig
durchgebildet; besonders die des Erzbischofes Anton ist.gut im Style. Die
Reliefs der Auferstehung sind- in dem manieristischen Style der Zeit ge-
halten, doch sehr sauber. 'Unter den allegorischen Figuren sind einzelne
'278 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
ebenfalls von trefflicher Arbeit. Die Arabesken, welche die Sarkophage
schmücken, sind sehr ausgezeichnet. .
Ahrweiler. Stadtkirche. — Im Chorschluss des nördlichen Seiten-
schilfes der Grabstein des Junkers „Coert Blanckart van Arwiler" (gest.
1561). Flachrelief eines Ritters, in einer Nische von Renaissanceform
stehend. In der Stellung mehr Bewegung als häufig, aber das Perspek-
tivische dabei nicht ganz glücklich. Tüchtiges und sauberes Handwerk.
Köln. St. Severin. — Im südlichen Seitenschiff das Epitaphium des
Canonicus Georg Tisch (gest. 1568). Auf dem Sarkophag der Verstorbene;
darüber das jüngste Gericht, in kleiner flgurenreicher Cornposition. Noch
geistreich im Charakter der Renaissance, stylmässig und elegant.
Cues. Kapelle des Hospitals, — Denktnal des Joh. a Novocastro
(Johannes von der Neuerburg, gest. 1576), bezeichnet 1569. Halbfigur in
Relief, lebensgross, in einer Nische von geschmackvoller Architektur im
Style der Barock-Renaissance. Der Kopf (Hautrelief) von ausserordent-
licher Walirheit und Charakteristik, auch das Gewand trefflich; das Ga ze,
namentlich in Betreff des Verhältnisses zwischen Figur und Architektur,
mit gutem Stylgefühl abgewogen und mit Sorgfalt^ durchgeführt. In einem
kleinen Aufsatz über der Nische die Auferstehung Christi, ohne Bedeutung.
An den Pfeilern der Nische allerhand lustige Armaturen in Hautrelief.
Simmern. Pfarrkirche. — In einer Seitenkapelle die Grabmonu-
mente des pfalzgräflich Simmern'schen Hauses. Alle reich durchgeführt,
doch inj Ganzen mehr auf Dekoration als auf künstlerische Naturauffassung
berechnet. Die Gestaltungen schon mehr oder weniger starr; Augen und
Lippen der Figuren meist überall bemalt. " ^
Monument des Pfalzgrafen bei Rhein und Herzogs von liaiern Johann I.
(gest. 1509), jedenfalls beträchtliche Zeit nach seinem Tode ausgeführt.
Hautrelieffigur, fast Statue, in einer Nische, auf einem Löwen stehend.
Gewöhnliche, doch nicht schlechte ßpitaphienarbeit.
Monument seiner Gemahlin Johanna,.geb. Gräfin von Nassau und Saar-
brück (gest. 1531), von ihrem Sohne Johann II. errichtet, ohne Angabe
der Jahrzahl. Weibliche Relieffigur in einer Nische von barocker Archi-
tektur. Die Gewandung nach gutem Princip massig wohlgeordnet, die
Behandlung trocken und unlebendig.
Monument des Pfalzgrafen und Herzogs JohaTin II. (gest. 1557) und
seiner ersten Gemahlin Beatrix, geb. Markgräßn von Baden (gest. 1535).
Beide Gestalten als Hautrelief in einer Nische von guter Barock-Architek-
tur; beide von anerkennenswerthen, wenn auch bedingten Vorzügen. Es
Ist noch etwas von dem naiven Lebensgefühle der Renöissance darin; Kopf
und Obertheil der Dame namentlich sind ganz anzi0hend. Im Uebrigen
dieselbe reich dekorative handwerksmässige Beschaffung, die bei diesen
Denkmälern überhaupt vorherrscht.
Monument der Maria Jakobi, geb. Gräfin zu Ottingen, der zweiten
Gemahlin Johann's IL, nach der Inschrift von dem letzteren in seinem
drei und sechzigsten Lebensjahre, also 1555 errichtet. Eine sehr geschmack-
voll geordnete und dekorirte, nicht überladene ^Nische; darin die weibr
liehe Halbflgur, in Relief. Auch diese dekorativ und etwas handwerks-
mässig, doch mit Geschmack und mit Sinn behandelt, wohl die beste der
dortigen Figuren. i ,
Monument des Pfalzgrafen und Herzogs Richard (gest. 1598) und sei-
ner Gemahlin Juliana, geb. Gräfin von "Wied (gest. 1575) ; von dem Pfalz-
'i
ca-
Ii-
müü
Studieu an Ilbein und Mosel. Sculpturen nacji der Mitte d. 16. Jahrh. 279
grafen bei seinen Lebzeiten und nach dem Tode der Gemahlin errichtet.
Das glänzendste sämmtlicher Denkmäler. Eine überaus brillante iBarock-
Architektur auf drei freistehenden Säulen, mit vielfacher, zum Theil treff-
licher Dekoration; die Mittelsäule reich mit Arabesken und Armaturen
bekleidet. Zwischen den Säulen die Statuen des Pfalzgrafen und sei-
ner Gemahlin; sehr reich und sorgfältig ausgeführt, aber ohne höheres
künstlerisches Gefühl; die Haltung bei beiden steif, besonders unangenehm
bei der Dame, deren Rock fast wie eine dekorirte Tonne anzuschauen.
Doch gewähren sie in andrer Beziehung, z. B, wegen der grossen Sorgfalt
und Genauigkeit in der Behandlung des Kostüms, ein namhaftes Interesse;
besonders zierlich ist u. A. das Jagdgeräth, das der Pfalzgraf um und an
sich hat, sculptirt. An dem reichen Unter? und Oberbau des Monumentes
sind zehn Reliefs mit kleinen, meist figurenreichen Darstellungen aus dem
alten und neuen Testamente enthalten; sie sind sauber, aber im manierir-
ten Style der Zeit und mit vielen Fehlern gegen die Gesetze der Plastik
gearbeitet. Im Allgemeinen ist noch die technische Meisterschaft in der
Behandlung des Steines hervorzuheben *),
Monument der Aemilia, geb. Herzogin von Württemberg, zweiten
Gemahlin des Pfalzgrafen Richard (gest. 1589), im verfallenden Chore der
Pfarrkirche. Schon ganz verdorbene Barock - Architektur. Die Figur,
bei Seite gestellt, in dem schwerfällig reichen Style des ebengenannten
Denkmals»
Im Schiff der Kirche noch eine Reihe von Epitaphien derselben Zeit
und Schule, Inschrift- oder Wappentafeln, zumeist wie es scheint von hö-
heren Dienstleuten des pfalzgräflichen Hofes, mit Umrahmungen im ba-
rocken Renaissance-Styl. Darunter manches recht Ansprechende.
Kirche zu Gemünden (auf demHundsrückj. — Mehrere Epitaphien
der Familie von Schmidburg, denen in Simmern verwandt, wohl -etwas
später, zum Theil aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts; aber
ungleich roher, noch wenigel' Lebensgefühl und noch viel mehr Puppen-
Charakter. Die Architekturen der Monumente übrigens bunt und lustig
mit Wappen geschmückt.
Kirche zu St. Arnual. — Dieselbe besitzt, ausser den älteren, schon
früher erwähnten Monumenten, eine nicht unansehnliche Reihenfolge von
Grabdenkmälern des gräflich Nassau-Öaarbrücken'schen Hauses aus der
zweiten Hälfte des sechzehnten und dem Anfange des siebzehnten Jahr-
hunderts. Es sind durchweg nur handwerksmässige Arbeiten mit sj^hwer
barocker architektonischer Umgebung. Sie finden sich bildlich dargestellt
in dem Werke von Chr. W. Schmidt: ,.Die Grabmäler des Hauses Nassau-
Saarbrücken zu St. Arnual, Saarbrücken und Ottweiler. Trier, 1846." Da
sich ein weiteres künstlerisches Interesse an dieselben nicht anknüpft und
ihren sonstigen Interessen, z. B. für Kostümgeschichte, das eben genannte
Werk durchaus Genüge leistet, so führe ich sie hier im Einzelnen
nicht auf.
•V
') C, Becker, von dem im Kunstblatt, 1888, Nr. 88 f. eine Beschreibung
der obigen Denkmäler gegeben ist, hat die, allerdings wahrscheinliche Ver-
mutliung aufgestellt, dass jenes grosse Monument Richardis von dem Meister
Johann von Trarbach herrühre, der als Scbultheiss und Bildhauer zu Alten-
Sinimern lebte und 1568 das Denkmal des Grafen L. C. von Hohenlohe und
seiner Gemahlin in der Stiftskirche zu Oehringen gefertigt hatte.
280 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
St. Goar. Stiftskirche. — In einer der Seitenkapellen das Mau-
soleum des Landgrafen Philipps des Jüngeren von Hessen (gest. 1583) und
seiner Gemahlin. Zwei Epitaphien, einander gegenüberstehend an den
Seitenwänden, grQSStentheils von Marmor, Sehr brillante Renaissance mit
etwas Rococo-Anflug. Die Portraitgestalten in Nischen, sauber, doch wie-
derum etwas starr. Nebenfiguren im Goltzius'schen Style. Das Dekora-
tive vortrefflich. Aüch das Gewölbe der Kapelle mit reichen, zum Theil
figürlichen Sculpturen.
Köln. Minoritenkirche. — Im Chor zwei interessante Marmor-
monumente. Das eine mit der Ueberschrift: ^Joanni Baptistce Tassio,
ex nobili apud Bergamas Tassiorum familia Fossseni (inclita comitatus
Tyrolensis civitate) 7iato, qui dum post multa apud Beigas militaria munia
pro invictiss. Hispaniarum rege PMUppo prwclare gesta proBfectus Germa-
?iicce legionis ad Bonnce ohsidionem expeditionem agit, ex insidiis plumbece
glandis ictu infeliciter cecidity- Und mit der Unterschrift: ^Monimentum
hoc Innocentius pater ßlio mcestus posuit. Vixit annos plus minus XXXVL
Obiit XIL Kai Majus. Anno MDLXXXVUL'' Weisser Marmor auf
schwarzem Grunde. Der knieende Ritter in Hautrelief; hinter ihm, in
flachem Relief, Johannes der Täufer, ihn hinweisend auf den gekreuzigten
Heiland; dieser in freier Figur. Recht tüchtige und saubre, ob auch ge-
rade nicht sehr geistreiche Arbeit. Zu den Seiten der obern Inschrift zwei
tüchtige Karyatiden.
Das andere Monument, jenem gegenüber, ist einem österreichischen
Baron „Philipp Friedrich Preinerus", der in demselben Jahre (1588), einund-
zwanzig Jahr alt, vor Bonn an einer Krankheit gestorben, von seinen Eltern
errichtet. Ganz ähnliche und noch etwas besser durchgeführte Arbeit. Der
Ritter allein vor dem Gekreuzigten knieend, und zwei grössere Karyatiden
zu den Seiten der Darstellung.
Kirche zu Namedy. — Zwei bemerkenswerthe kleine Grabsteine.
Der eine noch aus der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, mit der In-
schrift: „1543. Nobilis hic Hermanna jacet virguncula patre Husmanno
sed matre Elceo stemmate nata. Hie liegt Jungfrawe Hermanna zart, ge-
born Husmann edler Art."' Die kleine Mädchenfigur ziemlich artig, doch
nicht sonderlich künstlerisch.
Der andre ein kleines Epitaphium, freistehend im Chore. Es ist dem
Anton, Söhnchen des „JoA. Ludwig Häusmann zu Namedi^, gest. 1580,
gesetzt. Sehr ansprechendes Figürchen, 18 Zoll hoch, in einer Nische mit
vier Wappen stehend; das Ganze beinahe drei Fuss hoch. Allerliebste,
sehr naive Naturwahrheit. Kostüm: Halskrause, kurzesiMäntelchen, Pump-
höschen bis ans Knie, Tricotstrümpfe. Das Gesicht und die gefalteten
Händchen leider beschädigt. >
Bacharach. Pfarrkirche. — Epitaphium des Meinhardt von
Schönberg, gest. 1596, Handwerklich tüchtig. Portraitfigur in Relief, in
barocker Umrahmung,
Kirche zu Heimersheim. — Im südlichen Flügel des Querschifles
ein ziemlich barocker Altar, zum Gedächtniss des Johann von Metternich,
Herrn von Vettelhoven etc. (gest. 1561) und seiner Gemahlin Katharina von
der Leyen (gest. 1584) von ihrem Sohne Lothar, Erzbischof von Trier (1599 —
1623) errichtet. Hauptdarstellung: Kreuzschleppung in Alabaster, figuren-
reich und sauber gearbeitet, doch in dem manierirten Style der Zeit. Die
I ~ »/
-ocr page 280-Studieu an Rhein und Mosel, Sculpturen nach der Mitte d. 16. Jahrb. 281
Knieenden (Mann und Frau), sowie die Heiligen und Engel in der Archi-
tektur des Altares minder bedeutend. f
Kirche au Euskirchen. — Im Chor das Epitaphium des Heinrich
von Binsfeld und seiner Gemahlin, im guten Barockstyle der Zeit um
1600. Die Knieeuden, mit Söhnen und Töchtern, ganz ttichtig und lebens-
wahr. In der Mitte ein Alabasterrelief-der Auferstehung, sehr sauber und
leidlich manieristisch,
Köln. Jesuiter-Collegium. — In der Vorhalle das Marmor-
Epitaphium des „Heinrich von Reuschenberg teutschs Ordens Landtcomp-
tlmr der Balley Blessen." Der Ritter auf dem Sarkophag liegend, im Kopf
ganz tüchtige Naturwahrheit. Darüber in einem grossen Medaillon die
Auferstehung der Todten, noch manieristisch in der Composition, doch,im
Nackten tüchtig und sauber durchgebildet.
Köln. St. Johann Baptist. — Der Altar des ersten Seitenschiflfes
der Südseite, vom J. 1605, mit feiner Marmorsculptur: Erweckung des
Jünglings von Nain, im Style der Manieristenzeit, aber tüchtig, und ein-
zelne Köpfe sehr anziehend. Darüber eine Gruppe der Anna und'Maria
mit dem Christkinde, eine Nachbildting der schönen Gruppe von A. Con-
tucci da Sansovino, die sich in S. Agostino zu Rom befindet.
Oberwesel. Stiftskirche. — Zwei massig bedeutende Epitaphien
der Familie von Schönburg im Chor des nördlichen Seitenschiifes, vom
J. 1605 und 1606. -
Ebendaselbst das Epitaphium des Simon Rudolph von Schönburg,
1608. Der Ritter in einer Barocknische stehend, Hautrelief in Lebens-
grösse. Ungemein glückliche Lebendigkeit, sehr trefflicher Porträtstyl.
Das Gesicht naturgemäss bemalt, das Uebrige ohne Färbung.
Mehrere Grabsteine, die wenigstens in der Anlage beachtenswerth, auf
dem Fussboden, aus dieser und früherer Zeit.
Coblenz. St. Castor. — Höchst brillantes Epitaphium vom J. 1607
im nördlichen Flügel des Querschiffes, mit der buntesten und launigsten
Barock-Dekoration und mehreren Uautreliefs, deren bedeutendstes Christus
als guter Hirt (Gärtner?) und die knieende Magdalena darstellt.
Trier. Liebfrauenkirch e. — Epitaphium des Propstes Hugo Cratz
aus der Familie v. Scharffenstein, mit der Inschrift; „,J oes^Ruper t,
lloffmann fecit 1610." Ungemein reich an figurenreichen Sculpturen;
als Hauptdarstellung die Auferweckung des Lazarus. Die Arbeit sauber;
der Styl der tlau manieristische und affektirte zur Zeit der Zuccari und in
ihrer Weise.
Ausserdem noch einige Denkmäler des 16ten und 17ten Jahrhunderts ;
darunter indess nichts von besonderem Belang.
Boppard. Karmeliterkirche. — Im Schiff der Kirche, an der
Südseite, ein zierlich sauberes Marmor-Epitaphium des Arnold v. Scharffen"
stein, gest. 1613. Die Sculpturen von Alabaster. Hauptdarstellung: Krö-
nung der Maria mit vielem Volk, unten knieend der Verstorbene. Frei,
aber weder rechtes Lebensgefühl, noch Styl.
Coblenz. Jesuitenkirche. — An dem barocken Portale vom Jahr
1617 einige ziemlich gute Statuen im Style der Zeit. Zur Seite ein be-
merkensvverthes Crucifix aus derselben Periode. ' ,
Bonn. Münster. — Mehrere sauber barocke Altäre, zum Theil mit
Sculpturen. So, in sehr sauberer mänierirter Weise, eine Taufe Christi in
Alabaster, auf dem Altar des südlichen Seitenflügels. — Daneben ein buntes
-m
•"wr:
282
Rheinreisej''1841. Zweiter Abschnitt.
Epitaphium vom'j. 1624, mit dem Eccehorao-, klein und nicht gar be-
deutend. — So an einem südlichen Schiffpfeiler ein Altar vom J. 1622,
Alabaster, mit der zierlich manierirten Geburt Christi und {wie auch jene
andre) mit dekorativen Figuren.
Neben dem Hochaltar ein sehr brillanter Tabernakelbau, hoch, in
zierlichem, bereits ^zum Rococo sich neigendem Barockstyl, mit Statuen
und biblischen Reliefs.
Coblenz. St. Castor. — Kanzel vom J. 1625. Guter dekorativer
Styl der Zeit. Bildliche Darstellungen: die Evangelisten in den Haupt-
nischen, dazwischen die Kirchenlehrer und andre Figuren.
Im südlichen Flügel des Querschiffes ein Epitaphium aus dem 17ten
Jahrhundert, mit ansprechenden figürlichen Sculpturen. Hauptdarstelhuig:
Maria, mit Joseph und dem Christusknaben, auf der Wanderung.
Kirche zu Altenahr. — Auf dem Altar im südlichen Flügel des
Querschiffes die Holz-Statue einer Maria mit dem Kinde auf dem Halb-
monde. Modern, etwa 17. Jahrhundert, das Gesicht unbedeutend; aber
die ganze Anordnung, besonders die der Gewandung , vorzüglich und
feinen Sinn bekundend.
Kirche im Dorf Münster an der Nahe, unweit Bingen, — Grosser
Schnitzaltar im Barockstyle des 17. Jahrhunderts; Kreuzigung und andre
Scenen der Passion, nebst einzelnen Figuren und dekorativer Sculptur.
Ursprünglich bemalt und vergoldet, jetzt mit monochromer Steinfarbe über-
strichen, Das Figürliche etwa einem Gottfried Leygebe vergleichbar, doch
noch schwerer, auch überladen. Das Ornamentistische, nebst den dabei
verwandten Figuren, z. B. ein Paar Engeln, ganz tüchtig handwerklich.
Köln. St. Ursula. — Das Grabmal det h. Ursula, aus schwarzem
Marmor, mit der darauf ruhenden Figur der Heiligen aus weissem Marmor;
eine Arbeit von ganz lieblichem Eindruck. Bezeichnet mit dem Datum
1658 und dem Namen des Künstlers „Johannes T. W. Lentz.^
Coblenz. St. Castor. — Bronze-Crucifix auf dem Hochaltar. Nach
der Inschrift am Saume des Schurzes von Georg Schweigger von Nürn-
berg modellirt („inv. et fec."), 1685, und gegossen von Wolff Hierony-
mus Herold in Nürnberg. Die Arbeit ist in der Weise dieser späteren
Zeit gehalten, doch wirken ältere nürnbergische Erinnerungen nicht un-
günstig ein.
Coblenz. Liebfrauenkirche. — Im südlichen Seitenschiff das
Epitaphium des „Joannes Cramprich de Cronfeld", gest. 1693. Die Büste
des Genannten in einer Pfeilernische. Ein höchst brillantes Beispiel der
französischen Allongen-Perrüken-Sculptur jener Zeit, ^hr durchgeführt, in
genreartiger Naturwahrheit.
Köln, - Dom. — In der h. Dreikönigs-Kapelle das in der zweiten
Hälfte des 17ten Jahrhunderts errichtete Marmor-Mausoleum über der
Tumba (dem Behälter mit den Reliquien der h. drei Könige). An der
Vorderseite desselben das Relief mit der Anbetung der Könige; unbedeu-
tend, doch sauber modern, üeber den Ecken der Vorderseite die unbe-
deutenden Statuen der hh. Felix und Nabor, 1699 von Michael van der
Voorst in Antwerpen gefertigt. An der Rückseite das>Relief der Ueber-
tragung der Gebeine der h, drei Könige in den Kölner Dom; im Charakter
des vorderen Reliefs.
In der Stephanskapelle (1841) das ruhende Marniorbild des österrei-
chischen Feldherrn und Comthurs des deutschen Ordens, von Hochkirchen,
»
fi
hl
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. Romau. Styl.
Fragment eines grössern, früher in der Franciskanerkirche befindlichen
Denkmals; 1701 von dem florentinischen Bildhauer Joachim Fortini
gefertigt. Berninesker Rococo. ' ^
Klosterkirche zu Sayn. — Epitaphium des Joh. Philipp von Relf-
fenbergi gest. 1722, und seiner Gemahlin ; Relief an der Wand der Kirche.
Ein recht charakteristisches Werk für jene Zeit, wenn auch' mehr nur
handwerklich 'als künstlerisch vollendet.
In einer Wandnische eine Säule mit einer Madonna auf dem Halb-
monde. Arbeit aus der ersten Hälfte des ISten Jahrhunderts, aus Holz,
bunt und vergoldet. Styl und Behandlung ganz im Charakter der Zeit,
doch mit Sinn und Gefühl. Unter dem Kapitäl der Säule wachsen nach
vorn und den beiden Seiten aus ornamentistischem Blätterwerk nackte
Genien hervor, von denen jeder einen Candelaber trägt. Dies ist ein sehr
glückliches Motiv und, wie das ganze Werk, im ornamentistischen Sinne
trefflich durchgeführt.
Coblenz. Kirche des Hospitals. — Zwei Holzreliefs, 18tes
Jahrhundert. Geisselung und Christus am Kreuz. Noch tüchtig durch-
gebildet.
Bonn. Münster. — Grosse Bronzestatue der h. Helena, knieend mit
dem Kreuz, im Schilf vor dem westlichen Chor. Ansehnliche Arbeit aus
der Mitte des iSten Jahrhunderts. Zu Rom gefertigt.
Köln. St. Johann Baptist. — Brillante holzgeschnitzte Kanzel im
Rococo-Styl, inschriftlich von J. F. vanHelmont. Heilige D4.rstellungen
zwischen Hermen u. dergl., in ihrer Art sehr tüchtig. ^
Köln. St. Pantaleon. — Im Chor einige ärmlich wüste Rococo-
Epitaphien. Eins davon mit der darauf ruhenden, in Holz geschnitzten
dickbäckigen und 'dickbäuchigen Figur der Bestatteten, — der Kaiserin
Theophania!
(Mit Ausschl-uss der Glasmalerei.)
Köln, St. Georg. — An den Seitenwänden der Kirche,-über dem
spätromanischen Gewölbe (somit älter als dieses) mehrfache Reste eines
acht classischen gemalten Mäanders.
Köln. St. Johann Baptist. — An den Wänden, über dem Ge-
wölbe, ebenfalls Reste dekorativer Malerei. ■
Köln. St. Maria auf dem Kapitol. — Wandmalereien in der
Krypta, die gegenwärtig als Salzlager dient und daher eine nähere Besich-
tigung unthunlich machte. Das wenige Sichtbare im spätromanischen Slyle.
(Derselbe Styl auch in den flüchtigen Zeichnungen dieser Malereien,'die
ich bei de Noel sah.)
'284 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Köln. Krypta von St. Gereon. — Vielfache Spuren romanischer
(auch germanischer) Wandmalerei.
Einige Stellen des Fussbodens, neben dem Altar, und der gesammte
Fussboden in den Seitenkapellen der Krypta zusammengesetzt aus den
wirren Fragmenten einer rohen, aus sehr grossen Würfeln gebildeten Mo-
saik, welche biblische und legendarische Scenen vorstellte. Der Styl der
Zeichnung und der Charakter der Inschriften auf die Zeit gegen 1200
deutend.
Bonn. Museum. — Grabplatte des Abtes Gilbertus von Laach, aus
der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts, mit einem Mosaikbilde des Ver-
storbenen und mit gleichfalls musivischer Inschrift, zur Hälfte zerstört. In
rohem romanischem Style und von sehr ungeschickter Arbeit. Die Farbe
nur wenig verschiedenartig.
Coblenz. St. Castor. — An den Wänden und am Triumphbogen,
über dem Gewölbe des Mittelschiffes, Reste alter Malerei, dort Ornamen-
tistisches, hier Figürliches, Letzteres aber höchst verdorben.
Brauweiler. Kapitelsaal. — Das Gewölbe (sechs Kreuzgewölbe
mit 24 Dreieckfeldern) ganz mit den Resten von Wandmalereien bedeckt.
Biblisches und Legendarisches, in symbolischem Zusammenhange, wie es
scheint, und in üblicher Weise sich auf das Mysterium des christlichen
Glaubens beziehend. In dem Hauptfelde des einen mittleren Kreuzgewöl-
bes das Brustbild des Erlösers und in den übrigen Feldern desselben be-
deutsam ausgezeichnete Heilige; in dem Hauptfelde des andern Christus
am Kreuz 'und umher andre Martyrien. In einem dritten Kreuzgewölbe
Scenen von Einsiedlerlegenden, in deren einer eine Architektur mit dem
Namen Treviris, und daneben, wie es scheint, der h. Simeon von Trier
und der Satan, der ihn mit seinen Versuchungen quälte, in Centaurenge-
stalt. In einem vierten Kreuzgewölbe Kampfscenen, z. B. Simson mit dem
Eselskinnbacken in der Mitte von Erschlagenen. U. s. w. Die Ausführung
deutet auf spätromanische Zeit. Styl, Behandlung , Geist der Auffassung,
alles Technische steht ziemlich entschieden den besseren Sachen in dem
bekannten Hortus deliciarum des Herrad von Landsperg zur Seite. Leider
sind die Malereien verblichen und Manches ist ganz verdorben. In moder-
ner Zeit waren sie übertüncht und sind erst durch den Direktor der Brau-
weiler Anstalt, Hrn. Ristelhueber, nach dessen Angabe, von der Tünclie
befreit^worden. Auf die Bogenbänder zwischen den Kreuzgewölben -ist
romanisches Ornament gemalt. — Andre Malereien werden möglicher Weise
durcli das Rococo-Täfelwerk der Wände verdeckt.
Köln. Taufkapelle von St. Gereon. — Mel^rere Wandgemälde,
heilige Gestalten darstellend, mehr oder weniger verblichen, sind neuer-
lich von der Tünche befreit worden. In ihrer allgemeinen Fassung sind
es höchst bedeutsame Zeugnisse für die letzte Zeit des romanischen Styles
und dessen üebergang in das Germanische. Erste Hälfte des 13ten Jahr-
hunderts.
Köln. St. Ursula. — Zehn grosse Schiefertafeln (zwei andre sollen
verdorben sein) mit den gemalten Bildern der Apostel, im Müttergottes-
gang, am Eingange bei der südlichen Thür, mit Klammern an die Wand
befestigt (mithin die Jahreszahl 1224, welche sich der Angabe nach auf
der Rückseite der einen Tafel befindet, nicht sichtbar). Ursprünglich ein-
fach colorirte Umrisszeichnungen, den gleichzeitigen deutschen Miniaturen
entsprechend. Anwendung Von Goldlichtern ganz nacli byzantinischer Art,
f!
£
Köln. St. Ursula. —, Reste von Wandmalereien an dem grossen
romanischen Schwibbogen, welcher sich über der Emporbühne auf der
westlichen Seite der Kirche wölbt und den Thurm trägt, über dem Ge-
wölbe des Mittelschilfes. Die Gestalt der h. Ursula und andres Figürliche.
Frühest germanischer Styl.
Köln. St. Severin. — Erasmuskapelle auf der Nordseite der Kirche
(ausser Gebrauch, Zugang von der östlichen Seite des Kreuzganges): Reste
von "Wandmalereien im frühgermanischen Style, bald nach der Mitte des
ISten Jahrhunderts.
Köln. Krypta von St. Gereon. — Die schon erwähnten Spyren
germanischer Wandmalereien. '
Andernach. Pfarrkirche. — Auf dem Architrav des Portales der
Südseite eine gemalte Kreuzigung . im streng germanischen Style, fast
erloschen
Köln. St. Aposteln. — Das angebliche Fastentuch der Richmod
von Adocht (nach de Noels Zeichnung und Mittheilung). Leinwand, etwa
GV2 Fuss breit und jetzt etwa Fuss hoch, mit der, ziemlich lebens-
grossen Darstellung von sechs Aposteln und der Maria in ihrer. Mitte,
vielleicht ein Bruchstück der Himmelfahrt; unten ein breiter Ornamentstreif
mit der knieenden Gestalt der Donatorin. Edler germanischer Styl, der
Zeit um 1300 angehörig.
Köln. Dom. — "Wandmalereien im Chore,
An den Brüstungswänden des Chores, über den Chorstühlen. Auf der
Nordseite Geschichten der Apostel und des h. Papstes Sylvester, im All-
gemeinen (1841) recht wohl erhalten; auf der Südseite Geschichten der
Maria und der h. drei Könige, mehr beschädigt. Durchaus der' Styl um
oder bald nach 1300, noch ohne Ausbildung des speziell kölnischen Schul-
charakters. Die Male,reien stehen den gleichzeitigen Miniaturen, und mit
diesen den Flügeln des Altares auf dem Nonnenchore in der Kirche von
') Ueber die später aufgedeckten Wandmalereien der Kirche von Schwarz-
rheiiidorf s. den ausführlichen Bericht von A. Simons in den „Jahrbüchern
des Vereins -von Alterthumsfreunden im Rheirilande," X. 1847. — Üeber die
später bekannt gewordenen und seitdem zerstörten, doch in Copien erhaltenen
Wandbilder der Kapelle von Ramersdorf s. den bezüglichen Aufsatz von
Schnaase in Kinkels Taschenbuch „"Vom Rhein", 1847, und die Notizen" meines
Handbuches der Geschichte der Malerei ötc. Zweite Aufl. I, S. 192 flf.
Ii
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. Streng german. Styl.
zum Theil sogar, auf den Gewändern, noch schnörkelhaft gezogen. Die
Throne, auf denen die Figuren sitzen, noch im Style der romanischen
Architektur. Aber nur die Hauptlinien der Figuren und Gewandungen be-
folgen noch den alten Styl; nähere Besichtigung zeigt, dass sie mehrfach
übermalt und (Iberschmiert sind; die Köpfe tragen hienach bereits das
kölnisch naturalistische Gepräge der Periode von 1400. — Zu bemerken,
dass der Apostel Johannes hier, statt des sonst üblichen Bechers, ein
ziemlich grosses Seidel von Holz in der Hand hält').
286
llheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Altenburg an der Lahn (vergl. oben S. 181), parallel; doch zeigt sich hier
bereits entschieden die höher künstlerische Richtung. Die Corapositionen
füllen geschickt, ob auch mehrfach in bedeutender Figurenfülle, die ge-
gebenen Räume aus; im Einzelnen ordnet sich die Composition sehr gross-
artig giottesk. Die Geberde hat zum Theil noch das halb Conventionelle
der Miniaturen jener Zeit, zum Theil wird sie aber auch schon frei und
naiv. Die Gesichter sind noch etwas typisch gebildet, zeigen dabei aber
schon ein glückliches Streben nach Charakteristik und selbst nach momen-
tanem Ausdruck. Die Farbe (ohne Zweifel Tempera) ist licht und heiter;
von Uebermalung habe ich nichts bemerkt. Die Gruppen sind in das
architektonische Stabwerk, das die Wände ausfüllt, hineingemalt und über
ihnen gemalte gothische Architekturen angeordnet. Hinter den Gestalten sind
gemalte Teppichgründe. Das Ganze ist Zeuguiss einer künstlerischen Ent-
w^ickelung, die der gleichzeitigen italienischen wohl an die Seite zu stellen.
Auf den Rückseiten der Brüstungswände sieht man ebenfalls noch
Farbenspuren von Gemälden, die in gleicher Höhe selbst um die Pfeiler
herumgezogen waren. (Noch erhaltene Stücke dieser Gemälde sind neuer-
lich hinter weggeräumten Epitaphien vorgefunden worden.)
Aehnllche schwäche Reste von Wandmalerei auch in den Kapellen,
namentlich in der Agneskapelle.
In den Bogenwinkeln unter der Fenstergallerie des Chores sind unter
der Tünche schwache Reste von kolossalen gemalten Engelgestalten, sin-
gend und musicirend, entdeckt worden. Diese zeigten eine grossartig ger-
manische Anlage. (Sie sind später durch Freskomalereien von Steinle
überdeckt worden.)
In dem mittleren Bogenfelde des Gewölbes des Chorschlusses ein
grosses gemaltes Medaillon mit dem kolossalen Brustbilde des Heilandes,
dem Anscheine nach schon ursprünglich nicht bedeutend und übermalt.
(Nachmals durch A, Achenbach neu aufgemalt.)
An der Wand, die den Chor interimistisch gen Westen abschliessl,
kolossale figürliche Malereien:, im Bogen der thronende Heiland, darunter
Petrus und Paulus. Ebenfalls ursprünglich nicht bedeutend und übermalt
(uiid nachmals ebenfalls neu aufgemalt.)
Köln. Gemälde des Museums.
Kleiner Altar mit Flügeln. In der Mitte die Kreuzigung; links die
heilige Nacht und darunter die Anbetung der Könige; rechts die Himmel-
fahrt und die Ausgiessung des heiligen Geistes. Aussen Katharina, der
verkündigende Engel, Maria und eine andere weibliche Heiligie, die zu-
meist verdorben. Zu den ersten Beispielen des ausgebildet germanischen
Styles gehörig,, doch auch wohl erst aus der Zeit um 1300 Die Typik
noch vollkommen vorherrschend; die Gesichter streng schematisch gezeich-
net, doch schon ein schwacher Beginn von Modellirung; mehr im Körper
des Gekreuzigten und noch mehr in den Gewändern. Der Falteiiwurf weit
und in grossen Massen, die Colorirung licht und heiter. In der Auffassung
manches recht Bedeutsame; die Intention mit Eiitschiedenheit, nicht selten
mit einer eignen Grossheit ausgesprochen. In den Köpfen natürlich kaum
noch erst ein Beginn von Ausdruck. ;
Yier Gemälde auf Goldgrund, die den Wandmalereien im Domchore
sehr parallel stehen: Johannes, Paulus, die Verkündigung, die Darstellung
im Tempel. Auch hier noch ganz das allgemein germanische Element,
wie bei den Miniaturen. Der Styl der Gewandung grossfaltig, zum Theil
Studien au Rheia und Mosel. Malerei. Streng geriiian. Styl. 287
mit sehr edeln Motiven. Die Haltung des Körpers nur massig raanierirt
Die Köpfe in ziemlich typischer Umrisszeichaung und mit leisem Modell;
die Gewänder dagegen stark und sehr entschieden modellirt, aber in con-
ventioneller Weise. In den Gesichtern kaum Ausdruck; in den Geberden
meist nur erst eine, auch noch conventionelle Andeutung des Ausdrucks.
Doch schon ein gewisses Lebens-Element, wie z. B. das eigen schüchterne
und doch, gehaltene Insichzurtickziehen der Madonna, in dem Bilde der
Verkündigung. (Sie ist, ebenso wie der Engel, stehend dargestellt.)
Tafel, ähnlich der im Berliner Museum befindlichen Passionstafel
von Meister "Wilhelm, in eine Menge kleiner Bilder zerfallend. In der
Mitte, so gross wie 4 andere Felder, der Grucifixus und alle Symbole der
Passion, wie auf den Messen des Papstes Gregor. Dann auf 24 Feldern
die Geschichte Christi und auf 2 Schlussfeldern sechs Heilige. In einfach
germanischem Style und scheinbar noch sehr alt (13tes Jahrhundert), doch
in der Behandlung, im Farbeflauftrage schon manche Eigenheiten, z. B.
die aufgesetzten Glanzlichter, die die lokal kölnische Schule zu verrathen
scheinen, üebrigens roh und an sich nicht bedeutend.
Zwei kleine Bildchen: 1) Cruciflx mit Maria und Johannes auf Gold-
grund; 2) Zwei Könige, zu einer Anbetung der Könige gehörig, auf schwar-
zem Grund mit goldnen Blumen; — Pendants, wohl ein inneres und ein
äusseres Flügelbild. Beide nicht gerade bedeutend und etwas roh, doch
den weitern Uebergang aus dem einfach germanischen Styl zur kölnischeu
Typik des Meister Wilhelm bezeichnend.
Altkölnisches Bild, Kreuzigung, nicht gross, mit vielen kleinen Figu-
ren, verschiedene Scenen der Geschichte der Kreuzigung zusammenfassend.
Links die Kreuztragung, rechts wie Christus ans ^Kreuz geschlagen wird,
in der Mitte, etwas zurück, die dre;! Cruciflxe und das umgebende "Volk.
Im Hintergrund Jerusalem (die Gebäude in verschiedenartig wechselnder
Farbe, mit naiver Perspective), Burgen und andere Städte auf Bergen;
Goldgrund. Der Maler ist nur ein ziemlich schwaches Genie, doch isf^.
das Bild wiederum wichtig als Uebergang aus der ältern Richtung zu der
typisch kölnischen unter Meister Wilhelm, Die Figuren sind schwer, die
Gewandungen geradlinig massenhaft in der Weise der Giottisten, die Ge-
sichter etwa giottesk-kölnisch. Die Pferde höchst ungeschickt. Die Farben
bunt und grell, doch auch hierin schon gewisse kölnische Grund-Elemente.
Dabei aber findet sich Manches von eigenthümlich tragischer Grossartig-
keit, namentlich wie die heiligen Frauen sich verhüllen und wie sonst der
Schmerz sich ausdrückt. Die Schergen sind lebhaft und wild bewegt; der
dem Heilande den Nagel durch die Füsse schlägt, ist einem Spinelli
gleichzustellen, Rechts und links knieende Senatoren mit dem Wappen:
3 goldne Kannen in schwarzem Felde (Familie Wasserfass in Köln.).
Köln, Gemäldesammlung des Herrn Zanoli. — Eine Tafel
mit Sceuen der Leidensgeschichte, etwas derb, wohl noch vor Meister
Wilhelm. Der kölnische Typus noch nicht vollständig entwickelt; ge-
wissermaassen noch giottesk.
288 Rheiiirpise, 18dl. Zweiter Abschnitt.
3. Epoche der Meister Wilhelm und Stephan von Köln.
Köln. St. Gereon. — In der Sakristei vier Blätter alter flüchtiger
Handzeichnungen mit Heiligenliguren, angeblich für den ehemaligen Gereons-
kasten gefertigt. Germanisch, 14. Jahrhundert.
Köln. St. Severin. — In einem Nebenraume der Krypta ein Wand-
gemälde : Christus am Kreuz, Maria, Johannes und sechs andre Heilige.
Darunter, ausser den Namen der Heiligen, die Unterschrift (mit Auflösung
der Abkürzungen): Orate pro domino Johanni de titzerueldt hujus ecclesie
canonico et scholastico Ältaris hujus fundatori. Von einem nahen Vorgän-
ger des sogenannten Meister Wilhelm. Der Faltenwurf zum Theil noch
etwas schwer, in giottesker Weise, noch erst wenig in der Art des Wil-
helm. Die Köpfe, an sich gar schön, noch nicht ganz in der rundlichen
Naivetät, die dem Wilhelm eigen ist und die von da ab vorherrschend
bleibt. Die Heiligenscheine mit Reliefkreisen. Leider das ganze Bild
schon sehr verblichen und zum Theil verdorben.
'im Kreuzgang, an der Nordseite der Kirche., schwache Spuren von
Wandgemälden, etwa in der Art des ebengehannten.
Coblenz St. Castor. — Wandgemälde an dem Grabmale des
Erzbischofs Cuno von Falkenstein (gest. 1388), als Arbeit des Meister Wil-
helm von Köln angenommen. Goldgrund; Petrus, Maria mit dem knieen-
den Erzbischof, Christus am Kreuz, Johannes, Castor. Eigenthümlich und
bedeutend erscheint zunächst ein gewisses statuarisches Element, das be-
sonders in der Figur des Petrus in einer edeln, weich giottesken Weise
hervortritt; ähnlich auch beim Castor. Bei Maria und bei Johannes ist
mehr afi'ektvolle Bewegung beabsichtigt, doch herrscht auch hier die ger-
manisch statuarische Anordnung der Gewandung vor. Sehr eigenthümlich
macht sich besonders die lebhafte Bewegung des Johannes, der, mit empor-
gehobenen Ellbogen, die Hände ringt und dadurch in eine etwas schräge
Stellung geräth. Im Uebrigen ist von der geschweiften Haltung des Kör-
pers, die sonst bei den deutschen Trecentisten vorherrscht, hier nicht son-
derlich viel zu bemerken. In den Köpfen ist auch Eignes. Bei der Ma-
donna sind die Gesichtstheile etwas schmal und nicht gerade auf eine be-
sonders idealschöne Wirkung ausgebildet. Im Johannes ist, bei ähnlicher,
doch nicht ebenso schmaler Detailbildung, bereits der Ausdruck des
schmerzlichen Gefühles sehr glücklich zur Erscheinung gekommen. Auch
der Christuskopf hat etwas schmale Gesichtsformen, doch habe ich die
Kölner Crucifixe meist ähnlich behandelt gefunden. Die Köpfe des Petrus
und des Castor haben ganz den Charakter, der bis jetzt als der des Mei-
ster Wilhelm supponirt worden. Im Donator tritt das naturalistisch nach-
ahmende Streben sehr deutlich und nicht erfolglos, doch auch noch in
schwerer und etwas roher Weise hervor, während sonst die naturalistischen
Köpfe des sogenannten Meister Wilhelm (Aussenseite der Flügel des Ma-
donnenbildes im Kölner Museum) fast geistreicher behandelt sind. Wenn
die Umrisse der Gestalten durch die unlängst erfolgte Erneuung des Gold-
grundes gelitten haben sollten, so hat dies doch auf die Köpfe nur sehr
geringen Einfluss ausgeübt, indem diese meist durch Gewandung oder
Haare vom Grunde abgetrennt sind. Was gleichzeitig an Retouche oder
Ueberraalung hinzugekommen, ist ebenfalls nicht von solchem Belang, dass
i F
Studien an Rhein und Mosel, Malerei. 8. Meister Wilhelm etc. 289
es ein näheres Urtheil über das ursprüngliche Verhältniss des Gemäldes
unzulässig machte.
Köln. Dom. — In der Johanniskapelle ein grosser Altar, aus der
ehemaligen Kirche der heiligen Clara herrührend, und von den Gebrüdern
Boisseree dem Dome geschenkt. (Herr S. Boisser^e erzählte mir, der Altar sei
für den Nonnenchor, die westliche Emporbühne, der 1306 erWuten Ciaren-
kirche gefertigt worden und habe an der Brüstung der Chorbühne , also
gen Osten, gestanden. Die Nonnen von St. Klara hätten das Recht gehabt,
die Eucharistie selbständig aufzubewahren; ein Priester habe von aussen,
auf einer Treppe, die zu der Chorbühne (oder vielmehr zu dem Chorbilde)
hinaufgeführt, das Allerheiligste hinaufgetragen und von hinten in das
Altarwerk hineingesetzt; umgekehrt hätten die Nonnen dann beliebig die
Flügel auseinanderschlagen, sich das Allerheiligste sichtbar machen und
anbeten können. Dies erklärt Manches in der Beschaffenheit des Werkes.)
Es ist ein grosser Schrein, mit zwei Seitenschreinen. ) In der Mitte des
Mittelschreins ist das durch eine besondere Thür verschliessbare Taber-
nakel für das Allerheiligste. Sonst sind die Schreine durch zierliche
gothische Tabernakelnischen vom reinsten Style ausgefüllt. Von den
Sculpturen aber, die darin enthalten waren, sind nur noch einige we-
nige vorhanden (über diese s. oben.) Wenn man die Seitenschreine zu-
sammenschlägt, so sieht man auf ihren Aussenseiten, auf der Thür des
Tabernakels, und auf einem zweiten Flügelpaar die Gemälde. Auf der
Tabernakelthür ist ein messelesender Priester dargestellt. Die andern Bil-
der sind, oberwärts viermal 3 Scenen aus der Passion Christi, unterwärts
viermal 3 Vorstellungen aus der Geschichte der Maria und der Jugend
Christi. Die an den Mittelflügeln enthaltenen Darstellungen sind mit Relief-
Architekturen umgeben, in deren Giebeln ebenfalls zierlich gemalte Dar-
stellungen enthalten sind. Die oberen Bilder (aus der Passion) sind im
Ganzen nicht sonderlich bedeutend. Manches in Geberden und Gestalten
streift hier noch an das conventioneil Germanische an; in den Schergen
zeigt sich noch nicht ein recht kräftig entwickeltes Leben. Ich bin der
Ansicht, dass mit diesen Bildern ein älterer Meister begonnen habe. Die
unteren Bilder dagegen (aus der Geschichte der Maria und der Jugend
Christi) sind ganz in jener idealen Anmuth gehalten, in jenem weichen
Gewandflusse, in jenem lieblich zarten Schmelz, in jener holden kindli-
chen Naivetät und ebenso in jenen Körpermängeln, welche dem sogenann-
ten Meister Wilhelm eigen sind. Dasselbe gilt von dem Bilde des
Priesters auf der Tabernakelthür; nur ist dies letztere nicht so wohl con-
servirt, dass man ein recht sicheres Urtheil aussprechen kann. — Dann
sind auch die Aussenseiten der Flügel bemalt: viermal 3 Heilige, dazwi-
schen der gekreuzigte Christus mit Maria und Johannes, und darüber die
Martersymbole (naclx der Messe des Papstes Gregor). Auf Leinwand; rother
Grund mit goldnen Blumen; Gold-Architekturen. Höchst verwahrloster
Zustand. So viel zu erkennen, zeigt sich hier ein trefllich entwickelter
Schüler des Meister Wilhelm, der zwar noch auf der älteren Grundlage
steht, sich aber schon ziemlich den Jugendbildern des Meister Stephan
zur Seite stellt, doch nicht dieser letztere selbst.
Köln, Museum, — Berühmtes Madonnenbild des sogenannten Mei-
ster Wilhelm. Zunächst durch den weichduftigen Schmelz der Carnation
(lichtgrünliche Schatten und weissröthliche Lichter) bedeutend; die For-
Kugler, Kleine Scbriflen. II, 19
-ocr page 289-290 Rheinreise, ]84l. Erster Abschnitt.
menbildung in der eigenthümlich rundlichen Weise des Meisters. Das
Kind, das die Madonna auf dem Arme liält und das mit dem Händchen
ihr Kinn streichelt, in ungemein anmuthiger Bewegung. Die Finger der
Madonna dünn. Merkwürdige Gewandtöne, gebrochen bräunliches Violett,
mit ^brochen blauem Futter. Röthlich blondes Haar. — Die beiden weib-
lichen Heiligen auf deu inneren Seiten der Flügel, Katharina und Barbara,
ganz in derselben Art. Die .Körperverhältnisse wie auf Wilhelms Dom-
bildc aus der Clarenkirche, die Gewandung aber noch in sehr edel statua-
rischer Ausbildung, besonders bei der Gestalt der heiligen Barbara. (Der
germanisch statuarische Fluss hier noch feiner als auf dem Wandbilde der
Castorkirche in Coblenz.) — Die Verspottung Christi auf den Aussenseiteu
der Flügel, auf schwarzem Grund, zeigt ein derb naturalistisches Streben;
das Bild ist kühn und leicht hingeworfen, aber ganz in der Art des Mei-
sters (ähnlich wie auf den kleinen Passionsbildern im Berliner Museum).
Köln. St, Severin. — In der gothischen Sakristei, im Einschlüsse
des Spitzbogens, ein grosses Wandgemälde, ohne Zweifel von Meister
Wilhelm. Lebensgrosse Figuren, Christus am Kreuz in der Mitte, und
zu dessen Seiten, einfach stehend: Severinus (mit der Kirche), Petrus und
Maria, sodann Johannes, Paulus und Margaretha. Um das Crucifix schwe-
ben kleine Engel, in weiten Gewändern, die unten spitz flatternd ausgehen,
theils das Blut auffangend, theils in klagenden Geberden, meist überaus
anmuthig. Dunkler Grund. Leider hat das Bild sehr gelitten und ist
I' grösstentheils übermalt. Der Restaurator hat den alten Styl beizubehalten
4 gesucht, ihn aber nur mehr im Allgemeinen getroffen. So hat der Schwung
der Gewänder häufig etwas Flaues bekommen. Der Kopf der Margaretha
• ^ ist intact und entspricht vollständig dem Wilhelm. Das Ganze ist wenig-
stens so erhalten, dass es auf die ursprünglich grossartigste Wirkung schlies-
sen lässt. Das Crucifix ist würdig; zu dessen Füssen, klein, der knieende
^^ Donator, im Kostüm eines Geistlichen.
f Coblenz. Bei Herrn Dietz. — Kleines Gemälde mit einer flgu-
renreichen Kreuzigung Christi, in der Behandlung dem genannten Bilde
'i- des Berliner Museums von der Hand des Meister Wilhelm (No, 1224), wel-
« ches in einer Reihenfolge kleiner Darstellungen die Geschichte Christi ent-
hält, völlig entsprechend.
^ Köln, Museum. ~ Grosses Altarblatt. Crucifix mit sieben Heiligen
auf Goldgrund. Dem Wilhelm sehr nahe, in Körperverhältnissen, Gewand-
motiven und selbst in den Köpfen, namentlich im Kopfe des Petrus. Den-
noch erscheint Manches anders und untergeordnet. Für's Erste findet sich
nicht jene hohe Anmuth der Gesichter, überhaupt nicht das ideale Gefühl.
^ Die Gewandung ist strenger und schwerer statuarisch; die Gewandfarben
sind mehr körperlich, das Roth ist greller. Den jStellungen und Geberden
fehlt zum Theil Wilhelms einfach hohe Würde. Alles dies, was hier ver-^
misst wird, ist mehr oder weniger in Wilhelms grossem Wandbilde in St.
' Severin, das die meisten Vergleichungspunkte mit diesem Bilde bietet,
noch immer zu erkennen; dort sind auch die klagenden Engel viel schö-
ner, während sie hier (schon nach der Weise des Stephan gebildet, doch
ohne Flügel,) zum Theil nur etwas kindisch umhCfjflatteVn.
'13
Ebendaselbst. — Tafel mit Flügeln von ieinem Zeitgenossen des
Meister Wilhelm, scheinbar derselbe, von dem die. «obengenannte Tafel her-
rührt. Die inneren Bilder auf Goldgrund. Mittelbild: Petrus, Maria (Do-
nator), Cruciflxus, Johannes Ev., Barbara; Flügelbilder: rechts Katharina
Studieii an Rhein und Mosel. Malerei. 3. Meister Wilhelm etc. 291
und Andreas, links Paulus und Justina. Die Aussenseiten der Flflgel, ro-
iher Gnmd mit Goldblumen: rechts Valerianus und Cacilia, denen ein
Engel Rosenkränze aufsetzt, links Ajjollonia und Johannes Bapt. —.Dem
Wilhelm nachstrebend, und in einzelnen Köpfen, z. B. in dem des Petrus
und einiger Weiber, mit Glück. Doch ein untergeordnetes Talent, fndess
Sinn für jdastische Anordnung des Gewandwurfes.
Köln. Sammlung des verst. Dr. Kerp. — Dem Meister Wilhelm
verwandt: Kopf Christi auf dem Schweisstuch (doch ohne die Veronika),
von tief bräunlicher Farbe. Die eigenthümliche Schönheit des Wilhelm
fehlt. Eher eine Arbeit des Malers, von dem die ebengenannten Bilder
des Museums herrühren.
Ebendaselbst. — Nachfolger der Richtung des Meister Wilhelm:
Cruciflx mit Maria und Johannes. Breite schwere. Gestalten und plastisch
breite- Gewandung. Sehr grelles Roth im Mantel des Johannes.
Köln. Museum. — Von einem Zeitgenossen des Meister Wilhelm:
Zwei Tafeln aus der Passion: 1) Christus am Oelberg; 2) Christus vor
Pilatus. Ein minder geistreicher Meister, doch die entschiedene Einwirkung
der durch Wilhelm gewonnenen Resultate, auf der Grundlage von noch
etwas älteren Elementen, unverkennbar. Die letzteren besonders noch be-
deutsam in der grossartig giottesken Gewandung der schlafenden Jünger
auf dem ersten Bilde. Das zweite Bild, in welchem mehr Lebensgefühl
liervortreten musste, erscheint roher.
Ebendaselbst. — Zwei Flügelbilder von einem Mitstrebenden des
Meister Wilhelm. Auf den ursprünglich inneren Seiten: der Tod der hei-
ligen Jungfrau, und vier Heilige (Joh. Bapt., Katharina; Georg (?), Marga-
retha); Goldgrund. Auf den ursprünglich äusseren Seiten: die Verkündi-
gung und die Heimsuchung, schwarzer Grund. In der Pinselprtixis dem
Wilhelm verwandt, hat der Meister doch nicht die Grazie, die Zartheit,
die Würde, die jenen auszeichnen. Er ist derber im Vortrag und derber
in den Formen. Doch spricht sich, vornehmlich in den Aussenbildern,
ein glücklicher und selbst bedeutender Sinn für körperliches Verhältniss
und für edlen Schwung in der Gewandung aus. Dies besonders bemerkbar
in der Madonna, auf dem Bilde der Verkündigung.
Köln. St. Kunibert. — Im Querschilf, zu den Seiten der Absis,
zwei Tafeln auf Goldgrund, auf jeder zweimal 3 stehende Heilige, von
einem mässig talentvollen Zeitgenossen des Meister Wilhelm. Es fehlt die
Grazie und Leichtigkeit des letztern; auch tritt kein sonderlich statuarisches
Element hervor. Doch immer ganz beachtenswerth.
Coblenz.-vBei Herrn v. Lassaulx. — Altärchen der Kölner Schule,
272 F- ^och, l'/a F. breit, mit Flügeln. Auf dem Mittelbild die Anbetung
der Könige, auf jedem Flügel zwei Heilige'. Ein eigenthümlich interessan-
tes tVerk, obschon die Gestaltung durchaus mangelhaft ist, die KiJpfe be-
deutend zu gross im Verhältniss zu den Körpern und die Arme bedeutend
zu klein sind. Um so bewunderungswürdiger die hohe Grazie und Schön-
heit in den rundlichen Köpfen, namentlich der Madonna, des einen Königs
und der beiden Heiligen auf dem Flügel zur Rechten. Ebenso die lieb-
liche Anmuth des Christuskindes und die zierliche Weise, wie dasselbe
zum Theil mit einem halbdurchsichtigen Gewände bedeckt ist. Die Malerei
in schönem weichem Schmelz. Die Gewandung meist sehr schlicht und
nur mit einzelnen Remlniscenzen (z, B. der Madonna) an den Kölner
1-
i.y
ih
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'292 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Ciaren-Altar. Ohne Zweifel von einem Schüler des Meister Wilhelm.
— Aus einem Kloster in Boppard herstammend.
Köln. Museum. Hohes und sehr flgurenreiches Bild der Kreuzi-
gung. Scheint ein Schüler des Meister Wilhelm zu sein (derselbe, von
dem das Altärchen in der Gallerie des Berliner Museums, Nr. 1238, her-
rührt, Avelches dort dem Wilhelm selbst zugeschrieben ist). Die Compo-
sition ordnet sich leidlich gesetzmässig, einzelne Theile sogar in bedeuten-
der Schönheit. Von Wilhelm unterscheidet sich der Meister durch einen
allgemeiner lichten, ins Weissliche spielenden Farbenton, im Fleisch wie
in den Gewändern, durch geringeren Liebreiz in den Köpfen, durch ge-
ringere Energie in den Widersachern (die ziemlich bornirt erscheinen),
durch die Anwendung von mancherlei reicherem Costüm, und durch eine
gewisse, dem Taddeo Gaddi verwandte sorgliche Ausbildung der Gewan-
dung, während die Körperverhältnisse im Uebrigen ziemlich dieselben sind.
Die Gruppe der Frauen, die sich im Vordergrund um die hinsinkende
Maria beschäftigt, ist mit grosser Grazie componirt. Die kleinen Engel-
chen schwingen sich in den Geberden des leidenschaftlichsten Schmerzes
um das Kreuz.
Ebendaselbst. — Verkündigung, gutes, nicht grosses Bild, von einem
sehr tüchtigen Schüler des Meister Wilhelm, der zwar noch ziemlich ent-
schieden an dem Meister festhält, doch in einem gewissen lebhaften'Ge-
fühl für die Körperlichkeit allerdings dem Meister Stephan schon zur
Seite steht. Oben sieht man, in kleineren Figuren, den Besuch der Maria
bei Elisabeth.
Köln. Sammlung des Herrn Zanoli. — Kleines Bild der Vero-
nika mit dem Schweisstuche, in der Art jenes grösseren des Meister Wil-
helm in der ehemals Boisseröe'schen Gallerie, doch weniger bedeutend und
nur von einem Nachfolger.
Köln. Bei Herrn Schmitz. — Einige minder bedeutende Bilder
aus der Schule des Meister Wilhelm.
Trier. Hermes'sche Gemäldesammlung. — Madonna mit dem
Kinde, von Heiligen (meist weiblichen sitzenden) umgeben. Ein sehr an-
muthiges Bild der Kölner Schule, in der Art des Meister Wilhelm.
Köln. St. Kunibert. — An vier Pfeilern des Schiffes sieht man
Wandgemälde, die überlebensgrossen Gestalten einzelner Heiligen dar-
stellend. Sie sind zu sehr übermalt, um über sie ein Ürtheil fällen zu
können, und lassen sich eben nur als Nachfolge des Meister Wilhelm, mit
sehr vorgeschrittenem körperlichem Gefühle, bezeichnen. '
Köln. Bei Herrn Schmitz.— Grosser Cyclus von ziemlich grossen
Gemälden, die äussern und innern Seiten von Flügeln umfassend. Die
Aussenseiten sind jetzt 4 Bilder; ursprünglich waren gewiss je 2 überein-
ander befindlich. Auf jedem Bilde 4 Heilige, auf zweien (den untern)
männliche und weibliche Donatoren. Ohne Zweifel ein Schüler des Meister
Wilhelm, dessen Richtung weiter fördernd, aber nicht so frei und original
wie Meister Stephan*). Die Gestalten haben den Wilhelm'schen Typus,
doch freier und gemessener; die Gewandung, besonders die der weiblichen
Heiligen, ist ungemein grossartig und feierlich gelegt. Die Köpfe sind
lieblich ideal, in Wilhelm'scher Art, wenn vielleicht auch nicht ganz in
') Wenigstens kann ich der Ansicht, welche diesen Gemälde-Cyclus als früh-
stes Werk des Stephan bezeichnet, nicht folgen.
. f
Studieii an Rhein und Mosel. Malerei. 3. Meister Wilhelm etc. 293
seiner Grazie und etwas bestimmter ausgebildet. Die Färbung ist licht
und heiter, der grossen flgurenreichen Kreuzigung im Museum verwandt,
doch entschiedener in den Farben und keineswegs von derselben Hand.
Rother Grund mit Blumen. — Die innern Seiten, gegenwärtig 12 Tafeln,
mit Scenen der Passionsgeschichte. Hier reicht die Kraft des Künstlers
nicht aus; der derbe Naturalismus des Wilhelm in solchen Scenen, die
ideale Würde der Museumsbilder, welche als Jugendarbeiten des Stephan
zu bezeichnen sind, fehlen; die Gestalten der lebhaft Bewegten sind sehr
ungeschickt. Gleichwohl erscheinen auch hier frisch naturalistische Köpfe,
in andern Fällen Adel und Würde; und überall ist jenes Färbungsprincip
eingehalten, Goldgrund. ,
Ebendaselbst. — Drei Tafeln, einem Flügelaltar angehörig. Linker
Flügel; Kreuztragüng; Mittelbild: Kreuzigung (mehrere Darstellungen zu
Einer zusammengefasst, links die Entkleidung Christi, rechts die Vorbe-
reitung zur Abnahme und die Grablegung); rechter Flügel: Geisselung.
Sehr interessantes Pendant zu den Jugendbildern Stephans: — ein Schüler
der ältern Richtung, und noch mehr als der Verfertiger des eben be-
sprochenen Cyclus, zu noch kräftigerer Fülle, zu noch wärmerem Schmelz
entwickelt. Einzelne Gesichter von grosser weicher Anmuth, einzelne Ge-
stalten grossartig und kräftig gewandet; dabei aber fehlt hier noch ungleich
mehr die Idealität des 'Stephan. — Zwei Bilder, wohl die Aussenseiten
desselben Altares, Himmelfahrt und'pfingstfest darstellend, sind ganz von
derselben Art.
Köln. Museum. — Angebliche Jugendbilder des Meister Stephan:
1) Geisselung, 2) Grablegung Christi (jedes 3 Fuss 2 Zoll hoch, 2 Fuss
478 Zoll breit), von Wallraff durch Tausch von den Boisser^e's erworben
und sammt einer bedeutenden Anzahl anderer Tafeln der ehemals Boisse-
röe'schen Sammlung aus Heisterbach stammend, wo sie insgesammt, nach
Herrn Moslers Angabe, einem Altarwerke angehörten. Dem Stephan, wie
man ihn sich in seiner jungen Zeit denken kann, und namentlich dem
folgenden Bilde der heiligen Ursula sehr nahe stehend, eigentlich so, dass
der Unterschied nur in einem geringeren Grade von Geist und Schönheitssinn
beruht. Das vorzüglichere Bild ist das erste; die Köpfe sind edel in idealer
Weichheit gehalten, aber, was allerdings sehr auffällig ist, ohne tieferen
Ausdruck, weder von Seiten der Schergen, noch von Seiten des Erlösers.
Nur der eine Profllkopf eines Schergen hat durch eine knollige Nase
etwas Charakteristisches, dasselbe Profil hat aber auch der Johannes auf
dem zweiten Bilde. So fehlt auch auf dem letztern der Ausdruck. Die
Modellirung der Köpfe ist weich geschmolzen, doch sind die Detailformen
dabei vielleicht zu schwer geworden. Die Carnation hat ungefähr noch
die Stimmung der heiligen Ursula. Die Composifion ist in beiden Bildern
einfach; die Gestaltung zeigt einen höheren Entwickelnngsgrad als Meister
Wilhelm besitzt; so auch das Allgemeine des Colorits , das aus denselben
Grundprincipien hervorgegangen ist. Die Grablegung ist das minder be-
deutende Bild; der Styl des weissen Gewandes, in das der Leichnam des
Erlösers eingewickelt, ist eines Stephan nicht eben würdig.
Ebendaselbst. Die heilige Ursula. 5 Fuss Zoll hoch, 3 Fuss
IOV4 Zoll breit (rheinländisch). In feierlich ruhiger Stellung, mit ausge-
breiteten Armen, in der einen Hand einen Pfeil, in der andern einen
Palmenzweig haltend. Ihr Mantel fällt breit nieder und dient vieren von
ihren Jungfrauen, die in kleinem Maassstabe dargestellt sind, zum schützen-
'294 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
der, aus der Schule des Meister Wilhelm hervorgegangen j sich eben selb-
ständig'zu äussern beginnt; es liegt noch die Wilhelm'sche Körperfassung
zu Grunde, aber sie ist bereits aufs Schönste stylistisch abgemessen. Die
Färbung ist einfach, in den Gewändern der Ursula die gewöhnliche grüne
Farbe vorherrschend. Die Einfachheit der Färbung und eine gewisse Breite
und Räschhei^ der Ausführung erklären sich scheinbar dadurch, dass das-
Bild wohl nur Aussenseite eines Flügels war. Die Köpfe sind ganz im
lieblichsten Farbenschmelz hingehaucht, der besonders bei den vier Mädchen
äusserst zart ist, obschon leicht gearbeitet. Ueberhaupt zeigt sich ein
durchaus ideales, und zwar glücklich ideales Bestreben in den Köpfen.
Die tiefsinnige Anmuth, die sich hierin ankündigt, die hohe Grazie und
Lieblichkeit, die ganze Behandlungsweise passt hier meines Erachtens auf
keinen andern als auf Meister Stephan, sofern man von Meisterbildern
auf Jugendbilder überhaupt einen Schluss machen darf. Mit den oben
genannten Passionsbildern stimmt das Gemälde nicht ganz-, jene sind
schon ungleich pastoser und gehören einer mehr vorgerückten Künst-
lerhand an. Der Grund des Bildes ist Erde und Himmel, nicht Gold.
Der Heiligenschein ist golden, mit schwarzen Rändern, während die Scheine
der eben genannten Bilder mit plastischen Rändern versehen sind. Leider
ist das Gemälde (1841) höchst verwahrlost, Vieles abgestossen und abge-
scheuert, wodurch auch das Gesicht der Ursula mehrfach gelitten hat.,
Köln. Dom. — Das in der Agneskapelle befindliche, ausschliesslich
sogenannte Dombild von Meister Stephan, mit der Anbetung der Kö-
nige und den andern Stadtpatronen auf seinen inneren, und der Verkün-
digung Maria auf den äusseren Seiten. (Ich setze die Composition dieses
Hauptwerkes der kölnischen Schule als völlig bekannt voraus und gebe
im Folgenden meine Notizen, wie ich sie zu Anfang und am Schlüsse des
i- ttj Kölner Aufenthalts niedergeschrieben.)
(Erste Notiz.) Auffallend ist das ungemein Vertriebene, schier
; ^ Wachsartige, in der Behandlung der Carnation, wobei eine gewisse con-
^ ' ventionell grauliche Farbenstimmung (z. B. in den Schatten, mit leisem
'' Anflug von Roth auf den Wangen u. s. w.3 durchgeht. Die ganze Model-
% lirung hat noch etwas Conventionelles, was an sich allerdings noch das
'i ^ Princip des germanischen Styles vorwalten lässt". Dies Alles gilt vor-
i: j nehmlich von den weiblichen Köpfen, bei denen eine gewisse ideale An-
i muth fast zu typisch wiederkehrt. In den männlichen Köpfen aber, und
I besonders in den älteren, zeigt sich eine trefflich lebenvolle Naturalistik,
I , die es auch, wie bei dem knieenden ältesten Königej, bereits zu einer
^ , glücklich naturwahren Behandlung bringt. Bei jugendlich männlichen
Köpfen ist eine warme Carnation vorherrschend. Das Christkind hat eine
i} ; schon sehr edle, zart durchgebildete Formenfülle, die eigentlich wenig
mehr zu wünschen übrig lässt. Ueberhaupt zeigt sicli ein lebendiges kör-
perliches Gefühl (obgleich der schmale Abfall der Schultern noch charak-
teristisch bleibt); denigemäss ist auch die Gewandung schon freier geord-
^^ ; net, wobei die germanischen Rerainiscenzen bereits gegen Eyck'sche Falten-
'ff |i brüche zurückzutreten beginnen. Alles Detail des Kostüines ist mit täu-
I ' sehender Naturtreue, zum Theil ganz in der Weise der Eycks gemalt, z. B. die
spiegelnden Rüstungen. \Die Farbenpracht finde ich nicht eben bedeutend,
^ , was aber den Schicksalen des Bildes zuzuschreiben sein mag. Die Go-
i ' sammtwirkung freilich ist im höchsten Grade mächtig. Alles dies gilt,
i I den Baldachin. Die ganze Zeichnimg scheint einen Künstler anzudeuten,
i
Studieii an Rhein und Mosel. Malerei. 3. Meister Wilhelm etc. 295
wie vom Innern, so auch vom Aeussern; nur ist hier das Colorit mono-
clsromer. Hier ist der Kopf der Madonna das Höchste von kölnischem
Li<ibreiz. ^ ♦
(Zvireite Notiz.) Das Dombild hat jedenfalls durch Abwaschen und
Restauriren so gelitten, dass man nur noch über Theile geuflgend urthei-
len kann. — Der Flügel der Ursula erscheint am Kiiidlichsten. Hier ist
viel Verwandtes mit dem Museumsbilde der Ursula, nur sind die Köpfe
rundlicher, das Colorit heller perlmutterartig. Das kindlich Naive all der
artigen Mädchenköpfe, die immer eins hinter dem andern iu rundlicher,
Freundlichkeit hervorschauen, erscheint aber doch stark spielend.. Von
dem rothen Gewände der h. Ursula ist fast nur noch die üntermalung
vorhanden. — In dem andern Flügel erscheint schon mehr Ernst, grössere
Strenge in den Farbentönen, auch mehr Naturalistisches im Kostüm. —-
Im Mittelbilde herrscht am Meisten Freiheit, auch was den Vortrag betrifft.
Der Kopf des alten knieenden Königs (an dem zugleich die Hände vor-
vortrefflich sind) ist ganz herrlich und ausdrucksvoll naturalistisch; aber
er ist so abgewaschen, dass man grossentheils nur noch den Schimmer
sieht, der auf der Untermalung liegt. So dürfte auch der Idealkopf der
Maria sehr gelitten haben. — Meine Wonne bleibt immer der Madonnen-
kopf auf der Aussenseite, wo ^die Kindlichkeit des Meisters zur reinsten
Classicität durchgebildet erscheint.
Was die Zeit der A.usführung^des Dombildes betrifft, so sind die auf
dem Fussboden der äusseren Darstellung zerstreut enthaltenen'"Chiffern,
aus denen man die Jahrzahl 1410 herausgelesen hat, während sie andrer-
seits als der etwaige Künstlername M. Nox gelesen sind, in ihrer Stellung,
Beschaffenheit, Dimension u. s. w. allzu problematisch, um darauf noch
ferner begründete Schlussfolgen zu bauen. Dagegen ist bekannt, dass das
Dombild sich bis auf die neuere Zeit über dem Altar der Rathhauskapelle
befand, und dass diese erst, nachdem die Juden aus der Stadt Köln im
J. 1425 vertrieben waren, an der Stelle ihrer Synagoge gebaut ward.- Die
Voraussetzung liegt auf der Hand, dass das Altarbild eben erst für diesen
Zweck, also erst nach gefasstem Beschluss zur Erbauung der Kapelle, ge-
malt wurde (womit eben auch die ganze künstlerische Beschaireuheit, z. B.
in Vergleich mit den dafirten Kölner Sculpturen, ungleich besser stimmt,
als mit jener früheren Jahrzahlj; wenigstens müsste die Annahme des
Gegentheils, dass das Bild schon früher vorhanden gewesen, einen ganz
bestimmten Beweis erfordern, wie solcher nicht vorliegt. Das erheblichste
Gewicht aber erhält jene Voraussetzung durch nähere Einsicht der noch
vorhandenen Urkunde über den Bau der Kapelle und die Stiftung des
Altares derselben. Die Sache erscheint hierin als Gegenstand einer, das
Gemüth der Väter der Stadt so tief erfüllenden Sorge, dass damit die Be-
schaffung eines Altarschmuckes, in dem das Höchste enthalten war, was
die Heimat an künstlerischer Vollendung zu liefern vermochte, nur im
Einklang steht. Ich lasse die Urkunde, nach der Abschrift, welche ich
der Güte des Herrn Obersekretair Fuchs zu Köln verdanke, folgen.
(Rathhaus-Kapelle betr. — Hauptarchiv Caps blaw T. Nr, i.
„In name der heiiger dryveldicheit amen. Kunt sy allen Lüden die
desen untgenwerdigen brieff sollen sien off hoeren leisen, dat wir Burger-
meister Hait ind ander Bürger der heiJger Stat van Coelne up cyne syde,
! Ä
296 Kheinreise, 1841, Zweiter Abscliiiitt.
Ind ich Johanes hyndale zerzyt pastoir der kirspelskirchen zo sent Lauren-
tius in Coelne, up die ander syde, zo loyve ind zo efen dem almeichtigen
goide ind synre werder moider der Iftjenicklicher Juncfrauwen Marien,
umb zo verstoeren die maenchfeldige groisse unere, as die Jueden unser
liever vrauwen, ind yrme lieven kynde ihu xpo unsme hren maench Jare
her die wyle sy zo Coelne in unser Stat woenhaftich wairen, angedain
ind bewyst haint, Sunderlingen in der Jueden scholen untgaen unser
Steide Raithuyse, Die wir Burgermeister ind ßait der Stat Coelne vurss,
betirmpt ind wille hain doin zo machen zo eynre Capellen, Ind darin
eynen altare laissen setzen, Da up dat man vur sulchen untzucht ind ver-
smenis as unsme lieven h'ren goide ind synre zarter moider marien, die
wyle dat eyne Jueden schole was lange zyt her bewyst is. Ind nu vortan
alle ere ind Reverentie bieden sali, Bekentlich syn, Dat wir herumb un-
dereyanden oeverkomen ind eyns worden, deser punte ind articule herna
geschr. Dat is also zo verstain, dat man as balde die Capelle Yurss ge-
macht ind der altare darin gesät is, alle dage vortan da yne missen halden
mach, uyssgescheiden bynen der zyt die wyle dat die homisse zo sent
laurentius wert. Ind weulden wir Burgermeister ind Rait eynche missen
gedain hain bynen der homissen, dat sali mit willen des pastores zerzyt
geschien. Ind wilch priester dit regieren sali, de sali geloyve dat also zo
halden as vurgeschreven steit. Vortme were sache, dat man namails eyn-
chep altaire me in die Capellen machen weulde, dat mach ouch geschien
mit wist ind Consent eyns pastoirs zerzyt zo sent laurentius vurss, Mer
so wat vür off na in die Capelle geoffert, zogevoegt olF darin gegeven
wirt, dat sali alleyne der Capellen blyven, off so weym wir Burgermeister
ind Rait zerzyt dat beveilcnde w'de off bevoilen hetten. Ind da an en
sali eyn pastoir sent Laurentius geyn reicht noch dell haven, vurder dan
wir Burgermeister ind Rait der Stat Coelne vurss, sollen desem vurss hn
Johane hyndale nu zerzyt pastoir van nu vort an van der zyt dat man
yerste misse deit in der Capellen, ind die gewyet is alle Jaire as lange
as he pastoir is zo sent Laurentius vurss, vur syn reicht doin geven ind
leveren Tzweilff mark unser Steide paymentz zerzyt der betzalingen bynen
unser Stat genge ind geve up unser Steide Rentkameren, dat he da heyren
ind voeren sali yecklichs Jairs zo zwen termynen, halff up dat hogetzyde
kirmissen ind die ander helfte zo sent Johanns missen baptisten zo mitz-
somer, off bynen vier wechen na yeckligem der vurss termyne neest vol-
gende unbevangen Sunder alreku'ne argelist ind geverde. lud deser Sa-
chen zo eyme urkunde der wairheit ind gantzer memorien ind gedecht-
nisse So hain wir Burgermeister ind Rait der Stat van ^^oelne vurss unser
Steide Ingesegel ad causas vur uns ind unse nakoemlinge Ind ich Johanes
hyndale pastoir zo sent Laurentius vurss mynre kirchen Ingesegel vur
mich an desen brieir doin hangen mit unser reichter wisjt ind guden willen.
Datum anno domini millesimo quadringentesimo vicesimo sexto. In vigi-
lia nativitatis beati Johannis Baptiste."
i
n
-t; I
Köln. Bei Hrn. v. Herwegh '). — Das berühmte kleine Bild von
Meister Stephan, Madonna in einer Laube, von Engelchen umgeben. Das
Bild schliesst sich aufs Entschiedenste dem Dombilde an; was dort für die
grossen Verhältnisse vielleicht massiger behandelt, was durch Restauration
und andre Veranlassung verdorben ist, das sieht man hier in zartester
Jetzt im Museum befindlich.
-ocr page 296-*
; -5 ' Studien an Khein uud Mosel. Malerei. 3. Meister Wilhelm etc. 297
; ■ Ausbildung rein erhalten. Das Bild ist nur durch einen Riss von oben
; ; nach unten beschädigt "und hier allerdings ausgebessert; dann hat es viele
i j Sprünge in der Farbe (wie gewöhnlich die alten Bilder), und an deren
' ; Rändern ist die Farbe etwas abgerieben. Alles dies jedoch sind durchaus
: nicht wesentliche Mängel, auch erscheint das Bild in allem Uebrigen noch
wesentlich ursprünglich und intact. In hoher Idealität sitzt die Madonna
■ da, in ihrer Körperlichkeit ganz der Königin des Dombildes vergleichbar,
ebenso mit der Krone geschmückt, der Mantel mit reicher Agraffe zusam-
mengehalten (die indess nicht die Eyck'sche Illusion beabsichtigt, wie be-
; J merkt worden; es ist Gold mit schwarzlinigem Ornament und einigen ge-
malten Perlen); ihr Gewand legt sich unten in würdig gebrochenen Falten;
ihr Gesicht hat reinere Plastik wie das der Domkönigin (oder es ist diese
Plastik reiner erhalten). Das Kind, heiterer und naiver wie das im Dome,
ist im Oberkörper ebenso anmuthig und edel gebildet, in der unteren
Hälfte (die aber auch etwas durch den Riss gelitten hat) weniger vorzüg-
lich. In den Engeln ist, in Geberden und Gesichtern ■— in der Art, wie
sie dem Christkinde ihre Gaben darreichen, wie sie es anblicken u. s. w. —
der Ausdruck holdseliger Kindlichkeit und dabei zugleich eine Tiefe und
Innigkeit, die im allerhöchsten Grade anziehen. Das Colorit ist äusserst
f; klar und zart; in den Gewändern bestimmt und entschieden, — heiter
j ausgesprochene Farben, die mit leisen üebergängen in die, ebenso klar
; gehaltenen Schatten übergehen. So ist auch die Carnation durchaus-licht
und ideal, in einem eignen Perlenschimmer, durchgebildet. Naturalistisches
liegt hier überhaupt nicht im Bestreben des Meisters; dergleichen kommt
; etwa nur als Dekoration hinzu; so sind z. B. auch die Gräser und Blümchen
des Bodens ziemlich steif gehalten. Das Bildchen ist geradehin als die
Perle des Meisters zu bezeichnen, scheint aber wegen der geringeren Na-
turalistik", auch der etwas geringeren Durchbildung (des Christkindes),
sowie wegen der geringeren Neigung zu Eyck'schen Manieren etwas früher
; als das Dombild. Auf dem Boden reinster, kindlich unschuldiger Ge-
müthsstimmung entwickelt sich hier doch eine ahnungsvolle Tiefe der
Empfindung, eine klare Innigkeit des Gefühles, die den Meister Stephan
ä dem Fiesole gegenüberstellen lässt, wie ein deutsch unbefangenes Gemüth
^^ einem italienisch religiösen Schwärmer gegenüberstehen kann.
Köln. Museum. — Dem Meister Stephan verwandt: zwei nicht
grosse Flügelbilder, auf jedem drei Heilige. 1) Ein heil. Bischof mit dem
Kreuzstabe (zu dessen Füssen, klein, der knieende Donator), eine weib-
liche Heilige mit Buch und Palme und der h. Augustinus (mit einem
y von einem Pfeil durchstochenen Herzen.) 2) Der h. Marcus mit seinem
Symbol, die h. Ursula, der h. Lucas, der ein gemaltes Madonnenbildchen
L - in der Hand und ein Schreibzeug am Gürtel trägt, mit seinem Symbol. —
I Wiederum wohl ein besondrer Schüler des Meister Wilhelm, wie etwa die
;; kleinen Aermchen der weiblichen Heiligen andeuten dürften; sonst aber
; in Gestaltung und Behandlung unter Einfluss des Meister Stephan, dabei
■ durch etwas bedeutsam Statuarisches in Haltung und Gewandung ausge-
I zeichnet. Das Colorit etwa dem Stephan parallel, doch schwächer und
■ ^ ohne seine Intensität;,so auch die Köpfe an sich minder bedeutend, flacher
7 uud ohne seine Grazie. Etwa dem folgenden Bilde vergleichbar, doch
"i unter demselben stehend, — möglicher Weise ein früheres Bild des Mei-
I sters, der jenes gefertigt.
-ocr page 297-'298 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Köln. Bei dem Maler Bürwenich^). — Mittolgrosses Bild alt-
kölnisclier Schule: Crucifixus; links Katharina, Magdalena, Maria; rechts
Johannes, Dorothea, Christophorus (dieser in stattlich burgundischem Ko-
stüm.') Auf Goldgrund. Gutes Gemälde im Charakter des Dombildmei-
sters und ihm nahe, doch nicht von ihm selbst. Edel, grossartig und in
schönen Linien. Die Magdalena ganz wie auf dem, dem Stephan zuge-
schriebenen Flügelbilde in München. Im Wesentlichen leidlich erhalten,
doch wohl stark überputzt; das Gewand der Magdalena hat gelitten. Die
Nasenflügel eigen schwer, doch nicht auffallend.
Köln. Museum. — Drei nicht bedeutende Bilder von gleicher Di-
mension, eine freie, aber sehr untergeordnete Nachahmung der drei inneren
Tafeln des Dombildes enthaltend. Nicht viel später als das Letztere.
Köln. Sammlung des verstorbenen Dr. Kerp. — Kleines Bild
mit der sitzenden Madonna, neben ihr das sitzende Christkind. Nachfolge
des Meister Stephan und recht interessant. Die Madonna in Kleid und
Mantel von Graulila-Farbe; schöne, grossartige Gewandung. Das Gesicht
aber ohne die Lieblichkeit des Stephan, die Nase eigen lang; grossmächtige
Krone im Goldgrund %
Köln. Museum. — Das dem Meister Stephan zugeschriebene Jüngste
Gericht, früher in einer Vorhalle (Passage) der Kirche St. Lorenz zu Köln
befindlich. 3 Fuss lO'/g Zoll hoch, 5 Fuss 6V4 Zoll breit. Goldgrund. —
In der Mitte, oberwärts, auf dem Regenbogen, thront der Weltenrichter;
zu seinen Seiten Maria und der Täufer Johannes. Dies sind die einzig
grösseren Figuren des Bildes, alle übrigen sind von kleiner Dimension.
Um Christus her flattern eine Menge von Engeln (im Style des Stephan,
mit Flügeln), von denen zwei, unterwärts, die Posaunen blasen, eine grosse
Anzahl mit Passionsinstrumenten, rechts einige mit den Teufeln über der
Hölle kämpfend. Der grössere Theil des Raumes unterwärts Avird^durch
die Teufelsscenen eingenommen. Zwischen den Erderhöhungen, auf denen
Maria und Johannes knieen, öffnet sich eine Schlucht, durch welche eine
grosse gedrängte Schaar von Nackten, mit nlannigfaltigem, orientalischem
Kopfputz, von Teufeln mit einer Kette umschlossen und so der Hölle ent-
gegengezogen wird. Vorn in der Mitte die aus ihren Gräbern Auferste-
henden, die meist sämmtlich von Teufeln in Empfang genommen werden.
Rechts die Hölle selbst, wo wiederum eine Schaar Nackter, geistliche
Würdenträger, Weiber u. s. w. dem Satanas entgegengepeitscht werden;
darüber Flammengebäude der Hölle, wie Einige gemartert werden. Links
das Thor des Paradieses, brillant gothisch. Singende Engel auf den Zin-
nen, musicirende bei Petrus, der die grosse Schaar der nackten Seligen,
die wiederum von Engeln geführt und gegen die Teufel vertheidigt wer-
den, in Empfang nimmt. Zu bemerken, dass unter den Seligen viele
Weiber, unter den Verdammten aber nur wenige. — Der Meister ist etwa
ein Zeitgenoss des Stephan, oder doch nur wenig jünger; auch wohl unter
seinem Einfluss, — gegen Stephan selbst aber streitet Alles. Die hohe
Idealität, die Klarheit, Ruhe und Milde des Gemüthes, das zarte, tief
Seitdem ioi Handel. — In derselben Sammlung 'befindet sich ein
Miniaturgemälde mit der Darstellung von acht weiblichen Heiligen, welches nach
Passavaut's Angabe (Kunstreise durch England und Belgien, S. 416) der Weise
des Meister Stephan sehr nahe stehen soll. Ich habe dies Letztere nicht lin-
den, überhaupt in der Arbeit keine sonderliche Bedeutung erketmen können.
Studieii an Rhein und Mosel. Malerei. 3. Meister Wilhelm etc. 299
innige Gefühl, was ihn auszeichnet, fehlen hier mehr oder weniger ganz;;
statt dessen tritt abenteuerliche Laune, phantastisch barockes Streben, ein
absichtlich realistisches Studium hervor. Das ganze Colorit ist schwerer
und strenger; die Farben, besonders die der drei Hauptfiguren, sind in
starken, dunkeln Tönen gehalten. Der Christuskopf erinnert noch am mei-
sten an,Stephan, ist aber auch viel zu schwer und entbehrt der Tiefe des
Ausdrucks. Der Madonnenkopf hat langgereckte unsch()ne Formen und
ist schwer und hart in der Farbe. Das Nackte all der Figuren ist mit
grosser Sorgfalt und schon bis auf einen ganz beachtenswerthen Grad von
Vollendung durchgebildet; es besteht übrigens, was die Farbe anbetrifft,
aus gan^ einfachem, lichterem oder dunkler röthlichena Lokaltone mit grau-
lichen Schatten und hellen Glanzlfchtern. Das Entsetzen und der Graus
in Gesichtern und Geberden der Verdammten ist kräftig, mehr oder we-
niger grell, ausgedrückt. In den Gestaltungen der Teufel macht sich alle
mögliche phantastische Laune geltend , eines H. Bosch würdig und ihm
sehr verwandt, im Einzelnen auf sehr glückliche Weise. In der Bestialität
der Teufel, in der mannigfaltigen Weise, wie sie die Verdammten quälen,
ist viel eigenthümliche Laune. Das Schwächste sind die Seligen, in deren
Darstellung sich doch gerade Meister Stephan in seiner Grösse zeigen
musste; es sind allerlei schlicht kindliche Köpfe, zwar in Stephans Weise,
aber ohne seine hinreissende Anmuth. So kosen die Engel mit ihnen auf
einfachste, kindlich naive Weise; und gleich diesen sind auch die rausici-
renden Engel sehr weit von dem überaus grossen Liebreiz der Engel des
Herwegh'schen Bildes entfernt.
Die ehemaligen Flügelbilder dieses Gemäldes, die sich gegenwärtig im
Städel'schen Institut zu Frankfurt a. M. befinden, ergeben völlig dasselbe
Resultat. Vergl. unten über sie das Nähere.
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Ein Reihenfolge kleiner, unbedeuten-
der Bilder auf Leinwand aus dem Leben Christi. Von einem Nachfolger
des Stephan.
Köln. Bei Hrn. Essingh, —- Einige ältere deutsche Bilder: u. a.
ein Paar Heiligenbildchen, von einem Schüler des Meister Stephan; nicht
bedeutend.
Köln. St. Gereon..— Auf die Flügel der Thür an der Westseite
(in der Vorhalle vor dem Decagon) ist die Verkündigung gemalt, von
einem Nachfolger des Meister Stephan. GrÖsstentheils erloschen.
Köjn. St. Ursula. — Grosse Reihenfolge von Gemälden aus der
Legende der h. Ursula, von einem Nachfolger des Meister Stephan. Naiv
und kindlich componirt, doch mit ganz artigem Sinn. Ganz allerliebst
machen sich die hübschen, runden kölnischen Gesichtchen. Einzelnes ist
recht trefflich und augenscheinliche Nachahmung des Dorabildes. Nur die
Farbe ist meist etwas schwer (falls hier nicht eine Renovation des 18teu
Jahrhunderts das Ihrige hinzugethan hat.) Die Land schäftchen in dea.
Gründen sind zum Theil ganz allerliebst im Charakter der Eyck'schen
Schule.
Köln. Museum. — Kleines Altärchen mit Flügeln, das der ersten
Hälfte oder der Mitte des 15. Jahrhunderts, doch vielleicht nicht der Kölner
Schule angehören dürfte, obgleich sich einzelnes mit der letzteren Ueber-
cinstimmende findet. Mittelbild: Maria unter dem Kreuze sitzend^ neben
ihr Johannes, der den Kopf des Heilandes hält, während die Füsse von
der kniecndon Magdalena gehalten werden. Vorn kniet der kleine Dona-
m
-ocr page 299-w
300 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
tor, ein Geistlicher mit dem Spruchband: „0 maria: fac me vere tecum
flere." Zu den Seiten des Kreuzes schweben klagende Engel. Maria (auch
Johannes) in eigenthümlicher Grossheit und Feierlichkeit. — Auf den
Flügeln: links die Verkündigung und darunter die Geburt Christi, rechts
die Himmelfahrt der Maria und darunter ihr Tod. In den Flügelbildern
ist etwas mehr als im Mittelbilde das germanische Element festgehalten,
das aber fast giottistisch, zum Theil in eigner Grossartigkeit ausgebildet ist.
Dabei ist die Linienführung weich, zwar schon ins eckig Gebrochene
übergehend, doch noch nicht manierirt. In den Köpfen herrschen weiche
rundliche Formen vor, hin und wieder nait naturalistischer Neigung, aber
auch hierin eigenthümlich grossartig. Die Farben sind voll und kräftig,
üeberhaupt ist das Altärchen höchst bedeutend und gewiss eins der merk-
würdigsten "Werke der Zeit. Ich möchte es in manchem Bezüge fast mit
Taddeo di Bartolo vergleichen. — Auf den Aussenseiten der Flügel ist die
Kreuzigung in -mehreren Momenten dargestellt. Derselbe Styl, aber be-
trächtlich verdorben.
Köln. Sammlung des verstorbenen Dr. Kerp. — Madonna mit
dem Kinde, nur Brustbild, vielleicht Fragment eines grösseren Bildes. Sehr
«'schöner und durchgebildete!- Kopf, in den Hauptformen wieder Reminlscenz
an Meister Stephan, doch energischer und wohl mehr flandrisch in der
Farben Das Bild scheint mir, trotz des bedeutend grösseren Maassstabes,
völlig entschieden dem Meister des ebengenannten Altärchens im Museum
anzugehören. Hier erscheint, obgleich das Bild gewiss rein deutsch ist,
die Verwandtschaft mit Taddeo di Bartolo noch viel deutlicher. Das Kind
ist klein, scharf, nüchtern und unschön. Darin zeigt sich schon Verwandt-
schaft mit dem sogenannten Lucas v. Leyden und all den hässlichen Kin-
dermalern.
Münstereiffel. Pfarrkirche. — In der Krypta, in einem beson-
dern Gitter, ein grosser Kasten, der den (modernen) Beliquienkasten der
hh. Chrysanthus und Daria, der Schutzpatronen der Kirche, einschliesst.
Auf den eisernen Vorderseiten dieses Kastens (den Thüren) sieht man
aussen und innen die beiden genannten Heiligen gemalt, auf Goldgrund,
sehr handwerksmässig, aus der Zeit um 1450, im damaligen kölnischen
Uebergangsstyle.
Köln. Museum.— Bild vom J. 1458. Ziemlich gross: Crucifixus mit
• Maria, Johannes und dem knieenden Donator. Auf dem alten Rahmen die In-
schrift: „Wernerus wilmerinck de borcken psbiter maioris et huius eccliarum
canonicus fieri fecit sacristiam de novo suis expensis pro memoria sua.
Anno dni m° cccc" Iviii. Orate pro eo." — Sehr wichtig als Bezeichnung
der Scheide zwischen älterer und späterer kölnischer Schule. Die Grund-
lage in Körper- und Gesichtsbildung, auch manch ein Motiv der Gewan-
dung, ist noch altkölnisch. Doch zeigt sich in der Körperbildung, beson-
ders der des Gekreuzigten, schon viel mehr unbefangene Naturbeobachtung,
auch ist die Gewandung schon ungleicli mehr in dem eckigen Style durch-
gebildet. Die Farbe hat nichts mehr von dem durchsichtigen Schmelz.
Schwarzer Grund.
Köln. St. Andreas. — In einer Kapelle des nördlichen Seiten-
schifts ein Altarbild vom J. 1474: Maria mit dem Kinde als Mutter der
Gnaden, mit zwei Heiligen und vielen Knieenden. Hier ist noch altköl-
H
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel .von Meckenen etc. 301
nisches Element zu bemerken, z. B. in der Haltung der Madonna, doch
ist das Bild in moderner Zeit völlig übermalt.
4. Malerei von der Epoche des sogenannten Israel von Meckenen
bis Bartholomäus de Bruyn. - .
Köln. Bei Hrn. Baumeister (früher in der Lyversberg'schen
Sammlung). — Die „Lyversberg'sche Passion" des sogenannten Israel von
Meckenen. Acht Tafeln mit Darstellungen der Leidensgeschichte Christi,
jede 2 Fuss 11 Zoll hoch und 2 F. l^/^ Z. breit, aus der ehemal. Karthause
zu Köln stammend. Goldgrund; landschaftliche und architektonische Aus-
stattung; mannigfaltiges Kostüm. ^
(Erste Notiz.) Die Tafeln haben mir, was das Ganze betrifft, nicht
sonderlich zusagen wollen. Fürs Erste ist der Meister wohl ziemlich ent-
schieden als Nachfolger des Hemling zu betrachten, aber das gestreckt
Klappartige in den Gestalten tritt bei ihm noch ungleich stärker hervor.
Dann sind die Köpfe der Widersacher doch meist ziemlich plump und
roh. Edlere Naturen jedoch sind meist nobel gebildet und namentlich
ist von dem Christuskopfe die Bemerkung des Katalogs der Lyversberg'-
schen Sammlung richtig, dass der Ausdruck in ihm auf so würdige wie
verschiedenartige Weise durchgebildet sei. Besonders ist der Kopf des
Pilatus in der Scene der Händewaschung durch Würde , Charakter und
momentanen Ausdruck vortreiflich. Der Faltenwurf ist aufs Entschiedenste
eckig geschnitten. Die Farben haben theilweise sehr gelitten; im Ganzen
scheinen sie schon nicht mehr die Tiefe und Zartheit der Eyck'schen Far-
ben zu haben. (Dass das Bild im Berliner Museum, Nr. 1235, von dem-'
selben Meister sei, ist mir nicht entschieden evident.)
(Zweite Notiz.) Die Lyversberg'sche Passion steht auf viel niedrigerer
Stufe, als der Kreuzigungsaltar bei v. Geyr und die Kreuzabnahme imMuseum.
(S. über beide das Folgende.) Die Compositionen sind unbedeutend und
mit Charakterköpfen überfüllt; den Figuren fehlt durchweg alle körper-
liche Kraft und höherer Styl. Das Klappartige ist sehr vorherrschend, die
Gewandung scharf geschnitten, aber doch meist nur oberflächlich angelegt.
Der Farbenton warm kräftig, im Einzelnen selbst bunt. In den Köpfen
fehlt im Allgemeinen der edlere Sinn; die der Widersacher steigern sich
bis zur Karikatur; die-edleren,, die in Dreiviertel-Face genommen sind,
erscheinen auch nicht gerade bedeutend. Vorzüglich sind nur mehrere
Face-Köpfe, wie mehrere des Christus, der Pilatus u. s. w.; in diesen findet
sich auch eine eigenthümlich feine Durchbildung. Im Allgemeinen ist
die Hemling'sche Grundlage sehr entschieden. Man möchte in den Bildern
Die, wie bekannt, irrthümliche Bezeichnung durch den Namen desIsrael
^on Meckenen oder die Benennung des „Meisters der Lyversberg'schen Pas-
sion" für eine Anzahl ausgezeichneter Gemälde des 15. Jahrhunderts kann nur
als Collectiv-Benennung gelten, da hiebet, wenn auch in verwandtem Kreise, er-
heblich verschiedene Richtungen zu unterscheiden sind. Ich gebe im Obigen
meine Notizen, wie ich sie vor einem Theile dieser Bilder, mehrfach nach wie-
derholter vergleichender Betrachtung, niedergeschrieben habe.
'302 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
eiue Schularbeit und im Einzelnen die Theilnahme eines vorzüglichen Mei-
sters vermuthen. ,
(Dritte Notiz.) Die Lyveisb. Passion ist unbedenklich von andrer
Hand als die Bilder bei Zanolt und die Kreuzabnahme im Museum. Eine
Verwandtschaft mit den letzteren zeigen, ausser dem allgemeinsten Formen-
princip, eigentlich nur die besseren Köpfe.
Sinzig. Kirche. — Das grosse A.ltarwerk des sogenannten Israel
von Meckenen.') Das Mittelbild, (mit Einschluss des Rahmens) 7 Fuss
3% Zoll breit, 5 Fuss Zoll hoch (der Rahmen 23/^ Z. breit). Jeder
Flügel halb so breit. — Im Mittelbilde die Kreuzigung, wobei als Haupt-
figuren unter den drei Cruciflxen hervortreten: Petrus, Maria, Johannes
und Andreas, Ausserdem eine Menge grösserer und kleinerer Nebenfigu-
ren. Auf den Seitenbildern links die Himnielfahrt, rechts der Tod der
Maria. (Die Aussenseiten der Flügel waren mit Heiligenfiguren bemalt,
die aber ganz erloschen sind.) Jedenfalls eins' der vorzüglichsten Beispiele
des Meisters; seine ziemlich eckige Weise hier nicht gar übertrieben und
die Figuren doch wenigstens den Hemlings gleich. Die Köpfe, mehrfach zwar
naturalistisch, sind sehr charaktervoll durchgeführt, fein ausgebildet und
' zum Theil mit dem Ausdrucke tiefen innerlichen Gefühles. Die Farbe ist
theilweise in schöner niederländischer Art gehalten, nur die Modellirung
meist sehr scharf. — Das Werk ist im Wesentlichen durchaus intact, weder
I Si' übermalt noch verputzt. Aber es hat, vielleicht durch Feuchtigkeit, inso-
fern sehr gelitten, als die Farbe sich mehrfach von der Leinwand, die
über das Holz gezogen, losgelöst hat und in grösseren und kleineren Stücken
abgefallen ist. Doch ist dieser Schaden wieder insofern nicht ausseror-
dentlich bedeutend, als er meist nur Gewandung u. dergl. betrifl't und das
Verlorne sich aus dem Zuge des Ganzen meist überall sehr leicht errathen
lässt. Nur an wenig Stellen hat dies grössere Schwierigkeiten. Von den
Gesichtern und sonstigem Nackten ist glücklicher Weise nur sehr Weniges
beschädigt; zumeist sind dies nur kleine Stückchen, die abgesprungen.
Linz. Kirche..— Altarwerk des sogenannten Israel von Mecke-
nen, auf der südlichen Empore befindlich, angeblich aus der dortigen
vormaligen Rathskapelle stammend.
(Erste Notiz.) Reich und bedeutend, ebenfalls (wie das Sinziger
Bild) sehr gross. Die Mitteltafel in vier Abtheilungen:
» 1. Geburt Christi. 8. Anbetung der Könige.
' 2. Darstellung im Tempel. 4. Maria und Christus thronend.
Auf dem linken Flügel die Verkündigung Maria, auf dem rechten das
Pfingstfest und darüber (nicht als abgesondertes Bild) die Krönung Matiä.
Alle diese Darstellungen der inneren Seiten auf Goldgrund. —
Das Werk scheint mir noch bedeutender als jenes in Sinzig. Im Ein-
zelnen ist ausserordentliche Anmuth, besonders in den Madonnen. Auf
Nro. 4, das schon an sich gar schön und tief empfunden ist, sind die
musicirenden und singenden Engel zu den Seiten des Thrones überaus
anmuthig. Auf dem Pfingstbild ist die Mannigfaltigkeit der Köpfe und die
f Krönung gar schön. Gewiss einer der besten Nachfolger der Eyck'schen
Schule. ~ Das Werk ist gar nicht so sehr beschädigt,, wie gesagt wird.
Ich sah dies Gemälde früher als die übrigen derselben Collectiv-BeDen-
nnng und noch unbefähigt zum näheren Vergleich mit denselben. . In Bezug auf
die angegebenen Beschädigungen bemerke ich, dass das Bild seitdem restanrirt ist.
Studien an Rliein und Mosfl. Malerei. 4. Israel von Meckenen otc. 303
Durch Pereyra's Restauration ist allerdings Mauclies ganz fortgewascheu,
z. B. das Gewand des Simeon auf Nr. 2, anch lue und da ein andres
Teppichgewandstück; dann macht sich hie und da sein Firniss schlecht;
dann ist über dem Goldgründe Manches, z. B. Haare abgesprungen. Der
Sturz, durch den das Bild verletzt, hat nur eine Spaltung, auf dem rech- '
teil Flügel, und ein Loch im Goldgrunde hervorgebracht. Alles Bedeu-
tende aber ist erhalten, nichts übermalt und das Bild sehr restaurations-
fähig. — Auf den Aussenseiten der Flügel: links die Verkündigung (mit
dem Datum 1468); rechts Christus am Kreuz mit Maria und Johannes,
unten knieend der Donator, Canonicus Tilmann Joel. (Auf einem gothi-
schen vergoldeten Altarkelch der Kirche findet sich die Namens-Inschrift
„Teilmannus Joill".) Der Grund der äusseren Flügelbilder ist Luft und
Landschaft.
(Zweite Notiz, nach näherer Kenntniss der Kölner Bilder
desselben Kreises.) Das Bild verwirrt mir die Reihenfolge ,der Ge-
mälde des sogenannten Israel von Meckenen fast am Meisten, Ich möchte
in demselben eine eigentliümliche Mittelstufe zwischen der Passion und
den Bildern der folgenden Gattung annehmen. An kurz bekleideten Figu-
ren ist wenig in dem Bilde, daher auch im Ganzen wenig von den Yer-
schrobeuheiten derselben; obgleich unter den sitzenden Aposteln des
Pflngstbildes manche Gestalten auch ganz unglücklich ausgefallen sind,
auch hier gerade etwas roh naturalistische Gesichter vorkommen. Sonst
herrscht hier bereits ein gewisser Idealsinn vor, der sich in den herkömm- i
lieh feierlichen Gewandungen und in den Faceköpfen (besonders der Ma-
donna, die fast in Wohlgemuth'schen Formen erscheinen, auch einzelner
älterer Männer) glücklich ausspricht. Einzelne Gesichtsbildungen sind ent-
schieden im Style der Bilder der zweiten Reihenfolge. Die Gewandung
ist scharf, zum Theil in grosser Würde und selbst mit feinerem Verständ-
niss durchgebildet,. — in einzelnen Fällen aber auch (eben bei jenen Apo-
steln) sehr ungeschickt. Das Colorit ist zumeist im Charakter der Bilder
der zweiten Reihe, doch scheint es mir, soweit man bis' jetzt über das
Werk noch urtheilen darf, noch Reminiscenzen an die Passion zu enthal-
len. Die derbe Plastik in einzelnen Köpfen scheint aber zugleich fast
schon an die Grablegung im Kölner Museum zu erinnern.
Ebenfalls in der Kirche von Linz, auf der südl. Empore, zur
Seite des Altares von 1463, ein andres grosses Bild desselben Ateliers (der
Richtung des sog. Israel von Meckenen), gleich dem genannten von Til-
mann Joel gestiftet, dessen Bild darauf vorhanden: Gottvater mit dem
Christusleichnam, Johannes der Täufer, Andreas, Papst Clemens und Flo-
rinus zu den Seiten. Tüchtig, charaktervoll und würdig, nicht so durch-
gebildet,, wie das Gemälde von 1463, doch in den Köpfen auch wohl die
Hand des Meisters. Auf Goldgrund. Die Erhaltung ähnlich wie die
jenes Bildes.
Köln. Bei Hrn. von Geyr (früher in der Lyversberg'schen Samm-
lung). — Kreuzigung des sogenannten Israel von Meckenen. Mittel-
bild, 4 F. % Z. hoch, 4 F? Zoll breit: die drei Crucifixe, siebenFigu-
ren zu Pferde, n—r— vorn Maria und Johannes. Blaue Ferne^ Goldgrund r
Monogramm: n" Auf dem linken Flügel die Verklärung, auf dem i
rechten die VS"^ Auferstehung Cliristi.
-ocr page 303-Rhefnreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
(Erste Notiz.) Die Bilder erscheinen mir bedeutender als die acht
Tafeln der Passion. Es ist in den Gestalten zum Theil eine glücklichere
statuarische Würde, z. B. in der Maria und noch mehr in dem Johannes
unter dem Kreuz; die Behandlung der Gewandung ist nicht so einseitig,
in den Köpfen mehr Gemüth und Gefühl. (Sogar in den Pferdeköpfen
ist etwas Eignes, was ich beinahe geistreich nennen möchte.) Jedenfalls
ein Bild, das ein höheres Stadium der Ausbildung bezeugt; also ein jünge-
res Bild desselben Meisters, oder eines jüngeren derselben Richtung.
(Zweite Notiz.) Wenn das Werk von dem Meister der Grablegung
im Museum (vergl. unten), so ist es doch viel früher. Hier ist noch viel
mehr Flandrisches (Hemling'sches), mehr Gestrecktes, mehr Dürres und
seltsame Wendungen; obgleich diese Bilder auch schon höchst bedeutend
und in den Köpfen tretflich und mit edlem Sinn durchgebildet sind. Die
Farbenstimmung ist ganz ähnlich silberartig. In dem Museumsbilde zeigt
sich überhaupt mehr Energie, und vor Allem in den Köpfen viel mehr
energische Plastik, während hier in den Köpfen eine zarter flandrische
Malerei vortritt.
Cues. Hospital. — Gemälde des sogenannten Israel von Mecke-
nen, ursprünglich der Kapelle des Hospitals angehörig, nachmals verkauft,
von Görres erworben und von demselben, unter dem Beding, dass es die
ursprüngliche Stelle wieder erhalte, zurückgegeben. (Ich sah es zu Düssel-
dorf in der Restauration, die durch den dortigen Kunstverein veranlasst
war.) — Eine bedeutend figurenreiche Kreuzigung. Auf den Flügeln die
Dornenkrönung und Grablegung; auf den höheren Ecktheilen, welche die
erhöhte Mitte des Mittelbildes decken, S. Nicolaus und Petrus. Auf den
Aussenseiten der Flügel zweimal drei Heilige und auf den Ecktheilen zwei
Propheten. — Die inneren Bilder haben Landschaften und Goldgrund.
Auf dem Mittelbilde sind der Kardinal Cusanus und sein Kaplan, knieeud,
der Kardinal (geb. 1401, gest. 1464) im höheren Alter und mit spärlich
weissen Haaren, angebracht; daneben sein Wappen (ein Krebs). Es ist
ein sehr treffliches Werk des Meisters der zweiten Reihe und scheint be-
sonders der ehemals Lyversberg'schen Kreuzigung nahe zu stehen. Geist-
voll zart durchgebildete Köpfe, und wieder jene quasi-geistreichen Pferde-
köpfe- — Die Aussenseiten wohl nur Schülerarbeit, doch tüchtig, aber
stark übermalt.
Köln. Gemäldesammlung des Hrn. Zanoli. — "Von dem soge-
nannten Israel von Meckenen: Madonna mit dem Kinde und dem h.
Bernhard, halbe Figuren, dem Bilde des Berliner Museums (Nr. 1235) sehr
ähnlich, der Madonnenkopf höchst anmuthig Die Composition ganz artig:
das Kind sitzt vorn auf einer Art Brüstung und reicht lächelnd zur Mutter
empor, die ihm die Brust zu geben im Begriff ist, während Bernhard seine
Hand liebkosend auf die Füsschen des Kindes legt.
Ebendaselbst. — Von dem sogenannten Israel von Meckenen:
^Besuch der Maria bei der Elisabeth, ganze Figuren, schön componirt, die
Gesichter voll tiefer stiller Anmuth; in der etwas strengen Weise des Mei-
sters. Dem Berliner Bilde ebenfalls entsprechend und ein vorzügliches
Exemplar des Meisters. — Die ehemalige Rückseite des Bildes: Eine ste-
hende Madonna mit zwei weiblichen Heiligen. Viel mehr untergeordnet
und gewiss nur von Schülerhand. Die Köpfe stark restaurirt.
Ebendaselbst. — Von dem sogenannten Israel von Meckenen:
Johannes der Täufer, stehende Figur; trefflicher Kopf, treffliche volle,
304
'Mm
't (
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel .von Meckenen etc. 305
intensive Färbung. Der Ly.versberg'sehen Passion nahe stehend, doch wie
es scheint, etwas bedeutender in dem Allgemeinen der Körperlichkeit.
Köln. Sammlung des Verstorbenen Dr. Kerp. — Von dem
sogenannten Israel von Meckenen, und zwar entschieden von demsel-
ben Meister, von dem das Berliner Bild und die Madonna bei Zanoli
herrühren: Zwei Flügelbilder, die h. Katharina und die h. Barbara, stehend
und trefflich statuarisch, mit zaiilreichen, dort männlichen, hier weiblichen
Donatoren. Die letzteren sind entschieden dieselben Personen, welche auf
dem Berliner Bilde erscheinen, nur dass hier viel mehr und jüngere Glie-
der der Familie mit aufgenommen sind. Vielleicht ist dies Bild nicht
ganz so zart ausgeführt wie jenes.
Köln. Museum. — Die Kreuzabnahme des sogenannten Israel von
Meckenen, vom J. 1480. — Inschrift des Rahmens: „Anno dnT m^cccc"
octuagesimo nona die mensis novembris venerabilis dominus magister
gerardus de monte artiuni^ magister ac sacrae theologiae eximius professor
.... creatori reddidit .... annis qüadraginta duobus rexit in facultate theo-
logica insignis universitatis coloniensis" etc.
(Erste Notiz.) Das Bild ist unbedenklich eins der allerausgezeich-'
netsten in dieser Art. Schon die Composition ist vortrefflich. In der
Mitte steht das Kreuz, vor dem Maria, dem Beschauer entgegengewandt,
zusammenzusinken im Begriff ist und von Johannes gehalten wird. Joseph
von Arimathia und Nicodemus tragen etwas weiter nach vorn den Christus-
leichnam, diagonal nach der Tiefe des Bildes zu, so dass rechts Jacobus
major hinter der Gruppe, links'Andreas vor derselben steht; vor Andreas
kniet, kleiner, der Gerhardus und. fasst die herabhängende Hand des Er-
lösers. Der Styl der Zeichnung ist streng und geschnitten, doch ein gutes
Gefühl in den Gestalten (das gar zu Klappartige ^wird kaum bemerklich).
Die Gewandung ist würdig geführt, besonders bei Maria und Johannes.
Die Färbung ist etwas trocken, doch harmonisch. Die Köpfe sind, bei
strenger Behandlung und scharfer Naturbeobachtung, durchaus edel, der
der Maria selbst voll zarter Schönheit; sie sind höchst meisterhaft durch-
gebildet und voll eines tiefen, aber rührend in sich zurückgehaltenen Aus-
druckes. Das Nackte des Leichnams ist mit Verständniss gegeben, obwohl
noch herb. Der Meister des Bildes steht durchaus auf der Höhe seiner
Kunst und verräth nicht im Mindesten Altersschwäche. Guter landschaft-
licher Hintergrund, im Charakter Heniling's; statt der Luft Goldgrund.
(Zweite Notiz.) Es ist möglich, dass die Kreuzabnahme von dem
Meister der Bilder bei Zanoli gemalt ist. Dann aber ist es ein bedeuten-
der Fortschritt, indem in den Gesichtern, was die Theile derselben anbe-
trifft, eine sehr kräftige (obschon zart empfundene), fast ans Mailändische
streifende Fülle der Formen sichtbar wird. Ich möchte sagen, die andern
Bilder und dies verhalten sich wie weibliches und männliches Princip.
Sonst allerdings grosse Verwandtschaft. (Die Lyversberg'sche Passion aber
ist ohne Zweifel von andrer Hand; dort sind eigentlich nur,; ausser dem
allgemeinsten Formen-Princip, die besseren Köpfe mit denen dieses Bildes
verwandt.)
Die Flügelbilder, mit den Jahresbezeichnungen 1499 und 1508, — auf
dem einen der h. Jacobus, auf dem andern der h. Andreas, auf jedem ein
Herr de Monte, — sind von einem Künstler ähnlicher Richtung, doch
haben sie nicht die bedeutsame Energie des Hauptbildes. Die Portrait-
köpfe sind aber sehr gut.
Kugler, Kleine Schrlflen. II. "" 20
-ocr page 305-306 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Köln. Museum. — Verschiedene Gemälde der Spätzeit des 15ten
Jahrhunderts, welche die Nachfolge und Einwirkung der, durch den Namen
des Israel von Meckenen bezeichneten künstlerischen Richtung erkennen
lassen. Dahin gehörig:
Zwei Bilder: Maria und der verkündigende Engel, jede Figur unter
gothischem Baldachin. Einfach gut, unter Doppelvvirkung des sog. Isr. v.
M. und altkölnischer Reminiscenz.
Ein jüngstes Gericht. Ganz, gut gemacht; die Physiognomieen etwas
langnasig.
Drei heilige Aerzte auf Goldgrund. Schwach; ebenfalls langnasige
Physiognomieen.
Klage über dem Christusleichnam. Freiere, mehr rundliche Formen.
Landschaft und Himmel., Wohl schon gegen 1500,
Köln. St. Severin. — In der Sakristei ein Altargemälde, auf dem
Mittelbilde Christus am Kreuz mit Heiligen, auf dem einen P'lügel die
Kreuzigung Petri, auf dem andern Johannes auf Patmos. Etwa als ein
handwerksmässiger Nachfolger des sog. Isr. v. Meckenen zu bezeichnen,
doch schon bewegter in der Gewandung.
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Mancherlei kölnische Bilder des 15.
Jahrhunderts, namentlich mehr oder weniger rohe Nachfolger des sog.
Israel v. Meckenen.
Köln. Sammlung des verstorbenen Dr. Kerp. — Brustbild
der Madonna, auf deren entblösster Brust das Kind eingeschlafen ist.
Eigen edle, bedeutsame Form des Madonnenkopfes. Im Gewand nieder-
ländische Einflüsse. Wiederum eine, dem sogenannten Israel von Mecke-
nen verwandte Richtung, doch in eigenthümlicher Fassung.
Kirche zu Elsig. ~ Bild eines Seiten-Altares. Nicht gross. Die
Kreuzigung; auf den Flügeln je vier, theils vorhergehende, theils nachfol-
gende Scenen der Passion. Entschiedener Nachfolger des sogenannten
Israel von Meckenen (Meister der späteren Folge), doch eben nur hand-
werksmässig. Aussen, grau in grau: Gottvater mit dem Crucifix, und
Krönung Mariä; auch liandwerksmässig, doch grandios in der Anlage.
Münstereiffel. Pfarrkirche. — In der Sakristei ein Altärchen,
recht tüchtiges Bild aus der Schule des sogenannten Israel von Meckenen.
(Meister der zweiten Folge): Kreuzabnahme; links Georg, rechts Katharina;
aussen Petrus und Paulus.
Köln. Maria auf dem Kapitoi. — Malereien der Kapelle Har-
denrath (inschriftlich im J. 1466 gebaut).
Das Hauptfenster der Kapelle (über dem Altar), als Erker hinausge-
baut, mit sehr beschädigter Glasmalerei. Die, nicht sonderlich grosse
Ilauptdarstellung enthält die Kreuzigung Christi und zeigt Verwandtschaft
mit dem sogenannten Israel von Meckenen, rührt aber schwerlich von ihm
selbst her;
Die Geschichte der Wandmalereien der Kapelle ist sehr verwickelt.
Ueber dem Hauptfenster ist eine reiche Thron-Architektur gemalt: in der
Mitte Christus, rechts und links auf den Stufen die klugen und thörichten
Jungfrauen; darunter, zunächst über dem Fenster, noch ganz klein, das
Fegefeuer. Sehr übermalt, scheinbar noch altkölnische Motive nachklin-
gend. ~ Linke Seitenwand. In der Lünette die Verklärung, schwerlich
hochalterthümlich, mehr wie aus der Zeit um 1500, ganz übermalt. Daf-
unler Heilige in Tabernakeln, und zur Seite, etwas kleiner, Herr Harden^
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel .von Meckenen etc. 307
rath mit seinem Sohne; auch hier scheinbar, durcli die Uebennalung, noch
altkölnische Motive sichtbar. Darunter Brustbilder von Engeln und Heili-
I gen, grau in grau, die, minder übermalt erscheinend, der Weise des soge-
nannten Israel von Meckenen verwandt, doch voller ausgebildet sind, eben-
falls im Charakter der Zeit um 1500. (Oder sollte hier dennoch eine
ältere, nur mehr stylgemässe Uebermalung vorhanden sein?) — Die Thür-
j wand. Oberwärts die Auferweckung des Lazarus in geistvoll figurenreicher
Composition, mit Zuschauern und dergl., aus der Zeit um lä20. Ganz
übermalt. — Darunter, rechts, in kleinen Halbfiguren, die Darstellung eines
; Sängerchores, ganz übermalt, scheinbar im Eyck'schen Schulcharakter. Links
i St. Georg, das einzige mit Bestimmtheit nicht übermalte Bild, trefflich im
Charakter der Eyck'schen Schule und nicht der Richtung des sogenannten
Israel von Meckenen angehörig. -7- Rechte Seitenwand (Fensterwand). An
^ den St. Georg sich anschliessend, der h. Martin, wieder Eyckisch, aber
wieder übermalt. Daneben scheint eine Reihe von Brustbildern von Hei-
ligen vorhanden zu sein, die zum Theil durch ein Gestühl verdeckt wer-
den (den Brustbildern der linken Wand entsprechend); in sie scheint der
h. Martin hineingemalt zu sein (!). Ueber dem h. Martin, zur Seite des
Fensters, ist Frau Hardenrath mit ihrer Tochter dargestellt; wieder
übermalt.
Köln. St. Severin. — Zwei Tafeln von der Hand eines eigenthüm-
I liehen, hochbedeutenden Meisters, den ich, in Ermangelung einer andern
Bezeichnung, als den Meister von St Severin bezeichnen will. Sie
^ sind, einander gegenüberhängend, zu den Seiten des Altares befindlich und
stellen eine jede zwei ziemlich grosse Heiligenfiguren dar: Apollonia und
Papst Clemens, Stephanus und Helena. (Früher hatten sie ihre Stelle in
der Sakristei.) Sie dürften als Arbeit eines Kölner Meisters, der unter
flandrischem Einflüsse stand, betrachtet werden, ähnlich wie die Werke
des sogenannten Israel von Meckenen; auch sind sie diesen ungefähr
gleichzeitig, doch von ungleich grösserer Reinheit, Adel, Anmuthund
Würde: Mit dem Element der flandrischen Schule verbindet sich hier ein
eigenthümlich feines Naturgefühl und ein höchst edler Styl, besouders in
der Gewandung der weiblichen Gestalten. Die Köpfe haben,' bei grösster
Zartheit, einen anziehenden mildernsten Ausdruck. Die Ausführung ist
tüchtig und liebevoll; die Caruation hat etwas Bleichkühles.
Köln. St. Kunibert. — An den Giebelseiten des Querschiff'es vier
Tafeln, 2 mit je zwei, 2 mit je 4 stehenden Heiligen, die mit dem Mei-
ster von St. Severin, in Styl und Behandlung der Gewandung und auch
in den eigenthümlich tiefgebrochenen Gewandfarben, Aehnlichkeit haben,
im Nackten und dem ganzen körperlichen Gefühle aber mehr an den sog.
Israel v. Meckenen (Meister der zweiten Folge) erinnern. Bei einer nur
gut handwerksmässigen Ausbildung zeigen sie ein nicht erfolgloses Streben
nach Würde und Charakteristik.
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Zwei Tafeln, die zusammenzugehören
scheinen, ziemlich gross. — 1) Helena, Augustinus und Maria mit dem
Kinde; den schönen Bildern des Meisters von St. Severin nahestehend,
doch mehr untergeordnet, derber und minder zart im Gefühl. — 2) Chri-
stus vor Pilatus und mehrere kleine Scenen der Passion im Grunde. Min-
der bedeutend als das erste, scheinbar auch kaum von derselben Hand.
Köln. Museum. — Grosses Altarbild auf Leinwand, der Spätzeit
des löten Jahrhunderts oder dem Beginn des 16ten augehörig, das Werk
308 Rheiiireise, 1841. Zweiter Abschnitt.
eines eigenthflmlichen, nicht näher zu bezeichnenden Meisters: Madonna
mit dem Kinde, unter einem Tabernakel stehend; zwei weissgekleidete
Bischöfe breiten ihren Mantel aus, unter dem, auf beiden Seiten, eine
Schaar kleinerer Karthäusermönche kniet. Die Gestaltung und das kör-
perliche Geführ sind nicht gerade bedeutend; überhaupt zeigt sich keine
rechte männliche Kraft; doch ist in den Köpfen der Bischöfe Ernst und
Würde, in denen der Knieenden Lebensw;ahrheit glücklich ausgedrückt.
Das Gesicht der Maria aber ist von der höchsten Reinheit und Schönheit,
von der zartesten Formenbildung, wie solche sonst nur auf der höchsten
Kunststufe erreicht wird, auch hat dasselbe den zartesten Seelenausdruck.
Die Malerei ist schlicht, aber fein.
Ebendaselbst. — Grosses Bild mit Flügeln, welches die Legende
des h. Sebastian enthält und sich — ohne rechte Haltung des Ganzen, mit
manierirtem Faltenbruche, ungeschickt in den Bewegungen der Schergen —
doch in einzelnen Gestalten durch eine liebenswürdig naive Anmutli aus-
zeichnet. Zeit um 1500. Goldgrund. Mit den Glasfenstern im nördlichen
Seitenschiif des Domes, mit deren Richtung dies Bild in Beziehung ge-
bracht ist, finde ich keine Aehnlichkeit.
Ebendaselbst. — Bild der heil. Sippschaft mit den hh. Katharina
und Barbara (letztere trägt als Schmuck ein Thürmchen an der Halskette);
auf den Flügeln die hh. Rochus und Dionysius. Gudula und Elisabeth, mit
Donatoren. Zeit um oder nach 1500. Dies Bild hat allerdings etwas Ver-
wandtes mit den ebengenannten Glasgemälden des Doms, nähert sich'aber
auch bedeutend dem (irrthümlich) sogenannten Schoreel, ohne zwar dessen
Feinheit irgend zu erreichen. Landschaftliche Gründe.
Köln. Sammlung des verstorbenen Dr. Kerp. — Schöner
zierlich kleiner Altar. Figurenreiche Anbetung der Hirten; auf den Flü-
geln: die Mutter des Maccabäer, mit den kleinen Söhnen unter ihrem aus-
gebreiteten Mantel, und äie h. Ursula mit den Ihrigen in derselben Dar-
stellung. Nicht grossartig; doch ein zarter, liebenswürdiger Zeitgenoss
jener Künstler, welche die frühere Zeit des IGten Jahrhunderts bezeich-
nen; vielleicht nicht kölnisch, mehr flandrisch, mit einigen holländischen
Elementen. Im Allgemeinen der Kategorie derjenigen Bilder, welche man
in Köln mit dem Namen des Ouwater charakterisirt, angehörig. Sehr
zartgebildete Köpfe.
Köln. Bei Hrn. Haan. (Aus der Lyversberg'schen Sammlung). —
Drei kleine Bildchen: Kreuzabnahme, Grablegung, Maria mit dem Leich-
nam Christi. Klein, eyckisch modernisirend. Ziemlich beschränkt in der
geistigen Auffassung. Von dem in/Köln sogenannten Ouwater.
Köln. Museum. — Von dem sogenannten Ouwater: eine nicht
kleine figurenreiche Kreuzigung. Eigenthümliche Verarbeitung flandrischer,
auch wohl holländischer Elemente "ins Kölnische. Feine langnasige Ge-
sichter.
Köln. Die beiden Altäre des (fälschlich) sogenannten Lucas v. Ley-
den, ehemals in der Lyversberg'schen Sammlung, beide aus der Karthause
zu Köln stammend und der Zeit um 1500 angehörig
I
') Dass beide Altäre und die sonstigen Werke dieser Hand nicht von L.
V. Leyden, sondern aus früherer Zeit und wahrscheinlich von einem Kölner Meister
herrühren, ist bekannt. Näheres hieriiber, und zugleich die Mittheilung betref-
fender urkundlicher Stellen, von Pastor Fochem und von J. P, Büttgen, s. iu
Studien an Rhein und Mosel. Malerei-, 4. Israel von Meckenen etc. 309
1. Der Thomas-Altar, bei Hrn. Haan. .Mittelbild (4 F. 7 Z.
hoch, 3 F. 4V2 Z. breit): Thomas, der seine Finger in Christi Seite legt:
Um Christus ein regenbogenartiger Nimbus Cgrün, in gelb ausgehend), und
un^diesen her, auf Wolken, oberwärts Gottvater und 5 Engel, links Hie-
ronymus und Helena, rechts Ambrosius und Magdalena. Ausserhalb dieser
Gestalten Goldgrund. Auf dem Fussboden zwei musicirende Engel. —
Auf dem linken Flügel Maria mit dem Kinde und Johannes Evangelista; auf
dem rechten Flügel Hippolyt und Afra, — Auf den Aussenseiten der Flügel
die hh. Symphorosa und Felicitas, jede mit ihren 7 Söhnen, grau in grau.
2. Der Kreuzigungs-Altar, bei L. v. Geyr. Mittelbild (3 F.
5 Z. hoch, 2 F. 6Y4 Z. breit); Christus am Kreuz, zu dessen Fusse Mag-
dalena; links Hieronymus und'Maria, rechts Johannes Ev. und Joseph.
Kleine Engel umschweben das Kreuz, Goldgrund.^— Linker Flügel: Jo-
hannes Baptista und Cacilia; rechter Flügel: Agnes und Alexius. — Auf
den Aussenseiten der Flügel, grau in grau, die Verkündigung; darüber,
auf Rankenwerk sitzend, Petrus und Paulus.
Der Meister ist eigenthümlich merkwürdig. Er geht vor allen Dingen
auf Anmuth, auf Grazie und Lieblichkeit aus, wozu ihm aber ein wesent-
licher Theil der Mittel fehlt, so dass er ins Affectirte geräth. Doch hat
er in seiner künstlerischen Behandlungsweise auch sehr beachtensveerthe
Theile. So erstrebt er, mit Absicht und mit Glück, eine elegante Zusam-
menstellung der Farben, die sich, wie in dem Nimbus Christi auf No. 1,
bis zum phantastisch -Visionären steigert. So ist ferner sein Vortrag äus-
serst delicat, dass ich ihn in der weich durchgebildeten Färbung und Mo-
dellirung einen Dolce der alterthümlichen Zeit nennen möchte. Die Ge-
sichtstheile sind klein, der Mund, so viel es nur geht, lächelnd (zum Theil
aber alfectirt). Doch glückt es ihm (auf No. 1), diesen Ausdruck lieblichen
Frohsinns hervorzubringen, sowie er auch (auf No, 2) mit derselben Zartheit
in die Tiefe des Gemüthsschmerzes hinabzusteigen weiss. Seine Hände
sind ebenfalls mit absichtlicher Grazie bewegt, was sich aber, bei seiner
knöchernen Körperlichkeit, ziemlich seltsam macht. Die nackten Flügel-
knaben, die auf No. 2 das Crucifix umschwimmen, sind ebenfalls sehr
charakteristisch für ihn; sie^ bewegen sich zierlich spielend, trotz ihrer un-
freien Körperlichkeit. Die Haltung der Figuren ist sonst nicht übertrieben
ail'ectirt; der Gewandstyl zeigt eine mehr ins Rundliche gehende Umbildung
des eckigen Schnittes. Alterthümliche Naivetät giebt den Darstellungen
dabei ein zum Theil eignes Lustre, wie z. B, der knieehde habichtsnasige
Thonlas seine zwei Finger tief in Christi Seite hineinsteckt, wie dieser
sorgfältig, den Arm des Thomas fassend, nachschiebt und wie die ganze
heilige Versammlung ihr süssfreudiges Entzücken darüber äussert. Zur
Feier dieses (an sich nicht eben gar behaglichen) Vorganges ist denn auch
der Boden sauber mit zierlichsten Blümchen bestreut. — Als eine beson-
No. 3 und No, 24 der Rheinblüthen vom J. 1831. Soviel ich aus diesen Stellen
(und aus den Mittheilungen, die mir Hr. de Npel aus dem Werk „Analecta ad
conscrlbendum Chronicon domus S. Barbarae V. et M, intra Coloniam Agrippi-
nam" etc. machte) entnehmen kann, geht daraus hervor, dass beide Altäre von
dem Kölner Patricier Peter Rinck gestiftet sind,.-dass er, dCT löOl starb, zur
Ausführung des Kreuzaitares 200 Goldgülden vermachte und kurz vorher, für
250 Goldgülden , den Thomasaltaf hatte anfertigen -lassen. Dass sie von einem
Meister Ohristophorns, der um 1471 in der Karthause arbeitete, gemalt seien,
ist aus jenen Stellen nicht zu erweisen. - .
M
'309 liheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
310
ders alterthömliche Reminiscenz, nach altkölnicher Art, sind die schmalen
Schultern einiger Gestalten, besonders der Madonna auf der Axissenseite
von No, 2, zu bezeichnen. Einige der grau in grau gemalten Kinderfiguren
auf den Aussenseiten von No. 1 sind scheinbar sehr bestimmt im Co^üm
von 1500 oder später gehalten. In den mannigfachen Ornamenten ist
nur spätgothischer Charakter, noch keine Andeutung von Renaissance. —
In gewissem Betracht erinnert mich der Meister an Wohlgemuths Ideal-
bildtingen,
Köln. Sammlung des verstorbenen Dr. Kerp. — Madonna
mit dem Kinde, von dem sog. Lucas v. Leyden. Völlig in seiner "Weise,
auch im Ornamentistischen. Aber das krüppelhafte langbeinige Kind, die
dickknöchernen Hände n. dergl. sind hier, bei einem Gegenstande der
reinen Lieblichkeit und bei dem Streben danach, um so empfindlicher.
Köln. Gemäldesammlung des Hrn. Zanoli. — Höchst merk-
würdig ein mässig grosses Gemälde der heiligen Nacht mit der (sichern)
Jahrzahl 1516. Das neugeborne Kind von der Madonna und vielen En-
geln verehrt, der h. Joseph zur Seite, hinterwärts hereinschauende Hirten,
lobsingende Engelchen oben in der Luft, in der Ferne die Züge der hh.
drei Könige. Das Licht geht von dem Kinde aus und beleuchtet mit
grösserer und schwächerer Kraft die Umgebenden, was mit sehr erfreu-
lichem Geschick durchgeführt ist. Vorn links der Donator (dem "Wappen
zufolge ein Kölner, Hermann Gryn, — nach de Noöls Mittheilung), rechts
seine Frau, jedes an einem besonderen Betpult, auf dem ei» Licht steht,
knieend. Die ganze Auffassung dürfte das Bild etwa zu einer Parallele
des sogenannten Lucas v. Leyden machen; die (übrigens unschönen) Engel-
chen oben haben etwas Aehnliches, so auch der ganze zierliche Eflekt.
Dabei aber ist nichts Gesuchtes darin, die Auffassung ist vielmehr natura-
listisch, der Vortrag frei und leicht. Manche Köpfe, mehrere der Engel
um das Kind , die Hirten sind ganz genrehaft behandelt (die Engel zum
Theil zu derb); die Madonna aber, in dem zart spielenden Lichtschim-
mer, ungemein lieblich.
Köln. Bei Hrn. Merlo. — Bild von dem Meister der heil. Nacht
bei Zanoli. Bezeichnet 1515. Auf dem Mittelbilde (wo das Datum) die
Krönung Mariä. Auf den Flügeln rechts der h. Ivo, links die h. Anna,
(Es scheinen Portraits der Donatoren, den "Wappen zufolge aus der Familie
de Clapis.) Auch hier jene kräftige erfolgreiche Naturalistik, jene bräunli-
chen Töne und Neigung zum Helldunkel. Der Kopf der Madonna ganz artig,
Christus und Gottvater nicht bedeutend. Die Engel erscheinen völlfg als
Geschwister von denen bei Zanoli. Die Anordnung sehr bedeutend, doch
nach hergebrachter Weise. Die beiden Bildnissköpfe, besonders der weib-
liche, sehr ausgezeichnet. Gute landschaftliche Gründe in dunkeln Tönen.
— Aussen Grau in Grau die Verkündigung, der Engel ziemlich albern. —
Das Bild ist kleiner als das bei Zanoli.
Köln. Museum. — Das Gemälde des (irrthümlich) als Schoreel
bezeichüeten Meisters. Nicht hohes, längliches Format. Auf dem Rahmen,
roh eingedrückt, die Jahrzahl 1515, die aber in dieser Art, obgleich sie
die alterthümliche Form der Zifl'ern nachahmt, nicht ächt sein kann. —
Das Mittelbild mit dem Tode der Maria. Ziemlich zerstreute Composition,
kleinlich schwerfälliger Faltenwurf, unangenehme gespreizte Stellungen
(wie Aehnlicheä auf den Sculpturen des Toxals in der Kapitolskirche).
Die Köpfe zum Theil mit seltsamer Gesichtsbildung, kein tieferer Aus-
.■f
'W'imS'
Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel .von Meckenen etc. 311
druck: das Ganze bereits in manierirfer Ausartung der heimischen Rich-
tung. Dabei aber die malerische Durchbildung ausgezeichnet. Die Farbe
noch in schöner niederländischer Kraft und Harmonie; die zahlreichen
Accessoirs mit grösster Sauberkeit und in täuschender Naturwahrheit;, be-
sonders treiFlich die reichgesohmückte Marmorthür zur Rechten und der
Durchblick in das Vordergemach.
Auf den Flögeln knieende Donatoren und Schutzpatrone. Links zwei
gepanzerte Ritter (den Wappen zufolge aus der kölnischen Familie Hac-
quenay) mit den hh. Georg und Dionysius; links zwei Damen, ohne
Zweifel ihre Frauen (den Wappen zufolge aus den kölnischen Familien
Merle und Hardenrath) mit den hh. Barbara und Gudula (letztere"'trägt
eine Laterne, an der sich unterwärts ein Teufelchen anklammert). In
diesen Bildern ist dieselbe, fast noch eine grössere Zartheit- und Anmuth
der Ausführung, wie im Mittelbilde; dabei fällt das Manieristische weg,
und die Gestalten entwickeln sich in naiverem Leben und in edlerer
Schönheit, (üebrigens sind die Seitenbilder des sogenannt Schoreel'schen
Todes der Maria in der ehemals Bolssere'e'schen Gallerie ziemlich die-
selben.) Die landschaftlichen Gründe in ausgezeichneter Schönheit.
Auf den Aussenseiteft der Flügel grau in grau gemalte Heiligenfiguren,
links eine weibliche Heilige und Christoph (sehr verdorben), rechts Sebastian
und Rochus. Hier wieder die manieristischen Elemente.
Köln. Maria in Lyskirchen. — Vortreffliche Kopie von Becken-
kamp nach dem, dem sogenannten Schoreel zugeschriebenen Gemälde,
welches sich früher an dieser Stelle befand und gegenwärtig zu den
Schätzen des Städel'schen Instituts zu Frankfurt ä. M. gehört. — Die
Klage über dem Leichnam Christi, auf den Flügeln die h. Veronika
und der h. Ludwig mit der Dornenkrone. Jedenfalls ein vortrefflicher
Zeitgenoss des Niederländers G. Messys, zumißist an die Seitenflügel des
ebengenannten Bildes im Kölner Museum und noch mehr an die Kreu-
zigung von Mabuse im Berliner Museum (ein Gemälde aus dessen frü-
herer Zeit, in welchem derselbe noch der heimischen Richtung folgt)
erinnernd
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Manche, zum Theil recht zarte Bil-
der, die mehr oder weniger entschieden den flandrischen Einfluss zeigen.
So ein Christus am Kreuz mit Johannes, Maria und Magdalena, das
dem Berliner Bilde der Kreuzigung von Mabuse ziemlich verwandt ist,
doch wieder, besonders in den das Kreuz umflatternden und das Blut auf-
fangenden Engelchen kölnische Motive erkennen lässt.
Ferner ein sehr artiges Bildchen, wo die Madonna mit dem Kinde,
Agnes und Katharina zu ihren Seiten, in einem Garten sitzen, über dessen
') Dies und Aehnliches hatte ich niedergeschrieben, als ich das Bild für ein
Original hielt und, weil eben Messe vvar^ uicht näher zu treten wagte. Später
ward ich meines Versehens gewahr. In dem Buche ,,Köln und Boun mit ihren
Umgebungen", vom J. 1828, fand ich dann die Bemerkung, dass das Bild im
17ten Jahrhundert wirklich als Arbeit des Mabuse galt. Dort wird nemlich
aus einem Stiftungsbuche der Kirche, die folgende Notiz mitgetheilt:
„In Altari hujus Beueflcii est tabula dolorosae Matris Mariae miro artiflcio
picta, quam amatores artis videre desideraut; pictor dictus est Mabushs; ejus
facies in ipsa tabula ab authore picta exstat et est ea, quae sine barba mento
raso est a dextris imaginis Maria» Virginis. Idem pictor similem fticit picturam
in Gladbach prope Erckelentz. Ita retulit mihi Pastot Loci a. 1661."
Rheinreise. 1841. Zweiter Abschnitt.
Mauer mau in eine hübsche Landschaft hinaus sieht, (Seltsamer Weise
steckt das Christkind der Agnes, und nicht der Katharina, den Ring an
den Finger.) In diesem heiter und lieblich gefärbten Bilde scheint das
eyckisch-flandrische Element zu überwiegen.
Köln. Bei Hrn. Baumeister (früher in der Lyversberg'schen
Sammlung. — Altarbild mit Flügeln: Maria unter einer Gruppe heiliger
Frauen; links Helena und Karl d, Gr. mit einem Deutsch - Ordensmeister,
rechts Petrus und Margaretha. — Noch ein recht liebenswürdiger kölnischer
Meister aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts, ob im Ganzen auch
schon die Höhe des Styles fehlt. Ziemlich grosse Dimension
Köln. Museum. — Verschiedene Gemälde aus den ersten Jahr-
zehuten des 16ten Jahrhunderts, darunter die folgenden zu bemerken.
Nicht grosser Flügelaltar. In der Mitte-die Anbetung des Kindes
durch Maria und Joseph, Engel und Hirten unter glänzenden Prachtruinen.
Links herannahende Frauen (die Hebammen?), rechts herannahende Hirten.
Mannigfaltige landschaftliche Gründe. Das Bild ist ein ansprechendes und
liebliches Beispiel aus der Zeit des sog. Schoreel und des Q. Messys.
Ohne Grösse und Würde, auch von Fehlern nicht frei, zieht es doch
durch naive Anmuth an. Die Nebensachen, z. B. die Achatsäule mit Gold-
kapitäl und Basis im Vorgrund, sind sehr sauber; das Landschaftliche
ebenfalls.
Ziemlich grosser Altar mit Flügeln. Eine flgurenreiche Kreuzigung;
auf den Flügeln zahlreiche, gut individuelle Donatoren mit ihren Patronen.
Unter holländischem Einfluss, nicht gar bedeutend.
Einige Gemälde, welche sich dem Maler der Flügel des grossen
Schnitzaltares aus S. Maria ad gradus, im Dom, annähern.
Grosses Leinwandbild von dem in Köln sogenannten Anton von Worms,
Christi Gefangennehmung, derb, tüchtig genrehaft, gut modellirt und mit
innerlichem Gefühl, obwohl ohne bedeutendere Grösse des Sinnes.
Köln, St. Gereon. — Sakristei. Altarbild mit dem Cruciflxus und
Heiligen. Tüchtig handwerklich, im kölnischen Style des 16ten Jahrhun-
derts; nicht karikirt,
Köln. Bei Hrn. Haan (früher Lyversberg'sche Sammlung).— Kreu-
zigung Christi, auf den Flügeln Ausstellung und Grablegung, auf den
Aussenseiten je 3 Heilige. — Wüstes karikirtes Bild, bedeutend gross,
voll rohen Gefühls. Nur Einzelnes zu beachten. Zeit um 1500.
Köln. St. Andreas. — Im Querschifl' ein Paar nicht bedeutende
Altarbilder, in der etwas karikirten kölnischen Malweise der Zeit um 1200.
Köln. Dom. — Die Flügelbilder des Kreuzaltares im nördlichen
Flügel des Querschilfes, aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts. (Vergl.
oben.) Johannes Baptista und Jacobus, tiefer unten Stephanus und Lau-
rentius, die in einem tüchtig energischen, nicht unwürdigen Style ge-
malt sind.
Köln, St. Peter, — Flügelbilder des Schnitzaltares in der Tauf-
kapelle, um 1520. (Vergl. oben.) Die Flügel aussen und innen bemalt.
Innen die Ausstellung etc. und die Auferstehung. Aussen oberwärts die
Verkündigung, darunter stehende Heilige. Gemalte Heiligenfiguren auf
dem Antependium des Altares. Wenig bedeutend; holländischer Einfluss;
ziemlich hart und steif.
Köln. Dom. — Die Stafl'el- und Flügelbilder des grossen, in der
Nicolauskapelle befindlichen und aus der ehemaligen Stiftskirclie St. Maria
312
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Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel .von Meckenen etc. 313
ad graclus herrührenden Altarschreines, Um 1630. (Vergl, oben.) Auf
dem Mittelfelde der Staffel ist eine genrehaft legendarische Scene' ge-
malt, vier andre atn Antependium des Altares. (Hinter jenem Bilde der
Staffel ist ein zweites Bild befindlich, welches die Mumien von Märtyrern
und einen knieenden Greistlichen darstellt; dahinter sind Gebeine, ver-
schlossen. Dies scheint mir einer etwas späteren Anordnung anzugehören.)
Auf den Flügeln ist die Geschichte der Maria enthalten, links die Be-
gebenheiten vor, rechts die nach der Verkündigung. — Diese Malereien
charakterisiren sehr deutlich den Zustand der Kölner Kunst in der Zeit
um 1530. Die Richtung ist eine direkt genrehafte geworden; holländischer
Einfluss hat eine bedeutende Vorneigung zum Barocken und Phantasti-
schen hervorgebracht, das in den Scenen, wo es seine Stelle finden konnte,
mit einer eignen Passion durchgebildet ist. Doch tritt in andern Scenen
zugleich noch immer, nach dem Vorbilde des Lebens, naive Anmuth her-
vor, so namentlich in der Vermählung auf dem linken Flügel. Die Ma-
lerei ist noch immer trefflich; warm bräunliches Colorit, auch im Uebrigen
eine schöne, kräftige Färbung. Die Landschaften sind im Style des Patenier
behandelt. — Auf den Aussenseiten der Flügel sind links Geschichten
des h. Anno, rechts Geschichten des h. Agilolphus dargestellt. Sie haben
denselben Styl, wie die inneren Bilder, sind aber wohl nicht ganz so
bedeutend.
Oberwesel. St. Martin. — Die Flügelgemälde des Schnitzaltares
zur rechten Seite des Hochaltares mit der Geburt Christi (vergl. oben).
Verkündigung Maria und Besuch der Maria bei der Elisabeth. Hand-
werklich tüchtig. Etwa Wohlgemuth'sche Richtung.
Oberwesel. Stiftskirche. — Gemalter Altar mit Flügeln, am
östlichen Ende des südlichen Seitenschiffs, aus der Spätzeit des löten Jahr-
hunderts. Madonna und Heilige. Handwerksmässig und streng, doch kei-
nesweges ohne eigentlich edeln Sinn, etwa kölnisch in Wohlgemuth'scher
Fassung. (Ueber das Antependium des Altares s. unten.)
Ebendaselbst. — Grosses Altargemälde mit Flügeln, aus dem An-
fange des 16ten Jahrhunderts; vom Canonicus Lutern gestiftet und von
seinem Maler gefertigt. Es stellt die Ereignisse dar, welche dem jüngsten
Tage vorangehen werden, auf 15 Feldern , von denen 9 dem Mittelbilde,
6 den inneren Seiten der Flügel angehören. Und zwar 1) Hieronymus,
von jenen Zeichen schreibend; daneben, wie das M§er emporsteigt; 2) "Wie
das Meer eintrocknet; 3) Wie die Thiere des Meeres schreien; 4) Wie das
Meer brennt; 5) Wie von den Bäumen blutiger Thau träuft; 6) Wie die
Gebäude zusammenstürzenj 7) Wie die Felsen gegeneinanderfallen; 8) Wie
die Erde bebt; 9) Wie die Erde ganz flach ist; 10) Wie die Menschen
aus Löchern der Erde hervorkriechen; 11) Wie die Gebeine der Todten
erstehen; 12) Wie die Sterne vom Himmel fallen; 13) Wie die Menschen
sämmtlich sterben; 14) Wie Himmel und Erde brennen; 15) Der jüngste
Tag. — Alles dies ist naiv und mit lebendigem Sinne dargestellt. Vor-
trefflich ist bei den Zuschauern der Wunder Bangigkeit, Schauder, Angst,
Entsetzen ausgedrückt. Die Bewegungen sind durchweg natürlich, ob-,
gleich es den Gestalten au Fülle fehlt. Der Vortrag dst frei und leben-
dig, die Behandlung steht etwa zwischen Dürer und den Süddeutschen in
der Mitte (ungefähr wie bei H. B. Grien). — Auf den Aussenseiten der
Flügel sind der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese, in
314 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
TT-
Lebensgrösse, dargestellt. Das Nackte ist hier allerdings sehr inaugel-
haft, doch fehlt es wiederum nicht an Ausdruck.
Ebendaselbst. — Grosses Bild im südlichen Seitenschiff, gleich-
falls vom Canonicus Lutern gestiftet und von derselben Hand: Christus
mit den Jüngern 'an einem runden Tische, vorn Martha und Maria, be-
zeichnet 1503. Tüchtig und sinnig, sehr ausdrucksvolle Köpfe; der Styl
dem nürnbergischen jener Zeit vergleichbar, doch .auch im Ganzen mehr
Sinnigkeit. — Getrennt davon hängen die Flügel desselben Bildes, Heilige
darstellend.
Ebendaselbst. — Grosses Altarbild mit Flügeln, im Chore des
nördlichen Seitenschiffes, auch vom Canonicus Lutern gestiftet und von
derselben Hand. Bezeichnet 1506. Im Mittelbilde der h. Nicolaus und auf
dessen Legende Bezügliches; auf dem linken Flügel die h. Catharina und
ihre Peiniger, auf dem rechten Sebastian und Jacobus major. Die Köpfe
"wieder gar lieb und mild.
Ebendaselbst. — Wiederum vielleicht von derselben. Hand ein
Gemälde, als Antependium des schon genannten Altares am östlichen Ende
des südlichen Seitenschiffes dienend: Darstellung der h. Sippschaft. Etwa
der Dürer'sehen Zeit parallel, im Charakter zumeist nürnbergisch, ziem-
lich handwerksmässig vorgetragen, aber mit sehr liebenswürdigem Sinne:
Höchst gemüthvoller Ausdruck in den Gesichtern.
Cues. Im Besitz des Hospital es ein Gemälde, Madonna mit dem
Kinde, über ihr zwei Engel mit Musikinstrumenten schwebend. Holz-
schnittmässig, nach der Mitte des löten Jahrhunderts. Gut erhalten.
Coblenz. Kirche des Hospitals. — Das angebliche ,Andachts-
bild der h. Brigitta (laut der auf der Rückseite befindlichen Certificate).
Madonna mit dem Kinde nach byzantinischem Motiv; die Augen der Ma-
donna ganz wie bei Cimabue. In der Behandlung deutsch eckig, steif und
unerfreulich gemalt. Niederdeutscher Charakter.
Ebendaselbst. — Gemälde: Crucifix, 4 Heilige zu dessen Seiten,
knieender Donator; Flügel, auf deren jedem ein Heiliger. Landschaft und
Goldgrund. Dem Wohlgemuth ziemlich verwandt, massig beschränkt in
der geistigen Auffassung, gute Köpfe bei mangelhafter Körperlichkeit;
doch grossgezogene Gewandung (besonders bei der Madonna). Sonst stren-
ger Vortrag.
Ebendaselbst. — Anbetung der Könige, handwerklich gutes Bild
mit fast lebensgrossen f'iguren; hinten ein Säulenhof, in dem die Garden
der Könige aufmarschiren. Sehr lebenvolle, individuelle Gestalten, im
Stofflichen aber nur Dekorations-Vortrag. Etwa wie ein Deutscher, der
den Q. Messys und Lucas v. Leyden studirt hat, auch schon etwas von
b'; I
1 i.
der Richtung des Barth, de Bruyn. Bezeichnet: 1. 5. ^ 1. 8.
! .
Coblenz. St. Castor. —^ An den Rückseiten der Chorwände, im
Querschiff, 16 Tafeln mit Oelbildern: Christus, Maria, die zwölf Apostel, die
h. Ritza und der h. Castor. Halbe Figuren, tüchtige Arbeiten, die etwa
zwischen den Richtungen des Wohlgemuth und des Q. Messys in der Mitte
stehen. Meist im Styl recht kräftig; auch Charakter und Ausdruck. Um 1500,
Trier. Gemälde bei IT. Crewelding. — Unter diesen ein schöner
altdeutscher Altarflügel mit der Geburt Christi, etwa westphälisch aus der
zweiten Hälfte des löten Jahrhunderts, zu bemerken.
Studieu au Rhein und Mosel. Malerei. 4. Israel von Meckeneu etc. 315
T r i e r. Gemäldesammlung bei Hrn. Kaufmann P1 a 11 a u. — Bemerkens-
werth u. A» ein grosser Altar mit Christus am Kreuz, der Madonna und
den Aposteln. Er soll aus dem Kölnischen stammen; der Charakter'der
Malerei ist mehr oberdeutsch (fränkisch), doch mit kölnischem Nachklang
in den Köpfen, !
Trier. St. Gangolph, — Bild auf Goldgrund. Christuslcichnam
zwischen Maria und Johannes, Kniestöck. Gutes Bild eines, wie es
scheint, nordischen Meisters, der in Italien studirt hat, in Etwas der Zeit
und Richtung des Q. Messys vergleichbar. Es ist etwas von der Auf-
nahme des Bellinischen Styles darin, doch die Behandlung schon beträcht-
lich modemer.
Kirche zu Clausen. — Die Flügel des grossen' Schnitzaltares
(vergl. oben). Zwei grosse Flügelbilder bedecken die ganze Breite und
zwei kleinere den Obertheil des erhöhten Mittelfeldes vom Schreine. Die
grossen Bilder: links Kreuztragung, rechts Höllenfahrt und Auferstehung;
auf ihren Aussenseiten die Anbetung der Hirten und die Anbetung der
Könige. Die Oberbilder: Himmelfahrt und Pflngstfest (deren Rückseiten
nicht sichtbar, vielleicht mit der Darstellung der-Verkündigung). — Eben-
falls, wie das Schnitzwerk des Schreines, Arbeiten nicht ohne Bedeutung.
Der Maler vereint Elemente der kölnischen und flandrischen Schule mit
einer gewissen Behandlung nach Art der Westphalen. Doch bedeutender
Gegensatz gegen die Lebensfrische der Schnitzwerke, 'Mangel au reger
Körperlichkeit, zugleich aber viel mehr Ausdruck eines tiefen innerlichen
Gefühles. In diesem Betracht sind besonders die beiden Anbetungen ganz
ausgezeichnet. Die Malerei hat, im Gegensatz gegen Kölner und Flandern,
bereits das Trocknere der Westphalen.
Kirche zu Merl. — Die Flügelgemälde des Schnitzaltares (vergl. , .
oben). Auf beiden Seiten bemalt. Innen Scenen der Passion und der '
Kindheit Christi. Aussen Bilder, welche sich auf Abendmahl und Messe
beziehen: Abraliam und Melchisedek, die Messe Gregors, die Manna-
lese etc. Bei der Composition der Bilder scheinen Dürer'sche Holzschnitte
benutzt (aber nicht copirt); Behandlung und Durchbildung sind mehr im
süddeutschen Charakter (uach Art des H, B. Grien). Manches keck Cha-
rakteristische, doch auch hier (wie an den Sculpturen des Altares) ohne
eine höher künstlerische Fassung oder Durchbildung.
Münstermayfeld. St. Martin. — Die ehemaligen Flügelgemälde
des grossen Sclinitzaltares, jetzt über dem Altar der nördlichen Seitenabsis
gesondert aufgestellt. Scenen der Passion Christi und der Geschichte der
Maria (frühere und spätere Momente der in dem Schnitzwerke" dargestelltes
Geschichten), Hier scheint sich, in allerhand phantastisch seltsamen und
capriciüsen Dingen, in dem Kostüm, der Geberdung, den Gesichtern etc,,
ein ziemlich direkter Einfluss des wirklichen Lucas v, Leyden anzukön-r
digen. Manches ist übrigens ganz geistreich und lebhaft gefühlt, besonders
in den Gesichtern der Peiniger, Auch manche der idealen Gestalten sintj
ganz ansprechend, -
Zülpich, Kirche. — Die Flügelgemälde des grossen Schnitz-
altares, welcher im Schrein 3ie Kreuzigung, die Messe Gregors etc. enthält.
(Vergl. oben). Innere Seiten: 1) Maria von Engeln gekrönt; darunter,
kleiner, die hh. Helena und Barbara. 2) Petrus; darunter Jacobus Major |
und Matthias. Aeussere Seiten: a) Anbetung der Hirten; b) Anbetung der
Könige. Interessante Bilder späterer Zeit, wo sich der heimischen Kunst
315 Rheinreise, 1841; Zweiter Abschnitt.
316
fremde Motive zugesellen. Etwa in der Art des Barth, de Bhiyn, doch
nicht von ihm selbst, mehr w^estphälisch, dürerisch, etc. elc. Zum Theil
ganz mit Geist gemalt.
Ebendaselbst. — Die Flügelgemälde des grossen Scbnitzaltares,
welcher im Schrein Scenen der Passion enthält. Innen auf jeder Seite
4 Scenen aus der Geschichte der Maria, und darüber, auf besonderen
Flügeln, noch besondere kleine Heiligenfiguren. Aussen auf jeder Seite
4 grosse Heiligenfiguren. Die Malweise denen der Flügel des ersten Al-
tares verwandt, doch macht sich hier zugleich etwas von den späterkölni-
schen Capricen geltend. Die Heiligen auf den Aussenseiten sind ziemlich
würdig. Landschaftliche Fernen.
Köln. Bei Hrn. Haan (früher in der Lyversberg'schen Sammlung).
— Bild von Bartholomäus de Bruyn (4 Fuss S'/a Zoll hoch, 3 F.
1 Z. breit), die drei Stände der menschlichen Gesellschaft darstellend.
Oberwärts Christus auf dem Regenbogen; unterwärts, links, eine Gruppe
geistlicher, rechts eine Gruppe ritterlicher Heiligen. Engel zu den Seiten
Ghristi halten über den Gruppen Spruchbänder mit den Inschriften:
Supplex ora, und: Tu protege. Durch beide Gruppen sieht man in die
Ferne hinaus, wo zwei Bauern Feldarbeit treiben; auf sie fällt ein Spruch-
band nieder, mit der Inschrift: Tuque labora. — Das Bild ist sehr bedeu-
tend und zeigt einen edel ernsten, von allem Läppischen freien Sinn. Die
Gruppen ordnen sich gut. Die Köpfe sind schön und klar aus dem Leben
genommen, in der Behandlung noch an die Eyck'sche Schule erinnernd; die
Gestalten, auch die Gewandungen sind frei; ein Luftzug, der durch das
Bild hinstreift, bewegt letztere auf ansprechende Weise. Der Styl ver-
schmilzt auf sehr glückliche Weise heimische und italienische Elemente;
so erkennt man z. B. in den Engeln raphaelische Reminiscenzen.
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Altar. Mittelbild: Crucifixus mit
Maria Magdalena, Johannes und der Donatorin, einer Nonne. Auf den
Flügeln: Johannes Bapt. und Agnes; aussen ein heiliger Abt und eine hei-
lige Nonne. Ein tüchtiges Beispiel der als Barth de Bruyn benannten hei-
misch-italienischen Richtung. Die Farbe schon körperlich stumpf.
Köln. St. Kunibert. — Im Schiff einige Bilder in der heimisch-
italienisirenden Weise des Barth, de Bruyn.
Köln. Museum. — Von Bartholomäus de Bruyn, ohne Zwei-
fel, das tüchtige, etwas stark röthliche Portrait des „Arnolt van Browiller
Burgemeester zo Coellen - Aetatis 62. Ao. 1535." Dem im Berliner Mu-
seum vorhandenen Portraitbilde von Barth, de Bruyn verwandt.
Sonst noch eine namhafte Reihe, zum Theil sehr bedeutender Bildnisse
aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts,
Einige dem Bartholomäus de Bruyn zugeschriebenen Bilder zeigen
energische Aufnahme italienischer Motive, So namentlich eine, auf dem
Halbmond schwebende Madonna mit dem Kinde, die grossartig michel-
angelesk, wenn auch nicht mit idealschöner Gesichtsbildung, componirt ist.
Sie bildet den Pendant zu 3 andern Heiligenbildern, den inneren und äus-
seren Seiten von Flügeln eines Altares.
Köln. St. Severin. — Im westlichen Theil der Kirche: Gemälde
der Ausstellung Christi vor dem Volk. Etwa einem Johann Messys paral-
lel zu stellen.'
Ebendaselbst. — Im südlichen Flügel des Querschiffes ein grosses
Altargemälde: das Abendmahl als Mittelbild, auf den Flügeln die Manna-
-Jr
Lt:
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St&dieu an Rhein und Mosel, Malerei. 5. Johann van Aachen etc.
lese und Abraham mit Melchisedek. Manleristisch im Style eines Floris,
doch nicht so" bedeutend. Sogenannter Barth, de Bruyn (Collectiv-Name).
5. Malerei seit der Epoche des Johann van Aachen. • -
Köln. Evangelische, ursprünglich Antöniterkirche. — Grosses
Bild der Kreuzigung von Johann van Aachen; schlecht manieristisch.
Köln: Museum. — Einige Bilder von Johann van Aachen.
Ein glänzender Manierist, noch keiner von den schlechtesten, etwa^dem
Candide vergleichbar. Bräunlich weich gewaschene Schatten.
Köln. St. Severin. ~ Im westlichen Theil der Kirche: Gemälde
des Eccehomo, nebst dem Donator, Maria und Johannes. Zeit-um 1600;
tüchtig, ia der Mitte zwischen niederländischer und italienischer Art,
Köln. Museum. — Von Jerrich (bez. „E. I. 1601): Die Verkündi-
gung, halbe Figuren. Elegant weich. Rembrandt-ähnliche Schatten anf
eine zart italische Composition im Style der Zeit übergetragen.
Ebendaselbst. — Bilder von Geldorf, namentlich Bildnisse, in
seiner zartgeschmolzenen Rembrandt- Rubens- Dolce-Manier. in der aber
die des Dolce, namentlich bei Idealbildungen, als die Hauptsache erscheint
Köln. St. Severin. — Im südlichen Seitenschiff ein, gutes Portrait
des Canonicus Gaill, gest. 1628, von'Geldorf, weich lebendig modellirt,
hier nicht bloss als Zeitgenoss, sondern auch als Verwandter eines van
Dyk erscheinend.
Köln. Maria auf dem Kapitol. — In der Kapelle Cervo (Hirsch)
Bildnisse, Portraits des Bürgermeisters'Hardenrath und seiner Gemahlin,
geb. v. Klepping, beide von Geldorf; ansprechend.
Garden. Stiftskirche. — Im südlicifien Flügel des Querschiffes
ein gemalter Flügelaltar, gestiftet 1591. Die Auferstehung Christi"; auf
den inneren Seiten der Flügel Donatoren und Heilige, auf den äusseren
Seiten die Verkündigung. Italisch manieristisch, doch mit Sorgfalt; die
Portraitfiguren ganz tüchtig.
Köln. Jesuitenkirche. — Reich barocke, mildem Bau (1621—29)
etwa gleichzeitige Dekoration im Innern. Hoher bunter Altarbau mit Ge-
mälden vott.Corn. Schütt, einem schwachen Schüler von Rubens (12 Ge-
mälde, von denen wechselnd je 3 zum Vorschein gebracht^ werdenJ. —
An den Wänden des Chores heitere Landschaften mit biblischer Staffage.
Ueberhaupt das Ganze in der Ausrüstung der Kirche weltlich lustig, auf
alterthümlicher Basis beruhend, der modernen Zeit doch sehr gefällig „ums
Kinn streichend". ^ Mehrere Bilder werden Honthorst genannt. So eine
Kreuzigung und Grablegung, die aber fast zu classisch für ihn sind. So
andere Bilder, die gar nichts von ihm haben.
Köln. St. Gereon.,— Altarblätter von C.. Schütt, besonders eine
Madonna mit Heiligen. -
Köln. St. Aposteln. — Im Chor das Martyrium der heil. Katharina
von Pottgiesser, manierirt in rubensisch-italischer Weise. — Dagegen
eine Himmelfahrt Mariä von Hülzmann, gross, figurenreich, auch nicht
frei von barocken Elementen in der Composition, doch als tüchtige und
317
, 318 ßheiureise, 1841. Zweiter Absclmitt.
nicht geistlose Nachahmung rubensischen Styles zu bezeichnen. Dabei zu-
gleich die Darstellung einer ganzen Familie (der des Stifters) in guten Portraits.
i Köln St. Columba. — Kinige Gemälde aus Rabens Schule; darunter,
mässig gut, das Marterthum der heiligen Columba.
'V Bonn. Münster, — Ein Paar Altäre mit nicht sonderlich bedeuten-
den Gemälden aus dem 17ten Jahrhundert.
Köln. Maria auf dem Kapitol. — Späte Bilder von Lebrun,
Boys, Buschop und Aug. Braun.
" Andernach. Die Anunziatenkirche (jetzt Gymnasiums-
kirche). — Unbedeutend einschiffiges modernes überwölbtes Gebäude.
■! Merkwürdig durch die vollständig durchgeführte Ausmalung al fresco vom
Jahr 1739. Pilaster und Wandverzierungen reich mit dem allerbuntesten
e Rococowerk; dazwischen, in besondern Roccaille-Einrahmungen, allerlei
biblische, legendarische, landschaftliche Bilder. Jedes au sich ganz ab-
scheulich. In dem Ganzen aber, bei aller Tollheit, eine bemerkenswerthe
und nicht unglücklich wirkende Harmonie — Glaswappen der Stifter
aus demselben Jahre in den Fenstern.
Trier. St. Paul in. — Brillante Gewölbmalereien aus dem 18ten
Jahrhundert.
1
Lt
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6. Gemälde aus ausserrheinischen Schulen.
»61 Köln. Dom. — In der Marien-Kapelle, an der Wand über dem
Altar, ein grosses Bild der Verkündigung. Ein ganz gutes, doch verdor-
benes Exemplar des bekannten .und mehrfach wiederholten Andachtsbildes
k in S.S. Annunziata zu Florenz, das den Florentinern als eine Engel-
arbeit, den Kunsthistorikern als die eines Trecentisten der späteren Zeit
des 14ten Jahrhunderts gilt.
Köln. S. Maria in Lyskirchen. — Im Chor ein ziemlich spätes
Exemplar des ebengenannten Bildes der Verkündigung.
Köln. Maria auf dem Kapitol. — In der Kapelle Cervo (Hirsch),
« über dem Altar, eine auf beiden Seiten bemalte Tafel, nach der gewöhn-
lichen Annahme von A. Dürer. Auf der einen Seite der Tod der heil.
Jungfrau. Hier findet sich unterwärts das Dürer'sche Monogramm, das
' aber jedenfalls, in der Weise, wie es angebracht und wie es ausgeführt ist,
das Gepräge der Unächtheit trägt. Auf der andern Seite'die Trennung der
Apostel. An der Steineinfassung des Brunnens hier die'Jahrzahl 1521.—
Dürer'sche Compositionsweise, Dürer'sche Charakteristiki, gewisse Grund-
typen seiner Behandlungsweise sind in beiden Bildern gewiss unverkenn-
bar, doch macht sich dies Alles nur auf eine ziemlich rohe Weise geltend.
Die Hand des Künstlers ist schwer, die Farbe ist dick und, wenn auch
Dürer's Tönen sich annähernd, so doch gar nicht in seiner zierlichen
Transparenz aufgetragen. Es ist ohne Zweifel die Arbeit irgend eines
Nachahmers oder Schülers, und das Monogramm später aufgesetzt.
Köln. St. Severin. — Im nördlichen Seitenschiff, am Pfeiler des
Querschifies, ein Gemälde: Thronende Madonna, rechts St. Matthias, links
St. Severinus und der knieende Donator Canonicus (gest. 1530). Ein recht
tüchtiges Bild der Dürer'schen Schule, etwa, in Bezug auf die Strenge der
319
■mm
Studien au Rhein uiid Mosel. Malerei. 6. Ausserrh<«in. Schulen.
Behandlung, von Heinrich Aldegrever. Leider an einzelnen Stellen durch
Putzen beschädigt.
Köln. St. Peter. — Berühmtes Altarbild von Rubens, Petrus, der
von fönf Schergen gekreuzigt wird. Nur ein Gewaltstück in seiner Art,
und diese letztere auch nur ziemlich äusserlich. Es ist nur die Darstel-
lung der äusseren Handlung; innerer Ausdruck, selbst Charakteristik fehlen.
Oberwesel. St. Martin. — Hauptbild-, des Hochaltars: Kreuzab-
nahme, angeblich von Diepenbeck. In seiner Art, doch wohl zu mittel-
mässig für ihn selbst. Sehr unrein.
St. Goar. .Katholische Kirche. — Ein Gemälde, 5 Fuss 2V2'Zoll
hoch, 4 Fuss SVa ^loll breit, von dem Blumenmaler D avid Seghers. Ein
grosser Kranz von Rosen und andörn Blumen auf dunklem Grunde, sehr
schön durchgebildet und in edelster Harmonie, dem Kranze fünf kleine
Medaillons mit figürlichen Darstellungen aus dem Leben der Maria: Ver-
kündigung, Besuch bei der Elisabeth, Anbetung der Hirten, Darstellung
im Tempel, Lehrstreit Christi. In der Mitte ein grosses Medaillon mit der
heiligen Familie und vielen Engeln; eine Glorie von Engelchen in der
Luft, diese in treftlichem Helldunkel; von einem der ausgezeichnetsten
zarteren Nachfolger des Rubens, dem van Dyck fast verwandt. Die Land-
schaft dieses Bildes im Tone noch an J. Breughel anklingend. — Das Bild
hat eine Menge kleiner Beschädigungen (mechanischer Art, kleine Löcher
u. dergl.), ist im üebrlgen aber, bis auf einige wenige Stellen, intact und
wohlerhalten. Eine Restauration wäre leicht ausführbar. In der armen
Kirche nicht wohlgehalten, würde es einem Museum sehr zur Zierde
gereichen.
Trier. Liebfrauenkirche. — Verschiedene Bilder. Darunter zu
bemerken: ein neuerlich geschenktes, der h. Sebastian, Kniestück, treff-
liches Bild der Schule der Caracci, angeblich von Guido Reni (aus seiner
naturalistischen Periode.)
Köln. Museum. — Gemälde von Dürer, zwei Spielleute darstel-
lend, ganz in Dürers geistreicher lasurartigef Manier leicht hingearbeitet,
sehr acht. Das Bild war die Aussenseite eines Altarflügels, zu einem Al-
tare gehörig, der (nach de NoSls Mittheilung) die Hauskapelle des alten
Jabach'sehen Hauses in Köln schmückte. - (Das Gegenstück, die Aussenseite
des zweiten Flügels, befindet sich in der Gallerie des Städelschen Instituts
zu Frankfurt a. M. und stellt den Hiob dar, dem seine Frau ein Geftss"
über den Kopf ausgiesst. Dies ist höchst leicht in der Farbe, scheinbar
noch mehr als das.Kölner Bild, auch wohl stark abgewaschen. Der Ge-
wandzipfel der Frau des Hiob wird auf dem ersten Bilde noch sichtbar.
Die von beiden jetzt abgetrennten Innenseiten sind die'schönen Bilder
mit den hh. Simon und Lazarus, Joseph und Joachim, der ehemals Bois-
seree'schen Gallerie in der Pinakothek zu München. Ueber das Mittelstück
des Altares — ob ein Gemälde oder Schnitzwerk — ist keine Kunde.)
Von Cranach ein'artiges Bild: das Christkind und Johannes mit
dem Lamm.
Der Franciscus stigmatizatüs von Rubens: kräftig naturalistisch, aber
ohne Ecstase: das der Ohnmacht Nahe gut. Sehr grosses Bild.
Allerlei niederländische Bilder, eine grosse Menge von Bildnissen
— darunter auch wohl.viel Heimisches — gute Stillleben etc. — Einiges
Italienische.
snpr
320 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Unter den neueren Bildern: Bendemanns trauernde Juden und
Lessings Klosterhof im Schnee.
Köln. — Bei H. Banquier Oppenheim. „Petrs xpi me fecit 1449.-'
Dies die Unterschrift eines Bildes aus Eyck'scher Schule,-welches, ziem-
lich gross, drei Gestalten in halber Figur enthält. Der heil. Eligius, als
Goldschmied, sitzt an einem Tische, ihm zur Seite steht ein Brautpaar,
das einen Trauring zu itaufen gekommen. Er hält eine Waage, in der der
Trauring liegt, in der Hand: auf dem Tische Goldstücke; hinter ihm ein
Repositorium mit allerlei Arbeiten und Geräth; — diese Dinge sind sehr
in Eyck'scher Weise behandelt. Das Ganze ist seiner Richtung nach schon
sehr entschieden ein Genrebild, wie später Q. Messys. — In der Behand-
lung erkennt man im Wesentlichen den Eyck'schen Schulcharakter. Aber
merkwürdig und eigenthümlich ist es, dass die Köpfe in einer gewissen
Allgemeinheit gehalten sind, zwar nicht etwa Idealformen, aber doch in
grösseren plastischen Massen, etwas hart, ungefähr wie aus Holz geschnit-
ten (ähnlich wie die Portraits von Mantegna u. a. M. den Steinsculpturen
gleichen). So ist auch die Carnation ziemlich allgemein gehalten, mit
durchgehend* genauer Modellirung. — Leider ist das Bild beschädigt und
zum Theil übermalt. - Besonders das rothe Gewand des Eligius ist ganz
übermalt
Ein gutes Bild der Eyck'schen Schule, eine sitzende Madonna in einer
Landschaft.
Im Uebrigen besonders vortreffliche holländische Kabinetsbilder, auch
italienische Stücke. — Vor Allen ausgezeichnet ein Velasquez: das
lebensgrosse stehende Bild eines jungen ritterlichen Herrn, in voller Kraft
und Frische der Existenz, gewiss das Beste, was Köln aus der Epoche des
17ten Jahrhunderts besitzt.
Köln. Gemäldesammlung des Hrn. Stadtbaumeisters Weyer.
— Ziemlich bedeutend. Einiges wenige Italienische aus späterer Zeit. Be-
sonders zahlreich an Niederländern des 17ten Jahrhunderts, und darunter
namentlich einige gute holländische Landschaften. Dann auch Einiges
von älterer nordischer Kunst, dies meist jedoch nicht sonderlich aus-
gezeichnet, ^
Sehr artig ein, schon von Passavant angeführtes altholländisches, dem
A. van Ouwater nahe stehendes Bildchen. Man sieht eine holländisch go-
thische Kirche hinab; rechts die Reihe der Säulen auf der einen Seite des
Schilfes, als Achat gemalt, — durch sie blickt man ins Freie hinaus; über
den Säulen wölbt sich die aus Brettern gebildete spitzbogige Tonnendecke.
Im Schiff der Kirche sitzt gross und stattlich — natürlich ausser allem
Yerhältniss zur Architektur ~ Sanct Peter als Papst; z\»jischen den Säulen
kniet der geistliche Besteller des Bildes. Die Ausführung ist ziemlich
sauber, sehr fein in den Köpfen, die schlicht naturalistisch gehalten sind,
doch der Kopf des Petrus nicht ohne Würde. Sehr eigen ist jener von
Passavant erwähnte kühle Farbenton, der durch das ganze Bildchen geht
Ob das Bild des Berliner Museums, welches mit dem'Namen eines „Petri
Christophori" bezeichnet war und sich durch feine Individualisirnng in Form und
Farbe auszeichnet, — ob das Bild im Besitz des Hrn. J. D. Passavant zu
Frankfurt a. M. von „Petrus XPR" vom J. 1417', das eine grossartig alterthüm-
liche Anlage mit fein naturalistischer Durchbildung verbindet, bestimmt von
derselben Hand sind, lasse ich hier dahingestellt.
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Studien an Rhein und Mosel. Malerei. 6. Ausserrhein. Schulen. 321
und so in der Carnation, wie in sämmtlichen Accessoirs, in Jer Luft,
durchweg eine eigen helle Stimmung vorwalten lässt.
Köln. Gemäldesammlung des Hrn. Zanoli. — „Johannes
Malbodius, 1527." — Diese Inschrift auf einem kleinen, höchst sauber
ausgeführten Bildchen: der leidende Erlöser, von den Schergen verspottet.
Aeusserst zarte und mit Glück beendende Technik; aber schon sehr cha-
rakteristisch, wie die tiefere Auffassung mangelt und statt dessen das ma-
nierirte, outirirte, grimassenhafte Wesen einzutreten beginnt. Die Grund-
lage aber noch entschieden heimisch.
Ausserdem dem Mabuse, und gewiss mit Recht, zugeschrieben: Eine
Porzia (?J mit der Urne, der Berliner Madonna, die das Kind säugt, voll-
ständig entsprechend; — und eine Venus mit Amor, kleine Dimension,
stattlich italienisirend.
Im Uebrigen noch manche, für die Entwickelung der nordischen Ma-
lerei im Anfange des 16ten Jahrhunderts nicht unwichtige Bilder. So: ein
Bild (ich glaube, die angeklagte Ehebrecherin), das mir als Patenier
erschien. — So eine Anbetung der Könige mit phantastisch gothischer
Renaissance-Architektur, das an den Spanier Juan de Juanez erinnern
dürfte.
Viel Schätzenswerthes an holländischer, auch an italienischer Malerei,
Kabinetsbilder u. A. dergl. Eine grosse Lucretia von Furini. — Eine
schöne Copie kleineren Maassstabes von der Johanna von Arragouien, an-
geblich von Giulio Romano. Das Roth der Wangen ins Ziegelartige spie-
lend, der Wangenschatten sehr schwarz, sonst höchst ausgezeichnet. —
Eine Madonna mit dem Kinde, ganze Figur, von Filippo Lippi.
Köln. Bei Hrn. Baumeister. — Bilduiss der Aebtissin de la
Rochefoucauld, von Gerh. Honthorst, 1638 (mit seinem Namen und
Datum). Den allerbesten holländischen Portraitmalern, in der Zeit und
Richtung des Rembrandt (d. h. ohne dessen späteren Manieren) völlig
würdig zur Seite stehend.
Köln. Bei Hrn. von Geyr. — Verspottung Christi von A. van
Dyck, meisterhaft. (2 F. 9 Z. hoch, 3 F. 6 Z. breit.)
Köln. Bei Hrn. Essingh. — Merkwürdig vier nicht grosse Tafeln
mit einzelnen Heiligenfiguren: Johannes der Täufer, Johannes der Evan-
gelist, Christopherus und der Engel Gabriel. Angeblich Dürer, und ihm
in der That sehr ähnlich, so dass man namentlich bei dem schönen Jo-
hannes Bapt., dessen Kopf fast gänzlich dem schönsten Dürer entspricht,
leicht zweifelhaft werden dürfte. Andres aber hat döch wieder nicht seine
scharfe und bestimmte Charakteristik, und so ist' durchweg auch die Farbe
nicht völlig iu seiner durchsichtigen Transparenz, auch hat sie, der Ab-
tönung nach, ein späteres Element. Ich vermuthe, dass die Bilder von
einem der trelFlichstea Schüler Dürer's, und zwar, zumal sie aus West-
phalen stammen, von H. Aldegrever, herrühren.
Noch zahlreiche.andre Bilder, meist holländische Kabinetstücke, dar-
unter ausgezeichnete Sachen.
Köln. Bei Hrn. Schmitz. — Eine Wiederholung des im Folgen-
den zu nennenden Coblenzer Bildes, der Madonna mit der h. Barbara, der
hier indess noch die h. Katharina zugesellt ist. Mehr böschädigt als jenes.
Coblenz. Langisch-Städtische Gemälde-Gallerie im Lokale
des Hospitals. — Vorzüglich bemerkenswerth: Eine Madonna mit dem
Kugler, Kleine Scliriflen, II. 21
-ocr page 321-322 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.,
Kinde. ^Sie hält ihm die Brust vor; es lehnt sich dagegen und sieht zum
Beschauer heraus. Daneben die h. Barbara, in einem Gebetbuche lesend,
lieber der Madonna eiu Vorhang, von kleinen Kngelchen gehalten. Im
Hintergrund, unter Bäumen, sitzt Joseph. — Einer der besten Niederlän-
der, die mit heimischer Vortragweise italienische Formen verbinden. (Für
Mabuse vielleicht zu schön in der Farbe, obgleich Einzelnes an ihn
erinnert.) Auch die Composition der Hauptgruppe ist italisch, und zwar
mailändisch (mehr Luini als Leonardo). Die Madonna ungemein schön,
die Barbara nicht gar schön leonardesk; doch die ganze Auffassung über-
aus rein. In der Carnation kühle graubräunliche Schatten; sonst ein
röthlicher Ton, der besonders im Gesicht der Madonna sehr luinesk er-
scheint. Die Gewandstolfe dagegen in ganz flandrischer Farbenkraft. Die
Bäume und Andres artig spielend behandelt.
Ausserdem eine nicht unbeträchtliche Anzahl verschiedener Bilder,
meist aus dem I7ten und 18ten Jahrhundert. Darunter einige gute Nie-
derländer. -
Coblenz. Bei Hrn. Dietz. — Gemälde: Christus am Kreuz mit
Maria und Johannes. Wiederum einer der trefflichsten Niederländer vom
Anfang des 16ten Jahrhunderts, dem Mabuse in dem Bilde der Kreuzigung
im Berliner Museum ähnlich, doch freier und nobler in den Köpfen.
Schloss Rheinstein. — Unter den zahlreichen Kunstgegenständen,
mit welchen dasselbe ausgestattet ist: zwei Handzeichnungen von Al brecht
Dürer, St. Hubertus und St. Antonius von Padua.
Tiier. — Hermes'sche Gemäldesammlung (im Gymnasium).
Zwei schmale und hohe Bildchen der Eyck'sehen Schule. Das eine ist
ein Mittelstück und enthält oben den h., Georg mit der knieenden Dona-
torin, unten den h. Christoph; das andre ist ein Flügelbild und hat eben-
falls zwei Heilige übereinander. Treffliche Arbeiten, dem Johann v. Eyck
ziemlich nah, doch etwas derber und nicht so schön in der Farbe.
Kleines Altärchen, auf der Mitteltafel die Verkündigung, auf den
Flügeln Gebete in Goldschrift. Den Bildern des Hugo van der Goes im
Berliner Museum durchaus verwandt.
Köpfe des Christus und der Maria. Alterthümlich typisch in moderner
Behandlung; der Madonnenkopf jedoch nicht, wie gewöhnlich bei diesen
Bildern, lang von vorn, sondern etwas von oben gesehen^). — Rand-
schriften. Bei dem Christuskopfe steht, dass das Original sich in S. Süt
vestro zu Rom, bei dem Marienkopfe, dass das Original sich in S. Maria
maggiore zu Rom befinde.
Eine Landschaft, jeich phantastisch, ohne Zweifel von Patenier;
vorn eine treffliche Madonna mit ,dem Kinde.
Ein stehender Christusknabe mit dem Lamm, scheint van Dyck.
Noch sehr vieles Andre. Einige gute niederländische Genrebilder,
einige sehr ausgezeichnete Stillleben (Geflügel); auch einiges leidlich Gute
aus spätitalienischer Zeit.
Unvortheilhaft aufgehängt und überfüllt.
') Einen ähnlich typischen Marlenkopt, über einer Halbflgur in rococo-
blumigem Kostüm — ein Bild von eigen phantastischem Reiz — sah ich bei
Hrn. Direktor Wyttenbach zu Trier.
ii»irTr-ii
-ocr page 322-Studien an Rhein und Mosel, Kirchl. Praclitgerätb, 2. Roman. Epoche. 323
Köln. St. Kunibert. — Die drei oberen Fenster in der Mitte der
Absis reich mit biblischen und legendarischen Vorgängen, die teppich-
artig von buntem Arabesken- und Ornamentwerk umschlossen werden.
In jedem der drei unteren eine Heiligenfigur (S. Cordula, S. Johann Bapt.,
S. Ursula), jede von einem reichen Arabeskenrahmen umgeben. Aehnlich
zwei andre Fenster, in der nördlichen Giebelwand des östlichen Querschiffs,
unterwärts. — Diese Arbeiten sind sehr interessant für den spätromani-
schen, ins Germanische übergehenden Styl. In den Arabesken herrscht
entschieden die romanische Grundform vor, doch in reichen und mannig-
faltig schönen Zusammenstellungen. Die drei Öberfenster erscheinen hie-
durch ganz wie Teppiche, zum Theil zu kraus, was aber ebenfalls für die
romanische Spätzeit charakteristisch ist. Im Figürlichen entwickelt sich
auf der Grundlage des strengen Byzantinismus schon ein leichter und man-
nigfach bewegter Schwung, der sich zum Theil zu direkt germanischen
Motiven umgestaltet. Die genannten drei unteren Figuren sind in solcher'
Weise ganz bedeutsam.
Heimersheim. Kirche. — In den beiden Mittelfenstern des Chores
alte Glasmalerei, frühgermanisch, noch mit byzantinischen Reminiscenzen;
links Heilige, rechts biblische Vorgänge. In der strengen miniaturartigen
Behandlung colorirter Umrisse. Leuchtende Farben,
Köln. Dom. — Die Glasfenster des Chores sind durchaus einfach
musivisch aus Hüttengläsern (das Rothe als Ueberfangglas) zusammenge-
setzt. Nur Weniges, z. B. die Bezeichnung der Gesichtstheile, ist an den
inneren Seiten mit Schwarz aufgemalt. Somit sind es ganz einfach colo-
rirte Linearzeichnungen, und zwar im einfach strengen Style der Zeit von
1300, Die fast übergrosse Einfachheit iMd der noch unausgebildete Cha-
rakter, im Vergleich zu den übrigen Arbeiten derselben Periode, sind fast
befremdlich. Doch erscheint u. a. die Madonna mit dem Kinde, in- der
Anbetung der Könige am Mittölfenster, in den Umrissen schon sehr an-
muthig und gefühlt. Von wunderbarer Wirkung aber ist die Farbenpracht,
in ihrer vollen Glut. Das Ganze ist auch mehr teppichartig behandelt, in
verschiedenartiger Weise, die oberen Fensterfüllungen im reichsten kalei-
doscopischen Wechsel, wobei zugleich zu bemerken, dass über den Ge-
stalten nur sehr niedrige Tabernakelkrönungen,, die in gleichmässig hori-
zontaler Linie gegen das Teppichmuster abschliessen und nicht in dieses
hineinwachsen, angebracht sind. Das Ganze bildet eine vortrelTlich archi-
tektonische Füllung.
In den Kapellen des Chor-Umganges ist ebenfalls noch ein grosser
Theil der alten Glasmalereien erhalten, besonders vollständig die der heil,
drei Königs-Kapelle. In Styl und Behandlung stehen sie den vorgenannten
völlig parallel.
C ob lenz. S. Flo rin. — In die Fenster des südlichen Seitenschiffes
vertheilt, Stücke-von grösseren Fensterbildern. Kleine, mit rausivischen
Mustern umgebene Darstellungen aus der Geschichte Christi; schlicht ger-
manisch.
Im nördlichen Seitenschiff: zwei Darstellungen Christi am Kreuz mit
Maria und Johannes, streng germanisch; — und die Himmelfahrt Christi,
weich germanisch, (Beide in Einem Fenster.) Nach v. Lassaulx's Angabe
324 Rheinreise, 1841; Zweiter Abschnitt.
stammen diese Glasmalereien, als Geschenk des Ministers v. Stein, aus
Dausenau, zwischen Ems und Nassau.
St. Goar, Stiftskirche. — Reste alter Glasmalereien im Ober-
theil der Fenster des südlichen Seitenschiffes. — In den Fenstern der
südlichen Empore ebenfalls ein Paar gute, aber sehr verflickte Heiligen-
figuren.
Oberwesel. Stiftskirche. — In den Fenstern noch allerlei hüb-
sches GlasornameHt.*
Köln. St. Gereon. — In den Fenstern der Sakristei noch bedeu-
tende Theile streng gothischer Glasmalerei in-gutem Style: die Rosetten
und unten eine Folge von einzelnen Heiligen.
Kirche zu Altenberg bei Köln. — Das kolossale Fenster in der
Westfa^ade der Kirche, ganz mit Glasmalerei ausgefüllt, von der nur
einige Theile fehlen und Weniges beschädigt ist. Es sind reiche Taber-
nakel-Architekturen in einem eigen gothischen Style, in dem sich der Bau
der freien Spitzthürme mit den Formen des Burgbaues verbindet, so dass
scheinbar etwas der Renaissance Verwandtes zum Vorschein kommt; die
Bögen dabei sind schon rund und mit geschweiften Giebeln versehen. Die
Farbe der Architektur ist gelb, mit einfachen Schattentheilen, die Gründe
sind bunt gemustert. — Unter den Tabernakeln sind zwei Reihen von
Heiligen, übereinander; oberwärts in den Tabernakeln kleine Figürchen.
Weiter nach oben, in dem untersten Theile der Stabverschlingung des
Fensters, sind acht musicirende Engel, und darüber die grossen Brustbil-
der der vier Kirchenlehrer. In den oberen Theilen fehlt viel. Alles Fi-
gürliche ist weiss und grau schattirt. — Der figürliche Styl giebt ein volles,
reiches Germanisch, mit vollen, weich geordneten Falten und wenig ge-
schweiften Stellungen. Die Köpfe, auf älter kölnischer Grundlage, sind
weich naturalistisch, bei den Kirchenvätern vortrefflich, bei einzelnen Ge-
stalten schon auf den sogenannten Isr. v. Meckenen hindeutend. Zeit um
1420-30.
Sonst sind die Fenster, soweit sich die alte Verglasung erhalten hat,
durch die zierlichsten Grisaille-Ornamente in sehr mannigfaltiger Weise
ausgezeichnet.
Kirche des Dorfes Münster an der Nahe, unweit Bingen. —
Einige Reste guter Glasmalerei des löten Jahrhunderts, namentlich Maria
und Johannes nebst den Füssen des Crucifixes im mittleren Chorfenster.
Köln. Dom. — Reste von Glasmalerei in zw^ei Fenstern der In-
terims-Mauer i) des nördlichen Querschiff-Flügels: Heilige auf Teppich-
grund und in architektonischer Umgebung; links die hh. Pantaleon und
Laurentius als Kniebilder, rechts die hh. Andreas und Petrus, etwas
kleiner in ganzer Figur. Etwa erste Hälfte des löten Jahrhunderts.
Trefflich durchgebildet germanisch, die Köpfe mit anmuthig edelm, noch
-ziemlich kölnischem Ausdruck. Die weisse (und schattirte) Farbe schon
wesentlich vorherrschend, doch im Ganzen noch eine stylgemässe Ge-
sammtwirkung.
Köln. Maria auf dem'Kapitol. — Kapelle Hardenrath. Die
schon erwähnte sehr beschädigte Glasmalerei in dem rHauptfenster der
Kapelle, die in der Hauptdarstellung die Kreuzigung Christi enthält und
Diese Mauer ist bei dem inzwischen erfolgten Weiterbau des Domes
beseitigt.
Studien an Rhein und Mosel. Glasmalerei. 325 jj'
eine Verwandtschaft mit der Richtung des sogenannten Israel von Mekenen
erkennen lässt. Auch hier starke Mitbenutzung weissen Glases.
Trier. St. Matthias. — Im Mittelfenster des Chores, dasselbe aber
nicht ganz ausfüllend, ein grosses Glasgemälde: Christus am Kreuz, mit
Maria, Magdalena und Johannes. Treffliches Werk aus der Zeit um 1500.
In den Farbenmassen das Weissgrau vorherrschend. jj
Köln. St. Georg. — Im (erweiterten) Mittelfenster der Absis ein
Bchönes Glasgemälde, c. 1500, aus der ehemaligen Kirche Öt. Lorenz. Iin
Obertheil Christus am Kreuz, Engel, die das Blut auffahgen, Maria und
Johannes. Unterwärts in der Mitte St. Laurentius, zu seinen Seiten der
Donator und ein Engel mit einem Wappen. Sehr edel in dem eckigen
Style. Meist weiss und graue Schatten, nur einzelne schöne Farben (wie
die späteren Domfenster).
Köln. St. Severin. — Im Mittelfenster der Chor-Absis ein gutes
Glasbild der Kreuzigung, Anfang des 16ten Jahrhunderts.
Köln. S. Maria in Lyskirchen, — In den Fenstern der Seiten-
schiffe gemalte Tafeln; die der Nordseite gute Beispiele der Malerei aus
der früheren Zeit des 16ten Jahrhunderts; die der Südseite mehr fragmen-
tirt, zum Theil etwas früher.
Köln. Dom. — Die berühmten Glasgemälde des, nördlichen Seiten-
schiffes (wiederholt mit der Jahrzahl 1509 versehen) liaben für mein Ge-
fühl gerade keinen vorzüglich hohen Kunstwerth, so reiche Pracht der
Farbe sich an ihnen auch im Einzelnen entfaltet. Es fehlt ihnen vor Al-
lem die gesetzliche architektonisch rhythmische Wirkung. So zunächst in
der Farbe, in der das Weiss allzusehr vorherrscht, so dass die andern
Glanzfarben in Ermangelung des Helldunkels, zu Flecken werden. Dies
ist uiQ so störender als in der Composition das Teppichgesetz, der Tep-
picheinschluss u. s. w. fehlen. Obgleich die Gestalten und Gruppen aller-
dings zumeist unter Baldachinen befindlich dargestellt sind, so dehnen sie
sich doch viel zu sehr über die ganze Fensterflächs aus und machen somit
schon an sich die Totalwirkung wirr. Dann ist auch die Zeichnung und
künstlerische Conception im Allgemeinen nicht gar bedeutend. Es ist eine
ziemlich handwerksmässige Behandlung derjenigen Kunst, die sich in
Deutschland im Gefolge der Eycks ausbildet, etwa den Westphalen und
den roheren Wohlgemuths parallel. Zudem ist die malerische Durchbildung
auch noch auf einer nur anfänglichen Stufe. — Dennoch ist Einzelnes
vortrefflich gedacht, und natürlich die Pracht des Ganzen und der Masse
desselben sehr wirksam. . ^
Köln. Maria auf dem Kapitol.
Südliches Seitenschiff:
Erstes Fenster nach Westen. — Oberwärts: h. Jacobus Pilger, h. Ur-
sula mit Jungfrauen, ein ritterlicher Heiliger. Darunter: Donator , Engel
mit Wappen, Donatorin mit zwei Töchtern. Bez. 1514. In schöner^ treff-
licher Entwickelung, Gesichter weiss, doch sonst mehr Farbe als in den
Fenstern im nördlichen Seitenschiff des Doms. Recht treffliche Durchbil-
dung. Die h. Ursula und die weiblichen Donatoren von grosser Anmuth.
Der Styl im Allgemeinen als ein sehr würdiges Beispiel der Zeit.
Zweites Fenster. — Nur eine Madonna in der Mitte erhalten, nicht so
bedeutend.
Drittes Fenster. — Ebenfalls recht gut. Doch wieder mehr Weiss,
mehr Derbheit und Naturalistik.
326 ßheiareise, lö41. Zweiter Abschuitt.
Nördliches Seitenschiff:
Erstes Fenster gen Westen. — Mitteltheil. Christus am Kreuz, Maria
und Johannes; unten der Donator. Weiss vorherrschend. Sehr nobel und
würdig durchgebildet. Hauptbeispiel der Kunst.
Zweites Fenster. — Oben drei Heilige (der ^ine war erneut, wohl mit
Oelfarben, und ist wieder erloschen). Unten links Johann Heller von
Frankfurt (sacre theologie professor), Engel mit Wappen, Jacob Heller
von Frankfurt und seine Frau. Ausgezeichnet in feiner Durchbildung,
doch nicht rechte Grösse des Styles, auch nicht rechte Harmonie.
Drittes Fenster. — Nur eine ganz hübsche Madonna mit dem Kinde
und der Donator.
Reste von zumeist verdorbener Glasmalerei' in den oberen Chorfenstern,
Köln. Evangelische, ursprünglich Antoniterkirche. — Im
Mittelfenster des Chores ein schönes Glasbild, Crucifix, Maria, Johannes
und blutauffaugende Engel. In jener schönen durchgebildeten Weise, die
auf die Fenster im nördlichen Seitenschiffe des Domes folgt. Brillante,
barock gothische Einrahmung (ebenfalls gemalt). Interessant, doch nicht
bedeutend geistreich.
Köln. St. Peter. — Namhafte Anzahl von Glasmalereien aus dem
16ten Jahrhundert, d. h. der Zeit, in der moderne Elemente sich der hei-
mischen Weise beimischen. Die bedeutendsten sind die Darstellungen der
drei Chorfenster: Dornenkrönung, Kreuzigung (mit der Jahrzahl 1528) und
Grablegung, darunter Donatoren, Heilige und Wappen. Hier das Heimische
noch vorwiegend. Ziemlich bunt in der Gesammtwirkung, wie die Dom-
fenster, nur weniger weiss; die Durchbildung aber viel gediegener, mit
mehr Sinn und Geschmack, Einzelnes sehr würdig. Dabei aber auch Mo-
dernitäten in den gerüsteten Kriegsleuten etc. — Ausserdem noch einzelne
Darstellungen in vielen andern Fenstern, meist einzelne Heilige, bei denen
im Ganzen noch mehr Farbe, doch weniger Adel und Durchbildung. Auf
einem Fenster fand ich die Jahrzahl 1528, auf einem andern 1530.
Köln. St. Pantaleon. — In den drei Fenstern des gothischen Chor-
schlusses die Reste einer ungemein schönen, farbenreichen und durchge-
bildeten Glasmalerei. deren Styl indess die beginnende Kenaissance zeigt.
Etwa aus dem zweiten Viertel des 16ten Jahrhunderts. In der Mitte
die Kreuzigung, zu den Seiten Heilige, ausserdem Engel und Wappen.
Kyllburg. Stiftskirche. — Drei gemalte Fenster im Chorschluss,
das in der Mitte von 1533, die beiden zu den Seiten von 1534. Pecht
interessant. Links Scenen der Geburt Christi, in der Slitte und rechts
Scenen der Passion. Unterwärts, durchgehend, Heilige | und Donatoren.
Compositioncn mit Benutzung Dürer'scher Motive. Geistreich im Style der
Zeit durchgebildet; doch fehlt die entschieden brillantere, buntere, mehr
teppichartige Farbenwirkung. Die Köpfe meist recht ausdrucksvoll. Die
Figuren und die Gewandung verstanden. Die dargestellte Architektur in
spielender Renaissance, die sich aber dem Ganzen leidlich fügt. An dem
Glasfenster zur Rechten ist etwa das untere Viertel beschädigt und durch
weisses Glas ersetzt.
Studien an Rhein und Mosel. Grabplatten mit zeichu. Darstellung. 327
VI. GRABPLATTEN MIT ZEICHNEI^DER DARSTELLUNG.
Coblenz, St. Castor. — Grabstein im ntirdlichen Flügel des Quer-
schiflFes mit der Inschrift „Scolasticus." Merkwürdige Technik. Wachs-
artige Farben, die enkaustisch, nach dem Princip der alten Glasmalerei,
aufgelegt zu sein scheinen. Freilich nur noch Reste davon. Die Zeich-
nung ist byzantinisch, die architektonische Umgebung früh germanisch.
Köln. Maria auf dem Kapitol. — An der Wand unter der Or-
gelbühne zwei Grabsteine: schwarzer Stein, mit farbig incrüstirten Linien
(die in neuerer Zeit mit Farbe nachgezogen).
Der ältere und reichere ist der einer Aebtissin Shadewig (?), gest.
1304; ihre Gestalt unter gothischer Tabernakelzeichnung; Gesicht, Schleier
und Hände von weissem Marmor, mit schwarzer Linearzeichnung. ^
Der jüngere und einfachere ist der der Aebtissin „Margaretha de Me-
royde condicta de frankenbergh", gest. 1504.
Brauweiler. — In der Kirche u. a. ein Grab mit nicht grosser Me-
tallplatte, mit einfach gravirter Darstellung eines Abtes; lötes Jahrhundert.
Cues. Kapelle des Hospitals. — Im Chor die messingene Grab-
platte des Kardinals Cusanus mit gravirter Darstellung. In der Mitte die
ganze Figur des Kardinals, vor sich eine Inschrifttafel haltend (mit der
Angabe, dass das Denkmal 1488 gewidmet). Unter dem Kopf ein Kissen
mit Wappen. Im Style der Zeit, das Gesicht sehr lebenswahr. Einfache
Umrisszeichnung und kein architektonischer Grund. In der um den Rand
der Platte laufenden Inschrift heisst es: „Nicoiao de Cusa, sancti petri ad
vincula pb'ro cardinali et epo Brixwen qui obiit Tuderti, fundator hujus
hospitalis 1464"; auch, dass er in RorS begraben und hier sein Herz be-
stattet sei.
Kirche zu Altenberg bei Kpln. — Messingene Grabplatte, des
Herzogs Gerhard von Jülich und Berg, gest. 1475. Sehr gross, aus zwölf
Stücken zusammengenietet. Die gravirte Darstellung künstlerisch nicht sehr
bedeutend: der Herzog ganz geharnischt, wie ähnliche sculptirte Gestalten
auf Grabsteinen; einfache Tabernakel-Architektur
VIT. KIRCHLICHES PRACHTGERAETH.
Coblenz. Bei Hrn. Assessor Burchard. — Cylinderartiges Elfen-
beingefäss von 5 bis Zoll Durchmesser. Umher in Relief dargestellt:
Die ungleich schönere und reicher durchgeführte, noch im germanischeu
Styl des 14ten Jahrhunderts gehaltene Grabplatte des Bischofes Wigbold von
Cnlm, gest. 1898, ist nicht mehr vorhanden. Ihre Abbildung, wie die der Obi-
gen, in dem Werke von Schimmel: die Cistercienset-A.btei Altenberg bei Köln
(Einen Abdruck derselben auf Papier sah ich bei Hrn. de Noel in Köln.)
Rheiureise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Christus, jugendlich, thronend, und die zwölf Apostel. Christus als Im-
perator, die Apostel in mannigfach lebhaften Bewegungen, sehr verschie-
denartig', fast nach einem akademischen Princip. Dann noch das Opfer
Isaacs, daneben der Engel in der Gestalt einer Victoria. — Scheint ent-
schieden ältest christlich, constantinisch, den ältesten Sarkophagsculpturen
in aller Beziehung auffallend verwandt ').
Im Besitz des Herrn Burchard noch manch hübsches, mittelalterliches
Holzschnitzwerk.
Trier. Dom. — In der Schatzkammer; Ein Reliquienkasten von
vergoldetem Silljcr, iP/a Zoll lang, 7% Zoll breit, O'/« Zoll hoch, mit dem
allerreizendsten und geschmackvollsten Filigran bedeckt. Die Hauptmuster
desselben sind Bandverschlingungen im Style des elften Jahrhunderts.
Ebendaselbst noch andre weniger bedeutende Reliquiarien.
Trier. Lie b frau en kirche. — Altare portatile. 17 Zoll lang,
etwas über 8 Zoll hoch und breit. Ein Holzkasten, bekleidet mit Silber-
platten, vergoldeten Kupferplatten und Elfenbeini)latten. ~ Oben in der
Mitte ein kleiner Stein, umher die Umschrift: „Hoc altare beatus Wil-
Hbrordus in honore Dni Salvatoris consecravit supra quod in itincre
missarum oblationes do offerre consuevit in quo continetur de ligno crucis
Christi et de sudavio capitis ipsius." Auf dem Deckel oben eine getrie-
bene Silberplatte: Christus zwischen Moses und Petrus, darunter drei andre
Figuren (Transfiguration ?); etwas grob romanisch, gegen Ende des zwölften
Jahrhunderts. Umher noch andre Umschriften, auf die in dem Altärchen
befindlichen Reliquien bezüglich. — An der einen Langseite eine Elfenbein-
platte: Madonna mit idem Kinde, ganze Figur, und zwei verehrende Engel,
streng romanisch, aber gut im Gefühl (daneben griechische Buchstaben).
Auf jeder Seite derselben ein Elfenbeinrelief mit drei Brustbildern von
Heiligen übereinander. Zu den Seiten eines jeden von diesen drei getrie-
bene Brustbilder. (An dieser Laugseite also im Ganzen zwölf Brustbilder).
— Auf der andern Langseite der Tod der Maria, in strengem, roh byzan-
tinischem Styl. Die Seitenfelder vvie auf der ersten Langseite, docli statt
der je drei, hier nur je zwei Brustbilder; von den getriebenen Brustbil-
dern sind vier verloren. — Auf der einen Schmalseite Christus zwischen
Maria und Johannes, auf der andern ein h. Abt und ein lL.Bischof, —
getriebene Arbeiten im schwer germanischen Style des 14ten Jahrhunderts.
— Die Seitenflächen sind meist sämmtlich umfasst von breiten Kupfer-
streifen mit Goldornamenten romanischen Styles. ^^^
') Dies "Werk, ein Unicum in seiner Art, ist, naclidem ich die Aufmerk-
samkeit der Keimer auf dasselbe geleitet hatte, in die zum Berliner Museum
gehörige Kunstkammer übergegangen. Rücksichtlich der noch rein antiken Be-
liandlung eines christliclien Gegenstandes kann demselben etwa nur der bekannte
Sarkophag des Junius Bassus an die Seite gestellt werden. Ohne Zweifel war es
urs^prünglich zur Aufbewahrung der Eucharistie bestimmt. Herr Burchard er-
zählte mir, dass er es bei einem Bauern in einem Dorfe auf der Mpsel gefunden
und dass es dort als Fuss eines^, mit dem unteren Stammende hineingesteckten
Cruciflxes gedient habe.
Studien an Rhein und Mosel. Kirchl. Prachtgeräth. 2. Roman. Epoche. 329
Trier. St. Matthias. — Reliquienbehälter, 2 Fuss 4 Zoll hoch,
1 Fuss 8V4 Zoll breit. In der Mitte ein Doppelkreuz, aus Stücken des ,
h. Kreuzes zusammengesetzt, umher eine Menge andrer Reliquien unter
Krystall. Alles mit vergoldeten Kupfereinfassungen umgeben. Dann noch
ein breiter Rahmen. Innerhalb des letzteren läuft eine Niello-Umschrift,
des Inhalts, dass Anno M. . .. (Datum und Name sind ausgeschliffen) ...
ein Holz des heil. Kreuzes aus Constantinopel gebracht habe. Der ganze j
Charakter gehört der früheren Zeit des ISten Jahrhunderts an. Die Ein-
fassungen bestehen zunächst in feiner Filigranarbeit, in die eine Menge
Steine eingelassen sind; ausserdem in Platten mit getriebenen Mustern im
schönen spätromanischen Style. Auch in dem Hauptrahmen sieht man
eine schöne durchbrochene Leiste mit allerlei Thieren. Der Hauptrahmen ;
ist in ähnlicher Weise behandelt, wie die andern Einfassungen, doch be- ■
sonders reich; darin sechs grosse Stücke mit ungemein geschmackvollen ,
Emaille - Mustern , im Style der allerschönsten Arbeiten dieser Art. Zu 1
den Seiten des Kreuzes noch zwei Hautrelieffiguren von vergoldetem Kupfer,
Engel, welche Rauchfässer schwingen, von vortrefflicher Arbeit; feinfaltig
germanischer Styl, in seinem Uebergange aus dem Romanischen. — Unter
der grossen Menge schmückender Edelsteine finden sich zwei grössere an- f
tike Cameen (ein jugendlicher Imperatorkopf und Hebe mit dem Adler) und •
21 Gemmen, Arbeiten, die in künstlerischem Belang nicht eben eine aus-
gezeichnete Bedeutung haben. — Die Seitenflächen des Behälters sind mit )
sehr schön getriebenem Ornament versehen. — Auf der Rückseite ist eine !
grosse Kupferplatte, vergoldet, mit gravirten Darstellungen: in der Mitte
Christus, umher die Evangelisten-Symbole; oben und unten eine Reihe
von Heiligen und Wohlthätern des Klosters unter romanischen Architek-
turen. Der Styl spätromanisch, engfaltig in seiner feineren Beweglichkeit; > V
die Ausführung nicht gar geistreich. , J
Trier. Hermes'sche Sammlung von Antiquitäten in der t
Städtischen Bibliothek. — Reliquienkasten, bestehend aus Kupfer- t
platten mit niellirteu Figuren auf Gold, die Köpfe en relief, Emaille- \
grnnd, zwölftes Jahrhundert. '
Siegburg. Pfarrkirche. — Ein bedeutender Schatz von Reliquia-
rien, meist alle aus romanischer Zeit.
1) Klein, in Kapellenform, ganz einfach. Sechs vergoldete Kupfer-
platten mit figürlichen Darstellungen in Linearzeichnung und zum Theil
mit reliefartig erhöhten Köpfen. Emaillirter Grund. Der Styl der Zeich- 1
nung streng und zum Theil roh byzantinisch.
2) Ein Altärchen, oben mit einem Porphyrstein und mit Bildertäfel- f
chen geschmückt; d^s Figürliche: Gold mit schwarzen Niellolinien; der
Grund: Email. Streng byzantinischer Styl. Linke Reihe der Täfelchen:
Gottvater mit zwei Engeln; darunter die Taube; darunter der Crucifixus
mit Maria und Johannes nebst Sonne und Mond: darunter Adam im Grabe
stehend (wie eine Pietas), auf dessen Haupt das Blut Christi träuft. Rechte
Reihe: Christi Himmelfahrt; Maria und Engel am Grabe; schlafende Wäch-
ter; Christus mit Magdalena im Garten, Zwischen beiden Reihen, oben
und unten, die Apostel. An den Seiten des Altärchens die Figuren der
Propheten und Aehnliche. Auf der Unterseite eine Schrift, gothisch auf
Pergament, die das Altärchen als das des h. Mauritius bezeichnet; ausser-
dem Email-Ornament und ein'emaillirtes, äusserst langes Verzeichniss der
in dem Altärchen aufbewahrten Reliquien. ,
330 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
3) Ein Reliquiarium, wie No. 1, nur grösser und länger. Die Figuren
der Vorderseite ganz en relief und angeheftet, wobei aber zu bemerken,
dass die Plastik, besonders in den Gewändern, doch meist nur eine lineare
ist. Streng byzantinischer Styl.
4) Ein Altärcheu, wie No. 2, ebenfalls etwas grösser; auf der oberen
Fläche mit einer Serpentinplatte; unten auf einer Pergamentschrift als
„Altare portatile Sei Gregorii pape rome doctoris" etc. bezeichnet. Zahl-
reiche Goldniellen mit Emailgrund. Oben umherlaufend ein Reigen von
Heiligen, 32 au der Zahl,-wobei der Grund aus reichemaillirten Laub-
Ornamenten besteht; ausserdem noch vier Sceuen der h. Geschichte, in
herkömmlicher, doch trefflich belebter Composition. Au den Seitenfeldern
Figuren von Propheten und Patriarchen. Die Darstellungen in sehr sau-
berem byzantinischem Styl, geistvoll bewegt, mit Formenfülle, auch schon
mit lebendigem Natursinn, selbst mit Anmuth und Klarheit im Faltenwurf.
Dies besonders bei den oberen Darstellungen; doch sind auch die an den
Seiten ganz gut.
5) Altärchen ohne Steinplatte. Die ganze Oberfläche ist eine Kupfer-
tafel, darauf sechs Darstellungen, die durch Bogenbänder mit Inschriften
getrennt werden; jede Seitenfläche besteht ebenfalls aus einem Stück: —
des Abendmahl und dann meist Reihen sitzender Heiligen. Bewegt by-
zantinischer Styl, aber roh und ohne viel Formensinn. Goldniellen auf
Emaillengrund.
6) Kapelleuförmiger Kasten; seine Bekleidung verschiedenzeitig zusam-
mengeflickt. Einige Platten mit guten Goldniellen auf Emailgrund; eine
Reihe roh getriebener Figuren frühgermanischen Styles zwischen Säulen,
u. s. \v.
7) Grösserer kapellenförmiger Kasten mit getriebenen Darstellungen
byzantinischen Styles auf dem Dache. An den Seiten romanische Arkaden,
mit vergoldeten Säulchen und Bögen; in den Zwickeln der letzteren, vor-
tretend, rohe Büsten. Im Grunde der Arkaden neuere gemalte Darstel-
lungen.
8) 9) 10) Drei noch grössere Kasten mit reich emaillirten Säulen und
Bögen und sonstiger, auch getriebener und ciselirter Fassung und Steinen,
während alle Bildfelder neu gemalt sind. Be^sonders bedeutend der dar-
unter befindliche Kasten des h. Anno, an dem Alles ungemein reich und
im elegant romanischen Style verziert ist, die Säulen gekuppelt und mit
sehr elegant ornamentirten Kapitälen, die Bögen rosettenartig gebrochen,
in den Zwickeln Halbfiguren von getriebener Arbeit. Hiese letzteren
indess nur ziemlich roh romanisch. '
11) Grosser Kasten, ganz mit vergoldetem Blech^feedeckt; darauf ge-
presste Ornamente. Gothischer Styl. Einfach spitzbogige Nischen, in
denen aber alles Figürliche fehlt. .
Köln. St. Maria in der Schnurgasse. (Kirchliches Gebäude
unbedeutend modernen Styles.) — Hinter dem Altar, hinter Gitterwerk,
zwei grosse Reliquiarien. Grosse kapellenartige Schreine, mit Emaillen
und getriebenen vergoldeten Arbeiten bedeckt, von denen aber, nament-
lich von den getriebenen Arbeiten auf den Seiten, schon Manches fehlt.
Die Emaillen, — Säulen und Pfeiler mit Bögen, Einfassungen u. dergl., —
iu den mannigfaltigsten und geschmackvollsten romanischen Mustern; auch
kommen unter ihnen mehrfach figürliche Darstellungen, ganz farbig und
mit Goldlinien, vor, die in vortrefl'lichem Style gehalten sind. Die ge-
Studien an Rhein und Mosel, Kirchl. Praclitgerätb, 2. Roman. Epoche. 331
triebenen Darstellungen sind, in auffallendem Gegensatz, meist sehr roh
Köln. St. Ursula. — Gothischer, moderp überbauter Hochaltar. ^
Dahinter ein von vier Säulen getragener hölzerner Schrein, mit den drei v
schmückt, namentlich der letzte mit vielen Säulen, Medaillons und getrie- - ;
benem vergoldetem Silberblech. Früher traten die Vorderseiten dieser 4
Kasten über den Altar hervor; sie sind aber sehr verdorben, das Figür- f
liehe abgerissen, etc.
Das Antipendium des Hochaltares von St. Ursula, ganz im ähnlichen |
Styl, befindet sich im städtischen Museum; es hat ein rosettenförmiges |
Hauptfeld in der Mitte und Arkaden mit Emailverzierung und getriebenen I
Streifen zu den Seiten. Die Füllungen bestehen überall aus späterer Ma- |
lerei, die, nach einigen davon erhaltenen Figuren (ümrisszeichnungen auf '
Goldgrund mit gemaltem Nacktem) der Richtung des Meister Wilhelm ■
angehört. Das Meiste davon gehört indess jüngster Erneuung an ').
Köln. St. Severin. — Reliquienkasten des h. Severinus. Altarför- >
mig. Daran alt eine runde Emailplatte von etwa 6 Zoll Durchmesser mit f
der Figur des h. Severinus, in der gewöhnlichen romanischen Weise. I
Ausserdem unter den dortigen Reliquienbehältnissen zu bemerken: ein
Kreuz, mit vergoldetem Kupfer belegt. Auf letzterem, gravirt, Ornamente
und die Symbole der Evangelisten. Roh byzantinisch, etwa erste Hälfte I
des zwölften Jahrhunderts.
Köln. Dom. — Die Tumba der heiligen drei Könige,,ein Reliquia-
rium von kolossaler Dimension, in Gestalt einer zweigeschossigen Kapelle
3 Fuss breit, iVa Fuss hoch,- öVa Fuss lang; nach mehreren bedrohlichen V
Schicksalen in neuerer Zeit in der gegenwärtig erscheinenden Weise wie-
der zusammengesetzt und mit Ergänzungen versehen. Die Vorder- und
Rückfläche, wie die Seitenflächen, mit in Haatrelief getriebenen figürlichen :
Darstellungen unter Arkaden: — an der Vorderseite, unterwärts, eine j
thronende Madonna, rechts die zur Anbetung nahenden heil, drei Könige |
die hh. Felix und Nabor; — an den Seitenflächen unterwärts sitzende Pro-
pheten, oberwärts sitzende Apostel. — Im Allgemeinen ist zu bemerken,
dass die Tumba einen grossen Reichthum byzantinischen Email-Ornamen-
tes, an Säulen, Bogenstücken, Füllungen u. dergl. enthält; zierlichste Bei-
spiele der Art. Die Kapitale der Säulen sind mannigfach verschieden i
dekorirte Würfelkapitäle, durchbrochen gearbeitet. — Die figürlichen Dar-
stellungen sind verschiedenartig, obgleich im Allgemeinen der spätbyzan- I
tinische Styl mit seinen Uebergängen ins Germanische ersichtlich wird.
Die Darstellungen der Vorderseite (der Zeit um oder bald nach 1198 be-
stimmt angehörig) sind ziemlich roh und ungeschickt, so auch" die Mehr- ;
zahl der Apostel. Das üebrige dagegen zeigt die Entwickelung des Styles
In der „goldueu Kammer" von St. Ursula befindet sich einer der Wein-
krüge von Kana, welcher dem im Cither der Schlosskirche zu Quedlinburg be-
wahrten und ebenso bezeichneten Kruge gleich ist. (Kl. Sehr., I, S. 623.) •
332 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
in ihrer bedeutsamsten Ausbildung und dürfte für das Moment des üeber-
ganges, wo die Feinfaltlgkeit zu den merkwürdigsten, der besten römi-
schen Kunst verwandten Resultaten führt, ein Hauptbeispiel sein. Beson-
ders gilt dies von der^Hinterseite, wo die Strenge des Styles noch wohl-
erhalten ist. Unter den Propheten sind ebenfalls vortreffliche Figuren
dieser Art, doch sehen die Köpfe zum Theil bedenklich modern aus.
Ausserdem enthält die Tumba einen grossen Kunstschatz durch die
sehr bedeutende Menge antilier geschnittener Steine, die zu deren Aus-
stattung verwandt sind und unter denen sich im Einzelnen sehr schätzbare
• Stücke finden ').
Köln. Schatzkammer des Domes. — Altarkreuz, S'/a Fuss
hoch, mit Emaillen und Steinen. Goldfiguren auf Emailgrund in der ge-
wöhnlichen Art; die Figur des Crucifixus roh byzantinisch erhaben; in den
Kreuzarmen die Symbole der Evangelisten. — Der Untersatz, aus verschie-
denen Emailmustern und Säulen (Fragmenten der Tumba der heil, drei
Könige) zusammengesetzt, bildet eine Art Schrein. Als dessen Haupttafel
ist au der Vorderseite ein getriebenes Relief aus vergoldetem Silber ein-
gesetzt : die Ausgiessung des heil. Geistes. Deutsch, Zeit um 1520, ziem-
lich handwerklich, doch immerhin tüchtig.
Stab des zeitlichen Chorbischofes, 6 Fuss lang, nach der interessanten
Inschrift vom J. 1178. Oben mit einer Krystallkugel, über der sich eine
Art Dreizack erhebt und von diesem getragen die Gruppe der Anbetung
der Könige, die aber jünger erscheint als das Jahr der Inschrift, 251emlich
früh germanisch. Die Figürlein zwar schon weichfaltig, doch noch ziem-
lich unfrei. Die drei Stäbe der Gabel mit gravirten ornamentistisch phan-
tastischen Darstellungen, die ganz artig sind, ob auch etwas flüchtig.
Kirche zu Deutz. — Ueber dem Altar ein grosser Reliquienkasten
mit Emaillen und vergoldeten getriebenen Arbeiten. Die Dachfläche mit
sieben Emailstreifen (von oben nach unten), ornamentistisch; oberwärts
und unterwärts im Halbrund mit symbolischen und andern Darstellungen
ausgehend. Zwischen den Streifen ziemlich grosse Email-Medaillons mit
biblischen Scenen. Die Zwischenfüllungen von getriebenem Ornament. —
Die Vorderfläche ebenfalls mit sieben Emaülstreifen, darauf (in Email
gemalte) Figuren von Propheten oder Heiligen. In den Zwischenfeldern
getriebene Figuren, etwa Apostel. Diese im strengen byzantinischen Styl,
zum Theil mit grossartigen Motiven in der Anlage der Gewänder; den
Arbeiten des heil. Dreikönigskasten in etwas verwandt, doch roher und
strenger. Die Emailmalereien in der gewöhnlichen Art, nkmentlich auch
was die Farben betrifft (grün, blau, weiss, etc.). Sonstj noch Streifen
zierlicher Emailmuster, und Dekoration von Steinen.
Sayn. Klosterkirche. — Reliquienkasten mit dem Arm des h.
Simon. Länglich schmaler Silberkasten von moderner Arbeit, in welchem
der Arm aufbewahrt wird. Dieser steht in einem grösseren, ebenfalls läng-
lichen Kasten, von Holz, bekleidet mit vergoldetem Kupfer. Styl der
früheren Zeit des 13ten Jahrhunderts. Leisten mit Platten von gravirter
Vergl. darüber u. A. die Schrift vom J. 1781 „Sammlung ider prächtigen
Edelgesteiiien, womit der Kasten d^r dreyeu heiligen Weisen Königen in der
hohen Erz-Domklrche zu Köln ausgezieret ist, nach ihrem ächten Abdrucke in
Kupfer gestochen. Nebst einer vorläuflgen geschichtmässigen Einleitung durch
J. P. N. M. V."
BÄ
Studien an Rhein und Mosel. Kirchl. Prachtgeräth. 2. Roman. Epoche. 333
oder getriebener Arbeit, die letztere zum Theil recht hübsch. Daran Fül-
lungen und Rahmen mit sehr zierlichem Filigran und durchsichtigen Kry-
stallplatten. Auf den Leisten eine Menge von Steinend In den-Giebeln
Brustbilder von Engeln. Giebellinien und Dachfirsten mit emporstehen-
dem Ornament. Auf den Giebelspitzen und in der Mitte des Firstes dicke
runde Blumen, wohl componirt. (Der Arm ist, nach v. Lassälilx's Angabe,
1204 nach Sayn geschenkt.)
Köln. Museum. — Ausser dem schon erwähnten Antependium des
Hochaltares von St. Ursula: zwei Reliquienkasten von Kupfer mit Emaille,
wie gewöhnlich, nicht bedeutend.
Ein Buch. Auf dem Deckel eine roh getriebene vergoldete Salvator-
figur (grandiose Grundmotive). Umher Emailstücke.
Zwei zierlich byzantinisch geschnitzte Kämme, dem im Cither der
Schlosskirche von Quedlinburg ähnlich. Zwei Buchdeckel mit zierlich
geschnitzten»t)yzantinischem Elfenbein.
Zwei merkwürdige Elfenbeinkasten, dem in der Berliner Kunstkammer
befindlichen Jagdhorn und Kasten altorientalischen Ursprungs nicht allzu-
fremd. Einiges deutet auch hier ziemlich bestimmt auf orientalischen
Ursprung.
Auch Holzschnitzkasten der Art.
Köln. Sammlung des Hrn. Essingh. — Unter den Kunstge-
räthen ein nicht ganz kleines Reliquiarium mit alten Emailplatten belegt,
die Figuren vergoldet, theils en relief hervortretend (sehr plump), theils
nur in gravirter Zeichnung bestehend. Sehr merkwürdig, wie unter den
letzteren die Composition der Gefangennehmung Christi ganz im Cha-
rakter der altgriechischen Vasengemälde gehalten ist. Der Styl
möchte etwa die frühere Zeit des zwölften Jahrhunderts andeuten.
Köln. Sammlung des Hrn. Leven. — Unter den Emaillen by-
zantinischen Styles — all jenen Arbeiten dieser Epoche in Köln und der
Umgegend entsprechend — ein Reliquiar in Form eines reichverzierten
Kreuzes mit dem schwerbyzantinischen Bildnisse des Erlösers
3. Epoche des späteren Mittelalters. 4
Carden. Stiftskirche. — Reliquienkasten des h, Castor (die Reli- i
quien jetzt in Coblenz.) Ein Holzkasten, kapellenartig mit zierlich gothi- T
Für den Ursprung der Emaillen dieser Art ist die Bemerknog wichtig,
dass sie stets lateinische, nie griechische Inschriften haben,
Ich erwähne hiebet noch eines Reliquiars, das ich später in der Kirche zu t
Kaiserswerth sah. Reliquienkaslen des h. Sulbertus; seine gegenwärtige %
Ausstattung verschiedener Zeit ängehörig. In der gewöhnlichen Form; vergolde- |
tes Blech, zierlich byzantinisches Email. An den Seiten Arkaden im spätroma-
nischen Styl; im üebrigen ausgebildet gothisches Ornament. Vorn und an den
Seiten sitzende Figuren, in Relief mit vorstehenden Köpfen, Christus (?) und
Heilige, Apostel (?) an den Seiten: — germanisirend; manches Feine in der
Gewandung, schwerfällige Köpfe. Auf den* Dachflächen flache Reliefs aus der
biblischen Geschichte, etwa wie im Uebergang aus dem Romanischen in das
Germanische.
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■■fe'-.
Rheinreise,"1841. Zweiter Abschnitt.
334
schem Schiützwerk^ im Stylendes 15ten Jahrhunderts. Vergoldet, mit
einigen geschnitzten Figuren und mit Malereien. — Die Schnitzfigureni
nicht bedeutend: - Christus und Madonna mit dem Kinde in den Haupt-
giebeln, Petrus und Castor in den an den Langseiten vortretenden Giebeln,
vier kleine Heilige an den Eckpfeilern. Der Styl gegen 1500; die Ma-
donna, besonders ihr Kopf, gar anmuthig. — Die Malereien: An den Lang-
seiten die Apostel, je drei und drei; kleine Figuren, nicht bedeutend; der
Styl der Gewandung schon eckig, holzschnittartig, die Köpfe doch meist
ganz gut, im Kölner Styl. Auf das Dach gemalt die Symbole der vier
Evangelisten.
Münstereiffel. Pfarrkirche. — Auf der rechten Seite des Hoch-
altars ein in Holz geschnitzter grosser Reliquienkasten mit reichem und
brillantem spätgothischen Ornament.
Köln. Schatzkammer des Domes.— Erzbischöfl. Prachtkreuz,
7 Fuss lang. Mit Silberblech belegt und mit vergoldeter Jffechrift. Im
Mittelpunkt das Kreuz Christi, an den Kreuzarmen die Symbole der Evan-
gelisten in Email. Einfach gothische Arbeit. Die Emaillen scheinen roh
und sind ziemlich verdorben.
Erzbischöflicher Krummstab, 6 Fuss lang von vergoldetem Silber.
Eins der vollendetsten Meisterwerke gothischer Dekoration, in durchaus
reinem, ächt gothischem Charakter. Die Krümmung wächst aus dem zier-
lichsten gothischen Tabernakelgehäuse hinaus; sie selbst wird von einem
anmuthigen Engel getragen und ist mit den schönsten gothischen Blumen
besetzt. Alles ist mit zierlich spielenden Emaillen und mit getriebenem
Blattwerk geschmückt. In der Krümmung, ganz klein, die von einem
Erzbischofe verehrte Madonna. Vierzehntes Jahrhundert.
Sehr hübsches Doppelkreuz aus vergoldetem Silber mit aufgelegten,
sauber ciselirten Hautreliefs: Maria mit dem Kinde, die Symbole der
Evangelisten, in der Mitte der kleine Cruciflxus, unten ein knieender Erz-
bischof. Ansprechende Arbeit des löten Jahrhunderts.
Hübsches Kreuz von vergoldetem Silber, vorn der Crucilixus, hinten
ziemlich roh gravirte Darstellungen. Gegen 1500. (Der Fuss von 1551.)
Monstranzförmiger Reliquiar aus vergoldetem Kupfer, c. 1500, hübsch,
doch uicht gerade bedeutend.
Mehrere, zum Theil mittelalterliche Kelche.
Das kurfürstliche sogenannte „Schwert der Gerechtigkeit." Der Griff,
dem Wappen zufolge von Erzbiscliof Hermann, Graf v. Wied (1515—47);
die Klinge später, vom J. 1662. Die Scheide wohl mit dem Griff gleich-
zeitig : das zierlichste durchbrochene Laubgeflecht, aus vergoldetem Silber,
unterlegt mit rothem Sammt. Sehr anmuthig mittelalterlich.
Köln. S.Ursula. — Unter den in der „goldnen Kammer" befind-
lichen Reliquiarien : ein Paar zierliche Elfenbeinkästchen, etwa Toiletten-
kästchen, im zierlichsten geschmackvollsten germanischen Style des 14ten
Jahrhunderts. Besonders schön der grössere, an dem ein Herr und eine
Dame beim Schachspiele dargestellt sind. Sie enthalten Reliquien der h.
Ursula und sind der Kirche zu diesem Behuf verehrt worden'.
Köln. Museum. — Zierliche germanische Madonnekistatuette von
Elfenbein. '
Köln. Sammlung des Hrn. Leven. — Goldarbeiten, namentlich
ein reiches Monile des 15ten Jahrhunderts.
Bonn. Münster. — Ueber dem Altar des nördlichen Kreuzflügeh
-ocr page 334-Studieii an Rhein u. Mosel. Kirchl.Prachtgeräth. 3. Epoche d. spät. Mittelalters. 335
eine vergoldete Madonna mit dem Kinde,von getriebener Arbeit. Steif
und ungeschickt im noch germanisirenden Style des löten Jahrhunderts;
flau, möglicher Weise auch nur die Copie (oder Aufarbeitung?) eines äl-
teren Werkes. •
Trier. Liebfrauenkirche. —'Silberne und vergoldete Mon-
stranz, 2 Fuss 10 Zoll hoch. Bezeichnet: 1598 (urkundlich von Maximin
Pol lein.) Sehr reich gothisch und in glücklicher Entwickelung der Com-
position; späterer Styl, aber sehr gutes Verständniss für das Gesammt-
verhältniss. Darin mancherlei ziemlich schwere Figürlein, ohne sonder-
lichen Kunstwerth. Die Ausführung überhaupt nicht gar fein. Im Fuss
moderne Gravirungen; diese im Styl der angegebenen Zeit gut renovirt.
Mayen. Kirche, — Aeltere Monstranz aus vergoldetem Kupfer.
Nicht gar gross, aber in trefflich architektonisch gothischem Styl des löten
Jahrhunderts. Figürchen; namentlich im. oberen Theil eine germanische
Madonna. Auf dem Fuss Darstellungen, gravirt und zugleich ein wenig
getrieben: Madonna und Symbole der Evangelisten, i)
Linz. Kirche. — Einfach gothischer Altarkelch von vergoldetem
Silber mit der Namens-Inschrift des „Teilmannus Joill", Canonicus, Stif-
ters des Altares des sogenannten Israel von Meckenen vom J. 1463.
Köln. Schatzkammer des Doms. — Eine sehr zierliche Pax
von Gold, in der Form einer Renaissance-Architektur, mit Steinen, Perlen
und Emaille-Darstellungen, mit dem Wappen des Kardinals Albrecht von
Brandenburg. Auf der Rückseite sehr anmuthig gravirte Arabesken.
Der Reliquienkasten des h." Erzbischofes Engelbertus, 1633 — 3ö von
Conrad Duisbergh in-'Köln gefertigt. Von ansehnlicher Dimension, in
getriebenem, zum grössten Theil vergoldetem Silber, mit zahlreichen
Heiligenfiguren, historischen Scenen und ornamentistischen Darstellungen;
auf dem Deckel die ruhende Gestalt des h. Engelbertus. In dem ganz an-
sprechenden Barockstyle jener Zeit, ornamentistisch wohl beachtenswerth.
Das Figürliche, Reliefs und Statuen, freilich ohne höhere Bedeutung.
Ein Paar Evangeliarien mit getriebeneni Silberdeckeln. Zeit um 1650.
Prächtige Gold-Monstranz mit Edelsteinen und vielen Emaillen. Etwa
der Mitte oder der Zeit gegen die Mitte des 17ten Jahrhunderts angehörigi
Hauptbeispiel der damaligen Goldschmiedekunst.
Grosse prächtige Monstranz von vergoldetem Silber; Rococo. — "An
ihr ein prächtiger Halsschmuck von Amethysten und Türkisen befestigt,
der einst das silberne Marienbild vom Erzbischof Gero zierte; mit Namen
und Wappen des Gebers, Erzb; Max Heinrich (1650—80), bezeichnet. —
Ein goldner Zweig, Blumen und Blätter von Email und mit Steinen be-
setzt, von demselben Marienbilde und' mit derselben Bezeichnung.
ff
Ausgezeichnete Monstranzen ähnlicher Art sollen u. A. befindlich sein in
den Kirchen von Saar bürg, Morbach (unterhalb Trier), Moselkern,
Ediger, Al tenahr.
ii'
-ocr page 335-336 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
Zehn kleine Elfenbeinreliefs der Passionsgeschichte, von Melchior
Paulus 1703 — 33 geschnitzt. Sehr sauber gearbeitet, aber freilich im
Style dieser Zeit.
Anhang: Anderweitiges Kunstgeräth in Samm-
lungen.
Trier. Städtische Bibliothek (im Gymnasium). — Besondres
Zimmer mit Antiquitäten der Hermes'schen Sammlung (eng zusammen-
gestellt) ; Grosse Menge von Geräthen und kleinen Kunstsachen, wie man
sie in den Kuustkammern findet:
Eine Menge Gläser der verschiedensten Art, unter diesen mehrere
venetianische.
Einige Majoliken.
Einige Emaillen (darunter eine Tasse mit farbigen Bildern im guten
Style der Schule von Fontainebleau, mit der Inschrift: N. Laudin emaillieur
pres les jesuistes a Limoges.)
^ Eine Menge mittelalterlicher Krüge.
Allerlei andres, zum Theil aussereuropäisches Geräth.
Mannigfaches Schnitzwerk, darunter einige mittelalterliche Elfenbeine
von Werth.
Kirchliche Geräthe (namentlich ein Reliquienkasten, Kupferplatten
J mit niellirten Figuren auf Gold, die Köpfe en relief, Emaillegrund; 12tes
^ Jahrhundert.)
Kleine Bilder verschiedener Art, namentlich ein indisches.
Waffen aus verschiedenen Zeiten und Ländern.
Kleine Sammlung von Siegeln, mit trefflichen und interessanten Bei-
spielen.
Im Lokale der Bibliothek noch ein grosser Theil der Hermes'schen
Sammlungen: eine grosse Menge von Oelgemälden, kleinen'Glasgemälden,
von Schnitzwerken in Alabaster, Holz etc. und von andern Sculpturen,
» chinesischen Bildern etc. etc. Die grössere Mehrzahl aus modernen Zeiten
und nicht sonderlich werthvoll, doch auch manches ganz interessante
Stück. Einzelnes Gute aus dem Mittelalter. _ ^
Köln. Museum. — Einige treffliche Limosiner Emaillen, grau
in grau.
Venetianische und andre Gläser.
Ein Paar Majoliken.
Schöner Elfenbein-Pokal, mit Kinderscherzen.
Köln. BeiHrn. Leven. — Reiche Sammlung von Kunstkammer-
Dingen der verschiedensten Art. iSo z. B. Emaillen aus verschiedenen
Epochen, byzantinischen Styles, Limosiner Arbeiten etc.
Sehr bedeutend in seiner Art ein kleines Emaille-Medai|lon mit dem,
in unsäglichster Feinheit gemalten Bilde des Heilandes. (In der Art der
Dolce). Ohne Zweifel von ^Petitot.
Alles Mögliche an Thon- und Glasgefässen, darunter sehr seltene
Sachen.
Studien an Rhein nnd Mosel. Biicherschmuck. 337
Modelle gothischer Architektur von Schropp in Erfurt, sauber und
zierlich, aber doch nicht mit feinerem Verständiiiss, melir dekorativ.
Köln. Bei Hrn. Essingh. — Allerlei Kunstkammersachen;, meh-
rere hübsche Elfenbeinarbeiten germanischen Styles (Altärchen, Diptycha
u. dgl.), venetianische Gläser, Emaillen, etc. etc.
Köln. Bei Stadtrath De Noel. — Allerlei mittelalterliche Klein-
kunstsachen u. dergl. U. a. Abdrücke der beiden Messing - Grabplatten,
die sich ursprünglich in Altenberg befanden,
Coblenz. BeiHerrnDie'tz. — Schnitzwerk. Mittelalterliche
Elfenbeinarbeiten verschiedener Art. Byzantinisch emaillirtes Messing-
geräth (Leuchter), emaillirte Reliquienkasten. Etc.
'besonders durch Miniaturbilder,
Trier. Städtische Bibliothek (im Gymnasium).
1. Codex aureus. Evangelienhandschrift gestiftet von Ada, die von der
Sage als Schwester Karls d. Gr. bezeichnet wird. Jedenfalls aus dieser Zeit.
In der Schlussschrift heisst es nemÜch: „Quem (sc. libruin) devota Do. piscit
perscribere mater Ada ancilla di (domini) pulchrisque ornare metallis." —
Miniaturmalerei. Die Arkaden der Canones bestehen .aus kleinen Bögen
auf Säulen, die von einem grossen Bogen umfasst werden. Die Säulen-
kapitäle sind wesentlich römisch, allenfalls etwas byzantinisirend. — Dann
vor jedem Evangelium das Bild des Evangelisten, in einer Arkade; über
ihm sein Symbol. Die Zeichnung, namentlich .der Gewandung, ist byzan-
tinisirt antik, zum Theil aber, besonders beim Lucas, noch ungemein
grossartig. Eigenthümliche Kopfbildung: breite Nüstern , hochgewölbte
Augen etc. Die Extremitäten gross, Finger und Zehen fast nach'Art
eines Rubens geschweift. Die Behandlung frei, aber durchaus sauber und
bestimmt, die Schattin mit breitem Pinsel angelegt. Die Farben schon
zumeist deckfarbenartig, ihre Zusammenstellung aber durchaus noch har-
moniscK in antikem Sinne. Carnation: heller Gründton; helle, breitauf-
gelegte graulich - grünliche Schatten mit« warmen bräunlich'-röthlichen
Druckern an Nase, Kinn, Mund, Fingerspitzen, u. s. w. — Sehr charakte-
ristisch ist es für die noch ideal antike Richtung, dass alle vier Gestalten
jugendlich und ohne Bart gehalten sind. Die symbolischen Figuren, na-
mentlich der Ochs des Lucas, sind sehr charaktervoll. In den Umfassungs-
bögen sind mehrere Male geschnittene Steine gemalt. — Nur Ein gemaltes
Initial, beim Matthäus; dies ganz wie in der Bibel aus S. Paul in Rom
(jetzt in S. Calisto).
Der Deckel mit spätgothi'scher, theilweise vergoldeter Silberfassung.
Acht Figuren in Haut^elief, 4 Heilige und 4 Figuren mit den Köpfen der
Evangelistensymbole. Bezeichnet H. CCCC. XCIX ^1499. Es ist vielleicht,
in-paläographischer Beziehung, nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu
Kugler, Kleine Schrificn. II. ' ' 22
-ocr page 337-337 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
-ocr page 338-Studien an Rhein nnd Mosel. Biicherschmuck. 339
machen, dass das M in dieser Jahresbezeichnmng; durch ein völlig reines
H ersetzt wird.) — In der Mitte des Deckels ein grosser antiker Cameo,
3 Zoll hoch, 33/4 Zoll breit: Zwei Adler, trefflich gestellt, vor einer Art
Schild, dahinter fünf Köpfe einer kaiserlichen Familie (Kaiser, Kaiserin
und drei Kinder). Die Arbeit ziemlich roh, die Gewandung ebenfalls nur
ziemlich schlecht angelegt. ^ 0
■
340 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
2. Evangelistarium des Erzbischofes Egbertus von Trier (Erzb. 978—
993), Höchst bilderreich. — Zuerst Egbertus auf einem Throne sitzend. —
Dann 4 Blätter: die Evangelisten vor einem Teppichgrunde, violett mit
Goldverzierungen. Diese zum Theil in höchst grossartiger und feierlicher
Würde, wenn auch das körperliche Gefühl schon nachgelassen hat; ruhige,
zum Theil fast germanische Linien in der Gewandung; etwas Grossartiges
im Ausdruck der Köpfe. — Dann eine Reihe von fast durchweg kleineren
Bildern zur Geschichte Christi. Hier tritt der mangelnde Natursinn in
Form und Bewegung ungleich empfindlicher hervor. Die Figuren meist
untersetzt und, wenn sie nicht ganz ruhig stehen, meist bucklig, die Glie-
der unter der Gewandung oft verkrüppelt. Dennoch einzelne Gestalten,
wo es ging, in einer gewissen grossartigen Würde (im Mosaiken - Style),
mit jenem germanisirend weichen Flusse der Gewandung; auch hier noch
manche entschieden antike Reminiscenzen. So auch die Architekturen, die
zum Theil noch aus Architravbauten bestehen. In den Erfindungen nicht
viel Geist. (Bei der Kreuzigung die drei Gekreuzigten bekleidet.) Aber
sehr zart gemalt; meist sehr harmonische milde Zusammenstimmung der
Farben und jene regenbogenartig schillernden Farben der Gründe, die in
äusserst zart gebrochenen Tönen ineinander übergehen. ;
3. Homilien des h. Augustinus über das Evangelium Johannes. Vorn
steht: „Sancte Marie ad monächos prope Treveris" mit grosser bunter Schrift
Drüber steht mit Dinte (in alter Schrift) die Jahrzahl l'iTS. Hinten findet
sich, gleichzeitig, der Name J. Bunschairt mit Goldschrift. Eine moderne
Notiz sagt: „Conscripsit Fr. J. Bunschairt MonasterÜ ad S. S. Martyres Tre-
viris Professus A. d. 1478." — Initialen mit sehr zierlich figürlichen Male-
reien aus der Geschichte Christi (von welchen aber nur ein Theil zur
Ausführung gekommen). Ich meine darin französische Schule erkennen zu
dürfen. Es ist ein Anklang an die niederländische Malerei der Zeit, aber
schon, in mehrfacher Beziehung, etwas Conventionelles. So zunächst in
dem eigen glatten (mehr als weichen) Vortrage der Farben. Dann ist in
den edlen Gestalten eine gewisse Idealität erstrebt, die nicht immer sehr
Studien an Rhein nnd Mosel. Biicherschmuck. 341
geistreich, doch bei einzelnen Gestalten sehr anmuthig erscheint; so nament-
lich bei einer Darstellung der Samariterin, die ein zierlich burgundisches
Kosttim trägt. Andre Gestalten dagegen erscheinen eigen phantastisch,
im bunten Zeitkostüm, mit mehr oder weniger karikirten Gesichtern, tlber-
trieben langen Nasen, gekrausten Haaren etc. Im Gegensatz gegen die
Niederländer fällt der Mangel an landschaftlicher Farbenharmonie auf,
4. Gebetbüchlein aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts. Nieder-
rheinisch. Mit zierlichen Initialen und Rankenwerk. In den Initialen
vielfache kleine figürliche Darstellungen, auch einige grössere Bilder aus
der Leidensgeschichte. Ungemein feine Arbeiten im Style der Zeit, sehr
sauber dekorativ und mit Geschmack gemacht; im Allgemeinen nicht ge-
rade tief geistreich, doch immer höchst beachtenswerth. Der Ausdruck
der Köpfe mehrfach entschieden niederrheinisch, sonst die Farben mehr
nach oberdeutscher Art.
Trier. Dombibliothek. — Reihenfolge von 9 Evangelien-Hand-
schriften, aus Paderborn stammend, Vermächtniss des Grafen Christoph
V. Kesselstadt, Domdechanten in Paderborn.
1) Evangeliarium, nach der Angabe des Hrn. Stengel, Mitarbeiter
des Grafen Bastard: Hiberno - Saxonicum (Gewiss richtig). — In allem
Ornament jenes feine und künstliche Geriemsel, in Rändern, Initialen u. dgl.,
welches der angelsächsischen Kunst eigen. Die Thierfiguren auf seltsam
abenteuerliche Weise stylisirt. Bei den menschlichen Figuren im All-
gemeinen eine byzantinisch-karolingische (fränkische?)^Grundlage, zumeist
aber höchst unförmlich, in dick rundlichen wulstigen*, styllosen Strichen
der Gewandung und ohne Verständniss im Nackten ausgeführt. — Die Be-
handlung ist bei allem Ornamentistischen (wohin auch die Thiere gehören)
ziemlich entschiedene Federzeichnung und Illuminirung; bei den mensch-
lichen Figuren mehr oder weniger Malerei mit Deckfarben in byzantini-
scher Weise, die aber auch an sich wiederum sehr unbehülflich herausj
kommt. Auf mehreren Bildern steht; „Thomas scripsit." — Darstellungen:
1) Vier Felder mit „homo", „leo", „vitulus", „aquila", in der Mitte ein
Medaillon jnit "dem Brustbilde Christi (unbärtig, doch muss es ihn wohl
vorstellen). — 2) Eine schwerfällige menschliche Figur mit den Evange-
listen-Symbolen; es hängen von ihr nemlich, wie ein Schurz,"" ein Flügel-
paar, zwei Löwenklauen und zwei Adlerkrallen herab, worauf dann wie-
der die Füsse der menschlichen Gestalt sichtbar werden. — 3) Ein ein-
geheftetes Blatt, beschnitten und vielleicht schon ursprünglich kleiner (?):
Michael und Gabriel, byzantinisch und mit langen Stöcken, eine Tafel
haltend, darauf die Worte : „Incipit evangelium secundum Matteura." —
4) Zehn Seiten Canones; stets vier kleine Bögen, die von einem grossen
umschlossen sind. Die Säulen meist römisch - korinthisch -, die Basen zum
Theil kalligraphisch und umgekehrten ionischen Kapitalen ähnlich. In der
Mitte des grossen Bogens stets ein, nicht kleines Medaülon, mit dem
Brustbilde eines Apostels, der Anlage nach sehr edel byzantinisch antiki-
sirend (wie die en face dargestellten Münz-Portraits), die Ausführung aber
auch hier barbarisch. • Zu den Seiten stets zwei Vögel. — 5) Dann vor den
ersten drei Evangelien jedesmal das Bild des betreffenden Evangelisten.
Vor dem Johannes kein solches; es scheint hier auch schon ursprünglich
keins vorhanden gewesen zu sein. — Einband neuer und unbedeutend.
2) Evangeliarium, etwa um oder gegen 1000. Vor jiedem Evangelium
-ocr page 341-342 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
2 auf beiden Seiten bemalte Blätter: a) Titel (Initium Sei Evangelii secun-
dum etc., — dieser fehlt beim Lucas), b) Bild des Evangelisten, c) Er-
stes Wort des Textes mit grossen Buchstaben in reichem Gold-Geriemsel.
d) Weitere Fortführung des Textes mit etwas kleineren Gold- und Silber-
buchstaben. — Zu bemerken fürs Erste die schönen Violett - Gründe der
gemalten Blätter, die besonders bei d ganz jene orientalischen Teppich-
muster -wie in den Handschriften unter Otto II. enthalten. Das Figürliche
und was dahin gehört, dagegen äusserst roh, höchst starr byzantinisch, die
Gesichter in schauderhaft grünlicher Leichenfarbe, die Gewänder zumeist
in weissen Haupttönen, die höchst schreiend mit zinnoberrothen, auch
andersfarbigen Strichen schattenartig eingefasst sind. (Scheint noch etwas
angelsächsisches Element) — Vorn sind ein Paar Urkunden eingeschrieben,
aus dem 13ten und 14ten Jahrhundert, die sich auf das Kloster Helm-
wordeshusen, bei der Stadt Helmword, beziehen.
Deckelschmuck: Symbole der vier Evangelisten, in vergoldetem Kupfer
getrieben. Byzantinischer Styl, scharfe, bestimmte Arbeiten mit eigen orien-
talischem Anklang, besonders in der Figur des Engels, — Eingerahmt \on
Filigran mit Steinen (die grösseren fehlend), Perlmutter, Email-Mosaiken etc.
3) Evangeliarium, wohl zwölftes Jahrhundert. Bunte Arkaden-Canones.
Die Bilder vor den Evangelien ganz in der Weise angeordnet, wie in der
eben besprochenen Handschrift. Doch die Ausführung im Ganzen ungleich
roher, minder geschmackvoll und minder kostbar. In der Figurenzeichnung
scheint auch hier ^ noch ein gewisses angelsächsisches Element nachzu-
klingen. Wenig, zum Theil wulstige Umrisslinien, meist mit Deckfarben
eintönig angestrichen und nur selten eine Schattenangabe. Merkwürdig
die den antiken Musiven ähnlichen Mäander auf mehreren Blättern. Man-
che Umstände, namentlich das Ornament der Initialen, deuten auf das
zwölfte Jahrhundert. — Der Deckel ohne künstlerische Ausstattung.
4) Kleineres Evangeliarium (gross 4.), wohl zwölftes Jahrhundert. In
Einrichtung und Styl der Miniaturen wiederum etwa den eben genannten
Handschriften vergleichbar (byzantinisch mit angelsächsischem Nachklang);
doch roher, geringer, auch nur ein Evangelistenbild. — Im Text ein Paar
Paderborner Urkunden von Heinrich IL und Heinrich III. — Der Deckel
ohne künstlerische Ausstattung.
5) Evangeliarium, etwa zwölftes Jahrhundert. Rohe und rohcolorirte
Arkaden um die Canones. Vor jedem Evangelium 2 gemalte Blätter: das
Bild des Evangelisten und der Anfang des Textes. Im Style ebenfalls un-
gefähr den Bildern des Evangeliariums unter Nr. 3 vergleichbar (roh by-
zantinisch mit angelsächsischem Nachklang), aber sehr roh gezeichnet, sehr
mangelhaft in Farbe und Colorirung, sehr roher Auftrag des Goldes. —
Der Deckel ohne künstlerische Ausstattung.
6) Evangeliarium aus dem Anfange des 13ten Jahrhunderts, Vorn
steht, mit einer Schrift, die etwa der Zeit um 1300 angehört: „Liber sancti
Godehardi in Hildensem collatus a Friderico primo abh'te." — Vor jedes
Evangelium sollten 2 Bilder kommen. Davon ist aber nur eins, vor dem
ersten Evangelium, ausgeführt, ein zierlich buntes Ranken- und Drachen-
geriemsel, das ein L zu enthalten scheint (doch fährt die folgende Seite
fort: Abraham genuit Isaac etc.) In dem Gefiemsel bilden sich allerlei
Medaillons mit Figuren und Scenen des alten und neuen Testaments,
ausserdem eine Menge von Thieren, Drachen, nackten Menschen, Centau-
iiiimi, 1,-i^-.,
Studien an Rhein nnd Mosel. Biicherschmuck. 343
ren etc. Das Ganze spätbyzantinisch, ornameiitistisch sauber, sonst im Fi-
gürlichen nicht sonderlich viel Geist. ' •
Deckelschmuck: In der Mitte eine grössere Niello-Platte, vergoldetes
Kupfer mit emaillirten Gründen. Die Darstellungen sind: Magdalena und
Christus; Christus am Kreuz, Maria, neuer Bund (im Kelch das Blut auf-
fangend), alter Bund, Johannes; der Engel auf dem Grabe und die drei
Marieen. Roh, doch schon zum Theil glücklich bewegt, „gegen oder um
1200." — Piligranrahmen mit Steinen, acht Elfenbeinplättchen mit den
Symbolen der Evangelisten und andern Figuren. Gleicher Styl und gleiche
Zeit, etwas derb und roh, doch schon glückliche Motive in der Bewegung
einzelner Figuren.
7) Evangelistarium ohne Bilder. — Auf dem Deckel, in einer späteren
versilberten Umrahmung, ein aus zwei Platten bestehendes Elfenbeinrelief:
die Verkündigung, langgestreckt byzantinisch, scheint deutsche Arbeit des
zwölften Jahrhunderts; ohne sonderlichen Geist. Um die Gestalten zwei
saubre feine Arkaden, im Style der Zeit.
8) Evangeliarium in der deutsch-byzantinischen strengen Strichmalerei
des zwölften Jahrhunderts, nicbt sonderlich geistreich. In den Canones,
mit Arkaden umfasst, oben die Symbole der Evangelisten, in mannigfach
wechselnden Stellungen und Geberden. Dann vor jedem Evangelium das
Bild des Evangelisten; und dann ein gemaltes Initial mit der betreffenden
symbolischen Figur.
Deckelschmuck: In der Mitte eine vergoldete Kupferplatte, darauf die
stark erhabenen Elfenbeinfiguren des.Christus (in der Stellung des Cruci-
fixus), der Maria und des Johannes, ungefähr im Styl und aus der Zeif
der Bilder. Umher ein breiter Rahmen mit vergoldeten Kupfertäfelchen,
darauf niellirte Darstellungen mit Emailgrund und mit Steinen zwischen
Filigran, von denen einige mit sehr rohen Gravirungen versehen sind.
9) Evangeliarium mit 2 Bildern vor jedem Evangelisten, deutsche Ar-
beit, um 1200. — 1) Stammbaum Christi, lang und das Formengefühl
jenem Lambacher-Buche der Berliner Bibliothek ähnlich; die Farbenaus-
führung etwas roh. Das zweite Bild fehlt hier. — 2) Taufe Christi, mit
Nebenfiguren, namentlich Noah, der die Taube empfängt. Dann: Gemalter
Schriftanfang, im Haupt-J das Bild des Evangelisten. In ähnlicher Weise
trefflich, gute Köpfe, die Behandlung etwa (in den Gewändern) dem Hor-
tus deliciarum parallel. — 3) Christus am Kreuz mit Nebenfiguren, na-
mentlich das Christenthum', das im Kelche das Blut auffängt, und das
blinde Judenthum. Dann: Reich grotesker Schriftanfang, im Haupt-Q
scheint das Bild Christi enthalten. Abweichende Hand und Behandlung.
Ungleich mehr byzantinische Manier, aber mit Sinn, dem Stuttgarter Psalter
des Landgrafen Herrmann ähnlich, doch nicht so schön. — 4) Christus als
Weltenrichter in und auf dem Regenbogen, mit den Symbolen der Evan-
gelisten umgeben; unten die Seligen, von einem Engel geführt, und die
Schaaren der Verdammten, theils wehklagend die Arme emporbreitend,
theils 'Von den Teufeln in die Hölle hineingezerrt. Dann: Das Bild des
Johannes, alt, gross und sitzend am Pult; zu seiner Seite und unter ihm
der Anfang der Schrift. Scheint der Maler der früheren Bilder, aber durch
Einfluss des dritten ungleich feiner ausgebildet. Christus und Johannes
sehr würdig, die Gewandung sehr-nobel, im Ganzen nur noch massige
Reminiscenzen der einseitigen .byzantinischen Manier. In den Gestalten
der Verdammten schon grossartig bewegtes Gefühl^ eine gewisse Bewegung
343 Rheinreise, 1841; Zweiter Abschnitt.
344
in der Gewandung, Formensinn im Nackten. In den Seligen auch der
Ausdruck der Stimmung. Die ganze Behandlung ungemein fein und zart.
(Die Darstellungen 1 und 2 meist auf farbigem Grund, 3 und 4 auf Gold-
grund.)
Deckelschmuck: Roh getriebene Darstellungen in vergoldetem Kupfer,
byzantinisch in später Weise, Anfang des 13ten Jahrhunderts. Inder
Mitte Christus, zu seinen Seiten Petrus und Paulus, über ihnen die Taube,
unter ihnen Maria mit dem Kinde (Halbfigur, gut componirt), in den Ecken
die Symbole der Evangelisten.
Trier. Dom. — In der Schatzkammer: Handschrift, Epistolarium,
um 1000. Vorn Paulus, schreibend, durchaus im deutschen Miniaturstyle
der Zeit gemalt.
Ebendaselbst: Griechisches Lectionarium. Auf dem Deckel ein Elfen-
beinplättchen mit zwei Darstellungen, oben die Darstellung im Tempel,
unten die Taufe Christi; scharf, hart und verkrüppelt. Styl des elften
Jahrhunderts.
Im Chor mehrere Chorbücher, zum Theil im grössten Folio, mit ge-
raalten Buchstaben, in einigen auch Gemälde, die vorzugsweise der Nürn-
berger Miniaturmalerei zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts entspre-
chen, doch nicht bedeutend sind.
Coblenz. Gymnasialbibliothek').
Bibel in zwei Foliobänden, vollendet 1281.
Miniaturen. Die Arbeiten ziemlich roh. Die Be-
handlung höchst einfach. Doch entschieden ger-
manisch, aber noch streng, meist geradlinig sta-
tuarisch. Das Ornamentistische, Stabverschlingun-
gen, Blätterwerk in den Buchstaben oft sehr glück-
lich componirt.
Breviarium des Erzbischofes Balduin Cgest.
1354). Miniaturen. Weich germanischer Styl mit
scharfer ümrisszeichnung. Teppichgründe. Zierlich
dekorativ, wie zu jener Zeit, doch ohne höher in-
dividuelles Gefühl. Humoristische Randcomposi-
tionen. Zierliche Arabesken.
Choralbuch aus Metz, gross Folio. Die Minia-
turen ebenfalls germanisch, sehr ähnlicher Styl,
doch in der Behandlung etwas oberflächlicher, ob-
gleich schon etwas mehr Formengefühl.
Antiphonarium, 14tcs Jahrhundert, ohne Zwei-
fel früher als jenes; die Miniatu'^renl sehr ähnlich,
doch noch etwas besser. Dies, und auch das Cho-
ralbuch, wieder mit sehr ergötzlichen Randcompo-
sitionen. -
^ Officium B. Mariae V. Miniaturen. Ziemlich
hohe Handwerksarbeit, niederländisch - französisch,
c, 1430. Ornamente a la frangaise.
') Vergl. E. Dronke, Beiträge zur Bibl. u. Literaturgeschichte, oder Merk-
würdigkeiten der Gymnasial- und der städtischen Bibliothek zu Coblenz, 1839,
Notizeu-vom Schluss der Reisen. Main«. 345
gleichzeitige Copie. — Mit sauberen Federveirzierungen in den Initialen, |
und an den Hauptabschnitten mit figürlich ausgemalten Initialen, Arabes- |
ken etc., ganz in der Art des Gebetbuches in der Gymnasialbibliothek. i
(Die in der Cöpie erscheinen aber nur als rohe Nachahmungen der andern-, |
somit bilden sie ein recht charakteristisches Beispiel, wie wenig es ge- |
rathen, aus einzelnen Arbeiten auf ganze Epochen zu schliessen.) — 5
Vor der Copie noch 36 Blätter, jedes mit zwei Darstellungen aus dem ?
Leben des Erzbischof Balduin und seines Bruders, des König-Heinrich,
nach den Gestis Balduini in den Gestis Trevirorum. Diese Darstellungen
vielfach von eigenthümlichem Interesse, rücksichtlich des Archäologischen,
der Sitte, etc. Die Behandlung indess untergeordnet und wenig künst- |
lerisch (wie sonst häufig in der Zeit); bis auf ein Blatt sind es nur an- j'
getuschte Zeichnungen; dies eine ist ausgemalt, aber besonders roh. /
Cües. Bibliothek des Hospitals. I
germanische Einfluss erscheint, verbunden mit- noch etwas byzantinischer \
Vortragweise.
Köln. Bei Hrn. Zanoli, Kleines Brevier mit kleinen Miniatur- -
bilderchen. In den Köpfen noch altkölnischer Charakter. a ^
Köln. St. Kunibert. — Im Chor ein kolossales Missale init drei f
Malereien und lustigen Randverzierungen; ein zweites auf der Orgelbühne, \
mit Einem Bilde.'Phantasie, aber ziemlich rohe Technik, etwa in der )
Mitte zwischen dem sogenannten Israel von Meckenen und Wohlgemuth.
C. NOTIZEN VOM SCHLUSS DER REISE.
'Zur Untersuchung seiner verwickelten baulichen Verhältnisse behufs
Gewinnung eines festen geschichtlichen Resultats fehlte mir die Zeit;
überdies bedingt dieselbe eine gleichzeitige genaue Untersuchung der
Dome von Worms und Speyer. Ich notirte^bei diesem Besu^ihe des Ge-
bäudes nur die eigenthümlich hohen Verhältnisse der alten, einfach vier-
eckigen Schiffpfeiler im Innern; — die an den Gesimsen der beiden öst-
lichen Thüren vorkommenden Karniesformen; — die entschieden mittel-
alterliche, barbarisirende Behandlung des Akanthus an der einen dieser
Thüren; — die plumpen attischen Basen, wie dergleichen nur im selb-
ständig rohesten Mittelalter vorkommen, an'beiden; — dann, nächst der
höchst reichen und eleganten spätromanischen Dekoration im Aeusseren
des westlichen Theiles, die sehr geschmackvolle gothische Fensletarchi-
i
"g^f^wyii........ ...............................................................■ iiii.i,i.^.iiiy^
346 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
tektur an den späteren Seitenschiffen, die zu den besten ihrer Art gehörig
und zum Theil nach dem allerreinsten Princip gegliedert ist.
Mein diesmaliger Besuch galt vornehmlich einer Durchsicht der
Sculpturen des Domes. Unter diesen bemerkte ich zunächst:
Die Sculptur im Bogenfelde des Portals mit den ehernen Thüren,
Christus in der Mandorla mit zwei Engeln; in der gewöhnlichen romani-
nischen Art und sehr roh.
Zierlich germanische Statuen, an dem Portal, welches nach dem
Kreuzgange führt,
TreflFliche Grablegung in freien Statuen aus dem löten Jahrhundert, ein
sogenanntes heiliges Grab, eins der besten Exemplare dieser Darstellung.
Ein in Flachrelief geschnitzter Altar, Krönung Mariä, Apostel auf
den Flügeln (aussen bemalt), vom J. 1517. Im Styl nicht eben bedeu-
tend; weich und viel Langfaltiges in der Gewandung.
Bei Weitem wichtiger jedoch, für die Geschichte der künstlerischen
Entwickelung, sind die Grabmonumente, bei deren Besichtigung die treff-
liche „Geschichte und Beschreibung des Domes zu Mainz, von J, "Wetter,
1835", mein Führer war: —
Grabmal des Erzbischof Siegfried III. von Eppstein vom J, 1249. Der
Erzbischof nach rechts und links den (von ihm gekrönten) deutschen Kö-
nigen Heinrich ßaspo von Thüringen und Wilhelm von Holland, die beide
in kleinerer Gestalt erscheinen, die Kronen aufsetzend. Ohne höheren
und bedeutenderen Formensinn, aber viel Deta'ilgefühl, daher auch por-
traitmässig. Bemalung, nach richtigen Mustern schlecht erneut. (Abbil-
dung in F. H. Müller's Beiträgen, I, t. VI.)
Denkm. des Erzb. Peter von Aspelt, 1320. Mangelhaft germanisch,
doch in den Linien der Gewandung keineswegs ohne Feinheit und Gefühl.
Denkm. des Erz. Mathias von Bucheck, 1328. Nicht gar bedeutend
germanisch.
Denkm. des h. Bonifacius, im J. 1357 gefertigt. Gut germanisch in
der Anordnung des Gewandes.
Denkm. des Erzb. Adolph I. von Nassau, 1390, Ungeschickt germa-
nisch, oben breit und unten schmal; doch weiche Falten.
Denkm. des Erzb. Konrad von Weiusperg, 1396. Schwer germanisch.
Denkm. des Erzb. Johannes II. von Nassau, 1419. Reich germanisch.
< Geschweifte Bewegung; volle feingefühlte Gewandung; individueller Kopf.
Reich gothische Architektur, darin auf jeder Seite drei Heiligen-Statuetten.
Diese sehr anmuthig germanisch, an gleichzeitige Kölner Arbeiten erinnernd.
Grabm. des Erzb. Konrad III. von Daun, 1434. Schweres reich imd
weich germanisches Element. Doch zu den Seiten des Kopfes Äwiei lustige,
minder schwere Engelchen mit Rauchfässern. '
Denkm. des Erzb. Diether von Isenburg,. 1482. Reich gothisch; klöine
Statuetten auf den Seiten. Sehr energisches Lebensgefühl. Die Haltung
des Erzbischofes voll derber Kraft. Die Gewandung auf germanischer
Grundlage, doch schon in eckig couventioneller Behandlung, gut und frei
bewegt, bei dem Erzbischof etwas im Style des Italieners Vivarini, bei
den Statuetten ganz zierlich.
Grabm. des Prinzen Albert von Sachsen, 1484. In höchst grossartig
schöner Haltung, ernst und gerad, aber durchaus ungezwungen. Die Ge-
wänder fliessen frei, ebenfalls fast geradlinig, herab; die eckigen Brüche
sind selir untergeordnet und kn keiner Weise störend. Der Kopf ist wie
Notizen vom Schluss der lieise. Mainz. 347
eine Medaille des Vittore Pisani behandelt. Von den daneben befind-
lichen Statuetten sind zwei alt; auch sie von guter Arbeit
das körperliche Gefühl auch nicht gar bedeutend. (Abbildung in F. H.
Müllers Beiträgen II, t. I.) ' I
Denkm. des Erzb. Berthold von Henneberg, 1504. Ganz vortrefflich J
und von grosser Fülle, etwa wie ein guter Adam Kraft. Auch die Sta- f|
tuetten zu den Seiten sind gut, in ähnlicher Richtung. Unten zwei dürf- -j
tige Engelknaben mit dem Wappen. * i
Denkm. des Erzb. Jakob von Liebenstein, 1508. Sehr trelHich, mit v!
Neigung zur Richtung des Veit Stoss. Sehr schöne gothische Architektur /
mit vier Statuetteii ungeföhr desselben Werthes. Die Consolen dieser j
Statuetten sind ganz mit kleinen historischen Hautreliefs versehen. i
Denkm. des Erzb. Uriel von Gemmingen, 1514, mit der Darstellung \
des gekreuzigten Heilandes. Im Ganzen tüchtig in der Richtung des Veit
Stoss oder vielmehr noch entschiedener jener Richtung angehörig, w^elche
durch den, fälschlich als Lucas von Leyden bezeichneten kölnischen Maler
vertreten wird» Die Knitterbrüche d^r Gewandung sind- allerdings ziem-
lich willkürlich, die Gesichter von manierirtem Ausdruck. Blutauffan-
gende Engelchen in Tänzerbewegung; einer von ihnen ganz mit Federn
bekleidet wie ein kleiner Papageno. ' ■
Denkm. des Kardinal-Erzb. Albert von Brandenburg, 1545. Die mo- |
Denkm. des Erzb. Sebastian von Heusenstamm, 1555. Sehr barocke ^;
Architektur. Die Statue einfach und ebenfalls noch in massiger Würde. |
Denkm. der Familie Brendel von Homburg, 1562. Figurengruppe um
, ein Crucifix. Sehr barocke Architektur. Tüchtiges, doch etwas manierirt
derbes Portrait.
tes, einfach schönes Lebensbild. ' ^ ^
Denkm. des Generals Grafen von Lambörg, gest. 1689. Der General '
derlich barocke Wesen der Zeit. — , 1
Nach Lassaulx's Zusätzen etc. zu der Klein'schen Rheinreise (S. 444) 5
-ocr page 347-348
liheinreise, 1841, Zweiter Abschnitt,
der Chor, ohne Umgang, nur die Breite des Mittelschiffes hat.) Die Pfeiler
zunächst an der Westseite, die den Thurm tragen, sind viereckig mit ab-
gerundeten Ecken und mit vier starken und vier schwachen Gurtträgern.
Die Gurtträger an den Wänden sind mehrfach gegliedert.
Die Architektur im Allgemeinen be-
deutend, edel gothisch. Doch sind die
Gurtträger an den gewöhnlichen Rund-
säulen zu stark und stecken zu sehr in
der Masse. Die Schwibbogen, von Pfei-
ler zu Pfeiler, sind nicht gar schön
profilirt.
Der Chor schlicht, mit Bündeln von
Säulchen als Gurtträgern,
Das Blattwerk der Kapitale und sonst
Manches ist in dem östlichen Theil der Kirche strenger gebildet als in
dem westlichen.
Die Fenster sind meist einfach wohlgebildet.
Zierlich spätgothischer Kreuzgang, mit einigen hängenden Schluss-
steinen. Etwa Mitte des löten Jahrhunderts. ^
Im Kreuzgange ein Hautrelief: Crucifix mit Maria, Johannes und zwei
andre Heilige, vorn die knieenden Donatoren (Canonici, beide ohne Kopf),
vom J. 1485. Handwerklich, aber mit tüchtigem Sinn; der Faltenwurf fast
in der Art jenes Kölner Malers, den man (fälschlich) als Lucas v. Leyden
benannt hat. Der Kopf der Madonna sehr zart. Vieles auch beschädigt
und verschmiert. —
Städtische Gemäldesammlung.
Von dem (fälschlich) sogenannten Lucas v. Leyden (von dem die
beiden, ehemals Lyversberg sehen Altäre aus der Karthause von Köln her-
rühren), ein treffliches Bild mit mittelgrossen Figuren: Andreas und Ur-
sula. Die letztere scheint wenigstens in der weiblichen Figur gemeint zu
sein, die gekrönt dargestellt ist, eine Pfauenfeder in der Hand und gegen'
die sich ein kleiner Bär (oder etwa eine Bärin?) aufrichtet. Der Bär ist
hier vermuthlich als Anspielung auf ihren Namen angebracht; sonst kommt
sie freilich mit diesem Symbol nicht vor'). Wiederum ganz, und mit
glücklichem Erfolg, in der eigenthümlicheu, gesucht graziösen Weise des
Meisters. Die Ursula namentlich in ziemlich würdiger Erscheinung; das
Gewand edel gehalten; das Gesicht zart und weich, in graulichem Tone,
durchgebildet. Andreas mit etwas phantastisch gelocktem grauem Haupthaar.
Hinter den Gestalten ein Teppich, über dem eine Säule, deren starker
Schaft von Achat, emporragt; Aussicht auf einige Bergspitzen und Luft. —
Ursula hält in der Linken ein Gebetbuch mit Miniaturmalerei. Darin die
folgende Schrift, soviel ich davon zu entziffern im Stande war:
... in dynre verholgenheit en
strafft mi in diner.......
en vrei (hie?) niet .......
di mynre loant.
Adam und Eva von Dürer. Lebensgrosse Gestalten. Sie stehen ein-
fach nebeneinander, dem Beschauer entgegen, und leis anmuthig gegen-
') Auf die h. Euphemia, die sonst mit einem Bären vorgestellt wird, ist die
Figur, wie es scheint, nicht wohl zu deuten, schon der Krone wegen. S. Christ-
liche Kunstsymbolik und Ikonographie, S. 11.
JIS
,4V
Notizen vom Schluss der Reise. Frankfurt a. M. 349
einander geneigt. Es entfaltet sich in ihnen eine höchst anmuthige, edle
Körperlichkeit, und fast nur der eine Arm des Adam erscheint herb. Die
Gestalt der Eva hat grosse Grazie, Adam Fülle der Brust; besonders schön
sind die Beine beider Gestalten, namentlich die der Eva. Dabei ist die
Composition wesentlich dürerisch. Dies gilt Alles aber nur von den all-
gemeinen Motiven, über das Besondre giebt es kein Urtheil mehr, da beide
Gestalten durchweg, und besonders die Eva, übermalt sind (wesshalb man
diesem Bilde auch, freilich ohne gründliche Prüfung, die ursprüngliche
Originalität ganz abgesprochen hat). Hin und wieder sieht indess noch
die Dürer'sche und ihm so eigenthümliche Unterzeichnung durch. Nur der
Kopf der Schlange zeigt noch die volle geistreiche Originalität des Mei-
sters. Schwarzer Grund. An dem Aste des Baumes hängt ein Täfelchen mit
der Inschrift: Albertus Dürer almans faciehat post virginis partum 1507.
Der D'om.
Das Schiff in merkwürdigem Prühgothisch. Gleich hohe Schiffe. Die
Pfeiler viereckig, mit abgefalzten Ecken und mit Dreiviertelsäulen als
Gurtträgern. Als Kapitälschmuck ein dünner,
umherlaufender Blätterkranz.
Der Chor im reicheren Gothisch. Nach die-
sem (?) das ausgedehnte Querschiff, in einer Di-
mension, dass äie Kirche ziemlich die Form eines
griechischen Kreuzes erhält.
Unter den Grabsteinen ist der des Johann von
Holzhausen und seiner Frau (gest. 1371) zu be-
merken, der in F. H. Müllers Beiträgen etc. (H, 12)
abgebildet ist und ein charakteristisches Beispiel
ausgebildet germanischen Styles giebt, doch in der
"Wirklichkeit, namentlich in der Figur des Mannes,
etwas steifer erscheint. Durch neuen, albern bunten Anstrich ganz entstellt.
Die Wandgemälde des Chores vom J. 1427, mit Geschichten des heil.
Bartholomäus etc., sind entschieden im Charakter der Kölner Schule. Der
Zeitgenoss des Stephan ist unverkennbar; Gesichter, Geberdungen, Stel-
lungen, Trachten deuten mehrfach darauf hin. Nur steht er auf einer
ungleich mehr untergeordneten Stufe; er ist mit der Entwickelung der Zeit
nicht lebendig fortgeschritten und wiederholt somit in bedeutend stär-
kerem Maasse noch die alterthümlichen Typen (im Gewandstyl u. dergl.)'
aus der Zeit des Wilhelm. Weder das Element einer seelenvollen Grazie
(wie doch bereits bei Wilhelm), noch freilebendige Bewegung sind ihm
recht erschlossen, und so ist auch seine Ausführung meist nur roh. Der
Naturalismus der Zeit dringt übrigens auch bei ihm schon hinein, wird
aber wiederum nur äusserlich aufgefasst. So finden sich bei der Marter
des heil. Bartholomäus Motive, die ziemlich direkt sogar an die Apostel-
Martyrien, gegenwärtig im Städel'schen Institut, erinnern; das Wetzen des
Messers auf dem Schleifstein fehlt nicht, und ebenso hat einer von denen,
welche dem Heiligen die Haut abziehen, das Messer in den Mund ge-
nommen. Man ist mit dieser Operation hier sogar an beiden Armen und
an beiden Beinen beschäftigt, und dennoch fehlt aller leidenschaftliche
Ungestüm. Gleichwohl sind im Einzelnen immer noch manche sehr an-
360 Ilheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
sprechende Dinge, soweit diese aus den allgemeinen Typen der Kölner
Schule, in Gewandung und Köpfbildung, hervorgehen. Die Arbeiten
haben übrigens sehr gelitten. Statt des Goldgrundes ist rother Grund an-
gewandt, und die Heiligenscheine sind gelb gemalt. —
Städel'sches Institut.
Die Martyrien der zwölf Apostel, dem Meister Stephan zugeschrie-
ben und ursprünglich die inneren Plügelbilder des jüngsten Gerichts aus
St. Lorenz in Köln ausmachend. (Zunächst aus der Tosetti'schen Sammlung
in Köln stammend. Tosetti hatte die Flügel auseinandergeschnitten, um
jedes Martyrium als einzelnes Bild zu haben; die Bilder der Rückseiten
(auf jedem Flügel drei Heilige) waren dabei nicht beachtet worden. Später
verkaufte er die Rückseiten an Hrn. Boisseröe, der sie abspalten xind aufs
Neue zusammensetzen liess. So befinden sich diese mit den übrigen Gemäl-
den der Boisser(5e'schen Gallerie gegenwärtig in der Pinakothek zu München.)
Die zwölf Darstellungen stehen wieder ganz in demselben Verhältniss
wie das jüngste Gericht (vergL oben, S. 298). Allerdings ist es ein Künst-
ler , der dem Stephan äusserlich sehr nahe steht und Vieles von ihm auf-
genommen hat. So die gesammte technische Behandlung, die im Einzelnen
entschieden an das Herwegh'sche Bild erinnert, im Allgemeinen aber doch
mehr starke Farbe anwendet. So im Einzelnen der Gestaltung und der
Köpfe, wie z. B. bei einem knieenden Apostel, der enthauptet wird, auch
in dem beliebten Grün der Kölner Schule (üntergewand und Mantel); so
bei der Gruppe von Frauen, Männern und Kindern, die sich um den
gekreuzigten Andreas gesammelt haben etc. Doch fehlt auch hier schon
jene tiefere, zartere, innigere, seelenvollere Grazie. Aber das Wesent-
liche der Auffassung ist höchst abweichend vom Dombildmaler, noch mehr
als auf dem jüngsten Gericht. Mit entschiedenem "Wohlgefallen ergeht
sich der Meister in der Durchbildung aller möglichen Barbareien (zu denen
4 allerdings schon eine Grundlage bei Meister Wilhelm gegeben war). So
erscheint z. B. auf der Darstellung, wo einer der Apostel mit den Armen
rückwärts über den Kreuzstämm gebunden wird, einer der Zuschauer in
jüdischer Prachtkleidung, indem er sich mit beiden Händen den Mund
aufreisst und Jenem di« Zunge entgegenblöckt. Das Maximum von alle
dem ist das Martyrium des Bartholomäus, der mit dem Bauch auf einen
Tisch gelegt und festgebunden ist: Vorn sitzt ein zerlumpter Kerl, der
sein Messer behaglich wetzt, ein andrer trennt eben die Haut eines Beines
auf; ein dritter zieht mit aller Anstrengung, während er das blutige Messer
mit dem Munde festhält, mit beiden Händen die Haut von Schulter und
Arm, dass das blutig rothe Fleisch sichtbar wird und den Heilige sich
qualvoll aufdrängt. Zwei andre schauen von hinten zu; der eine jauchzt
verhöhnend, mit aufgerissenem Maule, dem Nachbar zu; dieser, ein feister
Kerl, wartet wohlgefällig lächelnd, bis er seine Pfefferbüchse, die er in
der Hand trägt, auf den Geschundenen ausschütten kann. Dies und alles
Aehnliche ist übrigens wieder mit sehr grossem Talent zur Erscheinung
gebracht, und auch die Energie der Leidenschaft drückt sich bereits glück-
lich aus. Hier vor Allem sieht man recht deutlich den Eintritt in ein
ganz neues Gebiet der Kunst. —
Bibliothek.
In der Prehn'schen Sammlung, die, aus lauter kleinen Bildern beste-
hend, hier aufgestellt ist, findet sich ein allerliebstes poetisches miniatur-
artiges Bildchen aus der Kölner Schule. Der Garten des Paradieses, durch
Notizen vom Schluss der Reis«. Frankfurt a. M. 351
eine Mauer nach der Aussenwelt abgeschlossem Maria sitzt zur Seite eines
Steintisches und liest; auf dem Tische ein Glas und Obst. Vor ihr sitzt
das bekleidete Christkind in den Blumen und spielt auf einem Hackbrett,
das ihm eine heilige Frau hinreicht. Eine zweite schöpft Wasser aus einem
Brunnen; eine dritte pflückt Kirschen in'einen grossen Korb. Auf der andern
Seite sitzen Erzengel Michael und St. Georg in den Blumen; neben Michael
ein Aefflein; neben Georg liegt der kleine Drache auf dem Rücken. Ein
dritter männlicher Heiliger hinter ihnen lehnt sich an einen Baumstamm und
hört zu. Der Garten voll Blumen, Vögelchen, etc. — Der Maler ist ungefähr
ein Zeitgenoss des Meister Stephan; das Allgemeine der Gestaltung, die Kopf-
bildung, der Sinn für das Liebliche (besonders reizend in dem Kopfe des
Michael, den dieser, vor sich hinschauend, bequem in die Hand stützt) ist
dem letzteren ziemlich verwandt; doch hat jener nicht den bedeutsamen
körperlich künstlerischen Sinn. Seine Gestaltungen und Bewegungen haben
nicht den Fluss, die Arme sind geradliniger, der Faltenwurf ist minder
durchgebildet, auch das weiche und harmonische Farbenprincip fehlt.
Ueberhaupt stehen die Farben viel bunter nebeneinander und wirkt auch die
ältere Kunstweise (der Periode des Meister Wilhelm) noch mehr nach. —
Im Besitz des Herrn G. Brentano.
Vierzig Miniaturen französischer Schule aus der Spätzeit des 15ten Jahr-
hunderts, dem Jean Fouquet, Hofmaler König Ludwigs XL, zugeschrie-
ben ;_B]ätter eines höchst reichen Breviers, für „maitre Estienne Chevalier"
gefertigt, dessen Portrait mehrfach und dessen Name oft darin vorkommt.
Meist Scenen des neuen Testaments; dann andre des christlichen Mysteriums,
Darstellung religiöser Functionen u. dgl. m. In den Compositionen sehr viele
Originalität und geistreiche Selbständigkeit; bei den neutestamentlichen Scenen
häufig der Art, dass auf den oberen zwei Dritteln des Blattes die Begebenheit,
meist flgurenreich und lebendig, dargestellt ist und auf dem unteren Theile
beiläufig dazu gehörige Scenen — bei der Kreuzigung z. B. das Schmieden
der Nägel — enthalten sind. Eigenthümlicher noch sind einzelne mysti-
sche Darstellungen,, z. B. die der Dreieinigkeit unter dem Bilde von drei
(ganz gleichen und gleichmässig in weisse Gewände gekleideten Gestalten,
die auf gemeinsamem Throne nebeneinander sitzen. Auf einem Blatte ist,
in eben derselben Weise, die Krönung Maria dargestellt, wo dann der eine
von den Dreieinigen aufgestanden ist und im Vorgrunde der knieenden
Jungfrau die Krone aufsetzt. Der Styl ist meist höchst grossartig, in
Scenen, wo feierlich Versammelte nebeneinander sitzen (z, B. in der Dar-
stellung kirchlicher Functionen), sehr feierlich und würdig. In den Ge-
stalten und besonders in den Köpfen ist eine gewisse Idealität mit Glück
erstrebt, obschon die Formenbildung, der Grundlage nach, dem flandri-
schen Princip verwandt bldbt. Die Behandlung zeigt höchste nieder-
ländische Feinheit und Sauberkeit. Die dargestellten Architekturen haben
theils noch brillant gothischen Styl, theils den der zierlichst florentinischen
Renaissance; gelegentlich kommt dergleichen auch auf einem Blatte neben-
einander vor, üfibrigens ist nicht Alles von ganz gleichem Warthe und
sind, was die Ausführung betrifft, verschiedene Hände zu erkennen.
Ein Tafelbild, den Maitre Etienne und neben ihm den h. Stephan dar-
stellend, halbe Figuren in Lebensgrösse, wird'ebenfalls dem J. Fouquet
zugeschrieben 1). Die künstlerische Richtung ist im Allgemeinen dieselbe,
I ^
') Waagen, Kunstwerke und Künstler in Paris, S. 372.
-ocr page 351-rl 352 Rheinreise, 1841. Zweiter Abschnitt.
die Ausführung jedoch — obschon im Einzelnen, z. B. in den Händen, auch
in dem Stein, den der h. Stephan trägt, die detaillirende Sorgfalt eines
Miniaturmalers sichtbar wird, — für denselben Meister fast nicht geistreich
genug. Der Kopf des Heiligen hat in Bildung und Wendung einen ge-
wissen gentil diplomatischen Charakter, der sehr deutlich die französische
Auffassung zu bezeichnen scheint, sich aber in solcher Art eben auch
nicht in den Miniaturen findet.
Andere Bilder im Besitz des Hrn. G. Brentano sind anderweit ge-
nannt worden. Ich erwähne hier noch eines grossen Gemäldes von van
Dyck: der Christusleichnam im Schoosse der Maria, die trauernden An-
gehörigen umher. Aus der mittleren Zeit des Meisters, bald nach seiner
Heimkehr aus Italien. Grossartig componirt, fast im Style der streng com-
ponirten Arbeiten des Andrea del Sarto nnd in dieser Weise wirksam;
gleichwohl die Composition nicht eigentlich durchgearbeitet, ohne den
mehr innerlichen Zusammenhang, meist jede Gestalt einzeln mit sich be-
schäftigt. Die Behandlung noch ungemein frei und kühn, zwischen Rubens
und Tizian fast in der Mitte, obschon van Dycks eigenthümliche Ge-
fühlsweise nicht zu verkennen. Aus der Minoritenkirche zu Mainz her-
stammend.
Gallerie.
No, 178. Grosses Bild aus der Kölner Schule mit der Unterschrift: Hanc
tdbulam ßeri fecerunt discreti viri henricus de Cassel et conradus rost de
Cassel pro saliite animce quondam Johannis rost de Cassel ac alaide eins
uxoris quorwn animcB per misericoräiam dei requiescant in pace. amen. —
Fünf Abtheilungen. In der Mitte der Cruciflxüs mit
Maria und Johannes, blutauffangenden Engelchen, und den
vier kleinen knieenden Donatoren unterwärts. In den an-
dern vier Abtheilungen je zwei Heilige, in der zur Eech-
ten, unterwärts, neben einem Bischof die heil, Ursula, mit
vier kleinen Gestalten ihrer Jungfrauen unter dem Mantel.
Goldgrund. — Das Bild steht dem Meister Wilhelm (wie in
S. Castor und wie im Claren-Altar), nach; in den Gewandungen herrscht
ein nobel einfacher Fluss, in den Gestaltungen ist ziemliches Gefühl; die
Köpfe sind fein, in seiner Art. Die Durchbildung aber ist für Wilhelm selbst
bei Weitem nicht geistreich genug: also ein ihm sehr nahe stehender Schüler.
No. 230. Altärchen, Goldgrund. Crucifixus mit Maria und Johannes,
auf den Flügeln Katharina und Barbara. Dem Meister l\filhelm sehr nah,
doch nicht von ihm selbst, etwas schwerer in der Gewiandung; auf der
einen Seite an das Berliner Altärchen, auf der andern an die kleine Kreu-
zigung bei Dietz in Coblenz erinnernd.
No. 184. Darstellung deV Kindes im Tempel, mit vielen Nebenfigu-
ren, links Frauen, rechts Männern, vorn Kindern mit Lichtern (vergl. den
Katalog). Hinter dem Goldaltar ein Teppich, der von Engeln gehalten
wird; sonst Goldgrund, aus dem oben Gottvater in einem Ehgelkranze
heraustaucht; im Goldgrunde auch noch umherflatternde Engelchen. —
Entschieden ein Schüler des Meister Stephan, aber ganz der Gegensatz
des jüngsten Gerichts. Nur das Zarte und Sanfte ist aufgefasst, ohne dass
doch der eigentlich tiefere Sinn für die Grazie hervorträte. Durch die
Notizen vom Schluss der Reise. Darmstadt. 353
Carnation und durcli das Colorit überhaupt geht wieder jener milde Per-
lenschimmer (die Färbung recht eigentlich als Nachfolge des Herwegh'-
schen Bildes); die Gesichter sind sehr rund, die Detailiformen selbst breit,
Das Bild entspricht den im obigen (S. 297) angeführten beiden Flügelbildern
des Kölner Museums, auch dem Bilde bei Bürwenich. — Ein Mann rechts im
Vorgrund, der hinter dem h. Simeon steht und einen weissen Mantel mit
schwarzem Kreuz trägt, hält einen Zettel in der Hand, mit der Inschrift:
Ihsv maria geist V7is loen
mit dem Bechtverdig Symeon
des heltv ich hy zeigen schoen.
Zwei ziemlich bedeutende Tafeln aus Kloster Seligenstadt (Gegend
von AschafFenburg). Auf jeder vier weibliche Heilige in geschweift gothi-
scher Relief-Architektur. Die Gewandung höchst voll und faltenreich
germanisch statuarisch. Die Farbentöne ziemlich mild und gebrochen.
Die Gesichter eigen, unter einem gewissen kölnischen Einfluss. Im Ganzen
übrigens ziemlich derb.
No. 205. Vier länglich hohe Tafeln (je 2 Fuss 4 Zoll hoch) in Einem
Rahmen: der h. Martinus, Katharina, Barbara und Antonius Eremita. Ein
trefifliches Bild aus der Schule des sogenannten Israel von Meckenen (Mei-
ster der zweiten Folge). Unmittelbare Nachfolge.
No. 167. Tod der Maria, angeblich von Schoreel, aber wieder ganz
anders, als die Bilder, die mit diesem Namen gewöhnlich bezeichnet wer-
den. Viel befangener und eckiger; seltsame schwere Gesichter. Dennoch
zart und mit Sinn gemalt.
Eine grosse Menge von Kunstgeräthen.
Reliquienkasten. — Alte Emaillen. — Limosiner Emaillen.
Elfenbeinschnitzwerke verschiedener Art mittelalterlichen Styles. Man-
ches darunter sehr bemerkenswerth. Vieles streng byzantinisch, mit ver-
schiedenen Modificationen; Andres in interessant germanischer Weise. —
Das bei F. H. Müller abgebildete Altärchen ist nicht gar bedeutend; auch
das Rittermedaillon, ebendaselbst, in der Ausführung nicht eben vorzüglich.
Merkwürdige Reliquiarien, einige in der Form von Polygonkapellen.
So eins ganz als Baptisterium (mit erhöhtem Mittelraum), mit figürlichem
Schnitzwerk. Ein andres der Art mit schönem Emaille-Ornament; die
Giebel des Polygons hier halbrund, das Dach somit wulstrippenartig. —
Sonst noch Reliquienkasten mit byzantinischer Emaille, und grosse Massen
von Emailstücken.
Gefässe, Geräthe, Kleinkunst der verschiedensten Art; Münzen und
Gemmen, Antikes und Orientalisches etc. etc.. Alles hübsch geordnet, im
Ganzen ein bedeutender Reichthum.
Ungefähr 40 tüchtige architektonische Modelle, meist römische Kork-
arbeiten, in der gewöhnlichen Art, — darunter auch ein tüchtiges Modell
der Kirche von Paulinzelle.
Waifen. — Sammlung alter Musik-Instrumente, sehr nachahmungswerth.
ßUgler, Kleine Schriften. II, ' . 23
-ocr page 353-i
HANDBUCH DEB KUNSTGESCHICHTE TON Dr. F. KUfiLEB.
•■if'.
fc'. -
r
Zur Erinnerung; an die Stelle, welche dies Werk im Fortgänge meiner
kunstgeschiclitlichen Arbeilen eingenommen hat, erlaube ich mir, das Vor-
wort der ersten Auflage desselben hier ebenso einzuschalten, wie ich be-
reits Aehnliches mit dem Vorwort anderer Arbeiten, welche in diese
Sammlung nicht aufzunehmen waren, an den entsprechenden Stellen ge-
thau habe.
Es scheint mir nothwendig, dem Buche, welches ich hiemit dem
Publikum vorlege und dem ich gern, da es doch einen guten Theil meines
Lebens mit sich führt, eine freundliche Aufnahme bereiten möchte, ein
Paar einleitende Bemerkungen voranzuschicken.
In'ir's Erste über die Wahl des Titels. Er sagt zu Avenig und sagt zu
viel; aber ich habe hin und her gesonnen, ohne einen besseren, der ähn-
lich bequem zu handhaben wäre, auffinden zu können. Wir gebrauchen
das Wort Kunstgeschichte im engeren und weiteren Sinne: in diesem,
wenn wir die Geschichte der Musik und der Poesie dazuinehmen, in je-
nem, wenn wir nur von den räumlich bildenden Künstenl (mit Einschluss
der Architektur) sprechen. Das letztere ist in meinem Buche der Fall-,
und da das Wort ungleich mehr in seiner engeren Bedeutbng als in seiner
weiteren gebraucht wird, so glaubte auch ich immerhiu der allgemeinen
Sitte folgen zu dürfen.
Ungleich wichtiger jedoch, als den Titel, ist es, die Aufgabe, die ich
in diesem Buche zu erfüllen strebte, zu rechtfertigen. Es ist der erste
umfassendere Versuch in seiner Art, der hier dem Publikum entgegentritt;
wenigstens glaube ich das, was früher über das Giinze der Kunstgeschichte
geschrieben ist, unberücksichtigt lassen zu dürfen, ohne dass man mich
des llochmuths zeihen wird, Es muss somit wohl ein gutet Grund vor-
handen sein, wesshalb mir mit solcher Arbeit noch keine andre, vielleicht
mehr berufene Feder zuvorgekonimen ist. Und allerdings liegt dieser
Vorwort. , 355
Grund klar genug zu Tage: das Ganze unsrer Wissenschaft ist noch gar
jung, es ist ein Reich, mit dessen Eroberung wir noch'eben erst beschäf-
tigt sind, dessen Thäler und Wälder wir noch erst zu lichten, dessen wüste
Steppen wir noch urbar zu machen haben; da wird noch die mannigfal-
tigste Thätigkeit für das Einzelne" erfordert, da ist es schwer, oft fast un-
ausführbar, ein behagliches geographisches Netz darüber zu legen und
Provinzen, Bezirke, Kreise und Weichbilder mit säubern Farbenlinien von
einander zu sondern. Dass ich dies dennoch gethan, oder zu thun ver-
sucht, — ich könnte sagen, dass ich mehrfach und dringend dazu auf-
gefordert wurde und dass ich Jahr und Tag habe verstreichen lassen, ehe
ich es wagte, den freundlichen Aufforderungen, die vielleicht meine Kräfte
überschätzten, nachzugeben; das wird indess den geneigten Leser wenig
kümmern, er wird vielmehr nur nach den Gründen fragen, die mich zum
Nachgeben veranlasst. Es sind die folgenden. Wenn wir auch noch viel,
recht sehr viel in unsrer Wissenschaft zu thun haben, so liegt denn doch
bereits eine' so grosse Masse von Einzelheiten vor, dass für diese soviel
Ordnung, als eben möglich ist, geschafft werden muss. Die allgemeine
historische Wissenschaft (in deren Dienst wir jenes Reich zu erobern
streben) stellt uns doch allmäWig die sehr ernsthafte Frage, was eigentlich
wir in diesen Jahren geschafft haben und welcher Gewinn ihr aus nnsern
Bemühungen erwachsen ist. Dann sind mancherlei Freunde da, die, zum
eignen Genuss, gern eine bequeme Anschauung von unserm Thun und
Treiben haben möchten, und Jünger, die zu lielfen gesonnen sind und
denen'wir die Wege zeigen sollen. Und nicht minder scheint es mir für
uns selbst ein dringendes Erforderniss ; wenn wir stets nur auf das Ein-
zelne, das Nahliegende blicken, möchten wir leicht Gefahr laufen, den
Sinn für die Ferne und Weite, die das Ganze umschliesst, abzustumpfen;
wir möchten vergessen, dass das Einzelne seine vornehmste Bedeutung
eben nur als ein Glied des Ganzen hat. Wir müssen somit Nähe und
Ferne stets auf gleichmässige Weise im Auge behalten, wenn wir erfolg-
reich vorwärts schreiten wollen, wie das Blut zum Herzen einfliessen
und vom Herzen ausfliessen muss; wenn das Leben sich gedeihlich ent-
wickeln soll.
Ich gebe somit einstweilen ein Ganzes, wie die Mittel, welche mir
zu Gebote standen, sich eben zum Ganzen vereinigen wollten. Was ich
selbst erforscht, liabe ich nach besten Kräften %it dem zu verschmelzen
gesucht, was durch Andre geleistet worden ist. Die wichtigsten Quellen
(die insgemein zugleich die besten Hülfsi^ittel zur weiteren Untersuchung
der einzelnen Punkte darbieten) habe ich genannt, ohne jedoch für jedes
fremde Wort die Autorität besonders anzuführen; das Buch würde da-
durch unnöthig angewachsen sein; oft wäre es auch unmöglich gewesen,
da ich es keineswegs von jedem einzelnen Gedanken mehr sagen kann, ob
er mir oder einem Andern angehöre, und da ich auf manche interessante
Forschung gewiss nur durch diesen oder jenen äusseren Anlass geführt
worden bin. Ich maasse mir übrigens, wie aus dem Obigen wohl zur Ge-
nüge hervorgehen wird, nicht an, dass mein Buch für die Wissenschaft
einen bleibenden Werth haben werde; ich habe eben nur ihren gegen-
wärtigen Betrieb, so gut es der heutige Zustand erlaubt, zu fördern ge-
strebt. Ich hätte wieder noch Jahre warten können, -ehe ich diese Arbeit
in die Welt geschickt, aber das Warten ist zuweilen ein eigen Ding. So
bedauerte ein wohlmeinender Recensent, als mein Handbuch der Geschichte
356 Handbnch der Kunstgeschichte. '
der Malerei seit Const. d. Gr. erschienen war, dass ich damit nicht
noch dies und jenes grosse Unternehmen und dass ich namentlich
nicht Gaye's grosse Geschichte der italienischen Malerei abgewartet
habe. Aber Gaye ist gestorben, ohne das Werk gearbeitet zu haben; und
Felix Papencordt sagte mir, er, der häufig mit Gaye in den Biblio-
theken Italiens zusammengesessen, sei allein im Stande, die Collectaneen,
welche sein Freund zu jenem Zwecke gesammelt, für den Druck benutz-
bar zu machen: und Felix Papencordt, auf dessen hellem Geiste und
frischer Körperkraft so grosse Hoffnungen ruhten, ist nun auch gestorben!
Meine Geschichte der Malerei ist wahrlich kein Werk von sonderlich aus-
gezeichneter Meisterschaft; und doch hat sie, ich darf es wohl sagen, man-
ches Gute gewirkt, was verloren gewesen wäre , wenn ich gewartet hätte.
Gehen wir frisch ins Leben hinein , so lange wir leben! Die Wechsel-
wirkung der Kräfte schaift viel höheren Gewinn, als wenn wir in vor-
nehmer Abgeschlossenheit über einer Vollendung brüten, der wir uns nur
durch gemeinsame Thätigkeit anzunähern vermögen. Ist der Stein, den wir
zum Baue tragen, doch nicht der Bau selbst!
Wie weit mir meine Aufgabe gelungen , das überlasse ich gern dem
Ermessen derer, welche zum Urtheil berufen sind; mein Buch, die Fassung
und Anordnung desselben, der Ideengang, der sich darin ausspricht, die
Art und Weise der Hindeutungen auf das Einzelne , Alles dies muss für
sich selbst sprechen. Findet man das Buch brauchbar, so wird man dem-
selben vielleicht auch die weiteren Mittheilungen im Gebiete der Kunst-
geschichte, die von den bevorstehenden Jahren zu erwarten sind, einarbeiten
können. Was mir selbst während des Druckes an neuen Anschauungen
und an neuen Arbeiten zugekommen ist, habe ich , soweit es die Zwecke
des Buches zu erfordern schienen, in den „Nachträgen und Berichtigungen"
hinzugefügt. Vornehmlich beziehen sich dieselben auf Denkmäler in den
Rheinlanden, wo ich in diesem Sommer, auf einer Reise zur Untersuchung
der dortigen Monumente, viel Neues zu sehen und kennen zu lernen das
Glück hatte. Ausführliche und umfassende Mittheilungen über diese Reise,
die manch einen Punkt der vaterländischen Kunstgeschichte in einem neuen
und helleren Lichte zu zeigen geeignet sein dürften, werde ich dem Publi-
cum in einer besonderen Schrift vorlegen.
Die Verzeichnisse am Schlüsse des Buches schienen mir für den Hand-
gebrauch desselben nöthig«zu sein, das Orts-Verzeichniss sowohl, wie das
der Künstlernamen, da es namentlich ohne jenes sehr sch^ver gewesen sein
würde, viele der wichtigsten Monumente und die verschiedenen Stellen,
an denen etwa von dem einzelnen Monumente gesprochen wird, aufzu-
jBnden. Vielleicht giebt dies Orts-Verzeichniss dem Handbuche zugleich die
Eigenschaft eines brauchbaren Begleiters auf Reisen.....
Die Vortheile, von denen ich wünsche, dass das Handbuch sie dem
Studium der Kunstgeschichte gewähren möge, dürften durch ein zweites
Unternehmen wesentlich erhöht werden, zu dessen Ausführung die Ver-
lagshandlung sich auf mehrseitigen Wunsch bereit erklärt hat. Dies ist die
Herausgabe eines Bilder - Atlasses, dessen Darstellungen in fortlaufender
Folge eine unmittelbare Anschauung des künstlerischen \Entwickelungs-
Nachträglich: — Die Studien jener Reise sind vorstehend mitgetheilt.
An der Durcharbeitung derselben zu einer besondern umfassenden Schrift wurde
ich durch anderweit eintretende Verhältnisse verhindert.
Vorwort. 357
ganges, nach seinen bedeutsamsten Denkmälern, geben sollen. Das Ver-
hältniss des Atlasses zu dem Handbuche wird sich ähnlich gestalten wie
das der von C. O. Müller und C. Oesterley herausgegebenen Denkmäler
der alten Kunst zu Müllers Handbuche der Archäologie. Auch dies
Unternehmen möge der Theilnahme des Publikums im Voraus bestens
empfohlen sein.
Zum Schlüsse endlich drängt mich's, denen meinen herzlichsten und
innigsten Dank auszusprechen, -welche durch hülfreiche Unterstützung
mannigfacher Art meine Arbeit gefördert, durch freundliche Theilnahme
meine Kräfte und meine Lust bis zum Abschlüsse derselben frisch und
rege erhalten haben. lu dieser Theilnahme habe ich bereits den schönsten
Lohn für meine Mühe gefunden. "Doch nicht ihnen allein, allen denen
sehe ich mich verpflichtet, öffentlich Dank zu sagen, die mich seither durch
Mittheilungen und Zusendungen so mancher Art erfreut, meinen Studien
im Gebiete der Kunstgeschichte, oft ohne alle Aufforderung, so manch ein
neues und belehrendes Hülfsmittel dargeboten haben. Möge es diesem
Buche gelingen, mir die Theilnahme der alten Freunde zu erhalten, viel-
leicht auch neue Freunde zu erwerben!
Berlin, am 22. October 1841.
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CKunstblatt, 1842, No. 11.)
.....Sehr schätzbare Stücke sind neuerlich für die Gemäldegallerie
erworben , einige treffliche Niederländer , unter denen ich mich begnüge,
zwei ungemein lebenvolle Bildnisse von Franz Hals anzuführen, sodann
ein Bild italienischer Schule, welches fortan zu den Werken ersten Ranges,
die das Museum besitzt, zu zählen ist. Es ist ein Gemälde von der Hand
des Pontormö, ausgeführt nach einer Composition Michelangelo's. Es
enthält die lebensgrosse nackte Gestalt der Venus, welche , auf den einen
Arm sich aufstützend, in einem Gebüsche liegt, und den Amor, der in
muthwilligem Spiel über sie hintritt, ihren Hals umschlingend und sie zu
küssen im ßegrifl", während sie aus seinem Köcher einen Pfeil herauszieht.
In diesem Bilde waltet ganz der hohe, majestätische Geist des Michel-
angelo; es ist in diesen Formen eine Energie des Lebens, wie sie nur ihm
zu eigen sein kann. Dabei ist das kecke Spiel der Darstellung, wie sich
freilich bei dem Namen dieses Meisters von selbst versteht, mit reinem
und keuschem Ernste gefasst, in dem Kopfe der Venus selbst ein strenger,
fast leidenschaftloser Stolz, der eine eigenthümlich poetische Wirkung her-
vorbringt. Aber nicht minder meisterhaft wie die Composition ist auch
deren Ausführung. Das feine Verständniss der Form, die Eeinheit und
Tüchtigkeit der Modellirung ist der grossartigen Schönheit der Zeichnung
durchaus angemessen. Auch der kühle Ton der Carnation entspricht dem
Geiste einer Composition Michelangelo's. Der Vortrag ist breit und frei,
doch mit einem Schmelz in den Feinheiten der Schattengebuhg, wie sol-
cher unter den Florentinern nur dem Pontormo eigen war. Die Um-
gebung, in kräftigen und entschiedenen Farbentönen gehalten, steht gleich-
wohl zu den kühlen Tönen der Carnation in glücklicher Harmonie, so das
rothe mit Gold durchwirkte Gewand, auf welchem die Venus rulit, so das
dunkle Grün des Gebüsches, so die ungemein geistvolle Färbung des
Berliner Museum/ Antikes Theater. 359
abendlichen Himmels und der Landschaft,, in die man hinausblickt. Die
Erhaltung des Bildes lässt'kaum etwas zu wünschen übrig; dass dasselbe
(wie so sehr häufig) an den Rauheiten der starken Leinwand, worauf es
gemalt, etwas abgerieben ist, thut der Wirkung durchaus keinen Eintrag.
Unbedenklich gehört das "Werk zu den allermerkwürdigsten Arbeiten, die
von namhaften Meistern im Fache der Farbenbehandlung nach Compo-
sitionen Michelangelo'« ausgeführt sind; die Seltenheit von solchen trägt
natürlich nicht wenig dazu bei, den Werth des Bildes zu erhöhen. Es
rührt aus der Verlassenschaft des verstorbenen Professor d'Alton in Bonn
her, und ist durch eine Radirung von dessen Hand bekannt.
Unter den neuen Erwerbungen für das Kupferstichcabinet erwähne ich
einer überaus herrlichen, sehr wohl erhalteneu und intacten Federzeich-
nung von Raphael's Hand zu dem Carton des Fischzuges. {Sie war
Passavant noch unbekannt; er führt, ausser einer abweichenden Skizze,
nur eine zweifelhafte Studienzeichnung zu diesem Carton, in der Samm-
lung des Königs von England, an. Yrgl. Raphael v. Urbino H, S. 237.)
Antikes Theater.
Berlin.
(Kunstblatt, 1842, No. 13.)
Die Aufführung der Antigone des Sophokles auf dem kleinen
Theater im neuen Palais bei Potsdam hat einen arcliäologischen Streit
veranlasst, der für die Wissenscliaft nicht unfruchtbar bleiben dürfte. Ueber
die Aufführung jener wundersamen classischen Tragödie werden Sie bereits
Manches in öffentlichen Blättern gelesen haben; von der Gewalt des Ein-
druckes, den dieselbe hervorbrachte, als die Herrlichkeit der griechischen
Poesie uns in lebeudiger Verkörperung gegenübertrat, will ich hier nicht
ausführlicher sprechen. Nur einen Theil der Elemente, Avelche diesen
Eindruck hervorbrachten und die vor das Forum Ihres Blattes gehören,
will ich näher berühren; ich meine die scenische und, wenn ich mich des
Ausdrucks bedienen darf: die plastische Erscheinung der Tragödie. Man
hatte die äussere Einrichtung, so gut es das Local nur irgend verstattete,
ganz den Anforderungen der griechischen Bühne, gemäss angeordnet. Die
Scene erschien in nicht bedeutender Tiefe und von einer wirklichen (nicht
bloss gemalten) dorischen Architektur umfasst; sie war über der Orchestra,
welche die nöthige Kreisgestalt hatte und in deren Mitte sicli die Tbymele
befand, angemessen erhöht und mit dieser, in der Mitte, durch eine Doppel-
treppe vei;bunden. Vor dem Anfange der Tragödie war die Scene durch
einen Vorhang verdeckt, welcher sich mit dem Beginne des Stückes in
den Fussboden hinabsenkte, so wie er am Schlüsse wieder aus demselben
emporstieg. Schon die Wirkung dieser letzteren Einrichtung war so er-
freulich wie überraschend, indem es den wohltliuendsten Eindruck machte,
dass das Auge nicht, wie bei unserer heutigen Bühne, zuerst und zuletzt
die Beine der Menschen und den SockeJ der Gebäude zu scheu bekam,
360 Berichte und Kritiken.
sondern mit den erhabenen Theilen anfing und schloss. Wichtiger aber
noch war die Plastik der Gruppirungen, sowohl im Verhältniss der Schau-
spieler auf der Scene zu den Choreuten in der Orchestra, als bei den letz-
tern selbst, wenn sie sich, in wechselnder Bewegung, auf den Stufen der
Thymele emporreihten. Von entschiedenster und grossartigster Wirkung
aber — wenigstens auf mein Gefühl — war es, dass man die (zunächst
von Genelli ausgeführte) Anordnung getroffen hatte, ausser den Personen,
welche unmittelbar aus dem königlichen Palast auftraten oder dahin zu-
rückkehrten, alle übrigen seitwärts in die Orchestra eintreten und über
jene Treppe erst die Scene besteigen, und ähulich -wieder abgehen zu
lassen. Durch diese Verlängerung des Ganges (statt des kürzern aus der
Seitendekoration der Scene) ward den einzelneu Gestalten zur Entwicke-
lung ihrer verschiedenartig charakteristischen Eigenthümlichkeit genügend
Raum geboten, und vornehmlich gab das Auf- oder Absteigen der Treppe
die interessantesten Motive für eine künstlerische Bewegung des Körpers
und der Gewandung; dies Alles sowohl, wenn die bezüglichen Personen
allein die Aufmerksamkeit des Beschauers in Anspruch nahmen, als vor-
nehmlich, wenn sie sich einer grösseren Gruppirung einreihten, und wenn
ihr Auf- oder Abtreten sich in die dramatische Handlung unmittelbar ver-
flocht. So konnte man es auf's Lebhafteste mitfühlen, als Antigene nach
dem Schluss der ersten Scene, noch vor dem Auftreten des Chores, mit
dem Kruge auf dem Haupte einsam von der Bühne hinabstieg und einsam
die Orchestra durchschritt, den Leichnam des Bruders, der vor dem Thore
der Stadt lag, zu bestatten; so war das traurig zögernde Auftreten des
Hämon, die ernste Erscheinung des blinden, von seinem Knaben geführten
Tiresias von der bedeutendsten Wirkung; noch mehr der Abgang des Ti-
resias, als er, noch von den Stufen der Treppe, die unheilverkündenden
Worte gegen Kreon emporrief, während dieser tiefer und tiefer sich in sei-
nen rothen königlichen Mantel verhüllte und der Chor erwartungsvoll im
Grunde der Orchestra stand; eben so das angstvolle Hinausstürzen Kreons
und seiner Diener, als er die schreckenvolle That des Sohnes vernommen,
das Hereintragen der Leiche des Hämon u. s. w. Alle diese Erscheinun-
gen, wie sie durch die bedeutsame Gliederung des Raumes und durch die
glückliche Benutzung derselben ins Leben traten, machten auf mich einen
Eindruck, etwa als ob ich die Statuengruppen im Giebel eines griechischen
Tempels in dramatisch belebter Bewegung vor mir gesehen hätte. — Gegen
einen wesentlichen Theil der Anordnung, welche man hiebei befolgt hatte,
hat sich aber bald nach der Aufführung die sehr entschiedet! missbilligende
Stimme eines unserer hiesigen Archäologen vernehmen lassen. Tölken
hat in mehreren Aufsätzen, die gleichzeitig in zweien der hiesigen Zeitun-
gen erschienen (die ausserdem auch bereits, mit Aufsätzen von Böckh und
F. Förster vermehrt, in einer besondern Brochüre abgedruckt sind), die
Ansicht durchgeführt, dass die Schauspieler und die Choreuten in der
griechischen Tragödie räumlich stets streng von einander getrennt gewesen
seien, und dass namentlich die ersteren nie über die Orchestra, sondern
stets aus den Seiten der Decoration der Scene , aus den Coulissen , aufge-
treten seien. Er führt seine Opposition- vornehmlich gegen das bekannte
Werk von Genelli (das Theater zu Athen) durch und bemüht sich, das
Unhaltbare in Genelli's Ansichten nachzuweisen. Doch scheint es , dass
Tölken's Kritik im Wesentlichen mehr gegen einzelne Wlllkürlichkeiten
in den von Genelli entworfenen Restaurationen, als gegen das Prinzip,
Antikes Theatur. 361
welches diesem zu Grunde lag, gerichtet ist; auch musste es, die durch-
greifende Richtigkeit des Einzelnen seiner Behauptungen zugegeben, den-
noch auffallend bleiben, dass die Griechen, bei der eigenthümlichen Structur
ihrer Scene, die Vortheile einer grossartig plastischen Wirkung, welche
durch Benutzung der Scene und Orcliestra unmittelbar entstehen mussten,
aufgegeben hätten. Der innere Widerspruch, welcher hierin lag, scheint
den Aulass zu weiterer Nacliforschung dieser Verhältnisse gegeben zu ha-
ben, als deren Resultat hier eine so eben erschienene Gegenschrift gegen
Tölken's Aufsätze anzuführen ist; sie ist von dem Dr. Geppert verfasst
und führt, wie jene Aufsätze, den Titel: „Ueber die Eingänge zu dem
Proscenium und der Orchestra des alten griechischen Theaters.-' Geppert
hat den Gegenstand von einer Seite aufgefasst, die bis jetzt noch kaum
zur Sprache gekommen war; nachdem er nämlich auf das"an sich Unzu-
reichende von Tölken's Behauptungen hingedeutet, geht er auf die Ein-
richtung der alten Tragödien selbst ein, sofern die dramatische Handlung
eine besondere. BeschatTenheit des Locales und eine besondere Benutzung
desselben voraussetzen lässt. Er kommt dabei zu dem Resultat, dass die
bei jener Aufführung der Antigene befolgte Anordnung, die Schauspieler
zumeist durch die Orchestra auftreten und auf der Treppe die Scene er-
steigen zu lassen, im Allgemeinen als Regel anzunehmen sey, und zwar
aus folgenden Gründen: Die auftretenden Personen pflegen öfters den (in
der Orchestra befindlichen) Chor anzureden, ohne zunächst von den, für
sie noch wichtigeren Personen auf der Scene Notiz zu nehmen; sie wer-
den vom Chor früher wahrgenommen, als von jenen, so wie sie von denen,
welche die Scene vom Hintergrunde aus betreten, nicht sobald erblickt
werden, als man bei der geringen Tiefe der griechischen Bühne erwarten
sollte; ferner sagen die Auftretenden mehrfach ausdrücklich, dass sie steile
Zugänge zur Scene zu ersteigea haben; dann sind Handlungen in der an-
tiken Tragödie enthalten, die nur auf der Orchestra vorgehen können; aus
der Einrichtung mancher Stücke geht sogar mit Entschiedenheit hervor,
dass in ihnen kein anderer Weg auf die Scene führte, als der über .die
Orchestra, u. s. w. Für alles diess werden zahlreiche Beispiele aus den
griechischen Tragikern beigebracht. Es dürfte in der That schwer sein,
die Masse dieser Zeugnisse zu beseitigen oder anders zu deuten. Doch
können wir nicht erwarten, hiemit den Streit abgeschlossen zu sehen, und ]
um so weniger, als Tölken bereits im Voraus eine Fortsetzung des Kampfes
verheissen hat, falls noch Jemand „für irgend eine der älteren Ansichten
den Schild erheben sollte." Für die Wissenschaft, und namentlich für
unsere noch immer nicht genügende Anschauung des griechischen Theater-
baues, davon nur so mangelhafte Reste auf unsere Zeit gekommen sind,
scheint dieser Streit jedoch sehr erfreulich, indem derselbe eine möglichst l -
vollständige Herbeischalfung und Sichtung des erforderlichen Materiales f
nöthig macht. , V
-ocr page 361-^ 362 Borichte uud Kritiken,
Chronologische Tabelle der Maler seit Cimabiie's Zeiten
bis zum Jahre X840. Zusammengestellt durch Ii. v. R e 11 b e r g,
Hannover, 1841,
(Kunstblatt, 1842, Nr. 39.)
Auf dreizehn grossen Bogen, die geeignet sind, aneinander gehängt
zu werden, wird uns hier eine chronologisch geordnete Uebersicht der
sämmtlichen Maler des angegebenen Zeitraumes, deren Name für die Ge-
schichte der Kunst nur irgend in Betracht kommt, dargeboten. Die ganze
Anordnung ist klar und anschaulich gehalten. Die Tafeln zerfallen in
folgende Rubriken: 1) Italien, die Hälfte des Blattes einnehmend und
zwiefach in Unterabtheilungen gesondert, nämlich: Unter-Italien (Florenz,
Siena, Rom, Neapel [iacl, Messina]) und Ober-Italien (Venedig, lombardi-
sche Schulen, Bologna, Ferrara, Genua und Piemont); 2) Deutschland (incl.
Schweiz, Dänemark, Schweden, Russland); 3) Holland und Flandern;
4) Sj)auien (mit Portugal); 5) Frankreich; 6) England. Die Namen der
Künstler sind nach ihren theils sicher bestimmten, tlieils muthmaasslichen
Geburtsjahren neben- und untereinander gesetzt, wobei zu erwähnen ist,
dass der Verf. im Allgemeinen mit grosser Umsicht die besten und zuver-
lässigsten Quellen benutzt und zweifelhafte Punkte als solche angedeutet
hat. Gegen dies Princip, die Ordnung nach den Geburtsjahren zu be-
stimmen, dürfte zwar bemerkt werden, dass hiedurch keine wahre An-
schavmng der synchronistischen Verhältnisse gewonnen werde, indem für
den Zweck der Kunstgeschichte doch vornämlich die Blüthezeit der künst-
lerischen Thätigkeit des Einzelnen in Betracht kommen müsse; da aber
für die Zeitbestimmung der letzteren schwerlich eine übereinstimmend
sichere Norm zu gewinnen ist, so erscheint die getroffene Anordnung in
der That als die passlichste. Auch kann man von ihr aus leicht zu einer,
wenigstens ungefähren Zeitbestimmung jener Art gelangen, wenn man zu
der am Rande stehenden Jahrzahl etwa 30 oder 40 (als Bezeichnung der
Jahre des friscliesteu Mannesalters) liinzu addirt. Ausserdem ist bei den
Künstlernamen noch besonders das Geburts- und Todesjahr (so weit dies
sicher zu bestimmen war), zumeist auch der Geburts- oder Wohnort, so
wie das besondere Kunstfach, dem der Einzelne angehört, angedeutet, bei
den vorzüglichsten Meistern zugleich eine nähere Bezeichnung ihrer künst-
lerisclien Richtung mit kurzen Worten hinzugefügt worden. Mehrfach
verschiedener Druck lässt die Künstler je nach ihrer grösseren oder gerin-
geren Bedeutung bequem unterscheiden. — Wenn sonach diese Tafeln,
bei ihrem liijclist umfassenden Inhalte und bei der grossen Genauigkeit der
Ausführung, für kunsthistorische Beschäftigung einen vielfach wünschens-
wertiien Anhaltspunkt darbieten müssen, so gewähren sie besonders in Be-
zug auf die neuere Zeit ein lebhaftes Interesse, indem sie uns hier die
überaus grosse Summe der künstlerischen Kräfte, die in unsern Tagen her-
vorgetreten sind, eben so übersichtlich darstellen. Der gewiss unsäglich
niühsamen Arbeit des Verf. wird diejenige Anerkennung nicht fehlen, auf
welche sie Anspruch zu machen berechtigt ist.
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. "363
Zur Geschichte der deutschen Kunst im
, Mittelalter.
(Kunstblatt, 1842, No. 69. IT.)
Wir haben über verschiedene neuere Forschungen , Mittheilungen und
Bestrebungen im Gebiete der altern Kunst unseres Vaterlandes Bericht zu
erstatten. Wir beginnen mit einigen Werken, welche bildliche Darstellung
mit einem mehr oder weniger umfassenden liistorischen und kritischen
Texte verbinden, und über deren frühere Lieferungen bereits in früheren
Jahrgängen des Kunstblattes berichtet ist. Zunächst sind unter diesen. Wer-
ken zu nennen die
Denkmale der Baukunst dos Mittelalters in Sachsen, bear-
beitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich.
Von den früheren Lieferungen dieses trefflichen und interessanten
Unternehmens ist zuletzt in No. 77 und 78 des Kunstblatts v. J. 1838 aus-
führlicher die Rede gewesen; seitdem ist das Werk um ein Bedeutendes
vorgerückt; wir verdanken dem Eifer und der Hingebung des Heraus-
gebers gegenwärtig eine grosse Reihenfolge der wichtigsten Belehrungen
und der anziehendsten Anschauungen. Es ist bekannt, dass die Puttrich'-
schen Denkmale bereits mit ihrem Beginn auf die vaterländische Kuust-
geschichte und auf die Weise, wie man dieselbe seither zu betrachten ge-
wohnt war, den entschiedeiisten und folgereichsten Einfluss ausgeübt ha-
ben; die ersten drei Lieferungen der ersten Abtheilung, die Monumente
von Wechselburg und Freiberg enthaltend, führten uns fast in eine neue
Welt, in eine Sphäre des künstlerischen Bewusstseins und Strebens ein,
welche in jedem Betracht und zumal in Rücksicht auf die frühe Zeit der
Entstehung jener Monumente, die lebhafteste Bewunderung erweckte und
deren Räthsel, wenn wir der Lösung desselben seitdem auch schon um
manch einen Schritt näher gekommen sind,'') doch noch immer eine viel-
seitige Forschung in Anspruch nimmt. Die neueren Lieferungen schliessen
sich diesen Anfängen würdig an; neben der Darstellung von Architekturen
aus den verschiedensten Epochen des Mittelalters führen auch sie uns
mancherlei interessante Bildwerke vor, so dass, waS besonders zu bemerken
sein dürfte, der Titel des Werkes, der nur von Baudenkmalen spricht, als
zu eng gefasst erscheint.
"Von der ersten Abtheilung des Werkes liegen uns drei neue Lieferun-
gen (4, 5 und 6) vor, welche einen selbständigen Abschnitt bilden, und
als solcher auch den besondern Titel der „Denkmale der Baukunst
desMittelalters in den herzoglich Anhalt'schen Landen" führen.
Sie enthalten 50 Seiten Text und 29 Blätter mit bildlichen Darstellungen,
grösserentheils ausgeführten Lithographien, unter denen aber die vier zier-
lich in Kupfer radirten Vignetten, welche in den Text eingedruckt sind,
mitgezählt werden. Wir betrachten den Inhalt dieser drei Lieferungen
nicht in der vom Herausgeber beobachteten Localfolge der Monumente,
') Es ist hier besonders auf die sehr trefflichen und gehaltvollen BemerkiiD'
gen des verstorbeneu Herausgebers des Kunstblattes, Hrn. v. Schorn, in der
Deutschen Vierteljahrschrift, 1841, Heft IV, Seite 122 tf., zu verweisen.
Berichte und Kritiken.
HV .MMV V^,
364
sondern, der leichtern Uebersichtlichkeit wegen, in ihrer historischen Folge.
— Als das älteste und in diesem Betracht als ein überaus wichtiges Denk-
mal für die Gescliichte der deutschen Kunst ist die Stiftskirche von Gern-
rode zu nennen, welche im J. 960 gegründet wurde, und welche in ihren
sämmtlichen Haupttheilen unbedenklich als der aus dieser Zeit herrüh-
rende — somit nächst der unter Karl d. Gr. gebauten Münsterkirche in
Aachen als der älteste uns bekannte Bau von Bedeutung in Deutschland
zu betrachten ist. Der Unterzeichnete hat zuerst von dieser Kirche und
von den in ihr enthaltenen, nicht minder merkwürdigen Denkmälern in der
von ihm und E. F.Ranke verfassten „Beschreibung und Geschichte der Schloss-
kirche zu Quedlinburg" etc. (Kl. Sehr. I,. S. 600) nähere Nachricht gegeben;
Herr Pattrich hat indess Gelegenheit gehabt, die Kirche vollständiger zu
untersuchen und namentlich das verbaute Innere einigermaassen aufräumen zu
lassen, so dass seine Mittheiiungen, unterstützt durch zehn Blätter mit
bildlichen Darstellungen, ein sehr umfassendes Bild gewähren. Die Kirche
ist eine Basilika, bei der, in den Arkaden des Schiffes, Pfeiler mit Säulen
wechseln; über dem ursprünglichen Vorraum der Westseite war eine Em-
pore (wie gewöhnlich in den sächsischen Basiliken) eingerichtet; Gallerien,
nach dem freien Räume des Mittelschiffs sich öffnend, gegenwärtig aber
vermauert, liefen über den Seitenschiffen hin. Solche Gallerien sind bisher
in den alten deutschen Basiliken nicht gefunden worden. Ich habe bereits
in meinem Handbuch der Kunstgeschichte bemerkt, dass die Einführung
der Gallerien in den alten christlichen Kirchenbau ohne Zweifel als ein
Ergebniss der eigentlich byzantinischen (der in Constantinopel ausgebilde-
ten) Architektur zu betrachten ist; auch hier möchte ich die Erscheinung
derselben aus einer direct byzantinischen Einwirkung erklären, und dies
um so mehr, als ich in den ältesten Theilen der Kirche auch noch ander-
weitig byzantinisches Element zu finden meine. Die Kapitale der Säulen
in den Arkaden des Schiffes zeichnen sich nämlich durch eine ganz eigen-
thümliche Behandlung ihres Blätterschmucks aus; es ist darin in der That
etwas von lokal-byzantinischer Forinenweise, während die Behandlung der
Säulenkapitäle in der benachbarten und etwa um fünfzig Jahre jüngeren
Schlosskirche zu Quedlinburg wesentlich verschieden ist, indem diese
theils mehr Nachahmung der römischen Form, theils eine selbständig rohe,
nationell deutsche Ornamentik zeigen. Jene byzantinischen Elemente, falls
ich mich in ihrem Vorhandensein nicht irre, sind aber ^für die deutsche
Kunstgeschichte insofern beachtenswerth, als man in der spätem Zeit des
zehnten Jahrhunderts sehr häufig zwar in der Malerei (in den Miniaturen),
in der Architektur seither aber noch gar nicht den Einfluss byzantinischer
Kultur hat nachweisen können. — In den Flügeln des Querschiff'es finden
sich besondere kleine Krypten, deren Fussboden mit dem der übrigen
Kirche in gleicher Höhe liegt; eine dritte, niedrigere, in dem über das
Querschiff hinaustretenden östlichen Chorraume. Der Herausgeber hält
diese Einrichtung, der von mir früher ausgesprochenen Meinung opponi-
rend, für ursprünglich; er möge mir indess freundlichst verzeihen, wenn
ich mich dennoch zu seiner Ansicht nicht bekehre. Im Gegentheil scheint
mir die Krypta des Chors, die er als den allerältesten Bautheil betrachtet,
sehr jung; die Fuss- und Deckgesimse der Pfeiler in derselben haben
nämlich Profllirungen, die, so einfach sie sind, dennoch viel mehr an die
Formen der spätestgothischen als der frühestromanischen Architektur er-
innern. Auch die Krypten in den Flügeln des Querschiffes, wenigstens die
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. "365
südliche, halte ich nicht für ursprünglich, sondern etwa für gleichzeitig
mit der Anlage der Busskapelle (von der hernach das Weitere). Es ist
mir auch gegenwärtig noch am Wahrscheinlichsteö, dass ursprünglich der
Chor und das gesammte Querschiff durch einen zusammenhängenden
Kryptenbau ausgefüllt wurde, wie ein solcher in der Schlosskirche von
Quedlinburg noch vorhanden ist. — Sehr merkwürdig ist -ferner die Ver-
änderung, welche die Kirche an ihrer Westseite, ohne Zweifel bereits im
elften Jahrhundert,' erlitten hat: die Einrichtung des westlichen Chores,
unter dem wiederum eine Krypta vorhanden ist und zu dessen Seiten sich
zwei Rundthürme erheben. Die genannten Thürme scheinen mir gleich-
zeitig mit dieser Umänderung des Baues und nicht bereits der ursprüng-
lichen Anlage angehürig. Wenigstens deutet darauf die Disposition des
Grundrisses hin; auch habe ich bei Untersuchung der Monumente in den
Rheinlanden neuerlich die Bemerkung gemacht, dass runde (oder halbrund
vortretende) Thürme auf der Westseite der Kirchen, mehrfach zugleich in
Verbindung mit der Anlage einer westlichen Chornische, im elften Jahr-
hundert, namentlich seit der grandiosen Westfacade des Domes von Trier,
eine keineswegs seltene Erscheinung im deutschen Kirchenbau ausmachen.
— Ganz eigenthümlich ist sodann die Anlage der sogenannten Busskapelle,
eines kryptenartigen Einbaues im südlichen Seitenschiff, zur Seite des süd-
lichen Querschiffflügels, die gleichfalls dem elften Jahrhundert anzuge-
hören scheint. Der Herausgeber hat das Verdienst, die ungemein inte-
ressante Dekoration, welche die dem Innern der Kirche zugewandten
Wände dieser Kapelle schmückt, von allen störenden Anbauten befreit
und uns in vortrefflichen Abbildungen mitgetheilt zu haben. Diese De-
koration ist verschiedenartig, theils aus Steinsculpturen, theils aus auf-
gesetzten Stuccoreliefs bestehend. Die Steinsculpturen bilden reiche orna-
mentistische Einfassungen, in welche figürliche Darstellungen verwebt sind;
ihr ganzer Charakter und die rohe Behandlungsweise deuten nach meiner
Ansicht entschieden auf das elfte Jahrhundert. Einige Steinfiguren sind
später, bei einer Veränderung der Dekoration, abgemeisselt worden. Die
Stuccoreliefs sind einzelne Figuren, heilige Personen und (wie es scheint)
eine Bildnissgestalt; nach meiner Ansicht gehören sie sämmtlich -- und
nicht bloss, wie,der Herausgeber will, nur die letztere — der zweiten
Hälfte des zwölften Jahrhunderts, an. Sie sind zum Theil von merk-
würdig trefflicher Arbeit, in der sich der Aufschwung jener Kunst,
die in den Wechselburger und Freiberger Arbeiten zu so hohen Re-
sultaten gelangt, bereits ankündigt; zum Theil sind sie minder aus-
gezeichnet, doch deuten die Eigenthümlichkeiten des Styls auch hier
bestimmt auf die spätere Zeit. Es wären bei diesen Gegenständen
noch manche nähere Bemerkungen, über sie selbst und über die künst-
lerischen Eigenthümlichkeiten jener Epoche, zu machen; der gegebene
Raum des Kunstblatts nöthigt mich aber, mich kurz zu fassen. — Sehr
interessante architektonische Reste des zwölften Jahrhunderts erscheinen
sodann in den nicht zerstörten Theilen des Kreuzganges, von denen eben-
falls Abbildungen der Details mitgetheilt werden. — Endlich giebt der
Herausgeber noch den Umriss eines Bildes, welches den Stifter von Gern-
Tode, den bekannten Markgrafen Gero (gest. 965) darstellt. Das Bild selbst
ist sehr jung (um 1500), hat aber allen Anschein, dass es nach einem
Originalwerke aus Gero's Zeit, etwa nach seinem Grabsteine, gefertigt sei;
für die Geschichte der Kunst ist es natürlich ohne Werth, sehr interessant
Berichte und Kritiken,
aber für die Geschichte des Kostüms, in welchem man M'iedenim ein by-
zantinisirendes Element erkennt. Der gegenwä-rtig vorhandene Grabstein
des Markgrafen gehört dem Anfange des 16ten Jahrhunderts an; vielleicht
ward jenes Bild gefertigt, um die Erinnerung an den ursprünglichen Grab-
stein zu bewahren.
Die übrigeh Denkmale, welche in dem genannten Abschnitte des
Puttrich'schen Werkes vorgeführt werden, sind jünger; sie vergegenwärti-
gen auf interessante Weise die späteren Entwickelungsstadien der mittel-
alterlichen Kunst. Den spätesten Architekturen von Gernrode schliesst
sich die Kirche von Pötnitz, unfern von Dessau, an Es ist eine spät-
romanische Basilika, besonders merkwürrlig dadurch, dass die Säulen und
Pfeiler, welche ursprünglich die Schifle trennten, bereits durch Spitzbögen
verbunden werden. (Weiter iinten werde ich zwei noch merkwürdigere
Basiliken dieser, in Deutschland bisher unbekannten Gattung anführen.
Der Herausgeber setzt die Erbauung der Kirche von Pötnitz bald nach
1198, in welchem Jahre daselbst eine Parochie gestiftet wurde. Herr Dr.
C, R. Lepsius, in seiner Tinten näher zu besi)rechenden Schrift, weist aus
der StifLungsurkundc nach, dass damals in Pötnitz schon eine Kirche vor-
handen sein musste, dass dies Gebäude demnach, dem von ihm verfoch-
tenen System zufolge, wohl in's elfte Jahrhundert gehören werde. Dies ist
aber eine ganz willkürliche Annahme; eben so gut kann die gegenwärtig
vorhandene Kirche auch erst geraume Zeit nach der Stiftung der Parochie
gebaut sein. Das Ornament der Säulen deutet mit Entschiedenheit auf die
frühere Zeit des 13ten Jahrhunderts.) — Hierauf ist die ehemalige Kloster-
kirclie, jetzige Schlosskirche zu Nienburg an der Saale zu betrachten.
Die Zeit ihrer Erbauung ist nicht bekannt; der Baustyl giebt darüber je-
doch genügende Auskunft. Es sind in ihr zwei verschiedene Style zu be-
merken. Ciior und Querschitf erscheinen als die älteren Theile; sie sind
consoquent spitzbogig gebildet, einfach, aber noch immer in romanischer
Behandlung des Details, in derjenigen AVeise, wie Deutschland aus der
frühern Zeit des 13tcn Jahrhunderts manche bemerkenswertlie Beispiele
enthält. Die innere Anordnung des Chorschlusses ist sehr interessant.
Das Schill' bildet die unmittelbare Fortsetzung des mit dem Chore begon-
nenen Baues; doch erscheint hier der gothische Baustyl bereits vollständig,
obschon noch in seiner primitiven Form, entwickelt. Composition und
Behandlung zeigen hier die grösste Verwanrltschaft mit der im J. 1235 ge-
gründeten Elisabetlikirhe von Marburg, deuten somit auch auf dieselbe
Baiiperiode. Es ist seitlier in den säclisischen Gegenden noch keine Kirche
dieser Gattung bekannt geworden. Zu bedauern ist — und der verehrte
Herausgeber möge mir diese Bemerkung nicht verargen! — dass es an ge-
nügenden Prolilzeichmingen der wichtigsten architektonischen Details, der
Gewölbgurte, des Fensterstabwerks u. s. w-, fehlt; es würden sich daraus
noch sichrere Belehrungen über die Bauzeit und über den Kunstwerth der
Kirche schöpfen lassen; es würde sich dann namentlich auch entscheiden
lassen, ob das Gewölbe des Schiil'es der ursprünglichen Anlage, oder ob
es einer späteren Vollendungszeit oder einer Restauration des Baues an-
gehört, wozu die, zwar vortrelVlich lithographirte Persj)ectivo des Innern
auf Taf. 14 nicht hinreichend Gelegenheit bietet. — Sehr merkwürdig ist
sodann der in dieser Kirche vorhandene grosse Grabstein des Markgrafen
Ditmar und seines Sohnes Gero vom J. 1350. Von beachtenswerthem
366
§
Ii
SJ
Zur Geschichte der deutschen Knnst im Mittelalter. 367
.i
Kunstwerth, gibt derselbe zugleich eine sehr in's Einzelne gehende Be-
lehrung über das ritterliche Kostüm dieser Zeit.
Die Baudenkmale, so wie einige minder wichtige bildnerische Denk-
male der Stadt Z erb st werden auf 9 Tafeln vorgeführt. Besonders be-
merkenswerth ist unter diesen ein zierliches, im spätromanischen Baustyle
ausgeführtes Portal der dortigen Bartholomäikirche, welche im J. 1215
vollendet, später jedoch mannigfach veränderf worden ist. Sodann mehrere
Monumente aus der Spätzeit der gothischen Architektur: die in der zwei-
ten Hälfte des 15ten Jahrhunderts gebaute Nicolaikirche, im Innern den
ruhig kühnen, massenhaften Charakter der Monumente in den baltischen
Ländern tragend, im Aeussern dagegen, besonders am Chorschluss, mehr
in der westlich deutschen Bauweise dekorirt, auch durch ein reiches Schnitz-
werk an den Chorstühlen bemerkenswerth; und" die Giebel des Rathhauses
aus den Jahren 1479 und 1481, reiche Backsteinbauten, wiederum im Style
der in den baltischen Ländern üblichen Architektur ausgeführt. — End-
lich die gleichfalls spätgothischen Monumente von Bernburg, unter
denen vornehmlich die Maricnkirclie, der Nicolaildrche von Zerbst gleich-
zeitig, sicli durch die äusserst brillante Dekoration dös Chorschlusses aus-
zeichnet. In der Ruine der dortigen Augustinerkiosterkirche ist, als' ein
eigenthümliches Werk, eine mit der Wand verbundene Steinkanzel, die
von ausserhalb mittelst einer Thür betreten ward, zu bemerken.
Die zweite Abtheilung des Puttrich'schen Werks begreift bekanntlich
die Denkmale der preussischen Provinz Sachsen. Auch hievon sind, seit
die vier ersten I.ieferungen derselben^ die Monumente von Merseburg,
Memleben etc. umfassend, in diesen Blättern besprochen wurden, sehr be-
deutende Fortsetzungen erschienen. Lieferung 5 und 6 enthalten, unter
gemeinsamem Titel, die Denkmale von Scli uIpfor ta, in 15 Seiten Text
und 10 Blättern bildlicher Darstellung. . Sehr wichtig ist unter diesen zu-
nächst der Chor der Klosterkirche, zufolge einer Bauinschrift im J. 1251
gegründet und zufolge einer urkundlichen Nachriclit im J. 1268 geweiht,
für die Entfaltung der frühgothischen Architektur in diesem engbegrenzten
Zeiträume somit ein vorzügliciist entscheidendes Zeugniss. Die bildlichen
Darstellungen, namentlich auch die in schöner künstlerischer Wirkung ge-
haltene Ansicht des Innern (gez. von C. Werner, lith. von Schlick)
geben hier eine genügende Anschaumig. Der grt)ssere Theil des Schiffes
der Kirche schliesst noch (was der Herausgeber übersehen) eine ältere An-
lage romanischen Styles in sich ein; der westliche TheiV desselben gehört
dem Uten Jahrhundert an. Das seltsame und etwas rohe Sculpturwerk
der Kreuzigung, im Giebel der Kirche, ist auf einem besonderen Blatte,
in genügender Grösse abgebildet. Ausserdem sind die spätromanischen
Theile des Kreuzganges, von denen u. a. eine meisterhaft lithographirto
Ansicht von Chapuy, nach einer Ansicht von Kirchner vorliegt, so
wie die zierliche, gleichfalls spätromanische Abtkapelle bemerkenswerth.
Lief. 7 u. 8 bilden ebenfalls ein Ganzes; sie sind den Denkmälern von
Frei bürg an der Unstrut gewidmet Der Text, 22 Seiten, ist gröss-
tentheils von Hrn. Landrath Lepsius gearbeitet; ihm schliessen sich
wiederum zehn Blätter mit Abbildungen an. Hier wird uns zunächst die
interessante Stadtki'rche von Freiburg vorgeführt, ein Gebäude aus ver-
schiedenen Bauepochen, in,seiner ursprünglichen Anlage spätromanisch mit
vorherrschendem Spitzbogen ^im Innern, — in einem architektonischen
Systeme, welches Deutschland eigenthümlich, dessen Zeitbestimmung
368 Berichte und Kritiken.
einstweilen aber noch eine Streitfrage ist, und über welches weiter unten
etwas näher berichtet werden soll. Der Chor ist zierlich gothisch; die Pfei-
lerstellungen des Schiffs gehören einer ziemlich rohen Erneuung des Baues
aus spätgothischer Zeit an. — Sodann die Schlosskapelle, auf der Burg von
Freiburg, eine jener Doppelkapellen, deren man auf deutschen Fürsten-
sitzen aus der Periode um 1200 mehrere findet. Dies kleine Gebäude,
und vornehmlich die obere Kapelle, gehört zu den allerinteressantesten
und zu den allergeschmackvollsten Werken, welche die deutsche Kunst
des spätromanischen Styles hervorgebracht hat; es ist in seinen Formen
und vornehmlich in den Ornamenten eine Feinheit, eine Reinheit, ein Adel,
dergleichen man bei Bauwerken desselben Styles anderweitig in Deutsch-
land gewiss nur selten und ausserhalb Deutschlands gewiss noch viel sel-
tener finden dürfte. Wir sind dem Herausgeber für diese Mittheilung allen
Dank schuldig. Aber die reine Classicität jener Formen lässt uns wün-
schen , dass dieselben zugleich auch (was freilich in Hrn. Puttrichs Plan
nicht liegen konnte) in Abbildungen eines grössern Maassstabes, als die
schönsten Vorbilder in ihrer Art veröffentlicht werden möchten
Die nächstfolgenden Lieferungen der zweiten Abtheilung sind den Denk-
malen von Naumburg an der Saale, vornehmlich dem dortigen Dome
und seinen Bildwerken gewidmet. Hievon liegt bereits eine Reihenfolge
lithograplürter Blätter vor, in denen uns äussere und innere Ansichten
dieses mehrfach merkwürdigen Gebäudes, Abbildungen seiner schönen De-
tails und zugleich vorzüglich gelungene Abbildungen der grossen Statuen
im westlichen Chore des Doms, welche letzteren, dem 13ten Jahrhundert
angehörig, für die Geschichte der deutschen Sculptur von so ausserordent-
licher Wichtigkeit sind, dargeboten werden. Da diese Mittheilungen aber
noch bei Weitem nicht vollständig sind, da namentlich auch noch der dazu
gehörige Text fehlt, so mag ein näherer Bericht über dieselben so lange
ausgesetzt bleiben, bis wir das Ganze zu beurtheilen im Stande sind.
(Weiter unten werde ich jedoch Gelegenheit haben, meine Ansicht über
einen Theil der Baugeschichte des Naumburger Domes vorzulegen.)
, Als ein besonderes Werk dürfte von Hrn. Puttrich eine Reihe von
colorirten Zeichnungen herausgegeben werden, welche er kürzlich nach den
merkwürdigen Stuckreliefs an den Brüstungswänden des Chores der Lieb-
frauenkirche zu Halberstadt hat anfertigen lassen. Es siijid grosse Ge-
stalten des Erlösers, der h. Jungfrau und der zwölf Apostel, jede inner-
halb einer reich dekorirten Nische spätromanischen Styles sitzend; die alte
farbige Bemalung derselben ist unter der späteren Tünche, ipit der sie
überstrichen worden, wieder zum Vorschein gebracht und in den Zeich-
nungen genau wiedergegeben. Für die deutsche Sculptur des zwölften
Jahrhunderts gehören diese Arbeiten, wieder als eigenthümlich lebenvolle
und gehaltreiche Vorstufen für die Wechselburger etc. Arbeiten, zu den
interessantesten Beispielen; die Zeichnungen enthalten ein sehr gelungenes
Abbild ihres Styles. Eins der Reliefs habe ich bereits vor geraumer Zeit
(im Museum, 1833, No. 13) in einer Umrisszeichnung mitgetheilt'). — Es
1) Hr. Prof. J. M. Mauch, jetzt in Stuttgart, bat früher grosse Abbildun-
gen von den Details der Freiburger Schlosskapelle gefertigt, deren Schönheit alle
Wünsche befriedigt und die sich u. a. im wissenschaftlichen Kunstverein zu
Berlin eines ungetheilten Beifalls zu erfreuen hatten. Möge Hr. Mauch Zeit und
Müsse finden, um dieselben, wie es seine Absicht war, herauszugeben!
') Vergl. Kl. Sehr. I, S. 138.
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. "369
ist zu wünschen und zu hoffen, dass Hr. Puttrich für den seltenen Eifer
und für die grossen Opfer, mit denen er seine Unternehmungen zur Aus-
führung bringt, durch eine umfassende Theilnahme von Seiten des deut-
schen Volkes entschädigt werden möge. ■ ' . v'
Den sächsischen Denkmalen reihen wir zuinächst an:
Die Altertliümer und "Kunstdenkmale des Erlauchten Hauses
Hohenzollern; herausgegeben von R. Frhrn. v. Stillfried.
lieber das erste Heft dieses grossartig angelegten Werkes habe ich in
No. 51 des Kunstblatts vom J. 1839 gesprochen. Seitdem liegen zwei neue
Hefte vor, in denen sich dieselbe Gnindlichkeit historischer Forschung,
dieselbe Sorgfalt in der Auffassung alterthümlicher Kunstgegenstände und
dieselbe Eleganz der Ausstattung, wie im ersten Hefte, kund'geben. Jedes
Heft enthält sechs', zum Theil colorirte Blätter bildlicher Darstellung (in
gross Folio) nebst dem entsprechenden historisch-kritischen Texte, in
welchen verschiedene kleinere Darstellungen eingedruckt sind. Dem Plane
des Werks gemäss ist nicht alles Mitgetheilte auf die Kunst bezüglich, so
namentlich nicht die Pacsimile's seltner und merkwürdiger Urkunden. Doch
kann ich, obgleich diese Gegenstände nicht vor das Forum des Kunstblatts
gehören, nicht unterlassen, des. im zweiten Heft gegebenen Facsimile's zu
gedenken, indem dasselbe die völlig täuschende Nachahmung des allen
Pergamentblattes mit seiner Schrift, somit in der That die seltene Ausbil-
dung einer eigenthümlichen Kunstfertigkeit zur Erscheinung bringt. —
Unter den wichtigeren Mittheilungen für die kunsthistorische Forschung ist
im zweiten Hefte die Darstellung der Klosterkirche von Alpirsbach im
Schwarzwalde, am Flusse Kinzig, zwischen Freudenstadt und Schiltach,
zu nennen. Risse, Ansichten und Detailzeichnungen geben davon eine
vollkommen genügende Anschauung. Die Kirche, im J. 1099 geweiht,
erscheint als eine Säulenbasilika; die Säulen mit»einfachen, untenjabge-
rundeten Würfeikapitälen, zwei-der letzteren jedoch reicher und in einer
für das elfte Jahrhundert sehr charakteristisichen' Weise dekorirt (die Basen
dieser Säulen denen in der Schottenkirche zu Regensburg ganz entsprechend).
Auch ein alter, reich ornamentirter Pfortenring von Bronze, aus derselben
Periode ist zu bemerken. Sehr' eigenthümlich ist die Absis des Chors.
Nur ihr Untertheil gehört dem alten Bau an; in der Mitte wird sie durch
ein kleines Grabgewölbe ausgefüllt (eine eigentliche Krypta ist nicht vor-
handen); zu den Seiten des Gewölbes sind, ebenfalls noch im Einschluss
der Absis, halbrunde,Nischen angeordnet. Der Oberbau der Absis^ ver-
dankt einer Bauveränderung vom J. 1337 sein Dasein;, er hat somit go-
thische Formen und verwandelt die halbkreisrunde Grundlinie in'eine
dreiseitig gebrochene;-dabei treten aber die Ecken des Oberbaues im Aeus-
seren über den halbrunden Unterbau vor und werden zu diesem Behufs
von Säulen getragen, eine Einrichtung, die sich überaus seltsam macht.
Das dritte Heft bringt verschiedene Ansichten des'Berges und der Burg ^
Hohenzollern^ deren erhaltene Baulichkeiten indess kein kunsthistori-
sches Interesse mehr haben. Sehr merkwürdig aber' sind einige Stein-
reliefs, die sich gegenwärtig im^^Altarraume der dortigen Michaeliskapelle
vorfinden und deren ganze Beschaffenheit, die höchst einfache Behandlung
Kugler, Kleine Schrifien. II. 24 '
^ 370 Borichte uud Kritiken,
sowohl -wie die sämmtlichen Eigenthümlichkeiten des Styles, auf die Früh-
zeit des elften Jahrhunderts zu deuten scheint. Sie werden uns in einer
sehr charaktervollen Abbildung mitgetheilt. Es sind drei grosse Platten,
die eine stellt den Erzengel Michael dar und darunter die heil, drei Kö-
nige, die sich merkwürdiger Weise der Gestalt des sitzenden Erlösers (nicht
der h. Jungfrau) entgegenbewegen; die beiden andern, Bruchstücke eines
grösseren Ganzen, enthalten jede eine stehende Apostelfigur. Der Heraus-
geber macht es sehr wahrscheinlich, dass diese Arbeiten ursprünglich den
Giebel einer älteren, an dieser Stelle befindlich gewesenen Kapelle ge-
schmückt haben. — Ausserdem enthält das dritte Heft noch die Abbildung
eines Kupferbeckens, welches mit Schmelzmalerei geschmückt ist und sich
im Stiftsschatze des Klosters T.epl in Böhmen befindet. Es gehört der
Zeit am Schlüsse des zwölften Jährhunderts an; die darauf enthaltenen
Wappen deuten auf die Verbindungen, in welchen die nürnbergischen
Burggrafen aus dem Hause Hohenzollern mit dem französischen Königs-
hause standen.
Von den
Baudenkmalen der Römischen Periode und des Mittelalters in
Trier und seiner Umgebung, herausgeg. von Chr. W. Schmidt,
ist ebenfalls, seit ich die früheren Lieferungen derselben in No. 58 ff. des
Kunstblatts vom J. 1840 besprochen habe, eine neue Lieferung, die dritte,
erschienen. Die vorgenannten Werke hatten nicht bloss den Zweck, wis-
senschaftlich zu belehren, sondern zugleich durch selbständig künstlerische
Darstellung der besprochenen Gegenstände zu unterhalten und solcherge-
stalt eine möglichst ausgebreitete Theilnahme hervorzurufen. Hr. Schmidt
hat diesem Nebenzweck von vornherein entsagt; er giebt keine malerischen
Ansicliten, keine, mit den Spielen des Lichts und des Helldunkels ausge-
statteten Perspectiven; er begnügt sich vielmehr mit einfachen, zumeist mit
streng, geometrischen Linearzeichnungen. Dafür aber entschädigt er reich-
lich durch die Art und Weise, mit welcher er die künstlerische Struktur,
den ästhetischen Organismus der Bauwerke vor uns zu entwickeln weiss,
durch die sichere Auffassung des Styles und seiner etwa vorhandenen Un-
terschiede, durch den scharfen Blick für das architektonische Detail und
die trefl'lichen, charaktervollen Profildurchschnitte, welche er von den
architektonischen Gliederungen vorlegt. In allen diesen Beziehungen ist
sein Werk geradehin als ein Musterwerk zu bezeichnen; der kunsthistori-
schen Forschung, als einer sehr ernsten wissenschaftlichen ,Discipliu, ist
hier die sicherste Grundlage gegeben; und nicht bloss für die Architektur,
auch für die bildende Kunst finden wir hier manche schätzbare Beiträge.
Die vorliegende dritte Lieferung (10 Kupfertafeln in Folio und 68 Seiten
Text in Quart enthaltend) bringt einen sehr grossen Reichthum verschie-
denartiger Gegenstände; es sind darin nicht weniger als zwölf Baulich-
keiten aus den verschiedensten Perioden des Mittelalters behandelt und
zugleich einige ausführliche Darstellungen von Sculpturwerken gegeben.
Diese Werke gehören den verschiedensten Gegenden des gegenwärtigen
Regierungsbezirkes Trier an, so dass das Schmidt'sche Werk nunmehr fast
alle wichtigeren Monumente des Mittelalters, welche in den' Trier'schen
Landen vorhanden sind, vorführt. Einige der Monumente, mit denen uns
die dritte l.ieferting bekannt macht, sind wiederum von sehr hohem In-
teresse für die kunsthistorische Forschung; diese sind mit vorzüglicher
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. "371
Sorgfalt und Ausführlichkeit behandelt; bei den andern, die nicht in glei-
chem Grade wichtig erscheinen, hat Hr. Schmidt sich,/Wohl um sein Werk
nicht über die vorgezeichneten Schranken auszudehnen, mit minder um-
fassender Darstellung begnügt. Indem dies Verfahren im Allgemeinen nur
zu billigen ist, muss ich doch bemerken, dass dadurch bei dereinen oder.*
der andern Mittheilung gleichwohl manch ein charakteristischer Punkt, der
in den allgemeinen kunsthistorischen' Entwickelungsgang mit eingreift,
übersehen wurde. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, die hier vorgeführten
Monumente an Ort und Stelle zu untersuchen, und werde den folgenden
Notizen hie und da eine meiner eigenen Bemerkungen beifügen. Ich
nenne die Monumente in ihrer kunsthistorischen Folge.
Als das älteste erscheint eine achteckige Kapelle zu Mettlach an der
Saar, etwa noch dem elften Jahrhundert angehörig, später auf geschmack-
voll gothische Weise umgebaut, gegenwärtig eine überaus malerische
Ruine. Nach meiner Ansicht war diese Kapelle ursprünglich ein baptiste-
rienartiger Bau, ähnlich der Münsterkirche zu Aachen und Vier Kirche zu
Ottmarsheim im Eisass, von dem man, zur Zeit der genannten Bauverän-
derung, den Umgang und die darüber befindlich gewesenen Emporen dürfte
abgerissen haben. Auf das elfte Jahrhundert scheinen mir die alten (von
Hrn. Schmidt nicht dargestellten) Kämpfergesimse der Pfeiler zu deuten." —
Beträchtlich jünger ist die Kirche zu Merzig an der Saar. In ihrer gan-
zen Dekoration trägt diese Kirche ein spätromanisches Gepräge, mit allerlei
phantastischen und zum Theil auch schon barocken Umbildungen, wie
dergleichen an den rheinländischen Kirchen dieses Styles nicht selten ist.
Zwischen den Fenstern der Seitenschiffe -sind Wandstreifen angeordnet, die
bereits in die Bildungsweise gothischer Streben übergehen. Die Kirche ist
eine Säulenbasilika; vorzüglich merkwürdig aber ist, es, dass die Säulen
bereits durch Spitzbögen verbunden werden, und zwar so, dass die Spitz^
bögen der südlichen Säulenreihe nur wenig über den Halbkreis erhöht,
die der nördlichen Reihe dagegen entschiedener ausgesprochen erscheinen.
In dieser Verbindung von Säulen und Spitzbögen steht die Kirche zu
Merzig, auf sehr merkwürdige Weise, den normannisch-sicilianischen Bau-
werken parallel. Ich nenne hiebei noch eine andre Kirche verwandten,
aber etwas älteren Styls, die, gleichfalls im" Regierungsbezirk Trier, hart
an der luxemburgischen Grenze liegt. N Es ist die'kleine Basilika des
Dorfes Roth anvder Our; Hr. Schmidt hat dieselbe nicht in sein Werk
aufgenommen.s In dieser Basilika wechseln Pfeiler mit Säulen. Die Pfeiler
sind (wie auch anderweitig Beispiele der Art vorkommen) durch grössere
Halbkreisbögen verbunden; die kleineren. Bögen .aber, welche, im Ein-
schluss jener grösseren, von den Säulen getragen werden, haben bereits
die Form des selbständigen Spitzbogens. Die Säulen selbst haben noch
ein ziemlich streng romanisches Gepräge'). Diese beiden Kirchen, sowie
») Roth'liegt auf steilem Felsen,über der Our, Jenseit, schoii auf luxem-
burgischem . Gubiet, im tiefen Thalkessel, den eine üppig südliche Vegetation
erfüllt, liegt das Städtchen Vianden. Das letztere zieht sicii um einen Fels-
vorsprung hin, den das mächtige Schloss von Vianden, jetzt eine höchst gross-
artige Ruine, krönt, Dies Schloss enthält wiederum die* schönsten und im edel-
sten Geschmack ausgebildeten Bautheile spätromanischen Styles; vorzüglich merk-
würdig durch eigeuthümliche'Anlage, und durch'eigenthümliche Behandlung dieses
Styls ausgezeichnet, ist die Kapelle des Schlosses,- Der Maler Hr. Ponöart
war bei meiner Anwesenheit daselbst mit Aufnahme der inter^santesten Theile
^ 372 Borichte uud Kritiken,
■wir
die oben angeführte des Dorfes Pötnitz, enthalten demnach eigenthümlich
interessante Gestaltungen Jenes spätromanischen üebergangsstyls, welcher
die Vorbereitung zum gothischen Baustyle in sich einschliesst. — Ein an-
^deres, ebenfalls höchst eigenthümliches und merkwürdiges Beispiel eben
dieses Üebergangsstyls, welches im Schmidt'schen Werke dargestellt wird,
ist die Kirche des ehemaligen Nonnenklosters St. Thomas, in der süd-
lichen Eilfeigegend. Sie ist in einfacher Anlage, einschiffig, ohne sonder-
lich reichen Schmuck, aber in sehr charakteristischen und entschiedenen
Formen ausgeführt; die westliche Hälfte der Kirche wird, wie nicht selten
bei den Kirchen von Nonnenklöstern und sonstigen weiblichen Stiften,
durch eine geräumige Tribüne ausgefüllt. Besonders wichtig und für die
Untersuchungen in der deutschen Architekturgeschichte entscheidend ist es,
dass die Bauzeit dieser Kirche feststeht, indem sie, nach inschriftlicher
und anderweitig urkundlicher Nachricht, im J. 1222 eingeweiht und 1225
vollendet worden ist. — Diesen Gebäuden ist zunächst noch die anspre-
chende, derselben Periode angehörige Fagade des Hauses „zu den drei
Königen" in Trier anzureihen.
Die eigentliche Perle unter den Mittheilungen der vorliegenden Lie-
ferung ist die Kirche zu Offenbach am Glan. Üeber ihre Bauzeit ist
nichts bekannt; der Styl, in welchem sie ausgeführt ist, deutet darauf,
dass sie etwa im dritten Jahrzehnt des ISten Jahrhunderts begonnen
wurde. Sie Ist eins der allermerkvvürdigsten frühgothischen Bauwerke in
Deutschland, und sie bildet als solches ein ungemein interessantes Seiten-
stück zu der im J. 1224 gegründeten Liebfrauenkirche zu Trier (Lief. 1
bei Schmidt). Aber während die letztere aus dem primitiven französisch-
gothischen Säulenprincip hervorgegangen ist, lässt die Kirche von Offen-
bach ihren Ursprung aus dem nationeil deutschen Princip des gegliederten
romanischen Pfeilers deutlichst erkennen; und gerade diese Erscheinung
ist ein recht charakteristisches Merkzeichen, wie die deutsche Kunst von
vornherein darauf ausgehen musste, die Einseitigkeit der französischen
Grundform (die allerdings zwar für die Entwicklung des gothischen Styles
nothwendig war) zu einem mehr organischen Leben durchzubilden ').
Uebrigens ist von ausschliesslich romanischen Elementen in der in Rede
stehenden Kirche kaum etwas anderes zu bemerken, als die noch nicht
beseitigten Rundbogenfviese im Aeussern und gewisse phantastische Orna-
mente in den Kapitalen; in allem Uebrigen herrscht bereits entschieden,
ob auch noch sehr streng und noch gebunden, die gothische^ Gefühlsweise
vor. Ueber das Einzelne, über die Reinheit in der Formation der Glie-
derungen, über deren steigende .Entwickeluug, Ausbildung ilnd Läuterung
in dem (wohl nur ziemlich langsamen) Fortschritt des Baues kann ich nur
auf die trefflichen Blätter 'des Schmidt'schen Werkes verweisen. Leider
ist von der Öffeubacher Kirche, deren technische Ausführung auch, trotz
mancher befremdlichen Unsymmetrie im Grundplan, rühmlichst erwähnt
werden muss, nur wenig mehr als Chor und Quetschilf erhalten. — Ein
andres frühgothisches Gebäude, um ein Weniges jünger als das ebenge-
des Schlosses beschäftigt, um dieselben später in lithograpblrten Ansichten her-
auszugeben.
') Näher auf die oben angedeuteten Verhältnisse einzugehen, ist hier nicht
der Ort. Ich verweise auf das, was ich in meinem Handbuch der Kunstgeschichte
über die Eutwicielung des gothischen Baustyls gesagt habe. '
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. "373
nannte, dabei aber von -grosser Einfachheit in der Bildung der Detail-
formen, ist die Kirche zu Tholey. Hr! Schmidt giebt von dieser Kirche
nur den sehr wohldisponirten Grundriss; einige der Einzelheiten des Baues
wären ebenfalls wünschenswerth ^gewesen, indem sie (neben der Formen-
weise mancher andern Bauten, die sich in den Rheinlanden vorfinden} es
erkennen lassen, wie diejenige Verflachung der Formen, die zumeist erst
in der spätgothischen Zeit vorherrschend wird, doch auch schon früh da
eintrat, wo der Sinn und vielleicht die Mittel zu einer reicheren, mehr
lebenvollen Durchbildung fehlen mochten. — Die Stiftskirche zu Kyll-
.burg, inschriftlich im J. 1276 begonnen, zeigt wohlgebildete gothische
Formen; doch ist die ganze Anlage einfach, daher von Hrn. Schmidt auch
nur das Nothwendigste zu ihrer' Darstellung gegeben. Der Kreuzgang
neben der Kirche gehört einer späteren Zeit des gothischen Styls an. — An
der Kirche zu St. Arnual, bei Saarbrücken, haben Chor und Querschiff
noch frühgothische Formen; das Schiff hat scheinbar einen ziemlich spät-
gothischen Charakter; doch findet sich am Portal eine Inschrift,^die von
dem Beginne des Baues bereits im J. 1315 Kunde giebt. Diese Kirche ist
durch eine grosse Anzahl von Grabmonumenten, zumeist der gräflich nas-
sau-saarbrück'schen Familie, ausgezeichnet; von den merkwürdigsten der-
selben, aus dem löten und 16ten Jahrhundert, auch von einem-interes-
santen spätgothischen Taufsteine, giebt Hr. Schmidt Abbildungen in sau-
berer Umrisszeiclinung. — Die übrigen Mittheilungen betreffen: das bril-
lant gothische Portal der Jesuiten-, früher Minoritenkirche in Trier; die
Kirche zu St. "Wendel, eine der schönsten Kirchen aus spätgothischer
Zeit, die besonders durch das ungemein glückliche räumliche Verhältniss
des Innern ausgezeichnet ist, mit ihrer vortrefflich gearbeiteten Steinkanzel
vom J. 1462; das Hospital zu Cues an der Mosel, gestiftet bald nach der
Mitte des ISten Jahrhunderts, und die einfache, aber sehr ansprechende
Kapelle desselben; sowie das, etwa derselben Zeit angehörige Rathhaus
„zur Steipe" in Trier. ' ^
Die Römermonumente von Trier und der dortigen Gegend werdÄ
die vierte Lieferung der Schmidt'schen Baudenkmale ausmachen. 'Wir
haben indess von der Thätigkeit und von dem Eifer, mit welchem Herr
Schmidt sich der Erforschung der Denkmale des vaterländischen Alter-
thums gewidmet hat, auch noch anderen interessanten und belehrenden Mit-
theilungen entgegenzusehen. Kürzlich war er zu diesem Behuf mit einer
Aufnahme der höchst merkwürdigen Klosterkirche zu Laach, unfern von
Andernach, beschäftigt. Diese Kirche, in der ersten Hälfte des zwölften
Jahrhunderts erbaut, ist eins der grossartigsten und reichsten Beispiele des
strengen romanischen Baustyls in Deutschland; sie ist in diesem Betracht
um so wichtiger, als sie, wie'vielleicht kein zweites Beispiel der Art vor-
handen ist, durchaus als ein Ganzes aus Einem Gusse und von in sich
völlig übereinstimmendem Style dasteht. Nur der zierliche Porticus an
ihrer Westseite ist in der Zeit des spätromanischen Baustyls hinzugefügt
worden. Was Hr. Boisseröe in seinen Denkmalen der Baukunst am Nieder-
rhein etc. über die'Laacher Kirche mitgetheilt hat, reicht nicht hin, um
dies Gebäude genügend würdigen zu können; ^es wird somit durch das zu
erwartende Schmidt'sche Werk eine wesentliche Lücke in unserm Material
zum Studium der mittelalterlichen Baukunst ausgefüllt werden. Auch
kann ich von einer sehr merkwürdigen Entdeckung, die HrT Schmidt im
Innern der Kirche gemacht und von der er mich durch bildliehe Parstel-
^ 374 Borichte uud Kritiken,
lung bereits in Kenntniss gesetzt hat, Bericht geben. Dieselbe betriift die
ursprüngliche, mit der Vollendung des Baues gleichzeitige Bemalung des
architektonischen Details, die seither durch spätere Ueberttinchungen ver-
deckt war; es sind einfache, harmonisch wechselnde und bestimmt von-
einander geschiedene Farbentöne, durch welche die charakteristisch vor-
herrschenden Linien des Innern, sowie die vorzüglichst bedeutsamen Ein-
zelheiten auf eine entschiedene Weise bezeichnet werden. Die Verhältnisse
der Farben entsprechen durchaus der Art und Weise, wie man bildliche
architektonische Darstellungen (namentlich die Einfassungen der Canones)
so oft in den Miniaturmalereien, welche die Manuscripte jener Periode
schmücken, behandelt sieht; sie dienen dazu, den Totaleindruck des Ge-
bäudes, seiner Eigenthümlichkeit gemäss, auf sehr angemessene Weise zu
erhöhen. Diese Entdeckung ist um so mehr zu beachten, als wir seither
von der Abwendung der Farbe in der Architektur des Mittelalters nur
vereinzelte Zeugnisse hatten, obgleich Alles daraufhindeutete, dass eine
solche angenommen werden musste; während die Untersuchungen über die
Polychromie der antiken Architektur seit den letzten sieben Jahren all-
mählig bereits zu immer bestimmteren Resultaten geführt haben. Herr
Schmidt wird auch hievou in seinem Werke über die Laacher Kirche
Proben mittheilen i).
Während Hr. Schmidt im westlichen und Hr. Puttrich im östlichen
Deutschland für die Erforschung und Bekanntmachung der Denkmale des
vaterländischen Alterthums so erfolgreich thätig sind und sich den von
ihnen herausgegebenen Werken manche andre bedeutende Arbeiten ver-
wandter Richtung, wie das vorgenannte schöne Werk des Baron Stiilfried,
anreihen, hat sich gleichzeitig auch im Norden des Vaterlandes ein nicht
minder wichtiges Unternehmen derselben Art vorbereitet. Ankündigungen
aus Lübeck bringen die Nachricht, dass dort ein umfassendes Werk unter
dem Titel:
Denkmäler bildender Kunst in Lübeck, gezeichnet und heraus-
gegeben von C. J. Milde, Maler, und begleitet mit erläuterndem histori-
schem Text von Dr. Ernst Deecke,
erscheinen soll. Lübeck, das Haupt der Hanse, ist als der Centraipunkt
der künstlerischen Bestrebungen zu betrachten, welche in den späteren
Jahrhunderten des Mittelalters in den baltischen Ländern, soweit in diesen
die germanische Cultur umhei'getragen wurde, hervorgetretfen sind. Zu-
gleich hat sich dort ungemein viel, vielleicht mehr als in'irgend einem
andern der bedeutenderen Hanseorte, an alterthünilichen Reminisceuzen
erhalten. Was bisher über die alten Denkmäler von Lübeck bekannt ge-
macht ist, reicht nicht hin, um diese Schätze nur mit einiger Vollstän-
digkeit würdigen zu lernen; das angekündigte Werk wird demnach den
kunsthistorischen und culturhistorischen Forschungen des Vaterlandes ein
mannigfach wichtiges Material zuführen und zur Ausfüllung einer sehr
wesentlichen Lücke dienen. Es ist auf 6 Hefte, jedes Heft zu 4—6 Blättern
mit bildlicher Darstellung, befechnet; die Blätter sollen zum Theil colorirt,
zum Theil auch durch eine neue Art des Abdrucks angefertigt werden.
i
') Das Institut der britischen Architekten hat bereits vor mehreren Jahren
eine Preisfrage über die mittelalterliche Polychromie aufgestellt; es scheint aber
nicht, dass dieselbe auf genügende Weise gelöst worden Ist,
Zur Geschichte der deutschen Kunst" im Mittelalter. ^ 375
Ich hatte Gelegenheit, einen Theil der trefflichen Zeichnungen und Ab-
drücke des Hrn. Milde, namentlich die für das erste Heft bestimmten, zu
sehen und mich von der verschiedenartigen Wichtigkeit der Mittheilungen,
die uns hier bevorstehen, zu tiberzeugen. Das erste Heft wird zunächst die
Zeichnung einer grossen ehernen Grabtafel aus dem Dome von Lübeck
dem 14ten Jahrhundert angehörig, auf welcher eine reiche bildliche Dar-
stellung gravirt ist — ohne Zweifel das grossartigste Werk solcher Art,
welches auf unsre Zeit gekommen — bringen; sodann Abdrücke von den
kleineren auf dieser Tafel enthaltenen Darstellungen, die mit Formen,
welche Hr. Milde unmittelbar vom Originale genommen, gefertigt sind, die
somit ein völlig eigenthümliches Interesse gewähren; endlich eine Ansicht
der Katharinenkirche, die als ein geschmackvolles Beispiel des entwickelt
gothischen Backsteinbaues erscheint. Für die folgenden Hefte sind die
Ansichten andrer Architekturen, die Darstellung von Bildwerken verschie-
dener Art, und namentlich die der yprzüglich schönen, dem Anfange des
löten Jahrhunderts angehörigen Glasmalereien bestimmt, welche sich früher
in der Burgkirche zu Lübeck befanden und jetzt in der dortigen Frauen-
kirche aufgestellt sind. Die letzteren schreibt man nicht ohne Grund dem
berühmten Glasmaler Francesco, Sohn des Dominico Livi aus Toscana, zu,
der seine Kunst in Lübeck gelernt und dort geraume Zeit ausgeübt hatte,
nachmals aber in seine Heimat zurückberufen wurde, um die Fensterge-
mälde für den Dom von Florenz anzufertigen. — Das Werk wird (wie es
auch bei den vorgenannten Unternehmungen der Fall war) auf Kosten des
Herausgebers erscheinen; es ist nur zu wünschen, dass das Publikum ihm
diejenige Theilnahme bezeigen möge, welche zur angemessenen Durchfüh-
rung des Unternehmens nöthig ist.
Den Werken und Arbeiten über ältere Kunstdenkmale, bei denen die
bildliche Darstellung die Hauptsache und der literarische Text nur die
Begleitung ausmacht, haben wir nunmehr ein Werk anzuschliessen, bei
welchem das umgekehrte Ver^ltniss stattfindet. Dasselbe führt den Titel:
Ueber die Entwickelung der Architektur vom lOten bis 14ten
Jahrhundert unter den Normannen in Frankreich, lihgland,
Unteritalien und Sicilien von Henry Gally Knight. Aus dem
Englischen. Mit einer Einleitung herausgegeben von Dr. C. E. Lepsius.
Mit 23 lith. Blättern. Leipzig, 184L (XII. u. 388-S. in gr. 8.)
Das Werk an sich'bezieht sich nicht unmittelbar auf die deutsche Kunst,
doch haben die künstlerischen Entwickelungsverhältnisse des frühern Mittel-
alters, auch was die verschiedenen Gegenden- von Europa anbetrifft, so man-
nigfache Wechselbeziehung untereinander, dass ein Blick auf die Nachbar-
länder hothwendig Interesse und Belehrung, auch für die eigne Heimat, ge-
währen muss; überdies wird dasWerk durch die im Titel genannte Einleitung
in unmittelbare Beziehung zur deutschen Kunstgeschichte gesetzt. Ueber die
letztere ist hernach ausführlicher zu berichten. Was die Arbeit des Hrn.
Knight anbetrilFt, so giebt dieselbe eine übersichtlich gehaltene, doch zugleich
sehr umfassende Kunde von den Monumenten, die sich aus den Zeiten der
Normannenherrschaft, vornehmlich m der Normandie und in Sicilien (England
und Unteritalien werden nur mehr beiläufig in Betracht gezogen) erhalten
haben. Im Original sind es eigentlich zwei gesonderte Werke, deren jedes
einen Reisebericht in das eine und .in das andre der beiden genannten Län-
der enthält, Der Verfasser schildert kurz,' aber mit gesundem Auge und mit
376 Berichts und Kritiken.
richtigem Takte, die Denkmale, denen er auf seinen Reisen begegnet; er
giebt dabei genaue historische Notizen und sucht diesen gemäss das Alter
des Einzelnen festzustellen; er fasst zum Schluss die Bemerkungen über
das Einzelne zu Gesammtübersichten zusammen, in denen er die bezüg-
lichen architektonischen Style und den Gang ihrer Entwickelung darstellt.
Die beigefügten Abbildungen (deren Arrangement wir zum Theil dem
deutschen Herausgeber verdanken) geben demjenigen, welcher mit den
Monumenten jener Länder unbekannt ist, einige Anschauung, die freilich
zu einer gründlichen Kenntnissnahme nicht hinreicht; doch bieten uns in
diesem Betracht verschiedene, zum Theil sehr treffliche Werke bildlicher
Darstellung, die wir bereits über die Normandie sowohl wie über Sicilien
besitzen, die erwünschteste Aushülfe. Die Resultate, zu welchen Hr. Knight
gelangt, stimmen im Allgemeinen mit denen überein, welche ich in mei-
nem Handbuch der Kunstgeschichte, den eben angedeuteten Werken fol-
gend, aufgestellt habe (sowie auch mit denen, welche durch Hrn. v. Schorn
in der Deutschen Vierteljahrsschrift, 1841, Heft IV, S. 109 ff., vorgelegt
sind); nur rollt er ein ungleich reicheres und breiteres Feld vor unsern
Augen auf, und namentlich macht er uns mit sehr interessanten Denk-
malen aus der Frühzeit der normannischen Architektur in Frankreich,
über die uns bisher eine minder umfassende Kunde vorlag, bekannt. Die
Reichhaltigkeif seiner Notizen und die ganze Anordnung seines Werkes
machen dasselbe besonders zu einem Reisehandbuche sehr geeignet. Wir
sind dem deutschen Herausgeber allen Dank schuldige dass er dies Werk
auch bei uns eingebürgert hat.
Nicht in gleichem Maasse kann ich mich mit der von Hrn. Lepsius
hinzugefügten Einleitung einverstanden erklären. Hr. Knight hatte in
seiner Arbeit nachgewiesen, dass die Form des Spitzbogens bei den Mo-
numenten in der Normandie erst gegen Ende des zwölften Jahrhunderts
erscheint, während ihn die Normannen in Sicilien, gleich nachdem sie sich
das Land (im elften Jahrhundert) unterworfM, von den Saracenen, die sich
desselben schon früher bedient, aufgenommen hatten.v.Hr. Lepsius bemüht
sich zu erweisen, dass auch in Deutschland schon früh, sogar schon im
zehnten Jahrhundert (also noch vor dem Beginn der sicilianisch-norman-
nischen Architektur), der Spitzbogen als ein integrirender Theil der Ar-
chitektur sei aufgenommen worden. Da er diese Ansicht mijt sehr grosser
Entschiedenheit ausspricht, da er den Gegnern ohne Weiterbs Hyperkriti-
cismus, Zweifelsucht und andre Eigenschaften der Art aufbürdet (der ver-
storbene Herausgeber des Kunstblatts und der Unterzeichnete werden als
solche namentlich angeführt), — vor Allem aber, da der Gegenstand von
höchster Wichtigkeit für die kunsthistorischen und für die culturhistori-
schen Verhältnisse des Mittelalters istj so möge hier eine etwas nähere
Beleuchtung seiner „historischen Resultate" ihre Stelle finden.
Sehr richtig bemerkt Hr. Lepsius, dass die Form des Spitzbogens an
sieh, besonders wenn sie vereinzelt erscheint, noch nicht von erheblichem
Einfluss auf die Ausbildung eines architektonischen Systems ist. Sie be-
dingt somit (wie uns namentlich die orientalische Architektur so unzählige
Beispiele darbietet) noch keineswegs eine höhere Entwickelung der Archi-
tektur; sie kann, wie jede andre beliebige Form, auch mit der niedrigsten
Stufe künstlerischer Ausbildung verbunden sein; es wäre somit durchaus
nicht besonders befremdlich , wenn wir sie bereits in der angedeuteten
Frtihzeit der deutschen Architektur an einem oder dem andern Orte auf-
Zur Geschichte der deutschen Kunst" im Mittelalter. ^ 377
tauchen sähen. Aber die Beispiele, welche Hr, Lepsius zur Unterstützung
seiner Meinung anführt (und die übrigen, welche'ich denselben sonst.noch
anzuschliessen wüsste), trägen, ausser dem Vorhandensein des Spitzbogens,
sämmtlich das Gepräge eines bereits sehr entwickelten Styles, des romani-
schen (sogenannt byzantinischen) auf der letzten Stufe seiner Ausbildung,
theils in dem eigenthümlich durchgebildeten Organismus der architektoni-
schen Gliederung, theils in dem feinen Schwünge des Profils der Glieder,
theils in einzelnen Motiven einer schon beginnenden Ausartung u. s. w.
Es ist darin eine Weise der künstlerischen Behandlung, die wir sonst nur
in der Spätzeit des zwölften und mehr noch in den ersten Jahrzehnten des
13ten Jahrhunderts kennen. Die von,Hrn. L.. namhaft gemachten Bau-
werke sind die älteren Theile der Hauptkirchetf von Naumburg, Mem-
leben, Merseburg,: Freiburg an der Unstrut, Basel, Nürnberg (St. Sebald)
und Bamberg-, seine Untersuchung über die Geschichte dieser Kirchen
kommt im Wesentlichen darauf-hinaus: dass, über einige von ihnen eine
Anzahl urkundlicher Nachrichten vorliege, aus welchen die angeführte
frühe Gründungszeit der Gebäude hervorgehe, dass sich aber keine Ur-
kunde finde, die von einem Neubau in der Periode um das Jahr 1200
spreche, dass somit ein solcher nicht köjine stattgefunden haben.' Neben
diesem, für historische Kritik (nicht Hyperkritik) doch wohl nicht ganz zu-
reichenden Beweise, werden nur noch einige Gründe für das angenommene
höhere Alter der älteren Theile des Domes von Naumburg vorgelegt; die
letzteren betreffen das Schiff sammt den Thürmen und der Krypta, die
jenen spätromanischen Baustyl mit Anwendung des Spitzbogens haben
(doch hat ein Theil der .Krypta, was "Hr. L. übersehen, noch das Gepräge
eines ungleich mehr alterthümlichen'Styles), während der westliche Chor
frühgothisch und der östliche Chor spätgothisch erscheinen. Hr. L. be-
merkt zunächst, es sei ein unerhörter Fall, dass man, wenn der alte (ver-
muthlich im Anfange des elften Jahrhunderts gegründete) Dom wirklich
umgebaut worden, keine Mauer davon habe verwenden können; obgleich
man, nach meiner Ansicht, ganz wohl die verschiedenartigsten'Gründe
ersinnen kann, wesshalb dies nicht geschehen. Sodann sei es vorzüglich
wichtig, dass man in dem, um die Mitte des 13ten Jahrhunderte gebauten
Westchore die Statuen der Stifter und Wohlthäter der Kirche, welche im
elften Jahrhundert gelebt, finde und'^dass diese in einer Urkunde vom Jahr
1249 den Zeitgenossen,als Vorbilder, zur Förderung des Baues, seien vor-
gehalten worden; während man doch erwarten müsse, dass auch den Er-
bauern des neuen Kirchenschiffes, falls von einem solchen die Rede sein
könne, ein gleichzeitiges •Ehrengedächtniss nicht versagt sein würde. Das
-klingt bedenklich genug; nehmen wir aber die Urkunde selbst zur Hand,
so stellt sich die Sache doch etwas anders. Es ist ein offener Brief des
Bischofs Dietrich IL, in welchem es ausdrücklich heisst: wie die ersten
Gründer der Kirche= (deren Namen sodann folgen) durch die erste ßrün-
dung sich das grösste Verdienst bei Gott und Vergebung der Sünden er-
worben hätten, so sei es bekannt, dass sich auch die Nachkommen durch
reichliche Almosen bei der Erbauung der Kirche verdient gemacht hätten;
er (der Bischof) wünsche nun aber die Vollendung des ganzen Werkes zu
beginnen' und verspreche desshalb, wie der todten, so auch, der noch
Abgedruckt in der Schrift; üeber das Alterthnm Und die Stifter des Doms
zu Naumburg, von C. P. Lepsius. Naumburg, 1822., Beilage, No. VIII,
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-ocr page 377-40t' Berichte und Kritikeu.
lebenden Almosengeber fortan im Gebete brüderlich und getreulich zu
gedenken. Hier ist also dreierlei zu unterscheiden: 1) die erste Grün-
dung, 2) die Erbauung der Kirche durch die Nachkommen und 3) die be-
vorstehende Vollendung des Baues. Das letztere betrifft unbedenklich
den westlichen Chor; das zweite den Bau, zu welchem das noch vorhan-
dene Kirchenschiff gehört, das nach den Ausdrücken des Briefes und nach
meiner Ansicht jenem unmittelbar vorangegangen, d. h. erst in der frühe-
ren Zeit des 13ten Jahrhunderts ausgeführt ist. Hiemit stimmen auch ein
Paar andre Urkunden im Archive des Domkapitels sehr wohl überein
Nachdem nämlich im Jahr 1028 durch eine päpstliche Bulle die Verlegung
des Bisthums von Zeitz nach Naumburg genehmigt und iii den nächstfol-
genden Jahren verschiedene Bestätigungsurkunden gegeben waren, nachdem
dann aber, zwei Jahrhunderte hindurch, nichts der Art erfolgt war, findet
Bich, dass man im J. 1228 jene erste Bulle durch Papst Gregor IX. nicht
nur hatte renoviren, sondern zugleich in einer besondern Bulle alle Besitz-
fhümer, alle Gattungen des Einkommens, alle Gerechtsame und Freiheiten
sich auf's Sorgfältigste und Umständlichste hatte bestätigen lassen. Dies
beweist wenigstens, dass man gerade in der Zeit, in welcher man nach
meiner Ansicht für den Neubau der Kirche bedeutende Ausgaben zu ma-
chen hatte, sehr eifrig darauf bedacht war, alle Mittel zusammenzuhalten.
Ich will diese Bemerkungen indess noch keineswegs als einen directen
Beweis für das Alter, welches ich dem Naumburger Dome zuschreibe, auf-
stellen. Wo ein vollkommen genügender urkundlicher Beweis fehlt, ist es
vor allen Dingen nöthig, auf die stylistischen Eigenthümlichkeiten des Bau-
werkes einzugehen und durch Vergleichung mit.andern Gebäuden die Zeit,
welcher dasselbe angehört, fester zu bestimmen. Diese vergleichende Kri-
tik — die bei aller kunsthistorischen Forschung als die Hauptsache er-
scheint — hätte Hr. L. nothwendig anstellen müssen, um der historischen
"Wahrscheinlichkeit (denn weiter gelangt er nicht, obgleich er dieselbe
durchweg sofort als unbedingte Wahrheit annimmt) eine festere Basis zu
geben. Doch dies ist eben die eigentlich schwache Seite seiner Schrift;
ihm fehlt das Auge, um überhaupt Styl unterschiede, wenn sie nicht so auf-
' fallend sind wie der Unterschied des Romanischen und Gothischen, wahr-
zunehmen; er geht sogar (8. 15) so weit, dass er die Stylunterschiede in
den verschiedenen Entwickelungsphasen der romanischen Bauweise völlig
läugnet, und dass er (S. 45) die Dome von Limburg an der Lahn und von
Worms als einander ähnlich bezeichnet; dies letztere aber klingt so, als
ob man das Englische und das Portugiesische für ähnliche Sprachen aus-
geben wollte. (Römisches Element ist freilich in beiden Domen, aber auch
nicht mehr als etwa in diesen beiden Sprachen.) Hätte Hr. L. jene Ver-
gleichungen unternommen, so würde er gefunden haben, dass die sichern
Gebäude des lOten und Ilten Jahrhunderts, wie die Stiftskirche von Gern-
rode, die Schlosskirche von Quedlinburg, die Kirche von Huyseburg, die
von Alplrsbach, die Kirchen St. Georg und Maria auf dem Capitol zu
Köln (die letztere in der Mitte des Ilten Jahrhunderts geweiht, der Ober-
bau ihrer Chorpartie jedoch einer spätem Restauration angehörig), die
Westseite des Domes von Trier und so viele andere, durchweg noch strenge
und sehr befangene Formen zeigen, und dass man an ihnen wahrnimmt,
wie der Formensinn sich noch erst aus einer halbbarbarischen Rohheit
') Ebendas,, Beilage Nr. VI und VII.
-ocr page 378-Zur Geschichte der deutschen Kunst" im Mittelalter. ^ 379
losringt, was man von den Gebäuden, die Hr. L. namhaft macht, wahrlich
nicht sagen kann. Die grösste Verwandtschaft mit den letztern aber würde
er in allen den Gebäuden wahrgenommen haben, welche, wie bereits be-
merkt, der Spätzeit des romanischen Styles angehören. Ich will hier nur
einige Gebäude dieser Periode in den Rheinlanden namhaft machen, deren
Bauzeit feststeht uijd die in mehr oder weniger consequenter Anwendung
des Spitzbogens und in der ganzen Sinnesrichtung dem von Hrn. L. auf-
geführten Gebäudecyklus zum Theil sehr nah verwandt erscheinen, wenn
sie auch in gewissen Einzelheiten die charakteristisch und ausschliesslich
rheinischen Elemente erkennen lasseh. Es sind: die Kirche zu Heisterbach
(1202—1233); die Kirche St. Quirin zu Nieuss'(inschriftlich im Jahr 1208
gegründet); das zehnseitige Schiff der Kirche St. Gereon zu Köln (1212—
1227); die Kirche von St. Thomas (1225 vollendet, vergl. oben); der Dom'
von'Limburg an der Lahn (gebaut, oder vollendet zwischen 1213 und 1285 i);
der Chor der Pfarrkirche von Remagen (inschriftlich im Jahr 1246 vollen-
det Bei den zwei zuletzt genannten Bauwerken ist zwar der Spitzbogen
bereits überwiegend, die ganze Behandlung *aber hoch immer völlig ro-
manisch. , . ' V
Der Spitzbogen erscheint in der muhamedanischen Architektur bereits
sehr früh,, im 9ten Jahrhundert und gewiss auch noch früher, angewandt.
Es ist, ich wiederhole es, durchaus nipht unmöglich, dass diese Bogenform
sich auch gelegentlich einmal an einem frühromanischen Gebäude in Deutsch-
land finde. Die von Hrn. L. aufgeführten-und die mit ihnen sonst über-
einstimmenden Gebäude aber, welche über einer zwar immer noch strengen
Grundlage mehr oder weniger eine Feinheit des Sinnes, eine klare Eleganz,
den Ausdruck eines schon sehr bewussten Wöhlgefühls enthalten, derglei-
chen für die Culturmomente des Ilten Jahrhunderts unerhört sein würde,
können nicht in diese Zeit gehören; Alles deutet bei ihnen auf jene spä-
tere Periode, welche uns denn auch in den anderweitigen Verhältnissen
des Lebens die entsprechenden Gegenbilder darbietet. Die stufenweis vor-
schreitende Consequeuz aber, welche diese Gebäude in der Anwendung
des Spitzbogens entwickeln, bestätigt aufs Vollkommenste die bisher gang-
bare Meinung, derzufolge sie die Vorbereitung (wenn> auch nicht geradezu
den Uebergang) zum gothischen Baustyle ausmachen. — . - . ;
Die bei weitem grössere Thätigkeit zur Erforschung der älteren Kunst
des Vaterlandes, besonders was die'Herausgabe bildlicher Darstellungen
anbetrilft, hat sich seither der Architektur zugewandt; die im Vorigen be-
sprochenen Werke geben hiefür fast sämmtlich ein neues Zeugniss. Für
die Scülptur und Malerei ist ungleich weniger geschehen; seit.Strixner's
Lithographieen der ehemals Boisserde'schen Sammlung abgeschlossen, seit
Müller's Beiträge zur teutschen Kunst- und Geschichtskunde durch den
Tod des Herausgebers abgebrochen, sind, ist über grössere und umfassende
Unternehmungen dieser Art nichts Erhebliches zu berichten. Und doch ist
Deutschland auch in den verschiedenen Zweigen der bildenden Kunst, bis
tief in das 16te Jahrhundert hinabj so höchst bedeutend gewesen, doch'
führt uns, sofern wir nur zu sehen verstehen und zu sehen geneigt sind,
^ ' - . ^ .»
') Vergl. hierüber Fi H. Müller's Beiträge zur teutschen Kunst- und Ge-
schichtskunde, I, S. 41, und besonders die treffliche kleine"Schrift: Einige Be-
merkungen über das Alter der Domkirche zu Limburg:, von Pr,"Busch.' Lim-
burg a. L. 1841, — 2) F. H. Müller, a. a. 0.
880 Berichte und Kritiken.
fast jeder Schritt im Vaterlande die merkwürdigsten^ Entdeckungen ent-
gegen! Wir wollen indess hoffen, dass auch für diese Fächer eine erhöhte
Theilnahme erwachen wird und einstweilen die Mittheilungen über das
Einzelne willkommen heissen. — Ueber einen merkwürdigen Cyklus deut-
scher Sculpturen liegt uns so eben eine ausführliche literarische Mitthei-
lung vor. Sie führt den Titel:
Die vierzehn Standbilder im Domchore zu Köln. Von August
Reichensperger. Köln, 1842. (26 S. in 4.)
Es sind die kolossalen Standbilder des Christus, der Maria und der
zwölf Apostel an den Pfeilern des Chores, welche in dieser Schrift bespro-
chen werden und von denen eine nähere Charakteristik vorgelegt wird. In
der That gehören diese Arbeiten zu den wichtigsten ihrer Art aus dem An-
fange des 14ten Jahrhunderts. Noch nicht frei von dem typischen Gesetze
jener Zeit, noch ohne ein entschiedenes Gefühl für den körperlichen Orga-
nismus, zeichnen sie sich vornehmlich durch die höchst meisterhafte, eben
so stylgemäss wie mit feinster Naturwahrheit behandelte Gewandung aus.
Dabei sind sie durchaus mit farbiger Bemalung versehen, die sich ebenfalls
in der schönsten Stylistik bewegt; die Gewänder haben die mannigfaltig-
sten Muster, die Säume sind auf's zierlichste, mit der grössten, fast rüh-
renden Sorgfalt und Genauigkeit ornamentirt. Ich hatte Gelegenheit, diese
Statuen, die bei der Restauration im Innern des Domchores von ihren Con-
solen herabgenommen waren, in der Nähe zu betrachten und mich ihrer
hohen Bedeutsamkeit zu erfreuen. Die Schrift des Herrn Reichensperger
f. ^ giebt über alle Einzelnheiten, die bei ihnen zu bemerken sind, eine genü-
1 gende, klar verständliche Auskunft; nur kann ich nicht darin mit ihm
übereinstimmen, dass er manche Motive, die in der Stufe der damaligen
1' Entwickelung der Kunst begründet sind, als die Resultate besondrer künst-
lerischer Absichten erklärt. Ausserdem enthält diese Schrift noch manches
i sehr Bemerkenswerthe über die "Würde der mittelalterlichen Kunst über-
■ haupt und über die Angelegenheit des Kölner Dombaus insbesondre; dabei
I aber auch manche Einseitigkeit und Bitterkeit, die hier nicht ganz an ihrer
» Stelle erscheint und, für ihr Theil, die gute Sache nicht fördfern wird.
Auf dem Umschlage der Schrift kündigt diese sich an als: Beigaben
zu den Abbildungen jener Standbilder von Dr. Levy-Elkan. Die Ab-
bildungen werden in farbigem Steindrucke herausgegeben wer([len und nicht
; bloss die plastischen Formen, sondern auch die polychromatische Ausstat-
tung der Statuen darstellen. Nach den Probeblättern derselben zu urthei-
i len, die ich bereits im vorigen Jahr zu sehen Gelegenheit Hatte, und die
sowohl den allgemeinen Charakter der Originale vortrefflich wiedergeben,
'I als sie selbst mit grosser Sorgfalt angefertigt sind, wird das Erscheinen
derselben von den Freunden alterthümlicher Kunst gewiss mit lebhaftem
| ; Beifall aufgenommen werden.
■J > ■ - .
-ocr page 380-Architektonische Modelle. Berlin. 381
Berlin.
(Kunstblatt 1842, m 75.)
... Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn ich hier eine Notiz über
ein eigenthümlich interessantes Unternehmen anreihe, über dessen gegen-
wärtigen Stand mir einige nähere Mittheilungen vorliegen. Es betrifft die
architektonischen Modelle des Hrn. Kallenbach aus Danzig, die
grösserentheils mittelalterliche (und zwar deutsche) Monumente darstellen,
nach gleichem Maassstabe aus Holz, Pappe und ähnlichen leicht zu behan-
delnden Stoffen gearbeitet und mit der entsprechenden naturgemässen Farbe
der Monumente versehen sind. Sie sind, so weit es ihre Dimension er-
laubte, mit der allergrössten Genauigkeit gefertigt-, so dass man durch sie
eine vollständige Anschauung der betreffenden ^Monumentiß im kleinen
Maassstabe gewinnt. Der Freiburger Münster z. B., den Herr Kallenbach
bereits vor ein paar Jahren modellirt hat, ist als die wahrhaft meisterliche
Lösung einer gewiss sehr schwierigen Aufgabe zu nennen. Etwa vor einem
Jahre hatte Hr. K. seine Sammlung hier (unter dem Namen seines Gefährten
Zmudzinski) öffentlich ausgestellt; er hatte indess, abgesehen von einzel-
nen Freunden der Architektur unserer vaterländischen Vorzeit, keinen
sonderlichen Anklang gefunden; — es war nicht Mode geworden, seine
Sammlung zu besuchen, was in grossen Städten für""dergleichen Dinge ins-
gemein den Ausschlag gibt. (Wie launenhaft die Mode spielt, zeigte sich
u. a. hier vor einigen Jahren, als im Museum gelehrte Vorträge über streng
archäologische Kunstgegenstände gehalten wurden und die eleganteste
Beau-monde, die sonst nur im,Ballet eine.bewunderungswürdige Stand-
und Sesshaftigkeit an den Tag zu legen pflegt, unverdrossen bis gegen das
Ende der Vorlesungen Theil nahm.) Auch'sonst schien Hr. K. in unsern
Gegenden wenig Theilnahme gefunden zu haben; dagegen hat er sich
neuerlich, in sächsischen und thüringischen Städten, besonders aber in
Frankfurt a. M., bedeutenden Beifalls zu erfreuen gehabt.^ Zugleich haben
diese seine neueren Reisen ihm Gelegenheit zur reichlich fortschreitenden
Vermehrung seiner Sammlung gegeben, da er insgemein nur nach eigenen,
sehr genauen Aufnahmen und Vermessungen zu arbeiten pflegt. Er hat
jetzt die zweckmässige Einrichtung getroffen, sich in den Städten sei-
nes Aufenthalts durch eine Subscription der genügenden Theilnahme zu
versichern und nur den Abonnenten' den Besuch der Sammlung zu ver-
statten, damit aber zugleich auch erläuternde kunsthistorische Vorträge zu
verknüpfen. So lässt sich in der That hofl'en, dass der Plan, der seinem
ganzen Unternehmen zu Grunde liegt: im deutschen Volk eine - innigere
Theilnahme an den Denkmälern seiner Vorzeit, "eine tiefere Einsicht in die
erhabene Bedeutung dieser Schätze, eine thätigere Sorge für deren unge-
trübte Erhaltung zu verbreiten,- doch endlich von einem schönen Erfolge
gekrönt sein werde. Auf der andern Seite wäre freilich zu wünschen, dass
eine Sammlung von so grossem künstlerischem und wissenschaftlichem
Werthe an einem der Orte, die als Centraipunkt kunstwissenschaftlicher
Bestrebungen zu betrachten sind, eine feste Stelle finden möge; es vcaren
40t' Berichte und Kritikeu.
auch einige einleitende Schritte geschehen, um die Kallenbach'sehen Mo-
delle dereinst für Berlin zu gewinnen, doch haben diese leider zu keinem
Erfolge geführt. Jedenfalls scheint es ein dringendes Bedürfniss, Muster
nicht bloss für die Werke der Malerei und Sculptur, sondern auch, und
I zwar mit einer durcligreifenden Consequenz, für die Architektur anzulegen,
und nicht bloss für den praktischen Bedarf des ausübenden Architekten,
^ sondern zugleich und vorzugsweise für die Zwecke einer allgemeinen wis-
- senschaftlichen Bildung; denn das ist ja eben die hohe Bedeutung der
Architektur, dass in ihren Werken uns die Entwickelungsphasen der Cul-
> turgeschichte auf die alleranschaulichste, die allerprägnanteste Weise gegen-
übertreten. Was bis jetzt in solcher Art gesammelt ist, besteht nur theils
aus Abgüssen einzelner architektonischer Details, die in den Kunstschulen
^ zum Studium gebraucht werden, theils aus solchen Modellen, die durch
zufällige Industrie entstanden sind. Unter den letztern sind vorzugsweise
die Modelle italienisch antiker Architekturen, zumeist aus Kork, auch aus
Speckstein gearbeitet, anzuführen; das Museum von Darmstadt besitzt an
dergleichen Arbeiten eine schon ganz bemerkenswerthe Sammlung; die vor-
züglichste Bedeutung, unter den mir bekannten, haben jedoch die Modelle
im Museum von Neapel, besonders das wahrhaft bewunderungswürdige
' grosse Modell von Pompeji. In beiden Richtungen dürften die Anknüpfungs-
punkte einer architektonischen Sammlung, wie ich sie mir vorstelle, gege-
' ben sein; aber beide müssten, wollte man anders zu höheren Resultaten
gelangen, unter einem umfassenden, eigentlich wissenschaftlichen Gesichts-
punkte fortgesetzt werden. Man müsste in der Beschaffung der Modelle
^ auf alle bedeutsameren Entwickelungsmomente der Architektur Rücksicht
' nehmen, müsste, soweit es nur möglich ist, auf die Darstellung vorzüglich
i charakteristischer Monumente aus allen Zeiten und Ländern bedacht sein;
' neben dem Modell des Ganzen müssten sodann grössere Modelle von wich-
^ tigen architektonischen Details oder unmittelbare Abgüsse von solchen auf-
: gestellt werden. Auch dürften dabei architektonische Originalstücke ihre
: passliche Stelle finden und selbst Fragmente des Materials, daraus das be-
treffende Monument gearbeitet ist, nicht zu übergehen sein (da ja das Ma-
terial immer einen, wenn schon bedingten Einfluss auf die Structur und
• die Form ausübt). Ferner wäre der Nutzen einer solchen Sammlung noch
^ wesentlich zu erhöhen, wenn man damit zugleich eine möglichst umfas-
sende architektonische Bibliothek, für herausgegebene bildliche Darstellun-
u gen und besonders auch für Zeichnungen, verbände. Denn so viel wich-
tiger auch das Modell ist, seiner vollständigen Körperlichkeit wegen, die
^^ den ganzen perspectivischen Eindruck des Originals von jedem Stand-
■ punkte aus möglich macht, so wird die Zahl der Modelle doch immer nur
f eine verhältnissmässig beschränkte sein können. Abbildungen würden
? demnach zur vortheilhaften Ergänzung der Uebersicht dienen; und da die
i Zahl derjenigen, die zur Publikation kommen, ebenfalls beschränkt ist, so
! müssten tüchtige Zeichner geworben werden, um, wenn möglich, sich einer
absoluten Vollständigkeit in der Sammlung architektonischer Darstellungen
annähern zu können.
Die Erinnerung an Kallenbachs zierliche Arbeiten hat mich zu einer
I Abschweifung und zum Aussprechen „frommer Wünsche", die ich freilich
^ schon lange mit mir herumtrage, veranlasst; ich muss es dahin gestellt sein
■ lassen, ob man diesen ein geneigtes Ohr schenken wird.
■T
i
t
Alterthümer von Jonien. 383
Antiquities of Jonia, published by the society of-dilettanti.
Part the third. London, 1840.
(Kunstblatt 1842', No' 76.) , ,
±
Von dem allgemein bekannten grossartigen Werk der „Alterthümer
von Jonien" ist, nach langer Unterbrechung, kürzlich ein neuer Band, der
dritte, erschienen. Die Ausstattung desselben ist eben so glänzend, wie
die der frühern Theile, und wie wir es überhaupt bei den Werken der
Engländer, welche das classische Alterthum behandeln, gewohnt sind. Die
darin enthaltenen Mittheilungen geben uns manch eine, theils neue, theils
doch erweiterte Anschauung in Bezug auf die Bildung des architektonischen
Geschmacks in den ostgriechischen Landen; sie lassen es namentlich er-
kennen, wie der eigentlich griechische Formensinn, im Gegensatz gegen
den römischen, dort noch bis in die späteste Zeit des classischen Alter-
thums wirksam blieb. Ohne auf die übrigen Erweiterungen der archäolo-
gischen Wissenschaft; zu welchen die in diesem Bande niedergelegten Un-
tersuchungen Anlass geben, näher einzugehen, wollen wir hier nur das
Wichtigste in jenem Bezüge übersichtlich namhaft machen.
Der erste Abschnitt des dritten Bandes ist den Alterthümern der Stadt
C nid US gewidmet und stellt dieselben auf 33 Kupfertafeln dar. Hier ist
zunächst ein korinthischer Tempel, ein Prostylos Pseudoperipteros, zu be-
merken, der aber, wie die'zum Theil schweren Details verrathen, bereits
einer verhältnissmässig spätem Zeit angehört. Der prachtvoll ornamentirte
Fries ist convex gebildet. An den Seitenwänden des Tempels läuft zwi-
schen den Kapitalen ein Akanthusornament hin, welches den Schmuck
der letzteren friesartig fortsetzt. — Auf den Tempel folgt der aus zwei
ionischen Säulen in antis bestehende Porticus einer Bäderanlage. Die
Architektur dieses Porticus, der noch aus guter griechischer Zeit her-
rührt, gewährt ein sehr eigenthümliches Interesse. Die Säulen, zwar
schon mit uncannelirten Schäften, zeichnen sich' durch eine treffliche
ionische Basis aus. Die Anten haben eine attische, in griechisch clas-
sischer Weise proßlirte Basis und ein sehr merkwürdiges Kapital. -Der
Haupttheil des letztern besteht nämlich aus einer flachen Kehle, die mit
einem ungemein schönen, streng griechischen Ranken- und Blumenwerk
von sehr eigener Composition gesclimückt ist; darunter der gewöhnliche
Hals des Antenkapitäls, mit zwei Kosetten verziert. Das Ganze dieser
Kapitälzierde ist von sehr edlem, wohlgefälligem Eindruck und giebt wie-
derum einen charakteristischen Beleg für die freie Beweglichkeit des grie-
chischen Geistes; es bildet das interessanteste Seitenstück zu den bekann-
ten, auch in die heutige Kunst bereits mehrfach übergegangenen Pilaster-
kapitälen im Tempel des Apollo Didymäus bei Milet. Aehnlich trefflich
ist die aus dem Porticus in die innern Räume führende Hauptthür; als
ihr Seitenstück kann nur die, zwar reicher geschmückte Thür des Erech-
theums auf der athenischen Akropolis angeführt werden. — Eins der eni-
dischen Theater ist wegen des erhaltenen Grundbaues des Scenengebäudes
bemerkenswerth.^— Eine sechssäulige dorische Halle, in welcher die Säu-
len zwar ditriglyphisch stehen, hat im Ganzen noch (was sonst bei deu
asiatisch-dorischen Gebäuden selten ist) edle Bildung des Details und be-
sonders der Kapitale. — Eine zweite grosse dorische Halle bildet den
40t' Berichte und Kritikeu.
innern Einschluss des Forums; hier zeigt sich aber schon eine beträchtlich
rohere Behandlung. Höchst wunderlich und unschön sind die Ecksäulen,
oder vielmehr die mit Halbsäulen verbundenen Eckpfeiler dieser Halle
componirt.
Der zweite Abschnitt enthält auf 27 Tafeln die Alterthümer von Aphro-
disias. Das ausgedehnte Forum dieser Stadt, 525 Fuss (engl.) lang und
213 Fuss breit, ist mit einer ionischen Säulenhalle umgeben, die Säulen
von einfach spätgriechischer Form, in den Ecken Pfeiler von derselben
fabelhaften Composition, wie auf dem Forum von Cnidus. — Der Haupt-
tempel von Aphrodisias, der im Mittelalter in eine Kirche umgewandelt
war, bildete einen ionischen Pseudodipteros von acht Säulen in der Fronte.
Auch hier sind es einfach späte, zum Theil schon schwere Formen; nament-
lich gewähren die attischen Basen der Säulen, an denen statt des obern
Pfühls zwei dicke Rundstäbe angeordnet sind, einen unschönen Eindruck.
(Aehnliche Basen hat der oben genannte korinthische Tempel zu Cnidus.)
— Ungleich interessanter, wie diese beiden Baulichkeiten ist ein drittes,
obschou beträchtlich späteres Gebäude, ein grosses Propyläum von korin-
thischer Architektur. Pfeiler, an ihrer Hinter- und Vorderseite mit Halb-
säulen verbunden, trennen die Thüren; von ihnen springt nach aussen ein
viersäuliger Prostyl, nach innen eine Stellung von zwölf Säulen, in drei
Reihen geordnet, vor. Die Säulen stehen auf Piedestalen und haben ge-
wundene Cannelirungen, der Fries ist convex und mit Akanthuswindungen
reich verziert. Dies sind Zeugnisse der letzten Periode der classischen
Architektur; dabei aber ist in der Behandlung, besonders des Ornaments,
noch sehr viel eigenthümlicher Geschmack und selbst noch eine gräcisi-
rende Eleganz zu bemerken. Auffallend ist die Composition des Akanthus,
dessen Blättergruppen zum Theil auf eine Weise geschwungen sind, dass
sie unmittelbar an denjenigen Styl der Ornamentik erinnern, der sich in
der spätromanischen Architektur (um 1200 n. Chr. G.), vornehmlich in
Deutschland, geltend macht. Seit man sich genöthigt gesehen, den selb-
ständigen Werth der mittelalterlichen Architektur anzuerkennen, haben
auch die Gebäude aus der letzten Zeit der Antike, in denen sich bereits
manch ein mittelalterliches Princip ankündigt, ein grösseres Interesse ge-
wonnen; besonders wichtig sind in diesem Betracht die unter asiatischem
Einfluss entstandenen Architekturen, und unter ihnen kommt dem eben
besprochenen Gebäude keine der mindest bedeutenden Stellen zu. Für
die Bauzeit desselben wird übrigens, in Gemässheit des gleich zu nennen-
den Theaters von Patara, bereits die Periode um das Jahr 200 n. Chr. G-
anzunehmen sein. — Ausserdem ist in Aphrodisias noch ein Hippodrom
zu bemerken, dessen oberste Sitzstufen mit Pfeilerarkaden uingeben waren.
Bruchstücke der letztern erscheinen mit reichem Ornament überladen, im
Style des ebengenannten Propyläums, doch ungleich weniger schön.
Der dritte Abschnitt, 14 Tafeln, behandelt die Alterthümer von Pa-
tara, unter denen das dortige Theater von sehr erheblicher Wichtigkeit
ist. Von dem Scenengebäude desselben, welches einer Inschrift zufolge
unter dem Kaiser Antoninus Pius, um die Mitte des zweiten Jahrhun-
derts nach Christi Geburt, erbaut wurde, steht noch so viel, dass es in
seiner ganzen Einrichtung vollständig zu restauriren ist. Dasselbe bildet
somit einen höchst interessanten Beitrag für unsere, bisher noch immer so
mangelhafte Kenntniss der Scene des antiken Theaters. Auch in Bezug
auf seinen architektonischen Styl ist dies Gebäude sehr bemerkenswerth;
■i
i^^^^iWWWiiiippipiiipp
üeber den Kölner Dom. 385
es ist eine eigentliümliche, ebenfalls noch gräcisirende Eleganz darin, die
ich am liebsten mit der künstlerischen Richtung des Bramante und seiner
nächsten Vorgänger parallel stellen möchte. In der Behandlung des Orna-
ments erkennt man einen ähnlichen, doch noch mehr gemessenen Geschmack,
als an dem Propyläum von Aphrodisias, so dass man die Umwandlung der
antiken Geschmacksrichtung hier schon in einer, fast unerwartet frühen
Zeit beginnen sieht. — Das Stadtthor von Patara, mit drei Bogenöffnungen
nebeneinander, und mit einem dorischen Friese gekrönt, hat ebenfalls
noch etwas Gräcisirendes in der Anlage, erscheint im Detail aber bereits
ganz roh.
Geschichte und Beschreibung des Doms von Köln, von Sulpiz
Boisser^e. Zweite umgearbeitete Ausgabe mit fünf Abbildungen. Mün-
chen. Literarisch-artistische Anstalt. 1842. (119 Seiten in gr. 4.)
(Kunstblatt 1842, Nr. 89, IT.)
Das Interesse, welches gegenwärtig, seit die architektonische Restaura-
tion am Chore des Kölner Domes vollendet, für den Weilerbau dieses er-
habensten aller Architekturwerke so mächtig erwacht ist, hat zu mancherlei
literarischen und bildnerischen Mittheilungen über dasselbe Veranlassung
gegeben. Man lässt es sich angelegen sein, den verschiedenen Kreisen des
Publikums Anschauungen des merkwürdigen Gebäudes, Darlegungen seiner
früheren, sowie der gegenwärtigen Bauverhältnisse, Untersuchungen über
seine historische und ästhetische Bedeutsamkeit vorzulegen; der allgemeine
Eifer für den Fortbau, die Förderung, welche demselben aller Orten durch
die Dombauvereine zu Theil und welche durch die Opposition einiger
Stimmführer auf der äussersten Linken nicht vermindert wird, haben solche
Vermittelungen zwischen dem Werke und dem Volke zum Bedürfniss ge-
macht. Vor allen heissen wir^ unter diesen Arbeiten die in der Ueber-
schrift genannte willkommen. Der würdige Verfasser hat sich durch sein
grosses Prachtwerk Über den Kölner Dom und durch die darin niederge-
legten Resultate seiner Forschungen so unläugbare und umfassende Ver-
dienste erworben, dass wir uns freuen müssen, ihn auch heute noch, seit
ein zumeist jüngeres Geschlecht den Schauplatz betreten hat, unter den
Vorkämpfern zu finden.
Der Haupttheil seines neuen Buches bestellt, wie dies schon der oben
angeführte Titel andeutet, aus einer neuen Auflage des Textes zu seinem
bekannten grossen Kupferwerke. Da derselbe jedoch hier als ein. voll-
kommen selbständiges Werk gegeben wird, so sind in der Anordnung
einige Veränderungen vorgenommen und die speziellen Bezüge auf die
Tafeln des Kupferwerkes beseitigt worden. Zugleich hat der Verfasser
mehrere dankenswerthe historische Notizen und Urkunden, mehrere wäh-
rend der Herstellung des Chors gemachte merkwürdige Erfahrungen, sowie
auch die Geschichte dieser Wiederherstellung beigefügt. Endlich theilt er,
Kugler, Kleine Schriften. II. 25
386 Berichte tind Kritiken.
als einen ganz neuen Abschnitt von ziemlichem Umfange, seine Bemerkung
gen und Wünsche über die in Aussicht gestellte Vollendung des Gebäudes
mit. Das Buch begleiten fünf Kupfertafeln: der Grundriss, der Aufriss
der Westseite und die perspectivische Ansicht des Gebäudes in seinem
heutigen Zustande, als Nachbildungen von Tafeln des grossen Kupferwer-
kes; eine perspectivische Ansicht des Domes im Zustande seiner Vollen-
dung mit denjenigen, vom Verfasser entworfenen Restaurationen, Über
welche das Vorhandene und die Pläne keinen Aufschluss geben; sodann
ein Blatt mit dem Grund- und Aufriss des älteren Domgebäudes nach der
Idee des Verfassers.
Das neue Werk ist somit als ein Handbuch, und zwar als ein voll-
kommen unentbehrliches, für jeden, der sich mit dem Studium des Kölner
Domes zu beschäftigen gedenkt, zu betrachten. Wir besitzen in demselben
die Grundlage aller neueren Arbeiten und Forschungen über den Dom
(wenn dieselben im Einzelnen auch zu abweichenden Resultaten gelangt
sind), sowie die Mittheilung derjenigen Elemente für die Forschung, welche
erst neuerlich hervorgetreten sind; wir sehen dies Alles zugleich auf eine
klare und ebenmässig fortschreitende Weise zu einem zusammenhängenden
Ganzen verarbeitet, so dass das Buch auch für die Auffassung des gothi-
schen Baustyles überhaupt eine sehr beachtenswerthe Grundlage darbietet.
Man wird zu demselben, und vornehmlich in Bezug auf die Masse seines
positiven Materials, stets bei den betreffenden Studien zurückkehren müssen;
und man wird es dem Verfasser und der Verlagshandlung Dank wissen,
dass das Buch durch die neue Auflage soviel bequemer zugänglich gewor-
' den ist.
Ich halte es für überflüssig, näher auf das Ganze eines Werkes einzu-
gehen, aus dem bereits so viele Andere geschöpft haben; dieser Umstand
reicht allein schon zur Bürgschaft seines Werthes hin. Doch erfordert es
das Interesse der Sache, einige der neueren Mittheilungen hervorzuheben.
Sehr wichtig ist zunächst^ was den historischen Theil des Werkes an-
j betrifft, die Mittheilung sämmtlicher bisher bekannter Urkunden über den
Meister Gerhard, in welchem man den ersten Urheber des Domes ver-
muthen kann. In seiner früheren Arbeit hatte sicli der Verfasser mit An-
führung einzelner Stellen aus diesen Urkunden begnügt; später waren
mehrere durch Passavant (in seiner „Kunstreise durch, England und
Belgien") bekannt gemacht -worden; hier finden wir sie nunmehr am Voll-
ständigsten und Ausführlichsten beisammen. So vornehmlich (und noch
vollständiger als bei Passavant) die grosse Urkunde, in welcher das Dom-
kapitel Meister Gerhard dem Steinmetzen, dem Vorsteher des Dombaues,
neun Jahre nach der Grundsteinlegung des Domes, wegen seiner Verdienste
um das Kapitel, eine Ilofslätte schenkt. Freilich kann aus dieser Urkunde
noch nicht mit Gewissheit gefolgert werden, dass Niemand anders als die-
ser Meister Gerhard, welcher eben damals, und gewiss auch schon länger,
die technische Leitung des Dombaues hatte, der Erfinder des Planes.sein
könne; doch bleibt der Mann natürlich höchst beachtenswerth, und wir
werden mit Sorgfalt Alles aufzunehmen haben, was uns einiges nähere
Licht über ihn verschaffen könnte. In diesem Betracht scheint eine zweite
Urkunde, die, soviel ich weiss, hier zum ersten Mal mitgetheilt wird, nicht
ohne Werth. Es handelt sich darin von dem Kauf eines Privathauses in
Köln; dasselbe wird bezeichnet als „das Haus neben dem Bürgerhause
gegen St. Cünibert zu, welches Gerhard der Steinmetz gebaut hat." Die
üeber den Kölner Dom. 387
Nennung des Baumeisters an dieser Stelle kann wohl nur zur charakteri-
stischen Bezeichnung des Hauses geschehen sein; dasselbe mtisste - somit
in seiner äusseren Erscheinung etwas individuell Eigenthömliches, Bedeut-
sames haben, der Architekt somit als ein Künstler von eigenthümlicher
Richtung und Bedeutung bekannt' sein. Nehmen wir ihn und den Dom-
baumeister als Eine Person, so haben wir hierin wenigstens die Andeutung,
dass der letztere nicht bloss als Werkmeister, sondern auch als erfinden-
der Künstler ausgezeichnet war. Leider fehlt das Datum der Urkunde, und
der Verfasser bemerkt nur, dass sie „demselben Zeiträume" angehöre; ist
sie in der That völlig gleichzeitig, so scheint die Identität beider Meister
ausser Zweifel, da man, hätten zwei ausgezeichnete Architekten desselben
Namens zu gleicher Zeit in derselben Stadt gelebt, gewiss einen jeden von
ihnen auf unterscheidende Weise bezeichnet haben würde. Ferner erhal-
ten wir näheren urkundlichen Aufschluss über den räthselhaften Gerhard
von St, Trond (bei Lüttich), der seit Wallrafs Zeit in der Kunstgeschichte
spukt, indem man auch ihn mit dem Dombaumeister Gerhard identificirte,
ohne doch die Gründe für diese Annahme vorzulegen. Der Verfasser weist
nach, dass dieselbe ganz aus der Luft gegrilfen ist und sogar sehr erheb-
liche Gründe gegen sich hat; wir sind ihm für dies Ergebniss sehr dank-
bar verpflichtet, da es uns nicht gar billig bedünken will, wenn wir ohne
Noth einen Ausländer (ob auch immerhin einen stammverwandten) zum
ursprünglichen Meister des herrlichsten Werkes deutscher Art und Kunst
machen. Bei Gelegenheit seiner Vorschläge über die völlige Instandsetzung
des Domes bemerkt der Verfasser, es würde nöthig werden, den Hochaltar,
der gegenwärtig auf unzweckmässige Weise verbaut ist, von seiner Stelle
zu rücken; dabei sei es möglich, dem im Jahre 1248 gelegten Grundstein
(der sich stets an der Stelle des Hochaltares zu befinden pflegt) auf die
Spur zu kommen, in ihm die Urkunde über die Grundsteinlegung und in
letzterer endlich den sicheren Namen des ursprünglichen Meisters und Ur-
hebers zu finden. Der Verfasser deutet diese Hoffnung fast nur mit Schüch-
ternheit an; in der That aber wäre diese Entdeckung für einen Jeden,
dem es um die Ehre des Vaterlandes zu thun ist, so wichtig, dass wir die
Hoffnung, wenn es auch nicht mehr ist, einstweilen nicht aufgeben wollen.
Unendlich wichtiger freilich, als Alles, was uns hier im Schooss der
Erde verborgen sein könnte, ist die Urkunde, die das Gebäude in sicli
selbst, in seiner künstlerischen Beschaffenheit, enthält. Der Verfasser ent-
wickelt, wie dies aus dem früheren Abdruck seines Textes bekannt ist, die
allgemeinen Principien des daran hervortretenden architektonischen Syste-
mes auf eine vortreffliche, klare Weise. Ich stimme hiemit im Wesent-
lichen vollkommen überein; doch muss ich bemerken, dass ich der Ansicht,
welche Herrn Bo iss erbe's Auffassung zu Grunde liegt, in sofern nicht
folgen kann, als ich in dem Gebäude nicht, wie er, ein Ganzes aus Einem
Gusse, in welchem Alles von vornherein so berechnet-war, wie es in den
ausgeführten Theilen erscheint, zu qrkennen vermag. Dies betrifft aber nicht
die allgemeinen Principien des Systemes, sondern die Eigenthümlichkeiten
in der. Gestaltung des Einzelnen und Ederen fortschreitende Modification,
die in den späteren Theilen des Gebäudes freilich schon gar augenfällig
erscheint. Ich komme hierauf weiter unten noch einmal zurück.
Ein sehr eigenthümliches Interesse gewährt dasjenige unter den Kupfer-
blättern des in Rede stehenden Werkes, welches den Dom in seiner Voll-
endurig, und zwar in persp'ectivischer Ansicht von der Südseite, darstellt;
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m.
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wrnm-
40t' Berichte und Kritikeu.
es ist dem Titel vorgeheftet und wird auch in besondern Abdrücken aus-
gegeben. Die Zeichnung dazu ist nach den Angaben des Verfassers von
Ed. Gerhardt, der Stich von J, Poppel gefertigt. Das Blatt (9 Zoll
breit und 8 Zoll hoch) muss als ein kleines Meisterwerk bezeichnet wer-
den; es ist mit dem klarsten Verständniss gearbeitet: das ganze, so über-
aus reiche Detail ist mit grösster Genauigkeit und in vollkommen charak-
teristischer Darstellung gegeben, und dabei doch zugleich die Totalwirkung
mit glücklichem und freiem malerischem Sinne beobachtet. Nächst dem,
so eigenthümlich grossartigen Gesammteindrucke, den das Gebäude in die-
ser Ansicht auf den Beschauer hervorbringt, ist vornehmlich auf die fast
überraschend günstige und erfreuliche "Wirkung der etwas vortretenden
Fronte des Querschilfes und der mit ihr zunächst verbundenen Theile auf-
merksam zu machen. Es hat nämlich jenes brillante, so vielfach sich
wiederholende System der Strebethürme und Strebebögen, welches den
Oberbau des Chores (des bis jetzt allein vollendeten Bautheiles) umgiebt,
in gewissem Betracht den Anschein von Ueberladung; denn abgesehen
davon, dass die Gliederung hier noch nicht die klare organische Entwicke-
liing erreicht hat, welche an dem später begonnenen Thurmbau der West-
seite erscheint, so hüllen diese mächtigen Formen den gesammten Oberbau
auf eine Weise ein, schieben sie sich selbst auf eine Weise durcheinander,
dass ein vollkommen klarer und beruhigender Eindruck eigentlich gar
nicht zu erreichen ist, mag man einen Standpunkt für die Betrachtung des
Chores wählen, welchen man wolle. An der Fronte des Querschilfes aber,
die in grossartiger Ausbreitung ans der Langseite vortritt, erscheint dies
System der architektonischen Composition in freier und für das Auge
durchaus unbehinderter Entwickelung, so dass wir hier den so nöthigen
Kuhepunkt finden, dass wir darin gewissermassen den Schlüssel für das
Uebrige erhalten, und dessen Bedeutung mit ungleich grösserer Leichtig-
keit und Sicherheit nachempfinden. Hier steigt über dem Portal der Gie-
bel vom Oberbau des Querschiifes mit seinem grossen Fenster in majestä-
tischer Ruhe empor, und unbehindert, durch nichts verdeckt, sehen wir in
' den Strebebögen den bewegten Druck seiner Gewölbe auf die Strebethürrae
zu den Seiten hinüberströmen.
^^ Es ist bekannt, dass für die Anordnung der Giebelseiten des Quer-
X schifi'es, wie auch für den Thurm über der Durchschneidung von Quer-
/ schiff und LangschifT, kein Muster aus der alten Zeit des Baues vorliegt;
f es ist kein Riss dazu vorhanden, ja der Bau der Giebelseiten war so sehr
gegen das Uebrige im Rückstände, dass selbst die Fundamente zum .Theil
< fehlten. (Auf der Südseite sind sie erst jetzt vollständig gelegt; auf der
jNordseite vermuthet man, dass sie unter der später errichteten ehemali-
gen Dompfarrkirche zum Pesch (in pasculo) vorhanden seien.) Aus diesem
theilweisen und in der That sehr auffallenden Mangel des Fundamentes
^ darf mau vielleicht nicht mit Unrecht den Schluss ziehen, dass man über-
haupt für die Einrichtung der Giebelseiten noch keinen bestimmten Plan
vor sich hatte. Der Verfasser hat die letzteren nach dem allgemeinen Prin-
cip des Baues und nach dem Mnster der Westfagade ergänzt. Dem Haupt-
portal in der Mitte hat er, wie dort, zwei Portale zu den Seiten beige-
fügt; doch hat er diese Einrichtung in dem vorliegenden Blatte (gegen
seine frühere Restauration , in dem Längenaufriss des grossen Kupferwer-
kes) in sofern vortheilhaft verändert, als er die Fensteröffnungen hinter
den Giebeln der Seitenportale und die Giebel über diesen Fenstern fort-
BS:-
* 1
E •*
üeber den Kölner Dom. 389
gelassen hat. Diese reichere Anordnung' war durch den Organismus der
Westfa^ade bedingt, erscheint aber für die ungleich beschränktere Fronte
des Querschiffes in der That als Ueberladung. Indess möge mir der sehr
verehrte Verfasser verzeihen, wenn ich auch gegen seine jetzige Darstel-
lung der Fronte des Querschiffes (sowie über seine Darstellung des Mittel-
thurmes) noch einige Einwendungen erhebe. Es scheint mir, dass auch
in andrer Beziehung das Vorbild der "W"estfa9ade hier nur auf eine be-
schränkte Weise zur Anwendung kommen dürfe; dort handelt es sich um
eine ungleich breitere Masse, deren Seiten zugleich in jene mächtigen
Thürme emporschiessen, dort ist somit die Form des Einzelnen durch das
grössere Ganze bedingt, während sie hier mit einem kleineren Ganzen in
Einklang stehen muss. So erscheinen mir," in der vorliegenden Zeichnung,
das grosse Fenster über dem Mittelportal (welclies dem Mittelfenster der
Westfa^ade nachgebildet ist) etwas zu breit, das Feld des Dachgiebels über
demselben etwas zu stark lastend, und die Strebepfeiler zu den Seiten des
Fensters, in Gemässheit dieser beiden Verhältnisse, etwas zu schwach; ich
würde, um diesen üebelständen zu begegnen, die Strebepfeiler etwas stär-
ker machen, wodurch das Fenster etwas eingeengt und dem Druck seines
Bogens und des Giebels ein festerer Widerstand gegeben würde; dabei
würden sich zugleich die Thürmchen, welche die Streben oberwärts krö-
nen, höher erheben, und durch alles dies das Ganze auf eine etwas ener-
gischere Weise flankirt und hervorgehoben sein. Sodann muss ich mich
auch gegen die Gesammtanordnung der Portale aussprechen. Es scheint
mir nicht völlig angemessen, dass die Seiteneingänge eines kirchlichen Ge-
bäudes dieselbe Ausdehnung haben, wie der Haupteingang, dass hier also
ebenso, wie auf der Westseite, drei Portale neben einander stehen; es
scheint mir dies um so weniger, als es wünschenswerth sein dürfte, neben
den Seitenportalen, zum ruhigeren Abschluss des Ganzen, noch den Ein-
druck der Mauerfläche — wenn auch, wie an der Westseite, mit einem
Fenster durchbrochen — zu gewinnen. Ich würde somit vorschlagen, nur
Ein Portal, in der Mitte, anzulegen und die Seitenportale durch Fenster
zu ersetzen. Diese Einrichtung würde noch in andrer Beziehung vortheil-
haft sein. Ich habe zwar eben bemerkt, dass die im vorliegenden Blatt
vorgenommene Veränderung rücksichtlich der Seitenportale an sich sehr
günstig wirkt; dadurch aber ist ein neuer Uebelstand hervorgetreten, der
nämlich, dass nun die Giebelspitzen der Seitenportale das horizontale
Kranzgesims eben nur berühren, dass,sornit hier.— an einer Fa^ade
die Horizontallinie völlig frei und im Widerspruch gegen das Gesetz der
Fa^ade des Domes vorherrschend wird. Setzen wir aber Fenster an "die
Stelle der Seitenportale, so komnft deren Giebel wiederum höher zu stehen
und unterbricht jenes Gesims auf die gesetzliche Weise. Freilidh'weiss ich
sehr wohl, was man sofort zur Beseitigung dieses Vorschlages anführen
wird: Auf der Nordseite ist ja schon eins dieser Seitenportale vorhanden,
folglich die Bestimmung der ganzen Einrichtung gegeben! Diese Bemer-
kung macht mich indess in meiner Auffassung keineswegs irre. Ich finde,
dass das Gebäude des Domes, wenn auch in Befolgung Eines Grundrisses
und Eines Grundprincipes der Formen, doch erst allmählig, je nach den
Fortschritten des Baues selbst, zur steigenden Ausbildung seiner Formen
gelangt ist; dabei konnten im'Einzelnen, wie es sich an minder erheblichen
Dingen hier in der That nachweisen lässt, Fehlschfitte gemacht werden.
Dann ist die ganze Nordseite, wenigstens die des Chores, in gewissem Be-
40t' Berichte und Kritikeu.
traclit vernachlässigt worden. Auch war es gar nicht die Absicht und
konnte nicht die Absicht sein, die Nordseite zur Schauseite zu machen,
was hingegen bei der Südseite sehr entschieden der Fall ist. Gründe ge-
nug, um an der ungünstig belegenen Nordseite eine Anomalie zu erklären,
die ohne Zweifel durch irgend ein äusserliches Bedürfniss veranlasst war,
deren "Wiederholung an der ungleich wichtigeren Südseite anzunehmen
ludess kein genügender Grund vorhanden ist
Ich kann ferner nicht umhin, über den Mittelthurm, in der Durch-
schneidung von Lang- und Querschitf, einige abweichende Ansichten aus-
zusprechen, Für's Erste scheint mir die Nothwendigkeit seiner ganzen
Existenz, die der Verfasser als unbedingt annimmt, in Frage zu stehen;
wenigstens haben wir keineswegs hinreichende Autoritäten dafür, und die,
welche der Verfasser anführt, scheinen mir nicht umfassend genug. Dass
ein solcher Thurm sehr häufig an den Bauwerken des romanischen (soge-
nannt byzantinischen) Styles vorkommt, ist bekannt , so auch, dass er
an den normannischen Gebäuden dieser Epoche, besonders in England,
sehr vorherrschend erscheint; aber der architektonische Organismus des
gothischen Styles, und vor allen Dingen der Organismus seiner Aussenfor-
men, ist von dem des romanischen so wesentlich unterschieden, dass eine
Einrichtung des letzteren für jenen nicht maassgebend sein kann. Dies em-
pfindet man auch sehr deutlich, wo dennoch romanische Anlage auf das
Gothische übergetragen ist, — was aber natürlich nur da stattfindet, wo
überhaupt der gothische Baustyl sich minder rein entwickelt hat. So na-
mentlich in England; hier erscheint in der That ein vorherrschender Mil-
telthurm, wie bei romanischen, so auch bei gothischen Gebäuden, aber er
steht auch durchweg ganz unvermittelt in dem Organismus des Uebrigen,
unförmlich in seiner Gesammtmasse, schwer und lastend da. Die Beispiele
dafür sind höchst zahlreich; es möge genügen,, als frühgothische Gebäude
Ich füge hier eine Notiz aus meinen Reisetagebüchern vom Jahre 1843
hinzu,
' Auf der Nordseite hat sich, nach dem Abbruch der Kirche zum Pesch, von
der alten Anlage des Giebelbaues noch das vollständige Basament und (auf der
östlichen Ecke) auch ein Theil der Gewände des östlichen Portales vorgefunden.
Das Ganze war auf drei Portale angelegt. Doch gehören diese 'Stücke unbe-
denklich einer späteren Bauzeit als die wesentlichen Theile des Gebäudes an.
Die ganze Composition und Zusammensetzung der Gliederungen ist bereits matt
und entbehrt der energischen Fülle, der grossartigeren und kräftigeren Theilung,
die in ähnlichen Fällen an andern Theilen des Gebäudes, namentlich an dem
Portal der Westseite, überall erscheint. Auch die Ausarbeitung der Glieder hat
nicht die genügende Kraft; sie sind stumpfer und schwächer. Ausserdem ist als
ein besonders gewichtiger Umstand für das spätere Alter dieses Baustücks her-
vorzuheben: dass nicht, dem sonst au dem ganzen Gebäude befolgten System
entsprechend, je ein stärkerer Strebepfeiler im rechten "Winkel zwischen den
Portalen aus'der Giebelfläche vortreten sollte, sondern dass, bei flacherer Hal-
tung der letzteren, deren je zwei schwächere, in schräger Richtung stehende
angeordnet sind, deren Aufbau nicht bloss die Energie und Harmonie des Gan-
zen beeinträchtigt, sondern auch, in der Auflösung des Strebesystems nach oben
hin, eiue schwache und matte Wirkung hervorgebracht haben würde.
Dahin gehört, der Anlage nach, auch der östliche Mittelthurm an dem
Dome von Mainz, den der Verfasser unter den Beispielen gothischer Mittel-
thürme anführt. Nur die, allerdings vorherrschende, Fensterarchitektur dieses
Thurmes ist gothisch, während sein Untertheil, zunächst über den Dächern, noch
die charakteristisch romanischen Formen hat, '
üeber den Kölner Dom. 391
der Art die Kathedralen von Salisbüry und Lichßeld, als ein spätgothisches
die Kathedrale von York genannt zu haben. So findet sich der Mittel-
thurm zuweilen auch bei französiscli-gothischen Gebäuden, wie z. B. an
den Kathedralen von Coutances und Bayeux und an' der Kirche St. Ouen
zu Reuen; aber er hat auch hier stets, mehr oder weniger, etwas Lasten-
des; er steht auch hier, wie reiches Ornament im Einzelnen angewandt
sein möge, nicht in einem organischen Zusammenhange mit dem Ganzen,
und überhaupt ist sein Vorhandensein hier schon nicht mehr als gesetz-
liche Regel zu betrachten. In Deutschland, wo wir die reinsten Beispiele
des gothischen Baustyles besitzen, ist der Mittelthurm höchst selten; vor-
ztlglich wichtig scheint in diesem Betracht nur die Katharinenkirche von
Oppenheim; doch erhebt der Thurm, was nicht überflüssig zu bemerken
sein dürfte, sich hier über den ältesten, noch in einem schlichteren Style
gehaltenen Theilen des Gebäudes. Bei vielen deutsch-gothischen Gebäu-
den wird der Durchschneidungspunkt von Quer- und Langschiff nur durch
ein kleines, dekorativ gehaltenes Thürmchen bezeichnet. Als besonderer
Grund für-die Anwendung eines eigentlichen Mittelthurmes an dem Dome
von Köln dürfte nur die bedeutende Stärke der vier Mittelpfeiler imlnneiren
anzuführen sein; doch scheint es, dass dieselbe schon durch die mehrfache
Spannung der GewÖlb^, die sich hier begegnen, bedingt war, wi6 dies ins-
gemein bei'Kreuzkirchen (u. a. bei der Elisabethkirche zu Marburg) der
Fall ist. Dass aber der eben angeführte constructive Grund zugleich auch
ein Grund für die nothwendige Aufführung des Thurmes sei (um nämlich
die vier Pfeiler noch stärker zu belasten und dadurch noch fester zu ma-
chen), wie der Verfasser Seite 90 ausspjicht, dies möchte auf das genannte
Verhältniss wiederum zu viel Gewicht legen. »
Ich halte den Mittelthurm nicht für unbedingt nothwendig,^ und ich
glaube, dass^ein kleines dekoratives Thürmchen, wie eben angedeutet, zur
charakteristischen Bezeichnung des Durchschnittspunktes schon wesentlich
wirksam sein würde. Dabei bin ich jedoch weit entfernt, die ungleich
kräftigere, ungleich mehr malerische Wirkung eines eigentlichen Thurmes
an jener Stelle zu läugnen, obgleich es sehr schwierig sein dürfte, ihm, in
Rucksicht auf seinen gegebenen nicht unbeträchtlicljen Durchmesser, das
nöthige mittlere Höhenmaass zwischen den Haupthürmeh nnd dem Lang-
bau der Kirche zu geben. Der Verfasser hat in seiner Restauration dies
Höhenmaass mit gewiss richtigem Takt herausgefunden; mir aber scheint
es, dass der Thurm an sich ein schlankeres Verhältniss, somit eine grös-
sere Höhe „ mit gleicher Nothwendigkeit in Anspruch nimmt; die ganze
Harmonie in dem Organismus des Gebäudes „scheint es aufs Pringendste
zu fordern, dass namentlich der Helm des Thurmes ähnlich schlank empor-
steige, wie die Helme der Mittelthürme, während der Verfasser ihm einen
ungleich stumpferen, somit schwereren Helm gegeben hat. Ueberhaupt aber
dürfte es höchst nöthig sein, den ganzen Mittelthurm, der'sich ohne ein
festes Basament aus den Dächern erhebt, vorzugsweise leicht, fast möchte
ich auch hier sagen, dekorativ zu'behandeln, was in der Darstellung.des
Verfassers auch in anderer Beziehung nicht der Fall ist. Er lässt ihn in
vorherrschend viereckiger Form bis zur Höhe der Dachfirste emporsteigen,
und setzt ihm dort erst das achteckige Obergeschoss auf; diese viereckige
Grundform giebt ihm« in der That etwas von der Schwere der Mittelthürme
englischer Kirchen. Mir scheint es ungleich vortheilhafter, hier das Bei-
spiel der besseren Mittelthürme romanischer Kirchen und des oben e'rwähu-
Berichte und Kritiken.
ten der Katharinenkirclie von Oppenheim (vielleicht des wichtigsten Bei-
spieles für diesen Zweck) zu befolgen : den Thurm nämlich ebenfalls vier-
eckig beginnen zu lassen, doch etwa nur bis zur halben Dachhöhe, so dass
schon hier, sobald zwischen den Dächern der Raum für die vier Eckseiten
des Achteckes vorhanden ist, die Entwickelung des letzteren stattfände.
Durch das Vorherrschen der Form des Achteckes würde das Ganze natür-
lich schlanker, die Entwickelung wäre lebendiger, das feinere Pyramidal-
spiel der gothischen Arckitektur fände Gelegenheit, sich schon früher zu
entfalten, und damit wäre zugleich für das Hinüberspielen der in den Ecken
der Wände emporsteigenden Architekturformen in die des Thurmes, somit
für die Verbindung desselben mit dem Körper des Gebäudes (für das
Aeussere) die Anknüpfung gegeben. Indess sehe ich sehr wohl ein, dass
auch so, ohne irgend ein vollendetes Vorbild der Art, die Composition
eines solchen Mittelthurmes nur das Werk einer selbständig künstlerischen
Conception sein könnte.
Was der Verfasser über die Vollendung des Domes, über die Art und
Weise, wie diese durchzuführen, über die Ordnung und Folge der Aus-
führung, sowie über die innere Ausstattung sagt, ist eben so sehr ein Zeug-
niss seiner unverminderten, wahrhaft innigen Begeisterung für das wunder-
bare Bauwerk, wie des gesunden und künstlerisch freien Sinnes, dadurch
sein Name in der Geschichte der Wiederentdeckung unserer schönen hei-
mischen Kunst sicli unvergänglich gemacht hat. Er spricht hier gar Vie-
les aus, das in der That sehr zu beherzigen sein dürfte. Vor Allem er-
freulich ist es, dass er auf's ErnstJLichste darauf dringt, dass auch bei den
jetzt noch zu bauenden Theilen der Kirche jenes grossartige System der
Strebfcthürme und Strebebögen möge beibehalten werden. Er führt nicht
bloss die ästhetische, sondern auch die constructive Nothwendigkeit dieses
Systems durch; und das abschreckende Beispiel der Domkirche von Utrecht,
deren SchitF im Jahre 1674 durch einen gewaltigen Sturm niedergeworfen
ward, während der durch Strebewerk gesicherte Chor unversehrt stehen
blieb, scheint zur rechten Zeit in Erinnerung gebracht zu sein. Der Ver-
fasser berührt bei dieser Gelegenheit auch die auffallende Erscheinung,
dass an den Stellen, wo die Strebebögen am Chore des Kölner Domes in
die Oberwände des Chores eingelassen waren, ein Theil der Gliederungen
und Verzierungen abgeschlagen war, um auf diese Weise den nöthigen
Platz zu schalfen, dass man mithin bei Aufführung jener Wände auf die
nachfolgende Einwölbung der Strebebögen keine Rücksicl^t genommen
hatte. Man hat dies dahin erklären wollen, dass es ursprünglich gar nicht
die Absicht gewesen sei, jenes Strebewerk aufzuführen. Gegen dies^ An-
sicht erklärt sich der Verfasser, und gewiss mit Recht, wie sich dies noch
aus anderen Gründen darthun lässt. Wenn er aber behauptet, jene auf-
fallende Erscheinung rühre daher, dass man bei der Aufführung der Wände
die nöthigen Verbandstücke für das Strebewerk vergessen habe (wäh-
rend er doch voraussetzt, dass der vollkommene Entwurf für das Ganze
vorlag), so kann ich ihm nicht geradezu beistimmen; es kommen an dem
Chore zwar manche Nachlässigkeiten der Construction vor, eine solche
Nachlässigkeit möchte ich aber den alten Meistern nicht gern aufbürden.
Mir erklärt sich die Sache sehr einfach aus meiner Gesammtauffassung der
Geschichte des Baues, die in einer stückweisen, allmähligen Weiterbildung
und Umbildung der ursprünglich entworfenen Bauformen besteht; hiebei
ist es sehr wohl denkbar, dass man jedesmal zunächst nur den Theil des
392
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,u.iii!fip.w »im
Ueber den Kölner Dom. 393
Baues, mit dem man eben beschäftigt war, ins Auge "fasste, nur ihn'durch-
zuarbeiten bedacht war,' und auf solche "Weise den nöthigen Zusammen-
hang des Ganzen gelegentlich ausser Acht lassen konnte.
Endlich noch ein Wort über die ältere Domkirche von Köln, an deren
Stelle im 13ten Jahrhundert die jetzige trat, ?Der Verf. spricht über die-
selbe (die er auclf schon in seinem früheren grossen Werke behandelt
hatte) im Anhang; er bezieht sich auf die Beschreibung, die uns' Gelen
von ihr hinterlassen hat, und entwirft nach dieser Beschreibung die auf
einem besondern Kupferblatt beigegebenen Risse. Die Beschreibung bei
Gelen ist indess in ziemlich allgemeinen Zügen gehalten, und zur Aus-
führung der Risse ist das Vorbild der Kölner Apostelkirche und von
Grossmartin,'ebendaselbst, wesentlich benutzt worden. Wir können nicht
sagen, dass die Gestalt des alten Gebäudes nothwendig so beschaffen ge-
wesen sein^müsse, und der Verf. scheint in der That zu weit zu gehen,
wenn er dies annimmt, noch mehr aber, wenn er zugleich mit Bestimmt-
heit behauptet^ diese ältere Kirche sei dieselbe, welche im neunten Jahr-
hundert an dieser Stelle gebaut wurde, und wenn er schliesslich seine
Restauration zu. einem der Ausgangspunkte für jene frühe Epoche der
Baugeschichte des' Mittelalters macht. Er kommt dabei auch auf die
Kölner Kapitolskirche zurück, deren noch vorhandenen Bau er bereits
früher dem achten Jahrhundert zugeschrieben hat, weil damals dort eine
Kapitolskirche erbaut worden ist. Er hält auch jetzt nocli an dieser An-
sicht fest, obgleich die jüngere Kritik, welche schärfere nnd überzeugen-
dere Beweisgründe fordert, ihm hierin nicht mehr zu folgen im Stande ist.
Der Verf. hatte schon früher eine umfassende Bäugeschichte des Mittel-
alters angekündigt. Er bespricht in dem Vorwort des in Rede stehenden
Werkes die Gründe, w.esshalb dieselbe noch immer nicht erschienen ist,
giebt uns^aber die Hoffnung, dass wir nunmehr der baldigen Vollendung
entgegensehen dürfen. Es lässt sich, wie schon aus den eben gegebenen
Andeutungen- erhellt, voraussehen, dass dies umfassendere Werk nicht
überall im Einklänge mit den jüngeren Forschungen, die seit den letzten
Jahrzehnten ihre eigenen Wege gegangen sind, stehen werde. Dennoch
aber werden alle, denen die vaterländische Kulturgeschichte am Herzen
liegt, nach der Vollendung und Veröffentlichung desselben sehnlichst ver-
langen; der Verf. hat lange Jahre miit so erfolgreichem Eifer gesammelt,
er hat zu seltenen Forschungen so mannigfach günstige Gelegenheit gehabt,
dass ihm ohne Zweifel ein Schatz der wichtigsten Materialien (wovon auch
die vorliegende Schrift mehrfach Zeugniss giebt) zu Gebote steht, und' dass
ihm, zu wie abweichenden Resultaten man dieselben auch verarbeiten
möge, doch für deren Mittheilung der allgemeine Dank nicht fehlen kann.
Gewiss aber dürfen wir'zu seinem, so oft bewährten liberal wissenschaft-
lichen Sinne das volle Zutrauen hegen, dass er das Erworbene zuin Ge-
meingut mache, es der freien Wissenschaft^ überlassend, in welcher Weise
sie sieb dasselbe aneignen werde. Kann er doch .auf der andern Seite
versichert sein, dass die jüngeren Geschlechter es nicht vergessen werden/
wie viel sie seinem vielseitigen Streben verdanken. — , , • ^
Ich benutze diese Gelegenheit, um noch ein Paar andere kleinere
Schriften über den. Kölner -Dom anzuzeigen, Zunächst einen Nachtrag zu
der schon vor ein Paar Jahren erschienenen Schrift von A. v. Binz er:
*„Der Kölner Dom, ein Denkmal deutscher Baukunst" (Köln, hei
L. Kohnen), die eine ?;weckmässig übersichtliche Beschreibung des Domes,
■4
-ocr page 393-40t' Berichte und Kritikeu.
seiner Denkmäler und seiner Geschichte, sowie vier Stahlstiche mit dem
Grundriss und Ansichten des Gebäudes enthielt. Der Nachtrag führt den
Titel: „Der Fortbau des Kölner Doms, von H. Ptlttmann," und
entwiclielt in warmer Auffassung und in würdiger Gesinnung, was bei der
neuereu Thätigkeit für den Dom und was in Bezug auf die geistige Be-
deutung des Fortbaues zur Sprache kommen muss, 'beigegeben ist dem
Heftchen ein fünfter Stahlstich (nach einer Zeichnung Wegelin's von
Rouargue gestochen), welcher den Dom in seiner Vollendung darstellt.
Das Blatt ist, zwar ohne sonderlich scharfes Eingehen in das Detail und
dessen Charakter, doch in guter malerischer Haltung und Wirkung ge-
fertigt. Für die Restauration ist dabei vornehmlich der Längenaufriss in
Boisseröe's grossem Kui)ferwerke benutzt; doch ist der Helm des Mit-
telthurmes hier eben so schlank und leicht genommen, wie die Helme der
Vorderthürme. Wie günstig schon diese Veränderung wirkt (obgleich die
Höhe des Mittelthurmes dadurch allerdings vielleicht zu bedeutend wird),
zeigt ein Blick der Vergleichung mit dem obenerwähnten Blatte des voll-
endeten Domes in Boisseree's neuem Werke. — Die genannten fünf Stahl-
stiche sind so eben auch, in demselben Verlag, mit einem andern Texte
erschienen. Der letztere, „Vergangenheit un d Z ukunft des K öl-
ner Dombaues, von Ernst Z wirner, königl. preuss. Regierungs- und
Baurath und zur Zeit Dombaumeister,'' besteht aus dem Separatabdrucke
eines Aufsatzes, der in den ersten Nummern des Kölner Domblattes ent-
halten war. Da das Kunstblatt auf diesen Aufsatz bereits mit näherer
Inhaltsgabe hingewiesen hat (vgl. No. 72, S. 287, d. J.), so möge hier nur
noch einmal,kurz erwähnt werden, welches Interesse es"^ darbietet, den
Dombaumeister selbst, der es zur Genüge dargethan hat, dass er vor
Allen in den Geist des ihm anvertrauten Werkes eingedrungen ist, über
dasselbe sprechen zu hören, und wie belehrend die Fülle der einzelnen
Notizen ist, welche er darbietet.....
Ich kann diese Anzeige nicht schliessen, ohne noch einen dringenden
Wunsch ausgesprochen und zu seiner Realisirung die dabei Betheiligten
'aufgefordert zu haben.
Das künstlerische Studium der Architektur ist vorzugsweise den Denk-
malen des klassischen Alterthums, den griechischen und römischen, zuge-
wandt, sowie denen, welche im modernen Zeitalter durch die Wiederauf-
nahme des antiken Architekturstyles entstanden sind. Von vorzüglichster
Wichtigkeit, wegen ihres reinen künstlerischen Gehaltes, sind lunter diesen
die griechischen Monumente, während die übrigen, wie besichtenswerthe
architektonische Combinationen bei ihnen auch vorkommen mögen, doch
mehr oder weniger eines durchgebildeten Organismus ermangeln. Aber
das Princip der griechischen Architektur steht — wenn wir aufrichtig und
vorurtheilslos urtheilen wollen — noch auf einer sehr niedrigen Stufe: der
Bedeckung der Räume, und somit den Räumen des Inneren überhaupt
(sofern es auf ihre charakteristische Durchbildung ankommt), fehlt noch
aller' lebendige Organismus. Dieser wird nur durch die Einführung des
Gewölbes erreicht, welches bei den Römern zwar erscheint, aber^^noch
ohne irgendwelche künstlerische Belebung, während die letztere in dem
TOmanischen Baustyl.versucht wird und im gothischen Baustyl zur vollen-
deten Durchbildung gelangt. Das Gewölbe in seiner höchst durchgebildeten
Gestalt, in seinem Einfluss auf alle übrigen Bautheile, in der Complication
der Verhältnisse, welche dadurch erzeugt und zugleich auf so wunderbar
'h
P
üeber den Kölner Dom. 395
befriedigende Weise gelöst wird, dies ist es, was dem gothischen Baustyl
seine grosse Bedeutung, seinem'Princip eine so viel höhere Stelle giebt,
als das Princip der griechischen Architektur einnimmt. Darum scheint es
mir unbedingt nöthig, dass der Architekt, wenn er das Studium der grie-
chischen Formen beendet hat, sich sofort dem gründlichsten Studium des
gothischen Baustyles zuwende, und dass erst, wenn das letztere vollkom-
men absolvirt ist, von dem Abschluss seiner künstlerischen Studien" die
Rede sein könne. Es ist dies eine Ansicht, die, bei dem zweideutigen
Blick, mit dem man das Gothische zu betrachten gewöhnt ist, Manchem
vielleicht etwas fremd vorkommen mag; doch liegt glücklicher "Weise das
Beispiel einer andern Kunst und der dortigen Studienweise nahe genug,
um mich vollkommen zu rechtfertigen. Ich meine das Beispiel der Musik.
Einfacher und doppelter Contrapunkt verhalten sich^ gerade ebenso, wie
griechisches und gothisches Architektursystem; es giebt aber wohl Keinen
unter Allen, die auf musikalische Bildung Anspruch machen, der es nicht
wüsste, dass nur derjenige der musikalischen Formen Herr ist, dass nur
derjenige mit Freiheit schalfen und' das Geschafl'ene in edler Bildung
vorlegen kann, der eine genügende Schule im Contrapunkt durchgemacht
und das System eines Händel, eines Sebastian Bach" vollkommen gründ-
lich durchgearbeitet hat. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes bezeugt auch
die heutige Musik zur Genüge; jenes zerfahrene, französich lässige We-
sen, das bei nnsern Opern einzureissen beginnt, das für den Augenblick
wohl reizt und uns doch so unbefriedigt lässt, was ist es anders, als der
Mangel an Schule? und umgekehrt zeigt,sich Meisterschaft in der contra-
punktistischen Form ungleich häufiger mit eigenthümlichem Adel des
Sinnes, mit freiem und klarem Bewusstsein, als etwa mit kleinlicher,Pe-
danterei verbunden. Die Gründe dafür liegen auch nahe genüg. »•
Ich kehre zum Studium des doppelten Contrapünktes in der Archi-
tektur, d. h. des gothischen- Architektursystemes, zurück.*' Wenn der
Architekt heutiges Tages auf Reisen geht, so geschieht^ es allerdings' oft
genug, dass er seine Skizzenbücher mit allerlei interessanten, pittoresken
und romantischen Dingen, unter denen gelegentlich auch gothische Archi-
tekturstücke vorkommen, anfüllt. Dies kann indess wohl nicht mit dem
Namen des'Studiums bezeichnet werden. Die Werke, in welchen wir aus-
führliche Darstellungen gqthischer Gebäude besitzen, werden von den
Architekten -selten aufgeschlagen, gewöhnlich"nur, wenn es darauf an-
kommt, rasch irgend eine bildliche Darstellung zu skizziren, um danach
irgend eine gothische Dekoration, etwä^für ein,Grabmonument oder für
einen Ofen, entwerfen zu können; zum Studium, d. h. zum Eindriiigen in
den Organismus der Formen ^^ in deren Zusammienhang, gegenseitige Be-
dingung und Ausbildung, werden diese Werke nur überaus selten benutzt.
Aber es ist freilich auch zu bemerken , dass^ diese Werke nur selten Ge-
legenheit dazu geben; ,und hier komme ich auf den eigentlichen Punkt,
auf den ich hinauswollte: — es fehlt uns noch immeir fast'gänzlich an
einem Werke, welches uns in die Eigenthümlichkeiten' der gothischen
Architektur auf so umfassende und zureichende Weise einführte, wie wir
deren'genug zum Studium der griechischen Architektur besitzen! Hiemit
soll wahrlich den verdienten Männern, denen wir -die Mehrzahl der
Werke über die mittelalterliche Kunst verdanken und die dieselben oft
mit so grosser Aufopferung hergestellt haben, kein Vorwurf gemacht werr
den; ihre Absicht konnte, in den meisten Fällen, nur die sein, den Ge-
40t' Berichte und Kritikeu.
sammtcharakter der Werke bekannt zu machen, durch gefällige Darstellung
auch das grössere Publikum darauf hinzuleiten, und etwa nur das Wich-
tigste von den Einzelheiten, je nach ihren Mitteln, zur näheren An-
schauung zu bringen, — mit einem Worte: mehr anzuregen, als die eröffnete
Untersuchung sofort auch abzuschliessen. Zum vollkommenen Studium
aber gehören, natürlich nächst den Darstellungen des Ganzen und seiner
Hauptthe^j aüch Darstellungen all und jedes Details (die der architektoni-
schen GliMerungen im Profildurchschnitt), und zwar in solcher Grösse, dass
,}j man alle Besonderheiten der Formation auf's Genaueste verfolgen könne.
Die M^'erke über griechische Architekturen (wie die von der Gesellschaft
der Dilettanti herausgegebenen und Inwood's Erechtheion), in denen uns
z. B. die feinsten Nüancen der Säulenkapitälc gegeben werden, sind als
die schicklichsten Vorbilder zu bezeichnen. Solche Werke haben wir
auch, und noch dringender, über gothische Gebäude nöthig, und vornehm-
lich über die, in denen sich die reinste Entwickelung des Styles ausspricht.
Die ungleich grössere Mannigfaltigkeit des Details im Gothischen würde
dabei natürlich eine ungleich grössere Ausbreitung erforderlich mächen;
es Avürden aber die Kosten der Herstellung in sofern nicht über das er-
schwingbare Maass hinausgehen, als es nicht auf schattirte Abbildungen,
sondern nur auf Umrisszeichnungen ankäme, welche letzteren für ein
strenges Studium vollkommen genügen und meistentheils sogar, wegen ihrer
grösseren Deutlichkeit, vorzuziehen sind. ^
Keins aber unter allen Denkmalen des gothischen Baustyles hat so
nahen Anspruch, in einem Werke dieser Art behandelt zu werden, als
der Dom von Köln; kein Werk würde einen so günstigen Einfluss auf das
Studium der Architektur auszuüben geeignet sein, als das, in welchem
; dies Gebäude mit all seinen Einzelheiten bis zur vollkommensten Genüge
dargestellt wäre. Wir besitzen über den Kölner Dom zwar bereits das
grosse Prachtwerk von Boisseröe, und Niemand gewiss erkennt das, was
der Herausgeber darin geleistet hat, bereitwilliger an,'als der Unter-
zeichnete; aber gerade das Detail und das Charakteristische desselben ist
, darin nicht so erschöpfend behandelt, wie es unbedingt nöthig gewesen
wäre; es ist dies ein Mangel, den tausend Umstände' zu entschuldigen
dienen, der aber dennoch ausgesprochen werden muss. ' Wir brauchen für
das architektonische Studium ein neues, ein vollkommen umfassendes
Werk über den Dom von Köln, ein Werk, das die vorhin ausgesprochenen
Anforderungen vollständig erfülle. Möge der Herausgabe desselben denn
möglichst bald die günstige Gelegenheit entgegenkommen!' Ich sage ab-
sichtlich: „der Herausgabe;" denn eigentlich ist dazu schon Alles vor-
bereitet, mit einer Vollständigkeit, Umsicht, und Genauigkeit, wieder-
gleichen wobl kaum einem ähnlich reichen Bauwerke zu Theil geworden
I ist. Ich meine hiemit die Risse des Gebäudes und seiner sämmtlichen
f Theile bis in das geringste Detail hinab, die behufs der Restauration und
des Fortbaues unter der Leitung des jetzigen Dombaumeisters, des Herrn
Zwirner, gefertigt sind. In diesen Blättern liegt ein unschätzbares Ma-
terial da, welches nicht blos dem einen Werke des Dombaues, welches der
allgemeinen Kunstbildung unserer Zeit zu Gute kommen sollte; ein Ma-
terial, das, allgemein zugänglich gemacht, gewiss aufs Allerwesentlichste
zur kräftigeren Anregung jenes Studiums dienen würde, dessen unabweis-
liche Nothwendigkeit ich vorhin angedeutet habe. Möge die günstige Ge-
legenheit bald kommen!
■
i
/
Das altgriechische Theatefgebäude, 397
Das altgriechische Theatergebäude. Nach sämmtlichen bekannten
Ueberresten dargestellt auf neun Tafeln von J. H. Strack, Baumeister,
Professor der königl. Akademie der Künste, Lehrer der königl. vereinigten
Artillerie- und Ingenieurschule zu Berlin .und Mitglied des royal Institute
of british Architects. Potsdam 1843. Verlag von Ferd. Riegel. (8 Seiten
Text und 9 Tafeln in Fol.) ■ . ,
(Kunstblatt 1843, No. 5.)
, Die Aufführung der Antigone des Sophokles auf dem königlichen
Theater des neuen Palais bei Potsdam und auf dem von Berlin, wobei
man soviel als möglich, die Gesetze der griechischen Darstellungsweise zu
befolgen bestrebt war, hat eigenthümlich anregend auf den betreifenden Zweig
der Alterthumskunde gewirkt. Es ergaben sich mancherlei Streitpunkte in
Bezug auf die Einrichtung und Benutzung des griechischen Theatergebäudes,
die zu gelehrten Untersuchungen und Erörterungen von Seiten unserer
Archäologen geführt haben. -Wenn man dabei, wie es scheint, bis jetzt
auch zu keiner Uebereinstimmung der von einander abweichenden Ansich-
ten gelangt ist, so hat in Folge des Streites das wissenschaftliche Material,
sowohl in Bezug auf die Vermehrung, wie auf die Sichtung desselben,
doch gewiss wesentlich gewonnen. Namentlich hat Dr. Geppert das Ver-
dienst, in seiner Schrift „über die Eingänge zu dem Proscenium und der
Orchestra des alten griechischen Theaters," den inneren Organismus der al-
ten Tragödien, soweit uns diese erhalten sind, als ein wichtiges und ge-
wiss sehr gültiges Hülfsmittel in den Bereich der hieher bezüglichen For-
schungen gezogen zu haben. Die wichtigste Grundlage für Untersuchungen
dieser Art mussten aber natürlich die Üeberreste der griechischen Theater-
gebäude selbst ausmachen; man hat dieselben dabei auch keineswegs ver-
nachlässigt, wie auf sie bekanntlich auch'voii allen älteren Archäologen
je nach dem Material, welches ihren Blicken vorlag, Rücksicht genommen
ist. Doch fehlte es bisher noch an einer umfassenden Zusammenstellung
dieser Reste, die geeignet gewesen wäre, eine vollständige Uebersicht und
zureichende Stützpunkte für die gelehrte Kritik zu gewähren. Eine solche
Zusammenstellung giebt das in der Ueberschrift genannte Werk, welches
demselben Ahlass seine Entstehung verdankt; es entwickelt zugleich alle
Schlussfolgerungen, die, vom freien künstlerischen Standpunkte aus, je
nach-der Beschaffenheit der erhaltenen'Baureste und nach dem, worin sie
mit einander übereinstimmen, zu gewinnen sind; es enthält ferner restau-
rirte Risse und Ansichten der alten Theater, welche diesen Schlussfolge-
rungen gemäss entworfen sind und ;in, denen -uns, ungleich mehr als in al-
len früheren Versuchen ähnlicher Art, der ächte Geist des griechischen
Alterthums entgegentritt.
Der Verf. legt "uns auf den Tafeln seines Werkes zunächst 25 Risse
griechischer Theatergebäude —. der von E^daurus, Argos, Rhiniassä,
Sparta, Mantinea, ' Delos, ^.Syrakus, Milet, Laodicea, Dramissus, Thorikus,
Megalopolis, Tyndaris, Akrae, Melos, Egesta, Tauromeuium, Sikyon, Side,
Knidos, Myra, Telmissos, Patara, Aizani, Stratonicea ^— alle^nach den
besten Hülfsmitteln (unter denen namentlich auch die Tagebücher von Ott-
fried'Müller's griechischer Reise angeführt werden) und in gleichem Mäss-
stabe entworfen, vor. Ihnen reihen sich sodann noch die Theater von
40t' Berichte und Kritikeu.
Herkulanum and Pompeji an, sowie die Construktionen des griechischen
und des römischen Theaters nach Vitrav's Vorschriften und die vollständig
restaurirten Grundrisse eines griechischen und eines römischen Theaters,
nach den Resultaten, zu denen der Verf. durch seine selbständigen For-
schungen gelangt ist. Der Unterschied des griechischen und des römi-
schen Theaters, der schon nach Vitruv's Angaben als ein sehr erheblicher
erscheint, tritt bei einer übersichtlichen und sorgfältig kritischen Betrach-
tung der vorhandenen Reste noch ungleich bedeutender hervor, als man
seither vorausgesetzt hat; diesen Punkt, der für die ganze Auffassung der
griechischen Bühne von so schlagender und einflussreicher Bedeutung ist,
in ein helleres Licht gesetzt zu haben, möchte ich als das wesentlichste
Verdienst des vorliegenden Werkes bezeichnen. Nicht die Benutzung der
'} Orchestra zu Sitzplätzen, nicht die Aufführung des Zuschauerlokales über
' ■ gewölbten Räumen — was bei den Römern durchgehend gefunden wird —
ist als das vorzüglichst charakteristische Moment dieses Unterschiedes zu
!f bezeichnen. Derselbe besteht vor allen Dingen in dem gänzlich abweichen-
den Verhältniss des Scenengebäudes zu dem Lokale der Zuschauer. Wäh-
/ rend Beides bei den Römern durchweg ein zusammenhängendes Ganzes
bildet, sind es bei den Griechen überall zwei von einander gänzlich ge-
trennte Lokalitäten; ein breiter Weg führt hier zwischen der Scene und
dem Zuschauerräume über die Orchestra hinweg, und nur leichte Thore
oder Thorgitter zum Abschluss dieses Weges, die zwischen beiden Lokali-
täten eingefügt sind, leiten räumlich von dem Einen auf das Andre über.
So gering auch die Ueberreste der griechischen Scenengebäude sind, so
ergiebt sich doch überall, wo nur irgend Fragmente derselben sich erhal-
ten haben, diese Einrichtung mit voller Bestimmtheit, und wo (wie bei
; , einigen sicilischen Theatern) das entgegengesetzte Verhältniss erscheint, da
zeigen es die unzweideutigsten, technischen oder stylistischen Kennzeichen,
dass hier ein späterer Umbau für römische Zwecke vorgenommen ist. Ja,
' das griechische Scenengebäude hat fast durchgehend eine so geringe Breite
(wenig über den Durchmesser der Orchestra), dass man zu dessen Seiten
— wie von den oberen Stufen natürlich auch über dasselbe hinweg — in
'die freie Landschaft hinausblickte. Bei solcher Einrichtung, so fremd-
f, artig sie uns für den ersten Blick bedünken mag, fühlt man sich doch,
wenn mau sich etwas näher mit ihr vertraut macht, alsbald recht in die
innerste Eigenthümlichkeit des griechischen Geistes versetzt;'die dramati-
sche Handlung flicht sich, so naiv wie wirkungsreich, dem Leben der
Gegenwart ein; die Orchestra, wo'der Chor seinen Reigen itanzt, ist in
der That ein öllentlicher Platz, und ihre breiten Zugänge zu den Seiten,
durch welche die festlichen Züge eintreten und abgehen, verbinden sie
unmittelbar mit dem Treiben, welches draussen stattfindet. So erscheint
es auch nicht minder natürlich, wie das Theater zugleich, wenn die seltne
Zeit der Schauspiele vorüber war, förmlich als ein Lokal für die ver-
schiedensten Zwecke des öflentlichen Lebens, für Volksversammlungen, für
Handel und Wandel mancherlei Art dienen konnte. Der^ Verf. hat dies
Alles durch einige Ansichten restäurirter Theater, deren Aufbau ganz den
Bedingnissen des griechischen Styles gemäss gehalten ist, näher veran-
schaulicht. '
Die Ansichten bestehen aus trefflich lithographirten und mit Thon-
platten gedruckten Blättern. Es sind: das Theater zu Egesta, mit dem
Blick von den oberen Stufen des Zuschauerraumes auf das Scenengebäude,
ÜH
-ocr page 398-Das altgriechische Theateygehäude.' 399
*
das letztere in seiner selbständigen Architektur und ohne besondere Theater-
dekoration (ein kleiner Holzschnitt im Text giebt einige Abweichungen der
architektonischen Anlage); das .Theater zu Patara/ ein Gebäude des'zwei-
ten Jahrhunderts nach Chr. Geb. , doch noch in völlig griechischer Anlage,
die Ansicht hinter ,dem Scenehgebäude in 'den Zuschauerraum hinein auf-
genommen und der letztere mit einem Velarium überspannt; sodann die
Ansichten eines griechischen und eines römischen Theaters (beide mit den
Dekorationen der Scene), in denen man, quer zwischen Scene und Zu-
schauerraum hindurchblickt, uro dadurch die wesentlichen Unterschiede
gerade dieses Punktes hervorzuheben. . • ' " , : • - . ' .
Eben so klar,, wie diese allgemeinen Grundbestimmungen und wie das
allgemein Aesthetische der Anlage, entwickelt der Verf. auch die techni-
schen Punkte, die hiebei zur Sprache kommen müssen, so'^weit darüber
aus den vorhandenen Resten ein Schluss zu ziehen ist. Sehr einleuchtend
setzt er namentlich" das Verhältniss der Sitzstufen des Zuschauerraumes^
und der dieselben durchschneidenden Treppen und Umgänge aus einander;
ein besonderes Blatt 'stellt die verschiedenen .Weisen des Arrangements,
welches man hiebei'befolgte, anschaulich dar. Von Allem, was die De-^
koration der Scenen für die Aufführung der. einzelnen'Stücke anbelangt,
kann natürlich'-auch keine Spur mehr vorhanden sein, doch, giebt der Verf.
auch'hierüber, .wie über das Logeion^ über die Treppe,-die vOn letzterem
auf die Orchestra führte, über die Thymele u. s< w. Andeutungen, . die
um SO mehr von Gewicht sein dürften-, als wir hier nicht blos' durch das
Urtheil des Forschers und Aesthetikers, sondern auch* durch das des prak-
tischen Baumeisters geleitet werden. ^ ,
Wie das in Rede stehende Werk auf das Interesse eines Jeden An-
spruch hat, der"* die hohe Bedeutung der griechischen Kunst'und der grie-
chischen Poesie zu würdigen vermag, so möge'dasselbe zugleich den ge-
lehrten Archäologen eine Basis geben, um von ihr aus durch eine um-
fassende Kritik der schriftlichen Denkmale zu einer vollständigen Lösung
der Fragen über "das griechische Theater, die nunmehr noch übrig bleiben,
zu gelangen* , .
1) Orn amente all er klassis ch en Kunstepochen, nach den Origi-
nalen in ihren eigenthümlichen Farben dargestellt von Wilhelm Zahn,
königl. preuss. Professor zu Berlin,, bei G. Reimer ,"1842. kl. Fol. '
2) Auserlesene Verzierungien'aus .dem Gesammtgebiete der
bildenden Kunst, zum Gebrauch für Künstler und kunstbeflissene
Handwerker, zugleich als Vorlegeblätter in Zeichenschulen, nach den
Originalen gezeichnet und herausgegeben von Wilh. Zahn, Berlin, bei
G. Reimer, 1842, kl. Folio. ' .
(Kunstblatt 1843, Nro. 16.) ' '
•41
j
Professor Zahn dessen erfolgreicher Thätigkeit während "eines lang-
jährigen Aufenthalts in Italien wir bereits so umfassende Mittheilungen,
vornehmlich im Gebiete der verzierenden Kunst, verdanken, fährt in diesen
400 Berichtö und Kritiken.
I
Bestrebungen auf eine dankenswerthe Weise fort. Dahin gehören die bei-
den in der Ueberschrift genannten Werke. Das erste von ihnen ist bereits
vor längerer Zeit begonnen; gegenwärtig liegen uns als neu erschienene
Lieferungen Heft 6—9 vor; Heft 10 wird dasselbe beschliessen. (Jedes
Heft enthält 5 Blätter.) Die Darsiellungen schliessen sich denen der frü-
heren Hefte an; es sind sämmtlich farbige Wandverzierungen, antike aus
Herkulanum und Pompeji, mittelalterlich musivische aus Palermo und
Monreale, moderne aus den herzoglichen Palästen von Mantua. Das vor-
züglichste Interesse gewähren die ersteren; sie enthalten neue Beispiele
jener sinnvollen Verzierungsweise, durch welche diese Arbeiten, ob auch
zuweilen launisch und seltsam, doch stets durch den Anklang einer mehr
oder weniger gemessenen Haltung eine noble Wirkung zu erreichen wissen;
besonders schön sind in diesen Heften diejenigen Wandverzierungen, wel-
che der Casa del Labirinto, der C. di Castore e Polluce und der C. d'Argo
ed Jo zu Pompeji entnommen sind. Die sicilianisch-normannischen Musive
haben durch den reichen Effekt, den eine mathematisch bunte Zusammen-
setzung einfacher Grundformen hervorbringt, eigenthümliches Interesse.
Die mantuanischen Ornamente, aus der Zeit des Giulio Romano, sind von
mancherlei barocken Elementen, in Composition,-Zeichnung und Färbung,
keinesweges frei; doch klingt wenigstens in ihren Motiven, und oft aller-
dings auch in glücklicher Weise, jenes höhere Element der Ornamentik
nach, welches sich unter Raphaels Leitung in den vatikanischen Loggien
so reich und wundersam enlfaltet hatte. Die ganze Sammlung hat aber
natürlich nicht sowohl den Zweck, Vorbilder zur unmittelbaren prakti-
schen Benutzung, als ein Material zum selbständigen Studium darzubieten.
Der oft sehr schwierige Farbendruck dieser Blätter erscheint durchaus
meisterhaft.
Das zweite Werk ist ein neues Unternehmen, und es liegen davon
bis jetzt erst zwei Hefte (jedes ebenfalls zu 5 Blättern) vor. Die Gegen-
stände desselben sind plastischer Art; die bis jetzt herausgegebenen ge-
hören, mit Ausnahme einer Darstellung, welche einen reichen, im Mittel-
alter gearbeiteten Marmorkandelaber aus der Schlosskapelle zu Palermo
'darstellt, der Antike und vornehmlich den pompejanischen Alterthümern
an. Es sind Pilasterkapitäle' und Schniuckgefässe oder Verzierungen von
solchen; in sehr geschmackvoller Bildung und Verzierung erscheinen na-
mentlich mehrere Gefässe von Silber, einem grösseren Funde von Sachen
der Art angehörig, der am 23. März 1835 zu Pompeji gemacht wurde; so
auch ein aus Bronze und Silberplatten bestehendes Altärcheiji, dessen Or-
namente das edelste griechische Gepräge tragen. Die Darstellungen be-
stehen aus sauber'gestochenen Umrissen; der Zeichnung, namentlich wo
sie sich in den Formen des freier stylisirten Ornaments bewegt, wäre nur
* ein etwas lebendigeres Gefühl für das Plastische zu wünschen gewesen.
Die altchrlstlichen Banwerke von Ravenna. 401
Die altchristlichen Bauwerke vonKavenna vom fünften bis
zum neunten Jahrhundert, historisch geordnet und durch Abbildungen
erläutert von Al. Ferdinand von Quast. Berlin 1842. Verlag von
G. Reimer. 50 Seiten Text und 10 Tafeln in Folio.
(Kunstblatt, 184S, Nro. 20,)
Die kunsthistorische Bedeutung der Baudenkmale, die sich zu Ra-
venna aus den Zeiten des christlichen Alterthums, namentlich aus dem
fünften und sechsten Jahrhundert, auf unsere Tage erhalten haben, ist
längst anerkannt. Nach dem Falle Roms ward Ravenna für einige Zeit
die wichtigste Stadt des Occidents. Glänzende Bauwerke, welche hier so-
fort in grosser Anzahl und vornehmlich zur Feier der neuen Religion, zu
der sich die alte Welt bekannt hatte, entstanden, gaben das Zeügniss einer
so ausgezeichneten Stellung. Unbehindert von dem Eindrucke der Denk-
male des klassischen Alterthums, der in Rom noch von übermächtigem
Einflüsse war, und eben so wenig der Verführung ausgesetzt, die Einzei-
theile der klassischen Monumente zu neuen Bauten zu verwenden (wie es
in Rom nur zu häufig geschah), konnte man hier zu einer selbständigeren
Durchbildung des künstlerischen Styles, den die Bedürfnisse der neuen
Zeit forderten, gelangen; in häufiger und unmittelbarer Verbindung mit
dem Orient musste man vielfach Gelegenheit finden, die Ergebnisse, die
sich dort, und besonders in Constantinopel, zur Ausbildung eines neuen
Kunststyles hervorgethan hatten, aufzunehmen und auf diese oder jene Art
eigenthümlich anzuwenden. Die minder bedeutsame Stellung, zu der Ra-
venna nach jener Glanzperiode wiederum hinabsank, hatte es zur Folge,
dass die Denkmale nicht -so häufigen und durchgreifenden Umwandlungen
unterworfen wurden, wie dies in Rom fort und fort der Fall gewesen ist.
So ist es zunächst die mehr oder weniger reine Erhaltung dieser Monu-
mente und die charaktervolle Ausbildung des altchristlichen Kunststyles
überhaupt, was ihnen für uns einen so grossen Werth giebt; sodann der
Umstand, dass die Elemente des orientalisch-christlichen (des byzantini-
schen) Styles theils in der Bildung des Details, theils aber auch in der
ganzen Anlage und Durchbildung einzelner Monumente, an ihnen auf ent-
schiedene Welse hervortreten. Das letztere ist für uns um so wichtiger,
als uns über die Denkmale des christlichen Alterthums im Orient und be-
sonders in Constantinopel noch immer erst eine nur sehr mangelhafte
Kunde vorliegt, und zugleich auch vorausgesetzt werden darf, dass dort
aus der früheren Entwickelungszeit, aus dem vierten und fünften Jahr-
hundert, kaum etwas Erhebliches ,erhalten sein dürfte.
Doch war bisher das Material, das uns zur näheren Bekanntschaft mit
den ravennatischen Denkmalen führen konnte — vorausgesetzt, dass man
nicht ein Studium an Ort und Stelle und eine Durcharbeitung der Quellen-
schriften vornahm, — ebenfalls noch sehr wenig zureichend. Es ist kaum
etwas Andres in diesem Betracht anzuführen, als die kleinen, zum Theil
sogar nicht fehlerfreien Risse in d'Agincourts bekanntem Werk und die
Notizen von Schorn in den „Reisen in Italien seit 1822 von Thietsch,
Schorn u. A." Das in der Ueberschrift genannte Werk des Herrn v. Quast
ist das erste, welches uns genauer in diesen so höchst interessanten Denk-
Kuglrr, Kleine Schrlflen. II. 26
-ocr page 401-40t' Berichte und Kritikeu.
mälercyklus einführt, und somit in der That eine Lücke im Fache der
kunsthistorischen Studien auf sehr erfreuliche Weise ausfüllt-
Es lag indess nicht, wie hier gleich von vornherein bemerkt werden
muss, im Plane des Verf., mit seinem "Werke sofort alle weitere Arbeit
über die ravennatischen Denkmäler abzuschliessen, wenigstens nicht, was
I I deren bildliche Darstellungen anbetrifft. Die Abbildungen, die er auf
| f seinen zehn Tafeln vorführt, sind zum Theil — wie er sie selbst auch im
II Vorwort benennt — nur Skizzen, vornehmlich dazu bestimmt, von gewissen
\ J charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Gesammtanlage oder der ein-
zelnen Formenbildung eine genauere und richtigere Anschauung zu geben,
als solche bis dahin vorhanden war; im Uebrigen bezieht er sich auf die
I bereits vorliegenden Darstellungen, besonders auf die bei d'Agincourt.
^ jT Nur eins der Monumente von Ravenna, das bekannte Kirchlein S. Nazario
I * e Celso, wird von ihm auf fünf Tafeln, in verschiedenen Ansichten, Rissen
^ und Abbildungen der Details, mit grösserer Ausführlichkeit behandelt; die
treffliche musivische Dekoration in dem Innern dieses kleinen Gebäudes,
die zum Theil noch in wahrhaft antiker Schönheit erscheint, wird auf drei
Tafeln in meisterhaft ausgeführtem Farben- und Golddruck wiedergegeben;
wir heissen diese Blätter als einen gehaltvollen Beitrag zu unserer Kennt-
niss der Verzierungsweise des Alterthums sehr Avillkommen. Wir unter-
schreiben aber auch den Wunsch des Verf., dass nunmehr eine vollständige
Aufnahme der sämmtlichen Monumente von Ravenna möge unternommen
werden, und zwar nicht blos der Architekturen, sondern auch der Bild-
werke, namentlich der musivischen Darstellungen, an denen sie so reich
sind und die für die Geschichte der bildenden Kunst in jener Früh-
periode einen nicht geringeren Werth haben, als die Gebäulichkeiten an
sich für die Geschichte der Architektur.
Die bildlichen Darstellungen des genannten Werkes sind somit grösse-
ren Theils nur als Erläuterungen des Textes zu fassen. Dieser aber scheint
mit einer so umfassenden Gründlichkeit gearbeitet, dass wir ihn ohne
allen Zweifel fortan als eine feste Basis für den betreffenden Abschnitt
der Geschichte der Kunst und der Auffassungs- und Anschauungsweise
desselben betrachten dürfen. Der Verf. geht durchweg von der strengsten
» historischen Grundlage aus, überall auf die Quellenschriften und auf die
Inschriften der Monumente, soweit diese noch vorhanden oder uns lite-
rarisch überliefert sind, gestützt; ein günstiges Geschick hat uns zu sol-
chem Zweck die besten Materialien, besonders in den Lebensbeschreibun-
gen der Bischöfe Ravenna's, die von dem Presbyter Agnellus in der Mitte
des neunten Jahrhunderts verfasst wurden, erhalten. Die sämmtlichen
Baudenkmale Ravenna's aus den Zeiten des christlichen Alterthums, von
denen wir solcher Gestalt eine Kunde haben, werden uns in, ihrer chrono-
logischen Folge und mit Darlegung der besondern geschichtlichen Ver-
hältnisse, unter denen sie entstanden, vorgeführt. Bei Besprechung der-
jenigen Monumente, die ganz oder theilweise erhalten sind, erkennen wir
ebenso den scharfen kritischen Blick des Verfassers; wir werden überall
auf die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Einzelnen aufmerksam
gemacht; die Erläuterung dieser Eigenthümlichkeiten führt sodann zu
mancherlei weiteren kunsthistorischen Untersuchungen, die der Verf. in
einer Schlussübersicht noch besonders zusammenfasst.
Wir erhalten hier somit nicht blos über das Einzelne in den künst-
lerischen Leistungen jener Periode , und nicht blos über die Breitenaus-
it
y
il
Die altchristlicheu Bauwerke von Raveima. 403
deliming derselben, sondern auch über den Geist, der sich in iliren Rich-
tungen und Strebungen ausspricht, über das innere Wesen der einfluss-
reichen Culturmomente jener Zeit, manclierlei belehrenden Aufschluss.
So erscheint der altchristliche Basilikenbau, der in Rom zumeist ein rohe-
res Gepräge trägt, in Ravenna reiner und gesetzlicher ausgebildet, offenbar
nach den Bestimmungen, die sich für ihn in der neuen Weltstadt, welche das
alte Rom ersetzen sollte, in Constantinopel, gleichzeitig ausgebildet hat-
ten: die Säulen der Basiliken nicht von willkürlich wechselnder Form (wie
in Rom), sondern gleichmässig gebildet, vielleicht von Constantinopel »aus
als Fabrikwaare geliefert; die Säulenkapitäle zu Anfang noch viel mehr
griechisch als römisch behandelt, was gewiss auf einer ununterbrochenen,
in Griechenland heimisch gebliebenen Tradition beruht (wie dasselbe auch
an den spät-antiken Monumenten Asiens wahrzunehmen ist), — die späte-
ren Kapitale jedoch in einer mehr phantastischen Umbildung solcher
Form; über den Kapitalen stets ein besonderes ünterlager für den Bogen;
der Bogen selbst zierlich und gesetzmässig eingefasst; die Fensterarchitektur
auf eine grossartige und wirkungsreiche Weise angeordnet (ganz nach dem
Priiicip der noch antiken Basilika von Trier); u, s. w. So treten uns
ferner die bezeichnendsten Beispiele für die weitergreifende Umbildung
welche die Architektur durch den byzantinischen Kuppelbau erhielt und
die allmählig die ganze Organisation des Gebäudes veränderte, entgegen :
in einfacher Gestalt an dem Kirchlein S. Nazario e Celso, bei dem wir auf
die, noch immer sehr römischen Details aufmerksam gemacht werden; be-
deutsamer schon an dem Baptisterium der Kathedrale, wo im Aeusseren
sogar schon eine Andeutung des Rundbogenfrieses bemerklich wird; auf
die glänzendste Weise sodann an der bekannten Kirche S. Vitale. Die
Kritik des letztgenannten Gebäudes veranlasst den Verf.' zugleich näher
auf den byzantinischen Kuppelbau, namentlich auf die Sophienkirche und
die Kirche des heil. Sergius zu Konstantinopel, sowie auf die alten Nach-
ahmungen desselben, einzugehen; in letzterem Betracht ist besonders in-
teressant, was er über die Kirche S. Lorenzo zu Mailand mittheilt. So
geht der Verf. auch auf die überaus merkwürdige Erscheinung (auf die der
Unterzeichnete bereits in seinem Handbuch der Kunstgeschichte aufmerk-
sam gemacht hatte) näher ein, dass nämlich das Grabmal des Theodorich
bei Ravenna in seiner Anlage zwar eine' entschiedene Nachbildung römi-
scher Monumente, im Detail aber eine Formation erkennen lässt, die mit
der byzantinischen Behandlungsweise nichts geraein hat und vielmehr auf
die charakteristischen Gliederungen des späteren Mittelalters hindeutet;
dass hier somit, an einem der wichtigsten Denkmale aus den Zeiten der
Gothenherrschaft, sich in der That schon ein speciell germanischer Formen-
sinn ankündigt. Der Verf. weist nach, dass dieselbe merkwürdige Er-
scheinung auch au einigen Einzelheiten des Palastes, den Theodorich in
Ravenna erbaute und von dessen Fa^ade sich ein Theil erhalten hat,
wahrzunehmen ist. .
Es möge an diesen flüchtigen Andeutungen genügen, um das Werk
des Herrn von Quast der Aufmerksamkeit des betheiligten Publikums an-
gelegentlichst zu empfehlen. Es braucht dabei wohl kaum bemerkt zu
werden, dass dasselbe auch für die heutige ausübende Architektur, die für
ihr praktisches Interesse die Gesetze des altchristlichen Baustyles, und na-
mentlich des Basilikenbaues, zu durchforschen bemüht ist, den grössten
Werth haben muss.
40t' Berichte und Kritikeu.
Neue Erwerbungen des Berliner Museums.
(Kunstblatt, 1843, Nro. 25.)
Ein grosser Theil der Kunstwerke, welche von dem Direktor der Ge-
mäldegallerie des hiesigen Museums, Herrn Dr. Waagen^ während seines
vierzehnmonatlichen Aufenthalts in Italien für die Sammlungen des Museums
erworben sind, war in den letzten Wochen der näheren Besichtigung von
Seiten der hiesigen Kunstfreunde zugänglich. Wir haben uns der Mannig-
faltigkeit der erworbenen Gegenstände, welche den vielseitigen Richtungen
entsprechen, die unser Museum auf so eigenthiimliche Weise erstrebt, der
hohen Meisterhaftigkeit der Mehrzahl, so wie des Umstandes, dass so manche
der bisher vorhandenen Lücken nunmehr auf sehr glückliche Weise aus-
gefüllt werden, erfreut. Eine kurze Notiz über die vorzüglichst merkwürdi-
gen unter diesen Gegenständen dürfte hier ihre geeignete Stelle finden.
Eine besonders reiche Ausbeute hat das nördliche Italien gewährt.
Unter den Gemälden überwiegen die der venezianischen und der lombar-
dischen Schule bedeutend; wir sehen unter ihnen mehrere der ersten
Meister auf vortreffliche Weise vertreten. Von Tizian ist zwar kein Bild
von grösserer Dimension vorhanden, doch mehrere, die auch in kleinerer
Dimension die ganze Herrlichkeit dieses Meisters erkennen lassen; so
namentlich ein ungemein energisches Biltlniss des Admiral Mauro vom
Jahr 1537 und zwei Bilder mit reizenden Gruppen von Liebesgöttern, aus
einem Friese der Casa Boldu zu Venedig; ausserdem vier Bildchen der
heiligen Geschichte, von der Predella eines Altarwerkes auf der Insel
Lesina (an der dalmatischen Küste), und eine Anbetung der Hirten. Von
Giorgione ein allegorisches Bild, Krieg und Frieden darstellend. Vor-
züglich bedeutend ist eine Reihenfolge grösserer Bilder von Paolo Vero-
nese, die für den Festsaal des vormaligen Kaufhauses der Deutschen zu
Venedig gemalt wurden; sie enthalten allegorische Darstellungen zur Ver-
herrlichung Deutschlands und wohl ist es interessant, dass diese Werke
• jetzt, gebührender Maassen, ihre feste Stätte in einer der ersten deutschen
Residenzen gefunden haben. Ihre Gegenstände sind: a) Jupiter übergibt
der Germania die Attribute der weltlichen Macht; b) die Z6it siegt über
die Ketzerei und bringt die Religion zu Ehren; c) Mars und Minerva, in
Bezug auf die Wehrhaftigkeit der Deutschen; d) Apoll und Juno, in Be-
zug auf die Musenkünste in Deutschland. Von Paolo Verpnese ferner:
ein Plafondbild aus einem Saale des Palastes Pisani a S. Stefano zu
Venedig, ebenfalls allegorischen Inhalts, und vier kleinere Bilder mit
Genien, welche die Umgebung des letzteren ausmachten. Ausserdem ein
Bild des Christusleichnams, der von Engeln betrauert und bestattet wird.
Von Tintoretto zwei Altarbilder, von denen besonders das eine, aus der
Sammlung Ercolani zu Bologna, bedeutend ist; und ein drittes Bild, das er, im
Wettstreit mit Paul Veronese, für das ebeugenannte Lokal im Kaufhause
der Deutschen malte; es stellt Diana dar, die, von drei Hören umgeben,
ihre nächtliche Fahrt am Himmel zu beginnen im Begriff ist. Von
Alessandro Buonvicino (il Moretto da Brescia) zwei grosse Altar-
stücke, beide vom Grafen Lecchi in Brescia gekauft; vorzüglich anziehend
Ist" das eine von diesen, welches aus der Kirche S. Maria della Ghiaja zu
Neue Erwerbungen des Berliner Museums. 405
Verona stammt und die heilige Jungfrau mit dem Kinde, mit Elisabeth
und dem kleinen Johannes, von dem Fra Bart. Arnoldi und seinem Neffea
verehrt, darstellt. Von Gio. Bat. Moroni sein eigenes treffliches Bild-
niss. — Zu den schönsten und seltensten Erwerbungen gehört ein Cyklus
grosser Freskogemälde von Bernardino-Luini. Es sind sechs Gemälde
aus der Mythe der Europa, die Luini in den Jahren 1521 und 1522 in
einem Gebäude der geistlichen Brüderschaft Santa Corona zu Mailand
ausgeführt hat; sehr glücklich sind sie auf neun Stücke Leinwand überge-
tragen. Die ganze Grazie und liebenswürdige Jungfräulichkeit, die dem
Luini eigen ist, athmet in diesen reizvollen Bildern; wir haben uns zu
dieser Erwerbung um so mehr Glück zu wünschen, als überhaupt die
lombardische Schule noch so wenig Vertreter in den nordischen Gallerien
hat, und die neue Methode, Freskomalereien auf Leinwand überzutragen,
noch so -wenig zur Ausführung gekommen, mithin bisher wohl kaum ein
Bild der Art über die Alpen gewandert ist. Von Boltraffio ein Porträt
eines Mannes aus der Familie Bentivoglio in Bologna. — Von Bildern
toscanischer Schule nenne ich ein Paar saubere kleine Predellenbilder von
Andrea del Sarto, aus der seltenen früheren Zeit des Meisters, eine
Caritas von B. Peruzzi und einen kreuztragenden Christus von Sodoma.
— Von Bildern umbrischer Schule: ein merkwürdiges grosses Altarbild
aus Urbania (sonst Casteldurante) von Giovanni Santi; eine Madonna
mit dem Christkinde und dem Johannesknaben, von Perugino oder aus
Raphaels Jugend (die leztere Angabe, der sich Herr Dr. Waagen zu-
neigt, wird durch Herrn von Ruraohr, der kürzlich hier anwesend war,
mit Bestimmtheit ausgesprochen); ein heiliger Hieronymus von Timot.
della Vite. — Höchst ausgezeichnet ist wiederum ein Bild von Seba-
stian del Piombo, für einen Kardinal aus der neapolitanischen Familie
del Gesso gemalt, und aus der Verlassenschaft des Principe del Gesso,
Herzogs von Cellamare, stammend. Es stellt in kolossalen Halbüguren den
^todten Christus nebst Joseph von Arimathia und Magdalena dar. Die
'Arbeit gehört entschieden der römischen Zeit des Künstlers an, und ist
wahrscheinlich nach einer Zeichnung Michel Angelo's gefertigt; jedenfalls
ist sie zu den bedeutendsten Werken zu rechnen, die im Fache der Malerei
aus der Richtung Michel Angelo's hervorgegangen sind. In diesem und
in dem grossartigen Venusbilde, das von Pontorrao nach Michel Angelo's
Zeichnung gemalt und vor einigen Jahren aus der Verlassenschaft des
Professor d'Alton erworben ist, besitzt unser Museum ein Paar Meister-
werke, denen ähnliche nur überaus selten zu finden sein dürften. — End-
lich sind noch vier schöne Bilder der spänischen Schule zu nennen: eine
sehr interessante Madonna "von Morales el Divino, ein sehr schätzbarer
Beleg der eigenthümlichen Richtung dieses Meisters: ein vortreflliches Portrait
von Velasquez, das Bildniss des Kardinal-Infanten Ferdinand, Bruders
von König Philipp IV., darstellend; und zwei Bilder von Murillo, ein
kräftiges'weibliches Porträt, und eine heilige Magdalena, die letztere aus
der späteren, an Guido Reni erinnernden Blanier des Meisters.
Fast noch mannigfaltiger sind die Sculpturen, welche Herr Dr. Waagen
für das Museum erworben hat. Die bis jetzt eingetrolTen sind und deren
Beschauung uns vorläufig verstattet war, sind grösstentheils wiederum in
Venedig erworben. Ein Theil derselben besteht aus Werken griechischer
Kunst, die, bei den früheren Handels- und Herrschaftsverhältnissen
Venedigs zu Griechenland, unmittelbar von dort in die •Sammlungen Mani,
40t' Berichte und Kritikeu.
Grimani und Tiepolo tibergcgangen waren. Das Gepräge der Blütliezeit
acht griechischer Zeit trägt ein lebensgrosser Sturz der Artemis, der die
Göttin in lebendiger Bewegung darstellt; er stammt aus dem Palaste
Grimani. Sehr ausgezeichnet sind ferner die Reliefsculpturen an dem
Untersatz eines Dreifusses, dem bacchischen Mythenkreise entnommen.
Einige Grabmonumente und andre Sculpturen, minder bedeutend in der
Ausführung, sind immer durch den original griechischen Geist und Charak-
ter interessant. Auch fehlt es nicht an trefflichen Sachen römischer Sculp-
tur; das wichtigste Stück unter diesen ist die bekannte, etwa vier Fuss
hohe Victoria von Brescia, aus vergoldeter Bronze, die, einer Inschrift zu-
folge, der Zeit des Marc Aurel angehört, — Mit grosser Umsicht ist sodann für
die verschiedenen Epochen der mittelalterlichen Sculptur, bis in die spätere
Zeit des 16ien Jahrhunderts hinab, gesorgt An figürlichen Darstellungen
sahen wir hier eine ebenso erfreuliche Uebersicht vor uns, wie an den
verschiedenartigsten ornamontistischen Werken. Unter den letzteren sind
mancherlei reichgeschmückte Säulenkapitäle, mehrere Kamine und Portale
zu nennen; jene pliantastische Dekorationsweise, die an S. Marco zu
Venedig durchgeht, die reiche und weiche Fülle, wie an den Säulenkapi-
tälen des Dogenpalastes, die edelste und feinste Durchbildung des Styles
der Renaisance, alles dies findet hier seine angemessenste Vertretung. Unter
den figürlichen Arboüten nenne ich mehrere Reliefs aus verschiedenen
Epochen des Mittelalters, zwei Statuen von Tullio Lombardo (von
dem Grabmal des Dogen Vendramin in S. Giovanni e Paoloj, ein unge-
mein schönes und zart durchgefülirtes Terracottarelief von Jac. Sanso-
vino, und drei lebenvolle Büsten von Alessandro Vittoria. Das trefl'-
lichste und seltenste jedoch unter diesen Sculpturwerke» ist eine, aus fünf
Statuen bestehende Arbeit des modenesischen Bildhauers Antonio Bega-
relli. Die Figuren, aus Thon gebrannt, stellen Christus am Kreuz und
vier Engel dar, von denen zwei knieen, zwei (die besonders befestigt
werden müssen) den Erlöser umschweben. Begarelli stand bekanntlich zu
Correggio in einem näheren Verhältuiss, und soll auf diesen nicht ohne
Einfluss gewesen sein, in der That zeigt sich in den ebengenannten Sculp-
turen eine Zartheit in der Behandlung der Formen, eine Freiheit der Be-
wegung, eine Weicliheit des Ausdrucks, die an Correggio erinnern; dennoch
aber ist damit eine Sicherheit und Gemessenheit des plastischen Gefühles
verbunden, dass diese Figuren in Wahrheit alle Bewunderung verdienen.
Es würde zu weit führen, wollte ich auch noch die Menge kleiner
Kunstsachen, Schnitzwerke und mancherlei zierliches und geschmackvolles
Gerälh anführen, die. wir als )ieue Erwerbungen neben diesen grösseren
Werken aufgestellt sahen. Ich lüge nur noch hinzu, dasS durch Herrn
Dr. Waagen auch eine höchst umfassende Anzahl von Handzeichnungen
erworben ist, und dass wir noch einer zweiten Folge von Sculpturen, die
bis jetzt noch nicht eingetrofVen sind, entgegensehen. Das Schill", welches
die letzteren führte, war an der englischen Küste gescheitert; doch sind
die Gegenstände seiner l>adung glücklich geborgen.
Neue Erwerbungen des Berliner Museums. 407
Geschichte des Doms zu Köln für gebildete Freunde der Kirche, des
Vaterlandes und der Kunst, mitgetlieilt von Ernst Heinrich Pfeil-
schmidt, Diakonus an der Annenkirche in Dresden und Mitgliede des
Central-Dombauvereins zu Köln. Mit einem Stahlstiche. Halle a. d. S.
Verlag von C. II. Kersten. 1842. 120 S. in 8.
(Kunstblatt 1843, No. 55.)
Unter den Schriften, welche das neuerlich so bedeutend erhöhte Inte-
resse für die Angelegenheit des Kölner Dombaues veranlasst hat, verdient
die vorstehend genannte eine ehrenvolle Stelle. Zwar lag es nicht in
der Absicht des Verfassers, Neues über die kunsthistorischen Fragen, so
wie tiber die Entwicklung der ästhetischen Bezüge, die dabei zur Sprache
kommen dürfen, vorzulegen; für diese Punkte wiederholt er vielmehr nur
das, was frühere Forscher, namentlich S. Boisserße, bereits aufgestellt hatten.
Sein Zweck war vornehmlich der, die historischen und kirchlichen-Mo-
mente, welche als die äusseren Bedingnisse des Dombaues und seiner
wechselvollen Geschichte betrachtet werden müssen, dem grösseren Publi-
kum in einer übersichtlichen Darstellung mitzutheilen und dadurch das
Verständniss des Werkes auch von dieser so höchst wichtigen und ein-
flussreichen Seite fördern zu helfen. Wir können wohl sagen, dass er
seinen Zweck auf sehr erfreuliche Weise erreicht hat; in lichtvoller Dar-
stellung, in anziehender, belebter Sprache führt er den Leser von Jahr-
hundert zu Jahrhundert und rollt ihm die Bilder der Zeiten auf, die be-
geistert au dem grossen Werke arbeiteten oder dasselbe träg vernachlässig-
ten. Zuerst erzählt er uns die Geschichte der_ drei weisen Pilger des
Morgenlandes und die ihrer heiligen Gebeine, welche den Anlass zu der
Gründung des Tempels gaben-, dann führt er uns die glänzenden und doch
verworrenen Zustände Kölns im 13ten Jahrhundert vor, welche das riesige
Unternehmen eben so sehr begünstigten, wie sie zugleich die Gründe der
Hemmung in sich trugen. Hernach kommt der neue Aufschwung der
Thätigkeit im 14ten Jahrhundert und die weitere Fortsetzung der Arbeit,
sowie die ausführliche Darlegung der Gründe, welche später den völligen
Stillstand des Werkes und seine Vernachlässigung mit sich führten. Zum
Schluss werden die neuere Baugeschichte und die Veranlassungen der er-
neuten und so glanzvoll erhöhten Thätigkeit dargelegt und bis zu dem
denkwürdigen Tage des 4. September 1842 fortgeführt. Zur Zierde des
Büchleins dient eine in Stahl gestochene Ansicht des vollendeten Domge-
bäudes von der Westseite. Wir haben dieselbe, die sehr sauber ausge-
führt ist, besonders desshalb willkommen zu heissen, weil dieser Standpunkt
bei den neueren perspektivischen Darstellungen des Gebäudes in seiner
Vollendung noch nicht gewählt worden ist, müssen aber doch bemerken,
dass die Verhältnisse Jiier etwas zu schwer erscheinen; auch fehlt dem
Oberbau der Thürme die Durchsichtigkeit.
40t' Berichte und Kritikeu.
J. Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst aller Zeiten und
Länder. Für Deutschland herausgegeben (Lief. 1—84) unter der Leitung
von Dr. F. Kugler.
(Aus dem Prospectus.)
Es ist das Ziel aller historischen Forschung und Darstellung, von den
Zeiten der Vergangenheit, von dem Sinnen und Treiben der verschiedenen
Völker, welche einflussreich auf dem Schauplatz der Geschichte auf-
getreten sind, von dem Entwickelungsgange, welchen die Menschheit bis
auf unsre Tage zurückgelegt hat, eine möglichst klare Anschauung zu
gewinnen. Nur indem wir unserer Herkunft uns bewusst werden, ver-
mögen wir den Standpunkt des heutigen Tages mit Sicherheit zu erken-
nen, vermögen wir die Bahn aufzufinden, die uns einer weiteren Ent-
wickelung entgegenführen soll. Nichts aber macht uns die Vergangenheit
so gegenwärtig, nichts führt uns so lebendig in sie zurück, als die Denk-
mäler der Kunst und Poesie, in denen der Geist der Zeiten seine feste,
unwandelbare Form gewonnen hat; von den Kämpfen der Griechen mit
den Persern ist nur ein schwacher Nachhall zu uns herübergeklungen,
aber die Tragödien des Aeschylus und Sophokles , die Säulen und die
Bildwerke des Parthenon sprechen noch heute, beredt und ergreifend wie
vor zwei Jahrtausenden, zu uns. Häufig auch schwindet der Faden der
historischen Ueberlieferung ganz vor unsern Blicken, während uns in den
Denkmälern der Völker die lebenvollste Kunde erhalten blieb; wie wenig
ist uns über die alten Bewohner Aegyptens, Indiens, Mexico's berichtet,
und wie erhaben und bedeutungsvoll sind die Denkmäler, die sich aus den
Frühzeiten der Cultur in diesen Ländern erhalten haben! Unter allen
Denkmälern aber sind es die der Baukunst, welche das grossartigste
historische Interesse gewähren. Sie sind der unmittelbare Ausdruck der
allgemeinen volksthümlichen Zustände, — wie die Gesellschaften der Men-
schen sich in ihrer Heimat gefunden, wie sie den umherschweifenden Ge-
danken auf ein festes Ziel gerichtet, in welcher Art sie es vermocht haben,
(Jen erdwärts gesenkten Blick aufwärts zu erheben. An die Denkmäler
der Baukunst lehnen sich die der übrigen Künste an. Sie führen uns in
das Heiligthum, in das innere Herz des Volkslebens; aber sie umfassen
zugleich auch alle äussern Verhältnisse; die ganze Lebensstellung der
Völker, wie dieselbe durch geistige Anlage, durch Boden und Clima, durch
das Verhalten zu den Machbarvölkern, durch Sitte und Gewohnheit bedingt
war, spiegelt sich in den Baudenkmälern wieder.
Die Geschichte der Baukunst und die Anschauung derselben durch
bildliche Darstellung ihrer Denkmäler muss demnach für einen Jeden, des-
sen Gedanken durch die Befriedigung der gemeinen Bedürfnisse des Lebens
nicht ausgefüllt werden, ein vorzüglich hohes Interesse haben. Für den
ausübenden Architekten unsrer Tage macht sie zugleich, wie sich von
selbst versteht, ein unerlässliches Studium aus. Die einseitigen ästhetischen
Regeln, denen man geraume Zeit zu folgen für gut fand, wollen für den
heutigen Standpunkt der architektonischen Kunst nicht mehr zureichen;
wir sind mit Entschiedenheit auf einen freieren Standpunkt hingewiesen,
aber wir können denselben erst dann erreichen, wenn wir alle früheren
Denkmäler der Baukunst aller Zeiten .jjud Länder. 409
Stufen durchforscht und das, was in ihnen vorliegt, in uns zu einem I
freien Eigenthume verarbeitet haben.
Vieles ist bereits für die Geschichte der Baukunst gethan; an bild-
lichen Darstellungen insbesondere liegt bereits ein sehr reichliches und
umfassendes Material vor uns. Aber dasselbe besteht zumeist, wie es für
die gründliche Forschung zwar durchaus wünschenswerth und nothwendig
ist, aus sehr umfangreichen und ebenso .kostspieligen Werken. Wenn es
die Sache des Forschers ist, sich diese letztern so gut als möglich zu-
gänglich zu machen, so kann natürlich von Denjenigen, die andre Inter- [
essen verfolgen und denen es hier nur mehr um den allgemeinen TJeber- \
allgemeinen historischen Interesse dringendes Bedürfniss, aber eine solche, ^
welche dem Laien verständlich ist, ohne doch dem strengeren Kritiker |
ungenügend zu erscheinen, welche die Denkmäler in ihrer eigenthümlichen
malerischen Wirkung unmittelbar vergegenwärtigt, aber zugleich auch auf
die Besonderheiten der Anlage, der Construction, der Formenbildung mit
Sorgfalt Rücksicht nimmt. In dieser Art ist das Werk, welches wir hiemit
ankündigen, angelegt. (
Dasselbe wird die Bausysteme aller Zeiten und Länder in einer um-
fassenden Reihe charakteristisch bedeutender Beispiele vorführen. Die i
Denkmäler des hohen Alterthums der Geschichte, die von Nubien und
Aegypten, die hindostanischen und persischen Monumente, die des alten
Amerika, die aus den Zeiten der pelasgischen Cultur, werden dem Be-
schauer ebenso anschaulich vorgeführt Vierden, wie die der Blüthezeit »
Griechenlands und die, welche unter der Herrschaft des stolzen Römer- ]
Volkes errichtet wurden. Ebenso die aus den Frühzeiten der christlichen
Kunst, die phantastischen Denkmäler des Islam, die grossartigen Bauwerke \
des christlichen Mittelalters in den verschiedenen Epochen ihrer Entwicke- j"
lung und mit den mannigfachen Modiflcationen, die sie bei den europäi- f
sehen Völkern gewonnen oder erlitten haben; endlich die des modernen
Zeitalters, seit man sich zu einer Wiederaufnahme der antiken Bauformen
entschlossen hatte. Wie die für religiöse Zwecke errichteten Monumente, |
so werden auch diejenigen, welche den verschiedenen-Zwecken des bür-
gerlichen Verkehrs und die, welche zur Abwehr kriegerischer Anfälle be-
stimmt waren, berücksichtigt werden. Die künstlerische Darstellung wird I
durchweg den Ansprüchen des heutigen Tages gemäss sein.
Der Darstellung eines jeden Monumentes wird ein erläuternder Text
hinzugefügt, welcher eine vollständige Beschreibung und ästhetische Wür-
digung desselben, eine Darlegung der historischen Verhältnisse auf den
Grund urkundlicher Nachrichten, soweit die letzteren auf unsre Zeit ge-
kommen sind, und Mne genaue Angabe der das Monument betreffenden
Literatur enthalten wird. In der deutschen Bearbeitung^ des Textes wird
darauf Rücksicht genommen»werden, ihn dem Standpunkte der heutigen
deutschen Wissenschaft gleichzustellen,
August 1842. ^ •
-ocr page 409-40t' Berichte und Kritikeu.
-rr^————
Der Münster von Freiburg im Breisgau.
(J. Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst, Lief, XII, 1843.)
Die Stadt Freiburg, welche in dem schönen Breisgau (im jetzigen
Grossherzogtimm Baden), vor den westlichen Abhängen des Schwarzwaldes
liegt, besitzt in ihrem Münster eins der edelsten und grossartigsten Denk-
mäler des. Mittelalters. Das Gebäude ist, seinen Haupttheilen nach, in
den Formen des gothischen Styles ausgeführt; das Material ist rother, tief-
gebräunter Sandstein, der an den Kirchenbauten der oberrheinischen Ge-
genden oft gefunden wird und im Gegensatz gegen das frische Grün der
umgebenden Natur eine so energische Wirkung hervorbringt. Ein mächtiger
Thurm ragt vor der Mitte der Schauseite in die Lüfte empor, dem Blicke
des Wandrers schon aus der Ferne einen festen Zielpunkt darbietend, dem
Anwohner, dessen Auge an den schlanken Formen, an dem reichen, stets
leichter und luftiger sich gestaltenden Geäste der Spitze aufwärts steigt
eine stete Mahnung, Gemüth und Sinne himmelwärts zu erheben. An den
Thurm lehnt sich das hohe Schiff mit seinen breiten Nebenhallen-, auf
dieses folgt ein alterthümliches Querschiff, und auf letzteres der weitge-
dehnte Chor, in luftigen, eleganten, zum Theil spielenden Formen. Die
Thätigkeit einer Reihe von Jahrhunderten hat sich vereint, um ein Ganzes
von so ehrwürdiger wie rhythmisch belebter Erscheinung zusammenzu-
fügen. Einigen Theilen, die noch in der Form des spätromanischen Styles
ausgeführt sind, einigen andern, die das Gepräge des noch unentwickelten
frühgothischen Styles tragen, schliesst sich auf der einen Seite die lauterste
Entfaltung, auf der andern eine schon spielende Umbildung des gothi-
schen Styles an. Doch sind die Meister der verschiedenen Bauepochen
durch ein glückliches Gefühl angetrieben worden, stets die Rücksicht auf
die Einheit des Ganzen im Auge zu behalten. Die Unterschiede in der
• Bildung des Einzelnen heben diesen Eindruck der Totalität nicht auf; sie
dienen vielmehr, dem Auge des Beschauers durch die Abwechselung,
welche sie darbieten, einen eigenthümlichen Reiz zu gewähren.
Für die nähere Betrachtung des Gebäudes ist es jedoch vortheilhaft,
zunächst von dem Einzelnen auszugehen. Indem wir den Bau in seinen
geschichtlichen Stadien verfolgen, sehen wir ihn vor unsern Augen aufs
Neue emporwachsen, verstehen wir es deutlicher, wie das eine Verhält-
niss aus dem andern hervorgehen musste. In der That ist solche Betrach-
tungsweise nicht bloss dem Verständniss dieses Bauwerkes und seiner
Theile förderlich; auch für die Entwickelungsgeschichte der gothischen
Baukunst im Allgemeinen gewinnen wir dadurch einige willkommene An-
knüpfungspunkte.
Die Stadt Freiburg wurde im Anfange des zwölften Jahrhunderls ge-
baut. Wohl ausgerüstet, erhielt sie ohne Zweifel auch damals sclion das
kirchliche Gebäude, dessen sie zur Ausübung des Gottesdienstes bedurfte.
Die Sage schreibt dem Herzoge Conrad von Zähringen, der von 1122 —
1152 regierte, die Erbauung des Münsters zu. Neuere Forscher, denen
das jüngere Alter des gothischen Baustyles nicht unbekannt war, haben
die Bauthätigkeit des genannten Herzogs auf den ältesten Theil des vor-
handenen Münstergebäudes, auf das Querschiff, eingeschränkt. Doch muss
xiuch für dieses eine spätere Zeit in Anspruch genommen werden; die
s-l
Der Münster von Freiburg im Breisgau. 411 ^
Hauptformen seiner Anlage, und mehr noch die Art und Weise, in wel- ,
eher hier die Details gebildet sind, tragen entschieden das Gepräge der
Spätzeit des romanischen Styles, d. h. des Anfanges des 13ten Jahrhunderts,
wie in solcher Art eine bedeutende Anzahl gleichzeitiger Gebäude spät-
romanischen Styles am Niederrhein vorhanden ist^). Im Innern, in der
Mitte des QuerschiflPes, sind vier starke, reichlich mit Halbsäuleu geglie-
derte Pfeiler durch starke spitzbogige Schwibbögen verbunden, über denen
sich eine achtseitige Kuppel emporwölbt. Im Aeusseren ist diese Kuppel 1
nicht bemerkbar, da sie durch das spätere Dach verdeckt wird. An der <
edeln Dekoration der Giebel des QuerschilFes herrscht die Form des Rund-
bogens vor; die Details, besonders die der Thür auf der Südseite, sind
hier in eleganter romanischer Weise gebildet. An das Querschiif schliessen |
sich auf der Chorseite, und zwar über den Seitenschiffen, ein Paar kleine '
Spitzen gekrönt sind.
Dem Bau des Querschiffes schliesst sich zunächst der des Vorder- '
schiffes an. Die frühesten Theile desselben, die ohne Zweifel zuerst isolirt 5
empor.geführt wurden, sind die beiden nächsten Pfeilerpaare nebst den i
sonderlich lange Zeit vergangen war; man wird den Beginn des Vorder- |
schiffes, nach anderweitigen Analogieen, mit Grund
in das zweite Viertel
des 13ten Jahrhunderts setzen können. Dies aber war die Zeit, in wel-
cher die Formen des gothischen" Baustyles, der in Frankreich bereits das
Stadium seiner ersten, primitiven Entwickelung durchlaufen hatte, nach
Deutschland herübergetragen wurden. So sehen wir statt der romanischen
auch hier die gothischen Formen angewandt, die letzteren aber noch in
strenger Bildung und noch keinesweges gänzlich befreit von den Princi-
pien des romanischen Styles. In letzterem Betracht ist namentlich die
Pfeilerformation im Inneren in Anregung zu bringen; sie befolgt ganz das
Vorbild jener Pfeiler in der Mitte des Querschiffes, d. h. es ist eine Zu-
sammenhäufung von Halbsäulen über einer viereckigen Grundform,-während |
der eigentlich gothische Pfeiler von früh an (wie in den älteren franzö-
sischen Kathedralen der Art, in der Liebfrauenkirche zu. Trier, in der 1
Elisabethkirche zu Marburg, im Dome zu Köln u. s. w.) die runde, leben-
Wenn man als Beweis für das frühere Alter des Münsters, oder wenig-
stens seiner ältesten Theile, den .Umstand anführt, dass in ihm bereits im Jahr
1146 der h. Bernhard das Kreuz gepredigt habe, so kann sich dies sehr fügllth
auch auf ein Gebäude oder auf ßautheile beziehen, von denen Nichts mehr vor^
banden ist. Vielleicht war ursprünglich, wie das so oft vorkommt, nur der Chor
gebaut, dem erst in der angenommenen späteren Zeit, im Anfange des ISten
Jahrhunderts^das Querschiff als Fortsetzung des Baues hinzugefügt wurde. We-^
nigstens lieg"es in den Bedürfnissen des kirchlichen Gottesdienstes, dass bis zu
dem sehr späten Bau des gegenwärtigen Chores dn älterer vorbanden sein musste,
~ Dann wird als Beweis für den frühen Beginn der ältesten gothischen Theile
des Münsters der Umstand hervorgehoben, dass sich dort bereits das Grabmo-
nument des im J. 1218 -verstorbenen Herzogs Bertbold V. vorfindet. Mau hat
dabei aber ganz übersehen, dass die Figur des Herzogs auf diesem Monumente
ein Kostüm trägt, welclies der späteren Zeit des 14ten Jahrhunderts angehört,
das» das Monument 'mithin erst lange Zeit nach seinem Tode gefertigt ist.
V
40t' Berichte und Kritikeu.
digere Grundform der Säule hat. Diese minder schöne Pfeilerbildiing ist
dann im Freiburger Münster auch für die späteren Theile des Vorder-
schiffes beibehalten worden. Den primitiv gothischen Charakter tragen an
jenen, dem Querschiffe zunächst benachbarten Theilen des Vorderschiffes
ausserdem die Fenster, die sehr einfach, zum Theil sogar roh gebildet
sind, sowie die Strebepfeiler. Zu bemerken ist ferner, dass das Vorder-
schiff gleich im Beginn beträchtlich höher, als das Querschiif, und die
Seitenschiffe desselben in auffallender Breite angelegt wurden.
Dem weiteren Verlaufe des 13ten Jahrhunderts gehören die übrigen
Theile des Vorderschiffes bis zu dem Thurm auf der Westseite an. Das
Princip der Anlage ist hier im Allgemeinen das eben geschilderte, aber
die Ausbildung der Formen ist ungleich edler, leichter und reicher. Das
Stabwerk der Fenster ist in zierlich geschmackvoller Weise, mit reichen
und doch fest in sich zusammengehaltenen Rosetten gebildet. Die Strebe-
pfeiler der Seitenschiffe gipfeln sich, leicht und sicher zugleich, zu taber-
nakelartigen Thürmchen empor und stützen die leichten, an ihrem Ober-
theile von Rosetten durchbrochenen Strebebögen, die zum Mittelschiffe,
dessen Gewölbe zu unterstützen , hinübergeschlagen sind.
Auch die untere Hälfte des Thurmbaues dürfen wir als gleichzeitig
mit diesen späteren Theilen des Vorderschiffes annehmen. Abweichend
von der gewöhnlichen Anlage, die an der Fa^ade des kirchlichen Gebäu-
des zwei Thürme über den westlichen Enden der Seitenschiffe anzuordnen
pflegt, tritt hier nur ein starker Thurm, in der Breite des Mittelschiffes
und in der Flucht desselben, vor dem Körper des Gebäudes vor. Der
Thurm bezeichnet für dies Gebäude zunächst die Vorhalle der Kirche,
die er in seinem unteren Geschosse in sich einschliesst. Die Vorhalle ist
nach der Vorderseite in ihrer ganzen Breite offen j die Oeff'nung spitzbogig
überwölbt und mit einem bildgeschmückten Giebel gekrönt. Kine reich-
gegliederte Thür, mit zahlreichen Bildwerken versehen, führt aus der
Vorhalle in die Kirche. Im Uebrigen ist der gesammte Untertheil des
Thurmes sehr einfach gehalten, und nur die kleinen Tabernakel über den
Absätzen seiner starken Streben bringen seine Erscheinung in Harmonie
mit der reicheren Dekoration des Schiffe«. Für die Bauzeit dieses unteren
Tl^urmtheiles ist es nicht unwichtig, zu bemerken, dass sich am linken
Strebepfeiler der Vorhalle, neben andern öffentlichen Bestimmungen, die
Umrisse des Brodmaasses vom J. 1270 eingegraben finden ').
Die obere Hälfte des Thurmes bezeichnet wiederum ein neues Stadium
der Bauführung. Im Gegensatz gegen die Einfachheit der unteren Hälfte
sehen wir hier die reichste Pracht des gothischen Styles entwickelt; ein
fteuer Meister, eine neue Leitung, ein neuer Plan treten uns hier ent-
gegen. Dass der Obertheil des Thurmes, wie er vor uns steht, nicht be-
reits im ursprünglichen Entwürfe der gesammten Thurmanlage vorgebildet
war, beweist vornehmlich der Uebergang des einen Theiles in den andern.
') Die grosse Glocke des Thurmes ist zufolge ihrer Umschrift im J. 1258
gegossen worden. Dass sie damals bereits au ihre gegenwärtige Stelle, im oberen
• f, Theile des Thurmes, gekommen sei, ist eine willkürliche Annahme. Wurde sie
]'f in der That gleich nach ihrem Guss im Thurme aufgehäugt, so konnte ihr auch
eiue einstweilige Stelle im zweiten Geschoss des unteren Theiles angewiesen seiu.
Sie konnte aber bis zur Vollendung des Baues ebenso gut auch, wie sonst häutig
genug, in eiuem hölzernen Glockenhause nebe« der Kirche aufgehängt werben.
Der Münster von Freiburg im Breisgau. 413 ^
Es liegt im Wesen der gothischen (und besonders der deutsch-gothischen) {
Architektur, dass alle Theile im unmittelbaren Zusammenhange miteinan- 'i
der stehen, dass jeder spätere, jeder höher emporsteigende Theil in dem I
früheren, "tiefer gelegenen seine Vorbereitung findet und dass»solcher Ge- ■
stalt das Ganze von einer stetig fortschreitenden Entwickelung durchdrun-
gen ist. Ein näherer Blick auf den Entwurf für den Thurmbau des Kölner
Domes giebt hierüber den genügendsten Aufschluss. In dem Thurme des
Freiburger Münsters aber hat der Untertheil Nichts, was als eine Vorbe-
reitung auf die Hauptformen des Obertheiles hindeuten könnte, Nichts,
was die Erscheinung der letzteren mit Nothwendigkeit bedingte. Ja, —
ob auch leise verdeckt und somit für den Totaleindruck nicht geradezu |
störend, so brechen doch die Hauptformen des Untertheiles fast roh ab, [
zwischen den beiden Theilen des Thurmes beobachtet worden. Die obere ,
Hälfte, in mächtiger Fülle emporragend, bildet den Haupttheil des Baues,
dem sich die untere Hälfte, fast nur einem Untersatze vergleichbar,
unterordnet.
Der obere Theil des Thurmes hat von seinem Fusse "an eine acht-
seitige Grundform. Doch sind den vier Eckseiten zunächst reichverzierte
Strebepfeiler von spitzwinklig dreiseitiger Form vorgelegt, wodurch das I
Ganze eine, gewissermaassen zwölfseitige Grundform erhält. Erst in der i
Mitte, wo die Streben sich in der Form freier Tabernakelthürme von der y
Masse ablösen, tritt der achteckige Bau in vollkommener Freiheit hervor. f
Hier sind seine acht Seiten durch grosse Fensteröffnungen ausgefüllt, wäh- ?
rend unterwärts noch die Mauermasse vorherrscht und diese nur durch I
kleine Fenster, die Schall-Löcher der dort aufgehängten Glocken, durch- ^^
brochen wird. Ueber den letzteren, am Fusse jener grossen Fensteröft-
nungen, ist bereits die Plattform des Thurmes, die eigentliche feste Be-
deckung seines Innern, angeordnet. Von da an ist Alles olFne, freie,
durchbrochene Architektur; keine Wölbung, kein Balken- oder Dachwerk
füllt mehr das Innere aus. Die eigentlich festen Theile der Architektur,
in ebenso kühner wie sicherer Construction, bilden hier nur noch die acht
Eckpfeiler zwischen den grossen Fenstern und die acht mächtigen Rippen
der schlanken Spitze, die den Schluss des Ganzen ausmacht; dazwischen
sind die giebelgekrönten Bögen der Fenster und ihr zierlich leichtes Stab-
werk , sowie die bunten und in mannigfachem Spiele wechselnden Ro-
setten in den schmalen Feldern der Spitze, nur ebeh eingespannt. Alles
ist hier in den elegantesten und leichtesten Formen gebildet; je höher die
letzteren emporsteigen, um so flössiger und luftiger wird ihre Dekoration,
bis dem obersten Gipfelpunkte die mächtige Kreuzblume entblüht, die ihre
Blätter dem Himmelsgewölbe entgegenbreitet. Wunderbar von aussen zu
schauen, ist der Durchblick durch dieses luftige Formenspiel in das Blau
des Himmels, wenn man auf der Fläche der Plattform steht, fast noch
wunderbarer, vornehmlich des Abends, wenn die Glut der untergehenden
Sonne dies märchenhafte Gebilde mit Gold und Purpur übergieset. Der
Thurm des Freiburger Münsters ist der Stolz der gothischen Architektur;
wenigstens vereint unter all den Thürmen, die zur Ausführung gekommen
sind, keiner in gleichem Maasse Reichthum, Kühnheit der Construction
• - »^ci
-ocr page 413--|.14 Berichte und Kritiken.
und freien, gemessenen Adel der Formenbildung. Seine Gesammthöhe
beträgt 385 rheinische Fuss.
Die ganze Weise der Composition, welche an der oberen Hälfte des
Thurmes angewandt ist, und so auch die Weise der Formenbildung ge-
hören übrigens bereits einem vorgerückten Stadium der Entwickelung des
gothischen Baustyles an, gewiss nicht mehr dem.lSten Jahrhundert, son-
dern bereits dem 14ten. Ob aber etwa der ersten oder der zweiten Hälfte
desselben, dies muss ich einstweilen dahingestellt lassen. Man könnte
veranlasst werden, mit Bestimmtheit auf die erste Hälfte des 14ten Jahr-
hunderts zu schliessen, da sich neben der nördlichen Thür des Chores
eine Inschrift findet, des Inhalts, dass zu dem Neubau des Chores im Jahre
1354 der erste Stein gelegt sei, und da man hieraus zunächst folgern dürfte,
dass von dieser Zeit ab die Bauthätigkeit für die Aufführung des Chores
in Anspruch genommen sei. Doch hat die genannte Grundsteinlegung die
wirkliche Aufführung des Chores noch nicht zur Folge gehabt, indem
diese erst nach mehr als hundert Jahren, besonders unter Leitung des
Meisters Hans Niesenberger von Grätz, der 1471 in den Dienst der Stadt
Freiburg trat, erfolgt ist; die.Einweihung des Chores wurde erst im Jahre
1513 vorgenommen, Einzelnes an seinen Kapellen sogar noch später voll-
endet. Es ist nicht unmöglich, dass, nachdem zu dem Chore der Grundstein
gelegt war, eine neue Bauführung vorerst zur Fortsetzung und Vollendung
/ des Thurmbaues Anlass gab und dass man sich dann erst zu dem Chorbau
zurückwandte, wodurch sich wenigstens jene auffallende Zögerung in der
Ausführung des letzteren erklären würde. Indess wage ich, wie bemerkt,
hierüber für jetzt noch keine Entscheidung abzugeben.
Der Chor dehnt sich, wie der Grundriss ergiebt, weit und geräumig
hin, dem Vorderschiff des Münsters vergleichbar und von einem reichen
Kapellenkranze umgeben. Seine Höhe übersteigt die des Vorderschilfes
aioch um mehrere Fuss, so dass das Innere dem Auge des Beschauers eine
1 grossartige Perspective entfaltet, die leider nur durch die niedrigeren
Schwibbogen des alten Querschilfes beeinträchtigt wird. Die Formen des
Chores vergegenwärtigen uns die letzte Entwickelungszeit des gothischen
Styles. Die Pfeiler seines Innern steigen eigenthümlich schlank und leicht
' empor; aus ihnen lösen sich oberwärts im bunten Spiele die Gurte und
Rippen eines reichverschlungenen Netzgewölbes los. Die Fenster, sind in
I wechselnden Formen, zum Theil schon abweichend von dem edleren Grund-
< princip des gothischen Styles, gebildet. Die Strebebögen, die von den
Strebepfeilern des Umganges gegen die Oberwände emporgeschlagen sind,
1 überbieten an spielender Leichtigkeit und Freiheit die Strebebögen des
Vorderschiffes. — Gleichzeitig mit dem Bau des Chores scheinen auch die
jj kleinen alterthümlichen Thürme zu den Seiten des Querschiffes ihre leicht
durchbrochene Bekrönung erhalten zu haben.
Noch ist zu bemerken, dass der Münster, ausser dem reichhaltigen
Interesse, welches seine Architektur darbietet, auch die mannigfachsten
Schätze bildender Kunst enthält. Er ist mit zahlreichen Sculpturen ge-
schmückt , die besonders die Vorhalle unter dem Thurm auszeichnen.
Mancherlei Schnitzwerk findet sich im Innern vor. Die Fenster sind mit
den reichhaltigsten Glasmalereien ausgefüllt. Die Tafelmalerei zeigt sich
an grossräumigen Meisterwerken von Hans Baidung und Hans Holbein d. J.
Doch verstattet uns weder der Raum noch der Zweck unsrer Blätter ein
mm
wänrn
Der Münster von Freiburg im Breisgau. 415 ^
näheres Eingehen auf diese Gegenstände. Es genüge die Bemerkung, dass
wir hieinit überhaupt von einer der wichtigsten. Kunststätten Deutschlands
Abschied nehmen.
1) Dr. Georg Moller: Der Münster zu Freiburg im Breisgau. Darinstadt.
Fol. mit Kupfern.
2) Denkmale deutscher Baukunst des Mittelalters am Ober-Rhein. In lith.
Abbildungen mit erläuterndem Texte. Von einem Vereine vaterländischer
Kunstfreunde herausgegeben. Carlsruhe und Freiburg. 1825. Fol.
3) Heinrich Schreiber: Der Münster von Freiburgi Freiburg, 1829. (Zweite
Autl.) 8.
4) Willielm Füssli: Zürich und die wichtigsten Städte am Rhein mit Be-
zug auf alte und neue Werke der Architektur, Sculptur und Malerei. (Er-
ster Band: Zürich und die oberrheinischen Städte: Basel, Freiburg, Strass-
burg, Carlsruhe und Mannheim). Zürich und Winterthur, 1842. 8.
5) Gustav Schwab: Wanderungen durch Schwaben. Mit 30 Stahlstichen.
Leipzig. 4.
6) Alfred Michiels: I^tudes sur l'AIlemagae. Paris, 1840. 2 Voll, in 8.
-ocr page 415-Mellichstadt. — Kirche. Zu den Seiten des Chores zwei schwere
romanische Thürme, unterwärts Kapellen enthaltend, die sich im schweren
; breitgelaibten Spitzbogen gegen die Kirche öffnen. Das Kämpfergesims
, ist hier ausgebildet romanisch. Der Chor, geradlinig geschlossen, mit ein-
fachen, noch die Uebergangszeit bezeichnenden spitzbogigen Fenstern (wie
r; V am Chore des Merseburger Domes); im Aeusseren des Chores ein zierlich
: , spitzbogiger Fries, ganz den üblichen Rundbogenfriesen des romanischen
Styles entsprechend. Das Schiff basilikenartig: dorische Säulen, weitstehend,
und hohe, zum Spitzen sich neigende Bögen, — eine Einrichtung, die mehr
die Modernisirung irgend einer alten Anlage als Nachahmung alter Formen
zu sein scheint. Das Aeussere des Schiffes unbedeutend modern. Das
Hauptportal in brillant barockem Rococo.
Neustadt an der Saale. — Ueber der Stadt die Trümmer der wei-
land hochgefeierten Salzburg, einer mächtigen kaiserlichen Pfalz, deren
Gedächtniss in die Frühzeit der Karolinger zurückreicht; archäologisch
,'j höchst bedeutend und vom reichhaltigsten malerischen Interesse, aber der
kunstgeschichtlichen Forschung in ihren Einzelheiten nur noch geringe An-
knüpfungspunkte bietend. Die Hauptanlage der vorhandenen Ruinenmasse
dürfte den fürstlichen Prachtschlössern von Gelnhausen, der Wartburg
n. a. m. ungefähr gleichzeitig sein; später ist sehr Vieles darin verbaut. —
Das Rundportal des grossen Thurmes ist ausgebildet romanisch, aus der
spätem Entwicklungszeit des Styles; der Thurm selbst ist aus regelmässi-
gen Quadern mit ßossagen, wie ähnliche Aulagen zu Gelnhausen, erbaut. —
j, Die von der Kapelle erhaltenen Mauerreste bezeichnen kaum mehr als
ihren Grundriss; die Pfeilerecken am Chor haben als Basis eine einfache
Schmiege. An der Südseite der Kapelle steht, aus den umgeworfenen Bau-
stücken wieder aufgerichtet, eine im stumpfen Spitzbogen überwölbte Thür,
deren Gliederung schon der Neigung aus dem Romanischen in das Ger-
manische angehört. Es ist möglich, fast wahrscheinlich, dass die Thür
dem Gebäude später eingesetzt war, die Kapelle somit doch ein höheres
Alter hatte, als durch die Formation der Thür bezeichnet wird. — Das
Gebäude der sogenannten „Münze" mit reicher und sehr zierlicher Fenster-
Ans dem Saalgau (Franken). Würzburg, 417
architektur im Giebel, in primitiv germanischer, noch an die Elemente des
Uebergaiigsstyles erinnernder Bildung: Zwei Gruppen von je drei spitz-
bogigen Fenstern mit Säulchen, durchbrochene Rosetten darüber, und das
Ganze durch ein von schlanken Wandsäulen getragenes horizontales Ge-
sims überdeckt. Es ist in dieser Anordnung etwas, was ziemlich lebhaft
an die Loggien-Architektur venetianischer Palläste erinnert. Im Detail,
namentlich der Säulen-Kapitäle, jenes heitre (ob auch strenge) Spiel mit
mannigfachen Naturformen, das in der Frühzeit des germanischen Styles
nicht selten gefunden wird.
Münnerstadt. — Kirche. In der Mitte der Fa^ade ein hoher roma^
nischer Thurm. Das äussere Portal, sich leise zum Spitzbogen neigend,
mit eigenthümlichen Gliederungen, die ebenfalls schon die spätere Zeit des
romanischen Styles anzudeuten scheinen. Unter dem Thurm eine Vorhalle.
Das aus dieser zur Kirche führende Portal im entschiedenen Spitzbogen,
romanisch, auf reiche Weise gegliedert und ornamentirt, doch ohne alle
feinere Eleganz. Das Schiff, dem von Meirichstadt ähnlich, basilikenartig,
ungewölbt, dorische Säulen mit Rundbögen (wobei auch hier in Frage zu
stellen, ob dies vielleicht, wie dort, als eine modernisirt alterthümliche
Anlage zu betrachten); die Oberfenst^r spät gothisch. Im Aeusseren ein
Rundbogenfries, der jedenfalls von einem alten Bau conservirt und hier
wieder verwandt ist. Der Chor (wenn meine Notiz richtig) dem von Mei-
richstadt ebenfalls entsprechend; und spät gothisch gewölbt. — In der
Kirche eine Menge Schnitzwerkedoch wenig Altes und nicht sonderlich
Bedeutendes. Einige, wie es schien, gute Figuren der Zeit um 1500;
auch ein guter Grabstein des I6ten Jahrhunderts. Ein trefflich geschnitzter
Rococo-Altar.
J
Der Dom. Zur geschichtlichen Notiz: — Neue Bauausführungen an
der Stelle eines älteren Domgebäudes seit dem J. 1133. Einweihung im
J. 1189. Ablassbriefe wegen abermaliger Herstellungen und sonstiger Bei-
steuern zum Bau im J. 1230 und 1237.') — Edel romanische Architektur.
Im Innern zwar durchaus rococoisirt, doch der Art, dass die überaus glück-
lichen Verhältnisse durch all das bunte Schnörkelwesen sammt Altären
u. dergl. keineswegs verdunkelt sind. Nur das flache, zwischen den Fen-i
Stern sich erhebende Kappengewölbe drückt etwas, da der Raum ursprüng-
lich offenbar ungewölbt und die Höhe des Oberschiffes auf die flache Decke
berechnet war. Die Pfeiler der Arkaden des Schiffes sind hoch und leicht, —
viereckig (aber wie es scheint: mit weggemeisselten Halbsäulen an den
inneren Seiten). Von dem alten Deckgesims der Pfeiler sind nur die
Hauptstücke, ein schwerer grosser Viertelstab und kleinere Deckglieder
zwischen den Rococoformen erhalten. Die Krypta ist ebenfalls verändert;
doch findet sich hier noch eine Reihe alter, einfach romanischer Halbsäu-
len; ein Paar Blätter-Kapiläle an denselben haben zierliche Ausbildung,
Die oft genannten Säuleu Jachin und Boas (mit den Namensbezeichnungen
au den Deckplatten der Kapitäle versehen), — Büadelsäulen, deren Schäfte
sich in der Mitte durcheinander schlingen, stehen isolirt im südlichen
t
') Dr. K. G. Scharold, Würzburg und seine Umgebungen, S. 205.
Kiigler, Kleine Schtiflen IL 27
-ocr page 417-418 Reiseuotizen vom Jahr 1843.
Seitenschifl"; sie liaben gewöhnliche spätromanische Forinalion und rühren
wohl von einer Vorhalle her. — Das Aeussere zeigt noch meist den alten
Bau. Das Mittelschilf hat einen einfach rundbogigen Fries auf Blätter-
Consolen, und statt der Lissenön schmale Pilaster, deren Kaj)itäle mit
Blättern und kleinen Voluten versehen sind. Die Seitenschiffe haben ge-
rade Gesimse und Pilaster. — Die beiden westlichen Thürme sind einfach,
so auch das Portal zwischen ihnen: wechselnd rother und weisser Sand-
stein, keilförmig in der Wölbung, sonst in horizontalen Schichten. — Ele-
gant spätromanische Thürme auf der Ostseite. Zierliche Formen; rothe
und weisse Schichten. Diese Thürme gehen aus dem Viereck in das Aclit-
eck über und zwar so, dass das Viereck noch ein Paar Geschosse hindurch
in der Weise durchbrochener Erker über das Achteck vortritt. Ohne Zwei-
fel gehören diese Thürme zu den Bauausführungen der dreissiger Jahie
des ISten Jahrhunderts, während der Hauptkörper des Gebäudes den im
J. 1189 eingeweihten Bau ausmachen wird. — Jüngerer Zeit gehört ein
grosser schöner Kreuzgang an; er trägt die spätgothische Formenbildung.—
Notizen über die Grabdenkmäler des Domes:
Bischöfliche Figur vom Jahre 1400. Edel germanischer Styl.
Desgl. 1411. Aehnlich, doch schwerer.
Desgl. 1440: „iohannes de vorn" (?). Noch schwerfällig germanisch.
Desgl. 1455. Ebenfalls schwerfällig germanisch, doch schon mit ecki-
gen Gewandbrüchen. Individueller Kopf.
Desgl. 1466. „Joh. de Grumbach". Ueber der noch immer germani-
schen Grundform in entschieden scharfeckigem Gewandstyl. Sehr wenig
feiner Natursinn. Gothischer Baldachin.
Desgl. 1495, „Rudolph de Scherenberg.'' Bischöfliches Denkmal, von
Tilman Riemenschneider gearbeitet. Marmor. Kolossale Figur unter
reichem gothischem Baldachii/? Zu den Seiten Wappen, deren oberste
• durch zwei Engel gehalten werden. Ebenso die Inschrifttafel durch zwei
Engel gehalten. Die Engel hier noch ganz bekleidet. Die Arbeit überall
sehr meisterhaft. Der Kopf des alten Bischofes ganz vortrefi'lich mit höchst
sorgfältiger Darstellunj^ individuellen Lebens. Doch liegt dem Ganzen
noch eine etwas conventionelleStyiistik zu Grunde; die Gewandung nament-
lich hat noch etwas Schweres, Massiges und Eckiges. i
Desgl. 1519. Laurentius a Bibra." Gleichfalls von Tilman Rie-
menschneider. Marmor. Leichte, phantastisch modernisirende Archi-
tektur. Der Bischof in einfach grossartiger Würde; die Gewandfalten
eckig, aber in keiner Weise übertrieben. Ueberhaupt ein schönes Lebens-
und Stylgefühl, der nürnbergischen Kunst verwandt. Umher Engelknaben
mit Wappen. In der Lünette, ganz frei herausgearbeitet, sechs Engelkna-
ben mit Kränzen; in ihrer Mitte das Christkind. Unten zwei Engel mit
der Inschrifttafel. Alle diese Engel mit sehr hübschem Naturgefühl, über-
aus lieb und sinnig. Oben, zu den Seiten der Lünette, noch zwei Sta-
tuetten von Heiligen. Im Basament ein Löwe, der einen Drachen besiegt.
Das Ganze in der Kunstbedeutung wie in der Sinnesrichtung einem Dürer
nahe stehend.
Treffliche Bronzetafeln mit Gestalten in flachem Relief. Bedeutend
insbesondere eine vom J. 1519. Andre später. Von schöner Wirkung
bei schlichter Behandlung namentlich auch die des Bischofes „Conradus"
vom J. 1540.
Würzburg. 419
Bischöfliches Epitaphium, 1540. Barock-Nische. Der Bischof in ganzer
Figur, knieeiid vor einem Crucifixe; hinter ihm ein Ritter mit dem Für-
stenschwert und der Weihbischof. Sehr treffliche schlichte Arbeit im
Style der Zeit.
Desgl. 1544. „Conradus a Bibra." Nur die Hautrelieffigur des Bi-
schofes vor dorn Crucifixe. Schwerer und conventioneller, doch fein. Sehr
verwittert.
Desgl. 1558. „Melchior ex antiqua Zcbelorum gente." (Der Bischof
wurde nebst zwei Edeln meuchlings erschossen.) Barock-Architektur.
Landschaft in flachem Relief, Würzburger Gegend. Davor in Hautrelief
ein Crucifix, vor welchem der, in freier Statue dargestellte Bischof kniet;
hinter ihm, wieder in Relief, zwei knieende Ritter. Massiges Lebensgefühl
und nicht viel Stylgefühl.'
Desgl. 1573. „Friedrich von Wirsberg." Ziemlich plumpe Barock-
Architektur. Darin obeiwärts Gott-Vater, Crucifixus und Engel; unter-
wärts der knieende Bischof, Würdenträger und der h. Bartholomäus um
ihn. Die Darstellung theils in flachem, theils in Haut-Relief. Auch hier
ein massiges, nicht sonderlich stylistisches Lebensgefühl, zugleich bei
mangelhaften Verhältnissen.
Reiches ritterliches Denkmal, 1575. „Sebastian Echter von Mespel-
brunn". Manches Emblematische an Statuen u. dergl., leidlich gut im;
Style der Zeit. Oberwärts, aufgestützt liegend, die lebensgrosse Statue des
frisch männlichen Ritters, im eleganten Turnierharnisch; unterwärts die
Gestalt des Ritters als Leiche.
Bischöfl. Denkmal, 1622. „Memoria Joannis Godefridi, origine equi-
tls Franci, Famllia ab Aschausen." Barocke Architektur. Die bischöfl.
Figur massig lebendig, steif in der Haltung und ohne sonderlichen Styl.
Desgl. 1669. „Adolph Friedrich." Reiches Epitaphium; der Bischof
in ganzer Figur knieend. Wenig Styl; Andeutung des für jene Zeit cha-
rakteristischen Natursinnes. Engel, die an Flamingo erinnern.
Neumünsterkirche, nördlich neben dem Dome.—
Romanisch, doch das Innere ganz in der barocken Weise
eines Borromini erneut; so auch die Hauptfa^ade. Sonst
im Aeusseren noch Bedeutendes von der ursprünglichen
Anlage und zwar in eleganten spätromanischeo Formen.
Zierliche rundboglge Friese, auf Säulchen statt der Lisse-
nen; anderweitig Elegantes in den dekorirenden Details,
im südlichen Kreuzgiebel Rosenfenster und oben spitzbogig
romanische Nischen. An der Nordwestseite noch ein alter
Thurm, dessen achteckiger Obertheil mit überladener aber
lr\r\r\f\ri zierlicher spätromanischer Dekoration.
Im Chore zwei Tafeln von'Woh 1 gemuth. Anbetung
' V.yiiv. c[er Hirten und Anbetung der Weisen. Ganz tüchtig in
Vom nordwesll. Thurm, seiner Art.
Liebfrauenkapelle. —^ Im J. 1377 der Grundstein gelegt; der
Thurm von 1441 bis 1479 ') Zierlich spätgothische Kapelle; das Schilf
etwas kurz. Mittel- und Seitenschiffe gleich hoch. Achteckige Pfeiler mit
Dreiviertelsäulen an der SchifFseite. Nichts von'Kapitälbildung; die kehlen-r
förmigen Gewölbgurte treten unmittelbar aus der Masse hervor. Das Aeus-
') Scharold, a. a. 0, S. 246.
-ocr page 419-420 Reisenotizen vom Jahr 1843.
sere in sehr eleganter Ausbildung der spätgothischen Formen; besonders
ausgezeichnet in dieser Beziehung der Thurm. (Sein Obertheil eine Rococo-
Erneuung vom J. 1713.)
Von der bildnerischen Ausstattung der Kapelle sind besonders bemer-
kenswerth die von TilmanRiemenschneider 1500—1506 gearbeiteten
Flachstatuen der Apostel etc., die sich in den Bildernischen und den Stre-
bepfeilern befinden. Im Styl etwa dem Veit Stoss vergleichbar, haben
sie doch einen strengeren, bedeutenderen Ernst. — Die von demselben
Künstler, doch früher gearbeiteten Statuen von Adam und Eva am Haupt-
portal zeigen, bei schwacher Gesammterscheinung, doch ein gutes Natur-
gefühl im Einzelnen. — Aus der Zeit des Baues rühren die Reliefs in den
Lünetten der Portale her, das jüngste Gericht im westlichen, die Krönung
Mariä im südlichen Portale; diese haben noch den germanischen Styl, aber
bereits in etwas flauer Behandlung.
Fürstbischöfliche Residenz. — Die Entwürfe von Johann Bal-
thasar Neumann, Einleitung der Bauarbeiten seit 1720; äussere Voll-
endung des Baues im J. 1744; Vollendung der inneren Ausstattung nach
der Mitte des Jahrhunderts. — Ein höchst wichtiges Beispiel des Rococo-
styles. Eigentlich architektonisches Gefühl ist nicht in erheblichem Maasse
vorhanden; am Bedeutendsten ist in diesem Belang das Treppenhaus, das
sich reich und bunt zusammenschiebt, einer Operndekoration jener Zeit
vergleichbar; ausserdem zeigen sich energische Architekturformen noch
an denjenigen Theilen des Baues, die dem Mittelhofe der Vorderseite zu-
gewandt sind. Im Allgemeinen sind die architektonischen Formen nur
mehr spielend behandelt, mehr nur als ein Hülfsmittel, an welchem die
prächtig üppige Dekoration, die das Wesen des Rococostyles ausmacht,
zur Anwendung gebracht werden konnte. Dieses Dekorationsprinzip tritt
überall in den alten Theilen des Schlosses hervor. Grösstentheils hat das
Rococo hier den Vorzug des Gewachsenen, auf seine Weise Zusammenhängen-
den. Es ist das elegant Capriciöse, der zierliche Humor, der in der Vereinigung
scheinbar widersprechender Formen sich geltend macht; aber es ist hier
in der That Vereinigung, Gesammtfluss, was z. B. in der Dekoration des
„neuen Palais" bei Potsdam meist fehlt. Diese Formen sind immer neu,
immer unerschöpflich; ja, bei den kolossalen korinthischen Marmorsäulen
des Kaisersaales sind die Bronze-Kapitäle ganz in Rococo-Schnörkeln gebil-
det. Es kommen höchst interessante, unvermuthete Combinationen vor.
Der Venetianer Tiepolo (1750 zur Ausführung von Plafonds u. dergl. hie-
her berufen) ist zu solcher Architektur der völlig entsprechende Maler.
Der etwas leichtfertige Anschein ernsthafter Lebensfülle, der diesem Maler
zu eigen, ist auch nur eine Rococo-Caprice; die heiter blühende und leuch-
tende, sehr helle Färbung passt nicht minder treiflich dahin. Zugleich weiss
er Nebenfiguren auf ergötzliche Weisein die Architektur und in die Ornamentik
zu vertheilen und dem Gemalten durch allerlei plastische Witze den Anschein
realer Körperlichkeit zu geben. Endlieh tritt in der ganzen Einrichtung und
Ausstattung des Schlosses durchweg die grösste Solidität des Handwerkes
hervor, so dass das Gefühl in diesen Schnörkeleien sicherer bleibt als bei
unserer geleimten Leisten-Architektur. Prächtig sind z. B. die geschmie-
deten. überaus reichen Rococo-Ornamente der Gitter-Portale des Schlosses.
Ueberhaupt hat das Rococo sich, gewiss nach solchen Vorgängen, in
Würzburg vorzugsweise dem Leben und dem Handwerk eingebildet. Tau-
sendfältig, an Consolen, Portalen, Fenstergittern u, dergl. m., sieht man
..0
-ocr page 420-Würzburg.' Esslingen. 421
hier die elegantesten und tüchtigst gebildeten -Formen solcher Art, Vor-
züglich beachtenswerth, ein wahres Kleinod zierlicher Rococo-Dekoration,
ist die Fa^ade des Hauses zuna Falken, neben dem Chör der Liebfrauen-
kapelle. Es wäre sehr zu wünschen, dass man diese Fa^ade bildlich her-
ausgäbe, wie man überhaupt aus Würzburger Architekturen das beste
Rococo-Album zusammenstellen könnte.
Dionysiuskirchci — Die Hauptanlage spitzbogig romanisch. Das
Schiff als Basilika, auf achteckigen Pfeilern mit krausen, zum Theil phan-
tastischen Kapitalen und etwas schwer gegliederten ^Spitzbogen. Die Ober-
fenster des Schilfes einfach frühgothlsch, (die des Seitenschiffes spätgothisch.)
Die Decke des Schiffes flach. Der Chor einfach elegant, aus später gothi-
scher Zeit. Zwei Thürme neben dem Chor, ebenfalls von spitzbogig ro-
manischer Anlage. Besonders elegant das erste Fenstergeschoss, mit zier-
lich rundbogigen Friesen. Der nördliche Thurm über diesem» Geschoss
mit ziemlich einfachen, noch romanisirend spitzbogigen Fenstern; der süd-
liche spätgothisch, in ziemlich eleganter Behandlung.
Im Innern ein schlanker hoher Lettner, leider nicht vollständig wohl
gehalten. Höchst schöne, reine und klare Profile. Etwa gegen den Schluss
des 14ten Jahrhunderts fallend. — Im Chor ein reich ornamentirtes Sa-
kramentshäuschen, aus der Zeit und im Style des Adam Kraft
Die Chorfenster niit Glasmalereien aus der Zeit des Baues; teppich-
artig, ornamentistisch zusammengestellt.
Wüste Kirche, zwischen der Dionysius- und der Frauenkirche be-
legen®),— Vollständig aus einem Guss. Niedre Seitenschiffe,, kein Thurm.
Frühgothisch, aber durchaus in-den einfachen Formen, etwa wie die Kirche
von Tholey und andere der Art. Im Innern Rundsäulen mit unornamen-
tirten Kapitälen. Die Gurtträgersäulchen im Mittelschiff auf Consolen auf-
setzend. Die Gurtprofile in der Form fla,cher Kehlen.
Frauenkirche ^). — Spätgothisch. Gleich hohe Schiffe. Schlanke
Pfeiler,Jn der Grundform achteckig, doch an der Vorder- und an der
Rückseite (nach dem Mittelschiff und nach den Seitenschiffen zu) mit je
drei Gurttägersäulen, die unter sich kehlenartig verbunden sind. Keine
Kapitale; die Gewölbgürte^ die aber noch das Birnenprofil haben, unmit-
telbar aus den Pfeilern hervorgehend. Ein Thurm vor der Westseite, auf
den beiden ersten Schiffpfeilern ruhend, die somit eine stärkere Dimension
haben. Der Thurmbau in höchst' zierlicher und geschmackvoller Ausbil-
dung spätgermanischer Motive, zugleich in sauberster Präcision ausgeführt;
') Obige Notizen, wie ich sie an Ort und Stelle niederschrieb. Nach Pfafif,
Geschichte der Reichsstadt Esslingen, S. 56, wären Sakramentshäuschen und
Lettner beide durch Lorenz Lechler von Heidf^lberg im J. 1486 ausgeführt. —
Es scheint die, etwa 1233 begonnene-und 1268 vollendete Kirche des ehe-
maligen Predigerklosters zu sein. Vergl. Pfalf, a. a. 0. S. 61 und 501. — Der
Bau der Kirche scheint im Anfange des löten Jahrhunderts begonnen und im
Anfange des 16ten Jahrhunderts beendet zu sein. Die Baumeister gehören der
Familie Ensinger und der Familie Böbliager an. Hans Böblinger, der 1439
berufen ward und 1460 noch lebte, begann namentlich das kunstreiche Werk
des Thurmes. Vergl. Pfaff, a. a. 0., S. 57 ff. .
4'22 lieisenotizen vom Jahr 1843.
für die mehr ornaraentistische Anwendung der betreffenden Formen ein
ganz allerliebstes Muster. Ein achteckiges Obergeschoss mit schlank auf-
steigender durchbrochener Spitze. Die Plattform über dem achteckigen
Geschoss; im Inneren der Spitze noch der Stamm einer Wendeltreppe bis
zum Gipfel emporsteigend, um den sich, nah unter der Blume, noch eine
Gallerie herumzieht. Oberwärts in der Spitze die Jahrzahlen 1465 und
1471, etwas tiefer die Zahl 1440.
An den Portalen und andern Stellen der Kirche sind Sculpturen, die
aber keine sonderliche künstlerische Bedeutung haben. In den Chorfen-
stern sind Glasmalereien von gothisch ornamentistischer Anordnung.
Hauptkirche, am Markt.— Ursprünglich, wie es scheint, eine früh-
gothische Anlage. In dieser Art namentlich die beiden Thürme am Kreuz,
bei denen besonders das erste Fenstergeschoss des nördlichen Thurmes
eine edle und nicht unbedeutende Ausbildung des frühgothisehen Elemen-
tes zeigt. Die Pfeiler und Bögen unter diesen Thürmen (im Innern der
Kirche) erscheinen fast noch übergangsartig. In derselben Art scheinen
auch die Arkaden des SchilTes beschaffen gewesen zu sein, denen der
Dionysiuskirche von Esslingen ähnlich; später jedoch sind sie in einer
gothisch barocken Weise umgewandelt. — Der Chor ist später gothisch.
Die Aussenarchitektur, besonders am Schilf, hat ein ganz spätes Gepräge;
im Fensterstab werk zeigt sich hier u. A. der sonderbare Fall, dass der
geschweifte Bogen, der anderweit zur Bekrönung des Fensters angewandt
wird, ornamentistisch in das Stabwerk hineingezogen ist. — An der West-
seite ein grosser Thurm, reich dekorirt, aus der letzten Zeit des gothischen
Styles. Die Fenster z. B. sind schon rundbogig. Der Obertheil des
Thurmes besteht, bei noch vorhandenen gothischen Grundprincipien, aus
einem toll bunten Rococo.
Im Chor der Kirche sind die weiss übertünchten Schnitzwerke, Sta-
tuen und Reliefs, eines grossen Schnitzaltares vorhanden. Gute schwäbische
Schule vom Ende des löten Jahrhunderts.
Notiz über einige Gemälde der Sammlung des Ober-Tribunal-Procu-
rator Abel zu Stuttgart.
Zwei grosse Tafeln; die Vorderseiten von den Rückseiten abgespalten,
somit vier Gemälde. Die ehemaligen Aussenseiten mit den stehenden Ko-
lossalfiguren der beiden Johannes; die Innenseiten mit den Darstellungen
der Verkündigung und der Heimsuchung. Die Aussenbilder stark beschä-
digt (noch nicht restaurirt), doch das Wesentliche erhalten und von hoch-
bedeutsamem Eindrucke. Besonders der tiefe Ernst der Köpfe sehr bemer-
kenswerth. Beide ganz von vorn; im Kopfe des, den Kelch segnenden
Evangelisten das tiefe Sinnen-glücklich und ergreifend durch das Ausein-
andergehen der Augensterne ausgedrückt, wenn auch das Motiv allerdings,
indem die Augensterne in den äusseren Augenwinkeln liegen, erheblich
übertrieben. Auf den inneren Bildern tritt der Mangel an Gestaltung, an
plastischem Vermögen überhaupt, der bei Zeitbloom durchzugehen scheint,
cmpflndlicher hervor. Man sieht, es ist unter den Gewandungen kein
Bartholomäus Zoitbloom. Heidelberg. 423
rechtes körperliches Gefühl vorhanden; die Hände sind durchgehend un-
verhältnissraässig klein. Der Gewandstyl ist einfach scharfgeschnitten, die
Modellirung schlicht, im Farbenton. Auch bei den Köpfen ist die Plastik
nicht sonderlich bedeutend, namentlich bei den zu Dreivierteln von vorn
gesehenen, bei denen sich manche Mängel in der Modellirung fiiaden.
Höchst merkwürdig aber ist die Carnation und deren Durchbildung in den
Schatten; hier spricht sich der entschiedenste und ein sehr glücklicher
Farbensinn aus', dessen Elemente ganz auf den Grundlagen der venetiani-
schen Carnation beruhen. Es ist ein weicher warmer Schmelz, auf grün-
lichem Grundton, von dem Verblasenen der Kölner Schule wesentlich
verschieden und, ich möchte sagen: in der Präcision der Farbe eben
der venetianischen Weise (um 1500) viel näher stehend. Bildung und
Ausdruck der Köpfe sind aber durchaus eigen; es ist weder ideale Sehn-
sucht, Schwärmerei oder, dergl., noch eine nüchtern inhaltlose Realität
darin, vielmehr ein gewisser treuer, deutscher Ernst, der allerdings aber
doch schon ein Etwas von ruhig rationalistischer "Weise in sich trägt.
Die Brustbilder der vier Kirchenlehrer. Auch hier ist ^das Figürliche
mangelhaft, besonders was die zu kleinen Hände anbetrifft; zugleich aber
erscheint die elgenthümliche Richtung des Meisters hier in höchster Voll-
endung. Schon das Allgemeine der Färbung, in Gewändern u. dergl.,'■ist
vortrefflich, voll und tief, fast wie bei den flandrischen Meistern: die Car-
nation ist höchst ausgebildet. Hier ist auch in den Köpfen eine meist
sehr gediegene Modellirung.
Die Architektur des Schlosses, auch in den wundervoll malerischen
Ruinen noch so wohl erhalten und eben als Ruine wenigstens vor will-
kürlichen Veränderungen und Entstellungen geschützt, verlangt noch ihre
näher eingehende ästhetische Würdigung. Die Geschichte der Baukunst
in Deutschland, wie die der dekorativeh Sculptur, besonders für die im
löten und ITten Jahrhundert stattfindende Nachbildung und Umbildung
der modern italienischen Formen, wird dadurch schätzbare Materialien ge-
winnen. Für diesmal nur eine flüchtige Notiz, zur Orientirung über das
Verhältniss des Wichtigsten. Der östliche Flügel, der sogenannte Otto-
Heinrichsbau (1556—1559) zeigt an seiner reichen Fa^ade, wie an mannig-
fachen Räumen und namentlich Portalen des Inneren, überall eine archi-
tektonische Compositiou von eigenthümlicher Eleganz, als solche etwa der
geschmackvollen lombardisichen Architektur der Z6it um 1500 vergleichbar.
Dies gilt aber nur von der Gesammtfassung, während in der Ausbildung
des Einzelnen sich schon sehr barocke Elemente bemerklich machen, auch
die Sculptur der Ornamente, die doch eine plastische Wirkung erstreben,
flach und zumeist etwas schlaff erscheint. So haben auch die zahlreichen
mythischen und allegorischen Statuen an der'^Fagade dieses Flügels keine
recht selbständige künstlerische Bedeutung.' Das Hauptstück des nördlichen
Schlossflügels, der Friedrichsbau (1601-^1607) ist ungleich schwSerfälliger
in der architektonischen Composition und von vornherein auf den Eindruck
einer imponirend barocken Pracht angelegt. Dabei aber ist hier die ornamen-
tistische Sculptur ungleich tüchtiger, — durchweg mehr in jener cartouchen-
artigen Ausbildung, die für das 17te Jahrhundert bezeichnend wird und in
wclcher die im Ornament des vorigen'Flügels bemerkliche flache Behand-
lungsweise ihre bei Weitem angemessnere Anwendung findet. Auch die
424 Keiseaotizen vom Jahr 1843^
Statuen, mit denen dieser Flügel versehen ist und in denen fürstliche Per-
sonen dargestellt sind, lassen, bei einfacherer Naivetät in der Auffassung,
eine tüchtigere" Behandlung erkennen.
Brilon. — Pfarrkirche. Der SchilTbau im Uebergangsstyl. Gleich
hohe Schiffe, Zweimal drei viereckige Pfeiler mit Halbsäulen auf jeder
Seite; kräftiges, massiges, nicht zu gedrücktes Yerhältniss. Die Halbsäulen
mit Uebergangs-Kapitälen: meist schöne Schilfblätter mit Knospen. .Von
den Pfeilern ausgehend breite Bogenbänder nach den vier Seiten hin, wie
in den Krypten. Dazwischen die Gewölbe; in dem Seitenschilfe einfache
Kreuzgewölbe ohne Gurte; im Mittelschiff nur in den untersten Ecken die
Ansätze der Kanten, während der Haupttheil des Gewölbes eine Kuppel
zu sein scheint, die aber, soviel aus den verschmierten Rosetten in der
Mitte zu entnehmen, der alten Anlage angehört. Die Fenster, soweit sie
alt, einfach rundbogig oder auch zum Spitzbogen sich neigend, ohne Detail.
Das Aeussere des Schiffbaues roh; doch auf der Nordseite ein bedeuten-
des rundbogiges Portal mit Säulen und Säulenwulst im Bogen; ein klei-
neres auf der Südseite. — Starker Thurm auf der Westseite aus früher
'F gothischer Zeit, mit einfach dekorirten Fenstern und eigenthümlichem, fast
'I noch übergangsartigem Fries. Die Halle unter dem Thurm mit starken
Pfeilern. — Eine Art Querschiff, von der Höhe des Uebrigen, doch über
f die Seitenschifie hinaustretend, und ein gerad geschlossener Chor, später
L gothisch.
f Eine Menge Grabplatten, etwa siebzig, aus Eisenguss. Meist nur
I mit Schrift. Einige mit Reliefs, z, B. einer Darstellung des jüngsten Ge-
richts vom J. 1580. Ziemlich rohe Arbeiten, aber merkwürdig in ihrer Art.
Warburg. — Trinitatiskirche. Der von Brilon durchaus verwandt;
doch nur mit zwei Pfeilerpaaren. Diese verschieden gegliedert. Die Pfeiler
gegen den Chor hin noch mit kleinen Säulchen in den Ecken und alle
Kapitale noch mehr romanisirend, obschon sehr elegant gearbeitet. Die
Pfeiler nach dem Thurm zu ganz ohne Säulen und Halbsäulen, nur Pfei-
lerecken, auch nur Deckgesimse. Hier war die Einrichtung des Gewölbes
deutlicher zu erkennen: in der Mitte nemlich starke Ueberhöhung und
dadurch die Graten in diesem mittleren Theile fast ganz verwischt, —
Querschiff wie in Brilon. Dies mit spitzbogigen Portalen im Ü«bergangs-
charakter, mit Säulen; das auf der Nordseite einfacher, das auf der Süd-
seite reicher, mit Kugeln im Bogen und zunächst an der Thür mit einer
dicken Säule und derselben entsprechendem schwerfälligem Bogenwulst,
Beides ganz mit versetztem Stabwerk bedeckt. — Westwärts ein starker
Thurm, durch einen breiten Bogen gegen das Schiff geöffnet. Das Portal
des Thurms ebenfalls noch im frühen. Übergangsartigen Spitzbogen und
nur mit Pfeilerecken, Der Thurm oberwärts im früheren gothischen Style,
in der Masse schwerfällig, in den Details nicht ohne Vorzüge. — Der
Chor hoch, leicht und elegant spätgothisch. Die Seitenschiffe in spätest
gothischer Zeit erweitert und die Fenster verändert.
Im Chore Statuen Christi, der Maria und der Apostel, verschieden-
zeitig. zum Theil spätgermanisch, zum Theil schon mehr Mitte des löten
Jahrhunderts. Nicht ohne ^^unstwerth, wenn schon nicht bedeutend.
Kanzel und Taufstein in gutem, doch etwas schwerfälligem Barockstyle.
-ocr page 424-Gemäldegalleriö zix Cassel. 425 '
.1
t^emäldegallerie zu Cassel. ' 1
Höchst interessante Reihenfolge von Gemälden von Rembraudt:
1. Kniestück; angebliches Bildniss des Poeten Groll. Ruhig und gerad
stehend, der rechte Arm einfach niederhängend, einfach zum Bilde heraus-
blickend. Volle warme Behandlungsweise, nach Art der früheren Por-
traitmaler ausgeführt, doch schon mit zartspielendem Helldunkel in den 4
Schatteupartieen. Mit Rembrandt's Namen und der Jahrzahl 1633, deren v
erste beide ZilFern durch den Rahmen verdeckt (No. 351 des Katalogs. f
Hoch 4 Fuss, breit 3 Fuss 3 Zoll.)
2. Ganze Figur; angebliches Bildniss des Bürgermeisters Sixt. Statt-
lich schwarz gekleidet, mit weissem Kragen und langem braunem Haar,
mit dem rechten Arm bequem auf ein Architekturstück aufgestützt. Höchst
meisterhaft, «owohl in der'ganzen Fassung der Gestalt, in der schönen J
klaren Wirkung, als in der Durchbildung. Wundervoll, wie die Figur 1
licht und ebenmässig, das Gesicht in vollen warmen Tönen, aus dem |
heildunkeln Grunde vortritt. Auch in diesem Bilde die schönste Mitte -
zwischen der Weise der älteren holländischen Portraitmaler und Rem- '
brandt's späterer Manier. Name des Künstlers und Jahrzahl 1639. (No. 364.
Hoch 6 Fuss 6 Zoll, breit 4 Fuss 1 Zoll.)
3. Der Schreib- und Rechenmeister Konepol, Rembrandt's Freund,
sitzend, eine Feder schneidend, zum Bilde herausblickend. Auf dem Tische
ein Papier mit d^m Namen des Künstlers und andern undeutlichen Schrift-
zeichen. Kniestück. Schwarzes Kostüm und weisser Kragen. Höchste '
Meisterschaft auf der schönsten Höhe der Entwickelung; ganz in seiner
schattenden Eigenthümlichkeit und doch in edelster Durchbildung; höchst
lebenvoll. (No. 358. Hoch 3 Fuss 3 Zoll, breit 2 Fuss 11 Zoll.)
4. Ein geharnischter Mann, sich auf einen Spiess stützend. Halb- \
flgur. Ein kräftiges dunkelschattiges Bild; der Kopf voll lebendiger Ener-
gie; die Rüstung prächtig behandelt. Alles höchst breit. Name und Jahr- -
zahl 1655. (No. 370. Hoch 3 Fuss 6 Zoll, breit 2 Fuss 8 Zoll.) / ?
5. Kniestück eines'sitzenden alten bärtigen Mannes, mit Winkelmaass
und Feder, im Pelzrock. Sehr energisch und warm in den Lichtern.
Name und Jahrzahl 1656, (No. 350. Hoch 3 Fuss 11 Zoll, breit 2 Fuss i
9 Zoll.)
6. Brustbild des Künstlers selbst. Als älterer Mann, das Gesicht vom 1
Barett halb beschattet. Ein prächtiges, dunkelschattiges, aber warmes
Stück aus einer späteren kühnen Zeit. (No. 360.) >
7. 'Halbfigur einer Dame, angeblich Rembrandt's Gattin. Im, Profil; fj
Prächtig kostümirt: rother Sammthut und Feder, rothes Sammtkleid, viel
Perlen und Steine, Pelzüberwurf. Spätere Zeit; aber so zart und rosig aus-
geführt, wie es Rembrandt in dieser Zeit nur vermag, fast als 'hätte er ein
Paris Bordone sein wollen. Dabei der Sammt, obgleich abgedämpft, doch ;
ihre Erscheinung etwas von jenem märchenhaften Reiz, dessen Rembrandt, |
wenn er es will, so mächtig ist; (No. 356. Hoch 3 Fuss 10 Zoll, breit ^
3 Fuss 2 Zoll.)
8. Bildniss des Nicolaus Bruynink. Kniestück; sitzend, auf die Stuhl-
lehne sich stützend und seitwärts zum Bilde heraussehend, lächelnd; lan-
ges braunes Haar. AuCh aus der späteren, höchst Wirkungsweisen Effekt-
42(} Keisenotizeu vom Jahr 1843,
zeit; das Gesicht ganz in warmen graugelblicheu Tönen. (No. 359. Hoch
3 Fuss 5 Zoll, breit 2 Fuss 11 Zoll.)
9 — 12. (No. 848, 349, 355, 365.) Vier Brustbilder alter Männer, in
schöner derber Kraft hingesetzt. Studienköpfe, als Charakter köpfe behan-
delt. — No. 348, ein würdiger, besonders alter Mann; mit Ketten, an
denen ein Kreuz hängt, geschmückt; in vorzüglich schönem Helldunkel. —
No. 365, ein gebeugter Kahlkopf; in ausgezeichnet schönen warmen Tönen,
die auch in den Schatten sehr klar.
13. Ein Bürgerfähndrich,-Kniestück; den Arm in die Seite gestützt,
zum Bilde herausblickend. Derb und spät. Auf den Effekt der Figur vor
der weissen Fahne berechnet. Das Gesicht nicht gar erfreulich. Name und
Jahrzahl, deren letzte beide Ziffern durch den Rahmen verdeckt. (No. 371.)
14. Brustbild eines Mannes mit einer Sturmhaube auf dem Kopfe.
Keck und lebendig aus dem Bilde heraus. Spätere Zeit. (No. 357.)
15. Kleiner Studienkopf, fast ganz im Schatten, gegen liellen Grund.
(No. 361.)
16. 17. (No. 362, 363.) Kleine Köpfe.
18. Vornehmes Damenportrait. Hässlich mangelhafte "Wirkung. Üb
Original? (No. 347.)
19. Historische Darstellung: Sinison, von den Philistern gefangen.
Die bekannte Composition, — ein unangenehmes Bild. Der Vorgang ist
zwar lebendig erzählt und besonders glücklich der Grimm in dem Kopfe
des Simson, dem eben die Augen ausgestochen werden; höhere künstle-
rische Wirkung ist aber nicht vorhanden. Abgesehen davon, dass die
Auffassung ganz gemein ist, so fehlt es sowohl den Gestalten au erfreuli-
cher Elntwickelung — Simson zappelt wie ein alter Jud, und der Kerl vor
ihm ist wie ein Gnom, — als auch der Licht- und Helldunkelefl'ekt des
Ganzen keinesweges bedeutend und harmonisch ist. (No. 369. Hoch
2 Fuss 8 Zoll, breit 6 Fuss 3 Zoll, — eine nicht richtige Angabe des
j^atalogs, da das Bild etwa zwei Drittel der Breite zur Höhe hat.)
20. Jakob, auf dem Lager ruhend, segnet seine kleinen Enkel Ephraim
und Manasse, während Joseph und dessen Gemahlin, die Mutter der Kleinen,
dabei stehen. Ziemlich nüchtern verständig erzählt und auf einen wohl-
thuend ruhigen Helldunkeleffekt berechnet. Doch nur skizzenhaft behan-
delt; das Bild müsste kleiner oder sorglicher, auch in den Nebensachen
individualisirend, behandelt sein. Joseph Im Turban, die Gemahlin in
einer Art altburgundischen Kostüms. Name des Künstlers und Jahrzahl
1656. (No. 367. Hoch 5 Fuss 6 ZoH, breit 6 Fuss 8 Zoll.)
21. Kleine Winterlandschaft. Im dunkelnden Abendton; sehr harmo-
nisch, obschon nur derbe Skizze. Name und Jahrzahl, diese durch den
Rahmen verdeckt. (No. 368.) —
Holbein. (No. 48.) Portraitbild seiner Familie. Ein Tisch mit Früch-
ten und einzelnen Speisen. Holbein selbst, etwa 30 Jahre alt, steht links
hinter dem Tische, ein Glas in !der Hand; neben ihm zwei ältere Kinder,
Knabe und Mädchen. Rechts sitzt seine Frau mit dem jüngsten noch nack-
ten Kinde. In der ganzen Behandlungsweise etwa noch dem Q. Messys
verwandt; aber schon in gewissem Betracht derb und kräftig, — roth in
den üebergängen, bräunlich und braun in den Schatten der Carnation. Das
Kind hat noch etwas Gesuchtes in der Stellung. Noch ist das Detail her-
vorgehoben, zwar meisterhaft, aber ohne Gesammtwirkung; daher im Ein-
zelnen Manches steif. (Hoch 3 Fuss 9 ZoH, breit 4 Fuss 6 Zoll.)
Gemäldegallerie zu Cassel. 427
Angeblicher Mabuse (No. 58.) bezeichnet 1523 und: j ^^^ 'JJ^
Mittelbild und Seitenbilder, zusammen ein jüngstes Gericht darstellend, oder
vielmehr die heilige Dreieinigkeit, von einem Reigen von Heiligen (von
denen die im Vordergrund als Halbfiguren erscheinen) umgeben. Sehr
sauber in der alterthümlichen "Weise und dem Mabuse in der That ziemlich
nahe entsprechend. Auf den Aussenseiten der Flügel Katharina und Bar-
bara, die in der Behandlung der Köpfe fast wie sehr zarte Cranachs er-
scheinen.
Im Uebrigen eine grosse Fülle vortrefflicher Niederländer des I7ten
Jahrhunderts. Mehrere brillante Stücke von Rubens. Sehr schöne van
Dyck's, — Portraits von seiner Hand in gediegenster Art. Werke der besten
Genremaler. Von Paul Potter u. A. ein grosses Viehstück (No.-527):
zwei Kühe und zwei Schaafe in Lebensgrösse, zur Seite ein Mann und eine
Frau, hinten ein Zaun, — in höchster Naturtreue, aber immer (wie Potter
mir auch sonst erschienen ist) etwas trocken im Ton, d. h. ohne den
rechten Luftzwischenraum. — Andre treffliche grosse Viehbilder von Rosa
da Tivoli. ^ Von van der Lys ein grosses Bild (No. 163): eine Gesell-
schaft von Soldaten und Weibern,"liederlich zusammen, fast lebensgross,
aber ungemein energisch, wie eine Vereinigung des treflFlichsten Caravaggio
und G. Honthorst.
So auch eine grosse Suite von Italienern; darunter ebenfalls sehr
schätzbare Stücke, besonders von mittleren Meistern, Guido, Guercino
Bass an 0 u. s. w., u. s. w. Auch einige gute Portraits von Tizian.
Einige Bilder von Paul Veronese, namentlich eine ungemein schöne
Darstellung der Enthaltsamkeit des Scipio. U. s. w.
Vieles, was der Katalog nannte, war nicht mehr da; Vieles in Wil-
helmshöhe.
(rf,:
I
Trachten des christlichen Mittelal ters. Nach gleichzeitigen Kunst-
denkmalen herausgegeben von J. von Hefner, unter Mitwirkung von Ph.
Veit, J. D. Passavant, C. Ballenberger, K. Keim, J. von Rado-
viritz, Graf F. Pocci, G, H. Krieg von Hochfelden, F. Hoffstadt
und anderen Künstlern und Gelehrten. Mannheim, Verlag von Heinrich
Hoff, (Seit 1840 in gr. 4.)
^ (Kunstblatt 1843, No. 78 ff.)
Die Geschichte der Kunst vergegenwärtigt uns die Entwickelung des
Formensinnes, wie derselbe in den verschiedenen Zeitaltern der Geschichte,
in den verschiedenen Ländern und bei den verschiedenen Völkern der
Erde, soweit die letzteren wenigstens Anspruch auf irgend einen Grad
der Civilisation haben, hervorgetreten ist. Die Geschichte der Kunst führt
uns in die idealen Bedürfnisse der menschlichen Natur, in der Art und
Weise, wie man das Geistige, Freie, Unbedingte als ein Anschaubares in
gemessener und begrenzter Form darzustellen wusste, ein. Sie bildet ein
sehr wesentliches Glied in der Geschichte der geistigen Gultur der Mensch-
heit. Die Geschichte des Kostüms — wenn wir das Wort in seiner wei-
testen und ursprünglichen Bedeutung nehmen — lehrt uns die Art und
Weise kennen, wie die äusseren Umgebungen des Lebens, das, was eigent-
lich dem gemeinen, realen Bedürfnisse angehört und was auf tausendfache
Weise aus äusseren Bedingnissen oder Zufälligkeiten hervorgeht, unter
dem Einflüsse jener künstlerischen Idealformen gebildet ward. Sie enthält
die unmittelbare Anwendung der Kunst auf das Leben, die Veredelung
und Verschönerung des letzteren durch die Kunst, die unendliche Reihe
der Modifikationen, die sich durch den Widerstreit und durch die Ver-
bindung Beider ergeben mussten und das, was man wohl Zeitgeschmack
und volksthümlichen Geschmack zu nennen pflegt, hervorbrachten. Die
Geschichte des Kostüms stellt uns das äussere Gebahren der Menschen,
die wechselvolle Weise ihrer äusseren Erscheinung, die doch auch nur
der Ausdruck des inneren Sinnes ist, gegenüber; sie trägt wesentlich dazu
bei, uns diese oder jene Handlungsweise verständlich zu machen, über-
haupt die Ereignisse der Geschichte, die man uns nur zu häufig in sehr
Trachten des christlichen Mittelalters. 429
abstrakter Form mittheilt, in eine persönliche Nähe zu rücken. Sie ist
ein nicht minder wichtiger Abschnitt' für den grossen bedeutenden Kreis
der geschichtlichen Anschauungen. Und ganz insbesondere gilt dies, wie
natürlich, von dem wichtigsten Theil des Kostüms, von dem, was die
körperliche Tracht und Zierde des Menschen selbst — etwa im Gegensatz ge-
gen Wohnung und Behausung und deren verschiedenartiges Geräth — betrifft.
Die Geschichte des Kostüms ist freilich eine Disciplin, die bisher, in
ihrer vollen und tiefgreifenden Bedeutung, noch nicht auf eine gar ge-
nügende Weise behandelt worden ist. Vielleicht eben desshalb, weil man
diese Bedeutung überhaupt noch nicht sonderlich anerkannt hat. Und doch
kann der Geschichtsfreund, dem es nicht blos auf Namen und Jahrzahlen
und nicht lediglich etwa nur auf Gedanken, sondern auch auf die leben-
digen Thatsachen ankommt, in denen die Gedanken der Geschichte sich
verkörpert haben, ihrer auf keine Weise entbehren. Noch weniger aber
der bildende Künstler, der geschichtliche Ereignisse oder Situationen
zum Gegenstande seiner Darstellungen nimmt. Denn allerdings muss
der Künstler frei sein, er muss selbständig aus seinem Geiste heraus
schaffen; aber diese Freiheit, diese Selbständigkeit kann doch nur dem
geistigen Theile seiner Arbeit gelten; die körperliche Form, in der er
seine Schöpfung zur Erscheinung bringt , hat ihr bestimmtes Gesetz, dessen
Ueberschreitung die Freiheit in Willkühr verwandeln würde. Wie der
Künstler in der Darstellung des nackten'Körpers auf's Vollständigste dem
Gesetze der Natur folgen muss, so in der Darstellung der äusseren Um-
gebung desselben — sofern überhaupt irgend eine historische Rücksicht
eintritt — den stets entschiedenen und stets sehr tiefliegenden historischen
Bedingnissen, die dieser Umgebung ein bestimmt charakteristisches Ge-
präge gegeben haben. Mehr als je aber gilt dies in unserer Zeit, in wel-
cher die künstlerische Behandlung historischer Gegenstände mehr und
mehr in den Vorgrund tritt und wir, bei einem stets lebhafter werdenden
historischen Bewusstsein, auch eine mehr und mehr charaktervolle Er-
füllung der Aufgabe fordern. Das 'gründlichste Studium des Kostümes ist
für diesen Zweck erforderlich, und Nichts ist so gering, dass es nicht in
diesen Kreis mit hineingezogen werden müsste; freilich nicht, um diese
und jene Einzelheit kümmerlicli nachzuahmen, sondern weil Alles dazu
beiträgt, den Geist der Zeiten, aus welchem diese Formen, diese Ge-
schmacksrichtungen hervorgegangen sind, vollständig kennen zu lernen
und sich zu eigen zu machen. Wer auf einem solchen Standpunkte steht,
kann allerdings über den gewonnenen Vorrath mit Freiheit schalten; er
ist durch solches Studium zur durchgreifenden Kenntniss der Motive ge-
laugt und kann aus diesen nunmehr, mit \oller historischer Sicherheit,
Neues erfinden, wie es der Zweck seiner Aufgabe verlangt, auch wohl
Vorliegendes, was den Adel der künstlerischen Darstellung allzu unbequem
beschränken möchte, auf eine zweckgemässe Weise umbilden. Aber eine
solche, auf fester Basis beruhende Freiheit in der Benutzung des Materials
ist noch überaus selten; gar viele Künstler, die Anspruch auf historische
Genauigkeit machen, ahmen wohl mit Sorgfalt einzelne Kleidungs- oder
WafFenstücke oder sonstige Geräthe nach; nur zu oft aber findet man, dass
sie dabei sehr heterogene Dinge zusammentragen, Dinge, deren jedes eine
von der des andern wesentlich verschiedene Sinnes- und Gefühlsweise
ausdrückt. Einen Ritter z. B. mit der eleganten Haarhaube und Barett
des löten, mit dem. schmächtigen Wamms d^es 14ten und mit dem achwe-
40t' Berichte und Kritikeu.
ren faltenreichen Mantel des 12ten Jahrhunderts zu bekleiden, kümmert sie
wenig. Nomina sunt odiosa.
So wenig das Studium der Anatomie oder das der Perspective für
den bildenden Künstler als Pedanterie bezeichnet werden darh eben so
wenig das des Kostüms. "Wir haben somit Alles, was dies letztere Stu-
dium begünstigt und fördert, was ihm ein dem Zwecke entsprechendes
Material darbietet, mit entschiedenster Anerkennung willkommen zu
heissen. Vor Allem das in der Ueberschrift genannte Werk, das, soweit
es bis jetzt vorliegt und soweit sein Plan, die „Trachten des christlichen
Mittelalters" umfassend, sich erstreckt, bei weitem als das sorgfältigste
und zuverlässigste Unternehmen solcher Art zu bezeichnen ist. "Was wir
in Deutschland seither an Werken der Art besassen, darf hier kaum in
Betracht kommen; theils sind diese Arbeiten fragmentarisch und ohne ge-
nügende Kritik zusammengetragen, theils betreffen sie nur sehr vereinzelte
Abschnitte, wie z. B. Engelhardts Mittheilungen aus dem Hortus deliciarum.
Umfassendere Bedeutung haben fast nur die Kostümwerke der Franzosen,
aber auch diese sind theils nicht genügend, theils nicht durchweg zuver-
lässig, So sind die 17 dicken Foliobände des „Costume ancien et moderne"
von Ferrario in vielfacher Beziehung kaum zu gebrauchen; so bedarf es
bei der Benutzung von Willemin's sonst sehr schätzenswerthen „Monuments
inedits" oft der grössten Vorsicht; und kaum dürfte sich unter den übrigen
ein Werk finden, welches den „Costumes des 13-, 14. et 15. sifecles" von
Bonnard, allerdings einem sehr meisterlichen Werk, an Verdienst irgend
gleichkäme. Aber auch Bonnard's Kreis ist beschränkt; und überdies sind
in den französischen Kostümwerken die französischen Monumente vorzugs-
weise benutzt, die deutschen vorzugsweise vernachlässigt. Diesen Mangel
wollen wir jedoch nicht beklagen, da er eben durch deutsche Werke,
denen zugleich die französischen Quellen ferner liegen dürften, yortheil-
haft zu ersetzen ist.
Das Werk des Herrn von Hefner (in Aschaffenburg) umfasst das
ganze Mittelalter, vom Ende der Eömerherrschaft bis zum Ende des 16ten
Jahrhunderts. Es ist in drei Abtheilungen getheilt, deren erste die Trach-
ten von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 13ten Jahrhunderts, die
zweite die des 14ten und löten, die dritte die des 16ten Jahrhunderts
enthält. Die verschiedene Anzahl der Jahrhunderte für die verschiedenen
Abtheilungen erklärt sich dadurch, dass für die früheren Zeiten ungleich
weniger Quellen vorhanden sind, als für die späteren, und dass in jenen
ausserdem ein ungleich langsamerer Wechsel des Kostüms stattfindet, als
in diesen. Bis jetzt liegen von der ersten und dritten Abtheilung 6, von
der zweiten 7 Lieferungen vor, jede Lieferung aus sechs Kupferblättern
und dem zugehörigen erläuternden Texte bestehend; ausserdem noch eine
besondere Lieferung, welche Titel und V^orwort des Ganzen, nebst einer
einleitenden Uebersicht über die Geschichte der Trachten des Mittelalters
enthält, und in letzterer die nöthigen Gesichtspunkte zur richtigen Be-
urtheilung alles Einzelnen giebt. Die bildlichen Darstellungen sind ohne
Ausnahme Originalzeichnungen iiach gleichzeitigen Denkmalen der Kunst,
nach Sculpturen der mannigfaltigsten Art, namentlich Grabsteinen, nach
Malereien an Wänden, auf Tafeln, in Fenstern, in Manuscripten u. s. w.,
nach Zeichnungen von Holzschnitten, sowie vornehmlich auch nach erhal-
tenen Kostümstücken und Geräthschafteu. Mit grosser Genauigkeit ist auf
die richtige Zeitbestimmung gesehen; vorhandene Jahresbezeichnungen oder
Trachten des cliristlichen Mittelalters. 431
Benennungen, Form der Inschriften, künstlerischer Styl und Alles, was
sonst, der heutigen schärferen Kritik entsprechend, zur sicheren Zeit-
bestimmung eines Kunstwerkes in Betracht kommen kann , ist hiebei sorg-
fältig in Erwägung gezogen, und der Grund solchen Verfahrens überall
dargelegt. Mit gleicher Sorgfalt ist die Verschiedenheit der Tracht bei den
verschiedenen Geschlechtern, Lebensaltern, Ständen und Beschäftigungen *
beobachtet, überhaupt Alles gethan, um eine vollständig klare Einsicht in
die Darstellung zu geben. VVo es nöthig ist, sieht man mithin eine Figur
oder' einzelne Theile einer solchen von verschiedenen Gesichtspunkten
aus dargestellt, auch kleinere Details des Kostüms im vergrösserten Maass-
stabe wiederholt. Was die Nationalität anbetrifft, so wiegt Battlrlich die
Darstelhmg deutscher Monumente vor-, doch fehlt es auch keinesweges an i
englischen, französischen, italienischen u. a. Denkmalen — Das'Werk er-
scheint in zwei Ausgaben, die eine in Umrissen, die andere sorgfältig ko-
lorirt. Für den Gebrauch der ersteren giebt der Text allen nöthigen Nach-
weis über die Farben, wie überhaupt der Text iu Alles, was das Ver-
^tändniss der Darstellungen anbetrifft, wesentlich nälier einführt.
Ein sehr bedeutender Vorzug des Hefner'schen Werkes besteht ferner
da;rin, dass der künstlerische Styl jedes einzelnen Monumentes, mag'das-
selbe auch noch einer sehr rohen Epoche der künstlerischen Entwickelung
angehören, auf's Getreueste wiedergegeben ist. Freilich entbehrt das Werk
dadurch, namentlich in seiner ersten Abtheilung, jener bequemeren An-
muth, die so manche der neueren französischen Kostümwerke, in welchen
das Material gleich nach den Bedingnissen einer freieren Kunstweise um-
gebildet ist, wohl^^efälliger erscheinen lässt. Doch liegt ein äusseres
Wohlgefallen der Art wohl nicht füglich im Plane solcher Werke. Viel-
mehr muss es dem Künstler und Jedem, der mit Ernst ein historisches
Kostümstudiiim beginnen will, höchst wichtig sein, an die reine unver-
fälschte Quelle geführt zu werden ; ihm selbst kommt es ja erst zu, dies
Material für weitere Zwecke zu verarbeiten. Ich glaube, für die Richtig-
keit dieses Princips, die zu klar zu Tage liegt, bedarf es keiner weiteren
Motivirung. Wohl aber gewinnt das Werk hiedurch noch einen zweiten,
sehr bedeutenden Nutzen, den nämlich, dass es, indem es die stylistischen
Unterschiede der verschiedenen Epochen aufs Klarste darlegt, zugleich
der kunsthistorischen Anschauung und dem kunsthistorischen Studium in
vortheilhafter und reichhaltiger Weise entgegenkommt. Die Zeichnungen,
in Umrissen und zum Theil in leichter Schattirung ausgeführt, tragen
überall das Gepräge der grössten Treue; auch der Stecher, C. Regnier,
hat sich mit Geist und Gefühl den verschiedenen Stylformen glücklich an-
zuschmiegen gewusst; besonders in den späteren Lieferungen der einzelnen
Abschnitte erscheint seine Arbeit in ansprechender meisterlicher Sicher-
heit. In der kolorirten Ausgabe ist nicht minder die charakteristische
Vortragsweise der verschiedenen Epochea beachtet worden.
Es ist mit Zuversicht zu hoffen,"dass ein so wohl angelegtes und be-
reits zu so erfreulichen Erfolgen gediehenes Werk der nöthigen Theil-
nahme von Seiten des Publikums nicht entbehren, dass es nicht, wie so
manch ein schönes deutsches Unternehmen, als unvollendeter Torso ab-
brechen werde, dass vielmehr dem Herausgeber Muth und Freude erhal-
ten bleibe, jim auf der eingeschlagenen Bahn immer weiter TOrschreiten
zu können. ' - • . . ■ • „ - - ■
40t' Berichte und Kritikeu.
Denkmäler bildender Kunst in Lübeck, gezeichnet und herausge-
geben von C. J. Milde, Maler, und begleitet mit erläuterndem historischen
Text von Dr. Ernst De ecke. 1. Heft, enthaltend: in Bronze gravirte
Grabplatten. Lübeck 1843. Auf Kosten des Herausgebers. Fol.
(Kunstblatt 1843, No. 8L)
Das Unternehmen, welches mit dieser ersten Lieferung ins Leben
tritt, ist Jiereits in No. 72 des vorjährigen Kunstblattes angekündigt wor-
den. Ueber Plan und Verhältnisse des Ganzen ist dort bereits das Nähere
gesagt. Der Plan hat in so fern eine Veränderung erfahren, als der Her-
ausgeber beschlossen hat, die Denkmäler, die denselben Gattungen künst-
lerischer Technik angehören, iu den einzelnen Lieferungen zusammen zu
ordnen, so dass sie besondere Folgen für sich bilden und eine bequemere
Uebersicht verstatten, und dass zugleich der Vortheil gewährt wird, die
einzelnen Abtheilungen, je nach den Interessen der Kunstfreunde, geson-
dert erwerben zu können. Der Inhalt der ersten Lieferung ist auf dem
Titel bezeichnet. Sie führt uns auf fünf Tafeln (von denen zwei die dop-
pelte Grösse der übrigen haben) die Abbildungen zweier bronzenen Grab-
platten mit gravirten Darstellungen und die Abbildungen von einzelnen
Theilen der einen dieser Platten vor.
Die erste Grabplatte, in der Domkirche befindlich (Taf. I.), enthält in
starker Umrisszeichnung die kolossalen Gestalten zweier lübischer Bi-
schöfe; die Umschrift besagt, dass der eine von ihnen im Jahr 1317, der
andere 1350 gestorben sei. Das "Werk fällt also ohne Zweifel in die Zeit
gleich nach der Mitte des 14ten Jahrhunderts, was auch der entschieden
germanische Styl der Darstellung, in der charakteristischen Fassungsweise
gerade dieser Epoche, bestätigt. Beide Gestalten befinden sich in archi-
tektonischen Nischen, die ebenso durch, gravirte Zeichnung angedeutet
werden; der Fuss der Nischen, ihre Seitenpfeiler, die Tabernakel-Archi-
tekturen, welche sie bekrönen, sind sehr reichlich mit kleineren figürlichen
Darstellungen ausgefüllt. Unterwärts nämlich sieht man friesartige Bänder,
in denen Scenen aus dem Leben zweier Heiligen dargestellt sind; da-
zwischen Gestalten der irdischen Freude, Jünglinge und Jungfrauen. In
den Pfeilern bauen sich die Gestalten der Apostel, Propheten und Patriar-
chen empor, eine jede wiederum in zierlich gesonderter architektonischer
Umfassung. Die krönenden Tabernakel-Architekturen zerfallen in je zwei
Hauptabtheilungen; in der unteren sieht man Engel, welche die Seele des
Geschiedenen emportragen, in der oberen den Erlöser und ebenfalls Engel
zu seinen Seiten^ Die Gründe hinter den Figuren der Bischöfe und hinter
den Nischen sind mit einem reichen, teppichartig gemusterten Ornamente
erfüllt. Bei solchem Rcichthum an Darstellungen ist diese Grabplatte ge-
wiss eine der merkwürdigsten in ihrer Art, für die Technik sowohl, als
für die Stylistik und Ornamentik der Zeit ein höchst interessanter Beleg.
Auch die ganze architektonische Dekoration, welche dabei angewandt ist,
verdient sorgfältige Beachtung;wir finden in den Einzelheiten die zier-
lichsten Elemente des gothischen Styles; ihre Anwendung aber trägt ganz
das Gepräge des Backsteinbaues im nordöstlichen Deutschland, dessen
Material an den entsprechenden Stellen, durch Andeutung der Steinfugen,
Denkmäler bildender Kunst in Lübeck. 433
auch ausdrücklich bezeichnet ist. Wir betrachten dies, in Ermangelung
anderweitiger Nachricht über die Beschaffenheit des Werkes, als charak-
teristische Bezeichnung des Lokales, in welchem die Arbeit gefertigt wurde
und welches ohne allen Zweifel die reiche und betriebsame Hansestadt
Lübeck selbst war. Die drei folgenden Tafeln geben nun einzelne Theile
der kleineren Darstellungen, welche diese Grabplatte schmücken. Sie sind
dem Originale nicht nachgezeichnet, sondern mit Formen gedruckt, welche
der Herausgeber unmittelbar von dem letzteren genommen hatte. Dies
sinnreiche Verfahren führt uns also gewissermassen das Original selbst
vor, und wir werden dadurch befähigt, über dasselbe und seine Eigen-
thümlichkeiten und Besonderheiten ganz'wie aus eigener Anschauung zu
urtheilen.
Die zweite Grabplatte (Taf. V.) ist in der Marienkirche befindlich und
enthält die Gestalten des Bürgermeisters Tidemann Berk, von dem die
Inschrift besagt, dass er im J. 1521 gestorben sei, und seiner Gemahlin.
Wir haben es hier mit der Kunst einer beträchtlich vorgerückten Zeit zu
thun, die uns auch der Sty] 'der Arbeit, obschon beide Gestalten höchst
einfach gehalten sind, bezeugt. Merkwürdig ist, dass hier, während die
Contoure allerdings wiederum sehr stark gehalten sind, doch zugleich eine
schraflirte Schattirung zur Modellirung der Gestalten angewandt ist, ein
Verfahren, das übrigens bei gravirten Bronzeplatten dieser späteren Zeit
nicht ohne Beispiel ist, wie sich z. B. eine andere der Art im Naumburger
Dome vorfindet. Buntes Teppichornament und Wappen mit reichen Zier-
den füllen den Grund hinter und über den ^Gestalten aus. Die Platte hat
eine breite Einfassjing, auf der sich -in geschwungenen Linien ein Band
mit der Inschrift herumzieht. Zwischen den Schattirungen des Bandes bil-
den sich kleine Felder,' in denen besondere Darstellungen kleineren Maass-
stabes enthalten sind: die verschiedenen Momente des menschlichen Da-
seins von der Geburt bis zum Tode, in naiver Gemüthlichkeit aufgefasst
und durch Spruchbänder mit Reimversen erläutert. Hiedurch erhält die
ganze Platte wiederum einen sehr eigenthümlichen und reichen Charakter.
Ihr unterer Theil, etwa von den Knieen der Hauptfiguren abwärts, ist lei-
der abhanden gekommen. Einzelheiten derselben hat der; Herausgeber nicht,
wie bei der vorigen Platte, auf besondern Tafeln mitgetheilt.
Der Text enthält eine kurze Erläuterung der Darstellungen, mit An-
gabe der, zum Theil schwierig „lesbaren Inschriften. Im Vorwort spricht
sich der Verfasser des Textes über den grossen Kunstreichthum Lübecks,
der in früherer Zeit noch ungleich bedeutender war, aus, bemerkt aber,
dass wir über die Namen der Verfertiger kaum irgend eine besondere
Kunde haben. Doch theilt er aus Urkunden zahlreiche Namen von Künst-
lern'mit, die inj Mittelalter in Lübeck ansässig waren, sowie das Jahr, in
dem ihre Namen-vorkommen: Steinmetzen, Baumeister, Ziegeler, Glas-
arbeiter, Bildgiesser, Goldschmiede, Maler und Bildschneider (die, was für
die Beschaffung der mittelalterlichen Schnitzaltäre nicht unwichtig ist, als
Eine Klasse aufgeführt werden) und Seidenwirker.
Die Mittheilungen dieser ersten Lieferung vermehren das Material der
vaterländischen Kunstgeschichte, wenn' zunächst auch nur in engerer Be-
ziehung, so doch bereits auf sehr erfreuliche Weise, indem gerade auf die
Technik des Gravirens in grossen Bronzeplatten, deren Anwendung und
Ausbildung, bisher nur erst geringe Aufmerksamkeit gewandt ist. Wir
Kugicr, Kleine SchrifteD. II. ' . 28 '
40t' Berichte und Kritikeu.
dürfen bei den merkwürdigen Kunstschätzen des alten Hauptes der Hanse
auch in den folgenden Lieferungen mannigfach belehrender Mittheilung
entgegensehen.
Raphaels Schule von Athen. Ein Vortrag im wissenschaftlichen
Verein zu Berlin, von A. Trendelenburg, Mit den Umrissen nach
Giorgio Mantuano. Berlin 1843. 38 S. in 8.
(Kunstblatt 1843, No. 95,)
Dieser Vortrag enthält eine Schilderung, Charakteristik nnd Erläuterung
des berühmten Wandbildes, welches der vorstehende Titel nennt. Der
Verfasser benutzte diesen Gegenstand, um dem, durch die lebendig sinn-
liche Anschauung vorbereiteten Publikum allgemeine Bemerkungen über
Wesen und Geist der griechischen Philosophie, sowie über deren Bedeu-
tung für unsere und für alle Zeit vorzulegen. Das Letzere steht ausser-
halb der Interessen des Kunstblattes; die Art und Weise indess, wie der
Verfasser die Composition des Gemäldes fasst und erläutert und wie er
^ sich dabei namentlich gegen die Erklärung Passavants (in dessen grossem
' Werke über Raphael) verhält, ist auch für uns von grosser Wichtigkeit.
Der Verfasser betrachtet die Composition des Bildes nicht, wie Passavant,
4 als in bestimmtem chronologischem Zusammenhange stehend, vielmehr als
' ein Ganzes nur der Idee nach, das in seinen charakteristisch gesonderten
j Theilen nur die Hauptelemente für die Fntwickelung der griechischen
[fil!
f!
Philosophie darstelle. Eben so wenig geht er darauf aus, was Passavant
in oft geistreicher, oft aber auch etwas willkürlicher Weise versucht hat,
jede einzelne der auf dem Bilde enthaltenen Gestalten auf bestimmte
historische Persönlichkeiten zurückführen zu wollen-, er findet darin, als
namhafte Persönlichkeiten, nur die Hauptrepräsentanten der griechischen
Philosophie und in einzelnen Fällen neben ihnen auch solche, die von
ihnen der Zeit nach sehr geschieden, im Geiste aber mit ihnen verwandt
waren. In der That scheint eine solche Auffassungsweise mehr künstlerisch
und jener mehr gelehrten vorzuziehen. Einige Anmerkungen, die der Ver-
fasser seinem Vortrage zugefügt, geben die näheren Belege für einzelne
seiner Behauptungen. Die kleine Schrift ist demnach ein schätzbarer Bei-
trag zu der umfassenden Literatur, die wir bereits über Raphael besitzen.
Les Peintures de Giotto de l'^lglise de l'Incoronata a Naples,
publikes et expliquees pour la premiöre fois par Stanislas Aloe, Secr<5-
taire du Musde Royal Bourbon et de la Surintendance gön^rale des Fouilles
ä'Antiquit(5s du Royaume des deux Siciles, Conservateur du Cabinet des
Medailles du Roi etc. etc. Avec huit planches, Berlin etc. 1843. 4to.
(Kunstblatt 1844, No. 6.) i < .
Die Fresken, die von Giotto'an einem Gewölbe in der kleinen Kirche
der Incoronata zu Neapel gemalt wurden und ebenso zu seinen sinnigsten
Les Pelntures de Giotto de T^glise de l'Incoronata ä Naples. Hier. Holzschuher. 435
und bestausgeführten wie zu seinen besterhaltenen Werken gehören, sind
unseren Kunstforschern ohne Zweifel bereits zur Genüge bekannt; doch
haben wir bisher noch immer eine bildliche Herausgabe derselben ver-
misst. Herr St. Aloö aus Neapel hat unter dem vorstehenden Titel die-
selben kürzlich, während eines Besuches in Berlin, in einem eleganten
Hefte herausgegeben. „Nous avons choisi", so sagt Herr Aloö im Eingange
seines Werkchens, welches demKönige von Preussen, Friedrich WilhelmIV.,
gewidmet ist, „nous avons choisi Berlin, le centre des amateurs les plus
ardens de^ l'öcole classique, pour publier les ouvrages du prince du purisme
de l'art Italien." Die acht Tafeln, welche diese Gemälde in Umrissen dar-
stellen, sind von italienischen Künstlern gefertigt. Wir können aber nicht
hinzufügen — und unser geehrter Gast möge uns dies nicht übel deuten
— dass sie den Charakter der Originale, dass sie Giotto's Eigenthömlich-
keiten und seinen Styl mit sonderlicher Schärfe und genauem Verständ-
niss, wie wir es wohl von deutschen Arbeiten der Art gewohnt sind, wie-
dergeben; in diesem Betracht haben die Abbildungen keinen grossen Werth.
Tndess ist es immer erfreulich, dass wir in diesen Blättern doch die Com-
positionen der betreffenden Gemälde besitzen; denn schon hierin beruht
ein grosser Theil der den letzteren eigenen Bedeutung. Die naive Auf-
fassung des Lebens bei einem bedeutenden symbolischen Grundbezuge
gibt diesen Werken, welche das Heiligthum der Kirche und die sieben
Sakramente zum Gegenstande der Darstellung haben, ein eigenthümliches
Intferesse; und dies können wir in gewissem Maasse auch in den Abbil-
dungen verfolgen. Der vom Herausgeber hinzugefügte Text enthält eine
Charakteristik Giotto's vom italienischen Standpunkte aus, eine kurze Er-
läuterung der in Rede stehenden Darstellungen und die Geschichte ihrer
Entstehung. Besonders wichtig ist die ausführliche Auseinandersetzung
der Geschichte des Gebäudes, in welchem sie sich befinden. Der Heraus-
geber hat das Verdienst, dadurch manche Zweifel und Widersprüche, die
selbst auf die Gemälde ausgedehnt werden konnten, sehr glücklich und
befriedigend gelöst zu haben. '
Hieronimus Holzschuher. Etatis suae 57., — Albrecht Dürer
pinxit 1526. Friedrich Wagner sculpsit 1843. — Seiner Königlichen
Hoheit dem Durchlauchtigsten Kronprinzen Maximilian von Bayern in
tiefster Ehrfurcht gewidmet von Fr. Wagner. Druck von Carl Mayer in
Nürnberg.
(Kanstblatt 1844, No. 16.)
Das in Oel gemalte Bildniss des Hieronymus ,Holzschuher, das sich
noch immer im Besitz der Holzschuherischen Familie zu Nürnberg befindet,
gehört bekanntlich unter Albrecht J)ürer's ausgezeichnetste Arbeiten
und ist unbedenklich als das schönste und gediegenste Portrait, welches
wir von seiner Hand kennen, zu bezeichnen. Es enthält den Kopf und
einen Theil der Brust, die letztere mit einem breiten Pelzüberwurf bedeckt,
unter dem das Untergewand nur wenig sichtbar wird. Das Gesicht sieht
man zu drei Vierteln ^von vorn, das Auge ist auf den Beschauer gerichtet.
Die Farbe des Gesichts ist kräftig, volle männliche Gesundheit bezeugeud;
4öÜ . Berichte und Kritikeu.
eigenth-ümlich contrastirt damit das weisse Haar, das auf dem Haupte wellig
zu beiden Seiten niederfällt und in dem vollen Barte sich zierlich kräuselt.
Die Züge tragen das Gepräge schlichten Adels, aber zugleich einer unüber-
windlichen Festigkeit; in dem Auge drückt sich, so ruhig das Ganze auch
gehalten ist, der Charakter eines bis zu starker Leidenschaft errregbareu
Gemüthes aus. Das Bild hat ein zwiefaches, sehr bedeutendes Interesse.
Einmal als eins der ersten Meisterwerke deutscher Kunst, die mit sorg-
lichster Treue und mit sicherstem Verständniss allen, auch den feinsten
Einzelheiten der Erscheinung nachgeht und diese kräftig, obgleich durch-
aus fern von irgend welchem Streben nach Effekt, zu einem Ganzen zu-
sammenzufassen weiss. Dann, in Bezug auf den dargestellten Gegenstand,
als Repräsentation einer Zeit, die an männlichen, energischen, in sich voll-
kommen einigen Charakteren so reich war, so viel reicher, als manche
andere Zeit, z. B. die unsrige. Beide Interessen sichern der Aufgabe, das
Bild durch den Stich zu vervielfältigen, entschiedenen Beifall. Wir fügen
hinzu, dass der Stecher die Aufgabe in sehr erfreulicher "Weise gelöst
hat. Das Blatt reiht sich den Stichen interessanter Portraitköpfe aus den
früheren grossen Epochen der Kunst würdig an und giebt mit diesen zu
mancher folgereichen Parallele Anlass. Wie eigenthümlich contrastirt
damit z. B. das Jugendportrait Raphaels, das wir in dem Forster'schen
Stich, und das Portrait van Dycks, das wir in dem Stich von Mandel be-
sitzen! Der Stecher hat den Charakter des Dürer'schen Originals mit vollem
Verständniss aufgefasst; mit grösster Sorgfalt und Genauigkeit, aber durch-
aus leicht und ungezwungen, folgt er der feinen Detaillirung der Formen,
ohne doch zugleich die Haltung des Ganzen ausser Acht zu lassen; so ist
auch die zierliche Pinselführung Dürers in Haar und Bart mit meisterlichem
Geschick wiedergegeben. Das lichte Haar nöthigte den Stecher, das Bild-
niss noch mit einem ziemlich breiten Rahmen zu umgeben, damit die
Weisse des Papierrandes auf jenes nicht störend zurückwirke. Der Rahmen
ist, in schwachem Helldunkel, durch ein gothisches Rankenornament aus-
gefüllt, in welchem oberwärts das Dürer'sche Monogramm, zu den Seiten
die Wappen Dürers, Nürnbergs und des deutschen Reiches angebracht
sind, unterwärts das Wappen Holzschuhers und das seiner Gattin. Der
untere, breitere Theil des Rahmens enthält ausserdem noch den Namen
des Dargestellten, und darunter, auf einem verschlungenen Bande, seinen
Wahlspruch: Munificentia amicos patientia inimicos vince. MDXXVI. —
Die ganze Darstellung ist 13% Zoll hoch, GVs Zoll breit. Das \eigentliche
Portrait, ohne den Rahmen, hat eine Höhe von 8 und eine Breite von
öVs Zoll.
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M
Geschichte der bildenden Künste. Von C. Schnaase. Erster
Band. Düsseldorf 1843. (Auch unter dem Titel: Geschichte der bil-
denden Künste bei den Alten. Von C. Schnaase. Erster Band.
Die Völker des Orients.) 456 und XX S. in gr. 8.
(Kunstblatt 1844, No. 17 ff.)
Das vorstehend genannte Werk hat mannigfache Berührungspunkte mit
meinem „Handbuch der Kunstgeschichte." Der Verfasser hat eine Kritik
Geschichte der bildeudeii Küuste. 437
des letzteren im Kunstblatt (1841, Nr. 97 ff. lind 1842, Nr. 27 If.) gegeben;
es fügt sich, dass wir jetzt die Rollen tauschen. Ich trug zwar im ersten
Augenblick Bedenken, ob ich auch meinerseits das Amt des Kritikers tiber-
nehmen dtirfe, da Herr Schnaase mir die Freude bereitet hat, mir sein
Buch zu widmen; es konnte leicht vorausgesetzt werden, dass mein Urtheil
sich in Folge dessen minder unbefangen, als etwa in andern Fällen, äus-
sern möchte. Indess hat das Publikum meinen Arbeiten und Bestrebungen
so manche Gunst zugewandt, dass ich dieser freundlichen Stimmung auch
jetzt zu vertrauen wage; Herrn Schnaase denke ich meinen besten Dank
durch vollkommene Aufrichtigkeit des Urtheils zu bezeugen.
Das Zueignungsschreiben des Buches, welches zugleich als Vorrede
dient, giebt Auskunft über das Ziel, welches der Verfasser sich bei seiner
Arbeit gesteckt, und über das Verhältniss derselben zu meinem Handbuche.
Der Verfasser deutet an, dass beiden Werken, trotz der Gemeinsamkeit
des Inhalts, der die Geschichte der Kunst als ein zusammenhängendes
Ganzes ^umfasst, dennoch ein wesentlich verschiedener Zweck zu Grunde
liegt. Während ich bemüht war, eine möglichst klare Uebersicht zu gebfen,
das Ganze in charakteristisch gesonderte, doch sich gegenseitig bedingende
Gruppen zu zerlegen und alle wichtigeren Einzelheiten mit möglichst ge-
nügender kritischer Sichtung an den betreffenden Stellen einzureihen, —
mit einem Worte: ein Buch für den Handgebrauch beim Studium zu lie-
fern, sei seine Absicht mehr auf die allgemeinen Bezüge der Entwickelung
der Kunst in ihrer historischen Erscheinung gerichtet gewesen. Wie die
Kunst einer jeden Zeit der Ausdruck der physichen und geistigen, sittlichen
und intellektualen Eigenthümlichkeiten des Volkes sei, wie der Kunstsinn
sich mit den sonstigen Lebenselementen durchdrungen habe, wie die Kunst
der verschiedenen Völker eine bleibende Tradition darstelle, dies nachzu-
weisen bilde die Hauptaufgabe seines Werkes. Worauf ich nur in Einlei-
tungen hingedeutet, sei ihm die Hauptsache geworden; unsere beiden
Werke, statt einander anzuschliessen, ergänzten sich somit gegenseitig.
Indem ich diess Letztere entschieden bestätige, kann ich dem Plane,
der Absicht des Verfassers überhaupt, nur meinen vollkommensten Beifall
schenken. Wer, wie ich, die tausendfältig wiederkehrende Schwierigkeit
empfunden hat, ein so viel gegliedertes Ganzes zu bewältigen und dasselbe
der wissenschaftlichen Auffassung näher zu rücken, muss es jedenfalls mit
der lebhaftesten Freude wahrnehmen, wenn dieselbe Arbeit von einem
andern, oder vielmehr von einem entgegengesetzten Standpunkte aus un-
ternommen wird. Dies kann der Wissenschaft nur die erheblichste Förde-
rung bringen; die nothwendige Einseitigkeit der einen Richtung muss durch
die der andern aufgehoben und solcher Gestalt eine wiederum freiere und
umfassendere Auffassung angebahnt werden. Dass aber Herr Schnaase zu
einem Werke, wie das von ihm begonnene, vorzugsweise berufen ist, wird
Jedem, der an den neueren kunsthistorischen und kunstwissenschaftlichen
Strebungen Deutschlands näheren Antheil genommen hat, der mithin auch
den Werth der „Niederländischen Briefe" kennt, hinlänglich einleuchtend
sein. Der klare und besonnene philosophisch-historische Geist, der dieses
Buch erfüllt, giebt hinreichende Gewähr, dass der Verfasser auch die gegen-
wärtige, zwar bei weitem ausgedehntere Arbeit ihrem Plane gemäss durch-
führen wird. , '
Aber auch ganz abgesehen von der Verschiedenartigkeit des Planes
zwischen dem Werke des Hefrn Schnaase und dem meinigen, muss ich die
438 Berichte und Kritiken.
Erscheinung des ersteren willkommen heissen. Die Subjektivität des Ver-
fassers, die Weise zu empfinden, zu betrachten, zu denken, ist natürlich
eine andere, als die meinige; die Gegenstände erscheinen bei ihm noth-
wendig in einem andern Lichte. Der Leser, der an unsern Bestrebungen
Theii nimmt, wird durch diese vermehrte Beleuchtung besser vor einsei-
tigem Urtheil bewahrt und, wo es nicht ohnedies schon der Fall ist, zu
einem selbstständigeren Urtheil veranlasst werden. Dem Verfasser des
zuerst erschienenen Werkes namentlich ersteht durch das Studium des in
Rede stehenden der grosse Vortheil, Dinge, die er vielleicht weniger be-
achtet oder bedacht hatte, gründlicher aufzufassen, eigene Irrthümer zu be-
richtigen oder auch, wo er Recht zu haben und etwa missverstanden zu
sein glaubt, seiner Ansicht inskünftige eine entschiednere Sicherung
zu geben.
So gestaltet sich das Werk des Herrn Schnaase in äusseren und inne-
ren Beziehungen wesentlich anders als das meine. Jene ausführliche Dar-
stellung der kulturgeschichtlichen Momente, in denen die Kunst der ein-
zelnen Völker wurzelt, die lebhaftere Ausmalung des Bildes der jeweiligen
künstlerischen Zustände musste seiner Arbeit eine ungleich grössere Aus-
dehnung geben. Zugleich wurde er, um seinem Urtheil von vornherein
eine genügend bestimmte Basis zu geben, genöthigt, eine ausführliche
theoretische Abhandlung über das Wesen der Kunst und über die Weisen
ihrer Erscheinung voranzuschicken. Der erste uns vorliegende Band seines
Werkes, dem ohne Zweifel noch eine Reihe von Bänden folgen wird,
enthält ausser dieser Abhandlung nur die Geschichte der Kunst bei den
Aegyptern und den alten Völkern von Asien. Der historische Theil des
ersten Bandes entspricht mithin ungefähr dem ersten Abschnitt meines
Handbuches; doch finden sich auch hier in Wahl und Anordnung des
Stoffes einige, nicht unerhebliche Verschiedenheiten, Was ich über die
rohen urthümlichen Steinmonumente, besonders des europäischen Nordens,
über die vereinzelten Denkmäler der Südsee, über die zahlreichen Werke
des alten Amerika, namentlich die mexikanischen, als Zeugnisse der ersten
Stufen künstlerischer Entwickelung beigebracht, ist von Hrn. S. unberück-
sichtigt geblieben. Er hat sich in der Recension meines Handbuches darüber
ausgesprochen, dass diese Dinge nicht füglich in die Geschichte der Kunst
gehörten; wir haben somit einen Bericht über sie auch in einem folgen-
den Bande wohl nicht zu erwarten. Ich glaube aber, dass daä Werk des
Hrn. S. dadurch etwas von dem Reize und von der Belehrung entbehrt,
die uns das Hinabsteigen in primitive Zustände stets gewährt. Wenn ich
auch zugeben will, dass die Steinmonumente der Gelten und Skandinavier
noch keine eigentlich künstlerische Bedeutung haben, so ist eine solche
doch den Denkmalen von Mittel-Amerika — deren Kenntniss übrigens in
der jüngsten Zeit, seit dem Erscheinen meines Handbuches, wieder so
reichlich vermehrt ist — keinesweges abzusprechen. Und wenn sie auch,
wie Hr. S. sagt, in die Tradition der Geschichte nicht weiter eingegriffen
haben, so sind sie doch schon durch den einen Umstand vom grössten In-
teresse für eine allgemeine Kunstgeschichte, dass sie uns einen so ein-
fachen Zustand künstlerischer Entwickelung und Durchbildung zeigen, wie
wir ihn anderweitig nirgend an erhaltenen Monumenten kennen. Auch
möchte die Behauptung, dass sie ausserhalb einer umfassenderen Tradition
stehen, einstweilen noch dahinzustellen sein, wennschon ich der neuerlich
aufgekommenen Hypothese, die die Erscheinung dieser Denkmäler aus dem
Geschichte der bildeudeii Küuste. 439
buddhistischen Ost-Asien herleitet, keinesweges beipflichten kann. Dann
ist zu bemerken, dass die Anordnung dessen, was Hr. S. giebt, die um-
gekehrte der meinigen ist. Er beginnt mit den Indern und scHiesst mit
den Aegyptern, während bei mir das Gegentheil stattfindet. Der chaoti-
schen Verworrenheit gegenüber, -in welche die indische Kunst versinkt,
erscheint ihm die feststehende Ordnung der Aegypter als Zeugniss eines
höheren künstlerischen Vermögens, das zugleich besser zu jener reinen
und unabhängigen Ausbildung der Kunst, die uns bei den Griechen ent-
gegentritt, hinüberleite. Meine Ansicht stimmt hiemit nicht völlig überein;
ich finde, dass die Mängel und die Vorzüge der Kunstweisen beider Völ-
ker sich ziemlich die Wage halten. Mir stehen beide Nationen in Bezug
auf künstlerisches Vermögen ziemlich gleich; der Grund-, wesshalb ich die
Inder au den Schluss gestellt, ist zunächst mehr nur ein äusserlicher.
Ihre Kunst und die Verzweigungen derselben im östlichen Asien, wohin
ich auch die Kunst der Chinesen zähle, reichen bis in die Gegenwart
herab; es sind dies die letzten Ausläufer jener hochalterthüihlichen Kunst-
weise , die wir eben desshalb, der besseren Uebersichtlichkeit wegen, be-
quemer an den Schluss setzen. Herr S. ist auf diese Ausläufer wiederum
nicht in gleichem Maasse eingegangen, vielleicht dem Plane seines Werkes
gemäss, der manches Detail wegzuschneiden nöthig machte. Ich möchte
aber selbst hinzusetzen, dass auch ein innerer Grund vorhanden ist, der
meine Anordnung rechtfertigt. Ich sehe in der ursprünglichen Anlage der
indischen Kunst ein frischeres Lebenselement, das sich — so paradox es
klingen mag — wenigstens darin kund giebt, dass diese Kunst so gewalt-
sam ausarten konnte; Ausartung ist in der That nur die Kehrseite»der
Entwickelungsfähigkeit, während jene Sta,rrheit der ägyptischen Kunst,
die sich Jahrtausende hindurch in derselben Weise erhält und den Wechsel
der Zeiten an höchst leisen Fluktuationen des Geschmackes fast nur ahnen
lässt, aller Entwickelungsfähigkeit feindlich im Wege steht. Ueberhaupt,
und aller unverkennbaren Mächtigkeit der ägyptischen Kunst zum Trotz,
ist ihre so oft gepriesene Ordnung schon in ihrem Beginn nur eine me-
chanische.
Die eben besprochenen Unterschiede in der Anordnung des Stofifes
hängen vielleicht mit ziemlich tiefliegenden Verschiedenheiten in der Auf-
fassungsweise der künstlerischen Erscheinungen zusammen. Es ist beson-
ders die Auffassung der Architektur, in der ich mit Hrn. S. nicht Über-
einstimmen kann. Er erklärt sie in der theoretischen Einleitung .seines
Werkes, nachdem er andre, und zwar sehr oberflächliche Theorien mit
vollstem Rechte zurückgewiesen; als „die Darstellung des Schönen in der
unorganischen Natur." Sie mache desshalb „die Gesetze des unorganischen.
Körpers" zu den ihrigen. Daher zunächst „die nothwendige Rücksicht auf
Schwere und Cohärenz", deren Gesetz zum Wesen der unorganischen Natur
gehöre und, wenn schon in der organischen Natur ebenfalls vorhanden,
hier doch durch die inwohnende Lebenskraft aufgehoben sei. Daher in
der Arcliitektur, im Vergleich zu den andern bildenden Künsten, „das
niedrigste geistige Princip", nur „das Leben äusserer Ordnung"; daher in
ihr noch „die grobe, schwere, grosse Masse, der Wirklichkeit." Es ist in
dieser Ansicht allerdings etwas Richtiges, aber es gilt dasselbe nur von der
niedrigsten Entwickelungsstufe der Architektur, nur da, wo ihr Werk (wie
z. B. in der mexikanischen Kunst, die doch der Verfasser ausgeschlossen hat)
nichts ist als eine mehr oder weniger bestiinmt gemessene, eine mehr-oder
440 Berichte und Kritiken.
weniger abgetheilte, mehr oder weniger dekorirte Masse. Schon auf der
nächstfolgenden Entwickelungsstufe äussert sich auch hier das Gesetz einer
„inwohnenden Lebenskraft", welches mit jenen Gesetzen der unorganischen
Natur, mit den Geboten der Schwere und Cohärenz, in den Kampf tritt,
dieselben zu überwinden trachtet und solcher Gestalt eine organische
Entwickelung einleitet. Die Folge dieses Processes ist eine Reihe von
Organismen, die eine stets höhere Stufe der Ausbildung einnehmen: noch
sehr mangelhaft in der ägyptischen oder indischen Architektur, auf welche
dann die Stufe der griechischen und noch später die der mittelalterlichen
Architektur folgt. Der Verfasser sagt (S. 69), während in der Sculptur der
Gegenstand in sich völlig einig, jedes Glied vom Ganzen untrennbar und
durch ein Naturgesetz damit verbunden sei, erscheinen in der Architektur
(wie in der Malerei) die Theile mehr gesondert: die einzelne Säule sei
nicht so nothwendig an ihrer Stelle, wie Arm oder Fuss an der Statue.
Auch dies ist richtig, aber eben nur von den architektonischen Organis-
men niederer Ordnung, wo nemlich zwischen der Säule und dem Architrav
keine innige Verbindung stattfinden kann; wo aber, in der höheren Ord-
nung, der Bogen an die Stelle des Architravs tritt, wo der Bogenbau sich
zu seiner reinen Consequenz durchgebildet hat (wie z. B. in den Meister-
werken der deutschgothischen Architektur um das J. 1300), da ist in der
That die Säule (oder der Pfeiler — oder welchen Theil man sonst nehmen
wolle) so wenig aus der Stelle zu rücken, wie ein Glied an dem mensch-
lichen Körper. Der Verfasser verfehlt nicht, wie zu erwarten stand, seine
Theorie auf geistvolle Weise durchzuführen; es liegt aber in der Natur
der Sache, dass ihn das Ungenügende seines Princips mehrfach in Wider-
spruch mit sich selbst bringen musste. So sagt er z. B. (S. 424) sehr richtig
zur ausschliesslichen Charakteristik der ägyptischen Architektur, dass ihr
Werk weit entfernt sei, dem organischen Körper zu gleichen, dass die
einzelnen Theile desselben, an sich zwar fertig, nur durch ein loses in-
neres Band aneinandergehalteu würden. Hierin liegt doch wohl das Be-
kenntniss eingeschlossen, dass es bei andern Architektürwerken sich anders
verhalte. Ja, S. 70, bei einem Vergleich zwischen Malerei und Architek-
tur, heisst es: in der Malerei habe das Einzelne nicht mehr (wie in der
Architektur) die Gestalt des Leblosen; das Leben der Architektur sei Ge-
sammtieben, mit Ausschluss des Einzellebens, während das Gqsammtleben
der Malerei vielmehr auf der Lebensfülle des Einzelnen bdiruhe. Hier
wird dem architektonischen Werke im Ganzen Leben zugestanden und
doch zugleich den Einzelheiten desselben abgesprochen; aus todten Einzel-
heiten kann aber doch — dies liegt in der Natur der Sache — kein be-
lebtes Ganzes entstehen; und Leben ohne Organismus, d. h. ohne eine
Gliederung in belebte Theile, ist undenkbar, wenn schon wir die verschie-
densten Stufen von Gliederung und Organisation, mithin von Lebensfähig-
keit, annehmen können und müssen.
Das eben angeführte Wort dös Verfassers, das Leben der Architektur
sei Gesammtieben, scheint mir indess sehr entschieden den richtigen
Weg zum Verständniss des Wesens der Architekur anzudeuten. Das Werk
der Architektur bildet den Ausdruck, oder besser: die Darstellung allge-
meinen Lebens, allgemeiner Kräfte, allgemeiner Beziehungen und Verhält-
nisse, allgemeiner Gesetze. Es vergegenwärtigt uns das Nothwendige, das
Herrschende, und wenn man will: das Rechte, im "Gegensatz gegen die
Freiheit, die Willkür, die Zufälligkeit des Individuellen, welches den
Geschichte der bildeudeii Küuste. 441
Gegenstand der Sculptur und Malerei ausmacht. Das Werk der Architek-
tur ist aber kein leeres Abstractum, es ist vielmehr ein concret Lebendi-
ges; es verlangt Gliederung, Organismus zur Entwickelung des Lebens-
processes. Auch seine Einzeltheile sind mithin belebt und organisirt (wenn
schon, wie das Ganze, in verschiedenem Maasse, je nach den Stufen der
Entwickelung); aber diese Einzeltheile können nicht selbständige Indivi-
duen sein, weil dann eben die Freiheit des Individuums jenes allgemeine
Gesetz aufheben würde. Ich möchte aber sagen: es ist in diesem Leben,
in dieser Organisation der Einzeltheile ein Streben nach dem Individuel-
len, das immer mächtiger wird, je höher die Stufe der Ausbildung des
Ganzen geht; Und die Unmöglichkeit, dies Streben zu erfüllen, vermählt-
der unbedingten Consequenz des architektonischen Werkes, die eben auch
mit jedem Schritt höherer Entwickelung zunehmen muss, einen elegischen
Hauch, einen Ausdruck von Sehnsucht, der unser persönliches Mitgefühl
näher, als es ohnedies der Fall sein könnte, in Anspruch nimmt. Zur
Lösung dieser Sehnsucht verlangt denn auch das architektonische Werk das
Hinzutreten wirklich individueller Gestaltung, die Verbindung mit Werken
der Sculptur oder Malerei. Diese ganze Auffassung der Architektur ist
übrigens auch Hrn. S. nicht fremd, wenn schon sie bei ihm nicht im Vor-
grunde steht und von ihm nicht als die eigentliche Grundbestimmung an-
genommen ist. Er entwickelt (S. 58) auf vortreffliche Weise die Ueberein-
stimmung des Geistes der Architektur mit den „allgemeinen G^eistern der
Jahrhunderte und Völker", mit den allgemeinen Lebensäusserungen „in
der Religion, im Staate und im Rechte", wobei mir freilich die Bezug-
nahme auf die Bestimmungen der „unorganischen Natur" wieder störend
erscheint. Meine Auffassung der Architektur scheint mir mit diesen grossen
Beziehungen des volksthümlichen Lebens im unmittelbaren Einklänge zu
stehen. '
Es liegt endlich in der Natur der Sache, dass die Art und Weise,-wie
man die Architektur auffasst, nicht bloss auf die Betrachtung dieser Kunst
an sich und ihrer historischen Entwickelung, sondern auch auf die Be-
trachtung der Sculptur und Malerei einen nicht unwesentlichen Einfluss
ausüben muss. Wie in der Architektur ein Streben nach dem Individuel-
len sichtbar" wird, so umgekehrt in den individualisirenden Künsten ein
Streben nach dem ^Allgemeinen, nach dem durchgehend Gesetzlichen und
Unbedingten, — ein architektonisches Element. Die Auffassung-des letz-
teren muss somit noch mancherlei andre, mehr oder weniger bedeutende
Differenzen hervorrufen. Dahin zähle ich z. B. was der Verfasser ^S. 61)
über die Bekleidimg'der Gestalten,in der Sculptur und über Ihre Unpäss-
lichkeit sagt. Die Sculptur wolle das ganze Leben des Menschen darstellen;
der tbdte Stoff einer Bekleidung, die nicht den Körper durchblicken lasse,
sei daher nicht ihr Gegenstand. Ich kann dies nicht so unbedingt unter-
schreiben; die Bekleidung, auch die leichteste, würde nach dieser Auffas-
sung immer ein Uebel bleiben. Ich möchte geradezu sagen: die Verbin-
dung des Gewandes mit dem Körper vermählt mit dem Grundelemente des
Individuellen ein allgemeines, ein architektonisches Element. Es ist ein
architektonischer Rhythmus, der sich in der Linienführung des Gewandes
ankündigt, der aber bedingt oder motivirt wird durch die individuelle
Körperform. Ein wirkliches Durchblickenlassen der Körperform führt nur
zu häufig zur Affectation: sie giebt vielmehr, wenn ich so sagen darf, nur
den Anstoss für die Bewegung des Gewandes, die sich sodann, von diesem
442 Berichte und Kritiken.
Anstosse aus, nach ihren eignen Gesetzen entwickelt, sei es in leichtem,
spielendem, vielfach gebrochenem Nachklange, sei es in grossen, schwe-
ren, vollen Massen. Eine völlig verhüllte Gestalt, in welcher die Motive
der Gewandung nur von wenig einzelnen Punkten des Körpers ausgehen,
kann noch immer ein durchaus angemessener Gegenstand für die Sculptur
bleiben. Es versteht sich aber von selbst, dass solche Gewandung, wie
namentlich die griechische, fähig sei, ihren eignen Gesetzen zu folgen, und
dass diejenige, die von der Schneiderwillkür der Mode abhängt, hiebei
nicht in Betracht kommen kann, wie vortheilhaft sie anderweitig etwa der
malerischen Behandlung entgegen kommen möge. —
Es schien mir nöthig, diese Bemerkungen, wenn sie auch schon etwas
in das Einzelne gehen, der näheren Darlegung des Inhaltes des vorliegen-
den Bandes voranzuschicken. Das erste Buch enthält, wie gesagt, eine
allgemeine theoretische Einleitung. An dieser möchte ich zunächst zweierlei
als vorzüglich rühmenswerth hervorheben: die klare und schlichte Vor-
tragweise, die sich von den stereotypen Wendungen dieser oder jener
philosophischen Schule durchaus fern hält und doch das Beabsichtigte auf
sehr erschöpfende Weise durchführt; und dann, was bei Weitem das Wich-
tigste ist, das ächte, reine, wahrhaft künstlerische Gefühl. Freilich ist dies
letztere die Grundbedingung für all und jede Behandlung künstlerischer
Gegenstände, und somit auch für die philosophische Behandlung; aber wir
können nicht sagen, dass unsre Theorien über die Kunst die Sache stets
im Mittelpunkt ergriffen und dass sie nicht oft genug das Beiläufige, das,
was in die künstlerische Darstellung nur etwa hineinspielt, ohne doch
ihren eigentlichen Nerv zu berühren, für die Hauptsache nähmen. So ent-
wickelt der Verfasser im ersten Kapitel den Begriff des Schönen als eines
unmittelbaren und unabhängigen Postulats der menschlichen Natur, welches
durch die künstlerische Darstellung erfüllt wird. Das zweite Kapitel han-
delt von der Idee des Kunstwerkes, die sehr schön als die Vermittlerin
zwischen Gedanken und Gefühl dargelegt wird. „Die Idee des Kunstwer-
kes", sagt der Verfasser, „ist zunächst immer nur die Vorstellung des Ge-
genstandes, aber hervorgehoben aus der Trübung der Elemente der Wirk-
lichkeit, und durchdrungen und verklärt von der Wärme und Bestimmtheit
des fühlenden Geistes, wodurch dann sein Verhältniss zu der Unendlich-
keit der Dinge, der Wiederschein der höchsten Gesetze des Geistes in der
Materie, die zarten Beziehungen des Weltlebens anschaulich und in einer
wohlthätigen Harmonie hervortreten." Im dritten Kapitel werden die be-
sondern Bedingungen der Entstehung des Kunstwerkes, d. h. die Scheidung
des allgemeinen Begriffes der Kunst in verschiedene Kunstgattungen, dar-
gelegt. Die Elemente der Erscheinung, Raum, Zeit und Leben, auf der
einen Seite, auf der andern die inneren Bedingungen des Kunstgeistes, als
eines objectiven, subjectiven und individuellen, gaben die naturgemässen
Gründe dieser Scheidung. Poesie und Musik stellen sich den bildenden
Künsten gegenüber; in den letzteren selbst, die nun ausschliesslich behan-
delt werden, trennen sich auf ähnliche Weise Architektur, Sculptur und
Malerei. Ueber die charakteristische Besonderheit der beiden letzteren
wirdi klarer Aufschluss gegeben; die Auffassung der Architektur und mein
Widerspruch hiegegen ist schon so eben näher berührt. Das vierte Ka-
pitel der Einleitung hat die geschichtliche Bedeutung der Künste zum
Gegenstande. Wiederum auf sehr treffliche Weise wird hier dargelegt,
Geschichte der bildeudeii Küuste. 443
wie die Kunst Aeusserung des Volksgeistes sei und -wie in der Kunstge-
schichte die Entwickelung der Menschheit sich oftenbare. v
Das zweite Buch, welches die eigentlich historische Darstellung be-
ginnt, handelt von der „Kunst der alten Inder." Das erste Kapitel führt
uns in „Volk und Land" ein und giebt ein anschaulich lebenvolles Bild
der dortigen Zustände und der natürlichen Bedingungen und geistigen
Richtungen, aus welchen die letzteren hervorgegangen. Das eigenthümliche
Wesen der indischen Kunst erhält dadurch seine bestimmte Grundlage.
Ausführlich entwickelt, der Verfasser im zweiten Kapitel den Charakter
der indischen Architektur, mit Einschluss der neuerlich ans Licht gezo-
genen Monumente von KaWlistan und der von Java. ^ Sein Urtheil fällt im \;
Ganzen minder günstig aus, als das meine (obgleich auch ich gewiss kein
unbedingter Verehrer der indischen Architektur bin und ihre Entartungen
ebenfalls höchlichst verabscheue). Ich muss diese Differenz nach dem,
was ich bereits oben angeführt, einstweilen dahingestellt sein lassen, finde
aber in Zukunft vielleicht Gelegenheit, meine Ansicht ausführlicher zu ■
entwickeln. Hier zu meiner Rechtfertigung über einen einzelnen Punkt
(S. 144) nur die Bemerkung, dass ich in meinem Handbuche keinesweges |
das Alter der sämmtlichen Felsentempel in die Aera des Vikramaditya |
hinabgerückt, sondern diese Vermuthung nur in Bezug auf so reich und 1
zierlich dekorirte und doch in den Hauptformen bereits nüchterne Monur 1
mente, wie das Kailasa zu Ellora, ausgesprochen habe. Das dritte Ka- ]
pitel bespricht, natürlich kürzer,- die Plastik und Malerei der Inder. Auch 1
hier werden die Principien vortrefflich entwickelt, aber der künstlerische f
Werth der Werke aus der alten Zeit in der Gesammtmasse, wie mich i
dünkt, ebenfalls zu tief gestellt. Die Abbildungen, die Melville Grindlay
in den Transactions of the roy. asiatic society (II, P. I, p.. 326; P. II,
p. 487) von Sculpturen in Ellora giebt, stimmen mit den bewundernden
Berichten der Reisenden sehr wohl überein; und wenn wir auch diese Ab-
bildungen für etwas verschönert halten wollten, so bleibt doch jedenfalls
eine sehr beachtenswerthe wirklich künstlerische Grundlage. Besonders
geneigt ist der Verfasser, der indischen Malerei ein wenig günstiges Ur-
theil zuzuwenden. Vielleicht sind ihm jedoch nur schlechte Fabrikarbeiten
der neuesten Zeit zu Gesicht gekommen. In der Berliner Bibliothek be-
findet sich bereits seit dem 17ten Jahrhundert ein Band mit indischen
Malereien, von denen etwa die Hälfte allen Anspruch auf ächte künst-
lerische Geltung hat; auch an andern Orten finden sich einzelne schöne
Blätter. Was ich in meinem Handbuche, abweichend von der Ansicht des
Verfassers, über die indische Malerei gesagt habe, war durch die An-
schauung solcher Stücke veranlasst worden. '
Das dritte Buch bespricht die „Kunst der westasiatischen Völker", im
ersten Kapitel die der Babylonier, im zweiten die der Perser, im dritten
die der Phönizier und Juden. Auch hier erhalten wir die anziehendsten
Charakteristiken der äusseren Lebensverhältnisse dieser Völker, der-Weise
ihres geistigen Lebens und der Beziehungen, in welchen ihre künstleri-
schen Unternehmungen zu beiden stehen. Der Verfasser entwickelt es,
wie aus diesen Bedingungen, und namentlich aus denen der geistigen An-
läge, die minder durchgreifende Consequenz des künstlerischen Strebens,
das uns hier entgegentritt, mit Nothwendigkeit hervorgehen musste; be-
sonders in Betreff der Perser und Juden, wo ein besseres Material vorlag,
als bei Babyloniern und Phöniziern, ist diese Durchführung so interessant
444 Berichte und Kritiken.
wie tiberzeugend. Dem dritten Kapitel ist ein Anhang mit ausführlichen
„antiquarischen Bemerkungen tiber den Salomonischen Tempel" beigefügt.
Auch dieser Aufsatz, der mit Sorgfalt alle einzelnen Daten über das viel
besprochene Gebäud^e in Erwägung zieht, enthält viel Belehrendes und
Interessantes, namentlich durch die kritische Bezugnahme auf die jüngeren
Notizen, die wir über den Bau besitzen. Hier mögen ein Paar Gegenbe-
merkungen erlaubt sein. Der Verfasser sucht S. 268 die Ansicht durch-
zuführen, dass der Tempel nicht bloss im Inneren, sondern auch im
Aeusseren mit Holzgetäfel und Goldschmuck bedeckt gewesen sei. Die
wichtigste Beweisstelle ist ihm dafür "V. 29 im 6. Kap. des ersten Buchs
der Könige (nicht, wie man aus seiner Anführung fast schliessen könnte,
im zweiten Buch der Chronik, wo nichts der Art steht). Aus der ganzen
Fassung scheint mir jedoch ziemlich überzeugend hervorzugehen, dass das
Inwendig und Auswendig, wovon an jener Stelle die Rede ist, auf das
Innere des Allerheiligsten und auf den vor demselben befindlichen heiligen
Vorraum bezogen werden müsse. Dann nimmt der Verfasser, ohne Zweifel
richtig, über dem Allerheiligsten, eine Oberkammer an, vermuthet aber,
dass die letztere gegen den heiligen Vorraum offen gewesen sei, dass man
mithin von dort ans in die Oberkammer habe hineinsehen können. Diese
Vermuthung stützt er besonders auf das, was im ersten Buch der Könige,
8. Kap. V. 8, über die Stangen der Bundeslade gesagt wird. Er nimmt
an, dass man die Stangen aus der Lade herausgenommen und aufrecht
hingestellt habe, dass aber der Raum des Allerheiligsten zu niedrig ge-
wesen sei, dass man in Folge dessen die Decke mit einem Loche versehen
und durch dieses das Obertheil der Stangen hindurchgesteckt habe, so
dass sie in die Oberkammer hinaufgereicht hätten und von dem heiligen
Vorräume aus sichtbar gewesen seien. Diese Auslegung ist indess wohl
allzu künstlich, als dass man ihr Beifall schenken könnte, und um so
weniger, als der 7. Vers ebendaselbst mit ihr in direktem Widerspruche
öteht, indem es dort heisst, die Stangen der Lade seien durch die Flügel
der Cherubim von oben her bedeckt gewesen. Die Ausdrücke über die
Stangen in V. 8 bleiben allerdings etwas seltsam, aber wir müssen ja
auch ohnedies bei diesem Bau, wo uns alle Anschauung fehlt, so manches
Räthselhafte hinnehmen. Die grossen Erzsäulen des Tempels betrachtet der
Verfasser als Denkmale, die vor demselben isolirt aufgestellt waren, eine
Ansicht, die auch mir als die angemessnere erscheint; er hälti es aber für
unpassend, die sieben Kettengewinde und die Reihen von 200 Granatäpfeln,
von denen in der Beschreibung der Säulenknäufe gesprochen wird, als
unmittelbares Ornament der Knäufe zu betrachten. Er meint vielmehr, dass
dies ein Schmuck war, welcher von den Knäufen nur ausging und sich
dann um das Tempelhaus herumzog, indem er zugleich zur Befestigung
des äusseren hölzernen Täfelwerks diente. Die Ansicht ist zum Theil
vielleicht nicht übel, wenn wir auch das Letztere mit der mehr als zwei-
felhaften Existenz dieses Täfelwerkes dahingestellt lassen müssen. Könnte
man aber hiebei nicht vielleicht eine ähnliche Einrichtung vermuthen, wie
bei den Spitzsäulen vor dem paphischen Tempel, die bekanntlich in eini-
gen alten Darstellungen auf Münzen u. dergl. durch ein Gewinde verbun-
den erscheinen? «
Das vierte Buch behandelt die „Kunst der Aegypter." Das erste Ka-
pitel, über die Natur des Landes und den Charakter des Volkes, giebt
uns wiederum eine sehr treffliche Einleitung; die Schilderung ist durchaus
445
Geschichte der bildenden Künste.
lebendig; die sinnvolle Benutzung dessen^ was uns an sicheren Urkunden
über das Wesen des alt - ägyptischen Volkes vorliegt, gestaltet sich zu
einem klar anschaulichen, harmonisch geschlossenen Bilde. Das zweite
Kapitel enthält eine ausführliche geographische Uebersicht der Gebäude
ägyptischen Styles; das dritte spricht von dem Style der ägyptischen "Archi-
tektur, das vierte von der Sculptur und Malerei dieses Volkes. Mit schö-
nem, fernem Sinne weiss der Verfasser das, w^as die ägyptische Kunst
überhaupt gross, erhaben, tüchtig und kräftig macht, zu entwickeln und
bis in die geringsten Einzelheiten hinein darzulegen; in diesem Betracht
ist seine Arbeit hier wieder auf mannigfache Weise belehrend und durch
die Eröffnung neuer Gesichtspunkte förderlich anregend. Nach meinem
Urtheil jedoch, wie ich es auch im Obigen bereits angedeutet habe, ist er
in der That von einseitiger Vorliebe für die ägyptische Kunst nicht frei;
manche Mängel, die nicht bloss einer Kunstweise angehören, welche
überhaupt noch auf niedriger Stufe verweilt, sondern die wir als ganz
speziell ägyptische bezeichnen müssen und die die Wagschaale dieses
Volkes wieder etwas leichter machen, werden hier kaum berührt. Der
starre Schematismus, der die ganze ägyptische Kunst durchdringt, scheint
mir nicht in genügender Schärfe bezeichnet. So hätte z. B. jenes geistlose
Zusammenkleben von Architekturstücken, das besonders an den Brüstungen
und Thürpfosten zwischen den Säulenfa^aden der Tempel recht unschön
und widerwärtig erscheint, etwas deutlicher entwickelt werden sollen. So
spricht der Verfasser bei Gelegenheit der persepolitanischen Reliefs aller-
dings von der hier stattfindenden „mangelhaften" (besser: conventioneilen)
Behandlung des menschlichen Körpers, die die Füsse stets im Profil nimmt,
wenn auch der Körper von vorn gesehen wird; erwähnt aber keinesweges,
dass dasselbe, und in noch viel stärkerem Maasse, nach einem Jioch mehr
nüchternen Schematismus, bei allen ägyptischen Reliefs und Malereien
wiederkehrt, wo man bekanntlich nie die Brust im Profil gezeichnet sieht.
— Ueber die obernubischen Denkmäler lässt sich der Verfasser nur ziem-
lich kurz aus und giebt von ihnen keine bestimmte Charakteristik. Das
Werk von Cailliaud, welches dieselben behandelt, scheint ihm unbekannt
geblieben zu sein.
Indem ich hiemit meine, schon etwas ausführliche Anzeige schliesse,
bitte ich den Leser und den Verfasser des Buches um Entschuldigung,
wenn meine Gegenbemerkungen bei einem Werke, dessen grosse Verdienste
so klar daliegen 1, vielleicht einen zu bedeutenden Raum eingenommen
haben. Mein Verhältniss zu diesem Buche wirdtdies vielleicht verzeihlich
erscheinen lassen. Niemand wird zugleich das Verdienst des Verfassers
und die Fördernisse, welche sein Werk bringt, dankbarer anerkennen und
dem Erscheinen der folgenden Bände mit lebhafterem Interesse entgegen-
sehen, als der Unterzeichnete.
-1
-ocr page 445-446 Berichte und Kritiken.
Ein Entwurf von Raphael.
(Kunstblatt 1844, No. 17.)
fm
Ein interessanter Entwurf von Raphael, eine flüchtige Federzeichnung
mit wenig leichten Schattenstrichen, angeblich in Rom befindlich, ist
kürzlich von J. Keller gestochen und bei J. Buddeus in Düsseldorf er-
schienen. Es ist die Composition der „belle Jardinifere'', aber in einzelnen
Motiven abweichend von dem bekannten Gemälde und otfenbar beträcht-
lich früher als dieses. Die Haltung der Madonna ist noch ein wenig con-
ventioneil, noch ein wenig an die umbrische Auffassungsweise gemahnend,
erinnert auch noch etwas an die „Jungfrau im Grünen", das bekannte
Gemälde der k. k. Gallerie zu Wien. Die beiden Kinder sind ebenfalls
noch, was die Formenbildung betrifft, den früheren Jugendbildern Raphaels
verwandt, dabei aber zugleich in Haltung und Bewegung mehr spielend,
mehr materiell naiv aufgefasst; jene klarere, gemessnere Grazie, jener
höhere, sinnvollere Ernst, wodurch die beiden Kinder der belle Jardinifere
so unbeschreiblich anziehend wirken, wird hier noch vermisst. Der Ent-
wurf erscheint als ein nicht unwichtiger Beitrag zu der Bildungsgeschichte
des grossen Meisters. Er giebt einen neuen Beleg, wie Raphael das Werk,
nachdem er den ersten künstlerischen Gedanken dazu empfangen, still in
sich reifen liess, und wie seine Grösse vor Allem in der vollendeten Durch-
bildung seiner Werke beruht. Das ist freilich keine neue Wahrheit; aber
es scheint, dass man sie heutiges Tages wohl ab und zu aufs Neue aus-
zusprechen hat.
Die Ornamentik des Mittelalters. Eine Sammlung auserwählter
Verzierungen und Profile byzantinischer und deutscher Architektur, gezeich-
net und herausgegeben von Carl Heideloff, Architekt und königl, Pro-
fessor der Baukunst an der polytechnischen Schule und königl. Conservator
der Kunst- und Baudenkmale des Mittelalters in Nürnberg, Ritter etc.
I. Band oder I—IV. Heft. Mit 48 Stahlstichen und 6V2 Bogen Text in
deutscher und französischer Sprache. Nürnberg 1843. gr, 4.
(Kunstblatt 1844, No. 22 f.)
Die Erscheinung eines Unternehmens, wie des vorstehend genannten,
bedarf keiner Rechtfertigung. Die Zeit ist nicht mehr, in welcher man
sklavisch, des Rechtes der eigenen Schöpfung sich freiwillig entäussernd,
einer einzelnen Geschmacksrichtung folgte. Die wissenschaftliche Forschung
hat einem vielseitigeren künstlerischen Drange Bahn gebrochen, dem künst-
lerischen Studium die mannigfaltigsten Quellen eröffnet. Die alte Kunst
unserer eigenen Heimat ist als gewichtiges Vorbild wiederum mit in die
Reihe getreten, freilich nicht, um nur sie eben so einseitig zu copiren,
wie weiland die der Römer und Griechen, aber um uns doch an ihr, die
Die Ornamentik des Mittelalters, 447
uns einmal mit vaterländischem Hauche anweht, zu erfreuen und zu kräf-
tigen, und Elemente aus ihr^ in uns aufzunehmen, die vor vielen andern
ihre Geltung liehaupten. Das oben genannte "Werk hat es vorzugsweise
mit dieser alten Kunst unserer Heimat zu thun; der Name des Heraus-
gebers, der als einer der ersten Kenner derselben allgemein bekannt ist?
verbürgt von vorn herein die meisterliche Lösung der Aufgabe.
Das Werk bringt die verschiedenartigsten Gegenstände der mittelalter-
lichen Ornamentik in durchaus charakteristischen Abbildungen. Zunächst
Verzierungen von Gebäuden, Säulenkapitäle und Basen, Friese, verzierte
Schlusssteine, Füllungen u. s. w. Dann selbständige Werke ornamentaler
Kunst von Stein oder Holz, in denen sich Architektonisches und Bildneri-
sches inniger mischen, Taufsteine, Gebet- und Chorstühle, Tabernakel und
Aehnliches, in ganzer Darstellung oder in einzelnen, besonders interessan-
ten Details. Dann Verzierungen, die sonst bei Gegenständen des Gebrauches
für edlere Lebensmomente angewandt sind, in Metall getriebene oder cise--
lirte, in Holz geschnitzte, in Ledfer gepresste, gemalte, gewürkte u. s. w.
Die verschiedenen ?eiten und Geschmacksrichtungen des Mittelalters, von
der ernsten und strengen Weise in der Frühzeit des romanischen (so-
genannt byzantinischen) Styles bis zu der gaukelnd spielenden Weise in
der Spätzeit des germanischen oder gothischen, sind hiebei gleichmässig
vertreten.
Die Darstellungen sind durchaus nach Originaldenkmalen des Mittel-
alters genommen; Nichts erscheint etwa als moderne Composition mittel-
alterlichen Styles. Ebenso sind auch die Aufnähmen durchaus original,
grösseren Theils von dem Herausgeber selbst gezeichnet, einzelne Blätter
aber auch von andern tüchtigen Architekturzeichnern, deren Namen im
Texte an den betreffenden Stellen angeführt werden. Dann ist zu bemerken,
dass die dargestellten Gegenstände bisher fast durchweg unedirte waren, so
dass wir hier fast lauter Neues dargestellt erhalten; nur ein Paar Stücke
finden sich schon in andern Werken über mittelalterliche Kunst abgebildet;
aber auch diese sind keineswegs überflüssig, da sie hier, ganz abgesehen
von ihrer etwaigen Wichtigkeit für den Plan des Herausgebers, in besserer
Aufnahme und Darstellung erscheinen. Was die Lokalitäten anbetrifft,
denen die abgebildeten Denkmäler angehören, so liegt es in der Natur
der Sache, dass diejenigen Punkte am reichlichsten bedacht sind, die in
unmittelbarer Beziehung zu den persönlichen Verhältnissen des Heraus-
gebers stehen. Bei weitem die "überwiegende Mehrzahl der in dem vor-
liegenden ersten Bande enthaltenen Denkmäler gehört theils der ursprüng-
lichen Heimat des Herausgebers, Schwaben, theils der Gegend seiner
späteren und gegenwärtigen Wirksamkeit, Franken, an. Nur einige wenige
Stücke sind in SachsenThüringen, Oesterreich, sowie in Frankreich (in
Paris, Rouen ,und Rheims) befindlich. "
Wenn der letztere Umstand den -Kreis der bisherigen Mittheilungen
etwas eng erscheinen lassen sollte, so haben sie dafür zunächst'nicht bloss
das schon eben erwähnte Verdienst der Neuheit, sondern das noch viel
grössere, dass öie durchgehend Gegenstände von charakteristischer Eigen-
thümlichkeit und von entschieden künstlerischem Gepräge behandeln, und
dass der künstlerische Werth derselben zum Theil,auf sehr hoher Stufe
steht. ^ Es sind GegenständeV die die Geschmacksrichtung der verschiede-
nen. Zeiten auf sehr gediegene Weise vertreten. Der Werth einer nicht
ganz unbeträchtlichen Anzahl dieser Abbildungen erhöht sich auch noch
448 Berichte und Kritiken.
%
i'l dadurch, dass die Originale, seit sie von dem Herausgeber gezeichnet
wurden, bereits zerstört sind, dass mithin eine zureichende Kunde von"
ihnen allein in diesen Blättern erhalten bleibt. Wir lassen eine flüchtige
Uebersicht der wichtigeren Darstellungen des ersten Bandes folgen.
Die Dekorationsweise des romanischen Styles wird besonders durch
architektonische Ornamente vergegenwärtigt. Schwäbische Bauten haben
zahlreiche Beispiele für die reich phantastische, aber noch strenge Weise
in den früheren Zeiten dieses Styles hergegeben; den bunten Friesen, Säu-
lenkapitälen und andern Zierden der merkwürdigen Walderichskapelle zu
Murrhard reihen sich einzelne Stücke der Art aus Ellwangen, Hirschau,
Denkendorf, Lorch, Faurndau, Alpirsbach, Anhausen, Schwäbisch-Hall,
Schwäbisch-Gmünd und dem zerstörten Stammschlosse Württemberg an.
Neben ein Paar französischen Stücken, aus Paris, sind dann elegantere
romanische Ornamente der spätere n Zeit aus fränkischen Orten, aus der
Sebaldskirche zu Nürnberg, aus Kloster Heilsbronn, aus dem Bamberger
Dome, der Burgkapelle zu Coburg u. s.w. anzuführen; auf diese folgen
ein Paar schöne Stücke aus Freiburg an der Unstrut und Merseburg. Einige
auf die Mauer gemalte Ornamente romanischen Styles rühren aus dem
ehemaligen Stammschlosse Württemberg, aus dem Dome von Bamberg und
dem Kloster zum heiligen Kreuz bei Neissen her. Den Uebergang des
romanischen in den germanischen Styl vergegenwärtigen die Details der
zierlichen Fensterarchitektur an dem sogenannten Münzgebäude der alten,
in ihren Resten noch immer so mächtigen Salzburg, bei Neustadt an der
fränkischen Saale. Für die gothische Dekorationsweise werden zunächst
Details der Lorenzkirche zu Nürnberg, sowie einige von französischen
Kirchen gegeben, dann, neben andern Einzelheiten, das ungemein zierliche
und geschmackvolle Portal der zerstörten Katharinenkirche zu Esslingen.
Noch mannigfaltiger aber und reichhaltiger finden wir die Ornamentik dieser
Zeit an selbständigen dekorativen Werken vertreten, wie an dem präch-
tigen Taufstein der Marienkirche zu Reutlingen, dem Untertheil des A. Kraft-
schen Sakramenthäuschens zu Fürth, einem Tabernakel aus Offenhausen,
das sich jetzt auf Schloss Lichtenstein, im Besitz des kunstsinnigen Grafen
Wilhelm von Württemberg befindet, vor Allem glänzend aber an dem Bet-
stuhl des Grafen Eberhard des Aelteren in der Amanduskirche zu Urach,
vom J. 1472. Der Herausgeber hat dem letzteren, der allein schon ein
förmliches kleines Compendium gothischer Ornamentik bildet, sieben Blätter
gewidmet. Ungemein merkwürdig ist auch das Stück eines Entwurfes von
I Veit Stoss zu dem Sebaldusgrabe in Nürnberg, das später von P. Vischer
mit bedeutenden Veränderungen ausgeführt ist; das Original befindet sich
im Besitz des Herausgebers, und derselbe verheisst für spätere Lieferungen
noch weitere Mittheilungen dieses Risses. Ausserdem sind noch mancherlei
Zierstücke aus der späteren Zeit des gothischen Styles anzuführen, nament-
lich Holzschnitzarbeiten an Chorstühlen (zu Nürnberg, Tübingen, Ulm,
Blaubeuren u. s. w.), an Prachtgebälken, an Wandtäfelungen, an Schreinen
und Pulten, an einem Brautwagen u. s.w.; Thonarbeiten, wie die eines
glasirten Ofens; mannigfache Schlosserarbeiten; Proben von Weberei und
Buchbinderkunst u. dergl. m. Aus dem Kreise der Ornamentik heraus-
schreitend, aber gewiss nicht minder willkommen, ist die Mittheilung
eines überaus zierlichen Reliefs in spätgermanischem Style, welches die
Bogenfüllung Über einer kleinen Thür an dem Kapellenthurme der Stadt-
pfarrkirche zu Rottweil in Schwaben ausmacht. Es stellt einen Ritter dar,
Die Ornamentik des Mittelalters. 449
••WUT
der einer Dame einen Ring an den Finger zu stecken im Begriff ist; beide
knieen einander gegenüber. Die wahrhaft holdselige Naivetät und Grazie
dieser Composition muss ihr, dem schönen Stich von Friedr. "Wagner
zufolge, einen der Ehrenplätze in der deutsch-mittelalterliche» Sculptur
sichern.
Wenn somit schon der allgemeine Plan des Unternehmens und die
Auswahl der Gegenstände auf entschiedene Anerkennung Anspruch haben,
so ist dies in noch höherem Maasse der Fall in Bezug auf die Art und
Weise der Herausgabe. Durchweg gewahrt man das sicherste Verständniss
der abgebildeten Gegenstände. Das Romanische in seiner grösseren Strenge
ist eben so charakteristisch aufgefasst, wie das Gothische in seiner mannig-
fach eigenthümlichen Beweglichkeit; die Bedingungen, welche dem einzel-
nen Ornament aus der Beschaffenheit des Stoffes erwuchsen, sind nicht
minder genau beobachtet worden; die Strenge der Steinsculptur in den
älteren romanischen Arbeiten ist eben so genau wieder gegeben, wie das
Weichquellende oder Flacherhobene der spätgothischen Holzschnitzereien.
Die Stecher sind mit gleicher Sicherheit ihren Vorbildern gefolgt. Die
Blätter sind überall in vollständiger Schattenwirkung ausgeführt; die Mo-
dellirung aller, auch der geringfügigeren Kleinigkeiten hat also durchweg
bestimmt wiedergegeben werden müssen. Die ganze Vortragweise ist der
Art, dass sie sich aufs Zweckmässigste, Deutlichste und Ungezwungenste
diesen Erfordernissen fügt. Das ganze Werk ist in Bezug auf die Darstel-
lung der mitgetheilten Gegenstände durchaus als ein Musterwerk zu be-
zeichnen. Die Mehrzahl der Blätter ist von Ph. Walther gestochen. Das
verhältnissmässig kleine Format, gross Quart im Gegensatz gegen ein gros-
ses Folio, dünkt uns sehr angemessen, da das Werk dadurch handlich und
bequem benutzbar bleibt und die Grösse der Blätter doch hinreicht, um
sowQhl Totalansichten eines ornamentistischen Gegenstandes von bedeuten-
derer Dimension als einzelne Details in genügender Entwickelung ihrer
Theile zu geben. Freilich aber war es nöthig, hiebei den Stich anzuwen-
den; lithographische Darstellungen hätten unter diesen Umständen eine
solche Präcision auf keine Weise erreichen können.
Der Text, welcher die Abbildungen begleitet, enthält zunächst einfache
Notizen über die Originalmonumente, und, wenn es Bruchstücke sind, über
die Stelle, an welcher sie sich bei den letzteren befinden. Manche Bemer-
kungen über die Bedeutung der Originale, über ihre kunsthistorische Stel-
lung, über ihre gegenwärtige Beschaffenheit schliessen sich dem an. Wir
verargen es dem Herausgeber durchaus nicht, wenn er dabei arge Sünden,
die sich Gegenwart oder Vergangenheit gegen die Denkmale der Heimat
haben zu Schulden kommen lassen, in aller Strenge rügt; wir wünschen nur,
dass sein Wort auf einen fruchtbaren Boden fallen möge. Hin und wieder ge-
stalten sich diese Bemerkungen, wenn es sich um besonders wichtige Mo-
numente handelt, von denen nur einzelne Details abgebildet sind, zu aus-
führlichen Schilderungen oderiauch zu förmlichen kleinen kunsthistorischen
Abhandlungen. Besonders wichtig ist das, was der Herausgeber bei Gele-
genheit des Entwurfes von Veit Stoss zu dem Sebaldusgrabe in Nürnberg
über diesen Künstler selbst und über sein Verhältniss zu Peter Vischer
mittheilt; diese Bemerkungen sind, so viel ich weiss, neu, und dürften für
einige Hauptpunkte der deutschen Kunstgeschichte sehr beachtenswerthe
Fingerzeige geben. Der Herausgeber ^bezeichnet Veit Stoss, der nicht bloss
Kuglet, Kleine Schriften, II, 29
450 Bericlite und Kritiken.
als Maler und Zeichner, sondern auch als Architekt und Figurist ausge-
zeichnet gewesen; als den Besitzer der damals bedeutendsten Kunstwerk-
stätte in Nürnberg, aus der die mannigfachsten Holzschnitzarbeiten in alle
Welt gegangen. Als erhaltene Werke seiner Hand zählt er auf: seinen
Altarschrein in Schvrabach, seinen Christus in Rottweil und einen zweiten
in der Sebalduskirche zu Nürnberg, seine Madonna in der dortigen Kunst-
schule, seinen Rosenkranz in der Kirchenkapelle auf der Burg und den
englischen Gruss in St. Lorenz, ebendaselbst. An ihn habe man sich auch
wegen der Fertigung eines Modells zu dem Sebaldusgrabe gewandt; die
Zeichnung dazu (5 Fuss hoch) sei indess auf ein Werk von 60 Fuss Höhe
berechnet gewesen, darum aber die Ausführung zu kostbar, und das Ganze
sei mithin, als P. Vischer die Arbeit übernommen, in demMaasse verklei-
nert und verkürzt worden, wie wir es gegenwärtig kennen; dabei sei dann
nicht bloss der Styl der Figuren verändert, sondern auch die ursprünglich
vorgeschriebene rein gothische architektonische Bekrönung, diese nicht zum
Vortheil des Ganzen, weggelassen worden. Ueberhaupt sei es V. Stoss
gewesen, der für die Giesshütte P. Vischer's die Modelle geliefert, wenn
solche aus Holz gefertigt sein mussten; daher der so ganz abweichende
Styl mancher Werke, die dem P. Vischer zugeschrieben werden, von denen
aber nur der Guss sein Eigenthum sei. Zu diesen, somit der ganzen Com-
position und Behandlung nach dem V. Stoss angehörig, zählt der Heraus-
geber das Grabmal des Erzbischofs Ernst von Magdeburg, in dem dortigen
Dome, und die Grabmäler des Grafen Hermann VHI. nebst seiner Gemah-
lin Elisabeth und des Grafen Otto IV. zu Römhild. Wenn dagegen die
Modelle aus Wachs gearbeitet wurden, so seien dieselben in P. Vischer's
eigener Werkstatt, von ihm selbst oder, von seinem talentvollen Sohne
Hermann, gefertigt worden; der Herausgeber zählt auch von diesen, ihrem
abweichenden Style gemäss, mehrere auf. Wir empfehlen diese Bemer-
kungen der Aufmerksamkeit aller, die sich für die Geschichte der vater-
ländischen Kunst interessiren, und hoffen, hierüber bald noch ausführ-
lichere Darlegungen zu erhalten, — Als andere Notizen von besonderer
Wichtigkeit sind schliesslich noch die über die zerstörte Katharinenkirche
von Esslingen, ein Werk des Matthäus Böblinger aus der späteren
Zeit des löten Jahrhunderts, und über die Arbeiten des Georg Syrlein,
bei Gelegenheit einiger Schnitzarbeiten aus Blaubeuren und Ulm, hervor-
zuheben. I
Ein Unternehmen von so gründlicher und solider Anlage, das von
kunstwissenschaftlicher Basis aus so meisterlich lebendige Anschauungen
darbietet, kann nicht anders als aufs Fördersamste anregend in die Stre-
bungen der Zeit eingreifen. Wir sehen den folgenden Mittheilungen, zu
denen in den Sammlungen des Herausgebers ohne Zweifel das reichhaltigste
Material vorliegt, mit regster Erwartung entgegen.
Titian Vecellius. 451
Titian Vecellius. Das Originalgemälde befindet sich im königlichen
Museum zu Berlin. Titian gemalt. Gezeichnet und gestochen von E.
Mandel, Professor und Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin.
Berlin 1843. Verlag von L. Sachse und Comp.
(Kunstblatt 1844, No. 24.)
Die Reihenfolge der meisterhaften KupfeTstiche nach Künstlerbildnissen,
die wir in neuerer Zeit erhalten haben, und wohin z.B. Forster's Raphael,
Mandel's van Dyck u. a. m. gehören, wird durch das vorliegende Blatt
auf erfreuliche Weise vermehrt. Das Original ist jenes merkwürdige, eigen-
händige, doch nicht völlig beendete Portrait des Berliner Museums, wel-
ches den grossen Meister der venetianischen Schule in höherem Alter dar-
stellt, und in welchem die energische Persönlichkeit des Mannes mit der
kühnen Vortragsweise so anziehend harmonirt. Mandel hat jedoch nicht
das ganze Bild, Ibekanntlich Halbflgur mit Händen, wiedergegeben; um
dasselbe als Pendant zu den obengenannten Kupferstichen behandeln zu
können, hat er, ausser dem Kopfe, nur die obere Hälfte der Brust und
den Ansatz der Schultern in seinen Stich aufgenommen, wodurch er zu-
gleich die "Wiedergabe der nur erst flüchtig angelegten Theile des Origi-
nales, wie namentlich der Hände, ganz umgehen konnte. Dies Letztere
hätte natürlich seine grossen Schwierigkeiten gehabt; aber auch wie der
Kupferstecher seine Aufgabe zu fassen für gut fand, musste sie noch immer
bedeutende Schwierigkeiten darbieten. Jene kühne Behandlungsweise des
Originals, in der Vieles, namentlich in den feineren Details des Gesichtes,
eben nur angedeutet war, konnte überhaupt nicht, am wenigsten in der
Linearmanier des Kupferstiches, die überall auf ein bestimmtes Ausspre-
chen bis in das Einzelste herab hindrängt, wiedergegeben werden; der
Kupferstecher musste allen leisen Nüancen und Effekten des Originales mit
klarstem Bewusstsein über die Intentionen des Malers nachfolgen und
dessen Werk für die schärfere und bestimmtere Technik des Stiches förm-
lich umarbeiten. Die Gefahr, bei dieser Procedur ein Andres zu schaffen
und die hohen Vorzüge des Originals durch willkürliche Abweichungen
zu schmälern, lag nahe; doch hat Mandel diese Klippe auf's Glücklichste
umschifft. Sein Blatt hat das doppelte Interesse, sowohl der treuen Wie-
dergabe^ des Tizianischen Bildes als der eben angedeuteten, selbständig
bewussten und ^gesetzlich klaren Umarbeitung desselben. Der Stich zeigt
in der Linienführung den lebendigsten plastischen Sinn, der sich allen Be-
wegungen der Form zu fügen weiss, und ebenso, durch sorgfältige Beob-
achtung der Töne, den gediegensten Sinn für die malerische Wirkung.
Die Totalwirkung des Blattes ist eben so erfreulich, wie die Beobachtung
der Einzelheiten den Beschauer unterhält und belehrt. Das Werk ist ein
neuer Beleg von der Meisterschaft des Kupferstechers, der unbedenklich
mit den besten seines Faches auf gleicher Linie steht.
Berichte und Kritiken,
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter.
- (Kunstblatt 1844, No. 49 fif.)
Unter den zahlreichen Baudenkmalen, welche sich in den thüringisch-
sächsischen Gegenden aus der früheren und späteren Zeit des Mittel-
alters, aus den Perioden des romanischen und germanischen Styles erhal-
ten haben, ist der Dom von Naumburg als eines der bedeutendsten und
interessantesten hervorzuheben. Das Gebäude imponirt ebenso durch gross-
artige Verhältnisse und malerisch wirksame Composition, wie durch Rein-
heit des Styles in seinen verschiedenen Thailen und tüchtige solide Aus-
führung; auch schliesst dasselbe mehrere sehr bemerkenswerthe bildnerische
Denkmale in sich ein. Für die kunslhistorische Forschung glebt der Dom
in mehrfacher Beziehung die wichtigsten Anknüpfungspunkte; doch bedarf
es für die chronologische Feststellung seiner verschiedenen Theile einer
gründlichen und bis in das Einzelne durchgeführten Kritik. Jüngst er-
schienene ausführliche Mittheilungen und bildliche Darstellungen in Bezug
auf den Dom geben iins eine erwünschte Gelegenheit, näher auf ihn ein-
zugehen und anderweitige Bemerkungen über entsprechende Verhältnisse
der kunsthistorischen Entwickelung daran anzuknüpfen. Dies sind die
neueren Hefte der „Denkmale der Baukunst des Mittelalters in
Sachsen, bearbeitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich." ') Die
Lieferungen 9 —14 der zweiten Abtheilung dieses Werkes, welche die
Denkmale der preussischen Provinz Sachsen umfasst, behandeln den Dom;
sie bilden ein zusammenhängendes Ganze, dessen besondrer Inhalt durch
einen Separattitel angegeben wird: „Der Dom zu Naumburg, beschrie-
ben und nach Anleitung urkundlicher Quellen archäologisch erläutert von
€. P. Lepsius, königl. preuss. Geh. Regierungsrath; mit einigen Zu-
sätzen über andere mittelalterliche Bauwerke dieser Stadt herausgegeben
von Dr. L. Puttrich."
Zur allgemeinen Charakteristik des Domes möge zunächst das Folgende
dienen. Die Hauptmasse des Gebäudes, das Schiff und Querschiff, sind in
eleganter spätromanischer Weise, im Innern mit vorherrschend spitzbogigen
Wölbungen, mit geschmackvollen Profilirungen und Laubornamenten aus-
geführt: ebenso die ausgedehnte Krypta unter dem östlichen Chore (deren
mittlerer Theil jedoch älter ist und das Gepräge strengeren romanischen
Styles trägt) und die älteren Theile des auf der Südselte belegenen Kreuz-
ganges. Gleichzeitig hiemit sind zwei Thürme auf der Ostseite der Kirche,
wenig jünger die Thürme auf ihrer Westseite oder doch der vorzüglichst
charakteristische Theil des einen dieser Thürme (des nördlichen), indem
der andere (der südliche) sich nicht über das Kirchendach erhebt. Dem
Hauptschilf der Kirche schliesst sich sodann auf beiden Enden ein Chor-
bau an. Der westliche Chor trägt das Gepräge des germanischen (gothi-
schen) Baustyles in dem ersten Stadium seiner Entwickelung, und bildet
ein sehr wichtiges Beispiel für dies Moment der deutschen Kunstgeschichte;
der Östliche Chor, über der alten Krypta sich erhebend, aber mit seinem
•
1) Leipzig, auf Kosten des Herausgebers, in Commission bei Friedlein und
Hirsch. Fol.
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Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 453
Schlüsse beträchtlich über dieselbe hinaustretend, gehört einer weiter vor-
geschrittenen Zeit des germanischen Styles an. Im Innern sind beide
Chöre von dem Kirchenschiff durch besondere Zwischenbauten, sogenannte
Lettner, getrennt, die beide, rücksichtlich der Zeif, der sie angehören, in
Deutschland fast ohne Beispiel zu sein scheinen, da anderweitig bei uns
die Lettner, so viel mir wenigstens bekannt, nur in der Spätzeit des ger-
manischen Styles vorkommen; der östliche nämlich, im spätromanischen
Style, ist gleichzeitig mit dem Hauptbau der Kirche, der westliche, früh-
germanisch und besonders reich dekorirt, gleichzeitig mit dem Bau des
westlichen Chores. Dann zeichnet sich der Dom, wie bemerkt, durch
mancherlei Bildwerk aus, das in seinem Innern eingeschlossen ist. Die
wichtigsten Stücke desselben bestehen aus Sculpturen, Reliefs und Statuen,
welche den westlichen Lettner und das Innere des westlichen Chores
schmücken, mit diesen, wie sich aus äusseren ganz unzweifelhaften Kenn-
zeichen ergiebt, gleichzeitig sind und somit für die erste Entwickelungszeit
des germanischen Styles in der bildenden Kunst von Deutschland wiederum
die grösste Bedeutung haben. '
Die bildlichen Darstellungen, welche die in Rede stehenden Lieferun-
gen des Puttrich'sehen Werkes enthalten, bestehen aus 28, zumeist litho-
graphirten und in vollständig malerischer Wirkung ausgeführten Blättern.
Wie überall bei Puttrich, der sein Werk auf gleiche Weise dem Interesse
des Laien, wie dem des Forschers und Kenners gerecht zu machen sucht,
so sind auch hier die architektonischen Darstellungen zumeist nur in per-
spectivischen Ansichten gegeben. Wir entbehren dadurch allerdings der
bestimmteren Belehrung über das Ganze des Organismus und seiner Ver-
hältnisse, die sich aus geometrischen Aufrissen und Durchschnitten ergiebt,
besonders wenn diese in klarer Linearzeichnung gehalten sind; wir fühlen
uns aber das Allgemeine des Eindruckes unmittelbarer gegenüber geführt,
und wir müssen jedenfalls zugeben, dass diese Unmittelbarkeit für den
grösseren Theil der Beschauer und für die Erregung einer verbreiteteren
Theilnahme an den Denkmalen solcher Art nur vortheilhaft wirken känn.
Aus verschiedenen Standpunkten werden uns Ansichten des Aeusseren und
des Inneren und der einzelnen Theile des Gebäudes mitgetheilt: Ansichten
des Aeusseren von Südosten und von Nordwesten, sowie ein Blick auf den
Haupttheil der Kirche vom Kreuzgange aus; Durchblicke durch das Lang-
schiff und durch das Querschiff des Domes; besondre innere Ansichten
der beiden Chöre u. s. w. Das Innere des östlichen Chores sehen wir in
zwei Ansichten, ostwärts und westwärts gewandt, vor uns, um dadurch zu-
gleich von dem schönen gothischen Gestühl, das denselben erfüllt und des-
sen meisterhaft gearbeitete Ornamente eigentlich ein ganz besondres Werk
erfordert hätten, wenigstens einige nähere Andeutungen zu geben. In vor-
züglich gelungener Behandlung erscheint unter diesen Blättern das zweite
(No. 25, gez. von Sprosse, lithogr. von Asselineaij), in dem man aus
dem Chor in das Schiff der Kirche blickt, in dem leider jedoch die Archi-
tektur des letzteren ganz willkürlich, als blosses Phantasiebild, behandelt
ist. Dann sind die innere Ansicht einer Seitenkapelle, ein Durchblick
durch die Krypta, ein Durchblick durch den Kreuzgang, sowie 'eine An-
sicht des in der Vorhalle belegenen Hauptportales anzuführen. Der merk-
würdige Oberbau des nördlichen Thurmes auf der Westseite ist auf einem
besondern Blatte in grösserem Maassstabe-gegeben, ausserdem sind sechs
Blätter mit ornamentistjschen Details, namentlich Säulenkapitälen, angefüllt,
454 Berichte und Kritiken.
auch diese durchweg in vollstäadiger Licht- und Schattenwirkuag behan
delt. So dient der reiche Wechsel dieser Blätter dazu, uns in dem Gebäude
heimisch zu machen und mit Liebe auf seine merkwürdigen Einzelheiten
näher einzugehen. Ein Grundriss dient zur Orientirung, in Betreff auf die
Gesammtanordnung des Gebäudes; zahlreiche Profile von den Details archi-
tektonischer Gliederungen, zur Seite des Grundrisses und auf einem beson-
dern Blatte enthalten, geben das Zugeständniss, dass auch diese Theile
der architektonischen Ausbildung in nähere Erwägung gezogen werden
müssen.
Ich kann hier indess einen Tadel nicht unterdrücken, den mir der
verehrte Herausgeber im Interesse der Sache, um die es sich handelt, ver-
zeihen möge. Der Tadel ist schon in den wenigen Worten angedeutet: —
die Mittheilung der Profilzeichnungen bildet nur ein Zugeständniss.
Bei weitem der grösste Theil von ihnen ist so klein gehalten, dass man
höchstens nur sieht, was für Glieder an den betreifenden Stellen enthalten,
keineswegs aber, mit welchem Gefühle, mit welchem -Geiste dieselben ge-
bildet sind. Was kann es z. B. nützen, ein aus acht Gliedern zusammen-
gesetztes Deckgesims (Taf. 26, 9) in der Höhe von ungefähr fünf Linien
dargestellt zu sehen ? ist es möglich, dabei über den Charakter dieser Glie-
der, über ihren Schwung, ihre Spannung, ihre Elasticität nur irgend ein
Urtheil zu fällen? Und doch ist gerade dies fast der wichtigste Punkt,
wenn es sich um die nähere Würdigung eines architektonischen Werkes,
und namentlich, wenn es sich um seine kunsthistorische Würdigung han-
delt. Das Werk der Architektur stellt ein organisches Ganzes, das inner-
lich von Leben erfüllt ist, dar. Die Kraft aber, die Fülle, die Gediegen-
heit und Reinheit, das Bewusstsein dieses Lebens, — überhaupt; die Stufe,
welche der Organismus des Werkes einnimmt, zeigt sich naturgemäss da,
wo die Masse sich in bewegten Formen detaillirt, namentlich in den Ueber-
gängen aus einem Theile in den andern; ganz in der Weise, wie es bei
allen andern Organismen der Fall ist, wie in den Blatt-.und Blüthenkel-
chen der Pflanze, in den Gelenken und den Gesichtsformen der mensch-
lichen Gestalt, in den Beugungen und Wendungen der Sprache u. s. w.
Die Architektur ist auch eine Sprache, und die charakteristische Eigen-
thümlichkeit der einzelnen architektonischen Erscheinung beruhtj vor Allem,
wie bei dieser, in dem Vermögen der Beugungsfähigkeit überhaupt, dann
in der besondern Weise,-wie sich die letztere an den betreffenden Punkten
äussert. Bei der bildlichen Darstellung von Architekturen, zum Behufe
ästhetischer und historischer Würdigung, ist also vornehmlich hierauf Rück-
sicht zu nehmen und durch Darstellungen in entsprechendem Maassstabe
eine genügend belehrende Anschauung zu gewähren. Erst nach den eigent-
lichen Gliederungen kommen die ornamentistischen Theile, in denen sich
dasselbe Vermögen in freieren, mehr spielenden Formen kund giebt. Ich
werde im Folgenden veranlasst sein, auf die Wichtigkeit dieser Punkte noch
einmal zurückzukehren.
Von dem östlichen, im spätromanischen Style ausgeführten Lettner
wird uns ein geometrischer Aufriss, in Linienzeichnung, nebst einigen cha-
rakteristischen Details vorgeführt; das Werk, das durch spätere Bauverän-
derungen theilweise gelitten hat, sehen wir hier in ursprünglicher Vollstän-
digkeit und Eigenthümlichkeit vor uns. Der westliche, frühgermanische
Lettner ist auf mehreren Blättern dargestellt, ebenfalls in geometrischen
Aufrissen, au.ch in einem Durchschnitte, aber zugleich in vollständiger
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 455
Licht- und Schattenwirkung; nach einem grösseren Maassstabe behandelt,
geben diese Blätter vorzüglich gehaltreiche Belehrung über die Anordnung
und die Dekoration der frühgermanischen Bauweise in Deutschland, sowie
auch die daran befindlichen Sculpturen mit Sorgfalt in ihrer charakteristi-
schen Eigenthümlichkeit wiedergegeben sind. Vorzüglichste Anerkennung
aber verdienen die beiden Blätter, welche die zwölf Statuen des westlichen
Chores — die Bilder der ursprünglichen Stifter und Woblthäter des Domes
— darstellen. Diese Blätter sind von Haach eben so treu und geistvoll
gezeichnet, wie von Schlick mit zarter Sorgfalt lithographirt; es sind
kleine Meisterwerke in der Auffassung alterthümlich historischer Eigen-
thümlichkeit. Ueber die letztere brauche ich hier nichts hinzuzufügen-,
ich habe diese für die Geschichte der deutschen Sculptur so überaus wich-
tigen Arbeiten in meinem Handbuch der Kunstgeschichte bereits näher cha-
rakterisirt.
Ich übergehe einige andere, minder bedeutende Sculpturen des Domes,
die in den in Rede stehenden Heften noch enthalten sind, um über die
letzten Blätter noch ein Paar Worte zu sagen. Diese bringen die Darstel-
lungen von ein Paar anderen naumburgischen Monumenten. Zunächst die
eines alterthümlichen Gebäudes im spätromaniscben Style, einer Curie in
der Nähe des Domes, in Ansicht, Grundrissen, Durchschnitten und Details,
für die Anschauung der Privatarchitektur jener frühen Zeit ein sehr wich-
tiges Beispiel. Sodann Grundriss und Ansicht der Wenzelskirche, eines
sonderbaren Gebäudes aus der Spätzeit des germanischen Styles.
Eben so reichhaltig wie diese bildlichen Darstellungen ist der Text,
welcher sie begleitet (62 S. in Fol.). Herr Geh. Rath Lepsius, von dem
der grössere Theil desselben herrührt, hat mit grosser Sorgfalt und Um-
sicht eine Schilderung des Gebäudes und all seiner besonderen, technischen,
construktiven und ästhetischen Eigenthümlichkeiten entworfen; hierauf folgt
eine gründliche, urkundlich gesicherte Darstellung der den Bau betreffefi-
den historischen Verhältnisse, denen gemäss Herr Lepsius die Ansicht, die
er sich über das Alter der verschiedenen Bautheile gebildet, zu entwickeln
und gegen anderweitige Einwürfe festzustellen sucht. Die nachträglicheu
Bemerkungen von der Hand des Herausgebers tragen wesentlich zum nähe-
ren Verständniss der Besonderheiten des Domgebäudes und der mitgetheil-
ten Darstellungen desselben bei, wie sie auch das Nöthige über die andern
beiden Gebäude, die im Vorigen genannt sind, beibringen.
Ich muss mir von den Lesern des Kunstblattes die Erlaubniss erbitten,
auf die kunsthistorischen Resultate, welche Herr Geh. Rath Lepsius vor-
legt, hier etwas näher eingehen zu dürfen. Der Gegenstand ist für die
vaterländische Kunstgeschichte, für die Culturgeschichte überhaupt, zu
wichtig, um nicht auf eine ausführlichere Erörterung Anspruch zu haben.
Der würdige Verfasser selbst, bei dem wir es nicht, wie leider sonst so
oft, mit einer vorgefassten Meinung zu thun haben, wird es nicht anmaas-
send finden, wenn ich die Gründe seiner Ansicht einer Kritik unterwerfe
und die entgegenstehende Ansicht näher darzulegen suche. Die wichtig-
sten Daten für die Baugeschichte des Domes bestehen darin, dass ein Dom-
gebäude an dieser Stelle im Anfang des Ilten Jahrhunderts gebaut und
zwischen 1040—1050 eingeweiht worden isjt, und dass im Jahr 1249 be-
deutende Zurüstungen zu einer neuen Vollendung des/^omgebäudes vor-
bereitet wurden. Das Letztere bezieht sich ohne allen Zweifel (und aus
wichtigen Nebengründen) auf den Bau des westlichen Chores, und wir ge-
456 Berichte und Kritiken.
Winnen dadurch für die Periode des frühgermanischen Styles in Deutsch-
land einen bedeutsamen Anknüpfungspunkt mehr '). Es ist aber in Frage
zu stellen, ob die älteren Theile des Domgebäudes noch seiner ersten
Gründung im Ilten Jahrhundert, oder ob sie einer Erneuung aas der spä-
teren Zeit des romanischen Styles (d. h. etwa dem Anfange des 13ten Jahr-
hunderts, worüber jedoch kein bestimmtes historisches Datum vorhanden
ist) angehören, Herr Lepsius entscheidet sich für die erstere Annahme
und bekämpft die zweite, die von mir in meinem Handbuche der Kunst-
geschichte aufgestellt ist. Es handelt sich bei diesem Streit aber keines-
wegs um lokale Interessen, d. h. um den Naumburger Dom allein; es han-
delt sich zugleich, worauf auch Herr L. eingeht, um einen grossen Cyklus
von Gebäuden, die mit den älteren Bautheilen des Naumburger Domes
übereinstimmen und deren grössere Zahl sich in den Gegenden des mittle-
ren Deutschlands vorfindet-, und es handelt sich, unter einem noch umfas-
senderen Gesichtspunkte, überhaupt darum, ob wir jene eigeuthümliche
Ausbildung des künstlerischen Sinnes, die sich in diesen Gebäuden kund
giebt, bereits der Frühzeit des Ilten Jahrhunderts zuschreiben dürfen.
Ich habe diesen Streit schon einmal, im Kunstblatt 1842, Nr. 73, gegen
den Soim des Herrn Geh. Raths Lepsius, Herrn Dr. C. Fi. L., durchgefoch-
ten; ich erlaube mir, um das schon Gesagte nicht zu wiederholen, darauf
zurück zu verweisen. Ich werde hier nur die besondern Gründe, die Herr
Geh. Rath L. aufführt, in's Auge fassen. Der Text des letzteren war ohne
Zweifel bereits gedruckt, als die genannte Nummer des Kunstblattes er-
schien; eine Bezugnahme von seiner Seite auf diese findet also nicht statt.
Die Gründe, die Herr Geh. Rath Lepsius für seine Ansicht vorführt,
bestehen zunächst im Wesentlichen darin, dass bei den zahlreichen Urkun-
den zur Geschichte des Naumburger Domkapitels und namentlich bei der
grossen Anzahl von Nachrichten, die uns aus der ersten Hälfte des 13ten
Jahrhunderts vorliegen, weder von einer gewaltsamen Zerstörung oder Be-
schädigung des alten Gebäudes die Rede sei, noch direkt von den Anstal-
ten für einen Neubau gesprochen werde, noch Etwas über eine neue Ein-
richtung desselben bekannt sei. Ich gebe sehr gern zu, dass dies, wenn
man meiner Ansicht folgt, auffällig erscheinen muss; ich kann aber nicht
einsehen, dass dadurch die UnStatthaftigkeit der letzteren sofort erwie-
sen sei. Die Beispiele, dass uns in der Kunstgeschichte die urkundlichen
Nachrichten verlassen, kommen zu häufig, und in den evidentesten Fällen,
vor, als dass wir nicht auch die Möglichkeit dieses Falles hier, trotz
aller entgegenstehenden Bedenken, anzunehmen berechtigt wären. Liegt
doch auch für den Neubau des östlichen Chores am Naumburger Dome
(im 14ten Jahrhundert) und für die neue Einweihung desselben, die jeden-
Ein sehr erfahrener Freund des Unterzeichneten, der aber den Beginn
der germanischen (gothischen) Bauweise in Deutschland möglichst spät zu setzen
liebt, behauptete, die Urkunde vom Jahr 1249 müsse nothweudiger Weise auf
das, noch im romanischen Styl aufgeführte Schill der Kirche bezogen werden.
Dem kann ich jedoch auf keine Weise beistimmen. Die ganze Fassung der
Urkunde widerspricht dieser Ansicht ebenso, wie unsere seitherigen Ergebnisse in
der kunsthistorischen Forschung, Wohl kein romanisches Gebäude in Deutschland,
von dem wir ein sicheres Datum haben, reicht, rücksichtlich seiner Gründung,
bis in diese Zeit herab, während wir gleichzeitig sichere Daten über die erste
Aufnahme des germanischen Styles bereits in genügender Anzahl, z. B. in dem
Chore der Kirche des, Naumburg benachbarten Schulpforta, besitzen.
Zar Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 457
falls erfolgen musste, da der Altar beträchtlich weiter ostwärts gerückt ist,
als er früher gestanden haben kann, durchaus nichts von urkundlicher
Nachricht vor! Indess fehlt es doch auch nicht ganz an Andeutungen, die
für eine Erneuerung des -im Ilten Jahrhundert gegründeten Domgebäudesj
und zwar für die frühere Zeit des 13t«n Jahrhunderts, zu sprechen schei-
nen. Ich habe bereits in No. 73 des Kunstblattes für 1842 bemerkt, dass
die Urkunde des Jahres 1249, nach dem einfachsten Verständniss ihrer
Worte, drei Bauzeiten unterscheiden lehre: die erste Gründung (im Ilten
Jahrhundert) , die Erbauung der Kirche durch die Nachkommen (die den
Leuten zur Zeit des Jahres 1249 als „bekannt" (certum est) genannt wird,
somit irgendwie noch in ihrer Erinnerung haften musste) und die vorbe-
reitete Vollendung (den westlichen Chorbau). Eben daselbst habe ich auf
eine Urkunde vom Jahr 1228 aufmerksam gemacht, die auf ein Zusammen-
halten aller Mittel schliessen lässt, in der Epoche, in welche ich den
Neubau setze. Und wichtiger noch ist eine von Herrn Geh. Rath L. ange-
führte Urkunde vom Jahr 1213, die von der „Herstellung der Gebäude
der Kirche" spricht. Herr L. behauptet zwar, dies könne nicht auf die
Kirche selbst bezogen werden, und erläutert jenen Ausdruck demzufolge
durch eine Urkunde von 1223, die ausdrücklich des Baues eines Kapitel-
saales und eines Schlafsaales gedenkt. Indess ist der direkte Bezug der
Urkunde von 1223 auf die von 1213 doch willkürlich; und wenn auch
nicht behauptet werden darf*, dass die letztere sich nur auf die Kirche
beziehe, so lässt sie jedenfalls Bauunternehmungen im Interesse der Kirche
erkennen, bei denen eine Erneuung der letzteren oder deren Beginn sehr
wohl mit eingeschlossen sein konnte. Die Urkunde von 1223 ist in der
Kirche selbst ausgestellt. Dies ist indess ebenfalls kein Gegenbeweis gegen
meine Annahme; denn die bezügliche Verhandlung konnte sehr wohl vor
sich gehen, wenn selbst auch nur noch ein Theil des alten oder erst nur
ein Theil des neuen Gebäudes ~ etwa der Chor — vorhanden war ').
Herr Lepsius "sieht übrigens sehr wohl ein, wie abweichend der Baustyl
der älteren Theile des Naumburger Domes von dem so mancher anderen
Gebäude in Deutschland ist, die mit Nothwendigkeit in das Ute Jahrhun-
dert gesetzt werden müssen. Er sieht sich demnach veranlasst, hier (und
ohne Zweifel auch bei jenen anderweitigen Bauten, die mit dem Style des
Naumburger Domes übereinstimmen) eine ganz besondre Bauschule anzu-
nehmen, und zwar leitet er dieselbe aus — der Lombardei her. Ich muss
Was jenen altern Theil der Krypta des Naumburger Domes anbetrifft, so
erklärt Herr L. denselben, historischen Andeutungen gemäss, als den Rest eines
Kirchenbaues, der kurze Frist vor der Aufführung des eigentlichen Dorogebäudes
begonnen sei; die Anlage des letzteren, als eine Stiftskirche von erheblicher
Bedeutung, habe dann eine Veränderung und Ausdehnung des alten Planes nöthig
gemacht. Die bedeutende Stylverschiedenheit zwischen diesem alten und den
späteren Theilen der Krypta macht aber schon an sich die Annahme* einer so
kurzen Zwischenzeit bedenklich. Meiner Ansicht folgend, würde es vielmehr
zunächst begründet erscheinen, ,den alten Theil der Krypta überhaupt als Best
der alten Stiftskirche, und zwar als ihrea einzigen Rest, zu betrachten. Doch
möchte ich auch dies nicht ohne Weiteres unterschreiben. Auch diese Formen
sehen mir fast jünger aus, als der Anfang des Ilten Jahrhunderts; ich möchte
sie lieber in die Periode um den Anfang des folgenden setzen, wo etwa der
Chorbau erneut sein mochte. Indess soll hiemit für jetzt noch keineswegs ein
definitives Ürtheil ausgesprochen sein.
458 Berichte und Kritiken.
gestehen, es ist fast betrübend, in einer sonst so gehaltreichen und ver-
dienstlichen Schrift eine Voraussetzung aufs Neue auftauchen zu sehen,
deren gänzliche Willkürlichkeit und Unstatthaftigkeit nach den neueren
Forschungen aufs Vollkommenste zu Tage liegt und die wir schon als
völlig antiquirt betrachten zu dürfen glaubten. Einflüsse italienischer Kunst
auf die deutsche, vrenigstens Einflüsse von irgend erheblicher und durch-
greifender Bedeutung sind im Laufe des Mittelalters durchaus nicht nach-
zuweisen, vielmehr nur das Gegentheil; sie beginnen erst mit der modernen
Entwickelung der Kunst und bilden erst von dieser Zeit ab eine Tradition,
die man geraume Frist und zur sehr geringen Ehre unserer vaterländischen
Geschichte irrthümlich auch auf die ältere Zeit anzuwenden liebte. Herr
L. behauptet, in der Lombardei seien die Typen der altchristlichen Bau-
kunst zuerst verlassen und statt ihrer das System der gewölbten Basilika
eingeführt: er citirt dazu mein Handbuch der Kunstgeschichte, wo ich
Aehnliches aber lediglich nur in Bezug auf italienische Verhältnisse aus-
gesprochen habe. Herr L. stellt ferner als Hauptbeispiel die Kirche S.
Micchele zu Pavia auf, deren willkürlich vorausgesetztes frühes Alter
schon so viel Verwirrung in der Kunstgeschichte angerichtet hat, obgleich
diese Fiktion schon längst durch Cordero in ihrer ganzen Haltlosigkeit
dargestellt ist. Und abgesehen hievon, wie wäre es'irgend denkbar, dass
aus der plumpen Schwerfälligkeit dieser Kirche und andrer lombardischen
Kirchen, die notorisch nicht direkt in den Schluss der Periode des roma-
nischen Styles fallen, eine so eigenthümliche, edle und anmuthvolle Aus-
bildung der Architektur hervorgegangen wäre, wie sich diese am Naum-
burger Dome und den ihm verwandten kirchlichen Gebäuden Deutsch-
lands zeigt ?
„Ragiönamento dell' italiaaa Architettara durante la dominazione Longo-
barda." Die wichtigsten.Stellen dieser Schrift,'die sich auf die Kirche S. Micchele
beziehen, habe ich in der üebersetzung im „Museum, Blätter für bildende Kunst,"
1834, No. 6 f. bereits dem deutschen Publikum vorgelegt. (Kl. Schriften, I., S. 203.)
Herr L. citirt für die Kirche S." Micchele die Notizen, die sich über sie bei
Serradifalco (del duomo di Monreale p. 79, nr. 10) finden, Serradifalco hat diese
Notizen oifenbar aus Cordero entlehnt und giebt die Ansichten des letzteren
wenigstens halb und halb zu; er hütet sich zwar, an dieser Stelle Cordero's
Namen zu nennen, bezieht sich aber auf ihn gleich in.den folgenden Anmer-
kungen. Herr L. behauptet in Bezug auf diese Notizen, die Kirche S. Micchele
müsse unbedenklich mindestens in den Anfang des Ilten Jahrhunderts gehören;
die Gründe ist er schuldig geblieben. Cordero entwickelt seine Ansicht, derzu-
folge die Kirche in den Schluss des Ilten Jahrhunderts falle , mit Ausführlich-
keit und Umsicht. Noch ist hier eines neuesten Werkes zu gedenken, welches
derselben einige grosse bildliche Darstellungen und erläuternden Text widmet:
„H. Gally Knight, the ecclesiastical architecture of Italy from the time of Con-
stantine to the ilfteentb Century, London 1842.'' Gally Knight bleibt bei der
alten abenteuerlichen Fiktion stehen, die die Kirche der Zeit der Longobarden-
herrschaft, und zwar dem 7teu Jahrhundert zuschreibt. Er kennt die Ansich-
ten Cordero's, führt dessen Gründe jedoch in höchst oberflächlicher, zusammen-
hangloser Weise auf und bekämpft sie mit noch grösserer Oberflächlichkeit. Zur
näheren Begründung seiner eigenen Ansicht bringt er-durchaus nichts Neues bei.
Er nennt zwar nicht Cordero, sondern den Grafen San Quintino als den Urheber
der von ihm bestrittenen Ansichten, doch sieht man, dass es sich ganz um die-
selben Punkte handelt. Ich weiss nicht, ob etwa Cordero und San Quintino
dieselbe Person sein mögen.
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 459
Während Herr L; aus den historischen Urkunden zu erweisen sucht,
dass die älteren Theile des Naumburger Domes dem Ilten Jahrhundert
angehören müssen, bemüht er sich, aus der Eigenthümlichkeit ihres Styles
den Beweis zu führen, dass sie nicht aus späterer Zeit herrühren oder
wenigstens nicht, im, Gegensatz gegen meine Ansicht, in die Schlussperiode
des romanischen Styles gehören können. Er bezieht sich hiebei wieder
auf mein Handbuch und stellt es dar, dass der Naumburger Dom und der
Cyklus der ihm verwandten Gebäude eine klare, in sich harmonische Aus-
bildung zeigen, während anderweitig, und besonders am Niederrhein, die
Kirchen aus dem Schluss der romanischen Periode (d. h. aus dem Ende
des ISteri und besonders aus dem Anfange des, 13ten Jahrhunderts) eine,
oft sehr befremdliche,' oft fast barocke Entartung des Styles erkennen lassen.
Dies ist unbedenklich richtig, und ich habe dies barocke Wesen am Nie-
derrhein, seit ich mein Handbuch schrieb, durch eigne Anschauung in ein-
zelnen Fällen noch befremdlicher gefunden, als es die bildlichen Darstel-
lungen errathen liessem Daneben habe ich aber auch in andern Fällen,
in ganzen Baustücken wie in' einzelnen Details, Zeugnisse eines grossen
und sehr edlen Schönheitssinnes gefunden, namentlich viele Detailbildun-
gen, die denen,- welche an dem Cyklus des Naumburger Domes vorkom-
men, auffällig verwandt erscheinen. Unter vielen will ich hier nur ein
wenig bekanntes Beispiel anführen: ^ die Kirche der ehemaligen Abtei
Brauweiler, ein Paar Stunden westlich von Köln. Diese Kirche, ein
grosser und prachtvoller Bau, zeigt eine allerdings höchst eigBnthümliche
Ausbildung des spätromanischen Styles; aber wir begegnen gerade hier
in Einzelheiten mancher überraschenden Aehnlichkeit mit denen des Naum-
burger Domes; so sind namentlich die Lünetten über den Thören in den
Seitenwänden des Chores der Lünette der einen Chorthüre des Naumbur-
ger Domes (bei Puttrich, Taf. 14, a.) auffallend ähnlich. Die Kirche von
Brauweiler wurde im Ilten Jahrhundert gebaut (1028 zum'ersten Mal und,
nach einem Neubau, 1061 zum zweiten Mal geweiht}; im Anfange des
13ten Jahrhunderts aber ward fast die ganze Abtei durch eine Feuersbrunst
verzehrt. Wenn wir nun in der Krypta der Kirche, sehr abweichend von
dem Oberbau und m.it einigen Bauveränderungen, die nur durch einen Neu-
bau des Oberbaues veranlasst sein konnten, sehr einfache, streng und
schwer romanische Formen wahrnehmen, die aufs Entschiedenste mit denen
übereinstimmen, welche wir in jener Gegend an Bauten des Ilten Jahr-
hunderts, z. B. in der Basilika St. Georg in Köln, wahrnehmen, so werden
wir diese Krypta natürlich' für einen Rest des Ilten Jahrhunderts, den
Oberbau aber für eine Erneuung nach dem eben genannten Brande —
d. h. für gleichzeitig mit der von mir vorausgesetzten Erneuung des Naum-
burger Domes — halten müssen.
Nach meiner Ansicht sind die Unterschiede zwischen den betreffenden
Bauwerken des Niederrheins und denen in Thüringen und den benach-
barten Gegenden nur durch lokale Eigenthümlichkeiten veranlasst. Wir
bemerken am Niederrhein schon früh eine Neigung zu einer malerisch
bunten und reichen Entfaltung der Architektur. Daher schon früh diese
imposante, sich in der Perspektive mannigfach verschiebende Thurmanlage,
diese Mannigfaltigkeit der Absiden, dies reiche Gallerien-, Nischen- und
Säulenwerk im Aeussern und Innern. Die Westseite des Domes von Trier,
der untere Theil der Westseite von S. Pantaleon zu Köln, die dortige Kirche
Maria auf dem' Kapitol, die grosse Kirche von Laach u. s. w. geben dafür
460 Berichte und Kritiken.
mehr oder weniger frühe Beispiele. Es liegt in der Natur der Sache, dass
eine solche Sinnesrichtung bei dem Ausgange der romanischen Periode, in
einer Zeit, da gerade in dieser Gegend eine äusserst lebhafte Bauthätigkeit
erwachte, auf mancherlei Abwege führen und dadurch jenes barocke Wesen
begründen musste. In den sächsisch-thüringischen Gegenden aber sehen
wir in der ganzen Periode des romanischen Styles Nichts der Art, wenig-
stens nicht vorherrschend; die ganze Gefühlsweise ist hier von Hause aus
schlichter und klarer; es war somit auch keine namhafte Gelegenheit zu
ähnlichen Ausartungen gegeben.
Nicht die architektonische Composition ist es, worin die wesentlichsten
historischen Unterschiede in der Architektur beruhen, sondern vielmehr
die Bildung der Details, die Art und Weise, wie sich in ihnen (freilich
nach Maassgabe der Gesammt-Composition und in Bezug auf die Verhält-
nisse derselben) das architektonische Lebensgefühl entwickelt. Ich erinnere
hier an das, was ich bereits oben über die Bedeutung des architektonischen
Details gesagt habe. Der Vergleich mit der Sprache, auf den ich schon
oben hingedeutet, dient auch hier, die Sache wesentlich klar zu machen;
denn die Architektur ist recht eigentlich eine Sprache, die des räumlichen
Gefühles, und sie hat als solche zugleich den Vorzug, dass sie Jedem ver-
ständlich ist, der seinen Sinn für sie ölFnet. Nicht der Aufbau dieses
oder jenes Dichtwerkes bestimmt dessen Zeit, sondern die Weise des sprach-
lichen Ausdrucks, die grammatische Fügung der Worte. Die Lieder von
Siegfried und Chrimhild sind Jahrhunderte hindurch gesungen; die Sprache
des Nibelungenliedes charaiiterisirt die Zeit, aus welcher das Gedicht in
seiner gegenwärtigen Gestalt herrührt. Freilich müssen wir es zugeben,
dass auch in diesen Verhältnissen, was den Fortschritt der Entwickelung
anbetrifft, lokale Unterschiede statt finden können; an dem einen Orte wird
man dem Gange der Zeit voranschreiten, an dem andern wird man hinter
ihm zurückbleiben. Aber diese Unterschiede können dennoch keine wesent-
liche Bedeutung haben; es kann sich bei ihnen im Allgemeinen wohl um
Jahrzehnte, nicht um Jahrhunderte handeln. Die Architektur, wie die
Sprache, hat in ihrem Innersten ein tief bedeutsames, ein ethisches Moment,
— sie .hatte es wenigstens, so länge sie volksthümlich war; sie hat es
gelbst noch heute, wenn auch verborgen, in Mitten ihrer gelehrt conventio-
neilen Ausübung. Die Architektur ist den Menschen, den Völkern ursprüng-
lich angeboren, nicht angelernt, und wo sie Fremdes sich aneignen, ver-
wandeln sie dasselbe dennoch alsbald in ihr selbständiges geistiges Eigen-
thum. Sie ist der Ausdruck des Formensinnes, des Gesichtsyermögens,
welches der bestimmten Zeit wie dem bestimmten Volke eigen ist; und
wie die ganze geistige Bildung der Völker vorschreitet, wie Sprache und
Sitte und Leben sich klarer, zusammenhängender, organischer gestalten, so
entwickelt sich gleichraässig auch ihr Sinn für den Organismus der Archi-
tektur, — für das architektonische Detail.
Das Letztere also haben wir vorzugsweise, mehr als die äussere Com-
position, in's Auge zu fassen, wenn es sich um architekturhistorische Unter-
suchungen handelt. Kehren wir mit solcher Ansicht zu den älteren Theilen
des Naumburger Domes zurück, so finden wir allerdings zwar keinen Ueber-
fluss an architektonischen Details, vielmehr in dem Ganzen vorherrschend
jene Klarheit und Ruhe, die ich vorhin als allgemeine Eigenthümlichkeit
der betreffenden Bauwerke jener Gegend bezeichnete; die gesammten Bogen-
wölbungen des Innern sind besonders noch schlicht und einfach gehalten.
!
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 461
Aber wir finden, dass die Details, wo das ästhetische Gefühl eine töichere
Gliederung forderte, in der Pfeilerformation des Innern, und besonders in
den Deck- und Fussgesimsen der Pfeiler und Säulen sowie in den Kranz-
und Fussgesimsen des Aeussern u. s. w.j mit einem Lebensgefühl, mit einer
Schönheit des elastischen Schwunges gebildet sind, die nothwendig ein
schon vollendetes Stadium architektonischer Entwickelung bezeichnen.
Ebenso bemerken wir in den ornamentistischen Zierden, besonders der
Kapitale, eine Leichtigkeit, eine harmonische Durchbildung, selbst schon
ein zierlich elegantes Spiel, dass wir hierin mit gleicher Nothwendigkeit
das Endresültat solcher Entwickelung vor uns sehen. Ja, bei aller Klar-
heit in der Gesammtanordnung fehlt es selbst nicht an einzelnen Willkür-
lichkeiten, die bereits auf eine beginnende Ausartung hindeuten. Dahin
rechne ich die gesetzwidrige zahnförmige Verzierung, die in dem südlichen
Giebel des Querschiffes an den Giebelgesimsen emporsteigt, das rauten-
förmige Fenster mit seinem Lilienschmuck in demselben Giebel und das
incongruente Verhältniss des Fensters zu den Giebelgesimsen. Dahin ebenso,
und noch mehr, den obersten Theil der östlichen Thürme, soweit diese
überhaupt dem alten Bau angehören. Hier sehen wir unter dem Haupt-
gesims einen rundbogigen Fries, und unter diesem einen zahnförmigen Fries
hinlaufen, eine Tautologie der Formen, die schon auf direktem Missver-
ständniss beruht, die sich aber ähnlich an spätromanischen Bauten des
Niederrheines wiederholt. Man wird allerdings einwerfen, der gesammte
Oberbau dieser Thürme könne füglich jünger sein, als der Körper des
Gebäudes, und ohne Zweifel wird er erst nach dessen Vollendung zur
Ausführung gekommen sein; dennoch zeigt seine ganze Gestaltung im
üebrigen so wenig stylistische Verschiedenheit von jenem, dass wir ihn
wenigstens einer noch durchaus nahe liegenden Bauperiode zuschreiben
müssen.
Die Kunstgeschichte, wie alle Geschichte, bildet eine Wissenschaft,
die mehr will als leere Namen und Jahrzahlen zusammenhäuf^n; sie will
den Organismus des Lebens aufsuchen und ihn durch die verschiedenen
Momente seiner Entwickelung verfolgen. Gehen wir von solchem Stand-
punkte aus, wie wir doch wohl nicht anders können, so können wir auf
keine Weise zugeben, dass eine Ausbildung der eben angedeuteten Art,
die in sich schon völlig abgeschlossen ist und die sich sogar bereits der
Entartung zuneigt, einer Periode des Mittelalters angehöre, die für die be-
züglichen Verhältnisse fast noch gar keine Vergangenheit hat, die vielmehr
selbst noch, wie andere genügend gesicherte Beispiele darthun, auf der
Stufe einer halb barbarischen Rohheit steht. Wo wären für den Anfang
des 11. Jahrhunderts die Vorstufen zu finden, die zu einer also vollendeten
Ausbildung hinüberführten? Halten wir an andern gesicherten Bei-
spielen fest, so müssen wir Jahrhunderte weiter schreiten, um den ent-
sprechenden Zeitraum zu finden, und wir können in der That nur den
Anfang des 13tcn Jahrhunderts als die Periode bezeichnen, in welcher die
älteren Theile des Naumburger Domes aufgeführt sind. Die Uebereinstim-
mung der Details mit denen urkundlich sicherer Gebäude aus dieser Zeit
ist hiefür völlig entscheidend. Einige Beispiele der letzteren habe ich in
Nr. 73 des Kunstblattes für 1842 aufgeführt.
Ich bin sogar der Ansicht, dass dieser Neubau des Domes mit der
Hinzufügung des westlichen Chores als eine gemeinsame, zusammenhängende
Unternehmung betrachtet werden muss, dass man nämlich gleich beim Be-
462 Berichte tind Kritifeen,
ginn des Neubaues diese Choranlage beabsichtigt und dass zwischen der
Vollendung des Schiffes und der Aufführung des Chores keine gar lange
Pause statt gefunden habe. Der Chor hat allerdings zwar einen ganz ab-
weichenden Styl, den germanischen in seiner ersten Ausbildung; aber wir
wissen, dass dieser Styl ursprünglich nicht auf deutschem Boden erwachsen
4:: war, dass man ihn in einem gewissen Maasse der Ausbildung aus Frankreich
V empfing, und dass er nun in Deutschland plötzlich und unvermittelt neben
** die "Werke des romanischen Styles trat, in seiner jungfräulichen Frische
" ein neues Leben und Schafien erweckend und sich rasch zu einem deut-
schen Architekturstyl umgestaltend. Näher hierauf einzugehen, würde hier
zu weit führen. Augenscheinlich trat aber mit dem Bau des westlichen
Chores ein andrer Meister in die Leitung des Naumburger Dombaues ein.
Die Hinzufügung des abweichenden Neuen brachte, bei dem Ansatz des
Chores an das Schiff, manche kleine Incongruenzen hervor, die sich aber
auf diese Weise naturgemäss von selbst erklären und wofür wir keines-
weges einen Jahrhunderte langen Stillstand der Arbeit anzunehmen brauchen.
Interessant ist es, dennoch eine Art üebergang zwischen dem Alten und
Neuen wahrzunehmen. Das erste Stockwerk des südwestlichen Thurmes
ist zwar schon mehr germanisch als romanisch gestaltet, aber dennoch sind,
in der Anordnung und Behandlung des Hauptbogens an demselben, die
romanischen Eeminiscenzen nicht völlig verwischt. Und gerade dasselbe
Ornament, welches diesen Bogen schmückt, kehrt an dem westlichen Chore
selbst, in dem Gesims unter seinen Fenstern, wieder.
Ein noch auffälligeres Beispiel von der unmittelbaren Zusammenstellung
germanischer und romanischer Formen und zugleich eine neue Bestätigung
meiner Ansicht Über die Bauzeit der älteren Theile des Naumburger Domes
giebt die Kirche von Freiburg an der Unstrut, wenige Stunden von
Naumburg, über die, beiläufig bemerkt, gar kein urkundliches Datum vor-
liegt. (S. Puttrichs Denkmale, II, Lief. 7 u. 8.) "Wir gewahren an den älteren
Theilen dieser Kirche ganz denselben Styl, wie an den älteren Theilen
jener, nur noch ein' etwas grösseres Streben nach Eleganz und bunter
Dekoration. Der Naumburger Dom gab ohne Zweifel das Vorbild für die
Freiburger Kirche, und diese folgte jenem, wie im künstlerischen Style, so
auch in der Zeit nach. An dem südwestlichen Thurme der letzteren, im
ersten Stockwerk des Oberbaues, erscheinen aber bereits Fenster von ent-
schieden germanischer Form, wenn auch noch in deren primitiver Aus-
bildung, während das zweite Stockwerk wiederum mit Entschiedenheit den
spätromanischen Formen folgt. Unbedenklich haben wir diesen südwest-
lichen Thurm als das jüngste Stück der älteren Bautheile zu betrachten,
aber die Formen des Zweiten Stockwerkes bezeugen es, dass er dennoch
derselben Bauperiode angehört. Die letztere reicht also augenscheinlich
bis in die Zeit hinab, in welcher in dieser Gegend der germanische Styl
eingeführt ward; der romanische Baustyl, in dem letzten Stadium seiner
Entwickelung, war noch in voller Gültigkeit, als der neue Baustyl eintrat
und der Meister, der noch dem ersteren folgte, dennoch nicht umhin konnte,
dem letzteren bereits seine Huldigung darzubringen.
Die Kirche von Freiburg gehört mit zu dera Cyklus jener spitzbogig-
romanischen Gebäude aus den mittleren Gegenden von Deutschland, welche
Herr Lepsius dem 11. Jahrhundert vindicirt. Er hebt besonders noch zwei
andere von diesen Gebäuden hervor, deren angenommenes Alter er mit
vorzüglicher Entschiedenheit behauptet. Die eine von diesen ist die Kirche
i»
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 463
von Memleben an der Unstrut, Ich mag hier, zur Bekämpfung seiner
Ansicht, nicht -wiederholen, was ich über dieselbe bereits früher, wenn
auch noch nicht ganz von meinem gegenwärtigen Standpunkte aus, im
„Museum, Blätter für bildende Kunst", 1834, Nr. 21 und 1837, Nr. 28,
gesagt habe. Ich bemerke nur das Eine, dass abgesehen von allen andern,
sehr schlagenden Kriterien und abgesehen davon, dass die schlichten
Arkaden des Schiffes dieser Kirche mit dem Ganzen des Gebäudes ein
Guss sind, schon die Gesimse an den Pfeilern dieser Arkaden die späte
Bauzeit erkennen lassen Herr L. behauptet, vor allen Dingen könne auch
die Krypta nicht in die spätromanische Bauperiode, d. h. in den Anfang
des 13ten Jahrhunderts, fallen, da in dieser Zeit überhaupt keine Krypten
mehr vorkämen. Er bezieht sich hiebei auf die bekannte Stelle im Titurel,
die bei der Schilderung des Graltempels die Anlage der Krypten ver-
wirft, übersieht aber zweierlei. Erstens bewegt sich diese ganze Schilderung,
wie sie uns vorliegt, augenscheinlich in den Prinzipien des germanischen
Styles, der allerdings keine Krypten mehr kennt, der in Deutschland aber
erst um die Mitte des 13ten Jahrhunderts allgemein zu werden begann;
und zweitens kann sie für den in Rede stehenden Zweck überhaupt gar
nichts beweisen, da sie der Ueberarbeitung des Gedichts aus dem 14ten Jahr-
hundert angehört und wir keineswegs wissen, wie die Stelle in Wolframs
ursprünglicher Abfassung gelautet haben mag, vorausgesetzt, dass er wirklich
etwas dem Aehnliches hatte. Und war dies leztere der Fall, so konnte er
sie füglich seinem französischen Vorbilde oder überhaupt der französischen
Anschauungsweise entlehnt haben, wenn er auch im Uebrigen seine Vor-
gänger eben so gewaltig überflügelte, wie es mit der deutsch-germanischen
Architektur im Verhältniss zur französisch-germanischen der Fall war.
Die zweite Kirche, die Hr. Lepsius namhaft macht, ist der Dom zu
Merseburg, oder vielmehr die älteren Theile desselben. Hr. Lepsius hat
seine Ansichten über dies Gebäude in einer besondern Abhandlung aus-
führlicher dargelegt, die unter dem Titel: „Der Dom zu Merseburg,
dessen Geschichte und Architektur, nach Anleitung der Quel-
len entwickelt", den „Neuen Mittheilungen" des thüringisch-sächsischen
Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums, Band 6, Heft 4,
einverleibt und zugleich in einem Separatabdruck (Halle 1842) erschienen
ist. Ich bemerke zunächst, dass diese Abhandlung in äusserst dankens-
werther Weise alle urkundlich historischen Nachrichten, die mit dem Merse-
burger Dom irgend in näherer Berührung stehen, im Originaltext-und,in
übersichtlicher Folge zusammenstellt, wodurch der kunsthistorischen For-
schung ein sehr schätzbares Material geboten wird; — es wäre nur zu wün-
schen , dass wir recht viele Monographien solcher Art erhielten.' Wir ersehen
daraus, dass auch diese Kirche ursprünglich aus dem elften Jahrhundert
herrührt, indem sie in den Jahren von 1015—1021 gebaut und,das „Sanc-
tuarium" 1042^erneut wurde, während von einem Neubau, der in der Zeit
um 1200 oder in der früheren Zeit des 13ten Jahrhunderts vorgefallen,
keine Rede ist. Ich zweifle nicht daran, dass wir hier in der That einige
Reste aus dem elften Jahrhundert vor uns sehen, nämlich die Krypta, so-
weit die Darstellung ihrer Pfeiler bei Puttrich (Abth. II, Lief. 1 u. 2,
Taf. 5, u u. v) ein genügendes Urtheil zulässt, und die beiden runden
Thürme zur Seite des Chores. Ausserdem behauptet aber auch Hr. L.,
dass "das Querschiff nebst dem Chore, sowie die Vorhalle der Kirche (und
also auch der Unterbau der westlichen Thürme, der mit der Vorhalle
)■
■ h .
I
A
464 Berichte und Kritiken.
gleichzeitig ist, indem er mit ihr in Mauerverbindung steht) dem elften
Jahrhundert angehören. Diese Theile sind im spitzbogig romanischen Style
ausgeführt, der hier aber durch grosse Schlichtheit und Schmucklosigkeit,
sowie durch die hohen, spitzbogig eingewölbten Fenster und durch ähn-
liche Fensterblenden im Giebel wiederum ein eigenthümliches Gepräge
ji gewinnt').
' Wir sehen hier also den Spitzbogen, der sich bei den Gebäuden des
in Rede stehenden Styles vorherrschend nur im Innern zeigt, zugleich auch
,1 ins Aeussere übertreten, aber in eigenthümlicher, schlichter und strenger
Weise. Es ist fttr die Entwickelungsverhältnisse der mittelalterlichen
Baukunst interessant, auch hiebei einen Augenblick näher zu verweilen.
Was die spitzbogigea Fenster anbetrifft, so wird von andrer Seite (durch
Hrn. Dr. C. K. Lepsius) zwar behauptet, sie seien in späterer Zeit einge-
brochen; Hr. Geh.-Rath L. erwähnt aber nichts von dieser Annahme, und
in der That scheint sie nicht sonderlich statthaft. Wenigstens kommen
solche Fenster an andern Gebäuden dieser Gegend, die auch im Uebrigen
mit dem Style des Merseburger i)omes übereinstimmen, mehrfach vor, z. B.
( an den älteren Theilen der Kirche von Nienburg an der Saale (Puttrich,
Abth. I, in dem Abschnitt von Lief. 4—7), bei denen durchaus nicht auf
eine Bauveränderung solcher Art geschlossen werden kann. Ich muss diese
Erscheinung vielmehr als eine Eigenthümlichkeit des deutschen Nordostens
betrachten, zu dessen Bauweise wir in dieser Gegend den Uebergang vor
uns sehen. Der hohe Spitzbogen mit schlichter breiter Laibung, im Ganzen
der romanischen Form entsprechend, erhält sich in diesem Flachlande
Deutschlands, und besonders in den baltischen Küstenländern, bis ziemlich
tief in die germanische Periode hinein, deren Bildungsweise auch später
durch ihn mehr oder weniger modiflcirt erscheint. Ich habe eine Reihe
Ich kann leider über den Merseburger Dom nicht aus eigener Anschauung
berichten, da ich ihn zwar gesehen, aber» vor längerer Zeit und zu flüchtig, als
dass ich ein genügendes Urtheil bewahrt hätte. Ich bin demnach auf die ange-
führten Abbildungen bei Puttrich beschränkt, und ausserdem auf einige nähere
Mittheilungen, die mir Herr Pastor Otte zu Fröhden bei Jüterbog, ein eifriger
und thätiger Alterthumsforscher, freundlichst zukomnien liess. Von Herrn Otte
rühren in den Neuen Mittheilungen des thüringisch-sächsischen Vereins mehrere
Abhandlungen her, welche die Kunstdenkmäler der dortigen Gegend behandeln.
Ich erlaube mir, auf zwei von diesen Abhandlungen, die zugleich in Separat-
abdrücken erschienen sind, aufmerksam zu machen. Die eine ist ein „Kurzer
Abriss einer kirchlichen Kunstarchäologie des Mittelalters, mit
besonderer Beziehung auf die königl. preuss. Provinz Sachsen"
(Nordhausen 1842), und giebt in gemeinfas^cher Weise, als ein vortrefflicher
Leitfaden für den Laien, Üebersicht und Standpunkte für das Gebiet der Denk-
mälerkunde; dabei ist zugleich eine bedeutende Anzahl belehrender Notizen über
den besonderen Kreis der sächsischen Denkmäler eingeschaltet. Die zweite Ab-
handlung führt den Titel: „Die Kirche des ehemaligen Cisterzienser-
Mönchsklosters zu Zinna" (Halle 1843). Sie ist nach Maassgabe des eben-
genannten Abrisses abgefasst und bringt uns nähere Nachricht über ein sehr
merkwürdiges Gebäude und beiläufig auch über mehrere ähnliche derselben Ge-
gend, in denen allen wir, ebenso wie in den betreffenden Theilen des Merse-
burger Domes, den romanischen Spitzbogenstyl erkennen. Die Kirche von Zinna
ist aber jedenfalls spät, da das Kloster erst 1170 oder 1171 gegründet und sie
selbst vermnthlioh erst, worauf andere historische Nachrichten zu deuten schei-
nen, um oder nach 1200 gebaut wurde. Wir haben also hier wiederum einen
Beleg für das verhältnissmässig jüngere Alter der in Bede stehenden Bauweise.
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 465
solcher Beispiele in meiner „Pommerschen Kunstgeschichte" angeführt. Ein
andres Beispiel ist die Klosterkirche zu Berlin, die urkundlich erst ana
Ende des iSten'Jahrhunderts begonnen wurde und bei der die Arkaden
des Mittelschiffes noch immer die romanische Reminiscenz nicht verläugnen.
Es ist diese Erscheinung somit schon sehr geeignet, uns das angenommene
höhere Alter der betreffenden Bautheile des Merseburger Domes sehr zweifel-
haft zu machen, während im üebrlgen Anordnung und Verhältnisse, mit
dem Naumburger Dome übereinstimmend, auch auf eine ungefähr gleiche
Zeit mit diesem schliessen lassen.
Dann sind einige der historischen Notizen in der genannten Abhand-
lung des Hrn. L. in Erwägung zu ziehen. Wir erfahren durch sie, dass
der alte Bau im dritten Viertel des elften Jahrhunderts erweitert, dass
ihm im vierten Viertel ein Mittelthurm zugefügt ward und dass zu An-
fange des zwölften Jahrhunderts das Sanctuarium der Kirche und die ge-
täfelte Decke (laquear) ausgemalt wurden. Von einem Mittelthurm sehen wir
aber bei dem vorhandenen Bau keine Spur mehr, auch scheint die ganze
Anlage nicht darauf berechnet, und der Bericht über die Malerei lässt mit
Bestimmtheit auf eine flache Decke schliessen, während der vorhandene
alte Bau gewölbt ist und diese Gewölbe mit den Mauern gleich alt zu
sein scheinen. Herr L. sieht sich zwar, in Folge jener Notiz, veranlasst,
den Gewölben ein späteres Alter zuzuertheilen, übersieht aber, dass in
den Ecken der Kreuzflügel Eckpfeiler als Träger des Gewölbes vom Fuss-
boden bis zu dem letzteren emporlaufen, die es aufs Bestimmteste darthun,
dass das Gebäude schon vom Beginn an für eine Ueberwölbung angelegt
worden. Sollen wir nun etwa so conjecturiren, dass man ursprünglich
zwar ein Gewölbe beabsichtigt, dass man dann aber davon abgegangen sei
und disharmonischer Weise eine Holzdecke eingezogen habe, dass man
hernach aber doch wieder auf die erste Idee zurückgegangen sei, die be-
malte Decke herausgebrochen und statt deren endlich das Gewölbe einge-
setzt habe? So künstliche Schlussfolgerungen dürfte man doch nur auf
den Grund dringendster Judicien wagen. Wir haben also auch hier we-
nigstens die höchste Wahrscheinlichkeit, dass das Gebäude jünger sei, als
der Anfang des zwölften Jahrhunderts.
Endlich ist noch zu bemerken, dass allerdings die architektonischen
Details an den betreffenden Theilen des Merseburger Domes nur äusserst
sparsam angewandt und die vorkommenden höchst einfach gebildet sind,
dass es aber doch auch unter ihnen nicht ganz an charakteristischen Merk-
malen fehlt. Die Pfeilervorlagen nämlich, welche die grossen Scheidbögen
in dem mittleren Quadrat des Querschiffes tragen, sind unterwärts abge-
stumpft (was man in Puttrichs Darstellungen nicht sieht). Die Abschrä-
gungen sind auf verschiedene Weise gegliedert, und die eine dieser Glie-
derungen, die am reichsten zusammengesetzte , entspricht in der That nur
denjenigen Profilirungen, die wir sonst nur in der letzten Spätzeit des
romanischen Baüstyles finden. — Nehmen wir alle diese Gründe zusam-
men, so ist hier in jeder Beziehung die grösste Wahrscheinlichkeit, und
für den, der die Monumente unter einem umfassenderen Gesichtspunkte
betrachtet, in der That eine dringende Nöthigung vorhanden, die betref-
fenden Bautheile wiederum derselben Periode,, d. h. wiederum der Spätzeit
des romanischen-Styles, zuzuschreiben. Zugleich aber ergiebt sich aus
dem Vorgesagten, dass der Dom von Merseburg, was seine alt-spitzbogigen
KogUr, Kleine Schriften. II. " . ' 30
m
466 Berichte und Kritiken.
Theile anbelangt, mit dem Dome von Naumburg und mit den Gebäuden,
welche dem letzteren verwandt sind, nicht eigentlich mehr in dieselbe
Klasse zu setzen ist, vielmehr eine andre Klasse, die wiederum ihre pro-
vinziellen Eigenthümlichkeiten hat, einleitet.
Es schien mir nicht überflüssig, den Raum für die Reihenfolge der
vorstehenden Bemerkungen in Anspruch zu nehmen, da das Eingehen auf
diese lokalen Besonderheiten und die Darlegung derjenigen kunsthistori-
schen Kritik, die nach meiner Ansicht die einzig richtige ist, für das Ge-
sammtgebiet der vaterländischen Kunstgeschichte nicht ohne wesentliches
Interesse sein dürfte. —
Ich muss mich _nunmehr noch einmal zu dem "Werke des Hrn. Dr.
Puttrich zurückwenden. Die Lieferungen über den Naumburger Dom
beschliessen den ersten Band der zweiten Abtheilung. Ausser ihnen ist
noch eine andre neuerlich erschienene Lieferung, die siebente der ersten
Abtheilung, welche den Cyklus der Denkmale der Baukunst des Mit-
telalters in den herzogl. Anhalt'schen Landen beschliesst, zu
besprechen. Auch diese Lieferung ist reich an belehrenden, zum Theil
wirklich überraschenden Mittheilungen. Der wichtigste Gegenstand, den
sie behandelt, ist die, seither in der vaterländischen Baugeschichte noch
gar nicht genannte Kirche des ehemaligen Klosters Hecklingen, eine
wohlgebildete Basilika, in deren Innerem Pfeiler und Säulen wechseln
und als deren Bauzeit durch den Herausgeber auf den Grund historischer
Nachrichten, ohne Zweifel richtig, die Zeit um das Jahr 1130 bestimmt
wird. Ueberaus merkwürdig aber ist in dieser Kirche der Einbau einer
ausgedehnten steinernen Empore, der einen grossen Theil ihres inneren
Raumes auf der Westseite und das gesammte südliche Seitenschiif ausfüllt.
Die Säulen und Pfeiler der südlichen Arkade des Kirchenschiffes sind
grossentheils mit kleineren Pfeilerstücken und Säulen umbaut, welche die
Bogenwölbungen der Empore tragen und schon durch die Art und "Weise
ihrer Hinzufügung, aber auch durch ihren abweichenden Styl das spätere
Alter des Einbaues darthun. Die Bogenwölbungen der Empore sind theils
rund, theils spitz geformt; ihre Details, die zum Theil eine ungemein reiche
und elegante Ornamentik entfalten, entsprechen durchaus den Typen der
spätromanischen Periode. Dann ist auch ein reicher Sculpturenschmuck
zu bemerken. Es sind Stucco-Reliefs, grosse Engelgestalten mit ausgebrei-
teten Flügeln, die in den Zwickeln zwischen den Bögen der grossen Ar-
kaden des Schiffes angebracht sind. Mit der Reminiscenz an manche con-
ventionellen Elemente des byzantinischen Styles verbinden diese Figuren
schon glücklich den Ausdruck einer freiereu "Würde , sowie feich in der
Gewandung bereits vortreffliche Motive einer freieren Bewegung vorfinden.
Auch eine Reihe von Köpfen, welche die Schlusssteine an den Bögen der
nördlichen Arkade verzieren, ist bemerkenswerth. Diese Arbeiten reihen
sich dem Kreise der Stucco - Sculpturen aus der späteren Zeit der romani-
schen Periode, die neuerlich in den sächsischen Gegenden bemerkt worden
sind, auf interessante "Weise an; am meisten scheinen sie mit den merk-
würdigen Reliefs in der Liebfrauenkirche zu Ilalberstadt Aehnlichkeit zu
haben. Ueber ihr Alter spricht sich der Herausgeber nicht aus. Dass sie
mit dem Bau der Kirche gleichzeitig seien, ist durchaus nicht wahrschein-
lich; eher ist zu vermuthen, dass sie zur Zeit des Einbaues der Empore
ausgeführt sind. — Ausser der Kirche von Hecklingen sind' in der ge-
nannten Lieferung noch Darstellungen der Kirche von Frose enthalten,
Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter. 467
einer strengromanischen Basilika, die sich besonders durch die wohlerhal-
tene Loge auf ihrer Westseite, über der Vorhalle zwischen den Thürmen,
sowie durch mancherlei eigenthümliches Detail auszeichnet.' Ich hatte
über diese Basilika in der „Geschichte und Beschreibung der Schlosskirche
zu Quedlinburg etc." bereits nähere Nachricht gegeben. Endlich werden
uns noch einige charakteristische Details von spätromanischen Portalen der
Petrikirche zu Wörlitz und der Nikolaikirche zu Kosswick mitgetheilt.
Die reichen Lieferungen über den Dom von Naumburg beschliessen,
wie bereits bemerkt, den ersten Band der Jiweiten Abtheilung des Putt-
rich'schen Werkes; auch dem Schlüsse des ersten Bandes der ersten Ab-
theilung können wir demnächst entgegensehen, indem eine baldige Er-
scheinung der noch fehlenden Lieferungen, 8 und 9 (Arnstadt, Paulinzelle,
Stadt-Ilm, Göllingen), versprochen ist. Jede Abtheilung wird sodann
noch einen zweiten Band enthalten, deren reichliches Material durch einen
neuerlich gedruckten ausführlichen Prospektus namhaft gemacht wird.
Dass auch die Lieferungen dieser Bände ohne jJnterbrechung folgen wer-
den, dafür bürgt uns der unermüdliche Fleiss des Herausgebers, dessen
Mappen sich fortwährend reichlicher füllen — in einer Weise, dass er
schon seither durchweg veranlasst war, in jeder Lieferung beträchtlich
mehr zu Jbringen, als die Ankündigungen ursprünglich verheissen hatten.
Auch äusserlich sehen wir das Unternehmen sich immer fester begründen
und dadurch eine immer sichrere Bürgschaft gewinnen. Wie die Könige
von Preussen und von Sachsen die Dedikationeu der beiden Abtheilungen
des Werkes angenommen haben, so ist die Verbreitung desselben vielfach
durch offizielle Empfehlungen von Seiten der höchsten Behörden und andre
Begünstigungen freiisinnig befördert worden. Besonders zu erwähnen ist,
dass von Seiten der preussischen Regierung, auf Befehl des Königs, auf
eine namhafte Anzahl von Exemplaren zur Vertheilung an geeignete Insti-
tute unterzeichnet worden ist. Ueberhaupt aber erfreuen sich die Ver-
dienste, die sich der Herausgeber durch so mannigfaltige neue Entdeckun-
gen und Mittheilungen um die Wissenschaft der Kunstgeschichte, sowie
um die regere Verbreitung des Sinnes für die historischen Denkmale des
Vaterlandes erwojben hat, allgemeinster Anerkennung.
Dänemarks Vorzeit durch Alterthümer und Grabhügel be-
leuchtet von J. J. A. Worsaae. Aus dem Dänischen übersetzt von
N: Bertelsen. Kopenhagen 1844. (127 Seiten in 8. mit zahlreichen
Holzschnitten.)
,. . . CKunstblatt 1844, No. 67.)
Die grosse und erfolgreiche Thätigkeit für die heimische Alterthums-
kunde, die in Dänemark herrscht und in'dem Museum nordischer Alter-
thümer zu Kopenhagen ihren glänzenden Centraipunkt findet, ist allgemein
bekannt. Bereits im Jahre 1837 erschien zu Kopenhagen, von der königl.
Gesellschaft für nordische Alterthumskunde herausgegeben, ein „Leitfaden
468 Berichte und Kritiken.
zur nordischen Alterthumskunde" (dänisch und deutsch), der sich
durch seine tibersichtlich belehrende Einrichtung und durch seine zweck-
mässige Ausstattung mit erläuternden Holzschnitten sehr empfehlen musste.
Der Zweck dieser Schrift, die Ergebnisse der Wissenschaft auf populäre
Weise unter das Volk zu verbreiten und das Interesse desselben für die
Reliquien des Alterthums immer mehr zu gewinnen, hat sich so nachhal-
tig erwiesen, dass ihr schon gegenwärtig das in der Ueberschrift genannte
Werk, welches denselben Gegenstand,'zwar unter engerem Gesichtspunkte,
aber ungleich ausführlicher behandelt, folgen konnte. Dasselbe ist (eben-
falls dänisch und deutsch) auf Kosten „der Gesellschaft für den rechten
Gebrauch der Pressfreiheit" herausgegeben und in mehreren tausend Exem-
plaren im Lande vertheilt worden. Der Leitfaden handelte ausser den
eigentlichen Denkmälern der heidnischen Zeit, den Utensilien und Kunst-
geräthen, auch von den literarischen Alterthümern, und schloss jenen noch
die aus den altern christlichen Epochen des Landes an, die Arbeit von
Worsaae hat es nur mit den heidnischen Denkmälern der angedeuteten
Art zu thun, erläutert diese durch sehr zahlreiche, vortrefflich gearbeitete
Holzschnitte und schliesst ihnen die Hauptresultate an, welche die Wissen-
schaft bis jetzt daraus aufzustellen vermag. In der That besitzen wir hier
ein Compendium nordischer Denkmälerkunde, das allen Anforderungen zu
genügen scheint und das auf das entschiedene Interesse auch desjenigen
Deutschen, der nicht zu dem dänischen Reiche gehört, Anspruch haben
dürfte. Die klar verständige, durch geeignete Beispiele belegte Eintheilung
des Stofl'es giebt eine höchst belehrende Uebersicht des Entwicklungsganges,
den die Völker des alten Nordens — und hier vornehmlich die alten Be-
wohner Dänemarks — durchgemacht haben.
Publikationen dieser Art, die auf so zweckmässige Weise zur Verstän-
digung der Wissenschaft mit dem Volke dienen und die den wichtigen
praktischen Zweck haben, das Volk zur Erkenntniss des Werthes seiner
Denkmäler heranzubilden und dadurch zugleich die Erhaltung der letzteren
zu sichern, dürften auch bei uns sehr nachahmenswerth sein. Ein noch
bedeutenderes Beispiel als Dänemark bietet uns in diesem Betracht Frank-
reich dar. Die von dem „Görnitz historique des arts et monuments" auf
Öffentliche Kosten veranstalteten Publikationen verdienen hier unsere vollste
Anerkennung; besonders die „Instructions archdologiques" — förmliche com-
pendiöse und ebenfalls durcn zahlreiche Holzschnitte erläuterte Lehrbücher
— erscheinen als Musterarbeiten in ihrer Art. Bei den zahlreichen, aus
den verschiedensten Zeiten herrührenden Denkmälern unseres Vaterlandes
möchten ähnliche Unternehmungen auch bei uns den grössten Nutzen ver-
sprechen und allein geeignet sein, denjenigen Gemeinsinn zur Erhaltung
unserer Denkmäler hervorzurufen, durch den allein eine umfassende Sicher-
stellung derselben verbürgt werden kann.
1. Anecdota Delphica. 2. Die Akropolis von Athen. 469
1. Anecdota Delphica edidit Ernestus Curtius. Accedunt'tabulae
duae Delphicae. Berolini MDCCCXLIII.
2. Die Akropolis von Athen. Ein ^ortrag im wissenschaftlichen
Vereine zu Berlin, am 10. Februar gehalten von Ernst Curtius. Mit
einer Lithographie. Berlin 1844.
, ' ~ (Kunstblatt 1844, Nr. 59.)
Der Verfasser der beiden vorstehend genannten Schriften hat sich be-
kanntlich mehrere Jahre in Griechenland aufgehalten; das Verdienst dieser
Arbeiten beruht zunächst in der eigenen lebendigen Anschauung und in
der Mittheilung des hiedurch Erworbenen.
Nr. 1 behandelt, wie der Titel andeutet, Alterthümer von Delphi, die
bisher noch nicht herausgegeben waren. Der wesentliche Theil des Buches
betrifft Inschriften, die dem Interesse unseres Blattes ferner liegen. Das,
was für uns vorzugsweise wichtig ist. sind einige Mittheilungen über den
Apollotempel von Delphi, die "durch einen Situationsplan der Gegend
und durch Zeichnungen aufgefundener Architektur- und Sculpturfragmente
veranschaulicht werden. Die Angaben des Textes sind leider ziemlich kurz;
einiges Nähere verdankt der Unterzeichnete anderweitig freundlicher Mit-
theilung von Seiten des Verfassers.
Was das Historische des Tempels anbetrifi't, so weiss man, dass der-
selbe, nach einem Brande im ersten Jahr der 58sten Olympiade, durch die
Alkmäoniden neu zu bauen übernommen und die Ausführung des Baues
dem Spintharos von Korinth übertragen ward (548 v. Chr. Geb.), auch, dass
die Alkmäoniden ihr Vorhaben glänzender als nach dem ursprünglichen
Plane ausführen Hessen, indem die Vorderseite des Tempels aus parischem
Marmor erbaut ward. Es scheint jedoch, dass der Tempel wenigstens in
einzelnen Theilen lange unvollendet blieb. Da der Bau nicht, wie bei
athenischen Tempeln, eine Staatsangelegenheit, sondern auswärtigen Wohl-
thätern tiberlassen war, so erklärt es sich, wenn wir verschiedentlich noch
in späteren Zeiten von dem Fortbau des Tempels hören. Bei Aeschines
(c. Ctesiph. §. 116) wird derselbe ein Kcxtvog vsmg genannt, und der Scho-
liast zu der Stelle sagt, Nero habe den Bau zu Ende geführt. Nach Plu-
tarch (Anton, c. 23) hatte auch Antonius die Absicht gehabt, ihn zu voll-
enden. Von den Giebelfeldern des. Tempels aber spricht schon Herodot
(II, 180; V, 62), wie später Pausaniäs (X, 5, 5; 19, 3), und einen Theil
der Metopen des Frieses beschreibt Euripides (in Jon, 190—218). An der
Wand des Pronaos waren die sieben delphischen Sprüche, obenan das
rväO'i^ GsavTov, zn lesen. (Plutarch de Garrul. XVII; Pausan, 24, 1.) '
Die Lage des Tempels, welche Leake, Ross und Thiersch noch
nicht kannten, ist erst 1840 mit Sicherheit nachgewiesen an der noch an
ihrer Stelle erhaltenen südlichen Stufe und an den herabgesunkenen, beim
Bau eines Hauses zum Vorschein gekommenen architektonischen Trümmern.
Die Grabungen innerhalb der Cella konnten'wegen der dadurch bedrohten
Wohnungen zu keinem Resultate führen; doch fanden sich deutliche Spu-
ren der unterirdischen Kammern, welche einen Theil der Tempelschätze ent-
hielten und welche einst von den phokischen Seeräubern aufgerissen wurden.
Aus den aufgefundenen Säulentrümmern geht hervor, dass der Tempel
im Aeussern ein Hexastylos von dorischer Ordnung war, die dorischem
470 Berichte und Kritiken.
Säulen von 5 Fu8s 2% Zoll Durchmesser, während er im Innern eine io-
nische Säulenstellung enthielt, diese Säulen zu 2 Fuss ö'/z Zoll Durchmes-
ser. Die der genannten Schrift beigefügte Kupfertafel giebt die Ansicht
eines corrumpirten Kapitals dieser ionischen Säulen, einrinnig mit gesenk-
tem Kanal, und Restaurationen desselben von der Hand des Architekten,
Professor Strack in Berlin. Ausserdem enthält dieselbe die Darstellung
von einem Stück einer mit Blumen und Palmetten geschmückten Sima.
Die letztere zeichnet sich durch die streng griechische Linienführung des
Blattwerks aus; auch das Kapitäl hat entschieden griechisches Gepräge.
Diese Stücke sind somit unbedenklich älter als die unter Nero vollbrachte
Restauration des Tempels.
Noch werden uns auf derselben Kupfertafel die Reliefdarstellungen
vorgeführt, welche, leider sehr beschädigt, zwei Seiten eines Steines schmücken.
Es sind Kämpfe griechischer Reiter mit Barbaren, vermuthlich Galliern,
Auch diese im Style ohne Zweifel noch rein griechisch. Der Verfasser
weiss die ursprüngliche Bestimmung dieses Steines nicht anzugeben, meint
aber, dass er zum Tempel selbst nicht gehört haben könne.
So fragmentarisch an sich auch diese Mittheilungen sind, so vermeh-
ren sie doch, als einer der berühmtesten Lokalitäten des griechischen Alter-
thums angehörig, auf dankenswerthe Weise unser archäologisches Material.—
Die Schrift Nr. 2 hat nicht die Absicht, uns neue und Msher noch
Unbekannte Gegenstände vorzuführen. Sie war dazu bestimmt, im münd-
lichen, durch bildliche Darstellung erläuterten Vortrage einem gemischten
Publikum eine Anschauung von dem glänzendsten Centraipunkte griechi-
schen Lebens und von der Bedeutung desselben zu gewähren. Indem dies
mit besonnener Umsicht und Fasslichkeit, zugleich aber auch mit begeister-
ter Theilnahme für den besprochenen Gegenstand geschieht, bemerken wir,
dass die eigene genaue Kenntniss der Lokalität und ihrer Umgebungen
die Absicht des Verfassers wesentlich gefördert hat, und dass somit seine
Schrift auch ausserhalb des Kreises, für den sie zunächst bestimmt war,
auf Anerkennung rechnen darf.
Zur Geschichte der Kunst des Mittelalters in Nord-
deutschland,
I'
(Kunstblatt 1844, No. 80 f.)
Ich erlaube mir den Bericht über eine Reihe jüngst erschienener und
mehr oder weniger umfassender literarischer Erscheinungen, die zur Kennt-
niss des Denkmälervorrathes im Norden unsres Vaterlandes oder zur Er-
forschung der kunsthistorischen Stellung dieser Denkmäler Beiträge liefern,
unter der vorstehenden Ueberschrift zusammenzufassen. Ich beginne mit
dem Osten des Vaterlandes^ mit Preussen. Das Wichtigste, Avas wir
seither über die dortige Kunst besassen, waren die Schriften und Kupfer-
werke über das Marienburger Schloss und E. A. Hagen's Beschreibung der
Domkirche zu Königsberg, ein Werk, das in üebersichten und Excursen
Zur Geschichte der Kunst des Mittelalters in Norddeutschland, 471
mehr brachte, als der Titel erwarten Hess. Daran schliesst sich jetzt Eini-
ges über Danzig, die wichtigste Handelsstadt des altpreussischen Landes,
eine der Hauptfesten deutscher Kultur gegen eindringende slavische Ele-
mente, an. Schon vor ein Paar Jahren erschien eine sehr verdienstliche
kleine Schrift:
I '
Ueber alter thüml iche Gegenstände der bildenden Kunst in
Danzig, ein Yortrag etc. von J. C. Schultz, königl. Professor, Direktor
der königl. Prov.-Kunstschule in Danzig etc. (Danzig 1841. 59 S. in 8.)
Der Verfasser, der bekannte Architekturmaler, gab hierin einen raschen
Ueberblick über die grosse Fülle der bemerkenswerthen Architekturen, der
bildnerischen und malerischen Werke, die seine Vaterstadt aus den Zeiten
ihres alten Glanzes bewahrt; das Werkchen, weniger zwar vom speziell
kunsthistorischen als vom allgemein künstlerischen Standpunkte aus ver-
fasst, zeichnete sich durch Gesundheit^ und Tüchtigkeit des Urtheils aus
und musste als lebendige Anregung zur ernstlicheren Beachtung und zu
weiter fortgesetzten kritischen Fprschungen sehr willkommen geheissen
werden. Ein umfassenderes Werk ist demselben vor Kurzem gefolgt,
ebenfalls zwar keine eigentlich kunstgeschichtliche Arbeit, sondern zunächst
dem allgemein historischen Interesse zugewandt, doch durch viele genaue
Mittheilungen über vorhandene Monumente auch für unsre Zwecke immer
wichtig genug. Es führt den Titel: .
Die Ober-Pfarrkirche von St. Marien in Danzig in ihren Denk-
mälern und in ihren Beziehungen zum kirchlichen Leben Danzigs über-
haupt dargestellt von Dr. Theodor Hirsch, Professor. Erster Theil.
Mit einem Grundriss, einer Seitenansicht "und einer inneren Ansicht der
Kirche. (Danzig 1843.* ^28 S. in 8.)
'Was-den artistischen Theil dieses reichhaltigen Werkes anbetrifft, so
führt der .Verfasser zunächst'in sehr glücklicher und scharfsinniger Welse
aus, wie das Gebäude der genannten Kirche, 1343 gegründet, im Laufe des
15ten Jahrhunderts umgewandelt, beträchtlich erweitert und, namentlich
im Inneren, zu einem der schönsten Monumente der baltischen Küstenlän-
der ausgebildet wurde. Dann giebt er Rechenschaft über die ungemein
grosse Menge von Bildwerken, Sculpturen, besonders Schnitzaltären, und
Gemälden, welche das Innere dBr Kirche'schmücken, auch über_die, von
deren ehemaligem Vorhandensein nur noch eine äukere Kunde zurückge-
blieben ist. Er geht, wie gesagt, nicht auf das Einzelne der stylistischen
Besonderheiten ein; er giebt nur ein genaues Verzeichniss des Inhaltes der
Darstellungen und Bericht über ihre äussere Beschaffenheit und über die
urkundlich historischen Verhältnisse, welche dabei in Erwägung zu ziehen
sind. ' Nur ganz allgemeine Andeutungen über die in den einzelnen Wer-
ken befolgte künstlerische Richtung finden sich vor; aber auch schon
aus diesen und aus der Berücksichtigung der.sonstigen historischen Ver-
hältnisse gelangt der Verf. zu sehr interessanten Resultaten. Die bildneri-
schen Werkö rühren,' nach seiner Darstellung, fast sämmtlich aus dem
eigentlichen Deutschland und zwar zum grössten Theil aus den Gegenden
des Niederrh^eins her, aus denen eine grosse Anzahl der bedeutendsten
Familien Danzigs herstammt, mit denen diese fortwährend in unmittelbarem
Verkehr blieben, wo sie die Kunstwerke auf Bestellung arbeiten liess^u
472 Berichte und Kritiken.
und von wo, wenigstens etwas später, auch Künstler sich nach Danzig
übergesiedelt haben. Das Alter dieser Arbeiten geht bis in den Beginn
des zweiten Viertels des löten Jahrhunderts zurück; vorzüglich wiclitig
sind die aus dem letzten Viertel desselben Jahrhunderts. Zu diesen ge-
hört u. a. das berühmte Gemälde des jüngsten Gerichts, das freilich nicht
für Danzig gefertigt wurde, sondern als Kriegsbeute in den Besitz der
Stadt kam. lieber letzteren Umstand bringt der Verf. die interessante und
wohlgesiclierte Nachricht bei, dass das Bild sich auf einer holländischen
Galliote befand, welche im Jahr 1473 durch einen Danziger Schiffer ge-
nommen ward (man stand damals mit Holland in lang dauernden feind-
lichen Verhältnissen). Dann wird der grosse Schnitzaltar mit gemalten
Flügeln, der sich in der Ferber'schen Kapelle befindet und auf den auch
schon Schultz in der vorgenannten Schrift eindringlichst aufmerksam ge-
macht hatte, besonders hervorgehoben; der Verf. weisst nach, dass derselbe
zwischen 1481 und 1484 gefertigt ist und höchst wahrscheinlich aus Cal-
car, der ursprünglichen Heimat des Bestellers, herstammt. Neben vielen
andern erscheint ferner der Altar der Marienkapelle als ein interessantes
Meisterwerk niederrheinischer Kunst; wir sehen in allen diesen Arbeiten
mithin Werke, die für die vaterländische Kunst von ^ehr grosser Bedeu-
tung sind und eine nähere kunsthistorische Würdigung, besonders im
Vergleich mit den anderweitig vorhandenen Werken des Niederrheins,
dringend wünschen lassen. Dasselbe ist ohne Zweifel der Fall mit dem
Altar, der sich früher in der Antoniuskapelle befand und gegenwärtig,
durch verschiedene Zwischenfälle, in den Besitz des Erzherzog Deutsch-
meisters Maximilian übergegangen ist, auf dessen Gut Ratsch bei Ratibor
er bewahrt wird. Der Verfertiger dieses Altares nennt sich nemlich
L. V. WAVERE aus Mechlen, den der Verf. mit dem bekannten Israel
von Mecheln zu identificiren sucht; ohne dies letztere (da Israels Thätig-
keit im Fache der Malerei bekanntlich sehr angefochten ist) vertreten zu
wollen, scheint es doch sehr wünschenswerth, dass gelegentlich ein näherer
Vergleich zwischen diesem Werke und denen, welche man früher dem
Israel zuschrieb, angestellt werden möge. Aus dem Anfange des löten Jahr-
hunderts endlich, in welcher Zeit Danzig in lebhaften Verkehr mit Ober-
deutschland kam, sind ein Paar bedeutende Arbeiten vorhanden, der Hoch-
altar und der Altar der Reinholdskapelle, die in unmittelharer Verbindung
mit der oberdeutschen, namentlich der nürnbergischen Schule stehen. Der
Hochaltar ward von 1511 bis 1517 in Danzig durch einen Meister Michael
gefertigt, der aus Augsburg gebürtig war und den der Verfasser als einen
Schüler Dürers bezeichnet; zu den Compositionen seines grosse» Werkes
hat er die Holzschnitte und Kupferstiche Dürers, welche in jenen Jahren
erschienen, vielfach benutzt.
Ueber die Monumente von Pommern hatte meine „Pommersche Kunst-
geschichte" (1840) eine Uebersicht gegeben. Ein weiterer Beitrag zu deren
Kenntniss ist kürzlich in einer; gehaltreichen kleinen Schrift erschienen:
Ueber das städtische Bauwesen des Mittelalters, in Anwen-
dung auf Stralsund. Vorgelesen im gesellig - literarischen Verein etc.
von Arnold Brandenburg, d. R. D. Syndicus der Stadt Stralsund etc.
(Aus der Zeitschrift Sundine abgedruckt. Stralsund 1843. 34 S. in 8.)
Der Zweck dieser Abhandlung geht über die ausschliesslich provin-
ziellen , auch über die blos kunstgeschichtlichen Interessen hinaus. Wie-
■4
Zur Geschichte der Kunst des Mittelalters iü Nörddentscblaud, 473
schon der Titel ergiebt-, hat-sie es zunächst mit einem Gegenstande zu
thun, der^dem weiteren Gebiet der Kulturgeschichte des Mittelalters an-
gehört und der namentlich in nächster Verbindung mit der Kostümgeschichte
steht. Die Bedingnisse der Stadt- und Hausanlage in mittelalterlichen
Zeiten werden hier mit gründlicher Kenntniss und in sehr anschaulicher
Weise auseinander gesetzt. Die Abhandlung reiht sich in diesem Be-
tracht der schönen Schrift von H. Leo „über Burgenbau und Burgenein-
richtung'in Deutschland vom Ilten bis zum 14ten Jahrhundert" (in v. Rau-
mers historischem Taschenbuch, Jahrgang 1837) vOrtheilhaft an; beide
Arbeiten zusammen geben uns ein vortreffliches Bild der Verhältnisse und
Gestaltungen des mittelalterlichen Lebens, das u. a. auch für den ausübenr
den Künstler von grösstem Interesse sein muss. Es liegt indess in der
Natur der Sache, dass Herr Brandenburg auch das Architektonisch-
Künstlerische in Erwägung ziehen und dass seine Bezugnahme auf »die
stralsundischen Monumente über die letzteren in mannigfacher Weise Licht
verbreiten musste. Näher auf das Detail einzugehen, ist hier nicht der
Ort; ich füge nur die beiläufige Bemerkung hinzu, dass er in der Zeitbe-
stimmung der vorhandenen Monumente nicht durhweg die Ansichten theilt,
die ich in meiner eben genannten Schrift entwickelt habe.
Nehmen wir zu den im Vorigen angeftihrten altern und neuern Werken
noch die Arbeiten, die Tischbein und Milde über die Denkmäler
Lübecks und Böhndel .über die Schnitzwerke des Brüggemann in
Schleswig geliefert oder begonnen haben, so gewinnen wir in alledem schon
einen ganz hübschen Ueberblick über das Kunstleben in den deutschen
Ostseeländern. Nur Mecklenburg auf der einen Seite, wo es doch an sehr
beachtenswerthen Monumenten keineswegs fehlt, und auf der andern die
gegenwärtig unter russischer Herrschaft stehenden deutschen Ostseeprovinzen,
die demselben Kreise künstlerischer Thätigkeit angehören, sind noch etwas
dunkle Punkte. Mögen auch über die in diesen Ländern vorhandenen
Kunstdenkmäler. bald nähere Mittheilungen veröffentlicht werden! —
Den verschiedenartigen Schriften und Bilderwerken, die wir Über die
Monumente der sächsischen Lande^bereits besitzen, reiht sich als eine
nicht ganz zu übersehende kleine Arbeit an der
<
Wegweiser durch Halberstadt und die Umgegend etc. mit vier,
Ansichten nach Lichtbildern von Dr. F. Lucanus, (Halberstadt 1843.
Besondere Untersuchungen irgend welcher Art konnten natürlich auf
keine Weise im Plane eines Büchleins liegen, das nur die Absicht hatte,
auf alles Bemerkenswerthe rasch und übersichtlich aufmerksäm zu machen.
Die persönliche Neigung und Erfahrung des Verf.," des bekannten JKunst-
freundes und Herausgebers des grössern Werkes über den Halberstädter
Dom, brachte es indess mit sich, dass Alles, was in artistischer und monu^
mentaler Beziehung Bedeutung hat, mit angemessener Würdigung aufge-
führt wurde. Wir besitzen, somit in fiesem Büchlein, trotz seiner Kürze,
ein sehr brauchbares Verzeichniss von Gegenständen, die unter dem vater-
ländischen Denkmälervorrathe keine 'der letzten Stellen einnehmen. ^ Auch
enthält dasselbe mehrfach Notizen, die wir als neue Mittheilungen will-
kommen heissen müssen, namentlich über Beschaffenheit und Alter der
Holzhäuser des löten und* 16ten Jahrhunderts, die nirgend anderswo eine
t
Berichte und Kritiken.
474
so zierlich künstlerische Ausbildung erreicht haben, wie gerade in Halber-
stadt. —
Eine sehr beachtenswerthe Thätigkeit für die Kenntnissnahme und
Erforschung der vaterländischen Kunstdenkmale ist in jüngster Zeit be-
sonders in dem Nordwesten Deutschlands, in den Gegenden des Nieder-
rheins, erwacht. Die Angelegenheit des Kölner Dombaues und das hohe
nationale Interesse desselben scheint vornehmlich den Anstoss zu diesen
lebendigeren und umsichtigeren Arbeiten gegeben zu haben. Das „Kölner
Domblatt" hat sich als literarisches Organ, wie zunächst für die Zwecke
des Dombaues selbst, so auch für anderweitige Mittheilungen in Bezug auf
die mittelalterliche Kunstweise jener Gegend hingestellt und bereits viel
Belehrendes gebracht. Besondere Monographien, auch andere Sammel-
werke haben sich demselben an die Seite gestellt. Die „Diplomatischen
Beiträge zur Geschichte der Baumeister des Kölner Domes etc. von
A. Fahne" haben im Kunstblatte unlängst bereits die verdiente Würdigung
gefunden. Eine zweite Monographie steht ebenfalls in nahem Bezug zur
Geschichte des Kölner Dombaues, obgleich sie nicht ausschliesslich kunst-
historische Interessen verfolgt. Ihr Titel ist: ^
Conrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln und Gründer
des Kölner Doms (1238—1261). Von Jacob Burckhardt. (Bonn
1843. 158 S. in 8.)
Ueber das allgemein geschichtliche Verdienst dieser Schrift, das bereits
vielseitige Anerkennung gefunden hat, kann hier nicht gesprochen werden.
Herr Burckhardt (Verf. der „Kunstwerke der Belgischen Städte") hat sich
indess nicht begnügt, nur die merkwürdigen politischen Verhältnisse und
Wirrnisse jener Zeit und die Art und Weise, wie Erzbischof Conrad darin
verflochten war, darzustellen; es kam ihm zugleich auch darauf an, von dem
bewegten Kunstleben jener Tage, von dem Zusammenklang desselben mit
büfgerlichen und religiösen Interessen ein anschauliches Bild zu geben, und
solchergestalt das grosse Unternehmen des Dombaues, das den Namen Conrads
mehr als seine politischen Thaten der Nachwelt überliefern sollte, dem Ver-
ständniss der Leser näher zu rücken. Die ganze Darstellung hat durchaus in-
dividuelle Färbung, sowohl in dem Charakter des Erzbischofes und der ge-
sammten volksthümlichen Zustände, als auch in der Entwickelung der dama-
ligen künstlerischen Vorhältnisse. Wir haben die Schrift als einen der
wichtigsten Beiträge für die, schon ziemlich zahlreiche Literatur, die sich
auf den Kölner Dombau bezieht, zu bezeichnen.
Nicht minder belehrend ist schliesslich eine Reihenfolge artistisch-
historischer Aufsätze, die uns das
Niederrheinische Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Poesie.
Zum Besten der Bonner Münsterkirche herausgegeben von Dr. Laurenz
Lersch. Mit vier architektonischen Abbildungen. (Bonn 1843.)
X
bringt. Die betreffenden Aufsätze sind: 1) „Ueber die vorgo"thischen Kirchen
am Niederrhein," von J. Burckhardt. Eine vortreffliche Entwickelung
der reichen und malerisch imposanten Compositionsweise, wodurch diese
Kirchen sich auszeichnen, während die höhere Durchbildung des Details
bei den meist einfacheren Architekturen derselben Epoche in Mitteldeutsch-
Die Dresdener Gemäldegallerie. 475
land vorherrscht, ' (Ein Paar unrichtige oder'schiefe Einzelbemerkungen,
die dem Verf. entschlüpft sind, die aber die Gesammtauffassung nicht be-
einträchtigen, sollen hier nicht weiter gerügt werden). — 2) „Die antiken
Säulen'im Münster zu Aachen," von J. Nöggerath. Bemerkungen vom
mineralogischen Standpunkte aus, die in Bezug auf die Herkunft jener
merkwürdigen Säulen manche sehr wichtige Aufschlüsse geben. Dabei
zugleich eine'Nachricht über die eingeleitete Wiederaufstellung und Restau-
ration dieser Säulen. — 3) „Die Bausteine der Münsterkirche in Bonn,"
von demselben, ähnlich belehrend und dadurch ein wichtiger Beitrag
zur Baugeschichte der Verschiedenen Theile des Münsters. — 4) „Der
Kreuzgang des Bonner Münsters," kurze Notiz zur Erläuterung der das
Jahrbuch begleitenden Tafeln, welche diesen Kreilzgang, ein sehr merk-
würdiges "Bauwerk aus der Mitte des 12len Jahrhunderts, darstellen.
(Leider ist das Blatt mit den Details sehr ungenügend ausgefallen). —
5) „Gerhard von Are, Erbauer des Bonner Münsters," von L. Lersch.
Bericht über das Leben dieses ausgezeichneten Mannes, Probstes der
Münsterkirche, den man seither irrthümlich zu einem Grafen von Sayn ge-
macht hat. Dabei zugleich einige nicht unwichtige Notizen über den Bau
des Münsters selbst. ') — 6) „Altenberg und seine Kirche," von K. Ch. Beltz.
Ein ausführlicher Aufsatz über die Geschichte dieser Kirche, die, unfern
von Köln belegen, bekanntlich zu den schönsten deutsch-gothischen'Bau- i
werken gehör!, und über ihre stylistischen Besonderheiten.
Die Dresdener Gemäldegallerie in ihren bedeutungsvollsten
Meisterwerken, erklärt von Dr. Juliu"s Mosen. Nebst einer Steiu-
drucktafel. Dresden und,Leipzig 1844. 203 S. in 12.
(Kunstblatt 1844, No. 84.)
Ein Dichter als Führer bei der Kunstschau wird uns stets willkommen
sein. Er vor allen hat die Gabe des Wortes;, er wird den tretFenden Aus-
druck für das, was unser Gefühl vor dem Bilde in Anspruch nimmt, zu
finden und dadurch dies Gefühl uns selbst deutlicher zum Bewusstsein zu
bringen wissen. Er wird —vorausgesetzt, dass er der rechte Dichter sei
und dass er überhaupt den Beruf zu jener Führung habe — die Geheim-
nisse des' künstlerischen Schalfens und die Bedingnisse der Zeit,Vdie diesem
Schaffen seine eigenthümliche Richtung gaben, so verständlich wie anregend
und eigenes Denken fördernd vor uns zu entwickeln vermögen.
■ Ein solcher ist der. Verfasser des vorliegenden Buches, den Deutsch-
land gegenwärtig zu seinen edelsten Dichtern zählt und der sich schon
Eine nähere kunsthistorische Würdigung des-Bonner Münsters nach sei-
nen einzelnen Theilen habe ich in dem Text der neunten Lieferung von J.
Gailhabaud's-'„Denkmälern der Baukunst aller Zeiten und Länder" gegeben.
(Vergl. oben, S. 118.) Ich freue mich, dass meine Darstellung an den festen
Punkten, die'die Mittheilungen der Herren Le.rsch und Nöggerath enthalten, Be-
stätigung findet.
476 Berichte und Kritiken.
früh, vornehmlich in Italien, einer nachhaltigen Kunstbetrachtung hinge-
geben hatte. Die Schilderungen der Meisterwerke der Dresdener Gallerie,
welche er uns hier darbietet, sind anziehende, lebenvolle üebertragungen
in die einfache Sprache des Wortes, gleich werthvoll für die Vorbereitung
zum Besuch der Gallerie wie für die Erinnerung an dieselbe, gleich ge-
schickt, beim Anschauen der Bilder zur Controle der eigenen Auffassung
zu dienen, wie demjenigen, der sie nicht gesehen hat, eine Vorstellung
ihrer Eigenthümlichkeit zu gewähren. Mehr indess noch, wie in dieser
Uebertragung, zeigt der Verfasser sein dichterisches Verständniss darin,
wie er den Bezug dieser Bilder auf die geistigen Zustände der Zeiten,
denen sie angehören, darzulegen und klar zu machen versteht. „Die könig-
liche Gemäldegallerie in Dresden "(so beginnt er seine Einleitung) enthält
in ihren Meisterwerken die vertrautesten und geheimsten Memoiren des
Seelenlebens des löten, 17ten und 18ten Jahrhunderts für den, welcher
Bilderschrift zu lesen versteht." Diese Worte bilden das eigentliche Thema
seines Buches, das er mit Besonnenheit und Umsicht durchführt und dessen
bestätigende Beispiele die Schilderungen des Einzelnen ausmachen.
Hiedurch gewinnt das Buch zunächst einen bedeutenden Werth als
Material für die allgemeine Geschichte, Die Historiker haben von den
Monumenten und Dokumenten der Kunst seither nur erst wenig Vortheil
zu ziehen gewusst, und, venn dies ja geschehen ist, so haben sie diese
Erscheinungen in der Regel nur in Anhängen und Extrakapiteln behandelt,
gleichsam als ob die Kunst nur eben ein zufälliges Beiwerk des Lebens
sei und mit dessen übrigen Erscheinungen und Begebenheiten in gar
keinem innerlich bedingenden Zusammenhange stehe; genügt es ihnen doch
auch in solchen Fällen zumeist vollkommen, wenn sie nur eine Summe
künstlerischer Leistungen aufzählen können, gleichviel in welcher Art sich
diese Leistungen kund gethan haben. Ranke ist einer der Wenigen, die
unter den übrigen Zeugnissen der Zeit auch auf das lebendige Wort der
Kunst zu lauschen wissen; er hat einen kleinen Kreis solcher Anschauungen
(in seiner Geschichte der Päpste und auch in der deutschen Geschichte
im Reformationszeitalter) vortreiflich zu benutzen gewusst; — wie viel
erfolgreicher aber hätte dies sein müssen, wenn ein Mann von seinem
Geiste und seiner weiten Erfahrung tiefer und umfassender auch in dies
Thema eingedrungen wäre! — Schlosser hat in seiner Geschichte des
IBten Jahrhunderts durch scharfsinnige Beobachtung der literarischen Inter-
essen dieser Zeit einen fast ganz neuen Bau geschalten; wie viel bedeut-
samer noch wäre sein Werk geworden, wäre er vermögend gewesen, zu-
gleich auch auf die Kunstleistungen, und zwar in diesem Fall besonders
auf die der Musik, die für die Auffassung des Charakters der neueren
Zeit von so überaus grosser Wichtigkeit ist, die in Mitten der Auflösung
alter Zustände ein neues Lebensprinzip, so deutlich erkennen lässt, näher
einzugehen! Den Historikern also möge das kleine Buch Mosens, und
nicht bloss als Hülfsmittel, sondern auch als Beispiel, auf's beste em-
pfohlen sein.
Freilich aber müssen auch wir, von Seiten der Kunstschriftstellerei,
in Demuth bekennen, dass wir den eigentlichen Historikern im 'Ganzen
noch erst wenig vorgearbeitet haben. Wir haben die Kunst meist zu ein-
seitig, zu wenig mit Rücksicht auf die,allgemeinen Welt- und Völkerver-
hältnisse, unter deren Einfluss ihre Leistungen das charakteristische Ge-
präge gewonnen, behandelt. Mosen tritt unserer gewöhnlichen Behandlungs-
Die Dresdener Gemäldegallerie. 477
weise zuweilen absichtlich, in einer Art von Resignation, als Laie gegen^
über; dennoch können auch wir aus seinem Buche Manches lernen, was
uns sehr zum Vortheil gereichen dürfte.
Speziell erfreulich erscheint mir das Buch, neben den allgemeinen
Vorzügen, in Rücksicht auf die Epochen der Kunst, die es, der Beschaffen-
heit der Dresdener (Gallerie gemäss, zum Gegenstande der Betrachtung
nimmt. Bekanntlich besitzt diese Gallerie aus den vorbereitenden Ent-
wickelungsepochen so viel wie Nichts, während der Reichthum ihrer Mei-
sterwerke gerade mit dem Zeitpunkte begitnt, wo das mittelalterliche Streben
sich erfüllt hat, wo die Bande der Tradition und der Convention voll-
ständig abgeworfen werden und wo zugleich die technischen Studien so
weit gediehen sind, dass die Kunst sich nunmehr ganz in eigenthümlicher
Freiheit (zum Guten wie gelegentlich auch zum Bösen) bewegen kann.
"Wir haben neuerdings mit dem lange vernachlässigten Studium jener
Entwickelungsepochen so viel zu thun gehabt, dass wir darüber die Zeit
der freien Vollendung und Meisterschaft fast zu wenig im Auge behielten;
bei dem Interesse, das jenes Studium in seinen fortschreitenden Erfolgen
uns abgewann, bei der Theilnahme, die wir dem wunderbaren Wachsthum
der jungen Pflanze nothwendig schenken mussten, hat es sich zeitenweise
wohl ereignet, dass wir das Werden und das Wollen für bedeutender
hielten, als das fertige Dasein und die gediegene That,.dass wir bei Dar-
stellungen, die, mit unvollkommenen Mitteln gearbeitet, auf eine Ausfüllung
ihres nur angedeuteten Inhalts durch eigene, mitproducirende Thätigkeit
im Geiste des Betrachtenden berechnet waren, fast lieber verweilten, als
bei solchen, wo wir uns in gewissem Sinne passiv verhalten mussten und
nur das Gegebene, wie es da war, uns anzueignen hatten. Wir waren
dazu um so leichter verführt worden-, als bei jenen unvollkommenen Dar-
stellungen sich die äussere Bedeutsamkeit des Gegenstandes, an die sich
eine beliebige Gedankenverbindung am bequemsten anknüpfen lässt, vor-
zugsweise geltend machte, während es bei den vollendeten Werken nicht
sowohl auf den Gegenstand an sich ankommen kann, als vielmehr auf die
Weise der künstlerischen Vollendung überhaupt, auf die Art, wie das
Unendliche im Endlichen offenbar gemacht wird, wie das Leben des Geistes
unmittelbar (und ohne allerhand Zwischenideen) in die Erscheinung tritt.
Dem Bedürfniss, nach all jenen Studien nun auch wieder zu den Zeiten
der vollendeten Kunst zurückzukehren, kommt in der That das Buch von
Mosen in seiner beredten Sprache auf eine^ schöne Weise entgegen,' Es
entwickelt frisch und verständlich, wie die Kunst die Bedingnisse der
Tradition, die, wenn auch glänzenden, so doch immer hemmenden Fesseln,
die ihr für einen,'ausserhalb ihrer selbst liegenden Zweck angelegt waren,
abstreifte und sich ihr eigenthümliches Reich eroberte. Neben den.Werken
der grossen Italiener des 16ten Jahrhunderts sind es also besonders die >fj
der Niederländer des 17ten, die hier wieder zu ihrer gebührenden Ehre '
gelängen, nachdem sie, obschon im Kunsthandel immer ansehnlich taxirt, .Jfi
in der Literatur geraume Zeit nur' etwas stiefmütterlich bedacht^ waren.
Für die tiefere Auffassung der niederländischen Kunst dieser Zeit kommen
hier fast nur noch die betreffenden, Abschnitte in S ehn aase's Nieder-
ländischen'Briefen in Betracht; diese und Mosens Darstellungen geben aber
auch vortreffliche'Gesichtspunkte für die Auffassung. *
Mit dem Vorstehenden soll übrigens nicht gesagt sein, dass Mosens
Ansichten und ürtheile überall und" unbedingt unterschrieben werden
478 Berichte nnd Kritiken.
müssten. Je mehr es auf Dinge, die nicht mathematisch zu beweisen sind,
und auf geistige Auffassung überhaupt ankommt, um so grösseres Gewicht
hat wiederum der individuelle Standpunkt, der mannigfache Modifikationen
der Ansicht zulässt. Bei aller Schönheit und Lebendigkeit der einzelnen
Schilderungen habe ich somit hier doch nur mehr den Werth der Gesammt-
richtung des Buches darlegen wollen. Auch will ich es keinesweges ver-
theidigen, dass der Verfasser bei der Ausbeutung der historischen Be-
ziehungen gelegentlich auf äussere, zufällige Nebendinge ein Gewicht legt,
das diesen nicht zukommt, und dass er solcher Gestalt ein oder ein anderes
Mal das freie Kunstwerk wieder die Rolle eines Symbols spielen lässt.
Die äussere Einrichtung des Buches macht dasselbe zu einem bequemen
Begleiter auf der Gallerie. Ein angehängtes Register und ein litographir-
ter Grundriss der Gallerie dienen zur leichteren Orientirung in den Räumen
derselben. Ein ausserdem beigegebenes Verzeichniss der Hanfstängl'schen
Steindrucke nach Gemälden der Gallerie, nebst Angabe der Preise, wird
manchem Besucher nur erwünscht sein.
Ueber die beiden Exemplare der Holbeinischen Madonna mit
der Familie des Bürgermeisters Meyer, zu Dresden und zu
Berlin.
(Kunstblatt 1845, No. 8.)
Ich war im vorigen Herbst auf kurzem Besuche in Dresden und erfreute
mich aufs Neue der nie genug zu bewundernden Schätze der dortigen
Gallerie. Neben den prächtigen Werken der grossen italienischen und nie-
derländischen Maler fesselte mich namentlich auch, wie jeden Beschauer,
jenes hohe Meisterwerk deutscher Kunst, die Holbeinische Madonna, die
von der Familie des Baseler Bürgermeisters verehrt wird. Der stillen Ge-
müthstiefe, dem sichern Bewusstsein der Gemeinschaft mit dem Heiligen,
mit dem in die unmittelbare Erscheinung getretenen Göttlichen!, das aus
dieser Composition spricht, hat sich noch Keiner, der dieselbe näher be-
trachtet, entziehen können. Das Bild ist zu bekannt, als dass ich nöthig
hätte, hier noch ein Wort zu seiner Charakteristik zu sagen. Bei längerem
Verweilen vor dem Bilde konnte ich indess wegen einiger Punkte der
Auffassung und besonders der technischen Behandlungsweise, die mir auch
schon früher, wenn gleich nicht so entschieden, aufgefallen wären, ein
Bedenlien nicht imterdrücken. Der Kopf der Madonna hat einen ganz
eigenen Reiz, wie wir ihn kaum in einem andern deutschen Bilde wieder-
finden; aber es ist ein Anklang an moderne Gefühlsweise, — ich möchte
sagen: etwas der weiblichen Auffassungsweise Verwandtes darin, was bei
einem so energisch schaffenden Meister wie Holbein fast befremdlich erschei-
nen dürfte. Dann gehen in der Garnation zum Theil, namentlich in dem
Körper des Christkindes und auch bei der Madonna, grünliche Halbtöne
durch, wie sie in solcher Art wohl kaum anderweitig bei Holbein ge-
Ueber die beiden Exemplare der Holbeinischen Madonna. 479
funden werden; verbunden mit den kühl röthlichen Lichtpartien in den-
selben Theilen der Carnation macht diese Behandlungsweise einen Eindruck,
der in gewissem Betracht schon an die Nachahmer der Italiener im 16ten
Jahrhundert erinnert.
Ein zweites Exemplar desselben Gemäldes, dem'Dresdener Exemplar
in Grösse und Anordnung durchaus entsprechend, das aber in der kunst-
historischen Literatur nur erst beiläufig genannt ist, befindet sich zu Berlin
im Besitz ihrer k. Hoheit, der Frau Prinzessin Marianne (Gemahlin Sr.
k.H., des Prinzen Wilhelm). Hirt hat dies Gemälde in seinen, im J. 1830
erschienenen „Kunstbemerkungen auf einer Reise über Wittenberg und
Meissen nach Dresden und Prag'^ (S. 16, Anm.) angeführt und demselben
ebenfalls die Holbeinische Originalität zugesprocnen, ohne dabei entscheiden
zu wollen, welches von beiden Exemplaren das ursprüngliche und welches
die Replik sey; Nagler hat diese Notiz in sein Künstlerlexikon aufge-
nommen. Ich hatte schon mehrfach das Glück gehabt, das Berliner Ex-
emplar zu sehen, und war dabei immer auf den völlig entschiedenen Ein-
druck Holbeinischer Auflfassungs- und Behandlungsweise hingeführt worden;
ich hatte indess vor eigener näherer Vergleichung und den zweihundert-
jährigen Autoritäten gegenüber, die für das Dresdener Bild sprechen, nicht
gewagt, mir ein definitives Urtheil über das Verhältniss zwischen beiden
Gemälden zu bilden. Jetzt eilte ich, unmittelbai; nach der Rückkehr von
Dresden und mit dem frischen Eindrucke des dortigen Bildes, vor das
Berliner Exemplar, und fand mich nun in der That ungemein überrascht,
durchaus nichts von dem wahrzunehmen, was mir an dem Dresdener Bilde
als fremdartig entgegen getreten war. Das Berliner Bild erscheint im
vollsten Grade als ein Ganzes aus Einem Gusse. Die Behandlung ist
überall eine und dieselbe; statt jener grünlichen Schattentöne und der weiss-
röthlichen Lichtpartien erscheinen hier in der Carnation durchweg, ob auch
nach dem Charakter der einzelnen Gestalten modificirt, nur die vollen,
tiefen Farbentöne, die im Schatten einen warmbräunlichen Charakter an-
nehmen und die bekanntlich für die Periode der künstlerischen Thätigkeit
Holbeins, in welclie die Ausführung dieser Composition fällt — die Zeit
um das Jahr 1529 — so bezeichnend sind. In demselben Maasse ist auch
die Gefühlsweise, die das Bild durchdringt, der in die dargestellten Per-
sonen gelegte geistige Ausdruck, vollkommen gleichmässig; insbesondere
hat der Kopf der Madonna, statt jener weicheren Anmuth, etwas Erhabe-
neres, Würdevolleres, was in der That dem Gesammtcharakter des Bildes
und überhaupt der Kraft des Meisters mehr, zu entsprechen scheint. Eigen-
thümlich ist dem Berliner Bilde ausserdem noch die mit grossem Geschmack
ausgeführte Anwendung des Goldes in den Schmucktheilen der Gewänder,
in derselben Weise, wie Waagen eben dieser Ausstattung bei einigen
Holbeinischen Prachtwerken derselben Epoche, die sich in England befin-
den, gedenkt^); namentlich sind auch die Unterärmel der Madonna hier
eben so, wie die an einem dieser Werke, dem Portrait Heinrichs "VIII. zu
Warwickcastle, ganz mit goldenen Lichtern und bräunen Schatten gemalt.
Im Ganzen und in allen Einzelheiten trägt das Berliner Bild das Gepräge
der entschiedensten Meisterschaft und hat dabei zugleich das grosse Ver-
dienst, dass es, soviel ich wenigstens bei seiner gegenwärtigen AufsteUung
wahrnehmen konnte, in völlig ungetrübter Reinheit erhalten ist.
^ ^ ■ t
- 1) Kunstwerke und Künstler in England II. S..264, No. 3 und S. 368.
-ocr page 479-480 Berichte und Kritiken.
Ich kann mich nach diesen Beobachtungen und nach dem Ganzen des
Eindrucks, den ein künstlerisches Meisterwerk auf uns hervorbringt, der
aber so schwer mit Worten wiederzugeben ist, nur dahin erklären: dass
das Berliner Bild das ursprüngliche Exemplar und als solches eines der
höchsten Meisterwerke des grossen deutschen Künstlers ist. "Wie es sich
hienach mit dem Dresdener Bilde verhalte, wage ich zur Zeit nicht geradezu
zu entscheiden. So wenig sich Holbeins Hand in den knieenden Porträt-
flguren desselben zu verläugnen scheint, so möchte ich sie doch nicht un-
bedingt in der Madonna und dem Kinde anerkennen. Vorläufig dürfte
somit etwa anzunehmen sein, dass Holbein die Wiederholung mit ander-
weitiger Beihülfe gefertigt habe, — ein Verfahren, das an sich auch, zumal
bei einem so viel beschäftigten Meister, nur durchaus naturgemäss sein
würde»).
Geschichte der bildenden Künste. Von Carl Schnaase. Zweiter
und dritter Band. Düsseldorf 1843 und 1844. 533 und 554 S. in gr. 8.
(Bd. II. auch unter dem Titel: Geschichte der bildenden Künste
bei den Alten. Zweiter Band. Griechen und Römer. Bd. III.:
Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter. Erster Band.
Altchristliche und muhamedanische Kunst.)
(Kunstblatt 1845, No. 28 fif.)
Meine Anzeige von dem ersten Bande des vorstehend genannten Werkes
war in Nr. 17—19 des Kunstblattes vom vorigen Jahre abgedruckt worden;
i(jh hatte dabei zum Schluss das, lebhafte Interesse angedeutet, mit welchem
man den folgenden Bänden entgegen sehen müsse. Der zweite und auch
der dritte liegen nunmehr bereits einige Zeit vor. Aeussere Verhältnisse
haben es mir nicht verstattet, eher als jetzt das Studium derselben vorzu-
nehmen und in der Anzeige des Werkes fprtzufahren; ich hoffe, dass mir
der geehrte Verfasser eine Säumniss verzeihen wird, die allerdings einer so
bedeutenden literarischen Erscheinung gegenüber nicht ganz angemessen
ist. Inzwischen hat auch der Verfasser, in Nr. 58 des vorjährigen Kunst-
blattes, ein Sendschreiben an mich gerichtet, zur Verständigung über meine
Kritik seiner Auffassung und Entwickelung des Begrifl'es der Architektur.
Auch hierauf das etwa Erforderliche zu erwidern, hat es mir an der
nöthigen Müsse gefehlt. Mir scheint, dass die Differenz zwischen unsern
Ansichten noch nicht so völlig gelöst ist, wie es der Verfasser andeutet.
Indess ist dies — die Begriffisbestimmung der Architektur — eine Sache,
die immer nicht in der Kürze abzuthun ist, die vielmehr ein sehr genaues
Nachträglich (185|,3). Das oben besprochene, seither in Berlin befind-
liche Exemplar des Holbein'scben Gemäldes befindet sich jetzt in Darmstadt,
im Besitz der Tochter der früheren hohen Besitzerin, der Frau Prinzessin Elisa-
beth von Hessen und bei Rhein. Hr. Professor J, Feising theilt, noch aus wei-
teren Gründen, meine Ansicht, dass «s dem Dresdener Exemplare der Zeit nach
vorangehe. -
Geschichte der bildeudeii Küuste. 481
Röckgehen bis auf die Bedeutung und die Bedingnisse des einzelnen Details
nöthig macht, und die ich somit auch jetzt noch einer günstigeren Zeit
vorbehalten muss.
Die allgemeinen Verdienste des Verfassers machen sich auch bei den
beiden neuen Bänden seines "Werkes bemerklich, oder wir gewinnen viel-
mehr durch diesen weiteren Fortschritt des Werkes einen Standpunkt, der
uns jene vollständiger beurtheilen lässt. Es ist die hohe Aufl'assung der
Kunst in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung, von der das Werk
überall durchdrungen ist. Hierin, also in dem, was die Hauptaufgabe
seiner Arbeit ausmachte, steht der Verfasser noch durchaus eigenthümlich
da; kein früheres Werk leistet in diesem Betracht etwas Aehnliches. In
meinem Handbuch der Kunstgeschichte war allerdings zwar auch ich schon
darauf hingewiesen, eine ähnliche Aulfassung zu Grunde zu legen; doch
durfte ich mich, dem Zwecke meines Buches gemäss, durchweg nur auf
kurze Andeutung dieser Beziehungen einlassen. Als einziger Vorgänger für
den Zweck, den Herr Sehn aase verfolgte, ist eigentlich nur das Buch
von A. Wendt: „Ueber die Hauptperioden der schönen Kunst, oder die
Kunst im Laufe der Weltgeschichte dargestellt" (1831) anzuführen; aber es
liegt in der Natur der Sache, dass ein Werk von nur 377 nicht grossen
Oktavseiten, das ausser den bildenden Künsten zugleich auch Poesie und
Musik behandelt, eben auch nur sehr allgemeine Andeutungen enthalten
kann, abgesehen davon, dass wir hier, neben manchem unbestreitbar Ver-
dienstlichen, doch auch viel Oberflächliches und Aeusserliches finden').
Herr Schnaase hat zuerst mit Gründlichkeit und mit philosophischem Ver-
ständniss nachgewiesen, wie die jedesmaligen Kunstzustände sich aus der
Weltstellung der einzelnen Völker und aus der Aufgabe, welche denselben
in dem grossen Ganzen der Geschichte des menschlichen Geschlechts zu
Theil geworden war, mit innerer Nolhwendigkeit ergeben mussten: eine
Weise der Darstellung, die allein eine vollkommene Richtigkeit des Urtheils
anbahnt und die nicht blos für die Höhenpunkte der Kunstbildung, son-
dern auch für minder erfreuliche Zustände, namentlich wo die letztern als
nothwendiges Verbindungsglied einer grösseren Kette aufzufassen sind, den
angemessensten und zugleich sichersten Maassstab giebt.
Gehen wir nun zur nähern Betrachtung der beiden vorliegenden Bände
über, so finden wir bei ihnen, wenn auch beiden die oben angedeutete
Auffassungsweise gemeinsam ist, im Uebrigen doch sowohl in der-Aufgabe
als in der Behandlung eine sehr bemerkliche Verschiedenheit. Für den
zweiten Band, die Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und
Römern, war das, schon vielfach bearbeitete Material im Wesentlichen ge-
geben ; stofflich konnte der Verf. hier also nichts sonderlich Neues bringen.
Für den dritten Band dagegen, die Geschichte der altchristlichen und der
muhamedanischen Kurist, lag keinesweges ein so bequem bereits zuberei-
tetes Material vor; hieF galt es, Vieles noch zu sichten und zu ordnen,
Vieles auch wo möglich, -was wenigstens die allgemeiner zugänglichen
Die Idee des Wendt'schen Werkes, die Verarbeitung der Geschichte der
sämmtlichen bildenden Künste, der Poesie und Musik in ihrem Zusammenhange
zu einem sich gegenseitig bedingenden Ganzen, ist gewiss eine überaus glück-
liehe. Einer genügenden Lösung .dieser höchst 'umfassenden Aufgabe können
wir aber erst in der Zukunft entgegen sehen.
Kugler, Kleine Sthriflen H. ' 31
-ocr page 481-482 Berichtfl und Kritiken.
Kunstschriften noch nicht enthalten, für den vorliegenden Zweck erst her-
beizuschaffen. Die Lust am Neubau pflegt in der Regel grösser zu sein
als die bei der angeraessneren Einrichtung eines schon stehenden Gebäudes;
es scheint, dass auch unser Verfasser sich von einem solchen Einfluss der
Neigungen und ihres Wechsels nicht ganz frei gemacht hat. Der dritte
Band ist mit Eifer und demgemäss mit Kraft und Sicherheit durchgeführt;
er ist durchaus als eine höchst bedeutende Leistung zu bezeichnen; gele-
gentlich ist sogar (v^as auch der Verfasser zugeben und bevorworten muss)
im Stofflichen ein wenig zu viel, in Rücksicht auf die Tendenz des Ganzen,
geschehen. Der zweite Band dagegen, so grosse Schönheiten er im Ein-
zelnen enthält, so bedeutend der Standpunkt ist, den der Verfasser auch
hier einnimmt, ist doch nicht ganz mit derselben Emsigkeit gearbeitet; der
Verf. hat sich hin und wieder zu sehr auf seine Vorarbeiter verlassen, er
hat deren Zuverlässigkeit nicht überall genügend geprüft, hat sich nicht in
den Besitz der sämmtlichen Mittel, die mit Nothwendigkeit erforderlich
sind, gesetzt, und ist somit mancher einseitigen Schlussfolgerung, mancher
ungenügenden und willkürlichen Darlegung nicht entgangen.
Der zweite Band zerfällt in drei Bücher, von denen das erste, „die
Kunst der Griechen" überschrieben, eine allgemeine Charakteristik dieser
Kunstweise giebt, das zweite die „Perioden der griechischen Kunst." das
dritte die Kunst „der italischen Völker" enthält. Das erste Kapitel des
ersten Buchs, die „Religion und Verfassung Griechenlands," bezeichnet in
kurzer, aber charakteristischer Einleitung den Hauptpunkt, auf den es, wie
bei Betrachtung des griechischen Lebens überhaupt, so auch der griechi-
schen Kunst ankommt: die Unabhängigkeit der griechischen Moral von der
Religion und die gerade hiedurch erzeugte sittliche Würde des Volkes;
wegen Ausführung dieser, allerdings paradox klingenden Behauptung muss
ich auf den Verf. selbst verweisen. Drei folgende Kapitel behandeln ge-
sondert die Architektur, die Plastik, die Malerei, ein fünftes das gegen-
seitige Verhältniss dieser Künste (z. B. Polychromie der Architektur und
Sculptur etc.). Hier nun tritt mir zunächst der Anstoss, den ich an einigen
Theilen dieses zweiten Bandes nehmen muss, entgegen. Ich kann mich
mit der Weise, wie der Verf. die griechische Architektur aufl'asst und be-
handelt, nicht einverstanden erklären, so wenig in dem eben angedeuteten
zweiten Kapitel, als wo er hernach, bei der eigentlich geschichtlichen
EntWickelung, auf die einzelnen Architekturwerke zurückkornmt. Der
Darstellung des zweiten Kapitels fehlt Präcision und Bestimmtheit. Die
Elemente der griechisch-architektonischen Formenbildung sind nicht wohl
verstanden; die Gründe, welche zu der Ausbildung dieser Formen Veran-
lassung gaben, sind, zumal in Rücksicht auf die volksthümlich individuellen
Besonderheiten des dorischen und des ionischen Styles, nicht klar ent-
wickelt; das, was die Reinheit der griechischen Form, sogar im Gegensatz
gegen die römische, ausmacht, ist nicht durchweg beobachtet; die Kenntniss
der Monumente selbst und der gediegneren Werke, welche dieselben be-
handeln, ist unzureichend. Ich mag das lange Register über das Einzelne,
welches ich zur Erhärtung dieses so unumwunden ausgesprochenen Tadels
eigentlich beibringen müsste, nicht hierher setzen, wo es eine so bedeu-
tende Reihenfolge wahrhaft gediegener Leistungen zu besprechen gilt. Ich
bitte um die Erlaubniss, das Kapitel unsers Verfassers^über die griechische
Architektur, und was sich von da aus an Urtheilen in das Folgende hinein-
zieht, als nicht geschrieben betrachten zu dürfen, imd nehme hievon vor-
Geschichte der bildeudeii Küuste. 483
nehmlich nur den Schluss des Kapitels aus, der einige schöne Bemerkungen
allgemeinen Inhalts enthält.
Um so trefflicher ist dagegen sogleich das folgende Kapitel, welches
die Plastik der Griechen behandelt. Hier erscheint der Verfasser voll-
ständig in seinem eigenthümlichen Elemente und mit dem "Wesen der
Sache, auf die es ankommt, vertraut. Er entwickelt zunächst das Prinzip
der griechischen Sittlichkeit, auf das er schon in dem Eingangskapitel hin-
gedeutet hatte, und die Um- und Ausbildung der Sittenlehre zur Schön-
heitslehre. Dies führt ihn zu der Ausbildung des Individuellen und zu
der idealen Gestaltung desselben in den Götterbildern; als Grundlage hiezü
werden (im Gegensatz gegen das modern Individuelle) die natürlichen Un-
terschiede der Geschlechter und die verschiedenartigen Annäherungen der
letzteren zu einander aufgenommen und geistreich durchgeführt. Nähere
Darlegungen über die Eigenthümlichkeiten des griechischen Kunststyles
schliessen sich an. — Nicht so vollkommen einverstanden bin ich mit der
Behandlung der griechischen Malerei im vierten Kapitel. Der Verfasser
führt, ohne Zweifel ganz richtig, aus, dass diese Kunst bei den Griechen
ein plastisches Element beibehalten habe, fügt aber hinzu, dass sie dess-
halb ungenügend, hart und kalt erschienen sei Das Letztere ist nicht
eine nothwendige Folgerung aus dem Ersteren. Unbedenklich werden die
Gemälde der Griechen gegen die der Neueren in dem eigentlich Maleri-
schen, dem Helldunkel und Allem was dazu gehört, zurückgestanden ha-
ben; ich kann aber nicht einsehen, wesshalb in einer mehr auf plastische
Wirkung berechneten Malerei nifiht auch höchste Befriedigung zu erreichen
gewesen sei. Michel Angelo's Deckengemälde in der Sixtina bezeugen das
zur Genüge. Wir werden also den grossen griechischen Meistern der Ma-
lerei wohl ihren Ruhm lassen müssen. So geht der Verfasser meines Er-
achtens auch zu weit, wenn er den Griechen den Sinn für die Landschaft,
canz abspricht. Ihr eigenthümliches Element war es gewiss nicht, aber sie
konnten immerhin in einer plastisch gehaltenen Landschaft, nach der Weise
des Nie. Poussin, Ausgezeichnetes leisten. Neben den vielen kleinen Schmie-
rereien landschaftlicher Ansichten, die man zu Pompeji und Herkulanum
gefunden hat, finden sich in der That einige Stücke, die der Richtung
Poussins auffallend verwandt sind.
Die Kapitel über den eigentlich geschichtlichen Verlauf der griechi-
schen Kunst enthalten das bekannte Material, in' die Hauptperioden bis
auf Solon, Perikles, Alexander und die l|nterjochung Griechenlands abge-
theilt. Bei der ersten Periode muss ich das Bedenken aussprechen, dass
sie, so wenig über sie bei unsrer Unkenntniss d^r altgriechischen Zustände
beizubringen ist, doch zwei höchst verschiedenartige Entwickelungszustände
in sich begreift: den des heroischen Zeitalters, der ohne Zweifel von allem
Folgenden wesentlich verschieden ist, .und den der Zeit seit der Einwan-
derung der Dorier. Im Uebrigen werden die Hanptphasen der griechischen
G.eschichte, die diesen Abtheilungen zu Grunde liegen, gut charakterisirt.
Die Würdigung des bildnerischen Styles vor Perikles, Charakteristik
der parthenonischen Sculpturen, die Schilderung der Gruppe des Laokoon
sind als besonders gediegene Punkte hervorzuheben. Auf die Neuerungen
des Polyklet (S. 281 f.), sogar mit Bezug auf Phidias, scheint mir der Ver-
fasser ein zu grosses Gewicht zu legen. Dass er (S. 287, Anm.) noch un-
gewiss ist, ob die Niobidengruppe im Florintiner Museum eine Copie sei
oder nicht, ist mir etwas befremdlich, da meines Erachtcn.s ein kunstge-
^K-t Berichte und Kritiken.
bildetes Auge nicht wolil anders urtheilen kann, selbst abgesehen von der
ungleich gediegneren Ausführung einzeln vorhandener Niobidenfiguren
Den vatikanischen Apollo nimmt der Verfasser als gleich alt mit dem
Laokoon an, d.h. als der letzten Epoche selbständig griechischer Kunst-
blvlthe angehörig; sehr gut sagt er von ihm: „Es ist eine subjektive Idea-
lität, ein vereinzelter Gedanke, nicht eine verkörperte Vorstellung des Volkes."
Der Verfasser beschliesst seine Betrachtungen über die griechische
Kunst in einem besonderen Kapitel mit einem „Rückblick auf den Ent-
wickelungsgang und die Richtung der griechischen Kunst." Dies Kapitel
bildet den Schluss- und Ausgangspunkt dessen, was er in der Einleitung
des zweiten Bandes und in den späteren allgemeinen Erörterungen über
das Verhältniss der Kunst der Griechen zu ihrer Sittlichkeit aufgestellt
hatte. Er kommt noch einmal hierauf zurück und weist die Schranken
nach, die dem griechischen Bewusstsein gesteckt waren, die einen so
raschen Verfall der Sittlichkeit, unmittelbar nach der glänzenden Erhebung
des Volks, zur Folge hatten, die überhaupt das höchste Vorbild der Sitt-
lichkeit im äusseren Leben unerreichbar erscheinen lassen mussten, die
aber für die Kunst dennoch so günstig wirkten, dass gerade hier jenes
Höchste, dem man anderweit vergebens nachstrebte, zu erringen möglich
ward. Der Raum dieses Blattes gestattet es mir nicht, auf diese geistvolle
Auseinandersetzung näher einzugehen.
Das dritte, den italischen Völkern gewidmete Buch des zweiten Bandes
behandelt im ersten Kapitel die „Etrusker." Die Eigenthümlichkeit dieses
Volkes und der Unterschied seines Charakters von dem der Griechen, —
das mehr Nüchterne, Verständige desselben, aber zugleich auch die grössere
Berechtigung des Persönlichen und der persönlichen Innerlichkeit des Ge-
fühls, wird einleuchtend auseinandergesetzt und als Grundelement neuer
künstlerischer Erscheinungen, die, ob auch minder vollendet, doch alle
Beachtung verdienen, nachgewiesen. Als vorzüglich charakteristische Bei-
spiele werden namentlich die etruskischen Sarkophagsculpturen vorgeführt
und dargelegt, wie an diesen jene geistigen Anlagen des Volkes zu einer
entschieden malerischen Compositionsweise, im Gegensatz gegen den grie-
chischen Reliefstyl, führen mussten. Bei der Betrachtung über die etrus-
kische Architektur hätte ich ein etwas näheres Eingehen auf die erhaltenen
Monumente undfiFragmente gewünscht, indem die Beobachtung der Detail-
bildung an denselben wohl bestimmtere Aufschlüsse über den Fprmensinn
des Volkes zu geben geeignet ist. ;
Die vier folgenden Kapitel desselben Buches behandeln die römische
Kunst, doch nur bis zur Zeit des Gallienus, indem der Verfasser die
merkwürdigen Umwandlungen, die in derselben, und insbesondere in der
Architektur, von der späteren Zeit des dritten Jahrhunderts ab begin-
nen, dem dritten Baude, d. h. der Darlegung der ersten Entwicke-
lungsmomente des Mittelalters vorbehält. Eine Abhandlung über Charakter
und Sitte der Römer eröffnet diesen Abschnitt; dann folgt die Betrachtung
der einzelnen Künste in ihrer römischen Verfassung, wozu wiederum das
bekannte Material vorlag. Gewisse charakteristische Eigenthümlichkeiten
der römischen Architekturanlagen werden mit vielem Geist näher ent-
wickelt; namentlich scheint mir die Auseinandersetzung über die bei den
römischen Tempeln vorherrschende und auf besondere Weise ausgebildete
Form des Prostylos, im Gegensatz gegen den griechischen Peripteros, und
die über den majestätisch kalten Rundbau des Pantheons ungemein glück-
V
i.
Geschichte der bildeudeii Küuste. 485
lieh. Zu entschieden sagt der Verfasser (S. 425), dass die dorische Säuien-
ordnuug bei den Römern eigentlich gar keine Anwendung gefunden habe,
indem doch, abgesehen von dem gar nicht seltenen Vorkommen derselben
als Dekoration (in Halbsäulen und Pilastern), auch mancherlei Reste wirk-
licher Säulenstellungen dieses Styles vorhanden sind, z. B. die grosse An-
zahl römisch-dorischer Säulen, die zum Ausbau der Basilika S. Pietro ad
Vincola verwandt sind. Freilich scheint es, dass dergleichen im Ganzen
mehr der Entwickelungs- und der ersten Glanzzeit der römischen Archi-
tektur angehört habe; auf die erstere hätte der Verfasser, da es wenigstens
au einzelnen Anknüpfungspunkten nicht fehlt, wohl etwas näher eingehen
können, als es S. 474 f. geschehen ist. Bei der Betrachtung der Sculptur
ist das eigenthümlich Römische, das sich (wie auch schon bei den Etrus-
kern) in den Bildnissdarstellungen, und zwar in der künstlerischen Durch-
bildung des Persönlichen, kund giebt, lebendig hervorgehoben; bei der
Betrachtung der Reliefs hätte ich gewünscht, dass auch hier etwas mehr
Bezug auf das volksthümlich Individuelle genommen wäre. — Als vorzüg-
lich ausgezeichnet erscheint die Schlussbetrachtung des zweiten Bandes,
mit welcher der Verfasser sich über die welthistorische Bedeutung der
griechisch-römischen Kunst in allgemeinen Zügen auslässt. Den Römern,
so sagt er, gilt die Kunst (die griechische, — die es mit der „allgemeinen,
allverständlicheu" Schönheit zu thun hat) gleich Anfangs als eine geistige
Ueberlieferung , welche sie aufnehmen und auf alle Länder übertragen.
„Sie hat erst jetzt ihre geistige Bestimmung erreicht, sie ist zur freien und
bewussten Aufgabe der Menschheit geworden; sie unterliegt nicht mehr der
Vermischung mit der Religion, einer Unklarheit, welche auch für diese
verderblich war. Der Begriff der Schönheit ist entstanden, wenn auch
noch nicht in seiner vollen Bedeutung gekannt."...... „Indem die Kunst
sich vollständig ausbildete, zog sie die sinnlichen Bestandtheile an sich,
welche bisher auch die Religion und Wissenschaft getrübt hatten; das gei-
stige Leben der Menschheit trat in diesen drei Formen vollständig hervor
und stellte sich dem Naturleben entgegen." — Die Eingangs erwähnte Ten-
denz des Verfassers, besonders die allgemeinen, weltgeschichtlichen Beziehun-
gen hervorzuheben, dokumentirt sich in dieser Abhandlung aufs Glücklichste.
Der dritte Band, die Geschichte der altchristlichen und der muhame-
danischen Kunst enthaltend, führt uns, wie dies bereits oben angedeutet
ist, in ein Gebiet hinüber, wo das Verhältniss des Verfassers zu seinem
Material ein wesentlich andres sein musste. Zunächst indess schllesst sich
der Inhalt dieses Bandes und die Beschaffenheit, desselben doch noch eng
an den Inhalt des vorigen an, um so mehr, als der Verfasser die letzten
Erscheinungen der römischen Kunst in den neuen Band (der sogar eine
neue Reihenfolge der Bände eröffnet) hinübergenommen hat. Er ist hierin
in sofern wenigstens völlig in seinem Rechte, als diese Erscheinungen un-
bedenklich eben so sehr die ersten, obschon noch unbewussten Regungen
eines neu erwachenden Kunstsinnes als das Absterben des Alten bezeich-
nen. Das erste Buch des dritten Bandes führt die Ueberschrift: „Erste
Regungen der christlichen Kunst, .von Gallienus bis zum Untergange des
weströmischen Reiches." Das einleitende Kapitel giebt eine lebendige Dar-
stellung des -wirren, unklaren, gährenden Zustandes, in welchem die,Welt
und namentlich das geistige Streben sich dazumal befand, aus dem aber
ein neues Dasein sich herausarbeiten sollte. Die Keime des letzteren, so-
fern es die künstlerische Bethätigung betraf, weist der Verfasser in den
4öÜ . Berichte und Kritikeu.
beiden folgenden Kapiteln nach. Das zweite Kapitel handelt vou der Ar-
chitektur. Zunächst von der eigenthümlichen Umgestaltung der Formen
und Anlagen, die sich besonders durch orientalischen Einfluss ergaben
(wobei übrigens das vielleicht wichtigste Beispiel in diesem Betracht, die
Ruinen von Petra, etwas ausführlicher hervorzuheben gewesen wäre, als
es durch das Citat in der Anmerkung auf S. 25 geschieht); sodann von
der ersten Anlage christlich-kirchlicher Gebäude, der Basiliken, deren
Bedeutung der Verfasser näher entwickelt und wobei er unter anderm
auch besser, als es meines "Wissens seither geschehen ist, darlegt, wie die
grosse Einfachheit dieser Gebäude und vornehmlich der Mangel an (der
Antike entsprechenden) Gliedern im Innern für die Gesammtwirkung des
Innern, worauf die antike Architektur in gleichem Maasse nicht hingestrebt
hatte, und demgemäss für die weitere Ausbildung der christlichen Archi-
tektur als solcher nur vortheilhaft sein konnte. — Das dritte Kapitel ist
der Malerei und Sculptur gewidmet. Nach kurzer Erwähnung der uner-
freulichen, für -weltliche Zwecke gefertigten Bildwerke geht der Verfasser
näher auf die eines christlichen Inhalts ein, entwickelt sinnreich, wie man
hier auf jenes eigenthümliche symbolische Element kam, das diese Arbeiten
auszeichnet und weist nicht minder nach, worin auf der einen Seite (nicht
bloss in Betreff der formellen Behandlung) ihre noch immer vorhandene
Verwandtschaft mit (^r Antike beruht und worin sie auf der andern sich
wesentlich von der letzteren unterscheiden.
Ich muss hier mit ein Paar Worten des Unterschiedes gedenken, der
zwischen meiner Auffassung der wichtigeren symbolischen Darstellungen,
wie sie in Katakombenmalereien und Sarkophagsculpturen vorkommen und
zwischen der Auffassung des Verfassers vorhanden ist. Der Verfasser sieht
in diesen Darstellungen, namentlich den alttestamentarischen, mehr allge-
meine, christlich moralische Bezüge und Empfindungen angedeutet; ich
mehr (was er verwirft) bestimmte Beziehungen auf das Leben, die Wirk-
samkeit und den Opfertod des Heilandes. Das Opfer Abrahams fasst er
z. B. als Sinnbild christlichen Gehorsams, ich als unmittelbare Hindeutung
auf die Hingabe Christi zum Opfertode. Ich war zu dieser Auffassung be-
sonders durch die Darstellungen des späteren Mittelalters veranlasst wor-
den, welche jenen alttestamentarischen Gegenständen in der Regel die ent-
sprecheuden des neuen Testaments gegenüberstellen und als Vordeutung
der letzteren nehmen, eine Weise der Parallelisirung, für deren Vorkom-
men schon im siebenten Jahrliundert der Verfasser selbst (S. 521, Anm.) ein
Beispiel beibringt. Mir scheint dies Hinzufügen der Scenen aus dem neuen
Testament nur eine weitere Ausführung, eine bestimmtere Ausdeutung jener
einfachen älteren Darstellungen zu sein. Es kommen aber selbst altchrist-
liche Darstellungen solcher Art aus frühester Zeit vor, wo die Umstände
so beschaffen sind, dass meines Dafürhaltens die Erklärungsvveise des Ver-
fassers durchaus nicht genügend sein würde. So befindet sich seit einiger
Zeit in der Berliner Kunstkammer ein cylindrisches Elfenbeingefäss, mit
einem Reliefschnitzwerk von spätfömischer Art umgeben; auf der Vorder-
seite ein jugendlicher Mann auf einem Sessel, je sechs männliche Gestalten
in verschiedenartiger Bewegung auf seinen Seiten, auf der Rückseite das
Opfer Abrahams, als solches durch den Engel und den Bock entschieden
bezeichnet. Das Vorhandensein dieses letzteren Gegenstandes deutet mit
Bestimmtheit auf den christlichen Ursprung des Stückes und lässt in dem
jugendlichen Manne und den zwölf Andern Christus und die Apostel er-
Gwsclilchte der bildenden Küuste. 487
kennen; die alleinige Gegenüberstellung jenes Opfers aber sichert dem
letzteren unbedenklich eine hervorstechende Bedeutung, die nicht in einer
ganz allgemeinen Moral, sondern nur in der unmittelbaren, zu nächstliegen-
den Beziehung auf Christi eigenen Opfertod gefunden werden kann. Bei-
läufig bemerke ich, dass dies Schnitzwerk zu den frühesten christlichen
Arbeiten gehört, die auf unsere Zeit gekommen sind; die Behandlung ist
noch völlig römisch. — Vorstehende Bemerkungen mögen zugleich als ein
wesentlicher Grund dienen, wesshalb ich einige spätere Aeusserungen des
Verfassers Über jene symbolisirende altchristliche Kunst, in denen er sie
als „weichlich", als „süsslich" bezeichnet, nicht unterschreiben kann.
Das zweite Buch behandelt die „byzantinische Kunst." Ich halte
diesen Abschnitt für die wichtigste Leistung des Verfassers innerhalb der
bisher erschienenen Bände. Die freunde der Kunstgeschichte haben ihm
sowohl für die grosse Bereicherung des stofflichen Materials, als für die
ächte philosophisch-historische Behandlung und Bestimmung desselben
sehr lebhaften Dank zu sagen. Die vielfache Unbequemlichkeit, die uns
die Beschäftigung mit der byzantinischen Kunst seither darbot, scheint mir
hier in beiden Beziehungen sehr glücklich beseitigt und somit ein Stück
kunsthistorischen Bodens sicher erobert, das doch von vielseitiger Wich-
tigkeit auch für andre, mehr oder weniger nah daran angrenzende Partieen
ist. Vortrefflich ist zunächst das ausführliche einleitende Kapitel, welches
eine Darstellung der kulturhistorischen Zustände des byzantinischen Rei-
ches giebt und hierin die nothwendig vorhandene, das Innerste des Lebens
berührende Mischung heidnischer und christlicher Elemente und die ebenso
nothwendige, mehr und mehr sich steigernde Hinneigung zum Orientalis;
mus darlegt. Dies letztere erscheint hienach als der wesentliche Grund
jener byzantinischen Erstarrung in Leben und Kunst; der byzantinische
Staat aber hat hieuach für das nachirials anhebende, eigenthümlich neue
Leben des Occidents die grosse Bedeutung, dem letzteren und seiner Kunst
nicht bloss die antike Tradition zu bewahren, sondern ihm zugleich von
Zeit zu Zeit orientalische Elemente, aber auch diese schon auf christlich-
europäische Weise verarbeitet, als nothwendiges Ferment zuzuführen. —
Die Besonderheiten, in welchen im byzantinischen Reiche selbst sich die
Architektur, sowie die Plastik und Malerei unter diesen Verhältnissen ge-
staltete, entwickelt der Verfasser in zwei folgenden Kapiteln; ausführlich
und doch gehalten geht der Verfasser näher auf diese Elemente ein. Für
die Architektur, wo neuerlich in Betreff der ravennatiachen Werke durch
v. Quast vorgearbeitet war, giebt er insbesondere über die mit dem Bau
der Sophienkirche zu Constantinopel gleichzeitigen und über die späteren
Bestrebungen eine reichliche Anzahl charakteristischer Notizen, die auf solche
Weise bisher nQch nicht benutzt waren. In dem Kapitel über Plastik und
Malerei setzt er zunächst die Feststellung der kirchlichen Kunsttypen,
namentlich des Christusbildes, die gleichzeitig eintretende Richtung auf das
Historische (im Gegensatz gegen jene ältere Symbolik) und die Ausbildung
des Mosaikentypus auseinander, bei welchem letzteren der Verfasser nur
vielleicht etwas zu weit geht, wenn er alle dahin einschlagenden Bestre-
bungen unter der Rubrik der byzantinischen Kunst, abhandelt. Hierauf
folgt eine Uebersicht des weiteren Verlaufs der letzteren', wobei vornehm-
lich die Rücksicht auf die Miniaturmalereien der Manuscripte und auf die
scharfsinnigen Bemerkungen Waagen's über dieselben maassgebend war.
488 Böi'iclite und Kritiken.
Drei folgende Kapitel bilden gewissermaassen einen Anhang zu dem
Hauptinhalt des zweiten Buchs, indem in ihnen von den vorzüglichsten
Erscheinungen der weiteren Verzweigung der byzantinischen Kunst, und
zwar auf ziemlich ausführliche Weise, die Rede ist. Zuerst wird die
Kunst im „Sassanidenreiche" besprochen und den merkwürdigen, aus der
Zeit desselben herrührenden Sculpturen (die ich in ineinem Handbuch
ungeschickter Weise im Anhang zur altpersischen Kunst erwähnt hatte)
sehr richtig hier der ihnen gebührende Platz angewiesen. Für die neu-
persische Architektur sehen wir noch immer näheren Forschungen und
Mittheilungen entgegen. Dann folgt die Kunst in „Georgien und Armenien",
die der Verfasser nach neueren Reisewerken behandelt und mit der er ein
völlig neues Material in die Kunstgeschichte einführt. Der letztere Um-
stand veranlasst ihn auch, etwas ausführlicher zu werden und die einzelnen
Monumente genauer zu schildern, als es wohl eigentlich der Gesammtplan
seines Werkes versiattete. Die armenische Architektur erscheint hienach
als eine sehr eigenthümliche und interessante Umbildung der byzantini-
schen. Das dritte Kapitel behandelt die Kunst in „Russland" und geht in
deren barbarisch-phantastische Behandlungsweise ebenfalls näher und ziem-
lich ausführlich ein.
Das dritte Buch ist der .,muhamedanischen Kunst" gewidmet. Auch
iiier tritt uns das Talent des Verfassers in der Darstellung der kultur-
historischen Zustände und der Entwickelung der künstlerischen Bestrebun-
gen aus denselben, sowie vornehmlich in der Darlegung dessen, was in
der Kunst eigentlich als die innere treibende Kraft erscheint, auf glänzende
Weise entgegen. Zwei besondere Kapitel, zur Einleitung und zum Schluss,
sind diesen Untersuchungen gewidmet. Die innere Nothwendigkeit, die die
Araber und Muhamedaner dahin trieb, alle figürlich bildliche Darstellung
zu unterlassen' und die gesammte Architektur zur Arabeske zuzuspitzen,
ist seither noch nirgend so geistvoll, so überzeugend auseinander gesetzt
worden. Die eigentlich historischen Kapitel haben das, im Allgemeinen
schon bekannte Material zum Gegenstande Der Verf. beginnt mit den
Muhamedanern in Persien und Indien, geht dann nach Aegypten und Sici-
lien über und schliesst mit den spanischen Arabern und den Türken.
Diese Anordnung hat den Uebelstand, dass zu Anfang (da wir von den
älteren asiatisch-muhamedanisohen Architekturen doch nur sehr wenig wis-
sen) von sehr späten Werken die Rede ist, und dass zum Schluss Mauren
und Türken neben einander die verschiedenartigsten Erscheinu^igen dar-
bieten. Bei unsern heutigen Kenntnissen der muhamedanisclien Kunst
scheint mir die von mir befolgte umgekehrte Anordnung im Ganzen
passender.
Das vierte Buch endlich führt die Ueberschrift: „Das karolingische
Zeitalter. Anfänge christlich-germanischer Kunst." Auch hier, im ersten
Kapitel, dieselbe lebenvolle Auseinandersetzung des kulturhistorischen Ele-
ments, das die Grundlage der künstlerischen Versuche jener Zeit bildet.
Im zweiten Kapitel eine Uebersicht der architektonischen Leistungen unter
Gothen und Franiien, die im Wesentlichen noch verdorben römisch erschei-
nen. Im dritten eine Uebersicht der bildnerischen Leistungen, die im
Ganzen auch kein erfreuliches Gepräge haben, bei denen der Verf. jedoch
auf die Andeutungen einer hervorbrechenden nationeilen Frische des Geistes
') d. h. in der ersten Auflage.
-ocr page 488-Zur Geschichte der Kuust iu Deutschland. 489
aufmerksam macht und in diesem Betracht mit Recht jene sehr eigen- 'I
thümlichen kalligraphischen Ornamente hervorhebt, die sich in den Male- i
reien angelsächsischer und fränkischer Manuscripte vorfinden. Den letzteren }
Umstand findet sich der Verf. veranlasst, iu einem Schlusskapitel zum
Gegenstande einer besonderen Betrachtung zu machen und (vielleicht ein
vi'enig zu künstlich) nachzuweisen, wie die in diesen Ornamenten enthal-
tene, noch spielende Kunstäusserung als nothwendiger Vorläufer der selb- ■
ständigen Kunstentwickelung des Mittelalters auftreten musste. Dies scheint .
auch der Grund zu sein, wesshalb der Verf. die Geschichte der karolin- #
gischen Kuust an' den Schluss dieses Bandes, als hinüberführend zum fol- ;
genden, gesetzt hat, während sie in den übrigen Beziehungen vielleicht j.
ihre entsprechendere Stelle neben der altchristlichen und byzantinischen i
Kunst, mit denen sie der Hauptsache nach noch in engster Verbindung t:
steht, gefunden hätte. ;
Bei den vielseitigen Forschungen des Verf. über die Geschichte der J
mittelalterlichen Kunst haben wir von den folgenden Bänden des Beleh-
renden und Anregenden gewiss ebenfalls Vieles zu erwarten. Möge ihm
zu deren Abfassung und Vollendung Müsse und Kraft erhalten bleiben! :
I
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1845, No. 3t> f.)
■s
Die Jagd Villa zu Fliessem. Trier 1843. (Text in 4., 32 S., und 6 >
Die Reste der antiken Bauanlage zu Fliessem, die im Jahr 1833 ent-
deckt wurden, verdanken ihren Ruhm besonders den schönen Mosaikfuss-
böden, die sich daselbst unter der schützenden Erddecke erhalten hatten.
Herr Schmidt giebt uns hier mit seiner gewohnten Sorgfalt einen Grund-
riss der Bauanlage nach den von ihm selbst vorgenommenen ausführlichen
Aufgrabungen der Fundamente, nebst Abbildungen der sämmtlichen, noch
vorhandenen Mosaiken und der wenigen architektonischen Details, die man
ebenfalls aufgefunden hat. Die Anlage giebt sich auf den ersten Blick I
als die Villa eines vornehmen Römers, aus. der Zeit, da in den Gegenden ;
des Mosellandes römische Cultur noch auf ihrer glänzendsten Höhe stand, j
zu erkennen. Die Gründe, welche den Herausgeber veranlasst haben, sie j
ausschliesslich als Jagdvilla zu bezeichnen, scheinen nicht gewichtig genug,
wenn auch diese Benennung gerade keine Unwahrscheinlichkeit in sich
einschliesst. Leider ist die Zerstörung der Anlage so bedeutend gewesen,
dass wenig <mehr als nur die Fundainente erhalten und oft selbst nicht
mehr die Thüren, welche die Gcmächer verbanden, zu erkennen sind. Es
4öÜ . Berichte und Kritikeu.
ist eine grosse Anzahl verschiedenartiger Räume, die sich zu einem, in der
Hauplform viereckigen Gebäude zusammen gruppiren. So wenig indess
von ihnen erhalten ist, so ordnet eich iins das Ganze unter der Leitung
des Herausgebers doch auf eine verständliche und übersichtliche Weise;
heizbare Wintergemächer und Wohnräume für den Sommer, zwei voll-
ständig ausgebildete Badelokalitäten und zu andern Zwecken bestimmte
Räume (etvira für die Dienerschaft und für die Oekonomie) erscheinen
durch verschiedene Verbindungsgänge von einander gesondert; Höfe, mit
Mauern umgeben, schliessen sich dem Gebäude an. Ueber die Angelegen-
heiten der Heizung erhalten wir von dem Herausgeber willkommenen Auf-
schluss. Die Phantasie fühlt sich bei der Betrachtung dieser geringen
Reste lebhaft angereizt, sie in ihrer ehemaligen Vollendung herzustellen
und sich dadurch ein Bild des so viel gerühmten Villenlebens der Römer
zu schati'en; für einen archäologisch gebildeten Architekten wäre es eine
dankbare Aufgabe, die Entwürfe zu einer solchen Herstellung auszuarbeiten.
Mögen diese Zeilen als eine freundliche AulVorderung dazu gelten!
Bei weitem das Wichtigste unter den Einzelheiten der Anlage sind
jene Mosaikfussböden, die uns der Herausgeber in vortrefflichen, grossen
und colorirten Abbildungen vorführt. Es sind Zusammensetzungen der
mannigfaltigsten Ornamentschemata, in denjenigen Formen, die durch die
Technik des Mosaiks bedingt waren, und in geschmackvoller Weise nach
den jedesmaligen Verhältnissen des Raumes gefügt und geordnet. Fast
durchweg dürfen sie als Muster für die Dekoration von Fussböden betrachtet
■werden. Von dem luxuriösen Comfort der Römer geben sie vornehmlich
ein charakteristisches Beispiel. Leider sind sie jedoch zum Theil schon
mehr oder weniger beschädigt, und nach einer, dem Unterzeichneten kürz-
lich zugekommenen Notiz scheint es, dass sie trotz der über ihnen errich-
teten Schutzhäuser, vermuthlich durch Erweichung der Unterlage, mehr und
mehr dem Verderben entgegen gehen. Für die geringe Anzahl von Denk-
mälern, zumal von so ausgezeichneten, die wir in Deutschland aus der Rö-
mer^zeit besitzen, würde dieser Verlust doppelt schmerzlich sein. Es ist
indess zu holfen, dass noch Vorkehrungen zu ihrer ferneren Sicherstellung
ausführbar sein werden.
2) Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Bear-
beitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich etc.
i
Von diesem Werk ist, seit das Kunstblatt zum letzten Mal über das-
selbe berichtet hat (1844, Nr. 49 If.), wieder eine Reihe inhaltreicher Lie-
ferungen erschienen. Behandlung und Ausstattung sind in derselben ver-
dienstlichen Weise gehalten, die bei den bisherigen Lieferungen die Theil-
nahme für das Unternehmen gesichert hatten. Zunächst sind zu erwähnen
die achte und neunte Lieferung der ersten Abtheilung, die den ersten
Band dieser Abtheilung beschliessen und den Separattitel führen: „Denk-
male der Baukunst des Mittellalters in den fürstlich Schwarz-
burg'schen Landen." Die hierin enthaltenen Monumente sind 1) die
Frauenkirche zu Arnstadt auf 10 Tafeln dargestellt, die uns in diesem
Gebäude einerseits eine sehr interessante Ausbildung des spätromanischen,
andererseits eine fast noch merkwürdigere und eigenthümliche reiche Aus-
bildung des frühgüthischen Baustylcs kennen lehren. Der Clior, der zu
den letzteren Theilen gehört, und namentlich das auf Tafel 5 enthaltene
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland. ' 491
Innere desselben, bildet eins der schönsten Beispiele dieser Kunstepoclte,
die wir in Deutschland besitzen. Das auf Tafel 6 abgebildete Grabmonu- ■
ment des Grafen Günther XXV. von Schwarzburg (gestorben 1368) dürfte
als eins der erhebliclieren Sculpturwerke des 14, Jahrhunderts, gleich . &
wichtig für die Kunst- wie für die Kostümgeschichte, zu betrachten sein. «
— Ferner: 2) Die Kirche zu Kloster Paulin z eil e, bekanntlich eine reine jj
Basilika und gegenwärtig als Ruine von äusserst malerischer Erscheinung,
was auch die vorliegenden Blätter mit Glück wiedergeben, Notorisch aus
dem Anfange des 12, Jahrhunderts, bildet sie für den Baustyl dieser Zeit ^^
einen wichtigen Anknüpfungspunkt und gewinnt ein eigeiithütnliches In- ^
teresse durch die geräumige Yorhalle, die erst nach Vollendung des Haupt-
baues (der Ansicht des Herausgebers zufolge aber sehr bald nach diesem) |
hinzugefügt ist. — 3) Die Kirche zu Stadt-Ilm, inschriftlich, doch mit
Ausnahme der älteren Thurmtheile und späterer Bauveränderungen, vom
Jahr 1287. — Die Kirche zu Oberndorf, ursprünglich eine einfache, J
streng romanische Pfeilerbasilika. — 5) Die Kirche zu Göllingen, mit 5
ihrem alterthümlich romanischen Thurme auf der Westseite und der unter \
demselben belegenen Krypta. Die letztere hat wiederum das Gepräge des '
streng romanischen Styles und ist besonders dadurch ungemein merkwür--
dig, dass die breiten Gurtbögen ihres Gewölbes die.Form des orientalischen
Werkes, unter dem Separattitel: „Das Schloss und derDom zu Meissen I
und Kloster Heiligenkreuz unfern davon." Die Mittheilungeu ^
dieser Lieferung sind noch fragmentarisch, und ist ihre Vervollständigung . |
durch die späteren Folgen zu erwarten. Von dem zugehörigen Text ist
nur erst die Einleitung gegeben; von den bildlichen Darstellungen ver-
schiedene mit einzelnen Theilen der im Titel genannten Monumente, die
für die verschiedenen Epochen des gothischen Styles, für den brillanten
spät-mittelalterlichen Schlossbau und" auch für den romanischen Baustyl
(in der Ruine von Kloster HeiligenkreuzJ mannigfaches Interesse gewähren.
Die fünfzehnte bis achtzehnte Lieferung der zweiten Abtheilung be-
ginnen von dieser ebenfalls den zweiten Band und führen den Separat-
titel: „Mittelalterliche Bauwerke zu Eisleben und in dessen |
Umgegend, Seeburg, Sangerhausen, Querfurt, Conradsburg."
An Monumenten aus Eisleben sind hierin enthalten: die sehr einfache, dem i
löten Jahrhundert angehörige Andreaskirche, mit der nur historisch merk- \
würdigen Lutherkanzel und einem sehr ausgezeichneten gestickten Kanzel-
tuch aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts, dessen figürliche Darstellungen
der Herausgeber auf einem besondern Blatte vorführt; sodann die ebenfalls
sehr einfache Annakirche, aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts. — Das
Schloss Seeburg, bei Eisleben, gewinnt durch spätgothische Umwandlung einer
hochalterthümlichen Anlage eigenthümliches Interesse. — Zu Sangerhausen
trägt die, um 1083 gebaute Ulrichskirche, eine imponirende Pfeilerbasilika,
das Gepräge de» frühest romanischen Styles. Ihre alten Theile sind im einfach
schweren Spitzbogen überwölbt; der Herausgeber spricht sich jedoch nicht
darüber aus, ob nähere technische Untersuchungen über die Ursprünglich-
keit dieser Gewölbe angestellt sind (so dass sie, da hierüber aus den Ab-
bildungen nichts zu entnehmen ist, für "jetzt wenigstens bei der Frage rück-
sichtlich eines früh-romanischen'SpitJ;bogcns in Deutschland nicht in Be-
492 Berichte und Kritiken.
tracht kommen können). — Höchst merkwürdig ist die Schlosskirche zu
Querfurt, ein Gebäude von fast speziell byzantinischer Anlage, d. h. ur-
sprünglich im griechischen Kreuz gebaut, und mit einem Kuppelbau über
der Durchschneidung der beiden Schiffe. Der Herausgeber setzt den Haupt-
theil des Gebäudes in den Anfang des Ilten, die Kuppel in die Mitte des
12ten Jahrhunderts. Mit Ausnahme der Absiden sind in der Kirche übrigens
keine Gewölbe vorhanden. Ein besonders dargestelltes Grabmonuraent
i\ aus der späteren Zeit des 14ten Jahrhunderts verdient wieder nähere Be-
trachtung. — Die Kirche zu Conradsburg endlich gehört, wie bekannt, zu
den reinsten, edelsten und reichsten Beispielen aus der letzten Epoche des
romanischen Baustyls. Der Herausgeber giebt, ausser den Hauptansichten
ihre schönen Details, besonders die der Krypta in ausführlichen Darstel-
lungen. Es ist erfreulich, die Bemerkung hinzufügen zu können, dass
neuerlich, und wesentlich mit auf Veranlassung des Herausgebers, durch
die preussische Regierung Alles geschieht, um dies Kleinod deutscher
Kunst auf würdige und seinem Werthe entsprechende Weise zu erhalten.
3) Die Doppelkapelle im Schlosse zu Landsberg bei Halle an
® der Saale. Ein Denkmal der Baukunst des 12ten Jahrhunderts. Darge-
stellt von Aug. Stapel, Baumeister. Mit 10Steindrucktafeln in 4. Halle 1844.
(58 S. in 8.)
Dies Werk, das sich den Lieferungen des vorgenannten Puttrich'schen
anreiht, giebt sorgfältige Auskunft über ein, sowohl der baulichen Anlage
als der Stylformation nach sehr wichtiges Gebäude des strengen romani-
- sehen Styles. Es ist eine der seltenen zweigeschossigen Burgkapellen
Deutschlands, die neuerlich mehrfach besprochen sind, und wo beide Ge-
schosse, für gemeinschaftlichen Gottesdienst bestimmt, durch eine Oeffnung
in der Gewölbdecke des unteren mit einander in Verbindung stehen. Die
Beschreibung, die der Herausgeber liefert, geht mit Sorgfalt in alle Einzel-
heiten ein; die Abbildungen (Federzeichnungen auf Stein) sind streng im
Charakter architektonischer Risse gehalten und besonders durch die Schärfe
in der Angabe der Profilxrungen der architektonischen Glieder ausgezeich-
net. Wir haben Mittheilungen und Darstellungen desselben Gebäudes
ohne Zweifel auch in einer der folgenden Lieferungen des Puttrich'schen
Werkes zu erwarten; die doppelte Arbeit kann den Freunden vaterländi-
scher Kunstgeschichte aber nur erwünscht sein, da sie zur gegenseitigen
Controle beitragen dürfte und da zugleich Herr Puttrich in der Rbgel seine
Darstellungen aus einem andern Gesichtspunkte behandelt.
4) Kunstdenkmäler in Deutschland von der frühesten Zeit bis
auf unsere Tage. Bearbeitet von Dr. E. Freiherrn von Bibra, Dr. Ges-
sert, Dr Lucanus, J.Mayer, Chef des bibliogr. Institutsj Th. Sünder-
; mahler u. A. — 1. Abtheilung: Von der frühesten Zeit bis zum Jahre 1600,
Erste Lief. ^ Schweinfurt 1844. .
Mit diesem Heft tritt ein neues Unternehmen in die Welt, das für die
Geschichte der deutschen Kunst mannigfach erfreuliche Folgen haben dürfte,
, ^ wenn es, wie wir wünschen und hoffen, mit frischen Kräften durchgeführt
und mit Theilnahme aufgenommen wird. Der, freilich sehr umfassende
Zweck ergiebt sich aus dem Titel. Die Proben, die das ersle Heft bringt,
Zur Geschichte der Kunst in Deutachlaiid. 493
sind; 1) Eine in Farben gedruckte Abbildung eines Glasgemäldes aus dem '
Anfang des 16ten Jahrhunderts, aus der v. Tucher'schen Famiiienkapelle
zu Nürnberg stammend und gegenwärtig im Besitz des Frhrn. E. v. Bibra
auf Schnaabheim. Die Darstellung ist die Verkündigung Mariä, überein-
stimmend mit einem Dürer'schen Holzschnitt und nach Angabe des Ver-
fassers des Textes, Th. Sündermahler, nach einem Dürer'schen Carton oder
gar durch Dürers eigene Hand gemalt (was der Unterzeichnete, mit dem
Originale nicht bekannt, dahingestellt lassen muss). — 2) Ein Facsimile
einer der Federzeichnungen des bekannten Wessobrunner Codex vom Jahr
814, in der königl. Bibliothek zu München, die als die ältesten der mit
Sicherheit 'zu datirenden deutschen Versuche in bildender Kunst gelten
müssen. Die dargestellten Figuren haben weite Gewandung; vielleicht
wird uns später noch eine von den Zeichnungen mitgetheilt, wo in den
Figuren die Behandlung der Körperform genauer ersichtlich ist, indem ge-
rade diese für das betreifende Moment der kunsthistorischen Entwickelung
besonders wichtig sind (bei aller Rohheit der Behandlung tritt dort nämlich
eine grosse Aehnlichkeit mit der Figuren^eichnung in der bekannten Rolle
des Josua in der vatikanischen Bibliothek hervor^. Der Text ist von
Dr. Gessert. — 3) Die Abbildung einer grossen gewirkten Tapete, die sich
im Besitz des Herrn Sündermahler befindet und deren ungemein interessante,
sehr flgurenreiche Darstellung die Geburt des Christkindes und die An-
betung der Könige enthält. Wir werden bei der Betrachtung derselben /
entschieden auf den Styl der flandrigchen Schule zur Zeit Hemlings ge-
führt; der Verfasser des Textes, Dr. v. Bibra, ist der Ansicht, dass sie
wirklich nach einem Hemling'schen Carton gewirkt sei. — Abbildungen
und Texte tragen beiderseits das Gepräge treuer Sorgfalt. Wenn die ' ^
Herausgeber in dieser Weise fortfahren, wird ihr Werk eine erfreuliche
Fortsetzung bilden der schönen, von F. H. Müller bearbeiteten und durch
dessen Tod leider zu früh abgebrochenen „Beiträge zur teutschen Kunst
und Geschichtskunde durch Kiinstdenkmale,"
I-
X
-ocr page 493-FLilCIlTKiE REISENOTIZEN VOM JAHR 1841
Kirche des Stiftes Strahow auf dem Hradschin, vom Jahr 1140
ürsprünglicli eine romanische Pfeilerbasilika; rococoisirt.
Kirche St. Georg auf dem Hradschin. Basililia mit Pfeilern und
Säulen; Arkaden über den Seitenschiffen; Krypta. Massig und roh roma-
nisch in den Einzelformen. Anschein einer provinziellen Barbarisirung
des deutschromauischen Baustyles.
In ^
Kirche St. Agnes, vom J. 1233 2). Eirkschiffig. Ueberall ein merk-
würdiges Frühgothisch. An den Wandsäulen noch schwere, sehr charak-
teristisch profilirte Ringe. In den Profilen der Gewölbgurte löst sich die
romanische Grundform bereits in eine weicher geschwungene Gliederung
auf, ohne aber bereits die charakteristisch germanische Formation zu er-
reichen. Bei den Quergurten bleibt in der Mitte des Profiles noch die im
') Vergl. Andenken an die dritto Versammlung der tentschen Architecten
und lugenieure zu Prag im J. 1844, Enth. eine kurze Geschichte der Stadt
Prag von W. Tomek, und Skizzen einer Geschichte der Baukunst in Böhmen
von Wiesenfeld. S. 7. — Vergl. ebenda, S, 43.
Prag. 495'
Romanischen übliche Plfitte; selbst in den Kreuzgnrten ist die Reminiscenz
daran in Form eines Plättchens vorhanden. Im Chor wird die letztere
jedoch schon zur vortretenden Spitze. — Die Kirche befindet sich im
Privatbesitz.
Karlshofer Kirche, vom J. 1351'). Achteckiger Bau mit Chor.
Einfaches Gothisch, der Zeit Kaiser Karls IV. (des Prager Dombaues).
Merkwürdig die Distribution der Gewölbgurte. Bunte Bemalung an Wän-
den und Gewölben, dem Anscheine nach eine im 17ten oder 18ten Jahr-
hundert ausgeführte Erneuung nach alten Mustern, etwa wie Dasselbe in
der Kirche St. Gereon in Köln stattfindet. Die Anwendung reicherer Be-
malung dürfte ein Anschliessen an den . glänzenden Schmuck der Karl-
steiner Kapelle verrathen. (Vergl. unten.)
Im Dom mannigfache Denkmäler im Style des Cinquecento. — In der
Siegmundskapelle ein merkwürdiger bronzener Kandelaberfuss, ein reiches
Ranken- und Drachengeflecht mit menschlichen Gestalten enthaltend, in
denen noch antike Reminiscenzen zu bemerken. Der Sage nach aus dem
Tempel Salomonis. "Wohl Anfang des elften Jahrhunderts. — Reicher
Domschatz. Viele schöne Reliquiarien, Monstranzen u. dergl. Besonders
schöne Arbeiten aus der Zeit Karls IV., namentlich einige mit vortreff-
lichen Niellen. Auch ein Buch mit reichen Miniaturen aus der Zeit
um 1100.
Auf dem Schlosshofe vor dem Dome die bronzene Reiterstatue des
h. Georg, 1373 von Martin und Georg Clussenbach gegossen, Ueber-
aus merkwürdig. Reizendes Lebensgefühl und Bewegung in der jugend-
lichen Rittergestalt, besonders in der Ansicht den Rücken hinab. Das Ge-
sicht noch in typischer Grundform (an Augen und Lippen), doch mit
entschiedener Absicht, zu naturalisiren; Stirnrunzeln u. dergl. als Ausdruck
der Kraftanstrengung. Höchstes Detail im Kostüm, — Schuppenpanzer und
Schienen. Das Pferd schwer, doch auch in lebendiger Form. Hübsche
Einzelheiten auf dem Sockel, Eidechse und Aehnliches. Das Ganze scheint
völlig e i n Guss. Der Hals des Pferdes war gebrochen.
Gemäldegallerie des Stiftes Strahow. Besonders notirt:
1. Kolossale Maria mit dem Kinde. Spätere Zeit des 14ten Jahrhun-
derts. Energisch, im Fleisch der nürnbergischen Behandlungsweise ver-
wandt; in der Gewandung das Weigsliche vorherrschend. Streben nach
grossartiger Lieblichkeit.
2. Heilige Barbara; Halbfigur. Vortrefflich; dürfte eine ntlmbergische
Arbeit der Zeit um 1400 sein.
3. Zwei Flügelbilder, auf den äusseren Seiten die Verkündigung, auf
den «-inneren Maria mit dem Kinde und Johannes. Dürer'sche Zeit und
einzelne Dürer'sche Motive; zugleich eine eigenthümlich edle Ruhe. Eine
gewisse Rundlichkeit der Formen und graulich zarte Schattentöne bei
etwas handwerksmässigem Vortrag lassen auf eine Nachwirkung altböhmi-
scher Schule rathen.
4. Grosses Gemälde, ursprünglich von Albrecht Dürer. Maria mit
dem Kinde, in heitrer Landschaft thronend. Vor ihr und zu ihren Seiten,
knieend, der Papst, der Kaiser (Maximilian), geistliche und weltliche
Würdenträger, auch Frauen, die Alle durch Maria, das Christkind, den
h. Dorainicus und Engel mit Rosenkränzen geschmückt werden. Im Vor-
* . • ■ »
Ebenda, S. 46.
-ocr page 495-496 Flüchtige Reisenotizen vom Jahr 1844.
grund ein lautespielender Engel. Im Hiutergrund Dürer und Pircklieimer;
der erstere mit einem Täfelchen in den Händen, darauf, ausser Dürers
Monogramm, die Inschrift: „Exegit quinquemestri spatio Albertus Dürer,
Germanus MDVI." Ohne allen Zweifel das berühmte Gemälde, welches
Dürer in dem genannten Jahre zu Venedig für die deutsche Gesellschaft
gefertigt hatte. Ein gewisser Zug grossartiger Heiterkeit, durch das Ganze
gehend, ist noch unverkennbar; es ist wie eine Sammlung bedeutender
Bildnisse für den würdigsten Zweck. Aber das Bild scheint fast ganz ab-
gewaschen gewesen zu sein. Die Maria mit dem Kinde ist ganz neu auf-
gemalt; die Engel sind es, mehr oder weniger, ebenfalls; anch an dem
Uebrigen ist Vieles übermalt, an vielen Stellen aber schimmert die origi-
nale Hand noch durch. Für die Zeit und den Ort der Ausführung ist
charakteristisch, dass in den lieblich zarten Mädchenköpfen, die auf dem
Bilde enthalten, entschieden italienische Modelle zu erkennen sind und
dass der Engel mit der Laute im Vorgrunde ein ziemlich bellineskes Ge-
präge trägt. (Dürer schrieb bekanntlich an Pirckheimer über Giovanni
Bellini, dieser sei noch „der pest im Gemäl.") Es existirt nach dem Bilde
ein kleiner Stahlstich von J. Battmann.
Mächtige, romantisch gelegene Burg, ungefähr drei Meilen von Prag
entfernt. In den vorzüglicheren Theilen und Massen noch wohlerhalten,
obschoü neuerlich auf ungeschickte Weise modernisirt.
Die Burg ist von Kaiser Karl IV. erbaut, — gegründet 1348, vollendet
^ . und geweiht 1357. Sie sollte zur Aufbewahrung der Krone, der Reichs-
kleinodien , der wichtigsten Landesurkunden u. s. w., sowie zum stillen
. Asyl für die Person des Kaisers dienen. In einer seltsamen poetisch-
phantastischen Stimmung suchte zugleich aber Karl IV. die Burg seines
Namens zu einem zweiten Montsalvatsch, das die Dichtungen vom heiligen
Grale feiern, zu machen. Sie ward als heiliger Raum verkündet. Kein
Weib, selbst nicht die Kaiserin, durfte zur Nachtzeit drinnen weilen;
stündlich scholl ein Wächterruf in die Thäler hinab, der jeden, welcher des
Weges zog und zufällig der Burg sich näherte, vor Schaden warnte. Die
heiligsten Lokalitäten im Innern der Burg, wo der Kaiser sich mit unver-
drossener Ausdauer den religiösen Hebungen hingab, erhielten eine Aus-
stattung, die geradehin an die Schilderungen erinnerte i welcl^e die tiber-
schwengliche Phantasie des Dichters von dem Tempel des heiligen Grales
gemacht hatte. Es lag, wie es scheint, im Wesen dieses epigonischen
Zeitalters, die Ideale der Dichter — so viel weiter man auch von ihrem
' .. Geiste abgekommen war — zur Nutzanwendung für das Leben zu ver-
körpern. Wie hier in Böhmen das wundervolle Heiligthum der Templei-
sen, so wurde «wenige Jahrzehnte später in Preussen, bei dem grossen
europäischen Ritterzuge gegen die Litthauer, den Konrad von Wallenrod,
der Hochmeister des deutschen Ordens, veranstaltete, das Ritterthum des
König Artus und die prachtvolle Tafelrunde desselben erneut. Der Orden
vergeudete freilich bei dem Prunk des „Ehrentisches", der die neuen
Paladine vereinigte, sein Vermögen, und der ungeheure Zug blieb nutzlos;
und Kaiser Karl ward trotz des neuen Montsalvatsch auch nicht ein Mann
des Heiles für seine Zeit. Doch weiss das Geschick selbst verwunderliche
Launen der Menschen für weitere Zwecke zu verwenden: — der neue
KarlsttMii. ^ 497
künstliche Graltempel sollte dem ersten, persiinlich und individuell be-
wegten Streben deutscher Malerei, soweit uns davon überhaupt nur eine
Kunde geblieben ist, die kräftigste Anregung und darin eine bestimmte
Grundlage für folgende Entwickelungen gewähren.
Doch ich kehre zu meinen flüchtigen Tagebuchnotizen zurück. Für
Burgeinrichtung, für nähere Kennthiss des mittelalterlichen Burglebens, —
zwar unter Beziehungen, wie die eben begprochenen, — dürfte die Ein-
sicht in die Baurisse der Burg sehr belehrend sein. Von ausgebildeter
Architekturform habe ich nichts Bemerkenswerthes wahrgenommen. Für
das kunsthistorische Interesse kommt im Wesentlichen nur die schon er-
wähnte Ausstattung der heiligsten Lokalitäten und kommen namentlich
die darin vorhandenen der Zeit Karls IV. angehörigen Malereien in Be-
tracht. Hienach sind anzuführen:
1. Die Maria-Himmelfahrtskirche. Wandmalereien, die nur theil-
weise und sehr verblasst erhalten sind. Darstellungen der Apokalypse,
fragmentarisch, mit einzelnen grossartig giottesken Figuren. Eine stehende
weibliche Figl^r (eine Madonna) und eine liegende, beide sehr anmnthig;
besonders bei der letzteren die lieblichste, rundlich deutsche Gesichtsbil-
dung. Drei übermalte Bilder Karl's IV. mit Personen seiner Familie. —
Ausserdem spätere und rohere Wandmalereien. *
2. Die Katharinenkapelle, zur Seite der Kirche, der Raum, in welchen
sich Karl IV. auf längere Zeiten zurückzog und in welchem er Ait Speise
und Trank, mit Büchern und brennender Lampe ohne Hineintreten eines
Zweiten versehen werden konnte. An den Wänden mit geschliffenen Kar-
naten und Achaten in Goldfassung auf Gypsgrund, am Gewölbe mit zum
Theil noch kostbareren Steinen versehen. An Malereien finden sich hier;
über der Eingangsthür' die Brustbilder Karls und seiner Gemahlin Anna,
übermalt; an der Laugwand, dem Fenster gegenüber, sieben Köpfe hei-
liger Laudespatrone: in der Altarnische die h. Jungfrau mit dem Kinde,
zu deren Seiten der Kaiser und die Kaiserin knieen. Dies letztere Bild
ist besonders beachtenswerth; es hat sehr gelitten, doch ist es durch grosse
Anmuth und eine gewisse italienische Gefühlsweise ausgezeichnet; der Kopf
der Maria hat Etwas, das sich dem Charakter der sienesischen Malerei zu-
neigt. Hierin dürfte die Hand jenes Thomas von Mutina zu vermuthen
sein, dessen Kunk der Kaiser neben den nach Böhmen übersiedelten
deutschen Malern in Anspruch nahm. — Antependium des Altares; die
Vordertafel übermalt, die Seitentafeln rein, aber sehr beschädigt. — Glas-
malereien in den Fenstern, gerühmt, doch nur von gewöhnlicher Bedeutung.
3. Das Stiegenhaüs, das im grossen Thurme zur Kreuzkapelle emporführt.
Ganz mit Wandbildern versehen: Geschichten der h.Ludmilla und des h. Wen-
zel, Engel u. s. w. Sehr verschossen; allgemeiner Charakter des 14. Jahrhunderts.
4. Die im grossen Thurme befindliche Kreuzkapelle, in der architek-
tonischen Anlage einfach viereckig, mit sehr liefen Fensternischen. Hier
— wo Karl IV. die Reichskleinodien und Urkunden und ausserdem einen
grossen Schatz heiliger Reliquien aufbewahrte — die Anwendung höchst
verschwenderischer Pracht an unzählbaren edlen Steinen, welche die Wände
bedecken, an vergoldeten Gitterwerken, auf denen, die Wände entlang
laufend, tausende von Kerzen brannten, an Malereien u. s. w. Unter den
Malereien sind zu unterscheiden:
a) Zwei Tafeln, hoch, in italienisch gothischer Umrahmung: ein Ecce-
homo (sehr beschädigt, der Kopf ganz fehlend) und kleinere Figürchen in
Kugler, Kleine Schriflen. II. 32
-ocr page 497-498 Reisenotizen vom Jahre 1845.
der Umrahmung, mit der Unterschrift des Tlioraas a Mutina; und eine
Maria mit dem Kinde, ebenfalls mit kleinen Figuren umgeben. Beide
Bilder wieder entschieden italienisch, die Maria eigen grossartig, bologne-
sisch, etwa mit sienesischem Anklänge.
b) Ueberaus grosse Menge von Tafelbildern an der oberen Hälfte der
Wände, Heilige und Regenten darstellend, vermuthlich von Theodorich
von Prag gemalt. Sämmtlich restaurirt, doch, wie es scheint, in mässiger
"Weise. Hier herrscht eine eigenthümlich schwerere Bildungsweise vor,
die aber in sehr vielen Fällen keinesweges unschön erscheint. Es ist eine
grosse Würde darin, mit dem Ausdruck anziehender Milde verbunden und
in -weicher Modellirung vorgetragen. Im Einzelnen zeigen sich schon
glücklich derbe naturalistische Versuche.
c) Die grossen Wandmalereien an den tonnenartigen üeberwölbungen
der tiefen Fensternischen. Scenen und Gestalten des neuen Testaments.
In diesen giebt sieh eine andre künstlerische Hand zu erkennen, etwa die
des Wurmser von Strassburg. Die Gestalten haben ebenfalls noch
etwas Massiges, doch erscheint dies noch weniger auffallend, als bei denen
der ebengenannten Gemälde; es macht sich vielmehr ein eigenthümlich
zartes Gefühl, besonders in der deutsch rundlichen Bildung der Gesichter,
geltend. Die Arbeiten stehen schon denen der Kölner Schule zur Zeit des
Meister Wilhelm parallel, nur sind die Figuren meist voller. Bei weichem
Liniengefühl herrscht in ihnen eine noch weichere Modellirung und Färbung.
Die Gewandtöne sind in den sanftesten P'arben gehalten, z. B. einem ganz
weichen Lila, worin nicht minder eine unmittelbare Vorbereitung der
Richtung der kölnischen Schule zu erkennen ist.
Die Thätigkeit des Meister Wilhelm von Köln schliesst sich unmittel-
bar an diese Werke an, und seine künstlerische Ausbildung dürfte in der
That unter dem Einflüsse des Meisters der letzteren erfolgt sein. Dies nahe
Verhältniss zu Wilhelm und der Umstand, dass dessen Blüthe erst gegen
den Schluss des Jahrhunderts fällt, lässt es aber bestimmt erkennen, dass
die Malereien zu Karlstein in der oben erwähnten kurzen Bauzeit von
1348—57 nicht bereits zu Ende gebracht waren, dass ihre Ausführung
vielmehr wohl bis in die spätere Regierungszeit Karl's IV. (er starb 1378)
hinabreicht.
Kirche St. Paul. Gebäude aus frühgothischer Zeit. Das Mittelschifl'
auf Säulen, über deren Kapitalen je drei Wandsäulchen als Gurtträger auf-
Meine Reise vom J. 1845, auf besondre amtliche Veranlassung unternom-
men, war vorzugsweise den Angelegenheiten der lebenden Kunst gewidmet. Den
Werken älterer Kunst konnte ich überall nur eine bedingte Theilnahme schen-
ken; was ich mir darüber notirt, ist somit meist nur kurz, betrifft zum Theil
Lütticlw Brüssel. 499
»
setzen. Im Allgemeinen des Charakters den einfach frühgothischen Kirchen
in Köln und dortiger Gegend ziemlich entsprechend. Die Verhältnisse des
Innern, wenigstens unterwärts, etwas in die Höhe gezogen.
Kirche St, Barthelemy. Romanische Anlage von angenehmen in-
neren Verhältnissen; modern umgebildet.
In der Kirche das berühmte eherne Taufbecken, welches aus Notre
Dame aux fonts, dem alten Baptisterium der ehemaligen Kathedrale von
Lüttich, herrührt. Im J. 1112 durch Lambert Patras aus Dinant gegossen.
Ein Werk von bedeutender Dimension, Der Untersatz aus Stein; daraus
mit halbem Leibe ringsum hervortretend zwölf eherne Kinder (wie unter
dem „ehernen Meer" des salomonischen Tempels zu Jerusalem). An dem
Becken selbst stark vortretende Reliefdarstellungen; 1) Predigt des Täufers
Johannes; 2) Taufe zweier Jünglinge durch denselben; 3) Taufe Christi;
4) Taufe des Cornelius durch Christus; 5) Taufe des Philosophen Graton
durch den Evangelisten Johannes, Das Werk ist von grosser Bedeutung
für die mittelalterliche Kunstgeschichte; doch ist der Werth desselben in
neuester Zeit wohl etwas zu hoch angeschlagen. Im Allgemeinen sind die
Darstellungen durch die völlig schlichte Naivetät ansprechend. Im Nackten,
besonders an den Rückenfiguren, zeigt sich schon ein bestimmter Formen-
sinn, selbst eine gewisse grossartige Weichheit; sonst freilich, namentlich
was die Köpfe betrifft, ist auch noch viel Barbarisches darin. Die Ge-
wandung lässt in ihrem einfachen Gefälte die gesunde Beobachtung römi-
scher Stylmotive, entfernt von allem byzantinischen Wesen, erkennen.
Auch an den Rindern sieht man einen entschieden hervorbrechenden Na-
lursinn. Die am Relief enthaltenen Bäume sind büschelartig, doch nicht
eigentlich conventioneil behandelt. Zumeist dürfte die Arbeit mit den
Bronzen jenes hochalterthümlichen Portales am Augsburger Dome in Ver-
gleich zu stellen sein; nur ist sie allerdings in der Entwickelung schon
erheblich vorgeschritten und zugleich durch grössere Dimension und grös-
seren Aufwand mehr beachtenswerth.
Kirche St. Jacques, Mit Ausnahme des romanischen Vorbaues
ein architektonisches Werk aus der allerletzten Zeit des gothischen Styles,
dem Anfange des 16ten Jahrhunderts augehörig. In Pfeilern, Bögen, Gal-
lerien und Gewölben ein übermüthig phantastisches Spiel mit den gothi-
schen Formen, die sich eben der Laune des Meisters fügen müssen; die
Bögen von Pfeiler zu Pfeiler z, B. umsäumt von herabhängenden, spitzen-
artig durchbrochenen Verzierungen. Im Ganzen eine lustige, etwas bar-
barische Dekoration, die allerdings aber auf den reiner gestimmten Sinn
eine nicht gar erfreuliche Wirkung ausübt.
Die Kathedrale (Ste. Gudule). Gross und imposant, doch viel
mehr im Ganzen als im Einzelnen. Schwerfällige Grundlage^ An der
Thurmfagade keine Entwickelung des Strebepfeilersystems; die Eckstrebe-
»
auch Dinge, die anderweit schon sehr bekannt sind. Wenn ich es dennoch
wage, diese Notizen hier einzureihen, so geschieht dies, weU ich glaube, dass
unter Umständen auch ein rascher Blick, ein frischer erster Eindruck seinen
Werth hat und dass man über bedeutende Erscheinungen, wenn sie auch nicht
unbekannt sind, gelegentlich gern eine Meirtung, ei n e Auffassungsweise mit der
andern controlirt.
500 Kcisenotizen vom Jahr 1845.
pfeiler z. B. gestalten sich schon bald über dem Fundament in der Art,
dass statt herauswachsender und vorquellender Glieder die
Einzeitheile mehr nur durch Einschnitte voneinander ge-
''^tsf!'" sondert werden, und gehen in dieser Weise ganz bis nach
oben empor. Das feinere Detail ist Leistenvverk. Schwer-
fällige Giebolreihen über den SeitenschilTen, — Im Inneren (Bau des 13teu
Jahrhunderts) hohe, mächtig kolossale Rundsäulen, über deren Kapitalen
das Gurtenwerk aufsetzt. Hohe Triforien, im Chor mit sehr dicken Säu-
i len, im Schift' mit nüchtern gebildeten Pfeilern. Den massigen unteren
Formen entsprechen die dünnen oberen nicht sonderlich. Gleichwohl ist
I das räumliche Gesammtverhältniss des Inneren schön.
I Aeltere Glasfenster, aus dem 16ten und 17ten Jahrhundert, fürst-
g liehe Personen in Tabernakel-Architekturen darstellend. Im Figürlichen
r mehr oder weniger unbedeutend. Bei denen in den obern Chorfenstern
;i baut sich eine wulstige Renaissance-Architektur ganz bis in den Gipfel
der Fenster empor. Bei denen im Querschiff und in der nördlichen Ka-
pelle macht sich der architektonische Aufbau, der leichter bleibt, ganz
lustig. Die der südlichen Kapelle, in deren Farben das widerwärtige Gelb
der späteren Zeit vorherrscht, sind zum Theil merkwürdig durch die be-
|. queme, brabantisch eigenthümliche Zusammenstellung der Figuren.
1 Kirche la Chapelle. Chor und Querschilf spätromanisch, elegant
■ ' und in den Details sorglich durchgebildet. Schilf später gothisch, in der
gewöhnlich niederländischen Weise auf Säulen, ohne Triforium; eine Gal-
lerie vor den Fenstern.
Unter den älteren Gemälden zu bemerken: eine grosse Christenmarter
W von F. Floris, manierirt; und eine heilige Familie „in der Art des älteren
t Franck", sehr grossartig in der Composition, Arbeit eines tüchtigen Ma-
nieristen der späteren Zeit des 16ten Jahrhunderts.
Kirche Notre-Dame des Victoires. Aus der Spätzeit des 1.3ten
Jahrhunderts. Schöne Verhältnisse im Innern. Die Rundsäulen des Schiffes
minder schwer, die oberen Details etwas flacher und daher mehr in Har-
monie mit den Säulen. Triforium im Einschluss der Fenster-Architektur,
daher der Obertheil des Schifl'es einen vollen Eindruck gewährt. — Ka-
pelle der heil. Ursula; schwarzer Marmor. Ueber dem Altar eine Statue
der h. Ursula von F. Duquesnoy, eine recht ansprechende Arbeit aus
weissem Marmor. Trefflich ruhige Kuppelbeleuchtung.
Hotel de ville. Berühmtes Architekturwerk der ersten Hälfte des
löten Jahrhunderts. Imposanter Aufbau, doch in der architektonischen
Behandlung nicht eben ausgezeichnet. Das Detail wiederum iaehr Leisten-
dekoration; das Einzelne kommt nicht recht aus der Masse heraus. Es ist
etwa, wie man in moderner Zeit, ohne innerlich lebenvolles Verständniss,
das Gothische aufzufassen pflegt.
Manneken-pis, bekannte ungenirte Brunnenstatue eines nackten
Knaben, an öffentlicher Strassenecke. 1648 von F. Duquesnoy gearbeitet
und in ßj-onze gegossen. Die Stellung hintenübergelegt, sehr glücklich,
I die Beine und Andres vortrefflich. Doch fehlt es an Unterleib, so dass
das Verhältniss der Figur etwas Gedrücktes hat.
'[ Museum. Notiz über ein Paar kunstgeschichtlich markante Bilder. —
Bern ardin van Orley. No. 358, Klage über dem Leichnam Christi und
die Donatoren mit ihren Familiengliedern auf den Flügeln. Manierirt,
doch in massiger Weise. In dem Mittelbildf? manches Mailändische. Die
Y
Rrüssel. Antwerpen. ^ 501
Portrait,köpfe ansprechend naiv. — Franz Floris, No. 92, grosses jüng-
stes Gericht, ein Hauptbild des Meisters; höchst widerwärtig. — Otto
Venius. No. 239, Christus am Oelberge, grosses Bild mit Flügeln, Der
Meister erscheint hier als ein schwacher, etwas florentinisirender Manierist.
— Philippe de Champaigne. No. 25, Darstellung im Tempel, dem
Poussin ähnlich, doch milder und etwas mehr farbig. — Derselbe. No.
26—35, Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict. Schlicht und ganz
vortrefflich. Die Landschaft einfach conventionell. Sehr charakteristisch
für die neureligiöse Richtung Frankreichs, die zu seiner Zeit (er starb 1674)
sich geltend machte.
Die Kathedrale. Siebenschiffig. Die gesammfe innere Composition
ist eigentlich durchaus unarchitektonisch, im höheren Sinne des Worts; es
ist gar kein fester Organismus, keine EntwicUelung da; das Auge wird
nicht auf eine bestimmte Richtung hingeleitet, nicht gesammelt, sondern
zerstreut. Der Blick geht viel weniger vorwärts und aufwärts, als seit-
wärts, durch die breiten Zwischenweiten in die vielfach gegliederten Räume
der Seitenschiffe. Es ist eigentlich durchaus Hallen-Architektur, wobei
sich über der Mittelhalle das Oberschiff nur fast zufällig, ungehörig zu
dem üebrigen, erhebt. Aber als Hallen-Architektur betrachtet, als auf die
Bewegung im Räume berechnet, ist die Wirkung völlig wunderbar. Das
malerische Element im Gegensatz gegen das architektonische, die Perspek-
tive, — doch nicht sowohl die Linfiar-Perspektive, als vielmehr die Wirkung
der Licht- und Luft-Perspektive im Einscliluss jener, — feiert hier einen
der grössten Triumphe. Das architektouiscihe Werk ist ein ausserordentlich
schöner Rahmen für solchen Zweck, doppelt und hundertfach schön, da jeder
neue Standpunkt auch neue Bilder giebt. Dass die Pfeiler wirkliche Pfeiler
und keine Säulen oder Säulenbündel sind, wirkt hiebei vortrefflich mit,
ebenso wie ihre mannigfache, überall mehr rahmenartige Gliederung (mit
breiten Kelilen- und Wellen-Profilen). Selbst der Mangel des Kapitäles
ist für diesen Zweck vielleicht günstig; auch die an sich unschöne, mehr
pilasterartige Basis steht hiezu in geeignetem Yerhältniss. Der Oberbau
des Mittelschiffes ist hors-d'o3uvre, eine Tradition, die man leider nicht
abwerfen konnte; dies letztere allerdings schon desshalb nicht, weil dieser
Oberbau, bei dem stärkeren Licht, welches durch ihn einfällt, doch auch
wieder für die Lichtwirkung von" Bedeutung ist. Sein Organismus ist
ganz mangelhaft. Die drei Halbsäulen, welche hier an den Pfeilern bis
zu den Gewölbgurten emporsteigen, sind plump und schwach zugleich; das
Gewölbe (einfaches Kreuzgewölbe) bringt einen viel zu schwachen Ein-
druck hervor: es hätte ein Sterngewölbe sein müssen, wie ein solches in
der That im Querschiff zur Ausführung gekommen ist. Mau fühlte vielleicht,
dass man das Imposante des Oberbaues nach der principmässigen Form hier
nicht brauchen konnte, und wandte desshalb namentlich auch jenes leich-
tere Stabwerk unter und zu den Seiten der Fenster an, das aber doch nur
eine dekorative Abhülfe bildet und in andrer Beziehung den Widerspruch
vornfehrt. — Das Aeussere der Kathedrale ist schlecht, durchaus ohne Ent-
wickelung (wie dies J. Burckhardt, in den „Kunstwerken der Belgischen
Städte" 1842, umsichtig auseinandergesetzt hat); im Detail ein nüchternes
Leisten- und Schnörkclwerk. Die obere Spitze'des Thurmes ist ein form-
502 Reiseiiotizeu vom Jalir 1845.
lieber Kuchenbäckeiaufsatz, allenfalls nach einem malerischen Princip be-
handelt, das aber doch nur, trotz der Masse und Höhe, als ein kindisches
bezeichnet werden kann.
In der Kathedrale die drei berühmten grossen Bilder von Rubens.
Mit der Kreuzabnahme habe ich mich nicht völlig befreunden können; es
ist mir zu wenig wahrhafte Grösse darin. Ungleich besser in der gewal-
tigen Wirkung, die sich mehr auf das Ziel concentrirt und wo der eben
gefesselte Erlöser einen viel bedeutenderen und geistiger belebten Mittel-
punkt ausmacht, gefällt mir die Kreuzaufrichtung. Die Reiter zur Seite
dieses letzteren Bildes, auf dem einen seiner Flügel, sind prächtig. Wun-
dervoll aber ist auf dem einen der Flügel der Kreuzabnahme, der die
Heimsuchung enthält, das junge Mädchen, welclies seitwärts die Treppe
hinaufsteigt, eine überquellende und doch so jungfräuliche brabantische
Schönheit. Nicht minder ist der heil. Christophorus auf dem Aussenbilde
herrlich und der Christusknabe auf seiner Schulter, kühn gegen das Licht
des Eremiten hingewandt, ein göttlich kräftiges Naturleben. — Das Bild
der Himmelfahrt Mariä, später als die ebengenannten und aus Rubens
letzter Zeit, ist schon starkes Rococo.
Unter den andern Bildern, die die Kathedrale enthält, mehrere von
Otto Venius, eine Kreuzabnahme, eine Auferweckung des Lazarus, ein
Abendmahl u. s. w. Er hat in diesen Bildern, obgleich manieristisch be-
schränkt, doch etwas ganz Tüchtiges, wie eine Nachfolge der Richtung
des Garofalo.
Kirche St. Jacques. Bau aus der Spätzeit des löten Jahrhunderts;
das Hauptschiff auf Säulen, Hier ein sehr schönes Verhältniss und sehr
weise Eintheilung des Ganzen, so dass der Eindruck des Innern ein vor-
zugsweise erfreulicher ist.
Die hinterste Kapelle der Kirche ist die Begräbnisskapelle des Rubens
und seiner Familie. Der Altar derselben mit einem berühmten Gemälde
seiner Hand, eine Maria mit dem Kinde vorstellend, die von Heiligen um-
geben ist; die letzteren angeblich Bildnisse von Personen der Familie; der
, unter ihnen befindliche h. Georg bestimmt Rubens eigenes Portrait. Die
Composition als solche ist unschön, in correggesker Manier. Der den
I I Heiligen zugesellte Saturn, im Vorgruude des Bildes, ist gespreizt, der
L. Georg ohne Ursache heftig beM'egt, der h. Hieronymus fast eine Grimasse.
M," Aber das Ganze ist nichtsdestoweniger von gediegenstem Machwerk und
das vorn gerade stehende Weib mit entblösstem Busen überaus herrlich;
ebenso der Kopf des zweiten Weibes. Hierin zeigt sich das Schönste,
dessen Rubens an Darstellung überhaupt, wie an Farbe insbesondere, mäch-
tig ist. — Ueber dem Altar ausserdem die Marmorstatue ein^r Mater dolo-
If rosa von F. Duquesnoy, ein Werk von einfacher Schönheit, leider etwas
schwer in den Falten.
Unter den übrigen Kunstschätzen der Kirche: eine Auferstehung von
H. van Baien, ein gutes Bild in seiner Art; darüber die Portraits des
Malers und seiner Frau, von van Dyck gemalt, zu den wundervollsten
Leistungen des letzteren gehörig; — ein jüngstes Gericht von J. van
Heemsen, auch dem B. van Orley zugeschrieben, nicht ohne Bedeu-
tung in den Studien des Nackten und hierin für die Epoche des Auf-
gehens der alteinheimischen Richtung in die italienische charakteristisch
bezeichnend.
l'I
k
Antwerpen, 503
Augustinerkirche. Berühmtes grosses Altarbild von Rubens:
Maria mit dem Kinde auf hohem architektonischem Unterbau und Heilige,
die zur Verehrung herandrängen. (Die Skizze dazu in der Gallerie des
Berliner Museums.) Gewiss eine der trefflichsten Compositionen des Mei-
sters in seinem stürmisch freudigen Genre, auch nach seiner Art in vor-
trefflicher Haltung. Vorzüglich schön, obgleich sehr verschiedenartig be-
handelt, das Nackte des Johannes und des heil. Sebastian; hierin grossartig
schlagende Naturwahrheit. Leider ist das Bild — wie andre von Rubens
Hand in Antwerpen — sehr trocken und die Farbe dumpf eingeschlagen;
daher keine bedeutende Wirkung mehr, die früher gewiss strahlend
gewesen ist.
Kirche S t. Paul. Namhafte Gemälde; darunter die GeisselungChristi
von Rubens, ein Bild fürchterlicher Naturwahrheit, besonders was den
zerfleischten Rücken des Erlösers betrifft, und eine sehr bedeutende Kreuz-
tragung von van Dyck, durchaus das energische Gepräge seiner jungen
Zeit tragend und hierin ganz den, derselben Periode angehörigen Bildern
van Dycks, die im Berliner Museum befindlich sind, entsprechend. — Zur
Seite der Kirche ein wunderliches künstlerisches Curiosum: ein aus kleinen
Felsgrotten, Figurengruppen, Statuen und Reliefs hoch an der Kirche em-
porgebauter Calvarienberg. Allerdings nur ein wüstes Rococo, aber gerade
der Art, dass die Anlage, verfallen und verwachsen, den prächtigsten male-
rischen Effekt machen müsste. Unsere Wünsche gehen auf eine solche
Zukunft dieses Werkes. —
Museum von An twer pen. Merkwürdige Bilder der älteren Epochen,
zumeist aus der ehemaligen v.Ertborn'schenSammlung herrührend. Darunter:
Vier dem Giotto zugeschriebene Tafeln, wohl Aussen- und Innen-
seiten der Flügeleines Altares. Verkündigender Engel und Maria, Kreuzi-
gung und Kreuzabnahme; die beiden letzteren I^arstellungen figurenreich.
Auf dem alten Rahmen dieser letzteren steht mit anscheinend alter Schrift
Symon pinxit, — also wohl der Sieneser Simone di Martino, was
mir nach der ganzen Arbeit, besonders der ersten beiden Bilder, keines-
wegs unwahrscheinlich ist.
Ein heiliger Abt in schwarzem Gewände und mit dem Krummstabe,
entschieden von Meister Wilhelm von Köln.
Ueber die Bilder des Johann van Eyck (namentlich das reizende
Bildchen einer Madonna, die zur Seite eines zierlichen Messingbrunnens
steht, vom Jahr 1439 und eine nicht minder treffliche Federzeichnung der
h. Barbara vom Jahr 1437), — über die aus seiner Schule herrührenden
Werke, darunter sich die, jetzt deni Regier von Brügge (R. van der
Weyde d. ä.) mit Zuversicht zugeschriebene höchst interessante Dar-
stellung der sieben Sakramente auszeichnet, — über die des Antonello
da Messina, die zierlichen Arbeiten Hemiings u. s. w. ist von Andern
bereits mehrfach Auskunft gegeben. Das Bild der sieben Sakramente ent-
spricht auf das Vollständigste dem Bilde der Berliner Gallerie (Geburt
Christi und Verkündigung derselben an die Herrscher des Occidents und
des Orients), welches dort demselben Regier zugeschrieben ist. Die Bilder
des Antonello bestehen aus zwei kleinen Stücken: einem männlichen Kopfe,
im früheren, entschiedener flandrischen Charakter des Künstlers; und eine
Landschaft mit Maria und Johannes unter dem Kreuze, ein etwas dünn
componirtes Bild, das in der Landschaft und im ganzen Farbenton das
spätere Anschliessen des Künstlers an die damaligen Venetianer andeutet.
5U4 Reisenotizeu vom JuLr 1845,
— Eine der Margaretha van Eyck zugeschriebene Ruhe auf der Flucht
ist jedenfalls erheblich jünger. — Eine ansprechende Kopie des in der
Akademie zu Brügge befindlichen Bildes von Johann van Eyck, die Madonna
mit St. Georg und St. Donatian, gehört der Zeit um 1500 an.
Von Quintin Messys das berühmte (1508 begonnene) Altarwerk,
welches auf dem Mittelbilde die Klage über dem Leichnam Christi, auf
den Flügeln die Martyrien des Täufers und des Evangelisten Johannes
enthält. (Nr. 2—4 des Katalogs.) Anderwärts liegen ausführliche Be-
schreibungen auch dieser Bilder vor. Der in ihnen herrschende Styl hat das
kleinlich Eckige, was jene Zeit der Nachblüthe der alten belgischen Kunst
bezeichnet. Die Körperbewegungen sind eckig und starr, die Falten
kleinlich wulstig. Auch mangelt eine eigentliche, in sich geschlossene
Composition, obgleich das Mittelbild sich allerdings dramatisch arrangirt.
An malerischer Haltung, in Farbe und Helldunkel, fehlt es ganz. Dagegen
erscheint in den Köpfen das Streben nach Charakteristik und Ausdruck
in der Tliat höchst bedeutend und erfolgreich. Die Technik ist durchweg
fein und präcis, die Arbeit an den Schmucksachen höchst elegant.
Zwei kleinere, dem Q. Messys zugeschriebene Bilder (aus der v. Ert-
born'sehen Sammlung), ein Christuskopf und ein Madonnenkopf, scheinen
diesen Namen mit nicht geringerem Recht zu führen. Es sind die bekannten
von Barth gestochenen und auf diesen Stichen als Holbein'sche Arbeiten
bezeichneten Köpfe. Sie erscheinen hier voller und von sehr weicher und
zarter Behandlung, der Christuskopf ist in höchst anziehender Durchbildung
des Eyck'seilen Urbildes. — Ein Eccehomo, ganze kleine Figur, und Zu-
schauende, iuschriftlich von Johann Mabuse, dem Bilde des Meisters
bei Zanoli in Köln in der Behandlung sehr ähnlich, hat etwas dem Dürer
Nahestehendes; nur ist das Bild trockner im Ton.
^ Die hohe Epoche der italienischen Kunst wird durch ein Gemälde,
von Tizian, bezeichnet (Nr. 23 des Katalogs): Papst Alexander VI (?),
dem heil. Petrus den Bischof von Paphos (aus der venetianischen Familie
Pesaro) vorführend, den er zum Admiral der päpstlichen Galeeren gemacht
hat. Das Bild ist ein glücklicher Beleg für die Kunst des grossen venetia-
nischen Meisters und als solcher sehr wohl geeignet, beim Ueberblick der
wechselnden Bewegungen der flandrischen und brabantischen Kunst einen
ziemlich sichern Regulator abzugeben. Leider nur hat die Figur des Petrus
etwas Kleinliches.
Für den Uebergang der niederländischen Kunst aus der alteinheimischen
Richtung in die spätere des 17teu Jahrhunderts, besonders durch Vermitte-
lung italienischer Studien, enthält das Museum zahlreiche Belege, die für
die kunstgeschichtliche Anschauung von Bedeutung sind. Hierüber die
folgenden Notizen.
Michael Coxis: Martyrien verschiedener Heiligen. Im Allgemeinen
ein ziemlich schwacher Raphaelist. In dem Martyrium des heil. Sebastian
(Nr. 14 des Katalogs), welches M. Coxis in hohem Alter, in den achtziger
Jahren des 16ten Jahrhunderts, gemalt haben soll, ist er dem Vasari ähn-
lich, dabei im Nackten ganz gut.
Hans van Elburch: Nr. 60. Vervielfältigung der Brode. Ebenfalls
ein tüchtiges Bild in der Art des Vasari. — Fr. Floris, zwei beachtens-
werthe Bilder: Nr. 20. Geburt Christi, eine Darstellung nicht ohne innere
Grösse und ein noch erfreuliches Ungeschick; zart im Helldunkel; der
Kichtung des A. del Sarto entsprechend, obgleich etwas blass; — Nr. 21.
Antwerpeu. 505
Sturz der bösen Engel, gegenwärtig als akademisches Staatsbild ziemlich
verrufen, doch mit einigen schönen Köpfen und sehr vielem Talent; auch
in den tollen Teufeleien nicht ohne Laune. — F. Frank d. ä.: Nr. 37.
Mahl zu Emaus. Ein einjfacher Manierist. — F. Pourbus: Nr. 13. Predigt
des heil. Eligius; bemerkenswerth durch die Anzahl individueller Gesich-
ter, die aber im Ausdruck sehr kalt — Martin de Vos: grössere Anzahl
von Bildern. Stets ein talentvoller und sorgfältiger Manierist; gelegentlich
mit Aufnahme von Elementen des Garofalo, In einem grossen Bilde der
Versuchung des heil. Antonius (Nr. 84) auch hier höchst tolle Teufeleien.
— Otto Venius: ebenfalls zahlreiche Bilder. Er erscheint in diesen,
die zumeist wiederum an die Einfachheit des Garofalo erinnern, als ein
tüchtiger Raphaelist. Eins der Bilder (Nr. 66), welches den Besuch des
heil. Nikolaus bei einer armen Familie zum Gegenstande hat, zeichnet sich
in den darin dargestellten drei arbeitenden Mädchen durch eine sehr liebens-
würdige und ansprechende Naivetät aus. — Auch Martin Pepyn verräth
in einer Predigt des heil. Lucas (Nr. 64) bei ganz tüchtiger Arbeit die
Beobachtung der Richtung Raphaels im Sinne des Garofalo.
Rubens ist im Museum durch nicht weniger als achtzehn Bilder
(Nr. 72 — 89 des Katalogs) vertreten. Ich habe die herkömmliche Begeiste-
rung für die meisten derselben, bei aller gründlichen Ehrfurcht vor dem
Meister, nicht theilen können. Hier meine Notizen: — Nr. 72. Der gekreu-
zigte Heiland zwischen den Schachern; aus der späteren, übernachlässigen
Zeit. — Nr. 73. Die heil. Therese, für die armen Seelen im Fegefeuer
bittend; genial hingefegt. — Nr, 74. Die heil. Dreifaltigkeit; ziemlich roh
und unschön. — Nr. 75. Erziehung der heil. Jungfrau. Bekannte Compo-
sition. Ein heiter derbglänzendes Leben; eigentlich schön aber nur der
Kopf der Anna. — Nr. 76. Communion des heil. Franciscus; gross, mit Ge-
walt auf den Effekt hingefegt. — Nr. 77, Anbetung der Könige; auch ganz
wüst und bis zur Barbarei hingefegt. — (Nr. 78, Kleine Wiederholung der
Kreuzabnahme in der Kathedrale,) — Nr. 79. Christus, dem Thomas die
Seitenwunde zeigend; nicht ganz erfreulich, etwas schwer conventioneil.
Nr. 80 und 81 die dazu gehörigen Flügelbilder, mit den vortrefflichen
Bildnissen der Donatoren. — Nr. 82, Klage über dem Leichnam Christi
(der auf untergestreutem Stroh liegt, daher der Name des Bildes „le Christ
k la paille"), und die dazu gehörigen FlÜgelbilder: Nr. 83, der Evangelist
Johannes; Nr. 84, Maria mit dem Kinde.. Grosse malerische. Kraft und
Meisterschaft; das Mittelbild vortrefflich componirt, aber keine Ahnung
von geistigem Ausdruck. — Nr. 85. Heilige Familie. Volles quellendes
Leben, Joseph sitzt hinter Maria, sie, mit vielleicht nicht gar würdigen
Gedanken, hochroth und glühenden Blickes betrachtend. — Nr. 86. Christus
am Kreuz. Hier endlich Rubens wieder ganz auf dem Gipfel seiner Herr-
lichkeit. Ein so grossartiges und edles, wie höchst meisterhaftes, furchtbar
hinreissendes Bild, — Nr. 87 — 89, drei prächtig geniale architektonische
Skizzen für die Angelegenheiten eines Triumphfestes,
Notizen über einige der Bilder von Rubens Zeitgenossen und Schülern:
Abraham Janssens: No. 92. Allegorische Gestalten des Scheide-
flusses und der Stadt Antwerpen; mächtig caravaggesk, nur etwas kalt. —
No, 93, Anbetung der Könige, ähnlich, doch zugleich etwas wirr.
Cornelius de Vos: No. 98, Der Concierge der Corporation des h,
Lucas (1620): ganz vortrefflich, einem van der Heist ziemlich nah, doch
fast noch freier; etwas von holländischem Helldunkel. — No. 97. Scene der
506 Reisenotizen vom Jalir 1845.
Familie Snoeck (1630); figurenreich, sehr schön; im Farbenton einiger-
maassen dem Fr. Hals verwandt.
Ant. van Dyck: No. III. Christus am Kreuz nebst Dominicus und
Katharina von Siena. Grosses und meisterhaftes kirchliches Dekorations-
bild. Auf einem Stein zu Füssen des Kreuzes die schöne Inschrift: „Ne
Patris sui Manibus terra gravis esset, hoc saxum Cruci advolvebat et huic
loco donabat Antonius Van Dyck." — No. 112. Der todte Heiland auf dem
Schoosse der Mutter. Gross und hoch; derbe malerische Kraft in seiner
Art; doch im Ganzen ebenfalls mehr kirchliche Dekoration. — No. 113.
Derselbe Gegenstand in Langformat. In der Empfindung ungleich schärfer
und höchst ergreifend; weich harmonisch gemalt, doch noch von derber
Behandlung. (Wiederum noch viel tiefer im Gefühl ist das eben denselben
Gegenstand behandelnde Gemälde van Dyck's im Berliner Museum.) —
No. 114. Bildniss des Cäsar Alexander Scaglia, spanischen Gesandten am
Congress zu Münster. Ganze lebensgrosse Figur von einfacher Schönheit.
— No. 115. Christus am Kreuze, sehr trefflich.
Gerh. Seghers: No. 117. St. Stanislaus, in den Jesuitenorden ein-
tretend. Einfach energisch, an spanische Weise erinnernd. — No. 120. Die
h. Therese und ein Engel. Bleich caravaggesk; die Heilige bedeutend. —
No. 121. „la Vierge au scapulaire", ebenfalls ein anziehendes Bild.
Spätere Meister:
Peter van Lint. Mehrere Bilder. Eine Gesellschaft, am Ufer eines
Flusses rastend (No. 169), tüchtig, wie ein derber L. Giordano. — G. Maes,
Martyrium des h. Georg, (No. 165), in der Art des Cortona. — Barth,
van den Bossche, No. 197, grosses Portraitbild, gem. 1711, sehr aus-
gezeichnet. — Andreas Lens (Direktor der Antwerpener Akademie 1763)
Verkündigung, No. 206. Ein angenehmer Batoni, weich und warm; die
Maria selbst anmuthig naiv; der Engel Gabriel ein feiner antiker Jüngling
ohne Flügel. ^
Die Kathedrale (St. Bavo) P>ühgothisches Gebäude; das Innere
von leichten hohen Verhältnissen; die Pfeiler viereckig mit Halbsäulen,
Der grosse künstlerische Schatz dieser Kirche besteht in den Mittel-
bildern jenes berühmten Altarwerkes der Brüder van Eyck, dessen Flü-
gelbilder die Gallerie des Berliner Museums zieren. Sie sind in derselben
höchsten Feinheit durchgeführt wie diese. In dem unteren Bilde, der An-
betung des Lammes, zeigt sich dieselbe sehr mannigfache Charakteristik,
welche z. B. dem Flügelbilde der heiligen Einsiedler einen so ganz un-
schätzbaren Werth giebt. Keine Luftperspektive. In den drei grossen
Gestalten der oberen Keihe — Gott-Vater, Maria, Johannes Baptista, —
herrscht zugleich eine eigenthüniliche Erhabenheit. In dem Bilde des
Gott-Vater wirkt das Typische eigen nach: hier ist noch keinesweges schar-
fer Naturalismus. Der Johannes hat etwas Mildes, weiCh Schwärmerisches
im Ausdruck, Maria eine reine Schönheit der Züge, wie solche nur auf
raphaelischen Bildern erscheint. Nur ist eben die Malerei, besonders bei
der Maria, noch etwas streng.
Von Gerhard van der Meeren, dem Schüler des Hubert van Eyck,
ist hier das authentische und sehr merkwürdige Bild einer Kreuzigung
Cliristi, mit der Darstellung der ehernen Schlange und der Quelle des Fei-
Gent. Brügge. 507
sens Horeb auf den Flügeln. Bei der Beobachtung des allgemeinen Scliul-
typus ist die Gestaltung der Figuren minder vollkommen; die Arme z. B.,
sind öfters zu kurz und drgl. Der Faltenwurf ist schon sehr eckig, doch
aber so, dass noch grosse Linien vorherrschen; mehrfach sind diese in
grosser Schönheit geführt. Die Färbung ist eigenthümlich hell, licht und
blass.
Ausser einem höchst schönen Gemälde von Rubens (Aufnahme des
h. Bavo in die Abtei St. Amand) fiel mir unter den in der Kathedrale
befindlichen Gemälden besonders noch eine Auferweckung des Lazarus
von Otto Venius auf, die im edelsten römischen Style seiner Zeit
gehalten ist und für die künstlerische Befähigung dieses Künstlers den
schätzbarsten Beleg giebt. —
Auf einer Ausstellung im Universitätsgebäude sah ich den kolossalen
Drachen von vergoldetem Erz, der von der Spitze des Glockenthurms
der Stadt abgenommen war und den der flandrische Kaiser Balduin von
Constantinopel hieher gesandt haben soll. Es ist eine schwerfällig zusam-
mengeschmiedete Arbeit, der Kopf stylisirt, der Schwanz skorpionenartig
gebildet. Unbedenklich ein byzantinisches Werk.
I
Kirche St. Sauveur. Gute gothische Zeit. Treiniche Innen-Archi-
tektur, im Chor mit Säulen, im SchiiT mit Bündelpfeilern; die Triforien
jedoch übermässig hoch und an sich nicht schön.
Das hier befindliche, mehrfach besprochene dem Hemling zugeschrie-
bene Bild mit der Marter des h. Hippolyt ist, zumal im geistigen Gehalt,
nicht sehr erbaulich.
Ausser den Gemälden der Kirche zu bemerken: zwei, aus einer
Anzahl von Platten zusammengesetzte messingne Grabtafeln mit gravirter
Darstellung, wobei alle Vertiefungen init schwarzer Masse ausgefüllt sind.
Auf jeder Tafel zwei Gestalten, Mann und Frau. Die erste Tafel ist vom
J, 1423 und noch völlig iii der Linienführung des germanischen Styles, die
in einfach starken Conturen, aber in sehr grossartiger Weise, angegeben
ist. Beide Gestalten in Grabgewändern, die auch Stirn und Augen be-
deckcn. Die andre Tafel, vom J. 1515, hat viel weniger Styl und dabei
die Angabe von Schattirung, was keine gute Wirkung hervorbringt.
Kirche Notre Dame. Die Architektur, ursprünglich frühgothisch,
schwer, verworren und nicht anziehend. Unter den hier vorhandenen
Kunstschätzen die berühmtelebensgrosse Madonnenstatue, die dem Michel-
angelo Buonarotti zugeschrieben wird. Ich kann mich nur der Ansicht
anschliessen, welche in diesem, allerdings höchst schätzbaren Werke die
Arbeit eines andern gleichzeitigen italienischen Meisters erkennt. —
Gemälde-Sammlung des Johannis-Hospitales, in welcher
die berühmtesten Werke von Hemling befindlich. Zur Vervollständigung
anderweitiger ausführlicherer Mittheilungen die folgenden Notizen:
Die Miniaturbilder an dem berühmten Reliqüienkasten der h. Ursula,
welche die Legende dieser Heiligen darstellen, in ihrer Totalität allerdings
im höchsten Grade anziehend. Leider jodoch haben sie sehr gelitten und
sind (angeblich vor 26 Jahren) durchgehend restaurirt worden, wodurch von
508 Reisenotizeii vom Jahr 1845.
dem Charakter der malerischen Handhabung ungemein viel verloren gegangen
ist. Gewiss ist dabei auch die alterthümliche Strenge und Schärfe, die
sich auf den Dachbildern (Apotheose der Heiligen iind ihrer Gefährten)
noch erhalten hat, eingebtisst. Einen Begriff von der Detail-Ausbildung,
welche diese kleinen Werke bestimmt gehabt haben, erhält man durch die
wundervolle intacte Miniaturmalerei jenes Dyptychons vom J. 1499, wel-
ches sich, aus der v. Ertborn'schen Sammlung stammend, im Antwerpener
Museum befindet.
An dem grossen Altarwerk der Vermählung der h, Katharina, mit dem
Martyrium des Täufers Johannes und der apokalyptischen Vision auf den
Flügeln, von 1479, ist im Ganzen der tiefe malerische Ton des Bildes merk-
würdig; ebenso eine gewisse grössere Freiheit überall in dem Gebahren
der Figuren, als solche bei dem J. van Eyck gefunden wird, wennschon
sich dies noch immer nicht zu völliger Naturfreiheit entwickelt. Es ist
in jenem malerischen Tone, — abgesehen freilich davon, dass es zur Luftper-
spective noch nicht kommt, — selbst etwas, das lebhaft au die Richtung
der italienischen Kunst erinnert. Im Ausdruck ist das Bild, bis auf ein-
zelne Köpfe, nicht sonderlich bedeutend; die Madonna z.B. ist sehr
nüchtern und das Urbild vieler späteren Madonnenköpfe der Art. Leider
hat auch dies Werk sehr gelitten uud ist stark restaurirt, wodurch wiederum
der originale Charakter, besonders auch in der Carnation, vielfach ge-
trübt ist
Dagegen ist das andre Altarwerk Hemling's, mit der Anbetung der
Könige auf dem Hauptbilde, ebenfalls vom J. 1479, bis auf wenige Aus-
nahmen vortrefflich erhalten. Hier auch sieht man, bei einfacher Naivetät
und Strenge, gemüthlich ausdrucksvolle Köpfe; die Ausführung ist sehr
zart, der Gesammtton wiederum ernst. Das Werk ist mit den Bildern des
Bi^rliuer Museums (welche neuerlich ebenfalls dem Hemling zugeschrieben
sind), — dem schlafenden Elias und dem Passahfest, — nahe verwandt,
hat jedoch in seinen Motiven eine entschieden höhere Ausbildung.
Eine ächte Arbeit Hemling's ist ferner das aus dem Hospital St. Julien
in die Sammlung des Johannishospitales übergegangene Distychon vom
J. 1487 mit dem sehr schönen Bildniss des Martinus de Newenhoven. —
Zweifelhaft dagegen das weibliche Brustbild der sog. Sibylla Zambetha. —
Eine Kreuzabnahme mit Heiligen auf den Flügeln ist sehr gute Arbeit eines
Zeitgenossen. —
Gemäldesammlung der Akademie,
Hier von Joh. van Eyck das Gemälde der thronenden Maria mit
dem Kinde zwischen St. Donatian und St. Georg, vom J. 1436. Dies ge-
rühmte Werk hat alle die unschöne Schärfe, deren der Meister unter Um-
ständen fähig zu sein vermag. Die Maria ist nicht schön, das Christkind
liässlich. Die im Antwerpener Museum befindliche Copie sänftigt dies
Alles. — Das Portraitbild von des Meisters Frau, vom J. 1439, hat in
seiner einfachen Malerei etwas Ansprechendes. — Der Christuskopf vom
J. 1440, auf welchem der Meister als Inventor bezeichnet wird, ist da-
gegen innerlich ungeschickt und unbedenklich eine Copie erst aus dem
16teu Jahrhundert.
Die dem Hemling zugeschriebenen Bilder erscheinen als Arbeiten
seiner Scliule. — Die Bilder mit der Darstellung grausamer Rechtspflege
durch König Cambyses von Anton Ciaessens verrathen nicht mehr Nach-
Tournay. 509
folge des Hemling, sondern tragen in Ton und Behandlung entschieden das
Gepräge des 16ten Jahrhunderts
Die Kathedrale. Die Vorderschiffe und das Querschiff romanisch,
der Chorbau gothisch. — In dem Vordertheile niedere Seltenschiffe und
gleich hohe Emporen über denselben, beide mit gegliederten Pfeilern und
Bögen und beide überwölbt, lieber dem Mittelquadrat von Quer- und
mittlerem Langschiff ein Kuppelthurm. Die Flügel des Querschiffes halb-
rund in Absidenform schliessend, mit einem Säulengange im Inneren, ähn-
lich, wie solche Anlage in der Kapitolskirche zu Köln vorhanden ist.
Starke viereckige Thürme zu den Seiten einer jeden der beiden Absiden.
Diese Thürme den Absiden übrigens näher stehend als dem Kuppelthurm;
daher schwer zu errathen, wie ursprünglich die eigentliche Chor-Absis
angelegt gewesen, falls sie überhaupt dem System der Querschiff-Absiden
entsprechend war. Diese romanischen Theile der Kathedrale entschieden im
Charakter des 12ten Jahrhunderts; Einzelformen allerdings zwar mit Re-
miniscenzen des Ilten Jahrhunderts, im Allgemeinen aber doch bereits
eine sehr feine Durchbildung des romanischen Styles vorherrschend. Die
Säulen in den Querschiff-Absiden einigermäassen barbarisch, etwa den
Säulen der Regensburger Schottenkirche vergleichbar. Der obere Thell der
Absiden, d. h. Alles vom Ansatz der Gewölbe (mit spitzbogigem Scheid-
bogen} an, bestimmt später, obgleich noch im Charakter des Ganzen ge-
halten. Das Aeussere der romanischen Theile, namentlich der Absiden
und Thürrae, sehr ernst, imponirend und südlich streng. Entschieden im
nichtdeutschen— französischen — Charakter. — Der langgedehnte Chor
im reichen Frühgothisch, doch nicht besonders schön und von etwas matter
Wirkung. Der Chor-Umgang mit fünf hinaustretenden Polygon-Kapellen.
Bei diesen führt das Bestreben nach dem Scheine des Leichten zu einem
sehr unglücklichen ästhetischen Erfolge. Sie lehnen lose aneinander; von
dem festen Mauerpfeiler zwischen ihnen ist im Innern überall nur die Stirn
zu sehen, während seine Masse ganz nach aussen hinausgeschoben ist;
und da sie im Uebrigen gleiche Höhe mit den Seitenschiffen haben, so
sieht man hier in der That, statt am Schlüsse des ganzen Gebäudes irgend-
wie den Eindruck ruhiger Festigkeit zu gewinnen, nur ein überall gebro-
chenes Mauer- und Fensterwesen. Für den sehr erheblichen Unterschied
des Chorkapellenkranzes im Grundriss (viel mehr einem Produkte des Cal-
culs als des naiven künstlerischen Gefühles) und seiner Erscheinung im
Gebäude selbst giebt es kaum ein schlagenderes Beispiel. Im Chore selbst
sind die Pfeiler ~ mit Ausnahme der in seinem polygonischen Schlüsse-
befindlichen — nachmals an ihrer hinteren, den Seitenschiffen zugewandten
Seite verstärkt worden, zwar in ganz stylgemässer, doch nicht in schöner
Weise. Früher waren sie sehr schlank und denen des Chorsehlusses ohne
Zweifel ähnlich. Das Stabwerk der Chorfenster ist meist nicht mehr vor-
*) Nach Passavant, Kunstreise durch Euglaud und Belgien, S. 354, wären
beide Bilder von A. Ciaessens mit der Jahrzahl 1498 bezeichnet. Nach der An-
gabe des Katalogs der Sammlung vom J. 1845 haben beide die Jahrzahl 1598
(was nicht etwa ein Druckfehler des Katalogs ist). Ich habe darüber nichts
notirt, halte jedoch die letztere Angabe für die richtige.
510 Reisenotizen vom Jalir 1845.
banden. Die Strebebögen am Aeusseren des Chores haben eine sehr ein-
fache Form.
In der Kathedrale ist u. A. der Sarkophag des h. Eleutherius zu be-
merken, ein Schmuckwerk romanischer Art, aus vergoldetem Kupfer und
mit Emaillemalereien, wie so viele Reliquiarien und Aehnliches dieser
Gattung am deutschen Niederrhein vorhanden sind. Er gehört der späteren
Zeit dieses Kunstzweiges an und ist den prächtigsten Werken der Art zu-
zuzählen. Namentlich ist er durch sehr zierlich ä-jour gearbeitete Orna-
mente, statt des älteren Filigrans, ausgezeichnet. Blanches ist in moderner
Zeit roh ergänzt. •
Kirche St. Maurice. Nicht lang, fünf gleich hohe Schiffe mit
schlanken gothischen Säulen. Hübsche Perspektive; ganz gut durchge-
führt. Beim Chorschluss derselbe Uebelstand, wie bei der Kathedrale von
Tournay.
Auf dem Stadthause, in der dort aufgestellten Sammlung der
Handzeichnungen, die Wicar der Stadt vermacht hat, eine weibliche Büste
von Wachs, wenig unter Lebensgrösse; der Hals mehrfach gebrochen, doch
erhalten; die Büste dem Uebrigen etwa im I7ten oder ISten Jahrhundert
hinzugefügt. Die Augen aus einer glänzenden Masse, namentlich der Stern
schwarz, höchst glänzend; die Pupille rundlich erhaben, so dass sie durch
die verschiedenartigen Spiegelungen eine sehr lebendige Wirkung hervor-
bringt. Das Haar ist in antiker Weise geordnet, aber nur angelegt; es
war gemalt und ist noch bräunlich. Das Nackte, in gelblichem, elfenbein-
artigem Tone, hatte ohne Zweifel eine leise Naturfärbung. Die Lippen
haben noch rothe Farbe. Von ganz wunderbarer Schönheit und feinster
Reinheit der Formen, durchaus das Werk eines der ersten italienischen
Meister der Zeit um 1500, möglicherweise von der Hand des Leonardo
da Vinci. Es ist in der That etwas von dem eigenthümlichen Hauche,
der seine eigenhändigen Malereien beseelt, darin und zugleich, bei aller
Idealität der Auffassung, viel portraitmässiges Element. Die Augenlieder
sind etwas zusammengezogen, wodurch das Auge einen fast schwimmenden
Ausdruck erhält. Leider hat die Oberfläche mehrfach, und namentlich
auch am Rande der Augenlieder, gelitten. Dennoch hat das Werk auch
in seiner jetzigen Beschaffenheit noch einen so ganz eigenthümlichen Reiz,
wie ich nirgend etwas Aehnliches gesehen.
Kirche St. Germain-des-Prös. Romanisch; im Aeusseren ver-
baut. Im Inneren hat besonders das Schiff hochalterthümlichen Charakter;
doch ist dasselbe schon von Hause aus auf die Wölbung angelegt. Pfeiler
mit starken Halbsäulen auf jeder der vier Seiten. Grosse starke Kapitale,
theils mit Palmettenblattwerk, theils mit barbarischen figürlichen Sculp-
turen. Die Arkaden nicht gerade hoch, aber auch nicht eng. Kein Trifo-
lium oder sonst eine Dekoration unter den Fenstern. Wohl, wie ange-
nommen wird, aus dem Ilten Jahrhundert. — Der Chor spätromanisch.
Statt der Pfeiler Säulen (wie in Notre-Dame), mit Akanthuskapitälen von
sehr schöner streng griechischer Bildung. Die im Chorschluss näher zu-
Paris. 511
"TT"
sammeritretenden Säulen schon mit Spitzbögen verbunden; auch die Bogen-
gliederung bereits im'späteren Profil. Eine Gallerie über den Arliaden des
Chores. Umgang um den Chor und Seitenkapellen; die den Seiten des
Chorschlusses entsprechenden Kapellen mit rundem Grundriss und feiner
Detaillirung.
Kirche Notre Dame. In den inneren Verhältnissen höchst grossartig,
ernst und majestätisch, wozu, bei den kurzen, sehr gedrungenen Säulen
des Schiffes, wohl die "Weite und Leichtigkeit der Triforien und die luftige
Schlankheit ihrer Säulen wesentlich beiträgt. Uebrigens noch ungemein
viel vom Charakter des Ueberganges, in den Säulen und ihren Kapitalen,
in den Bögen und Rippen der Gewölbe , auch fast an allen Theilen der
Fa^ade. Die äusseren Kapellenreihen, namentlich auch die um den Chor,
gehören erst der Vollendungszeit der Kirche im 13 Jahrhundert au. Die
Fa^ade imposant, doch nicht gerade schön; vortrefflich die Gallerie am
unteren Geschoss der Thürme, wo diese sich tiber die Dächer erheben. In
den Seitenansichten der Kirche sind die oberen Geschosse, — des Trifo-
riums und des Mittelschiffes, — ohne Wirkung und die zwiefachen Strebe-
bögen, nach Triforium und Mittelschiff, die beide von den kolossal mas-
sigen Strebepfeilern ausgehen, unschön.
Die Sainte Chapelle. Gedoppelte Schlosskapelle, eine über der
andern; die untere, niedriger, für die Dienstleute. In dem einfachen früh-
gothischen Styl; die Details des Inneren aber völliger ausgebildet als die
des Aeusseren. Sehr durchgreifende Restauration, soelien im Werke. Her-
stellung des Inneren genau nach den erhaltenen Mustern, in aller bunten
Färbung, die freilich soweit geht, dass aller architektonische Eindruck voll-
ständigst aufgehoben wird: — der Art, dass z. B. die eine der Hauptwand-
säulen am Anfange des Chorschlusses roth, mit besonderm Muster, die
andre blau und mit anderm Muster gefärbt ist. Im Verein mit den tep-
pichartig bunten Fenstern wird das Ganze sich wie ein phantastisch
drückendes buntes Gewebe ausnehmen.
Statuen im guten trecentistischen Styl, Apostel und dergl., ebenfalls
ganz bunt und ornamentirt, wie die Statuen im Chore des Kölner Domes.
Die alten Glasmalereien zum grösssten Theil erhalten, bunt teppichartig
(wie eben bemerkt) und mit kleinen figürlichen Darstellungen; trecentistisch.
Die Fensterrose der Westseite später, auch die kleinen Malereien darin
freier, aus dem 14. oder dem Anfange des 15. Jahrhunderts.
Kirche St. Severin. Gothisch. An derFa^ade nur ein Thurm zur
Ausführung gekommen; gut und einfach frühgothisch. Aus derselben ßau-
epoche die westlichen Theile des Schiffes, gut, mit kurzen Säulen und
zierlichen Triforien. Das übrige spätgothisch. Doppelte Seitenschiffe. Der
Umgang um den Chor sehr zierlich, mit bunten Säulen und Gewölbrippen.
Kirche St. Germain rAuxerrois. Spätgothisch, nicht gross,
doch ansprechend weite Verhältnisse. Doppelte Seitenschiffe. Der Chor
in den Details modernisirt.
Einiges von alten und Manches von neuen Kunstwerken. Unter den
ersteren ein Schnitzaltar des 16. Jahrhunderts zu bemerken, reich an figür-
lichen Darstellungen, ungefärbt, handwerklich tüchtig.
Kirche St. Gervais. Spätgothisch und nicht unbedeutend. Pfeiler-
Architektur.
TT
Ii
Allerlei Glasmalereien, unter denen die sehr haltungslosen vorn im
Mittelschiff die gerühmten Arbeiten des Jean Cousin zu sein scheinen;
iÄil
-ocr page 511-Reisenotizen Tom Jalir 1845.
grosse Compositionen moderner Art, ohne alle eigentliclie Wirkung. Hier
fangen, was bei den mittelalterlichen Glasmalereien nicht der Fall ist, die
Bleilinien an , in horizontalen Lagen sich kurz zu wiederholen, mit Aus-
nahme des Nackten. Diese principlose Behandlung wirkt hier nur insofern
M'eliiger störend, als das Ganze so unschön ist.
Kirche St. M^ry. Gewöhnlicher Bau aus spätgothischer Zeit.
Kirche St. Eustache, 1532 begonnen, 1642 beendet. Sehr merk-
würdig. Ganz gothische Disposition, aber vollständige Formenbildung der
Renaissance, bis auf wenig einzelne Spitzbögen und Verschlingungen des
Fensterstabwerkes. Sehr hohe Verhältnisse; doppelte Seitenschiffe; freier
Chorumgang. Die Pfeiler aus allerlei Pilaster- und Säulenwerk schlank
aufgebaut; die Gewölbgurtungen nach gothischem Princip, mit antikisiren-
den Profilen. Der Eindruck des Inneren hienach ein höchst bedeutender,
von reich malerischer, phantastischer Wirkung, So auch das Aeussere, mit
Ausnahme der im schweren Style des Palladio gehaltenen Haupt-Fagade.
Strebepfeiler und Bögen. Das Seitenporta] ist ebenfalls in Renaissance-
Formen nach gothischer Disposition gebildet.
Kirche St. Etienne dumont. Aus derselben Uebergangszeit wie
St. Eustache, und ungefähr nach denselben Principien ausgeführt, doch
von andrer Behandlung. Schlanke Rundsäulen im Inneren, zwei Geschosse
bildend, indem sie in der Mitte der Höhe durch Halbkreisbögen verbunden
sind, über denen eine Gallerie mit schwerer Balustrade hinläuft. Diese
Gallerie hat aber nur die Breite der Säulen, dehnt sich also nicht über
die Seitenschiffe aus und windet sich jedesmal, von Consolen getragen,
hinten um die Säulen herum. Besonders elegant und malerisch macht sich
dies am Chor , vor dessen Eingang sich ein leichter Jub^, im barocken
Renaissancestyl, hinüberspannt. Luftige Wendeltreppen schlingen sich hier
zli beiden Seiten um die Ecksäulen und führen zum Jub6 und höher zu
der Gallerie empor, welche letztere auch um sämmtliche, freistehende Chor-
säulen herumläuft. Im Aeusseren ist besonders die Fagade (vom J. 1610)
bemerkenswerth, die im eigentlichen Renaissancestyl, mit einem antikisi-
renden Halbsäulenportikus und dergl. ausgeführt ist.
Kirche St. Sulpice, gegründet 1646. Die Fagade merkwürdig, als
eine Art Uebertragung der Composition der Fa^-ade von Notre Dame auf
die Verhältnisse der Antike. Die beiden, unterwärts durchlaufenden
Säulen-Etagen haben in der That eine grossartige Schönheit; die Thurm-
Aufsätze zu den Seiten sind weniger gelungen. Das Innere hat einfach römi-
schen Charakter und wirkt erfreulich durch gute räumliche Verhältnisse. —
Louvre. Gemälde-Gallerie. Notizen zu einigen Bildern.
Die „Madonna della Vittoria" von Mantegna (No. 1105), —■ die unter
einer Laube thronende Maria mit dem Kinde, von Heiligen umgeben, und der
knieende Gio. Francesco Gonzaga: ein Bild, zunächst durch seinen eigen-
thümlichen Aufbau, wie Mantegna dergleichen liebt, bemerkenswerth,
besonders artig die Laube, das Ganze interessant für die Zeit, aber
befangen. — Der Parnass (No. 1106) und das Bild der Ober die Laster
triumphirenden Weisheit (No. 1107), beide ebenfalls von Mantegna, mit
anerkennungswürdigen klassischen Studien, aber noch ohne erfreuliches
Resultat.
512
Heil. Familie mit der h. Katharina (No. 1161) eins der trefflichsten
und liebenswürdigsten Bilder von Perugino. Unter seinem Namen auch
(ohne Nummer) eine schwache Wiederholung des Bildes der Geburt
iiÜM
-ocr page 512-Paris. 513
Christi in der Gallerie des Vatikans, an deren Ausführung Raphael Theil
haben soll.
Fr. Bianchi Ferrari, — thronende Madonna mit Heiligen (No.880), —
ein sehr interessanter lombardisch peruginesker Meister von edler Haltung.
Die drei, als unzweifelhaft authentisch anerkannten Bilder von
Leonardo da Vinci: — das Brustbild des jugendlichen Täufers Johan-
nes (No. 1084),, unangenehm süss und sentimental im Ausdruck und
starken Helldunkel, woran zwar Nachdunkelung und Uebermalung mit
Schuld sein mögen; der erhobene Arm sehr steif; — das Brustbild der
Monna Lisa (No. 1092), ebenfalls sentimental und nicht sonderlich ange-
nehm; doch zart modellirt und die Hände überaus reizend, den Händen
auf dem Bilde der Margherita Coleonea im Berliner Museum ähnlich, doch
noch weicher und schöner; — das Brustbild des früher sogenannten „Belle
ferronifere" (No. 1091). Dies sehr intacte Gemälde ist vor allen für den
grossen Meister charakteristisch bezeichnend. Es hat noch etwas von alter-
thümlicher Strenge, doch schon mit sehr zarter Modellirung verbunden.
Auch ist hier im Helldunkel durchaus nichts Gesuchtes. Der Kopf ist viel
individueller und weniger sentimental als auf den Nachbildungen.
Ausserdem dem Leonardo zugeschrieben: — Maria mit dem Kinde,
auf dem Schoosse der Anna (No. 1085), nach seinem bekannten Carton,
theilweise sehr verwaschen; — die reizende Composition der „Vierge aux
Rochers" (No. 1086), in der Ausführung für Leonardo fast zu streng und
hart, übrigens auch nicht frei von manieristischen Anklängen; — die h. Fa-
milie mit dem Erzengel Michael (No. 1087), schwächlich in Composition
und geistiger Auffassung; — ein sitzender Bacchus (No. 1089), sehr inter-
essant und geistvoll, vielleicht ein Johannes Baptista, dem Blätter und
Trauben später zugefügt sind; — angebliches Portrait König Karls VHL
von Frankreich (No. 1090), ein ungemein schönes Bildniss, der Behand-
lungsweise des Francia ähnlich."
Von Nachfolgern Leonardo's: — Maria mit dem Kinde, mit Heiligen
und Donatoren, von Beltraffio (No. 879); noch etwas alterthümlich und
die Maria mit dem Kinde befangen; aber die Heiligen wie die Donatoren
vortrefflich und besonders der Kopf des h. Sebastian von hoher Schön-
heit. .— Tochter der Herodias von Andr. Solario (No. 1227), ein reizend
leonardesker Kopf, in so bedeutsamer Nachfolge der Richtung des Meisters,
dass das Bild ungleich mehr etwa wie eine Arbeit des B. Luini gemahnt;
dagegen eine das Kind säugende Madonna, ebenfalls von Solario, (No. 1228)
sehr deutlich an die Art und Weise seines eigentlichen Lehrers, des Gau-
denzio Ferrari, erinnert.
Von Raphael zunächst die zwei zierlichen Bildchen aus seiner jungen
Zeit: Der Erzengel Michael, den Drachen besiegend (No. 1189), mit in-
teressantem perugineskem Nachklange; — und der mit dem Drachen käm-
pfende St. Georg (No. 1190), ein Bild, das sehr gelitten zu haben und
übermalt zu sein scheint, wodurch es ein etwas späteres Ansehen gewinnt,
als es jedenfalls ursprünglich hatte.— Dann die berühmte „Belle jardi-
ni^re" (No. 1185), der Madonna Colonna im Berliner Museum zunächst
stehend und mit denselben Manieren der Gesichter, doch lange nicht so
zart im Ton und pastoser gemalt. Ueberdies hat das Bild sehr gelitten
und ist stark übermalt; das blaue Gewand ist fast ganz verdorben. Da-
gegen ist die h. Margaretha auf dem Drachen (No. 1406), die schon für
Kugler, Kleine Schriften II. 33
-ocr page 513-514 Reisenotizen vom Jahr 1845.
aufgegeben galt, glücklich wiederhergestellt; das Köpfchen namentlich ist
von äusserst lieblichem Ausdruck. — Unter den Bildern, bei deren Aus-
führung man Schülerhülfe voraussetzt, wirkt die für Franz I. gemalte
h. Familie mit dem blumenstreuenden Engel (No. 1184), so schon die Com-
position an sich ist, auf mein Gefühl doch etwas äusserlich klassisch, —
scheint der den Satan niederschmetternde Erzengel (No. 1187) ebenfalls
schon nahe an der Grenze des Naiven zu stehen, — und ist die kleine
h. Familie mit der Elisabeth und dem Johannisknaben (No. 1188) in der
malerischen Behandlung schwer. (Von dem hier vorhandenen Exemplar
der Madonna von Loretto oder Vierge au linge, No, 1191, habe ich keine
sonderlich bestimmte Erinnerung bewahrt; und die mir besonders werthe
Composition der kleinen Vierge au diademe, No. 1186, war bei meinem
Besuch im Louvre nicht in der Gallerie.) — Unter den Bildnissen ist das
des blonden Jünglings, der das Gesicht nachlässig auf die Hand stützt
(No. 1196), ein mit geistreicher Leichtigkeit gemaltes Bild aus Raphaels
späterer Zeit, ungleich individueller und charakteristischer als in den
Stichen. So ist auch das Bildniss des Grafen Castiglione (No. 1195), das
einen interessanten, guten, etwas geistreichen und sinnigen Lebemann vor-
führt, frei und leicht, doch ein wenig kalt gemalt, — während das Bild
der Johanna von Arragonien (No. 1194), in dem man bekanntlich nicht
viel von Raphael's eigner Hand anerkennen will, allerdings geradehin kalt
und selbst hart in der Malerei erscheint und dabei ihren Charakter spitzer,
schärfer, individueller und bewusster hervortreten lässt, als dies aus den
Nachbildungen im Stiche ersichtlich wird. Jedenfalls sieht wer sich nur
ein wenig auf Physiognomie versteht, dass die Dame, trotz ihrer ausbtin-
digen Schönheit, dem Meister nicht sonderlich behagt hatte, was dann eben
seine geringe Sorge für eine meisterlich vollendete Durchführung des Bü-
hles hinlänglich erklären dürfte. — Im Uebrigen stimme ich völlig bei,
dass das derbe, nicht sonderlich anziehende Gemälde, welches man
„liaphael und sein Fechtmeister" benennt (No, 1193) und welches man
gegenwärtig zumeist dem Seb. del Piombo zuschreibt, nicht von Raphael
herrührt; — dass das Bildniss des Mannes, der den Arm auf den Tisch
gelegt hat (No. 1197), ein alterthümliches, durch dunkeln Schmelz in den
Schatten eigenthümlich ausgezeichnetes Bild, von Fr. Francia herrührt, —
und dass die grau in grau gemalte allegorische Figur des Ueberflusses
(No. 1192), trotz des darauf später hinzugefügten Namens des Raphael,
bestimmt nicht von ihm, sondern wahrscheinlich von Giulio Romano ge-
malt ist.
Unter den, nicht allzu erfreulichen Bildern von Giulio Romano ist
das einer Anbetung der Hirten (No. 1073) energisch und schon in manie-
ristischer Richtung, — das des Vulkan, Pfeile schmiedend, mit denen Venus
den Köcher des Amor füllt (No. 1077), nüchtern. — Das kleine Bild des
"Wettkampfes der Musen und Pieriden von Per in del Vaga (No. 1159)
ist tüchtig behandelt und bornirt raphaelesk. — Das Gemälde der Heim-
suchung Maria von Rosso de' Rossi (No, 1205) hat schwache Reminis-
cenzen an Raphael und Andrea del Sarto. — Der den Goliath erlegende
David von Daniel da Volterra (No. 961) ist kalt, wie dies zu erwar-
ten war.
Von Giorgione u. A. die Madonna mit Heiligen und dem verehren-
den Donator (No. 1028), ein Bild prächtig naiver Lebensglut, besonders in
der kleinen Böhmin (der h. Katharina). Gemeinsamer Typus mit kurzen
n=
Paris. 515
Nasen. — Ein andres, dem Giorgipne zugeschriebenes Bild, ein ländliches
Concert von nackten Frauen und bekleideten Männern (No. 1029) ist etwas
nüchterner, besonders das sitzende, halb vom Rücken gesehene Weib, das
sich überdies in gesegneten Umständen zu befinden scheint. Waagen schreibt
daher auch das Bild, mit gutem Grunde, dem älteren Palma zu. — lieber
die prächtigen Bilder Tizian's habe ich wenig notirt. Die Grablegung
(No. 1252), in ihrer schönen vollen Menschlichkeit, verfehlte der tiefsten
Wirkung so wenig, wie vor Jahren das andre Exemplar dieses Bildes in
der Gallerie Manfrin zu Venedig. Weniger anziehend war mir die Dor-
nenkronung (No. 1251); die Bewegung ist nicht Tizian's wahres Element.
Höchst schön erschien mir jenes Bild, welches man als ^Tizian und seine
Geliebte" zu benennen pflegt (No. 1259). Dies Avundervolle Weib, und
besonders ihr Gesicht, kann seinem Inhalte nach, wie alle eigentliche Blüthe
der venetianischen Malerei, nur mit der Antike verglichen werden.
Von der gefahrvollen Bahn, auf der Correggio's Kunst sich bewegt,
giebt jenes Bild der Vermählung der h, Katharina mit dem Christkinde,
unter Beisein des h. Sebastian, (No. 953) ein bezeichnendes Beispiel. Kind-
liche Naivetät und — die Sprache hat leider kein andres Wort! — Geil-
heit grenzen hier unmittelbar aneinander. Dass das Bild im Uebrigen,
jene Gefahr freilich nicht beseitigend, die süsseste Harmonie des Tones
hat, ist bekannt. — Sein Bild des Jupiter mit der Antiope (No, 955) ist
nicht eigentlich schön, besonders in der Zeichnung der Antiope.
Unter den Bildern der späteren Italiener ist die Maria mit dem Chri-
stusleichnam von Bern. Campi (No. 898) in seiner Art energisch und
gross; die Maria mit dem Kinde und Heiligen von Giul. Ces. Procac-
cini (No. 1182) aus dem Manieristischen heraus bedeutend; der Tod der
heil. Jungfrau von Caravaggio (No. 902) gross in seiner wüsten Weise;
u. s. w., u. s. w.
Die Bilder der älteren französischen Schule sind ohne erhebliches In-
teresse,— mehr oder weniger langweilig. Am Bedeutendsten und gelegentlich
wenigstens in Nebenfiguren ganz vortrefflich ist N. Poussin; doch ist seine
Farbe leider überall mehr oder weniger unkräftig geworden. — La Sueur,
in den Bildern aus dem Leben des h. Bruno u. a. m., hat schon ungleich
mehr französisches Rococo, als ich erwarten zu müssen glaubte. Es ist
darin nur etwas sehr oberflächlich Raphaeleskes, und nur einzelne der
Scenen des Karthäuserlebens, namentlich die Darstellung des Todes des
h. Bruno, habeTi eine gewisse Frische. (Die Bilder ähnlichen Inhaltes von
Champaigne im Brüsseler Museum stehen ungleich höher.) — Jos. Vernet
ist in seinen Seehäfen sehr tüchtig repräsentativ und dekorativ. Vorzüg-
lich bedeutend sind diese Bilder auch für das Volksleben jener Zeit, indem
das dahin Gehörige mit grosser Naivetät aufgefasst ist. Höhere Lebendig-
keit, innigeres Naturgeföhl sind dabei allerdings noch nicht vorhanden.— Ein
ganz reizendes Bild ist die bekannte „Dorfbraut" von Greuze (No. 62);
doch fehlen auch in diesem tiefere Kraft der Farbe und Lufthauch.
Notizen über einige der modernen Sculpturen des Louvre.
Inder Galerie des Caryatides vier grosse weibliche Karyatiden zu
den Seiten eines Kamins, von Jean Goujon (gest. 1572). Diese Figuren
sind namhafte Belege der französischen Sculptur des IBten Jahrhunderts,
enthalten aber eben nur eine manierirte Ausgestaltung des Renaissancestyles.
Im sogenannten Musde de Renaissance: —die sehr lang gereckte'
liegende Statue der Diana (von Poitiers) von Goujon. — Von Germain
516 Reisenotizen vom Jalir 1845.
Pilon (gest. 1590) die berühmten drei Grazien vom Grabmale König
Heinrichs II. Ganz elegant, das Knittrige in der Gewandung nicht übel
behandelt. — Von Pierre Pujet (gest. 1694) der berühmte Milo von
Croton, der, wehrlos, von einem Löwen zerrissen wird, — eine künstle-
rische Aufgabe, die, eben schon als solche, nicht zuviel Geist verräth. —
Hier auch von Michelangelo Bupnarotti die beiden Statuen gefesselter
Männer, welche ursprünglich für das Grabmal Papst Julius II. gearbeitet
zu sein scheinen. Der jüngere sehr schön und grossartig, der ältere in
widerwärtiger Stellung, sehr verhauen und desshalb wohl unfertig.
Höchst interessant ausserdem die vollständigen Gypsabgüsse der beiden
grossen Grabmonumente der Kathedrale von Granada. Dem Charakter
nach möchte ich sie mit der deutsch-rheinischen Renaissance vergleichen.
Der eigentliche Kunstwerth ist aber nicht sehr hoch. Das Ornamentistische
ist besonders an dem einen Sarkophage sehr schön. Die Portraitfiguren
sind in einfach strenger Naturwahrheit gehalten; die figürlichen Compo-
sitionen ohne tiefere Bedeutung und ohne besondern Styl. Doch haben
die auf den Ecken frei herausgearbeiteten Figuren in der Anordnung etwas
Grossartiges.
Die Stadt überall an „Stanislas le Bienfaisant" erinnernd, — Stan.
Leszczynski, den weiland Polenkönig, der als Schwiegervater König Lud-
wig's XV. und Herzog von Lothringen hier in seinen späteren Jahren be-
hagliche Ruhe fand. Die Stadt gehört fast ganz seiner Regierungszeit,
d. h. der Mitte des vorigen Jahrhunderts an und hat die frappanteste
Aehnlichkeit u. A. mit Potsdam. Nur am Palast der alten Herzoge von
I^thringen sind noch einige interessante Reste von spätest mittelalterlichen
Architekturformen, in denen sich ein schon halb antikisirend gebildetes
Gothisch mit wirklicher Renaissance mischt. Namentlich gehört dahin
jenes prächtige Portal, welches Chapuy bekannt gemacht hat.
Im Museum nichts besonders Erhebliches. Einige gute Landschaften
holländischer Schule. Ein dem Perugino zugeschriebenes Bild, eine Ma-
donna und zwei Engel, das neugeborne Christkind anbetend; jedenfalls,
w-enn in der That von ihm, aus seiner späteren schwächeren und mehr
manierirten Zeit.
Der Münster. — Der innere Eindruck des Schiffes im Allgemeinen
gross, würdig und frei. Das Triforium, in der Verbindung mit der
Fenster-Architektur, von guter Wirkung. Der Einblick in den niedrigeren
spitzbogig romanischen Chor giebt dagegen ein kahles Bild; dahin würden
bedeutende Malereien auf Goldgrund u. dergl. gehören. Die Gliederung
der Schiffpfeiler ist, nach Maassgabe ihrer Grundrissdisposition, von etwas
trocken parallelistischer Wirkung, d. h. die Gurtträger wiederholen sich zu
gleichmässig, entwickeln sich nicht hinreichend nebeneinander. Im Aeus-
seren haben die Strebepfeiler zu den Seiten des Schiffes mit ihren Bal-
dachinen und Strebebögen noch den primitiven Charakter, während aller-
dings das Fensterstabwerk schon sehr entwickelt erscheint. — Die Facaden
Strassburg. 517
des Querschiffes haben das allgemeiue spätromauische Gepräge, ohne eben
etwas ausgezeichnet Besondres zur Schau zu tragen.
Der berühmte Fa^adenbau der Westseite ist ein sehr künstliches und
im Detail sehr schönes Werk; vor Allem schön das daselbst befindliche
prächtige Rosenfenster. Doch aber fehlt es an eigentlicher innerer künst-
lerischer Fülle und Kraft. Es ist namentlich keine innere Nothwendigkeit
für alle die filigranartigen Vorsatzstücke da, ja ihre zierliche Feinheit
steht sogar in Widerspruch gegen den massigen Kern des Baues. Jene
Weise freistehender Detail-Architektur ist eigentlich nur da begründet, wo
die Fülle (die Tiefe) der Masse eine Doppelbildung, an der äusseren und
an der inneren Seite, nöthig macht, wie z. B. an den Fensteröffnungen etc.
der Kölner Domfa^ade; hier dagegen ist ein solches Motiv nicht vorhan-
den. vielmehr das Dekorative meist nur vorgesetzt und zwischen die Stre-
ben eingespannt. Auch die architektonische ßeliefdekoration, z. B. an den
Streben, ist zu spielend und wächst keinesweges genügend aus der Masse
heraus, wie dies wiederum besonders an der Kölner Fagade so vorzüglich
schön ist. Die Spitze des Münsterthurmes, so reich sie ist, hat gar wenig
von eigentlicher Schönheit. Doch ist freilich das vielgestaltige Ganze sehr
imposant.
Die Glasmalereien, mit denen das ganze Schiff des Münsters (den
grösseren Theil des Triforiums ausgenommen) ausgefüllt ist, sind ganz
ohne künstlerischen Werth. Es ist in diesen Gestalten weder etwas Gross-
artiges von Zeichnung, noch irgend eine Art malerischen Sinnes; es ist
ein willkürliches Zusammenheften der verschiedenartigsten, meist auch an
sich gar nicht wirksamen und nicht schönen Farben. Sie gehören etwa
dem l'lten Jahrhundert und vielleicht noch früherer Zeit an.
Die Mittelsäule im südlichen Querschiffflügel, der sog. Erwinspfeiler,
von schon germanisirender Behandlung. Die daran befindlichen Engelge-
stalten und andre Statuen sind mit der Säule gleichzeitig; ihr Styl ist ein
noch byzantinisirendes Germanisch; sie verrathen noch keinen Sinn für
körperliche Entwickelung, sind aber, wie durch feine Anordnung im Ge-
fälle, so mehr oder weniger durch eine ornamentistisch gute Wirkung aus-
gezeichnet. Sonst noch ähnliche Sculpturen im Innern des Münsters.
Die Sculpturen am'Südlichen Querschiffportal sind sehr merkwürdig.
Die Statuen, besonders die Figuren des alten und des neuen Testaments,
frühgermanisch, noch ohne Naturfülle, aber mit naivem Gefühl, fein in
Bewegung und Durchbildung des Gefältes. Die Consolen, auf denen sie
stehen, scheinen alt, die eine mit den Figuren zweier Kinder hierin sogar
von lebendigst frappanter Naturwahrheit (so dass hienach die Ursprüng-
lichkeit der Arbeit doch fast zu bezweifeln). Die Reliefs in den Lünetten
beider Thüren dieses Portals sollen einer modernen Restauration angehö-
ren; auf mich machten sie einen Eindruck, der dem der übrigen alten
Sculpturen völlig analog war. Links ist der Tod, rechts die Krönung der
Maria dargestellt. Die letztere Darstellung ist mehr typisch gehalten; die
erstere zeigt ein feines Gefühl, in derselben Weise wie die Statuen, nur
klassischer, zum Theil an die spätere Zeit des Nicola Pisano erinnernd.
Die Magdalena namentlich, die hier vorn vor dem Bette der Maria kniet,
hat feinen Kopf von wahrhaft klassischer Schönheit und Feinheit. — Die
Statuen an den Portalen der Westseite, die klugen und thörichten Jung-
frauen u. dergl. tragen im Allgemeinen das Gepräge eines ähnlichen Styles.
518 Reisenotizen vom Jalir 1845.
Der Münster. Sehr räthselhaftes Gebäude. Schwierig ist insbesondre
das Verhältniss der Krypta zum Chor zu erklären; die erstere hat den voll-
ständigen Chor-Umgang und zwischen diesem und dem Mittelraum breite Pfei-
ler, mit Halbsäulen an ihren inneren Seiten. Im Allgemeinen zeigen die alten
Bautheile eine ziemlich barbarische Behandlung romanischer Architektur-
formen, zugleich aber einzelne sehr elegante Details, wie nur in der letz-
ten Entwickelungsperiode des romanischen Styles, und ein Princip der
Bogengliederung, das durchaus nur hieher gehört. Der alte Bau fällt also
gewiss erst in die Uebergangsperiode, wenn auch frühere Stücke dabei mit
benutzt sein sollten. Dann der später gothische Ueberbau.
In der Krypta ein sehr merkwürdiges Stein-Relief, sechs Apostel zwi-
schen Arkaden, mit auffallend antikem Sinne behandelt, in der Gewandung
meist grossartig schön, die Füsse mit feinem Verständniss gearbeitet, die
Köpfe roh, doch in entschieden antiker Fassung, die Körperverhältnisse
meist zu gestreckt. Die Säulen der Arkade haben ein roh korinthisches
Kapital mit darauf liegendem niedrigem Gebälkstück; die Bögen haben
völlig noch die antike Architrav-Einfassung. Die ganze Arbeit gemahnte
mich mehr an frühchristliche Zeit, als an die späteren Entwickelungen
der Sculptur im 12ten oder 13ten Jahrhundert. —
Gemäldesammlung der Bibliothek, mit den reichen Kunst-
schätzen von Kolbe in's Hand.
Zwei grosse Passionsbilder von H. Holbein d. ä., mir mehr als zwei-
felhaft. Verwandtschaft mit H. Scheuffelin, wenn auch noch etwas streng
und gelegentlich ein alterthümliches Motiv. Ein ähnliches Bild, angeblich
von H. Holbein d. j., mir ebenso zweifelhaft; mehr entwickelt und freier
iij der Richtung des H. Scheuffelin.
Sichere Bilder aus der früheren Zeit H. Holbein's d. j.: — Zwei
Schreiber-Aushängeschilder (eigentlich die beiden Seiten ursprünglich eines
Schildes), eine Schreibstube und eine Art Schulstube darstellend; der Auf-
gabe entsprechend mit leichtsinniger Flüchtigkeit gemacht. — Köpfe von
Adam und Eva (ein Bild), in seiner Richtung, doch noch nicht recht ent-
wickelt. — Liegender Christusleichnam (1521), naturalistisch in der Rich-
tung der Zeit; ungeheure Gewalt der Naturbeobachtung; ohne Zweifel nach
einem Gekreuzigten gemalt und dabei freilich mehr auf die Richtigkeit des
Einzelnen, als auf Totalwirkung hingearbeitet. — Das Portrait von Boni-
facius Amerbach, leicht,' dürerartig, mit bräunlich lasirtem Schatten und.
ganz wundervoll in der Auffassung; neben dem Holzschuher von Dürer
vielleicht das schönste Portrait im exclusiv deutschen Charakter. — Por-
trait des Erasmus, im Profil; geistreich, aber mehr monoton. Kleines
Medaillon-Portrait desselben, zu Dreivierteln von vorn, höchst trefflich. —
Bürgermeister Meyer und Frau, ebenfalls schöne Bilder, etwa schon in der
Weise des Amerbach'schen Portraits, doch nicht so geistvoll. (Die Origi-
nalität einer vorhandenen Wiederholung ist zu bezweifeln. Ein Portrait
des Buchdrucker Froben, nicht dokumentirt und durchaus wie von einem
Maler der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, der sich etwa nach Hol-
beiii gebildet, viel mehr in dem Impasto dieser späteren Zeit.)
Venus und Amor (1526) und Lais Corinthiaca, mittelkleine Brustbil-
der; jenes weniger zusammen und dfis Gesicht der Venus mit auffallend
leonardesken Zügen, dieses freier und im Ganzen von grösserer Haltung.
p
W"'
Basel. 519
Ganz neue Richtung. Volle durchgebildete Modellirung, etwas graulich
kühl in der Caraation, die Gewänder in schönen vollen Farben (roth und
gelb), Teppichgrund in vollem grünem Tone, äusserst zart modellirte Hände.
Ganz entschieden unter Einfluss und ebenso in selbständiger Verarbei-
tung des Charakters der mailändischen Schule des Leonardo; vielleicht auf
einen Besuch dorthin deutend. — Hieran etwa das Abendmahl anzuschlies-
sen, ein nicht ganz kleines Bild mit ebenfalls noch entschieden mailändi-
schen Einflüssen , doch freier naturalistisch und nicht besonders geistreich.
Dann die berühmte, aus acht kleinen Gemälden bestehende Darstel-
lung der Passion Christi. Die hierin sich kundgebende künstlerische Rich-
tung tritt im Vergleich mit den in der Sammlung befindlichen flüchtigen
Tuschzeichnungen der Passion, welche jedoch nicht genau dieselben Gegen-
stände enthalten und geistreich in kräftig naturalistischer Weise behandelt
sind, doppelt auffällig hervor. Die Oelgemälde sind ungleich befangener,
bewusster und conventioneller. Höchst feine, elegante Ausführung; wie-
derum direkt mailändische Motive, zugleich aber auch römische, die indess
schon nach mailändischer Art modificirt erscheinen; Letzteres etwa als eine
Vermittelung durch Gaudenzio Ferrari zu fassen. Das Ganze trägt den
Charakter angestrengtesten Studiums, wodurch sich allenfalls das sehr
Abweichende von sonstiger Holbeinischer Weise erklären liesse. Augen-
fälliges Bestreben, das Durchgebildetste zu geben, und hierin den beiden
Brustbildern der Venus und der Lais nahestehend (ob auch früher), — ein
Bestreben, das in einzelnen Figuren allerdings zu eigenthümlicher Gross-
artigkeit, im Ganzen aber eben zur Manier führt, und dies um so mehr,
als der Gegenstand überliaupt mit Holbein's Richtung nicht durchaus im
Einklänge. Das Werk eins der wichtigsten früheren Beispiele der manie-
ristischen Auffassung und Wiedergabe italienischer Elemente.
Späteres, aus Holbeins vollentwickelter Zeit, im entschiedensten Gegen-
satze gegen eine solche Durchgangsperiode. Höchst bedeutend sein Fami-
lienportrait, seine Frau und seine beiden Kinder darstellend, zu einem
vollen, grossen und breiten Vortrage ausgebildet, mit ausserordentlichster
Kraft der Natur und grossartig naiver Charakteristik, besonders in Betrelf
des Gedrückten, Leidenden in diesen drei Köpfen.
Späte kleine Copien seiner Wandgemälde im Baseler Rathhause und
einzelne Originalfragmente, namentlich eine Gruppe von drei Köpfen.
Höchst energische und doch gehaltene Charakteristik. Man sieht, dass hier,
in dem eigentlich Historischen, Holbeins eigenthümliches Element war,
dass er hier erreichte, was ihm bei kirchlichen Bildern ohne Zweifel ferner
lag, und dass er, bei vermehrten und würdigen Aufgaben solcher Art, sich
zur unbedingt höchsten Stufe der Kunst emporgeschwungen hätte. Ks ist
fast, als sei in ihm etwas von Verzettelung seines Talents, etwas von mora-
lischer Schuld, das ihn früher nicht ganz auf den richtigen Weg kommen
und später ihn die Hofmalerei in der Fremde als Rettung aus Noth und
Drangsal wählen liess. Raphael erwarb sich seinen Beruf; es ist nicht
ausschlieslich nur das Glück, das ihn auf seine Höhe geführt,
Holbeins eignes Portrait in farbigen Stiften, wundervoll einfach und
lebendig. Leichte Portraitskizzen, ebenfalls Zeichnungen, zu dem grossen
Bilde des Bürgermeisters Meyer, noch feiner und schärfer-charakteristisch
als in den beiden Gemälden zu Dresden und zu Berlin. So aucl» andere
treffliche Portraitzeichnungen. Grosse Anzahl von Tuschzeichnungen, Hei-
lige u. dergl., meist wohl Cartons zu Glasmalereien, mehr oder weniger
520 Keiseiiotizen vom Jahi' 1845.
mmm
energische Gestalten, etwa denen der venetianischeu Schule vergleichbar.
Hierunter auch die Suite weiblicher Kostüme, die aber aus untergeschobe-
nen Copien bestehen soll (eine Annahme, welche mir sehr richtig scheint),
während die Originale angeblich nach Petersburg gekommen. Zeichnungen
zu den Thüren der Münster-Orgel, Heilige und Engel, sowie die letzteren
selbst, gross und monochrom ausgeführt; hier die Engelknaben vortreiFlich.
Endlich noch alte Copien nach Gemälden Holbeins; namentlich ein Crucifix
mit Maria und Johannes, grossartig in seiner naturalistischen Weise.
Ausserdem Gemälde von verschiedenen andern Meistern; besonders
merkwürdig die von Nikolaus Manuel. Dies ist ein geistvoller Phantast,
meist kühn skizzirend, poetisch etwa wie Cranach, doch grösseren Sinnes;
weniger ist er ein eigentlich vollendender Meister. Das kleine Bild der
Herodias ist allerdings in miniaturartiger Feinheit gemalt, in Gestalten und
landschaftlichen Lichtern von phantastischer Eleganz, etwa wie Altdorfer,
doch ohne alle malerische Wirkung. Zwei Monochrome, braun in braun;
auf der Rückseite des einen das mächtig kühn obscöne Bild mit dem Tode.
Die grosseii Gouachen auf Leinwand — Pyramus und Thisbe, Urtheil des
Paris, und ein kirchlich religiöses Bild — minder bedeutend, geistreich
eigentlich nur das letztere. (Zum Ankauf war angeboten eine auf beiden
Seiten bemalte Tafel, Wohnstube der Maria oder Anna und Lukas, die
Maria malend; auch dies im Ganzen nur leicht mit Farben hingelegt.)
Von Hans Baidung Grien zwei äusserst feine und elegante Kabi-
netsstückchen, nackte weibliche Gestalten, die eine mit dem Tode, der sie
küsst; vortrefflich in der Zeichnung, in der Farbe aber äussert kühl; die
weibliche Carnation in sehr lichtem Grau.
Sehr ausgezeichnet das Portrait des Wiedertäufers Joris, fast wie ein
lichter Venetianer; ungefähr in der Mitte stehend zwischen Holbein und
A^ Moro, könnte möglicher Weise dies Bild von dem (mir unbekannten)
Joas von Cleve gemalt sein. — Noch vieles andre Schätzbare. Ein
kleines überaus reizendes Bild, eine Maria mit dem Kinde (von ersterer
aber wenig mehr als nur der Kopf) halte ich für eine Arbeit Dürers,
die er in Venedig gefertigt. —
Sammlung des Herrn von Speyr. In derselben u. A. eine Kreuz-
abnahme von Holb ein mit mittelkleinen Figuren, die, trotz der sehr
starken Uebermalung, völlig sicher zu sein scheint, aber wieder auf jene
echwer auszudeutende Uebergangsepoche des Meisters zurückweist. Mit
einer freien, fast eleganten Naturalistik verbindet sich hier, besonders in
dem Kopfe der Maria, ein eigenthümliches idealistisches Element, — Ein
sehr treffliches Exemplar von Raphaels Johanna von Arragonien, am Ge-
wände fast venetianisch, das Nackte leider stark und in kalter Stimmung
übermalt.
Der Münster. Meine früher entwickelten Ansichten über seine Archi-
tektur') bestätigen sich im Allgemeinen zur Genüge, nachdem ich gegen-
wärtig das Gebäude selbst zum ersten Mal gesehen; besonders in Betreff
des Innern, wo in der That die Pfeilergliederung unschön und die über-
wand des Mittelschiffs schwer jst, und ebenso auch im Aeussern, obgleich
') S. oben, S. 410. ' -
-ocr page 520-Freiburg. 521
/
ich zwischen dem Oberbau des Thurmes und den Theilen des Unterbaues
(abgesehen natürlich von den frühest gothischen Theilen des Schiffes zu-
nächst am QuerschilT) nicht ähnlich markante stylistische Verschiedenheiten
wahrgenommen habe, wie etwa zwischen dem Thurmbau des Kölner Domes
und der Anlage der übrigen Theile des letzteren. — Die äussere Perspektive
der Schiffe giebt einen malerischen Eindruck von eigenthümlicher Energie,
in fast überraschender Weise; das hier vorhandene massige Verhältniss
der Streben, Strebethürme und Strebebögen und die damit congruirende
Weise der Dekoration ist vorzüglich schön; es ist etwas Plastisches darin,
was sonst im Gothischen nicht häufig. — Was aber den durchbrochenen
Obertheil des Thurmes immerhin den schönsten der zur Ausführung
gekommenen oder erhaltenen gothischen Helme — anbetrifft, so ist mein
Gefühl im ^nschauen der Wirklichkeit der früheren, mehr poetisch ab-
Straeten Theorie doch nicht nachgekommen. Erstens decken die Einzei-
theile (der vorderen und hinteren Seiten) einander nur äusserst selten in
harmonischer Weise, geben mithin die Durchbrechungen einen, zum Theil
sehr unrhythmischen Eindruck. Zweitens aber fehlt dem Ganzen, bei aller
dichterischen Motivirung, eben doch die Festigkeit, Baulichkeit, Nothwendig-
keit. Man sieht sich unwillkürlich auf die Frage des Cui bono?, so
trivial dieselbe auch ist, zurückgeführt. Es ist iu dieser Anlage schliesslich
und im Wesentlichen doch nur das Frappante, Staunen Erregende, zum
Gefühl des Wunders Führende, wonach das Mittelalter so gern strebt.
Doch bleibt das Verhältniss des Thurmes bei alledem sehr schön, ob auch
mehr nur auf die Nähe und Tiefe berechnet. Von den Bergen gesehen
wird er etwas zu schlank.
Glasmalereien, besonders in den Fenstern der Seitenschiffe, ziemlich
durchgehend aus dem 14ten, einiges Wenige auch vielleicht schon aus
dem 15ten Jahrhundert. Einige grössere Heiligenfiguren haben die schlich-
teste Durchführung jener, auf die starken Conture berechneten Darstellungs-
weise (ähnlich den einfacheren Büchermalereien der Zeit) und bringen
dabei, in Farben und Linien, eine trefflich ornamentistische Wirkung hervor.
Im Chorumgange spätere, in den Farben zum Theil sehr verdorbene Glas-
malereien, (Hier sollen auch, wie mir später gesagt wurde, Grisaillen vor-
handen sein, die man dem N. Manuel zuschreibt.)
Grosses Altarwerk von Hans Baidung Grien, über dem Hochaltar.
Bei geschlossenen Flügeln die vier Gemälde: 1) der Verkündigung, 2) der
Heimsuchung, 3) der Geburt Christi (wobei der Lichteffekt von dem hell-
gelblichen Christkinde ausgeht), 4) die Flucht nach Aegypten. Nachdem
die mittlem, allein beweglichen Flügel umgeschlagen: in der Mitte die
Krönung der Maria mit vielen Engelchen und auf den Flügeln die Apostel
(unter diesen die schönsten-Köpfe). Predella mit einem vortrefflichen Flach-
relief, die Anbetung der Könige darstellend. Oberwärts ein neuer Taber-
nackelaufbau, in welchem drei gute Heiligenstatuen der Zeit befindlich.
— Rückseite: eine figurenreiche Kreuzigung, auf welcher u. A. Hans Bai-
dungs Portrait. Auf den Flügeln je zwei Heilige. Predella mit den Dona-
toren vor der Madonna. Monogramm und Jahreszahl 1516. — Das Werk
ist eben einfach in der Art des Meisters, im Allgemeinen von grossartiger
Anlage, mit lebendiger Charakteristik in den Köpfen und nicht sehr viel
Geist, weder im Einzelnen noch im Ganzen. Die Färbung hat durchaus
eine blasse, zum Weisslichen sich neigende Stimmung.
522 Rflisenotizen vom Jahr 1845,
Ein Paar Altäre mit Gemälden von Schülern Hans Baldung's.
Höchst interessant ein Altar von H. Holbein d. j. Zwei Flügelbil-
der, jedes oben viertelrund abschliessend, zu einem Mittelbilde zusam-
mengestellt und mit andern, nicht dazu gehörigen Flügeln versehen. Links
die Geburt Christi, rechts die Anbetung der Könige; unten die Donatoren-
familie. Beide Bilder mit reichen Architekturen. Auf dem ersteren geht
das Licht von dem Kinde aus-, ein Hirt und viele Engelchen beleben die
Scene. Auch hier liegt die naturalistische Richtung zu Grunde; im Ein-
zelnen, z. B. im Kopfe des Hirten, tritt sie derb hervor; aber sie ist zu-
gleich sehr glücklich gesteigert und in einigen Engelsköpfchen und dem
von unten beleuchteten Gesicht der Maria auf dem ersten Bilde zur an-
muthigsten Schönheit entfaltet. In den zarteren Gestalten zeigt sich der
feinste, auf das Liebenswürdigste durchgebildete Formensinn; die Hände
besonders sind ungemein schön. Die Malerei ist voll und schon pastos,
obgleich das Einzelne immer noch so zart wie entschieden bezeichnet.
Durchgehend erscheinen schlicht bräunliche Schattentöne. Die Arbeit dürfte
nach der mailändisch italienisirenden Epoche fallen, die glücklichste Durch-
gangsepoche des Meisters bezeichnen und vielleicht das gediegenste Werk
der Art ausmachen. Es ist völlig intact und in leidlichem Zustande. —
Gemäldesammlung des Domherrn von Hirscher Eine
Anzahl von Gemälden, dem jüngeren H. Holbein zugeschrieben, was mir
nicht sonderlich begründet schien. Zunächst und insbesondere zwei Ge-
mälde, deren jedes, vermittelst einer in Rococo - Manier dazwischen ge-
malten Säule, aus zwei länglich hohen Bildern zusammengesetzt ist: Scenen
aus der Geschichte der Maria und im Hintergrunde bei jeder eine alt-
testamentarische Scene, die zur Hauptdarstellung in symbolischem Bezüge
steht. Die Bilder sind allerdings künstlerisch bedeutend und sehr merk-
würdig in der Behandlung; es ist einerseits viel flandrisches Element darin,
sowohl in der Farbe, als besonders in der Darstellungsweise, da, wo Suiten
männlicher Köpfe (wie auf den Flügelbildern des Genter Altarwerkes, im
Museum von Berlin,) zusammengestellt sind; einzelne Figuren sind auch
ganz in flandrischer Art gemalt; andrerseits aber zeigt sich, in der Ge-
wandung, In den Köpfen, der Kopfbildung, dem Kopfputz der Frauen,
entschieden der Charakter der oberdeutschen Schule, in der Art und Zeit
des Hans Baidung. — Eine Suite andrer, dem Holbein zugeschriebener
Gemälde, mit der Darstellung einzelner Heiligenfiguren, verbindet mit dem
flandrischen Wesen, das sich in der Farbe der Gewänder, in der Gestal-
tung u. s. w. ausspricht, ein gewisses niederrheinisches Element, manchen
Leistungen der Kölner Schule zu Ende des löten Jahrhunderts analog und
z. B. an den sogenannten Israel von Meckenen erinnernd, obgleich nicht
gerade in dessen Weise. Das körperliche Gefühl in diesen Figuren ist
nicht sonderlich fein, die Hände z. B. sind nicht schön und ohne eine
Ahnung der edeln Handbildungen in den ebenbesprochenen beiden Mün-
sterbildern von H. Holbein; doch haben die Gestalten eine gewisse ideale
Grösse und einen lebhaft gemüthlichen Ausdruck.
Von Barth. Zeitbioom ist hier ein Kopf der h. Anna, Fragment
eines grösseren Bildes, von sehr schöner Form, reizend warmer Färbung
und innig geistigem Ausdrucke, charakteristisch auch durch das, diesem
Künstler eigenthümliche Auseinandergehen der Augen. — Ebenfalls von ihm
Nachmals zum grössten Theil in das Berliner Museum übergegangen.
-ocr page 522-Freiburg. München. 523
ein grösseres Bild: Zwei Engel, Halbflguren, die das Schweisstucli mit dem
Haupte des Erlösers halten. Auch dies Bild in der vollen Tiefe des Aus-
druckes. Das Christushaupt, warm dunkelbräunlich und weich gemall, in
würdig schönem Ernste, die Engel naiv, aber innerlich bewegt. Die Ge-
staltung der Engel übrigens (wie gewöhnlich bei Zeitbloom) nicht ausge-
zeichnet; die Gewandfarbe licht.
Ein Bild mit dem Marterthum der heil. Katharina (?), dem Martiu
Schaffner zugeschrieben, erschien mir nicht hinreichend sicher, jeden-
falls kein bedeutender Beleg seiner Richtung. — Ein andres Gemälde dieses
Meisters, mit sechs sitzenden weiblichen Heiligen, zeichnet sich durch sehr
anmutfiige Naivetät und im Einzelnen durch schöne Motive, wenn auch
nicht durch tiefere Bedeutung, aus. Namentlich hat die eine höher sitzende
Heilige in Büste und Kopf ein graziöses, an Raphaels florentinische Epoche
erinnerndes Element. Die Carnation ist zart und heiter.
Vieles andre Oberdeutsche, was nicht persönlich zu bezeichnen. Auch
noch Niederrheinisches (Einiges gewiss aus Calcar) und Flandrisches. Dar-
unter die Halbfigur einer weiblichen Heiligen mit Landschaft, klein und
miniaturartig fein, dem Hemling zugeschrieben, wohl eher ein vorzüglich
schönes Bild von Hugo van der Goes. — Ein Eccehomokopf von Quin-
tins Messys, gewiss in seiner Art, — Ein kleines Bildchen der h. Doro-
thea und des h. Norbert, vor dem ein Karthäuserabt kniet (wohl der Flügel
eines Reisealtärchens), dem von Boisserde sogenannten Schoreel zuge-
schrieben und jedenfalls der Weise dieses Künstlers nahestehend.
Von Zöglingen der fränkischen Schule: eine schöne Kreuzigung von
Scheuffelin, klein, aber ein Hauptbild. ~ Mehrere mittelkleine Tafeln von
Beham, mit einer gewissen eleganten Grossartigkeit in Gestalten und Fal-
ten, ebenso eleganter Färbung und nicht sehr ausgezeichneter Charakteristik.
Von Matthäus Grunewald endlich zwei Bilder mit den Halbflguren
des Petrus und Paulus. Dürer'sche Manier, etwas ins Naturalistische ge-
zogen; saftige Farbe.
Der Gemäldesammlung der Pinakothek, vor deren Werken ich
früher schon manches Mal dem Wesen der alten Meister gelauscht, konnte
ich diesmal, durch Andres überwiegend in Anspruch genommen, nur
flüchtige Augenblicke schenken. Ein Paar kurze Notizen gehören diesem
Besuch an.
Raphaels heilige Familie aus dem Hause Ganigiani (I, No. 538), be-
kanntlich ein Hauptbild seiner florentinischen Epoche, berührte mich in
dem darin anklingenden manieristischen Element etwas schärfer als früher. —
In seiner, derselben Epoche angehörigen, doch etwas jüngeren Madonna aus
dem Hause Tempi (H, No. 603) fiel mir das sehr entschieden florentinische
Element, bei etwas kühler Stimmung, auf. — Das hier befindliche Exemplar
seiner Madonna della Tenda (I, No. 588J sprach mich durch die grosse,
volle, energische Behandlung an und erschien mir später als die Madonna
della Sedia, — falls überhaupt dies Exemplar, was wohl nicht ganz sicher, *
von seiner Hand herrührt. — Das so schöne, doch etwas kalte Bildniss
des Bindo Altoviti (1, No. 585) bezeichnet der Katalog noch immer, so
vollständig auch schon die Acten über diese Streitfrage abgeschlossen
sind, als Raphaels eignes Portrait. — In Betreff seiner hier vorhandenen
524 Reisenotizeu vom Jabr 1845.
sicheren oder angeblichen Jugendbilder erlaubte ich mir bei dem mehr-
fach besprochenen, al fresco auf einen Ziegel gemalten jugendlichen Kopfe
(II, No. 538), den der Katalog als ein Brustbild des Apostels Johannes
bezeichnet, die Bemerkung, dass derselbe füglich aus der Kunstgeschichte
zu löschen sei. Es ist eben ein durchaus schwacher Versuch; auch scheint
der Kopfcontur sehr gelitten zu haben. — Von den andern, noch peru-
ginesken Bildern sind acht die beiden Predellenstücke: eine Taufe Christi (II,
No. 571) und der auferstandene Erlöser (II, No. 583), von denen besonders
dies letztere in anziehender Jugendlichkeit erscheint Drei ebenfalls klei-
nere Bilder, deren Authenticität der Katalog nicht bezweifelt (II, No. 576,
577, 578) habe ich mir einfach mit zwei bis drei Fragezeichen zu beglei-
ten erlaubt.
Den Namen des Leonardo da Vinci führt im Katalog (I, No. 550)
u. A. eine h. Cäcilia, die nichts ist, als eine schlecht leonardeske Johanna
von Arragonien, nach Raphaels Bilde, die aber aufs Neue die verbreitete
Liebhaberei der Zeitgenossen für das letztere bestätigt.
Von Correggio das grosse Bild der Madonna mit dem h. Jacobus
und Hieronymus und dem Donator (I, No. 582), ein "Werk grossen Ernstes
und von verhältnissmässiger Strenge, so dass es noch als der früheren Zeit
des Meisters angehörig betrachtet werden muss (denn ich halte dasselbe in
der That, trotz dagegen erhobener Bedenken, für ein authentisches Werk
seiner Hand). Die Madonna in überaus reiner Anmuth, wie das Schönste
aus den Darstellungsweisen Correggio's und Raphaels zusammengenommen.
Leider hängt das Bild übermässig hoch.
Die Kölnische Schule des 14ten Jahrhunderts, so frei sie von
allen überkommenen Byzantinismen ist, bezeichnet der Katalog der Pina-
kothek standhaft noch immer als „byzantinisch-niederrheinische Schule"
und den Dombildmeister, den wir jetzt Stephan nennen, mit dem Namen
des unbedenklich älteren Meister Wilhelm. Der anderweit üblichen An-
uahme gemäss bin auch ich geneigt, das bekannte schöne Bild der h. Ve-
ronika mit dem Schweisstuche, auf welchem der Kopf des Erlösers (II,
No. 13), den Arbeiten des eigentlichen Meister Wilhelm zuzuzählen. —
Dagegen bezweifle ich, dass hier Etwas von dem Meister Stephan vor-
handen. Zu den Tafeln des grossen, ehemals in Heisterbach befindlichen
Altarwerkes, welches anderweit als eine Jugendarbeit Stephans bezeichnet
ist, gehören ohne Zweifel, als innere Bilder, die vier Gemälde der Ver-
kündigung, der Heimsuchung, der Geburt Christi und der Anbetung der
Könige (II, No. 3, 6, 7, 8); sie lassen allerdings (wie die entsprechenden,
im Kölner Museum befindlichen Gemälde')) einen, vortrefflichen Nachfolger
Wilhelms erkennen. Als Aussenbilder gehören zu demselben Altarwerke
die grossen Tafeln mit je drei Aposteln und einerseits mit dem h. Bene-
dict, andrerseits mit dem h. Bernhard, deren Figuren einzeln unter ver-
goldeten Tabernakeln stehen (II, No. 1 und 2). Schön in der Gewandung,
haben sie doch etwas Flaues in den Köpfen und entschieden schwere,
selbst unschöne Formen, besonders in der Bildung der Nasen, Mängel, die
den, in jenen Kölner Bildern bemerkten Missständen durchaus zur Seite
stehen. — Die zumeist dem Stephan (und zwar seiner spätesten Zeit)
zugeschriebenen Bilder mit je drei Heiligen: Antonius der Einsiedler, Papst
Cornelius und Magdalena, — Katharina, Hubertus und Quirinus (II, No. 10
') S. oben, S. 293.
,1
-ocr page 524-und 143 stehen in dev That der Art und Weise dieses Meisters nah. Sie
sind aber die äusseren Flügelseiten des im Kölner Museum beflndlichen
jüngsten Gerichtes, dessen innere Flügelseiten durch die im Städel'schen
Institut zu Franlcfurt a. M. beflndlichen, in einzelnen Tafeln zertheilten
kleinen Apostel - Martyrien gebildet wurden'), — Arbeiten, die ich aus
entscheidenden und früher entwickelten Gründen dem Stephan absprechen
muss. - Noch sind als Arbeit eines Nachfolgers des Wilhelm drei Tafeln,
Mittelbild und Flügel (II, No. 4, 5, 9) hervorzuheben, auf denen Christus
am Kreuze, Maria und die zwölf Apostel dargestellt sind. Auch diese hat
man gelegentlich als eine Jugendarbeit des Stephan bezeichnet, doch ste-
hen sie selbst jenen Tafeln des ehemaligen Heisterbacher Hochaltares an
feinem Gefühl nach.
Unter den zahlreichen Bildern des sogenannten Israel von Mec-
ken en (der im Katalog noch immer diesen willkürlichen Namen führt) oder
des sogenannten Meisters der Lyversberg'schen Passion sind hier, wie
unter den Gemälden derselben Gattung am Niederrhein, bei allgemeiner
Verwandtschaft, manche innere Unterschiede wahrzunehmen, die auch hier
noch eine gründliche Scheidung und Sichtung wünschenswert!! machen.
— Jener, mit noch grösserer Willkür als Lucas von Leyden benannte
kölnische Meister führt hier ebenfalls, bei seinen interessanten zusammen-
gehörigen drei Tafeln (II, Nr. 38—40) mit sieben Heiligen, in deren Mitte
der heil. Bartholomäus steht, noch immer diesen Namen.
Von Dürer sind hier u. A. die bekannten Flügelbilder vom Jahr 1523
mit dem heil. Joachim und Joseph auf der einen, dem heil. Simeon und
Lazarus, dem Bischof auf der andern Tafel (II, Nr. 123, 127). Die kräftig
leuchtende Färbung sprach mich lebhaft an. Die Bemerkung des Kata-
logs, dass sie unter Einfluss der niederrheinischen Schule gemalt seien,
scheint mir etwas unbillig. — Die Bilder Altdorfers blieben gegen das
Interesse, das sie mir früher eingeflösst, ein wenig im Rückstände. Die
Susanna vom Jahr 1526 (II, Nr. 138) erschien mir sehr bunt, das grosse
Bild der Alexanderschlacht vom Jahr 1529 (II, Nr. 169), ein Miniaturwerk
fast kolossalen Maassstabes, wollte mich fast zu kindlich bedünken. — Dass
die sehr merkwürdigen und anmuthigen Bilder der heil. Barbara und der
heil. Elisabeth (I, Nr. 40 und 46) von II. Holbein dem älteren, wie der
Katalog angiebt, herrühren, wird von E. Förster in seinem Handbuch
„München'' bezweifelt, wie es scheint nicht ohne guten Grund; ich kann
aber auch nicht beistimmen, dass es, wie Förster will, Arbeiten des jüngeren
H. Holbein seien.
Nachträglich.
Ich erlaube mir, hier eine Beobachtung einzuschalten, die ich zwei
Jahre später machte. Zur Herstellung meiner Gesundheit hatte ich eine
Fusswanderung durch Deutschland unternommen.. Ich hatte es dabei für
entschieden nöthig befunden, allem etwaigen Anreiz wissenschaftlicher
Studien zu entsagen und mich statt dessen ausschliesslich nur der Natur
und dem völlig unbefangenen gesellschaftlichen Verkehr, wo mir dieser
entgegentreten mochte, hinzugeben; ich wusste dies auch so treulich zu
halten, dass ich von der Reise leider auch nicht das flüchtigste Notiablätt-
chen, obgleich ich an manchen denkwürdigen Monumenten vorübergegangen
') S. oben, S. 298 und S. 350.
)
f
526 Reisenotizen vom Jalir 1845.
war, mit heimbrachte. Ein Zufall lenkte raeinen fast ziellosen Pfad über
München. Ich schweifte mit meinem "Wandergenossen durch die Stadt um-
g her, die Dinge behaglich anschauend wie andre Menschenkinder, ohne
Kritik, ohne Studium, ohne irgend Andres zu suchen oder zu wollen, als
jene erfrischende Anregung des Gefühles, die überhaupt das Endziel der
Reise war. So träumte ich auch durch die Säle der Pinakothek hin. Doch
muss ich hier zugleich noch Eins bemerken. Ich liebe es, wenn ich eine
mir fremde Kunstsammlung, und besonders wenn ich etwa eine Ausstellung
neuer Kunstsachen besuche, vorerst hin und her durch die Räume zu wan-
deln, ohne sofort Einzelnes bestimmt in's Auge zu fassen; ich warte gern
ab, dass diejenigen Werke, die eine volle, gesammelte Existenz haben, sich
selbst bei mir ankündigen; ich habe von solchem Verhalten in der Regel
auch den besten Nutzen gehabt; — gerade die festen, wahrhaft lebendigen
Werke rufen dabei das auf Nichts bestimmt gerichtete Auge zur gründ-
lichen Schau auf, während die Werke des Scheines nur einen flirrenden,
unsteten Eindruck machen, die matten aber, wie billig, im Nebel bleiben.
Ich ging also durch die Pinakothek, weder nach Kunstgenuss verlangend,
noch kunsthistorische Forschung beabsichtigend, ganz wie ein englischer
Tourist, der reist, um eben zu reisen. Wohl aber fühlte ich bald, wie
; hier und dort jene Wirkung auf mein Auge sich geltend machte, — bei
einem Bilde jedoch stärker, als bei allen übrigen, und auf's Neue, so oft
ich vorüberschritt, und immer mächtiger, dass mir zuletzt doch nichts übrig
blieb, als dieser mahnenden Aufforderung mich hinzugeben. Es war das
Bild von Rubens, welches den Simson darstellt, wie er, von der Delila
berückt, durch die Philister gefesselt wird. Welch eine innerliche Lebens-
fülle trat mir nun in diesem Bilde entgegen! welch eine geniale Bewälti-
gung des geschichtlichen Momentes! welch ein freudiger künstlerischer
Adel, der dies, überall bis zur höchsten Kraftäusserung gesteigerte Dasein
dennoch in den Gesetzen des reinsten Wohllautes sich bewegen liess! Was
I die Pinakothek sonst an Niederländern, was sie an Italienern und Deut-
schen enthielt, was in ihrer Loggia an modernen Freskobildern prangte,
blieb stumm vor diesem Eindruck. Mir war ähnlich zu Muthe, wie vor
Jahren, als ich nach langer Pause den Shakspeare wieder zur Hand nahm
und mir zum ersten Male, so sehr ich mich früherhin an den Einzelheiten
seines Machwerkes erbaut hatte, die unvergleichliche Meisterschaft dieses
Grössten unter den Neueren aufging.
Wozu aber ich diese Beichte ablege? Nicht des Rubens wegen, der
solcher Apotheose nicht bedarf und der — im Vertrauen gesagt — darin
doch auch von Meister William wieder erheblich abweicht, dass er un-
, gleich mehr ungleichartig ist, als dieser. Auch gebe ich gern zu, dass mein
-I künstlerischer Geschmack mit den Jahren ein andrer geworden sein mochte
(y,ein freierer" werden die Einen sagen, „ein verflachter" die Andern); und
auch das mag mit in Anrechnung zu bringen sein, dass die Enthaltungs-
kur, die ich mir auf jener Reise verordnet hatte, mich zu einem doppelt
^ ungestümen Bruch des Gesetzes reizte. Bei alledem aber hat das Phänomen
doch noch eine andre Seite. Es hat mir einen Fingerzeig gegeben über
das eigentlich naive Sehen. Wjr Leute von der kunstwissenschaftlichen
Profession kommen an die Dinge mit so vielen Voraussetzungen, mit einem
so stattlichen Gerüst im Kopfe, in dessen Fächer die Dinge, auf eine oder
die andre Art, untergebracht werden mtissen, dass diese Operation des
Unterbringens und Einregistrirens die Unbefangenheit unsres Urtheiles nur
Hütt
Iii.
-ocr page 526-München. 527
allzu leicht in Frage stellt. Wir beginnen mit dem System und urtheilen
nachher. Unsre ganze Existenz ist auf das System gestellt, und allerdings
ist es gut und sehr nützlich, dass es so ist; aber das System soll doch
nur die Binde der Leukothea sein, die wir, nach der Weisung des Dichters,
wenn sie uns an das sichre Ufer getragen, der Flut wieder zurilckzugeben
haben. That ich dies vielleicht, unwillkürlich, als jenes Bild des gefes-
selten Simson mich mit so unwiderstehlicher Gewalt an sich zog? —
Doch ich fahre in meinen flüchtigen Notizen vom J. 1845 fort.
Es ist vielleicht, aus verschiedenen Gründen, nicht ganz iinzweckraässig,
wenn ich hier aus meinen Ileisenotizen vom J. 1835 (die im Wesentlichen mei-
nen grösseren kunstgeschichtlichen Werken eingearbeitet sind) noch diejenigen
Bemerkungen einschalte, die ich mir über die grosse Fülle der in der Münchener
Gallerie bertndlichen Bilder von Ruhens anzeichnete. Sie beziehen sich auf die
damalige Beschaffenheit der Gallerie und haben also auch noch die damaligen
Nummern: —
495. Schlafende Jagdnymphen, von Waldgöttern belauscht. Die Nymphen
ganz hübsch, leicht und mit Geschmack gemalt. Leichte saftige Waldoinsicht.
496. Anbetung der Hirten, Grosses, höchst uninteressantes Bild.
498. Der sterbende Seneca. Dieser selbst höchst gewaltig gemalt.
499. Michael stürzt die Dämonen in den Abgrund. Prächtige Grimmfratzen
der Teufel; sonst wüst. >
501. Grablegung. Widerwärtig.
504. Marodeurs vor einer Schenke, im Streite mit Landbewohnern. Toll und
wüst, aber ein höchst kräftiges und wahres Genrebild.'
509. Sanherib , Nachts durch den Engel in die Flucht geschlagen. Höchst
gewaltiges Efifelitbild, doch etwas verworren. (Klein.)
510. Rubeus, nebst Frau und Söhulein. (Klein.) Ein köstliches Stück des
Brabanter Lebens. Sie spazieren treiJlich im Tulpengarten.
511. Latona, die Bauern in Frösche verwandelnd. Gut gemacht, besonders
eins der Kinder, doch abgeschmackt. Schöne stillglänzende Landschaft.
512. Diogenes mit der Laterne, unter dem Volk. Cui bono? Gutge-
malte Köpfe.
513. Portrait seiner Gemahlin mit dem Sohne. Sehr artig. Das Söhnlein
nackt, mit Federhut.
514. Portrait des Doctor van Thulden. Trefflich.
515. Pauli Bekehrung. (Klein.) Eine der schönsten Compositionen, un-
gleich klarer als die von 509 in der Anordnung. Höchst tüchtig hingeworfen.
Man sieht wie die Karavane des Weges zog uud durch den Blitzstrahl zusammen-
geschmettert wird. Vorn, abgesondert vom Zuge, ist Saulus zu Pferde gestürzt.
Entsetzte Stellungen, Pferdebäumen, flatternde Gewänder, Alles höchst glücklich.
516.- Sehr ausgezeichnete Landschaft mit einem Regenbogen bei der Heu-
ernte. Trefflicher Wald, vorzüglich schöner Wolkenhimmel (in der Ferne zu
stark hervorgetretenes Blau), Köstliche Plänen. Staffage von Leuten und Vieh
sehr gut. Vorn ein durchsichtiges Wasser mit Enten. Schade, dass das Bild
nicht ein klein wenig weniger geschmiert ist. Das Totale der Landschaft ist un-
gleich besser als bei den Zeitgenossen, besonders der Vorgrund von glücklichster
Svirkung.
517. Grosses Bacchusfest. Launig und unflätig.
518. Sturz der Verdammten. Höchst übertriebene Massen stürzender
Fleischknäuel.
519. Sumpfiger Waldgrund mit einer Kuhmelke. Wiederum eine sehr vor-
treffliche Landschaft, die ebenso in der Staffage höchst ausgezeichnet ist. Einige
Geräthe wie sie nur Teniers machen kann.
521. Castor und Pollux entführen die Töchter des Leucippus. Prächtig
bewegt. Lustiges Fleisch.
"iiyw . ipipwiiiiiiiI II I. iiiiiiiBiii.jjiiiwi iijjiiiiiiiiiipitpi^ip
528 Reisenotizen vom Jahr 1845.
Glyptothek. Die schöne bronzene Junostatue aus Vulci, mit dem
von Thorwaldsen modellirten Kopfe, der in der Münchener Erzgiesserei
hinzugefügt ist. Nach der Mittheilung des Vorstehers der letzteren, F. Mil-
i;*' 1er, ist die alte Arbeit der Statue sehr naiv gemacht, zum Theil Guss, zum
Theil getriebenes und aufgelöthetes Blech; so namentlich die frei hängen-
den Gewandpartien. Die Figur ist übrigens, wie durch den edeln Styl im
Allgemeinen so besonders durch die mit glücklicher Freiheit geordnete
Gewandung ausgezeichnet und nur das feinere Detail des Gefältes erinnert
zum Theil noch an etruskische Kleinlichkeit.
Die Hauptkirche St. Martin, bei flüchtigem Morgenbesuch wieder
begrüsst. Jedenfalls ein für das 15te Jahrhundert höchst interessanter
Bau: drei gleiche hohe Schiffe mit äusserst schlanken achteklgen Pfeilern,
die wie Fäden von der leicht gespannten Decke niederhängen; — und ein
Thurm, der kühn und fest, wie sonst nur die Thürme der nordischen
Architektur, zur schwindelnden Hohe emporschiesst. — Aussen an der
Nordseite der Kirche, unter andern kleinen Denkmalen, ein sehr fragmen-
tirtes Hautrelief einer Krönung Mariä durch die drei gleichen Personen
der heil. Dreifaltigkeit; darunter, in kleinem Maassstabe, die Donatoren.
Umfassung im Renaissancestyl. Schönste deutsche Arbeit der Zelt gegen
522. Ein Schäfer umarmt ein junges Weib. (Rubens und seine Frau ?)
Köstlich übermüthig sinnlich.
523. Die Amazonenschlacht. (Klein.) Vielleicht die grandioseste der hie-
sigen Compositionen, Die Durchsicht durch die Brücke, das Wasser etc. sind
prächtig gemalt.
» 524. Rubens zweite Gemahlin in reichem Staate.
525. Susanna im Bade. Nach seiner Art.
526, Christus fordert Rechenschaft von den geistlichen und weltlichen Stän-
den über ihren Lebenswandel. Schwach.
527; Das Christkind und Johannes in einer Landschaft. Sehr anmuthig.
Grössere Wiederholung des Berliner Bildes.
528. Christus empfängt die reuevollen Sünder. Nicht sehr bedeutend. Einige
schöne Köpfe. Dem Berliner Van Dyck (Bild desselben Inhalts) ähnlich.
532. Der h. Christoph. Sehr bedeutend und ganz des Meisters würdig".
Der Einsiedler leuchtet mit gutem Humor auf das Christkind.
537. Die Apostel Petrus und Paulus. Nicht bedeutend.
588—541. Sehr ausgezeichnete Portraits. Auf 541 Rubens selbst mit sei-
ner ersten Gemahlin, Elisabeth Brants, in einer Laube sitzend.
557. Portrait des Lord Arundel und seiner Gemahlin. Grosses leichtsinnig
gemachtes Staatsbild. Am besten das Söhnchen rechts und der Hofnarr links.
564. Auferstehung des Fleisclies, — das sich zur Seligkeit in die Höhe haspelt,
558. Mariä Himmelfahrt, Söhr unbedeutend.
563. Simson, von der Delila verrathen. Höchst ausgezeichnet: die Gewalt
und Wuth im Simson, — die Schergen, die ihn mit höchster Anstrengung von
allen Seiten packen, — die gemeine höhnisch üppige Delila im durchsichtigen
Gewände, die Alte,etc.
Noch vieles Andere, namentlich Portraits.
844. Der Kindermord, (War nicht vorhanden.)
874, Die Löwenjagd. Höchst gewaltig und leidenschaftlich bewegt. Doch
fehlt eigentlich der Totaleffekt. Sehr gross.
886. Wieder ein Sturz der Verdammten. Wilde furchtbarste Fleischknäuel.
m£i
-ocr page 528-RogoTisburg. Nürnberg. 529
die Mitte des löten Jahrhunderts, in mehrfacher Beziehung an Ilolbein'sche
Darstellungsweise erinnernd.
R e g e n s b u r g.
Im Dom erfreute ich mich, wie vor Zeiten, aufs Neue der ungemein
schönen Verhältnisse des Innern, die besonders durch das Höhemaass der
Seitenschiffe, bei energisch lebenvoller Gliederung der Pfeiler, hervorge-
bracht wurden. — Die alten Glasmalereien des Donies sind ohne besondre
Bedeutung. Theils sind es kleine Darstellungen in teppichartiger Verflech-
tung, theils grössere Figuren, die durch ein zumeist willkürliches Zusam-
menflicken kleiner Glasstücke unerfreulich wirken.
Auch hier konnte ich ältere Studien nur flüchtig recapituliren.
In der Sebaldu skirche trat mir aufs Neue das Bedürfniss eines
umfassenden und gediegenen bildlichen Werkes über das Sebaldiisgrab
entgegen; die reiche Fülle der architektonischen Dekorationsformen, in
denen sich ein eigenthümlicher Uebergangsstyl ausprägt, wird dann erst
zu dem ihr gebührenden Rechte kommen, und der Umstand, dass hierin, —
namentlich in den Kapitalen und Basen der Kandelaber, auf denen die
Apostelfiguren stehen, — in der That die schönsten Muster enthalten sind,
wird ein solches Unternehmen auch äusserlich praktisch und nicht lediglich
nur als ein, der Vergangenheit dargebrachtes Opfer erscheinen lassen.
Ueber die neue Aufnahme und Durchbildung alterthiimlicher Formen in
den Statuetten der Apostel und Propheten hatten mir jene alt.germanisc,hen
Statuen, welche besonders die Pfeiler der Sebalduskirche entlang stehen,
schon vor Jahren Aufschluss gegeben. Jetzt erfreute ich mich, wie dieser
Statuetten und der eigenthümlichen Reliefs aus der Geschichte des Heiligen,
so vornehmlich auch der reizenden, als Leuchterträger dienenden Sirenen,
der schönen weiblich allegorischen Gestalten an der Basis, welche, an
Ghiberti erinnernd, ein bestimmt antikisirendes Gepräge haben, der höchst
mannigfaltigen naiv humoristischen Reliefs (Satyrn und Aehnliches) an den
Pfeilerbasen u. s. w. Die Figuren und Gruppen^ von Kindern, die an dem
Monument befindlich, blieben allerdings damit, in ihrer meist unschönen
und ungelenken Weise, ziemlich im Widerspruch.
In der Lorenzkirche notirte ich Einiges in Betreff der Glafhialereien.
Diese gewähren im Allgemeinen kein höheres Interesse. Die Compositionen
sind ohne Ganzheit, das Figürliche ohne sonderliche Schönheit. Am Be-
deutendsten wirkt das berühmte Volckamerische Fenster, das reich mit
Ornamenten aufgebaut ist, doch auch keineswegs eine grossartige Total-
wirk ung hervorbringt. Hierin stehen die alten Teppichmusterfenster des
13ten 'Jahrhunderts ungleich höher. Auch an den, der späteren Zeit eigenen
Vorzügen malerischer Behandlung habe ich nichts sonderlich Erhebliches
wahrgenommen. Am Wichtigsten erschien mir das naturgemässe Princip
der Verbleiung, wodurch die Formen selten unterbrochen werden. Die
Windeisen, etwa je zwei zwischen den eigentlichen Eisenstäben, sind naiv
regelmässig durchgeführt, was sich besser macht, als die moderne Weise,
die sie unter Umständen nach den Formeü des Gemäldes biegt.
Kugicr, Kleine Schrirten. II. 34
-ocr page 529-530 Reisenotizen vom Jalir 1845.
Der Dom im Innern vollständig rein gemacht, Alles sogenannt Un-
gehörige hinausgethan, die Steine von aller ungehörigen Tünche befreit,
dafür aber auch das gesammte Innere, statt einen malerisch-historischen
Eindruck zu gewähren, durchaus kalt und nüchtern. In dem einen Chore
die alte farbige Dekoration wieder etwas aufgefrisclit; diese nach sehr
schönem Princip: — einfache teppichartige Ornamentmuster, in dunkel-
rothbräunlichem Tone auf den Mauergrund gemalt, die Gewölbkappen
füllend, an den breiteren Bogenbändern und Gurten sich hinziehend, ge-
legentlich auch, an den Hauptschwibbögen des Gewölbes, mit ein Paar
Köpfen verbunden. Den alten Sculpturen ein modern byzantinischer Altar-
schmuck zugefügt. (Ueber den Styl der Architektur und der Bildwerke des
Domes siehe meine Reiseblätter vom Jahr 1832.)
(Kunstblatt 1845, No. 98.)
Das bekannte Werk von Dahl, „Denkmale, einer sehr ausgebildeten
Holzbaukunst aus den früliesten Jahrhunderten in den inneren Landschaf-
ten Norwegens", hat schon vor mehreren Jahren die Aufmerksamkeit der
deutschen Knustforscher auf Monumente eines hohen Alterthums geftlhrt,
die von der Sitte, der Kunstbildung, dem Formengefühl des hohen Nordens
ein so anschauliches Bild und zugleich für die Kulturverbindungen des
frühesten Mittelalters so merkwürdige Andeutungen und Aufschlüsse geben.
Man ist solchen Bestrebungen auch in Norwegen selbst gefolgt und hat im
vergangenen Jahre zu Christiania, durch höchststehende Personen gefördert,
einen „Verein zur Erhaltung norwegischer Alterthümer" gegründet, wel-
cher neben andern Zwecken seiner Wirksamkeit auch die bildliche Heraus-
gabe und Erläuterung alter Monumente des I.andes beabsichtigt. Die erste
Publikation, unter dem Titel „Indbydelse til at indtraede i Foreningen til
Norske FortidsMindesmaerkersBevaring", liegt gegenwärtig vor; sie besteht
aus vier Blättern mit kräftigen lithographischen Federzeichnungen, denen
aber der erläuternde Text noch nachfolgen soll. Es sind Darstellungen
alter Holzbauten und Schnitzwerke, den Dahl'schen Mittheilungen, sich
anschliessend und den Gesichtskreis, den die letzteren eröffnet hatten,
erweiternd. Taf. 1 gibt das Portal einer Kirche in Teilemarken, mit phan-
tastischen Säulen im romanischen Charakter, ähnlich denen, die uns schon
Dahl vorgeführt hatte. Taf. 2 enthält die Darstellung eines Holzthrones,
der, mit reichem, seltsamem Schnitzwerk versehen ist. Unter letzterem
verdient besonders die eigenthtimliche, in flachem Relief gehaltene Dar-
stellung einer Kampfscene Beachtung. Die Pfosten der Rücklehne gehen
in abenteuerliche Drachengestalten aus; die Knöpfe der Seitenlehnen wer-
den durch kleine Thierfiguren, Hunde, wie es scheint, gebildet. Auf Taf. 3
und 4 befinden sich die Darstellungen mehrerer sehr eigenthümlicher Bauer-
häuser. Statt des Fundamentes ruhen dieselben auf zugespitzten Klötzen.
Eine kleine Treppe führt, ohne doch an die Schwelle des ^Hauses anzu-
532 ' Berichte uud Kritiken.
stossen, zu der in der Mitte der Fa^ade befindlichen Thür empor. Das
Untergeschoss, blockhausartig, ist zumeist eng zusammengezogen; das
Obergeschoss, offenbar die eigentlichen Wohnräume enthaltend, tritt beträcht-
lich vor, mit seltsam plumpen Säulen auf den Ecken und mit einer Art
kleiner Loggia über der Thür. Der Giebel erinnert an den in den Alpen
üblichen Holzbau. Kinige dieser Häuser zeigen in dem geschnitzten Orna-
ment, womit die Haupttheile versehen sind, noch alterthümlich romanische
Formen; bei andern erscheinen die letzteren etwa im Charakter der Renais-
sancezeit umgebildet.
Diese flüchtigen Bemerkungen werden hinreichen, das kulturhistorische
Interesse, welches sich auch an die vorliegenden Mittheilungen knüpft, zu
bezeichnen. Den Malern, welche Scenen der nordischen Poesie oder Ge-
schichte zum Gegenstande ihrer Darstellungen wählen und denen an einer
charaktervollen Erfüllung ihrer Aiifgabe gelegen ist, mögen diese Mitthei-
lungen gleich denen des Dahl'schen Werkes, bestens empfohlen sein; zu-
gleich mag die Bemerkung hinzugefügt werden, dass von diesen Monumenten
unter Umständen auch wohl ein Rückschluss auf die Lebensformen der
früheren Vorzeit Deutschlands zulässig sein dürfte.
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1845, No. 101 ff.)
1) Baudenkmale der römischen Periode und des Mittelalters
in Trier und seiner Umgebung. Herausgegeben von dem Architekten
Chr. W. Schmidt. Lief. V. Der römischen Baudenkmale 2tes Heft.
Trier 1845. (Text in 4., 139 S. und 8 Kupfertafeln in Fol.)
Das erste Heft der römischen Baudenkmale, über welches das Kunst-
blatt früher berichtet, enthält die Darstellungen der, besonders durch ihre
Mosaikfussböden so ausgezeichneten Villa zu Fliessem; in dem vorliegen-
den Hefte werden uns die übrigen höchst bedeutenden römischen Denkmäler
in Trier und dem benachbarten Igel vorgeführt. Da die früheren Publi-
kationen dieser Monumente den Anforderungen der Wissenschaft grösseren
Theils nicht entsprachen, so haben wir die hier gegebenen sehr genauen
und sorgfältigen Darstellungen, die zugleich das Resultat der besonnensten
technischen Untersuchungen sind, doppelt willkommen zu heissen, und um
so mehr, als sie sich zum Theil auf erst neuerlich veranstaltete und durch
den Herausgeber geleitete Ausgrabungen gründen. Wir können hier übri-
gens nur eine kurze Uebersicht des Inhalts geben, heben dabei jedoch
besonders das Neue und Eigenthümliche hervor.
Die erste Mittheilung betrifft den Plan des alten Trier. Derselbe
beschränkt sich im Wesentlichen auf die Angabe der Stadtmauer, von
welcher Trier zur Zeit seiner höchsten Blüthe, unter Konstantin, umfasst
war. Der Herausgeber hat den Gang der Mauer, nach sichern Resten oder
n
Zur "Geschichte dor Kunst in Deutschland. 533
sehr wahrscheinlichen Vermuthungen, angegeben. Die Ausdehnung der
Stadt betrug hiernach beträchtlich mehr als das Doppelte ihres gegenwär-
tigen Umfanges, wozu noch sehr weitgedehnte Vorstädte kommen, von deren
ehemaligem Vorhandensein sich ebenfalls zahlreiche Spuren vorgefunden. Taf. 1
enthält den detaillirten Plan des gegenwärtigen Trier, mit Andeutung seiner
sämmtlichen Monumente, seiner Umgebungen und des Ganges seiner Mauer.
Vielleicht wäre es für die Anschauung vortheilhafter gewesen, alle antiken
Reste durch besondere Färbung oder Stichmanier auszuzeichnen und über-
haupt jeden einzelnen Punkt, wo solche sich finden oder vorhanden gewesen
sind, auch jede Spur alter Strassenzüge anzugeben-, es fragt sich indess,
ob eine Darstellung der Art nicht etwa grösseren Aufwand nöthig gemacht
hätte, als im Plane des Herausgebers lag.
Hierauf folgt der „römische Kaiserpalast zu Trier«', mit Grund-
rissen und Aufrissen des noch Vorhandenen auf Taf. 2 und 3. Dies' ist
die wichtigste Mittheilung der vorliegenden Lieferung, da sie das meiste
Neue bringt und die römische Archäologie sehr wesentlich bereichert. Es
ist jene, an der Südecke der heutigen und im Herzen der alten Stadt
belegene Ruine, welche unter dem Namen der Thermen am meisten bekannt
und neuerlich von Steininger, doch sehr willkürlich, als ein Pantomimen-
Theater erklärt ist. Nach den von dem Herausgeber hier veranstalteten
Ausgrabungen (denen nur eine möglichst umfassende Fortsetzung zu wün-
schen ist) haben sich die früheren Hypothesen als unhaltbar erwiesen, und
hat sich die Nothwendigkeit herausgestellt, in den bisher bekannten und
gegenwärtig zu Tage geförderten Theilen dieses Gebäudes die Haupträume
eines grossartigen Palastes zu erkennen; die Beschalfenheit der letzteren,
die Lage des Ganzen lassen nur auf eine kaiserliche Residenz schliessen,
die historischen Umstände deuten auf Konstantin als den Erbauer. Es sind
ein paar mächtige Säle, denen die damals und später beliebten grossen
Conchen oder Absiden nicht fehlten, mit dazu gehörigen Nebenräumen und
mit sehr merkwürdigen und ausgedehnten Einrichtungen zur Heizung.
Fussboden und "Wände waren mit kostbaren Materialien geschmückt. Für
die Anlage einer kaiserlichen Residenz, die nicht, wie Dio'cletians Villa
zu Salona, auf ganz eigenthümliche Verhältnisse berechnet war, erlialten
wir hier somit ein sehr interessantes und belehrendes Beispiel. Die Wohn-
räume und die sonstigen Lokale für das gemeine Bedürfniss sind unter
diesen bis jetzt bekannten Theilen des Gebäudes aber noch nicht vorhan-
den. Zu bemerken ist, dass das Gebäude schon früh, d. h. nach dem Fall
der Römerherrschaft in dieser Gegend, gelitten hatte, und dass damit in
Folge dieses Umstandes Restaurationen vorgenommen waren, deren Reste
für die Kultur der folgenden fränkischen Periode nicht ohne Wichtigkeit
sind. Namentlich gehören hieher die (jetzt auch schon verschwundenen,
doch aus älterer genauer Aufnahme bekannten) Reste eines Wohngebäudes,
welches theils neben dem Palast, theils quer über seine Fundamentmauern
hin aufgeführt war, und noch ganz die römische Anlage mit Hypocausten,
Absiden u. dgl. zeigte, — wieder ein Beleg dafür, wie die römische Kulfur
noch völlig in die Zelt der. Frankenherrschaft hineinreicht.
Sodann: die „römische Basilika zu Trier" (Taf. 4), jener kolos-
sale, neuerlich so vielfach besprochene Baurest, der früher den Namen des
Konstantinischen Palastes führte und von Steininger zuerst in seiner wah-
ren Bedeutung erkannt ist. Als das grossartigste und -bedeutendste Stück
einer antiken Basilika, das auf unsere Zeit gekommen, rechtfertigt das
53-4 Berichte und Kritikeu.
Gebäude vollkommen das Interesse, welches sich demselben neuerlich zuge-
wandt hat; die Mittheilungeu des Herausgebers kommen diesem Interesse
auf sehr wünschenswerthe Weise entgegen, da es bisher noch gänzlich an
einer genügenden Darstellung desselben fehlte. Es ist bekannt, dass Se. Maj.
der König von Preussen beschlossen hat, das Gebäude ganz nach seiner
ursprünglichen Anlage wieder auszubauen und der evangelischen Gemeinde
zu Trier als Kirche zu überweisen. Die erste Anregung dieser Idee war
von dem Herausgeber ausgegangen. Auf derselben Taf. 4 ist zugleich eine
Darstellung der Moselbrücke zu Trier gegeben, von der aber nur die
kolossalen Brückenpfeiler aus römischer Zeit herrühren.
Das „Amphitheater zu Trier" (Taf. 5), in einer Aushöhlung des
Berges angelegt und merkwürdig durch die eigenthümliche Anordnung der
Zu- und Eingänge. Die Räume der Sitzstufen sind grösstentheils noch
nicht von dem Erdreich, das sich darüber gesammelt hat und wo sich
Weinberge befinden, befreit. Von der architektonischen Dekoration hat
sich nichts erhalten; nach der Abbildung einer aus dem Mittelalter her-
rührenden Zeichnung, die der Herausgeber beibringt, hat die letztere den
anderweitig bekannten Amphitheatern nicht nachgestanden.
Die „Porta Martis (Porta nigra) zu Trier", jenes ebenfalls viel-
besprochene Stadtthor und Vertheidigungsgebäude, welches von der Anlage
solcher Gebäudegattungen iu späterer römischer Zeit ein so anschauliches
Bild gewährt, ist auf Taf. 6 ünd 7 ausführlich dargestellt und im Text
genau geschildert, namentlich die gesammte Benutzungsweise desselben
sehr klar entwickelt. Die Zeit der Erbauung anbetreffend, so setzt der
Herausgeber das Gebäude, in Rücksicht der Rohheit seiner Detailformen
und der Nlchtvollendung desselben, beträchtlich nach Konstantin, und zwar
in die Zeit unmittelbar vor der fünften Zerstörung Triers durch die Franken
im Jaiir 4Ü4. Auf meine Annahme, dass die Porta nigra noch später, erst
uniter fränkischer Herrschaft (aber natürlich nach römischem Muster) erbaut
sei — eine Annahme, die noch lebhaft bestritten, doch auch schon, z. B.
von Kinkel'), als unbedenklich wiederholt ist — ist der Herausgeber
nicht eingegangen. Meine hinlänglich motivirten Gründe habe ich im
Kunstblatt 1844, Nr. 38, dargelegt, und füge nur die Bemerkung hinzu,
dass das TJrtheil über "die Detailbildung an der Porta nigra und über das,
was hiebei vollendet oder nicht vollendet ist, nur im Angesicht des Ge-
bäudes selbst stattfinden kann.
Taf. 8 bringt eine Darstellung der vier Seiten des bekannten „römi-
schen Denkmals zu Igel." Der Herausgeber hat auf dieser Zeichnung
den gegenwärtigen Zustand dieses Denkmals und Alles, was von den
zahlreichen Reliefdarstellungen auf demselben noch erkennbar ist, sehr
genau, obschon nur in Umrissen, angegeben; leider jedoch ist hieraus die
zum Theil sehr bedeutende Schönheit und der stylistische Charakter der
ligürlichen Sculpturen nicht ersichtlich, so dass auch dieses Blatt, wie alle
bisher publizirten Abbildungen des merkwürdigen Monuments, noch nicht
eine völlig befriedigende Anschauung desselben gewährt. Der Text über
das Igler Monument (S. 96 — 134) rührt von mir her 2). Auf Grundlage
meines früheren Erklärungsversuches im Kunstblatt 1840, Nr. 57 f., mit
dankbarer Benutzung der in dem Aufsatze von Schorn in den Abhand-
') Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern, Lief. 1,
Runn 1Ö45, S. 155. — Vergl. oben, S. 70, ff.
Zur "Geschichte dor Kunst in Deutschland. 635
lungen der pffilosophisch-philologischen Klasse der k. bayris|heu Akademie
der -Wissenschaften, Bd. I., enthaltenen Materialien, und nach mehrmaliger
eigener Besichtigung des Denkmals habe ich mich hierin bemüht, den Ge-
sammtinhalt der Bildwerke der letzteren und die zwischen den Darstel-
lungen eines bürgerlichen Yerkehrs und den mythologischen Darstellungen
obwaltenden AVechselbezüge, soweit überhaupt die Sculpturen nur erkennbar
sind, zu erklären.
Im Anfange des Textes gibt der Herausgeber noch eine Reihe von
Notizen über solche Baureste der römischen Periode in Trier und der Um-
gegend, die theils minder bedeutend, theils noch nicht genügend aufge-
graben sind. Die Aufgvabung der letzteren, wie z. B. der am Fusse des
Marcusberges befindlichen Reste, die der Herausgeber für eine Fabrikanlage
uud Wohnung des Fabrikbesitzers hält, dürfte in Zukunft noch zu sehr
interessanten Resultaten führen.
Das Werk des Hrn. Schmidt ist mit dieser Lieferung vollendet und
nimmt nunmehr, bei seinem reichhaltigen und mit scharfer Kritik behan-
delten Inhalte, einen der Ehrenplätze unter denjenigen Unternehmungen,
die der Kunst der vaterländischen Vorzeit gewidmet sind, ein. Es ist
jedoch zu hoffen, dass Hr. Schmidt seine in dieser Richtung so erfolgreich
angebahnte Thätigkeit nicht abschliessen werde. Wie er selbst im Vorwort
der Schlusslieferung sagt, sind andere Leistungen der Art von ihm bereits
mannichfach vorbereitet worden. Hiezu dürfte namentlich eine bildliche
Herausgabe der Klosterkirche zu Laach, bekanntlich eines der wichtigsten
und reinsten Beispiele des deutsch-romanischen Kirchenbaustyles, mit wel-
cher Hr. Schmidt schon längere Zeit beschäftigt ist, gehören. Das Interesse
des Publikums wird ohne Zweifel auch diesen ferneren Unternehmungen
nicht fehlen.
2) Denkmäler der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Be-
arbeitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich. Abthl. I, Band II,
Lief. 1-3. Leipzig 1844 und 45.
Die vorstehend genannten Lieferungen des Puttrich'schen Werkes bilden
ein zusammenhängendes Ganze unter dem Separat-Titel: Das Schloss und
derDom zu Meissenund Kloster Heiligen-Kreuz unfern davon.
Sie enthalten 30 Tafeln mit Abbildungen und 32 Seiten Text (in kl. Fol.).
Wir haben das Erscheinen der ersten Lieferung bereits in Nr. 36 des
diesjährigen Künstblattes angezeigt, können darüber jedoch erst jetzt, nach
dem Erscheinen des Ganzen, näher berichten.
Vorzugsweise bedeutend und umfassend sind hiebei die literarischen
und bildlichen Mittheilungen, welche der Herausgeber in seiner schon
hinreichend bekannten Weise über den Dom zu Meissen gibt, wobei es
mit Dank anzuerkennen ist, dass er gleichwohl Wiederholungen der in
dem vortrefflichen Werk von Schwechten enthaltenen Darstellungen
vermeidet, so dass beide Werke sich auf die wünschenswertheste Weise
ergänzen und in ihrer Zusammenstellung zu einer sehr gründlichen
Anschauung des merkwürdigen Gebäudes führen. Der Dom von Meissen
gehört seiner Anlage nach zu den Bauwerken der ersten Entwickelungszeit
') Der Dom zü Meissen, in allen seinen Theilen bildlich dargestellt. -Ber-
lin 1826. Roy. Fol.
536 ' Berichte uud Kritiken.
des gothischen Styles in Deutschland, indem er in den sechziger Jahren
des ISten Jahrhunderts gegründet und, wenigstens zur grösseren Hälfte (in
seinen ostwärts belegenen Theilen) gegen den Schluss des Jahrhunderts
vollendet wurde. Im 14ten Jahrhundert wurde der Bau, nach einiger
Unterbrechung, westwärts fortgeführt, im Beginn des folgenden die Thurm-
faoade an der Westseite (von der aber nur der imposante Unterbau erhalten
ist) hinzugefügt und sehr bald darauf dieser Fa^ade noch eine besondre
Kapelle vorgebaut. Mit Ausnahme dieser westlichen Theile und mit Aus-
nahme einzelner Details an den übrigen Theilen, wohin namentlich auch
ein grosser Theil des in der späteren Zeit des Mittelalters zumeist wohl
erneuten Fensterstabwerkes gehört, sehen wir hier also eine Darlegung des
gothischen Systemes in ursprünglicher Reinheit und Klarheit vor uns. Das
letztere hat hier aber zugleich ein bestimmt ausgesprochenes, eigenthöm-
liches Gepräge; es bildet nämlich — wie auch manche andere gothische
Bauwerke in den sächsischen Landen, von denen uns das Puttrich'sche
"Werk bereits Kunde gegeben, — sehr entschieden den Uebergang zwischen
den Bausystemen der westlichen und der nordöstlichen Gegenden Deutsch-
lands. Dies bezieht sich auf Dasjenige, was überall in der gothischen
Architektur als die Hauptsache betrachtet werden muss, auf die Anlage
und Formenbildung des Innern. Die Schiffe sind gleich hoch, die Pfeiler
in ihrer Grundform viereckig, welcher Form entsprechend auch in den
Bügen des Gewölbes, die die Pfeiler verbinden, die breite Leibung vor-
herrscht; doch sind die Pfeiler zugleich mit Halbsäulchen besetzt, die als
Gurtträger emporlaufcn und die in feinerem Detail gebildeten Gewölbgurte
(welche auch vor jenen breiten Leibungen vortreten) tragen. Hiedurch ge-
winnt das Innere etwas von jener kühlen, festen Huhe und Erhabenheit,
durch welche die bedeutenderen Bauten iu den brandenburgischen Marken
und den baltischen Küstenländern ausgezeichnet sind, während zugleich
das feinere Spiel der Gurtträger den Eindruck einer liebenswürdigen An-
muth, einer freieren Beweglichkeit hinzufügt, ohne doch — bei der
grösseren Stärke und Sonderung des Details, die überall den Bauwerken
frühgothischen Styles eigen zu sein pflegt, — mit jener energischen Grund-
slimmung in Disharmonie zu treten. Die verschiedenen Durchblicke des
Innern, die der Herausgeber uns in sorgfältig ausgeführten Blättern vor-
führt, geben von dieser Eigenthümlichkeit eine sehr klare und befriedi-
gende Anschauung.
Es würde zu weit führen, auf die andern minder erheblichen Eigen-
thümlichkeiten, die sich au dem Meissener Dome nach Maassgabe der vor-
liegenden Blätter bemerklich machen, hier näher einzugehen. Von dem
BiUlerschmuck jedoch, mit welchem dies Gebäude versehen ist, verdienen
vier Statuen, die sich im Chore befinden und ohne allen Zweifel in der
ersten Bauperiode, also in der späteren Zeit des 13ten Jahrhunderts ge-
fertigt sind, eine nähere Beachtung. Sie stellen die ursprünglichen Gründer
des Domes, Kaiser Otto I. und seine zweite Gemahlin Adelheid, und die
Schutzpatrone desselben, den Evangelisten Johannes und den heil. Donatus,
dar. Der Styl dieser Sculpturen ist vollständig der der bekannten Statuen
im Westchore des Naumburger Domes und besonders die Gestalten des
Kaisers und der Kaiserin zeigen diesen Styl den vorliegenden Abbildungen
zufolge iu bedeutsamer, charaktervoller Würde. Wir haben hier also ein
neues Beispiel der Thätigkeit, jener Bildhauerschule vor uns, welche im
13tcu Jahrhundert in den sächsischen Landen so vielfach Bedeutendes
4
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland. 537
leistete und deren für die Auffassung der deutschen Kunstgeschichte so
folgenreiche Kenntniss wir vor Allem dem Herausgeber des vorliegenden
Werkes verdanken. Herr Puttrich gibt uns auf einem Blatte eine Dar-
stellung der vier Statuen in ihrer Gesammterscheinung nebst den über ihnen
beflndiichen Baldachinen, die wiederum sich in gleicher Weise im Naum-
burger Dome (ebenso aber auch über den minder bekannten Statuen des ^
13ten Jahrhunderts im Bamberger Dome, deren Gewandung eine sehr be-
stimmte Nachahmung des antik-römischen Sculpturstyles erkennen lässt)
vorfinden, sowie auf einem zweiten Blatte eine Darstellung verschiedener
interessanter Details an diesen Statuen, die dem noch strengen Ornament-
styl des 13ten Jahrhunderts ebenfalls vollständig entsprechen. Zu be-
merken ist noch, dass an diesen Statuen die ursprüngliche Bemalung sehr
wohl erhalten ist. Dies hat den Herausgeber veranlasst, beide Blätter in
der kostbareren Ausgabe seines Werkes (auf chinesischem Papier) in kolo-
rirten Exemplaren auszugeben i).
Das Schloss zu Meissen, in dessen Milte der Dom liegt, gehört der
Hauptsache nach der zweiten Hälfte des löten Jahrhunderts an. Es ist ein
grosser gewaltiger Bau, wie in jener Periode noch so manche ähnliche
Schlösser, z. B. die Moritzburg in Halle, das Schloss zu Wittenberg u. s. w.,
die auch in ihren Einzelheiten Aehnlichkeit mit dem Meissener Schlosse
haben, errichtet wurden. Die brillanten Theile des letzteren, namentlich
das stattliche oflene Treppenhaus, zeigen die phantastische, zum Barocken
sich neigende Umbildung des gothischen Baustyles, die in dieser Periode
vorherrschend wird, die wir in den Kirchen nicht gern sehen, die aber
in den fürstlichen Prunkschlössern den erforderlichen Eindruck keineswegs
verfehlt. Der Herausgeber führt uns das Schloss und seine einzelnen
Tlieile in verschiedenen malerischen Ansichten, des Aeusseren wie des
Inneren, vor. — Die St. Afrakirche und die sogenannte Wasserkapclle
zu Meissen, beide mehr durch malerische Wirkung als durch archäologische
Bedeutung interessant, werden ebenfalls in wphlgelungenen Abbildungen
vorgeführt. V^on der sehr einfachen, noch im romanischen Baustyl ausge-
geführten St. Martinskirche wird nur eine kurzgefasste Beschreibung
gegeben.
Wichtiger als die letztgenannten Gebäude sind die Ruinen der Kirche
und des Klosters zum heiligen Kreuz, eine halbe Stunde M-estlich
von Meissen, die in der ersten Hälfte des 13ten Jahrhunderts , etwa von
1217 bis 1233 oder 1240, gebaut wurden. Die erhaltenen Theile dieser
Gebäude-Anlage tragen vorherrschend noch das Gepräge des romanischen
Baustyles in seiner letzten Entwickelungszeit, mit manchen eleganten Einzel-
heiten (ähnlich den, nur viel reicher angewandten Ornamenten der Kirche
von Konradsburg), und zugleich mit manchen etwas barocken Besonder-
heiten, innerhalb deren man, wie nicht selten auch anderwärtig in dieser
Periode des Uebergangs, gewisse antike Reminiscenzen gewahrt. Daneben
aber machen sich in den Gewölbansätzen, in mehreren Fensterbildungen etc.,
sehr entschieden schon die Motive des beginnenden gothischen Baustyles
geltend, so dass wir hier wieder ein sehr wichtiges Beispiel des sogenann-
ten üebergangsstyles vor uns sehen. Der Herausgeber hat dafür gesorgt,
;
') Auf Verlangen werden kolorirto Exemplare der beiden Blätter auch be-
sonders ausgegeben. '
538 ' Berichte uud Kritiken.
dass es neben allgemeinen Ansichten dieser Baiianlage auch nicht an sorg-
fältiger Darstellung der charakteristischen Einzelheiten fehlt.
Wenn hienach die vorliegenden Lieferungen des Puttrich'schen Werkes
in wissenschaftlicher Beziehung wiederum vielfach Belehrendes bringen,
so ist hinzuzufügen, dass auch die künstlerische Behandlung der Blätter
zum grössten Theil sehr gediegen ist. Die inneren, wie die äusseren An-
sichten der Architekturen sind, neben aller Sorgfalt in Betreff des Charak-
teristischen, zugleich mit mehr oder weniger ausgezeichnetem malerischem
Sinne aufgefasst und mit feinem Verständniss, nicht bloss des Gegenstandes,
sondern auch der Wirkung der Luft, die denselben umspielt, lithographirt.
Einzelne Blätter halten den Vergleich mit dem Besten aus, was wir in
dieser Hinsicht besitzen.
3) Die Ornamentik des Mittelalters. Eine Sammlung auserwählter
Verzierungen imd Profile byzuntiuischer und deutscher Architektur, ge-
zeichnet und herausgegeben von Karl Heideloff. II. Band oder VII —
XIL Heft. Mit 48 Stahltafeln und Bogen Text in deutscher und fran-
zösisclier Sprache. Nürnberg 1845. gr. 4.
Der erste Band dieses Werkes ist in No. 22 des Kunstblattes von 1844
unter der Rubrik Ornameutik besprochen; wir nehmen keinen Anstand,
den zweiten Band der obenstehenden Rubrik mit unterzuordnen, da das
Werk eine ebenso bedeutende Materialsammlung für das vaterländisch
kunsthistorische Studium wie für das Studium von Seiten werkthätiger
Architekten und Ornamentisten enthält, ja in mehrfachen Fällen (womit
wir übrigens sehr zufrieden sind) beträchtlich über das Gebiet des aus-
schliesslich Ornanientistischen hinausgeht.
Alles was früher über die Eigenthümlichkeit und die Trefflichkeit der
im ersten Bande enthaltenen Mittheilungen gesagt ist, findet vollständig
seine Anwendung auch auf die vorliegenden Hefte. Wir müssen die un-
gemeine Rüstigkeit des Herausgebers bewundern, mit welcher er uns hier,
sobald nach Vollendung des ersten Bandes, wieder eine so reiche Folge
der anmuthigsten und mannigfaltigsten Darstellungen bringt; ebenso aber
auch die sich durchaus gleichbleibende Feinheit der Auffassung, die Ele-
ganz und Schönheit der Zeichnung, die Sorgfalt, Zartheit und freie Leben-
digkeit des Stiches. Wenn wir hienach dem Geschmack des Herausgebers
alle Anerkennung zollen, so haben wir dieselbe jedoch — und das ist ja
der eigentliche Zweck seines Werkes — in noch höherem Maasse auf die
Originale, nach denen diese Darstellungen gefertigt sind, überzutragen.
Von den Schönheiten, an denen die mittelalterliche Kunst (allerdings neben
manchem Einseitigen und barock Phantastischen) so ungemein reich ist,
giebt uns eine Auswahl, wie die vorliegende, die glücklichste Anschauung.
Es sind diesmal besonders die spätromanische und die spätgothische Kunst-
epoche , die uns in den verschiedenartigsten Kunstbildutigen vorgeführt
werden, Beides übrigens sehr charakteristisch für die reichere Ausbildung
des Ornamentes im Allgemeinen, indem dieselbe vorherrschend in den
Schlussperioden der künstlerischen Systeme einzutreten pflegt. Für die
«pätromauische Epoche wird uns hier eine grosse Anzalil architektonischer
Verzierungen vorgeführt, besonders Friesstreifen der mannigfaltigsten Art
ebenso auch schöngebildete Säulenkapitäle u. dergl. Neben andern Mo-
/nimcnten in verschiedenen Gegenden haben hiezu namentlich die Sebaldus-
Zur üöschichte der Kunst iu DeutscLland.« 539
kirche zu Nürnberg und die Fagade der Kapelle zu Heilsbronn interessantes
Material geliefert; ein romanisches Kapital von besonders ausgezeichneter
Schönheit ist der Wartburg entnommen. Für die spätgothische Zeit erhal-
ten wir zunächst ebenfalls dekorativ architektonische Theile, namentlich
mehrere Thüren, die theils durch die Formation ihrer Einfassungen, theils
durch die dabei verwandte Schmiede- und Schlosserarbeit ausgezeichnet
sind. Eine dieser Thüren befand sich früher auf dem Schlosse Höhen-
Tübingen, wo sie von dem Herausgeber im Jahr 1808 in traurigem Zu-
stande auf dem Dachboden entdeckt und gezeichnet wurde. Sie war mit
kostbajren Zeugstoiien und über diesen mit Ornamenten aus vergoldetem
Eisenb^ch bekleidet, die reichgeschnitzte Einfassung gemalt. Die hier
gegebene Abbildung dieser Thür ist sorgfältig kolorirt, so dass wir in die-
sem Blatt ein kleines Prachtexemplar spätmittelalterlicher Dekorationsweise
besitzen. Dann folgt eine beträchtliche Anzahl architektonischer Füllun-
gen, Brüstungen u. dergl., in denen sich die ungemeine Beweglichkeit des
gothischen Styles versinnlicht; zum Theil siüd diese Stücke schon mit den
Formen des Renaissancestyles vermischt. Von dem Entwarf des Holz-
schnitzers Veit Stoss zu dem Nürnberger Sebaldusgrabe, von dem der
erste Band das erste Blatt gebracht hätte, werden hier fünf weitere Blätter
gegeben, durch deren Zusammenstellung sich uns die ganze merkwürdige
Composition aufbaut, nach Weise jener leichten Tabernakel-Architekturcn
(doch in einer gewissen Dünnheit des architektonischen Ensembles), die
bis zu den Wölbungen der Kirchen emporzusteigen pflegen. Wenn Peter
Yischer bei seiner Ausführung des Monuments all dies Obere Tabernakel-
werk wegliess und statt dessen den Sarkophag des Heiligen in einfacherer
Weise überwölbte, so scheint er hiemit doch das Richtigere getroffen zu
haben, mag man auch gegen die von ihm gewählten Architektutformen
ebenfalls Mancherlei zu erinnern finden. Immer aber bleibt der Stossische
Entwurf eigenthümlich interessant. — Dann sind besonders noch einige
prächtige Goldschmiedearbeiten, namentlich auch eine kleine Sammlung
von Ordensketten (und unter diesen die Insignien des Schwanenordens) zu
erwälinen.
Der figürlich bildenden Kunst gehören einige schöne Grabsteine an,
auf denen Personen des 12ten Jahrhunderts dargestellt sind und die zu
Reinhardsbrunn in Thüringen aufbewahrt werden. Es sind die vier Steine
Ludwigs des Springers und seiner Gemahlin, und Ludwigs des Eisernen
und seiner Gemahlin. Sie sind, der ganzen künstlerisch-stylistischen Be-
schaffenheit nacli, nicht unmittelbar nach dem Tode der betreffenden Per-
sonen, sondern beträchtlich später, erst im 14ten Jahrhundert gearbeitet,
indem sie der eigenthüralichen und geschmackvollen Behaildlungsweise, die
in dieser Zeit anderweitig au sicher datirten Monumenten gefunden wird,
sehr bestimmt entsprechen. Nur der letztgenannte Stein, der noch später
und zugleich minder schön ist, macht hievon eine Ausnahme. Der Herausr
geber hält sie zum Theil für älter, was aber wenigstens mit meinen kunst-
historischen Erfahrungen nicht stimmt. — Vorzüglich schön ist endlich
noch die Darstellung eines, dem Schlüsse des" Mittelalters angehöi'igen,
jetzt leider zerstörten Grabmonumentes, welches sich zu Esslingen befand,
eine ritterliche Familie unter dem Schutze der Himmelskönigin. — Die
Mittheilung zerstörter Denkmäler, wie des ebengenannten und wie jener
prächtigen Thür vom Schloss Hohen-Tübingen, haben wir mit bcsondernj
Dank anzuerkennen.
540 ' Berichte uud Kritiken.
.atj,,!,... .III. ' .'.ü^nii .....I
Ich muss die Bemerkung hinzufügeD, dass ich, wie iu dem schon eben
angedeuteten Fall, den historischen Bestimmungen des Herausgebers nicht
überall beipflichten kann. Indess wird er selbst hierauf vielleicht weniger
Gewicht legen, da er bei diesem Unternehmen keineswegs den wissen-
schaftlichen, sondern einen positiv praktischen Zweck in den Vorgrund
stellt, den nämlich: „die allgemein höchste Richtung, welche jetzt die
Baukunst verfolgt, die Anwendung des byzantinischen (romanischen) und
altdeutschen (gothischen oder germanischen) Styles", in möglichst lebendi-
ger und einflussreicher Weise zu fördern. Ob die heutige Baukunst wirk-
lich diese allgemein höchste Richtung befolgt oder ob dies nur der gute
Glaube einzelner Architekten ist, muss ich hier freilich dahingestellt las-
sen, und noch mehr die Frage, ob überhaupt aus der gleichzeitigen und
gleichmässigen Anwendung zweier, in ihrem Formenprincip sehr divergi-
renden Kunststyle eine höchste Richtung hervorgehen könne. Indess ist es
immer erfreulich, einer wirklichen künstlerischen Ueberzeugung zu begeg-
' nen, besonders wenn sie aus so frischer und naturgemässer Quelle kommt,
wie bei dem Herausgeber, dessen eigentliche geistige Heimat jene fröhliche
Romantik zu sein scheint, der die deutsche Nation in den ersten Jahr-
zehnten dieses Jahrhunderts zugeführt ward. Es giebt aber noch eine
andre, nachgeborne Romantik, die dem Unterzeichneten weniger erfreulich
bedünken will. Dies ist diejenige, stark mit ultramontanen Tendenzen
versetzte, die neuerlich in Frankreich, als Glied einer leise auftretenden,
aber sehr berechneten Reaction, ihre künstlerische Heimat aufgeschlagen
hat. In Frankreich hat sie es freilich noch mit der herrschenden Kaste
antik-römisch gebildeter Architekten zu thun, und es ist natürlich, dass
sie der Einseitigkeit der letzteren selbst eine um so grössere Einseitigkeit
entgegensetzt; überhaupt aber möchte sie die Kunstthätigkeit gern in ein
gewisses mittelalterlich scholastisches Formelwesen einschliessen, die frei
schaffende Kunst zu einer, andern Zwecken dienenden Magd machen. Auch
in Deutschland hat diese nachgeborne Romantik ihre Anhänger gefunden-,
sie ist sehr darauf aus, sich mit ihrer älteren Schwester, mit deren un-
schuldiger Naivetät sie doch so wenig gemein hat, zu verbünden, und
schleudert schon ihre Bannstrahlen in das künstlerische Treiben hinaus.
Es findet sich wohl die Gelegenheit, auf diese Sache ernstlicher zurück-
zukommen.
Wie man im Uebrigen die Absicht bei der Herausgabe des Heidelofi"-
I sehen Werkes auffassen möge, für das wissenschaftliche wie für das prak-
tisch künstlerische Studium, wird der reiche und vielseitige Inhalt des-
selben jedenfalls höchst fruchtbringend sein. Auch ist es ohne Zweifel das
ausgezeichnetste Werk in seiner Art, welches unsre Kunstliteratur besitzt.
4) Kunstdenkmäler in Deutschland von der frühesten Zeit
bis auf unsre Tage. Bearbeitet von L. Bechstein, Dr. E. Freiherrn
v. Bibra, Dr. Gessert, Dr. Lucanus, J. Meyer, Th. Sündermah-
ler U.A. — 1. Abtheilung. "Von der frühesten Zeit bis zum Jahre
1600. Schweinfurt, 1844 uud 45. Bilder und Text in 4.
Ueber das erste Heft dieses neuen Unternehmens ist in No. 37 des
diesjährigen Kunstblattes eine Notiz gegeben; dem Referenten liegen gegen-
wärtig vier folgende Hefte, jedes mit drei bildlichen Mittheilungen und
dem dazu geliörigen Texte, vor. Das zweite Heft bringt den zierlich ge-
■ Zur Geschichte der Kunst lu Deutschland. 541
w
stochenen Haupttitel fler ersten Abtheilung und die „Einleitung" zu dem
ganzen Unternehmen (in deren Styl sich die Hand eines geschätzten Dich-
ters und Alterthumsfreundes zu verrathen scheint); in einer dem fünften
Heft beigegebenen Nachricht wird Hr. Dr. Gessert zu München als Redak- i
teur des Werkes, von dieser Lieferung ab, bezeichnet.
Der Zufall hat die „Kunstdenkmäler" hier unmittelbar auf die Hei-
deloffsche Ornamentik des Mittelalters folgen lassen. Beide Unterneh- ;
mungen berühren sich in verschiedenen Punkten. Beide haben es vor- ^
herrschend mit der deutschen Kunst des Mittelalters zu thun, wenn auch
das eine sich nicht ausschliesslich auf Deutschland, das andre sich nicht
ausschliesslich auf das Mittelalter beschränken will, wenn auch in dem (
einen mehr das Ornament, in dem andern mehr die figürliche Darstellung
vorherrscht; beide bieten uns aus den Fundgruben des Mittelalters mannig-
faches Material zum Studium dar. Aber die Tendenzen beider Werke
sind dennoch höchst verschieden. Heideloff, wie im Vorstehenden schon
angedeutet, geht mit vollen Segeln ins Leben hinein, er will unmittel-
bar auf die künstlerische Praxis einwirken und ihr den allein gültigen
Born des Byzantinismus und Gothicismus erschliessen. Die Herausgeber
der „Kunstdenkmäler" aber sind, wie aus der Einleitung hervorgeht, mit
der heutigen Zeit leidlich überwerfen, finden sich auch von dem künstle-
rischen Treiben unsrer Tage wenig befriedigt, wollen dabei übrigens (was
gewiss sehr ehrenwerth ist) nichts von Nachahmung vergangener Kunst-
richtungen wissen, wenden sich in Folge all dieser Missstimmung wo mög-
lich ganz von der heutigen Zeit ab und der der Vergangenheit, als einer
fertigen und in sich einigen, zu. Hier allein finde das Kunstbedürfniss
wahrhafte Befriedigung, und weil dieses Bedürfniss doch auch in heutiger
Zeit so gar bedeutend sei und sich nach Befriedigung sehne, so wollen
die Herausgeber nach ihrem Theil bemüht sein, letztere durch Vorführung
und Besprechung älterer Kunstthätigkeit zu gewähren. Doch auch dies mit
weiterem Bezüge auf Gegenwart und Zukunft: „Wir gedenken (so heisst es
am Schlüsse der Einleitung) dem Volke die unsterblichen Denkmäler einer
alten Kultur zu enthüllen, auf dass es sich an dieser eine neue heranbilde,
würdiger als jene, deren es so hoch sich vermisst."
Vorzugsweise also ist das Werk der mittelalterlichen Kunst und zwar
weit hinab, bis zum Schlüsse des I6ten Jahrhunderts gewidmet. Die Ge-
genwart und die letztvergangenen Jahrhunderte sollen aber doch, ihrem
„zerfahrenen Ringen" zum Trotz, nicht vernachlässigt werden. Diese Zeit
bleibt aber ausgeschieden von der „ruhigen vollendeten Grösse des Alter-
thums", und soll desshalb in einer zweiten Abtheilung behandelt werden.
Chronologische Folge soll (wie dies sehr natürlich ist) l^ei den Mittheilun-
gen nicht beobachtet, dafür aber am Schluss des Werkes ein chronologisches
Register gegeben werden. Vor allen Dingen soll nur Neues, nichts, was
irgendwo schon der Betrachtung unterlegen, gegeben werden, falls sich
nicht mit der Mittheilung eines schon anderweitig publicirten Gegenstandes
neue Ansichten, neue Ideen, neue Folgerungen verknüpfen. Auf das min-
der Bekannte, namentlich in Privatsammlungen Befindliche soll überhaupt
besondere Aufmerksamkeit verwandt werden.
Die Einleitung, wie schon bemerkt, ist dem zweiten Heft vorgeheftet.
Die Mittheilungen des Heftes bilden aber einen sonderbaren Kontrast gegen
so mächtig ausgesprochene Tendenzen. Der Inhalt besteht nämlich 1) aus
einer Kopie der Ansicht des Halberstädter Domes, die in dem von Lucanus
Ö42 Rnriclite und Kritiken.
liorausgegebenen Werke über diesen Dom enlhalten ist, neljst einer von
Hrn. Lucanus verfassten kurzen Beschreibung des Domes, seiner Kunst-
schätze und anderer Kirchen in Halberstadt; 2) aus dem sehr oberflächlicli
gezeichneten Stück eines romanischen Bogen-Ornaments im Dom zu Trier,
welches sich in scliärferer Zeichnung schon in Schmidt's „Baudenkmalen
der römischen Periode und des Mittelalters in Trier und seiner Umgebung".
II, Taf. 6, U, vorfindet^); 3) aus der Darstellung eines Ideinen, im Privat-
besitz befindlichen und dem 15ten Jahrhundert angehörigen Holzreliefs,
einen Pagen als Schildhalter eines Wappens enthaltend. Dies ist also die
einzige Originalmittheilung des Heftes. Es ist eine ganz artige Arbeit in
dem allerdings noch befangenen Style der Zeit; wenn man aber die empha-
tische Schilderung in der beigegebenen Erklärung liest und damit vergleicht,
was in der Einleitung über die Misere der heutigen Kunst gesagt ist, so
kann man sich doch eines Lächelns nicht erwehren.
Das dritte Heft enthält einige unbedeutende Schnurren aus dem in der
Münchner Bibliothek befindlichen Musterbuche eines Kunstschreibers und
Buchmalers (1400 bis 1450), als Proben „der holdesten mit allem Tiefsinn
strenger Christgläubigkeit so wundersam gepaarten Naivetät"; die Darstel-
lung eines interessanten geschnitzten Brettsteines aus dem 13ten Jahrhundert,
und die Darstellung eines Chorgestühles in der Stiftskirche zu Wimpfen
im Thal, ausgezeichnet durch die einfache, noch durch nichts Krauses ver-
wirrte Ruhe gothischer Formen. — Heft 4: Schnitzvverk einer Madonna
mit dem Kinde von A. Dürer (1513), Hrn. M. Boisserde angehörig (von
dem nur, um darüber urtheilen zu können, ein mehr künstlerisch behan-
delter Stich zu wünschen gewesen wäre), nebst einer Aufzählung anderer
angeblich Dürer'scher Schnitzwerke in verschiedenen Sammlungen; der
Anfang eines Aufsatzes über altchristliche Bauten in Deutschland, nach
den in frühesten Handschriften enthaltenen bildlichen Darstellungen, was ein
glücklicher Gedanke ist und zu guten Resultaten führen kann; sodann die
Abbildung von Schmuckstücken aus dem löten Jahrhundert. — Heft 5:
Abbildungen und Notizen über die verschiedenartigen, zum Theil höchst
bedeutenden Tapeten mit figürlichen Darstellungen aus der Periode des
romanischen Kunststyles, die sich zu Halberstadt und Quedlinburg befinden,
Werke, die einer gründlichen kunsthistorischen Bearbeitung sehr würdig
wären. (Mit den im Text gegebenen kunsthistorischen Bestimmungen kann
ich mich nicht überall einverstanden erklären). Zum Schluss die Darstel-
lung eines gothisch ornamentirten Bischofstabes aus einem Altarschnitzwerk,
f Die Herausgeber hätten vielleicht wohlgethan, das Unternehmen mit
etwas weniger Zuversicht anzukündigen. Da es aber einmal geschehen ist,
so werden sie sich vielleicht um so mehr veranlasst sehen, künftig nach
Möglichkeit für Originalität, Bedeutsamkeit und gründlich kritische Behand-
lung der zu gebenden Mittheilungen, sowie für gediegene künstlerische
Darstellung zu sorgen, auch gelegentlich etwas Aveniger Worte zu machen.
Der Verfasser des erklärenden Textes, Herr Gessert, äussert sich dahin,
er wisse zur Erklärung des Fragments nichts beizubringen, Schmidt's Werk
' stände Ihm gerade nicht „zu Gebot." Das erweckt kein sonderlich günstiges
Vorurtheil für die kritische Sorgfalt, die dem Unternehmen zu Grunde gelegt
ist. — Beiläufig bemerke ich, dass, wo in der vorliegenden Abbildung unter den
in das Ornament verflochtenen Thieren ein Elephant dargestellt ist, bei Schmidt
ein Schweinchen erscheint. "Wer von den beiden Zeichnern richtig gesehen hat,
vermag ich nicht zu sagen.
Zur Geschichte der Knnst iu Deutschland. 543
Dann möchte das Unternehmen auch des Beifalls derer, die nicht, gleich
ihnen, der Gegenwart den Rücken zukehren, gewiss sein.
i
5) Bartholomäus ZeitWoom und seine Altarbilder auf dem
Heer berge. Fünf Abbildungen. Dritte VerölTentlichung des Vereins für
Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben, ausgegeben den 6. März
1845. Ulm, in Kommission der Stettin'schen Verlagsbuchhandlung. Pol.
Das vorliegende Heft bildet eine "höchst erfreuliche Mittheilung zur
Geschichte der deutschen Malerei. Namhaft gemacht, zusammengestellt,,
gesichtet und geprüft ist in den letzten Jahren Mancherlei (wobei wir aber
noch gar nicht stillstehen wollen); an bildlicher Darstellung von Gemälden
aus der Vorzeit der vaterländischen Kunst, und besonders an genauer und
geistig belebter Darstellung fehlt es uns jedoch noch sehr. Doppelt erfreu-
lich, wenn die Darstellung, wie hier, einem Werke gilt, welches, an sich
von Bedeutung, zugleich an einem entlegenen Orte aufbewahrt wird. Es
sind Abbildungen der Aussen- und Innenseite der Flügel, welche einen
mit drei Holzstatuen gefüllten Altarschrein bedecken, jene die Bilder der
h. Jungfrau und des verkündigenden Engels, diese die Anbetung des
Christkindes und seine Parstellung im Tempel enthaltend; ihnen reiht sich
als fünftes Blatt das Brustbild des alten Meisters an, welches sich an der
Rückseite der Staffel in einer Verzierung mit dem Namen und der Jahr-
zahl (1497) befindet. Die Blätter sind von E. Mauch gezeichnet, von
Feder er lithographirt. Das was den B. Zeitbloom (neben der vortrefllichen
Ausbildung seines Kolorits) besonders-auszeichnet, der Ausdruck stiller,
würdevoller Ruhe des Gemüthes, das charakteristisch Eigenthümliche seiner
Gesichts- und das allerdings Mangelhafte seiner Körperbildungen, die ein-
fache Grossheit seines Gewandstyles, Alles dies ist hier mit einem unverkenn-
baren Hineinleben in den Sinn und die Hand des Meisters wiedergegeben,
so dass selbst diejenigen, denen seine Leistungen überhaupt noch unbekannt
sind, hier eine sichere Anschauung wenigstens der von ihm und seiner
Schule befolgten Richtung zu gewinnen im Stande sind. Ein erläuternder
Text, ebenfalls von Hrn. E. Mauch verfasst, gibt eine prunklose aber sorg-
fältig genaue Schilderung der Kirche des Heerberges und dieses Altarwerkes.
Leider jedoch entnehmen wir aus der Schlussnotiz des Textes, dass die
Gemälde einem raschen Verfall entgegengehen , indem sich ihr Zustand
seit dem Jahre 1827, wo die Zeichnungen der vorliegenden Lithographien
gefertigt wurden, bereits beträchtlich verändert hat. Möchte es doch der
schon mehrfach mit so glücklichem Erfolge gekrönten Thätigkeit des Ver-
eins, welcher die Herausgabe dieser Blätter veranlasst hat, gelingen, eine
kunstgemässe Restauration der für die deutsche und zumal für die schwä-
bische Kunstgeschichte so wichtigen Bilder zu veranlassen!
Vorzugsweise verdient könnte sich der Verein zugleich durch die Grün-
dung einer Lokalgallerie, zur gelegentlichen Aufnahme von Werken wie die-oben-,
genannten, machen. Ulm ist der Mittelpunkt der alten schwäbischen Maler- u
schule und es finden sich dort und in der Umgebung überhaupt noch zahlreiche
Werke alter Kunst, die in ihrer Zerstreuung minder bekannt bleiben, leicht fort-
geführt oder vernachlässigt werden, nnd deren Zusammenstellung doch so viel-
seitigen Wünschen entgegenkommen würde. Wir finden in verschiedenen Städten
von Nord- und Süddeutschland Lokalsammlungen, die, zamal In ihrer Beziehung
544 ' Berichte uud Kritiken.
0) Danzig und seine Bauwerke in malerischen 0 riginal-ßadi-
rungen mit geometrischen Details und Text von Joh. Karl
Schultz, königl. preuss, Professor etc. 1. Lieferung. Danzig, im Selbst-
verlage des Autors und in Coramission bei R. Weigel in Leipzig, 1846.
(6 Blatt in Fol.)
In No. 80 des Kunstblattes vom Jahre 1844 ist einer kleinen Brochüre
gedacht, in welcher Hr. Professor Schultz (der bekannte Architekturmaler)
vor einigen Jahren „über alterthümliche Gegenstände der bildenden Kunst
in Danzig" Mittheilungen gemacht hatte. Das vorliegende Werk schliesst
sich gewissermaassen dieser Arbeit an, indem es einen Theil der dort
gegebenen Beschreibungen zur unmittelbaren, wirksamen Anschauung bringt.
Danzig, das nordische Venedig, ist eines solchen Unternehmens gewiss aber
auch vor vielen Städten des Vaterlandes werth; es hat im Ganzen eine so
eigenthfimlich charaktervolle Physiognomie, im Einzelnen Monumente von
so ausgezeichneter Bedeutung., dass es der Kunstwissenschaft gewiss das
lebhafteste Förderniss und dem gebildeten Sinn überhaupt das frischeste
Interesse gewährt, sich in solcher Umgebung zu ergehen. Kommt in der
Darstellung, wie hier, eine wirklich künstlerische Auffassung und eine
sichere, gehaltene Behandlung hinzu, so wird es uns nicht verargt werden,
wenn wir die Erscheinung eines solchen Unternehmens mit offener Freude
bogrüssen.
Das ganze Werk ist auf vier Lieferungen berechnet, deren jede aus
fünf malerischen Ansichten und einem Blatt mit geometrischen Rissen
bestehen soll. Der erläuternde Text soll der letzten Lieferung beigegeben
werden. Die vorliegende erste Lieferung enthält: 1) Allgemeine Ansicht
von Danzig, ein Blick über dünenartige Hügel und Hohlwege auf die viel-
thürmige Stadt, in kräftiger malerischer Haltung ausgeführt. — 2) ,,Arthus-
hof mit dem Springbrunnen", das leben volle, ebenfalls malerisch wirksame
Bild eines städtischen Platzes im Charakter des 17ten Jahrhunderts. —
3) „Langgasse", ein Strassenprospekt, der besonders durch jene eigenthüm-
lichen Vorbauten der Danziger Häuser, die sogenannten Beischläge, welche
das häusliche Leben unmittelbar mit dem Strassenverkehr verbinden, charak-
teristisch wirkt; im Grunde der Strasse der schlanke Rathhausthurm, an
malerischem Reiz manchen der berühmten belgischen Stadtthtirme über-
bietend. — 4) „St. Trinitatis und St. Annen", dies ein Blatt von besonders
gediegenem malerischem Verdienst. Ein Blick von der Wallgegend aus
auf die Stadt, im Vorgrund der reiche und reizvolle Giebel der Trinitatis-
kirche, der ein Musterstück gothischer Eleganz im nordischen Ziegelbau
bildet. — 5) „Sommer-Rathsstube 1593." Das Innere eines geräumigen
Saales, der im üppigen Renaissancestyl, Macht und Opulenz der Herrin des
Handels bezeichnend, ausgeführt ist, die Wände mit Holzwerk und Male-
reien geschmückt, an der einen Wand ein bunter, bis zur Decke empor-
steigender Kamin, die Decke selbst mit vielen Gemälden, reichen Einrah-
mungen und vielen buntsculptirten hängenden Zapfen versehen. —
6) „Grössenverhältnisse der Danziger Kirchen unter sich und zur St. Peters-
kirche in Rom", fünfzehn Grundrisse kirchlicher Gebäude nebst dazu
auf die besondern lokalen oder provinziellen Zwecke^ oft eine grosse Bedeu-
tung haben, und denen sich Ulm gewiss mit entschieden glücklichem Erfolge
würde anschliessen können.
"M'
Zur "Geschichte dor Kunst in Deutschland. 545
gehörigen Kreuzgängen und ehemaligen Klostergebäuden, sammt dem Grund-
risse der Peterskirche, alle nach gleichem rheinländischem Maass entworfen.
Die allgemeine Anlage in diesen Gebäuden erscheint ziemlich einfach, der
Chor z. B. schliesst fast durchweg nicht polygonisch ab. Zu speziellerem
Eingehen dürfte die Erscheinung des Textes Gelegenheit geben. Die Hin-
zufügung des Planes von St. Peter, in den der Plan der grössten Danziger
Kirche hin eingezeichnet ist, erscheint nicht recht motivirt.
Besonders hervorzuheben ist noch, dass diese Blätter in der edlen,
erst neuerlich wieder zu rechten Ehren gekommenen Technik der Radi-
rung, — also auch ganz von der eignen Hand des Künstlers, ausgeführt
sind. Da hienach das Werk den dreifachen Vorzug: bedeutsamer Gegen-
stände der Darstellung, einer künstlerisch freien Behandlung und einer von
den Kunstliebhabern besonders geschätzten Technik hat, so ist mit Zuver-
sicht zu hoffen, dass dasselbe sich auch eines wirksamen Beifalls zu erfreuen
haben werde.
7) R. v. Rettberg: Uebersichtstafel zur Geschichte, namentlich
der Kunst von Nürnberg. Hannover, 1845. 6 Bogen in Fol.
Gründliche und genaue tabellarische Zusammenstellungen bilden die
nothwendigste Grundlage für dasjenige kunsthistorische Studium, dem es
auf eine klare Anschauung der Entwickelungsverhältnisse und ihres Zusam-
menhanges und auf strenge kritische Prüfung ankommt. Je mtlhsamer
zugleich solche Arbeiten sind, um so dankbarer haben wir sie willkommen
zu heissen. Hr. v. Rettberg hat seinen Beruf zu Arbeiten solcher Art schon
durch seine grosse „Chronologische Tabelle der Maler seit Cimabue's Zei-
ten bis zum Jahr 1840" dargelegt; in dem vorliegenden Werk ist auf die-
selbe , noch strengere Weise die Kunstgeschichte einer einzelnen Stadt
behandelt, die für die Geschichte der deutschen Kunst von so ungemeiner
Wichtigkeit ist, die aber bei den eigenen Bewohnern der Stadt seither
noch nicht gar wissenschaftliche Vertreter gefunden zu haben scheint. Die
Tafel zerfällt in die Rubriken : 1) allgemeine politische und Kulturgeschichte;
2) Ortsgeschichte; 3) Handel, Gewerbe, Erfindungen; 4) Baukunst; 5) grös-
sere Bildnerei; 6) kleinere Bildnerei; 7) Malerei; 8) Holzschnitt, Kupfer-
stich; 9) Kleinmalerei, Teppiche. Sie beginnt mit dem Ilten Jahrhundert
und ist bis auf das Jahr 1844 hinabgeführt. — Ein näheres Eingehen in
das Detail dieser vortrefflichen Arbeit würde sofort zu allgemeinen Betrach-
tungen über die Nürnbergische Kunstgeschichte führen, wie sich dieselben
jedemi aufmerksamen Leser der Tabelle selbst erzeugen werden. Wir unter-
lassen dies also für jetzt und um so lieber, als wir das Werk nur als
Vorläufer und Begründer eines zweiten betrachten dürfen, das im Manu-
script bereits vollendet ist und umfassende Darlegungen über das ganze
Gebiet der Kunstgeschichte von Nürnberg enthalten dürfte. Dasselbe wird,
als Resultat vielfacher Studien und eigner Anschauungen, unter dem Titel
„Nürnberger Briefe" erscheinen. Wir sehen demselben mit gespannter
Erwartung entgegen.
Kugler, Kleine Schriflen. It. " - 35
-ocr page 545-546 ' Berichte uud Kritiken.
FT-
Der Portraitmaler Sir Godfrey Kniller im Verhältniss zur
Kunstbildung seiner Zeit dargestellt von Dr. W. A. Ackermann,
Professor und Bibliothekar. Lübeck, 1845. (12 S. in 4.)
(Kunstblatt 1846, No. 15.)
Eine kleine, zunächst für das lokale Interesse Lübecks, der Vaterstadt
des genannten Künstlers, bestimmte Gelegenheitsschrift, die aber auch für
die Kunstgeschichte im Allgemeinen nicht ohne Werth ist. Es ist der be-
kannte Portraitmaler Kneller, der am Ende des 17ten und im Anfang des
18ten Jahrhunderts in England so übergrossen Beifall fand, von dem die
Schrift handelt. Der Verf. weist aus Dokumenten nach, dass der Familien-
name des Künstlers „Kniller" war, obgleich er sich selbst später in seinem
|li eignen Porträt, das er in Kupfer geschabt, mit dem Namen „Kneller" unter-
zeichnet hat. Der Verf. gibt eine Darstellung seines Lebens- und Bildungs-
ganges; interessant ist hiebei u. a. die Mittheilung über einige noch in
Lübeck befindliche Bilder seiner früheren Zeit, in denen der Maler noch
als ein sorgfältiger und gew^issenhafter Nachfolger seiner holländischen
Meister erscheint, während seine späteren Werke bekanntlich fast durch-
weg das Gepräge einer oberflächlichen Bravour tragen. Ohne durch das
patriotische Interesse zu irgend einem einseitigen Urtheil veranlasst zu
werden, legt der Verf. doch zugleich das Anerkennungswerthe in den
Leistungen Knillers dar und entwickelt, wie seine Verirrungen durch die
Zeitumstände und persönlichen Verhältnisse auf sehr erhebliche Weise
wenigstens begünstigt wurden.
Kupferstich.
(Kunstblatt 1846, No. 19.)
AVir haben über zwei neue Kupferblätter nach Bildern von Carlo
Dolce zu berichten. Dolce ist bekanntlich ein Meister, dessen zarte
Färbung und weichgeschmolzene Modellirung dem Kupferstecher sehr be-
deutende Schwierigkeiten in den Weg legen; betrachten wir also die
Wahl solcher Blätter — auch wenn wir uns nicht eben den unbedingten
Verehrern dieses Meisters zuzählen — als Zeugniss des Muthes und Selbst-
vertrauens von Seiten unserer Kupferstecher. Das eine Blatt, IOV4 Zoll
hoch und S'/a Zoll breit, ist von Friedrich Wagner in Nürnberg ge-
stochen und stellt den S. Sebastian der Gallerie zu Pommersfelden dar,
den Waagen (Kunstwerke und Künstler in Deutschland, I, S. 125) als ein
in Feinheit und Klarheit sehr ausgezeichnetes Werk des C. Dolce bezeich-
net. Es ist die Halbfigur des jugendlichen Heiligen, nackt, Antlitz und
rechte Hand aufwärts gewandt, ein Mantel um die Hüften geschlagen, der
von dem linken Arm getragen wird, in der linken Hand Pfeile und Palm-
zwt'ig. Die Modellirung des Nackten ist sehr glücklich, die Taillen sind
............. ......-■ -...............................................
-ocr page 546-Kupferstich. Die Heiligenbilder od. d. bild. Kiinst u. d. theol. Wissensch, etc. 547
mit wahrer Meisterschaft gelegt und führen das Auge des Beschauers iii
anmuthig wechselndem Spiele über alle die einzelnen Nüanccn der jugend-
lich zarten Formen hin. Das Ganze ist zugleich von entschiedener Ge-
sammtwirkung und gibt ein charakteristisches Bild derjenigen Richtung,
welche Dolce in seinen besseren Leistungen beobachtet hat. Das Erscheinen
des Stichs ist um so dankenswerther, als von diesem Bilde bisher über-
haupt noch keine Vervielfältigung vorhanden war. — Das zweite Blatt ist ein
Stich nach der bekannten heil. Cäcilie in der Dresdener Gallerie, 13 Zoll
hoch bei 11 Zoll Breite, und von Fr. Knolle in Braunschweig gestochen.
(Verlag von Ernst Arnold in Dresden.) Diesem Blatt können wir nicht
dieselben Vorzüge zugestehen wie dem vorgenannten. Der Charakter des
Originals ist zwar im Allgemeinen entsprechend aufgefasst und das aller-
dings Wichtigste, das Gesicht und die berühmten Hände, mit Zartheit und
Geschmack wiedergegeben. In der Behandlung des Costüms und der
übrigen Nebendinge vermissen wir aber mehrentheils die eigentlich künst-
lerische Leichtigkeit und im Ganzen die vollere malerische Haltung.
Die Heiligenbilder oder die bildende Kunst und die theolo-
gische Wissenschaft in ihrem gegenseitigen Verhältniss hi-
storisch dargestellt von Dr. Heinrich Alt. Berlin, 1845. 304 S. in 8.
(Kunstblatt 1846, No. 21.)
(
Wir haben in neuerer Zeit mehrere kurzgefasste und lexikalisch ge-
ordnete üebersichten der symbolischen Darstellungen in der christlich-
religiösen Kunst und namentlich der Attribute der Heiligen erhalten.
Hieher gehört zunächst die kleine „Ikonographie der Heiligen" (von
V. Radowitz, 1834), nach den Heiligen-Namen geordnet und mit andern
Registern versehen, unter denen namentlich das Verzeichniss der Patrone
der Länder und Städte, nach dem Namen der letztern geordnet, von Be-
deutungist; ferner die „christliche Kunstsymbolik und Ikonographie" (1839)
und „die Attribute der Heiligen" (1843), beide nach den Attributen und
Symbolen geordnet und ebenfalls durch andere Register, besonders der
Heiligen-Nameu, weiter nutzbar gemacht. Das in der Ueberschrift genannte
Werk reiht sich denselben an, indem es zugleich den Gegenstand in einer
weiter umfassenden und mehr systematischen Darstellung behandelt. /Der
Verf. geht von den altchristlichen, auf biblischer Anschauung beruhenden
Symbolen und den ältesten typologischeu Darstellungen der christlichen
Kunst aus und nimmt diese als Grundlage zur weiteren Erklärung der
Heiligen-Attribute. Er gewinnt hiedurch den Vortheil, einen sehr grossen
Theil der letzteren, die oft etwas scheinbar Willkürliches haben, auf ihre
ursprüngliche Quelle zurückführen zu können. Häufig auch ergeben sich
hiebei die phantastischen Wunder-Legenden lediglich als volksthtlmliche
An- und Ausdeutungen der Attribute selbst, die an sich ihren sehr ge-
dankenvollen Inhalt haben. Das Buch ist reich an schlagenden Bemerkun-
gen solcher Art. Ein Verzeichniss der geistlichen und Ordenstrachten, mit
53-4 Berichte und Kritikeu.
Bezug auf die Heiligen, welche dabei in Betracht kommen, und andere
Uebersichten, namentlich ein vollständiges Namensverzeichniss der in dem
Buche aufgeführten Heiligen, erhöhen die praktische Brauchbarkeit des
letzteren.
Es ist zu bedauern, dass der Yerf. den Titel des Buches nicht richtig
gefasst hat; er ruft hiedurch Ansprüche hervor, denen er wenigstens nur
beiläufig und nicht in hinreichender Weise genügt. Das historische Wech-
selverhältniss zwischen der bildenden Kunst und der theologischen Wissen-
schaft wird nur in einigen einleitenden und Schlusskapiteln behandelt, aller-
dings zum Vortheil des Hauptinhalts des Buches, doch nur in kurzgefasster
Uebersicht. Die kurze Parallele, welche der Verf. zwischen dem historischen
Entwickelungsgange dieser beiden Elemente des geistigen Lebens zieht, ist
geistvoll entworfen und wieder an anregenden Bemerkungen reich, nur
leider etwas zu abstrakt gehalten; dem Verf. fehlt, wie es scheint, jene
Anschauung des mehr concreten Verhältnisses, welches durch die Ent-
wickelung der volksthümlich-nationellen Elemente herbeigeführt wird. Auch
hat der Verf. sich wohl noch nicht das volle Gefühl für das innerste Wesen
der Kunst, in ihrer ganz selbständigen und von der Poesie unabhängigen
Bedeutung, erworben. Ohne diese Mängel würde er z. B. der Kunst des
17ten Jahrhunderts mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen und den eigen-
thümlichen Werth derselben gründlicher anerkannt haben.
Indess berühren diese Mängel den Hauptinhalt des Buches nicht, das
jedenfalls als eine dankenswerthe Bereicherung unserer Kunstliteratur auf-
zunehmen sein wird.
Kupferstich.
(Kunstblatt 1846, No. 30.)
Von dem Wandgemälde, welches Baphael in seinem 22sten Jahre
(1505) in einer Seitenkapelle des Kamaldulenserklosters S. Severo zu
Perugia ausgeführt hat und in welchem sich seine männliche Kraft zum
erstenmal, unbehindert von fremden Einflüssen, in ihrer eigenthümlichen
Fülle zeigt, hatte bisher durchaus keine genügende Nachbildung existirt.
Nur zwei Figuren, die des Christus und des h. Maurus, waren einzeln von
A. Krüger gestochen; ausserdem war das Ganze (mit Weglassung der
nicht mehr vorhandenen oder verstümmelten Theile) von Milde flüchtig
lithographirt, diese Lithographie aber wohl kaum in den Handel gekommen.
Gegenwärtig ist der Wunsch der Kunstfreunde, von diesem merkwürdigen
Jugendwerk des grossen Meisters eine entsprechende Naclrbildung zu er-
halten, durch einen grossen Stich erfüllt, der, 24^2 '^oU breit und I9V4 Zoll
hoch, von L Keller zu Düsseldorf nach einer Zeichnung von E. v. Rho-
den gestochen, im Verlag von A. W. Schulgen zu Düsseldorf erschienen
ist. Die Grösse des Stichs ist hinreichend, um das Detail der Composition,
die sich im hohen Spitzbogen ausbreitet, vollständig entwickeln zu können.
Unterwärts auf Wolken in feierlicher Würde die sechs heiligen Kamal-
dulenser, je drei und drei auf jeder Seite; zwischen beiden Gruppen, etwas
Kupferstich. Die Kuustsammlung des FreiLerrn, v. Rumohr. 549
erhöht, der Erlöser, zwei anbetende Engel zu seinen Seiten, über ihm die
Taube des heil, Geistes. Oberwärts erscheint die im Original gegenwärtig
ganz verschwundene Halbfigur des Gottvater und die beiden Engelknaben
zu seinen Seiten, welche letzteren im Original ebenfalls grossentheils ver-
loren sind. Diese Theile sind im Stich auf-eine, der Würde des Ganzen
nicht unangemessene, wenn im Ausdruck auch etwas moderne Weise wie-
derhergestellt. Die beiden Ecken, ausserhalb zu den beiden Seiten des
Spitzbogens, der die Composition umschliesst, sind im Stich durch ein
einfaches Bandornament, im Einschluss der Umrahmung des Ganzen, aus-
gefüllt.
Soviel dem Unterzeichneten aus der Anschauung des Originals in der
Erinnerung geblieben, ist der Charakter des letzteren überall vortrefflich
wiedergegeben. Die kraftvolle Erhabenheit in den Gestalten der Heiligen,
die schöne und grossartige Gewandung derselben, der eigenthümliche Aus-
druck und die Bildung ihrer Gesichtszüge (der Kopf des Märtyrers Johan-
nes ist, wenn ich nicht irre, wiederum Restauration), Alles diess ist ebenso
glücklich beobachtet, wie die eigenthümliche, ein wenig schwere Gestalt
des Erlösers, die überaus edle und zarte Anmuth des Engels zu seiner
Linken nnd die allerdings manierirte Erscheinung des Engels zu seiner
Rechten, dessen Kopf lebhaft an jenen jugendlichen, al fresco auf einen
Ziegel gemalten Kopf von Raphaels Hand erinnert, der sich in der Pina-
kothek zu München befindet. Ebenso ausgezeichnet ist die breite, grosse
Haltung des Werkes beobachtet. Die Behandlung, streng, mit etwas scharfer
Nadel, geht überall entschieden auf das Detail ein und nähert sich, doch
ohne Affektion und hier nur zum Vortheil des Gegenstandes, der alter-
thümlichen Stechweise, die den glänzenderen Effekt des Grabstichels noch
nicht kannte.
Die Kunstsammlung des Freiherrn G. F. L. F. von Rumohr etc.,
beschreibend dargestellt von J. G. A. Frenze 1 etc. Lübeck, 1846.
(478 S. in 8.)
(Kunstblatt 1846, Nö. 47.)
Das vorliegende Werk ist der ausführliche Katalog der Rumohr'schen
Kunstsammlung, die vom 19. Oktober d. J. ab zu Dresden öffentlich ver-
steigert werden soll. Ueber den Charakter dieser Sammlung hatte der
Verfasser bereits in No. 15 ff. des vorjährigen Kunstblattes nähere Nach-
richt gegeben. Wie nach dem Wesen des Besitzers, nach dem Maasse sei-
ner ächten und durchgebildeten Kennerschaft freilich schon zu erwarten
war, ist diese Sammlung eben dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht auf
Prunk, auf äusserlich numerische Vollständigkeit, auf Kuriositätenkram
angelegt war, sondern dass überall in ihrem Bestände und in der Anord-
nung desselben feiner Geschmack und hingebende Liebe zu derjenigen
Kunst, die aus der Tiefe des Lebens hervorquillt, ersichtlich wird. Einer-
seits sind es die Bildungs- und Blüthenepochen des Kupferstiches und
550 ' Berichte uud Kritiken.
Holzsclmittes, die wir, und um so vollständiger und in so gewählteren
Exemplaren, je originaler ihre Thätigkeit ist, vertreten finden, andererseits
das Fach der Handzeichnungen, in welchen der in dem schaffenden Mei-
ster aufsteigende Gedanke uns am unmittelbarsten entgegentritt. Die Samm-
lung dieser Zeichnungen ist besonders an den schätzbarsten Stücken, älte-
rer wie neuerer Zeit, ungemein reich. Eine kleine, aber ausgezeichnete
Sammlung von Oelgemälden, eine andere von verschiedenartigen plastischen
Arbeiten schliesst sich an. Der Katalog ist von dem Verfasser mit der-
jenigen Sorgfalt abgefasst, die von ihm nur erwartet werden konnte. In
der Anordnung ist hiebei nichts von der, welche der Besitzer schon ur-
sprünglich seiner Sammlung gegeben hatte, geändert worden-, bei den
Druckblättern sind überall die erforderlichen Bezüge zu Bartsch, durchweg
aber ausserdem, je nachdem es nöthig war, charakteristische Bemerkungen
über den Kunstwerth, die Beschaffenheit, die Erhaltung jedes einzelnen
Stückes der Sammlung beigefügt. Wenn dem Liebhaber selten eine Samm-
lung vorkommen dürfte, der er ein so unbedingtes Vertrauen zu schenken
hat, so wird diese Eigenschaft der Rumohr'schen Sammlung durch den
Katalog wesentlich erhöht.
Es liegt in der Natur der Sache, dass nur unter ganz besondern, aus-
serordentlichen Verhältnissen eine Privatsammlung wie die in Rede stehende
in ihrer Eigenthürolichkeit erhalten werden kann; es wäre mithin eine müssige
Klage, wenn wir darüber Schmerz äussern wollten, dass eine mit so persön-
licher Liebe, mit so charaktervoller Hingebung zusammengebrachte Sammlung
wieder zerstreut werden soll. Doppelt erfreulich aber ist es, dass von dieser
stillen, aber rastlosen und erfolgreichen Thätigkeit des Besitzers uns nun
dennoch, eben in dem Kataloge, ein Denkmal erhalten bleibt. Das Buch
gewinnt diese Bedeutung in einem- um so höheren Grade, als sich der
Verfasser auch im Vorworte desselben in näher zusammenfassender Schil-
derung über die Bedeutung und Eigenthümlichkeit der Sammlung auslässt.
Dass der Katalog ausserdem und in vollem Maasse jenes allgemeine Interesse
für die Kunstliteratur und für die Sammler hat, welches durch lichtvolle,
wenn auch scheinbar sehr kurze Notizen über die merkwürdigen Einzel-
heiten, jedem gediegenen Kataloge einer irgendwie ausgezeichneten Samm-
lung eigen ist, braucht hier nicht besonders erwähnt zu werden.
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1846, No. 54.)
1) Denkmäler der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Be-
arbeitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich. Abthl. L, Bd. II., Lief.
4 und 5. — Abthl. H., Bd. II., Lief. 5—13. Leipzig 1845 und 46. Fol.
Seit das Kunstblatt zuletzt (1845, No. 102) über das Puttrich'sche Werk
berichtet, hat der fleissige Herausgeber fortgefahren, uns neue erfreuliche
Mittheilungen in nicht unbeträchtlicher Anzahl zu bringen. Wir geben
hier eine flüchtige Uebersicht des Inhalts. Lieferung 4 und 5 vom zweiten
Zur "Geschichte dor Kunst in Deutschland. 551
Bande der ersten Abtheilung bilden wiederum ein zusammenhängendes
Ganze und führen als solches den Separattitel: Mittelalterliche Bau-
werke im Herzogthum Altenburg; sie enthalten, nächst der sorg-
fältig radirten Titel Vignette, 16 lithographirte Blätter und 37 Seiten Text,
der durch ausführliche geschichtliche Nachrichten über Altenburg von der
Hand des Hofraths Dr. Gersdorf eine eigenthümlich werthvolle Zugabe
erhalten hat. Die vorgeführten Denkmäler des altenburgischen Landes sind,
in ihrer historischen Folge geordnet: die üeberreste der Kirche zu Kloster
Lausnitz, im schönen romanischen Style; die sogenannten rothen Thürme
zu Altenburg, die WestfaQade einer ehemals vorhandenen Klosterkirche
bildend, gleichfalls im romanischen Styl; die Ruine der Klosterkirche zu
Stadt Roda, interessant durch eigenthümliche, aus den Bedingnissen der
Kirche eines Nonnenklosters hervorgehende Anlage und noch mehr durch
die schöne strenge Bildung frühgermanischer Formen; das herzogliche
Schloss zu Altenburg, verschiedene Bauzeiten und Dekorationen enthal-
tend, ausgezeichnet durch die im reichen spätgothischen Style gebaute und
in der Rococoperiode anderweitig ausgeschmückte Schlosskirche, von deren
Innerem, wie von dem kunstvollen, darin noch vorhandenen gothischen
Chorgestühl mehrere Ansichten gegeben werden; der sogenannte Pohlhof
zu Altenburg, ein Gebäude mit elegantem Giebel im Backsteinbau aus
spätgothischer Zeit; das Schloss Posterstein und das Schloss Wendisch-
Leuba, beide durch die Formen des phantasfichen Burgbaues spät-mittel-
alterlicher Zeit, die uns in mehreren vortrefflich ausgeführten Ansichten
entgegentreten, ausgezeichnet; das Rathhaus zu Altenburg, der zweiten
Hälfte des 16ten Jahrhunderts angehörig und durch charaktervolle Ausbil-
dung des Renaissancestyles, für den Deutschland nicht eben übermässig
zahlreiche Beispiele darbietet, sehr bemerkenswerth; endlich, eigentlich
ein Horsd'oeuvre für die speziellen Zwecke des Werks, die Darstellung
einer im Schlosse zu Altenburg befindlichen und aus dem Anfange des
18ten Jahrhunderts herrührenden grossen Prachtuhr, die durch eine nicht
geschmacklose Verwendung prachtvoller Stofl^ in den Formen des dama-
ligen Rococo allerdings eine glänzende Wirkung erreicht. Wenn in diesen
Darstellungen somit das spätere Mittelaller nebst der beginnenden Neuzeit
und das Element der ausserkirchlichen Bauweise, wobei die kunsthistori-
sche Kritik minder subtile Fragen zu lösen hat, vorzugsweise begünstigt
sind, so wollen wir dies doch in keiner Weise als einen Vorwurf für das
Werk bemerkt haben; denn gewiss kommt es nicht auf die Kritik an sich,
sondern darauf an, dass wir von allen wichtigeren Kultürperioden unsrer
Vorzeit und von der monumentalen Bethätigung derselben anschauliche
und begründete Darstellungen erhalten.
Lief. 5 bis 9 vom 2ten Bande der 2ten Abtheilung führen, als zusam-
mengehöriges Ganzes, den Separattitel: Mittelalterliche Bauwerke
zu Halle, Petersberg und Landsberg, und bestehen aus 2 radirten
Vignetten, 21 Blatt Abbildungen und 38 Seiten Text. Unter den hierin
enthaltenen Mittheilungen sind zunächst die in Bildern und Text ausführ-
lich gegebenen über zwei sehr merkwürdige Baudenkmale des entwickelten
romanischen Baustyles von besondrer Wichtigkeit. Das eine derselben ist
die Ruine der Kirche zu Kloster Petersberg bei Halle, die uns in Grund-
und Aufrissen, in vortrefflichen malerischen Ansichten des Aeussern und
Innern, in bezeichnenden Details und auch in charakteristischer restaurirter
Darstellung vorgeführt wird. Das Imposante, was der romanische Baustyl
M
552 ' Berichte uud Kritiken.
bei seiner vollen Ausbildung im 12ten Jahrhundert gewinnt, tritt uns hier
eindrucksvoll entgegen; für das Einzelne ist besonders die Choranlage mit
ihren Nebenräumen merkwürdig. Die Grabstatuen der Grafen von Wettin,
Stifter und Wohlthäter des Klosters, die sich daselbst noch befinden, doch
nur spätere Wiederholungen untergegangener bronzener Denkmäler sind,
werden uns auf 2 Blättern in sorgfältiger Darstellung vorgeführt. Von der
Ruine der jetzt fast völlig zerstörten kleinen Kapelle, die nördlich von der
grösseren Kirche lag und die, wie der Herausgeber gewiss richtig bemerkt,
eine Taufkapelle gewesen zu sein scheint, wird, nach älterer Aufnahme,
ebenfalls eine kleine Darstellung gegeben. — Das zweite Denkmal romani-
schen Baustyles ist die Doppelkapelle zu Landsberg bei Halle, die zu den
interessanten Kapellen, welche sich von fürstlichen Schlössern jener Pe-
riode erhalten haben, gehört. Wir besitzen über dieselbe bereits ein aus-
führliches Werk von dem Baumeister A. Stapel. (Vergl. Kunstblatt 1845,
No. 37.) Da letzteres die Kapelle und ihre Theile aber nur in geometri-
schen Aufrissen giebt, während das vorliegende Werk wohl ausgeführte
malerische Ansichten, des Innern und der einzelnen Details, bringt, so
können wir diese neuen Mittheilungen in keiner Weise als überflüssig be-
zeichnen. — Der Zeit nach reiht sich an diese Denkmäler zunächst die
Hauptkirche zu Aken an, von deren energisch massiger Facade eine An-
sicht gegeben wird. Die Kirche selbst ist wesentlich noch romanisch; die
Facade aber, mit zwei Thürmen und hohem Zwischenbau, trägt bereits das
Gepräge der frühest germanischen, noch dem Uebergangsstyl verwandten
Bauweise und giebt hiefür einen charakteristischen Beleg. — Die übrigen
Denkmäler der in Rede stehenden Lieferungen gehören, bis auf geringe
und nicht bedeutende Ausnahmen, der Stadt Halle und zwar zugleich im
Wesentlichen der Periode des spätgothischen Baustyles an. Dies sind zu-
nächst die in malerischen Ansichten vorgeführte Moritzkirche mit ihrem
reich geschmückten Chorbau, und die Ulrichskirche, von der eine innere
Ansicht gegeben wird. Die Liebfrauenkirche, in ihrer innern Anlage und
Ausbildung unstreitig eines der edelsten, reichsten und grossartigsten Gottes-
häuser, die Deutschland aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts besitzt,
bedauern wir nur in einer unzureichenden Darstellung, auf einem Blatte,
welches den Marktplatz zu Halle mit seinen Thurmbauten darstellt, vor
uns zu sehen. (Diese Thürme sind Reste älterer kirchlicher Gebäude, die
bei dem Neubau der Liebfrauenkirche im 16ten Jahrhundert verschwanden,
deren Thürme sodann aber zum Theil in den Bauplan der letzteren hin-
eingezogen wurden, wesshalb sie denn erheblich ältere Formen zeigen.)
Von der weniger merkwürdigen Domkirche werden nur einige Details ge-
geben. Endlich wird auch, neben einigen kleineren Monumenten, das
nicht sonderlich interessante Rathhaus von Halle, gleichfalls aus dem An-
fange des 16ten Jahrhunderts, in einer äusseren Ansicht vorgeführt.
Lief. 10 bis 13 vom 2ten Bande der 2ten Abtheilung sind mit dem
Separattitel: Mittelalterliche Bauwerke zu Jüterbog, Kloster
Zinna und Treuenbrietzen, versehen. Dieser Abschnitt besteht, nächst
einer Titelvignette, aus 17 Blatt Abbildungen und 37 Seiten Text, welcher
letztere durch eine „Kurze Geschichte der Stadt Jüterbog und des Klosters
Zinna, insonderheit der mittelalterlichen Bauwerke daselbst", von dem als
Kunsthistoriker bereits rühmlich bekannten Pastor H. Otte auf erfreuliche
Weise bereichert ist. Das Interesse der hier gegebenen Darstellungen be-
ruht der Hauptsache nach wieder in der Periode des spätgothischen Bau-
Zur "Geschichte dor Kunst in Deutschland. 553
styies und besonders in der Verwendung desselben für die Zwecke der
bürgerlichen Architektur; doch fehlt es auch nicht ganz an Belegen für die
frühere Zeit kunsthistorischer Entwickelung. So finden sich verschiedene
Beispiele für die spätromanische Bauweise oder vielmehr für die des Ueber-
gangsstyles. Hieher gehört die zwar nur leicht gegebene Darstellung der
Nikolaikirche zu Treuenbrietzen, die Kirche zu Langen-Lipsdorf (als Bei-
spiel der in jener Gegend verbreiteten und auch bis tief in die Marken
und noch weiter sich erstreckenden alten, aus Granit gebauten Dorfkirchen),
die Kirche zu Kloster Zinna, die im völlig consequenten romanischen Spitz-
bogenstyl gebaut zu sein scheint und bei der die sorgfältige Bearbeitung
des auch bei ihr angewandten Granits besonders hervorgehoben wird. So /
auch ein Theil der alten Dammkirche zu Jüterbog, während andre Theile
derselben und die dazu gehörigen Klostergebäude später sind. Die Nikolai-
kirche zu Jüterbog ist ein einfach ansehnliches Gebäude aus später gothi- ' A;
scher Zeit; einige ihrer Details (wie auch solche aus der Kirche zu Kloster f
Zinna) werden in besondrer Darstellung gegeben; unter diesen ist nament- \
lieh ein mit Schnitzwerk und Bemalung versehener Schrank, der im Far-
bendruck dargestellt ist, hervorzuheben. — Die wichtigeren Darstellungen
des Heftes aber sind, wie bemerkt, vornehmlich jenen reichgeschmückten
bürgerlichen Bauten gewidmet, welche dem Ende des gothischen Baustyles
angehören; es sind die Klostergebäude zu Zinna und das Rathhaus und
die Thore zu Jüterbog. An diesen Denkmälern erscheint bereits der Back- I
steinbau, der weiterhin im Norden und Nordosten in derselben Epoche so i
zahlreiche und glänzende Leistungen hervorgebracht hat, in seiner vollen ]
malerischen Eigenthümlichkeit. Von dem Rathhause zu Jüterbog wird
u. A. auch das Innere eines Zimmers dargestellt, dessen phantastisches zel-
lenförmiges Gewölbe in der Mitte auf einer gewundenen Säule ruht; auch
diese Gewölbformation gehört den nordöstlichen und namentlich den
preussischen Gegenden, wo sie öfters vorkommt, an.
Ueberau haben wir in den vorliegenden Lieferungen die Gediegenheit
der Abbildungen rühmlich anzuerkennen; auch abgesehen von dem zu-
nächstliegenden archäologischen Interesse ist der grössere Theil derselben
durch wirklich malerische Rundung und Haltung ausgezeichnet. Ebenso (
ist die Unbefangenheit der historischen Forschung, die sich überall im v
Texte zu erkennen giebt, gebührend hervorzuheben. Zur Vollendung des (
Werkes, das jedenfalls mit den zweiten Bänden der beiden Abtheilungen i
abschliessen soll, dürfte noch manches Interessante von erheblicher Bedeu- |
tung vorliegen; wir wollen unsere Leser durch die Liste der Monumente f
in den von dem Herausgeber bis jetzt noch nicht berührten Gegenden nicht i
ermüden. Gleichwohl giebt der Verfasser das bestimmte Versprechen, das
Werk im Jahr 1847 zum vollständigen Abschluss bringen zu wollen. Er
hat die Absicht, zu diesem Behuf überall nur das Neue und Eigenthüra-
liche zu geben, dasjenige dagegen, was namentlich an Details in ähnlicher
Darstellung schon früher von ihm mitgetheilt worden, nicht aufs Neue und
etwa nur zum Behuf einer leeren Vollständigkeit wieder vorzuführen.
Hiegegen dürfte auch nichts zu erinnern sein.
1
f •
2) Das Luther-Zimmer, eines der Prachtzimmer in dem nach Direktor
Karl Heideloffs Angabe von dem Architekten Karl Görgel wieder-
hergestellten Fürstenbau auf der Veste Koburg; gezeichnet und
herausgegeben von Georg Rothbart. Ein interessanter Beitrag aus dem
554 ' Berichte uud Kritiken.
Mittelalter für Architektur, Kunst und Geschichte, zugleich ein Supplement-
heft zu K. Heideloflfs Ornamentik des Mittelalters bildend. Mit 5 Kupfer-
tafeln. Nürnberg, 1845. Quer Fol.
Die Veste Koburg gehört bekanntlich zu den reichsten und bedeu-
tendsten Burganlagen, die sich aus mittelalterlicher Zeit erhalten haben.
Nachdem dieselbe in den letzten Jahrhunderten in Verfall gerathen war,
ist sie in neuerer Zeit unter Heideloffs Oberleitung und nach seinen
Angaben restaurirt und in ihrer alten romantischen Pracht vollständig er-
neut worden. Es ist die Absicht, die Dekoration der sämmtlichen interes-
santen Gemächer der Burg in einer Reihenfolge von bildlichen Darstellun-
gen und als Supplemente zu Heideloffs mit so vielfachem Beifall aufge-
nommener Ornamentik, der sie wegen des erforderlichen grösseren Formats
nicht unmittelbar einverleibt werden konnten, herauszugeben. Das genannte
Heft bildet den Anfang dieser Herausgabe. Es enthält die Dekoration
desjenigen Zimmers, welches Luther bei seinem halbjährigen Aufenthalte
auf der Burg im Jahr 1530 bewohnte, in welchem er verschiedene Lieder
und andre literarische Arbeiten geschrieben hat, und welches gegenwärtig
als bleibendes Denkmal dieser merkwürdigen Tage ausgestattet ist. Zu
diesem Behuf sind hier die Bildnisse in ganzer Figur von Luther, seiner
Frau und einer Anzahl derjenigen Männer, die mit ihm au dem grossen
Werke der Reformation thätig waren, in das Leistenwerk der Wände ein-
gelassen ; gothisches Ornament, Inschriften und Wappen bilden die übrigen
Füllungen. Thüren und Bänke sind in demselben reichen Style gehalten;
ein Ofen in brillanten Renaissanceformen reiht sich ihnen an. Das vorlie-
gende Heft enthält eine ausgeführte perspektivische Ansicht des Innern des
Zimmers und Aufrisse der vier Wände mit detaillirter Angabe der daran
befindlichen Ornamentik. Ein einleitender und erklärender Text geht den
Kupfertafeln voran. Es genügt die Bemerkung, dass das Heft dasselbe
Interesse, wie die entsprechenden Tafeln der HeidelofFschen Ornamentik,
hervorrufen wird.
3) Der Hochaltar von ßlaubeuren. C. Heideloff et M. Heide-
loff ad nat. del. Fried. Wagner et Ph. Walther sculps. Sr. k. Höh.
dem durchlauchtigsten Kronprinzen Karl Friedrich Alexander von Württem-
berg etc. in tiefster Ehrfurcht gewidmet von dem Verleger Konrad Geiger,
Besitzer der J. A. Stein'schen Kunst- und Buchhandlung in Nürnberg.
i-
Dies in halber Ausführung sehr sorgfältig gestochene grosse Blatt, im
eigentlichen Stich (ohne Unterschrift u. dergl.) 25 Zoll hoch und 17Vz Zoll
breit, enthält eine vollständige Abbildung des obengenannten, für die Ge-
schichte der deutschen Kunst so eigenthümlich werthvollen Altarwerkes.
Der grosse Schrein ist mit geölfneten Flügelthüren dargestellt, so dass mau
die kolossalen Statuen, von denen er ausgefüllt wird, und auf den Flügeln
die darauf enthaltenen Malereien sieht; oberwärts das freie, bunte Taber-
nakelwerk mit seinen kleineren Statuen und Halbfiguren, unterwärts die
gleichfalls mit Halbfiguren ausgefüllte Predella, die auf dem Altartische
steht, welcher das Ganze trägt. An den Stufen des Altares sind ausser-
dem einige Gestalten im eleganten mittelalferlichen Costüm dargestellt, die,
wie sie zur Belebung des Bildes dienen, so namentlich auch dem Auge
einen Maassstab für das imposante Werk geben. Die stylistischen Beson-
W'
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland. 555
derheiten in den figürlichen Darstellungen des Altarwerkes genau wieder-
zugeben, scheint nicht in der Absicht des Zeichners derselben gelegen zu
haben; wenigstens sind Körperformen, besonders im Nackten, Gesichtsaus-
druck und Andres durchgehend in einer Weise modern behandelt, die in
der Arbeit der alten Bildschnitzer und Maler nicht zu finden sein dürfte.
Vielmehr kam es ohne Zweifel darauf an, die Gesammtcomposition, nament-
lich die architektonische und ornamentistische Entwickelung derselben zur
Anschauung zu bringen, und in diesem Betracht ist das Vorhaben meister-
haft erreicht. Für die reiche Kunstentwickelung, die an den grossen deut-
schen Altarwerken zu Ende des Mittelalters sich ausgeprägt hatte, giebt
dies Blatt eine so interessante wie belehrende Darlegung, und es reiht sich
dasselbe sonach, und überhaupt in der ganzen Art und Weise seiner Be-
handlung, der Heideloff'schen Ornamentik des Mittelalters ebenfalls als ein
sehr schätzbares Supplement an.
4) Verhandlungen des Vereins für Kunst und Alterthum in
Ulm und Oberschwaben, unter dem Protektorate Sr. k. H. des
Kronprinzen Karl von Württemberg. Vierter Bericht. Mit einem
Farbendruck und drei Steinze^chnungen. Ulm, 1846.
Das angeführte Heft enthält verschiedenartige Berichte und Mittheilun-
gen , die einerseits von der Wirksamkeit des Vereins erfreuliche Kunde
geben, andrerseits für die Geschichte der Künste in Schwaben ein vielfach
belehrendes Interesse darbieten. Es ist liier nicht der Ort, diese Mitthei-
lungen im Einzelnen aufzuführen und durchzugehen. Vorzüglich bemer-
kenswerth erscheinen die Berichte über die Restauration des ülmer Mün-
sters, die über eine ansehnliche Sammlung alter Holzschnitzwerke, welche
dem Dekan Dr. Dursch in Wurmlingen bei Tuttlingen angehört, und die
über eine Anzahl altdeutscher Gemälde, welche sich zu Sigmaringen im
Besitz Sr. fürstl. Durchl. des Erbprinzen Karl zu Hohenzollern befinden,
sowie auch die biographischen Notizen über den jüngst verstorbenen Histo-
rienmaler Professor Dietrich in Stuttgart. Unter den bildlichen Beilagen
ist besonders die im Farbendruck gegebene Darstellung eines Reliquien-
kästchens hervorzuheben, welches mit figürlichen biblischen Scenen in
streng byzantinischem Style, gravirte Umrisse in Gold und mit farbig
emaillirten Gründen zwischen den Figuren, geschmtickt ist; sodann zwei
Umrissblätter in Grossfolio , zu der schon früher begonnenen und noch
fortzusetzenden Folge von Darstellungen der Syrlin'schen Chorstühle im
Ulmer Münster gehörig. Diese beiden Blätter behandeln insbesondere den
prachtvollen, an der Rückseite des Kreuzaltares im Chor« des Münsters
isolirt stehenden Stuhl; das Ornament nähert eich hier, obgleich noch
völlig von der Grundlage des deutschen Styles aus, doch schon jener
schönen weich geschwungenen Behandlungsweise, die bei den Ornamenten
des italienischen Cinquecento vorherrscht. Zu bemerken ist, dass das
Ornament an den Aussenseiten der Seitenwände des Stuhles naiverweise
auf der linken Seite aus Reben und auf der rechten Seite aus Hopfen besteht.
556 ' Berichte uud Kritiken.
(Kunstblatt 1846, Nro. 59.)
In No. 98 des vorjährigen Kunstblattes hatte ich eine Notiz über einige
von dem „Vereine zur Erhaltung norwegischer Alterthümer" herausgege-
bene Blätter mit den Darstellungen altnordischen Holzbaues und sonstiger
Holzarbeit geliefert. Neuerlit^h ist von demselben Verein ein ähnliches
Blatt herausgegeben, welches einen merkwürdigen Altarleuchter, ohne Zwei-
fel von Kupfer, vergoldet und mit Emailmalerei versehen, darstellt, der
sich in der Kirche zu Urnaes im Stifte Bergen befindet. Es ist eine Arbeit
im romanischen Style. Der Leuchter hat die Gestalt einer Säule, deren
schuppig verzierter Schaft regelmässig mit starken ausgebauchten Knoten
versehen ist; der Fuss ist dreiseitig, an altetruskische Vorbilder erinnernd
und besonders reich an Farbe und Ornament; die Bekrönung, wo die
Kerze aufgesteckt wird, breitet sich kelchförmig aus. Das Blatt gibt die
Gasammtdarstellung des Leuchters und kolorirte Details in grösserem
Maassstabe. Emaillirte Kirchengeräthschaften aus Metall, der Periode des
romanischen Styles angehörig, sind nicht eben selten; auch Deutschland
(besonders die Rheingegend) bewahrt hiervon noch bedeutende Schätze.
Unter Allem, was ich von Arbeiten solcher Art kennen lernte, ist mir bis
jetzt jedoch noch kein Leuchter, wie der in Rede stehende, vorgekommen.
Die Beschreibung wird von dem genannten Vereine nachgeliefert werden.
In dem kürzlich erschienenen ersten Jahresberichte desselben sind ver-
schiedene beachtenswerthe Nachrichten über altnorwegische Denkmäler
enthalten.
Herausgabe von historischen Miniaturbildern des vierzehn-
ten Jahrhunderts.
«
(Kunstblatt, 1846, Nro. 60.)
<S
>
Im Provinzialarchiv zu Coblenz befindet sich neben andern, einst dem
Trier'schen Archiv angehörigen Urkunden, eine von dem, im Jahre 1354
verstorbenen Kurfürsten Balduin von Trier veranstaltete, in einem Original-
bande und in einer gleichzeitigen Abschrift desselben zusammengetragene
Sammlung wichtiger Trier'scher Urkunden Der Abschrift sind 37 Folio-
blätter mit 73 Bildern vorgebunden, welche letzteren die Hauptbegeben-
heiten aus dem Leben Balduins und seines Bruders, des römischen Königs
Heinrich VH., darstellen. Nach Berichten von Zeitgenossen hat Balduin
diese Bilder entwerfen lassen, um die "Wände seines Palastes in Trier mit
grossräumigen Malereien nach diesen Compositionen zu schmücken; ob
aber die Wandmalereien wirklich zur Ausführung gekommen, ist nicht
bekannt. Jene Handschriftbilder-haben gerade keinen sonderlichen künst-
Vergl. oben, S. 345.
Rrv,
-ocr page 556-Herausgabe von liistor. Miniaturbildern. Beiträge z Siegelkutide d. Mittelalters. 557 ,
lerischen Werth; sie sind in einem ziemlich handwerksmässigen Schema-
tismus und ohne eigentlich individuelles Gefühl behandelt. Gleichwohl
gewähren sie ein vielseitiges, höchst bedeutendes Interesse. Sie sind schon
an sich ein- sehr seltenes Beispiel zeitgeschichtlicher Darstellungen, da der-
gleichen im Mittelalter tiberhaupt nur wenig zur Anwendung kamen und
noch seltener sich, geschweige in so umfassender Reihenfolge, erhalten
haben. Sie sind überall verständlich und klar entworfen und gehen mit
Sorgfalt auf alles Detail des Lebens und der Sitte ein, so dass sich in dem
reichen Wechsel ihrer Darstellungen — kirchlichen und bürgerlichen Sce-
nen, Gerichtssitzungen, Gastmählern, Turnieren, Gefechten, Belagerungen,
Hinrichtungen, Heer- und Leichenzügen etc. — eine sehr umfassende und
bis ins Einzelne belehrende Anschauung der äusseren Verhältnisse jener
Zeit darbietet. Sie haben demnach zunächst für den Historiker (auch für
den Heraldiker, in Betreff der zahlreich'vorkommenden, genau dargestell-
ten Wappen) eine erhebliche Wichtigkeit; ebenso aber auch für den bil-
denden Künstler, der für historische Darstellungen des 14. Jahrhunderts
äusseres Material und gründliche archäologische Belehrung sucht. Die
Lebenserscheinungen einer bestimmten und an sich gewiss bedeutenden f
historischen Epoche legen sich hier dem Blicke des Beschauers mit über-
raschender Vollständigkeit dar. — Zu bemerken ist, dass die Bilder, mit
Ausnahme von zweien, welche vollständig ausgemalt sind, nur aus leicht
angetuschten Umrisszeichnungen bestehen.
Eine" Herausgabe dieser Blätter kommt also ohne Zweifel vielfachen .
Interessen entgegen. Eine solche wird gegenwärtig eingeleitet durch den
Hauptmann v. Mauntz und den Archivar H. Beyer zu Koblenz. Das
Ganze soll in etwa 12 Lieferungen und zwar in drei Ausgaben erscheinen, ^
die erste in einfachen Umrissen (die Lieferung zu 20 Sgr.), die zweite f
den obigen, wenn auch nur kurzen Andeutungen über die Bedeutung des
Gegenstandes gewiss nicht.
Beiträge zur Siegelkunde des Mittelalters von Dr. Eduard
Melly. Erster Theil, Wien 1846. (272 S. in 4. mit vielen Holzschnitten
und 12 Kupferblättern.)
(Kunstblatt 1847, Nr. 14.)
Dass die Siegelkunde für das Studium der Urkunden, denen die Siegel
zur Bestätigung angehängt oder aufgedruckt wurden, von grosser Wichtig-
keit ist, liegt auf der Hand. Ihre Bedeutung für die Studien der Genea- ' '-r
logie, der Heraldik, der Diplomatik darf ebenfalls als anerkannt vorausge-
setzt werden. Weniger Nutzen ist bisher aus der Siegelkunde für andere
historische Studien, wie für die Kostüm- und Sittengeschichte, für Kunst-
symbolik und Ikonographie, am wenigsten vielleicht für das Studium der
558
im
Berichte und Kritiken.
Kunstgeschichte gezogen worden, obgleich sie uns auch für diese Disci-
plinen, und namentlich für die letztere, für die Anschauung der kunst-
historischen Entwickelung, die mannigfachsten und schätzbarsten Aufschlüsse
gewährt. „Denn (so bemerkt der Verfasser des oben genannten Werkes
sehr richtig) wie wenig plastische Kunstwerke, welche dem Ilten bis Ab-
schluss des 13ten Jahrhunderts angehören, haben wir in Deutschland? Ueber
wie wenige von diesen wissen wir mit Bestimmtheit die Zeit ihrer Ent-
stehung anzugeben? Und wie wenige unter diesen wenigen bestimmbaren
stellen historische Personen, vaterländische Beziehungen dar?? — Siegel
hingegen aus diesen Jahrhunderten sind, im Verhältnisse zu den übrigen
plastischen Werken, zahlreich, durch die Urkunde und die Person des
Siegelnden ist die Zeit ihrer Entstehung und sind die Gränzen ihres Ge-
brauches genau bestimmt, die Hauptsiegel der Regenten haben die Gestalt
des Fürsten im höchsten Glanz der Waffen oder der Fürstenwürde zum
Gegenstande der Darstellung, und sind von den besten gleichzeitigen Künstlern
ihres Faches ausgeführt. Dasselbe gilt zum grössten Theile von den Siegeln
der Geistlichkeit, grossentheils auch von jenen des hohen Adels, besonders
der Würdenträger und der Frauen, während uns die Siegel der Konvente,
Domkapitel, vielfach auch der Geistlichkeit, in Schutzheiligen, Martyrge-
schichten, in Darstellungen aus dem alten und neuen Testamente, der Le-
gende und örtlichen Sage, eine Fülle mittelalterlicher .Religionsvorstellungen,
Symbole, Kostüme und Kuustideen zeigen, und in Verbindung mit den
Städtesiegeln wichtige Aufschlüsse über mittelalterliche Architektur, deren
verschiedene üebergangsepochen, und über Befestigungsweise geben. Hieran
schliesst sich die reichliche Ausbeute, die der Sprachforscher für die Epi-
graphik und Paläographie des Mittelalters aus der Beschäftigung mit den
Siegeln gewinnen wird. — Daraus geht nun hervor, dass die Siegel an und
für sich eine wesentliche Quelle der Kunst--und Sittengeschichte sind, und
dass durch dieselben mittelalterliche Kunstwerke von unbestimmtem Alter
am sichersten der ihnen zukommenden Zeit- und Kunstepoche können
zugewiesen werden."
Wenn demnach der Unterzeichnete vielleicht der erste gewesen ist, der
den Versuch gemacht hat, die Bedeutung der Siegelkunde für das Stu-
dium der Kunstgeschichte dem System der letzteren einzureihen, wenn
ausserdem nur erst einzelne Detailforschungen für diesen Zweck (wie
namentlich die höchst verdienstlichen „Sphragistischen Aphorismen" von
C. P. Lepsius) vorliegen, so werden wir das obengenannte Werk des
Herrn Melly, das seine gesammte Aufgabe in besonnenster Weise umfasst
und, neben allen übrigen Gesichtspunkten, welche dabei zur Sprache kom-
men , auch den des Kunstgeschichtlichen und die hiebei sich ergebenden
Resultate mit klarem Verständniss darlegt, doppelt willkommen heissen
müssen. In der That gewinnen wir hiedurch für den Weiterbau des grossen
Systems der Kunstgeschichte mannigfach charakteristische und schätzens-
werthe Materialien.
Der Verfasser ist übrigens fern davon, seinerseits sofort mit einem
System der Siegelkunde aufzutreten. Seit Heineccius die letztere vor fast
anderthalb Jahrhunderten zuerst versuchsweise zu einer selbständigen
Wissenschaft ausgeprägt, haben sich die Ansprüche unendlich verändert
und erweitert; doch sind neben mehr oder weniger unzulängliciien Sammel-
werken nur erst Einzelforschungen hinzugekommen, die den weiten Kreis
poch auf keine Weise abgränzen. Auch der Verf. giebt somit vorerst mir
Beiträge zur Siegelkunde des Mittelalters, 559
„Beiträge;" wohl aber hat er hierin von vornherein einen Standpunkt
genommen, der ihn stets das vorhandene Gesammtgebiet seiner Wissenschaft
überschauen lässt. Die Mittheilungen des vorliegenden ersten Theils sind
in sich gerundete Abhandlungen; je nach Maassgabe der hierin berührten
einzelnen Gegenstände werden die Schlussfolgerungen, zu denen die letz-
teren Anlass geben, mit Umsicht entwickelt und hiedurch sichere Stützpunkte
für weitere Forschungen gewonnen. Wir können den Inhalt des ersten
Theils und die Beziehungen desselben zu den Interessen der Kunstge-
schichte nur in kurzer üebersicht andeuten.
In dem ersten einleitenden Abschnitt giebt der Verf. „Andeutungen
über Siegelkunde und Siegelsammlungen überhaupt." Mit Bezugnahme auf
den gegenwärtigen Stand dieser Wissenschaft spricht er sich hier über die
hemmenden Umstände, welche der Förderung derselben noch immer ent-
gegenstehen und die besonders in der erschwerten Benutzung der Archive
lind noch mehr in der kümmerlichen Beschränktheit so vieler Archivare
beruhen, aus. Vornehmlich ist dies der Fall, wenn es darauf ankommt,
Abdrücke von den Siegeln zu nehmen, deren man doch, um in diesem
Fache zu irgend einer umfassenden Üebersicht gelangen zu können, vor
Allem nöthig hat. Der Verf. giebt hiebei nützliche und ausführliche An-
weisungen über die beste Methode, die Siegel ohne alle Verletzung der
Originale in Gyps zu formen. — In der That ist es sehr wünschenswerth,
dass die kunsthistorischen Museen neben der Sammlung von Originalsiegeln
und Siegelstempeln (wie eine sehr reichhaltige Sammlung solcher Art u. A.
bei dem Berliner Museum vorhanden ist) möglichst vollständige Sammlungen
von Gypsabdrücken anlegen. Den obigen Andeutungen gemäss würde hie-
durch in den betreffenden Beziehungen eine so vollständige und detaillirte
üebersicht des kunsthistorischen Entwickelungsganges gegeben werden, wie
dies auf keine andere Weise möglich zu machen ist.
Der zweite Abschnitt, der umfassendste des ganzen Bandes, enthält
ein „Verzeichniss der Städtesiegel Oesterreichs im Mittelalter," soviel deren
dem Verf. bis jetzt bekannt geworden sind. Dasselbe umfasst 360 Num-
mern. Mit genauer Charakteristik und Hinzufügung der erforderlichen
historischen Bestimmungen ist hier alles Einzelne, den verschiedenen Be-
ziehungen der Wissenschaft entsprechend, in erschöpfender Weise abge-
handelt. — Der folgende Abschnitt, ,,Uebe'rsichtliche Darstellung der
österreichischen Städtesiegel," legt die Ergebnisse vor, welche sich aus
einer vergleichenden Gesammtbetrachtung dieses Materials gewinnen lassen.
Hiebei ist namentlich auch alles dasjenige zusammengestellt, was in arti-
stischer Beziehung, sowohl in Betreff der Siegelstempel und ihrer Anfer-
tigung, als in Betrelf der auf den Siegeln enthaltenen bildlichen Darstel-
lungen und der stylistischen Entwickelung derselben, von irgendwelcher
Wichtigkeit ist. — Der vierte Abschnitt enthält eine ausführliche Mono-
graphie der „Siegel der Städte Krems und Stein," der fünfte eine Abhand-
lung „über Siegel und Siegelweisc österreichischer Damen," wobei dem
Einzelverzeichniss wiederum die Ergebnisse für das Allgemeine der Ent-»
Wickelung und Darstellung beigefügt sind. — In dem letzten Abschnitte
ist das Vorkommen „Antiker Steinschnitte auf österreichischen Siegeln'*
(hier mit Bezug auf Siegel der Geistlichkeit, des Adels und der Bürger)
besprochen. Die Einführung antiker Gemmen, zumeist mit mythologischen
Darstellungen, in mittelalterliche Siegel ist in kulturhistorischer Beziehung
gewiss sehr merkwürdig. Den schon bekannten Beispielen wird hier eine
560 ' Berichte uud Kritiken.
erhebliche Anzahl anderer; von namhaftem Interesse, nachgewiesen und
werden unter Ihnen mehrere ungemein schöne Ausführungen antiker Kunst
zur Darstellung gebracht.
Die Vorzüge des vorliegenden Werkes werden durch die bildlichen
Darstellungen, welche dasselbe begleiten, wesentlich gehoben. Eine grosse
Menge in den Text gedruckter, vortrefflich gearbeiteter Holzschnitte giebt
die unmittelbare Anschauung verschiedenartigst interessanter Siegel und
ihrer heraldischen, architektonischen, figürlichen Darstellungen. Vierzehn
Siegel, die sich zumeist durch besondere künstlerische Schönheit auszeich-
nen, sind in sehr sorgfältigen Kupferstichen beigefügt, denen sich ein
Kupferblatt mit der Darstellung von 12 Gemmensiegeln der eben bezeich-
neten Art anschliesst.
Gewiss wird ein so klassisch angelegtes Werk, wie es die Melly'sehen
Beiträge in diesem ersten Bande sind, nicht verfehlen, eine wesentliche
Einwirkung auf die Wissenschaft, — auch auf die der Kunstgeschichte,—
auszuüben. Wir hoffen, dass der rüstige Verfasser bald ähnlich gehalt-
reiche Fortsetzungen folgen lasse.
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1847, No. 15.)
1) Denkmale romanischer Baukunst am Rhein. Herausgegeben
von F. Geier und R. Görz. Frankfurt a. M., Schmerber'sche Buchhand-
lung, 1846. Erste und zweite Lieferung, (Jede Lieferung mit 6 Kupfer-
tafeln und erläuterndem Text in Fol.)
Ein Unternehmen, das nach der Aufgabe, die dasselbe sich gestellt
hat, nach der Auffassung und Behandlung, wie diese in den Mittheilungen
der ersten Lieferungen ersichtlich werden, der Geschichte der vaterländi-
schen Architektur ein sehr werthvolles Material zuzuführen verspricht. Es
sind die sehr reichen und mannigfaltig gebildeten romanischen Baudenk-
mäler des Rheinlandes, die uns hier vorgeführt werden sollen, sich an-
schliessend zunächst an jenes bekannte Werk von S. Boisserde (Denkmäler
der deutschen Baukunst am Unterrhein) und, um das hierin Gegebene nicht
sofort zu wiederholen, besonders den Denkmälern des Mittel- und Ober-
rheins gewidmet, wie dies in der Vorrede näher angedeutet wird. Die
Darstellungen beruhen überall auf genauer architektonischer Vermessung
und bestehen aus Grundrissen (die durchweg .nach gleichem Maassstabe
gegeben werden sollen), aus Durchschnitten und Aufrissen verschiedenen
Maassstabes, welche stets von der Composition und Construktion der be-
treifenden Monumente ein klar verständliches Bild geben, sowie aus ge-
nauen Zeichnungen von charakteristischen Details, aus denen die künst-
lerische Formenbildung und der Grad der Ausbildung derselben zur Genüge
ersichtlich wird. Die Blätter enthalten durchaus nur Umrisszeichnungen
mit geringer Schattenandeutung'und SchraflFirung in den durchschnittenen
Theilen; der Sorgfalt der Zeichnung entspricht die Präcision des Stiches.
■ Zur Geschichte der Kunst lu Deutschland. 561
Die erläuternden Textblätter geben die historischen Notizen für die einzelnen
Denkmäler und führen im üebrigen in ihre konstruktiven und ästhetischen
Besonderheiten ein. Das ganze Unternehmen hat das Gepräge eines auf
wissenschaftlicher und künstlerischer Grundlage beruhenden, von allem
Dilettantismus freien Werkes. — Der Inhalt der beiden ersten Lieferungen
besteht in Folgendem. '
Zunächst in einem Vorredeblatt, welches sich, neben der Bezeichnung
des besondern Zweckes, dem das Unternehmen gewidmet ist, über die
allgemeinen Principien der Kirchenbauweise, besonders im früheren ger-
manischen Mittelalter, ausspricht. Die unbefangene vorurtheilslose Weise,
wie hier, ohne alles Gewicht auf einen einzelnen Punkt zu legen, viel-
mehr die verschiedenen Gesichtspunkte, des Idealen und des Technischen,
berücksichtigt sind, doch aber das geistige Bedürfniss der damaligen Zeit
gebührend in den Vorgrund gestellt ist, erweckt von vornherein ein günsti-
ges Vorurtheil für den Standpunkt, auf dem die Herausgeber sich befinden.
Die Mittheilungen der drei ersten Kupferblätter betreffen die Kirchen der
ehemaligen Cistercienserabtei Eberbach, an der südlichen Abdachung des
Taunusgebirges, die sogenannte ältere Kirche und die grössere, eigentliche
Hauptkirche des Klosters. Die letztere erscheint als eine mächtige romanische
Gewölbkirche streng und schmucklos ausgeführt, wie es bei den Kirchen der
Cistercienser Sitte war. Sie ist um die Mitte des 12ten Jahrhunderts gegründet
und 1186 eingeweiht worden; die Behandlung ihrer Formen entspricht völlig
dieser Bauzeit. Die sogenannte ältere Kirche (falls dies Gebäude überhaupt
eine eigentliche Kirche war) bildet einen oblongen Raum, der durch zwei
Säulenstellungen mit überhöht spitzbogigen Kreuzgewölben in drei Schiffe
von fast gleicher Breite und Höhe geschieden wird und an der einen (gen
Süden belegenen) Schmalseite mit einem kleinen quadratischen Ausbau
versehen ist. Alles Detail hat hier die zierlich elegante Ausbildung des
spätromanischen Styles. Die Herausgeber bemühen sich zu erweisen, dass
dies die ursprüngliche, zu Anfang des 12ten Jahrhunderts erbaute Kirche
sei, da sie wirklich an der Stelle befindlich ist, wo die älteren Klosterge-
bäude, die im Anfang des 13ten Jahrhunderts in ein Hospital verwandelt
wurden, standen. Mir scheint kein Zweifel, dass sie eben zu den letzteren
Anlagen gehöre und gleichzeitig mit ihnen aufgeführt wurde, indem die
Detailbildungen den Formen dieser spätem Zeit völlig entsprechen. (Da
die Parteien in. Betreff des romanischen Uebergangsstyles einander in
Deutschland noch kämpfend gegenüberstehen, so mag es hier an dieser
Andeutung genügen. Wenn aber die Herausgeber bei dieser Gelegenheit
sich auf mein Handbuch der Kunstgeschichte beziehen zu dürfen meinten,
so hätten sie doch füglich auch von dem Hauptinhalt der angezogenen
Seite Notiz nehmen sollen.) — Auf 6 folgenden Kupferblättern, von denen
eines ein Doppelblatt ist, wird sodann die im Jahr 1093 gegründete und
1156 eingeweihte Abteikirche von Laach dargestellt, die in ihrer majestä-
tischen Gesammtcomposition, in der vortrefflichen räutalichen Anordnung
des Innern, in der reichen, principmässigen Durchbildung als eins der
Musterbeispiele des romanischen Baustyles zu betrachten ist. Wenn wir
über diese so höchst wichtige Kirche bisher nur die wenig genügenden
Mittheilungen besassen, welche in dem oben genannten Werke von Boisseree
enthalten sind, so gewinnen wir in den vorliegenden Blättern schon eine
sehr umfassende Anschauung ihrer gesammten Kigenthümlichkeiten. Ein
Kugler, Kleine Schrificn II. 36 '
-ocr page 561-562 ' Berichte uud Kritiken.
besonderes, noch umfassenderes Werk über die,Kirche von Laach ist von
Herrn Chr. W. Schmidt in Trier schon seit längerer Zeit vorbereitet
worden und dürfte demnächst ebenfalls erscheinen. — Zwei Blätter geben
uns eine Anschauung der Reste der Abteikirche zu Limburg an der
Hardt, die, in der ersten Hälfte des Ilten Jahrhunderts gebaut und 1042
eingeweiht, noch als sehr einfache Säulen-Basilika mit flacher Decke", doch
zugleich mit eigenthümlicher und interessanter Chor-Anordnung erscheint.
— Das letzte Kupferblatt der zweiten Lieferung enthält den Grundriss des
Domes zu Speyer, als Anfang der Mittheilungen über ein Gebäude, das,
wie arge Schiciisale über dasselbe auch hingegangen sind, doch wieder als
eines der allerwichtigsten Denkmäler des romanischen Baustyles bezeichnet
werden muss. Da über diesen Dom seither noch gar keine genügenden
bildlichen Mittheilungen vorliegen, so haben wir schon in der nächsten
Fortsetzung des eben besprochenen Werkes wiederum die interessantesten
Aufschlüsse zu erwarten.
2) Denkmale altdeutscher Baukunst, Stein- und Holzsculptur
aus Schwaben. Herausgegeben von G. C. Ferd. Thrän, Stadtbaumeister
in Ulm. In Commission der Wohler'schen Buchhandlung. Heft I und II.
(Jedes Heft mit 5 lith. Blättern und erläuterndem Text in Fol.)
Das Unternehmen, welches unter dem vorstehenden Titel ins Leben
getreten ist, hat den Zweck, nicht sowohl jene grossen kirchlichen Monu-
mentalbauten, bei denen die architektonische Gesammtanlage und die daran
zur Erscheinung kommenden allgemeinen ästhetischen und konstruktiven
Principien als das zunächst Wichtige erscheinen, als vielmehr die kleineren
Baudenkmäler und an ihnen (wie es scheint) vornehmlich die Behandlung
des architektonischen Details, sodann jene mannigfaltigen, der mehr deko-
rirenden Kunst angehörigen Werke, welche als Accessorien der Kirchen
und Klöster und zum Schmucke des städtischen und bürgerlichen Verkehrs
im Mittelalter gearbeitet wurden, zur Darstellung zu bringen. In örtlicher
Beziehung werden diese Darstellungen auf die in den schwäbischen Landen
vorhandenen Denkmäler beschränkt sein, wo indess der grosse Reichthum
an Werken der bezeichneten Art und die Blüthe mittelalterlicher Kunst-
thätigkeit — wir erinnern vornehmlich an die mannigfach bedeutenden
Leistungen der Künstlerfamilie der Syrlin — eine doppelt erfreuliche Aus-
beute gewähren. — Der Herausgeber hat seine Unternehmen von einem Stand-
punkte aus eingeleitet, der die würdigste Erfüllung seiner Aufgabe, die
vielseitigste Belehrung für den in Aussicht genommenen Zweck verspricht
und in den vorliegenden Blättern bereits gewährt. Seine Darstellungen
beruhen auf einem ebenso vollkommenen, frei künstlerischen Verständniss
der betreffenden Gegenstände, wie auf einer scharfen wissenschaftlichen
Ergründung der Gesetze, aus denen die Formation derselben hervorgegangen
ist. Die Zeichnungen bestehen in vollkommen ausgeführten Ansichten
der einzelnen Gegenstände, die uns dieselben in ihrer ganzen| Erscheinung
und Wirkung vorführen, und zugleich in den verschiedensten Grundrissen
und Durchschnitten, bei welchen die Maasse überall aufs Genaueste ange-
geben sind. Der erklärende Text gibt hiezu die erforderlichen historischen
und ästhetischen Notizen und ausserdem eine höchst sorgliche, selbst ge-
lehrte Berechnung der vorkommenden Maassverhältnisse und der Grund-
bezüge derselben.
■ Zur Geschichte der Kunst lu Deutschland. 563
Das Werk wird in verschiedene Abschnitte zerfallen, deren Anfänge
in den Blättern der beiden ersten Hefte vorliegen. Der erste Abschnitt
führt die Ueberschrift: „Taufsteine, Ciborien, Altäre, Tabernakel,
Chor- und Kirchengestühle etc." Hieher gehören 5 Blätter mit den
in interessanten gothischen Formen gebildeten Taufsteinen zu Heiningen,
Arnegg, Suppingen, und einem sehr zierlich gebildeten Sitzschemel,
vom Chorgestühl der Klosterkirche zu Blaubeuren. — Von dem zweiten
Abschnitt, „Kapellen und Kirchen" liegen bis jetzt 2 Blätter vor,
welch'e den Grundriss und Details der Kirche zu Faurndau, einer Säu-
lenbasilika romanischen Styles, enthalten. (Dieselbe wird im Ganzen auf
14 Blättern dargestellt werden.) — Von dem dritten Abschnitt, „Oeffent-
liche Brunnen" sin& bis jetzt 3 Blätter gegeben, die zu den auf 11 Blät-
ter berechneten Darstellungen jenes bekannten Brunnendenkmals zu Ulm
gehören, das, unter dem Namen des „Fischkastens" bekannt, von Jörg
Syrlin im Jahr 1482 ausgeführt und im Jahr 1840, auf Veranlassung der
dortigen städtischen Behörden und unter Leitung des Herausgebers, in er-
freulicher Weise wiederhergestellt ist. Die ausführliche Darstellung dieses
schönen gothischen Architekturwerkes, wie dieselbe in den vorliegenden
Blättern begonnen ist, wird gewiss mit besonders lebhaftem Interesse be-
grüsst werden. >
Dem ersten Hefte ist ein „Vorwort" von der Hand des Herrn Professor
Hassler zu Ulm beigegeben. Es heisst hierin gegen den Schluss: „Kaum
brauche ich hinzuzufügen, dass ein solches Werk, welches uns wesentliche
Theile der Hinterlassenschaft einer grossartigen, in ihrer künstlerischen
Bedeutung noch lange nicht genügend verstandenen und gewürdigten Vor-
zeit durch die getreuesten Nachbildungen in grossem, deutlichem Maass-
stabe vor das Auge führt und so wenigstens ein Bild vor dem Untergange
rettet, seinen selbständigen antiquarischen Werth habe. Ein solches Werk
kommt mir vielmehr vor wie eine Janusgestalt. Blickt es einerseits rück-
wärts in die Vergangenheit und liefert uns Studienblätter für die Kunst-
geschichte, so blickt es auf der andern Seite auch vorwärts in die Zukunft
und bezeichnet uns dieselben Blätter als Studien für künstlerische Bildung:
wie sie denn unzweifelhaft auch für verwandte Zwecke als Vorlegeblätter
in Gewerb- und polytechnischen Schulen mit Nutzen werden angewendet wer-
den können." — Ich kann dies letztere nur mit vollkommener Ueberzeugung
bestätigen. Die Gründlichkeit und Tüchtigkeit einerseits, die breite, ächt
künstlerische Behandlung andrerseits zeichnen diese Blätter zu sehr aus,
als dass man sie bei Zwecken der angedeuteten Art — falls man nicht
überhaupt das Auge vor dem Mittelalter verschliessen will — ausser Acht
lassen sollte.
3) Die Grabmäler des Hauses Nassau-Saarbrücken zu St. Ar-
nual, Saarbrücken und Ottweiler. Herausgegeben von Christian
Wilhelm Schmidt. Inhalt: Neun Kupfertafeln. Trier, 1846. (Fol.)
Ein Heft, das sich seiner ganzen äussern Einrichtung nach den von
Herrn Schmidt herausgegebenen und nunmehr vollendeten Trier'schen
Baudenkmälern anreiht .und als Supplement derselben aufzufassen sein
dürfte. Einige Darstellungen sind dieselben, wie schon in seinen Baudenk-
mälern. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl derselben enthält die
Grabmonumente der Kirche von St. Arnual bei Saarbrücken, welche ein
564 ' Berichte uud Kritiken.
förmliches Mausoleum des Hauses Nassau-Saarbrücken bildet. Ein vorzüglich
interessantes Monument gehört dem 14ten, ein anderes, ebenfalls von höhe-
rem Werth, dem löten Jahrhundert an. Ihnen folgt eine grosse Anzahl
von Denkmälern der späteren Zeiten des I6ten und aus dem 17ten Jahr-
hundert, mit barocken Architekturen und sonstigen dekorirenden Beiv^ferken
im Charakter dieser Epoche versehen. Den letzteren reihen sich einige
aus dem Anfange des 18ten Jahrhunderts an. Eigentlich künstlerisches
Interesse gewähren nur jene früheren Werke, doch geben auch die übrigen
ein charakteristisches Bild für die wechselnden Geschmacksrichtungen
der verschiedenen Zeiten. Ausser dem genealogischen Interesse (das unsre
Zwecke natürlich nicht berührt) sind diese Denkmäler zugleich, da sie
überall die Bildnissgestalten der betreffenden Persorffen enthalten, auch für
das Kostümstudium in mehrfacher Beziehung nicht unwichtig. Die gestoche-
nen Abbildungen bestehen in genauer Umrisszeichnung.
Nürnberger Bildhauerwerke des Mittelalters. — I. Marienbil-
der. Für Bildhauer, Maler und alle Freunde deutscher Kunst gezeichnet,
gestochen und mit kurzen Notizen herausgegeben von Friedrich Wag-
ner. Text in deutscher, französischer und englischer Sprache. Mit 10
Kupfertafeln. Nürnberg, Verlag von Konrad Geiger. 1847. Gr. 4.
(Kunstblatt 1847, No. 24.)
Das vorstehend genannte Heft enthält eine höchst anziehende Ueber-
sicht von Stein- und Holzbildwerken Nürnbergischer Kunst, welche die
Maria als Jungfrau, als beglückte oder klagende Mutter und als Himmels-
königin darstellen. Für die poetisch-gemüthvolle Auffassung des Marien-
charakters in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters giebt dasselbe
eben so schätzbare Belege, wie für den Gang der Entwickelung und die
eigenihümliche Blüthe der vaterländischen Kunst. Von feierlich schlichten
Darstellungen im germanischen Style des 14. Jahrhunderts werden wir zu
den charakteristisch ausgeprägten des 15. und der früheren Zeit des 16,
geführt und begegnen zuletzt einer nicht minder schönen aus späterer Zeit
des 16, Jahrhunderts, in der die heimische Auffassungs- und Darstellungs-
weise nach den grossartigeren Linien und Formen der italienischen Kunst
jener Zeit umgebildet erscheint. Neben den Werken bekannter Meister,
wie A. Kraft und V. Stoss, finden wir andere von solchen, deren Namen
die Kunstgeschichte nicht mehr weiss, die aber das Gepräge nicht geringe-
rer Vollendung tragen. Zu diesen gehört insbesondere jene, in neuerer
Zeit mit Recht so berühmt gewordene Holzstatue der klagenden Maria in
der Sammlung der königl. Kunstschule zu Nürnberg; sodann eine ungemein
tief empfundene und in edelstem Wohllaut der Linien durchgeführte Gruppe
der Maria, die über dem Leichnam des Sohnes betet; ebenfalls aus Holz
geschnitzt, befindet die letztere sich in der dortigen Jakobskirche. Mit
Ausnahme dieser Gruppe sind sämmtliche Darstellungen nur der einzelnen
Gestalt der Madonna (doch gelegentlich mit dem Kinde auf dem Arme)
gewidmet und enthalten sie theils für sich bestehende Statuen, theils aus
Nürnberger Bildhauerwerke des Mittelalters. Die Heldeugräber aai Lupfeti etc. 565
grösseren Compositionen entnommene Figuren. Die Zeichnung ist überall
mit sicherem Verständniss, der halbausgeführte Stich in erfreulicher Tüch-
tigkeit gearbeitet. Das Heft, dem ein zweites mit der Darstellung von
Christusbildern in ähnlicher Anordnung und ein drittes mit Aposteln, Hei-
ligen- und Portraitstatuen folgen soll, wird mit um so grösserem Beifall
aufgenommen werden, als durchweg für bildliche Herausgabe und Bekannt-
machung der Sculptur des deutschen Mittelalters noch ungemein viel zu
thun ist.
Man könnte sich vielleicht zu einer tadelnden Bemerkung darüber
veranlasst sehen, dass der Herausgeber hauptsächlich nur einzelne Gestal-
ten und nicht auch grössere Compositionen, zumal wenn jene aus diesen
entnommen sind, gegeben hat. Die Bemerkung würde aber müssig sein,
da der Herausgeber vollkommen berechtigt war, zu geben was er wollte,
und da eine solche Uebersicht gleichartiger Charaktere in verschiedenarti-
ger Auffassung, je nach Epochen und künstlerischen Individualitäten jeden-
falls interessant ist und eine Blumenlese bildet, deren Veröffentlichung man
nur mit Dank anerkennen kann. Vielleicht indess wird dem Herausgeber
soviel Beifall zu Theil, dass er sich später auch zur Darstellung grösserer
Compositionen entschliesst, die wir sodann allerdings nicht minder will-
kommen heissen würden.
1) Die Heidengräber am Lupfen (bei Oberflacht). Aus Auftrag
des württerabergischen Alterthumsvereins geöffnet und beschrieben von
dem k. württ, Hauptmann v. Dürrich und Dr. Wolfgang Menzel.
Stuttgart, 1847. (28 S. in 4.). — Dazu:
2) Jahreshefte des Wirte nbergischen Al t erth ums ve r eins. Drit-
tes Heft. Stuttgart, 1846. (1 Textblatt mit Holzschnitten und 4 Bl. lith.
Abbildungen in Fol.)
(Kunstblatt 1847, No. 26.)
No. 1 enthält die näheren Erläuterungen zu den in No. 2 mitgetheilten
Darstellungen. Sie geben ein Bild von der Ausbeute, welche die kürzlich
erfolgte sehr umfassende Ausgrabung der obengenannten Gräber gewährte
und die für die vaterländische Alterthumskunde von erheblicher Wichtig-
keit ist. Nach den Ermittelungen des Herrn Menzel sind dies Gräber
heidnischer Alemannen aus der Zeit zwischen dm 4ten und Sten Jahr-
hundert, nach dem Aufhören altrömischer und vor dem Eintreten christlicher
Einwirkungen. In den sehr mannigfaltigen Gegenständen, welche hier
aufgefunden wurden, tritt uns das Bild einer auf eigenthümlicher, völlig
primitiver Grundlage schon ziemlich vielseitig ausgebildeten Kulturstufe
entgegen. Neben mancherlei, zum Theil sehr zierlich gearbeiteten metal-
lischen Schmuckstücken, zur körperlichen Bekleidung der Menschen und
zum Geschirr der^Pferde gehörig, neben Waff"en und andern Bekleidungs-
resten (z. B. eigen'thümlich zugerichteten Sandalen), neben irdenem Geräth
ö56 Berichte, uud Kritiken.
und einzelnen Glasgegenständen, ist es besonders die grosse Menge ver-
schiedenartigen Holzgeräthes, was die vorzüglichste Aufmerksamkeit in
Anspruch nimmt. Zimmerer, Büttner, Tischler, Drechsler, Schnitzer erschei-
nen hier in mannigfacher und erfolgreicher Thätigkeit. Die Leichen sind
in Holzsärgen, welche meist aus ausgehöhlten Baumstämmen bestehen, bei-
gesetzt; gelegentlich haben die letzteren eine hausähnliche Form. Zuweilen
sind es auch förmliche Todtenbettstellen, mit wohlgeschnitzten Bretter-
wänden. Ebenso kommen kleinere Behälter ähnlicher Art, einmal auch
ein Brettersessel vor. Daneben mancherlei Leuchter, Bütten, Flaschen,
Schalen, Teller u. s, w. Als Gegenstände symbolischer Bedeutung sind
die zum Theil sehr bunt ausgeschnitzten Todtenschuhe anzuführen. Auf
weibliche Beschäftigung deutet ein zierliches Webegeiäth, auf männliche
(ausser den WalTen) eine Art Laute oder Geige, die eines der Gerippe
neben dem Schwerte im Arme hielt. U. dgl. m. Je nach der Laune und
Bedürfniss sind hiebei allerlei Verzierungen, die stets auf der Kombination
einfachster Formen beruhen und meist in durchaus geschmackvoller Weise
ausgeführt sind, angebracht. — Die Bedeutung dieser Funde für die spe-
ziell archäologischen Interessen näher nachzuweisen, ist hier nicht der Ort.
Hier mag nur darauf hingedeutet werden, wie diese Mittheilungen einer-
seits von jenen primitiven Stadien künstlerischer Entwicklung, welche uns
so fern liegen, wiederum eine sehr belehrende Anschauung gewähren und
wie sie andererseits zugleich geeignet sind, den schaffenden Künstler, der
sich die Darstellung frühgermanischer Zustände und Begebnisse zur Aufgabe
genommen hat, lebendig in die äussern Formen jener Zeit einzuführen. In
der That baut sich vor der Phantasie des Betrachters aus diesen und ähn-
lichen Ueberresten, zumal wenn er dabei zugleich so mancher Mittheilungen
von Denkmalen des skandinavischen und namentlich norwegischen Alter-
tliums gedenkt, das Bild jener Frühzeit in so charakteristischer wie ein-
druckvoller Weise empor.
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1847, No. 51.)
1) Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Bear-
beitet und herausg. von Dr. L. Puttrich etc. Abth. IL, Bd. IL, Lief. 14
bis 16. Leipzig 1846. Fol.
Die vorliegenden Lieferungen des Pnttrich'schen Werkes, über welches
zuletzt in Nummer 54 des vorjährigen Kunstblattes berichtet ist, bilden
wiederum ein für sich bestehendes Ganzes, unter dem Separattitel: „Erfurt,
sein Dom und andere mittelalterliche Bauwerke daselbst."
Sie enthalten 12 Blatt Abbildungen (sämmtlich, mit Ausnahme des Grund-
rissblattes, ausgeführte Lithographien), 2 Vignetten und 22 Seiten Text.
Der Separattitel bezeichnet den Inhalt, der, bei der JBedeutung Erfurts
und seiner Monumente, auf ein lebhaftes Interesse Anspruch hat, obgleich
■ Zur Geschichte der Kunst lu Deutschland. 567
der Herausgeber sich, seinemPlane getreu, auf eine Auswahl des vorzugsweise
Charakteristischen zu beschränken für nöthig fand. Der grössere Theil der
Darstellungen ist dem Dome von Erfurt und seinen Nebengebäuden, dem
imposanten Mittelpunkte der Stadt, gewidmet. Die seltsame Grundriss-
composition des Domes, durch das verschiedenartige Bedürfoiss verschie-
dener Bauzeiten und durch die besondere Lokalität motivirt, die malerische
Anlage über mächtig gewölbten Substructionen, welche den Chor stützen,
die schöne Entwickelung gothischer Formen, besonders am Chor und dem
elgenthümlich vortretenden Seitenportale, neben Theilen, die ein älteres
Gepräge tragen, der pittoreske Kreuzgang in seinen eleganten, theils früh-,
theils spätgothischen Formen, — Alles dies wird in mannigfachen charak-
teristischen Abbildungen vorgeführt. Von den Übrigen Monumenten dagegen
werden nur einzelne Theile gegeben, wie eine innere Ansicht des einfach
gothischen, doch in trefflichen Verhältnissen emporgeführten Chores der
(eingestürzten) Barfüsserkirche und Details eben dieser, der Petri-, der
Prediger- und Augustinerkirche; aus der Severikirche das prachtvolle spät-
gothische Tabernakel über dem Taufstein; die bekannte, vor der Stadt
stehende gothische Betsäule, und ausserdem ein eigenthümlich interessantes,
neben der Krämerbrücke belegenes gothisches Wohngebäude. Es genügt,
dieser flüchtigen Aufzählung die Bemerkung hinzuzufügen, dass der Ge-
sammtinhalt der vorliegenden Lieferungen, sowohl in den Abbildungen als
in dem historischen und kritisch erläuternden Texte (der von der Hand
des Herausgebers herrührt) mit derselben Hingebung und Sorgfalt gearbeitet
ist, wie die früheren Mittheilungen desselben Werkes. Zum grösseren Theil
haben die Abbildungen zugleich einen vollkommen selbständigen künst-
lerischen Werth, wozu namentlich auch die von E. Gerhardt mit glück-
lichster malerischer Wirkung radirte Titelvignette gehört, die einen der
älteren Theile des Kreuzganges beim Dom darstellt.
2) Denkmale romanischer Baukunst am Rhein. Herausg. von
E. Geier und R. Görz. Lief. ILL 1846. (6 Bl. in Fol.)
Ueber Lief. 1 und 2 dieses Werkes s. No. 15 des diesjährigen Kunst-
blattes. Was dort über das vortreffliche Unternehmen im Allgemeinen
gesagt ist, findet seine Anwendung auch auf die dritte Lieferung, die zum
grösseren Theile aus unmittelbaren Fortsetzungen der in den beiden ersten
enthaltenen Mittheilungen besteht. Namentlich ist es jenes Musterbeispiel
romanischer Bauweise, die Abteikirche zu Laach, deren Composition und
Formenbildung hier in anderweitigen Gesammtrissen und Detaildarstellungen
weiter entwickelt wird. Ausserdem sind in der vorliegenden Lieferung
von dem Speyrer Dome weitere Grundrisse (der ausgedehnten Krypta und
von oberen Theilen des Gebäudes), sowie ein Grundriss der Abtei zu
Schwarzach, einer romanischen Säulenbasilika, enthalten. '
■
3) Denkmale altdeutscher Baukunst, Stein- und Holzsculptur
aus Schwaben. Herausg. von G. C. Ferd. Thrän, Stadtbaumeister in
Ulm. Heft IIL (5 lith. Abbildungen und 1 Bl. Text in Fol.)
Ueber Heft 1 und 2 dieses Werkes s. ebenfalls No. 15 des diesjährigen
Kunstblatts. Auch hier ist auf das dort Gesagte unmittelbar Bezug zu
nehmen. Der Inhalt des dritten Heftes besteht nur aus Fortsetzungen des
568 ' Berichte uud Kritiken.
früher Gegebenen, indem darin 2 Blatt mit Darstellungen des elegant gothi-
schen Fischkastens zu Ulm, 3 Blatt mit Detaildarstellungen der romanischen
Kirche zu Faurndau enthalten sind. Wenn diese kurze Angabe hier genügen
dtlrfte, so sieht Ref. sich doch veranlasst, wiederholt ausdrücklich zu
bemerken, dass diese Blätter in Verständniss, Auffassung und Wiedergabe
mittelalterlicher Kunstformen (sowohl bei denen des gothischen als bei
denen des romanischen Styles) mit durchaus vollendeter Meisterschaft
behandelt sind und hierin gewiss von keinem Unternehmen ähnlicher Art
übertroffen werden. Wenn es überhaupt — woran doch nicht zu zwei-
feln — für passlich befunden wird, in den Kunstschulen auch mittelalter-
liche Kunstformen zu lehren, so dürften diese Blätter vor Allem zu
"Vorlegeblättern zum Nachzeichnen (auch zum Modelliren nach ihnen)
geeignet sein.
Nürnberger Bildhauerwerke des Mittelalters. — II. Christus-
bilder. Herausgegeben von Friedrich Wagner. Mit 10 Kupfer-
tafeln. Nürnberg, Verlag von Konrad Geiger. 1847. Gross 4.
(Kunstblatt 1848, No. 2.)
lieber das erste Heft dieses Werkes, welches die Darstellung von
Marlenbildern enthielt, und über den Gesammtzweck des Unternehmens
haben wir bereits in No. 24 des Kunstblatts 1847 berichtet. Das vorliegende
zweite Heft, mit der Darstellung von Christusbildern, schliesst sich jenem
in würdiger Weise an und hat auf nicht geringeres Interesse Anspruch,
■vi'enn schon wir die Bemerkung nicht unterdrücken können, dass bei Dar-
stellungen dieses Gegenstandes, auch bei den hier ausgewählten Beispielen,
das Ungenügende der mittelalterlich-deutschen Kunst (bis ins 16te Jahr-
hundert hinein) doch störend wirkt. Zeigt der deutsche Künstler auch in
der Behandlung des Christuskopfes, in der Darlegung des geistigen Aus-
druckes nicht selten eine tiefe seelenvolle Empfindung, so verlangen wir
doch nicht minder, zumal bei den vom Gewand entblössten Körpertheilen,
die Erscheinung einer würdig organisirten, zum grossen Handeln befähigten
Natur, was die deutsche Kunst jener Zeit nicht erreicht; auch trägt der
gelegentlich aufgewandte Pomp einer phantastisch geschwungenen oder
gebrochenen Gewandung nicht dazu bei, jenen Mangel höherer Kraft ver-
gessen zu machen. Im eigentlich künstlerischen Sinn fühlen wir uns sonach
am meisten nur von dem, das Titelblatt bildenden schönen Christuskopfe,
nach dem alterthümlichen Kruzifix in der Lorenzkirche, ~ von der Relief-
gruppe von Christus und Maria Magdalena, nach einem der Schnitzwerke
an dem sogenannten Rosenkranze in der Burgkapelle, — und von der vor-
trefflichen figurenreichen Gruppe der Grablegung Christi von Adam Kraft,
in der Holzschuher'schen Begräbnisskapelle auf dem Johanniskirchhof
angesprochen.
Denkmale der Baakuust des Mittelalters iu Sachsen. 569
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Bearbeitet
und herausgegeben von Dr. L, Puttrich. Abth. 1. Bd. II. Lief. 15 u. 16-
Leipzig 1847. Fol.
(Kunstblatt 1848, No. 4.)
Die vorliegenden Lieferungen des grossen, seinem Ziele nunmehr rüstig
zuschreitenden Puttrich'schen Werkes bilden wieder ein zugleich für sich
bestehendes Ganze, unter dem Separattitel: „Mittelalterliche Bau-
werke im Grossherzogthum Sachsen-Weimar-Eisen ach." Die
darin enthaltenen Mittheilungen und bildlichen Darstellungen, im Ganzen
22 einzelne Blätter und Vignetten nebst 22 Seiten Text, beziehen sich auf
die architektonischen Denkmäler der Wartburg, die zu Eisenach, Jena,
Kloster Thalbürgel, Neustadt an der Orla und Weyda. Vorzügliches In-
teresse gewähren uns besonders die Baulichkeiten der Wartburg und unter
diesen vornehmlich die Räume des merkwürdigen sogenannten Landgrafen-
hauses, eines der schätzbarsten Denkmäler aus der Blüthezeit des romani-
schen Bäustyles. In drei Geschossen emporgeführt, ölfnet sich dasselbe
nach dem innern Burghofe hin durch brillante Arkaden, die vor den Säu-
lensälen eines jeden Geschosses einen innern Gang bilden. Diese Arkaden
waren gänzlich vermauert und sind erst in neuerer Zeit wieder freigestellt
und ergänzt worden, seit durch das lebhafte Interesse des Erbgrossherzogs
von Sachsen-Weimar, der auch eine Gesammtrestauration der Wartburg in
Aussicht genommen, für dieses an Erinnerungen so reiche Schloss eine
neue Epoche begonnen bat. In der That dürfte- schwerlich ein zweites
Beispiel auf unsere Tage gekommen sein, aus dem uns, wie aus dem eben
genannten Landgrafenhause, der Glanz und der edle Sinn des fürstlichen
Hofhalts zur Blüthezeit des Ritterlebens und des Minnegesanges, um den
Schluss des 12ten und den Anfang des 13ten Jahrhunderts, in ähnlich an-
schaulicher Weise entgegenträte; die Darstellungen, die uns die Dichtungen
jener Zeit (z. B. das Niebelungenlied) hievon geben, gewinnen durch die
Anschauung jenes Hauses Leben und Gegenwart, und wir sehen seine
Arkaden mit Rittern und edeln Frauen erfüllt, welche neugierig auf die
fremden Ankömmlinge hinabblicken, wir hören die Worte des vielgereisten
Hagene von Troneck, der Wappen und Devisen auf ihren Schilden erklärt,
wir wohnen dem Festesjubel in den stolzen Säulensälen bei, wir leben
den unheilvollen Kampf mit, der sich dort entspinnt und der mit dem
wüsten Hinabwerfen der Todten aus den Galerien auf den Schlosshof endet.
Die ganze Anlage und die reichen Einzelheiten derselben im Innern und
Aeussern werden uns auf mannigfachen Blättern vorgeführt und sinnvoll
erläutert, auch Andeutungen über die bevorstehende gänzliche Wiederher-
stellung des Gebäudes gegeben. — Sodann ist besonders die schöne, leider
nicht mehr vollständig erhaltene Kirche zu Thal-Bürgel interessant, eine
Pfeiler-Basilika spätromanischen Styles, an der vornehmlich die elegante
Gliederung der Pfeiler und der dieselben verbindenden Rundbögen sammt
den rechtwinkligen Umschliessungen der letzteren Beachtung verdient. Die
übrigen Darstellungen betreffen, ausser einigen Einzelheiten zu Eisenach,
namentlich von der dortigen Nikolaikirche, das in elegant späthgothischer
Weise angelegte Portal der Stadtkirche zu Jena, das Rathhaus zu Neustadt
570 Berichte und Kritiken,
an der Orla, ebenfalls aus späthgothischer Zeit, das durch seine bunten
Giebel und vornehmlich durch einen Oberaus stattlichen mächtigen Erker-
bau ausgezeichnet ist, endlich die, nicht sehr bedeutende Wiedenkirche zu
Weyda, deren Haupttheile der Epoche des Uebergangsstyls angehören und
den schlichten, aber schönen und zumal durch seine wohlerhaltene acht-
seitig pyramidale Spitze merkwürdigen Mauerthurm des dortigen Schlosses.
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland.
(Kunstblatt 1848, No, 10.)
is£... ,1
1) Nürnberger BiIdhauerwerke des Mittelalters. — III. Sculp-
turen von Schouhofer und Vischer. Herausgeg. von Friedrich
Wagner. Mit 10 Kupfertafeln. Nürnberg, 1847. Gr. 4.
Nachdem in den beiden ersten Heften dieses Werkes Madonnen- und
Christusbilder aus den verschiedenen Epochen der Nürnbergischen Sculptur
und in ihnen vorzugsweise Beispiele der künstlerischen Thätigkeit von A.
Kraft und V. Stoss gegeben waren, bringt uns das vorliegende Heft andere
bildliche Darstellungen, historische Personen, Heilige, Patriarchen, symbo-
lische Gestalten u. s. w., in denen sich die erhabene Ausbildung des ger-
manischen Styles bei Schonhofer und seinen Zeitgenossen und die erneute,
zugleich wohl durch italienische Einwirkungen erhöhte Umbildung dessel-
Jben bei P. Vischer ausspricht. Von Schonhofer enthält das Heft die Statuen
Kaiser Karls IV. und Chlodwigs vom schönen Brunnen und die der h.
Margaretha aus den Statuen der Vorhalle der Frauenkirche. Schonhofer's
Darstellungsweise ist bekannt, und genügt es, darauf hinzudeuten, dass die-
selbe in diesen glücklich gewählten Proben charakteristisch wiedergegeben
ist. Sodann zwei der schönen und eigenthümlich geschmackvollen Statuen
der klugen uHd thörichten Jungfrauen von der Brautthüre der Sebaldus-
kirche, die eine gewisse Annäherung an den liebenswürdigen Styl der
Kölner Schule verrathen. Von Peter Vischer bringt uns das Heft einen der
Apostel und eine Gruppe von zweien der Patriarchen oder Propheten vom
Sebaldusgrabe, die sehr interessante und für Vischer's ganze Durchbildung
so wichtige Statue des bogenschiessenden Apoll, die sich gegenwärtig in
der Sammlung der Kunstschule befindet, das anziehend naive Bild des
Kirchenmeisters A. Kress aus seiner in der Lorenzkirche befindlichen Ge-
dächtnisstafel, und schliesslich die Darstellung eines den Abschied Christi
von seiner Mutter enthaltenden Reliefs in der Jakobskirche, welches sich
jdei^ Vischer'schen Style wenigstens annähert. So bietet auch das vorlie-
gende Heft mannigfaches Interesse dar, und wir hofi'en, dass die Andeu-
tungcu des geschätzten Herausgebers über eine künftige Forsetzung des
Werkes, für welchen Fall er namentlich auch die Mittheilung grösserer
Kompositionen der Nürnberger Skulptur verheisst, bald in Erfüllung gehen
werden.
m
Zur Geschichte der Kunst in Deutschland. Die Ornamentik des Mittelalters. 571
2) Fünfter Bericht des Vereins für Kunst und Alterthum in
Ulm und Oberschwaben, Ulm 1847.
Ueber den vierten Bericht vergl. Nr. 54 des Kunstblattes vom Jahr
1846. Mit dem vorliegenden fünften Bericht sind Taf. VI und VII der
Folioblätter „zur Architektur und Ornamentik des deutschen Mittelalters,
aus dem Münster zu Ulm," nebst erläuterndem Text, ausgegeben. Beide
Blätter sind nach Aufnahmen und Zeichnungen von E. Mauch von W.
Müller gestochen. Das erste Blatt bringt uns vortrefFliche und in bester
Weise wiedergegebene Details von den Chorstühleu des Ulmer Münsters,
sowie eine Darstellung der daran befindlichen charakteristischen Büsten des
Verfertigers, des älteren Syrlin, und seiner Frau. Auf dem zweiten Blatt
sind Aufriss und Querschnitte des steinernen Weihkessels enthalten, welcher
in eigenthümlichster Anordnung den Fuss der, zunächst der Sakristei be-
findlichen Säule zwischen den Seitenschiffen des Ulmer Münsters umgiebt
und ein ungemein anziehendes Beispiel spätgothischer Ornamentik ausmacht.
In dem, von E. Mauch geschriebenen und durch die Reihenfolge urkund-
licher Nachrichten über die Thätigkeit der Syrlin ausgezeichneten Texte
wird diese Arbeit dem jüngeren Syrlin zugeschrieben. Zugleich ersehen
wir hieraus, dass wir von einem Mitgliede des dortigen Vereins für Kunst
und Alterthum demnächst eine besondere Arbeit über die Stellung Syrlins
und seiner Schule in der Geschichte der mittelalterlich-deutschen Holz-
und Steinbildnerei zu erwarten haben; wir sehen dieser Arbeit, die eine
noch erhebliche Lücke in der vaterländischen Kunst auszufüllen verspricht,
mit lebhaftem Interesse entgegen. Ueberhaupt haben wir bei dieser Ge-
legenheit der schönen Wirksamkeit des genannten Vereins, dessen Samm-
lungen für Ulm und für alle Freunde der vaterländischen Kunst ein stets
erhöhtes Interesse gewinnen, aufs Neue in ehrendster Weise anzuerkennen.
Die Ornamentik des Mittelalters. Eine Sammlung auserwählter
Verzierungen und Profile byzantinischer und deutscher Architektur, gezeich- ^
net und herausgegeben von Karl Heide!off etc. III. Band oder XIII— ^
XVIIL Heft. Mit 49 Stahlstichen und dem dazu gehörigen Text (50 S.).
Nürnberg, 1847. Gr, 4,
(Kunstblatt 1848, Nro. 14,)
Der Meister, der so lange, so hingebend und mit so vielfach glücke
liebem Erfolge bemüht gewesen ist, für die Anerkennung und Erneuung
der mittelalterlichen Architektur und ihrer Einzelformen wirksam zu sein,
fährt unermüdlich fort, uns seine Spenden aus den Schätzen, welche ep
seit 40 Jahren oder länger gesammelt, darzubieten. Schon wieder liegt ein
Band seiner Ornamentik vor uns, ebenso reich an lohalt, ebenso gediegen
im Verständniss uud Geschmack seiner Darstellungen, wie die beiden frür
heren. Was im Allgemeinen von den letzteren zu sagen war, gilt auch
von diesem neuen Bande. Die innige, herzliche Lust, mit der der Heraus-
572 ' Berichte uud Kritiken.
geber dem Formenfrühling der mittelalterlichen Kunst nachging, wird auch
hier durch ein jedes Blatt bekundet und theilt sich dem Beschauer unwill-
kürlich mit: es ist der Geist der Romantik in seiner liebenswürdigsten
Erscheinung, der durch das ganze Werk waltet. Gleichgesinnte finden hier
ein Material, überall so acht, dass sie sich demselben rückhaltslos hingeben
dürfen; die andern, die nicht geradezu zur romantischen Fahne schwören,
finden wenigstens die mannigfaltigste Gelegenheit zum nachdenklichen und
gewiss auch für sie sehr fruchtbaren Studium.
Ueberblicken wir flüchtig den Inhalt des neuen Bandes, so begegnet
uns zunächst wiederum eine Anzahl Blätter, welche den ornamentistischen
Architekturformen des romanischen (byzantinischen) Styles gewidmet sind,
von seiner älteren barock-phantastischen Weise bis zu seiner späteren
mehr gereinigten und maassvolleren Durchbildung. Umfassender sind die
Darstellungen, welche der Zeit des gothischen, und zwar diesmal ziem-
lich ausschliesslich des spätgothischen Styles angehören. Neben mancher-
lei ornamentistischen Einzelheiten, die, zumeist im grösseren Maassslabe
abgebildet, das besondere Formengefüge vortrefflich wiedergeben, wird uns
eine ganze Reihenfolge von verschiedenartig dekorirten Thüren, von Fen-
sterkrönungen, Taufsteinen u. dergl. gegeben. Einzelne Blätter verdienen
besonders hervorgehoben zu werden. Ungemein geschmackvoll sind vier
Blätter mit reichverzierten Buchstaben in vollständig alphabetischer Folge,
die aus spätmittelalterlichen Handschriftblättern entnommen sind. Ein
schöner thronartiger Stuhl, ein merkwürdiger Tisch prägen sich ebenfalls
der Erinnerung ein. Sehr interessant ist ein, vom Herausgeber entdecktes
Plafondgemälde in dem Kaiserzimmer der ehemaligen Reichsveste zu Regens-
burg; es stellt, in kolossalem Maassstabe, den deutschen Reichsadler dar,
gelb auf schwarzem Grunde, von Ornamenten umgeben. Eine Wandmalerei
im Pfarrhofe St. Lorenz zu Nürnberg enthält phantastisch - abenteuerliche
Schlachtscenen, arabeskenhaft verschlungen; der Herausgeber deutet sie
sinnreich auf die Geschichten des Hussitenkrieges. Sehr dankenswerth ist
die Mittheilung eines überaus reizend componirten Räuchergefässes und
eines ebenso schönen Bischofstabes, beide nach seltenen Kupferblättern von
Martin Schön genau copirt. Auch die Darstellung eines Bogenköchers,
nach dem Köcher, den der Herkules auf dem Dürer'schen Bilde zu Nürn-
berg trägt, ist interessant. Umfassendere architektonische Durchbildung
zeigen die beiden prächtigen Brautthüren von St. Lorenz und St. Sebald
zu Nürnberg, die der Herausgeber in ausführlich restaurirter Gestalt vor-
führt. Ihnen schliessen sich der schöne Innsbrucker Erker, das „goldne
Dachl", und mehrere Blätter mit alten Theilen der Nürnberger Rathhaus-
Anlage an etc. etc.
Der Herausgeber verheisst seine Ornamentik des Mittelalters so lange
fortzusetzen, als ihm die Vorsehung Leben, Kraft und Gesundheit verleihen
werde. Möge uns daher die Freude werden, noch viele Fortsetzungen des
schönen Werkes, dem der Beifall des Publikums gewiss nimmer fehlen
wird, zu begrüssen ! Möge der verehrte Herausgeber mir aber auch hier
zum Schluss eine ziemlich ernsthafte Rüge vergönnen. Der Text ist in
deutscher und französischer Sprache abgefasst, was an sich Niemand übel
deuten wird, und um so weniger, als dadurch dem Einfluss des Werkes
und der Anerkennung deutscher Kunstleistungen ein doppelter Spielraum
vermittelt wird. Aber auf dem Titel steht zu oberst, sehr gross
gedruckt:
Karl der Grosse nach A. Dürer. 573
„Les ornemen_ts du moyen-äge,"
und darunter: <"
„Die Ornamentik des Mittelalters."
Was sollen die andern Nationen denken, wenn sie ein so gar geringes
Selbstbewusstsein an der Stirn eines deutschen Nationalwerkes sehen?
Karl der Grosse nach A. Dürer, gestochen von A. Reindel.
(Kunstblatt 1848, No. 21.)
Nürnberg bewahrte vor Zeiten einen kostbaren Schatz: die Kleinodien
und Heiligthümer des heil, römischen Reiches. Die letzteren bestanden
aus allerlei ausgezeichneten Reliquien in verschiedenartiger Fassung, die
ersteren aus den sämmtlichen prachtvollen Costümstücken nebst Zubehör,
welche zur feierlichen Ausrüstung der kaiserlichen Majestät bei der Krö- V
nung erforderlich waren. Sie stammten von dem geheiligten Gründer der .
kaiserlichen Herrschaft, von Karl dem Grossen her und waren Prachtbelege ,
der Kunstfertigkeiten seiner Zeit, zum Theil byzantinischen, auch orienta- ]■
sie für ewige Zeiten verbleiben; doch mussten sie zu jeder Kaiserkrönung,
an wie fernem Orte diese auch stattfinden mochte, nachgeführt werden,
was stets unter feierlichem Geleit geschah. Alljährlich, bis zur Einführung 0
der kirchlichen Reformation in Nürnberg, wurden sie sammt den Reichs-
heiligthümern unter grosser Festlichkeit, auf einem Gerüste, das zu diesem
Behufe auf dem^Markte erbaut ward, öffentlich ausgestellt. Erst zu Ende |
des vorigen Jahrhunderts, bei den Wirren der Revolutionskriege, ist dieser fs
Schatz nach Wien übergeführt worden.
Zur Verherrlichung dieses städtischen Besitzthums, wohl um dabei i
irgend einem besonderen Zweck oder Auftrage zu genügen, scheint Dürer !
die beiden majestätischen länglich hohen Kaiserbilder gemalt zu haben, ;
welche sich in der städtischen Sammlung zu Nürnberg befinden. Sie stel- '
len, wie bekannt, Karl den Grossen und Sigismund dar. Bisher durcli j«
üebermalungen entstellt, sind diese Bilder (wenigstens das erstere, über fr
dessen gegenwärtige Beschaffenheit dem Unterzeichneten eine nähere Kunde t
vorliegt), kürzlich aufs Glücklichste gereinigt Vörden, in einer Weise,
dass dem Beschauer die volle Frische der Originalität, unverletzt und ohne jl"
irgend eine störende Retouche, entgegentritt.
Durch Herrn Direktor Reindel zu Nürnberg, der sich schon vor eini- 1
gen Jahren durch seinen Stich nach den vier Aposteln Dürer's den Dank P
aller Freunde deutscher Kunst erworben hat, ist neuerlich ein Stich nach
dem Bilde Karls des Grossen gearbeitet und so eben vollendet worden.
Der Stich ist etwas über 17 Zoll hoch und O'/^ Zoll breit. Er führt uns,
soweit das überhaupt •ohne Farbe thunlich ist, das majestätische Bild in
seiner ganzen wundersamen Wirkung gegenüber. Der Kaiser , etwas mehr
I
-ocr page 573-574 ' Berichte uud Kritiken.
als halbe Figur (die, wie unterwärts, so auch zu den Seiten durch die
Einrahmung abgeschnitten wird), steht aufrecht vor dem Beschauer da,
freilich aber nicht, um irgendwie die Ftille einer mächtigen körperlichen
Organisation zur Anschauung zu bringen, sondern zunächst oifenbar, um
durch den mystischen Schimmer jenes altgeheiligten Ornates die Sinne des
Beschauers gefangen zu nehmen. Die schweren Stoffe der Gewandung
fallen kaum in Falten nieder; dazu sind sie fast über und über, ebenso
wie das anderweitige Schmuckgeräth, mit Steinen, Perlen und Stickerci
bedeckt. Von der leichter stofflichen Alba wird fast nichts, als nur ein
wenig von den weissen Aermeln sichtbar. Mehr schon von der massig
gestickten Dalmatica und von dem Gürtel, der dieselbe umschliesst. Doch
auch sie ist bedeckt von der breiten glänzenden Stola, die sich über der
Brust kreuzt und voll niederwärts fällt, und von dem schweren Mantel,
den die Spange am Halse zusammenhält. Die Hände, mit reichverzierten
Handschuhen bedeckt, halten das alte Schwert und den Reichsapfel. Um
das Haupt zieht sich die Krone, deren einzelne Schilder mit kleinen Relief-
darstellungen oder mit Steinen geschmückt sind. Den phantastischen Ein-
druck zu erhöhen, neigen sich oberwärts in dem schwarzen Grunde des
Bildes, zu beiden Seiten des Hauptes, noch zwei Wappenschilde gegen-
einander, mit dem Adler Deutschlands und den drei Lilien Frankreichs.
Nur das Gesicht des Kaisers zeigt uns die naive Bildung der natürlichen
Form. Es ist nichts von dem darin, was man mit dem Worte „ideal" zu
bezeichnen pflegt, vielmehr eine gewisse genrehaft realistische Auffassung.
Wohl aber giebt ihm der zugleich breite und gestreckte Knochenbau des
Kopfes, das entschieden feste Vorwärtsblicken des Auges, der Trotz der
Unterlippe, verbunden mit der majestätischen Eleganz in Haupthaar und
Bart einen sehr eigenthümlichen und charakteristischen Reiz. Dürer hat
die Poesie des alten Kaiserornates in diesem Kopfe vortrefflich zu con-
centriren, ihn meisterhaft zum Träger der Gesammtidee des Bildes zu
machen gewusst.
Auf der einfachen Einrahmung, die der Kupferstecher ebenfalls ge-
stochen hat, lesen wir, mit mittelalterlichen Buchstaben, die Inschrift;
Dis ist der gestalt vnd biltnus gleich
Kaiser Karlus der das Remisch reich
Den teutschen vnder tenig macht
Sein krön vnd klaidung hoch geacht
Zaigt man zu Nurenberg alle Jar
Mit andern haltum (Heiligthum) offenbar.
Die Aufgabe, diese ganze phantastische Pracht, dabei in der Haltung
Dürer'scher Malerei, im Kupferstich wiederzugeben, war eine sehr eigen-
thümliche; es genügt aber, Reindels Namen zu nennen, um damit zugleich
ihre meisterhafte Losung zu biezeichnen. In all den reichen Details aufs
Genaueste durchgeführt, hat das Blatt eine malerisch-harmonische Gesammt-
Wirkung, die das Auge in wohlgefälligster Weise berührt. Der Charakter
des Kopfes ist mit dem vollen Verständniäs Dürer'scher Ausdrucksweise
wiedergegeben, die Eleganz des Haarwuchses aufs Sorgrältigstej nachge-
bildet. Das Blatt vermehrt in überaus schätzbarer Weise den immer noch
kleinen Kreis von Publicationen aus der Blüthezeit .unserer alten vaterlän-
dischen Kunst, und wie Herr Reindel sich hiemit aufs Neue die Freunde
Jahreshefte des württembergischen Alterthnmsvereiris. 575
der letzteren zu lebhaftestem Danke verpflichtet hat, so wird ihn auch
schon in der Stille der Arbeit selbst der Dank des alten Meisters um-
schwebt haben.
Jahreshefte des württembergischen Alterthumsvereins. Viertes
Heft. Stuttgart, 1847. (4 Bl. Abbildungen und 1 Bl. Text in Folio.
(Kunstblatt 1848, No. 58.)
Das vorliegende Heft enthält wiederum, wie die früheren Hefte des-
selben Werkes, sehr interessante und schätzbare Mittheilungen. Zwei
Blätter sind dem römischen Mosaikboden zu Rottweil gewidmet, der im
Jahr 1834 entdeckt wurde und durch ein darüber gebautes Häuschen ge-
schützt ist. Das Blatt giebt die Gesammterscheinung, soviel davon erhalten
ist. Der Boden besteht aus mehreren Feldern; auf dem nur mässig be-
schädigten Hauptfelde ist ein Orpheus in ganzer Figur enthalten; auf den,
zum Theil sehr fragmentirten Nebenfeldern sieht man Reste von Wagen-
rennen, Wettkämpfen, Jagden u. dergl. Das zweite Blatt enthält ein in
Farben gedrucktes und die ganze Eigenthümlichkeit des Mosaiks genau
nachahmendes Facsimile von Kopf und Oberkörper des Orpheus. Auf das
Archäologische, welches sich, mehr oder weniger hypothetisch, an diese
im späteren Alterthum nicht unbeliebte Darstellung anknüpft, geht der er-
läuternde Text näher ein; wir lassen dies dahingestellt und bemerken nur,
wie diese Darstellung — und namentlich die Vergegenwärtigung derselben
in dem Facsimile — uns von der unzerstörbaren Gesundheit der alten Kunst
wieder ein so schlagendes Beispiel giebt. Bei der grossen Rohheit der
Behandlung, die durch die Anwendung der grossen, gelegentlich fast einen
halben Zoll breiten Farbenwürfel geboten war, ist in diesem Bilde den-
noch etwas so geistvoll Lebendiges und zugleich eine solche stylistische
Würde, dass wir uns beim Hineinschauen in das Blatt alsbald in eine von
breitester Kunstübung und vom ächtesten Kunstbewusstsein getragene Welt
versetzt fühlen. Sehr bemerkenswerth ist auch der vortreffliche koloristi-
sche Styl, und um so mehr, als derselbe mit einer nur sehr mässigen Scala
von Farbentönen hervorgebracht ist; es ist darin etwas nah Verwandtes
mit Raphaels malerischen Stylgesetzen. — Das dritte Blatt bringt uns eine
Darstellung des heiligen Grabes in der Frauenkirche zu Reutlingen, eine
brillante spätgothische Tabernakel-Architektur, in der^der Sarkophag des
Heilandes steht, das Architektonische mit bildnerischem Schmuck und rei-
chen Ornamenten versehen, am Grabe der Jünger Johannes und die hef-
ligen Frauen — liebliche Gestalten, die eine jede in feiner Stylistik durch-
gebildet sind — und vorn zwei aufgestützt liegende Kriegsknechte. Das
ganze Werk, ohne Zweifel eine Meisterarbeit der schwäbischeu Bildhauer-
schule, ist nach einer ausgeführten Zeichnung von Eberlein, und von
Gnauth in Stein gravirt, vortrefflich wiedergegeben. — Das vierte Blatt-
enthält, in ebenfalls trefflicher ümrisszeichnung, zwei von den Standbil-
dern der württembergischen Grafen in der Stiftskirche zu Stuttgart, von
denen in einem früheren Hefte einige Darstellungen mitgetheilt waren-
57(j Berichte und Kritiken.
Der phantastischen Pracht der Barock-Architektur, die sie umgiebt (die
Arbeiten rühren aus der Zeit um den Anfang des 17ten Jahrhunderts her)
entspricht das Imposante in Körperlichkeit und Darstellung der Figuren,
in denen sich hier aber — vielleicht weil für diese Personen ältere Vor-
bilder benutzt wurden — von den zu jener Zeit beliebten manieristischen
Motiven nichts geltend macht.
Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt, deren Geschichte, Architek-
tur, Kunstwerke und Denkmale, beschrieben als Andenken an die Restau-
ration und die feierliche Einweihung derselben am Pfingstfeste 1848 von
Dr. Fr. Lucanus. Halberstadt etc. (22 S. in 4. und 2 Abbildungen.)^
(Kunstblatt 1848, No. 59.)
Unter vorstehendem Titel ist eine kleine Gelegenheitsschrift erschie-
nen, die über ein merkwürdiges mittelalterliches Bauwerk und den Inhalt
desselben übersichtliche Auskunft gewährt. Die Liebfrauenkirche ist eine
romanische Pfeilerbasilika, die, ursprünglich flach gedeckt, in späterer Zeit,
ebenfalls noch in der Periode des romanischen Styles, mit Gewölben ver-
sehen wurde. Der Verfasser giebt die näheren Mittheilungen über die
Baugeschichte der Kirche. Dieselbe war in neuerer Zeit sehr in Verfall
gerathen und ist gegenwärtig, auf Befehl des Königs und auf Grund der
von dem Baurath v. Quast abgegebenen Gutachten, gründlich erneut wor-
den, wobei es sich im Einzelnen um eigenthümlich interessante Ausfüh-
rungen handelte. Chor und QuerschifF behielten die Gewölbe, im SchiflF
'mussten sie dagegen entfernt werden. Hier wurde statt ihrer eine flache
Bretterdecke (wie ursprünglich) angeordnet. Dabei wurden die alten, be-
deutend aus dem Loth gewichenen Mauern der Seitenschiffe, nach der
Angabe des Regienings- und Bauraths Rosenthal zu Magdeburg, gerade
gerichtet. Der eine der beiden östlichen Thürme, welche in den Ecken
von Querschiffen und Seitenschiffen über den Pfeilern und Gewölben der
letzteren errichtet sind, ist sehr baufälligen Zustande? halber abgebrochen
und in der alten Form vollständig neugebaut. Vorzüglichst merkwürdig
sind die grossen Reliefs, etwa lebensgrosse Figuren Christi, der Maria
und der zwölf Apostel, in architektonischen Nischen sitzend, die sich an
den Brüstungswänden des Chores, nach den Armen des Querschiffes hin,
befinden. Sie gehören durchaus zu den interessantesten deutschen Sculp-
turen des 12ten Jahrhunderts und sind ebenso durch die allgemeine Würde
des Styls, wie durch die Feinheit und den Geschmack der Ausführung
ausgezeichnet. Der Verfasser hat die gediegene lithographische Abbildung
einer von diesen Reliefflguren, der Maria mit dem Kinde, seiner Schrift
beigegeben^). Dann haben die alten Wandmalereien, die neuerlich in
der Liebfrauenkirche unter der Tünche entdeckt worden sind, namentlich
') Die Abbildung einer andern der Figuren iiatte ich schon früher in der
Zeitschrift „Museum, Blätter für bildende Kunst" (1833, No. 13) mitgetiieilt.
(Vergi. Thl. I. der Kl. Sehr., S. 138.)
Festmalil zur Feier des westphäl. Friedensschlusses zu Nürnberg, 1649. 577
derjenige grössere Cyklus derselben, welcher gleichfalls noch der Periode
des romanischen Styles angehört, ebenfalls ein namhaftes Interesse hervor-
gerufen, Der Verfasser berichtet über dieselben nach den Mittheilungen,
welche Hr. v. Quast im Kunstblatt (1845, No. 54 u. f.) gegeben hatte. Bei
der gegenwärtigen Erneuung dieser Kirche sollen auch diese Malereien
vollständig erneut worden sein, dem Vernehmen nach aber in einer Weise,
dass ihr ursprünglicher, alterthümlicher Charakter einem abweichenden
modernen Platz gemacht haben soll.
Festmahl zur Feier des westphällschen Friedensschlusses
zu Nürnberg, 1649. — Joachim v. Sandrart pinxt. 1650. Fried-
rich Wagner sculpt. 1848.
(Kunstblatt 1848, No. 61.)
„Als A. 1649,-nach dem leidigen dreissig-jährigen Kriegs-Üngewitter,
die liebe lang-verlangte güldene Friedens-Sonne das betrübte Teutschland
wieder angeblicket, und die Stände des Reichs, samt den hohen Generalen
der inn - und ausländischen 'interessirten Cronen, theils in Person, theils
durch ihre fürtreffliche Abgesandten, zur Execution und Vollziehung des
Friedensschlusses, sich nach Nürnberg versammlet; hat auch die, mit vollen
Ruhmstrahlen das Reich durchleuchtende Kunst-Sonne, unser Herr von
Sandrart, von hoher Hand dahin beruffen, daselbst sich einfinden müssen.
Allhier bekäme nun sein unvergleichlicher Kunst-Pinsel volle Arbeit, und
Gelegenheit, sich der Welt verwunderbar zu zeigen. — Das erste, so ihn
daselbst exerciret, wäre das Contrafät des Durchlauchtigsten Pfalzgrafens
und K. Swedischen Generalissimi Caroli Gustavi, hernach erwehlten Königs
in Sweden, ^in Lebensgrösse, auf einem nach Schulrecht courbettirenden
Rappen sitzend, etc. etc. — Aber das herrlichste Werk, so damals aus
seinem Pinsel geflossen, wäre das in Nürnberg auf dem grossen Rathhaus-
Saal A. 1649 gehaltene K. Swedische Friedens-Banquet, worbey alle an-
wesende hohe Häupter, und Abgesandte, auch dieser hochlöblichen Reichs-
Stadt Hoch-Edler Magistrat, sich befunden: die er alle und jede, nach dem
Leben, darinn abgemahlet und vorgestellet. Unter aller dieser und voriger
Arbeit, ward Er von hochermeldtera Pfalzgrafen Carolo Gustavo, die ganze
Zeit über, Kostfrey gehalten, auch für das Banquet-Gemälde mit 2000
Rheinischen Gulden, und einer güldenen Ketten von 200 Ducaten (die Er
selber Ihme um den Hals geleget) samt dem Königlichen Brust-Bild, rega-
lirt und beschenket. Es hat auch Ein Hoch-Edler Raht daselbst, als Er
dieses Gemälde, im Namen der Cron Sweden, auf das Rathaus"(da es noch
zu sehen ist) geliefert, ihre Erkäntlichkeit und Wolneigung, Ihme mit einem
Präsent gut bezeuget."
So lautet es in dem „Lebenslauf" des Wohl-Edlen und Gestrengen
Joachim von Sandrart, den die dienstergeben^n Vettern und Discipeln des
Letzteren im Jahr 1675 in den Druck gegeben haben. Das grosse Banqüet-
Kugler, Kleine Schriften. II. ^ 37
578 ' Berichte uud Kritiken.
Bild befand sich bis zum Jahr 1809 im Rathhause; gegenwärtig hängt es
in der städtischen Gemäldesammlung des Landauerbrüderhauses. Ich kenne
den Grund nicht, wesshalb das Bild seine monumentale Stelle, auf der es
natürlich von ganz andrer Bedeutung war als in dem bunten Gemenge einer
Gallerie, hat aufgeben müssen; beklagenswerth aber bleibt der Mangel an
höherem Selbstbewusstsein, an dem Gefühl für die eigne historische Würde
allerdings, der die Communen so oft schon zur Beseitigung derartiger künst-
lerischer Stiftungen veranlasst hat. Das Nürnberger Rathhaus weiss hievon
noch andre, noch bedenklichere Dinge zu erzählen. Schon im Jahr 1627
sahen die ehrenwerthen Vertreter der Stadt sich ermüssigt, das mahnungs-
volle Denkmal der Reformationszeit, das Albrecht Dürer auf das Rathhaus
gestiftet hatte — seine berühmten Bilder der vier Temperamente — an
den katholischen Kurfürsten Maximilian von Bayern für dessen Kunst-
sammlungen abzulassen. Sie wussten damals ganz wohl, was sie thaten,
da sie es doch für nöthig fanden, die protestantischen Unterschriften der
Bilder abzuschneiden.
Das Sandrart'sche Banquetbild ist sehr naiv componirt. Man sieht den
langen Rathhaussaal hinab. Linker Hand, die grössere Hälfte des Bildes
einnehmend, erstreckt sich die Festtafel den Saal entlang, an der die edlen
Besorger des Friedenswerkes sitzen, vorn die Häupter der beiden Parteien,
Carl Gustav, der schwedische Generalissimus, und Octavio Piccolomini, der
uns Allen aus Schiller's Wallenstein wohl bekannt ist und dessen Züge
auch dem Schiller'schen Charakterbilde so ziemlich entsprechen. Bei dem
etwas hochgenommenen Standpunkte überblickt man die ganze Tafel und
sieht der grösseren Mehrzahl sämmtlicher Herren ins Gesicht. Auf der Tafel
befinden sich kostbare Schmuckaufsätze, deren einer eine brillante Ehren-
pforte, ein andrer, wie es scheint, den Berg Parnassus vorstellt; ausserdem eine
Menge seltnen Geflügels, das in seinem gesammten Federputz behaglich in
den Schüsseln daliegt. Vor Octavio Piccolomini steht ein Teller mit Austern,
die von zierlichen Blumenbüschelchen beschattet werden. Jenseit der Tafel
steht allerlei Dienerschaft und eine Menge zuschauenden Personals. Dies-
seit der Tafel, auf der kleineren Hälfte des Bildes, präsentirt sich zunächst
in ganzer Figur der reich gallonirte Tafelmeister, in voller Würde seines
Berufes zweien Knaben vorschreitend, welche zwei neue Tafelaufsätze,
Backwerk, über dem hohe Fichtenbäumchen emporsprossen, tragen. Dem
Tafelmeister zur Seite steht der hochedle Magistrat, der sich übrigens um
die Herren an der Tafel wenig zu kümmern scheint, und vor den Magi-
stratspersonen sitzt Joachim v. Sandrart, festlich geschmückt, mit Degen
und Sporen; er ist so eben im Begriff, den ganzen Vorgang auf eine Tafel
aufzuzeichnen, und fordert den Beschauer, zu dem er sich hinauswendet, zur
Bewunderung des Werkes auf. Sandrart ist die Hauptperson des Bildes;
wir können es Octavio Piccolomini, der ohne Zweifel ein grösseres Recht
dazu zu haben meint, nicht wOhl verargen, dass er einigermaassen verwun-
dert zu dem Maler hinüberschaut. Die dreieckige Lücke, die sich bei der
Disposition des Bildes zwischen dessen grösserer und kleinerer Hälfte bil-
det, wird durch einen grossen Hund ausgefüllt, der einen Knochen in den
Zähnen trägt. Hinter dem Magistrat erhebt sich eine Tribüne mit singen-
den Knaben, denen ein dicker Cantor phlegmatisch den Takt schlägt;
gegenüber eine Tribüne mit sentimentalen Lautenisten; im Grunde des
Saales zwei Tribünen mit Posaunisten. Sämmtliche Musiker sind in der
Ausführung ihres Berufes begriifen; ob und wie das von den verschiedenen
Ife
liifeiii -
Festmahl zur Feier des westphäl. Friedensschlusses zu Nürnberg, 1649. 579
Tribünen zusammenstimmt, vermag ich nicht zu sagen, — vielleicht ähn-
lich, wie die berühmte deutsche Einheit, welche dazumal begründet ward.
Von dem Gewölbe des Saales hängt eine Menge dicker Blumen- und Laub-
gewinde herab, mit Kürbissen in ihrer Mitte, die dem Damoklesschwerte
nicht ganz unähnlich über den Häuptern der,Versammelten schweben.
Die künstlerischen Vorzüge des Bildes beruhen mehr in den Einzel-
heiten als in der Gesammtcomposition. Sandrart war bei den Venetianern
fleissig in die Schule gegangen, hatte sich besonders im Kolorit tüchtig
ausgebildet und wurde desshalb als Poitraitmaler besonders geschätzt. Er
hat auch gerade in jenen Tagen, da so viel angesehene Fremde in Nürn-
berg waren, eine Unsumme von Bildnissen gemalt, von den einfacher an-
geordneten, die ihm das Stück mit 50 Thalern bezahlt wurden, oft zwei
an Einem Tage. So sind denn auch die Köpfe in dem grossen Bilde, im
warmen Ton und im breiten Vortrag, Muster in ihrer Art; besonders treff-
lich ist hier sein eignes Bildniss. Sonst ist die Menge schwarzer Kostüme
dem Bilde nicht sonderlich günstig; dazu ist dasselbe, was seinen gegen-
wärtigen Zustand anbetrifft, sehr nachgedunkelt und stellenweis kaum noch
zu erkennen. — Die Aufgabe des Stechers war nach alledem eine sehr
schwierige. Es galt das verdunkelte Werk seiner ursprünglichen Klarheit
möglichst anzunähern, das Ganze harmonisch und lebendig zu halten und
all den charakteristischen, physiognomisch so verschiedenartigen Einzel-
heiten doch ihr volles Recht anzuthun. Wir ^können aber unbedenklich
hinzufügen, dass er alles Wünschenswerthe erreicht hat. Der Stich ist in
einer gesunden Liiyenmanier durchgeführt, die bei energischer Haltung
zugleich ein hinreichendes Eingehen auf alle die individuellen Feinheiten
und Varietäten verstattet hat.
Ein leichter gestochener und in hellbräunlichem Tone gedruckter Rand
umgibt den Stich des Bildes. OberwärtS sind in demselben zehn Medail-
lons mit den Bildnissen der ausgezeichnetsten Personen aus der Zeit des
dreissigjährigen Krieges, die an dem Fri'edensmahle nicht Theil genommen,
enthalten: Pappenheim, Tilly, Wallenstein, Kurfürst Maximilian, Kaiser
Ferdinand IL, Gustav Adolph, Bernhard von Weimar, Oxenstierna, Mans-
feld. Torstenson. Zu beiden Seiten ziehen sich verschlungene Bänder hinab
mit den Namen sämmtlicher Herren, die das Festmahl feiern. (Auf dem
Bilde selbst sind sie daneben geschrieben.) Unten sind Wappen und andre
Embleme angebracht. Mit dem Rande ist der Stich 18 Zoll breit und IS'/a
Zoll hoch. V
Der Unterschrift des Stiches sind noch Verse und eine sinnbildliche
Verzierung beigefügt, die von der Zeit, welcher das Bild gewidmet ist,
auf die Gegenwart und unsere heutigen Wünsche und Strebungen hinüber-
führen : . ' •
r»
Nach dreissigjähr'gem Krieg in Deutschlands Marken
Der Friede die geschlagnen "Wunden heilt,
Doch statt im Innern Eins sich zu erstarken,
Ward mehr und' mehr das deutsche Reich getheilt.
Zweihundert Jahre — und rings hört man's tönen:
' Weg mit der Trennung!'Nur Ein Vaterland! i •
So lasst uns jetzt die alte Schuld versöhnen, ' ' ' •
Reicht euch zum neuen Bund die Bruderhand!
-ocr page 579-580 ' Berichte uud Kritiken.
Möge es also sein, mögen es Alle beherzigen, und mögen sie darum auch
den Kupferstich des Nürnberger Banquetbildes als ein mahnendes Gedächt-
nissblatt betrachten! — Freilich, wenn man die Fata Morgana sieht, nach
denen unsre werthen Zeitgenossen ihre Arme ausstrecken, wenn man die
„parva sapientia" beobachtet, mit der sie die Welt regieren möchten, da
kann Einem, fürs Nächste wenigstens, noch nicht ganz zuversichtlich zu
Muthe Vierden.
Im Eingange zu der Biographie des alten Sandrart habe ich eine besondre
Stelle gefunden, die ich, trotz der wiederum etwas seltsamen Sprechweise
und obgleich sie nicht unmittelbar hieher gehört, den verehrten Lesern die-
ser Blätter doch nicht vorenthalten will. Sie lautet also:
„Wir sagen dissorts allein, dass unser Hoch-Teutschland zwar vor-
längst mit seinem fürtrefflichen Albrecht Dürer und dessen Nachfolgern
gepanzert, aber nachmals, durch die leidige Kriegsläufte, gleichwie fast
aller anderer, also auch dieser Zierde beraubet worden. Adam Elzheimer,
von Frankfurt bürtig, wollte zwar diese fluchtfärtige Göttin bey dem Rock
ergreifen, an- und aufhalten: er ward aber bald durch den Tod hinweg
gerissen, und sähe man also, gleichwie die Uebung, also auch die Liebe
dieser Kunst, bey uns verathemen und verleschen. Die Königin Germania
sähe ihre mit herrlichen Gemälden gezierte Paläste und Kirchen hin und
wieder in der Lohe auffliegen, und ihre Augen wurden von Rauch und
Weinen dermassen verdunkelt, dass ihr keine Begierde oder Kraft übrig
bleiben konnte, nach dieser Kunst zu sehen: von welcher nun schiene,
dass sie in eine lange und ewige Nacht wollte schlafl^pn gehen. Also ge-
riethe solche in Vergessenheit, und die jenige, so hiervon Beruft' macheten,
in Armut und Verachtung: daher sie das Pollet (die Pallete) fallen Hessen,
und an statt des Pinsels,, den Spiss oder Bettelstab ergreiflen musten, auch
vornehme Personen sich schämeten, ihre Kinder zu so verachteten Leuten
in die Lehre zu schicken."
Bitten wir den Himmel, oder legen wir selbst Hand an, die parva
sapientia über Bord zu werfen und die rechte und grosse zu suchen, auf
dass wir nicht rückwärts gelangen, z. B. in Zustände, wie die eben ge-
schilderten, aus denen sich herauszuarbeiten dem alten Sandrart sauer
genug ward, sondern dass wir in Wahrheit vorwärts kommen, und die
Kunst mit uns!
Denkmäler bildender Kunst in Lübeck, gez. und herausgeg. von
C. J. Milde, Maler, und begleitet mit erläuterndem historischem Text
von Dr. Ernst Deecke. 2tes Heft enthält: Glasmalereien und Ziegelfuss-
^ böden. Lübeck 1847. 'Auf Kosten des Herausgebers. Fol.
(Kunstblatt 1848, No. 63.)
Ueber das schon vor fünf Jahren erschienene erste Heft dieses schönen
Unternehmens habe ich in No. 81 des Kunstblattes vom Jahr 1843 berich-
tet. Jenes enthielt Darstellungen äusserst merkwürdiger in Erz gravirter
Grabplatten, theils in verkleinerten Darstellungen, theils Abdrücke einzel-
Denkmäler bildender Kunst in Lübeck. 581
ner Theile, durch Formen bewirkt, die unmittelbar^ über das Original
genommen waren. Der Inhalt des neuen Heftes ist in der Ueberschrift
bezeichnet. Vorzüglich wichtig sind die hier mitgetheilten Glasmalereien.
Diese gehören sämmtlich denjenigen Glasmalereien an, welche die in
neuerer Zeit abgetragene ßurgkirche zu Lübeck schmückten und sich nun,
sorgfältig wieder zusammengesetzt und ergänzt, in den Fenstern der'-dor-
tigen Marienkirche befinden. Auf zwei Tafeln werden uns die Darstellungen
von sechs Fenstern in ihrer Gesammtcompositiou und in kleiner Urariss-
zeichnung vorgeführt; zwei andere Tafeln bringen uns einzelne Darstel-
lungen im grösseren Maassstabe und nach dem Muster der Originale kolorirt.
Der Inhalt der Darstellungen sind legendarische Scenen, aus den Legenden
des h. Petrus, des h. Hieronymus, der Auffindung des h. Kreuzes, der
h. Maria Magdalena etc.; Band- und Rankengewinde bilden den ornamen-
tistischen Einschluss der einzelnen Scenen und vereinigen die Darstellungen
jedes einzelnen Fensters zu einem teppichartigen Ganzen. Der Text sucht
es wahrscheinlich zu machen, dass der Meister dieser Arbeiten der aus
dem Florentiner Gebiet herstammende Francesco, Sohn des Domenico Livi
von Gambasso sei, dem sich neuerlich die Aufmerksamkeit der Kunstforscher
zugewandt hat, der seit frtiher Jugend in Lübeck gewohnt hatte, 1436 auf
besondere Aufforderung nach Florenz ging und die Glasmalereien für die
Fenster des dortigen Domes lieferte. Ich bedaure, von dem kylistischen
Charakter der letzteren keine Erinnerung zu besitzen und daher nicht ent-
scheiden zu können, inwiefern sie mit den hier mitgetheilten Lübecker
Arbeiten übereinstimmen. Jedenfalls gehören diese ebenfalls dem Anfange
des löten Jahrhunderts an; ihr Charakter ist übrigens völlig deutsch und
zwar haben sie, soweit nach diesen kleinen Abbildungen zu urtheilen ist,
grosse Uebereinstimmung mit den späteren Werken der Kölnischen Maler-
schule, namentlich mit den allerdings nicht häufigen Glasmalereien dersel-
ben, welche der angedeuteten Epoche angehören. In ihrer künstlerischen
Durchbildung, nach Maassgabe der Stylgesetze dieser Zeit, ist ihnen eine
hohe Vollendung nicht abzusprechen, sowohl in Betreff des Lebensgefühls
und der Würde der einzelnen Gestalten und der sprechenden Anordnung
der einzelnen Compositionen, als in Rücksicht auf den schönen ornamen-
tistischen Rhythmus, der diese zum grösseren Ganzen verbindet und auf
den die Glasmalerei bei der Ausfüllung grossräumiger Fenster immer
wird zurückkehren müssen. Ja, soweit wenigstens meine Kunde von der Glas-
malerei des deutschen Mittelalters reicht, bin iqh sehr geneigt, diese Arbeiten
für die vorzüglichsten unter den erhaltenen Werken ihrer Gattung'zu
bezeichnen. Wir sind also im Interesse der vaterländischen Kunstgeschichte
dem Herausgeber für diese Mittheilungen zum lebhaftesten Danke ver-
pflichtet. Eine fünfte Tafel bringt uns im Farbendruck eine Anzahl Muster
von den Ziegelmosaiken dortiger alter Fussböden, und zwar aus Theilen
des dortigen Burgklosters und der Katharinenkirche, sowie eine ähnliche
Probe aus dem alten Rathhaussaale zu Lüneburg. Die geschmackvolle
Anordnung in diesen Mustern steht der in den ähnlichen Arbeiten italieni-
scher Kunst, die uns neuerdings anderweitig vorgeführt sind, nicht nach.
582 Herichte und Kritiken.
I
Das ßathhaus in Bremen. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt
von K. Gildemeister.')
(Kunstblatt 1849, No. 7.)
Die prächtige Fa^ade des Bremer Rathhauses, eines der wichtigsten
Beispiele für die deutsche Architekturgeschichte, die bisher meines "Wissens
nur durch ungenügende kleine Stahlstiche oder mangelhafte Lithographien
bekannt war, wird uns in der vorliegenden grossen Lithographie (von
22 Zoll Höhe und 2972 Zoll Breite) in anschaulichster Weise, in einer mit
meisterhaftem Verständniss gearbeiteten Darstellung vorgeführt. Die An-
sicht ist vollkommen malerisch gehalten und giebt uns einen Blick auf
das Gebäude und die gesammte Umgebung in ihrer heutigen Gestaltung.
Helle Mittagsbeleuchtung lässt alles Wesentliche in genügendem Relief
hervorspringen. Der Platz vor dem Rathhause, der den Vorgrund des Bil-
des ausmacht, ist von mannigfachen Volksgruppen erfüllt. Dem Beschauer
gegenüber, am Ende des Platzes, vor der Mitte des Rathhauses, erhebt sich
der mächtige Steinpfeiler, an welchem das ungeheure Riesenbild des gros-
sen , ostwärts abgewandten Rolands lehnt. Rechter Hand schliesst das
Bild durch ein gothisches Giebelhaus ab, dem zur Seite der Thurm des
alten Domes emporsteigt, dessen Untergeschosse in romanischen, die Ober-
geschosse in frühgothischen Formen erscheinen. Auf der linken Seite,
hinter dem Rathhause vorragend, werden alte Kapellenbauten sichtbar, in
spätgothischen. zum Theil zierlichen Formen.
Das Rathhaus selbst ist in seiner Masse ebenfalls ein ursprünglich
gothischer Bau. Damit ist jedoch in der Frühzeit des ITten Jahrhunderts
(seit 1602) ein Umbau vorgenommen, der alles Wesentliche, wenigstens an
der Hauptfa^ade, in den brillanten Formen des Renaissancestyles, nach dem
damaligen Stande der Entwickelung desselben in Deutschland, erscheinen
lässt. Eine Arkadenhalle, auf zwölf Säulen ruhend, ist dem Erdgeschoss
vorgesetzt; Über dem mittleren Theil der Halle erhebt sich ein höchst ele-
ganter Erkerbau, mit phantastischen Giebelzierden schliessend; die grossen
Fenster des alten Obergeschosses (die an derSeitenfagade noch den ursprüng-
lich spitzbogigen Schluss haben) sind geradlinig geschlossen und wechselnd
mit antikisirenden Flachgiebeln und flachen Bogengiebeln gekrönt. Zwischen
den Fenstern aber sind die Kolossalstatuen aus mittelalterlicher Zeit mit
iliren gothischen Konsolen und gothischen Baldachinen beibehalten. — Das
Ganze, verschiedenartiger Zeit angehörig, ist also nicht als eine selbständig
freie architektonische Composition zu betrachten. Dennoch hat die Fa^ade,
sowohl im Ganzen wie im Einzelnen, sehr wesentliclie Vorzüge. Fürs Erste
den Vorzug eines sehr glücklichen Maassverhältnisses. Der Hauptkörper
des Gebäudes erhebt sich über der vortretenden Halle mit imposanter
Energie, die durch die hohen Fensterdimensionen und das energisch vor-
tretende Krönungsgesims angemessen bezeichnet oder verstärkt wird. Dabei
aber ist die eigenthümliche Wirkung der Halle auf keine Weise beein-
trächtigt; im Gegentheil maclit die Kraft ihrer dorischen Säulen, der kühne
Schwung der Bögen, welche die letzteren bei breiten Abständen verbin-
') Zu beziehen von J. G. Heyse in Bremen. Preis 3 Thlr.
-ocr page 582-Das Rathhaus iu Bremeu. 583
den, die derbe Fülle ihrer dekorirenden Theile, besonders bei ihrer oberen
Krönung, einen so entschiedenen wie erfreulichen Eindruck. Dasselbe gilt
von dem breiten Erkerbau über der Mitte der Halle, der zwar eleganter
und feiner gehalten, in dem überall durchgehenden tüchtigen Relief seiner
Theile aber doch von den Papiercompositionen ähnlicher Art, die uns die
heutige Kunst mehrfach geliefert hat, unendlich weit entfernt ist. Zu-
gleich ist in diesem Erkerbau, in der sinnreichen Verknüpfung und Aus-
und Umbildung antikisirender Einzeitheile zu einem neuen Ganzen von
eigenthümlich selbständiger Wirkung, eine so wohlthuende Eurhythmie,
ein so schönes, sich überall gegenseitig bestimmendes Maass entwickelt,
dass ich ihn, wie auch die Halle selbst, unbedenklich zu den schönsten
und gültigsten Beispielen des Renaissancestyles rechnen muss. Nur die
Brüstung über der Halle erscheint etwas willkürlich in ihren Formen; und
noch ungleich mehr, zur barocken, kleinlich spielenden Weise gesteigert,
ist dasselbe bei der Giebeldekoration des Erkers und bei den kleineren.
Giebeln, die ein Paar Dachfenster schmücken, der Fall.
Der Zeichner ist Architekt und hat als solcher in seiner Darstellung
überall mit genauer Sachkenntniss, zugleich aber auch mit steter Rücksicht
auf die erforderliche malerische Wirkung (auf die ohnehin bei Architek-
turen des Renaissancestyles und der späteren Zeit so viel ankommt) gear-
beitet. Soweit es daher bei einer übersichtlichen Darstellung, wie der iu
Rede stehenden, thunlich ist, wird uns hier die mannigfachste Belehrung
gegeben. Aber nicht blos dies: das Blatt an sich bringt einen durchaus
wohlgefälligen künstlerischen Eindruck hervor; wir fühlen uns im An-
schauen desselben vor eine so interessante wie charaktervolle lokale Indi-
vidualität versetzt; die reiche Staffage ist mit vollkommen genremässiger
Freiheit, der es auch an Anmuth und Laune nicht fehlt, behandelt, das
Ganze in Ton und Stimmung, ohne wohlfeile Effekthascherei, ächt male-
risch zusammengehalten. Wejin in der lithographischen Ausführung die
Sicherheit des erfahrenen Steinzeichners hie und da vermisst wird, so
entschuldigt uns dafür hinlänglich die höherstehende Sicherheit der Origi-
nalarbeit, die überall unmittelbar erkennen lässt, was der Künstler ge-
wollt hat.
Ich wünsche dem schönen Blatt umfassenden Beifall, aus den allge-
meinen Gründen, die sich aus dem Vorstehenden ergeben, zugleich aber
auch aus einem besonderen Grunde. Das Rathhaus ist in seinen Renais-
sancetheilen überaus reich an dekorirenden Einzelheiten, die sich, wie mir
durch einsichtige Männer versichert wird (ich kenne das Gebäude bis jetzt
nicht aus eigner Anschauung), durch schwungvolle Pehandlung und saftige
Fülle überall sehr vortheilhaft auszeichnen sollen. Es würde daher sowohl
für die Kenntniss der Kunst jener Epoche als zur fördernden Belehrung
der heutigen Kunst gewiss ein sehr dankenswerthes Unternehmen sein,
wenn der Zeichner des Blattes sich entschlösse, eine möglichst umfassende
Reihe von Detailblättern über die Dekorationen des Rathhauses, ebenfalls
in bildlich malerischer Darstellung (nicht im trockenen Umriss) folgen zu
lassen. Wir haben von Seiten der Wissenschaft dem Architekturstyl jener
Zeit, zumal der Entwickelung desselben in Deutschland, seither noch nicht
volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und würden daher jede Gelegenheit,
unser Urtheil möglichst gründlich zu berichtigen, sehr, dankbar erfassen.
Wir können aber auch für unsere werkthätige Kunst, die in der architek-
tonischen Dekoration nur allzu häufig, hier in eine täppische Plumpheit, dort
584 ' Berichte uud Kritiken.
in eine nüchterne Schüchternheit übergegangen ist, Beispiele und Vorbilder
einer lebenvoll gediegenen Fülle recht sehr gebrauchen, und unsere Archi-
tekten werden sie hoffentlich um so lieber entgegennehmen, wenn unsere
eigene vaterländische Vergangenheit uns diese nützlichen Beispiele liefert.
PI
■t
Leben und Werke des Bildhauers Tilman Riemenschneider,
eines fast unbekannten aber vortrefflichen Künstlers, am Ende des löten
und Anfang des 16ten Jahrhunderts. Beschrieben und herausgegeben von
C. Becker. Mit 7 Kupfertafeln und 2 Vignetten, gezeichnet von F. Lein-
ecker u. A. und gestochen von L. Regnier. Leipzig, Rudolph Weigel
1849. 20 S. Text. Roy. 4.
(Deutsches Kunstblatt 1850, No. 4,)
'I?
Wir empfangen alle Mittheilungen zur Aufhellung unserer vaterländi-
schen Kunstgeschichte mit lebhaftem Danke, besonders aber, wenn sie, in
gründlich monographischer Behandlung, einen beachtenswerthen Einzeltheil
derselben urkundlich feststellen und, je nach ihrer Aufgabe, Boden und
Fundament für den Weiterbau des grossen Ganzen sichern und ordnen
helfen. Zu solchen Arbeiten gehört die in der üeberschrift genannte. Der
I Name des Meisters, dem dieselbe gewidmet ist, wird den heutigen Freunden
der vaterländischen Kunst nicht mehr unbekannt sein. Es genügt, daran
zu erinnern, dass das schöne Denkmal Heinrich's IL und der Kunigunde
im Bamberger Dome von ihm herrührt; ein Künstler des Ranges, wie er
Sich in diesem merkwürdigen Sculpturwerke kund gibt, ist eines näheren
Eingehens unbedenklich in vollem Maasse werth. So hat auch der Name
des Verfassers und Herausgebers bei den Freunden unsrcr Kunstgeschichte
einen guten Klang. Es bedarf hiernach keines weiteren Nachweises, um
den Werth der Gabe darzulegen.
Ueber das Leben Riemenschneider's gibt uns der Verf. die einfachen
Mittheilungen, die aus den urkundlich erhaltenen Daten hervorgehen.
Dürftig, wie diese sind, zumal in Bezug auf die eigentlich künstlerischen
Verhältnisse, gewähren sie doch einen Einblick in die, mit dtem bürgerli-
chen Leben eng verflochtene Lebensstellung des damaligen deutschen
Künstlers. Das Geburtsjahr Riemenschneider's ist nicht bekannt. Er stammt
aus Osterode am Harz und kam 1483 als Gesell nach Würzburg, wo er
für sein ferneres Leben verblieb. Er nahm an der städtischen Verwaltung
in Krieg und Frieden Theil, bekleidete zeitweilig die Bürgermeisterstelle,
bethätigte sich besonders bei den schwierigen städtischen Maassnahmen
zur Zeit des Bauernkrieges und litt unter den Leiden der Stadt persönlich
mit. Er starb, hochbetagt, am 8. Juli 1531. Ueber seinen künstlerischen
Bildungsgang liegt keine Nachricht vor. Der Verf. bezeichnet seine künst-
lerische Stellung zu den gleichzeitigen, namentlich fränkischen (Meistern
der Bildnerei und nimmt besonders ein nahes Verhältniss zu A. Kraft an,
ohne ihn doch etwa zu dessen Schüler machen zu wollen. Ich möclite,
soweit wenigstens die Eigenthümlichkeiten des vorgenannten Bamberger
LeböD uud Werke des Bildhauers Tilmau Riemenschueider. 585
Denkmales meiner Erinnerung vorschweben, auf eine etwas abweichende
Richtung hindeuten, die mir — vielleicht in Folge des uns unbekannten
ursprünglichen Bildungsganges des Künstlers - mehr eine Verwandtschaft
zu jener Richtung der damaligen niederrheinischen Malerei zu bezeichnen
schien, welche sich in den Bildern des (fälschlich) sogenannten Israel von
Meckenen oder des Meisters der Lyversberg'schen Passion ausspricht.
Dass sich dann, zumal in den späteren Werken des Meisters, ein grösseres,
und zum Theil allerdings ein ziemlich entschiedenes Eingehen auf die
vorherrschende Richtung der fränkischen Kunst bemerklich macht, kann
bei seinem festen Aufenthalt in Franken in keiner Weise befremden.
Auf die biographischen Notizen lässt der Verf. eine ausführliche Ueber-
sicht der Werke Riemenschneider's — derjenigen sowohl, welche ihm auf
den Grund urkundlicher Zeugnisse, als derjenigen, welche ihm nach ihren
stylistischen Eigenthümlichkeiten mit Zuversicht zuzuschreiben sind, —
und eine Charakteristik ihrer künstlerischen Beschalfenheit folgen. Sie
befinden sich zumeist in und an den Kirchen Würzburgs und der Umge-
gend. Von umfassenderen Werken ist nur jenes Denkmal des Bamberger
Domes erhalten, während leider zwei Werke, die ohne Zweifel zu seineu
bedeutendsten gehörten, — das bis zur Chorwölbung emporsteigende Sacra-
menthäuschen und der Tabernakel des Hochalters im Dome zu Würzburg
— untergegangen sind. Die beigegebenen Kupfertafeln, auf denen eine
Reihenfolge von Einzelmonumenten Riemenschneider's enthalten^ist, ge-
währen in ihrer genauen und feinen Auffassung, in ihrer sorgfältig charak-
teristischen Ausführung eine vollkommen zureichende Anschauung der
Richtung und der Kunsthöhe des Meisters. Das ganze Werk erfüllt hie-
durch seine Aufgabe in der erfreulichsten Weise. Von dem Bamberger
Denkmal ist übrigens keine Darstellung darin enthalten. Es ist sehr zu
wünschen, dass demselben möglichst bald ein selbständiges Werk, gewis-
sermaassen als Ergänzung des vorliegenden, gewidmet werden möge. Es
würde hinreichen, wenn die zahlreichen Darstellungen desselben auch nur
im Umriss wiedergegeben würden. ^
Wenn ich schliesslich ein Bedenken gegen die Auffassungsweise des
Verfassers aussprechen darf, so besteht dies darin, dass ef^ wie es mir
scheint, bei dem gemüthlichen Versenken in das Wesen seines Meisters die
künstlerische Bedeutung desselben doch etwas zu hoch angeschlagen hat.
Die Ausdrücke, deren er sich zur Bezeichnung seiner Eigenthümlichkeiten
und seines Werthes im Allgemeinen bedient, sind doch zu unbedingt, selbst
wenn es sich nur um den Vergleich mit andern gleichzeitigen Meistern der
Heimat handelt. Der Verf. stellt ihn gelegentlich mit A. Kraft parallel,
namentlich bei dem muthmaasslich letzten Werke Riemenschneider's, einer
grossen Reliefdarstellung der Klage über dem Leichnam Christi; während
er meines Erachtens gerade in diesem Werke (von dem ein trefflicher
Kupferstich vorliegt) gegen die volle Lebenskraft, die starke Entschieden-
heit-Kraft's, sogar gegen dessen Grösse des künstlerischen Sinnes, nicht
ganz unerheblich zurücksteht. Riemenschneider möchte vielleicht mehr-als
ein liebenswürdiger, denn als ein grosser Meister zu bezeichnen sein. —
Ueberhaupt aber macht es einen eigenlhümlichen Eindruck auf unser Ge-
fühl, wenn wir nach längerer Entfernung von unsrer mittelalterlichen Kunst
nach Beschäftigungen, die das Bedürfniss einer unsere Seele ausfüllenden,
unser Sein und Wollen kräftigenden künstlerischen Ganzheit in uns rege
gemacht, zu jener zurückkehren. Sie giebt unserm gereiften Bedürfniss
ö86 Berichte, uud Kritiken.
keiae volle Befriedigung mehr, wir finden jene Ganzheit nicht. Grosse
begabte Meister haben sich in einzelnen glücklichen Momenten emporzu-
ralFen gewusst: die Gesammtkunst jener Zeit ist eine Psyche mit gebundenen
Flügeln. Das soll freilich nicht hindern, dass wir ihr Streben und Träu-
men , schon weil es unsre Väter waren, die gestrebt und geträumt, nicht
mit Liebe auifassen sollten; aber ebenso darf uns unsere Pietät die Be-
schränktheit jener Existenz nicht verkennen lassen.
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Zweite
Abth., die Königl. Preuss. Provinz Sachsen entlialtend. Bearbeitet und
herausgegeben von Dr. Puttrich. Bandll, Liefr. 17—20. Leipzig, 1848, Fol.
(Deutsches Kunstblatt 1850, No. 7,)
iriiii
Das Puttrich'sche Werk, in seiner vielseitigen Bedeutung für die Ge-
schichte der Kunst und der Cultur im nordöstlichen Deutschland allgemein
anerkannt, geht nunmehr immer entschiedener seiner Beendigung entgegen.
Wir geben im Folgenden über die neuesten Mittheilungen dieses Werkes
kurzen Bericht.
Lief. 17 u. 18 der zweiten Abtheilung führen den Separattitel: „Mit-
telalterliche Bauwerke in den gräflich Stoib er g'schen Besitzun-
gen am Harz." Es sind 11 Blatt Abbildungen und 18 Seiten Text. Die
Mittheilungen haben, für die kunstgeschichtliche Forschung, besonders ein
zweiseitiges Interesse. Einige Darstellungen beziehen sich auf die Epoche
der romanischen A^hitektur: die alten Baulichkeiten von Kloster Ilsen-
burg (einfach alte und verbaute Säulenbasilika und interessanter Kreuz-
gang) und die zwar ebenfalls baulich veränderte aber äusserst merkwürdige
Kirche des unfern von Isenburg belegenen Drübeck, deren Darstellungen
leider etwas mangelhaft ausgefallen sind, während im Uebrigen die Mit-
theilungen dieser Hefte den früheren des schönen Werkes an Werth nicht
nachstehen. Andere Darstellungen gehören dagegen der spätest mittelalter-
lichen Zeit an, indem sie uns Holz- und Fachwerk-Gebäude, zu Werni-
gerode und zu Stolberg, vorführen, deren Formen das Gepräge des
letzten gothischen und des Renaissance-Styles tragen und einen phantasti-
schen, zum Theil auch dem Barocken schon sich zuneigenden Eindruck
gewähren, ^
Lief. 19 u. 20 führen den Separattitel: „Bauwerke des Mittel-
alters in der Königlich P^reussischen Lausitz." Auch dies sind
11 Abbildungen, mit 16 Seiten Text. Die Mehrzahl der Darstellungen gehört
der alten Stadt Görlitz, namentlich der mächtigen Petrikirche daselbst, an.
Von dem brillanten spätromanischen Style, aus der früheren Bauzeit dieser
Kirche zu Anfange des 13ten Jahrhunderts, giebt eine Darstellung des
zierlichen Hauptportales Zeugniss. Der Hauptkörper des Gebäudes aber ist
spätgothisch, aus der Zeit des löten Jahrhunderts. Ein Blatt u, A. ge-
währt einen Durchblick durch das fünfschiffige Innere, wo die kanellirten
Pfeiler schlank und kühn emporsteigen und über ihnen das schwebende
f
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. 587
Geäste des bunten Gurtengewölbes sich erhebt, — eine Weise architekto-
nischer Behandlung, die von der strengen Gothik des l3ten Jahrhunderts
so unendlich verschieden ist und doch des grössten ästhetisch vollkommen
gerechtfertigten Reizes nicht entbehrt. Ein anderes Blatt zeigt uns das
Innere der ebenfalls sehr interessanten Krypta der Petrikirche, aus der-
selben späten Periode der vaterländischen Baukunst, in der wir — schon
seit der Titurel bei der Schilderung des Graltempels auf Mont Salvatsch
gegen das Kryptenwesen so heftig geeifert hatte — sonst keine Gruftkirchen
zu finden gewohnt sind. Die Anlage ist hier indess durch lokale Beding-
nisse gerechtfertigt; auch weist der Herausgeber nach, dass vermuthlich,
obgleich die geschriebene Tradition dem zu widersprechen scheint, die
Reste einer älteren romanischen Anlage hiebei benutzt sind. Dann wird
uns die heil. Kreuzkapelle, wiederum aus dem löten Jahrhundert, nebst
dem isolirt daneben stehenden heil. Grabe, —'welches letztere eine wirk-
liche leidlich genaue Kopie des heil. Grabes zu Jerusalem ist, — vorge-
führt. Ein imposantes Beispiel städtischen Refestigungsbaues aus der Spät-
zeit des Mittelalters gewährt uns der kühne „Kaisertrutz" (eins der Thore
von Görlitz), ein Beispiel üppigen Renaissance-Styles der Zugang zu dem
dortigen Rathhause. — Ausserdem zeigen sich uns, andern Orten angehörig,
drei kirchliche Backstein-Architekturen: die romanische Klosterkirche zu
Dobrilugk; die Hauptkirche von Cottbus und die Nikolaikirche von
Luc kau, diese beiden aus gothischer Zeit. Weltlicher Architektur endlich
gehört das gräflich Lynar'sche Schloss Seese an, von dem eine ansprechend
malerische Darstellung gegeben wird.
Desselben Werkes erste Abth., das Königreich, das Grossherzogthum und
die Herzogthümer Sachsen-Ernestinischer Linie u. s. w. umfassend. Band II,
Lief. 8 u. 9. Leipzig 1849. Fol.
Auch hier gesonderte Abschnitte unter eigenthümlichen Separattiteln.
Zunächst: „Mittelalterliche Bauwerke in den Herzogthümern
Sachsen-Coburg-Gotha," 10 Blatt Abbildungen und 14 Seiten Text.
Wichtig sind unter diesen Darstellungen und den weiteren schriftlichen
Ausführungen die über die Veste Coburg, einem stolzen Fürstenbau, der
sich bekanntlich durch seine alten Theile ebenso, wie durch deren sinn-
volle Erneuerung und die darin aufbewahrten mannigfach interessanten
Geräthe und Kunstgegenstände der Vorzeit auszeichnet. Die von Witthöft
nach Brückher meisterhaft gestochene Titelvignette und ein lithographi-
sches Blatt sind dem Aeusseren der Veste gewidmet. Von den inneren
Räumlichkeiten wird uns die Dekoration des „Rosenzimmers" in den ele-
gantesten Formen später Gothik,,und die des „Hornzimmers" in den präch-
tig phantastischen Barockformen vom Ende des Ißten Jahrhunderts vorge-
führt. Von den Schätzen des Rüstungssaales ist ein mächtiger eiserner
Ofen, dessen Platten mit grossen wohlgebildeten Reliefgestalten versehen
sind und der dem löten Jahrhundert angehört, dargestellt'). Ferner sehen
') Ander« der in der Veste Coburg vorhandenen Altertbümer, u. A. merk-
würdige alte Staatswagen, sollen in dem unter der Presse befindlichen Werke:
„Die vorzüglichsten plastischen Kunstwerke des Mittelalters in Gold, Silber, an-
dern Metallen, Elfenbein, Stein, Thon, Holz u. s. w. in Kirchen, öffentlichen
und Privatsammlungen vornehmliöli Sachsens, Prenssens und angrenzender Län-
der , nach den Originalien gezeichnet von den tüchtigsten Künstlern und in far-
m
588 ' Berichte uud Kritiken.
wir eine Ansicht der spätgothischen Stadtkirche zu Coburg, eine Ansicht
der Kirche des zum fröhlichen Jagdschlösse umgeAvandelten ehemaligen
Klosters von Reinhardtsbrunn, und zwei Blätter mit Abbildungen von
sechs der Grabsteine der thüringischen Landgrafen, welche an dieser Kirche
aufgestellt sind. Einer von diesen Grabsteinen, ohne figürliche Darstellung
ist nur mit einem phantastischen Ornament romanischen Styles versehen.
Die andern Steine enthalten die Darstellungen fürstlicher Personen, doch
nicht als eigentliche Portraitbildungen , sondern als ideale Arbeiten aus
einer beträchtlich späteren Zeit als der des Lebens der Dargestellten, und
zwar aus dem 14ten Jahrhundert. Die sehr charaktervollen Abbildungen
bestätigen diese vom Yerf. gegebene Bestimmung aufs Entschiedenste. Die
Sculpturen sind übrigens für die künstlerische Richtung des 14ten Jahr-
hunderts, für die technische Behandlung und auch für das Kostüm dieser
Zeit zum Theil vou namhaftem Werth.
Der Separattiteides zweiten Abschnittes lautet: Mittelalterliche
Bauwerke in den Herzogthümern Sachsen-Meiningen-Hild-
burghausen," 10 Blatt Abbildungen und 16 Seiten Text. Auf die wie-
derum vortrefflich gestochene Titel vignette (von Witthöft nach C.Wagner)
mit der Ansicht des Schlosses Maasfeld, und auf ein Blatt mit der Dar-
stellung eines reichen, aus dem 16. Jahrhundert herrührenden Holzhauses
zu Meiningen, folgen sieben Blätter, welche der Stadt Saalfeld ge-
widmet sind. Die kolossale Ruine der alten Sorbenburg und. das fried-
liche spätgothische Schlösschen neben ihr, — die Brücke mit dem Unter-
bau der ehemaligen vielbesuchten Wasserkapelle, — die eigenthümliche
spätgothische Fa^ade der Stadtkirche, — die Hof-Apotheke, ein hohes Ge-
bäude aus spätromanischer Zeit und mit charakteristischen Details aus
dieser Epoche, — das Rathhaus, eine lustig bunte architektonische Com-
position, wiederum zumeist aus spätgothischer Zeit, — diese Gebäude und
zu ihnen gehörige Einzelheiten machen den Inhalt der genannten sieben
l^lätter aus. Den Schluss macht eine Ansicht des ebenfalls spätgothischen
Rathhauses zu Pössneck, mit einem eigenthümlichen Prachtstück von
Treppenaufgang und mit hohen reich verzierten Zinnengiebeln.
Der Herausgeber hat den vorstehend genannten Lieferungen seines
Werkes besondere Notizblätter über den bevorstehenden Abschluss desselbeu
beigegeben. Hienach fehlt für jede Abtheilung nur noch eine Serie Die
Schlussserie der ersten Abtheilung wird einzelne im Königreich Sachsen
noch vorhandene Bauwerke in Altenzelle, Grimma, Zwickau u. s. w. be-
handeln und zugleich Einiges aus dem Fürstenthum Reuss mit umfassen.
Die Schlussserie der zweiten Abtheilung wird sich auf das Eichsfeld, mit
Nordhausen und Mühlhausen, beziehen, auch wird Einiges über die Elb-
gegenden (Wittenberg, Torgau', Mühlberg) beigegeben werden. Endlich
wird als Schluss-Text des Ganzen eine besondere „Uebersicht der Geschichte
der mittelalterlichen Baukunst in Sachsen" folgen. Neben der Bezugnahme
auf die in dem Gesamrntwerk enthaltenen Darstellungen soll hier zugleich
auf einigen Kupfertafeln mit kleineren, rein architektonischen Abbildungen
ein „gleichsam encyclopädischer" Ueberblick des Charakteristischen jedes
Zeitalters gegeben werden. ^ ^
bigen Abbildungen zum ersten Male herausgegeben , auch durch historische und
artistische Bemerkungen erläutert von Dr. L. Puttrich, Leipzig bei Rud. "Wei-
gel, Klein-Fol.," erscheinen.
Danzig und seine Bauwerke. 589
Dan zig und seine Bauwerke in malerischen Original-Radirungen mit
geometrischen Details und Text von Johann Carl Schultz, K. Preuss.
Professor u. Direktor der Prov.-Kunst-Schule zu Danzig.'Zweite Lieferung.
Danzig, im Selbstverlage des Autors. 1848. gr. Fol.
(D, Kunstblatt 1850, No. 8.)
Der Herausgeber hat die Freunde seines schönen Unternehmens geraume
Zeit auf die Fortsetzung warten lassen; -wir haben uns indess über die
lange Frist, die seit dem Erscheinen der ersten Lieferung verflossen ist,
nicht zu beklagen: das Werk fährt fort, seinem Meister Ehre zu machen,
mit der zweiten Lieferung im Ganzen noch mehr als mit der ersten. In
No. 104 des Stuttgarter Kunstblattes vom J. 1845 hatte ich über den Plan
des Unternehmens und über die damals erschienene erste Lieferung berichtet.
Ich deutete damals auf den dreifachen Vorzug hin, den sich das Werk —
durch die Darstellung bedeutsamer Gegenstände, durch eine künstlerisch
freie Behandlung und durch eine von den Kunstliebhabern besonders ge-
schätzte Technik (die Radirung) — zu eigen mache; wir begegnen den-
selben Vorzügen auch in der vorliegenden Fortsetzung. Besonders interes-
sant ist unter den neuen Blättern zunächst das, welches den mittelalterlichen
Stockthurm mit seinem bunten Giebel- und Spitzenwerk und die neben
ihm gelegene sogenannte Peiustube darstellt. Beide Bauwerke sind vom
Wall aus aufgenommen; man blickt auf die nächstgelegenen Baulichkeiten
der Stadt, namentlich auf das Kunstschulgebäude, hinab: das letztere ist
mit seinem ursprünglichen Thurmschmuck und dem kupfernen St. Georg
auf der Spitze dargestellt, den es vor ein Paar Jahrzehnten durch die pro-
saischen Nivellirungsgelüste der Zeit eingebüsst hat. Man ist dem wackern
Künstler Dank schuldig, dass er, wie das Original des St. Georg für die
Kunstschulsammlung, so auf diesem Blatte von der ursprünglichen Anord-
nung wenigstens ein flüchtiges Bild bewahrt hat. Die Gesammtdarstellung
giebt einen der malerischsten Prospecte aus der ümschliessung Danzigs;
die Behandlung des Blaittes ist in schöner Fülle und zugleich Weichheit
des Tons durchgeführt. — Ein zweites, ebenfalls vortreffliches Blatt enthält
eine Ansicht des Frauenth ores; ein Gebäude von leider schon etwas
verflachten mittelalterlichen Formen, und daneben das etwas rdchere soge-
nannte Sonntag'sche Haus, etwa aus dem 17ten Jahrhundert, mit buntem
Thurm und Erkergiebeln. Das Frauenthor ist ein Wasserthor; die Ansicht
ist vom Flusse aus genommen; der breite Vorgrund des Bildes besteht aus
dem Spiegel des Wassers und den Schilfen, die dasselbe bedecken und mit
ihren Masten, Raaen und Tauen die dahinter liegenden Architekturen
kreuzen. Dies Blatt besonders, ist von glücklichster malerischer Wirkung;
der Künstler hat hier tiefe Energie des Tons und spielende Luftwirkung in
einer .Weise zu verbinden gewusst, die in der That in der Radirung nicht
häufig zu finden sein dürfte. — Gleiche Meisterschaft der Behandlung zeigt
ein drittes Blatt, welches einige Beischläge darstellt, d. h. jene merk-
würdigen terrassenartigen Vorbauten der Privathäuser, die sich in Danzig
und auch gelegentlich in andern preussischen Städten aus fiterer Zeit er-
halten haben, der modernen Nüchternheit aber mehr und mehr weichen
(wie denn auch der eine der auf diesem Blatt enthaltenen Beischläge nicht
590 Berichte und Kritiken.
mehr vorhanden ist). Die hier dargestellten rühren» wie fast sämmtliche
bemerkenswerthe Privatarchitekturen Danzigs, aus dem J7ten Jahrhundert
her und sind mit reich dekorirten Brüstungen im Geschmacke dieser Zeit
versehen. Sie gewähren den Eindruck eines ungemein behaglichen Comforts,
der die Geschäfte des häuslichen Daseins, wozu unser Norden sonst nicht
allzugeneigt ist, gern auf die Gasse hinausträgt und nachbarlichen Verkehr
im lebendigen Gange erhält. Wir bedauern im Anblick dieses schönen
Blattes auch nur, dass der Künstler dies Element nicht vollständig ausge-
nutzt und seine Darstellung nicht durch eine entsprechende Staffage belebt
hat. — Eine Ansicht der St. Marienkirche, mit den Häusern der Gasse,
I die sich vor dieselbe hinzieht, befriedigt weniger. Alles ist hier auf male-
I rische Haltung berechnet, aber es fehlt hier an den vermittelnden Luft-
tönen; auch das gothische Giebel- und Zinnenwerk der Kirche, das stofflich
das meiste Interesse gewähren würde, kommt nicht zu seiner rechten
Wirkung. — In dieser stofflichen Beziehung ist das wichtigste Blatt eine
innere Ansicht des Artushofes, eines der schönsten Säle später gothischer
Zeit. Von vier mächtigen schlanken Granitpfeilern wird das buntgegliederte,
sternartig sich verschlingende Fächergewölbe getragen, das diesen Raum
bedeckt. Die reichste Pracht späterer Zeit erfüllt die Wände; aus den
grossen mythologischen Bildern treten in den Vordergründen Einzeltheile,
z. B. Hirschköpfe mit ihren Geweihen, auch ganze Thiere oder Menschen-
gestalten, mit phantastischer körperlicher Plastik hervor. Fahnen und andrer
Schmuck fehlen nicht. SchiiTsmodelle sind an Ketten aufgehängt, die vom
Gewölbe niederlaufen. In der Mitte, auf ihrem ursprünglichen Platze, steht
die kolossale Marmorstatue des Polenkönigs August III. vom J. 1755, die
man in neuerer Zeit indess in einen Winkel zu rücken für gut befunden
hat. Alles dies ist auf dem vorliegenden Blatte in vortrefflicher wohlver-
standener Darstellung wieder gegeben; doch erlangt dasselbe leider auch
keine volle malerische Wirkung, bleibt vielmehr etwas grau im Ton. Hier
ist der Uebelstand ohne Zweifel der abweichenden Technik, die der Künstler
versuchsweise gewählt hat, zuzuschreiben. Dies ist die neuerlich erfundene
stylographische Radirung, bei welcher in eine präparirte Wachsmasse
radirt und über letzterer auf galvanoplastische Weise die Formplatte und
sodann die Abdruckplatte gewonnen wird. Man arbeitet bei diesem Ver-
fahren eben nicht mit der vollen künstlerischen Freiheit, welche der Nadel
und der Hand bei der guten alten Radirmanier auf so erquickliche Weise
zu gute kommt; man muss den verschiedenen Tönungen durch verschie-
denartiges Aetzen entsagen, die, allem eigensinhigen Spuck des Aetzwassers
zum Trotz, doch einen so unbezahlbaren Werth haben; man entbehrt, ab-
gesehen von der grossen Schwierigkeit einzelner Correcturen, der mannig-
fach bequemen und charakteristischen Mittel zur Nacharbeit, die bei der
geätzten Platte nach Belieben durchzuführen ist; und zweifelhaft auch
möchte die Festigkeit der galvanoplastisch beschafften Platten sein, —
wenigstens schienen mir die von solchen gefertigten Abdrücke, die mir zu
Gesichte gekommen, immer etwas Graues zu haben (doch will ich mich
durch thatsächlichen Beleg sehr gern vom Gegentheil überführen lassen).
Jedenfalls können wir das wohl als sicher annehmen, dass die freie, solide
und reiche alte Technik für die Künstler das Beste bleiben wird und dass
die in neuerer Zeit erfundenen Surrogate etwa zur Unterhaltung der Dilet-
tanten bestimmt sein mögen. — Doch führen mich diese technischen Be-
merkungen von den schönen Danziger Darstellungen ab. Die Ansicht des
«
)
Danzig und seine Bauwerke. Nürnbergs Gedenkbuch. 591
Artushofes bleibt bei alledem ein gewiss schätzbares Blatt, und wir mtlssen
dem Künstler immerhin auch daftir dankbar sein, dass er vorübergehend
auch die neue Technik eines Versuches nicht unwerth gehalten hat. —
Fünf Blätter jeder Lieferung des in Rede stehenden Werkes sollen malerische
Darstellungen, ein sechtes Blatt geometrische Risse enthalten. Das letztere
bringt hier Risse des gothischen Rathhauses der Rechtstadt Danzig mit
seinem schlanken und starken Thurme, dessen Spitze, vom Ende des
i6ten Jahrhunderts, sich in phantastisch luftigen Barockformen emporgipfelt.
Architektonische Details in grösserem Maassstabe sind beigefügt, auch ein
besondrer Umriss des lebensgrossen ritterlichen Fahnenträgers, der, aus
Kupfer getrieben und vergoldet, den obersten Schluss der Thurmspitze
bildet.
Zwei Lieferungen sollen noch erscheinen; mit der vierten wird der
zum Ganzen gehörige Text ausgegeben werden. "Wir sind versichert, dass
das Unternehmen bei dem vielseitigen Interesse, das es darbietet, einer
lebhaften Theilnahme gewiss ist. Wie der Herausgeber im Einzelnen schon
darauf bedacht ist, Werke, die in der letzten Vergangenheit untergegangen
sind, hier der Erinnerung aufzubewahren, so wird das Ganze für alle Zeit
einen monumentalen Werth behalten und bei der meisterha.ften Fassung
und Wiedergabe der Darstellungen einen steten Reiz gewähren.
Nürnbergs Gedenkbuch. Vollständige Sammlung aller Baudenkmale,
Monumente und andrer Merkwürdigkeiten Nürnbergs. In Stahlstichen nach
Originalzeichnungen von J. G. Wolff, mit Beschreibung von Dr. Fried.
Mayer. Nürnberg, Verlag von J. L. Schräg, (Klein 4.)
(D. Kunstblatt 1850, No. 10.)
Das Werk ist in Heften zu fünf Blatt erschienen, die im Einzelnen
schon mannigfache Anerkennung gefunden haben. Gegenwärtig liegen 20
solcher Hefte vor, welche zwei Bände ausmachen, jeder mit einem beson-
deren gestochenen Titel und mit neun Bogen erläuterndem Text. Das
Werk scheint hiemit ein abgeschlossenes Ganzes auszumachen; doch wer-
den noch Supplemente in Aussicht gestdlt. — Der Inhalt wird durch den
Titel bezeichnet. Es'^ist eine sehr reichhaltige Sammlung von Prospekten,
von malerisch aufgefassten Aussen- und Innen-Ansichten merkwürdiger
Gebäude (sowohl der Kirchen, als zahlreicher Baulichkeiten für öffentliche
und Privatzwecke des bürgerlichen Lebens), von merkwürdigen architek-
tonischen Einzelheiten (besonders Thüren, Erkern, Chörlein u. dergl,), von
plastischen^Denkmälern, ^'on dekorativen Werken u. s. w. Alle Zeitalter,
von den frühsten mittelalterlichen Bauten, die Nürnberg bewahrt, bis zu
den würdigeren Leistungen der Gegenwart herab, sind hierin berücksich-
tigt. Mehrfach sind zwei Darstellungen auf einer Tafel enthalten, so dass
die 100 Tafeln der beiden Bände im Ganzen 121 Darstellungen vorführen.
— Es sind überall einfache, aber sorgfältig geführte Umrisszeichnungen mit
leichter Schattenangabe, feinen und zumeist geistreichen Croqui's eines
592 ' Berichte uud Kritiken.
..........
künstlerischen Skizzenbuches vergleichbar. Ihr Verdienst besteht zunächst
darin, dass sie dem Beschauer eine belehrende Uebersicht über die Fülle
der merkwürdigen Gegenstände, deren wir uns beim Besuche der alten
künstlerischen Reichsstadt erfreuen, darbieten, dass sie recht eigentlich, wie
es der Haupttitel des Werkes besagt, „ein Gedenkbuch Nürnbergs'^ ausmachen.
Gewiss werden sie schon aus diesem Grunde Vielen eine sehr willkommene
Gabe sein. Für eigentlich kunstwissenschaftliche Zwecke das entsprechende
Material zu liefern, konnte nicht die unmittelbare Aufgabe dieser leichten
Blätter sein. Immer aber enthalten sie auch in dieser Beziehung, bei der
feinen und wohlverstandenen Weise, mit der überall die Motive wieder-
gegeben sind, mannigfach Belehrendes, besonders in den Darstellungen
architektonischer Einzelheiten, und namentlich auch in den Blättern, in
denen bildnerische, zum Theil noch gar nicht herausgegebene Monumente
vorgeführt werden. Ausserdem aber bildet das Werk eine sehr reichhaltige
Fundgrube für die malerische Gestaltung der Umgebungen und äusseren
Formen des städtischen Lebens, in den Zeiten vom 13ten bis 17ten Jahr-
hundert. Es wird mithin, wie für die allgemeinen Zwecke künstlerisch
bildnerischer Composition, die auf solche Umgebungen einzugehen strebt,
so auch ganz besonders für die Zwecke der Theater-Dekorationsmalerei,
die in vielen Fällen nur das hier Gegebene zu -wiederholen und auszufüh-
ren hat, zu empfehlen sein.
Zur Kunde und zur Erhaltung der Denkmäler.
(D. Kunstblatt 1850, No. 12.)
Die „Einladungsschrift der Königl. polytechnischen Schule in Stuttgart
zu der Feier des Geburtsfestes Sr. M. des Königs Wilhelm von Württem-
berg, den 27. September 1849", enthält eine „Abhandlung über die
mittelalterlichen Baudenkmale in Württemberg von J. M.
Mauch", die das Material unserer vaterländischen Denkmälerkunde auf
willkommene Weise vermehrt. Der kundige, mit den Wechselgestaltungen
des Bauwesens wohlvertraule Meister giebt uns hier eine anschauliche und
fassliche Uebersicht der wichtigeren, dem romanischen Baustyl bis zur
Uebergangs-Periode angehörigen Bauwerke Württembergs, von denen wir bis
jetzt erst in Betreff einzelner eine nähere Kunde besassen. Die Notizen über
die Denkmale der folgenden Epochen sind späterer Mittheilung vorbehalten.
Der Abhandlung sind vier Blatt bildlicher Darstellung, von Mauch eigen-
händig und also in gediegenster Weise auf Stein gezeichnet, beigefügt:
1) zwei Säulenkapitäle, aus der Stiftskirche zu Ellwangen und der Kirche
zu Brenz; 2) ein sehr interessanter Altartisch aus der der Josephskirche
zugehörigen Michaelskapelle zu Heilbronn; 3) die reich ornamentirte
Schlussrosette des Gewölbes derselben Kapelle, in ihrem Blattwerk die in
einzelnen wenigen Fällen auch über Deutschland verstreute Form des
direkt arabischen Blatt-Ornamentes nachahmend: 4) ein Theil von dem
Aeusseren der Kirche zu Plieningen bei Stuttgart.
Zur Kunde und zur Erhaltung der Denkmäler. 593
Der Verfasser -Spricht zu Anfang sein schmerzliches Bedauern darüber
aus, dass zum Schutze der auf schwäbischem Boden beflndlichen Denk-
male keine allgemeinen (also von der Regierung ausgehenden) Maassregeln
vorhanden sind. Eine empfindliche Rechtfertigung seiner Klage scheint
die am Christabend 1848 aus reiner Vernachlässigung erfolgte Zertrümme-
rung des grossen kupfernen und vergoldeten Kronleuchters der ehemaligen
Abteikirche zu Comburg, eines Kunstwerkes aus der Zeit des 12ten Jahr-
hunderts, zu gewähren.
Gewiss ist es, wie ich mir hiebei zu bemerken erlaube, wünschens-
werth und nothwendig, dass zur Erhaltung der Denkmäler unserer Vori^eit
eine gesetzliche Grundlage gegeben sei und dieselbe durch die betreffende
Staatsregierung gewahrt werde. Aber dies ist nur die eine Seite der Sache,
und wird nur von hier aus eine Abhülfe in Anspruch genommen, so
möchte die Wirkung leicht illusorisch bleiben. Kommt der Regierung in
dieser Angelegenheit keine individuelle Theilnahme entgegen, so muss ihre
Thätigkeit beim besten Willen gelähmt bleiben. Diese individuelle Theil-
nahme aber kann nur durch Privat-Wirksamkeit hervorgerufen werden,
und die letztere wird, sich .aller Orten am zweckmässigsten durch Ver-
eine bethätigen können, wozu, wenn man nicht ausschliesslich Denkmäler-
Vereine stiften will,^ die grosse Menge der vorhandenen Geschichts- und
Alterthums-Vereine die bequemste Anknüpfung gewähren dürfte. -Ich
meine aber, dass die Vereine für den in Rede stehenden Zweck wirklich
thätig sein und sich nicht bei gelehrten Vorträgen, gelegentlichen Editionen
und gelegentlichen Klagen über den Mangel des Sinnes für ihre Interessen
beruhigen müssen. Sie müssen praktisch auf den Sinn des Volkes einwir-
ken , populäre Belehrungen über den Werth der Denkmäler verbreiten (in
selbständigen Schriftchen und ganz besonders in den kleinen städtischen
Wochenblättern) und mit ihren Agenten überall zur Hand sein, um im
einzelnen Fall durch gütliches Besprechen mit den Betheiligten das "Wün-
schenswerthe und Mögliche zu vermitteln. '
Und noch Eins erlaube ich inir dabei zu bemerken. Mau sei überall
sorglichst auf der Hut, dass man in solchen Bestrebungen nicht um ein
Haar breit zu weit gehe. Der die Bedürfnisse der Gegenwart missachtende'
archäologische Eifer, der einseitig übertriebene Purismus hat der schönen
Sache der Denkmäler-Conservation schon unermesslich geschadet. Seht*
häuög steht die letztere" mit dringenden Bedürfnissen der Gegenwart im
Conflict: oft wird sich durch verständige Untersuchung und Besprechung
ein Mittelweg finden lassen, der beiden Interessen genügt-, oft aber muss
auch das unbedingte Recht dej- Gegenwart (denn was sollte aus der Zu-
kunft werden, wenn man immer nur nach der Vergangenheit blicken
wollte!) vorangehen, und da gilt es, sich mit Heiterkeit in das Unver-
meidliche zu fügen, nicht aber durch unnützes Klagen den Zwiespalt zu
vergröSsern. Ein wesentliches Element der Denkmäler ist sodann ihr ge-
schichtlicher Zustand, die Art und Weise, wie oft eine Reihe von Jahr-
hunderten ihnen ihren Stempel aufgedrückt hat. Möge man doch bei allen
Restaurationen darauf^ bedacht sein, hievon möglichst wenig"^zu verwischen!
Es ist eine unglückselige pedantische Liebhaberei, die'alten Bauwerke
überall auf ihren primitiven Zustand zurückführen zu wollen: im besten
Falle erhält man dabei ein Exempel für einen kleinen Punkt der kunst-
historischen Wissenschaft; aber allen späteren Jochen, die das Denkmal
- Kngler, Kleine Sthriflen II, - , 38
-ocr page 593-594 ' Berichte uud Kritiken.
auch zu dem ihrigen gcmacht hatten, ist bitter Unrecht geschehen, und
dem Beschauer ist das Band, das ihn mit dem Werke verbinden soll,
zerrissen und seine persönliche Theilnahme abgckältet. Wer nicht an
diesem oder an jenem Abschnitt der kunstgeschichtlichen Studien hängen
geblieben ist, wer auf der Höhe der geschichtlichen Anschauung steht und,
weil er ein Herz für die ganze Vergangenheit hat, auch die Gegenwart
fühlt und die Zukunft ahnt, dem gleichen sich die einzelnen Umwandlun-
gen , die die Jahrhunderte mit den einzelnen Denkmälern vorgenommen
haben, zu einer höheren Harmonie aus und sein zur einfachen Natürlich-
keit zurückkehrendes Gefühl wird nicht verletzt, mag auch einer gothischen
Fa^ade ein Portal im Renaissancestyl vorgebaut oder ein romanisches In-
nere mit einer Rococo-Dekoration überzogen sein. — Sapienti sat, und
vielleicht ein ander Mal mehr.
Einige Bedenken über Raphaels Kre u ztragung, nach Maassgabe
der Schlesinger'schen Kopie.
(D. Kunstblatt 1850, No. 14.)
Der folgende Aufsatz ist, wie das Datum angiebt, schon vor zwei
Jahren geschrieben. Ich hatte ihn für das Stuttgarter Kunstblatt bestimmt,
hatte ihn aber wieder zurückgenommen, da er möglicher Weise zum Streit
Veranlassung geben konnte, ohne doch sofort zu einem die Sache abschlies-
senden Restiltat zu führen, üeberdies war die Zeit von so viel gewichti-
geren Streitfragen bewegt, dass man den Frieden im eignen Hause doppelt
gern bewahrte. Indem ich den Aufsatz jetzt, bei der Eröffnung des neuen
Kunstblattes, wieder zur Hand nehme, will es mich doch bedünken, dass
das darin Angeregte einer anderweiten Beachtung nicht unwerth sei. Möge
die Ketzerei also (wenn es eine ist) in die Well hinausgehen! Die Wissen-
schaft will ja den Zweifel, um durch die Kritik zur Wahrheit — oder doch
in die grösstmöglichste Nähe der Wahrheit — zu kommen
Berlin, 15. April 1848.
Wir hatten in diesen Wochen politischer und socialer Wirrnisse und
Stürme hier am Ort eine künstlerische Ausstellung, die immerhin geeignet
war, das beschauliche Gemüth aus dem Drange der Gegenwart in den
Kreis idealer, durch ihre historische Abgeschlossenheit zu einer um so
ernsteren Sammlung führender Interessen hinüberzuleiten. Es war eine
Eine Bestätigung meiner ketzerischen Ansicht findet sich in der neusten
Kritik des Originalgemäldes; von Raphael, von dem hiej die Rede ist. Auch
Herr von Quandt, in seinen „Beobach'tnngen und Phantasien über Menschen,
Natur und Kunst auf „einer Reise durch Spanien, Leipzig 1850", die mir so eben
in die Hände fallen, erklärt sich dahin, dass der Kreuztragung nur eine flüch-
tige Skizze von Raphael zu Grunde liege. Die Ausführung des Bildes schreibt
er jedoch, abweichend von meiner oben ausgeführten Hypothese, dem Francesco
Penni zu. (Man vergl. seine Darstellung auf S. 240 ff. des genannten Werkes.)
Einige Bedenken über Raphaels Kreuztragung. 595
Anzahl; zum grössten Theil im königlichen Besitz befindlicher Kopien nach
Raphael, die, im Ganzen vierzig Gemälde, in der Rotunde des Museums
aufgestellt waren. Bis auf wenige Ausnahmen nach Staffeleigemälden des"
grossen Meisters ausgeführt, gaben sie eine so genussreiche wie belehrende
Uebersicht über die verschiedenen Epochen seiner Wirksamkeit, von seiner,
unter Perugino's Leitung emporblühenden Jugend an bis zu seinem Tode.
Die Kopien waren freilich von sehr verschiedenartigem Werth 'y gaben einige
das Bild des Meisters nur wie in einem trüben, andre gar wie in einem
übel geschliffenen Spiegel wieder, so wehte uns aus der Mehrzahl doch
sein Geist in erfreulicher Frische entgegen und vor Allem hatten wir in
Hensei's Kopie der Transfiguration, der bisher in der Charlottenburger
Schlosskapelle kein sehr günstiger Platz zu Theil geworden ist, aufs Neue
eine Arbeit zu bewundern, wie sie die nachbildende Kunst gewiss nur
selten hervorgebracht hat. Eine Reihe von Kupferstichen;- theils solche,
die Marc Anton nach Zeichnungen Raphaels gearbeitet, theils neuere
Blätter nach seinen vatikanischen Fresken, reihten sich an, auch mehrere
Originalhandzeichnungen (fast alle aus dem königl. Kupferstichkabinet),
unter denen besonders der wundervolle, mit der Feder gezeichnete Ent-
wurf zu dem Fischzug Petri (die zu den Tapeten gehörige Composition)
stets nur mit erneuter Lust betrachtet werden konnte. Noch weiter ver-
mehrt wurde die reiche Schau durch die Tapeten, die, mit den bekannten
vatikanischen Tapeten (erster Folge) gleichzeitig gefertigt und mit ihnen
von gleichem Werth, vor einiger Zeit für das hiesige Museum erworben
und kürzlich über der Gallerie der Rotunde, in sehr stattlicher, aber'nicht
ebenso zweckmässiger Weise, aufgestellt sind.
Unter den Kopien der Staffeleigemälde befand sich, auCh die Kreuz-
tragung (Spasimo di Slcilia), die in jüngster Zeit durch den Professor
Schlesinger, Restaurateur der Gemäldegallerie des Museums, im Auftrage
des Königs nach dem in Madrid befindlichen Originale angefertigt ist. Bei
der grossen Bedeutung und dem grossen Ruf, den diese Composition unter
Raphaels sämmtlichen Arbeiten hat, bei der weiten Entfernung des Origi-
nals, die die meisten von uns auf unmittelbare Bekanntschaft mit demselben
verzichten lässt, bei der anerkannten Meisterschaft Schlesingers in der
Wiedergabe der Eigenthümlichkeiten der alten Meister waren die Hiesigen
Kunstfreunde auf die Erscheinung und öffentliche Ausstellung der Kopie
lebhaft gespannt gewesen. Man fand aber nicht, was man erwartet hatte,
und ein ziemlich allgemeines Missbehagen war unverkennbar. Viele wuss-'
ten gar nicht, ^was sie aus einem Bilde machen sollten das so auffallend
von der raphaelische^n Behandlungsweise abwich. Einige trösteten sich
kurzweg und meinten, es sei eben eine missrathene Kopie; Andre deuteten,
nicht ganz ohne sarkastische Bemerkungen, darauf hin, dass der berühmte
Restaurator wohl die Absicht gehabt habe, uns einmal auf eclatante Weisö
zu zeigen, wie Raphaels Bilder, ehe Zeit und Unverstand sie in ihre
dermaligen-Zustände versetzt, ursprünglich beschaffen gewesen seien, oder
vielleicht gar: wie Raphael eigentlich hätte malen sollen. Auf mich, ich
bekenne es unumwunden, hat die Kopie bei allem Befremdlichen einen
sehr entschiedenen, ich möchte sagen: zuversichtlichen Eindruck gemacht
und sich in diesem bei längerem und wiederholtem Beschauen immer fester
behauptet; sie hat mir manche Bedenken, die mir "schon bei Betrachtung
der Kupferstiche der Kreuztragung aufgestiegen waren, auf die^ich aber
bis dahin kein sonderliches Gewicht legen mochte, bestätigt und näher
595 ' Berichte uud Kritiken.
motivirt, so dass ich in der That nicht allzuviel zu wagen glaube, wenn
ich aus ihr einen Rückschluss auf das Original mache. Allerdings kommt
es hiehei zunächst in Frage, inwieweit überhaupt der ursprüngliche Zu-
stand des letzteren noch erhalten und erkennbar sein mag. Schon die
Mirakelgeschichte, die Vasari von demselben erzählt: wie das Bild gleich
nach seiner Yollendung, also mit'noch ziemlich frischen und verletzbaren
Farben, nach Palermo eingeschifft worden und wie es, als das Schiff mit
Mann und Maus untergegangen, in seiner Kiste den weiten Seeweg nord-
wärts nach Genua zurückgelegt habe, — schon dieser Umstand dürfte uns
schliessen lassen, dass es mit der ursprünglichen Beschaffenheit desselben
eine kritische Sache sei; da die Hauptsache des Mirakels aber eben darin
bestand, dass das Bild trotz aller ätzenden Kraft des Seewassers völlig
unverletzt an der genuesischen Küste landete, so werden wir hiebei unser
kritisches Bedenken ausser Spiel lassen müssen, sollten wir auch in ratio-
nalistischer Auslegung der ehrwürdigen Tradition gar zu der gewagten
Hypothese kommen, dass nicht die Kiste allein, sondern mit ihr zugleich
das solide Transportschiff den unbeabsichtigten Weg .nach Norden gemacht
habe. Dann wissen wir, dass das Bild, als es nach Paris gebracht war,
dort von dem Holz auf Leinwand übergetragen ist, und wir können somit
leicht auf die Vermuthung kommen, dass diese schwierige Manipulation
vielleicht doch starke Verletzungen hervorgebracht und in Folge dessen
bedeutende Uebermalung nöthig gemacht haben dürfte. Aber wir kennen
genug andre Bilder, bei denen diese Operation mit mehr oder minder
guten* Erfolgen vorgenommen ist, ohne doch, wie selbst bei Raphaels heili-
ger Margaretha im Louvre, die dadurch bekanntlich im äussersten Grade
angegriffen wurde, den Charakter der Originalität ohne Weiteres auszu-
löschen. Beruhigen wir uns also auch hiebei, so weit wir es vermögen,
und halten wir andrerseits an der Bemerkung fest, wie die Schlesinger'sche
Kopie in Allem, was Auffassung, Behandlung, Sonderbarkeiten und Mängel
anbetrifft, eine so charakteristische, in sich übereinstimmende Eigenthüm-
lichkeit hat, dass wir dieselbe doch nicht füglich auf Rechnung etwaiger
Störungen der ursprünglichen Beschafl'euheit des Originales, und ebenso-
wenig, wie es scheint, auf den etwaigen Eigenwillen des Kopisten, dessen
Meisterschaft in sonstigen Leistungen der Art überdies zur Genüge bekannt
ist, setzen dürfen. Ist Herr Professor Schlesinger, wie es allerdings der
Fall sein dürfte, bemüht gewesen, bei Ausführung der Kopie von den ohne
Zweifel vorhandenen zufälligen Störungen des Originales abzusehen und
dasselbe in möglichster Integrität wiederzugeben, so werden wir ihm auf
Grund seiner langjährigen reiflichen Erfahrungen auch hierin einigen
Glauben schenken und die Kopie — soweit dies überhaupt bei einer Kopie
zulässig sein kann — zur Basis, ich will nicht sagen: eines absoluten
Urtheils, aber doch einer nicht unbegründeten Hypothese über die künst-
lerische Stellung des Originales nehmen dürfen. - -x.
Dass die Composition der Kreuztragung, in dem Zusammenfassen der
darin enthaltenen Momente, in der dramatischen Entwickelung der Hand-
lung, in der, bei dem Höhenverhältniss des Bildes doppelt schwierigen
Anordnung und Gruppirung, eine der genialsten Conceptionen Raphaels ist,
bedarf hier keiner Auseinandersetzung. Ich würde nicht bloss das Urtheil
mehrerer Jahrhunderte, ich würde das Urtheil eines jeden, für Kunst irgend
empfänglichen Gemüthes unberücksichtigt lassen, wollte ich dem wider-
sprechen. Ich habe also nicht nöthig, hierauf weiter einzugehen; ich wende
fsr
Eiuige Bedenken über Raphaels Kreuztragung. - 597
mich vielmehr zu der Art und Weise, wie diese Composition in der Aus-
führung des Bildes individuelles Leben empfangen hat. So sehen wir
denn in dem ausführenden Künstler zunächst einen solchen, der die geisti-
gen Anforderungen der Composition_ allerdings wohl zu würdigen im
Stande war. Der Kopf des Simon von Cyrene, der dem niedergesunkenen
Erlöser das Kreuz abzunehmen im Begriff ist und sich mit lebhaftem Un-
willen gegen die brutalen Schergen wendet, ist im Ausdruck voll ergrei-
fender Energie; der Kopf Christi verräth ebenfalls ein tiefes Gefühl,* wenn-
gleich mir die von früheren Berichterstattern (z. B. Mengs) gerühmte
Idealität desselben hier nicht so gar entschieden entgegen getreten ist.
Bedeutend ist ferner der Ausdruck in den Köpfen der Gruppe der heiligen
Frauen; aber er erscheint hier schon nicht völlig frei entwickelt; es ist
etwas Maskenartiges darin, das sich im Einzelnen selbst zu manierirten
Motiven steigert. , Bedenklicher wird e,s, wenn wir die Aeusserungen kör-
perlicher Thätigkeit in den einzelnen Gestalten und noch mehr, wenn wir
das Gefüge des körperlichen Organismus in denjenigen, die gerade mit
Energie körperlich handeln sollen, betrachten. Schon die so edel und
grossartig componirte Gruppe der Frauen hat in mehrfacher Beziehung
etwas Starres; die vorderste, die der niedersinkenden Mutter des Erlösers
unter den linken Arm greift, kniet in ziemlich steifer Stellung und hebt
den Mantel über dem Haupte dei Maria mit ebenso steifer wie kleinlicher
Handbewegung empor; Johannes, hinter der Maria, scheint lebhaft bewegt,
ohne doch zu einer Aeusserung seiner Bewegung-zu kommen; seine Arme
verlieren sich hinter den Schultern der Maria, ohne dass man sieht, was
er beabsichtigt, ja ohne dass er, wenigstens mit dem linke'n Arm, überhaupt
im Staude wäre, in die Bewegung der Gruppe einzugreifen. Simon von
Cyrene und der im Vorgrund befindliche Scherge zeigen eine Mächtigkeit
der Muskulatur, die an prunkvolle Ostentation streift, die aber'leider mehr
blendet, als nachhaltig wirkt. Simon hat in den Massen des Oberkörpers,
namentlich der Arme, ein verhältnissloses Uebergewieht über die-unteren
Theile des Körpers^); die Richtigkeit der Muskulatur in seinen nackten
Theilen ist mir sehr bedenklich, der rechte Oberarm z. B. setzt in ziemlich
monströser Weise gegen die Schulter an und erscheint dadurch steif. Auch
der Scherge im Vorgrund scheint mir in den Körperverhältnissen nicht
ganz richtig; jedenfalls werden bei seinem Unterkörper die An-"'und Ein-
sätze der Glieder und der einzelnen Muskeln mancherlei Bedenken unter-
liegen, und muss dies entschiedener zu der steif, schwebenden Stellung, in
der er sich trotz seiner ungestümen Bewegung befindet, beitragen, als der
an sich geringfügigere Umstand, dass sein^ linker Fuss ohne eine Schatten-
wirkung die Erde berührt^). Dann sind die Hände fäst durchgehend hart
und eintönig, besonders die des Erlösers, Simons und des Schergen hinter
diesem. Ausserdem ist noch zu bemerken, dass der wunderliche, langge-
') Man sagt vielleicht: er stehe vornübergebeugt, sein Oberkörper sei dem
Beschauer näher, sein Unterkörper ferner und perspektivisch verkützt. Ich
bitte, die Stellung nachzumachen und sich dadurch zu überzeugen, wie wenig
hiebei von Vor- und Zurücktreten und von Verkürzung die Rede sein kann.
— Die obige Bemerkung ist, wie ich mich nachträglich nach Herrn Schle-
singers näherer Darlegung überzeugt habe, unrichtig. Der Scherge setzt den
linken Fuss hinter eine kleine Erderhöhung, die, mit ihrem Saum die Ferse des
Mannes streifend, den Schatten verdeckt. Aber ist nicht auch ein solches Arrange-
ment, dessen Räthsel sich erst nach besonderm Studium löst, bedenklich?
598 ' Berichte uud Kritiken.
streckte, schreiende Mauritanier im Hintergrunde, der in die kleine Lücke
zwischen den beiden Hanptgruppen des Vorgrundes eingeschoben ist, die
Composition nicht eben in wohlgefälliger "Weise ausrundet; und dass die
hinteren Partieen des aus dera Thore hervorkommenden Zuges, die Halb-
figuren der Reiter und Einiges, was wie Pferderücken aussieht, keinesweges
eine klare, dem ausführenden Künstler recht bewusste Composition verra-
then, dass hier vielmehr ein nur ziemlich willkürliches Zusammengefüge
sichtbar wird, ähnlich wie bei den Füllstücken in den nach Raphaels
jugendlichen Compositionen ausgeführten Fresken der Libreria des Sieneser
Domes.
Wenn wir hienach die in den Hauptzügen so meisterhafte Composition
durch einen Künstler ausgeführt sehen, der allerdings, in geistiger wie in
körperlicher Beziehung, eine frappante Wirkung erstrebte, ohne doch der
dazu erforderlichen Mittel Herr zu sein, so werden wir durch mancherlei
Besonderheiten näher auf seine eigenthümliche Richtung hingewiesen. Die
Composition, ich wiederhole es, ist unbedenklich raphaelesk, die Haupt-
züge des Einzelnen ebenso. Dies und jenes aber ist trotzdem weder im
Charakter Raphaels, noch in dem seiner Schule, zum Theil nicht einmal
in dem dei^ damaligen italienischen Kunst. So trägt der Scherge hinter
dem Simon, der das Kreuz mit der Linken niederdrückt und mit der
Rechten eine Lanze erhebt, eine hellblaue Tunika (beiläufig von unschön
kleinlichem Gefälte) und darüber einen hellrothen Oberrock mit nordisch
zugeschnittenem Fallkragen, ganz in der Weise, wie wir Aehnliches aus
Bildern des Lucas von Leyden und seiner Richtung gewohnt sind. Der
Turban auf dem Haupte des einen Reiters könnte etwa an Eigenthümlich-
keiten der ferraresischen Schule, kann mit diesen aber ebenso gut an nor-
dische, besonders niederländische Elemente erinnern. Die reichlich und
in verschiedenen Mustern angewandten Goldsäume der Gewänder deuten
ebenfalls vorzugsweise nach Norden; so auch die'etwas ungeheuerlich ge-
bildeten Pferdeköpfe, die in denselben breiten und rundlichen Formen in
mehr als einem nordischen Schnitzwerk wiederkehren*). Nicht minder ent-
sprechen die Rüstungen der Krieger in Form und Behandlungsweise den-
jenigen Motiven, die sich, im Uebertragen spätmittelalterlicher auf antike
Bildungen, besonders bei den damaligen Niederländern häufig finden.
Endlich ist der allgemeine Ton des Bildes — und dies vornehmlich fällt
dem Beschauer beim ersten Anblick der Kopie auf — von dem Charakter
der damaligen italienischen Schulen ziemlich entschieden abweichend; es
fehlt das Lüstre, die Tiefe, das Luftgefühl, das dort bereits Überall, ob
auch in den verschiedenartigsten Modificationen, zu Grunde liegt; es ist
hier etwas körperhaft Starres im Ton, was eben 'auch nur in der damaligen
niederländischen Kunst seine eigentliche Heimat hat; es fehlt selbst nicht
an einzelnen Reminiscenzen an die speciellen Farbentöne der flandrischen
Schule, wennschon man die Absicht wahrnimmt, dieselben möglichst ins
Italienische umzuschmelzen.
Habe ich in alledem richtig gesehen und darf man überhaupt auf die
in Rede stehende Kopie (die, ich wiederhole es, in so vielen Beziehungen
mit den Kupferstichen übereinstimmt)'ein selbst nur hypothetisches Urtheil
Wenu mau Raphael nicht als grossen Pferdemaler gelten lassen will, so
wüsste ich doch wahrlich nicht, wo er sonst dergleichen phantastische Missformen
von Pferdön geschajQfeu hätte.
Eiuige Bedeukeu etc. Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte. 599
gründen, so ergiebt sich ein, zwar nicht sehr erfreuliches, aher doch eigen-
thümliches und merkwürdiges Resultat. Dass Raphael seine Arbeiten in
späterer Zeit zum grossen Theil, gelegentlich auch wohl ganz, von Schülern
und Geholfen ausführen lassen musste, ist bekannt.^ In der Regel aber
waren dies solche Künstler, die sich in den Geist seiner Richtung vollständig
eingelebt hatten und deren Kräfte zureichten, um den an sie gestellten
Anforderungen iu genügen, so dass, wenn wir in diesen Werken hin und
wieder auch den vollen Hauch des grossen Meisters vermissen, sie doch
immer, auch in den Elementen der Ausführung, davon noch gestrej^ft er-
scheinen. Hier erscheint es anders. Wir würden alle die ^Vidersprüche
nur durch die Annahme erklären können, dass Raphael einem aus der
Fremde, ohne Zweifel aus den Niederlanden eingewanderten Gehülfen, der
noch das Gewand seiner Heimat nicht völlig abgestreift und von der itali-
enischen, der raphaelischen Darstellungsweise nur erst Aeusserlichkeiten
erfasst hatte, die Ausführung einer Composition, zu der er olfenbar nur
einen flüchtigen Entwurf geliefert, ganz selbständig überlassen und doch
zugleich keinen Anstand genommen habe, das ziemlich zwitterhafte Er-
zeugniss unter seinem Namen in die Welt zu senden Ueber die efwa-
nigen Veranlassungen zu einem solchen Entschlüsse lässt sich natürlich
nichts sagen; die Hypothese findet hiebei vollständig freien Spielraum.
Wollen wir aber den Namen des Künstlers wissen, dem ein so ausgedehntes
Vertrauen geschenkt gewesen wäre, so können wir, wie es scheint, wohl
kaum bei einem ändern stehen bleiben, als bei Bernardin van Orley,
Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte. Eine Darstellung
mittelalterlicher Kunstwerke in Niedersachsen und nächster Umgebung,
bearbeitet und herausgegeben von H. Wilh. H. Mithoff. — Erste Ab-
theilung: Mittelalterliche Kunstwerke in Hannover. Lief. I. Hannover,
-Helwing'sche Hofbuchhandlung. Gross Fol.
. - — (D, Kunstblatt 1850, No. 15.). . ' ;
Unter vorstehendem Titel kündigt sich ein neues Unternehmen anj das
für die vaterländische Kunstgeschichte von Bedeutung zu werden verspricht
und dem wir die beste Theilnahme wünschen. Es ist den Denkmalen des
zwischen Elbe und Weser- belegenen Theiles von Norddeutschland, die
bisher im Ganzen noch wenig bekannt sind, gewidmet. Es wird die Kunst-
werke vom Anfange des Ilten bis zum Schlüsse des 16ten Jahrhunderts
und die verschiedenen Gattungen derselben, vorzugsweise jedoch die Werke
') Am Schluss der Arbeit mag Raphael in einzelnen Hauptpartieen aller-
dings noch einige Meisterstriche hinzugefügt haben. So machte mich Hr. Schle-
singer darauf aufmerksam, dass bei den Augen des Christuskopfes eine (auch in
der Kopie sorglich nachgeahmte) dreimalige Veränderung sichtbar ist, und dass
der Schild, den jener schreiende Mauritanier trägt, erst später über'die Figur
hingemalt ist, offenbar, um die Gruppen möglichst klar^auseinander zu halten.
600 ' Berichte uud Kritiken.
der Baukunst, umfassen. Bei der Wahl des Darzustellenden soll nicht
allein der Kunstwerth entscheiden, sondern auch Dasjenige, was, bei viel-
leicht geringerem Kunstwerthe, für Geschichte, Gebräuche und Kosttime der
Vorzeit beachtenswerth erscheint, Aufnahme finden. Das Ganze wird in
einzelne Abtheilungen zerfallen, von denen jede die Kunstwerke eines be-
sondern Bezirkes oder die Darstellungen eines bedeutenderen Gegenstandes
umfassen soll. Eine Abtheilung, mit der Bezeichnung „Miscellanea", ist
zur Aufnahme vereinzelt vorkommender Kunstwerke bestimmt.
Das erste Heft, mit dem der Anfang zur Darstellung der Kunstwerke
in Hannover gemacht wird, besteht aus sechs Steindrucktafeln, vier Seiten
erläuterndem Text, dem mit einem Holzschnitt versehenen Titel und dem
Vorwort. Für das Architektonische sind die darin enthaltenen Darstel-
lungen der Marktldrche zu Hannover, eines gothischen Gebäudes von ge-
brannten Steinen aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts, hervorzuheben.
Die Kirche ist sehr einfach, doch in charakteristischer Eigenthümlichkeit
ausgeführt; sie hat drei fast gleich hohe Schiffe und einen merkwürdigen
Ghorschluss, — der Chor des Mittelschiffes in der sich ausweitenden, für
die Perspektive so günstigen Form, die aus sieben Seiten eines Zehnecks
gebildet ist (eine Form, die gleichzeitig auch noch an andern Gebäuden
unsres Nordens, aber doch nur selten, zur Erscheinung kommt). Die Pfeiler
sind kreisrund und mit einfachen Gurtträgern besetzt. Ein vorzüglicher
Grundriss und schöne Aufrisse des Innern geben eine Gesammtdarstellung
der Structur; von den eben genannten Gurtträgern ist ein grösseres Profil
in den Text eingedruckt. Ich hätte gewünscht, dass auch die Profile von
allen übrigen architektonischen Details, so einfach sie sein mögen, in grös-
serem Maassstabe mitgetheilt wären, da sie überall für die Auffassung des
Charakteristischen und für die Feststellung der architekturgeschichtlichen
Eilt Wickelungsgesetze von der grössten Wichtigkeit sind; ich glaube, dies
dem Herausgeber für die Folge um so mehr zur Berücksichtigung empfehlen
zu dürfen, als es scheint, dass gerade das Architektonische (im strengeren
Sinne) das Gediegenste seiner Mitlheilungen ausmachen wird. Ausserdem
ist von dem Innern der genannten Kirche eine malerische Perspektive ge-
geben ; diesem Blatte entspricht eine malerische Ansicht der Cöbelinger
Strasse, mit alten, zum Theil nicht mehr vorhandenen Fachwerkgebäuden
im Vorgrunde und dem Thurm und einem Theil der Marktkirche im Hin-
tergrunde; beide Blätter sind sorgfältig gearbeitet, doch erreichen sie nicht
den beabsichtigten Eindruck der eigentlich malerischen Wirkung. Ein
Blatt enthält einige Umrissdarstellungen von Werken, bildender und orna-
mentistischer Kunst, ein andres, in ausgeführter Lithographie, eine Dar-
stellung des Altarbildes aus der Kreuzkirche zu Hannover, ein Mittelbild
und zwei Flügel mit der heiligen Sippschaft etc. in sehr zahlreichen Fi-
guren, aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts. Auch diese Mittheilung
ist sehr interessant, doch wär.e ein schärferes, mehr charaktervolles Ein-
gehen in die Eigenthümlichkeiten des Originals zu wünschen gewesen. —
Der Text giebt genaue Anskunft über die Geschichte und die Structur- der
Marktkirche; von den Erläuterungen der bildlichen Darstellungen enthält
er erst wenige Zeilen. , .
Nach der Inhaltsangabe über die folgenden Hefte der ersten Abtheilung
dürften besonders die hierin in Aussicht gestellten Darstellungen von mit-
telalterlichen Wohngebäuden mannigfaches Interesse gewähren. Im Ueb-
rigen ist ISiedersachsen durch wichtige Architekturen aus früh mittelalter-
Ik. I
The monumental brasses of -England. 601
lieber Zeit ausgezeichnet, die dem Werke ohne Zweifel eine eigenthtlmliche
Bedeutung geben werden. Aber auch an sehr merkwürdigen Werken bil-
dender Kunst ist kein Mangel, wie z. B, die Darstellung seltener Tapeten
aus der Zeit von 1300, mit Scenen aus der Geschichte von Tristan und
Isolde, demnächst zu erwarten ist., . • *
The monumental brasses of England: a series of engravings upon |
wood from every variety of these interesting and valuable memorials, ac- -p
companied with brief descriptive notices. By the Rev. Charles Boutell,' j
M. A. etc. The engravings' drawn'and excuted by Mr. R. B. Utting. V
(D. Kunstblatt 1850, No. 17.). f
In meinem Handbuch der Kunstgeschichte (2. Aufl., 1848, S^ 622) habe
ich der merkwürdigen bronzenen Grabplatten des Mittelalters gedacht, auf
denen sich, zum Theil in sehr reicher und geschmackvoller Weise,' die
bildlichen Darstellungen in Umrissen gravirt vorfinden.' Die wichtigsten
Werke der Art, die mir bis dahin in Deutschland bekannt geworden, sind
an der genannten Stelle angeführt; zugleich ist daselbst bemerkt, dass auch
England reich an solchen Darstellungen sei.
Das in der Ueberschrift genannte Werk enthält eine umfassende Ueber-
sicht der in England vorhandenen Denkmäler verwandter Art. Es sind
die Darstellungen von 140 Monumenten (auf 149 in Holz geschnittenen
Tafeln), den verschiedenen Gegenden des eigentlichen Alt-England angehö-
rig. Der Zeit nach rühren 48 Denkmäler ans dem vierzehnten, 96 aus dem
fünfzehnten und 6 aus dem sechzehnten Jahrhundert her; das frühste ist
vom Jahre 1320, das späteste vom Jahre 1554. Darin aber unterscheiden
sie sich durchgängig, Avie es scheint, von den in meinem Handbuch genann-
ten deutschen Arbeiten, dass sie nicht selbständige Grabplatten ausmachen,
sondern dass der Gegenstand der Darstellung, gewissermaassen im äusseren
Umriss ausgeschnitten, in eine steinerne Grabplatte eingelegt ist. Dies ist,
wie bei einfachen Darstellungen, z. B. einer einzelnen Figur oder Halb-
figur, so auch bei zusammengesetzten der Fall, bei mehreren Figuren, bei
den architektonischen, tabernakelartigen Umfassungen derselben, bei den
hinzugefügten Wappen, Spruchbändern u. dergl. Jeder Theil pflegt hiebei
besonders in die Steinplatte eingelassen zü sein., Ich entsinne mich solcher
Arbeiten in Deutschland nicht; doch meine ichj .Steine mit flachen Ver-
tiefungen gesehen zu haben, in welchen ähnliche Bronzen befindlich gewesen
sein'konnten. ' - , •
Ich habe die englischen Denkmäler, wie sie uns das genannte Werk
veranschaulicht, als kunstgeschichtliche Zeugnisse angeführt, und in der
That ist schon die reiche Fülle, in welcher sie vorhanden sind, eine nicht
unwichtige kunstgeschichtliche Tliätsach«, Als Zeugnisse einer besondern
Kunstblüthe sind sie aber nicht namhaft zu machen. Vielmehr ist das,
worin ilir Kunstverdienst beruhen möchte, — die Zeichnung, dje Linien-
602 ' Berichte uud Kritiken.
führung, — in höchst überwiegendem Maasse starr und geistlos, riur eine
handwerksmässige Wiederholung der eben gültigen kunsthistorischen Typen.
Nur in der Zeichnung einiger wenigen von diesen Denkmälern giebt sich
ein minder befangener, ein frischerer, mehr individueller Zug zu erkennen.
Schuld des Zeichners und Holzschneiders scheinen diese Mängel durchaus
nicht zu sein; dafür sind die vorliegenden Blätter überall, bis in die ge-
ringsten Kleinigkeiten hinein, viel zu stylmässig gehalten viel zu frei von
aller modernen Laune oder Nachlässigkeit. Für den ersten Augenblick ist
es auffallend, dass diese aus einem Zeiträume von mehr als zwei Jahrhun-
derten herrührenden Denkmäler, bei der grösseren und geringeren Rohheit
des künstlerischen Gefühls, die ihnen zu Grunde liegt, zugleich eine ste-
hende Verwandtschaft des künstlerischen Styles haben: es ist der germa-
nische Styl, nach dessen Gesetzen sich hier die Linienführung bewegt, wie
in der frühern Zeit des vierzehnten Jahrhunderts, so noch tief in das sech-
zehnte hinein; nur in einzelnen untergeordneten Motiven macht sich hier
und dort, etwa von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ab, der neue,
durch die Eycks begründete und durch ihre Schule verbreitete Styl bemerk-
lich. Aber auch dies ist wiederum nur ein Zeugniss des handwerklichen
Geistes, der, eigner Schöpferkraft ermangelnd, sich nicht anders als in dem
einmal vorgezeichneten Gleise zu bewegen vermochte. Es ist dieselbe Be-
merkung, die ich anderswo auch für die Technik der Modelle, nach denen
die deutschen Bronzegiesser des fünfzehnten Jahrhunderts arbeiteten, gemacht
habe, eine Technik, welche es Peter Vischer vergönnte, gelegentlich unmit-
telbar wieder an die Traditionen des germanischen Styles anzuknüpfen.
Eins der Blätter des englischen Werkes enthält die Nachbildung eines,
gegenwärtig in Privatbesitz befindlichen Fragmentes einer niederländischen
Bronzeplatte aus dem vierzehnten Jahrhundert. Die hierauf gravirte Zeich-
nung entspricht dem Besten, was wir an gleichzeitiger deutscher Kunst die»
ser Gattung kennen, und bezeichnet ebenso augenscheinlich den niedrigen
Standpunkt der Kunst in den englischen Denkmälern, wie die Treue der
vorliegenden Nachbildungen.
Mannigfachste Belehrung übrigens gewähren diese für die Geschichte
des Kostüms, zu welchem Behuf, so wie für die Personalgeechichte Eng-
lands, das Werk auch vorzugsweise zusammengestellt zu sein scheint. Mit
grösster Sorgfalt sind überall die Einzelheiten des Kostüms, sei es an
Geistlichen oder an Rittern, bürgerlichen Personen und Frauen, behandelt
und im Text erläutert. Die Haltung der dargestellten Personen ist die-
selbe', die sonst au den plastisch erhabenen Grabsteingebilden üblich ist.
Mehrfach, wie schon angedeutet, kommen auch Halbflguren, in der Mitte
des Körpers quer durchgeschnitten, vor. In einzelnen Fällen sieht man
statt der figürlichen Darstellungen die eines Kreuzes, mehr oder weniger
reich ornamentirt. Auch erweitert* sich das Kreuz in seinem obern Theil
gelegentlich zur gothischen Rosette/in welcher sodann die figürliche Dar-
stellung enthalten ist, oder es erscheint die letztere in einer Art von Hei-
ligenhäuschen, das auf einem schlanken Schafte ruht. Eine Darstellung
ist der eines mittelalterlichen Siegels ähnlich. U. s. w.
Archiv f. Niedersachs. Kuustgesch. Beitr. z. Gesch. Westpreuss. Kunstbauten. 603
wing'sche Hofbuchhandlung. Gr. Fol., S. 5-12 und Ta^ YII-XVIII. V
(D. Kunstblatt 1850, No. 18.) )
>
^ Den Notizen, die in diesen Blättern kürzlich über den Zweck des
vorstehend genannten Unternehmens und über den Inhalt der ersten Liefe-
rung gegeben sind, lassen -wir hier eine Angabe des Inhalts der so eben
erschienenen Doppellieferung 2 und 3, die sich, wie die erste, noch auf
die Denkmäler von Hannover bezieht, folgen. Tafel VIL enthält dicOst-
ansicht und den Grundriss der im Jahre 1347 erbauten Aegidienkirche,
eines Gebäudes von einfach gothischen Formen; Tafel VIII—X. Bronze-
arbeiten spätmittelalterlichen Styles, die reichfigurirten Taufgefässe der
Kreuzkirche und der Aegidienkirche, auch Thürschilder und Wandleuch-
ter aus hannoverschen Kirchen; Tafel XI.^^ Figuren von Grabsteinen des sech- f
zehnten Jahrhunderts, zur Bezeichnung der bürgerlichen Tracht; Tafel XII— - f
XVIll. die zum Theil reichen Fa^aden bürgerlicher Wohnhäuser , aus gothi- s
scher Zeit, im Backsteinbau ausgeführt, mit einer hinreichenden Anzahl
von Details in der erforderlichen Grösse, welche zur näheren Veranschau- I
lichung der Construction.und der Profilirungen dienen. Diese der häus-
lichen Architektur gewidmeten Darstellungen sind in mehrfacher Beziehung |
besonders schätzbar; sie geben willkommene Belehrung, machen zugleich
aber auch den Wunsch rege, dass für das Geschichtliche der Häuseranlalge, !
der architektonischen Disposition und Ausstattung der Wohnungen, nament-
lieh in Deutschland, bald Umfassendes möge gearbeitet werden. Die Cultur-
geschichte würde "solche Darlegungen gewiss mit lebhaftem Dank entgegen-
nehmen'.— In den Text der vorliegenden Lieferungen sind einige Holz-
schnitte eingedruckt. Bei-Gelegenheit der Besprechung des schon in der •
ersten Lieferung dargestellten Altargemäldes aus der Kreuzkirche, welches
sich gegenwärtig in der geschätzten Sammlung des Baurathes Hausmann |
zu Hannover befindet,' erfolgen zugleich einige Notizen über noch einige
niedersächsische Gemälde dieser und andrer Privatsammlungen Hannovers.
— Das vierte Heft wird die Denkmäler von Hannover beschliessen und »t
ebenfalls Darstellungen des mittelalterlichen Häuserbaues enthalten.
Beiträge zur Geschichte Westpreussischer Kunstbauten. Erster
Theil: Das K;ioster Oliva. Von Dr. Theodor Hirsch, Professor, etc.
Danzig, 1850. 42 S, in 4. und ein lithograph. Blatt in gr. Fol.^
(D.-Kunstblatt 1850, No. 18.)
Üi
V
Der Verfasser dieser Schrift, der sich auch schon anderweitig (z. B.
in seinem ausführlichen Werke über die Marienkirche zu Danzig) um die
604 ' Berichte uud Kritiken.
Culturgeschichte seiner Heimat verdient gemacht hat, giebt hier einen
schätzbaren Beitrag zur Darlegung der kunstgeschichtlichen Entwickelungen
im altpreussischen Lande. Kloster Oliva, in reizender Gegend unfern Danzig
belegen, ist einer der frühsten und wichtigsten Ausgangspunkte christlicher
Cultur in Preussen; die Kirche des Klosters bewahrt den ältesten Rest der
in das Land eingeführten kirchlichen Architektur. Zwar glaubte man seit-
her, auf unzureichendes Studium der literarischen Quellen und auf noch
weniger genügende Berücksichtigung der architektonischen Formen des
Gebäudes gestützt, annehmen zu dürfen, dass hier aus älterer Zeit nichts
erhalten sei und alles Vorhandene erst aus der zweiten Hälfte des sechzehn-
ten Jahrhunderts herrühre. Das Irrthümliche dieser Ansicht wird von dem
Verfasser jedoch ausführlich (wie gleichzeitig auch durch F. v. Quast in
seinen übersichtlichen „Beiträgen zur Geschichte der Baukunst in Preussen",
in Heft 1. des laufenden Jahrganges der Neuen Preussischen Provinzial-
blätter) nachgewiesen. Der innere Kern des Kirchengebäudes rührt aus
der, für jene Lande sehr frühen Bauperiode von 1235 — 1239 her. Er
erscheint im Charakter des üebergangsstyles aus dem Romanischen ins
Gothische, und zwar in Formen, welche entschieden dem an den ältesten
Theilen der Kirche des weiland mächtigen Klosters Colbatz in Pommern,
— des Mutterklosters von Oliva, — entsprechen. U. a. findet sich hier
auch dieselbe, den Uebergangsstyl bezeichnende Kapitälform vor, die,
unterwärts achteckig, nach oben in das Viereck übergeht und die, wie in
Colbatz, so auch anderweitig in den nordöstlichen germanischen oder ger-
manisirten Landen gefunden wird. TJeber Colbatz habe ich in meiner
„Pommerschen Kunstgeschichte" (Kl. Sehr., L, S. 669, 695 f.) ausführlich ge-
sprochen ; auf den grössern Cyklus der entsprechenden Bauwerke dieser
und der zuletzt vorangegangenen romanischen Epoche, der seinen Schwer-
punkt in Dänemark zu finden scheint, habe ich in meinem Handbuch der
Kunstgeschichte (2. Aufl., S. 500) hingedeutet. Die ältesten Theile der Kloster-
kirche von Oliva reihen den bisher bekannten Beispielen ein neues an,
das schon für die geographische Ausdehnung des Cyklus von Wichtigkeit ist.
Zu bedeutenden Veränderungen gab ein grosser Brand Anlass, der die
Kirche und das Kloster von Oliva im J. 1350 ergriffen hatte. Es erfolgten
bei der Restauration der Kirche Abänderungen in ihrer Disposition; ein
neuer Kreuzgang und Kapitelsaal wurden erbaut. Alles in dieser Zeit
Entstandene und ungestört Erhaltene trägt den Stempel der geschniack-
vollsten Entwickelung des gothischen Styles, wie derselbe sich an den
Backsteinbauten unsrer Gegenden manifestiren konnte. — Neue Zerstörun-
gen fanden im J. 1577 statt. Diese führten im J. 1582 namentlich zu einer
neuen Ueberwölbung der Kirche, in den spätest gothischen Formen eines
reichen und zierlichen Netzgewölbes. 1594 folgte der Neubau eines glän-
zenden Refectoriums im brillanten Jesuiterstyl, den Traditionen des Mittel-
alters schon abgewandt; im 17. und 18. Jahrhundert schloss sich endlich
noch manche Rococoisirung an. Von der Zeit nach 1577 rühren sodann
auch die ornamentistischen und bildnerischen Dekorationen her, mit denen
die Kirche, zum Theil in nicht sehr künstlerischer Weise, geschmückt ist.
Der Verfasser verbindet in vorliegender Schrift die sorglichste urkund-
liche Darlegung mit einer kritischen Untersuchung des Bauwerkes in allen
') Viftlleicbt würde ich gegenwärtig die ursprühglicbe Anlage» der Kirche von
üülbatz uui eiu Weniges später setzen, als dort geschehen ist.
lütt
Artist. Beschreibung etc. Bronzene' Grabplatten mit graviHer Darstellung, 605
seinen Einzelheiten, wodurch sich ein, wie es scheint, völlig gesichertes
kunstgeschichtliches Resultat ergiebt. Auf dem' lithographischen Beiblatt
ist ein Grundriss der Kirche und der an sie angelehnten Klosterbaulich-
keiten in grossem Maassstabe und die Darstellung einer Anzahl charakte-
ristischer architektonischer Einzelheiten enthalten.
, . ■■ ■ i
Artistische Beschreibung der vormaligen Cisterzienser-Abtei l
Maulbronn. Von Karl Klunzinger. Mit einem Grundriss derselben.
Stuttgart, 1849. 44 S. in 8. , t
. ' (D. Kunstblatt 1850, No. 25.) ' - . ' ^ '
Die reichen Gebäulichkeiten des schwäbischen Klosters Maulbrohn sind
in ihrer Gesammtanlage noch vorhanden und geben für das Kloeterleben
des Mittelalters ein so charakteristisches Bild, - wie sie in ihrer architek-
tonischen Beschaflfenkeit zum Theil sehr merkwürdige Belege der bauge-
schichtlichen Entwickelung und in ihren zahlreichen Denkmälern der Bild-
nerei und Malerei noch in weiterer Beziehung ein mannigfaltiges Interesse
gewähren. Das in der Ueberschrift genannte Tieft enthält ein Verzeichniss
alles dessen, was in Maulbronn der Besichtigung vi^erth ist, wobei überall
soviel als thunlich die Zeitbestimmung des Einzelnen, namentlich ^uch bei
den verschiedenen Bautheilen auf den Grund urkundlicher Zeugnisse, an-
gegeben ist. Das Heft wird für den Besucher des Klosters ein schätzbarer
Führer sein. Mit besonderm Dank haben wir den Grundriss des Klosters,
der demselben beigefügt ist, entgegenzunehmen. In genügender Grösse
und mit klarem Verständniss ausgeführt, vermehrt er unser noch geringes
Material zur Anschauung klösterlicher Anlagen in erfreulicher Weise; auch
gewinnt er dadurch ein besondres Interesse, dass die Bauzeiten der ein-
zelnen Theile, vom romanischen bis zum spätgermanischen Style und bis
zu den neueren Zusätzen, durch versch-iedenärtige Schraffirung vollkommen
deutlich bezeichnet sind. — Das Erscheinen des Heftes macht freilich den
Wunsch sehr rege, dass die ausführlichen künstlerischen Aufnahmen von
Maulbronn und von den Einzelheiten seiner Architektur, die durch Mauch
und Eisenlohr und unter ihrer Leitung gefertigt sind, bald in angemes-
sener Ausstattung der Oeffentlichkeit übergeben werden möge. .
• . - - ■ • . - , ■ .•'■»•,-
Bronzene Grabplatten mit gravirter Darstellung.
(D. Kunstblatt 1850, No. 26.)
Ich erlaube mir, nochmals auf die für das spätere Mittelalter so eigen-
thümlich merkwürdigen bronzenen Grabplatten mit gravirter Darstellung,
l-j
-ocr page 605-606 Berichte nnd Kritiken.
über die ich schon kürzlich (in No. 17 des Kunstbl., oben, S. 601) eine
weitere Mittheilung gemacht hatte, üiirückzukommenr Die gegenwärtige
Mittheilung gilt besonders der in der Johanriiskirche zu Thorn in West-
preussen befindlichen Grabtafel, die dort vor dem Hochaltar, ihrer Conser-
vation nicht sehr zuträglich, im Fussboden liegt. Eine kurze Notiz über
ihr Vorhandensein und ihre künstlerische Beschaffenheit, die mir von
freundschaftlicher Seite zugegangen war, veranlasste mich, sie in meinem
Handbuch der Kunstgeschichte (S. 622 der zweiten Auflage) unter den
betreffenden Denkmälern mit aufzuführen. Eine grosse, in Stein gravirte
Abbildung der auf dieser Grabplatte enthaltenen Darstellung fällt mir so
eben in der „Geschichte Preussens" von J. Voigt in die Hände, mit deren
siebentem Bande (1836) sie als Nachtrag zum sechsten ausgegeben ist. Sie
ist dem Gedächtniss des im Jahre 1361 verstorbenen Thorner Bürgermei-
sters Johannes von Soest und seiner Gemahlin gewidmet und enthält die
grosse Darstellung beider Personen mit reicher architektonischer und figür-
licher Umgebung, die ganze Anordnung derjenigen höchst ähnlich, die sich
auf der Grabplatte der beiden Bischöfe im Dom zu Lübeck vom J. 1350
(in Mildes „Denkmälern der bildenden Kunst in Lübeck" herausgegeben)
vorfindet, — dieselben reich dekorirten spitzbogigen Nischen, dieselben
Pfeiler zu den Seiten der Gestalten mit Heiligenfigürchen in Bilderblenden,
dieselben breiten tabernakelartigen Bekrönungen, in denen ganz auf gleiche
Weise die Seelen der Verstorbenen durch Engel, einerseits zu Christus,
andrerseits zu Maria, emporgetragen werden. Aber auch mit der schönen
Grabplatte des im J. 1357 verstorbenen Proconsuls Albert Hovener in der
Nicolaikirche zu Stralsund, über die ich in meiner Pommerscheu Kunst-
geschichte (Kl. Sehr., I„ S. 787) nähere Nachricht gegeben habe, hat sie eine
auffallende Aehnlichkeit. Abgesehen von der ebenfalls entsprechenden archi-
tektonischen Umgebung ist namentlich zu bemerken, dass die unter den Häup-
tern der Verstorbenen liegenden Kopfkissen ganz ebenso wie dort von kleinen
Engelgestalten gehalten werden, dass unter den Füssen des Bürgermeisters
ähnlich wie dort die, ohne Zweifel symbolisch zu deutenden Gestalten von
Thieren und wilden Männern sichtbar werden (während sich zu den Füssen
der Frau ein Eichhörnchen und Hündchen befinden), und dass der schmale
Bilderstreif unter beiden Gestalten ähnliche phantastische Darstellungen des
Lebens zu enthalten scheint, statt deren unter den beiden Lübecker Bi-
schöfen kleine legendarische Scenen vorgeführt sind.
Beide Hauptfiguren der Thorner Grabtafel erscheinen in reichem, sau-
ber durchgebildetem Kostüm: der Mann mit blossem lockigem Haupthaar
und ohne Bart, mit enganschliessender Unterkleidung und weitem, falten-
reichem Mantel, der über der rechten Schulter zusammengeheftet ist; die
Frau mit einer zierlich gestickten Schaube über dem langen Kleide, einem
von beiden Schultern seitwärts niederhängenden Mantel und einer Art ele-
gant gekrauster Haube. Der künstlerische Styl der ganzen Darstellung ist
entschieden der germanische der angedeuteten Epoche und scheint, gleich
dem der beiden Platten in Stralsund und Lübeck, ein Beispiel der vollen-
detsten Durchbildung desselben zu enthaltene Leider giebt die genannte
Abbildung nicht hinreichende Gelegenheit, dies bis in die feineren Einzel-
heiten ^u verfolgen, da der Zeichner offenbar nicht die Fähigkeit besass,
die Eigenthümlichkeiten desselben in völlig charakteristischer "Weise wie-
derzugeben und sich sogar, ohne allen Zweifel in durchaus willkürlicher
Weise, veranlasst gesehen hat, der im Denkmal gelbst nur im Umriss gra-
1
I %
-ocr page 606-Bronzene Grabplatten etc. Der Dom des heil. Markus in Venedig. 607
virten Darstellung eine ungeeignete modellirende Schattirung beizufügen.
Noch ist zu bemerken, dass von der erläuternden Umschrift der Grabtafel
nur die Hälfte ausgeführt ist, diejenige nemlich, welche sich um die männ-
liche Gestalt herumzieht. Diese lautet: Hic . jäcet . dominus . Johannes ■ \
de . Zoest . qui . obiit . anno . dni . M. CCCLXI. sequenti. die . post . ^
Mauritii. anima . ejus . reqiiiescat . in . pace. Der entsprechende Inschrift- 4
streif um die weibliche Gestalt hat die beabsichtigt gewesene Angabe nicht "
erhalten. Der Mann war also vor der Frau verstorben, und nach ihrem
Tode hatte sich Niemand gefunden, der für die Ehre auch ihres Gedächt-
nisses das Erforderliche zufügte.
Wie die Thorener Tafel mit denen zu Stralsund und Lübeck, so stim-
men auch diese unter sich auffallend überein. Detail-Abbildungen _der
beiden letzteren, die mir vorliegen, lassen unzw,eifelhaft dieselbe Meister-
hand erkennen. Da überdies auch die drei Denkmäler der Zeit nach so
nahe zusammengehören, so ist wohl mit Zuversicht anzunehmen, dass sie
aus einer und derselben Werkstätte hervorgegangen sind. Wo aber diese
zu suchen, dies wüsste ich nicht zu sagen. Mittheilungen, welche näher
darauf hinführen könnten, dürften bei der künstlerischen Bedeutsamkeit
dieser, Arbeiten, der vaterländischen Kunstgeschichte so erwünscht wie
förderlich sein. Auch wäre es gewiss ,ein sehr verdienstliches Unterneh-
men, ein umfassendes bildliches Werk über die genannten und andere
Denkmäler derselben Art zur Herausgabe zu bringen. Die Ausführung
eines solchen würde wenigstens in der Beziehung keine grossen Schwierig-
keiten haben, als in rein mechanischer Weise, mit Hülfe des Reibers und
der Druckerschwärze auf weichem Papier, vollkommen getreue Abbildungen
von den Originalen selbst zu nehmen und diese ebenso leicht mit mecha-
nischen Hülfsmitteln zu. verkleinern sind, Herr Milde hat sogar von Ein-
zeltheilen der Lübecker Platte Abgüsse genommen und, durch Abdruck
derselben (in seinen Lübecker Denkmälern), wirkliche Facsimile's ein-
zelner Darstellungen gegeben. Mögen diese Worte geeignet sein, ein wei-
teres Interesse für diese, schönen Denkmäler unserer Yorzeit und eine
praktische Bethätigung desselben in der angedeuteten Weise hervorzurufen!
La Basilica di San Marco,in Venezia, esposta nersiioi musaici
storici, ornamenti scolpiti e vedute architettoniche etc.
Deutsch unter dem Titel:" >
Der Dom des heil. Markus in Venedig, dargestejlt in seinen
historischen Mosaiken, sculpirten Ornamenten und architek-
tonischen Ansichten. Nach der Natur gezeichnet und auf eigene
Kosten herausgegeben von Johann und Louise Kreutz. In Stein,
Kupfer und Stahl ausgeführt von verschiedenen Künstlern. Mit erklären-
dem Text in drei Sprachen: italienisch, französisch und deutsch. Venedig,
bei den Unternehmern; "Wien, in Commission bei.H. F Müller.
1
(D. Kunstblatt 1850, No. 27.) •• ,
Eine wundersame Hieroglyphe, diese Stammveste des heiligen Markus,
von der einst sein Scepter über das Meer und üKer drei Königreiche sich
608 ' Berichte uud Kritiken.
......M1I1IIJ||I,MI^I1I
hinaus erstreckte. Ein Werk des alten in sich versenkten byzantinischen
Gedankens, darauf das Stammhaus Venedigs gegründet ward, wie ein ver-,
steinertes Räthsel in das Leben der Jetztzeit hereinragend. Ein Bau, fast
wie ein troglodytisches Werk, wo Wölbung an W()lbung sich schiebt und
der dunkle Naturtrieb nach Gestaltung nur in den Säulen, welche der
Tropfstein bildet, in den Nestern der Krystalle, in dem glitzernden Schein
der eingesprengten Erze sich kund giebt, während erst in späterer Zeit
(hier in der gothischen Zuthat über den schweren Giebelbögen des Aeus-
sern) ein vegetatives Leben darüber hingewachsen ist. Und Alles, zumal
Wände und Wölbungen des Innern, wiederum nur dazu da, um in ausge-
dehnter Bilderschrift, wie jene Rieseubauten Aegyptens, die Urkunde des
alten Geschlechts, seiner Gedanken und Gesinnungen, aufzunehmen, sieder
stets neuen Wechselfolge der Späteren hinzureichen und durch sie Ver-
gangenheit und Zukunft aneinander zu knüpfen.
Aber die junge Zeit ist eine andre worden, als die alte war; sie sieht
mit anderm Auge, sie wirft das Senkblei ihrer Gedanken nach anderm
Grunde aus. Wenn du zur Abendstunde in die Markuskirche trittst und
nur von einem Seitenaltar noch der murmelnde Schall einer späten Messe
ertönt und der verlorne Schimmer der Kerzen über die geschwärzten Gold-
gründe an Wänden und Wölbungen hinirrt; wenn du Nachts, beim Ge-
witter, unter den Bogengängen des Markusplatzes wandelst und das Bild
der Kirche wie ein Meteor im Blitzlicht aus dem Dunkel auftaucht und
wieder verschwindet, dann fühlst du wohl das Mährchen ihres Daseins
und den phantastischen Reiz desselben, aber eben nur wie ein Mährchen,
wie ein Spiel der Phantasie. Wenn heller Sonnenschein auf dem Platze
liegt, wenn drin in der Kirche ein lustiges Volk sich festlich drängt, bleibt
der Bau mit all seinen Wundern dir fremd und unverstanden, und du hast
auch wohl kaum Zeit, mit Forschbegier und emsigem Fleiss zur Lösung
jseiner Räthsel dich anzuschicken, Tizian und Pordenone und Paul Vero-
nese ziehen dich mit zu grosser Gewalt in ihre Kreise; das Beil der
schwarzen Gondel, die dich durch die prächtigen Wasserstrassen und zu
den Nachbarinseln führt, glänzt dir zu lockend entgegen.
Wir bedürfen eben eines Wegführers, eines freundlichen Vermittlers,
wenn die Markuskirche uns mehr bieten" soll als phantastischen Reiz, wenn
wir eindringen wollen in die Grundsätze ihrer Gestaltung , in die Form
ihrer Bilderschrift, in den Gedankenkreis, der dieser Schrift ihr Dasein
gab, wenn wir über das Alles zum Verständniss kommen, die alte Zeit in
unsr^r inneren Anschauung erneuen und, je nachdem wir dazu ein Be-
dürfniss haben, unser heutiges Streben zu ihr in ein Wechselverhältniss
setzen wollen. Eine solche Vermittelung kann aber nicht durch das ge-
schriebene Wort, sie kann nur durch bildliche Darstellung des Baues und
all seiner Einzelheiten gegeben werden, und eine solche — wie sie bisher
noch nicht gegeben-war — bietet uns das schöne Werk, das in der Ueber-
schrift genannt ist.
Das Werk entsagt von vornherein mit Absicht aller Wiedergabe jener
malerischen Wirkungen der Markuskirche, die einien so bestechenden Zau-
ber auf uns auszuüben geeignet sind; es will eben nichts, als uns in klarer,
verständlichster Weise vergegenwärtigen, wie das räumliche Gefüge ihres
Baues beschaffen, mit welchen Zierden und Bildern derselbe versehen ist
und in welcher Weise die letzteren gestaltet sind. Es will nur dies, aber
dies vollständig, bis auf den letzten Punkt, und es erfüllt seine Absicht,
Der Dom des heil. Markus in Venedig. 609
soviel uns bis jetzt von dem "Werke vorliegt, in gediegenster Weise. Wir
können die Blätter des Werkes in Müsse lesen wie ein Buch, unsre Ge^
danken unzerstreut und unbeirrt durch alles Mitwirkende der räumlichen
Gegenwart auf die ursprünglichen Absichten, aus denen der Bau hervor-
gegangen ist,-sammeln und im ruhigen Nachsinnen zu den Schwellen des
geschichtlichen Kreises, um den es sich hier handelt, hinabsteigen.
Das Werk besteht zunächst aus einer Folge von Blättern im grössten
Folioformat; auf 17 Blätter bestimmt, sind deren gegenwärtig 9 voll-
endet. Ein Widmungsblatt in italienischer Sprache,- mit dem Namen
des Kaisers von Oesterreich (Ferdinand's I, unter dessen Auspicien das
Werk begonnen ward), eröffnet die Folge. Eine künstlerische Wirkung
hat dasselbe durch die Beigabe mannigfacher, den Dekorationen der Kirche
entsprechender Arabesken erhalten. — Dann ein Grundriss der ganzen
Kirche und der mit ihr verbundenen Bauten (namentlich der Sakristei),
mit genauer Bezeichnung aller Einzeitheile der "räumlichen Disposition und
mit vollkommen durchgeführter schriftlicher Angabe des Inhaltes sämmt-
licher, im Innern der Kirche;, im Umgänge vor derselben und in den Ka-
pellen enthaltenen musivischen Bilder. Schon hiedurch empfängt man
eine so klare wie belehrende Uebersicht der Vertheilung dieser Bilder,
d. h. der Hauptanschauungen des alterthümlich christlichen Dogmas, nach
Maassgabe der symbolischen Form der Kirclie, und der besondern Ele-
mente , deren Hinzufügung hier durch den I.okal-Cultus bedingt ward. •—
Vier Blätter werden die musivische Dekoration des Fussbodens der Kirche,
die mit den reichsten Mustern des sogenannten ^alexandrinischen Werkes"
versehen ist, enthalten. Eins dieser Blätter liegt vor. Mit der ersinnlich-
sten Sorgfalt und Genauigkeit ist hier der hundertfacl? verschiedenartige
Wechsel der Verzierungen, welche jeden Eaumabschnitt ausfüllen, wieder-
gegeben, ~ eine Blumenwiese, über der das Heiligthum sich emporwölbt.
— Ein Blatt ist für die Ansicht des Aeussern^ und zwar der Schauseite,
sechs Blätter sind für die Ansichten des Innern bestimmt. Von den letztern
sind bis jetzt vier vollendet. Es sind streng geometrische Aufrisse in ein-
fach linearer Zeichnung; aber gerade diese schlichte Strenge hat Gelegen-
heit gegeben, bei der Entwickelung des architektonischen Ganzen zugleich
jedes Einzelne nach seiner Eigenthümlichkeit in Form und Verhältniss
wiederzugeben, — alles Eingebaute an Ambonen und dergleichen, alles
Säulenwerk, allen Zierrath, die gesammte bildliche Ausstattung. Nichts,
und sei es die geringste Kleinigkeit und Zufälligkeit, ist tibergangen; mit^
lebenvoller Empfindung, mit höchster Feinheit und Klarheit ist jeder Ge-
genstand ganz in der charakteristischen Weise seiner Erscheinung gezeich-
net. Die Behandlung ist zum Theil so zart, dass das Auge an manchen
Stellen ohne Hülfe des Vergrösserungsglases kaum zu folgen im Stande ist.
Wie die Besonderheiten jedes Blattwerkes an Säuleuknäufen oder Gesimsen
beobachtet sind, so das Geäder all der verschiedenartigen Marmortafeln,
mit denen die Unterwände der Kirche, den künstlichen Fournituren der
heutigen'Schreinerei vergleichbar, bekleidet sind. So nicht minder der
ganze Reichthum der figürlichen Darstellung an Sculpturen und Mosaiken,
in dem feietlich starren Style der byzantinischen Kunst, in dem germanisch
weichen Flusse der Trecöntisten, in dem Ringen nach freierer Bewegung,
in den "Formen der vollendeten und der schon entartenden Kunst. Alles
auch, was den Mosaiken an Inschriften beigefügt ist, findet sich aufs Ge-
Kugler, Kleine Scliriften. II. 5t 39 .
610 ' Berichte uud Kritiken.
nauste wiedergegeben. Machten die in den Grundriss eingetragenen An-
gaben gewissermaassen das Inhalts verzeichniss der Darstellungen aus, so
ist uns hier das Buch dieser Bilderschrift selbst wie in treuer Uebersetzung
aufgeschlagen. — Vier Blätter endlich sollen ausgeführte Stiche nach den
schönen musivischen Darstellungen bringen, welche den viereckigen Vor-
raum zwischen dem äussern und inneru Eingange der Kirche schmücken
und davon drei Seiten der Glanzzeit der venetianischen Kunst im sech-
zehnten Jahrhundert angehören. Hievon sind zwei Blätter fertig, das eine
mit dem Gekreuzigten und der Grablegung des Erlösers, das andre mit der
Grablegung der Maria, Compositionen von jenem feierlichen Klange, der
der venetianischen Kunst im Zeitalter ihrer Blüthe, wenn sie dem tiefsten
Lebensernste sich zuwendet, eine so eindringliche Wirkung giebt, in diesen
Stichen in einfach würdiger Classicität durchgeführt.
Eine Ergänzung dessen, was auf den 17 grossen Blättern nicht zu geben
war, soll auf 70 kleineren Blättern, in gross Quart, nachfolgen, — alle
diejenigen Mosaikbilder und Ornamente aus dem Innern der Kirche, welche
die grossen Blätter nicht mit zur Anschauung bringen konnten, die Fülle
der Darstellungen im Umgange vor der Kirche, in denen die Starrheit des
byzantinischen Styles auf so bedeutungsvolle Weise zum Leben erwacht,
die der Taufkapelle und der Kapellen des Kardinals Zeno, der Maria dei
Mascoli, des heil. Isidor. Alle diese Darstellungen werden ebenso, wie
die auf den grossen Blättern enthaltenen, in einfachen Umrissen mitgetheilt
werden. — Endlich wird dem Ganzen ein umfassender archäologisch und
historisch erläuternder Text, ebenfalls im Quartformat, von dem ein einlei-
tendes Probeheft vorliegt, beigegeben werden.
Wir bewundern die unermüdliche Ausdauer, mit welcher die Arbeit,
den vorliegenden Blättern zufolge, durchgeführt ist-, wir erkennen aber in
noch höherem Maasse die hingebende Treue und das sinnvolle Verständ-
,niss an, mit welchen uns die Fülle des Verschiedenartigsten an dem reich-
gegliederten Denkmal in übersichtlicher Darstellung vorgeführt wird. Wir
verdanken es dieser Darstellung, dass wir jetzt uns zum ersten Mal dem
räthselvollen Werke in ungestörter Betrachtung zuwenden, für die Durch-
forschung desselben einen festen Anhaltspunkt gewinnen können. Die
Herausgabe selbst ist ein Denkmal und Zeugniss des wissenschaftlichen
Sinnes, des ernsten Fleisses, dessen der Deutsche zu Zeiten sich wohl
rühmen mag. Die Stürme der letzten Jahre haben bedrohlich auch diesem
Unternehmen gegenübergestanden; aber die Herausgeber sihd bei allem
Wechsel des Schicksals unbeirrt ihren Weg fortgegangen. So hoffen wir,
bald die Vollendung des schönen Unternehmens begrüssen zu dürfen.
Lithographie.
(D, Kunstblatt 1850, No. 35.)
Die Tages-Interessen, mit ihren kleinen und ihren grossen Tendenzen,
nehmen auch in der Kunst gelegentlich einen breiten Raum ein und lassen
manch ein wunderliches Nebelgebilde in den Vorgrund treten; aber wer
Lithographie. - 611
Geduld hat, der weiss es, dass die Sterne der Schönheit ihren alten Stand
behaupten und fester stehen, al's alle Nebel Auch die Wandlungen des
ästhetischen Geschmacks ziehen der Schönheit oft ein absonderliches Ge-
wand an; aber es dauert doch nicht allzu lange; sie wirft die Hülle ab,
die ihr Manier und Doctrin und Dilettantismus übergehängt hatten, und
„eilt den alten Göttern wieder zu."
Eine schlichte Lithographie nach einem einfachen Bilde aus alter klas-
sischer Zeit, die mir eben vorliegt, rief mir solche und ähnliche Gedanken
wach. Sie ist in diesem Jahre gearbeitet. Sie macht uns das gute Alte
wieder jung und lebendig, und tausend sociale und' ästhetische Schemen
der Neuzeit zerflattern ihr gegenüber in Nebeldunst. -Es ist die Darstellung
eines leidenden Christus, nackt, an die Martersäule gebunden, nach einem
Bilde von Guido Reni, von Valentin Schertie auf Stein gezeichnet.'
— „Guido Reni? über den ist ja unsre Aesthetik längst hinweg!" — Viel-
leicht, um zu ihm, wie zu manchem Andern, zurückzukehren. Er steht
freilich etwas mehr auf der Abend-, als auf der Morgenseite der Kunst,
Er gehört nicht mehr zu denen, die da ringen und drängen und mühsam
Stein zum Stein schleppen; er ist einer von denen, welche die Mittel zu
ihrer Kunst beisammen haben und über sie mit königlicher Sicherheit
schalten. Es ist etwas in dieser Sicherheit, das uns wohl thut; es erfrischt
uns doch, zumal wenn wir von manchen ohnmächtigen Versuchen müde
sind, der Gedanke, dass der Mensch zu solcher Herrschaft gelangen mag.
Lasst uns das Unsre dazu thun!
Die Gestalt des Erlösers, nackt, mir einen leichten Schürz um die
Lenden, die Hände auf den Rücken gebunden, steht etwas vornüber geneigt
vor dem Marterpfahl. Es ist eine Aufgabe, die tausendfach vorgekommen
ist, die befriedigend aber nur durch die volle künstlerische Klassicität ge-
löst werden kann. Hat die Form nicht dies geläuterte Ebenmaass, diese
Würde und Zartheit zugleich, dies schwellende, übe.rall pulsirende Leben,
was soll dann die Aufgabe? Sie kann eben nur künstlerisch, im rein-
sten Sinne des Wortes, gelöst werden. Hier aber haben wir iu der That
ein höchst vollendetes Bild körperlicher Natur, schwer gedrückt, und doch
nicht erliegend unter dem geistigen Leiden, das in den edeln Zügen des
Antlitzes sich ergreifend ausspricht. Die Schönheit im Dienste des Schmer-
zes, — und Beides hier, Schönheit und Schmerz, in der Fülle männlicher
Kraft. Das ist Kunst. Das giebt sich, sich ganz, — nicht geistreiche (oder
geistlose) Nebenbezüge und Nebenabsichten, rechts und links, unter denen
der Künstler gelegentlich wohl das vergisst, wovon er den Namen hat,
nämlich die Kunst.
Das^ Original von Guido Reni- scheint seiner besten Zeit anzugehören;
mit der starken Kraft seiner früheren Werke verbindet sich hier schon der
anmuthsvolle Fluss und Ton seiner späteren; es scheint im üebergange
zwischen beiden Richtungen zu stehen. Die lithographische Ausführung
ist nur'geeignet, dem Namen Schertle's neute Ehre zu bringen. Mit der
glücklichen malerischen Breite deSwTones, mit der er schon 'so 'manche
treffliche Nachbildung klassischer Malerwerke durchgeführt hat, verbindet
sich hier eine so zarte wie körnig markige Vortragweise.
Die Lithographie ist fast 18 Zoll hoch und Über 10 Zoll breit. Das
Original hat nach der Unterschrift eine Höhe von 7 Fuss bei 4 Fuss 2 Zoll
Breite und befindet sich im Besitz des Herrn Trackert in Frankfurt a; M.
Eine Titel-Unterschrift hat-'die Lithographie nicht; der Raum derselben
012 ' Berichte uud Kritiken.
wird durch eine Widmung des Blattes an S. M. den König Friedrich Wil-
helm IV. von Preussen eingenoDunen. Das Blatt ist Eigenthum und Ver-
lag des Lithographen (Frankfurt a, M., Seilerstrasse No. 27).
1. Grabdenkmäler. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des Mittelalters.
An Ort und Stelle gesammelt und gezeichnet von Leonard Dorst. Erster
und zweiter Band (richtiger: Heft). Görlitz, 1846 und 1847.
2. Reiseskizzen. An Ort und Stelle gezeichnet und nebst einer kurzen
Beschreibung in Tondruck herausgegeben von Leonard Dorst. Erstes
Heft. Görlitz, 1847. ^
(D. Kunstblatt 1850, No. 40.)
iiliBllliM
Ich fasse hier eine Anzeige dieser beiden Unternehmungen zusammen,
wozu der Umstand, dass beide von demselben Verfasser herrühren, beide
aus derselben Sinnesrichtung hervorgegangen sind und dieselbe äussere
Behandlung zeigen, Anlass giebt. Der Sturm des Jahres 1848 scheint die
Fortsetzung beider unterbrochen zu haben; vielleicht ist jetzt zur Wieder-
aufnahme der Arbeit eine günstigere Zeit gekommen, — vielleicht auch ist
es diesen flüchtigen Worten gegeben, dazu in vermittelnder Weise bei-
zutragen.
Die zwei Hefte von No. 1 enthalten ausser dem Titel und der an den
Freiherrn von Stillfried - Rattonitz gerichteten Widmung, die in sauberem
Buntdruck ausgeführt ist, im Ganzen 24 Blätter mit bildlicher Darstellung
in Quartformat, nebst 14 Seiten erläuternden Textes in deutscher und
französischer Sprache. Es sind Abbilduiigen mittelalterlicher Grabsteine,
aus verschiedenen Gegenden Deutschlands, — Sachsen, Schlesien, Fran-
ken, auch Württemberg, Bayern, der Schweiz u. s. w., leicht und ein-
fach, aber mit sicherer künstlerischer Hand und mit völligem Verständniss
der stylistischen Eigenthümlichkeiten, mit der Feder auf Stein gezeichnet
und mit zwiefachen Schattentönen überdruckt. Die sorgliche Berücksich-
tigung jenes stylistischen Elements mächt die Mittheilungen zu charakte-
ristischen Beispielen der kunstgeschichtlichen Entwickelung, worauf der
Titel der Hefte hindeutet; noch wichtiger vielleicht sind sie für die Per-
sonalgeschichte, für die Heraldik, für das Kostürawesen u. s. w. Ich be-
zeichne ein Paar einzelne Darstellungen nähet. Tafel 7 enthält den Grab-
stein der Agnes Bernauer, der Gemahlin Herzog Albrechts von Bayern,
der sich im Chor der Bernauer Kapelle auf dem Kirchhofe zu Straubing
befindet. Die^ einfache, in schönen gothischen Lettern gehaltene Umschrift:
— „A . D . M . CCCC . XXX . VI . in . die . octobris . obiit . agnes . Ber-
nauerin . resquiescat, in . pace." — giebt keine Hindeutung auf den schönen
Lebensfrühling und das tragische Ende, wodurch die Geschichte dieser
Frau im Munde der deutschen Poesie lebendig geblieben ist. Sie ist auf
dem Grabsteine in ganzer Figur dargestellt, in einen weiten fürstlichen
Mantel gehüllt, das Haupt mit einem reichen Schleier umgeben, in der
rechten Hand den Rosenkranz, zu ihren Füssen zwei Hündchen. Vielleicht
1. Grabdenkmäler. 2. Reiseskizzen. 613
wäre es eiu dankenswerthes ünteniehmen, wenn man den Kopf belmfs des
Gypsabgusses' abformen liesse; zahlreiche Freunde deutscher Kunst und
deutscher Sage würden den Abguss ohne Zweifel sehr willkommen heissen.
— Taf. 14 giebt das Grabdenkmal des Herzogs Boleslaus Altus von Schle-
sien, aus der Klosterkirche zu Leubus an der Oder. Die Umschrift be-
zeichnet den Herzog als im Jahre'1201 gestorben; die Arbeit des Denk-
mals ist aber unstreitig etwa hundert Jahre j jünger. Die Bildnissgestalt
des Herzogs, in reicher kriegerischer Tracht, das' geschmackvolle gothische
Tabernakel, unter dem er steht, und eine Anzahl kleiner Wappenschild-
chen_bestehen, jedes Stück für sich, aus gravirten Bronzeplatten, die in die
Platte des Grabsteins eingesenkt sind, ^ Es ist also ganz die Weise der in
England sehr häufigen Dekoration der'Grabplatten, die ich in No. 17 des
deutschen Kunstblattes (1850) besprocheii hatte und für die ich damals in
Deutschland ein namhaftes Beispiel nicht anzugeben A^usste. — Mehrere
Grabsteine enthalten nur die Darstellung von Wappenschilden und deko-
rativen Zierden, die aber zum Theil, wie auf dem Denkmal des Georg
Grabner aus der Dominikanerkirche zu Rötz, Taf. 8, und besonders auf
dem des Sebald Rothan aus der Münsterkirche zu Kloster Heilsbronn in
Franken, Taf. 24, ungemein geschmackvoll durchgeführt ist.
Das Heft No, 2, mit 6 Blättern bildlicher Darstellung und 8 Seiten
Text, ebenfalls in Quartformat, bringt zum grösseren Theil landschaftlich
architektonische Skizzen, zumeist zwei auf einem Blatt-, auch sie leicht
und ^sicher mit der Feder auf Stein gezeichnet und gleichfalls mit zwei
Tönen, ganz in der Weise leichter Tuschzeichnungen, überdruckt. Die
Auswahl der Gegenstände gehört wiederum den verschiedensten Gegenden
Deutschlands an;, jedes einzelne Bildchen ist durch ein besonderes ge-
schichtliches-oder archäologisches Interessis bedeutend, wie sich z. B. in
der Darstellung des Schlosses Poering am Lech die' dazu gehörige Wall-
fahrtskapelle mit ihren wundersam gestalteten Fenstern als ein eigen-
thümliches Beispiel des Uebergangsstyles aus dem Romanischen in das
Gothische bemerklich macht, — wie die Kirche zu Radoschau bei Gnaden-
feld in Ober-Schlesien, ein aus Lerchenbaumstämmen zusammengeschro-
tener Bau mit pyramidal aufsteigendem Thurme, für das urthümliche Bau-
wesen unserer nordischen Gegenden bezeichnend sein dürfte, —,wie das
alte Schloss zu Nieder-Weigsdorf in der Ober-Lausitz ein charakteristi-
sches Beispiel des alterthümlichen Fachwerkbaues giebt, u. s. w. Das
Hauptverdienst dieser kleinen Bilder aber scheint mir darin zu beruhen,
dass das naive Zusammen^yachsen der dargestellten Gebäulichkeiten in sich
und mit dem Terrain umher überall glücklich aufgefasst und, ob auch mit
den leichTesten Mitteln, zur charakteristisch malerischen'Wirkung gebracht
ist. Es ist hierin dasjenige Element sehr glücklich getroffen, dessen vor
Allem die Dekorationsmalerei unserer Schaubühne, will'sie anders auf
künstlerische und culturgeschichtlich bezeichnende Bedeutung Anspruch ^
machen, bedarf. Das hübsche Unternehmen könnte so, abgesehen von den
sonstigen Beziehungen, welthe sich daran knüpfen, ein besonderes Interesse
auch für die' werkthätige Kunst gewinnen. Ich glaube also den lebhaften
Wunsch seiner Fortsetzung wiederholt aussprechen zu dürfen. Auf noch
weiteren Beifall möchte übrigens der Herausgeber rechnen können, wenn
er es sich künftig zugleich angelegen sein liesse, auch dem, bisher nur
etwas vernachlässigten Baumkhlag in seinen Skizzen eine etwas mehr cha-
rakteristische Andeutung zu gebenT Dann würden die Blätter auch zu
Btiiichte und Kritiken.
Ü14
Zeicliuungsvorlagen sehr geeignet sein, wozu sie jetzt eigentlich nur in
BetretF der Skizzirung des Architektonischen, in dieser Beziehung zwar
schon in vollem Maasse, zu empfehlen sind.
Geschichte der bildenden Künste von Dr. Carl Schnaase. Bd. 4,
Abtheilung 1. (Auch unter dem besonderen Titel: Geschichte der bil-
denden Künste im Mittelalter; Bd. 2: das eigentliche Mittelalter; Abth. 1.)
Düsseldorf, Verlagshandlung von Julius Buddeus. 1850. 417 S. in 8.
(D. Kunstblatt 1850, No. 42 ff.)
Nach einer Pause yon sechs Jahren ist von dem umfassenden Werke,
welches die üeberschrift benennt und welches in seinen früheren Theilen
sich bereits einer allgemeinen Anerkennung erfreut, ein neuer Band er-
schienen. Die Freunde der Kunst und ihrer Geschichte werden dem letz-
teren eine um so lebhaftere Aufmerksamkeit zuwenden, als der Verfasser
gerade in denjenigen Epochen, welche dieser neue Band behandelt, — in
denen des eigentlichen Mittelalters, — schon so Bedeutendes geleistet hat
und es auch in den einleitenden Worten geradehin ausspricht, dass er an
diesem Zeiträume mit Vorliebe hängt. Ich will versuchen, hier eine kurze
Uebersicht des reichen Inhaltes zu geben und dabei iiugleich das Eigen-
thümliche derjenigen Punkte, welche mir vorzugsweise bedeutend erschei-
nen, hervorzuheben. Ich werde hie und da freilich auch Punkte berüh-
ren, iu denen meine Auffassung von der des Verfassers abweicht und ich
der letzteren entgegenzutreten genöthigt bin. Die Verschiedenheit unsrer
beiden Standpunkte ist wohl schon früher, wenn einer von uns die Arbeit
des Andern besprach, bemerklich geworden; es ist mir hier vielleicht ver-
stattet, sie vorweg mit einigen Worten näher zu bezeichnen. Ich habe
mich gewöhnt, und ich bin durch den fortgesetzten Verkehr mit der Kunst
allerdings immer mehr dahin geführt worden, die künstlerische Erschei-
nung möglichst naiv und'geradeaus aufzufassen, die Bedingung ihrer Exi-
stenz möglichst in ihr selbst zu suchen, ihre Eigenthümlichkeit möglichst
einfach aus den zunächst liegenden Motiven zu erklären; während Herr
Schnaase die individuelle Kunst r Erscheinung möglichst auf ihre allge-
meinen Gründe und Bedingungen zurückfährt, während er gern dem fei-
neren geistigen Fluidum der Zeiten nachgeht,^ aus den geheimnissvollen
Strömungen solcher Art den Gestaltungsprocess zu entwickeln und, soweit
dies thunlich, zu rechtfertigen sucht.. Der eine Standpunkt hat vielleicht
etwas von dem des Praktikers, der andre von dem des Theoretikers. Ohne
Zweifel haben beide ihr Recht und werden sich gegenseitig oft von gutem
Nutzen sein. Ich bin also gewiss fern davon, dem letzteren Standpunkte
seine Gültigkeit streitig zu machen, am wenigsten für das Mittelalter, wo
jenes Bedingende nicht selten von wesentlicher Bedeutung ist (ein Um-
stand, der vielleicht dazu beiträgt, die besondre Vorliebe des Verfassers
für das Mittelalter zu erklären). Nur sind eben Einseitigkeiten möglich.
Und wenn ich zugebe, dass man auf dem ersten Standpunkte in Gefahr
Geschichte-der bildeuden Künste. 615
kbmoien kann, zu derb zu sein und zu wenig zu geben, so darf auch die
für den zweiten Standpunkt vorhandene Gefahr, — gelegentlich zu fein zu
sein und zu viel zu geben, — nicht ausser Acht gelassen werden.
Der vierte Band des Schnaase'scheu Werkes ist, wie angegeben, dem
eigentlichen Mittelalter gewidmet. Die vorliegende erste Abtheilung hat
es mit der Charakteristik der mittelalterlichen Kunst in ihren
Grundztlgen zu thun, indem die geschichtliche Durchführung des Einzel-
nen, nach Gattungen und Ländern, einer späteren Fortsetzung vorbehal-
ten bleibt. •
Ein einleitender AbschniU (von 114 Seiten) giebt,ein allgemeines
Bild der mittelalterlichen Lebiensbedingungen. Der Verfasser hat schon in
den früheren Bänden seine volle Meisterschaft in der Ausführung von cul-
turgeschichtlichen Rundgemälden , solcher Art dargethan. Die Resultate
gelehrter Forschung bringt er in diesen Aufsätzen zur flüssigst belebten
Gestalt, die Zerstreutheit der einzelnen Theile zum" innerlich bedingten,
anschaulich klaren Ganzen. So vorzugsweise in der eben genannten Ein-
leitung, die das ganze Planum vor uns aufrollt, auf welchem das Gebäude
der mittelalterlichen Kunst, in seiner Grösse und seinen Eigenthümlich-
keiten, emporwachsen sollte. AVir sehen aus dem (freilich widerspruch-
vollen) Grundgedanken des Mittelalters, „das Reich Gottes sichtbar auf
Erden herzustellen", aus dem Wachsen derselben in den Conflicten zwi-
schen volksthümlichem Naturdasein, germanisch nationalem Streben, an-
tiker Tradition und christlicher Offenbarung das Wesen der Gestaltungen
in Kirche, Staat, Sitte, Wissenschaft und Volksglauben hervorgehen und
zugleich das Bedürfniss zur thunlichen Realisirung jenes Grundgedankens
durch die Schöpfungen der Kunst sich entwickeln. Wir sind aber auch
auf dem Wege dahin mehrfach schon an den mannigfach eigenthümlichen
Elementen vorübergeführt worden, welche dem künstlerischen Schaffen in
Form und Gedanke ihr besondres Gepräge aufdrücken mussten. Ich könnte
eine ausführliche Inhaltsangabe herschreiben und würde damit doch nur
wenig Erschöpfendes über diesen gehaltreichen Aufsatz sagen. Ich weise
den geneigten Leser einfach auf die Leetüre desselben hin.
Jenem Grundgedanken des Mittelalters und seinen Widersprüchen
analog mussten nothwendig die allgemeinen Lebensformen ungleich mehr
als die individuellen Verhältnisse- durchgebildet werden und dasselbe sich
auch in der Kunst wiederholen. Die Kunst der Formen von allgemeiner
Bedeutung, die Architektur, musste zunächst die begünstigte werden, die,
im engeren Sinne sogenannte bildende Kunst in ihrer wahrhaften Ent-
wickelung grossen Theils gehemmt bleiben. Der Verfasser, dies näher
charakterisirend, wendet sich daher zunächst und vorzugsweise der Archi-
tektur zu und widmet ihrer Betrachtung den grösseren Theil seines Buches
(S. 117—334). Er weist es nach, wie und jvvesshalb dieselbe (und im Ein-
zelnen "'nur wenig modificirte) Bauweise den verschiedenen christlichen
Völkern des Mittelalters eigen ist und wie auch, im Vorwiegen des chro-
nologischen Elementes vor dem geographischen (anders als im griechischen
Alterthum), die Stylunterschiede bei ihnen gleichartig auf einander folgen.
Ausgeschlossen bleibt hiebei jedoch die Rücksichtnahme auf die italienische
Kunst, indem der Verf. sich vorbehält, die gesammte Kunstgeschichte Ita-
liens im,Mittelalter'später gesondert zu betrachten. Ob dies durchaus
wohlgethan ist, weiss ich nicht. Die italienische Architektur dieser Zeit
hat allerdings, zwar nicht ganz, doch zum grösseren Theil, eine Ausnahme-
616 ' Berichte uud Kritiken.
Stellung; die eigenthümliche Stellung der dortigen bildenden Kunst ist
aber doch wohl nur die, dass sie — vom dreizehnten Jahrhundert ab —
eben eine mehr individuelle Kraft, eine grössere Selbständigkeit und Frei-
heit erstrebt, dass sie die architektonischen und sonstigen Bande, welche die
bildende Kunst dieser Epoche im Norden noch umschlossen hatten, aller-
dings zeitiger zu durchbrechen bemüht ist und somit für ein System, wel-
ches die geschichtliche Nothwendigkeit dieser Bande darlegt, vielleicht
etwas störend erscheint. Die italienische Architektur dieser Zeit kann man
ohne grossen Schaden für die Gesammtbetrachtung bei Seite liegen lassen;
die dortige bildende Kunst aber, die nicht eine nur lokale, die vielmehr
die allgemeinere Bedeutung hat, dass sie die in den übrigen Gegenden
zumeist noch schlummernden Elemente zum höheren Leben erwachend
zeigt, gehört meines Erachtens nicht füglich in einen Anhang. — Wir
müssen der näheren Gründe des Yerfassers für sein Verfahren warten; aber
schon der Schluss der Betrachtungen über den gegenwärtig vorliegenden
Band dürfte mein Bedenken als nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen lassen.
Der Verfasser deutet auf die Unterschiede des'romanischen und
gothischen Styles in der Architektur, bespricht zunächst das beiden
Gemeinsame (in der Kirchen-Anlage) und geht dabei naturgemäss von
der altchristlichen Basilika aus. Das architektonische Streben des Mittel-
i alters sei auf die ^organische Basilika" gerichtet gewesen. Der Verfasser
,, giebt dabei einige Andeutungen über den Begriff des Organischen, ohne
I aber gerade das Organische der Architektur, in seiner "Wesenheit, in seiner
üebereinstimmung mit dem Organischen der Natur und seinem Gegensatze
gegen dasselbe, hinrerchend zu entwickeln, was bei der Fortführung des
Princips bis zur denkbar höchsten Ausbildung des architektonisch Organi-
{ sehen gerade in der gothischen Architektur wohl erwünscht gewesen wäre
Ii — Eine Uebersicht der Grundrissbildung, in der eigenthümlichen Rhythmik
^seines Planes, folgt. Hierauf (statt der Betrachtung des Inneren, die ich
vorangeschickt haben würde) die Betrachtung des Aussenbaues, zunächst
J der Fagade. Auf die Bedeutung der letzteren, im Verhältniss zu andern
Baustylen, legt der Verfasser vielleicht etwas zu viel Gewicht und erklärt
das, was sich zum Theil aus den einfachsten structiven und ästhetischen
t; Bedingnissen ergiebt, theilweise mit etwas zu tief herausgeholten Gründen.
I Wenn er aber sagt: „die griechische Architektur hatte keine Fa^aden", so
■ \ ist das wohl nicht ganz richtig. Der griechische Tempel ist ursprünglich
! ein Tempel ohne Säulen oder mit so oder so viel Säulen in antis, also
ganz entschieden ein Fagaden-Bau, und verliert diese hervorstechende
Bedeutung nur bei seiner Entwickelung zum Peripteros, bei Avelchem
allerdings nur noch der Giebel die Fa^ade als solche auszeichnet. (Der
gleichfalls angezogene Vergleich mit dem griechischen Hause und dessen
Hofeinrichtung gehört gar. nicht hieher oder würde im mittelalterlichen
Klosterkreuzgang sein völlig entsprechendes und in künstlerischem Betracht
vielleicht noch gewichtigeres Gegenbild finden) — Das Gruppenmässige
des Aeusseren, mit seinem Aufsteigen in den Thurmbau — über der Chor-
') Auch das au mich gerichtete Sendschreiben des Verfassers r „über das
Organische in der Baukunst", welches durch eine kleine Differenz in unsern
Ansichten \eranlasst und im Cotta'schen Kunstblatt, 1844, No. 58, abgedruckt
war, genügt, meiner Auffassung nach, zu einer erschöpfenden Betrachtung der
Sache nicht.
Geschichte der bildenden Künste. 617
*
partie oder an der Fa^ade — wird anschaulich entwickelt. Dann die
Structur des Inneren, mit der von Anfang an erkennbaren Richtung dessel-
ben auf das Gewölbe und zwar speciell auf das Kreuzgewölbe. Der Verf.
führt uns höchst einsichtig durch die verschiedenen Entwickelungsstadien
dieser eigenthümlichen Bauforni hindurch, bis dieselbe schliesslich aus
innerem Bedürfniss auch die Form des Spitzbogens ergiebt. Der Verf.
folgt hier der schon von Wiegmann gegebenen Auseinandersetzung über
die Entstehung des spitzbogigen Gewölbes. Ohne derselben entgegen zu
treten, wird aber doch auch das äussere Factum, welches dem inneren
Bedürfniss die erstrebte Form (den Spitzbogen) als eine schon fertige tra-
ditionell zuführte, nicht zu übersehen und nicht zu vergessen sein. Man
kann, und man muss meines Erachtens, an der Sache beide Beziehungen
geltend machen. -
Sodann folgt eine nähere Charakteristik der beiden mittelalterlichen
Baustyle in ihren gesonderten Eigenthümlichkeiten. Zunächst die des ro^
manischen Styles. Ich kann hier nur bemerken, dass das Ganze in
seiner Weise so geistvoll, wie umfassend und belehrend durchgeführt ist.
Sehr treffend ist die innere Rhythmik des Raumes und das sich allmälig
entwickelnde Gesetz der Pfeilerbildung gegeben; fast zu geistreich das
Princip der Portalbildung und der an dem Aeusseren der Absis vorherr-
schenden Dekoration, — fast mehr wie eine Anweisung für den schaffen-
den Künstler, denn als eine Charakteristik einer, in so vielfacher Beziehung
doch noch immer sehr befangenen Kunstepoche.' Mit feinem ästhetischem
Sinne wird die Eckverzierung an der Basis der romanischen Säule, die
von der Plinthe zu dem unteren Wulste aufsteigt, oder sich von diesem
auf jene niedersenkt, erklärt, während zur Erklärung der bekannten Form
des abgestumpften Würfelkapitäles (deren Bedeutung mir nur in der Nai-
vetät des Ueberganges aus der Säulenform in die des massigen Bogens zu
beruhen scheint) vielleicht zuviel Scharfsinn aufgewandt ist. Der bekannte
Bogenfries wird, wohl etwas einseitig, von antiken Wand-Arkaden abgelei-
tet und als eine Abbreviatur derselben bezeichnet; ebensoviel Anspruch,
wenn auch bedingten, "auf seine Vaterschaft könnte vielleicht das antike
Consolengesims machen, das ihn bekanntlich auch an manchen südlichen,
z. B. südfranzösischen Gebäuden romanischen Styles, vertritt. Das Gebiet
der phantastischen Ornamentik des romanischen Styles wird •— einiger-
maassen mit Rücksicht auf die, hierin sehr systematisch schematisirenden
Franzosen und Engländer — ziemlich genau durchgenommen. Es fehlt
dabei jedoch eine Besprechung der gleichzeitigen Farbenanwendung, die
nach den Erfahrungen, welche ich bei der Untersuchung romanischer Ge-
bäude gemacht-habe, sehr umfassend'und energisch gewiesen sein muss,
was auch der ganzen ästhetischen und culturgeschichtlichen Stellung dieses
Styles entspricht. — Im Uebrigen hätte ich gewünscht, dass es dem Verf.,
bei seiner grossen Belesenheit in den Quellenschriftstellern des Mittelalters,
gelungen wäre, über einige Eigenthümlichkeiten der romanischen Kirchen-
Anlage erschöpfenderen Aufschluss zu geben, als wir bis jetzt besitzen.
Namentlich rechne ich hieher die so ganz eigenthümliche Anlage der
Krypten, gegen deren auffallende Erscheinung wir vielleicht desshalb etwas
abgestumpft sind, weil wir sie in unsern alten Kirchen so oft angesehen
haben, deren Zweck mir aber trotz Allem (zumeist freilich auch nur Hypo-
thetischem), was bis jetzt,darüber vorgebracht worden, keinesveges hin-
iÖiiii
Btiiichte und Kritiken.
reichend erklärt scheint Dann wäre über den etwanigen Zweck der nicht
ganz selten vorkommenden geräumigeren Gallerieen über den Seitenschiffen
und die, mit ihnen zumeist in Verbindung stehende Loge an der Westseite
(deren der Verf. in diesem Bande noch gar nicht erwähnt) wohl noch
mancher Aufschluss erwünscht. So auch darüber, dass in manchen roma-
nischen Säulenbasiliken die Säulen der einen Seite eine reiche Dekoration
haben, während die der andern, offenbar mit entschiedenster Absicht, ganz
schmucklos gehalten sind. — Der Schluss des Kapitels über den romani-
schen Styl ist ungemein schön. Mit dichterischer Energie, ganz aus der
Sache heraus und ohne alles Nebenbezögliche, wird hier der Charakter des
Styles zusammengefasst und dargelegt, wie der ganze Geist jener Zeit in
ihm seine Verkörperung gewonnen hat.
Vorzüglich meisterhaft aber ist das Kapitel, welches der eigentlichen
Glanzerscheinung des Mittelalters, dem gothischen Baustyle, gewidmet
ist. Der Verf. giebt seiner ausgesprochenen Vorliebe für das Mittelalter
eben durch diese Behandlung selbst die befriedigendste Rechtfertigung.
Wie der gothische Baustyl ein durchweg ästhetisch bedingter ist, so hat
der Verf. überall die ästhetischen Grundsätze desselben darzulegen und
von ihnen heraus die Formen und den Zusammenklang derselben, in Pfei-
lerbildung, Bogen-, Fenster- und Wandgliederung des Inneren, in der
davon abhängigen, so ganz eigenthümlichen Gestaltung des Aeusseren, in
seinen Dekorationen und Ornamenten aufs Klarste zu entwickeln gewusst.
Nach so vielem Dilettantistischen, von den verschiedensten Standpunkten
aus|, was die moderne Zeit über das gothische Bauwesen zu Tage gefördert
hat, thut es ungemein wohl, hier die Sache nach dem ihr eigenen künst-
lerischen Maassstabe gründlich bemessen zu sehen. Auch ist der Verfasser,
bei aller Bewunderung des Styles, doch keinesweges so blind, dass er
nicht auch den Uebelstand der „Zerklüftung" des Aeusseren, namentlich
am Chore, wohin bei reichausgebildeten Gebäuden die einseitige Conse-
quenz seines „organischen" Gefüges führen musste, nachwiese. (Ich würde
diesem unschönen Elemente auch noch die zweite Unschönheit, die freilich
mehr willkürliche der Dekoration der Portalbögen, mit ihren sehr unbe-
quem hängenden Figuren und Baldachinen, angereiht haben.) Ein Paar
ästhetische Differenzen zwischen meiner Auffassung und der des Verfassers
sind im Uebrigen so geringfügig, dass ich sie übergehe. Nur in Betreff
des Profils der Gewölbgurte, — dessen Form ich für besonders wichtig
halte, — bemerke ich, dass ich ein noch etwas schärferes ästhetisches Ein-
gehen, namentlich auch bei den leisen Wandlungen dieser Form nach den
Zeilen, gewünscht hätte. — Den beim gothischen Style angewandten Far-
benschmuck scheint der Verfasser für eine wesentliche Neuerung, im Ge-
gensatz zu den Dekorationen des romanischenIStyles zu halten, was nach
meiner vorstehend gegebenen Andeutung dem Sachverhalte nicht entspricht.
Der Verfasser rechtfertigt das ganze Princip der energischen farbigen Zu-
that, namentlich im Verhältniss der Architekturtheile zu der Buntfarbigkeit
der Fenster (deren Princip an sich er wieder etwas zu gesucht zu ent-
f
it
-fl
Ich will juDgon Kunslgelehrten, die ilir Doctor-Exameu machen wollen
lind wegeu der Wahl eines Themas zur luaugural-Dissertation verlegen 'sind, das
Kapitel von den Krypten freandschaftlichst empfohlen haben. Es lassen sich
bei dessen Behandlung ohne Zweifel die Specimina der elegantesten Gelehrsam-
keit vorlegen.
Geschichte-der bildeuden Künste. 619
wickeln scheint). Er sieht eine sich gegenseitig bedingende und in solcher
Art den harmonischen Organismus des Ganzen erst beendigende Nothwen-
digkeit darin. Ich will dem an sich nicht widersprechen; aber ich glaube,
dass gerade im gothischen Baustyl, bei der lebenvollen Plastik seiner Ar-
chitekturformen, die Schönheit des polychiomatischen Elementes (und somit
auch die des Total-Eindruckes) wesentlich von dem entschiedensten Maass-
halten in dieser farbigen Zuthat abhängig ist. Ob und wieweit dies im
gothischen Mittelalter der Fall gewesen, ob nicht übertriebene Conseqnenz
möglicher "Weise auch hiebei über das Ziel hinausgeschossen, dürfte zu-
vörderst noch festzustellen sein; wenigstens dürfte aus der Schönheit der
Architekturformen an sich noch kein absoluter Schluss auf die Schönheit
der Wirkung, welche etwa durch dio Bemalung hervorgebracht war, zu
ziehen sein. In der Ste. Chapelle zu Paris, bekanntlich einem Gebäude
von sehr reinen Formen, fanden sich so viele Reste der alten polychtoma-
tischen Dekoration, dass man diese in einer anscheinend durchaus richtigen
Weise erneuern konnte. Es ist darin aber eine solche Ueberfülle, und die
gereinigten Fenstergemälde vermehren dieselbe in einer so vielfach er-
höhten Potenz, dass das Auge in diesem Gewirre von Farben und bunten
Lichtern, all und jedes Gefühl für die architektonische Linie und Form
verliert und sich schliesslich sehr zufrieden erklärt, wenn es dieser ästhe-
tischen Tollheit wieder entführt worden '). lu dieser Uebertreibung' kann
nun allerdings so gut nationeile Neigung wie persönliche Laune im Spiel
gewesen sein; aber das Beispierzeigt wenigstens auf sehr schreiende "Weise,
welche Unterschiede zwischen Harmonie der Formen und der Farben mög-
lich waren. — Eine möglichst gründlich durchgeführte Untersuchung über
^ die Polychromie der mittelalterlichen und ganz besonders der gothischen
Architektur, mit genauem Eingeheu auf die stylistiechen Eigeothümlich'
keiten der betreffenden Gebäude,, dürfte übrigens noch ein verdienstliches
Unternehmen sein. • ' ,
Ein kurzes Kapitel, gewissermaassen Anhangsweise, giebt eine Ueber-
sicht über die abweichenden Formen^ kirchlicher und nichtkirchlicher
Architektur 2). x '
Ein andres, umfassenderes Kapitel, das von der Symbolik der
mittelalterlichen Architektur handelt, muss ich ebenfalls als'An-
hang bezeichnen, — als Anhang desshalb, weil das Resultat desselben im
W'esentlichen ein negatives ist, weil es von allerlei verkehrten Annahmen
handelt und diese freilich mit einfach gesunder Kritik zu nichte macht.
Aber diese Verkehrtheiten waren so vielgliedrig und bis auf heute in so
mannigfache Schleier gehüllt, die Kritik, welche die letzteren zerreisst
und die ersteren enthüllt,' ist so entschieden, ihrer Gründe und ihres
ganzen Verfahrens so sicher, dass der Verfasser sich gerade hiedurch bei
allen denen, welchen es .um sachliche "Wahrheit zu thun ist, ein neues und
sehr wesentliches Verdienst erworben hat. Der Dilettantismus der Men-
' ' ♦ ■ ■ •
') leb schreibe nach dem Eindrucke, den ich im Jahre 1845 beim Besache
der in der Restauration begriffenen Ste. Chapelle empfing. Ob,, seitdem etwa
Aenderungen darin vorgenommen, weiss ich nicht. — Der Verfasser erwähnt
dabei der interessanten und wohlerhaltenen Schlossruine zu Kelchen berg, in
der Nähe des Rheins, unweit St. Goarshausen, und des ehemaligen Kaisersohlosses
zu Goslar, deren beiderseitige Aufnahme und Herausgabe er dringend anräth.
Der deutschen Kunst- und Culturgeschichte würde hiedurch in der That ein
sehr schätzbarer Dienst geleistet werden.
620 Berichte und Kritiken.
sehen hat es nemlich nicht begreifen können, das die überwältigende "Wir-
kung der mittelalterlichen Dome einfach in ihrer künstlerischen Eigen-
schaft und der besonderen "Welse der Realisirung dieser Eigenschaft be-
ruhe; sie haben absonderliche Geheimnisse darin erwartet, haben ein solch
Geheimniss auch wohl in dieser und jener Formel gesucht und gelegentlich
gemeint, dass der Besitzer der Formel es dem alten Meister ohne "Weiteres
nachmachen könne. Der Verfasser spricht nun zunächst von den etwanigen
symbolischen Beziehungen, die dem Bau zu Grunde liegen könnten, und
weist aus den Schriftstellern des Mittelalters nach, dass allerdings davon
auch zu jener Zeit die Rede gewesen ist, aber mit sehr unschuldig müs-
sigen Gedankenspielen, die kaum nachträglich etwas von derartigen Bezie-
hungen in die Grunddispositionen des Baues hineingelegt, geschweige denn
auf die Formenbildung einen Einfluss ausgeübt haben. Dann kommt der
"Verfasser auf den Mittelpunkt dieser dilettantischen Phantasieen, auf die
Bauhütten. Hier wird nun ausführlich dargethan, dass dies eben nichts
als die Stätten einfachen zünftigen Beisammenseins waren, die nur, der
Natur der Sache nach, unter Umständen eine etwas strengere Ordnung
nöthig hatten. Die in moderner Zeit in diese Dinge hineingelegten frei-
maurerischen Träumereien und Fälschungen werden ausgeschieden und das
Wesen der Hüttengeheimnisse, abgesehen von denen, die auf polizeilichen
Gründen beruhten, als Dinge dargestellt, die einer noch sehr unbeholfenen
Geometrie eben nur eine leichtere praktische Handhabe gaben. Grund-
zahlen, Grundraaasse und Grundfiguren, Triangulatur und Quadratur er-
scheinen theils als ganz bedeutungslos, theils als äusserliche Schemata für
den Handwerker, am wenigsten aber als Schlüssel für das, was nur durch
den Geist erschlossen werden kann. Wir können hienach allen jenen
wüsten Dilettantismus wohl als völlig beseitigt ansehen und sind dem
Verfasser für das unerquickliche Geschäft solcher Wegereinigung zum auf-
richtigsten Danke verpflichtet. Es wird kaum noch zu einer Nachlese Ge-
legenheit und hoffentlich noch weniger Bedürfniss geblieben sein.
Das umfassende Schlusskapitel endlich (S. 335—417) ist der Plastik
ij und Malerei des Mittelalters gewidmet. Der Verfasser spricht zu-
nächst von der Technik, der, als einer traditionell aus dem Alterthum
i-J überlieferten, vorerst die meiste Sorge zugewandt blieb. Nach einer Hin-
deutung auf das bekannte Lehrbuch des Theophilus presbyter wird der
I verschiedenen Gattungen der Technik, ihrer Ausübung und Verwendung
gedacht und in den Anmerkungen manche schätzbare Einzelnotiz beige-
I bracht. — Hierauf folgen Betrachtungen über den Styl der * Darstellung.
Der Verfasser unterscheidet drei Klassen: eines „rohen, strengen und freien"
Styles, den letzteren als zusammenhängend mit der gothischen Architektur,
I' wobei aber das Wort „frei" mir bei weitem zu ivielsagend erscheint, da auch
er entschieden noch unter der Botmässigkeit eines äusseren Gesetzes steht.
Der rohe und der strenge Styl sollen, gleichzeitig mit dem romanischen
Baustyl, nebeneinander hergehen. Ich möchte dem rohen nicht den Ehren-
namen eines Styles geben; ich wüsste als hieher gehörig wenigstens nur
verwilderte Nachklänge der verwilderten karolingischen Kunst, die hier
und da, aber nur selten, einem gewissen unwillkürlichen Naturgefühl zu
begegnen scheinen, und ausserdem nur einzelne, gänzlich ungehobelte und
barbarische Handwerkerarbeiten zu nennen, was Alles aber nicht eben
j Ansprüche auf Stylgeltung hat. Vorherrschend kenne ich in der bildenden
||i Kunst des Mittelalters nur die byzantinisirende Strenge der romanischen,
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Ii
Geschichte-der bildeuden Künste. 621
die mehr germanische Weichheit der gothischen Bauepoche, beide ab-
hängig vom Architekturgesetz, beide aber auch, am Schluss ihrer Epochen,
um 1200 und um 1400, einer mehr naturalistisclien Freiheit sich zunei-
gend , deren vollere Einführung jedoch erst mit der Auflösung der mit-
telalterlichen Kunst zusammenfällt. Sie sind beide architektonisch bedingt,
beide durch diesen bedingten, unfreien Zustand der lebendigeren, natür-
lich organischen, individuellen Durchbildung fern gehalten. Der Verfasser
verkennt diesen Mangel der bildenden Kunst des Mittelalters keinesweges,
aber er begnügt sich nicht, den wesentlichen Grund desselben in der,
aller primitiven Bildnerei eigenen Abhängigkeit von den geometrischen
Gesetzen der Architektur (d. h. ii^ einer, diesen Gesetzen entsprechenden
Allgemeinheit der Forraenbildung) zu erkennen; er glaubt, nicht etwa nur
diese oder jene Modiflcatiön in den alterthümlich gemessenen und be-
schränkten Stylformen durch das geistige'Grundelement der Zeit erklären,
sondern das letztere unmittelbar als den eigenthümlichen Erzeuger dieser
ganzen Erscheinung auffassen, jene'Stylistik also als eine auch desshalb
nothwendige, ja die damit verbundene Schwäche der Darstellung nur als
eine scheinbare, den positiven Mangel an künstlerischer Vollendung als
tieferen künstlerischen Zwecken dienend darlegen zu müssen. Ich gestehe,
dass ich hier den Standpunkt, den der Verfasser eingenommen hat, in
keiner Weise anerkennen kabn. Schon, wenn er sagt, dass in der mittel-
alterlichen Kunst an Portraits im eigentlichen Sinne des Worts nicht zu
denken sei, da unbestimmte Charaktere (wie er als solche die mittelalter-
lichen Persönlichkeiten überhaupt in der Einleitung des Buches bezeichnet)
auch nur eine unbestimmte Darstellung hätten erhalten können; so ist hier
ein sehr innerlicher und doch wohl nur sehr bedingt^ gültiger Grund her-
vorgesucht, während das auf der» Hand Liegende, — dass eine architek-
tonisch unfreie, dem Naturalismus noch nicht zugewandte Kunst eben noch
gar die Mittel zur Portraltdarstellung nicht hat, — zur Erklärung der Sache
(die sich ganz ebenso auch in der Antike verhält) völlig ausreicht. Wenn
er aber gar damit schliesst, dass der Mangel an wahrhaft natürlicher
Durchbildung den Gestalten der mittelalterlichen Kunst einen Ausdruck des
Werdens gebe, der sie mehr belebe"^ als die erschöpfende Vollendung es
vermöchte; dass sie nicht als körperliche Dinge wirkten," sondern wie eine
himmlische Erscheinung, die nur komme und verschwinde, den Eindruck
hinterlasse, aber sich der Prüfung gröberer Sinne entziehe; dass das stei-
nerne Bild dadurch etwas von }3er luftigen Allgemeinheit des Gedankens
habe u. s. w., so fühle ich hiebei den Boden für alle wahrhafte Kunstbe-
trachtung unter meinen Füssen entweichen. Wer das Mittelalter nur eini-
germaassen kennt, wird ihm seine so erhabene'.wie rührende Idealistik
nicht abläugnen wollen; aber die Kunstgebilde des Mittelalters haben diese
Idealistik, obgleich ihre Körperlichkeit mangelhaft organisirt ist,-nicht
Auf dies DoppelstadiUrp der Entwickelung der mittelalterlichen Kunst
kann man nicht Gewicht genug legen. Wie die romanische Architektur^ am
Schluss der Epoche, auch im Norden gelegentlich bis zur griechischen Feinheit ,
der Profllirungen gelangt und wie dann der Geist der Zeit wieder ein neues y
Beginnen, mit neu«n primitiven Ansätzen (denen des gothischen Styles) erheischt,
so wird auch in der bildenden Kunst die schon auf dem Wege zur höheren
Vollendung begriffene Thätigkeit (ich erinnere an die~'Wechselburger Kanzel-
Sculpturen und an Nicolo Pisano) wieder bei Seite geschöben, um in der Kunst
des germanischen Styles die Schule nochmals von Törn anzufangen.
;
-ocr page 621-622 ' Berichte uud Kritiken.
weil dies der Fall ist. Es ist höchsteng, wie in so manchen Fällen auch
ausserhalb des Mittelalters, die naive Unbekümmertheit um die Form
der Darstellung, aber wahrlich nicht die positive Einwirkung der mangel-
haften Form auf eine höhere Durchbildung des geistigen Elementes. Wollte
man an das, was der Verfasser, mit so geistvollen Wendungen, sagt, prak-
tische Consequenzen knüpfen, — und man hätte das Recht dazu, wenn er
Recht hätte, — so wäre es um die Kunst geschehen.
Den Bemerkungen über Styl und Naturauffassung schliessen sich Be-
trachtungen Über die Gruppen-Anordnung der mittelalterlichen Kunst, und
was damit in Verbindung steht, an. Auch hier Geistreiches in den Grund-
ansichten , aber auch hier zu künstlich Gesuchtes, wo das Natürliche sich
dem unbefangenen Beobachter von selbst ergiebt, und dadurch selbst, mei-
ner Auffassung nach, manches Schiefe im vergleichenden oder selbständi-
gen ästhetischen Urtheil. Der Raum des Kunstblattes verbietet mir, hierauf
ausführlicher einzugehen; ich muss mich auf ein Paar Bemerkungen be-
schränken, Der Verfasser bezeichnet es als eine besondre Eigenthümlich-
keit der mittelalterlichen Kunst, dass in ihr, z.B. im Schmuck der Portale
durch Sculptur, das architektonische Gesetz und das der Bildnerei zu
Grunde liegende geistige Bedürfniss auf gleiche Weise zu der gruppen-
mässigen Anordnung geführt hätten: — ich finde, dass dasselbe auch in
der Antike der Fall war, und erinnere an die Giebel des Tempels von
Aegina, an die des Parthenon, an die Niobidengruppe u. s. w. Dann findet
er ein vorzügliches, ausführlich von ihm entwickeltes Verdienst in der
Füllung des Spitzbogenfeldes der Kirchenportale durch Reliefs, in Reihen
übereinander, was er zugleich als eine charakteristisch perspectivische Anord-
r| nung bezeichnet: — für mein Gefühl ist diese Un - Perspective gedrängter
Ii Figurenreihen, eine über der andern, die in ihrer horizontalen Richtung zu
|l| den Spitzbogenlinien einen schneidenden Contrast bilden, eins der hässüch-
8ten Elemente der-ganzen mittelalterlichen Kunst. Die Hauptsache ist, dass die
f reichere Gliederung des Raumes, besonders an und in der gothischen Kirche,
M das Gruppen-Element allerdings fördert und somit auf eine lebhaftere
Gruppirung der Gedanken der künstlerischen Composition und auf ein
LI Gegenüberstellen derselben in mehr oder weniger symbolisch bedeutsamer
II Abtheilung Einfluss hat, oder etwa der Neigung dazu mehr entgegen kommt;
der Unterschied von den entsprechenden Verhältnissen der antiken Kunst
■ 1 erscheint mir, ähnlich wie ich es oben von der beiderseitigen Fa^aden-
Anordnung andeuten musste, ungleich mehr quantitativer, als qualita-
|4 tiver Art.
(f^ Ehe der Verfasser aber auf die eben angeführte Compositionsweise
näher eingeht und ehe wir somit, ihm fölgend, den künstlerischen Gewinn
M in dem Erreichten beurtheilen können^, schaltet er noch eine Reihe sehr
L belehrender und ausführlicher Zwischenbemerkungen ein. Diese gelten
Ii den Darstellungsformen von speziell symbolischer Bedeutung; sie sind mit
r sorglicher Benutzung der darüber vorhandenen Materialien abgefasst und
p geben eine höchst schätzbare Uebersicht über den Gegenstand, der für das
Verständniss der mittelalterlichen Kunst allerdings von wesentlicher Bedeu-
tung ist. Es sind Bemerkungen über den Heiligenschein, über die gesammte
Thiersymbolik, über die Darstellung der Personen der gottlichen! Tjrinität,
der heiligen Jungfrau, der Propheten und Apostel, der Engel und Teufel,
über verschiedenartige Personificationen n. s. w.
4
h
Geschichte-der bildeuden Künste. 623
Es folgen nun schliesslich einige Beispiele von umfassenden symboli-
sirenden, gedankenhaften Compositionen, wie sich dieselben, als Werke
plastischer Kunst, an einzelnen Kirchen vorfinden. Besonders ausführlich
schildert und erläutert der Verfasser den Scülpturen-Cyclus, -welcher das
Portal und die Wände der davor befindlichen Vorhalle am Freiburger
Münster schmückt; er findet darin eine der sinnreichsten Compositionen der
Art, die aus dem Mittelalter auf unsre Zeit gekommen sind. Ich muss es
sehr bedauern, dass ich ihm auch hier wieder nicht folgen kann. Ich er-
kenne es wohl an, dass das symbolisch einander Gegenübergestellte dahin
strebt, mit künstlerischen Mitteln Gedanken zu entwickeln; ich sehe aber
auch, dass es eben nur sehr einfache, sehr-allgemeine Gedanken sind und
dass die Entwickelung nur ziemlich dürftig und von Willkürlichkeiten und
Unklarheiten ebenfalls durchaus nicht frei ist. Ich will zur Rechtfertigung
dessen hier die Inhaltsangabe der Darstellungen in aller Kürze hersetzen
und dem geneigten Leser selbst die Schlussfolgerung überlassen. Es sind
Statuen am Eingange, an den Seitenwänden der Halle, an den Seiten des
Portales und an dem Mittelpfeiler desselben, Reliefs im Spitzbogen des
Portales und in dem von dem Bogen umschlossenen Felde. Die Statuen-
folge zur Rechten des Eintretenden wird unter dem Begriff der „Weltlich-
keit" zusammengefasst. Sie sind, am Eingange: die heilige Margaretha
und Kathai-ina; an der Seitenwand: die sieben freien Künste und die fünf
thörichten Jungfrauen; am Portal: das Heidenthum (oder die Synagoge),
die Heimsuchung (Maria und Elisabeth), Maria, und der verkündigende
Engel. Die Statuenfolge zur Linken soll sich auf die „Verheissung" bezie-
hen. Sie sind, am Eingange: Wollust, Verläumdung, ein Engel; an der
Seitenwand: Aaron, Maria Jacobi, Johannes der Täufer, Abraham, Maria
Magdalena (als fünf Gestalten „des frommen, den Herrn erwartenden Juden-
thums"), die fünf klugen Jungfrauen und Christus als Bräutigam; am Portal:
das Christenthum und die drei Magier. ^Am Mittelpfeiler befindet sich die
heilige Jungfrau mit dem Kinde. Drüber, auf dem Spitzbogenfelde, iu
verschiedenen Reihen übereinander, Momente aus Christi Lebens-Anfang
und Ende, Auferstehung der Todten, der gekreuzigte Heiland mit Getreuen
und Kriegsknechten, das jüngste Gericht. Dann, in vierfachen Reihen im
Spitzbogen selbst aufsteigend, Chöre von Engeln,'Propheten, alttestamen-
tarischen Königen, Patriarchen; in der Mitte dieser Reihen die Personen
der Trinität. Die Gegenüberstellung der thörichteii und der klugen Jung^
frauen, des alten und des neuen Bundes (oder Heidenthum und Christen-
thum) giebt in bekannter Weise den vorbereitenden Ton an in Betreff der
Verhältnisse der Welt zu denen des christlichen Mysteriums; entsprechen
sich aber auch die übrigen Theile der Gegenüberstellung in ähnlich prägnan-
ter Weise? repräsentireu die ausgewählten Gestalten, soweit sie Oberhaupt
erkennbar sind, den Gedanken und seine'Folgen in genügend prägnanter
und ausschliesslicher Weise? lassen sie nicht, fflr den Deutungslustigen,
noch allerlei andre beliebige Deutungen zu? und sind die typisch doch
vorzugsweise feststehenden Darstellungen des Mysteriums selbst auch im
Gedankengange entschieden klar und frei von Zufälligkeiten? Andre
Beispiele der Art sind vom Strassburger Münster, vom Dome zu Amions,
von dem zu Chartres u. s. w. entnommen; einfach, klar, wo dargestelltö
Historien schon an sich eine Gedankenfolge bedingen, werden auch sie un-
genügend und unklar, wo eine freiere Gedankenfolge beabsichtigt erscheint.
24 ' Berichte uud Kritiken.
Der Verfasser stellt diese Compositionen so hoch, dass nach seiner Scliluss-
äusserung die Kunst des Mittelalters erst durch sie auf die Höhe ihrer Zeit
gelangt sein soll. Ich kann ihm, wie gesagt, nicht folgen; ich linde das
Gedankenhafte in Cyklen, wie denen des Freiburger Münsters, eben sehr
allgemein, oft sehr unklar gehalten und das, was doch einmal das Spezielle
an ihnen vorstellen soll, selten durch eine geistvolle Nothwendigkeit be-
dingt, abgesehen von so manchen, wohl durch äussere Veranlassung vor-
handenen Willkürlichkeiten. Im Kleinen habe ich an sonstigen Werken
der Art manches Tiefgedachte gesehen: im Grossen und Umfassenden ist
mir dergleichen in der nordischen Kunst zumeist wie ein mehr oder weniger
nebelhaftes Träumen des Gedankens erschienen. Ja, mich dünkt, das ganze
Element dieser cyklisch symbolisirenden Bildnerei hat nicht gerade einen
erheblich höheren Rang als jene, mit den gegebenen Architekturformen
spielende Symbolik des Mittelalters, deren Leere der Verfasster selbst nach-
gewiesen hat. Auch ist dies Kun^tgebiet für die Kunst selbst am Ende
von zweifelhaftem Werth: der Symbolik an sich ist die Form, oder ihre
Durchbildung, doch nur gleichgültig, und ob Leben, ob Hieroglyphe aus
ihrem Schoosse hervorgeht, kümmert sie nur wenig. Wollte man wieder
auf praktische Consequenzen deuten, so würde auch dies Gebiet als ein
sehr gefährliches erscheinen. Es ist eben ganz einfach, meiner Auffassung
nach, bildnerische Schwäche, was dieser Symbolik so bedeutenden Vor-
schub geleistet hat. Bildnerische Kraft bedarf ihrer überhaupt wenig; will
sie es aber, so hat sie zugleich auch die Kraft, dem symbolischen Elemente
durch tieferes Leben zugleich festeren Inhalt zu geben. Die sinnvollste
symbolisirende Darstellung des Mittelalters, der Triumph des Todes von
Andrea Orcagna, gehört Italien an, w^o der freiere Natursinn in der Kunst
schon seine Schwingen regte. Das Vermögen hatte der Norden, zumal
Deutschland, ebenfalls von früher Zeit an, zum Theil noch früher als Italien;
aber er blieb in dieser Beziehung — in der Architektur freilich ungleich
grösser als Italien — länger gebunden. —
Manch Einem, der den gegenwärtigen Stand der Dinge kennt, mag es
vielleicht scheinen, als ob ich mich selbst mit diesen Widersprüchen gefähr-
lichen Angriffen bloss gestellt habe. Es giebt heutiges Tages eine besondre
Partei, die mit Macht und Leidenschaft, wohl' verbollwerkt durch eine
gründliche Gelehrsamkeit, für den mittelalterlichen Spiritualismus der
Kunst ficht und ihr Anathem gegen die Andersgläubigen, die „Sensualisten",
hinausschleudert. Indess wohnt der Kern der Partei doch etwas seitab, in
Frankreich, wo alte und neue Kunstsünden, u. A. wohl das effektvoll
Materialistische in der heutigen Kunst Frankreichs, zu einer solchen busse-
predigenden Aesthetik, zu dieser viel ernsthafteren Reaction», als es unsre
gutmüthige Romantik war, getrieben hat. Wir in Deutschland haben nur
einzelne gesprengte Vorkämpfer dieser eifernden Schaar; ich glaube, dass
diese mehr Worte machen, al§ sie sonst Inhalt haben, und wenn sie sich
auch anderweit gar mit dem starrsten Ultramontanismus verbinden, — unsern
Anfängern von unbefangener Kunst und unbefangenem Kunsturtheil, die
beide, so Gott will, auf festem Boden stehen, droht durch sie keine Gefahr.
Der Verfasser aber gehört zu ihnen nicht, wenn auch Manches von diesem
einseitigen Spiritualismus ihm', meiner Auffassung nach, angeflogen sein
mag. Dafür, spricht zu voll, zu beredt, zu ergreifend das reine Gefühl,
der tiefe ästhetische Ernst, der trotz einzelner Missklänge (meinem Ohre
wenigstens erscheinen sie so) das Ganze seines Buches durchdringt und in
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Notice des Emaux etc. 624
dem sich, wie ich raeine, die verschiedenen Standpunkte für die künst-
lerische Auffassungsweise, der des Praktikers und der des Theoretikers, ver-
einen, also, dass jedenfalls das Gefühl freudiger Gemeinsamkeit des Wol-
lens und des Schaffens zurückbleibt.
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Abth. II,
die Königl. Preuss. Provinz Sachsen enthaltend, Lief. 35—38.
(ßd. H. Lief. 21—24.) — Auch unter dem besondern Titel: Mittel-
alterliche Bauw^erke zu Mühlhausen, Nordhausen, Heiligen-
stadt und einigen andern Orten Thüringens und des Eichs-
feldes. — Bearbeitet und herausgegeben vdn Dr. L. Puttrich,^ unter
besondrer-^ Mitwirkung von G. W. Geys er d. J. Leipzig 1850. 32 Seifen
Text und 20 Blatt Abbildungen in Folio.
(D. Kunstblatt 1850, No. 46.)
Die vorstehend genannten vier Lieferungen des bekannten Puttrich'-
schen Werkes bringen den Schluss der zweiten Abtheilung desselben. Sie
bilden wieder, wie dies schon früher durchgehend bei den einzelnen Serien
der Fall war, ein, im Einschluss lokaler Bedingungen zusammenhängendes
selbständiges Ganzes und enthalten einen grossen Reichthum von Mitthei-
lungen, die, je nach ihrer Eigenthümlichkeit, in mehr umfassender bild-
licher Wiedergabe oder nach hervorstechenden charakteristischen Einzel-
heiten behandelt oder auch, ohne besondre bildliche Darstellung, nur im
Text besprochen werden. Wir lassen eine flüchtige Uebersicht der beson-
ders bezeichnenden Mittheilungen folgen. Vorwiegend erscheinen diesmal
die Monumente des gothischen Baustyles in seiner Lösung aus dem roma-
nischen und in seiner ersten schönen Durchbildung, — besonders anzie-
hend zunächst die der alten blühenden Reichsstadt Mühlhausen. Nach-
dem uns auf der Titelvignette die anmuthige Popperoder Quelle mit ihrer
malerischen Umgebung begrüsst hat, wird uns auf .einer Reihe von Blättern,
in Grundrissen, Aufrissen, zahlreichen Details und einigen schönen male-
rischen Ansichten des Inneren und Aeusseren die grossartige fünfschiffige
Marienkirche, in dem würdevollen Ernst ihrer Formen, mit ihrem eigen-
thümlichen Giebelschmuck, ihrem reichen Südportal und der feierlich wei-
ten Erhabenheit ihres Inneren vorgeführt. Dann die dortige St. Blasien-
kirche, die in ähnlichem Style, nur einfacher ausgeführt ist, während ihre
Thürme, in reichen Formen des üebergangsstyles, eine besondre Aufmerk-
samkeit erfordern; Einzelnes von andern Kirchen zu Mühlhausen, wie der
Jacobi- und der Georgen-Kirche, folgt. — Von den Kirchen zu Nord-
hausen wird besonders die Domkirche, und an dieser die alterthümliche
Ostselte in den letzten, schon dem Gothischen sehr zugeneigten Formen des
Üebergangsstyles, — zugleich mit der merkwürdigen (ursprünglichen) Form
des geradlinigen Chorabschlusses, — hervorgehoben. Mittheilungen über
die dortige Marienkirche schliessen sich an. — Von der alten Kirche zu
Kugler, Kleine Scliriflen H ^ ' 40
-ocr page 625-()G625 Berichte und Kritiken.
Kloster Vessera (Vessra) wird verschiedenes Merkwürdige streng romani-
schen Sfyles vorgeführt. — In Heiligenstadt ist es die wiederum in ernstem
gothischem Styl ausgeführte Marienkirche, besonders ihr kräftiger Thurm-
bau und ein eigenthümlich charakteristisches Seitenportal, sowie die neben
dieser Kirche befindliche, überaus merkwürdige achteckige Annakapello,
die ganz dieselbe würdevolle Strenge der gothischen Formation zeigt, was
vorzugsweise unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. — Von Schloss-
Lohra sehen wir die, in ihrer unteren Hälfte erhaltene Doppelkapelle,
der letzten Zeit des romanischen Styles angehörig, die, von Herrn Baufath
von Quast entdeckt, unsre Kenntniss solcher Kapellen in willkommener
Weise vermehrt, — von Monchefi-Lohra eine wenigstens in ihren
Haupttheilen noch erhaltene Kirche streng romanischen Styles. — Eine
kleine Kirche zu Steinbach, deren Details sorglichst wiedergegeben sind,
erscheint als eins der geschmackvollsten Beispiele des üebergangstyles. —
Von der Kirche zu Treffurt wird uns ein elegant romanisches Portal,
— von der zu Goseck endlich andres, einfacher Romanische vorgeführt. —
Wir haben über die Ausführung aller dieser Mittheilungen und über die
Abfassung des begleitenden Textes nur hinzuzufügen, dass sie sich den
früheren Abschnitten des Werkes aufs Würdigste anreihen.
Zur Beendigung des ganzen, allgemein anerkannten Unternehmens fehlt
nunmehr nichts, als die letzte Serie der ersten Abtheilung und der um-
fassende, allgemein geschichtliche Schlusstext. Wir dürfen dem Erscheinen
beider demnächst entgegensehen.
Die hölzerne Kapelle des H. Judocus zu Mühlhausen in Thü-
ringen. Beit-vag zur Geschichte der deutschen Kunst im XIll. Jahr-
hundert von Adolf Tilesius von Tilenau, kaiserl. russ. Hofrath.
Leipzig, 1850.
(D. Kunstblatt 1850, No. 47.)
Ein bescheidenes, aber in seiner Bescheidenheit eigenthümlich interes-
santes Denkmal mittelalterlicher Knnst, dessen gebrechliches Material sechs
Jahrhunderte hindurch der Zerstörung getrotzt hatte, unlängst aber gemein-
nützigen Zwecken geopfert wurde und dessen Gedächtniss die vorstehend
genannte Monographie, aus drei zum Theil kolorirten lithographischen
Blättern und 18 Druckseiten Text in Folio bestehend, auf dankenswerthe
Weise bewahrt. Die Kapelle^ stand auf dem Friedhofe der vorstädtischen
St. Petrikirche zu Mühlhausen, war 20 Fuss lang, 12 Fuss breit und mit
ihrem steilen Satteldache 19 Fuss hoch; sie diente in letzter Zeit, als
„Barhäuschen", zur Aufbewahrung von Todtengräbergeräth. Es war ein
einfach oblonger Bretterraum, mit Brettern,spitzbogig überwölbt, die, in
den vorragenden Giebel der Aussenseite vortretend und in demselben eine
starke Nische bildend, dem Aeusseren ein charakteristisches Gepräge gaben.
Man hatte den alterthümlichen Ueberrest schon niedergerissen, als der
Herausgeber zufällig dazu kam, an den Brettern der ehemaligen Gewölb-
Die hölzerne Kapelle des H. Judocus. Speoiinens of oriianieiitiil Art. 627
decke die Reste merkwürdiger Malereien fand und ilire angemessene Kr-
haltiing veranlasste. Er giebt, ausser der Ansicht der Kapelle in ihrem
ehemaligen Zustande, eine Abbildung dieser Malereien. Es sind Friese
mit Darstellungen aus der Legende des h. Judocus und ornamentale Com-
positionen, in die historisch Figürliches, Symbolisches und Andres, was
der blossen Künstlerlaune angehört, eingeschlossen ist. Die Arbeiten tra-
gen das bestimmte Gepräge des germanischen Styles, wie sich derselbe
im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts ausbildete. Wir erkennen die treue
Wiedergabe der charakteristischen Eigenthümlichkeiten desselben in den
vorliegenden Abbildungen. Im Text hat der Verfasser die kunstgeschicht-
liche und legendarische Bedeutung der Malereien näher entwickelt und mit
Scharfsinn, zugleich mit der Zugabe schätzbarer historischer Belege, den
muthmaasslichen Ursprung und Zweck der kleinen Kapelle nachgewiesen.
— Abgesehen von dem Interesse dieser Mittheilungen für die betreffende
Lokalgeschichte haben sie in allgemeiner Beziehung das Verdienst, dass
sie uns von Zuständen und künstlerischen Gestaltungen des Mittelalters,
denen keine festere monumentale Dauer zu geben war und die somit vom
Strome der Zeit allzu leicht überflutet wurden, ein einzelnes anschauliches
Bild gewähren. Sie tragen wesentlich dazu bei, uns auch in das be-
schränktere Stillleben iener Zeit zurückzuführen.
Specimens of ornamental Art, selected from the best models of the
classical epochs, Illustrated by eighty plates by L. Gruner with descrip-
tive text by Emil Braun. London, Thomas M'Lean 1850. gr. R.-Fol.
Preis: 80 Thlr.
(D. Kunstblatt 1850. No. 49.)
Herausgeber und Ordner dieses Werkes ist der rühmlichst bekannte
Kupfersteeher L udwig Gruner von Dresden, seit mehreren Jahren in London
wohnend, von wo aus er unter eignen Arbeiten der Kunstwelt schon andres,
Schöne lieferte, wie z. B. das Prachtwerk über Freskomalereien ver-
schiedener Kirchen und Paläste, ferner über den Pavillon im Gar-
ten von Bukinghamhouseu. a,
„Das unter obigem Titel uns jetzt vorgelegte kostbare Werk ist in knnst-
geschichtlicher Hinsicht eben so belehrend als erfreuend für Auge und Gemüth,
als anders dasselbe durch die verschiedenartige Auswahl der Gegenstände, für
alle höhere Zweige des technisch industriellen Wirkens nutzreich genannt wer-
den Itann.
„Wir finden in den achtzig lithochromisch oder buntfarbig gedruckten litho-
graphirten Tafeln die kostbarsten Architektur-, Sculptur- und Malereiornaniente
der früheren, mittleren und späteren Zeit, bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
in vier Abtheilungen, welche, beginnend mit Gefässen und mehreren der Plastik
verwandten Gegenständen, von da an übergehen in Mosaiken und Malerei von
Pompeji und einigen Römischen Antiquitäten, weiter uns in 26 Platten die merk-
würdigsten Malereien der ältesten Kirchen in Italien zeigen und endlich in 18
Platten die bewundernswürdigsten Malereien der berühmtesten Paläste enthalten,
wobei das Schlussblatt dieser Abtheilung Raphaels kostbare Decke aus der Segna-,
tura in Vatican, zwar nicht in ganz grossem, aber deutlichem Maassstab bildet.
28 ' Berichte uud Kritiken.
„Das Ganze giebt ein treffliches Bild der älteren grossen Knnstopochen, indem
wir daraus den reinen und wahren Sinn für Ornamentik, wie er in jenen Denk-
mälern, Yom Tempel, Kirche und Palast an, bis zum kleinsten Vestibül ange-
wendet wurde, erblicken. . . .
„Hierzu kommt die in diesem "Werk angewendete vortreffliche englische
Technik iu der Chromolithographie, welche hierin Ausserordentliches und man
dürfte sagen Wundervolles leistete, da Präcisiou, Nettigkeit und die glänzendsten
Farben, so wie der Golddruck in ausserordentlicher Vollendung sich darstellen,
endlich die Gesammtausstattung des Werkes glänzend ist." . • •
Frenze).
Nachträgliches über Gruner's Specimens etc. und bei Gelegenheit
derselben.
Der vorstehende Artikel fasst zusammen, was in allgemeiner Bezie-
hung über das schöne Gruner'sche Werk und dessen Verdienste zu sagen
sein dürfte. Das deutsche Kunstblatt verstattet es mir, noch einige be-
sondre Bemerkungen anzuschliessen.
Zunächst ist es die, bei einer grossen Folge von Blättern zur Anwen-
dung gebrachte Technik der polychromen Lithographie, auf die ich noch
einmal zurückkommen muss. Es ist hier in der That das denkbar Voll-
endetste geleistet. Es ist eine Fülle, Saftigkeit, Energie, — ein eigentlich
markiger malerischer Vortrag, — eine Mannigfaltigkeit und zugleich Har-
monie in diesen Farbentönen, die die höchste Anerkennung verdienen.
Oefters ist gewiss mit zwanzig Platten gedruckt. Wie vorstehend schon
bemerkt und wie mir auch anderweit aus guter Quelle zugekommen ist,
sind diese Meisterarbeiten des Farbendruckes in Berlin gefertigt. Aber
--- auf den Blättern selbst oder in dem begleitenden Texte ist davon
Nichts gesagt! I^as deutsche Verdienst ist in keiner Weise hervorgeho-
ben, und das Werk wird von Seiten des englischen Nationalstolzes eben,
'wie es sich giebt, — als ein englisches hingenommen werden. Wir wollen
indess unsern Antheil reclamiren.
Dann ist, neben der Fülle und Eleganz der ornamentistischen Darstel-
lungen, auf die ungemein lebenvolle Charakteristik, in welcher die-
selben wiedergegeben sind, aufmerksam zu machen. Dies Verdienst ist
naturgemäss da vorzugsweise hervorzuheben, wo der mehr oder weniger
geistreiche Grad der Wiedergabe für den Werth der Darstellung entschei-
dend sein musste, also besonders bei den schlichten Kreidezeichnungen,
welche die Compositionen ornamentaler Sculptur vergegenwärtigen. Es
dürfte schwer sein, eine grössere Meisterhaftigkeit in dieser Gattung nach-
zuweisen, als hier z. B. in den grossen Zeichnungen einiger antiken Ter-
racotten, mit der vollen Beobachtung der Eigenthümlichkeiten des model-
lirten und gebrannten Thons, vorliegt.
Dies Charakteristische gijt aber nicht blos für das Stoffliche der Dar-
stellungen, sondern in gleichem Grade auch für die Form derselben, d. h.
für den feineren oder derber ausgesprochenen Wechsel in der Behandlung
') Bei den in Gruner's Werk so schön gegebenen buntfarbig gedruckten
Lithographien ist noch zu gedenken, dass auch mehrere einzelne Blätter, wie
z. B. die kostbaren, äusserst naturtreuen Blumenranken, in Berlin vollendet wor-
_den und den Künstlern und Technikern jener trefflichen Blätter das grösste Lob
über die gehaltvolle Ausführung gezollt werden muss.
\
A.
Specimeus of orriainental Art. 629
der Form, je nach den künstlerischen Epochen, welchen die Originale an-
gehören. Das "Werk enthält daher auch für die kunstgeschichtliclie
Betrachtung ein sehr schätzbares Material.
Doch hat es der Herausgeber vermieden, das allzu Heterogene, das
dieser Wechsel der künstlerischen Behandlungsweise zur Folge haben
könnte, nebeneinander zu stellen. Die dekorativen Compositionen, die sein
Werk vorführt, gehören sehr verschiedenen Zeiten an, aber sie haben in der
Grund-Conception mehr oder weniger etwas Gemeinsames, — durchgehend
eine gewisse Classicität. Es sind fast ausschliesslich nur Darstellungen
antiker Kunst oder solche, die dem italienischen Mittelalter oder der ita-
lienischen Renaissance angehören. Nur ausnahmsweise kommen ein Paar
Blätter nordischer Verzierungskunst vor (ein Paar pfälzische Buchbinder-
arbelten, jetzt im Vatikan, und eine Holbeinische Zeichnung zu einem
Prachtpocale); aber auch diese tragen entschieden wiederum den Stempel
der sogenannt classischen Richtung. Auch die eben angedeuteten Darstel-
lungen aus dem italienischen Mittelalter verleugnen jene Classicität keiues-
weges. Dies zeigt sich sowohl bei den musivischen Ornamenten römischer
Basiliken (aus S. Maria in Trastevere und S. Maria Maggiore, besonders
aber aus S. demente und S, Giovanni in Laterano), als auch bei den
gemalten Dekorationen gothischer Kirchen, wie S. Francesco in Assisi,
S. Andrea in Vercelli, S. Anastasia in Verona, S. Francesco in Lodi. Es
ist bekannt, dass die Italiener auf kurze Frist wohl die allgemeinen For-
men der dem Norden angehörigen gothischen Architektur nachzuahmen
versucht hatten, im Detail aber von der ihnen angebornen mehr classischen
Behandlung nicht sonderlich lassen konnten.
Dies führt mich auf eine, zunächst beiläufige Bemerkung. Das deko-
rative Element hängt bei diesen italienisch gothischen Gebäuden (zumal
das durch Malerei hinzugefügte) mit der architektonischen Formenbildung
nicht nothwendig zusammen, ist aus ihr nicht hervorgewachsen, läuft will-
kürlich über sie hin. Was die Blätter des Gruner'schen Werkes an sol-
cher gemalten Ornamentik italienisch gothischer Gebäude geben, ist an
sich zumeist überaus reiz- und geschmackvoll; aber es steht zu den Archi-
tekturformen nur im Verhältniss eines Spieles. So ist es bei all den an-
geführten Beispielen, wo man den Ernst des Ornamentes — als letzter
Auflösung oder Aushauchung der architektonischen Bewegungen —■ vermisst,
der Fall. Bei der farbigen Dekoration von S. Francesco zu Assisi, wo die
Gewölbgurten eine völlig leblose und schwerfällige Fbrm haben, gewinnt
es, aller feinen Grazie des Einzelnen zum Trotz, sogar den Charakter eines
halbbarbarischen Aufputzes
Ich muss aber noch eine zweite Bemerkung hinzufügen, die freilich
nicht sowohl dem Gruner'schen Werke an sich, als vielmehr der ganzen
Gattung, welcher dasselbe angehört, gilt und mit der ich es wage, mich
selbst einer, vielleicht wenig günstigen Beurtheilung blosszustellen. Das
Gruner'sche Werk vermeidet, wie gesagt, die Zusammenstellung des allzu
Heterogenen, befolgt durchgehend eine gewisse gemeinsame Grundrichtung.
Ein allzu schneidender Beleg dafür, dass einzelne Beispiele der mittel-
alterlichen Polychromatik (namentlich im Gothischen) noch wenig für das ganze
System entscheiden und dass es sehr wesentlich darauf ankommen wird, das
Verhältniss der farbigen Znthat zu dem Grade der inneren arckitektonischen
Durchbildung des betreffenden Gebäudes vorerst festzustellen.
()G630 Berichte und Kritiken.
Aber — welche Verscliiedenheiten sind dennoch innerhalb dieses Gemein-
samen vorhanden: — griechischer und römischer Geschmack; die verschie-
denartig conventioneile Behandlung, der das classische Element im italie-
nischen Mittelalter, je nach romanischen oder gothischen Influenzen, doch
allerdings unterliegen musste; die verschiedenartigen Formen der Renais-
sance im Geiste eines Bramante und Luini, eines Raphael, eines Giulio
Romano u. s. w.! Ich möchte, so interessant diese Blätter in kunstge-
schichtlicher Beziehung sind, so unschätzbar sie dem grossen Meister, der
berufen ist, der Kunst feste neue Bahnen vorzuzeichnen, für sein Studium
sein müssen, — ich möchte doch meinen leisen Zweifel aussprechen, ob
sie (wofür sie zunächst bestimmt sind) dem Schüler, dem Handwerker un-
bedingt als Muster und Vorlegeblätter dargeboten werden sollten. Es ist
— in wie schöner Form auch, mit wie geistvollem Verständniss der Ori-
ginale,'— doch nur Electicismus.
Ich würde meinen Zweifel vielleicht unterdrückt haben, ginge ich nicht
allerdings in meiner Ketzerei noch einen starken Schritt weiter. Ich meine,
dass Werke der Art, auch wenn völlige Gleichartigkeit des Geschmackes
in ihnen herrschte, uns vor der Hand noch gar nicht viel fruchten können.
Das Ornament ist die letzte Blüthe der räumlichen Kunst, aber sie hat
erst Leben und Sinn, wenn sie aus einem lebendigen Stamm hervorge-
wachsen ist. Dieser Stamm ist und kann nur sein: ein festes architektoni-
sches Bewusstsein. Ohne eine energische (von aller einseitigen Schul-
tradition gelöste) Durchbildung und Entwiekelung der architektonischen
Formation, auf dem Grunde unsres heutigen gesammten technischen Ver-
mögens und desjenigen geistigen Bedürfens, welches uns wahrhaft eigen-
thümlich ist, hängt alles, was zur Ausbildung der Ornamentik geschieht,
in der Luft. Man wird mir erwidern: r,Das Eine thun und das Andre
nicht lassen." Ich antworte: Es kommt darauf an, wann das Eine ge-
than und das Andre nicht gelassen werden muss: es kommt darauf an,
öass man das Zweite nicht eher beginne, ehe man mit dem Ersten nicht in
der That den festen nachhaltigen Grund gelegt. Ja, die Bevorzugung des
Ornamentistischen vor der Ausbildung des eigentlich Architektonischen,
— wie sie in unsern Jahren vielfach stattgefunden, — scheint mir schliess-
lich von sehr verderblichen Folgen. Der schmückende Theil der Kunst
wird dann nicht blos als ein zufälliger und willkürlicher behandelt: der
künstlerische Geist verklingt dann auch und verflüchtigt sich in diesen
Spielen einer nicht^mehr wohlthätig gebundenen Phantasie, und statt des-
sen, was sie binden sollte, bleibt schliesslich nur ein kraftloser, zur wei-
teren Entwiekelung unfähiger Bodensatz, — nur ein architektonischer Un-
organismus zurück. Statt andrer Beispiele nenne ich hier nur, um mich
einfach auf geschichtlich Abgeschlossenes zu beziehen, S. Francesco in Assisi.
.Dies Alles, ich wiederhole es, gilt durchaus nicht dem Gruner'schen
Werke an sich, welches gewiss den Vergleich mit einem jeden ähnlichen
Unternehmen aushält, mit dem überhaupt nur wenige in Vergleich kommen
können. Aber Werke der Art fördern zunächst nur die äussere künst-
lerische Cultur. Mich aber dünkt: es sei vor Allem Sorge zu tragen, dass
eine glänzende äussere Cultur nicht innerer Leere oder Barbarei zur Hülle
diene. Mich dünkt: ungleich entschiedener / sei für das Innere, — das
Erste, zu sorgen. '*
Metallene Grabplatten mit eingegrabener ünirissdarstellung. 631
Metallene Grabplatten mit eingegrabener Umrissdarstellung.
(D. Kunstblatt 1851, No. 4.)
Herr Dr. Lisch zu Schwerin hat über diesen Gegenstand in der vorigen
Nummer des deutschen Kunstblattes, unter der Ueberschrift „Messingschnitt
und Kupferstich des Mittelalters", neue Mittheilungen gemacht und darin
einige schätzbare Notizen zur Bereicherung unsrer Denkniälcrkuude beige-
bracht. Es kann mich nur freuen, dass meine, schon in der ersten Auf-
lage des Handbuches der Kunstgeschichte und später mehrfach (namentlich
auch in No. 26 des deutschen Kunstblattes v. v. J.) gegebenen Anregungen
nicht erfolglos geblieben sind. Der Aufsatz des Hrn. Dr. Lisch ist jedoch
vorwiegend kritischer Art und wesentlich gegen mich gerichtet; so wird
mir vielleicht, zumal bei dem hohen Gewicht, welches er auf seine Aus-
führung legt, eine Erwiderung nicht versagt sein.
Hr. Lisch tadelt mich, dass ich früher von „bronzenen" Grabplatten
gesprochen und die Darstellungen derselben als „gravirte" bezeichnet habe.
Was das Material betrifft, so bestehe dasselbe aus Messing oder Kupfer,
nicht aus Bronze. Ich nehme diese Belehrung, wenn sie auf Grund ge-
nauer Untersuchung der einzelnen Denkmäler näher festgestellt sein wird,
bereitwillig an; ich bin mit meinem Ausdruck vielleicht nicht genau, oder
vielmehr nicht allgemein genug gewesen. Aber, wie gesagt: es dürfte
vorerst noch auf nähere Untersuchung des Einzelnen ankommen, denn be-
kanntlich ist es nicht immer ganz leicht, zu entscheiden, wo Messing auf-
hört und wo Bronze anfängt. Was die Technik anbetrifft, so befinde ich
mich, nach Hrn. Dr. Lisch's Auseinandersetzung, in einem gröblicheren
Irrthum. Bei den von ihm sogenannten Messingschnitten (d. h. bei den
Prachtarbeiten der in Rede stehenden Kunstgattung) sei nemlich von einer
Darstellung durch eingegrabene Umrisse gar nicht zu sprechen; hier sei
umgekehrt die darzustellende Gestalt, durch Vertiefung des Grundes um
ihren äusseren Confour, in gleichmässig erhabener Fläche stehen geblieben,
der Art: dass diese Behandlungsweise die erste Veranlas-
sung zum Holzschnittdruck und zur Erfindung der Buch-
druckerkunst gegeben habe. Ich weiss nicht, ob irgendwo Kunst-
arbeiten des in Rede stehenden Faches von so toller Beschaffenheit vor-
kommen, dass ein von ihnen unmittelbar zu nehmender Abdruck (denn
darauf einzig und allein müsste es doch ankommen) eine naturgemässe
Darstellung des Gegenstandes in Schwarz und Weiss und nicht das abso-
lute Gegentheil gäbe. So weit meine Kenntniss reicht, besteht die Dar-
stellung überall auch hier aus einer Zeichnung, deren Linien, wie im
äusseren Umriss, so namentlich auch im Inneren der Darstellung selbst
vertieft eingegraben sind, — also überall aus dem diametral Entgegenge-
setzten der Ilolzschnitttechnik. Es ist möglich, dass Beispiele vorkommen,
bei denen gleichzeitig der gesammte Grund um den äusseren Coutouv
herum vertieft ist: bei den mir bekannten und von mir genannten Bei-
spielen des von Hrn. Lisch sogenannten Messingschnittes (die er gleichfalls
namhaft macht) ist aber auch dies keinesweges der Fall. Bei diesen ist
der Grund überall mit einem reichen Teppichmustcr geschmückt, dessen
Linien ebenso eingegraben sind, wie die der llauptdarstellung, und bei
632 ' Berichte uud Kritiken.
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dem die Zwischenräume ebenso in derselben gleichen Fläche erhaben da-
liegen. Natürlich zählt ein solches Teppichmuster mehr Vertiefungen als
die Hauptdarstellung, und so mochte ein in künstlerischen Dingen uner-
fahrenes und unklares Auge Voraussetzungen Anlass geben, die eben
lediglich — in der Luft hängen. So fehlt denn auch für den gesaramten,
nach Hrn. Lisch's Behauptung so überaus gewichtigen Unterschied zwischen
Messingschnitt und Kupferstich alles schärfere Kriterium. In Betreff des
Materials hat er den Unterschied selbst schon sehr zweideutig gemacht,
indem er sagt, dass das Metall seiner Kupferstich-Grabplatten zum guten
Theil gleichfalls aus Messing bestehe; in Betreif der Technik verschwindet
der wesentliche Unterschied dadurch von selbst, dass die .Darstellungen in
beiden Gattungen eben doch nur aus vertieften Umrissen bestehen, mag
man dieselben als geschnitten, gestochen, gravirt oder eingegraben be-
zeichnen. Das Lange und das Breite der Sache ist in der That nichts
weiter, als dass, wie schon angedeutet, die sogenannten Messingschnitte
die kunstreicheren, die sogenannten Kupferstiche die minder kunstreichen
Arbeiten umfassen. Auch ihr gesammter Einfluss auf die Erfindungen der
Druckkünste — abgesehen von dem positiven Nicht-Einfluss auf den Holz-
schnitt — bleibt eine müssige Annahme. Wie nemlich die Grabtafeln im
sogenannten Messingschnitt auf den Holzschnitt und in Folge dessen auf
den Buchdruck, so sollen die Grabtafeln im sogenannten Kupferstich auf
das, was unser heutiger Sprachgebrauch unter „Kupferstich" versteht, ge-
führt haben. Jedenfalls lag aber für diesen letzteren Kunstzweig, wie all-
gemein angenommen ist, die Vorbereitung in den kleinen Gravirungen und
Niellen der Goldschmiedekunst und ähnlichen Tehniken ungleich näher,
und bedurfte es der Einwirkung jener völlig unhandlichen Grabplatten in
keiner Weise. Auch bestätigt es sich nicht immer, dass diese oder jene
Kunsttechnik die oder die verwandte erzeugt haben müsse. Da sind vor-
erst die thatsächlichen Zwischen-Instanzen nachzuw^eisen. Die Welt geht
nicht nach der Theorie; sonst hätten z. B. die Etrusker ihre kleinen Me-
tallgravirungen einfach abdrucken und dadurch ohne alles Weitere und in
grösster Bequemlichkeit den Kupferstich erfinden müssen.
Hr. Dr. Lisch bemerkt ferner, die Arbeiten des von ihm sogenannten
Kupferstiches, und namentlich diejenigen, bei welchen die einzelnen Theile
der Darstellung aus einzelnen Metallplatten bestehen und solchergestalt in
eine grosse steinerne Grabplatte eingelassen sind, seien in Norddeutschland
sehr häufig; allein in den deutschen Ostseeländern fänden sich deren mehr,
als in England. Ich muss diese Behauptung in ihrer Allgemeinheit dahin-
gestellt sein lassen. Doch kann ich in Betreff eines sehr ansehnlichen
Theiles dieser Ostseeländer, in Betreff Pommerns, — und zwar nicht aus
dunkelm „Entsinnen" (wie er mein unbefangenes Wort zur Folie seines
Selbsbewusstseins citirt), sondern auf Grund ziemlich genauer örtlicher
Untersuchungen, — die GegeJnbemerkung hinzufügen, dass ich dort kein
Denkmal der Art vorgefunden habe, auch in Stralsund nicht, wo ich,
wie aus meiner pommerschen Kunstgeschichte zu ersehen, nur die Fracht-
platte des sogenannten Messingschnittes in der Nikolaikirche aufzuführen
weiss. Wenn also Hr. Dr. Lisch behauptet, dass in Stralsund deren viele
vorhanden seien, so muss ich ihn vorerst um den genauen Nachweis des
Einzelnen bitten.
In Betreif bestimmter Eiuzelnachweisungen hat Hr. Lisch die schätz-
baren Notizen über die im Dome zu Schwerin vorhandenen Prachtplatten
aa
-ocr page 632-Metallene Grabplatten mit eingegrabener ünirissdarstellung. 633
des sogenannten Messingschnittes, die bisher der kunstgeschichtlichen Ueber-
sicht nicht eingereiht waren, beigebracht. Noch mehr Dank würde er sich
dabei erworben haben, wenn er sich, statt jener haltlosen und unfrucht-
baren Behauptungen über Messingschnitt und Kupferstich, auch über Das-
jenige, was diesen Platten ihre höhere künstlerische -Bedeutung geben
dürfte, über ihre stylistische Beschaffenheit geäussert oder (da dergleichen
nicht einem Jeden gegeben ist) einen dortigen Kunstkenner zu einer der- ^
artigen Mittheilung veranlasst hätte. Ausserdem nennt er noch die zu
Ringsted in Dänemark befindliche Grabplatte des Königs Erich Menved
vom Jahre 1819 und meint, dass hiemit, nächst den schon bekannten Plat-
ten des sogenannten Messingschnittes, die im Norden befindliche Zahl der-
selben erschöpft sei. Ich freue mich, dass ich diesen Notizen doch wieder
noch ein Paar neue hinzufügen kann, welche ich den gefälligen Mitthei-
lungen des schwedischen Malers Herrn Mandelgren, zunächst auf Grund
der von ihm ausgeführten genauen Untersuchungen der Kunstdenkmäler
seiner Heimat, verdanke ')•
In Schweden befindet sich eine metallne Grabplatte in der Kirche
zu Aker in Upland. Sie schmückt das Grab der Frau Ramborg von Wiik,
aus der früheren Zeit des vierzehnten Jahrhunderts. Die Kirche ist eine
gewöhnliche kleine Pfarrkirche im Spitzbogensfyl, das Schiff grösser als
der Chor. Im Chor, zwischen der Thür der Sakristei und der östlichen
Mauer, ist eine spitzbogige Nische, welche das Grabdenkmal einschliesst-,
dies gewissermaassen als eine einfache Tumba, deren Vorderseite durch
eine einfache Steinplatte von Vj^ Ellen Höhe mit einer Inschrift gebildet
wird und die durch die Metallplatte mit der eingegrabenen Darstellung
bedeckt ist. Die letztere enthält die Gestalt der Bestatteten in weiter Ge-
wandung — langem ungegürtetem Unterkleid, Kopftuch und Mantel, —
mit vor der Brust zusammengelegten Händen, unter einer schwerfällig go-
thischen Architektur stehend; oben, zu den Seiten der letzteren, zwei klei-
nere Engel mit Rauchfässern; der Grund überall ein einfaches Teppich-
muster; zu den Seiten der Hauptfigur zwei Familienwappen. Umher ein
breiter Inschriftstreif mit vier Rosetten in den Ecken, welche die Symbole
der Evangelisten enthalten. Die Inschrift der Tafel (und somit ohne
Zweifel das ganze "Werk) ist noch bei Lebzeiten der Bestatteten ausgeführt;
sie lautet in eigenthümlicher Fassung Anno Do. MCCCXXVIL sum
Hamborg de Wik hic^ cui pater Israhel. Ahne Christe consiste m{ihi), tu
requies, via palrne. Mir liegt eine Zeichnung der Platte von der Hand des
Herrn Mandelgren vor die das Gepräge einer durchaus zuverlässigen
Wiedergabe der Eigenthümlichkeiten des Originals hat. Hienach lässt die
ganze Linienfahrnng der Gestalten den völlig ausgebildeten weich germa-
nischen Styl erkennen. Die Lust an der Fülle weichen Gefältes führt bei |
der Hauptfigur zu einer gleichmässigen Aufnahme des Mantels unter beide
Ellenbogen, was freilich nicht von sehr schöner Wirkung ist. Die Linien
haben etwas Grosses, aber zugleich schwer Conventionelles; die beiden
Engelgestalten befriedigen in dieser Schwere am Wenigsten. Jedenfalls ist
hierin, wie in der dargestellten Architektur, eine sehr wesentliche Ver-
') Vergl. die Nachricht über Hrn. Mandelgren und dessen Unternehmungen
im deutschen Kunstblatt v, v. J., No. 29, S. 231, — «) Vergl, die anliegende
Abbildung derselben.
"-'-T'''-^..............- -FW; »«»P'lft.;.
634 Uerichto und Kritiken.
schiedenheit von den schönen deutschen Arbeiten des vierzehnten Jahr-
hunderts zu Lübeck, Stralsund und Thorn; vor der Hand möchte ich das
Werk für die Arbeit eines Eingebornen halten. — Die Inschrift des Steins
an der Vorderseite der Tumba ist ebenfalls eigenthüralich interessant, da
Frau Ramborg hierin die Bitte wegen Schonung der Metallplatte ausspricht
und die Rache Gottes über etwanige Frevler an ihrem Grabe anruft. Sic
lautet: Ego BamhurgJds de Viik, que hic occumbo, rogo nobüitatem omnium
discretormi, quatinus tabulam cupream super me positam neminem micchi
deswnere permittant. Si qiäs me mortiiam spoliaverit, vindicet deiis. Orate
pro me. — In der neuerlich übertünchten Nische über der Tumba waren
Wappen, Heiligenfiguren und Verzierungen gemalt, wovon eine in der
Bibliothek zu Stockholm erhaltene ältere Zeichnung noch eine Anschauung
giebt. Ueber der Nische endlich befindet sich noch eine grosse Steintafel
mit einer Inschrift, in welcher Frau Ramborg im Jahre 1331 (also vier
Jahre nach Anfertigung der Metallplatte) kund giebt, dass sie die Kirche
aus Steinen habe neu bauen lassen und dass sie dieselbe mit Gütern be-
schenkt habe, damit wöchentlich eine Messe für ihre Seele gelesen und
während der Messe mit den Glocken geläutet werde.
üas ebengenannte Denkmal ist nach Herr Mandelgren's Angabe das
einzige der Art, welches Schweden besitzt. Doch befindet sich im Dome
von Upsala, in der Kapelle der hh. Nicolaus und Katharina, ein merk-
würdiges Grabdenkmal von sehr ähnlicher Beschallenheit, nur dass die
gravirte Zeichnung nicht auf einer Metallplatte, sondern auf einer schwar-
zen Marmorplatte von drei Zoll Dicke ausgeführt ist. Es ist das Monu-
ment des Vaters der heiligen Brigitta, des Ritters und Richters (i.agmanns)
Birger Persson, Ahnherrn der Familie Brahe, der hier im J. 1328 bestat-
tet wurde, und seiner zweiten Gemahlin, Frau Iiigeborg, aus dem alten
Köüigsgeschlechte des Landes. Beide Gatten sind nebeneinanderstehend,
mit auf der Brust gefalteten Händen dargestellt; Herr Birger im Ketten-
panzer, der als Haube auch den Kopf umhüllt, aber von den Händen zu-
rückgeschlagen ist; über dem Panzer eine lange Tunika; umgürtet mit dem
Schlachtschwert und vor sich den kleinen Schild, auf dem zwei Flügel
enthalten sind. Frau Ingeborg mit weitfaltigem ungegürtetem Obergewande,
dessen Aermel bis auf den Boden niederhängen, durch die aber die Arme
am Ellenbogen hindurchgestecitt sind, und mit zierlichem Kopftuch. Sie
hat in üblicher Weise ein Hündchen zu den Füssen, während der Mann
auf einem Löwen steht. Ueber ilmen wölben sich zierliche Spitzbögen,
gekrönt mit Tabernakel - Architekturen und kleinen Figürcheu, welche
die Aufnahme der Seelen jener Beiden zu den Seligen darstellen. Diese
Anordnung entspricht sehr entschieden der auf jenen deutschhanseatischen
Prachtplatten in Metall. Dasselbe ist mit der Zeichnung der Seitenpfeiler
der Fall, auf denen das architektonische Bogenwerk ruht. In diesen Pfei-
lern sind Nischen, ebenfalls njit kleinen Figuren, euthalten7 die aber hier
nicht, wie gewöhnlich, Heilige, sondern auf der einen Seite die Söhne, auf
der andern die-Töchter des Paares, mit beigeschriebenen Namen, (unter
den Töchtern die heilige Brigitta) darstellen. Die Umschrift lautet: Hic
iacet nohilis miles dominus Birgerus Petri filius, legifer Ux>landiarum.
Orate pro nobis. Et ejus uxor domina Ingiburgis, cum filiis eorum. Quo-
rum anime requiescant in pace.
Eine Abbildung des Denkmals findet sich bei Peringskjöld, Monumenta
Ulleiakerensia. Herr Mandelgren hält dasselbe für gleichzeitig mit dem
Metallene Grabplatten mit eingegrabener ünirissdarstellung. 635
ehernen, welches sich zu Aker befindet, und wahrscheinlich von derselben
Hand gefertigt. Nach der mir freundlichst mitgetheilteu Zeichnung *) muss
ich dies jedoch bezweifeln. Schon die ganze architektonische Umfassung,
wie eben angedeutet, entspricht nngleich mehr jenen deutschen Denkmälern,
wenn auch die Behandlung mehr nur den Charakter einer fast spielenden
Wiederholung hat. So ist auch in der Linienführung der Gestalten, aller-
dings neben einigen leisen Anklängen an das Conventionelle des Denk-
males von Akcr, und bei grosser Einfachheit doch eine ungleich freiere
Grazie unverkennbar. Ich möchte hiernach annehmen, dass die Arbeit,
wenn auch ebenfalls wohl von einem nationalen Künstler, doch unter Ein-
wirkung von Werken, wie jene deutsch-hanseatischen Metallplatten, und
in Nachahmung derselben ausgeführt sei. Ihre Anfertigung würde dann
fveilich, da die letzteren der Zeit um die Mitte des vierzehnten Jahrhun-
derts angehören, erst um einige Jahrzehnte nach dem Tode des Herrn Bir-
ger anzunehmen sein, Dies würde aber auch um so weniger bedenklich
erscheinen, als in der Inschrift des Denkmals eine Jahreszahl nicht befind-
lich ist und die ausdrückliche Erwähnung der Kinder in derselben und
deren Mitaufnahme in die bildliche Darstellung des Denkmals einen wesent-
lichen Antheil an dessen Ausführung auch von ihrer Seite wohl annehmen
lässt. Es darf, mit Bezug hierauf, hinzugefügt werden, dass die drei Söhne
Birgers an derselben Stelle bestattet sein sollen und dass der jüngste von
diesen, Israel, der 1363 starb, eine so bedeutende politische Rolle spielte,
dass ihm nach König Magnus' Entsetzung im Jahre 1361 selbst die Krone
angeboten wurde. H| konnte also hinlängliche Veranlassung zur späteren
Ausführung des Denkmals vorhanden sein.
In Finnland findet sich, nach Herrn Mandelgren's Mittheilung, eine
wiederum sehr bedeutende metallene Grabplatte in der Kirche zu Nausis,
zwei Meilen von Abo, auf dem Grabe des heiligen Heinrich (?). Sie
enthält das Bild des Gefeierten, eine grosse bischöfliche Gestalt, mit reicher
Architektur und vielen kleinen figürlichen Darstellungen umgeben. Eine
Abbildung bei Peringskjöld, Ullerakerensia üpsalia nova. Nach der mir
vorgelegten flüchtigen Skizze dürfte hier wieder eine Verwandtschaft mit
den deutsch-hanseatischen Denkmälern zu muthmaassen sein. — Auch des
dänischen Denkmals zu Ringste'd, welches Herr Lisch schon genannt
hatte, gedenkt Herr Mandelgren und bemerkt dabei, dass Dänemark früher
noch drei Denkmäler der Art besessen habe, diese aber zerstört worden
seien
») Vergl, die anliegende Abbildung — 2) Nachträglich, lieber die
-vortrefflichen Grabplatten, welche sich im Dome zu Schwerin befinden (und
ebenfalls „ein der Holzschnitt-Technik diametral entgegengesetztes Verfahren"
bezeugen) hat W. Lübke im D. Kunstblatt 1852, No. 35, einen ausführlichen
kunstverständigen Bericht gegeben. Ebendaselbst, No. 43, ist von Hrn. Lisch
ein zweiter Aufsatz über die Angelegenheit derartiger Platten enthalten. Seine
Ansicht ist darin der Hauptsache nach dieselbe geblieben; doch hat er sich zu-
gleich Sjas Verdienst erworben, durch Aufführung einer sehr grossen Zahl hieher
gehöriger Kunstarbeiten weiterer Forschung die Wege vorbereitet zu haben. Die
„vielen" Arbeiten in Stralsund rednciren sich dabei freilich ausser der von mir
besprochenen Prachtplatte in der Nikolaikirche auf einige Metallstücke mit Wap-
pen und Inschriften, welche nach seiner Angabe auf zwei Grabsteine, im Choro
derselben Kirche, eingelassen sind.
ii"
y
I
* ■ b
'-i
m
636 ' Berichte uud Kritiken.
Carl I. Gemalt von Van-Dyck. Gestochen von Mandel. Imprimö
"k Paris par Chardon aine et Aze. Verlag von Ernst Arnold in Dresden.
Preis: 7 Thlr.
(D. Kunstblatt 1851, No. 17,)
Es ist das Bild der Dresdener Gemälde - Gallerie mit der Halbfigur
König Carls I. von England, welches uns der neue Kupferstich unsers
deutschen Meisters vorführt. Das Gemälde hat 4 Fuss und einige Zoll
Höhe, der Stich eine Höhe von 14V4 Zoll bei 11 Zoll Breite. Der König
steht dem Beschauer gegenüber, im schwarzen Seidenmantel, den der linke
Arm an sich zieht, die rechte Hand auf die Krempe des Hutes gestüzt,
der auf einem teppichbehangenen Tische liegt. Das Haar ist seitwärts aus
der hohen, von dämmernden Gedanken durchspielten Stirn gestrichen und
fällt zur Rechten, neben der grossen Perle des Ohrrings, weit über den
reichen Spitzenbesatz des Halskragens hinab. Das Gesicht ist dem Be-
schauer zugewandt; der Blick geht aber, fast wie mit einer unsicheren
Scheu, am Auge des Beschauers vorüber. Die königlich geistvolle Stirn,
das müde Auge, das fast Haltlose in der unteren Hälfte des Gesichts bil-
den eigenthümliche Gegensätze; wir glauben "das^ tragische Geschick des
Monarchen in diesen Zügen vorgebildet zu sehen. Auf dem Grunde der
Darstellung, oben in der Ecke, bemerken wir die Bu(j^staben C. U. (Carolus
Rex), mit der königlichen Krone darüber, und drunter die Jahrzahl 1637.
Van-Dyck hat seinen hohen Gönner also kurz vor dem Ausbruch der
Stürme gemalt, die, stets aufs Neue heraufbeschworen, ihn nach zwölf
Jahren auf das Blutgerüst führten. — Julius Mosen, der Dichter, hat in
seiner schönen Beschreibung der Dresdener Gemälde - Gallerie eine tief
empfundene Schilderung des Bildes gegeben.
Mandel hatte mit dem Stich des Bildes eine schwierige, aber um so
mehr eine des Meisters würdige Aufgabe übernommen. Wir finden sie in
jeder Beziehung gelöst, dem Besten gleich, was in ähnlicher Richtung die
Kunst des Kupferstiches geleistet hat. Uns spricht in diesem Kopfe eine
durchaus lebenvolle Auffassung an, sowohl was das allgemeine organische
Geföge, als was jene feineren Elemente der Bildung, in denen sich der
besondre Ausdruck des Seelenlebens kundgiebt, betrifft. Die Wirkung ist
völlig die der zarten, meisterlich berechneten malerischen Behandlung,
die das Eigenthum eines Van-Dyck ist. Sehen wir näher zu, so finden
wir dies erreicht durch die so kunstvolle wie freie und ihres Zweckes
sichere Verwendung der verschiedenartigen Mittel, welche der Grabstichel
zur Gewinnung derartiger Effekte verstattet; die leisesten Wandlungen und
Stimmungen des malerischen Tones treten uns hier ganz im Charakter der
Farbe selbst entgegen. Dieselben Vorzüge gelten von der feinen Hand,
welche auf die Hutkrempe gestreckt ist. Es bedarf der näheren Anführung
kaum, dass alles Gesagte auch auf die Behandlung des Stofflichen in der
Gewandung, soweit es davon überhaupt gilt, seine Anwendung findet.
Die Seide des Mantels mit ihren kleinbrüchigen Falten und der zierlichen
Nadelstickerel des Saumes, in verhältnissmässig feineren Strichlagen be-
handelt, steht zu der ruhigen volleren Breite des sammtenen Aufschlages
des Mantels und der entsprechenden Ausführung desselben im wirksamen
Karl I. Zur deutschen Kunstgeschichte. 637
Gegensatz; ebenso sind für die eigenthümliche Arbeit des Spitzenbesatzes
an Kragen und Manschetten, für den grossen Silberstern auf dem Mantel,
dessen schillernde Lichter und Schatten im Original mit flüchtigstem Pinsel
angegeben sind, für den derberen StoiT der Teppiche des Tisches und vor
einem Theile des Grundes etc. überall die eigenthümlich bezeichnenden
Mittel angewandt, so dass alles Einzelne durchweg in seiner charakteri-
stischen Besonderheit erscheint. Dies Alles aber ist zugleich in der ruhig-
sten und vollsten Harmonie, der auch die klare Ruhe des Grundes "ent-
spricht, zusammengehalten, und wir glauben, vornehmlich diese sichere
Totalität des Werkes, neben dem geistigen Verständniss, als eines der
llauptkriterien seiner Meisterschaft bezeichnen zu müssen. Wir dürfen das
Blatt mit freudigem Stolz als einen der Triumphe der heimischen Kunst
bezeichnen, — haben aber zugleich mit Beschämung hinzuzufügen, dass
der (allerdings vortreffliche) Druck in Paris ausgeführt werden musste, ein
Meister wie Mandel also in dem Maasse vereinzelt und so wenig gefördert
dasteht, dass ihm selbst die nothwendigste Unterlage einer Druckerei, der
er seine Arbeiten anvertrauen darf, fehlt.
Zur deutschen Kunstgeschichte.
(D. Kunstblatt 1851, No. 27.)
i :
Denkmale der Baukunt des Mitelalters in Sachsen. Abth. I.
Lief. 19—20 (oder Lief. 10—11 des zweiten Bandes von Abth. I.) — Auch
unter dem Separat-Titel: Mittelalterliche Bauwerke in den Für-
stenthümern Reuss. Nebst einigen alterth ümlichen Gebäu-
den in Dresden, Leipzig, Altenzelle, Zwickau, Bautzen,
Oybin etc. Bearbeitet und herausgegeben von Dr. L. Put trieb.
Leipzig, 1850. Fol.
Mit dieser Lieferung schliesst der zweite Band der.ersten Abtheihing
des Puttrich'schen Werkes ab; sie enthält daher auch den Gesammttitel
dieses zweiten Bandes. Sie besteht aus 44 Seiten Text und, mit Einschluss
der beiden Titelblätter und ihrer zierlich gestochenen Vignetten, aus 21
Blatt Abbildungen. Unter den letzteren befinden sich nur 3 Blätter mit
der Darstellung von Grundrissen und mannigfacher Details; alle übrigen
Blätter enthalten völlig ausgeführte malerische Darstellungen. Unter diesen
ist, eben in malerischer Beziehung, eine Reihe vortrefllich gearbeiteter
Ansichten von alten Schlössern interessant, wie der von Burgk, Nossen,
Scharfenberg, Rochlitz und der in ein schlossartiges Gebäude umgewan-
delten Theile der Kirche von Mildenfurt. Auch bei den Darstellungen
kirchlicher Gebäude, wie der reizvollen Ruine der Klosterkirche des Oybin
bei Zittau, ist dies malerische Interesse vorherrschend, während sich bei
andern, namentlich bei der Marienkirche zu Grimma, der Restauration
der Kirche zu Mildenfurt, dem jetzt zu Nossen befindlichen Portale aus
Kloster Alten-Zelle, — Alles Bauwerke spitzbogig romanischen Styles, ■—
Berichte und Kritiken.
und bei der elegant spätgothischcn Kirche zu Zwickau mehr das Element
der kunstgeschichtlichen Belehrung geltend macht Spätgothischer Zeit
gehören u. A. auch die eigenthümlichen Giebelhäuser des Marktplatzes zu
Zwickau an. Aus Leipzig und Dresden dagegen sind einige merkwürdige
Architekturen mitgetheilt, die, schon (iber den eigentlichen Zweck des
Werkes hinausgehend, den Zeiten der Renaissance und des Barockstyles
angehören. — Es fehlt nunmehr zur Beendigung des ganzen grossen Werkes
nur noch der Schluss der zweiten Abtheilung, welcher, neben einigen
Supplement-Blättern, eine „Geschichte der ganzen mittelalterlichen Bau-
kunst in Sachsen" bringen soll.
Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, herausgegeben von
H. Wilh. H. Mithoff. Abth. I, Lief. 4. Gross Fol.
Ueber die ersten drei Lieferungen dieses Werkes ist in No. 15 und 18
des vorjährigen Kunstblattes berichtet worden. Die vierte macht den
Schluss der ersten Serie des Archivs, welche die „mittelalterlichen Kunst-
werke in Hannover" umfasst. Zwei der Blätter dieses Heftes sind der
Privat-Architektur gewidmet und enthalten beachtenswerthe Beispiele für
das zierlich dekorative Schnitzwerk, mit welchem der Fachwerkbau des
späteren Mittelalters gern versehen wurde. Ein besonders brillantes Bei-
spiel solcher Bauweise, schon im Styl der Renaissance, war der vor eini-
gen Jahren abgerissene, sogenannte Apotheken-Flügel des Rathhanses zu
Hannover, dessen Aufriss ein drittes Blatt enthält. Drei andre Blätter sind
den noch stehenden, aber ebenfalls zum Abbruch bestimmten Theilen des
Rathhauses gewidmet, die aus dem fünfzehnten Jahrhundert herrühren,
in gebraunten Ziegeln ausgeführt sind und in ihren Giebeln und Friesen
reichverzierte Beispiele dieser Bauweise widmen. Eins der Blätter ist ganz
mit der Darstellung von derartigen Details angefüllt. — Wenn Gebäude,
wie das ebengenannte, den drängenden Anforderungen der Gegenwart
weichen müssen, so erwirbt sich das Archiv durch ihre angemessene Er-
haltung wenigstens im Bilde nur ein um so höheres Verdienst.
Jahreshefte des Wirtenbergischen Alterthums-Vereins.
Fünftes Heft. Stuttgart, 1848. Gross Fol.
#
Das gegenwärtig ausgegebene fünfte Heft dieser höchst schätzbaren
Publikationen zeichnet sich wiederum durch die gediegensten Mittheilun-
gen aus. Das erste Blatt enthält eine geometrische, aber in Scliattenwir-
kung ausgeführte Ansicht der Chorseite der St. Walderichs-Kapelle in
Murrhardt, einem kleinen, aber äusserst reich geschmückten Bauwerk des
voll entwickelten romanischen Styles, etwa aus der Spätzeit des zwölften
Jahrhunderts, das zugleich durch seine völlige Erhaltung ausgezeichnet ist.
Eine grosse Vignette in dem erläuternden Texte enthält ausserdem eine
perspektivische Ansicht dieses Gebäudes, — Blatt 2 bringt, in durchge-
führter Lithographie, einen Theil der prächtigen, spätgothisch dekorativen
Theile des heil. Grabes zu Reutlingen. — Blatt 3: Urnen und andre merk-
würdige Geräthschaften aus heidnischen Grabstätten bei Mergelstetten. —
Blatt 4 und 5: eine Fortsetzung der schon in den früheren Heften begon-
nenen Reihenfolge der Standbilder der Württembergischen Grafen in der
Stuttgarter Stiftskirche, in der phantastisch barocken Weise vom Ende des
038
Zur deutschen Kunstgeschichte. Bremen. 639
sechzehnten Jahrhunderts. -— Blatt 6 enthält einen besonders wichtigen
Beitrag für die Geschichte der deutschen Kunst: die Darstellung eines Holz-
schnitzwerkes von Albrecht Dürer, welches vor einigen Jahren auf dem
Schlosse des Herrn v. Palm zu Mühlhausen am Neckar aufgefunden wurde.
Der Gegenstand der Darstellung ist ein in mehreren Schalen übereinander,
mit reich barocker Dekoration sich aufbauender Brunnen, auf dessen Gipfel
die Figur eines Amor mit Pfeil und Bogen steht. Im Vorgrund sitzt auf
der einen Seite ein ritterliclier Herr, die Geige spielend; ihm gegenüber
und zu ihm hinblickend, eine üppig geschmückte Frau, die einen nackten
Knaben vor sich hat. Hinter dem Brunnen, an seiner ersten grossen Schale,
steht rechts ein Narr, mit der officiellen Kappe auf dem Kopf, der, wie
es scheint, Lust hat emporzuklettern: rechts einer, vermuthlich ein Ge-
lehrter, der eingeschlafen auf den Rand der Schale lehnt, während über
ihm, auf einem dürren Weidenbaum, ein Bauer mit verbundenen Augen
sitzt und nach der Schale hinuntertappt. Am Fuss des Brunnens ist
Dürer's Monogramm und die Jahrzahl 1511. Die Abbildung des Schnitz-
werkes ist, nach einer Zeichnung des Malers G. Kurtz, von dem Xylogra-
phen C. Deis ganz im Charakter der Dürer'schen Holzschnitte gestochen.
Soweit hienach irgend zu urtheilen ist, finde ich in dem ganzen Werke
die Eigenthümlichkeit des grossen Meislers sehr entschieden ausgesprochen
und sehe — so nöthig es überall sein wird, bei den ihm zugeschriebenen
Schnitzwerken die grösste Vorsicht zu beobachten, — doch durchaus keinen
Grund, die Aechtheit des Monogramms anzuzweifeln. Die Veröflentlichung
des Blattes schliesst somit gewiss eine sehr dankenswerthe Bereicherung
unsrer kunstgeschichtlichen Kunde ein. Der erklärende Text giebt dem
Schnitzwerk den Titel des pLiebesbrunnens", der ohne Zweifel richtig ist,
ohne doch zugleich zur Erklärung der einzelnen Gestalten das Genügende
auszudrücken. Es ist ohne Zweifel eben ein Stückchen aus der phan-
tastischen Romantik jener Zeit, der gelegentlich auch Meister Albrecht
huldigte und deren unbefangene Erläuterung noch nicht überall vorliegt.
Kunstgeschichtliche Notizen vom Juni 1851.
■o-i
Bremen besitzt eine Anzahl von kirchlich mittelalterlichen Gebäuden,
die in mehrfacher Beziehung interessant sind und zu einigen eigenthüm-
lichen Beobachtungen Gelegenheit geben. Vornehmlich lassen sie eine un-
gemein lebhafte und auch im künstlerischen Sinne erfolgreiche Bauthätig-
keit erkennen-, welche hier in der letzten Zeit des sogenannten Uebergangs-
styles stattfand und sich, wie es scheint, in das zweite Viertel des drei-
zehnten Jahrhunderts zusammendrängt. Sie zeigen dann, am Schlüsse des
Mittelalters, ein nicht minder durchgehendes und allem Anscheine nach
sich ebenfalls gleichzeitig äusserndes Bedürfniss nach einer Umwandlung
der überkommenen kirchlichen Lokalitäten, das ohne Zweifel auf triftigen
40 ' Berichte uud Kritiken.
äusseren Gründen beruhte, das aber durchaus nicht mit einer ähnlich
künstlerischen Durchbildung Hand in Hand ging. In der That gehört der
Hauptbau oder die ursprüngliche Anlage fast sämmtlicher Kirchen jener
Epoche des Uebergangsstyles an, und hat bei der Mehrzahl von ihnen in
spätmittelalterlicher Zeit eine im künstlerischen Interesse nicht gar erbau-
liche Umwandelung stattgefunden. — In materieller Beziehung unterschei-
den sich die Hauptbauperioden des Mittelalters dadurch, dass zur Zeit des
romanischen und des Uebergangs-Styles an den bremischen Gebäuden
durchgehend Sandstein, zur Zeit des gothischen Styles durchgehend ge-
brannter Stein angewandt erscheint.
Am meisten Eigenthümliches, in den eben angedeuteten wie in andern
Beziehungen, hat der Dom. Zunächst darin, dass er, was bei keinem
andern der bremischen Gebäude der Fall ist, bedeutende Stücke einer
älteren, noch streng romanischen Anlage, — einer massigen Pfeilerbasilika
mit hohem Chor, unter dem letzteren eine ausgedehnte Krypta,
— bewahrt. Ohne Zweifel gehören die hlevon erhaltenen Theile
jenem Neubau des Domes an, welcher im Jahre 1043 begonnen
wurde und dessen festes Quaderwerk die Bewunderung der
Zeitgenossen ausmachte '). Zu diesen Theilen sind zunächst die
Arkaden des Mittelschiffes zu zählen, deren Pfeiler in ihrer
ursprünglichen Anlage, wie dies deutlich erkennbar ist, eine
einfach viereckige Form hatten, mit allereinfachsten schweren
Kömpffrgpsicns Kämpfer- und Fussgesimsen, welche nur aus einer grossen
der Pfeiler, platte Und einer kleineren Schmiege bestehen. Sodann die un-
^^ tere Anlage der Pfeiler in der Durchschneidung des Kreuzes,
von denen die gen Westen belegenen nach der Schilfseite
zu mit einem vortretenden Pflaster, die gen Osten belege-
nen mit einer Halbsäule versehen sind. Die Basis dieser
Halbsäulen hat eine schwere attische Form, durchaus nach
Py, streng romanischer Art. — Die Krypta ist durch eine reiche
Säulenstellung ausgezeichnet, die Säulen mit Würfelkapitä-
len. Die Deckglieder über den Kapitalen der ersten Säu-
lenpaare bestehen aus der Platte und
schrägen Schmiege, diese mit starkem
versetztem Stabwerk geschmückt. Die
Deckglieder der übrigen Kapitale haben
eine bewegtere Profilierung. Leider ist
diese Krypta, ein so ehrwürdiges und
in seiner Art eigenthümliches Baudenk-
mal sie ausmacht, zum gemeinen Frohn-
dienst herabgewürdigt. Sie dient als
Weinkeller; die Säulen sind mit Bret-
tern verschlagen, und das Ganze ist
wenig zugänglich und noch weniger
übersichtlich.
Busis der alten
Halbsäulen
(Oslseile d. Kreuzes.)
Mit dieser alten Anlage ist ein
umfassender Umbau vorgenommen, der
Vergl. hierüber, wie über die weiter niiten angeführten Daten, besonders
Fiorillo, Geschichte der zeichnenden Künste in Deutschland, II., S. 107 ff.
Bremen. Kunstgeschichtliche Notizen -vom Juni 1851. 641
entschieden den Charakter der letzten Entwickelungszeit des Uebergangs-
styles, mit durchaus vorherrschendem Spitzbogen, trägt und, den spä-
ter bei andern Kirchen anzuführenden Daten analog, jener Epoche des
zweiten Viertels des dreizehnten Jahrhunderts angehört. Doch hat dieser
Umbau zugleich sehr räthselhafte Eigenthümlichkeiten, zu deren vollkom-
mener Erläuterung spezielle lokalgeschichtliche Forschungen wünschens-
werth sein dürften; auch ist er, wenn gleich seinen Haupttheilen nach der
ebengenannten Epoche durchaus angehörig, doch in derselben, wie es
scheint, nicht ganz zu Ende gebracht worden; wenigstens sind die Gewölbe
zum Theil jünger, sowie offenbar auch wiederum einige spätere Verände-
rungen dabei statt gehabt haben.
Die alte, im elften Jahrhundert begonnene
Anlage, hatte, wie gesagt, die Basiliken-Dis-
position oder war jedenfalls auf eine solche
berechnet, — d. h. auf ein hohes Mittelschiff
mit niederen und schmalen Seitenschiffen. Die
erhaltenen alten Pfeilerarkaden entsprechen
der Höhe der letzteren. Diesen Arkaden wur-
den nunmehr, in der Uebergangsepoche, hin-
zugefügt: der Oberbau des Mittelschiffes
(wenigstens was die Gesammt - Erscheinung
seiner Seitenwände betrifft); ein den früheren
Verhältnissen entsprechendes schmales und
niedriges Seitenschiff auf der Südseite; ver-
muthlich ein ähnliches Seitenschiff auf der
Nordseite, das aber gegenwärtig, in höchst
auffallender Weise, wiederum anders disponirt
erscheint, indem' es ebenso hoch und auch
ungefähr so breit ist wie das Mittelschiff
sodann der Ausbau des Chores. Die alten
Arkadenpfeiler wurden dabei, an ihrer Vor-
der- und Hinterseite, mehrfach mit Halbsäu-
len und Pfeilerecken besetzt, welche an der
Wand des Mittelschiffes, das alte rohe Käm-
pfergesims durchschneidend, als Hauptgurt-
träger zum Gewölbe emporlaufen. Zugleich
erhielten diese Zusätze der Pfeiler, wesentlich
abweichend von der alten Basis der letzteren,
eine reiche, zum Theil in weichgeschwunge-
nen Profilen gebildete Fussgliederung, und die
Halbsäulen, tiber dieser Gliederung, eine ge-
schmackvoll profilirte attische Basis mit dem
bekannten Eekblatt über dem unteren Pfühl,
während die Kapitale dieser Halbsäulen mit
einem Blattwerk theils von spätromanischer,
theils von frühgermanischer Form geschmückt
41
') Nach A. Storck, „Ansichten der freien Hansestadt Bremen", gehört diese
Einrichtung einer um das J. 1502 stattgefundenen Bauverätiderung an. Jeden-
falls wurden hiebei die alten Baustücke wesentlich mitbenutzt.
Kngler, Kliiiie Schrificn. II,
-ocr page 641-642 ' Berichte uud Kritiken.
wurden. Gleichzeitig wurden über dem alten Mauerwerk der Pfeilerarkaden
Friese von kleinen Rundbögen und Gesimse, und wurde über diesen, zu
den Seiten jener Hauptgurtträger eine reiche Säulen- und Bogengliederung
(im Spitzbogen) angeordnet, welche an der Südseite des Mittelschilfes den
Einschluss der Fensterwandungen, an der Nordseite dagegen, nach dem
hohen nördlichen Seitenschiffe hin, ein offnes oberes Arkadengeschoss von
höchst eigenthümlicher Erscheinung bildet. — Von den Gewölben gehört
nur das des südlichen Seitenschiffes der Uebergangsperiode an, das, schon
spitzbogig, doch noch mit starken Bogenwulsten und mit Rippen in der
Form des Rundstabes versehen ist. Die Gewölbe des Mittelschiffes lassen
[4 dagegen bereits die Epoche des entwickelt gothischen Styles erkennen,
während die des nördlichen Seitenschiffes die späte Form eines zierlichen
Netzgewölbes haben. Andres, besonders die Fensler des nördlichen Sei-
tenschiffes betreffend, ist in spätmittelalterlicher Zeit verändert worden.
In Betreff des Chorschlusses ist noch zu bemerken, dass schon die ursprüng-
liche Anlage desselben der Uebergangsperiode angehört; er schliesst gerad-
linig ab und ist unterwärts mit drei flachen Nischen versehen.
Im Aeusseren des Domes ist besonders die Westseite von Bedeutung.
Sie hat zwei Thürme, von denen aber der südliche gegenwärtig nur noch
die Dachhöhe erreicht. Dieser ganze Bau ist spätromanisch, in seinen
oberen Theilen bestimmt wiederum in der Form des Uebergangsstyles. Das
Erdgeschoss ist in einer neueren Zeit mit einer vorspringenden Sandstein-
Architektur verblendet; hierin befindet sich, unter dem nördlichen Thurme,
ein dekorirtes Säulenportal von rundbogig romanischer Anlage, das sich
zum grössten Theil als Restauration eines älteren erkennen lässt und wirk-
lich alte Reste nur etwa in den romanisch ornamentirten Bogenwulsten
I zeigt. (Ein einfacheres rundbogiges Säulenportal auf der Nordseite der
Kirche scheint im Wesentlichen ebenfalls aus restaurirten Einzelheiten zu
bestehen.) Die nächsten Geschosse des nördlichen Thurmes, über diesem
■ Unterbau, sind mit rundbogigen, die oberen Geschosse desselben mit schmal
I spitzbogigen Fensterblenden, zum Theil auf Säulen, versehen. An dem
Zwischenbau zwischen den Thürmen sieht man oberwärts Wandarkaden
mit gebrochenen Spitzbögen, in der Form des Uebergangsstyles. Darin
befinden sich fünf kleine Statuen der klugen und thörichten Jungfrauen,
die eine sehr charakteristische, feinfaltige Behandlungsweise des frühgerma-
nischen Sculpturstyles zeigen, nicht ohne Gefühl gearbeitet und die ältere,
romanische Grundlage schon mit Leben erfüllend. Es ist möglich, dass
jene Wandarkaden ursprünglich oii'en waren und die Statuen eine andre
Bestimmung hatten.
Der Kreuzgang neben dem Dome ist eine Anlage aus gothischer Zeit,
in der einfachen Weise, wie solche in den Landen des Backsteinbaues sich
häufig findet. Doch ist zu bemerken, dass die in den Bogenöffnungen ent-
haltenen Säulchen, hievon abweichend, noch einen schlicht romanischen
Charakter tragen, mit schweren Basen und Kugelzierden an den unteren
Ecken derselben. Sie scheinen von einer älteren Anlage herzurühren.
An Denkmälern im Inneren des Domes sind die folgenden zu bemer-
ken: — Die auf der Westseite befindliche Orgelbühne mit zierlich sculp-
tirter Brüstung: eine elegant spätgothische Architektur mit Heiligen-
gestalten in Hautrelief, in der Mitte Karl der Grosse und der h. Anscha-
^ rius mit dem Dome, eine gute Arbeit der Zeit um 1500. — Eine Gedächt-
nisstafel vom Jahre 1529 mit der figurenreichen Darstellung des Christus
rs
Bremen. Kuiistgeschichtliche Notizen vom Juni 1851. 043
vor Pilatus in flachem Relief, eine gute, wenn auch handwerkliche Arbeit,
etwa im Charakter der damaligen westphälischen Kunst, wobei sich aber,
in dem Architektonischen wie im Einzelkostüm und in der Geberdung,
das Element der Renaissance schon geltend macht. — Eine gute Kopie von
Raphaels Kreuztragung über dem Hochaltar.
Zunächst dem Dome steht die Liebfrauenkirche, eine sehr klare
Anlage im spätromanischen Uebergangsstyl. Ursprünglich drei gleich hohe
Schilfe mit zweimal zwei Pfeilern, die, in der Grundform viereckig, mit
starken Halbsäulen und mit kleinen, in die Ecken eingelassenen Säulchen
versehen sind; die Kapitäle der Halbsäulen von schöner Bildung. Die
Gewölbe sind spitzbogig, mit Wulstbögen und Rippen. An der Nordseite
zwei rundbogige Portale mit weich profllirter Gliederung, das eine dersel-
ben verbaut. An der Westseite zwei Thürme mit einfachen Rundbogen-
friesen. — Der Chor ist gothisch, geradgeschlossen Die Gewölbgurte hier
im Birnenprofi], das auch in den Gurtträgerbündeln niederläuft In der
Ostwand des Chores ein reichgothisches Fenster. —• An der Südseite ist
in spätgothischer Zeit ein viertes Schiff, gleich hoch mit den andern,
angebaut.
Anschariuskirche, 1229 bis 1243 gebaut. Ursprünglich im reinen
Uebergangsstyl. Das Querschiff und das (nicht lange) Langschiff noch mit
den alten spitzbogigen Wulstrippen-Gewölben, die zum Theil kuppelartig
gebildet sind und deren Gurte dabei eine sternförmige Anordnung haben.
Die Pfeiler in der Durchschneidung des Kreuzes mit Pilastern und Eck-
säulchen. Die Seitenschiffe waren ursprünglich, wie aus bestimmten Spu-
ren noch zu erkennen ist, niedrig (und hatten somit auch die entsprechende
geringere Breite). Dies ist aber in spätgothischer Zeit verändert worden,
indem — augenscheinlich, um freieren Raum und mehr Licht zu gewin-
nen — andre Seitenschiffe von der Höhe und Breite des Mittelschiffes an-
und hinausgebaut wurden; wobei dann auch die ganze Pfeilerstellung des
Mittelschiffes, doch mit Beibehaltung der dazu nöthigen Theile, einer we-
sentlichen und rohen Veränderung unterworfen ward. — Auf der Westseite
ein Thurm mit einfach spitzbogigen Fensterblenden.
Stephanikirche. Ganz derselbe Fall, wie bei der Anschariuskirche.
Eine alte Anlage im spitzbogigen Uebergangsstyle, mit erhöhten und ver-
breiteten Seitenschiffen, wobei auch im Detail rohe Umwandlungen zu
Tage gekommen. An den alten Theilen zu bemerken, dass die gerade
Ostwand des Chores und die beiden Giebelwände des Querschiffes mit je
drei ursprünglich gänz einfachen spitzb'^ogigen Fenstern versehen sind. An
dem, sehr verbauten Thurme noch Rundbogenfriese.
Martinikirche, begonnen 1230. Auch hier völlig derselbe Fall.
Zu bemerken ist, dass die Kirche, schon in ihrer ursprünglichen Anlage,
länger ist, als die vorigen. Im Schiff wiederum die alten, sechslinigen
Wulstrippengewölbe, die (wie meist überall die hier vorkommenden Gewölbe
an Gebäuden der Uebergangszeit) eine Art Kuppeln mit gewölbten Kappen,
nicht eigentliche Kreuzgewölbe, bilden. — Der Chor dieser Kirche rührt
aus guter, ausgebildet gothischer Zeit her und gewährt für das Innere einen
erfreulichen Eindruck. Er ist fünfseitig (in den fünf Seiten eines Zwölf-
ecks) geschlossen, mit schmalen Fenstern versehen und mit Gurtträgersäul-
chen zwischen den letzteren, die ein zierlich gebMdetes Gurtengewölbe
tragen. — Die mit der Kirche in spätgothischer Zeit vorgenommenen Ver-
G44 Berichte nnd Kritiken.
änderungen sind roh, die Fenster der Seitenschiffe z, B. von charakterlos
flacher Profilirung.
Die Johanniskirche ist jünger als die vorgenannten Gebäude. Sie
ist ein Bau aus einem Guss, der mittleren gothischen Epoche angehörig,
in guten Verhältnissen aufgeführt, doch ohne ein feineres Gefühl in der
Durchbildung zu verrathen. Sie trägt den allgemeinen Charakter der
Kirchen des Backsteinbaues, ehe dieser seiner Vernüchterung unterlag. Die
Schiife sind gleich hoch, die Pfeiler mit Gurtträgersäulchen versehen, die
zum Theil einfache Kelchkapitäle haben.
Das Rathhaus, 1405—1410 gebaut, trägt dieser Bauzeit entsprechend
an seinen alten Theilen, den auf den Seiten erhaltenen Thüren und Fen-
stern, den später gothischen Charakter. Es ist aber nicht sowohl hiedurch,
als vielmehr durch den zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts vorgenom-
menen Umbau, der alle Pracht des späteren Renaissancestyles über dies
Gebäude ergoss, für die deutsche Baugeschichte von vorzüglich ausgezeich-
neter Bedeutung. Die volle plastische Wirkung dieser ganzen Renais-
sancedecoration ist es besonders, was auf das Entschiedenste anerkannt
werden muss; dies gilt namentlich auch von dem phantastisch-dekorativen
Element des daran enthaltenen Figürlichen, z. B. von der Nixen- und
Tritonen-Wirthschaft auf beiden Seiten der Galleriebrüstung, während die
selbständiger allegorischen Sculpturen allerdings weniger genügen. —
Eigenthümlichen Eindruck gewährt auch die weite Diele im Obergeschoss
des Inneren, von Giebel zu Giebel reichend und nur auf der einen Lang-
seite durch schmale Gemächer beschränkt. Das Täfelwerk der Decke war
reich bemalt. Den Fenstern gegenüber prangten ein Paar grosse "Wand-
gemälde — das eine davon, Karl der Grosse und St. Anschar mit dem
Modelle des Domes, ein ganz gutes Werk noch aus der früheren Zeit des
sechzehnten Jahrhunderts, das jedoch später renovirt ist. Der breite Erker,
der nach aussen in der Pracht der Renaissanceformen vortritt, ist im Inneren
unterwärts durch einen verschlossenen Raum und darüber durch eine Tri-
büne ausgefüllt; hier und namentlich an der seitwärts zur letzteren empor-
führenden Treppe, ist Alles mit brillantem Schnitzwerk derselben Epoche
versehen.
Im Aeusseren des Rathhauses sind noch die zwischen den Fenstern
desselben befindlichen, von dem alten Bau herrührenden Statuen anzumer-
ken, die in herkijmmlich germanischer Weise mit wirkungsreicher, ob auch
nicht minder handwerklicher Anordnung des Faltenwurfes behandelt sind.
Die mächtige Kolossalstatue des grossen Roland vor dem Ralhhause
trägt nur das roh handwerkliche Gepräge des germanischen Styles.
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645
L'architecture du Vme au XVIme siöcle et les arts etc.
L'architecture du V"»« au XVI®« sifecle et les arts, qui en d(5-
pendent: la sculpture, la peinture murale, la peinture sur verre, la
mosaique, la ferronnerie etc., -publiös d'aprfes les travaux inddits des
principaux architectes fran^ais et ^trangers par Jules Gailhabaud.
Paris, Gide^ et Baudry. 1851. (4°) Für Deutschland durch R. und T. 0.
Weigel in Leipzig zu beziehen.
CD. Kunstbl. 1851, No. 31.)
Ein höchst umfassendes Unternehmen von Jules Gailhabaud ist kaum
geschlossen, und schon liegt ein zweites, auf dieselbe Ausdehnung berech-
net, in einer Reihe von Lieferungen vor uns. Jenes führte den Titel:
„Monuments andern et modernes etc., collection, formant une histoire de
Varchitecture des differents peuples ä toutes les epoques^ und erschien
gleichzeitig, als „Denkmäler der Baukunst aller Zeiten und Länder" auch
in deutscher Ausgabe, bis Lieferung 34 von dem Unterzeichneten, von da
ab bis zum Schlüsse, an dem in dieser Ausgabe nur noch Lief. 199 und
200 fehlen, von L. Lohde herausgegeben. Das beste Zeugniss von dem
Beifall, den das erste Unternehmen gefunden hat, liegt in dem Erscheinen
des zweiten. Es führt den in der Ueberschrift angegebenen Titel und
schliesst sich hienach, wenn auch in etwas modificirter Richtung, dem
ersten nahe an. Es beschränkt sich, statt der dort befolgten allgemein
geschichtlichen Tendenz, auf die Denkmäler des Mittelalters und der Re-
naissance, wendet gleichzeitig aber eine grössere Aufmerksamkeit den Denk-
mälern auch derjenigen Künste zu, welche mit der Architektur in näherer
Verbindung stehen. Die äussere Einrichtung ist zunächst völlig die des
ersten Unternehmens; dasselbe Format, dasselbe Lieferungs-Verhältniss (je
zwei Kupfertafeln mit erläuterndem Text), dieselbe geschmackvolle, einem
möglichst klaren Verständniss gewidmete Sauberkeit des Stiches, dieselbe
Weise der beigefügten Erläuterungen; nur tritt gelegentlich, zur mehr
charakteristischen Veranschaulichung, eleganter Farbendruck an die Stelle
des Stiches.
Sechzehn Lieferungen liegen uns von dem neuen Unternehmen vor.
Was sie an architektonischen Mittheilungen bringen, entspricht, im Ein-
schluss der eben angedeuteten Bedingungen, denen des ersten Werkes.
Vorzüglich reich ist diesmal Spanien bedacht. In Granada lernen wir ein
bisher unbekannt gebliebenes maurisches Gebäude,, ein Hospital, als Hof
mit einem Wasserbecken und Hallen umher angelegt, kennen. Aus Girona,
aus Segovia, aus Burgos werden uns interessante Denkmäler vorgeführt,
im streng romanischen, maurisirend gothischen und italienisch modernen
Style. Die Beispiele aus Frankreich reichen ebenso von alterthümlich
romanischer Zeit bis in die des eleganten spätgothischen Fachwerkbaues.
Den Bauweisen andrer Länder sind bis jetzt nur ein Paar Blätter gewidmet.
Für die Denkmäler dekorativer Kunst ist zunächst ein frühmittelalter-
liches Gitterthor der Basilika zu Bethlehem, schwerfällig und in schweren
Formen in Bronze gearbeitet, zu bemerken. In leicht spielenden Formen
stehen demselben ein Paar andre, spätmittelalterliche Gitterthore zu Rouen
gegenüber. Aus dem Regensburger Dome sehen wir den noch immer un-
erschöpften geweihten Brunnen, der im Innern der Kirche befindlich ist,
idäi
-ocr page 645-046 ' Berichte uud Kritiken.
dargestellt. Aus Assisi die in der Oberkirche von S, Francesco befind-
liche Steinkanzel, die, selber bunt, sammt der ganzen, den arcMtektoniscben
Formen nicht allzu günstigen Buntfarbigkeit ihrer Umgebung, in farbigem
Drucke dargestellt ist, Mehrere italienische Kandelaber und der Taufstein
der Kathedrale von Girona bringen eine Anschauung üppiger Renaissance-
Dekoration, während England bunte (und zwar ebenfalls bunt gedruckte)
Fliesen, vom Fussboden der Abteikirche von Malvern, beigesteuert hat.
Die derSculptur gewidmeten Blätter enthalten Gegenstände, welche für
die nähere kunstgeschichtliche Betrachtung nicht unwichtig sind. So zu-
nächst den, an seiner Vorderseite mit Reliefs versehenen Altar des Bapti-
steriuras zu Asti, in Ober-Italien: eine grosse sitzende Christusfigur in der
Mitte und acht kleine Heiligenfiguren zu den Seiten. Die Arbeit scheint
der Zeit zunächst vor Nicola Pisano anzugehören und dürfte, falls die
Motive derselben im Stich nicht feiner ausgefallen sein sollten als beim
Original, selbst schon einen Zeitgenossen dieses Meisters bezeichnen. Bei
einem noch wenig entwickelten Gesammtgefühl für Form und Körper-
Verhältniss und bei grösserem Festhalten an dem Ueberlieferten machen
sich hier nemlich doch schon feingefühlte Einzelmotive bemerklich. —
Eine Darstellung der Kanzel von S. Giovanni zu Pistoja, deren Sculpturen
der Nachfolge des N. Pisano angehören, giebt vorzugsweise das Bild der
dekorativen Gesammt-Anordnung und gestattet über die Sculpturen noch
kein sonderliches Urtheil. — Die Reliefsculptur des Altares der Kirche zu
Avenas in Frankreich bewegt sich noch ganz In den alten roh romanischen
Elementen. — Als höchst interessant dagegen und als eine wesentliche
Bereicherung unsres kunsthistorischen Materials müssen die Darstellungen
einiger der Sculpturen bezeichnet werden, die sich an dem Nordportal
der Kathedrale von Chartres befinden und von denen wir bis jetzt nur
erst ungenügende Nachbildungen bei Willemin besassen. Der germanische
Sculpturstyl zeigt sich hier allerdings (den architektonischen Elementen
der Kathedrale entsprechend) noch ganz in seiner primitiven Strenge; es
ist noch eine gewisse fast starre Würde in diesen Gestalten; aber die
feinfaltige Gewandung ist dabei gleichwohl bereits mit gutem Verständniss
geordnet und auch, wie es scheint, bis auf einen gewissen Grad durch-
gebildet; der Ausdruck feierlicher Stille in den, zwar etwas conventio-
nell gebildeten Köpfen bezeichnet nicht minder eine selbständig thätige
künstlerische Richtung. Die Baldachine über den Köpfen der Statuen sind
ganz denen der frühgermanischen Statuen an den Domen zu Bamberg und
Naumburg ähnlich, als deren Vorgänger jene zu betrachten sind >).
Das conventiouelle Element in den Gesichtsbildungen der Statuen von
Chartres erscheint charakteristisch französisch und entspricht selbst der eigen-
thiiinlicheii Bildungsweise, die man in später-französischen, unter dem Einfluss
der flandrischen Kunst gefertigten Miniaturen walirniramt. Einige andre Köpfe
au der Kathedrale -von Chartres hat Hr. Mörim^e, der General-Inspector der histo-
rischen Denkmäler in Frankreich, formen lassen. Von diesen besitze ich einen
Abguss. Daran betindliches Ornament deutet hier noch bestimmt auf den Cha-
rakter der Uebergangsperiode. Dabei aber ist in dem Kopfe bereits, bis auf einen
gewissen Grad, eine so lebenvolle Weichheit, eine so edle, von dem Couventio-
nellen zugleich schon so gereinigte Individualität, dass man weit eher geneigt
sein würde, die Arbeit etwa der griechisch-asiatischen Kunst des klassischen
Alterthums, als — nach den bisherigen Erfahrungen —■ der angedeuteten Periode
des Mittelalters zuzuschreiben. Und doch ist sie ein Werk der letzteren.
Kloster Vessra, im Hennebergischen. 647
Zwei Blätter endlich, farbig gedruckt, führen uns Glasmalereien vor;
das eine eine unerquickliche, zum Theil verflickte germanische Darstellung
aus der Kathedrale von Chartres; das andre eine entsetzensvoll barbarische
byzantinische Madonnenfigur aus der Kirche Ste, Trinitö zu Vendorae. Es
hat sich in Frankreich heuer eine gewisse mittelalterliche Archäomanie
entwickelt, der wir das Vergnügen an diesen Darstellungen, über die wir
auch geschichtlich gern so schnell wie möglich hinwegeilen, bereitwilligst
überlassen.
Im Uebrigen wird es eben Sache des hiemit in flüchtiger Uebersicht
charakterisirten neuen Unternehmens sein, sich denselben Beifall zu sichern,
der dem ersten zu Theil geworden.
Kloster Vessra, im Hennebergischen.
Reisenotiz vom August 1851.
Kirche romanischen Styles. Pfeiler-Basilika von bedeutenden Ver-
hältnissen. Hohe viereckige Pfeilier; die Deckgesimse derselben meist aus
den Gliedern der umgekehrten attischen Basis oder ähnlich componirten
Gliedern bestehend, oder aus einer grossen schrägen Schmiege mit ver-
setztem Stabwerk; die Basis in gewöhnlicher Weise roh attisch. — Das
vom Querschilf Oestliche, Absiden u. dergl:, ist abgerissen; die Oeffnungen
sind zugebaut. — An der Westseite zwei viereckige Thürme, zwischen
denen eine offene. Vorhalle befindlich. In der Tiefe der letzteren ein rund-
bogiges Portal, reich mit Säulen und ornamentirten Bögen. Die Vorhalle
selbst minder tief als breit; die Seitenwände, dementsprechend, mit spitzen
Stirnbögen; die Kreuzgewölbe der Halle mit dicken Wulstrippen, an denen
schon eine leise Neigung zum Birnenprofil ersichtlich wird. Oberwärts am
Zwischenbau eine rundbogige Wandarkade. An den beiden unteren Ge-
schossen der Thürme Rundbogenfriese; im dritten Geschoss spitzbogige
Fensterblenden, in deren Spitzbögen sich eine Art Rundbogenfriese unge-
schickt hinaufziehen. Der Eindruck des Ganzen in etwas barbarisirt, wie
mehrfach bei Architekturen der Zeit, die in Gegenden befindlich sind,
welche von den allgemeinen Culturbewegungen mehr abgetrennt sein mochten.
Das Kloster, eine königlich preussische Domaine, dient gegenwärtig
als Hof einer Laudwirthschaft, die Kirche als Scheune. Die zum letzteren
Behuf getroffenen Einrichtungen sind jedoch der Art, dass, wie es scheint,
dem alten Bau und seinen Einzeltheilen daraus keine Gefahr erwächst.
Der Eingang der Vorhalle ist halb verbaut.
648 ' Berichte uud Kritiken.
lieber die Bronzen von Römhild und ihre Beziehung zu Peter
(D. Kunstbl. 1851, No. 51.)
RÖmtiilcl liegt am Fuss der beiden Gleichberge, der Doppelwarte zwi-
schen Thüringen und Franken, in lachend fruchtbarer Gegend, die sie die
Kornkammer des Meiningischen Landes nennen. Noch hat es seine statt-
lichen Zeugnisse aus den Glanzzeiten der alten Henneberger, das Schloss,
das die Glücksburg genannt ward, mit Erkern, Thürmen, Wendeltreppen,
Giebelzinnen u. s. w., und die schöne gothische Stiftskirche. Die letztere
ist von 1450 bis 1470 durch einen Meister Albertus erbaut; sie gehört
somit der späteren Zeit des gothischen Styles an, aber sie zeigt die Formen
desselben durchweg noch, im Ganzen wie im Einzelnen, wohlgebildet und
in ansprechender Fassung. Eigenthümlich ist die Einrichtung im west-
lichen Theil der Kirche; dieser ist, dem gewöhnlichen und auch hier
vorhandenen östlichen Chorschlusse entsprechend, ebenfalls in der Weise
eines Chores behandelt und durch eine, von sechs zierlichen Pfeilern und
gothischen Kreuzgewölben getragene Tribüne ausgefüllt. Vermuthlich war
die letztere, auf der sich gegenwärtig die Orgel befindet, ursprünglich für
die Familie und den Hofstaat der Landesherrschaft bestimmt. Dem Innern
der Kirche wäre eine maassvolle Erneuung im Sinne der alten Anlage
wohl zu wünschen.
Die Kirche besitzt eine Anzahl von Grabsteinen des Hennebergischen
Hauses, deren Bildnissgestalten, wenn sie auch in künstlerischer Beziehung
nicht eben eine ausgezeichnete Bedeutung haben, doch für Kostüm- und
Personalgeschichte gewiss nicht unwichtig sind. Von höchster künstlerischer
Bedeutung aber sind zwei bronzene Grabdenkmäler, demselben fürstlichen
Geschlechte angehörig, die sich in der Taufkapelle an der Südseite der
Kirche befinden. Sie haben in jüngster Zeit schon mehrfach die Aufmerk-
samkeit der Freunde der vaterländischen Kunstgeschichte in Anspruch ge-
nommen. Ich erlaube mir, einige Bemerkungen über sie, wie sich mir
dieselben kürzlich bei einem Besuche in Römhild und bei sorglicher Be-
trachtung dieser Werke ergeben haben, zur weiteren Prüfung vorzulegen.
Das Verdienst, uns zuerst näher mit diesen Denkmälern bekannt ge-
macht zu haben, gebührt A, W. Döbner. Er hat ihnen ein besondres
Werk gewidmet, welches, mit Abbildungen versehen, eine Beschreibung
ihrer ganzen Beschaffenheit, die Erläuterung ihres Inhaltes und Alles, was
von geschichtlichen Nachweisen beizubringen war, enthält:
ehernen Denkmale Hennebergischer Grafen von Peter Vischer in der
Stiftskirche zu Römhild. Gezeichnet und beschrieben von A. W. Döbner,
herzogl. Sachs. Landbaumeister. Heransgegeben von dem Hennebergischen
alterthumsforschenden Verein zu Meiningen. München 1840". (16 Seiten
Text und 5 Blatt ümrisstafeln In Fol.)
Döbner entscheidet sich mit Zuversicht dafür, beide Arbeiten, wie bereits
der Titel seiner Schrift angiebt, für Werke Peter V ischer's zu erklären.
C. Heideloff, im ersten Bande seiner Ornamentik des Mittelalters, S. 29 fl"..
hat sodann die Behauptung aufgestellt, in einem grossen Thcile von P.
Ueber die Bronzen von Römbild und ihre Beziehung zu Peter Vischer, 649
Vischer's Kunstthätigkeit komme das eigentlich künstlerische Verdienst dem
Veit Stoss zu; dieser habe jenem eine erhebliche Anzahl von Modellen
geliefert und P. Vischer habe mithin bei der Ausführung derselben nur
das handwerkliche Verdienst des Gusses. Zu den hieher bezüglichen "Wer-
ken rechnet HeidelofF namentlich auch die Römhilder Denkmäler, in denen
er Veit Stessens Geist und Manier unwiderleglich erkannt haben will.
Dagegen ist Döbner im Kunstblatt 1846, No. 11, aufgetreten, indem er
nachweist, auf wie willkürlichen Annahmen die Behauptung des Gegners
beruhe. Andrerseits hat wiederum G. K. Nagler, im Kunstblatt 1847,
No. 36, Heideloff's Auffassung, wenigstens in allgemeiner Beziehung, ver-
treten und dies auch in den Artikeln seines Künstler-Lexikons über V.
Stoss und P. Vischer gethan.
Wenden wir uns nunmehr zu den Denkmälern selbst. Das vorzüg-
lichst bedeutende ist dasjenige, welches dem Grafen Hermann VIIL (gest.
1535) und seiner Gemahlin Elisabeth, einer Tochter des Kurfürsten Albrecht
Achilles von Brandenburg (gest. 1507) errichtet ist. Döbner hat aus posi-
tiven äusseren Gründen, die vollkommen triftig sind, nachgewiesen, dass
dasselbe nicht erst nach dem Tode des Grafen, sondern zwischen den
Jahren 1507 und 1510 gefertigt ist. Es hat die gewöhnliche sarkophag-
artige Form, auf sechs Füssen ruhend, die von eben so viel liegenden
Löwen getragen werden. Auf dem Deckel sind die grossen Gestalten des
fürstlichen Ehepaares in starkem Relief enthalten; über den Ecken des-
selben die freistehenden kleinen Gestalten der Evangelistensymbole. An
den Seitenwänden rundbogig gothische Nischen mit den Ahnenwappen des
Fürstenpaares; dazwischen und an den Ecken Statuetten von Heiligen unter
kleinen Tabernakeln, im Ganzen zehn.
Zunächst ist zu bemerken, dass alles Architektonische und Ornamen-
tistische an diesem Denkmal ganz vortrefflich ist; namentlich auch sind die
Darstellungen sämmtlicher Wappenschilder im besten Styl. Nur die sechs
Löwen, auf denen das Ganze ruht, sind von roher Behandlung. — Eine
vorzüglich gediegene Bildnerhand ist an den beiden Hauptgestalten des
Deckels wahrzunehmen. Beide erscheinen im Gepräge edelster Naivetät.
Bei der Dame zeigt sich eine Auffassung etwa nach Nürnbergischer Art,
namentlich auch in der Anlage des Faltenwurfes; doch ist der letztere
durchaus fern von all und jedem manierirt Eckigen. Ihr Gesicht, fein,
durchgebildet, hat eine wahrhaft klassische Reinheit und Grazie, und zwar
der Art, dass man sieht, es war dem Meister viel weniger um ein schar-
fes Individualisiren (geschweige denn in der schneidenden Manier, wie' es
die Nürnberger jener Zeit lieben), als um ein gewisses Generalisiren der
Form zu thun. Dies ist auch bei den Händen der Dame ersichtlich. Der
Graf ist völlig gepanzert, so dass als Nacktes nur der Theil des Gesichtes,
den das aufgeschlagene Helmvisir enthüllt hat, sichtbar wird. Die Behandlung
desselben ist dem Gesicht der Dame ähnlich; aber bei dem Bestreben, hier
doch etwas mehr zu individualisiren, hat sein Gesicht ein wenig mehr
Herbigkeit und Starrheit erhalten. Die ganze Rüstung des Grafen ist mit
sorglichstem Fleiss und Verständniss gearbeitet. In seiner Linken hält er
eine Lanze mit langem Fahnentuch, das sich durch einen spielend leicht
bewegten Faltenwurf, ebenfalls frei von allen eckig geknitterten Brüchen,
auszeichnet. Ersteht, nach altüblicher Weise, auf einem Löwen, die Gräfin
auf einem Hunde; beide Thiere erscheinen mit Absicht conventioneil be-
handelt. Jedenfalls ist das Relief des Deckels nach alledem als eine der
650 ' Berichte uud Kritiken.
f
schätzbarsten Arbeiten deutsch-mittelalterlicher Bildnerei zu betrachten.
Auffallend ist dabei nur Eins. Die Gestalten stehen unter einem gebro-
chenen Bogen, in dessen Füllungen auf jeder Seite zwei sehr kleine nackte
Kindergestalten, in verschiedenartigsten Stellungen, angebracht sind. Dies
sind widerwärtige, zwergartige Wesen; sie bilden einen schneidenden Con-
trast gegen den Adel des Hauptwerkes; aber sie haben andrerseits, eine
gewisse ferne Aehnlichkeit mit den Kinderfiguren, die sich an Yischer's
Sebaldusgrab zu Nürnberg befinden und in denen freilich, wie viel bedeu-
tender diese auch sind, doch ebenfalls nicht die Hauptschöuheit des letz-
teren Werkes beruht. — Noch ist, in Betreff der Figuren der Evange-
listensymbole auf den Ecken des Deckels, zu erwähnen, dass sich bei dem
Ochsen, dem Symbole des Lucas, ein gewisser Grad von Naturbeobachtung
kundgiebt, während der Adler ziemlich entschieden conventionell gehalten
ist und der Engel als eine leidlich gute Dekorationsflgur, im Style etwas
minder streng als die Arbeiten des Adam Kraft, gelten kann.
Die Statuetten an den Seiten des Sarkophages sind ebenfalls nicht von
erheblichem Kunstwerthe, dabei indess merkwürdig durch mancherlei Styl-
verschiedenheit, die an ihnen wahrzunehmen ist und die, rücksichtlich der
Modelle, nach welchen der Guss gefertigt wurde, auf verschiedene Hände
schliessen lässt. Vorherrschend ist ein eigenthümlicher Styl, in dem sich
einige Aehnlichkeiten mit dem Styl der Apostelfiguren an dem Nürnberger
Sebaldusgrabe kundgeben; die Gewänder der Figuren sind langfaltig be-
handelt, doch zugleich mehr oder weniger fest um den Körper gelegt, die
einzelnen Gewandpartieen rundlich gezogen und stumpf wulstig gebildet.
Die Gesichter und die sonstigen kleinen nackten Theile der Figuren sind
unlebendig starr. Unter den hieher gehörigen Statuetten entspricht denen
des Sebaldusgrabes am meisten die des h. Christopherus; das Christkind,
welches er auf der Schulter trägt, erinnert dabei wieder an jene kleinen
Kobolde in den obern Eckfüllungen des Deckels. — Völlig entgegengesetzt
'hievon ist eine andre Statuette behandelt, die des Jacobus major, der in
' der gewöhnlichen Nürnbergischen Manier jener Zeit, mit eckigem Falten-
bruch, nach der Weise des A. Kraft, erscheint. An den Statuetten der
Maria mit dem Kinde, des h. Melchior und Balthasar (die Anbetung der
i- Könige ist in einzelnen Figuren dem Cyclus der Statuetten eingereiht) zeigt
sich diese selbe Weise, doch um Einiges ermässigt.
\
f
Am unteren Rande des Deckels findet sich an einer Stelle mit kleinen
Buchstaben leicht eingravirt: MF, und an einer andern: WS15C. Döbner
hält dafür, dass diese Zeichen (mit Auflösung des W in zwei V) zu lesen
seien: „Meister Fischer, und V Söhne, 15 Centner". Abgesehen von dem
Allzugewagten in dieser Erklärung des W S, halte ich indess auch das MF
nicht für ein Vischer'sches Monogramm, überhaupt nicht für die Bezeich-
nung des Meisters. P. Vischer würde bestimmt die Bezeichnung des Vor-
namens mit aufgenommen und ganz entschieden w^ürde der Meister — wie
überall in jener Zeit und überall bei P. Vischer's namhaften Werken —
sein Monogramm, wenn vielleicht auch an bescheidener Stelle, doch in
derjenigen charakteristischen und entschiedenen Weise hingesetzt haben,
die dem künstlerischen Selbstbewusstsein entsprechend gewesen wäre. Jene
Buchstaben, wenn auch wohl alt, sind zu leicht, mit zu geringer Ausbil-
dung an den Rand gravirt, als dass es mir irgend statthaft erschiene, sie
für ein Künstlerzeichen zu nehmen. Ein solchem ist also, nach meinem
Dafürhalten, nicht vorhanden.
\
s
t-
t
•t
Ueber die Bronzen von liömhild und ihre Beziehung zu Peter Vischer. 651
Die Gründe, die Döbner sonst für den Vischer'schen Ursprung des
Werkes geltend macht, sind ebenfalls äussere; die Sache erscheint hienach
eben nur als möglich. Die «Hauptsache bleibt, in diesem Betracht, der
grosse. Ruf der Vischer'schen Giessstätte, die ihre Werke zum Theil in
ansehnliche Ferne sandte, also bei jler nicht sehr erheblichen Entfernung
Römhilds von Nürnberg jedenfalls wohl zunächst in Betracht kommen
musste. — Die Gründe, die Heideloff für den Stossischen Ursprung der
Modelle, wie zu andern Vischer'schen Güssen, so zu den ßömhilder Denk-
mälern beibringt, sind eben auch sehr allgemeine; mit den Paar apodikti-
schen Worten von „Geist und Manier" reicht man indess, in einem Fall
wie dieser, nicht wohl aus; vielmehr hätte dabei vorerst die Stylverwandt-
schaft mit genauem Eingehen auf das Einzelne und in wirklich überzeu-
gender Weise dargelegt werden sollen. Und auch über ein Andres noch
hätte man sich zu erklären: wie es nämlich gekommen, dass P. Vischer
auf so vielen Werken sich fremder Ehren angemaasst und dass seine Zeit-
genossen dies dreissig Jahre lang sonder alle Rüge hingenommen? Denn
so schreibt er auf das Grabdenkmal des Erzbischofes Ernst zu Magdeburg
vom Jahre 1495 und auf das des Bischofes Johann zu Breslau vom Jahre
1496: „Gemacht zu Nürnberg von mir Peter Fischer". So nennt er sich
am Nürnberger Sebaldusgrabe schon im Jahre 1508 und 1509 als den, der
das Werk gemacht und gegossen habe, und fügt 1519, am Schlüsse der
Arbeit hinzu: „Peter Vischer, Bürger zu Nürnberg, machet das Werk mit
seinen Söhnen". So setzt er auf die Tucher'sche Gedächtniastafel im Regens-
burger Dome vom Jahre 1521, so auf das Relief der Kreuzabnahme in der
Aegydienkirche zu Nürnberg -vom Jahre 1522 sein P. V. So bezeichnet
er das Denkmal des Kardinals Albrecht von Brandenburg in der Stiftskirche
zu Aschaifenburg vom Jahre 1525, so, das des Kurfürsten Friedrich des
Weisen in der Schlosskirche zu Wittenberg vom Jahre 1527 als „Opus
M. Petri Fischer". Oder wäre er wirklich so albern eitel gewesen, zu
meinen, dass bei einem Kunstwerke der Erfinder und Bildner nichts, und
der, welcher demselben mit rein handwerklichen Mitteln die Dauer gegeben,
Alles sei? Und wären seine Zeitgenossen, die Erfinder seiner Werke mit
eingeschlossen, soviel alberner gewesen, ihm das zu glauben? — Ich glaube
dies nicht und halte vielmehr'dafür: dass, solange nicht in vollständig
actenmässiger Weise das Gegentheil dargethan ist, die Ehre seiner monu-
mentalen Inschriften nicht angetastet werde und dass die Werke, die seinen
Namen als den des Urhebers tragen, sein unverkümmertes Eigenthum bleiben.
Heideloff freilich sagt, dass man nur, wenn man sein e Behauptung annehme,
die Stylverschiedenheit in P. Vischer's Werken zu begreifen im Stande sei.
Meines Erachtens giebt es dazu einen viel klareren und viel mehr im inne-
ren Wesen der Kunst beruhenden Weg, den nämlich, dass man der Eiit-
Wickelung des künstlerischen Geistes folge. Bei Peter Vischer wiederholt
sich eben nur, was bei vielen andern Künstlern, zumal jener bewegten
Zeit, stattgefunden hat; er entwickelt sich von befangenen zu freieren, von
überkommenen zu selbständigeren Darstellungsformen. In den Werken,
die dem Sebaldusgrabe vorausgehen, folgt er dem zeitüblichen Style, wie
dieser besonders bei Adam Kraft ausgebildet war. In der Zeit des Sebaldus-
grabes, das er „mit seinen. Söhnen" arbeitete, macht sich die grosse
Umwandlung der künstlerischen Richtung geltend, in^ welcher dem mehr
modernen Bewusstsein durch'Elemente, die das alteinheimische und noch
in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in der Vischer'schen Giesshütle
652 ' Berichte uud Kritiken.
gültige Element wieder aufnehmen und darin den angemessensten Boden,
für das classische Anforderniss der Zeit gewinnen, zu genügen gestrebt
wird 1). In den späteren Werken endlich erblicken wir einen vollständig
entwickelten Adel des Styles, welcher in so merkwürdiger Weise auf der
Verbindung freier Classicität und ungebrochener heimischer Gefühlsweise
beruht.
Wie sehr ich indess Peter Vischer's künstlerische Selbständigkeit
zu vertreten geneigt bin, so verkenne ich dabei doch keinesweges die
handwerkliche Seite seines Betriebes. Es liegt auf der Hand, dass
seine, schon von den "Vorfahren her bestehende und gesuchte Giesshütte
sich zunächst als solche erhalten musste, dass Fälle genug eintreten konn-
ten, wo man doch Anforderungen von mehr handwerklicher Natur an ihn
stellte, dass man ihm Entwürfe, Modelle und dergl. brachte und dann —
nicht von ihm persönlich, dem erfindenden Künstler, ~ sondern von dem
Meister der Giesshütte die Herstellung derselben in Metall forderte. Wie
leicht denkbar z. B. ist es, dass ihm für Bildnissdarstellungen auswärtiger,
entfernt wohnender Personen (etwa für deren Denkmal) das Bildniss in
der Zeichnung oder im ausgeführten Modell, geliefert und ihm allenfalls
nur überlassen wurde, das erforderliche dekorative Arrangement beschaffen
zu lassen ! Mochte nun durch ihn selbst oder durch die Gehülfen in sei-
ner Hütte des Eigeue'n zur vollendeten Einrichtung des Werkes weniger
oder mehr hinzugefügt sein, so entstanden in solcher Weise wohl Werke,
die es sich nicht ziemte mit dem Namen oder dem Monogramm des Meisters
der Hütte zu versehen; und so in der That denke ich mir den Ursprung
jener Werke, die man sonst wohl der Vischer'schen Werkstatt zuschreibt.
Von dem Grabdenkmal des Bischofes Georg H. im Bamberger Dome, das
die Reliefflgur des geistlichen Herrn enthält, wissen wir urkundlich,
dass dasselbe durch P. Vischer geliefert wurde, indem ihm um die Zeit
von 1505—1506 die Zahlung zu Theil ward; aber eben so urkundlich
wissen wir, dass die Zeichnung dazu von dem Bamberger Maler Wolf-
gang K atz heimer herrührte. (Vergl. Heller, Beschreibung der bischöf-
lichen Grabdenkmäler in der Domkirche zu Bamberg, S. 32.) Und der
Meister hat es nicht für thunlich gehalten, seinen Namen oder sein Zeichen
darauf anzubringen
1) Vergl. darüber meinen Aufsatz im Museum, 1837, No. 5. (Kl. Sehr,, I,
S. 455, f.) — Heideloff hat in seiner Ornamentik des Mittelalters einen älte-
ren, dem V. Stoss zugeschriebenen Riss zum Sebaldusgrabe beigebracht. Dieser
beweist aber für P. Vischer's Abhängigkeit von ihm gar nichts, da das ausge-
aü führte Sebaldusgrab des letzteren eben ein ganz andres Werk ist.
{ Aehnlich erscheint auch das Verhältuiss bei Beschaffung der Bronzetafel,
-welche sich im Dom zu Schwerin, än der Rückwaiid des Altares, befindet und
das Epitaphium der im J. 1524 verstorbenen Herzogin Helene bildet, übrigens
aber nur Wappen und Inschrift nebst architektonischer und dekorativer Umgebung
enthält. Lisch hat dieser Arbeit im dritten Jahrgang der „Jahrbücher des Ver-
eins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde", Schwerin 1838,
S. 159, erwähnt und durch Beibringung eines Briefes von^ Peter Vischer vom
J. 1529 ziemlich ausser Zweifel gestellt, dass sie von diesem geliefert wurde.
Aber er selbst bemerkt, dass trotz der Vollkommenheit des Gusses die Model-
iirung in manchen Theilon minder edel sei als sonst bei P. Vischer's Werken
und dass auch Künstler, die das Werk besichtigt, die strenge Reinheit seines Styles
nicht überall darin wieder gefunden hätten. Dem entspricht zugleich die ganze
Fassung jenes, an den Herzog Heinrich von Mecklenburg gerichteten Briefes, in
Ueber die BroDzen von Römhild und ihre Beziehung zu Peter Vischer. 653
In ähnlicher Weise nun ist meiner Ansicht nach das besprochene Röm-
hilder Denkmal entstanden. Ein Produkt der Vischer'schen Giesshütte ist
es höchst wahrscheinlich; dafür spricht der schon angedeutete Umstand,
dass es schwer sein dürfte, zu jener Zeit eine andre technische Werkstatt
nachzuweisen, in der dasselbe zu beschaffen gewesen wäre; darauf deuten
ebenso die stylistischen Anklänge hin, die, in den untergeordneten Theilen
des Denkmales, an die Einzelheiten des Sebaldusgrabes, mit dessen Beginn
jenes gleichzeitig ist, wahrzunehmen sind. Ich glaube aber nicht, dass
Peter Vischer das Modell zu dem Haupttheile des Denkmales, zu den
Bildnissgestalten des fürstlichen Paares, selbst gefertigt hatte; wäre dies
der Fall gewesen, so würde er, zumal bei einer so vorzüglich gediegenen
Arbeit, gewiss seinen Namen nicht verschwiegen, würde er auch das üebrige
ohne Zweifel mehr in Einklang damit gesetzt haben; abgesehen davon,
dass gerade in den Hauptgestalten eine Verwandtschaft mit den stylistischen
Elementen des Sebaldusgrabes nicht bemerklich ist, was bei der Gleich-
zeitigkeit der Arbeiten nicht wohl hätte ausbleiben können, und dass die
conventioneile Behandlung der beiden Thiere zu den Füssen der Haupt-
figuren, die ihnen doch einen etwas wunderlichen Charakter giebt, der
ganzen Richtung P. Vischer's nicht sonderlich entspricht. Ebenso kann
ich darin aber auch keine Arbeit von V. Stoss erkennen; es hat, soweit
mir dessen Werke bekannt sind, zu wenig überzeugende Anklänge an die
stylistischen Eigenthümlichkeiten auch dieses Meisters, die sich doch, be-
sonders in seiner Gewandung, durchaus nicht verläugnen; und auch von
V. Stoss, der mit dem Giesser an demselben Orte lebte, kann gewiss nicht
vorausgesetzt werden, dass er das Modell nicht ganz gegeben, oder dass
er Hinzufügungen, die nicht zum Vortheil desselben dienen, gestattet hätte.
Ich muss im Gegentheil annehmen, dass das Modell zu den beiden Bild-
nissgestalten von einem auswärtigen Bildner gefertigt und dem P. Vischer,
als Vorstand seiner Hütte, zur Beschaffung des ganzen Denkmales geliefert
worden sei. Wer jener fremde Meister gewesen, wage ich vor der Hand
nicht zu bestimmen. Ich habe zuerst an den Würzburger Tilman Rie-
menschneider gedacht, in dessen Leistungen sich wohl einige entspre-
chende Elemente finden; aber auch er hat sich, meines Wissens, nicht zu
einer solchen Freihieit und Reinheit entwickelt, wie an diesen Gestalten
ersichtlich ist. Wir kennen also einstweilen den ursprünglichen Meister
nicht. Dem Kunstwerthe des Werkes geschieht hiermit indess wahrlich
kein Abbruch; finden wir doch in Deutschland aus jener Zeit so manch
ein namenloses Bildwerk, das des höchsten Preises werth ist! kennen wir
doch auch nicht einmal den Meister jener höchst vollendeten betenden
Madonnenstafue, die gegenwärtig in der Nürnberger Kunstschule bewahrt
wird und im Gypsabguss, in der vortrefflichen kleinen Copie von Afinger,
bei allen Kunstfreunden verbreitet ist! — Das Modell des Hauptstückes
also wurde meiner Ansicht nach dem P. Vischer geliefert, und man mag
««
welchem P. Viseber auf ziemlich derbe Weise sein Befremden darüber ausspricht,
dass man ihm die fertig gegossene Arbeit seit Jahr und Tag auf dem Halse lasse
und sie weder abhole noch ihm Geld schicke, und in dem von irgend einer
persönlich künstlerischeu Theilnahme für das Werk gar nichts durchklingt.
Auch bei dem grossen Denkmal des Kurfürsten Johann Cicero in der Dom-
kirche zu Berlin ist ein Verhältniss der Art anzunehmen, Hierüber behalte ich
mir den näheren Nachweis vor.
654 Berichte und Kritiken.
es nicht für angemessen erachtet haben, ihm dabei die Bedingung zu stellen,
dass er das üebrige mit eigner Hand hinzufüge. So setze ich voraus,
dass dies von untergeordneten Kräften seiner Werkstatt geschehen ist und
dass von den letzteren — ausser dem gesammten architektonischen und
dekorativen Arrangement — namentlich auch die Modelle zu jenen un-
schönen Kinderfiguren in den oberen Eckfüllungen des Deckels und zu den
Statuetten an den Seiten hinzugefügt sind. Die hiebei bemerkbaren Aehn-
lichkeiten mit einzelnen Theilen des Sebaldusgrabes, welches den Meister
zu jener Frist beschäftigte, lassen aber die unter solchen Umständen sehr
begreifliche und fast nothwendige Einwirkung seiner Thätigkeit auf die
der Gesellen deutlich erkennen. —
Das zweite Denkmal, welches sich in der Taufl^apelle, der Stiftskirche
zu Römhild befindet, ist das des Grafen Otto IV., gest. 1502. Döbner weist
triftig nach, dass dasselbe ebenfalls nicht nach dem Tode des Grafen, son-
dern früher gefertigt sei, und macht es wahrscheinlich, dass dies schon
am Schluss der achtziger Jahre des funfzeiinten Jahrhunderts geschehen.
Es ist, in sehr merkwürdiger und eigenthümlicher Anordnung, eine lebens-
grosse Bronzestatue, auf einem Löwen und vor einer, in der Wand befind-
lichen Steinplatte stehend, in welche letztere die ehernen Inschriftstreifen
und acht Wappenschilder eingelassen sind. Die Wappenschilder sind roher
behandelt, als die des andern Denkmales. Die Statue des Grafen zeichnet
sich in ihrer Gesammtheit wiederum durch eine treffliche Naivetät aus; er
ist ebenfalls völlig gepanzert dargestellt und alles Panzerdetail sorgfältig
behandelt. Der Helm ist vom Kopfe ab- und der Kopf aus dem Halsberg,
der die untere Hälfte des Gesichtes verdeckt, herauszunehmen. Dem Kopfe
fehlt der Obertheil des Schädels; Haare und Ohren sind nur leicht ange-
deutet. In den Gesichtsformen zeigt sich ein vortrefflich individuelles,
schon ziemlich weiches Gefühl und eine verhältnissmässig bedeutende
Durchbildung, ebenfalls nicht allzu entschieden nach Nürnbergischer Art.
Name oder Zeichen des Künstlers sind nicht vorhanden.
Döbner hält auch dies Werk ganz und gar für eine Arbeit von Peter
Vischer; Heideloff sieht auch hierin einen Guss nach einem Stossischen
Modell. Beides ist wiederum problematisch, da es an den specielleren
Kriterien fehlt; auch war V. Stoss in jener Zeit (wie neuerlich durch
Nagler nachgewiesen) doch nur erst besuchsweise in Nürnberg anwesend.
Der Guss mag allerdings, aus den schon bei dem vorigen Denkmal ange-
führten allgemeinen Gründen, in der Vischer'schen Giesshütte erfolgt sein;
über den Verfertiger des Modells wird sich schwer etwas Bestimmtes sagen
lassen. Ganz imwahrscheinlich ist es indess nicht, dass das Modell von
demselben Künstler geliefert wurde, welcher die Bildnissgestalten des vorigen
Denkmales modellirt hat. Es ist wenigstens eine äussere Aehnlichkeit in
der Erscheinung der beiden fürstlichen Herren vorhanden; und es kann
angenommen werden, dass, wenn ein Künstler einmal der fürstlichen Familie
genügt hatte, man sich mit ähnlicher Bestellung demselben auch zum zwei-
ten Male zuwandte. Doch bleibt das einstweilen freilich nur Hypothese.
La'Vierge anx Langes, 655
*
Sendschreiben an Herrn Kupferstecher Fr. Wagner zu
Nürnberg.
' (D, Kunstblatt 1851, No. 45.)
m
Sie haben, verehrter Herr, in dem an mich gerichteten Sendschreiben,
das in No. 18 des deutschen Kunstblattes vom J. 1850 enthalten war, die
schätzenswerthesten Bemerkungen tlber jenes neu entdeckte Gemälde ra-
phaelischer Composition, welches sich im Besitz des Hrn. Wuyts zu
Antwerpen befindet, und über das Verhältniss dieses Gemäldes zu einigen
andern derjenigen Bilder, welche dieselbe Composition behandeln, gegeben.
Empfangen Sie meinen Dank für die darin enthaltenen Belehrungen und
zugleich für das Exemplar Ihres nunmehr vollendeten Kupferstiches nach
diesem Gemälde, welches Sie mir so eben freundlichst übersandt haben
und über welches Sie eine öffentliche Aeusserung meinerseits verlangen.
Eine Aeusserung der Art ist leicht oder schwer, je nachdem man es nimmt:
doppelt schwer, wenn man, wie ich, das Original nicht kennt. Indess
trägt das neuste Werk Ihres Grabstichels das Gepräge einer solchen Ge-
diegenheit, spricht aus demselben, von jenem Originale unbedenklich und
in voller Bestimmtheit auf Ihr Werk übergetragen, ein so charakteristisch
eigenthümlicher, in der ganzen Arbeit sich gleich bleibender künstlerischer
Geist, dass es mich dennoch reizt, mich gegen Sie auszusprechen, wenn
auch zunächst weniger über Ihre Arbeit, als über das darin so lebendig
vorgeführte, mir fremde Original.
Denn in mehrfacher Beziehung gewährt schon an sich diese raphae-
lische Composition das lebhafteste Interesse. Es ist eine der liebenswür-
digsten Variationen jenes einfachen, doch auf dem Grunde des reinsten
Gemüthes und der ächtesten Sittlichkeit beruhenden Gegenstandes, darin
Raphael nimmer ermüdet und dessen seelenvolle Einfalt dem hastigen
Suchen und Nimmerfinden der heutigen Kunstwelt gegenüber so unendlich
beruhigend wirkt. Die jungfräuliche Mutter in der sabbathstillen Land-
schaft, niederknieend zur Seite des. schlafenden Christuskindes, von dem
sie mit der Rechten den zarten Schleier abhebt, während ihre Linke an
dem Rücken des Johannesknaben ruht, der, an sie geschmiegt und auf
den Gespielen deutend, zum Beschauer des Bildes hinausblickt,.als fordre
er diesen mit auf zur Freude und zur Verehrung, — welch ein klarer
Wohllaut ist in diesen-Formen und Linien, welch ein edles Maass überall
in dem Verhältniss derselben, welch eine Zartheit der Motive, welche reine
Stimmung in allen "Elementen des geistigen Ausdrucks! Nichts giebt viel-
leicht einen deutlicheren Aufschluss über die durchherrschend feine Em-
pfindung , als wenn wir diese Composition mit einer nächstverwandten
vergleichen. Das kleine raphaelische Bild der Vierge au diademe im Pa-
riser Museum enthält fast vollständig dieselben Compositions-Elemente;
aber während jenes Werk überall von der zartesten Jungfräulichkeit durch-
haucht ist, tritt uns hier in jedem Zuge eine markige, fast möchte ich
sagen: heroische Energie entgegen. Der schlafende Christusknabe hat sich
mehr seitwärts gewprfen: die über der Stirn ruhende Hand scheint es an-
zudeuten, dass es drinnen sich schon wie Träume künftiger Gedanken
bewegt. Die jungfräuliche Mutter ist eine königlich erhabene Gestalt ge-
()G656 Berichte und Kritiken.
worden, der das Diadem auf ihrem Haupte wohl ziemt; sie sitzt knieend,
einer Königin des Orientes gleich, in. entschieden ausgesprochener Stellung
vor dem Kinde, hebt den Schleier mit starker, gerader Bewegung empor
und hält den Johannesknaben ebenso bestimmt umfasst. Auch dieser hat
alles Spieles in seiner Stellung und aller Wechselbezüge vergessen; auch
er liegt bestimmt auf die Kniee geworfen da, nur zur Anbetung des Ge-
nossen hingewandt. Aeusserlich ist fast völlig derselbe Inhalt in beiden
Compositionen; innerlich sind die wesentlichsten Unterschiede wahrzuneh-
men: — in dem einen Bilde Alles noch erst wie von ahnungsvollen
Gefühlen umspielt, in dem andern Alles mit dem Stempel bewusster
Ueberzeugung versehen.
Dann hat die von Ihnen gestochene Composition ein andres Interesse
dadurch, dass sie zu dem Kreise derjenigen Erfindungen Raphaels gehört,
welche vielfach, zur Zeit des Meisters oder bald nach ihm, von verschiedenen
Künstlerhänden wiederholt worden sind. Dies Interesse verknüpft mit
dem Kunstgeschichtlichen das Culturgeschichtliche; man fühlt es deutlich,
wie die "Werke, bei denen dies geschah, die Gemüther des Zeitgenossen
angeregt hatten, wie schon von vornherein der Trieb da war, das vorzüg-
lichst Anregende nach Möglichkeit zu einem Gemeingut zu machen. Dop-
pelt interessant wird es in solchem Fall — und auch der in Rede stehende
gehört dahin, — wenn eine charakteristisch eigenthümliche, vielleicht nicht
blos einer fremden Schule, vielleicht selbst einem fremden Lande angehö-
rige Individualität mit in den Reigen dieser vervielfältigenden Kräfte tritt,
wenn man in solcher Weise die Wirkung des originalen Meisters in wei-
tere und weitere Kreise augenscheinlich hinausgetragen, seine befruch-
tende Schöpferkraft im fernen Boden neue Blüthen hervorbringen,. seinen
Geist in der charakteristischen Umbildung seines Werkes neu verkörpert
sieht. Ich glaube, dass solche Verpflanzungen und Uebertragungen künst-
lerischer Ideen nicht minder interessant und nicht minder folgenreich sind,
^ als ähnliche Verhältnisse in den Dingen der Naturhistorie.
Sie hatten in Ihrem Sendschreiben bereits verschiedener andrer Exem-
plare der Composition, welche Sie nach dem Antwerpener Bilde gestochen,
gedacht-, Sie werden inzwischen vielleicht bemerkt haben, dass Passavant,
in seinem Werke über Raphael (II, S. 82) deren, ausser dem Original-
Carton, eine doppelt grosse Anzahl aufführt. Den acht von Passavant ge-
nannten Gemälden reiht sich das von Ihnen bekannt gemachte Antwerpener
Bild als- ein neuntes an. Es musste im höchsten Grade belehrend und
unterhaltend sein, wenn es möglich wäre, diese Reihenfolge gleichartiger
Gemälde in einem und demselben Räume zusammenzustellen und sie einer
ausführlichen vergleichenden Kritik zu unterwerfen. Das geht freilich
nicht, und wir mtlssen uns daher, wollen wir zu einem derartigen Ver-
gleiche gelangen, einstweilen an den Kupferstichen nach diesen Bildern,
so viel wir davon auftreiben können, genügen lassen. Ich habe zu diesem
letzteren Behufe das Thunliche versucht, aber Ihrem Stiche doch nur den
von Longhi und Toschi nach dem bei Brocca in Mailand befindlichen
Bilde und den von Frey nach dem Bilde in der Gallerie Esterhazy zu
Wien zur Seite stellen können. Der Stich von Gio. Folo nach dem
Bilde, welches aus der Sammlung Lucian Bonaparte's in das Haager Mu-
■ seum übergegangen, ist mir leider unbekannt geblieben; doch iioniite ich
dies allenfalls verschmerzen, da Sie vßn dem letzteren Bilde in Ihrem
Sendschreiben eine so genaue Charakteristik gegeben und namentlich be-
La Vierge aux Langes. 657
merkt haben, dass dasselbe, abgesehen von seiner eigenthfimlichen, doch
nur äusserlichen Gefälligkeit in der Behandlung, mit dem Bilde, bei ßrocca
bis in die kleinsten Theile übereinstimme.
Das Bild bei Brocca ist, wie nach Ihrem Urtheil, so nach dem noch
andrer zuverlässiger Kenner, z. B. Rumohr's, nicht als ein Originalwerk
von Raphaels eigner Hand zu betrachten; auch das Bild in der Esterhazy-
Gallerie bezeichnet Passavant nur als ein^ gutes Schulbild. Der Zweifel
gegen die Originalität beider dürfte sich nicht minder schon aus der An-
sicht der genannten Kupferstiche ergeben. Dennoch waltet in der ganzen"
Darstellung, wie sie diese beiden Stiche in einander ziemlich entspre-
chender "Weise bringen, und namentlich in dem von Longhi und Toschi,
ein* Element, welches mit charakteristischer Entschiedenheit den raphaeli-
schen Ursprung erkennen lässt und sich noch verhältnissmässig eng au
denselben anschliesst. Es ist hier überall auf grössere ruhigere Massen,
auf deren freiere Entwickelung, auf das-entschiednere Hervorheben des
Körperlichen bestimmte Rücksicht genommen, während in der Gewandung,
dem Adel des Körperlichen entsprechend, die Hauptmotive des Falten-
wurfes gross und bedeutend, die andern wesentlich untergeordnet behan-
delt sind, — Alles dies, wie es Raphael so durchaus eigenthümlich ist.
Der Stich von Frey, im Ganzen zwar flauer erscheinend als jener, hat
gleichwohl einzelne Motive, die darauf hindeuten, dass das Bild der Gal-
lerte Esterhazy in einem noch näheren Verhältniss zu dem raphaelischen
Originale stand. Beide Kinder sind hier völlig nackt dargestellt, ohne
vereinzelte Gewandflicken, denen man anderweit die spätere Zuthat nur
allzu deutlich ansieht. Ferner hat hier was besonders zu beachten sein
dürfte — der Körper des Christusknaben, namentlich in seiner Brustpartie,
die Andeutung einer vollkommen reinen und leichten kindlichen Behand-
lung, während das Gesicht des Johannes eine glücklich lebhafte Ausbil-
dung desselben Ausdruckes, der in dem Toschi'schen Stiche zwar vorhanden
ist, aber matt manierirt erscheint, erkennen lässt.
Stelle ich diesen beiden Stichen nunmehr das von Ihnen nachgebildete
"Werk gegenüber, suche ich das Verhältniss zu erkennen, in welchem dieses
zu Raphael steht, so finde ich in allen eben angedeuteten Punkten wesent-
liche und charakteristische Unterschiede, — und zwar solche, die meines
Erachtens in dem Antwerpener Bilde ein namhaftes Abweichen von
Raphael's künstlerischer Eigenthümlichkeit erkennen lassen. Es fehlen
eben jene feineren Beziehungen des ganzen, für ihn so' sehr bezeichnenden
stylistischen Gesetzes. Ich bedaure daher, dass ich Ihrer Angabe über
die Originalität des Antwerpener Bildes nicht beistimmen kann, und ich
bedaure dies um so mehr, als hienach die Originalarbeit unter der ganzen
Reihenfolge der hieher gehörigen Gemälde noch immer unbekannt bleibt.
Dabei bin ich aber durchaus fern, die Schönheit des Antwerpener Bildes
überhaupt in Frage stellen zu wollen; im Gegentheil leuchtet schon aus
Ihrem Stiche die Feinheit der geistigen Empfindung, wie sie der Inhalt
der Darstellung unter allen Umständen erfordert, hervor, und wird zu-
gleich eine sehr interessante Eigenthümlichkeit in der ganzen Auffassung
und Behandlung ersichtlich, die dem Gemälde seine besonders bemerkens-
Averthe Stellung einräumen dürfte. Bei geringerem Sinn für plastische
Fülle und für Grösse des Styles überhaupt, bei einer mehr den Einzel-
heiten zugewandten Sorge erscheint darin ein gewisses jugendliches, — ich
Kugler, Kleine Schriften. II. 42
-ocr page 657-G658 Berichte nnd Kritiken.
möchte sagen: aus Schüchternheit und Unbefangenheit zugleich gemischtes
Gefühl, welches, je mehr man sich in die Darstellung hineinlebt, einen
nur um so grösseren Reiz gewinnt. Vor Allem tritt mir dies in dem Kopfe
der Madonna entgegen. Es sind die raphaelischen Grundzüge; aber doch
sind sie leise in der Art umgebildet, doch ist ein fremdartiger, fast däm-
mernder Hauch darüber hingezogen, dass man geneigt sein möchte, auf
das üebertragen in die Gefühlsweise selbst einer fremden Nationalität zu
rathen, während gleichzeitig, das allerdings unverkennbare raphaelische Ge-
präge in dem Johanneskopfe einen gewissen ecstatischen Zug erhalten hat,
der auch in fast fremdartiger Weise in die naive Composition hinein-
klingt. Für die Arbeit eines Künstlers, der ursprünglich nicht zur römi-
schen Schule gehörte, glaube ich das Bild jedenfalls halten zu müssen;
dahin deutet nach meinem Dafürhalten u. A. sch'on der zierlich gestickte
durchsichtige Kopfschleier, der über der Stirn der Madonna, unter dem
darüber gelegten Mantel, sichtbar wird. Der Maler gehört ohne Zweifel
einer fernerstehenden Schule an, vielleicht seinem Ursprünge nach, wie
schon augedeutet, einer ausseritalienischen. Manches will mich wie ein
Nachklang älterer spanischer Weise gemahnen; oder es mag ein, solcher
Richtung entsprechender Niederländer gewesen sein, der das Bild ausge-
führt hat, womit sich dann der von Ihnen angeführte Umstand, dass das-
selbe ein Paar Jahrhunderte hindurch unberührt an seiner bisherigen Stelle
in der Nähe von Antwerpen geblieben zu sein scheint, auf das Einfachste
verbinden würde. Doch wäre es verwegen, auf einen Kupferstich, auch
einen so gediegen durchgeführten wie den Ihrigen, irgend nähere Hypo-
thesen der Art begründen zu wollen.
Nominell verliert das besprochene Gemälde, wenn es nicht von Ra-
phael selbst gemalt ist, wohl den Ruhm, der ihm seit kurzer Frist be-
reitet worden: — für denjenigen, der mehr als eine blos nominelle Werth-
schätzung verlangt, wird es ohne Zweifel ein sehr schätzbares Werk und
seine Entdeckung ein erfreuliches kunstgeschichliches Ereigniss bleiben.
So wird man auch Ihnen für die Mühe und den hingebenden Fleiss, wel-
chen Sie der Reproduktion dieses schönen Bildes gewidmet haben, unter
allen Umständen dankbar verpflichtet sein. In der That haben Sie in
diesem Blatte die Mittel Ihrer schönen Kunst mit so feinem und innigem
Verständniss und zugleich so fern von aller fremdländischen eiteln Vir-
tuosenmanier zur Anwendung gebracht, haben Sie damit ein künstlerisches
Ganzes von so wohlthuender, klarer und warmer Harmonie geschaffen, dass
die deutsche Kunst Ihnen nur aufs Neue alle Anerkennung zu zollen hat').
Schliesslich kann ich Ihnen auch über das neue Unternehmen, von
dem Sie mir Mittheilung gemacht, nur meine Freude und den aufrichtigen
Wunsch des gedeihlichsten Gelingens aussprechen. Dass Sie von der
mächtigen Kreuzabnahme von Rubens zu Antwerpen, während dies Bild
im Restaurationslokal ein so viel gründlicheres Studium verstattete als
früher an der Kirchenwand, eine durchgeführte Zeichnung gefertigt haben,
dass Sie dieselbe demnächst im grössten Maassstabe in Stahl stechen wer-
den, wird gewiss das lebhafte Interesse aller Kunstfreunde erwecken.
Berlin, im October 1851.
Das Blatt von Hrn. Fr. Wagner ist im Stich etwa 13'/^ Zoll hoch und
gegen 10"/^ Zoll breit. Es wird mit der Unterschrift La Vierge aux Langes aus-
gegeben werden. Der König der Belgier hat die Widmung desselben angenommen.
Ueber das eherne JJenkraal des Kurfürsteu Johann Cicero etc. 659
Ueber das eherne Denkmal des Kurfürsten Johann Cicero in der
Domkirche zu Berlin und dessen Beziehung zu Peter Vischer.
(D. Kunstblatt 1851, No. 46.)
Wie die Bronzen zu Römhild, über deren kunstgeschichtliche Stellung
ich kürzlich meine Ansicht in diesen Blättern niedergelegt habe, so hat
auch das in der Ueberschrift genannte Werk ein sehr eigenthümliches Ver-
hältniss zu Peter Vischers künstlerischer Thatigkeit. Auch über dies be-
sitzen wir eine verdienstliche Schrift, welche die dabei zur Sprache kom-
menden äusseren Beziehungen in erfreulicher Weise feststellt: — «For-
schungen im Gebiete der Vorzeit, Heftl.: Das Grabmal des
Kurfürsten Johannes Cicero von Brandenburg in der Dom-
kirche zu Berlin, ein Kunstwerk von Peter Vischer dem Ael-
teren in Nürnberg, beendigt von seinem Sohne Johannes Vi-
scher. Von M. F. Rabe, Professor und Mitglied des Senats
der königl. Akademie der Künste und königl. Schlossbaumei-
ster. BerJin, 1843." (39 S. und 4 Kupfertafeln in Quart.) — Auch hier
aber macht sich, bei näherer Betrachtung des Denkmales und in Berück-
sichtigung der urkundlichen Daten über dasselbe, die künstlerische Be-
schaffung und ihre Geschichte als ein Problein geltend, welches diese
Schrift meiner Ansicht nach nicht genügend liist. Ich gebe im Folgenden
das Resultat meiner Beobachtungen und Schlüsse.
Das Werk ist ein Doppeldenkmal, eines über dem andern. Dass beide
combinirte Denkmäler aber nicht verschiedenen fürstlichen Personen (wie
bisher zumeist angenommen wurde), sondern beide dem Kurfürsten Johann
Cicero, der im Jahre 1499 gestorben war, gewidmet sind, hat Hr. Rabe
überzeugend nachgewiesen. Ebenso, dass wir es hier (höchst wahrschein-
lich wenigstens) nur mit Produkten der Vischer'schen Giesshütte zu thun
haben und dass der Antheil eines in Berlin ansässigen burgundischen
Stttckgiessers Matthias Dietrich an seiner Ausführung und die spätere Zeit
dieser seiner Betlieiligung an der Arbeit abgewiesen werden muss. Die
Rabe'sche Schrift, in der auch die äusseren Schicksale des Denkmales, das
früher im Kloster Lehnin stand, berichtet werden, enthält die nähere Dar-
legung aller hieher bezüglichen Verhältnisse.
Beide Denkmäler, aus denen das Ganze susammengesetzt ist. sind im
künstlerischen Style wesentlich von einander verschieden, der Art, dass
die verschiedene Zeit ihrer Ausführung sofort ersichtlich wird. Das untere
Denkmal ist eine grosse, aus fünf Stücken zusammengesetzte Platte in
sehr flachem Relief. In der Mitte derselben, als isolirtes und auf das
Uebrige aufgeheftetes Stück, ist die Gestalt des Kurfürsten enthalten, in
Kurhut und" Kurmantel, Scepter und Schwert in seinen Händen. (Das
Obertheil des Sceplers ist abgebrochen.) Die Figur ist sehr einfach ge-
arbeitet, aber durchweg schlicht natürlich und mit gutem künstlerischem
Gefühl. Die ganz flache Modellirung des von vorn gesehenen Gesichtes ist
meisterlich durchgeführt,-wenn schon Augen und Haare sehr scharf ciselirt
sind; auch die Hände sind, bei sehr natürlicher Haltung der einzelnen
Finger, mit gutem Verständniss modellirt. Der Faltenwurf hat eine höchst
()G0 Berichte und Kritiken.
fiinfaclie, aber wiederum mit ebensoviel Haltung wie lebendigem Gefühl
durchgeführte Behandlung; von ganz vortrefflicher Zeichnung ist das per-
spektivisch zurückgescholbene Aermelgewand des mit dem Scepter erho-
benen rechten Armes. Der Styl des Faltenwurfes zeigt eine, auf der
Grundlage des conventionelleren Zeitgeschmackes sich schon entschieden
geltend machende freiere Bewegung. Vor den Füssen der Gestalt steht
ein kleiner Schild mit dem Bilde des Kurscepfers: der letztere hat eine
geschmackvoll gothische Blumenkrone. Die (durch den Mantel verdeckten)
Ftisse des Kurfürsten ruhen auf einer architektonischen Basis, welche mit
einfach angegebenen Ornamentformen — doch nicht mehr gothischen, son-
dern schon antikisirenden Styles — versehen ist. — Der übrige Theil der
unteren Platte ist, wie bereits angedeutet, aus vier Stücken zusammenge-
setzt, die Fugen derselben laufen quer durch, so dass überall der Rah-
men, nebst Allem, was dazu gehört, mit dem Grunde aus einem Stücke
besteht. Ein breiter flacher Rahmen bildet die Hauptumfassung der Ge-
stalt; er ist an seinen äusseren und besonders an den inneren Seiten mit
einfach sauberen gothisirenden Profilen versehen. In den oberen Ecken
des Grundes laufen diese Profile in geschmackvoll gothische Bogenfüllun-
gen zusammen, bei denen Blattwerk angebracht ist, dessen Styl der oben-
erwähnten Scepterkrönung entspricht. In den Füllungen sind zwei kleine
Medaillonköpfe, vermuthlich die Eltern des Joh. Cicero darstellend, ent-
halten; die Behandlung dieser sehr charakteristisch gebildeten Köpfe ist
ganz der des seinigen ähnlich. Nach aussen treten an den vier Ecken der
Gesammtplatte und in der Mitte ihrer beiden Langseiten Rosettenfelder in
einer, im gothischen Style sehr üblichen Form hervor. Auf sie sind die
Träger des oberen Werkes aufgesetzt; sie mögen ursprünglich etwa flache
Wappenschilder enthalten haben. — Rücksichtlich der BeschaflFung der
unteren Platte ist, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, sehr wahr-
scheinlich, dass sie durch die Vischer'sche Hütte geliefert wurde. Ihre
Trefflichkeit im Allgemeinen würde es nicht unthunlich machen, an Peter
Vischer's eigne Hand zu denken; doch liegt dafür keine bestimmtere
Gewähr vor und ein besondrer Umstand (von dem unten) spricht eher
dagegen. Ueber die Zeit der Anfertigung giebt der Styl des Werkes we-
nigstens eine annähernde Bestimmung; das etwas freiere Element in der
Behandlung des Faltenwurfes, die Einführung antikisirenden Ornamentes in
die sonst noch gothischen Formen deuten auf eine Zeit des künstlerischen
Ueberganges, die bei Peter Vischer selbst in den Beginn der Arbeiten
zum Sebaldusgrabe, also in das erste Jahrzehent (wohl zweite Hälfte des-
selben) des sechzehnten Jahrhunderts fällt.
Das obere Denkmal hat die Gestalt eines etwas flachen Sarkophages,
der von sechs viereckigen Pfeilern, an welche sitzende Löwen anlehnen,
getragen wird; die Pfeiler stehen auf den entsprechenden Stellen des
breiten flachen Rahmens des unteren Denkmales, die Löwen sind über
jenen Rosettenfeldern angebracht. Der Sarkophag, sargähnlich und in ver-
hältnissmässig leichter Form gebildet, hat den Charakter des vollkommen
entwickelten Renaissancestyles, der sich ebenso in den leicht geschwnn-
genen Profilen nach antiker Art, wie in den Ornamenten, in den Verzie-
rungen der am Rande umherlaufenden zehn Wappenschilde, auch in der
etwas mehr dekorativen Behandlung der Löwen ausspricht. Oben auf dem
Sarkophage ruht die Hautreliefgestalt des Kurfürsten, die in der allge-
meinen Anordnung der des unteren Denkmales entspricht, aber, während
ff
Ueber das eherne Denkmal des Kurfürsten Johann Cicero etc. 6öl
sie einerseits eine imposantere Wirkung erstrebt, andrerseits dennoch,"so-
wohl in der Würde des Styles als im feineren Lebenagefühl, erheblich
gegen jene zurücksteht. Das Gesicht hat allerdings das Gepräge einer ge-
wissen, natürlich derben Wackerheit, aber wie die Hände starr und un-
lebendig erscheinen, so ist die ganze Haltung der Figur ohne eigentlichen
Adel. Der Kurmantel (wie auch das Kissen, darauf hier der Kopf liegt,)
ist mit einem ciselirten Teppichmuster versehen, zugleich jedoch die ruhige
Würde des Faltenwurfes einem äusserlichen Kunstgriff, der eine grössere
Mannigfaltigkeit hervorbringen sollte, geopfert. Das Gewand des Kurmau-
tels wird nemlich, indem die linke Hand das gesenkte Schwert hält, durch
den linken Unterarm emporgeschoben und legt sich somit in einige Quer-
falten, — ein Motiv, das vielleicht nicht unangemessen durchzubilden
gewesen wäre, hier indess in der Absicht nur kleinlich und in der Wir-
kung nur schwerfällig erscheint. Unendlich verschieden hievon ist die
ebenfalls im einfachen Kurmantel erscheinende Gestalt Friedrichs des
Weisen, auf dessen Denkmal in der Wittenberger Schlosskirche, welches
Peter Vischer im Jahre 1527 gearbeitet hat, und wo mächtigste Würde
und vollste Belebung über das ganze Werk verbreitet sind.
Ueber das Berliner Denkmal sprechen zwei Urkunden. Die erste ist
die auf der Dicke der Platten des unteren Denkmales, am Fussende, ein-
gegrabene Inschrift: „Johannes Vischer Noric. facieb. 1530." — Die zweite
ist ein Brief von Peter Vischer aus dem Jahre 1524 an Kurfürst Joachim I.,
den Hr. Rabe in seiner Schrift mitgetheilt hat, und in welchem es also
heisst: „Genedigster Herr ich hab empfangen von Lorenz Villani Zwey
hundert gülden von wegen eur Churfurstlich gnaden, auch, einen brief dar
in ist gemelt die begrehtnus (und anders) zu verfertigen, Verstee ich die
taffell, von der eur Churfürstliche genad mit mir redet in meiner giess-
hutten, des ich eurer Chur fürstlichen genaden zwue Vissirung auff bapier
gemacht über antwurtet, Nun seyt der Zeyt her, ist mir die form und
Stellung derselben taffei aus der acht kumen, und hab etlich geschicklykeit
dar an vergessen Darum ist mein beger ist eur Churfurstl. genad des
willens das mir derselben Visirung eine werd zu geschickt, so will ich als
dan die arbeit sambt dem grab aiiff das furderlichst mir muglich ist aus
machen^^ U. s. w.
Dieser Brief enthält zunächst also die Notiz über eine Summe von
200 Gulden, die Peter Vischer von dem Kurfürsten Joachim I., dem-Sohne
und Nachfolger Joh. Cicerö's, empfangen hatte, woran sich sofort Bemer-
kungen über die Arbeiten zu einem Grabdenkmal anschliessen. Hr. Rabe
weist in vollkommen überzeugender Weise nach, dass diese Summe, im
Verhältniss zu andern Preisen und namentlich zu solchen, die P, Vischer
selbst empfangen hatte, so bedeutend war, dass sie nür auf grosse Arbeiten,
wie das ganze in Rede stehende Denkmal, bezogen werden kann. Hr. Rabe
betrachtet die Summe also, gewiss der vollsten Wahrscheinlichkeit ent-
sprechend, als eine Abschlagszahlung auf das auszuführende grosse Denk-
mal und nimmt, mit nicht geringerer Wahrscheinlichkeit, an, dass P. Vi-
scher den Auftrag zu dessen Ausführung erhalten und übernommen habe.
Aber er schliesst daraus meiner Ansicht nach zu viel, wenn er hinzufügt,
dass auch die Ausführung durch ihn erfolgt und durch Peters Sohn Johann,
den die Inschrift nennt, nach dem 1529 oder 1530 erfolgten Tode des Va-
ters, beendigt sei. Schon diese letztere Annahme hat ihre Schwierigkeiten.
Worin hätte die Beendigung des Werkes bestanden? im Guss des fertig
662 ' Berichte uud Kritiken.
niodellirten Werkes? oder in Theilen des Modelles selbst? und in welchen
Theilen? Die Fragen möchten kaum zu beantworten sein._ Noch bedenk-
licher aber scheint es mir, die Inschrift ohne Weiteres anzufechten. Peter
Vischer soll der eigentliche Meister sein und Johann also nur ein sehr
sekundäres Verdienst um das Werk haben; und doch nennt der letztere
sich ohne Weiteres als den, der'^as Werk gemacht hat, nennt sich so
an einem Werke, welches der Hauptsache nach von seinem hochgefeierten
Vater herröhren soll, nennt sich so unmittelbar nach des letzteren Tode,
nennt sich so dem fürstlichen Hofe gegenüber, der das W^erk bei dem
Vater bestellt hatte. Wir müssten erst sehr unverdächtige Zeugnisse über
Johann Vischer's moralische UnwÜrdigkeit und über die Beschränktheit
seines Verstandes haben, wenn uns das einleuchtend werden sollte. End-
lich, was das noch ungleich Wesentlichere anbetrifft: die Hauptsache an
I dem oberen Denkmal, die Gestalt des Kurfürsten, ist von so untergeord-
i netem Kunstwerth im Verhältniss zu Peter Vischer's unzweifelhaften Ar-
f beiten, dass sie auch ohne die Inschrift, die uns den Sohn als Urheber
I nennt, nicht als sein Werk gelten könnte. — Uns bleibt nach alledem, in
Betreff des grossen (oberen) Denkmals, nur die Annahme: dass P. Vischer
I den Antrag zur Ausführung desselben allerdings erhalten und angenommen
I iiatte, dies letztere aber vielleicht von vornherein nicht als erfindender
5 Künstler, sondern als Leiter seiner Giesshütte (eine Annahme, die durch
} die Schlusswendung des Briefes vom Jahre 1524 doch nicht unbedingt
t ausgeschlossen wird), dass er die eigentliche Arbeit, zu der er immerhin
einen flüchtigen Entwurf geliefert haben mochte, von vornherein seinem
Sohne Johann flberliess, dass dieser sie durchführte und daher schliesslich
auch seinen Namen, ohne Kränkung der Ehre seines Vaters und ohne
anmaassliche Verwegenheit gegen den brandenburgischen Fürstenhof, darauf
setzen durfte.
^ Dabei hatte die Arbeit von vornherein ihre eigenthümliche Schwierig-
keit, indem ein schon vorhandenes einfacheres Denkmal mit dem neu aus-
zuführenden grösseren combinirt werden sollte. Jenes war ohne Zweifel
bald nach dem Tode Joh. Cirero's, während Joachim I. noch minderjährig
war, gefertigt worden und vielleicht erst zwanzig Jahre später scheint das
Besehren nach reicherer Ausstattung desselben entstanden zu sein. Herr
Rabe hält nur die (isolirte) Figur des Kurfürsten auf dem unteren Denkmal
für den Rest dessen, was von dem vorhandenen beibehalten wurde, eine
Ansicht, mit der ich wieder nicht übereinstimmen kann, indem, meiner
obigen Darstellung zufolge, das ganze untere Denkmal in sich zii überein-
stimmend und von dem Style des oberen zu verschieden ist; auch kommt
hinzu, dass die Basen der Pfeiler, welche das obere Denkmal tragen, mit
den Linien der unteren Platte nicht genau correspondiren, auch jene go-
thischen Rosetten keine ganz angemessenen Plinthen für die Löwen ab-
geben. Ich muss also das ganze'untere Denkmal als" das ältere und schon
vorhanden gewesene betrachten und finde dies auch in dem Briefe Peter
Vischer's vollkommen bestätigt, indem hierin dem „Grab" oder „Begräb-
niss" (dem anzufertigenden oberen Denkmal) die „Tafel" (das untere) ent-^
gegengesetzt wird, von deren „Form", „Stellung" und „Geschicklichkeit"
P. V. dies oder das vergessen habe und darum die Rücksendung einer der
Zeichnungen, die er darüber entworfen, erbittet. Sich so einem gegebenen
Werke mit dem neuen zu accomodiren mochte aber schon den Künstler
Ueber das eherne Denkmal etc. Die Baukunst in Deutschland. 663
wenig reizen und mit ein Grund sein, "wesshalb er der eignen Ausführung
sich nicht hingab
Die -Inschrift des Joh. Vischer vom Jahre 1530 steht nun freilich am
Rande der unteren Platte, die jedenfalls, und mindestens doch um zwan-
zig Jahre, älter ist. Wir werden eben annehmen müssen, dass er es für
bescheidner hielt, sich am Fuss des Werkes, als an einem der oberen
Theile zu nennen, und dass durch die Hinzufügung des grossen oberen
Denkmales die selbständige Bedeutung des unteren aufgehoben schien.
Wir werden aber, wie ich glaube, hieraus auch schliessen dürfen, dass
das untere Dfenkmal nicht eine vollkommen eigenhändige Arbeit P. Yischer's
war; denn wäre dies der Fall gewesen, so würde der Sohn sich diese
Stelle für seinen Namen doch wohl gewiss nicht ausgesucht haben, ohne
auch in diesem Fall eine Hindeutung auf die frühere Betheiligung des
Vaters hinzuzufügen. Dass das untere Denkmal aber doch aus P. Vischer's
Hütte hervorgegangen war, scheint mir, abgesehen von den Eigenthümlich-
keiten seiner Behandlung, aus dem Briefe P. Vischer's zu erhellen, indem
derselbe eine alte Bekanntschaft mit dem Werke verräth. Dass P. Vischer
einen näheren Einfluss auf die Beschaffung des Modells, als auf die des
Modells zu dem oberen Denkmal, ausgeübt, geht dann aus der ungleich
grösseren künstlerischen Gediegenheit des unteren hervor; und hieraus
scheint auch zu folgen, dass Joh. Vischer nicht ef.wa schon das untere
Denkmal gefertigt hatte, eine Voraussetzung, die allerdings durch die In-
schrift begünstigt scheinen könnte, — man müsste denn annehmen wollen,
dass er im Laufe jener zwanzig Jahre, nach ausgezeichneten jugendlichen
Anfängen, erheblich zurückgeschritten sei.
Die Baukunst in Deutschland in der Zeit vom Jahr 900 bis zum
Jahr 1600 n. Chr. (Feudalzeit des Mittelalters.) Chronographische
Tafeln begleitet von einem erläuternden Text von Franz Mertens.
Berlin, Verlag des Verfassers. 1851.
(D. Kunstblatt, 1851, No. 48.)
Der Name des Hrn. F. Mertens wird denen unter uns, welche sich
in den letzten beiden Jahrzehnten mit der Baugeschichte des Mittelalters
beschäftigt haben, nicht unbekannt geblieben sein. Man hörte zeitig, dass
er diesem Studium seine ganze Kraft, sein ganzes Interesse gewidmet habe;
man erwartete von seinen gründlichen und unermüdlichen Forschungen die
wichtigsten Aufschlüsse über diese schwierige Disoiplin, Doch waren bis-
her nur vereinzelte Mittheilungen von ilim in die Oeffentlichkeit gelangt;
Ist die Annahme, dass die Zahlung der 200 Gulden eine Abschlagszahlung
auf das, noch gar nicht begonnene grosse Denkmal gewesen sei, richtig (^wie sie
es in der That-'zu sein scheint), so kann man auch darauf die nicht ganz Un-
wahrscheinliche Vermuthung gründen, dass der Kurfürst mehr auf die Ausführung
des Werkes drängte, als P.i Vischer selbst Trieb und Lust dazu fühlte.
664 ' Berichte uud Kritiken.
nach mancher vergeblich genährten Hoffnung hatte man sich mit dem Ge-
danken, dass man auch ohne seine Anleitung sich in den weiten Räumen
jener Disciplin thunlichst werde einrichten müssen, schon einigermaassen
vertraut gemacht. Diese Voraussetzung ist aber eine voreilige gewesen;
wenigstens liegen uns jetzt, unter dem in der Ueberschrift angeführten
Titel, die Anfänge der von ihm in Aussicht gestellten grossen Publikationen
in der That vor.
Es sind Bruchstücke eines grösseren Unternehmens, welches letztere,
dem Prospectus zufolge, den Titel führen wird: „Die Baukunst des
Mittelalters vom Jahr 250 bis zum Jahr 1550 n. Chr. i) Chrono-
graphische Tafeln begleitet von einem erläuternden Text von F. M.
(21 Tafeln. Cartographische Darstellungen mit farbiger Schrift. Format
15 72 und 23 72 Zoll. 18 Bogen Text. Lex. 8.)." Diese Tafeln werden aus
zwei verschiedenen Abtheilungen bestehen, aus 14 „Schrift-Tafeln", auf
welchen die Gebäude der verschiedenen Länder, provinzenweise zusammen-
geordnet, in ihrer historischen Folge verzeichnet sind, und aus 7 „Zeichen-
Tafeln", deren eigenthümliche Einzeltitel der Prospectus angiebt. Der
unter dem Titel der „Baukunst in Deutschland" erschienene Einzel-Ab-
schnitt enthält 4 Schrifttafeln (die letzte davon eine „Halb-Tafel") und an
Text: das „Vorwort" für diesen Abschnitt (Va Bogen), — zwei für das
Gesammt-Unternehmen bestimmte Abschnitte, zur „Einleitung in die Bau-
kunst des Mittelalters" und „ die technische Einrichtung der Tafeln zur
Darstellung der Geschichte der Baukunst" betreffend (IV2 Bogen, Seite 1
bis 23), — sodann die eigentliche Erläuterung zu den vier auf Deutschland
bezüglichen Tafeln (2 Bogen, Seite 113 bis 144, — welche unvermittelt
eintretende höhere Seitenzahl sich dadurch erklärt, dass dies ein aus dem
bezüglichen Gesammttexte herausgenommenes Fragment ist).
Jenes Gesammt-Unternehmen stellt aber, was ebenfalls voraus bemerkt
werden muss, wiederum nur den Anfang der von dem Verf. beabsichtigten
Publikationen dar. Er will hiemit vorerst nur „ein geographisch-chrono-
logisches Verzeichniss sämmtlicher Bauwerke des Mittelalters" geben. Es
sollen in weiterer Folge erscheinen: 1. eine „Baugeschichte des Mit-
telalters" (etwa 33 Kapitel auf etwa ebensoviel Druckbogen); 2. eine
„Auswahl der Denkmäler" (in Abbildungen); 3. eine „Chronologie
der Baukunst des Mittelalters". „Es werden hierin (so sagt der
Verf.) die Zeitstellungen der einzelnen Gebäude des Mittelalters im Ein-
zelnen nach den herbeigezogenen Stellen der Chroniken und Urkunden
erläutert. Das ist der Beweis für die se Sachen oder die Begründung
der Chronologie der Bauwerke des Mittelalters"; endlich 4. ein „Lexicon
der Baugeschichte des Mittelalters".
Für jetzt haben wir es indess nicht mit diesen angekündigten grossen
Werken, sondern mit dem vorliegenden Einzel-Abschnitt zu thun. Wir
wenden uns zu dessen Betrachtung.
Tabellarische Uebersichten, wie die vier „Schrifttafeln" zur deutschen
Baugeschichte, ~ falls sich in ihrer Zusammenstellung überhaupt nur ein
etwas näher eingehendes Verständniss und Urtheil kund glebt, — sind
') Der Prospectus, welcher die Jahrzahl 15 50 als Schlussbezeichnung des
Gesammt-Unternehmens enthält, steht auf der Innenseite des Deckelblattes, auf
dessen äusserer Seite als Schlussbezeichnung des Einzelabschnittes die Jahrzahl
1 6 00 angegeben ist. ,
Die Baukunst in Deutschlaud. 665
überall geeignet, unser lebhaftes Interesse in Anspruch zu nehmen. Das
Gesammtbild, welches wir uns von den betreffenden Entwickelungsverhält-
nissen zu machen im Stande waren, erhält durch dergleichen Arbeiten ins-
gemein ein frischeres Gepräge; das Verhältuiss der Einzelheiten zum Ganzen
berührt uns bei deren Anschauung ungleich schärfer; auch die etwanige
Opposition gegen das bei diesen Zusammenstellungen befolgte Princip giebt
uns unter Umständen gute Gelegenheit, unsie eigne Auffassung der Dinge
mit strengerer Kritik zu prüfen und genauer zuzusehen, wo sie mangelhaft,
wo vielleicht aber auch nicht unbegründet ist.
Dass wir es bei dem Verfasser dieser Tabellen mit einem Manne zu
thun haben, der in Mitten der Wissenschaft der mittelalterlichen Bauge-
schichte steht, ergiebt, auch wenn wir es nicht schon gewusst hätten, der
erste Blick; die Anordnung lässt durchweg eine entschiedene und umfassende
Erwägung der betrefl"enden Verhältnisse erkennen; die"Fülle der Einzel-
namen deutet auf eine Detailkenntniss, die nur Wenigen beschieden sein
möchte*). Die allgemeine Disposition der Tabellen ist sehr verständig und
sinnreich. Die provinzielle und lokale Gruppirung der Denkmäler ist in
der Richtung von oben nach unten durchgeführt. Die Hauptabtheilungen
in dieser Beziehung sind: die baltischen Länder nebst Skandinavien,
die Rheinlande, Inner-D eutschland (Westphalen, Nieder-und Ober-
Sachsen, Franken, Schwaben, Bayern) und die österreichischen Lande;
wie diese Hauptabtheilungen, so laufen auch die Ünterabtheilungen gleich-
mässig durch, und kehren nicht minder die bedeutendsten Lokalitäten in
bestimmter räumlicher Richtung wieder. Die Gruppirung nach den Zeiten
ist in den von rechts nach links laufenden Abschnitten der Tafel enthalten.
Die einzelnen Monumente sind solchergestalt an der betreffenden Stelle
verzeichnet, die Hauptkirchen stets einfach mit dem Namen des Orts, dem
sie angehören, (je nach den Umständen zugleich mit Hinzufügung des be-
treffenden Gebäudetheiles, Chor, Schiff u. drgl ), andre Gebäude mit andrer
Bezeichnung. Die im früheren Mittelalter untergegangenen Gebäude sind
mit rother Farbe, die noch vorhandenen mit schwarzer geschrieben; die
Gebäude romanischen Styles mit lateinischer, die gothischen mit gothischer
Schrift, wobei der Uebergangsstyl und die verschiedenen Modificationen
desselben durch entsprechende Uebergänge zwischen lateinischer und gothi-
scher Schrift versinnbildlicht sind. Die Renaissancegebäude haben latei-
nische Uncialschrift, ebenfalls "mit einigen Uebergangsformen aus dem
Mittelalterlichen in das Moderne. Die verschiedene Grösse der Denkmäler
ist durch verschiedene Grösse der Schrift bezeichnet. Besondere Zeichen
deuten auf Gründung oder Einweihung der Gebäude, auf den Wechselbezug
zwischen mehrfach wiederholter Anführung derselben, ü. drgl. m. — Ein-
gestreut ist endlich, vornehmlich im Anfange, eine Anzahl von ,,Mobilar-
Denkmälern", worunter der Verf. bewegliche Denkmäler bildender Kunst
versteht. Diese sind mit blauer Farbe geschrieben.
Wir können dieser allgemeinen Anlage der Tabellen nur unsern Beifall
schenken. Doch war es keinesvveges die Absicht des Verfassers, mit den
also zusammengestellten Tafeln nur üebersichten zu geben; sie sollen
die eigentliche Grundlage seiner Wissenschaft ausmachen und den Gegen-
stand in ihrer Art erschöpfen. Es ist eine Menge feiner Beziehungen darin,
') Der Verfasser selbst giebt die Zahl der auf seinen sämmtlichen Tafeln
verzeichneten Bauwerke zu 6800 ah.
666 Berichte und Kritiken.
die schwer aufzufassen sind und über die es noch schwerer ist, einen klar
verständlichen Bericht zu geben. Die Maasse des chrohographischen Netzes,
in welches die Namen der Denkmäler hineingeschrieben, sind überaus
künstlich berechnet und durch besondre Figuren und Ziffern auf dem
Aeusseren jeder Tafel vorgezeichnet; ich getraue mir nicht, über diesen
combinirten Calcül in der Kürze eine Rechenschaft abzulegen. Die Nüancen
der Schriftformen haben überall die speciellste Bedeutung. Ebenso ist
auch die Grösse der Buchstaben durchweg das Resultat genauster Berech-
nung: die Fläche der Buchstaben entspricht nemlich, wie der Verfasser
erläuternd bemerkt, als Zahl genommen jedesmal „d,er Quadratwurzel aus
dem kubischen Inhalt" (?) des bezüglichen Gebäudes. Das tiefere Verständ-
niss dieser Tabellen wird also schon in äusserer Beziehung ein umfassendes
gelehrtes Studium nöthig machen. Ob der Verf. zu solchem Studium
Schüler finden wird, lasse ich dahingestellt; auch mag es einem Jeden
füglich freistehen, in deii Schematismus seines Werkes einzudringen, so weit
er dazu Muth und Vermögen hat. Dass aber der Verf. sich, mit all der
Fülle seiner Studien, in einen so vorwiegenden Schematismus hineinar-
beiten konnte, scheint von vornherein die ihm eigenthümliche Richtung
charakteristisch zu bezeichnen.
So viel über die Form und die formale Behandlung dieser Tabellen.
Werfen wir nun einen Blick auf ihren Inhalt.
Es liegt in der Natur der Sache und liegt zugleich in der Art und
Weise, wie uns der Verfasser sein Werk dargeboten hat, dass hiebei auf
die tausendfältigen Einzelheiten desselben nicht näher eingegangen werden
kann, dass es vielmehr nur auf die Frage ankommt, wie sich die allge-
meine historische Disposition des Werkes zu der bisher als zumeist gültig
angenommenen Auffassung der Baugeschichte des deutschen Mittelalters
verhält. Wesentliche Theile des Werkes stehen im Einklänge mit der
letzteren, andre ebenso wesentliche mit ihr in einigem Widerspruch; das
ersfere betrifft besonders die Denkmäler des gothischen Styles (doch zum
Theil mit Ausschluss der deutschen Aussenländer), das zweite die Denk-
mäler des romanischen Styles. Der Verfasser setzt unter den vorhandenen
mittelalterlichen Gebäuden nur äusserst wenige in das elfte Jahrhundert
und lässt die Entwickelung des romanischen Baustyles sehr allmählig erst
im Laufe des zwölften Jahrhunderts beginnen. Er drängt somit die Ge-
schichte dieses Styles mehr zusammen, führt ihn zum Theil auch in das
dreizehnte Jahrhundert etwas tiefer hinab, als wir bis jetzt zumeist ange-
nommen hatten. Wir können zwar nicht sagen, dass die etwas gründli-
cheren Forscher neuerdings noch ein besondres Uebermaass vorhandener
Gebäude dem elften Jahrhundert zugeschrieben hätten; auch sind wir, wo
wir eine Bestimmung dieser letztern Art getroffen, überall mit thunlichster
Vorsicht zu Werke gegangen; gleichwohl verrückt der Verfasser bei seinem
Verfahren eine immerhin bemerkbare Zahl unsrer Daten. Ausserdem setzt
er die in den deutschen Anssenländern, in den österreichischen und be-
sonders in den baltischen Ländern, befindlichen Baudenkmale zum Theil
erheblich später, als wir seither angenommen hatten; er führt den roma-
nischen Baustyl hier bis an das vierzehnte Jahrhundert hinab und lässt
dann in kürzester Frist Uebergangsstyl und primitives und entwickeltes
Gothisch auf einander folgen.
Die zwei Bogen des erläuternden Textes zu dem Inhalt der vier Ta-
bellen geben eine übersichtliche Schilderung dessen, was auf den Tafeln
Die Baukunst in Deutschlaud. 667
Selbst durch die eiiigescliriebenen Namen vorgestellt war, mit einzelnen
Zwischenbemerkungen. Die eigentlichen Gründe und Beweise für das von
dem Verfasser befolgte System und dessen Durchführung im Einzelnen
sind hierin begreiflicher Weise noch nicht enthalten. Auch haben wir
diese, nach den oben angeführten eignen Worten des Verfassers, erst in
dem dritten grossen Werke, welches demjenigen folgen soll, von dem uns
gegenwärtig ein erster Abschnitt vorliegt, in der „Chronologie der Baukunst
des Mittelalters'', zu erwarten. Wir sind also, zu unserm aufrichtigen Leid-
wesen, genöthigt, der eigentlichen Prüfung seiiies Verfahrens bis dahin,
dass dies dritte grosse Werk erschienen sein wird, Anstand zu geben. Es
liegt hierin seinerseits übrigens eine ganz bestimmte Absicht. Das Tabel-
lenwerk soll, wie schon bemerkt, die Grundlage, das Fundament seiner
Disciplin ausmachen; „wir müssen (so sagt er in seinem einleitenden Texte)
erst Landkarten haben, ehe wir Geographie lehren können". Dies letztere
ist freilich richtig: die Schlussfolgerung von der Geographie auf die Bau-
geschichte dürfte nicht ganz unbedenklich sein. Die Richtigkeit der Land-
karten hängt einfach von der Richtigkeit der materiellen Aufnahme ab;
die Richtigkeit der baugeschichtlichen Tabellen von der darauf verwandten
wissenschaftlichen Kritik, was ein ander Ding ist. Nach einer Stelle in
der Mitte von S. 5 der Einleitung scheint es aber, so sonderbar es klingt,
dass der Verfasser auf sein System durch einen Act einer gewissen mysti-
schen Offenbarung gekommen ist.
Wie dlem indess sei, jedenfalls erkennen wir auch aus dem Inhalt der
Tabelle/* da^s eine vielseitige und umfassende Beschäftigung mit dem Ge-
genstande vöi-ausgegangen war. Nur Eins erlaube ich mir davon auszu-
nehmen: — ^nß'blau geschriebenen ^.Mobilar-Denkmäler". Sie verrathen
eine zu geringe und oberflächliche Bekanntschaft mit dem betreffenden
Gegenstande; es sind in ihnen, auch wenn sie nur eine beiläufige Bedeutung
für das Ganze haben sollten, die vorzüglichst bezeichnenden Spitzen zu
wenig wahrgeiTommen; und überhaupt erscheint dies fragmentarische Ein-
streuen zufälliger Einzelheiten, dem für das Architektonische befolgten
strengen System .gegenüber, einigermaassen principlos. Ich habe nicht
nöthig, dies im Einzelnen nachzuweisen; wer unsre neuere kunstgeschicht-
liche Literatur nicht ganz vernachlässigt hat, wird dafür mannigfache Be-
lege beibringen können.
Ich komme noch einmal auf den erläuternden Text der Tabellen zurück.
Er enthält einige geistvolle cuUurgeschichtliche Aperpü's, an die Behand-
lungsweise des kunstgeschichtlichen Stoffes erinnernd, in der vor Allen
Schnaase — freilich in ganz ungleich ausgedehnterem Maasse — so
.Ausgezeichnetes geleistet hat. Andres aber giebt wiederum zu Bedenken
Anlass, und da der Verfasser (wovon nachher) mit so eigenthümlichen
Ansprüchen auftritt, so wird* es verstattet sein, hier'ein Paar Punkte näher
hervorzuheben.
Die Architektur des elften Jahrhunderts ist nach seiner Darstellung
noch kein Denkmalsbau, noch sogenannter ^lüntergangsbau", die darin zur
Anwendung gekommene Technik noch die „des gewöhnlichsten und kunst-
losesten Mauerwerks der wohlfeilsten Art". Doch fährt er fort: „Die Dome
zu Mainz, zu Worms, zuBpeier, welche im elften Jahrhundert errichtet
M'urden, können bestenfalls nur Säulenbasiliken gewesen sein, so wie der
Dom zu Bremen eine solche SäulenbasiliRa w^ar, und welche alle im
zwölftwi und dreizehnten Jahrhundert neu gebaut wurden". Säulen gehören
()G668 Berichte und Kritiken.
also nach seiner Auffassung mit zu dem gewöhnlichsten und kunstlosesten
Mauerwerk der wohlfeilsten Art. Seine Quelle über die Bremische Säulen-
Jbasilika ist mir unbekannt; doch stecken in dem Bremer Dome (der zur
Zeit des Uebergangsstyles umgebaut wurde und den er in seinen Tabellen
nur unter den Bauten dieser spätem Zeit aufftihrt) noch die alten schweren,
der ursprünglichen Anlage angehörigen Pfeilerarkaden von aller einfachster
Form'), ganz ähnlich denen des Domes von Augsburg und des Domes von
Mainz, die beide nach seiner Angabe freilich erst in die Mitte des zwölften
Jahrhunderts fallen, ob sie auch zu dem massig Primitivsten gehören, was
Deutschland an Architektur besitzt. Das sind alles Dinge, bei denen, eben
so wie bei dem vorausgesetzten Mangel alles monumentalen Sinnes bis
zum Schluss des elften Jahrhunderts, mit einem apodiktischen Ab- oder
Zusprechen eben noch Nichts gethan ist
Bei Gelegenheit des ersten Auftretens der gothischen Architektur be-
merkt der Verfasser: „die Baukunst der Liebfrauenkirche zu Trier
sei nach Hessen (in dem Bau der Marburger Elisabethkirche) ver-
setzt worden, denn ein solches Verpflanzungs- oder Colonial-Verhältniss
1) Die von Fiorillo angeführten Chronisten sprechen sich mehrfach über das
solide Steinwerk des Neubaues des Bremer Domes, nach dem Brande desselben
im J, 1042, aus. — Mit der Kirche St. Maria auf dem Kapitol zu Köln
sieht sich der Verfasser, seinem Systeme gemäss, zu einer ganz eignen Manipu-
lation veranlasst. Wir besitzen das gute Datum ihrer Weihung vom J.^ 1049,. wie
für die Säulenbasilika St. Georg zu Köia das Datum der Vollendung, 1067.
Eine simple Säulenbasilika mochte hingehen; eine so imposante Anlage, »Me die
Kapitolskirche, musste aber für das elfte Jahrhundert und gar fiir dessen erste
Hälfte das Vorhandensein einer wirklichen Denkmalsbaukunst befugen, die das
System denn doch allzu empfindlich verrückt hätte. Der Verfasser hat sich in
der Art geholfen, dass er St. Georg an entsprechender Stelle in die Tabelle ein-
rückt, bei der Kapitolskirche im J. 1049 die Weihung eines nicht mehr vorhan-
denen Chorbaues annimmt, das Schiff der letzteren in die spätere Zeit des elften
und die drei Absiden als einen neuen Chorbau in die frühere Zeit des zwölften
Jahrhunderts setzt. Vielleicht hat ihn dabei der Umstand geleitet, dass der
Oberbau der Absiden-Anlage von dem Uebrigen abweicht; er gehört nämlich der
spätromanischen Zeit an, was in den iTabellen nicht verzeichnet ist. Der
Unterbau der Absiden aber entspricht im Style vollständigst dem Schiff, wie
dieser Styl dem in der Kirche St. Georg und zugleich auch dem in der Krypta
der Kirche von Brauweiler befolgten durchaus nahe steht. (Die Einweihung
eines älteren Kirchenbaues zu Brauweiler war 1061 erfolgt; der Verfasser rückt
nichtsdestoweniger die vorhandene Krypta in" die Zeit um 1120 hinab.) Dies
Alles sind Proben eines Systematisirens, das eben durch keinen besonderen
Scharfblick für das künstlerisch Stylistische unterstützt wird.
Die Lang-Chöre von St. Gereon zu Köln und vom Bonner Munster,
mit Ausnahme ihrer späteren Absiden, hat der Verfasser richtig in die sechziger
Jahre des elften Jahrhunderts gesetzt. Unbekannt ist ihm geblieben, dass die
alte Chor-Anlage der Kirche zu Zülpich mit jenen übereinstimmt und somit
ohne Zweifel gleichfalls dieser Periode angehört. — Den Chor der Pfarrkirche zu
Andernach setzt er um 1120 (was, beiläufig bemerkt, wieder ganz irrthümlich
ist, da derselbe, zwar dem Schiffe der Zeit nach vorangehend, doch schon ent-
schieden, und nicht bloss in seinem Aeusseren, spätromanischen Charakter trägt);
übersehen hat er dabei, dass der nordöstliche Thurm dieser Kirche sehr bedeu-
tend älter und vielleicht auch noch der Rest einer Anlage des elften Jahrhun-
derts ist.
So Hesse sich noch allerlei "anfuhren, was der Wagschaale des elften Jahr-
hunderts schliesslich doch ein nicht ganz unerhebliches Gewicht geben dürfte.
Die Baukiiust in Dentscblaiid. 669
zwischen diesen beiden Bauten habe wirklich Statt gefunden". Hier ist
mit oberflächlichsten Worten bei Weitem mehr gesagt, als ein, für die
Entwickelung der architektonischen Formen und deren gegenseitiges Ver-
hältniss -nur irgend empfängliches Auge wahrnehmen und ein gewissen-
hafter Forscher irgend vertreten kann. Wer beide Kirchen vergleicht, wird
allerdings in der von Trier eine Vorgängerin der von Marburg erkennen
und insofern auch ein näheres Yerhältniss zwischen beiden, als der Chor-
schluss und dessen Fensteranordnung bei der Trierer Kirche auf die An-
ordnung der andern in der That eingewirkt hat; alles Uebrige, von der
Gesammtdisposition an bis zur Behandlung der Profile der Gliederungen,
zeigt dagegen in der Marburger Kirche lauter neue und zum Theil sehr
selbständige Elemente. — Noch bedenklicher ist die Behauptung, dass die
Kirche von Altenberg ein Werk des ersten Kölner Dombaumeisters sei.
Diese Phrase, nebst ihren Nutzanwendungen, läuft zwar ziemlich durch
alle Reisehandbücher; sie entbehrt aber nichtsdestoweniger aller inneren
Begründung. Beides sind, ihrer Anlage nach, frühgothische Kirchen, im
Chor von der reicheren Form des Kapellenkranzes, beide aber iii allem
Uebrigen, in den Maassverhältnissen, in der inneren organischen Entwik-
kelung, in den Profilen der Glieder wesentlich von einander abweichend,
keinesweges blos in der bei der Altenberger Kirche, und hier auch nur in
bedingtem Maasse stattfindenden Vereinfachung der Formen. — Noch will-
kürlicher (freilich hier nicht zur eigentlichen Sache gehörig) ist die daneben
stehende Behauptung, dass der Styl der Bronzefigur des Conrad von Hoch-
staden, auf seinem Grabdenkmal im Kölner Dome, mit den Statuen des
West-Chores am Naumburger Dome übereinstimmeDer Verfasser hätte
besser gethan, sein spezielles Gebiet nicht zu verlassen.
Wenn der Verfasser so wenig feinentwickelten Sinn für das Charak-
teristische architektonischer Formen und ihrer Verhältnisse hat, wie sich
schon aus diesen Beispielen ergiebt, so wird es schliesslich auch nicht
befremden, dass er in den spätgothischen Bauwerken (um 1500) nur Ver-
kümmertes, Ueberbildetes, Zwitterhaftes sieht und für die ganz eigen-
thümliche Schönheit der inneren Disposition jener Gebäude, die — wie
die Pfarrkirche zu Landshut in Baiern, wie die, von ihm im Text aus-
drücklich genannte Marienkirche« zu Halle, u. a. m. — schlank "auf-
schiessende achteckige Pfeiler, gelegentlich mit etwas concaven Seiten-
flächen, und über diesen ein leicht hingeschwungenes Gurtennetzgewölbe
haben, gar kein Organ besitzt. Auch dass er das Bremer Rathhaus,
das bekanntlich zu Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts gebaut wurde
und die moderne Dekoration seiner Langseite im zweiten Decennium des
siebzehnten Jahrhunderts empfing, als ein Hauptbeispiel des deutschen
Renaissancestyles in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hin-
stellen kann, bezeichnet die mangelhafte Schärfe seines kritischen Blickes.
U. s. w.
Dem, was sich hienach über die Form und den Inhalt des vorliegenden
Abschnittes ergiebt, muss sodann noch Einiges über die Persönlichkeit des
Verfassers angereiht werden.
*) Das Grabmal des C. von Hochstaden (gest. 1261), das der Verfasser an
dieser Stelle auch in den Tabellen anführt, ist jedenfalls, aus positiven äusseren
Gründen, nicht gleichzeitig nnd kann, wie ich mich überzeugt habe, an hundert
Jahre jünger sein.
670 ' Berichte uud Kritiken.
Fürs Erste über den Styl, den er schreibt. Wenn das französische
fiprichwort: Le style &est Vkomme, wahr ist, so giebt dasselbe hier zu
keinem günstigen Vorurtheil Anlass. Es herrscht zumeist, besonders wo
der Verfasser irgend Begriffliches entwickeln will, eine Verworrenheit und
Unklarheit in seinen Worten und in seiner Satzbildung, die in der That
keinen allzu günstigen Rückschluss auf die Klarheit seiner Gedanken ver-
stattet, Will man das ürtheil milder ausdrücken, so kann man sagen, sein
Vortrag klinge, als ob er etwa aus dem Dänischen von einem Dänen mit
Hülfe des Wörterbuches in das Deutsche übersetzt sei (wie dergleichen in
Kopenhagen für die Herzogthümer gelegentlich geschieht). Eigenthümlich
macht es sich, wenn der Verfasser vorn, bei den „Berichtigungen", zwei
Zeilen anführt, in denen „eine, dem deutschen Sprachgebrauch nach un-
richtige Wortstellung gebraucht worden". Er hätte dem Freunde, der ihn
hierauf aufmerksam gemacht , das vollständige Manuscript vor dem Druck
zur Ueberarbeitung anvertrauen sollen. — Die Verworrenheit des Aus-
druckes zu erhöhen, ist zugleich in dem ganzen Text eine Ueberfülle von
(nicht berichtigten) Druckfehlern enthalten.
Dann macht sich eine bemerkenswerthe Originalität des Charakters
geltend. Der Verfasser verbindet mit einer Werthschätzung seiner selbst
eine Herabsetzung aller Mitstrebenden, die in der That nicht naiver aus-
gesprochen werden kann. Er sagt mit schlichten Worten, dass, wenn er
einleitungsweise von andern Archäologen und von bisheriger Wissenschaft
gesprochen habe, dies nicht ernsthaft zu nehmen sei. üeber die Art und
Natur der geschichtlichen Entwickelung der baulichen Formen des Mittel-
alters, wie der griechischen Baukunst, seien die irrigsten Vorstellungen
herrschend. Er sei (wie er im Vorwort äussert) der Einzige, welcher diese
Wissenschaft — die der Baugeschichte — vertrete. Auch hat er den eigen-
thümlichen Glauben, dass alle gute Gedanken über mittelalterliche Bauge-
schichte, die in den letzten zwanzig Jahren ausgesprochen, ursprünglich
von ihm ausgegangen seien. „Wir haben" (so bemerkt er in seinem eigen-
thümlichen Style) „wohl nicht nöthig hinzuzufügen, dass mit diesen wesent-
„lichsten, und ihrem eigentlichen Wesen nach zu bezeichnen, in jenem so
„eben genannten Gange der Studien, auch selbst nach den früheren und
„zugleich doch schon so eingreifend gewesenen Entdeckungen in diesem
„Gebiete der Wissenschaft, über Erwartung hinausgehenden Ergebnissen,
„betreffend die Baukunst des Mittelalters, die bisherige Ansicht von der
„Kunstgeschichte des Mittelalters für immer über den Haufen geworfen ist".
Sein Werk werde „dazu beitragen, die Geschichte überhaupt auf eine
ganz neue Weise zu betrachten". U. s. w. — Es ist übrigens doch keine
ganz seltne Erscheinung, dass emsiges Studiren bei beschränktem Gesichts-
kreise zur Selbstüberschätzung führt, während es die Andern immer be-
scheidener zu machen pflegt.
Namentlich nennt der Verfasser unter denen, auf die er verächtlich
herabblickt, im Vorwort und sonst nur Einen, — mich. Ich muss ihm, wie
jedem Andern, sein ürtheil über meine Arbeiten und Studien lassen. Er
ist freilich überhaupt bitterböse auf mich, u. A. auch desshalb, dass ich
mich über seine vor ein Paar Jahren erschienene Schrift: „Die Baukunst
des Mittelalters", (welche, so viel mir erinnerlich, eine Geschichte der
Geschichte der mittelalterlichen Baukunst, oder vielmehr der Studien des
Verfassers über diese Geschichte, enthielt) nicht öffentlich geäussert habe.
Hierauf kann ich nur erwidern, dass ich keinem Menschen unter der Sonne
Die Baukunst in Deutschi, Lucas Crauach d,. Aelt. Leben und Werke. 671
zur Abfassung einer Kritik verpflichtet bin, dass dergleichen vielmehr
lediglich Sache meiner Neigung und meiner Stimmung ist'). Er verdächtigt
im Uebrigen zugleich mein amtliches Wirken, — eine Sache, worüber ich
neulich in diesen Blättern schon gesagt habe, was darauf einzig mit Ehren
zu sagen war.
Bei alledem komme ich schliesslich aber darauf zurück, dass die Her-
ausgabe der chronographischen Tafeln, wie wenig ich dem Verfasser auch
seine exclusive Stellung zugestehe, dennoch durchaus schätzbar und mit
Dank aufzunehmen ist. Ich habe den aufrichtigen Wunsch — einen wahr-
haft aufrichtigen, da er zugleich sehr egoistisch ist, — dass ihm zur Fort-
setzung der Herausgabe alle thunlichste Förderung zu Theil werden und
dass möglichst bald auch das Erscheinen der übrigen verheissenen Werke,
und namentlich jener Chronologie der Baukunst des Mittelalters, auf die
ich sehr begierig bin, sicher gestellt und ins Werk gerichtet werden möge.
Wer die mühevolle Arbeit eines „Handbuches der Kunsgeschichte" durch-
gemacht hat, weiss den Nutzen solcher Publikationen wohl mit am Besten
zu würdigen. Der Verfasser kann versichert sein, dass ich bei der bevor-
stehenden dritten Auflage meines Handbuches seine Publikationen, so viel
davon erschienen sein werden, redlich zur Hand nehmen, dass ich mein
Erworbenes (dessen abermalige Durcharbeitung ich am Meisten herbeisehne)
an dem Gegenbilde seiner Leistungen sorgfältig prüfen, dass ich davon das
für meine Auflassung der Dinge Geeignete mit Freuden aufnehmen und
ihm so für seine Arbeiten denjenigen thatsächlichen Dank bezeugen werde,
der in den Augen des Mannes der Wissenschaft allein einen Werth hat.
Lucas Cranach des Aelteren Leben und Werke. Nach urkund-
lichen Quellen bearbeitet von Christian Schuchardt, Secretair bei der
Oberaufsicht für Wissenschaft und Kunst und Custos grossherzoglicher
Kunstsammlungen zu Weimar. Theil I: 311 S. in 8., nebst einer Mono-
grammentafel: Theil H: 364 S. in 8. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1851.
(D. Kunstblatt 1852, No/6 ff.)
" , j.
In der deutschen Kunstgeschichte giebt es, wie Jedermann bekannt,'
noch ungemein viel aufzuräumen, zu klären, zu sichten und zu lichten.
Meister Lucas Cränach und seine Gesellenzunft, die Werke, die von ihm
herrühren und die den Stempel seiner Richtung tragen, gehören wesentlich
hieher. Der ehrliche Meister Lucas ist bisher ein. wahres Kreuz für den
Kunsthistoriker gewesen. Wir —- und besonders wir Leute in Norddeutsch-
land, wo die Bilder seines Gepräges so häufig verbreitet sind, meinen ihn
Es ist möglich, dass ich über seine "Schrift über die Baukunst des Mittel-
alters doch vielleicht, wie über so manches Andre, eine Kritik geschrieben hätte.
Wenigstens lag sie eine Zeit lang unter sonstigen literarischen Novitäten auf
meinem Büchertische, ist dann aber durch irgend einen Freund, dessen Name mir
entfallen, von mir entliehen und mir nicht zurückgestellt worden.
172 ' Berichte uud Kritiken.
ganz wohl zu kenuen. Nichts spricht sich leichter aus, als der allgemeine
Charakter dieser Bilder, und nirgend fast entschwindet uns, wenn wir
die persönlich individuelle Eigenthümlichkeit des Künstlers festhalten
wollen, der Faden leichter, als vor ihnen. Wollen wir aufrichtig sein, so
müssen wir es bekennen, dass bisher für uns der Name Lucas Cranach
zumeist noch die Bezeichnung eines Collectivbegrifl'es war. Dies liegt vor-
erst einfach darin, dass es bisher noch an einer gründlich kritischen Arbeit
über Meister Lucas und die grosse Zunft, die sich um ihn reiht, fehlte.
Aber jenes verwirrende Verhältniss und der seitherige Mangel der erfor-
derlichen kritischen Arbeit hat zugleich seinen tieferen Grund darin, dass
die ganze künstlerische Richtung und Wirksamkeit, welche der Collectiv-
name Cranach bezeichnet, bei all ihren, oft so anziehenden Eigenthüm-
lichkeiten eine vorherrschend zunftmässige ist und dass es somit umfas-
sender Vorbereitungen und sorglich durchgeführter Spezialstudien bedarf,
um allmählig die ganz selbstthätige Meisterhand von der seiner Mitarbeiter,
seiner Gesellen, seiner stereotypen Nachahmer unterscheiden zu lernen.
Mit um so grösserem Danke haben wir das in der Ueberschrift genannte
Werk aufzunehmen, welches uns hiezu endlich die Wege bahnt. Der
Titel desselben ist freilich nicht ganz genau; er sagt ein wenig zu viel.
Der Verfasser giebt uns nicht Cranach's Leben, sondern die Materialien zu
dessen Scliilderung; er giebt uns nicht eine Beschreibung seiner Werke
überhaupt, sondern nur derer, welche ihm durch eigne Ansicht bekannt
geworden, also z. B. nichts Näheres über die zum Theil doch sehr wichti-
gen Bilder von Cranach's Hand, die sich ausserhalb Deutschlands befinden.
Dies beeinträchtigt indess den Werth des Werkes an sich in keiner Weise ; im
Gegentheil bestimmt sich derselbe von vornherein dadurch, dass uns überall
das strengste kritische Bestreben entgegen tritt und es somit überall ein
möglichst gesicherter Boden ist, den wir an der Hand des Verfassers
betreten.
Wir wenden uns, in näherer Betrachtung des Werkes, zunächst zu
der „Lebensbeschreibung Cranach's", welche den Hauptabschnitt
des ersten Theiles ausmacht. Die allgemeinen Züge von Cranach's Leben
sind uns aus früheren Werken bekannt; aber diese Darstellungen sind mehr
oder weniger getrübt, wie durch unverbürgte üeberlieferungen, die zum Theil
den deutlichen Stempel späterer Erfindung tragen, so durch ungenügende,
nicht selten auch fehlerhafte Benutzung der vorhandenen literarischen
Quellen. Hr. Schuchardt ist überall mit genauster Sorgfalt und Umsicht
auf diese Quellen zurückgegangen und hat von ihnen an den entsprechen-
den Stellen stets den charakteristischen Gebrauch zu machen gewusst.
Ebenso hat er Manches der Art, was bisher ganz übersehen, aber von
wesentlicher Bedeutung für Cranach's Leben war, eingereiht, vor Allem aber
eine grosse Menge archivaris^her Notizen uiid Urkunden, besonders aus
den weimarischen Archiven, beigebracht, aus denen sich zum Theil höchst
charakteristische und bezeichnende Beiträge für das Leben und die Wirk-
samkeit des alten Meisters ergeben. So durfte der Verfasser mit gutem
Rechte sagen, dass der grösste Theil seines Buches, schon in dieser Bezie-
hung, neu ist; wer von Cranach's Leben eine Anschauung gewinnen will,
wird in der That fortan nur dieses Buch als gültige Quelle betrachten
können.
Wie schon augedeutet, enthält der genannte Abschnitt, — obgleich
auch er den ausdrücklichen Titel führt, — keine wirkliche Beschreibung
Lucas Craiiach des Aelteren Leben und "Werke. 673
oder Schilderung von Cranach's Leben. Es sind die Mittheilungen der
festen Punkte über dasselbe, die kritischen Untersuchungen über Dunkles
oder Zweifelhaftes, die Widerlegungen irrthümlicher Ansichten, und überall
an den betreflenden Stellen eingereiht die Berichte von Zeitgenossen im
Original und, wo es nöthig war, in der Uebersetzung, die Briefe, die
Dokumente, die Masse alter Quittungen, deren unscheinbare Form* so oft
den schätzbarsten Inhalt hat. Das "Werk erscheint hienach mehr zum
SpezialStudium als zur Leetüre geeignet und bestimmt. Es kommt uns,
zumal bei diesen äusserst dankenswerthen Gaben, nicht zu, mit dem Ver-
fasser darüber zu rechten, dass er eben nur Materialien gab und sie nicht
zugleich in höherem Sinne biographisch bearbeitete; es wird um so besser
vielleicht in Zukunft auf diesem Grunde, im Hinblick auf die allgemeinen,
so mächtig bewegten geschichtlichen Verhältnisse jener Zeit und durch
das Vermögen einer küiistlerisch geschichtlichen Darstellung getragen , ein
Lebensbild ausgeführt werden können, das in Wahrheit zu den interessan-
testen, wie für die Kunstgeschichte, so für die culturgeschichtlichen Ver-
hältnisse der ßeformationsepoche gehören dürfte Das aber wäre aller-
dings vom Verfasser zu fordern gewesen, dass er seine Mittheilungen —
etwa durch Unter-Abschnitte und deren Bezeichnungen — etwas übersicht-
licher gegliedert hätte, dass er'Alles, auch das Verschiedenartigste, nicht
in durchaus ununterbrochener Folge aneinandergereiht, dass er dabei jedem"
Vorkommniss seine bestimmte Stelle gegeben und Wiederholungen vermie-
den hätte, dass er Text und Anmerkung nicht gelegentlich miteinander in
Widerspruch gesetzt und dass er, da er doch keine biographische Arbeit
im höheren Sinne beabsichtigte, und da keine Anforderung eigner dich-
terischer Befähigung an ihn gestellt war, die Massen lateinischer Verse,
die er als urkundliche Zeugnisse mit angeführt, nicht in unlesbare deutsche
Verse, sondern in eine einfach natürliche deutsche Prosa übersetzt hätte
Es ist zu wünschen, dass der Verfasser, wenn es zur zweiten Auflage
seines Werkes kommt, diesen, nur die bessere Benutzbarkeit des letzteren
bezweckenden Bemerkungen freundlich Rechnung tragen möge —
Um Missverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, dass ich mit einer
solchen Darstellung in keiner Weise jenen ausgeschmückten blumenreichen Vor-
trag meine, gegen den sich der Verfasser aus guten Gründen im Vorworte ver-
wahrt. Vielmehr halte ich auch zur eigentlichen Geschichtsdarstellung volle
Naivetät des Vortrages für unbedingt erforderlich. Nur ist sie eben etwas ganz
Anderes, als das Zusammenhäufen von Materialien und kritischen Vorstudien,
wie häufig es auch heutiges Tages von den Historikern beliebt werden mag,
Arbeiten solcher Art den Titel der Geschichtschreibung zu gebeu.
Unter den hunderten hieher gehöriger Beispiele nur eins. Den lateinischen
Pentameter:
Credibüe est pingi se voluisse Deum
übersetzt der Verfasser, S. 104:
„Malen dass Gott sich gewollt, glaube ich gerue, von Dir,"
Wäre dem Verfasser für den Gesammtplan seiner biographischen Mitthei-
lungen ein abweichender Vorschlag zu machen gewesen, so würde ich die Zu-
sammenstellung sämmtlicher urkundlichen Anführungen zu einem besondern ür-
kundenbuche für wünschenswerth gehalten haben. Dann hätte vielleicht auch
eine ziemlich beiläufige, aber eigeuthümlich wichtige Mittheilung (in der Anmer-
kung, I, S. 87) vielleicht eine ihrer Bedeutung mehr zusagende Stelle erhalten
können. Dies ist die urkundliche Angabe der Kosten, welche das von Herr-
Kuglcr, Kleine Schrifien. II. 43
-ocr page 673-()G674 Berichte und Kritiken.
Es wird dem Interesse der Leser entsprechen, wenn ich hier eine
gedrängte Üebersicht der Lebensverhältnisse Cranach's, wie sie sich nach
diesen Mittheilungen herausstellen, folgen lasse.
Lucas Cranach ist, wie bekannt, im J. 1472 zu Kronach in Franken
geboren. Dass sein ursprünglicher Familienname „Sünder" geheissen habe,
ist nicht hinlänglich verbürgt. (Dass der angebliche Familienname „Müller"
auf einer völlig willkürlichen Annahme berulit, ist längst erwiesen.) Die
Familie übte schon in früheren Gliedern die Kunst der Malerei; er lernte
dieselbe bei seinem Vater. Dass er, wie neuerlich vermuthet worden, ein
Schüler des Matthäus Grünewald gewesen, ist unwahrscheinlich; näher liegt
die Vermuthung, dass der letztere sein Mitschüler war. Bis zu seinem
zwei und dreissigsten Lebensjahre ist nichts Näheres über ihn bekannt; doch
ist es, aus Gründen, wahrscheinlich, dass er schon vor dieser Zeit u. A.
Wien besucht und dort gemalt hat. Dass er, wie überall behauptet wor-
den, den Kurfürsten Friedrich den Weisen im J 1493 auf dessen Wall-
fahrt nach dem gelobten Lande begleitet habe, ist nicht zu erweisen und
völlig unwahrscheinlich.
Im J. 1504 trat er in die Dienste dieses Kurfürsten und liess sich in
Wittenberg häuslich nieder; er empfing in diesem Verhältniss sofort ein
Jahrgeld von 100 Gulden, während die andern Maler, die in Diensten des
Kurfürsten standen, nur 40 Gulden empfangen hatten. Er war also ohne
Zweifel ein Künstler von bereits anerkanntem Rufe Wenige Jahre später,
in einem Sendschreiben, womit ihm Dr. Scheurl im J. 1509 eine akademische
Rede widmete, wird er als der erste deutsche Maler nächst Dürer bezeich-
net; besonders wird hiebei die Natürlichkeit seiner Bilder gerühmt, womit
er Menschen und Thiere täusche und wird ihm die, durch steten Fleiss
erworbene, „bewunderungswürdige Schnelligkeit", mit welcher er seine
Bilder ausführe, zum besonderen Verdienst angerechnet, ebenso, wie er
vier und vierzig Jahre später, auf der Inschrift seines Grabsteines, als der
grösste Schnellmaler (pictor celerrimus) gerühmt wird Ausserdem wird,
in dem genannten Sendschreiben die Liebenswürdigkeit seines persönlichen
Verhaltens hervorgehoben. Im J. 1508 empfing er durch den Kurfürsten
einen Wappenbrief und mit diesem das Wappen einer geflügelten Schlange,
die er übrigens schon vorher als Künstlerzeichen geführt hatte. Vielleicht
ist diese persönliche Auszeichnung mit der Reise in die Niederlande, die
mann Vischer gearbeitete bronzene Denkmal des Kurfürsten Jobann des Be-
ständigen in der Schlosskirche zu Wittenberg erfordert hatte und welche sich
auf 8tl7 Gulden d Gr. 2 Pf. beliefen.
') Das Datjim 1504, das frühste bisher bekannte auf Gemälden Cranachs,
trägt jenes, auch von dem Verfasser beiläulig erwähnte Gemälde in der Gallerie
Sciarra zu Rom, welches eine heilige Familie und eine Masse Engelchen in einer
Landschaft darstellt. Dies zierliche und schon ganz in Cranachs eigehthiiailicher
Weise behandelte Bildchen ist, wie ich hier beifügend bemerke, ausser der Jah-
reszahl mit einem verschlungenen LO bezeichnet, völlig in der Weise und nur
feiner gebildet, wie das Monogramm N0..6 (vom Jahre 1506) auf Schuchardt's
Monogrammentafel. — Man hat früher geglaubt, dem Steinmetzen, der den
Grabstein gearbeitet, einen Schreibfehler zur Last legen und den Celerrimus in
einen Celeberrimus verwandeln zu müssen. Die anderweitigen Zeugnisse für
Cranachs in der That ungewöhnliche Schnellmalerei beweisen aber, dass diese
philologische Emendation, wie so häufig die aus ungenügender Sachkenntniss
hervorgegangenen Textverbesserungen, eine völlig willkürliche war.
Lucas Craiiach des Aelteren Leben und "Werke. 675
Cranach im J. 1509 im Auftrage des Kurfürsten, — mit einer diploma-
tischen Mission, wie es den Anschein hat, unternahm, in Verbindung zu
bringen. Er malte auf dieser Reise den damals achtjährigen Karl (nach-
mals Karl V.), dem Kaiser Maximilian von den Niederländern huldigen
Hess. Zu Friedrich dem Weisen und zu dessen beiden Nachfolgern, Jo-
hann dem Beständigen und Johann Friedrich, stand er unausgesetzt in
nahem persönlichem Verhältniss. Bei dem Leichenbegängniss Friedrichs
des Weisen, 1525, war er, nebst einem Zweiten, beauftragt, die Sterbe-
groschen unter die Armen zu vertheilen.
Ausser diesem sächsischen Fürstenhause waren es besonders Personen
des brandenburgischen Kurhauses, die seine Dienste in Anspruch nahmen.
Den bekannten Kardinal Albrecht, den Bruder des brandenburgischen Kur-
fürsten Joachim!., hat er häufig gemalt. Auf Erfordern des kunstlieben-
den Kurfürsten Joachim II. befand er sich 1541 in der brandcnburgischen
Mark. Besonders aber war ihm ein andrer Bruder Joachims I., der Mark-
graf Albrecht, früher Hochmeister des deutschen Ordens und seit 1525
Herzog in Preussen, zugethan i). Dann wird, zum J. 1519, bemerkt, dass
Cranach's Bilder auch in Frankreich Beifall fanden; die Mutter des Königs
Franz I. erbot sich, dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen für die Ueber-
sendung solcher — Reliquien zuzuschicken.
Wichtiger noch erscheint Cranach's persönliches Verhältniss zu den
grossen kirchlichen Reformatoren. Sein inniges Freundschaftsverhältniss
zu Luther ist bekannt, Sie waren gegenseitig Pathen ihrer Kinder; als
Cranach's ältester Sohn gestorben war, ging Luther zu ihm und sprach
ihm mit schönen festen Worten, die uns aufbehalten sind, Trost zu. Ebenso
stand er zu Melanchthon in nächster freundschaftlicher Beziehung, Sehr
ergötzlich ist es, zu linden, dass Melanchthon gelegentlich biblische Bilder
entwarf und Meister Lucas dieselben berichtigte und ausführte. So nahm
er auch mit den ihm verliehenen Waffen an dem grossen reformatorischen
Kampfe Tlieil, wie u. A. sein in Holz geschnittenes Passional Christi und
Antichristi vom J. 1521, in welchem die Thaten Christi und die des Papstes
einander gegenübergestellt s'ind, bezeugt. Ebendahin gehört sein Holz-
schnittwerkchen, das Papstthum, vom J. 1545, das freilich, wie .der Kampf
wilder geworden war, auch in wilderen Darstellungen sich erging, also
dass selbst Luther von einem der Blätter desselben sagen musste: „sed
mester Lucas est ein grober maler.'^
Zahlreiche Dokumente, zumeist Quittungen über empfangene Zahlung,
enthalten die Nachricht über künstlerische Arbeiten, die Cranach für seine
fürstlichen Herren ausführte; doch lässt sich nur in den seltensten Fällen
aus diesen ein Bezug auf vorhandene Werke seiner Hand entnehmen. Die
Fülle der erhaltenen und die Fülle dieser nur urkundlich aufgeführten
Werke giebt solchergestalt schon das Bild einer fortlaufenden höchst be-
deutenden Thätigkeit, Aber damit war sein Thun keineswegs abgeschlossen.
Auch alles Handwerkliche, was in sein Fach einschlug, lieferte er, ein
wahres Factotum, für seine Herrschaft, und es ist völlig wahrscheinlich,
dass er auch Jedermann sonst, gegen die erforderliche Zahlung, als guter
») Dem sonst so kritischen Verfass(sr ist, S. 151 fif., das wunderliche Ver-
sehen begegnet, den"'Herzog von Preussen mit dem Kurfürsten von Brandenburg
zu verwechseln und die preussischen mit den brandcnburgischen Verhältnissen
durcheinander zu werfen. •
676 ' Berichte uud Kritiken.
IBP
Handwerksmeister zu Dieusten gewesen sei. Und noch manchen andern
einträglichen Handel, seinem Berufsfache selbst ziemlich fern liegend,
■wusste er damit zu verbinden. So lieferte er, 1513, für ein fürstliches
Hochzeitsfest elf Renndecken, dreizehn Stechdecken und zehn Helmzeichen
(zum Turnier), sowie eine Anzahl grosser und kleiner Wappen, mit denen
die Teppiche versehen wurden. 1517 malte er u. A. zwei Schlitten. 1520
kaufte er die Apotheke zu Wittenberg, sie „mit seinen Knechten" zu be-
stellen, und empfing zu deren Betrieb ein ausführliches Privilegium vom
Kurfürsten. 1521 malte er die Orgel im Schloss zu Weimar. 1525 wird
seines Buchladens, mit welchem zugleich ein Papierhandel verbunden war,
erwähnt. In demselben Jahre malte er (oder liess er malen) im Rathhause
zu Wittenberg die Decke der neuen Weinstube und die Treppe, und liess
die Fenster der oberen Stube grün anstreichen. 1533 hatte er ein und
dieselbe Kunstarbeit schockweise, also wiederum in -völlig handwerk-
lichem Betriebe, zu liefern, nemlich 60 kleine Tafeln mit den Bildnissen
Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen, wofür er 109 Gulden
\md 14 Groschen empfing. 1534 gab es viel Arbeit am Schloss zu Torgau;
Cranach lieferte dazu Kunstarbeiten, wie Entwürfe zu Fenstermalereien,
besorgte aber auch den grünen Anstrich des „Hauses im Garten." 1537,
wie auch früher und später, lieferte er zahlreiche grosse Malereien auf
Leinwand zu geringen Preisen, ohne Zweifel in Leimfarbe ausgeführte
Teppichdekorationen, davon übrigens nichts auf unsre Zeit gekommen ist.
Wahrscheinlich im J. 1542, zum Wolfenbüttler Kriegszuge, hatte er allerlei
zur Ausrüstung Gehöriges zu beschaffen, eine ungeheure Masse gedruckter
Wappen, Heerbanner, Fahnen und Fähnlein; auch liess er 40 Stück Helle-
barden roth anstreichen und firnissen. Im J. 1543 wieder Renndscken zur
Fastnacht. 1545 wieder allerlei Handwerksarbeit zu Torgau. U. dgl. m. —
Nicht minder wurde er gründlich für Zwecke der städtischen Verwaltung
in Anspruch genommen. Bereits 1519 kommt er in den Kämmereirech-
nungen als Rathsmann und Kämmerer vor. 1537 wurde er zum ersten Mal
und 1540 zum zweiten Mal zum Bürgermeister erwählt, welches Amt er
dann bis 1544 verwaltete. Es ist, auch zum Verständniss von Cranach's
künstlerischer Richtung, nicht ganz unwichtig, auf alle diese Dinge einen
Blick zu werfen.
Sonst kommen für ein etwaiges Hinaustreten Cranach's in das öffent-
liche Leben keine sonderlichen Züge vor. Bei einem tollen Studenten-
Krawall im J. 1520 wird er von den Studenten von Adel darüber ver-
klagt, dass er sammt seinen Gesellen Waffen trage, was ihnen zum grossen
Hohn gereiche. Der Krawall scheint arg genug gewesen zu sein, beson-
ders durch Schuld der akademischen Behörde, was u. A. Luthers lebhaf-
testen Unwillen erregte. Cranach empfand es sehr übel, dass die Studenten
ihn bei dieser Gelegenheit duzten.
Seine häuslichen Verhältnisse erscheinen als die eines tüchtigen deut-
schen Bürgers. Er lebte in glücklicher Ehe und verlor seine Gattin, eine
geborne Brengbier aus Gotha, im J. 1541. Zwei Söhne waren geschätzte
Maler. Der ältere, Johann, starb auf einer italienischen Reise, zu Bologna,
1536; der zweite, Lucas, 1515 geboren und 1586 gestorben, ist der unter
dem Namen des ,jüngeren Cranach" bekannte Künstler. Ich komme auf
beide im Folgenden zurück. Die Töchter Cranach's, drei oder vier, waren
an angesehene Männer verheirathet; die eine wird als ausgezeichnet schön
erwähnt. Das Erbtheil der einzelnen Tochter betrug 5000 Gulden, was,
Lucas Craiiach des Aelteren Leben und "Werke. 677
nach dem damaligen Geldwerthe, auf ein sehr ansehnliches und wohl
verwaltetes Vermögen Cranach's schliessen lässt. In Gotha besass Cranach
ein eignes Haus.
Eigenthümlfch bedeutungsvoll, wie im Allgemeinen bekannt, sind
endlich Cranach's letzte Lebensjahre. Wenn die ersten Jahrzehnte seines
Lebens dem Biographen nichts Bestimmtes bieten, so geben diese zu einer
um so reicheren Schlussdarstellung Gelegenheit. Der schmalkaldische
Krieg war ausgebrochen, die unglückliche Schlacht bei Mühlberg (24. April
1547) führte den Kurfürsten Johann Friedrich in die Gefangenschaft des
Kaisers und nöthigte ihn zur Verzichtleistung auf die Kürwürde. Karl V.
stand mit seinem Heere vor Wittenberg. Hier liess er den alten, bereits
fünfundsiebzigjährigen Meister zu sich in das Lager entbieten und empfing
ihn, seiner künstlerischen Leistungen gedenkend, sehr gnädig. Cranach
legte eine dringliche Fürsprache für seinen unglücklichen Herrn ein. Die
gewöhnliche Annahme ist, dass sich Cranach sofort zu Johann Friedrich
begeben habe, das Gefängniss desselben zu theilen; Hr. Schuchardt weist
indess nach, dass er die nächsten Jahre noch in Wittenberg blieb, auch
für diese Frist, als nicht in den Diensten des Fürsten, kein Gehalt em-
pfing. Doch gab es viel zur Ordnung der Besitzthümer des letzteren,
namentlich der Kunstsachen, zu thun, wobei Cranach, bei dem sich Man-
cherlei der Art im Verwahrsam befand, lebhaft mit in Anspruch genommen
wurde. Interessant ist es, hiebei die ungemeine Sorge zu ersehen, die einem
Gemälde Dürer's, seiner Darstellung der zehntausend Märtyrer, das sich
früher in der Schlosskirche zu Wittenberg befunden hatte, gewidmet wurde.
Der Fürst liess sich das Bild als einen kostbaren Schatz zuschicken und machte
damit, wie es scheint, dem Kaiser ein Geschenk; es ist ohne Zweifel das
jetzt im Wiener Belvedere befindliche berühmte Gemälde Dürer's. Johann
Friedrich konnte aber den Verkehr mit Cranach und die Theilnahme an
dessen künstlerischer Thätigkeit auf die Dauer nicht entbehren; er liess
den alten Meister wiederholt zu sich einladen, und dieser kam endlich,
im Jahre 1550, zu ihm und blieb bis zum Ende seiner Gefangenschaft,
zwei Jahre und zwei Monate, in Augsburg und in Innsbruck bei ihm.
Wieder eine überaus grosse Fülle von Arbeiten, darüber die Notizen vor-
liegen, fertigte er während dieser Zelt, u. A. ein Bildniss Tizian's, der
sich 1550 in Augsburg aufhielt, auch jenes Bild von Diana und Actäon,
das er in seinen naiven Notizen mit den ergötzlichen, schon sonst bekannt
gemachten Worten bezeichnet: „Die anna die den-geger begeust das ein
Hirs aus im wird,^\-— Gegen Ende 1552 kehrte er mit dem Fürsten heim
und nahm, wie dieser, seinen Aufenthalt in Weimar. In sehr ehrenhafter
Anerkennung seiner Dienste empfing er ein förmliches Anstellungsdekret,
in welchem ihm seine bisherige Besoldung nebst Hofkleidung für Winter
und Sommer und Kost bei Hofe auf Lebenszeit bestätigt wurde. Er starb
am 16. October 1553, 81 Jahre alt. *
Es geht ebenso aus dem Leben Cranach's, wie aus der Beschaffenheit
der unter seinem Namen cursirenden Werke hervor, dass er mit einer
Menge von Schülern .und Gesellen arbeitete. Die vorzüglichste Bedeutung
unter diesen haben seine beiden Söhne. Hr. Schuchardt hat das Verdienst,
die bisher gänzlich übersehene künstlerische Bedeutung des älteren der-
selben, Johanns (der 1536 starb), hervorgehoben zu haben. Dass dieser
im j. 1517 auf der Wittenberger Universität immatrikulirt wurde, (ohne
dabei jedoch, als noch zu jung, den Studenteneid leisten zu können,) ist
678 ' *• > Berichte und Kritiken.
völlig ungewiss, da Derjenige, auf den sich diese Angabe bezieht, im Album
der Universität „Johannes Sonder" genannt wird (was bisher die ebenso
ungewisse Hauptstütze für Cranach's ursprünglichen Familiennamen bildete).
Dagegen liegen, namentlich in einem langen lateinischen Klagegedicht auf
seinen Tod, die bestimmtesten Zeugnisse für seine künstlerische Wirksam-
keit und die Bedeutung derselben vor. Es werden darin, neben einigen
kirchlichen Bildern, besonders Darstellungen mythologischen Inhaltes ge-
rühmt; es wird gesagt, dass er Luthers Bildnisse zu Tausenden gemalt habe;
es wird ihm, was besonders wichtig ist, der schärfere Geist, dem Vater das
grössere künstlerische Vermögen zugeschrieben^ —
Tu plus ingenii, genitor plus artis hahebat.
Hr. Schuchardt hat (S. 118, ff.) sehr sinnreich eine Reihe von Bildern zu-
sammengestellt, die sich, namentlich in den -weiblichen Gestalten, durch
einen zarten bläulichen Silberton und das geringere Hervortreten der dem
Vater eigenen scharfen Umrisslinien auszeichnen und die von Johann her-
rühren, dürften.
Der zweite Sohn, Lucas, ist der bekannte „jüngere Cranach", den der
Verfasser als trefflichen Coloristen und als ausgezeichnet im Portraitfach
bezeichnet und für den er (S. 243, f.) ebenfalls einige charakteristische
Werke anführt. Der Verfasser hat sich die Herausgabe einer besondern
literarischen Arbeit über ihn vorbehalten. Ich erlaube mir, eine Bemerkung
in Bezug auf ihn und sein künstlerisches Verhältniss zum Vater hinzuzu-
fügen. Wir besitzen eine wichtige, vom Verfasser in sorgfältiger Ueber-
setzung mitgetheilte Denkschrift über den älteren Cranach, abgefasst von
M. Mathias Gunderam aus Cronach, der von 1546 bis 1556 Hauslehrer in
der Familie des jüngeren Cranach war und der diese Urkunde 1556 in den
Thurmknopf der Wittenberger Stadtkirche niedergelegt hatte. In derselben
wird u. A. jenes Gespräch Karl's V, mit Cranach im Lager vor Witten-
borg, 1547, ausführlich mitgetheilt. Bei dieser Gelegenheit sagt der Kaiser
zu ihm: „Dein Fürst hat mir zu Speyer, beim Reichstage, eine trefflich
gemalte Tafel geschenkt, die Einige von Deiner Hand, I^inige von der
Deines Sohnes hielten" etc. Aus diesen Worten geht meines Erachtens
bestimmt hervor, dass man schon bei Lebzeiten des älteren Cranach unter
Umständen nicht, zu sagen wusste, was von dem Einen und was von dem
Andern gemalt sei. dass also ihre künstlerische Behandlungsweise unter
Umständen sehr ähnlich sein musste. Dem Verfasser schcint aber diese
Schlussfolgerung nicht genehm gewesen zu sein; er bemerkt kurzweg, Gun-
deram habe mit jener Aeusserung dem jüngeren Cranach wahrscheinlich
ein Compliment machen wollen. Mir scheint eine Auslegung solcher Art,
die dem Magister an der einen Stelle eine unwürdige und in jeder Bezie-
hung unschickliche Schmeichelei zuschiebt, während an der andern seine
Autorität als unumstösslich gepriesen wird und während er selbst sich mit
d?r Versicherung seiner Gewissenhaftigkeit nur an die Nachkommen wendet,
völlig willkürlich. Ich halte vielmehr dafür, dass Kaiser Karl's Ausspruch
über die beiden Cranache, mögen die Urtheilgeber, auf die er sich bezieht,
auch keine vorzüglich ausgezeichneten Kunstkenner gewesen sein, doch
immer sehr berücksichtig;ungswerth bleiben muss.
Als andre Cranach'sche Schüler nennt der Verfasser: Vischer (Peter?),
Ma rtin, Mathias und AVolfga ng Krodel, G ottfi-ied Lei gel, Peter
Gottland, Johann Kreutcr, Georg Böhm, und führt das Wenige
Lucas Cranacli des Aeltereu Leben und Werke, 679
an, was iu Betreff vorhandener Werke mit ihnen in Verbindung zu brin-
gen ist. —
Der zweite Theil enthält die „Beschreibung von Cranach's
Werken". Dieselbe zerfällt in folgende Abschnitte: Oelgemälde, Aqua-
rellmalereien und Zeichnungen, 467 Nummern; — Kupferstiche, 10 Num-
mern; — Holzschnitte, 193 Nummern. Eingereiht ist ein Verzeichniss der
Bildnisse Cranach's, 27 Nummern, und der Kupferstiche, Lithographieen
und Holzschnitte nach Cranach, 77 Nummern. Wie schon bemerkt, giebt
der Verfajser die Beschreibung, besonders der im ersten Abschnitt genannten
Werke, nur, soweit ihm diese bekannt geworden. Wenn hiemit eine abso-
lute Vollständigkeit nicht erreicht ist, so ist doch jedenfalls auch hier eine
Fülle neuer Mittheilungen enthalten, und jedenfalls verbindet sich mit dem-
Verfahren des Verfassers das grosse und seltene Verdienst, dass uns überall
nur ein auf eigner genauer Prüfung beruhendes Urtheil vorgelegt wird.
Es ist für den Referenten überaus schwer oder vielmehr unmöglich, dies
Verdienst in derjenigen Weise zu würdigen, auf welche der strenge Fleiss
des Verfassers ohne Zweifel den gerechtesten Anspruch hat; es würde dazu
eine ebenso umfassende Detailkenntniss, wie sie eben nur er, in Bezug auf
Cranach besitzt, gehören. Unbedenklich liegt in dieser Beschreibung ein
Buch vor, das der Kunstfreund fortan um so weniger wird entbehren
können, als es bei seiner Reichhaltigkeit nicht nur materiell die umfas-
sendste Belehrung zu gewähren im Stande ist, sondern auch, bei dem festen,
auf einer bestimmten Basis beruhenden Urtheile, selbst für etwaige ab-
weichende Ansichten einen sichern Regulator wird bilden können.
Ich füge nur einige Einzelbemerkungen, besonders iu Betreff des ersten
Abschnittes und mit gelegentlicher Bezugnahme auf entsprechende Dinge,
die schon im ersten, historischen Theile des Werkes abgehandelt waren,
hinzu. Der erste Abschnitt, das Verzeichniss der Malereien und Zeich-
nungen, ist nach den Orten, an welchen die letzteren sich befinden, und
zwar in alphabetarischer Folge der Lokale, geordnet. Dies gewährt eine,
in mehrfacher Beziehung nützliche und zweckmässige Uebersicht, macht
das Buch besonders auch als Reisehandbuch für den speziellen Zweck
brauchbar. In der Einleitung dazu sagt der Verfasser, dass er am Schluss
Verzeichnisse, die nach den Jahren und nach den Gegenständen geordnet
sein sollten, hinzufügen wolle; wir linden aber nur Register, welche die
von Cranach behandelten Gegenstände und welche die im Buche vorkom-
menden Personal-Namen betrefl'en. Ein historisches Verzeichniss
von Cranach's Werken hat der Verfasser nicht gegeben. Dies halte ich
aber, in Bezug auf den ganzen historischen Zweck seiner Arbeit, für ein
unbedingt nöthiges Erforderniss. Ich kann daher nur sehr lebhaft wün-
schen, dass er ein solches noch nachträglich und zwar in möglichst um-
fassender Weise liefern möge, der Art: dass darin nicht bloss die bestimmt
datirten Originalwerke Cranach's, sondern auch, an den Stellen, wo sie
nach Ansicht des Verfassers am sichersten hingehören dürften, die unda-
tirten und ebenso die nur urkundlich genannten aufgenommen würden.
Auch würde ich es, der ganzen Sachlage entsprechend, für äusserst zweck-
mässig halten, wenn in dasselbe Verzeichniss ebenso die Atelierwerke,
sowie die der Söhne und Schüler, überall an den bestimmten oder ihnen
nach Wahrscheinlichkeit einzuräumenden Stellen aufgenommen würden,
welches Alles durch eine Anzahl von Rubriken und etwaige mässige
Schriftverschiedenheit zur genügend klaren Uebersicht zu bringen wäre.
580 ' Berichte uud Kritiken.
Eine solche tabellarische Arbeit würde unstreitig für diesen schwierigen
Gegenstand vom grössten Nutzen sein und zu dessen schliesslicher Auf-
klärung in schätzbarster Weise beitragen.
Der Verfasser giebt ferner sein Urtheil darüber ab, inwiefern er die
aufgeführten "Werke als Originalarbeiten Cranach's anerkennt, oder in ihnen
nur eine bedingte Mitwirkung seiner Hand findet, sie als Atelierwerke,
oder als solche, die bestimmt nur von Schülern oder Nachahmern des
Meisters herrühren, zu bezeichnen sich veranlasst findet. Das für die Aus-
dehnung des Verzeichnisses befolgte Princip ist nicht völlig klar; es scheint,
dass der Verfasser in dieser Beziehung der gangbaren Meinung, insoweit
diese von Arbeiten des älteren Cranach sprach, gefolgt ist. So nennt er
in der Stadtkirche zu Wittenberg nur das grosse, seinem Inhalte nach
jedenfalls so bedeutende Altarbild, erkennt darin aber fast durchaus Nichts,
was an Cranach's eigne Hand erinnere. So im Dome zu Merseburg nur
das Bild der Kreuzigung, dem er kaum den Werth eines AtelierWldes
zugesteht. So im Dome zu Naumburg nur die beiden Altarflügel mit
einzelnen Heiligenfiguren, die er ebenfalls dem Meisler abspricht. Alle
übrigen Werke Cranachischer Schule, die z. B, in diesen Kirchen vorhanden
sind, werden nicht etwa auch mit angeführt.
Das grosse Altarwerk in der Liebfrauenkirche zu Halle hält er, der
Annahme Passavant's und Anderer folgend, für ein Werk, das Math. Grüne-
wald mit Gehülfen ausgeführt habe; von Cranach, wie angenommen worden,
findet er darin aber keine Mitwirkung. Von dem grossen Altarwerke zu
Schneeberg, darauf wir besonders durch Waagen aufmerksam gemacht
sind und das dieser für Cranach's Hauptwerk erltlärt, bemerkt er, dass
Cranach an dessen Ausführung überhaupt keinen sonderlichen Antheil
habe und dass es wohl nur unter seiner Aufsicht von seinen Schülern ge-
malt sei.
Besonders ausführlich spricht der Verfasser, an verschiedenen Stellen,
über das merkwürdige, in der Stadtkirche zu Weimar befindliche Altar-
bild. Das Endergebniss seiner Untersuchungen ist: dass der ältere Cranach
die Hauptfiguren des Mittelbildes — also den bei Weitem wesentlichsten
Theil desselben — in seinem letzten Lebensjahre gemalt habe und dass
Mittelgrund und Hintergrund von dem jüngeren Cranach und dessen Schü-
lern herrühren; dass die Innenseiten der Flügel (mit den fürstlichen Bild-
nissen) von dem Sohne nach vorliegender Zeichnung und begonnener Aus-
führung des Vaters, die Aussenseiten der Flügel von Gehülfen des Sohnes
nach dessen Erfindung und unter geringer Mitwirkung von seiner Seite
gemalt seien. Ich bin sehr entfernt davon, der künstlerischen Analyse,
welche der Verfasser von diesem Werke giebt, irgendwie entgegenzutreten;
ich kenne auch das Werk nur aus flüchtiger Anschauung, die ich somit,
zumal bei der erdenklichst ungünstigen Beleuchtung, welche das Bild hat,
gar nicht mit in Anschlag bringen darf; ich muss aber gestehen, dass mir
auch nach den Auseinandersetzungen des Verfassers Manches in Betreff der
Beschaffung dieses Bildes noch räthselhaft bleibt. Wenn Cranach sich
selbst lebensgross auf dem Hauptbilde darstellt, und insofern geradezu als
Hauptperson, als der Blutquell aus der Wunde des gekreuzigten Erlösers
auf sein, des Stehenden, Haupt fällt, während die Glieder der fürstlichen
Familie knieend auf den Seitenbildern erscheinen, so liegt in solcher Zu-
sammenstellung, falls sie ursprünglich war, etwas fast allzu stolz Bewusstes
und Anmaassliches, das auch die Verhältnisse jener Zeit keinesweges be-
Lucas Craiiach des Aelteren Leben und "Werke. 681
greiflich machen, zumal wenn man damit die ganze Fassung jenes gleich-
zeitigen erneuten Anstellungsdekretes vom Jahre 1562 vergleicht, das, bei
aller ehrenhaftesten Anerkennung von Cranach's Verdiensten, doch den
Unterschied von Herrn und Diener in keiner Art aus den Augen lässt.
Dann trägt das Mittelbild nicht bloss das spätere Datum 1555, welches als
das der Vollendung, zwei Jahre nach des alten Meisters Tode angenommen
wird, sondern zugleich diejenige Form des Künstlerzeichens, die der Ver-
fasser ganz bestimmt, auch in Beziehung auf diesen Fall, als die des jün-
geren Cranach bezeichnet. Ich muss gestehen, dass ich hierin (nicht in
der Zahl, wohl aber in dem Zeichen), an einem Werke, welches im "We-
sentlichen von dem hochgefeierten Vater herrührt, eine Anmaasslichkeit
von Seiten des Sohnes würde erkennen müssen, die so wenig mit der kind-
lichen Pietät in Einklang zu bripgen sein möchte, wie noch weniger mit
der Sorge, durch solches Verfahren den doch vielleicht sehr bedenklichen
Unwillen der fürstlichen Herrschaft, welche den alten Meister jedenfalls
sehr Werth hielt, zu erwecken. Ich wiederhole: ich bin völlig ausser Stande,
hiemit in eine artistisch kritische Streitfrage einzugehen; dennoch aber
scheinen mir die angeregten Bedenken keinesweges ihrem Gewichte ent-
sprechend erwogen zu sein und somit noch einet anderweitigen Lösung zu
bedürfen.
Bei Gelegenheit des schönen Gemäldes von Cranach im Dome zu
Erfurt, welches die Vermählung derb. Katharina darstellt, citirt der Ver-
fasser die in der zweiten (von J. Burckhardt bearbeiteten) Auflage meines
Handbuches der Geschichte der Malerei etc. enthaltene Angabe, dass das-
selbe vom Jahre 1509 herrühre. Er bemerkt (I, S. 297), er könne nicht
vermuthen, wo diese Notiz herrühre. Die Angabe gehört meinem ver-
ewigten Freunde L. v. Schorn an. Leider kann ich augenblicklich nicht
bestimmt ermitteln, wo sie sich bei ihm befindet; vermuthlich habe ich sie
ungedruckten Arbeiten seiner Hand, dergleichen mir freundlich,mitgetheilt
waren, entnommen. In die erste Auflage meines Handbuches hatte ich das
Folgende, als Aeusserung v. Schorn's über jenes Bild von Cranach, einge-
tragen: „Hier ist er ganz der deutsche Francia! "Welche Lieblichkeit in
den Köpfen der Maria, des Kindes, der Katharina und der beiden Engel!
Welche Innigkeit der Empfindung, welche Zartheit des Gefühls, welche
Glut der Liebe spricht aus ihnen! Und die Farbe athmet doch den wärm-
sten Hauch des Fleisches, die tiefste gesättigste Pracht der Gewänder. Das
Bild ist von 1509, gehört also in die erste Zeit von Cranach's Aufenthalt
in Sachsen^ der nicht über 1504 zurückzugehen scheint." Ich hatte hinzu-
gefügt, V. Schorn sei geneigt, Cranach zu Francia in die Schule zu schicken.
Ohne Zweifel wird sich zu Weimar die angeführte Stelle leicht in v.
Schorn's Schriften auffindfen lassen.
Die Darstellung eines, in einer Landschaft sitzenden Ritters, dem ein
älterer Ritter drei nackte Mädchen vorführt, die in einer ganzen Anzahl
von Exemplaren vorkommt und meistens als „das Urtheil des Paris", ge-
legentlich auch als „der Ritter am Scheidewege" bezeichnet'wird, erklärt
der Verfasser, nach Rathgeber's Vorgang, als Gegenstand einer brittischen
Sage, den König Alfred vorstellend, der auf einem Besuche bei seinem
Vasallen Albonak ein bedenkliches Wohlgefallen an dessen Töchtern ge-
funden hatte und dem der Vater zvir Morgenstunde, im Beisein der Mutter
und eines Sohnes, die Töchter entkleidet zufahrt, mit der ernstlichen Ver-
sicherung, er werde sie alle drei tödten, wenn sein Argwohn begründet
682 ' Berichte uud Kritiken.
sei; worauf dann der König eine von ilmeu zum Weibe nimmt. Der Ver-
fasser berichtigt hienach u. A. (I, S. 301) die Bemerkungen, die ich in
Bezug auf das Wörlitzer Exemplar dieser Darstellung gemacht hatte,
dass es mich nemlich an die Sage vom Tannhäuser und vom Venusberge
erinnert habe und dass es ein charakteristischer Beleg für das Phantastische
in Cranach's Richtung sei. Wenn jene Erklärung den Inhalt der Darstel-
lung giebt, so muss ich bemerken, dass dennoch die Auffassung überall,
und namentlich auch in dem Wörlitzer Bilde, dem dramatisch-historischen
Erforderniss des Vorganges völlig abgewandt, völlig ins Phantastische
übertragen und um so mehr als ein Zeugniss für dies Element erscheint,
als eben eine bestimmte historische Grundlage vorausgesetzt wird. Dass
die Scene überall von den Nebenumständen und den zu dem Vorgange
gehörigen Nebenpersonen absieht, dass sig in einer felsigen Landschaft vor
sich geht, giebt ihr schon einen unbedingt mährchenhaften Charakter; in
dem genannten Bilde kommt dann noch die wunderliche Goldrüstung des
alten Ritters, sein mit Schnäbeln und Flügeln verzierter Helm, seine auf
ganz seltsame Weise vom Knie ab entblössten Füsse, das Diabolische im
Ausdruck seines Gesichtes, die Geberde des einen Mädchens, das mit seinem
Fusse des Ritters Knie berührt, hinzu. Das Alles lässt eben ein launiges,
dem ächten Geiste der Volkspoesie entsprechendes Spiel der Phantasie
erkennen, zu dessen Verständniss durch jene brittische Sage doch noch
erst sehr wenig gewonnen sein würde. - In der That aber finde ich nicht,
dass die Erklärung Rathgeber's i), dem der Verfasser einfach folgt, sich
auf irgend eine Autorität stützt. An sich wird es mit der Sage von Alfred
und Albonak ohne Zweifel seine Richtigkeit haben. Es war aber nachzu-
weisen, dass sie zu Cranach's Zeit der Art beliebt und zugleich soweit
volksthümlich umgebildet war, um den Meister und seine Gesellen zu so
häufiger Wiederholung und zu einer, das Wesentliche des Inhaltes so be-
deutend umwandelnden Darstellung zu veranlassen. Dies ist nicht geschehen.
So kann die seltsame Darstellung einstweilen mit eben so gutem Rechte —
mag dies der Gewährsmann des Verfassers auch „lächerlich" finden, —
den bisher beliebten Titel „das ürtheil des Paris" beibehalten und würde
dann nur eine Uebertragung des Stoffes im Sinne des deutschen Volks-
mährchens sein, ganz in der Weise, wie dies zu jener Zeit so oft mit an-
tiken Dingen geschehen ist. (Der junge Ritter wäre dann Paris, der alte
Merkur, wobei auch des letzteren Flügelhelm eine Erklärung fände.) Und
wenn Rathgeber von einem zu Gotha befindlichen Exemplare dieser Dar-
stellung, welches Schuchardt nicht erwähnt, berichtet, dass der alte Ritter
den verhängnissvollen Apfel in der Hand trägt, während ein über dem
jüngeren Ritter fliegender Liebesgott seinen Pfeil auf die Mädchen ab-
schiesst, so dürfte dies für den antiken Stoff noch ein sehr ansehnliches
Gewicht in die Schale werfen, )
Zum Verständniss eines andern Cranach'schen Bildes erscheint das
Zurückgehen auf den ursprünglichen Inhalt ungleich wichtiger. Dies ist
das zu Schieissheim befindliche Gemälde, welches der Verfasser (II, S.lll)
unter dem ganz richtigen Titel, den der Katalog der Schleissheimer Gal-
lerie enthält, — „der Mund der Wahrheit", — anführt. Es ist die Dar-
stellung einer weiblichen Person, die, im Beisein mehrerer Männer, von
denen einer ein ausgezeichnetes Kostüm trägt, ihre Hand in den Rachen
') Beschreibung der herzogl. tiemifldegallerie zu Gotha, 1835, .S. 179 ff.
\
Lucas Cranach des Aeltereti Lebeu und Werke. ü83
ciues, auf einem Postaraente stehenden Löwen steckt, während ein Narr,
der sie umfasst, von ihr zurückgestüssen wird. Der Verfasser führt zur
Erläuterung, aus dunkler Erinnerung, eine Erzählung an, die aber jeden-
falls nicht das Genügende zur Aufldärung des Bildes bringt (was auch in
seiner anderweit, I, S. 263, f., gegebenen Exposition desselben nicht der
Fall ist.) Ohne Zweifel ist es die Darstellung einer mehrfach vorköm-
menden Sage, die ursprünglich, wie es scheint, der Kirche S. Maria in
Cosmedin zu Rom angehört. Die letztere führt von einer kolossalen antiken
Brunnenmaske, welche sich seitwärts in der Vorhalle befindet, in der Volks-
sprache den Namen Bocca della veritä (Mund der Wahrheit). Das Volk
erzählt nemlich, die Personen, die vor Gericht einen Eid abzulegen hatten,
seien vor Zeiten genöthigt worden, ihre Hand in den Mund der Maske zu
stecken; ein falscher Schwur habe den Verlust der Hand zur Folge gehabt.
Einst ward eine Frau von ihrem Manne wegen Ehebruchs verklagt und
sollte ihre Unschuld beschwören. Der Liebhaber^ mit dem sie sich ver-
gangen, erhielt davon Nachricht, stellte sich wahnsinnig und umarmte die
Bes(^huldigte, als diese eben zur Eidleistung ging; sie schwur nun, ihre
Hand in den Mund der Maske legend, es habe sie, mit Ausnahme ihres
Mannes, keiner je berührt als dieser Wahnwitzige. Die Maske verlor fortan
ihre Kraft. Die Geschichte ist in der „Beschreibung der Stadt Rom" etc.,
HI., L, S. 379 ff., nachzulesen. Etwas verändert kommt die Sage in den
Geschichten des Zauberers Virgil vor. Im deutschen Volksbuch von Virgil
ist es, unter den andern wunderbaren Kunstwerken, die er für Rom arbeitet,
eine eherne Schlange, in deren Rachen die Hand zur Eidleistung gelegt
wird. Der Liebhaber der Frau tritt hier nicht als Wahnwitziger, sondern,
wie bei Cranach, direkt als Narr auf; auch ist Virgil selbst bei dem Vor-
gange gegenwärtig. Ich zweifle nicht, dass sich auch noch Abfassungen
der Sage vorfinden werden, in denen, statt der ehernen Schlange, wie iu
dem Cranach'schen Bilde die Figur eines Löwen erscheint.
Indem ich von weiteren Einzelbemerkungen absehe, führe ich nur noch
an , dass der Abschnitt über Cranach's Kupferstiche und Holzschnitte mit
einer Einleitung versehen ist, in welcher sich der Verfasser sehr entschie-
den auf die Seite Derjenigen stellt, die in dem grossen Kampfe über die
Eigenhändigkeit oder Nichteigenhändigkeit der Holzschnitte das Banner
der ersteren tragen. Der Verfasser behauptet von einigen vorzüglichen
Cranach'schen Holzschnitten unbedingt, dass er selbst sie geschnitten habe. •
Er bemerkt, „das Derjenige keinen grossen Anspruch auf Kunstkenner-
schaft machen dürfte, der es für wahrscheinlich hält, dass ein hand-
werksmässiger, wenn auch vorzüglich geübter Holzschneider diese Blätter
habe schneiden köfinen." Ich bin unendlich fern davon, in diesen ge-
fahrvollen Kampf mit einzutreten, und ich darf mich dess um so weniger'
gelüsten lassen, als meine kunsthistorischen Studien in keiner Weise so
weit reichen. Aber ich kann es nicht bergen, dass mir die armen Holz-
schneider von heute leid thun, denen, nach solcher Lage der Dinge, 'na-
türlich auch keine Aussicht auf sonderlich würdigen Erfolg oder^— Ehre
bleibt. Es wird hienach auch wohl in Frage stehen, ob etliche der merk-
würdigen (nicht sowohl technisch'eleganten als künstlerisch frei und naiv
gearbeiteten) Holzschnitte in der neuen Prachtausgabe der Werke Friedrichs
des Grossen, die auf Befehl des Königs von Preussen veranstaltet wird,
vou Adolph Menzel; dem Maler, oder, wie man hier in Berlin annimmt,
684 ' Berichte uud Kritiken.
nach seinen Zeichnungen von Holzschneidern, wie Unzelmaun und diu
beiden Vogel, geschnitten sind. —
Ich habe schliesslich noch von Cranach's künstlerischem Charakter im
Allgemeinen und von der Bedeutung desselben zu sprechen. Was der
Verfasser hievon meint, muss aus verschiedenen, zum Theil etwas zer-
streuten Stellen des Werkes entnommen werden. Die Einleitung zum
zweiten Theile enthält einige Bemerkungen über Cranach's Technik. Sehr
wichtig und für Cranach's ganzes Kunstwesen charakteristisch bezeichnend
erscheint mir die Bemerkung; dass er seine, nur mit dünner Farbe ge-
machten Bilder in letzter Hand stets mit scharfen Umrissen beendete, — also
das Gepräge der Zeichnung entschieden vorwalten Hess, Der Verfasser hat
sich durch vielfache sorgfältige Untersuchung überzeugt, dass, wo diese
scharfen Conture gegenwärtig fehlen, sie stets durch unverständiges Putzen
verloren gegangen sind. Dann fügt er noch einige äusserliche Merkzeichen
in Betreff eigenhändiger Cranach'scher Bilder hinzu: — Das Zeichen der
geflügelten Schlange stets mit aufrecht stehenden Flügeln (Fledermausflü-
geln), während auf den Atelierbildern, auf denen der Söhne, Schüler und
Nachahmer die Flügel der Schlange stets mehr oder weniger liegend (in der
Form von Vogelflügeln) erscheinen. Keine Anwendung von Metallgold.
Keine runden Heiligenscheine. In den Fleischpartieen und selbst in den
Gewändern keine scharf aufgesetzten Lichter.
In der Einleitung zum ersten Theil bezeichnet der Verfasser Cranach
als einen Naturalisten, der durch Talent und natürliches Gefühl überall
sehr glücklich geleitet werde, wo es nicht auf umfassendere Kunstforde-
rungen ankomme. Vorzüglich ausgezeichnet sei er in einfaciien Gestalten
und besonders als Povtraitmaler. In Gestalten ernsterer Bedeutung, beson-
ders in seinen Madonnen und Christusfiguren, habe er einen höheren Adel
glücklich zu erreichen gewusst. Jedermann wird diesen, freilich noch
ziemlich allgemeinen Bemerkungen gern beistimmen. Der Verfasser stellt
Cranach ausserdem mit Dürer und Holbein zusammen, wie es scheint: als
die drei Häupter der deutschen Kunst: Dürer sei von ihnen der gründ-
lichste, ernsteste, umfassendste und gelehrteste, — Holbein der beste Maler
und derjenige, welcher den meisten Geschmack hatte, — Cranach der
naivste und der beste Colorist. Hiegegeu möchte sich Einiges einwenden
lassen. Wenn Dürer und Holbein auch wohl die grössten der deutscheu
Meister der Zeit sind, so dürfte Cranach gegenüber denn doch noch manch
Einer, besonders von den Süddeutschen, zu nennen sein. Dann bezeichnen
jene Drei nicht verschiedene Grundrichtungen; Cranach gehört zur Rich-
tung Dürer's (der der fränkisch-sächsischen Schule), ziemlich in der Art,
wie Nicolaus Manuel sich Holbein anreiht, wenn Manuel auch nicht so
gleichartig ist, wie Cranach, und nicht so viel geschaff'en hat, wie dieser.
Und wenn der beste Maler dem besten Coloristen entgegengesetzt wird,
so wäre doch eine nähere Definition des allerdings wohl etwas delikaten
Unterschiedes zu wünschen gewesen.
Wegen der weiteren Auseinandersetzungen über Cranach's Kunstcha-
rakter verweist der Verfasser auf den Schlussabschnitt des ersten Theiles,
der eiue kritische Zusammenstellung der Urtheile verschiedener Schrift-
steller über den alten Meister enthält. Der Verfasser überlässt es dem
Leser, sich danach schliesslich selbst sein Urtheil zu bilden; doch ist das
Resultat dieses Verfahrens, bei der grösseren oder geringeren, nicht immer
ganz unbefangenen Opposition des Verfassers gegen seine Collegen, im
Lucas Craiiach des Aelteren Leben und "Werke. 685
Ganzen melir negativ als positiv. Ein wesentlicher Theil seiner Entgeg-
nungen beruht darin, dass, seiner Darlegung zufolge, bisher die eigent-
lichen Original werke Cranach's von den übrigen nicht hinreichend geson-
dert sind, dass man also aus Werken, die in der Auffassung roher und in
der Behandlung abweichend sind, einen nicht ganz geeigneten Rückschluss
auf den Meister gemacht habe. "Wir haben diese Belehrungen, in der Er-
Avartung, dass das Ergebniss der Spezialforschung des Verfassers sich be-
stätigen wird, nur mit Dank entgegen zu nehmen. Ueber andres Einzelne
mögen noch einige flüchtige Andeutungen folgen.
Der Verfasser beginnt in seiner Autorenschau mit dem alten Sandrart.
Natürlich war von diesem, seiner ganzen Zeitstellung nach, nichts sonder- -
lieh Erschöpfendes über Cranach zu erwarten. Eine beiläufige Aeusserung
Sandrart's veranlasst den Verfasser zu der Anmerkung, die für das Allge-
meine seiner (des Verfassers) kunsthistorischen Anschauung bezeichnend
sein dürfte: dass das naturgemässe Wachsthum der deutschen Kunst ge-
stört, dass ihr Verfall dagewesen sei, als sie nach der Antike, nach Ita-
lien geschaut habe. Hierauf ist zu erwidern: dass der deutsche Geist in
jener geschichtlichen Epoche, vom fünfzehnten Jahrhundert ab, eine andre
Nationalaufgabe zu lösen hafte als die der Kunst; dass die deutsche Kunst,
trotz des Tiefsinnigen, des Gedanken- und Gemüthvollen einzelner Meister,
sich, aus ihrer spiessbürgerlichen Enge heraus, nicht zur vollkommenen
Freiheit und Grösse zu entwickeln vermochte, dass der Grund der deut-
schen Kunst jener Zeit schwach geblieben war und sie vor dem Strahle
der italienischen, der antiken Kunst naturnothwendig hinwelken musste.
Peter Vischer bezeugt es, dass das Studium der letzteren auch die deutsche
Kunst mächtig hätte fördern können, wäre in ihr selbst die Fähigkeit mehr
verbreitet gewesen, lautere Grösse zu ertragen.
Dann folgt v. Mannlich mit kurzer Bemerkung über Technisches.
Dann H. Meyer, von dem Ausführliches, zumeist ebenfalls die Behand-
lung betreffend, mitgetheilt und ausführlich besprochen wird. Es sind
Stellen der Schrift Meyer's über das Altargemälde in der Stadtkirche zu
Weimar. Ueber das letztere hat sich der Verfasser schon vorher geäus-
sert und dabei (I, S. 216) den mystisch-symbolischen Theil des Inhalts
gegen Meyer zu rechtfertigen gesucht. In culturgeschichtlicher Beziehung
ist dies Symbolische allerdings von wesentlicher Bedeutung: für die Kunst
bezeichnet es wiederum nur einen noch unfreien, primitiven Zustand. —
Es folgen ferner J. G. Schadow und A. Hirt, bei denen einzelnes, in
allgemeinerer Beziehung Unkritische gerügt und" ihrer Aeusserung über
einzelne Bilder, aus Gründen, widersprochen wird. Auch den Angaben
G. F. Waagen's in Betreff einzelner Bilder, namentlich des grossen Altar-
werkes von Schneeberg, tritt der Verfasser entgegen.
Den Beschluss macht Ausführliches über die betreffenden Stellen der
zweiten Auflage meines Handbuches der Geschichte der Malerei etc. Der
Verfasser lässt diese Bemerkungen, 18 Seiten hindurch, unter der Seiten-
überschrift „Franz Kugler" hinlaufen, obgleich er selbst den vollstän-
digen Titel des Werkes, mit der Angabe: „unter Mitwirkung des Verfas-
sers umgearbeitet und vermehrt von Dr. Jacob Burckhardt", anführt;
bei einem so kritischen Autor, wie es der Verfasser ist, hätte somit ein
derartig unkritisches Verfahren nicht füglich vorkommen sollen. Dann
macht er es mir, ebenso unkritischer Weise, zum Vorwurf, dass ich bei
der Besprechung von -Cranach'g künstlerischer Richtung das Element des
()G86 Berichte und Kritiken.
Ernstes ganz ausgeschlossen habe. In meinem Handbuch heisst es aber:
Cranach habe Vieles mit Dürer gemein; doch trete bei ihm an die Stelle
jenes tiefsinnigen Ernstes etc. mehr eine naive, kindliche Heiterkeit etc.
Ich wüsste wahrlich nicht, dass hiemit etwas Andres gesagt ist, als in den
oben angeführten eignen Worten des Verfassers, in denen er Dürer als
den Ernstesten und Cranach als den Naivsten bezeichnet. Einzelnes unter
den Bemerkungen meines Handbuches lässt der Verfasser gelten; in Betreff
einzelner Bilder (sofern dieselben dort als Originale genommen) hat er
dagegen wiederum viel zu rügen. Ich nehme diese Belehrungen, wie
schon bemerkt, willig an und gebe demnach zu, dass hienach das Urtheil
über Cranach, — d. h. soweit es seine eigenhändigen Leistungen, nicht
ii aber die von ihm sehr wesentlich mitvertretene Gesammtrichtung betrifft, —
ab und zu ein wenig zu modificiren sein wird. Sehn aase hat, in einer
Recension der zweiten Auflage meines Handbuches, diese Gesammtrichtung,
das Volksthümliche derselben, das an Volksbücher und Volkslieder Er-
innernde, was den Cranach zum Hans Sachs der Malerei macht, in ihren
naturgemäss gegebenen Gegensätzen sehr geistvoll näher entwickelt.^ Der
Verfasser sagt, dass ihm dies ßäthsel seien: — freilich wird es nöthig
sein, den Sinn für deren Lösung mitzubringen.
Ich aber kann schliesslich das ganze Wesen von Cranach's künstleri-
scher Richtung hierin, — in dem zünftig Volksthümlichen und Volks-
mässigen, — wiederum nur zusammenfassen. Wir wissen so viel wie
Nichts aus seinen ersten zwei und dreissig Lebensjahren; wir müssen an-
nehmen, dass er in dieser Zeit seine Kunst sehr fleissig erlernt habe, und
wir können aus allerbestem Grunde (da eben kein Werk seiner Hand aus
dieser Zeit bekannt ist) annehmen, dass er sie so lange fast völlig hand-
werklich betrieben habe. Wir sehen ihn aber auch die ganze übrige Zeit
seines Lebens hindurch als Handwerksmeister thätig, der die gemeinsten
Arbeiten mit übernimmt, der Kunstarbeiten schockweise liefert und der
durchaus keinen Anstand nimmt, auch Gepellenarbeiten aus seiner Werk-
statt hinauszusenden. Wir sehen in ihm selbst einen Bchnellmaler, der in
der Schnelligkeit noch einen „Luca fa presto" übertrifft, und wir sehen
ein solches Verfahren möglich gemacht dadurch, dass er das Charakteri-
stische der Arbeit, wie fein immerhin, wesentlich auf den Umriss redu-
cirt, ähnlich wie durch dasselbe Verfahren die Maler im Klostterstaate des
Berges Athos noch heute Tausende von Figuren in wenigen Wochen aus-
führen und dabei in ihrer Art doch auch Styl und Adel bewahren. Wir
sehen (was solcher Schnellmalerei ebenfalls förderlichst entgegenkommt)
seinen künstlerischen Styl bei seinem ersten, uns bekannten Auftreten
fertig und ein halbes Jahrhundert hindurch als ein im Wesentlichen
Feststehendes immer und immer wieder zur Anwendung gebracht. Wir
sehen endlich in seinen Bildern Stimmung, Innigkeit, Gemüth, Laune,
Derbheit, Humor, bunte Phantasie, ganz der Weise entsprechend, wie
diese sich in dem allgemeinen Volksgeiste äussern, und nur erst in
sehr bedingtem Maasse vom persönlichen Künstlergeiste so erfasst und
durchdrungen, dass hiedurch sich eine tiefere Erfüllung d^s Daseins an-
kündigt. Seine Richtung und seine Werke und die sich ihnen mit einiger
Würde anreihen, müssen daher für uns, als ächter Abdruck des deutschen
Volksgeistes jener Tage, stets den allergrössten Werth haben, wenn wir
dabei auch nicht zu den Höhen des künstlerischen Strebens geführt werden.
Dies allgemein Volksthümliche macht es natürlich schwerer, als in andern
Die Deckengfltnälde in der Alhambra. 687
ähnlichen Fällen, die Arbeiten des originalen Meisters von den übrigen
zu unterscheiden, oder es lag das dringende Erforderniss hiezu ungleich
weniger nahe; dieser Umstand wird es auch natürlich erscheinen lassen
und gelegentlich entschuldigen, wenn darin, wie der Verfasser nachge-
wiesen hat, seither so viele Missgriffe geschehen sind,- Nichtsdestoweniger
bleibt es in mehrfacher Beziehung durchaus wünschenswerth, die verschie-
denen bedeutenderen Hände, die in dieser Richtung gearbeitet, thunlichst
auseinanderzuhalten und vor Allem die von dem klaren und glücklichen
Talente getragenen Originalwerke Cranach's, in denen jene Quelle noth-
wendig am Lautersten fliessen muss, aus den übrigen zu sondern. Darum
kann dem Verfasser, auch wenn man ab und zu einer abweichenden An-
sicht folgt, der volle, aufrichtigste Dank nicht fehlen, und es bleibt nur
der Wunsch, dass er die Aufgabe, in die er einmal mit so nachhaltiger
Gründlichkeit eingedrungen ist, bei den noch vorbehaltenen Mittheilungeu
vollständig zu Ende führen möge.
Die Deckengemälde in der Alhambra.
(D. Kunstblatt 1852, No. 13 f.)
Unter der Fülle meisterlich vollendeter Aquarelle mit der Darstellung
spanischer und besonders maurischer Architekturen, welche der Maler, Hr.
Eduard Gerhardt, als eine Ausbeute seines längern Aufenthaltes in
Spanien heimgebracht hat, sind zugleich sechs Blätter mit kleinen Copien
der öfters besprochenen Deckengemälde enthalten, die sich in dem mauri-
schen Königsschloss der Alhambra zu Granada befinden. Sie tragen, in
ihrer ganzen Behandlung, das Gepräge zuverlässigster Treue. Da über die
kunstgeschichtliche Stellung der Originale bisher noch vrenig Genügendes
veröffentlicht ist, auch die Kupferstiche, die nach ihnen vorhanden (bei A.
de Laborde u. A.), hiezu keine hinreichende Vermittelung gewähren, so
glaube ich, dass die folgenden Notizen, zu denen mich jene Copien veran-
lasst, nicht ganz ohne Interesse sein dürfteni
Die Deckengemälde befinden sich in dem sogenannten „Justiz-Saale",
der sich, mehr ein breiter Corridor als ein Saal, an der einen Schmalseite
des Löwenhofes der Alhambra hinzieht. Doch nicht an der "Wölbung des
Saales selbst, die sich in jenem zelligen, stalactitenartigen Wesen, welches
der maurischen Architektur eigenthümlich ist, empordrängt, sondern in den
Wölbungen dreier Nischen von flach-oblongem Grundriss, welche an der
Längenwand des Saales angeordnet sind, den drei Zugängen, die vom Hofe
hereinführen, gegenüber. Die Wölbungen bilden, jener Grundrissform ge-
mäss, ein erheblich in die Länge gezogenes Oval. Sie bestehen aus Holz-
werk, mit Pergament überzogen, auf welchem letzteren die Malereien aus-
geführt sind.
Die mittlere Nische, aus der man auf den vielbesungenen Löwen-
brunnen in Mitten des Hofes hinausblirkt, ist die Hauptnische und enthält
688 ' Berichte uud Kritiken.
nie Hauptdarstellung. Auf goldnem Grunde mit eingepressten Mustern
sieht man hier an jeder Seite der ovalen Wölbung fünf maurische Fürsten,
alle über lebensgross, alle in die nationell eigenthümlichen weiten Ge-
wänder gekleidet und die Häupter umhüllt, mit Ausnahme einer Gestalt,
welche nur einen einfachen Turban trägt und das über die Stirn geschei-
telte Haupthaar frei hinabwallen lässt. Sie sitzen nebeneinander, auf ge-
stickten Polstern. Jeder hat das, in der Scheide befindliche Schwert, dessen
Gurt er über der Schulter trägt, vor sich; ein höchst würdiger Greis, die
mittlere Gestalt der Hauptseite, die man eintretend zuerst ins Auge fasst,
ist im Begriff, sein Schwert völlig in die Scheide zu stossen. Unter jeder
Figur, in einem fortlaufenden zierlichen Blätterfriese, befindet sich, ein
kleiner "Wappenschild, roth mit goldnen Schrägbalken, — dasselbe Wap-
pen, welches häufig auch sonst in der Alhambra wiederkehrt. In grossem
Maassstabe, jedesmal von zwei Löwen getragen, trennt eben derselbe
Schild, an der einen und der andern Seite, die beiden Reihen der Fürsten.
Ob in diesen Gestalten etwa die Glieder eines bestimmten Herrscherge-
schlechts dargestellt sind oder welchen historischeu Bezug sie sonst haben,
bin ich ausser Stande nachzuweisen. Soviel mir aus anderweiter Leetüre
erinnerlich, hat man das Bild auch als Darstellung einer richterlichen
Rathsversammlung aufgefasst und giebt an, dass der Saal davon den
Namen habe.
Der künstlerische Styl, der der ganzen Darstellung zu Grunde liegt,
ist der germanische in dem letzten Stadium seiner Entwickelung; ein schon
lebhafter und feiner Sinn für die natürliche Form und für edles Verhältniss
verbindet sich hier auf ^as Glücklichste mit jener Feier und Würde, wozu
der germanische Styl so vortheilhafte Gelegenheit giebt. Es geht ein
grossartiger Adel durch alle diese Gestalten; bei einzelnen vereinen sich
alle Grundelemente einer wirklich erhabenen Schönheit. Bei der einfach
ruhigen Haltung jeder Gestalt zeigt sich doch zugleich in Geberde und
Bewegung des Oberkörpers die grösste Mannigfaltigkeit. Die Gesichter
sind durchweg edel gebildet; die nationellen Züge der Physiognomie, am
meisten charakteristisch bei einem, ins Profil gestellten Kopfe, erscheinen
in sehr inaassvoll gehaltener Andeutung. An Haar und Bart herrscht
durchweg lichte Färbung vor. Nicht minder fein, wie die Bildung der
Gesichter, erscheint die der Hände. Ueberall erkennt man hier eine künst-
lerische Meisterhand, die ihrer Absicht ebenso sicher war, wie der Mittel,
welche dazu führen. Aber dies ganze künstlerische Streben, wie glücklich
auch seine Erfolge sind, bevregt sich doch noch bestimmt innerhalb der
Grenzen des Germanismus. Die Naivetät der Geberde, die feine Bezeich-
nung der Einzelform ist doch noch mit einer Gesammtfassung der Gestalten
verbunden, welche in dem typisch conventioneilen Gesetze dieses Styles
ihre Begründung findet; jene tiefere Naivetät der künstlerischen Darstellung,
welche auf der Beobachtung des Unwillkürlichen in der natürlichen Er-
scheinung beruht und hiedurch! erst eine selbständig freie Individualität
schafft, ist noch nicht vorhanden. Am Entschiedensten zeigt sich dies in
der Anordnung der Gewandungen an der unteren Hälfte der Gestalten.
Die Falten entbehren hier zwar nicht ganz des auf der körperlichen Hal-
tung beruhenden Motivs; aber in noch höherem Grade macht sich der
herkömmliche breite, zum Theil selbst schwere Zug der Linien (der in
solcher Art kelnesweges allein durch den etwa dargestellten schwer wol-
lenen Stoff der Gewandung zu erklären ist) geltend, und die völlig con-
■tt-
'•Anthi'fiif.r-ii.-" 'fri-f-iiir-'.'iiifr-ifii^ilili' f' Iirririiii i ■inmünM^üi^a.
-ocr page 688-Die Deckengfltnälde in der Alhambra. 689
venlionelle, kunstreich geschlängelte Windung, welche den unteren Saum
des betreffenden Gewandstückes bildet und für den germanischen Typus
so bezeichnend ist, erscheint überall in regelmässiger "Wiederkehr, So geht,
abgesehen von der Linienführung, auch die Modellirung der Gestaltien
noch wenig über das allgemeine Conventionelle Gesetz hinaus. Doch muss
wiederholt darauf hingedeutet werden, dass dies Alles, in seiner Weise,
mit feinstem Geschmacke und bewusster Sorgfalt durchgebildet erscheint.
Die Malereien an den Wölbungen der beiden andern Nischen enthalten
Scenen des Lebens, im romantischen Geiste der späteren Zeit der Mauren-
xherrschaft, wo maurisches und christliches Rittertlium in lebendigster
Wechselbeziehung standen. Jagd, Minne, Abentem3r sind die Gegenstände
der Darstellungen. Diese sind landschaftlich gefasst; die Gründe überall
blau, mit verschiedenartigen Bäumen und mit Architekturen; der pflanzen-
reiche Boden, wie die Bäume und selbst die Luft, vom mannigfachsten
Gethier belebt. Die menschlichen Figuren in den Scenen des Vorgrundes
sind unter lebensgross.
Wir betrachten zunächst die Nische zur Rechten des vom Löwenhof
eintretenden Beschauers. Hier sieht man, an der einen Seite der Wölbung,
eine Dame, deren Haupt mit Blumen geschmückt ist und die einen Löwen
an einer Kette führt. Ein wilder Mann, ganz mit Haaren bedeckt und nur
mit einem kurzen Hosenschurz bekleidet, hat sie an beiden Händen er-
griffen, wird aber von einem seitwärts daher sprengenden Kitter mit der
Lanze verwundet. Der letztere, ohne Zweifel ein Christ, trägt einen
schwarzen Harnisch, einen kurzen, eng anschliessenden weissen Waffenrock
und einen rothen Schild mit drei "Vögeln. Dann sieht man eine reiche,
mit Mauern und Thürmen umgebene Schlossarchitektur, aus deren Mitte
ein hoher Söller emporragt. Dieselbe Dame (wie es scheint) blickt von
letzterem flehend nach der andern Seite hinaus. Hier wird ein christlicher
llitter — wohl ebenfalls der vorher dargestellte, doch trägt er einen rothen
Waffenrock, — von einem daher sprengenden maurischen Ritter durchbohrt
und ist im Begriff vom Pferde zu sinken. An der andern Seite der Wöl-
bung sieht man zunächst einen christlichen Ritter zu Pferde, ohne Harnisch,
der einen Bären erlegt, und einen christlichen Ritter zu Fuss, der mit
grösster Anstrengung, gegen einen Löwen kämpft. Dann wieder eine Schloss-
architektur, aus deren Erkern ein Herr und eine Dame hinausschauen. Die
Fenster än der Vorderseite dieser Erker entsprechen, wie es scheint, der
christlich gothischen Bauweise, ebenso, -wie es bei den mit hohen Spitzen
versehenen Thürmen wohl angenommen Averden darf. Zu den Seiten des
Schlosses sind, im Blattwerk völlig deutlich, Eichenbäume und Finken auf
denselben dargestellt. Vor dem Schlosse sitzen ein Herr und eine Dame
beim Schachspiel (die Figur der Dame leidßr fast zerstört). Die Beschaf-
fenheit des Kostüms lässt es zweifelhaft, ob hierin christliche oder mau-
rische Personen dargestellt sind; wenn das erstere, wie es fast den Anschein
hat, der Fall ist, so würde das lange Obergewand, welches der Ritter trägt,
doch auf einen Einfluss maurischer Sitte deuten. »Es folgt schliesslich ein
maurischer Ritter zu Pferde, def eine Hindin jagt.
Die Wölbung der Nische zur Linken ist fast ganz den Angelegenheiten
der Jagd gewidmet. Zu Anfang der einen Seite sieht man eine Löwen-
jagd. Ein christlicher Ritter, in rother Kaputze, die in einen sehr langen
Zopf ausgeht, sprengt zu Pferde mit der Lanze gegen einen Löwen an,
Kurier, Kleine Schriften. II. 44
690 Berichte uud Kritiken.
gegen den zugleich ein Zweiter, zu Fusse, mit dem Schwerte ausholt. Ein
dritter christlicher Ritter, wiederum zu Pferde, erlegt einen Bären. Dann
folgt eine zierliche Brunuenarchitelitur; das Wasser des Brunnens strömt
nach vorn aus und ist von allerlei Wassergeflügel belebt. Hinter dem
Bande des Brunnens steht ein Ritter mit rother Kaputze, vielleicht der
erstgenannte, und eine Dame, beide miteinander im Gespräche begriffen,
das wohl nur Dinge der Minne betrifft. Dann ein maurischer Ritter zu
Pferde, der einen Eber erlegt. Hierauf, an der andern Seite der Wölbung,
eine Anzahl von Dienern, die den riesigen Eber auf ein Maulthier laden.
Dann derselbe Maure zu Fuss und das Pferd am Zügel führend, mit Ge-
folge; vor ihm der getödtete Eber, den er einer mit ihren Frauen erschei-
nenden Dame als Jagdbeute zu bringen scheint. Die Dame ist aus einem
prächtigen, von Mauern und Thürmen umgebenen Schlosse, vor dem ein
zierlicher Springbrunnen steht und das in seinen gebrochen-bogigen Säulen-
fenstern, in dem w^eitausladenden Schattendach, in den kleinen Kuppeln
und dem Halbmonde auf einer derselben entschieden maurischen Charakter
trägt, hervorgetreten. Auf der andern Seite des Schlosses der eine der eben
erwähnten christlichen Ritter (dessen Kopf leider zerstört ist), knieend vor
einer Dame, die einen Papagei auf der Hand trägt und der er den erlegten
Bären als Jagdbeute bringt. Das südliche Lokal wird in diesen Darstel-
lungen, wie durch die Architektur, so auch durch einen Orangenbaum mit
Affen und durch mehrere Palmbäume bezeichnet.
Ob die näheren Bezüge der Darstellungen in diesen beiden Nischen zu
ermitteln sein werden, muss ich den Kennern der spanisch-maurischen Ge-
schichte und Romanze überlassen. Das Allgemeine ihres Inhaltes, das
romantisch abenteuerliche Leben jener Tage schon hinlänglich charakteri-
sirend, ergiebt sich durch die Anschauung von selbst. Auch glaube ich,
den gegebenen Andeutungen gemäss, nicht völlig zu irren, wenn ich bei
den Darstellungen der Nische zur Rechten ein Lokal christlicher Gegenden,
wo ein maurischer Ritter, etwa in der Besiegung eines Nebenbuhlers, ein
glückliches Abenteuer besteht, — bei den Darstellungen der Nische zur
Linken dagegen ein maurisches Lokal erkenne, wo christliche Ritter sich
den einheimischen Jägern zugesellen und ihnen vergönnt wird, auch ihren
Theil an Beute und Gunst zu gewinnen.
Styl und Behandlung dieser Darstellungen scheinen, beim ersten An-
blick, mit denen der Mittelnische nicht sonderlich übereinzustimmen. Sieht
man aber näher zu, so beruhen die Unterschiede im Wesentlichen doch nur
in der Verschiedenheit der äusseren Bedingungen und sind im Gegentheil
die Grundelemente der künstlerischen Conception, ist das künstlerische
Vermögen und die ganze Richtung desselben beiderseits einander ziemlich
entsprechend. Die feierlich statuarische Ruhe der Gestalten der Mittel-
nische, der hievon abhängige und durch die weiten Gewandungen begün-
stigte rhythmische Linienfluss uud das in Letzterem sich gleichzeitig gel-
tend machende conventionelle Gesetz mussten hier freilich mehr zurück-
treten. Aber dasselbe Gepräge des germanischen Styles im letzten Stadium
seiner Entwickelung, der leichte Adel der körperlichen Verhältnisse bei
einem schon guten Verständnisse der Form im Allgemeinen, der besondre
Typus der Gewandlinien, wo zu dessen Ausbildung die Gelegenheit vor-
handen war, die feine Bezeichnung namentlich der Köpfe, ohne doch zur
-wirklich freien Individualität zu führen, — mit einem Wort: der überall
rege künstlerische Sinn innerhalb eines noch gebundenen Kreises ist hier
Die Deckengemälde in der Alliambra. 691
wie dort vorherrschend. Alles in diesen Vorgängen ist deutlich erzählt,
alle Motive sind klar und bestimmt gegeben, aber mehr oder weniger fehlt
ihnen in der Durchbildung doch noch die freie reale Kraft; die Köpfe
haben zumeist eine grosse Liebenswürdigkeit des Ausdruckes, aber doch
nur das Allgemeine desselben, ohne das Charakteristische des Momentes
irgend zu erschöpfen. Die Modellirung verhält sich, wie bei jenen grossen
Gestalten, auch nur mehr andeutend; die Haare sind, wie dort, von lichter
Farbe, meist blond. Die Thiere, die auf diesen Darstellungen in grosser
Anzahl vorkommen, sind genau nach den Eigenthtimlichkeiten der Gattung
aufgefasst, oft mit sehr guter Beobachtung des momentanen Motivs, aber
auch sie noch ohne die freie Lebendigkeit der wirklich realen Kunst. Noch
conventioneller, obgleich bei ebenfalls sorgfältiger Unterscheidung der ein-
zelnen Gattungen und Arten, sind die Bäume und Pflanzen behandelt.
Die Architekturen sind mit einer gewissen Conventionellen Perspective, der
wiederum noch die eigentliche Anschauung und das Bewusstsein ihrer Ge-
setze fehlt, gegeben.
Das allgemeine kunstgeschichtliche Verhältniss dieser Arbeiten spricht
sich, meines Bedünkens, nach aUedem ziemlich entschieden aus. Die letzte
Entwickelung des germanisclien Elements in der bildenden Kunst, noch
die ganze Würde desselben bewahrend und zugleich bereits verbunden mit
einer schönen und edeln Natürlichkeit, die aber zur individuellen Freiheit
noch nicht durchgedrungen ist und dadurch eben das Eigenthümlichste
jenes Styles noch unverletzt lässt, gehört in solcher Art — ohne die Jahre
oder Jahrzehnte zu ängstlich zu zählen —, nach den bisherigen Ermitte-
lungen über den allgemeinen Gang der künstlerischen Entwickelung, der
Zeit um 1400, ünd mehr der Frühzeit des fünfzehnten als der Spätzeit des
vierzehnten Jahrhunderts, an. Eine grössere Reihe von Jahrzehnten früher
oder später würde der gleichmässige Adel beider Elemente bestimmt nicht
mehr in so klarer Verbindung erscheinen. Ich kann mich daher vor Allem
der von Viardot (in den „Musöes d'Espagne") ausgesprochenen Ansicht,
indem er die Gemälde in die Zeit nach der spanischen Eroberung Gra-
nada's* (1492) hinabrückt, nicht anschliessen. Wenn die Gemälde etwa
umlöOO fallen sollten, wenn so spät noch eine alterthümliche (germanische)
Reminiscenz, aus irgend welcher lokal-schulmässigen Tradition, bei ihnen
sich geltend machen dürfte, so konnte die letztere jedenfalls, wie alles
Alterthümelnde, eben nur in der trockneren Weise der Reminiscenz er^
scheinen, unter keiner Bedingung aber das so unendlich abweichende
Moderne dieser späteren Zeit (um 1500) völlig verläugnet werden. "Der
einzig triftig scheinende Grund für diese spätere Zeitstellung der Gemälde,
der-Umstand, dass der Islam im Allgemeinen keine figürlich darstellende
Malerei verstattete, ist eben so wenig zureichend. Wie die spanischen
Mauren, im regsten wechselseitigen Verkehr mit den Christen der Halb-
insel, Mancherlei von der Art und Sitte der letzteren aufnahmen, was nicht
überall mit ihren religiösen Geboten im Einklang stand, so konnten sie
sehr füglich im einzelnen Fall sich veranlasst sehen, auch ein Stückchen
des bildlichen Kunstgenusses von jenen sich anzueignen; ebenso, wie
Sultan Mohammed IL, in der späteren,Zeit des fünfzehnten«Jahrhunderts,
den ' venetianischen Maler und Medailleur Gentile Bellini nach Constanti-
nopel berief und durch diesen u. A. sein Bildnis» auf einer Medaille fer-
tigen liess. (Dass ausserdem namentlich die Perser die ganze Fülle bild-
licher Darstellung besitzen und in ihrer Weise verwenden, ist bekannt.)
092 ' Berichte uud Kritiken.
Es kommt hinzu, dass die, die Gemälde derAlhambra umgebenden Orna-
mente völlig maurisch sind, dass nach der Eroberung schwerlich eine Ver-
anlassung zur Ausführung solcher Darstellungen vorliegen konnte und
dass man, bei der heftigen Eifersucht gegen alles Maurische, jedenfalls
nicht Darstellungen gewählt haben würde, die u. A. den Sieg des Mauren
über Christen, zumal ohne die Andeutung irgend einer Rache, zum Gegen-
stande haben.
Die Epoche, welcher die Gemälde der Alhambra nach Maassgabe ihrer
ganzen stylisiischen Eigenthümlichkeit am sichersten zuzuschreiben sind,
erscheint auch in Berücksichtigung der äusseren geschichtlichen Verhältnisse
als diejenige, die zur Ausführung derartiger Kunstwerke vor allen die Ge-
legenheit zur Hand geben musste. Es war die Regierungszeit des fried-
liebenden Königs Jussuf von Granada, der zu Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts zur Regierung gekommen war. Von ihm wird in Conde's,
nach arabischen Quellen gearbeiteter „Geschichte der Herrschaft der Mau-
ren in Spanien'' (Uebersetzung von Rutschmann, III, S. 191) u. A. das
Folgende erzählt: — „König Juzef von Granada scheute den Krieg wegen
seiner Folgen und unterhandelte im Jahre 1417 zu Anfang des Jahrs einen
Waffenstillstand mit dem Könige von Castilien: er liess ihm die Freigebung
von hundert gefangenen Christen ohne Lösegeld anbieten und schickte sie
auch in die Heimat; den Gesandten und Ministern, welche mit dem Ab-
schlüsse dieses auf zwei Jahre festgesetzten Waffenstillstandes zu thun
hatten, gab er noch überdies kostbare Kleinodien, wie dies die Könige von
Granada zu thun pflegten. So lange König Juzef lebte, unterhielt er nun
fortwährenden Frieden mit den Christen, und sein Hof war gleichsam der
Zufluchtsort aller beleidigten oder verfolgten Ritter aus Castilien und Arra-
gon; dorthin begaben sie sich, um ihre Zwistigkeiten zu schlichten, wobei
sie ihn zu ihrem Schiedsrichter ernannten; er räumte ihnen freie Plätze
ein zu ihren Zweikämpfen und Gefechten in Ehrensachen; dennoch war er
befnüht, wenn es anders sein konnte, Frieden zu stiften; er liess ihnen die
Schranken öffnen, erklärte sie, wenn der Kampf kaum erst begonnen, für
wackre Ritter, und brachte die Versöhnung zu Stande, worauf sie als
Freunde heimkehrten und mit einander in allen Ehren seinen Hof verlies-
sen. Daher kam es, dass König Juzef von Eingebornen und Fremden sehr
geliebt wurde, besonders aber von der Königin Mutter von Castilien, mit
welcher König Juzef einen sehr vertrauten Briefwechsel führte; auch mach-
ten sie sich alle Jahre wechselseitig Geschenke, und als der König von
Castilien das gehörige Aller erreicht hatte, um in eigner Person die Regie-
rung zu führen, geschah es auf Anrathen seiner Mutter, dass er den mit
König Juzef bestehenden Wafi'enstillstand verlängerte und ihm seine Freund-
schaft versichern liess. So erhielt sich der Staat bei den Wohlthaten und
der Ruhe des Friedens in voller Blüthe; die Bewohner des Königreiches
Granada genossen in dieser gesegneten Zeit in ihren reizenden Gärten und
lieblichen Landhäusern den Vorgeschmack paradiesischer Herrlichkeiten.
Als König Juzef endlich jenen Augenblick des Lebens erreicht hatte, der
auf den Tafeln des unwandelbaren Geschickes verzeichnet stand, starb er
unversehens, ohne die geringste Uebelkeit zuvor empfunden zu haben."
So glückliche Verhältnisse, ein so unausgesetzter freundschaftlicher
Verkehr mit den Christen, so nahe Beziehungen zu dem castilianischeii
Königshofe rücken jedenfalls die Möglichkeit sehr nahe, dass damals im
maurischen Königsschlosse eine künstlerische Ausstattung der Art, wie
Die Deckengfltnälde in der Alhambra. 693
solche sonst nur bei den Christen gebräuchlich war, zur Ausführung ge-
korameu sei. Sie werfen zugleich aber auch^ ein näheres Licht auf den
Inhalt dieser Gemälde. Durch die letzteren/und namentlich durch die
Darstellung der Jagden auf maurischem Gebiet, in der Nische zur Linken,
geht in der That eine Freudigkeit des Lebens, ein ritterliches Nebenein-
ander von Mauren und Christen bei glticklichster Bethätigung des Daseins,
wie dies nur bei Zuständen, den eben geschilderten entsprechend, wirklich
in die Erscheinung getreten war. Und wenn, unter den kolossalen Für-
stenbildern der Mittelnische, jener würdevolle Greis, der das Schwert in
die Scheide stösst, sich als die Hauptfigur kuudgiebt, so dürfen wir in ihm
wohl nur das Bild Jussufs, des gesegneten Priedensfürsten, erkennen.
Es bleibt noch zu erörtern, wer diese Malereien ausgeführt haben
dürfte. Es sollen sich in Spanien , wie mich Herr Gerhardt versichert,
wenig alte Wandmalereien, deren Charakter dem der Gemälde der Alhambra
entspräche, vorfinden. Dies mag mit ein Grund gewesen sein, weshalb man
in Spanien, wie es scheint, vorzugsweise geneigt ist, ihre Ausführung frem-
den, und zwar italienischen Meisterhänden zuzuschreiben, — ebenso, -wie
es bei uns in Deutschland in ähnlichen Fällen geschah, ehe wir auf die
selbständige Fülle unserer eignen alten Kunst näher aufmerksam geworden.
Das Element des germanischen Styles und die ersichtliche freiere Entfal-
tung desselben leitete dabei folgerecht auf die Zeit der späteren Giottisten.
Man fand bei Vasari, dass nicht bloss der Florentiner Glierardo Star-
nina, in der späteren Zeit des vierzehnten Jahrhunderts, sondern dass
namentlich auch Deilo, gleichfalls aus Florenz, in der früheren Zeit des
fünfzehnten Jahrhunderts, und dieser letztere bei wiederholtem Besuch,
mit Ruhm und Ehren gekrönt in Spanien gemalt habe. Ihn glaubt man
mithin als den Meister dieser Werke nennen zu dürfen, indem man zu-
gleich eine Bestätigung dieser Ansicht darin findet, dass das Kostüm der
christlichen Ritter in den Malereien der beiden Seitennischen zum Theil
sehr entschieden an toskanische Sitte erinnert. Das Letztere ist in der
That der Fall. Doch kennen wir dies Kostüm eben aus vorhandenen tos-
kanischen Bildern, während für gleichzeitiges spanisches Kostüm die Belege
minder bekannt sind. Die Elemente desselben gehen aber, mit diesen oder
jenen Modificationen, durch das Gesammtkostüm der Zeit; sie finden sich
bei Franzosen und Deutschen und werden somit ähnlich auch hei den
Spaniern Verbreitung und Durchbildung gefunden haben. Der Beweis au.s
dem Kostüm scheint mir also nur dann gültig, wenn dargethan ist, nicht,
dass es an italienische Sitte erinnere, sondern dass es mit spanischer Sitte
im Widerspruch stehe, was seine Schwierigkeiten haben dürfte. Das We-
sentliche, worauf es im ungleich höheren Grade ankommen muss, ist die
künstlerische Behandlung, der künstlerische Styl. Was Dello selbst —
abgesehen von dem wohl noch minder in Betracht zu ziehenden Starnina
— hierin geleistet, dürfte wiederum schwer festzustellen sein. Wenn seine
Betheiligung an den monochromen Wandmalereien im Kreuzgange von S.
Maria Novella zu Florenz, deren Vasari gedenkt, näher nachgewiesen wer-
den kann, so dürfte hieraus eben keio allzugünstiges Vorurtheil für ihn
als Urheber der Malereien in der Alhambra zu entnehmen sein. Aber die
Richtung der Giottisten im Allgemeinen und ihre Art und Weise zur Zeit
des Dello, unmittelbar vor der reformatorischen Einwirkung Masaccio's, ist
hinlänglich bekannt, und hieraus glaube ich sehr entschiedene Gegengründo
gegen die Annahme, dass jene GCmälde von einem Künstler dieser italie-
()G694 Berichte und Kritiken.
nischen Schule ausgeführt seien, entnehmen zu müssen. Giotto ist es, der
das Element des germanischen Styles in die bildende Kunst Italiens ein-
führte und dort verbreitete. Aber wie sich die italienische Kunst von
vornherein der architektonischen Strenge und Majestät und zugleich den
conventioneilen Einschränkungen dieses Styles minder fügt, als dies z. B.
in Deutschland und Frankreich der Fall war, wie sich dort von vornlterein
das Streben nach dem Individuellen, welches die grosse Zukunft der ita-
lienischen Kunst in sich barg, geltend macht, so ist Giotto's Germanismus
und der der Giottisten überall ein mehr bedingter, auch wenn sich damit,
wie bei Taddeo Gaddi, ein stylmässiges Gefühl von grösserer Feinheit ver-
bindet. Die Nachahmer verfallen wohl in Schematismus, aber sie bleiben
fern von jenem Gesetz, das in der mehr architektonischen Richtung des
Nordens bei aller Einseitigkeit docli so eigenthümlich anerkennenswerthe
Erfolge hat. Nur Fiesole zuletzt nähert sich demselben in Etwas; aber
auch bei ihm steht das (subjectiv-) individuelle Gefühl als ein Element
da, welches ihn in so mächtiger "Weise wiederum nach einer persönlich
eigenthümlichen Richtung fortführt.
Mit allen diesen Beziehungen steht aber meines Erachtens die fein
durchgebildete, noch so charakteristisch conventioneile Behandlung der
Malereien , zunächst in der Mittelnische der Alhambra in entschiedenem
Widerspruch. Soll ich eine Vergleichung ziehen, so finde ich hier, neben
jener eigenthümlichen Grösse des künstlerischen Sinnes, eine bei "Wei-
tem grössere Verwandtschaft mit deutschen und französischen Malereien,
etwa wie diese in den ausgezeichnetsten Handschriftbildern der Zeit auf
lins gekommen sind — abgesehen natürlich von so selbständig entwickelten
Schulen, wie es damals z. B. die kölnische war. Aach hier sind die
Schönheiten und die einschränkenden Bedingungen des Styles in derselben
"Weise hervorstechend. Ich glaube also bei den Bildern der Mittelnische
die Hand eines italienischen Künstlers bestimmt nicht annehmen zu dürfen.
Mehr geneigt könnte man sein, eine solche in den Malereien der Seiten-
nischen zu finden. Aber fürs Erste dürfte es, sofern es sich wenigstens
um einen Dello handeln soll, befremdlich sein, den hochgefeierten und,
wie Vasari erzählt, zugleich leidlich stolzen fremden Meister hier in zwei-
ter Linie zu erblicken. Und dann, was wichtiger ist, erkennen wir doch
auch hier, wie oben bereits dargethan, bei näherer Prüfung/ denselben
künstlerischen Grundcharakter, wie bei den Hauptbildern der Mittelnische,
so dass auch hier die vorausgesetzte Thät'gkeit des Italieners wenigstens
sehr unwahrsclieinlich wird. \
Nach alledem dürfte durchaus kein entscheidender Grund vorliegen,
eine auswärtige Hülfe für die Beschallung dieser Malereien in Anspruch
zu nehmen, und es wird jedenfalls das Naturgemässeste sein, wenn wir sie
als die Arbeit eines aus spanisch-christlicher Schule hervorgegangenen
Künstlers betrachten, eine Annahme, die bei Erwägung jener allgemeinen
geschichtlichen Verhältnisse der Zeit ihre wiederum sehr einfache Erklärung
findet. Ich freue mich, dass ich hiemit, nach näherer Kenntniss dieser
Werke, nur die Ansicht bestätigen kann, die ich über sie bereits in der
ersten Auflage meiner Geschichte der Malerei ausgesprochen hatte. Wir
müssen damit aber sofort zugleich einen weiteren Schluss machen und der
spanischen Kunst jener Zeit überhaupt, die solche Werke hervorbringen
konnte, eine verhältnissmässig bedeutende Stelle einräumen, wozu wir aber
auch, z. B. in Berücksichtigung ihrer schönen und reichen Architekturen,
Danzig uud seiue Bauwerke. 695
ein ganz gutes Recht haben. Und wenn bisher in Spanien noch nichts
Aehnliches von Werken der Malerei bekannt geworden ist, so fragt es
sich, ob eine sorgfältige, auf diesen Punkt gerichtete Forschung nicht doch
einen andern Sachverhalt herausstellen könnte und ob nicht vielleicht,' wie
bei uns, unter Tünche und Verschlagen und Teppichen noch manches sehr
Schätzbare seiner Auferstehung entgegenharrt. Die gi^sse Menge von Ma-
lern, welche in jener Epoche in Spanien thätig war, — nach Cean Berrau-
dez' Berichten war besonders Castilien gerade zur Zeit des Königs Jussuf
von Granada reich an Künstlern — lässt doch erwarten, dass noch naanche
Spuren ihrer vielseitigen Thätigkeit aufzufinden sein werden.
Danzig und seine Bauwerke in malerischen Original-Radirungen mit
geometrischen Details und Text von Joh, Carl Schultz, Kgl. Preusa-
Professor, Direktor der Kgl. Prov. Kunst-Schule zu Danzig, ordentl. Mit-
glied der Kgl. Akad. der Künste zu Berlin etc. III. Lieferung. Danzig,
im Selbst-Verlage des Autors. 1852. (6 Bl. in gross Fol.)
(D. Kunstblatt 1852, No. 28.)
Das schöne Werk, mit dessen Bearbeitung und Herausgabe Hr. Schultz
sich, in mehrfacher Beziehung, ein so anerkennenswerthes Verdienst er-
worben, geht ruhigen und sicheren Schrittes seiner Vollendung entgegen.
Die folgenden Blätter machen-den Inhalt des vorliegenden Heftes aus:
1. Das hohe Thor, — ein aus Sandsteinen aufgeführter Bau vom Jahr
1588, in jenem phantastisch barocken, doch zugleich eigenthümlich mäch-
tigen Baustyle, der unseren älteren Festungsthoren zumeist ganz wohl an-
steht; mit einer hohen Attika, die reich mit Wappen und ihren verschie-
denartigen Schildhaltern geschmückt ist und dadurch dem Ganzen eine
höchst wirkungsreiche Bekrönung giebt. Drüber emporragend der mit dem
Hauptgebäude im unmittelbaren Zusammenhange stehende,Stockthurm, der
in mittelalterlicher Zeit das eigentliche Thor bildete. Zu beiden Seiten
der grasbewachsene Festungswall, über dem sich zur Linken der Thurm
und die Thürmchen von St. Marien erheben. Das Ganze, obgleich in
voller malerischer Kraft behandelt, ist im Risse doch streng symmetrisch
angeordnet. Hiezu stimmt es in passlicher Weise, dass der Künstler den
vorderen Theil der wenig malerischen Holzbrücke, diesseits des Thores,
abgeschnitten und das so gewonnene Feld zur Dedicationstafel — mit der
Widmung des Gesammtwerkes an König Friedrich Wilhelm IV. — benutzt
hat. Auch ist es durch diese Anordnung zugleich möglich gewesen, die
unteren Ecken der architektonischen Anlage des Thores vollständig genau
darzustellen.
2. 'Der Lange-Markt. Ein sehr glücklich aufgefasster, mit buntem
Volksleben erfüllter Prospekt, durchaus charakteristisch für das, was
Danzig unter unseren norddeutschen Städten sein Sondergepräge giebt.
Das Hauptgebäude, im Grunde des Marktes, ist das Rathhaus, das bei
seinen einfach mittelalterlichen Formen in kühn geschlossener Haltung
Berichte und Kritiken.
aufsteigt uud desseu 'riiurmspitze sich in fast verwegen barockem Style
bunt emporgipfelt. Unter den Häusern, alle mit ihren Vor-Terrassen und
Beischlägen versehen, zeichnet sich der vielgefeierte Artushof aus, dem
der Künstler hier noch die breite beischlagähnliche Prachttreppe erhalten
hat, welche in der Wirklichkeit vor einer kurzen Reihe von Jahren einem
schmalen, ungleich dürftigeren Treppenbau weichen musste.
3. Südliches Seitenschiff von St. Marien, Innen-Ansicht. Achteckige
Pfeiler, mit leichten Eckprofilen versehen, massig und in erheblicher Höhe
emporsteigend, uud über dem Seitenschiff eines'jener seltsamen, aus kleinen
Kappen zellenförmig zusammengesetzten Gewölbe tragend, die fast nur in
PreuHsen vorkommen, während das Mittelschiff ein sternförmiges Gurten-
gewölbe zeigt. Malerisch bunt durch die Altäre, die eingebatitea Betstühle
uud Kapellen, und besonders durch die Menge alter, zum Theil schon
selir vermorschter Fahnen, die an den Pfeilern ausgehängt sind.
4. Der Stadthof, wo weiland die Pferde und Karossen des wohlweisen
llathes gefüttert und aufbewahrt wurden, ein trefflich gruppirtes Bild ein-
facher, und doch wiederum so eigenthümlich bezeichnender Architekturen.
Der Stadthof bildete die südwestliche Abgrenzung der Rechtstadt Danzig
und ist hier vom Wall aus aufgenommen.
5. Thurm am Stadthofe, erbaut 1343, abgetragen 1846. Ebenfalls ein
bezeichnendes, ob auch schlichtes Beispiel unsers eigenthümlichen nord-
deutschen Wesens. Ein enger Hof mit fast rohen Wirthschaftsgebäuden
zu den Seiten; im Grunde ein Paar ältere Gebäude, die durch Giebel-
zierden ein charakteristisches Ansehen gewinnen und drüber emporsteigend
der einfach derbe Bau des Thurmes, ebenfalls mit eigenthümlichen, mit-
telalterlich gestalteten Erkergiebeln. Als Staffage ein alter Gaul,-dessen
Zähne untersucht werden, — vielleicht als Anspielung auf das Alter des
Thurms, dessen Verlust von den Alterthumsfreunden lebhaft beklagt wurde.
6. Detailblatt. Aufrisse der Paraden von St. Marien, St. Katharinen
und St. Peter und Paul, nebst besonderen Einzeltheilen vom Aeusseren
dieser Kirchen. Schätzbare Beiträge für die Formenweise des nordischen
Backsteinbaues in seiner zumeist einfacheren und derberen Behandlung,
sowie für das malerische Element, welches dabei zugleich, mehr oder
weniger, in der Gruppirung hervortritt. i
Es dürfte fast überflüssig sein, zu erwähnen, dass die Blätter durch-
weg mit klarem Verständniss der dargestellten Gegenstände gefertigt sind.
Sie geben, wie die der früheren Hefte, mannigfache Belehrung über jene
alterthümlichen Architekturformen und ihre Erscheinung, nachdem Jahr-
hunderte darüber hingegangen sind. Sie werden somit auch diese Er-
innerungen auf eine folgende Zeit hinübertragen und manch ein Werk
wenigstens im Bilde erhalten, wie es schon jetzt bei ihnen mit verschie-
denen, in jüngster Zeit verschwundenen Denkmalen alter Macht und Pracht
der Fall ist. In der künstlerischen Behandlung strebt Hr. Schultz mehr
und mehr nach einer vollen malierischen Wirkung, und er erreicht hierin.
Erfolge, die in solchem Grade bei-der Technik der Radirung überhaupt,
zumal aber in neuerer Zeit, selten sind. Als ein besonders ansprechendes
Meisterwerk in dieser Beziehung erscheint mir das Blatt mit der Darstel-
lung des LangenMarktes; die bestimmte detaillirende Feinheit in der
Angabe der wechselnden Architekturformen, verbunden mit allem Reiz
einer energischen Licht- und Schattenwirkung dürfte mit andern Darstel-
lungsmitteln schwerlich in solchcr Weise zu erreichen sein. Auch jene
Danzig uud seiue Bauwerke. 697
Aussenansicht des Stadthofes, wo der sorglich schlichten Behandlung iu
den Architekturen ein malerisch energischer "Vorgrund entgegengesetzt ist,
scheint mir auf entschiedene Beachtung Anspruch zu haben. Ich glaube
aber, dass es wohlgethan sein möchte, die Grenze ins Auge zu fassen,
welche dieser Technik — als solcher — in Betreif des Malerischen ge-
steckt und die etwa nur für so unbegrenzt malerische Genies wie Rem-
brandt nicht vorhanden ist. Oder es dürfte v/enigstens darauf hinzudeuteft
sein, dass für das ü berwiegend Malerische andre Darstellungsmittel sich
vielleicht zweckmässiger eignen. Jene Hof-Ansicht, mit dem alten „Thurm
am Stadthofe", scheint mir hiebei in Betracht zu kommen. Das Blatt ist
allerdings sehr merkwürdig in Betreff des erreichten malerischen Effektes,
aber zugleich der Art, dass dieser das Alterthümliche, Bedeutende des
Gegenstandes wesentlich über'v^iegt; ich kann dabei die Frage nicht ganz
unterdrücken, warum dies Blatt radirt sein musste, da es doch ungleich
einfacher und vielleicht in noch stärkerer, noch mehr gehaltener Wirkung
durch die Mittel der Lithographie herzustellen gewesen wäre.
Eins der Blätter, die Innen-Ansicht des südlichen Seitenschiffes von
St. Marien, ist in jener sogenannt „stylographischen" Manier radirt, die
vor einigen Jahren zur angeblich bequemeren Verwendung statt der alten
erprobten Technik empfohlen wurde. Hr. Schultz scheint mir in diesem
Blatte das Mögliche, dessen die Stylographie fähig ist, geleistet zu haben.
Auch hier, und besonders in den Schattenpartieen der vorderen Theile des
Bildes, ist eine Fülle malerischer Wirkung erreicht, die alle Anerkennung
verdient. Aber der weichere Schmelz, der sonst in den Törten der ßadi-
rung hervorgebracht werden kann, war bei dieser trocknen Methode doch
nicht wiederzugeben, und besonders die Darstellung der bunten Gewölb-
formen, im oberen Theil des Bildes, hat jenen rauhen, starren Ton behal-
ten , der den Eindruck lebendiger Luftwirkung in uns nicht wohl aufkom-
men lässt.
Schon im zweiten Heft hatte Hr. Schultz ein stylographisch radirtes
Blatt, eine Innen-Ansicht des Artushofes, geliefert, bei der ich mich zu
ähnlichen Ausstellungen veranlasst sah '). Er hat die, bei jener Arbeit
gewonnene Kupferplatte dieses Blattes gegenwärtig behufs der Ueberarbei-
tung unter das Scheidewasser genommen und die Gewölbe des Vorgrundes
nachgeätzt, auch mit kalter Nadel und dem Grabstichel darin nachgear-
beitet. Ein mir vorliegender neuer Abdruck zeigt, welche ungleich grös-
sere Fülle malerischen Flusses, so weich wie energisch, dadurch über die
schöne Darstellung ausgegossen ist. Für Liebhaber und Sammler dürfte es
von erheblicher Wichtigkeit sein, beide Abdrücke nebeneinander ihren
Mappen einzuverleiben.
Es fehlt nun noch die vierte Lieferung zum Schlüsse des Werkes-
Möge dem wackeren Meister alle Freudigkeit und Rüstigkeit zur gründ-
lichen Vollendung desselben erhalten bleiben !
»3 Vergl. oben, S. 590.
-ocr page 697-i
Berichte uud Kritiken.
698
Alterthümer un d Kunstd enkinale des Erlauchten Hauses Ho-
henzollern. Herausgegebeu von Rudolph Freiherrn von Stillfried.
Fünftes Heft. Berlin, 1852. Gross Fol.
(D. Kunstblatt 1852, No. 42.)
Nach längerer Pause ist von diesem schönen Werke, welches seine,
auf strenger wissenschaftlicher Forschung beruhenden Mittheilungen zu-
gleich stets in geschmackvollster künstlerischer Form zu geben weiss, ein
neues Heft erschienen. Es bringt zunächst zwei, für die Geschichte des
Hauses Hohenzollern wichtige Urkunden vom J. 1226 mit ihren Siegeln, —
Facsimile's, die, wie schon ähnliche Arbeiten in früheren Heften, das
Mögliche in solcher Technik zu leisten scheinen; man meint eben, das
wirkliche alte Pergamentblatt vor sich zu sehen. Dann eine charakteri-
stische Ansicht der Burg Abenberg und ihrer landschaftlichen Umgebung,
in Franken, und eine Innen-Ansicht des Schlosshofes zu Cadolzburg.
Eigenthümlich interessant ist die im bunten Farbendruck vortrefflich aus-
geführte Darstellung eines reichen Wandgemäldes, welches sich in der
Münsterkirche zu Heilsbronn in Franken, die Stifter derselben darstellend,
befindet und welches erst neuerlich von der verhüllenden Tünche wieder
befreit ist. Es scheint, vielleicht nach einer älteren Darstellung des zwölf-
ten Jahrhunderts, im dreizehnten Jahrhundert gemalt, später aber öfters
übermalt und verändert zu sein, und hat desshalb, was Auffassung, Styl,
Behandlung anbetrifft, denjenigen allerdings schwankenden Charakter, der
unser Urtheil beim ersten Anblick mittelalterlicher Wandmalereien öfters
irre führen möchte, der uns aber — auch abgesehen von dem, hier z. B.
gewichtigen geschichtlichen Inhalt — ein eigenthümliches kritisches In-
teresse gewährt, indem wir uns zum geistigen Zurückführen solcher Pa-
limpsesteu auf ihren mehr und mehr ursprünglichen Zustand genöthigt sehen.
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, Bearbeitet
und herausgegeben von L Puttrich, Doctor der Rechte, unter Mitwirkung
von G. Wr Geys er d. j., Maler. — Schluss des Werkes und Anhang.
(D. Kunstblatt 1852, No. 4&.)
Im Jahre 1835 erschien die erste Lieferung des Puttrich'schen Werkes,
die in ihren so schönen wie belehrenden Mittheilungen die Aufmerksam-
keit der Freunde der heimischen Vorzeit und der mittelalterlichen Kunst
auf ungewöhnliche Weise in Anspruch nahm. Der Herausgeber ist diese
siebzehn Jahre hindurch unverdrossen und unbeirrt, — ungestört auch
durch die Wirrnisse der Zeit und die schw^erereu Opfer, welche die letz-
teren zur Durchführung eines so umfassenden Unternehmens erforderten,
auf seinem Pfade fortgeschritten. Sein Werk ist zu vier starken Folio-
I
-ocr page 698-Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Notice des Emaux etc. 698
bänden herangewachsen und steht nunmehr als ein. in sich geschlossenes
Ganzes da, welches die Denkmäler eines der wichtigsten Theile des deut-
schen Vaterlandes, von der Frühzeit des Mittelalters bis zu dessen spätesten
Ausläufern, in mannigfaltigen Abbildungen und gründlicher'schriftlicher
Darlegung umfasst, welches dem Beschauer den reichhaltigsten Genuss ge-
währt und für die Entwickelungsgeschichte der Kunst und der Oultur
bereits eine folgenreiche Bedeutung gewonnen hat. Es wird diese Bedeu-
tung für alle Folgezeit beibehalten und dem Namen des Herausgebers das
ehrenvollste Gedächtniss sichern.
Wir haben noch über die letzten Lieferungen des Werkes und über
den, das Ganze in systematischer Uebersicht zusammenfassenden Anhang,
den der unermüdliche Fleiss des Herausgebers als eigentlichen Schlussstein
hinzugefügt hat, näher zu berichten. Mit Lieferung 25 und 26 endet der
zweite Band der zweiten Abtheilung des Werkes, die bekanntlich der
preussischen Provinz Sachsen gewidmet ist. Diese Lieferungen führen den
Separattitel - v
1
Mittelalterliche Bauwerke zu Wittenberg, Mühlberg,
Zeitz etc.
und enthalten, — ausser der Titelvignette mit der Ansicht des alten Schlosses
Ranis, von Witthöft nach Patzschke meisterhaft gestochen, und der Vignette
zum Gesammttitel des zweiten Bandes der genahnten Abtheilung mit einer
Ansicht des ehemaligen ßathhauses zu Erfu rt, welches vor fünfzig Jahren
abgerissen wurde und durch die malerische Erscheinung einfacher spätmit-
telalterlicher Formen anziehend war, — 7 Tafeln in Fol. und 20 Seiten
erläuternden. Text. '
Von den Denkmälern zu Zeitz ist besonders die Crypta der Stifts-
kirche interessant, die einen früh mittelalterlichen Charakter trägt: — die
Basis der Säulen mit den beiden attischen Pfühlen und rohen, zumeist
bandartigen Gliedern zwischen denselben; die Kapitale sämmtlich in ein-
fachst roher Würfelform, eins mit ionisirenden Voluten, die auf die Seiten-
flächen eingeritzt sind. Der Verfasser bemerkt, dass diese Crypta „ohne
Zweifel" dem zehnten Jahrhundert angehöre; ein entscheidender Grund
für diese Annahme ist indess nicht angegeben. Es dürfte minder gewagt
sein, sie als einen Bau des elften Jahrhunderts zu betrachten, ausgeführt
nach den Wirrnissen, welche die Verlegung des Bisthums von Zeitz nach
Naumburg (1030) und die Einrichtung eines Collegiatstift^s am ersteren
Orte zur Folge hatten. — Ausserdem wird das nicht sonderlich bedeu-
tende Rathhaus zu Zeitz, aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts,
vorgeführt.
Die Denkmäler Wittenberg's gehören der spätmittelalterlichen Zeit
an. Der Text giebt die Uebersicht der Verhältnisse. Bildlich vorgeführt
wird zunächst das Hauptportal der Stadtkirche, aus dem Anfange des
fünfzehnten Jahrhunderts, das in einer gewissen dekorativen Eleganz, —
in der durchgearbeiteten Verbindung horizontaler Sturze mit Spitzgiebeln
— ein Beispiel der mehr schematisirenden Behandlungsweise des gothischen
Baustyles giebt, welche die Steinmetzen dieser späteren Zeit ebenso liebten,
wie sie von der Classe der schematisirenden Gothiker unsrer Tage vor-
gezogen wird. — Dann eine Darstellung des merkwürdigen, ornamentl-
stisch und figürlich geschmückten bronzenen Taufbeckens von Herrmann
700 ' Berichte uud Kritiken.
Vischel von Nürnberg, das als einer der früheren Belege der Kunstthätigkeit
der Yischer'schen Giesshütte bekannt ist. Der Herausgeber hat leider die
Inschrift des Taufbeckens — ohne auf die abweichende und richtige An
gäbe seiner Vorgänger Bezug zu nehmen, — falsch gelesen, indem er die
darin enthaltene Jahrzahl als 1557 angiebt, während sie 1457 heisst'). So
kann die ganze Behandlungsweise des Werkes natürlich auch nicht — ob-
h gleich der Herausgeber hierauf Gewicht legt — für diese spätere Zeit des
sechzehnten Jahrhunderts maassgebend sein, der sie in der That so wenig
entspricht, wie sie völlig mit der des fünfzehnten Jahrhunderts überein-
stimmt — Es folgt ausserdem noch eine Ansicht von Luthei's bekanntem
Wohnzimmer im Augusteum, welche das Bild der einfachen häüslichen
Einrichtung am Ende des Mittelalters giebt.
Ein eigenthümlich merkwürdiger Beitrag zur Baugeschichte sind die
Mittheilungen über das Kloster Güldenstern bei Mühlberg. Es ist
entschiedener Backsteinbau. Von der um 1230 geweihten Kirche werden
uns zwei Ansichten und die Abbildung mehrerer Details gegeben. Sie ge-
hört — noch mit leichten romanischen Reminiscenzen — der primitiven
Entwickelung des gothischen Baustyles an, die überall', besonders aber im
Ziegelbau, ein so lebhaftes Interesse hervorzurufen geeignet ist. Es ist eine
einfache Kreuzkirche, ohne Seitenschiffe, mit drei Absiden, von denen die
am Chor uud der südöstlichen Kreuzvorlage fünfeckig sind, während die
an der nordöstlichen Kreuzvorlage im Grundbau noch halbrund ist. Die
Fenster sind überall schmal und einfach spitzbogig eingewölbt, in spitz-
bogigen Nischen liegend, die ihnen ein etwas reicheres Ansehen geben; an
der Absis des Chores sind diese Fensternischen doppelt und die inneren
im Halbkreise, die äusseren wieder im Spitzbogen überwölbt. Die Friese
unter den Dächern bestehen zumeist aus sich durchschneidenden Halbkreis-
bögen. Die Westfa^ade hat eine Dekoration von ähnlich schlanken spitz-
bogigen Fensterblenden, arkadenartig nebeneinander stehend. Auch am
j Giebel ist eine ähnliche Dekoration, doch mit Hinzufügung reicheren
Schmuckes aus Formsteinen, angeordnet; er steigt stufenförmig empor,
überall an den Stufen mit einfach geschmückten, gedoppelten Spitzthürm-
chen versehen. Auch dies Alles hat durchaus noch ein frühgothisches
Gepräge und erscheint, nach den Abbildungen zu urtheileh, jedenfalls
noch in Uebereinstimmung mit dem Styl der Gesammtanlage, wenn deren
Vollendung auch wohl mit dem Datum der Weihung nicht abgeschlossen
war. Von den massigen Details des Inneren wird u. A, eine Kapitälform
mitgetheilt, die wiederum entschieden den primitiv gothischen Charakter
hat, — Auf der einen Hauptansicht und auf einem besondern Blatte sind
Giebel von verschiedenen Klostergebäuden dargestellt, bunt geschmückt
durch vorstehendes, sich verschlingendes Stabwerk, ganz in dem reichen
Charakter der letztmittelalterlichen Zeit.
Den Schluss macht ein, nach den Lokalitäten alphabetarisch geordnetes
Verzeichniss der Abbildungen, welche in der zweiten Abtheilung des
') Die Inschrift beginnt, mit vollkommen leserlichen Schriftzeichen: Do .
man , zalt . von . cristi . gepurt .^m . ccco . vrid . dar . nach . im .
Ivii . jar . etc. — Die Mittheilung andrer in Wittenberg befindlicher Bild-
werke hat der Herausgeber für ein später zu veröffentlichendes Werk: „Die vor-
züglichsten plastischen Kunstwerke des Mittelalters etc. in Sachsen, Pieussen
ttud den augreuzenden" Ländern etc," aufgespart.
V
Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Notice des Emaux etc. 701
Werkes enthalten sind; sowie ausserdem ein, 14 Seiten umfassendes Haupt-
register für das gesammte Werk beigegeben ist.
Der schon erwähnte Anhang des Werkes führt den Titel:
Systematische Darstellung der Entwickelung der Baukunst
in den obersächsischen Ländern, vom zehnten bis fünfzehnten
Jahrhundert. Bearbeitet und herausgegeben von L. Puttrich, Dr. etc.,
unter besonderer Mitwirkung von G. W. Geyser'd. j., iii Vereinigung mit
Dr. C. A, Zestermann, etc.
Er besteht aus 13 Tafeln bildlicher Darstellung und 80 Seiten Text
(mit 4 eingedruckten Viguetten)i von demselben Folioformat wie das Haupt-
werk. Der Anhang hat zunächst den Zweck, Dasjenige, was in den vier
Bänden des Hauptwerkes monographisch zerstreut auseinanderliegt, in ge-
drängter Uebersicht zusammenzufassen, das historisch Gleichartige zusam-
menzuordnen und durch näheren Nachweis der Eigenthümlichkeiten, der
Uebergänge und der Entwickelungen desselben, für die baulichen Gesammt-
Anlagen wie für deren Einzeitheile, ein umfassendes Bild der mittelalter-
lichen Baugeschichte in den betreffenden Ländern zu gewähren. Dies wird
einerseits durch die Bildtafeln erreicht, -welche in sinnreicher Zusammen-
stellung und sparsamer Raumbenutzung eine Anzahl von 654 Abbildungen
vorführen. Bei den letzteren, und insbesondere bei der mathematischen
Zeichnung in Grund- und Aufrissen, ist thuulichst derselbe Maassstab an-
genommen, wodurch das vergleichende Urtheil noch einen weiteren schätz-
baren Anhaltspunkt gewinnt. So stellt sich uns zunächst in der Aufein-
anderfolge der Grundrisse und der Aufrisse der beim Innenbau befolgten
Systeme schon ein sehr klares Bild der geschichtlichen Entwickelung dar;
weiter fortgeführt wird dasselbe durch die Zusammenstellung kleiner
Aussenansichten der Gebäude, ihrer wichtigsten Details an Säulen und
Pfeilern, ihrer Fenster, Thüren und Portale, ihrer Gesimse, Friese und
eigentlich architektonischen Dekorationen, ihrer Bogenfüllungen und sym-
bolischen Ornamentik, ihrer der freien Phantasie augehörigen Verzierungen.
Zusammenstellungen so durchgeführter Art und so belehrenden Inhalts
sind meines Wissens sonst nicht vorhanden. Andrerseits ist es der erläu-
ternde Text, der mit genauster Sorgfalt, überall auf die Eigenthümlich-
keiten des einzelnen Gebäudes und dessen verwandtschaftlichen Zusammen-
hang mit anderen eingehend, das ganze Bild des Entwickelungsganges
klar macht.
Der Text zerfällt, je nach den Hauptstadien, welche dieser Entwicke-
lungsgang im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hat, in verschiedene
Abschnitte. Den einzelnen Abschnitten sind die dahin gehörigen Gebäude
und Gebäudetheile eingereiht. Hiebei sind wir genöthigt, an die noch
schwebenden Kriegszustände der Chronologie der mittelalterlichen Baukunst
zu erinnern, die, wenn sie neuerlich auch schon in engere Grenzen einge-
schränkt, sind, dennoch gelegentlich in nicht minder verzehrenden Flammen
aufschlagen. Der Verfasser äussert sich über dieselben und über sein
etwaiges Verhältniss zu diesen Streitfragen nicht geradehin; doch erschei-
nen hier manche seiner, in früheren Lieferungen des Hauptwerkes ent-
haltenen Ansichten, über Punkte, welche seitdem der Gegenstand weiterer
Verhandlung gewesen, auf eine oder die andre Weise modificirt. In man-
chen kritischen Punkten, rücksichtlich der Anfänge des romanischen Styles
■{■ 702 Berichte und Kritiken. '
• ■ -
und seiner Ausläufer und Uebergänge in das gothische Bausystem, möchte
auch gegenwärtig seine' chronologische Feststellung noch nicht so durchaus
gesichert sein, um jedem Angriff bei neuausbrechender Fehde widerstehen
zu können
Sehr schätzbar sind die dem Texte eingereihten erläuternden Bemer-
kungen über die, an einzelnen Baulichkeiten vorkommenden symboli-
schen Zeichen und Darstellungen, welche, nach Angabe des Vorworts, von
Herrn Dr. Zestermann herrühren. Für die Fröhzeit des romanischen
Styles, in welcher das erst aufkeimende Vermögen bildnerischer Gestaltung
dem lebendigen Gedanken noch nicht genügen konnte, — für das eilfte
Jahrhundert namentlich, sind sie von grossem Werth. Herr Zestermann ist
diesen stammelnden Versuchen, dem Gedanken eine körperliche, monu-
mentale Form zu geben, mit sinnigem Verständniss nachgegangen und legt
uns ihren Inhalt in einer Weise dar, die unser Interesse sehr lebhaft in
Anspruch nimmt. Ungemein anziehend wirkt nach solcher Erläuterung
namentlich die Relief-Umfassung des Denkmales der Aebtissin Hedwig in
Gern rode, wenn es auch immer gerathen bleiben möchte, dieser Arbeit,
deren Form trotz ihres Inhalts doch nur völlig barbarisch ist, nicht das
Epitheton „schön" zu geben. In der späteren, höher künstlerischen Aus-
bildung der mittelalterlichen Kunst, schon in der Spätzeit des Romanischen,
verschwindet diese Symbolik mehr und mehr und ein selbständig künstle-
risches Ornament oder bildnerisch lebendige Gestalten treten an ihre Stelle.
Der Verfasser erkennt dies (was sonst der Symboliker Sache nicht ist)
völlig an und weist für diese spätere Zeit die Gedankenverbindungen, die
in den bildnerischen Darstellungen obwalten, nach. Hiebei kommt er u. A.
auf jenes schöne romanische Altarwerk zu sprechen, welches die Kirche
von Wechselburg schmückt. Er stellt die Vermuthung auf, dass dies
merkwürdige Werk ursprünglich (den neugriechischen Iconostasieu ähnlich)
vor dem Altar gestanden habe und dass es vielleicht ein Lectorium
(Lettner) am Eingange des Chorraumes gewesen sei, — eine Ansicht, die
in der That viel für sich zu haben scheint. Die grosse Schönheit und
die ungewöhnliche Stellung dieses Altarwerkes, das für die
vaterländische Kunstgeschi,chte von so seltner Bedeutung ist,
machen es meines Erachtens sehr wünschenswerth, dass über
seine ursprüngliche Aufstellung die genauste Untersuchung
an Ort und Stelle vorgenommen und das Ergebniss derselben
veröffentlicht werde. — Es wäre übrigens vielleicht nicht unvortheil-
Die Gebäude des sogeuauuteii Uebergangsstyles, wie die Kirche von Mem-
leben, das Schiff des Domes von Naumburg u. dergl., setzt der Verfasser, den
bestimmteren Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung sich anschliessend,
gegenwärtig vorzugsweise in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Einer
der Vertheidiger des höheren Alters dieser Gebäude (als dem zehnten und elften
Jahrhundert angehÖrig), — Herr Professor R. Lepslus, hat es noch nicht für
thunlich gehalten, ihm zu folgen. Nach seinen unlängst erschienenen Briefen aus
Aegypten, Aethiopien etc. wartet er, S. 52, „noch immer auf die Widerlegung
der vorgelegten Gründe." Man weiss nicht recht, wie man solche Naivetät, zu-
mal bei einem Manne der Wissenschaft, bezeichnen soll. Es klingt ungefähr,
als warteten wir Andern, nach all den Aufschlüssen, die uns Hr. L. und seine
Vorgänger über die ägyptischen Monumente und die Epochen derselben gegeben
haben, noch immer auf den Beweis: etwa, dass die Pyramiden Aegyptens der
Zeit des alten ägyptischen Reiches angehören.
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-ocr page 702-Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen. Notice des Emaux etc. 703
haft gewesen, wenn die mannigfachen Bemerkungen zur ICrläuterung der
symbolischen Elemente, statt dem-.Gesammttexte eingestreut zu sein, sich
als besondrer Abschnitt angereiht hätten. Ihre Wirkung wäre dabei viel-
leicht eine noch mehr belehrende gewesen. —
Die „systematische Darstellung"-hat für die Besitzer des Puttrich'schen
Hauptwerkes den grossen Werth, dass sie überall die Benutzung desselben
leicht und flüssig macht. Die Bezugnahme auf das Hauptwerk wird überall
durch die erforderlichen Citate vermittelt. Sie bringt auch noch mancherlei
einzelne Ergänzungen zu demselben, theils in den kleinen Abbildungen
seiner 13 Tafeln, welche verschiedenes Neue enthalten, theils in den vier
Vignetten des Titels und des Textes, in denen die hochalterthümliche Ost-
Absis der Kirche zu Gernrode, eine merkwürdige Bogenfüllung zu Ilsen-
burg, das Landgrafenhaus auf der Wartburg und die Fürstentreppe des
Schlosses zu Meissen dargestellt sind. Die „systematische Darstellung" ist
aber zugleich so gearbeitet, dass sie ein für sich selbständiges Werk bildet,
völlig geeignet, sowohl (unter Voraussetzung eines einigermaassen kriti-
schen Verhaltens bei den oben angedeuteten Punkten) zum Leitfaden beim
Studium der betreffenden Theile der Baugeschichte, als zur Grundlage der
etwanigen praktischen Maassregeln, welche der Denkmälervorrath dieser
Länder erfordert, zu dienen. Möge dieselbe mithin eine möglichst grosse
Verbreitung finden!
Zum Schlüsse aber möge es verstattet sein, dem Herausgeber für all
die aufopfernde Mühe, mit welcher er ein Werk zu Stande gebracht,"der-
gleichen in Deutschland sonst aus Privatmitteln nicht zu entstehen pflegen,
im" Namen der Kunst und der Wissenschaft und aller der Interessen, welche
aus der Verbindung beider hervorgehen, nochmals den aufrichtigsten, treu-
sten Dank auszusprechen.
Notice des ^maux exposös dans les^Galeries du Musöe du
Louvre, par M. de Labor de, Membre de l'Institut, conservateur des
collectiöns du Moyen age, de la Renaissance et de la Sculpture moderne.
Ire Partie. Histoire et Descriptions. Paris 1852. (348 S, in 8.)
' . - (D. Kunstblatt 1853, No. 4 f.)
Als ich vor fünfzehn Jahren meine „Beschreibung der in der Königl.
Kunstkammer zu Berlin vorhandenen Kunst-Sammlung" arbeitete, fand ich
für diejenigen Abschnitte dieses Buches, welche die Email-Malereien früh-
mittelalterlicher und späterer Zeit zu behandeln hatten, an wissenschaft-
lichem, kunsthistorisch erläuterndem Material noch So viel wie Nichts vor.
Ich war in allem Wesentlichlen nur auf die, allerdings in seltener Fülle
vorhandenen Arbeiten selbst angewiesen^und hatte diese, je nach ihren
Stylunterschieden und nach den Chiffern, Namen, Jahrzahlen, mit welchen
sie zum Theil versehen sind, zu ordnen. Die in solcher Art durchge-
führte nähere Betrachtung jener kleinen Kunstwerke war immerhin nicht
ohne Gewinn; die hieher bezüglichen Abschnitte meines Buches mochten
704 ' Berichte uud Kritiken.
schon einen ersten Ueberblick über die Geschichte jenes Kunstfaclies, neben
manchen nicht ganz unwichtigen Einzelbenaerkungen, gewähren.
Seitdem ist Bedeutendes und Umfassendes für die Geschichte der Email-
malerei , in technischem und künstlerischem Belange, geschehen. Die Fran-
zosen namentlich, die in neuerer Zeit so viele Seiten der Kunstgeschichte
des Mittelalters und der sich daran anknüpfenden Epochen mit glücklich-
stem Erfolge bearbeitet, haben auch diesem Fache eine um so thätigere
Aufmerksamkeit zugewandt, als es sich hier sehr wesentlich um die Ehre
i«, ihrer eignen Heimat handelte. Denn es ist bekannt, dass der zierliche
Luxus der Emailmalerei, zumal in Verbindung mit den übrigen Luxus-
künsten, an welche er sich gern anschliesst, wie noch in der neueren Zeit,
so das Mittelalter hindurch und in der Epoche der Renaissance in Frank-
reich mit Vorliebe gepflegt ward. So ist in den letzten Jahren eine ganze
Reihe von Schriften, zumeist von französischen Autoren, erschienen, die
uns mit den Ursprüngen der Emailmalerei, mit der verschiedenartigen
Weise ihrer Fabrikation und Verwendung, mit den lokalen Verhältnissen
des Betriebes, mit den Persönlichkeiten der Künstler, welche darin einen
Namen gewonnen, mit der Masse des Denkmälervorrathes näher bekannt
machen. Das in der Ueberschrift genannte Werk des Hrn. de Laborde
bildet den Schluss dieser Reihe, fasst die begründeten Resultate seiner
Vorgänger übersichtlich zusammen und beruht zugleich, wie von dem
Verfasser nicht anders zu erwarten war, auf eignen umfassenden Quel-
lenstudien.
Seinem nächsten Zwecke nach ist es ein Verzeichniss der aus 563
Nummern bestehenden Sammlung von Emaillen, welche die Gallerieen des
Louvre besitzen. Bei jedem einzelnen Stück ist vorerst die Form und
Beschaffenheit, der bildliche Inhalt, die Grösse summarisch angegeben;
dann folgt überall, in kleinerem Druck, eine ausführliche Beschreibung,
in welcher alles 'Eigenthümliche in Bezug auf Gegenstand und Behand-
lung, inschriftliche Bezeichnung und Herkunft nachgewiesen ist. Die An-
ordnung des Verzeichnisses ist historisch, mit den ältesten der vorhan-
denen Arbeiten beginnend und mit den jüngsten schliessend. Doch hat
sich der Verfasser hieran keinesweges genügen lassen. Es sind übersicht-
liche Darstellungen der Epochen, Gattungen, Schulen, des Charakters der
j ' einzelnen Meister und ihrer Lebensverhältnisse eingestreut; es sind, wo
ff| dies erforderlich war, nähere kritische Untersuchungen hinzugefügt; es ist
||j auf die entsprechenden Werke der Email-Malerei in andern Sammlungen
vielfach Bezug genommen und diesen in-den Anmerkungen eine ebenfalls
näher eingehende Einzelbetrachtung gewidmet. So verwandelt sich das
Buch aus einem blossen Verzeichnisse in eine lebendige Geschichte des in
Rede stehenden Kunstfaches, der als Hauptbeispiele die im Louvre "vor-
handenen Werke, als Nebenbeispiele die Werke andrer Sammlungen ein-
gereiht sind. So wird der, nur für den Einzelzweck bestimmte Wegweiser
zu einem in das Ganze der j Kunst - und Culturgeschichte eingreifenden
Werke von wissenschaftlicher Bedeutung.
Wir können dem Verfasser in der Menge seiner Einzelbeschreibungen
nicht füglich nachfolgen; es mag aber wohl verstattet sein, auf seine all-
gemeinen Betrachtungen und die Resultate, welche sich daraus ergeben,
einige nähere Blicke zu werfen. Zunächst ist zu bemerken, dass er an
dem Begriffe des Emails, als eines in der Ofenglut hervorgebrachten
Schmelzes auf Metall, mit Bestimmtheit festhält und somit nicht nur alle-
Notice d«s Emaux exposös dans les Galeries du Musöe du Lou^re, 705
anderweitig vermittelte Anwendung von Farbe auf metallischem Grunde,
sondern namentlich auch alle enkaustische Malerei auf andern Stoffen
ausser Betrachtung lässt. Diese Unterscheidung ist seiner Ansicht nach
für die Erkenntnis« des Ursprunges der Emailmalerei von erheblicher Wich-
tigkeit, indem bisher, wie er bemerkt, das Durcheinanderwerfen der ver-
schiedenen enkaustischen Malarten zu nicht ganz wohlbegründelen An-
sichten geführt habe. Die herrschende Meinung ist, dass die Emailmalerei
bei den Aegyptern, den Griechen und Römern bekannt und geübt worden
sei. Der Verfasser widerspricht dem mit Ueberzeugung: die farbigen Gla-
suren antiker Terracotten und ähnliche Arbeiten verstatteten es keines-
weges, auf gleichzeitige Schmelzmalerei auf Metall zurückzuschliessen; die
scheinbaren Emailfarben auf antiken Metallgegenständen seien bisher noch
nicht entschieden als solche nachgewiesen oder bestimmt als das Gegen-
theil nachzuweisen; um jene leuchtenden Effekte hervorzubringen, welche
nachmals das Auszeichnende des farbigen Emails ausmachen, seien häufig
andre unbehülfliche'Mittel angewandt, zu denen gewiss keine Veranlas-
sung vorgelegen hätte, wenn die Emailmalerei irgendwie verbreitet gewesen
wäre; und wäre sie im Alterthum nur irgend bekannt gewesen, so würde
ohne allen Zweifel die ausgedehnteste, durch zweifellose Denkmäler be-
stätigte Verbreitung die Folge davon gewesen sein, da diese Technik dem
antiken Kunstluxus, zumal der römischen Zeit, so fordernd entgegenge-
kommen wäre. Der Verfasser geht hiebei auf verschiedene antike Denk-
mäler mit näherer Darlegung ihrer Beschaffenheit ein. Von entscheidender
Bedeutung aber ist ihm die Stelle-in Philostrat's „Gemälden" (I, 28), in
welcher der griechische Rhetor (zu Anfange des dritten Jahrhunderts vor
Chr.) bei Erwähnung des buntgeschmückten Geschirres, welches die Pferde
eines Reiterbildes tragen, sagt: „Es wird berichtet, dass die dem Ocean
benachbarten Barbaren diese Farben dem glühenden Erze auflegen, dass
diese fest bleiben und wie Stein erhärten und dass das Gemälde eine ste-
tige Dauer hat." Der Verfasser bezieht dies, wie Andre, auf die Gallier
(für deren Namen wir vielleicht, um die unbestimmte Aeusserung Philo-
strat's nicht zu eng einzuschliessen, den allgemeineren Namen der Gelten
setzen dürfen). Er weist sodann eine "erhebliche Anzahl emaillirter me-
tallener Schmuckgegenstände nach, die aus gallischen, gallo - belgischen
und englischen Gräbern herrühren, während in Italien Nichts der Art, in
den germanischen Ländern nur ganz vereinzelt ein oder ein andres Beispiel
gefunden sei. Er schliesst hienach mit der Annahme, dass die Erfindung
und erste Anwendung des Emails in der That demjenigen Lande angehöre,
in welchem nachmals die weitere künstlerische Verwendung desselben zur
eigentlichen Blüthe gelangte.
Es möchte indess doch in Frage stehen, ob die Archäologen den Un-
tersuchungen und Schlussfolgerungen des Verfassers überall beizupflichten
und gleich ihm die Ehre jener Erfindung seinem Vaterlande zuzuschreiben
geneigt sein" werden. Es fragt sich, ob der Verfasser in der That den
antiken Denkmälervorrath genügend kennt, ob er alles dahin Gehörige in
der erforderlichen Weise zu untersuchen im Stande war. Dussieux, in
seinen Becherches sur Vhistoire de la peinture sur email, p. 31 ff., be-
zeichnet ein, in einem römischen Grabe der Grafschaft Essex in England
gefundenes zierlich emaillirtes Bronzegefäss als Hauptbeispiel der von den
Römern geübten Weise dieser Technik; Hr. de Laborde spricht von dem-
Kugler, Kleine Sihiiftm II. 45
-ocr page 705-706 ' Berichte uud Kritiken.
selben gar nicht. Unter den ägyptischen Denkmälern des Louvre erwähnt
er selber eines Sperberfigürchens von der Höhe eines Zolles, dessen Fläche,
zwischen erhaben stehenden Goldlinien, mit farbigen Füllungen versehen
ist; die letzteren sind auch ihm zuerst als Email erschienen, und er be-
zweifelt diese ihre stoffliche Eigenschaft vorzugsweise nur desshalb, weil
es ein ganz vereinzelt stehendes Beispiel sei. Es sind diesem einen aber
noch eine erhebliche Anzahl andrer Beispiele hinzuzufügen, —jenem glän-
zenden Goldfunde angehörig, den Ferlini zu Meroe gemacht hatte und
der sich jetzt in dem ägyptischen Museum zu Berlin befindet. Diese
prächtigen Schmuckgegenstände waren bekanntlich ohne Zweifel für eine
der äthiopischen Königinnen gefertigt und tragen, bis auf einzelne Gegen-
stände von griechischer Form, das ägyptische Gepräge. Vier grosse und
breite goldne Armbänder, mehrere Halsketten, andre kleinere Stücke sind
reich mit farbiger Zierde versehen, die ebenfalls zumeist zwischen erhaben
stehenden Goldfäden (je nach dem Charakter der dargestellten Einzelfigu-
ren, aus denen die Dekoration besteht,) — in der Weise der von dfn
Franzosen sogenannten Emaux doisonnes^ angebracht sind. Die Farben
sind helleres und dunkleres Blau, Grün, auch Weiss und Schwarz zur
Darstellung des beliebten symbolischen Ornamentes in der Form des Auges.
Alle diese Farben erscheinen durchaus als ein harter Schmelz, der flüssig
in die Füllungen eingelassen und in diesen in nicht gleichartiger Fläche
erhärtet ist. Wesentlich verschieden von ihnen ist eine ausserdem vor-
kommende rothe Füllung, die sich ebenso bestimmt als Incrustation, als
aus eingekitteten geschliffenen Steinchen bestehend, erkennen lässt. Auch
kann ich ausserdem, nach einer mir freundlichst mitgetheilten Notiz des
Hrn. Dr. Brugsch, noch ein grosses, mit dem Uräus versehenes goldnes
Stirnband anführen, welches sich im ägyptischen Museum zu Leyd.en be-
findet und an seiner Aussenfläche blau emaillirt und mit farbigen Steinen
besetzt ist. Die Sorge für den Ruhm seines Vaterlandes scheint Hrn. de L.
döch etwas zu weit geführt zu haben, wenn auch nicht zu läugnen sein
wird, dass jene Aeusserung des Philostrat immerhin nicht ganz aus der
Luft gegriffen sein dürfte. —
Für die dunkeln Jahrhunderte des Mittelalters, nach jenen Beispielen
celtischer Gräber, welche der Verfasser als die ersten der Emailmalerei
bezeichnet, vom siebenten bis elften Jahrhundert, verschwindet der Faden
sofort fast gänzlich wieder; doch fehlt es wenigstens nicht durchaus an
Andeutungen, die die Fortdauer des technischen Betriebes voraussetzen
lassen. Dann folgt die grosse Kunstthätigkeit von Limoges, wo eine
umfassende Industrie für den in Rede stehenden Zweck sich bereits in
jener dunkeln Epoche musste herangebildet haben und wo, vom Ausgange
des elften Jahrhunderts ab, das zwölfte, dreizehnte und vierzehnte Jahr-
hundert hindurch eine überaus grosse Menge dekorativer Kunstwerke unter
thunlicher Verwendung des farbigen Emails entstanden ist. Es sind jene
alterthümlichen, besonders kirchlichen Utensilien, wie solche auch bei uns
nicht selten vorkommen, aus Kupfer bestehend oder mit kupfernen Platten
bedeckt, deren Oberfläche mehr oder weniger durch das aufgelegte Email
geschmückt ist. Das letztere ist hier in vertieften Feldern angebracht, in
der Art, dass die einzelne Farbe in der Regel von dem Metallrandj wel-
cher ihr Ausbreiten, ihre Vermischung mit andrer Farbe verhindern sollte,
umschlossen ist. Das einfache Verfahren hat hiebei zu mannigfach ver-
schiedener Behandlungsweise Veranlassung gegeben; theils ist nur der
Notice dos l^maux expose's dans les Gaieries du Mus^e du Loufre. 707
Grund der bildlichen Darstellung mit farbigem Email versehen, während
die Figuren silhouettenartig ausgespart, vergoldet und ihre Einzeitheile in
gravirter Zeichnung angegeben sind; theils ist umgekehrt der Grund das
stehengebliebene (vergoldete) Kupfer und die figürliche Darstellung farbig;
theils ist Alles mit Farbe bedeckt, und die Metallränder, welche die ein-
zelnen Tönen scheiden^ laufen dann, die Conture der Zeichnung bildend,
als feine vergoldete Linien dazwischen hin. Der französische Kunstaus-
druck für diese ältere Gattung ist der der Emaux en taille d^epargne, der
Emaillen mit ausgesparter Zeichnung.
Der Verfasser bezeichnet die Anfertigung dieser Arbeiten als ein fast
unbedingtes Monopol von Limoges. „Wir schreiben (so sagt er, p. 32,)
dieser Stadt ohne Unterschied alle diejenigen Emaillen auf Kupfer zu,
welche nicht von andern Ländern in Anspruch genommen werden, welche
von ihnen nicht mit den sicheren und unwiderleglichen Gründen, die auf
der modernen Kritik beruhen, in Anspruch genommen werden." Dieser
zuversichtlichen Behauptung fehlt es im Verlauf des Werkes wiederum ein
wenig an der erforderlichen Unterlage; auch ist sie, trotz des zuversicht-
lichen Klanges, ein wenig zu dehnbar, nach verschiedenen Seiten hin.
Wir Andern, in deren Heimat dergleichen Arbeiten, wie schon angedeutel,
eben auch nicht zu den Seltenheiten gehören, könnten ziemlich mit dem-
selben Rechte dem Verfasser nur diejenigen Stücke als Limousiner Fabrikat
abtreten, bei denen er den Limousiner Ursprung mit denselben guten Grün-
den nachgewiesen hätte; welches Letztere seine Schwierigkeiten haben
dürfte. Das deutsche Rheinland, namentlich die Diöcese von Köln^ ist
sehr reich an alten Email werken der in Rede stehenden Art; ich kenne
ziemlich die ganze Masse dieses Denkmälervorrathes, die sich in der
preussischen Rheinprovi-nz nordwärts bis Kaiserswerth befindet, aus eigner
Anschauung und muss es freilich gestehen, dass ich einstweilen für kei-
nes einen bestimmten Nachweis in Betrelf seines Ursprunges beizubringen
vermag: sollten sie aber darum unbedingt nichts Andres sein, als Han-
delsartikel, welche von Limoges ausgeführt worden? Einen Vergleich
zwischen ihnen und unzweifelhaften Limousiner Arbeiten anzustellen, bin
ich ebenfalls ausser Stande. Aber ein besserer Gewährsmann, Jules
Lab arte, in seiner gelehrten Description des objets d^art qui composent
la collection Dehruge-Dumenil, — einem Werke, dessen Lob nach Hrn.
de l^aborde's eignen Worten überflüssig ist, da dies durchaus allgemein
anerkannt werde, sagt (p. 153) von jenen rheinländischen Emaillen: „Ob-
gleich ihre Ausführung völlig identisch ist mit der der Limousiner Email-
len, so haben sie doch ein Etvvas in ihrer Erscheinung, das einem geübten
Auge sie von diesen zu unterscheiden verstattet.'' Er erwähnt darauf eines
in der preussischen Rheinprovinz angekauften Werkes der Art, welches
sich seit einiger Zeit in der Kirche von St. Denis, auf dem Altar im Grunde
der Absis, befindet. „Die darauf befindlichen Figuren (so sagt er) haben
Nimben aus Email, ausgestattet mit feinen Verzierungen aus Metall, die
nach dem Limousiner Verfahren ausgeführt sind: nichtsdestoweniger ist es
beim Anblick des Monumentes leicht zu erkennen, dass dasselbe ganz und
gar der deutschen Kunst angehört." Ich erlaube mir, auch noch darauf
hinzudeuten, dass ich bereits in meiner Beschreibung der Sammlung der
Berliner Kunstkammer (S. 15) einige alte Emaillen angeführt habe, deren
künstlerische Behandlung geradehin an die in oberdeutschen Miniaturen
übliche erinnert. Es dürfte das Urtheil minder vorweg nehmen heissen
708 ' Berichte uud Kritiken.
uucl mit einer naiven Kritik besser übereinstimmen, wenn wir die Eigen-
schaft der Stadt Limoges als eines Hauptfabrikortes für diesen Zweig der
Kunstindustrie, und schon für die in Rede stehende mittelalterliche Zeit,
immerhin anerkennen, dabei aber auch zugestehen, dass diese einfache
und, wie der Verfasser selbst bestätigt, nur selten durch ein besondres
Kunstverdienst ausgezeichnete Technik ebenso gut auch an andern Orten,
und zum Theil vielleicht in nicht ganz unerheblichem Umfange, geübt
sein möge.
Den allgemeinen Entwickelungsgang der Limousiner Emailarbeiten für
die in Rede stehende Epoche, abgesehen von vielen Einzel-Ausnahmen
und diesen oder jenen Besonderheiten, bezeichnet der Verfasser (p. 40) mit
folgenden Worten:
„Die Figuren emaillirt, das Nackte farbig, der Grund durch das ver-
goldete Metall gebildet, — elftes und zwölftes Jahrhundert.
„Die Figuren zur Hälfte emaillirt, zur Hälfte ausgespart, das Nackte
weiss, — Ende des zwölften Jahrhunderts.
,,Die Silhouette der Figuren im Metall ausgespart, ihre Details durch
gravirte Linien angegeben, der Grund Email, zuerst grünlich, blau und gelb,
Kernach ein glänzendes Azurblau, — Anfang des dreizehnten Jahrhunderts.
„Uebereinstimmung der Emaillen, was ihre Tinten betrifft,"während
der ganzen Zeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts; wobei die
Unterschiede der Epochen nur nach dem Charakter der Zeichnung und
der Sicherheit des Stiches festgestellt werden können. Für die, bei Reliefs
angewandten Emaillen dient die Ciselirung als Wegweiser."
Im dreizehnten Jahrhundert taucht der Name eines Limousiner Meisters
dieses Kunstfaches auf, indem ein im Louvre befindliches Ciborium, mit
acht Apostel- und sechzehn Engelgestalten geschmückt, die Inschrift trägt:
Magister G. Alpais me fecit Lemovicarum. (d. L., p. 47, No. 31). Ein
individuell künstlerisches Element macht sich indess nicht weiter geltend,
vielmehr gewinnt das ganze Fach nur mehr und mehr den Charakter eines
handwerklich industriellen Betriebes, lange Zeit hindurch, wie angedeutet,
auf gleicher Stufe beharrend. Auch war es die nur handwerkliche Ver-
wendung der Emailfarben, ihre Unfähigkeit, in solcher Weise zur Hervor-
bringung wirklich künstlerischer Zwecke zu dienen, was dahin führte, dass
man in der Darstellung der Figuren der Farbe ganz entsagte und hier ein-
fach den Grabstichel vorwalten liess! '
Nachdem der Verfasser die Emaux en taille d^epargne besprochen, die,
ihrem wenig werthvollen Stoffe entsprechend, in grösserer Anzahl erhalten
sind (87 Nummern in der Sammlung des Louvre), geht er auf die andern
Gattungen der Emailmalerei über, die theils gleichzeitig mit jenen, theils
einer nächstfolgenden Zeit angehörig, auf kostbaren Stoffen — auf Gold
oder vergoldetem Silber — ausgeführt wurden, deren häufiger Anwendung
in gleichzeitigen Urkunden gedacht wird, von denen aber nur eine geringe
Anzahl von Beispielen erhalten ist. Dies' sind zunächst die nielloarti-
gen Emaillen (Emaux de Niellw'e), in denen die gravirten breiten Um-
risse durch einen schwarzen (gelegentlich auch farbigen) Schmelz ausgefüllt
wurden, bis, bei feinerer Strichbehandlung, die den derberen Stoft" des
Schmelzes nicht mehr in geeigneter Weise aufzunehmen verstattete, zur
Anwendung des eigentlichen Niello (einer Mischung von Schwefel, Blei
und Silber) geschritten wurde. Ferner die sogenannten Emaiix cloi3on?ie's,
die Emaillen mit Zwischenfäden zwischen den Farben, welche das bei den
Notico des ^linaux exposös daus les Galeries du Musee du Louvre. 709
Emaillen mit vollständig ausgesparter Zeichnung Bewirkte im kostbaren
Stoff durch das umgekehrte Verfahren erreichten, indem nämlich die Gold-
conture, welche die einzelnen kleinen Farbenflächen trennen sollten, auf
die Platte erhaben aufgelöthet würden. Beide Gattungen gehören beson-
ders der byzantinischen Kunst oder deren wirklicher Nachahmung an; eins
der Hauptwerke der letzteren ist die berühmte Palla d'oro in S. Marco zu
Venedig. — Eine dritte, wesentlich abweichende Gattung ist die der Relief-
Emaillen, der Emauai de hasse taille. Diese führt den Blick zunächst
nach Italien und zu einer höheren künstlerischen Absicht. Die bildliche
Darstellung wird hier in zartem Relief gearbeitet und sodann mit einer
Lasur leuchtender Emailfarben bedeckt, welche, dünner an den erhabenen
Stellen, voller und somit schattiger in den Tiefen, ein zierliches malerisches
Spiel hervorbringen. Es ist vornehmlich diese elegante Technik, die in
der letzten Zeit des Mittelalters, auch noch in der der Renaissance, eigen-
thümlich anziehende Werke hat entstehen lassen Auf die einzelnen
Anführungen des Verfassers in Betreff des Einzelnen, auch der""Mischgat-
tungen, welche aus zufälliger Verbindung des Einen mit dem Andern ent-
stehen, näher einzugehen, würde uns hier zu weit führen.
Alles bisher'Besprochene (120 Seiten des vorliegenden Werkes) bildet
fast nur die Einleitung zu dem Folgenden, welches die Eraaux des peintres,
die Maler-Emaillen behandelt, jene Arbeiten auf Kupferplatten und
den mannigfachsten Kupfergeräthen, in denen um den Beginn der moder-
nen Zeit, — seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, — die Technik
des Emails zuerst zu einer eigentlich durchgebildeten, selbständigen Malerei
benutzt und der alte Ruhm von Limoges erneut und zugleich zu einer
höheren Stufe entwickelt ward.
Die Ansicht des Verfassers über die Anfänge dieses Kunstzweiges, der
in der That von der bisherigen Verwendung der Emailfarben so wesent-
lich abweicht, ist ohne Zweifel vollkommen in der Natur der Sache und
den Verhältnissen begründet. Es handelte sich zunächst um eine hand-
werkliche, wohlfeile Nachbildung der künstlerisch anziehenden, sehr ge-
schätzten und zugleich kostbaren Relief-Emaillen; und es war nur der alte
industrielle Sinn der Limousiner, der hierin Gelegenheit zur neuen Bethä-
tigung fand. Statt des zarten, aus kostbarem Metall gearbeiteten Reliefs
wurde einfach eine Umriss - und Schattenzeichnung mit einem dunkeln
Email auf eine Kupferplatte aufgetragen, dieselbe dann mit glänzenden
Lasurfarben bedeckt und an den Stellen, wo bei den Relief-Emaillen der
Grund deutlicher durchschimmerte, mit aufgesetzten Goldlichtern versehen.
Es war die in der genannten Epoche zu höherer Selbständigkeit ausgebil-
dete Glasmalerei, die solchem Verfahren die bequemen Mittel darbot; es
') Ein Hauptwerk italienischer Emailmalerei bildet das grosse, mit zahlrei-
chen Tafeln geschmückte Reliquiar im Dome von Orvieto, dessen Darsteilon-
gen durch della Valle und d'Aginccurt herausgegeben sind. Es ist, nach iu-
schriftlicher Atigabe, von einem Goldschmied von Siena, Meister Ugoliuo, und
dessen Gehülfen im Jahre 1338 gefertigt worden. Für die Reisenden pflegt es
unsichtbar zu sein, indem der dasselbe umhüllende Schrein nur zu einer be-
stimmten Festeszeit geöffnet, im Uebrigen aber durch vier, in verschiedenen
Händen befindliche Schlüssel verschlossen gehalten wird.-- J. Labarte, a, a. 0.,
p. 171 ff., glaubt mit Bestimmtheit voraussetzen zu dürfen, dass die Tafeln die-
ses Werkes dem Fache der Relief-Emaillen angehören. Sollte darüber vielleicht
anderweit eine sichre Auskunft zu schaffen sein?
()G710 Berichte und Kritiken.
war die in der Glasmalerei übliche Stylistik, — zugleich aber auch die
der damals blühenden französisch-flandrischen Miniaturmalerei, die der
ersten Uebung der selbständigen Emailmalerei die Typen der Darstellung
an die Hand gab. Die letztere erscheint zu Anfange noch zwischen den
Behandlungsweisen jener beiden Malkünste schwankend, gewinnt aber bald
die Eigenthümlichkeit, dass, neben zuerst violettlichen, dann weisslichen
Carnationen, die leuchtendsten Gewandfarben sich höchst wirksam aus dem
besonders gern angewandten schwarzen Grunde abheben.
Der erste namhafte Emailmaler, Jean Penicaud der ältere, im
Anfange des sechzehnten Jahrhunderts thätlg, gehört noch entschieden die-
ser Richtung an. Der Louvre besitzt keine Arbeit seiner Hand; unter sei-
nen, in andern Sammlungen zerstreuten Werken zeichnet sich ein schönes
Triptychon mit der Darstellung der Kreuzigung auf der Mitteltafel aus,
welches sich in der Berliner Kunstkammer (S. 135, No. 211 meiner Beschrei-
bung) befindet. Etwa mit dem vierten Jahrzehnt des sechzehnten Jahr-
hunderts treten aber, neben gleichzeitig beginnender lebhafter königlicher
Förderung, italienische Einflüsse hinzu, die für Styl und Behandlung auch
dieser Kunstgattung von wesentlicher Bedeutung sind. ^„Gleichwohl (so
sagt der Verfasser) war der italienische Einfluss nicht einseitig vorherr-
schend, und wir verdanken der räumlichen Entfernung zwischen Limoges
und dem Hofe von Frankreich das festere Beharren des französischen Cha-
rakters. Die reizenden Copien der Portraits von Fr. Clouet, der der natio-
nalen Behandlungsweise treu geblieben war; die Nachahmung der Compo-
sitionen des Delaune, der nur halb der italienischen Richtung folgte, und
der französischen und deutschen kleinen Meister, die von dieser Richtung
nur den Widerschein hatten, alles dies ohne sonderliche Unterscheidung,
aber stets mit Geschmack durch einander gemischt und in einander auf-
gehend, gestaltet sich zu einer Art von Styl, welcher Limoges eigenthüm-
lich ist, den man auf den ersten Blick erkennt und der der Emailmalerei
auf'die Dauer angehört." Aber freilich, — und auch darauf deutet der
Verfasser hin, — bleibt die Emailmalerei ein künstlerischer Nebenzweig,
der zwischen der Abhängigkeit von dekorativen Zwecken und dem Streben
nach Selbständigkeit auf Kosten dieser Zwecke schwankend erscheint und
daher, neben einzelnen schätzbaren Ausnahmen, seine handwerkliche Grund-
lage wiederum nicht zu verleugnen vermag.
Die Reihe der namhaften französischen Emailmaler, seit der bestimm-
teren Ausprägung der Richtung, welche dies Kunstfach einschlagen- sollte,
ist nicht unbeträchtlich: Namen, ChilTern, Jahrzahlen auf ihren Arbeiten,
auch andre urkundliche Zeugnisse dienen dazu, sie festzustellen; ebenfalls
zahlreiche Nachahmer und Mitstrebende ohne Namen reihen sich ihnen an.
Der Verfasser hat es sich angelegen sein lassen, unter Berücksichtigung
des reichlich vorhandenen Materials, diese Verliältnisse in möglichster Klar-
heit darzulegen. Er führt zunächst die verschiedenen Künstler der Familie
Penicaud an, welche sich jenem älteren Meister anschliessen: Jean Peni-
caud II, vermuthlich einen jüngeren Bruder desselben, bei dem sich der
Uebergang aus dem ängstlicheren Style der Miniatoren in den freieren der
italienischen Richtung ankündigt; Jean Penicaud III, vermuthlich einen
Sohn des letzteren, „das grosse Talent und den Ruhm von Limoges", einen
Künstler, der insbesondere der Richtung des Parmigianino folgt, der aber
stets frei erscheint und dessen Werke zumeist, — in der glücklichen Be-
scheidenheit, die gerade bei der schwierigen Technik dieses Faches die
Notice des iWaux esposes daiis les Galeries du Mus^e du Louvre. 711
günstigsten Erfolge anbahnt, — aus Grisaillen mit einfach gefärbter Carna-
tion bestehen; Pierre Penicaud, vermuthlich einen Bruder des vorigen,
als dessen manierirter Nachahmer er erscheint. Es folgt sodann Ldoaard
Limosin, derjenige unter den Emailmalern, dessen Name fast einzig be-
reits vor den neueren Forschungen über dieses Fach bekannt war,* den
Franz I, ihn zu seinem Maler und Kammerdiener ernennend, besonders
ausgezeichnet hatte und dessen Werke die Franzosen als die eigentlichen
Glanzpunkte der Emailmalerei preisen. Auch der Verfasser hat ihm einen
längeren Artikel gewidmet und darin seine lange künstlerische Laufbahn
nach der ansehnlichen Zahl feststehender Daten verfolgt. Er scheint um
1505 geboren zu sein; seine Emaillen beginnen mit dem Jahre 1532 und
reichen bis 1574; im folgenden Jahre scheint er gestorben zu sein. „Er
hat (so sagt der Verfasser bezüglich seiner' Technik im Email) Alles ver-
sucht, zuerst um die Wirkungen zu prüfen, dann, um sie zu vermannigfal-
tigen. Niemand hat die Grisaillen auf schwarzem oder blauem Grunde und
die tingirten Grisaillen, die sich bei ihm wie Malereien beleben, besser
anzuwenden gewusst. Wenn er farbig malt, so ist dies im französischen
Geschmack, klar, leicht, brillant, und die Töne seiner Emaillen sind besser
abgestuft, als in irgend welchen andern Arbeiten des Faches. Die Folie,
die er unterlegt, wirkt Wunder, er braucht sie im Ueberfluss, er missbraucht
sie nie. Hervorgegangen aas der Schule von Fontainebkau, besitzt er die
besseren Eigenschaften derselben, — aber freilich auch ihre Mängel; der
hervorstechendste der letzteren ist der Mangel an eigentlicher Originalität."
Der Verfasser zählt als Werke seiner Hand, die sich im Louvre befinden,
99 Stücke auf. — Unter seinen zahlreichen Nachahmern kommt der Name
eines Isaac Martin vor.
Ein andrer, sehr thätiger Bleister, dessen Arbeiten von 1534 bis 1578
reichen und von dem' der Verfasser, als im Louvre befindlich, 43 Stücke
anführt, ist Pierre Raymond. Mit diesem Namen bezeichnet ihn der
Verfasser, einer urkundlichen Notiz folgend. Er selbst schreibt sich sehr
verschiedenartig, zumeist P. Rexmon, auch (nach der Angabe von Didier-
Petit*), die zu bezw.eifeln kein Grund vorhanden ist, obgleich der Verfas-
ser dies thut) P. Rexman. Hieraus (bei einer an sich ganz plausibelu
Verdoppelung des n am Schlüsse des Namens) hat man auf einen deutschen
Ursprung des Künstlers muthmaassen zu dürfen geglaubt. Der Verfasser
erwartet für Letzteres die Beweise: sollten deren zu finden sein, so würden
sie — nach unsrer Ansicht — immer von geringem Belange bleiben, da
der Künstler, welches Herkommens er auch sein möge, in seiner Thätigkeit
doch entschieden der Schule von Limoges angehörig erscheint. Wir ken-
nen (z. B. in der Berliner Sammlung) sehr schätzbare Arbeiten seiner Hand.
Der Verfasser unterscheidet in ihm ziemlich streng den Künstler von dem
Handwerker, der, in letzterer Beziehung, eine Menge untergeordneter Ar-
beiten, ohne an ihrer Bezeichnung mit seinem Namen oder seiner Chifi're
ein Bedenken zu nehmen, in die Welt habe laufen lassen; ^jr macht ihm
dies (p. 205) zum sehr ernstlichen Vorwurf, obgleich er an einer andern
Stelle seines Werkes (p. 228) selbst darauf hindeutet, dass Rexmon's ehe-
malige Zöglinge, bei der Beliebtheit seiner Arbeiten, die ihrigen gern als
aus seiner Werkstatt herrührende Leistungen verkauft hätten. Es dürfte
4 , -
') Catalogue de la collection d'objets d'arl formee u Lyon par M. Didier-
Petit, introd, p. 26.
712 ' Berichte uud Kritiken.
also in Frage kommen, in wiefern überhaupt allen Chiffern seines Namens
auf den roheren Arbeiten zutrauen ist. Aber auch in Betreff seiner künst-
lerischen "Verdienste spricht sich der Verfasser mit einer gewissen Zwei-
deutigkeit aus; seine Zeichnung, sagt er, sei, wenn nicht untadelhaft, so
doch wenigstens erträglich", was mit unsrer Ansicht von Rexmon's Lei-
stungen nicht ganz übereinstimmen Avill. Es scheint, als fürchte der Ver-
fasser, der Mann könne doch vielleicht ein Deutscher sein, und es sei
selbst für diesen unwahrscheinlichen Fall dafür zu sorgen, dass der aus-
schliessliche Ruhm der Emailmalerei unsern werthen Nachbarn jenseit der
Ardennen erhalten bleibe.
Auf eine Anzahl anonymer oder, wenn ihre Werke auch mit Chiffern
versehen sind, doch nicht näher nachzuweisender Emailmaler folgen dann
die der Familien Courtois und Court, die der Verfasser, gleich seinen
Vorgängern, auf Grund urkundlicher Quellen bestimmt unterscheidet nnd
denen sich einzelne Andre einreihen: — Pierre Courtois, ein energi-
scher, doch etwas roh manierirter Meister, — Jean Courtois, brillant
und fein, doch ohne Geist, — Jean de Court, ein sehr manierirter
Künstler, — Jean Court, mit dem Beinamen Vigier, ein Künstler, der
die Verdienste von P. Rexmon und Leonard Limosin, nur ohne die eigen-
thümliche Eleganz des letzteren zu vereinigen weiss, Martin Didier oder
Pape, der sich durch besondre Grösse des Styles auszeichnet; —ferner
Susanne de Court (Tochter des Jean de C.) und Jean Limosin, mit
denen, um den Schluss des sechzehnten Jahrhunderts, wiederum der rein
handwerkliche Betrieb beginnt. Der letztere wird sodann, bis ins acht-
zehnte Jahrhundert hinein, ebenfalls durch eine Reihe von Namen vertre-
ten: durch Joseph Limosin, Martial Raymond, mehrere Maler der
Familie Nouailher, namentlich Pierre und Je an - Bap ti ste , durch
die sehr thätigen Noel und Jean Laudin, u. A. m. — Auch noch ein
ehrlicher deutscher Name, „L. de Sandrart", von dem sich ein so be-
zeichnetes Stück mit der Jahrzahl 1710 in der Berliner Kunstkammer befin-
det, gehört mit in diese Reihe. Der Name ist dem Verfasser wiederum ein
wenig unbequem gewesen; er meint zwar,, sie wären in Frankreich reich
genug an Emailmalern; doch sagt er: man fordre den Künstler von unsrer
Seite ,,zurück", auch sei das de vor dem Namen jedenfalls nicht deutsch
(als ob die liebenswürdige Sitte unsrer guten Vorfahren, sich zu latinisiren
oder zu französiren, nicht durch hundert und aberhundert Beispiele bekannt
wäre!). Sollte der Verfasser ihn übrigens, auf eine oder die andre "Weise,
für Frankreich gewinnen können, so wollen wir ihm diese, an sich freilich
sehr unbedeutende Eroberung willig zugestehen.
Das vorliegende Werk ist, wie auch die auf dem Titel enthaltene Be-
merkung angiebt, nur ein erster Theil. Ueber den Inhalt des zu erwarten-
den zweiten Theils ist noch keine nähere Auskunft gegeben; doch geht aus
mehrfacher vorläufiger Bezugnahipe auf denselben hervor, dass er ein er-
läuterndes Glossar und Dokumente enthalten wird, welche letzteren für die
Verwendung der Werke der Emailkunst, im gesammten culturgeschicht-
lichen Zusammenhange, und vorzugsweise für die Werke kostbaren StoiTesj
von denen nur wenig Beispiele auf unsre Zeit gekommen, von wesentlicher
Bedeutung sein dürften. Die bewährten Verdienste des Verfassers in der-
artigen urkundlichen Studien und deren Verarbeitung werden sich hier
ohne Zweifel aufs Neue in fruchtreicher Weise bestätigen.
Geschichte des Kostüms. 713
Geschichte des Kostüms. Die Tracht, die baulichen Einrichtungen
und das Geräth der vornehmsten Völker der östlichen Erdhälfte, Von
Hermann Weiss, Erste Abtheilung; erster Theil. Berlin. Ferd. Dümmlers
Verlagsbuchhandlung. 1853. (XXII u. 406 S. in 8.)
(D. Kunstblatt 1853, No, 30.)
Die darstellende Kunst hat*schon seit geraumer Zeit das Streben, ihren
Gebilden das Gepräge des geschichtlich Angemessenen zu geben, sie in
derjenigen Erscheinung vorzuführen, welche das historische Bedingniss
fordert. Es genügt ihr nicht mehr, ihre Gestalten nur etwa zu Trägern der
subjectiven Empfindungen, die das Gemüth des schaffenden Künstlers er-
füllen , zu machen, nur etwa das allgemein Menschliche an ihnen heraus-
zukehren; sie findet sich auch mit den herkömmlichen Conventionellen
Andeutungen, welche bisher zur Bezeichnung der einen oder der andern
weltgeschichtlichen Epoche dienen sollten, in keiner Weise mehr befriedigt.
Sie verlangt eine vollkommen objective Charakteristik, eine solche, welche
das darzustellende Ereigniss mit seinen Persönlichkeiten und Umgebungen
als das Ergebnis» bestimmter geschichtlicher und culturgeschichtlicher Ent-
wickelungsmomente erkennen^ lässt und das hiezu NÖthige in voller Ent-
schiedenheit durchführt. Es ist die energische wissenschaftliche Entwicke-
lung der neueren Zeit, welche, wie auf viele andre Gebiete des Lebens, so
hierin auch auf die Kunst ihren unausweislichen Einfluss kundgiebt, —
welche von der Kunst in dieser Beziehung vielleicht ihren schönsten Lohn
erwarten darf. Was die Wissenschaft erforscht, hat die Kunst zur leben-
digen Gestalt durchzubilden; aber auch die Kunst selbst wird sich im Ver-
folgen dieser Richtung, — wenn sie es will und äussere Ungunst ihr nicht
zu hemmend gegenübersteht, — wiederum zu Leistungen höchsten
Ranges, zu eigenthümlichen, die noch keine frühere Zeit kannte, entwickeln.
Solchem Streben zu genügen, wird freilich ein ernstliches Studium er-
fordert. Der Künstler muss nicht bloss die Begebenheit an sich, die er
darstellen will, nicht bloss den Geist, das innere Lebensgefühl der ge-
schichtlichen Epoche, welcher dies'e Begebenheit angehört, der volksthüm-
lichen Zustände, aus denen sie hervorgegangen ist, kennen; er muss zu-
gleich mit allem Aeusseren, was die Erscheinungen des Lebens in dieser
geschichtlichen Epoche bedingte, und mit der eigenen Entwickelung des-
selben vertraut sein. Jenes ist Sache der allgemeinen Bildung, dies die
Sache des eigentlich künstlerischen Spezialstudiums. In der That ist die
Geschichte des Kostüms — mit welchem Worte wir jene äusseren Dinge
zu bezeichnen pflegen — heutiges Tages für den darstellenden Künstler
ein ebenso wesentliches Studium, wie z. B. das der Anatomie und der
Perspective. • -
Es sieht aber mit diesem Studium und zunächst mit den Mitteln des-
selben bisher noch wenig erfreulich aus. An Material fehlt es nicht.
Wir besitzen Werke, aus grossen Reihefolgen dickleibiger Foliobände be-
stehend, die das Kostüm einzelner Nationen, sowie derer der gesammten
Welt abhandeln: wir haben eine Ueberfülle bildlicherBeispielsammlungen
für mehr oder weniger ausgedehnte Epochen: wir finden Einzelheiten
^"IPPHI
714 Berichte iiud Kritiken.
selbständig in einer Menge kleiner Schriften, auch mehr oder minder bei-
läufig in andern Werken mitgetheilt und besprochen. Die zum Studium
der Kostümgeschichte erforderliche Bibliothek würde bereits ein ganz an-
sehnliches Lokal anfüllen. Aber schon die fast ungeheuerliche Weitschich-
tigkeit dieses Materials macht das Studium für den, dem es doch nur
Mittel zum Zweck ist, geradehin unausführbar. Es kommt ihm naturge-
mäss auf hundertfältige Einzelheiten an, und diese soll er sich aus hun-
derten verschiedener Werke zusammensuchen; es kommt ihm auf Zuver-
lässigkeit an und er findet, falls seine Natur überhaupt nur zu einiger kri-
tischen Beobachtung geneigt ist, dass unter hundert Fällen vielleicht zwei
sind, die ihn die Sache.erschöpfend kennen lehren und die ihm eine nur
einigermaassen sichere Bürgschaft für die richtige Zeitbestimmung des Mit-
getheilten geben. Es kommt ihm auf einen verständigen Führer durch
diese Wirrnisse an, und er sieht sich überall auf seine eignen Kräfte an-
gewiesen. So ist alles kostümgeschichtliche Studium unsrer Künstler bisher
nur ein dilettantistisches gew^esen; sobald sie über den engen Kreis, für den
zufällig Ueberliefertes vorliegen mochte, hinausschritten, musste sich der
Mangel des eigentlich genetischen Verständnisses ohne Weiteres kund-
geben. So hat es unsre Kunst, trotz des allgemein gefühlten Bedürfnisses,
noch in keiner Weise dahin gebracht, auf dem ersehnten historischen
Pfade sich nur irgendwie mit Sicherheit und Folgerichtigkeit zu bewegen.
Das in der Ueberschrift genannte Werk ist es, welches, soviel aus dem
vorliegenden ersten Bande zu erkennen, dem kostümgeschichtlichen Studium
die erforderliche sichre Begründung gewähren wird, indem es von einer
vollständigen Kenntniss des Materials ausgeht, das Ganze wie das Einzelne
kritisch sichtet, die Fülle der Gegenstände in strenger Folgerichtigkeit vor-
führt und zur bestimmten selbständigen Auffassung überall diejenigen Ge-
sichtspunkte giebt, welche auf einer wissenschaftlich geschichtlichen An-
schauung beruhen. Der Verfasser, ursprünglich Maler, ist ebenso sehr
Künstler wie Mann der wissenschaftlichen Forschung: er verbindet in sich
die beiden Eigenschaften, ohne welche ein Werk wie das vorliegende
überhaupt nicht durchzuführen wäre; er vereinigt damit noch, als ein
drittes sehr Wesentliches, dasjenige praktische Geschick, welches zur über-
sichtlichen, verständigen Ordnung eines aus tausend und aber tausend
Einzelheiten erwachsenen Material es nöthig ist. Ein Buch der Unterhal-
tungslectiire, der geistreich spielenden Darstellung zu schaffen (wozu der
Stoff auch wohl Anlass geben konnte), lag nicht in seiner Absicht; sein
Werk ist für das strenge Studium bestimmt, als ein solches behandelt und
als ein solches aufzufassen. Wer das Buch mit Ernst in die Hand nimmt,
wird sich bald überzeugen, dass dasselbe einer tieferen Auffassung so
wenig entbehrt, wie es mit bewusster Kritik, mit künstlerischem Scharf-
blick, mit handwerklicher Sicherheit gearbeitet ist.
Der Umfang des Werkes ist durch den Haupttitel angedeutet. Der
Verfasser hat sich weder auf den engsten Begriff des Wortes Kostüm —
auf die Tracht — eingeschränkt, noch dasselbe in seinem weitesten Be-
griffe genommen, nach welchem es auch auf eine Darstellung der Sitten,
Gebräuche, Institutionen etc. ankommen würde. Sein Zweck war: eine
Darstellung der „tastbaren Resultate" der Culturgeschichte, also neben der
f/ Geschichte der Tracht auch die der baulichen Einrichtungen und des Ge-
räthes, d. h. eben derjenigen Dinge zu geben, deren genaue Kenntniss
Bedürfnis« aller darstellenden Kunst ist. Er beschränkt sich dabei auf die
Geschichte des Kostüms. 715
vornehmsten Völker der östlichen Erdhälfte, d. h. auf diejenigen, welche
bis auf die neuere Zeit das eigentliche Leben der Geschichte ausgemacht
haben. Das Ganze söndert sich, dem Vorwort zufolge, in drei Hauptab-
schnitte, von denen der erste die vornehmsten Völker des Alterthums, der
zweite die des Mittelalters, der dritte die modernen Völker enthält. Jeder
von diesen Abschnitten zerfällt sodann in verschiedene Unteiabtheilungen,
der Art, dass z. B. der erste Hauptabschnitt in drei Theilen die wich-
tigsten alten Völker von Afrika, von Asien und von Europa behandelt.
Der vorliegende erste Band ist der erste Theil des ersten Abschnittes. Es
steht also noch eine Reihe von Bänden in Aussicht. Eine solche, verhält-
nissmässig umfassende Ausdehnung war aber nöthig, wenn der Verfasser
mehr als-allgemeine Andeutungen und Grundsätze, wenn er überall auch
eine charakteristische Durchführung des Einzelnen geben, — d. h. wenn
er den praktischen Zweck seines Werkes erfüllen wollte. Ein Blick in
den vorliegenden ersten Band wird es erkennen lassen, dass der Verfasser
sich gleichwohl aller möglichen Kürze befleissigt hat und dass diese nur
das Ergebniss der vollkommen sicheren Beherrschung des Steiles ist, ohne
welche letztere die Darstellung allerdings nur aufs Neue in j«ne verwirr
rende gestaltlose Breite, die'auf allen früheren derartigen Versuchen lastet,
hätte hinauswaschen müssen.
Der erste Band ist hienach den alten Völkern von Afrika gewidmet.
Voran, bis S. 22, geht eine Einleitung, welche, nachdem auf wenigen Seiten
die allgemeinsten Grundsätze festgestellt sind, Beispiele für die frühste,
rein naturgemässe Gestaltung des Kostüms von einigen wilden Völkern —
den Waldindianern in Südamerika und den Küstenbewohnern von Neu-
holland und der Südspitze Amerika's — entnimmt. Diese Völker geiiören
allerdings nicht dem Kreise derer an, deren Betrachtung das Werk eigent-
lich gewidmet ist; aber sie geben, ob auch klimatisch bedingt, doch eine
Anschauung von Urzuständen, die bei den Völkern der historischen Ent-
wickelung verwischt sind und von denen sich, mit Vermeidung aller misS'^^
liehen Phantasiegebilde für primitivste Gestaltungen, gewisse bestimmte
Ausgangspunkte verfolgen lassen. Mit S. 23 beginnt die Darstellung des
Kostüms der altafrikanischen Völker. Diese zerfällt in zwei Abschnitte,
dereii erster (bis S. 98) die geschichtslosen Völker des Erdtheiles, dw
zweit"e die Aegypter behandelt. An der Betrachtung jener, der Busch-
männer, Hottentotten,-Kaffern, Neger, Galla's, entwickelt sich, in mannig-
facher Abstufung, .wiederum das Bild ursprünglicher Zustände j das allen
wissenschaftlichen Merkzeichen zufolge heutiges Tages noch dasselbe ist,'
wie zu jener Zeit, da Aegypten als das eigentliche Culturland des afrika-
nischen Welttheiles erstand. Sie geben somit wiederum die naturgemässe
Unterlage für die Betrachtung der ägyptischen Kostümgeschichte, welche
den Hauptinhalt dieses Bandes ausmacht.
In jedem der genannten Einzel abschnitte ist das Material aufs Strengste
systematisch angeordnet; eine Uebersicht dieser Anordnung gewährt zu-
nächst das sehr sorgfältig gearbeitete Register, welches dem Buche voraus-
gesandt ist. Hiedurch hat es der Verfasser möglich gemacht, alles
überflüssige Raisonnement zu vermeiden und die Entwicklung so kurz,
wie unmittelbar an der Reihenfolge der Gegenstände selbst, ob auch das
geringfügigste Detail derselben nicht ausser Acht lassend, zu geben. >Für
alles Einzelne ist das sicher bezeichnende Wort gefunden, was begreiflicher
Weise bei einer Ueberfülle kostümlicher Gegenstände, die unsrer Anschauung
715 ' *• > Berichte und Kritiken.
zunächst fremd sind, seine bedeutenden Schwierigkeiten hatte; möglich war
dies nur dadurch, dass der Verfasser sein Material sich selbst zuvor, mit
allen Mitteln künsllerischer Veranschaulichung, zum entschieden klaren
Verständniss gebracht hatte. Für jede Angabe ist die Quelle, auf welcher
sie beruht, als Beleg angeführt; für jeden Gegenstand sind die bildlichen
Darstellungen namhaft gemacht, die, in der Reihe der betreffenden Werke,
seine Abbildung enthalten. Beispiele dieses Verfahrens hier im Einzelnen
zu geben, würde so unzweckmässig wie überflüssig sein; jede Seite des
Buches enthält deren in Menge; der Einblick in dasselbe kann allein den
steten Zusammenhang, in welchem die Einzelheiten untereinander und mit
dem Ganzen stehen, vergegenwärtigen.
Wir haben glänzende und gelehrte Werke, auch bereits einige Hand-
bücher, welche das ägyptische Alterthum behandeln; keins vielleicht wird
den imvergleiclilichen Reichthum und die Ausdehnung zunächst der äusse-
ren Cultur jenes wunderbaren Volkes auf eine so schlagende Weise anschau-
lich machen, wie dies anspruchslose Buch. Dem Aegyptologen wird die
so erschöpfende wie übersichtliche Zusammenstellung des in ihm enthalte-
nen Materiales vielleicht schon an sich zu folgereichen Beobachtungen
Anlass geben; er wird es vielleicht auch anerkennen, dass der Verfasser,
indem er jene oft verworren scheinenden Dinge von seinem praktischen
Standpunkte aus ordnet und löst, der ägyptischen Alterthumskunde auch
unmittelbar manch einen wichtigen Dienst geleistet hat. Der darstel-
lende Künstler wird durch das Studium schon dieses ersten Bandes die
Erscheinungen der uns bekannten ältesten Cultur vom Einfachsten bis zum
Reichsten vor sich ausgebreitet sehen und dadurch für die Auffassung aller,
weiteren Culturentwickelungen die geeignetste Grundlage gewonnen haben.
Es wird sich ihm dabei eine Fülle so eigenthümlicher Lebensgestaltungen
ergeben, dass diese schon au sich, wie fern sie uns liegen mögen, zur
mannigfaltigen bildlichen Behandlung reizen dürften. Wird sodann dem
ersten Bande zunächst der zweite, mit der Darstellung des Kostüms der
alten Völker von Asien, gefolgt sein, so wird sich u. A. schon eine völlig
neue Weise der Behandlung altbiblischer Stoffe ergeben, — eine solche,
die uns, ihren Mitteln nach, ungleich tiefer anmuthen ward, als die
bisherige, in dieser Beziehiing doch nur durchaus conventioneile Darstel-
lungsweise.
Es ist so eben gesagt, dass bei jedem einzelnen Gegenstande die Werke
(und die Stellen derselben) genau angegeben sind, welche seine Abbildung
enthalten. Dem Bedürfniss der Anschauung sind somit durchweg die
sichersten Wege bereitet. Nach dem Vorwort ist ausserdem aber noch die
Herausgabe eines besondern kostümgeschichtlichen Bilderatlasses, der unter
der Redaction des Verfassers und mit steter Hinweisung auf den Text sei-
nes Werkes erscheinen soll, in Aussicht genommen. Es bedarf der Anfüh-'
rung der Gründe nicht, dass ein solcher den Nutzen und die Wirkung des
Buches um das Doppelte erhöhen wird.'
Das Werk kommt so sehr dem entschiedenen Bedürfnisse der ganzen
Kunstwelt entgegen, dass dem Verfasser die Anerkennung und^ die Auf-
munterung zur Fortsetzung seiner, allerdings zwar sehr schwierigen und
gewiss sehr erschöpfenden Arbeit nicht fehlen kann. Bei den Vorarbeiten,
die er bereits gemacht hat, dürfen wir dem Erscheinen der näclisten Bände
in hoffentlich nicht zu ferner Frist entgegensehen.
m
Ueber die Construction der Maasswerlie. 717
Ueber die Construction der Maasswerke von Carl Stooss. Als
Beitrag zur Förderung der gewerblichen Bildung herausgegeben von dein
Gewerbeausschuss der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger. Thätig-
keit in Lübeck. Lübeck, 1853. 21 S. und XV Tafeln in kl. Fol.
(D. Kuustblatt 1853, No. 44.)
Einer der wesentlichen Factoren für die Gestaltung der gothischen
Architektur ist die geometrische Combination. Die Lösung des Ganzen in
die Fülle selbstberechtigter Einzeitheile und das Gegeneinanderwirken der-
selben, was aus dem System von Gewölbrippe und Strebepfeiler entspringt,
hat hier, in Grundriss, Durchschnitt und Aufriss, ein strenges Wechselver-
hältniss geometrischer Bedingnisse hervorgebracht, das in ähnlichem Grade
bei keinem andern Baustyle stattfindet. Wir wissen, dass diese Bedingun-
gen bei dem Aufbau des gothischen Werkes selbst bis zu einer Consequenz
durchgeführt sind, der das naive Gefühl des Beschauers manches Mal nicht
mehr vollständig zu folgen vermag und deren letzte Punkte nur noch
durch den nachrechnenden oder nachmessenden Verstand gewürdigt wor-
den können. So beruht auch ein wesentlicher Theil der gothischen Orna-
mentik auf dieser geometrischen Combination. Sie hat dazu geführt, üm-
säumungen, Theilungen, Füllungen mit so streng gemessenem wie zierlich
buntem Formenspiele, dessen rhythmische'Consequenz dem Auge einen
eigenthümlichen Reiz zu gewähren im Stande ist, zu umkleiden. Es ist
die Kunst des sogenannten Maasswerkes, die auf solchem Principe beruht.
Die geometrische Grundform des Ornamentes erhält ihre Belebung,
ihre körperlich plastische Wirkung durch die Ausgestaltung (das Profil)
der Gliederung, an und mit welcher sie sich entwickelt. Die Form dieser
Gliederung beruht — so weit das Maasswerk überhaupt mit ästhestischeni
Gefühl behandelt wird — auf jenem vegetativ organischen Elemente, wel-
ches ein zweiter Hauptfactor des Gothischen ist. Sie empfängt durch die
kehlenartig eingezogene Seitenfläche eine elastische Spannung, durch den
Rundstab (der wenigstens bei Maasswerken von energischer Bedeutung an
dem Hauptgliede hervortritt) die Andeutung einer mehr individuell archi-
tektonischen Kraft.
Doch wäre mit diesen Mitteln noch immer erst ein herbes und starres
Ornamentwerk, — ein solches, dem das Spiel freier Grazie noch fehlt,
gebildet. Andre Baustyle haben dies Fehlende in der Nachbildung des
wirklich Vegetativen und in dessen Hinzufügung an die strenge Grundform
zu erreichen gesucht, und auch der gothische Baustyl ist dem bei andern
Theilen durchaus nicht fremd geblieben, hat das Vegetative in einzelnen
Fällen auch in der That mit dem Maasswerk verbunden. Für das letztere
aber hat er eine freiere Belebung vorzugsweise durch eine weitergeführte
Bewegung der Linien und Formen zu schaffen gewusst, die wiederum auf
den Grundsätzen eben jener geometrischen Combination beruht und die,
obgleich sie nur die äussersten Endpunkte des Dekorativen betrillt, den-
noch mit zu den markantesten und völlig ausschliesslichen Eigenthümlich-
keiten der Gothik gehört. Die in der Bogenlinie des Maasswerkes schwin-
gende Bewegung lässt einen Theil ihrer Kraft nach der inneren Seite her-
718 Berichte iiud Kritiken.
vorschiessen, der Art, dass dieses schwingend Vorschiessende, ohne neue
Combmationen mit andern Theilen des Maasswerkcs einziigehen, sofort
wieder in jene Haiiptbewegung zurücTtgezogen wird. So theilt und glie-
dert sich die Bewegung, säumt z. B. den Kreis mit kleineren Kreisansätzen
(mit drei, vier, sechs, acht, zehn der Art), dass ein rosenartiges Gebilde
entsteht, und tritt nicht -minder an den ans Bogenstücken zusammenge-
setzten Figuren hervor, anderweitig ein Dreiblatt, Yierblatt u. dergl. bil-
dend. Wie an der geometrischen Grundform, so haben diese Bogenzacken
natürlich auch an den Formen der Profilirung, daran jene entwickelt sind,
Theil. Die mittelalterliche Bauscliule hat ihnen den, freilich nicht sehr
ästhetischen Namen der „Nase" gegeben. — Was solchergestalt sich bei
dem aus Kreis- oder Bogenlinien gebildeten Maasswerk an graziöser Be-
lebung entwickelt hat, wird sodann auch wohl auf die geradlinigen Com-
binationeu desselben übergetragen; doch bleibt in diesen, die des eigent-
lichen Schwunges entbehren, immer eine gewisse Starrheit und Kälte zurück.
Für die mannigfachsten Zwecke ist dies Maasswerk verwendbar. Das
Grundpriucip seiner Bildung ist stets ein bestimmt einfaches, aber die
Combinationen sind unzählbar. Für die Auswahl der Combinationen wird
der künstlerische Geschmack entscheiden müssen; (denn allerdings können
sie unter Umständen sich auch zu minder gefälligen P'ormen zusammen-
fügen.) Für die Art der Verwendung wird daran festzuhalten sein: dass
das Maasswerk vor Allem einen integrirenden Theil des gothischen Bau-
styls bildet, hervorgegangen aus den ihm eigenthümlichen Combinationen
geometrischer Gesetze, im Einklänge mit diesen, und in seinem eigentli-
chen künstlerischen Zwecke nur durch den Rückblick auf die Gesammtheit
jener Gesetze verständlich. Wo man heutiges Tages aufs Neue gothisch
baut und in solcher Bauweise den Formenausdruck auch für das geistige
Gefühl unsrer Zeit gefunden zu haben meint, wird die ornamentistische
Form des Maasswerkes ihre widersprachlose Stelle finden. Anders dürfte
es sein, wo die Ueberzeugung von der Zeitgültigkeit des gothischen Styles
nicht auf denselben festen Fundamenten beruht. Es wird in Erwägung zu
nehmen sein, ob bei der Anwendung abweichender architektonischer Ele-
mente eine Ornamentik, deren Spiel durchaus jenen strenger gemessenen
Grundgesetzen folgt, die ganz entsprechende Stelle finden kann. Es wird
dabei zunächst wenigstens auf eine sehr vorsichtige Verwendung ankommen.
Indess leben wir einmal in der Zeit einer grossen Vermischung der Style,
wie sie die Geschichte der Baukunst früher nie gekannt hat; es scheint,
als ob unsre Zeit erst dann gründlich weiter gedeihen werde, wenn sie
die Menge dieses Vorliegenden wahrhaft bewältigt und verarbeitet hat.
Es wird daher Alles, was zu solcher Bewältigung des Einzelnen Gelegen-
heit giebt, willkommen zu heissen sein.
m
Dahin gehört das in der Ueberschrift genannte Werk, welches ein
praktisclies Lehrbuch für die Construction der gothischen Maasswerke, aus-
macht. Es ist meines Wissens kein Werk vorhanden, welches diesen, in
sich abgeschlossenen Gegenstand in ähnlich gründlicher, verständlicher
und umfassender Weise behandelte, welches ebensosehr zur sichern Auf-
fassung des Gegebenen, als zu selbständig neuen Compositionen an-
leitete. Der Verfasser beginnt zweckmässig mit der Construction der ein-
fachen geometrischen Grundfiguren, der Lehre von den Profilirungen, der
Bildung jener „Nasen",' und entwickelt sodann in einer reichen Folge von
Beispielen — seine Bildtafeln enthalten im Ganzen 183 Nummern — die
iiiliiilH
-ocr page 718-Alterthümer iind Kunstdeukmale des Erlauchten Hauses Hohenzollern. 719
verschiedenartigen Weisen der Combination. Zeichnungen und Text bieten
eine eben so kläre Belehrung, wie erschöpfende Uebersicht.' Es ist ein
Lehrbuch für diese ausschliesslich geometrische Ornamentik, das vollkom-
men geeignet erscheint, sowohl in den Schulen, welche zur kunstgewerb-
lichen Ausbildung bestimmt sind, als beim Selbstunterricht mit bestem
Nutzen verwandt zu werden, und das nicht minder dem Kunsttechniker
beim eignen Schaffen, durch die grosse Anzahl- seiner Beispiele, vielfachen
Vortheil gewähren wird. Es darf ebenso auf die Anerkennung des oben
bezeichneten, wenn auch durch tiefere Voraussetzungen bedingten Stand-
punktes rechnen, wie es zugleich der völlig unabhängigen ästhetischen
Betrachtung ein dankenswerthes Material liefert.
Alterthümer..und Kunstdenkmale des Erlauchten Hauses
Hohenzollern. Herausgegeben von Rudolf Freiherrn v. Stillfriod.
Neue Folge. Lief. 1 und 2. Berlin, 1852, 1853. Fol.
(D. Kunstblatt 1853, No. 47.)
Von dem schönen Unternehmen, welches der vorstehend^ Titel be-
zeichnet, liegt in diesen Heften, nachdem die frühere Folge mit dem fünf-
ten Hefte abgeschlossen, ein neuer Beginn vor. Die neueren Forschungen
auf dem Gebiete der Hohenzollerischen Vorzeit haben den Gesichtskreis
erweitert, Denkmäler derselben sind in reicherer Fülle zugeströmt. Dem
entsprechend tritt die neue Folge des Werkes mit, umfassenderem Plane,
in noch mehr durchgebildeter künstlerischer Behandlung auf. Die histo-
risclie Seite des Unternehmens zu würdigen, liegt ausserhalb des Bereiches,
den das deutsche Kunstblatt vertritt; wir sind nur auf die Betrachtung der
künstlerischen Seite desselben angewiesen; wir finden indess auch hierin
Stolf zu mannigfacher Belehrung und Gelegenheit zu voller Anerkennung.
Die bildlichen Darstellungen, deren jedes Heft, ausser dem neuen
Haupttitel und neben dem'erläuternden Texte, sechs Blätter enthält, sind
Lithographieen, theils Kreidezeichnungen mit Tondruck und gelegentlicher
farbiger Angabe, theils eigentlicher Farbendruck. Sie sind nach Originalen
von S. H. Jarwart gefertigt und lassen durchweg eine vollkommen mei- f|
sterhafte künstlerische Auffassung erkennen; die Uebertragungen auf Stein
sind von A. Klaus tüchtig ausgeführt. Der Druck ist im königl. lithogra- )J
phischen Institut zu Berlin besorgt und entspricht ebenfalls den-zu ma-
chenden Anforderungen.
Die einzelnen Blätter sind in bunter Folge geordnet. Wir geben eine
flüchtige Uebersicht des Inhaltes und reihen sie nach Bezügen der künst-
lerischen Eutwickelung aneinander.
Alterthümlichstes Interesse gewährt die Darstellung der Reliefsculptur,
welche sich in der Lünette über dem Portal der ehemaligen Klosterkirche
von Alpirsbach im Schwarzwalde befindet. (Ueber diese Kirche finden
sich in einem Hefte der ersten Folge die näheren Mittheilungen.) Die
720 ' Berichte uud Kritiken.
Sculptur enthält das Bild des unbärtigen Salvators in der Mandorla, die
von zwei schwebenden Engeln getragen wird; rechts und links knieend
Anbetende. Die Arbeit gehört, wie die Kirclie selbst, ohne Zweifel dem
Schlüsse des elften Jahrhunderts an und ist in der scharfsfylistischen Strenge
der Gestalten und namentlich der Gewandungen, auch in den Ornament-
einfassungen des Ganzen, für den Charakter jener Epoche höchst bezeich-
nend. Die Andeutungen von Färbung und Vergoldung §ind auf der Ab-
bildung wiedergegeben.
Von Grabsteinen sind zunächst zwei des vierzehnten Jahrliunderts zu
nennen: der mit seltener Schönheit gearbeitete, auch in Betreff des Kostüms
interessante des Grafen Otto von Orlamünde, in dem Orlamündischen Klo-
ster Himmelkron, und der seiner Gemahlin, nachmaligen Aebtissin des
Cistercienserklosters Himmel thron bei Nürnberg, Kunigunde, in der
jetzigen Pfarrkirche dieses Ortes. Die Gräfin ist die gespenstische „Weisse
Frau", die die Sage noch bis heute im Braudenburgischen Hause wandeln
lässt. Beigefügt sind die Siegelbilder des Grafen und der Gräfin, das letz-
tere ein seltenes und für die Kunstliöhe des vierzehnten Jahrhunderts sehr
bezeichnendes Meisterwerk.
Ein andrer, in ziemlich ansehnlicher Dimension dargestellter Grab-
stein ist der der Kurfürstin Anna von Brandenburg, zweiten Gemahlin
Albrecht Achills (gest. 1512), der sicli in der Kirche von Heilsbronn in
Franken befindet. Die in weite Gewände gehüllte Gestalt hat zu ihren
Füssen drei Lthvenhündchen; die ornamentale Umfassung des Steines ist
mit reichem Wappensclimuck ausgestattet. Die Arbeit ist in dem einfach
charakteristisclien deutschen Style der Zeit gehalten, mit noch eckig ge-
brochener Gewandung, dabei aber in ebenso ernster Würde, wie mit un-
gemeiner Zartheit, in Gesicht und Händen, durchgeführt.
Ebenfalls in der Kirche von I-Ieilsbr.onn befindet sich das Grab-
monument des Markgrafen Georg Friedrich, der im J. 1603 gestorben war.
Es ist ein Sarkophag, dessen Deckel die lebensgrosse Portraitfigur des
Fürsten enthält, während an den Seiten desselben die Statuetten von acht
seiner Vorfahren, Personen, die im vierzehnten Jahrhundert und zu An-
fange des fünfzehnten gelebt hatten, befindlich sind. Die letzteren werden
auf zwei Blättern vorgeführt. In diesen ist mit Feinheit und Bestimmtheit
der spätgefmanische Styl jener älteren Epoche, ohne Zweifel nach vor-
handenen Origlnalsculpturen, nachgebildet worden, — ein sehr merkwür-
diges Beispiel, dass man in der Renaissance-Elpoche des siebzehnten Jahr-
hunderts auf die mittelalterlichen Typen, mit denen man im Uebrigen
entschieden gebrochen hatte, unter Umständen doch, und zwar in treuer
Hingebung, zurückzugehen geneigt und vermögend war. Nur in der Be-
handlung der Köpfe scheint die grössere Freiheit der jüngeren Zeit nicht
vermieden zu sein.
An Werken der Malerei wird der ritterliche Minnesinger, Graf Albrecht
von Heigerloch, in einem Facsimile des Kampfbildes, welches ihm in den
Gemälden des Manesse'schen Minnesinger-Codex gewidmet ist, vorgeführt.
— Dann eine eigenthümliche Malerei auf ornamentirtem Goldgründe, aus
der St. Gumpertskirche zu Ansbach, welclie den Kurfürsten Albrecht
Achilles von Brandenburg mit seinen Grosswürdenträgern darstellt. —
Ferner das Portrait des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, nach
eiiiem Gemälde von Lucas Cranach vom J. 1529, welches neuerlich durch
Hrn, Jarwart in der gegenwärtigen Kanzlei-Bibliothek zu Bayreuth auf-
Alterthümer und Kunstdenkmale dös Erlauchten Hauses Hohenzollern. 721
gefunden wurde. Es ist, ausser einer flüchtigen Dürer'schen Profilzeich-
nung (im Kupferstichkabinet des Berliner Museums) und einer Medaille,
das einzige authentische Portrait dieses Fürsten. Bekannt war dasselbe
bisher nur durch einen danach gefertigten, sehr mangelhaften Kupferstich
im „Brandenburgischen Ceder-Hain" von J. W. Rentsch. Die Originalität
des Bildes,, die auch aus der sorgfältig durchgeführten Lithographie her-
vorleuchtet, scheint in keiner. Weise zweifelhaft.
Endlich sind noch die getreugi Facsimile's zweier Urkunden des drei-
zehnten Jahrhunderts und ihrer Siegel und zwei in mittelalterlicher Clas-
sicität von Jarwart componirte Ahnentafeln anzuführen. Ihnen reiht sich
das ebenso meisterhaft componirte und in leichter geistvoller Technik aus-
geführte Titelblatt an, welches die neue Folge des Unternehmens würdig
eröffnet.
Kuglor, Kleine Schriften. II. , 46
-ocr page 721-November 1853.
(Deutsches Kunstblatt 1854, No. 2 £f.)
Der Sommer dieses Jahres brachte mir in der Rheinpfalz ein Paar
sonnige Wochen. Ich suchte in den grünen Bergen der Hardt Erholung
und Erfrischung, — Studienzwecke hatte die Reise nicht. Doch führten
die Tage des dortigen Aufenthaltes Eins und das Andre von künstlerischen
Denkmälern dem Auge vorüber, davon man eine Erinnerung zu bewahren,
darüber man sich Rechenschaft zu geben hatte; kleine Erfahrungen, die
schliesslich doch dem Kapitel der kunsthistorischen „Studien" einzureihen
waren. Nun mahnt mich die Schrift von F. v. Quast über „die romani-
schen Dome des Mittelrheins zu Mainz, Speier, Worms", mahnt mich der
Aufsatz Schnaase's über diese Schrift, den das deutsche Kunstblatt so
eben (No. 45 d, v. J.) gebracht hat, auch meine Notizen den Freunden
unsrer Wissenschaft hinzugeben. Ich habe dem Bekannten doch eine oder
die andre, vielleicht nicht ganz überflüssige Bemerkung und Schlussfolge-
rung hinzuzufügen, habe auch auf einiges Wenige, was minder beachtet
geblieben, aufmerksam zu machen. Zugleich.ist es, was jene drei Dome
betrifft, für mich eine Art von Pflicht, in diese Verhandlungen mit einzu-
treten und auch mein kurzes Votum abzugeben, da mein Handbuch der
Kunstgeschichte hierüber bestimmte Ansichten und Vermuthungen gebracht
hatte, diese von beiden Freunden mit aufgeführt und nach Umständen be-
stritten sind, und der geneigte Leser vielleicht fragt, welche Stellung ich
jetzt zu der Auffassungsweise, die ich früher vertreten, einzunehmen gedenke.
Mein Aufenthaltsort in jenen Wochen war Dürkheim, am Ausgange
des Isenachthaies. Eine kleine halbe Stunde thalauf ragen auf massig
hohem Bergrücken die Trümmer von Kloster Limburg empor, der Gegend
zur stattlichsten Zierde, den näheren Spaziergängen ein stets willkommenes
Ziel. Vor Jahren, als Stiident, hatte ich es droben wild und verwachsen
gefunden; es rastete sich damals schön in dem buschigen Grün, wo nichts
als der Ruf eines Falken die Stille störte und die Wolken einsam über
die ausgewitterten Zinnen hinzogen. Jetzt hat eine Wirthschaft sich in
Pfälzische Studien. November 1853. 723
die alten Mauern hineingebaut und das Ganze zu einem lustigen Garten
eingerichtet, Romantikern vielleicht zum Leide, der Majestät der alten
Reste doch nicht zum Schaden. Sie dulden gelassen das lustige Treiben
an ihrem Fusse und blicken hinaus in das Thal und das rheinische Land
bis zum Odenwalde drüben, wie sie es Jahrhunderte hindurch gethan. Die
rheinfränkischen Herzoge hatten hier im frühsten Mittelalter eine mächtige
Pfalz, und die Umschau von droben bezeugt es noch heut, dass der Punkt
zu einem Herrschersitz geschaffen war. Die Frömmigkeit Kaiser Konrads II.
machte aus der Pfalz ein Kloster. Der Gründstein dazu soll im Jahre 1030
gelegt sein; die Weihung der vollendeten Kirche erfolgie im Jahre 1042.
Die erhaltenen Reste (mit Ausnahme einiger spätgothischen Theile) gehören
bestimmt diesem frühen Bau an. Es war eine Säulenbasilika von kolossalen
Verhältnissen. Vom Mittelschiff ist nichts als einige Säuleufragmente er-
halten. Der Chor, ein einfaches Quadrat, ohne Absis, erhob sich über
einer Krypta, deren Gewölbe fehlen, von deren architektonischen Details
aber noch allerlei Reste vorhanden sind. Die Flügel des Querschifles ent-
halten Seitenabsiden, hoch und verhältnissmässig schmal, die nach aussen
wie halbrunde Erkerthürme vortreten, aber von den Oberfenstern des Quer-
schüFes noch überragt werden. Westwärts war eine eigenthümliche Vor-
halle, und den Ecken des Westbaues waren kleine Rundthürme vorgelegt,
von deren einem der Sockel noch da ist. Einen erhabenen Eindruck macht
.der Durchblick durch das Innere des Querschiffes, dessen Mauern bis zur
Höhe der krönenden Gesimse stehen; Wandpilaster springen vor, mit Halb-
kreisbögen die Fenster, die Absiden der Ostwände und schmalere Blend-
nischen zu deren Seiten überwölbend; die Gesimse sind ganz einfach, nur
Platte und schräge Schmiege,. Es ist hier eine Kühfiheit der Verhältnisse,
eine Festigkeit, ein strenger gediegener Ernst, — Eigenschaften, die die
volle und zugleich bestimmt bewusste Energie einer jugendlichen Kunst
nicht verkennen lassen. Je öfter ich in, der Ruine weilte, je stärker und
entschiedener wirkte ihre Erscheinung auf mich in diesem Sinne. Von
den Säulenresten des Schiffes ist besonders die Basis, bemerkenswerth,
welche die attische Gliederung in eigenthümlich edler, stark ausladender
und fein belebter Profilirung zeigt; die Kapitale haben die abgerundete
Würfelform, hier noch in ziemlich schwerer Behandlung, die glatten Seiten-
flächen noch in v^enig charakteristischer Durchbildung. In der Krypta
haben die Säulenbasen ein höheres,* straffes Verhältniss; namentlich die
Kehle ist hoch und wenig ausladend, die Weise der Profilirung indess auch
hier nichf ohne Leben. Die Kapitale sind klarer als im Schiff, mit schär-
fer hervorgehobenen Seitenflächen, gearbeitet. Die Eckpfeiler der Krypta
haben ein leicht geschwungenes Karnies mit einer Platte darüber zum
Deckgliede Die Aussenmauern des Querschilfes sind mit einfach pro-
filirten rundbogigen Friesen versehen, von denen zwischen den Fenstern
Lissenen bis zur halben Höhe des Baues niederlaufen. Auch die Absiden
des Querschiffes haben schlichte Lissenen, mit jener alterthümlichen Basis,
welche einfach aus Plätte und hoher Schmiege besteht. Ansätze ganz ähn-
licher Lissenen, vier an der Zahl, finden« eich an dem Sockel des einen
runden Eckthurmes. — Für die erste Hälfte des elften Jahrhunderts, für
') Die Details sind bei Geier und Götz, in den Denktnälern'^Romanischei'
Baukunst am Rhein, LimburgBl, IL, enthalten; doch geben die Abbidungen
den Schwung des Profils nicht in genügender Feinheit und Leichtigkeit.
724 Pfälzische Studien.
die Epoche der ersten entschiedenen Ausbildung des romanischen Bau-
styles, sind diese Reste, in ihrer ernsten Grösse ebenso wie in dem lebendi-
gen Verständniss des Details, ohne Zweifel von höchst wichtiger Bedeutung.
In der Krypta liegt, ausser den Resten ihres eignen Baues, eine Anzahl
von Ornamentstücken, kleineren Kapitalen, Gesimsen und dergleichen, die
ein etwas jüngeres romanisches Gepräge tragen. Unter ihnen, eigenthüm-
lich beachtenswerth, ein Pfeiler-Kapitäl mit stark ineinander gerollten ioni-
schen Voluten. Sie rühren zumeist wohl von Altären her.
Im Jahre 1504 wurde die Kirche durch Brand zerstört; 1515 begann
ihre Herstellung Dahin gehört zunächst der in festen Quadern leicht
und kühn emporsteigende gothische Thurm auf der Südwestecke, der bis
in seine Spitze erhalten ist, und die schöne malerische Wirkung der Ruine
so wesentlich erhöht. Es lässt sich indess aus bestimmten Spuren erken-
nen, dass er nicht blos an die Stelle des alten runden Eckthurms getreten
ist, sondern dass er diesen selbst noch in sich einschliesst. Nach Süden
stärker vortretend, scheint der Thurm zugleich als mächtiger Strebepfeiler
gegen den, ohne Zweifel wankend gewordenen Bau aufgeführt zu sein.
Aus noch jüngerer Zeit wird die Ausfüllung der Chorfenster, mit unschö-
nem, spätestgothischem Stabwerk, herrühren. Eine hohe Mauer, die den
Chor vom Schiffe ganz abtrennt, hat eine Inschrifttafel mit dem Datum
1551. —
Zu der Kirche von Limburg steht der Dom von Speyer in nächster
Wechselbeziehung. Kaiser Konrad II. soll noch am Morgen desselben
Tages, an welchem er den Grundstein zu jener gelegt, auch diesen ge-
gründet haben. Aber der Speyerer Dom ward in noch mächtigeren Ver-
hältnissen erbaut, und ungleich mannigfachere Schicksale sind über ihn
hingegangen. Ein klarer Julitag führte uns zum Besuch des Domes in die
Rheinebene hinaus.
Das Innere des Domes hat in jüngster Zeit die reichste künstlerische
Ausstattung empfangen. Es ist durchaus mit Wandgemälden, mit Vergol-
dung, mit vielgestaltiger farbiger Ornamentik bedeckt; ich sah diese Aus-
führungen schon fast vollendet, die Gerüste der Maler schon ganz nach
dem westlichen Ende der Kirche hingerückt. Das baugeschichtliche Stu-
dium hat sich für das Innere, bei so glanzvoller Erneuung, zu bescheiden;
es weiss hier zunächst kaum noch an etwas Andres anzuknüpfen, als an
das Allgemeine des Systems der gewölbten Basilika, welches in diesem
Dome freilich in höchst grossartiger, rhythmisch klarer Weise durchgeführt
ist. Das ganze System, — auf der Grundlage ebenso massenhafter wie
streng erhabener Verhältnisse, die füglich nur mit denen von Limburg
verglichen werden können, — hat zugleich eine so lautere Eiitwickelung
der romanischen Gewölbeprincipien, dass wir hierin, wie es scheint, auf
die Zeit ihrer vollen Blüthe geführt werden. In Betreff des Details darf
darauf hingedeutet werden, dass die alten Blätter-Kapitäle der als Gurt-
träger des Hauptgewölbes dienenden Halbsäulen diejenige reiche Dekora-
tion in streng geschweiften Formen haben, welche ebenfalls der vollkom-
men entwickelten Epoche des romanischen Styles eigen ist. Dies gilt aber
natürlich nur von den Kapitälen der östlichsten Theile des Schiffes, wäh-
') Die gründlichsten Nachrichten über die Kirche von Limburg s. hei F. X.
Remling, Urkundl. Geschichte der ehem. Abteien und Kloster im jetzigen Rbein-
bayern (Neustadt a. H,, 1836), I., S. 144, flf.
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read die der westlichen Theile den umfassenden Restaurationen, welche das
vorige Jahrhundert herbeiführte, angehören und eine mordern korinthische
Form haben.
Die kolossale Krypta zeigt noch ganz die" strenge, hoch alterthümliche
Beschaffenheit. Das Würfelkapitäl ihrer Säulen hat eine hohe, charak-
teristisch ausgeprägte Form; die Basen derselben haben «ine entschieden
attische Gliederung.
Das Aeussere des Domes ist geblieben, wie ich es in jungen Jahren
manches Mal, wenn ich Speyer besuchte, mit fast scheuem Staunen be-
trachtet hatte. Auf den seltsamen Vorbau aus der Spätzeit des vorigen
Jahrhunderts, auf die "Wände des gestreckten Langhauses, von denen wie-
derum (trotz der Nachbildung des alten Systems) nur Weniges als der be-
stimmte Rest alter Zeit erscheint, folgt der alte Bau des Querhauses, der
in seiner Totalität einen überaus mächtigen Eindruck, fast wie ein Fe-
stungsbau, hervorbringt, während seine Einzeitheile den romanischen Styl
vor Allem in reichster und prachtvollster Entfaltung, mehrfach auch, bei
aller eigenthümllchen Strenge der Behandlung, mit jener merkwürdigen
Durchbildung klassisch antiker Elemente verbunden zeigen, die am Schlüsse
der romanischen Epoche nicht ganz selten eintritt. Dahin gehören die Fen-
ster des Querhauses, deren Einfassungen mit Säulen, Rundstäben, Karnie-
sen , Ornamentbändern auf das Mannigfaltigste gegliedert und neben ächt
romanischen Formen zugleich mit vollkommen ausgebildetem Akanthus-
blattwerk geschmückt sind, der Art, dass ihnen an edler dekorativer Pracht
wenig andre Fenster-Architekturen aus der Epoche des romanischen Styles
an die Seite zu setzen sein möchten. Dahin gehören ebenso die Kranz-
gesimse, die auf der Südseite das einfachere romanische Gepräge — dies
jedoch wiederum in sehr edler Gestaltung — tragen, auf der Nordseite
aber, in Gliederung und Ornamentik, eine unmittelbare und, wenn ich
mich so ausdrücken darf, eine studienmässige Nachahmung antiker Formen
erkennen lassen. — Auch an der äusseren Dekoration der Altarnische, in
acht schlanken Halbsäulen und Bögen bestehend, die gegen die kleine
offene Arkadengallerie emporsteigen, welche hier, wie an allen Übrigen
Theilen des Domes, unter dem Kranzgesimse hinläuft, ist ein gewisses
antikisirendes Element wahrzunehmen, —hier jedoch in einer wesentlich
abweichenden Behandlung. Die letztere hat hier, wie namentlich aus den
sculptirten Theilen, z. B. den Blätterkapitälen der Halbsäulen (wo solche
angewandt sind), zu ersehen ist, jenes noch immer primitive, naiv tradi-
tionelle Gepräge, welches entschieden der früheren Epoche des romani-
schen Styles angehört. Manches von diesen Details erinnerte mich lebhaft
an die Behandlungsweise, -die an den entsprechenden Theilen der früh-
romanischen Schlosskirche von Quedlinburg ersichtlich wird. Die Basen
der Halbsäulen haben eine rein attische Gliederung, bei einigen auch —
sehr merkwürdig — die der antiken ionischen Basis, beiderseits mit Knaggen
(statt der späteren romanischen Eckblätter) an den unteren Pfühlen. —
Das^ mehrfach gegliederte Basament der Chor-Absis hat mit dem der Flügel
des Querhauses einige Verwandtschaft, doch mit dem Unterschiede, daäs
es an der Chor-Absis einfacher genalten ist und hierin die Wellenform
vorherrscht, während an den Basamenten des Querhauses das Karuiea die
vorherrschende Form bildet. Die Verw;andtschaft dieser Basamente deutet
darauf hin, dass die Grundanlage dos Aeusseren der Absis und die des
Querhauses der Zeit nach nicht gar fern auseinanderliegen, während am
725 Pfälzische Studien.
Oberbau beider Bautheile doch so erhebliche Verschiedenheiten entgegen-
treten. Es scheint aber, dass hier das Ganze beiderseits keinesweges aus
Einem Gusse ist, Icli glaubte, aus äusseren Spuren schliessen zu dürfen,
dass jene prächtigen Fenster des Querhauses nicht ursprünglich, sondern
dem vorhandenen Mauerwerk später eingefügt sind. Kleinere, aber auf-
fallendere Sonderbarkeiten zeigen sieh an der Absis, namenlich darin, dass
an ihrer Nordseite der die Fenster umrahmende Säulenwulst, nach der
Sitte des späteren Uebergangsstyles, mit Ringen umgeben ist. Alles dies
scheint Einzel-Restaurationen zu bezeichnen, die übrigens schon an sich,
bei den vielfaclien Brandschärten, welche den Dom im Laufe der Jahr-
hunderte betroffen, in keiner Weise befremden können.
Sehr merkwürdig und eigenthümlich sind sodann die beiden Seiten-
kapellen des Domes. Zunächst die langgestreckte Afrakapelle, deren Ge-
wölbgurte von vortretenden Wandsäulen getragen werden. Auch hier ist
viel alterthümlicli Antikisirendes, aber in sorgfältiger Durchbildung. Die
mittleren Säulen haben — wiederum in seltner Eigenthümlichkeit — rö-
misch composite Kapitale von strenger und scharfer Behandlung, während
die Kapitäle der vordem Säulen (im westlichen Theil der Kapelle) elegant
und scharf romanisch ausgearbeitet und gelegentlich mit charakteristischen
Barbarismen versehen sind, die der östliehen Säulen zumeist nur erst die
noch rohe Anlage der Form haben. Die Basen sind hoch attisch, mit
Knaggen am unteren Pfühl. Die Deckgesimse der Kapitäle haben eben-
falls eine antikisirende Gesimsformation, mit vorherrschendem Karnies;
ebenso die Pfeiler der Wandarkaden am Aeusseren der Kapelle und die
Archivolten der Bögen über diesen.- Alles bezeugt hier eine absichtlich
elegante Weiterentwickelung jener, noch immer als frühromanisch zu be-
zeichnenden Grundelemente, welche z. B am Aeussern der Absis ersicht-
lich sind (und welche das feinere Gefühl von der Wiederaufnahme antiker
Formen in der spätromanischen Zeit sehr deutlich unterscheidet). — Höchst
verschieden hievon ist die Kapelle auf der Südseite des Domes, die als
Emmeramkapelle oder als Krypta (?) der Taufkapelle bezeichnet wird. Sie
ist quadratisch, mit Pilastern an den Wänden und vier Säulen in der
Mitte. Hier tritt uns, im Gegensatz gegen jenes antikisirende Element,
positiv romanisches Wesen entgegen, doch aber noch in sehrieigenthüm-
licher Behandlung. Die Kapitäle haben bunten und reichen^Blätterschmuck,
der im Ganzen mehr einer sculptirten Zeichnung als einer eigentlich aus-
gebildeten Sculptur ähnlich ist und in dessen Formen ein gewisses, spe-
ziell byzantinisches Element hineinklingt. Ihr Deckgesims besteht aus
einer sculptirten Schmiege. Das Deckgesims der Pilaster wird, von anti-
kisirender Form ebenfalls durchaus absehend, aus einem dicken Rundstab
mit Plättchen und Abacus gebildet.
Alle diese Beobachtungen führen aber auf die Epoche der Gründung
des Domes noch nicht zurück; oder es ist lediglich doch nur die Krypta,
welche das künstlerische Gepräge jener Zeit trägt. Alles Üebrige erscheint,
wie es gegenwärtig da ist, als ein Späteres. Jene merkwürdigen Ent-
deckungen indess, deren Mitfheilung wir v. Quast verdanken, geben unsrer
Auffassung eine ganz neue Grundlage, und verstatten uns, folgenreiche
Schlüsse an sie anzuknüpfen. Hienach, um dies mit zwei Worten zu
wiederholen, hat sich ergeben, dass das Aeussere der Chor-Absis die üm-
mantelung eines älteren Baues ist, und dass — was das ungleich Wich-
tigere — die Wände der SeitenschilTe die ursprünglichen, dass die für den
November 1853. 727
Gewölbebau erforderlichen Pfeilervorsprünge und Halbsäulen ihnen erst
nachftäglich eingefügt waren, und dass das ganze Gebäude höchst wal^r-
scheinlich schon ursprünglich die jetzige Ausdehnung hatte. Ob Aehn-
liches auch bei den Arkaden des Inneren stattgefunden, d. h. ob den die
Wände des Mittelschiffes tragenden Pfeilern die Vorsprünge und Halbsäu-
len ebenfalls später eingebunden wurden, Hess sich nicht mit Bestimmtheit
ermitteln, doch war mindestens einiger äusserer Anschein auch davon vor-
handen. Ich halte dies Letztere, ■— d. h. das Ergebniss, dass der Dom
iirsprünglich eine einfache kolossale Pfeilerbasilika mit flachen Decken
war, und dass diese seine ursprüngliche Anlage mit ihrem usprünglichen
Systeme als Kern des gegenwärtig erscheinenden Gewölbebaues (abgesehen
natürlich von den im vorigen Jahrhundert neu hergestellten Theilen) noch
vorhanden ist, in Erwägung aller Umstände für so wahrscheinlich, dass es
für mich wenigstens denjenigen Grad von Gewissheit erreicht, der.über-
haupt da zu erreichen ist, wo nicht die einfache nackte Tliatsache vorliegt.
V. Quast hat bereits auf die kolossalen Dimensionen aufmerksam gemacht,
die schon der alte Dom, nach der Ausdehnung der Mauern der Seiten-
schiffe, gehabt haben musste; es ist hinzuzufügen, dass hiebei, für eine
Säulenbasilika, Säulen von einer Grösse nöthig gewesen wären, die für die
Frühzeit der deutschen Baukunst und für das rheinische, mit der Festig-
keit antiken Materiales doch in keiner Weise zu vergleichende Baumate-
rial ohne Beispiel ist; während starke, massive Pfeiler, tragfähig für die
Wucht der mächtigen Oberwände dieses Mittelschiffes, hier eben als das
vollkommen Natürliche erscheinen. Dann ist in der Pfeilerstellung, wie
sie in dem Dome dasteht, eine gewisse schwere Starrheit, etwas ängstlich
Gepresstes, was mit der geistvollen üeberlegung, in welcher die zu dem
Gewölbesystem gehörige Anordnung nach oben hin durchgeführt ist, nicht
ganz in Einklang,steht, auch wesentlich dadurch erhöht wird, dass (wie
V. Quast ebenfalls schon bemerkt) die Hauptpfeiler und die ZwischenpfeUer
gleiche Breite haben , — eine Einrichtung, die wiederum mit jenem Ge-
wölbesystem nicht völlig stimmt, der einfachen Pfeilerbasilika jedoch natur-
gemäss angehört. Es kommt hinzu, dass die Deckgesimse der Pfeiler und
das über der unteren Arkade durchlaufende Horizontalgesims (welches letz-
tere gegenwärtig den Wandmalereien hat weichen müssen) jene priniitiv
romanische Form, aus Platte und schräger Schmiege, haben, die z. B. in
Limburg di« überall durchgehende ist. Ebenso mag auch der Umstand hinr
zugefügt werden, dass die Mächtigkeit dieser ganzen Struktur vollkommen
geeignet war, verderblichen Einflüssen den nachhaltigsten Widerstand
zu leisten.
Ich bin also der Ansicht, dass die ursprüngliche Anlage des Domes,
wie derselbe im elften Jahrhundert, nach seiner Gründung im Jahre 1030,
ausgeführt wurde, in ihrer machtvollen Einfachheit noch gegenwärtig ganz
wohl zu reconstruiren ist. Eigenthümlich edel und fast majestätisch er-
scheint es hiebei, dass über den Deckgesimsen der Pfeiler, und in der
Breite der letzteren, das höhere Horizontalgesims durchschneidend, Mauer-
vorsprünge pilasterartig emporstiegen, zwischen denen sich halbrund Über-
wölbte, die Oberfenster in sich aufnehmende Blendnischen bildeten. Diese
In den Blättern bei Gailhabaud, Denkmäler der Baukunst, Liefttr. 148,
welche den Dom von Speyer behandeln , sind die Pfeiler irrtUiioilich als in der
Breite sehr unterschieden dargestellt.
728 Pfälzische Studien.
Anordnung gewährte der Mauermasse, — der straffen Kühnheit der Lim-
burger Architektur ähnlich, — eine rnhig klare Gliederung, und war^abei
vortrefflich geeignet, dem erforderlichen Schmucke der Wandmalereien
(wie dies in geringerem Maasse auch bei der gegenwärtigen Ausführung
derselben der Fall ist) eine rhythmisch geordnete Folge zu geben. Zu
diesem ursprünglichen Bau gehört dann, wie schon angedeutet, die Krypta
des Domes und ohne Zweifel das Innere des Chores, über dessen innere
Einrichtung mir indess kein ürtheil zusteht. — Das Aeussere des Chores
setze ich, auf Grund der Charakteristik, die ich von demselben gegeben,
und in üebereinstimmung mit Schnaase, in die Epoche der Sicherungs-
bauten, welche dort, zum Schutz gegen den Rheinandrang, etwa seit 1068,
nöthig geworden waren. Ohne Zweifel in Verbindung hiemit, und als
nächste Folge des Beginnes dieser Unternehmungen wird sodann das
mächtige Aussenmauerwerk des Querhauses aufgeführt sein. Hieran reiht
sicli die Afrakapelle, die meiner Auffassung nach in die Zeit um das Jahr
1100 fallen -wird Die sogenannte Krypta der Taufkapelle scheint wieder
um Jahrzehnte jünger zu sein. Die grosse geniale Umwandlung des Domes
zur Gewölbearchitektur kann ich, in reiflicher Erwägung aller bezüglichen
Verhältnisse, nur in die Epoche nach dem Brande des Jahres 1159 setzen,
meiner früheren Annahme (die in dieser Umwandlung freilich noch einen
wirklichen Neubau voraussetzen musste) doch einigermaassen treu blei-
bend , im Einklänge mit v. Quast und leider im fortgesetzten Widerspruch
gegen Schnaase. Ich nehme übrigens an, dass diese Umwandlung in man-
nigfacher Weise durchgreifend war,, und vielleicht eine längere Zeitdauer
in Anspruch nahm, und dass in ihrem Gefolge namentlich auch die Pracht-
fenster des Querhauses ausgeführt wurden. Ebenso mögen hiezu schliess-
lich die spätromanischen Elemente im Inneren des Querhauses, auf die
V. Quast (S. 39) aufmerksam macht und die er freilich bis an das Ende
des dieizelmten Jahrhunderts hinabzusetzen geneigt ist, gehören. —
Was über die ursprüngliche Anlage des Domes von Speyer anzuneh-
men ist, erhält durch eine Vergleichung mit dem Dome von Mainz noch
grösseres Gewicht und dient umgekehrt dazu, der Annahme, die auch über
diesen aufzustellen ist, die volle Wahrscheinlichkeit zu geben. Ich habe
leider den Mainzer Dom in diesem Jahr nicht besuchen können! und muss
mich, neben meinen ungenügenden Erinnerungen aus früherer Zeit und
neben dem ungenügenden bildlichen Material, welches über ihn vorliegt,
besonders auf v. Quast's Mittheilungen beschränken. Wir verdanken
letzterem die nähere Kenntniss der merkwürdigen Gotthardts-Kapelle zur
v. Quast giebt der Afrakapelle ein sehr junges Alter, u. A. auch darauf
gestützt, dass sich an der Ostwaud derselben das frühere Vorhandensein einer
älteren Altaruisehe gezeigt und hiedurch ergeben habe, dass die gegenwärtige
Kapelle nicht die ursprüngliche sei. Ich habe aus seineu Angaben, «o detaillirt
dieselben sind, indess doch mit Sicherheit nur entnehmen können, dass die
Afraknpelle jünger ist, als der untere Theil der Westwand des nördlichen Quer-
schiflfflügels, au den. sie sich anlehnt; was übrigens auch schon der äussere An-
blick der beiden Bautheile lehrt. — Die Angabe des J. 1165, die durch einen
Zufall (durch ein hierauf bezügliches Excerpt aus Wetters Gesch. des Domes von
Mainz, S. 29 , Anm., welches unter meine übrigen Excerpte über den Speyerer
Dom geiathen war) eine Stelle in der ersten Ausgabe meines Handbuches der
Kunstgeschichte gefunden hatte, war schon in der zweiton Auflage (1848) berich-
tigt worden. Dies hätte durch einen Einblick in letztere bemerkt werden können.
November 1853. 729
Seile des Domes, die, aus der früheren Zeit des zwölften Jahrhunderts
herrührend, im J. 1138 geweiht wurde und deren Details Verwandtschaft
mit entsprechenden Details an den älteren Theilen des Domes haben. Ich
kann aber Schnaase zunächst nur in Allem beistimmen, was er gegen
V. Quast's Ansicht über den unbedingt maassgebenden Einfluss dieser
Kapelle, d. h. des an ihr ausgesprochenen baulichen Systems, auf den Bau
des Domes beigebracht hat; ich sehe in der unorganischen Zusammen-
setzung weicher Gliederformen, wie sie in dieser Kapelle vorkommen, und
in der disharmonischen Verbindung solcher Zusammensetzungen mit völlig
rohen Details (die in der äusseren kleinen Arkadengallerie, in dem Auf-
setzen der schmalen gegliederten Architrave über den breiten unförmlichen
Kapitalen, das Höchste von architektonischer Missform erreicht), nur eine
Entartung, der eine stylbildende Kraft nimmer einwohnen konnte.
Schnaase findet sich daher zu der entgegengesetzten Ansicht veranlasst,
die den Dom und dessen Formen als das Vorangehende nimmt, und schreibt
den, Bau des letzteren der Zeit zunächst nach dem Brande von 1081 zu,
da ein etwaniges weiteres Zurückdatiren durch jene neuerlich aufgefundene
Nachricht, derzufolge der früher vorhandene Dombau eine flache Decke
hatte, während der gegenwärtige in seinen alten Theilen schon von Hause
aus auf die üeberwölbung berechnet erscheint, unthunlich gemacht werde.
Wäre es aber nicht möglich, dass der Mainzer Dom, ebenso wie der
Speyerer, ursprünglich dennoch eine einfache ungewölbte Pfeilerbasilika
war und dass auch hievon der Kern noch in seiner schlichten Mächtigkeit
erhalten ist? Ich glaube, dass dies in der That der Fall ist. Die Pfeiler-
stellung ist ähnlich schwer und gepresst wie in Speyer; Hauptpfeiler und
Zwischenpfeiler sind ebenso von gleicher Stärke; ebenso erheben sich
über beiden breite Mauervorsprünge, überwölbte Blendnischen zwischen
sich einschliessend. Diese haben zwar nicht die Höhe wie in Speyer, und
die Oberfenster sind nicht iu sie hineingezogen; die letzteren liegen über
ihnen; aber gerade die Stellung dieser Fenster scheint mir einen deutlichen
Beleg dafür zu geben, dass hier verschiedene Zeiten und verschiedene
Systeme einander berühren. Es ist ein Missverhältniss zwischen der breiten
Form jener Nischen und der schlankeren Form der Fenster, ein auffälligeres
Missverhältniss darin, dass das einzelne Fenster nicht senkrecht über der
einzelnen Nische steht, vielmehr jene ye zwei) enger zu einander gestellt
sind. Unterwärts, in Arkaden und Nischen, ist völliges Gleichverhältniss
des Einzelnen; oben, bei den Fenstern, ein Zusammengruppiren. Letzteres
war durch die Gewölbansätze bedingt, innerhalb deren die Fenster liegen;
aber welch ein erdenkbarer Grund konnte vorliegen, das entgegengesetzte,
in den Arkaden ausgesprochene Verhältniss durch die flachen, lediglich
dekorirenden Nischen, undekorativer Weise, bis zur unmittelbaren Nähe
der Fenster emporzuziehen? welchen architektonischen Sinn konnten diese
Blendnischen überhaupt bei der Gestaltung des Mittelschifi"e8, wie diese
gegenwärtig vorhanden ist, haben? — Der Widerspruch löst sich meines
Erachtens völlig naturgemäss, wenn wir auch hier, wie eben angedeutet,
den Rest einer ursprünglich ungewölbten Basilika annehmen, zu der jene
Blendnischen gehören, die über letzteren ohne Zweifel ein horizontales
Gesims und darüber Fenster in gleichen Abständen hatte und der erst bei
der Einrichtung des Domes zur Gewölbkirche, einen Pfeilerum den andern,
die Halbsäulen als Gurtträger hinzugefügt wurden, während man gleichzeitig
730 Pfälzische Studien.
die neue Fcnsterauordnung, vielleicht diesen ganzen obersten Theil der
Wände erneuend, einrichtete.
Nur eine Schwierigkeit macht sich bei dieser Annahme geltend; sie
besteht in der Form der Gesimsgiiederungen, die zum Theil auf eine
spätere Zeit deuten, als diejenige ist, welcher die ursprüngliche Pfeiler-
basilika zugeschrieben werden müsste. Jenes horizontale Gesims zwar,
welches, von den emporsteigenden Wandvorsprüngen durchbrochen, über
den unteren Arkaden hinläuft, hat ebenso die streng alterthümliche Form
der Platte und schrägen Schmiege, wie dies zugleich die Form der Kämpfer-
ansätze der Bögen der Blendnischen ist; auch erscheint sie in einzelnen
Fällen bei den unteren Kämpfern der Pfeiler. Ueberwiegend sind die
letzteren jedoch in bewegteren Formen gebildet, und zwar in solchen, die
zum grösseren Theile den Gesimsformationen der Gotthardts-Kapelle ent-
sprechen, also ungefähr die Epoche der letzteren bezeichnen. Aber schon
Schnaase hat bei Besprechung dieser Details darauf hingedeutet, dass
das Schiff des Mainzer Domes manchen Einzelreparaturen unterlegen zu
haben scheine und dass diese Gesimse von bewegterer Formation bei
solchen später eingefügt sein möchten. In der That halte ich dies, bei
den vielfachen Schäden, die das Gebäude nach den alten Nachrichten er-
litten hat (und die natürlich um so mehr an Zahl zunehmen, in ein je
höheres Alter seine ursprünglichen Theile zurückgehen), für völlig wahr-
scheinlich; wobei als unterstützender Grund anzuführen ist, dass diese
reicher gegliederten Kämpfergesimse durchaus nicht nach gleichem Systeme
gebildet sind, somit vielmehr das Gepräge der Einzelthätigkeit als das
eines festen architektonischen Planes zur Schau tragen, und dass zugleich
mehrere von ihnen eine Formation haben, die füglich selbst aus jener
alten Bildung, welche ich als die ursprüngliche voraussetze, herausgemeis-
seit sein konnte, dass mithin an solchen Stellen auch ein Einfügen neuer
Steine mit Nothwendigkeit nicht anzunehmen sein dürfte.
Die schliessliche Entscheidung über alles dies wird freilich von einer
materiellen Lokaluntersuchung — falls eine solche bei der Tünche, die
das Innere des Domes deckt, überhaupt ausführbar ist — zu erwarten sein.
Einstweilen aber kann ich mit Ueberzeugung nur bei der Ansicht ver-
harren, die in dem Kern des Mainzer Domes, ebenso wie in dem von
Speyer, eine Pfeilerbasilika aus der Frühzeit des romanischen Styles, also
muthmaasslich den in den Jahren zwischen 1009 und 1037 ausgeführten
Bau (falls nicht gar, was indess wohl minder wahrscheinlich, den im
Jahr 978 gegründeten) erkennt. Ich freue mich, dass sich mir auch hierin
meine früher ausgesprochene Ansicht über das ursprüngliche Alter des
Mainzer Domes für die Hauptsache bestätigt, da hier in der That, bei der
Kahlheit der später hinzugefügten Theile, das Ursprüngliche den Gesammt-
eindruck ebenso bestimmt, wie der letztere bei dem Speyerer Dome umge-
kehrt durch die für das Gewölbe berechnete durchgreifende Umwandlung
bedingt wird. Ich bleibe also auch bei der Ansicht, dass die alten Ost-
thürme des Mainzer Domes (die zugleich mit dem Reste des Limburger
Rundthurmes völlig übereinstimmen und die auch v. Quast derselben
Früh-Epoche, freilich als ihr einziges Ueberbleibsel, zuschreibt) dieser alten
Anlage angehören. Die Umwandlung des Domes für die Zwecke des
Gewölbes gehört dann ohne Zweifel in das zwölfte Jahrhundert und mag,
obgleich Schnaase allerdings ganz richtig dargethan hat, dass dies nicht
1
mit Bestimmtheit zu erweisen ist, nach dem Brande von 1137 fallen, I
(Die vorhandenen Gewölbe selbst sind bekanntlich jünger.) Ueber den |
Ostchor des Domes muss icli mich, bei dem Ungenügeu meiner Erinnerungen, f
eines näheren ürtheils enthalten. Nur das Eine erlaube ich mir zu be- {
merken, dass die von mir früher*) hervorgehobene Verschiedenheit des ;
Materials an den östlichen Querflügeln, zumal bei dessen theilweise sehr ^^
ungeeigneter Beschalfenheit, nicht in der Art bedeutungslos sein dürfte,
wie dies v. Quast (S. 13) darstellt, auch hier nicht füglich als „Beweis
eines sehr energisch betriebenen Baues" gelten kann. Höchstens könnte ?
man, an den bezüglichen Stellen, auf ein liederlich hastiges Betreiben |
Die Dome von Mainz und von Speyer stehen in der hiemit angenom- f
menen ursprünglichen Form kolossaler Pfeilerbasiliken für die Frühzeit
des romanischen Styles übrigens nicht ohne Beispiel da. An den Domen
von Augsburg und von Bremen zeigt sich dieselbe ursprüngliche Ein-
richtung. Sie giebt sich bei diesen beiden Gebäuden insofern nur noch
klarer zu erkennen, als die den Pfeilern zugefügten Gewölbträger hier noch \
späteren Epochen angehören und sich in ihrer jüngeren Formation noch )
auffälliger von dem Alten unterscheiden. In dem Ganzen all dieser Bau- '
anlagen ist zugleich Nichts, was den Culturverhältnissen des elften Jahr-
hunderts irgend widerspräche; ihre kühne, fast gewaltsame und doch so
fest in sich gehaltene Grossartigkeit dürfte vielmehr wiederum als ein sehr
bezeichnender Ausdruck jener Epoche zu betrachten sein. —
Ich kehre nochmals zu dem Dome von Speyer zurück. Mein dortiger
Besuch gab mir noch zu einigen andern Beobachtungen Anlass. Die
glänzende Ausstattung an Wandgemälden, Goldgründen, gemalten Zier-
raten, mit welcher da? gesammte Innere bedeckt ist, war völlig geeignet,
einen lebhaften und nachwirkenden Eindruck hervorzubringen. Es ist das
umfassendste Werk solcher Art, welches in neuerer Zeit zur Ausführung
gekommen. Ich habe indess nicht die Absicht, hier über das, was Meister
Schraudolph und seine Gehülfen geschaffen, einen Bericht oder eine
Kritik zu liefern; der ernste, religiös typische Styl dieses Künstlers ist
bekannt, und wenn ein Norddeutscher in diesen Bildern, zumal denen
von bewegter äusserer oder innerer Handlung, das geistig Bewegende und
dessen entsprechende Manifestation gelegentlich vermisste, so mag hier
aller Streit über künstlerische Grundsätze und über die Weise ihrer Be-
währung unberührt bleiben. Das Ganze ist ohne allen Zweifel eine durch-
aus würdige kirchlich-künstlerische Dekoration; neben den eigentlichen
Gemälden muss auch der vielgliedrigen, stylgemässen und in sich harmo-
nischen Ornamentik volle Anerkennung gezollt w^erden. Wir wissen es
ferner aus allerlei neueren Nachweisungen, dass das Mittelalter unter Um-
ständen eine thunlichst reiche Ausstattung seiner Kirchen mit Gemälden
und mit buntem Ornament gern sah. - Wir werden es zugleich an sich
durchaus naturgemäss finden, wenn die sich restaurirende Kirche (ich raeine
die geistige) auch ihr steinernes Haus und Abbild so würdig und reich
ausstattet, als es ihr durch königliche Munificenz nur vergönnt ist. Aber
— eine eigentliche, volle, lebenzeugende Wahrheit hat das Alles doch
nicht. Das Haus, in seiner ganzen frühmittelalterlichen Form, spricht doch
') Museum, Blätter für bildende Kunst, 1835, No. 45. (Kl. Schrift, etc. I,
S. 416. Anm,)
732 Pfälzische Studien.
eine andere Sprache, als die ist, die uns vom Herzen fliesst. Alle diese
bunte Bemalung und Vergoldung an Wandflächen, Säulen, Gesimsen, Ge-
wölben will uns dies alte Haus neu machen, will uns das Gefühl erwecken,
als wären wir, die Menschen von heute und das Haus von acht Jahrhun-
derten, Kinder desselben Tages; und doch empfinden wir es gleichzeitig,
dass es nicht so ist, dass durch all diesen Glanz und diese Pracht ein
Zug unlösbaren Zwiespaltes hindurchgeht. Neu wird der Tempel doch
nicht, und er hat, für das Innere wenigstens, nur die Heiligkeit des Alter-
thums eingebüsst, die die Geister der Jahrhunderte und ihrer Geschicke
uns umschweben lässt, die in jenen Formen mit der mahnungsvollen
Stimme derer, die geschieden sind, zu uns sprechen sollte. Es ist ein
tief bedeutungsvolles Wort, ,,dass die Tempel alt sein sollten." Man wird
mir vielleicht entgegnen, dass der Speyerer Dom ja schon, nach schmäh-
lichen Verwüstungen, restaurirt, in unschöner nüchterner Erneuung auf
unsre Tage gekommen war, und dass die jetzige Erneuung wahrlich wür-
diger ist, als die bisherige. Immerhin! waren es doch die alten Formen,
wenn auch nicht überall mehr die alten Steine; konnte man doch durch
eine einfach ernste Färbung jedenfalls diejenige gesammelte Stimmung
hervorbringen, die den alten Formen ihr volles, unbeirrtes Recht gegeben
hätte. Wir würden dann in diesem hehren Bau, dessen bunter Schimmer
uns jetzt zerstreut, verwirrt, blendet, innerlicher bewegt, tiefer ergriffen
worden sein, während die mannigfachsten künstlerischen Einzelwerke, der
Gegenwart zum selbständigen und wahrhaften Ausdrucke, in seinen weiten
Hallen immerhin, wie die Enkel im Hause der Ahnen, eine Heimat hätten
finden können.
Die Ausstattung des Inneren hat noch zu weiteren Wünschen Anlass
gegeben. Die Wünsche haben auch wohl zur Klage darüber geführt, dass
mau jener Ausstattung nicht die, als noch wichtiger bezeichnete Erneuung
verdorbener Aussentheile des Domes habe vorangehen lassen ; und vielleicht
finden Wunsch und Klage bei der grossartigen Unterstützung, die dem
Gebäude schon zu Theil geworden, ebenfalls ihre Erhörung. Es handelt
sich um den westlichen Vorbau, den der Würzburger Architekt Neumann
bei der 1772 begonnenen Restauration des Domes aufgeführt hat. Es ist
ein seltsam eigenthümliches Werk, charakteristisch für seine Zeit, mit der
Hauptkuppel in der Mitte und den kleinen Kuppeln zu den Seiten an
russisch-orientalisch-byzantinisches Wesen erinnernd, fast verwunderlich,
und dennoch (etwa mit Ausnahme der kleinen Obelisken an den Ecken,
die die Stelle von Strebepfeilern zu vertreten scheinen), nicht in absolutem
Widerspruch gegen das Ganze, nicht geradezu unwürdig. Man will statt
seiner einen neuen, mächtigen Vorbau im eigentlichen Style des Domes
haben. Fordert dies das praktisch kirchliche Bedürfniss, so wird Nichts
dagegen zu erinnern sein; anderweit will mir das Bedürfniss nicht sonder-
lich einleuchten. Ob durch einen Neubau etwas erreicht wird, das die
Nachwelt in der That für besser erachtete als den gegenwärtigen Vorbau
steht dahin (exempla sunt odiosa); und wird es ein Vorbau im rein
Seit ich das Obige geschrieben , ist in der That bereits ein „Verein zur
Wiederherstellung der Vorderseite des Kaiserdoms zu Speyer" gegründet worden
und sind durch denselben Aufforderungen zur Sammlung von Beiträgen für das
Herstellungswerk erlassen. Ich glaube, meine persönliche Ansicht dennoch aus-
sprechen zu dürfen.
6
1
November 1853. 733
......—TTs—.......... -
»
romanischen Style, dem Charakter des, in sich allerdings schon nicht eini-
gen Ganzen thunlichst entsprechend, so ist es eben auch nur ein neues
Modell des Alten, weder alt noch neu, weder uns mit jener tiefen Wirkung
des historisch Ueberlieferten berührend, noch unserem Formengefühle,
unserer geistigen Sprache ein wahrhafter Ausdruck. Und statt seiner
•wäre ein Andres verschwunden, das schon als ein Historisches dasteht,
daran sich schon bedeutungsvolle Erinnerungen knüpfen und das sich
schon, in seinem äusseren Stoffe, mit der ehrwürdigen Farbe des Alter-
thums zu bekleiden beginnt.
Es war gegen den Schluss des vorigen Jahrhunderts, als der franzö-
sische Freiheitsbaum vor dem Dome errichtet war und unter diesem, bei
dem wilden Gesänge der Carmagnole, das Feuer flackerte, das die heiligen
Bilder des Domes verzehrte. Dann ward beschlossen, den Dom selbst
hinwegzutilgen und an seiner Stelle ein Marsfeld zu schaffen; der Vorbau
aber, mit seinen hohen Pforten und Hallen, sollte als Triumphbogen, zum
Eingange in das Marsfeld, stehen bleiben, und die Statuen oben auf dem
Vorbau, die der Himmelskönigin in der Mitte und die des Bernhard und
des Stephanus auf den Seiten, sollten hinabgestürzt und statt ihrer sollte
droben das Standbild des Erdenkaisers, Napoleons, mit den Bildern der
Weisheit und des Ueberflusses zu seinen Seiten, errichtet werden. Das Be-
schlossene schien unabwendlich. Aber es geschah nicht, und das Bild der
Himmelskönigin steht wenigstens bis heute noch auf seiner geweihten Stelle.
Die Statuen der beiden männlichen Heiligen haben den allerdings
nicht gar erquicklichen Rococostyl ihrer Epoche; die der Maria ist von
seltener Schönheit. Auch sie ist in derselben Zeit, welche wir als die der
künstlerischen Entartung zu bezeichnen pflegen, gearbeitet worden; aber
der Künstler hat sich, für die Fassung der Gestalt und der Gewandung,
den alten edlen Vorbildern des germanischen Styles mit Glück ange-
schlossen und dabei zugleich, ohne alle knechtische Nachahmung, ein selb-
ständig warmes Gefühl zum Ausdrucke zu bringen gewusst. Die Gestalt
der Maria vereinigt feierliche Würde und zarte Grazie, wie ihr es nicht
allzuhäufig findet. Mich dünkt, sie hat ein Recht an jene Stelle. —
Ich reihe dem Vorstehenden zunächst 'ein Paar Notizen über den Dom
von Worms an, dem ich am Schluss meines pfälzischen Aufenthalts,
schon auf der Heimreise, wenigstens noch einen flüchtigen Besuch widmen
konnte. Ich hatte früher annehmen zu dürfen geglaubt, dass er, seinen
Haupttheilen nach, dem im Jahre 1110 geweihten Bau angehöre; v. Quast
hält ihn der Hauptmasse nach (mit Ausschluss der Obertheile des Schiffes,
der Gewölbe und des Westchores) für den Bau, welcher nach der von
Schannat aufbewahrten Nachricht im Jahre 1181 eingeweiht wurde. Schnaase
stimmt der letzteren Ansicht bei. Auch ich meinte jetzt, den Dom, bei so
vielen schlagenden Kennzeichen der spätromanischen Epoche, welche er
allerdings zur Schau trägt, als ein zweifelloses Werk dieser Spätzeit be-
trachten zu müssen; dennoch sind mir, bei reiflicher Erwägung aller Ver-
hältnisse, wiederum Bedenken, wenigstens gegen die ünbedingtheit dieser
Ansicht, aufgestiegen, und ich3alte es zum Mindesten für gerathen, das
entschiedene Urtheil bis auf die Anstellung genauerer Lokal-Untersuchun-
gen und die Mittheilung des Ergebnisses derselben dahingestellt sein zu
lassen.
Ein Pfeiler um den andern, im Schiffe des Doms, ist an seiner Vor-
derseite mit dem Gurtträger für das Hauptgewölbe, Pfeilervorsprung und
ifliii
-ocr page 733-734 Pfälzische Studien,
Halbsäulc, verseilen. Man sagte mir im Dome, diese Theile seien nach-
träglich der Pfeiler- und Wandmasse eingebunden; ich glaubte, hierauf
kein sonderlich grosses Gewicht legen zu dürfen, da mir die Gliederungen
an dem voraussetzlich Alten und dem voraussetzlich Hinzugefügten identisch
zu sein und daher jedenfalls keinen wesentlichen Zeitunterschied zu be-
zeichnen schienen. An selbständiger näherer Untersuchung des Thatbe-
standes verhinderte mich ohnehin die Kürze der Zeit und der trübe reg-
nerische Morgen. Nehmen wir aber diese Gurtträger und die Gewölbbögen
hinweg, so erhalten wir für die Hauptanordnung des Mittelschiffes doch in
der That, in fast überraschender Weise, dasselbe System, welches ich als
das ursprüngliche bei dem Dome von Speyer voraussetzen musste. Und
nehmen wir an, dass der Dom ursprünglich ungewölbt gewesen und das
Gewölbe erst später hinzugefügt sei, so können wir auch für die sehr auf-
fällige Einrichtung der Östlichen Chorabsis, deren Grundriss im Inneren
halbrund ist, während sie nach aussen, in höchst compacter Weise, vier-
eckig vortritt, eine Erklärung finden; es wäre dann eine, erst später hin-
zugefügte Verstärkung der Mauermasse, zur Widerlage gegen den Druck
und Schub der östlichen Kuppel. Bemerkenswerth ist es ferner, dass,
während an den Obertheilen des Innern so vielfach Details spätromanischer
Zeit erscheinen, die Basamente des Innern doch zumeist noch ein fast auf-
fällig strenges Gepräge tragen. Sehr zu beachten ist es sodann, dass
Schannat keinesweges von einem Neubau, der im Jahre 1181 geweiht
wurde, sondern ausdrücklich nur von der Wiederherstellung eines älteren
Baues spricht. Er sagt dies an zwei verschiedeneu Stellen seines Werkes
zuerst mit der Bemerkung, dass der Bischof Konrad von Worms die
Weihung vollzogen, nachdem er den „zum grossen Theil" zusammenge-
stürzten Dom wiederhergestellt; dann mit der noch bestimmteren Angabe,
dass die Weihung vor sich gegangen, nachdem der Bischof die „den Ein-
sturz drohende" Kirche zu ihrem früheren Zustande zurückgeführt. Freilich
fehjt dieser Notiz die urkundliche Bewährung; doch wird ein so sorgfäl-
tiger Sammler wie Schannat jedenfalls nur bei dem unwiderleglich entge-
gengesetzten Thatbestande des Irrthums zu beschuldigen sein; auch wird
zunächst um so mehr vorausgesetzt werden müssen, dass sein Bericht einer
guten Quelle entnommen ist, als er ihn zweimal ohne Bedenken giebt.
Es hat also in der That den Anschein, dass bei dem Dome von Worms
ein ähnliches Verhältniss obwaltet, Avie ich es gegenwärtig bei den Domen
von Mainz und Speyer habe voraussetzen müssen, d. h. dass er im Beginn
des zwölften Jahrhunderts als eine im Mittelschilf flachgedeckte Pfeiler-
basilika erbaut wurde und hievon erhebliche Theile, das Grundsystem des
Inneren bildend, noch erhalten sind, und dass er erst später; gegen den Schluss
des Jahrhunderts, mit Hinzufügung der erforderlichen Theile, in eine Ge-
wölbkirche umgewandelt wurde.- Hiebei würden aber zugleich, worauf
Schannat hindeutet, vielfache Schäden der alten Anlage auszubessern ge-
wesen sein; die vorhandenen erheblichen, mehr oder weniger dekorativen
Verschiedenheiten in den Einzelabschnitten des inneren Systems scheinen
es zu bestätigen, dass hier eben nur Einzelarbeiten vorgenommen wurden,
während (wie schon in Betreff des Mainzer Domes bemerkt) bei einem
völligen Neubau die Durchführung eines gleichartigen Planes wenigstens
, ') Hist. episcopatus Wormatiensis, p. 63 und 360.
I ^
-ocr page 734-November 1853. 735
mit durchaus liberwiegeuder Wahrscheinlichkeit vorauszusetzen ist. Fertig
aber war, wie auch v. Quast sehr richtig bemerla, der Herstellungsbau im
Jahre 1181 bestimmt nicht; au'ch wieviel davon bei der Weihung vollendet
sein mochte, dürfte vor der Hand sehr schwer zu ermitteln sein. Die von
Schannat angedeutete besondre Feierlichkeit der Weihung, unter Beisein
Kaiser Frifedrich's L, scheint hiefür von keinem Avesentlichen Belang; es
ist vielmehr durchaus nicht unzulässig, anzunehmen, dass gerade die Ge-
genwart des Kaisers zur Beschleunigung der Weihung, die durch ihn nur
eine höhere Würde erhalten konnte, eine Veranlassung gab, und dass man
sich einstweilen in der Kirche mit irgend welchen interimistischen Einrich-
tungen behalf. Dann, bei den folgenden unruhigen Zeiten, wird die weitere
Fortführung des Baues nur sehr langsam vorgeschritten sein, Avie dies, die
unzweifelhaften Kennzeichen der letzten Epoche des romanischen Styles,
namentlich auch am Aeusseren des Gebäudes, bezeugen. — Die Seiten-
schiffe dürften übrigens schon in dem alten Bau mit gewölbter Bedeckung
versehen gewesen, die an den Rückseiten der Pfeiler vorhandenen Halb-
säulen somit als der alten Anlage zugehörig zu betrachten sein.
Sehr auffallend bleibt bei alledem jedoch die entschiedene Gleichar-
tigkeit der Gesimse, — der Kämpfer, unterwärts über den Pfeilern und
oberwärts über den Gurtträgern, und der über den Bogenstellungen des
Schiffes durchlaufenden Horizontalgesimse, — sow^ie der Umstand, dass
ebendieselben Gesimse auch noch anderweit an solchen Gebäuden jener
Gegend vorkommen, welche der spätromanischen Epoche und der des
Uebergangsstyles angehören. Es herrscht hierin eine etwas rundliche Kar-
niesform vor, zumeist in der Anordnung, dass zwei solcher Karniese über-
einanderstehen. Bei den Kämpfergesimsen findet sich unter'dem bunten
Wechsel der in solcher Art sauber profllirten Deckglieder überall ein
grosser, schwerer, wenig ausladender Wulst, dessen Profil aus dem des
abgerundeten Würfelkapitäles entstanden zu sein 'scheint und der selbst bei
der Bekrönung der Halbsäulen die Stelle des letzteren vertritt, — eine
Form, die ^den Stempel eines etwas barbarisirt künstlerischen Geschmackes
trägt. Wir finden diese Formen, wie eben bemerkt, in der Spätzeit des
romanischen Styles: — wir finden charakteristisch Verwandtes mit ihnen
aber auch schon in verhältnissmässig früherer Zeit. Schon die Justinus-
kirche von Höchst, die v. Quast, im Widerstreit mit der bisherigen, sie
als noch älter bezeichnenden Annahme, an den Schluss des elften Jahr-
hunderts setzt, hat nach seiner bildlichen Mittheilung ^^ämpfergesimse mit
denselben Doppel-Karniesen; während jener grosse Kapitälwulst in den
missgebildeten Würfelkapitälen der Gotthardtskapelle zu Mainz seine Ana-
loga findet. Es dürfte an sich also keinesweges unthunlich erscheinen, die
Formation der Wormser Gesimse dem Anfange, des zwölften Jahrhunderts
zuzuschreiben. Wenn nun dieselbe Formation an den, voraussetzlich der
Spätzeit desselben Jahrhunderts zugehörigen Theilen wiederkehrt, so würde
dies zu der, für das Mittelalter allerdings auffälligen, immerhin jedoch
nichts Unmögliches in sich schliessenden Annahme führen: dass man bei
der Herstellung des alten Baues auch die alten Detailformen, in dieser
Beziehung wenigstens nach möglichster Gleichartigkeit des Eindruckes stre-
bend, mit Absicht copirt habe. ^Die Wiedereinführung dieser Formen
konnte dann — falls für sie keine sonstige Tradition vorlag — ihre An-
wendung auch bei andern der jüngeren romanischen Gebäude zur Folge
736 Pfälzische Studien.
haben '). — Vielleicht werden bald von einsichtigen Kennern diejenigen
Lokal-Untersuchungen am Dome von Worms vorgenommen, die tiber alle
diese Punkte den erwünschten entscheidenden Aufschluss gewähren.
Der Dom von Worms ist, abgesehen von seiner Architektur, auch durch
schätzbare Denkmäler älterer deutscher Sculptur ausgezeichnet. An der
Wand des nördlichen Seitenschiffes befindet sich ein Sandsteinrelief von
etwa 7 Fuss Höhe, welches, unter spätgothischen Baldachinen, die stehenden
Gestalten von drei weiblichen Heiligen enthält. Sie sind gekrönt, mit
Büchern und Palmen in den Händen und inschriftlich als S. Embede,
S. Warbede, S. Willibede bezeichnet. Es zeigt sich hier eine sehr
schöne Durchbildung des spätgermanischen Styles, der Frühzeit des fünf-
zehnten Jahrhunderts angehörig. Bei der grossen Feinheit der Köpfe und
dem Adel in der Anordnung der Gewänder ist das Werk zum Abguss für
Gypssammlungen, welche den kunsthistorischen Entwickelungsgang an be-
deutenden Beispielen vergegenwärtigen wollen, vorzugsweise geeignet. —
Dann ist eine Anzahl von Sandsteinsculpturen in der zierlich gothischen
Tauf- oder Nikolauskapelle enthalten. Sie sind ziemlich gleichzeitig, einige
von ihnen mit der Jahrzahl 1488 datirt, — reich umrahmte grosse gothische
Nischen mit Hautreliefdarstellungen, welche letzteren die Geburt Christi,
die Verkündigung, die Grablegung, die Auferstehung Christi, den Stamm-
baum der Maria enthalten. Hmen reiht sich eine Folge von einzeln auf-
gestellten sculptirten Gewölbrosetten, so wie der zierlich dekorirte Taufstein
an. Alles dies sind Arbeiten einer ehrenwerthen Lokalschule, welche, der
allgemeinen Richtung nach, zwischen den Nürnbergern A. Kraft und V. Stoss
etwa die Mitte hält. Die Compositionen erheben sich freilich nicht son-
derlich über das Herkömmliche, auch die Weise der körperlichen Gestal-
tung ist nicht eben bedeutend, obgleich einzelne der in den Umrahmungen
angebrachten kleinen Heiligenfiguren eine glückliche Auffassung und Be-
handlung erkennen lassen. In den Gesichtern dagegen ist manches anspre-
chei^d Milde, Natürliche, selbst Edle, was einigermaassen an das Wesen
der schwäbischen Malerschule erinnert.
Ausserdem befinden sich in der eben genannten Kapelle jene schon in
meiner Geschichte der Malerei (zweite Ausgabe, IL, S. 167) näher bezeich-
neten Altarflügelbilder mit Heiligengestalten, die den völlig ausgeprägten
romanischen Styl der Malerei um das Ende des zwölften Jahrhunderts in
sehr charakteristischer Weise wiedergeben, und die, bei der Seltenheit von
Tafelbildern jener Epoche, so eigenthümlich merkwürdig sind. Dagegen
haben die Reste alter Wandmalereien im Inneren des Domes — im nörd-
lichen Kreuzflügel, — die meine Geschichte der Malerei (S. 150) ebenfalls
aufführt, nur ein untergeordnetes Interesse. —
Einige andre bauliche Denkmäler, wenn auch nur noch in grösseren
oder geringeren Resten erhalten, lernte ich auf meinen Spaziergängen und
Wandermärschen in den Bergen der Hardt kennen. Ich lasse die Notizen
über diese folgen.
Vorzüglich malerisch, ganz nahe bei Dürkheim, ist die Kirche des in
einer hohen Thalschlucht gelegenen Dörfchens Seebach. Es war ein
*) Das häufige Vorkommen der antikisirenden Karniesform durch die ganze
Epoche des romanischen Styles erscheint überhaupt als eine charakteristische
Eigentbümlichkeit der mittelrheinischen Bauten.
November 1853. 737
kleines Benedictiner-Nonnenkloster, gegründet in der letzten Hälfte des
elften Jahrhunderts Das vorhandene Kirchlein war in der spätestroma-
nischen Zeit begonnen und der viereckige Chor (ohne Absis) mit dem
Querschiff und dem Thurm über dem Mittelfelde des letztern in dem Style
dieser Zeit ausgeführt; das Schiff war im frühgermanischen Style hinzu-
gefügt. Der Chor und das (durch Mauern abgeschlossene) Mittelfeld des
Querschiffes sammt dem Thurme stehen noch, als Kirche des Oertchens
dienend; von dem üebrigen sind nur geringe Reste vorhanden; in den
Nordflügel des Querschiffes ist ein Haus hineingebaut. Jene spätromani-
schen Theile sind höchst elegant behandelt, was, bei dem kleinen Maasse
der Gesammtverhältnisse, einen doppelt zierlichen Eindruck hervorbringt.
Die Rundbogenfriese und die Lissenen sind fein und geschmackvoll pro-
filirt, ebenso die Basamente. Die Kämpfergesimse der Kreuzpfeiler ent-
sprechen ganz den Gesimsen des "Wormser Domes, doch sind auch sie fein
behandelt; überhaupt scheint die Architektur des Domes von Worms hier
in mannigfacher Beziehung als Vorbild gedient zu haben. Die grossen
Bögen, welche übet den Kreuzpfeilern den Thurm tragen, sind breit spitz-
bogig, schon im Gepräge des üebergangsstyles. Die Gewölbe des Innern
sind etwas später. Yon den frühgermanischen Theilen sind nur wenig
Reste erhalten. In eine rohe Mauer aus später Zeit, die dem ursprüng-
lichen Räume des Mittelschiffes nach der Seite des südlichen Seitenschiffes
hin eine grössere Breite gegeben hatte, ist ein zierlich spitzbogiges Portal,
im völlig frühgermanischen Charakter eingesetzt. Alle diese Anlagen ge-
hören dem dreizehnten Jahrhundert an; doch fehlt es gerade aus dieser
Zeil an allen Nachrichten zur Geschichte des Klosters, so dass bestimmte
Daten über den Bau nicht anzugeben sind. — Man kann nicht sagen, dass
diese kirchlichen Reste, an die sich die wirthschaftlichen Bedürfnisse der
Umwohner heran- und hineingebaut haben, sonderlich ehrenvoll gehalten
seien. Dafür sind ihnen indess bis jetzt alle Leiden einer schulgerechten
Restauration erspart, ist ihnen das Beste, — ihre alterthümliche Naivetät,
— unverkümmert erhalten geblieben. Das grüne Gesträuch der kleinen
Gärten schmiegt sich den alten Ruinen vertraulich an, und der alte Thurm
mit seinen acht Arkadenfenstern und den Gesimsen über diesen ragt mit
der Würde eines dörflichen Schutzpatrons über die Dächer der Häuser und
Ställe zu seinen Seiten empor. Vielfach giebt das Ganze, wenn man von
den Höhen auf den Ort zurückblickt, das reinste Bild, dessen Benutzung
klugen Architekturmalern bestens empfohlen sein möge.
Ein Paar Stunden von Dürkheim, gen Nordwest ins Gebirge hinein,
liegt Höningen, ehemals ein Augustiner-Mönchskloster, jetzt ebenfalls ein
kleines Dörfchen. Das Kloster wurde im Jahre 1120 gestiftet. Um die
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts war dort, wie aus einem Ablassbriefe
des Bischofes Arnold von Semigallien vom Jahre 1255 hervorgeht, eifrige
bauliche Thätigkeit. Im Jahre 1569 brannte das Kloster ab Von der
Kirche des Klosters sind nur noch wenig verbaute Reste vorhanden. Aus
einigen, ihrer westlichen Hälfte zugehörigen Stücken geht hervor, dass es
F. X. Remling, ürknndl. Geschichte der ehemal. Abteien und Klöster im
jetzigen Rheinbayern, I., S. 168. — «) Remling, a. a^O., II., S. 47 ff. J. Ü. Leh-
mann, Geschieht]. Gemäldft aus dem Rheinkreise Bayerns, L, S. 81.
Kngler, Kleine Schriften. II. 47
-ocr page 737-738 Pfälzische Studien.
eine kleine Pfeilerbasilika war; das Kämpfergesims der Pfeiler besteht,
eigenthtimlicher "Weise, aus einem grossen Karnies, mit einigen Plättchen
unterwärts und oberwärts; über letzteren der Abacus. Das Portal der
Westseite ist mit einiger Eleganz, namentlich in seinem reichgegliederten
Kämpfergesimse, gebildet. In einer Scheune sieht man einige Reste des
nördlichen Kreuzflügels, unter denen sich ein reichgeschmücktes, horizontal
bedecktes Portal auszeichnet. Von den Pfosten desselben ist der eine mit
einer bunten Bandverschlingung, der andre mit Blattwerk, beides im streng
romanischen Style, versehen. Sie tragen einen grossen Architrav mit einer
Reliefsculptur, zwei biblische Scenen enthaltend: Christus, der dem Yolke
vom Schiffe aus predigt, und Christus, der zu dem Petrus über das Meer
geht; auch diese Arbeit, der es im Einzelnen nicht an guten alten Motiven
fehlt, hat noch ein. streng romanisches Gepräge, üeber dem Architrav ist
ein schweres Gesims, aus einer hohen Schmiege mit Plättchen bestehend.
Dies Portal gehört jedenfalls den ersten Bauten nach der Gründung des
Klosters an. Die vorhergenannten Reste der Kirche sind später, — ob aber
erst aus der Zeit der erwähnten Unternehmungen des dreizehnten Jahr-
hunderts, wage ich nicht mit Zuversicht zu sagen.
In geringer Entfernung von der ehemaligen Kirche von Höningen, auf
dem Friedhofe, liegt die kleine alte Jakobskirche, in welcher gegenwärtig
der Gottesdienst für die Bewohner des Oertchens abgehalten wird. Es ist
ein einfaches Oblong mit einfach quadratem Chörlein. Der niedrige Rund-
bogen, der das letztere vom Schiffe trennt, hat ein aus Platte, Pfühl und
Hohlleisten bestehendes Kämpfergesims, den Styl des zwölften Jahrhunderts
bezeichnend. Das Portal auf der Nordseite hat einen Architrav mit ganz
ähnlich profilirtem Obergesims; darüber eine halbrunde Lünette mit den
Spuren ehemaliger Malerei. Die alten, jetzt vermauerten Fenster waren ganz
kl^n und schmal, ihre Halbkreisbögen je aus einem Steine gebildet. Im
Chor ist ein später eingesetztes, sehr zierlich profilirtes Rosenfenster, von
spätromanischer Art. Seltsam sind, oberwärts an den Ecken des Gebäudes,
nach Nord und Süd hinaustretende consolenartige Arme, jenen Aufsätzen
ähnlich, welche in den Arkadenfenstern- romanischer Thürme über den
Kapitalen der Säulchen als Unterlage für den breiteren Mauerbogen ange-
bracht zu sein pflegen. Ich habe für sie keine genügende Erklärung.
Das Städtchen Eisenberg, einige Stunden nördlich von Höningen,
bezeichnet, wie sicli aus vielfachen Funden ergeben hat, die Stätte eines
römischen Standlagers. Die Pfarrkirche hat charakteristische Theile schwer
romanischen Styles, dem zwölften Jahrhundert angehörig: die halbrunde
Absis und den viereckigen Raum vor diesem, darüber den in mehreren
Geschossen schwer aufsteigenden Thurm. Die Einzelformen erinnern an
die des eben besprochenen Jakobskirchleins von Höningen. An der Süd-
seite des Schifl'es, welches jünger ist und keine Bedeutung hat, ist die
Lünette eines verbauten rundbogigen Portales, eben derselben Art, erhal-
ten, — Im Inneren des Altarraumes, in der Nordwand, ist ein Tabernakel-
F Schrein von schöner gothischer Formation.
Westwärts von da, gegen den Donnersberg hin, lag das Kloster Rosen-
thal; die Trümmer der Klosterkirche stossen gegenwärtig an ein grosses
wirthschaftliches Gehöft, welches an die Stelle-des Klosters getreten ist.
Es war ein Cistercienser-Nonnenkloster, gegründet im Jahre 1241, die Kirche
November 1853. 739
im Jahre 1261 geweiht Die erhaltenen Ueberbleibsel gehören aber nicht
dieser Epoche, sondern einem Neubau an, der im fünfzehnten Jahrhundert
ausgeführt ist. Die langgestreckte einschiffige Kirche hatte zwei Räume
übereinander: eine Unterkirche für das Volk, deren ehemalige Gewölbdecke
noch an den Seitenwänden erkennbar ist, und darüber, bis an den Altar-
raum vortretend, die Emporkirche für die Nonnen; die Fenster mit spät-
gothisch geschweiftem Stabwerk und dem charakteristischen Kehlenprofil
dieser Spätepoche. Wenn die Kirche hienach überhaupt als ein neues
Beispiel jener Doppelkirchen in Nonnenklöstern, auf die neuerlich mehr-
fach aufmerksam gemacht ist, bemerkenswerth sein dürfte, so gewinnt sie
ein zwiefaches Interesse dadurch, dass sie diese Einrichtung noch in so
später Zeit lebendig zeigt. Im Uebrigen haben ihre Reste einen grossen
architektonischen und malerischen Reiz durch das achteckige Glockenthürm-
chen, welches sich über dem Giebel auf erkerartigen Vorsprüngen, die an
der Aussen- und an der Innenseite emporsteigen, erhebt. Es bildet oben
ein offnes Fensterwerk, — acht Fenster, jedes mit einem Stab in der Mitte
und mit geschweiften Bogenfüllungen; über den Fenstern geschweifte Gie-
bel mit Blumen. Darüber eine hohe achteckige Spitze mit der Blumen-
krönung, massiv und undurchbrochen, was allerdings mit der luftigen
Erscheinung der Fenster nicht ganz im Einklänge ist. Auch hier, wie bei
Seebach, gewinnt das stille Thal durch diese Trümmer, und namentlich
durch die zierliche Thurmspitze, einen eigenthümlich anziehenden Charak-
ter, dem "Wanderer, der aus den waldigen Höhen hervortritt, ein heitres
Willkommen zurufend.
Ich kann diese Notizen nicht schliessen, ohne mein Bedauern darüber
auszusprechen, dass die Denkmäler jener Gegend im Ganzen noch so wenig
gründliche Bearbeitung empfangen haben und dass namentlich, was auch
von Quast in seiner besprochenen Schrift beklagt, das vortreffliche Werk
von Geier und Görtz über die Denkmale romanischer Baukunst am Rhein
nach seinen ersten Lieferungen ins Stocken gerathen ist. Die letzten Jahre
mögen diesem Unternehmen allerdings nicht sehr günstig gewesen sein:
tüchtige, gründliche und praktisch behandelte bildliche Aufnahmen dürften
jetzt schon ihr Publikum finden. Das freilich möchte bei derartigen Unter-
nehmungen im Auge zu behalten sein, dass bei den blossen Rissen alles
Ueberflüssige an Ausdehnung, alle Wiederholung gleichartig fortlaufender
Theile füglich vermieden werden kann; die kleinen Abbildungen, welche
V. Quast giebt, zeigen es, wie viel sich mit scheinbar Wenigem leisten
lässt. Dann aber kommt es auf völlig charakteristische Wiedergabe der
architektonischen Profile in grossem Maassstabe und ebenso auf malerische
Darstellung der Einzeitheile, ihre körperliche und räumliche Wirkung zu
vergegenwärtigen, an: unsre Architekturzeichner sind doch heutiges Tages
wohl geübt genug, um auch dergleichen mit aller Treue und zugleich mit
denjenigen einfachsten Mitteln zur Ausführung zu bringen, die eben das
Wesentliche des Bildes klar za machen im Stande sind. Ich glaube in
der That, dass viele derartige Unternehmungen bei uns nur an ihrer min-
der praktischen Anlage scheitern. Das mittelrheinische Land würde zu
solcher Arbeit wichtigen Stoff gewähren; und wie sich demselben, in der
neuen Ausstattung des Domes von Speyer, eine so glänzende künstlerische
') Remling, a. a. 0., I„ S. 275.
-ocr page 739-740 Pfälzische Studien.
Fürsorge zugewandt hat, scheint es doppelte Pflicht, auch dem Alten, in
wissenschaftlich künstlerischer Bearbeitung, diejenige Theilnahme zu schen-
ken, welche die eigentlich nachwirkende ist
mw
') Ich erlaube mir, noch eine Bemerkung riicksichtlich der Baugeschichte
des Domes von Speyer beizufügen. Man hat es (nachdem meine Ausführung über
dieselbe in No. 2 d. Bl. erschienen war) bedenklich gefunden, dass ich den
Nachweisen -von Quast's darüber, dass die Afrakapelle nicht die ursprüng-
liche, dass sie vielmehr an die Stelle einer schon früher vorhanden gewesenen
Kapelle getreten sei und somit beträchtlich später falle, kein Gewicht beigelegt
habe. Meine Gründe sind die folgenden. Es handelt sich darum, dass die neuer-
lich zum Vorschein gekommene flache Altarnische der Kapelle (an der West-
wand des nördlichen Querschiffflügels) älter sei, also einen älteren Kapellenbau
als den gegenwärtigen voraussetzen lasse. Diese Annahme beruht darauf, dass
der Bogen, welcher die Nische zunächst einwölbt, gleich alt mit der darüber
befindlichen Wand ist, während ein zweiter unmittelbar über jenem ruhender,
die Gewölbkappen der Kapelle tragender Bogen später eingesetzt erscheint. Das
Factum wird ohne Zweifel richtig sein. Aber es fragt sich, ob jener erste Bogen
schon ursprünglich eine Absis einschloss und ob er nicht zu irgend welchen
andern Zwecken ausgeführt war. Sollte es aber wirklich von vornherein die
Anlage einer Absis gewesen sein, so ist meines Erachtens noch gar nicht mit
Nothwendigkeit anzunehmen, dass sofort auch die dazu gehörige Kapelle erbaut
war; dies konnte man vorbehalten haben, und als die gegenwärtige Kapelle dann
errichtet ward, konnten sehr füglich Gründe vorhanden sein, einen neuen, zwei-
ten Bogen einzuziehen. (Man konnte z. B. ursprünglich ganz wohl im Sinne
gehabt haben, eine ungewölbte Kapelle zu erbauen.) Die Vermauerung des an
jener Stelle befindlichen Kryptenfensters beweist noch weniger etwas, da diese
einfach schon durch die Mauerverstärkung des QuerschifFes bedingt sein konnte.
Uebrigens muss ich noch hinzufügen, dass an der Ostseite der Kapelle auch noch
eine andre Abnormität ersichtlich wird. Die Eck-Wandsäulen nämlich, welche
hier zu den Seiten der Nische stehen, haben ein, von allen übrigen Gesimsen
der Kapelle entschieden abweichendes, aufTallend roh gearbeitetes Deckgesims,
» dessen Ausladung auch zu den darunter befindlichen Säulenkapitälen in einem
keineswegs geeigneten Verhältnisse steht. Es ist hier somit jedenfalls eine nicht
ganz klare Bauführung ersichtlich. Ich kann daher auch nur bei der Ansicht
verharren, dass jene Indicien nicht hinreichen, um einen früher vorhanden gewe-
senen Kapellenbau mit irgendwelcher Bestimmtheit annehmen zu können.
iälesäm