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Der Verlust
des juristisehen Besitzes
an den Detentor.
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Inaugural - Abhandlung
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zur
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Erlangung der juristisehen Doktorwiirde
bei der hohen Juristisehen Pakultat
der Koniglich Bayerischen Universitat
Erlangen.
Eingereicht
von
Ernst Gumpert
Referenda!-.
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Berlin 1896.
Berliner Buchdruckerei-Aktien-Gesellschaft.
SW., Anhaltstr. H.
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in
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Inhaltsubersieht.
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Einleitung: Die Verschiedenheit der Regeln vom Besitz-
verlust, je nachdem es sich um unmittelbaron oder mittelbaren Besitz handelt...........§ I Abhandlnng:
I. Der freiwillige Besitzverlust.........§ 2
a. traditio brevi manu............§ 3
b. Bedingte Ubergabe............§ 6
II. Der unfreiwillige Besitzverlust........§ 9
a. Bei Immobilien:
1. Uber den Satz des romischen Rechts, dass der
Besitz an Grundstiicken nicht eher verloren geht, als bis der Besitzer von der VerdrSngung erfahrt und eine Reaktion gegen dieselbe entweder uDter- lSsst oder bei dem Versuch einer solchen scheitert § 10
2. Uber den Satz: ,nemo sibi causam possessionis
mutare potest."............§ 21 b Bei Mobilien:
1st Contrektation nbtig? Was ist dieselbe? ... § 30
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§ 1.
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Nach der herrschenden, von Savigny in seinem Buch
„Das Recht des Besitzes"1) begriindeten Lehre versteht man unter juristischem Besitz oder „Besitz" schlechthin „dic thatsachliche Herrschaft iiber eine Sache mit dem Willen, dieselbe fur sich zu besitzen", wahrend man als Detention, Representation oder Besitzvertretung „die thatsachliche Herr- schaft iiber eine Sache mit dem Willen, dieselbe fur einen andern zu besitzen", bezeichnet. Wie sich aus dieser Begriffs- bestimmung ergiebt, ist den beiden Arten der Inhabung im weiteren Shine3) also ein Moment, das thatsachliche Verhaltnis zur Sache, das sog. corpus, gemeinsam und eine Ver- schiedenheit nur in Bezug auf die Richtung des Willens vor- handen. Ist derselbe darauf gerichtet, die Sache fur sich (animus rem sibi habendi) oder wie ein Eigentiimer (animus domini) zu besitzen, so liegt Besitz vor; geht derselbe dahin, dieselbe fiir einen andern zu besitzen, so spricht man von Detention. Nach den allgemeinen Regeln iiber den Erwerb bezw. Verlust des Besitzes sollte man nun annehmen, dass in dem Moment, in welchem der Detentor die Richtung seines Willens andert und den Entschluss fasst, die bis dahin detinierte Sache fiir sich zu besitzen — sie, nach der Aus- drucksweise der Quellen, statt „apud se" nunmehr „penes l) Friedrich Carl von Savigny, „Das Recht des Besitzes" 1803. Im
folgenden ist die siebente, von Rudorff mit Anmerkungen versehene Auf- lage benutzt. J) Jhering, Besitzwille S. 1.
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se" zu haben3) — audi der juristische Besitz auf ihn iiber-
gehen miisste, da er dann die Erfordernisse desselben, corpus und animus, in seiner Person vereint. Dass dem nicht stets so ist, dass sich vielmehr zunachst erbeblicher Unterschicd zwischen den Voraussetzungen des Besitziibergangs kon- statieren lasst, je nachdem es sich um unmittelbaren oder mittelbaren, durch einen Vertreter ausgetibten, Besitz handelt, deutet schon Papinian in der L 44 § 2 D. de poss. 41. 2 mit den Worten an: „cum de amittenda possessione quaeratur, multum
inter esse dicam, per nosmet ipsos, an per alios possi- deremus." Aber fernerhin diflerieren noch in der Sphare des mittel-
baren Besitzes die Voraussetzungen des Verlustes, indem es einen bedeutenden Unterscbied macht, ob der neue Erwerber ein dritter ist oder der Detentor selbst. Zweck der vorliegenden Arbeit ist es, die Voraussetzungen
des Besitzverlustes an den Detentor zu entwickeln. § 2.
Wenn wir von „Besitzverlust an den Detentor" sprechen, so begreifen wir unter diesem Ausdruck zwei Akte, namlich erstens den Verlust des Besitzes seitens des Vertretenen und zweitens den Erwerb des Besitzes seitens des Vertreters. Das Nachstliegendste und Naturgemasseste ist es nun, dass diese beiden Akte sich mit Wissen und Willen der beiden Parteien, des dominus4) und des Bepriisentanten, vollziehen. Dieser, wie wir ihn nennen wollen, „freiwillige Besitzverlust" kann in zwei Formen erfolgen, als „traditio brevi manu" und als „bedingte Ubergabe". ') L 63 de V. S. 50. 16: „penes te amplius est, quam apud te; nam
apud te est, quod qualiter qualiter a te teneatur, penes te est, quod quo- dammodo possidetur." ') Dominus im niehttechnischen Sinn, in der Bedeutung „Principal"
L 1 D. de proc. 3,3. |
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§3-
Unter „traditio brevi manu"5) pflegt man zwei ver-
schiedene Dinge zu verstehen, namlich einmal die Uber- tragung des Eigentums an den Besitzer und zweitens die ttbertragung des Besitzes an den Detentor. Nur die letztere Bedeutung des Ausdrueks ist hier fiir uns von Interesse. Traditio brevi manu in diesein Sinn liegt also vor, wenn
der bisherige Reprasentant mit dem Widen des bisherigen dominus den juristischen Besitz der Sache erlangt. Dieser Besitzerwerb wird in der Kegel durch ein Rechtsgeschaft, welches der Reprasentant mit dem dominus abschliesst, ver- mittelt, z B. durch den Kauf einer kommodierten, deponierten oder gemieteten Sache. So heisst es in der L 9 § 5 D. de acqu. rer. dom. 41. 1: „Interdum etiam traditione6) nuda voluntas domini
sufficit ad rem transferendam, veluti si rem, quam commodavi aut locavi tibi aut apud te deposui, vendi- dere tibi. Ahnlich L 62 D. de evict. 21, 2: „si rem, quae apud te esset, vendidissem tibi, quia
pro tradita habetur, evictionis nomine me obligari placet.') Allerdings handeln diese Stellen ex professo von dem 6) Savigny S. 243 — 245; Baron, zur Lehre vom Erwerb und
Verlust des Besitzes in Jherings Jahrb. Bd. VII S. 154; Pininski, Thatbestand des Sachbesitzerwerbs Bd. II S. 100 ff.; Schirmer, Uber den Verlust des Besitzes deponierter und vom Depositar veruntreuter Sachen, S. 429 ff.; Windscheid S. 443. Anm. 2; Dernburg S. 429. 6) D. h. ohne kbrperliche Ubergabe.
') Wie aus der L 62 cit. erhellt, geniigt es also, dass die Sache
sich aus irgend einem Grunde in der Detention des Erwerbers befindet. Es ist nicht etwa aus der L 9 § cit. zu schliessen, dass'der Grund der Detention ein Rechtsgeschaft sein musse, denn die dort angefuhrten RechtsgeschSfte: Commodat u. s. w. sollen lediglich als Beispiele irgend einer Detention dienen. Vgi. Erk. des ob. Gerichtshofs f. Bayern vom 7. Nov. 1877, Seuff. Arch. XXXIV 276. |
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Ubergang des Eigentums, aber da dieser sich auf der Grund-
lage des Besitzes vollziehen kann, so sind sie auch fur den Besitziibergang beweisend. §4.
Wenn in der L 9 § 5 cit der Wille des bisherigen
Besitzers so bedeutend betont wird — nuda voluntas sufficit — so ist dies nicht dahin zu verstehen, als ob die Zu- stimmung des Vertretenen eine Bedingung fiir die Existenz des neuen Besitzes ware. Wir miissen narnlich liierbei unter- scheiden zwischen der AufJosung des alten und der Be- grfindung des neuen Besitzes. Fiir jene allerdings ist der Wille des dominus essentiell, fur diese kommt jedoch einzig und allein der Wille des Eeprilsentanten in Betracht, weil, wie Savigny8) sagt, „in dem Augenblicke des Erwerbs, ausser dieser Bcstimmung des Willens, durchaus nicbts Neues zu geschehen braucht". Und ahnlieh meint Schirmer,9) dass der Wille des bisherigen Besitzers zwar auf die Qualitat des neuen Besitzes Einfluss haben, nicht aber dessen Existenz bedingen konne. Insofern wird also hier durch den bios sen Will en — solo animo — des Eeprilsentanten Besitz er- worben. Dies ergiebt sich auch klar aus L 9 § 9 D. de reb. cred 12. 1: „Deposui apud te decern, postea permisi tibi uti: Nerva,
Proculus, etiam antequam moveantur, condicere quasi mutua tibi haec posse aiunt, et est verum, ut et Marcello videtur: animo cnim coepit possidere. §5-
Dass der Wille des dominus wie des Reprasontanten,
um rechtlich relevant zu sein, cinen konkludenten Ausdruck |
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8) A. a. 0. S. 243.
») A. a. 0. S. 429. |
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gefunden haben muss, folgt schon aus den allgemeinen Rechts-
regeln, z. B. aus L 53 de V. S. 50, 16: „nec consilium habuisse noceat, nisi et factum secutum
fuerit"
und wird wohl als selbstverstandlich von Savigny nicht weiter betont. Der ubliche Ausdruck dieses Willens wird eine Traditionserklarung seitens des dominus und eine Annahme- erklarung seitens des Keprasentanten sein. Jedoch ist hier- fiir durchaus keine Form vorgeschrieben, insbesondere geniigt jede ..Manifestation des Besitzwillens" seitens des Reprli- sentanten.10) Allerdings scheint dem L 10 D. de reb. cred. 12, 1 zu "widersprechen: „quod si ab initio, cum deponerem, uti tibi, si voles,
permisero, creditam non esse, antequam mota sit.,"
indem hier das bcstimmte Erfordernis einer Lokomotion auf- gestellt wird. Aber abgesehen davon, dass es sich hier um die Prage handelt, wann ein Depositum sich in ein Darlehn verwandelt, — was, wie Baron11) betont, der Frage des Besitzubergangs durchaus noch nicht kongruent zu sein braucht — so lasst sich die Abweichung ganz einfach da- durch erklaren, dass das uti des Geldes die Bedingung ist, ohne welche von einem Darlehen gar nicht die Rede sein soil.13) Dieses uti kann naturlich nur in einer Lokomotion seinen Ausdruck finden. § 6-
In ganz almlicher Weise, wie bei der traditio brevi maim
vollzieht sich der freiwillige Verlust des Besitzes an den Reprasentanten bei der „bedingten tJbergabe".13) Unter 10) Ebenso Pininski a a. 0. Bd. II S. 108.
") A. a. 0. S. 155. 12j Ebenso Savigny S. 244 Anm. 4; Baron a. a. 0. S. 154.
,s) Scheurl, zur Lehre vom romischen Besitzrecht S. 98. 99; Pininski II 113; Savigny S. 245. |
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dieser Bezeichnung pflegt man wieder ein Doppeltes zu ver-
stehen, erstens die bedingte Ubertragung des Eigentums, bier
wieder fiir uns nicht von Interesse, und zweitens die bedingte
t)bertragung des juristischen Besitzes. Von dieser handelt
L 38 § 1 de poss. 41. 2: „hoc amplius existimandum est,
possessiones sub condicione tradi posse, sicut res sub
condicione traduntur, neque aliter aceipientis fiunt, quam
condicio exstiterit."
Bei der bedingten tlbertragung des Besitzes bleibt also,
wie sich aus dieser Stelle ergiebt, der Tradent solange juristischer Besitzer, der Empfanger solange Detentor, als die Bedingung schwebt; erst mit ihrem Eintritt geht der juristische Besitz an den Vertreter iiber. Eine solche be- dingte Besitziibertragung lage z. B. dann vor, wenn bei einem Depositum die Beteiligten vereinbaren, dass mit Eintritt einer Bedingung die deponierte Sache dem Depositar als Faust- pfand fiir eine Forderung haften solle.14) § 7.
Auch bei dieser Art des freiwilligen Besitzverlustes wird
der frtibere Besitz durch den Widen des Vertretenen verloren und der neue Besitz durch den blossen Willen des Vertreters erworben, wieder natiirlich unter der Voraussetzung, dass der beiderseitige Wide in gehoriger Weise zum Ausdruck konimt. Nur ein Umstand ist hierbei zu beachten: die zwiefache WiUenserklarung erfolgt hier nicht erst im Moment des Besitz- iibergangs, sondern wird bereits im voraus erteilt. Tradent wie Empfanger erklaren bereits im voraus, mit Eintritt der Bedingung Besitz tibertragen bezw. empfangen zu wollen.15) Inlblgedessen vollzieht sich der Besitziibergang mit Eintritt der Bedingung, ohne dass eine nochmalige WiUenserklarung notwendig ware. ") Scheurl S. 98.
le) Pininski II S. 114. |
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§8-
Verschiedene neuere Schriftsteller, so namentlich Strohal
in seiner Schrift „Succession in den Besitz" (Graz 1885) nehmen, wie uberhaupt, so in den bchandelten Fallen eine Succession in den Besitz, d. h. einen derivativen Besitzerwerb an. Es wiirde bei unserer Abhandlung, welche nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Besitzlehre behandelt, zu weit flihren, wenn wir uns eingehend liber die Moglichkeit einer Succession in den Besitz und damit iiber die Grundlagen der Besitztheorie iiberhaupt verbreiten wollten; es kann uns nur daran liegen, zu zeigen, dass die behandelten Falle, ohne dass man einen derivativen Besitzerwerb annimmt, sich in das Gebaude der Savignyschen Theorie, auf welche wir uns in der Einleitung gestellt liaben, einpassen Der Besitz ist nach Savigny ein thatsachlicher Zustand,
der in jedem Fall ftlr den Erwerber nur durch eine „korper- liche Handlung" existent werden kann. Unter korperlicher Handlung ist nun aber nicht etwa Beriihrung — wie dies die vorsavignysche Theorie manibus bei beweglichen und pedibus bei unbewegliclien Sachen erforderte — zu begreifen, es genugt vielmehr, dass der Erwerber sich zu der Sache in eine Situation bringt, die die „gegenwartige Moglichkeit der ausschliesslichen Einwirkung" garantiert. In den behandelten Fallen ist diese Moglichkeit nun laugst vorhanden, insofern ist allerdings hier der Erwerber in der glucklichen Lage, keine weiteren korperlichen Akte unternehmen zu mlissen. Deshalb braucht man aber noch keine Succession in den Besitz anzunehmen, denn der Besitzerwerb ist in diesen Fallen nicht eine Folge des Einriickens in die Eechtsstellung des Vorbesitzers, sondern er erfolgt, weil der Erwerber die Vor- aussetzungen und Grundlagen des Besitzes, corpus und animus — ersteres schon laugst, letzteren im Moment des Erwerbs
— in seiner Person verwirklicht.
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§ 9.
Die Einfachheit unci Durchsichtigkeit der juristischen Handlung, welche den Formen des ,,freiwilligenBesitzverlustes" eigen ist, findet sich nieht in so hohem Masse bei dem „un- freiwilligen Besitzverlust" wieder, namlich dann, wenn der Besitziibergang auf den Reprasentanten sich ohne Wissen und Widen des Vertretenen vollzieht. Hier waren namlich Erwagungen juristischer und wirtschaftlicher Natur in der Richtung thatig, den Verlust an den Vertreter moglichst zu erschweren. Aus diesem Grunde erkliirt sich auch die Trennung der Regeln iiber den Besitzverlust, welche hier ein- tritt, indem Inimobilien cine andere Behandlung erfahren als Mobilien. § 10.
Bekanntlich gilt nach romischer Auffassung der Satz,16)
dass der Besitz eines Immobile durch Okkupation17) seitens eines dritten nicht eher veiioren wird, als bis der Besitzer von der Verdrangung erfabrt und eine Reaktion gegen die- selbe entweder unterlasst oder bei dem Versuch einer solchen scheitert. Zweierlei widerspricht hier „auf das schneidendste", wie
Witte18) sagt, den Konsequenzen der Besitzlehre: einmal, dass •6) Savigny a. a 0 S. 348 ff.; Windscheid S. 457 Anm. 8; Baron
a. a. 0. S. 140 ff.; Pininski a. a. 0. Bd. IS. 195 ff.; S cheurl a. a. 0. S. 144: Kierulff, Civilrecht S 394, Note; Bbcking, Pandekten § 125 Note 5; Witte, „ubcr Schutz darch Interdikte' in Lindes Zeitschrift N. F. XVIII S. 249 ff.; Strohal, Succession in den Besitz S. 115 ff.; Meischeider, Besitz und Besitzessctiutz S. 323 ff.; Baron, Gesamtrechts- verlialtnisse S. 90 ff ; Randa, Besitz S. 456. 17) .Okkupation" nicht in dem technisclien Sinne der Eigentumsan-
eignung herrenloser Sachen, sondern in dem der Besitzaneignung fremder L 3 § 8 D. de poss. 41. 2, L 1 § 2 quod legat 43. 3. Vgl. Jhering, Scherz und Ernst S. 138 Anm. 1. ") A a 0. S. 249.
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der fruhere Besitzer den Bcsitz retinieren soil und zwar, da
das corpus sich — anscheinend — in contrarium verwandelt hat, solo animo; zweitens, dass der Okkupant nicht den juristischen Besitz erwerben soil, obwohl die Requisite des- selben in seiner Person vorhanden sind. Es wtirde iiber den Rahmen unserer Abhandlung hinausgehen, wollten wir uns eingehender mit diesem Satz und damit mit den Voraus- setzungen des Besitzverlustes von Immobilien tiberhaupt be- fassen, jedoch konnen wir nicht umhin, wenigstens die Haupt- punkte hervorzulieben, da, wie wir spater sehen werden, die „Voraussetzungen des Besitzverlustes von Immobilien an den Vertreter", denen des Besitzverlustes durch Okkupation iiber- haupt, vollig analog sind. § 11.
Wenn wir das Wesen unseres Satzes begreifen wollen,
somiissen wir uns vor all em die historischeEntwicklung19) desselben klar machen. Solango die Romer ein Volk von Kleinbauern waren, solange, wie der Dichter20) sagt, ein jeder „nach Sitte der Altvorderen die vaterliche Scholle selbst bestellte", wird das Bedurfnis nach einem solchen Satz ein geringes gewesen sein, weil es eben zu den Ausnahmen ge- horte, dass der Herr auf liingere Zeit sein Grundstiick ver- liess. Je mehr es aber mit dem Umschwung der politischen und socialen Verhaltnisse Sitte wurde, in Rom zu leben und die Bebauung der Felder Sklaven zu uberlassen, um so ge- bieterischer musste sich das Verlangen nach einer Verschar- fung des bestehenden Besitzesschutzes erheben, ins- besondere nachdem dasinterdictumdeclandestinapossessione,21) |
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,s) Savigny a. a. 0. S. 350 ff.
*°) Hor. Ep. II „ut prisca gens mortalium Paterna rura bobus
exercet suis". 21) Savigny S. 457.
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das — wenigstens nach Savigny — noch in der alteren Zeit
gegen heimliche Okkupation Hilfe gewahrt hatte, in desuetu- dinem gekommen war. § 12.
Nur z5gernd entschloss sich die Wissenschaft, die Bechts-
konsequenz dem praktischen Bedtirfnis zu opfern. Denn noch Labeo nimmt, wie aus der Berichtigung, welche ihm Ulpian in L 6 § 1 de poss. 41. 222) zu teil werden lasst, hervorgeht, an, dass der Okkupant sich einer clandestina possessio erfreue, die im allgemeinen alle Eechte des Besitzes geniesst.23) Die spateren Juristen Celsus und Pomponius kennen zwar die Ausnahme schon, fiihren sie aber nicht niit voller Konsequenz durch. So geht nach Celsus L 18 § 3. 4 de poss. 41. 2 der Besitz an Grundstiicken ohne Kenntnis des dominus nur dann nicht verloren, wenn es wahrscheinlich ist, dass dieser seine Verfugungsgewalt wieder gewinnt. Ist dies aber nicht anzunehmen, z. B. „si cum magna vi exercitus ingressus sit", so geht der Besitz verloren, — auch ohne dass der Besitzer von der Verdrangung erfahrt. In wie hohem Masse verschieden in jener Zeit noch die Ansichten der Juristen iiber den Satz waren, erkennt man aus dem Eeferat des Pomponius in der L25 § 2 de poss. 41. 2. Erst Paulus und Papinian wissen von derartigen Be-
schriinkungen und Unsicherheiten nichts mehr, nach ihnen ist es unbestrittene Regel, dass der Besitz an Grund- stiicken solange solo animo aufrecht erhalten bleibt, als der Besitzer von der Verdrangung nichts weiss. So Papinian: L 46 de poss. 41. 2: „Quamvis saltus proposito possidendi fuerit alius ingressus, tamdiu priorem possidere dictum est, quamdiu possessionem ab alio occupatam ignoraret." ") Von dieser Lex wird weiter unten eingehender die Rede sein.
"J Vgl. L 3 § 5 L 53 de poss. 41. 2. |
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Und Paulus L 3 § 7. 8 de poss. 41. 2: „Si animo solo
possideas, licet alius in fundo sit, adhuc tamen possi- des. Si quis nuntiet, domum a latronibus occupatam et dominus timore conterritus, noluerit accedere, amisisse eum possessionem placet."2*) Eine inn ere Begrtindung des Satzes aus juristischen
Motiven oder aus der Natur der Sache haben die romischen Juristen offenbar noch nicht versuclit. Man miisste denn aus L 47 D. ht,25) in welcher als Grund des sofortigen Besitz- verlustes von Mobilien ohne Kenntnis des Besitzers die „neglecta atque omissa custodia" bezeichnet wird, a contrario den Schluss Ziehen, dass der Immobiliarbesitz durch Negligenz nicht untergehen k5nne.26) Gegen diese Auffassung spricht aber L 37 § 1 de usurp. 41. 3, auf welche wir spater zuriickkommen werden. Im iibrigen haben sich die romischen Juristen damit begniigt, zu konstatieren, dass hier eine „possessionis amittendae separatio" vorliege.27) |
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§ 13.
Um so eifriger haben sich die neueren Schriftsteller
an der inneren Begriindung des Satzes versucht. Wir kSnnen hier drei Gruppen von Ansichten unterscheiden.28) ") Baron a. a. 0. S. 140 und „Gesamtrechtsverhaitnisse S. 90—107
behauptet (wie Rudorff Anm. zu Savigny Note 110 meint „nach un- bekannten Quellen"), dass im Slteren romischen Recht Gegenwart des Besitzers auf dem Grundstuek erforderlich gewesen sei und dass der Besitz nur bei voriibergehender Abwesenheit, habe solo animo retiniert werden konnen. Diese Ansicht hat allseitigen Widerspruch erfahren. Vgl. Pininski S. 202 A. 3. 25) Von dieser Lex wird beim Besitzverlust der Mobilien ausfiihrlich
die Rede sein. a6) Ahnlich Windscheid S. 461 Anm. 6.
") So Papiniau in der L 44 § 2 h t.
»*) Ahnlich Pininski S. 195 ff.
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Die erste Gruppe, zu welcher Savigny,39) Wind-
scheid30) und Eanda31) gehoren, schliesst sich noch eng an die Auffassung der romischen Juristen an, indem sie in dem Eechtssatz cine „Singularitat" erblicken. Am scharfsten ilussert sich Randa, der ihn fur eine durchaus ungerecht- fcrtigte Ausnahme halt und seine Gtiltigkeit, wenigstens fur das osterreichische Recht, bestreitet. Auch Savigny erblickt in dem Satz noch eine merkwiirdige Ausnahme. Aber das ware er, wie Scheurl32) mit Recht bemerkt, doch nur dann, wenn wirklich, wie Savigny sagt, in dem Augenblick der Okkupation uns die „physische Moglichkeit, auf die Sache zu wirken, ebensowohl entzogen" wiirde, „als wenn ein Dieb eine bewegliche Sache aus unserem Hause entwendete". Wir werden hierauf weiter unten ausfuhrlich zuriickkommen. Einst- weilen mochtcn wir nur bemerken, dass es unseres Erachtens ein bedeutender Unterschied ist, ob uns eine bewegliche Sache fortgenommen wird, bei der wir vielleicht nicht einmal wissen, wer sie gestohlen hat und wo sie sich befindet, oder ob unser Grundstiick, dessen Lage wir genau kennen und bei dem wir die Person des Okkupanten jederzeit ermitteln konnen, okkupiert wird. Windscheid nimmt keine bestimmte Stellung ein, er halt
zwar den Satz nicht fur so merkwiirdig als Savigny, aber immerhin fur eine Ausnahme. § 14.
Eine zweite Gruppe von SchriftsteUern, zu welcher namentlich Witte33) und Baron u) zahlen, schreibt dem Rechts- satz, um seine Singularitat moglichst zu mildern, nur eine 29) A. a. 0. S. 348.
so) S. 457. A. 8 (§ 15G).
3I) A. a. 0. S. 456.
") A. a. 0. S. 143.
3S) A. a. 0. S. 249 ff.
") A. a. 0. S. 144, Gesamtrechtsverhaltnisse S. 90—107.
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relative Bedeutung zu. Sie behaupten, dass der Okkupant
nur dem dominus gegeniiber nicht als Besitzer gelten solle, dass er aber dritten Personen gegeniiber vollen Besitzes- schutz geniesse. Man kann nicht sagen, dass diese Auf- fassung gliickliche Besultate gezeitigt hatte, denn sie fiilirt mit Notwendigkeit dazu, entweder eine Teilung des Besitzes oder eine possessio plurium in solidum anzunehmen. So konstruiert denn auch Witte eine Teilung des Besitzes zwischen dem dominus (quoad usucapionem) und dem Okkupanten (quoad interdicta), die aber nur dann stattfiinde, wenn die Okkupation mala fide erfolgt sei; sei sie bona fide begonnen, so sei der Besitz des Vertretenen erloschen. Und Baron behauptet gar, dass der wahre Besitz an den Okkupanten iibergegangen sei und dass dem dominus nur zum Zweck des Interdiktenschutzes ein Besitz „angedichtet" werde. Ihre Hauptstiitze finden diese Schriftsteller in der L 6 § 1 de poss. 41. 2 (Ulpianus): „Qui ad nundinas profectus neminem reliquerit et dum ille a nundinis redit, aliquis occupaverit possessionem, videri eum clam possidere, Labeo scribit. Retinet ergo possessionem is, qui ad nundinas abiit. Undo • (Florent: „verum") si revertentem dominum non ad- miserit, vi magis intelligitur (Florent: „intelligi") possi- dere, non clam." Wenn wir auch zugeben wollen, dass die Interpretation,
welche Savigny dieser Stelle giebt, als sei sie eine Berich- tigung des Labeo durch Ulpian, die mit den Worten „retinet ergo" beginne, ihr Bedenkliches hat, namentlich wegen der dadurch notigen, im Text angedeuteten Abweichungen von der Florentina, so kann uns dies doch nicht veranlassen, die Stelle, wie Witte und Baron, wortlich zu nehmen und damit eine possessie clandestina neben der retentio possessions seitens des dominus zuzugestehen. Denn damit ware eine possessio plurium in solidum, von der doch schon Paulus sagt: L 3 § 5 ht: „contra naturam quippe est, ut cum ego aliquid teneam, tu quoque id tenere videaris" 2
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proklamiert und einer der Fundamentalsatze unserer Besitz-
lelire erschiittert.35) § 15-
Verhaltnismassig die grosste Zahl von Anhangern z'ahlt
die dritte Gruppe, die in dem Rechtssatz keine Singularitat erblickt, sondern die notwendige Konsequenz der ju- ristischen und wirtschaftlichen Natur des Immobiliar- besitzes. Zu ihr z'ahlen namentlich Scheurl,36) Kierulff,3T) Booking,38) Pininski,39) Strohal,40) Wendt.41) Audi wirmochten uns dieser Richtung anschliessen. Dass eine Verschiedenheit des juristischen und wirtschaft-
lichen Charakters der Mobilien und Immobilien besteht und infolgedessen die ftlr den Besitzverlust von Mobilien geltenden Satze nicht ohne weiteres auf Immobilien iibertragen werden konnen, haben wir oben bei Bekampfung der Savignyschen Ansicht betont. Der Grund hierfur ist, dass Immobilien uns eben nicht „abhanden"43) gebracht werden konnen, weil wir stets tiber ihre Lage im klaren sind und uns leicht iiber die Person des Okkupanten informieren konnen, w'ahrend es bei entwendeten Mobilien mSglich ist, dass wir gar nicht erfahren, wo und bei wem sich die Sache befindet. t)berhaupt erfreut sich der Immobiliarbesitz, wiePininski43)
richtig bemerkt, einer weit grosseren Stabilitat, lasst folglich ") Dagegen auch Pininski S. 202 A. 8.
S6) A. a. 0. S. 143.
") A. a. 0. S. 394 Note.
38) A. a. 0. S. 466 Anm. 5 (§ 125).
") A. a. 0. S. 196 ff.
«°) A. a. 0. S. 115 ff.
") Wendt, Faustrecht. Jahrb. f. Dogmat. Bd. 21, S. 228.
") Scheurl a. a. 0. S. 143, BOcking S. 466 A. 5.
'*) A. a. 0. S. 198 ff. P. geht zwar von einem anderen Standpunkt
aus, weil er im Besitz die „wirtschaftliche Verbindung der Person mit der Sache* erblickt, gelangt aber hier zu denselben Resultaten. |
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auch eine weit grSssere Abschwiichung zu, als derjenige an
Mobilien. Ausdriicklich wird dies anerkannt in L 3 § 17, L 44 in fine, L 45 de acqu. poss. 41. 2, LI
§ 25 D. de vi 43. 16 in Bezug auf saltus aestivi und hiberni. Bei ihnen soil der Besitz nicht erloschen, obwohl der Besitzer sie vielleicht monatelang zu benutzen verhindert ist, z. B. weil sie mit Schnee und Eis bedeckt sind. Wenn also eine selbst Monate andauernde StSrung der
normalen Beziehung des dominus zum Grundstiick nicht besitzvernichtend wirkt, so kann auch nicht ohne weiteres eine Okkupation den Besitz aufheben. Denn die Stoning kann erst dann als eine definitive gelten,44) wenn der Be- sitzer von der Verdrangung erfahren und dagegen reagiert hat. Die blosse Okkupation kann noch nicht ent- scheidend wirken. Dies um so mehr, als in den rneisten Fallen die Okkupation sich nur als der Versuch eines Besitz- erwerbs charakterisiert. So, wenn es dem Okkupanten gar nicht moglich ist, das ganze Gut zu besetzen.45) L18§3ht: „Si dum in alia parte fundi sum, alius
qnis clam animo possessoris intraverit: non desiisse ilico possidere existimandus sum, facile expul- surus finibus, simul sciero." Denn, wie Strohal46) richtig bemerkt, dieselben Umstande,
die den Grundbesitzer der Invasionsgefahr aussetzen, ins- besondere die Unmoglichkeit, grosse Territorien in all ihren Teilen standig zu bewachen, bringen es zugleich mit sich, dass ein Invasor dem bisherigen Besitzer, der mit Orts- und Personenkenntnis und — last not least — mit dem Eechtsschutz ausgeriistet ist, sich nur schwer gegeniiber be- haupten kann. |
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") Pininski S. 200.
") Ebenso Scheurl a. a. 0. S. 144.
46) A. a. 0. S. 116.
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§ 16.
Da also der Besitz nicht eher verloren wird, als bis
dor Besitzer von der Okkupation erfahrt und dagegen rea- giert oder eine Beaktion unterlasst, so sind drei Falle moglich.47) Entweder der dominus kehrt zurtick und ver- treibt den Okkupanten — dann hat er niemals seinen Be- sitz verloren gehabt; oder er kehrt zuriiek, wird aber beim Versuch der Vertreibung geschlagen — dann verliert er in diesem Moment den Besitz durch Dejektion; oder endlich, er unterlasst es uberhaupt zu reagieren — dann liegt darin ein Verzicht auf den Besitz und derselbe ist daher animo verloren. § 17.
Nicht unerwahnt wollen wir lassen, dass unser Satz, auch wenn er nicht, wie dargelegt, sich aus juristischen Motiven und aus der Natur der Sache erklarte, dennoch aus prak- tischen Biicksichten eine zwingende Notwendigkeit ware. Wohin sollte es auch fiihren, wenn der Immobiliar- besitz eines derartigen Schutzes entbehrte. Denn da wir Grundstiicke nicht wie Mobilien, in der custodia von Haus und Hof bewahren konnen, so ware ihr Besitz furwahr eine „zitternde Freude".48) Der Hausbesitzer, der, wie Wendt49) erziihlt, bei seiner Buckkehr von der Eeihe einen sog. „staubigen Bruder" vorfindet, welcher es sich in seinem Hause bequem gemacht hat, ware dann nicht berechtigt, istud genus hominum an die Luft zu befordern. Der Satz ist also keine von der Theorie ersonnene Spitzfindigkeit, sondern ein Produkt des praktischen Lebens, das aber, wie wir bewiesen zu haben glauben, auch den Forderungen der Rechtskonsequenz entspricht. — ") Vgl. Savigny S. 350; Kierulff S. 395 Note.
") Pininski a. a. 0. S. 202 Anm. 1. ") A. a. 0. S. 228. |
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§ 18.
Die Eiicksicht auf das praktische Leben war es auch,
welche die Romer verhinderte, den Satz in iibertriebener Weise bis zu den letzten Konsequenzen durchzuftihren. Wenn wir unter alien Umstiinden Kenntnis des Besitzers von der Verdriingung verlangt haben, so ist dies cum grano salis zu verstehen. Es wttrde wenig einem geordneten Gemeinwesen60) entsprechen, wenn ein viele Jahre Ab- wesender bei seiner plotzlichen Riickkehr berechtigt sein sollte, den Inhaber des Grundstiicks, der es vielleicht bona fide von dem Okkupanten gekauft bat, zu vertreiben. Wir miissen vielmehr sagen, dass unser Satz insofern eine Aus- nahme erleidet, als der Besitz auch ohne Kenntnis des Be- sitzers verloren wird, sobald die Invasion den „Charakter der Dauerhaftigkeit" angenomraen hat.51) Dies wird uns bestatigt durch L 37 § 1 Do usurp. 41. 3: „Fundi quoque alieni po-
test aliquis sine vi nancisci possessionem, quae vel ex neglegentia domini vacet, vel quia dominus sine suc- cessore decesserit vel longo tempore abfuerit." Es diirfte nicht schwer sein, diese Abwcicbung juristisch zu rechtfertigen. Wie ebenfalls immlich aus obiger Stelle her- vorgeht, wird der Besitz an Grundstiicken durch „negle- gentia" verloren, offenbar, weil in dieser ein Aufgabewille erblickt wird. Dieser Besitzverlust durch stillschwoigenden Verzicht wird aber, wie Pininski bemerkt,53) in unserem Fall weit eher angenommen werden miissen als sonst, weil eben aus der Nichtvertreibung des Okkupanten weit eher auf den Verzichtwillen geschlossen werden kann, als aus blosser Nichtbenutzung des Grundstiicks.53) Im iibrigen lassen sich 6U) So Witte a. a. 0. S. 262.
") Strohal a. a. 0. S. 117.
") A. a. 0. S. 204.
63) Ahnlich Dernburg, P. S. 434 (§ 183).
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flir diesen Fall keine festen Eegeln aufstellen, es muss dem
Ermessen des Richters iiberlasson bleiben, zu beurteilen, ob die Invasion den Charakter der Dauerhaftigkeit in sich tragt oder nicht. § 19-
Wir mussten uns, wie bemerkt, deshalb so eingehend
mit diesem Satz d. h. mit den allgemeinen Regeln des Besitzverlustes von Immobilien iiberhaupt befassen, weil der Besitzverlust an den Reprasentanten hier denselben Voraussetzungen unterliegt, wie derjenige an einen be- liebigen dritten. Eine kurze Betrachtung wird dies be- statigen. In dem Moment, in welcliem der Detentor den Widen
fasst, die bis dahin dctinierte Sache fiir sich zu haben, giebt er naturgemass den Vertretungswillen auf, steht also nunmehr dem dominus rechtlich nicht anders gegeniiber als ein beliebiger dritter. Infolgedessen flnden auf beide Par- teien die allgemeinen Bestimmungen Anwendung. Es ver- liert also der dominus nicht eher den Besitz, als er von der Vcrdrangung erfahren und die erforderliche Reaktion unternommen bezw. unterlassen hat. Ebenso flndet hier die Beschrankung in Bezug auf den Fall, dass die Besitzan- massung den Charakter der Dauerhaftigkeit gewinnt, An- wendung. Nur in Bezug auf die Ausserung des Besitz- willens ist hier ein Unterschied zu konstatieren, denn das blossc Verweilen auf dem Grundstiick, das die Okkupation seitens eines dritten gentigend deklarierte, kann hier nicht als hinreichende Bekundung des Besitzwillens gelten. Viel- mehr sind andere Zeichen erforderlich, z. B. eine Erklarung seitens des Detentors, Nichtzulassung des dominus und dergl. mehr. Erst von dem Moment, in welchem der Besitzwille so deutlich in die Erscheinung tritt, datiert die erforderliche Kenntnis des dominus. |
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§20.
Witte54) und Baron55) leugnen, dass im Fall der Stell-
vertretung Kenntnis des dominus von der ver'anderten Ab- sicht des Vertreters erforderlich sei. Sie berufen sich zur Begriindung auf L 12 de vi und L 18 pr. eod. In beiden Stellen handelt es sich darum, dass der Pachter eines Grund- stticks den vom Verpachter mit der Empfangnahme desselben beauftragten Kaufer nicht zulasst. Allerdings wird in diesem Pall der Besitz des Verpachters aufgehoben, ohne dass er selbst eine Kenntnis von der Nichtzulassung zu haben braucht. Jedoch ist diese Ausnahme unseres Erachtens nur eine scheinbare, weil der Kaufer hier als Abgesandter des Verpachters anzusehen ist und „quia nihil interesset, ipsum an alium ex voluntate eius
missum intrare prohibuerit" [L 18 cit.]. in einer Linie mit dem Vertretenen selbst steht. Dem not- wendigen Erfordernis der Kenntnis des dominus von der Verdrangung wird daher in seiner Person geniigt.5e) § 21.
Wie wir konstatiert haben, liegt in dem eben be-
sprochenen Satze eine erhebliche Erschwerung des Besitz- verlustes an den Vertreter und damit cin vollig ausreichender Schutz des Immobiliarbesitzes. Wenn hierfur trotzdem von vielen Schriftstellern, nach dem Vorgang von Savigny, noch ein zweites Argument ins Feld gefiihrt wird, namlich der Satz: „nemo sibi causam possessionis mutare potest", so hat dies seinen historischen Grund, kann aber von uns ") A. a. 0. S. 299.
") A. a. 0. S. 162. s6) Meischeider a. a. 0. S. 352. |
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als fur den Besitzschutz notwendig und sachlich begriindet
niclit erachtet werden.57) Von vornherein mocbten wir bemerken, dass wir die
Anwendung der Regel auf den Besitzverlust an den Detentor aus allgemeinen Erwagungen nicht fiir angebracht halten. Denn einmal hatte es keinen Sinn gehabt, fiir denselben Efl'ekt, namlich die Verhinderung des Besitzverlustes, eine zwiefache Norm zu erichten,58) sodann stimmt es mit der von uns wiederholt gcfundencn wirtscbaftlichen Verschieden- heit von Inmiobilien und Mobilien nicbt iiberein, dass die Regel sicb in gleicber Weisc auf beido bezieben soil. Welche ratio hatte es aueh gebabt, fiir den Besitzverlust von Immo- bilien und Mobilien so verscbiedone Satzo aufzustellen, wenn es eine Rechtsnorni gab, die den Besitzverlust obne Riick- sicht auf die Qualitat des Objektes in gleicber Weise binderte? § 22.
Wie Witte59) ricbtig bcmcrkt, ist es eine merkwtirdige
Inkonsequenz von Savigny, sicb auf diese Regel bei Be- griindung seiner Ansicht iiber den Besitzverlust an den Dententor zu stiitzen.60) Denn er, wie audi die in seinen Balmen wandelnden Unterholzner, Huscbke, Tbon, Rudorff ") Saviguy S. 82 ff.; Windscheid S. 528 Anm. 2 (§ 175); Dernburg
S. 422 Anm. 2 (§ 179); Unterholzner, Verjahrungslehre § 100; Gans, Scholien zum Gajus S. 263 ff.; Thon, Rhein. Museum Bd. IV S. 99 ff.; Iluschke, Zeitschr. fur gesch. R. W. Bd. XIV S. 195-201; Puchta, Institutionen S. 521, ders., kleine civ. Abhandlungen S. 429; Scheuil a. a 0. S. 159 u. 68; Baron a. a. 0. S. 155; Jhering a. a. 0. S. 357 ff.; Witte a. a. 0. S. 294. 58) Solche Falle sind auch sonst selten, kommen sie vor, so werden
sie besonders begriindet. So bei der Zulassung der condictio furtiva nebun der rei vindieatio mit dem „odiuni furum". 59J A. a. 0. S. 294 Anm. 47.
60) A. a. 0. S. 364. 65.
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pflegen sonst die Giiltigkeit dieser Eegel auf einige ganz be-
stimmte Falle des alten romischen Rechts, die „usucapio pro herede" und die ihr verwandte „usureceptio" ein- zuschranken. § 23.
Uber die usucapio pro herede, die ausfuhrlicher zu be-
handeln hier zu weit fuhren wiirde, belelirt uns Gajus II § 52—61. Wenn in Rom jemand olme Hinterlassung von sui hcredes gestorben war, so konnte urspriinglich jecler- mann sich der Sachen des Erblassers bemachtigen unci die- selben — selbst Grundstiicke im Widerspruch zu der Regel der XII. tab.61) — in einem Jahre pro herede usukapicren, falls sich der berufene Erbe nicht binnen dieser Frist raeldcte. Als ratio fur diese „tam improba possessio et usucapio" giebt der Jurist an, man habe dadurch den Erben zum schleunigen Antritt der Erbschaft zwingen wollen, einmal „ut essent, qui sacra facerent", zweitens um den Glaubigern baldmoglichst einen, an den sie sich halten konnten, zu priisentieren.62) Dieses merkwiirdige Institut bringen Savigny und seine
Anhanger mit unserer Regel folgendermassen in Verbindung. Gajus gebraucht von der usucapio pro herede den Ausdruck „lucrativa" und eine ahnliche Wendung „lucrifacere" findet sich auch in einigen StcUen wieder, die von unserer Regel handeln: Gaj. Inst. II § 56: „Haec autem species possessionis et
usucapionis etiam lucrativa vocatur: nam sciens 61) Cicero pro Caecina cap. IV: „usus auctoritas fundi biennium
est, . . . caeterarum rerum annuus est usus". 62) Gajus II § 55: „quod voluerunt veteres maturius hereditates
adiri, ut essent, qui sacra facerent, quorum illis temporibus summa observatio fuit, et ut creditores haberent, a quo suum consequerentur". Vgl. die Kritik dieser Entstehungsgeschichte bei Jhering, Scherz und Ernst S. 144, ferner Gans, Scholien S. 264. |
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quisque rem alienam lucrifacit." L 33 § 1 de usurp.
41. 3: „Quod vulgo respondetur ipsum sibi causam possessionis mutare non posse, totiens verum est, quotiens quis sciret, se bona fide possidere et lucri- faciendi causa inciperet possidere." L 2 § 1 D. pro herede 41. 5: „Quod vulgo respon-
detur, causam possessionis neminem sibi mutare posse, sic accipiendum est, ut possessio non solum civilis, sed etiam naturalis intelligatur. Et propterea responsum est neque colonum, neque eum, apud quern res deposita aut cui commodata est, lucrifaciendi causa pro herede usucapere posse. — Aus dieser 'Obereinstimmung der Ausdriicke schliesst Savigny, dass die Eegel in folgender Weise auf die usucapio pro herede Anwendung gefunden habe. Bei der Moglichkeit, vermittelst des genannten Instituts
ohne Redlichkeit und Recht zu ersitzen, habe die Gefahr nahe gelegen, dass Personen, die zur Zeit des Todes des Erblassers Sachen desselben in Detention hatten, die ihnen nur durch eine langere Ersitzung oder iiberhaupt nicht zu- fallen konnten, z. B. weil sie res furtivae oder vi possessae waren, dies Institut benutzten, indem sie sich als pro herede besitzend ausgaben und so mit Ablauf eines Jahres die Sache ersassen. Diesem Unfug habe genannte Rechts- regel steuern wollen, indem sie Personen, die einmal auf Grund eines bestimmten Titels zu besitzen angefangen hatten, verbot, diesen in den titulus pro herede eigenmachtig um- zuwandeln. § 24.
In ahnlicher Weise soil63) die Regel bei der usure-
ceptio fiduciae stattgehabt haben. Auch diese war eine lucrativa usucapio, durch welche man in einem Jahr eine fiduciarisch verausserte Sache zuriickerwarb. Hier soil die |
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") Thon a. a. 0. S. 109 ff.
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Eegel den Sinn gehabt haben, den Pfandschuldner der das
Pfandobjekt dem Pfandglaubiger zunachst fiduciae causa mancipiert, dann aber von demselben gemietet hatte, zu verhindern, das Pfandobjekt mittelst der usureceptio vor Zahlung der Pfandschuld zuriickzuerwerben. § 25.
Zur weiteren Begriindung ihrer Ansicht ftihren Thon
und Unterholzner die Thatsache an, dass die meisten Stellen, die ausser den oben citierten von unserer Kegel handeln, keine neue Anwendung derselben bringen, sondern vor falschen Anwendungen derselben warnen. So soil z. B. nach L 19 § D. de poss. 41. 2 die Regel nicht statthaben, wenn, naclidem der i'riihero Besitz verloren war, ein neuer erworben wird, ebenso wenn die Beschaffenheit des Besitzes durch ein Rechtsgeschait verandert wird, L 3 § 20 bt und dergl. melir. Die wenigen Falle, welche der Beschrankung der Regel auf die usucapio pro herede und die usureceptio zu widersprechen scheinen, halten sie fur hochst iiberflussige und unfruchtbare Anwendungen, die sich aus einer „Lieb- haberei der Alten"64) oder aus dem Umstand erklaren liessen, dass „ die Alten selbst die Regel nicht mchr recht anzuwenden gewusst hlitten".65) Bine solche iiberfliissige Anwendung sei in der L 1 § 2 pro donato 41. 6 enthalten: „si vir uxori rem donaverit et divortium intercesserit,
cessare usucapionem Cassius respondit, quoniam non possit causam possessionis sibi mutare."
in welcher der Satz, dass an den Schenkungssachen auch nach Trennung der Ehe keine Usukapion moglich sei, sich schon daraus ganz natiirlich ergabe, dass Schenkungen unter Ehegatten auch nach Trennung der Ehe ungiiltig blieben. |
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") Unterholzer a. a. 0. S. 338.
et) Thon a. a. 0. S. 107. |
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§ 26.
Dieser Beschrankung der Regel auf die usucapio pro
herede und die usureceptio wiirden auch wir uns gern an- schliessen, da wir die Ausdehnung der Regel auf die Um- wandlung der Detention in juristischen Besitz fiir tiberfliissig halten, wenn nicht zu gewichtige Griinde vorhanden waren, dass die Rb'mer thatsachlich eine weit grossere Aus- dehnung der Regel beliebt haben. Zunachst diirfte es wohl gewagt sein, aus der Synonymitat der Ausdriicke „lucrativa" und „lucrifacere" eine Beschrankung der Regel auf die er- wahnten beiden Institute zu folgern. Denn daraus, dass Gajus die usucapio pro herede eine „Iucrativa" nennt, kann man nicht ohne weiteres schliessen, dass jedes lucrifacere eine usucapio pro herede66) involviere. Bs ist ferner, wie Gans67) und Jhcring68) hervorheben, bei dieser Auffassung unerklar- lich, weshalb dann die Regel so oft in die Kompilation Auf- nahme gefunden hat, da bekanntlich die usucapio pro herede schon in der Hadrianeischen Zeit antiquiert war. Endlich, was der Hauptgrund ist, es findet sich eine ganze Reihe von Stellen, die sich absolut nicht aui die nsucapio pro herede deuten lassen. Dem Gewicht dieser Griinde gegeniiber konnen Einwande, wie: „es habe sich hier um eine Liebhaberei der Alten gehandelt", ernstlich nicht in Betracht kommen. Wir mussen vielmehr zugeben, dass die Regel — mit Recht oder Unrecht — zur Zeit der Kompilation einen grosseren Geltungsbereich gehabt hat. Wie weit reicht derselbe? § 27.
Baronfi9) und Puchta70) sprechen sich fur eine Beschran-
kung der Regel wenigstens auf den juristischen Besitz 66) Ahnlich Schirmer a. a. 0. S. 441.
") A. a. 0. S. 2C4
es) A. a. 0. S. 358.
69) A. a. 0. S. 156.
™) Kl. civ. Abbandl. S. 429 No. 3.
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aus. Nach ihrer Ansicht kann der Detentor gar keine mutatio
causae possessionis vornehmen, weil er eben keine „possessio" hat. Aber wie oft (z. B. LI D ht41.2) wird possessio als Besitz im weiteren Sinne, als Inhabung der Sache tiberhaupt erwahnt! Zur Begriindung seiner Meinung fiihrt Baron zwei Quellen-
stellen an: L3 § 20 Dht41.2: „Sed si is, qui apud me deposuit
vel commodavit, earn rem vendiderit mihi vel donaverit, non videbor causam possessionis mihi mutare, qui ne possidebam quidem." L19 § D.ht 41.2: „Quod scriptum est apud veteres,
neminem sibi causam possessionis posse mutare, cre- dibile est de eo cogitatum, qui et corpore et animo possessioni incumbens hoc solum statuit, ut alia ex causa id possideret, non si quis dimissa possessione prima eiusdem rei denuo ex alia causa possessionem nanciscivelit." Aber diese Stellen sind unseres Erachtens nicht beweisend.
Der Grund, weswegen hier die Eegel nicht anwendbar sein soil, liegt in beiden Fallen nicht in dem Mangel des juristischen Besitzes, sondern darin, dass hier gar keine causae mutatio vorkommen kann, weil durch ein Kechtsgeschaft eine neue causa geschaffen wird, die mit der alten in gar keinem Zu- sammenhang mehr stent. Hierauf liegt in beiden Fallen der Nachdruck, dem „qui ne possidebam quidem" und dem „animo et corpore incumbens" kann man hochstens, wie z.B.Schimer71) thut, den Charakter eines „untersttitzenden Nebengrundes" zu- erkennen, wenn man sie nicht tiberhaupt als unbedeutende, zur Abrundung des Satzbaus dienende Floskeln auffassen will. |
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") A. a. 0. S. 450.
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§ 28.
Im Gegensatz hierzu finden sich mehrere Stellen, die
offenbar die Detention in den Geltungsbereich der Regel hineinziehen. Mit besonderer Bestimmtheit thut dies: L2 § 1 pro herede 41.5: „Quod vulgo respondetur,
causam possessionis neminem sibi mutare posse, sic accipiendum est, ut possessio non solum civilis, sed etiam naturalis intelligatur." Baron sucht diese, seiner Auffassung widersprechende
Stelle dadurch zu beseitigen, dass er behauptet, der Anfang dieser lex, der von der Ausdehnung unserer Regel auf die Detention spricht, sei ein Einschiebsel der Kompilatoren — der iibrige Teil der lex habe friiher die Fortsetzung der L 33 § 1 de usurp. 41. 3 gebildet. Mit diesem gewaltsamen Schritte konnen wir uns aber nicht einverstanden erklaren, urn so weniger, als noch eine andere Stelle von der Aus- dehnung der Regel auf die Detention zu sprechen scheint. Bs ist dies die L 5 C. ht7. 32, die allerdings sebr verschieden ausgelegt wird: „Cum nemo sibi causam possessionis mutare
possit proponasque colonum nulla extrinsecus accedente
causa ex colendi occasione ad iniquae venditionis vitium
esse prolapsum, praeses provinciae inquisita fide veri
dominii tui ius convelli non sinet."
Wir mochten uns dafiir entscheiden,72) dass es sich bier
um die Frage handelt, ob der Kaufer, der die Pachtsache
von einem treulosen Kolonen gekauft und durch diesen die
Ersitzungszeit innegehabt hat, sich auf Ersitzung berufen
diirfe. Die Stelle verneint es. Er hat den Besitz gar nicht
erworben, weil der Kolone nach der Regel: „nemo sibi causam
possessionis mntare potest" gar nicht zur tjbertragung der
Pachtsache berechtigt war.
") Ahnlich Scbirmer a. a. 0. S. 456, Dernburg S. 422 Anm. 3 (§ 179).
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§ 29.
Wenn wir somit zugestehen, dass eine Ausdehnung der
Regel auf die Detention thats'achlich seitens der rOmischen Juristen stattgefunden hat, so ist damit nicht gesagt, dass diese Ausdehnung notig oder gar opportun gewesen sei. Wir befinden uns hier in Obereinstimmung mit Windscheid,'3) der die Thatsaclie der Ausdehnung zwar auch zugiebt, sie aber fur h6chst Uberfltissig halt. Es diirfte unschwer sein, diese Behauptung zu beweisen. Wenn jemand als Pachter auf einem Grundstuck sitzt
oder eine Mobilie in Detention hat, so kann er, um den juristischen Besitz zu erlangen, verschiedene Wege einschlagen: Entweder er kann sich durch ein Rechtsgesch'aft, das
er mit dem Besitzer schliesst, zum juristischen Besitzer machen, z. B. durch Kauf einer geliehenen Sache L 3 § 20 ht41.2; oder er kann sich gewaltsam, durch Dejektion bezw.
Kontrektation des juristischen Besitzes bemachtigen L 12 L 18 pr. de vi; oder endlich er kann sein Verhaltnis zu dem Objekt
zunilchst vOllig losen und spater, gewaltsam oder durch einRechtsgeschaft, diepossessio erlangen, L19 § 1 ht41.2.: In alien diesen Fallen findet die Rechtsregel, wie die
Quellen ausdriicklich bemerken, keine Anwendung, offenbar, weil gar keine causae mutatio vorliegt, sondern die alte causa untergeht und eine neue entsteht.74) Es bliebe also nur der Pall noch tibrig, dass der Detentor keine der oben beschriebenen Operationen vornimmt, sondern durch seinen blossen Willen versucht, seinem Besitzverhaltnis eine andere causa unterzulegen. Dass dies im alten romischen Recht mOglich war. n'am-
n) S. 528 Anm. 2 (§ 175).
") Ebeuso Savigny S. 82 unten.
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lich bei der usucapio pro herede, haben wir gesehen. Da-
mals mag also das durch die Regel bewirkte Verbot der causae mutatio Zweck und Sinn gehabt haben.75) Aber was sollte sie denn im neueren romischen und im gemeinen Eecht? Der Effekt, den sie erzielen konnte, wird ja bereits durch
die im ers-ten Teil erwahnte allgemeine Rechtsnorm, nach welcher der blosse Wille, ohne in der gehorigen Weise realisiert zu sein, keine Beachtung findet, erreicht! L 53 de V. S. 50. 16: „nec consilium habuisse noceat,
nisi et factum secutum fuerit." Folglich ist unser Rechtssatz76) nichts weiter
als eine besondere Formulierung, eine spezielle An- wendung des Rechtsprinzips von der Bedeutungs- losigkeit des nicht realisierten Willens. Stellt man sich einmal auf diesen Standpunkt, so ist damit auch der Streitfrage, was „causa possessionis" bedeute, ob „Rechts- grund, Titel des Besitzes",") oder der diesem Titel ent- springende„rechtlicheCharakter" die „qualitas possessionis",78) der Boden entzogen, denn das in Frage kommende Prinzip hemmt die Anderung des einen wie des andern, falls der Wille nicht realisiert ist. Eine Realisierung des Willens in den besprochenen drei moglichen Formen lasst aber eine An- wendung unseres Satzes nicht zu, weil sie eben, wie gezeigt, den Untergang der alten und die Begriindung einer neuen causa herbeifiihrt.79) Und somit hoffen wir bewiesen zu haben, dass die An-
wendung der Regel auf den Besitzverlust an den Detentor uberflussig ist, weil sie nichts mehr besagt, als ein langst bekanntes Rechtsprinzip. 7!) Ahnlicb Wiudscbeid S. 528 Anm. 2 (§ 175).
") Ahnlich Schirmer a a. 0. S. 433. ") So Puchta, kl. civ. Abh. S. 420, Instit. S. 520. ") So Schirmer. 79) Vgl. namentlich Jhering a. a. 0. S. 358, sowie die lichtvollen
Ausfiihrungen von Scheurl a. a. 0. S. 69. |
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§ 30.
Gehen wir nach dieser Erorterung, die sich in gleicher
Weise auf Immobilien wie auf Mobilien bezog, nunmebr dazu tiber, die fur den Besitzverlust von Mobilien an den De- tentor geltenden besonderen Regeln zu entwickeln,80) so springt uns vor allem ein Unterschied von den Immobilien in die Augen, namlich der, dass bier eine Kenntnis des Be- sitzers von der Entsetzung nicbt erforderlicb ist. Daher sagt audi L 47 lit: „confestim me amisisse possessionem vel
ignorantem responstum est." Dass diese verschiedene Bebandlung ihren Grand in der
wirtschaftlichen Verschiedenheit von Immobilien und Mobilien hat, ist bereits oben hervorgehoben worden, es ist wohl un- notig, die Beweisi'tihrung zu wiederholen. § 31.
Bevor wir zur Entwiekelung der Regeln des Besitz-
verlustes von Mobilien an den Detentor schreiten, miissen wir eine Auffassung zuriickweisen, die von Savigny81) fiir das iiltere romische Recbt, von Kierulff82) aber sogar fur das heutige Recbt geltend gemacbt wird. Wir haben es bisber als zweifellos betrachtet, dass sich die beiden Akte,83) in die sich der „Besitzverlust an den Besitzvertreter" zerlegen lasst, in einem Moment vollziehen, indem der Besitzerwerb seitens 80) Savigny, S. 365 ff.; Windscheid S. 461, Anm. 6 (§ 157);
Schirmer a. a. 0 S. 464 ff.; Wille a. a. 0. S. 293 ff.; Baron a. a. 0. S. 146 ff.; Pininski, Bd II S. 69 ff.; Meischeider a. a. 0. S. 353 ff.; Backing a. a. 0. S. 452 (§ 123); Goschen, Civilrecht S. 638; Puchta, kl. civ. Schr. S. 445; Randa a. a. 0. S. 466; Kierulff S. 399; Scheurl a. a. 0. S. 160; Kniep „vacua possessio" S. 28. 81) S. 366 Anm. 1.
••) A. a. 0. S. 399. S3) Vgl. oben § 2. 3
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— 34 —
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des Vertreters den Besitzverlust seitens des dominus invol-
viert. Wenn man nun, wie Savigny und Kierulff, die beiden Akte trennt, indem man den blossen animus des Reprasen- tanten zwar nicht Air ausreichend halt, um den Besitz zu erwerben, wohl aber, um dem Vertretenen den Besitz zu entziehen, so muss man dahin kommen, unter Umstanden drei Stadien der juristischen Handlung anzunehmen: erstens den Verlust des Besitzes auf Seite des Vertretenen; zweitens einen Zwischenzustand der Besitzlosigkeit, in dem die Sache zwar bereits verloren, aber noch nicht erworben ist; drittens den Erwerb des Besitzes auf Seite des Vertreters. Es liegt auf der^Hand, dass eine solche Zerstuckelung der juristischen Handlung schon aus Grunden der Verkehrssicher- heit nicht Rechtens sein kann und niemals hat sein konnen. Mit Recht fragt Kniep,84) was es fur einen Sinn gehabt hatte, einen Besitzverlust olme Wissen des bisherigen Be- sitzers eintreten zu lassen, wenn damit auf der anderen Seite kein Erwerb verbunden war. „Der Besitzverlust ist augen- scheinlich eine Eolge des auf Erwerb gerichteten Entschlusses und dies ist doch nur unter der Voraussetzung ein ertrag- licher Gedanke, wenn dieser auf Erwerb gerichtete Wille den Erwerb auch wirklich herbeifiihrt." |
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§ 32.
Savigny und Kierulff wiirden unseres Erachtens wohl
audi niemals auf eine derartige Auffassung gekommen sein, wenn sie nicht nach der herrschenden „Kontrektationstheorie" zum Besitzerwerb stets eine „korperliche Behandlung der Sache" fur notig erachtet hatten — ein Moment, das fur den Besitzverlust in der Regel viel zu stark ist, indem sich dieser meist schon durch die blosse Verhinderung der Ein- wirkung des dominus auf die Sache charakterisiert. Und |
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") A. a. 0. S. 28.
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— 35 —
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damit sind wir an den Hauptgegenstand dieses Abschnitts
gelangt, an die Untersuchung namlich, ob zum Besitz- erwerb seitens des Reprasentanten eine korperliche Behandlung der Sache erforderlich ist oder ob jeder schllissige Ausdruck des Willens geniigt. Die Haupt- stellen, die sich auf diese Prage beziehen, sind: L 3 § 18 de poss. 41. 2: „Si rem apud te depositam
furti faciendi causa contrectaveris, desino possidere. Sed si loco non moveris et infitiandi animum habeas, plerique veterum et Sabinus et Cassius recte respon- derunt possessorem me manere, quia furtum sine con- trectatione fieri non potest nee animo furtum admitta- tur." (Paulus.) L 47 ht: „Si rem mobilem apud te depositam aut
ex commodato tibi possidere neque reddere constitueris, confestim amisisse me possessionem vel ignorantem responsum est: cuius rei forsitan ilia ratio est, quod rerum mobilium neglecta atque omissa, quamvis eas nemo alius invaserit, veteris possessionis damnum afferre consuerit, idque Nerva Alius libris de usucapionibus retulit." § 33.
Die Antinomie, welclie in diesen Stellen zum Ausdruck
kommt, hat von jeher verschiedene Auffassung erfahren, Savigny85) nimmt nach dem Vorgang von Hugo86) an, es habe hier eine Kontroverse der beiden Schulen vor- gelegen, indem die Sabinianer in der L 3 § 8 cit. zum Be- sitzerwerb eine contrectatio fur notig erachtet batten, wahrend die Prokulianer in dem blossen „possidere neque reddere constituere" eine geniigende Ausserung des Besitzwillens er- bhekten. Nun ist dies allerdings, wie Schirmer87) zuerst |
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") A. a. 0. S. 367 A. 2.
86) Civil. Magazin Bd. 5. S. 123.
") A. a. S. 465.
3*
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hervorgehoben hat, nicht der Fall, weil in der L 68 de furtis
47,2Celsus, also einProkulianer, filr die angeblich Sabinianische Ansicht eintritt. Wie dem aber audi sein mag, jedenfalls erlangte die letztere in der Folgezeit unbestrittene Autoritat, so dass man sogar, urn die L 47 cit. mit ihr zu vereinigen, bei dieser eine voraufgegangene contrectatio supponierte 88) Nur wenige Autoren linden sich, welche der herrschenden Meinung widersprechen, am treffendsten Chesius (in Heineccius Jurispr. Rom. et Att. S. 185, 16) „non esse necessarium, ut depositarius rem attingeret
et loco moveret, sed solum animum sibi habendi sufficere." Der damals herrschenden Meinung folgt audi Savigny,
wenn er auf Grand der L 3 § 18 cit. zum Besitzerwerb ein furtum, 1'olglich nach der Definition desselben als ,,contrectatio rei alienae" eine korperliche Behandlung der Sache ver- langt. Nur darin unterscheidet cr sich von seinen Vor- gangern, dass er eine besondere Begriindung8S) der Ausnahme giebt und eine andere Vereinigung der Antinomic versucht. § 34.
Mit seiner Ansicht hat aber Savigny, insbesondere in
der neuercn Zeit, vielfaclien Widerspruch erfahren. Nur einige Autoren, so Goschcn510) und Arndts91) stehen unbedingt 8S) Vgl. Savigny S. 366 Anm. 2.
89) Es habe dem Besitzer nicht eher der Besitz und damit das int-
utrubi, das bokanntlich gegenwSrtigen Besitz voraussotzt, verloren gehen sollen, als bis er durch das furtum des ReprSsentanten eine neue Klage erlialten babe, die, wenn sie aucb koine, rei persecutoria war, docli vollen Scliadensersatz brachte. Ausserdem habe man dadurch noch erreicht, dass die Sache als furtiva der Usukapion entzogen war. Vgl. Savigny S. 435. 436. 90) A. a. 0. S. 638.
91) Pundekten § 143.
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auf seiner Seite, andere, wie Puchta92) und Scheurl93) weichen
wenigstens in der Begriindung von ihm ab, die grosse Mehr- zahl aber, so Booking,94) Schirmer,95) Witte,96) Windscheid,97) Baron,9fl) Randa,99) Meischeider, 10°) verwirft seine Theorie uberhaupt. Und in der That lassen sich erhebliche Be- denken gegen sie geltend machen. § 35.
Was zunachst die L 47 de poss. betrifft, so suclit
Savigny den ihm widersprechenden Inhalt derselbcn dadurch zu beseitigen, dass er sie fur ein Referat Papinians ilber eine Ansicht des Nerva erklart, die dieser wiedergabe, ohne sich mit ihr zu identifizieren. Dcm widerspricht aber, dass Papinian seiner abweichenden Ansicht keinen Ausdruck giebt,101) denn gemeinhin pflegt in solchem Fall Schweigen als Zustimmung aufgefasst zu werden, Noch sonderbarer aber ware es, dass Papinian die von ihm nicht gebilligtc Ansicht noch mit Grunden unterstiitzt haben sollte. Man wende nicht ein, dass audi diese Griinde nur ein Teil des Referates seien, denn Nerva wiirde dieselben dann wohl nicht in die Form einer Vermutung — forsitan — gekleidet haben. Solange also nicht durch klare Quellenzeugnisse das Gegen- teil erwiesen wird, miissen wir die Behauptung der L 47 cit., dass das „possidere neque reddere constituere" zum Besitzerwerb geniige, aui'recht erhalten. 92) Vgl. a. a. 0. S. 445.
•») Vgl a. a. 0. S. 161. ") A. a. 0. S. 452. 8B) A. a. 0. S. 474. 9«) A. a. 0. S. 293 ff. ") A. a. 0. S. 4G1 Anm. 6. 9e) A. a. 0. S. 146 ff. ••) A. a. 0. S. 466. 10°) A. a. 0. S. 353 ff. 1M) Ebenso Baron S. 148. |
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§ 36.
Sind nun die Stellen, welche Savigny anfiihrt, fiir seine
Ansicht beweisend? Wir glauben, nicht. Savigny stiitzt sich ausser auf die erwiihnte L 3 § 18 cit. noch auf L 68 pr. de furtis 47. 2: „Infitiando depositum nemo facit furtum, (nee enim
furtum est ipsa infitiatio, licet prope furtum est). Sed si
possessionem apiseatur intervertendi causa, facit furtum.
Nee repert, in digito habeat anulum an dactyliotheca,
quern cum deposito teneret, habere pro suo destinaverit."
Wir wollen nun zwar zugeben,102) dass in der citierten
Stelle ein furtum zum Besitzerwerb verlangt wird, ferner,
dass die Voraussetzung des furtum eine contrectatio ist, aber
wir bestreiten, dass hier die contrectatio eine „korpcr-
liche Bchandlung" der Sache involviert.
Dies ergiebt sich zunachst aus der allgemeinen Betrach-
tung, dass die korperliche Behandlung, die ja in alien anderen Fallen des furtum, weil es "sich dort um eine in fremdem Gewahrsam befindliche Sache handelt, am Platze sein mag,103) doch hier, wo der Beprasentant in den moisten Fallen die korperliche Verfugung bereits vollstandig hat, keinen Sinn ergeben wiirde. So sagt auch Chesius:104) „Sic ergo, si quis forte depositarius rem alienam domi
in potestate sua habeat et sub sua custodia, si rem illam constituat sibi habere et domino non reddere, qua su- persitione requiremus, ut furtum iste committat, necessariumesserem illam manu eum attingere?" Ausserdem aber bekraftigt eine ganze Reihe von Quellen- stellen unsere Bchauptung. So sagt z. B. G-ellius:105) „furtum sine ulla quoque attrectatione fieri posse."
102) Ebenso Baron S. 149.
,os) Ebenso Wille, S. 297.
«") A. a. 0. S. 185, 15.
10") Noct. Att. Lib. XI cap. 18 § 23.
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Ferner wird in der L 1 § 9 quod legat. 43. 3 bemerkt, dass
das blosse „nec recedere" eines eingewiesenen Legatars erne Besitzergreifung seitens des letzteren involviere. Das Haupt- argument aber liefert uns der Schlusssatz der L 68 de furt. cit., auf welche sich gerade Savigny stiitzt: „nec refert in digito habeat anulum on dactyliotheca,
quem, cum deposito teneret, habere pro suo destinaverit." In welche Verlegenheit Savigny dieser Schlusssatz gebracht hat, lasst sich deutlich aus der Art seiner Interpretation erkennen. Er bezieht namlich den Schlusssatz mit Uber- springung des Mittelsatzes auf den Anfang, mutet also dem Celsus, wie Meischeider106) mit Eecht bemerkt, eine sehr schwerfallige Satzkonstruktion zu und behauptet, der Autor habe hier einen Fall geben wollen, in welchem weder furtum noch Besitzerwerb vorliege. Zu solchen Umstandlichkeiten ist Savigny genotigt, nur um die Stelle mit seiner Theorie in Einklang zu bringen. Wenn man im Gegensatz hierzu be- denkt, mit welcher Leichtigkeit sich der Satz erklaren lasst, sobald man nach unserer Theorie von dem Erfordernis einer korperlichen Behandlung absieht, so kann man iiber die Eichtigkeit der letzteren nicht mehr im Zweifel sein. Es will namlich dann Paulus nichts weiter in dem Satz sagen, als dass es in Bezug auf den Besitzerwerb gleichgtiltig ist, ob man einen deponierten Ring im Kasten lasst oder an den Finger steckt. § 37.
Unserer Behauptung, dass nicht immer eine korperliche
Behandlung der Sache notwendig sei, widerspricht der Passus aus der L 3 § 18 cit.: „sed si earn loco non moveris et infitiandi animum
habeas"
und L 1§ 2 de furtis 47. 2: |
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') a. a. 0. S. 354.
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„Sic is, qui depositum abnegat, non statim etiam furti
tenetur, sed ita si id intercipiendi causa occultaverit." durcbaus nicht. Denn hier soil, wie Windscheid107) bemerkt, „nicht sowohl contrectatio fur notwendig, als blosses Ab- leugnen, welches den Willen, die Sache fur sich zu haben, keineswegs ohne weiteres voraussetzt (vgl. L 20 h t) nicht fur hinreichend erklart werden." Mit anderen Worten: diese Stellen wollen keine Begriffsbestimmung der „con- trectatio" geben, sondern Beispiele anfiihren, bei denen die contrectatio erreicht („si occultaverit") bezw. nicht er- reicht („et infltiandi animum habeas'-) wird. Dass die in- fitiatio depositi nicht als hinreichend angesehen wird, liegt daran, dass aus derselben ein sicherer Schluss auf den Besitzwillen noch nicht gezogen werden kann Denn es kann z. B. die Ableugnung „ex iusta et rationabili causa" geschehen (vgl. L 20 ht) oder aus einem Grunde, der zwar unrechtmassig ist, aber den animus rem sibi habendi nicht involviert, z. B. wenn der Beprasentant nur eine Fortsetzung des Detentionsverhaltnisses durch das — vorlaufige — Ab- leugnen zu bewirken hofft.108) Mit dieser Auffassung lasst sich dann ganz gut L 47 h t cit.
vereinigen, indem hier ein Beispiel angegeben wird, das eine Contrectatio enthiilt, namlich das „possidere neque reddere constituere". Die Supponierung einer voraufgegangenen Kon- trektation, die die iilteren Schriftsteller beliebten, halten wir zwar nicht fur so verkehrt wie Savigny, aber fur iiberflussig. Denn es ist selbstverstandlich, dass der dem „possidere neque reddere constituere" zu Grunde liegende Wille in der ge- horigen Weise zum Ausdruck gekommen sein muss, da er ja sonst, wie wiederholt betont, nach allgemeinen Rechtsregeln keine juristische Existenz haben wiirde — |
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107) A. a. 0. S. 461 Anm. 6 (§ 157).
108) Ahnlich Witte, a. a. 0. S. 298.
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§ 38.
Wcnn wir somit der Savignyschen Theorie von der Not-
wendigkeit einer stets korperlichen Beliandlung widersprechen, so wollen wir damit nicht, wie Baron und Witte, in das cntgegengesetzto Extrem verfallen und korperJiche Behandlung unter alien Umstanden fur uberflussig erklaren. Es hiingt vielmehr unserer Ansicht nach von der Art
des bestehenden Detentionsverhaltnissos109) ab, ob die blosse Kundgebung des Besitzwillens geniigt oder ob ein „loco movere" crforderlich ist. § 39-
In der Eegel wird dann eine Lokomotion seitens des
Vertreters notig sein, wenn die Beziehung der detinierten Sache zum dominus nach aussen hin noch vollig sichtbar ist. So wird nach der Entscheidung des E. G. Band XIX No. 44 der Commis, der den Besitz der Ladenkasse fttr seine Prinzipalin ausiibt, erst dadurch juristischer Besitzer der Kasse, dass er ihr fur sich G-elder entnimmt. Hier ist eben die korperliche Beliandlung die einzig markante Er- scheinungsform des Besitzwillens. § 40.
Umgekehrt wiirde aber eine specielle Kontrektation keinen
Sinn haben, sobald die Beziehung der detinierten Sache zum dominus nach aussen hin nicht mehr hervortritt. Es wiirde ganz zwecklos sein, wenn der Pachter die ihm iiber- lassenen Ackergerate, die er eo ipso benutzen darf, noch be- sonders „kontrektieren" sollte, um den Besitz zu erlangen. Hier wiirde jede anderweitige Kundgebung z. B. eine Er- klarung, ein Brief u. dergl. den Besitzwillen weit deutlicher |
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109) Ahnlich Pininski a. a. Bd. II S. 82 ff.
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dokumentieren, als einc „Kontrektation", aus der sich, weil
sie eben in dem normalen Geleise sich bewegt, gar nichts schliessen lasst. Es lassen sich hieruber bei der Mannig- faltigkeit der Fomien, die das Detentionsverhaltnis annehmen kann, natiirlich koine festen Eegeln aufstellon; dem Richter muss es iiberlassen bleiben, welche Kundgebung er als schliissigen Ausdruck des Besitzwillens betrachten will. |
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