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ALLGEMEINEE

ANTHROPOGMPfflSCHER ATLAS.

EIKE SAMMLUNG

VON VIER KARTEN,

WELCHE DIE GRUNDLINIEN DER, AUF DAS MENSCHEN-LEBEN BEZÜGLICHEN ERSCHEINUN-
GEN NACH GEOGRAPHISCHER VERBREITUNG UND VERTHEILUNG ABBILDEN UND

VERSINNLICHEN.

VON

D» HEINRICH BERGHAUS.

VERLAG VON JUSTUS PERTHES IN GOTHA.

1852.

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VORBEMERKUNGEN

ZUR

SIEBENTEN ABTHEILUIVG.

ANTHROPOGRAPHIE.

Diesem wichtigen Abschnitt der allgemeinen Erd-
beschreibung sind nur vier Blätter gewidmet wor-
den, deren Bearbeitung dem Jahre 1847, und ihre
Durchsicht, behufs der zweiten Auflage, dem Mo-
nat Februar 1851 angehört.

Ungern beschränkt' ich den reichhaltigen Stoif,
der so viele Seiten der Anschauung für die graphi-
sche Darstellung gewährt, auf diese geringe Zahl;
und nur dem, von einer Seite mehrfach ausgespro-
chenen "Wunsche, den Physikalischen Atlas nicht zu

sehr in die _ „Breite" zu ziehen, _ wie man es

genannt hat, hab' ich, obwol mit innerem Wider-
streben, nachgegeben; sodann aber auch dem eignen
Verlangen, eine Arbeit zu Ende zu führen, welche,
ohne die Studien und Vorarbeiten einer früheren
Vergangenheit in Eechnung zu bringen, meine Thä-
tigkeit seit dem Jahre 1836, also fünfzehn Jahre
lang fast ausschliesslich in Anspruch genommen hat.

Das ist ein_hübscher Zeitraum, insonderheit wenn

er dem beginnenden Abend des Lebens angehört,
wo sich der Mensch nach Kuhe zu sehnen pflegt.

Von einer andern Seite ist der Wunsch gehegt
worden, dass ich die Zahl der Karten im Physika-
lischen Atlas noch vermehren mögte. Indem diese
Seite nicht ein einziges der gegebenen Blätter für
überflüssig hält, stellt sie sich auf den nämlichen
Standpunkt, auf dem ich bei Bearbeitung des Phy-
sikalischen Atlas von Anfang an gestanden habe
und der mit der Nothwendigkeit zusammenfällt,
die
hildlich darstellbaren Gegenstände der Erdbeschrei-
bung zu trennen und zu sondern,
um Ordnung in
das scheinbare Chaos und Klarheit in die BegriiFe
zu bringen. Diese Nothwendigkeit wird nach einem
halben Jahrhundert von dem dann lebenden Ge-
schlecht noch mehr erkannt werden, als es schon
jetzt der Fall istj sie wird zum allgemeinen Be-
wustsein geworden sein und
gewisse, durch Kopirma-
schinen
entstandene Atlanten reinigen und saübern von
dem Ballast, der ihnen, in neuester Zeit, aber von
Leüten aufgezwungen worden ist, die von dem We-
sen und der Bestimmung der Karten nur verworrene
Ansichten haben, an denen die Atlanten, meines Er-
achtens, schwer zu tragen haben. Je voller eine Karte,
je mehr Gegenstände sie enthalte, desto brauchbarer

sei sie,_so meinen jene Leüte in ihrem Wahn; und

so ist es gekommen, dass man Karten, namentlich
von asiatischen Ländern, zusammen
^Qzimmert hat,
die ein seltsames Vademecum von naturhistorischen,
geschichtlichen und volkerbeschreibenden Notizen dar-
bieten, während das Eein-Geographische, die Kennt-
niss der Ortslagen, also das
Wesentliche einer jeden
Karte
mehr oder minder ganz verfehlt ist.

Ich wende mich ab von diesem unerquicklichen
Gegenstande, um über jedes der vier Blätter der
anthropographischen Abtheilung ein Paar Worte Be-
hufs ihrer Erklärung und Erlaüterung zu sagen.


N». L Geographische Verbreitung der Menschen-Rassen. _ Übersicht der Nahrungsweise und der
Volksdichtigkeit in den Ackerbauländem; — auch Manches zur Physik des Menschen.

Auf diesem Blatte sind eine Menge wichtiger und
interessanter Thatsachen dargestellt. Darunter neh-
men _
die Menschen-Rassen den grössten Kaum

ein. Ich unterscheide sechs Rassen: Weisse, Gelbe,
Braune, Schwarzbraune, Schwarze und Rothe; öder
Kaukasier, Mongolen, Malayen, Alfurus und Papuas,
Aethiopier oder Neger, und Amerikaner*). Ein Kranz
von Köpfen fasst die Karte ein, um die Hautfarbe
und den Gesichtsschnitt, wie auch die Schädelbil-
dung der verschiedenen Rassen lebhaft zu verge-
genwärtigen. In der Karte sind die Namen der vor-
nehmsten Völker einer jeden Rasse gehörigen Orts
eingetragen. Die geographische Scheidungslinie des
weissen Menschenstammes in Afrika gegen den Ne-
gerstamm, und in Asien gegen die gelbe oder mon-
golische Rasse hat verschiedene Ansichten hervor-
gerufen, namentlich was die Türk-Völker anbelangt,
die, der wohl zu beachtenden Meinung einiger For-
scher zufolge, nach Schädelbildung und Sprachbau
in dem mongolischen Menschenstamme wurzeln, des-
sen Eigenthümlichkeiten nur in dem Osmanen, oder

PHYSIK. ATLAS ABTH. VII.

jenem Zweige der Türken verwischt worden, wel-
cher durch seine, seit Jahrhunderten wirkende Ver-
mengung mit kaukasischen Völkern einen veränder-
ten Typus angenommen hat, sowie in seiner Sprache
durch den Einfluss der Sprache des Koran und der
indisch-europäischen Idiome veredelt worden ist.

In der zweiten, kleineren Karte ist die Nahrungs-
weise
des Menschen nach ihrer geographischen Ver-
theilung dargestellt. Es giebt eine Zone der Pflan-
zenspeisen, zwei Zonen der Pflanzen- und Fleisch-
speisen und eine Zone der Fleischspeisen. Es versteht
sich von selbst, dass hier von allgemeinen Verhält-
nissen und von dem Vorwalten dieser oder jener
Nahrungsweise die Rede ist. In den Ackerbaulän-
dern ist die
Volksdichtigheit angegeben, d. h.: die
Grösse der Bevölkerung auf dem Räume einer Qua-
dratmeile, ein Element der Anthropographie, welches
man bekanntlich auch „relative Bevölkerung" nennt.
Es sind sieben Stufen unterschieden worden, davon
jede um 1000 Individuen der Bevölkerung steigt.
Dass bei der Kleinheit des Maassstabes dieser Karte


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Siebente Abtheilung.

nur auf die allgemeinsten Erscheinungen Rücksicht
genommen werden konnte, leüchtetein; indessen er-
kennt man doch beim ersten Blick, dass die grösste
Volksdichtigkeit im Westen und Osten der Alten
Welt zu finden ist.

Unter dem, was in der Ueberschrift der Karte
Physik des Menschen genannt worden ist, sind fol-
gende Erscheinungen durch graphische Darstellung
versinnlicht worden:

1) Der Gang der Geburten in den Jahreszeiten
und den einzelnen Monaten nach Prozenten der
Volksmenge ausgedrückt, und zwar in der heissen
Zone und in der gemässigten, für welche letztere
Stadt und Land unterschieden sind. Bemerkenswerth
ist es, dass die grösste Zahl der Geburten in der
gemässigten Zone mit der geringsten Zahl im heis-
sen Erdgürtel, der Zeit nach, zusammenfällt, diese
Zeit ist der Februar. Das Maximum der Empfäng-
nisse findet in der heissen Zone im Januar, in der
gemässigten Zone im Mai Statt, eine Erscheinung,
welche offenbar mit klimatischen Zuständen zusam-
menhangt.

2) Der Gang der Sterbefälle, ebenfalls in den Jah-
reszeiten und den Zonen.

3) Geburten und Todesfälle blos in den Zonen,
wobei die gemässigte Zone in Nord-, Mittel- und
Süd-Eüropa zerlegt ist, und für die heisse Zone die
von den Antillen und aus Ostindien bekannt gewor-
denen Thatsachen zum Grunde gelegt sind. Die
Geburten des Menschen steigen vom nördlichen

Eüropa bis zur heissen Zone sehr bedeütend, von
S^'/i bis auf β-Υι Prozent der Volksmenge. Auch die
Sterbefälle nehmen von Norden nach Süden zu, doch
in geringerem Maasse als die Geburten; daher grös-
sere Vermehrung des Menschengeschlechts in der
Richtung nach den Tropen.

4) Höhe des Menschen in den Zonen und Rassen.
Der Mensch ist am grössten in der nördlichen ge-
mässigten, am kleinsten in der kalten Zone; und
den Rassen nach, am grössten in der weissen Rasse,
und zwar im Germanischen Volksstamme, am klein-
sten im Stamme der Eskimos, wenn man die ver-
hütteten Bastarde (?) der Buschmänner an Afrika's
Südende nicht in Betracht zieht.

5) Kraft des Menschen verschiedener Rasse und
der Weissen in verschiedenem Alter. Die Weissen
übertreiFen die Farbigen bedeütend, und am kräftig-
sten ist der Weisse im Alter von 25 bis 40 Jahren.

6) Entwichelung der Körpergrösse und des Ge-
wichts bei beiden Geschlechtern in den verschiede-
nen Lebensaltern, nach dem eüropäischen Menschen
bestimmt; und

7) Lebensfähigkeit in den verschiedenen Lebens-
altern, gleichfalls nach den bekannten Erfahrungen
in Eüropa bestimmt. Die grösste Lebensfähigkeit
hat das männliche Geschlecht im Alter von 10 bis
15 Jahren, gefährdet ist sie zwischen 20 und 25
Jahren, worauf sie wieder steigt bis zum 30. Jahre,
von wo ab sie allmählig abnimmt. Im Leben des
Weibes kommt jene Periode der Gefahr nicht vor.


N°. 2. Planiglob znr geographischen Übersicht der Verbreitung der vornehmsten Krankheiten, denen der
Mensch anf der ganzen Erde ausgesetzt ist.

Ein Versuch, der mehr als jede andere Darstel-
lung im Physikalischen Atlas auf Nachsicht Anspruch
zu machen hat; denn die geographische Verbreitung
der Krankheiten, welche das Leben des Menschen
zu stören und zu vernichten streben, ist ein Feld
der Forschung, das verhältnissmässig nur sehr we-
nig angebaut worden ist. Die Krankheiten, welche
die verschiedenen Zonen charakterisiren, sind in der
Hauptkarte und einer Tabelle nachgewiesen, und bei
jener auch auf die vorzüglichsten Wärme-Linien
und deren Lauf Rücksicht genommen.

Auf Nebenkarten und andern kleinen Tableaux
sind dargestellt:

1) Die Charakter-Krankheiten in Nord-Amerika
und auf den Antillen^ wo namentlich die Verbrei-
tungsbezirke des periodisch wiederkehrenden gelben
Fiebers, und der Pians oder Blattern, jener scheüss-
lichen Krankheit, von der fast ausschliesslich die in
Westindien lebenden Afrikaner heimgesucht werden,
mit ziemlicher Genauigkeit dargestellt werden konnten.

2) Süd-Afrika, dessen Klima als das gesündeste
auf der ganzen Erdfläche bekannt ist. Der Mensch
ist dort den wenigsten Krankheiten unterworfen;
nur für Schwindsüchtige ist das Kapland kein gün-
stiger Aufenthalt.

3) Marschroute der Cholera, der verheerendsten
Krankheit des 19. Jahrhunderts. Der sehr kleine
Maassstab dieses Kärtchens, welches den ganzen
Erdkreis umspannt, gestattete es nur, den Gang
dieser Pest unseres Jahrhunderts blos nach den geo-
graphischen Haupt-Erscheinungen darzustellen. Auf
ihrem Marsche von Ost nach West brach die Cho-
lera im Jahre 1830 an den nördlichen Küsten des

Schwarzen Meeres am 6_10. September aus; in

Berlin langte sie am 31. August und in Grossbri-
tannien im October des folgenden Jahres an. Als
diese Krankheit siebenzehn Jahre später Eüropa
abermals heimsuchte, zeigte sie sich am 5. Juni 1847

in Tiflis, am 16_30. Juli in den Küstenstädten des

Schwarzen Meeres, an dessen Nordseite; am 4. Oc-
tober in Kasan, aber erst neun Monate später, am
16. Juni 1848 in Petersburg, am 15. August in Ber-
lin, und im October in Grossbritannien.

4) Der Irrsinn ist nach seiner geographischen
Verbreitung in Eüropa und nach seiner Vertheilung
in die verschiedenen Lebensalter versinnlicht. Die
Mittel-Eüropäer sind am meisten dem Irsinn ausge-
setzt und er tritt am haüfigsten im Alter von 30
bis 40 Jahren ein.

5) Senkrechte Verbreitung des Kropfs, von Ler-
bach im Harz durch die Thäler der eüropäischen
Alpen hinauf bis zur Hochebene von Villarica in
Brasilien und bis zu dem, an 9000 Fuss hohen Pla-
teau von Santa F0 de Bogota in den Gordilleren
von Neü-Granada.

Zur Linken und Rechten des Haupttitels dieses
Blattes stehen zwei Darstellungen, deren Platz, nach
Analogie ihres Gegenstandes, eigentlich auf No. 1
gewesen wäre. Da aber hier der Raum dazu fehlte,
so wurden sie aufNo. 2 gebracht. Sie betreffen:

6) Die Pubertät und 7) das hohe Alter. Die Pu-
bertät tritt am frühesten in der heissen und in der
kalten Zone ein, nämlich schon im 11. Jahre; in
der gemässigten Zone erst im Alter zwischen 15


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Anthropographie. 3

und 16 Jahren. Die Wahrnehmungen, welche in
verschiedenen Ländern und Orten Eüropa's über
den früheren oder späteren Eintritt der Pubertät
gemacht worden sind, zeigen, dass die südlichen

Länder Spanien und Italien die Mannbarkeit schon
zwischen dem 12. und 13. Jahre, dagegen das nörd-
liche Deutschland (Göttingen) erst nach vollendetem
sechszehnten Jahre reifen.


3. Flaniglob zur Übersicht der verschiedeDen Bekleidungs-Weise der Bewohner des ganzen Erdbodens.

Je nach dem Klima, in welchem der Mensch lebt,
geht er entweder ganz nackt, oder er kleidet sich
in Thierfelle, oder in Zeüge, welche von Thierwolle,
von Baumwolle oder andern PflanzenstoiFen verfer-
tigt sind. Diese Verhältnisse sind auf dem vorlie-
genden Planiglobe zur Anschauung gebracht, wäh-
rend am Fuss der Karte eine Reihe von
fünfzehn
Figuren
einige der hauptsächlichsten Trachten ver-
sinnlicht.

Die Kleidung von Thierwolle nimmt offenbar den
grössten Raum auf der Erde ein; sie erstreckt sich
von den Küsten des Japanischen und Gelben Mee-
res durch ganz Mittelasien und Europa, und jen-
seits des Atlantischen Oceans über einen bedeuten-
den Theil von Nord- und Süd-Amerika, auch über
das afrikanische Kapland. Aber der Menschenmenge
nach ist die Wollenzeügkleidung sehr wahrschein-
lich nicht überwiegend; in dieser Beziehung dürfte
die Kleidung aus Baumwollenzeügen oben an ste-
hen, mit Rücksicht nämlich auf die dichte Bevölke-
rung im mittleren und südlichen China und in Hin-
dustan, wo die Baumwolle, wenn auch nicht den
ausschliesslichen, doch den meisten Stoif zur Klei-
dung liefert. Die Seide spielt in diesen Ländern
auch eine grosse Rolle, vorzugsweise in China, dem
Vaterlande der Seidenwürmerzucht und des Seiden-
baues. Auch Leinwand aus Flachs und Hanf ist in
den Tropen-Ländern ein gesuchterer Artikel zur
Bereitung von Kleidungsstücken,

Andere Pflanzen, die dazu den Stoff hergeben,
sind: der Brodbaum,
Artocarpus incisa, der Papier-
maulbeer-Baum,
Broussonetia papyrifera, verschie-
dene
CorcTionis-, Aletris- und Celtis-Arten, deren
Rinde zu Fasern verarbeitet wird und feine Ge-
flechte liefert. Auch mehrere Arten der Gattungen
Sida, Hibiscus und Malva werden zur Bereitung
von Zeügen verwendet.

Die Kleidung von Thierfellen nimmt scheinbar ein
grosses Gebiet ein; doch ist daran zu erinnern, dass
die Länder der Erde, deren Bewohner diese Be-
kleidungsweise wählen mussten, dem Norden an-
gehören, und die Projection der Karte, mit wach-
senden Breitengraden, die Flächenraüme nicht nach
ihrer wahren Ausdehnung darzustellen vermag.

Völlig nackt geht nur derjenige Mensch, der, auf
der allerniedrigsten Stufe der Kultur, als Wilder,
in den Urwäldern und auf den Gras-Gefilden Süd-
amerika's und in den Einöden und auf den Blach-
feldern Südafrika's und Australien's umherirrt, um
durch den Ertrag der Jagd oder des Fischfangs sein
jammervolles, mehr thierisches als menschliches Da-
sein zu fristen.


N". 4. Verschiedenes zur Anthropographie, enthaltend: Beschäftigangs-Weise, Religion, Regiernngs-
Weise nnd geistige Bildung des Menschen.

Unter dieser Aufschrift sind auf einem Blatte
vier Erdkarten vereinigt, die sich mit der geogra-
phischen Verbreitung des geistigen Lebens des Men-
schen beschäftigen, und _

1) Die BescMftigungs - Weise des Menschen, also
seine Vertheilung in Ackerbauer (oder Sesshafte);
in Hirten (Wanderer oder Nomaden), und in Jäger
und Fischer (Irrende);

2) Die Religionen^ nämlich die christliche, mosai-
sche, mohammedanische, die Religion Brahma's in
Vorderindien und den Buddhaismus im südöstlichen
Asien, so wie die Heiden;

3) Die Regierungs- Weise oder die Eintheilung der
Erde in Monarchien, unbeschränkte und beschränkte,
und in Republiken, darstellen; während es versucht
worden ist,

4) Die geistige Bildung Menschengeschlechts
nach ihren Erscheinungen in den Rassen und nach
den verschiedenen Schattirungen in den einzelnen
Erdraümen zur Anschauung zu bringen.

Die Ackerbau treibenden, daher an feste Wohn-
sitze gebundenen Völker nehmen den grössten Raum
auf der Erde ein, zugleich bilden sie die überwie-
gende Mehrheit im Kreise des Menschengeschlechts.
Mit Ausnahme des höchsten skandinavischen Nor-
dens ist ganz Eüropa von Ackerbauern bewohnt,
eben so der grösste Theil von Westasien, sowie
ganz Südasien, d. i. die indische und chinesische
Welt, welche letztere die höchsten Stufen der land-
wirthschaftlichen Kultur erreicht hat, und darum
selbst den eüropäischen Landwirthen zum Vorbild
dienen kann. In einem rohen Zustande ist der Acker-
bau bei den sesshaften Völkern von Afrika, mit
Ausnahme Aegjrpten's, wo der Anbau des Bodens
zur Erzeügung von Nahrungsmitteln so alt ist, als
das Menschengeschlecht selbst. Als die spanischen

Entdecker und Eroberer von Amerika, _ so Cor-

tez das Tafelland von Mexico, und Pizarro die
Hochebenen der Andes von Quito und Peru erstie-
gen, fanden sie bei den sesshaften Bewohnern die-
ser Plateaux eine wohlgeordnete Landwirthschaft
vor. Eüropäische Einwanderung hat den Boden Nord-
amerika's und Brasiliens etc., wo vor der Entdeckung
der Neüen Welt fast nur Jäger und Fischer haus'ten,
für den Ackerbau gewonnen. Vom Nomaden-Leben
der Hirtenvölker ist der Landbau nicht ganz aus-
geschlossen. In Turan und Arabien, auch Stellen
Weise in der Mongolei und in den Oasen der Sa-
hara wird er betrieben, wo Boden und Klima ihn
begünstigen, ja die Kultur der Dattelpalme,
Phoenix
dactilifera^
bildet in Nordafrika einen nicht unerheb-
lichen Geschäftszweig der Nomaden. Ja selbst ein-
zelne Jäger-Horden Nord-Amerika's treiben etwas
Ackerbau.

Was die geographische Verbreitung der Haupt-
Religions-Systeme anbelangt, so finden wir, dass der
Verbreitungsbezirk der Christen der grösste ist, der
mohammedanische ihm aber wenig nachsteht. Die Bi~


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bei wandert über die ganze Erde; ihre Lehren wer-
den in zahlreichen Missionen in Afrika, in Asien,
in Amerika und auf den Inseln Polynesien's gepre-
digt; indess auch der Koran gegen das Innere von
Süd-Afrika vordringt und nicht müde wird, sich
Anhänger zu verschaiFen. Christen und Buddhaisten
sind der Zahl nach nahe gleich. Letztere haben die
Tafelländer und Küstenlandschaften von Ostasien
inne, wo sich in China Kan fu ze zu Buddha ge-
sellt. Der Dienst Brahma's hat in Vorder-Indien
einen in sich abgeschlossenen Schauplatz, an den
sich das Gebiet des Nanekismus bei den Siekhs an-
schliesst. Moses hat nur noch ein kleines Häufchen
zu seinen Bekennern, die über die ganze Erde zer-
streüt sind.

Die unbeschränkte Monarchie ist über den aller-
grössten Theil der Erde verbreitet. In den Anfän-
gen der Gesellschaft beügt sich der Mensch gern
unter den Willen eines Einzelnen, der durch kör-
perliche, vornehmlich aber geistige Kraft über die An-
deren hervorragt; der Mensch muss sich unter diesen
Einzelwillen beugen, damit das Gemeindewesen durch
ein kräftiges Eegiment seinen Zweck erfülle. In die-
sem Zustande befindet sich die gesellschaftliche Ord-
nung, wie wir aus dem dritten Kärtchen entnehmen,
fast überall auf der Erde: die Einheit des unbe-
schränkten Willens hat sich durch Jahrtausende fort-
gepflanzt bis auf das lebende Menschengeschlecht,
und der Drang der gebildeten Völker, jenen einheit-
lichen Willen zu beschränken und selbst Theil zu
nehmen an der Anordnung des Gemeinwesens und
seiner Einrichtungen, ist mehr, als ein Mal geschei-
tert an der Kraft des Einen Geistes. Wohl den Völ-
kern, wenn diese Einheit die Interessen der Gesammt-
heit vernunftgemäss vertritt; wehe ihnen, wenn die
Einheit die Gewalt zu selbstsüchtigen Zwecken miss-
braucht und zur Despotie oder gar Tyrannei aus-
artet! Das Gebiet der Erde, innerhalb dessen die
Ees publica in den Händen der Gesammtheit ruht,
ist verhältnissmässig sehr klein; im Lichte der Ge-
genwart ist die republikanische Regierungs - Form,
_ mit Ausnahme der Schweiz und der Eintags-
fliege Frankreich, — nur in der Neüen Welt, also
in neü gestifteten Gesellschaften, einheimisch ge-
worden, und hat hier auch nur in den Vereinig-
ten Staaten Wurzel geschlagen, obwol man nicht
sagen darf, dass der „Baum der amerikanischen
Freiheit" allen Stürmen der menschlichen Leiden-
schaften für ewige Zeiten widerstehen werde! Die
Demokratie wird der Aristokratie das Feld raümen
müssen, wozu schon jetzt Anklänge genug in den
alten oder atlantischen Staaten vorhanden sind; aus
den Aristokraten wird zuletzt ein Monarch hervor-
gehen ! Monarchien, die durch einen Rath der Alten
beschränkt sind, ja selbst Republiken mit aristokra-
tischen Formen, seltener reine Demokration, fiinden
sich auch unter den ungebildeten Völkern, nament-
lich in Afrika; diese Gemeinwesen sind aber nur
klein, und konnten desshalb auf dem Kärtchen nicht
angegeben werden.

Aus der vierten Abtheilung unsers Blattes ersieht
man, dass der Menschengeist noch Jahrtausende zu
durchleben hat, bevor an der Hand christlicher Welt-
anschauung, Humanität und Bildung ein Gemein-
gut aller Menschen geworden sein werden. Hier
wäre nun noch ein grosses Feld für graphische Dar-
stellungen über materielle, geistige und sittliche Kul-
tur der eüropäischen und amerikanischen Länder
und Völker gewesen; allein die im Eingang erwähn-
ten Gründe geboten um so mehr ein kategorisches
_ Halt, als die eüropäische Welt, in ihrem unauf-
haltsamen Drange nach intellectueller Entwicklung
und politischem Fortschritt, in Mitten staatlicher und
socialer Erschütterungen und Umwälzungen steht,
aus denen erst den kommenden Geschlechtern se-
gensreiche Wirkungen erblühen werden; wie das
heütige Geschlecht nach der ersten französischen
Staats-Umwälzung von 1788 bis 1815, die seine Vä-
ter durchkämpften, die Wohlthaten des dreissigjäh-
rigen Friedens in Hülle und FüUe genossen hat.

Siebente Abtheilung. _ Antliropographie.


*) Anmerkung zur Karte N». 1: Menschen-Rassen.

Man hat verschiedene Eintheilungen in Varietäten oder Rassen
geΛv■ahlt, von drei bis zu zvs^ei und zwanzig. Die bekanntesten sind
die fünf Rassen von Blumenbach: die Kaukasische, Mongo-
lische, Malayische, Aethiopische und Amerikanische. Eine andere
Rassen-Bestimmung sind die von A. von Humboldt im Kosmos
(I, p. 380) hervorgehobenen sieben Rassen von Prichard: die
Iranische, die Turanische, die Alfurus, die Papuas, die Aethio-
pische, die Hottentottische und die Amerikanische. A. Zeüne
unterscheidet dreierlei Schädelformen: Hochschädel, Breitschädel
und Langschädel, und stützt auf diese Grundformen die Einthei-
lung in eine Iran-, Turan- und Sudan-Rasse für die Alte, und
in eine Apalachische, Guianische und Peruanische Rasse für die
Neüe Welt. In den Malayen, Alfurus, Papuas und Hottentotten
erkennt er deutliche Spuren der "Vermischung der drei Rassen
der Alten Welt. Die neüeste Eintheilung ist von Latham. Die-
ser gründliche Forscher nimmt drei Rassen oder Ordnungen an,
die er Mongoliden, Atlantiden und Jafethiden nennt. Seine na-
turhistorische Beschreibung ist folgende:

I. Mongolidae. _ Gesicht breit und flach, in Folge entweder
der Ausdehnung der Zygmata, oder der der Backenknochen, oft
von der Zusammendrückung des Nasenbeins, Stirn-Profil zurück-
tretend oder niedergedrückt, selten dem Senkrechten sich nähernd.
Backenknochen-Profil massig vorspringend, selten rechtwinklig.
Augen oft schief. Hautfarbe selten ein reines Weiss, selten ein
glänzendes Schwarz. Regenbogenhaut im Auge durchgängig
schwarz. Haar straff, dünn und schwarz; selten hellfarbig, zu-
weilen kraus, selten wollig.

Sprachen. _ Aptotisch und angefügt; selten mit einer echt
amalgamirten Beügung.

Verbreitung. _ Asien, Polynesien, Amerika.

Einfluss auf die Weltgeschichte._ Materiell mehr, als moralisch.

Π. Atlantidae. _ Backenknochen vorspringend, Nase durch-
gängig platt, Stirn zurücktretend, Schädel länglich, der Seiten-
Durchmesser durchgängig klein. Augen selten schief. Hautfarbe
oft glänzend schwarz, selten dem reinen Weiss sich nähernd.
Haar gekraüselt, wollig, selten glatt, noch seltener hellfarbig.

Sprachen. _ Mit einer angefügten, selten einer amalgamirten

Beügung.

Verbreitung. _ Afrika.

Einfluss auf das Weltgeschick. _ Unbedeütend.

ΠΙ. Japetidae. Backenknochen treten nur wenig vor; Nasen-
bein oft vorspringend, Stirn zuweilen fast senkrecht. Gesicht
selten sehr flach, mässig breit. Schädel durchgängig langge-
streckt. Augen selten schief. Hautfarbe weiss oder bräunlich.
Haar niemals wollig, oft hellfarbig. Regenbogenhaut des Auges
schwarz, blau, grau.

Sprachen. _ Mit amalgamirten Beugungen, wo nicht anapto-
tisch; selten angefügt, niemals aptotisch.

Verbreitung. _ Eüropa.

Einfluss auf das Weltgeschick. _ Grösser als bei den Mongo-
liden und Atlantiden in moralischer sowol als materieller Be-
ziehung.

[The Natural nistwy of the Varietiet of Man. By Robert
Gordon Latham, M. D. F. R. S. London, van
Voorst; 1850.
Svo, illustrated.]


stollbekgsche büchdruckerei.

gotha.