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ALLGEMEINER

ETHNOGRAPHISCHER ATLAS

ODER

ATLAS DER VÖLKER-KUNDE.

EINE SAMMLUNG

VON NEÜNZEHN KARTEN,

AUF DENEN DIE, UM DIE MITTE DES NEÜNZEHNTEN JAHRHUNDERTS STATT FINDENDE
GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG ALLER, NACH IHRER SPRACHVERWANDTSCHAFT GEORD-
NETEN, VÖLKER DES ERDBALLS, UND IHRE VERTHEILUNG IN DIE REICHE UND STAATEN
DER ALTEN WIE DER NEÜEN WELT ABGEBILDET UND VERSINNLICHT WORDEN IST.

EIN VERSUCH

VON

D" HEINRICH BERGHAUS.

VERLAG VON JUSTUS PERTHES IN GOTHA.

1852.

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VORBEMERKUNGEN

ZUR

ACHTEN Aß THE IL UN G.

ETHNOGRAPHIE.

N». 1. Die Völker Asien's und Eüropa's. AQdeütUDgen über ihre Yerwandtschail

Asien, dieser Theil der Erde, den man auf Grund der
Mosaischen Schöpfungsgeschichte als Wiege der Mensch-
heit anzusehen pflegt, muss in einer Sammlung ethnogra-
phischer Karten an die Spitze gestellt werden.

Projection und Maassstab der Karte (welche mit denen
der entsprechenden hydrographischen und geologischen
Blätter des Physikalischen Atlas, II, 7 und III, 2 über-
einstimmen) haben es aber gestattet, auch ganz Eüropa in
den Rahmen der Darstellung zu fassen.

Dieses Blatt enthält demnach ein Bild von demjenigen
Schauplatze, auf welchem die historisch nachweisbaren
grössten Völker-Bewegungen und Erschütterungen, aber
auch die grössten Völker-Entwickelungen vorgegangen
sind und unaufhörlich Statt finden, eine Nachweisung von
den gegenwärtigen Wohnsitzen der urältesten Völker, die
alle Stufen der geistigen Befähigung vom rohesten Zu-
stande bis zur feinsten Bildung durchlaufen; zugleich mit
einer üebersicht der Gränzen der Staatsvereine, in welche
sie gegenwärtig politisch vertheilt sind. Einige Andeutun-
gen über ihre Verwandtschaft mögen hier eine Stelle fin-
den, indem ich bevorworte, dass diese Andeutungen auf
Vollständigkeit und literarisch nachgewiesene Begründung,
dem Zwecke der Vorbemerkungen entsprechend, nicht
Anspruch machen können, noch wollen.

Geht man von der Völker - Genealogie der Genesis (1.
Buch Mose, Kap. 5 u. 10) aus, so sind Noah's drei Söhne
Sem, Ham und Jafeth die Stammväter der postdiluviani-
schen Menschheit, deren vorsündfluthige, durch ein mythi-
sches Urpaar repräsentirte Einheit sich demnach in die
Dreiheit der Semiten, Hamiten und Jafethiden, oder in die
Völker der Mitte, des Südens und des Nordens gespalten
hat; was lebhaft an die griechische, nach der deükalion-
schen Fluth aufgestellte Geschlechtstafel erinnert: Dorus
(Dorer, in der Mitte), Xuthus (Achäer und loner im Sü-
den), Aeolus (Aeoler im Norden).

Sprach-Aehnlichkeiten, die nicht blos in dem Wortvor-
rathe, sondern auch, und zwar ganz besonders in der Ver-
bindungsweise der Wurzeln und Wörter, oder dem gramma-
tischen Bau der Sprachen ihren Grund haben, sind zur
Beurtheilung der Abstammung der Völker benutzt worden;
was vorzüglich seit dem letzten halben Jahrhundert, nicht
durch die classische Philologie, die sich hochmüthig abge-
schlossen hat, wol aber durch eine kosmopolitische Philologie
auf Untersuchungen und Vergleichungen von Sprachen mit
Sprachen (nicht losgerissener Wörter und Sätze allein),
oder auf ein philosophisches Sprachstudium und eine all-
gemeine Sprachwissenschaft geführt hat, durch die der
Kreis unserer Kenntnisse von den Sprachen derjenigen in
der Weltgeschichte auftretenden Nationen bedeütend er-
weitert worden ist, welche durch Bande einer ursprüngli-
chen Geschlechts- oder auch Familien-Verwandtschaft
vereinigt sind, wie scheinbar unähnlich die Laute der Zun-
gen klingen, wie entfernt diese Völker von einander woh-
nen, und wie verschieden in ihren körperlichen Eigenthüm-
lichkeiten und geistigen Entwickelungs - Stufen sie auch
immer sein mögen. Und dadurch ist man auf den Begriff
von Sprachstämmen und Sprachklassen, von Mutter-,
Töchter- und Schwester-Sprachen, von Völkerfamilien
und Völkergruppen gekommen, ein Begriff, der, obgleich
man in diesem Eintheilungs-Schema und seinen Abstufun-
gen zu einer abgeschlossenen Einigung über Bedeütung
und Umfang noch nicht gekommen ist, bei Völker-Ver-

PHTSIK. ATLAS ABTH. VTII.

zeichnissen und ethnographischen Darstellungen maass-
gebend sein muss. Jene Untersuchungen und Vergleichun-
gen der Sprachen haben aber in dem geheimnissvollen
Irrgarten der Abstammung, der Bluts- und der Familien-
Verwandtschaft (Consanguineität und Affinität) auf dasEr-
gebniss geführt, dass man nicht ganz unberechtigt sei, die
Söhne Noah's gleichsam als Stammväter dreier grosser
Völker gruppen zu betrachten, die, abgesehen von allen kör-
perlichen Merkmalen und Anlagen, in der nationeilen Form
ihrer Sprachen wesentliche Verschiedenheiten darbieten.

Ganz Inner-, West- und Nordasien, so wie ganz Eüropa
ist von Jafethiden, und nur das südwestliche Asien von
Semiten bewohnt. Hamiten giebt es auf der Ostseite der
Landenge von Suez nicht. Das südöstliche Asien aber hat
eine Bevölkerung, welche man für einen Ueberrest der —
antediluvianischen Menschheit zu halten geneigt sein kann.

Unter den Jafethiden nimmt_

I. Die grosse Indo-Germauische oder Indo-Eüropiusche Völ-
ker-Familie des Sanskritischen Sprachstamms, auch die Ira-
nische und Arische, oder_ auch ausschliesslich die Ja-

fethische genannt, die erste Stelle ein, in ihrer ungeheüern
Verbreitung von den Mündungen des Ganges bis an die
aüssersten Westenden der eüropäischen Erde, mit ihren An-
siedlungen im Norden der Erde vom Ural an durch ganz
Sibirien bis zur Mündung des Kolima - Stroms. Die Indo-
Germanen bilden eine in sprachlicher Beziehung innigst
verwandte Völkerkette, die raümlich fast ununterbrochen
ist. Nur der kaukasische Isthmus trennt diese Völkerfa-
milie in zwei Gruppen, die asiatische und die eüropäische,
die aber auf den Scheitelhöhen des Kaukasus ein, von Völ-
kern andern Stammes und anderer Sprache rings umschlos-
senes, kleines Verbindungsglied in den Ossi, Osseten oder
Ir, Iron haben, dem letzten Ueberrest der Sarmaten des
Alterthums, eines Geschlechts von medischem Colonial-
Ursprung, dessen Mundart aber durch fremde Beimen-
gung von den übrigen Sprachen der Familie sich weit ent-
fernt hat.

Bemerkenswerth ist es, dass eine jede der beiden Grup-
pen der Indogermanen, geographisch betrachtet, eine
gleich grosse Entfernung einnimmt: denn von den Ganges-
Mündungen bis Erserum, in Armenien, ist es eben so weit,
als von Lissabon bis Wiatka, in Russland, nämlich 45·^
eines gi-össten Kreises, oder 675 deütsche Meilen. In
raümlicher Beziehung mögte das Feld der eüropäischen
Gruppe etwas grösser sein, als das der asiatischen.

Die Indogermanen sind auf der Karte in ihre Hauptab-
theilungen zerlegt: davon nehmen diesseits des Kauka-
sus die Slawen, jenseits desselben die Hindus den verhält-
nissmässig grössten Raum ein.

Arisch nennt man die Indogermanischen Sprachen, und
im Besondern die asiatische Gruppe derselben, weil der ein-
heimische Name der alten Bewohner der Iranischen Län-
der, als
Verehrer des von Zoroaster verkündeten Hormuzd,
Arier,
Ainja im Zend, war, ein Name, der sich in der
Umgestaltung
Iran, und in dem Namen der Iron oder
Osseten erhalten hat. Ihre Sprache war eine doppelte: das
Parsi, die Altpersische, die zur Zeit der Achämeniden-Herr-
schaft, oder in demZeitraum von 521 bis331 vorChr. Geb.,
blühte, und die Zend-Sprache, die beide unter allen Zun-
gen der Indogermanischen Völker-Familie das höchste Al-
terthum in Anspruch nehmen. Denn man hat durch das,
nach rastlosem Mühen gelungene Entziffern der im west-

1


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2 Achte Abtheilung,

liehen Hochlande von Iran und im Stromgebiet des Eüphrat^
Tigris zerstreuten Denkmale von Keil - Inschriften, die in
Altpersischer Sprache abgefasst sind, und durch ein eif-
riges Studium der Schrift-Denkmale der Zend-Sprache
gefunden, dass beide Sprachen sehr nahe verwandt sind,
und j edenf alls in gerader Linie von derselben Mutter, doch so
abstammen, dass das Zend, in Beziehung auf gewisse Sprach-
Eigenthümlichkeiten, älter ist, als das AltpersischeZu-
gleich istaberauch sehr wahrscheinlich gemacht worden, dass
die Zend-Sprache, wenn nicht als Mutter, doch ebenfalls als
gleichalte Schwester desjenigen Dialekts angesehen werden
kann, in welchem die ältesten heüigen Schriften der Hin-
dus geschrieben sind. Die Sanskrit - Sprache aber dieser
Schriften, der Vedas oder Gesetze, hat so viele Dunkelhei-
ten, veraltete Formen und Abweichungen vom klassischen
Sanskrit, dass sie schon frühe eine grosse Anzahl von Er-
klärern und Commentatoren beschäftigt hat, und durchaus
als ein besonderer und zwar als ältester Dialekt des Sanskrit
anzusehen ist, d. i,: derjenigen ausgestorbenen Sprache der
Hindus, die unter ihren profanen Schriften eben sowol durch
wissenschaftliche Werke, als auch Schriften der schönen
Literatur, insbesondere der Dichtkunst, die Bewunderung
des Abendlandes in hohem Grade erregt hat% seitdem die-
ser reiche Schatz durch die Bemühungen der Engländer,
in Indien, zuerst von Warren Hastings, und nach ihm von
Sir William Jones, dem „Vater und Orakel der indischen
Gelehrsamkeit", von Wilkins, Carey, Forster, Colebrooke,
Wilson, James Prinsep, u. m. a. eröffnet worden ist. Da-
durch hat man eine der grössten wissenschaftlichen Er-
rungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts gewonnen,
nämlich die Entdeckung des Indogermanischen Völker-
und Sprachstammes, zugleich auch seiner Urheimath,
die man am Hindu-Koh und Paropamisos, und den Ge-
birgsverzweigungen gegen den Kuen-lün und Himalaya
vermuthet. Der Anfang jener Entdeckung fällt ungefähr
mit dem Jahre 1780 zusammen.

Welches auch der Ursprung des Sanskrit gewesen sein
mag, alle Kenner desselben kommen wenigstens darin
überein, dass sie ihm ein sehr hohes Alter anweisen. Da-
für zeügt auch der ganze Charakter der Hindu-Nation und
ihrer Verfassung, ihre Religion und ihr Gesetz, ihre My-
thologie und Wissenschaft; alles führt uns in die frühesten
Zeiten der Geschichte zurück, während ihre auch in Trüm-
mern noch prachtvollen Tempel zeigen, dass sie das Werk
eines Kultus sind, der nicht jünger ist, als der von Aegyp-
ten und Assyrien. Ein Hauptpunkt in der indischen Ver-
fassung ist die Vertheilung des Volks in Stände oder
Kasten. Dass die höchsten Stände mit den Altpersern von
gleichem Stamme waren, lässt sich als eine Thatsache an-
sehen, die durch die Verwandtschaft ihrer Sprachen fest-
gestellt ist. Die zwiefach gebornen Stände, wie sie sich
selbst nennen, sind die Brahmanen oder Priester, die
Kshatriyas oder Krieger und die Vaisyas, der Nährstand,
oder die dyei höchsten der vier Hauptstände der Hindus.
Sie führen auch den Namen Aryas, der „Adelige" oder
„Ehrwürdige Männer" bedeütet und ohne Zweifel mit dem
gleichbedeütenden Zend-Worte Airya, so wie mit dem
Epitheton "Αριοι,'Άρ ειοι, welches sich, nach Herodotos
(VII, 62, 66), die Meder beilegten, eine gemeinsame Wur-
zel hat.

In einer Zeit, für die es an jeder Vermuthung einer
chronologischen Bestimmung fehlt, die aber sehr entfernt
sein muss, sind die arischen Hindus aus ihrer Heimath auf
dem Hochlande von Ost-Iran aufgebrochen, haben sich
ostwärts gewandt, sind die hohen Eandgebirge des Tafel-
landes herabgestiegen zu den weiten Ebenen, in denen der
Indus seinen Lauf nimmtj haben diesen Strom gekreüzt
und die Bevölkerung, die sie dort und im Flachlande des
Ganges vorfanden, zur Seite gedrängt, und südlich über
das Vindhya-Gebirge und den Nerbudda-Fluss getrieben,
wo diese muthmasslichen Autochthonen ganz Vorder-In-
dien's noch wohnen und ihre einheimische Sprache spre-
chen, obwol dieselbe mit dem Sanskrit ihrer arischen Un-
terjocher mehr oder minder gemischt ist; denn wir wissen
es, dass die arischen Hindus die Länder des Dekhan, so wie
die Insel Ceylon in einem früheren Zeitraum erobert und
ihre religiöse und literarische Kultur auf die unterjochten
Völker übertragen haben, ohne dass es ihnen gelungen,
die Spi-ache derselben zu vertilgen, wie es in der nördli-
chen Hälfte von Vorderindien, im eigentlichen Hindustan,
d. h.: Land der Hindus, geschehen ist.

la. Hindus. Indem ich weiter unten, bei den Erläuterun-
gen zu No. 14 der Karte von der Indischen Völkerwelt
auf die heütigen Sprachen der Hindus zurückkommen
werde, ist hier eines Volks Erwähnung zu thun, welches
in den hohen, schwer zugänglichen Schlupfwinkeln, wo
Himalaya, Kuen-lün, Bolor oder Belut-Tagh und Hindu-
Koh einen gewaltigen Gebirgsknoten bilden, in freien,
selbstständigen Gemeinden ein abgeschlossenes Hirtenleben
fähren. Dieses Volk sind die

1 b. Siah-pο s ch, d, h.: Schwarzröcke, oderauch TorKa-
firs,
d.h.: SchwarzeUnglaübige, wie sie von ihren moham-
medanischen Nachbarn genannt werden, weil es der Mission
des Halbmondes noch nicht gelungen ist, sie alle zum Islam
zu bekehren. Von diesem Bergvolke, das man uns als eins
der schönsten des menschlichen Geschlechts schildert, wird
behauptet, dass es die Sanskrit - Sprache in einer ihrer
Töchter am reinsten und unverstümmeltsten spreche, wes-
halb es in den Kreis des arischen Geschlechts der Indo-
Eüropäer zu ziehen ist. An die Siah-posch schliessen sich
östlich am Indus und in seinen Nebenthälern dieShinaghi
oder Dardu, Darada, ebenfalls ein sanskritisches Bergvolk,
das sich unmittelbar an die Hindus von Kaschmir an-
lehnt. Der Verbreitungsbezirk dieser westlichsten un-
ter den arischen Indern hat auf der Karte nur in ganz all-
gemeinen Umrissen angegeben werden können.

Id.Tadschik ist der allgemeine Name, unter welchem
die Persisch redenden Indogermanen in ganz Westasien be-
kannt sind. Die populäre Ableitung des Wortes Tadschik
ist, dass die Vorfahren dieses Volks die Träger derTadsch,
oder Krone, des arabischen Propheten waren. Tadsch be-
deütet ausserdem noch eine königliche Krone, um sie von
der Mütze eines mohammedanischen Fakir, oder Eremiten,
zu unterscheiden. Nicht allein in dem heütigen Persischen
Reiche bilden die Tadschiks, die auch Farsi heissen, die
ursprüngliche, die sesshafte und ackerbautreibende Bevölke-
rung, sondern auch im östlichen Theil des Tafellandes von
Iran, in und um Herat, Kandahar, Ghasna und Kabul,
unter afghanischer Herrschaft; ferner in ganz Turan, in
Badakschan-Kunduz, in Bukhara, Chiwa (wo sie Sarten
heissen), in Kokan u. s. w., wo sie unter dem Joch der
Türk-Usbeken stehen; und sodann unter chinesischer
Herrschaft auf dem Tafellande von Inner-Asien zwischen
dem Himmelsgebirge und dem Kuen-lün, in Kaschkar,
Uschi, Aksu, Jarkiang, Khotän, Turfan und Khamil®.
Wie das Zend einst in einem grossen Theile Altpersiens
die Volkssprache war, und muthmasslich auch seine, im
Pa-Zend gegebene Abstufung in gewissen Provinzen; so
das Pehlewi in dem Neüpersischen Reiche unter der Herr-
schaft der Sassaniden, seit 226 n. Chr. Geb. Es führte
seinen Namen von einer Reichs-Abtheilung, die Pehlew
hiess, worunter bald das ganze West-Iran, bald nur die
Provinz verstanden wird, welche die Griechen Parthien
nannten. Dieses Pehlewi trägt, so weit man es bis jetzt er-
forscht hat, nicht verkennbare Spuren vom Einfluss der
Sprache irgend eines unbekannten Volkes, besteht aber,
nach der Ansicht einiger Sprachforscher, der Hauptsache
nach, aus zwei Elementen, einem iranischen «nd einem
aramäischen, ohne dass jedoch durch das letztere in dem
ursprünglichen Bau der Sprache eine wesentliche Verän-
derung eingetreten sei; indess andere Kenner ihren An-
spruch auf arischen Ursprung nicht gelten lassen wollen,
sondern sie für einen Rest der skythischen oder der Sprache
eines Volks ansehen, über dessen Verwandtschaft, ob
ugro-tatarischer oder indo-germanischer Abstammung,
man im Unklaren ist. Das Zend, das Alt-Parsi und das
Pehlewi haben das Material zu dem noch heüte üblichen
Parsi gegeben, welches bei den Feüeranbetern in der Pro-
vinz Kerman vornehmlich um die Stadt Jesd, und an der
Westküste von Vorderindien gebräuchlich ist, die von der
Sprache auch Parser heissen, oder Gebern d. i.: Unglaü-
bige, Heiden, daher ihre Sprache auch Gebri genannt wird.

In jenen drei Grundsprachen, vornehmlich dem Pehlewi,
wurzelt auch, freilich als eine etymologisch verfallene und
grammatisch herabgesunkene, als eine entartete Tochter die
neüpersische Sprache, die in ganz Iran, und überall da als
Landessprache gesprochen wird, wo Tadschiks oderFarsi,
d. i.: Perser, die Grundbevölkerung bilden, und je nach der
Oertlichkeit in mehrere Dialekte zerfällt, deren man haupt-


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Ethnographie,

sächlich zwei unterscheidet, den östlichen oder Deri-, und
den westlichen, oder Chusi-Dialekt, ersterer in dem allerg
grössten Theile des Persischen Reichs und jenseits des
Oxus-Amu, letztern ausschliesslich in der Provinz Chusi-
oder Susistan. Von den Unter-Mundarten des Deri-Dialekts,
oder der Hofsprache seit der Sassaniden-Herrschaft, sind
das Tat, das Talidsch, das Ghileki, das Masenderani, in
neüester Zeit linguistisch untersucht worden.

Das Gebiet der Neüpersischen Sprache hört in Persien
selbst mit der östlichen Gränze der Provinz Kerman, und in
Herat an dem grossen See, Hamum genannt, auf. Südöst-
lich davon beginnt das Land der Beludschen, Bälud-
schen, oder Baluken, eines Volks, in welchem man bald
Ueberreste Türkischer Stämme zu erkennen geglaubt hat,
welche zur Zeit des Kampfes der Seldschukiden gegen die
Ghasneviden in ihren jetzigen Sitzen zuerst sich festgesetzt,
und erst später in Folge ihrer Berührung mit Persischen
Stämmen eine Mundart der Sprache des letztgenannten
Volkes angenommen hätten; bald sind sie für Ueberbleib-
sel der Indoskythen, der von den Chinesen sogenannten
kleinen
Yueti, bald für Araber aus Hedschas, bald für
Foeleoticha, d. i.: Bewohner von Peschauer, Peschawar,
die Buddha-Verehrer gewesen sein sollen, und endlich
für
Mlechas, Mlek'has, oder Barbaren der Inder, gehalten
worden. Allein Chr. Lassen, der alle diese Vermuthungen
einer gründlichen Kritik unterworfen hat
{Zeitschrift für

die Kunde des Morgenlandes, IV, p. 87 —122, p. 419_

488), hat gezeigt, dass die Baluk'en, wie er den Namen
schreibt, ein altpersisches Volk sind, dessen Sprache aber
nicht als eine blosse Mundart des Neüpersischen, sondern
gewisser Massen als eine Schwester dieser Sprache anzu-
sehen ist, die sich von ihr frühzeitig abgesondert hat und
sich zu der gemeinsamen Mutter nahe eben so verhält, wie
das Kurdische. Die Ueberlieferungen der Beludschen
setzen ihren Stammsitz nach Kedj, in Mekran, das noch
jetzt den Mittelpunkt ihres Verbreitungsbezirks bildet; denn
die Beludschen bewohnen das ganze nach ihnen bewohnte
Land (Beludschistan), haben aber denHauptsitz ihrer Macht
in Kelat unter dem von ihnen unterworfenen Volk der
Brahuis, und sind die hohen Gebirge, welche ihr Land von
den Indus-Ebenen trennen, herabgestiegen, haben sich da-
selbst unter den Hindns niedergelassen und in der jüngsten
Vergangenheit (seit 1786) die Herrschaft über das Land Sind
errungen. Von den so eben genannten Brahuis, deren
Name auf der Karte No. 1 nicht enthalten ist, werd' ich in
den Vorbemerkungen zur Karte No. 14 einige Nachrichten
einschalten.

Ic.Afganen. Zwischen den Persern im W., den Hindus
im O.und den Beludschen im S. wohnt seit den ältesten Zeiten
ein mächtiges Volk, das bei den Persern Af'gan, Afghan
oder Ag'uan, Aghwan, Aghban, bei den Hindus aber Pa-
tan heisst, eine Verstümmelung des Namens Puschtu,
Puchtun (in der Einheit) und Puschtaneh oder Puchtaneh
(in der Mehrheit), den sich das Volk selbst beilegt. Ueber-
lieferungen, die bei ihm gang und gäbe sind, führen seinen
Ursprung auf die jüdischen Stämme zurück, die Nebuchad-
nezar in die babylonische Gefangenschaft schickte; und
die vornehmsten seiner Familien verfolgen ihren Stamm-
baum bis auf David und Saul. Allein diese Traditionen
sind ohne allen Grund, wie die Sprache zeigt, die mit Aus-
nahme von arabischen Wörtern, die seit demlslam in dieselbe
eingedrungen sind, mit dem semitischen Sprachstamme
nichts gemein hat. Das Puschtu gehört zu den Indoger-
manischen Sprachen, hat die ganze Art und Färbung aller
neuem Sprachen dieses Stammes und in seiner jetzigen
Gestalt vieles mit den Zendischen, anderes mit den Hindu-
Zungen gemein, gerade so wie auch der "Wohnplatz der
Afganen zwischen die beiderseitigen Volksstämme, den
persischen und den indischen, fällt. In einigen Dingen steht
diese Afganische Sprache den drei andern, auf dem Ta-
fellande von Iran herrschenden Sprachen gegenüber, dem
Neüpersischen, dem Baluk'ischen und dem Kurdischen.

le. Die Kurden bilden nämlich die fünfte Abthei-
lung der Indogermanischen Völkerfamilie. Sie bewohnen
Kurdistan, das nach ihnen genannte Gebirgsland am west-
lichen Abhänge des Plateau's von Iran, welches theils unter
osmanischer theils unter persischer Herrschaft steht, sodann
mehrere andere Provinzen des westlichen und nordöstlichen
Persiens und, mit Armeniern gemeinschaftlich, die südliche
Hälfte von Armenien, und sind überdem in Mesopotamien, in

Syrien und den östlichen Gegenden von Kleinasien, ja, wie es
scheint, bis nach Laristan dem südlichsten Theil der persi-
schen Provinz Fars, am Meerbusen, zerstreüt. Sie selbst
nennen sichKurd oderKurmandschi,Kermandsch, ein Wort,
welches vom persischen
Kurd (stark, tapfer) herkömmt, und
jedenfalls mit dem slawischen Wort
gord, grd, chrd (stolz,
hochmüthig) und dem georgischen
Kurd (Raüber) ver-
wandt ist. Ihrer Wortfügung und ihrem Wortvorrathe
nach ist die kurdische Zunge der persischen sehr ähnlich
und steht zu dieser nicht in einem schwesterlichen, wol
aber in einem geschwisterkindlichen Verhältniss, und ver-
hält sich zur neüpersischen Schriftsprache etwa wie der
mailändische Volksdialekt zur gebildeten toskanischen
Schriftsprache, oder wie das Dänische zum Schwedischen;
das Kurdische ist jedoch, wie das Neüpersische, ausser mit
einigen türkischen, mit vielen semitischen Wörtern ge-
mischt, die es von den' unter den Kurden lebenden Ara-
mäern und seit dem Eindringen des Islam von den Arabern
aufgenommen hat.

Die Kurden zerfallen, wie E. Rödiger in übersichtlicher
Zusammenstellung gezeigt hat
{Zeitschrift für die Kunde
des Morgenlandes,
ΙΠ, p. 2_5, 10_13), in die soge-
nannten Assireta, d. h.: Stämme, oder auch Krieger, und
in die Guran, oder ansässige Bauern, Es sind zwei ver-
schiedene Rassen, davon die Assireta, die sich auch gern
mit dem Namen Sipah, d. i.: Soldaten, bezeichnen, die
eingedrungenen Sieger sind, eine Kriegerkaste, welche den
Guran die Bebauung des Bodens überlässt und mit Ver-
achtung auf sie herabsieht. Die Guran werden auch Rajas,
d. h.; Unterthanen, oder Köjlüs, d. i.: Heiden, genannt,
und führen auch hin und wieder den Spitznamen
Kelow
spi, Kolaf spi,
d. h.: Weissmützen. Die unter dem Namen
der Jezidis bekannten Sectirer, welche an und auf dem
westlich vom Tigris unfern Mosul belegenen Berge Sindjar
ihren Hauptsitz haben, sind Kurden. Jener Unterschied
zwischen den Assireta und den Guran spricht sich nicht
allein in der Gesichtsbildung, sondern auch in der Sprache
aus, indem die Guran in einer Menge von Mundarten re-
den, die allesammt dem Persischen näher stehen, die
Krieger-Stämme dagegen ein Hochkurdisch sprechen.
Auch die Puschti-Kuh oder Fa'ilih auf den westlichen Ab-
hängen der Gebirge von Chusistan, so wie die Pisch-Kuh
im Gebirge selbst und die Bachtijaren auf der Ostseite
derselben Gebirge sprechen kurdische, oder neüpersische
Dialekte, die mindestens mit kurdischen Wörtern so stark
vermengt sind, dass die Luren sich ganz leicht mit den
Kurden verständigen können
(Rawlinson, in Journ. of the
B. Geogr. Soc.,
Vol. IX, p. 109). Diese Stämme zusam-
men machen die so eben genannten Luren oder Loren aus.
Die kurdische Sprache hat sich kaum zur Schriftsprache
erhoben, und eine kurdische Literatur giebt es nicht; bei
ihren wenigen schriftlichen Verhandlungen bedienen sich
die Kurden der Persischen oder Türkischen Sprache, dia
beide auch von den meisten Kurden, ausser der Mutter-
sprache, gesprochen werden.

If. DieArmenier werden bald als sechstes Glied in der
Kette der Arischen Völker aufgeführt, bald als völlig iso-
lirtes Volk betrachtet, das sich einem bestimmten Sprach-
stamm kaum anreihen lasse. Sie selbst nennen sich Haikan,
nach einem fabelhaften Patriarchen ihres Volks, der in
einem sehr entfernten aber unbekannten Zeiträume gelebt
haben soll. Auf dem von hohen Gebirgen rings umschlos-
senen Tafellande, das ihr zum Wohnplatz dienet, hat die
armenische Nation lange Zeit ihre Unabhängigkeit behaup-
tet. Frühzeitig erhielt sie ihre eigene Schrift und mit der-
selben auch Gelehrsamkeit. Ihre eigene Geschichte geht
bis zum Jahre 2107 vor Chr. Geb. hinauf und endigt 1080
nach Chr, Geb, mit demArmenischen Volke selbst, das von
da an keinen eigenen Staat mehr gebildet, sondern im-
mer unter der Herrschaft fremder Nationen gestanden
hat; jetzt unter slawisch - russischer, türkisch - osmani-
scher und türkisch-persischer. Armenische Ackerbau- und
Handwerker-Kolonien haben sich über einen grossen Theil
von Asien ii.nd im östlichen Eüropa verbreitet und arme-
nische Handelsleüte sind die Vermittler des kommerziel-
len Verkehrs in ganz Westasien; armenische Handels-
Comptoire finden sich eben so wol in St. Petersburg,
Wien, Venedig (wo die Armenier auch ein Kloster
besitzen), Constantinopel und Kahira, wie in Bombay,
Calcutta, Madras und Singapore. Während von der einen


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156 Achte Abtheilung.

Seite behauptet wird, dass die Ha'ikanische Sprache, ihrem
Total-Eindrucke nach, dem indogermanischen Stamme
sehr fern stehe, obschon sie viele und zwar tiefer lie-
gende Aehnlichkeiten mit dem Indogermanischen zeige,
heisst es von der andern Seite, dass sie der persischen
Sprache am nächsten komme; sie sei aber rauh und reich
an Konsonanten-Verbindungen, und zeige, ausser ihrem
Grundstoff indogermanischer Wurzeln, viele Berührungs-
punkte mit finnischen und anderen Sprachen des nördlichen
Asiens. Aehjalich verhält es sich auch mit der Sprache der
schon erwähnten

1/. Osseten, Ossi oder Owssni, die zwar demMedisch-
Persischen am nächsten steht, ihm aber durch Beimi-
schung vieler Wörter aus den finnischen Sprachen sehr
entfremdet ist.

Von der eüropäischen Gruppe der Indo-Germanen will
ich weiter unten sprechen und die Aufmerksamkeit anjetzt
auf die zweite Abtheilung der Jafethiden lenken, die man
bald _

II. die Finnisch-Tatarische,bald die Uralisch-Altaische, bald
dieUgrisch-Tatarische, oder auch die Hochasiatische, Nor-
dische und Turanische Völker-Familie zu nennen pflegt;
was Namen sind, die theils auf ethnographischem, theils
auf geographischem Grunde stehen, indem in letzterer Be-
ziehung angenommen wird, dass der eine Zweig dieser
Familie im Ural-Gebirge, der andere im Altai" * und dem
Weideland seine Ürheimath habe, das sich von dem eben
genannten Gebirge in südlicher Richtung gegen die Ketten
des Kuen-lün und des Himälaya erstreckt.

Die Völker, die unter der Benennung der Ugrota-
taren zusammengefasst werden, sind die Finnen, Sa-
mojeden und Jeneisseier Ostiaken einer Seits, und die
Türken, Mongolen und Tungusen andrer Seits, also eine
Reihe von Nationen, die über den grössten Theil des asia-
tischen Festlandes verbreitet sind, und von denen es be-
kannt ist, dass sie in vielen Gegenden den Indogermanen
vorangingen, also im Verhältniss zu diesen als Aboriginer
erscheinen, welche von mächtigeren Volksstämmen über-
wunden und verdrängt wurden.

Dass die Sprachen des Ural-Altaischen Stammes so
nahe mit einander verwandt seien, als dielndo-Eüropäischen
Sprachen unter sich, will auch Kellgren, der neüesteBear-
beiter dieser Sprachklasse, nicht behaupten, aber auch eine
entferntere Verwandtschaft genügt ihm, um auf eine ur-
sprüngliche Gemeinschaft schliessen zu können. Leicht ist
es, eine Menge unverwandter Wurzeln aus den verschiede-
nen Sprachen dieser Familie herauszufinden; auch ist es
nicht schwer, mehrere der entsprechenden grammatischen
Suffixe auf eine gemeinsame Urform zurückzuführen; allein
Kellgren enthält sich dieser Vergleichung und dringt zum
allgemeinsten innersten Kern dieser Sprachen, weil dessen
gemeinschaftlicher Besitz den kürzesten, zugleich den si-
chersten Beweis einer Urverwandtschaft liefert. Dieses in-
nerste Lebens- und Bildungsprincip, welches sich in den
verschiedenen Sprachen des Ugrotatarischen Stammes wie-
derholt , fasst Kellgren in fünf allgemeine Gesetze zusam-
men, die ich in der Note ® wiederhole.

Zur finnischen, tschudischen, uralischen oder ugrischen
Gruppe der Ugrotatarischen Völkerfamilie rechnet man
zunächst_

8. die Finnen oderUgrer selbst, die der Sprache nach
in vier Hauptäste zerfallen.

Die baltischen Finnen. Dazu gehören: die Liben
oder Liwen, die Urbewohner der russischen Provinzen
Kurland und Liwland, die aber bis auf ein kleines Häuf-
chen erloschen sind. Die Esten, die sich selbst Somelaised
nennen und auf Finnisch Wirolainen heissen, in den Gou-
vernements Estland und Liwland, und in einem kleinen
Theile des Gouvernements St. Petersburg. Von den finni-
schen Völkerschaften des zuletzt genamiten Gouvernements
sind die zahlreichsten die Äyrämoiset, die Sawakot und
die Ingrier oder Ingrikot, davon die zwei ersten Protestan-
ten, die letzten dagegen griechisch-russischer Confession
sind, alle drei aber zu den Verzweigungen der Karelen ge-
rechnet werden. Gering an Zahl sind die Woten oder Waat-
länder, finnisch: Watialaiset. Sie gehören alle zur Grie-
chisch-Russischen Kirche und wohnen in den Kreisen Jam-
burg und Oranienbaum. Suomen sind die Finnen in engster
Bedeutung des Worts, die Bewohner des Grossfürstenthums
Finnland, die sich selbst Suomalaiset nennen. Zu ihnen
gehören die Tawasten oder Hämelaiset und die Kwänen,
Kajanen oder Ka'inulaiset, die auch tief im Süden der
skandinavischen Halbinsel in Schweden leben, wo sie
die Ursassen sind, welche von der übers Meer gekomme-
nen Gothen-Abtheilung der Germanen verdrängt wurden.
Die Karelen oder Karjolaiset, die sich aber auch den Na-
men Somaeme jes geben, bewohnen den südöstlichen Theil
von Finnland und die westlichen und südlichen Gegenden
des Gouvernements Onolez. Sie reichen aber auch weit ins
Slawische Gebiet, wo sie in den Gouvernements Nowgorod
und Twer mitten unter Russen zu vielen Tausenden auf
finnischen Sprachinseln sitzen und ihren aüssersten Vor-
posten gegen Südosten im Kreise Maloga des Gouverne-
ments Jaroslaw behauptet haben. Sonst war das Gouver-
nement Olonez und das angränzende von Archangel ganz
mit finnischen Stämmen besetzt, die im Zusammenhange
mit den Finnen des Urals standen, aber die Russen-Ab-
theilung der Slawischen Nation hat sich keilförmig hinein-
geschoben, die Finnen nach Westen und Osten gedrängt
und eine Trennung in zwei Gruppen bewirkt. Das letzte
Glied der Baltischen Finnen bilden die Lappen, eine Ver-
stümmelung des finnischen Namens Lappalainen oder Lap-
palaiset, worunter „die an der Gränze, seitwärts Wohnen-
den" zu verstehen sind, also Gränzvolk, was auf die
allmälige Verdrängung der Lappen gegen Norden durch
die später eingewanderten finnischen Stämme des Südens
hindeütet. Die Lappen nennen sich selbst Same- oder Sab-
melads, und ihr Land Sameed nan, das sich vom Weissen
Meer in der Halbinsel Kola in einem grossen Bogen um
den Hintergrund des Bottnischen Meerbusens tief ins In-
nere der Skandinavischen Halbinsel bis zum Parallel von
Drontheim und darüber hinaus erstreckt

Die Mundarten aller dieser finnischen Völkerschaften
sind sich einander sehr ähnlich. Die gebildetste ist dieje-
nige, welche in Finnland gesprochen wird. Sie ist litera-
risch angebaut, und Schrift- auch Drucksprache, zu welchem
Zweck man sich der deütschen oder lateinischen Buchsta-
ben bedient, welche die Suomen von den Schweden erhal-
ten haben. Dass ihnen schon in den ältesten Zeiten die
Schrift bekannt gewesen, ersieht man daraus, dass es in
ihrer Sprache Wörter für „schreiben" und „Buch"
(kir-
joittaa
und kirja) giebt; es war eine Runenschrift, an de-
ren Stelle ein Alphabet von sieben und zwanzig Buchstaben
getreten ist. Als Volkssprache spaltet sich das Suomische
in mehrere Unterdialekte; was auch bei der estnischen
Sprache der Fall ist, die, minder melodisch, als die finni-
sche, in den Rewal'schen und Dörpt'schen Dialekt zerfällt,
davon jener in Estland und auf der Insel Oesel (Samez),
dieser in Liwland gesprochen wird. Noch rauher klingt die
lappische Sprache, welche, mit Kehl- und Gurgellauten
angefüllt, trotz der geringen Anzahl des Volksstammes in
eine grosse Menge abweichender Mundarten so zerrissen
ist, dass sich die Lappen unter einander nur mit Mühe oder
gar nicht verstehen.

Die Wolgaischen Finnen, im Stromgebiet der mitt-
leren Wolga in den Gouvernements Kasan, Nischne-Now-
gorod, Simbirsk und Pensa, und weiter abwärts bis zu den
Angränzungen der Statthalterschaften Saratow und Oren-
burg. Es gehören dahin die Tschuwaschen, die Tschere-
missen und die Mordwinen, die in die drei Stämme Mok-
scha, Ersa undKaratai zerfallen. Der innige Zusammenhang
der finnischen Sprachen ist auffallend; dennoch aber ist die
Verschiedenheit merkwürdig, welche man bei genauerer
Betrachtung zwischen denselben wahrnimmt, und welche
sich eben so sehr auf die grammatischen Formen als auf
den lexikalischen Theil derselben erstreckt. In diesem
Betracht ist die mordwinische Sprache eine der interessan-
testen. Die Mordwinen haben sich aber mit den Russen
schon so weit verschmolzen, dass mehrere derselben von
den russischen Lokalbehörden gar nicht mehr für Mord-
winen anerkannt werdenAndrer Seits haben die wol-
gaischen Finnen sehr Vieles von den Türken, unter deren
Herrschaft sie lange gestanden haben, in ihre Sprache auf-
genommen, namentlich die Tschuwaschen oder Sujaschen,
deren Idiom, bis auf einige Ueberreste finnischer Wörter,
ganz verturkt ist. Aehnlich, doch in minderm Grade, ver-
hält es sich mit den Tscheremissen; ganz entschieden aber
mit den Teptiären oder Tepteren, ein, aus verschiedenen
Finnen- und Turk-Stämmen gebildetes Mischvolk in den
südlichen Gegenden des Ural-Gebirges, das sich eine neüe


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Ethnographie.

Sprache gebildet hat, in welcher eben so viel turHsche als
finnische Elemente enthalten sind.

Die Permischen Finnen. Diesem Zweige des finni-
schen Völkerstamms gehörte ohne Zweifel das, in den is-
ländischen Sagas so berühmte hyperboreischeBiarma-Land
der Skandinavier, das die Russen Perm nannten. Die Biar-
mier waren die einzige finnische Nation, die nicht in Bar-
barei versunken war; sie waren ein aufgeklärtes Volk,
das weit ausgedehnte Handelsverbindungen unterhielt und
grosse Reichthümer aufgehaüft hatte. Die Wohnplätze der
heutigen Permier erstrecken sich von der untern Kama
längs dieses Flusses und seiner Zuströme bis in die Ge-
genden der untern Dwina und der Mündung des Mesen.
Die östliche Gränze dieser Finnen-Abtheilung war ehe-
dem das üralische Scheidegebirge wol selbst, in spätem
Zeiten aber wurde sie von Wogulen und Ugerer westli-
cher gedrängt. Man unterscheidet in dieser Abtheilung
die Wotiaken (Woti, Woten), die sich selbst Ühd-Murd
nennen, und die Siriänen und eigentlichen Permier, die zu-
sammengenommen die eine siriänische Sprache sprechen
und sich Komi nennen, indem sie sich durch den Zunamen
Murd für erstere und Ilir für letztere unterscheiden. Aus-
serdem führen die Permier auch noch den Namen Ssuda
oder Ssudani.

Die Ugrischen Finnen. Es gehören in diese vierte
und letzte Abtheilung der finnischen Völker die Wogulen
und die Obischen Ostiaken, welche hoch oben im Norden
zu beiden Seiten des Ural und im Gebiet des untern Ob-
Stroms wohnen, so wie die Magyaren in Ungern. Die
Wogulen, die sich selbst Mansi Kum nennen, haben in
den südlichen Gegenden ihres Wohnsitzes ihre Nationalität
fast ganz verloren; in den nördlichen Gegenden aber schei-
nen sie neüe Gäste zu sein. Bei aller Verwandtschaft mit
den finnischen Dialekten an der Wolga hat die wogulische
Sprache so viel Eigenthümliches, dass man sie als eine
eigene Sprache betrachten kann. Auch die Ostiaken nennen
sich Mansi, zuweilen auch
Tju Tcum, d. h.: Morastleüte,
was an die Namen erinnert, die die baltischen Finnen füh-
ren. Sie leiten ihre Abkunft vom permischen Zweige der
Finnischen Völker ab; nichts destoweniger kommt ihre
Sprache der wogulischen am nächsten. Sie spaltet sich in
drei Haupt-Mundarten, davon die eine am Irtisch, die an-
dere am obern und die dritte am untern Ob gesprochen
wird. Ueber die Herkunft der Magyaren oder Ungern ist
so viel Ungereimtes vermuthet und geschrieben worden
und wird noch geschrieben, dass man ganze Bogen füllen
könnte, und eine Nachweisung all' dieser Fabeln zu geben.
Und doch steht es seit längerer Zeit fest, dass die jetzige al-
lerdings sehrgemischteungrische oder magyarische Sprache
in den Wurzeln unter allen Sprachen am meisten mit der
ugrischen Sprache der Wogulen und Ostiaken überein-
stimmt; wobei jedoch der frühe und lange Verkehr mit
Türk-Völkern und die haüfigen Wanderungen der Magya-
ren, die sie mitlndogermanen in Berührung brachten, nicht
ohne Einfluss gewesen ist. Aus dieser Amalgamation man-
cherlei Völker-Elemente ist der heütige Unger eben so ge-
laütert und männlich schön hervorgegangen, wie sein
hetitiger Nachbar und Ur-Verwandter, der Osmane

9. DieSamojeden, das zweite Geschlecht derUgrisch-
Tatarischen Völkerfamilie spalteten sich ehedem, raümlich
und sprachlich, in zwei Abtheilungen, die südlichen Samo-
jeden in und an dem Hochgebirge, innerhalb dessen der
Jenissei sein Quellgebiet hat, und die nördlichen Samojeden
am untern Jenissei und längs der Küsten des Arktischen
Polarm eers.

Die südlichen Samojeden bestanden aus den Sojoten (der
Russen) oder Uliang hai (der Chinesen), Uriang chai (der
Mongolen), den Mati, den Koibalen, den Kara Kasch und
den Kan-manaschen, die theils innerhalb der chinesischen
Reichsgränze, theils russischem Gebiet nomadisirten; allein
alle diese samojedischen Stämme haben ihre Sprache und
ihre Nationalität eingebüsst; sie sprechen sämmtlich einen
türkischen Dialekt, der indessen gewisse Idiotismen und
Dialekt-Eigenthümlichkeiten der samojedischen Sprache
beibehalten hat; der Religion nach sind sie Russen, und in
Sitten, Gebraüchen, Tracht etc. Türken geworden. Die
einzisre Ausnahme bildet die kleine Horde der Kammasin-

Ο · · β

zen oder Kagmasheang, wie sie sich selbst nennt, die
noch einen Ueberrest ihrer samojedischen Muttersprache
bewahret haben; und unter den Koibalen gab es im Jahre

physik. atlas abth. till.

1847 nur noch etliche hochbetagte Männer, die sich noch
des einen oder andern Wortes ihrer frühem Sprache erin-
nerten Es bleiben daher nur_

Die nördlichen Samojeden als selbstständige Nation übrig;
und diese spaltet sich in drei grosse Stämme mit eben so
vielen Haupt-Mundarten, deren jede wiederum eine grös-
sere oder geringere Anzahl von Verschiedenheiten enthält,
nämlich:

Der westsamojedische oder Jurakische Stamm mit fünf
Dialekt-Nüancen, dem Kaninschen und Timanschen, dem
Ischemschen, dem Bolschesemelschen und Ob dorischen,
dem Kondinschen und Kasimschen, und dem Juraki'schen
Dialekt.

Der ostsamojedische oder Tawgi-Stamm, ebenfalls mit
fünf Dialekt-Nüancen, dem Awamischen, Chantaischen,
Karassinschen, dem Bai-, und dem Kamassinschen Dialekt.

Endlich umfasst_

Der südliche oder Ostjak-Samojedische Stamm zwei
Dialekt-Verschiedenheiten, das Tomskische und das Turu-
chanskische, welche wiederum in eine Menge kleinerer
Schattirungen zerfallen. Die bedeütendste Dialekt-Abwei-
chung zeigt das Kamassinsche

10. DieJenisseier-Ostiäken, welche man ebenfalls
und zwar als letzte Abtheilung der ugrischen Gruppe an-
zusehen pflegt, sprachlich aber von Finnen und Samojeden
wesentlich unterschieden sind, sind in den letzten wenigen
Ueberbleibseln, welche davon im gegenwärtigen Jahrhun-
dert noch vorhanden waren, zum allergrössten Theile un-
tergegangen, und somit für Sprachkunde und Geschichte
unwiederbringlich verloren, ehe man dazu kommen konnte,
über ihren gehörigen Platz in der Völkerkette bestimmten
Aufschluss sich zu verschaffen. Von den Trümmern be-
hauptete auch Stepanow, dass sie einen eigenthümlichen
Völkerstamm unbekannter, seiner Vermuthung nach mon-
golischer, Abkunft bilden, mit einer Sprache, die weder
mit einer andern sibirischen noch mit den tschudischen,
d. i.: finnischen Sprachen Aehnlichkeit habe, eine Ansicht,
welcher Castren in dem vorläufigen Bericht über seine eth-
nologische Reise beigetreten ist'Ich wende mich zur

zweiten Nationen-Gruppe Ugrotataren, zur_

Tatarischen Gruppe, und werde bei derselben kür-
zere Zeit verweilen, als bei der finnischen oder ugrischen
Gruppe, auch nicht auf die verschiedenen Erklärungen des
Wortes Tatar zurückkommen, das die gründlichsten Ge-
schichtsforschungen als gleichbedeütend mit Mongol nach-
gewiesen haben Die Tatarische Gruppe besteht aus_

20. Den Mongolen, die seit den ältesten Zeiten in drei
grosse Stämme getheilt worden sind, die eigentlichen Mon-
golen, die Buriät und die Oelöt oder Kalmüken.

Die eigentlichen Mongolen bewohnen den, nach ihnen
genannten Theil des Tafellandes von Innerasien, die Mon-
golei, zu beiden Seiten der Wüste Gobi, und sind, auf
deren Südseite in eine grosse Menge von Stämmen ge-
spalten, bilden aber auf der Nordseite ein grosses zusam-
mengehöriges Volk, die Chalcha.

Die Buriät finden sich zum &llergrössten Theil auf rus-
sischem Gebiet in dem Berglande südlich vom Baikal-See.

Die Oelöt oder Kalmüken bestehen aus den vier Stäm-
men Dsungar, Torgod, Choschot und Dürbet, die auf den
weiten Steppen des westlichen Hochasiens zwischen dem
Kuen-lün und dem Altai, zwischen dem Chuchu noor oder
blauen See und dem Dzaisang-See sehr zerstreüt sind, auch
an der untern Wolga gegen den Manytsch hin, unter russi-
scher Oberrherrlichkeit, ihre Weideplätze haben, in die sie
seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eingewandert sind.

11. Die Tungusen, eine weit verbreitete Nation auf rus-
sischem und chinesischem Reichsgebiet, In ersterm nennen
sie sich selbst gemeiniglich Boje, im zweiten führen sie den
Namen Mandschu und sind als solche für das heütige China
von grosser Bedeütung geworden, weil ein beütelnstiger
Kriegerstamm der Mandschu vor zweihundert Jahren ins
Reich der Mitte eingefallen ist, dasselbe erobert und die
Herrschaft an sich gerissen hat.

Die Mandschu sind zwar über einen sehr bedeütenden
Landstrich verbreitet, doch ist derselbe nicht so gross, als
ihn die Karten unter dem Namen Mandschurei zu bezeich-
nen pflegen, Kimai-Kim, ein christlicher Koreaner im
Dienst der katholischen Mission, bemerkt (in der
Revue de
ΐOrient,
Mai 1846), dass die Wohnplätze der Mandschu
nicht über den 46« N, Breite hinausgehen; im W. seien

2


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6 Achte Abtheilung.

sie durch die Pfahlgränze und den Sungari von den Mon-
golen geschieden und im O. gränzten sie an das Japanische
Meer, im Norden aber an die zwei kleinen Staaten der
ü-kin und Tu-pi-laze, oder Tataren in Fischhaüten, (soll
wol heissen Seethier-Fellen). Die zuletzt genannten ha-
ben ihren Namen von den Chinesen erhalten. Da sie an
den Ufern des Sungari und der in denselben fallenden
Flusse wohnen, oder in den Wäldern umherirren, so trei-
ben sie Fischfang und Jagd und verkaufen den Chinesen
die Pelze der Thiere, die sie getödtet, und die Fische, die
sie gefangen haben. Sie sind unabhängig von China und las-
sen auf ihrem Gebiete keine Fremden zu. Sie haben ihre ei-
gene Sprache, worunter wahrscheinlich ein abweichender
Dialekt des Tungusischen zu verstehen ist. — Jenseits des
Landes der Tu-pi-laze und bis zur Gränze des Russischen
Reichs wohnen vermuthlich noch andere Wanderhorden.
Südlich vom genannten Stamm gegen das Meer hin ist ein
Land Fu-tscho-fu (Tu-scho-su) genannt, wo sich seit ei-
niger Zeit eine Menge chinesischer und koreanischer Land-
streicher sammeln, die hier ein wildes unabhängiges Raü-
berleben führen.

T.DieTurken oderTürken. Sie sind als selbstständi-
ges Volk das verbreitetste der Alten Welt; denn seine
Wohnsitze fangen im Südwesten am Adriatischen Meere
an, und hören gegen Nordosten erst jenseits des Einflusses
der Lena ins Eismeer auf. Seine Bestandttheile sind: die
Uiguren, die Tarekameh oder Turkomanen, die Usbeken,
die Karakalpaken, die Noga'i oder Mankat, die Karatschai
oder Bassianen, die, wie die Baschkiren und Meschtscherä-
ken .ursprünglich Finnen waren, die Kumük, die kasani-
schen und die lange Kette der sibirischen Türken, die, wie
wir oben sahen, eine grosse Menge flnnisch-samojedischer,
auch mongolischer Elemente in sich aufgenommen haben,
sodann die Kirgisen, die, sammt den Burut, ebenfalls finni-
schen Ursprungs und in ihren drei Horden jetzt wahr-
scheinlich das zahlreichste aller wandernden Völker sind;
und endlich im aüssersten Nordosten die Jakuten, im aüs-
sersten Südwesten die Osmanen, davon jene eine der rohe-
ren, doch betriebsamen Gruppen, diese die verfeinertste
und kultivirteste der ganzen Turk-Nation darstellen.

Die Türken haben, trotz ihrer ziemlich grossen politi-
schen Spaltung und trotz der ungeheüern Ausdehnung ihres
Wohngebiets, eine Sprache, welche in den Wurzelwörtern
und dem grammatischen Bau verhältnissmässig so wenige
Unterschiede zeigt, dass man die Türken auch heüte noch,
mögen ihre Stämme an den Ufern des Bosporus das üp-
pigste Schwelgerleben eines sklavischen Morgenlandes
führen, oder in den transoxianischen Steppen ohne Baum
und Strauch als freieste Nomaden ihren pfeilschnellen Ren-
ner tummeln, nur mit Ausnahme desjenigen Zweigs, der
in den eisigen Lenaflächen des hohen Nordens der Gründer
der Kultur geworden ist, als ein einziges Volk, als eine
einzige Nation betrachten darf. Diese grosse Einheit der
Sprache hebt jedoch nicht auf, dass sie Verschiedenheiten
in den Mundarten zeige. Beresin unterscheidet drei grosse
Dialekt-Gruppen: die östliche von Dschagatai; die nörd-
liche, die er die tatarische nennt, und die westliche, oder
eigentlich türkische. Die erste besteht aus sechs, die zweite
aus acht, und die dritte aus fünf, die gesammte Sprache
demnach aus neünzehn, und mit Hinzurechnung des jakuti-
schen Dialekts, den Beresin nicht in den Kreis seiner Unter-
suchungen aufgenommen hat, aus zwanzig Mundarten. Die
lange Angewohnheit der Russen, die unter ihrer Botmäs-
sigkeit lebenden Türken Tataren zu nennen, mag es recht-
fertigen, dass Beresin den nördlichen Zweig der Türken
den tatarischen genannt hat. Er rechnet dahin Kirgisen,
Baschkiren, Noga'i, Kumük, Karatschai, Karakalpaken,
Meschtscheräken und die kasanischen und sibirischen Tür-
ken. In der vorhistorischen Zeit entstanden, musste die
türkische. Sprache allerdings viele Umgestaltungen erfah-
ren und einen ungeheüern Schritt thun von dem armen, un-
bestimmten Uigurischen Dialekt, der ältesten der türki-
schen Mundarten, bis zu dem durch Aufnahme arabischer,
persischer und eüropäischer Wörter buntscheckig, aber
auch reich gewordenen Osmanli, der anmuthigen und aus-
drucksvollen Sprache der Osmanen zu Stambul; und so
merkwürdig die Verfolgung des Ganges ist, den die türki-
sche Sprache von den Zeiten des Tschingis-Chan bis jetzt
zu ihrer allmäligen Bereicherung und Vervollkommnung
genommen hat, eben so interessant ist auch ihr Zerfallen
in viele Dialekte.

Aus dem Schoosse dieser tatarischen Nationen ist, wie
ein geistvoller Geschichtsforscher bemerkt, mehr als ein
Mal die gewaltigste Episode hervorgegangen, die in der
Geschichte der Civilisation durch Eroberung und Zerstö-
rung ihren mächtigen Einfluss geübt hat. Vielleicht der
erste dieser Einbrüche in die civilisirte Welt war die In-
vasion der Hiong-nu oder Chiung-nu (Türken), die in das
Ende des ersten Jahrhunderts nach Chr. Geb. fällt. Diese
Invasion wurde von der kräftigen Dynastie der Han an den
Gränzen China's zurückgewiesen und die Macht der Hiong-
nu durch eine Schlacht am Berge Kinwei, in der Nachbar-
schaft des obern Irtisch, gebrochen, worauf ihr Land von
der Tungusen-Nation der Sian-pi eingenommen ward, die
sich mit ihnen zu Einem Volk verschmolzen (Klaproth,
Asia polyglotta, p. 237, 238). Die tatarischen Völker er-
scheinen im fünften Jahrhundert als Hunnen, eine Geissei
der römischen und germanischen Welt; in ihrem Schoosse
sind die Tschingis-Chan, die Tamerlan und ein Moham-
med II. entstanden; und sie sind es gewesen, die das Persi-
sche Reich, das Chalifat, und die Reiche von China, Byzanz
und Hindustan überwältigt haben; und Abkömmlinge, die
in gerader Linie von den Hirten Hochasien's stammen,
sitzen noch heutiges Tages auf dem Throne von Cyrus,
auf dem Konstantins des Grossen und auf dem Throne
des Reiches der Mitte. Nur durch Eroberung scheinen sie
an der höhern Gesittung der umgebenden Völker Theil
nehmen zu können, älteren wie jüngeren, Chinesen auf
der einen, Arier auf der andern Seite. Wenig geneigt, von
den Kulturvölkern zu lernen, wenn sie Nachbarn oder gar
Unterthanen derselben sind, nehmen sie mehr oder weni-
ger deren Gesittung an, wenn sie Herren der Unterjochten
geworden. Der innern Kraft der Civilisation ihrer Unter-
thanen keinen Widerstand leistend, stossen sie die Civili-
sation zurück, tritt sie ihnen von aussen entgegen

Es giebt noch mehrere andere Sprachgruppen, die auf
die Familie der Ugro-Tataren bezogen werden; allein die
Argumente, die man dafür beigebracht hat, sind viel schwä-
cher und die Verwandtschaft ist mehr ein Gegenstand der
Muthmassung, als des bestimmten Beweises. Es gehören
dahin: —

2. Die Drawida-Sprachen der Einwohner des süd-
lichen Vorder - Indien's, mit Einschluss 4. der Indischen
Gebirgs-Urbewohner;3. dieEuskarischeSprache der
Basken oder Euscaldunac; die Sprachen 5. der Geor-
gier und die verschiedenen Idiome 6. der Kaukasier.
Auch die Völker der nordöstlichen Gegenden von Asien
werden hierher zu stellen sein: 12. die Jukagiren mit
13. den Tschuwanzen, 14. die Korjaken mit den
Tschuktschen, so wie 15. die Kamtschadalen. Von
der Sprache 16. der Ainos oder Kurilen wissen wir es,
dass auch in ihr die eigenthümlichen Constructions-Gesetze
vorherrschen, welche als Merkmale der ugrischen und ta-
tarischen Idiome nachgewiesen worden sind; und neüere
Untersuchungen haben es wahrscheinlich gemacht, dass
der Grundsatz vokalischer Harmonie und andere Eigen-
thümlichkeiten der tatarischen Sprachen auch in den Idio-
men 17. der Japaner und der Lieu-Khieu-Inseln vor-
walte'^. Muthmasslich nimmt die Sprache 18. der Ko-
reaner oder Koora'ier an diesen Merkmalen ebenfalls
Theil; denn es ist eine geschichtliche Thatsache, dass die
Koreaner die Nachkommen sind der oben erwähnten Sian-
pi-Nation, die zwar längst verschwunden ist, von der
aber vermuthet werden darf, dass sie dem Tungus en-Zweige
des tatarischen Stamms angehörte, der seinen Ursitz be-
ständig in den Steppen und Wüsten der Mongolei ge-
habt hat.

Jetzt wäre von den Semiten zu sprechen; allein ich ver-
spare die Andeütungen über die Verwandtschaft der zu
dieser Sprachklasse gehörigen Völker bis zu den Erlaüte-
rungen über die Karte von Afrika (No. 16), weil daselbst
der Zusammenhang der gesammten Semitischen Familie
übersehen werden kann. Wie Syrien und Arabien nach
Natur und Art des Bodens, nach Flora und Fauna mehr
dem afrikanischen als dem asiatischen Erdtheile angehören,
so auch in Bezug auf den Menschen.

Für Asien kommt die semitische Völkerfamüie nur we-
gen der arabischen Wanderstämme in Betracht, die seit


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Ethnographie.

dem Einbruch und den Eroberungen des Islam auf den Ge-
birgen und in den Steppen von Iran und Turan zurück-
geblieben sind, wo Buchara und der Oxus-Amu d^
aüsserste Nordost-Ende des semitischen Vorkommens zu
sein scheinen; sodann aber auch wegen der Mapuler oder
Mapulets, auch Moplähs und Mopillas genannt, auf der
Küste Malabar, der Juden ebendaselbst, und der soge-
nannten Schaliaten auf der Küste von Coromandel. Aus
den muselmännischen Geschichtswerken ist es bekannt,
dass der Islam in den südlichen Gegenden Vorder-
indiens sehr frühe tiefe Wurzeln geschlagen hat, in Folge
grossartiger Auswanderungen der Araber und des Han-
dels, den sie schon seit der Ptolemäer Zeit sowol vom
Rothen Meere, als von der östlichen Küste Arabien's
nach Indien betrieben, so dass es eine Zeit gab, da der
ganze indische Handel über Alexandrien durch ihre Hände
ging. Das Wort Mapuler ist aus dem Worte
Maha-pulla,
d.h.: grosser Adel, verderbt, ein Titel, welchen auch
die Juden von den Malabaren bekommen. Die Mapuler
sind ein lichtgefärbter, gut aussehender Menschenschlag,
aber ein Bastardgeschlecht, entsprungen aus dem Verkehr
der ersten arabischen Ansiedler mit den einheimischen Wei-
bern des Drawida-Stammes. So ist auch ihre Sprache eine
Mangsprache 1 ein verderbtes mit Arabisch vermischtes
Malabarisch und Tamulisch. Nachkommen von Arabern
sind, unter dem Namen Moren (Moors) überall auf der
Insel Ceylon zerstreüt und echte Araber, längs der Linie
über Pulo Pinang, Malacca und Singapur im ganzen Indi-
schen Archipelagus angesessen, wo sie wegen ihres kul-
tivirten Geistes und ihres Geschicks zur Arbeit so wie
als Landsleüte des Propheten gern gesehen sind und auf
Java in ganz besonderer Achtung stehen. Da die mei-
sten mit einer geistlichen Würde bekleidet sind oder sich
selbst beilegen, so haben sie einen sehr grossen Einfluss
auf den Geist des Volks erlangt. Man findet sie überall im
Archipelagus, doch in geringer Anzahl; vorzüglich auf
Java, Sumatra und ganz besonders auf Borneo, wo die
Landesfürsten, mit sehr wenigen Ausnahmen, arabischer
Abstammung sind. Selten sieht man sie ein Handwerk
oder ein Gewerbe treiben. Alle Laien sind im Handel be-
schäftigt oder widmen sich dem Seedienst; dann sind sie
die geschicktesten Steiierleüte undLothsen, die alle Ge-
wässer des Archipelagus genau kennen, zuweilen aber
auch Anführer der wildesten Seeraüber. In den Städten
sind sie friedfertige Bürgersleute, die ein regelmässiges und
frommes Leben führen und als Handelsleüte selten zu Be-
schwerden Anlass geben

Es bleibt nun noch übrig, einen Blick zu werfen auf die
Nationen, die den Südosten des Asiatischen Festlandes be-
völkern. Welche Stellung ihnen im Kreise der Menschheit
anzuweisen ist, kann nur eine Kenntniss ihrer Sprachen
entscheiden; und diese führt uns darauf, sie gleichsam für
Reste der antediluvianischen Menschheit zu halten.

Das Kind, wenn es anfängt, die durch das Gehör em-
pfangenen Eindrücke mit der Stimme nachzubilden, giebt
sie in einzelnen Lauten wieder, in Folge der Beschaffenheit
des Sprachorgans, welches ein doppeltes Mittel besitzt.
Töne nachzuahmen: die blosse Oeffnung des Mundes mit
oder ohne Hauch, und den Druck der Zunge auf irgend
einen Theil des Mundes. Die erste giebt den Selbstlauter
mit allen seinen Abstufungen, der zweite die Mitlauter mit
ihren ähnlichen Abänderungen. Einsylbigkeit in der Spra-
che ist der erste Anfang des Sprechens eines jeden Men-
schen , und nur mit seinem Heranwachsen, mit der fort-
schreitenden Ausbildung seiner geistigen Kräfte gelangt er
dahin, die einzelnen Töne zuerst in reinen Vokal-Lauten
und in der Folge verbunden mit Consonanten zusammen-
zufügen, und auf diese Weise eine Sprache zu bilden, die
wir nach der Beschaffenheit ihrer Bestandtheile eine mehr-
sylbige nennen.

All' die Völker Asien's und Eüropa's, in deren Kreise
wir bisher Rundschau gehalten haben, alle Jafethiden und
alle Semiten,— auch die Hamiten Afrika's sprechen mehr-
sylbige Sprachen und liefern eben dadurch den Beweis,
dass sie das Alter der Kindheit hinter sich haben, und in
das Jünglingsalter der Menschheit getreten sind; wiewol
sich in vielen Sprachen, todten und lebenden, noch haüfige
Spuren ihrer Kindheit, selbst die reinsten Vokallaute als
Ausdruck für bestimmte Begriffe, auffinden lassen, wie im

Zend, im Griechischen, im Baskischen etc. und obgleich
in den meisten Idiomen monosyllabische Wurzeln vorkom-
men, die erst durch Zusammenfügung zu polysyllabischen
Wörtern werden.

Aber es giebt auch Völker, deren Sprache sich noch
vollständig in jenem Zustande der Kindheit befindet, der
die nothwendigsten Hauptbegriffe unverbunden und unver-
schmelzt neben einander stellt, und die wenigen Wörter,
welche diese Sprachen haben, eigentlich noch nicht als
Wörter kennt, sondern nur als Stoff zu Wörtern, als rohe
Wurzellaute ohne Beügung und Ableitung, an welche we-
der Verhältnisse noch Nebenbegriffe geknüpft sind, die
entweder gänzlich übergangen oder weitlaüfig und ängst-
lich umschrieben werden müssen; wodurch Dunkelheiten
und Zweideütigkeiten entstehen, die nur durch den Ton
oder Accent, mit welchem das Wort in jeder Bedeütung
ausgesprochen wird, einiger Massen beseitigt werden kön-
nen. Eine Unterhaltung in einer dieser einsylbigen Spra-
chen gepflogen, erfordert daher auch, wie Wilhelm von
Humboldt, der grosse Sprachforscher und Sprachkenner
bemerkt hat, eine weit grössere geistige Anstrengung als
nothwendig ist, um die Bedeütung von Sprüchen und Pe-
rioden zu verstehen, welche in den beügungsfähigen mehr-
sylbigen Zungen gesprochen werden.

Sprachen dieser Art werden von den Chinesen und Tü-
betern und allen Nationen der Hinterindischen Halbinsel
gesprochen, daher man sie unter dem Namen der_

Familie der Chinesischen und der Indo-Chinesischen Spra-
chen zusammen zu fassen pflegt. In der Geschichte der
Menschheit ist es gewiss die merkwürdigste Erscheinung,
dass so zahlreiche Völker, die fast die Halbscheid aller
Menschen ausmachen, und die es zum Theil sehr frühe
zu einem gewissen Grade der Kultur gebracht haben, so
viele Jahrtausende bei ihrer armseligen Einsylbigkeit, die
aller Klarheit und alles Wohlklangs bar ist, geblieben
sind. Ausser der Macht der Gewohnheit, welche unter ei-
nem heissen Himmel, wo Unthätigkeit des Geistes und des
Leibes ein Vorzug der Götter und Herrscher ist, immer
am stärksten wird, liegt die vornehmste Ursache wol in
ihrer Abgeschiedenheit von der übrigen Welt, von welcher
sie auf zwei Seiten durch den Ocean und auf zwei Seiten
durch unersteigliche Gebirge getrennt sind. Sie haben da-
her auch ihre Einwohner im Ganzen nie verändert, sondern
stammen in gerader Linie von den ersten Pflanzvölkern ab,
welche sich in der Kindheit der Welt hier niedergelassen
haben. Der Schauplatz der chinesischen Mythologie ist der
südliche Theil des Landes, welches ehedem Tangut hiess,
und von einem Volke tübetischer Rasse, K'hiang genannt,
bewohnt war; oder der hohe, mit ewigem Schnee bedeckte
Gebirgsknoten um den Chuchu-noor und die Bergkette des
Kuen lün, das Wiegenland des Hoang ho, von wo die Chi-
nesen herabgestiegen sind gegen Osten in die Gefilde, wel-
che der genannte Strom befruchtet, wo sie hinlängliche
Zeit behielten, in der Kultur und Bevölkerung ihren Gang
ruhig fortzugehen. Als daher in der Folge mehrsylbige
Barbaren, wie Türken, Mongolen und Tungusen die mäch-
tigen Naturgränzen überschritten, so blieben bei ihrem
grossen Umfange, und bei ihrer innern Fülle die einmal
so fest gegründeten Sprachen und Sitten unerschüttert.
Gegen eine Volksmenge von so vielen Hundert Millionen,
als China, Tübet und die Länder Hinterindien's aufzustel-
len haben, ist jeder, auch der zahlreichste Eroberer oder
Einwandrer nur schwach; und wenn gleich das angegrif-
fene Volk bei seiner weichlichen Schwäche unter einein
heissen Himmel der wilden Tapferkeit des rohen Barbaren
unterliegen muss, so wirken doch Masse, Charakter und
Denkungsart dahin, Sitten und Sprachen vor ihm rein zu
erhalten; ja diese drängen sogar dahin, den fremden Unter-
jocher mit sich zu verschmelzen, wie es in China immer
der Fall gewesen ist.

Wenn man annimmt,_und bei dem Mangel aller Ge-
schichte kann hier doch von nichts Anderm, als Muthmas-
sung die Rede sein, _ dass bei der ursprünglichen Ver-
mehrung und Verbreitung des menschlichen Geschlechts
der jüngere Nachwuchs die älteren Stämme immer weiter
gedrängt, bis endlich mächtige Naturgränzen, wie hier der
Ocean, dem weitern Fortrücken Ziel und Maass gesetzt, so
werden
wir 19.dieChinesen als den unmittelbarsten
Abkömmling des ältesten Menschenstamms an-
sehen müssen, dagegen die in seinem Rücken nach Westen


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8 Achte Abtheilung.

gelegenen "Völker immer jünger werden, je mehr sie sich
dem ersten Stammsitze nähern. Dies bestätigt denn auch
die Sprache, welche unter allen einsylbigen die einfachste
folglich der ersten Sprachbildung die nächste ist; ja das

Chinesische ist in einem gewissen Sinne,_ein Wrack

der primitiven Sprache, wie ein geistvoller Mann sich aus-
gedrückt hatein Monument der antediluviani-
schen Sprache, vergleichbar den Flora- und Fauna-
Denkmalen, die in den vorsündfluthigen Tertiärschichten
der Erdrinde begraben liegen. Denn die Chinesische Spra-
che, sammt den ihr ähnlichen Idiomen des südöstlichen
Asiens, bildet, wie Wilhelm von Humboldt zuerst seiner
ganzen Ausdehnung nach, entwickelt hat, einen Gegensatz
zu allen anderen Sprachen, weniger irgend eines Mangels
oder ihrer monosyllabischen Beschaffenheit halber, als
vielmehr wegen ihrer durchaus abweichenden Ansicht von
den Mitteln, daa Ziel einer jeden Sprache zu erreichen.
Und dieses Ziel ist die Zusammenfügung oder Verbindung
einer Periode, der Ausdruck eines logischen Satzes ver-
mittelst eines Subjects, Prädikats und Bindeworts mit alle
Dem, was davon abhangig ist. So ist zwischen der Chine-
sischen Sprache und allen übrigen Zungen eine gewaltige
Kluft; und diese Kluft stimmt wahrscheinlich mit derjeni-
gen über ein, die in der allgemeinen Entwickelung des
menschlichen Geschlechts durch einen Cataclysmus und
seine zerstörenden Finthen entstanden ist, eine Begebenheit
in der geologischen Geschichte der Erde, welche die Ge-
schichte unseres postdiluvianischen Geschlechts von seinen
adamitischen oder antediluvianischen Urahnen trennt.

Die Chinesische Sprache wie sie am kaiserlichen Hofe
zu Peking, von den Gelehrten und Beamten, und in der
höheren Gesellschaft gesprochen wird, heisst bei den Chi-
nesen Kuan-hoa (Guan-choa), in Eüropa aber Mandarinen-
Sprache, weil die Eüropäer sie unter den höheren Beamten
des Chinesischen Reichs kennen gelernt haben. Sie ist auch
die Volkssprache in den, am Unterlauf des Jan ze kiang
belegenen Provinzen Kiang su und Ngan hoei, wo die
Kaiser sonst ihren Sitz hatten, an deren Hofe sie vorzüg-
lich ausgebildet wurde. Von dieser gebildeten Sprache der
Chinesen unterscheidet sich die gewöhnliche Umgangs-
sprache der gesitteten Leüte und die Sprache des gemeinen
Volks, die in eine unbekannte, aber gewiss ausserordent-
lich grosse Menge von Hiang tan, d. i.: Mundarten zerfällt.
Die bekanntesten derselben sind der Dialekt von Tsche
kiang, der von Fu kian, der wiederum in fünf Unter-Mund-
arten zerfällt, und der Dialekt von Kuan tung, von denen
die beiden letzten auch von den in der Fremde angesiedel-
ten Chinesen, auf Luzon, wo die Chinesen Sangleyes ge-
nannt werden, auf Java, Borneo, Sumatra und den übrigen
Sunda - Inseln, in Siam, u. s. w. gesprochen werden, der
Dialekt von Jün nan aber von den nach dem Königreich
Birma ausgewanderten und dort ansessig gewordenen Chi-
nesen

21.DieTübeter oder Bod-ba, d.h.: Bod-Menschen,
bilden das zweite Volk in der Klasse der einsylbigen Spra-
chen ; allein seine Sprache steht nicht ganz und nicht aus-
schliesslich innerhalb dieser Klasse, sondern auf der Gränze

zwischen ihr und den tatarischen Sprachen. Kolonien,_

bemerkt der tiefe Denker und scharfsinnige Geschichtsfor-
scher, dessen Ansichten ich schon mehrfach in diesen Vor-
bemerkungen zu benutzen Gelegenheit gehabt habe,_Ko-
lonien können entweder die alte Form der Sprache beibe-
halten , oder Anlass zu einer grossen Veränderung werden.
Die alte Sprache von Tübet, in den chinesischen Ueberlie-
ferungen das Land ihrer frühesten Erinnerungen, mag von
den Kolonisten, die das Chinesische Reich gegründet haben,
unverändert beibehalten worden sein, indess das Mutter-
land selbst in der Entwickelung seiner Sprache Fortschritte
gemacht hat und diese Fortschritte haben der tübeti-
schen Sprache in jeder Beziehung mehr Ausdruck und
Wohlklang verliehen. Wie der grösste Theil des Hima-
laya in seinen Hochthälern zu beiden Seiten der Scheitel-
kette von Bod - ba, unter den verschiedensten Namen und
mit sehr verschiedenen Mundarten, bewohnt ist, so haben
tübetische Völkerschaften auch dasjenige Gränzgebirge
inne, welches China's westliche Provinzen von den Pla-
teaux des innern Hochlandes trennt, die breite Region von
Meridian-Gebirgen, die bei den Chinesen unter dem Namen
Siün Ung, d. i.: glätscherreiches Schneegebirge bekannt,
für uns aber ein unbekanntes Alpenland ist. In diesen
wilden Gebirgseinöden, deren Gipfel man für höher hält,
als die höchsten des Himalaya, und wohin (ungefähr 30° N.
Breite und 97° O. Länge von Paris) das tübetische Volk
seine Wiege setzt, hauset eine Völkerschaft, die wir nur
unter den jetzt üblibhen chinesischen Namen
Si fan, d. h.:
Fremdlinge oder Barbaren des Abendlandes kennen, die
Nachkommen der oben erwähnten K'hiang oder Tu fan,
die nach Sprache, Sitten und Gewohnheiten eben sowol
Tübeter sind, als die in verschiedenen Provinzen von China
zerstreüt lebenden Miao ze, die man für Ueberreste der ur-
sprünglichen Bevölkerung China's zu halten geneigt ist.
Muthmasslich sind hierher auch die Li zu stellen, die Ur-
bewohner im Innern der Insel Hai nan.

Alle Völker, welche einsylbige Sprachen reden, haben
nicht allein in ihrer leiblichen Erscheinung, besonders in
der Gesichtsbildung, sondern auch in ihren geistigen An-
lagen und Fähigkeiten grosse Aehnlichkeit mit einander;
so auch die Nationen, die wir die Indo - Chinesischen zu

nennen pflegen. Zu dieser Klasse gehören_

22.DieMarama,Barmanen oder Birmanen, die derdeüt-
sche Naturforscher J. W. Helfer, der sie an Ort und Stelle
kennen lernte, für eine nicht sehr alte Mischung aus Ma-
layen. Chinesischen Stämmen undHindus betrachtet Au
disses westlichste der Indo-Chinesischen Völker, am Meer-
busen vonBengal, schliessen sich südlich die, durch die Er-
oberungen der Birmanen fast ganz erloschene Nation 24. der
Mon oder Peguer. 23. Die Thai der Siamesen wohnen in
der Mitte von den tübetischen Gränzen bis an die Malayi-
sche Halbinsel; und 25. die Ann am er füllen den östlichen
Theil von Hinterindien, längs des Chinesischen Meeres. An
ihren südlichen Gränzen haben sie 29. die Khomen, oder
Kammer, im Lande Cambodia zu Nachbarn und Untertha-
nen; indess an der Nordseite, im südlichsten Winkel von
China und in den Angränzungen von Tong-king eines Ge-
birgsvolkes, unter dem Namen 30. der Kuan to Erwäh-
nung gethan wird, ohne über seine Verwandtschaft mit den
benachbarten Nationen im Klaren zu sein. Was diese Hin-
terindischen Völker an geistiger Bildung und Literatur be-
sitzen, ist ihnen aus der Fremde zugekommen, bei den
westlichen mit dem Buddhaismus und derPali-Sprache von
Vorderindien, oder vielmehr von Ceylon, bei den östlichen
von China, welches seinen Einfluss auf die Annamesen
durch Einführung seiner Schriftzeichen und seiner Litera-
tur in einer Weise ausgeübt hat, dass Annam nur als eine
Provinz des Reiches der Mitte angesehen werden kann

In diesem indo-chinesischen Gebiet der monosyllabischen
Sprachen giebt es noch einige andere kleine Völker, die
man fast nur dem Namen nach kennt; auf diese, wie auch
auf Völker mit polysyllabischer Sprache, deren im Obigen
nicht gedacht ist, wie die schon erwähnten Brahuis und
die Singhalesen werd' ich weiter unten in den Vorbemer-
kungen zu No. 14 kurz zurückkommen.


Anmerkungen.

1 (p. 2.) Auf die älteste von Plato erwähnte Eintheilung des
ursprünglichen Perserreichs in sieben, und des vergrösserten in
einige und zwanzig, aus Herodot, Diodor und Arrian nachweis-
barer Satrapien folgte die dritte Eintheilung des Persischen Reichs,
dessen Provinzenzahl sowol von Plinius, als von Ammianus Mar-
cellinus einstimmig auf achtzehn angegeben wird. Hiernach be-
griff die Provinz Aria die südlichen Gegenden des heutigen
Chorasan und einen Theil von Sedschistan, mit den Städten
Alexandria (Herat), Kandaka (Tak in Sedschistan), Artakavan
(bei Strabo Artakana), wahrscheinlich das Aria des Ptolemaios
an der Stelle der heutigen Stadt Harra. (Mannert Geographie
der Griechen und Eömer, V, 2, p. 96.) Das westliche Iran war
die Heimath des Altpersischen, in dem die berühmten Denkmale
der Keilschrift von Persepolis abgefasst sind; die Zendsprache
aber war, wie von den meisten Alterthumsforschern angenommen
wird, im östlichen Iran zu Hause, in den Provinzen, welche wäh-
rend der glänzendsten Epoche der Sefis Balch und Tocharistan
(das alte Bactriana) hiessen. __ A. Fr. Pott, „Indogermanischer
Sprachstamm", in Ersch-Grubers Allgem. Encyklopädie der Wis-
senschaften und Künste; 2. Section, Bd. XVIII, Leipzig 1840,
_ eine vortreffliche Arbeit, die, nebst J. Klaproth,
Asia Poly-
ghtta,
Paris 1823 ich oft wörtlich benutzt habe.

2 (p. 2.) Eine der hervorragendsten Perioden des Sanskrit scheint
das Jahrhundert vor dem Anfange unserer Zeitrechnung gewe-
sen zu sein, wo es stufenweise verfeinert endlich in den klassi-
schen Schriften vieler vortrefflichen Dichter festgestellt wurde,


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Etlmograpliie. 9

von denen man annimmt, dass die meisten um diese Zeit ge-
blüht haben. Von seinem nachherigen allmäligen Aussterben
fehlen uns die weitern Nachrichten; doch ist es gewiss, dass
das Sanskrit noch im 5ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung
eine lebende Sprache war
(Colebroohe in Trans, of ihe Boy. Asiatic
Society,
I, p. 453 ff.; und Bohlen, das alte Indien, II, p. 468).
Jetzt ist das Sanskrit schon längst eine todte Sprache, aber noch
bis auf den heutigen Tag wird es von den Gelehrten unter den
Hindus studirt als die Sprache der Wissenschaft und der Litera-
tur, als das Mittel, durch welches alle Gesetze, bürgerliche so-
wol als gottesdienstliche, und so viele Meisterwerke der Dicht-
kunst aufbewahrt sind, deren Bewunderung in Eüropa immer
mehr steigen muss, je mehr und genauer man sie und ihr wun-
derbares Organ kennen lernen wird. Die Bedeütung des Wortes
Sanskrit erklärt Wilkins
{Grammar of tJie Sanskrita Language,
p. 1.) folgender Massen: Das Wort Sanskrita ist zusammenge-
setzt aus der unzertrennlichen Präposition
sam, „mit", und dem
Partizipe des Passivs eines Verbums
hri, „machen"; krita, „ge-
macht", mit dem eingeschobenen Buchstaben
s, der die Aus-
sprache des vorhergehenden
m mildert und es zu einem η macht.
Sanskrita bedeutet überhaupt: mit Kunst gemacht; und von der
Sprache gebraucht, gebildet, vollkommen; oder, wie Bopp hin-
zufügt (Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechi-
schen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen,
I. Abth. 1833, p. IV.) geschmückt, vollendet, oder soviel, als
klassisch. Das Sanskrit wird in Indien auch
Sura h&ni, Süra
hhakscM
und Dewa Mni, die Sprache der himmlischen Regionen,
oder Göttersprache genannt. Auch das Alphabet des Sanskrit
führt den Namen
Dewa-nagari, d. h.: Götterschrift. Es ist sowol
in der Form seiner Buchstaben, als in deren Aufeinanderfolge
von der Schrift aller anderen Sprachen verschieden. (Friedrich
Adelung,
Bihliotheca sanscrita. Literatur der Sanskrit-Sprache
2te Ausgabe. St. Petersburg 1837; p. 16_19). Das Pali oder
Magadhi ist eine der ältesten Töchter des Sanskrit, und wahr-
scheinlich der Dialekt, welcher in der Landschaft Magadha zur
Zeit des historischen Ursprungs der Buddha-Religion, (540 oder
2640 Jahre vor Christi Geburt) gesprochen, und deshalb von
den Gründern dieses Religionssystems, die sich an das Volk wen-
den mussten, in ihren Vorträgen gebraucht wurde. Auch das Pali
ist im Munde des Volks längst erloschen. Als heilige und gelehrte
Sprache der Buddhaisten lebt es aber noch auf Ceylon, in Tü-
bet und im grössten Theile von Hinterindien, wo die gebildeten
Leute diese Sprache eben so erlernen, wie man in Vorderindien
und in Eüropa das Sanskrit und die klassischen Sprachen von
Hellas und Rom erlernt. Die Buddhaisten in China kennen und
'brauchen eine indische Sprache unter dem Namen Fan, die ent-
weder das Pali oder das reine Sanskrit ist, wie es sich in den
Buddhaistischen Büchern der Tübeter erhalten hat. Eine andere
Töchtersprache des Sanskrit ist das Kawi, welches einst die
Sprache der Literatur und der Religion in einem grossen Theile
der Inseln Java und Madura war, bevor der Islam daselbst ein-
geführt wurde, jetzt aber nur noch als Sprache der ältesten My-
then und Dichtungen gekannt ist, indess es auf der Insel Bali noch
als liturgische und Gesetzessprache fortlebt. Auch auf Borneo
bat es vor der mohammedanischen Zeit indische Colonien
{Orang
IcUng)
gegeben, wie die Entdeckung von Statuen, Utensilien, Or-
namenten etc. nachgewiesen hat. Hin und wieder lebt die Er-
innerung an diese Colonien in den Ueberlieferungen der Ma-
layen fort.

3 (p. 2.) Tadschik ist der alte Name von Persien. Meninski
erklärt ihn durch
,.Persia, olim nomen regianis oinnis, quae non
intra fines Arahiae, vel magnae Tatariae co7itinebatur".
Die Bucha-
ren nennen sich selbst Tadschik. Die Chinesen kannten dies
Wort schon um die Zeit der Geburt Christi, denn damals hiess
Persien bei ihnen
Tiao-dshi, und erst später kam das Wort
Po-szil in Gebrauch, welches eine verdorbene Aussprache von
Parsi ist. Das Wort
Tat ist nach Castellus der Name, mit dem
die Perser von einigen Stämmen belegt werden, die zwischen
Hamadan und Kurdistan wohnen. Nach Anderen aber bedeutet
Tat, die „überwundene Völkerschaft", in deren Lande sich die
Ueberwinder niedergelassen haben. Daher kommt es auch, dass
man in der Krym und in Dag'estan
Tat findet, von denen jene
den dort gewöhnlichen Turk-Dialekt, und diese eine verdorbene
und sehr gemischte Persische Mundart reden. Die in Turkistan
wohnenden Tadschiks werden von den Türk-Völkern, die unter
ihnen mit ihren Heerden umherziehen, Sarty oder Sarten ge-
nannt, welches Wort nur darum einen Kaufmann bezeichnet,
weil diese Tadschiks, ausser dem Ackerbau, vorzugsweise mit
Handel, Gewerbe und Seidenzucht beschäftigt sind. Dieser Name
ist ziemlich alt, denn die Mongolen nannten zur Zeit des Tschin-
gis-Khan die Kleine und Grosse Bucharei, oder das Erbtheil
von dieses Welteroberers Sohne Dschagatai, Sartohl. Kaschkar,
Jarkiang, Chotän, Aksu, Uschi, Turfan, und Chamil haben, so
wie die Städte der Grossen Bucharei, d. i.: Turkistan, Persisch
redende Bewohner, d. i.: Tadschiks seit alter Zeit gehabt und
haben sie noch jetzt. Weil diese Gegenden zu der ehemals so-
genannten Grossen Bucharei gehören, so heissen diese Pei-ser
gewöhnlich Bucharen. Tadschik-Kolonien befinden sich auch in
den Türkischen Städten Russlands, in Kasan, Tobolsk, Tara und
Tomsk. Eine der ansehnlichsten dieser Kolonien ist in und um
Tjumen an der Tura. Auch dort werden die Tadschiks von ih-
ren Turknachbarn Sarti genannt.^ Diese sibirischen Tadschiks
reden jetzt aus Gewohnheit fast immer Türkisch, haben aber
für eine Menge von Lebens- und anderen Bedürfnissen noch
die alten Persischen Namen beibehalten. Sie stammen von den
Persern ab, die aus der kirgisischen Gefangenschaft entflohen
sind.
{Klaproth, Asia pohjglotta, p. 223, 243.)

4 (p. 4.) Bei Gelegenheit der Terminologie der ügrotatari-
schen Völker bemerkt Prichard: _ Er könne es nicht begreifen,

PHYSIK. ATLAS ABTH. YIII.

wie man hohe Gebirgsketten als Geburtsstätten von Nationen
darzustellen vermöge. Jedermann werde zugeben müssen, dass
Nationen (in dem einzigen Sinne, in welchem Nationen jemals
gebildet worden sind, nämlich durch Anhaüfung von Einzelwe-
sen, oder durch Vervielfältigung von Familien) eher in frucht-
baren Thälern und auf Ebenen, wo es an Ernährungsmitteln
nicht gebricht, entstanden seien, als auf hohen, unzugänglichen
Gebirgsgipfeln, Die Ugrischen und Tatarischen Sprachen sind
überdem, wie ganz besonders Kellgren gezeigt hat, so nahe mit
einander verwandt, dass die Rassen, unter denen sie ursprünglich
entwickelt wurden, in den ersten Zeitaltern ihres Daseins muth-
masslich dicht neben einander gewohnt, oder besser, dass sie ur-
sprünglich Einen Volksstamm gebildet haben. Es ist schwer ein-
zusehen, dass ein Zweig auf dem Altai, und der andere auf dem
Ural entsprang. _
(James Cowles Prichard, on the various methods
of Research, which contribute to. the Advancement of Ethnology etc.;
in Report of the nth Meeting of the British Assosiation for the
Advancement of Science, held at Oxford in June 18i7. London,
Murray,
1848; p. 244.)

5 (p, 4.) Kellgren's fünf Sprachgesetze des Ural-Alta'ischen
Stammes, wie er ihn nennt, sind folgende: _

Die Consonanten und Vocale stehen beide als gleichbedeutend
und gleichberechtigt einander in der Sylbe gegenüber; diese
dürfen nicht von jenen übertönt werden, aus welchem Grunde
das Zusammentreifen mehrerer Consonanten in einer Sylbe der
Natur dieser Sprachen zuwider ist.

Die Wurzelsylbe ist ein unwandelbares Ganze, welches in sei-
nem wesentlichen sowol consonantlichen, als vokalischen Theile
keiner Veränderung unterworfen ist. Die Wurzel steht wie ein
Anführer immer voran; diese Sprachen dulden keine Präfixe,
und in den meisten von ihnen ruht der Haupt-Accent des Wor-
tes ein für allemal auf der ersten, d. h.; Wurzel-Sylbe,

In allen Sprachen des Ural-Alta'ischen Stammes herrschen die
Ij-esetze der Vocal-Harmonie vor; das Wort soll ein Ganzes sein;
alle seine Theile müssen in eine Tonart, in eine Harmonie zu-
sammenschmelzen; harte und weiche Vokale dürfen deshalb in
demselben Worte nicht zusammen vorkommen.

Jede weitere Bestimmung der Wurzel, jede Beziehung des
Wortstammes wird durch ein neü angehängtes Suffix bezeichnet;
diese reihen sich regelmässig an einander und verschmelzen nach
den Lautgesetzen. Das Nennwort unterscheidet kein Geschlecht.

Die in Rede stehenden Sprachen sind mit Partikeln sehr spär-
lich ausgestattet; ein Mangel, der durch einen grossen Reichthum
an Ableitungsformen der Zeitwörter, an Participien, Gerundiven,
und Infinitiv-Formen ersetzt
%Yird. Hierdurch wiederholen sich
in der Periodenbildung die Gesetze der Wortbildung: die Sätze
werden nicht, wie in den Indo-Eüropäischen Sprachen, in einan-
der gefügt, sondern jeder Satz schliesst sich fast wie ein Suffix
an den, welchem es zur nähern Bestimmung dient, und es bildet
sich so eine fortgehende Kette mit in einander eingreifenden
und sich zugleich an einander reihenden Gliedern. _ (H. Kell-
gren, die Grundzüge der finnischen Sprache mit Rücksicht auf
den Ural-Alta'ischen Sprachstamm. Berlin, Schröder, 1847, Dessen
Abhandlung unter dem Titel: Das finnische Volk und der Ural-
Altaische Völkerstamm, im Jahresbericht der deutschen mor-
genländischen Gesellschaft für das Jahr 1846. Leipzig, 1847;
p. 180-197.)

6 (p. 4.) Die meisten einheimischen Benennungen der balti-
schen Finnen wurzeln in dem, ihren Sprachen angehörigen Worte
S'uoma, und dieses bedeutet, Sumpf, Morast. Die Namen Fenni,
Finni, Finnas, Finnen
sind also rein germanische Uebersetzungen
jener einheimischen Namen, von dem gotischen
Fani, althoch-
deutschen
Fanni, Fenni, d, i.: Sumpf, gebildet, was sich in den
niederdeutschen Mundarten als
Fenn, Venne, Veen, im NeUfrie-
sischen als
Finne, im Englischen als Fen bis auf den heutigen
Tag erhalten hat.
Fenni des Tacitus, der die Finnen unter dem
angeführten Namen in die Geschichte eingeführt hat
{Germania,
46), ist demnach die deütsche Bezeichnung des grossen Nord-
stammes nach seinen Wohnsitzen an zahlreichen Sümpfen und
Seen. Dass diese Wohnsitze, wie in Asien, so auch auf europäi-
schem Boden sich einst viel weiter gegen Süden erstreckten, als
in den historischen Zeiten, ist mit Sicherheit annehmbar; eine
Spur davon lässt sich noch in dem Namen der dänischen Insel
Fünen,
Fyen, erkennen.

7 (p. 4.) Von der Gabclentz, Versuch einer Mordwinischen
Grammatik, — in Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes,
1839, II, p, 235 ff. und p. 383 ff. _ Koppen, über die Zahl der
Nichtrussen
(Liorodzy) in den Gouvernements Nowgorod, Twer

U. s. w. _ im Bulletin de la Classe historico-philologique de VAcad.

Iinp. des Sciences de St.-Petersbourg. T. I, 1844, No. 6, p. 85_96.
Auch über die Sprache der Tscheremissen schrieb v. d. Gabelentz,

_ in Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, 1842, IV, p.

122—139. Man unterscheidet zwei Dialekte dieser Sprache, welche
durch die Wolga abgegränzt werden, so dass die um Kosmodem-
jansk am rechten Ufer wohnenden Tscheremissen anders sprechen,
als die Bewohner des linken Ufers, und die Anwohner beider
Wolga-Ufer nicht ganz verständlich mit einander reden können.

8 (p. 5.) S. Gyarmathi, Affinitas linguae Hungaricae cum Un-
guis Fennicae originis.
Goett. 1799, _ Reguly, gleichfalls ein gebor-
ner Magyar, der in den Jahren 1843 und 1844 den hohen Nor-
den zu dem besondern Zweck bereist hat, die Sprachverwandten
seiner Nation in ihren Wohnsitzen aufzusuchen, bemerkt in sei-
nen Berichten an Bär in St. Petersburg: „Die wogulische Sprache
zeigt mir viel Bekanntes, und in ihrem Geiste tritt mir eine be-
sondere Verwandtschaft (mit der ungrischen Sprache) entgegen.
Für die Aussprache finde ich grosse Leichtigkeit; meine Wogu-
len wundern sich darüber und loben mich haüfig," Und an einer
andern Stelle: „die wogulische Sprache hat mit der Ungrischen
Sprache so viel Verwandtschaft, dass erst jetzt eine Wissenschaft-

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10 Achte Abtheilung.

liehe Untersuchung über die Elemente der erstem möglich wird."
(Bulletin de la Classe Jiist. phil. de l'Äcad. Imp. des Sc. de St-
Pitersbourg,
T. I, 1844, p. 297—300; p. 349-351. _ Vergl.
Schott, Versuch über die Tatarischen Sprachen. Berlin, 1836, p. 7.)

9 (p. 5.) Auf den Untergang der Nationalität der südlichen
Samojeden im und am Altai hat Stepanow in seiner ausführlichen
Beschreibung des Jenisseiskischen Gouvernements, St. Peters-
burg 1835, II Bände (in Russischer Sprache^ lebhaft aufmerk-
sam gemacht (besonders Bd. I, p. 133; Bd. II, p. 36, 37, 45, 48, 50).
Dieser Untergang ist von Castren, der in den Jahren 1845
bis 1848 die Samojeden-Stämme besucht und in rein ethnologisch-
linguistischer Beziehung erforscht hat, vollständig bestätigt woi-
den. In einem seiner Berichte sagt er: „Die für die Geschichts-
forschung so wichtige Vermuthung von Pallas, Klaproth u. a.,
dass die Sojoten, oder richtiger Sojaner, ein Ueberrest des Sa-
mojedenstammes seien, ist leider dem Schicksal überlassen ge-
blieben, bis die Sojoten und ihre Stammverwandte ihre Sprache
vergessen, und ihre Nationalität eingebüsst haben. Gegenwärtig
sprechen sämmtliche Sojoten, russische und chinesische, densel-
ben Dialekt des Türkischen, wie die Minussinskischen Tataren,
und es ist auch wahrscheinlich, dass ein grosser Theil der So-
joten aus gemeinen Türken oder Tataren bestanden habe."
(JBidl. de la classe Jiist. phil. de l'Äcad. Imp. des Sc. de St.-Pe-
tersbourg,
1847, T. IV, p. 319; vergl. 1848, T. V, p. 59 ff.,
p. 154, 184 ff.) Auf der Karte sind die Südsamojeden noch sa-
mojedisch kolorirt.

10 (p. 5.) Diese Eintheilung des Samojeden-Stammes rührt
von Castren her; siehe dessen Bericht an die Kaiserl. Akademie
zu St. Petersburg vom 8. Eebruar 1849 (im
Bull, de la classe
hist. pJäl.,
1849, T. VI, p. 151_153). Der Name Somojod, zu
dessen Erklärung man die abenteüerlichsten Vermuthungen zu
Hülfe genommen hat, wurzelt sehr wahrscheinlich in dem lappi-
schen "Wort
Same und hat demnach dieselbe Bedeütung, da be-
kanntlich das Gebiet der Samojeden ein Land voll Sümpfe, Mo-
räste, stehender Wasser ist. Schnitzler hat die, ebenfalls aus
dem Finnischen entlehnte Etymologie
Suomi-Joten, was er durch
„Riesen der Erde" übersetzt, gewagt.
(Essai d'une Statistique gg-
nirale de l'Em-pire dejRussie. Paris,
1829, p. 65.) Die westlichen oder
Jurakischen Samojeden nennen sich selbst Njenez oder Nenetsch,
d. i.: Leüte, oder auch Chasowo, d. i.: Menschen oder Männer.

11 (p. 5.) Stepanow, Beschreibung des Jenisseiskischen Gou-
vernements, II, p. 37 ff. Castren, im
Bulletin etc., T. VI, p. 154.

12 (p. 5.) Der Name Tataren, womit man die türkischen,
mongolischen und tungusischen Stämme vorzugsweise belegt, ist
nur ein leerer Schall und hatte ursprünglich eine sehr einge-
schränkte Bedeütung. So hiess ein tapfrer Hauptstamm der
mongolischen Nation, der den Vortrab der Heere TscMngis-
Khan's bildete, und nach welchem dann die meisten, mit den
Mongolen· verbündeten und von ihnen unterjochten Völker be-
nannt wurden. Als Gesammt-Benennung kann man das Wort
Tatarisch nur in so fern fortbestehen lassen, als man die Spra-
chen der Völker Hochasien's wegen ihrer grossen Analogie un-
ter gleichem Gesichtspunkt betrachtet._ Schott in seinem Ver-
suche etc. p. 1.

13 (p. 6.) G. C. J. Bunsen, on the Restdts of tlie recent Egyp-
tian Mesearches in reference to Asiatic and African Ethnology, and

the Classification of Languages-_ in Report of the .17^ Meeting of

the Brit. Assoc. for the Advancement of Science. London, 1848; p.
294, 95. _ Vergl.
James Prichard, on the various methods of Re-
search^ which contribiite to the Advancement of Ethnology.
Ebenda-
selbst, p. 245. — Ich muss bemerken, dass auf der Karte inner-
halb der Gränzen der Mandschu-Abtheilung der Tungusen ein
Volksgebiet angegeben ist, welches von neuen Missionsberichten
U-kin und Tu-pi-laze genannt wird, ohne dass der Berichterstat-
ter der Sprache dieses Volks Erwähnung thut. Ohne Zweifel ge-
hört es zur Tatarischen Gruppe.

14 (p. 6.) Die Ansicht, dass die Japanische Sprache Analo-
gien mit den Tatarischen Sprachen darbiete, hat, so viel ich
weiss, der ausgezeichnete englische Sprachforscher Non-is, ein
gründlicher Kenner des Japanischen, zuerst angedeutet. (Vergl.
Prichard, a. a. O. p. 246.)

15 (p. 7.) Ueber die Araber in Indien vergl., ausser Adelung,
Mithridates, I, p. 412, 413;
Richard F. Burton, Goa and the
Bim Mountains; of Six Months of Sick Leave.
London, 1851;
Montgomery Martin, History of the British Colonies. London, 1834;
Vol. I; und
G. J. Temminck, Goup d'oeil sur les possessions nier-
landaises dans l'Inde Archip€lagique.
Leide, 1846, T. I.

16 (p. 8.) Die hier gegebene Charakteristik von den mono-
syllabischen Sprachen, im Besondern der Chinesischen, ist von
J. Chr. Adelung, im Mithridates, I, p. 29, 30, 39, 40, aus dem ich
sie wörtlich entlehnt habe. Vergl. W. Schott: „Chinesische Spra-
che" in Ersch' u. Gruber's Encyklopädie, XVI, p. 359 ff. Den cha-
rakteristischen Ausdruck „Wrack der primitiven Sprache" ge-
braucht Bunsen.
(Report of the 17th Meeting of the Brit. for
the Advancement of Science.
Lond. 1848; p. 298, vergl. p. 283, 299.)

17. (p. 8.) Die Kuan-hoa nennt man bisweilen Neüchinesisch
zum Unterschied von der Ku-uan (Gu-wen) oder Altchinesischen
Sprache, in welcher die fünf Kings oder alten Religionsbücher
geschrieben sind, und von der Uan-tschang (Wen-tschang) oder
der Büchersprache. Allein das sind keine besonderen Sprachen,
sondern nur Arten des Styls, welcher in den Kings erhaben und
feierlich, in der Büchersprache reiner und ausgewählter, als in
der flüchtigen Umgangssprache erscheint. Den Dialekt von Fu
kian hat man auch, nach der in dieser Provinz liegenden Stadt
Tschang tscheu, in verderbter Aussprache Schinscheu (Chin cheu)
genannt und zu einer eigenen Sprache gemacht, was sie aber
nicht ist, obwol die Dialeiit-Verschiedenheiten von derKuanhoa
nicht unbeträchtlich sind. (Mithridates I, p. 51, 54, 55.) _ Ein
lebendiger Verkehr der Chinesen mit den südlichen Ländern hat
von jeher Statt gefunden. Er bestand schon seit undenklichen
Zeiten, als die Eüropäer nach Indien gelangten. In der ersten
Periode ihres Auftretens in Indien und bis zum 16. Jahrhundert
sollen die Portugiesen in Bamu, der birmanischen Gränzstadt
gegen China, eine Handelsfaktorei gehabt und dort mit den Chi-
nesen in Berührung gestanden haben. Auch in unsern Tagen
findet hier ein aüsserst lebhafter Verkehr zu Wasser und zu
Lande mit China Statt, und in Bamu, so wie längs des Irawaddi
tiefer hinab bis zur Stadt Amerapura sind Chinesen zehntausend-
weise angesiedelt, als Ackerbauer, namentlich als Zucker-Culti-
vatoren, als Handwerker und Kaufleüte. Diese Kolonisten stam-
men aus der chinesischen Provinz Jün nan, und vermehren sich
jährlieh durch neüen Zuzug. In Annam, diesem zinspflichtigen
Staate der Blume der Mitte (wie einer der pomphaften Titel des
chinesischen Reiches klingt), sind die Chinesen nicht so zahlreich,
als in Birma, aber sie machen eine angesehene und wohlhabende
Klasse aus. Siam aber, imd zwar vornehmlich der südliche Land-
strich dieses von China politisch abhängenden Reichs, ist von
Chinesen, die aus den Seeprovinzen Kuan tung, Fu kian etc.
stammen, so dicht besetzt, dass die ursprüngliche Bevölkerung
der Thai-Nation nur ein Zehntheil der Volksmenge beträgt, und
hier gleichsam ein Neü-China entstanden ist, das aus dem Mut-
terlande alljährlich neüen sich mehrenden Zufluss an Menschen-
kraft empfangt. Auf fast allen Inseln des Indischen Archipela-
gus sind Chinesen eingewandert, bald in sehr zahlreichen Hau-
fen, wie auf den grossen Sunda-Inseln Borneo, Java, Sumatra,
Bangka etc., bald in kleineren Gruppen; und man rechnet, dass
die Zahl der, allein aus Fu kian und Kuan tung in Hinterindien
und auf den Inseln angesiedelten Chinesen auf drei Millionen
Männer sich belaufen, die, weil kein chinesisches Weib sein Va-
terland verlassen darf, an ihren neüen Wohnsitzen einheimische
Weiber nehmen, und dadurch die Erzeüger neüer Mangvölker
werden. (Berghaus, Grundriss der Geographie. Breslau, 1843,
p. 1003, 1056, 1068.) Diese Vermischung wirkt aber nur auf
den physischen Menschen, nicht auf den moralischen, denn ea
ist eine allgemeine Erfahrung, dass die Frauen, welche die im
Ausland lebenden Chinesen nehmen, ihre heimathlichen Sitten,
Gebraüche, Sprachen vollständig gegen die ihrer Männer auf-
geben. _ Um auch ein Paar Worte über die Chinesische Schrift

zu sagen, so ist diese noch sonderbarer, als die Sprache selbst,
und in ihrer Art einzig. Es giebt Spuren, dass die chinesischen
Schriftzeichen ursprünglich einige Aehnlichkeit mit der bezeich-
neten Sache hatten; wie sich aber diese Schrift seit unvordenk-
lichen Zeiten ausgebildet hat, unterscheidet sie sich von allen
übrigen Schriftarten dadurch, dass sie weder natürliche, noch
symbolische Hieroglyphik, weder Sylben- und Buchstabenschrift
ist, sondern ganze, ausgebildete Begriffe, und zwar jeden Begriff
durch sein eigenes Zeichen ausdrückt, ohne mit der Sache in
Verbindung zu stehen. Sie spricht zum Auge, wie die euro-
päischen Zahlzeichen, welche Jeder versteht, und auf seine Weise
ausspricht. Man kann daher Chinesisch lesen lernen, ohne ein
Wort von der Sprache zu verstehen. Doch scheint diese der
Schrift zum Muster gedient zu haben; spielen in der Sprache
die fünf oder sechs Vokale die Hauptrolle, aus welchen mit
Hülfe der vorgesetzten Consonanten die 328 oder 350 Wurzel-,
laute bestehen; so liegen in der Schrift sechs theils gerade,
theils auf verschiedene Art gekrümmte Linien zum Grunde,
welche die 214 so genannten Schlüssel oder Urzeichen bilden,
mit welchen alle übrigen Zeichen, deren höchste Zahl man auf
80,000 angiebt, zusammen gesetzt sind. (J. Chr. Adelung, Mi-
thridates, I, p. 47.) _ Die Chinesischen Charaktere ergötzen

das Auge durch ihre reiche Manchfaltigkeit und die höchste
kalligraphische Vollendung: sie entfalten dem Verstände einen
überschwenglichen Reichthum an Ideen, und eröffnen uns die
Schätze einer unermesslichen Literatur, die, selbstständig und
originell, sich fast über alle Fächer des menschlichen Wissens
erstreckt. Ihr Studium verspricht dem Geschichtsforscher, Geo-
graphen, Naturhistoriker und zunächst auch dem eigentlichen
Philosophen reiche Ausbeüte. Die beglaubigte Geschichte der
Chinesen fängt spätestens im 9. Jahrhundert vor unserer Zeit-
rechnung an und ist mit einer bewunderungswürdigen Sorgfalt
und \^ollständigkeit ununterbrochen bis auf die neüesten Zeiten
fortgeführt. Mit den grossen Reichs-Annalen der Chinesen lässt
sich kein Geschichtswerk des Alterthums und der neüern Zeit
an riesenhaftem Umfang, und fast unerschöpflichem Reichthum
der Materien vergleichen. Sie machen uns nicht nur mit der
Verfassung und den Schicksalen der Chinesischen Moiiarchie
während cines_ Zeitraums von mehr als drittehalb Jahrtausenden
bis in das kleinste Detail bekannt, sondern verbreiten auch das
schönste Licht über die älteren und neüeren Verhältnisse der
Chinesen zu den benachbarten Völkerstämmen des nördlichen und
mittlem Asiens, und über die politischen Umwälzungen, deren
Folge die grosse Völkerwanderung war, welche ganz Eüropa
eine neüe Gestalt gab. (W. Schott, „Chinesische Sprache und
Schrift", a. a. 0. p. 367.)

_ 18 (p. 8.) C. C. J. Bunsen, _ in Report of the Mee-
ting of the Br. Assoc. for the Advancement of Science. London,
1848; p. 294.

19 (p. 8.) Journal of the Asiatic Society of Benqal. Calcutta,
1838; Vol. VIT, p. 855.

20 (p. 8.) Berghaus, Grundriss der Geographie, 1843, p. 1052.
Vergl. den vortrefflichen Artikel „Indien", von Theodor Benfey,
in Ersch-Gruber, Allgem. Encycl. der Wissensch, u. Künste, 2'e
Sect. Bd. XVII,
p. 317, 345 ff.


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Ethnographie. 11

Die Indogermanen sind über einen grossen Tlieil der
Erdfläche verbreitet. Seit viertehalb Jahrhunderten hat
die eüropäische Abtheilung dieser Völkerfamilie, nachdem
sie sich in vorhistorischen Zeiten in Eüropa angesiedelt,
ihre Wanderungen fortgesetzt nach allen Weltgegenden.
Es findet bei den eüropäischen Völkern ein unaufhörliches
Drängen nach Aussen Statt: Zuerst Romanen, dann Ger-
manen ziehen gegen Westen in die Neue Welt, um in den
Jagdrevieren einer wilden Bevölkerung, diese unwillkür-
lich ausrottend, sich neüe Wohnsitze zum Betrieb der land-
wirthschaftlichen und aller übrigen Beschäftigungen des
civilisirten Lebens zu suchen; Slawen wandern gegen
Osten, um die ähnlichen Zwecke im asiatischen oder sibi-
rischen Norden der Alten Welt zu verfolgen. Es ist ver-
sucht worden, diese Verhältnisse der eüropäischen Völker-
ströme auf der Karte darzustellen. Die Kleinheit des Maass-
stabes bedingt natürlich die ganz allgemein gefasste Über-
sicht, die auf Einzelheiten nicht eingehen kann, wiewol
diese die Scheidung der Indogermanischen Völker in ihre
Hauptgruppen berücksichtigen.

Von den Indogermanen sind die zur eüropäischen Ab-
theilung gehörigen Völker kraft der Energie ihres Charak-
ters die Führer der Welt; sie sind die Träger der liuma-
nität und der religiös-sittlichen Weltanschauung, oder, was
dasselbe sagen will, der christlichen, d. i. also der echten
und wahren, die Freiheit des Geistes anerkennenden und
nach Erforschung der Wahrheit ringenden, weltumfassen-
den Gesittung, weil sie sich auf den Glauben an den Hei-
land der Welt stützt. Ist gleich dieser Glaube, der Glaube
an die göttliche Natur Jesu Christi, und damit die Hoffnung
auf den in der Zeit und auf Erden zu erringenden vollkom-
menen Sieg des Guten über das Böse in einem gewissen
Theile der eüropäischen Menschheit nicht allein tief er-
schüttert, sondern sogar gänzlich erloschen, so sind das
nach Zeit und Kaum sich stets erneüernde Verirrungen des
geistigen Hochmuths, die aber immer geschwunden sind
und schwinden werden vor dem „Geist der Wahrheit, der
vom Vater ausgeht"; denn Jesus Christus ist „der Weg,
die Wahrheit und das Leben, und Niemand kommt zum
Vater, als durch Ihn; Ihm ist alle Gewalt im Himmel und
auf Erden gegeben; und alle seine Jünger gehen hin und
lehren alle Völker und taufen sie im Namen des Vaters,
des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehren sie halten
Alles, was er befohlen hat, und er ist bei den Jüngern alle
Tage bis an's Ende der Welt". Diese Worte des Herrn
sind in ihren Ergebnissen von zwei Jahrtausenden auf der
Karte nach geographischer Verbreitung vor Augen gelegt;
nur muss man sich die asiatische Abtheilung der Indoger-
manen hierbei wegdenken.

Unter den eüropäischen Indogermanen ist es aber vor-
zugsweise ein Volksstamm, und von diesem wiederum ein
einzelner Zweig, dem die Vorsehung im Lichte der Gegen-
wart die wichtigste Mission in der Civilisirung des Men-
schengeschlechts verliehen hat. Dieses Volk sind die Eng-
länder, der angelsächsische oder jüngste Ast der Germa-
nen, der mit seinen ausserordentlichen Gemüths - Eigen-
schaften und Verstandes-Fähigkeiten, die in aller Jugend-
frische und Jugendkraft grünen und blühen, an die Spitze
der civilisirten Welt berufen worden ist. Mit den keltischen,
deütschen und anderen Volks-Elementen, die sich in ihnen
verschwommen und aufgelöst haben, giebt es in der Mitte
des neünzehnten Jahrhunderts mindestens 53Millionen An-
gelsachsen, davon 20 Millionen in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika die Schaubühne ihrer rastlosen Thätig-
keit aufgeschlagen haben. Von Völkern, die innerhalb des
Kreises christlicher Gesittung stehen, sind bloss die Slawen
zahlreicher, der Kopfzahl nach; allein nur wenige Zweige
dieses plastischen und an der Erde kriechenden Stammes
sind bis jetzt aus den dunkeln Schatten finsterer Jahrhun-
derte an's helle Licht der geistigen Freiheit herausgetreten.
In Wohlstand, innerer Kraft und Kultur lassen sie sich
weder mit dem Franken und Teütonen, noch mit dem An-
gelsachsen vergleichen. Die Menge ist fast ihr einziges
Kraft-Element. Von allen Völkern, die jetzt nach der Herr-
schaft der Welt streben, — was nichts anderes ist, als
Geltendmachung von Sprachen, Religion, Meinungen,
Sitten und Gebraüchen, Gesetz und Regierungsform, also
ein Abdruck des Stempels des eigenen Charakters und

Geistes,_ist das Angelsächsische Volk jetzt ohne Frage

das zahlreichste, thätigste und mächtigste. Der Tag, wo
es, wie der Polnische Zweig des Slawen-Volks von stär-
keren Horden möglicher Weise hätte zerdrückt, verschlun-
gen oder zertreten werden können, ist für immer vorüber.
Dass es einst für dieses Volk eine Periode gab, wo es mit
Gewalt unterworfen oder dem langsamen Todeskampf des
Verfalls zur Beüte werden konnte, kann nicht bezweifelt
werden. Es sind nun gerade zweihundert Jahre her, dass
die sieben vereinigten Provinzen der deütschen Niederlande
den Anlauf nahmen, auf der Weltbühne eine grössere-Rolle
zu spielen, als England. Kein Volk in Eüropa konnte es
damals an Wohlstand, Thätigkeit und an Macht zur See
mit diesem kleinen Zweige des deütschen Astes aufnehmen.
Die Holländer hatten den Handel des ganzen Abendlandes
in ihren Händen. In jedem Hafen wurde ihre Sprache ge-
sprochen. Im grossen Orient war ihre Herrschaft gesichert
und ihr Einfluss unbeschränkt. England war damals in der
Fremde kaum dem Namen nach bekannt; seine schwere
Sprache beleidigte das fremde Ohr, und seine stürmischen
Küsten verscheüchten die Wissbegierde civilisirterer Rei-
senden. Hätte Jemand daran gedacht, dass dereinst ein
Tag kommen werde, an dem eine einzige eüropäische Spra-
che von Millionen Menschen gesprochen werden würde, die
über die grossen Festländer der Erde von den Hebriden
bisNeü-Seeland, und vom nördlichen Eismeer bis zum Vor-
gebirge der Stürme zerstreüt sind, so würde er die Hollän-
dische Mundart der deütschen Sprache, und nicht das Eng-
lische als die Zunge zu bezeichnen gehabt haben, der diese
wunderbare Mission übertragen worden. Doch Holland ist
in der Waagschale der Nationen fast eben so tief gesunken,
wie Angelsachsen gestiegen ist. Seine Sprache wird von
Keinem mehr erlernt; seine Kaufleüte bedienen sich bei
ihren Handels-Geschäften der französischen oder engli-
schen Sprache, und selbst viele seiner Schriftsteller hüllen
ihi-en Genius in ein fremdes Kleid. Die englische Sprache
und Literatur hat diese Phase der Gefahr glücklich über-
standen. Das Holländische und Vlämische ist, wie das
Ersische, Wälsche und Baskische, dazu verurtheilt, als ein
Medium der Verständigung unterzugehen; allein was auch
immer die künftigen Veränderungen der Welt sein mögen,
die Sprache Shakspeare's und Bacon's ist zu tief und fest-
gewurzelt, als dass sie wieder ausgerottet werden könnte,
wenn sie auch dereinst dem Schicksale aller gebildeten
Sprachen verfallen wird, im Munde des Volks zu verstum-
men. Der Zeitpunkt wann dies geschehen werde, liegt aus-
serhalb aller menschlichen Berechnung; denn im Lichte der
Gegenwart strebt die angelsächsische Sprache gerade nach
Erweiterung ihres Gebiets; sie begnügt sich nicht mit ihrer
Erhaltung, sondern trachtet nach Universal-Herrschaft.
Sie nimmt von Stufe zu Stufe alle Häfen und Küsten der
Welt in Besitz, isolirt alle wetteifernden Idiome, und
schliesst sie von allem wechselseitigen Verkehre aus, indem
sie sich selbst zum alleinigen Verständigungsmittel auf-
wirft. An Hunderten von Punkten tritt sie als angreifender
Theil auf. Sie kämpft mit dem Spanischen an denGränzen
von Mexico; sie [treibt das Französische und Russische in
Canada und an der Nordwestküste vor sich her und über-
wältigt das Holländische am Vorgebirge der guten Hoff-
nung und an der Natalküste; sie drängt das Italiänische
und Griechische auf Malta und den Ionischen Inseln;
masst sich die Rechte des Arabischen in Alexandrien und
Suez an; die englische Sprache übt die souveraine Gewalt
in Liberia, Hongkong, Jamaica und St. Helena, aus, er-
kämpft sich ihren Weg gegen die zahlreichsten und manch-
faltigsten Dialekte im Felsen gebirge, in Mittel-Ame-
rika, an der Goldküste, im Innern von Australien und auf
den unzähligen Inseln der östlichen Meere. Keine andere
Sprache ist auf diese Weise verbreitet; das Französiche
und Deutsche findet seine Schüler unter den gebildeten
Ständen; das Englische aber überwältigt und zerstört über-
all die Sprachen, mit denen es in Berührung kommt.
(Athe-
naeum,
1851. June 21; No. 1234, p. 6_60.J Den hohen
Zwecken der Civilisation kann nur ein sittliches Volk dienst-
bar und förderlich sein. Unter allen Völkern Eüropa's
giebt es aber nur wenige, die vom Sittengesetz so tief

Ν*". 2. Planiglob zur Übersicht der Verbreitung der lodo-Germanen und Semiten über die gesammte

Erdfläche.


16 *

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12 Achte Abtheilung.

durchdrungen sind und in der religiösen Bildung auf einer
so hohen Stufe stehen, als das Anglo - Saxonische Volk.
Die Idee der Gemeinschaft des Menschen mit Gott kündigt
sich in seinem religiösen Bewusstsein als nothwendiges Be-
dürfniss vorzugsweise an. Aus diesem Born entspringen
all' die grossen Eigenschaften des Gemüths und des Gei-
stes, die es befähigen, überall da Licht zu verbreiten, wo
die dunkelste Finsterniss herrschte; nur auf diese "Weise
befruchtet, konnte es seiner Hochherzigkeit gelingen, hun-
dert Millionen Menschen aus der Knechtschaft zu befreien,
wie es in Indien geschehen ist, und eben diese Millionen
von den Banden des Aberglaubens und barbarischer Ge-
brauche allmälig zu entfesseln. So ist das englische Volk
das vorzüglichste Werkzeug, dessen sich die Weltregierung
zur Veredlung des Menschengeschlechts bedient, und um
das herbeizuführen, was die Philosophen Ethisches Reich,
oder Reich der Zwecke, moralische Weltordnung, intel-
ligible Welt oder geistige Welt etc. nennen, und das nichts
Anderes ist, als was, religiös ausgedrückt, das Reich Got-
tes auf Erden ist. Und so sind die Engländer echte Chi-
liasten im weitern Sinn des Worts, hin und wieder ge-
mengt mit politisch-theokratischen Chiliasten, die wie die
Babtisten, Quäker, Methodisten u. a. durch oifenba-
rungsglaübiges Lesen der heil. Schrift begeistert, irgend
einen politischen Zustand aus der heiligen Geschichte als
Ideal eines Reiches Gottes aufgefasst haben.

Wie klein ist der Vei-breitungsbezirk der Semiten im
Vergleich zu dem der Indogermanen! Nur bei den Juden
findet bekanntlich eine Ausnahme Statt; sie sind fast über
die ganze Erde zerstreut; an ihnen ist das Wort erfüllet
von Ewigkeit zu Ewigkeit! Auch bei den Semiten ist in
der Karte natürlich nur auf das Allgemeine Rücksicht ge-
nommen worden; "alle Besonderheiten mussten unterblei-
ben, um das Ubersichtliche zu wahren. Wohl zu merken
aber ist, dass hier nur von den, früher ausschliesslich
Semiten genannten Syro-Arabischen Völkern die Rede ist,
nicht von der gesammten Semki sehen Familie, die in Folge
der Erweiterung unserer philologischen Kenntnisse von
den afrikanischen Sprachen einen grossen Umfang gewon-
nen hat (s. unten die Vorbemerkungen zu No. 16).

Dem Schoosse der Semiten ist das Christenthum ent-
sprossen , aber noch ein zweiter, ein anderer Kultur-
Zustand für einen sehr grossen Theil des Menschenge-
schlechts. Allerdings stehen sie seit einem Jahrtausend
in der Entwickelung stille, und haben in allen Gebie-
ten des Geistes sogar Rückschritte gemacht, vergleicht
man den Zustand wie^^er ist mit dem wissenschaftlichen
Zeitalter der Araber unter den Abbasiden im achten Jahr-
hundert, als die Künste und Wissenschaften der be-
siegten Völker in Babylonien, Syrien, Ägypten, Persien
und Indien auf die Eroberer zurückwirkten, und diese da-
durch berufen wurden, die geistigen Errungenschaften der
Vorzeit im Mittelalter vom völligen Untergang zu retten;
nichts desto weniger üben die Semiten auch jetzt noch,
' wie in den früheren Epochen der Weltgeschichte durch den
allein herrschenden ihrer Zweige, den arabischen, und durch
die Lehre des Propheten einen gewaltigen Einfluss aus,
der einen grossen Theil der arischen Gruppe der Indo-Eü-
ropäer, das gesammte Türken- und das Malayen-Volk etc.
umspannt, und seit der Eroberung Ägypten's unter Amru
ibn al-Assi im Jahre 18 der Hedschra, 640 nach Christi
Geburt, sein Drängen gegen das Innere von Afrika vorge-
schoben hat, wo der Halbmond als Vorlaüfer des Kreüzes
angesehen werden muss. Denn der Islam ist als eine Über-
gangsstufe zwischen Heidenthum und Christenthum, zwi-
schen Barbarei undCivilisation zu erachten, weil die Licht-
seiten seines, im Leben Mohammed's wurzelnden Grund-
triebs , die Anerkennung der Einheit und Geistigkeit Got-
tes und die aufopferndste Ergebung in den Willen Gottes,
beschattet oder verschleiert werden von der Pflicht, den
Vorschriften und Aussprüchen des geschriebenen Wortes
im Koran unbedingt Folge zu leisten, was dem Geiste ei-
nenHemmschuh anlegt, von dem Millionen der begabtesten
Menschen nur durch den Glauben an den Gekreüzigten,
und die Nachfolge Christi befreit werden können.


N» 3. Planiglob zur Übersicht der Verbreitung der Deutschen in beiden Hemisphären über den ganzen

Erdboden.

Ein hoher Grad von Vaterlandsliebe und eines, leider
nur ideellen Nationalgefühls ist der Urheber dieser Dar-
stellung, welche die Verbreitung der Deütschen über die
ganze Erde selbst da zeigt, wo sie ihre Sprache entweder
ganz oder doch zum grössten Theil vergessen und gegen
die Sprache der Völker vertauscht haben, unter denen sie
ihre neüen Wohnsitze fanden. Das gesellschaftliche Leben
des Deütschen zeichnet sich bekanntlich durch leidigen Mi-
krokosmos aus: Nirgends auf der Erde bildet er einen
grossen Staat, sondern ist entweder, einer civilisirten,
ackerbautreibenden Nation unwürdig, wie ein nomadisiren-
des Hirten- oder Jägervolk, in eine Menge Rotten, Horden,
politischer Gemeinden getheilt und gespalten, die sich nicht
selten feindlich gegenüber standen und noch stehen; oder
er ist sogar einer fremden Nation unterthan, die seine Ge-
schicklichkeit, seinen Fleiss, seinen Erfindungsgeist und
seine Gelehrsamkeit zu ihren Gunsten benutzt, aber nur
als ein Werkzeug betrachtet, welches, wenn ge- und ver-
braucht und abgenutzt, bei Seite geworfen wird! Das
Nationalgefühl ist ein göttliches Recht! Und dennoch

glaubt man oft, dass es bei uns Deütschen,_ denen dies

Recht durch widernatürliche Besitzergreifung (die man
kühn genug ist, ein historisches Recht zu nennen) vei-küm-

mert worden, _ nur in der Idee brauche vorhanden zu

sein! Vergessen wir aber nicht, dass, wie eines Einzel-
wesens Lebenslauf so auch das Leben einer Summe von
Einzelwesen, eines ganzen Volks, aus den Perioden der
Kindheit, der Jugend, des Mannes- und des Greisenalters
besteht. Des Jünglings Empfindungen und Gefühle sind
auf Thatkraft und Selbstständigkeit gerichtet, sein Wille
fühlt sich gedrückt, und unbehaglich ist sein Bewusstsein
unter der Vormundschaft. Das deütsche Volk hat in der
christlichen Civilisation eine tausendjährige Kindheit durch-
lebt und beginnt erst jetzt den Anfang seines Jugendalters.
Vergessen wir Das nicht!

Die beiden Nebenkarten, welche die Verbreitung der
Deütschen in den Vereini<?ten Staaten von Nord-Amerika
und im Kaplande Südafrika's zeigen, dürften als eine er-
wünschte Zugabe zu betrachten sein. In Südafrika zeigt
sich die seltene Erscheinung, dass ein sesshaftes, ackerbau-
treibendes Volk zu den Beschäftigungen des Wander- und
Hirtenlebens zurückgekehrt ist, also einen Rücktritt auf
der Stafifelleiter der Kultur gemacht hat. Die niederdeüt-
schen Ansiedler am Vorgebirge der guten Hoffnung sind
zum grössten Theil Viehbauern oder Hirten geworden, de-
ren Weideplätze, wie bei den meisten Nomaden, bestimmt
geregelt und begi'änzt sind. In neüester Zeit haben sie
diese Schranken überstiegen und es hat hier eine deütsche
Völkerwanderung gegen Nordosten hin begonnen, deren
Umfang und Ziel sich nicht übersehen lassen. (S. No. 16.)

[Geschrieben im December 1845.]

Ungefähr ein Jahr früher, als die obigen Worte nieder-
geschrieben wurden, sagt' ich an einer andern Stelle, bei
Gelegenheit einer Aüsserung über die damalige politische
Stimmung der preüssischen Deütschen, die ich im Allge-
meinen für eine gleichgültige und, vorzugsweise auf der
Ostseite der Elbe, für specifisch preüssisch hielt:_ „Et-
was anders sieht es bei den Bewohnern des deütschen
Gränzzuges aus, die mit den Sprachgleichen in nähere Be-
rührung kommen; da herrscht Sympathie; auf sie pflanzt
sich die Vorstellung fort, die, merkwürdiger Weise, bei
vielen nicht unter Preüssens Scepter stehenden Deütschen

zu einer lebendigem Klarheit gekommen ist, als bei uns,_

der Gedanke nämlich an des Deütschen Vaterlandes in-
nigsteEinheit, die, warum soll ich's nicht frei heraussagen,
unter den Auspicien von Preüssen's erhabener Autokratie
erwartet wird!"

„Diese Stimmung der deütschen Volksstämme scheint,
mindestens im südwestlichen und nördlichen Deütschland
ziemlich allgemein, ja, sogar unter den Hannoveranern ver-
breitet zu sein. Ich hatte in dieser Beziehung unlängst in
Braunschweig, an öffentlicher Gasttafel, ein interessantes
Gespräch, an dem, unter anderen Hannoveraner, Einer von


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Ethnographie. 13

der Unter-Weser sehr lebhaften Antheil nahm. Sollte dem
wackern Oppositions-Manne dieses Buch zufällig zu Ge-
sicht kommen, so erinnere er sich des 4. Octobers 1844,
und des Textes jener öifentllchen Unterhaltung, der da

lautete: „Deutschland und die........! Das zweite

Hauptwort behalt' ich für mich; möge sich's jeder Leser
ergänzen". (Statistik des Preüssischen Staats. Berlin, 1845,

p. IX, X.)

Wenige Jahre später hat ein grosser Theil des deütschen
Volks durch seine, in der alten Kaiserstadt Frankfurt

1848_49, versammelt gewesenen Vertreter jenes Wort

mit lauter Stimm' gesprochen: „Hohenzollern"! hiess das
Wort; wird's auch künftig so heissen und zur Wahrheit
werden ? Doch nicht auf Wogen des brausenden Ungestüms,
die wühlend und stürzend den alten Bau zernagen, und
nicht vermögen, zum neuen Haus den Grundstein fest zu
senken.

........ Grad' aus geht des Blitzes

Geht des Kanonenballs fürchterlicher Pfad _
Schnell, auf dem nächsten Wege, langt er an,
Macht sich zermalmend Platz, um zu zermalmen.
Mein Sohn! die Strasse, die der Mensch befährt,
Worauf der Segen wandelt, diese folgt
Der Küsse Lauf, der Thäler freien Krümmen,
Umgeht das Waizenfeld, den Eebenhügel,
Des Eigenthums gemess'ne Gränzen ehrend _
So führt sie später, sicher doch zum Ziel.

(Die Piccolomini, I, 4.)


N^. 4. Übersicht von Eüropa; mit ethnographischer Begränzung der einzelnen Staaten und den Yölker-
sitzen in der Mitte des Jahrhunderts.

N" 5

" g' Ethnographische Karte von Eüropa; (mit ausführlicherer Darstellung der Völker- und Sprach-
Gebiete und der Begränzung der Dialekte und Mundarten). Auf F. von Stülpnagel's geogr. Zeichnung
g' zusammengestellt

9. Deütschland, Niederlande, Belgien und die Schweiz: National-, Sprach-, Dialekt-Verschie-
denheit.

N». 10. Ethnographische Karte der Österreichischen Monarchie. Nach Bernhardi, Schafarik und eigenen
Untersuchungen.

N<*. 11. Sprachkarte von Frankreich: Scheidung des romanischen Sprachgebiets vom germanischen, kelti-
schen und baskischen; Trennung der Langue d'oil von der Langue d'oc.

N°. 12. Die Britischen Inseln: Üebersicht der Völker und Sprachen, nebst ihren Mundarten im Lichte der
Gegenwart.

Ν«'. 19. Ethnographische Karte des Osmanischen Reichs, eüropäischen Theils, und von Griechenland.
Von Äime Boue.

Mit diesen sieben Karten, welche aus zehn Blättern be-
stehen, leg' ich den Freunden der Völkerkunde einen eth-
nographischen Atlas von Eüropa vor, den man in all' den
Fällen für ziemlich vollständig erachten dürfte, wo eine
allgemeine Üebersicht der National-, Sprach- und Dialekt-
Verschiedenheit der eüropäischen Völker gewünscht wird,
ihrer Wohnsitze, ihrer territorialen Begränzung und ihrer
Vertheilung in Staaten, nach den dermaligen, auf Staats-
verträgen beruhenden staatsrechtlichen Zuständen in der
Mitte des neünzehnten Jahrhunderts.

Die Karte No. 5 enthält eine Üebersicht aller in Eüropa
lebenden Völker, und der Sprachen, die sie reden, so wie
der Mundarten, in welche die verschiedenen Idiome ge-
spalten sind. Weitere Ausführungen dieser Tabelle geben,
in Bezug auf die Bewohner Deütschland's, der Oesterreichi-
schen Monarchie, von Frankreich und der Britischen Inseln,
die Blätter No. 9, 10, 11 und 12.

Ueberflüssig ist es, diese tabellarische Nachweisung
ihrem ganzen Umfange nach hier einzuschalten; denn es
würde nur eine Wiederholung sein. Dagegen glaub' ich
den „ethnographischen Atlas von Eüropa" mit einigen all-
gemeinen Erläuterungen begleiten zu müssen, worin ich
vorzugsweise die geographischen Begränzungen der Völ-
ker- und Sprachgebiete nach ihrer Unterscheidung grösse-
rer oder geringerer Sicherheit und Bestimmtheit zu erörtern
habe. Mit Bezug auf eine frühere Bemerkung (p. 4, Spalte
1) hab' ich zunächst über: —

I. Die Iiulogermauische Völker-Familie eine flüchtige,
der Bestimmung der „Vorbemerkungen" entsprechende,
Rundschau zu halten. Die Tabelle auf der Karte No. 5
nennt eilf Haupt-Nationen dieser Familie. Davon kommen
hier aber nur die sieben ersten in Betracht; denn die vier
übrigen, die Osseten, Armenier, Perser und Kurden woh-
nen, mit Ausnahme einiger zerstreüten Armenier, nicht in
Eüropa und haben ihre Aufnahme in die Tabelle nur dem
Umstände zu verdanken, dass ein Theil ihrer Wohnsitze
(oder auch dieser Wohnplatz ganz, wie bei den Iron) in
den Eahmen der Karte fällt. Mit Benutzung der oben
(p. 1) angeführten ethnologischen Terminologie lassen
sich in der eüropäischen Gruppe der indogermanischen

Völker-Familie die folgenden Stämme annehmen:_

1. und 2. Der keltische Stamm, den ich in der Ta-
belle in die zwei Abtheilungen der eigentlichen Kelten und
der Kymren zerlegt habe Kelten waren einst als Galater
PHYSIK. ATLAS ΑΒΤΠ. VIII.

Bewohner von Kleinasien; sie sassen als ein grosses, mäch-
tiges Volk im mittlem und westlichen Eüropa; in Deütsch-
land (Kärnthen, Steiermark, Oesterreich, Baiern, Schwa-
ben, Böhmen, Thüringen bis zur Elbe), in der Schweiz und
Norditalien, in Frankreich und Belgien, in einem Theile
Spaniens, und auf den Britischen Inseln. Von andern Völ-
kern überschwemmt, theils von ihnen aufgerieben, oder
unter ihnen verschwunden, theils weit zurückgedrängt, se-
hen Avir im Lichte der Gegenwart die Kelten nur noch im

aüssersten Westen von Eüropa, _ in Schottland, dem

Fürstenthum Wales, in Irland und in den westlichsten De-
partements der vormaligen Provinz Bretagne von Frankreich.
Ich bin im Stande gewesen, die Gränze der Kelten in den
Schottischen Hochlanden mit grosser Sicherheit anzugeben;
nicht ganz sicher dagegen ist ihre Gränze in Irland, derje-
nigen Gegend ihres Verbreitungs - Bezirks, wo sie die
grösste Masse ihrer Volkszahl zusammengedrängt haben
Die Kelten haben keine Zukunft mehr: unterthan wie sie
sind, wird ihre Nationalität von ihren Herren immer mehr
untergraben und endlich ganz verschlungen werden, von
den Anglo-Saxonen auf den Inseln, von den Franzosen
auf dem festen Lande. Seit einem Jahrtausend in den Zu-
stand politischer Passivität versetzt, hat der keltische
Volksstamm keinen Einfluss mehr auf die socialen, intel-
lectuellen und staatsrechtlichen Entwicklungen Eüropa's.
Diese ruhen ausschliesslich in den Händen dreier anderer
Volksstämme, des germanischen, des romanischen und des
slawischen.

3. Germanen. Die geographische Begränzung des
deütschen Sprachgebiets beruhet zum grüssten Theil auf
den sichersten Grundlagen, und ist demnach in den Karten
mit verhältnissmässig grosser Genauigkeit eingetragen Κ
In den allermeisten Fällen giebt es auf dem Gränzzuge,
wo zwei Sprachen zusammenstossen, ein mehr oder min-
der schmales Gebiet, wo beide Sprachen gemeinschaftlich
gang und gäbe sind. So namentlich in Deütschland auf der
Gränze zwischen der deütschen Sprache und den slawi-
schen Dialekten, gegen die dänische Sprache, in Belgien
zwischen dem vlämisch-deütschen Dialekt und der franzö-
sischen Zunge. Eine Üebersicht dieses Verhältnisses ist
nicht blos in geographisch-linguistischer und ethnologi-
scher Beziehung, sondern auch vom politischen Stand-
punkte im Lichte der Gegenwart, wie vom historischen
zur Beurtheilung vergangener, und zukünftiger Zustände


4

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166 Achte Abtheilung.

von hoher Bedeütung. Dass äuf die Darstellung dieser
doppelzüngigen G-ränzsaüme in den vorliegenden Blättern
Verzicht geleistet werden musste, wird man erklärlich fin-
den, wenn nur kurz auf die Grösse des verjüngten Maas-
ses, welches ihrem Entwürfe zu Grunde liegt, hingedeütet
wird Auf der Karte No. 9 haV ich indess ein anderes
Verhältniss ganz allgemein nachgewiesen, nämlich längs
der Westgränze des deütschen Sprachbezirks die Distrikte,
von denen es gewiss ist, dass in ihnen früher Deütsch ge-
sprochen wurde. Die Muttersprache der mit Frankreich
zu einem politischen Körper verbundenen Deütschen hat
hier der französischen oder der wälschen Zunge, wie das
allemannische Landvolk im Eisass sich ausdrückt, das Feld
raümen müssen Was aber die Abgränzung der deütschen
Volksmundarten betrifft, so ist dies ein Feld, auf dem
Sprachkenner noch grosse Studien anzustellen haben, be-
vor man im Stande sein wird, die Zungen aller deütschen
Volksstämme, der reinen, unvermischt gebliebenen, und
der mit anderen Völkern und Sprachen gemischten, lin-
guistisch und raümlich zu sondern und zu scheiden und
nach ihrer geographischen Verbreitung auf Specialkarten
zur Anschauung zu bringen. Einstweilen hab' ich, auf
der Karte No. 9, fünf und zwanzig Hauptmundarten an-
genommen , mit Einschluss der vlämisch - holländischen
Schriftsprache ® und des, ebenfalls literarisch angebauten.
Friesischen, und diese Dialekte unter drei grössern Ab-
theilungen gebracht, die ober-, mittel- und niederdeütschen
Mundarten. Diese Dreitheilungist aber mehr in raümlich-geo-
graphischem, als im sprachlichen Sinne zu nehmen, obwol
beide Richtungen für den Ausdruck der gegenwärtigen Zu-
stände der deütschen Sprache kaum zu trennen sind, daher
denn auch jene drei Hauptabtheilungen, allemannisch, frän-
kisch und sächsisch genannt werden können. Hierbei blei-
ben die Schrift-Denkmäler der alten Sprache ausser Acht,
die als Gothisch, die Sprache der deütschen Urzeit, als
Hochdeütsch (Althochdeütsch und Mittelhochdeütsch), und
Niederdeütsch (Altniederdeütsch, Mittelniederdeutsch, Nie-
dersächsisch oder Sassisch) eben so viele Phasen der lite-
rarhistorischen Seite unserer Entwickelungs-Geschichte
darstellen. Auf der Stufe, an der wir gegenwärtig ange-
langt sind, werden wir, dem Sprachgebrauch nach, „Hoch-
deütsch" die Schrift-, Bücher- und Umgangssprache der
gebildeten Leüte, „Plattdeütsch" aber alle Volksmundar-
ten nennen können, mögen diese dem südlichen Hochlande
oder dem nördlichen Platt- oder Flachlande angehören.
Die Kolonien, welche die Deütschen als Einwanderer oder
als Eroberer (wie die deütschen Ritter) vor Alters und in
neüerer Zeit ausserhalb Landes, z. B.: in Siebenbürgen,
in der Zips und in anderen Comitaten von Ungern, in den
russischen Ostseeprovinzen und im übrigen Russland, u.
s. w. gestiftet haben, sind auf den Karten nach den sicher-
sten Nachrichten eingetragen worden

Der skandinavische Ast des Germanischen Volks hat
drei Zweige, den dänischen, norwegischen imd schwedi-
schen. Unter den drei Hauptmundarten der skandinavi-
schen Sprache hat sich die altnordische, die wir aus der
Edda und der reichen Literatur der Sagas kennen,
auf Island fast eben so unverfälscht erhalten, als in
Norwegen; es ist die norränische Zunge, welche sich
von der norwegischen Volkssprache, oder den Mund-
arten, die in Norwegen gesprochen werden, unterschei-
det. Diese wurzeln ganz entschieden in jener alten
Sprache, die von ihnen in kräftigem Leben fortgepflanzt
worden ist, und beim Volke in einem echten ursprüngli-
chen Klange fortlebt, wie man ihn selbst auf Island ver-
geblich sucht. Ueber die Verbreitung der Schweden auf
der Skandinavischen Halbinsel selbst und die Begränzung
ihres Sprachgebiets, so wie über die, dadurch bedingte
tiefsüdliche Verbreitung der finnischen Völker der Lappen
und Kwänen bis gegen den Wenern-See walten Zweifel
ob, die ich nicht zu beseitigen vermocht habe, und von de-
nfen ich
Wünsche, dass die schwebende Frage von Stock-
holm aus beantwortet werden möge. Mit grosser Bestimmt-
heit und Genauigkeit dagegen konnten die Wohnsitze der
Schweden in Finnland, weniger zuverlässig die in Estland
angegeben werden

Was den angelsächsischen oder anglosaxonischen Ast
der Germanen betrifft, der aus einer Mengung von Deüt-
schen, Dänen und Norwegern mit den Kelten besteht, und
auch viel französisches (normannisches) Blut in sich auf-
genommen hat, so enthält die Karte No. 12 eine vollstän-
dige Uebersicht des heütigen Volks der Engländer und
der verschiedenen Mundarten, in welchen -dieses Volk sein
buntscheckiges, aber durch grossen Reichthum und grosse
Einfachheit in der Formenlehre ausgezeichnetes Idiom
spricht

4. Gräco-Romanen. Das klassische Griechisch und
seine vier Hauptmundarten, Aeolisch, Dorisch, Ionisch
und Attisch, die Sprache der Hellenen des Alterthums,
(Έλλενική γλώσσα) ist durch das Stadium der byzantini-
schen Sprache, die uns von den byzantinischen Schriftstel-
lern des Mittelalters überliefert worden, seit Untergang
des Oströmischen Reichs immer mehr dem Verderben entge-
gen gegangen, und stellt sich, unter dem Einfluss fremder
Zungen, der slawischen, romanisch-italiänischen, der alba-
nesischen und türkischen, in hohem Grade entartet, als neu-
griechische oder roma'ische Sprache (Ρωμαϊκή γλώσσα) dar,
so benannt, weil die Griechisch sprechenden Unterthanen
des Oströmischen Reichs 'Ρωμ,αΐοι, Römer, hiessen'®. Die
aüssere Gränze des romai'schen Sprachgebiets ist auf den
Karten nach Boue's Angaben (Karte Nr. 19) gezeichnet;
auf der Karte Nr. 8 hab' ich jedoch Manches geändert
(namentlich auf Candia oder Κρήτη), auch Vieles nachge-
tragen, im Besondern die geographische Verbreitung der
romai'schen Dialekte, welche im Verhältniss der geogra-
phischen Lage und des politischen Zustandes entweder mit
Wörtern der oben genannten Fremdzungen mehr oder
minder gemischt, oder sich reiner und unverfälschter er-
halten haben, und dem Altgriechischen treüer geblieben
sind. Athen, die Hauptstadt des neügriechischen König-
reichs, hat dieses Vorrecht in Bezug auf die Sprache gel-
tend gemacht, und seinen Dialekt innerhalb der kurzen
Periode, die Griechenland als freier, unabhängiger Staat
durchlebt hat, zu einer verhältnissmässig hohen Bildung
gebracht, und zur Schriftsprache erhoben, die in allen
Amtshandlungen und im Geschäftsverkehr benutzt wird".

Es ist hier weder Raum noch Zeit die Entstehung der
Romanischen Völker und ihrer Sprachen, die man als
Sprösslinge des lateinischen Astes bezeichnet, nachzuwei-
sen; sogar überflüssig ist es, weil die deütsche Literatur
an den gründlichsten Schriftwerken über diesen Gegen-
stand der historischen Ethnographie überaus reich ist; nur
so viel sei erinnert, dass nicht eigentlich die lateinische
Sprache, wie wir sie durch die römischen Schriftsteller
kennen, sondern die römische Volkssprache
(Lingua ro-
mana rustica)
mit ihren zahlreichen Mundarten als Haupt-
quellen angesehen werden, aus denen die heütigen Spra-
chen der Romanischen Völker abgeflossen
sind'^. Nichts
desto weniger nennt man die romanischen Mundarten mit
Recht Töchtersprachen des Latein, weil die
Latina die
Schrift- und Umgangssprache der Leüte von Erziehung
und Bildung, oder der höheren Stände desselben Volkes
war, dessen untere Schichten die
Bomana im Munde führ-
ten; ja, man begnügt sich nicht damit, den Charakter von
Töchtersprachen für sie in Anspruch zu nehmen, sondern
behauptet sogar, dass die Romanischen Sprachen, als ganz
naturgemässe Fortbildungen der alten römischen Volks-
sprache, entschieden als Vervollkommnungen der Lateini-
schen Sprache zu betrachten
seien'3.

Das Romanen-Gebiet stösst grössten Theils an's Meer,
das Atlantische und Mittelländische. Es umfasst im west-
lichen Eüropa die Appenninen- und die Pyrenäische Halb-
insel und die dazwischen liegenden Inseln des vordem
Mittelmeers, und vom Festlande das nördliche Italien mit
einem Theil der Alpen so wie den allergrössten Theil von
Frankreich. Ausser mit dem kleinen Ueberrest der Basken
und Kelten gränzen die westlichen Romanen nur mit den
Deütschen, und ihre Sprache auf einem schmalen Küsten-
strich auf der Ostseite des Adriatischen Meeres mit den
Slawen. Durch die deütsche Sprachgränze ist demnach
auch die romanische Gränze auf dem Festlande bestimmt,
und, mit Berücksichtigung Dessen, was ich oben über die
Ermittelung der erstem gesagt habe, auf den Karten ge-
nau festgestellt, was ich aber von der Sprachgränze in
Dalmatien nicht sagen darf; weil hier Italiänisch und Ser-
bisch neben und durcheinander laufen, was nur auf einer
Specialkarte dargestellt werden kann Völlig abge-
sondert von dieser westlichen Hauptmasse der romanischen
Völker sehen wir im südöstlichen Eüropa, mitten im Meere
der slaΛvischen Zungen eine romanische Sprachinsel, die


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Ethnographie. ■ . , 15

der Walachen oderRomuni (wie sie sich selbst nennen),
die auf der Westseite an's Magyaren-Gebiet gränzt, auf
der Ostseite aber aus dem eüropäisch-asiatischen Binnen-
meer der Pontus Euxinus emporsteigt; und auf der Süd-
seite viele kleine Eilande der Kutzo - Wlachen neben sich
liegen hat.

Das Sprachgebiet des Rhätoromanischen pflegt man auf
Graubünden zu beschränken; ich habe ihm einen grössern
Umfang angewiesen, und ausser dem Enneberg und dem
Grödner Thal (Gardena) in Tirol auf der Ostseite das
ganze Friaul, und auf der Westseite die Savoyische Alpen-
landschaft der Maurienne hineingezogen.

Doch ich muss meine Bemerkungen über die Romanen
schliessen; wegen der Nachweisungen, die ich bei Zeich-
nung der Gränzen ihrer verschiedenen Mundarten benutzt
habe, verweis' ich auf die Note

5. Slawen. Obwol eine lange Kette von Völkern bil-
dend, und ihrem Verbreitungsbezirk nach die grösste unter
den Nationen in der eüropäischen Gruppe der Indogerma-
nischen Familie, muss ich mich in meinen Bemerkungen
über dieselbe doch kurz fassen. Auf der Westseite zum
grossen Theil an die germanischen und griechisch-roma-
nischen Völker stossend, ist die Gränze des Slawen-Ge-
biets dahinwärts durch die Verbreitung der eben genann-
ten Völker genau bestimmt; und eben so der Gränzzug
gegen die baltischen Finnen und Magyaren im Norden und
Süden, von denen bereits oben (p. 4 u. 5) die Rede war.
Auf der Ostseite gränzen die Slawen ausschliesslich mit
Völkern der Ugrotatarisehen Familie, haben aber die De-
markations-Linie so vielfach durchbrochen oder zerbrö-
ckelt, dass die Darstellung einer scharf gezogenen Tren-
nungs-Linie nur auf Specialkarten ermöglicht werden
kann

Die Scheidung der slawischen Nation in zwei grosse
Abtheilungen, die Westslawen und die Ostslawen (west-
liche und südöstliche Ordnung), die Einreihung der ein-
zelnen slawischen Völkerschaften in diese Abtheilungen
und die Gränzen ihrer Verbreitungsbezirke hab' ich nach
den Angaben des gründlichen Gewährsmannes eingetra-
gen , der in der Note 18 genannt worden ist. Die in der
Tabelle (auf der Karte No. 5) namhaft gemachten einzel-
nen Völkerschaften sprechen eben so viele verschiedene
Idiome, die man aber, von einem allgemeinern Gesichts-
punkte, nur als Dialekte der einen und untheilbaren sla-
wischen Grundsprache anzusehen berechtigt ist Diese,
mehr oder minder von einander abweichenden Dialekte
sind aber wiederum in eine Menge untergeordneter Mund-
arten gespalten, was sich durch die geographische Stellung
und die physische Beschaffenheit der Wohnsitze, auch
durch den Gang der slawischen Bildungs- und politischen
Geschichte leicht erklären lässt. In dieser Beziehung er-
innere ich nur an die, uns so nahe liegenden, Kassuben
in Hinterpommern und Westpreüssen und an die ver-
schiedenen Namen, unter denen die Slawen der Österrei-
chischen Monarchie bekannt sind, Namen, welche in man-
chen Fällen eben so viele Volksmundarten bezeichnen ^ i.
In hohem Grad beachten swerth und für die Kultur- und
politische Entwickelung des slawischen Volks von unüber-
sehbarer Bedeütung ist die wichtige Thatsache, dass die
raümlich ausgedehnteste und volkreichste seiner Abthei-
lungen mundartlich nur sehr wenig gespalten ist. Diese
Abtheilung ist das Russen-Volk, welches, den ganzen
Osten von Eüropa oder die Hälfte des Erdtheils füllend,
nur in vier Unterabtheilungen, die der Grossrussen, der
Nowogroder, der Klein- und der Weissrussen zerfällt, die
in ihren Dialekten meistens blos durch eine verschiedene
Aussprache unterschieden sind, mit Ausschluss des klein-
russischen Dialekts, da gegen die russische Schriftsprache
auch in den Flexionen abweicht

Werfen wir einen Blick auf unsere allgememen Karten
von Europa (No. 4 — 8), so sehen wir, dass der Verbrei-
tungsbezirk der Slawen polnischer Zunge im Verhältniss
zu dem der Russen ein sehr kleiner ist. Hierbei ist aber
nicht ausser Acht zu lassen, dass jener Bezirk ein engerer
ist, indem er nur diejenigen Theile des grossen Slawen-Lan-
des umfasst, innerhalb derer das Landvolk das Polnische
als Muttersprache spricht. Ein Anderes ist es mit dem
weitern Bezirk der polnischen Zunge, die sich über alle
diejenigen Landestheile des Russischen Reiches erstreckt,
welche mit dem einst mächtigen Polenreiche vereinigt wa-
ren, oder doch mit ihm in Zusammenhang standen, wie
Roth-Russland, das heütige Galizien, Weiss-Russland und
Klein-Russland, wo polnische Sprache mit polnischer Sitte
und polnischer Bildung unter den höhern Ständen und
allen Leüten von Erziehung tiefe Wurzeln geschlagen
hat 23.

6. Letten und Littauer. Ich bin nicht der Ansicht
derjenigen Schriftsteller gefolgt, welche in der Sprache der
Letten und Littauer bald ein germanisch - slawisches Ba-
stard-, bald ein slawisches Geschwister-Idiom erkennen,
das unter allen indogermanischen Zungen den slawischen
Mundarten am nächsten verwandt sei; ich habe vielmehr
die Ansicht derjenigen Sprachkundigen zu der meinigen
gemacht, welche in den Letten und Littauern ein selbst-
ständiges Glied der indogermanischen Völkerkette und in
ihrer Sprache einen unabhängigen Ast des sanskritischen
Sprachstamms erkennen, dem — nicht allein dasselbe Recht
gebührt, als dem Zendischen, dem Griechischen, Gothi-
schen, Deütschen und Altslawischen, sondern der auch in
Beziehung auf Sprachformen viel ursprünglicher, älter
und der asiatischen Ursprache näher steht, als der slawi-
wische Ast

Die geographische Umgränzung des Verbreitungsbezirks
der Letten und Littauer 25 hab' ich in der Hauptsache nach
den Angaben Schafarik's eingetragen, mit Ausnahme der
Littauischen Wohnsitze in den Regierungsbezirken Gum-
binnen und Königsberg der Preüssischen Monarchie, deren
Begränzung auf die von mir entworfenen Specialkarten ge-
stützt sind, deren in der Note 3 Erwähnung geschehen
ist 20. Die Mundarten der littauisch - lettischen Sprache
sind durch Angabe des Namens in den Landestheilen, wo
sie hauptsächlich gesprochen werden, angedeütet; eine be-
stimmte Absonderung der Dialekt-Gebiete schien mir, in
Ermangelung bestimmter Nachrichten, nicht zulässig 2
ϊ.

7. Albaner. Man ist lange in Zweifel gewesen, und.
zweifelt noch, welche Stellung unter den eüropäischen
Nationen dem Volke anzmveisen sei, welches seinen Haupt-
wohnsitz in Illyricum und Epirus hat. In Erwägung je-
doch, dass die Sprache der Albanesen nicht, wie man frü-
her voraussetzte, bloss ein, aus den . Sprachen alter imd
neüer Völker zusammengesetztes Kauderwälsch, sondern
eine eigenthümliche und selbstständige Sprache mit regel-
mässigen grammatischen Formen ist; und dass sie nach
dem Zeügniss dieser Formen sowol, als des Bau's und der
Ableitung ihres Wortschatzes zur Klasse der Indogerma-
nischen Sprachen gehört, in dieser aber keiner besondern
Gruppe, weder den germanischen, noch den slawischen,
noch den griechischen und romanischen Dialekten zuge-
zählt werden kann, hab' ich keinen Anstand genommen,
die Albaner, oderSchkipataren, wie sie sich selbst nennen,
der Indogermanischen Völkerkette als ein besonderes und
letztes Glied anzureihen 28. gjg bewohnen nicht allein
Illyricum und Epirus, sondern sind auch über die nord-
östlichen Hellenischen Länder, Thessalien, Ätolien, Böo-
tien, Attica, über Serbien, Rumelien einer Seits bis vor die
Thore von Constantinopel, andrer Seits auf Morea und
die benachbarten Inseln, Andros, Salamis (Kolumi), Paros,
Hydra, Spezzia verbreitet, und nicht unansehnliche Kolo-
nien, die sich zuerst 1461, und wiederholt 1532 und 1744
vor den osmanischen Waffen und dem türkischen Joche
flüchteten, haben sich in Unter-Italien und auf Sicilien an-
gesiedelt, wo sie gemeiniglich, obwol irriger Weise, Grie-
chen genannt werden. Die Albanesen sind theils Christen
nach römisch-katholischem, oder nach griechisch-ortho-
doxem Ritus, theils sind sie Mohammedaner. Diese Ein-
theilung, die für die gegenseitige Stellung der albanesi-
schen Stämme von grösserer Wichtigkeit ist, als die Dia-
lekt-Verschiedenheit, hat Boue auf der Karte No. 19 an-
gegeben. Das Stammleben aber, die eigentliche Grundlage
der morgenländischen Gesellschaft, zeigt sich unter den
Albanesen in einer Vollkommenheit, welche nur noch
durch das
Kastenwesen Indien's übertroffen wird. Vier
Hauptzweige sind es, in welche die albanische Nation sich
spaltet: Die Ghegen, welche entweder Islamiten oder rö-
misch-katholisch sind und als solche Mirditen heissen; die
Tosken, die Ljapiden und Schamiden; jeder dieser Zweige
hat seinen besondern Dialekt 20,

Hier stehen wir am Schluss unserer Rundschau der In-
dogermanischen Völker und könnten nun wol die Frage

aufwerfen, welches von diesen Völkern, nach dem Gange

4 *


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16 Achte Abtheilung.

seiner sittlichen und geistigen Entwickelung, noch eine
grosse Zukunft vor sich habe. Wie ich über die Antwort
auf diese Frage denke hab' ich zum Theil bereits oben
(p. 11, 12) angedeütet; in der slawischen Völkerwelt aber
schlummern die Keime einer Civilisation, die, ihrer Entfal-
tung immer mehr entgegengehend, für eüropäisches Völ-
kerleben und eüropäisches Staatsrecht von hoher politi-
scher Bedeütung werden muss.

II. Die Ugrotatarischc Völkcrfamüie, die hier nur in Be-
tracht kopimt, so weit sie die auf eüropäischer Erde leben-
den Finnen, Türken und Mongolen betrifft, hab' ich be-
reits oben (p. 4, 5) ausführlich besprochen. Ich kann sie
daher übergehen, um die Aufmerksamkeit noch auf die
Trümmer eines auch schon (p. 6) erwähnten Volks zu len-
ken, dessen Stellung unter den europäischen Völkern, ob
sie eine selbstständige sei, oder ob sie durch Affinität mit
den UgiOtataren der Nordischen Völkerfamilie (die man
auch die allophylische, d. i.: fremdländische genannt hat),
in Zusammenhang stehe, von dem Sprachforscher noch
nicht entschieden festgestellt ist so. Es ist dies der Ueber-
rest der Iberer, die einst Hispania, theils unvermischt,
theils vermischt als Keltiberer, bevölkerten, und in Aqui-
tania, so wie längs der Südküste Gallien's, auf den drei
grossen italiänischen Inseln, ja vielleicht auf dem Festlande
Italien's verbreitet waren. Dieser iberische Völker-Rest
lebt unter dem Namen der —

Basken oder Vasken im nordöstlichsten Gebiet von
Spanien und im südwestlichsten Winkel von Frankreich,
in den baskischen Provinzen und dem vormaligen König-
reich Navarra, auf einem Gebiete, dessen Begränzung im
Lichte der Gegenwart sich nur auf einer Specialkarte ge-
nau wird feststellen lassen, da die Basken nur noch auf
dem Lande und in der niedern Klasse ihre Muttersprache
reden, und innerhalb Spaniens meistens auch der spani-
schen und die französischen Vasken der Sprache ihrer Be-
herrscher mächtig sind; in den obern Klassen und in den
Städten herrscht entweder Spanisch oder Französisch ^
Der Name der Basconen oder Vasconen wird nicht selten
von dem vaskischen Wort
Basocoa, Waldbewohner, von
Basoa: Wald, und der Endung co, abgeleitet. Die Fran-
zosen kennen gar keine allgemeine Benennung des gesamm-
ten Stammes; sie sagen
Biseayens, wenn sie von den spa-
nischen,
Basques, wenn sie von ihren eigenen Vasken
reden, und nehmen im Nothfall ihre Zuflucht zu dem alten
Namen
Cantalres. Die Spanier schrenken den Namen
Vizcaya nur auf die eigentliche Herrschaft El Sehorio ein,
und benennen die Bewohner (im Allgemeinen
Bascongados,
aber) geΛvöhnlich nach den einzelnen Provinzen Vizcainos,
Guipuzcoanos
und Älavesea. Die Vasken selbst aber nen-
nen sich
Euscaldunac und ihre Sprache Euscara, zwei
Namen, worin
Eusc die Stammsylbe ist; ara heisst: nach
Art und Weise;
Euscaldunac aber ist eine zusammenge-
zogene Form von
Euscara-duna, Yhxv. Euscara-dunac,
und ist von Euscara und duna: besitzen, gebrauchen, ab-
geleitet ; wie in
Bis- oder Vizcaya die Stammsylbe wieder-
um nur
Bis oder Viz ist; caya heisst: Stoff, Sache,

Das Euscara spaltet sich in drei Hauptmundarten, und
alle gute Vaskische Sprachlehrer nehmen nur so viel an,

nämlich: _ 1) Die Labortanische (Dialecte Lampourdan

ou Basque) im spanischen und französischen Navarra, so
wie in den Landschaften Soule und Labour (davon Fran-
zösisch- oder
Beliere- d. i.: Unter-Navarra und das Land
Soule zum Arrondissement Mauleon, und das Land La-
bour zum Arrondissement Bayonne des Departements der
Nieder-Pyrenäen gehört); 2) die Guipuzcoanische in Gui-
puzcoa und Alai^-a, und 3) die Vizcayische in Vizcaya. In
allen diesen drei Dialekten ist die Sprache, nach ihrem
Bau und Wörtervorrath, durchaus und ganz und gar die-
selbe. Die Verschiedenheit der Mundarten liegt nur in der
Verschiedenheit der Aussprache, der Rechtschreibung, ei-
niger Flexions-Formen, vorzüglich beim Zeitwort, und
endlich darin, dass eine Mundart gewisse Wörter braucht,
deren sich die andere nie, oder nur höchst selten bedient.
Einzelne Verschiedenheiten giebt es überdem fast von Ort
zu Ort, da die National-Eifersucht der kleinsten Ortschaf-
ten so weit geht, dass für Gegenstände, die in der Sprache
mehr als eine Benennung haben, benachbarte Dörfer sich
nicht gern derselben bedienen, und die Sprache entfernter
Ortschaften daher oft ähnlicher ist, als die näherer®^.

Noch ein Paar Worte über die Karte No. 10, zu deren
ersten Ausgabe im Febr. 1845 ich folgendes bemerkte
— „Dies ist eine ethnologisch-politische Karte, zeigend das
Neben- und Durcheinanderwohnen der Völker, welche Zeit,
Macht, Zufall unter der Herrschaft des Habsburg-Lotha-
ringischen Kaiserhauses vereinigt haben. Es ist ein gar
buntes Gemenge zahlreicher, in Sitten und Gebrauchen,
in kirchlichen und Kulturzuständen sich unterscheidender
Nationalitäten, unter denen die slawische nach geogra-
phischer Verbreitung und Volksmenge die mächtigste ist.
Das politische Gebaüde, zu dem das Völker-Conglomerat
der Oesterreichischen Monarchie die Bausteine hergegeben
hat, ist gar kunstreich errichtet. Alle Kunstfertigkeit des
Menschen ist aber den unwandelbaren Gesetzen der Na-
tur unterworfen, und das dauerhafteste Haus stürzt ein,
wenn nicht von seinem Besitzer oder Verwalter die Schä-
den, die der Zahn der Zeit nagt, sorgfältig überwacht und
ausgebessert werden. Nach dem Einsturz beginnt das
schwere Geschäft des Neubaus, oder die öde Stelle wird
verlassen, bis ein Anderer kommt, um sich auf die „Wüs-
tung" das Recht zu erwerben, was man im neüern Staats-
recht ein historisches nennt. Die Betrachtung dieser Karte
kann zu manchfaltigem Nach- oder vielmehr Vor-Denken
Anlass geben. Sei's Jedem überlassen."

Joseph II. erklärte einst den Ungrischen Ständen: „Ich
bin Kaiser des Deütschen Reichs, demzufolge sind die
übrigen Staaten, die ich besitze, Provinzen, die mit dem
ganzen Staate in Vereinigung einen Körper bilden, wovon
ich das Haupt bin. Wäre das Königreich üngem die erste
und wichtigste meiner Besitzungen, so würde ich die Spra-
che desselben zur Hauptsprache meiner Länder machen,
so aber verhält es sich anders." In diesen Worten liegt
ein grosser Theil der Weisheit Habsburgischer Politik.
Aber die Bahn, die Joseph II. muthvoll betreten hatte, ist
von seinen Nachfolgern aufgegeben worden; statt einer
allmäligen, geräuschlosen Germanisirung der finnischen
und slawischen Völker und der daraus nothwendig fol-
genden Verbreitung einer geistigfreien, höheren Gesit-
tung, hat das Habsburgische Regiment seit dem zuletzt
verflossenen halben Jahrhundert den zuerst genannten
Fremdlingen auf neü-eüropäischer Erde, der Hg,ndvoll
trotziger Söhne der Steppe, die sich für die Magyarische
Nation ausgiebt, ein Zugeständniss nach dem andern ge-
macht. Die Folgen davon sind unter unsern Augen vorge-
gangen : Das germanische Element in der Oesterreichischen
Monarchie hat am Rande des Abgrundes gestanden, und
mit ihm das bildende Princip für Millionen Slawen und
Magyaren. Noch ein Mal hat es die Gefahr überwunden;
möge das Staatsschiff durch die Brandungen und Schlag-
wellen eines von Leidenschaften aller Art aufgewühlten
Meeres der menschlichen und Völker-Entwicklungen, kräf-
tig aber auch freisinnig bessernd von
deutscher Hand ge-
steüert werden.


Anmerkungen.

V (p. 13.) Die Klnssification des Keltischen Stamms, wje sjc in
der Tabelle auf No. 5 u. s. w. gegeben ist, hab' ich von Adelung
entlehnt (Mithridates, II, p. 78 ff.). Auf der Karte No. 12 befin-
det sich eine zweite Klassifikation nach Prichard und Carl Meyer
(The eastern origin of the Celtic Nations, proved hy α comparison
qf iheir dialects with the Sanscrit, Gr eck, Latin and Teutonic Lan-
giiages. Forming α Supplement to Researches in the Physical history
of 'Mankind. By James Cowles Prichard.
Oxford, 1831. — On
the Importance of the Study of the Celtic Language as exhibited hy
the Modern Celtic Dialects still extant. By Dr. Charles Meyer.
In
Report of the 11 th Meeting of the Brit. Assoc., Lond. 1848, p. 301
ff.) Meyer hat der Prichard'sclicn Nomenclatur nur die Namen
„Gallisch" und „Fenish" liinzugefügt, die in den alten National-
Urkunden (besonders den Irischen) zu oft vorkommen und eine
zu grosse Bedeutung haben, um in einem keltischen Stammbaum
unbeachtet bleiben zu können. Lorenz Diefenbach, dem man das
grändlichste Werk über die Kelten verdankt (Ccltica I. Sprach-
liche Dokumente zur Geschichte der Kelten u. s. w. utid Celtica II.
Versuch einer genealogischen Geschichte der Kelten. Stuttgart.
1839 ff.) und nach ihm A. E. Pott, der die Kelten in der Indo-
germanischen Völkerfamilie anfangs nicht aufgenommen Λv^ssen
wollte (Etymologische Forschungen, I, p. XXXIII, LXXXII),
theilen die Neükeltischcn Sprachen ebenfalls in zwei Hauptab-
theilungen, die Gadhelische undKymrische, nach folgendem Schema:


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Etlmograpliie. 17

a) Gadhelischer Zweig. Die Hochschottcn schreiben ihren Na-
men Gaidheal, Gaidhil, u. s. w., allein in der Aussprache schwin-
det das dh, so dass ungefähr die im Auslande übliche Form Gaele,
Gale herauskommt.

a) Irisch, ß) Gaelisch. Manks (Manx, Mansk) ein sehr ge-
mischter Dialekt auf der Insel Man.

b) Kymrischer Zweig. Die Kymren in Wales nennen ihre
Sprache Cynmraeg; und Cynmruain, Cynmreig bedeutet Walsh,
Cambrian. Der Etymologie von Owen zufolge, wäre das, gewöhn-
lich Cymro geschriebene Wort Cynmro
{_A Welshmmi) aus cyn
(the first; cliief, excellent u. s. w.) und bro (Land) zu deuten, so
dass darunter etwa Aboriginer verstanden werden müssten.

α) Wallisisch, engl. Welsh, franz. Gallois (sehr zu unterschei-
den von Gaulois, d. i. Gallisch). _ Eine Unterart vom Wallisi-
schen bildet die seit der letzten Hälfte des 18. Jahrh. ausgestor-
bene Sprache von Cornwallis, franz. Comique.

/S) Basbreton, nach der ältern Landesbenennung Armoricanisch.

Schottland heisst im Gaelischen Alb', Albainn f., d. h.
Hochland, und ein Schotte Albannach; der Irländer Eireannach;
der Engländer Sasonnach (Sachse). (A. F. Pott: „Indogermani-
scher Sprachstamm", in Ersch-Gruber's Encyklopädie, XVIII,
p. 89 ff.) C. Meyer leitet das ΛVort Gadhel, Gael (im Irischen:
Gaodhal, Gaoidhal, Gaedhil) von einer. altkeltiiichen Wurzel
gwydli sequi, comitari, ab, welches (mit der regelmässigen Ver-
änderung von gw in f) in den irischen Wörtern Euidh-im sequor,
comitor; Feadhan comitatus, clientela; Feadha patronus; Feidhil
Gliens sich erhalten hat; so dass dem Wort Gadhel, Gael die
Bedeutung Follower gegeben wird, mit Kücksicht entweder auf
die nomadischen Neigungen und Gewohnheiten des ganzen Stam-
mes oder von seinem Gebrauch in Clanschaften zu leben. Der
Name Gall (Gallus, Gaul), obwol er von irischen Schriftstellern
in direktem Gegensatz von Gael gebraucht wird, so dass er im
Allgemeinen die Bedeutung von Foreigner erhalten hat, lässt
sich doch
Λνοί nicht anders, als eine noch mehr verstümmelte
Form desselben Worts ansehen, eine Zusammenziehung nämlich
von Gwadhal oder Gwodhal (a. a. O. p. 301). Man vergi. auch
Mc. Ctdloch's Origin and Races of the Higldanders in dessen High-
lands and Wester/i Isles af Scotland,
Vol. IV.

2 (p. 13.) Die Gränze zwischen der gaelischen Sprache und
der englischen in Schottland stützt sich auf örtliche Untersuchun-
gen, welche mein junger Freünd Heinrich Nabert, ans Braun-
schweig, ein eben so scharfsinniger als geistvoller Sprachforscher,
während einer längern Anwesenheit in Grossbritannien angestellt
hat. Weil Nabcrt diese Gränze nicht blos von Stadt zu Stadt,
sondern von Dorf zu Dorf und von Hof zu Hof belaufen, und in
der Kirche, Λνίβ in der Schule u. s. Λν. der verschiedenen Clan-
schaften der schottischen Hochlande die Zungen belauscht hat,
darf ich mit Eecht sagen, dass die Sprachgränze in diesen Ge-
genden mit grosser Sicherheit bestimmt ist. Ihm verdank' ich
auch die Angabe, dass die wälsche Mundart in den südwestlich-
sten Grafschaften von Schottland Ayr und Galloway (West G.=
Wigton, East G.=Ivirkcudbright) erloschen und durch die breite
schottische Mundart des skandinavisch-englischen Dialekts ersetzt
worden ist. Auch die eigenthümliche kymrische Mundart, welche
ehedem in einem Theile der englischen Grafschaften Cumberland
und Westmoreland gesprochen Λvurde, ist von den angränzenden
Dialekten der englischen Sprache verdrängt worden. Ob in dem
Flecken Waiden der Grafschaft Essex noch Gälisch gesprochen
werde (Adelung, Mithridates, II, p. 101, 103), weiss ich nicht.
__ Die Grafschaften von Irland, welche unvermischte, rein kelti-
sche Bevölkerung zu haben scheinen, sind: Cai-low, Kildare,
Queen's und King's Counties, Westmeath, Meath, Longford, Keny,
Tipperary, Clave, Cavan, Fermanagh, Monaghan, Armagh, Ty-
rone, Roseommon, Leitrim, Sligo. In allen übrigen Grafschaften
ist die Bevölkerung mit germanischem Blute gemischt, und die
englische Sprache, in der irländischen Mundart, vorwaltend. In-
dessen bin ich, wie schon oben im Text erwähnt, nicht im Stande
gewesen, die Gränze zwischen dem Englischen und dem Irischen, auch
nur mit einer Annäherung an die Wirklichkeit, einzutragen, weshalb
hier denn auch, wie u. a. in der Grafschaft Cork, manche Lücke sein
mag. Selbst in den südwestlichsten und westlichsten Grafschaften
giebt es an der Küste viele Fischerdörfer, die nicht keltisch, sondern
germanischen, meist skandinavischen Ursprungs sind. Eine genaue
Bestimmung der Sprachgränze in Irland ist sehr wünschenswerth;
ein Anhalt dazu findet sich sehr Avahrscheinlich in der Thatsache,
dass die Kelten durchgängig Katholiken, die Englisch redenden
BeAvohner von Irland aber Protestanten sind. Uebrigens nimmt
das keltische Volks-Elemcnt in Irland durch Auswanderung nach
den Vereinigten Staaten und nach Canada furchtbar ab. Irland
hatte im Jahre 1841 beinah' 9 Millionen Einwohner; die Volks-
zählung aber, welche, nach zehnjähriger Turnus, im Jahre 1851
Statt gefunden hat, scheint nur wenig über 6 Millionen nachge-
wiesen zu haben. Der frachtbare und einst volkreiche Distrikt
von Thurles im nördlichen Theile von Tipperary ist, sammt meh-
reren anderen Gegenden dieser Grafschaft fast ganz von Bewoh-
nern cntblösst, da das Landvolk die Heimath verlassen hat. Die
Baronie Slivemaraque, in Queen's County, hatte im Jahre 1841
über 17,000 Einwohner, 1851 dagegen nur ungefähr 10,500. Die
Bevölkerung von Irland ist in den letzten zehn Jahren um ein
Drittheil zusammengesehwunden. _ Im Fürstenthum Wales wird
das kymrische Volkselement und die wälsche Sprache immer
weiter gegen Westen und an die Küste gedrängt. Die Sprach-
gränze, die ich in der ersten Ausgabe der Karte No. 12 (von
1845) mit der politischen Gränze zusammen fallen liess, und selbst
in den westlichsten Abschnitt der englischen Grafschaft Monmouth
gezogen hatte, ist, nach neüeren Nachrichten (deren Quelle auf-
zuzeichnen ich leider vergessen habe), aus dieser Grafschaft ganz
heraus- und in die Wales'schen Grafschaften Brecknock und
Glamorgan geschoben worden. _ Was endlich die Abgrän-
zung der Breyzads betrifft, oder die des Gebiets der Breyzuuac-

PHYSIK. ATLAS ΑΒΤΠ. Vm.

Sprache, so ist diese auf den Karten No. 4, 7 und 11 nach An-
gaben erfolgt, die aus der Mitte des 18ten Jahrhunderts stam-
men (Adelung, Mithridates II, p. 162. Aug. Fuchs, Romanische
Sprachen, p. 73, 74). Dass aber auch auf diesem Punkte, dem
einzigsten des Festlandes, wo das keltische Volks- und Sprach-
Element noch repräsentiret ist, eine Beschränkung desselben durch
die französische Sprache Statt gefunden habe, ist sehr wahr.·
scheinlich. Wir werden darüber vielleicht Auskunft erhalten durch
die, von Regierungswegen angeordnete und im Jahre 1851 aus-
geführte neüe Volkszählung von Frankreich, bei der die Polizei-
Behörden die Sprach-Verschiedenheit muthmasslich werden be-
rücksichtigt haben. Mindestens hat das Ministerium des Innern zu
Paris mittelst der an mich erlassenen Verfügungen vom 8. und
19. December 1849 die Absicht zu erkennen gegeben, meine un-
term 28. November und 12. December desselben -Jahres gestellten
Anträge wegen Ermittelung der Zahl der Einwohner von Frank»
reich, welche die französische Sprache nicht als Muttersprache
reden, bei der neüen Volkszählung in nähere Erwägung zu zie-
hen.
„Toutefois, sagt der Minister, si les renseignemens dont vous
avez hesoin pouraient encore vous etre utiles au moment du recense-
meni gen&al de la populaiion, qui aura lieu en France, en 1851,
fexaminerais α cette ipoque, si les complications et les difficulMs
ordinaires de ee grand travail permettent aux autorites qui en sont
chargis de faire l'enquete speciale que vom demandez"
(Verfügung
vom 19. December 1849, gezeichnet vom Unter-Staats-Sekretair
des Innern
Jary.')

3 (p. 13.) Die östliche Gränze des deütschen Sprachgebiets in
den Provinzen Preüssen, Pommern, Posen und Schlesien, sodann
auch die Umgränzung der Serben-Wendischen Sprachinsel in
der Lausitz, stützt sich auf ethnographische Specialkarten, deren
Bearbeitung, nach ganz ausführlichen Nachrichten über die
Sprachverschiedenheit der Bewohner einer jeden einzelnen Ort-
schaft in jenen Provinzen, mich in den Jahren 1848, 1849 und
1850 fast ausschliesslich beschäftigt hat. Diese Nachrichten
sind bei den Volkszählungen von 1846 und 1849 auf amtlichem
Wege gesammelt und mir von den betreffenden Königlichen
Regierungen zu Gumbinnen, Königsberg, Danzig, Marienwerder,
Köslin, Bromberg, Posen, Frankfurt und Oppeln, und für die
Regierungsbezirke Liegnitz und Breslau unmittelbar von den
Künigl. Landrathsämtern, sowie endlich für die sächsische Ober-
lausitz, auf Befehl des Königlichen Ministeriums des Innern, von
der Königl. Landes-Direction zu Buddissin auf die zuvorkom-
mendste Weise mitgetheilt worden. Auch von Böhmen hab' ich
auf Grundlage der bekannten Krcybich'schen Kreis-Karten, eine
specielle Sprachkarte entworfen, bei der die Nachrichten leitend
gewesen, welche Joh. Gottfr. Sommer (das Königreich Böhmen;
statistisch-topographisch dargestellt. 16 Bände; Prag 1833 n. ff.
Jahre) gegeben hat. Für Mähren könnt' ich die Beyer'sche
Karte in vier Blättern benutzen, bei der auf die Abgränzung
der Wohnsitze der Deütschen und Slawen Rücksicht genommen
ist; ausserdem auch die Angaben von E. J. Schmidt, Beiträge
zur Statistik der Markgrafschaft Mähren und des damit verbun-
denen k. k. Antheils des Herzogthums Schlesien, Brünn, 1840
und J. G. Eisner (die Slawen in Mähren, im „Ausland" 1848,
No. 260 u. 261). Die westliche Sprachgränze in Belgien und
Frankreich von der Meeresküste bis zum Jura hab' ich nach drei
sehr ausführlichen Karten gezeichnet, welche Heinrich Nabert
auf Grund seiner im Jahre 1844 vorgenommenen örtlichen Un-
tersuchungen entworfen und mir in der Handschrift mitzutheilcn
die Güte gehabt hat. Zur Bearbeitung einer ethnographischen
Specialkarte von Belgien bin ich ausserdem durch die lingui-
stisch-statistischen Aufnahmen in Stand gesetzt, welche die bel-
gische Regierung im Jahre 1846 hat ausführen lassen, und von
denen ich die vollständigsten Nachweisungen durch den Minister
des Innern Ch. Rogier mittelst offizieller Verfügung vom 23. Ja-
nuar 1850 empfangen habe. Für die Deutsche Sprachgränze in
Frankreich wird die Volkszählung von 1851 und die dabei in
Aussicht gestellte Berücksichtigung der Sprachverschicdenheit
(s. oben Note 2) zwar noch manche Einzelheiten aufdecken, in
der Hauptsache aber wol keine grossen Aenderungen in der von
Nabert gezögenen Linie hervorbringen.

Auch von der Schweiz hab' ich eine specielle Karte der
Sprachgränze bearbeitet, vornehmlich nach den Angaben von
Markus Lutz (Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes.
3 Bde. Aarau 1827) und der Verfasser des historisch-geogra-
phisch-statistischen Gemäldes der Schweiz (St. Gallen und Bern,
1834 u. ff. Jahre), mit Berücksichtigung der vortrefflichen Mo-
nographie von Weiden (der Monte Rosa. Topographische und
naturhistorische Skizze. Wien, 1824) und von Albert Schott
(Ueber die Deütschen am Monte Rosa; Zürich, 1840, und die
Deütschen Colonien in Piemont; Stuttgart, 1842; vergl. Berg-
haus'Annalen der Erdkunde, Reihe X, p. 183 ff., p. 274 ff.,
woselbst der Verf. einen Auszug seiner ersten Schrift gegeben
hat). Die Zeichnung hab' ich einem genauen Kenner seines
Vaterlandes, Herrn Olivier Zschokke aus Aarau, einem Sohne
Heinrich's Zschokke, zur Beurtheilung vorgelegt, und die Gc-
nugthuung gehabt, dass derselbe wenig daran zu ändern gefun-
den hat. Die Sprachgränze in Tyrol stützt sich auf die An-
gaben des geistvollen Ludwig Steub, in Mcran (Augsburger all-
gemeine Zeitung, 1844, No. 176, 209, 284), von Mathias Koch
(Reise in Tyrol in landschaftlicher und staatlicher Beziehung'
Karlsruhe, 1846) und von J. A.Schmeller (Ueber die sogenann'

mit eine kurze Notiz von Jul. Krone (Die Sette Communi in
Ober-Italien, im Oesterreich. Archiv für Geschichte u. s. w.
1833, No. 39, p. 156) und „das deutsche Element in Wälsch-
tyrol" (im Sonntagsblatt zur Weserzeitung, 1851,· No. 3, p. 3)
zu vergleichen ist. In Kärnthen hab' ich die Sprachgränze i^ach

5


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18 Achte Abtlieilung.

den Angaben von J. Wagner (das Ilerzogthum Kämthen nach
allen seinen Beziehungen, etc.; Klagenfurt, 1847) und in der Steier-
mark nach denen Joseph's Marx von Liechtenstern (Statistisch-
topographischer Landesschematismus des Herzogthums Steier-
mark; Wien, 1818) gezogen; bei letzterer aber die werthvollen
Beiträge nicht unbenutzt gelassen, die wir einem Ungenannten
verdanken (die deutsche Sprachgränze im Südosten der Steier-
mark in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, 1844, No. 270,
271, 276). Für die deütsche Sprachgränze in Schleswig, die
in den letzten Jahren, besonders seit 1848, eine so hohe poli-
tische Bedeütung gewonnen hat, lagen mir die Angaben vor von
F. H. J. Geerz (Karte zur Uebersicht der Gränzen der Volks-
und Kirchen ^ Sprachen im Herzogthum Schleswig. Eutin und
Kiel, 1838); von J. J. A. Worsaae (Antischleswigsche Frag-
mente von A. F. Krieger. 2tes Heft. Danewirke. Aus dem Dä-
nischen von A. Courländer. Mit einer illuminirten Sprachkarte
über die Jütländisehe Halbinsel. Copenhagen, 1848) und von C.
F. Allen (Ebendaselbst etes Heft. Ueber Sprache und Volks-
thümlichkeiten im Herzogthum Schleswig oder Siidjütland. Mit
einer
Sprog-hort over Hertugdemmet eller Sönderjylland. Efter
Koch's Sprog-kort.
Kopenhagen, 1848). Diese Liste der Quel-
len und Hülfsmittel könnt' ich noch verlängern, allein ich
muss diese Note schliessen, darf es aber nicht unbemerkt lassen,
dass die schöne Arbeit von K. Bernhardi (Sprachkarte von
Deutschland; Kassel, 1844; in 2ter Auflage von Wilh. Stricker;
Kassel, 1849) zum Vergleichen mit den Ergebnissen meiner Un-
tersuchungen nicht Tinbenutzt geblieben ist. H. Kiepert's Na-
tionalitätskarte von Deutschland (Weimar, 1848) ist mir nur ein
einziges Mal zu Gesicht gekommen. Das vollständigste, aber
wegen der vielen eingeschobenen Beweisstellen etwas schwer-
fallige, historisch-ethnographische Werk über unser Volk haben
wir von Kaspar Zeuss (die Deütschen und die Nachbarstämme.
München, 1837; VIII und 778 S. 8.) erhalten.

4 (p. 14.) Bei der Doppelzüngigkeit, die sich im Preüssischen
Staate Stellen Weise sogar zu einer Trias gestaltet (Deütsche,
Polen und Littauer) und in anderen Ländern Eüropa's, z. B.:
in Ungern, oft Polyglotten-Gruppen bildet, ist es wichtig, den
Zahlen-Unterschied der Zungen ins Auge zu fassen. Bei den
Specialkarten, die ich von denjenigen Provinzen des Preüssi-
schen Staats, in denen Deütsche mit Slawen und Littauern zu-
sammen wohnen, (im Maassstabe von 1/200,000) entworfen habe,
unterscheid' ich folgende Kategorien: Ausschliesslich Deütsche,
Polnische oder Littauische Bevölkerung; _ Gemischte aber über-
wiegend Deütsche, oder Polnische oder Littauische Bevölkerung;

_ Gemischte Bevölkerung, bei der das Eine Volkselement mehr

hervortritt, als eins der beiden anderen. Diese Verhältnisse kön-
nen, wie leicht einzusehen ist, nur auf Karten von grossem Maass-
stab, welche jede Ortschaft, möge sie noch so klein sein, ent-
halten, dargestellt werden. Die Specialkarten von der deütschen
Sprachgränze, und die dazu gehörigen erlaüternden statistischen
Tabellen, gedenk' ich als selbstständiges Werk bekannt zu ma-
chen; einen Auszug daraus aber werd' ich auf Provinz-Karten
im Formate des Physikalischen Atlas, als Ergänzung der ethno-
graphischen Abtheilung, erscheinen lassen.

5 (p. 14.) Ueber das Vordringen der französischen Sprache
auf dem Gebiet des vlämischen Dialekts im französischen An-
theil von Alt-Flandern (Departements
du Pas de Calais et du
Nord)
vergleiche man einen interessanten Artikel im Echo de la
Frontiere,
und daraus im Athenäum, 1845 vom 8. März; Aus-
land, 1845, No. 82; Augsb. Allg. Zeitung, 1845, No. 76, Beilage,
p. 602, 603.

6 (p. 14.) In Bezug auf die Dialekt - Gränzen will ich nur
Eines-Falles Erwähnung thun. Ich habe nämlich die untere
Grafschaft Bentheim zum Gebiet der holländischen Sprache
(Oberysler Mundart) gezogen, und dem gemäss auch die Namen
der darin liegenden zwei Städte in holländischer Schreibart auf
der Karte eingetragen
(Noordhoorn und Nyenhuyzen). Dieses Her-
überziehen der holländischen Sprache auf deütsches Gebiet (im
staatsrechtlichen Sinne) beruhet auf eigene Erfahrungen, in den
Jahren 1811 und 1812, als ich, in meiner Eigenschaft als
Geo-
grapJie du Corps impirial des ponts et ckauss^es
im damaligen Di-
partement de la Lippe de ΐEmpire francais,
während der Som-
mer- und Herbstmonato mit Ausarbeitung von Kanal- und
Strassenbau-Projecten in der Grafschaft Bentheim beschäftigt
war. Zu jener Zeit wurde in den Kirchen nur in holländischer
Sprache gepredigt; und blos die gebildeten Leüte in den Städten
Nordhorn und Neüenhaus verstanden und sprachen Hochdeütsch,
aber als erlernte Sprache. Ganz eben so verhält es sich mit den
untern Gegenden des Herzogthums Kleve und mit dem preüs-
sischen Herzogthum Geldern, wo das Holländische die Volks-
sprache ist, oder mindestens vor einem halben Jahrhundert war,
denn ich selbst habe als ein „
Ideefsch wigf, obwol meine Ael-
tern
„uit 't Moffenland" waren, in der „nederduytsche taal" spre-
chen gelernt, und diesen den Hochdeütschen so churwälsch
vorkommenden und doch so überaus reichen Dialekt, Jahre lang
ausschliesslich
„gepraatet". Es ist die Geldernsche Mundart, die im
Klevischen Lande gesprochen wird, und die sich auch sehr wahr-
scheinlich bis
an die Wallonen-Gränze erstreckt. (Eine abweichende
Ansicht theilt K. Bernhardi, in Sprachkarte, 2. Auflage. Kassel,
1849, p. 109, Anmerk. 15 mit.) Mein sehr ehrenwerther Freünd
und geographischer College H. Kiepert hat mich, in mündlicher
Unterhaltung (1849),
darauf aufmerksam gemacht, dass die Gränze
zwischen den mittel- und niederdeütschen Mundarten im süd-
östlichen Theil der heütigen Provinz Brandenburg nicht längs
der Oder, sondern weiter nördlich, von der Bobr-Mündung etwa
in der Richtung auf Meseritz gezogen werden müsse. Diese Be-
merkung ist wohl begründet; denn durch diese Verschiebung der
Gränze wird der Schwiebuser Kreis dem Mitteldeütschen Dialekt-
Gebiet, dem er als ehemaliger Bestandtheil des Herzogthums
Schlesien historisch und linguistisch angehört, zurückgegeben. Ich

bemerke hier noch ein Mal ausdrücklich, dass die Karte No. 9
als
Dialekt-Karte nur als ein Fachwerk angesehen werden darf,
das den Sprachkennern bei dem Entwurf von Specialkarten
möglicher Weise von Nutzen werden kann.

7 (p. 14.) Es ist mir nicht möglich, all' die Quellen hier an-
zugeben, aus denen die Nachrichten über die geographische
Verbreitung der Deütschen im Auslande geflossen sind. In die-
ser Beziehung kann ich auf K. Bernhardi (Sprachkarte) und auf
W. Stricker's schöne Zusammenstellung verweisen (die Verbreitung
des deütschen Volks über die Erde; Leipzig, 1845. Fortgesetzt in
dem Archiv zur Kenntniss des deütschen Elements in allen Län-
dern der Erde. 1. und 2. Beilage-Heft zu Malten's Neüester
Weltkunde. Frankfurt a. M., 1847). Ueber die deütschen Kolo-
nien im St. Petersburgischen Gouvernement hat P. von Köppea
statistische Mittheilungen gemacht
(Bull. historico-pMlolog. de l'Acad.
Imp. des Sc. de St.-Fäersb,
T. VII, p. 350 if.). Wenn mir K. Bern-
hardi oder W. Stricker (?) (in Sprachkarte von Deutschland
2. Aufl. p. 65, Anmerk. 37) vorwirft, dass ich (in Länder-
und Völkerkunde, IV, p. 893) der deütschen Sprachinsel um
Gottschee nicht Erwähnung gethan, so hat er es übersehen, dass
ein allgemeines geographisches Werk auf Einzelheiten nicht ein-
gehen kann, die, wenn es geschehen wäre, auch all' die zahl-
reichen grossen und kleinen Sprachinseln hätten berücksichtigen
müssen, welche in Ungern zerstreüt liegen. Zugleich hat es
Bernhardi aber auch vergessen, dass er über die Gottscheer
Deütschen in der 1. Auflage seines vortrefflichen Werks (p. 65)
nur Ein literarisches Hülfsmittel, in der 2. Auflage (p. 64, 65,
66) dagegen mehrere zu Rathe gezogen hat, welche ihm 1844
eben so gut bekannt sein konnten, als im Jahre 1849.

8 (p. 14.) Die Verbreitung der Schweden in Finnland hab' ich
nach P. von Köppen's schöner Ethnographischen Karte von Finn-
land (in
Mimoires de l'Acad. Imp. des Sc. de St-Pßtersh. VISMe-
scierices politiques,
T. VII, 1847) gezeichnet. Für die Schweden
in Estland (etwa 5000 Seelen) benutzte ich eine Angabe von
P. von Köppen vom Jahre 1834
(Eull^tin de la classe historico~
pliilologique de l'Acad. Imp. des Sc. de St.-Pe'tersh.
T. III, 1847,
p. 257 ff., p. 346) und von Sjögren (Denkschriften der russisch,
geogr. Gesellsch. zu St. Petersb. Deütsche Uebers. I, p. 453 ff.).
Auch in Livland haben sich aus den Zeiten der schwedischen
Herrschaft einige hundert Schweden erhalten, über deren ört-
liche Stellung ich aber keine Nachweisung habe. _ Das Däni-
sche schliesst sich unmittelbar an die Altniederdeütschen Mund-
arten, das Friesische und Sassische an, welchem es unter den
Skandinavischen Mundarten am nächsten verwandt ist, wie u. a.:
aus der Vergleichung mit dem echt Angelsächsischen erhellet;
eine Ansicht von Adelung (Mithridates, II, p. 297), und ande-
ren Sprachkennern, der man sich dänischer Seits in neürer Zeit
in dem jammervollen Deütschen-Hass auf das Entschiedenste
widersetzt hat, und die altnordische Zunge
(Norraena Tunga,
auch Norraent Mal.^ d. h. wörtlich: Nordisches Maul! genannt)
als Mutter des Dänischen betrachtet wissen will. Die dänische
Volkssprache spaltet sich in vier Hauptdialekte
(Chr. Molbech,
Dansh Ordbog inheheldende det DansTce Sprogs Stammeord
u. s. w.
Kßbenhavn, 1833. 2 Bände. Aug. von Baggesen, der dänische
Staat, geographisch und statistisch dargestellt. Kopenhag., 1842,
p. 174 ff.). Ein fünfter Dialekt, welcher sich an den see-
ländischen anschliesst, wird auf Bornholm gesprochen. Durch
die Vereinigung Norwegens mit Dänemark am Ende des I4ten
Jahrhunderts bekam in jenem Lande unter den gebildeten Leü-
ten das Dänische allmälig die Oberhand. Es ist in Norwe-
gen die Schriftsprache und hat auch die norwegische Sprache
in den Städten und deren nächsten Umgebungen wesentlich
modificirt. Auf dem Lande aber wird das Altnordische in fast
unverkümmerter Reinheit und Fülle auch noch heutiges Ta-
ges gesprochen. Diese norwegische Volkssprache spaltet sich
in drei Hauptdialekte, den nord-, west- und ostfjeldschen, da-
von der erste im Stifte Drontheim und den Nordlanden, der
zweite im Stifte Bergen und einem Theile von Christianssand, der
dritte im Agershus und dem östlichen Theile von Christianssand
herrschend ist.
(Ivar Aasen, Norslce FolJcesprogs Grammatik. Kris-
tiania,
1848. XVI und 239 S. gr. 8.; und dessen Ordbog over det
Norslce Folkesprog.
Ebendas. 1850. XV. u. 639 S. gr. 8.; beide
Werke auf Kosten der Königl. Norweg. Gesellschaft der Wissen- '
Schäften.) Ein sehr verderbtes Norwegisch wird auf den Orkaden oder
Orkney- und den Shetländischen Inseln von den gemeinen Leüten
gesprochen, die sich, ebenso wie die Bewohner der Färöer
Norns
(Nordische) zu nennen pflegen. Die Trennung des Schwedischen
(Swensk) in zwei Hauptmundarten, die Schwedische und Göthi-
sche, davon jede wieder in mehrere Unterdialekte zerfällt, ist nach
den Angaben von Suen Hof (Adelung, Mithridates, II, p. 309)
eingetragen worden. Die Mundart von Schonen (2 d) hat Vieles
mit dem Dänischen und Manches mit dem Deütschen gemein.

9 (p. 14.), Die Nachweisungen über die Dialekte der englischen
Sprache hab ich von Adelung (Mithridates, II, p. 320), Vater
(Literatur der Gramm, p. 65__66) und von J. Bosworth
(Dictio-
nary of the Anglo-Saxon Language;
London, 1838, p. XXVII)
entnommen. Das Schottische betrachtet man jetzt als unabhängig
vom Englischen, d. h. als eine Mundart, die nicht aus dem Eng-
lischen, sondern unmittelbar aus den niederdeütschen Dialekten
entstanden ist. Daher ist die Schottische Mundart eine Schwester
der englischen Sprache, und weicht im Wortvorrathe und der Aus-
sprache so wenig vom Niederdeütschen ab, dass ein Schotte
sich ohne grosse Mühe mit einem Bewohner der norddeutschen
Seeküste verständigen kann. __ Bosworth theilt in dem angeführ-
ten Werke auch Manches über die geographische Verbreitung des
Friesischen mit.

10 (p. 14.) Man muss sich vorsehen, das roma'ische, ein nichts
weniger, als römisches Idiom mit den romanischen Sprachen,
namentlich mit der romunischen oder rumunischen (walachischen),
oder mit der rumonischen Mundart der Bhätier, die beide wirk-


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Ethnographie. 19

lieh lateinischen Ursprungs sind, zu verwechseln. Im ganzen Orient
heissen Griechenland und die Griechen nicht anders als Rüm und
Rümi.

11 (p. 14.) Aus der reichen Literatur über die Neügriechen,
ihre romaische Sprache und deren geographische Verbreitung heb'
ich nur die Schriften hervor von William Martin Leake
(Remarks
on the languages spolcen in Greece at the present day;
erster und
einziger Theil der
Hesearches in Greece. London, 1814. 4.); von
F. C. H. L. Pouqueville
(Voyage dans la Grece, Paris, 1820, 1821.
5 Bde); von Fallmerayer (Geschichte der Halbinsel Morea;
2 Bde. Stuttgart, 1830 u. 1836), welcher behauptet hat, dass in
den Griechen unserer Tage gar kein altgriechisches Blut mehr
fliesse; und von Joh. Mich. Heilmaier (üeber die Entstehung der
romaischen Sprache; ein Beitrag zum vergleichenden Sprachstu-
dium, Aschaffenburg, 1834. 4.). _ Unter der Franken-Herrschaft
wurde trotz ihrer kurzen Dauer, und obwol es den Franken nie
gelungen ist, recht eigentlich Wurzel im Lande zu fassen, in
Griechenland, besonders im athenischen Gebiet, französisch ge-
sprochen, wie zu Paris; und französische Troubadom-s dichteten
ihre Lieder in der Morea. Ueber die Herrschaft der Franzosen im
Orient vergl. Pouqueville
(Μέτη. histoir. et diplomat. sur le Com-
merce et les ßablissemens frangaises au Levant, depuis le Gieme jus-
qu'ä la fin du Herne siede;
in den Mem. de l'acad. des Inscript.
et belks-lettres,
T. X, p. 513 ff.); Lavalke (Des rilations de la
France avec la France depuis les temps anciennes jusqu'a nosjours;
in der Revue independante, Okt. 1843—1844); Fallmerayer (a. a.
O. I, p. 352 ff.), J. A. Buchon
(Memoire sur la geogr. polit. de
la principauti frangaise d'Ackaye;
in den Recherches historiques
sur laprincip.franq. de Morie et ses hautes Baronnies.
Paris, 1845.);
W. M. Leake
(^Morea in the ihirteenth Century, in Peloponnesiaca,
London, 1846). Was die romaischen Dialekte anbelangt, so haben
sich auf den Inseln des Archipelagus manche alte, dem übrigen
Griechenland unbekannte Ausdiücke bis auf den heütigen Tag
fortgepflanzt, indem unter den dortigen Schiffsleüten und Fischern
mehrere Handthienmgen ganz wie im Alterthum verrichtet wer-
den. Die reinsten Mundarten hört man auf den weniger besuchten
Eilanden des Archipelagus, als Nikaria (Ikaria, Ikaros), Santorin,
Karpatho (Scarpanto), u. s. w., überdem aber auch in den unab-
hängigsten Bergdistrikten des Festlandes. Ein zum Türkischen
sich hinneigender Dialekt ist in Makedonien verbreitet, ferner in
Egrippos (Eüböa), Tripolitza, Larissa, Patras und in den Städten
des südlichen Albanerlandcs. Zu Constantinopel hat die Sprache,
von Männern höherer Sitte und Erziehung gesprochen, eine mehr
Hellenische Grammatik, so wie eine geschmücktere Anordnung
und Phraseologie, dafür aber auch einen Uebei-fluss an türkischen
Wörtern. Die Mundart von Athen (^Αϋ-ψαι, sprich Ashinä mit
lispelndem th) ist durch fränkischen und albanesischen Einfluss
ausserordentlich entartet, (hat aber, wie im Texte gesagt worden,
jetzt die erste Stelle unter den neugriechischen Dialekten einge-
nommen). Die kretische Mundart steht zum Hellenischen in glei-
chem Verhältniss, als das Italiänische zum Latein. Die Kyprioten
unterscheiden sich von den Kretern in der Sprache weniger durch
mundartliche "Verschiedenheit, als durch abweichenden Ton; auch
bedienen sie sich gelegentlich noch des hellenischen Infinitivs, der
im Romaischen geschwunden ist. Am verderbtesten ist die Mund-
art der Ionischen Inseln. Unter den vielen Dialekten, davon hier
nur die hauptsächlichsten angeführt sind, giebt es aber einen, der
von den Mundarten des übrigen Griechenland's materiell abweicht;
es ist der Dialekt der Tzakonen, der aber, weil viele Männer in
anderen Gegenden Griechenland's ihre Nahrung suchen, anfängt,
nur noch bei den Weibern gebraüchlich zu bleiben. (A. Fr. Pott
„Indogermanischer Sprachstamm" in Ersch-Gruber's Encyklopädie,

XVIII, p. 64_75.) Um die Verbreitung der Griechen in Kleinasien

und die Gränze ihrer Sprache genau festzustellen, muss die in
den letzten Jahren so reich gewordene Reise-Literatur einem selbst-
ständigen Studium untenvorfen werden. Die Gränze, ivie sie die
Karten No. 4 und 8 geben, ist nur als eine einstweilige Bestim-
mung anzusehen. Von der Griechen-Colonie auf Corsica, die da-
selbst im Jahre 1676 angesiedelt wurde (Bosswell, historisch-
geograph. Beschreibung von Corsica. Aus dem Engl. Leipzig,
1769, p. 75 ff.) erfahren wir durch Adrian Balbi
(Miscellanea Ita-
liana. Milano,
1845, p. 6), dass sie ihre Muttersprache noch
spreche: Carghese nennt er als Ort dieser Colonie.

12 (p. 14.) Die Ansicht, nach welcher die Romanischen Spra-
chen aus der Römischen Volkssprache
(lingua romanzd) hervor-
gegangen sind, wird vertreten von Ch. Denina
(La Clef des
langues au Ohservations sur l'origine et la fonnation des principales
langues qu'on parle et qu'on 4crit en Europe.
Berlin, 1804, II, p.
2ff.); von J. Chr. Adelung und J. Sev. Vater (Mithridates, II,
p. 477ff.); von L. Diefenbach (Ueber die jetzigen romanischen
Schriftsprachen u. s. w. mit Vorbemerkungen über Entstehung,
Verwandtschaft u. s. w. dieses Sprachstamms. Leipzig, 1831, p. 22);
von Jakob Grimm und Andr. Schmeller (Lateinische Gedichte
des X. und XI. Jh. Göttingen, 1838; p. V); von Fr. Diez
(Grammatik der romanischen Sprachen. Bonn, 1836, I, p. 3ff.)
von Aug. Fr. Pott („Indogermanischer Sprachstamm" in Ersch-
Gruber's Encyklopädie, XVIII,
p. 81 ff.); und von Aug. Fuchs
(Die Romanischen Sprachen in ihrem Verhältnisse zum Lateini-
schen. Halle, 1849; p. 35).

13 (p. 14.) Aug. Fuchs (a. a. O. p. 3, 52) lässt sich in der
Begeisterung für den Gegenstand seiner linguistischen Forschun-
gen zu jener Behauptung hinreissen, deren nähere Prüfung und
Zergliederung nicht hierher gehört.

14 (p. 14.) Die heütigen Küstenbewohner der Istrianischen
Halbinsel und die Bewohner der dalmatimschen Küsten und In-
seln sind theils romanischer, theils slawischer Abstammung; die
Romanen aber, von der grössern Masse der Slawen gedrängt, haben
die serbische Sprache, und die Slawen, unter der langen Herrschaft
Venedig's, die italiänische Sprache erlernt, so dass beide Idiome
in Dalmatien gang und gäbe sind. Ueber die geographische Gränze
des Italiänischen in Dalmatien in Zweifel, bat ich einen vielge-
reisten und vielreisenden Freünd, der jenes Land im Jahre 1850
besucht hat, um Auskunft. Er antwortete mir mittelst Schreibens

aus Breslau vom 12. Mai 1851 Folgendes: _ „Auf die Anfrage

wegen der ethnographischen Verhältnisse kann ich nur antworten,
dass ich in keinem Lande, als in Dalmatien in solche Verlegen-
heit gekommen bin, wenn es darauf ankommt, welcher Nation
die Bewohner angehören, obwol ich darauf mein besonderes
Augenmerk richtete, seit Sie mich in der Moldau und Walachei
darauf aufmerksam machten" (dies geschah im Jahre 1843, als
mein Freünd eine amtliche Stellung in Jassy hatte). „Die Phy-
siognomien sind dort überall mehr romanisch und griechisch, als
slawisch: nach der Physiognomie bin ich und alle Schlesier viel
mehr Slawen, als die Dalmatiner. Dennoch sprechen Alle Slawisch
und Jeder sagt mit Stolz: „Ich bin ein Slawe!" Dagegen ein
Anderer: „Ich bin Italiäner!" Am auffallendsten war mir Ragusa.
Dort spricht man in Familien Slawisch, und dichtet seit drei Jahr-
hunderten eben so schön Slawisch, wie Italiänisch und Lateinisch.
Ein solches Gemisch ist mir nie vorgekommen. Ich habe mich
überzeügt, dass die Slawen, Ungern, u. s. w. nicht hinreichende
Weiber mitbrachten, wie Longobarden und Gothen, daher Alle

Mischlinge sind, besonders die Ungern...... Ich habe mein

Reisetagebuch nochmals genau durchgesehen und kann versichern,
dass ich in Dalmatien keinen Ort kenne, wo blos Illyrisch, oder
blos Italiänisch gesprochen wird. Von Fiume an bis Cattaro hab'
ich stets beide Sprachen gehört und kenne keinen Menschen, der
nicht beide Sprachen spricht, etwa ein Paar Bauern ausgenom-
men, die nur Slawisch sprechen. Dies kann man von allen Dör-
fern annehmen; auf den Inseln dagegen herrschen beide Sprachen:
Arbe mehr Slawisch, Lesina mehr Italiänisch. Ich versichere,

es ist zum — Verzweifeln, dass man keine Gränze findet.......

Die Kroaten, für die Sie die Rechtschreibung Chrwaten oder
Chorwaten in Anspruch nehmen, nennen sich selbst Herwaten;
so schreibt man in Agram; das hab' ich sogar gedruckt in Händen".

15 (p. 15.) Bei Gelegenheit des Namens Walachen und mit
Bezugnahme auf die Note 1, zu α) Wallisisch, Welsh, kann ich nicht
umhin, eine Erklärung dieses Namens und seiner verschiedenen
Formen hier einzuschalten. Pott („Indogermanischer Sprachstamm''
in Ersch-Gruber's Encyklop. XVIII, p. 91) spricht sich darüber
folgender Massen aus: „den Namen Welsh u. s. w. anbetreffend,
kann es nicht zweifelhaft sein, dass dieser von dem angelsächsi-
schen wealh, althochdeütsch walah (peregrinus) ausgehe (Grimm,
Deütsche Sprachl. II, p. 480; Graff, Sprachschatz, I, p. 841).
Wir begegnen dieser Benennung überall da, wo eine den Teüt-
schen fremde Bevölkerung, namentlich aber nur romanischer oder

keltischer Abkunft, in Betracht kommt. Es heissen so:_ 1) die

romanischen Walachen und Wlachen. Zwar bemerkt Adelung
(Mithr. II, p. 273) Vlach bedeüte im Dalmatisch-Slawischen ei-
nen Hirten; allein das ist schwerlich die etymologische Grundbe-
deütung des Wortes, sondern erst eine, von der gewöhnlichen
Beschäftigung der Wlachen hergenommenen Sinnesübertragung.
Russ. Walächija, Poln. Wolochy, Wolosze (Walachei) von Wa-
läch', Wolöch', Poln. Wolochi, Woioszya (Walache); Adj. Wa-

läsch'-sku', Wolosch-sk'ü, Poln. Wotoski, walachisch. _ 2) Die

Italiäner, (Deütsch: Wälsche); Poln. Wioch, Adj. Wfoski, und
daher bei den Magyaren: Olasz (Italiäner), d. h. Wälscher, Poln.

Wiochy (Italien), d. i. Wälschland__3) Churewala, Churwallis

(Rhaetia) (Graff. a. a. O.). _ 4) Die Franzosen. Beispiele des
Gebrauchs von Welsche für Italiäner und Franzosen giebt Schil-
ter (Thesaurus, III, p. 831, 832). Walahisc, wälsch, wird bei
Graff durch romanus, latinus glossirt. Bei
Du C (ange) (Glossarium
ad Scriptores mediae et infimae Latinitatis. Basileae,
1762, 3 Bde
fol.) ist Waliscus so viel als servus, minister aus leicht
einzusehenden Gründen. Wahrscheinlich auch _ 5) die Wallo-
nen. Hiernach denn auch Kanderwälsch — (nach Einigen ver-
derbt aus Churwälsch, nach Anderen von den Caorsini, Caturcini,
[siehe Du C.], die, gleich den Lombarden, in verschiedenen Län-
dern auf Wucher liehen) ^ für eine verwirrte, unverständliche,
und Rothwälseh für Gauner-Sprache. Wir dürfen Obigem zufolge
wol annehmen, dass Walah ein von germanischen Völkern in
Aufnahme gebrachter Ausdi-uck sei; allein es folgt daraus nicht,
dass er in der teütschen Sprache wurzle, und in ihr seine etymo-
logische Erklärung finde. Silvester Giraldus (in
Descriptione Cam-
briae,
cap. 7 bei Du C. v. Wallus) sagt ausdrücklich: Saxones
occupato regno Britannico, quoniam lingua sua extraneum quemlibent
Wallum vocant, et gentes has sibi extraneas Wallenses vocant, et inde
usque in hodiernum harbara nuncupatione et homines Wallenses et
terra Wallia vocitatur.
Nun heisst aber Wales, d. i. terra Wallen-
sis,
mit bekanntem Buchstabenwechsel im Französischen Galles;
und es müsste, wenn blosse Lautähnlichkeit obwaltete, wenigstens
ein bemerkenswerther Zufall sein, dass im Gaelischen Gall erstens
einen Bewohner von Niederschottland und überhaupt jeden der
der gaelischen Sprache Unkundigen, und zweitens jeden Fremden
und Ausländer, das wallisische Gal aber: Feind bezeichnet.
Die Gutturalis hinter 1 fehlt zwar darin, aber das ist nicht nur z. B.
im Teütschen: Walnuss = wälsche Nuss und sonst der Fall,
sondern es ist auch _ ach eine sehr übliche Gentil-Endung bei
den Gaelen. Man sehe noch Owen v. Gäl, auf dessen wunderliche
Angaben indess kein Verlass ist; er nimmt übrigens das Wort
Gäl als mit Gwäl
(a cultivated country; Gaul) identisch und zwar
als ursprängliches Gentile, und die Bedeütung: Feind als blosse
Uebertraguiig. Vielleicht wäre also das Wort Walah ur-
sprünglich keltisch; bei welcher Annahme jedoch befremden
müsste, dass sich für das anlautende g oder gw, falls diese und
nicht
V, w, das keltische Wort begannen, so durchgreifend in den
übrigen Sprachen w eingestellt hätte. An eine Vereinbarung der
angeführten Wörter mit Galli, Gallier, lässt sich wol kaum den-
ken. Vergl. noch Schafarik
(Slowanskg Staroiitnosti; W. Praze,
1837, p. 198 ff.) und Pott (Etymol. Forschungen, II, p. 529)."
__Der so eben genannte tschechische Geschichtsforscher, der


16 *

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20 Achte Abtheilung.

gelehrte Paul Joseph Schafarik, bemerkt in seinem erwähnten
Werke (Slawische Alterthümer. Deiitseh von Mosig von Aehren-
feld, herausgegeben von Heinrich Wuttke. Leipzig, 1843) Folgen-
des: _ „Mit dem Namen Wlach bezeichneten die Slawen ebenso
wie die Deätschen, bei denen sie Walah, Vöalh hiessen, alle kel-
tischen Völkersehaften. Die üebertragung des Namens Wlachen
auf die Lateiner als hinter jenen Wohnende, ist ein Beweis da-
für, dass unser Volk (das slawische) die Kelten bereits zu jener
Zeit kannte, als sie noch in Ober-Italien wohnten" (I, p. 50).
„Vielfältig waren die Kelten mit den Slawen benachbart und
standen mit ihnen in reger Verbindung, ja unterdrückten und ver-
drängten die Letzteren sogar theilweise aus ihrem ursprünglichen

Vaterlande. Zum Beweise dafür dient----auch der bezeichnende

Name Wlach selbst, welcher nicht nur in uralter Zeit nach dem
einheimischen und ursprünglichen Gall oder Wall gebildet, son-
dern auch auf Italien wegen der ehemaligen Ansässigkeit der Kel-
ten in Norditalien bezogen wurde. Diese Kelten waren bei den

Slawen.....sehr wohl, wenn auch nicht sehr ehrenvoll bekannt."

(I, p. 89, 90). „Das uralte Wort Wlach ist ursprünglich weiter
nichts, als der den Deütschen bekannte Volksname Walh, Vealh,
Wälsche, der einen Mann von gallischer oder keltischer Abkunft
bedeütet;" u. s. w. (II, p. 236, vergl. auch p. 377, 378). _ Auf
der Karte von Deütschland (No. 9) kommt im östlichen Theil
von Mähren der Name Walachen vor. Darunter sind aber nicht
eigentliche Walachen oder Eomuni zu verstehen, wie man nach
Namen und Cvlorit (was auf einigen Exemplaren durch ein Miss-
verständniss Λvalachisch geworden ist) glauben könnte, sondern es
sind Slawen, auf die ,nur die Bedeütung des Wortes AVlach
Hirt Anwendung findet, weil sie auf Waidegehängen der Karpa-
ten vorzugsweise Viehzucht treiben.

16 (p. 15.) Dass die Mundart, welche im Friaul gesprochen
wird, ein Zweig des romanischen Astes in Gra;ubünden sei, ha-
ben schon Adelung-Vater angedeutet (Mithridates, II, p. 511).
J. V. Haüfler setzt sie ganz entschieden zum Ehätoromanischen.
„Obwol die Furlaner (Friauler) in Italien leben, so ist ihre Sprache
doch gleich der rhätischen, ein Rest des grossen romanischen
Vereins der sämmtlichen lateinischen Töchtersprachen im (frü-
hern) Mittelalter, obgleich unter Einfluss der slavischen und ve-

netianischen Mundarten. _ Die Ehätier oder Ladiner gelten als

üeberreste der Urbewohner Tirols. Dazu gehören die Grödner,
die 15 Gemeinden, von Enneberg, welche den ladinischen oder
wälschen Dialekt mit Schattirungen sprechen, obgleich auch die
Thäler di Non und Sulzberg Bewohner von rhätiscMr Köperbil-
dung haben". (Sprachenkarte der Oesterreichischen Monarchie.
Ethnographische Uebersicht. Pesth, 1846.) Einen „Beitrag zur
Geschichte der rhäto-hetruskischen Sprache" von Placidus a Spe-
cha hat Ebel mitgetheilt (Anleitung, auf die nützlichste und ge-
nussvollste Art die Schweiz zu bereisen. Zürich, 1809; I, p. 271
ff.). Woher ich bei dem ersten Entwurf des etlmograph. Atlas im
J. 1845 die Nachricht entnommen, dass die Maurienne oder Mo-
riana Romanisch redende Einwohner habe, vermag ich jetzt (1851)
nicht auszumitteln; ich finde nur bei Adelung-Vater, unter dem
Artikel Savoyen, Mos die Bemerkung: „Nur in einigen Gegen-
den, welche an Dauphine gränzen, ist ein Romanisch üblich,
welches dem in Graubünden nahe kommt" (Mithr. II, p. 499).
Wir haben übrigens von den Brüdern Schlagintweit, welche im
Juni 1851 eine Reise nach dem Monte-Rosa und in die westli-
chen Alpen angetreten, nähern Aufschluss zu erwarten, ob die
Maurienne wirklich von Romanen bewohnt sei, indem ich die
Aufmerksamkeit der genannten Naturforscher auf den fraglichen
Gegenstand gelenkt habe.

17 (p. 15.) Die Mundarten der Italiänischen Sprache sind dar-
gestellt in C. Ludw. Femow's Römischen Studien, III, Zürich,

1808; p. 211_543, und daraus in Adelung-Vater's Mithr. II,

p. 499_534. Benutzt hab' ich auch das vortreffliche Werk von

Albert de la Marmora, Voyage en Sardaigne de 1819 α 1825, ou
Description statistique, pliysique et politique de cette tle.
Paris, 1826,
worin das dritte Kapitel der Sprache der Sarden gewidmet ist
(p. 191 — 201) und daraus deutsch in: Geschichte, Geographie
nnd Statistik der Insel Sardinien; nach den neuesten französi-
schen Quellen (Mimaut,
Hist. de la Sard. und Marmora, Foy.)

von Eerd. Hörschelmann. Berlin, 1828; p. 462_470. „Apparte-

nant incontestahlement α la grande famille des langues romanes, cet
idiome peut mhiie, sous quelques rapports, prendre place parmi les
dialectes Italiens"
(p. 191). Die Gampidanische Mundart (il Campi-
danese)
nennt Marmora dialecte caqliaritai 'ϊ. Des Toskanisclien
Dialekts im nordwestliehen Theil der Insel Sardinien, welcher
ehedem von Pisanern beheiTseht wurde (Mithr. II, p.
530) ge-
denkt Marmora nicht; dagegen erwähnt er, ausser dem Italiäni-
aehen als Geschäfts- und Umgangssprache der höheren Stände,
der Catalanischen in, der Stadt Alghera, des Genuesischen und
des Corsischen; die zuerst genannte Mundart wird auf der Insel
S. Pietro, die zweite aber auf der Insel Maddalina gesprochen

(a. a. 0. p. 200). _ Für die Abgrenzung der spanischen und

portugiesischen Dialekte hab' ich benutzt: Adelung-Vater (Mi-
thrit. II, p. 544 — 549); die zerstreüten Notizen, die sich bei
George Borrow finden
(The Bihle in Spain; or tlie Journeys, ad-
ventures, and imprisonements of an Englishman, in an attempt to
circulate ihe Scriptures in ihe Peninsula.
London, 1843. 3 Bde 8.)
nnd ganz besonders die schönen Zusammenstellungen von Aug.
Fuchs (Ueber die sogenannten unregelmässigen Zeitwörter der
romanischen Sprachen. Nebst Andeütungen über die wichtigsten
romanischen Mundarten. Berlin, 1840. XXXVI und 375, S. 8.);
und: Die Romanischen Sprachen in ihrem Verhältnisse zum La-
teinischen. Nebst einer Karte des romanischen Sprachgebiets in
Europa (Entworfen u. gez. von A. Fischer. Halle, 1849. XVIII,
und 369 S. gr. 8.), die bei der (zur zweiten Auflage des Ethnogr.
Atlas erforderlichen) Revision der Darstellungen vom romani-
schen Sprachgebiet überhaupt, vom wesentlichsten Nutzen gewe-
sen sind. Wei^-en ümfangs des Dialektgebiets ,der Maragatos oder

Maurcgatos (= Maurische Gothen), welchcs ich beträchtlich grös^
ser angebe, als Aug. Fuchs (Rom. Spr. p. 65), bezieh' ich mich
auf meine grosse Karte vom Iberischen Halbinsellande, Stuttg.,
1829, bei deren Bearbeitung ich fast nur Originalquellen der spa-
nischen Literatur benutzt habe. — Was die französischen Mund-
arten betrifft, so liegen ihrer Begränzung die Angaben zum Grun-
de
von Adelung-Vater (Mithr. II, p. 578 _ 590); von Coquebert
de Monbret
(Essai d'un travail sur la geographie de la langue
frangaise,
in Milanges sur les Langues, Dialectes et Patois. Paris,
1831; p. 5—29, p. 488 ff.), und von Gust. Fallot
(Recherch.es sur
les formes grammaticalcs de la langue frangaise et de ses dialectes
au XIII siede,
Paris, 1839), dessen Eintheilung der Langue d'oil
in drei grosso Dialekt-Gruppen: Die Normannische, Picardische
imd Burgundische von mir nicht berücksichtigt worden ist. Ob
die Mundart des Delphinats, das Savoyardische und das Waat-
ländische zur
Lingua d'Oil und nicht zum südfranzösischen Dia-
lektgebiet gehört, scheint mir zweifelhaft zu sein. (K. von Spru-
ner, historisch-geographischer Atlas: Mittelalter und neue Zeit.
Gotha, 1846. No. 26, Nebenkarte.) „Die Namen
langue d'oc und
langue d'oil verdanken ihre Entstehung bekanntlich dem in den
beiden Landstrichen üblichen Ausdrucke der Bejahung: oc vom
Lateinischen
hoc, oil (jetzt oui) vom Lateinischen hoc illud. So
werden in Neüseeland die Franzosen
Ouioui, die Engländer Yes-
yes
genannt". (Fuchs, Rom. Spr., p. 78, Anm. 140.) „In der

westliehen Schweiz----wird die französische Sprache geredet;

allein die Mundart des Volks ist ein Kauderwälsch, welches aus
der alten keltischen, lateinischen, griechischen (?), burgundisehen
und italiänischen Sprache zusammengesetzt ist. Deswegen giebt
es Tausende" von Wörtern, welche der französischen Sprache ganz
fremd sind. Die Wörter endigen sich meistentheils auf Selbstlau-
ter. In Wallis, in der Landschaft Aigle, um den Genfer See, in
Neuchatel und im südlichen Theil des K. Freyburg bestehen
fünf verschiedene Dialekte dieser Mundart". (Ebel, Anleit., die
Schweiz zu bereisen; I, p. 261, 262.). _ Das
Vaudois, oder die
Waatländische Mundart, welche auch
Reman heisst, wird von
Einigen zu den Nordfranzösischen Dialekten gezählt, und davon
das Südfranzösische im Canton Freiburg (fo
broyar im Nieder-,
lo quertzo im Mittel- und fo grmerin im Oberlande) und im Un-
ter-Wallis
(lo Valaisan) getrennt. Als etymologische Curiosität
schalt' ich hier noch die Bemerkung ein, dass der Name
Guienne
eine Zusammenziehung von Aquitania ist; Aquitaine, quitaine, qui^
aine,
zuletzt guienne!

18 (p. 15.) Die übersichtlichste und dennoch gründlichste Haupt-
quelle für die Geschichte und Geographie der slawischen Völker-
weit bilden jetzt die ausgezeichneten Schriften P. J. Schafarik's,
von denen ich benutzt habe: Geschichte der slawischen Sprache
und Literatur nach allen Mundarten, Ofen, 1826; Slawische Alter-
thümer (das tschechische Original erschien zu Prag 1837, dio
deütsche Uebersetzung zu Leipzig 1844); und
Shwanslcy Νάνα-
dopis. Druhi loyddni. W. Praze
[d. h. Slawische Völkerkunde.
Zweite Ausgabe. Prag.] 1842; mit der dazu gehörigen Karte:
Slovanshy Zemevid, [d. h,: Uebersicht der Slawischen Erde] auf
Einem Blatte in Olifant-Format. Der Inhalt des zuletzt genann-
ten Werkes ist zum grössten Theil übergegangen in das Deütsch
geschriebene Buch: „Slawen, Russen, Germanen; ihre gegenseiti-
gen Verhältnisse in der Gegenwart nnd Zukunft. Leipzig, 1843.
IV und 237 S. gr. 8.", ein Buch, welches von einem ungenann-
ten, nichtrussischen Slawen auf antirussischem Standpunkte abge-
fasst, zwar den Charakter einer Partei- und Gelegenheits-Schrift
an sich trägt, nichts desto weniger aber für die übersichtliche
Kenntniss des Slawenthums und seiner Dialekte, so wie seiner
dermaligen socialen, politischen und literarischen Zustände nicht
lebhaft genug empfohlen werden kann. Verglichen hab' ich auch
Pott's schöne Zusammenstellungen (Indogerm. Sprachst, a. a. O.
p. 105_
112). _ Die Gränze zwischen den Slawen und Deüt-
schen im Preüssischen Staate, u. s. w., ist durch die speciellen
Untersuchungen bestimmt, von denen ich oben in den Noten 3
und 4 (p. 17,18) Rechenschaft abgelegt habe. Einen höchst schätz-
baren Beitrag über einen Theil der westliehen Slawen-Gränzo
haben wir von P. von Köppen erhalten (in seiner vortrefflich
ausgeführten Ethnographischen Karte des St. Petersburgischen
Gouvernements. Herausgegeben von der K. Akademie der Wis-
senschaften zu St. Petersburg, 1849; ein Blatt, ebenfalls in Oli-
fant-Fomat). Von demselben Gelehrten haben wir des Baldigsten
eine Ethnographische Karte des Eüropäischen Russland's zu er-
warten, die auf Veranlassung und auf Kosten der russischen geo-
graphischen Gesellschaft zu St. Petersburg bearbeitet wird. Ein
Gesuch um Revision der Blätter No. 6 und No. 8 meines Atlas
auf GrUnd dieser neüen Karte, noch vor dem Erscheinen dersel-
ben, hat Hr. von Köppen mittelst Schreibens vom 5/17. Juli

1851 aus Gründen abgelehnt, die ich nur ehren kann. _ Wenn

ich oben, im Eingang dieser Note, bei der Erwähnung des gros-
sen Slawisten Schafarik das Wörtchen „jetzt" einschaltete, so ist
dies nicht ohne Absicht geschehen, um hier, am Schluss, der
ausserordentlichen Verdienste zu gedenken, welche sich Joseph
Dobrowsky seit 1784 um die Kenntniss des Slawenthums erwor-
ben hat. A. Fr. Pott sagt von ihm: „Dieser ausgezeichnete Mann
hat zuerst nach allen Seiten hin die slawischen Sprachen und
Literaturen erforscht, und diesem Studium einen Schwung gege-
ben, der noch lange gedeihlich fortwirkea muss, auch wenn sieh
Vieles anders stellen sollte, als er es fasste." (Indogerm. Sprach-
stamm; m Ersch-Gruber's Encyklop. XVIII, p. 106.) Eine Ue-
bersicht von Dobrowsky's Schriften giebt Schafarik (Slaw. Al-
terth. I, p. 20).

19 (p. 15.) „Eine ausgemachte nnd sehr auffällige Thatsache
ist, dass die verschiedenen slawischen Sprachen......viel we-
niger von einander abstehen, als dio germanischen, mag man nun
auf deren geo- und ethnographische oder chronologische Diffe-
renz sein xVugenmerk richten. Slawische Völker, sowol von der-
selben Hauptabthcilung, wie Tschechen und Polen, Russen und


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Etlmograpliie. 21

Serben, als auch die von verschiedenen, wie Tschechen und Rus-
sen, verstehen sich besser unter einander, als Teütsche, Englän-
der, Schweden; weshalb man sich von der Elbe bis nach Kam-
tschatka und von der Ostsee (und dem Weissen Meer) bis nach
Griechenland hinein und noch südlich drüber weg mit irgend
einem slawischen Dialekt leidlich forthelfen kann." (Pott, Indo-
germ. Sprachstamm, u. s. w. p. 105, 106). Mit Ausnahme des
Balgarischen, welches sehr abweichend ist, liegt der Unterschied
meistens nm· in der Aussprache und dem Akcent; so kann man
Beispielsweise die Aussprache des Tschechischen daktylisch, hei-
ter und hüpfend, nennen, im Gegensatz zum Polen, der sein
Idiom mehr jambisch, traurig und schleppend, spricht.

20 (p. 15.) Gegen die Königlichen Regierungen zu Köslin und
Danzig, innerhalb deren "Verwaltungsbezirke die Kassuben woh-
nen, hatt' ich den Wunsch ausgesprochen,. dass die im Preüssi-
schen Staate im Decbr. 1849 vorzunehmende allgemeine Volks-
zählung benutzt werden möge, um die Kassuben von den Polen
in den Tabellen mundartlich zu trennen. Die Königliche Regie-
rung zu Danzig erwiderte hierauf: „Dass eine Absonderung der
mit kassubischem Dialekt sprechenden Einwohner polnischer Ab-
kunft von denjenigen, welche das Polnische in reiner Mundart
sprechen, nicht ausführbar gewesen sei" (Verfügung vom 2. Septbr.
1850); und die Königliche Regierung zu Köslin bemerkte: „Eine
völlig strenge Sonderung der Dialekte der slawischen Bevölke-
rung unseres Verwaltungs-Bezirks ist schwer ausführbar"; und
fügte folgende lehrreiche Erlaüterang hinzu: „Am Bestimmtesten
unterscheidet sich die slawische Bevölkerung des Stolper Kreises
von der der übrigen; und am Allgemeinsten werden die slawi-
schen Bewohner dieses Kreises mit dem Namen der Kassuben
bezeichnet. Die Leba ist lange Zeit Volks- und staatliche Gränze
gewesen; die Kreise Lauenburg und Bütow haben lange Zeit
unter polnischer Herrschaft gestanden, so dass dadurch die
eigentlich polnischen National-Elemente im Gegensatze zu dem
ursprünglichen pommerellischen sich mehr in diesen Kreisen aus-
gebildet haben, als in dem Stolper Kreise, der durch den Ein-
fluss des Polnischen Reichs unberührt geblieben ist. Das, was
von dem Lauenburger und Bütower Kreise gilt, gilt in dieser Be-
ziehung auch für die Ortschaften des Rummelsburger Kreises, in
welchem die slawische Bevölkerung auch vorkommt. Diese Ort-
schaften, in denen nicht etwa zufällig einzelne Bewohner slawi-
scher Sprache sich finden, sind solche, welche mit der slawischen
Gegend des Kreises Bütow oder dem angränzenden slawischen
Theile der Provinz Westpreüssen, welche in gleicher Weise als
die Kreise Lauenburg und Bütow unter dem polnischen Einflüsse
gestanden haben, "gränzen". (Verfügung vom 3. October 1850.)
Hiemach sind in Pommern eigentliche Kassuben nur im Kreise
Stolpe; und hier bewohnten sie, nach der Volkszählung von
1849, ein und zwanzig Ortschaften, welche zusammen 8855 Ein-
wohner hatten. Darunter befanden sich 2013 Kassuben, von denen
aber nur 216 ihrer Muttersprache allein mächtig waren; die übri-
gen 1797 sprechen Kassubisch und Deutsch. Vor beinah' hundert
Jahren sagte A. Fr. Büsching. „Ob nun gleich die Deütschen
anfangs in Pommern nur geduldet wurden, so verschlungen sie
doch nach und nach die alten (slawischen) Einwohner, indem
sie denenselben den Zugang zum Bürgerrechte in den deütschen
Städten und zu den Handwerkern verschlossen, sich selbst in die
wendischen Städte eindrangen, und bisweilen Gewalt gebrauche-
ten. Der harte Tribut, den die Wenden erlegen mussten, half
auch den Deütschen auf, und als die Deütsche Sprache die Hof-
sprache ward, starb endlich die wendische Sprache nach und
nach aus. Im stolpischen Kreis und in den Herrschaften Lauen-
burg und Bütow wohnen noch Kassuben mit den Deütschen ver-
menget. Ihre Sprache kommt mit der hochpolnischen ungefähr
so wie die plattdeütsche Mundart mit der hochdeutschen überein,
daher auch diese Kassuben die polnische Sprache, in welcher

ihnen gepredigt wird, wohl verstehen. _ In den Herrschaften

Lauenburg und Bütow wohnen noch viele Cassuben, daher fast
in allen Kirchen polnisch und deütsch gepredigt wird. (Neüe
Erdbeschreibung III, 2; 5te Aufl. 1771, p. 2510, 2511, 2564.)
Nach der Zählung von 1849 gab es im Kreise Bütow 26 Ort-
schaften mit einer Gesammtbevölkerung von 10707 Seelen, dar-
unter 1834 Slawen (16 sprachen auch Deütsch); im Kreise
Lauenburg 37 Ortschaften mit 9103 Einwohnern, darunter 2564
Slawen, die nur ihrer Muttersprache mächtig waren. Was die
Verbreitung des kassubischen Dialekts in Westpreüssen betriift,
so ist derselbe, „bemerkt die Königliche Regierung zu Danzig,"
so viel uns bekannt ist, nur in den Höhe'schen Kreisen Bereut,
Carthaus, Neustadt und Stargardt und in einzelnen Ortschaften
des Danziger Landkreises anzutreffen." (Verfügung vom 14. Mai
1849.) Die Kassuben, oder richtiger „Kaschnben" (nach polni-
scher Aussprache) nennen sich selbst (im Singular iTaszeS),
ein Volk lechischer Abkunft, dessen Mundart nur unbedeutend von
der polnischen abweicht. „Den Namen", sagt Schafarik, „weiss ich
nicht zu erklären. In Masowien heisst ein Kapaun
Kasuhha; viel-
leicht sind beide Wörter Eines Stamm's?" (Slaw. Alterth. II, p.408.)

21 (p. 15.) Die Polaken in den nördlichen Verzweigungen
der Karpaten Westgalizien's heissen Goralen, weil sie Bergbe-
wohner sind (von Gora=Berg). Die Kleinrussen, welche die
Hauptmasse der Bevölkerung von Galizien ausmachen und in
den nordöstlichen Comitaten von Ungern verbreitet sind, heissen
dort Russniaken, hier aber Ruthenen und in den Karpaten-
Gegenden Pokuten, im Allgemeinen aber werden sie von Slawen
eigner und polnischer Zunge Russinen oder Rothreüssen genannt,
Namen, die zum Theil aus alter Slawen-Zeit stammen. In Un-
gern werden die katholischen Serben
Sholczen (Schokatz), auch
Bunywacsen genannt, zum Unterschiede von den griechisch nicht
unirten Serben, der Raizen (auch Raazen); beide aber heissen
im gemeinen Leben Illyrer. (A. v. Ednyes, Statistik des Kö-
nigreichs Ungern. I, Pesth, 1843, p. 81.) Ich gedenke nicht
der zahlreichen Abtheilungs-Namen der Slowenzen oder Winden,

PHYSIK. ATLAS ABTH. VIII.

von denen einige auf der Karte No. 9 eingetragen sind, wie
Gorenzi, Dolenzi, Krainzi u. s. w.; auch nicht der Uskoken, welche
Chorwaten (Herwaten, Kroaten) sind, und nicht des Namens
Wlach, womit der katholische Serbe seinen Bruder griechischer
Gonfession belegt, woraus Morlach=Meerwlaehe als Benennung
der Dalmatiner entstanden ist; und will nur bemerken, dass un-
ter der Benennung Seressaner, die wir in neüester Zeit sehr oft
haben hören und lesen müssen, nicht eine besondere slawische
Volksabtheilung, sondern diejenigen Chorwaten zu verstehen
sind, welche als Wächter beim Gesundheits-Cordon, ohne eigent-
lich zum Militairdienst verpflichtet zu sein, die Polizei-Aufsicht
an der türkischen Gränze führen (A. v. Fenyes, a. a. O. p. 78).

22 (p. 15.) „On sait que la langue russe ne connait pas tous
ces patois et cette infinit^ de dialectes, qu'on rencontre ailleurs; le
language meme des hahitans de la Campagne ne differe de celui des
populations des vüles que par la prononciation de quelques voyelles,
surtout de l'o, gut, dans les vüles, se prononce plus souvent a. II
existe cependant trois prineipaux diakctes: celui de Petershourg, celui
de Moscou et celui d'Arkhangel. On peut de plus appeller du mm de
patois 1'am.algam.e de plusieurs langues qu'on remarque dans le russe
de Smolensh on de la Eussie-Blanche, dans celui de Souzdal et dans
celui d'Olonetz. Mais une distinction bien plus importante α faire,
c'est
Celle entre h Petit-Russien et le Grand-Russien. Le premier dialecte
est heaucoupplus rapprocMde la langue-mere
(des Alt-SlaAvischen oder
Slavonischen),
quoique d'une autre cot4, il ait regu du polonais un assez
grand nomhre de mots latins et allemands."(Schnitzler, Essai d'une

statistique generale de l'Empire de Russie. Paris, 1829, p. 178). _

Später, als zu den übrigen Slawen, erst um's Jahr 1000 (unter
Wladimir dem Grossen seit 988) gelangte zu den Russen
das Christenthum, in dessen Gefolge auch die altslawische Kir-
chensprache (aus dem Südslawenlande) einzog, und in Russland,
wie in Serbien, lange allein in der Literatur das Feld behaup-
tete, indem sie die Volksmundart nicht neben sich aufkommen
liess. Letztere gelangte erst kurz vor und seit Peter dem Gros-
sen (1700) zu ihrem Rechte, und die wahrhaft rassische Litera-
tur datirt eigentlich nicht früher;" (und zwar erst mit Lomonos-
sow [1711_17653, den man den Vater der russischen Literatur

nennt)---- „Am bedeutendsten unter den Dialekten ist der

malorossische oder kleinrussische in der Ukraine um Kiew her-
um" (Pott, Indogerm. Sprachst, p. 110). _ „Die Mundart der
Slawen am Ilmen-See, die heüte noch manches EigenthUmliche
hat, war im 11. und 12. Jahrhundert nach schriftlichen Denk-
mälern aus jener Zeit und jedenfalls auch früher, bedeutend von
den übrigen russischen Mundarten, dem Grossrussischen, Klein-
russischen und Weissrussischen verschieden. Manche dieser Ei-
genthUmlichkeiten erklären sich aus der langen Nachbarschaft
der Nowgoroder mit den Letten und Finnen und aus dem Ein-
flüsse, den die Sprachen dieser Völker, auf die slawische Mund-
art übten", (Schafarik, Slaw. Alterth. II, p. 101). _ Als einen
eigenthümlichen und seltsamer Weise Athenisch
(Äfinskoje) ge-
nannten höchst räthselhaften Jargon bezeichnet Pott das Idiom,
welches im Mittelpunkt von Grossrussland, insbesondere im Gou-
vernement Wladimir, nur von Männern, namentlich den vaga-
bondirenden Krämern, einer in Russland überaus zahlreichen
Menschenclasse, gesprochen wird; Frauen und die übrigen Rus-
sen verstehen davon nichts (Indogerm. Sprachst, p. 110). _

„Wie die grosse slawische Nation kirchlich gespalten ist, so
auch ihr Schriftcharakter, der ähnliche, wenn gleich nicht ge-
nau mit den kirchlichen zusammentreffende Umgränzungen hat.
Im Allgemeinen bedienen sich die Slawen vom griechischen Ritus
der (vom Kyrillus [gest.871] erfundenen slawonischen, und nach
ihm genannten) kyrillischen Schrift oder Kirilitza, welche sich
an den griechischen Schriftcharakter anlehnt, nebst den aus ihr
hervorgegangenen Unterarten (von denen die jetzt übliche Cur-
rentschrift aus der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt);
die Slawen vom katholischen und protestantischen Glauben da-
gegen lateinischen oder teütschen Schriftcharakters, jedoch mit
Anpassung an die eigenthümlichen slawischen Laute durch Com-
binationen von Buchstaben und durch diakritische Zeichen.
Hierzu kommt noch drittens die
GlagoUtza, auch nach ihrem
angeblichen Erfinder, dem heiligen Hieronymus, einem Dalmater
von Geburt, die hieronymische Schrift genannt." (Pott, Indogerm.
Sprachst, p. 106, Iii).

23 (p. 15.) In Klein-Russland „haben polnische Sprache und
polnische Sitten allmälig alle Stände, alle Klassen der Bevölke-
rung durchdrungen, selbst die griechisch-slawische Priesterschaft
(??) hat ihre Mundart vergessen, selbst im vertrautesten und ge-
wöhnlichsten Gespräch bedient man sich der polnischen Sprache,
und so ist der russinische Dialekt nur das Eigenthum des unge-
bildeten Landvolks geblieben, (das noch immer im Sklavenjoch
der Leibeigenschaft schmachtet). Die Sprache hat aufgehört, im
Russinenlande das Merkmal einer abgesonderten Nationalität zu
sein; das einzige und ausschliessliche Merkmal des Unterschiedes
bildet gegenwärtig der Ritus. In ganz Ostgalizien nennt sich der
Katholik vom griechischen Ritus einen Russinen, und der Katho-
lik vom lateinischen Ritus heisst ein Pole oder Lache. Wer ge-
stern noch Russine war, wird heüte zum Polen, wenn er den
lateinischen Ritus annimmt, und umgekehrt zum Russinen, wenn

er sich zum griechischen Ritus wendet.......Erwägt mau diesen

Unterschied, so begreift man leicht, woher das polnische Element,
das trotz aller Bemühungen moralisch und intellectuell im Rus-
sinenlande überwiegt, seinen Ursprung und seine Ausbreitung ge-
wonnen hat. Ohne Vergleich der grösste Theil der im Russinen-
lande wohnenden Polen sind eigentlich Russinen (Kleinrussen),
deren Vorfähren vom griechisch-slawischen zum römisch-lateini-
schen Ritus übergingen und dadurch alle Spuren ihrer besondem
Nationalität verwischten. Nicht nur giebt es Polen, d. h. Leute
vom lateinischen Ritus, in einigen Dörfern, welche sich nicht ein
Mal Polnisch auszudrücken verstehen, und Ruthenisch (Klein-
russisch) sprechen; sondern unter dem jetzt polnischen Adel sind

6


-ocr page 23-

22 Achte Abtheilung.

Verwandte ehemaliger angesehener Bischöfe vom griechischen Ri-
tus. Allerdings haben sich ausserdem auch in den vier Jahrhun-
derten, welche seit Besetzung des Russinenlandes durch Kasimir
den Grossen verflossen sind, eine Menge echte Polen im Kussi-
nenlande angesiedelt; namentlich in Podolien haben sich nach der
Entvölkerung dieses schönen und fruchtbaren Landes durch die
wiederholten Einfälle der Krim'schen Türken viele der gegen sie
kämpfenden Krieger niedergelassen, den Adel erhalten, und ihre
Nachkommen bilden, in grosser Anzahl auf den dortigen Gütern
zerstreut, den sogenannten grauen oder Kricgsadel", (grau wahr-
scheinlich von ihrem grautuchenen Röcken). „Auch sind ganze
polnische Dörfer in Podolien angelegt worden, z. B. das halb-
polnische , halbrussinische Czernelow zeigt seinen Ursprung durch
seinen Namen. Bei Sambor ist eine Kolonie von Masuren (wie
die Russinen die Kleinpolcn von der Weichsel aennen) [s. Karte
No. 10], welche sich über eine Meile weit hinzieht."
{Czas, d, h.
Wächter, 1851, No. 37. Ausland, 1851, No. 107, p. 425.)

24 (p. 15.) Die Vertreter der Unselbstständigkeit des Lettisch-
littauischen Volks und seiner Sprache sind: J. Thunmann (Un-
tersuchungen über die alte Geschichte einiger nordischer Völker.
Berlin, 1772, p. 8); K. G. Anton (Versuch über die alten Slawen.
Leipzig, 1783, Vorrede^; J. Dobrowsky (Ueber die ältesten Sitze
der Slawen in Eüropa, J. W. von Monse's Landesgeschichte von
Mähren. Olmütz, 1788, I, p. XIX, XX); Adelung-Vater (Mithri-
dates, II, p. 696); Aug. Er. Pott (Etymologische Forschungen,
I, p. XXXIII, und Indogerm. Sprachst, p. 101 ff.) u. m. a. wie
Karamsin, P. von Koppen, Watson u. s. w. Eür die Selbststän-
digkeit sind aufgetreten: Α. L. Schlözer (Nordische Geschichte,
Halle 1771, p. 316, 318); J. C. C. Rüdiger (Zuwachs der Spra-
chenkunde, St. V, p. 233); Rask (Untersuchungen über die alt-
nordische Sprache. Kopenhagen, 1818); W. von Humboldt (die
Urbewohner Hispanien's, p. 70); P. von Bohlen (über die Sprache
der alten Preüssen, in Johannes Voigt's Geschichte Preüssens, I,
p. 709 if.); F. W. Eichhoff
(Parallele des langues de l'Europe et
de l'Inde.
Paris, 1836, p. 30, 31; vergl. J. H. Schnitzler, la Rus-
sie, la Pologne et la Finlande.
Paris, 1835, p. 547, 548);
Franz Bopp (Vergleichende Grammatik, Berlin, seit 1833); P. J.
Schafarik (Slawische Alterth, I, p. 448, und
Slowanshy Ndrado-
pis,
p. 112_114), u. a. m.

25 (p. 15.) „Der Littauer selbst nennt sich Ljetuwis und Lje-
iuwninkas,
sein Land aber Ljetuma; von seinen lettischen Brüdern
wird er
Leities, sein Land Leetawa, bei den Esten Litalmn ge-
nannt. Dagegen nennt sich der Lette
Latweetis, zusammengezogen
Latwis, sein Land Latwju-zemme; der Littauer nennt ihn dagegen
Latwys, sein Land Latwija, der Este Lätti-mees (mees=M.wa,
slaw. muz), sein Land Lätti-ma, In der altholländisch geschriebenen
zum Theil aus dem 13. Jahrh. hen-ührenden Chronik des deüt-
schen Ritterordens werden die Littauer
Lettamven, Letoawen, die
Letten
Latten genannt". (Schafarik, Slaw. Alterth. I, p. 466.)

26 (p. 15.) Das Sprachgebiet der Littauer im Preüssischen
ßtaate umspannt die Kreise Darkehmen, Goldapp, Gumbinnen,
Heydekrug, Insterburg, Niederung, Pilkallen, Ragnit, Stallupönen
und Tilsit des Regierungsbezirks Gumbinnen; und die Kreise La-
biau und Memel des Regierungsbezirks Königsberg. Nicht ein
einziger dieser Landestheiie hat ausschliesslich littauischc Bevöl-
kerung; überall ist diese mit Deütschen gemischt. Noch die mei-
sten Dorfschaften, wo nur Littauisch gesprochen wird, liegen in
den Kreisen Labiau und Memel, verhältnissmässig viel geringer
ist die Zahl der rein-littauischen Dörfer im Bezirk Gumbinnen.
Das littauische Volks-Element ist im Preüssischen Staate eigent-
lich nur ein ländliches; in den Städten ist es sehr wenig, oder
>fast gar nicht vertreten, unter den Städten hat Tilsit die meisten
Littauisch sprechenden Einwohner, und doch bilden sie hier nur
'/24 der ganzen Einwohnerschaft; in allen Städten des Regierungs-
bezirks Gumbinnen aber
Vöj. Die Littauische Sprache weicht sehr
rasch gegen die deütsche zuiück. Nach den beiden letzten Volks-
zählungen betrug die Zahl der Einwohner, welche sich ihrer lit-
tauischen Muttersprache als Umgangssprache bedienten, —

1846. 1849.

Im Regierungsbezirk Gumbinnen 117,969. 107,262.

Im Regierungsbezirk Königsberg 41,102. 29,741.

Also:

In der Provinz Ostpreüssen . . 159,071. 137,003.

Mithin hatte sich die littauische Sprache in drei Jahren um 22,068
Zungen vermindert, was
V7 der littauischen Bevölkerung von 1846
ist. Bei diesen Zahlen sind die jungen Leüte nicht mitgerechnet,
welche ihre Militairpflicht im stehenden Heere ableisteten. Auch
im russischen Antheil des littauisch-lettischen Landes ist das na-
tionale Volks-Element von anderen Nationalitäten in grosser An-
zahl und vielfach durchbrochen, vorzüglich von Weissrussen in
den Gouvernements Witebsk, Wilna und Grodno, ohne der Fin-
nen und Deütschen zu gedenken, davon die letzteren in Kurland
und Livland vornehmlich die städtische Bevölkerung bilden, zu
der sich ausserdem auch Türken und Juden gesellen (Schafarik,
Slowansky Ndradopis, p. 113).

27 (p. 15.) „Unmittelbar an die Alt-Preüssische Mundart" (die
seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gänzlich ausgestorben ist)
„schliesst sich das Preüssisch-Littauische an, welches von der In-
ster bis nach Memel geredet wird, aber wieder in mehrere Neben-
Dialekte zerfällt. Der InsterburgscK'e ist darunter der vornehmste,
der Nadrauische aber soll , dem Alt-Preüssischen am nächsten
kommen, nur dass er wegen der Nachbarschaft viel Polnisches
mit aufgenommen hat" (Adelung-Vater, Mithr. II, p. 706). Für
den Entwurf der mehr erwähnten ethnographischen Specialkarten
war es wichtig, die geographische Scheidungslinie dieser zwei
Hauptmundarten der im Preüssischen Staat lebenden Littauer ken-
nen zu lernen, zu welchem Behuf ich bei der Königlichen Regie-
rung zu Gunibinnen unterm 11. Januar 1850 um Beschaffung
der erforderlichen Materialien vorstellig Avurde. Mittelst Verfügung
vom 29. März desselben Jahres theilte mir die genannte Behörde
einen hierauf bezüglichen Bericht des Superintendenten Ziegler
zu Russ unter dem Bemerken mit, dass es ihr nicht gelungen sei,
ein Mehreres in dieser Beziehung zu ermitteln. Der Bericht d. d.
Russ, 11. März 1850, lautete wörtlich so: _ „Der Königl. Re-
gierung bemerke ich auf die Verfügung vom 3. 1. M., dass mir
die Bezeichnung „insterburgische und nadrauische Mundart" ganz
unbekannt ist. Sollte unter der letztem diejenige Mundart gemeint
sein, welche in der Gegend von Memel gesprochen wird, und, der
kiH-ischen Sprache ähnlich, sich von der andern Mundart haupt-
sächlich dadurch unterscheidet, dass sie den Buchstaben α an
Stelle des
0 setzt, so dürfte das Dorf Nidden auf der kurischen
Nehrung und der Minge-Fluss als Gränze anzunehmen sein". Ich
nahm hieraus Veranlassung den Superintendenten Ziegler unterm
12. April um nähere Auskunft anzugehen, indem ich ihm bemerklich
machte, dass der Name Nadrauen die Landschaften an der Pissa
und Inster bis nach Tapiau und Labiau umfasse, die nördlichen
Gegenden von Preüssisch-Littauen oder dem Regierungs-Bezirk
Gumbinnen aber zur alten Landschaft Schalauen gehören. Wenn
die Mundart um Memel, fügt' ich hinzu, der „kurischen Sprache"
ähnlich sei, so dürfte unter dieser Benennung wol nur die „Mund-
art der littauischen Sprache unter den Letten in Kurland" zu ver-
stehen, und überhaupt anzunehmen sein, dass bei den Littauisck
redenden Einwohnern des Regierungsbezirks Gumbinnen zwei
Hauptmundarten üblich seien, die linguistisch durch Verwechslung
der Vokale
α und o, und geographisch durch den Minge-Fluss
getrennt sind. Herr Ziegler antwortete mir darauf unterm 17. April
1850 Folgendes": Unter der „kurischen Sprache" verstehe ich
diejenige, welche in der Gegend von Libau und überhaupt in
Kurland, nicht von den eingewanderten Deütschen, sondern von
den Ureinwohnern gesprochen wird. Sie ist der litthauischen
Sprache ähnlich, nur sanfter, während diese volltönender ist. Der
nördliche, also Kurland nächste Theil Preüssisch-Litthauens ge-
braucht, gleich den Kurländern, häufig das
a, wo die übrigen
Litthauer ein
0 setzen, mit Ausnahme der Casus-Endung; jedoch
gilt dies nach der bisher gebraüchlichen Orthographie nur für das
einfache o, während dasjenige, welches mit dem Buchstaben u
bezeichnet wird, auch im nördlichen Theile seine volle Geltung^
behält und nicht als α ausgesprochen wird. Diese Mundart wird
haüfig
Klaipeditzhiv, Kolba (von Klaipeda==M.Qm.eV) oder Memeler
Sprache genannt, während die andere keine besondere Benennung
hat. Ueberhaupt bemerke ich, dass, so klein auch der Theil
Preüssen's ist, in dem noch Litthauisch gesprochen wird, in den
verschiedenen Gegenden und Kreisen noch einzelne Abänderungen
vorkommen".

28 (p. 15.) Die Stellung der Albaner unter den Indogermanen
hat J. Ritter von Xylander durch das gehaltvolle Werk „die
Sprache der Albanesen oder Schkipetaren, Frankfurt, 1835" und
darin enthaltene Kapitel „über Verwandtschaft und Abstam-
mung der albanesischen Sprache" (p. 273_320) nachgewiesen,
in Λvelehem eine vollständige Grammatik der albanesischen Spra-
che mit einem ausführlichen albanisch-deütschen und deütsch-
albanisclicn Wörterverzeichniss, so wie beträchtliche Theile des
Neüen Testaments ins Albanische übersetzt und einige Bruch-
stücke von Volksliedern enthalten sind. Ueberdcm vergleicht der
Verfasser die albanische Sprache mit verschiedenen anderen
europäischen Sprachen, um ihre gegenseitige Verwandtschaft fest-
zustellen. _ „Vom Busen von Cattaro wohnt noch nach den

Slawen ein besonderer Stamm mit eigner Sprache, südwärts
noch weit über die Gränzen des alten Illyriens hinaus.....ver-
breitet, die Albaner, Albanesen. Es ist nicht möglich, dieses Volk
mit seiner eigenen, der indisch-eüropäischen verwandten Sprachc
aus der Ferne herbeizuführen. Die Albanesen, oder wie sie sich
selbst nennen Skipetaren (d. h. Felsen-, Gebirgsbewohner, mit Ab-
leitung aus Skipe, Schkipe, Fels; Xylander, a. a. 0. p. 289) sind
die Nachkommen der Illyrier, welche im Norden eingeschränkt,
sich im Süden ausgedehnt haben". (Kaspar Zeüss, die Deutschen
und die Nachbarstämme. München, 1837, p. 257, 258.) _ Schon
Joh. Thunmann (Untersuchungen über die Geschichte der östlichen
eüropäischen Völker, p. 239 ff.) hielt die Albaner für echte Nach-
kommen der Illyrier und den Grundstoff ihrer Sprache für Illy-
risch, worin ihm Masci beistimmte.
(Essai sur l'Origine, les Moeurs
et l'Etat actuel de la Nation Albamenne, par M. Änge Masci; trad.
de l'ltalien;
in Malte Brun, Annales des Voyages, III.) M. Brun,
selbst setzt die Albanesen ebenfalls unter die Indogermanen, und
erklärt den Namen Skipitar durch Waffen- oder Kriegsmann, ab-
geleitet von dem äolischen
ξίφος, Schwert, und der Endung tar,
itar, atar,
welche eine Beschäftigung, ein Handwerk, wie arius
und tor im Lateinischen, bedeütet (Pricis de la giographie univer-
selle,
T. VI, Paris, 1826, p. 79, 205). Die Albanesen nennen sich
aber auch
Arvenesce (Sing.) (Franc. Bianchi [Ibarthe], Dictionar.
Latino-Epiroticum.
Rom, 1635. 8.). „Le nom d'Albanais, quoiqne
oubli^, n'en est pas rtioins authentique. Le Mmit Albanus de Ptole-

mge est le mont Albia ou Albion de Sirabon.....Comme albhain en

gallique, et alb en germanique signifie päturage de montagne, il est
probable que le nom Albani est une denomination indigene et tres-
ancienne. On regarde Arbenesce, dont les histwiens byzantins ont fait
Arvanitae comme une corruption d'Albanitae; mais cela n'est pas
compUtement prouvi. Les Turcs enont fait Arnaotit".
_ (Auch die
Neügriechen nennen die Schkipetaren Arvanitcn; die türkische
Namensverderbung ist aus dem üblichen Wechsel von
ρ für λ
entstanden). _ „Peut-etre ce nom vient-il des Slavons-Illyriens, chez
qui arvanie signifie guerre, combat; il ne serait qu'une traduction de
Skipitar ou Schypetar".
(M. Brun, Precis, a. a. 0. p. 211.) _
Für den Indogermanismus der Albanesen spricht
James C. Pri-
chard (Researches into the physical Ilistory of Mankind. 30^· Ed.
Vol. III, part I, London, 1841, p. 477ff.), und später sagt derselbe
Gelehrte, indem er
„the Old Epirotic and Illyrian" als selbstständige
Sprachgruppe aufführt:
„This language is still well known. It is
the Skippetarian, or Albanian, or Arnaut" (Report of the lUh- Mee-
ting of the Br. Assoc. for Adv. of Sc.
p. 242); und J. Buuseu


-ocr page 24-

Ethnographie. 23

bemerkt: „The languages of ihe Epirots and Macedonians helong to
tliis famüy
(der thrakischen oder illyrischen): it is now represented
hy the Skipetarian, or the language of the Albamans or Arnauts".

(Report a. a. 0. p. 266.) _ Ein entschiedener Gegner ist Aug.

Fr. Pott: „Das Illyrische kann nach dem armseligen, verwüsteten
und mit vielen indogermanischen und türkischen Elementen durch-
mengten, aber nichts destoweniger unschätzbaren Reste, wie er im
Albanesischen bis auf uns gekommen ist, zu schliessen, mit nich-
ten für eine indogermanische Sprache gelten, und die spärlichen
Ueberreste vom Thrakischen zeügen ebenfalls nichts weniger als

von Sprachverwandtschaft mit dem Griechischen....... Was man

bis jetzt, mögen wir uns nicht darüber tauschen, an Aehnlichkei-
ten des Albanesischen mit eüropäischen Sprachen, seien sie nun in-
dogermanischen, oder sonstigen Stammes, aufzufinden vermeint hat,
betraf, wenn es nicht gar, was bei den bisherigen Vergleichungen nur
zu oft der Fall ist, leerer Schein war, meistens nur die Schale, das
Fremdartige, welches sich dem alten illyrischen ürkeme von Aus-
sen her in Masse angesetzt hat. Indogermanisch ist dieser Kern,
mancher allerdings auffallender, doch leicht erklärlicher Berüh-
rungen in der Flexion mit griechischen und lateinischen Formen
ungeachtet, schwerlich; obwol diese Ansicht Xylander in sei-
nem brauchbaren Buche über die Sprache der Albanesen aufstellt;
noch weniger ist die albanesische Grammatik mit der vaskischen
vereinbar, auch nicht mit der finnischen und tartarisch-türkischen,
so dass also höchstens noch die Möglichkeit irgend einer Bezie-
hung zum Altetruskischen in Eüropa übrig bliebe." (Indogerm.
Sprachstamm, ρ. 64, 65; vergl. ρ. 26.)

29 (ρ. 15.) Ueber die Albanesen vei^l. Pouquevilk, Voyage
dans la Grece.
Paris, 1830 u. s. w. 5 Bde. Boui, la Turquie d'£u-
rope.
Paris, 1840. 4 Bde. Cyprian Robert, die Slawen der Türkei
u. s. w. Deütsch von Fedorowitsch. Dresden, 1844, II, p. 86_107.

30 (p. 16.) Der gründlichste Kenner des iberischen Alterthums
und der vaskischen Sprache, VT", von Humboldt, giebt nichts Ge-
naueres über die Verwandtschaft der Basken mit andei-en Volks-
stämmen, indem er die Möglichkeit ihrer allgemeinen Verwandt-
schaft mit den Kelten zulässt. (Prüfung der Untersuchungen über
die Urbewohner Hispanien's, Berlin, 1821, p. 179; man vergl.
Ueber die Cantabrische oder Baskische Sprache, im Mithridates,
IV, 1817, p. 276—360.) Gewisse Aehnlichkeiten, die Arndt zu-
erst (Ueber die Verwandtschaft der eüropäischen Sprachen 1819)
zwischen der vaskischen und den finnischen Sprachen entdeckt,
und weiterhin von J. J. Rask (Ueber das Alter und die Echtheit
der Zendsprache. Berlin, 1826, §. 69) verfolgt hat, haben Veran-
lassung gegeben, die Basken unter die Familie der Ugrotataren
zu stellen; und Keyser, zu Christiania, hat in einer, mir nicht zu
Gesicht, gekommenen Schrift unlängst zu beweisen gesucht, dass
die alten Iberer einst im grössten Theile von Westeüropa ver-
breitet, und mit den lappofinnischen Aboriginern Skandinavien's
verbunden waren; man vergl. auch James C. Prichard
(Res. into
the Nat. Eist, of ManUnd.
III, 1841, p. 13ff. und Beport of the
nth. Meeting of the Brit. Assoc. for Advancement of Sc.
p. 246).
„Le peuple indigene des Pyrimes, dija crmsi de Romain, mile de-
puis d'Alain, de Sueve, de Goth et ensuite de Franc, s'altere peut-
etre encore α l'arriv€e des Sarrasins. Une seule portion de ce peuple
se conserve pure, au milieu de tant de confusions, et se montre in-
domptie au milieu de tant de defaites: c'est le peuple des Vaccies,
connu sous se nom par Pline Vancien, que Strahon appeUe Vascons,
dont la posterit€ existe dans les Biscayens et les Basques, qui ont, de
tout tems, hahiti les deux Navarres, que Von retrouve dans le pays
de Soule et la terre de Lahourd, qui pinetrerent de honne heure dans
le B^arn, et α la domination momentan€e desquels, une partie des
peuples d'Aquitaine doit le nom de Gascons. Lern- patrie paroit etre
entre les Pyrinies et les sources de l'Ebre". (Ramond, Observations
faltes dans les Pyrinies.
Paris, 1789, p. 427, 428.) Pott bemerkt:
„In Eüropa sind viele Völker zertrümmert; von manchen ist we-
nig mehr, als die Erinnerung an ihren Namen und ihre einstigen
Wohnsitze übrig geblieben. Da uns dasjenige von ihnen fehlt, wo-
nach die Völker allein mit Sicherheit bestimmt und geordnet
werden können, ihre Sprachen, sind wir ausser Stande, zu sagen,
an welche grössere Völkerabtheilungen sie anzuschliessen wären,
mithin auch, ob sie mit bekannten eüropäischen oder asiatischen
zusammenhangen, oder vielleicht eine gaijz freie, unabhängige
Stellung behaupten. Höchst merkwürdiger Weise jedoch haben
sich unter allen jenen Trümmern drei Sprachen erhalten, die man
keineswegs unter sich verwandt nennen kann, und für die sich
bis jetzt weder in- noch ausserhalb Eüropa ein Platz finden will,
wo sie sich unter anderen Sprachstämmen unterbringen Hessen,
nämlich das Vaskische als erwiesener Ueberrest des Iberischen;
das nur noch aus Denkmälern kümmerlich erhaltene, unverstan-
den, aber mit dem Latein schlechterdings nicht verwandte Etrus-
kische" — (welches auf jeden Fall eine Mischsprache war und
einen pelasgischen oder vorhistorisch-hellenischen Grundstoif mit
einer grossen barbarischen Beimengung hatte und von dem man

Trümmer-Spuren im Rhätoromanischen vermuthet; _ „endlich

die noch vorhandene Sprache der Albanesen." Wie vereinsamte,
rings von anderen Völkerwogen umbrandete und zerfressene Klippen
ragen diese drei Geschlechter über eine Fluth empor, in die eine un-
gekannte Vorwelt versank, und, wenn es je ureingebome Autoch-
thonen in Eüropa gab, sie würden auf diese Ehre den ersten An-
spruch haben, da sich noch in keinem andern Theil der Erde Ver-
wandte von ihnen fanden". (Indogerm. Sprachstamm, a. a, O. p. 24.)
_ „Wie die Knochen des Mammuth und das Gehaüse von Schal-
thieren, deren Rassen längst erloschen sind, so besteht die Vaskische
Sprache als ein'schreckeneiTegendes (e^myaniej Denkmal der un-
geheüem Völker-Zerstörung, welche eine lange Reihe von Jahr-
hunderten hervorgebracht hat".
(Peter Ed. du Ponceau, Μάη. sur
le syst, grammatical des langues de quelques nations indiennes de
l'Amirique du Nord.
Paris, 1836.)

31 (p. 16.) Β orrow bemerkt, dass die Erlernung der baskischen
Sprache für diejenigen, welche im Baskenlande wohnen, eben nicht
nothwendig sei, weil lieben· ihr auch die Sprachen der herrschenden
Völker durchgängig üblich seien
(The Bible in Spain, II, p. 393.
Vergl. Reisen durch die südlichen, ivestlichen u. nördlichen Provinzen
von Frankreich. Frankf., 1816, 1, p. 284. Adelung, im Mithridates,
II, p. 12). — Ueber die Ausdehnung des vaskischen Sprachgebiets
lesen wir in zwei alten Schriftsteilem: _
„Ea (Vasconia lingua)
nunc eis Pyrenaeum utuntur maxima pars Navarrae, universa, Ipus-
cua, Alava^ atque Biscaya; trans Pyrenaeum vero tres illae ditiones
quae Vascitaniae seu Vascorum regioms nomine designatur, sdlicet

Lapurdum, inferior Navarra et Sola......sita est (Vasconia

Aquitanica) in extremo^ et veluti in angulo quodam Galliae, qua
Hispaniam ad Oecidentem et Septentrionem attinget, ab occasu ter-
minatur Oceano, α meridie Bidasso amne et monte Pyrenaeo, ab ortu
Prindpatu Bearnensi ä Septentrione verb partim eundem Principa-
tum, partim ßnes Dynastiae Acrimontanae et Aturrim amnem, ac
suburhanum Baionae agrum habet ohjectos"
(Arnald Oihenart, No-
titia utriusque Vasconiae, tum ibericae, tum aquitanicae. Parisiis,
1638. 4., p. 36, p. 400). — „Viene despues el Vascuense, que es la
Lengua que hoi se habla de esta parte de los Pirineos en la mayor
parte de Navarra, entoda la Guipuzcoa, Alaba, y Vizcaya, y de la
otra parte de los Pirineos, en el Labord, Navarra la Baja, y Sola,
Tierras todas conocidas por el Vascuense, pero mui diversas por la
variedad de sus Bialeetos" (Origines de la lingua espanola, compues-
tos por varios antares, recogidos por Gregorio Mayans y Siscar.
Madrid, 1737. T. I, §. 100). _ Den Umfang des Landes, welches
die Basken in Frankreich bewohnen, und das sie
EescuaUherriac,
d. h. Baskisches Reich, nennen, hab' ich auf den Karten No. 7
und No, 11 nach den ausführlichen Angaben von W- von Lü-
demann eingetragen. (Züge durch die Hochgebirge und Thäler
der Pyrenäen. Berlin, 1825, p. 284—2870 Einzelnes hierher Ge-
höriges theilt auch Fr. Parrot in der Beschreibung seiner ba-
rometrischen Reise in den Pyrenäen 1817 mit (Naturwissenschaft-
liche Abhandlungen aus Dorpat. Berlin, 1823, I, p. 207 ff.). Aug.
Fuchs dehnt das vaskische Sprachgebiet in Spanien zu weit nach
Süden, und in Frankreich zuweit nach Osten, bis an den Adour
aus, dessen ganzer Lauf er die Sprachgränze bil-den lässt (Karte
des Romanischen Sprachgebiets in Eüropa. Gezeichnet von A. Fi-
scher. Halle, 1849). Eine ganz genaue Ermittelung der vaskischen
Sprachgränze in Frankreich ist vielleicht bei der Volkszählung
von 1851 möglich gewesen (s. oben p. 17, Note 2 am Schluss);
mindestens hab' ich das Ministerium des Innern zu Paris mittelst
Antrages vom 1. Januar 1850 gebeten, auch der geographischen
Abtrennung der Basques bei jener Zählung seine Aufmerksam-
keit zuzuwenden.

32 (p. 16). W. von Humboldt, über die Cantabrische oder
Baskische Sprache, im Mithr. IV, p. 280, 281. „Dies ist, be-
merkt Pott, noch immer das Beste, was in der Kürze über sie
gesagt worden ist." Einige kurze Bemerkungen über die Bas-
kische Sprache theilt W. v. Lüdemann mit (a. a. 0. p. 315 fi·.),
von dem wir auch erfahren, dass sich das Volk den Namen
Vash, von Vasoc, Mann, giebt; dass es seine Sprache Basgunee,
und sein Land Basques oder Basquettes nennt (a. a. 0. p. 282,

313). _ „Als sehr brauchbar, einige patriotische Uebertreibun-

gen und Schiefheiten in Abzug gebracht, sind zu empfehlen:
Etudes grammaticales sur la langue Euslcarienne, par A. Th,
D'Ahbadie et J. Augtistin Chaho, de Navarre.
Paris, 1836,
worin auch, von p. 28_50, ein Verzeichniss aller im Vaskischen
und über dasselbe geschriebenen Werke enthalten ist" (Indo-
germ. Sprachst, p. 25). Die amerikanischen Sprachen zeichnerl
sich in der Conjugation der Zeitwörter durch Systeme aus, die
so manchfaltig und ausgearbeitet sind, dass
I)u Ponceau Ver-
anlassung genommen hat, die ganze Ciasse der amerikanischen
Sprachen „polysynthetisch" zu nennen. Dieser sonderbare Bau
desPolysynthethismus oder Einverleibungssystems liegt auch in der
Euscara- oder Vaskischen Sprache, eine allerdings merkwürdige

Uebereinstimmung, aber _ „eine genealogische Verwandtschaft

darf daraus, wenn nicht andere Umstände hinzukommen, mit
nichten gefolgert werden; obwol es ein wunderliches Spiel des
Zufalls bleibt, dass in eben jenem Lande, von wo aus Columbus

Amerika entdeckte,......schon vor Alters jene Sprache,

gleich einer dunkeln und unbegriffenen Prophetin, erklang, die
über den Atlantischen Ocean hinüberwies." (Pott, a. a. 0. p. 24.)
Schon W. von Humboldt (Prüfung der Untersuchungen über die
Urbewohner Hispaniens, p. 156) macht lebhaft darauf merksam,
dass trotz jener Analogie zwischen der Euscara und den ameri-
kanischen Sprachen man nicht auf eine unmittelbare Verbindung
dieser Völker verschiedener Rasse schliessen dürfe; und dass
Diejenigen, welche einen derartigen Zusammenhang der Völker
in der Alten und in der Neuen Welt dennoch behaupten wollen,
mindestens in die entfernteste Periode des dunkelsten Alterthums
zurückgehen müssten, wo alle historische Ueberlieferung ein
Ende hat und die Vertheilung von Land und Meer eine
andere gewesen, als sie jetzt ist. Solch' eine Hypothese ist
in der That aufgestellt worden von J. H. Mac Culloch
(Researches
on America, being an Attempt to settle some points relative to
the Aborigines of America. Baltimore (Maryld.) 1817);
wel-
cher behauptet, dass einst im Atlantischen und im Stillen
Ocean Landstrecken vorhanden waren, die so zusammenhingen,
dass Menschen und Thiere sie als Brücke zum Uebergang aus
der Alten Welt nach der Neüen Welt, und umgekehrt, benutzen
konnten, dass aber diese Brücke durch die Sündfluth zerstört
worden seil Wenn auf der einen Seite jene Aehnlichkeiten
Statt finden, so giebts auf der andern aber auch ungeheüre Ver-
schiedenheiten zwischen den amerikanischen Sprachen und der
Vaskischen, und die, wie P.
Du Ponceau und W. von Humboldt
gezeigt haben, hauptsächlich darin bestehen, dass erstere in den
Hülfszeitwörtern durchaus mangelhaft sind. Beide gelehrte Sprach-
kenner stimmen in dem Ausspruch überein, dass diese Sprachen
nicht im Zusammenhang, oder als Ableitungen der einen aus
der andern gedacht werden können.


6 *

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24 Achte Abtheilung.

Am Schluss dieser ethnographischen Erlaüterungen will ich
noch einer in der Nähe der Vasken vorkommenden Volksrnine
gedenken, deren Name ich auf der Karte No. 7 eingetragen
habe. Aug. Fuchs sagt darüber: — „Ferner sind, völkerkund-
lich betrachtet, von den Franzosen zu scheiden die
Cagots oder
Cahets, in nicht grosser Anzahl am Fuss der Pyrenäen, beson-
ders in den Gebirgen von Bigorre (Depart. der Hoch-Pyrenäen)
zerstreüt lebend. Sie sind wahrscheinlich die Nachkommen eines
der Völker, welche zur Zeit der grossen Wanderung Frankreich
überschwemmt hatten, aber sie sind zur tiefsten und traurigsten
körperlichen und geistigen, wie bürgerlichen Erniedrigung her-
abgesunken. Ueber ihre Sprache fehlt is uns an allen Nach-
richten; höchst wahrscheinlich haben sie sich sprachlich den
Franzosen angeschlossen und reden gewiss eine, ihrem Zustande
von Stumpfheit entsprechende französische Mundart." (Die Eo-
manischen Sprachen. Halle, 1849, ·ρ. 72.) Man hält die Cagots
oder
Capots für Nachkommen derjenigen Westgothen, welche,
nachdem ihr Kelch von der arianischen zur rechtglaübigen
Kirche übergetreten war, Ärianer blieben, und in Folge dessen
aus der Gesellschaft ausgestossen und in einen Zustand tiefster
Erniedrigung und meiischlicher Herabwürdigung versetzt wurden,
der in wirklicher Sklaverei bestand, welche, wenn auch nicht
de jure, doch de facto noch jetzt fortbesteht. Das ganze Gothen-
Volk, theils auf den Schlachtfeldern untergegangen, theils mit
den Landes-Einwohnern verschmolzen, ist aus Frankreich und
Spanien verschwunden. Jene geächtete Paria-Kaste ist Alles,
was vom stolzen Gothen übrig geblieben ist, und ihr Blut in
ganz Frankreich das einzige, was keine Vermischung erfahren
hat. Daher dürfen wir auch vermuthen, dass ihre Sprache mehr
oder minder unverfälscht geblieben ist. Aber nicht blos auf
jene Pyrenäen-Thäler des Bearn, des Bigorre, der Quatre-Val-
lees ^id der Grafschaft Comminches, wo die Garonne, der Adour
und die Gaves ihren Ursprung haben, sind die Gothen-Eeste be-
schränkt; man findet sie auch als
Cqffhs unter den Vasken bei-
der Navarras; als
Caliets an den Sümpfen und Lagunen der
Steppen (Landes) der Gascogne und der Guienne; als
Coliherts
oder „Sklaven" bei La Rochelle und versteckt auf dem Eiland
MaiUezais, das zu Aunis, oder dem heütigen Departement der
untern Gharente gehört; als
Cacous und Caqueux in der Bretagne;
überall aber als eine ausgestossene Kaste, die Jedermann ver-
achtet und vermeidet, in den Pyrenäen ausserdem noch durch
Kropf und den fürchterlichsten Cretinismus entstellt.
(Palassou,

Memoire sur ha Cagots. Ramond, Ohservations, Ch. XI, p. 208_224,

p. 424. W. von Lüdemann, Pyrenäen-Züge p. 23, 24.)

33 (p. 16). An der Karte von der Oesterreichischen Monar-
chie sind in zweiter Auflage Aenderuijgen nicht vorgenommen
worden. Im Jahre 1849 hab' ich eine Völkerkarte in grösserm
Format bearbeitet, deren Ergebnisse hin und wieder kleine
Abänderungen in den Gränzen auf dem Atlasblatte nothwendig
machen Λvürdeπ; allein ich habe darauf Verzicht geleistet, weil
die Herausgabe einer grossen ethnographischen Karte in neun
Blättern zu erwarten steht, welche beim k. k. statistischen Bü-
reau zu Wien bearbeitet wird. Möglicher Weise giebt dieses
Werk Stoff zu künftigen Verbesserungen. Ausser J. P. Scha-
farik's vortrefFlicher Karte der slawischen Länder, vom Jahre
1842, die, mit Ausnahme Tyrol's und' der Lombardei, die ge-
sammte Oesterreichische Monarchie enthält, und von mir sehr
fleissig benutzt worden ist, gab es vor Herausgabe meiner Karte
schon eine Völkerkarte unter dem Titel: „Karte von Oesterreich
mit einer ethnographischen, hydrographischen und topographi-
schen üebersicht der Kommunikations-Linien, gezeichnet in A.
J. Gross Hoffingers geographischem Institute. Leipzig, 1834",
die aber in Bezug auf Klassifikation der Völker und Genauigkeit
und Bestimmtheit in der Abgränzung der Völker- und Sprachen-
gebiete sehr viel, ivenn nicht Alles, wünschen lässt. Ein Jahr
später, als meine Karte, erschien J. V. Haüfler's „Sprachenkarte
der Oesterreichischen Monarchie sammt einer erklärenden Üe-
bersicht der Völker dieses Kaiserstaats, ihrer Sprachstämme und
Mundarten, ihrer örtlichen und numerischen Vertheilung. Pesth,
1846", eine ausgezeichnete Arbeit in etwas undeütlicher litho-
graphischer Ausfahrung.


N*>. 13. Das Russische Reich, nach seinen ethnographischen Verhältnissen.

Sind gleich die Völker des Russischen Reichs zum al-
lergrössten Theil bereits auf No. 1 dargestellt, so schien
es doch nicht unangemessen, diesem Reiche eine abgeson-
derte Darstellung zu widmen, um mit Einem Blick das
Gebiet der Nordischen Völkerwelt tiberschauen zu kön-
nen, die
^,Gypaetos barbatus, im Kaukas und dem Sajani-
schen Hochgebirge horstend, zweiköpfig unter den Schutz
seiner mächtigen Fittige" genommen hat.

Ungeheüer gross ist der Raum, auf dem sich die russi-
sche Macht entwickelt hat, denn er zählt gegen 370,000
deutscher Geviertmeilen; und sehr zahlreich sind die Völ-
ker, über die der russische Imperator seinen Scepter *)
schwingt. Fragt man aber nachdem Verhältniss, in welchem
diese Völker zu der herrschenden Nation stehen, so ist
darauf zu antworten, dass sie sich der Volksmenge nach
zu den Russen ungefähr wie 2 zu 3 verhalten, und der
grossen Mehrzahl nach von diesen in einen passiven Zu-
stand versetzt oder völlig unterjocht worden sind. In die-
sem Zustande befinden sich von den Indogermanen die
Letten, die wenigen Schweden und Walachen, die im Rus-
sischen Reiche wohnen, die Osseten und Armenier; sodann
die Georgier und alle ügro-Tataren sammt den übrigen,
wenig zahlreichen Nationen, die im nordöstlichen "Winkel
der Alten, und im nordwestlichen Gebiet der Neüen Welt
ein elendes Jäger- und Fischerleben führen. Alle diese si-
birisch-amerikanischen Horden können, vermöge ihrer ge-
ringen Kopfzahl und ihres ganzen physischen und mora-
lischen Zustandes, auf das Geschick des Russischen Reichs
auch nicht den mindesten Einfluss üben; selbst nicht ein
Mal die Gebirgsvölker des Kaukasus, deren Bezwingung
trotz grosser Kraft - Anstrengung zwar noch nicht gelun-
gen ist, ohnfehlbar aber gelingen wird. Denn die rohe, un-
gebildete Kraft kann der Macht geistiger Begabung nicht
widerstehen, wie verhältnissmässig klein diese auch sein
möge. Ein anderes ist es mit dem Brudervolk der Pola-
ken, dessen Unterwerfung Russland seit beinah' einem
Jahrhundert zum Ziele sich
gesetzt hat, um es vollständig
mit sich zu amalgamiren. Auf diesem Gebiet glimmt es
fortwährend unter der Asche, und nur eines mässigen
Lufthauchs bedarf es, dass die glühenden Kohlen zur hel-
len Flamme auflodern, und ein wilder Kampf für die Wie-
der-Erringung einer gebrochenen Nationalität entbrennt.
Vergebliches Ringen, vergeblicher Widerstand! Die An-
strengungen, die Russland machen muss, den Widerstand
zu dämpfen sind gross, trotz dem, dass zehn gegen Einen
stehen; allein die eiserne Ausdauer, mit der es in dieser
grossen National-Frage handelt, die nicht ermüdende Con-
sequenz, mit der es alle Völker seiner Botmässigkeit in ih-
ren Sprachen, ihren Sitten und Gebraüchen und in ihren
religiösen Anschauungen mit Vorbedacht, und selbst un-
willkürlich mit sich verschmilzt, erhebt es zu einer natio-
nalen Einheit, die für die westeuropäischen Nationen stö-
rend werden kann, wenn erst die Strahlen der Aufklärung
in den Massen ein politisches Bewusstsein erregt haben.

*) Albern und lächerlich ist es, wenn deütsche und französi-
sche Schriftsteller den russischen Kaiser nicht anders, als kurz
„den Zar" nennen. Schon Wassili Iwanowitsch nahm, seit 1516,
den Titel „Imperator" an, der unter Peter I., nach den Nystat-
ter Frieden, 1721, von den eüropäischen Mächten anerkannt
wurde.

{Geschrieben im Decbr. 1846 und Juli 1851.]


Völker-Earte der Indischen Welt: Die Halbinsel diesseits, und ein Theil der Halbinsel jen-
seits des Ganges.

Wer mit dem Zustand unserer Kenntnisse über die Völ-
ker und Sprachen Indien's vertraut ist, wird es sehr wahr-
scheinlich __ vermessen finden, von diesem Gebiet der
Alten Welt eine ethnographische Karte zu entwerfen, die
so umständlich und ausführlich ist, als die vorliegende.
Die grossen Schwierigkeiten, die sich diesem, allerdings

_kecken Unternehmen entgegenstellen, konnten indessen

von dem Wagniss eines Versuchs nicht abschrecken. Ein-
mal musste er doch gemacht werden. Darum wünsch ich,
dass man diese Völker-Karte der Indischen Welt als Fach-
werk eines Gebaüdes betrachten möge, das Besserwissende
und künftige Ethnographen, von richtigeren Kenntnissen
über Sprachen und ihre Verbreitungsbezirke geleitet, wer-
den auszufüllen haben. Sehr viel ist auf diesem Felde ge-
schehen, aber unendlich mehr bleibt noch zu beobachten,
zu Studiren, zu forschen, zu vergleichen, bevor ein geo-
graphisches Bild von der Vertheilung der Völker, Spra-
chen, Dialekte in Indien diesseits und jenseits des Ganges
aufgestellt werden kann, das einen erträglicheli Anspruch
auf Richtigkeit zu machen im Stande sei. ' Das vorlie-
gende Bild ist eine Skizze, die sprachlich wie geographisch
sehr oft auf Kombinationen beruht, welche vielleicht gewagt
sind und der Beglaubigung bedürfen. Für ziemlich richtig
halt' ich die Zeichnung einer der Hauptgränzen in diesem


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Etlmograpliie. 25

Blatte, nämlich in Vorderindien die Scheidang zwischen
den Hindus der Indo-Eüropäischen Völkerfamilie und den
davon ganz verschiedenen Drawida - Völkern. Das Gebiet
der Hindus ist nicht ganz auf der Karte: es fehlt sein
nördlichster Theil, die Hauptmasse des Pandschab, Kasch-
mir, die untere Hälfte des Kabul- und der mittlere Theil
des Indus - Thals. Und von den Völkern des monosylla-
bischen Sprachsystems in Hinterindien enthält sie nur das
Gebiet der westlichen Völker und einen Theil des Ge-
biets der grossen Tha'i-Nation__Es scheint mir unerläss-
lich, auch diese Karte mit einigen erlaüternden Bemerkun-
gen zu begleiten, die unter der Feder vielleicht stark
anschwellen werden.

Vorder-Indier..

Vorder-Indien umspannt auf der Erdkugel einen Raum,
der so gross ist, als die Oesterreichische Monarchie und
das eüropäische Russland zusammen genommen. Man hat
lange geglaubt, dieses weitlaüfige Ländergebiet sei nur
von einer einzigen Volks-, der Hindu-Easse bewohnt, und
die Mundarten, die in den verschiedenen Landschaften ge-
sprochen werden, seien sämmtlich durch Einmischung des
Persischen, des Arabischen und anderer Sprachen aus
Einer Grundsprache, dem Sanskrit, entstanden; allein
diese Vorstellung von der Ethnographie der Halbinsel
diesseits des Ganges beruhet auf einem Irrthume, der da-
durch entstanden sein mag, dass man den religiösen, po-
litischen und wissenschaftlichen Einfluss, welchen die Hin-
dus vermittelst des Sanskrit und seiner Dialekte und der
darin abgefassten Schriften von jeheir auf ganz Indien aus-
geübt haben, mit den Völkern selbst, die diesem Einflüsse
unterworfen waren, verwechselt und identificiret hat 2.

Vorder-Indien zerfällt in zwei Sprachgebiete, deren Spra-
chen, ihrer Grundstimmung nach, nichts mit einander ge-
mein haben; das eine Gebiet ist das nördliche, das andere
das südliche; in jenem herrschen gegenwärtig die Töchter
oder Enkelinnen der Sanskrit-Mutter, in jenem die Spra-
chen unbekannter Abkunft, welche man die drawidischen
nennt: Dort ist, um mich gelaüfigerer geographischer
Benennungen zu bedienen, Hindustan, hier Dekhan

Hindustan, das Gebiet der sanskritischen Sprachen.

Dass das Sanskrit in ganz oder einem Theile von Hin-
dustan einst wirklich die Volkssprache gewesen sei, wird
von den Sprach- und Geschichtsforschern nicht mehr be-
zweifelt, obwol es unmöglich zu sein scheint, die Zeit- und
Ortsgränzen zu bestimmen, innerhalb deren es im Munde
des Volks gelebt hat Freilich wurde das Sanskrit vom
Volke wol nicht in der Weise gesprochen, wie es uns als
Büchersprache in den klassischen Schriften der Hindus
überliefert worden ist; diese Schrift- und Büchersprache
hat sich vielmehr aus jener ursprünglichen Volkssprache
herausgebildet, wie es überall da geschehen ist und noch
geschieht, wo Sprachen literarisch und wissenschaftlich
bearbeitet werden. Und darum hat die Ansicht derjenigen
Sprachforscher, welche irgend einen der Prakrit-Dialekte
für älter als das klassische Sanskrit halten. Manches für
sich, wenn man in Erwägung zieht, dass unter dem Aus-
druck Pra'krit ganz allgemein und im weitesten Sinne, die
Vulgärsprache der untern Stände zu verstehen ist, und nur in
einem engeren Sinne die Gesammtheit der, wahrscheinlich
später, literarisch entstandenen oder ausgebildeten sceni-
schen Dialekte, deren sich die indischen Dichter neben dem
Sanskrit in Dramen und in einigen anderen Dichtgattungen
bedienen; wie es ja auch in unserer deütschen Posse ge-
schieht, wo neben der hochdeütschen Sprache der Gebilde-
ten Beispielsweise der Wiener oder Berliner Volksjargon
in die Rede aufgenommen wird. Zu jenen Prakrit-Dialek-
ten gehört das vorzugsweise sogenannte Prakrita, in wel-
chem in den dramatischen Werken Personen niedern Stan-
des und die Frauen in gebundener Rede sprechen; in wel-
chem ausserdem aber auch die heiligen Bücher der Dscha'i-
nas, einer Buddhaistischen Sekte, abgefasst sind, ein Dialekt,
der nach dem einstimmigen Zeügniss der Grammatiker bei
den Maharatschra oder Mahratten seinen Ursprung genom-
men haben soll. Ferner gehören zumPrakrit das Sauraseni,
welches, weit im Norden, in und umMathura seine Heimath
habend, in ungebundener Rede gesprochen wird, und das
Magadhi (s. p. 9, Note 2), das die Sprache der gewöhnlichen
Menschen im indischen Schauspiele ist; das Paisatschi, eine

PHYSIK. ATLAS ABTH. VIII.

Art Zigeünersprache, welche den bösen Dämonen und
phantastischen Wesen beigelegt wird, wozu noch eine Un-
terart Tschulika Paisatschi kommt; und der Dialekt
Apabhransa, d. i. der Abgefallene, weil er, als Volksjar-
gon, ohne Regel und Struktur von der gewöhnlichen
Grammatik abweicht. Ausser diesen Hauptdialekten des
Prakrit giebt es noch mehrere andere von beschränkterem
Umfange, deren provinzielle Namen aufzuzählen hier zu
weit führen würde.

Wie das Sanskrit, obwol längst im Munde des Volks
verstummt, in den Religionsschriften der Brahmanen und
in der Literatur der Hindus fortlebt, so auch das Prakrit
mit seinen verschiedenen Abstufungen vorzugsweise auf
der Bühne, was voraussetzt, dass diese Prakrit-Dialekte,
die gewisser Massen in das Verhältniss von Rangsprachen
treten, vom Volke, noch immer verstanden werden.' Dass
es so sei, lässt sich leicht erklärlich finden, wenn man,
nach dem Ausspruch der Sprachkenner, hört, dass in den
heütigen Mundarten der Hindus Vieles den alten Sprachen
nicht nur ähnlich, sondern durchaus unverändert geblieben
ist, wo z. B. in der Bengalischen Sprache unter hundert
Wörtern neünzig dem Sanskrit angehören, und nur zehn
aus dem Arabischen, Persischen und andern Idiomen ent-
lehnt sind. Wären die heütigen Mundarten Hindustan's
unmittelbar vom Sanskrit abgeleitet, so würden sie als
Töchter der klassischen Sprache Indiens anzusehen sein;
sie haben aber nicht allein die literarisch gebildeten Pra-
krit-Dialekte als Durchgangs-Medium gehabt, sondern
sind auch dem Einfluss der mohammedanischen Eroberung
und deren Kämpfe unterworfen gewesen und auf diese
Weise zu Enkelsprachen des Sanskrit geworden, und zur
Grossmutter in ein Verhältniss getreten, welches sich un-
gefähr mit dem Verhalten der heütigen romanischen Idiome
zum klassischen Latein vergleichen lässt. Aber diese En-
kelsprachen haben, nach Pott's Bemerkung, im Vergleich
zum Sanskrit einen kümmerlichen grammatischen Bau,
insbesondere zeigt die Flexion theils nur Zusammensturz
und Trümmer des schönen alten Sanskritgebaüdes, zum
Theil ist er aber auch Neübau, und dies gewiss nicht im-
mer und allein aus sanskritischem, nur anders angewen-
detem und. verstelltem Material, sondern öfters auch aus
einem ihnen höchst wahrscheinlich durch die jedesmaligen
provinziellen Einflüsse aufgedrängten Fremden. Ueber die
spezielleren Mischungsverhältnisse sind wir noch nicht ge-
nügend unterrichtet, so dass die Entscheidung nicht leicht
ist, ob ein fragliches Idiom unter ihnen mit mehr Recht
verdiene den Sprachen sanskritischen oder nicht sanskriti-
schen Ursprungs beigesellt zu werden

Das weite Gebiet, welches im Norden vom Gebirgswall
des Himalaya, und gegen Süden hin von den Küsten des
östlichen und des westlichen Meeres begränzt ist, enthält
nach einigen Listen sieben und fünfzig, und nach anderen
sogar vier und achtzig Provinzen, und jede dieser Provin-
zen hat ihre eigenthümliche Mundart, welche jedoch in den
meisten Fällen nur eine Varietät zu sein scheint von irgend
einem der zehn Haupt-Idiome, in welche das Sprachgebiet
von ganz Vorderindien zerfällt. Fünf dieser Sprachen sind
die nördlichen oder sanskritischen, auch die gaurischen ge-
nannt; die fünf anderen sind die südlichen oder drawidischen
Sprachen; eine Eintheilung, die mit der uralten doppelten
Fünf zahl von Brahmanen-Stämmen (Pandsch-Gauda),
nach denen sich auch die heütigen Brahmanen noch unter-
scheiden, übereinstimmt. Bei dem drawidischen Stamme ist
diese Fünftheilung (Pandsch-Drawida) ganz deütlich, nicht
so bei den sanskritischen oder gaurischen Sprachen, über
deren Vertheilung und Benennung man nicht ganz im Kla-
ren isto. Es handelt sich hier um die zuletzt genannte
Klasse. An die Spitze derselben stell'ich die Hindu-Sprache.

Vergleichbar den Romanischen Sprachen als Töchter
des Lateinischen ist das Hindawi, Hinduwi, auch Hin-
dui genannt, d. h. Hindu - Sprache, die, schon vor dem
zehnten Jahrhundert aus den, unter der gemeinschaftlichen
Benennung Prakrit begriffenen Vulgär-Dialekten des Sans-
krit gebildete, noch mit Dewa-nagari-Buchstaben (s. p. 9,
Note 2) geschriebene Sprache des indischen Mittel-Alters.
Sie entstand in dem grossen Reiche, dessen Hauptstadt
Canyacubja, Kanyakubdsha, das heütige Kanoge, war, und
bildete sich zur Nationalsprache desselben aus. Davon ab-
geleitet sind: —


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26 Achte Abtheiluiig.

I. a) Das Hindi, das, von den Hindus selbst moder-
nisirte, ebenfalls die Dewa - nagari - Schrift beibehaltende
Neü-Hindawi; und

b) Das Uindustani, das, aus dem Verkehr der Musel-
männer und Hindus entstandene, stark mit Persischem und
Arabischem vermischte, und wenigstens bei den Moham-
medanern mit dem arabisch-persischen Alphabet geschrie-
bene Neü-Hindi, ganz eigentlich eine moslemische Sprache,
wie sie dann auch bisweilen geradezu Musulmani Bhakha
genannt wird. Das Hindustani entstand seit dem Ende des
zwölften Jahrhunderts nach Gründung der patanischen
oder afganischen Dynastie in Delhi, bildete sich aber erst
vollkommen aus in Timur's „Urdu", d. h.: seinem in der-
selben Stadt aufgeschlagenen Heereslager, woher es selbst
den Namen

a) TJrdu-zehan, d. h.: Lagersprache erhielt, während sie
von den Dichtern im höhern Styl
Eehhta Bhakha, (Bhäkschd )
die gemischte Sprache genannt wird. Je nachdem sich
aber in der Folge muselmannische Throne im nörd-
lichen und südlichen Indien erhoben, entstanden einige
Unterschiede zwischen der Sprache des Nordens und des
Südens, und so bildeten sich zwei Dialekte. Dem nördli-
chen verblieb speciell der Name Urdu, wogegen der süd-
liche entweder unter der Benennung —

ß) Giidshri, einem Synonym von Urdu, oder unter der
von
Dahhni, d. h: Südsprache verstanden wurde.

Das Urdu wird in ganz Hindustan, oder in den Gegen-
den nördlich vom Nerbudda-Flusse, das Dakhni, auf dessen
Südseite in ganz Dekhan gesprochen'; denn das Hindustani
ist die Muttersprache der indischen Mohammedaner, und
ausserdem für ganz Vorderindien von einem Ende zum
andern das, was die französische Sprache für Europa ist,
die gewöhnliche Umgangssprache der gebildeten Leute,
im Besondern aus den höheren Ständen, sodann auch ein
Verständigungsmittel für die Eüropäer im bürgerlichen
Verkehr mit den Eingebornen. Ausserdem ist das Hindu-
stani die amtliche Sprache der englischen Behörden in al-
len administrativen Verhandlungen mit den Unterbehörden
und Beamten im ganzen Umfange des Indo - Britischen
Reichs, und im politischen Verkehr mit den indischen
Fürsten, sei es in Hindustan, oder im Dekhan. In allen die-
sen Beziehungen hatte das Hindustani lange Zeit einen
Nebenbuhler an der neüpersischen Sprache, vornehmlich
im diplomatischen Verkehr, wo diese in Indien ganz an
die Stelle des Französischen in Europa getreten war, was
aber seit ungefähr fünfzehn Jahren aufgehört hat. Als
Landessprache wird aber das Hindustani in dem König-
reich Aude (Sanskrit: Ayodhya) und in den Provinzen
Delhi, Agra, Allahabad und Bihar nach deren älterer Be-
gränzung gesprochen; aber dieses Hindustani ist nicht
eigentlich die Urdu- oder Lagersprache, sondern —

c) Die Bridsch- oder Bradsch - Bhakha, also genannt
nach der Landschaft Bradsch (Brudsch), die als
Schauplatz der jugendlichen Abenteüer Krischna's in den
indischen Traditionen gefeiert ist, und jetzt zum Distrikt
Goaliyur oder Gwalior, innerhalb der Besitzungen des Ead-
schah von Burtpur, gehört. Diese Bradsch - Sprache, ein
Ueberrest des Prakrit-Dialekts, welchen die Alten Saura-
seni nannten (s. oben p, 25), ein Name, der im Munde des
Volks noch nicht ganz erloschen zu sein scheint, ist so ge-
schätzt, dass die Hindu-Dichter, welcher Provinz Indien's
sie angehören mögen, ihre poetischen "Werke lieber in die-
ser, dem Sanskrit an Schönheit gleich geachteten Sprache,
als in ihren Provinzial - Idiomen abfassen. Die Bradsch-
Bhakha zerfällt aber in drei verschiedene Mundarten: —

1) Die eigentlich sogenannte, eben besprochene Bhakha
(d. h: Sprache κατ εξοχήν), welche in den Gegenden an
der Dschumna zwischen Mattra (Mathura), Agra und
Gwalior (Goaliyur) gang und gäbe ist;

2) Die Thenth oder Khdri Mi, d. h.: reine Sprache, weil
sie arabische und persische Wörter aus dem Hindustani
fast gänzlich ausgeschlossen hat, im nördlichen Theile der
Provinz Agra und in Delhi; und

Z)'DiQPurM Ihakha, d.h.: östliche Sprache, welche
im Osten
(purl·) von Delhi im Aude, Allahabad, Benarcs
und Behar gesprochen wird; in Aude aber von der Bridsch-
Bhakha sehr abweicht.

Das Gebiet dieser nationellen Hindi- oder Bradsch-
Sprache ist überall da, wo sie als Volksidiom ausschliess-
lich, oder doch vorzugsweise gesprochen wird, auf der

Karte voll angelegt. Innerhalb seiner Gränzen liegt,
auf der Nordwestseite auf kleinem Eaume zwischen den
Flüssen Drischadvati und Sarasvati, die Landschaft
Saras-
vata,
nach der Bergebene um den Manasa - Sarovara und
denRavanaHrada, das heiligste Gebiet Indiens, der Schau-
platz der indischen Mythologie und Heroengeschichte, ein
Gebiet
{Brahmavarta im weitesten Sinne zwischen Hima-
laya imd Vindhya und bis ans Meer) an das sich die frü-
hesten Erinnerungen der sanskritischen Bevölkerung knü-
pfen; indess wir auf der Südostseite des Hindi-Gebiets
Magadha, die Heimath Buddha's und des Pali (s. oben
p. 9, Note 2), das heilige Land der Buddhaisten, erblicken.

Von den Volksmundarten mögten folgende der Hindi-
Hindustani-Bradsch-Sprache zu subordiniren oder zu co-
ordiniren sein:_

4) Bandelakhandisch oder Bundelkundisch, um
Dschansi, RadschnagurundKalpi; strichweise weit gegen O.

5) Haravatisch oder Harautisch, was von Einigen
für das Sarasvatische der Alten angesehen wird, dessen
Heimath jedoch, wie so eben gezeigt worden, nach Wilson,
weit höher im Norden liegt.

6J Odeypurisch, oder Udayapurensisch. der ^Ms^pmon,

7)Djeypurisch, oderJayapurensisch. . I

8) Bikanirisch, oder Vikanirisch. . . . j (lei^khaud umi

9) Marwaris ch, oder Dschodpurisch. . "ad^uielr'^'^u

^ ΓΊ · · Bewolmcrn.

10) Sindhi s ch, oder Sindhuisch, das sich in eine nörd-
liche und südliche Mundart spaltet, davon die letztere den
Namen Tattah d. h.: Strandsprache, führt, von dem Sanskrit-
und Hindi-Wort
tat'ha, d, i.: Gestade,Bank, Strand,

dra tafha, Seegestade. Das Sindhi weicht wenig von der
Bridsch-Bhakha, oder dem reinen Hindi ab; ist aber aller
Wahrscheinlichkeit nach älter, als dieses. Westlich herrscht
das Sindhi bis Ketsch Gondava, Schall, Mustang und Pi-
schin, wird aber daselbst nicht sowol von den neüen Erobe-
rern, den Beludschen oderBaluken, als von den dort angesie-
delten Hindus gesprochen. Südostwärts in Kedsch oder
Kutsch (Sanskrit Kachha) wird die Sindhi-Sprache mit
einer leichten Veränderung in der Aussprache als Ketschi-
Dialekt ebenfalls gesprochen s.

11) Utschisch, Wutschisch, oder Multanisch.

12) Pandschabisch, die Sprache im Fünf stromlande
(Pandsch-nada, Pandsch-ab), oder die Sprache derDscliats
und der Sikhs, d. h.: Schüler (von dem Sanskrit-Wort
Siksch, Mahrattisch, Sikan'e, lernen); mit zwei aus dem De-
wa-nagari verstümmelten Alphabeten, Namens Gurumukhi
und Lande o.

13) Kaschmirisch, in Kaschmir (ausserhalb der Karr
te), das letzte der zur hindi-hindustanischen Familie gehö-
rigen Idiome. — Doch lässt sich der Hindi-Sprache noch
coordiniren, oder auch muthmasslich der Bengalischen, wie
es in der, auf der Karte befindlichen Tabelle geschehen
ist: —

14) Das Magadhische, Magad'hi, im südlichen Bi-
har, die heütige Volks-Mundart des Pali und eines Pra-
krit-Dialekts (s. oben p. 25), die indess eben so sehr vom
Hindi, als vom Bengali abweichend zu sein scheint.

Innerhalb des Hindi - Sprachgebiets ist noch der Rohil-
las Erwähnung zu thun, eines Afganen-Stammes, der von
den Einfällen der Afganen seit der ersten Hälfte des sechs-
zehnten Jahrhunderts im Hindustan zurückgeblieben ist.

IL Cliirdsharatensisch, die Sprache der Halbinsel Gud-
scherat, Gurdshara, Guzurathi, Guzerat, (Sanskrit:
Gurd-
shararashtWa)
und des angränzenden Binnenlandes, und
längs der Ostküste des Meerbusens von Cambay bis nach
Surate (Sanskrit:
Surashfra). Man zählt zu dieser Sprache:

1) Das Kattywari, auf der Habinsel selbst, und

2) Das BarotsChi, die Mundart von Barotsche und
Surat zu beiden Seiten des Meerbusens von Cambay.

Man hat vermuthet, dass die Sprache von Malwa (Sans-
krit :
Malava) der Hindi- oder Gurdshara - Sprache als
Dialekt beizuzählen sei; allein dies ist nicht der Fall, denn
diese Sprache gehört zur folgenden Klasse: _

III. lahrattischc Sprachc, oder das Marat'thi (Sanskrit:
MaharasWra), diejenige unter den sanskritischen Volks-
sprachen, welche das Vindhya - Gebirge und den Nerbudda
überschritten hat, und am weitesten gegen Süden vorge-
drungen ist, indem sie nicht allein den grössten Theil der
westlichen Küste von Vorderindien, sondern auch beträcht-
liche Striche des innern Tafellandes von Dekhan besetzt


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Etlmograpliie. 27

hat. Sie ist im Besondern auch dadurch merkwürdig, dass
sie einer der am entscliiedensten sich als sanskritischen
Ursprungs kundgebenden Dialekte ist, das Prakrit κατ
εξοχήν, welches auch die Sprache von Maharash'tra ge-
nannt wird, und sich als Mutter der heütigen Mahratten-
sprache ausweist. Zu ihr gehört: —

1) Der Dialekt von Baglana, am Unterlauf des
Nerbudda und Tapty;

2) Der Dialekt von Kankana, welcher das Küsten-
gebiet zwischen dem Meere und den West - Gahts, und
zwischen der Baglana - Mundart und der drawidischen
Sprache Tulu erfüllt; mit der Untermundart Haiva.

3) Der Berarische oder Vardharbensische Dia-
lekt in der Provinz Berar, der auch den alten Namen
Da-
' xatiya iühxt.
Sodann bildet einen Bestandtheil des Ma-
rat'thi, vde schon erwähnt, —

4) Das Malwani, die weit verbreitete Mundart des
Landes Malwa auf der Nordseite des Vindhya - Gebirges,
mit der Hauptstadt Udjein, Ougein (Sanskrit:
Ujjayini);
eine Mundart, die von den alten Autoren unter dem Namen
der Avantischen aufgeführt wird.

Da das Marat'thi am nächsten und am meisten mit den
drawidischen Sprachen in Berührung gekommen ist, so hat
es aus diesen nicht allein einen sehr fühlbaren Zusatz von
Wörtern entnommen, sondern ist auch einem gewissen mo-
dificirenden Einfluss desselben in der grammatischen Struc-
tur mehr ausgesetzt gewesen, als die übrigen modernen
Mundarten des Sanskrit. Die Brahmanen unter den Mah-
ratten bedienen sich zum Gottesdienst einer eigenen Art
Schrift, welche dieBalabandische, Baibund, Baibandi,
genannt vsdrd, welcher Name oft auf die ganze Mundart

übergeht._ Wir gehen zur Ostseite von Vorder - Indien

über, die an den Meerbusen von Bengal stösst, und treffen
dort zunächst —

IV. Das Bengali, die Sprache von Bengal (Sanskrit:
Wanga, Hindi: Banga und Bangala^ Bang-alaya, d. h.:
Wohnung der Bangaj, die am Unterlauf des Ganges und
im Delta dieses und des Brahmaputra-Stroms die litera-
risch angebaute Volkssprache ist und dem Sanskrit noch
verhältnissmässig ziemlich nahe steht, mit eigenthümlichen,
aus dem Dewa-nagari gebildeten Schriftzeichen. Gauri
heisst die Bengal-Sprache nach der vormaligen Landes-
hauptstadt (Gour, Gaur, Gauda), davon weitlaüfige Trüm-
mer und Ruinen noch zu sehen sind —· Als an das Benga-
lische sich anschliessende Idiome sind, ausser demMagad'hi
(s. oben I, 14), zu betrachten:

1) Das Mait'hilische oder Tirhutische, Mait'Mli, Tir-
liutiya, die Sprache der Provinz Tirhut (Sanskrit:
Tira-
bhuhti
oder Mitliila)^ die dem Bengalischen indess ziemlich
fernsteht; und

2) Das Assamische, Assami, die Sprache von Aham
oder Ahom, wie die Eingeborenen ihr Land nennen, eine
Schriftsprache, doch nur eine Mundart des Bengali, die
aber von diesem, welches viele Sanskritwörter in reiner
Form darbietet, dadurch sich unterscheidet, dass es eigen-
thümliche Lautübergänge enthält iind seine Wörter sich
strenger an die Gesetze des Prakrit halten. In raümlicher
Beziehung ist das Assami die östlichste der Sanskrit-Spra-
chen, die längs des Brahmaputra wie ein Keil zwischen die
Tübetische Sprache und die Indo - Chinesischen Dialekte
geschoben ist'

V. IJrija, Oriya, Udiya, Wodia, die Sprache der Odra,
Wodiar oder der. Bewohner von Orissa (Sanskrit:
Od'ra,
Od'radesha, Äu(fm),
auch Autkali genannt, von Utkala,
einem Theile Odia Desam's oder Orissa's, die südöstlichste
der Sanskrit-Sprachen, deren Gebiet am Meerbusen von
Bengal liegt. Auch sie ist eng mit dem Bengalischen
verwandt.

Nicht eine einzige der hier genannten Sprachen ist auf
das Gebiet beschränkt, welches die Karte ihnen anweiset;
alle springen mehr oder minder in einander über '2. So
wird die Gränze zwischen der Urija und der drawidischen
Sprache Telugu an der Küste bei Baurnah gesetzt; allein
schon in Gandjam merkt man die ersten Spuren des Te-
lugu, und das Urija hat eine verschiedene, weniger reine
Aussprache als in Cuttack. Jenseits der Sprachgränze auf
drawidischem Gebiet ist in Cicacole das Telugu zwar die
Hauptsprache, aber noch vielfach hört man Urija und erst
in Vizagapatam tritt das Telugu ausschliesslich in seine
Rechte ein. Im Innern des Landes auf den Gebirgen ist der

Dialekt der Odras bei der Masse des Volks in Gebrauch
von Gunser (Gumsurgur) abwärts nach Palcondah, Ba-
star (Bustar) und Yayapur (Djyapur). Sohnpur ist zur einen
Hälfte von Odras, zur andern Hälfte von Gonds bewohnt.
In Assam ist das Bengali und das Hindustani eben so ge-
braüchlich, wie die Landessprache, zu der sich noch tübe-
tische und indochinesische Dialekte gesellen. Und so geht
es durch ganz Vorder-Indien: keins seiner Sprachgebiete
ist für sich rein abgeschlossen; alle greifen mehr oder min-
der in einander über, bald blos an den Gränzsaümen, bald
auf dem ganzen Flächenraume, und dies gilt nicht blos von
den Sanskrit-Sprachen, sondern auch von den Drawida-
Idiomen. Es folgt hieraus, dass die Gränzen der Sprach-
gebiete nicht so scharf genommen werden dürfen, wie die
Karte sie darstellt. Dazu kommt, dass, abgesehen von den
Schwierigkeiten, welche mit der Zerlegung der Arischen
Bevölkerung in ihre Bestandtheile verknüpft sind, manche
Gränze sehr unbestimmt ist. Dies ist A^orzugsweise von der
Gränze zwischen dem Hindi und Gondwana zu sagen,
über die viele Zweifel obwalten, was auch stellenweise von
der westlichen Gränze der Urija, und der östlichen des
Marat'thi gilt.

Dekhan das Reich der drawidischen oder tamulischen
Sprachen.

Die neueste Geschichte^ und Sprachforschung ist darüber
einig geworden, die Drawida-Völker als Nachkommen des-
jenigen Urstocks indischer Bevölkerung zu betrachten, die
sich beim Einbruch der Sanskrit redenden Arier vor die-
sen nach dem Süden zurückziehen musste. Die Drawidas
koncentrirten sich im Dekhan und gingen zum Theil auf
die Insel Ceylon über, nahmen den Brahma - Cultus an,
der ihnen von arischen Missionen gebracht wurde, und
wurden unter dem Einfluss desselben ein Kulturvolk, wel-
ches sich mit dem Sanskrit-Volke oder den Hindus auf
gleiche Bildungsstufe gestellt hat, bewahrten aber ihre
ursprüngliche Sprache, die indess ihrem Zustande als rohe
Volkssprache entrissen und, ebenfalls unter jenem Ein-
flüsse der Arier als Träger der höhern Givilisation, zur
Schrift- und literarischen Sprache angebaut wurde, und in
Folge dessen Manches aus dem Sanskrit in sich aufnahm,
ohne jedoch durch diese Mischung an ihrem eigentlichen
Kern Einbusse zu erleiden. Diese ursprünglich Eine De-
khan-Sprache hat sich im Laufe jener Kultur-Bestrebungen
gespalten, und es sind aus ihr, der gemeinsamen Mut-
ter, fünf Schwestersprachen entstanden, die sogenannten
Pandschdrawidika, die sich in das Ländergebiet der südli-
chen Hälfte von Vorderindien getheilt haben. Diese Spra-
chen sind:_

1. Das Tamil oder Tamul, auch Drawida κατ*
εξοχήν genannt. Es wird von dem gleichnamigen Volk der
Tamulier gesprochen, welches man als den Hauptast des
Drawida-Stammes ansieht, daher dieser auch der Tamuli-
sche genannt wird. Das Tamil-Volk theilt sich in die drei
alten Stämme Pandya-Mandalam (Centrum: Tritschina-
poly); Tschola (davon der Name Tschola-Mandalam = Co-
romandel); und Tschera-Mandalam (Centrum: Coimbatur),
und erstreckt sich von jenseits Pulicat bis zum Vorgebirge
Comorin (Kanyakumari, d. h.: Jungfrau), und von der
Küste landeinwärts bis zum Abfall der östlichen Gahts,
und hat auch noch die nördlichen Ebenen von Ceylon erfüllt.

Der Name Tamil soll hier eigentlich die niedern Kasten
und ihre Vulgärsprache bezeichnen; aber in Carnata, auf
dem Tafellande nennt man ihre Sprache Aravi, ihr Volk
Tigular. Man unterscheidet das Alt-Tamil
(Ellakanum)
und den Dialect, der an der Malabar - Küste gesprochen
wird
(Malliallum). Westlich an das Tamil schliesst sich

2. Das Malajalam oder Malayalma, die Malabar-
Sprache, die auch nach einer alten Benennung ihres Ge-
biets Kaerula oder Kerala genannt wird. Man unter-
scheidet Grantham- oder Hoch-Malabarisch von der Volks-
sprache, welche beide Formen sich jedoch nur dadurch
unterscheiden, dass jenes sanskritische Formen und Worte
im Uebermaas gebraucht. Die Sprache, die der Tamulischen
unter den verwandten am nächsten steht, umfasst das
ganze Küstengebiet, welches Malabar heisst, ein Name,
der aus dem einheimischen WortMalajalu, d. h.: Bergland,
verderbt ist. Daran knüpft sich gegen Norden die dem Ma-
labarischen sehr ähnliche —


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28 Achte Abtheilung,

3. Tulu-oder Tulava-, Tulva-, Taulava-Sprache,
nach einem Gebiete dieses Namens genannt, das kleinste
der drawidischen Sprachgebiete, das den Dialekt Kodugu
oder Kodaga einschliesst, welcher in der Gebirgslandschaft
dieses Namens gesprochen wird. Curg ist die verderbte
Abkürzung des Wortes Kodaga in der heutigen Vulgär-
sprache. Das Tulu gränzt auf seiner Nordseite mit den
Sanskritischen Marat'thi, das hier in seiner südlichsten
Verbreitung in dem Distrikte Haiva oder Haiga wahr-
scheinlich als besondere Mundart des Kankanesischen ge-
sprochen wird. (S. oben III, 2; p. 27.)

4. Karnataka oder Kamata ist der Sanskrit-Name
für das Land und die Sprache, welche das Volk, von der
sie gesprochen wird, in Canara, oder vielmehr Kan-
nadi u. s. w. umgewandelt hat, obwol jene älteren For-
men auch noch heüt zu Tage im Canaresischen zulässig
und gebräuchlich sind. Halla-Kanara ist die altkanarische
Sprache. Nach einem seiner Hauptsitze pflegt man das
Kannadi auch die Maissur-Sprache zu nennen. Sie füllt
das alte Kuntala oder Upahalaka, das eigentliche Tafel-
land von Dekhan, zwischen den westlichen und den östli-
chen Gahts, ohne jedoch die zuletzt genannten zu errei-
chen, von denen es hauptsächlich durch die letzte der
drawidischen Sprachen getrennt ist, nämlich durch —

5. Die Τ elugu-Sprache, die auch Tenugu, Telinga,
Teilinga, Talugu u. s. w., im Sanskrit Trilinga, genannt
und von einem Volke gesprochen wird, welches sich selbst
Teluguwandlu nennt, bei den Brahmanen aber Andhra
und bei den Malabaren Waruger heisst, daher man die
Sprache zuweilen auch die "Warugische nennt. Man unter-
scheidet Alt- und Neü-Telinga. Von allen Pandschdrawida
hat das Telugische den grössten Verbreitungsbezirk; längs
der Küste reicht es über die alten Provinzen der
Andhra,
Mats^ya
und Kallinga Desams vom Pennair über die
Kistna- "und Godavery-Flüsse bis über Vizagapatam und
Cicacole hinaus, wo es mit dem TJrija zusammenstösst,
und dringt landeinwärts über die östlichen Gahts bis in
die innern Gegenden des Tafellandes von Dekhan vor.

Als allgemeiner Charakter des drawidischen Spräch-
stamms giebt Th. Benfey nach Ellis und Campbell Fol-
gendes an; Declination der Nomina durch Partikeln oder

Wörter, welche zu ihnen gefügt werden,_der Gebrauch

eines pluralen Pronomens, welches für die erste und zweite

Person gemeinschaftlich gebraucht wird,_ die Conjuga-

tion des affirmativen Zeitworts,_die Existenz eines ne-
gativen Aoristi, eines negativen Imperativi und anderer

negativen Verbalformen,_die Verbindung des neutralen

und feminalen im Plural der Pronomina und des Verbi.
Durch diese Eigenthümlichkeiten und den ganzen Charak-
ter der Syntax scheidet sich dieser Sprachstamm, selbst
abgesehen von den verschiedenartigen Wurzeln, ganz und
gar vom Sanskrit. Das Tamil, bemerkt Weigle, ist in sei-
ner Grammatik und in seinem Wortschatze sehr reich und
eigenthümlich, und das Telugu schon lange als eine be-
sonders wohllautende Sprache, als das Italiänische von In-
dien bekannt. Das Malajalam steht zwar dem Tamil im
Ganzen sehr nahe, unterscheidet sich aber von ihm durch
den, schon oben erwähnten haüfigern, der hohen Bildungs-
stufe des Volks zusammenhangenden Gebrauch des Sans-
krit, und durch seine weiche Aussprache, weshalb man
sein Verhältniss zum Tamil auch durch die Formel Por-
tugiesisch: Spanischem ausgedrückt hat. Das Tulu ist sehr
alterthümlich und als Volkssprache der niedrigen Klassen,
besonders eines rohen Fischervolks weniger ausgebil-
det, und vielleicht auch weniger reich, als die anderen
Sprachen, von denen es die Canaresische mit dem Tamil
an Eeichthum und dem Telugu an Wohlklang und An-
muth aufnimmt. Alle diese Sprachen, mit Ausnahme des
Tulu, haben ihre mehr oder minder reiche Literatur, wie
das Hindi, Hindustani, Bengali etc. unter den Sanskrit-
sprachen ; ja in allen Idiomen, den sanskritischen sowol
als drawidischen werden jetzt sogar Zeitschriften und
Tageblätter gedruckt, von denen die indische Literatur
früher keine Spur aufzuweisen hatte.

Fem im Norden, weit ab vom Gebiet der Dramda-Völ-
ker, und ausserhalb Indien's lebt auf den Gebirgen und
den Bergebenen des Beludschen- oder Baluken-Landes ein
Volk, welches in Beziehung auf Stamm- und Sprachver-
wandtschaft ganz vereinzelt unter allen angränzenden Na-
tionen dasteht. Es sind die, unter der Botmässigkeit der

Beludschen stehenden Brahuis, die sich als Urbewohner
ihres Landes betrachten, was unbedenklich richtig ist, da
die Beludschen sicherlich nur als spätere Eroberer und
Einwanderer des mittlem und östlichen Beludschistans wie
der Indus-Ebenen gelten dürfen. Das Brahuiki, die
Sprache dieses Volks erscheint in ihrem Verhältniss zum
Baluki, offenbar, als die ältere und zurückgedrängte; denn
einige Brahui-Stämme, deren es über siebenzig geben soll,
so wie alle Leute von Eang und Ansehen, sprechen stets
Balukisch, weil sie es für vulgär erachten, sich ihrer Mut-
tersprache zu bedienen. Diese enthält viel Arabisches, Per-
sisches und Balukisches, aber sehr wenig Puschtu, dagegen
eine starke Beimischung alter Hindawi-Wörter und bietet
dem Ohr eine starke Aehnlichkeit mit dem Pandschabi dar;
nichts desto weniger weicht das Brahuiki in der Declina-
tion und Conjugation von allen benachbarten Sprachen ab;
es hat in beiden seinen ursprünglichen eigenthümlichen
Bau gerettet, der sich namentlich auch in der Form des
negativen Verbi zu erkennen giebt. In Erwägung aller
Verhältnisse des grammatischen Baus des Brahmki glaubt
Lassen eine allgemeine innere Aehnlichkeit mit den Dra-
wida-Sprachen erkennen zu dürfen, wogegen aber Weigle,
der genaue Kenner des zuletzt genannten Sprachstammes,
Einwendungen dahin erhoben hat, dass er nicht glaube,
.der Versuch, das Brahuiki mit den dekhanischen Sprachen
zusammenzustellen, werde gelingen

Scheint die Ausdehnung des drawidisch-tamulischen
Sprachstammes nach dieser Richtung hin noch ungewiss zu
sein, so leidet es, nach dem fast einstimmigen ürtheü der mei-
stenForscher keinen Zweifel, dass man geneigt sein müsse,
die Sprachen all' der Völkerschaften, die in den abge-
schlossenen Wald- und Gebirgsländern von ganz Vorder-
indien wohnen, vom Kap Comorin bis zu den Eadjmahal-
Bergen einer Seits, und bis zum Berge Abu und dem Thurr,
ja selbst bis zur unterp Region und theilweise den Hoch-
thälern des Himalaya andrer Seits, für verwandt mit den
kultivirten Pantschdrawida zu halten. Denn alle diese
Sprachen, so weit sie durch Wörtersammlungen und tie-
feres Eindringen in den Sprachbau bis jetzt aufgeschlossen
worden sind, haben die entschiedenste Aehnlichkeit bald
mit der einen, bald mit der andern jener fünf Schwester-
sprachen , so dass man, wol nicht mit Unrecht, glaubt, in
den bald wilden, bald doch noch ganz rohen, unkultivirten
Gebirgsvölkem die Nachkommen der Urbewohner Indiens
zu erkennen, die sich vor den Ariern oder dem Sanskrit-
volke in die Wildnisse der Waldgebirge zurückzogen.

Die Hindus haben keine historische Urkunde von ihrem
Einfall in Indien, aber sie erkennen auf Grund ihrer Sagen
an, dass sie von Nordwesten herkamen; und ihre alten
Bücher erwähnen, dass sie überall auf ihrem Zuge Ein-
wohner fanden, die in Wäldern und auf Bergen lebten,
und denen sie die Namen
Pulindas, Varvaras oder Mleh^-
khas
beilegen, davon der erste „wilde Bergbewohner"; der
zweite „Barbaren" oder wörtlich „Krausgelockte", und
der dritte „unreine Barbaren", oder wörtlich „Schwache"
bedeütet, weil sie den Angriffen der mächtigen und kriege-
rischen Arier nicht zu widerstehen vermogten. Diese Na-
men sind auf der Karte eingetragen, an einer Stelle, wo
einer der Hauptsitze dieser Barbaren ist, in der Land-
schaft Gondwana
(Gondawana, Khand-wana) nämlich,
eine Sanskrit - Benennung, welche „Wald der Gonds
(Khands)" bedeütet. Die südlichen Gegenden dieser Land-
schaft heissen auch Tschanda und bei den sanskritischen
Schriftstellern
K'edi, die Sprache aber in einem ihrer
Werke
Wanauhasi, d. i.: „Wald - Sprache", indem sie
neben der Drawida und der Autkali (Xfriya) erwähnt yvird.
Die alten brahmanischen Schriften stellen eine ganze
Reihe von Völkern Indiens in eine Kategorie und führen
Namen auf, darin man diejenigen zuweilen wieder erkennt,
unter denen die Gebirgsvölker uns bekannt geworden sind.
Die Tabelle auf der Karte enthält nur die vier Haupt-
Namen, die Karte selbst aber die der meisten barbarischen
und wilden Völkerschaften an ihrer gehörigen Stelle.

Zur Ergänzung dieser kleinen Tafel schalt' ich hier ein
vollständigeres Namens-Verzeichniss ein:

Βhieisy BMlls, (Bhülas im Sanskrit) mit den Minas
und Meras oder Moras. Daran schliessen
sich die_

Kulis, Koles, Coles^ Kholees, Coolies, Köhlis
(Kolas
im Sanskrit); mit den Ramusis,


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Etlmograpliie. 29

Waralis^ Katodis \mA. Katharis; so
wie die

Ho, (d. h. Männer) οά&ν Lurka-holes Kirhi,
mit den Öraow (Uraon), Munda, Tama-
ria, Bendhas.

2. Tudas (d. h. Männer), Totters, Toderies, Todeas,

Toruwar, Toduwnr, in zwei Abtheilungen
zerfallend:
Peiki oder Teralli, und Kuta
oder Tarda. Daran schliessen sich die —

Buddagur, Budddkav, Vaddakar, Burgher,
Madugar, Marwes,
sprechen eine canarisch-
tudaische Mischsprache.

Κ 0 Ii ata, GoJiata, Cottars, Kothur s, Cwrs, spre-
chen ein Mischmasch vom Canarischen und
Tamulischen.

Kurumhar^ Mulla Curumbor, Curbs, sprechen
ein Kauderwälsch vom Canarischen, Tamu-
lischen, Malabarischen und Tudaischen.

Sämmtlich im Nila Giri, oder blauen Ge-
birge von Coimbatur.

Chenchwars, sprechen eine rohe Mundart des
Telinga.

3. Gonds und Khonds, Coands, Gaunds, Khands,

(^Gondas uadi Kandas im Sanskrit); daran
schliessen sich die_

Karwar; Chohan; Kurgammah; Kauhier.

Musahar oder Bhundschihar; Eadschwar;
Dhanggar; Kero.

Sours o^QV Sauras ^ die Savaras oder Sabaras
der Alten, die schon die Sprache dieser Völ-
kerschaft als eine selbstständige Mundart
aufführen.

4. Paharias, Puharris, d. h.: im Bengalischen „Berg-

bewohner", eine Uebersetzung des einheimi-
schen Namens
Malir.

Ausser diesen Völkerschaften giebt es in den West-,
sowol als Ost-Gahts noch mehrere andere unkultivirte
Bergstämme unter verschiedenen Namen, die aber alle
die eine oder andere der fünf drawidischen Mundarten
sprechen.

Alle diese Volksstämme haben unter eich eine grosse
Aehnlichkeit in Sitten, Gebraüchen und religiösen An-
schauungen und stehen in dieser Beziehung überall zu den
Hindus undbrahmanischenDrawidas in dem nämlichen Ver-
hältniss. Die Kasten-Einrichtung ist ihnen unbekannt und
ihre Gemeinden werden durch patriarchalische, nicht, wie
bei den Kultur-Völkern, durch municipale Gesetze regiert.
Sie kennen keine Schrift. Sie glauben nicht an ein zukünf-
tiges Leben, noch an ein wohlwollendes höchstes Wesen;
und ihre religiösen Feierlichkeiten, die bald auf einen Dienst
vor Naturgöttern, bald auf einen Dämonen-Kultus gerich-
tet zu sein scheinen, oder fetisch-artig sind, erfordern das
Vergiessen von Blut, zuweilen sogar Menschenopfer. Ihre
natürlicheBeschäftigung ist die Jagd, und nur selten bauen
sie den Boden. Ein Zweig jedoch besitzt grosse Viehheer-
den, die sie von einer Weide auf die andere treiben, und
von deren Fleisch und Milch sie leben. Genügende phy-
siologische Vergleichungen zwischen diesen Autochthonen
und den verschiedenen Gliedern der arischen Familie in
Indien sind bis jetzt noch nicht angestellt worden.

Von den in der Tafel genannten Stämmen lenk' ich die
Aufmerksamkeit im Besondern auf die Kulis, die im
Westen und im Osten der Halbinsel, hier im Osten in ihrer
angeblichen Urheimath
Kolantadesha, aber auch im Hima-
laja von Kumaon (Almora der Hauptort) verbreitet sind,
woselbst sie einen von den Stämmen helotischer Hand-
werksleüte in Indien bilden, für den der tamulische oder
drawidische Ursprung in Anspruch genommen wird. Auf
diese Kulis, mit denen man den weit verbreiteten Volks-
stamra der Bhiels identificirt, bezieht sich das, was uns
über die Verwandtschaft der Sprachen Singbum (Sinh-
bhum), Kol, Sontäl, Bhemy,Uraon, Mundala, Radjmahali
und Gondi gesagt wird, die so auffallend ist, dass die er-
sten fünf
nur Mundarten der grossen Kol-Sprache (der
Kulis) genannt werden können, und man im Stande ist,
durch die Üraon-Sprache den weitern Zusammenhang der
Sprache der Koles mit derjenigen der Paharias oder Berg-
bewohner der Berggruppen von Eadjmahal und Bhaugal-
pur zu verfolgen.

PHYSIK. ATLAS ABTH. VIII.

So bestätigt sich, sagt Hodgson, allmälig immer mehr
die Hypothese, dass alle Drawidas oder Tamulier einen
gemeinsamen Ursprung haben, wie alle Arier, und dass
die grosse Manchfaltigkeit der Mundarten, welche den er-
stem Volksstamm charakterisirt, nur die Wirkungen ihrer
langen und gänzlichen Zerstreüung und Absonderung sind,
zu der sie durch die wilde Tyrannei der Arier in jenen
Tagen verurtheilt wurden, wo die Eechte des Eroberers
noch synonym waren mit dem Rechte zu zerstören, zu
plündern und die Menschen zu Sklaven zu machen

Sonstige Völker-Sprachen Vorder-Indien's.

Was die übrigen Völker Vorder-Indiens betrifil, so sind
die Singhalesen einstweilen als ein selbstständiges, sei-
ner Sprache nach unabhängiges Volk zu betrachten. Denn
obwol man diese Sprache bald als ein sanskritisches, bald als
ein drawidisches Idiom bezeichnet hat, so haben die Unter-
suchungen über ihre Verwandtschaft doch kaum begonnen,
viel weniger sind sie zu Ende geführt worden. Der Bud-
dhaismus fand auf Ceylon frühzeitig Eingang, und mit ihm
die Pali-Sprache, die auch jetzt noch bei den gottesdienst-
lichen Handlungen im Gebrauch ist. Dass sie auf den
Wortvorrath des Singhalesischen (Sanskrit:
Sinhalam,auch
Sinhald,
hergeleitet aus Sinha Löwe und dlaya Wohnung)
einen bedeütenden Einfluss in älterer wie in neüerer Zeit
ausgeübt hat, ist allerdings nicht in Abrede zu stellen;
was aber den grammatischen Bau der Insel-Sprache anbe-
langt, so kann kein Zweifel sein, dass dieselbe zu einem
vom Sanskrit gänzlich verschiedenen Sprachgebiet gehört.
In welches Sprachgebiet die Wedda zu stellen seien ist
noch ganz ungewiss.

Von den Semiten in Vorder-Indien ist bereits oben die
Rede gewesen (p. 7, Sp. 1), und hier nur noch zu erwähnen,
dass die Suriani, oder syrischen oder St. Thomas-Christen,
deren Hauptsitz Travancore, die Südhälfte von Malabar
ist, sich bei ihrer Liturgie der altsyrischen Sprache bedie-
nen. Von den Lacca Diven, oder Hunderttausend-(ία^;«^
Inseln wird gesagt, dass sie von Mapulern, und von den
Male Diven oder Malabar-Inseln
(Malaja Oiba, wörtlich
Berg-Insel), dass sie von Singhalesen bewohnt seien. Ein
neüerer Berichterstatter nennt die Bewohner beider Insel-
gruppen Malayen. Was aber die fremden Sprachen anbe-
langt, welche die nach Indien gekommenen Eroberer den
beiden einheimischen Sprachen, der Sanskrit- und der Dra-
wida-Sprache, zugesellt, so hab' ich ebenfalls schon erwähnt
(p. 26, Sp. 1), dass das Neüpersische eine sehr bedeütende
Herrschaft erlangt hat, nicht minder auch das Arabische,
als Sprache des Koran, unter den vielen Millionen von
Hindus und Drawidas, die sich zum Islam bekennen. Von
eüropäischen Idiomen hat die Sprache der Portugiesen
ihre politische und Handels-Herrschaft überdauert, indem
auf der Westküste von Vorderindien, wo die Portugiesen
nur noch Goa, Doman (Domaun) und Diu besitzen, ein,
gewiss mit den einheimischen Mundarten sehr gemischtes
Portugiesisch als Handelssprache allgemein in Gebrauch
ist. Auch das jetzt herrschende eüropäische Volk, das
Englische, bedient sich dieser Sprache an den betreffenden
Punkten, während seine eigene minder in Handels- und in
amtlichen Geschäften üblich ist. Dagegen wird die eng-
lische Sprache von gebildeten und angesehenen Leüten
unter den Hindus und Drawidas mit Erfolg erlernt und
mit vielem Glück getrieben.

Himalaya, die Gaue der Trias tüLetischer, drawidischer
und sanskritischer Völker.

Das Hochgebirge, welches die fruchtbaren Ebenen Hin-
dustan's von den öden und nacktenFelskämmenund baum-
leeren Felsplatten
des Tafellandes vonTübet scheidet, und
das in seinen Scheitelgipfeln mehr als eine deütsche Meile
in die Höhe
strebt (Dhawala-giri und Kintschin-junga,
4316 und 4406 Toisen über dem Meere), hat vom Kamm
bis zum südlichen Fuss im Durchschnitt eine Breite von
etwas über 22 deütsche Meilen die sich am bequemsten
in drei Abtheilungen oder Regionen zerlegen lässt, davon
jede eine mittlere Ausdehnung von 7 deutschen Meilen hat,
in der Höhe aber natürlich sehr grosse Unterschiede dar-
bietet. Die untere Region, mit heissem, indischem Klima,
steigt von Niveau der indischen Ebenen durch die Sumpf-
dickichte des Terrai, Tarai oder
Tarayani und die Saul-


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30 Achte Abtheilung.

(A^Aorea) "Wälder mit Einschluss derDhuns oderLängenthä-
1er und der ersten, aus Sandsteinen bestehenden Kette, zu
einer Höhe von 3800 Fuss an; über dieser Abtheilung
steht die mittlere oder gemässigte Region, die bis 9200 F.
über dem Meere reicht; und über dieser die obere oder
kalte Region, die an den Gahts oder Pässen der Kamm-
höhe und der Linie der Schneefelder in einer mittlem ab-
soluten Hohe von 15000 Fuss ihre Schranken findet, wo
natürlich auch jegliches Vorkommen organischer Erschei-
nungen sein Ende erreicht. Diese Region wird
Cachar
genannt.

Zum bessern Verständniss der nachfolgenden Bemer-
kungen hab' ich die Erklärung einiger Ausdrücke voran-
zuschicken, deren ich mich, nach Anleitung meiner Quellen,
bedienen muss.

„Himalaya" " in der engsten Bedeütung des Worts ist
das Gebiet der mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgsgrup-
pen, die, wie die neüesten Forschungen nachgewiesen ha-
ben, Querjoche bilden, die von N. nach S. streichen; zu-
gleich ist unter diesem Namen der Kamm oder die Linie
der Pässe (Gahts) zu verstehen, welche von Indien nach
Tübet übers Gebirge führen. „Sub - Himalaya" ist daher
das ganze Gebirgsfeld auf indischer Seite, welches unter
der Schnee - Region liegt; was auch durch „cisnivisch",
diesseits der Schneefelder, ausgedrückt wird, indess „trans-
nivisch" das Gebiet jenseits derselben, oder Tübet bezeich-
net, und unter ,juxtanivisch" die Gebirgsgaue zu verste-
hen sind, welche an der Schneegränze oder neben den
Schneegruppen liegen; juxtanivisch ist also gleichbedeütend
mit der Cachar- oder obern Region. Die Ausdrücke „Cis-
Himalayaner" und „Trans - Himalayaner" beziehen sich
auf die Bevölkerung in demselben Sinne.

Nicht blos das starre Gestein und der Organismus der
Pflanzen- und Thierwelt unterscheidet die drei Regionen
des Himalaya, auch der Mensch tritt für sie als charakter-
istisches Merkmal auf; denn eine jede Region ist von Völ-
kern verschiedenen Stammes und verschiedener Sprache be-
wohnt, die in der untern und obern Region scharf getrennt
und gesondert, in der mittlem Region aber gemischt sind.
Diese ethnischen Verhältnisse alle auf der Karte anzugeben,
ist bei der geringen Grösse des verjüngten Maasses nicht
möglich gewesen; daher hier eine Nachweisung der hima-
layanischen Volksstämme als Ergänzung unserer indischen
Völker-Liste nothwendig ist.

Die Tübeter nennen sich selbst Bod-ha (Bodpo) d. h.:
Menschen oder Eingeborne von Bod, was muthmasslich
vom Sanskritwort
Bhot stammt, woraus sich der sanskri-
tische Volks-Name
Bhotia, Bhotijah entwickelt hat, der
für die Tübeter des Himalaya allgemein im Gebrauch ist.

Steigen wir von der Kamm - oder Passhöhe des Hima-
laya nach Süden abwärts, so finden wir die obere Region
ausschliesslich von Cisnivischen Bhotijahs bewohnt,
welche sich längs der ganzen Linie der Gahts erstrecken,
und mit dem Namen die Sprache und die physischen Merk-
male ihrer transnivischen Brüder in Tübet beibehalten ha-
ben. Es sind also eigentliche Tübeter, die in verschiede-
nen Stämmen, unter den Namen
Rongho, Siena oder Kath"
Bhotijah, Serpa,
u. s. w., verbreitet und auf die, dem
Raum nach kleinen juxtanivischen Gebirgsgaue der obern
Region beschränkt sind. In der englischen Provinz Ku-
maon (Hauptort Almora), wo wir sie am besten kennen,
liegen ihre Wohnsitze in den höchsten Thal-Regionen der
Flüsse Kali, Douli, Gori, und der beiden Aluknunda, jen-
seits der Schneefelder an den Pässen Bians, Dharma,
Dschawahir (wo der Nanda Dewi 4027' hoch ist), Niti
nnd Manah.

In der mittlem Region wohnen, doch so, dass fast jeder
Stamm seinen eigenen Gebirgsgau besitzt, die nachstehen-
den Völkerschaften, die von West nach Ost aufgezählt
wel-den, und bei deren Namen ich die englische Schreibung
unverändert beibehalte:

Janjuhs,Bamhas, Khas, Kusundas, Murmis, Lhopas^
Awans, Kakkas, Magars, Chepangs, Kirantis,Daphlas,
Khatirs, Garhwalis,Gurungs, Sunwars, Limbus, Akas,
Gakars, Köhlis, Hayus^ Newars, Lepchas^ Bor und

Abors, Mishmis.

Auf die untere Region sind ausschliesslich beschränkt:
Boksar, Dürre, Kichak^ Coveh,
Palloh, Denwar, Dhimal, Mechi,
Bramho, Tharu, Bodo, Eooch.

Von diesen Völkerschaften sind die der mittlem Region
mit Ausnahme der fünf zuletzt genannten, sämmtlich trans-
nivischen Ursprungs, wie die Bewohner der obern Region;
allein sie haben in Körperbau und Ansehen, wie in der
Sprache durch einen zehn bis dreizehn Jahrhundert langen
Aufenthalt in einem cisnivischen Klima, so wie durch Ver-
mischung mit südlichem Blute, die in einigen Fällen , wie
bei den Khas Statt gefunden hat, grosse Veränderungen
erlitten.

Die Bewohner der untern Region dagegen sind von ur-
sprünglich indischem, d. i.: drawidischem oder tamuli-
schem Stamm, und es zeigt sich mithin die merkwürdige
Thatsache, dass die arischen Eroberer Indiens keilförmig
eingedrungen sind und die vorgefundene Urbevölkerung
zu beiden Seiten geschoben haben. Die wenigen Trümmer,
welche längs des ganzen Fusses des Sub-Himalaya in ei-
nem schmalen Gürtel verbreitet sind, haben sich fast ganz
unvermengt erhalten, und nur einige dieser Völkerschaften
die Sprache und Gebraüche der Hindus angenommen. Dass
auch die
Köhlis der mittlem Region dem drawidischen
Stamme angehören sollen, ist bereits oben (p. 29, Sp. 1)
erwähnt worden.

Die sogenannten Berg-Brahmanen, die Radschputen und
muselmanischen Hindus, die in den westlichen Gegenden
des Himalaya so zahlreich, im Osten aber selten vorkom-
men, sind blos neüere Einwanderer aus dem ebenen Lande.

Das herrschende Volk im Sub-Himalaya sind die Khas
oder Khas ijas (Sanskrit;^Äassas). Auf sie ist das Wort
Parbatija^ d.h. Hochlands-Bewohner, in seiner allge-
meinen Bedeütung durch unveränderlichen Gebrauch be-
schränkt worden. Die Wohnsitze dieses Volks reichen, in
der gemässigten Region, vom Sutludje bis über die Tista
hinaus. Die Khas sind unstreitig einer von den Urstäm-
men des Himalaya, wie sehr übrigens auch die Spuren ih-
rer Abstammung durch die Vermischung mit den arischen
Hindus vermischt sein mögen. Daher finden wir die Khas,
gleich den
Kirantis, Kerautis, (Sanskrit-iTzraias), in den
Puranas und in klassischen Schriftstellern als
Varvaras,
oder barbarische Bewohner des Sub-Himalaya erwähnt.
Die Khas nahmen jedoch die Hindus, welche in ihre Berge
einwanderten, freündlich auf und vermischten sich mit den
Brahmanen- und Kshatrija - Stämmen (den Arjas oder
echten Ariern) bald so sehr, dass gegenwärtig die physi-
schen und sprachlichen Spuren ihrer tübetischen Abstam-
mung sehr schwach oder ganz vertilgt sind. Und da sie,
seit der Obergewalt der Ghorkali - Dynastie in Nipal, das
herrschende Volk in einem Hindu-Reiche geworden sind,
so geben sie sich selbst alle Mühe, jene schwachen Spuren
nicht bemerklich zu machen. Nichts desto weniger ist die
tübetische Abstammung (Mongolischer Rasse) der Khas
in Gestalt und Gesicht nicht zu verkennen.

Ihre Sprache, die Pariai2}ai?ÄaMa!, ist eine Mischsprache,
deren Stamm unter dem Einfluss der von den eingewander-
ten Ariern mitgebrachten indischen Prakrits fast unter-
gegangen ist, doch aber noch immer einige Spuren ihres
Ursprungs zeigt. Wenn diese Sprache im östlichen Sub-
Himalaya, auf der Ostseite des Kali-Thals, schon gar son-
derbar gemischt ist, so ist dies auf der Westseite des ge-
nannten Thals wahrscheinlich noch mehr der Fall. In je-
nem Theile nennt man vornehmlich zwei Sprachen oder
vielleicht Mundarten, das Ni ρ a 1 e s i s c h e und das Κ ο s-
sala,
Koshala, davon jenes in Khatmandu, und dem gros-
sen Gebirgsthale gesprochen wird, worin die eben genannte
Hauptstadt des Nipal-Reiches liegt, dieses aber muthmass-
lich seinen Namen entweder von
Kosala, das die alten Au-
toren an den Ufern des Bhagirathi setzen, oder von den
„Sapt-Cousika", oder sieben Thälern führt, die vom Cosi
und seinen Zuflüssen bewässert wird. Dieses Kossala
scheint die Hauptmundart der Khas im ganzen östlichen
Sub-Himalaya, vom Tista-Thale bis zum Kali-Thale zu
sein; denn von Almora an gegen Westen hin herrscht ein
anderer Dialekt,
Dogura(^) genannt, bis nach Kaschmir hin.
Da der Sub-Himalaya hauptsächlich vom eigentlichen Hin-
dustan aus colonisiret worden ist, so ist auch die Parbatija
Bhakha mit ihren, offenbar zahlreichen, Mundarten den
Hindawi-Hindi-Dialekten zu coordiniren.

Alle Standespersonen unter den Khas in Nipal rühmen
sich einer Radschput-Abstammung und es ist auch ohne
Zweifel wahr, dass sehr viele väterlicher Seits von Brah-
manen oder Kshatrijas der Ebenen abstammen, aber ihr


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Etlmograpliie. 31

gemischtes Geschlecht ist ausser Zweifel, und es ist daher
um so merkwürdiger, dass ihnen unter einer strengen Hin-
du-Regierung Rang und Privilegien der zweiten Ordnung
des Hinduismus zugestanden worden sind, ein schlagender
Beweis, dass das Brahmathum nicht eine so unveränder-
liche Institution ist, als man es wol geschildert hat.

Unter der Herrschaft dieses sprachlich wie politisch und
bürgerlich hinduisirten Volks derKhas leben alle die klei-
nen Volksstämme, die oben aufgezählt worden sind.

Die zuerst genannten Cisni vi sehen Bhotijahs, die
Rongbos, Serpas etc., werden im ganzen Sub-Himalaja
ziemlich allgemein verbreitet gefunden, doch sind sie, wie
schon erwähnt, auf die hohen juxtanivischen Gebirgsgaue,
oder die Cachar-Region, beschränkt.

Dagegen in der mittlem Region haben sich die Krieger-
stämme der
Οurung und Magar, durch ihreTheilnahme
an den politischen Erfolgen der herrschenden Khas, auch
als friedliche Ansiedler in nicht geringer Anzahl nach
Osten und nach Westen von ihren ursprünglichen Wohn-
sitzen, in den „Sapt Gandaki", bis über den Cosi hinaus
und vielleicht auch bis zum Ganges - Gebiet verbreitet.
Die Magars gelten für ein ursprünglich cisnivisches Volk,
das Sikkim zur Urheimath hat, aus der es von den Lep-
chas vertrieben, und weiterhin von den Limbus über den
Arun und den Dodcosi-Fluss gedrängt wurde. In Sikkim
waren sie noch nicht Brahmadiener, was sie jetzt sind.
Auch die Gurungs hält man nicht für tübetischen Ur-
sprungs, sondern für Aboriginer des Sub-Himalaja, die
seit undenklichen Zeiten Brahmadiener gewesen sind. Beide
Volksstämme sprechen, wie die Khas, Mundarten des
Hindi. Die übrigen Stämme haben eine beschränktere Hei-
math, oder „Janam Chumi", wie sie genannt wird. So ist
das grosse Thal von Khatmandu die Region der
Murmis
und Newars, während die Distrikte östlich davon bis nach
Sikkim hin der Wohnsitz
der Kirantis uuA Limbus oder Yak
thumla
sind, wie in Sikkim die iepcÄas'®; in Bhotan, oder
Oeva Dharma, wie das Land gewöhnlich genannt wird,
di&Lhopas (H'lok-ba) oder Oukpas (DscJiuJc-ha), oder Pluh,
wohnen. Unter den zuletzt genannten drei Namen ist das
Volk zu verstehen, welches wir
Bhotijahs κατ' εξοχήν, oder
Bhutanesen zu nennen pflegen.

Diese Volksstämme, im Verein mit den Sunwars, welche
wieder meistentheils westlich von dem grossen Khatmandu-
Thale und nördlich von den Magars und Gurungs, bei und
unter den cisnivischen Bhotijahs leben, bilden die haupt-
sächlichsten alpinischen Stämme des Sub-Himalaja zwi-
schen dem Kali-Thale bei Almora, wo die einheimischen
Sprachen in denPrakrits und hindawi-hindischen Dialekten
untergegangen sind, und der östlichen Gränze an der
Scheidung der Wasser - Gebiete des Monas und des Sub-
hansri-Flusses, wo dieselben in die monosjllabischen
Sprachen der, für indochinesischen Ursprungs gehaltenen
Rassen übergehen oder überzugehen scheinen. Den ge-
nannten Völkerschaften sind die wenig zahlreichen Wald-
stämme zuzuzählen, welche fast noch im Naturzustande
leben, wie die
Chepangs, Kusundas, Hayus oder Huioos,
(Hains f)
u. s. w.

Alle diese Stämme des Sub-Himalaja bewohnen die
centralen und gemässigten Thäler dieses Gebirgs, während
die südlichsten Gegenden, die der untern oder heissen Re-
gion, sowie die niedrigen Thäler der mittlem oder innem
Region den quasi Heloten-Rassen, wie den
Denwars
(Dhanwars),
den Dürres^ den Bramhos, Mechis und den
anderen tamulischen, dem Sumpf- und Thalfieber Trotz
bietenden Stämmen zur Kultur überlassen sind

Einer besondern Erwähnung verdient es, dass die Be-
wohner der obern oder Cachar-Region nicht in dem Klima
der mittlem Region, und die Bewohner der mittlem Re-
gion nicht in dem der untern Region ausdauern können.
Das Klima aber der mittlem Region ist aüsserst gesund,
wiewol die Temperatur ebenso manchfaltig ist, als die
stets wechselnde Erhebung der Oberfläche von 3800 bis
9200 Fuss. Herrscht nun gleich keine übermässige Hitze
(in Khatmandu, 4200 Fuss über dem Meere, ist das Maxi-
mum der Wärme 26°% C.), so wird man doch von der
übermässigen Feüchtigkeit und von der üppigen Vegetation,
welche in Verbindung mit einem tiefen, fetten Erdreich

Feüchtigkeit erzeugt, belästigt. Dies fällt in der obern
Cachar- oder juxtanivischen Region fort, wo in der un-
mittelbaren Nähe der Schneefelder die niedrigere Tempe-
ratur und der schlechtere Boden einiger Massen dazu bei-
tragen, den wunderbaren Uebergang vom üppigen Sub-
Himalaja zu den dürren Ebenen Tübefs zu mildem.

Dass alle Völker der obern und mittlem Region nahe
mit einander verwandt, und alle tübetischen Ursprungs
sind, gehet aus den phjsischen Eigenschaften und Spra-
chen, aus der Religion, den Gebraüchen und den Legen-
den dieser Rassen unzweifelhaft hervor. Ihre Legenden
geben ein Ueberschreiten des Himalaja vor 35 oder 45
Menschenaltern, oder vor 1000 bis 1300 Jahren an. Man
kann die frühere Periode annehmen, weil der Uebergang
gewiss Statt fand, ehe die Tübeter im und 8'®° Jahr-
hundert von Indien her die Religion und Literatur des Bud-
dha empfangen haben. Diese Thatsache zeigt sich in den
rohen, noch im Urzustände befindlichen Dialekten, von
denen nur das Newari und das Lepcha zu Schriftsprachen
ausgebildet sind, und in den roheren religiösen Lehrsätzen
der Sub-Himalajaner eben so deütlich, als ihr tübetischer
Ursprung in ihren Formen und Gesichtszügen ausgedrückt
ist, deren mongolischer Tjpus (in Blumenbachs Sinne) je-
doch haüfig gemildert und verändert wird und sogar nicht
selten der vollendeten kaukasischen Würde und Schönheit
des Kopfes und Gesichts sich nähert.

Wie das Gebirgsland des Sub-Himalaja der Breite nach
in Stufen getheilt werden kann, so lässt sich auch seine
Längen-Ausdehnung in gewisse Abtheilungen zerlegen,
bei denen die Wassersjsteme und die Querjoche mass-
gebend sind, die von der Kamm- oder Linie der Pässe un-
ter rechtem Winkel sich ablösen und gegen das ebene
Land von Hindustan streichend, an ihren Endpunkten
sich wieder zu vereinigen streben. Diese Vertheilung des
Sub-Himalaja in mehrere Gruppen erleichtert die Ueber-
sicht der in der mittlem Region wohnenden Volksstämme,
weil einem jeden Stamm, wie schon oben erwähnt wurde,
ein bestimmter Gebirgsgau zum Wohnplatz angewiesen
ist. In der, auf der folgenden Seite stehenden, Tabelle ver-
such' ich es, diese Orts-Verhältnisse deütlich zu machen.

Die Spaltung des Sub-Himalaja in so viele Flussbecken,
die durch fast unersteigliche, mit ewigem Schnee bedeckte
Bergketten getrennt und völlig abgeschlossen sind, hat alle
freie Verbindung gehindert und eine grosse Manchfaltigkeit
in den Dialekt en herbeigeführt. Sodann hat die üppige Weide,
durch ihren nachtheiligen Einfluss auf dieHeerden, die
Aufmerksamkeit des Volks ausschliesslicher, als in Tübet,
auf den Ackerbau gelenkt, obgleich selbst in Tübet das
Volk meistens nicht eigentlich nomadisch ist; Hitze und
Feüchtigkeit, die beide in Tübet fehlen, haben im Sub-
Himalaja die Kraft der Muskeln geschwächt und die Haut
dunkler gefärbt und das Volk mehr zu Reisessern und
Landbauern als zu fleischessenden Hirten gemacht. Die
Cis-Himalajaner sind kleiner, weniger muskulös und we-
niger schön, als die Trans - Himalajaner; doch sind die
Unterschiede nicht so auffallend, als man erwarten könnte,
und obgleich sowol zwischen den verschiedenen Stämmen
der Cis-Himalajaner, als zwischen den meisten derselben
und den Tübetern bemerkbare Unterschiede hervortreten,
so muss man doch, wenn sie alle, wie es sicherlich der
Fall ist, desselben Ursprungs sind, zugeben, dass sehr auf-
fallende Verschiedenheiten des Klima und der Sitten, trotz
ihrer Einwirkung während vierzig bis fünfzig Generatio-
nen, nicht die wesentlichen und unterscheidenden Merkmale
der Rasse haben verwischen können

. Hinter-Indien.

Die Halbinsel jenseits des Ganges, das Gebiet der ein-
sjlbigen Sprachen, ist von jeher, wenigstens seit der Mitte
des fünfzehnten Jahrhunderts, beständig ein Schauplatz
von Staatsumwälzungen und blutigen Eroberungskriegen
gewesen, die sich immer mit der Unterjochung des einen
oder andern Theils geendigt haben; und darum ist diese
Halbinsel zu einem Tummelplatz der Mischung ihrer ver-
schiedenen Völker und Nationen geworden. Daraus ist ein
gewaltiger Sprachwirrwarr entstanden, und es hat sich um
Raum und geographische Begränzung der Sprachgebiete
ein Knoten geschlungen, der sich kaum entwirren lässt.


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32 Achte Abtlieilun^.

Kiutheiluug des Siib-liimalaya

Westliches ftiierjoch,

bezeichnet durch den Gipfel:

in Flussbeckeu, und Vertheilung der in der innern gemässigten Region wohnenden
Volksstämme.

Flussbecken,
und darin wohnende Volksstamme:

Ocslliches Querjoch,

bezeichnet durch den Gipfel:


Jamnoutri 4014t hoch.

( 1. Bassin des Sutledje (Satadru). |

(Unbekannt.)........ . < Bevölkerung sehr gemischt; wahrscheinlich wohnen >

[ hier Janjuhs, Awans, Khatirs. }

{2. Bassin des Ganges. 1

Gleichfalls gemischte Bevölkerung: Garhwalis, Gakars, }· Nanda Dewi 4003t.
Köhlis. J

{3. Bassin des Karnali. l

Ebenfalls sehr gemischte Bevölkerung: Muthmasslich > Dhawala Giri 4316'.
Bambas, Kakkas. J

i4. Bassin der Sapt Gandaki, oder der sieben 1
Gandak-Flüsse. I

Sunwars, Gurungs und Magars. I

5. Hocbland und die Bergebenen von Khatmandu,

Eigentliches Nipal.
Zwischen dem Gandak im W. und dem Cosi im O.
(Khatmandu 700t über dem Meere.)
Sitz der
Newars und Murmis.

Gosain than 3862t.

6. Bassin der Sapt Cousika, oder der sieben
Cosi-Flüsse.

Kirantis, und Limhus oder Yak thomba.

Kinchin jungha 4402t.

Gosain than 3862t.

7. Bassin des Tista.
Lepchas oder Dijond maro, transnivische und cisnivische
Bhotijas.

cisnivische |

Chumalari 3742t.

Kinchin jungha 4402t.

8. Bassin des Monas.
Cisnivische Bhotijas, die auch Pluh, Lhopa (ITlok-ba),

oder JDukpa (Dsckuk-ba) heissen.
Sie scheinen in den beiden folgenden Flussbecken
ebenfalls verbreitet, hier aber in der obern Kegion
sesshaft zu sein.

Zwillingsgipfel, 3358t, 3378t.

Chumalari 3742t.

9. Bassin des Snbhansri.

Daphlas, Akas, Bor und Ahors, Miris.
Indo-Chinesische Stämme.

Zwillingsgipfel 3358t, 3378t.

Ungenannter Schneegipfcl im
92» /3 O. Länge.

10. Bassin des Dihong.

Mischmis oder Mischimis.

I (Unbekannt.)

Ungenannter Gipfel.

Innerhalb des Eahmens der Karte (No. lA) fallt das
Gebiet derMarama (Birmanen) und der Moan(Peguer)
ganz; und von der grossen, raümlich langgestreckten
Tha'i-Nation (Siamesen) die grössere Westhälfte ihres
Verbreitungs-Bezirks. Ausgeschlossen von der Darstellung
sind die zwei übrigen Glieder der Indo-Chinesischen Völ-
ker· und Sprachfamilie, die Kliohmen und die Anamer,
von welch' letzteren jedoch noch ein ganz kleiner Zipfel
ihres Gebiets in den Rahmen der Karte fällt.

Die genannten drei Nationen und die dazu gehörigen
kleineren Völkerschaften sprachlich und raümlich zu son-
dern und zu trennen; und dann Das wieder zu verbinden,
was zusammen gehört, ist eine nicht leicht zu lösende
Aufgabe gewesen. Dennoch möcht' ich vermuthen, dass
meine Darstellung von der geographischen Verbreitung
der drei genannten Völker und von der Begränzung ihrer
Sprachgebiete mit groben Irrthümern eben nicht behaftet
sei. Ich beschränke mich auf wenige Bemerkungen.

Auf der Karte sind die „Völker in den Angränzungen
von Hinter-Indien" tabellarisch geordnet. Die Unter-Ab-
theilungen, welche diese Tafel bei den Marama und Thai"
enthält, werden, wie es scheint, theils als Schwesterspra-
chen, theils als dialektisch verschiedene Mundarten, jeden
Falls aber als, durch Affinität, verbundene Idiome zu be-
trachten sein. Nichts desto weniger bleiben noch sehr viele
Zweifel zu lösen übrig. Ich werde sie kurz berühren.

Die Mo ans, Möns oder Peguer büssen unter der Herr-
schaft der Birmanen, die ihnen ehemals unterthan waren,
ihre Sprache und damit ihre Nationalität allmälig ein. Nur
in den englischen Provinzen Martaban, Ye, Tavoy und
Tenasserim haben sie die Sprache vor dem gänzlichen Un-
tergang gerettet. Doch ist auch hier das Birmanische die
Haupt-, Geschäfts- und amtliche Sprache.

Marama. Die Bergebene von Munipur, oder Manipur
unter 25" N. Breite, 2500 Fuss über demMeere, und von
einem Bergkranze umgeben, dessen Gipfel noch ein Mal
so hoch sind, ist, mit den angränzenden Thälern, die einer
Seits zum Wassersystem des Brahmaputra, andrer Seits
zu dem des Irawaddi gehören, von einer grossen Menge
ganz kleiner Volksstämme bewohnt, davon drei in der Ta-
belle (auf der Karte) genannt sind. Die anderen heissen
Maram, Champhung, Lulmppa, Nördliche und Centrale
Tanglchuls. Diese Stämme können sich alle niehr oder
minder verstehen, aber keiner von ihnen versteht die
Sprache der Südlichen
Tanghhuls., und diese unterscheidet
sich ihrer Seits wesentlich von den Idiomen der
Khoibus
und Marings, dreier Völkerschaften, die ebenfalls auf dem
Plateau von Munipur etc. sesshaft sind. Trotz dieser Ver-
schiedenheiten lässt sich aber dennoch eine nahe Verwandt-
schaft zwischen allen diesen Sprachen entdecken und die
zwiefache Annahme rechtfertigen, dass die Völkerschaften,
die sich ihrer bedienen, einen gemeinsamen Ursprung ha-
ben, von dem aus nicht allein die Manipuris, sondern auch
die gesammte Nation der Marama, oder Mran-ma (sprich
Myan-ma) entsprossen ist 21.

Der Name derßukheng, denen in der Tabelle jener Ur-
stamm der Marama subordinirt ist, kommt auch in der
Schreibart
RahhaingRä-hhoing-thas vor, d.h.: „Einwoh-
ner
{thas) des Landes Rä-khoing'\ d. i.: Arakan. So nen-
nen sich die Bewohner der Küstenebene dieses Landes,
während die Bewohner des Gebirgs
Khyang-thas, d. i.:
„Bergwasser-Anwohner" heissen, zwei Lokalnamen, die
in dem allgemeinen National-Namen Marama, der auch
hier in Arakan gilt, verschwimmen. Diese
Rä-khoing-thas
kennen einen, am Oberlauf des Kola-dan lebenden, Volks-
stamm unter dem Namen ian^'-^Äi (bisweilen avichBunzu,


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Etlmograpliie. 33

Boung-ju oder Boung-jwe genannt^, der offenbar einerlei
ist mit dem Stamm, welcher von den eigentlichen Marama
oder Birmanen
Läng-gäh oder Ling-tä ausgesprochen
wird. Von den Bengalis wird dieser Volksstamm, dessen
Wohngebiet sich bis an den südlichen Rand der Bergebene
von Manipur erstreckt,
KuTci, KungJci, Kundjye ge-
nannt; sich selbst nennt er aber, wenigstens in einigen sei-
ner zahlreichen Horden ^ozi oder
Zho. Auf der Nord-
seite von Manipur leben wieder andere Horden, die, weil
sie ihre Blosse nur wenig bedecken oder weil sie Bergbe-
wohner sind, von den Hindus der Ebenen
Nagalis ge-
nannt werden , bei den anderen Bergvölkern und in ihrer
eigenen Sprache aber
KwapJii (Kapwi!) heissen. Gewisse
Traditionen, die unter diesen Völkerschaften gang und
gäbe sind, weisen auf eine alte Verbindung derselben mit
den Katschharis hin, und ein Wörter-Verzeichniss, welches
wir von der Sprache der Lung - khi besitzen, weiset ent-
schieden nach, dass sie einen Ast des Marama - Sprach-
stammes bildet

Ueber die ethnische und sprachliche Stellung der Sing-
phos (Sinhphos)
könnte man in Zweifel sein, seitdem einer
der gründlichsten Kenner der indochinesischen und chine-
sischen Länder und Völker behauptet hat., dass sie aus
Laos stammen, also siamesischen Ursprungs seien; allein
die Proben, die wir von ihrer Sprache besitzen, weisen auf
das entschiedenste eine sehr nahe Verwandtschaft mit der
Marama-Sprache nach, und dass auch die kleine, ih?em
Erlöschen nahe Völkerschaft der
DscMlie diesem Sprach-
stamme angehört. Dasselbe gilt von den
Khaphok (Kha-
phos ?) 1
der Urbevölkerung im Quellgebiet des Irawaddi,
in das vor einer unbekannten Epoche die Thai-aSTation der
Khamti eingewandert ist, und die Khaphok unterjocht hat.
Und was die sprachliche Stellung der, in eine grosse Menge
von Stämmen gespaltenen Nation der
Garos (GrarroAvs)
anbelangt, die unter den indo - chinesischen Völkern die
nächsten Nachbarn von Bengal sind, so hat eine Samm-
lung von Wörtern ihres Idioms den Beweis geliefert, dass
es mit der Singho - Sprache nahe zusammenhangt, daher
auch dieses Volk dem Marama-Stamme zuzuzählen ist
Eben so ist es von den
KJiiaen oder Khyengs gewiss,
dass sie einen Bestandtheil der Marama-Nation ausma-
chen, und von einem kleinen Stamme ähnlichen Namens,
K^jan oder Kyo, der jedoch von den Khiaen verschieden
ist Endlich haben wir noch die
Kariän, ein weitver-
breitetes Volk, das auch unter dem Namen der rothen
Kariän, meistens in der Mitte der hinterindischen Halbin-
sel, vom 11° bis 25° N. Breite sich erstreckt zum Marama-
Sprachstamm zu stellen, mit dessen Dialekten die vorhan-
denen Proben seiner Sprache der grossen Mehrzahl nach
ganz entschieden übereinstimmen-®.

Die Thai" oder Schans, Schyans, wie die Birmanen ihre
östlichen Nachbarn nennen, geben mir zu Bemerkungen
über geographische Begränzung der verschiedenen Dialekte
keinen Anlass, indem ich vermuthe, dass die linguistische
sowol als topische Stellung derselben in der Tabelle wie
in der Karte einiger Massen auf Sicherheit Anspruch ma-
chen könne. Ich will nur daran erinnern, dass der Name,
welchen wir Deutsche dem Thai-Volke zu geben pflegen,
aus der birmanischen Benennung Schan entsprungen ist,
indem diese in der portugiesischen Form
Siao nach Eüropa
gelangte, was bekanntlich
Scliiang, Schang, mit einem
Zischlaut ausgesprochen werden muss. Seltsamer Weise
haben wir daraus unser Siam und unsere Siamesen und
Siamer geformelt!

Es bleibt mir noch übrig, ein Paar Worte über einige
kleine lüdo-Chinesische Völker zu sagen, von denen man
nicht weiss, welcher der grossen Nationen der Halbinsel,
oder vielleicht des extrapeninsularischen Auslandes sie zu
CO- oder zu subordiniren sind, oder ob sie einen eigen-
thümlichen Sprachstamm, oder gar mehrere selbstständige
Nationalitäten bilden. Ich habe sie auf Grund ihrer örtli-
chen Stellung in zwei Gruppen getheilt, eine südliche und
nördliche.

In der südlichen Gruppe ist das Volk der Khyi, wie
es selbst sich nennt, das wichtigste. Gewöhnlicher aber, ist
der Name
Cossya^ Casay, oder auch Zctsza; bei den Ma-
rama heisst es
Wa-tha-li; bei den Assamesen Mik, bei
den Katschharis ebenso
Mike. Alle Berichterstatter über
die
Khyi stimmen darin überein, sie für einen nicht indo-
chinesischen Volksstamm zu erklären. Der eigenthümliche
Schnitt des Auges, welcher die Indo - Chinesen charakteri-
sirt, geht den Khyi gänzlich ab. Sie selbst haben Tradi-
tionen über ihren Ursprung, aber diese sind so verworren,
dass von zwei Berichten keiner mit dem andern überein-
stimmt. In Assam und Katschhar glaubt man, dass sie
an den Gränzen Nipal's und Bhotan's zu Hause seien,
eine Theorie, die durch jenen Mangel des Augenschnitts
und durch den auch bei ihnen üblichen Gebrauch der in
Tübet herrschenden Polyandrie unterstützt wird. Ihre
Sprache ist monosyllabisch, wird aber nicht geschrieben,
daher auch hier das Bengali als Schriftsprache auftritt.
Sie zeigt keine Affinität mit den Sprachen der benachbar-
ten Bergstämme, von denen oben nachgewiesen worden
ist, dass sie sämmtlich in der Marama - Sprache wurzeln.
Einer der Berichterstatter nennt die Sprache eine seltsame
(a curious one), die dem Chinesischen nicht unähnlich ist.
Die Vermuthung liegt nicht fern, dass wir es hier mit
einem Vorposten der Tübetischen Nation zu thun haben,
der in einer unbekannten Periode das Assam-Thal und
den Brahmaputra überschritten hat.

PHYSIK. ATLAS ΑΒΤΠ. VIII.

Im fernsten Südosten der Länder, welche auf der Karte
dargestellt sind, finden wir auf dem, aus unzähligen Ei-
landen und Klippen bestehenden Archipelagus von Mer-
gui ein umherschwärmendes Schiffer- und Fischervolk,
Silong, Tschalomi (Chalome), auch Pasi und Pasa ge-
nannt, dessen Ursprung unbekannt ist, und mit einer
Sprache, von der man bei der höchst mangelhaften Kennt-
niss, die man von ihr hat, nicht sagen kann, ob sie selbst-
ständig oder gemischt sei. Auf den genannten Archipela-
gus ausschliesslich beschränkt, theilen sie denselben mit
Malayen, die sich daselbst als Pächter der essbaren Vo-
gelnester-Höhlen niedergelassen haben.

Von den Zabaing oder Zdbain weiss ich nur zu sagen,
dass sie Seidenzüchter auf dem flachen Delta - Boden des
Irawaddi in der birmanischen Provinz Bassein sind. Von
ihrer Sprache, und daher von ihrer ethnischen Stellung
weiss ich nichts zu sagen. Dass sie aber, eben so wenig
wie die Silongs, nicht den Khyi, oder deren vermutheten
Tübet-Herkunft angereiht werden können, scheint gewiss
zu sein

Die nördliche Gruppe enthält in raümlichem Zusam-
menhange die Völker auf der Nordseite des Brahmaputra;
die
Aka oder Anka, die Daphlas, und die Ähors mit
den, von den Abors nur dialektisch verschiedenen Miri,
sämmtlich im Flussbecken des Subhansri; und die
Mi-
schimis
oder Mismis, nebst den Muluks im Gebiet des
Dibong oder Dibang und im Quellbezirk des Brahmaputra;
sämmtlich Bergvölker der mittlem Eegion des östlichen
Sub -Himalaya (die untere oder Tarai-Region ist hier am
Ostende des indischen Hochgebirgs nicht vorhanden). Diese
Volksstämme scheinen nun allerdings die Ueberreste oder
Trümmer einer unbekannt gebliebenen, aber untergegan-
genen grössern Nation zu sein, wepn nicht ihre Idiome,
nach den Sprachproben, die uns mitgetheilt worden, auf
einen entferntem Zusammenhang mit derMarama-Sprache
hinweisen. Die Aka und Abor sind sprachlich ganz nahe
verwandt, und beide nähern sich im Wortschatz den Mi-
schiniis, deren Sprache in drei Mundarten zerfällt; diese un-
terscheidet sich aber von jenen Idiomen durch gewisseLaute
und einige ihrer Consonanten, die sehr schwer auszusprechen
sind. Von den Muluks oder Maluks, einem ganz kleinen
Volksstamme an und auf der Wasserscheide in den Quell-
gebieten des Brahmaputra und des Irawaddi, wird uns
versichert, dass ihre Sprache gar keine Verwandtschaft
mit der Sprache irgend eines der Nachbarvölker habe

Wohin das Volk zu stellen sei, welches uns, seit den
Entdeckungen der Engländer in Ober-Assam, unter dem
Namen
ά^ν Kolitas οά&ν Kultas bekanntgeworden, und
die sich durch einen hohen Grad von Civilisation auszeich-
nen sollen, weiss ich nicht; möglich jedoch ist es, dass
man sie mit den Bewohnern des kleinen Staates Amboa
identificiren könne, welche ebenfalls wegen ihrer hohen
Kultur bekannt sind. In der Nachbarschaft von Amboa
liegt Kahung, ein anderer kleiner Bezirk, der von einem
sehr gewerbfleissigen Ackerbauvolke bewohnt ist, und
SW. davon wohnen die H'lokha^^.


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34 Achte Abtheiluiig.

1 (p. 24). So bemerkt A. Fr. Pott: _ „Den Forscher erwar-
tet auf diesem maasslosen Gebiete noch die tingeheüre Arbeit,
Weg und Licht zu schaifen in dem eng verschlungenen Dickicht
indischer Volkssprachen. Bei allem Eeichthum an Sprachwerken
über die meisten einzelnen Sprachen und Idiome sanskritischen
und nicht sanskritischen Ursprungs in Indien, welche Bücher
wir überdies in Deütschland haüflg nur dem ']?itel nach, etwa
aus (Londoner) Bücherkatalogen orientalischer Literatur kennen,
stehen wir noch immer arm da an Kenntniss, sobald es sich um
allgemeinere, gründlich - wissenschaftliche. Feststellungen handelt
in Betreif der Natur und des Charakters jener Sprachen, in Be-
treif ihrer Wechselbezüge, ihrer verwandtschaftlichen Verhält-
nisse und der auf dies Alles sich gründen müssenden Anordnung
derselben". (Pott in seinem Artikel: „Indogermanischer Sprach-
stamm", __ Ersch-Gruber, Encykl. der Wissenschaften und
Künste. 2te Sect., XVIII, p. 36.) Wenn ein Meister der Lingui-
stik Bedenken dieser Art hegt, so wird einem Lehrling, wie ich
es bin, bei dem Versuch der geographischen Abgränzung der
verschiedenen Sprach- und Dialekt-Gebiete, vorkommender Miss-
griife halber freündliche Nachsicht Seitens der Kenner wol zu
Theil werden können.

2 (p. 25). Den Irrthum schien sogar noch A. W. von Schlc-
gel 1819 und 1823 zu theilen (Indische Bibliothek, I, p. 4);
berichtigte ihn aber, als er durch einen, im südlichen Indien
wirkenden deutschen Missionair darauf merksam gemacht Λvor-
den war (A. a. O. II, p. 163, 164) dahin, dass er statt „sämmt-
liche" Mundarten, welche in Indien gesprochen werden, hätte
schreiben sollen, „grossentheils" seien sie aus dem Sanskrit ent-
sprungen (A. a. O. II, p. 171). _ Für die Eingeweihten unter
den „kosmopolitischen Philologen", nicht aber für Laien und
das geographische Publikum, dessen Beifalls der Physikal. Atlas
sich zu erfreücn hat, ist die Bemerkung überflüssig, dass die
Sprachwissenschaft, Avie sie jetzt betrieben wird, und für die
Ethnographie so wichtige Ergebnisse geliefert hat, mit dem Jahre
1816 beginnt durch Franz Bopp's epochemachendes Buch: „Ueber
das Conjugations-System der Sanskritsprache in Vergleichung
mit jenem der griechischen, lateinischen, und germanischen
Sprache; nebst Episoden des Eamajan und Mahabharat in ge-
nauen metrischen Uebersetzungen aus dem Originaltexte und
einigen Abschnitten aus den Weda's. Herausgegeben und mit
Vorerinnerungen begleitet von K. J. Windischmann. Frankfurt
a. M. 1816. 8.

3 (p. 25). Die Benennungen Hindu, Hindustan, kommen her
Von dem Worte Sindhus, was der einheimische Name für Indus
ist, und Gränze, Gränzfluss bezeichnet. Bei den arischen oder Völ-
kern der Zend-Sprache, die ohne Zweifel von jeher die west-
lichen Nachbarn Indien's waren, musste, zufolge einer Lautver-
tretung, das Wort
Sindhus, in Hindus, oder vielmehr, wegen
der Wirkung des
u, in Hindush übergehen (Bopp, Vergleichende
Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen etc., p. 50, und
Eug. Burnouf, Comment. sur le Yagna. Paris, 1833; T. I, Not.
p. XXXVIII, sq.). An diese arische Aussprache
Hindu lehnt
sich der griechische Name des Flusses
"Ινδός und der Inder
^Ινδοί, worin die weiche ionische Mundart das üf ausliess, und
der mit der Verbreitung der griechischen Kultur und Wissen-
schaft allgemein, und nach der Eroberung Indiens durch die
Bekenner des Islam beibehalten wurde. Hindu ist also der, auch
seit der Eroberung durch die Engländer in Kraft gebliebene
Name derjenigen Einwohner von Vorderindien, welche Sanskri-
tische Idiome sprechen; und Hindustana, Hindustan ist der Name
ihres Landes, von Hindu und dem Woi-te Stana im Sanskrit,
Stan im Persischen, was Ort, Wohnung, Land bedeütet (damit
verwandt ist das deütscheWort Stand, das russische Sstan, Ein-
kehr, Lager). Man sagt auch Indostan, im Sanskrit Sindhu-
stana, d. h.: Land am Indus. Hindustan ist alles Land vom
Indus bis zum Ganges und darüber hinaus bis an den Brahma-
putra, und vom Himalaya bis zum Vindhya-Gebirge. Alles Land,
was südlich von dieser Kette liegt, macht die eigentliche Halb-
insel von Vorder-Indien aus, das Dekhan oder Südland. Vor
Zeiten bildete das Vindhya-Gebirge sehr wahrscheinlich die
Gränze der zwei grossen Völker- und Sprachgebiete, des sans-
kritischen und des dekhanischen. Seit den Einfällen der mo-
hammedanischen Völker des Westens und der Mitte von Asien ist
aber jene Gränze weiter gegen Süden geschoben worden, na-
mentlich auf den beiden Flügeln, an den West-Ghats einer, und
am Bengalischen Meerbusen andrer Seits; im Centrum der Stel-
lung der Sanskritvölker weicht die heutige Gränze von der ehe-
maligen nicht ab. Drawida bezeichnet, im Allgemeinen, eben
so wie Dechan, das, was gegen Süden liegt; im Besondern heisst
in der altindischen Geographie DraΛvida derjenige Landstrich,
welcher heütiges Tages Carnatic genannt wird. Während A.
W. von Schlegel noch im Jahre 1827 die Frage aufwerfen
musste, ob diese siidindischen Sprachen zu irgend einem, und
zu welchem weiter verbreiteten Stamme sie gehören (Ind. Bibl.
II, p. 172), erinnern wir uns, dass die drawidischen Sprachen
möglicher Weise der Gruppe der Ugrotatarischen beigezählt
werden können (s. oben p. 6), oder als Verbindungsglied zwi-
schen den Indogermanischen und türkischen Sprachen anzusehen
sind, indess andrer Seits eine derartige Affinität von einem ge-
nauen Kenner der drawidischen Sprachen in Abrede gestellt
wird; „diese Sprachen, bemerkt der Missionair Weigle, finden
in dem weiten Gebiet der asiatischen Linguistik nirgends einen
Anknüpfungspunkt, namentlich nicht in dem Sanskritisch-Persi-
schen Sprachstamm, noch in dem Tatarischen. Ich muss mich
entschieden gegen die Ansicht einer tatarischen Verwandtschaft
erklären. Eben so wenig haben die Drawida-Sprachen mit dem
weiten Kreise der malayisch-polynesischen Sprachen zu thun,
nicht einmal mit der Sprache Ceylon's. (lieber Canaresische

Sprache und Literatur, — in Zeitschr. der deütschen morgenl.
Gesellseh., Leipz. 1848, IL p. 260.)

4 (p. 25.) Bei der grossen Dunkelheit, welche auf der ältesten
Geschichte Indien's lagert, sind wir freilich noch nicht genügend
davon unterrichtet, innerhalb welcher Zeit- und Ortsgränzen das
Sanskrit einst als wirkliche Volkssprache gegolten und gelebt
habe; das dies von ihm so wenig, als von der Atthis geleügnet
werden dürfe, darüber kann kein Zweifel obwalten. Wann diese
Sprache in Schrift fixirt zu werden begann, wie weit sie in den
verschiedenen Zeitraümen ihre Herrschaft über Indien erstreckte,
zu welcher Zeit die aus ihr entsprossenen Mundarten zu mäch-
tig wurden, als dass jene noch als Volkssprache sich im Leben
hätte erhalten können, ja, wann selbige nun auf eigene Hand
Literaturen aus sich bildeten, und mit der ehrwürdigen Mutter
in die Schranken traten, diese vielleicht ganz zu verdrängen sich
anschickten, das sind Fragen, auf deren mehrere wir vielleicht
für immer die Antwort schuldig bleiben müssen. (Pott, „Indo-
germanischer Sprachstamm", a. a. 0. p. 31.) Benfey glaubt,
dass das Sanskrit schon zur Zeit, als der Buddhaismus erstarb,
also etwa im sechsten Jahrhundert vor Chr. aufgehört hatte,
Volkssprache zu sein. (Benfey, „Indien", in Ersch-Gruber all-
gem. Encykl. der Wissensch, u. Künste; 2te Sect. XVII, p. 246.)

5 (p. 25.) A. W. von Schlegel, Indische Bibliothek, II, p. 25.
Pott, a. a. O. p. 37.

6 (p. 25.) Colebrooke (Ädatio Researches, VII, p. 230) nennt
die fünf sanskritischen oder gaurischen Sprachen, mit den alten
Namen so:
Saraswati, Canyacuhja (d. i. Kanoje), Maithili, Aut-
kali
oder Odra (d. i. Orissa) und Gauri (Bcngal); die fünf dra-
widischen Sprachen sind nach ihm: Tamulisch, Mahrattisch, Car-
natisch, Telingisch und Gurjarisch. __ Vans Kennedy
(Researches
into the Origin and affinity of the principal languages of Asia and
Europe,
London, 1824) nennt die fünf Sprachen auf der Nordseite
des Flusses Krischna, (den er, mit mehreren anderen Schriftstel-
lern in allgemeinen Zügen als Gränze zwischen den Sanskrit- und
den Drawida-Sprachen annimmt):
iiaraftha, Guzjirate, Hindi,
Bengali,
und Panjahi. Chr. Lassen (Institutiones Linguae Pracriti-
cae. Bonnae ad Rh.
1837, App. p. 20) giebt einen Katalog von
vier und zwanzig indischen Sprachen, sanskritischen Stammes.
Indem ich auf der Karte eine Fünftheilung angenommen habe,
die mit der Anordnung von Vans Kennedy bis auf das Pand-
schabi übereinstimmt, an dessen Stelle ich das Urija, die Sprache
von Orissa, setze, ordne ich die neünzehn übrigen Idiome in Las-
sen's Liste diesen fünf Hauptsprachen unter, wobei meistentheils,
in Ermangelung sprachlicher Nachweisungen, die geographische
Lage, welche auch Lassen befolgt hat, maassgebend gewesen ist.

_ In seinem neuesten Werke giebt der zuletzt genannte gelehrte

Forscher folgende Fünftheilung „des Arischen Volks: Bengalen,
Hindustani, Eäg'puten, Mahratten und G'&t; ausserdem einige
kleinere Abtheilungen." (Ind. Alterthumskunde, I, p. 400).

7 (p. 26.) Andere Benennungen für das Hindustani sind bei
den Europäern, die sämmtlich nicht sehr glücklich gewählten
Ausdrücke; Maurisch, Mohrisch und Mongolisch, entweder ein-
zeln gebraucht, oder mit dem Zusatz Indostanisch, worunter
dann das unreine, Vulgär-Hindustani zu verstehen ist, welches
aus dem Verkehr von Eüropäern mit ungebildeten Hindus her-
vorgegangen, und ausser einer Menge fremder Wörter, die das-
selbe entstellen, beim Sprechen die Regeln der Grammatik ganz
vernachlässigt. Davon unterscheidet man sodann das Kein- oder
Hoch-Indostanische, das Hoch-Mohrische oder Hoch-Mongolischc,
was in den gebildeten Ständen die veredelte Mundart des Hin-
dustani ist, welche nicht nur im gesellschaftlichen Umgange der
aufgeklärteren Klassen von Geschmack, sondern auch als Schrift-
sprache gebraucht wird. Man hat dieses gebildete Hindustani
sogar Nagari oder Nagri genannt nach der Dewanagari, einer
Schrift, die zum Schreiben des Hindustani nicht einmal haüfig
gebraucht wird. Auch Patnisch oder Patanisch ist es genannt
worden, weil die Bewohner der Stadt Patna, in xler Provinz
Bihar, das Hindustani mit grosser Eleganz sprechen. Der Name
Maurisch oder Mohrisch rührt von den Portugiesen her, welche
alle Muselmanen für Mauren, ihre Nachbarn in Afrika, hielten.
Mongolen haben Indien nie in Masse betreten; denn es ist jetzt
erwiesen, dass zwar die Anführer der tatarischen Horden, welche
in Indien eingedrungen sind, aus mongolischem
Geschlecht wa-
ren, ihre Heere aber aus Türken bestanden, die man nach dem
herrschenden Geschlecht fälschlich Mongolen, oder Moguls nannte.
(Adelung, Mithridates, I, p. 181 sqq. Pott, „Indogermanischer
Sprachstamm", a. a. 0. p. 40.)

8 (p. 26.) Die westliche Ausdehnung des Sindhischen bis auf
das Tafelland von Iran (Pischin) gründet sich auf eine Angabe
Wathen's in seiner
Grammar of the Sindhi Language; vergl. Jour-
nal of the Asiatic Society of Bengal,
1837, Vol. VI, No. 65,
p. 348.

9 (p. 26.) Die Stämme der Bschats bilden die Hauptmasse der
Bevölkerung im Pandschab, der Ackerbauer daselbst, daher die
Pandschab-Sprache auch Dschatki heisst und die Originalsprache
dos Landes genannt wird, welche an den Sikh-Gränzen sich
schwach mit den benachbarten Idiomen mischt und bei Shawal-
pur (Bhawalpur?) ins Sindhi übergeht.
{Leech, Epitome in Journal
of the ^latic Society of Bengal,
VII, p. 711); Lassen bemerkt, _
wenn die Sprache der Sikhs anders benannt wird, so finden wir
nicht, dass die Pandschabi-Sprache wesentlich von jener verschie-
den ist. Auch bis in die Vorberge des Himalaya, in Kangra (aus-
serhalb des Rahmens der Karte) reicht der Name der Dschats
(Ebendas., II, p. 1074) und westlich vom Indus bis in die Berg-
pässe, durch die man auf die Hochebene von Kelat emporsteigt,
herrscht die Dschat-Bevölkerung vor (Ebendas. VI, I, p. 173).
Auch die Bewohner der nördlichsten Klippenzüge des Vindhya-
(d. h. durchbrochenen) Gebirgs (von \^adh, spaltbar), einer Seits

Anmerkungeo.


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Etlmograpliie. 35

bis Marwar, andrer Seits über B'aratupura (Bhurtpur) bis zur Ja-
muna (Dschumna) bestehen aus Dscbats, die aus Multan hierher
gedrungen. (Ebendas. IV, 1, p. 575.) _ (Lassen, Zeitschrift für
die Kunde des Morgenlandes, 1841, III, p. 209. Ind. Alterthums-
kunde I, p. 114, 115; p. 397—400.) _ Nicht in Sindh, wie man
wol gesagt hat, sondern in Gudscherat sind die im Auslande le-
benden Handelsleüte,
Sanyos, Banyanen, zu Hause, welche ihr
Idiom, das Gudscherati, diese Handelssprache der indischen Märkte,
über einen grossen Theil von Südasien, selbst auf die Ostküste
von Afrika verbreitet haben, wo die Nachkommen der ersten An-
siedler die Sprache ihrer Väter fortwährend sprechen und schrei-
ben.
{Hamilton's Bindostan, Vol. I, p. 612.)

10 (p. 27.) Wie in allen Gränzbezirken, wo Völker verschie-
dener Rasse zusammenstossen, eine Mischung eintritt, so findet
man auch in den östlichen Gegenden von Bengal, namentlich im
Distrikt Sylhet, dass die Einwohner Spuren eines indo-chinesi-
schen Ursprungs ven-athen, obwol sie in Sitten und Gebrauchen,
wie in der Sprache vollkommen Bengalis sind. (Fischer,
Memoir
of Sylhet, Kaehar
u. s. λν. in Journal Soc. Beng. 1840, New

Series, No. 20, p. 837.)_In den Bergen von Aracan leben, am

Oberlauf des Flusses Mayu zwei Volksstämme, Namens KJieim-
ha-nago
oder Doing-nak und Merung, die Sprachen reden, welche
entfernt mit einander, aber durchaus nicht mit der Sprache der
Birmanen, neben denen sie Avohnen, verwandt sind. Sie sprechen
ein verderbtes Bengali, und in der That für beide Stämme Ben-
galis, die in früheren Zeiten von den Birmanen zu Gefangenen
und zu Sklaven gemacht wurden.
(Phayre, Account of Arakan, in
Journ. As. Soc. Beng. 1841, N. S. No. 33, p. 683, 684.) _ Die
Bengalische Sprache hat ihr eigentliches Gebiet weit überschrit-
ten; sie ist in Assam unter ganzen Volksstämmen in Gebrauch
und selbst zu Völkern, die man für indo-chinesischen Ursprungs
hält, vorgedrungen. So hat sie bei den Katschharis oder Eang-tsa
die Landessprache, die nicht geschrieben wird, in allen Geschäf-
ten, bürgerlichen, amtlichen und commerziellen, seit Jahrhunder-
ten in den Hintergrund gedrängt
{Fisher, Memoir of Sylhet, u. s.
w., a. a. O. p. 830; Berghaus' Atlas von Asia, No. 9, Memoir

von Assam, p. 93)._ Ganz ebenso verhält es sich bei den Khyi

und Garos, bei denen die Bengalische Sprache, bei den letztern
auch die assamische, gang und gäbe ist. (Berghaus, a. a. 0.,
p. 65. 82.)

11 (p. 27.) Das Bengalische und Assamische stehen sich ein-
ander so nahe, dass vier Fünftheile der Wörter in beiden Spra-
chen völlig gleich sind; dazu kommt, dass sie in der Declination
und Conjugation eine auifallende Aehnlichkeit mit dem Latei-
nischen und Griechischen und mit diesen beiden Sprachen eine
grosse Menge Wörter gemeinschaftlich haben. Die Zahlwörter
sind augenscheinlich aus derselben Quelle geflossen, wie die grie-
chischen.
(Brown, Comparison of Bengali, Asamese and Indo-Chi-
nese Languages,
in Journ. As. Soc. Beng. 1837, No. 72, p. 1024.)

_ Das Assami ist übrigens nicht zu verwechseln mit der alten

Sprache der Assamer, dem Aham oder Ahom, einem Zweige
der monosyllabisehen Thai-Sprache. Diese Ahom-Sprache ist
aber fast ganz erloschen und wird in Assam nur noch von den
Priestern, als alte Sprache ihrer Religion kultivirt. Bemerkens-
werth ist es, dass das Ahom fast gar kein Thai-Wort an das
sanskritische Assami abgegeben hat. Von allen Mundarten der
Thai-Sprache kommt dieses Ahom mit dem eigentlichen Siame-
sischen, wie es am Meerbusen von Siam gesprochen wird, am
meisten übercin; es bestehen in der That nur Verschiedenheiten
in der Aussprache. (Brown, a. a. 0., 1837, No. 61, p. 19.) _
Das lange, tief eingefurchte Thal von Assam ist übrigens der
Tummelplatz der manchfaltigsten Völker, Sprachen und Dia-
lekte; drawidische, tübetische und indo-chinesische Mundarten
laufen in den sanskritischen Dialekten des Assami und Bengali
friedlich nebeneinander her. (Berghaus, a. a. 0., p. 64; Chr.
Lassen, Ind. Alterthumsk. I, p. 456 ff.)

12 (p. 27.) Es ist noch eines Wander-Volks Erwähnung zu
thun, welches, über einen grossen Theil der Alten Welt zer-
streüt, zu den manchfaltigsten Vermuthungen über seinen Ur-
sprung Anlass gegeben hat, bis Indien als seine wahre Heimath
erkannt worden ist. Ich meine die Roma, d. h.: Männer, wie
sich das Volk selbst nennt, oder die Zigeüner, wie wir sie
nennen; die
Zingano, Zingaro der Italiäner; Cygan der Polen,
Russen und andern Slawen; (wahrscheinlich abgeleitet vom per-
sischen Wort
Zengi, Plur. Zengian=Aethio^ier)·, die Pharao ne-
pek,
d. h,: Pharaonische Leüte, der Magyaren; die BoMmiens
der Franzosen; Gypsies der Engländer; gitanos der Spanier; die
Kara-tschi (türkisch), d. h.: Schwarzes Volk, und Ssiah Hindus,
d. h.: schwarze Hindus der Perser u. s. w., u. s. w. Was die
Sprache dieser irrenden Flüchtlinge anbelangt, so „tragen die
stammverwandten eüropäischen Sprachen ihr Verhältniss zum
Indischen aus der ältesten Sprachperiode; das Zigeünerische da-
gegen das seine aus einer Zeit, wo der antike, in sich abge-
schlossene Bau des Sanskrit schon verfallen war". (Fr. Bopp in
den Berliner Jahrb. der wissensch. Kritik, 1836, No. 39.)

13 (p. 27.) Unter den vielen Namen, womit die Inder ihr Va-
terland bezeichnen, ist in ihren kosmographischen Schriften
Dschambu dvipa, d. i.: Dschambu-Insel (nach dem, zur Familie
der Myrtaceen gehörigen Avegen seiner essbaren Früchte ge-
schätzten und in ganz Indien vorkommenden Dschambus-Baum,
Eugenia Jamhos L. genannt) einer der ältesten, und gültig für
alles Land, wo Brahma herrscht. Die Erinnerung an den alten,
allgemeinen und historisch bedeütsamstcn Volksnamen Arya,
Ar ja, Arier (siehe oben p. 2) blieb aber bestehen und trug
sich auf das Land über, welches der eigentliche Sitz der Hindus
ist, und, vom Himalaya und dem Vindhya begränzt, zwischen
beiden Meeren liegt. Dieses Land heisst in brahmanischen Schrif-
ten
Arja-varta, Bezirk der Arier, in buddhistischen Arja-dessa,
Land der Arier. (Benfey, „Indien", a. a. 0., p. 4; Chr. Lassen,
Ind. Alterth. I, p. 5_9; p. 140.) Ihm entgegengesetzt ist der

Süden der Halbinsel, der in den heutigen Volkssprachen Dek-
han (bei den Engländern
Dekan, Deccan, zuweilen auch Dekhin)
heisst, vom Sanskrit dakshin'a, eigentlich δεξιός, dexter, im Pali
dahkhin'a, im Prakrit dakkhina und dakina, im Hindi aber als
Adjectiv
dakshin'a und dahina, „Rechts^', als Substantiv Daks-
hin'a
und Dakhana „Süden" (Pott, „Indogermanischer Sprach-
stamm", a. a. 0., p. 29); daher
Dakshin'a Dessa, Land zur
Rechten (vom Aufgang der Sonne, also Süden); auch
Dakshin'a
Patha,
d. h.: südlicher Pfad; Plattdeütseh; Pat. (Vergl. Lassen,
a. a. 0., p. 78, Note.)

14 (p. 28.) Zur geographischen Begränzung des Brahuiki hab'
ich benutzt:
Leech, Epitome of α Grammar of the Brahuiky, the
Baloochky and the Panjabi Languages (Journ. of the As. Soc. of
Bengal,
1838, No. 78, p. 538_556; No. 79, p. 608_62l). _
Lassen, die Brahui und ihre Sprache (nach Pottinger, Masson
und vorzüglich nach Leech, in Zeitschr. für die Kunde des
Morgenlandes, Bonn, 1844, Bd. V, p. 327^409, und dessen Ind.
Alterth. I, p. 386 _ 388; _ vergl. Weigle, über Canarische
Sprache und Literatur, Zeitschr. der deütsch. morgenländ. Ge-
sellsch., Leipzig, 1848, Bd. II, p. 260). Nach Leech geht bei
den Brahuis die Sage, dass sie vor zwanzig Menschenaltern
unter Anführung eines Haüptlings, Namens Kambar, aus Halab
(Aleppo) ausgewandert seien. Auch Hart gedenkt dieser Tradi-
tion
(Journal of the J.s. Soc. of Bengal, 1841, No. 150, N. S.
No. 26, p.l36_138). Ihr zufolge sind die Brahui - Stämme die
Nachkommen von ,.Braho", einem Bulooche, der im 2'βιι Jahr-
hundert der Hedschra (dem 9teii nach Chr.) von Aleppo nach
Mekran auswanderte, und später in Koliva, ein Paar Ta-
gereisen westlich von Kelat, seinen Sitz aufschlug. Kelat war
damals von den Tadsehiks bewohnt, die unter einem Hakim
(Gouverneur) von Herat, dem Sitze des souverainen Oberhaupts,
standen, und als ein unruhiges Volk bekannt waren, das die
drückenden Fesseln des Herat-Jochs abzuschütteln trachteten.
Die Kelater wählten zu diesem Endzweck den Braho zu ihrem
Oberhaupte. Dieser aber lehnte die Wahl ab und schlug seinen
jüngsten Sohn, mit Namen Kumbur (Kambar) vor, der dann
auch von den Kelatern angenommen und als ihr Oberhaupt an-
erkannt wurde. Dieser Kumbur unterwarf alle Mogul- (Türk-)
und Balooch-Stämme in der Nachbarschaft von Kelat und seine
Nachkommen brachten im Lauf der Zeit ganz Mekran und
Nord-Kunchee (wo?) unter ihre Herrschaft. Braho hatte sieben
Söhne, von denen sieben Stämme entsprungen sind, die die ech-
ten Brahuis bilden. Diese aber haben eine Menge anderer Volks-
stämme sich unterthan gemacht, die nun sämmtlich unter ihrem
Namen zusammengefasst werden, und möglicher Weise jetzt auch
ihre Sprache reden. Hart theilt eine tabellarische Uebersicht
mit, der zu Folge die Brahuis in die zwei grossen Stämme Sa-
raban, oder „zur rechten Hand" und Jhalaban, oder „zur
linken Hand" zerfallen, und davon jener acht, dieser sechs Ab-
theilungen enthält. Von diesen vierzehn Horden wird nur eine
einzige als wirklich Brahui angegeben, nämlich die Horde Zugur
Mengal, die in Nuschky wohnhaft und 1000 Familien stark ist.
Alle übrigen Horden sind Fremde, vorzugsweise Baluken und
Moguls, (was nach dem in Indien üblichen Sprachgebrauch,
offenbar Türken sind). Die stärkste Horde, aus 30,000 Familien,
beilaüfig 150,000 Köpfen, bestehend, heisst Mahommed Haoos-
ainee, gehört zum Stamme Jhalaban, ist mogulisch, und hat ihren
Sitz in Koh poosht, d. h.: Berg-Steppen. In Mustang sind, nach
Hart, ebenfalls Brahuis von Balukischem und Türkischem (Mo-
gul) Stamme. Hier leben also Tadsehiks, Sindbis und Brahuis
(auch wol Baluken und Afganen) zusammen. Ueber die ethno-
logische Stellung der Brahuis bemerkte Dr. R. G. Latham in
der 2ist
Meeting of the Brit. Assoc. for the Advanc. of Sc., dass
Lassens Vermuthung, die Sprache dieses Volks habe eine ge-
wisse Affinität mit den tamulischen Idiomen, durch neüere That-
sachen ausser Zweifel gesetzt, und jetzt nur noch die bemer-
kenswerthe Vereinzelung dieses Astes und seine räumlich grosse
Absonderung vom Hauptstamme ein Gegenstand der Forschung
sei. (Athenaeum, 1851, Juli 19, No. 1238, p. 783).

15 (p. 29.) B. H. Hodgson, On the Ahorigines of Central-India,
im J(ournal of the) A(siatic) S(ociety öf) B(engaX). Nov. 1848.
Vol. XVII, part II, p, 550. Mehrere dieser Berg- und Waldbe-
wohner des Innern von Indien sind dunkelfarbig, weshalb man
sie fiir pelasgische Neger, und wegen Aehnlichkeit einiger Ge-
braüche mit Hinderindischen für Indo-Chinesen gehalten hat.
Urtheilt man aber nach dem, was die neüesten Untersuchungen
über ihre Sprachen ermittelt haben, so unterliegt es keinem
Zweifel, dass alle diese Volksstämme, (welche Chr. Lassen unter
dem Gesammt-Namen Vindhya-Stä,mme zusammenfasst — Indi-
sche Alterthumskunde, I, p. 366_384) nur als rohe, vor der
brahminischen Kultur entflohene Drawidas zu betrachten sind.
Die Literatur der Quellenschriften über die „Aboriginer" ist
zwar sehr reichhaltig, besteht aber aus einer Menge einzelner
Abhandlungen, Aufsätze und Einschaltungen in grösseren Wer-
ken und Sammelschriften, aus denen sie mühsam herausgesucht
werden muss. Die folgende Nachweisung ist ein Beitrag zur
Uebersicht dieser Literatur, die immer wichtiger wird, je mehr
man in der Kenntniss der „Urbewohner Indien's" vorschreitet. _
Allgemeines:
Elphinstone, Eistory of India Vol. I. Dessen Auf-
satz:
On British Territories in-the Deccan, in Selection from the
records at the East-India House,
Vol. IV; Auszug im Asmiic Jour-
nal,
Vol. ΧΧΠΙ, London, 1827, p. 613 ff. _ Reg. Heher, Nar-
rative of α Joumey through India,
Vol. I, II. _ Walter Hamilton,
Description of Bindostan,
Vol. I, II. _ W. H. Sykes, On the
Land Tenures of the Dekkan,
im J{ournal of the) R(oyal) A(siatic)
S(ociety),
Vol. II, London, 1835, p. 205 _ 233. _ Briggs, On the
Aboriginal Trihes of India,
im RepoH oj^ the llth. Meeting of
the Brit. Assoc. for the Advaneement of Science, held at Oxford in
June 1847.
London, 1848, part. II, p. 118. _ Ueber die Bhiels
u. s. w.:'
Malcolm, Memoir of Central India, Vol. I, II._ Dessen


-ocr page 37-

36 Achte Abtlieilung.

Essa^ On the BMlls, in T(ransactions) R. A. S. I, p. 68. __ Tod,

Annah and Antiquities of Rajasihan , Vol. I, II. _ J. Forhes,

Oriental Memoirs, Ed. London, 1813, Vol. II, III. _ W. Hunter,
Report on sorae of the Rights, Privileges and TJsages of the Hill-
Fopulation in Meywar,
im J. R. A. S. Vol. VIII; dazu Robertson,
Miscellaneous Remarks on the character a7id the Ciistoms of the Bhils,

im App. II. _ Th. Coats, Account of the present state of the

township of Lony, in Trans, of the Bombay Litterary Soc. Vol. III.
_ John Wilson, Account of the Waralis and Katodis, two of the
Forest-Tribes of the Northern Konhan,
im J. R. A. S., Vol. VII. _
TicJcell, Memoir on the Hodesum [i. e.: Ho Besha, Ho-Land], im-
properly called Kolehan,
im J. A. S. B. 1840, Vol. IX, p. 694 iF.

_ Dessen Grammatikal construction of the Ho Language, a. a. 0.,

p. 997_ 1007. _ Dessen Vocahulary of the Ho Lang., a. a. 0.,

p. 1079— 1088. _ Dessen Supplementary Note to the Memoir on

the Hodesum, a. a. 0., Vol. X, p. 30. _ Dessen Notes on the
Bendkar, α people of Keongur,
a. a. 0., Vol. XI, p. 205. _ Ueber
die Tudas u. s. w.:
H. Harkness, Description of α singular ab-
original Race inhabiting the summit of the NeUgherry Hills or Blue
Mounts of Coimbatore.
London, 1832. _ J. Hough, Letters on the
Climate, Inhabitants, Productions of the Neilgherries.
London, 1829.

_ S. Young, Acc. of the general and medical Topography of the

Neelgherries, in Trans, of the Medical and Fhysical Society of Cal-
cutta.
Calc., 1929, Vol. IV, p. 36— 78. _ R. Baikie, Observ. on
the Neilgherries. Ed. by W. H. Smoult.
Calc. 1838. _ Rev. Dr. Ste-
venson, Collection of words from the language of the Todas, the chief
Tribe of the Nilgherri Hills,
im Journal of the Bombay Brauch
R. A.
's. Vol. I, p. 155 ff. _ Weigle, über Canaresische Sprache
und Literatur, in Zeitschrift der deütsch. Morgenland. Gcsellsch.

II, p. 259. _ Francis Buchanan (Hamilton), Journey from Madras

throuyh the countries of Mysore, Canara and Malabar u. s. w.
London, 1807 (ein Hauptwerk für die Kenntniss der Pandsch-
Drawida.) _
Newbold, the Chenchars, α wild Tribe, inhabiting the
Forests ofthe Eastern Ghauts,
im J. R. A. S. Vol. VIII, p. 271 if. _
Ueber Gondwana, die Gonds und Khonds u. s. w.:
On
Gondwana,
im Asiatic Observer, Calcutta, abgekürzt im Asiatic
Journal,
1825, Vol. XX, p. 18 ff. _ J. J. Blunt, Narrative of α
Route from Chunaghur to Yertnagoodum in the Ellore Circar,
in
Asiatic Researches, Vol. VII, p. 50 _ 169. _ Vocahulary of Goand
and Cole-Words, from Dr. Voysey's MSS.,
in As. Res., Vol. XIII,
p. 19 ff. _
Stirling, Account of Orissa, in As. Res., Vol. XV,

p. 207 ff. _ 0. Manger, Specimen of the language of the Goands

as spähen in the distr. of Seonee, Chuparah, compising α Vocahulary,
grammar
u. s. w., in Res. Vol. SV, p. 286 ff. — Frender-
gast, On the Bhindenoars,
in Bengal Annais, 1831, daraus im
Journ., 1831, N. S. Vol. V, p. 161. ff. _ Macpherson, Acc. of
the religious opinions and observances of the Khonds of Goomsur
und Baad,
im J. R. A. S. VII, p. 172 ff. _ Kittoe, Journey
through the Forests of Orissa,
im J. A. S. B. Vol. VIII, p. 371 ff.
_ March hetweeri Mhaw and Saugor, a. a. 0., p. 819. _ Walter
Elliot, Observations on the language of the Goands, and the identity
of mäny of its termes with words now in use in Telinga, Tamil
and Canarese,
in Res. Vol. XVI, der wichtigste Beitrag zur
Keiintniss der rohen Gebirgsstämme, weil darin die Ueberein-
stimmung des grammatischen Bau's ihrer Sprache mit den Spra-
chen der drawidischen Kulturvölker nachgewiesen ist. _ Ueber
die Paharias:
Fr. Hamilton (Buchanan), Eastern India, Ed. by
Montgomery Marion,
Vol. I, II. _ Shaw, Report on the Paharias,
in As. Res. Vol. IV, p. 127 ff. _ Roberts, on the Language of
the Puharris
in As. Res. Vol. V, p. 127 ff.

16 (p. 29.) Als nördlicher Fuss des Himalaja lässt sich nur
das Längen-Thal des grossen Flusses von Tübet (Yaru zangbo
tsiu) ansehen; denn bis dahin folgen Bergketten auf Bergketten
^A. de Humboldt, Asie centrale, T. II, p. 438), die mehr oder
minder alle mit dem Gebirgskamme parallel zu streichen schei-
nen und zwischen denen breite, offene Thäler mit schroffen zacki-
gen Thalwänden ziehen. (Jos. D. Hooker, in Berghaus geogr.
Jahrbuch, 1851, III, p. 43.). Mit diesem iJordabfall erweitert
sich die Breite des Indischen Hochgebirgs bis auf 35 oder 40
deutsche Meilen, was mit der Breite der europäischen Alpen
zwischen dem Walchen-See und dem Südende des Garda-Sees
übereinstimmt.

17 (p. 30.) Die grosse Schneegebirgskette, die Indien auf der
Nordseite begränzt, ist, wie B. H. Hodgson bemerkt, zu allen
Zeiten unter Namen bekannt gewesen, welche aus dem Sanskrit
entlehnt sind; denn die Griechen und Eömer haben weder neue
Namen gebildet, noch den Sinn der Sanskrit-Benennungen in
ihre Sprachen übersetzt, sondern sie fast unverändert so ange-
nommen, wie sie dieselben vorfanden. Diese sind:
Himachal,
Hima-achal,
Schneeberg; ERmadri, Hima-adri, bedeütet das näm-
liche;
Himalaya, Hima-alaya, Ort des Schnees, (aus Himavat,
Schneereich, entstand Ima-us)·, Hemodaya (davon Emoti montes),
Hima-udaya,
Quelle des Schnees, oder Ort des Erscheinens des
Schnees, wie
Suryodaya, Ort des Erscheinens der Sonne, d. i.:
Osten (Berghaus, Jahrb. 1851, III, p. 37. Vergl. Chr. Lassen,
Ind. Alterthumsk. I, p. 17 Note).

18 (p. 31.) Von den Bhotijahs und den Murmis steht es fest,
dass sie aus Tübet ausgewandert sind und ihre Sprache und ihre
Religion, die Budhistische, seit ihrer Ankunft im cjsnivischen
Sub-Himalaya ohne Aenderung beibehalten haben. Die Murmis
werden von den Bhotijahs und Lepchas in Nipal und Sikkim
Nischung genannt, weil sie bei ihrer Emigration aus zwei Stäm-
men oder Familien bestanden haben, davon die eine in der tü-
betischen Provinz Nimo, die andere im Distrikt Shung oder
Chung zu Hause war; daher die zusammengezogenen Namen
Nishung. Noch jetzt sind die Murmis in ihrem trapsnivischen Va-
terlande sehr zahlreich. _ Auch die Lepchas sind Buddhisten.
Sie theilen sich in zwei Bassen: Eong und Kham-ba. Die ech-
ten Lepchas oder Eong haben keine Tradition über ihr erstes
Erscheinen im cisnivischen Sub-Himalaya, innerhalb dessen sie
sich auch in Bhotan bis zu einer unbekannten Ferne erstrecken.
Die Kham-ba aber stammen ans Kbam, der östlichsten Provinz
von Tübet und rechnen sieben Mcnschenalter, also ungefähr
zweihundert Jahre seit ihrer Einwanderung in den cisnivischen
Sub-Himalaya. Die Lepchas, ein einfaches, anziehendes und be-
zauberndes Volk, halten sich in Sikkim in Höhen von 2800 bis
5600 Fuss auf, verweilen aber niemals lange an einem und dem-
selben Orte. Dem Dämonen-Dienste sind sie schlimmer, als die
Bhotijas ergeben. Sie sprechen einen ganz eigenthümlichen Dia-
lekt der Tübetischen Sprache. _ Sikkim hat, ausser dem Lep-
chas u. s. w. transnivische oder eingeborne Tübeter, in vielen
Stämmen und cisnivische Bhotijahs, welche ihren transnivischen
Ursprung anerkennen, zu Bewohnern; und diese Cishimalayaner
sind: Salzhändler von Nipal, in der obern Region, in Höhen
von 6500 bis 13,000 Fuss; sodann Sikkim - Bhotijahs, welche
Ackerbauer sind und niemals über 5600 Fuss Höhe wohnen;
und endlich Lamas, welche aus Tübet einwandern und in Sik-
kim den Gottesdienst versehen. _ Was die Limbus betrifft, un-
ter denen die Kirantis
(Kerautis, Kiratas) und die kleineren
Stämme der Hayus und der noch nicht genannten lakas mit be-
griffen werden, so ist man über deren Abkunft nicht im Klaren.
Als ihr echter Name wird Ik- oder Jak-thom-ba angegeben und
davon ist Limbu eine verderbte Aussprache durch Zusammen-
ziehung der Sylben. Nun heisst es einer Seite, dass diese Ab-
theilung der Sub - Himalayaner sich als Urbewohner in ihren
gegenwärtigen Wohnsitzen betrachten, andrer Seits aber, dass
einige Limbus ihre Abstammung ans China herleiten und wie-
der andere ihr ursprüngliches Vaterland in die tübetische Pro-
vinz Chung, etwas südlich von H'lassa, setzen. Darum heissen
sie auch bei den Lepchas Chong, was eine Corruption jenes
Provinznamens ist. Nach Campbell's Meinung gehören sie ge-
wiss zum mongolischen Menschenschlage (in Blumenbach's Sinne).
Sie spalten sich in zwei grosse Stämme: Hung und Rai, jener
aus 21, dieser aus 28 Horden bestehend. Von ihren Religions-
formen weiss man nichts Genügendes und von ihren Mundarten
wird gemuthmasst, dass sie weder auf die indische, noch auf die
tübetische Schriftspräche bezogen werden können.

19 (p. 31.) Den Tarai-Bewohnern sind noch die Batur, Ke-
brat, Amath, Thawa, Maraha, Dhanuck u. s. w. hinzuzufügen.
Gehen sie ausserhalb ihres Sumpf- und \Vald-Landes, so spre-
chen sie Hindi - Dialekte und stellen sich als Brahmadiener an.
Am besten bekannt sind die Metchis. Sie wohnen mit dem ver-
bündeten Stamm der Dhimals, einigen Thawas, Garos und Kooch
(Bengalis aus dem Distrikt Kutch-Bihar) im Tarai, zwischen
dem Brahmaputra und dem Kunki-Flüsse, der etwa im Meri-
diane von Khatmandu aus dem Nipalesischen Gebirge hervor-
tritt, auf einer Längenausdehnung von mehr als 60, bei einer
Breite von 3 bis 4 deütschen Meilen. Sie stehen unter der Herr-
schaft von Nipal, Sikkim und Bhotan. Sie erstrecken sich auch
längs der nördlichen Gränze von Unter-Assam bis an den Mo-
nas, und leben selbst in diesem Lande unter der übrigen, so
manchfaltigen; als polyglottischen Bevölkerung. Niemals schlagen
die Metschis höher als 800 bis 1000 Fuss über dem Meere ihren
Wohnplatz auf. Sie sind nicht Brahmadiener. Ihre Sprache, die,
wie schon erwähnt, zum drawidisch - tamulischen Stamme gehört,
ist mit Bengali und Hindi stark gemischt.

20 (p. 31.) Die ganze Darstellung der himalayanischen Eth-
nographie stützt sich auf die gründlichsten Untersuchungen und
lichtvollen Schriften von A. Campbell und B. H. Hodgson (von
denen ich schon im geogr. Jahrbuch, 1851, III, p. 26, 36 ff.
das meiste mitgetheilt habe), und denen Jos. D. Hooker Einiges
hinzugefügt hat. Man vergl..·
On the Languages, Literature and
Religion of Nepal and Bhot,
in As. Res. Vol. XVI, p. 409 _ 449.
Calc., 1828; vergl.
Journ. asiatique, Nouv. sirie, 1830, T. VI,
p. 81 — 119, p. 257 — 279, mit Anmerkungen. _ J.
A. S. B.
1839, No. 92, p. 623 ff.; _ 1840, New Series, No. 16, p. 380;
No.
18, p. 595 ff.; _ 1842, No. 37, p. 4 ff. _ Ebendasölbst,
1847, Decbr., N. S. Vol. XVI, part 2, p. 1235. _ 1848 June,
p. 544 ff. _ 1849, Aug. (besonderer, von Hodgson handschrift-
lich verbesserter Abdruck, Mittheilung an A. von Humboldt). _

Berghaus' geogr. Jahrb. 1850, I, p. 4, 5. _ Einige andere Mo-
natshefte des Journals der asiat. Ges. von Bengal (wird in Cal-
cutta gedruckt), in denen Hodgson über die ethnischen Verhält-
nisse des Sub-Himalaya spricht, hab' ich mir nicht verschaffen kön-
nen. Zu vergleichen ist auch
Fr. Hamilton, Account of the Kingdom
of Nepal.
London, 1819.

21 (p. 32.) Diese Ansicht von der Urheimath der Mran-ma,
die man bisher in Aracan, unter den Rükheng gesucht hat,
rührt von dem Kapt. Gordon her; man sehe
R. Brown, Com-
parison of Jndo-Chinese Languages
in J. A.,S. B. 1837, No. 72,
p. 1028, 1029. — Ueber die geographische Verbreitung der
Moan oder Mon vergl. man
Low, History of Tenasserim, im J.
R. A. S.,
Vol. IV, p. 42, und Hetfer's Report (s. unten Note 25).

22 (p. 33.) Obwol die Nagahs und Kukies in ihrer aüssern
Erschemung, wie in den Sitten nicht unwesentlich verschieden
sind, _ die Kukies sind viel roher, als die Nagahs, und gelten
sogar, _ nicht mit Unrecht, für Cannibalen, wiewol sie diese An-
schuldigung mit „grösster Heftigkeit"
(much vehemence) abweisen
{Fisher, Memoir of Sylhet Kachar, in J. A. S. B. 1840, No. 20,
p. 837); auch die Nagahs sind wahrscheinlich zeitweise Anthro-
pophagen (Berghaus, Atlas von Asien; Memoir zur Karte No. 9,
Assam, p. loi) _ so glaubt man doch sie associiren zu können;
denn die Nagahs leiten ihren Ursprung von den Katschharis ab
und setzen ihre früheren Wohnsitze weit jenseits des Doyang-
Flusses
(Grange, Journ. of an Expedition into the Naga Hills, im
J. A. s. B. 1840, N. S. No. 22, p. 957), während die Lung-khies,
am Oberlauf des Kola-dan, nach einer ähnlichen, bei ihnen herr-
schenden Sage, von einem, weit gegen Nordost liegenden Lande
ausgewandert sind, welches sie Tsein-du, Shin-du oder Hlaing-
ji-u nennen, und dessen Sprache sie gegen eine andere, von der

J


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Etlmograpliie. 37

Original-Spraelie jedoch wenig abweicliende Mundart vertausclit
haben. Mit den Tsein-dus, deren Land 15 Tagereisen lang und
von 13 Stämmen bewohnt sein soll, stehen die Lung-khies
noch immer in Verkehr. Dieses Land scheint aber kein anderes
als Katschhar sein zu können. Das Wörter-Verzeiclmiss aber,
welches wir durch den Lieutenant Phayre vom Idiom der Lung-
khies empfangen haben, zeigt augenscheinlich, dass dieses Idiom
ein Marama-Dialekt ist; und wir dürfen daher schliessen, dass
auch die Katsehharis zu diesem Sprachstamme gehören. Was
nun aber die Sprache des zuletzt genannten Volks betrifft, so
ist dieselbe nie zur Schriftsprache ausgebildet, und durch den
seit Jahrhunderten eingeführten Gebrauch des Bengali so sehr
in den Hintergrund gedrängt worden, dass man sie zu Unter-
suchungen über den Ursprung des Volks kaum wird benutzen
können
{Fisher, a. a. 0., p. 830). Nach altern Nachrichten soll
sie von der Manipur-, also von der Marama-Sprache ganz ver-
schieden sein und keine Verwandtschaft mit den Idiomen der
angränzenden Bergvölker zeigen
(Hamilton, Account of Asam,
in den Annais of Oriental Literature, 1820, Vol. I, p. 265. Berg-
haus,
a. a, 0., p. 93), eine Angabe, der jene Tradition entge-
gensteht. Der Name Katschhar, Kachhar, Kachar ist übrigens
neiiern Ursprungs; der eigentliche Name ist Rang-tsa, und so
nennt sich das Volk selbst noch jetzt
(Fisher, a. a. 0., p. 829).
Bei den Hindus heisst es
Hairamha, Hirumhha, bei den Birmanen
Ak-lca-bat, bei den Assamern Cozali (Berghaus, a. a. 0., p. 92,
93, wo die Quell-Angaben nachgewiesen sind). Dem Namen
nach Theils Brahmadiener, theils Anhänger des Propheten, was
sie in verhältnissmässig neüerer Zeit geworden sein müssen, ist
bei den Rang-tsa das Gedächtniss an ein älteres Religionssystem
noch nicht erloschen, und dies System weist auf die Dogmen
des Confucius, daher ihren Ursprung auf China hin. In der That
erkennen die Rang-tsa eine Einwanderung in ihre gegenwärtigen
Wohnsitze an; das Land aber, von wo sie hergekommen sein
wollen, setzen sie weit in den Nordosten von China
(Fisher,
a. a. 0., p. 829, 832). Die Rang-tsa sind übrigens nicht auf
Hairamba beschränkt, sondern leben in grosser Menge in Assam
und im bengalischen Distrikt Tipperah
(Tripura), der sich längs
des Gomut-Elusses erstreckt
{Fisher, a. a. 0., p. 829). Die Na-
gahs sind mit den Katsehharis oder Rang-tsa vielfach gemischt
und haben mit diesen hin und wieder viele Aelinlichkeit, je nach
den Stämmen, deren es eine grosse Menge gicbt, und davon
jeder seine besondere Mundart spricht. Sie leben unter einander
in einem beständigen Kriegszustande. Ueber ihre Religion giebt
es die verschiedensten Lesarten; während nach der einen gar
keine Form einer religiösen Anbetung vorhanden sein soll, ob-
wol das Dasein eines höchsten, jedoch bösen, Geistes anerkannt
wird
{Berghaus, a. a. 0., p. 101), beschränken sich Nagahs und
Kukies, nach der andern Lesart, auf allgemein supersticiöse Ge-
brauche
{Fisher, a. a. O., p. 836). Eine dritte Lesart legt ihnen
den Glauben an drei Götter bei, denen verschiedene Thiere zum
Opfer gebracht werden
(Orange, a. a. 0., p. 951, 963).

23 (p. 33.) Gützlaff bemerkt von den Singphos: „their Laos
origin is evidently proved hy the similarity in language (Journal of
the Roy. Geogr. Society,
London, 1851, Vol. XX, p. 193). Die
Sprachproben aber, die wir vom Singpho-Idiom durch den in
Sodiya (Ober-Assam) stationirt gewesenen Missionair N. Brown
erhalten haben, weissen nach, dass der vierte Theil der gesam-
melten Wörter mit den entsprechenden Wörtern im Manipuri-,
dem Central Tangkhul-, und dem Dialekt der eigentlichen Ma-
rama korrespondirt, während das Zahlen-Verhältniss der Aehn-
lichkeit mit den Sprachen der benachbarten anderen Völker
weit geringer ist and sich zersplittert. Die Sprache des Dschilies
(Jilis) kann mir als eine Mundart des Singpho angesehen wer-
den, denn sieben Zehntheile der Wörter sind in beiden Spra-
chen die nämlichen.
(Brown, Gomparison of Indo-Chinese Languages
in J. A. S. B. 1837, No. 72, p. 1027, 1037. Vergl. Lassen,
Zeitschr. für die Kunde des Morgenlandes, III, p. 176.) Die
Sprache des Kaphok- und mehrerer anderer kleiner Volksstämnie
in den Umgebungen von Mantschi, ist mit dem Singpho ver-
wandt, doch aber so verschieden, dass sich beide Parteien nicht
leicht verständigen können (doch wol nur dialektische Ver-
schiedenheit), aber keine von diesen Mundarten steht mit dem
Khamti oder Tha'i in Zusammenhang
{Berghaus, a. a. 0., p. 165,
166). Und was endlich das Garo betrifft, so hat es, wie die
Sprachpxoben beweisen, die grösste Aehnlichkeit mit dem Sing-
pho, Dschili, den manipurischen Dialekten und dem eigentlichen
Marama selbst; dennoch gewähren die Sprachproben nicht Ma-
terial genug zur Entscheidung der Frage, ob das Garo eine ein-
sylbige oder mehrsylbige Sprache sei. Wahrscheinlich ist letz-
teres der Fall.
{Brown, a. a. 0., p. 1028, 1037.)

24 (p. 33.) Die Khiaen oder Khyen, Khyengs, deren Wohn-
sitze in Arakan und im Gebiet des Flusses sind, welcher nach
ihnen den Namen
{Khiaen duaen, Khieng.dan, d. h.: wol Fluss-
Quelle?) führt, haben die Tradition, dass sie die unmittelbaren
Nachkommen einiger Flüchtlinge aus Birma oder der Trümmer
eines Heeres seien, welches bei seinem Vordringen gegen We-
sten in den Gebirgen von Arakan seinen Untergang fand. Phayre
glaubt, dass die, aus einer frühern Heimath ausgewandert, die
unmittelbaren Vorfahren der heütigen
Ra-Khoing-thas (Rakhaing,
Rükheng) geworden, von denen es gewiss ist, dass sie zur Ma-
rama-Rasse gehören. Die Sprachproben bestätigen die Verwandt-
schaft der Khiaen mit den Marama, so wie auch der Kyo oder
Kyan, die einen kleinen, nur aus wenigen Familien bestehenden
Stamm, am Kola-dan, bilden. Pemberton hielt die Bergvölker
dieser Gegenden für Malayischer Abkunft.
(Phayre, Account of
Arakan,
in J. A. S. B. 1841, N. S. No. 33, p. 684, 701, 712.)
Jene Sage von der Abkunft der Khiaen wird von einem andern
Berichterstatter dahin erweitert, dass sie einet ganz Ava und
Pegu inne gehabt hätten.
{Tränt, Notice of then Khyen Trihe in-
hahiting the Yuma Mountains,
in Asiatic Researches, Calcutta,

PHYSIK. ATLAS ABTH. Λ^ΙΙ.

1828, Vol. XVI, p. 261 ff.) Ob die Kahhiaen , die zu beiden
Seiten des obern Saluen auf Siamesischem Gebiete wohnen, den
Khiaen zu coordiniren seien, scheint zweifelhaft, weil sie in Sit-
ten und Sprache von den ebengenannten Namens - Verwandten
ganz abweichen sollen
(Hamilton, in Edinburgh Philosophical Jour-
nal,
1820, Vol. Π, p. 269).

25 (p. 33.) Die Sprach-Verwandtschaft der Karian, Karins,
Karain oder Kadun, wie sie in Pegu heissen, mit den Marama
ist ebenfaDs von Brown nachgewiesen worden (a. a. 0., p. 1027,
1037). Mit dem Thai hat das Kariariische so wenig zu thun,
dass unter Hundert seiner Wörter nur acht mit siamesischen
Wörtern Aehnlichkeit haben. Man hält die Karian für die Au-
tochthonen der Halbinsel jenseits des Ganges, die alle politischen
und Völker-Revolutionen dieses Ländergebiets überlebt haben.
Ihr Aüsseres soll mongolischen Ursprung verrathen; die ameri-
kanischen Missionaire in Tenasserim halten s'e für Tübeter
(Low,
History of Tenasserim,
in J. R. A. S. 1835; Vol. II, p. 258;
Helfer, Report on the Tenasserim Provinces, in J. A. S. B. 1839,
N. S. Vol. VIII, p. 979, 984).

26 (p. 33.) Die ethnographischen Nachrichten über die Khyi
finden sich in Berghaus Atlas von Asia, Memoir zu No. 9, As-
sam, p. 82 ff·., woselbst die Quellenschriften genannt sind. Zu
diesen kommt noch
Fisher, Memoir of Sylhet, Kachai u. s. w. in
J. A. S. B., 1840, N. S. No. 20, p. 833_836. _ Ueber die
Silongs hab' ich meine kurzen Angaben aus Low
(History, a. a.
O., Vol. II, p. 260, 261) und aus Helfer
{Report, a. a. 0., p. 977,

986, 987) geschöpft. _ Der Zabaing gedenkt etwas ausführlicher

ein Berieht, der in der Calcutta Government Gazette vom 3. Mai
1827 erschienen, und von H. Wilson in seinem Werk
(Burmese
War, Appendix,
No. 21, p. XLIV) wieder abgedruckt worden ist.

27 (p. 33.) Die Sprachverwandtschaft der Aka, Abor, Mischimi
hat Brown durch die von ihm gesammelten Wörterlisten nach-
gewiesen
{J. A. S. B., 1837, Decbr. No. 72, Vol. VI, p. 1026,
1037). Keine dieser Sprachen ist zur Schriftsprache ausgebildet
worden CGriffiths im
J. A. S. B., 1837, Vol. VI, p. 332. Vergl.
Mc Cosh, Acc. of the Mountain Tribes on the extreme NE. Frontier
of Bengal
im J. A. S. B., Vol. V, p. 193). _ Die Muluks oder
Maluks lernte Wilcox auf seiner Reise von Sadiya nach Khamti
im J. 1827 kennen (Berghaus, Atlas von Asia, Memoir zu No. 9,
Assam, p. 161). _ Unerwähnt kann ich es nicht lassen, dass,
wie W. Robinson
(Accotint of Assam u. s. w., Calcutta, 1841), so
auch Brown den Dihong und
Yaru zangbo tsiu (d. h.: klarer
Fluss des Westens) für Eins hält, was um so benierkenswerther
ist, als derselbe lange Zeit als Missionair in Sodiya gestanden
hat, daher vorausgesetzt werden kann, dass er eine genaueie
Kenntniss von den Oertlichkeiten erlangt habe. Auch Bryan
Houghton Hodgson, der langjährige Bewohner von Khatmandu,
und Joseph Dalton Hooker, der unermüdliche Erforscher des
Sikkim-Hiraalaya, neigen sich zur Ansicht der Identität des gros-
sen Tübet-Flusses mit dem Dihong (Physikal. Atlas, III, p. 4),
eine Ansieht, die in Tübet selbst allgemein verbreitet ist (P.
Georgi
Alphah. Thibet. Romae
1762; p. 343) und auch den alten Indern
bekannt war (Chr. Lassen, Ind. Alterthumsk. I, p. 555). Gütz-
laff hält die von Klaproth verfochtene Hypothese der Chinesen-
aufrecht, indem er bemerkt: „Die Chinesen betrachten ihn (den
Yaru zangbo) für den grossen Speiser des Irawaddy und glau-
ben, dass eine Reise Λ'οη Lahdak nach Rangun auf dem Zangbo
dereinst möglicher Weise werde ausgeführt werden." Den Di-
hong bringt Gützlaff mit dem Maitsiu in Verbindung, den ich
(auf der Karte No. 14) nach Hodgson's Meinung, aus dem
Palte-See abfiiessen und in den Monas münden lasse. (Gützlaff,
Tibet and Sefan, in Journ. Roy. Geogr, Soc., London, 1851,
Vol. XX, p. 193, 199).

28 (p. 33.) Ueber die Kolitas hab' ich das, was von den Eng-
ländern in Ober-Assam mitgetheilt worden, schon im Jahre 1834-
bekannt gemacht (Atlas von Asia, Memoir zur Karte No. 9 von
Assam, p. 118, 126). Wegen der Nachrichten über Amboa n.
s. w. vergl. Gützlaff (a. a. 0. p. 225). _ Ich bedaui-e, dass ich
nicht im Stande gewesen bin, ein Werk zu benutzen, welches
über die nördlichen Gegenden von Hinterindien die gründlich-
sten und ausführlichsten Nachrichten enthält; es ist der _
Re-
port on the Eastern Frontiers of British India; Manipur, Assam,
Arracan
u. s. w. By Captain R. Boileau Pemberton, 44»ΐι ^N. I.
Calcutta, 1836; ich kenn' es nur aus einer kurzen Anzeige im

Joiwn. Roy. Geogr. Soc., London, 1838, Vol. VIII, p. 391_397.
* * *

Der Rahmen der Karte (No. 14) hat es nicht gestattet, die
aüssersten, gegen Nordwesten belegenen Glieder der langen Kette
der Arischen Volkerschaften nach ihrer geographischen Lage
und Stellung zur Anschauung zu bringen. Ich meine, ausser dem
nördlichen Theile des Gebiets der
PandschaU- oder Dschathi-
Sprache, und ausser dem Gebiet des Kaschmiri (oben S. 26,
Sp. 2, und S. 34, Note 9) die
Siah-posch Kafirs am Hindu Koh,
und die, in den Thälern am Mittellauf des Indus, unterhalb
Klein-Tübets, wohnenden
Dardus oder Dards, von denen H. Wil-
son die Bemerkung macht, dass es Λvenige Völker gebe, die sich
in einer und derselben Oertlichkeit so weit ins hohe Alterthum
verfolgen liessen, als diese Dardus, weil sie augenscheinlich die
Baradas der Sanskritischen Geographie und die Δέρ^αις, Der-
den, bei Strabo (XV, 1, 44, die
Δεράάραι bei Ptolemaos,
VII, 1) seien.
(Moorcroft and Trebeck, Travels in the Himalayan Pro.
vinces of Hindicstan,
London, 1841, Vol. II, p. 266). Ich habe
dieser
Siah-posch und Dards, welche Wilson für Ein Volk hält,
bei der Karte No. 1 kurz Erwähnung gethan (oben S. 2, Sp. 2).
Sehr
ausführlich, und in der ihm eigenthümlichen Gründlichkeit
handelt über dieses nordwestlichste Glied der Arischen Inder
Chr. Lassen (Indische Alterthumskunde, I, p. 39, 40; p. 418_

428;· p. 435 _441). Ganz neüerlich hat sich damit auch Dr.

R. G. Latham beschäftigt, und das Ergebniss seiner Untersu-
chungen in der, im Jahre 1851 zu Ipswich abgehaltenen 21ii

10


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38 Achte Abtlieilimg.

Meeting of the Brit. Assoc. fm the Advaneement of Science mitge-
theilt. Indem er den Namen der Paropamisaden, welchen die
altgriechischen Autoren (z. B. Strabo, XV, 2, §§ 8, 9, 10) den
Bewohnern jener Hochgebirge beilegen, wiederherstellt, sagt er:

_ Die paropamisanischen Sprachen sind die von Wochan und

Shugnan, im Quellgebiet des Oxus (also auf der Nordseite des

Hindu Koh); _ die der Dardos und JDhunghers (Dungars) am

Indus; _ die der Siah-posh und Chitrali am Konur (Khonar);

_ und die der Pashai und Lugmani (Laghtnant) am, oder in der

Nähe des Cabul-Flusses. Diesen Sprachen lassen sich noch das
Barahi und das Dir (Dhir) und Tirkai, Avelche einst südwärts
bis zur Mitte des heütigen Afghanistan verbreitet waren, hinzu-
fügen. Die Sprache der Paropamisaden bildete einen Uebergang
(tvas transitümal) zu den monosyllabischen Zungen einer Seits,
und dem Afghanisehen und Persischen andrer Seits.
(Athenaeum,
1851, Juli 19, No. 1238, p. 783.) Chr. Lassen ist der Meinung,
dass alle Paropamisaden (bei Ptolemaios) mehr Iranisch als ei-
gentlich Indisch waren, und etwa den Uebergang von dem einen

grossen Volk zum andern bildeten (a. a. O. p. 430).

* * *

In Bezug auf die Kkasijas (oben, S. 30, Sp. 2) in Kumaon
und Garhwal ist J. Strachey, der lange unter ihnen gelebt hat,
der Ansicht, dass sie echte Hindus seien, deren Einwanderung
ins Gebirge vor etwa anderthalb Jahrtausenden Statt gefunden
haben möge. Von einer Mischung mit tübetischem Blute könne
bei ihnen nicht die Eede sein; dies möge wol in Nepal der Fall
sein, nicht aber hier. _ Die Dörfer des Cisnivischen Bhotijahs
in den genannten zwei Provinzen (oten, S. 30, Sp. 1) liegen alle
in einer Eegion, welche von 1100» an bis gegen 1900» über dem
Meere steht.
(Athenaeum, 1851, Jul^ 19, No. 1238, p. 782.)

Obwol in den vorstehenden Anmerkungen mehrfach erwähnt,
glaub' ich doch hier am Schluss noch ein Mal den grossen

Nutzen dankbar anerkennen zu müssen, welchen mir bei Aus-
aibeitung der „Völker-Karte der Indischen Welt" die Schriften
von Chr. Lassen
(Institutiones Linguae Pracriticae. Bonnae ad Rhe.
num,
1837, I. Bd. in 8., X und 488 S., App. 93 S.; und zwar im
Besondem p. 43 if.
Excurs. II. de Unguis Dehhanicis p. 9_16 und
Excurs. III. Linguarum prövincialium Indicarum quae Sanscriticae
originis sunt catalogus,
p. 17—26; sein vortreffliches Buch: In-
dische Alterthumskunde, erster Band. Geographie und älteste
Geschichte. Bonn, 1847, VI und 862; Anhang, CVIII S. gr. 8.,
ging mir erst zu, nachdem die vorliegenden Erläuterungen in
der Handschrift längst beendigt waren); Th. Benfey (Artikel
„Indien", in Ersch-Grubers Allgem. Encycl. der Wissenschaft
und Künste, Sect, XVII, p. 1_356) und A. Fr. Pott (Ar-
tikel „Indogermanischer Sprachstamm", ebendaselbst, XVIII,
p. 1 — 112) gewährt haben. Auch Fr. Adelung hat mich \vesent-
lich unterstützt (durch seine
Bibliotheca Sanscrita. Literatur der
Sanskrit-Sprache. 2te Ausgabe, St. Petersburg, 1837, 1 Bd. in
8., 430 S.).

Die berühmte Sammlung indischer Manuscripte, Pläne, Mün-
zen, Zeichnungen, Sculpturen ü. s. w., welche der Oberst Colin
Mackenzie während seines langjährigen Dienstes als General-
Vermessungs-Director im Dekhan zusammengebracht hat, und
unter dem Namen der
„Mackenzie Collection" allen Kennern und
Freünden der indischen Gelehrsamkeit und Literatur durch
H. Wilson's, im Jahre 1828 zu Calcutta gedruckten Katalog be-
kannt geworden ist, enthält auch _
Α pUlological Map descrip.

tive of the extent of the various languages spoJeen in the fifty-six
Disams, or Hindu divisions of the Bhärata Kandam, or India.
Sehr
wünschenswerth wäre die Bekanntmachung dieser Karte; ich
weiss von ihrem Dasein aus einer biographischen Notiz Macken-
zie's, welche Sir Alexander Johnston mitgetheilt hat. (J. R.
A. S. 1834, Vol. I, p. 348.)


N°. 15. Die YDlker des Kankasus, Grusien's und des Armenischen Hochlandes.

Diese Karte dürfte, als Ergänzung der allgemeinen
ethnographischen Uebersicht des Russischen Reichs, wol
nicht an unrechter Stelle sein; denn die Völker des
Kaukasus spielen im Staatsleben des slawischen Kolosses
eine so grosse Rolle, dass eine klare Uebersicht der geo-
graphischen Verbreitung und Vertheilung ihrer Wohnsitze
dem aufmerksamen Verfolger der Zeitereignisse, die an
und auf dem Kaukasus ihren Schauplatz haben, ein un-
entbehrliches Hülfsmittel geworden ist. Vielleicht bietet
ihm die vorliegende Karte dieses Hülfsmittel, das auch als
Führer dienen kann beim üeberblicken der
Wege, welche
die Indogermanen bei ihrer neuen Völkerwanderung gegen
den Aufgang über den Kaukasischen Isthmus und die
Kaspischen Pforten eingeschlagen haben.

Die auf der Karte angebrachte, tabellarisch abgefasste,
Nachweisung der Sprachen und Dialecte überhebt mich,
hier auf eine nähere Erörterung der ethnographischen
Verhältnisse einzugehen ·. Dass man geneigt ist, nicht
allein die Georgier, sondern auch die sämmtlichen Kauka-
sus - Völker mit Ausnahme der Osseten, der grossen
Gruppe der Ugrotatarischen Völker zu coordiniren, hab'
ich schon (p. 6) angeführt Seit der ersten Ausgabe
meiner Karte (im Februar 1848) hat der Botaniker Karl
Koch, der von 1834 an im Kaukasus, in Georgien und Arme-
nien viel gereist ist, eine grosse Karte vom Kaukasus und
Armenien ans Licht gestellt, welche Veranlassung hätte
geben können, meine Arbeit in geographischer sowol als
ethnographischer Beziehung zu verändern. Berichtigungen
in der zuerst genannten Richtung hab' ich bei der zweiten
Ausgabe unterlassen dagegen aber eine grössere Voll-
ständigkeit in den Ortsangaben erstrebt. Und was die Be-
gränzung der Völker- und Sprach - Gebiete anbelangt, so
hat eine Vergleichung meiner Karte mit der Koch'schen
ergeben, dass beide in vielen Stücken übereinstimmen, in an-
dern aber auch von einander abweichen. Wo Letzteres der
Fall war, hab' ich in der jetzt vorliegenden zweiten Ausgabe
meiner Karte die Angaben von Koch angenommen, in der
Voraussetzung, dass sein langähriger Aufenthalt in jenen
Ländern ihn befähigt habe, die geographischen Gränzen
der Völkergebiete so genau zu studiren, wie es in einem
so grossen und von den manchfaltigsten Nationen bewohn-
ten Länderraum nur immer möglich ist Κ Ganz unberührt
aber hab' ich meine ursprüngliche Zeichnung von den
Gränzen der Weidegebiete der Nogai" und der Oelöt im
nördlichen Steppenlande gelassen

Von den Kaukasischen Völkern sind viele der russischen
Herrschaft unterworfen, andere setzen den langjährigen
Widerstand gegen die andringende Gesittung noch immer
fort. Zu den unabhängigen Stämmen des Kaukasus gehö-
ren die in den innersten Thälern und Gebirgsschlucliten
des westlichen Kaukasus lebenden Geschlechter der Tscher-
kessen und ein Theil der Abäsen in einem Gebiete, wel-
ches längs der Küste des Schwarzen Meeres vom Vorge-
birge Issu Suk und Gagrü, und im Gebirge von den Thälern
des Bsyb und des grossen Intschik oder Selentschik be-
gränzt wird. Diese Völker verhalten sich aber seit einer
längern Reihe von Jahren ziemlich ruhig und ganz ruhig
die Suani oder Swanen, ein georgisches Volk, welches
am südlichen Fuss des Hochgebirge um den Elbrus im
Thal des Enguri oder Ingur unabhängig von der rassischen
Herrschaft unter theils monarchischen, theils republikani-
schen Regierungsformen leben. Den grössten Widerstand,
bemerkt Koch, findet die russische Herrschaft im Osten,
wo ein fanatischer Priester, Schamil mit Namen, sich an
die Spitze der Erhebung gestellt hat. Es sind die meisten
Stämme der
Mizdsehegi, oder Tschetselienzen, wie die Rus-
sen sagen, und der
Lesgi, die hier den Kampf führen, und
zwar von den Letzteren ausschliesslich die A\varen. Die
Volksmenge dieser Stämme lässt sich, nach Klaproth's
Angaben, ungefähr folgender Massen schätzen: Mizdshegi
33,500, Awaren 18,700, zusammen 52,200 Familien,
und mit Rücksicht darauf, dass man nicht mehr als neün
Personen auf zwei Familien rechnen darf, überhaupt
235,000 Seelen.

Der Kampf dieser an Zahl so geringen Gebirgsvölker
gegen die russische Macht wird von einer Seite als eine
der grossartigsten Erscheinungen der Zeit und als eins
ihrer erhabensten Schauspiele betrachtet und dargestellt;
denn es handelt sich, wie man sagt, um die Aufrechthal-
tung politischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, also
um eine Nationalsache, für die jene Gebirgsvölker ihr Gut
und Blut mit einer Ausdauer einsetzen, wie sie in unserer
Zeit, ausser in Algier, nicht wieder in die Erscheinung ge-
treten ist. In den Augen anderer Zeitgenossen ist der kau-
kasische Völkerkampf ein beklagenswerthes Ereigniss;
denn es ist, der Hauptsache nach, weiter nichts, als eine
zusammenhangende Kette von Raub- und Plünderungs-
zügen, welche Rotten von Buschkleppern unternehmen,
die von Nationalität nichts wissen, und nichts wissen kön-
nen, weil sie in viele sprachverschiedene Nationen zerfal-
len, und daher nur Einzel-, höchstens Stamm-Interessen
kennen, unter denen der Menschenhandel wol nicht auf
letzter Stufe steht, denn die Weiber der Mizdshegi und
Lesgi übertreffen alle Kaukasierinnen an Schönheit und
Ebenmaass und wurden sonst auf den Märkten von Con-
stantinopel zu den höchsten Preisen bezahlt. Der Erfolg
ist, dass sich diese kleinen, halbwilden Barbar-Horden den
Pfad zur Gesittung, der ihnen von russischer Seite eröff-
net worden ist, auf lange Zeit hinaus versperrt haben.

Wird ihnen die Civilisation auch nur von dieser Seite


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Ethnographie. 39

geboten, so ist es doch immer ein Anfang, der anf christ-
licher Grundlage ruhet. Diese Grundlage aber muss schon
in den ersten Zeiten unter diesen, in unseliger Verblen-
dung befangenen Völkern einen Zustand herbeiführen,
der himmelweit verschieden, d. h.: besser sein wird, als
die gegenwärtige Beschaffenheit ihres gesellschaftlichen
Gebaüdes, ihrer Denk- und Handlungsweise. Eoh und
unwissend und voll der aberglaübigsten Vorstellungen,
wie diese Völkerschaften gegenwärtig sind, kriegs- und
beütelustig in ihren Häuptlingen und Anführern, werden
sie den Tag, an dem sie ihre Waffen vor dem russischen
Doppeladler niedergelegt haben, dereinst als den Tag
ihrer moralischen Wiedergeburt feiern und segnen.

Unter den Ostkaukasiern oder Lesgi, die sich unter
den Schutz der Russen gestellt haben, lenk' ich die Auf-
merksamkeit im Besondern auf die kleine Republik der
Kubitschi, Kubetschi oder
Sichgeran, wie sie früher hies-
sen, zwei Namen (jener ist türkisch, dieser persisch),
welche beide Kettenpanzermacher bedeüten. Es ist eine
überraschende Erscheinung, mitten unter rohen und grau-
samen Menschen, welche dies Gebirgsland bewohnen, ein
arbeitliebendes und industriöses Völkchen zu finden. Etwa
1000 Familien stark, entwickeln die Kubitschi in Stahl-
und Eisenarbeiten eine grosse Geschicklichkeit und einen
ausserordentlichen Kunstsinn, und versorgen den ganzen
Kaukasus, sowie Persien mit den Panzern, Flinten, Sä-
beln und anderen Waffen, die aus ihren Fabriken her-
vorgehen. Auch in Gold- und Silberarbeiten zeichnen sie
sich aus und ihre Weiber sticken in Gold und Silber und
weben Teppiche und Tücher, die weit und breit verfahren
werden. Wegen dieses Gewerbileisses hat man die Kube-
tschi die Genfer des Kaukasus genannt, und behauptet,
dass sie ursprünglich Frängi, d. i.: Franken seien, die
aus dem westlichen Eüropa abstammen, ja man ist sogar
so weit gegangen, in ihrer Sprache Spuren der deütschen
Sprache erkennen zu wollen, während andere sie für
einen türkischen Dialekt gehalten haben: die Wahrheit
aber ist, dass die jetzige Sprache der Kübetschi ein Dia-
lekt ist, der sich der akuschinischen Sprache am meisten
nähert

Um das offene Land im Norden des Kaukasus und das
Kaspische Küstengebiet gegen die Einfälle der beütesüch-
tigen Gebirgsvölker zu sichern, hat die russische Regie-
rung bekanntlich militairische Schutzwachen aufgestellt,
zu denen schon Peter der Grosse am Terek den ersten
Grund gelegt hat, und die unter Katharina II. durch Or-
ganisation der Kosaken am Schwarzen Meer weiter gebil-
det wurden. Diese Schutzwachen bilden zusammenhan-
gende Reihen, daher man sie Linien nennt. Ueber den der-
zeitigen Umfang dieser Linien erfahren wir von K. Koch,
dass die am nördlichen Fuss des Kaukasus gezogene Linie,
welche der österreichischen Militairgränze nachgebildet,
und mit sogenannten Linienkosaken besetzt ist, von Jahr-
zehend zu Jahrzehend verstärkt und endlich sogar verdop-
pelt worden ist. Die innere längs des Kuban-Flusses heisst
die Kuban-, die aüssere längs des Laba-Flusses die Laba-
Linie. Nordwärts von derMalka zieht sich dieKoslowodzki-
scheoder innere Kabardische, südwärts hingegen die aüssere
Kabardische Linie hin. Dann folgt nach Osten zu am nörd-
lichen Ufer des Terek die Terek-, auf der Südseite die
Sundschah-Linie; der letztern schliesst sich die Kumüki-
sche an. Alle aüsseren Linien sind mit einer Reihe von
Festungen besetzt und nur an der Laba- und Sundschah-
Linie hat man angefangen, auch Kosaken anzusiedeln.
Auf der Ostseite des Kaukasus zieht sich von Norden nach
Süden die ebenfalls nur mit Festungen besetzte daghesta-
nischeLinie; und dieser endlich schliesst sich von Ost nach
West, durch Kachethi gehend, die lesgische Linie an. Aber
auch im Westen längs der Küste des Schwarzen Meeres sind
in den Jahren 1836—1842 eine Reihe von Festungen ange-
legt, die mit den früher vorhandenen die Linie am Schwarzen
Meere bilden. Nur im aüssersten Norden dieser Linie lie-
gen zu ihrem Schutze einige Kosakendörfer oder Stanizen.
Diese Linien haben zum Theil ihre besonderen Chefs. Das
Land der Kosaken am Schwarzen Meer steht unter einem
Ataman, der in Jekaterinodar seinen Sitz hat. Die Kuban-
Linie selbst aber ist in vier Abtheilungen zerlegt. Die
ganze nordkaukasische Linie theilt man aber in einen rech-
ten Flügel (am Kuban) mit dem Hauptquartier in Pro-
tschnoiokop; in das Centrum, die beiden Kabarden umfas-
send, HauptqiTattier Naltschik, und in den linken Flügel,
Hauptquartier Grosneja, Der Centraipunkt für die kumü-
kische Linie ist Wnesapnaja, der für den nördlichen Theil
der daghestanischen Linie Temirchah-Schura, und für den
südlichen Kumück. In Sakataly wohnt der Chef der les-
gischen Linie. Als Hauptort der Linie am Schwärzen
Meer gilt Noworossiisk.

Alle diese Linien sind von Kosaken, oder richtiger Ka-
saken besetzt, diesem Amalgama von Klein- und Gross-
Russen, Polen, Griechen, Armeniern, Tscherkessen, Ta-
taren, Türken und anderen Elementen, dessen Grundstoff
jedoch Slawisch ist, und die, einst kleine MilitairStaaten
mit republikanischen Verfassungs- Und Regierungsformen
bildend, und alle Tugenden und alle Laster eines militai-
risch-organisirten Raübervolks besitzend, jetzt im Dienste
Russlands auf den Vorposten der Civilisation stehen und
berufen sind, die ersten Träger derselben zu den Völkern
des Kaukasus und der Steppenländer Süd-Eüropa's und
Inner-Asien's zu sein. Die Kasaken längs der Nordseite
des Kaukasus, die unter den Namen der Donschen, Wol-
gaischen, Astrachanschen, Grebenischen Und Terekschen
Kasaken auf der Karte eingetragen sind, stammen aus äl-
terer als Peter's des Grossen Regierungszeit. Es sind
Nachkommen derjenigen Kasaken vom Don, welche im
16'®" Jahrhundert unter Jermak auswanderten und nach
der Wolga und theilweise weiter nach Sibirien zogen.
Zweige dieser Auswanderer haben sich später am Kauka-
sus niedergelassen, sind aber gegenwärtig, wie es scheint,
mit den Linien - Kasaken verschmolzen. Kleinrussisch in
verschiedenen Dialekt-Schattirungen ist die Sprache der
Kasaken.

Auch die Länder auf der Südseite des Kaukasus sind
längs der Reichsgränze von russischen Militairposten be-
setzt, deren K. Koch auf seiner ethnographischen Karte
eine grosse Menge angiebt. Wie er in seinen Erlaüterun-
gen bemerkt, haben sich in allen Städten Russen niederge-
lassen ; und von Regierungs wegen sind hier und da Mili-
tair-Kolonien, und ausserdem zahlreiche Kolonien der rus-
sischen Sekten der Duchoborzen tind Molokanen angesie-
delt worden

So sehen wir die eüropäischen Indogermanen, und zwar
fast auschliesslich ihre slawische Abtheilung vorrücken
nach Osten hin in der Richtung der Weltgegend, wo muth-
masslich ihre Stammsitze lagen. Seit anderthalb Jahrhun-
dert erst ist dieser Wanderpfad planmässig betreten wor-
den, und schon ist eine beträchtliche Strecke zurückgelegt:
vom Terek und Kuban ausgehend haben die Russen die
gewaltige Gebirgsmauer des Kaukasus überstiegen und
stehen nun festen Fusses an den Ufern des Araxes, auf
den Höhen desArarat und unfern der Quellen desEüphrat.
Einen ganz kleinen Antheil an dieser modernen Völker-
wanderung haben die Allerweltswanderer, die Deütschen,
die seit dem Jahre 1817 in den russischen Provinzen jen-
seits des Kaukasus mehrere Ackerbau-Kolonien gestiftet
haben, die aber, entfernt von allen Verkehrs-Mittelpunk-
ten nicht recht gedeihen wollen. Eine Ausnahme macht
die Kolonie Kukia bei Tiflis, welche grünt und blüht und
bei der Betriebsamkeit ihrer Bewohner für die Hauptstadt
der russisch-kaukasischen Provinzen von grossem Nutzen
ist. Unmittelbar an dieser Stadt, am Ufer des Kur und am
Fusse des Festungsberges haben sich noch andere deütsche
Colonisten angebaut und ihre Wohnstätte Neütiflis genannt,
meist Handwerker, Bäcker, Fleischer, Bierbrauer u. s. w.
Die ersten Anfänge west-eüropäischer Niederlassungen
am Kaukasus stammen aus dem Jahre 1782. Damals
liess sich der Rev. Henry Brunton, ein Missionair aus
Schottland, der vorher mit gleichem Eifer mehrere Jahre
lang an der afrikanischen Küste das Christenthum gelehrt
hatte, mit einigen
seiner Landsleüte zu Kharas, an der
Stelle eines ehemaligen abchasischen Dorfes, und am
Fusse des Beschtau, oder Fünfbergs, nieder, und errich-
tete dort eine
Missions-Anstalt, um unter den Abchasen,
Tscherkessen und Nogai das Evangelium zu predigen.
Später hat sich diese Niederlassung, die untiir der Benen-
nung Schottische Colonie bekannter ist, mit deütschen Co-
lonisten von der Wolga im Gouvernement Saratow (wo die
deütsche Colonisation im Jahre 1765 begann) so verstärkt,
dass sie, mit Ausnahme der Geistlichen, welche immer
Engländer sind, als eine rein deütsche Colonie angesehen
werden kann.


16 *

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40 Achte Abtlieiluiig.

Von anderen Indogermanen der europäischen Gruppe
dieser Völkerfamilie leben in den Ländern, welche inner-
halb des Rahmens der Karte dargestellt sind, auch Grie-
chen, vorzugsweise in dem Distrikte Jomura, der östlich
von Trebisonde oder Tarabison liegt, wo sie, nach Koch,
die Mehrzahl der Bewohner bilden. Ausserdem sollen zer-
streüte griechische Dörfer im lasischen und mingrelischen
Gebirge längs des Schwarzen Meeres vorkommen, und die
Bergleüte in den armenischen und südgeorgischen Berg-
werken aus Griechen bestehen.

Von den Armeniern, dem zweiten Hauptvolk, nach dem
die Karte in der Ueberschrift genannt worden ist, hab' ich
bereits oben (p. 3) gesprochen. Wir sehen sie hier in ihrer
Urheimath; und den Stammgau, von dem sie ausgegangen
sein sollen, ein Thal nämlich auf der Südseite des Wan-
Sees, das in armenischer Sprache Haiotz-Dsor, d. i.: Ar-
meniei--Thal heisst. Nirgends aber bilden sie in diesem
ihrem ursprünglichen Gebiete eine dichte Masse der Be-
völkerung, überall sind die „niederträchtigen" Armenier
entweder mit „raubsüchtigen" Kurden, oder mit „fanati-
schen und geldgierigen'· Türken, _Turkomanen undOs-

manen, vermengt; nur in den Städten bilden sie die Mehr-
zahl der Einwohner, und selbst ausserhalb ihres Vaterlan-
des : so ist Tiflis, die Hauptstadt der transkaukasischen Pro-
vinzen Russlands, eher eine armenische, als eine georgi-
sche Stadt zu nennen. Ueberhaupt sind seit der Zeit, dass
die Russen einen grossen Theil von Armenien erobert und
mit ihrem Reiche vereinigt haben, die Armenier, zu tau-
senden aus dem osmanischen und persischen Gebiet aufs
russische gezogen, um sich unter den Schutz einer christ-
lichen Regierung zu stellen. "Wie ihre Vorfahren Noma-
den waren, so ziehen auch die heütigen Armenier noch die

Viehzucht dem Ackerbau vor; die Landbewohner sind
deshalb auch meistenstheils Viehzüchter und Hirten, und
selbst diejenigen, welche sich dem Landbau widmen, halten
grosse Heerden als Haupterwerb, Die Stadtbewohner da-
gegen sind fast ausschliesslich Handelsleüte oder auchGe-
werbsleüte in den Handwerken feinerer Art, wie Gold-
und Silberschmidte, Juweliere, Uhrmacher etc. Die mor-
genländisch-armenische Kirche hat in dem Kloster Etsch-
miadsin, bei Erivan, ihre Metropole und den dortigen Pa-
triarchen zum Oberhaupt. Seitdem aber das Gebiet, inner-
halb dessen dieses Kloster liegt, im Jahre 2829 an Russ-
land übergegangen ist, haben die, unter osmanischer Herr-
schaft gebliebenen Armenier einen Gegen-Patriarchen auf-
gestellt, dessen Wohnsitz in dem Kloster auf der kleinen
Insel Achtamar, im Wan-See, ist

Was die Verbreitung der persischen Sprache im Länder-
Bereich der Karte betrifft, so hab' ich einige Bemerkungen
darüber in der Note 5 eingeschaltet. Hier im Texte selbst
aber muss die wichtige Thatsache erwähnt werden, dass
die alte Pehlewi-Sprache im Munde des Volks noch nicht
erloschen ist. Sie wird in Geber-Colonien und in einigen
zerstreüten Dörfern von Azerbeidschan gesprochen, na-
mentlich in dem Dorfe Dizmar, welches auf der rechten
Seite des Araxes, unfern Ordubad liegt

Endlich ist noch einer grossen Juden - Ansiedlung Er-
wähnung zu thun, von der Koch sagt, dass sie sich in der
Nähe von Kuba befinde; ausserdem giebt es in Daghestan
und namentlich in Tabasseran noch. mehrere jüdische Dör-
fer. Bemerkenswerth ist es auch, dass im Kaukasus und
in vielen Provinzen von Persien unter den höhern Ständen
der Mohammedaner ein arabischer Dialekt gesprochen
wird.


Anmerkungea.

1 (p. 38.) Als Hauptquelle für die ethnograpliiselie Eintlieilung
des Kaukasus hab' ich Klaproth angegeben; und zwar benutzte
ich seine schöne Abhandlung, die unter dem Titel „der Kaukasus
vom Herrn Professor J. y. Klaproth" in meiner geographischen
Zeitschrift „Hertha" X, p. 3_37, p. 103—154 erschienen ist. Es
ist, so viel ich weiss, die letzte Arbeit, die er über seine, in den
Jahren 1807 und 1808 aus Auftrag der Kaiserl. Euss. Akademie
der Wissenschaften, im Kaukasus angestellten linguistisch-ethno-
graphischen Forschungen und Studien bekannt gemacht hat. Ein
Theil der Ergebnisse dieser Untersuchungen erschienen ursprüng-
lich im „Archiv für Asiatische Literatur, Geschichte und Spra-
chenkunde. Erster Band. Herausgegeben auf Befehl der Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften. St. Petersburg 1810"; und wur-
den auch von Fr. Adelung in seinen „Nachträgen zum ersten
Theile des Mithridates", welche Vater im Mithr. IV, p. 1 ff.
mittheilte, benutzt. Ausser dieser Hauptquelle zog ich bei der
ersten Bearbeitung der Karte im Jahre 1846 auch die Völkerliste
zu Rathe, welche Henrich Steffens in der „Hertha" VII, Geograph.
Zeitung p. 23_28 mitgetheilt hat; so wie von neuem Mittheilun-
gen u. a. Ed. Eichwald, Reise in den Kaukasus, II, Stuttg. 1837.

2 (p. 38.) Der Hauptvertreter der Verwandtschaft der georgisch-
kaukasischen Völker mit der Ugrotatarischen Familie ist J. J.
Rask in seinem Werke: „lieber das Alter und die Echtheit der
Zendsprache. Berlin 1826"; nachdem schon Klaproth auf diese
Verwandtschaft, namentlich mit den Finnen und Samojeden, als
einen bemerkenswerthen Umstand in der Geschichte ihrer Spra-
chen aufmerksam gemacht hatte. Dagegen haben Fr. Bopp und
W. Rosen eine Affinität des Georgischen, Mingrelischen, Suani-
schen und Abasischen mit dem Indogermanischen Sprachstamm,
in den „Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften
zu Berlin, 1845" nachgewiesen. Pott ist entschieden dagegen:
enthält die georgische Sprache auch persische Eindringlinge, so
ist sie doch nichts weniger als eine indogermanische Sprache.
(Indogerm. Sprachstamm, a. a. O. p. 60.) Von den Tsoherkessen
sagt Karl Koch (freilich ein incompetenter Gewährsmann): „Zu
den Finnen, zu denen sie Einige aus sprachlichen Giünden rech-
nen wollen, gehören sie bestimmt nicht." (Erlaüterungen zu der
in Note 3 zu erwähnenden Karte, p. 14.)

-^3 (p. 38.) Die geographische Haupt-Grundlage meiner, im Win-
ter 1846—47 bearbeiteten Karte bildet die
„Carte de la Georgia
et d'une partie de la Perse, dressie α Tächelle de %4ποοο par le
Giniral-Major Khatow. Lithographiie au Dep6t g&iiral des Cartes"
zu St. Petersburg, von der mir der General von Schubert, da-
mals Chef des kaiserl. russischen Topographischen Bureau, im
Jahre 1827 schrieb, dass „sie die beste sei, die bis jetzt über die
Länder, welche zu Grusien gerechnet werden, erschienen ist."
Sie besteht aus acht ganzen und drei halben Sectionen. Dem-
nächst benutzte ich auch die, in russischer Sprache abgefasste
„Karta Teatra woiny s' Perssianamy, d. h.: Karte des Persischen
Kriegsschauplatzes; angefertigt (1827) und lithographirt im kai-
serl. Karten-Depot" in zwei grossen Blättern, enthaltend die Län-
der zwischen dem Parallel von Tiflis und dem von Tabris, welche
in ihr mit weit mehr Sorgfalt dargestellt sind, als in der Karte
von Chatow. (Hertha, XI, geogi·. Zeitg., Januar 1828, p. 5, 6);
die betreffende Section aus Schubert's, im topographischen Bu-
reau zu St. Petersburg ausgearbeitete, - „General-Karte vom Russi-
schen Reiche, europäischen Antheils," ebenfalls in russischer Spra-
che, ferner die vortreffliche Karte in vier Blättern:
Parts of Geor-
gia and Armenia, the Persian Provinces Azerbijan, Talisli and Ghi-
lan, from trigonometrical Surveys hy Lieut. Col, ΛΥ. Monteith, K.
L. S. Madras. Eng. made letween the years 1814 and 1828; and
the Russian Provinces with tJie Caucasus, from official Documents
corrected hy Ms personal Observation^. Engraved at the Expence of

the Royal Geographical Society. London 1833; _ södann die nicht

minder schöne: Map of Azerbaeejann, and part of Armenia and
Georgia., constructed chiefly from Personal Survey hy James Suther-

land, Col. London 1833. __ Demnächst: Karte des^ Kaukasus,

nach den neücsten Aufnahmen des Kaiserl. Russ. Gencralstabs

entworfen. Berlin 1838 bei Morin; _ Karte. zur Uebersicht der

Kriege Russlands am Kaukasus. Berlin 1843 bei Schropp et 0°; _
und endlich die Karte, welche man vom südlichen Armenien, na-
mentlich den Gegenden um den Wan-See, dem Reisenden A. G.
Glascott, von der englischen Flotte, verdankt:
Asia Minor and
Armenia, to illustrate routes of. Mr. Ainswcrth, Mr. Brant, Mr. Su-
ter and Lord Pollington.
1840 (im Jonrn. Roy. Geogr. Soc. Vol. X.).
Für die Graphik des Entwurfs der Karte wurden von den neuen
Ortsbestimmungen, welche russische Astronomen nnd Offleiere
des Generalstabs ermittelt haben, nur die von Wassili Fedorow
(Reise zum Ararat von Dr. Fr. Parrot. Berlin 1834, II, p. 143 ff.)
benutzt, nicht aber die vom Kapitain Birdin (Almanach für das
Jahr 1839. Den Freünden der Erdkunde gewidmet von Heinr.
Berghaus, p. 109), auch nicht die von Glascott
(Journ. Roy. Geo-
graph. Soc.,
Vol. X., p. 432), weil sie die in der Chatow'schen
Karte gegebenen Formen des Fliessenden stellenweise sehr ver-
schoben haben würden, und sie überdem nur ein kleines Gebiet
meiner Karte betreffen. Koch's Karte führt den Titel: „Karte von
dem Kaukasischen Isthmus und von Armenien. Entworfen und
gezeichnet nach eigenen Horizontal-Aufnahmen und mit Benu-
tzung der vorhandenen Materialien von Professor Dr. Karl Koch.
Berlin 1850," besteht aus vier grossen Blättern, und ist in vier
verschiedenen Ausgaben erschienen, als-politische, ethnographische,
botamsche und geognostische Karte. Der Massstab ist
Ϋ,,οοοηοο.
Aus den Erlaüterungen, die der Karte beigefügt sind, erfährt
man, dass Koch die russischen Generalstabskarten mit einem
Massstabe von
'/ssonno, welche in den Jahren 1834, 1842 und
1844 zu^Tiflis für die in den kaukasischen Provinzen sich auf-
haltenden Offlciere angefertigt wurden, zum Grunde gelegt hat.
Die erste von 1834 ging aber wiederum aus der Karte von Cha-
tow hervor, eine Karte, die, trotzdem sie schon weit fräher er-
schien, doch noch immer einen grossen Werth besitzt, an man-
chen Stellen sogar richtiger ist, als die neüeste des Generalsta-
bes (p. 1). Es ist hier nicht der Ort, eine Kritik über den geo-
graphischen Theil der Koch'schen Ausgabe der Russischen Kar-
ten zu schreiben, denn man wii-d wol ziemlich ganz absehen kön-
nen von den „Horizontal-Aufnahmen", die der deütsche Heraus-
geber auf seinen Reisen angestellt hat; allein, wenn er ims erzählt,
dass „selbst frühere astronomische Bestimmungen von unbestritte-
nem Werthe zum Theil unberücksichtigt geblieben"; und wenn
er dann ganz naiv hinzufügt: „Ich glaube nicht, dass in dem
ganzen Länder-Complexe meiner Karte es zehn Orte giebt, die


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Ethnographie. 41

eine richtige Lage haben" (Erlaüteniiigen p. 2); so wird man es
wol natürlich finden, dass ich eine Ai-heit, über die der Heraus-
geber selbst den Stab bricht, nicht zu Veränderungen in meiner
Karte gebraucht habe. Am beträchtlichsten sind die Abweichungen
in dem abchasischen Antheil des Kaukasus, im Quelllande des
Kur und am Arpa-Flusse, der sich in den Araxes ergiesst etc.
— Bei der Revision meiner Karte zur zweiten Auflage hab' ich
auf die Bodengestaltung, namentlich die Höhenbestimmung der
hervorragendsten Punkte des Kaukasus und des Armenischen
Hochlandes, der Plateauflächen und Thaleinsenkungen Rücksicht
genommen und zu diesem Endzweck die betreffenden Zahlen
überall da eingetragen, wo der Raum es, ohne Ueberfüllung, ge-
stattete. Die Höhe des Elbrus und des Kasbek
{Kasibeg (türkisch)
oder
Urs Choch (ossetisch) oder Mquinwari (georgisch)] ist nach
den trigonometrischen Messungen von Euss, Sawitsch und Sabler,
bei Gelegenheit des Nivellements zur Ermittelung des Höhenun-
terschiedes zwischen dem Caspi-See und dem Schwarzen Meer,
im Jahre 1837.
(^Fuss, Compte rendu des travaux de l'Acad. Imp.
des Sc. de St. Pätershonrg, pour l'annie 18A8,
p. 3. Vergl. A. de
Humboldt, Asie Centrale,
T. III, p. 332.) Alle übrigen Höhen,
mit Ausnahme der des Ararat, die von Eedorow gleichfalls tri-
gonometrisch bestimmt worden ist, sind aus Barometer-Beobach-
tungen abgeleitet, von Parrot (Reise zum Ararat. Berlin 1834.
II, p. 36—49; — über die Messung des Ararat, ebendas. p. 158
_162), von Dr. E. D. Dickson, im Jahre 1838
{J. R. G. S.,
Vol. X, p. 431, 432) und von H. Abich, „Skizze zu einer kli-
matologischen Karte des Kaukasischen Isthmus," in Poggendorff's
Annalen der Physik, Bd. LXXX, 1850, No. 8. Ein Paar Berg-
spitzen hab' ich von Monteith's Karte entlehnt, und einige andere
nach den Angaben von Koch (Erlaüterungen, p. 28) und denen
von M. Wagner, die sich auf die Bestimmung des Siedepunktes
stützen (Ausland, 1851, No. 52, 53, 60, 142). Mit grosser Sicher-
heit sind die trigonometrischen Höhen des Elbrus und des Kas-
bek bestimmt. Alle übrigen Höhenzahlen sind nur als erste Nä-
herungen zu betrachten, die auf absolute Genauigkeit nicht An-
spruch machen können. Die Höhe des Elbrus, welche nach den
Messungen vom Jahre 1837: 2894
,7? Toisen beträgt, schätzte
Kupffer im Jahre 1829 nur zu 2577 Toisen
(Voyar/e dans les
environs du Mont Elhrous
p. 125.) In ganz genauen Zahlen ist
nach den geodätischen Messungen die Höhe des Kasbek 2586',8β,
eines ungenannten Gipfels 2646t,ng und das Besch Tau 7ΐ7',2ο
(Fuss, Compte rendu, p. 3).

4. (p. 38.) Eine grosse Schwierigkeit bei Bestimmung der eth-
nographischen Verhältnisse der Kaukasus- und Armenischen
Länder, überhaupt des vorderasiatischen Morgenlandes, liegt
darin, dass die Eingebornen selbst sich weniger nach ihrer Ab-
stammung und den Sprachen, als nach der Religion unter-
scheiden (Koch's Erlaüterungen, p. 10). So ist in einem Auf-
satze von Chopin „über den Ursprung der in der russischen
Provinz Armenien wohnenden Völker" (Berghaus' Annalen der
Erdkunde, 3te Reihe, 1841, XI, p. 365 iF.) eben dieser Ursprung,
wenn darunter Abstammung verstanden wird, sehr im Dunkeln
geblieben, und der Religions-Unterschied vorzugsweise an die
Spitze gestellt.

5 (p. 38.) Das Gebiet der Lesgi dehnt Koch über den ganzen
südöstlichen Kaukasus bis zur Halbinsel Abscheron aus, wie
mich dünkt mit Unrecht. Der südlichste Bezirk, worin Lesgi
wohnen, ist Scheki oder Schaki; die Distrikte von Schemachi
(Schirwan) und Kuba haben Turkömanen zu Bewohnern, die
auch im Tarki, dem nördlichen Daghestan die Hauptbevölkerung
bilden (Klaproth, in der Hertha, X, 140). Was die Verbreitung
der Persischen Sprache in der Provinz Aserbeidschan betrifft,
so ist sie daselbst nur die Sprache der Geschäfte und der Vor-
nehmen; vorwaltend in dieser Provinz ist die türkische Bevöl-
kerung, namentlich der grosse Stamm Efschar oder Afschar.
Persisch in einem eigenen Dialekt wird aber ausschliesslich in
Talisch, und den angränzenden Gegenden von Schirwan längs
der Küste bis Baku gesprochen, wo der Tat-Dialekt auftritt,
ein Gemisch vom Persischen und Türkischen, das auch, nebst
mehreren andern persischen Mundarten in einigen Dörfern der
Provinz Schirwan, in Scheki, neben dem Lesgischen, und in
der Provinz Kuba neben dem Türkischen gesprochen wird. Die

Perser um Baku behaupten, seit Drittehalb Tausend Jahren dort'
ihre Wohnsitze zu haben.
(Anquetil du Perron in den Miinoires
de l'Acad. Roy. des Inscriptions et helles lettres,
T. XLV und
T. L.) Von den höheren Ständen dieser Perser wird aber mei-
stens ein türkischer Dialekt gesprochen, der mit dem Noga'i
der Krimm grosse Aehnlichkeit hat. (Mithr. IV, p. 100, 101,
103, 161.)

6 (p. 39.) Nachrichten über die Kubetschi finden sich u. a.:
bei Klaproth (Hertha, X,
p. 118), Brackel (Berghaus Annalen,
3te Reihe, VI, p. 173 ff.) und Frähn (Ebenda, VII, p. 32), der
zugleich alle Quellenschriften angiebt.

7 (p. 39.) Im Schoosse der griechisch-russischen Kirche haben
sich bekanntlich eine grosse Menge von Dissidenten und religiö-
sen Secten gebildet, welche die orthodoxe Kirche mit dem all-
gemeinen Namen der
RasTcolniki, d. h.: Ketzer oder Sectirer be-
zeichnet. Eine der bemerkenswerthesten dieser Secten ist die
der
Duchohorzen, oder Seele-Ringer, Geisteskämpfer, wie sie seit
dem Jahre 1788 heisst, statt Ikonoborzy oder Bilderstürmer, wie
sie sonst genannt wurde; weil sie vor allen Dingen alle Hei-
ligen-Bilder verwirft. Diese Sectirer haben eine eigenthümliche
Lehre von der Dreieinigkeit, die sie mit der Höhe, Breite und
Tiefe in der Natur vergleichen. Sie haben weder Priester noch
Gotteshaüser, kreuzigen sich nicht beim Beten und halten kei-
nen Fasttag. Von der Bibel anerkennen sie nur die Evangelien,
und von Gebeten nur das Gebet des Herrn. Die Ehe gilt ihnen
nur als ein bedingtes Beisammenleben. Es sind übrigens ehr-
und arbeitsame Ackerbauer, die vorzüglich im südlichen, dem
sogenannten Neü-Russland wohnen, wo ihnen seit 1817 durch
einen kaiserlichen Befehl Schutz gewährt worden ist. Indessen
müssen diese Dissidenten der rechtgläubigen Kirche doch un-
bequem geworden sein, wenn von Regierungswegen Maassregeln
ergrififen worden sind, sie in die neüerworbenen Länder jenseits
des Kaukasus zu übersiedeln. Die
Mohkanen, oder Milchesser
haben in ihren religiösen Anschauungen einige Aehnlichkeit mit
den
Quakers, mit denen man oft, obwol mit Unrecht, die Du-
chohorzen verglichen hat.

8 (p. 40.) Armenien und die Armenier führen diesen Namen
wahrscheinlich von Armenak, einem Sohne Haik's, des Stamm-
vaters der Armenier, welcher nach der Sündfluth in dem damals
menschenleeren, am nördlichen Fusse des Ararat belegenen
Thale von Eriwan sich niederlicss
(Moses Chorenensis Hist. Ar-
men.
L. XI, p. 31. Edid. Guil, et Georg. WUstoni filii. London,
1736). Der hebräische Name von Armenien ist
Thogarma (Pen-
tateuch I, 101) oder Ararat (Jeremia 51, 27), ein Name, der
noch lange gebraüchlich gewesen zu sein scheint.
(Saint-Martin,
Mänioires hist. et giogr. sur l'Anninie.
Paris, 1818; p. 106.) Bei
den Syrern und Persern heisst das Land
Armenikh, bei den Ara-
bern
Irminiah oder Armenieh, Sowol die Sagen der Armenier
über den Ararat selbst, über Naktschiwan, den ersten Absteige-
ort des Noah, und über Etschmiadsin, den ersten Bet- und
Dankort, als auch die persische Benennung dieses Berges
(Koh-
Nuh,
Berg Noah's) und die armenische Mesesonsar (Berg der
Arche) deüten hinreichend darauf, dass der Mittelpunkt der äl-
testen hebräischen Geschichte und irgend ein Ursitz der Mensch-
heit hierher versetzt werden muss. _ Die grossen Städte des

Osmanischen Reichs, wo die Armenier sich am meisten nieder-
gelassen haben, sind Constantinopel, Angora, Kaisarieh, Tokat,
Siwas und Diarbekr; in jeder derselben befinden sich einige
Tausend. Dann kommen die Städte zweiten Ranges, wo man
sie minder zahlreich findet. Ueber den früheren und heütigen
Zustand von Armenien vergl. man die Bemerkungen von Flan-
din, in der
Revue des deux Mondes, vom 15. Mai 1851; Ausland,
1851, No. 123, 124, 125.

9 (p. 40.) Die Nachricht von der Fortdauer des Pehlewi als
Volkssprache giebt
Rawlinson, in seinen Notes an α March from,
Zohah, at the foot qf Zagros, along the Mountains to Khuzistan etc.
in the year
1836. (journ. Roy. Geogr. Soc. Vol. IX, p. 109.) Das
Dorf Dizmar liegt in einem kleinen Distrikte gleiches Namens.
Auf den Karten von Chatow und Monteith heisst es Desmaure,
Koch hat es nicht, wol aber den Namen des Distrikts in der
Schreibung Dissmer.


N». 16. Ethnographische Karte von Afrika. _ liebst einer Übersicht von der Verbreitung der Aastrali-

schen nnd Polynesischen Völker.

Zwei raümlich "weit getrennte Erdgebiete sind auf diesem
Blatte in Einer Darstellung vereinigt worden: Afrika und
Australien und die asiatiseli-polynesische Inselwelt, da-
zwischen das Indische Meer, aus dessen Schoosse sich
nur in der Nähe des afrikanischen Festlandes einige Eilande
erhoben haben, und was von diesen jenem geographisch
anzugehören scheint, ist ethnographisch völlig von ihm
geschieden. Das Hauptbild in dieser Karte möge unsere
Aufmerksamkeit zunächst in Anspruch nehmen.

Afrika.

Bei der grossen Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse
von den Sprachen der afrikanischen Völker, und von den
Länderraümen, welche diesen Völkern zum "Wohnsitz
dienen, kann die ethnographische Karte von Afrika nur
als ein sehr gewagter Versuch, als ein erster, ganz roher
Entwurf betrachtet werden, der in der Folge durch aus-
PHTSIK. ATLAS ABTH. VIII.

führliche Untersuchungen und sorgfältige Studien der
afrikanischen Erd-, Völker- und Sprachenkunde zu berich-
tigen und zu vervollständigen ist.

Die neüeste Zeit hat diese Erforschung angebahnt. In
den jüngst vergangenen Jahren ist die Völkerkunde Af-
rika's durch einen verhältnissmässig sehr reichhaltigen
Stoff vermehrt worden. Nicht allein eine grosse Menge,
wenn auch zuweilen dürftiger Wörter-Verzeichnisse hat
man zusammen gebracht, man ist auch in das Wesen
mehrerer Sprachen tiefer eingedrungen und hat den gram-
matischen Bau derselben aufgeschlossen. Dadurch wurden
die Mittel gewonnen, ein einstweiliges ürtheil über die
gegenseitige Aehnlichkeit der scheinbar verschiedenartig-
sten Idiome zu fällen, und auf diese Aehnlichkeit eine
Stufenleiter von der Verwandtschaft der Völker zu stützen.
Ein sorgfältiges Studium all' der Bausteine, die zu dem
künftigen linguistischen und ethnographischen Gebaüde


11

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42 Achte Abtheilung.

Afrika's von Deütschen, Engländern, Franzosen und
Angloamerikanern, auch von Portugiesen herbeigetragen
worden sind, so wie ein genaues Vergleichen sämmtlicher
zu Gebot gestandener Materialien hat, als Endergebniss,
die Völkertafel geliefert, die die Grundlage für den Ent-
wurf der Völkervertheilung und der Begränzung der
Sprachgebiete auf der Karte gewesen ist

Was die Karten-Zeichnung anbelangt, so war es, wie
sich von selbst versteht, von der grössten Wichtigkeit,
ein möglichst richtiges Bild von den Baumen der Strom-
und Flusssysteme zu gewinnen, weil dieses Bild für die
Begränzung der Sprach- und Völkergebiete massgebend
sein muss. Für die Zeichnung des Fliessenden nach Rich-
tung und Ausdehnung sind die umfangreichen Untersu-
chungen benutzt worden, welche ich im Winter 1849—
1850 angestellt habe, und von denen das Resultat theils
auf No. 7 der oder geologischen Abtheilung des „Phy-
sikalischen Atlas", theils in einem besondern Kärtchen
von Afrika enthalten ist, welches in meinem ,,Greogra-
phischen Jahrbuch" bekannt gemacht wurde , woselbst
auch die rechtfertigenden Erlaüterungen über die neüe
Zeichnung zu finden sind Die vorliegende zweite Bear-
beitung unterscheidet sich von jener ersten nur dadurch,
dass ich bei dem grössern Maassstabe ^ im Stande gewesen
bin, das hydraulische Netz von Afrika ausführlicher, zu-
gleich aber auch deütlicher zu zeichnen. Ueberdem sind
seit Vollendung jener ersten Zeichnung (im März 1850)
einige neuere Entdeckungen bekannt geworden, die zu ver-
schiedenen, nicht unwichtigen Veränderungen oder Zu-
sätzen Anlass gegeben haben, worüber ich unten, in der
Note ^ eine kurze Rechenschaft ablege.

Die Klassification der afrikanischen Völker nach Fa-
milien und Sprachstämmen muss ich in den allermeisten
Fällen als ein Gegebenes voraussetzen, daher sie mich
nur in Bezug auf geographische Verbreitung beschäftigen
kann; und selbst diese darf hier nur wenige, ganz allge-
mein gehaltene Erlaüterungen in Anspruch nehmen.

Es ist bereits oben (p. 1) angemerkt worden, dass
auf der Ostseite der Erdenge von Suez nur Jafethiden
und Semiten wohnhaft, und die Sprösslinge und Nach-
kommen des zweiten der Söhne Noah's,_

die llamitcn blos in Afrika zu finden seien. Ich habe
diesen Namen auf der Karte weggelassen, wiewol man
Gründe hat ihn auf eine Gruppe von Völkern anzuwen-
den, die sprachlich einander genähert sind, wenn auch nicht
in so nahem Verwandtschafts-Verhältnisse, wie z. B.: die
Indogermanen und die Semiten im engern Sinn, wol aber
in der Bedeütung, welche die Indogermanen, Ugrotataren
u. s. w. zum Jafethismus vereinigt. Zur hamitischen Völ-
ker - Abtheilung glaubt man aber rechnen zu dürfen:
die Kopten, die Nubischen Völker, die Tebous und die
Bischarihn.

1. Die Kopten hab' ich an die Spitze der Völkertafel
gestellt, weil sie die Abkömmlinge der Altägypter und
daher dasjenige Volk sind, von der uns die frühesten
Völkergeschichten zu erzählen wissen.
Chemi, d. i.: „Land
von Harn" ist der ägyptische Name für Aegypten. Nur
ein kleines Haüfchen ist von den Altägyptern übrig geblie-
ben. Die Zahl der Kopten (Kophten, QoubtenJ im ägyp-
tischen Nilthal wird auf ein Sechszehntheil der Gesammt-
Volksmenge Aegypten's geschätzt, verliert sich also ganz
unter der grossen Masse der arabischen Bevölkerung.
Aber auch fern von ihrer Urheimath finden wir Kopten
als Auswanderer und Colonisten an zwei Stellen; zuerst
20° westlich vom Nilthal, im Meridian des Golfs von
Cabes, auf den Bergen Mathmathah und Nawayl, deren
Bewohner Koptisch sprechen; und sodann mitten im Con-
tinent von Afrika, tief im Innern des Biled-es-Sudan, in
Guber, einer der sieben Provinzen des Reiches Haussa.
Die Einwohner dieser Provinz stammen, wie ihre Ueber-
lieferungen sagen, von den Kopten Aegypten's ab, davon
ein Theil in einer unbekannten Epoche, nach dem Innern
des Gharb, oder Abendlandes, ausgewandert ist; und
muthmassen darf man, dass auch die grosse Masse der
Bevölkerung von Ahir aus Nachkommen dieser Kopten-
Colonie besteht

Ich kann hier nicht auf den ethnologischen und philo-
logischen Meinungs-Kampf eingehen, der über die Stel-
lung des koptischen Volks und seiner Sprache innerhalb
des Kreises der Völkerzungen geführt worden ist, und
noch geführt wird; muss aber bemerken , dass die Philo-
logen die Ueberzeügung gewonnen zu haben glauben, das
Koptische stehe unter den afrikanischen Idiomen nicht
vereinzelt, sondern sei durch tnehr oder minder feste Fa-
milienbande einer Seits mit den Sprachen Nubien's, Kor-
dofan's und Dar Fur's, anderer Seits mit den Zungen der
Tebous und der Bischarihn verbunden. Diese Wahrneh-
mungen stützen die Annahme einer hamitischen Völker-
Familie, in der —

2. die Nuba-Völker die zweite Stelle einnehmen.
Jenseits der ägyptischen Landesgränze im nubischen Nil-
thale aufwärts bis zur Einmündung des Takkazie finden
wir die Barabra oder
Berabera (Sing. Berbery), wie
sich die Ür-Einwohner selbst nennen, während die ein-
gewanderten Araber jeden Eingebornen südlich von Asuan
mit dem generischen Namen Nuba bezeichnen, um damit
die Abstammung der Barabra von den Nuba Kordofan's
und des hintern Gebirgslandes anzudeüten, deren gegen-
seitige Sprachverwandtschaft ausser Zweifel ist. Zunächst
an Aegypten wohnen die Kenous ( Sing. Kensy); dann
folgen die Nuba, eine Abtheilung der Barabra, die ihren
oberländischen Namen beibehalten hat, und darauf weiter
südwärts die Dongolawis, drei Abtheilungen, welche ver-
schiedene Mundarten des Berberischen sprechen Süd-
lich von Dongola liegt die Berggruppe von Haraza,
deren Bewohner ein Gemisch des Berberischen und des
Koldagi sprechen, daher den üebergang bilden von den
Barabra zu den Nuba des Oberlandes, die aus einer
Menge einzelner und kleiner Volksstämme bestehen, da-
von ein jeder seinen eigenen Dialekt spricht. Unter den
vielen Mundarten dieser getrennten Stämme ist aber das
Koldagi die herrschende Sprache in Kordofan, an die sich,
mehr oder minder nur als Dialekte, auf der Westseite
das Furische, die Sprache von Dar Für (in zwei Dialek-
ten, als Hof- und als Volkssprache), auf der Ost- und
Südseite die Mundarten all' der Volksstämme anlehnen,
welche auf der Karte innerhalb des Gebiets der nubischen
Sprachklasse namhaft gemacht worden sind. Ob die Idiome
der Nuerr, der Schirr, der Berr (Barry, Berh^ und meh-
rerer anderer kleiner Völkerschaften am Kiti, deren Na-
men keinen Platz gefunden haben, ebenfalls in diese Klasse
zu stellen seien, ist noch zweifelhaft, jedenfalls aber wahr-
scheinlich. Unsere Kenntniss von der Sprache_

3. der Tebous, oder Tibbus ist noch sehr gering;
was man aber von ihr weiss, hat gezeigt, dass sie nicht
vereinzelt steht, sondern Anklänge von Verwandtschaft
näit anderen afrikanischen Idiomen zeigt, unter denen man
einer Seits die Sprache der Tuariks, und das Berberische
der Amazirghen überhaupt gemeint hat, wonach sie also
zum semitischen Stamm gehören würde, andrer Seits aber
auch die Sprachen der nubischen Völker, vermöge deren
sie der hamitischen Sprachfamilie anzuschliessen ist. Be-
merkenswerth ist es auch, dass die Tebous, nicht wie die
Nubas, verschiedene, ob wol verschwisterte Idiome, son-
dern ein einziges Idiom zu sprechen scheinen, welches nach
den einzelnen Stämmen, deren Namen auf der Karte an-
gegeben sind, in verschiedenen Mundarten gespalten ist..
Sollten künftige Forschungen die Voraussetzung der Buch-
staben· Verwechslung rechtfertigen, so haben, nach La-
tham's Bemerkung, die heütigen Tebous nicht allein den
Wohnplatz, sondern auch den Namen der Libyer der Alten
behalten.

4. Die Bischarihn oder Bisharye, zu denen die Had-
harebe und Ababde gerechnet werden, sind die Nachkom-
men der Bewohner Meroe's und der Blemmyer der Alten,
die später Bejas hiessen. Die Bischarein - Sprache ist eine
echt afrikanische, auf die das eingedrungene Arabisch, die-
ses als ein asiatisches Idiom betrachtet, nur wenig oder
gar keinen Einfluss gehabt hat, und steht, wie es Lepsius
und Bird wahrscheinlich gemacht haben, mit der kopti-
schen Sprache in Affinitäts-Verhältnissen, die jedoch so-
wol in lexicalischer als grammatikalischer Beziehung sehr
entfernt zu sein scheinen.

Ein Blick auf die Karte überzeügt uns, dass die Fläche,
welche den Hamiten zum Wohnplatz dient, im Verhältniss
zu dem der Jafethiden eine sehr kleine ist. In dieser Be-
ziehung können sich die Hamiten nicht ein Mal mit_

Den Semiten messen, die, in der ausgedehntesten Bedeü-
tung dieses Namens, von den Höhen Armenien's und den
Ufern des Eüphrats durch ganz Südwestasien und das


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Ethnographie. 43

nördliche Afrika bis an die Küste des Atlantischen Oceans
und bis in die Nähe des Meerbusens von Guinea verbreitet
sind; denn die neüere Sprachforschung hat es erwiesen,
dass ausser den Völkern, welche die orientalische Philolo-
gie bisher ausschliesslich zu den Nachkommen des ersten
von Noah's Söhnen gerechnet hat, also ausser den syro-
arabischen Sprachen, die Idiome der Berbern oder Ama-
zirghen zur semitischen Sprach-Klasse gehören, und dieser
auch sehr wahrscheinlich die Sprache des Sudan-Volks
der Haussaner, oder Guberis, wie Leo der Afrikaner sie
nennt, zugezählt werden muss.

5. Die Semiten im engern Sinn, d. i.: die Syroara-
ber, welche Syrien, Mesopotamien und Arabien als ur-
sprüngliche Heimath bewohnen, nehmen in der politischen
und in der Kultur-Geschichte der Menschheit bekanntlich
eine der ersten Stellen ein. In die drei Zweige der Ara-
mäer, Hebräer und Araber gespalten, haben die beiden
ersten auf der Schaubühne der Weltbegebenheiten einst
eine sehr grosse Rolle gespielt, sind aber im Verlauf die-
ser, Jahrtausende füllenden Begebenheiten theils von frem-
den Völkern, theils aber auch von eigenen Stamm- und
Sprachgenossen, den Arabern nämlich, in den Hintergrund
gedrängt worden, so dass von ihnen nur noch wenige
Ueberreste vorhanden sind, die sich entweder in ihrem
Heimathlande erhalten haben, wie die Aramäer in der
nordöstlichsten Ecke ihres ursprünglichen Verbreitungsbe-
zirks oder die über den ganzen Erdboden zerstreut wor-
den sind, wie es bei den Hebräern oder Juden der Fall
ist, deren Idiom als Volkssprache schon lange vor Christi
Geburt in der aramäischen Sprache untergegangen war®.
Die Araber dagegen sind, ohne ihrer Wanderungen in der
Vorzeit zu gedenken, die nur hin und wieder historisch
nachweisbare Spuren hinterlassen haben, in geschlossenen
Massen aus ihren ürsitzen aufgebrochen, um die Lehre
und religiöse Gesetzgebung Mohammeds, ihres Propheten,
aller Welt zu verkünden; sie haben unter der Führung
kräftiger Chalifen, d. i.: Nachfolger Mohammeds, gegen
den Aufgang wie gegen den Untergang in Asien und
Afrika, und selbst auf eüropäischem Boden grosse islami-
tische Dynastien und Welt-Reiche gegründet, die zwar
nicht von Dauer gewesen sind, die aber theilweise einen
grossen Einfluss auf die Gesittung der von ihnen betroffe-
nen Völker im Morgen- und im Abendlande ausgeübt ha-
ben, wo, wie in Bagdad und Cordoba, die dunkle Finster-
niss, die den menschlichen Geist umschleierte, zeitweise
von lichten Sonnenstrahlen durchbrochen worden ist. Die
Araber haben nicht allein Aegypten (unter Amru ibn al
Assi im Jahre 18 der Hedschra) und die ganze mittellän-
dische Küste von Afrika erobert, so wie einen Theil der
atlantischen besetzt, sondern sind auch tief in's Innere des
Erdtheils eingedrungen, wo sie die einheimischen Bevölke-
rungen theils unterjocht haben, theils, den Sitten ihrer Ur-
ahnen getreü, als wandernde Hirtenstämme friedlich unter
ihnen leben, und die Mission des Halbmondes erfüllen.
Als aüsserste Gränze der Verbreitung der Araber in gan-
zen Stämmen und grossen Massen im Innern von Afrika
lässt sich etwa der 10°N.Breite annehmen, wo sie inKor-
dofan. Dar Für, in Waday, Begharme und Bornu auf den
zum Theil üppigen Triften dieser Tropenländer ihre Heer-
den weiden, oder auch Ackerbauer geworden sind Die
hebräische Sprache ist im Munde eines selbstständigen
Volks längst verstummt, und wird bei den Ueberresten
des Volkes Gottes nur noch in seinen Tempeln gehört;
die aramäische Sprache lebt zwar noch als Volksidiom,
aber ein kümmerliches Leben; beide Mundarten der semi-
tischen Ursprache sind überall von der arabischen Sprache
verdrängt worden, die der Islam der gesammten moham-
medanischen Erde alsReligions- und gelehrte Sprache zuge-
tragen hat, und namentlich für ganz Nordafrika, im Ge-
folge des Islam, vorzüglich aber durch jene Einwanderun-
gen, ein allgemeines Verständigungsmittel und die Sprache
der islamitisch - afrikanischen Völkerwelt geworden ist'o.
Der vormohammedanischen Zeit aber, und zwar dem
grauesten Alterthume gehören die Wanderungen der Araber
nach Habesch oder Abessinien an, wo sie, in einer Periode,
die chronologisch nicht zu bestimmen ist, ein Reich gestif-
tet haben, welches zu den Ländern der Aethiopier gehörte,
unter welcher Benennung nach den ältesten Vorstellungen
der Griechen alle Völker verstanden wurden, die den süd-
lichen Rand der bekannten Erde bewohnten. Dass die

Abessinier nicht von einer altägyptischen Colonie hergeleitet
werden können, wie man wol versucht hat, sondern aus
Arabien stammen, ergiebt sich aus vielen Ueberlieferun-
gen des Landes, ganz besonders aber aus der innigen
Verwandtschaft der Sprachen'Vielleicht die letzte Nach-
hut dieses arabischen Völkerstroms waren die Seho, die
ihre Lagerplätze an den östlichen Abhängen des abessi-
nischen Hochlandes aufgeschlagen haben

6. Die Berbern oder Amazirghen oder Mazirghen,
wie sie sich selbst nennen, was in ihrer Sprache soviel
als Edle, Freie, Franken bedeütet, fülleii mit ihren ver-
schiedenen Abtheilungen das ganze Nordafrika von den
westlichen Gränzen Aegyptens bis zur Küste des Atlan-
tischen Oceans, und vom Mittelländischen Meere bis zum
Senegal und den nördlichen Gränzen der Sudan-Länder.
Alles, sagt Latham, was im Reiche Marocco, in den fran-
zösischen Provinzen von Algier, in Tunis, Tripoli und
Fezzan nicht Arabisch ist, ist Berberisch. Auch die Sprache
der Cyrenaica der Alten, oder von Barka der Araber,
ist Berberisch. Die erloschene Sprache der Canarischen
Inseln war ebenfalls Berberisch, und endlich ist Berber
die Sprache der Sahel, oder der grössern Westhälfte der
Sahara. Im Reiche Marokko unterscheidet man die ei-
gentlichen Berbern von den
Schellöchen oder Schoulouh,
Shelluhs; in Algier heissen die Berbern
KabaUen^ Ka-
bylen, d. h.: Stämme, oder
Schoioi, Shawi, d. h.: No-
maden oder Hirten, oder auch (bei den Arabern)
Dsche-
balis,
Bergbewohner, in Tunis kommen sie unter dem
Namen
Suaven, Zuaven vor, was eine andere Aussprache
für
Shawi ist; in Tripoli heissen sie Ghadamser, nach der
Stadt dieses Namens. Mit allen diesen Benennungen sind
eben so viele Mundarten der allgemeinen Berber- oder
Tamazirgh't-Sprache bezeichnet, unter denen die Dialekte
Eregeiah und Mozahiah ihr Eigenthümliches haben. In
der grossen Wüste führen die Berbern den Namen
Terga
(Sing.), Tuerga, Tuareg oder Tuarihs (Plur.), deren Mund-
art,
Terschiah (Tergeeah) genannt, eine Schwestersprache
des Berberischen ist. Sie führen bei allen Völkern des
Biled - es - Sudan auch den allgemeinen Namen
Sergus,
Surka
oder Sorgus^ unter welchem Namen jedoch auch
ein besonderer Dialekt des Terschiah verstanden wird;
sodann aber mehrere Lokalnamen, wie
Kelluvi, an den
Gränzen von Fezzan, in Ahir und Haussa;
Kilgaris in
den Gegenden zwischen Agades und dem Sudan;
Oule-
midan
und Etesan in Sakkatu und Guber, am Quorra
und in Timbuktu;
Ouzanaroah bei den Haussanern, was
dieselbe Bedeütung hat, wie das arabische Wort
,,Kafir'\
d. i.: Unglaübiger. Alle diese Namen, welche auf der
Karte gehörigen Orts eingetragen worden sind, dürfen
daher nicht als Namen einzelner Stämme des Terga-Volks
angesehen werden

7. Die Haussaner oder Guberis, wie sie Leo der Af-
rikaner nennt, bewohnen das Stromgebiet des Quorra in
seinem Mittellauf, mit allen seinen Zuflüssen. Die west-
liche Gränze dieses Volks ist nicht genau bekannt, und
zweifelhaft auch die nördliche; denn es ist möglich, dass
in Agades und Ahir neben Kopten (?) und Tuariks auch
Guberis wohnen. Ueber die Anlehnung der Haussa-
Sprache an den semitischen Sprachstamm hab' ich eine
kurze Bemerkung in der Note 13 eingeschaltet. Sie ist für
das Innere von Afrika Das, was die französische Sprache
für Europa ist. Haussaner oder Leüte, die deren Sprache
gelernt haben, finden sich fast in jedem Dorfe von Iddah
am Quorra aufwärts längs des ganzen Stromlaufs in und
den Hinterländern fremder Sprachgebiete; und Haussa-
nisch versteht und spricht man in der Wüste bis nach
Murzuk hin.

An den Abhängen des nordöstlichsten Eckpfeilers von
Hochafrika, und auf seiner Scheitelfläche in Habesch
finden wir mehrere kleine Völkerschaften, mit verschie-
denen Sprachen, wahrscheinlich die Trümmer einst grös-
serer Nationen, welche die Urbewohner waren, was von
den
Agaus als gewiss anzunehmen ist; und die in vor-
historischen Zeiten von den als Eroberer einwandernden
Arabern zersprengt und zum grössten Theil vernichtet
wurden Mit ihren damaligen Drängern erdulden sie
dasselbe Schicksal auch in unsern Tagen noch durch das
mächtige Volk —

14. der Gallas, das mit den, ihnen sprach verwand-
ten Somalis und Danagil den ganzen Nordosten von Af-


16 *

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44 Achte Abtheilung.

rika besetzt hält, vom 4° S, bis zum 14® N. Breite, einer
Seits längs der Küste von Mombas bis über die Strasse
Bab-el-Mandel hinaus, andrer Seits bis zu einer noch
unbekannten Ferne tief im Innern des Hochlandes. Dahin-
wärts ist die Gränze von ügallani, d. i.: dem Lande der
Gallas, auf der Karte als muthmasslich nur angedeütet.
Tnlu Walal, d. h.: der unbekannte Berg, heisst in den
Sagen der Gallas ihre Urheimath, die vielleicht unterm
4° S. Breite und 30° O. Länge zu suchen ist. Von da sind
sie ausgezogen gegen Norden und Osten und seit Anfang
des sechszehnten Jahrhunderts, zuerst als Fuss-, dann
als Eeitervolk in den südlichen Provinzen des damals
mächtigen Abessinischen Reichs erschienen, dessen Be-
völkerung sie in keilförmigen Kolonnen auseinander ge-
drängt oder umzingelt haben. Die Galla-Sprachen zeigen
in ihrer Grammatik einige Aehnlichkeiten nicht allein mit
dem semitischen Sprachstamm, sondern auch mit den
Sprachen der hochafrikanischen Völkerfamilie, doch mit
jenem viel weniger, als mit diesen. Indessen sind diese
Analogien nicht so merkbar, um uns zu entscheidenden
Schlüssen über eine ursprüngliche und nahe Verivandt-
schaft dieser Völker zu berechtigen, und es ist nur eine
Andeütung entfernterer Affinität, vs^enn ich auf der Karte
beide Sprachgebiete mit ähnlichen Farben bezeichnet
habe

Wie die nördliche Hälfte von Afrika grossen Theils
vom semitischen Völkerbande umschlungen ist, so wie-
derholt sich in der südlichen Hälfte eine analoge Erschei-
nung; denn ganz Afrika auf der Südseite des Erdgleichers
ist von Völkern bewohnt, die sich von einem einzigen
Sprachstamm abzweigen. Dieser Stamm, den ich mit allen
seinen Aesten_

15. die hochafrikanische Völker-Familie nen-
nen mögte, weil er auf dem grossen Tafellande und seinen
Abfällen gegen den Atlantischen Ocean und das Indi-
sche Meer wurzelt und verzweigt ist, umspannt die Mi-
luas, die Beschuanas, die Käfern und die Sawahilis als
Hauptnationen, deren Sprachen sich unter einander nahe
eben so zu verhalten scheinen, wie das Italiänische, Fran-
zösische, Spanisch - Portugiesische und Romunische im
Kreise des lateinischen Sprachastes, oder wie die Spra-
chen der Russen, Serben, Polaken, Tschechen u. s. w. in
der slawischen Gruppe der Indogermanischen Völkerfa-
milie. Diese hochafrikanische Gesammtsprache, deren Mut-
ter noch nicht erkannt, aller Wahrscheinlichkeit nach
aber ausserhalb des Kreises der hamitischen und semiti-
schen Sprachen zu suchen ist, herrscht mit ihren Töchter-
sprachen und Mundarten auf einem Räume, der fast eben
so gross ist, als ganz Eüropa; ja dieser Raum erweitert
sich um ein Bedeütendes, wenn auch die Sprache der,
ihrem Erlöschen nahe stehenden Quai-quas oder Quai-
quae,_

16. der eigentlichen Hottentotten, neüern An-
sichten zufolge, ein entarteter Dialekt der
Koosa- und
Seschuana - Sprache ist, wie das Idiom der Saabs oder
Buschmenschen, welche Linne mit dem Orang-utang iden-
tificirte! ein ganz verderbter Hottentotten-Dialekt ist'β.
Auch von dem mächtigen Volk_

17. derFulaher und Fellatas, das sich im Lichte
der Gegenwart durch seine, nach Osten gerichteten Er-
oberungszüge und seinen Fanatismus in der Verbreitung
des Islam und dessen Civilisation ebenso hervorthut, als
die Araber in den ersten Jahrhunderten nach der He-
dschra, wird behauptet, dass es mit den Völkern des Ta-
fellandes von Hochafrika sprachverwandt sei, und nicht
zum Geschlecht der Hamiten gehöre Erweist sich
diese Ansicht als begründet, so besitzt Afrika einen
Sprach- und Völkerstamm, der nach seiner Verbreitung
auf gegebenem Räume der indogermanischen Völker-Fa-
milie in Asien und Eüropa nahe gleich steht.

Werfen wir einen Blick auf die Völker, welche das
Biled-es-Sudan bewohnen, so will ich nur —

18. der Mobbaner und 21. der Bornuesen geden-
ken. Die Einwohner von Mobba, oder Waday, auch
Dar
Sseleh ηηά Bargu genannt,
haben eine Sprache, die ver-
schieden ist von den Zungen aller Nachbarvölker, wiewol
Spuren von Affinität im Wortschatze nicht zu verkennen
sind. Aber ausser dieser eigentlichen Landessprache spricht
man in Waday eine grosse Menge anderer Zungen, deren
Zahl bald auf zwanzig, bald sogar auf vierzig angegeben
wird. Aehnlich verhält es sich in Bornu, wo ausser der
eigentlichen Landessprache der Bornuesen dreissig ver-
schiedene Sprachen gang und gäbe sein sollen. Diese
merkwürdige Erscheinung des Vorkommens so vieler
Idiome anf verhältnissmässig kleinem Räume lässt sich
vielleicht dadurch erklären, dass Waday sowol, als Bornu
Passageländer sind zwischen dem Wendekreis des Krebses
und dem Aequator, zwischen der Zone der Araber iind
Berbern und der Zone der eigentlich sogenannten Ne-
ger, die von jeher nicht allein für jene nördlichen Völ-
ker, sondern auch für die Beherrscher der Sudan-Länder
das Ziel von Menschen-Jagden gewesen sind. Von dem
Sultan von Mobba oder Waday im Besondern wird uns
versichert, dass er haüfig Streifzüge in die südlichen Län-
der unternehme und von den dort gefangen genommenen
Leüten, Männern, Weibern und Kindern, in seinem Lande
neue Dörfer anlegen lasse, indem er dies für nützlicher
halte, als sie an Sklavenhändler zu verkaufen. Man nennt
diese Neger in Waday allgemein Djungurih, was soviel
als Unglaübige heisst i®. Diese Colonisationen dürften
als die Ursache der vielen verschiedenen Sprachen in
Waday anzusehen sein, unter denen aber die von Tama
und Runga Autochthonen anzugehören scheinen. Analog
sind die Verhältnisse in Bornu, das zwar ein grosser Mess-
platz für den, durch Mauren betriebenen Sklavenhandel
Jst, dessen Bewohner aber den grössten Theil ihrer Kriegs-
'gefangenen aus den südlichen Ländern im Lande behal-
ten, und zu haüslichen Diensten verwenden. Soweit wir

die Sprache _ 20. der Mandaraner bis jetzt kennen,

muss sie als selbstständig und unabhängig von den Nach-
barzungen angesehen werden, obschon Lyon hörte, dass
sie nur eine Mundart des Bornuesischen bilde.

22. Das Sangai oder Zaghai, das Idiom derKissurs
oder N'Kizars (Inkizars) ist radical verschieden von der
Haussa- und der Bornu-Sprache und kann, örtlich in der
Mitte stehend, zwischen diesen Zungen und denen der
Fulaher und Mandinger, nur als eine selbstständige Mut-
tersprache betrachtet werden, mindestens in Bezug auf
den Wortschatz, obwol im grammatischen Sinn eine ent-
fernte Verwandtschaft mit den Idiomen des östlichen Su-
dan aufgefunden iverden mag.

23. Das grosse Volk der Mandingos oder Mandinger
ist, neben den Fulahern die zahlreichste und mächtigste
Nation im westlichen Theile von Mittelafrika,
Λνο es das
Tafelland von Senegambien und dessen Abfälle gegen das
Meer, und das obere Gebiet des Senegal, der Gambia
und des Dscholiba-Quorra bewohnt, und als das gewerb-
fleissigste Volk bekannt ist, das den ganzen Handel dieser
Gegenden von Afrika in Händen hat. Die Mandinger
spalten sich in eine Menge grösserer und kleinerer Völker-
schaften, deren jede ihre eigene Mundart spricht. Ja,
es werden einige Dialekte als Schwestern oder Töchter
anzusehen sein der Muttersprache, welche von den eigent-
lichen Mandingem gesprochen wird, deren Urheimath
am Dscholiba zwischen dem 10° und 11^ N. Breite zu
liegen scheint. Ganz besonders ausgezeichnet ist dieser
Sprachstamm dadurch, dass er unter allen Völkern rein-
ster afrikanischer Rasse das erste Beispiel einer Schrift-
sprache mit eigenthümlichem syllabischen Schriftzeichen
darbietet, die acht Eingeborne vor zehn oder zwanzig Jah-
ren erfunden haben, — eine Entdeckung der neüesten
Zeit (1849), die zu den wichtigsten Ergebnissen gehört,
welche jemals im Felde der afrikanischen Völker- und
Sprachforschung gewonnen worden sind; abgesehen da-
von, dass die Erfindung selbst, deren sich viele Volks-
stämme rasch bemächtigt haben, ein grosses Mittel zur
Förderung der Gesittung werden muss. Diese geschrie-
bene Sprache wird von den Veis gesprochen, einem Völk-
chen, das jetzt um Kap Mount, in der Gegend von Li-
beria, seinen Wohnsitz hat, und seinen Ueberlieierungen
zufolge, in imvordenklicher Zeit als Kriegsschaar das
Mandingo-Land verlassen und auf seinem Zuge nach und
nach Mena oder Kru, Bassa, Maba, Durukoro (das heü-
tige Liberia), Moro (das Land um das kleine Kap Mount)
besetzt, und sich zuletzt in Wakoro, um Gross Kap
Mount, dem jetzigen Vei-Lande niedergelassen hat. Diese
historische Nachricht findet in philologischen Untersu-
chungen ihre Bestätigung, denn diese haben erwiesen,
dass das Vei und das Mandingo in der That Schwester-
sprachen sind


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Etlmograpliie. 45

24_28. Das Niederland von Senegambien, sowie der

grösste Theil von Ober - Guinea, oder der Küstenstricli
zwischen der Mündung des Senegal und der des Alt-Ca-
labar und des Cameruns-Flusses, ist unter eine Menge
kleiner Völker vertheilt, die von den Mandingos unter-
brochen raümlich in zwei Abtheilungen Einer Kette zer-
fallen, sprachlich aber als einzelne, selbstständige Glieder
derselben aufzutreten scheinen. Von den vierzehn ersten
dieser Glieder, die, von den
Serawallis bis zu den Na-
lez die westliche, kleinere oder senegambische Abthei-
lung bilden, hab' ich nichts zu sagen, es sei denn, dass
der Woloffer der schwärzeste von allen Negern ist und
doch nicht die ganz platte Nase, die dicken Lippen seiner
Rasse hat; und dass die Serawallis oder Serakoleten
(Serrakhalehs, auch Tilubunkoes, d. h.: östliches Volk
genannnt) mit den Mandingern als Handelsleüte wettei-
fern, und ihre Sprache, die von den Nachbarzungen ra-
dical verschieden ist, in einem grossen Theile des nörd-
lichen Mandingo- und Fulahlandes als Handelssprache
erlernt wird.

29. In der östlichen grössern oder Guinea-Abtheilung
kennen vdr an der Zahn- oder Elfenbein-Küste, vom Pal-
men - Vorgebirge bis zum Seni - Flusse bei Ae'seni oder
Issini, die OtZscÄz'es, was ein Name ist, unter dem die
früheren Benennungen
Issinesen, Aessinis und Weteren
begriffen werden müssen. Willkürlich hab' ich hierher
gerechnet die
Esieps, die früher um Apollonia wohnten,
jetzt aber am Andreas-Fluss unter den Odschies sesshaft
sind; die
Ohiomas, Ohiomras und die Quaquas, ein Name,
der an den einheimischen Namen des südlichsten der
afrikanischen Völker erinnert, was zu der sehr gewagten
Muthmassung Anlass gegeben hat, dass die Hottentotten
in Ober-Guinea ihre ürheimath haben könnten, und durch
irgend einen Völkerstrom in die Wohnsitze gedrängt wor-
den sein mögten, wo die Eüropäer sie vor viertehalb
Jahrhunderten kennen gelernt haben.

30. Die Akans oder Aschanter bilden an der Gold-
küste und in deren Hinterlande das mächtigste Volk. Es
spricht die
N'ta- (Inta) Sprache, so genannt nach einer
weit im Innern liegenden Stadt, die in den Traditionen
der Akans für ihre ürheimath gilt. Die Sprache spaltet
sich in die Fanti-Mundart an der Küste, und die Amina-
oder Aminyo-Mundart im Binnenlande. Diese Dialekte
bieten sehr wenig Verschiedenheiten dar, die in den Un-
ter-Mundarten der Wasas, Asins, Fantis, Asuantes oder
Aschanter, der Agunas, Akims, Akoapims, N'tas, Akoa-
mus, Akripons, Aowins oder Awines, Amanaheas, Ad-
dus, und Ahantas noch schwächer werden. Die Effutus
(Aeffetuhs, Fetus) verdienen kaum einer besondern Er-
wähnung, obwol sie durch ihr Priesterthum des Fetischis-
mus bei ihren Nachbarn in Achtung zu stehen scheinen.
Sie gehören zum Fanti-Stamm und sprechen ein Kauder-
wälsch, dessen Grundlage das Fanti und das Akra oder
Ghä ist. Mitten unter den Akans scheint im Distrikte Bu-
ruhm eine eigene, ganz verschiedene Sprache auf kleinem
Räume vorzukommen.

Nicht überall treten die Wohnsitze der Akans unmit'-
telbar an die Küste. Vor ihnen wohnen auf einem schma-
len Striche des Gestadelandes_

31. die Akra er, N'kraer (Inkraer) oder Ghas, die
sich von den Akans in physischem Charakter, in Spra-
che, Regierungsweise und Religion durchaus unterschei-
den. Es gehören zu ihnen die Bergneger von Adampi,
die einen Dialekt des Ghä sprechen, und muthmasslich
auch das Akvombu.

32. Die Dahomaner oder Foyer, wie sie sich selbst
nennen, erstrecken sich weiter landein, als man bisher
angenommen hat. Ihre Sprache, die Ardra, oder Ad-
schire genannt, ist eine selbstständige, doch eine der ärm-
sten, die es in Afrika giebtund, wie es scheint, die
Mutter mehrerer Töchtersprachen; mindestens spaltet sie
sich in mehrere Mundarten, wie Foy, Whida, Ardra,
Papaa, Atye oder Atsche, Watye oder Watsche, Badagry,
Kumsallahuh (ob Sallagha), Daghwumba, Inwa (10o|N.),
Mosih (11° N. Breite).

Oestlich von den Foyern treffen wir: 33. die Ejeoser
und Jebus, die zusammen nur Ein Volk mit Einer
Sprache bilden. Diese heisst bei den Ejeosern, den Be-
wohnern von Jarriba, Ako. Zu ihr rechne ich das Nufi,
als Schwestersprache, oder gar nur als Mundart des Ako.

PHYSIK. ATLAS ABTH. VITT.

Jebus ist der Name der Küstenbewohner dieser Nation,
der Oyoh, Ibakpah, Ibolloh, Inongo, Ibbodos raümlich
beigezählt worden sind. Eine frühere Ansicht, wonach sie
ihren Ursprung aus Bornu herleiten soll, bedarf noch nähe-
rer Untersuchung.

Die raümliche und linguistische Stellung und Trennung
der zwei vorletzten Völker unserer Tafel: 34 der War-
ris und Benins und 35 der Ibuer lässt noch viele Zwei-
fel offen. Ich übergehe die vielen Sondernamen der Volks-
stämme, von deren Zungen Wörter-Verzeichnisse gesam-
melt worden sind, weil die Oertlichkeit theils unbekannt
ist, theils auf der Karte, wegen der Ifleinheit ihres ver-
jüngten Maasses nicht angegeben werden konnte; auch
übergeh' ich 36 das Edijah oder Aedeijah, das auf der
Insel Fernaö do Po, und muthmaasslich auch auf den übri-
gen Inseln des Meerbusens von Guinea gesprochen wird;
wol aber mögt' ich die Aufmerksamkeit lebhaft auf das
hohe Gebirgsland lenken, das in der Mündung des Came-
runs mit seinen Vulkan - Kegeln 12000 Fuss und mehr
noch über die Meeresfläche ansteigt; denn in ihm muss man
den nordwestlichen Eckpfeiler des Tafellandes von Hoch-
afrika erkennen, und damit den aüssersten Vorposten der
Wohnsitze der grossen Hochafrikanischen Völkerfamilie.
Ich glaube nicht zu irren, dass auf diesem Vorposten der
Volksstamm steht, den wir seit alter Zeit unter dem Namen
Amboser oder M'Bozes kennen. Er ist 5° eines grössten
Kreises vom Gabun und den M'Pongwies, von denen wir
wissen, dass sie in dem Umfang des Hochafrikanischen
Völkerkreises liegen, und schiebt diese Peripherie auf der
Abendseite bis zum 6® bis 7® N. Breite vor.

Die Comoro - Inseln, auf denen eine, durch arabischen
und anderen fremden Einfluss sehr verderbter Dialekt der
Zanzibar-Zungen gesprochen wird, bildet für uns die Brücke
zum Ueberschreiten nach Madagaskar, jenem grossen In-
sellande, das die merkwürdige Erscheinung darbietet, geo-
graphisch wie anthropologisch ein Bestandtheil Afrika's
zu sein, sprachlich aber einem ganz anderen Völkerkreise
anzugehören.

Werfen wir einen Blick auf die kleine Nebenkarte der

Vertheilung der Australischen und Polynesischen
Völker.

' Madagaskar ist von drei sehr verschiedenen Menschen-
Classen-bewohnt. Die Eingebornen der Westküste haben
mit den Bewohnern der gegenüber liegenden Küste von
Afrika viele Aehnlichkeit in der ganzen Körperbildung,
dem kurzen, krausen Haar u. s. w. Die zweite Rasse ist
diejenige, deren Existenz auf Madagaskar ein Problem ist.
Sie lebt in den nördlichen Gegenden der Insel und hat
weder mit den Bfewohnern der Westküste noch mit denen
der Ostküste Aehnlichkeit. Sie mögen Abkömmlinge ech-
ter Malayen sein; während sich die Einwohner der Ostseite
für Nachkommen von Semiten, und zwar von Arabern,
aber auch von Juden, halten. Sie sind die schönste, wohl-
gtebildetste Rasse unter den Madekassen, grosse, schön ge-
baute Menschen, mit offenem Gesicht, edlen Zügen u. s. w.
Erwägt man diese Verschiedenheit des Ursprungs, so ist
die Einheit der Sprache des madekassischen Volks ein an-
deres Problem; und diese Sprache ist nicht eine afrikani-
sche, sondern gehört zum Kreise der Malayischen Spra-
chen , die als wirkliche Landessprache, hier auf Madagas-
kar den aüssersten Westen ihres Verbreitungsbezirks er-
reicht. Die Madekassen spalten sich in eine grosse Menge
Stämme, darunter dieSakalaven der West-, die Betanime-
nes der Ostküste, die sich oft feindlich gegenübergestanden
haben, jetzt aber unter der Herrschaft des im Innern der
Insel sesshaften Stammes der Owas oder Howas vereinigt
sind. Nichts desto weniger werden auf der Insel nur zwei
Hauptmundarten gesprochen, die südliche und die nörd-
liche. Das Madekassisch-Malayische steht unter allen Ma-
layischen Idiomen dem Tagalischen auf den Philippinen
am nächsten; indess enthält es auch viele arabische Wur-
zeln, und soll sogar phönikische Wurzeln enthalten, was
derZerstreüung der Flotten zugeschrieben wird, die König
Salomen in Eziongeber ausrüsten liess, um Gold von Ophir
zu holen, das man an die Küste von Zanzibar zu setzen
pflegt; denn der grösste Theil der Salomonischen Seeleüte
bestand aus Phönikern.

12


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46 Achte Abtheilung.

Man hat viel von einem Zwerg-Volke auf Madagaskar,
Namens Kimos gefabelt; allein eine solche Easse existirt
nicht. Dagegen giebt es in den innern unzugänglichen Ge-
birgen die sogenannten Vinzimbern, die, weil sie nicht das
wollige Haar des afrikanischen Negers, sondern langes,
gerades Haar haben, zur Alfora-Rasse zu gehören schei-
nen. Ob diese Vinzimbem einerlei seien mit den Schavoies
und SchaiFates, die neuere Berichte als Wilde schildern,
welche ihre Berge selten verlassen, bleibt unentschieden;
und eben so, ob die Bewohner von Androy und Mahafaly,
im südlichen Theil der Insel, und von denselben Berichten
barbarische Stämme genannt werden, in verwandtschaftli-
cher Beziehung auf die Käfern bezogen werden dürfen.
Wie diese sind sie Viehhirten. In jenen Vinzimbem sind
offenbar üeberreste der Ureinwohner von Madagaskar zu
erkennen.

Der MalayischeVölker- undSprachenstamm^i
hat seinen Verbreitungsbezirk fast ausschliesslich innerhalb
der Tropen und erstreckt sich über den ungeheüern Kaum
von 232 Längengraden, eine Grösse, die unter dem Aequa-
tor einer Ausdehnung von beinahe 3500 deütschen Meilen
entspricht. Dabei bietet er die eigenthümliche Erscheinung
dar, dass seine Völker ihre Wohnsitze nur auf Inseln auf-
geschlagen, und nur an zwei Stellen das feste Land betre-
ten haben, auf der Halbinsel Malacca nämlich, die man
nach ihnen die Malayische nennt, und am Vorgebirge der
guten Hoffnung, wo sie seit Colonisation des Caplandes
durch Deütsche als Handwerker und Fischer einge-
wandert sind. Wahiu, die Ostern-Insel, im Grossen
Ocean ist der aüsserste Ostpunkt des Malayischen Ver-
breitungs-Kreises, unter 248"'/2 0· Länge von Paris, das
Kapland am 16° O. Länge, wie schon erwähnt, der aüs-
serste Westpunkt, dort ihrer vorhistorischen, hier ihrer ge-
schichtlich nachweisbaren Verbreitung. Die Insel Formosa,
unterm Wendekreis des Krebses belegen, bezeichnet den
nördlichsten Eand ihres Verbreitungs-Bezirks, Neü-See-
land, unter 47° S. Breite (die südliche, oder Stewart-Insel,
jetzt Neü-Leinster genannt} den südlichsten Rand, an dem
die Malayen um 23® '/2 aus der heissen Zone herausgetre-
ten sind.

Dem Räume wie der Sprache nach lassen sich die Ma-
layischen Völker in neün Hauptgruppen zerlegen, ^^ die,
von Westen nach Osten gezählt, folgende sind:

1. Madekassen. 6. Malayen der kleinen

2. Ceylonesische Malayen.^^ Sunda-Inseln.

3. OrangMalayo, eigentliche 7. Tagaler.

Malayen. 8. West-Polynesier.

4. Javaner, 9. Ost-Polynesier.

5. Bugis oder Buggesen.

Eine jede dieser Gruppen hat ihre eigene Sprache. Aber
alle diese Zungen wurzeln mehr oder minder in der Spra-
che der Orang Malayo, d. h. Malayischen Männer, oder
der eigentlichen Malayischen Sprache, die als Umgangs-,
als Religions- und Handelssprache im ganzen Indischen
Archipelagus verstanden und gesprochen wird, auch von
den dort lebenden Engländern und Holländern als noth-
wendiges Verständigungs-Mittel erlernt werden muss. Sie
sowol als ihre Schwester-Sprachen spalten sich in eine
Menge Dialekte. Am reinsten wird das Malayische in Ma-
lacca und auf der MalabarischenKüste gesprochen, welche
Mundart daher auch Hoch-Malayisch, Malay Tallam, ge-
nannt wird, zum Unterschiede vom Malay Passer, dem
Platt-Malayischen auf den Ostindischen Inseln, wo es
sich wieder in mehrere Unter-Mundarten theilt. Die Ma-
layische Volkssprache auf Java spaltet sich in vier Haupt-
sprachen; die gebildeten Leüte sprechen eine Mischsprache,
die viel Sanskrit, etwas rein Malayisches, und am wenig-
sten aus der Volkssprache enthält. Ausserdem haben die
Javaner noch eine gelehrte Sprache, die Kawi-Sprache,
die mit dem Sanskrit auf's innigste verwandt ist. Die
Sprache der Bugis auf Celebes schcint ehedem eine von
der jetzigen verschiedene Sprache gewesen zu sein, welche
in der Folge von derselben verdrängt, oder mit ihr ver-
mischt worden ist. Die Sprachen der kleinen Sunda-Inseln
sind ein Gemisch aller bisher genannten malayischen Idiome
mit ursprünglichen Sprachen, die auf diesen Inseln hei-
misch zu sein scheinen. Wie sich diese Zungen überhaupt
vom Malayischen entfernen, so im Besondern die Sprache
von Timor, deren Wortschatz nur eine sehr entfernte
Aehnlichkeit mit dem Malayischen hat. Auch dieMolucken
scheinen eine ursprüngliche Sprache gehabt zu haben, die
auf die dort herrschende Mundart des Malayischen nicht
ohne Einfluss geblieben ist. Auf den Philippinen, mit Ein-
schluss der Insel Mindanao, und auf den Sulu-Inseln giebt
es nur Eine Hauptsprache, welche eine Tochter des Malayi-
schen ist, und sich in die zwei Haupt-Dialekte: Tagalisch
auf den Inseln Luzon und Marinduque, und Bissajisch auf
den übrigen Inseln theilt. Tagalisch wird am reinsten in
und um Manila, der Hauptstadt der Philippinen, gesprochen.
In anderen Gegenden giebt es mehrere und zum Theil sehr
abweichende Mundarten. Die polynesischen Sprachen, die
sich entfernt an das Malayische anschliessen, mit diesem
einer gemeinsamen Quelle entflossen nur als Schwestern
desselben angesehen werden können, spalten sich in zwei
Haupt-Abtheilungen, die Westaustralische mit sehr vielen,
oft sehr verschiedener Mundarten; und die Ostaustralische,
die von Hawaii bis Neüseeland reicht und Idiome enthält,
welche alle sowol in den Wurzelwörtern, als auch in den
grammatischen Verhältnissen und der Satzbildung so ge-
nau übereinstimmen und verwandt sind, dass man zweifel-
haft wird, ob man sie nicht für blosse Dialekte Einer
Sprache zu halten hat.

Was die Alforas und die pelagischen Neger (Negritosj
und Papuas anbelangt, so gehören diese Schwarzen Süd-
asiens und Australiens, jene ersten mit rauhem, aber
schlichtem Haar, diese mit krausem, wolligen Haar und mit
dicken Lippen, für jetzt weniger in's Gebiet der Ethnogra-
phie, als in das der Anthropographie; weil uns von ihren
Sprachen sehr wenig bekannt ist, und sie überhaupt nir-
gends eine Gemeinschaft bilden, die man Volk nennen
kann. So viel aber scheint mit Sicherheit angenommen
werden zu können, dass sie überall da, wo sie vorkommen,
die Urbevölkerung bilden, die von fremden Einwanderern
zum Theil vertilgt worden ist, indess die übrig gebliebenen
wenigen Trümmer sich in unerreichbare Gebirgsschlupf-
winkel zurückgezogen haben. So ohne Zweifel ist der Her-
gang der Dinge auf der Malayischen Halbinsel und im
nordöstlichen Theil des Indischen Archipelagus gewesen,
wo das Malayen-Volk als Geissei der Alforas und Negri-
tos aufgetreten ist; so geschieht es unter unsern Augen in
Australien, seitdem, auf Banks', des berühmten Begleiters
von Cook und nachmaligen Präsidenten der Royal Society,

_Vorschlag im Jahre 1788 der Grund gelegt worden ist

zur Colonisation dieses Pestlandes. Indo-Eüropäer germa-
nischen Stammes sind hier unwillkürlich die Vertilger der
Urbewohner geworden. Ziemlich unberührt geblieben sind
bis jetzt noch die Schwarzen der Andomanischen Inseln,
und der langen Inselkette, die sich von Neü - Guinea bis
Neü-Calidonien erstreckt; aber auch sie werden von ihrem
unerbittlichen Schicksale erreicht werden, denn schon nä-
hern sich ihnen die Germanen als Wallfischfänger und als
Handelsleüte. So weit der kleine Maassstab der Karte es
gestattet hat, sind die Punkte des Vorkommens der Alforas
und Negrito-Papuas genau angegeben


Anmerknogen.

1 (p. 42.) Als Leitfaden bei diesen üntersachungen nicht blos,
sondern auch in sehr vielen Fällen als einzige Quelle ^at mir
die vortreffliche Abhandlung über die Ethnographie Afrikas
gedient, welche Dr. E. G. Latham in der Versammlung

der britischen Wandergesellschaft für die Erweiterung der Na-
turwissenschaften, im Juni 1847 zu OScford abgehalten, vorgetra-
gen hat. Sie ist unter dem Titel:
On tJie present State and recent
progress of Ethnographical Philology.
Parti. Africa, in den ^Ver-
handlungen der gedachten Gesellschaft;
ihe Report for 1847·
London, 1848, part I, p. 154_229 erschienen. Für die genauere
Bestimmung der Einzelheiten in der afrikanischen Ethnographie
ist Adelung-Vater's Mithridates, Bd. III, Abth. I, vom J. 1812;

nnd Bd. IV, p. 421_459, vom J. 1817, noch immer unentbehr-
sowie auch das klassische "Werk von James Cowley
Pri-
chard, Researches into the Phjsical History of Mankind,
im Vol. II,
(3d Ed. London, 1837) die Bahn verzeichnet, welche die afrika-
nische Völkerkunde nach den Forschungen der Neüzeit zu be-
treten hat. Diese beiden Hauptwerke sind, wie sich von selbst
versteht, bei Ausarbeitung meiner Karte von Afrika nicht un-
benutzt geblieben. Auch Adr. Balbi's
Atlas etJinographique, Paris
1826, zieht man dann und wann gern zu Eathe. — Zufolge
mündlicher Mittheilung Alexander's von Humboldt hat Lepsius
eine ethnographische Karte von Afrika entworfen, die er in sei-
nem grossen Reisewerk über Aegypten wird erscheinen lassen.


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Ethnographie. 47

2 (ρ. 42.) Physikalischer Atlas. Geographisches Jahrbuch zur
Mittheilung aller wichtigeren neüern Erforschungen 1850, II,
p. 1_28, p. 62, 63. Vergl. auch: 1851, ΙΠ, p. 62_66.

3 (p. 42.) Das verjüngte Maass der vorliegenden ethnographi-
schen Karte ist 1: 37,000,000; der Maassstab der Karte von
den „Bergketten und Flusssystemen in Afrika. Anschauung der-
selben im Jahre 1850" (Physikal. Atlas, III, No. 7) ist 1:
62,000,000 der wirklichen Grösse.

4 (p. 42.) Die Veränderungen beziehen sich hauptsächlich auf
das Wassersystem des N'Gami-Sees, den ich in der Karte von
1850 zuerst mit dem Orange-Strom, dann aber mit dem Zam-
bedsi in Verbindung gesetzt hatte. Neüere Entdeckungen haben
es jedoch sehr wahrscheinlich gemacht, dass der N'Gami ver-
mittelst seines Abflusses
Zouga zum Gebiet des Limpopo oder
Uri gehört, und dass dieser Uri nicht, wie man bisher glaubte,
als
Sahia sich ins Meer ergiesse, sondern seine Mündung in
dem
OuTo habe, der zwischen dem Vorgebirge der Strömungen
(C. Corrientes) und der See-Bucht (Bahia de Lagod) ins Meer
fällt. Ueberdem ist ein zweiter See, Namens
Mokoro, entdeckt
worden, der 2°'/2 bis 3» eines grössten Kreises nördlich vom
N'Gami liegt, von Norden her mehrere Flüsse empfängt, und
mittelst des
Teoge in den N'Gami fällt. Teoge ist wol eine an-
dere Aussprache für
Zouga, und beide Namen sind wol ein Ap-
pellativum für Fluss u. s. w.
(Athenaeum, 1851, Febr. 22, No.
1217, p. 219; und
James Mac Q/ieen, Notes an the present state
of some parts of Africa,
in Journ. Roy. Geogr. Sog., Vol. XX,
p. 235—252.) Eine andere Veränderung betrifft den N'Yassi.
In Folge der Mittheilungen von Rebmann und Krapff, über die
ich im Geograph. Jahrb. 1851, III, p. 62_66 gesprochen, hab'
ich nämlich Veranlassung gehabt, den N'Yassi in zwei Hälften
zu zerlegen, die durch eine morastige Niederung mit einander
in Zusammenhang stehen. Die nördliche Hälfte wird man viel-
leicht
Sambiro nennen können, was an Zambre der alten portu-
giesischen Berichterstatter erinnert. Den zuletzt erwähnten Na-
men legt' ich in der Karte von 1850 dem See bei, der auf der
neuen Zeichnung von 1851, nach Kebmann und Krapff, Eo
heisst. Den Angaben dieser Männer folgend hab' ich das nörd-
liche Ende des N'Yassi-Sambiro in lo'/i S. Breite gesetzt (frü-
her unter 50 S.). _ Ihnen verdankt man auch die Kenntniss

eines zweiten Schneebergs, Namens Kenia, in dessen Nachbar-
schaft ein Vulkan liegt, welcher noch immer Ausbrüche haben
soll. Beilaüfig sei es (zur Karte No. 7, Abth. III des Physikal.
Atlas) bemerkt, dass diese Feueresse in der nordwestlichen Ver-
längerung der vulkanischen Eeihe liegt, die τοη Bourbon durch
den nördlichen Theil von Madagaskar und über die Comoro-
Inseln nach der Küste Zanzibar zieht. _ Eine dritte Aenderung
hat den Cuenza zum Gegenstand. Ich lasse diesen Strom eben-
falls aus einem See abfliessen, auf Grund der älteren portugie-
sischen Nachrichten, denen schon der gewissenhafte Geograph
Delisle in seiner Karte von 1722 Glauben geschenkt hatte. Neüe
Berichte der Portugiesen bestätigen diese Vorstellung vom Ent-
stehen des Cuenza und sprechen selbst von mehreren Seen,

die ihn speisen sollen. (J. Mac Queen, a. a. O., p. 241.) _

Endlich viertens hab ich auch, hoch oben unter nördlichen Brei-
ten, in der Sahara, zwischen Ghat und Tuat, einen See ange-
geben, was sich auf briefliche Mittheilungen von Barth und
Overweg stützt, welche, in Gesellschaft von James Kichardson,
eben jetzt auf einer Forschungs-Eeise im Innern von Afrika
begriffen sind.

5 (p. 42.) Wegen des, bisher wenig beachteten, Vorkommens
der Kopten ausserhalb Aegyptens, erstlich auf den Bergen
Mathmaihah und Nawayl, die auf der Gränze von Tunis und
Tripoli liegen müssen, 9« O.Länge von Paris, vergl.
Davezac,
Esquisse generale de l'Afrique.
Paris, 1837, p. 64, und zweitens
in Guber und Ahir siehe Sultan Mohammed Bello's (B'Elloh's)
von Haussa Beschreibung des Königreichs
TaTc-roor, in Denham-
Clapperton, Narrative of Travels and Biscoveries in Northern and
Central Africa, in the years
1822_1824. London, 1826; Appen-
dix p. 162. Ueber die jetzige Sprache der Einwohner der Pro-
vinz Guber
(Ghoober) wird uns zwar nichts gesagt; man kann
aber wol auf den Gedanken kommen, dass sie noch die Sprache
ihres Mutterlandes gebrauchen, und sogar noch der koptischen
Schriftsprache mächtig seien; denn Sultan Bello, der die in Eede
stehende Nachricht von seinem Freünde, dem Fürsten Moham-
med El-Bakery erhalten hatte, sagt:
„This tradition (von der
Auswanderung,der Kopten aus Aegypten nach Guber)
he found
in the records which they possess".
Sie hatten einst auch die
Provinz Ahir inne, die aber von den Tnariks erobert worden
ist (a. a. O., p. 160); doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass
sie daselbst noch immer die Hauptbevölkerung bilden, im Zu-
stande der Unterwürfig- und Dienstbarkeit unter der Herrschaft
der Tnariks. Auf diese Kopten-Kolonie im Innern von Afrika
hat schon Balbi lebhaft aufmerksam gemacht; indess irrte er
sich, wenn er mit grosser Bestimmtheit sagte
„qu'ils y ont long-
temps conserve leur langue." (Introd. ä l'Atlas ethnogr. du Globe.
T. I. Paris 1826, p. 201.) In Sultan Bello's Denkschrift steht
davon kein Wort; gleichwol ist es möglich, dass es so gewesen,
und die koptische Sprache theilweis noch die Landessprache
sei. Künftigen Eeisenden ins Innere ist dieser interessante Punkt
der afrikanischen Ethnographie zur Erforschung dringend zu
empfehlen; _ vielleicht dass Eichardson, Overweg und Barth,
deren neüeste bis zum Juni 1851 nach Eüropa gelangte, Nach-
richten aus Tin Tullus datirt sind, darüber berichten werden.

6 (p. 42.) Der Name Berbery, Barabra, Baraberah scheint hier,
wie bei dem grossen Volk der Berbern, Bereber, keine andere
Bedeutung zu haben, als die von Fremdlingen, Ausländern, Wäl-
sche. Wie die Griechen alles Volk, was nicht Hellenisch sprach,
Βαρβάροι nannten, so nannten, wie uns Herodot belehrt, auch
schon die Altägypter alle Nationen, welche nicht ihr Idiom spra-
chen, Barbaren: _
„Βαρβάρους de τΜντας ol Αϊγύπτιοι καλέουσι
τους μτ) σψί όμογλώσσους." Lib. II. 158; was möglicher Weise
vom Namen ihrer südlichen Nachbarn, den Barabra, entlehnt
war (Eenouard, im
J. B. A. S. Vol. ΙΠ, p. 133; vergl. Latham,
im
Report, p. 206) und demnächst in die Sprachen der in-
dogermanischen Völker übergegangen sein mag. Andere Etymo-
logien des Worts Barbar, Berber, namentlich die von Graberg
von Hemsö
{J. R. A. S. Vol. Π, p. 107) übergeh' ich, der Kürze
wegen, mit Stillschweigen. Beilaüfig sei es bemerkt, dass über
die Abstammung der Barabra oder Barbaren des nubischen Nil-
thals die fabelhaftesten Meinungen laut geworden sind, u. a.
hat man sie übers Meer auf grossen Handels-Flotten aus Indien
„emigriren" lassen, und diese „grandiose" Idee, hauptsächlich
auf den Namen
Varvara gestützt, der im Sanskrit ungefähr die-
selbe Bedeütung hat (siehe oben p. 28). Die ersten, ausfuhrli-
chen Nachrichten über das Nubische Volk hat Costaz, einer
der Theilnehmer an der französischen Expedition nach Aegyp-
ten, unter Bonaparte, 1799, gegeben in einem
Memoire sur la
Nubie et les Barahras (JDescription de l'Egypte. Etat moderne.
T. I, p. 399 ff.). Ludwig Burckhardt, der unermüdlichste und
gründlichste unter den neüern Eeisenden im Morgenlande, be-
merkt, dass der Name Baräbera von den Einwohnern selbst
selten gebraucht werde, wenn sie von ihrer Nation sprechen
(Eeisen in Nubien. Deütsche üebers. Weimar, 1820, p. 41, 290),
indem er hinzufügt, dass er ihnen nur von den Aegyptem ge-
geben werde und nicht ihr eigner sei (a. a. O., p. 703). Dem
aber widerspricht Eduard Eüppell mit dem Bemerken, dieser
Name sei es immer, welchen sie gebrauchen, wenn sie von sich
selbsten als Nation sprechen (Reisen in Nubien, Kordofan u. s. w.,
Frankf., 1829, p. 32).

7 (p. 43.) Aram, einer der weitschichtigsten geographischen
Namen im Alten Testament, umfasst alle Länder zwischen Phö-
nikien, Palästina, Arabien und Armenien, mithin Das, was die
Griechen Syrien und Mesopotamien nannten (Jes. 7, 8; 1. Kön.
20, 26). Die Aramäische Sprache ist ein Zweig des semitischen
Sprachstamms, der sich in zwei Dialekte, den chaldäischen
oder babylonischen, und syrischen theilt, und hinsichtlich seiner
Ausbildung unter den semitischen Mundarten die letzte Stelle
einnimmt. Grammatisch unterscheidet sich das Aramäische vom
Arabischen und Hebräischen durch geringem Eeichthum an
Vokallauten in den einzelnen Wörtern und Wortformen. Unter
den syro-macedonischen Königen verlor die Sprache viel von
ihrer Reinheit durch eindringende Hellenismen; noch mehr aber
unter den griechischen Kaisern. Doch erreichte sie unter den
letzteren ihren glänzendsten Zeitpunkt, indem sie, besonders
durch Ephraim im 4teii Jahrhundert literarisch ausgebildet
wurde. Zwei Jahrhunderte später zeichnete sich die syrische
Schule zu Edessa durch ihre Bemühungen für die grammatische
Eeinigkeit aus, daher die so berichtigte Sprache Edessena ge-
nannt ward. Unter den Arabern verfiel Alles wieder und die
Sprache wurde nicht allein aus den Städten, sondern vom 12ten
Jahrhundert an auch auf dem Lande verdrängt, so dass sie hier
nur noch in wenig Gegenden gesprochen wird. (Mithr. I, p.334).
Darum ist es ein Irrthum, wenn man in neürer Zeit oft be-
hauptet hat, dass die aramäische oder syrische Sprache ausge-
storben sei. Ein Vulgär-Aramäisch ist noch heütiges Tages die
Muttersprache einiger Stämme des Syrischen Gebirgs, um Da-
mask, Eakka n. s. w. (Mithr, I, p. 338), im Besondern aber
der sogenannten Nestorianer, oder Chaldäer in den mittlem
und nördlichen Gegenden von Kurdistan, oder der
Nesrani, wie
sie sich selbst nennen, zuweilen mit dem Zusatz
Surjani, d. i.:
syrische Christen (Nazaräer). Dieses Vulgär-Aramäische hat
das Alt-Aramäische, in welchem die Kirchenbücher abgefasst
sind und worin der Gottesdienst abgehalten wird, zur Grundlage,
aber neben diesem Grundstoff zeigt sich Einzelnes, was aus dem
Arabischen und dem Persischen entlehnt ist. Am reinsten wird
das Aramäische oder Chaldäische von den Nestorianern von
Dschulamerik oder Djulamerk gesprochen. Ueber diesen Zweig
der Semiten und ihre Sprache vergl. man: Niebuhrs Reisen II,
p. 352, 363; III, p. 193. Ives' Eeis. nach Indien und Persien.
Leipz. 1775, II, p. 171. Buckingham, Eeis. in Mesopotamien,
Berlin, 1828, p. 358, 364. Berggren, Reis, in Eüropa und im
Morgenlande, II, p. 32.
Rieh, Narrative of α Residence in Koor-
distan,
I, p. 276, 279. Eli Smith (und H. G. 0. Dwight) Resear-
ches in Armenia.
Boston, 1832, Π, ρ. 212 ff. _ Hörnle im Baseler
Missions-Magazin, 1837, Heft 3, p. 503.
Will Ainsworth, Account
of α Visit to the Chaldeans in the Summer of 1840,
im Journ. R.
Geogr. Soc.
XI, p. 21 — 76. Man vergl. übrigens die schöne Zu-
sammenstellung von F. Rödinger über die aramäische Vulgär-
sprache der heutigen syrischen Christen in der Zeitschr. für die
Kunde des Morgenl. 1839, II, p. 77—93, p. 315.

8 (p. 43.) Es ist versucht worden, die Verbreitung der Juden
in Afrika auf der Karte nach den Quellenschriften anzudeüten.
Sehr zahlreich ist die jüdische Bevölkerung im Maghreb akssai,
wo über eine halbe Million Juden leben (Graberg von Hemsö,
das Sultanat Maghrib ul Aksa, p. 45.
Hodgson, Notes an North-
Africa,
p. 31), von denen Diejenigen, die im Salomonischen Zeit-
alter vor Alters eingewandert sein wollen und unter den Ber-
bern hoch oben in den Atlas - Thälern, Namens Cubba oder
Kobba, ihre Wohnsitze haben
(Davidson, Correspondence during
Ms Residence in Marocco, J. R. G. S.,
Vol. VII, p. 156, 160),
Philistiner genannt werden. Die meisten Juden dieses Landes,
sowie im Maghreb aussath, wo sich ihre Anzahl auf mehr, als
eine
Viertel-Million belaufen soll, stammen aber aus Eüropa,
von
wo sie vor den Verfolgungen der Christen, zuerst aus Spa-
nien im Jahrhundert, zuletzt aus Portugal am Schluss des
15ten Jahrhunderts, geflüchtet sind. In Aegypten giebt es Juden
nur in Cairo und in Alexandrien, zusammen 3500 an der Zahl.
{Mengin, Bistoire de l'Egypte, T. II, p. 280, 281.) In Habesch heissen
die Juden Falascha. Ueber die Periode, wann sie in diesem
Lande eingewandert, haben sie nur unbestimmte Begriffe: einige


16 *

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48 Achte Abtheilung.

eagen, dass es mit Menilek, dem Sohne Salomo's, geschehen;
andere Falascha glauben, dass ihre Vorfahren nach der Zer-
störung Jerusalems durch die Börner in Habesch Zuflucht ge-
sucht und gefunden hätten
(Sam. Gohat, Journ. of α three Years'
Residence in Äb^s»inia.
London, 1834, p. 362. Ed. Riippell, Reise
in Abyssinien, Erantf. 1840, Π, p. 326). Beiläufig sei daran
erinnert, dass Hebräer, Israeliten, Juden bekanntlich Namen
einer und derselben Nation und nur chronologisch verschieden
sind. Die Sprache dieses Volks ist aber immer mit dem ältesten
seiner Namen, der von Heber, einem Vorfahr Abraham's (muth-
masslich nur einer mythischen Person) abgeleitet, aber auch
durch „Jenseits" des Euphrat erklärt wird, die Hebräische ge-
nannt worden, die sich zu den übrigen Zweigen des semitischen
Sprachstamms nahe eben so verhält, wie unter den Töchter-
sprachen des Lateinischen etwa das Italiänische zum Spanischen
und zum Französischen. Als Vaterland des Hebräischen hat
man Palästina zu betrachten. Da die Genesis (Kap. 31, 47) die
mit den Stammvätern des hebräischen Volks verwandten Pa-
milien, welche in Aramäa wohnhaft geblieben waren, als Ara-
mäisch redend, darstellt, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass
die Hebräer erst nach ihrer Einwanderung in Palästina von den
vor ihnen von „Jenseits" in dieses Land gezogenen Kanaaniterh
die allerdings verwandte, aber doch nicht damit ganz überein-
stimmende Mundart annahmen, und sie nun zur hebräischen
Sprache ausbildeten; daher denn auch die sogenannten Phö-
nikier, und ihre Abkömmlinge, die Karthager, Hebräisch in ver-
schiedenen Mundarten sprachen (Gesenius, Geschichte der he-
bräischen Sprache und Schrift, p. 16 ff., p. 223). Sehen wir auf
die schriftlichen Urkunden, welche uns in irgend einer der se-
mitischen Sprachen überliefert sind, so unterliegt es keinem
Zweifel, dass die hebräische uns die ältesten Schriftdenkmäler
darbietet; wiewol damit keineswegs gesagt sein soll, dass sie
auch die älteste unter ihren Schwestern, oder gar die erste
Sprache in der Welt gewesen sei (Mithr. I, p. 356, 357). Schon
in den literärischen Erzeugnissen, welche sich als die ältesten
ausweisen, hat das Hebräische seine vollkommene Ausbildung
(Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, I, p. 63), und Λvird
also, bevor es zur Schriftstellerei verwandt wurde, manche Bil-
dungsperiode durchlaufen ■ haben. Die ältesten Bücher, welche
in hebräischer Sprache verfasst sind, können nicht vor der da-
vidiseh-salomonisehen Periode entstanden sein; denn die Abfas-
sung des Pentateuchs durch Moses, und vollends der Ursprung
des Buches Hiob vor Moses sind jetzt allgemein als unhaltbar
aufgegeben. Dass die Sprache, in welcher die hebräische Litera-
tur, oder wie wir von Kindheit an zu reden gewohnt sind, das
Alte Testament abgefasst ist, sich in mehrere Dialekte gespalten
habe, ist bei der Kleinheit des Landes, in welcher sie gespro-
chen wurde, und bei der grossen Gleichförmigkeit seiner Boden-
beschaffenheit und seines Klima nicht wol annehmbar; daher
denn auch einer eigentlichen dialektischen Verschiedenheit
im A. T. nicht Erwähnung geschieht und Das, was darauf be-
zogen werden kann, nur die Aussprache betrifft (Α. Th. Hart-
mann, Linguist. Einleitung in das Studium der Bücher des A.
T. p. 99. Gesenius, a. a. O., p. 54). AVann das Hebräische im
Munde des Volks verstummt, lässt sich aus Mangel an Nach-
richten nicht mehr bestimmen: zu Nehemiah's Zeit ward die
Sprache noch geredet (Nehem. 12, 23, 24), und im Zeitalter
der Makkabäer noch geschrieben, wie die jüdischen Münzen
und das in jener Periode entstandene Buch Daniel's lehren.
Allmälig aber verschwand sie aus dem öffentlichen Leben nnd
ging für immer zu Grabe, nachdem die syrische Herrschaft sich
auch über Palästina ausgedehnt hatte und das Aramäische da-
durch noch grössern Einfluss erlangte. (A. G. Hoffmann, Art.
„Hebräische Literatur, Schrift und Sprache", in Ersch-Gruber,
Encykl. 2. Sect. ΠΙ, p. 380.) Aber auch diese Sprache hat einer
andern der semitischen Schwestersprachen allmälig das Peld
räumen müssen, als Palästina und ganz Syrien im Jahre 636
n. Chr. Geb. von den Arabern unter dem Ghalifen Omar erobert
und die Juden im Anfange des 11. Jahrhunderts auch aus Ba-
bylon, wo sie noch Öffentliche Schulen hatten, vertrieben wur-
den. Das Zeitalter der Kreüzzüge hat die arabische Sprache
da nicht verdrängen können, wo einst Hebräisch und Aramäisch
die Landessprachen waren. Aus beiden Idiomen ist aber das Neü-
hebräische entstanden, welches die Juden, als sie Babylon ver-
lassen mussten und in Spanien unter den dortigen Arabern eine
freündlichere Aufnahme gefunden hatten, in den Schulen zu
Granada, Sevilla, Gordoba, zu Toledo, Saragoza und Barcellona
anbauten, die aus Asien mitgebrachte Aramäo - Hebräische
Sprache von den gröbsten Auswüchsen des Aramäischen reinig-
ten, sie einer neu gebildeten hebräischen Sprachlehre anschmieg-
ten, und sie gewisser Massen mit dem Hebräischen der altjüdi-
schen Literatur zusammen schmelzten. Dieses Neühebräische,
welches man auch nach den Rabbinern, den jüdischen Gesetz-
kundigen und Gelehrten überhaupt, das Babbinische nennt, ist
seitdem die gelehrte Sprache der Juden (Mithr. I, p. 375). Was
aber die Vulgärsprache der im europäisch-afrikanischen Abend-
lande zerstreüten Juden betrifft, so besteht dieselbe aus einem
sogenannten Kanderwälsch oder Jargon, in zwei Hauptmund-
arten: dem Judendeütsch und dem Judenspanisch. Die erste
dieser Mundarten ist ein Gemisch aus deütscher Grundlage mit
sehr vielen hebräischen, der Form nach germanisirten Wurzeln
und manchen Corruptionen aus slawischen und anderen Mund-
arten. Sie wird von den Juden in Deütschland, im östlichen
Frankreich, in den Niederlanden, in London, in Dänemark und
Schweden, in Polen und Galizien, im westlichen und südlichen
Russland, in der Moldau und Walachei, in Serbien und Bosnien,
Ungern, dem nördlichen Italien und in der Schweiz als Mutter-
sprache neben den Landessprachen gesprochen. Dieses juden-
deütsche Kanderwälsch zerfällt sogar in mehrere Dialekte, unter
denen der in Serbien und Bosnien von der westlichen Mundart
sich am meisten unterscheidet; deütlich geschieden sind aber
auch die Dialekte der elsasser, der süddeutschen, der norddeüt-
schen, der polnischen und der östlicheren Juden im christlichen
Europa. Das deütsche Element im Judendeütsch ist oberdeütsch,
weil die meisten europäischen Juden ans den allemannischen
Provinzen Frankreichs und ans dem südlichen Deütschland sich
ausgebreitet haben; vom Niederdeütschen findet sich darin fast
keine Spur. Wie die deutschen Juden ihren Dialekt überall hin-
trugen, so haben auch die Abkömmlinge aus der Pyrenäischen
Halbinsel ihren spanisch-portugiesischen Jargon nach Hamburg,
Amsterdam, London und Südfrankreich, insbesondere aber in's
Osmanische Reich und nach der Berberei mitgenommen; und
ist, unter dem Namen
Ladino, die Muttersprache aller Juden
in den genannten Ländern. Beide Judendialekte haben ihre ei-
gene Literatur. (J. M. Jost, Art. „Judendeütsch" in Ersch-
Gruber's Encykl. 2te Sect., XXVII, p. 322 _ 324.) Von der
Sprache der Falasha oder Felasha, der Juden in Habesch, be-
merken Gobat (a. a. 0., p. 362) und Rüppell (a. a. O., p. 325),
dass sie ein eigenthümlicher Dialekt sei, der weder mit dem
Hebräischen noch mit dem Aethiopischen Aehnlichkeit habe;
doch sprächen alle, mit Ausnahme der Frauen, Amharisch.
Ans den vorhandenen Wörtersammlungen ihrer Sprache ergiebt
sich aber, dass diese eine der Agau-Sprachen ist
(Charles T.
Beke, Vocabularies for thirteen Abessinian Languages
im Journ.
Phüolog. Soc.
No. 33); und dass letztere den Anschein haben,
dem semitischen Sprachstamm näher zu stehen, als man bisher
anzunehmen pflegte. (Latham,
Report, p. 205.) Was die Verbrei-
tung der Juden in Arabien betrifft, so hatten sie zu Khaibar,
nördlich von Medina, eine Kolonie, die aber gänzlich verschwun-
den ist. Ueberhaupt leben in dem nördlichen Theile der arabi-
schen Wüste keine Juden mehr. Diejenigen, welche sieh vordem
in Arabien niedergelassen hatten, gehörten zum Stamme Beni
Korayta (Karaiten). Sie kamen nach Medina, nachdem Nebu-
kadnezar Jerusalem erobert hatte; als aber einer der Toba-
Könige von Jemen einen Einfall in Medina machte, nahm er
auf seiner Rückkehr von da einige Beni
Korayta mit sich nach
Jemen. Dieses waren die ersten Juden, die sich in diesem Lande
ansiedelten und ihre Nachkommen sind noch zu Sana (Burck-
hardt. Reis, in Arab. p. 700, nach Samhoudy's Geschichte von
Medina). Von jenen Juden in Khaibar seheinen auch diejenigen
abzustammen, welche in grosser Menge an den Küstengegenden
unterhalb Jambo leben
(Wellsted, Observ.' on the Coast of Arabia,
im J. R. G. S., Vol. VI, p. 71, dessen Travels in Arabia, II,
p. 210). In Mochha giebt es eine Judengemeinde, und eben so
in Aden, in deren Schulen die hebräische Sprache gelehrt wird
(Wellst. Trav. II, p. 394, 395). Auch in Maskat leben einige
Juden, welche von Bagdad, wo sie von den osmanischen Be-
hörden im Jahre 1828 vertrieben wurden, dahin gekommen sind
(Wellsted, Trav. I, p. 21).

9 (p. 43.) Das arabische Volk spaltet sich nach seiner Lebens-
und Beschäftigungsweise in zwei Haupttheile, in Wanderer und
Sesshafte. Die Wanderer zerfallen in eine sehr grosse Menge von
Stämmen und Geschlechtern, haben ihre Stammverfassung durch-
aus beibehalten und ernähren sich von der Jagd und der Vieh-
zucht, auch von Räubereien. Bekanntlich nennt man sie Beduinen.
Sie leben unter Hütten oder Zelten, sind einfach in Sitte und
Lebensart, freiheitliebend, tapfer und stolz, und verachten alle
andern Araber, die in Städten und Dörfern wohnen und Fel-
lah und Hhadesi heissen, als unechte, ausgeartete Söhne der Wüste.
Seiner Abstammung nach theilt sich das arabische Volk in zwei
Stämme, in die echten Araber
(al Arab al Ariba) oder Joktaniden,
von Joktan oder Kahtan, Ebers Sohne; und gemischte, einge-
pfropfte, Mostaraben
(al Arab al Mostdreba'), welche von Adnan,
Ismaels Sohne, Abrahams Enkel, abgeleitet werden. Man nennt
diese Stämme unechte, weil ihr Urahn als ein Ausländer erst durch
Vermählung mit einer Tochter des Dschorhamiden Modad natu-
ralisirt wurde. Die nomadische Lebensweise der Araber ist ohne
Zweifel der Grund, dass wir von ihrer ältesten Geschichte so we-
nig wissen, denn roh und unwissend wie sie waren, kümmerten
sie sich nicht um Aufzeichnung ihrer Thaten. Nur im Lande Je-
men oder Jaman bildete sich ein geordneter Staat, das 'Reich der
Joktaniden oder Himjariten, so benannt nach einem der Nach-
kommen Joktans, Himjar oder Hamyar, dessen Dynastie nach
Abulfeda über 2000 Jahre regiert haben soll. Die Stiftung dieses
Reichs fällt ungefähr 3000 Jahre vor Mohammed, der im Ge-
schlecht Haschem des koreischitischen Stammes der Mostaraben am
21. April im Jahr 571 nach Chr. geboren wurde. Bekanntlich haben
die Araber, und mit ihnen alle Völker, die den Islajn angenom-
men haben, eine eigene Zeitrechnung, die mit der Hedschra oder
Mohammeds Flucht nach Medina (nach den vornehmsten Anga-
ben) am 13. September 622 beginnt. Wenn gleich es wahrschein-
hch ist, dass die frühesten Wanderungen der Semiten überhaupt
und der Araber im Besondern nach Afrika im frühesten Alterthum
Statt gefunden haben
(Sam. BocKarti Geogr. Sacra. J. JD. MicTiae-
Iis, bpectmen Geogr. Hehr. Exterae)
oder in eine Zeit fallen, die etwa
mit dosua s Periode, oder mit 1400 Jahren vor Chr. Geb. korrespon-
1 o"!*^ ^· der Sultanat Mogh'rib-ulAksä. Stuttgart

1833, p. M), so steht es doch fest, das erst der mohammedanischen
Zeit die Eroberungszüge angehören, welche die Araber nach dem
Norden und Innern von Afrika unternommen haben. Hier besetz-
^i-'^c^i der Mitte des 7teii Jahrhunderts Aegypten, das sie
As-i)chark, das Morgenland nannten, und in der Folge das alte
Libyen, oder
Afrikiah, d. i. die heütigen Regentschaften Tripoli,
Maghreb ausath, das mittlere Abendland, oder Algier,
und
Maghreb akssai, das aüsserste Abendland, das jetzige Fes und
Marokko, Länder, die sich unter ihren Statthaltern frühzeitig vom
Chalifat zu Bagdad losrissen, und unter neüen Dynastien in
Aegypten und Mauritanien zu selbstständigen Reichen erwuchsen.
Der Name Mauren, oder auch Mohren, ist durch Verwechselung
entstanden, indem sich die Araber auf dem Boden des alten Mau-


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Ethnograpliie- 4.y

ritanien's mit den Ureinwohnern nach und nach vermischten, de-
nen sie den Islam beibrachten. (Winer und Eominel, Art. „Ara-
bien" in Ersch-Gruber's Encykl. V, p. 40 ff.) Man will aber auch
den Namen Mauren von dem hebräischen Wort „Mahur", d. i.
Abend, ableiten, oder ihn auf das griechische
Άμαυρός, dunkel,
dunkelfarbig zurückführen. Gewiss scheint es zu sein, dass die
Mauren, die ausschliesslich Städte und Dörfer bewohnen, ein Ge-
misch verschiedener asiatischer und afrikanischer Völkerschaften
sind, dessen Hauptbestandtheil Berbern und diejenigen Mauren
bilden, die nach der Eroberung Granada's, im J. 1492, aus Spa-
nien vertrieben wurden, und im Maghreb eine Zufluchtsstätte fan-
den. (Graberg a. a. 0. p, 54.) Die
Araber-Stämme, die ihren
Weg nach dem Innern von Afrika gefunden haben, heissen in
Kordofan, so weit sie Nomaden, oder Beduinen geblieben sind,
Bakara, y^fAl sie Eindviehzucht treiben und also Kühe (Bakar)
aufziehen. Sie verheirathen sich mit freigebomen Nubafrauen von
Obeid und den benachbarten Dörfern, die einen furischen Dialekt
sprechen; sie selbst aber sind ihrer arabischen Muttersprache treü
geblieben. Viele von diesen Beduinen haben sich angesiedelt und
sind Ackerbauer geworden. Dies ist zum Theil auch in Dar Pur
geschehen. In Waday und Bagherme sprechen die Beduinen über-
all Arabisch, in Bomu dagegen haben mehrere Stämme die Lan-
dessprache angenommen. (Burckhardt, Eeisen in Nubien, p. 668 ff.)
Alle diese Araber haben ihren Weg von Aegypten im Nilthal
aufwärts genommen, wo ganze Stämme in Nubien zurückgeblie-
ben sind, während andere weiter nach dem Innern gezogen sind.
Im Maghreb giebt es, ausser den Mauren, auch echte Araber, die
theils sesshaft sind, theils als Beduinen ein Wanderleben führen;
und von diesen Beduinen stammen die Horden reiner Araber ab,
die sich längs der Küste des Atlantischen Oceans bis über das
Weisse Vorgebirge hinaus verbreitet haben, und ihrer Mutter-
sprache treü geblieben sind. Andere Stämme aber haben sich mit
Amazirghen und Tuariks gemengt, woraus ein Bastard-Volk, mit
einer Bastard-Sprache, entstanden ist, welches in den südlichen
Wüsten vom Atlantischen Ocean bis zu den Gränzen von Haussa
und Kaschna umherschwärmt, und eine Zone füllt, die die zer-
streüten Haufen der reinen Araber und die Volksmassen der
Tuariks von den Senegambischen und Sudan-Nationen trennt
(Davezac, Etudes de Geographie critique sur une partie de l'Afrique
septentrionale.
Paris 1836).

10 (p. 23.) Die arabische Sprache ist nicht allein die reichste
der semitischen Sprachen, sondern überhaupt eine der reichsten
der Welt, besonders in der Fülle und Biegsamkeit, mit welcher
sie in den ältern Dichtern erscheint. Dieser Eeichthum zeigt sich
sowol im Wortschatz, als in der Grammatik. Die Grundlage ist
der koreischitische Dialekt, der schon vor Mohammed durch
Poesie gebildet war, durch den Koran aber, der darin abgefasst
ist, und durch das Prophetenschwert bald die herrschende Sprache,
anfangs des Hofes und der Gelehrten, dann aber auch der ganzen
Nation wurde. Er hat alle übrigen älteren Dialekte verdrängt,
namentlich auch den himjaritischen mindestens als Schriftsprache,
die sich seit Mohammeds Zeit wenig verändert hat, indess die
Vulgärsprache von einem ähnlichen Schicksale betroffen worden ist,
wie die griechische und lateinische Sprache. Sie verlor nämlich an
Bildsamkeit und Manchfaltigkeit; viele Wörter und Formen ver-
alteten und verschwanden immer mehr aus dem Munde des Vol-
kes und dem Gebrauche der Schriftsteller; anstatt der unendlich
reichen Formation der alten Sprache nahm man seine Zuflucht zu
Umschreibungen und die vokalreicheren, tönenden Formen der al-
tem Sprache mussten zusammengezogeneren weichen. Dieses ist im
Allgemeinen, der Charakter der heütigen arabischen Sprache, die
sich von der ältern nicht so stark unterscheidet, wie etwa das
Neügriechische vom Altgriechischen; aber doch so, wie das ver-
armte und der lebendigen Bildsamkeit entbehrende Griechisch vie-
ler christlichen und byzantinischen Schriftsteller zu dem Atticismus
des Thukydides und der Tragiker. Dass sich die Sprache in einem
Zeitraum von etwa 1400 Jahren, den wir sicher überblicken, wirk-
lich nicht mehr geändert hat, als geschehen ist, was im Vergleich
mit den europäischen Sprachen des indogermanischen Stamms
auffallen könnte, hat seinen Grund theils in dem allgemeinen
mehr stehenbleibenden, als fortschreitenden Charakter des Orients,
theils in der Abgeschlossenheit des Volks, zu einem kleinen
Theil vielleicht auch in dem Einfluss des Koran und der diesem
Buche gezollten göttlichen Verehrung, welches daher auch in
Eücksicht auf die Sprache zur Norm anzunehmen jeder Moslem
für Pflicht hält. (Gesenius, Art. „Arabische Sprache und Litera-
tur" in Ersch-Gruber's Encykl. V, p. 44, 45.) Viele arabische
Wörter, welche an anderen Orten bereits veraltet sind, oder nur
in guten Schriftstellern gefunden werden, viele Ausdrücke, selbst
des Koran, die anderswo nicht mehr gebraüchlich sind, hört man
in Mekka im Munde des Volks, das die ursprüngliche Sprache
der Koreisch, wenigstens zum Theil, beibehalten hat. Einige, der
heiligen Stadt benachbarte Beduinenstämme, namentlich die der
Fahm und Hodheyl, haben einen Dialekt, der noch reiner und
von Provinzialismen und grammatikalischen Fehlem noch freier
ist. Dem grossen Verkehr mit Fremden muss man die, im Ver-
gleich mit dem Dialekt der benachbarten Beduinen, verdorbene
Mundart der Einwohner der heiligen Stadt zuschreiben, obgleich er
immer noch für die Araber aus Syrien und Aegypten als Muster
der Weichheit gilt. Die Bewohner von Jemen sprechen das Ara-
bische beinah' eben so gut, als die Mekkaer; die von Sana spre-
chen rein, aber mit einem harten Accent. Der Accent der Be-
wohner von Hedschas (d. h. Land der Scheidung zwischen Te-
hama und Netsched, nicht Land der Wallfahrt) ist, wie der der
Beduinen, so sanft, als es die Sprache nur gestattet. Man hat be-
hauptet, dass die arabischen Dialekte sehr von einander verschie-
den seien, eine Ansicht, die besonders von Michaelis, und selbst
von Karsten Niebuhr vertreten worden ist: allerdings besteht im
Arabischen eine grosse Verschiedenheit der Mundarten; nichts
destoweniger aber versteht, wer immer in dem ganzen Umfang

PHYSIK:. ATLAS ΑΒΤΠ. VIII.

der Länder, wo das Arabische vorherrschend ist, von Mogador
bis Maskat, einen Dialekt erlernt hat, leicht alle anderen. Die
Aussprache mag durch die Natur der verschiedenen Länder, in
denen sich Araber niedergelassen habend verändert worden sein,
indem sie ihre Weichheit in den niedern Thälern von Aegypten
und Mesopotamien beibehielt, und unter den eisigen Bergen der
Berberei und Syrien's hart wurde. Die grösste Verschiedenheit
besteht zwischen den Maghrebyns von Marocco und den Hed-
schas-Beduinen in der Nähe von Mekka; und dennoch weichen
ihre Mundarten nicht mehr von einander ab, als das Deütsche
eines schwäbischen Bauers von dem eines sächsischen. Die beste
Aussprache ist die der Beduinen Arabien's, der Mekkaer und der
sesshaften Einwohner des Hedschas. Die von Bagdad und Jemen
kommt ihr an Eeinheit am nächsten. Zu Cairo ist die Aussprache
schlechter, als in anderen Theilen Aegypten's; nach diesen folgt
die Sprache der libyschen Araber, die einen Anstrich von der
Maghrebynschen Aussprache, vermischt mit der ägyptischen, haben.
Dann kommt das Arabische welches in den Ebenen Syriens, zu
Damask, Haleb und an der Meeresküste gesprochen wird; dann der
Dialekt der Drusen und übrigen Bewohner des Libanon; nach
diesem der Dialekt von Tripoli und Tunis, und zuletzt die rauhe
Aussprache des Volks von Marocco und Fez, welches einige von
jedem andern verschiedene Laute hat, und in mehrere Dialecte
getheilt ist. Die Araber an der Ostseite des Atlas, zu Tafllelt und
Dra jedoch sprechen den maghrebynschen Dialect weniger hart,
als ihre westlichen Nachbarn. (Ludw. Burckhardt, Eeisen in Ara-
bien. Deütsche üebers. Weimar 1830, p. 701_704.) Fresnel hat

die Entdeckung gemacht, dass die Himjaritische Sprache im süd-
lichen Arabien, in Hadhramaut und Mahra, an der Küste und
15_16 Tagereisen landein noch immer vom Volke gesprochen
wird. Dieses Südarabisch oder Vulgär-Himjaritisch unterscheidet
sich vom Nordarabischen bedeütend und nähert sich eben so sehr
dem Aramäischen und Hebräischen, besonders im Wortvorrath;
auch hat diese Sprache Manches mit dem Abessinischen gemein,
doch weniger mit der äthiopischen Büchersprache, als mit den
jüngeren Formen, namentlich dem Amharischen. Fresnel nennt
sie Himjaritisch, gebraucht aber auch nebenbei den Namen
Ehhkili.
So nennt sich und seine Sprache der Adel des Landes selbst;
aber dennoch ist diese Bezeichnung nicht recht passend, da die
niederen Classen des Volks, die Shhari, dieselbe Sprache sprechen.

{Fresnel im Journal asiatique, T. V, p. 497ff.; T. VI, p. 79_84,

p. 529 ff. _ Vergl. Gesenius, in Hallesche Allgem. Literatur-Zeit.
Juli 1840. E. Eödiger, in Zeitschrift für die Kunde des Morgen-
landes, ΠΙ, p. 289, 290.
Jomard, Etudes g^ogr. et hist. sur l'Arahie.
Paris 1839, p. 114, 194ff. Will W. Turner, in Trans. Amer.
Ethnolog. Soc. New York 1845.
Vol. I, p. 423_473). _ Was die
arabische Schrift betrifft, so gestehen die Araber selbst, dass ihnen
die Zeit der Einführang der Schreibkunst unter ihrem Volke un-
bekannt sei, doch stimmen alle Nachrichten dahin überein, dass
man diese Kunst zuerst im südlichen Arabien unter den Himjari-
ten gekannt und geübt habe. Vielleicht dass die Verbreitung der
Schreibkunst hier, wie in so vielen Ländern, mit der Verbreitung
des Christenthums zusammenhangt, üebrigens wird ausdrücklich
gemeldet, dass die Kunst nur von Wenigen gekannt worden
sei, die sie geheim gehalten, und dass daher bei der Verbreitung
des Koran in Jemen sehr wenige gewesen, die zu lesen und zu
schreiben vermögt hätten. (Ibn Khalican bei
De Sactf in M^moi-
res des VAcad. de Inscr. et helles lettres.
T. L, 1805, p. 1_103.)
Wie der Dialekt der nördlichen Araber von dem der südlichen
abwich, so auch ihr Schriftzug, der unter dem Namen
al Musnad,
d. h. wörtlich die aufgepfropfte oder zugestutzte Schrift, bekannt
ist. Bekannt geworden ist diese Schrift durch Seetzen's Entdeckung
von Inschriften, die er im J. 1810 zu Dhofar, dem alten Königs-
sitze der Himjariten, aufgefunden und bekannt gemacht hat. (Fund-
gruben des Orients, II, p. 282.) Seit jener Zeit ist die Kenntniss
der himjaritischen Schrift ungemein bereichert worden durch J. E.
Wellsted, Cruttendon, Dr. Hulton und Haines, die seit dem Jahre
1834 an der Küste von Hadhramaut zu Hisn Ghorab und Nakab-
el-Hadschar und in Jemen zu Sana und an mehreren anderen
Orten viele Inschriften entdeckt und abgeschrieben haben,
(J. A.
S. B.
1834, 1842. J. B. Geogr. S. Vol. VII, VIII. Wellsted, Tra-
vels in Arabia,
Lond. 1838. J. B. A. S. No. IX) die, in Verbin-
dung mit einigen Mscr. in den Bibliotheken zu Berlin, Leyden
und des Britischen Museums zu London, für die ausgezeichnet-
sten der deütschen Orientalisten, wie Gesenius, Eödiger, Ewald,
Gildemeister, ein Gegenstand der emsigsten historisch-linguisti-
schen Forschung geworden sind. (Zeitschr. für die Kunde des
Morgenlandes, Jahrg. 1837 und 1843. Halle'sche Allgem. Literat.-
Zeitung, 1841, Juli.
J. B. G. S. XI, p. 118, Eödiger Versuch über
die Himjaritische Schriftmonumente. Halle 1841. Dessen Ueber-
setzung von Wellsted's arabischen Eeisen, Halle 1842.) Von den
nördlichen Arabern ist es gewiss, dass sie den Gebrauch der
Schreibkunst erst kurze Zeit vor Mohammed empfingen. Ihre Schrift-
art war von der altsyiischen Schrift Estrangelo entlehnt. Mit die-
ser Schrift wurde der Koran geschrieben und sie erhielt den Na-
men der kufischen von den zahlreichen und geschickten Abschrei-
bern des Koran, die sich in Kufa am Euphrat befanden,
wo sich
die vornehmsten und gelehrtesten Einwohner der Stadt diesem
Geschäfte widmeten. Aus dieser rohen und groben Schrift bildete
sich im 4^η Jahrhundert der Hedschra die flüchtige Currentschrift,
die noch heüt zu Tage im Orient und Occident die herrschende
in arabischen Handschriften nnd Büchern ist, und in der Folge
noch
vervollkommnet wurde. Sie heisst Niskhi-Schrift, d. h. ab-
schreibende, weil sie die gewöhnliche der Bücherkopien ist. Die
Araber, die jetzt schon einen grossen Werth auf Kalligraphie
legten, künstelten aber noch immer fort an ihren Schriftcharak-
ter, und so haben sich, vorzüglich nach dem Vorgange berühm-
ter Schönschreiber, mehrere Abarten der Niskhi-Schrift gebildet,
welche zum Theil noch heüte, nach den Gegenden und Bestim-
mungen verschieden, in Gebrauch sind. Dahin gehören: der mau-

13


-ocr page 51-

50 Achte Abtheiluiig.

rische oder maghrebynisehe Charakter; der Charakter Diwani,
womit die fürstlichen Diplome u. d. m. geschrieben werden; Ja-
kuthi undEihani, nach ihren Urhebern genannt; Thsolethsi, d.i.
dreifache, eine Art Eractur, drei Mal so gross, als die gewöhn-
liche Niskhi; Talik, ein hangender Charakter, dessen sich vor-
nehmlich die Perser in Gedichten bedienen, n. a. m. Eine eigen-
thümliche Geheimschrift ist Siake, deren man sich im Osmani-
schen bei amtlichen Verhandlungen bedient, die geheim gehalten
werden sollen. Betrachtet man die Art, wie die Araber ihre Spra-
che in der Schrift ausgedrückt haben, im Allgemeinen, so ist der
Einfluss sprachgelehrter Grammatiker dabei nicht zu verkennen:
denn der Araber schreibt etymologisch, nicht nach der Aussprache,
wogegen der Hebräer schreibt, wie er spricht (Gesenius, in Ersch-
Gruber's Encykl. V, p. 53_56).

11 (p. 43.) Die äthiopische Sprache, welche, seit dem 14ten
Jahrhundert als Sprache des gemeinen Lebens verklungen, nur
noch als Schriftsprache vorhanden ist, gehört zu den semitischen
Dialekten, unter denen es am nächsten mit dem Arabischen ver-
wandt ist. Schon in der berühmten Völkergenealogie des Moses
(1 B. 10, 7) werden von Kusch, welches man gewöhnlich durch
Aethiopien übersetzt, Völkerstämme abgeleitet, die theils im süd-
lichen Arabien, theils im gegenüberliegenden Afrika, dem heuti-
gen Abessinien zu suchen sind
{Michaelis, Spicikgium Geographiae
Hebramrum exterae,
I, p. 177 ff.), wogegen Bochart (Phaleg. IV,
2) und Walton
{Prolegomm. Cap. XV, No, 1) fälschlich keine
afrikanische Kuschiten annehmen wollen. (S. dagegen Jes. 18, 1.
Jer. 13, 23.) Auf die Annahme einer von Arabien ausgewander-
ten Colonie, die aus mehreren Stämmen zusammengelaufen sich
jenseits der Meerenge freie Wohnsitze suchte, führen uns aber die
Namen, welche das Volk theils bei den Arabern führt, theils
sich selbst beilegt. Bei den ersteren heissen die Ahessinier Ha-
basch, das Land Habascha, d. i. ein aus mehreren Stämmen zu-
sammen gelaufener Haufe, weshalb sie auch selbst diesen Namen
sich nicht gern beilegen, in der Schriftsprache auch nicht ge-
brauchen, obgleich im gemeinen Leben Habesch vorkommt.
(Lu-
dolf, Commentarius ad historiam aetUopicam. Francof.
1691. Fol.
p. 52.) Dagegen nennen sie selbst ihr Eeich Gees oder medra-
Agasgam, d. i. Auswanderung, Land der Ausgewanderten, oder
auch Freiheit, Land der Freien, Franken, daher Frankreich.
Ueber die Zeit des üebergangs lässt sich nichts weiter bestimmen,
als dass dieselbe noch über die Abfassungszeit des Pentateuchs,
also in ein sehr hohes Alterthum hinaufgesetzt werden müsse,
sofern Scaliger's Meinung, der diese Begebenheit erst in die Zeit
des Justinian setzen will, gar keine Bücksicht verdient
{Seal, de
emendat. temp.
Lib. VII, in computo Aethiop. p. 680; dagegen Lu-
dolf, comment.
p. 57). Weit passender, aber ebenfalls ohne histo-
rische Bestätigung, doch wesentlich unterstützt durch die neüen
Entdeckungen über himjaritische Schrift und Sprache, ist die
Vermuthung von Eichhorn, dass diese Colonie unter Abd-schams
oder Saba, dem Vater des Hamjar, um diesem Tyrannen zu ent-
gehen, und im Besitz ihrer Freiheit zu bleiben, das jenseitige
Ufer gesucht habe.
(De Cuchaeis verosimüia. Arnstad. 1774. 4.
Ueber Abd-schams, den vierten König von Jemen s.
Pococke,
Spec. historiae Arabum. Ed. White,
p. 58.) Späterhin hat das
Volk auch dem griechischen Namen der Aethiopier
(ΑΙόίοπες)
das Bürgerrecht ertheilt, und nennt sich Itjopjawjan, sein Reich
aber
Manghesta-Itopja. Die aethiopische Sprache führte bei dem
Volke selbst den Namen
Lesäna Geez: Gees-Sprache, auch nach
ihrem Aussterben
Lesäna Mazchaf, Büchersprache, im Volksdia-
lekt
Mezhaferia. Sie wird gar nicht mehr vom Volke gesprochen,
wol aber ist sie noch die Sprache des Gottesdienstes und der
Literatur des Landes, und wird von allen Gebildeten, dem Kö-
nige, seinen Eäthen, den Geistlichen und Mönchen verstanden,
aber nur selten gesprochen. Dagegen ist sie fast ausschliesslich
Schriftsprache, selbst für den Privatbriefwechsel. Als Umgangs-
sprache ist sie von der Amharischen,
Lesana Ämhara, verdrängt
worden, die nicht blos in der eigentlichen Provinz
Amhara, son-
dern auch in anderen abessinischen Provinzen, als;
Gojam,
Hanget, Ifat, Bagemder
und Schoo, überhaupt auf der Südseite
des Takkazie-Stroms, wenn gleich mit dialektischen Verschie-
denheiten gesprochen wird. Seit dem 14*™ Jahrhundert ist sie
zugleich die Hofsprache
(Lesäna negus, die königliche Sprache)
Abessiniens und die Sprache des jetzt herrschenden Volks, und
wird im Heere und von den Handelsleüten gesprochen. Sowol
der lexicalische Sprachvorrath, als der grammatische Bau, und
vorzüglich letzterer, was entscheidend ist, haben völlig semiti-
schen Charakter, was Adelung (Mithr. I, p. 410) und Vater
(Mithr. in, 1, p. 110) mit Unrecht verneint haben, indem sie
dieselbe eine nichtsemitische, höchstens gemischte Sprache nen-
nen. Was den Ti^rre-Dialekt betrifft, so ist man allgemein der
Meinung, dass er den grössten Theil des Altäthiopischen oder
Gees, das in dieser Provinz seinen Mittelpunkt hatte, in sich
aufgenommen habe. Das
Earrargie oder Adhari, der Dialekt
von
Hurrur oder Earrar ist vom Tigre, mit dem es ganz nahe
verwandt ist, geographisch getrennt, und wahrscheinlich von
GaUa- und Dialekten rings umgeben. Dieses Harrargie

wird auch in den östlichen Gegenden von Ifat gesprochen. An-
dere Mundarten der äthiopischen Sprachklasse smd die von
Ar-
kiko, Argohba, Guragie
und Gafat. Die zuletzt genannte, nach
Ludolf dem Amhara, nach Beke aber dem Gees nahe stehende
Mundart, wird in einem kleinen Theile von Damot gesprochen,
unterliegt jedoch dem Andrängen des Amharischen und der
Galla-Sprache und ist fast erloschen. Alle diese Dialekte ge-
hören aber, was wohl zu merken ist, dem herrschenden Volke
semitischen Stamms. Dagegen ist das
Ague in seinen verschie-
denen Mundarten die Sprache des unterworfenen Volks, in ei-
nigen Provinzen fast ausschliesslich, während es in anderen, wo
es von der Sprache der Eroberer verdrängt worden, noch unter
den niedrigsten Klassen im Gebrauch geblieben ist, von denen
einige als ausgestossene Kasten zu betrachten sind (Gesenius Art.

„Amhara" in Erseh-Gruber's Eneykl. III, p. 355, 356; und Art.
,.Aethiopische Sprache und Literatur", a. a. O. II, p. 110_112.
Latham, Report for 184Ί, p. 204, 205. Charles T. Beke, über die
geographische Verbreitung der Sprachen von Abessinien, in
Berghaus' geograph. Jahrbuch 1850, 1, p. 8).

12 (p. 43.) Nach den Untersuchungen, welche Ewald mit den
Proben angestellt hat, die von der »Sa/io - Sprache durch den
Eoisenden
d'Abbadie mitgetheilt worden sind (Journal asiatique,
1843, Juillet^Aoüt, p. 102—118), findet er, dass diese Sprache
eine wurzelhaft semitische ist, die sich, wie andere Zweige des
Semitischen in Afrika, schon in einer, für uns jezt unermessli-
chen Urzeit vom Hauptstamm getrennt haben muss, was zu-
gleich eine entsprechende Absonderung der Völker voraussetzt.
Der Name
Saho ist aus der Tigre-Sprache und bildet im Plur.
Seho, welches andere Reisende Shiho nennen, indem sie diese
Völkerschaft mit den Gallas und Danagils zusammenfassen.
(Zeitschr. für die Kunde des Morgenlandes, V, p. 421.)

13 (p. 43.) Die Literatur über die Berbern und ihre Sprache
ist zu umfassend, um sie hier vollständig mittheilen zu können.
Ich verweise in dieser Beziehung auf Adelung-Vater's Mithri-
dates III, 1, p. 27_63; vorzüglich aber auf
das Rev. G. C. Re-
nouard Report on Jac. Graberg of Hemsö's Remarks on the Lan-
guage of the Amazirghs, commonly called Berebbers,
im J. R. A, S.,
Vol. III, p. 131 _ 160; und auf William B. Hodgson, Notes on
Northern Africa.
New-York, 1844, p. 35_38. Von grosser Wich-
tigkeit unter den neüern Schriften ist
Francis W. Neivman,
Grammar of the Berber Langnage
in Zeitschr. für die Kunde des
Morgenlandes, 1845, VI, p. 245 _ 336. Dass das
Tamazirgh't
oder Tam'zirgh't, d. i.: die Sprache der Freien, oder Unabhän-
gigen, oder die Berbersprache, in ihrer Grammatik einen semi-
tischen Charakter trage, ist von diesem gründlichen Sprachfor-
scher auch in dem
Philological Trans. No. 13 stark hervorge-
hoben worden, eine Ansicht, der auch Norris entschieden beitritt
(Latham, im
Report, p. 213). Das glossarische Zeügniss dagegen
ist geringer. Hat gleich eine gewisse Anzahl von Berber-Wur-
zeln eine nähere oder entferntere Verbindung mit dem Arabi-
schen, Hebräischen, oder vielleicht mit den äthiopischen Spra-
chen, so ist es doch keine Frage, dass die grosse Masse der
Wörter durchaus eigenthümlich ist. Das Vorherrschen oder
Ueberwiegen des Buchstabens
t als Beügungs-Element am An-
fang sowol, als am Ende, ist eine Eigenschaft, die dem Tama-
zirgh't und Koptischen gemeinschaftlich ist, im mindern Grade
auch dem Bischarihn. Die Demonstrativen in der Haussa-Sprache
sind denen im Berberischen sehr ähnlich (Newman, a. a. O.
p. 294) und hierauf gründet sich die Einreihung der Haussaner
unter die Semiten.
„The Haussa, sagt der neüeste Beobachter,
is the most complete of African languages, in which the Arahie
cipher is applied to its
Intonation". (F. E. Forbes, Dahomey and the
Dahomans·,
Paris, 1851, p. 90.) Die Verbreitung des Haussani-
schen bis Murznk ergiebt sich aus den vorlaüfigen Eeiseberich-
ten von Overweg und Barth, vom November 1850.
(Athenaeum,
1851, Aug. 2, No. 1240, p. 833). Leider hab' ich hinzuzufügen,
dass der dritte Theilnehmer an der Expedition in's Innere als
Opfer des afrikanischen Klima gefallen ist: James Eichardson
starb an Erschöpfung am 4. März 1851. Sein Grab ist bei dem
Dorfe Ungurutua, sechs Tagereisen von Kouka, wohin er reisen
wollte, indess Barth nach Kano und Adamowa und Overweg
nach Guber und dem Zad-See gegangen ist. (Berlinische Nach-
richten von Staats- und gelehrten Sachen, 1851, No. 221, 269.)

Durch Catherwoods Entdeckung des Monuments von Thugga
und seiner doppelsprachigen Inschrift (im Gebiete von Tunis),
welche in den.Trons.
Am. Ethnol. See. New-York, 1845, I,
p. 477 ff. beschrieben worden, ist ein grosser Fortschritt in
der Ethnographie und Geschichte von Alt-Afrika gemacht;
denn F. de Saulcy hat durch Erklärung dieser Inschrift zwei
wichtige Thatsachen festgestellt: _ dass die libysche Sprache
die Sprache Numidien's in der frühesten Epoche seiner Ge-
schichte war, als die Phönikier sich in diesem Lande angesiedelt
hatten; und dass die Numidier in dieser frühesten Periode ihre
eigenen Buchstaben zum Schreiben ihrer Muttersprache hatten.
Diesen Thatsachen lässt sich eine dritte von nicht minderm
ethnographischen Werthe anreihen: dass das heütige numidische
oder Berber-Volk der Sahara, welches Tuareg genannt wird,
von diesen uralten Schriftcharakteren noch heüt zu Tage Ge-
brauch macht.
Kalum Tifinag, d. i.: Tifinag-Schrift werden diese
Charaktere genannt. (Ausführlich über diesen Gegenstand han-
delt
A. C. Judas, Etüde demonstrative de la langue phenicienne et
de la lange Ubyque.
Paris, 1847, 238 S. gr. 4. Vergl. Revue ar-
cMolog.
Nov. 1845. Journal asiat. Mai 1847, p. 455 ff. Zeitschr.
der deütsch. morgenl. Ges. I, 1847, p. 358.
Report of the 17th
Meeting Br.
^ss. 1847, II, p. 126.) Das Wort Numidier hat kein
Analogon unter den zahlreichen Stammnamen des nördlichen
Afrika gehabt und ist nichts, als eine sonderbare Verunstaltung
des griechischen
Νομάδες, das wahrscheinlich zuerst von Po-
lybius von einer bestimmten afrikanischen Nation, mit Aus-
schluss der übrigen gebraucht worden ist.
(Et. Quatremere im
Journ. des savans,
1838, p. 397—405.)

14 (p. 43.) Die ethnographische Darstellung von Habesch
gründet sich auf Charles T. Beke's Sprachenkarte Abessinien's
und der Nachbarländer, in Berghaus' geograph. Jahrbuch, 1850,
I, p. 7 ff.

15 (p. 45.) Das Vorrücken des Galla.Volks ist zwar gross
gewesen und findet noch immer Statt; allein es fällt nicht so
in die Augen, wie es wol könnte, weil in vielen Fällen die
Gallas die Sprache desjenigen Volks angenommen haben, dessen
Stelle von ihnen usurpirt worden ist. Das Galla-Element wird
jedoch in Abessinien schnell das vorherrschende. Gegenwärtig
ist fast jeder der vorzüglichsten Gewalthaber in diesem Eeiche
von galla'schem Ursprung. (Beke, Sprachkarte, a. a. 0. p. 8.
Vergl. dessen Bemerkungen über den Ursprung und die Urhei-


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Ethnographie, 51

math der Gallas; a. a. O. p. 14 ff.) Von den Galla-, Danagil-
und Somali-Sprachen gab es schon früher Wörtersammlungen;
indess ist die Ivenntniss derselben erst begründet worden durch
Karl Tutschek, Grammatik der Galla-Sprache, München 1845;
und dessen Lexicon der Galla-Sprache, München 1844; beide
Werke auch in englischer Sprache. Früher erschien:
An imper-
fect Outline of the elements of the Galla Language. By the Rev.
J. L. Krapff.
London 1840. _ Was die Sprache von Sokotra
anbelangt, so besitzen wir aus derselben ein sehr vollständiges
Wörter-Verzeichniss von Wellsted, in seinem
Memoir on the Is-
land of Socotora (J. R. G. S.
Vol. V, p. 220 ff.). Da es aber in
arabischer Schrift geschrieben ist, so bleibt es für mich unleser-
lich. Weil auf der Insel aber auch Arabisch gesprochen wird,
so bab' ich sie einstweilen zum semitischen Sprachgebiet ge-
zogen.

16 (p. 44.) Auf der Karte hab' ich überall, wo der Raum es
gestattete, in der hochafrikanischen Völker-Familie die einzelnen
Bestandtheile angegeben, die besonders in den östlichen Theilen
sehr zahlreich sind. Auch bei diesem Sprachgebiet kann ich,
des beschränkten Baumes wegen, nicht die Literatur einschalten;
der Kürze wegen verweis' ich auf Pott's umfassende Abhand-
lung: „Verwandtschafts-Verhältniss der Sprachen vom Kaffer-
und Congo-Stamme unter einander", in der Zeitschr. der deüt-
schen morgenländischen Gesellschaft, 1848, II, p. 5_25, p. 129

_158, wo sie vollständig gesammelt ist. Auch Ewald, „über

die Völker und Sprachen südlich von Aethiopien", ebendas.

1847, I, p. 44_55; und v. d. Gabelentz, „über die Sprache der

Suaheli", ebendas. 1847, I, p. 238_242, sind zu berücksichtigen.

_ Unbemerkt kann ich es nicht lassen, dass Latham die Mpong-

wi'e-Sprache nicht zur hochafrikanischen Familie gestellt, sondern
als ein isolirtes Glied in der langen Sprachen-Kette von Ober-
Guinea angesehen hat
(Repm-t, p. 174). Dass sie aber jener Fa-
milie angehöre, ist durch
Α Grammar of the Mpongwe Language,
with Vocabularies. By the Missionaries of the A. B. C. F. M.
(d. h.:
American Board of Commissioners for Foreign Missions). Gaboon
Mission, Western Africa.
8., VIII und 94 S. New-York 1847 (ver-
fasst vom Missionair John Leighton Wilson) — ausser Zweifel
gesetzt und nachgewiesen worden, dass sie mit dem
Sowahili eng
verbunden ist, obschon diese beiden Sprachen an den entgegen-
gesetzten Seiten des Continents, und nahe unter demselben Pa-
rallel gesprochen werden. Auffallende lexicalische sowol als
grammatikalische Aehnlichkeiten bestehen auch zwischen dem
Mpongwie und dem Seschuana und den Koosa-Mundarten von
Mozambique. Dagegen hat man keine Verwandtschaft mit irgend
einer der Sudan-Sprachen entdeckt. Vergl.
Th. Dwight, Sketch of
the Mpongwes and their Language;
in Trans, Am. Etknol. Soc.
Vol. II, New-York 1848, p. 289. Was das Hottentotten-Volk an-
belangt, so gaben Zählungen im Jahr 1807: 17431, im Jahre
1823 dagegen 30549 Individuen
(Montgomery Martin, Eistory of
the British Colonies,
Vol. IV, p. 81). Jetzt soll es kaum 20,000
Hottentotten geben, und wahrscheinlich nicht ein Zehntheil der
Zahl ihrer Vorfahren in der Mitte des 17ten Jahrhunderts. Als
Volk existiren sie schon lange nicht mehr und selbst ihre
Sprache ist so gut wie untergegangen; viele Hottentotten kön-
nen ihre Sprache nicht mehr sprechen und andere dieselbe
nicht einmal verstehen. Die jetzigen Hottentotten, welche durch-
gängig Holländisch oder Englisch radebrechen, finden sich zerstreüt
im ganzen Caplande als Dienstboten, Vagabunden und Tauge-
nichtse, die bei den Missionsstationen ein faules Leben führen.
(E. Elers Napier, Excursions in Southern Africa. London 1850.
2 Vols.)

17 (p. 44.) Die Ansicht, dass die Fulaher sprach\''erwandt seien
mit den Völkern Hochafrika's ist von Mc Briar vertreten worden.
Eichthal dagegen hält sie für einen Bestandtheil der Malayen-
Gruppe. Vergl.
W. B. Hodgson, Notes on Northern Africa, New-
Yorh,
1844, p. 63—68.

18 (p. 44.) üeber Waday u. s. w. handelt Seetzen, in Zach's
Monatl. Correspondenz, Febr. 1810, XXI, p. 155. Burckhardt,
Eeisen in Nubien, p. 684, 687.
Fresnel, im Bull, de la Soc. de
Giogr. 1849. Sirie,
T. XI, p. 20 ff.

19 (p. 44.) Kölle, Narrative of an Expedition into the Vy Coun-
try of Western Africa, and the discovery of α System of Syllahic
Writing recently invented by α native of the Vy Trihe.
London 1849.

30 und 34 S. in 8. _ F. E. Forhes, Despatch communicating the

discovery of α native written Character at Bohmar, on the Western
coast of Africa, near Liberia, accomparied by α Vocabulary of the
Vahie or Vei Language;
in J. R. G. S. 1850, Vol. XX, p."89_
101.
E. Norris, Notes on the Vei Lang, and Alphabet. Ebenda p.
101—113. —
F. E. Forbes, Dahomey and theDahomans; being the
Journals of two missions to the hing of Dahomey, and Residence at his
Capital in the years 1849 and 1850.
Paris, 1851, p. 85—90. Ueber
die Dahomey-Sprache vergl. ebenda p. 90—96, woselbst ein reich-
haltiges Wörter-Verzeichniss mitgetheilt ist.

20 (p. 45.) Nalez ist vielleicht einerlei mit Nalus, Naluben.

21 (p. 46.) Das Hauptwerk zur ethnographisch-linguistischen
Kenntniss dieses Völkerstammes ist W. von Humboldt, Ueber die
Kawi-Sprache. Berlin 1836. Die erste gi-ündliche Arbeit über die
Sprachen des Indischen Archipelagus von
John Leyden, On the
Languages and Literature of the Indochinese Nations,
in .äs. Res.
X, p. 158 ff.

22 (p. 46.) W. von Humboldt, a. a. O. I, p. Iff. II, 208 nennt
die ganze Völkerfamilie Malayisch, die Völker brauner Farbe im

Indischen Archipelagus Malayisch im engem Sinne. _ Marsden,

On the Polynesian Languages, in seinen Miscellaneous Worhs.
Lond. 1834, p. 3, nennt den Sprachstamm polynesisch und theilt
ihn in Vorderes und Hinteres Polynesisch
(Hither, Further Poly-
nesiari). J. R. Logan, Ethnology of the Indo-Pacißc Islands,
in Jour-
nal of the Indian Archipelago,
1851, April, Vol. V, p. 228ff., nimmt
fünf Gruppen an: Polynesische, Ostindonesische, Westindonesische,
Nordostindonesische und Micronesische; wobei er, in Bezug auf
die Polynesische (meine Ostpolynesier) und Micronesische Gruppe
(meine Westpolynesier) dem Vorgange Horatio's Haie,
Exploring
Expedition of the United States.
Vol. VI. Ethnography and Philo-
logy.
Philadelphia 1846, folgt.

23 (p. 46.) Unter Ceylonesische Malayen versteh' ich die Be-
wohner des Südrandes von Ceylon und der Inselgruppen der Se-
schellen, von Tschagos, der Male- und der Lacca-Diven. Letztere
pflegt man als Bestandtheile des Drawida-Stamms anzusehen; al-
lein ein genauer Kenner der Sprachen und Völker dieses Stam-
mes bemerkt ausdrücklich, dass „die Sprache der Lakadiven und
Maladiven unzweifelhaft dem Malayischen Sprachstamm angehö-
ren." Weigle, über Canaresische Sprache und Literatur, in Zeit-
schr. der deutsch, morgenl. Gesellsch. 1848, II, p. 261.

24 (p. 46.) Logan, a. a. 0. p. 228, 229, theilt diese Völker
in zwei Gruppen, die Papuanische und die Australische. Man
glaubt, dass die schwarze Easse auf sehr vielen, wenn nicht allen
Inseln des Ostindischen Archipelagus als ursprüngliche, von den
Malayen ins Innere der Inseln verdrängte, Bevölkerung vorkom-
men; allein C. Meinicke hat in Folge umsichtigster Untersuchun-
gen, es sehr wahrscheinlich gemacht, dass diese Ansicht auf einem
Irrthume und einem Missverständniss beruhe, und das Vorkommen
von Negritos im Archipelagus selbst nur auf Luzon, sodann auf
der Malayischen Halbinsel und auf den Andamanischen Inseln
zugegeben werden könne; (Ueber die Völkerstämme des Indischen

Archipelagus, in Berghaus' Annalen 3te Reihe, III, p. 228_255,

vergl. einige Bemerkungen von Adalb. v. Chamisso, ebendas. p.
284, 285). Um beiden Ansichten ihr Recht widerfahren zu lassen,
hab' ich die erste, welche die weite Verbreitung der Schwarzen
im Auge hat, auf der Karte No. 1 (so weit die Inseln des Indi-
schen Archipelagus innerhalb ihres Rahmens fällt) dargestellt;
auf der vorliegenden Karte No. 16 aber die beschränkte Verbrei-
tung nach Meinicke's Ansicht. (Ich kann nicht umhin, auch jetzt
noch, nach Verlauf vieler Jahre, eines seltsamen Umstandes zu
gedenken, der mit Meinicke's schöner Abhandlung in meinen
„Annalen der Erdkunde" vorgekommen ist. Diese Abhandlung er-
schien a. a. O., d. i. im Dezember 1836, sieben Jahre später aber
noch ein Mal, und zwar in „Annalen der Erdkunde", 4»« Reihe,
IV, p. 335—364, unter der Aufschrift: „Die verschiedenen Men-
schenracen im Indischen Archipel", ohne Nennung des Verfassers,
aus dem Holländischen, der
Tijdschrift voor Neerlands Indie, 1842,
No. 6, übersetzt. Diese Wiederholung einer und derselben Sache
kann ich mir jetzt [im Juni 1851] nur dadurch erklären, dass
ich beim zweiten Abdruck, im Oktober 1843, unter dem Druck
schwerster moralischer Leiden fast erliegend, nicht die Gemüths-
ruhe besass, welche zu wissenschaftlichen Arbeiten, und nament-
lich zur Redaction einer Zeitschrift, ein unumgängliches Erfor-
derniss ist; daher ich denn auch die hauptsächlichsten Arbeiten
bei jener Redaction damals einem Mitarbeiter überlassen hatte,
dem die Original-Abhandlung von Meinicke entgangen sein muss.)


17. Ethnographische Karte von Nord-Amerika. Nach Albert Galiatin, A. von Humboldt, Glavigero,

Hervas, Haie, Isbister n. s. w.

N°. 18. Ethnographische Karte von Süd-Amerika. Hauptsächlich nach Hervas, A. von Humboldt, Vater,

Martins, Alcide d'Orbigny u. s. w,, u. s. w.

Seit Entdeckung des vierten Erdtheils ist sehr oft die
Frage aufgeworfen worden, ob Amerika wirklieh eine
neüe Welt, d. h.: neüern Ursprungs oder später, als die
alte Welt, durch Eeaction des Innern der Erde nach der
Aussenseite, emporgehoben worden, und ob seine Bevöl-
kerung dieser neüern Periode der Schöpfung ebenfalls
theilhaftig sei.

Diese Frage hat nicht blos die intelligentesten unter
den ersten Reisenden in Amerika, sondern auch, und
zwar ganz vorzugsweise die erleüchtetsten Köpfe und ge-
schmeidigsten Gelehrten jener Zeit sehr lebhaft beschäf-
tigt. Zum allergrössten Theil unter'm Einfluss der, aus
dem Mittelalter übernommenen hermeneütisch-biblischen
und scholiastisch-theolo^schen Ueberzeügungen stehend,
hat die christlich - civilisirte Welt gerade in dem grossen
Ereigniss der Entdeckung Amerika's einen Anstoss ge-
funden, den Kreis der Ideen wie nie zuvor zu erweitern,
und die, in den heih'gen Schriften des Juden- und des
Christenthums niedergelegten geologischen und völkerge-
schichtlichen Üeberlieferungen einer Zergliederung und
Würdigung zu unterwerfen, welche, um es kurz zu sagen,
zwischen dem kirchlichen Glauben und der naturhistori-
schen und philosophischen Forschung einen Kampf her-
vorgerufen haben, der, wenn er auch bisweilen ruht, be-


13*

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52 Achte Abtheilung.

ständig erneuert wird, endlich aber doch zu einer Aus-
gleichung kommen muss, in der sich Glauben und "Wissen
versöhnt die Hand reichen werden.

Liegt auch die Frage über den Ursprung der Bewohner
eines Festlandes ausserhalb der Gränzen, welche der Ge-
schichte gesteckt sind, so hat sie doch einen so grossen
Keiz, dass der Forschungsgeist nicht ermüdet, dem Ur-
quell auf die Spur zu kommen. Dabei werden jene Grän-
zen übersprungen, weil das Gebiet, das sie umgürten,
einen Aufschluss nicht zu gewähren vermag. Das Object
aller Geschichte, der Mensch, ist der Gegenstand des Stu-
diums ; aber der in der Gegenwart lebende Mensch, theils
nach seiner körperlichen Beschaffenheit, theils und vor-
zugsweise nach seiner Zunge, die mittelst der Sprache den
Ausdruck der Empfindungen der Seele und der Fähigkei-
ten des Geistes gewährt.

In Bezug auf die amerikanische Menschheit haben Mor-
ton's kranialogische Untersuchungen die Einheit dersel-
ben, — mit Ausnahme der Eskimos, _ und eine entfernte
Aehnlichkeit mit gewissen Zweigen der Menschheit der
Alten Welt dargethan; während durch Du Ponceau's,
Pickering's, und vorzüglich durch Gallatin's linguistische
Forschungen der amerikanischen Sprachen gewisse grosse
Ergebnisse entweder festgestellt, oder doch sehr wahr-
scheinlich gemacht worden sind.

Das erste Ergebniss ist, dass alle amerikanischen Spra-
chen, oder doch die meisten, wie scheinbar verschieden
sie auch in ihrem lexicalischen Theile sein mögen, nach
ihrem organischen Bau dennoch zu Einem Sprachsysteme
gehören. Diese Aehnlichkeit hat man dadurch zu erklären
gesucht, dass man für alle Nationen Amerika's eine eigen-
thümliche Stufe der geistigen Kultur angenommen hat,
eine Annahme, die sich nicht rechtfertigen lässt, wenn man
erwägt, dass zwischen der Kulturstufe der Mexicaner und
der Eskimos, der Peruaner und der Feüerländer ein sehr
grosser Unterschied bestand; und dennoch die Idiome
dieser vier Völker allesammt in diejenige Sprachenklasse
gehören, die man die polysynthetische genannt hat. In der
That ist die Analogie zwischen den amerikanischen Spra-
chen so eigenthümlicher Art, und hangt von Dem, was
man willkürliche Anordnung nennen kann, so entschieden
ab, dass man auf irgend welche Umstände im moralischen
Zustande der Rasse zurückzugehen gezwungen ist, um
eine genügende Erklärung zu finden. Diese Aehnlichkeit
scheint die Wirkung zu sein von einer Statt gehabten
Verbindung, oder vielmehr von einem Ausfluss aus einer
gemeinsamen Quelle; und dies rechtfertigt vielleicht den
Schluss, dass alle Volksstämme der Neüen Welt, vom
arktischen Eismeer bis zum Hoorner Vorgebirge, die
Nachkommen seien Eines Stammes, oder Unter-Abthei-
lungen einer Ur-Nation.

Das zweite Ergebniss beruhet zwar nicht auf einem di-
rekten Beweise, wol aber stellt es sich als eine sehr wahr-
scheinliche Vermuthung dar, dass die einheimischen Spra-
chen Amerika's ein Pfropfreis seien auf demjenigen, in der
Alten Welt wurzelnden Stamme, den man den turanischen
oder finnisch-tatarischen nennt (p, 4). Die Aehnlichkeit in
der Bildung des Schädels der mongolischen und der ame-
rikanischen Rasse hat diese Ansicht von jeher ausseror-
dentlich begünstigt, und die anerkannte Aehnlichkeit in
der innern Organisation der amerikanischen Sprachen
unter sich ist auch in den finnisch-tatarischen Sprachen
wahrgenommen worden, und wird noch mehr hervortre-
ten, wenn die gänzliche Verschiedenheit, die wir im Wort-
schatze beider Sprachfamilien wahrnehmen, durch eine
gründlichere Kenntniss der Wurzeln nur als eine schein-
bare erkannt sein wird. Von diesem Gesichtspunkte aus
sind die amerikanischen Völker im mosaischen Ge-
schlechtsregister unter die Jafethiden zu stellen.

Das dritte grosse Ergebniss jener linguistischen Unter-
suchungen ist, dass in Amerika, wie in der Alten Welt,
einige grosse Sprachfamilien über ungeheure Eaüme ver-
breitet sind. Freilich gibt es neben diesen noch eine aus-
serordentliche Menge kleiner Volksstämme, deren Spra-
chen noch nicht auf eine der Hauptzungen haben bezogen
werden können; allein dies rührt ohne Zweifel vom Man-
gel unserer Kenntniss dieser Sprachen her. Auch ist es
eine bekannte Thatsache, dass je tiefer man in das Stu-
dium der Sprachen eingedrungen ist, die Zahl der abge-
sonderten Gruppen beständig abgenommen hat

Die kupferfarbigen Bewohner Amerika's erhielten den
Namen Indier oder Indianer in Uebereinstimmung mit der
Ansicht der Columbus-Entdecker jenes Erdtheils, die in
ihm lange Zeit das aüsserste Ende des gewürzreichen öst-
lichen Indien's gefunden zu haben glaubten, ein Irrthum,
der von Vielen mit Hartnäckigkeit festgehalten, nur dann
erst schwand, als die Fortschritte der geographischen
Entdeckungen in der südöstlichen Inselwelt Asien's und
an der Westküste Südamerika's das Vorhandensein eines
grossen Oceans ausser Zweifel gesetzt hatten So un-
passend nun auch jene Benennung ist, so befindet sie sich
doch seit viertehalb Jahrhunderten im Besitz des Bürger-
rechts ; und dies dürfen wir ihr um so weniger schmälern,
als sie zur Unterscheidung dienen kann von dem Namen
Amerikaner, womit fortan diejenigen Zweige des indo-
germanischen Sprach- und Vqlkerstamms zu bezeichnen
sind, die in beiden Hälften des westlichen Festlandes
neüe Gesellschaften, neüe Staaten, gestiftet, ja in einem
grossen Theile Amerika's durch Vermischung mit india-
nischem Blute eine Bastardrasse, einen neüen eigenthüm-
lichen Menschenschlag erzeugt haben, der für das Ge-
schick der Länder, in denen er entstanden ist, vom grössten
Einfluss zu werden, den Anlauf zu nehmen scheint.

Die zwei ethnographischen Skizzen von Amerika haben
demnach zwei Gesichtspunkte in's Auge zu fassen gehabt,
erstlich die Verbreitung der Kupferfarbigen oder Indianer,
und ihre Spaltung in Völker- und Sprachfamilien; zwei-
tens die Verbreitung der Weissen, oder Eüropäer, die seit
den ersten Tagen der Columbischen Entdeckung in der
Neüen Welt einen neüen Schauplatz für ihre Thätigkeit
und Entwicklung gesucht und gefunden, und zur Ver-
mehrung der Menschenkraft auch Schwarze oder Afrika-
ner nach Amerika verpflanzt haben, wodurch ein zweites
fremdartiges Rassen-Element im Neüen Continent hei-
misch geworden ist. Zunächst betrachten wir die_

Indianer der Neüen Welt

Auf beiden amerikanischen Karten hab' ich die Ge-
währsmänner genannt, deren Untersuchungen bei der geo-
graphischen Begränzung der Verbreitungsbezirke leitend
gewesen sind. Unten, in der Note 3, schalt ich die Titel
der Werke ein, in denen sie ihre Forschungen niedergelegt
haben.

Piord-Amerika.

Die Sprach- und Völker-Familien der nördlichen Hälfte
der Neüen Welt lassen sich, nach der geographischen
Lage ihrer Wohnplätze, die auf ihre Lebensweise vom
grössten Einfluss ist, in vier Abtheilungen zerlegen, davon
die erste die Nordischen; die zweite die Atlantischen; die
dritte die Völker des fernen Westens, und die vierte Ab-
theilung die Mexicanischen Nationen enthält. In raüm-
Hcher Beziehung ist die nordische Abtheilung die grösste;
kleiner sind die Verbreitungsbezirke der atlantischen uncJ
der westlichen Abtheilung, die ziemlich nahe von gleicher
Grösse sind, am kleinsten ist der Verbreitungsbezirk der
Mexicanischen Völker.

I. Die Nordischen Völker.

I.Eskimos, Esquimaux. Der Name Eskimo ist von
dem algonkinschen
Wiivi Eskimantih, d.h.: „Einer, der
rohe Fische isst", abgeleitet, und scheint nur ein Spott-
name zu sein. Sie selbst nennen sich, wie s,o viele andere
Völker „Männer", was als Einheit im grönländischen Dia-
lekt
Innuk, im Dialekt des Kotzebue-Sundes Tuak, in dem
der Tschuktschen,
Juh, in der Kadjackschen Mundart
Shuh, oder Nuhal'njak, und im Dialekt der Tschugatschen
Nebel'cJikeh, endlich in der ale-utischen Sprache Tainguk
heisst.

Die Eskimos sind die einzigen einheimischen Bewohner
sämmtlicher Meeresküsten und der Gestade aller Meer-
busen, Buchten und Einschnitte, und aller Inseln Nord-
Amerika's von der östlichen Küste Grönlands, unter 23° W.
Länge, bis zur Berings-Strasse, unter 170° W. Länge.
Auf der atlantischen Seite erstrecken sie sich auch längs
der Küste von Labrador bis zur Strasse von Belle-Isle,
und über diese hinaus bis auf Neü-Fundland und am St.
Lorenz-Golf bis zum 50° N. Breite, der Insel Anticosti
gegenüber. Diese östliche Abtheilung der Nation schliesst
mit dem nördlichen Fuss des Felsengebirgs ab. Von da


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Etlmograpliie. 53

an beginnt die westliche Abtheilung. Sie überschreitet die
Berings-Strasse und erfüllt, unter dem allgemeinen Namen
der sesshaften Tschuktschen die nordöstlichste Ecke der
Alten Welt, wo ihre letzten Hütten am Eismeere ungefähr
unterm 190° W. Länge stehen. Am Norton-Sund beginnt
eine dritte Abtheilung, die der südlichen Eskimos, die nicht
allein die ganze Ost-Küste des Berings - Meeres, sondern
auch die lange Kette der Aleutischen Inseln, und die nörd-
lichen Gestade des Grossen Oceans bevölkern, wo sie am
Elias-Berge, unter 60° N, Breite und 143° W. Länge mit
den Koloschen gränzen.

Die längs der Seeküste gezogene Linie der Entfernung
zwischen dem grönländischen und dem asiatischen End-
punkte des Eskimo-Landes beträgt auf dem 70®'®" Parallel
über 870 deütsche Meilen, eine Weite, die sich mit der
Entfernung von Lissabon bis Tomsk in Sibirien vergleichen
lässt; selten aber, findet man sie mehr, als 25 d. Meilen
vom Meeresufer entfernt, mit Ausnahme jedoch der süd-
lichen Abtheilung, die, unter dem allgemeinen Namen des
Ttynai-Volks, auch das Binnenland, und somit einen gros-
sen Theil des nordwestlichen Vorsprungs von Amerika zu
beΛvohnen scheint.

Bei den östlichen Eskimos lassen sich zum wenigsten
drei Dialekte oder Sprachen unterscheiden: das Karalit
oder der Dialekt von Grönland j der sich bei den Bewoh-
nern der Ost- und denen der Westküste, welche keinen
Verkelir mit einander haben, muthmasslich in zwei Mund-
arten spaltet; der Dialekt von Labrador und der Dialekt
der Anwohner der nördlichen und westlichen Gestade der
Hudsons-Bai, der mit jenem von Labrador wahrscheinlich
verwandt ist, und sich mit geringen Abweichungen bis
an's Felsengebirge erstreckt. Jenseits desselben scheint die
Sprache der westlichen Eskimos in mehr Dialekte zu zer-
fallen, auch unter einander abweichender zu sein, als auf
der Ostseite des Felsengebirgs. Noch mehr ist dies der
Fall bei den südlichen Eskimos, unter denen die Ale-uten
(Ale-mjuten?^ zwar der Sprachbildung nach offenbar zum
Volks - und Sprachstamm der Eskimos gehören, in ihren
Idiomen aber sich von ihm so entfernt haben, dass z. B.
der Konjage auf der Insel Kadjack den Ale-uten vonUna-
laschka nicht mehr versteht» Dagegen verbindet eine ein-
zige Sprache die Namollonen in Asien mit den Kan-julit
und die eben genannten Konjagen mit den Tschugatschik
oder Tschugatschen und anderen benachbarten Stämmen.

Wenn im Obigen bemerkt wurde, dass die Eskimos
längs der ganzen Küste von Labrador und an der Küste
des St. Lorenz-Busens ihre Wohnplätze hätten, so kann
damit nur der frühere Zustand gemeint sein. Jetzt ist der
südliche Strich jener Küste etc. von einer gemischten Easse
bevölkert, den Bastarden von Eüropäern und Eskimos,
nebst etlichen umherstreifenden Eskimos, auch von engli-
schen und französisch-canadischen Fischern und Jägern,
die in Sitten und Lebensweise fastEskimos geworden sind.
Während diese Eüropäer aus Noth manche Sitten der
Wilden annehmen mussten, haben letztere so viele eüro-
päischen Gewohnheiten sich angeeignet, dass ihre Natio-
nalität so gut wie verschwunden ist, wozu noch kommt,
dass sie auch etwas Englisch und Französisch gelernt ha-
ben. Daraus ist ein eigenthümlicher Jargon entstanden.
Die Eskimos am nördlichen Strich der Küste von Labra-
dor sind in jeder Hinsicht verschieden von ihren Brüdern
im Süden; denn sie haben einige Kenntniss von der christ-
lichen Religion erlangt, auch einige der nützlichsten Künste
des civilisirten Menschen, und doch von ihrer ursprüng-
lichen Einfachheit wenig eingebüsst. Dieses verdanken sie
der Brüdergemeinde, deren Sendboten seit dem Jahre 1752
unter unglaublichen und Jahre langen Beschwerden und
Entbehrungen die Heiden bekehrt und unterrichtet und in
Dörfer versammelt haben, deren älteren HoiFnungsthal,
Nain und Okal in neuem Zeiten ein viertes, Namens He-
bron, hinzugefügt worden ist*.

2. Die Koloschen oder Koljuschen, auch Koulisken
genannt, bilden einen selbstständigen Sprachstamm, dessen
Verbreitungsbezirk nicht weit von der Stelle beginnt, wo
die Halbinsel Aljaska
vom festen Lande sich absondert,
dann mit der grossen busenartigen Einbeügung der Küste,
hinter
dem Eskimo-Gebiet, in einem grossen Bogen paral-
lel laüft, und das Gestade in der Gegend des Elias-Berges
trifft, wo der grösste Theil der N.W.Küste diesem Sprach-
gebiete angehört.
lieber die südöstliche Gränze auf dem

PHYSIK. ATLAS ABTH. Till.

festen Lande sind die Angaben nicht einig. Wenjaminow
dehnt sie bis zum 45° N. Breite, oder bis zum Columbia-
Strom aus; Gallatin dagegen stellt sie unter den 55°, was
ohne Zweifel richtiger ist, weil sonst für. die, weiter un-
ten zu erwähnenden südlichen Völker, die Naas u. s. w.,
kein Raum übrig sein würde. Es gehören zu dieser Völ-
kerfamilie: —

Die eigentlichen Koloschen, die von der so eben ge-
nannten Südgränze bis zum Elias-Berge reichen. Der
Name kommt wahrscheinlich von dem Worte
koUts, durch-
bohren, her, wegen der Einschnitte in ihrer Unterlippe.
Sie selbst nennen sich
Tlinkit, d. h.; Menschen, mit dem
stolzen Zusatz
antuhuan, überallwohnende. Sie theilen
sich in zwei Stämme, den Stamm des
El (Raben) und den
des
Kanuk (Wolfs), davon jeder wieder in mehrere Ge-
schlechter zerfällt, welche ihre Namen ebenfalls von Thie-
ren entlehnen. Eins der zahlreichsten und mächtigsten
Geschlechter ist das der
Nehanni, eine kriegerische und
tapfere Horde, welche die Geissei und der Schrecken aller
Nachbarvölker ist. Ueberhaupt zeichnen sich die Kolo-
schen sowol durch ihre physische Ueberlegenheit, als
durch geistige Eigenschaften sehr vortheilhaft aus.

Zwei Sprachen sind es, in die sich die Geschlechter der
Koloschen theilen, die Sitchin'sche und die Jakukatische.

Aehnlichkeit in der Stamm- und Geschlechter-Einthei-
lung, in der Denk- und Lebensweise, in religiösen Be-
griffen, in vielen Sitten und Gebraüchen, knüpfen die
Volksstämme, die vom Elias-Berge bis zum Kuskokwim
u. s. w. wohnen, an die Koloschen, auch manche Anleh-
nungspunkte in dem W^ortschatze ihrer Sprachen, was
Veranlassung gegeben hat, sie als einen gemeinsamen
Völker- und Sprachstamm, dem der Koloschen zu verei-
nigen

Das System des Zählens ist bei den Koloschen wahr-
scheinlich vigintesimal, wie es bei den Mexicanern war.
Auch hat man an ihren Küsten einige Steine mit Inschrif-
ten gefunden, die eine entfernte Aehnlichkeit mit den
mexicanischen Perioden von 13 Monaten und 20 Tagen
haben

3. Unter dem Namen der Athapascas begreift Gal-
latin eine Reihe sprachverwandtef Nationen, die, auf der
Südseite der Eskimos und auf der Nordseite der Algon-
kin-, Coutanie- und Selisch-Nationen das ganze Land
zwischen der Hudsons-Bai und dem Grossen Ocean be-
wohnen, ohne jedoch die Küsten beider Meere zu errei-
chen. Es sind dieselben Völker, welche Mo Kenzie
Chip-
peyans,
und Isbister CMppewyans nennt.

Die Zahl der verschiedenen athapaskischen Stämme,
deren man sonst nach den Mittheilungen Mc Kenzie's und
Franklin's eine grosse Menge angab, lassen sich, nach
Isbister, auf acht ermässigen. Es sind —

Die Sah-issah-deinnihs, d. h. in ihrer Sprache, Sonnen-
Aufgangs-Männer, oder die Chippewyans, wie wir sie
nennen, die man als Keim der Rasse betrachtet, wahr-
scheinlich weil sie den Weissen zuerst bekannt geworden
sind. Ihr Dialekt, der rauh und voller Kehllaute, schwer
auszusprechen und dem Ohre sehr unangenehm ist, wird
als Grundform der übrigen Sprachen dieser Klasse ange-
sehen. Mc Kenzie's Wörter-Verzeichniss ihrer Sprache ist
das einzige, welches wir von den auf der Ostseite des Fel-
sengebirgs lebenden Indianerstämmen dieser Familie be-
sitzen. Von den übrigen Stämmen wird aber ausdrücklich
gesagt, dass sie Dialekte eines Idioms sprechen, welches
mit der Sprache der Chippewyans einerlei sei.

Die Biber-Indianer, von denen ich den einheimischen
Namen nicht anzugeben weiss, unterscheiden sich in der
Sprache sehr wesentlich von den übrigen Stämmen, indem
dieselbe viel weicher und etwas reicher ist, als das Idiom
der Chippewyans, dessen Armuth an Vokabeln und an
Mitteln zum Ausdruck der gewöhnlichsten Gegenstände
durch die ganze Spraehfamilie geht.

Die Daho - Deinnih, ein Gebirgsstamm, und, wie alle
Bergvölker, kühn und tapfer und mit kriegerischen Nei-
gungen, was ihm bei den canadischen Handelsleuten den
Namen
Maumis Monde verschafft hat. Gallatin nennt die-
sen Stamm Felsengebirgs-(}2oc% JioMniam^Indianer.

Die Straffbogen (Stronghow), die sich selbst IdtscTialita-
waht-Deinnih, d. i.: Dick-Wald-Indianer nennen, sind
gleichfalls Bewohner des Felsengebirgs, die sich durch be-
trächtliche Dialekt-Verschiedenheit von den Daho-Deinnih

14


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54 Aclite Abtheiluiig.

unterscheiden. Zu ihnen gehören die Berg- und die Schaaf-
Indianer, die in ihrer Sprache
Amhahtawuht - Deinnihs
heissen.

Die Kantschu-Deinnihs oder Hasen {Hare)-^ zuweilen
auch Sklaven-Indianer genannt, sind von allen Athapacas
diejenigen, welche mit derHudsons-Bai-Compagnie und de-
ren Dienern und Leüten am meisten in Verbindung stehen.
Die Wirkungen davon sind nicht ausgeblieben: ihr Zu-
stand ist der armseligste und kläglichste, den man sich
denken kann, und selbst Cannibalismus, vom Heisshunger
zur absoluten Nothwendigkeit geworden, besteht unter
diesen unglücklichen Menschen in einer schrecklichen Aus-
dehnung.

Die Tleingchah-Deinnihs, oder Hundrippen {Dog-ril·)-
Indianer, unterscheiden sich sehr vortheilhaft von ihren
Nachbarn, den Hasen-Indianern, indem es ihnen, die sich
von der Rennthier - Jagd ernähren, bisher gelungen ist,
von den Weissen ganz unabhängig zu bleiben.

Die TontsawJiot-Deinnihs, d.h.: Birkenrinde-Männer,
sind das Volk, welches wir unter dem Namen der Gelb-
messer
(Yellow Knives), oder apch der Kupfer-Indianer
kennen. Es sind dieselben, welche bei den Beamten der
Hudsonsbai-Compagnie gemeiniglich Nordische Indianer
heissen. Mit den Sonnen - Aufgangs - Männern dieselbe
Sprache redend, stehen sie in Bezug auf Geistesgaben viel
höher als die Hundsrippen. Sie haben Anspruch auf die
Dankbarkeit der ganzen gebildeten Welt wegen der gros-
sen Dienste, die sie den verschiedenen Expeditionen gelei-
stet haben, welche von der englischen Regierung zur Er-
forschung und Aufnahme der nördlichen Küsten von
Amerika entsendet worden sind.

Die Tahkali, Tahelly, Tahulehe oder TacuUies, d. h.:
Leüte, die auf's Wasser gehen, von uns gewöhnlich Füh-
rer
(Carriers) genannt, bilden die letzte Abtheilung in
der weitgestreckten Gruppe der Athabasca-Völker. Auf
der Westseite des Felsengebirgs lebend, scheinen die die
einzigen daselbst übrig gebliebenen Reste ihrer Sprach-
familie zu sein. Man kann sie als eine Erweiterung der
Biber-Indianer ansehen, oder vielleicht auch umgekehrt,
diese als eine Fortsetzung der Tahkali. Sie stehen von
allen Chippewyischen Volksstämmen am tiefsten in der
Entartung, sowol was ihren physischen Zustand beti-ifft,
als auch in ihren geistigen und moralischen Fähigkeiten.
Als besondere Horden dieser Tacullies werden genannt:

Nauscud-Deinnihs, Slouacus-Deinnihs, Nogaüers, drei
kleine Volksstämme, welche Mundarten der Tahkali-Spra-
che sprechen, hat man in grosser Entfernung von den
Tahkalis, als Exklaven, mitten unter andern Sprachen ge-
funden. Die
KwalMoquia nördlich, und die Tlatskanai süd-
lich, sind zwei kleine isolirte Horden auf beiden Seiten
der Columbia - Mündung, vom Fluss und von einander
durch die Tschinuks getrennt. Es sind ganz entartete Ge-
schöpfe ; wogegen die
Unikwas, die den Oberlauf des Flus-
ses dieses Namens bewohnen, in einem bessern Zustande
sich befinden, was auch von den
Sikani oder Sicannies
gilt, die eine, dem Takhali verwandte Sprache reden.

Sehr wahrscheinlich gehören auch zur Athapasca-
Sprachklasse die
Sarsies, Susies oder Sursies. Ob aber
auch die
Tsehangos, davon etliche Familien an der nord-
östlichen Gränze von Neü-Caledonien wohnen, hierher zu
stellen seien, wie die geographische Lage vermuthen lässt,
ist eine Frage, die noch ebenso oifen bleiben muss, als die
wegen der
Tschinkaten, von denen das fabelhafte Ge-
rücht geht, dass sie geschwänzt und wie Thiere ganz mit
Haaren bewachsen seien!! β

In den weiten Einöden des amerikanischen Nordens ist
innerhalb des Landes, welches die Eskimos und die Atha-
pascas bewohnen, bisher keine andere Sprache entdeckt
worden, als die eines Volksstammes, der sich selbst _

4. Digothi nennt, bei den französisch - canadischen
Pelzjägern und Handelsleüten aber „Schielende"
(Lou-
cheux)
und bei den englischen Reisenden „Zänker (Qua-
rellers)
heisst. Ethnographisch ist dieser Stamm wichtig,
weil er mit dem eben genannten zwei Nationen und viel-
leicht auch mit den Koloschen gränzt. Die Sprache der
Digothi, obschon vokabularisch sehr verschieden, zeigt in
der Sprachbildung und Sprachweise eine so nahe Ver-
wandtschaft, nicht blos mit den Eskimoschen Dialekten,
sondern auch mit den Mundarten der Athapascas, dap es
allen drei Nationen leicht wird die gegenseitigen Idiome
zu erlernen. Die Loucheux sind zahlreicher und haben
einen grössern Verbreitungsbezirk, als man bisher ange-
nommen hat, denn sie erstrecken sich vom Eskimo-See,
auf der Ostseite des Mackenzie, bis zum Colville, einem
grossen Strome, der sich unter 154° 34' W. Länge ins
Eismeer ergiesst ^

IL Die Atlantischen Völker.

Unter dieser Aufschrift sind all' die Völker zu verste-
hen, die, südlich von den Eskimos und den Athapascas,
zwischen der Hudsons-Bai und dem Mexikanischen Meer-
busen lebten, und auf der Westseite, ganz allgemein ge-
nommen, den Mississippi und den Winnipeg-See, auf der
Ostseite aber die Gestade des Atlantischen Oceans zur
Begränzung hatten. Wir haben es hier also mit einem
Länderraum zu thun, innerhalb dessen Fremdlinge, die
von jenseits des „grossen Wassers", gekommen sind, die
Anglo-Saxonen, seit zwei Jahrhunderten ein neües Reich
für Bildung und Gesittung gestiftet haben.

5. Algonkin-Lenape. Die grosse Völker-Familie,
welche von den Franzosen, den ersten Ansiedlern Aca-
dien's und Canada's, Algonquin oder Algonkin (nach eng-
lischer Schreibart), und in den Vereinigten Staaten neuer-
dings Lenno-Lenape genannt wird, enthält so viele
verschiedene Sprachen, dass es nothwendig ist, sie in
mehrere Gruppen zu zerlegen, bei deren Aufstellung und
Anordnung die geographische Lage zwar hauptsächlich
maassgebend wird," dabei aber die gegenseitige Verwandt-
schaft der Sprachen nicht unberücksichtigt bleibt, was um
so leichter ist, da das linguistische Element mit dem geo-
graphischen nahe zusammenfällt.

. (1) Oestliche oder Acadische Gruppe.

Das Halbinselland, -vrelclies heiit' za Tage Neü-Sehottland heisst, nannten
die ersten französischen Ansiedler
Accuiie. Ich habe diesen alten Namen als
Benennung für die Gruppe wiederhergestellt.

Micmacs.....Westliche Gestade und Flüsse des St. Lorenz-Golfs, In Neii-

Brannschweig, In Neil-Schottland, Kap Breton, Prinz Ed-
wards I., Neü-Fundland.
EtcMmins. ... St. John's-Fluss nnd zwischen ihm und dem Flusse Penobscott.

Abenalcis.....Am Kejmebec-Fluss, wahrscheinlich bis Saco.

Die Dialekte dieser drei Nationen haben unter sich grosse Verwandtschaft,
welchen aber, obgleich sie unleügbar zu einer und derselben Stammspraehe
gehören, von der eigentlichen algonkinschen Sprache wesentlich, ab.

(2) Atlantische Gruppe.

Massachusetts, . Λ In den Neti-Englands-Staaten: die zuerst genannte Nation
NarcKjansetts. . }■ im Staate gleiches Namens, die zweite an der Bucht dieses
Mohicans. . ■ . ) Namens im Staate Khode Island, die dritte hatte ihren Haupt-
sitz im heutigen Connecticut und bis zum Hudson-Fluss im
Staate Neu-York. In Neü-Hampshlre und Massachusetts lebte
eine grosse Menge indischer Stämme, darunter die P^quots
die bedeutendste Nation war. Sie wurde aber von den Co-
lonisten frühzeitig ausgerottet. Die Sprachen der genannten
drei Völker sind unter sich sehr nahe verwandt.

MontaTcs.....Ί

Vnquashog. . , > Auf Long-Island; mit drei sich unterscheidenden Sprachen.
Shinicocks. ..■)

Mimt.......\ Vormals Eine Nation, zwischen den Flüssen Hudson und

Selawares. . . . J Susquehannah

Wanticokes. . . . Oestliches Gestade der Chesapeake-Bucht.
Susquehanmlcs. Am Susquehannah. Ausgerottet. Machten mit den Nantiookes
Eine Nation aus.

PmJiattans. . . Virginien. Fast ganz untergegangen. Ein kleiner XTeberrest am
Pamumkey-Flusse, von dem er den Namen Pamumkies führt.
Pampticoes. . . Nord-Carolina, südlich bis zum Kap Hatteras. Wurden zu Ende
des
17. Jahrh. von einer grossen Sterblichkeit heimgesucht,
und sind seit der-Zeit von der Erde verschwunden.

(3) Nördliche Gruppe.

Knistinaux, oder Cristinaux von den Franco-Canadiern genannt, woraus man
im Englischen die Abkürzung
Crees gemacht hat, wohnen
auf der Südseite der Athapascas und der Hudsons-Bai vom
Missinippi bis zum Euperts-Flnss.
Montagnards. . . Am St. Lorenz-Strom von Montreal bis zu seiner Mündun"

Seoffles......lAn, den nördlichen Gestaden des St. Lorenz-Golfs, in Labra-

Sheshaiapush. . J dor hinter den Eskimos.
Naskopis.....Im Innern von Labrador.

Ottawas.....Ursprünglich am Flusse dieses Namens in Canada, späterhin

in Michigan.

Ojibways oder Chippeways. Vom Ostende des Obern Sees bis zum Kothen Fluss

des Winmpeg-Sees.
Potowatamies. . Am Süd-Ufer des Michigan-Sees.

Misdnssig oder Mississaguis, Missiosigees, am nordöstlichen Ende des Ontario-
Sees.

Satsika oder Schwarzfüsse, wohnen weit im Westen im Flussgebiet des südli-
chen Saskatschawin am Felsengebirge. Diese mächtige Na-
tion spaltet sich in drei oder vier Horden: Eigentliche Sat-
sika, Kena- oder Blut-Horde, Piekan (Pl-a-gan)- Horde und
Α , Horde der kleinen Socke.
Mit Ausnahme der Schwarzfüsse, die ihr Eigenes, von den übrigen Algonkin-
fit'll abweichendes Idiom sprechen, gehören alle andern Völker

oieser uruppe zu einer einzigen Sprache, der eigentlichen algonkinschen, die
chippewaysch'e nennt», und die nach den verschie-
uenen Volkerschaften in eben so viele Mundarten gespalten ist, die sich, bei
aer einen mehr, bei der andern weniger, nur durch gewisse Dialekt-Verschie-
aenheiten unterscheiden. Man betrachtet diese nördliche Abtheilung als den
urstamm aller verwandten Zweige der algonkinschen Völkerfamilie ■».

(4) Westliche Gruppe.

Menomenies. . . An der Grünen Bucht des Michigan Sees.

Miamis.....1 „

lOhio, Illinois, Wabash und Miami-Flüsse. Die Dialekte dieser
_ _ I drei Stämme sind fast ganz übereinstimmend.

-Foa;es. lAm Mississippi und Illinois. Diese drei Stämme sprechen ge-
Mkapoos. . . . / nau denselben Dialekt des Algonkin.

S/iawneeSf Shawnoes. Ursprünglich am Cumberland-Fluss, seitdem grosse Wan-
derer am Susquehannah, anr Seioto, unter den Creeks.
Chaymnes. Westlich vom Mississippi, auf Exclaven des Algonkin-
Gebiets, an den Flüssen Platte und Sbyenne, die sich in
den Missonri ergiessen.


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6. Irokesen oder Iroquois (nach der Schreibart der
Engländer und Franzosen). Das Gebiet dieses, in der Ge-
schichte der Colonisation von Nordamerika so wichtigen

Volks, bestand aus zwei, im_Meer der Lenape-Völker

liegenden Inseln, einer grossen im Norden, und einer
kleinen im Süden.

Die Stämme der südlichen Gruppe, auf der Ostseite
von den südlichsten Lenape begränzt, die das niedrige
Land an der Meeresküste' und den Sunden von Albemarle
und Pamlico besetzt hatten, bewohnten einen beträchtli-
chen Theil des Landes südlich vom James-Flusse und
dehnten sich in dieser Richtung bis auf die andere Seite
des Flusses Neuse aus.

Von diesen Iroquois - Stämmen waren die Meherrins
und Nottoways an den gleichnamigen Flüssen angesessen.
Die zuletztgenannten, die eigentlich
CheroJiakah hiessen,
waren im Jahre 1820 bis auf sieben und zwanzig Seelen
zusammen geschmolzen. Der Raum hat es nicht gestattet,
ihre Namen auf der Karte anzugeben. Südlich von ihnen
waren die
Tuscaroras die mächtigste Nation innerhalb der
Gränzen des heütigen Staats Nord-Carolina. Ein Vertil-
gungskrieg, den sie mit den Colonisten zu bestehen hatten,
zwang die grosse Masse der Nation in den Jahren 1714
und 1715 auszuwandern, und sich dem Bunde der fünf
Nationen anzuschliessen, der sie als sechtes Glied in sich
aufnahm.

Die nördliche Gruppe der Irokesen bestand aus zwei
verschiedenen Abtheilungen. Die östliche Abtheilung war
die Conföderation, welche unter dem Namen des Fünf-
Nationen-Bundes in dem Kampfe zwischen ben beiden
grossen eüropäischen Mächten, England und Frankreich,
in Nordamerika, auch im Unabhängigkeitskriege der Ver-
einstaaten eine so grosse Rolle gespielt hat. Diese fünf
Stämme waren, von Ost nach "West gezählt, die
Mohawks,
die Oneidas, die Onondagas, die Cayugas und die Senecas.
Die westliehe Abtheilung bestand, so weit sich gegenwär-
tig noch ermitteln lässt, aus vier Nationen: den
Wyan-
dotts oder Huronen an den östlichen Gestaden des Huron-
Sees, und deren Souverainetät über das Land bis zum
Ohio-Fluss allgemein anerkannt war; den
Ättionandarons,
oder der neutralen Nation, östlich von den Wyandotts;
den Erigas auf der Südseite des Erie-Sees; und den An-
dastes
oder Ouandastogues, auch Guyandotts genannt, an
den Flüssen Alleghany und Ohio. Die drei zuletzt ge-
nannten Stämme wurden von den fünf Nationen theils ganz
vertilgt, theils in kleinen Ueberresten ihrem Bunde ein-
verleibt.

Die Irokesen sind fast ganz verschwunden, während
das Algonkinsche Volk, zu dessen Vertilgung sie, in den
mit ihm geführten langen Kriegen, bestimmt zu sein schie-
nen, noch lebt und in dem grossen Landstriche verbreitet
ist, der oben nachgewiesen wurde.

Radikal verschieden von der Sprache der Lenno-Lenape
oder doch nur mit wenigen Anklängen aus derselben spal-
tete sich das Iroquois in sechs Haupt-Dialekte, die von
den Tuscaroras und den fünf Nationen gesprochen wurde.

In dem ganzen grossen Räume, der die Algonkin-Le-
nape und die Irokesen zum Wohnplatz diente und zum
Theil noch dient, ein Ländergebiet, dessen Grösse der
Hälfte von Eüropa gleich ist, gab es nicht einen einzigen
Volksstamm, der nicht eine Mundart der einen oder der
andern der beiden Nationen gesprochen hätte.

Floriila-Völker. Die vielen, unter einander oft scheinbar
unabhängigen Sprachen der Indianer in den Vereinigten
Staaten lassen sich für die südlichen Gegenden der atlan-
tischen Gruppe auf eine Sprache zurückführen, welche die
floridanische genannt wird, und die mit den algonkinschen
und irokesischen Zungen nichts gemein hat, ausser dass
man in derselben, und namentlich in der Sprache der
Schactas, Wörter algonkinschen Ursprungs findet, was
den Beweis liefert, dass die Lenape-Familie einst auch in
den südlichsten Gegenden, bis gegen den Mexicanischen
Meerbusen, verbreitet gewesen ist. Indessen dürfen wir
die floridanische Sprache nicht als eine einzige Zunge be-
trachten, die nur in Mundarten abwechseln, sondern müs-
sen sie als einen Sprachstamm ansehen, von dem sich ver-
schiedene verwandte Sprachen als Aeste abzweigen.

In seiner ersten allgemeinen Uebersicht der nordameri-
kanischen Völker (vom Jahre 1836) hatte Gallatin dem
floridanischen Sprachstamm sechs Völker untergeordnet,
deren Namen in der Tabelle auf der Karte No. 17, nach
deütscher Aussprache eingetragen sind. In seiner zweiten
Uebersicht (von 1848) vereinigte er zwei Völker, die
Creeks mit der Muskhog-Sprache, und die Tschahtas, zu
Einer Sprache eine Verbindung, die ihm aber selbst noch,
zweifelhaft zu sein schien. So sind dann in der floridani-
schen Familie fünf Völker und Sprachen, die, in englischer

Orthographie, folgender Massen heissen:_

Ί. Catawbas, Die vier Haupt-Na-

8. Cherohees, tionen südlich von den

2 Vi. 12. Chocta-Mushhog, Algonkin - Lenape und

10. UcTiees, östlich vom Mississippi

11.Natchez, waren die Cherokees
die vornehmlich im Thal des Tennesse-Flusses und dessen
Nebenthälern wohnten; die Creeks (Krieks) südlich von
jenen und bis zum Mexicanischen Meerbusen; die Chicka-
sas westlich von den Cherokees, und die Choctas, west-
lich von den Creeks. Aber die zwei zuletzt genannten
Nationen, die Chickasas und Choctas, sprachen, obwol sie
politisch gesondert waren, zwei fast identische Dialekte der
nämlichen Sprache.

Die Creeks sind eine Conföderation, davon neün Zehn-
theile die Muskhog-Sprache reden, deren nahe Affinität
mit der Chocta bereits oben angedeütet worden ist. Das
Seminola, auf der Halbinsel, soll mit dem Muskhog einer-
lei sein; indess ein Dialekt dieser Sprache von den Hichi-
tees, einem kleinen Gliede des Bundes, gesprochen vörd.
Die anderen Glieder der Conföderation sind die Uchees
oder Utchies, welche als die Urbewohner des Landes an-
gesehen werden, und eine Sprache reden, die mit Kehl-
lauten überfüllt ist; die üeberbleibsel der Natchez, und
zwei sehr kleine Stämme, die Alibamous und Coosadas,
nach den Flüssen Alabama und Coosa genannt, deren
Sprache aber verschieden von der Muskhog sein soll.

Das einzige noch vorhandene Volk zwischen den Chero-
kies und den Südirokesischen Stämmen sind die Catawbas,
im westlichen Theil von Süd- und Nord-Carolina, einst
eine mächtige Nation, deren Sprache zu derselben Familie
gehörte, wie die Sprache der Wookons, die aber gänzlich
verschieden ist vom Cheroki, jedoch einige Verwandtschaft
mit dem Chocta-Maskhog zeigt.

Mit Ausnahme der Namen einiger Oertlichkeiten haben
wir nicht eine einzige Spur von den Sprachen der kleinen
Volksstämme, welche einst die Carolinischen Gestade zwi-
schen dem Vorgebirge Hatteras und dem Savannah-Flusse
bewohnten. Dass der Archipelagus der Bahamas oder Lu-
cayischen Inseln (von dem spanischen Wort
Los Cayos,
d. h. die Klippen-Inseln) zum muskhogischen Sprachgebiet
gehört haben sollen, ist nur eine ganz willkürliche Ver-
muthung, da von der Sprache ihrer Bewohner, die bald
nach Entdeckung des festen Landes von Amerika von den
Spaniern geraubt und in die Silber- und Gold-Bergwerke
von Mexico und Peru geschleppt wurden, so viel mir be-
kannt, keine Spur sich erhalten hat.

III. Die Völker des fernen Westens und des
Felsengebirgs.

Das Gebiet dieser Völker wird vom Felsengebirge bei-
nah' in Meridian-Richtung durchschnitten und dadurch in
zwei, fast gleich grosse Hälften zerlegt, eine östliche dies-
seits, und eine westliche jenseits des Gebirgs. Eine dieser
VölWfamilien aber breitet sich auf beiden Seiten des
Scheiderückens aus.

er) CismOTitane Gruppe.

13. Caddos u. s. w. Zwischen der Seeküste des Mexi-
canischen Busens und dem Höhenzuge, welcher die Ge-
wässer des Rothen Flusses
{Eed River) des Mississippi
vom Unterlauf des Arkansas scheidet, finden wir in Loui-
siana und in der unmittelbaren Nähe des Mississippi, vier
Volksstämme, oder Üeberbleibsel von Volksstämmen, die
unter den Namen

Ädaize oder Adayes^ bekannt sind, und davon ein
Clietimachas, jeder seine eigene, von allen

Attacapas^ anderen Zungen völlig ver-

Caddos schiedene Sprache redet. Man

betrachtet sie als Urbewohner von Louisiana, deren Zahl
noch durch andere kleine Stämme verschiedener Idiome
(wie
Natchitotches, Appelousas, Chactoos) zu vermehren ist.

Ethnographie.


14*

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5G Achte Abtlieilung.

Dazu kommen noch viele kleine Völkerschaften, oder
Trümmer grösserer Nationen, die von Osten her wahr-
scheinlich als Flüchtlinge eingewandert sind Die Cad-
dos, oder Cadokies, die ansehnlichste dieser kleinen Natio-
nen , bestehen aus verschiedenen Stämmen mit besonderen
Mundarten. Darunter sind die Tachies, die der jetzigen
Republik Texas den Namen gegeben haben.

14. Sioux. Mit Ausnahme der so eben genannten klei-
nen Völkerschaften war und ist der allergrösste Theil des
Landes auf der Westseite des Mississippi bis an den Sas-
katschawin und das Felsengebirge fast ausschliesslich von
den verschiedenen Nationen bewohnt, die zu der grossen
Familie der Sioux oder Si-uh gehören. Auf der Ost- oder
Algonkin sehen Gränze erstrecken sie sich vom Saskatscha-
win bis an den Arkansas, auf der Westseite, am Kamm
des Felsengebirgs bis zum 43° N. Breite. Man kann sie in
vier Abtheilungen bringen:

Oestlich sind die Winnebagoes, die sich selbst Hochaa-
gohrah nennen, um von den Franco-Canadiern Stinkende
(Puans) genannt werden, ein abgesonderter Stamm am
Westgestade des Michigan-Sees, und rings um von Al-
gonkin-Nationen umgeben.

Nordwärts sind die vier Stämme der Dacotahs, der ei-
gentlichen Si-uh, auch Nadowessies genannt, am Missis-
sippi und zwischen diesem und dem St. Peters-Fluss; die
Yanktons, die Yanktoänans und die Tetons, Wanderhorden
zwischen dem Mississippi und dem Missouri; und nördlich
von diesen die Assiniboins, von den Algonkins so genannt,
getrennt von der übrigen Dacotah-Nation, und dieserhalb
von den anderen Si-uh Hoha, oder Rebellen genannt.

Südwärts die Quappas; Osages, die sich Wasaji nennen,
und Kansas; die Missouris und Ottoes, die Omahaws und
Puncas und die loways (Ei-owäs). Der zuletzt genannte
Stamm hat eine Allianz mit den algonkins chen Sakis und
Foxes geschlossen. Die anderen haben das Land am Mis-
sissippi zwischen dem Missouri und dem Arkansas besetzt,
und erstrecken sich in nordwestlicher Richtung weit am
Missouri hinauf.

Westwärts am obern Missouri und am Gelbstein-Fluss
(Yellow Stone) die Mandans, die sich für das älteste Volk
in diesen Gegenden halten, die sesshaften Minetares und
die Krähen
{Crows) oder die Upsaroka-Nation, zu der die
gegen die Quellen des Saskatschawin vorgeschobene Horde
Osinipcilles gehört.

Diese Vertheilung der Si-uh-Völker ist nicht allein
raümlich, sondern auch sprachlich begründet in der gegen-
seitigen Verwandtschaft ihrer Sprachen und Dialekte, ver-
möge deren sie sich an die Irokesen anlehnen sollen. In
der Sprache der Upsarokas, die sich von den übrigen Zun-
gen der Familie am meisten zu entfernen scheint, glaubt
man Spuren eines ursprünglichen Zusammenhangs dieser
Nation mit den Mexicanern zu erkennen. Politisch zerfal-
len die Sioux in zwei und vierzig Horden oder Familien,
die unter zwei grosse Gruppen, die Mississippi-Siovix und
die Missouri-Sioux vertheilt sind.

15. Ρ ahn ί es, oder Pawnees nach englischer Recht-
schreibung, ein sehr mächtiges und kriegerisches Volk, am
Platte-Fluss (Neo-bras-ka) und dem Kansas, sprachlich
ganz geschieden von den Sioux und den übrigen nordame-
rikanischen Nationen und politisch eingetheilt in vier Hor-
den: Gross-, Tappage-, Wolf- und republikanische Pah-
nies. Getrennt von ihnen leben auf einer, im Si-uh-Gebiet
am Missouri liegenden, Exclave die Ricaras oder Aricaras,
auch Schwarz-Pahnies genannt, deren Idiom nur eine
Mundart der Pahni-Sprache zu sein scheint. Eine zweite
Exclave liegt südlich am Rothen Fluss
(ßed Biver) des
Mississippi, eingeschlossen von den Caddos, den südlichen
Sioux und den Comanches. Diese Exclave ist auch von
Pahnies mit dem Zunamen Picts (Pahnie-Picts, Pania-
pique, oder Towiaches, wie die Spanier in Texas sie
nannten) bewohnt, von denen man aber noch nicht weiss,
ob ihre Sprache einen Bestandtheil der Sprache der eigent-
lichen Pahnies bildet, oder ob sie zu den Comanchos ge-
hören.

16. Ärrapahoes. Diese bilden eine, auf drei Seiten
von den Sioux, und auf der vierten Seite von den Schwarz-
füssen der Algonkin-Familie begränzte Sprach-Insel zwi-
schen dem südlichen Arme des Saskatschawin und dem
Missouri, da wo dieser Strom seinen Lauf aus der öst-
lichen Richtung in die südliche verändert. Man hat zwar
nur ein spärliches Wörterverzeichniss von ihrer Sprache,
allein es reicht doch hin, um uns zu überzeügen, dass auch
diese Arraphoes oder Arrapahays ein selbstständiges Volk
sind. Es ist dieselbe Nation, welche man auch unter dem
Namen Atsina, und der Fall-, Rapid-Indianer (der Was-
serfälle und Stromschnellen) kennt, und die von den Fran-
co - Canadiern
Gros - Ventres, oder Dickwänste genannt
wird, was eine Uebersetzung des indischen Ausdrucks
Big-
Paunch
ist. Die Ärrapahoes stehen mit den Satsika in
einem Bunde, an dem auch die Cotonnes und die Circihs
oder vier Völker Theil nehmen, deren Sprachen radikal
verschieden sind. Wohin die Circihs zu setzen seien, weiss
ich nicht.

/5) Transmontane Gruppe.

Zwischen dem Kamme des Felsengebirgs und den Ge-
staden des Grossen Oceans finden wir in dem Gebiete,
welches der Oregon-oder Columbia-Strom bewässert, so
wie an der Küste und auf den vor ihr liegenden Inseln eine
grosse Spaltung der Zungen, daher eine Menge selbststän-
diger Sprachstämme, die aus noch zahlreicheren Sprachen
und Mundarten bestehen. Dieser Völker-Mikrokosmus,
der gegen die cismontane Gruppe der ultra-mississippi-
schen Völker, und gegen die Atlantischen- Nationen einen
so auffallenden Gegensatz bildet, ist durch die umfassen-
den Untersüchungen Horatio's Haie klar und deütlich
dargelegt worden.

Um ihn vollständig übersehen zu können, muss ich den
Leser noch ein Mal ins Gebret d«r nordischen Völker füh-
ren, wo wir, auf der Südseite der Koloschen als nächste
Nachbarn derselben —

4'. die Skittagets auf der Insel der Königin Charlotte
kennen lernen, die, seitdem die Seeotter in jenen Gegenden
fast ganz vertilgt worden, sehr ileissige Kartoffelbauer ge-
worden sind; sodann auf dem festen Lande_

4". die iVaas, welche von der Observatoriums-Em-
fahrt südlich ungefähr bis zum Millbanks-Sund sich er-
streckend, eine Spi'achfamilie bilden, von deren Idiomen
man Wörterverzeichnisse aus dem Hailtsa, Haeeltzuk, Bil-
lechoola und Chimmesyan gesammelt hat. Nur die erste
dieser Sprachen könnt' ich ihrer örtlichen Stellung nach
auf der Karte angeben. Shebasha ist der Name eines
mächtigen Stammes, der die zahlreichen Eilande in Pitt's
Archipelagus bewohnt.

Die langgestreckte Insel, die vorzugsweise den Na-
men des grossen Hydrographen Vancouver führt, (der in
Cook's Schule seine Bildung empfangen hattej, ist das Ge-
biet der Sprachfamilie —

4"'. der Wakash. Am nördlichen Ende der Insel
herrscht die Sprache Niuitti (Newitte, Nooitty), welch®
mit dem Nutka, das
auf Vancouver-Iiisel seiner ganzen
Länge nach gesprochen wird, sehr nahe verwandt ist; was
auch von der Sprache der Klaizzarts (oder Ciassets?) gilt,
die an der Südseite der Fuca-Strasse auf dem festen Lan-
de, in der Nähe des Vorgebirge der Schmeichelei
{Flattery
Cape)
einen der volkreichsten Küstenstämme bilden

17. Oregon-Völker. Die Bevölkerung des Gebiets
zwischen dem Felsengebirge und der Küste, welches vom
Columbia-Strome und den meisten seiner Zuflüsse bewäs-
sert wird, ist, nach Horatio Haie, in nicht weniger, als zehn
radikal verschiedene Sprachstämme zersplittert. Diese
sind:_

a) KitwnahaSy auch Coutanies, und von den Franco-Canadiern Cotonnes,

auch Flachbogen (Flatbows) genannt, zwischen den zwei nördlichen Ga-
beln des Columbia, am Flachbogen-Fluss; nur Eine Sprache.

b) Tsihaili-Selish. Vom Fraser-Fluss über den Columbia bis zum obern

Clarks-Arm einer-, und bis an's Meer andrer Seite. Eine zahlreiche
Klasse mit acht Sprachen: l)Shushwap oder Atnah, am Fräser; _
2) Selish oder Flachköpfe
(Flatheads) am Oberlauf des Columbia unä
semer Zuflusse, mit drei Mundarten: Kullespen, Flachköpfe und Spo-
kan, Okmakin; _ 3) Skitauish oder Pfriemherz
(Coeur d'Aline), am
See dieses Namens; __ 4) Pikwa, am Haupt-Columbia zwischen den
Selish und den Wallawalla; _ 5) Skwaie am Pugets-Sundj „ 6)Ko-
Cowelits oder Cou-e-lis-ke südlich von jenen; _ 7) Tsihal-
, Ush oder Chlckailish, zwischen den Skwaie und dem Ocean, vom Co-
^mbia getrennt durch das Tahkali-Volk der Kwalhioquias, mit drei
Mundarten, davon eine nicht weit von der Fuca-Strasse; _ endlich
8) Nsietshaws oder nördliche Killamuks längs des Seegestades, ge-
\ c ^ der Hauptmasse.

cj Sahapttn. Südlich von den vorigen. Bestehen aus zwei Haupt-Natio-
nen, mit eben so viel Sprachen: die eigentlichen Sahaptin, von den
Franco-Canadiern Nezperc€s (Nasendurchbohrte) genannt, östlich; und
die Wallawallas (Wahlah-wahlah) westlich. Letztere umfassen ver-
schiedene unabhängige Stämme: Yakemas, Peloose, Klikalats.

d) Waiilatpu. Zwei Stämme mit zwei verschiedenen Sprachen: Cayuse,

südlich von den Wallawallas; und Molele, westlich von den Cayuse.

e) Tshinuk. Diese Indianer haben den ganzen Unterlauf des Columbia-

Stroms bis zu seiner Mündung Inne. Die Rechtschreibung ihres Namens
■wechselt zwischen Tsinuk, Tshinuk und Chinook. Sie spalten sich in
zwei Klassen und Sprachen: Obere Chinooks oder Watlalas, und
Untere Chinooks, mit Einschluss der Wahkyekum (Waikaikum),
der Katlamat, eigentlichen Chinooks und der Clatsops.


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Etlmograpliie. 57

f| Kalapuya. Im Thale des Willamet (Wähläh-mäth), eine der fruchtbar-
sten Gegenden des sonst dürren Oregon-Landes. Nor Ein Stamm, nur
Eine Sprache, dem Erlöschen nahe.

g) Jakon, auch südliche Killarauks genannt; ein kleiner Volksstamm an

der Seeküste, südlich von den Killamuks, der Selisch-Familie, von denen
er sich durch eine radikal andere Sprache unterscheidet.

h) Luluami. Lntuaml ist der eigentliche Name eines kriegerischen Volks-

stamms, den man auch Tlamatl, Tlamath oder Ciamet nach dem See
und Flusse dieses Namens nennt, an dessen Quellflüssen er hauset; nur
Eine Sprache.

Diese beiden Völker, von denen die Shasties oder Sastes
südwestlich, und die Palaiks oder Palainlhs südöstlich von
den Lutuaiui oder am Kande der Californischen Wüste zu
wohnen scheinen, sind wenig bekannt. Bs sind Wandervölker,
die, eben so wie die Lituami durch Krankheiten sehr vermln-
,dert worden sind.

Südlich von den Jakon sind längs der Seeküste die Saiustkla; zunächst
darauf die
Killiwatshat an der Mündung des Umkwa, und höher hinauf an
demselben Flusse die
Tsalel oder Tsashtl-, südlich von den Killiwatshat sind
die
Kaws zwischen den Flüssen Umkwa und Ciamet; am Unterlauf des
Ciamet oder Tlamath-Flusses die
Totuttune oder iiascaWndianer, jenseits
deren die Bevölkerung bis zum Sacramento-Thale sehr dünn und spärlich
ist. Die Nachrichten über die Sprachen dieser Stämme und ihre muthmass-.
liehe Verwandtschaft sind sehr verschieden.

18. Californier. Die Zersplitterung der Sprachen,
welche das Oregon-Gebiet und seine nordwestlichen Kü-
sten· Angränzungen auszeichnet, ist von da an ein charak-
teristisches Merkmal für die ganze "Westseite von Nord-
amerika und die grosse Erdenge, welche die nördliche
Hälfte der Neuen Welt an die südliche knüpft. So ist es
denn auch in Californien: von der Bergkette, die den Tla-
math-Fluss vom San Sacramento scheidet, unter 41" N.
Breite, bis zum Vorgebirge des heiligen Lucas, beinah un-
term Wendekreis des Krebses, ist die ganze Seeküste mit
kleinen Volksstämmen besetzt, die verschiedene Idiome
sprechen. Wir kennen zwar eine Menge Stämme, Horden,
Geschlechter dem Namen nach; aber von den Sprachen,
die unter ihnen herrschen, wissen wir blutwenig. Für die
Sprachforschung und für die Abgränzung der Sprachge-
biete ist hier noch Alles zu thun Die Karte enthält da-
her in Neü- und Alt-Californien auch nur wenige Namen
theils von Volksstämmen, die mir die wichtigeren zu sein
schienen, theils von den Missionsstellen, in denen man ei-
nige magere Wörterlisten gesammelt hat.

Gruppe zu beiden Seiten des Gebirgs.

19. Schoschonen und Kamantschen und Äpat-
schen.
Diese Trias betrachtet man als Einen Sprachstamm,
"der, dreiästig, eben zu den genannten Völkern und Spra-
chen verzweigt ist. Die Verwandtschaft der Schoschonen
und Kamantschen lässt sich als fest begründet ansehen,
nicht so ist es der Fall mit dem dritten Aste, von dessen
Sprache wir noch keine Probe besitzen. Der erste Ast
füllt das nordwestliche, der zweite das südöstliche und der
dritte das südliche Gebiet des Verbreitungsbezirks, der
mit zu einem der grössten der nordamerikanischen India-
ner-Familien gehört.

Die Schoschonen, Shoshonees, oder Schlangen (Sna-
/tej-lndianer gränzen auf der Nordseite an die Sahaptins,
auf der Westseite an die Waiilatpu, Lutuami und Palaiks
und erstrecken sich in östlicher Richtung bis an und in's
Felsengebirge. Das Land der eigentlichen Shoshonies oder
Schlangen-Indianer liegt östlich vom Schlangen
(Snake)-
oder Lewis-Fluss. Die westlichen Shoshonies oder Wihi-
nasht leben westlich von ihnen, und zwischen beiden Ab-
-theilungen hat ein dritter Zweig der nämlichen Familie,
unter den Namen Panasht, Punashly, Bonnaks oder Pan-
nacks bekannt, beide Ufer des Schlangen-Flusses und das
Thal seines Zuflusses, des Owyhee, inne. Die Jutahs
(Utahs, Yutas) an dem grossen Salz-See und dem kleinen
See, der ihren Namen führt, unterscheiden sich von den
Schoschonen nur dialektisch, was muthmasslich auch von
den Pah-Jutah und den Timbabachi und mehreren anderen,
auf der Karte genannten Stämmen am Coloradö des Wes-
tens u. s. w. zu sagen ist. Bestimmter spricht sich dies in
Beziehung auf die Kij-Indianer und Natelas, an der Küste
von Californien aus, deren Sprachen unleügbare Spuren von
Verwandtschaft mit dem Idiome der Schoschonen zeigen.

Dass dies auch mit den Kamantschen oder Coman-
ches der Fall sei, glaub' ich augenscheinlich nachgewiesen
zu haben Diese Comanches sind das, in eine Menge
von Stämmen oder Horden getheilte wilde Reitervolk,
welches ein Schrecken ist der angebauten Gegenden von
Texas und Mexico.

Ganz ebenso verhält es sich mit dem kriegerischen Volk
der
Apatschen, Apaches, das noch weit mehr als die
Comantschen durch seine raüberischen Einfälle ins Gebiet
von Neü-Mexico, wo Santa-Fe der Hauptort ist, zur Ver-
wüstung der Ansiedlungen und zum Raube der Viehher-

physik. atlas abth. viii.

i) Shasties

und
k) Palaiks.

den beitragen. Im Dialekt der Coco-Maricopas, einem
Volksstamm, der in der Nähe des Rio Gila sesshaft ist,
heisst Apache „Mensch" oder „Mann", woraus man
schliessen darf, dass dieser Stamm mit zu den Apaches
gehört, und dass dies letztere Wort eine generische Bedeü-
tung hat, die auf· alle wilderen und kriegerischen Na-
tionen, welche Neü-Mexico auf allen Seiten umgeben,
Anwendung findet. So nennen die Spanier Apaches-Va-
queros alle Indianer, welche die Büffeljagd betreiben;
Apaches de Navajo sind aber, auf der Westseite des Ge-
birgs, an den Ufern des Rio de Colorado, ein ackerbautrei-
bendes Volk, dessen Namen wir auch Navijos, Navihoes,
Navajoes, Navahoes geschrieben finden. Noch gewerb-
fieissiger sind die Moquis, Munchies, Mawkeys, oder die
Yabipais in der Landschaft Moqui, die unter dem Namen
der weissen Indianer bekannt sind, und die eben durch die
Weisse ihrer Hautfarbe, durch ihre Kenntniss des Acker-
bau's und mechanischen Künste und durch das Geschick,
welches sie in ihren Bauwerken zu erkennen geben, eine
auffallende Aehnlichkeit mit dem mexicanischen Volke
verrathen, wie dieses in den Tagen der Eroberung war.
Indische Traditionen sagen sogar, dass die Azteken, nach
ihrer Auswanderung aus Aztlan ihre ersten Wohnsitze an
den Ufern des Nabajoa aufgeschlagen hätten, und dieser
Punkt wird zwanzig Stunden Weges nördlich vom Moqui
gesetzt. Erwägt man, fügt A. von Humboldt hinzu, die
Spuren von Gesittung, die an mehreren Punkten der Nord-
westküste, im Moqui und an den Ufern des Gila vorhan-
den sind, so kann man geneigt sein, zu glauben, dass zur
Zeit der Wanderungen der Tolteken, der Acolhuen und
der Azteken mehrere Stämme sich von der grossen Masse
des Volks getrennt haben, um sich in diesen nördlichen
Ländern niederzulassen. Indessen weicht die Sprache der
Bewohner des Moqui und die der Indianer, welche die be-
nachbarten Ebenen am Colorado des Westens bewohnen,
wesentlich von der mexicanischen Sprache ab i®. Nichts
desto weniger darf man aber die Muthmassung wagen,
dass eine gewisse Stammverwandtschaft mit der Sprache
irgend eines der mexicanischen Völker obwalte; daher es
nicht unangemessen sein dürfte, die Gegenden östlich vom
Unterlauf des Colorado einstweilen der folgenden Völker-
Klasse zuzuweisen.

IV. Die Mexicanischen Völker.

Anahuac ist ein mexicanisches Wort und heisst auf
Deütsch „am Wasser". Im engern und eigentlichen Sin-
ne bezeichnet es das schöne Thal, in welchem die Stadt
Mexico an ihren Seen und ihre Umgebung liegt, mit Ein-
schluss der beiden Reiche Mechoacan im Westen, und Acol-
huacan im Osten, zwei Namen der altmexicanischen Ge-
schichte und Geographie, von denen der erste als Benen-
nung eines Staats (oder einer Provinz ?) in unsern Tagen
wiederhergestellt worden ist. In weitester Bedeütung ver-
stehen wir aber unter dem Namen Anahuac die grosse
Gebirgsebene, die sich von den Quellen des Rio del
Norte bis an die Erdenge von Tehuantepec und Goazacoal-
cos erstreckt, wo der mexicanische Erdrücken von einer
Höhe von zehntausend Fuss plötzlich in die Tiefe stürzt.

Dieses merkwürdige Tafelland von Anahuac oder Mexi-
co , mit den sich südlich unmittelbar daran schliessenden
Gegenden von Guatemala, oder Centro-Amerika, umfasst
eine Menge von Sprachen und Völkern, die dort, ohne
Zweifel aus dem Norden herabgeströmt, zusammenge-
drängt neben einander lebten, ohne dass durch friedlichen
Verkehr Menschen und Sprachen ein gemeinsames Band
umschlungen und sie, in einander verschmolzen, aufgehört
hätten, ganz verschiedene Völker und Sprachen zu sein.
So wurden sie zur Zeit der Eroberung Amerika's von den
Spaniern gefunden und so ist es zum Theil noch jetzt,
mit dem Unterschied jedoch, dass diese Völker und Spra-
chen, die alle ohne irgend eine Spur der Aehnlichkeit und
gegenseitigen Einwirkung neben einander stehen und viel
verschiedener sind, als das Persische und Deütsche, oder
das Französische und die slawischen Sprachen, durch ein
neües, ganz fremdartiges Element vermehrt worden sind,
durch das spanische Volk und seine Sprache, das die Mexi-
canischen Völker in einen andern Kulturkreis, in den Kreis
höherer Gesittung gezogen und ihn auch raümlich sehr be-
deütend erweitert habe. Denn das altmexicanische Reich
und seine Kultur hatte eine weit geringere Ausdehnung,

15


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58 Achte Abtheilung.

als das heütige Mexico; es umfasste zwischen dem Stillen
Ocean und dem amerikanischen Mittelmeere das Tafelland
von Anahuac im engern Sinn, die Halbinsel Yucatan und
Centro-Amerika und erstreckte sich an den Gestaden des
Mexicanischen Meerbusens und des Caribischen Meeres
vom Wendekreis des Krebses und der Nachbarschaft des
Panuco-Flusses bis zum Vorgebirge Honduras und den
Indianern der Mosquito-Küste. Am Stillen Ocean war das
Land auf der Nord Westseite des Königreichs Mechoacan
von rohen, uncivilisirten Volksstämmen bewohnt, die man
unter dem unbestimmten Namen der Chichimeken und Oto-
mis zusammenfasste; die mexicanische Civilisation ging
auf dieser Seite nicht über den Parallelkreis hinaus,

erstreckte sich aber in südöstlicher Richtung mindestens bis
zum See von Nicaragua, wenn nicht gar bis nach Costarica.
Alles Land, was nördlich von Anahuac (im engern Sinne)
und nördlich vom alten Königreich Mechoacan liegt, ist
von den Spaniern colonisiret worden, die die einheimischen
Barbaren der nördlichen Landschaften theils civilisiret,
theils ausgerottet oder verdrängt, und an ihre Stelle India-
ner meistens mexicanischer oder aztekischer Rasse gesetzt
haben.

Die Völker , welche heüt' zu Tage das Tafelland von
Anahuac und seine Abhänge, und das centrale Amerika
zwischen den Erdengen von Tehuantepec und Panama be-
wohnen, sind folgende:_

20. Aztehen. Als die Spanier im Jahre 1519 an den
östlichen Gestaden von Chalchicuecan landeten, wurde
die aztekische oder mexicanische Sprache im Thal von
Mexico und in den, auf der Ost- und Südseite unmittelbar
daran gränzenden Landschaften gesprochen. Sie erstreckte
sich nordwärts bis zu dem kleinen Distrikt Meztitian, der
ungefähr fünf und zwanzig spanische Meilen nördlich von
Mexico lag, welcher, nach dem amtlichen Bericht Gabriel's
de Chaves vom Jahre 1579, niemals von den Mexi-
canern erobert worden war, obschon die Einwohner Azte-
kisch in einer verderbten Mundart sprachen. In südöst-
licher Richtung reichte die aztekische Sprache längs der
Gestade des Mexicanischen Meerbusens bis an den Goaza-
coalcos. Wie weit sie sich aber zur Zeit der Eroberung
gegen Süden erstreckte, ist nicht genau bekannt, wiewol
man Grund hat zu der Annahme, dass sie schon damals
in Folge der frühesten Wanderungen der Tolteken die
Gränzen des Montezuma-Reichs überschritten hatte.

Jetzt ist die mexicanische Sprache die verbreitetste in
Mexico und Centro-Amerika. Sie erstreckt sich von jen-
seits Santa Fe, Unter 37° N. Breite, bis zum See von Nica-
ragua, unter 13° N. Breite, auf einer Länge von 500
deütschen Meilen, d. i. so weit, als von Lissabon bis Mos-
kau; Clavigero hat bewiesen, dass all' die Völker, welche
seit der Mitte des Jahrhunderts unserer Zeitrechnung,
unter den Namen der Tolteken, Chichimeken, Acolhuen
und Nahuatlaken, als Eroberer in Mexico eingedrungen
sind, dieselbe Sprache gesprochen haben, wie die Azteken,
die letzten Eroberer, deren Aufbruch aus Aztlan von Ga-
ma ins Jahr 1064 (von Clavigero aber ein Jahrhundert
später) und ihre Ankunft in Tula aufs Jahr 1196 gesetzt
wird. Die Aztekische Sprache ist nicht so sonor, aber fast
eben so verbreitet, als die Sprache der Incas, und zeichnet
sich, wie diese, durch einen grossen Reichthum künstlich
gebildeter Formen aus

Die mexicanische Sprache steht indessen nicht ganz so
isolirt, wie man gemeiniglich anzunehmen pflegt. J. Sev.
Vater hat nachgewiesen, dass sie, trotz aller Verschieden-
heiten, wie man sie auch zwischen den Sprachen der indo-
germanischen Völkerfamilie wahrnimmt, nicht allein in
dem Wortvorrathe, sondern auch in der Bildung gramma-
tischer Formen, und in der Art zu zählen gewisse, sehr
nahe liegende Aehnlichkeiten darbietet, mit ^

30. Der Cora, und

34. Oer Tarahumara, zwei Sprachen von Völkern,
die im nordwestlichen Mexico einen grossen Verbreitungs-
bezirk zu haben scheinen; so dass die Cora als Haupt-
sprache in den heütigen Staaten Xalisco, Sinaloa und So-
nora (Estado del Occidente) und vielleicht als Sprache der
Moqui und Navajo angesehen werden kann. — Die Mis-
sionen von Nayarit, die in den heütigen Staaten Xalisco
und Zacatecas lagen, sind in Bezug auf das Sprachstudium
das Vaterland der Cora-Sprache, von der man drei Dia-
lekte kennt. Zu der Sprachähnlichkeit gesellt sich auch die

Tradition, dass zwischen den Coras, welche unter die äl-
testen vortoltekischen Völkern, unter die Ursassen Mexi-
co's gestellt werden, und den bei ihnen durchziehenden
Azteken Berührungen Statt gefunden haben. Es trafen
diese nämlich beim üebergange über das Tarahumara-Ge-
birge auf Gräben, welche die Coras aufgeworfen hatten,
um sich der Azteken bei ihrem Zuge von Huecolhuacan
(jetzt Culiacan) nach Chicomontoc (vielleicht südlich von
der heütigen Stadt Zacatecas) zu erwehren. Tarahumara
aber ist in den alten spanischen Missionsberichten der
westliche Theil der Sierra Madre, und erstreckt sich vom
24° N. Breite bis weit über den 30° N. Breite durch die
heütigen Staaten Durango, Chihuahua und Sonora. Der
Name der Tarahumaren ist eigentlich Talahumali und be-
deütet in ihrer Sprache wörtlich Fusslaüfer (von
tala,
Fuss, und huma, laufen), weil sie mit ausserordentlicher
Schnelligkeit und Ausdauer Wettrennen halten.

Ich knüpfe hier ferner, ausserhalb der, in der Tabelle
(auf der Karte) befolgten Ordnung, ein Paar Bemerkun-
gen an über die Sprachen

31. Tepehuana, Die zuerst genannte Sprache wird

32. To j) ζ α, und an der Küste von einem wilden

33. Tuiar. aufrührerischen Volke gesprochen.
Die beiden anderen Stämme leben in der Sierra Madre,
Die Topier, mit den ihnen verwandten Acaxee, und ande-
ren sprachengleichen kleinen Stämmen, im Staate Du-
rango um den 25° N. Breite, die Tubaren ungefähr an-
derthalb Grade nördlicher; alle aber, so wie mehrere
andere kleine Indianer-Horden, deren Namen auf der Karte
stellenweise angegeben sind, haben alle Bekehrungsver-
suche der spanischen Missionen zurückgewiesen, und sind
in ihrem von wilden Schluchten und Thälern zerrissenen
Gebirgslande Heiden geblieben, die mit ihren christlichen
Nachbarn gar nicht, oder nur wenig in Berührung kommen.

21. Otomiten. Die Provinz der Otomiten fing im nörd-
lichen Theile des Mexicanischen Thaies an, und erstreckte
sich durch die Gebirge 20 deütsche Meilen von der Stadt
Mexico. In diesem Bezirk lag die alte, berühmte, von den
Tolteken gegründete, Stadt Tollan, das heütige Tula,
und Xilotopec, welche letztere nach der spanischen Er-
oberung die Hauptstadt der Otomitischen Nation war. Sie
hatte sich auch über das fruchtbare Thal von Tolocan
verbreitet, welches südwestlich von der Stadt Mexico liegt.
Eine Abtheilung der Otomi, die Macahui, mit einem be-
sondern Dialekt der otomitischen Sprache, war in der Pro-
vinz Mazahuacan, auf dem Gebirge westlich von Mexico,
angesessen, und hatte dort ihre vorzüglichsten Städte und
Flecken. Andere Otomi lebten ■ gemischt mit den Ueber-
resten der Chichimeken (aztekischer Zunge), die nicht in
bürgerliche Verfassung zur Gründung der älteren Staa-
ten von Anahuac übergegangen waren, und führten zu-
sammen ein wildes, umherschweifendes Jägerleben im
Gebirge nördlich und nordwestlich vom Thale von Mexico.
Nicht viel anders sind die Verhältnisse auch heüt' zu
Tage noch. Die Macahui sitzen noch an ihren alten Wohn-
plätzen und die Otomiten sind, unter den Azteken und
den übrigen Völkern zerstreüt, im ganzen Süden des Ta-
fellandes von Anahuac, von Oaxaca bis über Durango
hinaus verbreitet. Ihre Sprache ist, nach der mexicani-
schen, die allgemeinste in Mexico. Sie zeichnet sich durch
Einsylbigkeit oder wenigstens Kürze ihrer meisten Wör-
ter, durch Härte und Aspiration aus, und trägt wol darin
in sich selbst einen Beweis des hohen Alters dieser Nation.

22. Matlazinken. Dieses Volk, mit eigenthümlicher
Sprache, wohnte, gemeinschaftlich mit Otomiten, in dem
schon erwähnten Thale von Tolocan (jetzt Toluca) und
in dem 15 deütsche Meilen südwestlich von Mexico, der
Stadt, entfernten Distrikte, der nach seinen Einwohnern
genannt wurde, und erstreckte sich ausserdem bis nach
Tlaximaloyan, dem heütigen Taximaroa, der Gränze des

Reiches Mechoacan__Dieses Reich, welches von Mexico

ganz unabhängig blieb und sich nach dessen Eroberung
freiwillig den Spaniern ergab, erstreckte sich längs der
Seeküste vom Flusse Zacatula his zum Hafen von Nativi-
dad, und von den Gebirgen von Colima und Xola bis zum
Flusse Lerma und dem See Chapaca, hatte Tzintzontzan
zur Hauptstadt und das schon erwähnte Tlaximaloyan zur
Gränze gegen Mexico. Dieses Reich, welches innerhalb
seiner Gränzen unter spanischer Herrschaft die Intendan-
tur Valladolid bildete, und in dem heütigen Staate Me-


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Ethnographie. 59

•choacan wiederhergesteilt worden ist, war und ist der
Wohnplatz der —

23. Tarasher, eines gewerbfleissigen und in künst-
lichen Arbeiten sehr geschickten Volks von sehr milden
Sitten, mit einer der reichsten, angenehmsten und wohl-
Tilingendsten Sprachen der Neüen Welt, neben der auch
die Ρ eri η da-Sprache gesprochen wurde, welche unter
den jetzt lebenden Idiomen des Tafellandes von Anahuac
nicht mehr aafgeführt wird und daher vermuthlich erlo-
schen, oder mindestens auf eine geringe Zahl von Zungen
beschränkt ist.

24. Zapoteken und Iliwteken, zwei sprachlich ganz
getrennte Völker in Huaxyacac, dem jetzigen Staate Oa-
xaca. Zapotecapan oder Tzapotecapan war lange Zeit ein
für sich bestehender Staat im südlichen Theile von Huaxy-
acac (zwischen den Städten Oaxaca und dem Isthmus von
Tehuantepec), der aber in der Folge von den Azteken
unterjocht wurde. Die Zapoteken zeichneten sich früh-
zeitig durch einen hohen Kulturgrad aus. Sie sind die
Erbauer des sogenannten Palastes von Mitla oder Mi-
guitlan, der sich nicht sowol durch Grossartigkeit der Di-
mensionen, als durch edle Architektur und Eleganz der
Verzierungen vor allen anderen alten Baudenkmälern der
mexicanischen und peruanischen Vorzeit unterscheidet.
Die Zapoteken nennen dieses Monument ihrer Vorfahren
Leoba, d. h. Grabmal. Es diente, wie die Sage geht, den
Königen zum zeitweiligen Aufenthalt, wenn ein Glied der
fürstlichen Familie verstorben war. Die Zapoteken bilden
einen Haupttheil der Bevölkerung des Isthmus von Te-
huantepec.

Die Mixteken waren und sind die Bewohner des alten
Mixtecapan, das in das obere und niedere eingetheilt
wurde. Das heütige Departement Tepozcolula im westli-
chen Theile des Staates Oajaca macht den grössten Theil
jener Landschaft aus. Der im Ganzen herrschende, der
■alten Mixtekischen Sprache am meisten angemessene Dia-
lekt ist der des Cantons Tepozcolula, und davon unter-
scheiden sich die Dialekte von Yanquitlan, Meder-Mix-
teka, Tlahiaxo, Mictlaiitongo und der Küste. Uebrigens
rechnet man die
Mixtehen und Zapoteken^ die Tarasker
and Otomiten zu den ältesten Völkern von Mexico, die
EHuthmasslich vortoltekischen Ursprungs sind.

25. Μ α y α, Diese sechs Idiome sind Schwe-
Poconchi, stersprachen und Aeste eines ge-
Huasteca. meinsamen Sprachstammes, den

25'. Qu iche. man der Kürze halber den May-

25". Chorti. anischen nennen kann. Sie wer-

27. Quacchiquil, den von Völkern gesprochen,
od.
Chacciquel. welche mithin Glieder Einer Fa-
milie sind, die, raümlich jetzt zwar getrennt, über einen
grossen Landstrich von Mexico und Centro-Amerika ver-
breitet, ursprünglich wol im Zusammenhange gestanden
hat und erst durch andere, von Norden herabströmende
Völkerzüge auseinander gedrängt worden ist. Die Maya-
nischen Völker erscheinen demnach im Lichte von Au-
iochthonen; mindestens werden sie ebenfalls als vortol-
tekische Bewohner dieser Gegenden von Amerika ange-
sehen werden können.

Die May α selbst, eine sehr gutturale Sprache, wird
auf der Halbinsel Yucatan und in einem Theile von Ta-
basco gesprochen. Sie ist im Besondern dadurch merk-
würdig, dass ihre Kenntniss die spanische Eroberung des
festen Landes von Amerika wesentlich erleichtert hat.
Dialekte dieser Sprache waren, wie wol nicht zu bezwei-
feln ist, auf den grossen Antillen verbreitet, denn es konn-
ten sich, wie uns von den Geschichtsschreibern der „Con-
quista" ausdrücklich versichert wird, die ursprünglichen
Bewohner von Cuba und Jamaica durch ihre Sprache mit
den Yucatanern des festen Landes verständigen, und alle
Verhandlungen des Eroberers des grossen Mexicanischen
Reichs mit den Mexicanem und den Staaten, die sich den
Fremdlingen angeschlossen hatten, wurden in der Maya-
Sprache gepflogen.

Mit Ausnahme einzelner Wörter, welche meistens
Pflanzen-Namen sind und in allen eüropäischen Sprachen
Eingang gefunden haben, ist von der Sprache der An-
tillen nichts bis auf uns gekommen, daher denn auch gar
kein unmittelbares Mittel zur Beglaubigung jener histo-
risch überlieferten Nachricht vorhanden ist. Nuö aber
heisst es, dass die alten Eingebornen von Hispaniola (St.

Domingo, Haiti, Itis, Quizqueja), von Cuba, Jamaica
(Xaymaca), einem Theile Portoriko's und von Trinidad_

Arawaaken, oder Zweige desjenigen Volks mit ei-
gener, vom Caribischen ganz abweichender Sprache, ge-
wesen seien, von dem noch heütiges Tages ein kleiner
Ueberrest an der Küste der Guayana, östlich von deja

Mündungen des Orenoco,_am Essequibo, Berbice, Mar-

totake, Nikeri und Wojombe,_ lebt. Vom Idiome dieses

Volks haben wir nun allerdings Kenntniss; den Sprach-
kundigen und den Sprachforschern wird aber die Unter-
suchung anheim zu geben sein, ob sich im lexicalischen
und im grammatischen Theil der arawaakischen und der
Maya-Sprache ein verwandtschaftliches Verhältniss wird
auffinden lassen

Auf der Karte von Nord-Amerika hab' ich als Ara-
waak mit der Mayanischen Sprachfamilie in Zusammen-
hang gebracht; auf der von Südamerika aber eine Tren-
nung des kleinen Haufens der Arawaaken vom grossen
Guarani-Caribischen Stamm nicht vorgenommen.

DasPoconchi oder Pocoman ist die Sprache von
Guatemala. Neben dieser wird aber auch als Schwester-
Sprache die Quiche, Kiche oder wol richtiger Kacchi,
genannt, welche die Mundart des alten Königreichs dieses
Namens war. Es lag auf dem Gebirg und am Stillen Ocean
und gränzte mit den Provinzen Xoconosco und Oaxaca,
bis wohin die Eroberungen der Mexicaner reichten. Dieses
Eeich scheint das Departement Quesaltenango und die an-
gränzenden Distrikte des Staates Guatemala umfasst zu
haben. Es war der mächtigste der verschiedenen Indianer-
Staaten von Mittel-Amerika und der einzige, welcher dem
spanischen Eroberer Alvarado einen ernstlichen Wider-
stand entgegen setzte. Der Poconchi-Sprache weist man
als Verbreitungsbezirk die Landschaften südlich der Stadt
Guatemala: Amatitan, Petapa u. s. w. an; einer dritten
Guatemala-Sprache aber nicht weniger, als fünfzig Land-
schaften, darunter Zumpango, Tejar, Chinacock, Chimal-
tenango, Isapa, Comolopa u. s. w. Diese dritte Sprache
heisst

Quacchiquil, Chacciquel, Cakchiquel, Kachiquel, Kac-
chikil
(langue caquiquelle). Sie war die Sprache der herrschen-
den Nation des mächtigen Königreichs Guatemala, deren
Hauptstadt die grosse, befestigte Stadt Patinamit war, wel-
che unter dem mexicanischen Namen Tecpan-Guatemala
bekannter ist. Dieses Reich umfasste die heütigen Provinzen
Chimaltenango und Sacatepec oder Guatemala , und den
Distrikt Solola in det Provinz dieses Namens; auch scheint
es Patulul, Cotzumalguapan und andere Bezirke längs der
Küste des Grossen Oceans umfasst zu haben. Welche
Wichtigkeit diese Sprache für den Verkehr in Centro-Ame-
rika überhaupt haben müsse, ersieht man daraus, dass es
an der Universität zu Guatemala einen eigenen Lehrstuhl
für sie giebt. Ihren Verbreitungsbezirk im nördlichen
Theil von Centro-Amerika hab' ich möglicher Weise zu
weit ausgedehnt.

Das Chorti wird in Zacapa und an anderen Orten des
Montagua-Thals gesprochen, durch welches die Strasse
von der Stadt Guatemala nach dem Golfo Dolce führt. Es
scheint die Hauptsprache im Departement Chiquimala zu
sein, und sich ostwärts bis zur Stelle des alten Copan zu
erstrecken.

Huasteca war die Sprache eines unabhängigen Staats
auf der Nordgränze von Acolhuacan und zum Theil auch
von Mexico, und nördlich von dem zugleich zu erwähnen-
den Totonacapan. Das Land reichte bis an denMeerbusen,
längs dessen Küste es sich über Tampico hinaus und im
Thale des Panuco - Flusses erstreckte, und umfasst den
nördlichen Theil des heütigen Staats Vera Cruz. Ob der
Verbreitungs-Bezirk der huastekischen Sprache wirklich
den Umfang gehabt habe, oder noch habe, den ich ihr auf
der Karte angewiesen, ist ein Gegenstand für künftige
Erörterung.

26. Totonaker. Das Gebiet dieses Volks liegt südlich
vom vorigen und östlich von Mexico. In ihm lag Cempo-
allan, die erste Stadt des Mexicanischen Reichs, welche
dieSpamer unter Cortez betraten, und der Hafen, wo Vera
Cruz
erbaut worden ist. Die Hauptstadt war Mizquihuaean.^
Die Totonaker hielten sich für ältere Bewohner von Ana-
huac, als die Chichimeken, und behaupteten, früher am·
See von Tezcuco gewohnt zu haben, und erst von da in
die Gebirgsgegenden gezogen zu sein, die von ihnen dea


15*

-ocr page 61-

60 Achte Abtlieilung.

Namen Totojiacapan erhielten, und die sie vor der Ein-
wanderung der Chichimeken und ihrer Unterjochung durch
dieselben unter zehn Königen besessen haben wollten.
Gegenwärtig sind vom Staate Vera-Cruz die Cantons
Missantta und Papantla des Departements Vera-Cruz fast
ganz, sowie vom Staate La Puebla das Departement Za-
catlan ausschliesslich von dem gutmüthigen und friedli-
chen Volk der Totonaker bewohnt, deren Sprache von
iillen übrigen mexicanischen Idiomen ganz verschieden
ist und geringe Anlehnungspunkte nur in der mixteki-
schen Sprache findet. Man unterscheidet vier Mundarten
dieser Sprache.

35. Tlapanec ist im Staate La Puebla die Sprache
der Bewohner des Cantons Tlapa, der unter 17° N.
Breite, und ungefähr '/2·^ östlich von Mexico, der Stadt,

liegt__Innerhalb dieses Staats, in der Provinz Tepeaca, die

südöstlich von der Stadt La Puebla liegt, leben auch die —

35'. FopoluJcer, ein Bergvolk mit eigenthümlicher,
selbstständiger Sprache. , .

In der Landenge von Tehuantepec drängen sich meh-
rere Völker zusammen, die in verschiedenen Sprachen
reden. Ausser den schon erwähnten Zapoteken, die den
grössten Theil der Bevölkerung ausmachen, wohnen hier:_

Die Huaven, ein kleines, ärmliches Fischervölkchen
an der Küste des Stillen Oceans.

Die Mise es (nicht zu verwechseln mit den Miwteken),
einst eine mächtige Nation, die in ihren physisch und mo-
ralisch tief gesunkenen üeberbleibseln die Sierra von Tehu-
antepec bewohnt, und sich ostwärts bis Chiapas erstreckt.

Die Zeques bewohnen zwei Dörfer des Isthmus. Sie
sind ursprünglich aus Chiapas gekommen, wo sie, nach
den ältesten Berichten die Gebirge bewohnt haben, und
wol noch bewohnen^ die dieses Land von Tabasco schei-
det, ja sie sollen hier auch am Gestade des Golfs wohnen.

Die nördliche Hälfte der Landenge längs des Goaza-
coalcos ist von Mexicanern besetzt. Hier, im Departement
Acayucam, liegt das Dorf Jaltipan, berühmt als Geburts-
ort der bezaubernden Malinche (Donna Marina), die
durch ihre Treüe und ihren Scharfsinn die Unternehmun-
gen von Cortez so wesentlich unterstützte. Bernal Diaz,
ein Zeitgenosse, versichert von ihr ausdrücklich, „dass
sie die Sprache von Goazacoalcos und Mexico verstand,
welche eine und dieselbe ist".

"Was die Völker und Sprachen in Nicaragua anbelangt,
so wissen wir aus den ältern Berichten, dass daselbst fünf
von einander sehr abweichende Sprachen geredet wurden,
nämlich ausser der Mexicanischen, die
Coribici, welche
man sehr rühmte,
die Chorotega, die die einheimische
und alte Sprache der Einsassen des Landes war, —

28. das Chontal oder Chondal, welches plump und
die Sprache der Bergbewohner war, und

29. die Orotina._ Die Chontales, eine ausgezeichnet

rohe Nation, bewohnten nicht blos den gebirgigen Theil
von Nicaragua, Honduras und Guatemala, sondern ihre
Sprache reichte auch bis Chiapas und Tabasco, wo sie
von einem andern Berichterstatter
Tzondal genannt wird,
indem er ihr in Chiapas den Strich von Comitan bis Pa-
lenque als Verbreitungsbezirk anweist, und sie neben

die Chiapa, die -eigentliche Landessprache, stellt, die
im westlichen Theile der Provinz herrscht.

Von allen diesen Sprachen, soweit sie in Honduras,
in San Salvador, Nicaragua und Costarica gesprochen
wurden, ist keine Spur mehr übrig. Die Völker sind noch
da, und ihre alten Sitten, Gebraüche und Gewohnheiten
sind noch die nämlichen, wie zur Zeit der Eroberung; ihre
Muttersprachen aber haben sie vergessen und dafür die
Spanische Sprache eingetauscht, die von ihnen freilich
eine stark indianische Beimischung bekommen haben mag.

In allen Landstrichen jedoch, die westlich vom Meri-
dian von S. Salvador liegen, haben sich die einheimischen
Sprachen bis jetzt erhalten; und da hab' ich noch des _

36. Mam, der Hauptsprache der Provinz Verapaz,
worin Coban die Hauptstadt ist; und des

37. Sine α, eines Küsten - Idioms, südlich von der
Stadt Guatemala, zwischen Escuintla und dem Sklaven-
Fluss, Erwähnung zu thun. Von den_

38. MosJcito-nani weiss ich nichts Erhebliches zu
sagen, als dass sie durch den langen Verkehr mit den
Engländern von Jamaica eine grosse Menge angelsäch-
sischer Wörter in ihre Sprache aufgenommen haben.

Süd-Aiiierika.

Die Trias-Theilung der südamerikanischen Indianer
in der auf der Karte No. 18 befindlichen Völkertafel
stützt sich durchweg auf geographische Verhältnisse, auf
raümliche Vertheilung. Die erste Gruppe umfasst die
Völker, denen die Scheitelflächen und Plateaux der An-
deskette und ihre Abhänge gegen Osten zu den Steppen
und Waldländern des Continents, gegen Westen zu den
Küsten des Grossen Oceans, mit diesem schmalen Kü-
stensaTim, zum Wohnplatz dienen, und hier grösstentheils
feste Wohnsitze haben; die zweite Gruppe enthält die
Völker, die in den Steppen oder Pampas von Südamerika
grösstentheils ein Nomadenleben führen, zum Theil aber
auch angesiedelt sind, oder als Jäger oder Fischer noch
immer auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Ord-
nung stehen; über die sich auch all' die zahlreichen Völ-
kerschaften nicht haben erheben köiinen, die in der dritten
Gruppe unter der Benennung der Brasilischen und Gu-
ayana-Nationen zusammen gefasst sind.

I. Die Andes-Völker.

Als die Spanier im Anfange des sechszehnten Jahr-
hunderts die Andesketten erstiegen, fanden sie auf den
Scheitelflächen derselben zwei mächtige Eeiche, die durch
verhältnissmässig weit vorgerückte Gesittung ausgezeich-
net und in dieser Beziehung dem Mexicanischen Eeiche
ähnlich waren. Der nördlichste und kleinere dieser Staaten
war das ßeich der Zake in Cundinamarca, der südlichste
und grössere das Reich der Incas in Peru. Die Haupt-
nation im Zake-rEeich bildeten:_

1. Die Mu'iscas, die sich vor allen übrigen zum Reich
gehörenden kleineren Nationen durch Kultur hervor-
thaten, wie es auch heüte der Fall ist. Sie bilden den
grössten Theil der Bevölkerung in der jetzigen Republik
von Neü-Granada, sind seit den ersten Tagen der spani-
schen Eroberung durch Feüer und Schwert zum Chri-
stenthum bekehrt worden und haben ihre Muttersprache,
welche man die Sprache der Chibchas nannte, im Lauf
der Jahrhunderte vergessen und gegen ein indogermani-
sches Idiom, das spanische, vertauschen müssen, welches
in ihrem Munde freilich zu einem indianisirten Jargon
ausgeartet sein mag; und Klänge der ursprüngliche»
Sprache der Muiscas mögen wol noch in einigen entle-
genen Ortschaften schwer zugänglicher Gebirgsschluchten
dann und wann gehört werden. Der amtliche Name für
die Muiscas ist in Neü-Granada
Indios facionales oder
civilizados, zur Unterscheidung von den Indios Iravos,
irracionales
oder salvages, den wilden Indianern, die ein
freies Jägerleben führen, und von denen noch einige
Stämme, mit verschiedenen Sprachen, an den westlichen
Abhängen der Andesketten und in den Walddickichten
der Küste am Grossen Ocean in zerstreüten Horden leben;
dahin gehören u. a.: die
Chooos und die Neyvas in den
zwei Provinzen, die diese Namen führen.

2. Die Kitschuas, oder Quichuas in spanischer
Schreibart, haben ihre Wohnsitze vom Aequator an bis
zum 30" S. Breite, oder von Quito bis nach S. Juan de la
Frontera, und bilden in dieser Verbreitung den Hauptbe-
standtheil der Bevölkerung in den Republiken Ecuador,
Peru und Bolivia und im nördlichen Theil der Freistaaten
des Rio de la Plata, oder der Argentinischen Republik.
Nach ihren Beherrschern, welche die Kitschuas vor der
spanischen Eroberung hatten, nennt man sie auch Incas,
wiewol dieser Name, der soviel als König oder Oberhaupt
bedeutet, eigentlich nur auf die königliche Familie, und
in dieser nur auf die männlichen Glieder angewendet
wurde. Die Kitschuas sind noch immer die zahlreichste
und bedeütendste Nation Südamerika's; und ihre Sprache
ist m dem nachgewiesenen Verbreitungsbezirk das allge-
meine Verständigungsmittel selbst unter den Mestizen,
oder dem Bastardgeschlecht, welches aus der Vermischung
der Kitschuas und Eüropäer entstanden ist. Diese Qui-
chua-Sprache, die eine der härtesten für's Ohr, wie für
die Aussprache ist, spaltet sich in mehrere Dialekte, dar-
unter das Quitena, welches von Quito bis Truxillo ge-
sprochen wird, das Chinchaisuyo um Lima, das Cuzcucano
um Cuzco, die ehemalige Residenz der Incas, und das
Calchaqui in Tucuman die vornehmsten sind. Das Cuz-
cucano ist der gebildetste Dialekt. Ausser dieser allge-


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Etlmograpliie. 213

raeinen Sprache hatten die Incas im engem Sinne, d. h.:
die Mitglieder der Königlichen Familie, ein eigenes Idiom,
das aber durch den Untergang der Hauptsächlichsten von
ihnen ganz in Vergessenheit gerathen ist.

Der Verbreitungsbezirk der Kitschuas zerfällt in zwei
Hälften, eine nördliche und eine südliche. Zwischen diesen
beiden Abtheilungen liegen rund um den Titicaca-See,
auf den höchsten Plateauflächen der Andesketten von
Bolivia und an den westlichen Abhängen derselben, die
zur Republik Peru gehören, die "Wohnsitze —

3. der J. im α r et-Nation, aus deren Schoos der Gründer
des Inca-Geschlechts und der Peruanischen Monarchie
entsprossen ist, die von hieraus erst die Kitschuas in sich
aufgenommen und in den Kreis der Inca-Civilisation ge-
zogen hat. Nach allen ihren physischen und moralischen
Eigenschaften demselben Stamme angehörend, wie die
Kitschuas, unterscheidet sich die A'imara-Nation von die-
sen nur durch die Sprache, von der der grösste Theil
der Wörter keine Aehnlichkeit mit der Kitschua hat, ob-
wol die Aussprache und die grammatikalischen Regeln
dieselben sind. Diese Aimara-Sprache wird nicht allein
nach wie vor von den Eingebornen, sondern auch als
Umgangssprache von den Nachkommen der spanischen
Eroberer gesprochen, so dass das Spanische nur die amt-
liche Sprache und im Verkehr mit Fremden gebraüchlich
ist. Hier in Bolivia finden wir also gerade das Entgegen-
gesetzte dessen, was in Neü-Granada vorgegangen ist.
Grosse historische Bedeutung hat das Aimara-Volk da-
durch, dass, wie nicht länger zu bezweifeln steht, bei ihm
der erste Grund zur Civilisation der Hochebenen der An-
desketten gelegt wurde; dass in seinem Schoose der Mit-
telpunkt lag für die Entwickelung des Ackerbau- und des
Hirtenlebens, und in ihm die ersten gesellschaftlichen Be-
griffe keimten, und mit demselben die Anfänge einer
priesterlichen Regierung und eines monarchischen Staats-
wesens, dessen Glanz, von den Gestaden des Titicaca-
See's nach Cuzco übertragen, mit der Schöpfung des Inca-
Reichs endigte, welches seine Wiege später ganz in Ver-
gessenheit gerathen Hess._Gering an Zahl sind die zwei

noch übrigen Nationen, die man ihren physischen Merk-
malen nach noch zu den Peruanern im engem Sinn rech-
nen kann, nämlich_

4. άνΆ Atacamos, deren Vorfahren auch Olipos oder
Llipi genannt wurden, und die den westlichen Abfall der
Andes von den südlichen Gränzen Arica's in den bolivi-
schen Provinzen Tarapaca und Atacama, und den nörd-
lichen Gegenden der Republik Chili, südwärts bis gegen
den 29° S. Breite bewohnen, und die zwischen 24° und
250 s. Breite _

5. die C hang OS umzingeln, von einer früher ohne
Zweifel weit mächtigern Nation der Ueberrest, der jetzt
in den Umgebungen des Hafens Cobija längs der Küste
zerstreüt lebt. Die Sprache dieser beiden Völker ist unter
sich ebenso verschieden, als von der Kitschua- und der
A'imara-Sprache.

Den Namen Antis geben die Incas den Ländern, welche
östlich von den Gebirgen von Cuzco liegen, und darum
nannten sie die östliche Kette Antis, woraus die Spanier
Andes gemacht und diese Veränderung des ursprüng-
lichen Namens mit Unrecht auf beide Ketten in Anwen-
dung gebracht haben. Von jener Inca-Benennung ist der
Name_

6. Der J^wiiÄCtMer abgeleitet, deren Wohnplätze über
die heissen und feüchten Regionen des östlichen Abfalls
der bolivischen und peruanischen Andes verbreitet sind,
von deren letzten Auslaüfern bei Santa-Cruz de la Sierra,
im 17° S. Breite in nördlicher Richtung vielleicht bis
gegen 4° N. Breite in Neü-Granada 20. Physisch und mo-
ralisch ganz verschieden von den Mui'scas, Kitschuas
und A'imaras leben die zahlreichen, sprachlich ganz ver-
schiedenen Völker, die unter dem allgemeinen Namen der
Antisaner zusammen gefasst worden sind, grösstentheils
im Zustande des wilden Jägerlebens, und nur mit ver-
hältnissmässig sehr wenigen ist es spanischen Missionairen
gelungen, sie zum Ackerbau und damit an feste Wohn-
sitze zu gewöhnen, und ihnen die Lehren des Christen-
thums annehmbar zu machen. Die vornehmsten dieser
Volksstämme, die überdem zum grössten Theil die Ge-
wohnheiten und Beschäftigungen des sesshaften Lebens
angenommen haben, und zum Christenthum übergetreten

physik. atlas abth. viii.

sind, bestehen aus den Yuracaräs, den Mocetenäs, den
Tacanos, den Maropos und den Apolistos, sämmtlich von
der südlichen Gränze des Verbreitungsbezirks der Anti-
saner bis zum Parallel von 15° S. Breite, jenseits dessen
nur wilde Horden umherschwärmen, von denen man,
ausser den Namen, sehr wenig weiss. So kennt man von
ihren Sprachen auch nur das allgemeine Merkmal, dass
sie sanft und wohlklingend sind und in dieser Beziehung
nicht im Mindesten den Kitschua- und A'imara-Idiomen
gleichen. Die verschiedenen Völkerschaften, aus denen
die Gruppe der Antisaner zusammengesetzt ist, bilden,
in Bezug auf physiognomische und moralische Merkmale,
gleichsam ein Uebergangsglied zwischen den Peruanern
und den Völkern der Pampas einer, und _

7. ά&η Arauoanevn andrer Seits, jener stolzen, un-
abhängigen, muthigen, stets kriegs- und beütelustigen
Nation, welche den Waffen der Incas, wie denen der Spa-
nier stets widerstanden hat. Nach der geographischen
Lage der Wohnsitze in zwei Haupt-Abtheilungen, die
eigentlichen Araucaner oder Gebirgsbewohner, und die
Aucas oder Bewohner der Ebenen, und diese wieder in
fünf Unterabtheilungen gespalten, wohnte die Nation von
Coquimbo, in 30® S. Br. bis zum Archipelagus von Cho-
nos, in 50° S. Br. und erstreckte sich dter geographischen
Länge nach vom Atlantischen Ocean bis zur Küste des
Stillen Weltmeers. Insbesondere waren es die eigentlichen
Araucaner, oder
Chili-dugü, die, als Urbewohner
von Chili, alle Thäler des West-Abfalls der Andeskette süd-
lich von Coquimbo füllten; aber seit den Tagen der Erobe-
rung ist diese Unterabtheilung gegen die südlicheren Gegen-
den von Chili zurückgedrängt worden, so dass sie nur noch
die Thäler inne hat, die südlich vom Rio Biobio in 37°
S. Breite, liegen; dieser Fluss ergiesst sich bei Concepcion
in den Grossen Ocean. Die Pehuentschen leben immer
auf der Andeskette, jetzt noch von Mendoza bis zum Rio-
Negro, und beide Unterabtheilungen dehnen sich über
einige Thäler aus, in denen sie sieh festgesetzt haben.
Nur die Pehuen tschen machen haüfig Einfälle in die
Pampas oder Ebenen des Ostens, kehren aber immer nach
ihrem Gebirge zurück, wenn nicht Mangel an Weide für
ihr Vieh sie zu einem zeitweiligen Wechsel zwingt. Die
Tschonos aber streifen umher und leben als Fischer-
volk an und auf dem Meere längs der südlichen Küste
von Chili. Was die Aucas betrifft, so findet man dieses
nomadisirende Reitervolk von Mendoza und selbst von
San Juan de la Frontera bis zum Rio Negro und vom
östlichen Fuss der Andes bis zu einer unbestimmten
Gränze in den Pampas, die aber haüfig von ihnen über-
schritten wird, indem sie ihre Raubzüge bis an den Rio
de la Plata und bis Buenos Ayres ausdehnen. Es ist nur
Eine Sprache, welche die einzelnen Zweige der araucani-
schen Nation in verschiedenen Mundarten reden, eine
Sprache, die keine Kehllaute kennt, wie die Kitschua, von
der sie sich durch Reichthum an langen Vokalen, durch
Sanftheit, Umfang, Gemessenheit und Wohlklang eben
so unterscheidet, als von dem Idiom der sogenannten
Patagonier.

8. Die Feüerländer, nur vom Fischfang und der
Jagd lebend, führen in kleinen Haufen von zwei oder drei
Familien ein umherschweifendes Leben, das die Bildung
grösserer Gesellschaften nicht gestattet. Ihre Sprache ist
guttural, scheint aber doch mit der araucanischen in einem
gewissen verwandtschaftlichen Verhältnisse zu stehen.

II. Die Pampa-Völker.

In der zweiten der drei grossen Abtheilungen der süd-
amerikanischen Indianer sind unter der Benennung —

9. der Pampa-Völher im engern Sinn zehn Natio-
nen zusammen gefasst worden, deren Sprachen unter sich
eine sehr grosse Aehnlichkeit im Ton und in den Formen
haben, obschon sie im Grunde ganz von einander ver-
schieden sind. Vorherrschende Nasenlaute, starke Kehl-
betonung, ein völliger Mangel an Wohlklang, und ganz
besonders eine Ueberhaüfung von Mitlautern sind die
hauptsächlichsten Merkmale der gegenseitigen Aehnlich-
keit dieser Sprachen, wozu sich noch eine grosse Menge
von Wortendungen, wie
ak, eh, ik, ok, oder ap, eg, aq
gesellen', die besonders in den Idiomen der Tolas, Mata-
guayos
und Mbayas hervortreten, indess sie in der pata-
gonischen oder der Sprache der
TeJiuel tschen nur ange-

16


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Achte Abtlieilung.

deütet sind. Auch in ihren Sitten, ihrer Lebensweise und
ihren Gewohnheiten zeigen diese Völker viele Analogien,
trotz dem, dass sie unter den abweichendsten Klimaten von
den eisigen Regionen Patagonien's bis zu den heissen
Ebenen von Gross-Chaco wohnen; überall sind sie die
trotzigsten Menschen und die störrigsten Krieger unter
den Indianern Südamerika's, die sich von den Spaniern
lieber haben ausrotten lassen, als sich den Gesetzen der
Civilisation zu unterwerfen. Und so sind in der That die
Tscharruos, AMpones, Payaguas und Guaycurus allmälig
fast ganz vernichtet worden.

10. Die Chiquitos-Nationen sind eüf an der Zahl,
nämlich die eigentlichen Chiquitos, welche die ganze Mitte
der Provinz dieses Namens einnehmen, vornehmlich die
Bergebenen und die westlichen Theile ·, die Samucus, die
Curaväs, die Tapiis, die Corabecos, die vor der spani-
schen Eroberung auf der Südostseite der Chiquitos wohn-
ten; die
Savarecos, die Otuquis, die Curuminacos, die
Covavecos, die Curucanecos s-uf ihrer Nordostseite, und
endlich die
Paiconecos auf ihrer Nordwestseite. Von allen
diesen Nationen kommen in Absicht auf Volksmenge nur
noch die Chiquitos in Betracht, alle übrigen sind auf
wenige Ueberreste zusammengeschmolzen. Bis auf eine
geringe Zahl sind diese Stämme zum Christenthum be-
kehrt und an feste Wohnsitze gewöhnt worden. Ihre Spra-
chen sind eben so manchfaltig, als die Völkerschaften
selbst. Sie sind sanft und wohlklingend, denn sie haben
weder die harten Laute noch die angchaüften Mitlauter,
die man in den Sprachen der Pampa-Völker bemerkt.

11. Die Moxos-Nationen schliessen auf der Nord-
seite die Reihe der Pampa-Indianer. Acht Nationen ma-
chen diese Völkerabtheilung aus: die eigentlichen
Moxos,
die den Raum der westlichen und östlichen Urwälder in
allen südlichen und südwestlichen Strichen der wasser-
reichen Provinz Moxos inne haben; die
Chapacuros im
südöstlichen Theil; die
Cayuvavos, die Pacaguaros und
die
Iten&s in den nördlichen Gegenden; die Itonamos, die
Canichanos und die Movimos, welche in der Mitte zwi-
schen den vorhergenannten Nationen ihi-e Wohnsitze ha-
ben sämmtlich fast immer auf dem Wasser und fast aus-
schliesslich vom Fischfang lebend. Die Sprachen dieser
Nationen sind durchgängig viel härter und viel guttm-aler,
als die der Chiquitos-Indianer und nähern sich daher den
Idiomen des Chaco, was ganz besonders von der Sprache
der Canichanos gilt, in der man viele Wörter mit den
harten Konsonant-Endungen wiederfindet. Die meisten
dieser Moxos-Völker haben das Christenthum angenom-
men, und einige sind wahrhaft Fanatiker geworden; sie
geben sich den strengsten Fasten hin und legen sich un-
menschliche und blutige Büssungen auf.

III. Dis Völker Brasilien's und der Guayana.

Einen auiBfallenden Gegensatz zu dieser Zersplitterung
der Sprachen und Völker in den^innersten Gegenden von

Südamerika büdet_

12. die Ouarani-Tupi-Caribische Völherfa-
milie,
welche, ganz Südamerika ausserhalb der Pampas
und der Andesketten, von der Mündungsgegend des La
Plata bis zu den Küsten des Caribischen Meeres füllend,
einem einzigen Sprach stamme angehört, der sich in Bezug
auf linguistische Stellung seiner Aeste und Zweige mit
dem algonkinschen Stamme in Nordamerika vergleichen
lässt; ja er scheint diesen an Selbstständigkeit noch zu
übertreffen, denn die Idiome am Parana und Uruguay
unterscheiden sich von denen, welche am Amazonenstrom
und dessen nördlichen Hauptzufluss, dem Rio Negro ge-
sprochen werden, fast nur dialektisch, und erst am Ore-
noeo treten Idiome auf, die zu jener allgemeinen Sprache
in dem entferntem Verhältniss von Schwestersprachen
stehen. Der Raum aber, auf dem sich dieser Volksstamm
ausgebreitet hat, beträgt über die Hälfte des Flächenin-
halts von Südamerika und übertrifft somit noch um ein
Ansehnliches die Grösse von ganz Eüropa. Man zählt
nicht weniger, als sechszig Völkerschaften, die unter ver-
schiedenen Namen Bestandtheile dieser Familie ausma-
chen; die Hauptnamen aber sind: Guarani in den südli-
chen Gegenden des Verbreitungsbezirks, Tupi in ganz
Brasilien und Caribi in der Guayana und am Orenoco.

Die südlichen Guaranis oder Tupis in Paraguay, Uru-
guay und der brasilischen Provinz Rio Grande do Sul
sprechen den reinsten und wortreichsten Dialekt. Zu den
schwachen Ueberresten dieser einst volkreichen Abthei'
lung gehören die eigentlich sogenannten Guaranis, die als
Ursprung ihres Gesammtvolks angesehen werden, und
die von
ihren Ursitzen zwischen den Flüssen Parana und
Paraguay in einer unbekannten Periode aufgebrochen sind
gegen Norden und Osten, um sich über die weiten Ge-
filde des tropischen Südamerika zu verbreiten. Die östli-
chen Guaranis, die Tupis von Brasilien oder Tupinam-
baser sind hauptsächlich längs der Seeküste von der
Catharinen-Insel bis zur Mündung des Amazonen-Stroms
zerstreüt. Sie reden die eigentliche Tupi-Sprache, welche
die allgemeine Sprache
(Lengua gerat) von Brasilien ge-
nannt, auch von den daselbst herrschenden Eüropäern
gesprochen wird, und auf grammatikalische Regeln und
Gesetze zurückgeführt worden ist. In den südlichsten
Provinzen von Brasilien, mit alleiniger Ausnahme der
Provinz S. Paulo, ist die frühere Existenz dieser Sprache
kaum noch durch Ueberlieferung bekannt, weil sich die
Ueberreste der dortigen Tupi-Stämme zum grössten Theil
mit der übrigen Bevölkerung vermengt haben. Ueber-
bleibsel der nördlichen Tupis finden sich in Para und an
beiden Ufern des Amazonen-Stroms. Sie reden einen ei-
genthümlichen Dialekt der
Lengua geral. Zu ihnen ge-
hören die, wegen ihrer Ausbreitung in der Karte beson-
ders hervorgehobenen und begränzten_

13. Omaguas, in den oberen Gegenden des Amazo-
nen-Stroms und der westlichen Zuflüsse des Orenoco, be-
rühmt wegen ihrer Reisen auf den grossen Flüssen ihres
Welttheils.

Die Tupis im Innern von Brasilien, in den oberen Ge-
genden des Tapajoz, sind die einzigen der Nation, welche
in einem Zustande völliger Unabhängigkeit leben. Die
westlichen Guaranis oder Tupis bewohnen die Sprachinsel,
die zwischen den Kitschuas und Antisanern einer, und den
Pampa-Völkern anderer Seits zur bolivischen Provinz San-
ta Cruz de la Sierra gehört, wo diese Abtheilung von Pa-
raguay her eingewandert ist. Endlich ist das, hoch im Nor-
den, am Orenoco, in der Guayana und in Venezuela wohn-
hafte Caribische Volk zu erwähnen, dessen Idiom eine
Schwestersprache der Lengua geral ist, und das in eine
grosse Menge sprachlich und dialektisch verschiedener
Volksstämme und Horden gespalten ist, darunter die Ta-
manaken auf der Südseite des untern Orenoco, die Chay-
mas auf der Nordseite desselben Stroms und die Maypures
am Rio Negro besonders genannt zu werden verdienen.
Was endlich die Cariben in Westindien betrifft, so steht es
nicht allein fest, dass Völker dieses Sprachstamms zur
Zeit der Entdeckung von Amerika Bewohner der Kleinen
Antillen waren, die sich Oubao-bonon, d. i. Insel-Bewoh-
ner nannten, sondern auch, dass diese Cariben die Gewohn-
heit hatten, ihre Feinde zu verzehren, ganz im Gegensatz
zu den Cariben des Festlandes, oder Baloue-bonon, bei
denen der Cannibalismus niemals Sitte gewesen ist. Die
Cariben aber an der Küste von Honduras in Truxillo und
Stancreek (Karte No. 17) sind Colonien, die von den letz-
ten Ueberbleibseln der Cariben auf der Insel St. Vincent
gegründet wurden. Diese Uebersiedlung fand im Jahre
1796 Statt21.

Aber diese grosse Guarani-Tupi-Caribische Völkerfami-
lie ist es nicht allein, welche Brasilien und die Guayana be-
völkert ; unter ihren verschiedenen Zweigen ungleich ver-
theilt leben in ausserordentlich grosser Menge sprachlich
ganz verschiedener Volksstämme, Horden, ja selbst ein-
zelne Familien, deren Gesammtzahl ich in meinem ethno-
graphischen Bilderbuche mit nicht weniger, als 349 Na-
men nachgewiesen
habe 22. Vier dieser abgesonderten Na-
tionen, nämlich:_

—H'iQ Botohuden oderAymoren, Aie, Puris,
die und die Schumanas hab'ich wegen ihres, im
Verhältniss zu dem übrigen grossen Verbreitungsbezirk auf
der Karte angegeben. Und endlich hab' ich unter dem
Namen_

18. der Oarien-Völker die Ueberreste der Indianer-
stämme angeführt, welche an den nördlichen Auslaüfern
der Andesketten von Neü-Granada, in den dortigen Thä-
lern und an den Küsten des Grossen Weltmeers und des
Caribischen Meers wohnhaft sind. Unter den 52 verschie-
denen Nationen, welche diese Gegenden, auch den
Isthmus von Panama einst bevölkerten, sind nur noch


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Ethnographie. 63

wenige dem Namen nach bekannt. Von diesen wenigen
zeichnen sich die
Goahiros aus, ein Volk, das sich der
spanischen Herrschaft niemals unterworfen hat, das in wil-
der Unabhängigkeit reitend umherschwärmt, aber doch
einen gewissen Handelsverkehr mit den Engländern von
Jamaica unterhält, was ihm denn auch Veranlassung ge-
geben hat, die englische Sprache zu erlernen.

Die amerikanischen Kulturvölker, wie die Mexicaner,
die Quitschuas und Aimaras, haben aus früheren Perioden
ihrer Geschichte, die vor der Entdeckung von Amerika lie-
gen, mehrere Baudenkmäler hinterlassen, die den Beweis
liefern, dass auf dem Tafellande von Anahuac und den
Hochebenen der Andes ein gewisser Grad von Civilisation
herrschte, deren Ursprung, verhältnissmässig sehr neü,
für Mexico auf das 7*% für Peru auf das 12'® oder 13*®
Jahrhundert unserer Zeitrechnung angenommen werden
kann. Ausser diesen finden sich aber auch Monumente,
die einer vorgeschichtlichen Zeit angehören, Trümmer von
Bauwerken, wie u. a. die ungeheüren Mauern von Tiahua-
nuco, am See von Titicaca, die Euinen von Palenque in
Centro-Amerika u. s. w., die nichts dazu beitragen, um das
Dunkel der amerikanischen Vorzeit zu erhellen; denn
diese liegt, wie Pöppig sich sehr richtig ausdrückt, in un-
erfassbarer Oede da, wie das weite Meer in sternlosen
Nächten und gestattet nur beängstigenden Ahnungen
Raum. Noch merkwürdiger aber ist es, fügt er hinzu, dass
in grossen Ländern die unverkennbarsten Spuren einstiger
Civilisation sich darbieten, wo gegenwärtig die mindest
gesitteten und unfähigsten des kupferfarbenen Menschen-
stammes hausen. Dergleichen Spuren finden sich in beiden
Hälften der Neüen Welt: in Südamerika vornehmlich im
Stromgebiet des Orenoco, in Nordamerika in den weiten
Ebenen des Mississippi-Stroms. Die Verbreitung dieser
Denkmäler einer vorhistorischen Zeit im Mississippi-Thal
hab' ich auf der Karte von Nordamerika (No. 17) in ganz

allgemeinen Zügen angedeütet 23.

Die Indogermanen der Neüen Welt,

die Afrikaner und die gemischten Völker.

Romanen und Germanen sind es, die seit dem Anfang
des sechszehnten Jahrhunderts die neüe Völkerwanderung
nach dem Westen angetreten, das Atlantische Ocean-Thal
überschritten und sich in der Neüen Welt niedergelassen
und festgesetzt haben, was ihnen nur möglich gewesen ist
durch Unterjochung der vorgefundenen einheimischen Völ-
ker, oder auch durch gänzliche Vertilgung und Ausrottung
derselben. Das zuerst genannte Loos hat die civilisirten
Völker von Mexico, Cundinamarca und Peru betroffen;
dem zweiten sind all' die Indianer-Nationen, Völkerschaf-
ten, Horden und Rotten verfallen, die, ohne Spur von Cul-
tur, ein Avildes Jägerleben in Mitten der Ui"wälder und
Grassteppen Nord- und Südamerika's führten und in ihren
wenigen Ueberbleibseln noch führen: dieser Theil der ame-
rikanischen Menschheit ist dem Untergange geweiht; nichts
kann das Geschick hemmen, noch viel weniger abwenden,
welches das Erscheinen des weisshaütigen Menschen über
seinen Bruder mit rother Haut verhängt hat: Tod und völ-
liges Verschwinden von der Erde ist die Bestimmung des
kupferfarbigen Menschenschlages, so weit er in ungebun-
dener Freiheit und ohne den erhaltenden Schutz lebt, den
die Fesseln der gesellschaftlichen Ordnung in grössern Ver-
einen gewähren.

Die romanische Bevölkerung der Neüen Welt besteht
hauptsächlich aus Spaniern und Portugiesen; denn diese
beiden Nationen sind als Eroberer in Amerika aufgetreten,
und haben, die erstere, die Bewohner der Hochebenen von
Anahuac und der Andesketten, die zweite die Völker des
Guarani-Caribischen Sprachstamms unterworfen, und ihr
indogermanisches Idiom den unterjochten Urbewohnern,
mindestens als Sprache des amtlichen Verkehrs aufge-
drungen.

Die spanische Sprache herrscht im ganzen Westen von
Amerika von der Insel Chiloe, unter 42° % S. Breite, bis
nach San Francisco in Californien, unter 38» N. Breite,
also auf einer Ausdehnung von mehr, als achtzig Graden
der Breite, was beinah' den vierten Theil des Erdumfangs
ausmacht. Doch ist sie am nördlichen Ende ihres Verbrei-
tungsbezirks, seitdem Neü-Californien von der Mexicani-
schen Republik an die Vereinigten Staaten von Nord-Ame-
rika abgetreten worden, mit der englischen Sprache in
Concurrenz getreten, die, wie nicht zu bezweifeln, die spa-
nische aus den nördlichen Gegenden ihres Gebiets bald
ganz verdrängen und die Gränzen desselben weiter nach
Süden zurückschieben wird. In den ersten Perioden der
spanischen Eroberungen in Amerika zogen wol aus allen
Theilen des romanischen und germanischen Europa Mas-
sen von Abenteürern, Heimathlosen und Vagabunden nach
Spanien-, um in der Neüen Welt einen neüen Schauplatz
für ihre eben nicht ehrenwerthe Thätigkeit zu suchen. Sie
trugen ihre Muttersprachen mit hinüber; aber diese sind
bei den Nachkommen jener polyglottischen Einwanderer
untergegangen und von der Sprache des herrschenden
Volks ersetzt worden. Nicht so scheint es mit den Nach-
kommen der Basken der Fall zu sein, die, in Mexico sehr
zahlreich vertreten, ihre Muttersprache im Familienkreise
meistentheils bewahret haben dürften, neben derselben aber
auch die spanische Sprache reden. In Südamerika erreicht
die spanische Sprache die Küsten des Atlantischen Oceans
an zwei Stellen: an den Mündungen des Orenoco, und am
Ausfluss des La Plata. Hier gränzt sie mit_

dem Portugiesischen Dialekt, der den ganzen Ostrand
von Südamerika erfüllt, und tief ins Innere des Continents
eindringt, in ihrem ganzen Gebiet aber mit der Lengua
geral des Tupi-Idioms die Herrschaft als Umgangssprache
theilen muss.

Von den übrigen romanischen Idiomen kommt als herr-
schende Sprache nur noch das Französische in Betracht,
dessen Gebiet sich auf Unter-Canada, wo es auch unter
den Algonkins gebraüchlich ist, auf verschiedene Theile
von Ober - Canada und den ganzen Norden von Amerika
erstreckt, weil es hier die Sprache der Pelzjäger ist. Fran-
zösisch wird überdem gesprochen von den Nachkommen
der Abenteürer, Tagediebe, Vagabunden und Spitzbuben,
womit Frankreich unter der Regierung Ludwig's XV. die
Länder am untern Mississippi überschwemmte; und Fran-
zösisch ist die Sprache der Afrikaner in der westlichen
Hälfte von Haiti, in der sich eine eigenthümliche Mundart
ausgebildet hat; auf Martinique, Guadeloupe und einigen
anderen der kleinen Antillen, so wie in dem französischen
Antheil der Guiana.

Alle Indogermanen romanischer Zungen, die sich in
Amerika niedergelassen haben, und alle ihre Nachkom-
men^i, sind Verbindungen mit Weibern der amerikanischen
Urbevölkerung oder auch mit Weibern des äthiopischen
Menschenstamms, davon sie eine grosse Menge aus Afri-
ka nach der Neüen Welt verpflanzt, eingegangen; und dar-
aus sind Bastardgeschlechter entstanden, die sogenann-
ten Mestizen und Mulatten, die einen nicht unbeträchtli-
chen Theil der heütigen Bevölkerung von Amerika aus-
machen

Anders verhält es sich mit den Germanen der Neüen
Welt. Auf dem Schauplatze, den sie sich in den Vereinig-
ten Staaten und in den britischen Ländern von Nordame-
rika gesucht haben, haben sie sich mit den Indianern und
den Negern niemals in der Ausdehnung vermischt, wie es
bei den Hispanoamerikanern der Fall gewesen ist. Nirgends
bei den Neügermanen haben die Mischlinge an Zahl die
Oberhand gewonnen oder auch nur irgend welchen Ein-
fluss üben können. Engländer und Deütsche mit Hollän-
dern und Schweden und Norweger bilden die in einander
verflochtenen Zweige zu einem gewaltigen Stamm, an den
sich das keltische Element des Ersen in grosser Menge
lehnt, das aber mit dem anglosaxonischen Grundstoff" völlig
verschmolzen wird. Das Idiom dieses Amalgama indoger-
manischer Völker ist die englische Sprache, die, wie be-
reits oben (p. 11) angedeütet wurde, nach der Herrschaft
in der Neüen Welt strebt und rin^, und dieses Ziel sicher-
lich auch erreichen wird. Schon im Anfang des neünzehn-
ten Jahrhunderts hatte die englische Sprache die meisten
Zungen in Amerika^®; jetzt in der Mitte des Jahrhunderts
ist sie entschieden die überwiegende, in Folge der unge-
heüern Masse von Auswandrern, die Jahr aüs Jahr ein
das germanische und keltische Eüropa verlassen und nach
der Neüen Welt strömen, um hier ganz - besonders in den
Vereinigten Staaten eine Zufluchtsstätte zu suchen, und zu
finden. Dieser Völkerstrom wogt in so ungestümen Fin-
then, dass die Kolonien, welche englische Cavaliere und
Puritaner, der Herrschaft der Rundköpfe und dem Druck
der Hochkirche entweichend, in Amerika stifteten, und de-


16 *

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64 Achte Abtheilung.

ren es im Jahre 1753 dreizehn, mit einer Bevölkerung von
1,046,000 Seelen, gab, ein Jahrhundert später zu ein und
dreissig selbstständigen Staaten ausgebildet und erweitert
waren, welche mit den noch nicht zu Staaten organisirten
Gebieten und Distrikten 23,138,454 Einwohner zählten
welche sämmtlich die englische Sprache, wenn auch nicht
als ihre Mutter- und Familiensprache reden, sie doch er-
lernen müssen, weil das Englische ausschliesslich die Spra-
che aller amtlichen Verhandlungen und des Geschäftsle-
bens ist. Dass sich bei der grossen Mengung der angel-
sächsischen Rasse mit Völkern anderer Zungen zahlreiche
Mundarten des Englischen in den Vereinigten Staaten
und in Canada gebildet haben und ferner bilden werden,
liegt sehr nahe auf der Hand; dieser Einfluss ist so gross,
dass sich schon jetzt selbst in der Schriftsprache des Ame-
rikanisch-Englischen eine Menge Ausdrücke finden, die
der Sprache des Mutterlandes fremd sind. Auf beiden En-
den des englischen Sprachgebiets in Nordamerika sind
zwei ganz eigenthümliche Idiome entstanden; auf der Ost-
seite ein Mischmasch von Englisch, Französisch und Eski-
moisch, dessen bereits oben (p. 53, Sp. 1) gedacht worden
ist; auf der Westseite ein eüropäisch-indianisches Kauder-
wälsch, welches als Handelssprache im Oregon - Gebiet
allgemein gebraüchlich ist^f^.


Änmerkangen.

1 (p. 52.) Die hier dargelegten Ansicliten über die Einlieit der
amerikanischen Menschheit und ihre Verwandtschaft mit den fin-
nisch-tatarischen Völkern der Alten Welt sind in neuester Zeit
sehr lebhaft verfochten worden von J. Cowles Prichard und von
J. Bunsen
(Report of the llth Meeting etc. I, p. 251; p. 296).
Ich habe sie oben fast mit den eigenen Worten der Autoren
wiedergegeben. Ueber „Racen-Entartung in Amerika", nach dem
New Monthly Magazine und James Johnston's Notes on North
America
vergl. „Aiisland", 1851. No. 169, 170, p. 672, 678.

2 (p. 52.) Worte Ed. Pöppig's in seinem vortrefflich abgefass-
ten Artikel „Indier", in Ersch-Gruber, XVII, p. 357. _ „Alles,

was wir von der Hand des Admirals besitzen", sagt A. von Hum-
boldt
{Examen critique. Ed. in 8.1, p. 21), „beweist, dass Christoph
„Columbus als Haupt-, ich mögte sagen, als einzigen Zweck
„seines Unternehmens die Absicht bezeichnet hat, das Morgen-
„land vermittelst des Unterganges zu suchen
(fiuscar el levante
por el poniente. _ Herrera^ Historia de las Indios occidentales,
dee.
i, Hb. I, cap. 6); „auf dem westlichen Wege das Land zu
„suchen, wo die Specereien wachsen"
(pasar α donde nacen las

eψecerias navegando d occidente. _ Erster und zweiter Brief von

Pablo Toscanelli an Christoph Columbus in CoUeccion diplomatica,
No. 1 bei Navarrette, Colleccion de los viages y descuhrimientos que
hicieron por mar los Espanoles desde fines del Siglo XV.
Madrid
1825, S. II, p. 1, 3).

3 (p. 52.) Die benutzten Schriften sind folgende:

Gallatin:

1) Α Synopsis of the Indian Tribes within the United States East
of the Rochy Mountains, and in the British and Jiussian Posses-
sions of North America. By the Hon. Albert Gallatin,
Mit einer
ethnographischen Karte von ganz Nord-Amerika. — In
Trans-
cbctions and Collections of the American Antiquarian Society.
Vol.
II. Cambridge (Mass.) 1836. Das einzige Exemplar, welches in
Berlin zu haben war, verdank' ich der freündschaftlichen Mitthei-
lung des Hm. Professors Dr. Buschmann, Custoden an der König-
lichen Bibliothek. _ Man vergleiche:
Roux de Rochelle, Analyse

d'un Ouvrage de M. Gallatin sur les tribus Indiennes qui resident
aux Etats- Unis et dans les possessions Britanniques α ΙΈ. des
Montagnes Rocheuses.
Paris 1843.

2) Hole's Indians of North-West America, and Vbeabularies of
North America, with an Introduction. By Albert Gallatin.
Mit einer
neuen Auflage der vorhergenannten Generalkarte, und einem

Nachstich von Hale's Specialkarte vom Oregon__In Transactions

of the American Ethnological Society. Vol. II, p. I—CLXXXVIII,
und p. 1_130. New-York, 1848.

3) Notes on the Semi_CivHized Nations of Mexico, Yucatan and
Central-America. By Albert Gallatin. _ In Trans, of the Ameri-
can Ethnol. Soc.
Vol. I, p. 1_305. New-York, 1845.

A. von Humboldt:

4) Ueber die ürvölker von Amerika. _ In Biester's neüer

Berlinischer Monatsschrift. März, 1806; p. 199,

5) Essai politique sur le Royaume de la Nouvelle-Espagne.
Ed. 4 Vols. in 8. Paris 1825—1827.

6) Voyage aux Rggions gquinoxiales du Nouveau Continent, fait
en 1799^1804.
Edit. in 8. T. I_XII; Paris 1816_1826.

7) Vues des Cordilleres et Monumens des peuples indigenes du
Nouveau Gontinent.
2 Vols. in 8. Paris 1816.

8) Examen critique de l'histoire de la g^ographie du Nouveau
Gontinent.
Ed. in 8. T. I_IV. Paris 1836—1837.

9) Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen.

3. Ausg. 2 Bde in 8. Stuttgart 1849.

Clavigero:

10) Storia antica del Messico. V Vols. Cesena, 1780.

Hervas (Don Lorenzo Hervas y Panduro'):

11) Catahgo delle lingue, conosciute e diversita notizia della loro
affinita e diversita. 4.
Cesena, 1785. (Auch Spanisch, 3 Vol. 4.

Madr. 1800_2.) . nr τ ■

12) Vocabolario poliglotto con prolegomem sopra piu di CA Lm-
gue,
etc., etc. Ebendas. 1787. .

13) Aritmetica delle naziom e divisione del tempo fra I Onentali.
Ebendas. 1786.

14) Saggio prattico delle Lingue. Con prolegomem e una raccolta di
Orazionihominicaliin piu di trecmtoBingue e Dialetti.
Ebendas. 1787.

Vater, Johann Severin:

15) Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde. HI. Theil,
zweite und dritte Abtheilung. Berlin, 1813 und 1816.

Haie:

16) Exploring Expedition of the United States. Vol. VI. Ethno-
graphy and Philology. By Horatio Hole.
Philadelphia, 1846. gr.

4. Mit drei Karten, davon die eine die Ethnographie des Oregon-
Gebiets enthält. Vergl. oben No. 2=

Martins':

17) Von dem Rechtszustande unter den Ureinwohnern Brasi-
liens. Eine Abhandlung von Dr. C. E. Ph. von Martius. Mün-
chen, 1832. 4. Vergl.
Journal of the Roy. Geogr. Soc. London,
Vol. II, p. 191 ff.

d'Orbigny:

18) L'homme amiricain. Par M. Alcide d'Orbigny. Paris, 1839,

Isbister:

19) On the Chippewyan Indians; _ on the Nehanni Tribe of α

Kaloochian Glass of American Indians._on the Loucheux Indians,

by A. K. Isbister; — in Report of the 1.7th Meeting of the British
Association for the Advancement of Science; held at Oxford in Ju-
ne 1847.
London, 1848. Part II, Trans, of the Sections, p. 119
—122,

Balhi:

20) Atlas ethnographique du Glohe, ou Classification des peuples
anciens et modernes d'apres leurs langues. Par Adrien Balbi.
Paris,
1826. 1 Bd. in Fol. Dazu:
Introduction ä Γ Atlas ethnographique
du Globe
etc. T. I. Paris, 1826. 8. (Nur dieser erste Band ist
erschienen. Er enthält die sehr oberflächlich gehaltenen literari-
schen Nachweisungen zum Hauptwerke.)

Wenn ich mich in den folgenden Anmerkungen auf das eine
oder andre dieser Werke zu beziehen habe, werd' ich es mit der
No., die es in der vorstehenden Uebersicht hat, bezeichnen.

Von drei Schriften von Henry R. Schoolcraft, welche (nach
dem
Athenaeum, 1851, Sept. 13, p. 964) im Jahre 1851 in Phi-
ladelphia erschienen sind, hab' ich keinen Gebrauch machen kön-
nen. Sie führen folgende Titel: '

(1) The Red Man of America. Historical and Statistical Infor-
mation respecting the History, Gondition and Prospects of the Indian
Tribes of the United States, collected and prepared under the direc-
tion of the Bureau of Indian Affairs. Illustrated by S. Eastman,
Capt. U. S. A. Published by authority of Gongress. Part. I. 4to.
(Preis in London 5 L. stl. 5 Sh.)

(2) The American Indians. Their History, Conditions and Pro-
spects, from Original Notes and Manuscripts.
1 vol, 8. (Preis
6 Sh.)

(3) Notes on the Iroquois or contributions to American History,
Antiquities and General Ethnology.
1 vol. 8. (Preis 18 Sh.)

4 (p. 53.) In der ersten Ausgabe der nordamerikanischen Völ-
kerkarte (vom Jahre 1845), auch in meinem ethnographischen
Bilderbuche („Die Völker des Erdballs"; Brüssel und Leipzig,
1845, Bd. I, p. 249) hatte ich die Ugaljach- oder Ugalachmju-
ten, die Ataaer, die Koltschanen, die Kinajut oder Kenajer (die
sich selbst Tnaina, d. i.: Männer, nennen), und die Inkuluch-
lüaten, an den oberen Zuflüssen der Ströme Kuskokwim und
Kwichpack, zum Koloschen-Stamm gerechnet, auf Grund meh-
rerer Aüsserungen von Wrangel und Bär, die sich dieser An-
sicht von der Verwandtschaft der Völker und Sprachen an der
Nordwestküste hinzuneigen scheinen. (Bär und Helmersen, Bei-
träge zur Kenntnis» des Russischen Reichs. St. Petersburg, 1839;
I, p. 96 _ 116, p. 118 — 120, p. 288, 289.) Allein eine nähere
Vergleichung der von Wrangel mitgetheilten Verzeichnisse von
Wörtern aus den Sprachen dieser Volksstämme (a. a. O. p. 259)
scheint darzuthun, dass sie einer Seits den Athapascas, andi-er
Seits den Eskimos eben so nahe, wenn nicht näher stehen, als
den Koloschen, denen sie in Gewohnheiten und im Charakter
doch sehr entfremdet zu sein scheinen. Nichts desto weniger hab'
ich sie auch jetzt noch einstweilen bei den Koloschen stehen
lassen. Wird künftig eine Absonderung sich als nothwendig er-
weisen, so wird man die Scheidungslinie an den Eliasberg zu
setzen haben; womit auch Gallatin (2) p. C, CL und Wrangel
sowol als Wenjaminow übereinstimmen, die als nördliche Gränze
der eigentlichen Koloschen entschieden den Berg angeben (Wran-
gel, in Bär und Helmersens Beiträgen, a. a. O. p. 96. J. Wenja-
minow, Notizen über die Inseln des Unalaschkaischen Bezirks.
St. Petersburg, 1840. 3 Bde. [In russischer Sprache.] Vergl. Ad.
Erman, Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland. Π,
1842, ρ. 489). Das Volk Ttynai scheint, wie oben (p. 53) im
Text gesagt worden ist, einen grossen Theil des innern Landes
vom nordwestlichen Amerika einzunehmen. Die Stämme dieser
Familie (wenn man sich dieses umfassendem Ausdrucks hier bedie-
nen darf) sind unter verschiedenen Privatnamen bekannt, die
ihnen von den Nachbarn, welche alle mit den Einwohnern von
Kadjack von Einem Geschlechte sind, gegeben werden. So nen-
nen die Küstenbewohner Ukukay-mjuten Inkiliken, und diese
letzteren nennen sich entweder nach ihrer Wohnstätte, oder im
Allgemeinen Ttynaizer-Chotona, d. h.: solche, welche die Men-
schen verstehen, oder die Wortführer sind. Sagoskin, von dem
ich diese Notiz entlehne, theilt von der Sprache des Ttynai-


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Etlmograpliie. 65

Volks zwei Wörter-Verzeichnisse mit, nämlich von den eigentli-
chen Inkiliken, und von den Inkaliten-jug-el'nut (von Wran-
gel kurz Inkaliten genannt), aus denen hervorgeht, dass die
Idiome beider Stämme nur als Mundarten einer und derselben
Sprache anzusehen sind, zu deren Kreis auch die Koltschanen,
Galzanen, gerechnet werden. Die Anwohner der Tlüsse Kwich-
pack (oder Jukchana und Jun-a) und Kuskokwim, an dem zuerst
genannten Elusse vom Dorfe Analuchtak-Pak (das letzte Dorf
der Inkilikischen Stämme) an, und die Anwohner der Seeküste
gehören zum Volk der Kan-julit, welches mit den Aleuten auf
Kadjack von Einem Geschlecht abstammt. Sagoskin theilt von
der Sprache dieser Kan-julit eine sehr vollständige Wörtersamm-
lung mit, und vom Idiom der Tschnag-mjuten und dem der Kwich-
pak- und Kuskokwim-mjuten, und vergleicht sie mit der Sprache
von Kadjack und der Sprache der Nammolo (Tschuktschen),
woraus erhellet, dass die Sprache beider Stämme nur Mundarten
der Kadjak'schen Sprache sind, welche wenig Unterschiede zei-
gen, indess die Verschiedenheit des Nammolo-Dialekts etwas
grösser ist. (S. J. Seleny, Auszug aus dem Tagebuch des Herrn
L. Sagoskin über seine Expedition auf dem festen Lande des
nordwestl. Amerika, — in „Denkschriften der russischen geogr.
Gesellschaft zu St. Petersburg." Aus dem Eussischen übersetzt.
Weimar, 1849; I, p. 307—374.) _ Die Nachricht über das Es-
kimo-Europäische Bastardgeschlecht im südlichen Labrador hab'
ich von Mac Lean entlehnt
(Notes of α 25 years service in the
Hudsons Bay Territory.
London, 1850; daraus im „Ausland",
1850, Juni 2, No. 131, p. 524). üeber die Christianisirung der
Labrador-Eskimos vergl. Geschichte der ersten Erweckung unter
den Eskimos (in — „Der Menschenfreünd", Wochenblatt der
Düsselthaler Eettungs-Anstalt, Jahrg. 1824, No. 18).

5 (p. 53.) Ueber die Koloschen vergl. Wenjaminow (in Er-
man's Archiv, a. a. O. p. 489 ff.), Gallatin in (1) und (2), A.
K. Isbister, in (19), p. 121. Die Nehannis, welche Isbister zu
den Koloschen stellt, rechnete Gallatin zu seiner Athapasca-
Klasse.

6 (p. 54.) Die Nachweisungen über die Athapasca-Gruppe lie-
fert, ausser Gallatin, ganz besonders A. K. Isbister in (19) p.
119 — 121. _ Von den Tahkali handelt Horatio Haie, in (16).
Die
Tsehangos erwähnt Mc Lean in Notes etc., vergl. „Aus-
land", 1850, Juni 8, No. 138, p. 552. — Wegen der Tschin-
katen siehe Wrangel in Bär-Helmersen's Beiträgen, II, p. 120,
283, 284.

7 (p. 54.) Auch über die Loucheux hat A. K. Isbister in (19)
p. 121, 122 die neüesten Nachrichten gegeben. Den einheimi-
schen Namen Digothi kennt er nicht. Der Hauptsitz dieses Volks
ist zu beiden Seiten des Peel-Flusses. Auf der grössten Strecke
ihrer Verbreitung stehen sie mit den Eskimos in freündschaftli-
chem Einvernehmen, und nur am Mc Kenzie-Fluss walten zwi-
schen beiden Völkern beständig Feindseligkeiten ob. Mit den
Athapascas scheinen die Digothi niemals in einem lebhaften Ver-
kehr gestanden zu haben. Es ist ein schöner Menschenschlag,
grosse, kräftige Gestalten weit über Mittelgrösse, mit schwarzem
Haar, blitzenden Augen, massig erhöhten Backenknochen, regel-
mässigen und gutgestellten Zähnen und einer schönen Hautfarbe.
Ihre Gesichtszüge sind hübsch und voll Anmuth und eines gros-
sen Ausdrucks fähig. Sie durchbohren den Nasenknorpel und
stecken in das Loch zwei Muscheln, an deren Enden farbige
Kügelchen, oder in Ermangelung derselben polirte Knochen ge-
hängt werden. Auf diese, nach unsem Begriffen hässlich ausse-
hende Verzierung thun sie sich nicht wenig zu gut, und von
dem Umstände, dass sie fast beständig darauf blicken, um sie zu
bewundem, haben sie die Gewohnheit eines schwachen Schielens
angenommen, daher ihr Name
Louclieux oder Squinters, im Eng-
lischen.

8 (p. 54.) Die Delawaren nennen sich Lenno-Lenape, welches
„Ur-" oder „unvermischte Menschen" heisst, ursprünglich aber
wol „mannhafte Menschen" bedeütet, wenn Lenape von
Lenno,
Mensch, und nape, männlich, abgeleitet Λvird. Sie haben nach
ihrer eigenen Aussage Anfangs aus drei Stämmen bestanden, aus
den
Unami, oder dem „Schildkröten-Stamme", der auf den Vor-
rang unter den übrigen Anspruch machte; aus den
Minsi, oder
„Wolfs-Stamme", der sich von den Delawaren trennte und einen
abweichenden Dialekt sprach, und endlich aus den
Unalachtgo,
oder dem. „Truthahn-Stamme", welche mit den Unami gemischt
blieben. Von den französischen Einwanderern wurden sie „Wölfe"
genannt, weil man sie mit den Mohicans
(Mohikandern) und den
übrigen Neü-Englands-Indianern, die allgemein als „Mahingan"
bezeichnet wurden, verwechselte; denn dieses Wort bedeütet in
den Algonkin- und Chippeway-Dialekten „Wolf". _ Als die
Schweden ins Land kamen und den Strich zu beiden Seiten des
Delaware besetzten, und selbst als William Penn im Jahre 1682
den Grund legte zu der nach ihm Penns-Waldland genannten
Kolonie, dem heüte mächtigen Staate Pennsylvania, scheinen die
Ufer dieses Stroms von einem Stamme der Lenäpes bewohnt ge-
wesen zu sein, der von den angeführten drei Stämmen verschie-
den war, und den man Eenäpös nannte, weil sie den Buchstaben
L durch ein Ε ansprachen. In Neü-Jersey gab es mehrere Dia-
lekte der Lenape-Sprache, die mehr oder minder mit dem Mo-
hicanischen vermischt waren. Am Delaware, bei Trenton, wohnten
die Sankhicans (auch ein Irokesen-Stamm heisst so), ein Wort,
was im Lenape als Bezeichnung für die Pfanne eines Gewehrs
gebraucht und wahrscheinlich auf alle Indianer-Völker angewen-
det wurde, die sich zuerst der Feuerwaffe bedient haben. (P. M.
Duponceau, Memoire sur le systhne grammafical des langues de quel-
ques nations Indimnes de l'Am&ique du Nord.
Paris, 1838. 1 Vol.
in 8.)

9 (p. 54.) Es ist schwierig zu bestimmen, ob der Name Algon-
quin, Algoumequin, oder Algonkin einem besondem Stamme an-
gehörte, oder als generische Benennung gebraucht wurde. Du
Ponceau ist der ersten Meinung. Wir wissen, sagt er, dass es

PHYSIK. ATLAS ΛΒΤΗ. Till.

echte Algonkins noch jetzt in Canada giebt, ohne jedoch im
Stande zu sein, ihre Zahl, oder auch nur ihre Wohnplätzc anzu-
geben. Bei der ersten Ansiedlung in Canada bezeichnete man
alle Indianer des Lorenzstroms, die unterhalb und etwas oberhalb
Quebec lebten, mit dem Namen Montagnars oder Montagnes
von einer Bergkette, die sich nordwestlich vom Gap Tourmente
(eine Meile unterhalb Quebec) hin erstreckt, und die Flüsse,
welche oberhalb jenes Vorgebirges in den Lorenzstrom, den Ot-
tawa und den Obern See fliessen, von denjenigen scheidet, die in
den Saguenai und in die Hudsons-Bai fallen. Der grosse Han-
delsplatz der Montagnards war Tadonssac, an der Mündung des
Sa^enai, wo mehrere binnenländische und andere Stämme, die
weiter abwärts am St. Lorenzstrom lebten und dieselbe Sprache
redeten, jährlich zusammen kamen. In der ältesten Probe, wel-
che wir von der Algonquin-Sprache haben (sie befindet sich am
Schluss von Champlain's Eeisebericht) wird sie „Montagnar" ge-
nannt. Wegen der Gleichheit der Sprache wurde dieser Name
bald auf alle Indianer am Strome bis Montreal hinauf ausge-
dehnt. Die am Ottawa-Fluss wohnenden Indianer wurden dage-
gen mit dem besondem Namen „Algonquin" bezeichnet, und
diese Unterscheidung der beiden Dialekte Algonquin nnd Mon-
tagnar beibehalten, bis der Name Algonquin das Uebergewicht
erlangte. Nach Charlevoix
(Histoire de la Nouvelle France) waren
die Nipissings oder Nipissiriens die eigentlichen Algonkins. Sie
lebten am Nipissing-See, an dem Tragplatze zwischen dem Otta-
wa-Flusse und den Gewässern des Huron-Sees. Mackenzie bestä-
tigt dies, indem er sagt, dass die Anwohner jenes Sees ums Jahr
1790 aus den Ueberresten eines zahlreichen Stammes von der Algon-
kin-Nation bestanden, den man Nipissings nannte. Auch jetzt ist der
Name Algonkin als Name einer besondern Völkerschaft noch nicht
erloschen. Französische oder franco-canadische Missionaire leben
unter ihnen; sie scheinen sich aber nicht viel mit der Sprache des
Volks beschäftigt zu haben, dem sie das Evangelium zu bringen
berufen sind (Du Ponceau a. a. O.). Die Ottawas, Outawas, Ou-
taouais aber sprechen das Alt-Algonquin noch ganz rein; und
die Sprache der Chippeways (wohl zu unterscheiden von den
Chippewyans der Athapasca-Familie) oder Ojibways ist, mit Aus-
nahme ganz geringer Abweichungen, ebenfalls das Algonkinsche,
nur unter einem andern Namen, den sich der Stamm selbst bei-
legt. Die Chippewäische Sprache ist heüt' zu Tage Das, was die
Algonkinsche vor zweihundert Jahren war, das allgemeine Ver-
ständigungsmittel der Indianer dieser Völkerfamilie unter sich;
und sie ist unter den Wilden Nordamerika's Das, was in Eüropa
die französische Sprache an den Fürstenhöfen und in den diplo-
matischen Verhandlungen der Staatsregierungen ist. Die Scoffies
und Sheshatapusch sprechen Dialekte der Algonkinschen oder
Montagnar-Sprache, die Naskopis dagegen eine Mundart der Cree-
oder Knistinaux-Sprache.

10 (p. 54.) Die Volkszahl der eigentlichen Algonkins, worun-
ter also die neun Nationen von den Knistinaux bis zu den Mis-
sinsig zu verstehen sind, glaubt Gallatin auf nicht weniger, als
40,000 Köpfe anschlagen zu können. Dieser nördliche Zweig der
Algonkin-Lenape-Familie ist der volkreichste, denn die übrigen
Zweige dieses Familie betragen nicht über 25,000 Köpfe. Im
Jahre 1826 gab Gallatin die Zahl der Lenape genau zu 44,679
Köpfen an (siehe seine „tabellarische Uebersicht der Indianer-
stämme u. s. w." in Hertha, 1827, IX, p. 328). Canada, in
der weitesten Bedeütung, ist ihr Wohnplatz. Den Namen die-
ses Landes glaubt man von dem indianischen Wort
Kanata ab-
leiten zu können. Es bedeütet einen Haufen von Hütten und
wurde von den eüropäischen Entdeckern für den Namen des Lan-
des genommen
(Montgomery Martin, History of the British Colo-
nies,
Vol. III, p. 1). Wigwam ist der Name, den man in Nord-
amerika den indianischen Hütten beilegt (und in dieser Bedeü-
tung in die eüropäischen Sprachen übergegangen ist). Das Wort
stammt aus der algonkinschen Sprache und heisst im Dialekt Od-
schihuä (Ojihway) Uikiuam,
(im Dialekt der Delawaren oder Len-
no-Lenape Wiqüoam). Dieser Ausdruck wurde aber verdreht
(oder von den Weissen mundrecht gemacht) und auf alle India-
ner-Stämme angewendet. (Max von Neüwied, Eeise in Nord-Ame-
rika, I, p. 308, Anmerkung.)

11 (p. 55.) Die Cherokie-Nation ist die einzige unter den In-
dianern Nordamerika's, welche mit grossem Erfolg den Versuch
gemacht hat, ihre Sprache durch Schriftzeichen zu fixiren. Se-
quoyah, oder Guess, wie er gewöhnlich genannt wird, ein mit
der englischen Sprache unbekannter Cherokie, erfand ums Jahr
1825 eine Sylbenschrift für die Sprache seines Volks, die bald so
allgemein würde, dass man sie nicht blos zum Schreiben, son-
dern auch zum Buchdruck gebrauchte, and man darin sogar eine
Zeitung drackte. Ich glaube der erste gewesen zu sein, der die
Nachricht von dieser Erfindung, nach Mittheilungen Wilhelm's
von Humboldt, in Deütschland bekannt gemacht hat (Hertha,
1827, Bd. IX, p. 320—328). Die Entwicklung dieses Keims der
Civilisation ist aber von der barbarischen Politik der Staats-Ee-
gierung von Georgia leider gehemmt, und wahrscheinlich gänzlich

unterdrückt worden.

12 (p. 56.) Von der grossen Menge kiemer Volkerschaften,
womit "die Gegenden am Unterlauf des Mississippi gleichsam
voll gepfropft gewesen sein mögen, will ich unter den Einge-
wanderten nur der Apalachen Erwähnung thun, weil von ihnen
das grosse Gebirge seinen Namen hat, welches im Süden des
nordöstlich fortlaufenden, damit verbundenen Alleghany-Gebirgs
fast westwärts streicht, und weil gerade dieses Volk in den frü-
hesten Beschreibungen dieser Gegenden genannt wird. Dass diese
am weitesten im Osten von Louisiana wohnenden Apalachen nur
ein Theil der grossen Nation der Apalachen sei, die an den Ber-
gen wohnten, denen sie ihren Namen gegeben haben, und dass
die verschiedenen Zweige jener grossen, zwischen Louisiana, Ca-
nada und Neü-England liegenden Nation, verschiedene Namen
fahrten, versichert Le Page du Pratz
(Histoire de h, Louisiane,

17


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66 Achte Abtheilung.

τ. π, ρ. 208). Hervas betrachtete das Apalachische als Haupt-
sprache in Louisiana und Elorida und ordnete ihm alle übrigen
Sprachen dieser Länder als Dialekte unter (11, p. 90). Die um-
ständlichste Nachricht von den Apalachiten, wie er sie nennt,
giebt Eochefort
(Histoire naturelle des AntUles, p. 3&1_394).
J. Sev. Vater vermuthete die Apalachen unter den Catahbas
(in 15, p. 283).

13 (p. 56.) Die Nachrichten über die Skittagets, Skiddegat oder
Skittigeet (mit den Stämmen Cumshewar, Massit, Keesarn und
Kigarnee), über die Haas oder Nass, und die Wakash rühren
hauptsächlich von dem anglo-amerikanischen Kapitain W. Bryant
her, dessen handschriftliches Tagebuch aus den Jahren 1820_
1827 von dem Missionair J. S. Green bekannt gemacht worden
ist
{Missionary Herald, Vol. XXVI u. XXVII. Boston 1830—31).
Chlebnikow dagegen, der droissig Jahre lang in den russisch-
amerikanischen Kolonien gelebt hat, ist geneigt, in allen Bewoh-
nern der Nordwestküste, aufwärts sogar bis zum 41" N. Breite,
nur Eine grosse Familie zu erkennen, eine Ansicht, die nicht
sowol auf Vergleichung der Sprachen, als der aüssern Bildung
und der Sitten zu beruhen scheint.
{Litlce, Voyage autour du
Monde,
I, p. 188. Bär-Helmersen's Beiträge, I, p. 287, 288.)

14 (p. 57.) Es ist die höchste Zeit, dass die Californischen
Völker und Sprachen gründlich stndirt werden, denn es steht zu
fürchten, dass viele derselben bald von der Erde verschwunden
sein werden. Sie können dem vertilgenden und ausrottenden An-
drang der unzähligen Abenteürer, Vagabonden und Taugenichtse
nicht widerstehen, die, ein Auswurf aller indogermanischen Na-
tionen Eüropa's und Amerika's, von der Arbeitsscheu und Faul-
heit, der Habsucht und dem Geiz in den goldreichen Thälem
des San Sacramento und seiner Nebenflüsse zusammen gepfercht
worden sind, und hier seit einigen Jahren ein Wesen getrieben
haben und noch treiben, das eines civilisirten Menschen unwür-
dig ist, und dessen sich der unbefangene Beobachter in der Tiefe
seiner Seele schämen muss. Mögte die erleuchtete Eegierung der
Vereinigten Staaten jenem Treiben bald ein Ende machen; über-
haupt aber auch zum Heile des amerikanischen Gemeinwesens
Maasregeln treffen, welche das Zuströmen so vieler entarteter
Söhne der Alten Welt, mit denen die Union ganz besonders seit
dem Jahre 1849 überschwemmt worden ist, zu erschweren, wenn
nicht gar ganz zu verhindern im Stande sind. Möge die Eegie-
rung aber auch die genauere Kenntniss der Californischen India-
ner ins Auge fassen und mindestens der historischen Wissenschaft
zu retten suchen, was noch zu retten ist, bevor auch diese Un-
glücklichen dem unvermeidlichen Geschick der Eothhaüte erle-
gen sind: Der linguistische Sendbote Horatio Haie ist ganz der
Mann zur Ausführung eines Auftrags, der für die Geschichte der
amerikanischen Menschheit von der allergrössten Wichtigkeit ist.
Mit Theilnahme lies't man die Skizzen über die Indianer Califor-
niens, welche Fr. Gerstäcker, der Cotta'sche Weltgänger, mitge-
theilt hat. („Ausland", 1851, No. 166_168, p. 661 ff.)

15 (p. 57.) Die Verwandtschaft der Schoschonen, Komantschen
und Apatschen glaub' ich, mindestens der zwei zuerst genannten
Volksstämme, aS Grund von Sprachproben nachgewiesen zu ha-
ben, _ in Geogr. Jahrbuch, 1851, III, p. 48_62.

16 (p. 57.) A. de Humboldt, in (5), T. II, p. 254.

17 (p. 57.) J. Sev. Vater, in (15), p. 24.

18 (p. 58.) A. V. Humboldt führt als Beispiel des Formreichthums
der aztekischen Sprache den Ausdruck Notlazomahuizteopixcatatzin
an, welcher
„pretre vinirahle que je cherie comme mon pere" bedeu-
tet. Die Mexicaner gebrauchen dieses Wort von sieben und zwan-
zig Buchstaben, oder vielmehr diesen Titel (denn die Philosophie
der Grammatik weist es zurück, ihn ein „Wort" zu nennen),
wenn sie mit ihren Pfan-geistlichen sprechen.
{Ä. de Humboldt,
in 5, T. I, p. 353.) Dass übrigens die mexicanische Sprache auch in
den nördlichen Gegenden des Tafellandes von Anahuac (im wei-
tem Sinne) schon frühzeitig und zwar seit den ersten Wanderun-
gen der Tolteken sich angesiedelt habe, lässt sich leicht erklär-
lich finden, Λνβηη man in Erwägung zieht, dass dieser Völker-
stamm auf seinem Wege einzelne Haufen abgesetzt und zurück-
gelassen hat. Und eben so stammt die Verbreitung der mexica-
nischen Sprache bis nach Nicaragua nicht aus spanischer Zeit,
sondern, wie J. Sev. Vater sehr wahrscheinlich gemacht hat, schon
aus den Zeiten der Zerstreuung der Tolteken, die in der Mitte
des eilften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung Statt gefunden hat
(15, p. 61 ff.).

19 (p. 59.) Dass die Arawaaken (Arrowaäken, Aroacas etc.)
die alten Eingebomen der grossen Antillen gewesen seien, hat,
so viel ich weiss, zuerst Bryan Edwards (in seiner
History of the
West-Udies,
Vol. I, p. 60 ff.) geaüssert, indem er es zugleich
für höchst wahrscheinlich hält, dass alle die verschiedenen Völ-
kerschaften im nördlichen Theile von Südamerika, mit Ausnahme
der Cariben, vor Alters aus Mexico eingewandert seien. In einer
Abhandlung, welche 1844 in der amerikanischen ethnologischen
Gesellschaft zu Neü-York gelesen worden ist, aber nicht durch
den Drμck verpffentlicht zu sein scheint, hat auch J. A. van
Heüvel die Aboriginer von St. Domingo oder Haiti mit den Ara-
waaken von Süd-Amerika identificirt
{Transactions of the Ameri-
can Ethnol. Soc.
Vol. I, p. XIL). In seinen „ethnologischen For-
schungen auf Haiti", welche in der
2Pt Meeting^ of the Brit. As-
soc, for the Advmpement of science held at Ipswtch in June 1851,
mitgetheilt wurde, bemerkt gir Robert Schomburgk:_ „Die Aus-
rottung des reinen indianischeij Stammes hinderte mich an Ver-
gleicbungen mit den noch vorhandenen Stämmen Guayana's; ibre
Sprache lebt nur noch in den Namen von Ortschaften, Flüssen,
Baümen und Früchten; alle diese Naraen stiminen aber darin
überein, d.ass das Volk, welches diese liampn gab, eins war mit
den Caraibeji und Arawaaks von Guayana". (Ausland, 1851, Juli
19, No, 172, p. 685.) Die Urbevölkerung von Haiti identificirte
mit den Arawaaken auch Müller in einem Vortrage über die frü-
hem ethnographische» Verhältnisse der Insel St, Domingp, der
in der geographischen Gesellschaft zu Berlin, am 6. Sept. 1851,
gehalten wurde. Er hält die Arowauken für gleiches Stammes mit
den Urbewohnern der übrigen grossen Antillen. Es sollen ihrer
etwa eine Million bei der Ankunft der Eüropäer auf der Insel
gewesen sein. Sie bildeten fünf Eeiche, jedes von einem Ka-
ziken in patriarchalischer, bisweilen zu Despotie ausartender,
Herrschaft geleitet. Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts,
gleich nach der Landung des Columbus, begannen, freilich gegen
des Entdeckers Willen, die Drangsale der Urbewohner. Sie wur-
den unter die eingedrungenen Spanier als Leibeigene in die
Bergwerke vertheilt. Verzweiflung trieb sie zur Empörung, so
dass Columbus selbst zum Kriege gegen sie gezwungen wurde.
Er ging 1502 nach Spanien zurück. Jetzt, zuerst wurde die In-
sel von bekehrenden Franziskanern besucht, auch wui-de die Co-
lonisirung allgemeiner, das Zuckerrohr wurde auf der Insel an-
gepflanzt und vermehrte noch die Leiden der Urbewohner. Als
1509 des Columbus Sohn Diego die Verwaltung der Insel er-
hielt, war die Urbevölkerung auf 100,000 oder gar nur 60,000
Seelen vermindert, und auch Diego suchte umsonst ihr Elend zu
mildem. Bei seinem Abgang von der Insel 1515, hatte dieselbe
nur noch 20,000 Urbewohner, und man lockte und raubte von
den Bahamainseln und dem Festlande die Menschen nach Do-
mingo in die Sklaverei. Cardinal Ximenez suchte, gleichfalls
vergeblich, das Schicksal der Indianer durch eine Commission zu
verbessern, bei welcher sich auch Las Casas befand. Bald nach
Karls I. Thronbesteigung war die Glanzzeit der Insel vorüber.
Die Spanier (damals 14,000 auf der Insel) wandten ihre Auf-
merksamkeit auf die anderen grossen Inseln und das Festland.
Nur der Bau des Zuckerrohres, gestützt auf Negereinfuhr, wurde
auch femer eifrig betrieben. Nachdem sich die spanische Herr-
schaft weiter über das Festland verbreitet hatte, regelte König
Karl I. die Lage der Urbevölkerangen durch seine „Indische Ge-
setzgebung". Doch kam diese für die Urbewohner Domingos zu
spät. Nur ihr letzter Eest, 4000 Seelen, wehrte sich noch im
Kriege gegen die Spanier über 10 Jahre, und erhielt 1533 seine
Selbstständigkeit unter spanischer Oberherrliehkeit zugestanden.
Noch am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war dieser Ue-
berrest nicht ganz ausgestorben. (Berlinische Nachrichten von
Staats- und gelehrten Sachen, 1851, No. 215, Sept. 14.) Ueber
die Sprache der Arawaaken handelt der, unter ihnen thätig ge-
wesene Missionair der Brüdergemeinde C. Quandt (in seiner Nach-
richt von Surinam und seinen Einwohnern, sonderlich der Ara-
wacken, Waranen und Karaiben, von den nützlichsten Gewäch-
sen und Thieren des Landes, den Geschäften der dortigen Brä-
der-Unität und der Sprache der Arawacken, Görlitz, 1807), wel-
ches Werk, in Verbindung mit handschriftlichen Mittheilungen
Quandt's, J. Sev. Vater (in Mithridates, III, 8, p. 666_674, 697,
698) benutzt hat. Ein Wörterverzeichniss der Arawaakischen
Sprache und das Gebet des Herrn in derselben theilt auch Wil-
liam Hillhouse mit in einem 1825 zu Demarara gedruckten Werke,
welches in Eüropa wenig verbreitet worden ist. Auszüge daraus
hat J. E. Alexander bekannt gemacht
(Journ. of the Roy. Geogr,

Soc. London, 1832, Vol. II, p. 227__249; yergl. Berghaus' Ka-

binets-Bibliothek der neüesten Eeisen, I, p. 213—241). Die Sprach-
proben von Hillhouse weichen aber so bedeutend von denen des
Missionairs Quandt ab, dass in diesen zwei Mittheilungen Eine

Sprache kaum zu erkennen ist, _ Westlich von den Arawaaken

und der Mündung des Essequibo wohnt längs der Küste und im
vielästigen Delta des Orenoco-Stroms das Schilfbauer- und Schif-
fervolk der Warrauen (Warrow, Guaraunos, Guaraons, Gu-ara-
unu, U-ara-u), welches der arawaakischen Sprache mächtig ist
und sich derselben meistens bedient, aber auch sein eigenes, radi-
kal verschiedenes Idiom hat, von dem die Sprache der Guaique-
ries (Guaikeri) der betriebsamen Fischer auf St. Margarita, der
Halbinsel Araya und in der Vorstadt von Cumana, eine Mund-
art ist. In diesen Gegenden der Guayana und
vob Venezuela ist
das Caribische mit seinen Dialekten die erste grosse Sprache von
allgemeinster Verbreitung, das Arawaak die aweite und das War-
rau die dritte. Sie sind in ihrem grammatischen Bau alle wesent-
lich von einander verschieden und gehen niemals in einande»
über.
iÄ. de Humboldt, in 6, T, III, p. 344 ff.; Vater in 15, p.
674 ff.;
F. Depons, Voy. ä la partie Orient, de la Terre ferme,
T. I, p. 292 ff.; Hillhouse, a. a. 0.; Sir Eob. Schomburgk, De-
scription of British Guiana,
p. '49 ff. und dessen spätere Berichte
im
Joum. Roy. Geogr. Soc., Vol. XII, ff.; Eichard Schomburgk,
Reisen im British Guiana, I, p. 62, 120, 173, 194.) [Dieser Ei-
chard Sch. ist ein jüngerer Bruder von Sir Robert. Als letzterer
im Jahre 1840 nach langer Abwesenheit sein deütsches Vater-
land und seinen alten Vater, einen Landprediger bei Artern, in
Thüringen, wieder besuchte, ging Eichard mit nach der Guayana,
wozu ihm die Preüssische Regiemtig eine namhafte Unterstützung
bewilligte. Bis dahin war Eichard Sch. Gärtnergehülfe in den
Konighchen Garten von Sans-Souci gewesen und hatte vorher in
der Gartner-Lehranstalt etwas Botanik getrieben. Seit 1849 lebt
er mit einem dritten Bruder Otto in Süd-Australien, wo sich
beide Eüropamüden angesiedelt und ihre Wohnstätte „Buchsfelde"
genannt haben, in dankbarer Erinnemng an einen der grössten
jetzt lebenden Naturforscher, der ihnen zur Erleichterung ihrer
Ansiedlung em grossartiges Geldgeschenk auf die zartsinnigste
Weise behändigt hat.]

„^•^ (P· 61·) Diese Ausdehnung der antisanischen Völker-Gruppe
Uber den Amazonenstrom hinaus ist sehr zweifelhaft; denn die
Dialekte der Indianer-Horden am Huallaga haben, so weit die
Einführung des peruanischen Quichua noch nicht alles Anden-
ken verwischt hat, mit dem Guarani-Tupi so viele Verwandt-
schaft, dass sich die Cocamas, die Yurimaguas und andere Stämme
ohne Schwierigkeit mit den Tupis in Brasilien verständigen.
(Pöppig, Art. „Indier", in Ersch - Gruber's Encykl.
2te Sect.
XVII, p. 368.)

21 (p. 62.) Der Freiherr A. von Bülow, welcher die belgische


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Ethnographie. 67

Colonic in St. Thomas lange Zeit als Vorsteher geleitet hat
und zum öftern in Truxillo und Stancreek gewesen ist, versi-
chert mich, dass daselbst an eigentliche Cariben nicht zu den-
ken sei; Cariben sei in ganz Mittel-Amerika die Bezeichnung
der Bastard-Rasse, welche aus dem Geschlechtsverkehr von
Schwarzen und Kothhaüten entstanden sei: Carib ist also hier
synonym mit Chino (s. unten Note 25). (Vergl. G. Hassel, in
Ersch-Grubers Encykl. XV, p. 168; und Puydt's Bericht über
Guatemala, in Berghaus' Annalen der Erdkunde, 4»® Eeihe, II,
p. 506.)

22 (p. 62.) Die Völker des Erdballs nach ihrer Abstammung
und Verwandtschaft, und ihren Eigenthümlichkeiten in Eegie-
rungsform, Religion, Sitten und Tracht. Mit 150 Abbildungen.
Brüssel und Leipzig, 1845. I, p. 380_400.

23 (p. 52 u. 63.) In den Grasebenen von Varinas, wo eine ste-
hende Bevölkerung ohne Viehzucht und Ackerbau sich nicht erhal-
ten könnte, findet sich gleichwol, ausser zahlreichen Begräbnissstät-
ten, eine fünf Meilen lange Strasse auf Dämmen, die auch über
die höchsten Ueberschwemmungen hervorragt. Solcher Werke
sind aber die gegenwärtig zAvischen dem Apure und Meta woh-
nenden Indianer nicht fähig. Auch in den wildesten der Ur-
wälder am östlichen Euss der Andes ergeben sich Spuren, wenn-
gleich nicht allgemeiner Gesittung, doch gewiss einer Annäherung
an dieselbe in lang vergangenen Zeiten. Es haben die unterge-
gangenen Geschlechter versucht, durch kunstlose Sculpturen an
Felswänden die Kunde ihrer Zeit zu erhalten, ein Bestreben,
das den rothen Menschen, die jetzt in jenen Oeden herumirren,
ganz fern liegt; kaum haben sie den Körper eines Stammgenos-
sen in flacher Grube verscharrt, so ist auch sein Name dem
Gedächitiiss entschwunden. Die Gegenstände der Darstellung
sind wenige und solche, wie sie sich der Einbildungskraft unge-
bildeter Menschen, die in der Natur gross geworden, am ersten
aufdrängen, Mond, Sonne, Figuren von Menschen und Thieren,
Waffen und willkürlich hingeworfene, wol bedeütungslose Linien
aller Art. Indessen bleibt soviel gewiss, dass die gegemvärtigen
Indier unter keiner Bedingung ein so mühsames Werk unter-
nehmen würden, sei nun seine Bedeütung, Λvelche sie wolle, und
dass ihnen also thätigere und dem thierischen Streben nach dem
Zustande gedankenlosen faulen Hinbrütens minder ergebene Ge-
schlechter vorangegangen sein müssen. Das mit der Steigerung
der Civilisation zunehmende Bedürfniss der Aufzeichnung, wenn
auch Anfangs nicht von abstracten Gedanken, doch von That-
sachen, hat die Mexicaner nicht allein, sondern auch ihre uns
unbekannte Vorfahren, z. B. in Palenque, zeitig auf die Erfin-
dung einer Hieroglyphenschrift geführt, die mit grosser Gelaüfig-
keit angewendet wurde. (A. von Humboldt, in 6, deütsche Uebers.
HI, p. 268, 408, IV, p. 311, 516; und in 7, p. 57 ff,, p. 72 ff.
Martins, Reise in Brasilien, III, p. 1284. E. Pöppig, Art. „In-
dier" in Ersch-Gruber's Encykl. 2te Sect., XVH, p. 363, 364.)
Die aboriginalen Monumente in den westlichen der Vereinigten
Staaten bestehen meistentheils aus Erhöhungen und Umwallun-
gen von Erde und Stein, die mit grosser Mühseligkeit und au-
genscheinlich zu einem bestimmten Zwecke angelegt worden
sind. Und damit in Verbindung findet man verschiedene kleinere
Ueberbleibsel von Kunstgegenständen, Verzierungen und Geräth-
schaften mancher Art, von denen einige aus Metall, die meisten
aber aus Stein bestehen. Diese Denkmäler sind, wie aus der
Karte No. 17 hervorgeht, über einen grossen Landstrich von
Nordamerika verbreitet. Sie kommen so zahlreich vor, dass man
in der That staunen muss und sie sogar eine eigenthümliche
Hypothese hervorgerufen haben, derzufolge diese Hügel und
Wälle Naturbildungen sein sollen, die Ergebnisse diluvialer Thä-
tigkeit, welche hin und wieder von Menschenhand verändert,
niemals aber von ihr aufgeführt worden. Doch haben diese An-
sicht alle Diejenigen zurückgewiesen, welche Gelegenheit gehabt
haben, jene Ueberreste genau zu untersuchen.
(Caleb Atwater,
in Archaeologia Americana, or Trans, of the American Antiq. Soc.
of Worcester. Mass.
1820, Vol. L A. von Humboldt in 6, T. XI,
p. 28 ff.
E. G. Squier, Ohserv. on the ahoriginal Monuments of
the Mississippi Valley, in Trans. Am. Ethn. Soc.
Vol. II, New-
York, 1848, p. 131 ff.) Nach den Ueberlieferungen, welche Heck-
weider gesammelt hat, war das Land auf der Ostseite des Mis-
sissippi
{Nemaesi-Sipu, Eischfluss, woraus Maessip gemacht worden
ist) ehemals von einer mächtigen Nation bewohnt, die Talligewi,
Talligeu oder Allighewi hiess. Von ihr haben die Alleghanischen
(Allighewischen) Berge ihren Namen. Die Allighewis waren ci-
vilisirter als die Völker, welche die Eüropäer im 16ten Jahrhun-
dert in diesen nördlichen Klimaten vorfanden, Sie wohnten in
Städten und die Befestigungen, die man gegenwärtig im Missis-
sippi-Thal findet, wurden von ihnen errichtet, um sich gegen die
Lenni-Lenapes (Delawaren) zu vertheidigen, welche von Westen
her kamen, und die Allighewis nach langem Kampfe überwäl-
tigten. Die Besiegten zogen sich nach Süden zurück; was aber
aus ihnen geworden, ist nicht mehr bekannt
(Trans, of the Hi-
stor. Committee of the Amer. Phil.^ Soc.
Vol. I, p. 30. A. von Hum-
boldt, a. a. O. p. 44). Dass die vorindianisehe Bevölkerung in
Nordamerika sogar Bergbau getrieben hat, ist nach den Spuren
festgestellt worden, die man unlängst im Staate Michigan ge-
funden hat.
(Report on the Geohgy and Topography of α portion
of the Lake Superior Land.District, State of Michigan·,
daraus
deütsch von Arthur Schott, im „Ausland", 1851, No. 144, 145,
p. 57 3_579). Von grosser Wichtigkeit für die Ansichten über
eine vorindianische Bevölkerung Amerika's ist Samuel George
Morton's Werk
(Crania Americana; or α comparative View of the
Skulls of various aboriginal Nations of North and South America;
to vohich is prefixed an Essay on the Varieties of the Human Spe-
eles.
Philadelphia, 1839. 296 S. in Fol. mit 78 Platten und ei-
ner kolorirten Karte). Auf den Inhalt dieses schönen Werks
kann ich nicht ausführlich gehen, und muss mich auf die allge-
meine Bemerkung beschränken, dass der Verfasser die ameri=
kanische Menschheit, vom ethnologischen Standpunkte, in zwei
grosse Familien zerlegt: 1) Die Toltekische, zu der er die ci-
vilisirten Völker von Mexico, Neü-Granada und Peru zählt, die
sich vom Rio Gila, in 33° N. Breite, längs des Westrandes des
Kontinents bis zu den Gränzen von Chili erstreckt; und 2) die
Amerikanische Familie, welche alle uncivilisirten Nationen der
Neüen Welt, mit Ausnahme der Polar-Stämme oder mongoli-
schen Amerikaner (Eskimos) enthält, und die in vier Zweige
zerlegt wird: der Apalachische, mit allen Nationen Nordameri-
ka's, ausser den Mexicanern, und mit den Stämmen nördlich
vom Amazonenstrom und östlich von den Andesketten; der bra-
silische Zweig, der über einen grossen Theil von Südamerika,
Östlich von den Andes zwischen dem Amazonen- und dem Piata-
strom verbreitet ist; der Patagonische Zweig umfasst die Na-
tionen vom Piatastrom bis zur Magalhaens - Strasse tind die
Bergvölker von Chili; endlich der Feüerländische Zweig
(Fuegian
branch)
bewohnt die Insel des Feüerlandes (Tierra del Fuego),
deren Nationalname Yacannacunee ist.

24 (p. 63.) In den romano - amerikanischen Ländern unter-
scheidet man die Weissen nach ihrer Geburt in der Alten und
in der Neüen Welt. Die ersteren führen den Namen
Chapetones,
Chapitons
oder Gachupines, die andern heissen Criollos, CrMes.
Unter der spanischen und portugiesischen Herrschaft bildeten
die
Chapitons die herrschende Klasse. Seitdem aber die Kolonien
das Joch des Mutterlandes abgeschüttelt haben, hat der Zufluss
von Eüropagebornen aufgehört, und damit der Unterschied der
beiden Klassen; und seit der Zeit legen die Creolen in Brasilien
den Chapetons den Spottnamen Ρώ
de Chumho, d. h: Bleifüsse,
bei. Im spanischen Amerika heissen die Abkömmlinge der Ein-
wanderer von den Canarischen Inseln
Jslenos (Insulaner). Jetzt
legen sich die Weissen in den vormals spanischen Colonien den
Namen
Americanos bei.

25 (p. 63.) Der Sohn eines Weissen, sei er Creole oder Eü-
ropäer, und einer kupferfarbigen Indianerin heisst Metis oder
Mestizo. Seine Farbe ist fast vollkommen weiss und seine Haut
von eigenthümlicher Durchsichtigkeit. Der schwache Bart, die
kleinen Hände und Füsse und die Augen mit ihrer schiefen
Stellung kündigen mehr, als die Beschaffenheit des Haars, die
Mischung mit indischem Blute an. Heirathet eine Metissin einen
Weissen, so unterscheidet sich die zweite Generation fast gar
nicht von der eüropäischen Rasse. Die Mestizen haben einen
weit sanftem Charakter als die Mulatos oder Mulatten, die Söhne
von Weissen und Negerinnen, die sich durch die Heftigkeit ihrer
Leidenschaften und eine wunderbare Beweglichkeit der Zunge
kenntlich machen. Die Nachkommen von Negern und India-
nerinnen führen in Mexico und Peru und sogar in der Havana
den bizarren Namen
Chino, Chinese! In Venezuela heissen sie
Zambos. Doch beschränkt man letztere Benennung meistentheils
auf die Nachkommen eines Negers und einer Mulattin, oder
eines Negers und einer China; und unterscheidet von diesen ge-
wöhnlichen Zambos, die
Zambos prietos, welche aus dem Ver-
kehr eines Negers mit einer Zamba entstehen. Aus der Mi-
schung eines Weissen mit einer Mulattin entspringt die Kaste
der Quarterons; und heirathet eine Quarteronin einen Weissen,
so heisst der Sohn Quinteron. Bei einer neüen Verbindung mit
der weissen Rasse verschwindet der Ueberrest der Farbe so
sehr, dass das Kind eines Weissen und einer Quinteronin eben
so weiss ist, als sein Vater. In Spanien macht eine jede Familie
gleichsam auf Adel Anspruch, wenn in den Adern ihrer Glieder
kein semitisches Blut, von Juden oder Mauren, rinnt. Im roma-
nischen Amerika entscheidet die grössere oder geringere Weisse
der Haut über die Stellung, welche man in der Gesellschaft
einnimmt. Ein Weisser, der baarfuss zu Pferde sitzt, denkt sich
zum Adel des Landes zu gehören. Streitet sich ein Weisser der
niedern Stände mit Jemanden aus den höheren Ständen, so
hört man ihn oft sagen: „Wär's möglich, dass Ihr glauben
könnt, weisser zu sein, als ich?" Dieses Wort bezeichnet sehr
gut den Zustand und den Ursprung der heütigen Aristokraten
im spanischen Amerika.
(A, de Humboldt, in 5, T. 1, p. 452_
454.)

26 (p. 63,) In diesen Vorbemerkungen hab' ich nirgends die
Zahl der Zungen angedeütet, die den verschiedenen Sprach-
stämmen und ihren einzelnen Zweigen angehören, weil es aus-
führliche Untersuchungen voraussetzt, die sehr zeitraubend und
dennoch in den meisten Fällen, wegen Mangels aller Unterlagen,
ganz unfruchtbar sein würden. Doch kann ich nicht umhin, die
Resultate hier einzuschalten, welche A. v. Humboldt für Amerika
nach dem Zustande von 1823 gefunden hat!

1. Englische Sprache.

Vereinigte Staaten......................10,525,000

Ober-Canada, Neu - Schottland, Neü-Braun-
schweig n. s. ......... · 260,000

Englische Antillen und die Guayana .... 862,ΟΟ0ί

3,276,000
1,000,000
6,104,000
124,000

11,647,000

2. Spanische Sprache.
Spanisches Amerika, und zwar:

Weisse........

Indianer........

Gemischte Rassen und Neger
Spanischer Antheil von Haiti .

10,504,000

3. Indianische Sprachen.
Spanisches und Portugiesisches Amerika, mit
Einschluss der unabhängigen Volks-
stämme ........ . . ,

7,593,000

4, Fortugiesische Sprache.
Brasilien............... 3,740,000


16 *

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68 Achte Abtlieilung. „ Ethnographie.

5. Französische Sprache.

Haiti.............· . · 696,000

Französische Antillen, Louisiana, Französ. Guayana 256,000

Unter-Canada .............290,000

1,242 000

6. Holländische, Dänische, Schwe-
dische und Russische Sprache.

Antillen...................84,000

Guayana............... 117,000

Hussen an der Nordwestküste....... 15,000

216,000

Wiederholung.

Englisch............... 11,647,000

Spanisch ............... 10,504,000

Indianisch.............. 7,593,000

Portugiesisch............. 3,740,000

Französisch.............. 1,242,000

Holländisch, Dänisch, Schwedisch und Eussisch . 216,000

34,942,000

Sprachen des lateinischen Stammes 15,486,000 1 37349000
Sprachen des germanischen Stammes 11,863,000 / ' '
Indianische Sprachen der Urbewohner .... 7,593,000
iA. de Humboldt, in 5, T. I, p. 324 und in 6, T. XI, p. 171,
272.)

27 (p. 64.) Die erste regelmässige und in ihren Ergebnissen
sichere Volkszählung, so weit Sicherheit bei einem so veränder-
lichen Element als die Bevölkerung eines grossen Landes ist,
ermöglicht werden kann, ist in den Vereinigten Staaten im Jahre
1790 ausgeführt, und seitdem alle zehn Jahre wiederholt wor-
den. Diese periodischen Zählungen haben folgendes Eesultate
gegeben:

Jahr. Weisse. Freie Farbige. Sklaven. Ueberhaupt.
1790. 3,172,120 59,511 697,697 3,929,328

1800. 4,303,133 109,294 893,605 5,306,032

1810. 5,862,090 186,443 1,191,367 7,239,903
1820. 7,862,282 238,149 1,537,568 9,637,999
1830. 10,537,378 31.9,599 2,900,043 12,866,020
1840. 14,189,705 386,293 2,487,355 17,069,453
1850. 19,668,736 419,173 3,179,589 23,267,498.
In der Hauptsumme des Jahres 1830 sind 11,130, und in der
des Jahres 1840 sind 6,100 Seeleüte im Dienste der Union mit-
enthalten und den freien Farbigen sind die Kupferfarbigen zu-
gezählt, deren es in den Vereinigten Staaten nur noch Wenige
giebt. Auf der Karte No. 3 ist die Vertheilung der Deutschen
in den Vereinigten Staaten nach der Zählung von 1840 angegeben.

28 (p. 64.) Des Kauderwälschen oder der Handelssprache an
der Nordwestküste und im Oregon-Gebiet hab' ich in diesen
Vorbemerkungen schon bei einer andern Gelegenheit Erwähnung
gethan (3te Abtheilung, Geologie; p. 24, Spalte 1). Dieses Kau-
derwälsch verdankt seinen Ursprung wahrscheinlich folgenden

Umständen. Als die englischen und amerikanischen Handels-
schiffe vor etwa sechszig Jahren zum ersten Male an jener Küste
erschienen, fanden sie daselbst viele Volkgstämme mit verschie-
denen Sprachen. Unglücklicher Weise waren alle diese Sprachen
_ das Nutka, Nasquale, Tshinuk, Tsihailisch, u. s. w. _ aus-
serordentlich rauh und sehr schwer auszusprechen, verwickelt
in ihrem Bau und zudem auf einen sehr kleinen Raum be-
schränkt. Die Fremdlinge gaben sich daher gar keine Mühe, sie
zu lernen. Da indessen der Hafen von Nutka damals der Haupt-
handelsplatz war, so machte es sich von selbst, dass einige
Wörter der daselbst herrschenden Sprache den indogermanischen
Handelsleüten bekannt und gelaüfig, und anderer Seits die In-
dianer mit ein Paar englischer Wörter vertraut Avurden. Dies,
in Verbindung mit einer Zeichensprache, genügte für den Ver-
kehr, der dazumal nur geringe Ausdehnung hatte. Als sich aber
späterhin die Weissen am Oregon niederliessen, fand es sich
bald, dass die dürftige Liste von Nenn-, Zeit- und Eigenschafts-
wörtern, die im Gebrauche waren, keineswegs dem Bedürfniss
eines beständigen und allgemeinen Verkehrs, der nun begann,
entspreche. Eine wirkliche Sprache, vollständig in all' ihren
Theilen, wiewol beschränkt an raümlicher Ausdehnung, war
nothwendig. Man verfiel auf die Tsinuk-Sprache, als diejenige,
welche die erforderlichen Wörter zum Ausbau des schon vor-
handenen Skeletts geben könne, gleichsam die Nerven, Sehnen
und Flechsen einer Sprache. Diese bestanden aus den Zahlwör-
tern (die zehn Finger und das Wort für
hundred), zwölf Für-
wörtern (7,
tJiou, he, we ye, they, this, other, all, both, who, what),
und ungefähr zwanzig Adverbien "und Präpositionen (z. B.: now,
ihen, formerly, soon, across, ashore, off-shore, inland, ahove, hehw,
to,
u. s. w.). Nachdem man sich diese und noch einige andere
Wörter derselben Sprache angeeignet hatte, nahm das Kauder-
wälsch eine regelmässige Gestalt an und wurde als Verkehrs-
mittel von so grossem Nutzen, dass keiner der Fremden daran
dächte, das eigentliche Tsinuk, behufs der Dollmetschung, zu er-
lernen. Die neüe Sprache empfing Zuwachs auch aus anderen
Quellen. Die Canadischen
Voyageurs kamen mit den Indianern
in nahe Berührung, und so traten mehrere Wörter der franzö-
sischen, und nachmals der englischen Sprache dem dünnen
Stamme des Jargon hinzu. Zwölf Wörter entstanden onomato-
pöisch, d. h.: durch Nachbildung des Lauts, und sind daher das
einzige und ursprüngliche Eigenthum des Kauderwälsch. Das
Wort
tum, mit grosser Gewalt ausgesprochen, ahmen die India-
ner dem Getöse eines Wasserfalls nach, setzen aber gewöhnlich
das englische Wort
water hinzu, und bilden so tum-wata, den
Namen, den sie den Wasserfällen eines Flusses beilegen. Alle
Wörter, die so zusammen gebracht und zu dieser sonderbar
construirten Sprache mit einander verbunden sind, belaufen sich
auf ungefähr 250: davon sind 110, mit Einschluss der Zahlwör-
ter, der Tsinuk-Sprache, 17 dem Nutka, 38 vom einen oder
andern, doch zweifelhaft, welchem von beiden Idiomen, 33 dem
französischen und 41 dem Englischen entlehnt. (Horatio Haie
in 16 und in 2, p. 62—70.)


ZUSATZ-BEMERKUNGfiN.

1. Der aufmerksame Betrachter der ethnographischen Karten wird wahrnehmen, dass in denjenigen Gegenden, welche
auf zwei oder auch mehr Karten wiederholt vorkommen, kleine Verschiedenheiten in den Gränzen der Völkergebiete ob-
walten, was namentlich bei den eüropäischen Blättern, und vorzugsweise bei der Generalkarte No. 4, der Fall ist, wo
u. a. die Gruppen der Kelten-Ueberreste eine grössere Ausdehnung haben, als auf den Specialblättern No. 5 und 12,
und die südliche Gränze der Samojeden am Unterlauf des Obi-Stroms anders gestaltet ist, als auf den Karten No. 1
und 13. Vorkommnisse dieser Art sind nicht unabsichtlich geschehen, und von dem Gesichtspunkte zu beurtheilen,
theils eine vergleichende Uebersicht zu gewinnen von den Ergebnissen älterer und netierer Forschungen, theils aber
auch von wirklichen Veränderungen Kunde zu geben, die seit der ursprünglichen Bearbeitung der Karten in den Völ-
kergränzen sich ereignet haben. So bezieht sich die Generalkarte No. 4 ausschliesslich auf den Zustand vom Jahre

1846; dagegen die folgende Specialkarte in den vier Blättern No. 5_8 der Ethnographie von Europa, auf den Zustand

vom Jahre 1851.

2. Unter dem so zahlreich, doch nichts weniger, als erschöpfend nachgewiesenen literarischen Apparat hab' ich ein
allgemeines Werk nicht aufgeführt, weil es keine, oder doch nur sehr wenige und fragmentarische Nachrichten über

Volksgebiets-Gränzen enthält; hier aber ist der Ort, es namhaft zu machen; es ist:_Johann Severin Vaters Littera-

tur der Grammatiken, Lexica und Wörtersammlungen aller Sprachen der Erde. Zweite, völlig umgearbeitete Ausgabe

von B. Jülg. Berlin, 1847. 1 Bd. von XII und 592 S. in 8--Unter den Auspicien weiland Wilhelm's von Humboldt

von Müller begonnen, ist die Bearbeitung dieser zweiten Ausgabe von Dr. B. Jülg, einem jungen Gelehrten^ aus dem
Schwarzwalde, vollendet worden, als er gegen das Jahr 1845 nach Berlin kam, um seine linguistischen Studien mit
Hülfe der in der Königlichen Bibliothek aufgehaüften literarischen Schätze fortzusetzen. Gegenwärtig lebt dieses „au-
todidaktische Sprach-Genie", dem damals schon zwanzig verschiedene Sprachen ganz gelaüfig waren, als Professor in
Kasan.

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GOTHA. _ STOLLBERGSCHE BUCHDRUCKEREI.