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EX BIBLIOTECA
MAX J. FRIEDLÄNDER
KüNSTHiSTORiSCH INSTITUUT
DER RUKSUNiVERSITEiT UTRECHT
ede gebildete Sprache sammelt die Darstellungen
vermittelst Oel-, Fresco-, Gouache-, Aquarell-, Pastell-
Farben unter der präcisen Bezeichnung Malerei. Für
Kunstwerke, die sich auf einfarbige Wiedergabe von
Licht, Schatten und Form beschränken, ist dagegen
eine genaue, zusammenfassende Benennung nicht
vorhanden.
Wer den Principien der bildenden Künste näher
tritt, Avird bald fühlen, dass die Handzeichnung, vor
Allem aber Stich, Radierung, Schnitt, Lithographie
in ihren selbstständigen Aeusserungen sich häufig mit
den Forderungen der Aesthetik der Malerei in völligem
Widerspruch befinden, ohne dass ihnen der Charakter
eines vollendeten Kunstwerkes verloren ginge.
Dieser Widerspruch wird als Ausnahme oder
aus der berechtigten persönlichen Eigenthümlichkeit
des Künstlers erklärt. Beide Annahmnen sind irrig.
Es handelt sich bei derartigen Kunstwerken um eine
besondere Kunst, welche eigene Aesthetik und eigene
künstlerische Interessen beansprucht. Der Umstand,
dass die tägliche Berührung mit derlei Werken fast
unvermeidlich ist, macht den IMangel einer eigenen
1*
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Benennung bemerkenswerth, um so mehr als er von
dem Mangel der Erkenntniss der Unterschiede dieser
Künste und der Malerei herrührt.
Die Sonderstellung der Zeichnung als Kunst und
deren Verhältniss zu anderen Künsten, besonders der
Malerei, darzulegen 'ist der -Zweck dieser Schrift.
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Im Laufe der Erörterungen drängte sich der
Versuch auf, ein deckendes Wort für den vorhandenen
Kunstbegriif zu finden. Die gebräuchlichen Bezeich-
nungen aller Sprachen sind ungenau oder zu eng,
oder enthalten Nebenbedeutungen. „Graphische Kunst",
^>graphic arts«, wäre noch die beste, doch schliesst
dieser Ausdruck in seiner gebräuchlichen AnAvendung
z. B. Handzeichnung aus, bezieht sich mehr auf ver-
vielfältigende Proceduren. „Gravüre" und »gravura«
werden auch für den der Zeichnung doch fremden
Stein- und Medaillenschnitt, also der Miniaturbildhauerei,
angewendet. Ich möchte das Wort „GrifFe?', das ge-
meinsame Werkzeug aller vervielfältigenden Techniker,
das symbolische Wort für Feder und Stift, als Stamm
zu einem \¥orte Griffelkunst wählen. Dieser A-^ersuch
könnte noch damit begründet werden, dass eben diese
Kunst ihren ausgesprochenen individuellen Charakter
erst sich erwarb, als der Griffel, Stichel die Zeichnung
auf Holz, Metall, Stein festzuhalten begann. In
den langen Zeiträumen, wechselnder höchter Kunst-
blüthe, die der Anwendung des Druckes vorangingen,
hat die Handzeichnung nicht vermocht den Charakter
eben dessen, was ich Griffelkunst nennen möchte, an-
nähernd zu entwickeln. Ein neues Wort ist aber
immer unbequem und so soll „Zeichnung", so weit
Undeutlichkeit vermieden ist, den Begriff bezeichnen,
welchen es so unvollständig deckt.
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• Es ist eine festbestehende ■ Ansicht, dass Kreide,
P"eder, Kohle u. s. w. nur zum Skizziren von Ideen
und Bildern als vorläufiges Schulmaterial für I>aien und
Künstler dienen, und Kupferstich, Holzschnitt, Litho- i,
graphie, soweit sie nicht als Illustration und Witzblatt j
erscheinen, |haben nur als reproducirende Kunst,
Kunst zweiter Hand, Geltung. Die beste Stellung
geniesst in der allgemeinen Anschauung noch die
Radierung. indessen auch deren AVerke, wie die
selbstständig auftretenden der vorgenannten Gattungen,
werden als Abnormitäten angesehen, die ihre Existenz
nur dem schneller fordernden Material eines für Malerei
überproduktiven Künstlers oder aber dessen finanziellen
V^erhältnissen verdanken.
Gerade diese scheinbar zufälligen Arbeiten bilden
die Kunst, um welche es sich hier handelt. Sie
mussten eben mit diesen Mitteln geschaffen werden,
waren durch ein Bedürfniss hervorgerufen worden,
Λvelches nur in solcher AVeise befriedigt sein konnte.
Bis zur Erfindung des Druckes war die Zeichnung
freilich nicht λΊ^ mehr als das unentbehrliche vor-
bereitende Material. Als solches M^urde es denn auch ^ ·■'
in höchster A^ollendung gehandhabt. Als rythmisch
einfarbige Decoration im Alterthum und im Mittelalter
als Begleiterin oder Ersatz der Miniaturmalerei, kam
sie Avenig über die schraffirten Contouren hinaus, Con-
touren und Compositionen, die sich in den Händen der
Griechischen und Etrurischen A^asenmaler zu wunder-
barstem Rythmus und liebreiz erhoben. Für sich allein
wurde die Zeichnung nur sehr selten angewendet, nach
dem verhältnissmässig Wenigem uns bekannten zu
schliessen. Es könnte verwunderlich erscheineuj dass
die Zeichnung, die Handzeichnung, die dem Meister
so viel Freiheit, so viel Mittel, ihm jeden Moment
Urtheil über seine Arbeit giebt, an Anregung zur künst-
lerischen Produktion so hinter dem Drucke zurück-
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steht Allein die Vereinzeltheit als Kunstwerk^ die
Unscheinbarkeit, das unvermeidliche in's Graue, Blasse,
Ungleiche Fallen der Zeichnung macht sie dem Druck
nachstehen, dessen Einheitlichkeit, Kraft und Tiefe,
dessen auch für die Ausführung reizvoller wirkende
Mittel die Mittel der Zeichnung weit übertreffen.
Anderthalb Jahrhundert brauchte die Griffelkunst
um sich von den einfachen Niellen, den Goldschmiede-
abdrucken bis zu Dürer, am Druck völlig zu entwickeln,
gegenüber der Riesenzeit, während der die Zeichnung
immer in beschränkter, fast nur kunsthandwerker-
licher Weise existirte. Natürlich fiel der Wiedergabe
von Kunstwerken bald der Löwenantheil aller Pro-
duktion zu. Der schönste Erfolg war aber schon er-
rungen. Es war ein Reich gefunden worden für die
Kunst, und dies wurde von denen, die es erkannten,
sofort im ganzen Umfange beherrscht. Die neuen
Techniker erschlossen Quellen der Poesie der Leiden-
schaft, der geistigen Vertiefung, die der Malerei tmd
deren Schwesterkünsten nur selten, theilweise, oft gar
nicht zugänglich sind.
Wie in der Politik, war auch dieses Reich auf
Kosten anderer gegründet, und hier war es die grosse,
einheitliche farbige Kunstanschauung, die den Verlust
trug, indem sie zerfiel in Sonderkünste, nachdem sie
bis in's hohe Mittelalter einheitlich fest geschlossen
da stand.
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Es ist nothwendig, bevor ich weitergehe, den Be-
griff dessen festzustellen, was unter Zeichnung, Griffel-
kunst in unserem Sinne zu verstehen ist.
Schon der vorausgeschickte kurze Abriss lässt
vier, eigentlich drei Arten Zeichnungen erkennen.
Eine Handzeichnung Rafaels, ein Stich Dürers, ein
Stich Calamatta's und eine Illustration Caton Woodville's
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— 7
stellen diese vier Species dar. Auf den Gebildeten
werden diese Blätter ihrer Zahl nach ebenso viel ver-
schiedene Eindrücke hervorbringen, ganz abgesehen
von den selbstverständlich verschiedenen Künstler-
charakteren.
Um die Verschiedenheit dieser Eindrücke zu ver-
stehen, untersuchen wir die Beweggründe, die der
Entstehung jener Blätter zu Grunde lagen.
Der Maler-Illustrator AVoodville wollte die gesehene
Natur so Aviedergeben, wie er sie sah. Er Avendete
cilso den Farben und J^^^ilettfs ebenso wie der Zeich-
nung und Modellirung seine Aufmerksamkeit zu. Bei
der Ausführung der Blätter übersetzt er durch mög·-
lichst charakteristische Verwendung des Zeichen- und
Druckmaterials jeden Eindruck. Die Lokalfarben, die
stofflichen Unterschiede, die Gesammtwirkung der
Gruppen und der Licht- und Schattenmassen be-
schäftigen ihn so, wie sie es gethan haben würden,
Avenn er sie malte. Er sucht Farbenempfindung zu
erregen und setzt alles daran, die Reduktion der
Naturerscheinung auf Schwarz und Weiss vergessen
zu machen. Alle seine Bestrebungen fallen also genau
mit denen des Malers zusammen. Aeussere Gründe
hielten ihn vom Malen ab: Mangel an Zeit, Schwierigkeit
und Kosten der farbigen Reproduktion, die Art des
Geschäfts des Auftrages. Ein treibendes ästhetisches
Motiv, das Zeichnungsmaterial zu seiner Darstellung
zu wählen, ist nicht vorhanden, denn die etwa
unterzuschiebende Absicht, grosses technisches Ge-
schick zu entfalten, kann dafür nicht angesehen werden.
Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass nicht
besonderes Talent und Geschick und Studium für der-
artige Leistungen nothwendig seien. Aber das Ver-
hältniss dieses Künstlers zu unserer Arbeitsweise ist
etwa, wie Λνβηη er Pastell oder Aquarell der Oel-
farbe zur Ausführung seiner Arbeit vorzöge. Der
— 8 ~
Grund, dass er zeichnete, lag also ausserhalb seiner
Darstellung.
Fast auf gleichen technischen Grundlagen ruht
die "Wiedergabe von Bildern durch Stich, Schnitt,
Lithographie etc. Die Begabung des Stechers ist noch
nicht derart intensiv, dass er eigener farbiger oder
zeichnerischer Produktion sich hingeben könnte, und dass
er hoffte, Persönliches in dieser zu leisten. Er widmet
sein Talent der Vertiefung in liebevollster Wiedergabe
schon bestehender Kunstwerke auf seiner Platte. Wie
beim Illustrator, finden wir, dass durch geeignete Ver-
wendung von Strichlagen, Wechsel des Arbeitsmaterials
und besondere Druckverfahren die Farben- und Licht-
werke übersetzt werden. Es ist alles völlig auf Bild-
wirkung abgesehen. Da die Hauptschwierigkeit, die
Natur in ein Kunstwerk zu übertragen, schon in
dem von ihm reproducirten Werke überwunden war,
kann er seine ganze Kraft auf das „Wie" der fertigen
Formen und Farben wenden. Dieser Verzicht auf
eigenes Schaffen giebt der reproducirenden Zeichnung
eine eigene Stellung, speciell in dem, was ich Griifel-
kunst nennen möchte, welche die produktivste aller
bildenden Künste ist. Für uns handelt es sich also
auch hier um die Wiedergabe von Farben mittelst
der Scala λ'Όη vSchwarz zu Weiss, und so kommen
wir zum Schluss, dass die Zeichnung auch hier aus
anderen als selbstinneren ästhetischen Gründen zur
Darstellung gewählt wurde.
Rafael arbeitete bei seiner Zeichnung der
Malerei vor. Vor seinem Geiste schwebte ein Bild in
mehr oder weniger voller Bestimmtheit. wSeine Vor-
stellung in die Fläche zu sammeln, oder die kon-
cipirten Gestalten für die Malerei in Linie und Form
vorzubereiten, diente die Zeichnung. Diese empfängt
bei solcher Entstehungsart alle Vorzüge des Frischen,
Rückhaltlosen, fast Unwillkürlichen, sei es nun, er
— 9 -
studire die vor ihm stehende Xatur, sei es, er gebe
der unfertigen, schwebenden, unvollendeten Idee erst
vorläufige Form. Aber eben der Unvollendeten! Sein
wirklicher Gedanke, Das, was er Avollte; fand erst voll-
kommenen Ausdruck in der Harmonie des Bildes. So
hoch auch seine mächtige Persönlichkeit das Material
emporhob, so vollendet sie ein Stück Natur nach-
fühlen lässt, als Kunstwerk betrachtet bleibt seine
Zeichnung Fragment. Sie war auch ihm Mittel zu
einem anderen Zwecke.
I
Das Dürer'sche Blatt ruft in uns weder den Ge-
danken an ein übertragenes Bild hervor, noch scheint
es farbige Eindrücke um derentwillen zu übersetzen,
noch lässt es uns die Empfindung des Fragmentarischen
zurück. Es ist vollendet in sich! Was es giebt, war
so gedacht, wie es gegeben wurde, nach Abzug dessen,
was die ewig unerreichbare Intention jedem Künstler
vorenthält.
Nicht dass Dürer ohne farbige A-^orstellung seine
Arbeit dem Metall eingeschnitten hätte! Kein Mensch
wohl ist im Stande, sich frei zu machen von dem
einheitlichen Eindruck, den die Natur hervorbringt,
und zu dem untrennbar deren farbige Erscheinung
gehört. Dürer wurde vielmehr durch seine Empfindung
in eine Welt geführt, farbiger vielleicht, als die reale
um uns. Doch so wechselnder, so unkörperlicher, so
mit der Wandlung der A^orstellung veränderlicher Art
sind die Farben jener Welt, dass, wenn auch er selbst
mit seinem inneren Auge sie sah, dennoch die äusseren
Alittel nicht ausreichten, sie festzuhalten. Nur die
Form, die Handlung, die Stimmung sind ihm fassbar.
Denn die Farben, über die er verfügen könnte, würden
seine Phantasie auf diese wirkliche Λ¥elt zurückführen.
Eben diese jedoch überwand er. Die Zeichnung allein
ist es, welche jene Eindrücke unberührt von unseren
Alltagssinnen festzuhalten vermag;
V
-ocr page 9-— It) —
-Dies Dürer'sche Blatt repräsentirt die Zeichnuiij^,
AA'elche eine Kunst für sich bildet, und welche einen
Künstler zur Beherrschung x'oraussetzt. Ein solcher
Künstler will keine anderen Darstellungsmittel als hell
und dunkel. Er will an die Farbe oft erinnern, aber
nicht sie übersetzen. Er weiss, dass die wirkliche
Farbe eben jene geistige AVelt zerstören Avürde, Avelche
von allen Künsten die Zeichnung allein mit der Kunst
und Poesie gemein hat.
Es ist Avohl Werth zu bemerken, welche Stellung
die A'erschiedenen Zeichnungsarten im Treben nehmen.
- Durch die Natur seines Talents, die Schwierigkeit
äerTtxistenz und des Bilderverkaufs Avird der Künstler
zur einträglicheren Illustration geführt, die ihn be-
quemer ernährt. Andererseits giebt es eine enorme
Menge, welche, theils aus wirklichem Gefallen, theils
aus gesellschaftlicher NothAvendigkeit, den Wunsch und
Drang, nicht aber die Mittel haben, Originalkunstwerke
zu besitzen. Diesem Bedürfniss kommt das bescheidenere
Talent des Stechers entgegen. Man könnte also sagen,
der Illustrator erwächst aus dem Geschäftsinteresse
des Angebots, der Stecher aus dem der Nachfrage. -
Die Zeichnung als Vorbereitung der Malerei entspringt
der Nothwendigkeit des Studiums. Nur allein das, Avas
ich Griffelkunst nennen möchte, ist aus innerem Drange,
dem ein anderes Ausdrucksmittel Intensität und Frei-
heit rauben würde, geschaffen Avorden.
Ich kann mir ohne Abneigung denken, dass ein
Künstler sein Leben mit .Schaffen von Zeichnungs-
Averken dieser letzten Art füllte, ohne dass seine
Persönlichkeit verkleinert erschiene, A^erglichen mit
Malern und mit anderen Künstlern. Er schafft voll-
gültige KunstAverke, die eben nur auf dem Wege ent-
stehen können. Belege dafür sind z. B. Schongauer.
(roya und Dürer verdanken ihre grosse Autorität fast
- XI
nur ihren: Stichen und Radierungen. Als Maler sind
Beide bei weitem \veniger bekannt. .
Der Gedanke, dass ein Künstler sein I.eben nur
auf Darstellung von Fragmenten, \vie selbst Rafaels
Studien verwendet, ist peinlich, ja absurd, denn man
musste voraussetzen, dass der Künstler nicht Künstler
sei, seine Persönlichkeit unterdrücke und sein Streben
nach Vpllendung.
Ein Kunstwerk kann aber nur dann vollendet
sein, wenn es mit dem Material geschaffen worden
ist, welches den erschöpfenden Ausdruck seiner Grund-
idee möglich macht.
,. Desshalb Avar die Rafaehsche Zeichnung kein
vollendetes Kunstwerk, denn ihre Idee fand erst Ge-
nüge in der Harmonie der Bilder.
. Desshalb sind die Reproductionen und die weite
Mehrzahl der Illustrationen keine Kunstwerke, denh
auch ihnen lag, die farbige Darstellung zu: Grunde, „ j
rv
Diese vorgeschickten Sätze sind darin begründet,
dass jedem Material durch seine Erscheinung und
seine Bearbeitungsfähigkeit ein eigener Geist und .eine
eig^ene Poesie inne.wohnt,. die bei künstlerischer Behand-
lung den Charakter der Darstellung fördern und die;
durch nichts zu ersetzen sind; etwa so, wie der Charakter
eines Musikstückes auf seiner vorempfundenen Tonart
beruht, und durch Umsetzen in eine andere verwischt
wird. Wo diesem Geiste des Materials bei Conception
und Ausführung nicht zugedacht und zugearbeitet
ivird, — sei es aus Mangel oder aus Laune, willkürlich
oder aus äusserem Zwange — ein Material 2u einem
anderem zu stempeln gesucht wird, ist die künstlerische
Einheit des Eindruckes schon vor Beginn gebrochen.
Unser ohnehin schon leicht abschweifender Gedanke,
richtet.sich von der Darstellung selbst:^..weg; auf...die
12 -
angewendeten Mittel und auf die Schwierigkeit des
erhaltenen Effektes. Zu künstlicher Techniker oder
Stümper gleichen sich dann im Erfolg: bei Beiden
übersieht man über dem Material das Ziel. Die
Tendenz dieser Erörterungen kann jetzt in den Satz
zusammengefasst werden: Ein Motiv, vollständig künst-
lerisch darstellbar als Zeichnung, kann für die Malerei
— sofern man dieselbe als Bild im Auge behält —
aus ästhetischen Gründen undarstellbar sein.
Das Wesen der Malerei definire ich so: Sie hat
die farbige ICörperwelt in harmonischer Weise zum
Ausdruck zu bringen, selbst der Ausdruck der Heftig-
keit und Leidenschaft hat sich dieser Harmonie unter-
zuordnen. Die Einheitlichkeit des Eindrucks zu wahren,
den sie auf den Beschauer ausüben kann, bleibt ihre
Hauptaufgabe und ihre Mittel gestatten zu diesem
Zwecke eine ausserordentliche Vollendung der Formen,
der Farbe, des Ausdruckes und der Gesammtstimmung
zu erreichen, auf denen sich das Bild aufbaut. Es
kann hier nicht das wiederholt werden, was I.essings
„Laokoon" festgestellt hat, ebensowenig sollen die
Stellen daraus commentirt werden, wo dem Schrift-
steller und Denker die künstlerisch technische Kennt-
niss der Handgriife abging. Alle seine Grundprincipien
setze ich als bekannt voraus.
Die Malerei ist durchaus in drei Categorien zu
theilen, als Bild-, als Decorations- und als Raumkunst
wechselt sie ihre Aesthetik; besonders als letztere hat
sie vieles mit der der Zeichnung gemein. Die eigent-
lichste iVufgabe der Malerei als solche bleibt immer
das Bild. Rein durch sich wirkend, von Raum und
Umgebung unabhängig, hängt sein Reiz ausschliesslich
von der Benutzung und der BeΛVältigung seines wunder-
bar ausbildungsfähigen Materials, seines die ganze
sichtbare Welt umfassenden Stoffes ab, Λvelche sie
in allen Erscheinungsformen mit wunderbarer Klarheit
— 13
und Tiefe Λvίederzugeben vermag. In diesem Um-
fassen und Sehen, in diesem Nachgehen und Nach-
fühlen alles Geschauten, der lebendigen Form sowohl,
wie der todten und in der Kraft, das All in seinen
wunderbaren Wechselbeziehungen nachleben zu können,
liegt der Zauber des Bildes. Das Einfachste, gewinnt
höchste Bedeutung durch die Intensität des Erfassens;
denn das Wesentliche der Malerei ist, dass jede durch
sie gegebene Form eben als solche Avirken kann. Das
Talent des Malers besteht in der Kraft und Vollen-
dung, mit der er charakteristisch diese Form beherrscht,
und jedes Stück geschauter und vollendet Λvieder-
gegebener Welt ist an sich völlig hinreichend einen
Vorwurf für ein Bild zu geben. lieber allem Sicht-
baren ruht der Zauber des individuellen Lebens; diesen
zu heben, das (Teringe aus seiner scheinenden (ileicli-
gültigkeit, in seino^r Erscheinungsform uns lebendig
vorzustellen, ist die Kunst der Malerei. Es bedarf
dazu keinerlei geistiger Zuthat, keiner Combinationen.
Diese schaden im Gegentheil. Der Eindruck, den ein
Bild auf uns macht, ist um so grösser, je mehr er aus
sich selbst heraus auf uns wirkt. Es giebt uns dann
Eindrücke, die die Natur nur selten geben kann,
weil uns die Gleichzeitigkeit vieles Geschauten, der
stete Wechsel, vor Allem aber die eigene innere
Sammlung selten zum reinen Empfinden durch das
Auge kommen lassen. Wir sind vor der Natur immer
Mitwirkende bei dem was wir sehen. In ihre Stim-
mungen und F^indrücke mischen sich stets unsere
Wünsche, unsere Unruhe. Vor dem Bilde werden
diese ausgelö.st, weil wir unsere eigene Person in die
des Künstlers aufgehen lassen müssen, und wenn
dieser voll die eigene Natur zu geben Λveiss, die Welt
durch seine Augen sehen. In diesem Aufgehen er-
langen wir das, Avas wir im Leben umsonst suchen;
ein^ Geniessen ohne geben zu müssen, das Gefühl der
äusseren Welt ohne körperliche Berührung.
jUA
— 14 ~
Es ist für die. bildliche Darstellung darum wesent-
lich, Zuthaten über phantastische, allegorischer oder
novellistischer Art zu \'ermeiden, die den Geist des
Beschauers zu über das Bild hinausliegenden .Specu-
lationen führen. Jene sich selbst genügende Ruhe,
die die Höhe des Kunstwerkes bezeichnet, ist es, die
uns zu den Werken aller Bild-Meister zieht. .Sie ist
nur durch die X^ollendung der Dcirstellung in Formen,
in Farbe, in Ausdruck und Gesammtstimmung zu er-
reichen. Die Phantastik, die im Bilde angestrebt
werden kann, muss derart sein, dass nie jene vier
Bedingungen gestört werden, dass selbst, wo zn Um-
bildungen der Natur gegriffen Avird, immer der Ein-
druck der Lebensfähigkeit und des Folgerichtigen
auch im Ungewöhnlichen festgehalten ist.
Diese künstlerischen, besser ästhetischen, Anforde-
rungen ändern ' sich in Bezug auf die Einheit des
Bildes bei der Decorativen- und Raum-Malerei, bedeu-
tend. Bei Beiden ist es nicht mehr das einzelne Kunst-
werk, welches auf uns Eindruck machen soll, sondern
es soll die künstlerische Einheit des Raumes, also der
Umgebung des Bildes, zugleich auf uns wirken. In
Beiden ist der geistige Anschluss des Bildes 'an die
Bestimmung und Bedeutung des Raumes nothAvendig,
und da dies ohne wechselseitige Beziehungen, ohne
allegorische oder beabsichtigt symbolische Grundlage
nicht wohl zu leisten ist, ist von vornherein die ge-
schlossene Einheit der Darstellung aufgehoben — wenn
man nicht blos auf eine landschaftliche oder vedouten-
hafte Ausschmückung ausging. Schon bei etwas
mehr als massigen Dimensionen treten Form und
farbige Durchbildung im Bestreben nach einheitlicher
Zusammenwirkung mit weniger Bedeutung auf, um
der Gesammtstimmung dem Ausdruck, der rhytmischen
Bewegung grössere Klarheit und Verständlichkeit zu
geben. Es erweitern sich die geistigen Grenzen der
iL·
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bildlichen ■ Baj^tellung" \'on selbst. Der Anschluss an
die Architektur, die nahe Verbindung mit Ornamentik
nöthigen schon bei einzelnen decorativen Bildern zur
Allegorie; ein Gebiet, wo die geistreiche Ideendar-
stellung der formellen Behandlung gleichsteht, Avenn
nicht conventionellste Abwandlung bekannter Themen
oder Eintönigkeit statthaben soll.
Bedeutend steigern sich diese Anforderungen an
die geistige Seite der Malerei bei der Raumkunst.
Reine Denkmäler derselben sind uns leider ausser
Avenigen ^Schöpfungen der Romanischen und (irothischen
Epoche, wie der Renaissancezeit, nicht erhalten. Die An-
läufe der Neuzeit zu solchen Werken sind leider durch
die herrschenden künstlerischen Λ^erhältnisse derart zer-
fahren, dass man eigentlich davon nicht sprechen kann.
Sowohl werden durch zu riesenhafte Räume die Bilder
der Architektur A^öüig untergeordnet, als auch durch
uneinheitliche Ausschmückung ein Gesammteindruck
zerstört. Vor Allem aber fehlt uns die er.ste Grundlage
der Kunst, eine strenge der Raumkunst gewachsene
Anschauung und Beherrschung der menschlichen Form.
— Geistreiche, beziehungsvolle Erfindung, die zur
Deutung und Auslegung herausfordert, nimmt hier mit
der Farbencombination, der Rhytmik und Gliederung
des Ganzen einen gleichbedeutenden Platz ein. Und
so zwar, dass wir der freien Behandlung der Form und
der Durchbildung ganz anders gegenüber stehen,
als selbst bei der dekorativen Malerei. Die Einheit
des Raumes, die Eindringlichkeit seiner Bedeutung
erfordern geradezu, die sonst so streng einzuhaltenden
Formen- und Farbengesetze der Natur aufzulösen zu
(junsten einer rein dichterischen Verwendung der
Mittel. Die grossartige Wirkung beruht gerade dar-
auf, dass Alles, was nicht in erstester Linie zu dem
Gedanken gehört, nicht bloss weniger betont, sondern
sogar principiell umgemodelt wird, um jeden Neben-
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ΐϋϋ
5-1«,
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gedanken abzuleiten, den Λ'ergleich mit der lebendigen
Natur auszuschliessen und den Geist des Beschauers
ganz auf das Gesamintgewollte zu führen. Aian ver-
gleiche in diesem Sinne die Darstellungen der Luft und
der r.andschaft in der AA^underbaren Signorelli-Capelle
Drvieto's, in den Giottobildern mit denen der Spätrenais-
sancemalereien. Die Herbigkeit und gewollte Unnatur,
die vms darin fast erst abstiess, erhebt, bei tieferem Ein-
gehen, die Gestalten ihrer Fresken gänzlich über das
Maass des gewöhnlichen Menschen. AVir sehen nicht
mehr die Zufälligkeit der Welt, der Natur, die heut
stürmt, morgen zulächelt, Zufälligkeiten, die Avir, ohne
zu Avollen und zu wissen, auf die Handlungen der„
Geschöpfe übertragen, — sondern wir stehen vor
Menschen, die mit grösseren festen Mächten zu rechnen
haben. Nicht vor Personen stehen Avir, vor Charakteren
und Typen, die A'olksirrthümern, Leidenschaften,
menschlichen Kämpfen Gestalt geben.
Hier, bei der Raumkunst, ist es, wo die farbige
Sculptur einzusetzen hat, der Avir so merkAvürdig
zaudernd gegenüberstehen. Wir haben bei jedem
Monumentalrcium das Bedürfniss, an den rein architek-
tonischen unteren einfachen Gliederungen plastische
Werke zu suchen, die in Gestalt bekräftigender
Charciktere, stimmender Gruppen die Vermittlung bilden
zu den PhantasieAverken der höheren Raumtheile. Da
nun in solchen Räumen der erste Gesammteindruck
zAveifellos in der farbigen Erscheinung besteht, dürfen
jene Plastiken keinesfalls in einfarbigen AVerken be-
stehen, die durch den Contrast silhouettenartig wirken
müssten, ihrer Bestimmung und ihrem AVesen ganz
zuAviderlaufend. Die Farbe muss auch hier zu ihrem
Recht kommen, muss gliedern, stimmen, sprechen.
Und ganz mit Unrecht fürchtet man in dieser farbigen
Plastik das Uebermaass des Realismus. — Gewiss
wird man diesem, oder einer zwecklosen Farbenspielerei
ri
— 17
in die Hände fallen, Avenn solche AVerke nicht farbig
für farbige Räume gedacht sind. Wo, von der farbigen
Erscheinung ausgehend, mit den entsprechenden
Materialen gearbeitet wird, würde, ganz im Gegensatz
zur allgemeinen Befürchtung, die Rückkehr zur Ein-
fachheit, zum strengen Festhalten des plastisch Wesent-
lichen, zum strengsten Abwägen der Compositions-
theile nur immer
damit Avird sich der Weg zur Stilbildung, d. h. das
Ablassen vom Un\vesentlichen, von Naturkünstelei,
sich öffnen. Nichts verleidet mehr zum Zuviel, zur
Uebertreibung der Technik als das schrille Weiss
eines Materials. Durch künstliche Behandlung, durch
Aufsuchen der einzelnen Zufälligkeiten im Gegenstand
sucht der Bildhauer seinerseits zu einer Farbigkeit im
einheitlichen Ton zu gelangen; meist auf Kosten seiner
plastischen Empfindung.
Dieses GesammtΛvirken aller bildenden Künste
entspricht dem, was Wagner in seinen musikalischen
Dramen anstrebte und erreichte. Wir besitzen jenes
noch nicht, und das, was davon aus vergangenen
grossen Epochen uns überkommen ist, haben anders
denkende Zeiten meist verstümmelt oder zerrissen.
Malerei beschränkt sich für uns auf den Begriff Bild.
Der Werth dieses in sich abgeschlossen sein
sollenden Kunstwerkes beruht, wie gesagt, auf der
vollendeten Durchbildung von Form, Farbe, Gesammt-
stimmung und Ausdruck. Jeder Gegenstand, der so
behandelt ist, dass er diesen Forderungen entspricht,
ist ein Kunstwerk. Ausserhalb jener Forderungen
bedarf es keineswegs noch einer „Idee". Die ganz
ungewöhnlichen Vorzüge einer der vier Bedingungen
können wohl für Mängel der anderen entschädigen,
nie kann es die Idee, solange sie nicht durch jene voll
geschützt wird.
P^ür den Begriff" Bild ist es ganz gleichgültig,
2
igsten Abwägen der Compositions- / / 'Ί^η
nothAvendiger sich herausstellen und ] ^^^^
welcher Richtung der Künstler sich anschliesst. Ob
i-lealismus, ob Icleahsmus, in den Uebertreibungen
ihrer 'I^ndenz geht jede Richtung über den Rahmen
des Bildes hinaus. Der Ideiilist, der zu transcendenten,
der Realist, der zu sociologischen Spekulationen über
das Leben führen wollen durch ihre Arbeiten, malen
Beide eigentlich nur pro forma.
Der Avahre Künstler, für den es keine Richtung
als seine Natur giebt, wird da, Λνο er dem Ausdrucke
- dem Keim, der Seele der Idee im Bilde — grossen
Raum gewährt, sich Stoffe suchen, mit denen er und
wir von früh auf A'ertraut sind. Er nöthigt auf diese
Weise nicht, erst in eine neue Welt uns einzuleben,
um zum Avii'klichen (xenusse seines Werkes zu kommen.
I^ie Intensität, mit der er das bisher im Stoffe kaum
<Teahnte zum Ausdruck bringt, macht seine Kunst
aus, nicht seine Gedanken. Diese Intensität besteht
in der Stärke und ,Siclierheit, mit welcher Form und
I'arbe jeden (xegenstand und jede Bewegung im Bilde
zu umschhessen und zu gestalten wissen. Der Be-
schauer erhält diirch sie das beruhigende (Tefühl der
(resetzmässigkeit, welches uns vor den AVerkcn aller
wirklichen Aleister überkommt. vSie allein macht es,
dass ein Kopf ein Kopf sei, eine Hand eine Hand und
dass sie greife, so dass der ihr geleistete Widerstand
erkennbar ist. Diese Beherrschung· der Form beruht
keineswegs auf der Technik, sondern umgekehrt ent-
springt diese aus jener. \^iel Technik ohne Form-
gefühl ist ja eine alltägliche Erscheinung.
Das Avas man allgemein „Gedanken", „Idee" im
Bilde nennt, besteht nur zu oft aus willkürlichen, fast
immer aber mehr oder Aveniger geistreichen Combinatio-
nen von Dingen und Ereignissen, die mit der Dar-
stellung selbst nichts zu thun haben, aber Ideen-
associiitionen erwecken. Diese können wohl geeignet
sein, charakteristisches Licht auf den Gegenstand zu
__ ig ^
werfen, sind aber meist auf das Publikum berechnet,
das, über den Kunstwerth sich unklar, etwas haben
will, darüber zu fabuliren und zu „verstehen". Dass
ein \virkliches Kunstwerk eben nur Fleisch als Fleisch,
Licht als iJcht geben will, ist viel zu einfach, um
verstanden zu werden.
Ein ruhender menschlicher Körper, an dem das
Licht in irgend einem Sinne hingleitet, in dem nur
Ruhe und - keinerlei Gemüthsbewegung ausgedrückt
sein sollen, ist, vollendet gemalt, schon ein Bild, ein
Kunstwerk. Die „Idee" liegt für den Künstler in der
der Stellung des Körpers gemässen Formentwicklung,
in seinem A^erhältniss zum Raum, in seinen Farben-
combiniitionen, und es ist ihm vöUig gleichgültig, ob
dies Endymion oder Peter ist. Für den Künstler
reicht diese Idee aus, und sie reicht aus! Unser Tages-
geschmack verlangt aber vorerst genau zu wissen, ob
das nicht etwa Endymion ist.*) Ist die Form des
Körpers der Bewegung der Lage entsprechend gelöst,
das Fleisch in seiner seidigen Weichheit und
Raum und Licht harmonisch gegeben, so hat man es
mit einem Kunstwerk zu thun, und Avenn man es von
einem anderen ähnlichen unterscheiden will, mag man
ihm dann einen Namen geben. In scheinbar einfachstem
Gewände, und bei leichtesten Hilfsmitteln — ruhendes
Modell, an dem man leicht beobachten kann — bietet
das Moti\· selbst dem mit g'enauesten Körperkenntnissen
'·') Ich bin überzeugt, dass alle jene unvermeidlichen hübschen
Alädchenköpfe — Ada — Hermine — Lydia — der illustrirten Blätter
vollständig verschAvinden würden, wenn Eigennamen nicht mehr darunter
gesucht werden dürften. Ich habe beobachtet, dass ein solchcs, in
einem Blatt nur „Studie" genanntes Gesicht einen Kunstfreund ganz kalt
liess, aber als „Kläre" in einem andern volles Interesse äbgewann,' Der
Mangel einer regelrechten Vorstellung hinderte den ΛVohlerzogeneu
jedenfalls am Abwickeln der üblichen kleinen Novelle, die sich jedem
solchen Blatte anzuschliessen pflegt.
2*
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Ausgestatteten doch Schwierigkeiten, die nur ein
Künstler lösen Avird, der der Natur innerlichst folgen
kann, um aus einer Studie ein organisches, auf sich
selbst «und seiner Klarheit beruhendes Kunstwerk zu
schaffen. — Und gerade bei solchen einfachen Stoffen
sehen wir, wie gewöhnlich die eigentliche Aufgabe
durch novellistische Zuthaten, sogenannte „Ideen", um-
gangen Λvird, Ueberraschung, Kitzeln etc. lenken
den Beschauer von der Kritik der Darstellung ab auf
die unkünstlerische Frage: Was wird nun geschehen?
Durch die ganze moderne Kunst geht ein Drang
nach jener vorerAvähnten Novellistik, in der die ruhige,
natürliche P'orm völlig ertränkt erscheint. Es ge-
hören stärkste Anstrengungen dazu, sich aus dieser
Fluth zu einer einfachen künstlerischen Anschauung
durchzuarbeiten und die Kunst im Menschen, in der
Natur zu suchen, statt im Abenteuer.
Id^·
Ziehn wir die Mittel der Malerei in Betracht, so
erscheint sie uns als der vollendetste Ausdruck unserer
Freude an der AVeit. Das Schöne liebt sie um seiner
selbst Avillen und sucht es zu erreichen, und selbst
im hässlichen Alltäglichen, oder in der höchsten Tragik,
wo sie uns rührt, bcAvegt sie uns durch das Reiz-
volle, selbst im Contrast Harmonische der Formen
und Farben. Sie ist die A^erherrlichung, der Triumph
der AVeit, sie muss es sein.
Neben der Bewunderung, der Anbetung dieser
prachtvollen, grossschreitenden W^elt wohnen die
Resignationen, der arme Trost, der ganze Jammer
der lächerlichen Kleinheit des kläglichen Geschöpfes
im eAvigen Kampfe zwischen AVollen und Können.
Zu empfinden Λvas er sieht, zu geben was ef
empfindet, macht das Leben des Künstlers aus. Sollten
nun denn, an das Schöne gebunden durch Form
,,'ί-ν.,Μ.
.Λ·., .., ; · ·>··.ν.'.'; .. . .· ·."..·. · .
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und Farbe, in ihm die mächtigen Eindrücke stumm
bleiben, mit denen die dunkle wSeite des Lebens ihn
überfluthet, vor denen er auch nach Hülfe sucht? Aus
den ungeheuren Contrasten zΛvischen der gesuchten,
gesehenen, empfundenen Schönheit und der Furchtbar-
keit des Daseins, die schreiend oft ihm begegnet,
müssen Bilder entstehen, wie sie dem Dichter, dem
Musiker aus der lebendigen Empfindung entspringen.
Sollen diese Bilder nicht verloren gehen, so muss es
eine die Malerei und Sculptur ergänzende Kunst
geben, in welcher zwischen diese Bilder und den Be-
schauer die plastische Ruhe nicht in dem Maasse
hindernd eintritt, Avie bei jenen. Diese Kunst ist die
Zeichnung.
In seinem „Laokoon" scheidet Lessing von den
der Darstellung durch Malerei völlig künstlerisch
möglichen Vorwürfen alle die Punkte aus, wo das
Verharren in höchsten Affekten, im Hässlichen, Grauen-
und Ekelerregenden unnatürlich wäre und daher auf
die Dauer unerträglich und zweckzuwiderlaufend wer-
den würde. Diese Punkte sind der Darstellung durch
Poesie, Drama, Musik erlaubt, ja für sie unentbehrlich,
\veil in diesen die Phantasie nicht an eben dieselben
gebunden ist, selbst wenn sie mit aller Kraft und
Intensität sich vordrängen. Durch das Gleich- und
Nacheinanderwirken der ihnen vorhergehenden Ent-
Avicklung, so wie durch das Vorgefühl der erfolgenden
Lösung können sie nicht allein und voll als solche
Höhepunkte oder ΛViderΛvärtigkeit wirken, sondern
bleiben stets ein natürliches Glied eines vorbereiteten
Ganzen.
Die gleichzeitige Beschäftigung unserer Phantasie
bei Gewahrwerden des an und für sich Widerwärtigen,
das A'erhindern seiner Alleinwirkung ist also das
Avesentliche Moment, dieses künstlerisch darstellbar zu
machen. Solche Momente besitzt nun die Zeichnung,
— 2 2 —
indem sie z. B. der P^arbe entbehrt, eines der im-,
erlässlichsten Theile des (xesammt-Eindruckes, den die
Natur auf uns macht. Wir sind genöthigt, dem ein-
farbigen Eindruck die fehlende Farbe nachzuschaffen,
wie wir dem g-elesenen AVort Ton und Rhytmus
nachschaffen.
Man könnte nun einwerfen, dass dann die Sculptur,
besonders die heutige, in genau der gleichen Lage
Aväre, da sie doch auch mit Aufgebung der farbigen
■[{rscheinung arbeitet. Indessen liegt der Fall anders.
Einmal, weil die Sculptur nur die geschlossene, form-
x'olle Erscheinung nachzubilden hat, dann, weil sie auf
den Raum, innerhalb dessen jene Erscheinung sich
bewegt, \^erzichten muss. Durch diese Isolirung als
greifbare, räumliche Masse muss jeder Punkt voll und
ganz aufgeklärt und durchgearbeitet werden. Nur
dann kann sie voll und schön wirken, wenn ihr ] laupt-
gewicht auf der Klarheit und vSchönheit, der Zweck-
mässigkeit und Richtigkeit jedes einzelnen Theiles für
sich, Avie in seinen Beziehungen zu den anderen be-
ruht, wenn bei Abgeschlossenheit der ävisseren Er-
scheinung trotzdem jeder Punkt seine Individualität
besitzt. - Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, dass
das .Suchen der modernen Bildhauer nach besonderen
Motiven mit der heutigen Einfarbigkeit der Plastik
zusammenhängt, wenn dieses Suchen nach Sujets
gleich der gemeinsame Zug fast aller bildenden l-Cünste
jetzt ist. AVohl weil die rneisten Künstler sich der
Durchbildungsfähigkeit innerhalb eigenster Grenzen
ihres Materials nicht A'öllig beAVusst sind.
Die Zeichnung steht, wie gesagt, in einem freieren
Verhältniss zur darstellbaren AVeit:
Sie lässt der Phantasie den weiten Spiel-
raum, das Dargestellte farbig zu ergänzen;
sie kann die nicht unmittelbar zur Haupti
^ache gehörigen Formen, ja diese selbst, mit
-
i··
^ifti rifruiifinr
i
-ocr page 22-— 23 —
derartiger Freiheit behandeln, dass auch hier
die Phantasie erg-änzen muss;
sie kann den Geg-enstiind ihrer Darstelhmg
so isoliren, dass die Phantasie den Raum
selbst schaffen muss;
und diese Mittel kann sie anwenden einzeln
oder zugleich, ohne dass die so ausgeführte
Zeichnung im Mindesten an künstlerischem
Werthe oder an A^:>llendung einzubüssen hätte.
Der \ erlassenen Körperhaftigkeit dient die Idee
als Ersatz. Es handelt sich dann um solch ein Bild,
^^·ie es aus den Contrastwirkungen der realen Welt
zu unseremDarstellungsvermögen entspringt. Wesent-
lich für den Ausdruck einer solchen Idee ist es, den
Zusammenhang mit der grossen Welt festzuhalten.
Diesen Zweck zu erreichen, bedarf es anderer Mittel
als die, über welche die Malerei verfügt. Die Alalerei
stellt jeden Körper eben als Jiur solchen, als positi\'es
Individuum, das als abgerundetes, vollendetes (ianze
ohne I:>ezug nach aussen für sich existirt, dar. Es sind
überall die materiellen Seiten der Stoffe, die die
Alalerei beschäftigen: die I.Aift leicht, leuchtend; das
Meer feucht, glänzend; das Fleisch Aveich, seidig. Für
die Zeichnung können alle diese Stoffe Eigenschaften
annehmen, die Aveniger dem -Auge, als der dichterischen
Auffassung und Comloination zufallen. Mit der l^uft
verbindet sich eher der Begriff der Freiheit, mit dem
Meer der der Gewalt, und der Mensch ist nicht so die
von ihren individuellen Formen eingeschlossene Person,
als das AVesen, das zu allen jenen äusseren Kräften
in Beziehung und Abhängigkeit steht; er ist vor .Allem
Repräsentant seiner (fiittung. Die Möglichkeit, die
sichtbare Körperwelt so frei poetisch zu behandeln,
wird durch jene vorerwähnten Freiheiten gegeben,
24
welche gestatten, alles Dargestellte mehr als Er-
scheinung, denn als Körper wirken zu lassen.
Es ist kaum nothwendig, zu sagen, dass diese
Licenzen, wo sie auch benutzt werden, dennoch das
strengste Bewusstsein und die Beherrschung der Formen
seitens des Künstlers \Oraussetzen, und dass sie nur
dann künstlerisch sein können, Avenn der Phantasie
nur so viel des Sichtbaren selbst zu schaffen über-
lassen wird, als sie ohne Mühe und ohne auf Un-
inöglichkeiten zu stossen, ergänzen kann. — Man be-
denke nur, dass alle wirklichen Künstler der Zeichnung
auch Meister der Malerei, also der vollendeten Form,
Avaren.
Mit diesen Ideen und jenen Licenzen steht die
Zeichnung auch dem Unschönen und \¥iderwärtigen
anders gegenüber als andere bildende Künste. Die
bildenden Künste haben das überwundene Unschöne,
die redenden das zu überwindende Unschöne zur
Grundlage. Dieses ist bei den redenden ein bald
einzelnes, bald Λviederkehrendes Glied in der Kette
der Handlung, in deren Laufe unser (jefühl durch
verschiedene gleichzeitige Empfindungen und fort-
rollende A¥irkungen gegen das Widerwärtige geführt
Avird \vie ein Strom gegen einen Pfeiler. Der Stoss
bricht wohl den Lauf, verändert seine Richtung, aber
der Strom wird vom Pfeiler nicht aufgehellten, nur
von Neuem concentrirt; Strom und Handlung haben
neue Kraft. Aehnlich kann die Zeichnung uns gegen
das Unschöne führen. Die Unmöglichkeit, die AVeit
anders als durch Farbe, Form, Raum zu sehen, zwingt
unsere Phantasie, gleichzeitig mit dem Erblicken des
Abstossenden jene drei Bedingungen zu ergänzen, und
in dieser Thätigkeit findet sie nicht nur Ablenkung
vom Unschönen, sondern auch den Eindruck jenes
Ringens mit dem Widerwärtigen, welches den Grund
der Dichtung ausmacht. Der Unterschied ist, dass
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-ocr page 24-— 25 ~
der Eindruck bei dieser ein fortschreitend wecliselnder
ist, bei der Zeichnung ein momentaner. Die Malerei
(auch die farbige Sculptur), für welche die Feststellung
jener drei .Bedingungen conditio sine qua non ist,
bietet unserer ^Vorstellung nichts als das fertige Häss-
liche und seine Mache, und hier staut sich das Gefühl
wie ein Fluss an einer Mauer.
Aus dem Reichthum des Grundstoffes — dem-
selben, auf den Religionen sich gründen, wegen
dessen ^'ölker sich A ernichteten, dem man so gern
sich A'erschliesst, den desshalb der Menschengeist mit
allen Mitteln und Formen von der naivsten Einfalt
bis zur fratzenhaftesten Ungeheuerlichkeit zu \'er-
decken sucht, den Selbstsucht und Opferwilligkeit in
ewiger Gährung halten - lässt sich schliessen, dass
die Ideen und Vorstellungen dem Künstler in Fülle
zuströmen. Ob in einzelnen Bildern, ob in conglomera-
tischen Werken wie bei Goya und Holbein, ob in sich
selbst steigernder Folge, wir sehen die Werke dieser
Künstler stets in reicher Fülle entstehen. Und diesem
Drange Avird allein die Handlichkeit des Materials
gerecht. Im engsten Raum lassen sich die stärksten
Empfindungen zusammenpressen, in der schnellsten
wechslung die sich widerstrebendsten Empfindungen
geben. AVo die Malerei dem Beschauer zu reinem
Geniessen Müsse, neue Sammlung oder Ueberleitungen
bieten musste, um von einem Zustand zu einem wider-
strebenden vorzubereiten, entwickelt die Zeichnung in
der gleichtönigen Folge von Bildern im schnellen
Wechsel ein Stück Lebeji mit allen uns zugänglichen
Eindrücken. Sie mögen sich episch eiusbreiten, dra-
matisch sich verschärfen, mit trockener Ironie uns
anblicken, nur Schatten ergreifen sie selbst das Un-
geheuerliche, ohne anzustossen.
— 26
Aus allem bisher Gesagten spricht sich der hervor-
ragendste Charakterzug· der Zeichnung aus: die starke
Subjektivität des Künstlers. Es ist seine AVeit und
seine Anschauung, die er darstellt, es sind seine
persönlichen l^emerkungen zu den Vorgängen um ihn
und in ihm, wegen derer ihm keinerlei Z\va.ng auf-
liegt, als sich künstlerisch mit der Natur seiner Ein-
drücke und seinen Fähigkeiten abzufinden. Die Malerei,
die Sculptur legt überall den strengen, nicht abzu-
werfenden Zaum der Naturbedingungen auf, an denen,
allgemeingültig Avie sie sind, allgemein anschaulich
Avie sie im KunstAverk sein müssen, nicht zu rütteln
ist. Der Zeichner allein modelt sie nach seiner Aus-
drucksfähigkeit, ohne seinem künstlerischen Gewissen
etAvas zu vergeben. Der Vergleich mit Ciaviermusik
und dem (iedicht liegt hier nahe. Bei beiden macht
sich der Geber von der Interpretation Vieler, A'on den
strengen Forderungen von vScene und Orchester frei,
und darf in zAvangloser Folge und Form, nur A'on
ihrer Stärke geleitet, seine eigensten Freuden und
Schmerzen, flüchtigsten und tiefsten Gefühle frei-
künstlerisch geben.
Die A'orausgeschickten Erörterungen führten zu
dem Schluss, dass es Phantasiebikler giebt, die durch
die Malerei nicht, oder nur bedingterAveise künstlerisch
darstellbar sind, dass dieselben jedoch der Darstellung
durch Zeichnung zugänglich sind, ohne dass ihrem
KunstAA'erthe etAA-as vergeben Avird. Es ergab sich,
dass diese \'orstellungen der Weltanschauung, ich
möchte sagen dem AVeltgefühle entspringen, AAie die
A^orstellungen der Malerei dem I^'ormgefühl.
Diese Betrachtungen Averden bei Untersuchung
der technischen Mittel der (xriffelkunst bestätigt. )
Ich schicke nochmals voraus, dass Alles, AA^as in
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der Folge Zeichnung genannt Avird, durchaus nicht
unter den heutigen Illustrationen für Buch und Blatt
und Künstleralbum zu suchen sei. Alle diese sind
aus dem grossen aber nicht wählerischen Decorations-
bedürfniss entstanden. Noch bei den besten unter
ihnen fühlt man durch: eigentlich sollte es ein Bild
sein, aber Zeit — Verleger — (xeld Avollten es anders,
Avenn überhaupt noch etwas dabei zu fühlen Avar.
A'lelmehr ist hier unter Zeichnung nur Das gemeint,
was mit anderen Mitteln nicht geschaffen Averden
Avollte. j\ian suche sich in's (xedächtnis zu rufen, Avas
man \-on Menzel, (roya, Dürer, vSchongauer gesehen /1 ^ /■
hat. Das ist Zeichnung in unserem Sinn, jene andern Z^t^C^ t
verhalten sich zu diesen Avie Zeitungsartikel zu Kunst-
werken der Sprache und des Gedankens. ύ ■
ITnter Malerei ist immer Bild zu \-erstehen.
J. r\
Einen charakteristischen Unterschied zwischen
Malerei und Zeichnung bildet die Behandlung des
Lichtes.
Der Griffel verfügt über eine weit geringere Scala
zwischen hell und dunkel als die Palette. Diese ver-
fügt über grössere Saftigkeit und Kraft der Tiefen
und mehr Energie der Lichter, die noch durch Contrast-
Avirkung der Avarmen und kalten Töne und durch
Farbencombination erhöht Averden. Aber Avas die Palette
an Intensität und Farbe voran hat, ersetzt der Griffel
durch die Unbeschränktheit der künstlerischen Dar-
stellbarkeit von licht und Schatten. Er kann direktes
Licht und direkte Dunkelheit — Sonne, Nacht —
darstellen, die Malerei nur Reflexlichter und Schatten
im Contrast mit jenen. Der Reif z. B., der in der
Zeichnung die .Sonne verkörpert, genügt A'öllig, um
uns deren Wesen und Wirken empfinden zu machen,
ebenso kann die Nacht mittelst Aveniger Andeutungen,
mit geringsten Contour- und Tonmitteln zum Aus-
i
Id.
71
— j8
ο
druck gebracht Averdeti. Es beruht dies ebeii auf
jenem erwähnten poetisirenden Charakter der Zeich-
nung, die die Dinge nicht um der Erscheinung willen
und in ihren gegenseitigen sichtbaren, formgemässen
\^erhältnissen und Wirken giebt, als vielmehr um
die eng mit ihnen verknüpften Ideen in dem Be-
schauer wachzurufen. Es sollen durch charakteristische
Verbindung der Umstände bestimmte, vom Künstler
beabsichtigte Ideenassociationen herbeigeführt werden.
So braucht der Reif nicht nur das IJcht oder die
Sonne darzustellen, je nach seiner Verknüpfung be-
deutet er Freiheit, Wärme, Raum. Der Künstler be-
dient sich seiner völlig· als Dichter, nicht mehr als
Maler, dem ebenso die dunkle Nacht als ^'öllig con-
trastlos undarstellbar ist, will er nicht die Allegorie
zur Hülfe nehmen. P^ür den Zeichner ist selbst dies
nicht nöthig. Für ihn hat die Nacht noch die anderen
künstlerischen vSeiteii als Ruhe, Schlaf und andere
charakteristische Zeichen, Dunkelheit ist nur eine
ihrer Seiten. Eine in einem gleichmässig unmodelhrten
Ton, allerdings mit allem Ausdruck der Ruhe, des
Schlafes, gelegte Figur giebt uns den Eindruck der
Nacht ausreichend. A\"ie der Dichter, kann der Zeichner
das Leben, die Form noch da zeigen, wo er es nicht
mehr sehen kann.
J^er Jvunstgriff" Rembrandt's, im \Ollen Licht
stehende Figuren kaum mehr als leicht umschrieben,
einem voll und tief modellirten Hintergrund, einen
Schattentheil mit durchgearbeiteten Fig'uren und
detaillirtester Umgebung entgegenzustellen, giebt eine
Lichtwirkung, die der Aialerei immer verschlossen
bleibt. Wir empfangen den Eindruck des leuchtenden
Sonnenscheins. Ist aber wegen der Lhigleichheit der
Durchführung Rembrandt's Blatt weniger fertig? Ist
diese, leichte, gleitende Behandlung des beleuchteten
■ü
-ocr page 28-— 29 —
Theiles nicht \'ielm(?hr eine i:,^eistvolle Tnterprotation
des I.ichtes ?
A'^ollständig durchgebildete, bis auf die kleinsten
Details modellirte Fig-uren gegen eine nur mit leisestem
Contouren angedeutete und doch deutliche I.andschaft,
ohne Spur einer Luftmodellirung, ist eine der meist
angewendeten Arten, Personen schlagend charak-
teristisch hinzustellen, A¥as gemalt nothΛΛ'endig die
Landschaft zu einem Stimmungsbilde machen λΛ-'ürde,
fügt in der Zeichnung der Person nur Zug um Zug zu.
Eine Reihe anderer technischer Eigenthümlich-
keiten bekräftig-en noch Aveiter das ideelle AVesen der
Zeichnung·. Es sind hauptsächlich: die reine Contour,
die ^iiöglichkeit, ohne deiinirten Hintergrund zu arbeiten,
das leichte A^erschmelzen mit Ornamentik und das Zu-
sammenarbeiten aller dieser Ereiheiten. Keine einzige
davon ist der Malerei gestattet. Die h^irbe legt dem
Künstler die Bedingung auf, dass jeder Punkt im
Bilde als Eorm und Stoif definirt sei, selbst da, wo die
einzelnen Formen und Theile ineinander verschwimmen.
Die Tendenz dieser angeführten Freiheiten ist, die der
Idee oder Handlung dienenden (rlieder so zu isoliren
und derart in Rapport zu setzen, dass der (iedanke, so
unberührt wie möglich von Neben umständen, intensiv
zum Ausdruck kommt.
Die Contour, die älteste Zeichnung'sform, über-
haupt vielleicht die älteste F^orm der bildenden Künste,
betont die Handlung; derselbe \"organg gemalt, die
Geste. Die oft angewendeten leichten Tonmodellir-
ungen accentuiren nur den Rythmus der Gruppen
und sind für die Körperformen selbst von geringer
Bedeutung. Eben Aveil die Contour die Handlung,
das „Wie" eines \"organges concentrirt, sehen Avir sie
meist in Massen- und Gruppencompositionen ange-
Avendet. Die Handlung erhält durch die zahlreichen
Figuren ebensoviel Reflexe und kann sich daher
30
leicliter steigern lassen. Die Gleichmässigkeit der
Wirkung aller Theile unterscheidet die Contourscenen
von Bildern gleicher Tendenz, die nothwendig einen
Mittelpunkt haben müssen. Derselbe ist im Ausdruck
der llauptperson geg-eben, aus der allein wir schon
auf den (liarakter der Handlung schliessen. Diese
C'oneentration legt dem Maler die grösste Sorgfalt in
der Wahl der Nebengruppen auf. Der Zeichner kann
sicli in ganzer Behaglichkeit und Breite ergehen.
Olmehin ladet die Contourzeichnung zu cyklischen Com-
]50sitionen ein — siehe Flaxmann, Carstens, Genelli —
setzt also seitens des Künstlers eine Fülle phantasie-
reielier und bezeichnender Tiinfälle und Nebenumstände
\oraus.
Wie sehr sich die Contour zur Darstellung von
Kvtlimus und Bewegung eignet, und dadurch Hand-
lung auszudrücken im Stande ist, sehen Avir z. B. an
ägyptischen Contouren storchähnlicher VogelgTuppen.
Diesi^lben wirken bei simpelster Umrisszeichnung so
lächerlich lebendig, dass man auf den ersten Blick
wirklich eine Bewegung zu sehen glaubt. Vergleichen
wir si(^ mit KunstAverken der Japaner, die gleichfalls
in ihren Lacken und Emails eine grosse Vorliebe für
d(M-artigi^ Vögel haben, so werden wir trotz ihrer \'iel
N'ollenderen Formenkenntniss, ihres kühneren Rythmus'
einen \ iel ruhigeren Eindruck erhalten. Der geringste
Karbenzusatz, die einfachste Modellirung würde den
lebhaften liindruck, A\'ürde die Drastik der Be\vegung
sofort auflieben. Es Avürde dadurch dem Auge der
l'^eberblick der Masse erleichtert, eine gewisse Ruhe
und Gleichmässigkeit hervorgebracht werden und der
Reiz der ßeAvegung wäre aufgehoben, der eben auf
dem Zugleich- und Durcheinanderwirken aller Körper
und J.inien beruht.
Die Vasenbilder der Griechen und Römer, sowid
der Etrusker — jener höchsten Meister der Contour
\
_
-ocr page 30-— 31
— bilden einen Beleg für die Trennung der Aesthetik
in Zeichnung und Plastik, denn wenig· genug
existirt an Malereien. Jedenfalls finden wir nur an
BildAverken spätester romanischer Epochen A'ergleiche
mit jenen Compositionen auf (refässen. Die fratzenhaften
Körperumbildungen, derbsinnlichen Ungeheuerlich-
keiten und die ausgesprochene \\)rliebe für stärkste
BeAvegungen stehen im merkwürdigen Contrast zu der
wunderbaren Creschlossenheit und Ruhe der gleich-
zeitigen Bildwerke. Es ist auch nicht einzuwenden,
dass es sich hier um ΊIcmdwerkserzeugnisse handle;
bei aller Skizzenhaftigkeit sind diese Arbeiten Kunst-
werke im besten Sinn. Ich sehe in ihnen eine
Aeusserung des antiken Genius, der verschiedene
Materiale mit dem diesen inneΛvohnenden verschiedenen
zweck- und sinnentsprechendem Geiste behandelte.
Dort für grosse Zwecke, grosse Formen und eine nie
fehlgreifende Durchbildung der Erscheinung, hier im
kleineren Leben Fülle \-on Sinnliclikeit, Λ^^itz und
l.ebensbchagen in knappester Formenandeutung· der
Contour.
Den Λ^Μ-such, die Aesthetik der Zeichnung rein
für die Mcderei anzuAvenden, hat die deutsche Kunst
im IMittel dieses Jahrhunderts leider gemacht. Ihm
fällt ein gutes Stück der VerantAvortung jenes Mangels
an FormenAerständniss zu l^ei vmserem heutigen
Publikum, Avelches immer noch einen geAvissen Hang tf, ,
Lith
I
Ιλ^ t
7.
U
zu jener „Tradition" hat. Dieser A'ersuch \\'ar nur
auch möglich bei einem Volke, welches so tiefen Hang
zum Poetisiren hat wie unseres. Ihm Avar besonders
günstiger Boden bereitet worden dadurcli, dass unser
ganzes künstlerisches Emporringen am Ende des
vorigen imd Anfang dieses Jahrhunderts nicht durch
Künstler, sondern durch Dichter und Schriftsteller her-
vorgerufen wurde. Diese besassen zu wenig Kenntniss
von den praktischen Nothwendigkeiten der Kunst, um
,1 .....
--—
nicht deren zu einfache Grundlagen zu unterschätzen
und zu von den bedeutenden und dadurch ver-
führerischen Zielen ihres Berufs in ihre Kunsttheorien
zu bringen.
Licht, Farbe und Form sind unbedingt der einzige
Boden, von dem aus sich jedes Bild, jede Raum-
ausschmückung entAA'ickeln soll. EtAvas davon auf-
geben, heisst Alles aufgeben. Und so sind in jenen
Arbeiten meist nur u'Vbstracta erreicht, vor denen der
Künstler mehr verwundernd als bewundernd stehen
kann. Fs ist ein Irrthum, zu sag'en: „hätte Cornelius
malen können" etc. Dies ist eine Voraussetzung, die
mit dem λόπ ihm \^3rhandenen nicht mehr rechnen
lässt. Fr hätte dann jene Cartons nicht gemacht,
sondern überhaupt anders componirt und geschaffen.
Der Farl^e will so gut vorgedacht und vorgearbeitet
sein wie der l-'^orm, und mit einer blossen Colorirung
seiner Schöpfungen wäre ebensowenig en'eicht worden,
Avie z. B. in den insipiden Farbenzusammenstellungen
Kaulbach's. lir concentrirte sein Talent auf Rythmus
und Fantasie, durch Farbe und Modellirung Aväre die
nicht zu leugnende Kunst seiner Darstellungen jedoch
nur gebrochen Avorden.
Ich mochte den Vorschlag machen, Cornelius'
Cartons in kleinem Maassstab, etAva 40 zu 60 cm,
genau so reproducireu zu lassen, wie sie gezeichnet
sind. Die Blätter Avürden an (Irösse der Wirkung
den Cartons nicht nachstehen. Das was bis jetzt an
Nachbildungen existirt, ist durch den Stich so ge-
schönt, dass es zum Theil dem Geiste seiner Ar-
beiten zuwiderläuft, denn er ist nichts weniger
als glatt.
mtum
-S. >
. -t
Fin formloser Ton als Hintergrund ist in der
Malerei nur unter sehr bedingten Umständen zulässig.
— 33 ~
Bei der farbigen Darstellung muss eben jeder Punkt
im Bilde definirt sein. Die Befreiung von dieser Noth-
wendigkeit ist für die Zeichnung ein grosses Hilfs-
mittel für die ideellen Zwecke. Ein solcher Ton bildet
die Folie für psychologische ISiomente, wie sie Goya
z. B. mit barbarisch grossartiger Nacktheit behandelt.
Vor einen Ton, der kaum sich abstuft, mit Avenig
Stricten, die coulissenhaft leicht, nur den Raum all-
gemein andeuten, nagelt er Avie einen Schmetterling den
Aienschen fest, meist im Momente seiner Thorheit,
seiner Schlechtigkeit. Ein dämonischer Ha,ss, eine un-
gezügelt leidenschaftliche Kritik, die nur ihr Objekt
im Auge hat, für Alles andere blind ist, spricht aus
seinen Blättern auf uns ein. Das geringste Mehr der
Umgebung würde seine Schärfe mildern, seine
Leidenschaft absurd machen und ihr die Grösse nehmen,
sein Entsetzen über die Abgründe menschlicher Natur
auf ein berechnendes Hinstellen eines bestimmten
Falles herabsetzen. So frei hingestellt Avird der \'or-
\"organg zu einem bezeichnenden Moment für das
(.xeschlecht. Der fast leere Hintergrund ist die ganze
AVeit.
Dieser leidenschaftlichen Art, die Menschheit in
ihren AA^echselnden Formen zu beleuchten, aus der aber
doch ein Bewusstsein des Guten, ein Schimmer von
Hoffnungen hervorleuchtet, steht eine andere gegen-
über, Avelche enttäuscht oder überzeugt vom Werth
der Personen, in objektiver Ruhe sie mit einem Kranz
Λ'οη Lorbeeren oder Pasquillen schmückt. Ich meine
jene Portraits, jene Charakterfiguren, um die sich frei
anschliessend eine ornamentale Würdigung ihrer Persön-
lichkeit schlingt. Diese \^erschnielzung der Realität,
(die sich überdies keinesAveges auf einzelne Figuren
beschränkt, sondern auf Handlungen, Gruppen aus-
zudehnen ist) mit mehr oder Aveniger Allegorie in
Form frei behandelter Ornamentik, zeigt noch augen-
3
-ocr page 33-*
— 34
fälliger Avie die vorerwähnte Art, das Streben der
Zeichnung, über die eigentliche Darstellung hinaus
uns zu beschäftigen. Meisterwerke dieser Art schut
uns Menzel in seinen Portraits, z. B. Machiavel, der
Pompadour u. A. m., ebenso auch Schwind und
L. Richter in einzelnen Blättern. Wie in dem einen
Fcille der Künstler die Durchbildung der Form A'er-
lässt imi mit ganzer Kraft sich dem Herausarbeiten
der einen llandlung hinzugeben, so sehen Λ^■ir ihn mit
sorgfältiger "Wahl den durchgearbeiteten Mittelpunkt
der Arbeit mit geistreichen Seitenbemerkungen um-
geben, in beiden Fällen uns über die eigentliche Dar-
stellung hinaus zu lietrachtungen zu reizen.
Es scheint mir hier eine Bemerkung am Platze
über die verschiedene Wirkung* gleichartiger (xegen-
stände als Bild und als Zeichnung- dargestellt. Aus
einer mit Avenig^en iMitteln gezeichneten Portraitskizze
schliessen wir zuerst auf den Charakter des I^ortraitirten.
Bei einem mit geringsten Mitteln gemalten Portrait,
schliessen wir aus der Qualität der so raschgeschaffenen
l'^^rm auf die Bildungskraft des Künstlers.
Alle Künstler der Zeichnung entwickeln in ihren
AVerken einen auffallenden Zug \^on Ironie, Satyre,
Carricatur. Mit Vorliebe heben sie die .Schwächen
der vScharfe, Harte, Schlechte herxor. Aus ihren
AVerken bricht fast überall als (rrundton hervor: so
sollte die Welt nicht sein! Sie üben also Kritik mit
ihrem Griffel. Schärfer kann der (legensatz zwischen
dem Maler imd Zeichner nicht ausgesprochen Averden.
Jener bildet Form, Ausdruck, Farbe nach in rein ob-
jektiver Weise, also nicht eigentlich kritisch, er ver-
schönert lieber. Dies ist nun auch eine Kritik, doch
keine negierende. Sie sagt: so sollte es sein! oder: so
ist es! Denn seinem Geiste schwebt doch schliesslich
ein geistig, ja fast auch praktisch, erreichbares Urbild
der von ihm erkannten Schönheit \or. Der Zeichner
ü
α
i!
I
Α = , ·
-ocr page 34-— . 35 --
dagegen, steht vor den ewig unausfüllbaren Lücken,
zwischen unseren AVollen und Können, dem Ersehnten
und dem Erreichbaren, und es bleibt ihm nichts als
ein persönliches Abfinden mit der AVeit unvereinbarer
Kräfte. Aus den Werken des Einen spricht der
Optimismus, der Genuss der Welt, des Auges. Unter
dem Drucke der A^ergleiche, des Schauens über die
Formen hinaus, kann sich der Andere des verneinen-
den Betrachtens nicht entziehen. Das Arbeitsmaterial
eines jeden entspricht genau seiner geistigen Be-
stimmung.
In diesen Betrachtungen dürfte Arielen das Ge-
wicht auffallen, Λvelches ich auf die Gegensätzlichkeit,-
Λveniger zwischen jMalerei und Zeichnung ^ lege, als
stillschweigend zAvischen Zeichnung und Zeichnung, zu
legen scheine. An der Hand einer umfangreichen
Reihe von AVerken aller Zeiten und aller Aleister der
Zeichnung·, in denen die Principien der Malerei in
nichts verlassen worden sind, die den Stempel der
höchsten künstlerischen Yollendimg tragen, kann der
Kritiker sagen, dass die Λ'οη mir beregte Trennung
eine Avillkürliche oder übertriebene sei. Meine Er-
örterungen AA^enden sich aber auch nicht gegen solche
Werke, sondern sie treten für jene anderen künst-
lerisch so hochbedeutenden, für das AVesen der Zeich-
nung so charaktcrischen ein, gegenüber denen die
Kritik zAvcifelnd und ausschliessend sich verhält, weil
sie nicht den Standpunkt der Aesthetik der Malerei
verlassen mag·. Ein tieferes Eingehen in die ange-
regte jMalerei wird mehr, als rein theoretische Folgen
haben. Auf dem »Standpunkte stehend, dass jedem
Aiaterial nicht nur seine besondere technische Behänd-
wmmmmm,
wrm
~ 30 -
lung, sondern auch sein eigenes geistiges Recht zu-
kommen muss, wird man eigenthümliche und frucht-
tragende Eindrücke erhalten über das ^Vesen der ein-
zelnen Kunstgebiete, und über unsere heutigen Kunst-
zustände, die so merkwürdig vercjuickt sind.
Bedenkt. man, dass die Zeichnung mit Feder und
Stift u. s. w. — die Avirkliche sogenannte Hand-
zeichnung — eigentlich den Gedanken des ICünstlers
leichter und unmittelbarer zum Ausdruck bringt, als
die erst für den Druck berechnete ^Xrbeit mit dem
Griffel, so liegen die Fragen nahe: ,,Warum haben
die Künstler der Zeiten, die der Anwendung dos
Druckes vorausgingen, die Zeichnung nicht in dem
heutigen Sinne und Masse benutzt?" — und: „Existirte
das Bedürfniss für derartige Darstellungen damals
nicht so stark wie seither?" -
J3as Zeichenmaterial jener Zeiten war dasselbe
Λνϊο unser heutiges, einige Verfeinerungen und Ver-
allgemeinerungen abgerechnet. So rasches, delikates
und geistreiches _i\rbeiten dasselbe gestattet, geht ihm
doch an Kraft und einheitlicher Erscheinung λ^οΙ ab.
Eine gewisse Eintönigkeit und eine mit der Zeit immer
wachsende Stumpfheit ist nicht zu Λ-ermeiden. \''or
allem aber Averden Arbeiten dieser Art — ich sehe
selbstverständlich von den Studien, und den das pro-
jektirte Bild vorhandenen Arbeiten ab und habe
Zeichen werke im Sinne des so gewollten KunstAverkes
im Auge — durch das Verhältniss \·οη Künstler zu
Käufer kostspielig. Der Erfolg entspricht nicht der
aufgewendeten Mühe. Unscheinbar, in den Händen
Einzelner schwer zugänglich, konnte eine solche Auf-
\
Mmi.
-ocr page 36-j^abp in g'lanzliebenden Epochen Avenig- Reiz auf
den Künstler ausüben. Das Material entsprach auch
AA'enig der Farbenfreudigkeit jener Zeiten. Diese gab
den Künstlern reiche Geleg-enheit in Haus, Ivirche,
l^alast, an Reihen λ'οη Wandflächen ihre Phantasien zu
entwickeln. Erst die Möglichkeit, sicher und voll
den Gedanken verarbeiten, zu können, und ihm den
Werth und die Würdigung ^'erschaίϊen, welche die
aufgebotene Arbeitskraft \'erdient, bringt den Künstler
dazu im diätenal zu denken.
Die Erfindung- des Druckens änderte dieses
\"erhältniss. Durch die ermöglichte VerA'ielfältigung-
fiel jener Contrast zwischen Arbeit und Erfolg Aveg.
Das A\'^erk verlor sich nicht mehr in Bibliotheken,
' sondern konnte in seiner Alelheit den allgemeinen
Beifall er^^'arten, wie die gemalte Wandfläche. Kraft-
voller, \'ieltöniger und doch ebenso zart wie die Hand-
zeichnung, bot der Griffel der Individualität soviel
(xelegenheit sich eine selbstständige Ausdrucks weise
zu schaffen, Λvie es nur irgend die Malerei vermag.
Stich und Schnitt und später Radirung und Stein-
druck überlieferten der Initiatife und Erfindungsgabe
ein unendlich A'ielseitiges, ausbildungsfähiges und über-
raschungsreiches Feld.
Der andere Grund, warum die Zeichnung in jenen
Epochen nicht zu einem Avirklich ausgesprochenen
Dasein gelangt, lag in der Auffassung der Kunst
überliaupt. Diese wscr vor Allem eine Kunst.
\^on der Anschauung ausgehend, dass Baukunst,
Malerei, Bildhauerei durchaus mit einander verbunden
1 sein müssen, dass jede einzelne der anderen bedarf
um zur vollen Höhe sich aufschAvingen zu können,
blieb die Hauptaufgabe, das Ideal jener Zeiten die
Ausbildung· des Raumes zum Kunstwerk. Bei diesem
Zusammenwirken findet das Bedürfniss in künstlericher'
1 Form die ^"orgänge der Seele auszusprechen vollste
•1,
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Befriedigung. Und in diesem Bewusstsein wurde
gecirbeitet. Der Bcumieister wusste für den Maler
Flächen und Licht, nachdem Plan und Proportion fest-
gestellt, zu schaffen; für den BildhcUier die ;^weck-
mässigen Plätze nicht durch Zuviel seiner Zuthat un-
möglich zu machen. Ein Jeder, da er wusste wo und
für was er seine ganze Ivraft einzusetzen hatte, unter-
liess es, durch Kleinigkeiten dem Mitwirkenden Raum
und l.uft zu nehmen. Religiöse und Profan-Bauten
boten unendliche Arbeitsfelder — und welcher Künstler,
in dem ein Funke λ'οη Farbenfreude glüht, hätte
zwischen diesen AVänden und jenen unscheinbaren,
unausgebildeten IMaterialen lange gewählt. Es giebt
einen sehr bezeichnenden Umstand für das Bewusst-
sein, mit dem jene Künstler — ich habe allerdings
die (Tlanzepoche der Renaissance im Auge — für ihre
Wandmalereien die tragende Idee in den \"ordergrund
stellten. Sic Hessen es bewusst geschehen, sie!, die in
ihren Tafelbildern jeden Punkt, jede Wirkung· so bis
in's Kleinste abwogen, dass an keiner Stelle zu rütteln
war, sie Hessen INlarc i\nton, dem A^ater des reprodu-
cirenden Stichs, ihren (Truppen, J.andschaften fremden
(icschmacks unterlegen. Und kein (xeringercr als
Rafael ertrug diese Behandlung.
Diu-ch alle grossen Kunstepochen hindurch war
die Farbe das liindende lilement für die drei llaupt-
faktoren, Architektur, Malerei und vSculptiu-, geAvesen.
Umstände der \-erschiedensten Art trugen dazu bei,
dies X^erhältniss zu lockern und es schliesslich auf-
zulösen. Das Zurückgreifen auf die vermeintlicj^ farb-
lose antike Sculptur war der eine der Gründe. Zum
fiirbigen Bildwerk gehört nothwendig eine farbig aus-
gebildete l''mgebung. i\Iit dem \A''egfall der Farbe
gewann es allerdings die .Möglichkeit, an jedem be-
liebigen Punkte seine künstlerische Geschlossenheit zu)
bewahren. Diese Behandlung, nach und nach zum
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Princip erhoben, lockerte den Zusammenhang mit den
Schwesterkünsten. Um dieselbe Zeit begann der
I'ebergang Λ'οη der Tempera- und Firniss-Mcilerei zur
Oeltechnik. Das becμlemere und reichere IViaterial
bildete die \^orliebe für das Staffeleibild heraus, zu
Ungunsten der Frescowandmalerei. Dazu kamen im
Norden die Stürme der Reformation, die durch puri-
tanische Piehandlung der ritualen Räume das Wand-
bild aus seiner festesten und besten l^osition brachten,
und kurz vor jene Zeiten der Wandlungen und
.Auflösung fiel die Erfindung der Druckverfahren. Zu
keinem günstigeren Zeitpunkt konnte diese sich ein-
einstellen als in jenem, wo durch alle Künstler ein
Streben nach [ndi\-idualität ging. Kein besseres
(ieschenk konnte ihnen gemacht werden, als jene
neuen Techniken λ'οη Stich und Schnitt, für die die
neuge()ffnete Bibel Avie g-eschaffen erschien, die sie
Λ'οη den con\'entionell scheinenden Forderungen der
religiösen Kunst frei machte.
\'erfolgen wir von jenen Zeiten ab den l^'ortgang
der Raumbehandlung, so finden wir eine stetig zu-
nehmende X'^erwandlung der stilstrengen i\[onumental-
bilder in Decoration, der freien Phantastik des Orna-
ments in geregelte P\^rmen, der raumbeAvussten Sculptur
in losgelöste Gruppen, (irösste Entfaltung der Kräfte
im Einzehverk begann die Tendenz der Kunst zu
Av erden.
Der farbige Rococc(j fasste noch einmal die Künste
ziisammen. Die Kräfte Avaren aber schon zuviel auf
ein Alleinschaffen gerichtet und nichts Monumentales
Avollte unter den viel zu A'iel originelles suchenden
Händen entstehen. Es bedurfte noch der grossen
Revolution, des falschen Griechenthums und der' in
diesem farblos antikisirenden neuen Kunst, um die
Zersetzung der Gesammtkunst gründlich zu vollenden.
Wir haben nun Baukunst und Bildhauerkunst,
-ocr page 39-Malerei und reproducirende Kunst, dazu noch deco-
rative und Fachkünste. Der grosse, gesammelte Aus-
druck unserer Lebensanschauung fehlt uns. Wir haben
Künste, keine Kunst.
^iit historischen Genrebildern und Illustrationen
schmücken wir unsere Staatsgebäude, mit ]\Ionumental-
Allegorien unsere Cafe's. Der J:iaumeister drückt
durch Leisten, Panele, Halbpfeiler, aller Epochen und
vStilarten, durch Stuck an allen Ecken und Enden den
]\laler zum A^eduten- und 'l'eppichkünstler herab, und,
der Maler vergilt es ihm mit dem FarbenselbstZA\^eck-
bau: dem Panorama.
AVir können keiner Kunsterscheinung irgend-
welcher Art nahetreten, ohne uns daraus zum 1 laus-
gebrauch das Nöthigste zusammenzustehlen. Der
Lemzknecht ist kaum im japanischen Topf verschwunden,
vom Renaissancemöbel Avird der Rococcopuder ab-
gestäubt. Und in dieser A^erwirrung schreien Avir
nach Stil!
i ί
Der Kern- und Mittelpunkt aller Kunst, an den
sich alle Beziehungen knüpfen, von dem sich die Künste
in der weitesten EntAvicklung loslösen, bleibt der
Mensch und der menschliche Körper.
Es ist die Darstellung des menschlichen Körpers,
die allein die Grundlage einer gesunden .Stilbildung
geben kann. Alles, avcIS künstlerisch geschaifen wird,
ίΐΊ Plastik Avie Kunstgewerbe, in Malerei wie Baukunst,
hat in jedem Theil engsten Bezug zum menschlichen
Körper. Die I^^orm der 'I^assen, Avie die Bildung des
Kapitals stehen jedes in Proportion zum menschlischen
Körper. Auf dem Verständniss und der gleichmässigen
Ausbildung dieser\''erhältnisse allein kann eine selbst-
ständige Naturauffassung cntAvickeln. Denn Avie kann
41
ich ein Xebending charakterislisch vereinfach't dar-
stellen, Avenn ich die Hauptsache, auf die es Bezug
hat, nicht charakteristisch zu formen weiss. AA^er eine
Hand nicht zu bilden weiss, Avird auch keine Hand-
habe darstellen können, ausgenommen, er stiehlt sie
anderswoher. Und so leben wir heutzutage in jeder
Kunst auf Raub. Das Studium und die Darstellung
des Nackten sind das Α und das Ο jeden vStiles. AVir
sehen in jedem aufstrebenden Stil die strengste, auf-
richtigste Behandlung und Darstellung des Nackten,
das der Zerfall mit Zierath, mit Nebenwerken und
Effekten überwuchern lässt. — Wie stehen wir in
dieser Beziehung unseren Monumentalaufgaben gegen-
über? Allegorien, Kostüme und Fahnen, Helme und
AVaffen, die so lächerlich anspruchsvolle und doch
leere historische und archäologische Treue, ein die wir
bis zur Naivität glauben, verschwemmen jede gesunde
Darstellung dessen, was doch den Kernpunkt aller
Darstellung ausmacht: den Menschen.
Und hier ist die Fragte, ob die Prüderie die
vSchneiderei, oder diese jene grossgezogen hat. Denn
es kann für Jeden, der dem höchsten zu Leistenden,
dem menschlichen K()rper, aufrichtig gegenübertritt,
keine Frage sein, dass der ganze integere Körper
ohne Lappen, ohne Fetzen die Avichtigste A''orbedingung
einer künstlerischen Körperentwicklung ist. Es soll
damit nicht gesagt sein, dass ohne Sinn und \^erstand,
ohne AVahl und Nothwendigkeit das Nackte überall
beim Haar herbeigezogen werden müsse. Aber dass
es da, wo es logisch nothwendig ist, ohne falsche
Scham, ohne drückende Rücksicht auf gewollte und
gesuchte Blödigkeit ganz und voll gegeben Averden
darf, muss gefordert Λverden.
Zu Avelchen Verirrungen und Inconsequenzen
die laufende Auffassung führt, ist für den unbefangen
Beobachtenden überraschend und demüthigend. In
JL
42
den Ausstellungen darf die schamloseste halbent-
kleidete Speculation auf die Sinnlichkeit sich unge-
hindert breit machen, bei Monvunentahverken aber Avird
auf Anbringung gedrungen — für den gesund Den-
kenden obscöner — l.appen und FlickAverk, Avelche
weder so sein können noch so sein ,dürfen. Uns Averden
von Jugend auf die Grösse und Schönheit der antiken
und mittelalterlichen Kunst als Ideale aufgestellt, wir
bewundern in Deutschland glücklicherweise auch un-
\'erstümmelt in unseren Museen deren A¥erkc, dennoch
wird durch die A^erpönung der Darstellung und Aus-
stellung des Nackten, in unseren Werken das energische
vStudium völlig lahm gelegt. AVir Averden durch Er-
ziehung und Vorbilder zugleich auf ein grosses Ziel ge-
Aviesen und in der Praxis des Berufes davon zurückge-
halten. EntAveder sind die gerühmten IVIeister falsche
Ideale, oder wir sind nicht reif genug ihre Schüler zu
sein. Nur die Möglichkeit, das ganz und gross
(jrefühlte auch voll äussern zu können, bewegt uns zum
Studium, zur Ausführung. W^as ich dem Publikum
nicht zeigen darf, hätte ich sonst keinen Grund zu
leisten.
P's ist dies Aveder eine lächerliche noch gering-
fügige Forderung, die Forderung des Nackten. Aber
eine schlechte Concession ist es an eine falsche Em-
pfindlichkeit, wenn das Publikum geradezu genöthigt
Avird, beim nackten Körper - dem Schönsten, A\'as
Avir überhaupt uns \Orstellen können — jeder Zeit
und jedes Orts an das Geschlecht zu denken. Die
sichere Aufstellung einer schlanken und schweren
Masse auf doppelten, dreifach flexiblen Grundlagen
wäre für die Mechanik ein scliAvieriges Problem.
Dasselbe wird bei unserem Körper noch erschAvert
durch den hochgelegenen Schwerpunkt der getragenen
Masse und dessen in ziemlichem Spielraum sehr er-
leichterte Verlegbarkeit. Dass die schAvierigsten
Ι.3Λ '
43. —
Punkte der Konstruktion in den \^erbindung'en der
Träger mit (xetragenen liegen müssen, ist einleuchtend.
So spiegelt sich jede wesentliche Veränderung der
oberen an den unteren Theilen, die der BeAvegung
erst Sicherheit verschaifen. Alle diese wichtigsten
Konstruktions- und Bewegungs-Fragen des mensch-
lichen JCörpers finden ihre l.ösung im Becken und
zAvischen dessen hervorragenden Punkten. Wie die
Konstruktion jedes individuellen Körpers selbst, ob
schlank ob breit, ob kräftig ob fein, so spiegelt sich
auch jede Beweg^ung an jenen Stellen. Die Avunder-
bare Kompliciertheit des ^Mechanismus bietet unter
scheinbarer Einfachheit verborgen, die schönsten Flächen-
und Formenkombinationen, λ'οη ihrer künstlerischen
Lösung ist die Darstellung der menschlichen Gestalt
überhaupt erst möglich, (ierade diese Stellen, die für
die Arbeit des Künstlers, wie für das \^erständniss
des F^eschauers λ'οη höchster Wichtigkeit sind, deren
K onstruktion den menschlichen vom thierischen Orga-
nismus unterscheidet, deren vollendete Lösung dem
KunstAverke Feinheit und Klarheit verleiht, sollen v.'ir
mit den unsinnigsten Lappen verdecken. Wie aber
soll sich ein Künstler zu solcher Zeit und Geld kosten-
den Arbeit Avagen, Avenn er weiss, dass nach ge-
lungener .\rbeit er es bei sich behalten muss,
höchstens zum Genuss für intime Freunde? Betrachten
wir die Werke der besten Meister, so finden wir, be-
sonders bei der Antike, schlagende Beweise für das
Gesagte. Sie Avaren jMeister des Gewandes, weil sie
Meister der Körperformen waren. Wie haben sie
nun das Gewand im A'erhältniss zum Körper be-
handelt? Ihre gTossartigsten Schöpfungen tragen fast
alle Gewänder oder Gewandstücke: FZine Anzahl der
Niobiden, Laokoon, \^enus ]\lilo, Apoll vom Belvedere,
Harmodios und Aristogiton und Iphigenie mit Orest
in Neapel, um nur einige anzuführen. AVie tragen
liili
ΗΗγ-
mim
~ Vi
— 44 —
diese riiin das Gewand? Dasselbe lässt absichtlicli
den Torso imbedeckt. Die EntAvicklung· seiner Formen
entweder von der einen Schulter zu den Knieen, oder
des ganzen Oberkörpers von der Mitte der Ober-
schenkel ab, zeigt frei die ganze Körperschönheit.
Das Gewand bedeckt nur solche Theile, die am Körper
gedoppelt sind, so dass die so wichtigsten Konstruktions-
punkte dem Beschauer keinen ZAveifel über die Be-
Avegung und die Lösung der Körperentwickelung lasse-n.
T')asselbe können wir an ihren Friesen (man denke
z. B. an den Pergamenerfries) beobachten, avo aus Ge-
AA'andgruppen der herrlichsten Schönheit mit Fleiss
die nackten Körper in allen Lagen, in ihrer ganzen
Einheit und Ruhe hervorleuchten. Aehnliches finden
Avir in den A¥erken der Frührenaissance des Signorelli,
des Michel Angelo und Raphaels, die erst durch ver-
dorbene spätere Jahrhunderte A^erstümmelt Avorden
sind. Waren die Zeitgenossen jener Bildwerke, die
diese Darstellung zu ertragen AA'ussten, demoralisiert?
AVaren die Künstler, um A'on einem AVindchen nicht
einen Zipfel des GeAvandes über jene Blössen führen
zu lassen, zu unmoralisch, zu unerfinderisch oder zu
gross denkend?
Der Schurz, der AviderAvärtig künstliche Lappen,
oder gar das unglaubliche Feigenblatt, mit dem Avir
unsere, eben ihretAvegen meist schlecht concipirten,
Körper bedecken müssen, zerreissen die Einheit des-
selben in einen Torso und in zAvei einzelne Beine.
Es gehört die ganze Inkonsequenz unserer geistigen,
künstlerischen Erziehung dazu, solche armselige
Scheusslichkeit nicht als beleidigend zu fühlen.
Leider müssen wir uns gestehen, dass in allen
heutigen Kunstrichtungen die Darstellung des mensch-
lichen Körpers in den Flintergrund tritt, dass über
NoA^ellistik,,. über die historische, die archäologische
^l· -- Μ
: k*'
mim
— 45 ~
Zuthat und die sogenannten socialen Tendenzen jene
P^orderung" selbst vernachlässigt wird.
AVir haben täglich Gelegenheit, in allen Kunst-
schriften über die Stillosigkeit unserer Zeit Klagen zu
lesen, wir sind, in Architektur, in Plastik und jNfalerei
abhängig λ'οη anderen früheren todten Richtungexi
und selbst neue, grosse Mittel wie die Eisenkonstruk-
tion in Architektur, und die zweifelohne erweiterte
Ausdehnung für Licht und Farbe in der INIalerei
reichen nicht zur Bildung eines Stiles aus. In diesen
Xeustoffen müsste trotzdem das genügende Alaterial
zu einer Stilbildung liegen.
Um zu einer solchen zu gelangen sind die merk-
Avürdigsten \"ersuche gemacht worden, Alan hat ge-
g-laubt, es müsse die Technik erneuert werden, und
wir haben dem zu Folge durch die ganze Afalerwelt
einen Drang mit doch nur theilweisen Erfolgen,
solidere Alittel zu finden, gehen sehen. Es ist be-
hauptet worden, dass es an der Erziehung und Bildung
des Publikums läge, und man hat das Möglichste in
Aluseen und durch Publikationen gethan, das künst-
lerische Interesse desselben zu erregen, und sein Urtheil
zu bilden. Aber man hat nur todtes Material, verlebte
Stile, sei es Renaissance oder Griechthum wieder
herbeigeholt. Man hat sich über die Kritik herge-
macht und von Laien und Künstlern sind die ab-
surdesten gegenseitigen \"orwürfe in Artikel und
Broschüre erschienen — allein das AVesentliche hat
man übersehen.
Man überblicke die Stilarten aller Zeit und man
wird ohne AVeiteres erkennen, dass jede selbstbewusst
auftretende Kunstepoche den menschlichen Körper
auf ihre AVeise aufzufassen und zu bilden wusste.
iVegypter oder Grieche, Japanese oder Renaissance-
künstler haben jeder die einfache menschliche Form,
die sich doch seit Jahrtausenden gleichgeblieben ist,
46
deren Racenunterschiede so gering in Bezug auf
.Form sind, dass sie durch Aiaasse nur in minimalster
Weise auszudrücken sind, präcis und selbstständig
aufzufassen gewusst. ]tine jede Epoche hat davon
ihre eigene, ΛΌη allen anderen \'erschiedene Auffassung
gegeben, so dass das allen gleiche A'^orbild doch für
jeder Zeit als eigene Person und Charakter auftritt.
Diese Körperanschauung ist nicht die Folg-e des
Stiles, sondern umgekehrt der Stil ist die Folge der
Anschauung.
Nur am frei gegebenen Körper entwickelt sich
ein gesunder Kunstsinn. Wollen wir diesen und ge-
sunden Stil, so müssen wir gesunden Sinn genug haben,
das Nackte nicht nur zu ertragen, sondern es sehen
und schätzen lernen. Die Avunderbare Einfachheit
des menschlichen Körpers erduldet im Kunstwerke
keine Künstelei, sie zwingt den Künstler zur Einfachheit,
zum Aufgeben d(M- kleinlichen Nebensachen und be-
reitet den ersten .Schritt zu einem eigeneMi Stil
vor. In der Weise, wie wir heut(^ zu arbeiten ge-
n()thigt sind, hält sich die schlcchte Bernini'sche Körper-
auffassung, in der die neuesten heutigen Künstler
tief aber unbewusst stecken oder lässt sie nicht über
eine flache und falsche Antikisirung nach schlechten
AIu.stern hinauskommen. Denn nur wer ganz frei A'or
dem menschlichen K("'>ri)er gestanden und gearbeitet
hat, kann die Jlöhe der Leistung anderer Stilepochen
empiinden, deren \"orstellungsweise in eine F'orm
gepresst ist, die Zug um Zug, ohne die Xatur zu ver-
las.sen, ohne sie kleinlich zu beschnüffeln, sich neben
die Entwicklung ihrer Zeit .stellen kann, sich mit ihrer
Höhe misst, ihre unverkennbare, unantastbare \^er-
körperung im sichtbaren Menschen!
m
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iu',
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