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Beiträge zur Hydrographie der Ardennen

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Beiträge zur Hydrographie der
Ardennen

PROEFSCHRIFT

TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD
VAN

DOCTOR IN DE WIS- EN NATUURKUNDE

AAN DE RIJKSUNIVERSITEIT TE UTRECHT,

Or GEZAG VAN DEN RECTOR MAGNIFICUS

DR. P. H. DAMSTÉ,

VOLGENS BESLUIT VAN DEN SENAAT DER UNIVERSITEIT

TEGEN DE BEDENKINGEN VAN

DE FACULTEIT DER WIS* EN NATUURKUNDE

TE VERDEDIGEN

op Maandag den 27 November 1916, des namiddags te 4 uur,

DOOR

JACOBA BRIGITTA LOUISE HOL,

GEBOREN TE ANTWERPEN

J

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Aan mijne Moeder

en

aan de nagedachtenis van mijn dierbaren Vader.

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Sonderabdruck

aus dem „Jahresbericht des Frankfurter Vereins für Geographie und Statistik4.
79. und 80. Jahrgang. 1914—1916.

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Bij liet beëindigen mijner akademisclie studies rust op mij de
aangename plicht U, Hoogleeraren in de Wis-en Natuurkundige
Faculteit, te danken voor liet onderwijs, dat ik van U heb
mogen ontvangen. Uwe colleges, Hooggeleerde Kapteyn en de
Vries zullen steeds tot mijne aangenaamste studieherinneringen
behooren.

Ook U, Hooggeleerde Beijsens en Niermeijer dank ik voor
hetgeen Gij tot mijne wetenschappelijke vorming hebt bijgedragen.

Een groot voorrecht acht ik het, Hooggeachte Promotor,
Hooggeleerde Oestreich, dat ik vanaf het oogenblik, waarop Gij
aan deze Universiteit het Hoogleeraarsambt aanvaard hebt, mij
onder Uwe toehoorders heb mo&en tellen. Hoewel aanvankelijk
mijne studies in andere richting wezen, heeft de bezielende
kracht van Uw onderwijs zulk een invloed op mij uitgeoefend,
dat ik de Geomorphologie, Uw studiegebied, ook tot het mijne
gekozen heb. Voor Uw onderwijs en voor de wijze, waarop Gij
mij ingewijd hebt in de Wetenschap der Physische Geographie,
vooral ook in de beide laatste jaren, waarin ik als assistente
onder U werkzaam mocht zijn, breng ik U mijn zeer hartelijken
dank en evenzeer voor de groote hulp en voorlichting, welke ik
bij de samenstelling van dit proefschrift steeds in zoo ruimen
mate van U heb mogen ondervinden.

Ook dank ik allen, die mij overigens bij mijn onderzoek
met raad of daad terzijde stonden; in de eerste plaats den Heer
Ed. Baron de Pierpont, administrateur-dólégué de la Société
anonyme des Grottes de Han-sur-Lesse et de Rochefort, voor de

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groote bereidwilligheid, waarmede hij mij toegang tot de Grotten
verschafte en gidsen tot mijne beschikking stelde; dan ook den
Hoofddirecteur en de Directeuren van het Kon. Ned. Meteorologisch
Instituut te de Bilt, die mij de voor mijne waarnemingen be-
noodigde instrumenten in bruikleen afstonden en mij ook velerlei
inlichtingen verschaften, en eveneens Dr. P. A. Meerburg, afdee-
lingchef van \'s Rijks Centraal-Laboratorium t. b. v. het Staats-
toezicht op de Volksgezondheid, die mij toestond proeven in
zijn laboratorium te verrichten.

Ten slotte breng ik gaarne mijn dank aan het Bestuur van
den „Frankfurter Verein für Geographie und Statistik", dat deze
verhandeling wel in zijn Jaarbericht heeft willen publiceeren.

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Erster Teil.

Die Genesis des Ardeimen-Flußsystems.

Einleitung.*)

Die Ardennen bilden den westlichsten Teil des Rheinischen
Schiefergebirges und können als die westliche Fortsetzung der
Eifel aufgefaßt werden. Die größte Höhe erreichen sie in der
Umgebung der deutsch-belgischen Grenze und in der belgischen
Provinz Luxemburg, während in nordwestlicher Richtung die
Höhe abnimmt. Die Maas durchbricht die Ardennen in einem
besonders zwischen Mezieres und Namur tief eingeschnittenen
Tale. Bei der zuletzt genannten Stadt vereinigt die Maas sich
mit der Sambre und beugt sich mit scharfer Wendung nach
ONO, bei Lüttich ändert sich diese Richtung in eine fast
nördliche. Ähnliche, plötzliche Richtungsänderungen linden sich
bei der Ourthe und bei mehreren Flüssen, die dem Stromgebiet
der Lesse angehören.

Die Abdachung der Ardennen kann also die jetzige Lauf-
richtung der Flüsse nicht erklären, und so drängt sich die Frage
auf: Welchen Entwicklungsgang hat das Ardennenilwßsystem
durchlaufen, ehe es die heutige Stromrichtung erhielt? Diese
Frage kann aber für sich allein nicht beantwortet werden, auch
auf die Entwicklung des Ardennengebirges muß Bezug genommen
werden. So wurde für die vorliegende Arbeit eine breitere
Basis geschaffen, indem die Genesis der Ardennen den Ausgangs-
punkt bildete. Hier galt es allerdings, das Literaturstudium
zur Hilfe heranzuziehen, zeigte sich dieses doch als der einzig
mögliche Weg, um über die Richtigkeit der Schlußfolgerungen
in Bezug auf die im Felde studierten Gebiete einigermaßen
Gewißheit zu erlangen.

\') Man vergleiche hierzu Tafel II.

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Erstes Kapitel.
Bisherige Theorien.

§ i.

Die Theorie von J. Cornet.

Insoweit mir bekannt, ist J. Cornet der einzige, der
der Entstehung der Ardennentäler eine eingehende Veröffent-
lichung gewidmet hat. Die Hauptzüge dieser Theorie (der sehr
ausführlichen Arbeit schwer zu entnehmen) sind die folgenden :

Die Einebnung der Ardennen muß nicht der Arbeit der
jetzigen kontinentalen Periode zugeschrieben werden, sie ist
selbst nicht einmal prätertiär, sondern präkretazisch. Diese
Fastebene ist bedeckt worden von den Absätzen der kretazischen
und tertiären Meere. Da diese Meere jede Spur der vormaligen
Hydrographie verwischt haben, muß die Entstehung der jetzigen
belgischen Flußtäler in die Zeit nach dem Rückzug des tertiären
Meeres angesetzt werden, das Belgien zuletzt bedeckt hat, d. h.
des Diestien-Meeres (ältestes Pliozän), das gegen Süden vorge-
drungen ist über die Linie, die der heutigen Sambre-Maas-Furche
entspricht. Für fast ganz Belgien bedeutet also der Rückzug
des Diestien-Meeres den Beginn der gegenwärtigen Kontinental-
periode. Die jüngsten tertiären Meeresabsätze bilden für Hoch-
Belgien zweifelsohne diejenigen Ablagerungen, die die belgische,
geologische Karte als oligozän qualifiziert. (Die damalige,
höchste Erhebung der Ardennen wird nicht vom Meer bedeckt
gewesen sein, und es ist also wahrscheinlich, daß noch Fluß-
und Talstücke bestehen, die Relikte von Flüssen sind, nacli dem
Rückzug des Miozän-Meeres, des Oligozän-Meeres usw. ent-
standen). Das oligozäne Meer hat
sich nach Norden zurück-
gezogen; die Küstenebene neigte sich also in dieser Richtung
und die jungen Flüsse folgten dem stärksten Gefälle. Die
Ardennenfiüsse
mit süd-nördlicher Stromrichtung sind also kon-
sequent in Bezug auf das allgemeine Gefälle der tertiären
Schichten, der noch anwesenden oder der schon abgetragenen : so
die Maas von Dinant, Eau d\'Heure, Ourthe-Maas (von Barvaux

*) J. Cornet: Études sur l\'Évolution des Rivières belges. (Ann. Soc.
géol. de Belgique [Liège] T. XXXI. 190B--1904 p. 261-499). Wird weiter-
hin im
Text zitiert werden als (Cornet. Et. p.

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bis Maastricht), Obere Ourthe (vom Zusammenfluß der zwei
Quelläste bis Noiseux) — Hoyoux, die Zuflüsse der Lesse strom-
aufwärts von Ciergnon, (Wamme, Lliomme, Lesse, Our,
Wimbe usw.), nach Norden fortgesetzt durch den Bocq (Ober-
lauf bei Ciney) und den Samson.

Die tertiären Absätze, die in der Nähe der Täler der
Maas von Dinant, Sambre, Maas von Huy, Ourthe, Eau d\'Heure
usw. gefunden werden, sind marinen Ursprungs.1) Es hat
also eine einheitliche, tertiäre Bedeckung (recouvrement tertiaire
uni) der Ardennen gegeben, auf welcher die obengenannten
Flüsse entstanden sind. Denn nur auf diese Weise ist die Un-
abhängigkeit der Maas und der sonstigen Ardennenhauptflüsse
gegenüber dem Schichtstreichen und der ungleichen Widerstands-
fähigkeit der Gesteine zu erklären.

Von der ehemaligen tertiären Bedeckung sind nur noch
Bruchstücke erhalten geblieben. Die Flüsse haben die meso-
zoischen und paläozoischen Schichten angeschnitten. Es sind also
epigenetische Flüsse (rivières épigénétiques ou surimposées).
Für jeden der genannten Flüsse wird der Beweis (?) geliefert.

Die Verbreitung der Maas-Ablagerungen (dépôts moséens)
im Norden des Landes beweist, daß sie nicht allein von der
heutigen Maas abgesetzt sein können und daß in jener Zeit,
als sie von Süden hergeführt wurden, das konsequente, primitive
Flußsystem noch nicht in zwei Teile zerlegt worden war. Der
Unterlauf der Maas wurde damals gebildet von irgendeinem
Zufluß des Systems der zwei Geeten.

Die Sambre, wenigstens von unterhalb Charleroi an, bildet
mit der Maas von Namur bis Lüttich eine Einheit. Die
Richtung der beiden Täler, die geologische Lage beweisen es;
aus morphogenetischem Gesichtspunkt ist die Maas von Dinant
nur ein Zufluß der Sambre-Maas.

Von Lüttich bis oberhalb Charleroi folgt die Sambre-Maas-
Furche fast gänzlich der Richtung der devono-karbonischen Synkli-
nale des geologischen Beckens von Namur, und auf eine große
Strecke ist sie hier eingeschnitten in die Ablagerungen des Car-
bons, welche die mittlere Partie der Synklinale bilden. Unterhalb
Lüttich entfernt sich die Maas vom Tiefsten dieser Synklinale.

\') Es sei betont, daß liier die Cornet\'schen Anschauungen ohne Kritik
wiedergegeben werden.

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Der epigenetische Charakter der Sambre-Maas ist schon
oben erwähnt worden. Sie ist entstanden auf einem tertiären
Mantel und die Anlage wurde geleitet, erleichtert und selbst
hervorgerufen durch eine Synklinale Einbiegung der tertiären
Schichten, die wahrscheinlich sehr wenig prononziert war und
selber, ebenso wie die tertiäre Synklinale der Haine, durch eine
Spezialmulde der devono-karbonischen Synklinale des Namurschen
Beckens, oder durch eine spätere Einsenkung des Beckens ver-
ursacht wurde. (Der
Synklinale Ursprung des Sambre-Maastales
unterhalb Marchienne wird durch Analogie mit demjenigen der
Haine bewiesen.)

Das Sambre-Maastal ist entstanden durch von Osten gen Wes-
ten fortschreitende regressive Erosion. (Sie hat angefangen
von einem subsequenten Seitenfluß der Ourthe aus.) Dieser Hypo-
these zufolge war anfänglich entlang der Linie der jetzigen Sambre-
Maas von Marchienne bis Lüttich eine Serie subsequenter Flüsse
in den paläozoischen Schichten
eingeschnitten1) und da diese
teils nach Osten, teils nach Westen
gerichtet waren, könnten
sich die Gefällsänderungen erklären lassen, die von Stainier in den
Maasterrassen zwischen Namur und Lüttich nachgewiesen wur-
den2) (Vgl. § 11). So hat die
Sambre-Maas die konsequenten
Flüsse enthauptet, d. h. den Hoyoux (von Modave), Samson,
Maas von Dinant, Eau d\'Heure usw.

In dieser Weise erklärt Cornet die Entwicklung der Ar-
dennentäler. Außer Betracht gelassen wurde hier seine An-
schauung in betreff der Flüsse des belgischen Hügellandes und
der Ebene, die sich aber im großen und ganzen mit der obigen
Theorie deckt.

§ 2-

Theorien über die Entstehung (les Durehbruchtales
der
Maas.

Der Cornetsche Standpunkt in dieser Frage soll hier später
erörtert werden; es
scheint aber erwünscht, erst eine kurze
Ubersicht über die
bedeutendsten, bisherigen Theorien zu geben.

1 ) Ausnahmsweise sei hier au! den inneren Widerspruch in der
Cornetschen Auffassung
hingewiesen ; denn die Sambre-Maas dürfte dann als
Ganzes betrachtet, weder
epigenetisch, noch subsequent genannt werden.

s) X. Stainier: Le Cours de la Meuse depuis l\'ère tertiaire. (Bull.
Soc. belge de Géol. T. VM- l894\')

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Bs handelt sich um die folgende Frage: Die Maas entspringt
in einer Höhe von 347 Metern. Ihr Tal ist von dem Seinebecken
geschieden durch Hochflächen, deren Höhe weniger als 400 m
beträgt. Zwischen Mézières und Givet aber durchbricht die
Maas die hier bis 500 m ansteigende Hochfläche der Ardennen
in einem canyonartigen Engtal, das in der Mitte bis zu einer
relativen Tiefe von 270 m eingeschnitten ist.

D\'Omalius d\'Halloy versuchte als erster diese Eigentüm-
lichkeit im Maaslauf zu erklären. Er und die ganze Schule
von Elie de Beaumont glaubten, die Maas sei nur deshalb im
Stande gewesen die Ardennenerhebung zu durchqueren, weil
schon vorher eine Spalte da war. E. Dupont1) unterstützte
diese Hypothese, die jetzt fast völlig verlassen und durch die
•Erosionstheorie abgelöst worden ist. Von den meisten Autoren
wird jetzt die Meinung vertreten, daß die Maas ihren Lauf
durch die Ardennen immer beibehalten hat und allmählich durch
Erosion ihr Bett in dieselben eingesenkt hat. Der Erste, der
auf die Möglichkeit einer nachträglichen Erhebung der Ardennen
hingewiesen hat, war Ch. de la Vallée Poussin und zwar in der
am 19. Dezember 1875 gehaltenen Sitzung der Société géologique
de Belgique. Damals qualifizierte er diese Idee aber selber als
eine völlig theoretische Hypothese. Zehn Jahre später, am
21. Juni 1885, hielt er in derselben Gesellschaft einen Vortrag,2)
in dem er der genannten Hypothese einen festeren Untergrund
verlieh : . . . . „wir können als wahrscheinlich annehmen, daß
ein Teil der Champagne von Lothringen und der Bourgogne in
der Tertiärzeit ein Hochland darstellte und daß die Ardennen,
welche damals anstatt eine Barriere zu bilden, sehr niedrig
waren, die natürliche Richtung des Gefälles und des Abflusses
der Gewässer bildeten. Der jetzige Zustand des Landes könnte
also auf eine nachträgliche Hebung der französischen Ardennen

zurückgeführt werden.....Die tief eingesenkte Schlucht,

oder wie man in Amerika sagt, der Canyon, in dessen Tiefe die
Maas jetzt fließt, z. B. zwischen Cliarleville und Givet, zeigt

E. Dupont : Etude sur le terrain quaternaire des vallées de la Meuse
et do la Lesse dans la province de Namur. (Bullet. Académ. de Bruxelles.
2e serie 1866.)

\') Ch. de la Vallée Poussin : Comment la Meuse a pu traverser le terrain
ardoisier de Rocroy. (Ann. Soc. géol. de Belgique. T. XII (1884—1885) p. 151 etc.)

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uns die mechanische Arbeit, welche ihre Gewässer während
langer Zeiten geleistet haben."

A. de Lapparent1), W. M. Davis2) und K. Oestreich3) sind
auch der Meinung, daß die Ardennen sicli langsam gehoben
haben, und daß die Vertiefung des Maastales mit der Ardennen-
aufwölbung gleichen Schritt gehalten hat. Die Theorien von
Dollfus und Vidal de la Blache sollen später erörtert werden.
Cornet4) (Cornet Et. p. 365) verwirft die Spaltentheorie. Er
stützt sich auf Dollfus,5) indem er annimmt, die Ardennen-Maas
habe durch Anzapfung in der Nähe von Mezieres (Fig. 1) die

Fig. 1. Maas und Oise in ibrem heutigen Verhältnis.

Lotliringer Maas, einen damaligen Zufluß der Oise, an sich
gezogen (vgl. § 12), und zwar in sehr alter Zeit, noch ehe die
Maas anfing ihr Tal in die paläozoischen Gesteine einzuschneiden.
Cornet meint, das Quertal der Maas von Mézières bis Namur sei ein
epigenetisches Tal. Das jurassische Gebiet des oberen Maas-
beckens, das sich heutzutage in einem niedrigeren Niveau befindet,

*) A. de Lapparent: Leçons de géographie physique, p. 167. Paris 1907.
2) W. M. Davis: La Seine, la Meuse et la
Moselle. (Ann. de géogr. 1895.)
s) K. Oestreich :
Die Oberfläche des Rheinischen Schiefergebirges.
(Handelingen v. h. Xlle
Nederlandsch Natuur-en Geneesk. congres. Utrecht 1<J09.)

*) Vgl. auch J. Cornet: La Meuse Ardennaise (Bull. Soc. beige de
Géol. T. XVIII 1904.)

6) G. F. Dollfus : Relations entre la structure géologique du Bassin de
Paris et son
Hydrographie. (Ann. de geogr. T. IX 1900, p. 330.)

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als die höchsten Aufragungen des Ardennenmassivs, habe früher
im Gegenteil die Ardennen überragt und damals sei die Maas,
von jenem hohen Juragelände herabkommend, nach Norden hin-
untergeflossen und habe die Ardennen durchquert, auf einer ter-
tiären Bedeckung fließend, welche das paläozoische Massiv
verhüllte. Als der Fluß sein Bett einsenkte, sei der Augen-
blick gekommen, wo er jenes Massiv anschnitt und epigenetisch
sein Tal in vertikaler Richtung vertiefte (Fig. 2), während die

Erosion die tertiäre Bedeckung entfernte (deren letzten Reste
von den oligozänen Absätzen - Om und On - gebildet werden), und
allmählich einerseits das belgische Tertiärland, anderseits das
Lothringer Juraland erniedrigte; in dieser Weise sollen die Ar-
dennen, weil aus widerstandsfähigerem Material aufgebaut, mehr
und mehr eine Aufragung gebildet haben zwischen zwei Ge-
bieten, die in rascher fortschreitender Denudation begriffen
waren. Die Aufragung der Ardennen über die im Süden an-
stoßenden Gebiete sei nicht durch eine Aufhebung des Massivs ver-
ursacht worden, sondern durch ihre größere Widerstandsfähigkeit
den denudierenden Agenden gegenüber. Diese Erhebung sei
älter, selbst präkretazisch, und der jetzige geographische Zyklus
habe nur die Herauspräparierung der Ardennen als eines Härte-
rests besorgt. Cornet stützt diese Theorie durch den Vergleich
mit der Scheide bei Tournai (Cornet Et. p. 351) (Karbonkalk-
riicken, den die Scheide in einer engen Schlucht durchquert)
und mit mehreren Zuflüssen der Henne.

Die hier kurz wiedergegebene Cornet\'sche Theorie bildet
im großen und ganzen eine logische Einheit. Es scheint mir
aber, daß in einem der Hauptpunkte sie sich selber widerspricht.
Cornet nimmt nämlich an, daß die Peneplain, die jetzt noch

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auf den Ardennenhöhen wahrzunehmen ist, eine „aufgedeckte" *)
Peneplain ist; seiner Meinung nach ist sie ja doch präkretazisch;
nachher habe eine Bedeckung mit mesozoischen Meeressedimenten
stattgefunden ; der Abtrag dieser Bedeckung sei wenigstens zum
größten Teile prätertiär gewesen. Dann sei sie von den ter-
tiären Meeren bedeckt worden; der jetzige Zyklus aber habe
die tertiären Absätze wieder abgetragen, so daß die alte Pene-
plain wieder an die Oberfläche getreten sei. Die jetzige Ar-
dennenoberfläche sei also dieselbe als die präkretazische, die
Cornet auch als Peneplain andeutete; und die in Nieder-
Belgien von der Kreide und dem Tertiär verhüllt wird. Die Cor-
netsche Theorie besagt also, daß abgesehen von Regressionen
und Transgressionen des Meeres die belgische Peneplain wenig-
stens seit dem Ende der Kreidezeit nicht mehr von tektonischen
Bewegungen, d. h. Aufhebungen, betroffen worden ist, wie auch
aus dem folgenden Satz hervorleuchtet (Cornet Ét. p. 360):
„Aus Profilen in gleichem Maßstab von Länge und Höhe kann
man feststellen, daß die „Höhen" der Ardennen nur flache
Kuppeln sind und daß das Relief des paläozoischen Teiles des
Landes, abgesehen von den Tälern,
weniger akzidentiert ist als
dasjenige manches Meeresbodens in der Nähe der Kontinenten."
In diesem Lichte betrachtet er auch das, meiner Anschauung
nach, sehr fragliche Vorkommen von anstehender Kreide bei
Hockai in einer Höhe von 575 m und verwirft die Erklärung
einer nachträglichen Hebung des Massivs
von Stavelot, d. h.
des kambrischen Kerns vom Hohen Venn. Die Cornetsche
Theorie der Entstehung des Maascanyons beruht, wie oben ge-
sagt, auf der Annahme einer
allgemeinen Denudation des tertiären,
belgischen Geländes und des Lothringer Juragebietes, da die
Aufragung der Ardennen über die im Süden anstoßenden Ge-
biete, seiner Auffassung nach, eine ursprüngliche ist, sogar eine
präkretazische. Dann darf aber auch nicht von einer „präkreta-
zischen Fastebene" die Rede sein und darf man nicht annehmen,
daß diese Fastebene, wenn auch später aufgedeckt, eine ursprüng-
liche Peneplain vorstellt, ohne spätere Hebung um den ungefähren
Betrag der Höhe, die sie jetzt in Bezug auf die Erosionsbasis
besitzt. In jenem Falle würden außerdem die Flüsse, ebenso

1) In (len Vorlesungen von Professor Oestreich (Utrecht) gebräuchliche
Übertragung des Begriffes: Pénéplaine fossile:

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wie jetzt geschehen ist, eingeschnitten haben. Die Theorie
wäre noch zu verteidigen, wenn man annehmen könnte, daß
damals die Erosionsbasis höher gelegen habe, mit anderen Worten,
daß das Meer während der Ausbildung der Peneplain Nieder-
Belgien vollständig bedeckt hätte und daß später, als das Meer
im Rückzug begriffen war, die Flüsse eingeschnitten hätten;
aber das stimmt nicht zu der Tatsache, daß die Fastebene
(wie aucli von Cornet angenommen wird) sich unter der tertiären
Bedeckung von Nieder-Belgien fortsetzt, und die Erosionsbasis
zu jener Zeit also nördlicher gelegen hat. Auch ohne jetzt
bereits untersuchen zu wollen, ob in ihren Folgerungen die
Theorie mit den Tatsachen übereinstimmt, scheint mir die
Cornetsche Theorie in dieser Hinsicht unlogisch zu sein.

§ 3.

Die Theorie von A. Briquet.

Eine andere Theorie über die Entstellung der Ardennen-
täler ist in kurzer Fassung von A. Briquet1) gegeben worden.
Briquet setzt auseinander, wie die Morphologie der Ardennen-
hochfläche (welche ihre Fortsetzung findet in den schmalen
Kämmen der Cuestalandschaft im NO. des Pariser Beckens und
in den kleineren Kreidehochflächen, die das Boulonnais und die
Bray begrenzen) sich durch das Auftreten einer fossilen,
ziemlich rezenten Peneplain erklären läßt. (Für die jetzige Höhe
gibt Briquet an: 540 m im 0. der belgischen Ardennen, 350 bis
300 m in den jurassischen Cuestas, 200 m im Boulonnais, im
Meeresniveau in Nord-Belgien, 100 bis 200 m unter dem Meeres-
niveau in den Niederlanden.) Die fossile Peneplain ist schräg-
gestellt worden vor dem Anfang der Erosionszyklen, die das
heutige Relief ausgearbeitet haben; denn der konkordante
Charakter dieser Serie schließt die Möglichkeit jeder defor-
mierenden Bewegung seit ihrem Anfange aus.
Ä Die Peneplain wurde von einer mächtigen Sedimentdecke
verhüllt und blieb bewahrt, bis sie nach deren Abtragung wieder
zum Vorschein kam. Der Name „Sedimentdecke" (épais manteau

\') A. Briquet: Sur l\'existence d\'une pénéplaine fossile d\'âge récent dans
la région gallo-belge et sur l\'origine du réseau hydrographique actuel (Comptes
Rendus des Séances de l\'Acad. des Sciences. Taris 10 Oct. 1910).

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de sédiments) könnte leicht zu einer falschen Auffassung der
Briquetschen Theorie führen, indem sich dabei der Gedanke
einer das Gebirge verhüllenden, marinen Sedimentation aufdrängt.
Doch liât Briquet sich den Prozeß anders gedacht, wie aus den
folgenden Sätzen *) hervorleuchtet. „Auf diesen noch erhaltenen
Stücken (i. e. der Peneplain) finden sich Sedimentreste von einer
charakteristischen Natur, die auf die lange Periode subae-
rischer Abtragung hinweist, in welcher die Peneplain sich aus-
bildete. Man könnte die Sedimente arm2) nennen, weil sie zu-
sammengestellt sind aus denjenigen Gesteinen, die die Ver-
witterung überstanden haben, und den restierenden Bestandteilen
derer, welche der Verwitterung anheimgefallen sind." In den
beiden genannten Arbeiten hat Briquet verschiedene Anschau-
ungen über die Entstehung des jetzigen Flußsystems niedergelegt.
In der zuerst erschienenen
: La Pénéplaine etc. (S. 220) weist
er darauf
hin, wie die Verbiegungen der Fastebene die Unab-
hängigkeit der Flüsse gegenüber dem tektonischen Aufbau
des Bodens erklären, wie er verursacht ist durch Bewegungen,
die älter sind als die Peneplain, und wie die Flüsse nicht ent-
standen sind auf einer Sedimentdecke, die unabhängig war von
dem Aufbau des Grundgebirges, sondern auf einer topographi-
schen Oberfläche, die eine ähnliche Unabhängigkeit zeigte wie
die heutige, und wo die Flüsse nur deren Gefällsrichtung folgten.
Die Flüsse seien, wo sie eben flössen, eingesunken ohne Rücksicht
auf die Struktur des Bodens, und das Flußsystem sei noch immer
die Widerspiegelung der primitiven, topographischen Oberfläche.
— In seiner zweiten Arbeit : Sur l\'existence etc. scheint es mir,
daß Briquet mehr hinneigt zur Annahme eines epigenetischen
Flußcharakters, epigenetisch in Bezug auf die Sedimentbedeckung,
von der er annimmt, daß sie zugleich mit der Peneplain ver-
bogen wurde. — Nicht nur in Bezug auf die Schrägstellung
der Fastebene, welche Cornet leugnet, sondern aucli in der

\') A. Briquet: La Pénéplaine (lu Nord de la France (Ann. de Géogr.
T. XVII 1908, p. 206). Auf S. 221 dieser Arbeit gibt Briquet eine Übersicht
über die noch erhalten gebliebenen Teile der Peneplain. Diese werden für
die Ardennen gebildet von dem Gebiete zwischen den Quellen der Lesse und
der Eau d\'Heure. Die Nordgrenze läuft über Dinant, die Südgrenze über
Mézières hinaus.

ä) Vgl. den Ausdruck „verarmtes Gpröll« in Penck-Brückner : Die
Alpen
im\'Eiszeitalter. Leipzig 1909, S. 659.

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Altersbestimmung der Peneplain laufen die Briquetsche und
Cornetsche Theorien einander nicht parallel, weil Cornet sie als
präkretazisch auffaßt, Briquet sie aber in das Oberpliozän stellt.

§ 4.

Die Theorie von Yidal de la Blaclie.1)

Die Lothringer Maas ist ein Fluß subsequenten Charakters,
d. h. in der Richtung des Schichtstreichens entwickelt. Sie hat
sich nicht auf der großen, nach Westen gerichteten Pariser Ab-
dachung eingetieft, sondern entlang der Richtung der Lothringer
Schichtstufen, weil die belgische Erosionsbasis, als die tiefer
gelegene, an Anziehungskraft derjenigen des Pariser Beckens
überlegen war. Die Stromrichtung der Maas gegen die Ardennen
zu ist ursprünglich, denn, wie könnte eine Maas, die nach dem
Pariser Becken strömte, wo doch eine starke Denudation wirk-
sam war, von einem Ardennentluß mit träger Erosion angezapft
worden sein? (Vgl. hierzu auch Fig. 1). Daß Maaszuflüsse an
die Flüsse des Pariser Beckens und an das Rheinsystem ver-
loren gingen, muß einer Verlangsamung der Erosion in den
Ardennen zugeschrieben werden. — Die höchsten Fundorte der
Maasgerölle in Lothringen liegen im Niveau von 300 m, also
niedriger als die Ardennenoberfläche, deren nachträgliche Er-
hebung deshalb nicht bestritten werden darf. Stainier hat in"
der Hauptterrasse bei Namur, Lüttich und Visé jurassische und
triassische Lothringer Gerölle gefunden. Die Maas ist ihrem
jetzigen Lauf schon gefolgt, noch ehe sie in die paläozoischen
Schichten eingeschnitten hatte. Vom hohen Lothringer Plateau
floß sie gegen die Niederlande über die noch in niedrigerer
Lage verharrenden Ardennen hinweg. Auch zeigen das Ardenner
und das Lothringer Tal der Maas dieselben Alterskennzeichen:
tiefen Einschnitt und Terrassen in entsprechenden Höhen.

Fußend auf der Cornetschen Theorie (vgl. § 2) nimmt Vidal
an, daß die Ardennen von den Absätzen des Lias-, des Kreide-
meeres und der tertiären Meere bedeckt gewesen sind und daß
auf dieser Bedeckung die Maas als ursprünglicher Fluß (rivière
originelle) entstanden ist. Im Gegensatz zu Cornet nimmt Vidal

1 ) .T. Vidal de la lîlache : Étude sur la vallée lorraine de la Meuse.
Paris 1908.

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also eine nachträgliche Hebung der Ardennen an und wendet
sich gegen die Annahme einer Enthauptung der Lothringer Maas
durch die Ardennen-Maas.

Bekämpfung der epigenetischen Erklärung für das Maastal.

Weder Cornet noch Briquet weisen auf die eingesenk-
ten Mäander (méandres encaissées) hin, welche für die
Maas, Semois, Untere Lesse usw. so charakteristisch sind. Es
scheint mir, daß diese auch nicht zu erklären sind, wenn
man, wie die beiden Autoren, annimmt, daß die Ardennenflüsse
epigenetisch auf einer tertiären Bedeckung entstanden sind. (Nur
mit der ersten Theorie Briquet\'s (vgl. S. 14) wären die Mäander
in Einklang zu bringen).

Die Erklärung der Entstehung der Ardennentäler durch
Epigenesis (also die Annahme einer zusammenhängenden tertiären
Bedeckung der Ardennen), welche die Basis der Cornetschen
Theorie bildet, scheint mir gar nicht sichergestellt zu sein. Denn
der einzige von Cornet angeführte Beweis beruht auf dem sehr
fraglichen Vorkommen von Tertiär auf der Hochfläche. Cornet
behauptet, alles Tertiär sei hier marinen Ursprungs, aber einen
Beweis für diese Behauptung führt er nicht an. Da nirgendwo
marine Fossilien in diesem Tertiär aufgefunden sind, glaube
ich eher, daß hier Jluviatile, also terrestrische Tertiärbildungen
vorliegen. — Auch wird die Küste des Diestienmeeres gewöhn-
lich weniger weit südlich angenommen, als von Cornet (vgl. S. 6)
geschieht. So gibt Rutot ») in einer Skizze für das südlichste
Vorkommen von Tongrien inférieur (Oligozän ; nach Rutot stellt
das Meer des Tongrien inférieur die größte,
tertiäre Ardennen-
transgression dar) eine Bucht an etwas südlich von La Roche. —
Auch Penck2) meint, daß seit
der Kreideperiode Hoch-Belgien
der
Meeresbedeckung entrückt ist und also der Denudation aus-
gesetzt war, welche die verschiedenen
mesozoischen Gebilde
entfernte, welche auf dem Gebirgsruinpfe zur
Ablagerung gelangt
waren. Penck
meint, daß darum in Hoch-Belgie» ausschließlich

Ta Rutot: Les origines du qUaternaire de la Bclgi(lue (Bull. Soc.

belge de géol. ï. XI. 1897 P-105 et HO). ,

t) a. Penck: die Niederlande, Beigien. und Lu*embur8 S. 532 (in
A. Kirchhoffs Länderkunde von Europa. Bd.
II 1889).

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paläozoische Gesteine vorherrschen. — Auch auf der geologischen
Karte von Dewalque kommt bei Hockai kein Miozän vor; nur
Oberes Oligozän (Boldérien = 04). — Dollfus1) ist derselben
Meinung : Eine Anlage auf einer Decke mariner Ablagerungen
im Zusammenhang mit einer von diesen zusammengesetzten
Küstenebene sei für die Maas nicht anzunehmen, denn es gibt
keinen einzigen Beweis dafür, daß das Gebiet, wo sie entstanden,
von marinen Absätzen bedeckt gewesen ist.

Noch ein anderer wunder Punkt der Cornetschen An-
schauung muß hier berührt werden. Nach seiner Theorie bietet
ja die Maas von allen belgischen Flüssen das ausgeprägteste
Beispiel der epigenetischen Talbildung (vgl. hierzu Fig. 2) und
um diese zu erklären, zieht er zum Vergleich die Scheide bei
Tournai heran. (Vgl. S. 11). Der morphologische Charakter einer
Landschaft endet aber nicht an der Landesgrenze, und gerade
diese von jedem anerkannte Tatsache bleibt von den meisten
belgischen Geomorphologen unbeachtet. In der Einleitung wurde
schon darauf hingewiesen, daß die Ardennen genetiscli und geo-
logisch einen Teil des Rheinischen Schiefergebirges bilden. Soll
also das Durchbruchstal der Maas durch Epigenesis erklärt
werden, dann muß diese Erklärung auch für die Durchbruchstäler
des Rheines, der Lahn und der Mosel durch dasselbe Gebirge
zutreffen. Hieraus würde sich ergeben, daß einst jenes in seiner
ganzen Ausbreitung von Tertiär bedeckt gewesen sei und Ober-
rheinische Tiefebene wie\' Lothringer Hochfläche beide damals
das Rheinische Schiefergebirge überragt haben; durch lokale
Denudation müßte dann das jetzige gegenseitige Niveauverhältnis
geschaffen worden sein; denn ohne tektonische Grenze, Ver-
werfung oder dergleichen, gehen die Ardennen in das Rheinische
Schiefergebirge über. — Es bedarf keine weitere Auseinander-
setzung, um zu zeigen, daß diese Schlußfolgerungen in ihren
Ergebnissen nicht annehmbar sind.

Die logische und theoretisch sehr gut annehmbare Erklärung
der Durchbruchstäler durch Epigenesis, deren Urheber F. von
Richthofen ist, ist in der Natur für einen so großen Laufab-
schnitt eines Flusses noch nicht nachgewiesen worden. Zwar
hat von Richthofen diese Theorie auf verschiedene Himalaya-

\') G. Dollfus: Relations entre la structure géologique du bassin de
Paris et son hydrographie p. 831 (loc. c. S. 10).

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flüsse und hat Emmons sie auf den Green-River, einen der
Colorado-Quellflüsse, angewendet, aber diese Erklärungen sind
später stark angegriffen worden und jene Flüsse gelten jetzt
als antezedent ;wenn auch der Green-River (nach Davis im
Gegensatz zu Powell) nicht den Typus des antezedenten Flusses
darstellt, da er nicht im Stande war, die Aufwölbung zu be-
siegen, sondern zuerst einen See gebildet hat, wie Seeabsätze
oberhalb seines Canyons beweisen. Erst später hat, durch Über-
fließen des Sees, der
Green-River wieder einen Ausweg in der
alten Richtung gefunden.

Selbstverständlich schließt die Tatsache, daß bis jetzt die
epigenetische Theorie noch nicht mit Erfolg auf größere Fluß-
abschnitte angewendet worden ist, die Möglichkeit, daß dies
später noch geschehen wird, nicht aus; aber jedenfalls kann
die Erklärung des
Ardennen-Maastals als eines epigenetischen
Durchbruchstals uns nicht befriedigen.

Zweites Kapitel.

Aufbau einer Theorie.1)

§ 6.

Die früheren Zyklen in der Entwicklung der Ardennenflüsse.

Auf Grund der in § 5 erwähnten Verhältnisse glaube ich
annehmen zu müssen, daß die Ardennen als Ganzes betrachtet
nicht von den tertiären Meeren bedeckt gewesen sind. Wohl
aber bespülte in der Eozänzeit das Meer den Nord- und den
Südabhang der Ardennen (vgl. hierzu Fig. 3); diese waren
seit\' der Hennegauer Faltung (Ridement du Hainaut), welche
die Devon- und
Karbonschichten gefaltet2) und zu einem Gebirge
aufgestaut hatte, schon ganz eingeebnet und das eozäne Meer

1 ») Vgl. K. Oestreich: Die Täler des nordwestlichen Himalaya. (Pet.
Mitt. Erghft. No. 155 [1906] S. 104 u. ff.)

*) Ich hatte die im folgenden darzulegende Theorie schon aufgestellt,
als mir weder die Briquetsche Arbeit : La pénéplaine du Nord de la France,
noch die Abhandlung von Ch. Stevens: Remarque sur l\'hydrographie du bassin
de la Lesse (vgl. § 17) bekannt waren.

2 ) Unter dem Ausdruck „Faltung" sei hier auch die Erscheinung des
Deckenbaus begriffen, die ja nach Fourmarier die Tektonik der Ardennen
beherrscht. (Vgl. Bull, de la Séance extraordin. du 10 fêvr. 1913 de la Soc.
géol. de Belgique. Ann. Soc. géol. de Belg. T. XL.)

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MIOZ.ANES MEER

N 1 E PENEPLAIN

\\V//A\\W/

PALAEOZ.OISCHES
ARDENNEN-MASSIV

p. g I. Schematischer Durchschnitt durch die Ardennenhalbinsel zur Eozänzeit.
II. Schematischer Durchschnitt durch die Ardennen zur Miozänzeit,

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umspülte eine Fastebene, die wir der Kürze halber die NTE
Peneplain nennen werden. Die Grenze der eozänen Meeres-
absätze verläuft1) von Laon in Frankreich über Rocroi und
Charleroi, dann ostwärts bis Waremme und Heers, und dem
Nordufer der Maas entlang von Namur bis Lüttich. Auf dieser
eozänen Halbinsel werden Flüsse gen Süd, Nord und West geflossen
sein. Nach der Oligozänzeit muß das Gebiet südlich der Ardennen
sich gehoben haben, denn es finden sich in Frankreich keine
miozänen Meeresabsätze. Aber auch in Nord-Belgien hat das
oligozäne Meer sich etwas zurückgezogen, und auf dem so ver-
größerten Kontinente setzte die Erosion aufs Neue ein. Die
nördliche Küstenebene fügte sich an die NTE Ardennen-Fastebene.
Der keineswegs flache Übergang der Peneplain in die Küsten-
ebene wurde durch die Erosion eingeebnet und eine neue Fast-
ebene, die n-f-le, wurde ausgebildet, deren Oberfläche also
zum Teil von der alten Peneplain, zum Teil von der Küsten-
ebene gebildet wurde. Die Flüsse, die seit der letzten prä-
tertiären Meeresbedeckung auf den Ardennen strömten, setzten
Unterläufe an, der Regression des Meeres gemäß. Zugleicher Zeit
verlängerten sie durch regressive Erosion ihre Oberläufe. Es
ist im vorliegenden Fall kaum möglich nachzugehen, was aus
den Flüssen, welche auf der Südabdachung der eozänen Halb-
insel flössen, geworden ist. Die bei einer derartigen Hebung
oft angenommene Umkehrung der Flüsse2) ist in ihrem Mechanis-
mus unerklärt. Unsere heutige Kenntnis der Morphologie der
Flußtäler hat hier noch eine Lücke, und ich glaube, daß jenes
Phänomen für jeden Spezialfall aus den betreffenden Tal- und
Hebungsverhältnissen erklärt werden muß. Da aber keine
einzige Andeutung des damaligen Flußsystems bis in die
Gegenwart bewahrt geblieben ist, scheint es mir, daß man
hier ganz im allgemeinen nur sagen kann, daß die nach Norden
fließenden Flüsse sich das Stromgebiet der südlichen Abdachung
tributär gemacht haben.

Die tertiären Meere haben sich in nördliche Richtung zuriick-

1 Vgl. die belgische, geologische Karte von G. Dewalque (1 :500 000;
2 Ausg. 1903).

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gezogen. (Rutot \') hat nachgewiesen, daß erst im oberen Pleistozän
jener Teil der Nordsee entstanden ist, der jetzt die flämische Küste
bespült.) Die Südnordrichtung stellt also für die belgischen Flüsse
die konsequente Entwässerungsrichtung dar. Die konsequenten
Flüsse, die in das miozäne Meer mündeten, waren wahrscheinlich :

1. Die Maas von Dinant. Sie strömte nach der Hesbaye.
Das Knie von Namur war noch nicht ausgebildet, und ihr Unter-
lauf wurde durch einen Fluß aus dem jetzigen Flußsystem der
beiden Geeten gebildet. Einen Beweis hierfür gibt Cornet
(Cornet Ét. p. 434), indem er an Hand der geologischen Karte
darauf hinweist, daß im Gebiet zwischen Namur und dem Zu-
sammenfluß der beiden Geeten der Abtrag des Tertiärs weiter
fortgeschritten ist als westlich und östlich dieser Gegend. Auch
die von Lohest im heutigen Becken der Méhaigne nachgewiesenen,
kambrischen Gerölle sollen nach Cornet durch die Hesbayer
Maas dahin verfrachtet sein.

2. L\'Eau d\'Heure aus dem Lande zwischen Maas und
Sambre, die ihre Fortsetzung nördlich der Sambre vielleicht in
das untere Tal der Piéton gefunden hat.

3. Die Obere Ourthe vom Zusammenfluß der beiden
Quellflüsse bis Noiseux. Dieser Teil hat noch die alte, konse-
quente Richtung, in deren Verlängerung der Hoyoux (von Modave)
strömt. Dieser Fluß ist als der Unterlauf der jungtertiären
Ourthe zu betrachten. Die Fortsetzung des Hoyouxtales nördlich
der Maas wurde wahrscheinlich gebildet von dem Tale, in welchem
jetzt obsequent ein linker Seitenfluß der Maas, die Méhaigne, strömt.

4. Die Ourthe von Esneux hatte ihren Unterlauf in der
Maas unterhalb Lüttich.

5. Die Samson.

Der Zyklus, in welchem die obengenannten Flüsse entstanden
oder sich weiter entwickelten, begann mit der Regression2) der

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tertiären Meere und wurde begleitet von einer Schrägstellung
des ganzen Gebietes, welche das Einschneiden der Flüsse zur
Folge hatte. — Zu jenem konsequenten Entwässerungssystem ent-
wickelten sich im Jungtertiär einige subsequenten Flüsse, u. a.
dieSemois, die Lesse unterhalb Eprave und der Bocq
bis etwas östlich von Spontin. Das Lessetal zeigt ober- und
unterhalb Eprave einen völlig verschiedenen Charakter. Nicht
allein ist unterhalb Eprave die Hauptrichtung WNW-OSO und
oberhalb Eprave im großen und ganzen S-N, sondern auch der

Talcharakter ändert sich an jener Stelle: stromabwärts große
Mäander, stromaufwärts
ein jugendlicher Fluß mit unregelmäßigen
Krümmungen. Der subsequente Fluß aber, der die Verhältnisse
des damaligen Flußsystems völlig änderte, ist die Sambre-
Maas. Als subsequenter Seitenfluß der konsequenten Ourthe-Maas

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(von Maastricht) entstanden, entwurzelte sie allmählich, durch
in südwestlicher Richtung wirksame, rückschreitende Erosion,
den Hoyoux (von Modave), die Samson, die Bocq, die Maas von
Dinant und l\'Eau d\'Heure, deren Unterläufe auch weiter als
selbständige Flüsse existierten, während ihre Oberläufe rechte
Seitenflüsse der Sambre-Maas wurden. Einige linken Seiten-
flüsse derselben, so die untere Piéton und die Méhaigne, sind
wahrscheinlich obsequent.

Cornet, der eine ähnliche Entstehung der Maas (Dinant-
Namur-Lüttich) annimmt, weiß nicht zu erklären (Cornet Et,
p. 284), warum dennoch die Maas oberhalb Namur und die
Maas unterhalb jener Stadt die gleichen Züge aufweisen : gleich
großen Radius der Mäander und ähnliches Querprofil, während
die Maas von Huy in dieser Hinsicht einen völlig verschiedenen
Charakter besitzt als die Sambre. Ich glaube, daß die Erklärung
in der Tatsache zu finden ist, daß die Beraubung der südnörd-
lichen Maas durch die Sambre-Maas geschah, ehe die beiden
Flüsse ihr Bett tiefer eingeschnitten hatten. Der Charakter des
Querprofils aber wird erst während des Einschneidens und der
endgültige Mäanderradius erst im Altertumsstadium des Zyklus
festgelegt worden sein, der nun einsetzte und in welchem die
Flüsse schließlich auf einer Fastebene strömten, mit welcher
Fastebene, — wir werden es bald sehen, — dieser Zyklus endete.
Da aber die Wassermenge der Maas von Dinant viel bedeutender
war als jene der Sambre, wurde die Maas (Dinant-Huy-Lüttich)
der Hauptstrom, und es kann daher nicht auffallen, daß Sambre
und Maas von Huy trotz gleicher Entstehung keine Zusammen-
gehörigkeit mehr aufweisen.

Das Relief der Berge wurde nun immer schwächer. Die
Gebiete nachgiebiger Gesteine wurden zu Tiefländern abgetragen,
und selbst die Zonen widerständigeren Gesteine blieben nur als
flache Schwellen übrig. Es entstand eine fast formlose Ebene,
welche über die verschiedenen Strukturen gleichmäßig dahin-
ging: Eine Fastebene, die n-|-2c, hatte sich ausgebildet. Auf
dieser Peneplain strömte das oben beschriebene Flußsystem. In
dem Maß, als das Relief sich abgeschwächt hatte, hatte sich
auch die Regenmenge im Oberlauf verringert und damit die
Wasserführung der Flüsse. Auch das Gefälle war klein geworden,
und so hatte die Tiefenerosion sich fast völlig in laterale Erosion

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abgeändert, von deren Energie der Stil der freien Mäander
abhängt, denn beim Anprallen an ein Hindernis wird die Ge-
schwindigkeit in eine seitwärts wirkende Kraft verwandelt.
Unter gleichen Neigungsverhältnissen der Ebene haben zwei
Flüsse die gleiche abwärts treibende, also durch das Anprallen
an Hindernisse die gleiche, seitliche Geschwindigkeit. Nun ist
aber jede lebendige Kraft proportional der Masse und dem
Quadrat der Geschwindigkeit; unter gleichen Neigungsverhält-
nissen wird also die seitliche Kraft zweier Flüsse nur von der
Masse des Wassers abhängen, d. h. also, je wasserreicher der
Fluß, desto größer der Stil der freien Mäander.1) Es ist also
ganz klar, daß alle obengenannten Flüsse auf der Peneplain,
träge auf ihren eigenen Geröllablagerungen dahinfließend, große
Mäander ausbildeten,2) die Maas (auch die Lothringer Maas),
welche ja am wasserreichsten war, jedocli die schönsten und
größten aufwies. Die Maas strömte damals auf einer Talsohle,
die wahrscheinlich mehrere Kilometer breit war, und deren
Reste uns jetzt in Terrassenform entgegentreten. X. Stainier 3)
hat die Maastalstrecke Dave-Engis untersucht und die Bruch-
stücke jenes durchsunkenen Talbodens in ± 120 bis 140m über
dem heutigen Flußniveau nachgewiesen. Sie werden bedeckt
von den Geröllablagerungen von weißem Quarz mit verkieselten
Oolithen, welche, wie de Lapparent bemerkt, aus den Vogesen
oder von der Mosel zu stammen scheinen, was beweist, daß in
jener Zeit das
paläozoische Massiv der Ardennen im Verhältnis
zu dem französischen Gebiete viel niedriger war als jetzt.

Im Zusammenhang mit dem Vorkommen ähnlicher Reste
dieser ältesten Terrasse bei Flüssen außerhalb der Ardennen
(vgl. § 9), war ich zuerst auch geneigt von dem zuletzt be-
sprochenen Stadium des Flußlebens als von einer „pliozänen"
Maas zu reden. Es bleibt
jedoch immer gefährlich, einen solchen
Namen zu benutzen, wenn das geologische Alter nicht ganz
sicher begründet ist, und so
erscheint es besser, den Ortsnamen
einer prägnanten, lokalen Terrasse einzuführen, wie z. B.

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Oestreicli1) von dem „Reitzenhainer Rhein" spriclit. Späteren
Untersuchungen muß es dann vorbehalten bleiben, wenn möglich,
einen auf das geologische Alter begründeten, allgemeinen
Namen vorzuschlagen. Anstatt der pliozänen Maas möchte ich
hier also den Namen „Argonnen-Maas" einführen. (Vgl. § 9
über die Terrassen.)

§ 7.

Der heutige Zyklus.

Charakter der Ardennen: eine gehobene Fastebene.

Im Jungtertiär scheint in Deutschland, den Niederlanden
und Belgien eine Regression des Meeres stattgefunden zu haben.
Aus der Zusammenfassung, wie W. C. Klein *) sie über die
Küstenlinien jener Zeit gibt, scheint hervorzugehen, daß im
Mittelpliozän das Maastal sich ungefähr ebensoweit nach Norden
erstreckt hat als heute. Nach dem Pliozän (im Amstelien) muß
das Meer sich immer mehr nach Norden zurückgezogen haben,
da im Altpleistozän England und der Kontinent vermutlich zu-
sammenhingen und der Rhein über den östlichsten Teil Eng-
lands strömte.3)

Im Jungtertiär scheint der Boden in Belgien, Frankreich
und Deutschland eine Aufwölbung erfahren zu haben, welche
sich besonders im Altpliozän und dann wieder nach der Pliozän-
zeit akzentuierte und die heutigen Mittelgebir geschuf; zugleich
mit dieser Aufwölbung setzte ein neuer Erosionszyklus, der
heutige, ein. Im Jungpleistozän war mit dieser Hebung eine
Senkung des Vorlandes (des jetzigen Bodens der Nordsee) ver-
bunden; das Meer fing wieder an nach Süden zu transgredieren,
die Flüsse wurden verkürzt, das relative Gefälle aber vergrößerte
sich, und diese Ursache zusammen mit der absoluten Hebung
der Quellgebiete hatte eine Neubelebung der Erosion zufolge.
Der Hebung gemäß wurde auch die Regenmenge größer. Die
noch sehr strittigen Ursachen der allgemeinen Abkühlung, welche

\') K. Oestreicli: Studien über die Oberiliichengestalt des Rheinischen
Schiefergebirges. (Pet. Mitt. 1909, S. 60.)

a) W. C. Klein: Tektonische und stratigraphische Beobachtungen am
Südwestrande des Limburgischen Kohlenreviers. (Mededeel. v. d. Ilijksopsporing
v. Delfstoffen. No. 5. \'sGravenhage 1913.)

s) J. LoriG: Eene belangwekkende geologische excursie in Limburg.
(Tijdschr. Kon. Nederl. Aardrijksk. Genootsch. 2e Serie, dl. XXXI, 1914, p 42.)

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die Eiszeit im Pleistozän herbeiführte, möchte ich außer Betracht
lassen, obgleich auch die Ardennen von den Folgen dieser Ab-
kühlung betroffen worden sein mögen.

Eine derartige Aufwölbung einer Fastebene kann gewiß
ein schon bestehendes Flußsystem vollständig umändern, wenn
die neue Abdachungsrichtung nicht mit der alten übereinstimmt.
Bei den Ardennen aber verläuft die Hebungsachse ungefähr
OW., also fast senkrecht zu der Abdachung der n -f- 2en Pene-
plain. Infolgedessen behielten die Flüsse, die konsequent
waren in Bezug auf die Abdachung der alten Fastebene und
deren Quellregion nördlich der Hebungsachse lag, ihren Lauf
bei und wurden auch konsequent in Bezug auf die Abdachung
der verbogenen Peneplain. Von den Flüssen, die ihre Quellen
südlich der Hebungsachse hatten, wird später noch die Rede sein. —
Ein Fluß wird nun im Augenblick, wo seine Erosionskraft ver-
jüngt wird, an der Stelle sein Bett einschneiden, wo er sich gerade
befindet; so blieben die Mäander der Maas und der anderen
Peneplainflüsse erhalten, wurden aber zu eingesenkten Mäandern
(méandres encaissées). Das gleiche gilt für die untere Mosel.
Eine zweite Folge der
verjüngten Erosion war, daß die Flüsse
durcli regressive Erosion ihr Tal verlängerten, so z. B. die
Samson, deren Quellflüsse wir in der Wimbe, der Lesse oberhalb
Han, der Lomme oberhalb Jemelle, der Wamme oberhalb Har-
gimont zu sehen haben. (Fig. 5.)

Unsere Behauptung, daß diese Oberläufe in dieser Zeit
und nicht in einer früheren Periode entstanden sind, stützt sich
allerdings nur auf den schwachen Grund, daß sie im Gegensatz
zu der unteren Lesse, Ourtlie usw. keine regelmäßigen,
großen Mäander besitzen und deshalb wahrscheinlich nicht auf
der n -}- 2en Peneplain geflossen haben, aber doch konsequent
sind zur Aufwölbung.

In diesem Erosionszyklus können drei Rullepausen in der
Hebung nachgewiesen werden, übereinstimmend mit den drei
Terrassen, die entlang der Maas (auch in Frankreich und den
Niederlanden), der Lesse, Lomme, Yesdre (Weser), Ourtlie,
Amblève usw. sich befinden. Sowie infolge Aussetzens der
Hebung die Erosionskraft erlahmte, war die Last größer als
die Schleppkraft. Die Flüsse akkumulierten, höhten ihre Tal-
sohle mit Gerollen auf, so daß sie auf ihren eigenen Ablagerungen

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flössen, und als dann die Rullepause in der das Tiefereinschneiden
bedingenden Kraft beendet war, schnitten sie aufs Neue ein, bis der
bisherige, an der Oberfläche aus Flußablagerungen aufgebaute
Talboden durchsunken war, und die von der Erosion ausgesparten

Fig. 5. Das Ardennen-Flußsystem auf der n 2en Fastebene nach
der Hebung.

Stücke als Terrassen übrig blieben. Zugleich iingen die Flüsse
an in den felsigen Untergrund einzuschneiden, bis eine neue
Ruhepause eintrat usw. Die drei Terrassen sind (vgl. £ 9)
die Hauptterrasse (terrasse supérieure) bei der Lesse und der Maas

± 5)0 m über dem heutigen Flußniveau gelegen,
die Mittelterrasse (terrasse moyenne) bei der Lesse und der Maas

± 30 m über dem heutigen Flußniveau gelegen,
die
Niederterrasse (terrasse inférieure) bei der Lesse und der Maas
einige m über dem heutigen Flußniveau gelegen.

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Zwischen der Bildung der Hauptterrasse und derjenigen
der Mittelterrasse erfolgte die stärkste Hebung; eben diejenige,
welche hauptsächlich die heutige Form des Rheinischen Schiefer-
gebirges und der Ardennen bestimmt und die Durchbruchstäler
verursacht hat.

Eine auch bei anderen Gebirgsbildungen beobachtete Er-
scheinung sei auch hier erwähnt, nämlich das Zusammentreffen
der Kammrichtung, also der neuen Hebungsachse, mit dem
Schichtstreichen des paläozoischen Untergrundes.

Die Erosion wurde durch die Hebung neu belebt. Bei der
Maas aber, deren Quellen weit im Süden der Hebungsachse
lagen (für die Ourthe vgl. § 13), mußte, damit sie ihren Lauf
beibehalten konnte, die Tiefenerosion gleichen Schritt mit der
Aufwölbung halten. Wären die Ardennen plötzlich gehoben
worden, dann wäre die Maas nicht im Stande gewesen, die sich
ihr entgegenstellende Barre zu besiegen und sie würde nach
Osten oder nach Westen entwichen sein. De facto aber hat
die Maas ihr antezedentes Tal beibehalten, weil sie infolge
ihres großen Stromgebietes und ihrer beträchtlichen Lauflänge
über eine große Wassermenge verfügte. Die Maas stellt den
Typus eines
antezedenten Flusses dar, so wie der Rhein,
die Mosel und die Lahn; und weil die genannte Hebung nicht
allein die Ardennen, sondern auch das Rheinische Schiefer-
gebirge betroffen hat, so gibt die Antezedenztheorie eine ein-
heitliche Erklärung für die vier Durchbruchstäler.1) Wie schon
betont, wird der Maas der antezedente Charakter zugeschrieben
u.
a. von De Lapparent, \\V. M. Davis, IC. Oestreich, A. Penck
(Morphologie der Erdoberfläche. Stuttgart 1894. S. 104), wie
auch in Davis-Rülil (Die erklärende Beschreibung der Land-
formen. Leipzig u. Berlin 1912. S. 261) diese Theorie ver-
teidigt wird.

Das Längsprofll der Maas ist noch nicht normal, es zeigt
unterhalb der Mündung der Semois einen Gefällsknick (vgl.
hierzu Tafel 1); der Widerstand der paläozoischen Ardennen-
schichten tritt hier deutlich hervor. Von Bazeilles bis Charle-
ville beträgt das Gefälle 22 cm pro km, von Monthermö bis

In A. Pencks „Die Bildung der Durchbruchtiiler" (Schrift. Ver. Verbr.
naturw. Kenntn. Wien XXVIII
1887/88)-findet sich eine ausführliche, histo-
rische Ubersicht der
Entwicklung der verschiedenen Theorien bis 1888.

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Givet 60 cm. Diese Gefällsänderung bei Monthermé, die heute
fast an die Südseite des cambrischen Kerngebirges der Ardennen
gerückt ist, muß früher an dessen Nordseite gelegen haben.
Wie Vidal de la Blache bemerkt, hat die rückschreitende Erosion
sie heute fast an die andere Seite des Hindernisses bis Mon-
thermé zurückgedrängt. Wenn dieses überwunden sein wird,
wird die Normalisierung des Maasprofils in den Ardennen eine
Neubelebung der Erosion für die Lotliringer Maas herbeiführen.

Bei der Aufwölbung des in Rede stehenden Gebirgsblockes
wurde also die Pastebene mitgehoben, verbogen und aufs Neue
den erodierenden Kräften überliefert. An vielen Stellen der
Ardennen, z. B. die ganze Kammlinie entlang, hat sich der
Charakter einer ge Ii oben en Fast ebene ausgezeichnet er-
halten. Zum Teil ist sie noch heute wenig zerschnitten und
an einigen Stellen ist sie so fiach, daß sie versumpft ist und
Hochmoore sich gebildet haben (das Hohe Venn, les Fagnes).
Der Horizont wird, wie in der Ebene, durch eine flache Linie
gebildet, und auf einigen Abstand sind die tief eingeschnittenen
Talfurchen fast nicht bemerkbar (z. B. das Maastal bei Dinant,
die untere Lesse bei Furfooz). Die Ardennen, welche in „Die
beschreibende Erklärung der Landformen" von Davis-Rühl
bezeichnet werden als: „Das schönste mir bekannte Beispiel
eines emporgewölbten Erosionstieflandes", besitzen alle charak-
teristischen Eigenschaften der gehobenen Fastebene, wie:

1. einen antezedenten Fluß: die Maas;

2. eine mächtige Verwitterungsdecke (couche détritique),
welche fast die ganze Ardennenoberfläche bedeckt (ein glück-
licher Umstand für den Landbau!) und einen scharfen Gegen-
satz bildet zu den oft kahlen Felswänden der canyonartigen,
tiefen Täler. Diese weisen auf ein jugendliches Stadium im
heutigen Zyklus, während jene, die im Gefolge schlechter Ent-
wässerung auftrat, übernommen ist von der alten Peneplain. —
Eine beinahe ebene wenn auch gebogene Fläche stempelt an sich
eine Oberfläche noch nicht zu einer gehobenen Fastebene; da
auch ein gehobener alter Meeresboden eine ähnliche äußere
Beschaffenheit aufweisen kann; in diesem Falle sind jedoch die
Schichten horizontal gelagert. In den Ardennentälern dagegen,
besonders in dem tief eingeschnittenen Maastale, drängt sich
jedem Beschauer die verworrene Ansicht der stark gefaltenen

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Schichten auf, die an der Oberseite wie mit einem Hobel ab-
gescheuert erscheinen;

3. die großen, eingesenkten Mäander der Maas, Semois,
unteren Lesse usw. Sie können keinesfalls durch die Erosions-
arbeit des verhältnismäßig noch jungen, heutigen Zyklus ge-
schaffen sein und sind von der alten Pastebene übernommen,
da, wie Davis sagt, „die Mäander die Flüsse mit schwachem
Gefälle charakterisieren".

Davis hat den Vorschlag gemacht, eine gehobene Fast-
ebene ein „past-plain" zu nennen. Sie soll nach Davis nicht
kurz eine „Peneplain" genannt werden, weil sie sich jetzt nicht
mehr einer flachen Oberfläche nähert, sondern das Relief immer
größer wird.1) Davis schreckt davor zurück, den Namen
„past-peneplain" einzuführen. Jedoch glaube ich, daß
dieser Name der einzig logische ist, da auch ein gehobener,
flacher Meeresboden mit dem Namen past-plain bezeichnet wer-
den kann. In der französischen Sprache könnte dieser Begriff
mit „pénéplaine soulevée" wiedergegeben werden, während
der deutsche Ausdruck „gehobene Fastebene" sich, wie
ich meine, schon eingebürgert hat.

§ 8.

Anpassung.

Verschiedenen Beispielen der Anpassung begegnen wir in
den Ardennen. So entwickelte sich, von der konsequenten Ourtlie-
Maas ausgehend, ein subsequenter Seitenfluß, der bei Noiseux
die Ourthe-Hoyoux entwurzelte. Ein noch schöneres Beispiel
bietet das Stromgebiet der Lesse. Der subséquente Charakter
der Lesse unterhalb Éprave wurde schon betont. Im Verlaufe
ihres Bestrebens durch rückschreitende Erosion ihr Tal zu ver-
längern, enthauptete sie zuerst die Wiinbe (vgl. Fig. 5), dann
die Lesse von Belvaux (einen ursprünglich konsequenten Fluß),
deren Oberlauf sie sich tributär machte. Dann setzte sie ihre
räuberische Arbeit weiter fort, aber in etwas anderer Richtung,
nämlich SW.-NO., dem Schichtstreichen entsprechend, das west-
lich von Rochefort W.-O., östlich von Rochefort aber SW.-NO.
gerichtet ist. So wurden nacheinander die konsequenten Flüsse

») W. M. Davis : The rivers of Northern New Jersey.(1890. Geographica! Essays.)

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Lomrae und Wamme (vgl. Fig. 6)
enthauptet. Eine Zeitbestim-
mung für die obigen Anpas-
sungen ist schwer zu geben.
Wahrscheinlich müssen sie in
den Anfang des jetzigen Zyklus
angesetzt werden, noch vor der
ersten Ruhepause, die mit dem
Auftreten der Hauptterrasse ver-
knüpft ist; denn diese Terrasse
wird auch entlang der Wam-
me und Lomme beobachtet.

§ 9-

Die Terrassen.1)

Die Theorien, die sich mit
der Erklärung der Terrassen
beschäftigen, laufen heutzutage
noch sehr weit auseinander.2)
Von einigen wird das Vor-
kommen von Terrassen der Ein-
wirkung von Klimaänderungen,
von anderen dem Einfluß von
Niveauschwankungen der Ero-
sionsbasis zugeschrieben. Was
nun die Einwirkung von Klima-
änderungen anlangt, so scheint
man sich in der letzten Zeit
darüber mehr und mehr klar
zu werden, daß ein Nachweis
des Zusammenhangs zwischen
den Eiszeiten und den Terrassen
außerhalb der vergletscherten

\') Vgl. zu diesem Paragraph Ta-
fel 1.

s) J. Lorie: Ä propos des terrasses
fluviales. (Ann. Soc. gfcol. de Belg.
T. XXXIX B. p. 377.)

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Gebiete aus prinzipiellen Gründen nicht zu erwarten ist. Ich
will hier auf diese Frage nicht weiter eingehen, verweise nur
auf das von Van Baren *) angeführte Argument gegen einen der-
artigen Zusammenhang, daß nämlich die mit unserer Haupt-
terrasse zeitlich identische Hauptterrasse des Rheines in den
Niederlanden älter ist als die große Skandinavische Vereisung.
An verschiedenen Punkten der Veluwe (Arnheim, Grebbeberg
bei Rhenen, Bahneinschnitte bei Maarn und bei Wezep usw.)
sind die vom nördlichen Landeise aufgestauten, ursprünglich
horizontal gelagerten Sand- und Kiesschichten der Hauptterrasse
schön wahr zu nehmen. — Es scheint, daß die Theorie, welche
als ersten Agens für Terrassenbildung orogenetische Bewegungen
annimmt, sich immer mehr Bahn bricht, wenn auch der sekun-
däre Klimafaktor dabei nicht außer Betracht bleiben darf.

Aus meinen bisherigen Auseinandersetzungen folgt, daß ich
die Maasterrassen in erster Linie durch Hebungen zu erklären
suche, ohne jedoch für jede Akkumulationsperiode eine Senkung an-
zunehmen, wie M. Lohest das tut; eine Ruhepause in der Hebung
wird schließlich den gleichen Effekt aufweisen, wie eine Senkung.

Terrasse der Argonnen-Maas. (? Pliozänterrasse).
Vidal de la Blache1) hat auf das eigentümliche Vorkommen
von alten Flußablagerungen, sog. Vogesenablagerungen, in den
Argonnen hingewiesen. Sie finden sich selbstverständlich auf
der Talsohle und den Talgehängen der Maas und der Mosel,
aber außerdem bedecken sie auf den benachbarten Hochflächen
größere und kleinere, zusammenhängende Flächen, so z. B.
westlich von Verdun bis auf die Argonnen in 20 Kilometer
Entfernung von der Maas. Unter diesen Vogesenablagerungen
kommen u. a. in 300 m Meereshöhe große Blöcke vor (bis zu
einem Gewicht von 10 Kilogr.). Diese Absätze sind besonders
verbreitet auf der Kammlinie Montfaucon, Nantillois, Cunel
(300—250 m Meereshöhe) zwischen der Aire und der Maas und
in einer noch 10 km mehr betragenden Entfernung von der
Maas am Fuß der Zeugen der Argonnencuesta. In Lothringen

1 ) J. Vidal de la Blache: Étude suf la vallée lorraine de la Meuse.
Paris 1908. p. 16 et s.

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finden sich Vogesengerölle in 300 m Meereshöhe in geringerem
Abstände von der Maas überall. Angesichts dieser Tatsachen
muß man sich die Frage vorlegen, ob alle diese Geröllvorkommen
nicht vielleicht die Reste einer ehemaligen größeren Bedeckung
mit fluviatilen Maasabsätzen darstellen, die vielleicht schon im
Jungtertiär dahin verfrachtet wurden. Diese Erklärung scheint
mir gut begründet zu sein und daher wählte ich für die Maas
in jenem Stadium ihres Lebens den Namen: Argonnen-Maas.
Die Argonnen-Maas hatte, indem sie auf der n -j- 2en Fastebene*)
strömte, nach dieser Ansicht eine ungemein breite Talsohle,
welche sich bis westlich des jetzigen Tales der Aire ausdehnte.
Die Reste, welche uns von jener Talsohle erhalten blieben, sind
später bei der allgemeinen Hebung des francogallischen Gebirgs-
blocks bis in eine Höhe von 300 m gehoben worden. Nun hat
aber eine Breite von 20 km für den Mäanderstreifen eines
Flusses, der auf einer Fastebene in den nachgiebigen Lothringer
Gesteinen fließt, an sich nichts Erstaunliches; in den wider-
ständigeren Ardennengesteinen dagegen mußte die Talsohle dem-
entsprechend schmäler ausfallen. Als später die Erosion wieder
einsetzte, lokalisierten sich die Flußbetten. Die Aire und die
Biesme schnitten ihre Täler in die alte Talsohle der Argonnen-
Maas ein. Durch diese Auflassung wird wohl auch die von Vidal
angedeutete Schwierigkeit für die Erklärung beseitigt, daß im
Tal der Aire, bei 200 m Höhe in der Nähe von Saint-Juvin und
in 270 m Höhe bei Ippecourt, von der Lothringer-Maas herrührende
Quarzgerölle gefunden sind. Da Vidal docli selber bemerkt,
daß das Niveau dieser Ablagerungen mit dem Gefälle der Biesme
und der Aire, also stromabwärts abnimmt, scheint es sich bei
diesen Funden um von diesen Flüssen umgelagertes Material
zu handeln. Bei Verdun sind von Vidal Flußablagerungen
in 320 m Meereshöhe gefunden, bei Montfaucon in 342 m. Nun
liegen die Reste der nächstjüngeren Terrasse, der Hauptterrasse,
in dieser Gegend zwischen 300 und 250 m; vielleicht gehen liier
also die Terrasse der Argonnen-Maas und die Hauptterrasse
in einander über. Aus dem eigentlichen Durchbruchstal der
Maas, der Talstrecke Mezieres-Givet, habe ich nur sehr wenige

\') Es ist auf S. 20 versäumt worden, zu bemerken, daß die Ausdrucks-
weise NTE nsw peneplain, meines Wissens, zuerst von F. P. Gulliver ge-
braucht wurde.

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Daten über Terrassen gefunden. Briquet \') spricht von sehr reifen
Tälern, welche den ältesten Zyklen der pleistozänen Entwicklung
entsprechen. Es treten diese reifen Täler, durch die Verbiegung
mitgehoben, bis in die höchsten Teile der Arderinen auf, und
erscheinen uns jetzt als Hängetäler oder Taltorsi. Die Reste
der ältesten Maasterrasse kommen nach seiner Angabe bei Revin
in 350 m Meereshöhe vor, d. h. 230 m liber dem heutigen Maas-
niveau. Der Höhe nach muß dieses Vorkommen also der Terrasse
der Argonnen-Maas zugerechnet werden ; petrographische Merk-
male werden von Briquet leider nicht angeführt. Privatim sind
mir von Dr. J. Lorié (Utrecht) zwei durch das Auftreten von
weißen Gerollen gekennzeichnete Terrassenvorkommen mitgeteilt
worden, beide auf der linken Seite der Maas; das eine bei Massinfour
(unweit Joigny) in 366 m, d. h. 225 m über dem heutigen Fluß-
niveau, das ich also als Rest der Terrasse der Argonnen-Maas
ansehe, das zweite bei Foisches (SW von Givet) in 225 m,
d. h. 120 m über dem Flußniveau, das ich der Hauptterrasse
zurechne. Bei Anseremme (Fig. 7) befinden sich auf beiden
Seiten der Maas bei der Mündung der Lesse Terrassen in 225 m
(Flußniveau 90 in). Die Hauptterrasse liegt bei Dinant in ± 187 m;
meiner Meinung nach, müssen also jene Terrassen bei Anseremme
der ältesten Maasterrasse zugerechnet werden.

Stainier,2) der die Terrassen zwischen Dave und Engis
untersucht hat, nennt diese, eine Breite von 4—10 km besitzende
Terrasse, die Terrasse der tertiären Maas. Er bemerkt da-
bei, daß die betreffenden aus weißem Quarzgbrölle bestehenden
Schotter im Gelände einen Höhenzug darstellen, als ob der be-
treffende Fluß kein erhöhtes Ufer gehabt habe, wenigstens nicht
an der Nordwestseite. Stainier sieht die Ursache darin, daß die
Maas in jener Zeit ihr Bett in die oligozänen Sande einschnitt,
welche später durch die Erosion fortgeschafft wurden, während die
fluviatilen Geröllablagerungen der Denudation mehr Widerstand
geboten haben. — Es ist vielleicht nicht nötig, hierfür Einpackung
der Gerölle in Sanden von höherem Alter anzunehmen, da aucli auf
der klassischen Terrasse von Reitzenhain am Rhein die pliozänen
Ablagerungen Hügel bilden, auf der vom verwitterten Gruiul-

\') A. Briquet: Sur l\'existence d\'une pénéplaine fossile (1. c. S. 13.)

s) X. Stainier: Le Cours de la Meuse etc. (1. c. S. 24).

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gebirge gebildeten Fläche. —
Stainier hat stromaufwärts seine
Untersuchungen nur bis Lustin
fortgesetzt. Er zieht aber aus
dem Habitus der Grenzlinien
jener tertiären Zone den Schluß,
daß die tertiäre Maas absolut
geradlinig (rectiligne) floß, d. h.
daß sie damals den rechten
Winkel bei Namur noch nicht
zeigte, sondern aus dem Lande
zwischen Sambre und Maas kam,
aus der Gegend von Fosse und
Walcourt, statt von Dinant.
Diese Schlußfolgerung scheint
mir nicht genügend motiviert.
Die Grenzlinien jener tertiären
Zone hätte Stainier auf der
seiner Abhandlung hinzugefüg-
ten Karte mit ebensogutem Recht
bei Namur umbiegen und sie
also dem jetzigen Maaslaufe
entsprechen lassen können. Auch
weist er selber darauf hin, daß
in diesem Punkte seine Theorie
noch der Bestätigung durch
die Feststellung des Vorkom-
mens von tertiären Maasgeröllen
im Lande zwischen Sambre und
Maas bedarf. Als Meereshöhe
dieser tertiären Terrasse gibt
Stainier für die Umgebung von
Namur 250—200 m, für die Tal-
strecke nordöstlich von Huy
205—175 m an.

Eine vorzügliche Arbeit
über die Maasterrassen in der
holländischen Provinz Lim-
burg verdanken wir W. C.

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Klein1); seiner Abhandlung entnehme ich folgendes: „Das große
Delta der Hauptterrasse besitzt in Limburg einen ausgeprägten
Rand; diesem schließt sich eine in einem 50—60 m höheren Ni veau
gelegene Fläche an. Der Charakter der auf dieser Fläche
lagernden Gerölle weicht von dem der Gerölle der Hauptterrasse
stark ab." Aus diesen beiden Gründen nimmt Klein für
die höher liegenden Gerölle pliozänes Alter an. Der Kies (Onx
nach der belgischen geologischen Karte) der Plateaus von Herve
und Hesbaye wird von den Belgiern als Oligozän betrachtet.
Fliegel2) und Kaiser3) fanden große Übereinstimmung zwischen
diesem Onx-Kies und den pliozänen Kieseloolithenschottern des
Rheines, deshalb nehmen sie für die Onx-Kiese gleichfalls plio-
zänes Alter an. Das pliozäne Alter jener ältesten Rheinabsätze4)
ist zwar nicht so gut begründet, wie das Alter ähnlicher Ab-
lagerungen in Hessen, Franken und Thüringen, wo an ein-
zelnen Punkten Tone und Sande der Talablagerungen durch
Fossilienfunde (Mastodon arvernensis und Borsoni) als dem Ober-
pliozän zugehörig erwiesen worden sind: Doch wird es nach
Stoller5) durch das Vorkommen von an ein wärmeres Klima
gebundenen Pflanzen wahrscheinlich gemacht.

Im Limburgischen Maaskies aber fehlen ähnliche Knochen-
oder Pflanzenreste völlig. Zwar stimmen die petrographischen
Merkmale beider Kiesvorkommen gut überein: Vorherrschen von
Quarzgeröllen und Auftreten der bezeichnenden Kieseloolithen,
z. B. auf der sogen. „Übagsberg-Insel", oder vielmehr den vier
Hügeln, die von Klein mit diesem Namen bezeichnet werden.

\') W. C. Klein : Het diluvium längs de Limburgsche Maas. (Verhandel.
v. h. Geol.-Mijnbouwk. Genootsch. voor Nederland en kolonien. Deel II,
1. Stuk 1914) vgl. hierzu auch: W. C. Klein: Tektonische und stratigra-
phische Beob. usw. 1. c. S. 25).

2) G. Fliegel: Eine angebliche alte Mündung der Maas bei Bonn.
(Monatsber. D. Geol. Ges., Berlin 1907, Nr. 10/11.)

3) E. Kaiser: Pliozäne Quarzschotter im Rheingebiet zwischen Mosel
und Niederrheinischer Bucht. (Jb. der k. preuß. Geol. Landesanstalt, Bd. XXVIII
S. 81 u. ff.)

4) Vgl. K. Oestreich: Studien über die Oberflächengestalt des Rheinischen
Schiefergebirges (Pet. Mitt. 1908, S. 751.

5) Fliegel und Stoller: Jungtertiäre und altdiluviale pflanzenführende
Ablagerungen im Niederrheingebiet. (Jahrb. der k. preuß. Geol. Landesanstalt.
Bd. XXXI S. 227 u. ff.)

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Die Schotter des Übagsbergs liegen zwischen 216 und 215 in,
d. h. ± 170 m liber dem Maasniveau. Bei Hüls erreichen diese
Schotter eine Mächtigkeit von 7 m. Klein glaubt, daß diese
hochgelegene Fläche „eine Insel im Delta der diluvialen Maas"
gebildet hat, gegen welche Auffassung sicli jedoch gewisse Bedenken
erheben. Es läßt sich schwer verstehen, wie im breiten Tal der
diluvialen Maas, wo der Fluß sein Bett fortwährend verlegte, eine
Insel, die aus Schottern auf einer Unterlage von tertiären Sauden
bestand, von der Erosion ausgespart werden konnte. — Aller-
dings vermag auch icli eine bessere Erklärung nicht zu geben. —
Auch auf der Heerlenschen Heide ist in einer großen Kiesgrube
eine mächtige Ablagerung von Quarzgeröllen und Kieseloolithen
aufgeschlossen Ihre Lage in einem Niveau unterhalb demjenigen
des weiter westlich gelegenen Miozäns muß dem Einfluß der
Sandgewandstörung zugeschrieben werden. Alle diese ältesten
Flußablagerungen in Limburg werden von Klein und auch von
verschiedenen anderen holländischen Geologen und Geographen
als pliozäne Absätze betrachtet. Da nun aber entlang der ganzen
Maas in diesem Terrassenniveau, soweit mir bekannt, keine
Fossilien gefunden sind, scheint es mir nicht erwünscht (vgl.
den Schluß von § 6), nur auf Grund der petrograpliischen Über-
einstimmung mit pliozänen Rheinkiesen auch für die älteste
Maasterrasse das pliozäne Alter als sichergestellt anzunehmen,
obgleich ich die Möglichkeit zugebe, daß später zureichende
Gründe für die Zuweisung an das Pliozän geliefert werden
könnten. Dagegen ist das im Vergleich zu den Hauptterrassen-
schottern höhere Alter der Argonnen-Maasterrasse durch das
höhere Niveau und die abweichende, petrographische Beschaffen-
heit dieser letzteren erwiesen worden.

Die drei in niedrigerem Niveau gelegenen Terrassen: die
Hauptterrasse (terrasse supérieure), die Mittel-
terrasse (terrasse moyenne) und die Niederterrasse
(terrasse inférieure) sind in Frankreich, Belgien und den
Niederlanden längs der Maas und längs mehrerer Seitenilüsse
derselben nachgewiesen worden. Für Frankreich hat J. Vidal
de la Blache1) einige Daten angegeben, für Belgien Du-

1 ) .T. Vidal de la Blache : Étude sur la vallée lorraine de la Meuse.
Paris 1908.

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pont1) und Stainier,2) für die Niederlande J. Lorié und W. C.
Klein.3)

Die Hauptterrasse. In Frankreich wird die Geröll-
bedeckung der Hauptterrasse durch mehr oder weniger aus-
gedehnte Geröllablagerungen von verschiedener Mächtigkeit auf
der Rückenhöhe der Hügelrücken vertreten. Bei Verdun liegen
sie in ungefähr 300 m Meereshöhe (das Maasniveau liegt hier
in 193 m). Auch unterhalb wie oberhalb Verdun kommen sie in
ungefähr gleicher Höhenlage vor, und überall herrschen unter
dem Schottermaterial die weißen Quarze und quarzige Sand-
steine vor. Sie bedecken die Sporne der großen Maasmäander
zwischen Pagny und Void, bei St. Mihiel usw. und diejenigen
der abgeschnittenen Mäander bei Fontaines in der Nähe von
Dun usw. Bis Mouzon sind sie von Vidal nachgewiesen worden.
Zu diesem Niveau rechne ich auch die von J. Lorié (vgl. S. 34)
bei Foisches (SW. von Givet) in 225 m Meereshöhe, d. h. 120 m
über dem heutigen Flußniveau, nachgewiesene Terrasse. Bei
Dinant liegt die Hauptterrasse, bezeichnet durch die Lage der
Zitadelle, in ungefähr 187 m (Maasniveau 89 m) ; also ± 98 m
über dem Flußniveau. Auch stromabwärts von Dinant finden
sich im ungefähr gleichen Niveau schöne Terrassenreste,
be-
sonders am rechten Ufer. Schon Dupont hat von der franzö-
sischen Grenze bis Dinant und auch stromabwärts von dieser
Stadt an verschiedenen Punkten diese Terrasse erkannt, stets
in ungefähr 90 m über dem Flußniveau. Dann hat Stainier die
Fortsetzung dieser Hauptterrasse nachgewiesen ; da er aber auf
seiner Karte die Reste der Hauptterrasse zusammen mit denen
der Mittelterrasse unter dem Namen „amas de gravier des
terrasses supérieures"
einzeichnet, können seine Angaben nicht
zur Trennung und Verfolgung der beiden Terrassenhorizonte
verwandt werden. Von Forir und Lohest4) ist eine Terrasse
angegeben worden, welche ebenfalls der Hauptterrasse zugerechnet

1 \') É. Dupont: Étude sur le terrain quaternaire des vallées de la Meuse
et de la Lesse dans la province de Namur. (Bull. Acad. de Bruxelles.
2. Série.
1866. T. 21, p. 366).

2 *) X. Stainier: Le cours de la Meuse etc. (1. c. S. 8).

3 ) W. C. Klein: Het diluvium etc. (1. c. S. 36).

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werden muß, nämlicli die „Terrasse de Pontisse", benannt nach
dem Port von Pontisse, nördlich von Herstal. Die Geröllbasis
liegt hier in 120 m. In der niederländischen Provinz Limburg
liegt die Basis der Hauptterrasse bei St. Pieter in 94 m, bei
Cadier in 112—116 m, also ungefähr 70 m über dem Mußniveau.
In der Nähe von Margraten liegt die Qeröllbasis viel höher in
± 161 m. Diese auffällige Tatsache könnte uns auf den Gedanken
bringen, hier eine Zweiteilung der Hauptterrasse vornehmen zu
wollen, die scheinbar einheitliche Hauptterrasse nämlich in eine
ältere und eine jüngere Terrassenstaffel zu zerlegen. Klein
weist aber auf die Möglichkeit hin, daß der Niveauunterschied
den in dieser Gegend weit verbreiteten, tektonischen Störungen
zuzuschreiben sein könnte. Jedenfalls ist in Belgien eine Zwei-
teilung der Hauptterrasse noch nicht nachgewiesen worden.

Die Mittelterrasse. In Lothringen liegen die Reste
der Mittelterrasse in 30 oder 40 m über dem heutigen Fluß-
niveau, z. B. die Terrasse südlich von Belleray bei Verdun.
Zwischen Pagny und Mouzon liegt eine Terrasse in ungefähr
240 m Meereshöhe. Bei Monthermé hat Gosselet auf Terrassen in
200 m Meereshöhe, 68 m über dem Fluß, Vogesengerölle nach-
gewiesen, während bei Fumay, in 223 m, 44 m diluviale
Gerölle angebohrt worden sind. (Maasniveau in 114 m.)1)
Diese Daten erscheinen mir zu unbestimmt, und die Vorkommen,
auf welche sie Bezug haben, stehen zu vereinzelt, als daß sich
auf Grund von ihnen feststellen ließe, ob wir es hier mit Resten
der Mittelterrasse zu tun haben (wie Vidal für die Terrasse
von Monthermé annimmt), oder ob wir in ihnen Fragmente
einer Terrasse zwischen Haupt- und Mittelterrasse zu sehen
haben, in 60 m relativer Höhe. Eine solche kommt auch bei
der Lesse an manchen Stellen vor und ist von Dupont an der Maas
allerdings nur bei dem Gehöfte Rond-Chêne auf dem linken
Talabhang gegenüber Anseremme nachgewiesen worden. Meiner
Meinung nach ist sie hier auch auf dem rechten Talabhang vertreten
(vgl. Fig. 7). Auch beim Rhein ist man davon abgekommen,
alle Terrassenreste zwischen Haupt- und Niederterrasse auf
eine Terrasse zurückzuführen, und spricht jetzt von „Mittel-

r

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terrassen". Yon Dupont und auch von mir ist eine Mittelterrasse
entlang der Maas an verschiedenen Stellen beobachtet worden;
meist liegt sie 30 m liber dem Flußniveau. Ein gutes Beispiel
dieser Terrasse stellt das Bois de Hülle bei Profondeville dar.
— In den Niederlanden liegt eine Mittelterrasse, z. B. bei
Maastricht, mit einer Breite von 7 km in 10 bis 20 m über
dem Flußniveau.

Die Niederterrasse. Die Niederterrasse wird von
der heutigen Talsohle der Maas gebildet. In Frankreich liegt
sie ungefähr 10 m über dem Flußbett und wird von zahl-
reichen quarzigen Gerollen bedeckt. In Belgien liegt die Ober-
fläche der Niederterrasse 3 bis 4 m über dem Flußniveau,
und ebenso begleitet sie auch den ganzen Maaslauf in den
Niederlanden.

Auch entlang verschiedener Nebenflüsse der Maas sind
Terrassen festgestellt worden, so z. B. entlang der Lesse die
Hauptterrasse in 90 m, eine Mittelterrasse in 30 m und längs
des ganzen Lesselaufes die Niederterrasse. (Dupont 1. c. S. 38 ;
vgl. auch § 14 dieser Abhandlung.) Außerdem befindet sich
bei der Lesse eine ältere Mittelterrasse („Terrasse entre moyenne
et supérieure" nach Dupont) in 60 m über dem Flußniveau. —
Entlang der Sambre hat Ch. Stevens \') außer der Niederterrasse
noch eine Terrasse in 20 in festgestellt. Vielleicht muß diese
Terrasse mit der Mittelterrasse der Maas in 30 m gleichgestellt
werden. A. Renier2) hat im
Tal der Vesdre (Weser) zwei
Terrassenniveaus
nachgewiesen, das eine in 40 m, das andere
in 80 m über dem heutigen Flußniveau. Meiner Meinung nach,
kommt die tiefer gelegene dieser Terrassen mit der älteren
Mittelterrasse der Lesse in 60 m überein, die höher gelegene
mit der Hauptterrasse. Die geringeren Werte für die relativen
Höhen der Terrassen des Vesdretals im Vergleich zu den Terrassen
der Lesse sind leicht verständlich, da die Vesdre eine Stelle so
viel weiter talabwärts im System der Maasnebenflüsse einnimmt.
Außerdem besitzt die Vesdre eine Niederterrasse, welche bei
Hochwasser das Flußbett darstellt.

Ch. Stevens: Étude des terrasses de la Sambre. (Ann. Soc. géol. de
Belgique. T. XLI. 1913.)

*) A. Renier : Terrasses de la vallée de la Vesdre. (Ebenda T. XXX B.
p. 108-109, T. XXXII B. p. 73-75, T. XXXVI B. p. 255-258.)

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Terrassenvorkommeii längs der Maas.

Absolute
Höhe der
Terrasse

Relative Höbe

Nachgewiesen
von

Lage

Jlaasniveau

der Terrasse
über dem
Flußniveau

Terrasse der Argonnen-Maas.

Westl. von Verdun auf den

Yidal de la

Argonnen
Montfaucon

± 190 m
± 179

300 m
342

110 Hl

163

Blache

Nantillois, Cunel

± J7ô

300—250

125—75

Verdun

" 192

320

128

Lorié

Massinfour bei Joigny

135

366

231

Briquet

Revin

119

350

231

Hol

Anseremme (Mündung Lesse)

90

225

135

Stainier

W (Spion (südlich von Namur)

76

250—200

174—124

Huy

68

205—175

137—107

Klein

Ubagsberg (nordöstlich von

Maastricht)

44

215

171

Hauptterrasse:

Vidal de la

Blache

Verdun

192

300

108

Lorié

Foisches (südwestl. v.Givet)

99

225

126

Dupont

Dinant

89

187

98

Forir-Lohest

Herstal (bei Lüttich)

53

120

67

Klein

Bei Maastricht

Mittelterra

44

sse:

116

72

Vidal de la

Blache

Verdun

192

240

48

Stainier

Belgien

± 30

Klein

Caberg (bei Maastricht)

44

± 55

± io

Niederterrasse:

— -

Frankreich

± 10

Belgien

4—3

Niederlande

4-2

Diesen Daten ist zu entnehmen, daß die relative Erhebung
über das heutige Flußniveau sowohl für die Argonnenmaas-
Terrasse wie für die Hauptterrasse in der Talstrecke Möziferes-
Grivet ein Maximum aufweist (vgl. Tafel 1). Diese auf den
ersten Blick unerwartete Feststellung scheint mir jedoch zu-
gleich die beste Begründung für die Richtigkeit der Antezedenz-
theorie der Maas zu enthalten; wird doch eine derartige relative
Heraushebung der Terrasse durch die in § 7 angenommene Auf-
wölbung der Ardennenfastebene (vgl. S. 26) geradezu gefordert.

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In der Tatsache der relativen Heraushebung der beiden obersten
Terrassen erblicke ich eben den Beweis für die Richtigkeit der
Annahme einer großen Aufwölbung der Ardennen, die ich dem-
nach in die Zeit nach der Bildung der Hauptterrasse gestellt
habe. — Leider stehen mir gerade für das kritische Gebiet
Mézières - Givet nur die einzelnen, obengenannten Terrassen-
angaben zur Verfügung, so daß der Beweis der Terrassenver-
biegung nur schwach begründet ist. Möge das aber für andere
eine Anleitung zum Terrassenstudium im Ardennengebiet sein!

So ist die älteste Terrasse zu erwarten: bei Monthermé
in 370 m, bei Vireux in ± 320 m, bei Givet in 295 m, aber
nur wirkliche Beobachtungen haben Wert und solche liegen
nicht vor; denn gerade die älteren Terrassen sind der subaëri-
schen Denudation am längsten ausgesetzt gewesen, und hier,
wo die Hebung den größten Betrag erreicht hat, am stärksten.
Die eben angeführten, vorläufigen Zahlen wurden nach Maßgabe
der von Dumont1) angegebenen Kammrichtung der Ardennen
aufgestellt:
Rocroy-Croix-Scaille (504 m) — Signal eine Meile
nordöstlich Bastogne; ich nehme an, daß diese Kammlinie mit
der Aufwölbungsachse zusammenfällt,

Wie schon betont, muß das Durchbruchtal der Maas zu-
gleich mit jenem des Rheins, der Mosel usw. durch eine einheit-
liche Theorie erklärt werden; unsere Hypothese der Verbiegung
der Maasterrassen erhält also durch die sehr gut begründete
Hypothese der Verbiegung der Rheinterrassen eine treffliche
Stütze; und diese Verbiegung der Rheinterrassen liefert, wie
• ich meine, den besten Beweis für die Hebung des Rheinischen
Schiefergebirges und die Antezedenz des Rheins von Bingen bis
Bonn in Bezug auf diese Hebung.2) Die Verbiegung der Pliozän-
terrasse und besonders der Hauptterrasse ist auf dieser Tal-
strecke sehr schön zu verfolgen. Denn ein Längsprofil, wie
hierneben dargestellt (Fig. 8), kann nicht einer normalen und
höchstens gleichmäßig gehobenen, älteren Talsohle angehören.
Durch nachträgliche, ungleichmäßige Hebung des Gebirges ist
diese Form entstanden.

Dumont: Mémoire sur les terrains ardennais -(mém. Acad. royale
de Bruxelles. T. XX) p. 40.

2) K. Oestreich: Studien über die Oberflächengestalt des Itheinischen
Schiefergebirges. (Pet. Mitteil. 1909.)

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Einen weiteren Beweis für die Antezedenztheorie hat
Engelmann1) geliefert, indem er nachwies, daß die beiden
obersten2) Terrassen der Moldau-Elbe3) vor dem Eintritt in
das Böhmische Mittelgebirge flußabwärts zu relativ und absolut
beträchtlich ansteigen. Die dritte Terrasse von oben steigt

relativ nur noch schwach an, die noch tieferen Terrassen dürften
ungefähr parallel mit dem Flußspiegel verlaufen. Von der Ab-
lagerung der obersten Moldau-Elbeschotter
an hat, so schreibt
Engelmann, „ein Gesamteinschneiden am oberen Ende des Ge-
bietes bei Prag von 90 m, dann flußabwärts zunehmend am
unteren Ende des Gebietes am Eingang des Elbtales in das

1 J) Richard Engelmann: Die Terrassen der Moldau-Elbe zwischen Frag
und dem Böhmischen Mittelgebirge. (Geograph. Jahresbericht aus Österreich,
IX. Jahrgang, Wien 1911, S. 38 u. ff.)

2 ) Engelmann nimmt 7 Terrassenniveaus an. Außerdem liegt auf der
Hochfläche nördlich von Prag in noch höherem Niveau eine ältere Ablagerung
(Quarzschotter); diese ist vielleicht eine älteste Moldauaufschüttung.

3 s) Engelmann weist darauf hin, daß genetisch die Moldau den Ober-
lauf der Elbe oberhalb Melnik darstellt.

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Böhmische Mittelgebirge von
160 m stattgefunden". (Fig.9).

Hier sind also die Terrassen
um 70 m verbogen worden.
Wahrscheinlich, weil die ge-
nannte Arbeit Engelmanns nur
den ersten Teil einer größeren
Arbeit bildet, die auch die
Ergebnisse der Untersuchungen
über die Flußterrassen im
Böhmischen Mittelgebirge und
im Elbsandsteingebirge enthal-
ten wird, hat Engelmann nicht
angeführt, welche Ursache die-
sem tieferen Einschneiden zu
Grunde liegt. Aber schon aus
den jetzt publizierten Terras-
senhöhen ist mit Gewißheit
zu schließen, daß die Moldau-
Elbe im Gebiete des Böhmischen
Mittelgebirges ein antezedenter
Fluß ist. Durch die Hebung
jenes Gebirges wurden die
beiden Terrassen hier mit auf-
gehoben, also verbogen, und der
Fluß zu stärkerem Einschneiden
gezwungen.

§ 10.

Die Dekadenz der Maas.

Einen Beweis dafür, daß die
Maas, die einst stark mäandrie-
rend auf der Peneplain floß,
nachmals verjüngt worden ist
(nämlich durch die Hebung des
gallo-belgischen Gebirgsblocks),
erblickt Davis1) in dem Vor-

\') W.M.Davis: LaSeine,laMeuse,et
la Moselle. (Ann. de Géogr. 1895. T.V.)

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kommen eines vollständig abgeschnittenen Mäanders der
Maas bei Dun-sur-Meuse und in dem von zahlreichen
anderen, fast durchschnittenen Mäandern. Jetzt aber fließt
die Lothringer Maas, wie Davis sie schildert, als ein ver-
armter Fluß in Flachmäandern (beweglichen Mäandern auf der
Talsohle). Die Talsohle wird hier fast überall von Wiesenland
eingenommen, die Maas pendelt hin und her am Fuß der Prall-
hänge und gleichfalls der Gleithänge, ja an einigen Stellen
fließt sie auf kurzer Strecke sogar stromaufwärts. Die Maas
fließt wie alle nordeuropäischen Flüsse auf oder vielmehr in
ihrer Niederterrasse, und bei Niederwasser liegt ihr Spiegel
einige Meter unter dem Terrassenrand, so ist z. B. bei Fumay
der Fels erst unter Flußabsätzen in einer Mächtigkeit von 15 m
angebohrt worden. Die Ursache dafür, daß die Maas in ihrem
ganzen Laufe, ausgenommen in ihrem Quellgebiete, aufgehört
hat, ihr Bett zu vertiefen, sucht Cornet in der Erhöhung der
Erosionsbasis, d.h. des Nordseespiegels, die eintrat, nachdem die
Flüsse ihre ursprünglichen Erosionstäler bis zu der für sie erreich-
baren größten Tiefe eingeschnitten hatten. (Cornet Et. p. 374.)
Dieser Ursache, der Gefällsabnahme also, schreibt Cornet die Ent-
stehung der Niederterrasse und auch die Dekadenz der Lothringer
Maas zu. Ich zitiere (Cornet Et. p. 441): „Diese Dekadenz
hatte zur Folge, und nicht als Ursache, den Verlust verschiedener
wichtiger Nebenflüsse." Die Dekadenz eines Flusses ist aber
nicht zu erklären allein durch Annahme einer Gefällsabnahme
im Unterlauf. Nur die Gefällsabnahme kann an sich Dekadenz
eines Flusses bewirken, die hervorgerufen wird durch Erniedrigung
des Gebirges, die alsdann Verringerung des Regenfalls zur Folge
hat. Cornet nimmt hier aber ein Aufsteigen der Region am Unter-
lauf an; die dadurch verursachte Gefällsabnahme verkleinert die
Wassermasse nicht, wohl aber die Erosionskraft, und dadurch
können Nebenflüsse so ungünstig gestellt werden, daß sie Flüssen
eines anderen Systems zur Beute fallen; erst infolge dieses Ver-
lustes an Stromgebiet und damit an Wasserführung tritt die
Erscheinung der Dekadenz ein.

Im Gegensatz zu Cornet suche ich also die Ursache jener
Dekadenz in der Tatsache, daß die Maas in ihrem Oberlaufe
Nebenflüsse an die Mosel und die Seine verloren hat, was Davis,
meiner Meinung nach, sehr logisch durch die Aufwölbung der

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Ardennen erklärt: Als antezedenter Fluß hat die Maas um
ihren Lauf beizubehalten gekämpft; sie hat den Sieg davon-
getragen, aber diesen durch den Verlust ihrer Nebenflüsse be-
zahlen müssen. Die widerstandsfähigen Gesteine der Ardennen
stellen für die obere Maas eine lokale Erosionsbasis dar, welche
der Seine und der Mosel gestatten, der Maas immer mehr von
ihrem Stromgebiete zu entreißen, da die Seine und die Mosel
ihren Seitenflüssen bessere Erosionsbedingungen darbieten als
die Maas. Daß auch die Maas oberhalb Toul nicht mehr erodiert
(ich möchte anstatt dieser von Davis gebrauchten Worte sagen
„dekadent ist"), erklärt Davis durch die Annahme, daß die heutige
Maas auch oberhalb Toul Nebenflüsse durch Beraubung verloren
hat. Soviel über die Dekadenz.

Die Entstehung der Niederterrasse erkläre ich, wie aus
dem vorigen Paragraph hervorgeht, nicht durch eine Hebung
der Erosionsbasis,1) oder durch eine den gleichen Effekt bedin-
gende Senkung des
franko-belgischen Gebirgsblocks, sondern
durch die Annahme eines zeitweiligen Aussetzens der Ursachen,
welche im Jungtertiär und im Pleistozän die Erosion hervor-
riefen. — Die letzte Ruhepause in der Hebung (vgl. S. 26)
dauert noch immer fort, außerdem hat die weitere Transgression
der Nordsee nacli Süden aufgehört. Die Erosion bedingenden
Kräfte arbeiten nicht mehr, und infolgedessen akkumulieren
die Flüsse.

§ 11-

Die Stainiersche Abhandlung über die Maasterrassen.

Stainier2) verteilt die fluviatilen Geröllabsätze des Quartärs
in zwei verschiedenen Etagen. Die ältere, die Campinienetage
umfaßt die Geröllablagerungen der Haupt- und Mittelterrassen

*) Außerdem glaube ich, daß die hier gemeinte Transgression der
Nordsee (vgl. S. 25) nicht eine Abnahme, sondern eine Steigerung der erosiven
Arbeit bedingt hat; denn diese Transgression bestand nicht in einer liebung
des Meeresspiegels bzw. in einer Senkung des ganzen Kontinents, sondern
allein in einem Absinken des Vorlandes, in einem Absinken also des heutigen
Nordseebodens, was nicht eine Akkumulation, wie Cornet annimmt, zur Folge
hatte, sondern eine Neubelebung der Erosion (vgl. Anm. 2, S. 21).
a) X. Stainier: Le cours de la Meuseetc. (1. c. S. 8).

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des Maastals, die jün-
gere, die Hesbayen-
etage1) wird von dem
ununterbrochenen Ge-
röllbette gebildet, das
überall die Sohle des
heutigen Maastals ein-
nimmt. Schon früher
wurde darauf hinge-
wiesen, daß Stainier
die Ablagerungen auf
der Hauptterrasse (in
± 90 m über dem Fluß-
niveau) und auf der
Mittelterrasse (in ± 30m
über dem Flußniveau)
unter dem Namen „Ab-
lagerungen der Cam-
pinien-Maas" zusam-
menfaßt. Nach Stainier
weisen die Absätze der
tertiären Maas und der
Campinien-Maas Ge-
fällsumkehrungen auf
(Fig. 10) und Cornet
stützt hiermit (vgl. S. 8)
seine Erklärung der
Entstehung der Sambre-
Maas, die zutreffen
könnte, wenn nur in
einem Terrassenniveau

\') Ich nehme an, daß diese
Einteilung nicht von Stainier
herrührt, sondern die in
Belgien gebräuchliche ist.
denn auch auf der geologi-
schen Karte (vgl. S. 54)
werden die Terrassenab -
lagerungen in dieser Weise
gegliedert.

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die Gefällsumrkehrungen vorkommen würden. Wie aber aus Fig. 10
hervorgeht, weisen zwei Terrassenniveaus die genannte Un-
regelmäßigkeit auf, so daß hierin keine Stütze für Cornets
Anschauungen gewonnen werden kann, und die Gefällsum-
kehrungen sich viel eher durch Annahme von Bodenschwan-
kungen erklären lassen, wie auch durch Stainier geschieht.
Aber — existieren die in dem Stainierschen Profil ange-
gebenen Gefällsumkehrungen wirklich? Oder sind sie nur eine
graphische Folgeerscheinung der obengenannten, wahrscheinlich
falschen Arbeitsmethode, Hauptterrasse und Mittelterrasse als Aus-
druck einer und derselben Entwicklungsstufe der Talbildung aufzu-
fassen? Ein Beispiel wird genügen: Die Terrasse des Bois de Hülle
bei Lustin (± 37 m über dem Flußniveau) rechne ich zu der Mittel-
terrasse, während die Terrasse bei Marche-les-Dames in 170 m
(± 95 m über dem Flußniveau) einen Rest der Hauptterrasse
darstellt. Wenn nun diese beiden nicht zusammengehörenden
Höhenangaben als Punkte derselben Kurve eingezeichnet werden,
müssen auch hier wiederum ähnliche Umkehrpunkte in der
Kurve auftreten.

Aus der Stainierschen Abhandlung habe ich den Eindruck
gewonnen, daß seiner Aulfassung nach die breite Talsohle der
tertiären Maas (4 bis 10 km) und jene der Campinien-Maas
(800 bis 3200 m) vollständig vom Flußwasser ausgefüllt gewesen
seien. Ähnliche Anschauung habe ich auch bei anderen Autoren
gefunden (vgl. V. d. Br.1) p. 30 über das Plateau de Gerny)
und es muß die
Unrichtigkeit dieser Auffassung betont werden.
Die Ausdehnung der Terrassenvorkommen in der Richtung quer
zum Flusse wird vielmehr bestimmt von der Breite des Mäander-
belts, oder besser noch von den Tangenten an den zeitlich auf-
einander folgenden Mäandersystemen. Daß gerade die „tertiäre"
Maas große Mäander auf der Peneplain beschrieb, ist schon
öfters hier hervorgehoben worden; aber nur das letzte Mäander-
system, jenes, in welchem sie eben strömte, als sie anfing ein-
zuschneiden, wurde zu eingesenkten Mäandern und diese be-
stimmten nachher wieder die Lage der Absätze der Campinien-
Maas, welche uns in besser erhaltener Form entgegentreten,

\') E. van den Broeck, E. A. Martel et.Ed. Rahir: Les Cavernes et
les rivieres souterraines de la Belgique. Bruxelles 1910. Wird weiterhin
im Text zitiert werden als (V. d. Br. p. —).

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obgleich auch an diesen Campinien-Mäandern die Erosion nicht
ohne Wirkung geblieben sein wird: Sporne wurden abgetragen
und fortgeschafft usw.

Im Einklang mit dieser falschen Auffassung denkt sich
Stainier die tertiäre Maas als geradlinig und erblickt so eine
weitere Schwierigkeit in dem Auftreten der Maasmäander, von
welchen er annimmt, daß sie von der Maas in den späteren
Stadien ihrer Entwicklung allmählich in den widerstandsfähigen
Ardennen-Gesteinen eingeschnitten seien. Von diesem Vorgang
glaubt er, daß er vielleicht durch Annahme einer ehemaligen
größeren Geschwindigkeit erklärt werden könne. — Nun wird
im Gegenteil ein schnellströmender Fluß versuchen, schon be-
stehende Mäander abzuschneiden, um seinen Lauf zu verkürzen,
aber er wird keine neuen Mäander bilden; denn regelmäßige,
große Mäander wie jene der Maas (nicht zu verwechseln mit
den kleinen „regellosen" Mäandern der jungen Flüsse) finden
sich nur bei reifen Flüssen mit einem verhältnismäßig geringen
Gefälle. Wohl aber kann ein schnellströmender Fluß gezwungen
werden, schon existierende Mäander tiefer einzusenken, und
dieser Fall liegt hier vor.

So ist auch die Stainier\'sche Auffassung: die Maas habe
ihr Bett immer mehr von Westen nach Osten verschoben —
denn die Campinienablagerungen lägen östlich von den tertiären
Absätzen und die Hesbayenabsätze wieder östlich von jenen —
unrichtig. Gleiches trifft zwar nach Vidal de la Blache1) für
die Lothringer Maas bei Verdun zu; hier trägt das linke Ufer
in ungefähr 300 m Meereshöhe überall Reste der Hauptterrasse,
während am rechten Ufer in gleicher Höhe keine Spur von
Terrassenschottern zu finden ist. Sie können aber auch nicht
durch die Erosion weggenommen worden sein, denn zwischen
St. Mihiel und Dun beträgt die Rückenhöhe des rechten Ufers
heute noch 400 m, was beweist, daß diese Höhen immer Ge-
hänge oder Hochfläche, niemals Talsohle gewesen sind. Ich
glaube aber, daß hier höchstens erklärt werden muß, warum
die Argonnen-Maas und später auch die Campinien-Maas im
Augenblick des Einschneiden gerade auf der rechten Seite der
Talsohle flössen.

\') J. Vidal de la Blache: Étude sur la vallée lorraine etc. (1. c. S. 15) p. 23.

4

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§ 12.

Die Theorie von Dollfus.1)

Gegen die Anwendung der Antezedenztheorie auf die
Maas wendet sich Dollfus. Er geht von der Vorstellung aus,
daß die Lothringer Maas nach Westen floß, d. h. abgelenkt wurde,
weil entweder die Ardennen eine nachträgliche Hebung oder
der östliche Teil des Pariser Beckens eine nachträgliche Senk-
ung erfuhr, wodurch die vorher nach Norden fließende Loth-
ringer Maas nach Westen abgelenkt wurde. Die obere Maas
wurde also zum Nebenfluß der Oise. Auf Kosten dieser Oise-

Maas wurde dann durch die Maas von Dinant eine Beraubung
ausgeführt. Das Mittel dieser Beraubung war die rückschrei-
tende Erosion, die zuerst die Semois und später die Lothringer
Maas selbst für die Nordentwässerung eroberte.

Diese Erklärung der heutigen Hydrographie dehnt Dollfus
auch auf das Rheintal im Rheinischen Schiefergebirge aus und
er sagt, daß die Flußterrassen (in Wirklichkeit handelt es sich
um durch Aufwölbung verbogene Terrassen!) mit widersinnigem
\'Gefälle südlich des
Siebengebirges den besten Beweis dafür
liefern. Nun ist eine solche Beraubung eines ein niedrigeres
Niveau einhaltenden Flusses durch einen in höherem Niveau
strömenden gar nicht möglich. Wohl aber kann ein in tieferem
Niveau gelegener Fluß A (vgl. Fig. 11) (in unserm Falle die
Lothringer Maas) die Quellgehänge eines Flusses B (die Ardennen-
Maas) unterschneiden und durch die starke, regressive Erosion
seines Nebenflusses C den Fluß B an sich ziehen. Der Fluß B
aber verfügt in seinem Quellgebiet nicht über die Kraft, sein
Bett bis in die Tiefenlage des Flusses A einzuschneiden und

\') G. Dollfus: Relations entre. la structure géologique du bassin de
Paris et son hydrographie. (Ann. de Gêogr. T. IX. 1900). Im besonderen S. 428.

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erst, wenn dies gelungen wäre, würde er den Fluß A enthaupten
können. Um die Auffassung zu bekämpfen, als ob die Maas ein
antezedenter Fluß sei, hebt Dollfus hervor, daß Gleichmäßigkeit
(nach Zeit und Größe) der Hebung der Ardennen und der Tiefen-
erosion der Maas (wie sie von der Antezedenztheorie ja gefordert
wird) etwas Abnormales sein würde; was aber für die Maas ange-
nommen werde, das müsse auch für die anderen Ardennenflüsse
seine Gültigkeit haben, die alsdann gleichfalls in Durchbruchtälern
die Ardennen durchqueren müßten. Über die Tatsache, daß
Rhein, Mosel und Laim das Rheinische Schiefergebirge, von
dem die Ardennen doch nur einen Teil bilden, durchbrechen,
schweigt Dollfus. Es ist hierauf zu erwidern, daß die Neben-
flüsse im allgemeinen ungünstiger gestellt sind als der Haupt-
fluß und darum auch nicht die gleiche Länge und Erosionskraft
besitzen, weshalb sie bei einem solchen Kampf um ihr Bestehen
sehr leicht ins Hintertreffen geraten. Der Einwand ist aber in
unserem Falle auch unnötig, da vor der Aufwölbung die Semois
schon existierte und die Wasserscheide zwischen Semois und
Lesse usw. vor und nach der Hebung sich in ungefähr gleicher
Lage befunden haben wird. Die letzteren Flüsse können also
gar nicht unter den Begriff: „antezedente Flüsse" fallen. (Für
die Ourtlie vgl. § 13.)

Wie bereits Philippson*) bemerkte, findet man in dergleichen
Aufwölbungsgebieten einen eigentümlichen Gegensatz in den
Richtungen der größeren Ströme und der kleineren Zuflüsse aus-
geprägt. Die ersteren verlaufen in der Richtung der früheren,
längst verwischten Abdachung, während die kleineren dem
heutigen Relief folgen. In ähnlicher Weise äußert sicli auch
W. M. Davis.2) — Als ein zweites Argument gegen die Anteze-
denz der Maas führt Dollfus folgendes an : Im Gebiet der Hebungs-
achse bei Fumay wird der Talboden von mächtigen Geröll-
ablagerungen gebildet, so ist, wie bereits erwähnt, bei Saint-
Pierre de Lionne, oberhalb Fumay, in 223 m Meereshöhe (Maas-
niveau ± 115 m) eine 44 m mächtige Geröllschicht angebohrt

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worden. Die Maas hat hier also akkumuliert, was nach Dollfus
dagegen spricht, daß man es hier mit einem einen tektonischen
Widerstand besiegenden Muß zu tun hat. Aus der in § 9 ge-
gebenen Erklärung der Niederterrasse folgt jedoch, daß diese
Geröllablagerung weder gegen nocli für eine Theorie spricht,
welche das Durchbruchtal erklären will. Sie besagt nur, daß
in der Erosionsarbeit der Maas in einem bestimmten Zeit-
abschnitt eine Ruhepause eingetreten ist. Es wäre aber mög-
lich, daß gerade diese große Geröllmächtigkeit bei Fumay einen
sprechenden Beweis für die Richtigkeit der Antezedenztheorie
darstellen könnte; aber auch liier macht sich die geringe An-
zahl der Beobachtungen, eine Tatsache, auf welche am Schluß
von § 9 hingewiesen wurde, bemerkbar. Es ist ja eine logische
Polgerung der Antezedenztheorie, daß wenn ein Gebirge quer
zur Strömungsrichtung eines Flusses aufgewölbt wird, der Fluß,
um seinen Lauf aufrechtzuerhalten, oberhalb der Hebungsachse
akkumuliert, unterhalb derselben aber erodiert.

Noch sei bemerkt, daß Dollfus die Maas von Lüttich bis
Maastricht als die
Entwässerungsader eines Sees auffaßt, der
eine geschlossene
Synklinale erfüllt haben soll. Einen Beweis
für die Richtigkeit dieser Erklärung scheint er in dem Auftreten
hochgelegener Geröllterrassen zu sehen. Im Anschluß
an die in
den vorigen §§ auseinandergesetzte Theorie erscheint mir eine
Bekämpfung dieser
Anschauung unnötig.

§ 13.

Die Ourthe und die Luxemburgischen Flüsse.

Die beiden Quellarme der Ourthe, derjenige von Houfifalize
und derjenige von Ortheuville, vereinigen sich unter einem
Winkel von fast 180°. Die Richtung der beiden, diametral ein-
ander entgegenfließenden Quellarme verläuft unmittelbar nördlich
der Kammlinie der Ardennen, also parallel der Aufwölbungsachse.
Es ist also nicht ausgeschlossen, daß die Aufwölbung der Ourthe
ihren Oberlauf genommen hat, weil die Erosionskraft der Ourthe
nicht groß genug war, um, wie im Falle der Maas, ihren Lauf beizu-
behalten. Ihr Unterlauf (Noiseux-Laroche), der konsequent zur
n 2en Peneplain war, blieb auch konsequent zu der neuen Ab-
dachungsrichtung. Die Gefällsrichtung im Gebiet ihres Oberlaufes

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aber wurde umgekehrt, und so fiel die obere Ourthe in irgendeiner
Weise dem Stromgebiet der Sauer anheim, während das Ver-
bindungsstück, wenn es nicht der Erosion zum Opfer gefallen ist,
auf der Kammlinie zu suchen sein würde.

Auch bei der Betrachtung einer hydrographischen Karte
von Luxemburg fallen eigentümliche Flußverhältnisse, nämlich
solche, die durch Anpassung entstanden zu sein scheinen, auf.
Der Hauptstrom von Luxemburg, die Sauer, zeigt keineswegs
das Bild eines Flusses, der in einfacher, ununterbrochener Ent-
wicklung entstanden ist. Hydrographisch zerfällt sie in zwei Ab-
schnitte : die obere und die untere Sauer. Die obere Sauer, oberhalb
der Mündung der Alzette, besitzt ein Gefälle von 2,72 m pro km1)
und ist ein Gebirgsbach mit großen Extremen in seiner Wasser-
führung. Die untere Sauer, welche ein Gefälle von 1,05 m pro km
aufweist, füllt bei gewöhnlichem Hochwasser ihre Talsohle gänz-
lich aus. Die mittlere Breite von 50 bis 60 m ist ziemlich
konstant. Die Alzette hat ein Gefälle von 1,07 m pro km.

Durchgearbeitet ist dieses Problem noch nicht, aber es
erscheint nicht unmöglich, daß die Sauer, welche in einigen Teilen
ihres Laufes (von der belgischen Grenze bis an die Mündung
des Clerf und von Ettelbriick bis Wallendorf) Subsequenten
Charakter besitzt, durch rückschreitende Erosion von der Mosel
her die verschiedenen jetzigen Seitenflüsse an sich gezogen hat.
Auch Asselbergs2) meint, daß Clerf, Our, Enz, Prüm, Nims
und Kyll einmal von Süden gen Norden flossen und durch An-
zapfung von der Sauer umgekehrt wurden, so daß ihre Oberläufe
jetzt wenigstens teilweise obsequente Seitenflüsse der Sauer dar-
stellen. (Über die Bedeutung des Begriffes „Umkehrung von
Flüssen" vgl. S. 20.)

§ 14-

Die Terrassen entlang der Lesse und ihrer Nebenflüsse.

Die Blätter der geologischen Karte von Belgien, („Carte
géologique de la Belgique, dressée par ordre du gouvernement"),
1:40000, Nr. 177 Aye—Marche, Nr. 185
Houyet—Han-sur-Lesse,

\') Glaesencr: Le Grand-Duché do Luxembourg. Diekirch 1885.

s) Étienne Asselbergs: Contribution à l\'étude du dévonien inférieur
du Grand-Duché de Luxembourg. (Ann. Soc. géol. de Belgique, T. 89.1911/12.
Mém. p. 104.)

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Nr. 186 Rochefort—Nassogne, veröffentlicht 1900—1902, geben
im Aufdruck durch Buchstaben das Vorkommen von Terrassen-
ablagerungen an, die nach der „Légende" folgendermaßen ge-
gliedert werden:

Quaternaire inférieur ou diluvien.

q 3 o : cailloux, gravier, sable du fond des

vallées principales,
q 3 n : limon non stratifié, friable, homogène,
jaune chamois.

Campinien (q 2) q 2 m : cailloux ardennais et cailloux de silex
des flancs supérieurs des grandes vallées.

Diese Einteilung scheidet also keineswegs die Ablagerungen
der Hauptterrasse von denen der Mittelterrasse. Überhaupt fehlt,
der Zeit der Aufnahme entsprechend, die morphologische Präzi-
sierung der einzelnen Glieder des Diluvialprofils.

Als ich im Felde die Terrassen aufsuchte, wußte icli von
diesen Bezeichnungen nichts. In der
auf Seite 56 u. 57 folgenden
Terrassenliste, die nur die von mir festgestellten Terrassenvor-
kommen enthält, habe ich aber den auf der geologischen Karte
verzeichneten
Terrassenvorkommen das betreffende Symbol
beigefügt.

Schon von Dupont*) sind diese drei Terrassen entlang der
Lesse für verschiedene Punkte der Karbonkalkzone, also von der
Mündung der Lesse in die Maas bei Anseremme bis etwas öst-
lich von Chaleux, angegeben worden ; die „terrasse entre moyenne
et supérieure", oder die „ältere Mittelterrasse", wie ich sie
genannt habe, hat er jedoch nur bis zur „Domaine royale
d\'Ardenne" bei Houyet verfolgt; er bemerkt aber, daß er das
Lessetal bis
Han durchwandert und dort ähnliche Terrassen-
verhältnisse gefunden habe.
Wie aus der obigen Übersicht
hervorgellt, kommen die genannten Terrassen auch entlang der
Wamme und Lomme vor, wie auch entlang der Lesse ober-
halb Han.

Hesbayen (q3)

Ich habe die Terrassen alle im Felde festgestellt, obgleich
es mir durch Mangel an Zeit nicht möglich war, sie alle zu
betreten. Die meisten traten im Gelände ziemlich scharf hervor,
einige waren besonders stark ausgeprägt. Die Niederterrasse

\') É. Dupont: Étude sur le terrain quaternaire etc. (1. c. S. 9)

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habe ich nicht angegeben, da sie entlang der Maas, Lesse,
Wamme und Lomme überall vorkommt. Da angenommen wurde,
daß die untere Lesse auf der n 2en Peneplain geflossen ist,
wäre eine Terrasse aus dem Stadium der Argonnen-Maas auch
entlang der unteren Lesse zu erwarten. Außer von Dupont
sind die Terrassen im Stromgebiet der Lesse noch wenig unter-
sucht worden; da diese Untersuchung für mich nicht den Zweck
meiner Arbeit darstellte, sondern nur ein Mittel, um an die

u DE HUKAIN
BIRAN CHÜ?

! !

PlATEAU DE GERNY

310

HARGIMONT
WAMME

BOIS DE SINTE

11 ysp
280 | ,

1 / /
2^0/ /

KALK
(GIVETIEN)

JÜNGERE SCM.
(FRASNIEN)

NW

/ AELTCRE SCM.
/ (COUVINIEN) so

Fig. 12. Schematischer Querschnitt durch das Plateau de Gerny.
(Bfaclie Überhöhung.)
SCII.-Schiefer.

im zweiten Teil dieser Abhandlung behandelte Frage über die
Entstehung der Höhlen im belgischen Karst besser gerüstet
herantreten zu können, konnte ich selber nur wenig Zeit auf
dieses Terrassenstudium verwenden. Ich halte es aber nicht
für ausgeschlossen, daß es künftigen Untersuchungen noch ge-
lingen wird, jene älteste Terrasse auch entlang der unteren
Lesse nachzuweisen. (An der Mündung der Lesse glaube ich
diese Terrasse festgestellt zu haben; vgl. S. 34 und Fig. 7.)
Außer den drei genannten Terrassenniveaus linden sich entlang
der Lesse und ihrer Nebenflüsse öfters lokale Terrassen in
anderem Niveau, so z. B. die 10 m-Terrasse, mit welcher das west-
östlich streichende Trockental stufenartig in die Chavöe mündet,
die 15 m-Terrasse im Wammetal, welche die Kirche von On
trägt, die einige Meter hohe Terrasse des Fond des Veaux (Plateau
de Gerny) usw. — Die ältere Mittelterrasse scheint entlang der
Maas nur bei Anseremme nachgewiesen zu sein. Für die Lesse,
Wamme und Lomme aber muß ich eine durchlaufende, ältere

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Niveau der

Mittelterrasse (terrasse moyenne)

Ufer

Lage

Terrassenhöhe

Lesse

-f- 170

± 168

± 168

linkes
linkes

rechtes

südl. von Belvaux

nördl. von Belvaux

« » »

215—205
210-185
(geneigt)
198—185

Chavée 162

150
145
145
142

142

130
130
129
120
118

115

105
100

rechtes

linkes
rechtes
linkes
linkes
linkes
rechtes
linkes

linkes

rechtes
linkes

Chavée gegenüber den Rochers de
Faule

Chavée (Sporn)
Han-sur-Lesse

südl. von Éprave1)
Bois de Heronnerie
Les Espèches, Chapelle St. Roch
Bois de Jawet-Raulisse

(links von Ruisseau de Wimbe)
Große Haie (Villers-sur-Lesse)

Wanlin
Wanlin

205—185
190—175 (q. 2 m)
180

195—175 (q. 2 m)
180—175 (q. 2 m)
180—165 (q. 2 m)
180—170 (q. 2 m)
170-160 (q. 2 m.

q.3n)\'
170—165 (q. 2 m,
q. 3n)
160 (q. 2 m)
155 (q. 2 m, q3 n)

linkes

linkes

linkes
rechtes

Lissoir

Houyet
Chaleux

Walzin Château

150 (q.2in, q.3 n)
geneigt, überge-
hend in
155—140 geneigt
(q. 2 m, q. 3 n)
135
130

Wamme

220
± 215

± 215

linkes
rechtes

Hargimont

nordw. u. westl. vom Hargimont

255-240 (q. 2 m),
geneigt
255—245

L o m m e

± 210

± 200

rechtes

nördl. von Forriôres

245—235

± 180

173

linkes

südöstl. von Rochefort

210—200

-t—---

\') Sehr ausgeprägte Terrasse (vgl. Fig. 17 links unten).

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Ältere Mittelterrasse
(terrasse entre moyenne et supérieure)

Hauptterrasse (terrasse

supérieure)

Ufer

Lage

Terrassenhöhe

Ufer

Lage Terrassenhöhe

rechtes

siidl. von Belvaux

235—225

rechtes

Bois Banal

240—230

linkes

Han-sur-Lesse

230—220

rechtes

Hinterwand
Chavée

255—245

linkes
linkes

Hour la Petite
Lissoir

185 (q. 2 m,
q. 3n)
±180 geneigt
(q. 2 m, q. 3 n)

linkes

Bois du Roi (siidl.
v. Ilouyet)

220—205

rechtes

MontagneduChalet
et de la Fontaine
(Furfooz)

160—175

linkes
linkes

Bois de Chaleux

südöstl. vom
Bois de l\'Hôpital

195
326-310

linkes
linkes

sUdwestl. von
Jemelle
Chfiteau de
Beauregard, Cha-
pelle de Lorettc

235-230
235—225

rechtes
rechtes

siidöstl.
von Forrières

nördl.
von Forrières

325—300,
geneigt
± 286

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Mittelterrasse annehmen, weil sie zu oft vorkommt, als daß sie
als eine lokale Erscheinung betrachtet werden könnte.

§ 15.

Das Plateau de Gerny.

Über dieses Plateau sagt v. d. Broeck (V. d. Br. p. 6):
„Seine mittlere relative Höhe ist mehr als 80 m über dem Niveau
der Wamme, durch deren Taleinschnitt es auf der Seite Jemelle-

On begrenzt wird." Hiernach könnte man vielleicht den Eindruck
gewinnen, als ob der Gerny eine 80 m-Terrasse wäre, was aber
nicht richtig ist. Die höchste Erhebung des Plateau de Gerny
(Fig. 12) beträgt 281 m, es senkt sich allmählich in südwestlicher
Richtung, behält jedoch bis an die 235 m-Isohypse den Plateau-
charakter, um erst dann nach Rochefort zu sich schroffer ab-
zudachen. Das Niveau der Wamme bei Hargimont und das der
Lomme bei Rochefort liegen in 215 m und 173 m. Wenn
nun das Plateau de Gerny als einheitliche Terrasse aufgefaßt
werden soll, müßte es die Flußebene eines spätreifen Flusses
mit schwachem Gefälle darstellen. Eine solche kann aber nicht
mit der Talsohle eines jungen oder jungreifen Flusses, wie der

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heutigen Wamme-Lomme, parallel laufen (vgl. Fig. 13). Weil nun
die Oberflächenneigung eine zu große ist, als daß wir das Plateau
de Gerny als eine alte Talsohle betrachten könnten, so muß die
Parallelität eine zufällige sein. Es gibt also zwei Möglichkeiten:
entweder die alte Talsohle ist schief gestellt worden, oder das
Plateau de Gerny stellt gar nicht mehr eine einheitliche alte
Talsohle dar. Nun ist es stets zu verwerfen, nur auf Utilitäts-
gründe hin tektonische Bewegungen zu Hilfe zu rufen; des-
halb ist die Erklärung in der Richtung der zweiten Möglich-
keit zu suchen. Der Gerny geht bei Humain in ein Gelände
von 310 m Meereshöhe über. Dieses könnte ein Rest der
Hauptterrasse sein, analog der Hauptterrasse des linken Ufers
bei Hargimont. Dann wäre der Gerny vielleicht eine Abgleitungs-
terrasse, ein allmählicher Übergang der Hauptterrasse in die
ältere Mittelterrasse und ein teilweiser Übergang der älteren
Mittelterrasse in die jüngere. — Eine andere Erklärung wäre, daß
hier die Erosion die Bedeckung mit Frasnienschiefern von dem
unterlagernden Givetienkalk abgestreift hat (vgl. Fig. 13), daß
also A B die ursprüngliche, C B die heutige Oberfläche darstellen
würde. In diesem Fall würde die heutige Oberfläche noch viel
weniger einer alten Talsohle entsprechen. Vorher wurde schon
auf den subsequenten Charakter der unteren Lesse hingewiesen,
welche zuerst die obere Lesse, dann die Lomme und Wamme
enthauptet hat. Wir treffen auch hier auf die bekannte Er-
scheinung, daß ein Schichtfluß (Marche-Eprave) in einem nach-
giebigen Gestein (Frasnien) eine sehr breite Talsohle erodiert
hat. In unserem Fall fällt diese letztere in Bezug auf die
Breitenausdehnung mit dem jetzigen Plateau de Gerny zusammen
(vgl. hierzu auch das breite in den Frasnienschiefern erodierte
Tal des Ruisseau de Biran, westlich vom Gerny); denn meiner
Meinung nach war, bevor diese Erosion einsetzte, der Gerny
mit Frasnien bedeckt, und jenes Gestein wurde erst später ab-
getragen, so daß nun im größten Teil des Gerny das Givetien
das anstehende Gestein bildet. Beim Tiefereinschneiden hat die
Wamme-Lomme ihr Bett dann so ziemlich im östlichsten Ab-
schnitt der Talbreite (Fig. 14) lokalisiert und fließt jetzt in
den Couvinienschichten; nur von Jemelle bis Rochefort und
unterhalb Rochefort bis Eprave ist ihr Bett im Givetienkalk
eingesunken.

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Um zu beweisen, daß der
Gerny eine alte Talsohle der
Wamme-Lomme ist, führt v. d.
Broeck das Vorkommen von
Gerollen auf demselben an,
(„. . . les nombreux cailloux
roulés dont il est parsemé",
v. d. Br. p. 6). Da aber Dupont1)
ungefähr dieselben Worte ge-
braucht und v. d. Broeck an
einer anderen Stelle (V. d. Br.
p. 30) für dasselbe Geröllvor-
kommen sich auf jenen Autor
stützt, so glaube ich nicht, daß
hier persönliche Beobachtungen
von v. d. Broeck vorliegen. Ohne
auch nur einigermaßen die
Autorität Duponts bezweifeln
zu wollen, muß ich doch her-
vorheben, daß es mir nicht ge-
lungen ist, auf dem Gerny Ge-
rolle zu finden.

Einen anderen Beweis dafür,
daß die Wamme-Lomme ehemals
mehr bedeutete als jetzt, er-
blicke ich in der Tatsache, daß
die heutige Wasserscheide zwi-
schen Wamme und Ourthe sehr
wenig ausgeprägt ist. Sie liegt
jetzt bei Marloie in 280 in

\') E. Dupont: Les phénomènes
généraux des cavernes en terrains
calcareux et la circulation souterraine
des eaux dans la région Ilan-Roche-
fort. (Bull. Soc. belge de Géol. T. VII
1893, p. 243). Eine vorzügliche, grund-
legende Arbeit über das betreffende
Gebiet, auf welcher alle späteren
Autoren sich gestützt haben.

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Höhe, hat aber wahrscheinlich früher mehr nördlich gelegen,
wie das eigentümlich verzweigte Flußsystem nördlich von
Marloie noch heute andeutet. Es gehört jetzt zum Stromgebiete
der Ourtlie, aber die zahlreichen (Fig. 15), invers gerichteten

Nebenflüßchen erwecken den Verdacht, daß dieses Gebiet einmal
der Schauplatz eines heftigen Kampfes zwischen der Lesse und
der Ourtlie gewesen ist, in welchem schließlich die Ourtlie den
Sieg davon getragen hat, weil sie ihren Nebenflüssen eine tiefere
Erosionsbasis darbot als die außerdem noch weiter entfernte
Lesse. Der Name eines jener inversen Flüßchen: „Ruisseau
des Querelles" wird jedoch einer anderen Ursache als der mor-
phologischen Einsicht der Anwohner zuzuschreiben sein.

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§ 16.

Die Talstrecke Rochefort, Éprave, Han-sur-Lesse.1)

Trou de H an.
Gouffre de Belvaux.

Source St. Martin.

Fonte St. Martin.

Niederterrasse.

Jüngere Schiefer.
(Frasnien).

Kalk (Givetien).

Ältere Schiefer.
(Couvinien).

Fig. 16. Geologische Skizze der Umgehung der Chav^e.
(Nach der belgischen geologischen Karte.)

Lage Gestein Streichen Fallrichtung

Carrière Dasse, Rochefort Givetien

S 720 W-N 72 °0

43°

nach

S

Trou Marie Sac —

Attrape „

o-w

30 °-50 0

»

s

Sortie de la Salle du Sabbath „

O-W

68°

n

s

Trou Lorette

»

O-W

50°

n

s

Trou Nou-Moulin

»

W 10°N-0 10°S

42°

1t

s

Rechtes Ufer Chavöe (10) (vgl. Fig. 16) Frasnien O-W

56°

»

N

Linkes Ufer „

(9)

O-W

90°

Rechtes Ufer „

(6)

O-W

40°

»

S

» » »

(?)

O-W

40°

»

s

V n V

(8)

O-W

40°

»

N

*) Auf der belgischen geologischen Karte ist weder das Schichtstreichen,
noch die Fallrichtung angegeben, uitd so scheint es erwünscht, meine wenigen
eigenen Beobachtungen hier vorzuführen, (vgl. Fig. 16).

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Lage Gestein Streichen Fallrichtung

Gouffre de Belvaux (5)

Givetien

WNW-OSO

52°

nach S

Trou de Han (1)

»

O-W

43°

„ N

„ » » , neben (1)

11

O-W

35°

» N

» , » (2)

»

O-W

40°

» N

Trou Picot (3)

»

O-W

30°

, s

Trou Sinsin (4)

»

NW-SO

10°

; w

Siidlich von Genimont

Frasnien

O-W

25°

n S

(bei B 25, Topogr. Karte 1:20,000 Feuille LIX).

Bei (2) ist für die Bahnanlage Han-Gouffre de Belvaux eine Schicht-
fläche künstlich entblößt.

In dem schmalen Tal der Ave auf dem Weg von Han nach Auffe ist
am linken Talgehänge ein prachtvoller Sattel angeschnitten, den auch die
Karte mit Felssignatur angibt; auch hier scheinen die Schichten O-W zu
streichen. Leider gestattete die zwischen dem Weg und dem Fels strömende
Ave nicht, eine Kompaßmessung auszuführen; eine photographische Aufnahme
dieses Sattels wäre erwünscht. — Das eigentümliche Streichen beim Trou
Sinsin kann ich nicht erklären; doch glaube ich nicht, daß meine Beob-
achtung falsch ist.

Im ganzen genommen, ist die Architektur in unserer Gegend eine sehr
einfache: die etwa O-W streichenden Falten liegen nach N über.

So wie allgemein bekannt, verschwindet die Lesse beim
Gouffre de Belvaux in einer Höhle, um erst beim Trou de Han
wieder ans Tageslicht zu treten. Dadurch ist die Talstrecke,
welche sich um den Ausläufer des Bois de Boine hinschlingt,
trockengelegt, zur „Cliavde" (Totes Tal) geworden. Die Lesse
stellt überhaupt ein gutes Beispiel für den großen Einfluß des
Gesteines auf die Talform dar. Bei Belvaux durchfließt die
Lesse die Schieferschichten (Frasnien) in einem breiten Tal (vgl.
Fig. 20), das sich beim Eintritt der Lesse in den Givetienkalk
sogleich verschmälert, während umgekehrt die Chavde beim Über-
gang vom Kalk in den Schiefer wieder breiter wird.

Im heutigen Zyklus hat die Talsohle südlich von Rochefort,
welche die Fortsetzung der alten Talsohle des Gerny bildet,
und ebenso bei Eprave und Villers-sur-Lesse bereits das Sta-
dium der Reife erreicht, wie u. a. aus der Flußgabelung bei
Eprave (vgl. Fig. 17) hervorgeht, ein Phänomen, das nur bei
reifen Flüssen auftritt. Diese Spätreife kontrastiert stark mit
dem schroffen Charakter der östlichen Talwand der Lonnne,
ebenso wie auch in geringer Entfernung von hier das Lessetal ober-
halb Han noch im Jugendstadium verharrt. Dafür daß an diesen
zwei Stellen das Tal bereits die Formen der Spätreife zeigt,

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sind zwei Ursachen zu nennen:
erstens die gesteigerte Erosions-
kraft beim Zusammenfluß der Lom-
me und der Lesse bei Eprave,
zweitens die Nachgiebigkeit der
Frasnienscliiefer, welche im be-
treifenden Gebiete anstehen. Als
Härtlinge in Bezug auf die Nieder-
terrasse befinden sich hier die
Aufragungen des Bois de Boine,
in welchem sich die Höhlen von
Han gebildet haben, des Bois
Roptai, nordwestlich von Ave-et-
Auffe, der Hügel des Bois de
Waerimont und der Steilrand von
Martouzin-Neuville. Sie bestehen
alle aus dem widerständigeren
Kalkgestein des Givetien und über-
ragen die Denudationsniederung
von Eprave und Villers-sur-Lesse.

Den auffallendsten topographi-
schen Landschaftszug (Fig. 18) im
Gebiete Han-Eprave bilden die
breiten Schwellen, die sogen.
„seuils",1) welche Einsenkungen
mit sanfterBöschung zwischen zwei
Erhebungen darstellen. Die „seuils"
östlich von Eprave in 170—180 m
Meereshöhe scheiden die Kuppen
(„buttes") der Grotte d\'Eprave
(200 in), von Eprave ( l(J0m) und
viele andere, die keinen eigenen
Namen besitzen. Diese Kuppen8)

>) Der Ausdruck „Seuil1\' wird von v. d.
Broeck für diese Hohlform gebraucht.

2) Trotz ähnlicher Formen hat man
es hier nicht mit „Hums" im Sinne
von Cvyi6 zu tun. (Cvyi6: Bildung und
. Dislozierung der Dinarischen Rumpf-
fläche. Pet. Mitt. 1909, S. 12«.)

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*

ebenso wie diejenigen des Rond-Tienne
(185 m) und des Bois de Waerimont
(225—190 m) werden von v. d. Broeck er-
klärt als Inseln, also als Aufragungen aus
dem „Mittelniveau" (niveau moyen Y. d. Br.
p. 43), als die Lesse und die Lomme sich
hier inmitten dieser Inselwelt vereinigten.
Die Seuils faßt er als Reste der Ver-
zweigungen des alten Talwegs des Mittel-
niveaus auf. Ich glaube nicht, daß diese
Erklärung zutrifft. Erstens liegt die
Mittelterrasse hier in 180—185 m, und die
Lage der Seuils ist also zu niedrig, als
daß sie als Reste der Talsohle aus der
Zeit der Mittelterrasse angesehen werden
könnten (v. d. Br. setzt diese Terrasse in
20—25 m über das heutige Flußniveau
an, was, nach meiner Meinung, zu wenig
ist). Wenn wir den „ancien thalweg"
(vgl. Fig. 19), von welchem v. d. Br. auf
S. 42 seiner Arbeit ein Bild vorführt, und
der östlich um die Kuppe des Rond-Tienne
herumführt, etwas genauer betrachten, so
ergibt sich, daß hier jedenfalls die v. d.
Broecksche Erklärung versagt, denn der
betreffende Thalweg befindet sich nur
einige wenige Meter über der Niederterrasse.
Ganz ungezwungen läßt die Kuppe des
Rond-Tienne sich aber als abgeschnittener
Umlaufberg erklären. Vor geologisch ge-
sprochen noch kurzer Zeit floß die Lomme
um den Rond-Tienne hin. Sie schnitt die
Gehänge bei A und B immer mehr zurück,
bis schließlich der Umlaufsporn ganz ab-
geschnitten war und nun als Inselberg fort-
besteht. Einen Beweis für die Richtigkeit
dieser Erklärung, welche sich im Gelände
sogleich dem Beschauer aufdrängt, erblicke
ich in der auffallend geradlinigen Talstrecke

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9

V

CD —. Der eigentümlichste
Seuil ist j ener, der vom Rouge
Croix (südöstlich von Éprave)
nach Norden geht, nur durch
das Tal der Lomme unter-
brochen, und sich von da an
in nordöstlicher Richtung
bis oberhalb des Bois de
Waerimont fortsetzt. Dieser
Seuil wird an der Westseite
durch eine Reihe von Kuppen
in 185—205 m Höhe (eine
derselben ist in Fig. 18 mit
demNamen „Frasnien-Haert-
ling" angedeutet) begrenzt,
von denen die einzelnen wie-
der durch sekundäre Seuils
in 180 m Höhe mit ein-
ander verbunden sind. Ein
Blick auf die geologische
Karte macht das Auftreten
dieser Serie von Kuppen un-
mittelbar verständlich : es
deckt sich mit dem Auftreten
eines schmalen Bandes von
„calcaires stratifiés massifs
ou noduleux" (Fr lo auf der
geologischen Karte), welche
innerhalb der Schichtenserie
des Frasnien ein widerstän-
digeres Gestein darstellen.
Diese Reihe von Aufragungen
ist also geologisch bedingt.
Eine bestimmte Erklärung
für die sekundären Seuils
weiß ich nicht zu geben,
wahrscheinlich liegt hier
nur das Resultat einer weit-
gehenden Denudation vor.

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Eine ähnliche Frage er-
hebt sich bei dem breiten
Seuil in 185 m, welchem
südlich vom Bois de Boine
der Weg Auffe-Belvaux folgt
(Fig. 20). Y. d. Broeck er-
klärt diesen wiederum als
die Talsohle eines alten
Lessearms („ . . . la Lesse,
dont un bras encore se ramifia
jadis par lä") im Mittel-
niveau. Leider kann ich
auch dieser Erklärung nicht
beipflichten, einmal auf
Grund des oben schon er-
wähntenHöhenunterschiedes,
dann aber muß, wenn die
v. d. Broecksche Annahme
richtig ist, für diesen Lesse-
zweig docli ein Abflußweg
nach Westen oder Norden
bestanden haben, der sicli an
den genannten Seuil an-
schließt und unter oder höch-
stens in dem Niveau des
letzteren liegt. Dies ist nicht
der Fall. Nur das Tal des
Reau d\'Ave öffnet sich nach
Norden, kann aber nicht die
Fortsetzung jenes Seuils ge-
bildet haben. Außerdem kann
aus der v. d. Broeckschen
Anschauung nocli eine andere
Folgerung gezogen werden.
Wenn je ein Zweig der Lesse
diesem breiten Seuil gefolgt
wäre, so wäre es undenkbar,
daß die Lesse dieses Bett ver-
lassen hätte, um der schmalen

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Talsohle der Chav6e zu folgen, welche auch noch dazu ein
geringeres Gefälle besaß. Ich glaube, daß jener Seuil als ein
altes, jetzt verlassenes, subsequentes Seitental der Lesse auf-
gefaßt werden muß, das, weil im Streichen der Frasnienschiefer
gelegen, zu so bedeutender Breite erodiert worden war.

Das schon genannte Avetal hat noch etwas bemerkens-
wertes. Bis Auffe besitzt es eine im Verhältnis zur Wasser-
menge seines Baches sehr breite Talsohle mit sanft geneigten
Gehängen; etwas nördlich von Auffe aber ändert sich der
Talcharakter völlig: das Tal ist sehr schmal geworden und bietet
nur noch Raum für den Weg Han-Auffe. An der Westseite
erheben sich 40 m hohe, schroffe Felswände. (Hier ist es
auch, wo der oben besprochene Sattel angeschnitten ist.) Es
durchbricht hier der
Reau d\'Ave, der weiter oberhalb sein Bett
in die Frasnienschiefer eingeschnitten hat, eine Kalkaufragung,
die westliche Fortsetzung des Bois de Boine. Wahrscheinlich
hat sich das Avetal hier einzuschneiden begonnen, während die
Givetienkalke noch vom Frasnienschiefer verhüllt waren. Als
später der Frasnienschiefer von der Erosion abgetragen war,
behielt der Ruisseau d\'Ave seinen Lauf bei, aber die Verbreiterung
seiner Talsohle blieb hier im Verhältnis zu jener in den weicheren
Frasnienschiefern beträchtlich zurück. Nach dieser Aulfassung
liegt hier also ein epigenetisches Talstück vor.

§ 17.

Die Theorie von Ch. Stevens über die Hydrographie
des Lessegebietes.

Wo über die hydrographische Entwicklung des betreffenden
Gebietes so wenig Literatur vorliegt, meine ich auch auf eine
kurze Abhandlung von Ch. Stevens\') hinweisen zu sollen, deren
Meinung mir aber nicht klar geworden ist, so daß ich den Kern
seiner Gedanken hier in den Worten des Autors niederlege.
Zuerst spricht Stevens über den antiklinalen Charakter (er meint
damit wohl den Charakter eines Schichtflusses ?) der Flußtäler
nordwestlich von Marloie, z. B. des Ruisseau des Vachaux und

\') Ch. Stevens : Remarque sur l\'hydrographie du bassin (le la Lesse.
(Bull. Soc. géol. de Belg. T. XLI. 1914, p. 285 etc.).

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der Eau du Pont. Die verschiedenen Talkniee in diesem Gebiete
erklärt er als die Anzapfungsstellen im Gefolge von Ablenkungen,
von der, seiner Meinung nach, in niedrigerem Niveau als das der
Ourthe gelegenen Lesse aus. Er faßt die Lesse von Houyet als
einen subsequenten Fluß auf, der jünger ist als die Maas (von
Maastricht), Ourthe und Lomme, die nach seiner Auffassung
konsequente Flüsse sind. Die Lesse hat allmählich alle Flüsse,
welche das Famennegebiet durchqueren, an sich gezogen:
Ruisseau des Vachaux, die Lesse von Han, Lomme und Wamme.
„Der Deutlichkeit wegen", schreibt Stevens, „habe ich die Lomme
als den Oberlauf der alten Ourthe betrachtet. Diese Annahme
ist zu einfach. In Wirklichkeit hatte schon der nachgiebige
Charakter der Zone der Famennien- und Frasnienschiefer seinen
Einfluß auf die Talbildung im Oberlauf der alten Ourthe aus-
geübt. Oberhalb Barvaux trennt der Fluß sich in verschiedene,
divergierende Quelläste, u. a. die Wimbe, die Lesse von Ochamps,
Daverdisse und Han, die Lomme von Libramont, welche alle
enthauptet sind". Diese Theorie ist mir, wie schon gesagt, un-
klar, ich kann mir gar keine
Vorstellung machen, wie Stevens
sich diesen Entwicklungsgang denkt, und verzichte deshalb auf
jede Kritik.

§ 18.

Das Stadium des heutigen Ardennen-Zyklus.

Am Schluß der Auseinandersetzung über die Genesis des
Ardennenflußsystems sei hier noch ein kurzer Rückblick auf
die Ardennen als Ganzes geworfen. Den Beginn des heutigen
Zyklus haben wir mit dem Anfang der großen Hebung gleich-
gesetzt, welche die Ardennenfastebene in ein Mittelgebirge um-
gewandelt hat. Die Ardennen stehen noch im Anfang des
Reifestadiums, sie sind jung-reif. Viele Täler besitzen steile
Wände, an denen oft der Fels die Oberlläche bildet. Die
Nebenflüsse haben ihre Täler so tief eingeschnitten, daß sie
jetzt gleichsohlig münden. Zwischen diesen liegen große Stücke
der welligen, wenig oder gar nicht zerschnittenen Hochlläche,
welche an einigen Stellen noch so llacli ist, daß sie Sümpfe
trägt (Les Fagnes, das Hohe Venn). Wie im Paragraphen 16
betont wurde, sind aber einzelne Teile, als aus nachgiebigerem

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Gestein (z. B. des Frasnien) aufgebaut, schon viel weiter zer-
schnitten und zu einem Hügellande abgetragen. (Eprave, Lavaux-
St. Anne.) Diese Gebiete haben also in lokaler Ausdehnung
schon das Reifestadium erreicht.

Auf S. 36 ist versäumt worden auf eine wichtige Arbeit von P. Tesch
hinzuweisen: Der niederländische Boden und die Ablagerungen des Rheines
und der Maas aus der jüngeren Tertiär- und der älteren Diluvialzeit (Mitt.
Staatl. Bohrverw. i. d. Niederl. Nr. 1). Amsterdam 1908.

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Zweiter Teil.1)

Die Karstprobleme in den belgischen Ardennen

(besonders in der Umgebung von Han-sur-Lesse und Rochefort).

Drittes Kapitel.

Die unterirdische Hydrographie
des belgischen Karstes.

§ 19.

Kurze Übersieht über die
wichtigsten allgemeinen Theorien der Karsthydrographie.

Bis 1903 wurde die unterirdische Hydrographie des Karstes
aufgefaßt als ein sehr verwickeltes System geschlossener Röhren
und Reservoirs, durch welche die Wasserzirkulation sich fluß-
artig vollzieht. Diese Röhren stellte man sich bisweilen heber-
förmig vor, und durch willkürliche Annahme gegenseitiger Zu-
sammenhänge (z. B. von Röhren, die sich in sehr verschiedenem
Niveau kreuzen), wurde versucht die hydrologischen Erschei-
nungen des Karstes (z. B. intermittierende und perennierende

*) Bei der vorliegenden Arbeit wurden die folgenden Karten zu Rate
gezogen: Carte topographique d e 1 a B cl giqu e à l\'échelle du 20000 ° :
feuille 44, planche 5 (Achône); f. 49 pl. 1 (Houyet); f. 53, pl. 8 (Dinant) ;
f. 58, pl. 4 (Beauraing); f. 59, pl. 2 (Ilan-sur-Lessc) ; f. 59, pl. 3 (Rochefort). —
Carte topographique de la Belgique publiée en couleurs à l\'échelle
de 1 pour 40CKXh Nr. 47 (Namur), 48 (Huy), 53 (Dinant), 54 (Marche), 55
(Durbuy), 58 (Beauraing), 59 (St. Hubert), 60 (Laroche), 65 (Neufchilteau). — H.
Rauff: Höhenschichtenkarte der Eifel. Maßstab 1:200000. Bonn o. J. —
G. Dewalque: Carte géologique de la Belgique et des provinces voisines.
Échelle 1:500000. 2c éd. 1903. — Carte géologique de la Belgique,
dressée par ordre du gouvernement. (Institut cartographique militaire). Échelle
1:40000. Nr. 176 (Achéne-Leignon), 177 (Aye-Marche), 184 (Agimont-Bcau-
raing), 185 (Houyet — Han-sur-Lesse), 186 (Rochefort-Nassogne) (ausgegeben
in den Jahren 1897—1902).

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Quellen usw.) zu erklären. — In jenem Jahre erschien die Arbeit
von Alfred Grund,1) in welcher er seine Theorie über das Karst-
wasser und die Karstwasserschwankungen entwickelte. Schon
früher hatten vereinzelte Forscher über einen zusammenhängenden
Grundwasserspiegel im Karste2) geschrieben, aber Grund kommt
das große Verdienst zu, auf diesem Prinzip eine konsequente
Theorie aufgebaut und den neuen Begriff der großen Karstwasser-
schwankungen eingeführt zu haben.

Wie zu erwarten stand, hat das Erscheinen dieser Theorie
zu einer lebhaften Diskussion Anlaß gegeben. Penck,3) Richter,
Löwl und Krebs haben sich der Grundschen Theorie ange-
schlossen. Scharf verurteilt wurde sie von v. Knebel,4) Katzer,5)
Martel0) u. a.

Im Jahre 1910 hat Grund in einer neuen, ein Karstgebiet
behandelnden Arbeit,7) ein Kapitel (das den Titel : „Zur Karst-
hydrographie" führt) der weiteren Ausarbeitung seiner Theorie
gewidmet, bei welcher Gelegenheit er zugleich auch die Ein-
wände seiner Gegner widerlegte. Unter andrem hatten manche
Kritiker gemeint, Grund hätte in der zuerst genannten Arbeit
das Dasein von Hühlenflüssen überhaupt geleugnet. In diesem
zweiten Werke aber hat er gezeigt, daß dies nicht seine Absicht
gewesen war.8) Es handelte sich bei ihm hauptsächlich um die
Leugnung geschlossener Röhren (welche u. a. von Katzer

A. Grund: Die Karstliydrograpliie. Studien aus Westbosnien. (Pencks
Geogr. Abh. Bd. VII. Heft 3. 1903.)

2) Auch Cvyic gebraucht oft den Begriff: Grundwasserschwankung;
\' vgl. Jovan Cvyié : Das
Karstphänomen. (Pencks Geogr. Abh. Bd. V. Heft 3.

1893.) S. 280.

3) A. Penck: Über das Karstphänomen. (Vorträge des Vereins zur Ver-
breitung naturwiss. Kenntnisse
in Wien. XLIV. Jahrg. 1. Heft. Wien 1904.)

4) W. von Knebel : Höhlenkunde. Braunschweig 1906.

8) Fr. Katzer: Karst und Karsthydrographie. Sarajevo 1909.

°) Vgl. z. B. E. A. Martel : L\'évolution souterraine. Paris 1908. S. 60 u.
112 und E. A. Martel : La Théorie de la „Grundwasser" et les eaux sou-
terraines du Karst. (La Géographie XXI, 1910.
p. 126—130.)

7) A. Grund: Beiträge zur Morphologie des Dinarischen Gebirges.
(Pencks Geogr. Abh. Bd. IX. Heft 3. 1910.) Vgl. auch A. Grund; Das
Karstphänomen. (Geolog. Charakterbilder. Hrsg. v. II. Stille. 3. Heft.
Berlin 1910.)

8) Vgl. hierzu auch: A. Grund:"Zur Frage des Grundwassers im Karst.
(Mitteil. k. k. Geogr. Ges. in Wien 1910. 53. Bd. S. 606-617.)

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angenommen werden). Grund betrachtet den Höhlenfluß als
einen Bestandteil des Karstwassers, als eine Karstwasserader,
die sich nur einen breiteren Raum zum Fließen geschaffen hat.
Grund glaubt natürlich im Gegensatz mit v. Knebels Anspruch,
daß v. Knebels Auffassungen über die Grundwasserströme und
Höhlenflüsse sich von seiner (Grunds) Grundwassertheorie nicht
wesentlich unterscheiden. Weiter rektifiziert Grund in seiner
zweiten Arbeit seine frühere Theorie in einigen unwichtigen
Punkten.

Sehr klar hat Krebs*) den Unterschied zwischen der
Grundsclien Theorie und der seiner Gegner dargestellt: „Der
Hauptunterschied in den Auffassungen liegt darin, daß Grund
alle Fugen unter dem Karstwasserniveau sicli mit Wasser ge-
füllt denkt, die darüber liegenden, vom Sickerwasser abgesehen,
aber trocken sein läßt, während die Gegner meinen, daß sowohl
übereinander als auch nebeneinander trockene und wasserführende
Höhlen abwechseln können."

Nocli immer stehen also die Anhänger der beiden strittigen
Theorien (welche wir der Kürze wegen „Röhrentheorie" und
„Grundwassertheorie" nennen wollen) einander scharf gegen-
über. In diesem Falle ist ein Kompromiß auch völlig ausge-
schlossen. Entweder — oder! Und doch ist die Lösung dieser
Frage für die Trinkwasserversorgung in Kalkgebieten und für
die Grundverbesserung in Poljengebieten ungemein wichtig
und beansprucht also ein weit mehr als rein wissenschaft-
liches Interesse.

Wo noch im Jahre 1912 in einem der geologischen Praxis
gewidmeten Werk Keilhack8) sicli ganz auf den Standpunkt der
Katzerschen Röhrentheorie stellte, da drängt sich den Anhängern
der Grundwassertheorie immer deutlicher die Pflicht auf, durch
zwingende Beobachtungen ihre Annahmen zu verteidigen. Desto-
mehr — da Alfred Grund durch den nichts schonenden Krieg
uns entrissen wurde. Er, der der Wissenschaft schon so viel
geschenkt und für die Zukunft noch mehr versprochen hatte, fiel

\') Norbert Krebs: Offene Fragen der Karstkundc. (Geogr. Zeitschrift
XVI. 1910.)

2) K. Keilhack: Lehrbuch der Grundwasser- und Quellenkunde.
Berlin 1912.

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am 12. November 1914, noch nicht 40 Jahre alt. Mit Trauer
und doch mit dem Ausdruck der Dankbarkeit sei seiner hier
gedacht !

§ 20.

Geologische Einleitung.

(Vgl. zu diesem Paragraphen und zu den folgenden Tafel III.)

Der Untergrund des Gebietes von Han-sur-Lesse—Rochefort,
dem fast ausschließlich meine Untersuchungen galten, wird von
Gesteinen der Devonformation gebildet, von der hier vier Stufen
entwickelt sind, und zwar von Westen nach Osten:

Jüngere Schiefer. Oberes Oberdevon : die Famennien-
Stufe.

Ältere Schiefer. Unteres Oberdevon : die Frasnien-
Stufe (hie und da geschieferte Kalkmassen enthaltend).

Kalke. Oberes Mitteldevon: die Givetien-Stufe.

Älteste Schiefer. Unteres Mitteldevon: die Cou-
vinien-Stufe.

Der Givetienkalk ist also eingeschlossen zwischen zwei
Schiefermassen und bildet ein Kalkband, das ungefähr von Cliimay
bis Wavreille in etwa östlicher Richtung, dann bis Louveigné
in nordöstlicher Richtung verläuft und sich dann nach Westen
umbiegt. Dieses Kalkband stellt eines der Karstgebiete Bel-
giens dar.

Dieser Karst ist ein bedeckter, bestockter und seichter1)
Karst, da die
Couvinien-Schiefer, wie an mehreren Stellen
zu bemerken ist, schon in geringerer Tiefe die Unterlage
bilden.

Die Gesteine der Frasnien- und Couvinienstufe sind undurch-
lässig, wenigstens bereits in einer geringen Tiefe unter der Ver-
witterungsschicht (couche détritique), welche nur an den Tal-
gehängen fehlt, wo der nackte Fels an die Oberfläche kommt.
Der Givetienkalk aber, an sich völlig undurchlässig, ist infolge
der zahlreichen Diaklase, die ihn wie alle stark gefalteten Kalk-
zonen auszeichnen, ein klüftiges Gestein ; und eben auf Grund dieser
Klüftigkeit stellt das Kalkgebiet ein in hohem Maße durchlässiges

\') Nach dem Ausdruck von Katzer (a. a. 0.)

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Terrain dar. Schon auf der topographischen Karte kann man
die Kalkgebiete leicht erkennen, denn im Gegensatz zu den Zonen
undurchlässiger Gesteine sind die Kalkzonen flußarm. Oberirdische
Entwässerung fehlt ihnen fast völlig, und wenn ein Fluß in seinem
Laufe auf das Kalkband trifft, verliert er hier bei Niederwasser
in eine Unzahl von Löchern im Boden oder am Ufer seines Bettes
sein Wasser oder verschwindet auf einmal in dem Kalk, so daß
wenigstens bei niedrigem Wasserstand die im Kalk gelegene
Talstrecke trocken daliegt. Die oberirdische Entwässerung wird
hier also durch die unterirdische abgelöst.

In dem erwähnten Bande von Devonkalk ist eine Anzahl
größerer und kleinerer Höhlen aufgeschlossen, so z. B. die Höhlen
von Rochefort, Eprave, Han-sur-Lesse, und weiter nördlich jene
von Remouchamps, Tilff usw.

§ 21.

Die Hydrologie der Höhle von Han-sur-Lcsse.1)

(Vgl. hierzu Tafel IV.)

Die nachfolgenden Untersuchungen und Studien stellen zum
Teil eine erneute Prüfung der hydrologischen Verhältnisse der
Höhlen von Han und Rochefort dar, die eine erste zusammen-
fassende Darstellung gefunden haben in dem schon angeführten
Werke: „Les Cavernes et les rivières souterraines de la Bel-
gique".2)

Nachdem die Lesse aus den älteren Schiefern (Couvinien)
in den Kalk eingetreten ist, fließt sie noch eine Strecke lang
ungehindert auf der in den Kalk eingetieften Talsohle hin, aber
beim Gouffre (Loch) de Belvaux stürzt sie sich auf einmal in die
Höhle von Han, um erst wieder ans Tageslicht zu treten, wo
die jüngeren Schiefer (Frasnien) beim „Trou de Han" an den
Kalk angrenzen. Vom „Gouffre de Belvaux" bis an die „Place

l) An dieser Stelle möchte ich Herrn Ed. Baron de Pierpont, admini-
strateur — délégué de la Société anonyme des Grottes de Han-sur-Lesse et
de Rochefort, meinen besten Dank aussprechen für die Bereitwilligkeit, mit
der er mir die Durchführung meiner Untersuchungen in den Höhlen von
Rochefort und Han ermöglicht hat.

*) E. v. d. Broeck, E. A. Martel et Ed. Rahir: Les Cavernes et les
rivières souterraines de la Belgique. Bruxelles 1910. Wird weiterhin im
Text zitiert werden als (v. d. Br. p. —).

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d\'Armes" kennen wir den Lauf des unterirdischen Flusses1)
nicht. Am letztgenannten Punkte kommt er wieder unter den
Felsen zum Vorschein. Noch zweimal verschwindet er in den
Felsen, so daß man seinen Lauf nicht weiter verfolgen kann, •
aber beim „Fmbarquement" zeigt er sich uns wiederum und
zwar als eine breite Wasserfläche, welche die Nachen der Be-
sucher bis an das Trou de Han trägt. — Außerdem findet
sich noch Wasser in der „Salle des Draperies", das an seinem
Nordende mit dem Wasser der unterirdischen Lesse in Ver-
bindung steht. Auch einige „Puits" (Brunnen) sind mit Wasser
gefüllt.

Der vornehmste Zweck, der den Untersuchungen,2) die ich
in der zweiten Hälfte des Monats August 1913 in der Höhle
von Han angestellt habe, zugrunde lag, war, Beobachtungs-
material zu sammeln, um in einem konkreten Fall die Grundsche
Theorie prüfen zu können.

Niveaumessungen der Wasserpunkte. Die ver-
schiedenen Niveaus habe ich barometrisch gemessen. Dazu
benutzte ich zwei Aneroidbarometer, Nr. 996 und Nr. 997, aus
der Fabrik von Olland, Utrecht. Die Wasserniveaus in der
Höhle habe ich immer mit dem Niveau der Lesse einige Meter
außerhalb der „Sortie" verglichen, und zwar in der Weise, daß
ich das Barometer auf einen daselbst in der Lesse liegenden
Felsblock stellte, zu einer bestimmten Zeit den Barometerstand
daselbst bestimmte und zu gleicher Zeit den Abstand zwischen
dem Barometer und dem Lesseniveau maß. In gleicher Weise
benutzte ich nachher das Barometer zu einer Höhenmessung inner-
halb der Höhle. Der Unterschied der Barometerablesungen mit
Berücksichtigung des Höhenunterschiedes infolge Verschiedenheit
der Barometeraufstellung über dem Wasserniveau, ergab alsdann
den Niveauunterschied. Da zwischen den beiden Beobachtungen

*) Ich gebrauche hier und im folgenden bis an Seite 90 den Ausdruck:
„unterirdischer Fluß" und „unterirdische Lesse" nur um die Vorstellung zu
fixieren, ohne ihm jedoch im Sinne strenger Morphologie und Hydrologie
Bedeutung beimessen zu wollen.

J) Die für meine Untersuchungen benötigten Barometer und Thermo-
meter wurden mir von
dem Herrn Generaldirektor des Kgl. Niederländ. Meteoro-
logischen Instituts
in de Bilt, Prof.\'Dr. E. van Everdingen, freundlichst zur
Verfügung gestellt.

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immer eine gewisse Zeit (oft mehrere Stunden) verstrich, mußte
das in dieser Weise gewonnene Resultat korrigiert werden für
die Schwankungen des atmosphärischen Luftdruckes. Dazu
hatte ich in meinem Gasthof zu Rochefort ein selbstregistrierendes
Barometer aufgestellt. Es wäre besser gewesen, wenn auch
diese Aufnahmen in Han vor sich gegangen wären, aber, da
ich nicht immer am Morgen in Han war und doch an jedem
Morgen ein neues Diagrammpapier um den rotierenden Zylinder
gelegt werden mußte, wäre das zu unbequem gewesen. Es hat
sicli gezeigt, daß für meinen Zweck, nämlich das Messen von
notwendigerweise kleinen Niveauunterschieden, die Ablesungen
der gebrauchten Aneroidbarometer nicht genügend genau sind,
v. d. Broeck sagt (v. d. Br. p. 100, Verweisung) : „Sous terre d\'ail-
leurs, il a été souvent constaté que le baromètre holostérique
a, pour des causes encore non étudiées des caprices et des fan-
taisies tels qu\'il faut jusqu\'à nouvel ordre, renoncer à peu près
à réclamer de cet instrument des indications réellement précises."
Diese Meinung teile ich nicht. Eine Fehlerquelle liegt im Nach-
hinken der Instrumente. Doch diesen Fehler kann man vermeiden,
indem man das Barometer vor jeder Ablesung einige Zeit an Ort
und Stelle zur Ruhe kommen läßt. (Ich nahm hierzu immer eine
halbe Stunde.) Diese Ruhezeit ist um so mehr nötig, wenn beim
Transport das Barometer plötzlich große Niveauunterschiede
erleidet, wie z. B. bei Bergmessungen. Um dem Nachhinken der
Nadel vorzubeugen, wird vor der Ablesung einige Male aufs Glas
geklopft. AVenn man, wie bei rohen Höhenbestimmungen, eine
Genauigkeit nur bis in Meter verlangt, ist diese Methode, wie
ich glaube, auch in Höhlen sehr brauchbar; man muß jedoch
zuverlässige Instrumente zur Verfügung haben.

Beispiel einer Messung: Am 21. August 1913 war
um 2 Uhr 30 p. m. der Barometerstand 40 cm über dem Wasser-
niveau im Gouffre de Belvaux 752,7 und um 6 Uhr p. m. 51 cm
über dem Lesseniveau bei der „Sortie" ebenfalls 752,7. Das selbst-
registrierende Barometer zeigte in diesem Zeitabschnitt eine
Senkung von 0,1 mm an. Ohne diese Senkung würde also um
6 Uhr der Barometerstand bei der „Sortie" 752,8 gewesen sein.
Der wahre Unterschied der zwei Barometerstände betrug also
-{- 0,1 mm, d. h. : das Barometer bei der „Sortie" stand um 1 m
niedriger als beim „Gouffre de Belvaux". Wenn nun noch der

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Höhenunterschied von 11 cm infolge der Verschiedenheit der
Aufstellung der Barometer über dem Wasser berücksichtigt wird,
so ergibt diese Messung, daß das Niveau der Lesse bei der
„Sortie" um 100 cm 11 cm = 111 cm niedriger liegt als beim
„Gouffre de Belvaux".

Eine Kontrollmaßregel, die ich sehr oft angewendet habe, be-
steht darin, daß zwei Barometer gebraucht werden. Auf dem Tische
bei der „Sortie" stellte ich das eine Barometer so ein, daß beide
Barometer genau denselben Stand einnahmen. Das eine Baro-
meter stellte ich auf den Felsblock bei der „Sortie" und gebrauchte
das andere zu Messungen innerhalb der Höhle. Nachher wurden
beide Barometer auf den Tisch gestellt; stimmten nach einer
halbstündigen Ruhepause die beiden Angaben völlig, dann konnten
die gewonnenen Resultate als zuverlässig gelten. Gleiche An-
gaben fand ich in der Tat, wenn ich das eine Barometer nicht
in ein beträchtlich höheres oder tieferes Niveau gebracht hatte,
wie z. B. als ich mich vom „Trou de Han" durch den Talboden
der Chavée nach dem „Gouffre de Belvaux" (und zurück) begeben
hatte. Wenn ich aber den Weg durch die Höhlen wählte, der
einmal ansteigt, dann sich wieder herabsenkt, stimmten nachher
die Angaben der beiden Barometer nicht mehr völlig, sondern
ergaben einen Unterschied von z. B. 0,1 mm. Dann ist es fraglich,
in welcher Weise die Messung zu korrigieren ist. — Wie oben
schon gesagt wurde, hätte ich gerne Instrumente gehabt, mit
denen eine größere Genauigkeit zu erreichen gewesen wäre. Un-
gerechnet die eigenen Fehler der beiden Barometer und des selbst-
registrierenden Barometers, stellten auch die Ablesungen selbst
eine große Fehlerquelle dar. Der Abstand zwischen zwei Teil-
strichen entsprach bei beiden Aneroidbarometern einem Luftdruck-
unterschied von 1 mm, d. h. einem Höhenunterschiede von 10 m.
Nach einiger Übung ist es bei solchen Instrumenten möglich auf
1/io Skalenteil genau zu schätzen, so daß der Schätzungsfehler
in maxiino Vio Skalenteil = 1 m betragen würde. Wenn nun
im ungünstigsten Falle bei beiden Ablesungen der Maximalfehler
auftritt und die Fehler entgegengesetzte Vorzeichen haben, tritt
auf Grund dieser einen Fehlerquelle schon in der Höhenbestimmung
ein Fehler von 2 m auf. — Durch den Vergleich mit den An-
gaben der beiden
Aneroidbarometer habe ich festgestellt, daß
die Maxima und Minima durch das selbstregistrierende Barometer

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zu klein eingezeichnet wurden. Ich suche die Ursache in dem
toten Gang des Instrumentes.

Die hierunter folgenden Höhenunterschiede sind in zwei
Dezimalen angegeben. Man wird mir entgegenhalten, dies sei
nicht erlaubt, weil in dieser Weise der Eindruck geweckt werde,
die Genauigkeit sei eine größere, als diese Messungen beanspruchen
können. Die Richtigkeit dieses Einwandes erkenne ich an, meine
aber doch, jene Zahlen nicht abrunden zu dürfen, weil die
betreifenden Zahlen aus dem barometrisch gemessenen Niveau-
unterschied und dem Unterschied in der Höhe der beiden Baro-
meter über den Wasserniveaus resultieren, wobei die letztere
Messung auf Zentimeter genau ist. Wenn ich also die Zahlen
bis auf Meter abrundete, würde ich mich einer nicht erlaubten
Vernachlässigung schuldig machen.

Da v. d. Broeck (v. d. Br. p. 49—67) eine sehr ausführliche
Beschreibung der Höhle von Han gibt, wird es genügen, für die
Situation der zu nennenden Punkte auf das Kärtchen auf Tafel IV
zu verweisen.

Etwas nördlich von Belvaux stürzt sich die Lesse schäumend
und brausend in den „Gouffre de Belvaux". Sobald aber ihre
Wasser sicli an dem Fels zerschlagen haben, hinterlassen sie
da (wenigstens bei Niederwasser) ihren Schaum — und ängstlicli
finster, aber still, verschwinden sie im Loch. Ja, augenscheinlich
würde man, wenn man aus einiger Entfernung beobachtet, er-
kennen wollen, daß diese horizontale Wasserfläche stagnierend
ist. Für den Niveauunterschied dieser Wasserfläche und der
Lesse bei der „Sortie" habe ich an verschiedenen Tagen gefunden:
0,94 m, 0,83 m, 0,41 m und 1,11 m; im Mittel 0,82 m. Einige
Meter außerhalb der „Sortie" ist an der Felswand am rechten
Lesseufer eine Kupferplatte angebracht, in welcher ein scharfer,
horizontaler Strich das Niveau 156 m über dem Meer angibt.
Diese Höhenmarke ist nur im Boote zu erreichen und liegt bei
Niederwasser ungefähr 50 cm über dem Lesseniveau.

Die in der zweiten Kolumne der hier unten folgenden Liste
als „absolut" (in Bezug auf die Höhenmarke) angegebenen Höhen-
angaben sind sensu stricto doch nur relativ, weil sie nur für
Niederwasser in der zweiten Hälfte des August 1913 gelten
und außerdem das Niederwasserniveau eine tägliche Schwankung
zeigt.

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— 0,82 m (im Mittel)

— 0,87

0,07 der Lesse bei dem

— 0,44
0,00

0,64
— 0,60
— 0,72

Gouffre de Belvaux

Mont dangereux

Pont du Styx

Fond de la Grotte du Dôme

Trou de Han

Niveauunterschiede zwischen der Lesse bei der
-Sortie" und

Grande Fontaine

| Gouffre du Labyrinthe

Absolutes Niveau der
hierneben genannten
Wasserpunkte1) in m
über d. Meeresniveau

156,32
155,90
155,46
155,97
155,50
154,82
156,10
156,22

den „Puits"

— 0,98

de la Galerie desAventuriers
situé le plus à l\'Est (Puits

du Plan Pochet)
Celui situé le plus à l\'ouest

156,43
155,59

— 0,14

Die ersten fünf Angaben haben also Bezug auf die Niveaus
des Wassers, das ich vorläufig als Wasser der unterirdischen
Lesse bezeichnete. Diese Zahlen lehren uns wenig, da der Niveau-
unterschied von 90 cm: „Gouffre de Belvaux"—„Trou de Han"
durch frühere Messungen schon längst bekannt war.

Durch die große Freundlichkeit des- Herrn Ed. Baron de
Pierpont, administrateur-délégué de la Société anonyme des Grottes
de Han-sur-Lesse et de Rochefort, bin ich aber imstande die
folgende, mir von Herrn de Pierpont mitgeteilte Tabelle zu ver-
öffentlichen. Für z. T. dieselben Punkte sind hierin genauere
Niveauhöhen des Wassers angegeben:

Gouffre de Belvaux . 156,23 m über dem Meeresniveau.
Salle d\'Armes . . . 155,76

Styx.......155,71

Salle du Dôme . . 155,48
Embarquement . . 155,35
Sortie...... 155,34.

Ich vermute, daß diese Messungen auf dieselbe Höhenmarke,
die auch icli benutzt habe, bezogen sind; ich kann dies aber
leider nicht mit Bestimmtheit sagen. Bei diesen Messungen hat
man wahrscheinlich über Barometer verfügt, die eine größere
Genauigkeit bei der Ablesung gestatteten, oder man hat ein
sehr genaues Nivellement ausgeführt. Aus dieser Tabelle folgt,

\') Wenn man je den absoluten Wert einer negativen Zahl der ersten Ko-
lumne von der betreffenden Zahl in der dritten Kolumne abzieht, so findet man das
Lesseniveau beim Trou de Han ; da aber diese Beobachtungsreihe sich über
mehrere Tage erstreckt, so hat auch das Lesseniveau geschwankt und findet man
fiir dieses aus den Zahlen der verschiedenen Reihen auch ungleiche Werte.

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daß das Gefälle zwischen dem „Gouffre de Belvaux" und dem
„Trou de Han" 89 cm beträgt, was auch mit den v. d. Broeckschen
Resultaten (90 cm) stimmt.

Die Niveauhölien der „Puits", für welche ich nirgendwo
Angaben gefunden habe, werden später zu wichtigen Folgerungen
Anlaß geben.

Ich habe im Dorfe Han-sur-Lesse nur einen offenen Brunnen
angetroffen, nämlich jenen im Hofe der Wwe. Lannois an der
Ostseite des Dorfes. Er liegt im Frasnienschiefer; aber voll-
ständigkeitshalber habe ich auch hier die Niveauhöhe des Wassers
gemessen. Am 25. August 1913 lag das Niveau 51 cm unter dem
Niveau der Lesse beim „Trou de Han", also 154,93 m über dem
Meere. Die Wassertiefe war 59 cm.

Temperaturmessungen.1) V. d. Broeck hat an all den
genannten Punkten zahlreiche Messungen der Wasser- und Luft-
temperaturen veranstaltet. Da sich mir die Gelegenheit bot,
habe ich aber auch eigenes Beobachtungsmaterial gesammelt.
Ich hatte ein sehr praktisches Wasserthermometer zur Ver-
fügung, habe aber fast immer ein Luftthermometer gebraucht,
weil dieses genauer war und eine direkte Ablesung bis auf 0°. 1
gestattete.

Von mir wurden die folgenden Temperaturen gefunden:

18. Aug. 1918 beider "S°rtiC\'

( Wasser Grande

19. Aug.

20. Aug.

21. Aug.

\') Alle Temperaturen sind in Celsiusgraden angegeben.

Fontaine

Wasser 1 er Gouffre du Labyrinthe
2nd

" " » » »

„ Salle des Draperics
„ oberhalb der „Barrage"
Lesse zwischen „Embarquement" und
„Sortie"
„ bei der „Sortie"
„ beim „Mont dangereux"
„ beim „Pont du Styx"
„ hinten in der „Grotte du Dôme"
„ bei der „Sortie"
,, beim „Gouffre de Belvaux"
„ beim „Mont dangereux"
„ beim „Trou des canaux"

18°. 5 (Luft 16°)
9°.0 (Luft 10°)
8°. 5 (Luft 9°. 1)
8°. 5
10°. 0
11°. 5

14°.0
14°. 5
14°. 5
14°. 5

14°. 5 (Luft 12°. 9)
14°. 5

17°. 2 (2 ü. 25 p. m.)
15°. 4
15°. G

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Lesse bei der „Galerie des petites Fon-

taines"

15°. 6 (5 U. 45 p. m.)

„ beim Felsblock nächst dem Ufer der

„Sortie"

15°. 3 (6 U.)1)

Wasser beim Eintritt in die „Salle des

Draperies" (oberhalb der Barrage)

11°.8

„ „Au pas du diable" (unterhalb

der „Barrage")

11°.8

„ etwas nördlich vom„Pas du diable"

15°. 4

„ beim „Trou des Canaux"

15°.6

„ 1 er GouSre du Labyrinthe

8°. 6

2nd „

8°. 6

„ Grande Fontaine

9°. 2

Lesse bei der „Sortie"

15°. 5 (6 U. 45 p. m.)

„ bei dem westlichsten „Puits" der

„Galerie des Aventuriers"

— (Luft 10°. 0)

„ beim „Mont dangereux"

16°. 8

„ beim „Trou des canaux"

16°. 8

„ bei der „Galerie des petites Fon-

taines"

16°. 8

„ bei der „Sortie"

16°. 8

Wasser beim Eintritt in die „Salle des

Draperies" (oberhalb d. „Barrage")

12°

„ „Au pas du diable" (unterhalb

der „Barrage")

12°

Sickerwasser in der „Voûte en fer de lance"

9°. 75

Lesse beim „Gouffre de Belvaux"

18°. 0 (4 U. p. m.)

„ bei der „Sortie"

16°. 6 (5 U. p. m.)

21. Aug.

22. Aug.

25. Aug.

26. Aug.

Aus diesen Temperaturangaben können die gleichen Folge-
rungen gezogen werden, die sich auch für v. d. Broeck aus seinen
Temperaturbeobachtungen ergeben haben, nämlich daß dem Wasser
der unterirdischen Lesse (vgl. Verweisung S. 76) im Sommer eine
viel höhere Temperatur entspricht als dem Wasser der „Puits",
deren Temperatur zu 8°. 5 gefunden wurde. (Der Unterschied

\') Diese scheinbare Abweichung wird durch die Wahl der Beobachtungs-
stelle, nämlich eines Felsblocks nächst dem Ufer, verursacht. Ich versäumte
an jenem Tage die Wassertemperatur bei der „Sortie" mitten im Wasser,
vom Boote aus, zu messen. An anderen Tagen habe ich aber konstatiert,
daß der Temperaturunterschied bei der „Sortie" mitten im Wasser und an
der Seite bis 0°.6 betragen kann.

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betrug bei den obigen Beobachtungen 6° bis 8°.) Ohne weiteres
läßt sich der Umstand erklären, daß die Temperatur des Wassers
in der „Grande Fontaine" etwas höher war als die Wassertempe-
ratur der „Puits" (nämlich zu 9° und 9°.2): die „Galerie delà
Grande Fontaine" gibt der jedenfalls im Sommer wärmeren Außen-
luft einen direkten Zugang. Und wenn dieser Luftwechsel vielleicht
an sich zu klein ist, um allein die Temperaturerhöhung zu er-
klären, so kann man noch eine zweite Wärmequelle dafür ver-
antwortlich machen : die Sonnenstrahlung, welche den Felsen der
„Grande Fontaine", die hier nur eine geringe Mächtigkeit besitzen,
durch Wärmeleitung eine höhere Temperatur mitteilen wird, als den
Felsen im Inneren der Höhle, z. B. beim „Gouffre du Labyrinthe".

Les Puits de la Galerie des Aventuriers. Es war
mir leider unmöglich, die Temperaturen dieser beiden „Puits"
zu messen. Im Oktober 1898 hat v. d. Broeck zusammen mit
einigen anderen eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Galerie
veranstaltet und die Temperatur des östlichen „Puits" gemessen;
das Thermometer blieb hier aber im Boden stecken, so daß die
Temperatur des westlichen „Puits" unbeobachtet blieb. Die
Temperatur des erstgenannten „Puits" fand v. d. Broeck zu 9°.5,
und da diese Temperatur zu jener Zeit um l°.ö die Temperatur
der anderen „Puits" übertraf, glaubte v. d. Broeck, daß, obgleich
„cette eau n\'est pas en communication très directe en étiage avec
le courant souterrain permanent, la relation est toutefois possible".
Ich bin hiermit nicht einverstanden und hätte also sehr gern
die beiden Temperaturen gemessen. AVie v. d. Broeck selber
schon bemerkt hat, ist die „Galerie des Aventuriers" auf dem
Plan Pochet gar nicht richtig eingezeichnet, und es ist zu be-
dauern, daß v. d. Broeck, der bei der obengenannten Exkursion
die nötigen Aufnahmen vorgenommen hat, die gefundenen Kor-
rektionen nicht in das Kärtchen der Höhle von Hau, das seiner
mehrmals genannten Arbeit beigegeben ist, eingetragen hat;
aucli wenn er kein Längsprolil der Galerie hat zeichnen können
(was er als Grund angibt). Wenn man die Galerie durchquert
(oder besser gesagt, durchkriecht), bemerkt man sogleich ver-
schiedene Ungenauigkeiten des alten „Plan Pochet". Seit der
v. d. Broeckschen Exkursion im Jahre 1898 ist bis auf meinen
Besuch in 1913 meines Wissens die Galerie niemals mehr
betreten worden; ich mußte somit auf Tafel IV die gleichen

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Ungenauigkeiten wieder abdrucken lassen. Nur habe ich den
östlichen „Puits" in der Achse der Galerie eingezeichnet. (Auch
v. d. Broeck hat auf diese Lage hingewiesen.) Das Wasserniveau
dieses „Puits" lag 6,57 m unterhalb des Fußbodens. Die Wand
des „Puits" hatte bis 3 m Tiefe eine Neigung von ungefähr 45°
und fiel dann senkrecht herab. Ich brauchte diese Tiefenbe-
stimmung, um den Abstand meines Barometers vom Wasserniveau
zu ermitteln. Das Senkblei, das ich zu dieser Messung gebrauchte,
und das ungefähr 0,5 Kilogramm wog, blieb dabei in dem Höhlen-
lehm stecken, und meine beiden Führer konnten es nicht heraus-
ziehen, sondern zerrissen nur das kräftige Seil. Wir haben dann die
Tiefe mit einem improvisierten Senkblei gemessen; da wir aber
kein Kletterseil bei uns hatten, um einen von uns in die Tiefe
hinabzulassen, faßte ich den Entschluß, auf eine Temperatur-
messung zu verzichten (wie sehr ich dies aucli bedauerte), denn
ich befürchtete für das nicht mir gehörende Thermometer ein
gleiches Los als das des Senkbleies. — Der zweite „Puits" (den
v. d. Broeck auf seiner Karte „Double Point d\'eau" nennt, was
ich aber nicht verstehe, denn ich sah nur einen „Puits") be-
findet sich unterhalb einer Art Vorsprung, dessen Abstand vom
Wasserniveau ich zu 4,66 m (Wassertiefe 0,90 in) bestimmte.
(Senkrechte Wand.) Diese beiden Höhenzahlen 6,57 m und
4,66 m, welche icli zweimal ziemlich genau feststellte, stimmen
gar nicht mit den v. d. Broeckschen Angaben, der bzw. 4,50 m
(Wassertiefe 2 m) und 5,30 m (Wassertiefe 1 m) gefunden hat.
Das Wasserniveau lag bei der v. d. Broeckschen Beobachtung und
bei der meinigen gleich hoch, da für die Wassertiefe 1 m bzw.
0,90 m gefunden wurde, — wenn man wenigstens annehmen
darf, daß die Höhenlage des Bodens des „Puits" sich in diesen
15 Jahren nicht geändert habe. v. d. Broeck hat auch Barometer-
messungen ausgeführt, um das absolute Höhenniveau zu ermitteln;
nachher zeigte sich aber, daß sein Beobachtungsmaterial infolge
einer starken atmospherischen Depression nicht zu verwenden
war. Ich hatte das Glück, daß im Zeitraum zwischen meinen
Beobachtungen bei der Sortie und in der Galerie der Luftdruck
sich gar nicht geändert hatte, wodurch eine Korrektion unnötig
war und wir diese beiden Niveaubestimmungen für vertrauens-
würdiger ansehen dürfen, als in anderen Fällen gestattet ist. —
Aus dem zweiten „Puits" stieg ein ziemlich starker Luftstrom

(

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hervor, dessen Temperatur 10° betrug, und welcher unsere Kerzen
auslöschte. Grund*) gibt verschiedene Beispiele derartiger Venti-
lation in Höhlengängen an, und ich glaube, wie auch Grund an-
deutet, daß dieser Vorgang eines der stärksten Argumente gegen
die Annahme2) Katzers darstellt: „Die Fortbewegung des Wassers
unterliegt dem statischen Gesetze der kommunizierenden Röhren";
denn diese Behauptung setzt die Existenz geschlossener, luftleerer
Röhren voraus. Da im Vergleich mit dem anstrengenden und
schwierigen Kriechen in der „Galerie des Aventuriers" ein
Durchdringen in die „Galerie du Cocyte" noch größere Schwierig-
keiten mit sich bringt, wurde mir von einem jeden davon ab-
geraten. So habe ich kein Beobachtungsmaterial über die drei
kleinen „Puits", welche v. d. Broeck am Ende dieser Galerie
antraf, und deren Temperatur er zu 8°. 5 bestimmte.

Färbungsversuche. Die naheliegende Aufgabe wäre
gewesen : durch Färbung den Grundwassercharakter der „Puits"
zu entscheiden.3) Bei einer Untersuchung an Ort und Stelle wurde
mir aber klar, daß diese Versuche keine Resultate geben könnten,
und so faßte ich den Entschluß, nochmals die Zeit zu messen,
welche die Gewässer der Lesse brauchen, um vom „Gouffre de
Belvaux" bis an das „Trou de Han" zu gelangen, v. d. Broeck
hat den gleichen Versuch gemacht und fand, daß „die Gewässer
in ihrem normalen Regime vom August 1893, 24 Stunden brauchten,
um diesen Weg zu machen", (v. d. Broeck p. 52.) Am 18. Sep-
tember 1898 hat sich herausgestellt, daß vom „Gouffre de Bel-
vaux" bis an den „Pont du Styx" die Färbung 20 Stunden
brauchte und noch vier weitere Stunden von da bis an die
„Sortie".4) v. d. Broeck nimmt für den Abstand der beiden

>) A. Grund: Beiträge zur Morphologie etc. (1. c. S. 72) S. 141.

\') Fr. Katzer: Karst und Karsthydrographie (1. c. S. 72) S. 43.

\') Wenn sodann die Färbung sich nachher stromabwärts, innerhalb
oder außerhalb der Höhlen, den Gewässern der Lesse mitgeteilt hätte, wäre
ein fernerer Beweis für die Richtigkeit der Annahme, daß das Wasser der
„Puits" Grundwasser sei, geliefert worden. Zu diesem Zweck hätte, um eine
stärkere Strömung zu erzeugen, das Niveau der „Puits" durch Wasserzufuhr
künstlich erhöht werden müssen. Der praktischen Durchführung dieser Idee
stellten sidli aber zu große Schwierigkeiten entgegen.

*) Für die ausführliche Darlegung vgl. E. v. d. Broeck et E. A. Martcl:
Nouvelles recherches et constatations ü Ilan-sur-Lesse. (Bull. Soc. beige de
g<5ol. T. XII. p. 173.)

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zuletzt genannten Punkte 400 m an und berechnet also für die
Lauflänge vom „Gouffre de Belvaux" bis an den „Pont du Styx"
2 km. (v. d. Broeck p. 91.)

Am 24. August 1913 habe ich um 4 U. 50 p. m. ein Kilo-
gramm Fluorescin in das Wasser der Lesse im „Gouffre de Bel-
vaux" geworfen. Weil ich kein Kolorimeter besaß und also auf
das Beobachten der sichtbaren Färbung des Wassers angewiesen
war, um die Anwesenheit des Fluorescins zu bestimmen, habe
ich auf der Brücke beobachtet, welche 96 m außerhalb der
„Sortie" über die Lesse führt, denn die „Sortie" selber lag im
Schatten, weshalb hier die Färbung schwerer zu sehen war
als im grellen Sonnenschein bei der Brücke. Am 25. August
war um 10 Uhr 50 a. m. die Färbung bei der Brücke gut wahr-
zunehmen. Hieraus folgt, daß die Färbung weniger als 18 Stunden
gebraucht hat, um vom „Gouffre de Belvaux" bis an das „Trou
de Han" zu gelangen, denn die für das Fortschreiten der Färbung
bis zur Brücke festgestellte Zeit war 18 Stunden, aber das
Wasser, das hier sehr langsam strömt, hat auch eine gewisse
Zeit nötig gehabt, um die 96 m von der „Sortie" bis an die Brücke
zurückzulegen, und außerdem wird die Färbungsspitze („tete de
coloration"), welche mit dem Auge nicht wahrzunehmen ist,
schon eher an die Brücke angelangt sein. Am Nachmittag war
die Lesse sehr intensiv gefärbt, und die märchenhaft grüne
Fluorescenz des Wassers bildete, vom Abhang des „Bois de
Boine" über dem „Trou de Han" gesehen, einen scharfen Kon-
trast mit dem grünen Schimmer der Baumblätter. Weil ich den
Zeitpunkt nicht bestimmt hatte, an welchem die Färbung bei
dem „Pont du Styx"
angekommen war, habe icli die Zeit, welche
das Wasser braucht, um von dem „Pont du Styx" an die Brücke
außerhalb der „Sortie" zu gelangen, noch einmal besonders ge-
gemessen. Zu diesem Zwecke liabe ich am 26. August um
9 U. 45 a. m. 0,5 Kilogramm Fluorescin bei dem „Pont du
Styx" ins Wasser geworfen. Um 12 U. 45
p. m., also 3 Stunden
später war die Färbung bei der Brücke außerhalb der „Sortie"
wahrzunehmen. Stellen wir für den Abstand vom „Pont du
Styx" bis an die „Sortie" die von v. d. Broeck genannte Zahl
in die Rechnung ein, nämlich 400 m, dann ergibt sich für den
Abstand vom „Pont du Styx" bis an die Brücke 496 m. Die
ganze Länge des unterirdischen Wasserweges, vom „Gouffre de

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Belvaux" bis an das „Trou de Han", würde dann betragen:
X 496 m) — 96 m = 2880 m = 2,9 km.

Obgleich die beiden Färbungsversuche an verschiedenen
Tagen stattgefunden haben, dürfen ihre Ergebnisse doch mit-
einander verglichen werden, da es seit längerer Zeit nicht geregnet
hatte und der Flußspiegel der Lesse bei Han an den beiden
obengenannten Daten nur ein um 2 cm verschiedenes Niveau
aufwies. Demnach darf die Geschwindigkeit der Lesse an beiden
Tagen als annähernd gleich betrachtet werden. — Außerdem
kann diese Abstandsbestimmung keineswegs auf große Genauigkeit
Anspruch machen, weil die Abflußmöglichkeit und infolgedessen
auch die Geschwindigkeit der unterirdischen Lesse sich in den
verschiedenen Teilen der Höhlen ändert.

Die v. d. Broeckschen Zeitmessungen und die meinigen
haben also ein sehr verschiedenes Resultat geliefert : 24 und 18
Stunden. Es versteht sich, daß die Durchströmungsgeschwindig-
keit unter übrigens gleichen Umständen sehr von der Größe
der Wassermenge abhängig ist, welche sich in den „Gouffre de
Belvaux" stürzt. Nun hat v. d. Broeck zwar angegeben, daß
am 18. September 1898 das Wasserniveau sehr niedrig war
(„les eaux étaient fort basses"), aber im August 1893 spricht
er bei einer gleichen Durchströmungszeit von 24 Stunden über
das „régime normal". Außerdem meine ich, daß die Niveauhöhen
des Wassers am 18. September 1898 und am 25. August 1913
(an welchen Daten v. d. Broeck bzw. die Verfasserin die Färbungs-
versuche veranstalteten), praktisch gleich waren, wie die folgende
Berechnung ausweist.

v. d. Broeck hat alle seine Höhenmessungen auf eine andere
Höhenmarke als die auf S. 79 angegebene bezogen, nämlich auf
eine Höhenmarke, die von ihm an dem Fels (der, wie ich glaube,
jetzt nicht mehr bestellt) zwischen dem „Chalet du débarque-
ment" (jenes Chalet ist seitdem fortgeräumt worden) und dem
Eingang in die „Grotte de la grande Fontaine" angebracht wurde.
Dieser Punkt gab eine Seehöhe von 160 m an, d. h. 2 m über dem
Niederwasser der Lesse (v. d. Broeck p. 104, Note). Die Höhen-
marke, auf welche meine Beobachtungen bezogen sind, liegt, wie
gesagt in 156 m Seehöhe, m über dem Niederwasser der Lesse.
Demnach werden sonst gleiche Höhenangaben von v. d. Broeck

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immer 21h m größer sein als die meinigen. Wählen wir nun
zum Vergleich das Niveau der Lesse in der „Salle du Dome".
Hierfür gibt v. d. Broeck auf seinem Kärtchen für 18—20. Sep-
tember 1898 an: 158 m (v. d. Broeck p. 77), d. h. auf meine
Höhenmarke bezogen 155,50 m. Am 25. August 1913 lag das
Niveau bei der Sortie in 155,44 m (dieses Niveau auf V2 cm
genau), d. h. 10 cm höher als bei den Beobachtungen von Herrn
de Pierpont. *) Cum grano salis war demnach das Lesseniveau
in der „Salle du Dome" (vgl. die de Pierpontschen Angaben auf
S. 80), 155,48 m 0,10 m = 155,58 m. Das ergibt also für die
Wasserniveaus in der „Salle du Dome" an beiden Daten einen
Höhenunterschied von 8 cm, was jedoch eine an 0 Stunden
kürzere Durchströmungsdauer nicht erklären kann. Es müßte
derselbe Versuch unter möglichst verschiedenen Umständen
(Sommer, Winter, Niederwasser, Hochwasser usw.) durchgeführt
werden, ehe man berechtigt wäre, aus dem gewonnenen Beob-
achtungsmaterial Polgerungen zu ziehen. Es geschieht denn
auch mit der größten Reserve, daß ich auf später zu ziehenden
Polgerungen in diesem Zusammenhang vorausgreifend die Präge
stelle: Könnte diese größere Geschwindigkeit bei gleichem Fluß-
niveau auch darauf hindeuten, daß in diesen 15 Jahren (1898 bis
1913) das Hindurchströmen der Lesse durch die Erosion er-
leichtert worden ist?

Schlußfolgerungen. Die Färbungsversuche beweisen,
daß Lessewasser, das sich beim „Gouffre de Belvaux" in die
Höhlen stürzt, beim „Trou de Han" wieder ans Tageslicht tritt;
• obgleich aus diesen Versuchen an sicli noch nicht folgt, daß
alles Wasser, das beim „Gouffre" eintritt, hier wieder zum Vor-
schein kommt, oder daß dieses Wasser sich nicht gemischt hätte
mit Wasser anderer Herkunft.

Diejenigen, die auf dem Standpunkt stehen, auf welchen
v. Knebel ohne Berechtigung Grund stellt (vgl. S. 72), nämlich,
daß in allen Fällen der in dem Ponor (hier Gouffre de Belvaux)
verschwindende Fluß in das Grundwasser übergeht, das an einer

1 ) Weil diese Beobachtungen nicht zu gleicher Zeit wie die meinigen
stattgefunden haben, so wird ein Fehler gemacht, wenn die beiden im Zu-
sammenhang gebraucht werden; weil aber die Genauigkeit der de Pier-
pontschen Beobachtungen größer ist als die der meinigen, so glaubte ich doch
auf diese Weise ein besseres Resultat zu erhalten.

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anderen Stelle (liier Trou de Han) in einer Vauclusequelle wieder
zum Vorschein kommt, würden wahrscheinlich behaupten: das in
den „Gouffre de Belvaux" geschüttete Fluorescin habe alles Grund-
wasser in diesem Gebiete gefärbt, demnach müsse auch dem
„Trou de Han", das als Ausfluß jenes Grundwassers fungiert,
gefärbtes Grundwasser entströmen.1)

Im Gegensatz hierzu würden die Vertreter der Katzerschen
Röhrentheorie dieseVersuche als Beweis für geschlossene, kommuni-
zierende, unterirdische Kanäle auffassen können, so daß dieser
Versuch, an sich betrachtet, nur besagt: zwischen dem „Gouffre
de Belvaux" und dem „Trou de Han" besteht eine direkte Wasser-
verbindung.

Den Beweis eines zusammenhängenden Grundwasserspiegels
in den Höhlen von Han finde ich in der Tatsache, daß innerhalb
der Genauigkeitsgrenze der Beobachtungen die Wasserniveaus
der „Puits" gleiche Höhen untereinander zeigten. Ich glaube,
daß diese Erscheinung nur erklärt werden kann durch die An-
nahme, daß die „Puits" Punkte des Grundwassers sind, welche
also (ungeachtet des Grundwassergefälles, das aber in den Höhlen
von Han infolge der stauenden Wirkung der Frasnienschichten
sehr gering ist) ä fortiori gleiches Niveau untereinander aufweisen
müssen. Ein Beweis auch, daß das Wasser der „Puits" kein Sicker-
wasser ist, liegt in der konstanten Wassertemperatur von 8°. 5
(die vermutliche Ursache der Temperaturabweichung der „Grande
Fontaine" wurde schon besprochen), während das Wasser in der
„Voüte en fer de lance", dessen Niveau einige Meter höher liegt als
jenes der „Puits", und das also kein Grundwasser, sondern Sicker-
wasser ist, eine Temperatur von 9°. 75 aufwies. Ähnliche „röliquats
d\'eau stagnante"2) findet man an mehreren Punkten der Höhlen
in ungleicher Höhe. Ich wählte für meine Beobachtungen aber
das Wasser der „Voüte en fer de lance", weil es die größte

\') Diese Auseinandersetzung ist ganz im allgemeinen gehalten. In
unserem Spezialfall muß alles Grundwasser, das dem Kalkmassiv des „Bois
de Boine" entströmt, durch das „Trou de Han" austreten, weil dieses, insoweit
bekannt, die einzige Austrittsstellc bildet.

l) Andere Punkte von stagnierendem Wasser werden von v. d. Broeck
als „reliquats de crue" aufgefaßt, was aber nicht zutrifft. Bekanntlich wird
die Rolle, welche das Sickerwasser spielt, oft zu groß angenommen, sogar
wird von manchen Autoren die Bildung der Höhlen nur allein darauf zurück-
geführt.

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Menge Sickerwasser darstellte, welche ich hier überhaupt ange-
troffen habe.

Es ist mir nicht klar geworden, auf welchen Standpunkt
sich die Verfasser des v. d. Broeckschen Höhlenwerks in bezug
auf die Frage der Wasserniveaus in den Höhlen von Han
stellen. Auf S. 82, 88 und 89 ihrer Arbeit sprechen sie
von den „Puits" als von „Resten stagnierender Gewässer,
den Spuren der winterlichen Hochwässer", während sie auf
S. 101 das Niveau der „Puits" in der „Galerie des Aventuriers"
als das hydrostatische*) Niveau des Niederwassers in denjenigen
Teilen der Höhlen ansehen, welche zwischen dem „Gouffre de
Belvaux" und der Sortie ständig mit Wasser gefüllt sind, „le
véritable niveau du réseau aquifère anastomosé". Über den
zweiten „Puits" dieser Galerie wird gesagt: „C\'est encore là
un œil double ouvert sur le niveau piézometrique\') général de
la Grotte de Han", während von dem ersten gesprochen wird
als von „le point d\'amenée du trop plein des eaux inférieures".
Auch in den Profilen auf S. 95 wird für das Niederwasser in
den Höhlen ein zusammenhängendes Niveau angenommen. — Auf
S. 110 wird erwähnt, daß durch Ingenieure aus Lausanne eine
Verringerung der Wasserführung der oberirdischen Lesse strom-
abwärts des „Trou Picot" festgestellt worden ist, und aus dieser
Tatsache wird auf die Existenz eines unterirdischen Wasserstromes
geschlossen, welcher sich innerhalb des Massivs von Han mit dem
unterirdischen Lesselauf zwischen dem „Gouffre de Belvaux" und
dem „Trou de Han" vereinigt. Die Annahme dieses unterirdischen
Nebenflusses der Lesse scheint mir rein hypothetisch zu sein;
mit ebensovielem Recht könnte man sagen, daß jenes Wasser in
das Grundwasser übergeht. Was nun die flußartigen Wasser-
partien in der Höhle anlangt (die ich bis jetzt der Kürze wegen,
aber ohne innere Berechtigung als „unterirdische Lesse" ange-
deutet habe), so sahen wir schon, daß die Fluorescinversuche

J) v. d. Broeck definiert in folgenderWeise: „Das hydrostatische Niveau
ist das Gleichgewichtsniveau einer freien Wassermenge, welche der Schwere-
wirkung unterliegt. Das piezometrische Niveau ist das Gleichgewichtsniveau
einer gezwungenen\' Wassermenge oder eines Reservoirs unter Druck." Wie
diese zwei völlig verschiedenen Begriffe auf das Wasserniveau einer und der-
selben Höhle angewendet werden können, verstehe ich nicht. Möglicherweise
kommen hier die verschiedenen
Auffassungen der Autoren zum Ausdruck.

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beweisen, daß es sich hierum eine zusammenhängende, unterirdische
Wassermasse handelt. Einen Beweis aber für den wirklichen
Flußcharakter der unterirdischen Lesse erblicke ich in ihrer
Temperatur, welche, wie aus den Tabellen auf S. 81, 82 klar her-
vorgeht, von Tag zu Tag wechselt und im Sommer mehrere Grade
über der Temperatur der „Puits" liegt. Diese aber bleibt sich
das ganze Jahr hindurch ungefähr gleich, wie die v. d. Broeckschen
Beobachtungen zu verschiedenen Monaten beweisen. Die durch
die Färbung in Mitleidenschaft gezogenen Wasserpartien müssen
also nicht als Grundwasser, sondern als Flußwasser aufgefaßt
werden. Vom „Gouffre de Beivaux" bis an das „TroudeHan" besitzt
die Lesse ein unterirdisches Bett; aber in mancher Hinsicht
kann sie mit einem oberirdischen Fluß verglichen werden. Wenn
wir neben den Niveautabellen der unterirdischen Lesse jene der
„Puits" betrachten (vgl. S. 82), dann folgt hieraus: Die unter-
irdische Lesse strömt im Grundwasserniveau. Dieses
Ergebnis ist meiner Meinung nach von allgemeiner Bedeutung;
ich fasse dieses hydrologische Verhältnis nicht als eine gewisser-
maßen zufällige Besonderheit der Höhle von Han auf, sondern
als eine charakteristische Eigenschaft aller unterirdischen Karst-
flüsse. Dieser Übergang in das Grundwasserniveau erklärt auch,
warum die Lesse bei dem „Gouffre de Bei vaux" sich aus ihrer
oberirdischen Talsohle in eine kleine, seeartige Wasseransammlung
scheinbar stagnierenden Charakters hinunterstürzt. (Ponorcas-
caden.) Welch eine Täuschung dieses augenscheinliche Stagnieren
des Wassers innerhalb dem Gouffre bedeutet, zeigte sich am
deutlichsten beim Einwerfen des Fluorescins: nach 20 Minuten
war keine Spur der sehr intensiven Färbung mehr wahrzu-
nehmen, wie dies bei der kataraktartigen Strömung der Lesse auch
nicht anders zu erwarten war. Sobald diese Anfangsgeschwindig-
keit der oberirdischen Lesse durch Fehlen eines beträchtlicheren
Gefälles und durch Mischung mit dem Grundwasser austönt, erhält
die unterirdische Lesse Gefälle und Stromgeschwindigkeit des
Grundwassers; wie klein diese beiden bei Niederwasser sind,
geht hervor aus der langen Zeit, welche die Färbung brauchte,
um die unterirdische Flußstrecke abzulegen. Nicht nur das Wasser
der oberirdischen Lesse kommt aus dem „Trou de Han" zum Vor-
schein, sondern auch das atmosphärische Wasser, das durch das
Kalkmassiv des Bois de Boine absorbiert wird und außerdem das

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Grundwasser des Kalkbandes östlich vom „Gouffre de Belvaux",
insoweit dieses nicht in die „Fontaine St. Martin" ausströmt; und
vielleicht tritt hier auch ein Teil des in der Chavee gefallenen
und nicht oberirdisch abfließenden Wassers hervor.

Hier sei auch betont, daß unter den verschiedenen „Puits"
die „Grande Fontaine" der einzige ist, dessen Niveau unterhalb
des Lesseniveaus bei der „Sortie" gefunden ist. Obgleich auch
hier die früher erwähnte Ungenauigkeit der Niveaumessungen
ihre Kraft beibehält, könnte dieses negative Resultat doch auch
damit zu erklären sein, daß die Lesse bei Niederwasser über
dem Grundwasserniveau austritt;\') und diese Vermutung wird
zur Gewißheit, wenn wir erfahren, daß alljährlich im Sommer
die vom Gras verhüllten Löcher (Gehängeponore vgl. S. 126) im
linken Lesseufer bei der Brücke außerhalb der Sortie gedichtet
werden müssen, weil sonst die Lesse im Sommer an die Löcher
(d. h. an das Grundwasser) soviel Wasser verliert, daß die
Kähne, welche die Besucher aus der Höhle tragen, auf das
Trockne laufen. Als Erklärung für diese scheinbar anomalen
Niveauverhältnisse ist aber auf eine künstliche Veränderung
der natürlichen Verhältnisse hinzuweisen. Schon vor Jahren
ist nämlich nach Schätzung 130 m außerhalb der Sortie in dem
Lessebett eine Talwegsperre gebaut worden, die dazu dient,
das Wasser bei der Sortie für Kähne befahrbar zu halten. Am
20. August 1913 war der Niveauunterschied oberhalb und unter-
halb dieser Sperre 58 cm; auch die Stromgeschwindigkeit der
Lesse in den Höhlen muß durch diese Sperre beeinflußt werden,
weil dadurch das an sich schon so kleine Gefälle noch um ± ll2 m
verringert wird. Wenn man das Gefälle oder die Stromge-
schwindigkeit der unterirdischen Lesse mit denselben Daten anderer
Höhlenflüsse vergleichen will, darf dieser Umstand nicht außer
acht gelassen werden.

Ich möchte an dieser Stelle auch auf eine Äußerung
v. d. Broecks hinweisen, der gegenüber mir ein gewisser Vor-
behalt angebracht erscheint. Er schreibt auf S. 70: „Unter dem
Fels verschwindet der Fluß (nämlich beim Gouifre de Belvaux)
unter die Erde durch einen Siphon, in welchem wir eine Tiefe

\') Und zwar um so eher, da bei dieser Messung nicht für Luftdruck-
änderung korrigiert zu werden brauchte, weil zwischen den Ablesungen bei
der Sortie und bei der Grande Fontaine eine Zeitfrist yon nur 2 Minuten lag.

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von 6,50 ra bis 8 m erkannt haben." Die Existenz dieses Siphons
bezweifle ich, denn von dem weitesten innerhalb des Ponors
gelegenen, zugänglichen Punkte aus ist gar nichts davon zu sehen,
v. d. Broeck schreibt denn auch auf S. 51: „Der Boden dieses
Schlundes ist ein Geheimnis, dessen Enthüllung bis jetzt keinem
gelungen ist",1) und weiter: „Durch diese Tatsache wird festge-
stellt, daß gleich bei ihrem. Eintritt in die Höhle die Lesse
zu einem niedrigeren Niveau herabgelangt, als sie bei ihrem Aus-
tritt beim „Trou de Hau" hat." Da aber das Wasserniveau liier
nur um 1 m tiefer liegt als beim „Gouffre de Belvaux", könnte
man diesen Aussprüchen entnehmen, daß v. d. Broeck meint: die
Lesse stürze sich beim „Gouffre" in einen heberförmigen Kanal.
Es mag sein, daß v. d. Broeck dieser Meinung ist, weil er in
diesem Zusammenhang auch den Ausdruck „Siphon" gebraucht.
Ich kann ihm hierin aber nicht beipflichten. Selber habe ich auch
versucht, die Wassertiefe im „Gouffre de Belvaux" zu messen, da
mir aber ein Senkblei von genügender Schwere fehlte, konnte
ich nur konstatieren, daß in der Tat hier eine Tiefe von 6 bis
8 m nicht unwahrscheinlich ist. Die v. d. Broecksche Auffassung,
daß die Lesse liier bis zu einem niedrigeren Niveau hinabsteigt,
als sie beim „Trou de Han" besitzt, scheint mir aber falsch zu
sein; es handelt sich hier nur um eine lokale, durch Strudel-
wirkung verursachte Vertiefung des Flußbettes. Die Existenz
von Siphons im unterirdischen Lesselauf ist aber für andere
Stellen nachgewiesen worden; zu ihrer Erklärung braucht aber
nicht die Röhrentheorie zur Hilfe herbeigezogen zu werden; denn
im Lichte der Grundwassertheorie besagt diese Tatsache nur:
Obgleich die Lesse sich im Grundwasser schon einen soviel
breiteren Raum zum Fließen geschaffen hat, daß sie einen Karst-
wasserstrang, einen zusammenhängenden, unterirdischen Fluß
darstellt, ist ihre erodierende Wirksamkeit doch noch nicht
überall gleich weit vorgeschritten, so daß ihrem Strömen sich
noch viele Hindernisse entgegenstellen.a)

Ich glaube also nicht, daß v. d. Broeck hier Beobachtungen in einem
Kahn veranstaltet hat. Er spricht darüber auch gar nicht, zeichnet aber
dennoch den Siphon (v. d. Broeck p. 73).

s) Nach schwerem Gewitterregen oder Schneeschmelze werden die Höhlen
von Han durch plötzliche Überschwemmung ganz oder wenigstens zum Teil
unzugänglich, so im Winter 1913/15314 mehr als sechsmal.

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Aus den Temperaturtabellen folgt ferner, daß die Lesse
bei dem Durchströmen der Höhlen wenig abkühlt.1) Man muß
aber darauf achten, daß die z. B. am 21. August (vgl. S. 82) beim
„Gouffre de Belvaux" beobachtete Temperatur von 17°. 2 erst nach
18 Stunden (wenn das Wasser sich gar nicht abkühlte) beim
„TroudeHan" zu erwarten ist, und demnach Temperaturen, die
innerhalb weniger Stunden an diesen beiden Punkten gemessen
wurden, nicht auf dasselbe Wasser Bezug haben und also nicht
zu vergleichen sind. v. d. Broeck macht öfters diesen Fehler,
z. B. auf S. 80 und 83. So habe ich z. B. am 21. August beim
„Gouffre de Belvaux" um 2 U. 30 p. m. eine Wassertemperatur
von 17°. 2 gemessen, während die Temperatur der unterirdischen
Lesse um 5 U. 30 p. m. 15°. 6 war. Diesen Temperaturen ist aber
nicht zu entnehmen, daß sich das Wasser beim Durchgang der
Höhle um 1°.6 abgekühlt habe, denn zwischen beiden Messungen
lag nur ein Zeitraum von 3 Stunden. Der 21. August war ein
warmer Tag mit starker Sonnenstrahlung, was die hohe Lesse-
temperatur beim „Gouffre de Belvaux" völlig erklärt. Das Wasser
aber, das sich um 5 U. 30 p. m. bei der „Galerie des petites
Fontaines" befand, hatte sich 17 Stunden früher, d. Ii. nachts
um 12 U. 30 a. m. in den „Gouffre de Belvaux" gestürzt. Außer-
dem war der vorige Tag kühler und ohne Sonnenschein gewesen. —
Man müßte die Temperatur beim „Gouffre de Belvaux" messen,
wenn das Fluorescin hineingeworfen wird, und beim „Trou de
Han", wenn die Färbung diese Stelle erreicht hat. Meines
Wissens hat v. d. Broeck nicht in dieser Weise beobachtet,
• und ich bedauere sehr, selber aucli zu spät hierauf geachtet
zu haben.

Noch eine Frage soll im Zusammenhange mit meinen Tem-
peraturmessungen hier erörtert werden, nämlich die Erklärung
der Wassertemperaturen in der „Salle des Draperies", v. d.
Broeck hat beobachtet (v. d. Broeck p. 87), daß das Wasser
zwischen dem „Trou des Canaux" und dem „Pas du Diable" die
gleiche Temperatur aufwies als die Lesse beim „Embarquement",

>) Ich unterschreibe aber nicht gerne den v. d. Broeckschen Ausspruch :
„La température de la rivière —
ce. que nous eûmes l\'occasion de vérifier à
plusieurs réprises — ne varie pas
sensiblement de plus d\'un degré centigrade
par suite de passage au sein du massif" (v. d. Broeck p. 53).

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nämlich 16°. 5; während die Wasserpartien der „Salle des Dra-
peries" alle 6° kälter waren (10°.5). Hieraus schließt er, daß
beim „Pas du Diable" sich eine Sperre befindet: „barrage, ou
seuil de partage des eaux", welche, außer bei Hochwasser, die
Gewässer der Lesse von den isolierten Wasserpartien der „Salle
des Draperies" trennt. Die letzteren faßt er als „stagnierendes
Wasser, das von den temporären Hochwässern in diesen Ver-
tiefungen hinterlassen wurde", auf. Auf seinem Kärtchen auf
S. 77 trägt er diese wasserscheidende Sperre ein. Es handelt
sich hier also nicht nur um die Temperaturfrage, sondern auch
um den Charakter des Wassers in der „Salle des Draperies":
entweder Grundwasser oder, wie v. d. Broeck annimmt, Über-
schwemmungswasser, das nicht abfließen konnte, und das im
gleichen Niveau liegt, wie die Lesse in der „Salle du Dome".
(Nach der v. d. Broeckschen Auffassung müßte also die Gleich-
heit dieser beiden Niveauhöhen wohl eine zufällige sein). —
Meine Temperatunnessungen ergaben ein den v. d. Broeckschen
Beobachtungen gerade entgegengesetztes Resultat. Am 21. August
1913 zeigte mein sehr genau angebendes Thermometer oberhalb
(d. h. an der Südseite) und unterhalb der „Barrage" genau die-
selbe Temperatur an, nämlich 11°. 8; die Temperatur nahm in
der Richtung der Lesse zu (vgl. Tabelle S. 81, 82), nämlich etwas
nördlich der „Barrage" war sie 15°.4 und am „Trou des Canaux"
bei der Lesse 15°.6. Am 25. August war an der letzteren Stelle
die Temperatur Iß0.8, und nun wurde die Temperatur unterhalb
der „Barrage" gleichfalls etwas höher gefunden, nämlich zu 12°. 0,
während die Temperatur oberhalb der „Barrage" auch 12°. 0 betrug.
Ich habe diese Beobachtungen mit der größten Sorgfalt ausge-
führt und glaube also zu dem Schluß berechtigt zu sein, daß
eine „Barrage des eaux", in dem Sinne v. d. Broecks, hier nicht
besteht. Die hochaufgetürmte, meist aus großen Blöcken be-
stehende Masse von Felstrümmern bildet keine Wasserscheide,
und ich fasse das Wasser der „Salle des Draperies" einfach
als Grundwasser auf, das bei dem „Trou des Canaux", wo es
in direkter Verbindung mit der unterirdischen Lesse steht, die
Temperatur der Lesse übernommen hat, eine Temperatur, welche
mit der Entfernung von der Lesse sehr schnell abnimmt, aber nicht
von den Felstrümmern beeinllußt wird, da von diesen der Zu-
sammenhang des Wassers nicht unterbrochen wird. Am 19. August

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war die Temperatur der Wasserpartie am südöstlichsten Ende der
„Salle des Draperies" 10°, jene der Grundwasserpunkte in den
anderen Teilen der Höhle 8°. 5. v. d. Broeck hat, wie gesagt,
einen ähnlichen Temperaturunterschied gefunden und erklärt
die größere Wärme des Wassers in der „Salle des Draperies"
aus folgenden Ursachen (v. d. Broeck
p. 88): „diese Gewässer
werden nicht allein durch die großen winterlichen Überschwemm-
ungen (mit kaltem Wasser), deren Reste die „puits stagnants"
zu 8°. 5 sind, sondern auch durch die zufälligen Wasseran-
schwellungen genährt, welche im Laufe des Sommers oder in-
folge von Gewittern diese Gewässer erwärmen". Ich brauche
hier nicht mehr den Grundwassercharakter der „Puits" zu be-
tonen, der hier wiederum von v. d. Broeck geleugnet wird.
Die Erklärung jener größeren Wärme durch Überschwemmungen
kann ich nicht billigen; eine derartige temporäre Erwärmung
würde bald durch den Wärmewechsel zwischen dem Wasser
und der Felswand verschwinden. Ich suche die Ursache 1° in der
Wärmeleitung des Wassers, das ja beim „Trou des Canaux"
in direkter Verbindung mit der (wenigstens im Sommer) viel
wärmeren Lesse steht, und 2°. in dem auch von v. d. Broeck
genannten Faktor der direkten Verbindung der Luft in der
„Salle des Draperies" mit jener in dem hohen Wasserkanal der
Sortie; einer Verbindung, welche bei den anderen Grundwasser-
punkten sehr dürftig ist.

v. d. Broeck hat sehr deutlich bewiesen, daß das Wasser
in der „Salle des Draperies" nicht (wie vorher allgemein ange-
nommen wurde) die Mündung eines selbständigen Lessezweiges
ist, der gleichfalls vom „Gouffre de Belvaux" her in langem, noch
unbekanntem, unterirdischem Lauf hier anlange. Ich bin hiermit
vollständig einverstanden und kam zum gleichen Resultat aus
folgenden Gründen: 1. den schon besprochenen Temperatur-
messungen; 2. bei dem auf S. 85 erwähnten Fluorescinversuch
war bei dem Wasser der „Salle des Draperies" keine Färbung
wahrzunehmen; 3. am 25. August gab es hier keine Strömung
in der Richtung der Lesse. Oberhalb und unterhalb der „Barrage"
hatte ich nämlich Schwimmer ins Wasser gesetzt, und nach
einigen Stunden waren beide Schwimmer ein wenig nach der
„Barrage" zu gerückt, also in einander entgegengesetzter Rich-
tung.

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Zur Zeit meines Aufenthaltes in den Höhlen von Han war
die Strömung der unterirdischen Lesse so gering, daß an den
meisten Punkten hiervon nichts zu hören und ohne weiteres
auch nichts zu sehen war. Nur bei dem „Pont du Styx" sieht
man die Strömung und hört man das Rauschen des Wassers
(wahrscheinlich verursacht durch ein lokales, größeres Gefälle).
Auf beiden Seiten der Brücke fließt das Wasser ohne Geräusch ;
auch bei den Siphons sieht man keine Bewegung; scheinbar
stagnierend berührt das Wasser den Fels.

Zusammenfassung der Resultate. In den Höhlen
von Han-sur-Lesse besteht ein zusammenhängender Grundwasser-
spiegel.

Die Wasserpunkte der Höhle können in drei verschiedene
Kategorien eingeteilt werden:

1. Die Wasserpartien, welche die zugänglichen Teile der
unterirdischen Lesse darstellen.

2. Die sichtbaren Punkte des Grundwassers („Les Gouffres",
„la Grande Fontaine", die „Puits" der „Galerie des Aven-
turiers", das Wasser in der „Salle des Draperies" usw.).

3. Das Sickerwasser in beliebigem Niveau.

Die Lesse strömt in den Höhlen im Grundwasserniveau.

Der Austritt der Lesse aus der Höhle liber dem Grund-
wasserniveau (wenigstens im Sommer) ist durch den Eingriff
des Menschen bedingt.

Bestimmung der Mengen gelöster Substanz in
Wasser prob en. Die obigen Resultate erhalten ihre Bestä-
tigung durcli die Bestimmung des Gehaltes verschiedener Wasser-
proben aus den Höhlen von Han an gelöster Substanz. Das
elektrische Leitvermögen von Lösungen ändert sich mit dem
Prozentgehalte der gelösten Substanz. Umgekehrt kann aus dem
Leitvermögen einer verdünnten Lösung eine genäherte Durch-
schnittsvorstellung über die Menge der gelösten Stoffe gewonnen
werden. Wenn Wasser über oder durch Kalkgesteine fließt und
also keine Wahrscheinlichkeit besteht, daß andere Stoffe gelöst
werden, kann approximativ aus der Zunahme des Gehaltes an
gelöster Substanz auf eine proportionelle Zunahme des Kalkge-
haltes geschlossen werden. Nach einer Trockenperiode habe ich
an folgenden Stellen Wasserproben je zu ± 200 gr geschöpft :
am 21. August 1913 : Gouffre de Belvaux, Mont dangereux, Entrée

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de la Salle des Draperies, unterhalb der „Barrage" in der „Salle
des Draperies", westlicher „Puits du Labyrinthe" (Gouffre), Grande
Fontaine; am 22. August: Trou de Han; am 25. August: Voûte
en fer de lance (Sickerwasser), oberhalb der „Barrage" in der
„Salle des Draperies"; am 29. August: Lesse beim „Trou des
Nutons" (Furfooz), Puits des Veaux (Furfooz), Lesse bei der
Mündung des „Fonds des Veaux" (Furfooz).

Mit dem Apparate von F. Kohlrausch (vgl. E. Wiedemann
und H. Ebert: Physikalisches Praktikum, 5. Aufl., Braunschweig
1904, S. 429) ist von diesen Wasserproben das elektrische Leit-
vermögen bestimmt worden.1) Das Leitvermögen x bei Zimmer-
temperatur (d. h.xis) gibt, mit 10000 multipliziert, ungefähr die im
Liter gelöste Anzahl von Milligrammäquivalenten.2) Die Praxis hat
gelehrt, daß für die bei Quell- und Flußwasser in Rede stehenden
Salze 75 als Mittelwert der Äquivalentgewichte angenommen
werden kann,3) besonders wenn man das Resultat mit dem Ver-
dampfungsrückstand (Salze -f- organischer Stoff) vergleichen
will. In der dritten Kolumne der hier unten folgenden Tabelle
sind also die betreffenden Zahlen durch Multiplikation von xia
mit 0.75 X 10G abgeleitet worden.

Herkunft der Wasserprobe

X18 x 10«

Menge dergolösten Sub-
stanz in mgr pro Liter

I. Lesse, Gouffre de Belvaux

106

79.5

II. „ Mont dangereux

99

75

III. „ Trou de Han

138

103.5

IV. y) Trou des Nutons (Furfooz)

227

170

V. „ Mündung des „Fonds des

Veaux" (Furfooz)

228

171

VI. Salle des Draperies, Südseite

185

139

VII. „ „ „ oberh. d. Barrage

187

140

VIII. „ „ „ unterh.d. Barrage

193

144

\') Bei dieser Untersuchung habe ich mich der freundlichen Unterstützung
des Herrn Dr. P. A. Meerburg, afdeelingchef van \'s Rijks Centraal-Laboratorium
t. b. v. het Staatstoezicht op de Volksgezondheid te Utrecht, zu erfreuen ge-
habt, in dessen Institut auch die betreffenden Bestimmungen ausgeführt
wurden, wofür ich ihm hier nochmals meinen besten Dank sage.

*) F. Kohlrausch und L. Holborn: Das Leitvermögen der Elektrolyte.
Leipzig 1898. S. 131.

J) vgl. hierzu auch: J. D. van.der Plaats: Over het geleidingsvermogen
voor electriciteit van wateren. (Chemisch Weekblad. Orgaan v. d. Nederl.
Chem. Ver. Jaarg. 13. p. 569.)

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Herkunft der Wasserprobe
IX. Westlicher „Puits du Labyrinthe"
(Gouffre)

x 18X10*

330
375
434
256

X. Grande Fontaine
XI. Sickerwasser, Voûte en fer de lance
XII. Puits des Veaux (Furfooz)

Menge der gelösten Sub-
stanz in mgr pro Liter

247
281
325
192

Wenn wir die einzelnen Werte für den Substanzgehalt der
Wasserproben aüs der Höhle von Han vergleichen, so sehen wir,
daß sie der Größe nach in vier Gruppen zu ordnen sind: das
Flußwasser, das Wasser der „Salle des Draperies", das Wasser
der „Puits" und das Infiltrationswasser, was sich mit den obigen
Auseinandersetzungen völlig deckt, daß wir nämlich die flußartigen
Wasserpartien als einen zusammenhängenden Fluß betrachten
müssen, und daß das Wasser der „Puits" (Labyrinthe, Grande
Fontaine) kein Infiltrationswasser ist (denn dieses weist einen
beträchtlich höheren Substanzgehalt auf) und auch keineswegs
zu dem Flußwasser gerechnet werden darf.

Weiter ist den obigen Zahlen folgendes zu entnehmen:
Das Lessewasser nimmt bei dem Durchströmen der Höhle an
Kalkgehalt zu. I und II sind praktisch gleich, man würde also
für II eine größere Zahl erwarten; wahrscheinlich wird hier
irgendeine lokale Ursache zugrunde liegen, die ich nicht anzu-
geben vermag. Die Stromlänge zwischen I und III beträgt nach
meiner Darstellung 4- 2,9 km, aber das Wasser braucht, um
diese Strecke zurückzulegen, 18 Stunden. Der Abstand von III
bis IV beträgt dem Fluß entlang 37 km, aber die Zunahme des
Salzgehaltes darf hier nicht allein auf Rechnung des Kalkes
geschrieben werden, denn dort, wo der Fluß aus der Höhle von Han
tritt, verläßt er zugleich den Kalk und fließt im Schiefer (zuerst
Frasnien, dann Famennien) weiter; die Punkte IV, V und XII
liegen im Kohlenkalk. IV und V sind praktisch gleich, aber
die Stromlänge zwischen beiden Punkten beträgt nur 1 km. —
Aus der ansteigenden Reihe von VI, VII und VIII dürfen keine
Folgerungen gezogen werden, da auch diese Zahlen praktisch
nicht verschieden sind. Der Substanzgehalt ist hier größer als
beim Flußwasser, was sich leicht aus dem Grundwassercharakter
erklärt. Allerdings besteht für dieses Wasser bei Anschwellungen
öfters ein Kontakt mit Wasser geringeren Salzgehaltes (vgl. S. 95);
dieser Faktor, dessen Einwirkung ich für die Temperaturerhöhung

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nicht anerkannte, scheint mir hier sehr einflußreich zu sein, und
auch die Berührung mit dem Lessewasser durch Konvektion kann
zu einem geringeren Gehalt an gelöster Substanz führen. Diese
beiden Umstände erklären, weshalb ein anderer Punkt des Grund-
wassers, nämlich der „Puits du Labyrinthe" (IX), einen soviel
höheren Substanzgehalt aufweist; dieses Grundwasser wird außer-
dem gerade durch Sickerwasser gespeist, das selbstverständlich
viel Kalk in Lösung enthält. A priori würde man auch bei
der „Grande Fontaine" (X) einen ebenso großen Gehalt an gelöster
Substanz erwarten. Dieser ist von gleicher Größenordnung,
aber doch bedeutend größer als IX. Vielleicht kann man denselben
durch die geringe Entfernung der „Grande Fontaine" (2 Minuten)
von der Luft im Freien erklären und durch den breiten Ver-
bindungsgang, denn in dieser Weise kann dem Wasser der „Grande
Fontaine" immer neue Kohlensäure zugeführt werden und dadurch
die Fähigkeit mehr und mehr Kalk zu lösen. — Der große
Unterschied im Substanzgehalt zwischen XI und IX beweist,
daß IX und auch X nicht als Infiltrationswasser zu deuten sind:
ein neuer Beweis also für ihren Grundwassercharakter. Das
Grundwasser ist aber weiter gegen die Sättigung hin vorgeschritten
als das Wasser des unterirdischen Flusses, weil es länger steht
und außerdem auch von Infiltrationswasser genährt wird. — Das
Wasser des „Puits des Veaux" fasse ich auch als Grundwasser
auf; daß dennoch sein Substanzgehalt bedeutend gegen den von
IX zurücksteht, erklärt sich sehr einfach durch die völlig andere
Situation dieses „Puits", welcher viel direktes Niederschlagswasser
* erhält (vgl. S. 115).

So bestätigen diese Erörterungen die oben abgeleitete
Theorie. Bestimmungen des elektrischen Leitvermögens können
nur dann für sich allein maßgebend sein, wenn sie mit den
speziell hierzu eingerichteten, tragbaren Instrumenten in loco
veranstaltet werden, denn nur unter diesen Umständen ist es
möglich, eine große Anzahl Beobachtungen anzustellen. Es
wäre erwünscht, daß solche Untersuchungen stattfänden bei
trocknem Wetter, nach Regengüssen, bei verschiedenen Wasser-
höhen usw., dann aber werden sie bei dem Studium hydrologischer
Fragen gute Resultate ergeben, besonders durch die große Ge-
nauigkeit, welche sie gestatten. Erhebt sich z. B. die Frage,
ob es sich bei einer Wasserpartie in einer Höhle um Grund-

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oder um Flußwasser handelt, so können sie besser zur Ent-
scheidung führen als Temperaturmessungen. — Erst längere Zeit,
nachdem ich die oben beschriebenen Versuche veranstaltet hatte,
kam mir eine Arbeit von E. Rahir und J. du Fief*) in die Hand,
welche chemische Analysen vom Wasser aus dem „Gouffre de
Belvaux" und dem „Trou de Han" (was die Höhle von Han
anlangt) ausgeführt haben. Sie weisen auf die Tatsache hin,
daß der Verdampfungsrückstand (résidu fixe) der Lesse in der
warmen Jahreszeit um 50°/o größer ist als in der kalten. Sie
fanden für das Lessewasser:

im April 1900 am 17. Aug. 1900

beim „Gouffre de Belvaux" 38 mgr 80 mgr (Wassertemperatur 19°)

beim „Trou de Han" 46 „ 100 „ ( „ 18°)

13 Jahre später fand ich am 21. August 1913 :

beim „Gouffre de Belvaux" 79\'/j mgr (Wassertemperatur 17°)

beim „Trou de Han" 1031/! „ ( „ 15°. 5)

Es ist eigentümlich, daß diese Zahlen so genau überein-
stimmen, da die Temperaturen nicht die gleichen waren, und
vielleicht auch die chemische Beschaffenheit des Flußwassers
in beiden Versuchsperioden eine verschiedene war infolge un-
gleicher meteorologischer Verhältnisse.

Auch von der Lesse beim „Trou des Nutons" (Furfooz) und
vom „Puits des Veaux" (Furfooz) haben R. und du F. am 19. Juli
1900 Wasserproben analysiert. Die Resultate für den Ver-
dampfungsrückstand waren :

Lesse, Trou des Nutons 92 mgr (Wassertemperatur 24°)
Puits des Veaux 170 „ ( „ 11°. 5)

Am 29. August 1913 wurde von mir gefunden :

Lesse, Trou des Nutons 170\'/< mgr (Wassertemperatur 18°)
Puits des Veaux 192 „ ( „ 11°. 2)

Ich glaube auf diese Resultate nicht weiter eingehen zu
müssen, weil die Umstände allzu verschieden waren, um einen
Vergleich möglich zu machen.

\') E. Rahir et J. du Fief: De l\'action chimique des eaux courantes
daus les cavernes ou dans les grands canaux souterrains. (Bull. Soc. belge
de Géol. T. XV. 1901.)

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Es gibt aber noch andere Wege, um die große Streit-
frage der Höhlenhydrologie für die Höhle von Han zu lösen,
die für mich aber während meines zweiwöchigen, dortigen
Aufenthalts ungangbar waren. So kann man z. B. an der Fels-
wand der „Puits" Höhenmarken anbringen und während längerer
Zeit die verschiedenen Niveauhöhen des Wassers mit diesen ver-
gleichen. Gleiche Niveauunterschiede an gleichen Tagen (beides
im großen und ganzen genommen) würden dann auf einen
zusammenhängenden Grundwasserspiegel deuten. — Auch Beob-
achtungen, auf welche Weise das Wasser in den Höhlen nach
starker Schneeschmelze oder nach Gewitterregen ansteigt,
würden wertvolles Material liefern können. In den Höhlen von
Han würde dies aber schwierig sein ; denn in sehr kurzer Zeit
werden die Höhlen überflutet und sind dann z. T. oder völlig
unzugänglich. Vor einigen Jahren ist der sehr enge Durchgang
„La Brèche" (v. d. Broeck, p. 92 et 93) durcli Sprengung zu einer
tunnelartigen Galerie erweitert worden, die von der „Place
d\'Armes" in „La Tamise" führt und dem Wasser der Lesse in
der „Place d\'Arme s "einen bequemeren Zugang in die „Salle des
Draperies" darbietet; dadurch ist die Höhe der Überschwem-
mungen etwas herabgesetzt worden.

§ 22.

Die Hydrologie der Höhlen von Rochefort.

Dasselbe Band des Givetien-Kalkes, in welchem die Höhlen
. von Han sich ausgebildet haben, setzt sich auch nördlich von Koche-
fort nach NO fort und bildet dort, wie wir in § 15 sahen, die
Oberfläche des Plateau de Gerny, das an der Südostseite von
der Wamme (Hargimont-Jemelle) tangiert wird. Von Jemelle
bis Éprave fließt die Lomme auf großen Strecken im Kalke,
und an den Ufern und in der Talsohle sowohl der Wamme
wie der Lomme befinden sich viele „aiguigeois", *) wodurch sie
Wasser verlieren. Am linken Lommeufer oberhalb Rochefort
befinden sich die Höhlen von Rochefort. In hydrologischer Hin-

\') Aiguigeois ist ebenso wie cjiantoir, bötoire etc. ein belgischer Aus-
druck, um den Punkt anzudeuten, wo im Kalkboden Wasser verschwindet.
Er hat eine ähnliche Bedeutung als Ponor oder Flußschwinde.

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sieht sind sie nicht so interessant wie die Höhlen von Han,
weil sie nur an wenigen Stellen Wasser aufweisen. Zwar gibt
es an verschiedenen Punkten der Höhle stagnierendes Infiltrations-
wasser, das als solches durch seine Lage hoch über den tiefsten
Höhlengängen zu erkennen ist, so z.B. in der „Galerie du Sabbat"
(Wassertemperatur 8°. 5),x) in der „Petite Grotte de Fontaine"
in 192,5 m Höhe. Die Wassertemperatur war hier 6°. 5, die
Lufttemperatur 9°. 8. In der „Salle des Merveilles" hatte das
stagnierende Wasser eine Temperatur von 7°. 5 (Lufttemperatur
10°. 2); während in der großen „Salle duSabbat", ungefähr in
halber Höhe dieses Saales, die Temperatur des Wasserpunktes
„Le Bénitier" zu 8°. 5 gefunden wurde. Ich habe leider ver-
säumt, hier die Lufttemperatur zu- -notieren, doch kann man
ruhig annehmen, daß in dieser relativ großen Höhe auch die
Lufttemperatur höher sein wird als in den niedrigeren Teilen
der Höhlen. Aus diesen Temperaturen folgt also, ^laß die Unter- ~
schiede der Sickerwasserteihperaturen sich Kiclit aus ihrer Ab-
hängigkeit von den Lufttemperaturen erklären lassen.

Im Tiefsten der Höhle befindet sich mit vielem Geräusch
strömendes Wasser, dessen Niveau ich an zwei Stellen, nämlich an
beiden Seiten des „Passage du Lac" gemessen und zu 171,9 m
gefunden habe, d. h. 54,6 m unterhalb der „Entrée";2) wälirend
das Lommeniveau beim „Trou du Nou-Moulin" in 173,50 m liegt
(v. d. Broeck, Pl. II). Die Temperatur dieses strömenden Wassers
war an beiden Punkten 10°. 5 (Lufttemperatur 11°. 2), während
die Temperatur der Lomme beim „Trou du Nou-Moulin" an jener
Zeit 16°. 5 war. — Wir begegnen hier also drei verschiedenen

Die Beobachtungen in dieser Höhle halte ich alle am 20. August 1913
angestellt.

2) Ich hatte hier keine Höhenmarke zur Verfügung und wählte als
Ausgangspunkt einen Punkt in der Nähe des Einganges der Höhle (l\'Entrée),
der nach Angabe der topographischen Karte (1: 20000 F. 59, PI. 3) in 220,5 m
Höhe lag. Beim Höhlenbesuch der „Société belge de géologie", (vgl. J. Willems :
Compte Rendu. Bull. Soc. belge de Géol. T. VII, 1893, p. 3121 hat eine rohe
Bestimmung ergeben, daß das Niveau des fließenden Wassers 53 m unter
dem Beginn der Treppe der ,Entrée" liegt. Dieser Punkt liegt aber einige
Meter (wahrscheinlich 2 oder 3) unter meinem Vergleichspunkt, so daß meine
Messung, auf dieses Niveau bezogen, eine Tiefe von 52 bis 53 m ergeben
würde, v. d. Broeck gibt für das Niveau des fließenden Wassers eine Höhe
von 168 m an (v. d. Broeck, p. 31).

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Wassertemperaturen: jener des oberirdischen Flusses, jener des
unterirdischen Stromes und jenen der Infiltrationswässer. Die
in den tiefsten Punkten der Höhlen sich befindenden Wässer der
sog. „Riviere souterraine" besitzen trotzdem eine höhere Tem-
peratur als das in höherem Niveau gelegene Infiltrationswasser,
was für den Flußcharakter dieser Gewässer sprechen dürfte,
ebenso wie die starke Strömung. Die Niveauhöhe weist wieder
darauf hin, daß dieses Wasser im Grundwasserniveau strömt;
die Beantwortung der Frage, ob es sich hier noch um Grund-
wasserströmung oder schon um eine selbständig in eigenem
Bette fließende Karstwasserader handelt, scheint mir kaum
möglich und gar nicht wichtig (vgl. die ausführliche Dar-
legung im 5. Kapitel); denn die beiden Auffassungen haben
nur Bezug auf eine verschiedene Entwicklungsphase: der unter-
irdische Fluß ist nach meiner Meinung nur ein Grundwasser-
strom, eine Karstwasserader also, die sich einen breiteren
Raum zum Fließen geschaffen hat. Der große Temperatur-
unterschied (6°) zwischen diesem Wasser und dem Wasser der
oberirdischen Lomme weist jedoch darauf hin, daß hier die
Bildung eines unterirdischen Flußbettes, d. h. die Enstehung
eines zusammenhängenden Wasserstranges, noch nicht soweit
vorgeschritten ist wie in der Höhle von Han und wir also mit
geringerem Rechte von einem unterirdischen Fluß reden dürfen.
Zum Teil kann diese niedrigere Temperatur auch erklärt werden
durch den Zufluß von Grundwasser aus NO.

Nach der vom Ingenieur Ed. Houba gezeichneten Karte,
\' welche der v. d. Broeckschen Arbeit beigefügt ist, scheint sich
noch an drei anderen Stellen der Höhlen fließendes Wasser
zu befinden; es ist auf dieser Karte eingezeichnet als „riviere
souterraine", die in NNWlicherRichtung nach dem Trou duNou-
Molin strömt (vgl. Fig. 21). Das letztere ist eine weit geöffnete
Höhle, ein Loch (aiguigeois) im linken Lommeufer. Der Boden dieser
Höhle liegt etwas unter dem heutigen Lommeniveau und die Höhle
wird durcli einen Deich gegen das Flußwasser geschützt. An
zwei Stellen in diesem „Trou" hört man Wasser rauschen, sehr
wahrscheinlich Lommewasser, das unter dem Deiche durchge-
sickert ist. Von diesem Wasser sagt v. d. Broeck auf S. 23:
„Wir bezweifeln keineswegs das Konvergieren dieses Wassers
nach den Tiefen der Höhle von Rochefortund auf seiner Skizze

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des „Trou du Nou-Moulin" (v. d. Broeck, p. 24) deutet er die
Stromrichtung dieses Wassers auch als nach SSO an; während
auf der Houbaschen Karte, welche v. d. Broeck doch in seine
Arbeit aufgenommen hat, die „Riviere souterraine" gerade um-

gekehrt von den Höhlen von Rochefort in die Richtung auf
das Nou Moulin zu, nach NNW also, fließt. Diese Auffassung,
welcher ich selber beipflichte, unterstützt außerdem v. d. Broeck
selber durch die Bemerkung (v. d. Broeck, p. 39): es sei nicht
unmöglich, daß die temporären Quellen des „Thier des Falises"
(im SW. des „Trou du Nou-Moulin") vom Wasser des Nou-Moulin
genährt werden.

§ 23.

Hydrologische Beobachtungen in der Umgebung von Rochefort.

Die in § 21 abgeleitete Theorie über die Hydrologie der
Höhle von Hau läßt sich infolge der sehr speziellen dortigen,

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geologischen Verhältnisse nicht ohne weiteres auf das gesamte
belgische Karstgebiet übertragen. Weil die Gefällsrichtung des
Wassers in jener Höhle ungefähr senkrecht auf der Längsrichtung
des in dieser Gegend sehr schmalen Kalkbandes steht, wird das
Grundwasser von den undurchlässigen Frasnienschichten auf-
gestaut ; dadurch wird die Grundwasserströmung sehr verringert,
ja fast völlig gehemmt. Dieser Fall trifft nicht zu, wenn die
Gefällsrichtung des Grundwassers mit dem Streichen des Kalk-
bandes zusammenfällt, wie z. B. in der Umgebung von Eprave
und Rochefort. Ich habe also auch für andere Punkte nach
Beweisen für die Existenz eines einheitlichen Grundwasserspiegels
im Kalke gesucht und in der einschlägigen Literatur und aus
eigener Beobachtung folgende Punkte gefunden:

Eprave. Deladrier und Choquet1) haben eine Höhle unter-
sucht an der Südseite des „Bois de AVaerimont", deren Eingang
± 40 m über dem Lommeniveau liegt. Am Boden der Höhle be-
findet sich klares Wasser ohne sichtbare Strömung; von diesem sagt
v.d.Broeck (v.d.Broeck, p. 48), daß es zweifelsohne in Verbindung
stehe „avec le niveau permanent souterrain de la Lomme dans
ces parages". Die ebenfalls von diesen Autoren angegebene
Tatsache, daß „an den Wänden der Höhle starke Erosions-
wirkung sichtbar ist, ein Zeichen der Niveauänderungen dieser
unterirdischen Wassermenge," erwähnt v. d. Broeck nicht. —
Dieselben Forscher fanden auch Wasser am Boden eines Schlotes
am Abhang des Hügels, in welchem die Höhle von Eprave sich
befindet. Die Wassertiefe war hier 2 m, 14 Tage später nur
0,70 m. In der Höhle von Eprave befindet sich strömendes
Wasser, das von v. d. Broeck wieder „un ruisseau souterrain"
genannt wird.

Grotte du Thier des Falises. Unterhalb Rochefort
am Fuße der Hügel „Thier des Falises" befindet sich ein Punkt,
wo — wie die Einwohner bestätigen — bei starkem Wachstum
der Lomme oder nach
Gewitterregen Wasser aus den Felsen
entspringt. Dieses Wasser strömt alsdann in einem kleinen Tal
parallel der Landstraße und stürzt sich in die Höhle des „Thier
des Falises". Bei meinem Besuch war das Tal ganz trocken.

\') Ém. Deladrier: Recherches souterraines aux environs d\'Éprave. (Bull.
Soc. belge de Géol. T. 18, 1904. Pr. Verb., p. 117.)

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In der Höhle befindet sich an der Westseite ein kleiner perma-
nenter See, welcher am 22. August 1913 eine Wassertiefe von
4 m aufwies. Die Wassertemperatur war hier 11°. 5, während
die Temperatur der Lomme 17°. 5 war (im Sonnenschein). Ich
habe versucht das Niveau dieses Sees zu bestimmen und fand,
daß es ± 8 m unter dem Niveau der Lomme beim „Thier des
Falises" lag. Eine starke, um diese Zeit eingetretene Luft-
druckänderung entnimmt aber dem aus dieser Beobachtung
geschöpften Resultat jede Zuverlässigkeit. Houba berichtet
von dem sich bisweilen in die Höhle stürzenden Wasser,
daß es sich durch eine Kluft in der Felswand hinter dem
See wieder mit dem Lommewasser vereinigen muß. (v. d.
Broeck, p. 39.)

Die Quellen in der Nähe von Rochefort. Am
linken Lommeufer bei dem Steinbruch (Carrière Dasse) bestand
bei meinem Besuche 1910 noch eine im Flußniveau aufspru-
delnde Quelle; seitdem hat sich der Anblick des Flusses hier
völlig geändert. Da die Lomme hier durcli die Aiguigeois im
Talboden immer mehr Wasser verlor und stromabwärts im
Sommer öfters große Strecken des Flußbettes trocken lagen,
hat man oberhalb der Eisenbahnbrücke einen Teil des Tal-
bodens im Jahre 1911 betoniert. Die genannte Quelle ist durch
eine eiserne Platte zum größten Teil abgeschlossen, und man
sagte mir, daß nur nach stärkeren Regengüssen im Sommer noch
Wasser herauskäme. Im August 1913 ergab die Quelle kein
Wasser, was durch die absolut gleiche Temperatur des Flusses
und des Quellpunktes und durch die Abwesenheit jeglicher
Strömung erwiesen wurde. Man erzählte mir, daß jetzt oberhalb
der betonierten Flußstrecke die Aiguigeois im Flußbette sich
so sehr vermehrten und vergrößerten, daß man sie bei niedrigem
Wasserstande sehen könne.

Etwas mehr talabwärts befindet sich gleichfalls an der
rechten Talseite im Wiesenland eine andere Quelle, der Dewoïn
genannt (wie der gleichnamige Flecken). Das Wasser dieser,
nach Schätzung in einer Entfernung von 200 m von der Lomme
auftretenden Quelle, stürzt sich in einen Graben, in welchem es
ein Mühlrad treibt, zur Lomme» Auch diese Quelle lieferte im
August 1913 kein Wasser und ebensowenig die etwas mehr
westlich (gegenüber dem Landhaus Le Courbois) in einer Wiese

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gelegene Quelle. Die Eigentümer des Dewo\'in behaupteten, daß,
seitdem stromaufwärts bei Jemeppe (östlich von Hargimont) das
Wammebett betoniert war, wodurch die Wamme weniger Wasser
verlor, auch der Dewo\'in eine geringere Wasserführung hatte.
In einer Entfernung von vielleicht 20 m vom Dewo\'in befindet sich
ein offener Brunnen, dessen Niveau am 15. August 1913 4,60 m
unter dem Erdboden lag, während die Wassertiefe 1,20 m betrug.
Jenes Niveau gibt jedoch, wie ich vermute, nicht den Karst-
wasserspiegel, sondern den Grundwasserstand in der Nieder-
terrasse der Lomme an.

§ 24.

Einige Erörterungen
über die Hydrologie anderer belgischen Karstgebiete.

Es versteht sich, daß, wo die Trinkwasserversorgung dort
für Hochbelgien solch eine Lebensfrage darstellt, auch in der
Société belge de Géologie die Streitfrage, ob im Kalke ein zu-
sammenhängender
Grundwasserspiegel existiert, oder ob (nach
der Dupontschen Auffassung) das Wasser in einem Röhrensystem
von beliebiger Form und in beliebigen Dimensionen zirkuliert
und also kein
Grundwasserspiegel besteht, oft den Gegenstand
der Diskussion gebildet hat. In den „Bulletins" dieser Gesell-
schaft sind sehr lesenswerte Artikel über diese Frage abgedruckt,
so in den Jahrgängen 1894 und 1895. U. a. bemerkt X. Stainier,1)
daß viele Bergwerksunternehmungen (er nennt einige deren) uns
gelehrt haben, daß die Kalke besonders in der Tiefe sehr wasser-
führend sind. François2) führt an, daß in den fast horizontal
lagernden Kalken von Tournai ein einheitlicher Grundwasser-
spiegel besteht, der durch Flächen von gleicher Niveauhöhe ab-
gebildet werden kann. Für horizontal lagernde Kalke wird,
wie ich meine, dieses kaum von jemand bezweifelt werden. Anders
steht es jedoch mit den stark gefalteten Kalken. Um auch für diese
die Existenz eines
zusammenhängenden Grundwasserspiegels zu

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beweisen, führt François das Beispiel mehrerer Brunnen im Kohlen-
kalkboden in Dinant und in dessen nächster Umgebung an. Leider
gibt er keine Wasserniveaus an. Auch in Hastières gibt es im
Kalkboden mehrere Brunnen, deren Wasserniveaus den Niveau-
schwankungen der Maas folgen.

Uber Brunnen im Kohlenkalk vonPurnode berichtet Willems.J)
Es gibt hier drei Brunnen: „Le Puits de la Ferme", „le Puits de
la Brasserie" und „le Puits communal", deren Wasserniveaus am
3. August 1893 in 223,18 m, 223,72 m und 224 m lagen, während
die Oberflächenhöhen 239,28 m, 232,02 m und 230,04 m sind.
Am 10. November 1893 waren die Wasserniveaus der beiden
ersten Brunnen um 2,21 m, bz. um 2,20 m erniedrigt. Das
Gefälle des Grundwasserspiegels ist also der Abdachung der
Oberfläche entgegengesetzt ; die Erklärung liegt in dem Umstand,
daß das Gefälle nach der Maas zu gerichtet ist, die in ungefähr
4 km Entfernung von Purnode das Kalkband durchquert. —
In Spontin findet man eine große Menge Quellen auch in den
Kellern, was beweist, daß der Untergrund in der Tiefe überall
sehr wasserführend ist. Durch Profile beweist Willems, daß
die Wasserniveaus der Brunnen langsam mit der Entfernung
vom Fluße, Le Bocq, ansteigen, aber in geringerem Maße als
die Oberfläche.

Verstraeten2) macht darauf aufmerksam, daß die Bauern
im Condroz ihre Brunnen lieber in den Quarzschieferzonen an-
bohren als in den naheliegenden Kalkbanden; denn im Kalk
wird meistens erst in 40, 50 oder sogar (50 m Tiefe auf Wasser
gestoßen, während in den Schiefergesteinen immer nahe der
Oberfläche Wasser angebohrt wird. Herr Constant Meurice, Inge-
nieur in Rochefort, erzählte mir, daß er in Belgien immer gefunden
habe, daß auf den Kalkplatten nur in größerer Tiefe Wasser ge-
funden wird, meistens ungefähr im Niveau des Haupttales ; daß
also der Grundwasserspiegel im Kalk ein geringes Gefälle hat. —
Für die Stromgebiete des Hoyoux und des Bocq erklärt Ver-
Straeten,2) daß die Existenz eines zusammenhängenden Grund-
wasserspiegels für jedes Kalkband durch Beobachtungen der

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Quellen, der Talgewässer, der Steinbrüche und der Brunnen
erwiesen ist.

Rome1) erwähnt in einem sehr interessanten Aufsatz, daß
in den Kalken des Condroz und der „Entre Sambre et Meuse" sich
Hunderte von Brunnen befinden. Auch zitiert er kurz die Äuße-
rungen verschiedener belgischer Gelehrten, die alle die Existenz
eines Grundwasserspiegels im Kalke annehmen. Zu meiner Uber-
raschung fand ich bei Rome dieselben Auffassungen über die
Hydrologie der Höhle von Han, welchen ich selber huldige, indem
er betont: Man könne eine Höhle, die von einem Fluß durch-
strömt wird, wie ein wirkliches Tal auffassen, das je nach den
Niederschlagsverhältnissen der Jahreszeit mehr oder weniger mit
Wasser angefüllt sei.2)

Meurice schreibt in einer noch nicht erschienenen Arbeit
(welche er die große Freundlichkeit hatte mir zur Einsichtnahme
zu leihen): „Die Bohrung des Eisenbahntunnels von Pondröme
in einem Kalkmassiv zwischen Hoyet und Gedinne . . . hat
mir Gelegenheit gegeben, die Existenz einer ähnlichen „courbe
d\'eau", wie wir sie für die nicht klüftigen Gesteine nachge-
wiesen haben, auch im Kalk festzustellen".

§25.

Schlußfolgerungen.

Alle in den vorigen Paragraphen erwähnten Tatsachen haben
mich davon überzeugt, daß im belgischen Karst zusam-
menhängende Grundwasserspiegel bestehen, sowohl

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im Kohlenkalk, als im Devonkalk. Wenn auch Katzer1) für
den seichten Karst die Möglichkeit einer zusammenhängenden
Grundwassermasse zugibt, so glaube ich doch die Existenz einer
solchen im belgischen Karst scharf betonen zu müssen, weil
viele belgische Gelehrte in ihren Abhandlungen die Röhrentheorie
auch auf den belgischen Karst anwenden, vielleicht durch den
unterirdischen Lauf der Lesse in den Höhlen von Han dazu ver-
anlaßt. Außerdem sehe ich keinen prinzipiellen Unterschied
in der Hydrologie des seichten und des tiefen Karstes, weil ich
annehme, daß die Tiefe des eigentlichen Yerkarstungsvorganges
(Höhlenbildung, Vergrößerung der Klüfte usw.) durch das Niveau
des Haupttaleinschnittes bestimmt wird, und daß der Ver-
karstungsprozeß nur bis wenige Meter unter das Niveau der
Talsohle herab wirken kann. (Für die Begründung dieser
Behauptung verweise ich auf Kapitel Y dieser Arbeit.) Somit
übernehmen im seichten Karst die unterlagernden, undurch-
lässigen Schichten die Rolle der unverkarsteten Kalkmasse im
tiefen Karst, und kann eine einheitliche Theorie für beide Ge-
biete aufgestellt werden.

Wie kann nun im Lichte der Grundwassertheorie erklärt
werden, daß an verschiedenen Punkten stagnierendes Wasser
anstatt strömendem gefunden wird, denn auch das Grundwasser
soll ein Gefälle aufweisen; — das ist richtig, aber in diesen Ge-
bieten ist das Gefälle nicht groß genug, um eine sichtbare Strömung
ins Leben zu rufen. (Ingenieure nehmen aus praktischen Gründen
im belgischen Karst meistens ein Grundwassergefälle von 1 bis
ll/«°/oo an.) Daß gerade in den größeren Höhlen, wie in jenen
von Rochefort und Eprave, eine Strömung wahrzunehmen ist,
können wir, wenn wir nicht die Genesis, sondern nur den heutigen
Zustand ins Auge fassen, erklären durch den größeren Raum,
welcher hier dem Grundwasser zum Fließen geboten wird; Und
auch dadurch, daß der Verkarstungsprozeß hier bis zur größten
Tiefe fortgeschritten ist (auch hier verweise ich auf Kapitel V),
so daß hier eine drainierende Wirkung auf das Grundwasser
ausgeübt wird.

Die Röhrentheorie behauptet: im Kalke wird man nur
dann auf Wasser stoßen, wenn eben ein Kanal angebohrt wird;

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die Kanäle aber können im allgemeinen in verschiedenem Niveau
gelegen sein. Wie können dann die Wasserhöhen der Brunnen
gleich sein (nach Maßgabe des Gefälles), wie bei Purnode, in
der Umgebung des Bocq und im Condroz? Wie erklären sich
auf diese Weise die Niveauschwankungen jener Brunnen oder
Höhlenwasser, welche der Niveauschwankung des benachbarten
Flusses parallel gehen, wie bei Dinant?

Im Lichte der Grundwassertheorie verwandeln alle diese
Widersprüche sich in logische Konsequenzen. Die Hydrologie
der Umgebung von Rochefort und Han-sur-Lesse wird mit einem
Male klar : Alle die genannten unterirdischen Gewässer sind als-
dann zu deuten als Punkte des Grundwassers, das hier ein süd-west-
liches Gefälle in der Längsrichtung des Kalkbandes besitzt. In den
niedrigsten Punkten der Oberfläche, wo der Kalk die undurch-
lässigen Frasnien-Schiefer berührt, befinden sich die Quellen.
So befördern der Dewo\'in, die Quelle bei der „Carrière Dasse" und
die Quelle gegenüber dem Landhaus „Le Courbois" das spülende
Wasser des Gerny und das von der Lomme und der Wamme
an das Grundwasser verlorene Wasser z. T. wieder ans Tages-
licht (und so könnte vielleicht die Behauptung der Eigentümer des
Dewo\'in, daß nämlich der Rückzug der Wasserführung dieser
Quelle durch Betonierung der Wamme verursacht war, das Richtige
treffen). Teilweise aber strömt jenes Grundwasser durch das
Kalkband nach SW, zu dem „Trou du Rond-Tienne" und der
„Source de la Grotte d\'Éprave", wo auch das Wasser, das die
Lomme unterhalb Rochefort verloren hat, zum Vorschein kommt.
Diese beiden Quellen bilden auch die Wasseraustrittspunkte des
Kalkstreifens
Éprave—Mont de la Justice, insoweit dieses Gebiet
nicht durch die „Source St. Martin" in der Hinterbucht der Chavée
(nicht zu verwechseln mit der „Fontaine" St. Martin in dem
Fonds d\'Enfaule") entwässert wird.

Die wichtigste Quelle aber, die ich noch nicht erwähnte,
ist die „Source de la Tri daine" am Westabhang des
Plateaus von Gerny, die zu einem Teile künstlich gefaßt ist
für die Wasserversorgung von Rochefort. Sie liegt in weit
höherem Niveau als der Dewo\'in (v. d. Broeck gibt an 40 m über
demselben) und führt immer Wasser -— wahrscheinlich bildet
sie die alleinige oder hauptsächlichste Austrittsstelle der West-
liälfte des Gerny. Eine gewisse Schwierigkeit bietet die Er-

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klärung ihrer hohen Lage, und ohne die Annahme spezieller
stauender Wirkung der undurchlässigen, unterlagernden Schichten
vermag ich das Vorkommen dieser Quelle nicht zu verstehen. Es
genügt dazu anzunehmen, daß die den Gerny unterlagernden
Couvinienschiefer sich ungefähr in der Mitte des Gerny etwas
erheben und so das nach SW abfließende Grundwasser in eine
westliche und östliche Hälfte teilen; die letztere wird dann
entwässert durch den Dewo\'in usw. am tiefsten Punkte der
Grenze zwischen dem Kalk und den Schiefern, und die erstere
durch die Tridaine, welche gleichfalls, was die Westhälfte an-

langt, im tiefsten Punkt
der Begrenzung liegt. Ge-
wöhnlich enthalten die
Flußtäler, weil sie die
tiefsten Einschnitte dar-
stellen, die Quellpunkte;
wenn aber wie hier durch-
lässige und undurchlässige

Fig. 22. CABD = Grundwasserniveau. Schichten am Gehänge

ausstreichen, treten die
Quellen auch am Talabhange auf. Die Quelle der Tridaine
gibt uns ein Beispiel etwas verwickelterer hydrologischer Ver-
hältnisse, die nur durch eingehende Untersuchung der Geologie
des Untergrundes zu erklären sind.1)

Auf eine Besonderheit in der geologischen Lage der Quellen,
die im belgischen Karst öfters festgestellt worden ist, machte
mich der Ingenieur Meurice aufmerksam: Häufig liegen die Quellen
widersinnig im Sinne des Schichtenfalls (vgl. Fig. 22), so daß das
Wasser „ä travers bancs" hervortritt, also bei A, während viele

\') Denn nicht immer liegen die hydrologischen Verhältnisse so einfach
wie in der Schwäbischen Alb, wo die Karstquellen streng nach Ilöhengürtcln
angeordnet sind. Es ist erwiesen, daß diese Quellfläche nicht auf undurch-
lässige Schichten zurückzuführen ist. Die Gradmannsche Arbeit, der ich diese
Tatsache entnehme, stellt überhaupt, wie ich meine, eine der besten Begrün-
dungen der Grundwassertheorie dar. Besonders die der Arbeit beigefügte
Karte des Gebietes, in welcher Gradmann die Linien gleicher wahrscheinlicher
Karstwasserhöhe eingezeichnet hat, ist sehr wertvoll. (Vgl. hierzu: Beschreibung
des Oberamts Münsingen, hrsg. vom K. Statist. Landesamt. 2. Bearb. Stuttgart
1912. Allg. Teil I. Geographische Verhältnisse von R. Gradmann. S. 77u.ff.).

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geneigt sind bei B eine Quelle zu erwarten. Die Schichtfugen
aber sind immer mehr oder weniger verschmiert und also nicht
wasserführend. Die Diaklase aber, welche ursprünglich annähernd
vertikal gestellt waren, haben bei stark gefalteten Schichten
ungefähr horizontale Lagerung angenommen, und diese sind eben
die Wasserführer. Meurice war durch Beobachtungen in der
Natur zu dieser Theorie gekommen. Er hat nachgewiesen, daß
die Quellen in den Tälern des Bocq, des Hoyoux, der Molignée
und des „Ruisseau des Fonds deLeffe" bei Dinant, alle „ä travers
bancs" ihr Wasser empfangen. Ich war in der Gelegenheit, im
letzten Tale dieselbe Tatsache zu konstatieren und gleichfalls
bei der Fontaine St. Martin an der Südseite des „Fonds d\'Enfaule",
wo der Schichtenfall nach S gerichtet ist.

§ 26.

Die Hydrologie der Umgebung von Furfooz.

(Vgl. hierzu Fig. 23.)

Obgleich ich diesem Gebiete (an der Lesse ± 37 km unter-
halb von Han) nur einen sehr flüchtigen Besuch *) habe widmen
können, so kann ich doch die dortigen Verhältnisse nicht un-
besprochen lassen, da sie geeignet sind, ein neues Licht auf die
Theorie zu werfen, welche wir uns aus der Hydrologie der Höhlen
von Han gebildet haben. Dieses wird mir ermöglicht durch die
sehr ausführliche Darlegung der v. d. Broeckschen Beobachtungen
auf S. 812—833 seines Werkes.

In hydrologischer Hinsicht sind die wichtigsten Punkte
dieses Gebietes: „Le Chantoir des Nutons", „lePuits des Veaux",
„le Chantoir des Sources" und „le Trou de la Loutre". „Le
Chantoir desNutons" befindet sich am rechten Lesseufer am
Ende eines ungefähr 10 m langen Grabens, in welchen sich nur
bei einem Ansteigen der Lesse um 1,50 m über normalen Wasser-
stand Wasser stürzt. (Dies
geschieht drei- oder viermal jährlich.)
Vor dem „Chantoir des Nutons" besitzt die Lesse eine unge-
wöhnliche Tiefe: 2,5 bis 3 m, was wahrscheinlich auf einen
Aiguigeois im Flußbett
(Talwegponor) hinweist. „Le Puits

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des Veaux" liegt an der Nordseite des Tales, das früher das
Plateau von Furfooz entwässerte. Bei meinem Besuche im
August 1913 rieselte nur ein kleiner Wasserfaden talabwärts,
der sich unter Gras und Steinen fortbewegte und besser zu hören
als zu sehen war. Nach v. d. Broeck liegt dieses Tal meist
trocken. Einige Meter über der Talsohle erhebt sich eine
kleine Terrasse, an deren Nordseite sich der „Puits des Veaux"
befindet. Dieser „Gouffre" ist ungefähr 30 m tief. An der

y

- Fluß.

• Grundwasser.

- Der von v. d. Br. angenommene

unterirdische Lesselauf.

1 Chantoir des Nutons.

2 Trou-qui-fume.

3 Puits des Veaux.

4 Chantoir des sources.

5 Trou de la Loutre.

6 Trou des Nutons.

ziemlich steilen Südwand hinabgehend, gelangt man zu einem
kleinen See, der zum größten Teil unter der senkrechten, ja
sogar überhängenden Felswand, die den Nordabhang bildet,
gelegen ist. Das Niveau dieses Sees liegt nach v. d. Broeck
(v. d. Broeck, p. 819) 20 cm über der Furt beim „Chantoir des
Sources" und 3,80 m unter dem „Chantoir des Nutons". Die
Wassertemperatur des „Puits des Veaux" war am 29. August 1913
11°. 2 und die Lufttemperatur ganz nahe dem Wasser 14°,
während im Trockental des Veaux die Lufttemperatur 22° betrug
(Temperatur des Lessewassers 18°). Der See hat eine Tiefe

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von 5 bis 6 m. In verschiedenen Jahreszeiten hat v. d. Broeck
die Wassertemperatur des Sees gemessen und nachgewiesen, daß
im Hochsommer ein Maximum von 11° auftritt, die Winter-
temperatur aber bei normalem Wasserstand der Lesse unver-
änderlich 9°. 5 beträgt. — Innerhalb des zweiten Lessemäanders
befindet sich eine Höhle: „Chantoir et Galerie des Sources".
Bei Niederwasser ist diese 25 m lange Galerie zu begehen, als-
dann sieht man zwei Wasseraustrittsstellen in ungefähr 4 m
Entfernung voneinander, deren Temperaturen v. d. Broeck zu
10°. 5 und 9°. 9 fand. Dieser Unterschied von 0°.5 (im Mittel)
wurde von v. d. Broeck hier oft beobachtet. Diese „fausses
sources", wie v. d. Broeck sie nennt (weil er sie als Teile eines
Höhlenflusses betrachtet), befinden sich nach v. d. Broeck 1,40 m
unter dem Niveau der Lesse, welche in ungefähr 100 m Ent-
fernung an ihnen vorbeifließt. Das Wasser der beiden Quellen
vereinigt sich und fließt als Bach ziemlich schnell weiter
durch die Galerie, welche in einem Siphon endet (vgl.
v. d. Broeck, p. 822 etc.). Beim Ansteigen der Lesse tritt
auch an anderen Punkten aus der Felswand der Galerie Wasser
hervor.

„Le Troudela Loutre". Unter einer stark überhängen-
den Felswand befindet sich hier nach v. d. Broeck im Lesse-
niveau unmittelbar am Ufer ein durch Felsblöcke von der Lesse
getrennter, kleiner See, der durch die Felstrümmer kleine Wasser-
fäden zur Lesse hin entsendet und gleiche Temperatur wie das
Wasser in der „Galerie des Sources" aufweist.

Zur Erklärung dieser Tatsachen nimmt v. d. Broeck an,
daß das Wasser des „Puits des Veaux" und jenes der „Galerie
des Sources" die sichtbaren Punkte eines unterirdischen Baches
darstellen, der das von der Lesse in der Umgebung des „Chantoir
des Nutons" an die Aiguigeois verlorene Wasser unter dem
oberirdischen Bette der Lesse fortführt und beim „Trou de la
Loutre" („la résurgence finale") wieder ans Tageslicht befördert.
Zu dieser Behauptung wurde v. d. Broeck besonders durch die
gleiche Temperatur der drei genannten Wasserpunkte geführt,
welche außerdem sehr stark von der Temperatur der oberirdischen
Lesse abweicht, und hieraus schließt er auch, daß die Gewässer
in der „Galerie des Sources" von weit her kommen („proviennent
de loin"). Ich stimme dem gerne zu, aber in anderem Sinne als

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v. d. Broeck meint; zum Teil werden diese Wasser sogar einen
größeren Weg zurückgelegt haben als die 68 m Entfernung,
welche die „Galerie des Sources" vom „Chantoir des Nutons"
trennen. Von v. d. Broeck veranstaltete Färbungsversuche
haben ergeben, daß das Wasser bei Hochwasser der Lesse 63
Stunden1) braucht, um diese Strecke unterirdisch zu durchmessen,
d. h. 3 mal so lang als die Lesse von Belvaux bis Han braucht.
Während dieses Färbungsversuchs in der zweiten Hälfte des
Dezember 1902 lagen die Wassertemperaturen des „Puits des
Veaux", „Galerie des Sources" und „Trou de la Loutre" zwischen
9°.6 und 8°.9; während die oberirdische Lesse Temperaturen
von 6°. 5 bis 4°. 4 aufwies. Nun hat v. d. Broeck ja stark
betont, daß die Lesse beim Durchgang durch die Höhle von Han
praktisch ihre Temperatur nicht ändert. Wie kann er dann hier
eine Temperaturzunahme von 3° bis 5° erklären, während das
Wasser vom „Chantoir des Nutons" bis an den „Puits des Veaux"
nur 17 Stunden brauchte? Gerade die sich das ganze Jahr hin-
durch fast gleich bleibenden Temperaturen der Wasserpunkte
führen zu der Annahme, daß sie nicht Teile eines unterirdischen
Baches, einer unterirdischen Lesse sein können,- sondern Punkte
des Grundwassers.2)

Noch ein sehr interessantes Phänomen wurde von v. d. Broeck
bei diesem Versuch beobachtet: Das Lesseniveau erreichte seine
größte Höhe in der Nacht zwischen dem 18. und 19. Dezember.
Am 18. war das Wasser in der „Galerie des Sources" schon so

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hoch gestiegen, daß der Zutritt zur Galerie unmöglich war. Am
20. aber sank das Wasser der Lesse und gleichfalls jenes im
„Chantoir des Sources" und als am 21. die Färbung hier sichtbar
wurde, hatte das Wasser sich schon stark gesenkt. Während
des Durchganges des Fluorescins hat sich die Senkung des Wasser-
spiegels regelmäßig fortgesetzt, und keinerlei Steigen wurde
wahrgenommen. Hieraus schließt v. d. Broeck, daß der temporäre
Zufluß, welcher vom „Chantoir des Nutons" herrührt, nur einen
kleinen Beitrag zu der Wassermenge der permanenten, unter-
irdischen Lesse liefert, v. d. Broeck meint also, daß die permanente,
unterirdische Lesse von den verschiedenen Flußschwinden der
Lesse in der Umgebung der Felse von Furfooz genährt wird,
die durch ihre gesteigerte Wasserführung das Ansteigen des Wasser-
niveaus im „Chantoir des Nutons" verursachen würden; daß aber
das gefärbte, vom „Chantoir des Nutons" absorbierte Wasser
einen so kleinen Teil der vorigen Wassermenge bildet, daß dieses
keine Steigung herbeiführen kann. Wenn es sich aber um einen
unterirdischen Kanal handelt, dann muß doch, wenn eine an sich
nicht unbeträchtliche Wassermenge auf einmal zugeführt wird,
auch im Falle einer andauernden Niveausenkung der Betrag
der Senkung in der Zeiteinheit verringert werden (der Durch-
gang dieser Wassermenge im „Chantoir des Sources" wurde durch
das Auftreten der Färbung zeitlich bestimmt); was nach den
v. d. Broeckschen Erörterungen nicht zutrifft.

Die Annahme eines zusammenhängenden Grund wasserniveaus
löst aber all diese scheinbaren Widersprüche auf. Wir sahen
schon, wie die Temperaturfrage sich in dieser Weise löst: Die
wahrgenommenen, annähernd konstanten Temperaturen (konstant
auch während des Ansteigens) geben die Temperatur des Grund-
wassers an, d. h. annähernd die mittlere Jahrestemperatur dieser
Gegend, korrigiert für die Wärmezunahme mit der Tiefe. Aller-
dings wird das Grundwasser auch von dem Wasser gespeist,
das die Lesse in Flußschwinden verliert und das in den ver-
schiedenen Jahreszeiten sehr abweichende Temperaturen besitzt;
aber bei einer größeren
Grundwassermenge, welche sich außerdem
über eine größere Fläche
ausbreitet, wird dieser Einfluß kaum
merkbar sein, besonders durch die Erwärmung bzw. Erkältung
der Felsen, in deren Klüften das Grundwasser seiner langsamen
Strömung halber längere Zeit hindurch verweilt. Weil das Gefälle

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des Grundwasserspiegels nach dem „Trou de la Loutre" hin ge-
richtet ist, wird auch das Fluorescin in jener Richtung trans-
portiert. Die Stromgeschwindigkeit ist aber gering, was auch
die langsame Fortpflanzung der Färbung erklärt. Gerade die
lange Durchströmungsdauer und die Temperaturen beweisen, daß
es sich hier noch um reine Grundwasserströmung handelt und
nicht, wie bei der Höhle von Han, schon um einen im Grund-
wasserniveau fließenden unterirdischen Fluß. Das Auftreten der
Färbung in dem „Trou de la Loutre" weist nur auf eine ununter-
brochene Wasserverbindung, nicht auf einen unterirdischen Fluß;
wenn man an anderen Stellen nördlich oder südlich des „Puits
des Veaux" Wasser angebohrt hätte, würde dieses ebensogut
auch außerhalb des hypothetischen Laufes der „Lesse souterraine",
gefärbt gewesen sein, wie Oestreich *) in seiner Besprechung
der v. d. Broeckschen Arbeit seine Zweifel an der Richtigkeit
der v. d. Broeckschen Deutung der Verhältnisse bei Furfooz mit
den Worten ausspricht: „Sind die Färbeversuche wirklich
zwingend? In positivem Sinne gewiß: sie beweisen, daß eine
bestimmte Quelle mit einer bestimmten Schwinde in Verbindung
steht. Aber sind stets auch die benachbarten Quellen untersucht
worden?"

Wenn man die Existenz einer zusammenhängenden Grund-
wassermasse verneint, dann müssen zur Erklärung der Tat-
sachen die sonderbarsten Hypothesen herangezogen werden; so
nimmt v. d. Broeck in bezug auf dasselbe Ansteigen der Wasser-
masse vom 18. Dezember 1902, um zu erklären, daß, obgleich
das Lessewasser einen großen Schlammgehalt hatte, doch das
Wasser des „Puits des Veaux" transparent blieb, an: In diesem
unterirdischen Flußlauf würden wahre Klärungsbecken existieren,
welche die Geschwindigkeit des Stromes verringern und den
Absatz der schwebenden Schlammbestandteile befördern (v. d.
Broeck, p. 829).

Die Tatsache, daß das Wasser des „Puits des Veaux" einen
größeren Gehalt an gelöster Substanz besitzt als die Lesse
(vgl. S. 98, 99) gibt v. d. Broeck Anlaß zur Bemerkung, daß schon
in den 300 Metern, welche der „unterirdische Fluß" vom „Clian-

L

\') K. Oestreich : Zur unterirdischen Hydrographie der belgischen Ardennen.
Pet. Geogr. Mitt. 1912. I., S. 146.

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toir des Nutons" an zurückgelegt hat, die Wirkung der che-
mischen Erosion zur Geltung gekommen sei. Eine Verweisung
nach dem auf S. 100 Besprochenen wird genügen, um die Be-
hauptung zu begründen, daß dieser größere Substanzgehalt mit
ebenso vielem Rechte darauf zurückzuführen ist, daß das Wasser
des „Puits des Veaux" Grundwasser ist.

Le Trou qui fume (v. d. Broeck, pag. 814—817). Noch
eine Eigentümlichkeit dieses Gebiets soll hier erörtert werden.
Ungefähr 50 m südwestlich des „Chantoir des Nutons", in
58 m Höhe über dem Lesseniveau befindet sich eine Art von
natürlichem Schornstein: „Le Trou qui fume". Der Name rührt
vom Wasserdampf her, der aus dem Schlote im Winter oft
so dicht aufsteigt, daß er aus der Ferne einer Rauchsäule
gleicht. Im Hochsommer dagegen findet starke Luftansaugung
statt. (Vgl. v. d. Broeck, pag. 815). Der im Winter aufsteigende
Luftstrom ist wärmer als die freie Luft, wie die v. d. Broeck-
schen Beobachtungen, die ich in der folgenden Tabelle zu-
sammengefaßt habe, ergeben:

ÄÄ tempera til r
Luitstroms freien mit (Pnit8 deg yeau£ eto) derFLesse

12. Okt. 1901 13°. 5 5°. 7 — 10°. 2

21. Dez. 1902 11». 1 7°. 6 \\ 6°. 5

31. Dez. 1902 11" 4°.5 ƒ 9° bis 10° 4».2

18. Jan. 1903 10°. 9 0°.0 9°. 5 0°.7

(Jahresmittel der Lufttemperatur in dieser Gegend: 9°.5.)

v. d. Broeck bemerkt, daß die Temperatur der Luft, welche
im Massiv unter dem „Trou"qui fume" zirkuliert, höher ist als die
mittlere Jahrestemperatur, deshalb stellt v. d. Broeck die Frage,
ob unter dem Massiv nicht vielleicht ein Wasserreservoir von
solcher Ausdehnung und Tiefe besteht, daß die winterliche Abküh-
lung durch die geothermische Erwärmung überwunden wird.
Wenn wir diese Hypothese etwas genauer betrachten, ergibt sicli
also, daß die unteren Wasserschichten jenes Reservoirs eine der-
artige Wärme besitzen müssen, daß sie aufsteigen und die Wasser-
oberfläche, die z. B. im „Puits des Veaux" eine Temperatur
von 9°. 5 besitzt, bis auf 11°, also um 1°.5 erwärmen kann.
Wenn wir die geothermische Tiefenstufe zu 33 m annehmen,
würde also das Reservoir eine Tiefe von wenigstens 50 m be-
sitzen müssen. Ich glaube, damit ist dieser Hypothese jede

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Wahrscheinlichkeit entzogen; man könnte noch dazu bemerken,
daß Luft, welche über eine Wasserfläche von jedenfalls mäßiger
Ausdehnung hinstreicht, nicht sogleich deren Temperatur an-
nehmen wird. Die Luft müßte also durcli das Wasser hin
emporquellen — oder das Wasser sollte eine noch höhere Tem-
peratur besitzen! Die zweite von v. d. Broeck angegebene Hypo-
these: die Annahme einer Warmwasserquelle (source thermale)
im Innern des Massivs ist zu wenig diskutierbar.

Als einzig logische Hypothese erscheint mir die Annahme,
daß die wärmere Luft, welche aus dem „Trou qui fume" in
165 m aufsteigt, aus denjenigen Teilen des Massivs im Norden
herrührt, welche in demselben Niveau um 2° oder mehr wärmer
sind, dadurch daß sie um etwa viermal den Betrag der geo-
thermischen Tiefenstufe relativ tiefer zu der hier in ± 290 m
liegenden Oberfläche gelegen sind.

In bezug auf die Luftverhältnisse bei den Ventarolen
(Windlöcher) hat Schwalbe1) darauf hingewiesen, daß jene Luft-
strömungen aucli mit den Wetterzügen gewisser Bergwerke ver-
glichen werden, bei denen aus den mit dem Schacht in Verbindung
stellenden Stollen im Sommer kalte Luft ausströmt, während im
Winter oben warme Luft austritt und unten kalte von außen
nachdringt.

Viertes Kapitel.

Dolinen.

§ 27.

Dio Entstehung der Dolinen.

Unter Dolinen versteht man die trichter- oder schüssei-
förmigen Einsenkungen, welche in Karstgebieten wie West-Bosnien
oft in so großer Anzahl vorkommen, daß sie einen bedeutenden
Teil der Landoberfläche ausmachen. Früher erklärte man alle
Dolinen als Einsturzdolinen, d. h. Dolinen, welche durch Einsturz
der Decke unterirdischer Hohlräume entstanden sind. Später

\') B. Schwalbe: Über Eishöhlen und Eislöcher (Festschrift zur fünfzig-
jährigen Jubelfeier des Dorotheenstädtischen Real-Öymnasiums zu Berlin.
Berlin 1886) S. 12 und ff.

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erkannte man die echten *) Dolinen oder Zersetzungsdolinen als
eine Folge der chemischen Erosion (oft Korrosion genannt); sie
bilden die typische Oberflächenform der Kalksteingebiete, auch
wenn hier keine Höhlen angetroffen werden. Es versteht sich
aber, daß das Vorhandensein großer Höhlen Anlaß zur Bildung
von Einsturzdolinen geben kann; daß also die beiden Faktoren:
Korrosion und Einsturz vereinigt wirken können. Auch wurde
die alte Einsturztheorie, einigermaßen modifiziert, von Kraus2)
wieder hergestellt. Dann hat Cvyic in seiner ausführlichen Dar-
stellung: „Das Karstphänomen" (1. c. S. 72) eine kurze Uber-
sicht über die Argumente gegeben, welche von einer großen
Anzahl von Forschern für oder gegen die beiden Theorien an-
geführt worden sind. Cvyic selber ist Anhänger der Korrosions-
theorie; er stützt sich unter andern auf die angeschnittenen
Dolinen, die er in einem Eisenbahneinschnitte südlicli von
Unterloitsch in Krain beobachtet hat. Unterhalb dieser Dolinen
kommen keine Höhlen vor ; von dem Dolinenboden aber setzen
sich zahlreiche Klüfte durch eine Zone verwitterten Kalksteines
fort und sind bis in das frisch aussehende, wenig zersetzte Ge-
stein, welches die Unterlage bildet, zu verfolgen. Auch v. Mojsisovics
hat mitgeteilt, daß Ingenieure, welche beim Bau der Südbahn
auf der Strecke Adelsberg—Nabresina beteiligt waren, ähnliche
Beobachtungen gemacht haben. Zwar gibt Cvyic auch die Mög-
lichkeit von Dolinenbildung durch Einsturz der Höhlendecke
zu; glaubt aber, daß dieser Fall nur sehr selten auftreten wird.
Dem gegenüber sucht v. Knebel3) die verschiedenen Gründe
zu widerlegen, die Cvyic gegen die Einsturztheorie der Dolinen
geltend gemacht hat. Auch weist er darauf hin, daß in historischer
Zeit z. B. im Schwäbischen4) und auch im Fränkischen Jura

x) Die bei vielen Autoren gebräuchlichen Gleichungen echte Dolinen —
Korrosionsdolinen und unechte Dolinen — Einsturzdolinen, werden von Kraus,
S. 129 seiner Höhlenkunde, in umgekehrtem Sinne gebraucht. — Ein jeder
wird natürlich den Namen echte Dolinen anwenden für diejenigen Dolinen,
welche er für den normalen und meist verbreiteten Typus betrachtet.
\') Fr. Kraus: Höhlenkunde. Wien 1894.
\') W. v. Knebel: Höhlenkunde. Braunschweig 1906. S. 144 ff.

Auch R. Gradmann beschreibt die Entstehung einer Doline durch
Einsturz in „Beschreibung des Oberamts Münsingen" (loc. c. S. 113) in folgender
Weise: „Im Jahre 1902 ist auf Sontheimer Markung im Gewann Barwender-

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eine Reihe von Dolinen sich durch plötzliche Einstürze gebildet
haben; und daß weiter die Anhäufung der mit Dolinen in Ver-
bindung stehenden Schuttmassen (ein Beispiel gibt v. Knebel
auf S. 146 seiner Arbeit) auf keine andere Ursache zurückge-
führt werden kann als auf Einstürze der Decke einzelner Höhlen-
teile. Daneben schreibt v. Knebel den Ursprung mancher Dolinen
der Korrosion zu.

Katzer1) leugnet nicht die Möglichkeit, daß Dolinen durch
Einsturz oder durch subaerische, chemische Erosion entstehen;
aber er betrachtet diese Fälle als Ausnahmevorkommnisse. Seiner
Meinung nach versagen diese Erklärungen bei der Anwendung
auf die ungeheure Menge von Dolinen der weiten Karstgebiete.
Er sucht den Ursprung der so zahlreichen Dolinen in Bosnien,
Herzegowina, Montenegro und Albanien in einer allgemeinen
Ursache: in der großen diluvialen Vergletscherung dieser Gebiete.
Die Dolinen seien, so meint er, durch die mechanische Tätigkeit
des Gletscherschmelzwassers ausgehöhlt worden. Als direkten
Beweis für diese Theorie betrachtet er die Dolinen gleichenden
Trichter, welche in der vergletschert gewesenen Vratnica planina
und deren Vorlande in Mittelbosnien auf nicht verkarstungs-
fähigen Gesteinen angetroffen werden. Diese Theorie kann hier
aber außer Betracht bleiben, weil sie auf nicht verglet-
scherte Gebiete keine Rücksicht nimmt und deshalb gerade
des ihr von Katzer zugeschriebenen universellen Charakters
entbehrt.

Typische Dolinen sind z. B. sehr verbreitet im subtropischen
Gunung Sewu auf Java, welcher ebenso wie die Ardennen
niemals vergletschert gewesen ist.

Die von einigen Autoren erwähnte reihenweise Anordnung
der Dolinen in bestimmten Gebieten (was aber von anderen,
u. a. Katzer, bekämpft wird) würde auf Einsturzdolinen hin-
weisen, auf Einbrüche längs eines gestreckten Höhlensystems;

steig plötzlich ein Erdfall entstanden von etwa 5 m Tiefe. Beim Nachgraben
fand man unten einen Hohlraum. Zunächst öffnete sich nur eine etwa 50 cm
weite Kluft; durch diese ging es weitere 5 m hinab, dann folgte eine kessel-
artige Erweiterung mit einem Gang in östlicher Richtung, etwa 4 m lang,
oberwärts mit kaminartigen Klüften, in denen sich Tropfsteine zeigten. Das
Ganze wurde dann wieder zugeschüttet und eingeebnet."

Katzer: Karst u. Karsthydrogr. S. 27 (loc. c. S. 72).

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für Korrosionsdolinen aber auf Lage in einer Zerklüftungszone
oder langer Spalte.1)

Da raeine lokale Kenntnis von Karstgebieten sich leider
nur auf einen Teil der Ardennen beschränkt, wo Dolinen außer-
dem nur spärlich vorkommen, hat das Studium der obengenannten
Theorien mich zu der folgenden Annahme über die Ursachen
der Dolinenbildung geführt: Die ungeheure Menge allgemein
verbreiteter Dolinen, wie im Westbosnischen Karst, sind der
Korrosion zuzuschreiben; denn ein ähnliches Regelmaß wäre bei
Bildung durch Einsturz nicht zu erwarten. Das besagt aber
nicht, daß die Einsturztheorie gänzlich zurückgewiesen werden
darf; denn für Gebiete, wo Dolinen mehr spärlich auftreten,
scheint mir der Knebeische Standpunkt richtig zu sein, daß
nämlich die Dolinenbildung entweder der Korrosion oder dem
Einsturz oder der
Gesamtarbeit beider Agentien zuzuschreiben
ist. In jedem Spezialfall ist zu untersuchen, welche Ursache
vorliegt, und wenn eine Entscheidung überhaupt unmöglich ist,
muß die Frage eben unbeantwortet bleiben.

Die Diaklase, Spalten und Klüfte (bisweilen auch die Schicht-
fugen), welche für stark gefaltete Kalkschichten so charakteristisch
sind, bilden den Ausgangspunkt jeglicher Höhlenbildung. Das
atmosphärische, Kohlensäure enthaltende Wasser fällt auf den
Kalk, dringt zusammen mit der Regenspülung als Sickerwasser
in die Spalten und Klüfte und erweitert diese durch chemische
Erosion. In einem späteren Stadium setzt auch die mechanische
Erosion des Sickerwassers ein, besonders nach Regengüssen und
Schneeschmelze, während auch das Grundwasser, speziell beim
Ansteigen, seine erodierende und korrodierende Wirkung ausübt.
In analoger Weise entstehen im Kalke in den Flußbetten die
Aiguigeois2) (Flußschwinden), durch welche die Flüsse bei
niedrigem Grundwasserstand einen Teil ihres Wassers an das
Grundwasser abgeben.

Korrosionsdolinen. Zu den echten Dolinen rechne ich
an erster Stelle die Dolinen, welche durch subaerische, chemische

1 *) Vgl. W. Giimbel: Geognostische Beschreibung der fränkischen Alb.
Kassel 1891.

2 ) In der belgischen Literatur wird das Wort „Aiguigeois" auch ge-
braucht, um eine Einsenkung im Kalke, also auch Dolinen, anzudeuten.

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Erosion entstanden sind, also die Korrosionsdolinen. Die
Spalte, welche für die nächste Umgebung als Absorptionspunkt
des Regen- und Oberflächenwassers fungiert, erleidet den ersten
Angriff der chemischen Erosion, während von hier aus die Zer-
setzung der Gesteine durch Korrosion und später durch mechanische
Erosion sich weiter verbreitet. Die Lage der Spalte (oder Spalten)
ist maßgebend für die Form der sich bildenden Doline. Wenn
die Korrosion sich gleichmäßig nach allen Seiten ausbreitet, wird
eine kreisförmige Doline entstehen; während zwei oder mehrere
in einer Reihe gelegene Spalten eine elliptische Doline bedingen.
Manche Dolinen werden an einer Seite von einer mehr oder
weniger steilen Felswand begrenzt, an deren Fuß öfters Ab-
sorptionspunkte zu erkennen sind. Diese Abweichung vom nor-
malen Profil erklärt sich gewöhnlich durch die Situation: den
Abdachungsverhältnissen oder anderen lokalen Ursachen zufolge1)
sind die Schlundfugen hier nicht allseitig in gleichem Maße von
Oberflächenwasser gespeist worden, und so kam es hier zu un-
gleichmäßig wirkender Korrosion und mechanischer Erosion. In
solchen Fällen wird die letztere eine größere Rolle spielen als
sonst.

Einsturzdolinen. Meines Dafürhaltens können auch
die Einsturzdolinen, obwohl sie nicht so verbreitet sind wie
die Korrosionsdolinen, zu den echten Dolinen gerechnet werden.

Dolinen, die als Korrosionsdolinen angelegt
waren, ihre hauptsächliche Ausgestaltung aber
durch mechanische Flußerosion erhalten haben.
Ein neuer Faktor im Prozeß der Dolinenbildung tritt auf, wenn
das Wasser eines oberirdischen Flusses sicli in die Doline stürzt;
alsdann entstehen unechte Dolinen, deren Bildung nur im An-
fang oder in einem späteren Stadium derjenigen der Korrosions-
dolinen ähnlich ist, meistens aber werden diese Gebilde besser
als Schlundlöcher (aiguigeois) bezeichnet. Diese Aiguigeois
können als „Tal wegponore"2) (aiguigeois de fond) auftreten;
wenn der Fluß aber sein Bett lokalisiert und tiefer einschneidend

1 Die ungleiche Böschung kann z. B. verursacht sein durch ungleiche
Verwitterung (gegen die Sonne steile, gegen Norden flache Böschung).

2 ) Gavazzi bezeichnet diese als Sohlenponore (A. Gavazzi: Die Seen
des Karstes I. Abh. k. k. Geogr. Ges. Wien, V. Bd. 1903/4).

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verengt, so werden sie in einem späteren Stadium des Flußlebens
zu„Plateauponoren" (aiguigeois de plateaux). (Vgl. Fig. 26.)

Einige Aiguigeois, die heute noch einen Plateaubach auf-
schlucken, müssen allerdings als unechte Plateauponore betrachtet
und in "Wirklichkeit zu den echten Dolinen, (Korrosions- oder
Einsturzdolinen) gerechnet werden; sie sind nicht durch die
Wirkung eines schon bestehenden Baches primär entstanden,
sondern umgekehrt: eine z. B. durch Korrosion entstandene
Doline, die für das Spülungswasser eine lokale Erosionsbasis
darstellte, hat dadurch, daß das hereinstürzende, lokalisierte
Regenwasser sich rückwärts einschneidend eine Rinne geschaffen
hat, das Aussehen einer Flußschwinde erhalten. (Bei dem Trou
de la Laide Fosse (vgl. S. 130) werden wir einen solchen Bach
erwähnen, der noch im ersten Stadium seiner Entwicklung ist.)
Eine derartige Doline würde man eine „aufgesuchte Doline"
nennen können. Die echten Plateauponore stehen meist in Ver-
bindung mit Höhlen; wenn die Verbindungsröhren so breit sind,
daß sie dem Tageslicht Zutritt in die Höhle geben, nennt man
sie L i c h 11 ö c h e r (1 i g h t - h o 1 e s). — Eine andere Art Schlund-
löcher, die
„Gellängeponore" (aiguigeois de rive), finden sich
in geringerer oder größerer Höhe an den Talgehängen; auch
diese Aiguigeois sind durch die korrosive und erosive Wirksam-
keit des Flußwassers gebildet worden. Der Fluß traf auf eine
Spalte in der Felswand, verlor dadurch Wasser ans Grundwasser
und vergrößerte diese Spalte zu einem Aiguigeois. Beim Tiefer-
einschneiden des Flusses kommen diese Gehängeponore in
größerer Höhe über der Talsohle zu liegen, und in einem
späteren Stadium findet man sie als aufgehängte Löcher (trous
suspendus) hoch über dem Flußniveau. — Wie oben schon
betont wurde, ist die Bildung der Aiguigeois völlig verschieden
von der der Dolinen. Cvyic1) aber rechnet die verlassenen
Ponore unter die Dolinen. Zwischen den verlassenen Ponoren
und den Talwegponoren besteht aber nur ein chronologischer,
nicht ein genetischer Unterschied, und deshalb rechnete ich alle
Aiguigeois, auch die jetzigen Flußschwinden, zu den unechten
Dolinen. Außerdem schien es mir erwünscht, alle dolinenartigen
Gebilde unter einem allgemeinen Namen zusammenzufassen,

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weil öfters beim ersten Anblick die Schlundlöcher den Dolinen
sehr ähneln, und es in Einzelfällen schwer zu entscheiden ist,
welchem Typus eine solche Form angehört (vgl. z. B. das Trou
Sinsin S. 132). In den folgenden Paragraphen werden Beispiele
der verschiedenen Dolinentypen erwähnt werden.

§ 28.

Die Dolinen (1er Umgebung von Rochefort und Ilaii-sur-Lesse.

Wie schon betont wurde, liegen die Höhlen von Rochefort
unter der älteren Mittelterrasse des „Plateau de Beauregard"
(vgl. Fig. 14) am linken Lommeufer oberhalb von Rochefort.
In diesem „Plateau" in der Umgebung der „Chapelle de Lorette"
befinden sich in 235 bis 225 m Höhe die vier Trichter, welche
mit den Höhlen in Verbindung stehen. Drei von diesen: die
„Sortie de la Salle du Sabbat" (der heutige Ausgang für die
Höhlenbesucher), das „Trou de Marie Sac-Attrape" (der frühere
Ausgang) und die „Entrée principale", welche in die „Salle du
Val d\'Enfer" mündet und so den Eintritt in die Höhle gestattet,
stehen in offener Verbindung mit den Höhlen und sind auch
durch Treppen zugänglich gemacht. Es sind schiefe, beinahe
senkrechte Gänge, die in ihren schroffen Felswänden den
Charakter von echten Flußschwinden tragen. Der höchste Teil
von „La Sortie" soll aber der Bequemlichkeit wegen erweitert
worden sein; während auch der in die
dortige Topographie nicht passende Fuß-
NW S.O.

pfad, der in der Doline der „Entrée prin- /

cipale" zu dem eigentlichen Höhleneingang ^^yj/
führt, von Menschenhänden gegraben wor-

, . , ^ . , . . . . , Fig. 24. Scliematischer

den ist. - Das vierte Aiguigeois, das Durchschnitt durch das

„Trou Lorette", trägt mehr den echten nTrou Lorette«.
Dolinencharakter; es ist viel größer als
die drei obengenannten und wird an der Südostseite von einer
steilen Felswand begrenzt (vgl. Fig. 24); im übrigen ist die
Böschung der Wände ziemlich sanft, besonders an der Nord-
westseite. Hier steigt die Wand unter einem Winkel von 45°
hinauf, sie geht dann in eine fast horizontale Terrasse über,
welche schließlich wieder von einer sanft geneigten Wand über-
ragt wird. Der Entstehung der benachbarten Dolinen gemäß

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könnte auch hier ein Plateauponor den Ausgangspunkt ge-
bildet haben, obgleich für die spätere Ausgestaltung die Korrosion
maßgebend gewesen sein muß. Nach v. d. Broeck muß am Fuße
der Steilwand, wo jetzt Felstrümmer sich befinden, ursprünglich
eine Verbindung mit der „Salle du Val d\'Enfer" bestanden haben.
Die Einsenkung A (vgl. Fig. 24) in der Terrasse B ist vielleicht
einem ohne Datumangabe in den „Nouv. Mém. de TAcad. Roy.
de Brüx. 1822" zitierten Einsturz zuzuschreiben. Den Beweis
für die Richtigkeit dieser Annahme erblickt v. d. Broeck in
den Felstrümmern des „Val d\'Enfer".

In der nördlichen Abdachung des „Plateau de Beauregard"
zur Lomme befinden sich zwei Gehängeponore, beide durch einen
Deich gegen das Lommewasser geschützt. Das östlichere, „Le
Pré-au-Tonneau", ist eine große Öffnung in der Felswand,
die den Eingang zu der kleinen „Grotte du Pré-au-Tonneau"
bildet, v. d. Broeck gibt an, daß das höchste Stockwerk dieser
Höhle bis an das „Plateau de Beauregard" heranreicht, und so
könnte dieser Höhlengang den „Stiel" eines Plateauponors dar-
stellen. Stromabwärts sehen wir den zweiten Gehängeponor,
das schon öfters erwähnte „Trou du Nou-Moulin"; über
diesem befindet sich eine zweite Flußschwinde, ungefähr 25 in
über dem heutigen Flußniveau, welche also einem früheren
Stadium des Taleinschnittes als der untere Ponor angehören
muß.

La Montagne du Thier des Falises (im Kalkband
südlich von Rochefort), östlich der gleichnamigen, schon be-
sprochenen Höhle befinden sich drei Dolinen (vgl. Fig. 25), von denen
besonders die zwei östlichen große Dimensionen besitzen. Die
östlichste wird an der Ostseite von einer hohen, schroffen Fels-
wand begrenzt, besitzt aber im übrigen, wie auch die beiden
westlichen, durch dammähnliche Aufwölbungen voneinander ge-
trennten Dolinen, mäßig geböschte Wände. D-D im obigen Profil
stellt den parallel der Landstraße Rochefort—Han
s. Lesse verlau-
fenden Kanal dar, durch welchen sich (nach v. d. Broeck) das Wasser,
das bisweilen ans den
Felstrümmern bei A hervortritt, in die
Höhle ergießt. Bei Niederwasser liegt dieser Kanal trocken.
Die Öffnung der Höhle ist nach Süden gerichtet; das Schicht-
streichen ist hier N 80° 0, während der Schichtfall ungefähr
450 nach N beträgt. Ein geneigter Gang, der allmählich nied-

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riger wird, führt in die ziemlich hohe Höhle, an deren West-
seite sich der auf S. 107 erwähnte See befindet. Der Gang in
der Südost-Ecke der Höhle war im August 1913 so sehr mit
Höhlenlehm gefüllt, das ein Weitervordringen unmöglich war;
auch in der Höhle selbst sank man einige dm in den Lehm
hinein. Einige Zeit vorher war auch jener Gang zugänglich,
und man erzählte mir, daß, wenn man daselbst etwas laut
sprach, die Stimmen oben im Walde gehört wurden; ein Be-
weis, wie sehr diese Gegend von Höhlen und Gängen unter-
graben ist.

Die Lage des Höhleneinganges läßt die Auffassung, daß
dieser Höhlengang früher Gehängeponor der Lomme war, nicht
aufkommen, obgleich die Bildung dieser Höhle mit der Nach-
t
s

Fig. 25. Schematisches Profil durch die Dolinen und die
Grotte des „Thier des Faliscs".

barschaft der Lomme in engem Zusammenhang stehen wird.
Auch hat die Lomme, welche hier im Givetienkalk fließt, hier durch
Schlundlöcher das Grundwasser gespeist, bis vor kurzem durch
das Betonieren ihres dortigen Bettes der Wasserverlust aufge-
hört hat.

Die Anlage der drei obengenannten Dolinen ist, meiner Mei-
nung nach, in erster Linie durch die Verwerfung, welche in der
unmittelbaren Nähe dieser Dolinen oder sogar über sie hinweg
vom „Croix St. Jean" bis an das andere Lommeufer verläuft,
bestimmt worden (vgl. Tafel III). Denn durch die infolge der Ver-
werfung bestehende Lockerung des Gesteines wurden hier der
Erosion des spülenden Wassers gute Angriffspunkte geboten. So
erklärt sich die dicht aneinander gedrängte Lage und reihen-
förmige Anordnung der Dolinen, für welche eine nachträgliche
Vergrößerung durch Einsturz nicht ausgeschlossen scheint; die
Nachbarschaft der Lomme aber wird auf die Entstehung der
Dolinen keinen Einfluß gehabt haben. Vielleicht ist das Talstück
D-D durch Zusammenbruch eines Höhlenganges entstanden.

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Le Trou de la laide Fosse. Diese Doline liegt an
der Westseite der Landstraße Han-sur-Lesse—Hainerenne in
4- 270 m Meereshöhe auf der Grenze der Couvinienschiefer und
des Givetienkalkbandes, in welchem sich die Dolinen des „Thier
des Falises" befinden. Auf der belgischen, topographischen Karte
(1:20000) ist diese Doline angedeutet, irgendeine Beschreibung
habe ich nicht gefunden. Sie ist, wie überhaupt die meisten
Dolinen und Trockentäler dieser Gegend, stark bewachsen und
liegt in einem nach dem Lessetal (Chavée) zu sanft geneigten
Gelände, dessen Begrenzungslinie in 245 m den Rand der Haupt-
terrasse bildet. Die nächste Umgebung der Doline, welche eine
nahezu kreisförmige Begrenzung von 100 m Länge hat, zeigt
nicht die geringste Spur einer nach der Doline zu gerichteten Ein-
senkung („golfe"). Durch eine sehr rohe barometrische Messung
(es dunkelte bereits!) bestimmte ich die Tiefe zu 14 m. Der
bequemste Abstieg zur Doline ist an der Nordwestseite, wo sich
eine schmale Trockenrinne befand, die wahrscheinlich nacli Regen-
güssen das umgebende Gelände entwässert, obwohl sie nur bis
an den Rand der Doline reicht. Die Böschung der Wände (und
gleichfalls des Trockentälchens) ist steil, besonders an der Süd-
seite, wo sich eine fast senkrechte Felswand erhebt, an deren
Fuß früher ein zu Höhlen führender Eingang gewesen sein soll.*)
Zur Zeit ist dieser Eingang, welcher das durch das Tälchen
eventuell anzuführende Wasser in die Tiefe befördert, von Sand
und Felstrümmern versperrt. Es scheint mir nicht möglich,
diese Doline als alten Talwegponor der Lesse zu erklären, da
sie ungefähr 20 m über der Hauptterrasse, in ziemlich großer
Entfernung der Lesse gelegen ist. Ebensowenig kann sie dieser
Lage nach einen früheren Gehängeponor darstellen, weil in diesem
Falle auch die steile Felswand, an deren Fuß sich die Absorptions-
punkte befinden, an der nördlichen, also der von der Lesse ent-
fernteren Seite liegen müßte. Das „Trou de la laide Fosse",
dessen Form ungeachtet der Steilheit der Wände jener des Trou

\') Man erzählte mir: einer der ältesten Bewohner dieser Gegend sei
hier in Höhlen, welche seiner Angahe nach sich mehrere hundert Meter weit
erstreckten, his in die Nähe von Han vorgedrungeYi. Es sollen sich hier sogar
beträchtliche Hohlräume befinden, welche aus Furcht vor Konkurrenzunter-
nehmungen noch nicht weiter untersucht sein sollen.

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Lorette sehr ähnlich ist, stellt vielleicht eine Zersetzungsdoline
dar, obwohl auch hier nicht zu entscheiden ist, ob eine nach-
trägliche Vergrößerung durch Einsturz eingetreten ist : Die Lage
der senkrechten Felswand an der Südseite ist durch die nördsüdliche
Abdachung des Terrains bedingt, weil dadurch die stärkste Wirkung
der Erosion und Korrosion an der Nordseite stattgefunden hat.
So ist auch gerade an der Nordseite das Tälchen eingeschnitten
worden, und die Doline befindet sich im ersten Stadium der Ent-
wicklung einer „aufgesuchten Doline".

Wenn wir uns nun der Betrachtung des Bois deBoine,
in welchem sich die Höhlen von Han befinden, zuwenden, so treffen
wir am Süd- und Ostabhang desselben drei Dolinen an.1) An
der Ostseite liegt das „Trou Madame" (in 238 m Meereshöhe),
das eine sehr regelmäßige Form und sanft geneigte Wände
besitzt; aus diesen Gründen will v. d. Broeck (v. d. Broeck, p. 113)
für diese Doline ausnahmsweise Bildung durch Einsturz an-
nehmen, obwohl er die anderen Dolinen dieser Gegend als Fluß-
schwinden erklärt. Hier aber kann (nach v. d. Broeck) diese
Erklärung wegen des regelmäßigen Baues der Doline und des
Fehlens jeder Zugangsniederung (Talweg d\'accès) in der nächsten
Umgebung nicht zutreffen. Dieser letzte Beweisgrund scheint
mir nicht ausschlaggebend, denn die letzte Bedingung ist auch
bei den Plateauponoren von Beauregard nicht erfüllt und wird
auch im allgemeinen nicht erfüllt sein, wenn die Dolinen in
einem früheren Stadium Talwegponore waren, v. d. Broeck
glaubt, daß das Trou Madame mit einem Raum der Höhlen von
Han, „la Salle d\'Antiparos", in Verbindung stehe, wofür er als
Beweise die Felstrümmer, den versperrten Kamin und die um
einen Grad (9°.5C. anstatt 8°. 5C.) höhere Lufttemperatur in der
obersten Partie dieser Salle anführt. Die Doline selbst erklärt
er als eine durch die korrodierende Wirkung des Sickerwassers
erweiterte Spalte, welche später durch Einstürze die heutige
Form erhalten hat. Über den Anteil, der diesem letzten
Bildungsfaktor an dem Entstehen der Doline zukommt, habe ich

\') Die Höhenangaben für diese Dolinen habe ich dem v. d. Broeckschen
Werke entnommen; denn meine eigenen diesbezüglichen Messungen sind
wertlos, da eines kleinen Defektes wegen mein selbstregistrierendes Baro-
meter in meiner Abwesenheit nicht gearbeitet hatte.

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kein Urteil. Immerhin besteht die Möglichkeit, die Doline als
eine Korrosionsdoline, welche sich an der Oberfläche fortge-
gebildet hat, während in einem tieferen Niveau das Lesse-
wasser und das Grundwasser die Höhlen unter ihr ausbildeten,
zu erklären.

Trou Sinsin.*) Am Südabhang des Bois de Boine be-
findet sich in 230 m das Trou Sinsin, eine sehr große Doppel-
doline. Die östlichste Wand erhebt sich schroff, und hier ist
der einzige Punkt des Trous, wo der nackte Fels an die Ober-
fläche tritt, und wo ein paar kleine Öffnungen vorkommen,
v. d. Broeck erklärt diese Doline als „une capture du niveau
supérieur", also eine alte Flußschwinde, und die Einmuldung
des Geländes, die sich vor der Doline befindet, als wahrschein-
lichen Rest des Talwegs, welcher das Flußwasser in die Doline
führte. Auf der Karte zeigen die Höhenlinien eine derartige
Einbiegung; in der Natur aber wird dieser Eindruck nicht
geweckt, und ich glaube also nicht, daß das Trou Sinsin je als
Flußschwinde fungiert hat. Wenn v. d. Broecks Annahme richtig
wäre, so würden zwei Bildungsmöglichkeiten vorliegen : das Trou
Sinsin könnte entweder ein Talwegponor oder ein Gehängeponor
gewesen sein. Ich glaube, aus der Erwähnung einer Einmuldung
schließen zu müssen, daß v. d. Broeck das Trou Sinsin als
einen Gehängeponor
auffaßt; Gehängeponore öffnen sich aber
direkt gegen das Tal zu (Gouffre de Belvaux, Trou Picot, Trou
des Nutons bei Furfooz usw.), was hier nicht zutrifft ; die west-
lichste der beiden Dolinen besitzt sogar ringsum sanft geneigte,
regelmäßige Wände. — Gegen eine Entstehung als Talweg-
ponor scheint ihre enorme Größe zu sprechen; diese könnte
allerdings durch nachträgliche Korrosionswirkung zu erklären
sein. Ein anderer Umstand scheint mir aber einer derartigen
Erklärung zu widersprechen. Die Doppeldoline müßte alsdann
auf einer Lesseterrasse liegen (ebenso wie die drei Aiguigeois
der Lomme). Es scheint, daß eine Terrasse dort nicht vorhanden
ist, und nur um eine Hypothese zu stützen, sollte man nicht,
wie v. d. Broeck tut, an einer bestimmten Stelle, wo keine

\') Auf der belgischen, topographischen .Karte (1:20,000 feuille 69,
pl. 2, 1908) fehlt die Einzeichnung der Dolinen des Bois de Boine, obwohl
z. B. das Trou Sinsin mehr als 100 m Durchmesser besitzt.

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Zeugen einer Terrasse sichtbar sind, einen alten Flußlauf rekon-
struieren wollen. Meines Erachtens scheint sogar die Topo-
graphie hier gegen die Annahme eines alten Talwegponors zu
sprechen. — Ich möchte also das Trou Sinsin als echte Korrosions-
doline erklären.

Trou Picot. Gleichfalls am Südabhang des Bois de Boine,
südöstlich des Trou Sinsin, in 235 m Höhe liegt das Trou Picot,
welches ein ganz anderes Aussehen als die beiden zuvorgenannten
Dolinen aufweist. Als tiefer Einschnitt (v. d. Broeck gibt eine Tiefe
von 30 m an) liegt es an der Talwand, und man kann es sowohl
durch seine Lage wie durch seine Form sogleich als einen alten
Gehängeponor erkennen. Über die Gesteinstrümmer hin kann
man eine kleine Strecke in den Ponor hinuntersteigen, und die
sich in der Tiefe verengende Schlucht legt Zeugnis davon ab,
daß die mechanische Erosion des Flußwassers hier wirksam
gewesen ist. Wahrscheinlich wird die Schlucht mit unbekannten
Teilen der Höhlen in Verbindung stehen und kann also zum Teil
verglichen werden mit den drei Aiguigeois der Höhle von Ro-
chefort. Nur sind die letzteren alte Talwegponore, während das
Trou Picot einen alten Gehängeponor darstellt.

Im Lessetal stromabwärts des „Gouffre de Belvaux" befinden
sich noch zwei alte Gehängeponore: das „Trou d\'Enfaule"
und das „Trou du Salpetre", deren im nächsten Kapitel Er-
wähnung getan werden soll.

Zwischen dem „Gouffre de Belvaux" und dem „Trou d\'En-
faule" habe ich eine kleine Randdoline sehr rezenter Bildung
untersucht, für welche ich die Entstehung durcli Einsturz be-
dingungslos annehme. Sie befindet sich etwas nördlich vom
„Gouffre de Belvaux" 9 m über dem Boden der Chav^e am linken
Talabhang und hat einen Durchmesser von 1 bis 2 m. In 1912
ist diese Doline plötzlich entstanden. Das Aufsteigen von Zigarren-
rauch aus der Seitenhöhle des „Gouffre de Belvaux" (in welchem
sicli die zwei höher gelegenen Flußschwinden befinden) bat be-
wiesen, daß diese Doline mit jener Höhle in direkter Verbindung
steht; das Loch war damals einige Meter tief. Als ich diese
Doline einige Monate später besuchte, war sie in eine kreis-
förmige Doline mit sanft geneigten Wänden und geringerer Tiefe
verwandelt worden. Da die Böschung der Talwände dort ziemlich
stark ist, hatten wahrscheinlich die Regen im Winter und im

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Frühjahr das Loch zum Teil wieder mit abgespültem Material
zugeschüttet.

Ein paar Dolinen im „Fond des Yeaux" (Gerny) werden
später im Zusammenhang mit diesem Tale erwähnt werden,
während ich auf die v. d. Broecksche Auffassung über Dolinen-
bildung wie über seine Höhlenbildungstheorie im nächsten
Kapitel eingehen möchte.

§ 29.

Einteilung der Dolinen.

Aus einer Bemerkung von Knebels1) über die Cvyicsche2)
Einteilung der Dolinen, würde man schließen können, daß Cvyic
nur eine morphologische Einteilung gegeben hat. Neben der
morphologischen hat Cvyic aber die Dolinen auch genetisch ein-
geteilt und weist selber darauf hin, daß morphologische und
genetische Typen sich nicht decken.

v. Knebel teilt die Dolinen ein in: 1. Dolinen, welche dem
Wasser nur mittelbar ihre Entstehung verdanken (Einsturz-
dolinen), 2. Dolinen, welche unmittelbar vom Wasser gebildet
sind. Obgleich ich mich, was die Genesis der Dolinen anlangt,
im großen und ganzen auf den v. Knebeischen Standpunkt stelle,
scheint mir doch die zweite Rubrik allzu verschiedenartige Typen
zusammenzufassen, und so möchte ich hier eine eigene Ein-
teilung der Dolinen geben und einige Beispiele aus meinem
Arbeitsgebiet hinzufügen.

A. Echte Dolinen.

I. Korrosionsdolinen. (Die drei Dolinen des „Thier des Falises",
Trou Iladame, Trou Sinsin.)

II. Einsturzdolinen. (Randdoline nördlich vom Gouffre de Belvaux.)

III. Korrosionsdolinen, welche durch nachträglichen Ein-
sturz vergrößert worden sind.

IV. Aufgesuchte Dolinen. (Trou de la Laide Fosse.)

B. Unechte Dolinen. (Schlundlöcher.)

I. Talwegponore. (Die Flußschwinden im Bett der Lomme oberhalb
und unterhalb Rochefort und in der Chav6e.)

Diese werden in einem späteren Stadium des Flußlebens:

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II. Plateauponore. (Sortie de la Salle du Sabbat, Trou de Marie

Sac-Attrape, Entrée principale de la Grotte de Rochefort).

HL Gehängeponore:

a) im Niveau der Talsohle. (Unteres „Trou du Nou-Moulin",
Gouffre de Belvaux, Chantoir des Nutons).

b) Hoch über dem Niveau der Talsohle. (Oberes „Trou
du Nou-Moulin, Trou Picot, Trou d\'Enfaule, Trou du Salpêtre,
die zwei Löcher über dem jetzt funktionierenden Ponor des
„Gouffre de Belvaux", Entrée de la Grotte d\'Éprave.)

Wie wir im vorigen Paragraphen bereits sahen, kann eine
genetische Einteilung immerhin nur sehr mangelhaft sein, da in der
Natur meist Kombinationen der verschiedenen Typen auftreten.
So entspricht da&„Trou de la Laide Fosse", das ich als „aufge-
suchte Doline" bezeichnet habe, einem Typus, der genetisch
den echten Dolinen und morphologisch den unechten Dolinen
anzugehören scheint.

Fünftes Kapitel.

Die Genesis der Höhlen von Rocliefort
und Han-sur-Lesse.

§ 30.

Höhlenbilduiig im allgemeinen.

Der auf S. 124 angedeutete Prozeß der Dolinenbildung durch
Korrosion und mechanische Erosion der spülenden Gewässer
verläuft im Anfang parallel mit der Bildungsweise der vertikalen
Höhlengänge, deren weitere Ausbildung aber hauptsächlich durch
den indirekten Einfluß des Grundwassers bedingt wird, indem
dieses die Fortschaft\'ung der Zersetzungsprodukte erleichtert und
eine Art dränierender Wirkung ausübt. Wenn aber die verti-
kale Erweiterung der Spalten durch das schnelle Einschneiden
des die Höhe des Grundwasserspiegels bedingenden Flusses oder
durch andere lokale Umstände mit der Tieferlegung des Grund-
wasserspiegels keinen gleichen Schritt halten kann, wandelt die
vertikale Entwicklung sich in eine mehr oberirdische, horizontale
um, und so entstellt die Oberllächenform der Doline.

Für die Höhlenbildung ist die Strömungsgeschwindigkeit
des Grundwassers maßgebend, diese aber wird durch das An-

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schwellen der Wassermenge infolge der Zuführung von Fluß-
wasser beträchtlich gesteigert, und größere Höhlen werden also
nur in der Nähe von Flüssen vorkommen und besonders da,
wo das Flußwasser auch mechanische Erosion ausüben kann.
So drängt sich die Frage auf, in welcher Weise der Fluß die
Höhlenbildung beeinflußt.

Bei der Beantwortung dieser Frage hat v. d. Broeck
(v. d. Broeck, p. 28) das Gesetz (mit dem ich völlig einverstanden
bin, das ich aber nachher noch erweitern werde) aufgestellt:
„Das Einschneiden der Täler und die Bildung der anstoßenden
Höhlen laufen parallel und ohne daß der eine Prozeß einen
wesentlichen Vorsprung vor dem anderen erreicht." (An einzelnen
Stellen aber sprechen die v. d. Broeckschen Erklärungsversuche
gegen diesen von ihm selbst aufgestellten Satz, so auf S. 118,
wo er von den Höhlen von Han sagt: „es ist nicht unmöglich,
daß die Anlage der im tiefsten Niveau gelegenen Galerien in
einer weit zurückliegenden Zeit, etwa zu Beginn der Höhlen-
bildung, anzusetzen ist".) Einen einfachen Beweis für die Richtig-
keit dieses Prinzips liefert die Tatsache, daß kein Punkt der
Höhle,1) soweit bekannt, tiefer liegt als der Boden des Styx
in 150,50 m (v. d. Broeck, p. 95) oder auf meine Höhenmarke
bezogen 148 m. Die Tiefe des Flußbettes unterhalb des Staues
beim Höhlenausgang liegt in ± 154,5 m; an einem anderen Punkte
wird das Lessebett wahrscheinlich wieder eine andere Tiefe
aufweisen; wenn aber 148 m wirklich die größte Tiefe der Aus-
höhlung darstellt, liegt diese also in 6,5 m unter dem Talboden
des oberirdischen Flusses. Aber auch unter diesem Niveau
wird selbstverständlich der Kalk durcliklüftet und mit Grund-
wasser ausgefüllt sein.

Nennenswerte Höhlenbildung unter dem Niveau des Fluß-
bettes halte ich also für ausgeschlossen, denn wenn die Höhlen
sich unterhalb dieses Niveaus noch weiter entwickelt hätten,
zu einer Zeit, die der Talbildung voraufging, dann müßte man
in der^ so schön aufgeschlossenen Höhle von Han dieses Phä-
nomen doch wahrnehmen können.

\') Bei der „Galerie des Petites Fontaines" habe ich die absolute Tiefe
des Talbodens der unterirdischen Lesse auf 151,68 m bestimmt. (Wassertiefe
am 25. August 1913: 3,76 m.)

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Wenn man aber im Karst einen zusammenhängenden Grund-
wasserspiegel annimmt, so muß doch in einer gewissen Tiefe
unter dem Grundwasserspiegel die Grundwasserströmung aus-
tönen ; das Wasser wird also fast stagnieren und mit Kalk ge-
sättigt sein, und infolgedessen wird die Wirkung der chemischen
Erosion aufhören. Die Arbeit der mechanischen Erosion kann
hier selbstverständlich ganz außer Betracht bleiben.

So wird die Höhe des Grundwasserspiegels oder in erster
Anlage die dieselbe bedingende Tiefe des Flußbettes für die verti-
kale Höhlenbildung eine untere Grenze darstellen. Um den Ent-
wicklungsgang einer Höhle zu erklären, muß man also erst die Art
und Weise kennen, in welcher der den Grundwasserstand dieser
Höhle regulierende Fluß sein Bett eingetieft hat. Dieser Gedanke
war die Veranlassung zur Entstehung des ersten Teiles dieser Ab-
handlung. Als Ergebnis des ersten Teiles und der letzten Aus-
führungen möchte ich also folgendes Prinzip in den Vordergrund
stellen:

Die Aufwölbung der Ardennen, welche die Lesse
und ihre Seitenflüsse zum Einschneiden zwang, stellt
die Hauptursache der vertikalen Ausbildung der
Hö hleni n der Um gebung von Rochefort und Ha n-su r-
Lesse dar. Und das Tempo dieses Einschneidens
bestimmte das Tempo der Höhlenentwicklung in der
Vertikalen.

Außerdem spielen, wie aus den folgenden Seiten hervor-
leuchten wird, die Karsterscheinungen (Ponore usw.) in der nächsten
Umgebung der Höhle, in deren Entwicklung eine große Rolle, und
deshalb habe ich das vorige Kapitel den Dolinen gewidmet.

§ 31.

Die Höhlen von Rochefort.

Die früheste Entwicklung der zur Bildung dieser Höhle
führenden Ponore muß in die Zeit, als der Grundwasserspiegel,
also auch das Flußbett der Lomme in ungefähr 235 m Meeres-
höhe lag, und die Lomme also auf der älteren Mittelterrasse
floß, angesetzt werden, denn in diesem Niveau liegen die Plateau-
ponore des „Plateau de Beauregard": „Entree" und „Sortie de
la Grotte de Rochefort" und das „Trou Marie-Sac-Attrape". Ich

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glaube, daß diese jetzigen Plateauponore Talwegponore der
Lomme darstellten, als diese noch auf der Talsohle, deren Reste
uns heute als ältere Mittelterrasse (vgl. Fig. 14) entgegentreten,
floß. Auf dieser breiten Talsohle verlegte der mäandrierende
Fluß immer sein Bett, und so wurden die genannten Ponore
trockengelegt. (Vgl. Fig. 26.)

In gleichem Schritt mit dem Einschneiden der Lomme1)
entwickelten sich auch die Ponore in vertikaler Richtung: wenn
das Flußbett tiefergelegt wird, sinkt auch der Grundwasser-
spiegel. Allmählich werden die über diesem Niveau gelegenen
Ponorhöhlengänge trockengelegt; die korrodierende und mecha-
nisch-erodierende Tätigkeit des Grundwassers hört auf, während

jene des spülenden Wassers um so stärker einsetzt und besonders
in vertikaler Richtung wirkt. Auch werden nunmehr die Umstände
für Vergrößerung der Höhlengänge durch Einsturz immer
günstiger, denn hier in der Nähe des Flußbettes wird wohl
die dränierende und verfrachtende Wirkung des Grundwassers
infolge größeren Gefälles am stärksten sein; dadurch erklärt
sich auch, warum die Nachbarschaft eines Flusses die Haupt-
bedingung für die Ausbildung größerer Höhlen bildet. Während
im Vorgang des Einschneidens eine Ruhepause eintrat und die
Lomme die Talsohle der Mittelterrasse aufhöhte, wurde auch
die vertikale Ausbildung der betreffenden Höhlengänge nach
unten gehemmt. Zwar erweiterten auch die vertikalen oder
geneigten Gänge sich, aber die Höhlenbildung in horizontaler
Richtung, also die Erweiterung der horizontal gestellten Klüfte
und Spalten war das Hauptergebnis dieser Periode. Besonders

\') Die Ursachen für das Einschneiden ünd die Terrassenbildung der
Lesse, Lomme usw. wurden im ersten Teil dieser Abhandlung eingehend
besprochen.

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wenn das Grundwasser ansteigt und die Gänge völlig ausfüllt,
können unter dem Druck des Wassers Deckenpartien einstürzen,
deren Trümmer aber allmählich durch das Grundwasser zum
größten Teil wohl in Lösung fortgeschafft werden können.
Während die Talsohle der Mittelterrasse aufgeschüttet wurde,
haben sich in dieser Weise die „Salle du Sabbat", das „Palais
de Bagdad" und das „Yal d\'Enfer" — wenigstens in den höheren
Teilen — und außerdem einige der in ungefähr 30 m über dem
heutigen Flußniveau gelegenen, annähernd horizontal gestellten
Höhlengänge ausgebildet.

Als die Ruhepause in der Hebung zu Ende war und die
Lomme ihr Tal wieder eintiefte, trat aufs neue vertikale Höhlen-
bildung ein, und die tiefer gelegenen, vertikalen Gänge bildeten
sich aus. Während der Aufschüttung der Talsohle der Nieder-
terrasse wurden die in deren Niveau liegenden Spalten in Höhlen-
gänge umgewandelt, und wahrscheinlich befindet sich die Höhlen-
entwicklung auch jetzt noch in diesem Stadium. Natürlich wird
auch das Wasser, das die Lomme im Sommer an die Talweg-
und Gehängeponore verliert (z. B. an das „Pr6-au-Tonneau" und
das „Nou-Moulin"), bei der Höhlenbildung in ähnlicher Weise
wie das Grundwasser mitbeteiligt gewesen sein.

Scharfumgrenzte Ganghorizonte weisen zwar die Höhlen
von Rochefort nicht auf, doch meine ich, daß in dem oben
angegebenen Entwicklungsgange das Bild der Talentwicklung
sich im großen und ganzen widerspiegelt.

v. d. Broeck hat das Einschneiden des Flusses in bezug
auf die Niveauhöhen der verschiedenen Ponore in fünf Phasen
zerlegt. Was das obere Niveau anlangt, glaubt er, daß die
damalige Lomme sich in die obere Höhle des „Prö-au-Tonneau"
und in die vier Höhlengänge, die zu den Höhlen von Rochefort
führen, ergossen1) hat (. . . s\'est engloutie . . .); die anderen
Phasen werden nach v. d. Broeck durch das Abstürzen des Wassers
(„engouffrement") in die oberen und unteren Ponore des „Nou-
Moulin" und des „Pr6-au-Tonneau" charakterisiert. — Auf diese

\') Ich nehme, wie ich hier nochmals scharf betonen will, nicht an,
daß jemals die Lomme völlig von einem dieser Aiguigeois verschluckt worden
ist, wohl aber kann die Lomme Wasser an die damals als Talwegponore
fungierenden Aiguigeois verloren haben.

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v. d. Broecksche Einteilung in Phasen werde ich im folgenden
Paragraphen näher eingehen.

In bezug auf die Höhlenbildung sagt v. d. Broeck (v. d.
Broeck, p. 30) : „Die Plateauponore sind im allgemeinen keine
Einstürze, die von unten nach oben fortgeschritten sind, und
die durch die nach der Höhlenbildung auftretende Wirkung der
unterirdischen Flüsse und durch Deckeneinstürze verursacht
wurden, sondern sie stellen in den meisten Fällen Absorptions-
punkte, welche ursprünglich von oben nach unten gegraben
wurden, oder die als Ausgangspunkte der Höhlenbildung fungiert
haben, dar. Nur unter sehr speziellen Verhältnissen werden sie
nachträglich durch von unten nach oben fortschreitende Einstürze
vergrößert worden sein.tf Wie aus meiner in den vorigen Seiten
gegebenen Auseinandersetzung folgt, ist auch meine Theorie in
Zusammenklang mit der v. d. Broeckschen ; nur scheint mir die
von v. d. Broeck gemachte praktische Anwendung derselben
irrig zu sein. Einer Auffassung der Plateauponore als Absorptions-
punkte des spülenden Wassers stimme ich gern bei ; in jedem
Spezialfall muß dann untersucht werden, ob der betreffende Ponor
in einem älteren Stadium Talweg- oder Gehängeponor war.
v. d. Broeck scheint aber anderer Meinung zu sein, da er öfters
das Wort „engouffrement" und gleichwertige Ausdrücke gebraucht,
wie: „capture de la Lomme, la Lomme d\'alors s\'est engloutie,
elle s\'est complètement engloutie dans ce porche (d. h. du Pré-
au-Tonneau), p. 115: un orifice d\'ancienne capture aveuglé, une
antique entrée de la Lesse". Hieraus ist wohl der Schluß
erlaubt, daß v. d. Broeck annimmt: der ganze Fluß sei von
diesen Ponoren verschluckt worden, so wie die Lesse von dem
Gouffre de Belvaux; denn auch als Kennzeichnung der vierten
Phase gibt er, ohne sich auf den Standpunkt der Grundwasser-
theorie zu stellen, an : „das allmähliche Verlassen der Höhlen-
gänge". Wenn aber die Lomme einmal völlig von einem derartigen
Ponor verschluckt worden wäre, in welcher Weise ist es dann
zu erklären, daß sie jetzt wieder oberirdisch strömt? Denn
Talbildung durch Deckeneinsturz eines unterirdischen Kanals
kann hier nicht vorliegen.

An einem anderen Orte (v. d. Broeck, p. 33) werden die
Dolinen des „Plateau de
Beauregard" von v. d. Broeck als Talweg-
ponore der Lomme „im oberen Niveau der Lomme" aufgefaßt;

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wie bereits betont, bin auch ich dieser Meinung. Als die Lomme
auf der Talsohle der heutigen, älteren Mittelterrasse in 235 m
Meereshöhe floß, herrschten dort ähnliche Verhältnisse, wie sie
noch vor einigen Jahren, ehe das Lommebett betoniert war, ober-
halb Rochefort im Lommebett anzutreffen waren: Bei Niederwasser
trocknete das Flußbett aus, denn die Talwegponore, welche die
Verbindung zwischen dem oberirdischen Flußwasser und dem
Grundwasser vermittelten, führten das Flußwasser dem Grund-
wasser zu. Bei Hochwasser aber wurden diese Ponore außer
Wirkung gestellt, da durch den erhöhten Grundwasserstand alle
Ponore mit Wasser ausgefüllt waren und überhaupt von einer
ansaugenden Wirkung der Ponore nicht mehr die Rede sein konnte.
Als nun aber die Erosion wieder neu belebt wurde, und die
Lomme ihr Bett lokalisierte, also anfing in der breiten Talsohle
der älteren Mittelterrasse eine Rinne einzugraben, wurde die Tal-
sohle zur Terrasse (das „Plateau de Beauregard"), und die seitlich
der Rinne sich befindenden Talwegponore wurden trockengelegt.
Das gleiche wird stattgehabt haben, als die in Mäandern strömende
Lomme ihr Bett verlegte (wie in Fig. 26 angedeutet wurde).
Nunmehr werden die Ponore allein das spülende Wasser an sich
gezogen haben, während in ihren unteren Partien das Grundwasser
noch seine erodierende Tätigkeit ausüben konnte. Die Erweiterung
der Ponorgänge in größerer Tiefe darf nicht der Einwirkung des
Flußwassers, wohl aber des spülenden Wassers und des Grund-
wassers zugeschrieben werden. Mitunter wird das an den strom-
aufwärts gelegenen Gehängeponoren (Petit Nou-Moulin usw.)
verloren gegangene Flußwasser, besonders bei der Aushöhlung
der horizontalen Gänge, eine Rolle gespielt haben.

Wie auch v. d. Broeck bemerkte, besitzen alle horizontalen
Gänge die Zeichen kräftiger Erosion, welche durch die von
der Nähe der Lomme bedingte, schnellere Grundwasserströmung
zu erklären sind.

§ 32

Die Höhlen von Han-sur-Lesse.

(Vgl. hierzu Fig. 27.)

Wie in § 16 erörtert wurde, stürzt sich die Lesse, nachdem
sie nördlich von Belvaux eine kleine Strecke im Kalk zurück-
gelegt hat, in 159 m Meereshöhe in den „Gouffre de Belvaux",

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um erst beim „Trou de Han", wo die Frasnienschiefer den Kalk
berühren, wieder ans Tageslicht zu treten. Ihr totes Tal (la
Chavée 170—160 m) schlingt sich um das Kalkmassiv des „Bois
de Boine" hin, und gerade dieser fast kreisförmige
Mäander stellte die Hauptbedingung für das Auf-
schlucken der Lesse dar, denn indem die Lesse durch
ihren Übergang in das Grundwasser diese Bucht unterirdisch
abschnitt, folgte sie der Richtung des größten Gefälles. Strom-
abwärts des „Gouffre de Belvaux" befindet sich am linken Lomme-
ufer zuerst das „Trou d\'Enfaule" (163 m), das bis 1857 den Aus-
gang für die Höhlenbesucher bildete, und weiter das „Trou du
Salpêtre" (175 m), der heutige Eingang der Höhlen.

Bei dem Versuch, die Entwicklung dieser Höhlen1) in Zusam-
menhang mit der Terrassenbildung der Lesse zu bringen, ergeben
sich weit größere Schwierigkeiten als bei den Höhlen von
Rochefort. Auch für die Lesse wird der Anfang ihrer Höhlen-
bildung in die Zeit angesetzt werden müssen, als der Fluß auf
der Talsohle der älteren Mittelterrasse, in ungefähr 230 m Meeres-
höhe strömte. Das Trou Picot (230 m) stellte damals einen Gehänge-
ponor dar. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Trou Picot
mit uns unbekannten Höhlenräumen unter dem südlichen Teil
des „Bois de Boine" in Verbindung steht, v. d. Broeck meint, daß
die obersten Aiguigeois wie das Trou Picot und das Trou Sinsin
in den „Grand Dôme" einmünden. Diese Auffassung halte ich
für unrichtig; in gewissem Sinne kommunizieren zwar alle
Klüfte und Höhlen desselben Kalkmassivs ; aber für eine direkte
„Einmündung" sensu stricto ist die Entfernung des Trou Picot
von dem „Dôme" (600 m in der Luftlinie) doch zu groß.

Wahrscheinlich muß die Bildung der geneigten Kamine
der „Salle d\'Antiparos" und des „Dôme", dessen höchster Punkt
in 223 m liegt, in die zwischen dem Durchsinken der älteren
und der Aufschüttung der jüngeren Mittelterrasse gelegene
Periode angesetzt werden. Der „Dôme" aber wird seine riesigen
Dimensionen erst durch nachträgliche Einstürze, deren kolossale

\') Grund betont (Beiträge zur Morphologie usw. S. 142), daß für
Höhlengänge gewöhnlich verschiedene Richtungszüge nachzuweisen sind. Cum
grano salis trifft dies auch für die Höhlen von-Han zu; die eine Richtung
verläuft im Schichtstreichen (Schichtfugen) ; die andere steht senkrecht
darauf (Diaklase).

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Fig. 27. Der verlassene Lesse-Mäander „la ChavSe".
(Für die geologische Signatur, vgl. PI. III.)

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Trümmermengen den stark geneigten Boden des „Grand Dôme"
aufbauen, erhalten haben. Während der Aufschüttung der
Mittelterrasse, als die horizontale Höhlenerosion wieder vor-
herrschte, werden dann die „Salle du Dôme", die „Salle
d\'Antiparos", die „Salle Vigneron" (deren Decke in ± 190 ml)
liegt) usw. sich weiter ausgebildet haben. Diese Hallen und
noch viele andere werden aber durch Höhengänge, welche
meistens ungefähr 10 m über dem heutigen Grundwasserniveau
liegen und also bei Hochwasser zum größten Teile überflutet
werden, miteinander verbunden. Starke Höhlenbildung scheint
also kurz vor und während der Aufschüttung der Niederterrasse
(und auch noch im heutigen Stadium), als die Lesse nachein-
ander viel Wasser an das „Trou du Salpêtre", „Trou d\'Enfaule"
und „Gouffre de Belvaux" verlor, vor sich gegangen zu sein.
Die Gänge in niedrigem Niveau sind also zum größten Teile
durch die mechanische und chemische Wirkung dieses
Wassers entstanden.

Wir w\'ollen jetzt etwas eingehender betrachten, wie die
unterirdische Lesse sich gebildet hat, und wählen als Ausgangs-
punkt jenes Stadium, als das „Trou du Salpêtre" (175 m) seine
Wirksamkeit als Gehängeponor antrat und das Lessebett also
um einige Meter höher als die Chavée lag. Die Lesse floß
damals noch ganz oberirdisch, verlor nur u. a. durch das „Trou
du Salpêtre" einen Teil ihrer Wassermenge an das Grundwasser,
dessen Spiegel im Kalkmassiv in ungefähr gleicher Höhe als
das Flußniveau lag, sich aber in nordwestlicher Richtung zum
„Trou de Han" etwas senkte. Die Lage des „Trou de Han", da-
mals noch einer kleinen Quelle, war durch die Grenze des
Schiefers und des Kalkes vorbedingt und wird wahrscheinlich
zuerst um etwa 20—50 m nördlicher gewesen sein. Das „Trou
de Han" bildete damals den Grundwasseraustritt für das Kalk-
massiv des „Bois de Boine" und die östlich desselben gelegenen
Kalkpartien, insoweit diese nicht durch die „Fontaine St. Martin"
im „Fond d\'Enfaule" entwässert wurden. Diesem Grundwasser
wurde Sickerwasser zugeführt, und außerdem wurde es bei
Niederwasser noch von der Lesse und dem „Ruisseau d\'Enfaule"
durch Talweg- und Gehängeponore (besonders durch das „Trou

\') All diese Zahlen sind der v. d. Broeckschen Arbeit entnommen.

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du Salpêtre") gespeist. Von einem Höhlenfluß konnte noch nicht
die Rede sein ; dieses Flußwasser mischte sich mit dem» Grund-
wasser und strömte zusammen mit diesem dem niedrigsten
Punkte: dem „Trou de Han", zu. Als aber immer mehr Wasser
durch das „Trou du Salpêtre" der Lesse entzogen wurde, staute
dieses Flußwasser in der unmittelbaren Nähe des Ponors das
Grundwasser auf, weil die Strömungsgeschwindigkeit des ersteren
eine größere war, und so wurde auf die Klüfte und Spalten
beim Ponor eine stärkere, erodierende Wirkung ausgeübt. Außer-
dem wurde hier im Sommer, wenn das Grundwasser ein tieferes
Niveau als das Flußwasser einnimmt, die mechanische Erosion
durch das so bedingte Gefälle gesteigert. — Viel wichtiger für
den hier vorliegenden Prozeß aber war die Erosion des dem
„Trou de Han" entströmenden Grundwassers. Durch eine Art
rückschreitender Erosion wurden die zu dieser Quelle führenden
Spalten erweitert. Als allmählich das durch Erosion und durch
das Tiefereinschneiden der Lesse vergrößerte „Trou du Salpêtre"
mehr und mehr Flußwasser an sich zog, begann dieses Wasser
zusammen mit dem Grundwasser sich in dem verwirrten Klüfte-
lind Spaltensystem seinen eigenen Weg zu bahnen, indem es die-
jenigen Klüfte wählte, welche den größten Durchmesser und das
größte Gefälle boten. So wurde ganz allmählich durch eine von
dem Ponor aus vordringende und mehr noch durch eine von der
Quelle aus rückschreitende Erosion ein im Grundwasser gelegener,
anfänglich noch enger und schwer zu durchfließender, direkter
Flußweg gebildet. Und erst von da an konnte diese Karst-
wasserader, welche ganz abhängig vom Kluftnetz ausgebildet
wurde, als Höhlenfluß bezeichnet werden. \') So hatte nun die

\') Einen Beweis für die Richtigkeit der von mir gegebenen Erklärung
der Bildung des unterirdischen Lesselaufes erblicke ich in der Schilderung,
die Gradmann (Beschreibung des Oberamts Münsingen, loc. c. S. 113) von der
Wimsemer Höhle gibt, und die ich der Vollständigkeit halber hier hersetzen
will: „Die Wimsemer Höhle ist die merkwürdigste Höhlenbildung des Gebiets
zwischen Laudiert und Lauter (linke Albseitenflüssc der Donau). Sie ist eine
Quellhöhle, aus welcher in einem Felsentor kristallklar die Zwiefalter Ach
hervorquellt. Die Höhle ist im Nachen befahrbar. Das Mundloch ist vom
Wasserspiegel gemessen 3 m hoch und etwa ebenso breit. Die Höhlendecke
senkt sich dann bald bis zu 1 m über dem Wasserspiegel herab; sofort
erweitert sich die Höhle aber zu einer 4 m hohen, 8—10 m breiten und 20

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Lesse ein unterirdisches und in diesem Stadium auch noch ein
oberirdisches Bett. Wahrscheinlich wird im Anfang die unter-
irdische Lesse sehr verzweigt gewesen sein. In bezug auf die
Niveauhöhe des „Trou du Salpêtre" kann das „Trou de Han" ur-
sprünglich eine aufsteigende Quelle unter dem Flußniveau
gewesen sein, so wie es früher die Quelle im Lommetal bei
der „Carrière Dasse" oberhalb Rochefort gewesen ist, und viel-
leicht ist das „Trou de Han" durch das Tiefereinschneiden der
Lesse ins Flußniveau gelangt, indem Deckenteile abbröckelten
oder einstürzten. Auf einen ähnlichen Vorgang scheint noch
die kleine dem Trou zugewandte Bucht des Talgehänges hin-
zuweisen.

Als die Lesse ihr Bett mehr und mehr vertiefte, wurde das
„Trou du Salpêtre" über die Talsohle erhoben und nur noch bei
Hochwasser von den Gewässern der Lesse aufgesucht, in einem
späteren Stadium aber gar nicht mehr benutzt. Beim Tieferein-
schneiden hat dann dieLesse einen anderen Diaklas, welcher zu einem
Aiguigeois, dem „Troud\'Enfaule", erweitert wurde, angeschnitten.
Dieser Ponor hat alsdann einen ähnlichen Entwicklungsgang als
das „Trou du Salpêtre" durchlaufen ; er liegt im Niveau der Chavée,
und wahrscheinlich wird er schon bald nach seiner Entstehung
eine große Menge Lessewassers,
bei Niederwasser vielleicht sogar
die ganze Lesse
aufgeschluckt haben, denn Talvertiefung unter
das Niveau dieses Ponors hat nicht stattgefunden. Da wurde
also zum ersten Male der Lessemäander zur „Chavée". Nun ver-
stehen wir auch, weshalb die größte Höhlenentwicklung gerade in

bis 25 m langen Halle. Das Wasser erreicht hier seine größte Tiefe mit 3 m.
Am Ende der Halle verengt sich die Höhle schlauchförmig zu einer Breite
von
2llt—41/a m bei einer Höhe von l1/*-:21m über dem Wasserspiegel
und setzt sich immer in nordwestlicher Hauptrichtung bis zum Endpunkt
der Höhle fort, der in einer Entfernung von 70 m vom Eingang erreicht
wird. Dort sieht man die Höhle sich nach oben erweitern und zugleich in
mehrere enge Klüfte spalten ; in einer dieser Klüfte ist Herr Topograph Haug
noch ungefähr 7 m durchgedrungen, bis ein weiteres Vordringen unmöglich
war durch die Herabsenkung der Höhlendecke auf etwa 0,7 m über den
Wasserspiegel. Der Höhlenfluß ist also 77 m. lang und rinnt aus ruhig
fließenden Kluftwassern zusammen." Wahrscheinlich bildet diese Karstquelle
den vornehmsten Austrittspunkt des Grundwassers im Gebiete westlich der
Lauter.

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diesem Niveau stattgefunden hat; denn, wie schon betont, spielt bei
der Höhlenbildung das an das Grundwasser verloren gegangene
Flußwasser eine viel bedeutendere Rolle als das eigentliche Grund-
wasser. Selbstverständlich sind die Gänge, welche die Verbindung
zwischen dem Capitole, „Place d\'armes" und „Trou du Salpetre"
darstellen, besonders der Erosionswirkung des an das „Trou du
Salpetre" verloren gegangenen Flußwassers zu verdanken. Die
Zeit der Ausbildung der zu dem „Trou d\'Enfaule" führenden
Höhlengänge muß in die Wirkungsperiode dieses Ponors an-
gesetzt werden. Die mehr westlich gelegenen Gänge rühren jedoch
von der Erosionswirkung der von beiden Ponoren verschluckten
Gewässer her.

In einem späteren Stadium des Taleinschneidens hat der
„Gouffre de Belvaux" seine Wirksamkeit angetreten, das „Trou
d\'Enfaule" aber wurde verlassen und wird nur noch bei Hoch-
wasser, wenn auch die Chavde wieder aus ihrem Todesschlaf
erwacht, von dem Lessewasser benutzt. Noch ehe der heutzutage
funktionierende Ponor des „Gouffre de Belvaux" das Lessewasser
fortführte, werden die zwei, in der rechts im Gouffre gelegenen
kleinen Höhle, einige Meter über dem heutigen Ponor befindlichen
Löcher als Flußschwinden fungiert haben ; unter den heutigen Ver-
hältnissen werden sie bei Hochwasser früher als das „Trou d\'En-
faule" benutzt. Das Aussehen der Lesse beim „Gouffre de Belvaux"
beweist, daß dieser Ponor nach geologischem Zeitmaßstab erst vor
kurzem seine Wirksamkeit angetreten hat und deshalb das von dem
Lessewasser benutzte Spaltensystem vom „Gouffre de Belvaux" bis
an die „Place d\'Armes" noch im Jugendstadium seiner Entwicklung
beharrt: denn schäumend und brausend stürzt sich die hier Ponor-
kaskaden\') bildende Lesse in den Ponor und überwindet so den
Niveauunterschied ihres Talwegs zwischen Belvaux und Han;
denn das Gefälle des Grundwassers beträgt auf dieser Strecke
nur 1 m. Auch zwischen dem Dorfe Belvaux und dem gleich-
namigen Gouffre zeigt der Fluß Stromschnellen, die durch
rückschreitende Erosion immer mehr stromaufwärts verschoben
werden, bis die Lesse in dieser Laufstrecke ein gleichmäßiges
Gefälle erreicht haben wird. Nun erklärt sich auch der so sehr
verschiedene Anblick des breiten, schiffbaren Wasserweges im

\') Vgl. J. Cvyid: Das Karstphänomen. S. 65.

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„Trou de Han" und der engen Klüfte, in welche das Lesse wasser
im „Gouffre de Bel vaux" verschwindet; als das „Trou d\'Enfaule"
und das „Trou du Salpêtre" als Flußschwinden fungierten, existierte
schon das „Troude Han". Hier hat also die Erosion, die außerdem
bei der Quelle unendlich kräftiger wirkt als beim Ponor, schon
seit bedeutend längeren Perioden Arbeit leisten können als beim
„Gouffre de Belvaux".

Durch das Aufschlucken der Lesse, zuerst durch das „Trou
d\'Enfaule" und nachher durch das „Gouffre de Belvaux", ist der
Mäander des „Bois de Boine" unterirdisch abgeschnitten, also
trockengelegt und zum „Toten Tal" geworden. Hier wird der
Talboden von den noch nicht durchsunkenen Niederterrasse-
ablagerungen gebildet, während oberhalb des „Gouffre de Bel-
vaux" und unterhalb des „Trou de Han" die Lesse eine Rinne in
der Niederterrasse eingeschnitten hat. Nur bei starkem An-
steigen der Lesse (gewöhnlich ein paarmal im Jahre), wird
die Chavée wieder vom Lessewasser überflutet ; die ganze Tal-
sohle ist dann ausgefüllt, aber infolge der zahlreichen Talweg-
ponore versickert hier viel Wasser. So befinden sich in der
Chavée, in der Nähe der auf der Karte mit Felssignatur ange-
gebenen Felse, nördlich des „Gouffre de Belvaux" zwei 10 bis
15 m lange, ungefähr 2 m breite und x/2 bis Im tiefe Talweg-
ponore nebeneinander (die „Entonnois" von Dupont), etwas mehr
talabwärts liegen am rechten Ufer nahe an der Talwand zahl-
reiche kleinere Flußschwinden, während man in der Mitte der
Chavéekrûmmung auf einen typischen, ganz mit Gerollen
verschiedener Größe (die größten bis ± 20 cm lang, breit und
hoch) aufgefüllten Talwegponor stößt. Diese Einsenkung, in
welcher sich wieder zwei kleinere, kreisförmige Ponore mit
einem Durchmesser von ungefähr VI2 m befinden, wird etwa
7 m breit und zweimal so lang sein. Aus einer Betrachtung
der geologischen Karte scheint hervorzugehen, daß der nördliche
Teil der Chavée ganz in Frasnienschief er eingeschnitten ist; obwohl
man durch die Bedeckung mit Flußablagerungen in der Natur ohne
weiteres hierüber nicht urteilen kann, glaube ich aus der An-
wesenheit der genannten Ponore doch schließen zu können, daß
die Lesse in der Chavée ihr Bett bis in die das Frasnien unter-
lagernden Kalke eingeschnitten hat. Ich habe die Chavée ein
paarmal durchstreift ; zum größten Teil konnte ich dabei Fuß-

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pfaden folgen, teilweise aber mußte ich einen Weg durch
die fast die ganze Chavee bedeckenden Wiesen suchen. Im
östlichen Teil der Chaveebucht fiel mir eine damals anschei-
nend trockenliegende, mit Gebüsch bewachsene, nur an einer
Stelle sumpfige Rinne, welche nach Westen nicht zu verfolgen
war, auf.

An der Nordseite der Chavee, an der Ostseite des in
einem Trockental zum Plateau ansteigenden Fußpfades befindet
sich auf der Grenze des Schiefers und des Kalkes eine Stauquelle
(vgl. Fig. 28), die „Source St. Martin" (Fig. 16, Punkt 11). Das

Wasser der „Source" durch-
strömt auch im Sommer in
zahlreichen, verzweigten, win-
zigen Rinnen, die eine Tiefe
von 0,5 m oder mehr besitzen,
den westlichen Teil der Chavöe.
Einzelne Partien dieser Rinnen

sind sumpfig, während hie und da Teile des aus diesen Gerinnen
stammenden Baches, der gleich unterhalb des „Trou de Hanu
mit einer ungefähr 2 m breiten und 0,5 m tiefen Rinne in die
Lesse mündet, trocken liegen.

Ebenso wie bei den Höhlen von Rochefort zerlegt auch
hier v. d. Broeck die Entwicklung der Höhlen von Han und des
Lessetales in Phasen, welche Bezug haben auf die Niveauhöhen
der Ponore (v. d. Broeck, p. 115—116). Das obere Niveau (niveau
supérieur) stellt er in ungefähr 230 m (Trou Picot, Trou Sinsin) ;
während er als Mittelniveau der Lesse die Höhe des auf S. 67
besprochenen „ Seuil Belvaux-Auffe" in 185 m, also ungefähr
15 m über dem heutigen Lesseniveau, annimmt. Da v. d. Broeck
auf Terrassenhöhen gar keine Rücksicht nimmt, versteht es sich,
daß seine Höhenangaben für das obere und mittlere Lesseniveau
nicht mit den von Dupont und von mir angenommenen Niveaus
der Haupt- und Mittelterrasse übereinstimmen. Dieser Wider-
spruch könnte auf eine Ungleichheit in der Benennung zurück-
zuführen sein, wenn v. d. Broeck nicht auf S. 116 seiner Arbeit
die Entstehung des oberen Niveaus in 230 m (was also mit meiner
älteren Mittelterrasse übereinstimmt) in eine „Zeit" stellte, „welche
wir nicht genau angeben können, die aber wahrscheinlich in
das Pliozän, wenn nicht in das Ende des Miozäns anzusetzen

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wäre". Obwohl ich nicht glaube, daß in diesem Abschnitt des
Lessetals eine Pliozänterrasse sich ausgebildet hat, so müßte
eine solche doch immerhin mehr als 100 m über dem heutigen
Lesseniveau liegen und wäre also keinesfalls mit dem 230
Meterniveau, in welchem das Trou Picot usw. liegen, zu iden-
tifizieren. Der Anfang der Höhlenentwicklung, soweit er
heute festzustellen ist, scheint mir also jünger als das Pliozän
zu sein.

Der Richtigkeit des auf S. 136 erörterten v. d. Broeckschen
Satzes über den Parallelismus der Höhlenentwicklung und Tal-
bildung stimme ich also gerne bei; wo v. d. Broeck aber diese
Entwicklung in nur durch die Niveauhöhen der Flußschwinden
bestimmten Phasen verteilt, erscheinen seine Schlußfolgerungen
mir unrichtig. Zwar geben die Ponore die Höhe der Talsohle
in der Zeit, als sie wie Flußschwinden fungierten, an, aber in
der Talbildung stellen sie keinen so wirksamen Faktor dar, daß
man berechtigt wäre, nur ihrer Niveauhöhe gemäß die Perioden
im Taleinschnitt zu bestimmen. Für diese ist das Auftreten
von Terrassen maßgebend, und man muß also versuchen einen
Zusammenhang zwischen den Höhlen- und den Terrassenniveaus
festzustellen. In dieser Weise kann die Altersbestimmung der
Terrassen auch zur Altersbestimmung der angrenzenden Höhlen
führen, wenn auch der von G. Strömpl1) aufgestellte Satz: „Das
Höhlenniveau und die Flußterrassen sind gleichzeitige Bildungen
und deshalb sind bei einer morphologischen Nivellierung die in
den Ablagerungen des einen oder anderen gefundenen Fossilien
zur Altersbestimmung beider Formationen verwendbar", vielleicht
etwas zuviel besagt, da die Auffassung, daß die Absätze in
den Höhlen und die Flußablagerungen außerhalb der Höhlen
gleiches Alter aufweisen, nicht mehr allgemein angenommen
wird.2)

Ich glaube, daß bei künftiger Höhlenforschung, mehr als
dies bisher der Fall war, der Genesis der Höhlen systematisch
nachgeforscht werden muß, und daß dieses Problem nur dann

\') G. Strömpl: Das Homordd-Almdser Höhlensystem und seine Aus-
bildung. (Barlangkutat&s 1913. I. Band, 3. Heft.)

*) Vgl. hierzu M. E. v. d. Broeck: Quelques observations relatives ä 1\'étude
de M. Flamache sur la formation des grottes et des vallées souterraines. (Bull.
Soc. beige de géol. T. IX. Pr. verb. 163. 1895.)

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zu lösen ist, wenn man zu gleicher Zeit die Entwicklung der
betreffenden Plußtäler ins Auge faßt.

Es sei hier noch kurz auf die Stainiersche1) Theorie über
Höhlenbildung hingewiesen. Er bekämpft die Auffassung von
Piamache,2) der die Höhlenbildung ganz auf Rechnung der me-
chanischen Erosion setzt. Weiter behauptet Stainier, daß unter
den heutigen Verhältnissen keine Höhlenbildung auftreten kann,
weil durch die Schlammzufuhr der oberirdischen Gewässer die
Höhlen aufgefüllt werden. Als Beispiel zitiert er die Höhle
von Han, wo jeden Frühling bedeutende Schlammengen von den
Arbeitern fortgeschafft werden, und er schließt hieraus, daß, wenn
der Mensch nicht eingriffe, die Höhle allmählich ausgefüllt würde.
Ich bezweifle die Richtigkeit dieser Behauptung, denn in der
„Galerie des Aventuriers" z. B., welche bei meinem Besuch
in 15 Jahren nicht von einem Menschen betreten worden war,
sind zwar alle Wände mit Schlamm bedeckt, aber meistens nur
in geringer Mächtigkeit. Einen weiteren Beweis, daß die
Korrosion heute noch tätig ist, erblicke ich in der Zunahme des
Gehaltes an gelöster Substanz, welche die Lesse bei der Durch-
strömung der Höhlen von Han zeigt. Kleine Höhlen, welche dem
Wasser eines Flusses oder Baches, wenn auch nur zeitweise, leichten
Zutritt gestatten, in denen aber der Abfluß schwieriger ist, werden
z. T. oder ganz vom Höhlenlehm zugeschüttet werden können, so
die „Grotte du Thier des Falises". — Auch glaubt Stainier, daß nur
eine größere Wassermenge, wie er für die Diluvialzeit annimmt,
imstande sei, die ursprünglichen Klüfte zu erweitern, und daß, wenn
die Wassermenge sich verringert, die Höhlen mit Schlamm zuge-
schmiert werden. — Selbstverständlich wird die Größe der Wasser-
führung im Prozeß der Höhlenbildung eine große Rolle spielen;
viel wichtiger aber ist der oben angegebene Faktor der Tal-
vertiefung.

1 ) X. Stainier. De la formation des cavernes. (Bull. Soc. belge de géol.
T. XI, p. 251, 1897.)

") A. Flamache. Sur la formation des Grottes et des vallées souter-
raines. (Bull. Soc. belge de géol. T. IX. p. 355, 1895.)

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Sechstes Kapitel.

Trockentäler im Kalke.

Infolge des Wasserverlustes durch die Ponore kann bei Nieder-
wasser das Flußbett trockengelegt werden. Bei einigen Flüssen,
wie bei der Lomme vor der Betonierung, geschieht es nur im
Sommer auf kleinere Laufstrecken; bei anderen aber liegt der
Grundwasserspiegel so tief, daß nur bei starkem Anschwellen
des Wassers das Trockental wieder mit Wasser gefüllt wird.
Noch andere Täler, welche in Kalkgebieten weit verbreitet sind,
liegen das ganze Jahr hindurch ohne Wasser, und hier muß
man wieder die in ihrer ganzen Länge trockenliegenden Täler
unterscheiden von denen, welche in ihren oberen Partien noch Wasser
führen, das aber auch beim Anschwellen von den Ponoren völlig
verschluckt wird. Natürlich kann jedoch nach starken Regen-
güssen das von den Talwänden herabgespülte Wasser zeitweise
ein kleines Rinnsal im Trockental bilden.

Das Niveau der völlig trockenliegenden Täler wird so hoch
über dem Grundwasserspiegel liegen, daß es selbst von den stärksten
Karstwasserschwankungen nicht erreicht wird. Bei den kleineren
Seitenflüssen wird dieses Phänomen am ersten auftreten, da die
das Grundwasserniveau regulierenden Hauptflüsse tiefer und
schneller einschneiden können als die Nebenflüsse.

Ein sehr schönes Beispiel eines in seinem Unterlaufe trocken-
gelegten Flusses bildet der „Ruisseau d\'E n f a u 1 e", dessen Tal
ungefähr gegenüber dem „Gouffre de Belvaux" in das Lessetal
mündet. Etwas östlich der Landstraße nach Wavreille befinden sich
in diesem Trockental mehrere Talwegponore, sehr charakteristische
Flußschwinden, welche beim Ansteigen des Flusses nacheinander
in Wirkung treten und den Bach völlig aufschlucken, so daß
unterhalb der Ponore die Talsohle von üppigen Wiesen einge-
nommen wird. \') Am linken Ufer befindet sich die für die Wasser-
versorgung von Han-sur-Lesse z. T. gefaßte Quelle: „Fontaine
St. Martin" (Tafel III, Punkt 6).

Die Wiesen der Trockentäler werden hier nicht für Viehzucht benutzt.
(Es gibt überhaupt wenig Vieh in dieser Gegend.) Im „Fonds d\'Enfaule,"
wie auch in der Chavée wechseln die Wiesen an einigen Stellen mit Acker-
land ab.

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Talabwärts des „Gouffre de Belvaux" öffnen sich in der
rechten Talwand der Chavée noch zwei Trockentäler, in welchen
Pfade zum Plateau ansteigen. Das erste mündet mit einer vom Wege
durchschnittenen Terrasse in ± 10 m relativer Höhe in der Chavée.
In bezug auf dieses Trockental ist die Chavée also übertieft,
das obere Talstück liegt im Givetienkalke, das untere im Frasnien-
schiefer. — In der Hinterwand der Chavée öffnet sich das zweite,
stark geneigte, ganz im Kalke gelegene Trockental.

Golette de Lorette. In der Nähe der „Entrée de la
Grotte de Rochefort" und der „Chapelle de Lorette" führt aus
dem Lommetal in südlicher Richtung ein Trockental zu einem
„Seuil" in 220 m Meereshöhe (also ± 45 m über dem heutigen
Lommeniveau). Diese sogen. „Golette de Lorette" steigt an der
Westseite des „Seuils" wieder zu der Hauptstraße von Rochefort
herab. Dieser „Seuil" trennt die ältere Mittelterrasse von einer
nur einige Meter höher als der „Seuil" gelegenen Kuppe, v. d.
Broeck nimmt an, daß dieser „Seuil" für die im 220 m-Niveau
strömende Lomme einen engen Durchgang dargestellt hat.
Mir scheint aber diese Kuppe ein im Anfangsstadium ihrer
Entwicklung zu einem Umlaufberg stehengebliebener Mäander-
sporn zu sein.

Fond des Veaux. Das schönste Trockental der Um-
gebung von Rochefort stellt der „Fond des Veaux" dar. Er ver-
läuft ungefähr in der Längsrichtung des „Plateau de Gerny" und
bildet die größte Einsenkung desselben. Nach dem Lommetal
zu ist er stark eingeschnitten und zeigt an einzelnen Stellen
stark geneigte, nackte Felswände. Dieses Tal ist also in einem
jüngeren Stadium des Zyklus, als in welchem die Gerny-Ober-
fläche sich ausbildete, eingeschnitten worden. In der Talsohle
des „Fond des Veaux" ist wieder eine 1 bis 2 m tiefe Rinne ein-
geschnitten, welche bei der Vereinigung der zwei Ursprungtäler
aufhört. Das rechte Ursprungtal mündet auf dieser alten Tal-
sohle und war also schon trockengelegt, ehe die Rinne von der
Erosion gegraben wurde. Wahrscheinlich ist gerade an dieser
Stelle das Wasser der Rinne in einem jetzt von der Vegetation
verhüllten Talwegponor verschwunden, denn die mit Gebüsch
bewachsene Rinne hört hier auf und ist auch talabwärts nicht
mehr zu verfolgen. Nocli ein eigentümliches Phänomen tritt
hier an der sanft geneigten, terrassenähnlichen, linken Talwand

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auf. In ungefähr 7 m über der Talsohle befindet sich hier ein
Aiguigeois, 7 bis 8 m tief, mit senkrechten Wänden, an dessen
Westseite in sehr geringer Entfernung eine Reihe kleinere
Aiguigeois von geringerer Tiefe liegen. Einige stehen durch
eine schmale, sich nach oben verengende Klamm miteinander
in Verbindung. — Etwas talabwärts des „Four ä chaux" öffnet
sich am linken Ufer des „Fond des Veaux" ein schöner Geliänge-
ponor: das „Trou Coblet". 3 bis 4 m über der Talsohle befindet
sich ein Fußpfad, der durch eine niedrige Öffnung in eine
ziemlich große, absteigende Höhle führt: das „Trou Coblet". Die
Arbeiter des benachbarten Steinbruches hatten aus dieser Höhle
und von dem Fußpfade, der früher den Talweg für die sich in
den Ponor stürzenden Flußwasser darstellte, eine große Menge
Sand fortgeschafft. Dieser Sand hatte den Pfad und die Höhle
völlig ausgefüllt und muß vom Flußwasser hereingeschwemmt
worden sein.

Schlußbemerkuiigen.

Die Ardennen sind eine gehobene Fastebene, deren Entwick-
lung im heutigen Zyklus das Stadium der Jungreife erreicht hat.

Das Maastal ist antezedent in bezug auf die Aufwölbung
der Ardennenfastebene.

Entlang der Maas sind vier durchlaufende Terrassen nach-
zuweisen: die Argonnenmaasterrasse, die Hauptterrasse, die
Mittelterrasse und die Niederterrasse. Neben den drei letztge-
nannten kommt längs der Lesse, Lomme und Wamme noch
eine ältere Mittelterrasse vor.

Wahrscheinlich sind die Argonnenmaasterrasse und die
Hauptterrasse durch die Aufwölbung der Ardennen mitverbogen.

Im belgischen Karst besteht für die einzelnen Gebiete ein
zusammenhängender Grundwasserspiegel.

Die sogenannten Höhlenflüsse strömen im Grundwasser-
niveau.

Ihrem Entwicklungsstadium gemäß, müssen sie entweder
als Karstwasseradern oder als unterirdische Flüsse betrachtet
werden.

Höhlenbildung kann nur b^ wenige Meter unter dem
Grundwasserspiegel stattfinden. Die Tiefe, bis zu welcher der den

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Grundwasserstand in einer Höhle regulierende Fluß sein Bett
eingetieft hat, ist also eine untere Grenze für die Vertiefung
der betreffenden Höhle.

Die Ursache der vertikalen Höhlenbildung im belgischen
Karst ist in der Aufwölbung des francogallischen Gebirgsblocks
zu suchen, denn dadurch vertieften die Flüsse ihre Täler und
senkten damit den Grundwasserstand. Die Ruhepausen in der
Hebung führten zur Terrassenaufschüttung und zur Bildung der
horizontalen Höhlengänge.

Die räumliche Beschränkung des Karstphänomens in den
belgischen Ardennen hat zur Folge, daß die Entwicklung der
allochthonen Flüsse der Landschaft den Stempel aufgedrückt hat
und diese nicht zur reinen Korrosionslandschaft geworden ist.
Die auf die Korrosionsdoline begründete Beurteilung des Zyklus
im Karst, wie sie Grund1) gibt, ist in diesem Gebiet, wo, wie in
den meisten bedeckten Karsten, da§ Vorkommen der Korrosions-
doline ein beschränktes ist, nicht anwendbar. Die Entwicklung
der Höhlen oder die Art und Weise, wie die unterirdische Ent-
wässerung sich vollzieht, ist an den verschiedenen Stellen ver-
schieden weit vorgeschritten und kann daher hier nicht als Leit-
form für die Altersbestimmung eines allgemeinen Karstzyklus
verwandt werden.

*) A. Grund: Der geographische Zyklus im Karst. (Z. Ges. f. Erdk.
Berlin 1914. S. 621 u. ff.)

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Es sei mir gestattet, auch an dieser Stelle meinem hoch-
verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. K. Oestreich, für die Anre-
gung zu dieser Arbeit und die mir bei der Ausführung derselben
allezeit gewährte freundliche Unterstützung meinen herzlichsten
Dank auszusprechen.

Die Figuren 6, 7, 14, 17, 18, 19 und 20 wurden nach
Originalskizzen der Verfasserin von Herrn A. van der Zweep,
Zeichner am Geographischen Institut der Reichsuniversität zu
Utrecht, der auch Fig. 27 angefertigt hat, gezeichnet.

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Verzeichnis der Figuren und Tafeln.

Maas und Oise in ihrem heutigen Verhältnis.....

Schema der Talbildung durch Epigenese......

I. Schcmatischer Durchschnitt durch die Ardennenhalbinse

zur Eozänzeit...............

II. Schematischer Durchschnitt durch die Ardennen zur
Miozänzeit................

Seite
10
11

Figur 1.

Das Ardennen-Flußsystem auf der n 2<>n Fastebene nach der

Hebung .................

Das Plateau de Gerny und das Ablenkungsknic der Wammt

bei Hargimont...............

Die Terrassen beim Zusammenfluß der Lesse und Maas bei

Anseremme................

Vcrbiegung der Hauptterrasse des Rheins......

Verbiegung der Moldau-Elbe Terrassen zwischen Prag und

dem böhmischen Mittelgebirge..........

Die Maasterrassen zwischen Lustin und Engis ....
Anzapfung eines höliergclegenen Flußes durch einen tiefer

gelegenen................

Schematischer Querschnitt durch das Plateau de Gerny .

Das Lommetal und die Terrasse von Beauregard oberhalb

Rochefort.................

Der Kampf um die Wasserscheide zwischen Ourthe und Lesse

bei Marche................

Geologische Skizze der Umgebung der Chavöc ....
Zusammenfluß der Lesse und Lomme in der Denudations

niederung von Iilprave und Villers sur Lesse ....
Die Kuppen und Schwellen im Lommetal bei Eprave . .

Der Umlaufberg Rond-Tienne im Lommetal.....

Die Talweitung der Lesse in den Frasnienscliiefern von Belvaux
Der „unterirdische Fluß1\' in der Nähe des „Trou du Nou
Molin" nach v. d. Broeck............

105

......................113

4.

5.

6.

7.

8.
9.

10.
11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.
21.

22.

23.

24.

Die hydrologischen Verhältnisse bei Furfooz......115

127

Schematischer Durchschnitt durch das Trou Lorette

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Seite

Figur 25. Schematisches Profil durch die Dolinen und die Grotte des

„Thier des Falises"..............129

„ 26.......................138

„ 27. Der verlassene Lessemäander „la Chavöe".......143

„ 28.......................149

Tafel I. Längsprofil der Maas mit Eintragung der Terrassenprofile.

„ II. Übersichtskarte der in der Arbeit erwähnten Flüsse und Ortschaften.

„ III. Geologisches Übersichtskärtchen der Gegend Rochefort-Han-sur-Lesse.

,, IV. Grundriß der Höhlen von Han-sur-Lesse.

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Inhaltsangabe.

Erster Teil.
Die Genesis des Ardennen-Flußsystema.

Seite

Einleitung............................................5

I. Bisherige Theorien.

1. Die Theorie von J. Cornet..........................6

2. Theorien über die Entstehung des Durchbruchtales der Maas . 8

3. Die Theorie von A. Briquet . ............13

4. Die Theorie von Yidal de la Blache..........15

5. Bekämpfung der epigenetischen Erklärung für das Maastal . . 16
II. Aufbau einer Theorie.

6. Die früheren Zyklen in der Entwicklung der Ardennenfliisse . 18

7. Der heutige Zyklus. Charakter der Ardennen: eine gehobene Fast-

ebene ....................25

8. Anpassung...................30

9. Die Terrassen..................31

Allgemeines S. 31, Terrasse der Argonnenraaas S. 32, die
Hauptterrasse S. 38, die Mittelterrasse S. 39, die Niederterrasse
S. 40, Terrassenvorkommen längs der Maas S. 41, Yerbiegung

der Terrassen S. 41.

10. Die Dekadenz der Maas..............44

11. Die Stainiersche Abhandlung über die Maasterrassen .... 46

12. Die Theorie von Dollfus..............50

13. Die Ourthe und die Luxemburgischen Flüsse.......52

14. Die Terrassen entlang der Lesse und ihrer Nebenflüsse ... 53

Allgemeines S. 53, Terrassenvorkommen S. 56/57.

15. Das Plateau de Gerny...............58

16. Die Talstrecke Rochefort, Éprave, Ilan-sur-Lesse.....62

17. Die Theorie von Ch. Stevens über die Hydrographie des Lesse-

gebietes ....................68

18. Das Stadium des heutigen Ardennen-Zyklus.......69

Zweiter Teil.

Die Karstprobleme in den belgischen Ardennen

(besonders in der Umgebung von Han-sur-Lesse und Rochefort).
III. Die unterirdische Hydrographie dos belgischen Karstes.

19. Kurze Übersicht über die wichtigsten allgemeinen Theorien der

Karsthydrographie..............

20. Geologische Einleitung..............74

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Seite

21. Die Hydrologie der Höhle von Han-sur-Lesse......75

Orientierung S. 75, Niveaumessungen der Wasserpunkte S. 76,
Temperaturmessungen S. 81, Färbungsversuche S. 85, Schluß-
folgerungen S. 88, Zusammenlassung der Resultate S. 97, Be-
stimmung der Mengen gelöster Substanz in Wasserproben S. 97.

22. Die Hydrologie der Höhlen von Rochefort........102

23. Hydrologische Beobachtungen in der Umgebung von Rochefort 105

24. Einige Erörterungen über die Hydrologie anderer belgischer

Karstgebiete................108

25. Schlußfolgerungen................110

26. Die Hydrologie der Umgebung von Furfooz.......114

,,Le chantoir des Nutons S. 114, „Le Puits des Veaux" S. 115,
„Chantoir et Galerie des Sources" S. 116, „Le Trou de la Loutre"
S. 116, „Fluß-oder Grundwassercharakter der Wasserpunkte",
S. 116, „Le Trou-qui-fume" S. 120.
IV. Dolinen.

27. Die Entstehung der Dolinen............121

Theorien S. 121, Korrosionsdolinen S. 124, Einsturzdolinen
S. 125, Schlundlöcher (Aiguigeois) S. 125.

28. Die Dolinen der Umgebung von Rochefort und Han-sur-Lesse 127

Die Dolinen des „Plateau de Beauregard" S. 127, La Mon-
tagne du Thier des Falises S. 128, Le Trou de la laide Fosse
S. 130, Trou Madame S. 131, Trou Sinsin S. 132, Trou Picot
S. 133, Randdoline S. 133.

29. Einteilung der Dolinen..............134

V. Die Genesis der Höhlen von Rochefort und Han-snr-Lcsse.

30. Höhlenbildung im allgemeinen...... .....135

31. Die Höhlen von Rochefort.............137

Bildung der einzelnen Höhlengänge S. 137, Die v. d. Broecksche
Theorie S. 139.

32. Die Höhlen von Han-sur-Lesse............141

Bildung der einzelnen Höhlengänge S. 142, Bildung der unter-
irdischen Lesse S. 144, Die „Chav6e" S. 148, Parallelismus der
Höhlenentwicklung und Talbilduug S. 150, Die Stainiersche
Theorie der Hühlenbildung S. 151.

VI. Trockentäler im Kalke...............162

Schlußbcnicrkungen..................154

Verzeichnis der Figuren und Tafeln.........157

Inhaltsangabe.................159

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STELLINGEN.

i.

Het is te betreuren, dat Forsytii in zijn werk
»A treatise on differential equations« bij het behan*
delen van de vergelijkingen van den vorm Mdx -j-
Ndy == 0 niet een meer systematische behandeling
gegeven heeft van de oplossingsmethode door middel
van den integreerenden factor.

II.

Het door Lobatto geleverde bewijs voor het
Theorema van d\'Alembert is onbevredigend.

Lohatto\'s Lessen over de Hoogere Algebra. 6>\' druk. § 6S.

III.

De verklaring van Keiliiack voor het ontstaan der
stuwmoreenen in Midden*Nederland is logischer dan
die in het werk »Niederlande« (Handb. Reg. Geol.

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Bd. I, 3, 1913, S. 60.) door Molengraaff en v. Wa<
terschoot v. D. Gracht gegeven wordt, maar zij
houdt niet zooals de theorie van
Huffnagel reke*
ning met den invloed van het preglaciale bodemrelief.

K. Kuilhack. Das glaziale Diluvium der mittleren Nieders
lande. (Jahrb. K. P
reuss. Geol. Landesanst. 1915. Bd. XXXVI
T. I.)

P. Huffnagel. Kindraoraines in CentraabNcderland. (Handel,
v, h. XVde Ned. Nat. cn Gen. Congres blz. 483 e.v.)

IV.

Het verschil in opvatting tusschen van Baren,"

r e •

die sommige gedeelten der Veluwe als »hoogterras«
(hoofdterras) aanduidt, en
Keilhack, welke deze
gedeelten als eindmoreenen verklaart, is niet zoo
groot als uit de uitspraak van
Keilhack, dat »in
Nederland ten Noorden van den Rijn het hoofd»«
terras geheel ontbreekt«, zou volgen.

J. van Baren: De morphologische bouw van het diluvium
ten W. v. d. IJsel. (Tijdschr. Kon. Ned. Aardr. Gen. 2« Scr.
dl. XXIV, 1907, blz. 129-166.)

K. Kuilhack: Das glaziale Diluvium u. s. w. S. 473 u. 491.

V.

De toepassing der kansrekening is niet mogelijk,
wanneer psychische factoren op het verloop van een
verschijnsel invloed uitoefenen.

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De golfbewegingstheorie van v. Helmiioltz is door
Baschin ten onrechte toegepast, om het ontstaan der
riviermeanders te verklaren.

O. Baschin : Die Entstehung der Fluszmaander. (L\'et. Mitteil.
1916. S. 16.)

VII.

!/>,; !,\'rtu ?ub(ui)mfh*t»iQ vjdii a^nurfoumtatJ :«WIJ»H^ .11

De ligging en de topographie van Antarctica kun*
nen wel de er heerschende lage zomertemperaturen,
niet het ontbreken van een duidelijk temperatuur*
minimum des winters verklaren.

VIII.

Er bestaan alsnog geen afdoende redenen, om aan
te nemen, dat het oudste Maasgrint in Zuid»Limburg
(Ubagsberg etc.) in het plioceen afgezet werd.

IX.

Voor de theorie van Wegener over het ontstaan
der continenten pleit, dat zij voor verschillende ver»
schijnselen een betere verklaring geeft dan tot nu toe
geschied is.

A. Wegener : Die Entstehung der Kontinente und Ozenne.
Braunschweig 1915.

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De gelijkluidende theorieën van Philipp en Koen
over de gletsjerbeweging steunen nog niet op een
voldoend feitenmateriaal.

J. P. Koch : Vorläufiger Bericht über die wichtigsten glazio;
logischen Beobachtungen auf der dänischen Forschungsreise quer
durch Nordgrönland 1912/13. (Zeitschr. f. Gletscherk. Bd. X. S. 1.)

H. PiiiLiri\': Untersuchungen über Gletschcrstruktur und Glct*
schcrbewegung. (Gcol. Rundschau 5. 1915. S. 234.)

XI.

/

Passarge beweert in zijn polemiek tegen Davis
ten onrechte, dat de benaming van de ontwikkelings*
stadia der oppervlaktevormen niet op den tijd ge*
grond mag worden.

S. Passarge : Physiologische Morphologie. (Mitt. Gcogr. Ges

; f. ■ \' . ■ \' \' \' : :
Hamburg. Bd. XXVI. S. 133 ff.)

XII.

In tegenstelling met de gebruikelijke, ook onlangs
nog door
Gravklius gehuldigde opvatting, dat bij
een negatieve strandverschuiving de riviererosie in het
betrokken gebied steeds versterkt wordt, moet opge*
merkt worden, dat er zich gevallen kunnen voordoen,
waarbij in tegendeel afzetting (accumulatie) plaats
vindt. ,

H. Gravelius: Fluszkundc. Berlin u Leipzig 1914. S. 57.

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TAFEL I

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Liingsprolll der Maas nach J. A. Pierrot (Bassin de la Meuse, Pl. 2, Gand 1891) mit eigener Eintragung der Terrassenprofile.

(Stark überhöht.)

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TAFEL H

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Geologisches Übersiclitskilrtchen der Gegend Roclicfort—Han-snr-Lessc.

(Nach der belgischen geologischen Karte mit eigenen Terrasseneintragungen.)

Terrassebegrenzung: ----------

Maßstab 1:40000.

TAFEL.HI

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