-ocr page 1- -ocr page 2-

m:-

-v\'r\' \'/ V
, ■ \' ■ 1

<ï • \'. \'\' î*\' \'If ^ \'

V-\\ .

\'/És]

rTTiiTTi\'i rrrfT m\'ian hmmu ri--------i •irr-\'in thIi\' i i ......• - -

-ocr page 3-

/A

-ocr page 4-

t

h-\'

-ocr page 5-

ANATOMIE

MENSCHLICHER EMBRYONEN

VON

WILHELM HIS.

m.

ZUß GESCHICHTE DEE OEGANE.

MIT 156 ABBILDUNGEN IM TEXT
UND ATLAS (TAFEL IX—XIV
u. I*.)

LEIPZIG,
VERLAG VON F. C.W.VOGEL.
1885.

-ocr page 6-

Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten.

Die Nachbildung der Figuren bedarf der Genehmigung
des Verlegers.

-ocr page 7-

Inlialtsverzeiclmiss.

Seite

Einleitung............................................^

Benütztes Material...................^

Allgemeine Gliederung des Eingeweiderolires.........12

Mundbucht, Vorderdarm, Mitteldarm und Hinterdarm......12

Profilconstruction des Eingeweiderobres ..... ^.....13

Frontalconstruction des Eingeweiderohres..........22

Der Mundrachenraum und seine Zugänge..........26

Allgemeine Gestaltung.................26

Der primitive Mund..................30

Der primitive Gaumen, die Bildung der äusseren Nase, der Oberlippe,

des Zwischenkiefers und der Vorgebilde des deßniliven Gaumens 33

Das Nasenfeld und die Bildung der Nasenliölile........45

Septum narium, seitlicher und mittlerer Stirnfortsatz......49

Die äusserliehe Entwickelung des Unterkiefers und der Inframaxil-

largegend....................56

Die Yorderirand des Mundrachenraumes und deren ümWIdung . . 60

Verhalten der Anfangsstufen...............60

Mesobranchiales Feld, Tuberculum impar und Furcula

Fundus branchialis und Sulcus arcuatus.....

Crista terminalis..............

Bildung der Zungenanlage, der mittleren Schilddrüsenanlage

Kehlkop feinganges............

Ueber die Herkunft der Zungenmusculatur.....

Sublingualplatte und Sublingualhöhle......

Die Innervation des Mundrachenraumes......

Deutung der Theile im ausgebildeten Mundrachenraum
Plica triangularis und Fossa supratonsillaris . . .

Die Kopfnerven und ilire Bezieliungen zu den Gliedern des Kopfes 86

Ueher die Herkunft der Kopfmusculatur...........91

üeher die Entstehung der Speicheldrüsen und der ersten Zalinanlage 94

... 60

... 62

... 64
und des

... 64

... 72

... 75

... 77

... 79

... 82

-ocr page 8-

Seite

Bildung der Sclillddrüsenanlag\'e .............97

Ductus thyreoglossus.................97

Ductus lingualis und Ductus thyreoideus..........100

Die primäre Anlage der Thymus.............103

Sinus praecervicalis.................106

Halskiemenfisteln..................108

Literarische Auseinandersetzung zu den vorangegangenen Abschnitten III

Die Bildungsg-escMelite des Halses................115

Das Herz......................129

Die Grundform des embryonalen Herzens..........129

Trennung der einzelnen Abtheilungen...........135

Bas Endothelrohr des Herzens..............141

Die zum Herzen hinführenden Gefässstämme, der Sinus und Saccus

reuniens und die Porta vestibuli............143

Die Area interposita, die Evstachi\'sehe Klappe und die Spina vestibuli 149

Per Ohrkanal und die Bildung der Ostia venosa.......152

Pas Septum aorticum.................160

Bie Verbindung der Scheidewände des Herzens........162

Pie Scheidung der beiden Vorhöfe............167

Bie Einmündung des Sinus coronarius und die Lungenvenen . . . 169
Muskel- und Bindegewebsantheü der Herzwand, Epicardium und

Faser ringe....................171

Bie Beziehungen des ausgebildeten Herzens zum embryonalen . . 173

Historische Notizen betreffend die Lehre von der Herzentwickelung 178

Die Aortenlbogen ...................185

Carotis externa und interna...............186

Aa. vertebrales und A. basilaris.............193

Eückbildung der Aorta descendens dextra..........194

Aorten enge und Aortenspindel..............196

Die Bildung der Aortenwand...............198

Ton der TmlbUdang der zum Herzen fahrenden grossen Venen-
stämme .....................200

Venae ompbalomesentericae und Lebervenen.........202

Venae umbilicales..................204

Vena ascendens oder V. Aeanzii.............206

Vena Portae....................206

Die Formentwickelung des äusseren Ohres .........211

Bauchstiel und NaTbelstrang...............222

Nachtrag zu Seite 80 ..................................227

Erklärung der Tafeln..................229

-ocr page 9-

EINLEITUNG.

Mit diesem dritten Heft hatte ich das seit mehreren Jahren
in Veröffentlichung befindliche Werk zu einem vorläufigen Abschluss
zu bringen gehofft. Indessen ist mir dies nicht möglich gewesen,
und ich muss mich diesmal damit begnügen, statt einer vollen
Organgeschichte nur Theile einer solchen zu geben. Die Fülle des
zu
verarbeitenden Stoffes ist eben eine ungemein grosse, und ein
jeder Theil verlangt, wenn seine Geschichte vom Anbeginn auf-
genommen und befriedigend durchgeführt werden soll, eine beson-
dere monographische, von vielen Abbildungen unterstützte Darstellung.
Die Menge der Zeichnungen, die sich allmählich in meinen Mappen
angehäuft haben, ist denn auch eine verzweifelt grosse geworden
und sie bereitet mir nachgerade mehr Sorgen, denn Freude, da es
mir immer schwieriger erscheint, derselben publicistisch Herr zu
werden und auch nur die wichtigeren der Figuren zur Eeproduction
zu bringen. So habe ich mich zur Herausgabe des Heftes in seiner
gegenwärtigen Form entschlossen, weil ich erwarten durfte, durch
Ordnung von einem Theil des Stoffes wieder Luft zur Bearbeitung
des noch übrigen zu gewinnen. Manche von den fehlenden Ab-
schnitten hoffe ich, falls mir die Kraft bleibt, in einem Schlussheft,
im Laufe der nächsten Jahre nachliefern zu können. Anderes mag
jüngeren Forschern vorbehalten bleiben.

Für die einzelnen System- und Organgeschichten bin ich in
erster Linie bestrebt gewesen, die grundlegenden Vorgänge
der Formentwickelung klar zu stellen; an diese können spätere,
auf das Detail gehende Untersuchungen leicht wieder anknüpfen.

His, Mensohl. Embryonen. HI. 1

-ocr page 10-

Daneben aber habe ich dem Ineinandergreifen der verschie-
denen Entwickelnngsvorgänge besondere Aufmerksamkeit gewidmet
und ich habe die räumhchen, die zeithchen und, soweit als möglich,
auch die causalen Beziehungen der einzelnen Organentwickelungen
zu einander nach Kräften zu verfolgen gesucht. Schon die That-
sache, dass innerhalb der jeweiligen Körpergrenzen der Raum von
den vorhandenen Theilen stets ausgefüllt bleibt, ergiebt mit Noth-
wendigkeit, dass die Formentwickelung der Theile durch deren wech-
selnde Nachbarbeziehungen wesentlich beeinflusst werden muss. Noch
bedeutsamer aber für das Ineinandergreifen ganzer Reihen von Ent-
wickelungsvorgängen erweisen sich jene Einflüsse, welche über grös-
sere Körperstrecken zugleich sich ausdehnen, die Zusammendrängung
oder die Streckung bestimmter Bezirke und vor allem jene Ver-
änderungen der Gesammtform, welche aus der Zusammenbiegung
und der Wiederaufrichtung der Körperaxe hervorgehen.

Wenn man die Ueberschriften der Capitel durchgeht, die in
diesem Heft vereinigt sind, so machen sie vielleicht den Eindruck
einer etwas bunten Reihe; auch bin ich in Verlegenheit gerathen,
als ich den mitgetheilten Stoff in grössere Capitel zusammenfassen
wollte. Man wird indessen gewahr werden, dass die behandelten
Fragen meistentheils untereinander verflochten sind. Wenn z. B.
mitten in die übrigen Abschnitte ein Capitel von den Kopfnerven
und dann wieder eins über die Bildung des Halses eingeschaltet
erscheinen, so sind diese eingeschobenen Capitel doch an ihrem Platze,
weil sie die zum Verständniss anderer Dinge nothwendigen Gesichts-
punkte eröffnen. Eine streng nach Systemen durchgeführte Behand-
lung der Körperentwickelung wird stets nur ein sehr lückenhaftes
Bild von dem Ineinandergreifen der Entwickelungsvorgänge ge-
währen und daher nicht im Stande sein, zu einem eingehenden
Verständniss der letzteren hinzuführen. Die meisten Abschnitte des
Heftes behandeln die Geschichte des Kopfes und Halses, indessen
ist weder diese Geschichte erschöpfend durchgeführt, noch sind andere
Abschnitte ausgelassen, und so wäre es vielleicht am richtigsten ge-
wesen, ich hätte das Heft mit der Aufschrift: „Aufsätze zur Ge-
schichte der Körperorgane" betitelt.

Einen selbständigen Abschnitt des Werkes bildet übrigens die
Erklärung der Tafeln, ich habe daselbst die Entwickelung der

-ocr page 11-

äusseren Körperform recapitulirt und das im zweiten Heft hierüber
Gesagte nach verschiedenen Richtungen hin ergänzt.

An einigen Stellen bin ich genöthigt gewesen, kleine anato-
mische Excurse einzuschieben, so bei der Zunge, bei der Tonsillen-
grube, beim Herzen und beim Aortenbogen. Es stellt sich nämlich
heraus, dass anatomische Eigenthümlichkeiten der Theile auch von
den allerausführlichsten Beschreibungen oftmals unbeachtet bleiben,
falls diese nicht von genetischen Gesichtspunkten aus entworfen sind.

Es bedarf wohl kaum der besonderen Erwähnung, dass nummem-
reiche Schnittreihen auch diesmal die Basis meiner Arbeit bilden.
Laut der unten mitgetheilten Tabelle sind es zwischen 4 — 5000
Schnitte, die mehr oder minder sorgfältig durchgearbeitet werden
mussten. In den Tafeln XI und XII, die schon vor mehreren
Jahren lithographirt worden sind, habe ich für einige der jüngeren
Embrj^onen (Lg, BB, Lr und R) zusammenhängende Schnittreihen
reproducirt. Im Uebrigen bin ich aus naheliegenden Gründen vom
System einer Massendarstellung von Schnittbildern zurückgekommen
und ich habe mich für die späteren Stufen auf die Wiedergabe
einzelner Schnitte oder Schnittstücke beschränkt. Dafür aber habe
ich mich um so mehr bemüht, möglichst durchgearbeitete Recon-
structionsbilder der verschiedenen Stufen herzustellen.

Die von mir angewandte constructive Methode ist, wie ich ja
nicht verhehlen will, eine recht mühsame und umständUche. Schon
auf den jüngsten Stufen verlangt ein einziger Embryo zu seiner Be-
wältigung eine Wochen, selbst Monate dauernde, unausgesetzte Arbeit,
und die zur Durcharbeitung der Schnitte eines Embryo von 5 bis
6 Wochen nöthige Zeit lässt sich nur nach Jahren bemessen. Dabei
schliesst die Methode das Vorkommen von Zweifeln oder Fehlern
im Einzelnen nicht unbedingt aus, denn es spitzt sich zuweilen
eine Entscheidung auf einen oder auf wenige Schnitte zusammen,
■welche durch irgend einen Zufall ein unklares Ergebniss liefern.
Indem aber ein jedes Ergebniss durch alle übrigen controllirt wird,
ist die wachsende Garantie geboten, für die schliesshche Elimini-
rung aller Zweifel und Fehler. Vor allem giebt die Methode jene
Klarheit und Sicherheit räumhcher Anschauung, ohne welche eine
Anatomie des Embryo ebensowenig, als eine solche des Erwachsenen
denkbar ist. Es ist meines Erachtens dringend an der Zeit, dass

1*

-ocr page 12-

die embryologisclie Literatur von dem geistlosen System ausscUiess-
licher Sehnittbeschreibungen sich endgültig frei macht und wieder
zur Betrachtung der Gesammtform zurückkehrt. So bequem jenes
System für den Autor sein mag, so unerträglich ist es für den
Leser, so wenig ausreichend für eine Wissenschaft der Form. Auf
welch traurigem Standpunkte müsste z. B. noch heute die Anatomie
des Menschen stehen und wie mühsam wäre deren Studium und
Vortrag, wären wir darauf angewiesen, anstatt der Formbeschrei-
bungen des Körpers und seiner Organe nur Beschreibungen von
Durchschnittsbildern zu geben. Mag die Kenntniss der Durch-
schnittsbilder allenfalls genügen zur Beurtheilung von Fomen aller-
einfachster Art, wie etwa einer Kugel oder eines Cylinders, so kann
sie doch schon bei sehr massiger Abweichung von rein geometrischer
Gestaltung nicht mehr ausreichen. So würden wir uns schon von
der Gesammtform einer Extremität aus der blossen Schnittbetraxjh-
tung nur grob annähernde Vorstellungen zu bilden vermögen. Allen
verwickelten Formen gegenüber erweist sich jene als höchst unzu-
reichend, wo nicht geradezu als irreführend. Noch heute, nach viel-
jähriger Beschäftigung mit embryonalen Schnitten und mit deren
Wiederaufbau, wage ich es nicht, mir aus der Schnittbetrachtung
allein eine Gesammtvorstellung von der wirklichen Form zu machen
und bei jeder neuen Construction erfahre ich wieder die eine oder
die andere unerwartete Ueberraschung. Die Formableitungen, die
man sich beim Durchmustern von Schnittreihen im Kopf zurecht-
zulegen pflegt, erweisen sich eben bei sorgfältiger Nachprüfung nur
allzu oft als unzureichend oder als hinfällig.

Nach meinem Dafürhalten sind sonach solche Arbeiten als
methodisch unvollkommen und damit als wissenschaftlich nicht be-
weiskräftig anzusehen, welche bei Feststellung complicirter anatomi-
scher Formen auf die blosse Schnittbetrachtung sich beschränken,
ohne auf deren Grund die exacte Eeproduction der Form zu unter-
nehmen. Es gilt dies nicht nur für das embryologische Gebiet,
sondern unter Anderem auch für das der nervösen Centraiorgane.
Auch hier wird die Forschung erstreben müssen, gute Integrations-
methoden einzuführen, soll sie anders dahin gelangen, wirklich an-
schauliche Bilder vom Verhalten der einzelnen Massencomplexe und
Faserbahnen zu schaff\'en. Uebrigens freue ich mich anzuerkennen.

-ocr page 13-

dass unter den jüngeren Forschern wenigstens Einzelne die Noth-
wendigkeit von Integrationsmethoden einsehen, und ich hegrüsse in
der Hinsicht insbesondere die Arbeiten von
Boen. Mit seiner ver-
vollkommneten Methode der Plattenmodellirung hat dieser Autor ein
sicherlich vielseitig brauchbares Forschungsmittel in Gang gebracht,
und holfentlich wird sein Beispiel gute Nachfolger finden.\')

Es ist wohl noch kaum an der Zeit zu untersuchen, ob über-
haupt und inwieweit
Born\'s Plattenmodellirung vor der Constructions-
methode den Vorzug verdient. Letztere wird, wie auch
Boen aner-
kennt, durch jene nicht überflüssig, und es scheint mir vorläufig,
dass für Eruirung feinerer Details und insbesondere auch für die
gleichzeitige Darstellung verschiedener, räumlich sich durchsetzender
Gebilde die Construction das ergiebigere Hülfsmittel ist. Da übrigens
eine Methode die andere nicht ausschliesst, so werden die beiden
voraussichtlich für manche Verhältnisse sich controllirend ergänzen.

1) Bei meinen Arbeiten über die Entwickelung des Hühnchens habe ich
vor Jahren die Herstellung der Formen durch Zusammenfügung ausgeschnit-
tener Wachsplatten auch versucht und damals verschiedentlichen Nutzen aus
der Methode gezogen. Indessen bin ich doch bald zu der durch den Tasterzirkel
controllirten freien Modellirung übergegangen, bei welcher übrigens in jedem
Falle gewisse Hauptprofile als Ausgangspunkt des Modellaufbaues genommen
worden sind. Durch die jetzige vollkommenere Schnitttechnik und durch
Bohn\'s
Einführung von Wachstafeln gegebener Dicke hat die synthetische Modellir-
methode an Vorzügen jedenfalls sehr gewonnen. Ich habe nach
Boen\'s Angaben
einige Modelle herzustellen gesucht, möchte aber nach meinen Erfahrungen doch
hervorheben, dass
Boen zu weit geht, wenn er glaubt, seine Methode müsse
auch in den Händen Ungeübter sichere Resultate geben.
Boen unterschätzt,
wie dies gewandten Künstlern oft geschieht, die eigene .Geschicklichkeit und
Erfahrung. Die Schwierigkeit liegt bei der
BoEN\'schen Methode darin, dass
ein Nachmodelliren der aufeinandergeschichteten Wachstafeln nicht zu ver-
meiden ist. Sowie man aber an dem weichen Materiale modellirt, verlieren
die ausgeschnittenen Scheiben ihre Bedeutung als maassgebende Originalien,
und man muss eben wieder auf Zirkelmessungen und auf die übrigen Hülfs-
mittel der freien Modellirung zurückgreifen. Ein zuverlässigeres Material liefert
in der Hinsicht die Holzpappe, die man im Handel in jeder gewünschten Dicke
beziehen und mittels der Laubsäge beliebig fein ausschneiden kann. Aus
diesem Material bestehen z. B. die schönen geologischen Modelle, welche auf
I\'i\'of. Hbim\'s Anregung von verschiedenen seiner Schüler hergestellt und durch
die Firma J.
Wuestee & Cie. in Zürich in den Handel gebracht sind. Solche
Tappmodelle von embryonalen Organen habe ich mir auch herzustellen ver-
sucht, und ich habe ihnen keinen anderen Vorwurf zu machen, als dass das
Aussägen der Scheiben sehr zeitraubend ist. Dem kann allenfalls durch Zu-
hülfenahme eines Technikers abgeholfen werden.

-ocr page 14-

In Betreff der Abbildungen habe ich mich zwei völhg verschie-
denartigen Anforderungen gegenübergestellt gesehen: einestheils ver-
langen die zarten Formen des embryonalen Leibes eine Wiedergabe
von möglichst vollendeter künstlerischer Ausführung, anderntheils
aber besteht das Bedürfniss nach recht zahlreichen und wissenschaft-
lich übersichtlichen Figuren. Absolut genommen schliessen sich die
beiden Forderungen nicht aus, aber in der Praxis stösst ihre Ver-
einigung auf viele Schwierigkeiten. Ich habe mir dadurch zu helfen
gesucht, dass ich den Doppelweg von Tafeln und von Textfiguren
eingeschlagen habe. Für die Tafeln IX, X, XIII, XIV habe ich
meine älteren Zeichnungen unzerlegter Embryonen durch einen sehr
sorgfältigen Künstler Herrn
Pausch umzeichnen lassen, und in-
dem dabei die Präparate, oder wofern diese nicht mehr vorhanden
waren, deren Photographien auf das gewissenhafteste und unter ein-
gehender Discussion jeder Einzelheit benutzt worden sind, dürfen
die Umzeichnungen den Werth selbständiger und dabei sehr ver-
besserter Originalien beanspruchen. Herr
Pausch hat dann unter
meinen Augen die Zeichnungen auf den Stein übertragen und ich
hoffe, dass die Tafeln nunmehr auch strengen Anforderungen ge-
nügen werden. Je mehr man sich übrigens in diese Dinge hinein-
arbeitet, um so strenger werden die Anforderungen, und so habe
ich von den schon im Jahre 1881 lithographirten Tafeln die eine
(die nunmehrige Tafel XII) zur Hälfte, eine andere ganz wegschleifen
lassen, ebenso haben mich die IJnvollkommenheiten meiner älteren
Tafel I veranlasst, diese frisch lithograßhiren zu lassen.

Was die Textfiguren betrifft, so machen die wenigsten der-
selben künstlerische Ansprüche, und man wird unschwer erkennen,
dass ich mancherlei Versuche gemacht habe, die geeignetsten Wege
der Reproduction ausfindig zu machen, indem sich im vorhegenden
Hefte mit einigen Holzschnitten Zinkographien von verschiedenster
Form und Ausführungsweise vereinigt finden.

Der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften habe ich an dieser Stelle besonderen Dank dafür aus-
zusprechen, dass sie mir die Anstellung des Herrn
Pausch während
einer längeren Frist bewilligt hat.

-ocr page 15-

Benutztes Material.

Meine ersten systematisch durchgeführten mikrotomischen Zer-
legungen ganzer menschlicher Embryonen datiren ungefähr bis zum
Jahre 1876 zurück. Die Kunst, ganze Embryonen zu mikrotomiren,
war nun aber zu jener Zeit noch nicht entfernt auf der Stufe, die
sie in den letzteren Jahren erreicht hat. Meine älteren Reihen
sind zum Theil auf 0.25 oder 0.2, zum Theil auf 0.1 mm Schnitt-
dicke angelegt. Letzteres Maass hatte ich insbesondere als Norm
für die im ersten Hefte behandelten Embryonen angenommen. Seit-
dem bin ich zu den
ALTMANN\'schen Mikrotomirmethoden und mit
deren Hülfe zu Schnittdicken von 0.025 und 0.02 mm übergegangen.
Noch weiter herunter zu gehen ist für anatomische Zwecke vorläufig
kaum von Nutzen. Der durch die feineren Schnitte gewonnene
Vortheil liegt nicht allein auf Seiten des viel ergiebigeren histologi-
schen Studiums der Schnitte, sondern auch darin, dass dabei eine
viel präcisere topographische Reconstraction möghch wird. Dabei
muss allerdings für den Vortheil ein sehr schwerer Nachtheil in
den Kauf genommen werden. Bei der jetzigen Methode der Paraffin-
imprägnation schrumpfen nämhch die Embryonen um wenigstens
10-—15 Proc. ihrer verschiedenen Durchmesser ein und man kann
daher nicht mehr, wie bei den älteren Methoden, die absoluten
Maasse der Reconstructionsbilder mit denen des intacten Embryo
m Uebereinstimmung bringen. Glückhcherweise scheint die Za-
sammenziehung der mit Paraffin durchtränkten Präparate eine ziem-
lich gleichmässige zu sein, denn die Schnitte pflegen keinerlei Ver-
schiebungen zu zeigen, welche man auf Rechnung einer ungieich-
niässigen Schrumpfung setzen könnte. Auch habe ich gefunden.

-ocr page 16-

dass Constructionsbilder, welche auf das Maass der directen Zeich-
nungen zurückvergrössert worden sind, mit diesen sich meistens in
erfreulicher IJebereinstimmung befunden haben.

In Betreff der günstigsten Schnittrichtung ist es kaum möglich,
beim gleichen Embryo allen Wünschen gerecht zu werden. Bei
manchen meiner Präparate habe ich Kopf und Rumpf nach ver-
schiedenen Richtungen zerlegt, es hat dies unter Umständen gewisse
Vortheile besonders bei Embryonen, deren Kopf in Wiederaufrich-
tung begriffen ist. Am zweckmässigsten wird in solchen Fällen der
Rumpf von unten herauf senkrecht zu seiner Längsaxe geschnitten;
ist man an der Kopfgrenze angelangt, wird das Object im Mikrotom
in die für den Kopf gewünschte Schnittrichtung gedreht. Dabei
giebt die Trennungsfläche eine sehr präcise Reconstructionsbasis für
den Kopf, die oft um so erwünschter ist, als die äussere Gehirn-
contour nicht immer einen für die Messung brauchbaren Ausgangs-
punkt liefert.

Ich gebe unten eine tabellarische Aufzählung der von mir
mikrotomirten Embryonen und verweise in Betreff ihrer äusseren
Gestaltung auf das zweite Heft und auf die Erklärung der Tafeln
IX, X, XIII und XIV. Die fett gedruckten Nummern habe ich con-
structiv durchgearbeitet. Von den Censuren vorzüglich und gut in

Tabelle der mikrotomirten normalen Embryonen.

Bezeichnung

CG

® o

Ii

in mm

Schnitt-
richtung

Schnittdicke
in mm

CS

PI M

3 S

\'S -

Sonstige
Bemerkungen

[

Jüngere Stadien vor Eintritt der Nackenbeuge.

LXVIII (Lg)

2.15

quer

0.02

150

vorztlglich

C (Kf)

0.02

80

V (I)

2.4

=

0.066

34

gut

incl. Stiel

IV iM)

2.6

s

0.1 u. 0.066

24

LVI (BB)

3.2

0.02

190

Ä

LVII ,Lr)

4,2

0.025

200

incl. Stiel

-ocr page 17-

Benütztes Material.

9

s o

1

u

«I

1

\'S J

Bezeichnung

II

in mm

Schuitt-
richtung

Schnittdicke
in mm

pj m

S

1 §
-a

s

Sonstige
Bemerkungen

Embryonen nach Eintritt der Nackenbeuge.

Embryonen von 4—

6 mm.

• ■ (BI)

4.25

quer

0.02

245

vorzüglich

III («)

4

s

0.1

27

-

LVII (K)

5

=

0.05 u. 0.025

192

=

Kopf getrennt

(W)

5

frontal

0.02

75

Kopf allein

Embryonen von 7—

8 mm.

LXI (Eck 1)

7

quer

0.025

146

gut

niit. Ende nicht
geschnitten

I (B)

7

SS

0.1

59

vorzüglich

II (A)

7.5

=s

0.1

116

s:

Kopf getrennt

Embryonen von 8—

11 mm.

LXII (Eck 2J

8.5

quer

0.025

272

XVII

8.5

0.1

74

gut

XXXIX (Bge)

9

sagittal

0.3

28

(Pr)

10

quer

0.02

370

gut

Embryonen von 11—

-13 mm.

XXIX (Brl)

11

quer

0.1

58

hat im Einguss durch zu

starke Schrumpf, gelitten

LXXIV (Rg)

11.5

s

0.025

360

gut

XXXV (Sl)

12,5

SS

0.1

126

S3

XIX (x)

12.8

frontal

0.2

50

SS

a)

quere

0.2

80

Kopf fehlt

sagittal

0.25

12

weich

(i)

SS

0.25

36

--

Embryonen von IS-

-15 mm.

XLV (Br2)

13.6

quer

0.2

39

vorzüglich

XLVI (Sch 2)

13.8

0.02

762

Kopf separat

Embryonen von 15—

22 mm.

XXXVI (S 2)

15

quer

0.2

50

gut

XX (fi)

17

S!

0.2

60

(Lhs)

17

frontal

0.025

386

vorzüglich

Kopf allein

XXV (Q)

16.5

sagittal

0.3

7

■weich

. . (Zw)

quer

0.02

730

vorzüglich

xvi

22

0.2

155

-ocr page 18-

der 6. Colonne besagt die erstere, dass die Schnitte für histologi-
sches Detail sehr günstig waren, während die mit gut bezeichneten
Präparate den Bedingungen einer anatomischen Verwerthung genügt
haben. Zuerst leidet bei ungenügender Conservirung jeweilen das
Centralnervensystem; das Gehirn und das Rückenmark werden faltig
und mehr oder weniger unregelmässig verzerrt. Solche Präparate
können für die übrigen Organe noch völlig brauchbar sein. Unter
Umständen ist es sogar möglich, die allgemeine Form des Gehirns
trotz faltiger Beschaffenheit seiner Wandungen mit genügender Sicher-
heit zu reconstruiren.

Ich habe gesucht, jedem einzelnen Stück möglichst viel ana-
tomisches Detail abzugewinnen, allein es ist klar, dass nicht an
jedem Stück Alles erreichbar sein kann, und dass sich die auf gleicher
Stufe stehenden theilweise ergänzen müssen. Besonders günstig
hat es sich gefügt, dass mir seit Erscheinen des ersten Heftes
mehrere sehr junge Embryonen übergeben worden sind (Lg, Rf, BB,
Lr, R, B1 und Pr). Sie haben mir erlaubt, die früher gewonnenen
Grundlagen erheblich zu erweitern und theilweise auch zu ver-
bessern. Auf einige in den älteren Tafeln enthaltene (insbesondere
den Embryo M betreffende) Fehler werde ich an geeigneten Stellen
des Textes zurückkommen.

Einige etwas weiche Stücke (ö, l und q) habe ich behufs der
Skelettbearbeitung sagittal geschnitten, im Uebrigen aber fast aus-
schliesslich auf Querschnitte mich beschränkt. Die Reihen mikro-
tomirter pathologischer Formen, sowie einige unvollkommene Schnitt-
reihen sind von der umstehenden Tabelle ausgeschlossen worden.

Obige Tabelle enthält von neuen, in Heft II S. 7—10 noch
nicht aufgeführten Embryonen nur die Nummern Rf, Bl, Pr, Lhs
und Zw. Hiervon ist Rf auf Taf. IX Fig. 4 abgebildet. Das Präparat
war verletzt, als es in meine Hände kam; ich verdanke dasselbe der
Gefälligkeit von Herrn Dr.
Rolf, damals Assistenzarzt an der hie-
sigen gynäkologischen Klinik. Der Embryo Bl ist mir durch Herrn
Dr.
V. SuRY aus Basel zugesandt worden; er war stark zusammen-
gekrümmt, ähnlich Embryo a, aber etwas grösser als dieser. Embryo
Pr, Taf. XIII Fig. 4 abgebildet, stammt aus dem Uterus einer Sui-
cidirten; den Embryo Lhs hat mir Herr Dr.
Lohse dahier (siehe
Tafelerklärung) übergeben und Embryo Zw gehört einem Paar sehr

-ocr page 19-

wohlconservirter Zwillinge an, über deren Grösse und Gestaltver-
hältnisse Fig. 24 von Taf. X Aufschluss giebt. i)

1) Seitdem ich Obiges geschrieben habe, hat H. Fol die constructive
Bearbeitung eines menschlichen Embryo von 5.6 mm Nackenlänge veröffentlicht
(Revue médicale de la Suisse Romande 15. April 1884 und Recueil zool. Suisse
Bd. I. p. 357).
Fol\'s Embryo entspricht in Grösse und Form meinem Embryo R,
in Betreff dessen ich auf Tafel XII und XIII verweise.
Fol hält mir wieder-
holte Standreden über die ünzweckmässigkeit meiner dicken Schnitte, in-
dessen hätte er aus meinen im Jahre 1881 erschienenen Mittheilungen zur
Embryologie (Archiv f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1881. S. 421) entnehmen
können, dass ich seit dem Erscheinen meines ersten Heftes gleichfalls mit
der Technik fortgeschritten und zur Führung feinerer Schnitte gelangt war
und mit Hülfe solcher Constructionen vorgenommen hatte. Uebrigens sind
dicke Schnitte nicht unbedingt zu verwerfen, denn sie ergeben oft Gesammt-
anschauungen von Organbeziehungen, welche die aus dünnen Schnitten ge-
wonnenen Constructionsbilder in erwünschter Weise ergänzen.

-ocr page 20-

Allgemeine Gliederung des Eingeweiderohres.

Den Zugang zum Eingeweiderohr bildet die als ectodermaler
Blindsack angelegte Mundbucht. Durch das frühzeitige Schwin-
den der dünnen Eachenhaut öffnet sich die Mundbucht in das eigent-
liche, vom Endoderm ausgekleidete Eingeweiderohr, und für die
spätere Betrachtung erscheint eine Trennung um so weniger durch-
führbar, als weder eine anatomische noch eine histologische Spur
die durchgreifenden Grenzlinien beider Bildungen bezeichnet.\')

Seit Remak pflegt man das Eingeweiderohr in Vorderdarm,
Mitteldarm undHinterdarm zu gliedern. 2) Die Unterscheidung

1) Die Arcus palatoglossi, welche maiL als Grenze der IMundbucht her-
beizuziehen versucht hat, stehen, wie dies später noch ausgeführt werden
soll, in keinerlei Beziehung zu den Grenzen des primitiven Mundbucht-
gebietes.

2) Die oben genannten Ausdrücke sind nicht immer in gleichem Sinn
gebraucht worden. Die Bezeichnung „Vorderdarm" hatte
Remak etwas
enger gefasst, als jetzt üblich ist, da er seine „Kopfdarmhöhle" in „Schlund-
höhle und Vorderdarm" trennte. Jene umfasst das Gebiet der Schlundbogen
bez. das spätere Pharynxgebiet, dieser erstreckt sich über Oesophagus und
Magen bis ins Duodenum (Unters, über Entwickl. d. Wirbeith. S. 19 u. 49).

Köllikek gliedert in „Munddarm, Mitteldarm und Afterdarm", den Mittel-
darm wiederum in „Vorderdarm, Mitteldarm im engeren Sinne und in End-
darm". Zum „Vorderdarm" rechnet
Köllikek nur Pharynx und Oesophagus,
zum „Mitteldarm" Magen, Dünn- und Dickdarm, zum „Enddarm" das Rectum.
Mund- und Afterdarm sollen ectodermale Auskleidung besitzen und ersterer
bis zu den Arcus palatoglossi reichen (Entwickelungsgesch. 2. Aufl. S. 810 und
Grundriss. 2. Aufl. S. 341).

Für Remak war bei der Unterscheidung der drei Hauptabschnitte deren
ursprüngliches Verhältniss zu den beiden Darmpforten maassgebend gewesen,
wogegen
Kölliker Rücksicht auf das Vorhandensein eines Gekröses und
einer besonderen umgebenden Höhle genommen hat. Den
rsmak\'schen Ge-
sichtspunkt halte ich, embryologisch betrachtet, für durchgreifender.

-ocr page 21-

basirt auf dem Gegensatz der bereits geschlossenen Köhrenstücke
zu dem noch offenen Theil, und sie ist für die jüngeren Stufen
völlig zweckmässig. Bei der fortschreitenden Verschiebung der beiden
Darmpforten ändert sich indessen das Verhältniss der drei Abschnitte
zu einander, für das
fortgeschrittenere Rohr
sind die Bezeichnungen

von unerheblichem
Werth und sie werden
besser durch die blei-
benden Namen ersetzt.
Will man indessen auch
da noch den Vorder-
darm vom Mitteldarm
trennen, so halte ich
Remak\'s Auffassung für
die berechtigte, wonach
Pankreas und Leberan-
lage dem Vorderdarm
zugetheilt werden. Eine
bestimmte Grenze des
Hinterdarms ist schwer
zu bezeichnen.

Um die fortschrei-
tende Gliederung des
Eingeweiderohres über-
sichtlich darzustellen,
gebe ich zunächst einige
Profilbilder, bei welchen
die Röhrenwand ver-
nachlässigt und nur die
Röhrenlichtung darge-
stellt ist. Eig. 1 ist dem jüngsten von mir mikrotomirten mensch-
lichen Embryo Lg entnommen.\') Es tritt hier der Gegensatz der
drei primitiven Abtheilungen noch in voller Schärfe hervor, indem

1) Man vergleiche auch Taf. IX Fig. 6 u. 7.

-ocr page 22-

der Vorder- imd der Hinterdarm als ventralwärts geschlossene Röhren
sich darstellen, während der Mitteldarm in seiner ganzen Länge
mit den Nahelhlase communicirt. Dieser erscheint demnach nach
Wegnahme der Nabelblase als eine offene Rinne; Vorder- und
Hinterdarm erstrecken sich als bhnd endigende Gänge in das Kopf-
und in das Beckenende des Körpers hinein.

Der weitaus grössere Theil des endodermalen Eingeweiderohres
beginnt bekanntlich mit rinnenförmiger Anlage und schliesst sich
weiterhin durch eine mediane Naht vom allgemeinen Endoderm-
sack, bez. von der Nabelblase ab. Hiervon abweichend ist die Bil-
dungsweise von dem obersten Ende des Kopfdarmes und vom Becken-
darm. Diese beiden blind auslaufenden Stücke des Rohres sind bei
der Umlegung der vorderen und der hinteren Keimfalte als taschen-
förmige Ausbauchungen des Endodermraumes entstanden und be-
sitzen an ihrer ventralen Wand keine Nahtlinie. Der Vorderdarm
besteht demnach aus zwei genetisch verschiedenen Abschnitten, einem
kurzen oberen und einem langen unteren. Der obere, den wir als
Fo rnix bezeichnen können, entbehrt der Sutur und er liegt inner-
halb des frei überragenden Vorderkopfes, bez. in dessen Gesichts-
theil. Der untere, median verlöthete Abschnitt dagegen zieht sich
hinter dem Herzen herab, durch den Bereich des Hinterkopfes bis
in den Halstheil des Rumpfes hinein.\')

Der dem Beckenende angehörige Blindsack, die Cloake oder
Bursa pelvis ist nicht unerheblich länger als der Fomix. Wäh-
rend aber der letztere ein geschlossener Endabschnitt des von der
Nahelblase sich abtrennenden Endodermrohres ist, gilt von der Bursa
nicht dasselbe. Aus dem ventralen Ende derselben entwickelt sich
eine enge Fortsetzung des Rohres und geht als Allantoisgang
in den Bauchstiel über, innerhalb dessen sie sich auf eine längere
Strecke über das eigentliche Körperende hinaus fortsetzt.

Auch der Allantoisgang ist durch Abschnürung aus dem allge-
meinen Endodermsack entstanden und hat sich an seiner ventralen
Seite durch eine mediane Naht geschlossen. Seiner Bildung nach
muss er als die Fortsetzung des S-förmig gebogenen Eingeweide-
rohres aufgefasst werden, und das wirkliche Ende des letzteren liegt

1) Man vergleiche „Unsere Körperform" S. 20ff., sowie die Fig. 16 u. 23.

-ocr page 23-

demnacli nicht im Körper, sondern ausserhalb desselben im Bauch-
stiel. Allerdings werden wir später constatiren, dass der Bauchstiel
seiner morphologischen Bedeutung nach gleichfalls als eine Fort-
setzung des Körpers sich erweist und dass er, nach ähnlichen Prin-
cipien wie der Eumpf, zu einem compacten Gebilde sich schliesst.\')

Die Rachenhaut ist bei Embryo Lg noch vorhanden und er-
streckt sich von der Wölbung des Unterkieferfortsatzes aus zur Decke
des Mundrachenraumes. Von den beiden spitz auslaufenden Buch-
ten, zwischen welche sie sich hier eindrängt, wird die vordere zur
rathke\'schen Tasche, die hintere zur seessel\'schen Nebentasche.

Im unteren, der Darmpforte zugewendeten Theil des Vorder-
darmes markirt eine aus der Seitenwand hervortretende Leiste die
erste und unvollkommene Scheidung vom Respirations- und vom
Digestionstractus. Weit selbständiger prägt sich schon jetzt die
Leberanlage aus; sie besteht aus einem hohlen Gang und aus einer
diesem aufgesetzten compacten Zellenanhäufung. Der Gang zweigt
sich vor der vorderen Darmpforte und unterhalb des Herzens ab
und steigt von da aus steil zur compacten Anlage empor. Die un-
mittelbar über der Darmpforte liegende Strecke des Vorderdarmes
entspricht der späteren Magenanlage.

Die Gliederung des Vorderdarmes zeigt sich schon bei Embryo BB
(Fig. 2) erheblich weiter fortgeschritten. Die Mundbucht öffnet sich
nunmehr frei in das endodermale Eingeweiderohr. Als Rest der
früheren Rachenhaut findet sich nur noch ein zwischen die
Rathke-
sche Tasche und die SEESSEL\'sche Nebentasche eingeschobener Vor-
sprung. In der Seitenwand des Rohres bilden die Schlundbögen
eine Reihenfolge von selbständig hervortretenden Wülsten. Die Leiste,
welche den vorderen respiratorischen vom hinteren digestiven Röhren-
abschnitt scheidet, nimmt ihren Anfang unterhalb der dritten Schlund-
furche. In diese Gegend haben wir somit die Stelle des späteren
Kehlkopfeinganges zu verlegen. Das untere Ende der respira-
torischen Furche bildet als Lungenanlage einen kurzen nach vorn
gerichteten Blindsack, und liegt dicht hinter dem unteren Ende des
Vorhofes, in dessen Gekröse theilweise sich hineindrängend. Die
nun folgende Strecke des Eingeweiderohres bleibt in sagittaler Rich-

1) Zu vergleichen das Capitel „Bauchstiel und Nabelstrang".

-ocr page 24-

tung ungetlieilt und ist daher relativ weit, sie wird zur Magen-
anlage. Im Uebrigen hat sich die geschlossene Strecke des Vorder-
darmes verlängert, und die Abgangsstelle des Leberganges ist theil-
weise schon in das Rohr mit einbezogen. Auch am Hinterdarm hat

die geschlossene Strecke an
Ausdehnung zugenommen: die
Bursa ist von bemerkenswerther
Länge, ihr blindes Ende ist
steil nach unten, die Abgangs-
stelle des Allantoisganges gerade

nach vorn gerichtet. Etwa in der halben Höhe der Bursa münden
jederseits die
WoLFF\'schen Gänge in den ventralen Theil ihrer
Seitenwand ein.

Aehnliche Verhältnisse wie für BB ergiebt die Construction auch

-ocr page 25-

für Lr, nur ist hier der Schluss des Eohres noch weiter fortge-
schritten und der Beckentheil hat bereits begonnen, sich aufzurichten.

Die nun folgenden Stufen von a, Bl und R zeigen den Embryo
stark zusammengekrümmt und demnach auch sein Eingeweiderohr
so gebogen, dass der Fornix nach abwärts, die Bursa nach oben ge-
kehrt erscheint. Der Mitteldarm geht rasch seinem Schluss entgegen
und es erhält sich als offene Strecke nur noch die dünne Abgangs-
stelle des Darmstieles (Duct. omphalo-entericus).

In dieser Periode der Entwickelung legt sich auch die Zunge
an und mit deren Bildung erfährt der Mandrachentheil des Vorder-
darmes eine erhebliche Verengerung. Unter der Zungenanlage liegt
die mittlere Schilddrüsenanlage, als eine anfangs noch oflfene
Grrube, die sich dann weiterhin (Fig. 5) vom Mundraum abschliesst.

Hinter der Zungenanlage folgt diejenige der Epiglottis und
auf diese der Kehlkopfeingang sowie Trachea und Lungen-
anlage. Die Trennung des Respirationsrohres schreitet von unten

His, Menschl. Embryonen. III. 2

-ocr page 26-

nach oben hin fort. Auf der Grenze von Hals und von Kopftheil
macht der Trennungsvorgang Halt und es bleibt hier eine Communi-
cationslücke als Kehlkopfeingang übrig.

Während der Oesophagus von der Lungenanlage und Trachea
sich trennt, tritt auch die obere Magengrenze schärfer hervor, die
untere dagegen hebt sich infolge der allmählichen Verjüngung des
Eohres weniger deutlich ab. Das Duodenum charakterisirt sich
vor allem durch die Abgangsstelle des Leberganges und des
Pankreas. Auch macht dasselbe eine dorsalwärts gerichtete Aus-
biegung, welche durch alle späteren Stadien hindurch constant wieder-
kehrt. Ohne scharfe Grenze
geht das Duodenum in die
lange, ventralwärts aus ge-
bogene Strecke des Mesen-
terialdarmes über, von de-
ren Scheitel der Darmdot-
tergang abgeht.

Die Bursa erstreckt sich
durch das ganze emporge-
hobene Beckenstück des
Körpers und sie erscheint
von beträchtlicher Länge.
Der Allantoisgang verlässt
dieselbe fast senkrecht über
der Darmeinmündung und
verläuft dann eine Strecke
weit parallel mit dem Darm
in die Höhe, bevor er sich
abbiegt und in den Bauch-
stiel eintritt. Die beiden
Urnierengänge erreichen
die Seitenwand der Bursa etwa im ersten Drittel ihrer Länge; vor
denselben ist jederseits ein kurzer Blindsack erkennbar, die erste
Anlage der Nieren.

Die Abgliederung neuer Organe vom Eingeweiderohr findet von
nun ab einen vorläufigen Abschluss und die Veränderungen der nächst-
folgenden Stufen beziehen sich auf ein stärkeres Hervortreten einzelner

-ocr page 27-

Abtheüungen und auf theilweise Umlagerungen derselben. Das Mund-
rachen- und das Kehlkopfgebiet auf später versparend, bemerken wir
zunächst die zunehmende Entwickelung der Lungenanlage. Schon
von früh ab biegt sich das untere gespaltene Ende des Respirations-
rohres dorsalwärts um und es umgreift weiterhin die Speiseröhre
von beiden Seiten her. Bald wächst dies Ende in getrennte Sprossen
aus, die dann weiterhin neue, secundäre Seitensprossen treiben. Dabei
kann man feststellen, dass der Verzweigungsunterschied, welcher
zwischen den Bronchien der rechten und der linken Lunge besteht,

schon in einer sehr frühen Anlage vorgebildet erscheint. Im Laufe
der fünften Entwickelungswoche schreitet die Gliederung des Rohres
rasch voran, wie die Figuren 7 und 8 zeigen.

Bemerkenswerth erscheint bei Vergleichung der Figuren 4—8 die
zunehmende Längenentwickelung von Trachea und von Oesophagus.

9 *

-ocr page 28-

Bei Fig. 4 ist die Länge des letzteren ungefähr gleich der Magen-
länge, bei Fig. 7 und 8 beträgt sie etwa das Dreifache der letzteren.
Mit der relativ so bedeutenden Verlängerung des Oesophagus com-
binirt sich ein Herabsteigen des Magens. Bei Fig. 4 und 5 steht
sein unteres Ende noch hoch über der Abgangsstelle des Darmstieles,
bei Fig. 7 hat es sich letzterem bereits genähert und bei Fig. 8 ist
es fast bis zu dessen Niveau herab getreten. Der Fundus senkt sich
dabei verhältnissmässig mehr als der Pylorustheil, wodurch die
ursprünglich steile Magenstellung immer mehr zu einer schrägen
sich umgestaltet. Immerhin tritt auch die Pylorushälfte des Magens
so weit herab, dass sie theilweise unter den Anfang des Duodenum
zu stehen kommt, und so zeigen die Figuren 7 und 8, dass das
untere Magenende mit einem aufwärts gekrümmten Bogen in das
Duodenum übergeht und das Pankreas jetzt hinter dem Magen sich
befindet.

Gleich unterhalb der Einmündungsstelle von Lebergang und
Pankreas beginnt die Schleife des Mesenterialdarmes. Die Basis
dieser Schleife wird mit Herabrücken des Magens immer kürzer, ihre
Längenausdehnung immer grösser. Schon von Pr (Fig. 6) ab beginnt
der Schleifenscheitel den eigentlichen Bauchraum zu verlassen, um
in die Höhle des Nabelstranges hervorzutreten, und während der
nachfolgenden Perioden nimmt das den Körper verlassende Darm-
stück an Länge immer mehr zu. Dabei zeigt die Darmschleife
von der Zeit des Heraustretens an eine Torsion, ihr unterer Schenkel
kreuzt den oberen und legt sich auf dessen linke Seite.

Das ursprüngliche Motiv für das Hervortreten des Mesenterial-
darmes ist unzweifelhaft in dessen Verbindung mit der Nabelblase
zu suchen. Schon ehe der Mitteldarm geschlossen ist, macht sich
die Zugwirkung \'in einer ventralwärts gerichteten Ausbiegung seiner
Axe bemerkbar, und nach erfolgtem Schluss spricht für die An-
dauer des Zuges der Umstand, dass der Darmstiel, so lange er
überhaupt vorhanden ist, vom Ende der durch den Nabel hervor-
tretenden Schleife abgeht. Uebrigens bildet sich der Darmstiel als
eigentlicher Ductus frühzeitig zurück. Bei Embryo Sch und, so weit
ich aus den etwas ungünstigen Schnitten erschliessen kann, schon
bei Sl besteht kein vom Darm abgehendes Epithelrohr mehr, nur
im Nabelstrang finden sich noch Eeste eines solchen. Die Con-

-ocr page 29-

tinuität der Nabelblase mit dem Darm wird nun blos nocb durch
die Vasa omphalo-mesenterica erhalten und diese bilden den Faden,
der bei makroskopischer Präparation als Ductus omphalo-entericus
gedeutet zu werden pflegt. — Je mehr der Darm aus der Nabel-
öffnung hervortritt, um so schmaler wird die Basis der Schleife und
um so länger natürhch sein Gekröse.

Das Gebiet des Mesenterialdarmes ist auf den frühen Fötal-
stufen der Entwickelung ein weit ausgiebigeres als später. Gleich
unterhalb des Pankreas beginnend, erstreckt sich dasselbe bis weit
in den Dickdarm herab. Das Coecum, das ich von der Stufe von
S1 ab aufzufinden vermag, liegt in einem weit vorgeschobenen Theil
der Darmschlinge und ausserhalb der eigentlichen Leibeshöhle im
Nabelstrang. Zu der Zeit reicht der Mesenterialdarm vom unteren
Ende der Pars descendens duodeni ab bis zur späteren Elex, coli
sinistra, er umfasst also ausser Jejunum und Ileum einerseits noch
die Pars inferior duodeni, andererseits das Colon ascendens und
transversum. i)

1) Das Hervortreten des Colons in den Nabelstrang ist eine, seit den
Arbeiten J.
Fe. Meokel\'s wohl bekannte Thatsache. Die Vorgänge secundärer
Verlöthung, welche unter Anderem auch zur definitiven Festheftung des Colon
ascendens führen, sind neuerdings besonders sorgfältig von
Toldt studirt
■worden in seiner Arbeit über Bau und Wachsthumsveränderungen der Ge-
kröse des menschlichen Darmkanals ("Wien 1879). In einem einzelnen Punkte
befinde ich mich mit letzterem Autor in Differenz, insofern als
Toldt (1. c.
S. 9) den Anfang der Mesenterialdarmschleife in die spätere Flexura duodeno-
jejunalis verlegt, ich aber an die Grenze der Pars descendens duodeni. Zu
meiner Auffassung bestimmt mich einestheils die directe Beobachtung des
embryonalen Darmes, denn diese ergiebt, dass bei den Embryonen der fünften
bis sechsten Woche die Schleife in der rechten Körperhälfte fast senkrecht
unterhalb der Einmündungsstelle des Pankreas ihren Anfang nimmt (Fig. 13
und 14). Anderntheils aber stütze ich mich auf den Befund an einer Leiche,
bei welcher schon die Pars inferior duodeni mit einem Gekröse ausgestatte
gewesen ist. Die von einem circa 12 jährigen Knaben stammende Leiche, an
welcher die primären Gekrösverhältnisse grossentheils sich erhalten haben,
bat nämlich folgenden Befund gezeigt: die Pars descendens duodeni ist in
gewöhnlicher Weise der hinteren Bauch wand angeheftet, dann aber geht sie
rechts vom dritten Lendenwirbel und medialwärts vom unteren Ende der
rechten Niere in ein freies mit Gekröse versehenes Darmstück über, das ohne
"weitere Grenzen in das Jejunum sich fortsetzt. Die Strecke der Wirbelsäule
(bez. der grossen Gefässstämme), die sonst von der Pars inferior duodeni über-
schritten wird, ist vom Bauchfell glatt überzogen und ebenso bildet dieses
einen ununterbrochenen Ueberzug vor der gesammten unterhalb der rechten

-ocr page 30-

Am Beckenende des Eingeweiderohres scheidet sich die anfangs
so mächtig angelegte Bursa mit zunehmender Entwickelung immer
mehr in ein hinteres und ein vorderes Eohr, bez. in das Eectum
und in den Urogenitalschlauch. Bei Eig.7 ist das Gebiet der
Bursa schon sehr kurz geworden, bei Eig. 8 ist es kaum noch an-
deutungsweise vorhanden. Die
WoLFF\'schen Gänge und die Meren-
anlage bleiben nach vollzogener Trennung der Bursa mit deren
vorderem Schenkel in Verbindung. Frühzeitig zeigt der Allantois-
gang in seinem Anfangstheil eine Ausweitung als erste Anlage einer
Harnblase. Die Merenanlage wächst hinter dem
WoLFF\'schen
Gang ziemlich rasch in die Höhe und zeigt bald eine Spaltung zu-
nächst in zwei und weiterhin in mehrere Bndsprossen. Bemerkens-
werth ist noch der Umstand, dass zwischen dem Ende der Bursa
und der Steissspitze des Korpers ein Einschnitt entsteht, der an-
fangs nicht vorhanden gewesen war. Im Grunde dieses Einschnittes
bildet sich die Afteröffnung aus (An. Fig. 8).

Zur Ergänzung der eben gegebenen Uebersicht lasse ich noch
einige Frontalprojectionen folgen. Bei deren Beurtheilung ist zu
beachten, dass einzelne Strecken des Eohres wegen der Krümmung
des Körpers verkürzt sein werden. Je nach der Schnittrichtung
aber und der Lage der Theile vertheilt sich bei den verschiedenen
Constructionen die Verkürzung verschieden und für die Abschätzung
der relativen Längen der einzelnen Abschnitte dürfen die gegebenen
Ansichten nur sehr behutsam und unter Zuhülfenahme der Profll-
projectionen benützt werden.

Die Betrachtung des Kopfdarmes für später versparend, halte

Niere liegenden Bauchwand. Es ist nämlich das Colon ascendens
völlig frei und es besitzt ein Gekröse, das eine Länge bis zu
16cm erreicht. Die Wurzel des Mesocolon ascendens liegt in der Mittel-
linie vor dem unteren Bande des zweiten Lendenwirbels. In eben dieser
Gegend läuft auch das Mesenterium des Dünndarms aus, dessen Wurzelge-
biet somit, gegenüber dem normalen Verhältniss, sehr zusammengedrängt er-
scheint. Das Colon descendens ist, wie gewöhnlich, der hinteren Bauchwand
angeheftet und das Ende des Mesocolon liegt vor der Flexura coli sinistra.
Das S romanum, anstatt frei in den Beckenraum herabzuhängen, ist über dem
linken Darmbein dadurch festgehalten, dass es eine Strecke weit mit dem
Colon descendens verlöthet ist. Von Bauchfelltaschen findet sich die Bursa
ileocoecalis wohl entwickelt und ausserdem eine kleine, rechts von der Wirbel-
säule liegende Bursa duodenalis.

-ocr page 31-

ich mich zunächst nur an den Eumpftheil des Eingeweiderohres.
Schon in einer sehr frühen Zeit, noch ehe das Eohr von der Nabel-
hlase sich abgeschnürt hat, biegt
sich dessen Axe abwechselnd
nach links und nach rechts von
der Medianfiäche des Körpers, i)
So zeigt der unterhalb der
Lungenanlage hervortretende
Magen schon bei Embryo BB,
noch deutlicher aber bei dem
Eig. 9 dargestellten Embryo Lr,
eine Axenwendung nach links,
während der Mitteldarm eine
merkliche Ausweichung nach
rechts beschreibt. Letztere ist
bedingt durch die rechtsseitige
Stellung der Nabelblase, und
in gleicher Weise tritt der
Allantoisgang in den rechts vom
Körper austretenden Bauchstiel.

Dieselbe Ausbiegung der Ma-
genanlage nach links und der
Mitteldarmanlage nach rechts
kehrt auch auf nachfolgenden
Stufen wieder; ziemlich rein
äussert sie sich noch bei Em-
bryo BI (Fig. 10), allein es ist
unschwer, dieselbe auch bei Pr
(Fig. 11), bei Rg (Fig. 12), bei
Sl (Fig. 13) und selbst bei Sch
(Fig. 14) wiederzufinden, denn
noch bei letzterer Figur fällt
weitaus der grössere Theil des
Magens auf die linke, der grös-
sere Theil aber des Darmes auf die rechte Seite von der Mittellinie.
Während nun aber bei jüngeren Embryonen, wie z. B. noch bei BI,
1) Man vergleiche Briefe über unsere Körperform. S. 78.

-ocr page 32-

J)s.

Ct.

Fig. 11.

Desgl. Tom Embryo Pr.
Vergr. 15.

Flg. 12.
Desgl. vom Embryo Eg
Vergr. 12.

Fig. 14.

Deagl. vom Embryo Sch 2. Yergr. 10
Cl Colon, Gallenblase. Uebrige Bezeich-
nungen wie oben.

Eingeweideroir Tom Embryo S1.
Vergr. 10.

-ocr page 33-

der gesammte Magen in die linke Körperhälfte fällt, ändert sich
dies mit fortschreitender Entwickelung. An der oben schon be-
rührten Senkung des Magens nimmt das Pylorusende geringeren
Antheil als der Fundus, mit Bezug auf letzteren erfährt es daher
eine relative Hebung und dabei verschiebt es sich gleichzeitig nach
rechts herüber (Fig. 12, 13 u. 14). Zwei Einknickungen, die hierbei
das Eohr erfährt, sind die Bedingungen zur Bildung der Antra pylo-
rica (mediale und laterale).

Nachdem der Magen in seine Schrägstellung eingerückt ist,
kommt das Duodenum nach hinten und rechts von dessen Pylorus-
ende zu hegen. Es setzt sich mit seinem absteigenden Theil direct
in die Nabelschleife des Mesenterialdarms fort, deren anfangs ein-
facher Bogen bis in den dritten Monat hinein an Verwickelung
immer mehr zunimmt.

-ocr page 34-

Der Mundraclienrauni und seine Zugänge.

Allgemeine Glestaltung.

Das Eingeweiderolir des Kopfes umfasst das Gesammtgebiet der
späteren Mund- und Pharynxliöhle nebst dem oberen Kehlkopfab-
sobnitt bis in die Höhe des Eingknorpels. Es ist von Anfang ab
eine breit angelegte Spalte, sein Querdurchmesser verjüngt sich
von oben nach abwärts, erst nur mässig, dann aber beim Anschluss
an den Eumpfdarm sehr rasch. Der letztere ist absolut enger als
der Kopfdarm, und während bei diesem der grösste Durchmesser
quer gerichtet, ist, verläuft er bei jenem sagittal. (Man vgl. Taf. XII
Lg, Schnitt 40—98 für den Kopfdarm, 106 u. f. für den Eumpfdarm
und Taf. XI BB, Schnitt 4.3—6.8 für den Kopfdarm, 6.1 u. f. für
den Eumpfdarm.) Die flache Grundform des Mundrachenraumes und
dessen trichterförmige Verjüngung beim Uebergang in Speiserohr und
Trachea sind somit schon in der frühesten Anlage vorgebildet.

Die Eückwand des Mundrachenraumes liegt vor der ventralen
Gehirnüäche und vor den beiden Aortae descendentes. Vor den
letzteren erhebt sie sich zu zwei niedrigen Längsleisten, die wir als
die hinteren Aortenleisten bezeichnen können. Dazwischen
findet sich anfangs (bei Lg) eine einfache Furche, späterhin (bei
BB u. f.) eine mediane Längsleiste. Die Vorderwand des Mund-
rachenraumes ist der Parietalhöhle zugekehrt, an ihr inseriren sich
der Aortenbulbus und das Gekröse des Herzvorhofes. Die niedrige
Seitenwand dagegen sieht frei nach aussen und sie zeigt die Gliede-
rung in schräggestellte, durch Furchen von einander getrennte "Wülste,
die Schlundbogen. Bei Lg sind deren zwei, bez. drei, von der
Stufe von BB ab aber vier unterscheidbar.

-ocr page 35-

P"

Fig. 15.

Frontalconstruction des Mundraohenraumes
von Bf. Vergr. 50. Man sieht im Durch-
schnitt den Unterkiefer, nebst dem 2. und
3. Schlundbogen, sowie die Aorten-
bogen l und 2.

Fig. 16.^

Frontalconstruction der MundrachenhShle vom
Embryo E. Vergr. 30. Dieselbe zeigt unter-
halb des frontal getroffenen Oberkiefers die
Sohlundbogen 2—4, sowie die Durchschnitte der
Aortenbogen 3—5.

Fig. 17.

Frontalconstruction des Mundrachenraumes
von BI. Vergr. 30. Das Bild zeigt die Aorten-
bogen 2 — 5, und es lässt die Medialwärts-
schiebung der unteren Schlundbogenwülste
erkennen.

Fig. 18.

Desgleichen vom Embryo Eg. Vergr. 12.
Der Oberkiefer ist perspectivisch, der Unter-
kiefer im Durchschnitt zu sehen.

-ocr page 36-

In ihrer reinsten Entwickelung zeigen sich die Schlundbogen
bei Embryonen vom 3—4 mm NL., kurz vor und unmittelbar nach
Entwickelung der Nackenkrümmung. Die die "Wülste trennenden
Eurchen sind innen, wie aussen, tief eingesetzt und von unglei-
cher Länge, am längsten die erste, am kürzesten die vierte. Zwi-
schen der Seitenwand und der Eückwand des Mundrachenraumes
verläuft eine Längsfurche, in welcher die inneren Schlundspalten
schräg auslaufen; die Schlundwülste jedoch besitzen einen mehr oder
minder ausgesprochenen Anschluss an die hintere Aortenleiste, in-
dem die Grenzfurche da abgestumpft ist, wo die Aortenbogen in
das absteigende Sammelgefäss übergehen.

Wenn einmal vier Bogenpaare unterscheidbar sind, so bilden
diese, im Erontalschnitt gesehen, zwei nach abwärts convergirende
Keihen. Die vierten Bogen stehen sich näher als die dritten und
diese näher als die zweiten, wogegen der zweite Bogen unter dem
ersten kaum zurücksteht. Dies Verhältniss, schon bei Embryo BB
erkennbar, wird in der Folge immer ausgeprägter. Dazu kommt,
dass die Bogen später auch hinsichtlich ihrer Mächtigkeit differiren,
indem der vierte schwächer ist als der dritte, dieser schwächer
als der zweite.

Die Verbindung zwischen je zwei Bogen wird durch eine Ver-
schlussplatte gebildet, welche an ihren dünnsten Stellen nur
aus zwei Epithellagen besteht. An dieser Platte begegnen sich im
Allgemeinen die äussere und die innere Furche. Unterhalb des
vierten Bogens aber besteht nur eine unvollkommene Correspondenz
zwischen äusserer und innerer Furche, jene bildet einen nur niedrigen
Einschnitt, diese dagegen eine relativ grosse blind auslaufende Bucht,
welche jederseits neben dem Kehlkopfeingang liegt.

Schon von der vierten Entwickelungswoche ab beginnen die
Schlundbogen sich gegen einander zu verschieben. Aehnlich den
Zügen eines Fernrohres rücken sie in der Weise über einander,
dass, von aussen gesehen, der vierte Bogen zuerst vom dritten und
dieser weiterhin vom zweiten umgriffen und zugedeckt wird, wo-
gegen an der inneren, dem Rachen zugewendeten Fläche der vierte
Bogen sich über den dritten, der dritte über den zweiten lagert.
Demgemäss ist die relative Länge des Mundrachenraumes bei den
vorgerückteren Embryonen geringer, als bei den jüngeren; bei Rg

-ocr page 37-

z. B. sehr viel geringer als hei R oder hei BB. Vom zweiten Bogen
ah his zum Kehlkopfeingang erfährt die Höhle eine treppenförmig
abgesetzte Verjüngung. Auf den Stufen von BB und selbst noch
bei E sind die einzelnen Absätze gleich der Höhe eines ganzen
Schlundbogens nebst der zugehörigen Verschlussplatte, bei den nach-
folgenden Stufen wird die Höhe der Treppenabsätze immer geringer.

Das Gebiet der Schlundbogen und Schlundfurchen gehört der
Parietalzone des Hinterkopfes an und zwar dessen medialer Strecke,
welche die Portsetzung der
WoLFP\'schen Leiste bildet. Die beiden
Blätter der Mesodermschicht, welche weiterhin die Parietalhöhle
zwischen sich fassen, sind hier noch ungeschieden, und es legt sich
der betreffende Substanzstreif, „das Wurzelstück der Parietalplatte"
wie ich ihn an anderem Orte genannt habe, um den Seitenrand
der Schlundhöhle herum und erfährt da die Segmentirung in ein-
zelne Streifen (man vergl. z. B. Taf.
XII Lg, Fig. 56—72). Sowie
das Eingeweiderohr den Hinterkopf verlässt, wird es von der-seit-
lichen Körperoberfläche durch einen breiten Abstand getrennt und
bald schiebt sich zwischen beide die trennende Spalte der Leibes-
höhle ein.

1) Vergl. ArcMv f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1881. S. 305.

-ocr page 38-

Der primitire Mund.

Bei jüngeren Embryonen ist der Mundeingang ein weites fünf-
eckiges Loch, nach oben vom Stirnwulst, seitlich von den Oberkiefer-
fortsätzen, nach unten von den vereinigten Unterkieferbogen begrenzt.
(Taf. IX Fig. 4, 12 und 13.) Alle die genannten Bildungen springen
convex gegen die Lichtung vor, und diese läuft demnach in fünf
Rinnen aus, von denen vier paarig sind, die fünfte unpaar. Es

schneidet nämhch das oberste Rinnenpaar
jederseits zwischen Oberkiefer und Stirn-
wulst ein, als sogenannte Augennasen-
rinne; das zweite Paar dagegen, zwi-
schen Ober- und Unterkiefer, bezeichnet
den Ort der späteren Mundwinkel, die
fünfte, unpaare Rinne trennt die beiden
Unterkieferhälften von einander.

Das Gebiet der definitiven Mundspalte
ist weit niedriger, als das der primitiven
Oeffnung. Es entspricht annähernd einer
Bogenlinie, die von dem einen Mund-
winkel quer zum anderen herüber geführt
wird. Ueber dieser Linie liegt am primi-
tiven Mundloch ein viereckiger, darunter
ein dreieckiger Raum, welche beide in der
Folge ausgefüllt werden. Der obere Raum, zwischen den Oberkiefern
liegend, füllt sich durch den in ihn hereinwachsenden mittleren
Stirnfortsatz aus, der untere Raum aber dadurch, dass (von der
fünften Woche ab) die Furche zwischen den beiden Unterkieferhälften
sich ausgleicht.

Die Mundöffnung führt zunächst in einen Raum, welcher unter
der Vorderhirnbasis und über der oberen Fläche des Unterkiefer-

-ocr page 39-

"bogens gelegen ist, daran schliesst sich in nahezu rechtem Winkel
der Theil der Mundrachenhöhle an, welcher vor dem Hinterhirn und
hinter dem Aortenbulbus des Herzens hegt und welcher beiderseits
von den Schlundbogen eingefasst ist. (Taf. IX, Fig. 6 —10). Bei
Embryo Lg schiebt sich zwischen beide Abtheilungen des Mund-
rachenraumes die sogenannte ßachenhaut ein, welche, von der
Wölbung des Unterkieferbogens ausgehend, schräg nach hinten und
oben sich erstreckt und im Winkel zwischen der
RATHKE\'schen und
der SEESSEL\'schen Tasche sich inserirt. Nachdem die Eachenhaut
geschwunden ist, bezeichnet ein die beiden genannten Taschen tren-
nender Vorsprung die frühere Insertionslinie (Fig. 8, 9, 10 und 13
von Taf. IX und Fig. 1—3 S. 13 und 113).

Man pflegt nun den vor der ßachenhaut hegenden, ectodermal
ausgekleideten Raum, die sogenannte Mundbucht, als die Anlage
der späteren Mundhöhle zu betrachten, den dahinter liegenden endo-
dermal angelegten Vorderdarm dagegen als Anlage des Pharynx.
Diese Darstellung kann, wie ich dies schon im ersten Hefte 0 aus-
einandergesetzt habe, unmöglich richtig sein, denn die Zunge bildet
sich hinter dem durch die Rachenhaut begrenzten Gebiete. Die
Arcus palatoglossi aber, von denen man angenommen hat, dass sie
der Gegend der früheren Rachenhaut entsprechen, gehen, wie wir
nachher zeigen werden, aus dem zweiten Schlundbogenpaar hervor.
An der Bildung des späteren Mundhöhlenbodens betheihgt sich nicht
nur der der Mundbucht zugewendete Theil des Unterkiefers, sondern
auch dessen nach dem Vorderdarm zugekehrte Rückseite, sowie das
Zwischengebiet der zweiten Schlundbogen. Andrerseits aber rückt
die der primitiven Mundbucht entstammende
RATHKE\'sche Tasche
in das Pharynxgebiet und es ergiebt sich hieraus, dass die Abgren-
zung von Mund- und Rachenhöhle mit der Rachenhaut nicht in Be-
ziehung gesetzt werden darf. Die Gaumenbildung tritt, wie dies
später gezeigt werden soll, als secundärer Vorgang auf, zu einer
Zeit, wo die primäre Mundbuchtscheidung längst verwischt ist.

Behufs klarer Uebersicht der bezüglichen Verhältnisse verweise ich
auf das S. 32 folgende Mundraumprofil vom Embryo Sch. Hier ist
der Eingang zur
RATHKE\'schen Tasche noch offen. Denkt man sich
von da aus zur Unterkieferwölbung eine Linie gezogen, so entspricht

1) S. 52.

-ocr page 40-

der vor und über dieser Linie liegende Eaum dem Gebiete der
früheren Mundbucht. Die Zunge aber fällt hinter und unter diese
Linie. Die Trennungslinie des Mundraumes vom Eachen ist durch
die Gaumenleiste bezeichnet, welche an der Eigur zwischen Unter-
kiefer und Zunge frei sichtbar und durch eine ausgezogene Linie
bezeichnet ist; weiter nach abwärts ist die Linie punktirt, da hier
die Leiste von der Zunge verdeckt ist. Es kreuzt sich die
Gaumenhnie mit der Eachenhautlinie unter einem spitzen
Winkel und es ergiebt sich, dass von der Mundhöhle nur
der Vorraum und die Decke in das frühere Mundbuchtgebiet
fallen und dass aus letzterem auch noch der Nasenrachengang
und ein Theil der Pharynxdecke mit entstehen. Die Nasen-
höhle hat mit dem Mundraum ursprüng-
lich keine Gemeinschaft, da sie aus den
nach aussen hin offenen Nasengruben
sich entwickelt.

Es ist zu beachten, dass selbst in
dieser verhältnissmässig weit vorge-
rückten Entwickelungsperiode die Spitze
der Zunge nach oben, der Eücken
schräg nach rückwärts gekehrt ist.
Dabei reicht die Zunge noch eine gute

Fig. 20.

Medianer Constructionsschnitt der Mund- ------"""" guuc

ÄÄJeTlrzÄrSk^: den Gaumenbereich herauf,

»««liA T\'ocia\'UÄ /y _________-1. • , ______. \'

TT 7 , - tjuu, vergr« lö

Unterkiefer, Zff Zunge, Ä^Eathke\'- ---------——

ja sie ragt bis beinahe in die Höhe
des Augapfels. Beim Zusammenschie-
ben der beiden Gaumenfortsätze muss die Zunge aus ihrer hohen
Stelle herabgedrängt werden, wobei auch der Unterkiefer sich senken
wird. ^ Die dem Schädel des Neugeborenen zukommenden Eigenthüm-
lichkeiten, die Niedrigkeit des Gesichtes und das Hervortreten der
Stirn, sind beim sehr jungen Fötus dadurch gesteigert, dass zu der
Zeit der Gaumen noch offen ist und die Zunge bis zur nächstfolgen-
den Grenzwand, d, h. bis zur Schädelbasis heraufreicht.

/

-ocr page 41-

Der primitiye Graumen,
die Bildung der äusseren Nase, der Oberlippe, des
Zwischenkiefers und der Vorgebilde des definitiren

Graumens.

Der zwischen beiden Oberkiefern liegende obere Theil der pri-
mitiven Mundöffnung wird bei weiter fortschreitender Entwickelung
von den drei Stirnfortsätzen ausgefüllt, welche ihrerseits die beiden
Nasenhöhlen zwischen sich fassen. Letztere treten in Verbindung
mit dem Mundrachenraum, während die Stirnfortsätze mit dem Ober-
kiefer verwachsen. Die Nasenhöhlen entstehen, in später zu be-
schreibender Weise, aus den flachen Nasengruben und sie nehmen
dabei die Form zweier Spalten an, die mit einem schrägen Schlitz
nach vorn und nach unten hin sich öffnen. Unter einer jeden dieser
Spalten bildet sich, vermöge einer directen Verbindung des mittleren
Stirnfortsatzes mit dem Oberkieferfortsatz, eine Querbrücke und es
haben nun dieselben je zwei getrennte Oeffnungen, das nach vorn
gekehrte äussere Nasenloch und die nach abwärts sehende
primitive Choane. Die Brücke, welche sich durch Verbindung
des mittleren Stirnfortsatzes mit den beiden Oberkiefern gebildet
hat, und welche die Mundspalte von oben her begrenzt, bezeichnen
wir nach
Düest als primitiven Gaumen, i) Dieser umfasst
die Anlage der Oberhppe und der unmittelbar dahinter hegenden
Theile. Zum definitiven Gaumen ergänzt er sich in der Folge
durch das Auftreten und die Vereinigung der Processus palatini der
Oberkiefer.

Der die beiden Nasengruben von einander trennende mittlere
Stirnfortsatz hat, von vorn her gesehen, die Gestalt eines breiten
Substanzstreifens mit gewulsteten Seitenrändern und eingesunkenem
Mittelstück (Tafel XIV Figur 6.). Jeder von den beiden Seiten-
wülsten erscheint als die Fortsetzung eines gewölbten Bogens

1) Dübsy, Entwickelung des Kopfes S. 146.
His, Menschl. Embryonen, in.

-ocr page 42-

welcher am seitlichen Stirnfortsatz (als späterer Nasenflügel) be-
ginnt, und die NasenöflTnung von oben her umgreift. Der Bogen
läuft in einen kugeligen Vorsprung aus, den ich als Processus
globularis bezeichnen will.\') Die beiden Processus globulares
biegen sich etwas zur Seite und verengen von unten her den Zugang
zur Nasenspalte.

Das eingesunkene Mittelstück des Stirnfortsatzes, die Area in-
franasalis, ist erheblich niedriger, als die beiden Fortsätze, sein
unterer Saum bildet darnach einen von diesen überragten concaven
Ausschnitt. Ueber der Area infranasahs und höher noch als die
beiden Nasenöffnungen liegt ein breites dreieckiges Feld, das nach
oben hin bis zu den Hemisphären heraufreicht, nach abwärts durch
einen, die beiden Nasenbogen verbindenden Querwulst begrenzt wird.
Es mag die Area triangularis heissen.

Auf der in Fig. 6 dargestellten Stufe ist der primitive Gaumen
noch nicht geschlossen, eine breite, zur Nasenöffnung emporsteigende
Furche trennt den Processus globularis von dem am meisten vor-
getriebenen Ende des Oberkieferfortsatzes. Der seithche Stirnfort-
satz ruht mit seinem imteren Ende auf dem Oberkiefer, von\'dem
er noch durch eine quere Spalte getrennt erscheint. Fig. 7 zeigt
die Dinge schon um einen Schritt weiter: die Nasenöffnung ist
wesenthch verengt, der Oberkieferfortsatz jederseits an den Processus
globularis herangeschoben. Der Querwulst der Nase treibt sich als
vorspringende Kante, Nasenkante, unter der Area triangularis
hervor und charakterisirt sich bereits deutlich als Gebiet der zu-
künftigen Nasenspitze, während die Area triangularis selbst
den Nasenrücken zu bilden bestimmt ist. Unterhalb der
Nasenkante tritt die Area infranasahs schräg zurück und läuft über
der Mundöffnung mit einer Querlinie aus, von welcher die Processus
globulares in fast rechtem V^inkel sich absetzen (man vergl. auch
Fig. 23, S. 38).

1) Es ist dies der „innere Nasenfortsatz" von Kölliker. Da der Fort-
satz mit der Nasenbildung Nichts zu thun hat, ist letztere Bezeichnung irre-
führend, eher dürfte man von einem „Lippen- oder Zwischenkieferfortsatz«
reden; ich habe dem im Text gebrauchten Namen als einem unverfänglichen
den Vorzug gegeben.

-ocr page 43-

Die Nase, in ihrer Umgrenzung deutlich, erkennbar, ist noch
einmal so breit als hoch, und die Nasenlöcher stehen weit aus-
einander. Nachdem der
primitive Gaumen sich
geschlossen hat, ändert
sich dies Verhältniss, die
Nase wird schmäler und,
indem der mittlere Stirn-
fortsatz seithch compri-
mirt wird, geht der abso-
lute Abstand beider Na-
senlöcher binnen 1 V2 bis
2 Wochen bis auf zwei
Drittel, ja bis auf die
Hälfte seines früheren
Maasses herab. Die Dar-
stellung dieses Verhal-
tens findet sich in den
Fig. 7, 8, 9 von Taf. XIV,
die alle bei derselben
Vergrösserung gezeichnet
sind. Laut den Messun-
gen beträgt der Abstand
beider Nasenlöcher von
einander: bei dem ca.
5 Wochen alten Embryo
 Fig. 22.

TT /Tn- n\\ t x. • Durchsohnitte durch den primitiven Gaumen vom Embryo Sch.

Gii (rlg. bj 1.7 mm; Der Der mittlere Stirnfortsatz ist punktirt, der Oberkieferf. lie-
T .. -vTT 1 Ii Ti geiid Bchraffirt. Bei dem etwas höher liegenden Schnitt 21

dem 7 Wochen alten Em- erkennt man hinter dem Oberkiefer den vom Schnitt ge-
troffenen Thränengang. Vergr. 18.

bryo Lhs (Fig.7) 1.2 mm;

bei dem noch etwas weiter entwickelten Embryo tc (Fig. 8) 0.8 mm.

Durchschnitte durch den eben gebildeten primitiven Gaumen
zeigen den mittleren Stirnfortsatz als eine im Zickzack gebrochene
Platte, wie dies die obenstehenden Figuren 21 und 22 zu erläutern
vermögen.

In meinen Briefen über die Körperform 0 habe ich seiner Zeit

1) S. 204 u. f.

-ocr page 44-

gezeigt, dass der mittlere Stirnfortsatz auch beim Vogelembrjo er-
heblich zusammengeschoben und verschmälert wird und dass seine
Umbildung schliesslich zur Hervortreibung der Sohnabelspitze führt.
Derselbe Grundvorgang bedingt beim menschlichen Embryo die Her-
vortreibung der Nase, zugleich aber leitet sich dadurch der mediane
Schluss der Oberlippe und der Schluss des Zwischenkiefers ein.i)

Das Mittelstück derLippen und der Zwischenkiefer
entstehen durch "Vereinigung der beiden Processus glo-
bulares. Diese treten unterhalb der Area infranasalis zusammen
und verwachsen mit einander in der Mittellinie. Die Area wird, so-
wohl von der Lippenbegrenzung als von der Gaumenfläche abge-
drängt und nimmt an deren Bildung keinen Antheil. Ihr unterster
Abschnitt wird vollständig überdeckt und in die Tiefe geschoben,
was von ihrem oberen Theil frei bleibt, erhält sich als untere Eläche
des Septum narium und als Philtrum. An dem in Eig. 9
Taf. XIV abgebildeten Kopf sind die beiden Proc. globulares in der
Mittellinie eben zusammengetroffen; ihre Grenze wird durch eine
Furche bezeichnet, die nach oben hin gegen das Philtrum, nach
abwärts gegen die Mundöffnung sich ausweitet.

Der an der Oberlippe zwischen beiden Proc. globulares vorhan-
dene Einschnitt persistirt bei manchen Säugethieren (besonders auf-
fällig bei den Nagern); beim Menschen bleibt er nicht bestehen.
Hier zeigt die Oberlippe bekanntlich einen medianen zäpfchenartigen
Vorsprung, der sich beim Spitzen des Mundes besonders scharf her-
vorwölbt. Diese Bildung, die man als Uvula labialis bezeichnen
könnte, tritt schon ziemlich früh auf und zwar in Verbindung mit

!\'\'; 1) Die Bedingungen für die Zusammendrängung der mittleren Gesichts-

theile sind beim Yogel- und beim Säugethierkopf nicht ganz dieselben. Bei
jenem bilden die mächtigen Augäpfel, bei diesem die hervorwachsenden Ober-
kieferfortsätze das Hauptmotiv der Gesichtsumbildung. Der von den Aug-
äpfeln ausgehende Druck wirkt am Vogelkopf in transversalem, bez. in
schräg
von hinten her gerichtetem Sinn; der mittlere Stirnfortsatz weicht nach vorn
und abwärts aus, sein unterer Saum wird als Schnabelspitze am
weitesten

vorgeschoben und die Nasenlöcher werden schliesslich nach oben gerichtet._

Die Einwirkung der Oberkieferfortsätze dagegen beim Säugethierembryo macht
sich schräg von unten her geltend. Der am meisten vorgedrängte Theil des
mittleren Stirnfortsatzes ist nicht dessen unterer Saum, sondern eine hoch-
liegende Strecke desselben, die Nasenkante, und indem diese steil emporge-
stülpt wird, behalten die Nasenlöcher ihre Richtung nach vorn.

ll

-ocr page 45-

dem rothen Lippenrande. Beim Fötus aus der Mitte des dritten
Monats (4V2—5 cm S. S. L) steigt, von der Innenfläche der Lippen
ausgehend, ein wulstiger Saum hinter dem früheren Lippenrand herab.
Dieser Saum, der rothe Lippensaum, bleibt durch eine ausge-
prägte Grenzfurche vom primären Rande getrennt und, indem er
den Einschnitt des letzteren ausfüllt, zeigt er in der Mitte seine
grösste Höhe und schärft sich nach beiden Seiten hin zu, mit
sanftem Schwung in die Innenfläche der Lippe zurückbiegend.

Der Schluss des primären Gaumens geht demjenigen der Ober-
lippe voraus. Fig. 7 Taf. XIV zeigt den Oberkieferfortsatz mit dem
mittleren und seitlichen Stirnfortsatz bereits verbunden, dagegen sind
die beiden Processus globulares noch durch einen ziemlich breiten
Zwischenraum getrennt. In besonders deuthcher "Weise zeigt diese
Figur die schüsseiförmige Vertiefung der Area infranasalis.

Eine nothwendige Ergänzung zu den äusseren Ansichten des
Lippen- und Kiefergebietes bilden die vom Mundraum her gewon-
nenen. Um solche zu erhalten, habe ich bei einer Anzahl von
Embryonen den Kopf, von den Mundwinkeln aus nach rückwärts,
mit scharfem Skalpell gespalten und die obere Hälfte von der unteren
abgehoben.

Die dem Mundraum zugekehrte Oberfläche des mittleren Stim-
fortsatzes zeigt vor Schluss des primitiven Gaumens eine Dreiglie-
derung ähnlich wie die Vorderfläche. Vom Rand der Area infra-
nasalis aus erstreckt sich eine mediane, anfangs ziemlich breite
Furche nach rückwärts, die an der Rachendecke flach ausläuft. Der
vordere Eingang zur Furche wird von den beiden Processus globu-
lares begrenzt und diese setzen sich weiterhin in zwei rundliche
Leisten fort, die ich als Laminae nasales bezeichnen wilL Sie
bilden die mediale Wand für das hintere Ende der Nasenfurche.
Leicht divergirend treten sie zur Rachendecke und endigen unter
rascher Höhenabnahme vor dem vorderen Ende des Oberkieferfort-
satzes (Fig. 23).

Schräg von hinten und aussen her treten an den mittleren Stirn-
fortsatz die beiden Oberkieferfortsätze heran. Die Grundgestalt der-
selben ist die eines stumpfen Keiles und an jedem der beiden Fort-
sätze besteht eine ziemlich ausgesprochene Scheidung zwischen dem
Wangen- und dem Mundhöhlentheil. Jener überragt diesen mit einem

-ocr page 46-

gerundeten Wulst, dem Lippenwulst und umgreift ihn in einer
winkehg gebrochenen Linie. Das vordere Ende des Wangentheiles
kommt als kugehger Vorsprung neben den Processus globularis zu
liegen und bildet so die laterale Wand der Nasenfurche. Der Mund-
höhlentheil des Oberkiefers endet neben der Lamina nasalis mit einer
gleichfalls gerundeten Ecke und er begrenzt das hintere Ende der
Nasenfurche. Eine schräge Kante an seiner nach innen sehenden
Oberfläche trennt eine medialwärts und eine dem Mundboden zuge-
wendete Eacette von einander.

Nachdem der primitive Gaumen geschlossen ist, rücken die bei-
den Processus und zugleich die vorderen Enden der Laminae na-

sales zusammen bis zur schliesslichen Begegnung. Die trennende
Spalte wird immer enger und tiefer, bis sie sich dann endlich aus-
füllt und nur noch eine seichte Oberflächenfurche hinterlässt. Die
divergirenden Enden der beiden Laminae bilden jederseits einen das
hintere Nasenloch umgreifenden Bogen. Der verschmelzende Theil
derselben wird in der Folge zum hinteren Eand des Septum narium.
An der Bildung des Zwischenkiefers ist derselbe nicht betheiligt,
dieser bildet sich ausschhesshch aus den Processus globulares. An
der unteren Fläche der letzteren entsteht eine frontale Furche, die
erst nur schwach angedeutet ist, dann aber an Tiefe zunimmt und
die nun den Lippentheil des Wulstes vom Kiefertheil trennt. Etwas
später (Fig. 26) tritt noch eine weitere Parallelfurche auf, welche den
Beginn der Zahnbildung einleitet.

-ocr page 47-

Der Mundhöhlentheil des Oberkiefers oder der innere Kiefer-
wulst, wie wir ihn kürzer nennen können, rückt seinerseits gleich-
falls gegen den Processus globularis heran und verschmilzt mit dessen
Zwischenkiefertheil. Dabei wird das hintere Nasenloch von dieser
Verwachsungsstelle mit überbrückt. Mittlerweile entwickelt sich die
früher erwähnte schräge Kante des inneren Kieferwulstes in immer
ausgeprägterer Weise. Sie gestaltet sich allmählich zu einer selb-
ständig hervortretenden Leiste, dem Processus palatinus des
Oberkiefers. Eine von hinten nach vorn sich zuspitzende dreieckige

Grube scheidet diesen Fortsatz vom Alveolartheil des Kiefers. Je
mehr der Fortsatz sich ausbildet, um so mehr rückt die mediale
Facette des Kieferwulstes zurück und wird von unten her unsichtbar.

Der Rand der beiden Processus palatini verläuft im Allgemeinen
schräg nach vorn, indess besteht eine starke Convergenz der Ver-
laufsrichtung nur für den hinteren Theil ihrer Länge, im vorderen
Theil sind die Kanten schwach convergent oder selbst parallel ge-
richtet. Diese vorderen Strecken sind es, die im Beginn des dritten
Monates mit einander und mit den Zwischenkiefern zusammentreffen
und so das Gaumengewölbe schliessen. Im Kreuz der vier Ver-
bindungsnähte erhält sich als offene Stelle das Foramen inci-
sivum. Aus den unverbunden bleibenden hinteren Strecken der
beiderseitigen Gaumenfortsätze gehen die Arcus palatopharyngei
hervor.

-ocr page 48-

Ich darf diesen Abschnitt kaum schhessen, ohne mit einigen
Worten der lebhaften Discussion zu gedenken, die vor Kurzem
zwischen P.
Albeecht und Th. Köllikee über die Bildung des
Zwischenkiefers und über die morphologische Bedeutung der Hasen-
scharten und verwandten Bildungen entbrannt ist. In seiner sorg-
fältigen Arbeit über das Os. intermaxillare 0 hat
Th. Köllikee ge-
zeigt, dass mittelst geeigneter Methoden bei menschhchen Embryonen
vom Ende des zweiten Monats der knöcherne Zwischenkiefer isolirt
werden kann. Der herkömmlichen Vorstellung entsprechend, er-
weist sich dieser als eine jederseits einfache Anlage, die dann nach
kurzer selbständiger Existenz mit dem knöchernen Oberkiefer ver-
schmilzt. Diese Angaben haben zu einem Conflict mit
Albeecht
geführt, welcher seinerseits mit grosser Bestimmtheit2) dafür ein-
getreten war, dass jederseits zwei Zwischenkiefer sich bilden, ein
medialer und ein lateraler, von welchen jeder der Träger von je einem
Schneidezahn sein soll.
Albeecht ist zunächst durch pathologische
Beobachtungen zu seiner Auffassung hingeleitet worden, und es sind
für ihn eine Anzahl von Präparaten maassgebend gewesen, in denen,
bei vorhandener Kieferspalte, der laterale Eand der Spalte innerhalb
eines gesonderten Knochenstückes einen Schneidezahn enthalten hat.
Die Kieferspalte, so deutet
Albeecht seine Beobachtungen, liegt
nicht zwischen Zwischenkiefer und Oberkiefer, sondern zwischen dem
inneren und dem äusseren Zwischenkiefer. Wofern aber das innere
Stück zwei Schneidezähne enthält, ist dies als ein atavistisches Vor-
kommniss zu deuten, als ein Anklang an hexaprotodonte Vorfahren
des Menschen. Zur Bekräftigung seiner Auffassung hat
Albeecht
seinen pathologischen Beobachtungen noch solche über die Gaumen-
bildung des Omitorynchus beigefügt. Auch ist ihm neuerdings durch
H. v.
Meyee eine bedeutsame Unterstützung zu Theil geworden, in-
dem dieser Forscher, gleich
Albeecht, Spuren einer interincisiven
Sutur an zahlreichen Kinderschädeln nachzuweisen vermocht hat.^)

1) üeber das Os intermaxillare des Menschen und die Anatomie der Hasen-
scharte und des Wolfsrachens. Halle 1882.

2) Die Hauptschrift Albkecht\'s ist: Sur les 4 Os maxillaires, le bec de
lièvre etc. Bruxelles 1883. Zahlreiche frühere und spätere Publicationen
Alebecht\'s finden sich in Jedermanns Händen und bedürfen hier keiner be-
sonderen Aufführung.

3) Der Zwischenkieferknochen und seine Beziehung zur Hasenscharte.

-ocr page 49-

Soweit sich nun die eben erwähnte Discussion nur auf die
Knochenanlagen bezieht, steht sie meiner Arbeit ziemlich fem, in-
dem diese da aufhört, wo die Knochen anfangen. Allein es ist bei
der Discussion auch auf die embryologischen Anlagen zurückgegriffen
worden, und
Albeecht hat die Behauptung aufgestellt, dass nur
der mediale Zwischenkiefer aus dem mittleren, der laterale aber aus
dem seitlichen Stimfortsatz entstehe. In Betreff der Oberlippe er-
klärt
Albeecht rundweg, dass sie jederseits aus drei besonderen
Lippen hervorgeht, einer inneren Zwischenkieferlippe, einer äusseren
Zwischenkieferlippe und einer Oberkieferlippe. Die innere Zwischen-
kieferlippe bildet sich aus dem inneren, die äussere aus dem äusseren
Nasenfortsatz. Beide Fortsätze vereinigen sich unterhalb des Nasen-
loches direct mit einander, und durch den seitlichen Stirnfortsatz
bleibt der Oberkieferfortsatz vom mittleren völlig getrennt.^) Ueber
diese Behauptungen ist natürlicherweise nicht zu discutiren, dieselben
stehen mit dem, was man jederzeit gesehen hat und was man noch
jederzeit sehen kann, in directem Widerspruch, und sie sind wohl
blos erklärbar aus einer absoluten Unkenntniss
Albeecht\'s in em-
bryologischen Dingen. 2) Im Uebrigen möchte ich aber besonders
betonen, dass die Eeconstruction embryologischer Vorgänge aus
osteologischen Beobachtungen ein im Princip unzulässiges Verfahren
ist. Die Bildung der Knochenkerne ist ein völlig secundärer Process
und es ist zur Zeit sehr discutirbar, ob überhaupt und inwieweit
zwischen ihm und der Gliederung der primitiven Anlagen gesetzliche
Beziehungen bestehen, —

Was nun die Lippen- und Kieferspalten betrifft, so ist bei der
Discussion ihrer Entstehung die embryologische Unterlage bis dahin

Zeitschrift für Chirurgie. H. v. Meyek zeigt sich geneigt, auch die embryo-
logischen Folgerungen von
Albeecht anzunehmen, immerhin spricht er sich
mit der nöthigen Zurückhaltung hierüber aus.

1) Centraiblatt für Chirurgie 1884. Nr. 23 Beilage.

2) Albeecht hat noch verschiedene ähnliche Ausflüge aus dem osteolo-
gischen in das embryologische Gebiet unternommen, so hat er in einer seiner
Mittheilungen die EATHKE\'sche Tasche geleugnet, in einer anderen die Chorda
dorsalis bis in die Nasenscheidewand vordringen lassen. Es verfügt
Albeecht
bei seiner ungewöhnlichen dialectischen Begabung über eine sehr scharfe
wissenschaftliche Waffe, aber er wird sich schliesslich überzeugen müssen,
dass ihm dieselbe, am falschen Orte angewendet, ins eigene Fleisch hinein-
Echneidet.

-ocr page 50-

eine ungenügende gewesen, weil Niemand eine ausreichende Kennt-
niss von der normalen Bildungsweise der Lippen und der Kiefer
besessen hat. Die Thatsache, dass diese Theile eine mediane Ver-
wachsung erfahren, bildet bei der Beurtheilung der vorkommenden
Abnormitäten ein neues Moment, dessen Verwerthung zukünftigen
Bearbeitern wohl empfohlen sein mag. Offen gestanden erwarte ich
indessen auch von der Anwendung des verbesserten Entwickelungs-
schemas keine endgültige Lösung der obschwebenden Fragen, denn
ich glaube, dass eine solche nur aus der Untersuchung embryonaler
Missbildungsfälle geschöpft werden kann. Es ist zwar ein weit ver-
breitetes Bestreben teratologischer Forscher, die einzelnen, am aus-
il? gebildeten Individuum vorkommenden Missbildungen mit Hülfe be-

! stimmter, meistens der thierischen Entwickelungsgeschichte entnom-

mener Schemata erklären zu wollen. AUein dieses Bestreben wird
in sehr zahlreichen Fällen nothwendig scheitern müssen, denn, wo
einmal in der Natur Abweichungen von der Norm sich finden, da
ij|,. wird der Beginn dieser Abweichungen und das compensatorische

i ■ Ineinandergreifen derselben aus dem blossen Endergebniss meistens

schwer zu entwirren sein.

Bis jetzt sind mir zwei jüngere Fötus mit Wolfsrachenbildung
durch die Hände gegangen. Den einen habe ich schon vor 7 oder
8 Jahren mikrotomirt und an ihm ein einseitiges Zurückbleiben der
Gaumenplatte des Oberkiefers zu constatiren vermocht (Fig. 27);
bei dem zweiten Fall (Fig. 28), der noch unzerschnitten dahegt, ist
der mittlere Stirnfortsatz erheblich verkümmert. Derselbe läuft in
einen ungetheilten rundlichen Vorsprung aus, welcher vom Ober-
kieferfortsatz jederseits durch einen breiten Abstand getrennt er-
scheint. Dem entsprechend ist auch die Nasenspalte sehr kurz und
auf der linken Seite ist sie durch eine zwischen seithchem und mitt-
lerem Stirnfortsatz entstandene Verwachsungsbrücke zu einem eigent-
lichen Nasenloch geschlossen. Ohne in eine fernere Analyse des
noch näher zu untersuchenden Falles einzutreten, hebe ich zwei
Punkte als von allgemeinem Interesse heraus. Erstens die Verküm-
merung und die mangelnde Ghederung des mittleren Stirnfortsatzes.
Infolge der Kürze des Stirnfortsatzes hat die MundöflFnung noch einen
früh embryonalen Charakter beibehalten: über der eigentlichen, die
Winkel verbindenden Mundspalte liegt ein viereckiges, von den bei-

-ocr page 51-

den Oberkieferfortsätzen begrenztes Loch, gleich demjenigen, wie wir
es etwa bei Lg (S. 23) oder bei BB (Taf. IX Fig. 12) vorgefunden
hatten. Dabei zeigt der mittlere Stirnfortsatz keine Processus glo-
bulares und keine Area infranasalis, und demnach werden auch alle
Speculationen, welche
an diese Theile an
knüpfen, im vollsten
Sinne des Wortes, in
der Luft stehen. Zwei-
tens besteht an dem
vorliegenden Kopf, als

Ausnahme, jener
Schluss des Nasen-
loches, welchen
Alb-
recht als allgemeine
Regel hatte aufstellen
wollen, der Schluss
durch Verwachsung
des seitlichen mit dem
mittleren Stirnfortsatz.
Es zeigt dies, dass bei
partiellen Verkümme-
rungen und Verbil-
dungen der Anlagen
Theile unter sich ver-
wachsen können, die
sonst getrennt bleiben
und umgekehrt. Wir
müssen eben, meines
Erachtens, bei derarti-
gen Anlässen darauf

gefasst sein, oftmals völlig unerwarteten Combinationen der Theile
zu begegnen und haben uns jedenfalls sehr mit jenen Erklärungen
in Acht zu nehmen, die auf blosser Anwendung einer gegebenen
Schablone beruhen.

Für ganz besonders bedenkUch aber halte ich bei Deutung der
Kiefermissbildungen die Hereinziehung atavistischer, an die Zahl der

-ocr page 52-

Zähne anknüpfender Betrachtungen. Die Verwachsung der weichen
Primäranlagen geht, hei normaler Entwickelung, der Bildung der
Zahn- wie der Knochenanlagen um einige Zeit voraus. Nun ent-
stehen die ersten Zahnanlagen als Wucherungen bez. als Paltungen
des Mundhöhlenepithels und es ist der normale Verlauf ihrer Bildung
unzweifelhaft an den normalen Ablauf der vorangegangenen Bntwicke-
lungsphasen geknüpft. Sind aber die Primäranlagen verkümmert
und in ihrer Verwachsung gestört, so sind offenbar auch die Bedin-
gungen für die Entstehung der epithelialen Zahnkeime andere ge-
worden, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn in einem solchen
Fall die entstehenden Zähne nach Zahl, Anordnung und Grösse von
der Norm abweichen.

-ocr page 53-

Das Nasenfeld und die Bildung der Nasenhöhle.

Schon bei sehr jungen Embryonen zeigt der Vorderkopf jeder-
seits vom Stirnwulst eine das spätere Nasenhöhlengebiet umfassende
schräge Eacette, das Nasenfeld. Wo die äussere Besichtigung über
das Vorhandensein und über die Ausdehnungen des Feldes anfangs
noch Unklarheiten lässt, da geben die Durchschnitte durchaus deut-
liche Anschauungen. Es liegt dasselbe vor der Uebergangsstelle des
Hemisphärenhirns in die Augenblase und es ist hier die Bctoderm-
platte frühzeitig verdickt (Lg Taf. XH, 30; BB Taf. XI, 2 und 3; a
Taf.
Vm, 5—8).

Bei weiterschreitender Entwickelung sinkt der Boden des Nasen-
feldes muldenartig ein, während die Ränder sich wulstig empor-
wölben. Hierdurch tritt das Ganze selbständig aus der Umgebung
hervor und zugleich erfährt auch der zwischen beiden Nasenfeldem
liegende mittlere Stirnfortsatz eine schärfere Umgrenzung. Das deut-
lichere Hervortreten einer Nase fällt in die Zeit bald nach Eintritt
der Nackenkrümmung. Bei Embryo R (Taf. XIII Eig. 1) besitzt das
Nasenfeld eine birnförmige Gestalt und es scheidet sich nunmehr
in die
jAKOBSON\'sche0 und in die eigentliche Nasengrube.

Die jAKOBSON\'sche Grube liegt an der Wurzel des Nasengebietes,
sie ist ziemlich tief und von einem ringförmigen Wall umgeben;
letzterer hängt mit dem Wall der eigentlichen Nasengrube zusammen,
und diese liegt als flache Vertiefung neben der Stirnfläche des Kopfes.

1) Das frühe Auftreten der jakobson\'schen Grube bei Säugethlerembryonen
hat
Düesy erkannt. Entwickel. d. Kopfes S. 130.

-ocr page 54-

Demnäclist tritt nun das ganze Nasenfeld durch zunehmende
Erhebung der Eänder rüsselartig aus der übrigen Kopfwölbung empor,
wobei Boden und Eänder der Riechgrube in eigenthümlicher Weise
sich verbiegen. Die dabei entstehende Fläche ist wohl, was die Weich-
heit ihrer Formen betrifft, am ehesten mit der Innenfläche einer
Auster zu vergleichen und es ist schwer, dieselbe in Bild und
Wort wiederzugeben. Beifolgende, nach einer Originalphotographie

gemachte Skizze mag die Hauptver-
hältnisse veranschaulichen.\') Am
unteren Ende des Nasengebietes
liegt die von einem dicken, fast
kreisrunden Wall eingefasste
Ja-
kobson\'sche Grube. Mit der Na-
sengrube ist dieselbe durch eine
sehr \'seichte Furche verbunden,
auch hängt ihr Wall unmittel-
bar zusammen mit dem Rand-
wulst, welcher um die Nasen grübe
herumläuft.

\\

Denkt man sich den Randwulst
der Nasengrube vom
Jakobson\'-
sehen Organ getrennt, so bildet der-
selbe eine Schleife mit einem media-
len und einem lateralen Schenkel.
Der laterale Schenkel zeigt eine
leichte S-Form, d. h. er besitzt
eine der Grube zugekehrte untere
Einbiegung, auf die weiter oben eine convexe Ausbiegung folgt. Die
nachfolgende Entwickelung ergiebt, dass diese Biegungen die Bildung

1) Dasselbe Object habe ich auch schon auf Taf. VII Fig. A4 darzustellen
versucht, indessen ist jene Figur noch etwas zu schematisch. Das, was dort
mit R (Riechgrube) bezeichnet Ist, ist die jAKOBSou\'sche Grube. Dieselbe Ver-
wechselung haben vor mir auch andere Beobachter begangen, und es kommt
mir in der Hinsicht besonders die Figur
463 von Köllikee\'s Entwickelungs-
geschichte (2. Aufl. S. 768) verdächtig vor, die die Riechgrube als tiefes, von
einem ringförmigen Wall umgebenes Löchelchen darstellt. Laut
Dubsy\'s Nach-
weis
(1. c. 133) ist auch die von Rathkb bei der Natter als Riechgrube be-
schriebene Grube nur das JAKOBsoN\'schen Organ.

-ocr page 55-

des seitliclien Stirnfortsatzes einleiten. Dieser entstellt näm-
lich aus dem Substanzstreifen, der vom
jAKOBsoN\'schen Organ aus
bis zur oberen Ecke sich erstreckt, und dessen gegen die Grube vor-
ragende Ausbiegung bezeichnet den Ort der späteren Spitze.

Der die Riechgrube medialwärts umgreifende Schenkel des Eand-
wulstes zeigt in seiner vorderen Hälfte einen convexen Vorsprung,
das Profil des Processus globularis. V^eiter unten folgt eine vor dem
jAKOBSON\'schen Organe befindüche Einkerbung. Der Boden der
Nasengrube ist von einigen Ealtenzügen durchsetzt, in deren Be-
schreibung ich mich indessen, ohne ein etwas breiteres Beobachtungs-
material, nicht gern einlassen mag. Am bedeutsamsten scheint mir
eine Falte zu sein, welche von der Einkerbung aus schräg nach
oben sich erstreckt.

Die lateralwärts offene Nasengrube wandelt sich ziemlich rasch
um in die lateralwärts geschlossene Nasenhöhle. Diese Umwandlung
hängt mit einer Reihe sonstiger Vorgänge zusammen, und wir müssen
zu deren Verständniss suchen, uns eine etwas allgemeinere Uebersicht
zu verschaffen: Bei jüngeren Embryonen hegt das Nasenfeld zum
weit überwiegenden Theil im Bereich des Vorderhirns, und dies gilt,
wie die Figuren 11—14 der Tafel IV zeigen, noch vom Embryo A.
Verbindungslinien, durch den hinteren Rand beider Nasenfelder ge-
zogen, schneiden tief ins Gehirn ein, und die durch den vorderen Rand
gelegten Linien überragen nur um Weniges das Gehirn (Fig. ^8). 5 0

Indem nun die Kopfentwickelung fortschreitet, rückt das Nasen-
feld mitsammt dem dazwischen liegenden Substanzstreifen mehr und
mehr nach vorn und nach abwärts und es verlässt allmählich den Hirn-
bereich. Beifolgender Durchschnitt des Kopfes von Pr (Fig. 29) zeigt
noch etwa die Hälfte, der Schnitt von & (Fig.^^iiur noch ein
Drittel der Nasengrube neben dem Gehirn liegend, und in der Schnitt-
reihe von S1 (Fig. 31) ist mit wenigen Ausnahmen überall der Grund
der Nasenhöhle vor dem Gehirn befindlich.

Je mehr die zwei Nasenfelder nach vorn sich verschieben, um
so geringer wird auch ihr gegenseitiger Abstand. Bei S1 z. B. ist
der quere Abstand beider Nasengruben absolut geringer, als bei Pr
und bei Die gegenseitige Annäherung der beiden Nasengruben
geht einher mit einer doppelseitigen Faltenbildung in dem dazwischen
hegenden Gebiete des mittleren Stirnfortsatzes. Eine solche Falten-

-ocr page 56-

bildung findet man in ihren
ersten Anfängen schon an
den oben citirten Figuren
der Taf. IV und dann in zu-
nehmendem Maasse an den
Schnitten von Pr, von ^ und
von S 1. Bei der letzteren
Reihe zeigt der durch das
obere Ende der Nasenfurohe
gelegte Schnitt a am mittle-
ren Stirnfortsatz eine seichte
Medianfurche und zwei nied-
rige Seitenleisten. "Weiter
nach abwärts wird die Me-
dianfurche immer tiefer, die
beiden Seitenleisten immer
höher und steiler, bis sie
dann schliesslich am hinteren
Ende der Riechgrube rasch
abfallen.

Wir sind den eben be-
trachteten neben der Nasen-
höhle herlaufenden und diese
medianwärts begrenzenden
Leisten im vorigen Abschnitt
bereits begegnet, aber wir
hatten dort deren verschie-
dene Strecken mit verschie-
denen Namen belegt und sie
als Randwulst der Nasen-
öffnung, als Processus globu-
lares und als Laminae nasales
aufgeführt. Alle die genann-
ten Bildungen gehören der-
selben Sagittalfalte an, die,
häutigen Hirnkapsel

hintere Oeffnung i^^f^^ abgehend, einen freien Rand

-ocr page 57-

der Gesichtsfläche, einen anderen dem Rachenraum zukehrt und an
der Grenze beider, als Processus globularis, eine vorspringende Ecke
bildet. Die Bezeichnung als Lamina nasalis kann in erwei-
tertem Sinn für die Gesammtleiste Verwendung finden. Jede La-
mina nasalis bildet die mediale Wand ihrer Nasengrube, die beiden
sind anfangs durch eine breite Furche von einander geschieden,
dann aber wird diese enger, die beiden Laminae treten in der Mittel-
linie zusammen, verschmelzen unter einander, und soweit sie nicht
zur Lippen- und zur Zwischenkieferbildung verwendet werden, ent-
wickeln sie sich zum Septum narium. Das Septum entsteht dem-
nach auch seinerseits durch eine mediane Verbindung von zwei ur-
sprünglich getrennten Anlagen.

Die früherhin offenen Nasengruben werden zum Theil durch die
umgelegten Ränder der Laminae nasales überlagert. Weit ausgiebiger
aber erfolgt ihr Schluss durch eine Hervorschiebung ihres hinteren
Randes. In Gestalt eines breiten Lappens legt sich dieser über die
Aussenfläche der Grube und deckt dieselbe zu. Dieser Lappen ist
der seitliche Stirnfortsatz, sein wulstiger Rand wird zum
Nasenflügel.\') Auf der Stufe von und von Sl läuft die Nasen-
furche in zwei Rinnen aus, eine mediale, von der Lamina nasalis
überlagerte und eine laterale, vom seitlichen Stirnfortsatz bedeckte;
letztere ist breiter sowohl, als tiefer denn die erstere (Fig. 33 a u. b).
An der Begrenzung des unteren Endes der Nasenfurche betheilt
sich der Oberkieferfortsatz. In die mediale Wand wird das
Jakob-
soN\'sche Organ mit einbezogen.

Bei den Umlagerungen, welche das Nasenfeld und dessen Deri-
vate erfahren, kommt ausser den veränderten Beziehungen zum Ge-
hirn auch die veränderte Stellung zum Mundrachenraum sehr wesent-
lich in Betracht. Die primäre Stellung der Nasengrube ist eine
ziemlich steile und das untere Ende der Grube liegt jederseits noch
ein ganzes Ende vor dem Eingang in die Mundhöhle (Taf. XIII
Fig. 1). Würde sich zu der Zeit die Grube ohne Aenderung ihrer
Stellung zur Höhle sehliessen, so käme die hintere Nasenöffnung

1) Auch hier hat Dürsy richtig erkannt, dass sich die Nasengrube durch
Hervorschieben ihres hinteren Begrenzungssaumes schliesst. Er spricht von
einem „Nachvornwachsen" des Saumes, während es sich nach meiner Auffas-
sung um eine Faltenbildung in der Kopfwand handelt.

His, Mensehl. Emhryonen. III. 4

-ocr page 58-

noch ausserhalb des Mundraumes zu liegen. Die spätere Stellung
der Nasenhöhle über der Mundhöhle kann daher nur vermöge einer
ausgiebigen Verschiebung der Theile zu Stande kommen. Als An-
haltspunkt zur Vergleichung gebe ich beistehend die Vorderkopf-
contouren des Embryo A und des Embryo Br2. Als Einheitsmaass
ist bei beiden Figuren der Abstand vom Augenmittelpunkt zur Nasen-
wurzel gewählt, dabei ergiebt sich ziemliche Uebereinstimmung
im Abstand vom Auge zum Unterkiefer und wenig verschiedene
Maasse für die Ausdehnung der Nasengrube. Die Vergleichung bei-
der Contouren ergiebt als Fortschritt der vorgerückten Stufe 1. be-
deutende Hebung des Stirntheiles des Kopfes, entsprechend der fort-
geschrittenen Entwickelung der Hemisphären; 2. Hervortreten eines

Nasenrückens und Bildung
eines keilförmigen Zwischen-
stückes, einer Pars ethmoi-
dalis, zwischen der Gehim-
basis und dem vorderen Ende
der Nasenhöhle; 3. zufolge der
unter Nr. 2 erwähnten Ver-
änderungen erfährt das vor-
dere Ende der Nasenhöhle eine
Senkung, damit combinirt sich
aber eine Hebung des hinteren
Endes, derart, dass nun dieses
in die Höhe des Augenprofils
emporsteigt; 4. ist der an-
fangs weit oben Kegende Processus globularis herabgerückt; der aus
ihm hervorgehende Zwischenkiefer bildet in grösserer Ausdehnung
den Boden der Nasenhöhle. Zugleich aber ist der Processus glo-
bularis durch seine Betheihgung an der Oberlippenbildung Bestand-
theil der Mundhöhlendecke geworden. Diese ist demnach um ein
gutes Stück weiter nach vorn vorgeschoben denn früher, und auch
der Oberkieferfortsatz hat sich durch Verlängerung seines vorderen
Endes an der neuen Sachlage betheiligt.

Aus den beistehenden Contourskizzen und noch deuthcher aus
dem Profil von Sch Fig. 36 ergiebt sich, dass die primitive Nasen-
grube nicht nur die Anlage der Pars olfactoria, sondern diejenige

Fig. 34 und 35.
Vorderkopf vom Embryo Br 2 und von A. Die
Nasenhöhle ist senkrecht schrafflrt.

-ocr page 59-

der ganzen Nasenhöhle nmfasst. Sowie der seitliche Schluss der
Grube erfolgt ist, zeigt der enstandene Hohlraum im Wesentlichen
eine Grundform, die für die Nasenhöhle die bleibende ist. Von der
vorderen Oeffnung aus führt ein kurzer Eingangstrichter in eine hohe
Spalte, die oben von der Pars ethmoidahs überwölbt ist und in
deren Decke der N. olfactorius sich einsenkt. Jenseits von dessen
Insertionsstelle nimmt die Höhle rasch an Höhe ab und läuft in
einen niedrigen Gang aus, den
Nasenrachengang, welcher
lateralwärts von den Laminae
nasales in den hinteren Nasen-
löchern sich öffnet. Dieser Gang
führt an einer rechtwinkehgen
Ecke der Schädelkapsel vorbei,
welche ihrer Lage nach der
Kante des späteren Keilbeins
entspricht. Wenn danach die
Gaumenfortsäze des Oberkiefers
in der Mittelebene zusammen-
treffen, so wird anfangs nur ein
unverhältnissmässig kurzer Theil
bei Bildung des Nasenbodens
Verwendung finden, nur die
Strecke nämlich, welche die
inneren Nasenlöcher überragt, ^^

der grössere Rest geht in Bll- Profilconstruction vom Embryo Scb. Die Zunge ist

® nicht mit in der Zeichnung aufgenommen, um

" ■ -- - ■ sichtbar zu

. y Eath-

Ttyi woi oron Vorlfinffi rlpr Ti^nf- ke\'sche Tasche, CA Chorda, 3f Tuba, TO Unterkiefer,
im weueien veilduie UtSl JUUl- Gaumenleiste, p.? Process, globul. Die Choane

markirt sich am hinteren Ende der senkrecht
schrafflrten Nasenhöhle als kurzer Trichter.

Wickelung tritt die Nase mehr
aus dem Gesicht hervor und

der Mundraum erweitert sich. Dabei wird nun auch die Flächen-
entwickelung des Gaumens eine andere und der Oberkieferantheil
desselben kommt mehr zu seinem Rechte.

Ich komme mit einigen Worten auf den mittleren Stirn-
fortsatz als Ganzes zurück. Von dem Zeitpunkt ab, da die bei-
den Nasengruben als schräge, allmähhch sich vertiefende Flächen
am Vorderkopf wahrnehmbar werden, charakterisirt sich auch das

dung des Velum palatinum auf. die Seitenwand des Mundrachenraum^^
° machen. iV.o N. olfact., iVA Nasenhohle, Ä. 5

-ocr page 60-

dazwischen liegende Mittelfeld als Gebiet des zukünftigen Stirnfort-
satzes (Taf. YIII Fig. 5—9, Taf. XI BB Fig. 2—3 und Lr Fig. 6—8).
Dasselbe schmiegt sich anfangs dem Vorderhirn noch ziemlich nahe
an, sein Querschnitt erscheint im oberen Theile convex, unten da-
gegen beim Anschluss in die Mundgrubendecke concav. Am Ueber-
gang des convexen Theiles in den concaven liegt ein leichter Vor-
sprung, die erste Andeutung einer Nasenkante. Je schärfer nun in
der Folge die Nasen gruben sich ausprägen, um so mehr entwickeln
sich deren aufgeworfene Eänder zu selbständigen Wülsten. Jede
der beiden Gruben erscheint nun von einem nach abwärts offenen
Bogenwulst umfasst. Der Theil des Bogenwulstes, welcher dem
mittleren Stirnfortsatz angehört, biegt sich noch eine Strecke weit
unter dem vorderen Theil der Grube weg und endet dann mit
raschem Absätze als Processus globularis (Taf. VII A 4 und B 3).

So stehen die Dinge am Schluss des ersten Monates. In der
Zeit liegt der mittlere Stirnfortsatz dem Vorderhirn innerhalb der
Medianebene fast unmittelbar an, die Nasengruben dagegen sind von
diesem seitlich abgerückt, wobei indessen ihre Profilprojection noch
grösstentheils mit derjenigen des Gehirns sich deckt (Taf. IV Fig. 10
bis 14). Von nun ab rücken, wie dies oben gezeigt wurde, die Nasen-
gruben mehr und mehr aus dem Gehirnbereich heraus und zugleich
vergrössert sich der Abstand zwischen der Hemisphärenbasis und
der Kopfwand. Es bildet sich ein Nasenrücken, die Nasenkante
prägt sich dabei schärfer aus und der Stirnfortsatz entwickelt sich
zu einer selbständig das Gehirngebiet überragenden Anlage.

Fassen wir den Process der Nasenbildung nach seiner wahren
Bedeutung zusammen, so können wir sagen, es entsteht der Complex
der drei Stirnfortsätze als eine aus der ursprünglichen Hautkapsel
des Gehirns hervortretende Sagittalfalte. Die Falte ist anfangs sehr
breit angelegt; sie verschmälert sich in der Folge, und ihr Scheitel
entfernt sich dadurch mehr und mehr von der Basis. Die Eiech-
gruben, indem sie in die Seitemvand der Falte mit einbezogen sind,
gleiten zunächst in schräger Eichtung nach vorn und kommen dann,
durch das Schmälerwerden der Faltenbasis, in immer geringeren Ab-
stand von einander zu liegen.

Gleichzeitig mit der sagittalen entsteht eine quere Falte, und
wie jene in ihrem letzten Bndergebniss zur Bildung des Nasen-

-ocr page 61-

rückens, so führt diese zur Bildung der Nasenkante und der Nasen-
spitze. Schon von Anfang ah besteht das Mittelstück der Sagittal-
falte aus einem oberen, die Nasengruben überragenden und einem
unteren, zwischen diese eingeklemmten Abschnitt. Während jener
convex sich vortreibt, erscheint der letztere concav eingesunken. Auf
der Grenze beider Abschnitte bildet sich als eine bogenförmig an-
gelegte Querfalte die Nasenkante, Je mehr die Basis der Sagittal-
falte sich verschmälert, um so weiter wird ihr oberer Abschnitt her-
vorgetrieben, um so tiefer aber der untere zurückgedrängt und unter
den oberen einbezogen. Man kann sich mit Hülfe von einem Stück

steifen Papieres die geschilderten Hergänge und ihr Ineinandergreifen
leicht veranschaulichen. Bricht man das Papier in der beistehend
vorgezeichneten Weise, so ist man im Stande, auch den seitlichen
Schluss der Nasengrube und die Hebung von deren hinterem Ende
als Folgen des sagittalen Faltungsprocesses zu verstehen, Stellen
nämlich die beiden unteren Eckfelder die Nasengruben vor, so er-
giebt eine Zusammenschiebung des Blattes in transversaler Eichtung
eine zunehmende Yerdeckung jener Felder durch einen von hinten
und oben her kommenden, dem seitlichen Stirnfortsatz entsprechenden

-ocr page 62-

Streifen. Ebenso zeigt das Schema die Bildung der Laminae nasales
und ihre Vereinigung zum Septum.

Bei obiger Betrachtung ist als faltenbildende Schicht nur die
Ectodermbekleidung des Vorderkopfes in Betracht zu ziehen, die Aus-
füllungsmasse, welche die entstehenden Zwischenräume einnimmt,
ist in diesen frühen Perioden viel zu weich, um selbständig in die
Eormenbildung eingreifen zu können.

Nachdem der mittlere Stirnfortsatz auf dem Höhepunkt seiner
embryonalen Entwickelung angelangt ist (etwa im Beginn der sechsten
Woche), lassen sich an ihm naturgemässerweise drei Zonen unter-
scheiden, eine oberste, welche die beiden Nasenhöhlen überragt, eine
mittlere, welche zwischen die beiden Höhlen eingeschoben ist und

eine untere, welche die Höhlen vom Mundraum trennt (Fig. 34).
Diese drei Zonen können als Pars ethmoidalis, als Pars inter-
nasalis oder Septum und als Pars intermaxillaris be-
zeichnet werden (Fig. 36 und Fig. 38).

Die Pars ethmoidalis bildet einen Keil mit hinterer Zuschärfung,
ihre obere Fläche ist der Gehirnbasis zugekehrt, die vordere Fläche
sieht als Area triangularis frei nach vorn. Die untere Fläche setzt
sich unmittelbar in das Septum fort. Zwei dicke Nn. ethmoidales
treten durch den hinteren Theil der Pars ethmoidalis und inseriren
sich beiderseits in die Decke der entsprechenden Nasenhöhle.

Das Septum erscheint nach Vereinigung seiner beiden Seiten-

-ocr page 63-

hälften als eine dicke, senkrecht stehende Suhstanzplatte, von an-
nähernd vierseitiger Umgrenzung. Der obere Rand hängt mit der
Pars ethmoidalis, der hintere mit der Pars sphenoidalis des Schädels
zusammen. Der vordere Rand ist frei, als Pars infranasalis der
früheren Beschreibung, und der untere Rand trägt den durch Ver-
schmelzung der Processus globulares entstandenen Zwischenkiefer-
theil. Nach hinten läuft das Septum zwischen den beiden hinteren
Nasenöffnungen mit schräg gestelltem Rande frei aus.

Die Pars intermaxillaris des mittleren Stirnfortsatzes entsteht
durch die Herabdrängung und die mediane Verschmelzung der beiden
Processus globulares. An ihrer oberen Fläche nimmt sie das Sep-
tum auf, ihre vordere und ihre untere Fläche sind frei und auch
ihre hintere Fläche ist so lange frei, als nicht die Verbindung mit
den Processus palatini des Oberkiefers eingetreten ist.

-ocr page 64-

Die äusseiiiclie Entwickelung des Unterkiefers
und der Inframaxillargegend.

Bei jüngeren Embryonen ist, wie wir oben sahen, die Mund-
öffnung ein weit klaffendes Loch (man vergl. z. B. Taf. VI Fig. I A
und Taf. IX Fig. 2-5). Einestheils hängt dies mit dem Fehlen des
mittleren Stirnfortsatzes zusammen, anderntheils aber mit der Stel-
lung des in dieser Zeit schräg herabhängenden Unterkiefers. Dieser
ist da, wo er vom Oberkiefer sich scheidet, schmal, läuft aber dann
in eine wulstige Verdickung aus, welche mit der entsprechenden der
anderen Seite der Mittellinie zusammentrifft. Mit dem Eintritt der
Xackenkrümmung erfährt die Mundöffnung dadurch eine erhebliche
Einengung, dass das nach vorn und medialwärts gerichtete Endstück
des Unterkiefers sich emporhebt und zum Theil vor den Oberkiefer
zu hegen kommt (man vergl. Taf. I Fig. 2, Taf. VIII Fig. a 3 und
Taf. IX Fig. 1). Im Profil gesehen, hat jetzt die Mundspalte eine
schräge ansteigende Eichtung, von vorn gesehen, bildet sie eine nach
oben convexe Bogenlinie.

Die eben beschriebene Aenderung in der Stellung des Unter-
kiefers findet ihren Grund darin, dass beim Eintritt der Nacken-
krümmung das Schlundbogengebiet des Hinterkopfes zusammenge-
schoben wird und dabei wird das Endstück des Kieferbogens durch
den Druck der dahinterhegenden Theile gegen die offene Mundlücke
hingedrängt. Bei diesem Mechanismus des Mundschlusses wird es
verständhch, weshalb alle jene Missbildungen, bei denen die Nacken-
krümmung ungenügend sich ausbildet, in übereinstimmender Weise
ein weit klaffendes Maul zeigen (man vergl. Heft II S. 99 und 100,
besonders die Figuren LXXVI, L und
XXXI).

-ocr page 65-

Da, wo die kugelig gewölbten Endstücke der beiden TJnterkiefer-
bogen sich begegnen, bleibt zwischen ihnen eine Furche übrig, die
anfangs sowohl an der äusseren, als an der dem Mundraume zuge-
wendeten Oberfläche tief einschneidet. Von der fünften Woche ab
beginnt die Furche, sich auszufüllen und jetzt besteht der Unter-
kiefer, insoweit er an die Mundspalte anstösst, aus einem quer ge-
stellten Mittelstück und zwei schräg ansteigenden Seitenstücken. Ich
bezeichne diese Abschnitte als Mittelkiefer und als Seiten-
kiefer. An den beiden auf Taf. XIV Figur 6 u. 7 abgebildeten
Köpfen ist der Mittelkiefer noch mit einer yerticalen Furche ver-
sehen, die indessen bereits im Schwinden begriffen ist. An den
Seitenkiefern zeichnet sich nunmehr die Lippe als selbständiger, vom
unteren Kiefersaum abgesetzter Wulst. Sehr deutlich tritt diese Tren-
nung auch an den Profilansichten hervor (Taf. XIII Fig. 5, 6 und 7
und XIV Fig. 5). Hier hatte ich im vorigen Heft die beiden Ab-
theilungen als Lippen- und als Kinnwulst unterschieden, i) Indessen
ist letztere Bezeichnung nicht ganz glücklich gewählt, denn der im
Profil sichtbare Wulst entspricht mehr dem Kieferwinkel als dem
Kinn. Letzteres scheidet sich von dem im Profil wenig hervor-
tretenden Mittelkiefer ab. Von den Seiten her dringt nämlich die
Lippenfurche in diesen ein und trennt einen convex ausgebauchten
unteren Wulst vom oberen, die Mittellippe bildenden Saum (Taf. XIV
Figur 8).

Mit der zunehmenden Ausbildung der Oberlippe ändert sich
auch die Form der Unterlippe. Ihr Mittelstück hebt sich zu einer
stumpfen Spitze empor (Fig. 8 und 9), während die Seitentheile eine
einfache Querrichtung annehmen. Zum Theil wird jetzt auch die
Unterlippe von der Oberlippe überragt und zugedeckt.

Unterhalb des Unterkiefers entwickelt sich als besondere Fläche
die Inframaxillargegend, zu deren Verständniss wir wieder auf
die früheren Stufen zurückgreifen müssen.

Während die Seitenwand des Hinterkopfgebietes die bekannte
Gliederung in den Schlundbogen erfährt, ist die Vorderwand des-
selben anfangs vom Herzen und von der dasselbe umgebenden
Parietalhöhle eingenommen. Der Aortenbulbus inserirt sich unmittel-

1) Heft H S. 56.

-ocr page 66-

bar vor dem Unterkiefer (Taf. IX Fig. 6), dessen freie vordere Höhe
demnach zu der Zeit eine sehr geringe ist (Fig. 39). Die Insertions-
stelle des Aortenbulbus rückt aus ihrer primitiven Stellung mehr
und mehr nach abwärts; aus dem Bereich der Unterkieferbogen
heraus kommt sie in die Etage des zweiten und weiterhin des
dritten Schlundbogenpaares. Dabei trennt sich auch der zugehörige
Theil der Parietalhöhle vom Kopfe los, und die Insertionshnie ihrer
Wand rückt gleich der Bulbusinsertion nach abwärts. Zwischen
dieser Insertionslinie und dem wulstig hervortretenden Unterkiefer
entsteht nun die Inframaxillarfläche als ein nach vorn ge-
wendetes dreieckiges Feld (Taf. XIV Fig. 6 und 7). Oben wird das-
selbe durch den Mittelkiefer, seithch durch
die schräg ansteigenden Seitenkiefer und
weiterhin noch durch die wulstig vortre-
tenden Enden des zweiten Schlundbogen-
paares eingefasst. Der dritte Schlund-
bogen pflegt, wenn einmal das Infra-
maxillargebiet zur Ausbildung kommt,
als äusserhch abgegrenzte Bildung schon
verschwunden zu sein. Im Uebrigen ist
dasselbe glatt und es greifen weder
Schlundbogen noch Schlundfurchen auf
dasselbe über. Es existirt somit an der
Vorderfläche des Hinterkopfes ein zwi-
schen die Bogensysteme eingeschobenes
Zwischenfeld, welches unter Herabdräng-
ung des Aortenbulbus und der Parietal-
höhle sich ausgebildet hat. Auch an der Innenfläche des Mund-
rachenraumes treffen, vom Unterkiefer abgesehen, die Schlundbogen
ursprünglich nicht in der Mitte zusammen, sondern sie bleiben
durch ein von vorn nach rückwärts breiter werdendes mesobran-
chiales Feld von einander getrennt, wie dies im nächsten Abschnitt
weiter ausgeführt werden soll. \')

1) Schon bei früherer Gelegenheit wurde, in Uebereinstimmung mit
Duksy, hervorgehoben, wie unhaltbar die auch in Modellen reproducirte Dar-
stellung von Eckeb ist (Jcones phys. Taf. XXIX Fig. 1), wonach Wülste und
Spalten vorn aneinander anschliessen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1881. S. 309.

-ocr page 67-

Bei Fig. 6 u. 7 von Taf. XIV laufen an der Grenze des Infra-
maxillargebietes der Seitentheil des Unterkieferbogens und der zweite
Schlundbogen in zwei rundliche Höcker aus. Der obere dieser
beiden Höcker bezeichnet den Winkel des Unterkiefers, der untere
dagegen wird späterhin grossentheils überdeckt; was von demselben
frei bleibt, finden wir im Ohrläppchen erhalten.

-ocr page 68-

Die Yorderwand des Miindraclieiiraiinies und
deren Umbildung.

Yerlialten der Anfangsstufeii.

Bei den jungen Embryonen Lg und Ef zeigt die Vorderwand
des Mundrachenraumes folgende Gestaltung: von beiden Seiten her
treten die Schlundbogen als drei Paare von flachen Wülsten nach
vorn hin, ohne sich indessen in der Mittellinie zu erreichen. Am
nächsten rücken sich die beiden Unterkieferbogen; erheblich breiter
bleibt der Abstand des zweiten und noch grösser der des dritten
AVulstpaares. Zwischen den Enden der drei
Paare von Erhebungen bleibt sonach ein
dreieckiges nach abwärts sich verbreiterndes
Feld übrig, das wir als mesobranchiales
Feld bezeichnen können. Soweit als dieses
Feld reicht, flegt vor demselben die Parietal-
höhle der Wand des Mundrachenraumes an,
auch fällt in seinen Bereich die Inser-
tionsstelle des Aortentruncus, die bei Em-
bryo Lg noch in der Höhe vom ersten und
zweiten Schlundbogen flegt. Dieser Inser-
tionsstelle entsprechend, findet sich im oberen
Theil des Mesobranchialfeldes ein kleiner
rundlicher Vorsprung, den ich als Tuberculum impar bezeichnen
will (Taf. XII Lg Fig. 56 und 60). Unterhalb dieser Stelle ist der
Boden des Mundrachenraumes von einer niedrigen, zwischen ihn und
die Parietalhöhle eingeschobenen Platte gebildet (1. c. Fig. 64—90),
innerhalb deren in der Folge die Wurzelstücke der unteren Gefäss-

-ocr page 69-

bogen zur Entwickelung kommen. In der unteren Hälfte des Meso-
branchialfeldes wölbt sich der Boden zu einem zweiten, umfäng-
licheren Vorsprung empor, der den Eaum zwischen den unteren
Seitenwülsten einnimmt. An seinem oberen Ende ist dieser Vor-
sprung ungetheilt, weiterhin aber zerfällt er durch eine mediane,
von oben nach abwärts tiefer werdende Furche in zwei Leisten,
welche sich in den Eumpftheil des Eingeweiderohres hinein fort-
setzen. Hiernach bezeichne ich den Vorsprung als die Gabel oder
Furcula. Es entsteht die Furcula durch ein Uebergreifen der dem
Eumpfvorderdarm eigenthümlichen Längsgliederung in das Gebiet
des vorwiegend quergegliederten Kopfdarmes.

Nachdem durch Ausprägung der dritten und der vierten Furche
auch der vierte Schlundbogen sich abgegliedert hat (bei Embrj\'-o BB
Fig. 41), liegt die Furcula medialwärts von den kurz angelegten vierten
Bogenwülsten, und sie greift noch eine Strecke weit zwischen das
dritte Paar ein. Im Uebrigen ist die Area mesobranchialis dadurch
etwas schmäler geworden, dass sich die verschiedenen Wülste ver-
längert und näher gegen die Mittellinie herangeschoben haben, i)

Betrachten wir statt der Wülste die Furchen, so ergiebt sich
folgendes Verhalten: eine mediane Furche trennt die sich entspre-
chenden Enden der zwei obersten Bogenpaare und die obere Hälfte
des dritten Paares. Aus ihrem Grunde erhebt sich das Tuberculum
impar, nach beiden Seiten hin hängt sie mit der ersten und zweiten
Schlundfurche zusammen. Am tiefsten ist die Medianfurche un-
mittelbar hinter dem Tuberculum impar, da wo sie die vordersten
Seitenfurchen aufgenommen hat und die Enden der zweiten Bogen-
wülste von einander trennt. Dahinter wird sie seichter und, indem
sie auf den Scheitel der Furcula stösst, trennt sie sich in zwei neben
dieser herlaufende divergirende Schenkel. Sonach hängt die dritte
Seitenfurche nur noch mittelbar, die vierte aber gar nicht mehr mit
dem medialen Schlitz zusammen. Es läuft die vierte Furche in
eine tiefe Bucht aus, welche zwischen dem unteren Ende der Furcula

1) Für Embryo M geben die Fig. 4 u. 5 von Taf. VI eine ziemlich klare
Anschauung des Mesobranchialfeldes. Das Tuberculum impar und die Fur-
cula sind daran allerdings nicht erkennbar, ersteres würde in Fig. 4, letztere
in Fig. 5 zu suchen sein.

-ocr page 70-

und dem Anfangstheile der Eumpfwand vorhanden ist, und die vor-
läufig der Fundus hranchialis heissen mag.

Das die Vorderwand des Mundraohenraumes bildende Mesobran-
chialfeld umfasst laut der gegebenen Beschreibung zwei von einander
getrennte Erhebungen, das Tuberculum impar nebst der Furcula und
ein dieselben umgebendes Thalgebiet. Letzteres stellt sich als eine
hufeisenförmige oder noch correcter ausgedrückt als eine dreistrahlige
Furche dar, die ich den Sulcus arcuatus nennen will. Nach
beiden Seiten hin in die Schlundspalten auslaufend, endet der Sulcus
arcuatus nach abwärts im Fundus hranchialis, und wir können an
ihm das nach oben sehende Mittelstück und die beiden nach ab-
wärts sehenden Seitenhörner unterscheiden.

Bevor wir die weitere Entwickelung der bis dahin betrachteten
Bildungen verfolgen, erscheint es zweckmässig, einen Blick auf das
Verhalten der Aortenbogen zu werfen. Es stehen diese zu den
Wulstungen der Mundrachenwand in sehr naher Beziehung, so dass
ihr Verlauf aus jenen zu erläutern ist und umgekehrt. Dabei ist
allerdings im Auge zu behalten, dass die der Schlundbogenbildung
zu Grunde liegenden Faltungen der inneren und der äusseren Kopf-
wand der primäre Vorgang, das Hereinwachsen der Gefässe in die
frei werdenden Räume der secundäre Vorgang sind. Dies gilt auch
von menschlichen Embryonen und so finde ich z. B. bei Lg (Fig. 40)
einen dritten Bogenwulst, bevor ein correspondirendes Gefäss vorhan-
den ist. Sind aber einmal Gefässe da, so ist, wie sich leicht ver-
folgen lässt, deren Caliber von bestimmendem Einfluss auf die Ent-
wickelung der umgebenden Wülste. Es gilt dies wenigstens von
der Entwickelungsperiode, während der die Schlundbogen überhaupt
als selbständige Bildungen hervortreten; späterhin löst sich ja die
Beziehung zwischen den Gefässen und den primitiven Bogen, erstere
schliessen sich theilweise, theils rücken sie in ganz andere Stel-
lungen ein und letztere machen ihrerseits selbständige Entwicke-
lungen durch.

Bei Embryo Lg und bei Rf sind erst zwei Gefässbogen vorhanden,
von denen der obere in den Unterkieferfortsatz von vorn und unten
her eintritt; in demselben nach rückwärts laufend, steigt er etwas in
die Höhe und durchsetzt noch eine Strecke weit den Oberkiefer-
fortsatz, bevor er seine Endbiegung ausführt (Taf. IX Fig. 7).

-ocr page 71-

Bei Embrj^o BB, bei welchem alle vier Schlundbogen ange-
legt sind, entsendet der Aortentruncus fünf Gefässschleifen, von
welchen die zwei oberen und die drei unteren je mit einem gemein-
samen Anfangsstück beginnen. Die Insertionsstelle des Truncus liegt
zu der Zeit im Zwischengebiet zwischen zweiten und dritten Bogen,
etwas oberhalb des Endes der Eurcula. Von hier aus verbreiten
sich die fünf Zweige strahlig, der erste und der zweite steigen in
die Höhe, der vierte und der fünfte wenden sich nach abwärts und
nur der dritte verläuft annähernd in der Ebene der Insertionsstelle.
Das gemeinsame Wurzelstück des ersten und des zweiten Gefäss-
bogens oder die Carotis externa hegt jederseits lateralwärts von

der Medianfurche. Die Trennung erfolgt nahe am oberen Eand des
zweiten Schlundbogens und von da ab erreicht das oberste Gefäss
zunächst den unteren Eand des Unterkiefers, während das zweite
dem Verlauf seines Wulstes folgt. Der dritte Gefässbogen entspringt
etwas oberhalb der Eurcula und verläuft eine Strecke weit inner-
halb des Mesobranchialfeldes, ehe er seinen Wulst erreicht. Der
vierte und der fünfte Bogen entspringen mit einem gemeinsamen
Anfangsstück, welches dem oberen Saum der Eurcula folgt, bevor es
sich in seine beiden Endäste trennt. Vom Theilungswinkel ab tritt
der vierte Gefässbogen quer über zu seinem kurz angelegten Schlund-

-ocr page 72-

wulsfc, während der fünfte Bogen, dem Furcnlasamne folgend, nach
abwärts steigt und medianwärts vom Fundus branchialis das Ein-
geweiderohr umgreift. Derselbe liegt hier in einer Leiste einge-
schlossen, welche den Fundus branchialis vom Eingang in den
Eumpfdarm trennt. Man könnte diese aus der Furcula hervor-
gehende Leiste als fünften Schlundbogen bezeichnen, wollte man
sich dazu verstehen, einseitige, blos nach der inneren Seite hin aus-
gebildete Bogen anzuerkennen; da ich es indessen für unzweckmässig
halte, ein schon unzweifelhaft dem Eumpf angehöriges Gebilde unter
die sonst dem Kopf angehörigen Schlundbogen zu zählen, so ver-
zichte ich auf jene Bezeichnung und nenne die den Fundus median-
wärts begrenzende Leiste Crista terminalis.

Mit dem fünften Gefässbogen ist die Reihe der primären Ge-
fässanlagen noch nicht erschöpft, denn ein vom fünften Bogen sich
abzweigendes Stämmchen tritt jederseits neben bez. vor der Anlage
des Respirationsrohres als A. pulmonalis nach abwärts. Von diesem
Gefäss, das bei Embryo BB kaum in seinen ersten Anlagen besteht,
wird späterhin nochmals die Rede sein.

Bildung der Zungenanlage, der mittleren ScMlddrüseii-
anlage und des Kehlkopfeinganges.

Die übersichtliche Gestaltung der Stufe von BB giebt den natür-
lichen Ausgangspunkt für die Betrachtung der weiteren Entwicke-
lungsverhältnisse. Das Gebiet, wie es zur Zeit vorliegt, umfasst die
Anlagen für Unterkiefer, Zunge und Kehlkopfgebiet und diejenigen der
Schilddrüse. Als allgemeinen Gestaltungsvorgang haben wir schon
in einem früheren Capitel die successive Uebereinanderschiebung der
Schlundbogen kennen gelernt (S. 28), ein zweiter Vorgang von gleich-
falls allgemeiner Art ist das Hereintreten der Schlundbogenwülste
gegen die Mittellinie hin, und an diesen Vorgang knüpft sich die
erste Bildung der Zungen- und diejenige der mittleren Schild-
drüsenanlage.

Bei Embryo Lr ist der zwischen den Schlundbogenwülsten lie-
gende Raum noch etwas enger, als bei BB, im Uebrigen ist die

-ocr page 73-

Gestaltung der Gegend keine wesentlich andere geworden, wogegen
auf der Stufe der Embryonen a, BI und R ein entscheidender Port-
schritt sich eingeleitet hat.

Ich gebe zunächst das Constructionsbild für Embryo R, womit
man die Durchschnitte von Taf. XII und das Profil von Taf. XIII
Fig. 3 vergleichen mag. Die bedeutendste Aenderung dieser Stufe
gegenüber den vorausgegangenen
liegt darin, dass das zweite und
das dritte Paar von Schlundwülsten
in der Mittelhnie zusammengerückt
sind und sich theilweise mit ein-
ander verbunden haben. Die me-
diane Verbindung ist keine durch-
greifende, das zweite Wulstpaar
bleibt nach oben durch eine klaf-
fende Lücke geschieden (Taf. XII
Fig. 107 u. 108), auf deren Grund
der primäre Mundhöhlenboden und
das Tuberculum impar hegen. Da,
wo die von den Seiten her kom-

menden Wülste zusammengetroffen sind, überbrücken sie eine zwei-
theihge Höhle, welche nach oben offen ist, nach abwärts blind
endigt (Taf. XIII Fig. 3). Die Höhle (auf Fig. 43 punktirt ange-
geben) ist die Anlage für das Mittelstück der Schild-
drüse.

Die medialen Enden der dritten Schlundbogen treten in schräger
Eichtung nach oben hin. So treffen sie nicht allein unter einander
zusammen, sondern sie begegnen auch den darüber liegenden Wül-
sten des zweiten Paares und verwachsen mit ihnen sehr bald.
Hierdurch entsteht eine gemeinsame Leiste von der Gestalt eines
schrägen Kreuzes, die Anlage der Zungenwurzel. Das Mittel-
stück der Leiste ist am schmälsten und es ist in den Raum zwi-
schen dem Tuberculum impar und der Furcula eingeschoben. Lateral-
wärts wird die Anlage breiter und sie gabelt sich beiderseits in
einen oberen, dem zweiten, und einen unteren, dem dritten Schlund-
bogen angehörigen Schenkel, die durch eine breite, medialwärts
seicht auslaufende Furche von einander geschieden sind. Der obere

His, Mensolil, Embryonen. III. 5

-ocr page 74-

Schenkel ist die Anlage des Arcus palatoglossus, und als
solcher bildet er die Grenze zwischen dem eigentlichen Mund- und
dem Pharynxraum, Die auf ihn folgende Furche bezeichnet den
Ort, wo sich späterhin die Tonsille bilden wird. Letztere ent-
wickelt sich im Bereich der zweiten Schlundspalte, dagegen ist der
an die Zungenwurzel herantretende Seitentheil des dritten Bogen-
wulstes keineswegs dem Arcus palatopharyngeus gleich zu setzen,

denn dieser geht, wie dies S. 32 u. flF.
gezeigt worden ist, aus der von
den Schlundbogen unabhängig ent-
^^ standenen Gaumenleiste hervor.
Diese bildet sich weit später als
die Schlundbogenwülste; vom Ober-
kiefer aus, an dem sie ihren An-
fang nimmt, verlängert sie sich
nach rückwärts über den zweiten
Schlundbogenwulst hinaus und ver-
liert sich zuletzt in der Seiten-

Fig. 44«

Boden des Mundraclienrauraes vom Embryo ßi. waud dcs Pharynxgebietes. Die
V Tuberc. impar, darunter^ die Zungenwurzel. Kreuzungsstelle der Gaumenleiste

mit dem zweiten Schlundbogen-
wulst fällt in das Velum palatinum, die dahinter liegende Fortsetzung
derselben ist eben der Arcus palatopharyngeus.

Mit den letzten Bemerkungen habe ich in der Zeit weit anti-
cipirt und ich kehre zur Beschreibung der Stufen von R und von Bl
zurück. Es wird hier, wie wir sehen, die untere Grenze des eigent-
hchen Mundraumes durch die zweiten Schlundbogenwülste bezeichnet.
Nach oben wird derselbe von den beiden TJnterkieferbogen eingefasst,
deren mediale Enden durch einen tiefen Einschnitt von einander
sich absetzen. Inmitten des Mundraumes erhebt sich das Tuber-
culum impar, welches sich nach oben hin dem Einschnitt der beiden
Unterkieferbogen, nach abwärts aber demjenigen der Zungenwurzel
einpasst. An ihm vorbei führt eine Spalte in den oben erwähnten
Blindsack der mittleren Schilddrüsenanlage. Den Grund der letz-
teren bildet der primäre Mundhöhlenboden, ihre Decke besteht aus
dem Verwachsungsstück der zweiten Schlundbogen.

Unterhalb der Zungenwurzel wird die Mitte des Raumes von

-ocr page 75-

der Furcula eingenommen, die, wie man nunmehr wohl ohne Wei-
teres erkennt, die Anlage der Epiglottis und der Plicae ary-
epiglotticae umfasst. Sie ist ohen hreit, wird dann etwas schmä-
ler und gewinnt schliesslich wieder an Querdurchmesser hei ihrem
Uebergang in die Cristae terminales. Der mediane Einschnitt er-
streckt sich jetzt bis zum oberen Eande, ist hier aber seicht; nach
abwärts geht er in eine erheblich tiefere und zugleich auch breitere
Furche über, die den Eingang zum Kehlkopfraum be-
zeichnet.

Jederseits von der Furcula liegt ein Spaltraum, der nach oben
hin vom dritten Schlundbogenwulst abgegrenzt, von den Seiten her
vom vierten Wulst eingeengt wird und der nach abwärts im Fundus
branchialis endigt. Die beiden Spalten sind die Seitenhörner des
früheren Sulcus arcuatus und sie sind von dessen Mittelstück durch
die Dazwischenschiebung des zweiten und dritten Bogenpaares abge-
trennt worden. Aus denselben bilden sich die von
Born entdeckten
seitlichen Schilddrüsenanlagen, ihr unterer Abschnitt ent-
spricht dem späteren Sinus pyriformis.

Aus den bisher constatirten Verhältnissen ergiebt sich in Be-
treff der verschiedenen Kehlkopfstücke folgende Disposition der An-
lagen : die Epiglottis entsteht aus dem Mittelstück der Furcula, die
Plicae aryepiglotticae aus deren Seitenrändern, in der Crista termi-
nalis bildet sich der Giessbeckenknorpel, in den vierten Schlund-
bogen die Cartilago thyreoidea, der davon eingefasste Spaltraum
wird zum Sinus pyriformis, und der Eingknorpel endlich entsteht im
Eumpfgebiete unterhalb der Cristae terminales.

Noch einige Worte über das Verhalten der Arterien in dieser
Zeit: Es ist bei Embryo E der Insertionspunkt des Aortentruncus
bis ungefähr vor die Mitte der Furcula hinab gerückt. Die Carotis
externa oder das verbundene Wurzelstück der früheren Gefässbogen
I und II umgreift jederseits die mittlere Schilddrüsenanlage, sie
entspringt mit dem dritten Bogen aus einem gemeinsamen, als Ca-
rotis communis zu bezeichnenden Stamm. Der vierte und der fünfte
Bogen verhalten sich ähnlich wie früher, und letzterer folgt auch
jetzt dem Eand der Furcula nach abwärts bis zur Crista termi-
nalis hin.

Aehnlich wie auf der zuletzt betrachteten Entwicklungsstufe

-ocr page 76-

verhalten sich Mundboden- und Zungenanlage bis in den Beginn
der 5. Woche hinein. Von den Gonstructionen, die ich gemacht
habe, theile ich eine neue Construction von Embryo B,\') eine solche
von Embryo Eck und diejenige von Pr mit. Bei allen diesen Figuren
findet man die kreuzförmige Anlage der Zungenwurzel wieder, bei

allen überlagert das Mittelstück
dieser Anlage die unpaare Schild-
drüsenanlage, bei allen schiebt sich
ferner zwischen den getheilten
Unterkiefer und die Zungenwurzel
das Tuberculum impar.

Das Tuberculum impar bildet
zu der Zeit eine flache Erhebung
des Mundbodens; nach beiden Sei-
ten hin setzt es sich durch eine
massig tiefe Furche ab (man ver-
gleiche Taf. II Fig. 38 und Taf. IV
Fig. 23—26), wogegen es von der
medianen Einne des Unterkiefers
durch einen scharfen Einschnitt getrennt ist. Die Breite des Ge-
bildes und seine Länge nehmen anfangs langsam, dann aber rascher
zu (Fig. 48); bei Pr umfasst es schliesslich ein ausgedehntes Feld,
dessen Bedeutung nunmehr auch klar genug zu Tage tritt. Es ist
dies Feld die Anlage für den gesammten, der Mundhöhle

1) Ich habe im ersten Heft Taf. YIII Fig. 6 und Taf. YII B 4 zwei
Gonstructionen des Mundrachenraumes gegeben, die beide der Verbesserung
bedürftig sind. Erstere ist dadurch ungenau ausgefallen, dass ich einen zu
kleinen Maassstab angewendet habe. Dadurch kam ich zu der irrthümlichen
Yerbindung der Schildrüsenanlage mit der Kehlkopfspalte. Bei meinen neuen
nach 40 fach vergrösserten Schnitten ausgeführten Gonstructionen vom Embryo a
habe ich Bilder bekommen, die sich im Wesentlichen dem vom Embryo R
Fig. 43 anschliessen. Ich verzichte auf eine Mittheilung der Figur, da sie
der grösseren Schnittdicke halber nicht so genau ausgeführt werden kann, als
die von E.

Die obige Construction für Embryo B differirt von der auf Taf. YII ge-
gebenen dadurch, dass die Uebergange der Seitenwand genauer durchgeführt
sind; auch habe ich diesmal die Schnitte 38—40 einfach gezählt, während ich\'
sie dort aus den Heft I S. 16 angeführten Gründen verdoppelt hatte. Die Ver-
doppelung der drei Schnitte hat aber zu einer offenbar ungebührlichen Streckung
der Zungenanlage, bez. des Tuberculum impar geführt.

I

Fig. 45.

Aortenbogen Tom Embryo E, auf die vordere
Mundrachenwand bezogen. Vergr. 32.

-ocr page 77-

angehörigen Theil der Zunge, den Zungenkörper, wie
wir ihn zusammenfassend bezeichnen wollen.

Es giebt vielleicht das richtigste Bild vom Tuberc. impar, wenn
man dasselbe als eine Blase auffasst, die sich in dem Winkel zwi-
schen den beiden vorderen Schlundbogenpaaren vom Mundhöhlen-

Fig. 46. Fig. 47.

boden aus erhoben hat und deren Ausdehnung mit fortschreitender
Entwickelung sich vergrössert. Der vordere Eand des sich aus-
dehnenden Gebildes schiebt sich weiterhin als Zungenspitze über
den Unterkiefer weg und setzt sich durch eine einspringende Eurche
von ihm ab. Der hintere Eand aber wird seinerseits von der Zun-
genwurzel überlagert und gabehg umgriffen.

-ocr page 78-

Es entsteht somit die Zunge aus einer oberen und einer unteren
Anlage. Erstere kommt zu Stande durch die Emporwölbung des
mesobranchial gelegenen primären Mundhöhlenbodens, die untere
oder Zungenwurzelanlage durch das Zusammentreffen der Wülste
-vom zweiten und dritten Schlundbogenpaar. Beide Anlagen ver-
wachsen miteinander längs einer Y-förmig gebrochenen Linie und
jenseits von der Grenze der Zungenwurzel kommt es in der Folge
zur Bildung der Papillae vallatae und foliatae, denen durch
den Nerven des dritten Schlundbogenpaares, den N. glosso-pharyngeus
dicke Zweige zugeführt werden.

Die Spitze der V-förmigen Nahtlinie trifft mit der medianen
Naht der Zungenwurzel zusammen. Als unverbundene Lücke er-
hält sich hier das Foramen coecum. Die mittlere Schilddrüsen-
anlage liegt vor dem medianen Theil der Zungenwurzel und davon
bedeckt. Das Foramen coecum aber ist der letzte Eest jener Spalte,
welche ursprünglich von der Zungenoberfläche her in die Schild-
drüsenanlage geführt hat. Bei Embryonen aus der zweiten Hälfte
des zweiten Monats (so bei Lhs und bei Zw) steht das Foramen
coecum in Verbindung mit einem feinen Epithelgang, der bis in
das Niveau des Zungenbeins verfolgbar ist. Zuweilen erhält sich
dieser Ductus lingualis offen, und ich besitze zwei Präparate
von erwachsenen Zungen, bei denen der Gang in einer Länge von
21/2 cm durchgängig ist und in der Nähe vom Zungenbeinkörper
endigt. 0

Embryo Pr bildet den Uebergang der embryonalen Vorstufen
zu den bleibenden Formen des Mundrachenraumes, und von da aus
lassen sich die Anschlüsse nach beiden Eichtungen hin verfolgen.
Zungenkörper und Zungenwurzel sind bei Pr zu einem Ganzen ver-
bunden. Ersterer hat an Breite gewonnen, sitzt aber immer noch
flach auf seiner Basis auf. Durch die Zungenwurzel ist die Epi-
glottis gegen den Kehlkopfeingang zurückgedrängt. Ueber derselben
erkennt man bereits die beiden Valleculae und die Andeutung
der P1 i c ae g 10 s s 0 - e p i g 1011 i c ae. Die mediane von den drei Falten
gehört dem Mittelstück der Zungenwurzel an, die beiden seitlichen
dagegen dem hinteren Saume der dritten Schlundbogenwülste.

1) Kölliker, mikrosk. Anat. II. 2. S. 21 giebt an, Gänge bis zu 5-6"\'
(121/2—15 mm) Länge beobachtet zu haben.

-ocr page 79-

Der vierte Schlundbogenwulst hat keine Beziehungen zur Zunge,
dagegen legt er sich an das Wurzelgebiet der Furcula und verwächst
damit. Später schiebt sich eine Fortsetzung seiner Bestandtheile

Fig. 49. Fig. 50.

Durchschnitte vom Embryo Pr. Beide Schnitte sind etwas unsymmetrisch. Fig. 49 zeigt links
den dritten Schlundbogenwulst von der Furcula getrennt, rechts damit verbunden. Bei Fig. 50
kehrt dasselbe Verhältniss für den vierten Sohlundbosenwulst wieder. Bei Fig. 49 sind rechts die
dritte und die vierte innere Schlundspalte überbrückt, bei Fig. 50 nur die vierte.
Gh Gehör-
blase,
A. b Arteria basilaris, A. d Aorta descendens, A. a Aorta ascendens, V, J Vena jugul.,
///, ƒ F u. 7 3., 4. u. 5. Aortenbogen (bez. Sciilundbogen), Furcula, A\'i Kehlkopf,
A\'\'. gl Nerv, glosso-pharyngeua. Vergr. \'20.

vor der letzteren vorbei und führt zur Bildung der Cartilago thy-
reoidea (Heft I. S. 57). 0 Dem vierten Schlundbogen entstammt auch
der IST. laryngeus superior, und
zwar liegt er ursprünglich nahe
am unteren Rande desselben.
Die spätere Plica nervi laryngei
kann demnach als Orienti-
rungsmarke in diesem Gebiete
dienen.

Wenn die Embryonen eine
gewisse Grösse erreicht haben,
ist man im Stande den Mund-
höhlenboden makroskopissh zu präpariren, und so gelingt es, etwa
vom Beginn des zweiten Monats ab, directe Anschauungen mit Con-
structionsbildern zu combiniren. Als Beispiele gebe ich die Con-

1) Die Zutheilung der Cartilago thyreoidea an den vierten Schlundbogen
findet sich schon in einer Arbeit von C
allendeb ausgesprochen, auf die mich,
anlässlich einer an der Freiburger Versammlung der Naturforscher geführten
Discussion, Herr College F
üebringee aufmerksam gemacht hat (Phil. Transact.
1872. T. 161. p. 119. On some of the subaxial arches in man.).

-ocr page 80-

struction vom Embryo Sl, sowie die direote Ansicht einer Zunge
eines Embryonen von 20 mm NL

Mit der zunehmenden Entwickelung erhebt sich der Mund-
höhlentheil der Zunge mehr und mehr über seine Basis und trennt
sich schhesshch von dieser durch eine einspringende Einne. Da-
bei erhält sich aber die V-förmige
Eurche, die die Grenze der Zun-
Y genwurzel bezeichnet, sehr lange,
und sie kann sogar noch mehr
oder minder tief in den Seitenrand
einschneiden, obwohl an letzterem
der Anschluss an die vorderen
Schlundbogen immer weicher wird.
Am Zungenkörper entwickelt sich

vorübergehend eine mediane
Zunge eines Embryo von ca. 20mm Nacken- t • x t r,, ,,

länge, directe Zeichnung. Lciste, an dcrcu Stelle aber weiter-

hin eine breite, bis zur Zungen-
wurzel sich erstreckende Furche entsteht. Die ersten Papillen finde ich
gegen Ende des zweiten Monats, bei Embryo Zw. Weiterhin wird
der Zungenrücken länger, während die Zungenwurzel eine relative
Verkürzung erfährt. Die Epiglottis bewahrt ihre zurückgedrängte
Stellung über dem Kehlkopfeingang, die hintere Wand des letzteren
erscheint bei Fig. 52 von vier Wülsten, den beiden Plicae aryepi-
glotticae und den beiden Cartil. arytaenoideae gebildet.

Ueber die Herkunft der Zungenmusculatur.

Eine Sonderung der einzelnen Fasercomplexe der Zunge ist
vom Beginn der 6. Woche ab möghch. Die Züge sind zu der Zeit
noch keineswegs sehr scharf gezeichnet, aber doch immerhin ihrer
Bedeutung nach grossentheils erkennbar. Als Beispiel gebe ich
einen Querschnitt durch den Zungenkörper von Sch. Unter der
Schleimhautanlage folgt hier eine breite Flächenzone, die das Ge-
biet des späteren M. longit. sup. umfasst, darunter liegt, jederseits
von einem dicken, zellenreichen Septum hnguae, eine viereckig ab-
gegrenzte Schicht transversal gestellter Muskelfasern. Die voll ent-
wickelte Schicht nimmt kaum die halbe Zungenbreite ein, eine seit-

-ocr page 81-

liehe Fortsetzung derselben ist indessen schon jetzt bis in die Nähe
der Zungenoberfläche verfolgbar.

Unter der Transversusschicht liegt der Stamm des N. hypo-
glossus, medialwärts von diesem ein schmaler Streifen mit verticaler
Faserung, der als Genioglossusstrahlung zu deuten ist und der mit
einem etwas tiefer flegenden Feld zusammenhängt. Lateralwärts
vom Hypoglossus findet sich ein Zellenhaufen mit gleichfalls an-
steigender Faserung, den ich für den M. longit. inf. halte, und da-
neben ein dem Hyoglossus zuzuweisendes Feld.

Zeigt das eben beschriebene Bild eine unzweifelhafte Sonderung
der einzelnen Muskelcomplexe, so sind doch auf der anderen Seite
mancherlei Abweichungen von
der späteren Norm vorhanden.
Auffallend erscheint vor Allem
die relative Mächtigkeit des
N. hypoglossus. Es hängt dies
mit dem allgemeinen Entwicke-
lungsverhältniss zusammen,
wonach zu der Zeit die Ner-
ven allenthalben unverhält-
nissmässig viel massiger an-
gelegt sind, als die Muskeln. So sind denn auch die Zungenmuskeln
durchweg noch schwach, während die Nervenstämme einen breiten
Raum einnehmen.

Ausserdem aber erscheint es beachtenswerth, dass jene Durch-
wachsung verschieden gerichteter Faserzüge, wie sie später in der
mittleren und oberen Zungenetage besteht, zu der Zeit noch nicht
vorhanden ist. Die spärflchen Genioglossusfasern reichen kaum bis
zur unteren Grenze des Transversus, ohne diesen Muskel zu kreu-
zen, und auch die übrigen Muskeln, die Mm. longitudinafls inf.,
hyoglossus und weiter hinten der styloglossus sind nur in ihren tiefen
Abschnitten gesondert wahrzunehmen. Ausser einigen Transversus-
fasern sind keine die Oberfläche erreichenden Muskelzüge erkenn-
bar. Es scheint mir dies dahin zu deuten, dass die verschiedenen
Muskeln nicht vom Anfang ab in ihrer Gesammtausdehnung ange-
legt sind. Ein Theil derselben wächst von bestimmten Anfangs-
punkten aus erst allmähflch weiter, und so treten z. B. die Fasern

-ocr page 82-

des Genioglossus m. E. erst im Verlauf späterer Zungenentwickelung
in die Etage des M. transversus und noch später in die des longi-
tudinalis superior ein. Noch am Schluss der 7. Woche hei Embryo
Lhs ist die Entwickelung der Muskeln kaum weiter fortgeschritten
als bei Sch.

Für die Annahme einer schrittweise vor sich gehenden Ent-
wickelung der Zungenmusculatur gewährt das Studium früher Stufen
noch unmittelbarere Anhaltspunkte. Bei Embryonen vom Ende des
1. Monats (Bl, Eck, Pr) ist die Vorderwand des Mundrachenraums
sehr gefässreich. Dabei besteht aber ein auffallender Gegensatz
zwischen den den Schlundbogen entsprechenden Seitenabschnitten
der Mundwand und dem mesobranchialen Zwischenfeld. Letzteres
besitzt ein sehr lockeres Gefüge und enthält, abgesehen von Blut-
gefässen, nur weitmaschige Zellennetze, wogegen in den Seitenwülsten
das Gefüge erheblich dichter ist. Die Anlage des Zungenkörpers
fällt durchweg in den Bereich der locker gefügten Wand. Für den
früher ausgesprochenen Vergleich dieser Anlage mit einer vom Boden
sich abhebenden Epithelblase hegt sonach im Charakter des über-
brückten Gewebes ein directes Motiv vor. Im Bereich des zweiten
und dritten Schlundbogens wird das locker gefügte Mesobranchial-
feld durch die sich begegnenden Wülste von der Mundhöhle abge-
drängt und es liegt nach Abschluss der mittleren Schilddrüsenan-
lage vor dieser letzeren und um sie herum.

Während der Zungenkörper als lockere Masse sich anlegt, fällt
die Zungenwurzel dem Gebiete dicht gefügter Anlagen zu. In ihr
scheidet sich vom Schluss der fünften Woche ab das knorpehge Zungen-
bein aus, dessen Form die Grundform der Zungenwurzel wieder-
giebt. Aus dem Material des zweiten Schlundbogenwulstes ent-
stehen die Mm. styloglossus und palatoglossus, aus dem des dritten
der M. hyoglossus. Diese Muskeln, deren Hauptgebiet auch später
noch in die Zungenwurzel fällt, schieben sich, wie ich annehmen
muss, von ihren primären Ausgangspunkten aus in den Zungen-
körper vor, dessen Seitenabschnitte sie schrittweise durchwachsen.

Für eine dem Zungenkörper eigenthümhche Production halte
ich die Mm. transversus und longitudinalis superior. Schon auf den
Stufen von Bl constatire ich in der Mitte des Zungenkörpers eine
vorwiegend transversale Anordnung der Zellenmaschen und unter

-ocr page 83-

der Oberfläche eine dichtere Zusammendrängung der Elemente.
Letztere sind wohl zum Theil Bindegewebszellen und als solche
wesenthch für die Schleimhautanlage bestimmt, unzweifelhaft aber
sind auch reichlich Muskelzellen darunter, die später im M. longitudi-
nalis sup. ihre YervTendung finden.

Bei Embryo Pr und seinen Zeitgenossen findet sich unter (bez.
vor) dem lockeren Mittelfeld der Zunge eine compactere Zellenplatte,

Fig. 55. Fig. 56.

Schnitte durch den Mundboden vom Embryo Bl. Vergröss. 25. Der Schnitt 55 geht durch
den ]., Schnitt 50 durch den 2. u. 3. Schlundbogen. An diesem ist die Muskelwand des Aorten-
truncus noch nicht von der übrigen myogenen Platte geschieden. Bei Fig. 55 dagegen ist
die Trennung erfolgt, die myogene Platte zeigt Faltungen und ihr mittlerer Theil erhebt
sich zur Sublingualplatte.

die ihrer Lage nach den Muskeln des Mundhöhlenbodens entspricht,
und die ich als Sublingualplatte bezeichnen will. Die Geschichte
dieser Platte führt in directer Linie zurück zu derjenigen des Aor-
tenbulbus und der Parietalhöhle.

Der Aortenbulbus erstreckt sich, wie wir wissen, ursprünglich
Ms zum Unterkiefer und er ist mit der Vorderwand des Mundrachen-

-ocr page 84-

raumes mimittelbar verbunden. Die Zellenschicbt, aus welcher die
Muskelwand hervorgeht, die myogene Platte, wie ich sie der
Kürze halber wohl nennen darf i), umgiebt das Endothelrobr anfangs
nur an seiner freien Fläche, von da aus biegt sie sich zur Seite
und lässt den befestigten Theil des Eohres unbekleidet. Bei weiter-
schreitender Entwickelung aber legt sie sich auch um die dorsale Fläche
des Aortenschlauches herum und schhesst hier das Eohr in einer me-
dianen Naht ab (Fig. 56). Ihre seithche Fortsetzung bildet zunächst
eine zwischen Aortenbulbus und Mundboden eingeschobene Quer-
platte und läuft dann unter allmählicher Verjüngung in die AVand
der Parietalhöhle aus.

In der Folge löst sich der Aortentruncus von seiner Basis los
und entfernt sich von letzterer, indem er frei in die
Parietalhöhle
hervortritt. Allein auch die letztere emancipirt sich weiterhin von
der Mundrachenwand; die Furche, welche diese von der Wand der
Parietalhöhle trennt, wird immer tiefer imd schneidet schhesshch
quer durch. Dabei rückt die myogene Platte der Epitheldecke vor-
aus und sie schliesst den Eaum, in welchem der Aortenbulbus sich
befunden hatte, zu einer viereckigen Höhle ab, den sie von allen vier
Seiten umfasst. Es ist diese von der Parietalhöhle abgetrennte Sub-
lingualhöhle nur vorübergehend vorhanden. Theils durch Her-
einwachsen des N. hypoglossus, theils durch Hereindringen von
Bindegewebszellen und wohl auch durch Zusammenschiebung ihrer
Wand füllt sie sich bald aus und ist schon auf den Stufen von
Eg und S nicht mehr vorhanden. Nach Ablösung der
Parietalhöhle
ist die Vorderwand der Sublingualhöhle freigelegt, und sie begrenzt
nunmehr die Inframaxillarfiäche (S. 58).

Die oben beschriebenen Vorgänge schreiten von oben nach ab-
wärts, d. h. vom Unterkieferwinkel aus nach dem zweiten Schlund-
bogengebiete vor. Am gleichen Embryo (z. B. bei BI) sind daher
verschiedene Phasen gleichzeitig wahrzunehmen, höher oben die fort-
geschrittenen, weiter unten die Anfangsphasen. Die myogene Wand
der Sublingualhöhle liefert das Material für die Muskeln des Mund-
bodens. Aus der Decke der Höhle, der Sublingualplatte, wie wir
sie oben genannt haben, entwickelt sich der M. genioglossus und

1) Cardiogene Platte hatte ich sie a. a, 0. genannt. Arch. f. Anat. u.
Physiol., anat. Abth. 1881. S. 305.

-ocr page 85-

wohl auch der M. longitudinalis inferior. Von der Seitenwand bin
ich versucht, den M. geniohyoideus abzuleiten, aus dem Boden gehen
wohl der M. mylohoideus und der vordere Bauch des Digastricus
hervor. Das Detail dieser Neubildungen vermag ich nicht durch-
zuführen, weil die TJebergangspräparate Rg und S 1 mir keine ent-
scheidenden Bilder gewähren (die von Rg deshalb, weil sie nicht gut
genug conservirt sind, die von Sl wegen der zu dicken Schnitte).
Als unzweifelhaft ergiebt sich vor Allem das Hervorgehen des Genio-
glossus aus der Sublingualplatte, denn schon bei Pr erheben sich
aus der letzteren Zellenzüge, welche in den Zungenkörper hinein-
reichen.

Wie die Zunge nach Wurzel und Körper aus zwei ursprünglich
getrennten Anlagen hervorgeht, welche sich der Länge nach an ein-
ander anfügen, so ist sie auch der Dicke nach auf zwei Anlagen zurück-
zuführen, eine oberflächlichere und eine tiefer liegende \'), von denen
jene die Etagen von Longitudinalis superior und Transversus, diese
dagegen die von Genioglossus und von Longitudinalis inferior um-
fasst. Die tiefe Zungenanlage stammt aber ihrerseits aus derselben
Zellenplatte, aus welcher auch die Media des Aortenbulbus hervor-
geht, ein Ergebniss, das auf den ersten Blick etwas auffallend er-
scheint. Immerhin darf die nahe Beziehung des Aortenbulbus zur
Zungenanlage nicht allzu unerwartet sein, denn schon die äusserliche
Betrachtung ergiebt, wie dies im ersten Heft (S. 54) hervorgehoben
wurde, dass sich die Zungenanlage an derjenigen Stelle der Mund-
rachenwand nach einwärts verwölbt, an welcher von aussen her der
Aortenbulbus anliegt.

Die Innervation des Miindrachenraumes.

Zu Ende des ersten Monats sind die grösseren Kopfnerven so-
weit angelegt, dass die drei Trigeminusäste, der N. facialis, der N.
glossopharyngeus und der N. vagus als breite Stämme erkennbar
sind, und zwar tritt der zweite Trigeminusast in den Oberkiefer,

l) Es bedarf weiterer Untersuchungen, inwieweit Gegenbaub\'s Befunde in
Betreff einer „Unterzunge" bei Säugethieren mit obigen entwickehmgsgeschicht-
lichen Ergebnissen in Beziehung stehen (Morphol. Jahrb. Bd. IX. S. 428).

-ocr page 86-

der dritte in den Unterkiefer, der N. facialis in den zweiten ScMund-
bogen, der Glossopharyngeus in den dritten und ein Zweig des K
vagus, der N. laryngeus sup., in den vierten. Der K hypogiossus ist
zu der Zeit auch schon angelegt (Heft I. S. 47 und Taf. IV 35—38),
ich vermag ihn indessen nicht weiter als bis in die Nähe des Hals-
winkels zu verfolgen.

Noch bei den Embryonen Rg und S1 ist die Mundinnervation
wenig fortgeschritten, immerhin finde ich hier den N. hypogiossus

unter der Zungenwurzel vorbei
bis in den Beginn des Zungen-
körpers hineinreichend. Da-
gegen ist bei Embryo Sch die
Innervation der Zunge und des
Mundhöhlenbodens in ihren
Grundzügen angelegt. Etwas
über dem
MECKEL\'schen Knor-
pel spaltet sich der N. lingualis
vom N. mandibularis ab, jener
verläuft medialwärts, dieser la-
teralwärts vom Knorpel. DerN.
lingualis tritt alsdann unter dem
seithchen Mundhöhlenboden
weg bis in die Basis des Zungen-
körpers, in die er einstrahlt.
Die Zweige desselben reichen bis zur Zungenspitze, und sie bilden in
einiger Entfernung von der Oberfläche, unterhalb der Schleimhautan-
lage, eine besondere Schicht. Unter sich ziemlich gleich an Caliber
und auch gleichmässig vertheilt, kommen sie an Durchschnitten in
Gestalt eines hellen Perlenkranzes zur Anschauung.

Der N. glossopharyngeus erreicht die Wand des Rachenraumes
in der Höhe des Kehlkopfeinganges und wendet sich dann lateral-
wärts vom grossen Zungenbeinhorn nach oben. Er liegt der inneren
Rachenfläche näher als das Zungenbein und sein Verlauf zeichnet
sich an jener durch eine wohl abgegrenzte Längsleiste ab. Am
oberen Rand der Zungenwurzel zerfällt der Nerv in eine Anzahl von
Zweigen, die auch ihrerseits ziemlich gleichen Calibers sind und unter
der Oberfläche die Richtung nach dem Zungenkörper einschlagen.

-ocr page 87-

Es sind dies die Nervenästchen für die Papillae vallatae nnd foliatae.
Die Papillen selbst sind rorläufig noch nicht vorhanden und die
Aestchen scheinen noch ebensowenig als diejenigen des N. lingualis
die Epithelschicht der Zunge zu erreichen.

Der N. hypoglossus ist zu der Zeit der längste unter den Zun-
gennerven. Nachdem er seinen Bogen um den Vagus herum voll-
führt hat, steigt derselbe, ventralwärts vom Zungenbein und vom
N. glossopharyngeus, in das Zungengebiet empor. Bei seinem Ein-
tritt in den Zungenkörper kommt der Nerv etwas mehr medial-
wärts zu liegen, und man findet ihn nun als dicken Stamm zwischen
den Anlagen der Mm. genioglossus, longit. inf. und transversus. Von
da aus zertheilt er sich bald in seine weiteren Zweige.

Deutung der Theile im ausgebildeten Mundraehenraum.

Die übliche Beschreibung der Zunge verlegt die Grenze von
Eücken und Wurzel an die Papillae vallatae. Die Zeilen der letzteren
nämlich sollen nach dem Eoramen coecum hin convergiren, und da-
hinter soll das Gebiet der Balgdrüsen seinen Anfang nehmen. So
ausgedrückt ist indessen die Darstellung ungenau und sie bedarf
einer über mehrere Punkte sich erstreckenden Correction.

Als völlig sicher kann anerkannt werden, dass das Foramen
coecum auf der Grenze von Zungenrücken und Zungenwurzel liegt.
In der Zunge des Foetus liegt das Foramen coecum im Winkel
einer V-förmigen Furche, welche nach vorn offen ist und deren Enden
die Eichtung gegen den Vorderrand der Arcus palatoglossi ein-
schlagen. Dieselbe bezeichnet die eigentliche Grenze zwischen Zun-
genkörper und Zungenwurzel. Diese V-förmige Grenzfurche ist auch
noch an der Zunge des Erwachsenen vorhanden und ihre beiden
Schenkel pflegen in der Länge von 1—1 V2 cm nach vorn hin ver-
folgbar zu sein. Hinter derselben liegen die Balgdrüsen, davor aber
Papillen. Oftmals ist sie sehr tief eingesetzt, in anderen Fällen
seicht; aber auch da, wo sie weniger tief ist, erkennt man sie als
eine schräge Grenzlinie, längs deren die wulstige, mit Balgdrüsen
besetzte Schleimhaut der Zungenwurzel an die papillentragende des
Zungenrückens anstösst. Manchmal ist das Foramen coecum ver-

-ocr page 88-

wachsen und sein Ort nur als Winkel der Grenzfurche erkennbar.
In anderen Fällen aber findet man am Ende der scharf abgesetzten
Eurche ein Loch von unerwarteter Tiefe. Beim Durchsuchen einer
Anzahl von Zungen habe ich zwei gefunden, welche ein Foramen
coecum von 23—24 mm, drei andere, die ein solches von 15—16
mm dargeboten haben.

Die Zeilen der Papillae vallatae fallen nicht in die
Grenzlinie der Zungenwurzel, sondern jenseits davon in das

Gebiet des Zungenrückens. Zwischen ihnen und der Grenze hegt
eine 5 —8 mm breite Zone, welche durch ihren Papillengehalt noch
deuthch ihre Zugehörigkeit zum Zungenrücken beurkundet. Auch
fällt der Convergenzpunkt der beiden lateralen Zeilen von den Papillae

vallatae nicht in das Foramen coecum, sondern bis zu 10_12 mm

weiter nach vorn. Meistens gehen auch beide Zeilen in sanft geschwun-
genem Bogen in einander über. Zwischen dem Arcus papillaris,
wie wir die vereinigten Zeilen nennen können, und dem Sulcus

-ocr page 89-

terminalis pflegen in der Mittelflnie noch einzelne unpaare Papillen
zu liegen, um so mehr, je flacher der Papillenbogen; ich habe deren
bis zu vier gezählt.

Als ein besonderes Attribut des Foramen coecum pflegt man
eine sehr tief eingesetzte Papille aufzufassen, die ich zur Unter-
scheidung als Solitärpapille bezeichnen will. Es ist dies die
hinterste von den unpaaren Papillen, durch ihre Länge vor allen
übrigen ausgezeichnet. Dieselbe tritt in der That häufig aus dem
Foramen coecum hervor, allein sie steht zu diesem in keiner noth-
wendigen Beziehung. Sehr oft, vielleicht in der Mehrzahl der Fälle
liegt sie nämlich vor dem Foramen, durch einen Zwischenraum von
1 bis 2 Millimetern davon getrennt; da wo sie aber aus letzterem
hervortritt, ist sie dessen vorderer Wand eingepflanzt, als ob sie ur-
sprünglich vor dem Loch gestanden hätte und nachträglich in die
Grube wäre hineinbezogen worden. Wofern das eigentflche, durch
seine Lage im Winkel der V-förmigen GrenzfuTche charakterisirte
Foramen coecum verwachsen ist, kann die im Umfang der Solitär-
papille befindflehe Grube leicht zu einer Verwechselung mit dem
Foramen Anlass geben.

Wenn die vom Foramen coecum ausgehende Furche die Grenze
der eigentlichen Zungenwurzel bezeichnet, so gehören die Papillae
vallatae dem aus dem früheren Tuberc. impar hervorgegangenen
Zungenkörper an. Die Anerkennung dieser Thatsache hat mich, wie
ich nicht verhehlen will, einige Ueberwindung gekostet, denn es
hatte mir, als ich diese Fragen zu behandeln begann, besonders ein-
leuchtend geschienen, dass die beiden Hauptanlagen der Zunge auch
verschieden innervirt seien. Man konnte sich vorstellen, dass die
Zweige des von unten heraufwachsenden N. glossopharyngeus an der
Grenze der Zungenwurzel Halt machen, indem sie die Papillen vor
sich hertreiben, und dass die Lingualisinnervation ihrerseits über das
gesammte Gebiet der oberen Anlage sich erstrecke. Der Beobachtung
zufolge überschreitet nun aber der Glossopharyngeus die Zungen-
wurzel, und seine Zweige greifen auf die obere Zungenanlage über.
Letzterer entstammen die Papillae vallatae und foflatae ebensowohl,
als alle übrigen, frei hervortretenden Papillen; die Zungen wurzel
selbst erzeugt keine grösseren Papillen, sondern nur Balgdrüsen.
Die Entstehung der letzteren leitet sich, durch Faltungen der Schleim-

His, Mensclil. Embryoneu. lU, 6

-ocr page 90-

haut ein, welche beim Fötus vom Schluss des dritten Monats schon
wohl ausgeprägt und im Allgemeinen parallel der Zungenase ge-
stellt sind.

Mit Eücksicht auf die primitiven Anlagen ergiebt sich für die
Theile des entwickelten Mundrachenraumes folgende Ableitung: dem
ersten Schlundbogen entspricht der Unterkiefer, dem zweiten der
Arcus palatoglossus und: das anstossende Tonsillengebiet, dem dritten
der Uebergang der seitlichen Pharynswand in die Zungenwurzel bez.
die Strecke über der Eintrittstelle des N. glossopharyngeus in die
Zunge, dem vierten Bogen endlich entstammt die Plica nervi laryngei.
Der Zungenkörper und der Boden der Mundhöhle sind nicht aus
Schlundbogenwülsten hervorgegangen, sondern aus einem von den
ersten beiden Bogenpaaren umschlossenen Zwischenfeld. Aehnliches
gilt von der Epiglottis und von den übrigen Gebilden des Kehlkopf-
einganges.

Der Gaumen als eine ursprünglich vom Oberkiefer ausgehende
und von da nach rückwärts sich verlängernde Leiste kreuzt (s. o. S. 66)
den zweiten und dritten Schlundbogenwulst, sowie die entsprechenden
Furchen. Die Beste der ersten Schlundfurche erhalten sich eines-
theils im Tubeneingang, anderentheils im hintersten Theil der Unter-
zungenfurche. Reste der zweiten Sohlundfurche sind die
Rosen-
MüLLER\'sche Grube und die Tonsillenbucht.\') Wenig markirt sind
die Reste der dritten Furche, ihr gehört der Raum vor der Plica n.
laryngei an; aus der vierten und aus deren Appendix, dem Fundus
branchialis, ist der Sinus pyriformis hervorgegangen.

Die Tonsillenbucht bedarf noch einer besonderen Erläute-
rung, weil auch hier die herkömmlichen Lehrbuchbeschreibungen
zur Charakterisirung des Gebietes nicht ausreichen. Beim Fötus
vom 4. oder 5. Monat bildet der vordere Gaumenbogen den freien
Rand einer dreieckigen Falte, deren Spitze in das Velum ausläuft,
während die Basis sich breit in den Seitenrand der Zunge inserirt.
Der hintere Rand dieser Plica triangularis überragt eine Bucht,

1) Mit der Ableitung der EosENMüLLEE\'schen Grube aus der zweiten
Schlundfurche stimmt auch deren Lagebeziehung zur Carotis interna. Dies
aus dem dritten Aortenbogen hervorgegangene Gefäss liegt bekanntlich hinter
jenem TheUe des Pharynxraumes.

-ocr page 91-

welche dem früheren Zwischenraum zwischen dem zweiten und dem
dritten Schlundbogenwulst entspricht und welche von einer Portsetzung
der Schleimhaut ausgekleidet ist (Eig. 58 S. 80), i) Die Auskleidung
dieser Bucht schwillt in der Polge an und gestaltet sich durch Auf-
treten von adenoidem Gewebe zur Tonsille um, ein Vorgang, der schon
vor der Geburt eingeleitet erscheint. In den meisten lallen erfährt
die Schleimhaut eine so allgemeine Faltung und Schwellung, dass

Spuren der früheren Bucht kaum noch in den wenig charakteristi-
schen Tonsillenhöhlen übrig bleiben. Allein auch dann wird man beim
Erwachsenen meistens noch das Gebiet der früheren Plica trian-

1) Kölliker sagt von der Tonsillenanlage: „im fünften Monat ist jede
Tonsille ein glattes Säckchen mit spaltenförmiger Oeffnung und einigen kleinen
Nebenhöhlen, dessen mediale Wand fast wie eine Klappe erscheint." Was
hier K
öllikek als eine klappenartige Bildung auffasst, ist meine Plica trian-
gularis.

-ocr page 92-

gularis als eine den vorderen Theil der Tonsille bedeckende glatte
Fläche zu erkennen vermögen. In anderen, nicht allzu seltenen
Fällen erhält sich indessen die ursprüngliche Disposition der Gegend
in wenig veränderter Form als eine bleibende, d. h. man findet eine
wohl ausgeprägte Plica triangularis und eine nicht minder ausge-
prägte, über der Tonsille befindhche Bucht. Seitdem ich angefangen
habe, im Präparirsaal auf diese Dinge zu achten, sind mir eine
ganze Anzahl mehr oder minder charakteristischer Präparate durch
die Hände gegangen. Von einem derselben gebe ich vorstehende
Skizze. Hier ist die Plica an ihrem hinteren Rande völlig frei, und
sie überdeckt theilweise die Tonsille. Letztere besitzt an ihrer
fveien
Oberfläche eine Höhe von ca. 22 mm, sie erreicht das obere Ende
des Interstitium interarcuarium nicht, vielmehr liegt hier die weite
Oeffnung einer geräumigen Höhle, in welche ich eine federkieldicke
Sonde auf 11
/2 cm Tiefe einschieben kann.

In einem anderen Fall habe ich bei gleichfalls freiem hinteren
Saum der Plica triangularis zwar eine grosse Tonsille vorgefunden,
allein dieselbe hat auch hier nur den unteren Theil des betreffenden
Raumes eingenommen, und über ihrem wohlabgegrenzten oberen
Ende hat eine tiefe, von glatter Schleimhaut ausgekleidete Bucht
gelegen. Bei minder scharfer Localisirung der Tonsille wird eine
entsprechende Bucht meistens noch daran erkennbar sein, dass unter
den anscheinenden Tonsillengruben eine obere besonders hoch her-
aufreicht. Die Bucht verdient ihres typischen Verhaltens wegen als
Fossa supratonsillaris in die anatomische Beschreibung dieser
Gegend mit aufgenommen zu werden. 0 In Betreff ihrer Ausbildung
gilt dasselbe, wie von der EosENMüLLER\'schen Grube. Auch diese
letztere zeigt sich ja äusserst wechselnd in ihrer Weite und
Tiefe, je nachdem die adenoide Wucherung ihrer Schleimhautausklei-
dung den ursprünglich offenen Raum mehr oder minder stark aus-
gefüllt hat.

1) Unter den Abbildungen, die ich verglichen habe, zeigt eine von Sappbt
im Traité d\'Anatomie 3. Aufl. Bd. IV. p. 134 mitgetheilte eine sehr deutliche
Phca triangularis und Fossa supratonsillaris. Der den Gaumen behandehide
Text spricht nicht davon (S. 51), dagegen heisst es in der Figurenerklärun^-
«Pilier antérieur du volle du palais, de figure triangulaire, à base inférieure
recouvrant le tiers antérieur de l\'amygdale." \'

-ocr page 93-

Die Eichtung der Eossa supratonsillaris führt schräg nach
hinten und oben hin. In einigen Fällen besonders guter Ausbildung
habe ich nach Ablösung der Schleimhaut gefunden, dass sich die
Grube eine Strecke an die Rückfläche des M. levator palati an-
geschmiegt hat. Hinter ihr liegt unter allen Umständen der M.
palatopharyngeus, und dieser Muskel trennt die Fossa supraton-
sillaris von der
RosENMüLLEE\'schen Grube. Im Uebrigen führt die
verlängerte Richtung derselben auf jenen Ausschnitt des obersten
Schlundschnürers hin, welcher die
RoSENMüLLER\'sche Grube von
unten her umgreift.

-ocr page 94-

Die Kopfnerven und ilire Beziehungen zu den
Grliedern des Kopfes.

Wie zu den Arterienbogen, so haben die primitiven Gheder des
Kopfes bestimmte Beziehungen zu den auftretenden Nervenstämmen,
ein jedes derselben wird zum Träger eines Hauptnervenstammes.
Von den drei Aesten des N. trigeminus tritt der erste in den Stirntheil
des Kopfes ein, der zweite in den Ober- der dritte in den Unter-
kiefer. Der N. faciahs gelangt in den zweiten, der N. glossopharyn-
geus in den dritten Schlundbogen; in den vierten Schlundbogen end-
lich geht ein Zweig des N. vagus, der spätere N. laryngeus supe-
rior. Der übrige Theil des Vagusstammes steigt hinter dem vierten
Schlundbogen vorbei in den Eumpf herab, den Weg gegen die von
ihm zu versorgenden Eingeweide einschlagend (Eig. 48 S. 69).

In schematischer Einfachheit stellt sich beim menschhchen Em-
bryo das Verhältniss am Schluss des ersten Monats dar, und ich
gebe zur Erläuterung das Bild vom Embryo Pr mit den eincon-
struirten Nervenstämmen. In beinahe gestrecktem Verlauf gehen
die dicken Nervenstämme von ihren Ganglien aus nach den be-
treffenden Kopfsegmenten hin. Innerhalb der letzteren sind sie auf
kurze Strecke verfolgbar und hören dann plötzhch auf.

Die einfachen Beziehungen der Nervenstämme zu den Ghedern
des Kopfes weisen auch auf einfache Grundbedingung der Zu-
sammengehörigkeit hin. In der Hinsicht ist vor allem zu beachten
dass der Zeitpunkt, in welchem die primitive Ghederung des Kopfes
«ich eben vollendet hat und in ihrer typischen Form vorliegt, zu-
sammenfällt mit dem Termin des Hervorwachsens der Nervenstämme.
Längs einer Bahn geringsten Widerstandes vordringend, gelangt
ein jeder von den grossen Stämmen auf kürzestem Wege in das zu-
nächstliegende Kopfglied hinein, und wenn er dann bei seinem wei-
teren Fortschreiten auf locale Ausbreitungshindernisse stösst, treten

-ocr page 95-

Abweichungen von der ursprünglichen Eichtung und Theilungen des
Stammes ein. In gleicher Weise folgen ja auch die Aortenbogen,
indem sie in die Schlundwülste eintreten, den Bahnen geringsten
Widerstandes. Von der Anheftungsstelle des Aortenbulbus aus dringen
Gefässe überall durch, wo sie Eaum finden. Offene Bahnen treffen
sie aber nur da, wo die ectodermale und die endodermale Epithel-
schicht der Wand klaffend auseinander weichen; da wo dieselben am
Eurchengrund sich begegnen, ist die Entstehung von Gefässen von
vornherein ausgeschlossen.Dabei werden sämmtliche disponible
Bahnen benutzt, denn selbst in die vor dem Eespirationsrohr herab
sich erstreckende Lücke tritt jederseits ein besonderer Stamm als
A. pulmonalis ein.

Einige von den Kopfnerven haben zu den primitiven Gliedern
des Kopfes keine directen Beziehungsn. Ausser den höheren Sinnes-
nerven sind dies die Augenmuskelnerven, der K accessorius und der
N. hypoglossus. Die Geschichte der Augenmuskelnerven und des
Accessorius erlaube ich mir vorläufig bei Seite zu lassen, da meine
Präparate über die Anfangsstufen ihrer Entwickelung kein Urtheil
gestatten. Was dagegen den N. hypoglossus betrifft, so ist leicht zu
sehen, dass er zur primären Kopfgliederung in keiner directen Be-
ziehung steht, da er die hinteren Bogensysteme der Reihe nach
kreuzt. Sein Hauptausbreitungsgebiet ist die von den Schlundbogen
umgriffene Inframaxillargegend, und nur in secundärer Weise geht
er auch auf solche Muskeln über, die, wie die Mm. styloglossus
und hyoglossus, den Schlundbogen selbst entstammen. Hinsichtlich
seines Austrittes aus dem Medullarrohr verhält sich der N. hypo-
glossus wie eine vordere SpinalwurzeL Seine Fasern treten vom
Kern aus direct zur ventralen Markfläche und verlassen diese in
einer schräglateralen Eichtung (Taf. IV Fig. 36 bis 38). Später,
wenn zwischen Gehirn und Schädel ein breiterer Zwischenraum ent-
standen ist, verliert sich die Divergenz der Ausstrahlung für den
intracraniellen Theil der beiden Hypoglossusstämme, aber sie erhält
sich für die den Schädel durchsetzende Strecke, und es führt die
Bahn direct zur Aussenseite des IST. vagus und dieser entlang gegen
den einspringenden Halswinkel hin. Da erfolgt dann später die

1) Monogr. der Hühnchenentwickelung S. 42.

-ocr page 96-

Theilung in das Stück, welches an den Schlundbogen vorbei nach
dem Inframaxillargebiet einschwenkt, und in den Eamus descendens.
Die ursprünglich so einfache Anordnung der primären Nerven-
stämme gewinnt an Complication einmal dadurch, dass das Ver-
zweigungsgebiet der Stämme immer mehr sich ausdehnt, dann aber
auch durch die ümlagerung der Schlundbogen und durch die Aen-
derungen in der Biegung des Hirnrohres, Fig. 62 zeigt die Kopf-
nerven von Embryo Sch und aus dem Vergleich mit Fig. 61 ergiebt,
sich, dass die früher beinahe gestreckt verlaufenden Schlundbogen-
nerven, der E. IE n, trigemini, der N, facialis, der N, glossopharyn-
geus und der N, laryngeus superior durchweg stark ausgeprägte

Bogenlinien mit rückwärts gekehrter Conveiität beschreiben. Im
Wesentlichen zeigen nunmehr die Stämme eine Verlaufsrichtung
die der bleibenden entspricht. Wir haben den dem Unterkiefer fol-
genden Bogen vom Lingualis und Mandibularis, welche beiden Nerven
durch den MECKEL\'schen Knorpel von einander geschieden sind. Wir
haben ferner den hinter dem Ohr vorbeiführenden Bogen des Faciahs
sowie den späteren Arcus tonsillaris des N, glossopharyngeus.

Es folgt aus der in früheren Abschnitten wiederholt erörterten
Uebereinanderschiebung der Schlundbogen, dass der dem 4 Bogen
angehörige N. laryngeus sup, am meisten medialwärts zu stehen
kommt, und dass auch der N, glossopharyngeus nicht allein weiter
nach hinten, sondern auch mehr nach innen liegt, als der N. fa-

-ocr page 97-

Cialis. Der N. glossopharyngeus tritt, der Richtung des zugehörigen
Schlundbogenwulstes gemäss in die Zungenwurzel ein. Der Facia-
lis dagegen hält sich an den Aussenwulst seines Bogens und parti-
cipirt demnach (abgesehen natürhch von der Chorda) nicht an der
Innervation der Zunge.

Gerade das Beispiel des N. facialis kann besonders deuthch
zeigen, wie nebensächhch die Beziehung der Nerven zu den Schlund-
bogen und überhaupt zu den primitiven Kopfgliedern ist. Während
nämhch dieser Nerv den aus dem zugehörigen Schlundbogenwulst

hervorgegangenen Theil der Zunge vermeidet, treten seine Ausstrah-
lungen späterhin innerhalb der unter dem Ohr weglaufenden Ver-
bindungsbrücke in das Unterkiefer- und Oberkiefergebiet und schhess-
hch sogar in dasjenige der Stirnfortsätze ein. Wann diese letztere
Ausbreitung erfolgt, habe ich bis jetzt nicht genauer verfolgt. Jen-
seits des Pes anserinus, welcher bei Embryo Sch. schon
vorhanden
ist, habe ich die Stämmchen bald aus dem Gesicht verloren.

Ein anderes Beispiel dafür, dass die Nerven bei ihrer Ausbrei-
tung der primären Körperghederung nur bedingungsweise sich an-
schhessen, hefern die oberen Halsnerven. Ihren natürlichen Aus-
breitungswegen folgend, gelangen diese einerseits an den Hinterkopf,

-ocr page 98-

Ii\'

von dem sie in weiter Ausdehnung Besitz ergreifen, andererseits aber
zur Brustwand herab, vor der sie als Nn. supraclaviculares gleich-
falls weit über ihr zugehöriges Segmentgebiet hinaus vordringen.
Ich fasse noch einmal die gewonnenen Gesichtspunkte zusammen:
Indem die Nerven theils vom Medullarrohr, theils von den Gang-
lien aus peripheriewärts auswachsen, folgen sie den Bahnen geringsten
? Widerstandes. Das Auswachsen schreitet in der einmal gegebenen

I Richtung vor, so lange nicht kleinere oder grössere Widerstände Ab-

: lenkungen oder Stammtheilungen herbeiführen. Dem entsprechend

ist der Anfangsverlauf ein gestreckter oder ein schwach gebogener,
f Insoweit nun die primäre Kopf- und Rumpfgliederung auch die

Richtung der disponiblen Bahnen bestimmt, werden die auswachsen-
den Nerven der Segmentirung sich anschliessen, um so mehr, da
i die Zeit der schärfsten Segmentausprägung mit der Zeit der ersten

Nervenausbreitung grossentheils zusammenfällt. Indessen sind für
I einzelne Nerven schon die ersten Ausbreitungsbedingungen von der

; Segmentirung unabhängig. Andere treten secundär mit ihren End-

[ zweigen aus dem Segmentgebiet heraus, in das ihr Hauptstamm

anfangs eingetreten war. In letzterer Hinsicht erscheint es bedeu-
I tungsvoll, dass in Eolge der stattfindenden Umlagerung Stämme,

■■ die ursprünghch eine gestreckte Richtung besessen hatten, stärkere

Biegungen erfahren, wobei die Richtung des im Auswachsen be-
griffenen Endabschnittes eine von der ursprünghchen Hauptrichtung
des Stammes abweichende wird.
1 Noch komme ich mit einigen Worten auf den oben angedeu-

teten Einfluss der Hirnbiegung auf die Richtung der Kopfnerven-
stämme zurück. Die Vergleichung der Figuren 61 und 62 ergiebt,
dass von der Stufe vom Pr ab zu derjenigen vom Sch das Hirn-
rohr eine weit stärkere Biegung erfahren hat. Der Nackenkrümmung
entsprechend, hat sich zwischen Hirn und Rückenmark ein tiefer
Einschnitt gebildet, während andererseits die Brückenkrümmung das
Uebergangsgebiet vom Nach- und Hinterhirn weit herabgeführt hat.
Diesem Verhältniss entspricht, dass für die hinteren Kopfnerven
der Anfangstheil der Stämme viel gestreckter erscheint, als für den
dritten Trigeminusast und den N. faciahs; jene sind emporgehoben,
diese herabgedrängt worden.

-ocr page 99-

Ueber die Herkunft der Kopfmusculatur.

Indem ich hier den Versuch anreihe, die Kopfmuskeln auf ihre
Herkunft zu deuten, muss ich von vornherein erklären, dass ich den
Versuch nur mit einiger Reserve unternehme. Ein abschliessendes
Urtheil vrird nur von der directen Beobachtung der einzelnen Um-
bildungsvorgänge zu erwarten sein, die ich zur Zeit noch nicht zu
liefern im Stande hin. Immerhin liegen schon jetzt mancherlei
Unterlagen vor, die wenigstens einen vorläufigen Versuch recht-
fertigen.

Im Vorderkopf ist die Entwickelung der Musculatur gegenüber
der so bedeutenden des Medullarrohres nur unbeträchtlich. Die
drei Stirnfortsätze mit dem Oberkieferfortsatz produciren ausser den
Augenmuskeln nur die dünne vom Facialis innervirte Gresichtsmus-
culatur nebst dem M. buccinatorius. Eine kräftigere Muskelent-
wickelung beginnt erst mit dem Uebergang zum Hinterkopf: dem
Unterkieferfortsatz gehören die drei grossen Kaumuskeln, die Mm.
temporalis, masseter und pterj^goideus internus an, während der M.
pterygoideus externus aus jenem zwischen Ober- und Unterkiefer-
fortsatz eingeschobenen Verbindungswulst zu entstehen scheint, wel-
cher den primitiven Mundwinkel begrenzt (man vgl. z. B. Taf. XIII
Fig. 5). Der dem Unterkieferfortsatz zunächst angehörige Eam. III
n. trigemini überschreitet, abgesehen vom K auriculotemporalis,
sein Gebiet mit zwei Aesten, einestheils mit dem R. lingualis, an-
derntheils mit dem R. mylohyoideus, welche beiden Nerven zu Theilen
des Mesobranchialgebietes hintreten.^

Unabhängig vom Unterkieferfortsatz entwickeln sich die Muskeln
des Mesobranchialgebietes, die Muskeln des Zungenkörpers und des

-ocr page 100-

Mundhöhlenbodens. Ein Theil derselben sind echte Eingeweide-
muskeln, d.h. sie entwickeln sich aus der Muskelschicht, welche
die ventrale Wand des Vorderdarmes bekleidet hatte, die übrigen
entstammen der musculösen Seitenwandschicht der Parietalhöhle.
Zu den ersteren gehören wahrscheinlich (s. o. S. 76) die Mm. genio-
glossus und longit. inferior, zu den letzteren der geniohyoideus,
mylohyoideus und digastricus. Derselben Quelle, wie die letztge-
nannten Muskeln, entstammen auch die unteren Zungenbeinmus-
keln, die Mm. sternohyoideus, sternothyreoideus, thyreohyoideus,
sowie der obere Bäuch des omohyoideus. Der M. sternocleidomastoi-
deus aber bildet sich in dem verdickten Streifen, der an der Um-
schlagsstelle des ventralen Unterkieferandes in die Parietalhöhlen-
wand gelegen ist (Fig. 54). Der Muskel entstammt somit der pri-
mitiven Kopfanlage. Sein dem Kopf bleibend angehöriger Partner
ist der M. digastricus, und zwar muss dessen Anlage ursprünglich
in ihrer ganzen Länge dem Sternocleidomastoideus beigeordnet ge-
wesen sein. Denkt man sich nämlich den Unterkiefer auf dem
Brustbein ruhend, so sind diese beiden Muskeln in ihrer ganzen
Länge parallel zu einander gestellt. Der vordere Bauch des Diga-
stricus entspricht alsdann der unteren Hälfte des Sternocleidomastoi-
deus, der hintere Bauch seiner oberen.

Die Musculatur der unteren drei Schlundbogen beginnt hinter
dem Ohr und hegt im Allgemeinen in der Tiefe. Als unzweifel-
hafte Abkömmlinge des zweiten Schlundbogens sind die Mm. pala-
toglossus und styloglossus, sowie der Levator palati mollis zu be-
trachten, während der Tensor noch zum Unterkieferbogen zu zählen
ist. Der M. stylopharyngeus gehört dem dritten Bogensystem an,
es ergiebt sich dies aus seiner nahen Beziehung zum K glosso-
pharyngeus und aus seiner tiefen Insertion. Vielleicht ist auch der
M. palatopharyngeus aus derselben Quelle abzuleiten; derselbe kreuzt
zwar das Gebiet der zweiten Spalte, allein dies ist möghcherweise
durch eine secundär entstandene Verbindung des Muskels mit dem
Gaumen zu erklären. In Betreff der Stellung des M. hyoglossus
kann man etwas zweifelhaft sein, seine Beziehung zur Zunge selbst
und zum Zungenbein spricht sehr dafür, dass er dem dritten Bogen
zugetheilt werde, und nur seine Entfernung von den übrigen Gebil-
den des letzteren mag etwas stutzig machen. Indessen ist dabei

-ocr page 101-

folgendes Verhältniss ins Auge zu fassen; an allen Schlundbogen
bildet sich mit zunehmender Entwickelung eine winkelige Knickung,
durch welche das ventrale Bogenende eine andere Eichtung annimmt
als das dorsale. Diese Knickung äussert sich in der gebrochenen
Form des Unterkiefers, in der Beziehung des vorderen Gaumen-
bogens zur Zunge und in der Verlaufsweise des N. glossopharyngeus.
Gerade am dritten Bogen tritt die Knickung sehr früh und in einer
schon äusserhch wahrnehmbaren Weise ein (Tafel I Fig. 2). So
scheint es. Alles in Allem, doch richtig, den M. hyoglossus als Pro-
duct des ventralen Stückes des dritten Bogens aufzufassen, während
der M. stylopharyngeus dem dorsalen Stück entstammt. Dem drit-
ten Bogen möchte endlich noch der oberste Schlundschnürer zuzu-
weisen sein, während die beiden unteren Schnürer, wenigstens theil-
weise, das Gebiet des vierten Bogens mit umfassen. Inwieweit sich
die beiderseitigen Gebiete decken, lasse ich noch als offene Frage
stehen. Dass die zwei oberen Schlundschnürer, gleich den davor-
liegenden Theilen, der primären Kopfanlage angehören, halte ich
für unanfechtbar, allein auch der dritte scheint mir nach seiner
breiten Insertion am Schildknorpel mehr der primären Kopf- als
der primären Eumpfanlage zuzugehören. Die Grenze des primären
Kopfes fällt ja auf den unteren Schildknorpelrand, und dieser wird
vom unteren Schnürer nur um Weniges nach abwärts überschritten.
Die fächerförmige Faserausbreitung in allen drei Schlundschnürern
erklärt sich nach einem Blick auf irgend eine unserer Embryonen-
tafeln von selbst, es kehrt eben in den drei Fächern die Grundform
des primitiven Halskeiles wieder, von der in einem späteren Ab-
schnitte noch ausführlicher die Eede sein wird.

-ocr page 102-

Ueber die Entstelumg der Speiclieldrüsen- und
der ersten Zahn anlagen.

Indem der Zungenkörper sich entwickelt, bildet sich jederseits
von ihm eine flache Erhebung des Mundbodens, welche anfangs
einen ziemlich breiten Raum einnimmt (Eig. 54 und 55). Die bei-
den Seitenleisten sind sowohl vom Zungenkörper, als vom Unter-
kiefer durch eine einspringende Furche abgesetzt, nach rückwärts
enden sie vor der Zungenwurzel. Je mehr die Zunge über ihre Basis
sich emporwölbt, um so mehr werden die neben ihr liegenden
Leisten gegen den Unterkiefer herangedrängt und dabei vertiefen
sieh die sie begrenzenden Furchen. Besonders gilt dies von der
medialen, von der Zunge direct überdeckten Furche. Diese beginnt
nun durch Yerwachsung ihrer oberen Ränder vom Mundraum sich
abzuschliessen. Schon bei Embryo Sch läuft das hintere Ende der
Furche in ein blind endigendes Epithelialrohr aus, die Anlage der
Gr 1 an d u 1 a s u b m a xi 11 ari s. Bei Zw ist die Drüsenanlage umfäng-
licher geworden und gelappt. Der
WHARTON\'sche (jang aber ver-
längert sich von hinten nach vorn dadurch, dass der offen gebhebene
Theil der Spalte immer mehr überbrückt wird, bis dann schliesslich
nur noch die vordere Oeffnung frei bleibt. Der N. lingualis muss
selbstverständhch unter der Spalte vorbeitreten, um in die Zunge
zu gelangen, und so erklärt sich auch das definitive Verhältniss der
Umgreifung des
WHAßTON\'schen Ganges durch den Nerven.

Die Anlage der Glandula subungualis bildet sich erheb-
hch später, als diejenige der Gl. submaxillaris. Noch bei Embryo Zw
ist sie nicht vom Mundraum abgelöst. Dieselbe geht, wie ich ver-

■\'(.
II\'\'\'

\'n

-ocr page 103-

muthe, aus der an den Unterkiefer anstossenden lateralen Furche
des Mundbodens hervor, die, wie Fig. 64 zeigt, allmählich sehr

L \'UiJn

l\'-ig. C3.

Durchschnitt der Zunge und des Mundbodens Tom Embryo S I. Vergr. 15.
Zg Zunge, Sm Submaxillarrinne, N. l Nerv, ling., N. XU N. liypogl.

^wMMmkämi

Mt/Ir/M

Fig. 64.

Durchschnitt durch die Mundhöhle vom Embryo Sch. Vergr. 20.
Zg Zunge, I). s Ductus submaxillaris, S. l Sulcus sublingualis, S. l Nerv,
lingualis,
iv.m Nerv, mandibularis, iV". ƒ Nerv, facialis, C. i/Cart Meckeli.

Fig. 65.

Schrägschnitt durch die Mundhöhle vom Embryo Zw. Vergr. IS.
Abtrennung des Submaxillarganges. Ä 2 Septum linguae,
N.l Nerv, ling.,
XII N. hypogl., C.M Cart. Meckeli, N. m Nerv, mandibularis. Gl. sm
Glandula submaxillaris, S. l Sulcus sublingualis, Z Zahnanlage,
P Parotisanlage.

eng und tief geworden ist. Ueber den genaueren Hergang der
Drüsenbildung erlaube ich mir nicht, speciellere Vermuthungen zu
formuhren.

-ocr page 104-

Die GL Parotis legt sich gleichfalls später an als die Suh-
maxillardrüse, früher jedoch, als die Subungualis. Bei Embryo Zw
ist sie eben erkennbar als eine noch unter der Wange liegende,
solide Zellenknospe. Es geht diese Anlage aus jener tiefen Furche
hervor, welche den Unterkiefer vom Oberkiefer scheidet, und zwar
hat sie, soweit ich bis jetzt ersehe, ihren Ausgangspunkt an einer
Stelle, an der die fraghche Furche eine plötzliche Aenderung der
Richtung erfährt.

Bei Embryo Zw macht sich auch die erste Einleitung zur Zahn-
bildung bemerkbar. Sowohl der Oberkiefer, als der Unterkiefer
zeigen an ihrer freien Oberfläche b|reiti offene Gruben, deren Grund
sich eben zum Papillenwulst emporzuwölben beginnt und deren epi-
theliale Auskleidung bereits erheblich verdickt ist.

II
\'ii

J

(L
ir

-ocr page 105-

Bildung der ScMlddrüsenanlage. -

Die Bildung der mittleren Schilddrüsenanlage ist in einem der
vorangegangenen Abschnitte bereits erörtert worden. Indem die
Zungenwurzel durch medianes Zusammentreffen der zweiten und
der dritten Schlundbogenwülste sich anlegt, wird ein Theil des pri-
mären Mundhöhlenbodens überbrückt und in eine von der Zungen-
wurzel bedeckte blinde Bucht einbezogen. Diese Bucht schhesst
sich weiterhin dadurch zur gesonderten Höhle ab, dass der Zungen-
körper an die Zungenwurzel heranrückt und mit ihr sich verbindet.
Die also abgegrenzte mittlere Schilddrüsenanlage ist eine zweitheilige
Epithelblase und sie steht durch einen engen G-ang, den Ductus
thyreoglossus, mit der Zungenoberfläche in Verbindung (Taf. II
Fig. 41 und Taf. XII Fig. 106).

Diese zuerst auftretende mittlere Anlage hat man lange Zeit
für die einzige gehalten, zu ihr kommen aber laut den neuen Be-
funden von
Wölfler, Stieda und Boen noch zwei Seitenanlagen
hinzu, welche
Boen von dem Epithelbelag der vierten Schlundtasche
ableitet. Den Befund der seitlichen Schilddrüsenanlagen kann ich
völhg bestätigen, wogegen ich für die Ableitung derselben eine etwas
andere Darstellung geben muss, als
Born. Die seitlichen Schild-
drüsenanlagen entstehen dadurch, dass sich der untere, neben dem
Kehlkopfeingang hegende Theil des primären Eachenbodens von der
Haupthöhle abschhesst und zu einem selbständigen, dem Kehlkopf
seithch anhegenden Epithehalgebilde umwandelt.

Der Vorgang leitet sich schon auf der Stufe von Pr ein. Hier
ist der frühere Sulcus arcuatus (S. 62) durch das Einwärtswachsen
der dritten und der vierten Schlundbogenwülste grossentheils über-

His, MenscM. Embryonen. UI. 7

-ocr page 106-

brückt worden, und es findet sich nunmehr jederseits von der Fur-
cula eine Spalte, deren pharyngeale Zugänge zwar noch offen sind,
deren Grund aber grossentheils verdeckt ist. Bei Pr erstreckt sich
das obere Ende des bedeckten Spaltraumes eine Strecke weit vor
dem dritten Bogenwulst herauf und schliesst dann als blinde Tasche
ab. Der vierte Bogen aber überbrückt völlig frei die untere Fort-
setzung der Spalte, die dann schliesslich im Fundus branchialis
offen ausläuft. (Bei Fig. 48 S. 69 ist die Ausdehnung der über-
deckten Spalte punktirt angegeben.)

Die Isolation des fraglichen Raumes schreitet von oben nach
abwärts vor. Es schliesst sich zunächst die zwischen dem dritten
und dem vierten Wulst gelegene Verbindungsspalte und etwas später
auch diejenige, die unter dem vierten Wulst vorhanden war. Bei Em-
bryo S1 Fig. 66 u. 72 ist diese
letzte Verbindung zwischen
dem Sinus pyriformis und der
seitlichen Schilddrüsenanlage
noch vorhanden. Die seitliche
Schilddrüsenanlage biegt sich
stark nach vorn, sie ist durch
Einschnitte in mehrere hohle
Knospen getheilt. Mit dem
Mittelstück hat sie sich zur
Zeit noch nicht verbunden.
Letzteres liegt vor den seit-
lichen Anlagen und etwas tiefer als diese, und es hängt durch den
langen, schräg vor dem Kehlkopf herabsteigenden Ductus thyreo-
glossus mit der Zungenoberfläche zusammen. Als Ganzes betrachtet
bilden die drei Schilddrüsenanlagen schon bei Embryo Sl einen
Bogen, welcher den Kehlkopf und das obere Ende der Trachea huf-
eisenförmig umgreift.

Bei Embryo Sch sind die Seitenanlagen und das Mittelstück der
Schilddrüse zusammengerückt, und jene haben sich vom Pharynx
nunmehr vollständig emancipirt. Dabei sind sie erheblich volumi-
nöser, als das Mittelstück und die spätere Grundform des Organes
ist auch in diesem Punkte schon vorausbestimmt (Fig. 76 S. 125).

Die Hufeisenform der Schilddrüse findet sich in einer Zeit an-

-ocr page 107-

gelegt, da noch gar keine geschlossenen Epithelräume vorhanden sind.
Sie ist nämlich durch die Eorm des Sulcus arcuatus bedingt, wie
dies ein Blick auf Figur 41 ohne Weiteres erkennen lässt. Dieser
Sulcus ist es ja, dessen Epithelboden zur Schilddrüsenanlage wird,
aus dessen oberem Theil das Mittelstück, aus dessen unterem die
beiden Seitenstücke hervorgehen. Dabei bleibt ein schmaler Streifen
des Sulcus unverwendet, indem sich im Bereich der dritten Schlund-
bogenwülste die mittlere Anlage der Schilddrüse von den seit-
lichen trennt.

Bei der Darstellung des Mundrachenraumes, wie sie in der
citirten Figur 41 gewählt ist, d. h. bei aufgerichtetem Kopf, wendet
der Sulcus arcuatus seine Convexität nach oben, während die Schild-
drüse einen nach abwärts convexen Bogen bildet. Allein es ist klar,
dass diese anscheinende Differenz dahin fällt, sowie wir uns vergegen-
wärtigen, dass bei Embryonen vom Schluss des ersten Monats der
Kopf gegen die Brust herabgebeugt ist. Bei dieser natürhchen
Stellung der Theile wird in der Frontalprojection die Schilddrüse
stets einen nach abwärts convexen Bogen bilden. Dies Yerhältniss
müsste nach Hebung des Kopfes eine Aenderung erfahren, wenn die
mittlere Schilddrüsenanlage zugleich mit dem Kopf emporgehoben
würde. Allein bei der Hebung des Kopfes bleibt dieselbe in der
Tiefe liegen, während die Zunge ihrerseits emporsteigt. Indem die
mittlere Schilddrüsenanlage ihre Stellung unterhalb und vor den
beiden seitlichen, sowie die Stellung zu den Carotidenwurzeln bei-
behält, wird der Abstand zwischen ihr und ihrer ursprünglichen
Bildungsstätte erheblich grösser. Dazu kommt nun aber noch hinzu,
dass, bevor die Kopfhebung eine ausgiebigere geworden ist, die
gesammte Schilddrüse zugleich mit dem Kehlkopf eine Rückwärts-
drängung in das Halsgebiet herein erfahren hat. Schon bei den
Embryonen Eg und S1 geht ein den Kopf abtrennender Schnitt vor
dem Kehlkopf und vor der Schilddrüse vorbei.

Bei dem Auseinanderrücken der mittleren Schilddrüsenanlage

und der Zungenwurzel erhält sich durch längere Zeit hindurch ein

feiner epithelialer Gang, der am Foramen coecum frei ausmündet.

Dieser verlängerte Ductus thyreolingualis, dessen Verlauf ich in

Fig. 66 für Sl dargestellt habe, ist auch bei Zw nachweisbar. In

der Eolge pflegt er unterbrochen zu werden und ganz oder theilweise

7*

-ocr page 108-

zu obliteriren. Indessen sind selbst bei Erwachsenen Fälle nicht
selten, wo der Gang fast in seiner ganzen Ausdehnung sich erhalten
hat. Ich habe oben der Zungen gedacht, in denen das Foranien
coecum in einen 11/2 bis 21/2 cm langen Kanal hereinführt. Dieser
Kanal, den ich den Ductus lingualis nenne, endigt in den Fällen
exquisiter Ausbildung in der Höhe des Zungenbeinkörpers über dem
Ligam. hypoepiglotticum.

In fünf, mir vorliegenden Präparaten, welche einen längeren
Zungenkanal zeigen, besteht gleichzeitig ein mittleres Schilddrüsen-
horn. Dasselbe ist in
den fünf Fällen überein-
stimmend gebaut, ea
ist nämlich in seinem
unteren Abschnitte drü-
sig, dann aber setzt es
sich nach oben hin in
ein häutiges Eohr fort,
welches für eine Sonde
leicht passirbar ist und
das, hinter dem Zun-
genkörper vorbei, bis in
die Höhe von dessen
oberem Eand hinauf-
steigt. Hier endigt das-
selbe unterhalb des
Ligam. hyothyreoideum
medium. Dies Rohr, das
man wohl unbedenkhch
als Ductus thyreoi-
deus bezeichnen darf,
endigt in der Mittel-
linie, und zwar auch
dann, wenn das Cornu
medium, wovon es abgeht, seithch von der Mitte befindhch ist. In den
beiden Präparaten, in welchen der Zungengang seine volle Länge be-
wahrt hat, rückt er dem Ductus thyreoideus bis auf einen Abstand
von kaum 5 mm entgegen. Zu einer directen Berührung beider

-ocr page 109-

Gänge kommt es indessen nicht, da die Ligamenta hyoepiglotticum
nnd thyreohyoidenm sich dazwischen einschieben.

Es bedarf wohl kaum eines näheren Beweises dafür, dass die
beiden eben beschriebenen Gänge die Eeste des ursprünghchen, vom
Foramen coecum bis zur mittleren Schilddrüse herabreichenden Duc-
tus thyreoglossus sind. Ich vermuthe, laut obigen Präparaten, dass
in einzelnen Fällen der Gang in seiner ganzen Länge offen bleiben
kann, bis zu dem Zeitpunkte, wo mit der Entwickelung der derben
Zungenbeinbänder ein Motiv zur Trennung sich einstellt. In Zu-
kunft wird darauf zu achten sein, eb sich ein Cornu medium der
Schilddrüse stets mit einem Canahs linguahs combinirt, oder ob die
eine Bildung unabhängig von der anderen vorhanden sein kann. Eben-
so wird es die Sache weiterer Untersuchungen sein, inwieweit der
Canalis linguahs der Ausgangspunkt besonderer Geschwulstbildungen
sein kann.

AVährend in den oben beschriebenen Fällen der ursprünghche
Ductus thyreoglossus in zwei Theile zerfallen ist, hinterlässt er zu-
weilen auch eine grössere Zahl von Theilstücken. Als solche inter-
mediäre Eeste des Ganges sind nämlich jene um das Zungenbein
herum liegenden unpaaren Drüschen zu deuten, auf deren Vorkom-
men
Verneuil und neuerdings Zuckerkandl und Kadyi aufmerk-
sam gemacht haben (Glandula suprahyoidea, praehyoidea u. s. w.\')
Ein von
Kadyi abgebildetes Präparat 2) zeigt z. B. eine Kette von
vier, durch Zwischenräume getrennten accessorischen Schilddrüschen,
deren eines über dem Zungenbein, die drei anderen unterhalb des-
selben gelegen sind. Hier muss somit der Ductus thyreoglossus,
einschhesshch der beiden Endstationen, in 6 Theilstücke zerfallen
sein, deren jedes vom anderen durch einen Abstand getrennt ge-
blieben ist.

Nachdem sich die drei Schilddrüsenanlagen von ihren primä-
ren Bildungsstätten abgelöst haben, beginnt die Parcellirung ihrer
Substanz sich einzuleiten. Bei Sch bilden die seitlichen Anlagen
noch grossentheils zusammenhängende Streifen; eine Ablösung ein-

1) Literaturangabe bei Merten im Archiv für Anat. u. Physiol., anat.
Abth. 1879. S. 483.

2) Ebendaselbst S. 318. Fig. 2.

-ocr page 110-

meiner Stücke macht sich indessen da bemerkbar, wo die seithchen
Anlagen der mittleren begegnen, nnd auch die Substanz der letzte-
ren zeigt sich auf Durchschnitten in mehrere Stücke zertheilt. Bei
Zw sind zwar auch noch Gruppirungen der Zellen um länghche Spal-
ten herum vorhanden, daneben aber zahlreiche rundliche Complexe,
die den Habitus eigenthcher Acini tragen. An jeder Zelle ist nun-
mehr ein leicht tingirbarer körniger Abschnitt von einem hellen
(colloiden) geschieden, dabei lagern sich die Elemente so, dass die
die Kerne tragende körnige Zone derselben die Peripherie des Aci-
nus bez. des Zellenrohres bildet, wogegen der helle Antheil nach ein-
wärts gekehrt ist. Ein Zwischengewebe zwischen den Acini existirt
zu der Zeit noch nicht.

-ocr page 111-

Die primäre Anlage der Thymus.

Seitdem Eemak den Gedanken ausgesprochen hat, dass die
Thymus möglicherweise eine aus den Schlundspalten hervorgegangene
Abschnürungsdrüse des Yorderdarmes sei\'), ist bis in die neueste
Zeit herein immer wieder die Annahme zur Geltung gelangt, dass
die Thymus und die Schilddrüse in ähnlicher Weise sich anlegen, und
so hat auch
Boen die eine dieser Drüsen durch Abschnürung der
dritten, die andere durch Abschnürung der vierten Schlundtasche
abzuleiten versucht.

Der histologische Charakter der ausgebildeten Thymusdrüse
scheint, wenn man zunächst blos das adenoide Gewebe derselben
ins Auge fasst, gegen eine epitheliale Herkunft des Organes zu
sprechen, und es ist zu beachten, dass schon
Eemak, in Eücksicht
auf die Verwandtschaft der Thymus mit der Milz und den Lymph-
drüsen, an deren Entstehung aus dem mittleren Keimblatt mit ge-
dacht hat.

Die Thymusdrüse enthält nun aber, neben dem adenoiden Ge-
webe, in den concentrischen Körpern2) Bestandtheile von entschieden
epithelialem Charakter. Dieser Umstand in Verbindung mit dem
acinösen Aufbau der Thymusdrüse hatte mich schon seit längerer
Zeit zur Vermuthung gebracht, dass wohl die Thymus als epithe-
liales Organ sich anlegen möge, und dass späterhin die Anlage von
adenoidem Gewebe umwachsen und verdrängt werde, wobei ihre
Eeste als concentrische Körper persistiren. Seitdem
Köllikee bei

1) Rbmak, Untersuchungen. S. 41, sowie besonders S. 123 u. 124.

2) Den Versuch, die concentrischen Körper für bindegewebige Bildungen
auszugeben, halte ich für verunglückt.

-ocr page 112-

zwei\\?öclientlic]ien Kaninchenembryonen die Thymusanlage als ein
in der That epitheliales Hohlgebilde nachgewiesen hat, hat meine
Annahme von der Bedeutung der concentrischen Körper, wie mir
scheint, sehr an Gewicht gewonnen, auch hat sich, seitdem ich die-
selbe im ersten Heft ausgesprochen habe,
Stieda dafür erklärt.\') Es
ist die spätere Thymus, um einen Ausdruck der Mineralogen zu ge-
brauchen, eine Pseudomorphose des primären Organes. Wir können
uns ein Bild von dem Hergang machen, wenn wir etwa beispiels-
weise annehmen, es würden in den Tonsillen die Epithelbuchten ge-
schlossen und ihr Inhalt in einzelnen Gruppen zerklüftet. Auch da
wäre die definitive Organisation des Gebildes auf die primäre Fal-
tung der Epithelfläche zurückzuführen, und es würden die primär
vorhandenen Theile durch die umgebenden schhesshch grösstentheils
verdrängt und verdeckt erscheinen.

Die Annahme des Satzes, dass die concentrischen Körper die
Eeste der primären Drüsenanlagen sind, führt aber sofort zu der
weiteren Folgerung, dass die primäre Thymus nicht eine endodermale
Bildung sein kann, sondern dass sie aus derselben Anlage stammen
muss, wie die Epidermis. Die concentrischen Körper nämhch be-
stehen, wie dies vor vielen Jahren zuerst
Ecker und dann ich selbst
nachgewiesen haben^), aus theils kernhaltigen, theils kernlosen Schüpp-
chen, welche mit Epidermisschüppchen die grösste Uebereinstimmung
zeigen, auch finden die Körper hinsichtlich ihres Aufbaues eine un-
mittelbare Parallele in den concentrischen Körpern der Cancroidge-
schwülste. Da ich nun aber gefunden habe, dass bei Säugethier-
embryonen die Schlundspalten niemals durchbrechen, so ist auch zu
erwarten gewesen, dass sich der Ursprung der primären Thymus auf
äussere Furchen wird zurückführen lassen. Diese Erwartung findet
in der Beobachtung ihre volle Bestätigung:

Die primäre (epitheliale) Thymusanlage entsteht aus
der Auskleidung der vierten, dritten und theilweise
noch der zweiten Schlundfurche, sowie aus dem Ueber-
zug der zugehörigen Wülste dadurch, dass auf der

1) Man vergleiche Heft I. S. 56 und Stieda, Unters, etc. S. 30.

2) Eckee in R. Wagneb\'s Handwörterb. IV. 116 und Ic. phys. Taf. VI.
Fig. 4, und His in Zeitschr. für wissensch. Zool. Bd. IX. S. 348 und Taf. XXIX.
Figur 23.

-ocr page 113-

Die primäre Anlage der Thymus. 105

Grenze von Kopf und von Hals diese Theile in die Tiefe
geschoben und von der Oberfläche abgetrennt werden, i)
In einem früheren Abschnitte (S. 26) ist der Nachweis geführt
worden, dass die Schlundbogenwülste sich übereinander verschieben,
derart, dass der dritte Wulst den vierten, und der vierte den dritten
von aussen her überlagert und zudeckt. Während das Profil der
Embryonen « und R noch vier offen hegende Wülste zeigt, sind
bei A, bei B und bei Pr deren nur noch drei und auf den nachfol-

c?

o

\'o ~

Fig. 68.

Dürchsclmitt durch den Hinterkopf vom
Emhryo Eg. Vergr. 1?. Die arabischen
Ziffern bezeichnen die jioi tenbogen 2—5.
Th Thymufanlage, Kk Kehlkopf.

genden Stufen von Rg, S 1 u. s. w. nur noch zwei sichtbar. Bei
dieser Uebereinanderschiebung der Bogenwülste gelangt der zweite
soweit nach rückwärts, dass er schhesshch bis dicht an die Extre-
mitätenwurzel herantritt (Taf. XIV Fig. 1 und 3).

Als Folge des eben erwähnten Vorganges ergiebt sich die Bil-
dung einer tiefen Bucht, welche vom Halswinkel ausgehend, zwischen

1) Eine Notiz hierüber habe ich bei der Versamml. d. Schweiz, naturf.
Gesellschaft in Zürich (medic. Section) gegeben;
siehe Compte rendu im October-
Novemberheft der Archives des sciences etc. Genf 1883.

-ocr page 114-

dem Kopf und der seitlichen Halswand einschneidet, und die ich
den Sinus praecervicalis nennen will Sie bezeichnet den ersten
Anfang zur Thymusbildung. Der Grund der Bucht ist schon bei
den Embryonen A und B vorhanden und ihr Eingang zeigt sich in
der Profilansicht als eine hinter dem dritten Schlundbogenwulst be-
findliche dreieckige Lücke (Taf. I Eig. 1 und 2). Bei Pr ist dieser
Eingang etwas enger geworden (Taf. XIII Fig. 4), allein auch hier
ist er vom dritten Bogenwulst begrenzt und der umschlossene Raum
gabelt sich nach der vierten und nach der dritten Spalte hin (Fig. 48).

Bei Embryo Eg ist auch die zweite Furche in den Sinus mit
einbezogen und der zweite Wulst bildet nunmehr den vorderen Rand
seines Einganges. Den hinteren Rand desselben bildet ein dem Hals
angehöriger Wulst, auf dessen Bedeutung ich später zurückkommen
werde. Während der Eingang der Bucht auf der Grenze von Hals
und von Kopf befindlich ist, ist deren Grund von der seitlichen
Halswand umschlossen. Dies zeigt sich am auffallendsten im Profil-
bild, allein es findet auch an Frontalconstructionen und an Durch-
schnittsbildern seine Bestätigung. In Figur 70 ist der Sinus prae-
cervicalis in das Profil des Embryo eingetragen, von seinen drei
Schenkeln greifen der hinterste und der mittlere, d. h. die Eeste der
vierten und der dritten Aussenfurche in den Hals über und nur der

-ocr page 115-

kurze vordere Schenkel liegt auf eine kleine Strecke im Kopfgehiet,
Dasselbe ersieht man aus dem Durchschnitt Figur 68. Hier führt
der von aussen her offene Theil des Sinus nach der zweiten und dritten
Spalte hin, während ein Stück der vierten Spalte anscheinend isolirt
im Halsabschnitte liegt. Fig. 69, bei welcher der Kopf aufgerichtet
gedacht ist, zeigt den Zusammenhang sämmtlicher Eäume in einer
Frontalconstruction.

Bei Embryo S1 hat sich der Abschluss des Sinus praecervicalis
eingeleitet. Noch existirt eine äussere, den früheren Zugang an-
deutende Grube, aber sie endigt blind und ihre Epithelauskleidung
läuft in einen dünnen Zellenfaden aus, an den sich erst in der
Tiefe wieder ein trichterförmig ausgeweiteter, zu der Höhlung des
Grundes hinführender Gang anschliesst. Dabei
erscheint das Epithel
nunmehr verdickt, stellenweise als Wulst gegen die Lichtung vor-
tretend, und letztere nimmt dabei eine auf dem Durchschnitt halb-
mondförmige Gestalt an (Fig. 72).

-ocr page 116-

Die von der Oberfläche abgeschnürte Thymusanlage hegt, wie
die Frontalconstruction ergiebt, als ein gebogener Streifen lateral-
wärts von Pharynx und Kehlkopf (Fig. 73). Die obere Hälfte des

Streifens überragt die Schilddrü-
senanlage, der untere Theil dagegen
verläuft neben diesen und parallel
mit ihr, und zwischen beiden Bil-
dungen drängen sich die Stämme
der Carotiden hindurch.

Auf das äussere Profil projicirt,
nimmt die Thymusanlage auch hier
den Winkel hinter dem zweiten
Schlundbogen ein und sie liegt
etwas schräg und im Winkel ge-
bogen. Ihr unteres Ende reicht bis
in die Höhe des vierten Aortenbogens herab. Hier ist das Organ
am dünnsten, während es in halber Höhe seine grösste Mächtigkeit
erreicht. Die Aussengrube liegt ziemlich hoch und ist an Fig. 66
S. 98 durch einen dunklen Strich angedeutet.

Im weiteren Verlauf der
Thymusentwickelung nimmt
das Organ eine gestreckte
Form an und sein unteres
Ende gleitet vor den grossen
Gefässstämmen tiefer herab.
Schon bei Sch ist es in
den Brustraum hereingerückt

ProMconstruction der sfhtdlrüsen-u. Thymusanlagen ^^ ^^^^^ ^^r der

Theilungsstelle der Aorta. -

wurzei, Ä.p Sinus pyriformis, 0 Oberfläche des Halses T)ip o^pT, hnnfpndpTl 7(i11oti
mit abgehendem Stiel der GL thymus, ^.«11. Ad Aorta nauienacn Z^eileU

ascendens und descendens. C Carotis j-.-n t •• t i

\' erfüllen die ursprünglich vor-

handene Lichtung in zunehmendem Maasse. Bei Zw machen die
meisten Durchschnitte den Eindruck einer compacten Masse, und
nur hier und da begegne ich noch einer kleinen runden Lücke, die
als Rest der früheren Lichtung zu deuten ist.

Die eben entwickelte Geschichte der Thymusanlage führt uns
unmittelbar zur Frage von den sogenannten seitlichen Hals-

-ocr page 117-

fisteln. Seit der Arbeit von Ascherson pflegt man die am Hals
auftretenden Kanäle auf offen gebliebene „Kiemenspalten" zurück-
zuführen, und einzelne Autoren sind sogar soweit gegangen, Fisteln
zu unterscheiden, die der 2., der 3. oder der 4. Spalte angehören i

sollen. Die Beschreibungen der Fälle lauten im AUgemeinen dahin, I:

dass die Fistelöfihungen dicht vor dem Eande des M. stemocleido- i,

mastoideus liegen, meistens in der Nähe seines unteren Endes,
zuweilen jedoch auch höher, bis zur Zungenbeinhöhe. Dieselben \'

pflegen in einen schräg aufsteigenden Kanal hereinzuführen. In \'

einem bei einem Neugeborenen beobachteten Fall konnte Rehni) \'

den G-ang hart am Schildknorpelrande vorbei, zwischen dem M. bi-
venter und dem N. hypoglossus hindurch, zur Rückfläche des M.
palatopharyngeus verfolgen, wo derselbe blind endigte. In anderen, \' j;

am Lebenden beobachteten Fällen ist man im Stand gewesen, durch |

Injection schmeckender Substanzen in den Fistelgang Geschmacks-
perception im Rachen hervorzurufen, ja in einem von
Lesser be- \'\'

schriebenen Fall vermochte der Patient vom Mund aus eine ge- ■

krümmte Stricknadel in den Fistelgang einzuführen und durch die
äussere Oeffnung wieder hervorzuziehen; auch war da der Kanal, j

wenigstens in jüngeren Jahren, so weit gewesen, dass beim Schlucken ■

Flüssigkeiten und selbst Speisetheilchen durch denselben durchzu- \'

dringen vermochten.2) i

Es ist klar, dass die Unterlagen für die Deutung der fragflehen ?

Missbildung ungenügend sein mussten, so lange man über das Ver- j;

halten der Schlundspalten und über die Art ihres Schlusses keine I

genaue Kenntniss besessen hat, allein auch an der Hand besserer
Einsicht wird man doch auf verschiedene Schwierigkeiten stossen,
die nur durch erneute Bearbeitung der betreffenden Fälle lösbar er-
scheinen. Folgende Gesichtspunkte erscheinen mir dabei
beachtens-
werth :

1. Zunächst tritt die Thatsache in den Vordergrund, dass die
Existenz einer Halsfistel für einen gewissen Zeitabschnitt des embryo-
nalen Lebens, für die Zeit nämlich vom Beginn bis gegen das Ende
der 5. Woche, ein normales Vorkommniss ist. Allein diese normale

1) ViECHOw\'s Archiv. Bd. 62. S. 269.

2) Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. II. S. 320.

-ocr page 118-

Fistel führt nicht in den Pharynx herein, sondern in den blind endi-
genden Sinus praecervicalis oder mit anderen "Worten in das Innere
der epithelialen Thymusanlage. Wenn nun die pathologische Fistel,
anstatt in der Eichtung nach abwärts gegen die Thymus hin zu ver-
laufen, stets nach oben sich wendet, so ist nicht unwahrscheinlich,
dass die Existenz einer solchen Fistel mit Abweichungen in der
Thymusbildung sich compliciren wird.

2. Da normalerweise ein Durchbrach der Schlundspalten nach
dem Pharynx hin nicht erfolgt, so sind die Fälle besonders bemer-
kenswerth, in denen durch Einspritzung schmeckender Substanzen
oder durch Sondirung die Communication der äusseren Oeffnung mit
dem Pharynx nachgewiesen worden ist. Ich habe eine Zeit lang daran
gedacht, es könnte in solchen Fällen die Communication durch kräftige
Sondirungsversuche künstlich erzeugt worden sein. Allein eine der-
artige Erklärung, die denn doch kaum für alle Fälle anwendbar sein
möchte, reicht nicht sehr weit. Ganz unabhängig davon, ob eine
innere Oeffnung da ist oder nicht, ist nämlich vor allem zu erklären,
weshalb der Gang nach oben, statt in der Eichtung nach der Thy-
mus hinführt. So muss man denn, wie mir scheint, die Möglichkeit
direct ins Auge fassen, dass der Sinus praecervicalis ausnahmsweise
in den Pharynx durchbrechen kann. Tritt aber dieser Fall ein, so
kann dies zur Fixation eines inneren Sinusabschnittes führen, da-
durch aber die Senkung der Gesammtanlage verhindern und die
ursprünglich ansteigende Eichtung des Ganges zu einer bleibenden
machen. Hinsichtlich einer inneren Durchbruchsstelle besteht ein
gewisser Kreis von Möglichkeiten, je nachdem die 2., 3. oder 4.
Spalte durchbrochen wird. Für die zweite Spalte ist die Stelle in
der EosENMüLLER\'schen Grube oder in der Fossa supratonsillaris
zu suchen, für die dritte Spalte über der Plica nervi laryngei, für
die vierte im Sinus pyriformis. Auf einem Durchbruch der zweiten
Spalte scheint mir ein von
Yikchow abgebildeter Fall zu beruhen,
bei welchem eine unter dem Ohr eingeschobene Sonde in der Fossa
supratonsillaris zum "Vorschein kommt, i)

1) ViKCHOw\'s Archiv. Bd., 32. Taf. XII.

-ocr page 119-

Literarische Auseinandersetzung zu den rorangegangenen

Abschnitten.

Seit Herausgabe meines ersten Heftes sind mehrere grössere
Arbeiten über die Bildung der Schilddrüsen-, der Thymus- und der
Zungenanlage erschienen, zu welchen ich vor Schluss dieses Ab-
schnittes Stellung zu nehmen habe.

Den Beginn hat A. Wölfler mit einer sorgfältig durchgeführten
Abhandlung eröffnet,
i) Wölfler ist auf den Gedanken gekommen,
die Bildungsgeschichte der Schilddrüse an sagittalen Schnitten von
Embryonen zu studiren, und es haben ihn seine Untersuchungen zum
Ergebniss geführt, dass die den früheren Autoren bekannte median
gelegene Schilddrüsenblase mit Epithellagern in Verbindung steht,
welche sich in der seitlichen Halswand befinden und von denen
Wölfler glaubt nachweisen zu können, dass sie von der Auskleidung
der ersten Visceralspalte abstammen. Die Ableitung der Schild-
drüsenanlage aus der ersten Schiundspalte hat sich als unhaltbar
herausgestellt, wie denn auch zur Beurtheilung der bezüglichen Ver-
hältnisse die Verwendung blosser Sagittalschnitte nicht ausreicht.
Dagegen fällt
Wölpler unstreitig das Verdienst zu, die Existenz
seitlicher Schilddrüsenanlagen zuerst mit voller Sicherheit nachge-
wiesen und deren weitere Geschichte bis zur Bildung der Acini und
des Gefässgerüstes verfolgt zu haben.

Bald nach Wölfler und ohne dessen Arbeit zu kennen, hat
auch
Stieda die ältere Lehre von der Schilddrüsenbildung ange-
, griffen.2) Während sich aber jener mit der bestehenden Auffassung
dadurch zu versöhnen gesucht hat, dass er die mediane Schilddrüsen-
anlage als Vereinigungsstelle der beiden seitlichen anerkennt, liegt
für
Stieda der Schwerpunkt der Erage darin, ob die Anlage des
Organes eine unpaare oder eine paarige sei. 3) Er entscheidet sich
für das Letztere und glaubt nachweisen zu können, dass das Mittel-
stück der späteren Drüse aus den Seitentheilen hervorwächst.In

1) A. Wölflee, Ueber die Entwickelung und den Bau der Schilddrüse.
Berlin 1880.

2).Stieda, Untersuchungen über die Entwickelung der Gl. thymus, Gl.
thyreoidea etc. Leipzig 1881.

3) 1. c. S. 5. 4) 1. c. S. 17.

-ocr page 120-

einem Nachtrag berührt Stieda noch ausdrücklich meine eigene
Beobachtung über eine mediane Schilddrüsenanlage beim mensch-
lichen Embryo (Heft I S. 56 und Taf. H Fig. 41) und spricht seine
Zweifel darüber aus, ob das von ihm bei mir gesehene Doppelbläschen
mit der Schilddrüse etwas zu thun hat.i)
Stieda hat seine Beob-
achtungen an etwas vorgerückteren Säugethlerembryonen angestellt
(an Schweinen von 18 mm) und er giebt sehr gute Darstellungen für den
bis dahin noch unbekannten Zusammenhang der seitlichen Schild-
drüsenanlagen mit dem Pharynx. In Betreff der Thymus bestätigt
Stieda die Existenz einer epithehalen Anlage und findet, dass die-
selbe mit unzweifelhaftem Kiemenspaltenepithel in Verbindung steht.
Die mittlere Schilddrüsenanlage ist
Stieda entgangen, weil seine
Untersuchung bei zu späten Stufen anhebt; auch giebt dieser Umstand
in Verbindung mit der mangelnden körperlichen Verarbeitung der
Schnitte
Stieda\' s Ergebnissen einen etwas unfertigen Charakter, und^
es erklärt sich daraus, weshalb er die Frage offen gelassen hat,
welche von den Spalten bei der Bildung von Thyreoida und Thymus
betheiligt sei.

Wesentliche Fortschritte verdanken wir der Arbeit von Boen 2),
welcher Forscher nicht allein die Aufgabe weiter gefasst hat, als seine
beiden Vorgänger, sondern der auch mit viel präciseren Methoden
gearbeitet hat.
Born ist es zunächst gelungen, den Nachweis dreier,
ursprünglich getrennter Schilddrüsenanlagen zu führen. Die mittlere
derselben ist die bekannte vom Boden der Mundhöhle abgeschnürte
Bildung, die beiden seitlichen treten hinter den vierten Kiemen-
bogen auf als zwei den Kehlkopf umgreifende Ausstülpungen der
Schlundspalte. Sie haben anfangs durchaus das Ansehen einfacher
Drüsen und ihre kolbenförmigen Enden neigen sich einander zu.
Diese Bildungen lösen sich bei älteren Embryonen von der Schlund-
wand und verbinden sich mit der mittleren Anlage. Aus der dritten
Kiemspalte lässt
Born, gleichfalls durch einen Ausstülpungsprocess,
die epitheliale Thymus hervorgehen.

In letzterer Hinsicht differire ich, wie man sehen wird, von
Boen nicht unerheblich, insofern ich die Thymus nicht von einer

1) 1. c. S. 35.

2) Ueber die Derivate der embryonalen Schlundbogen (Archiv f. mikrosk.
Anatomie. 1882. S. 271).

-ocr page 121-

inneren ScMundtasche, sondern aus dem von aussen hereintreten-
den Sinus praecervicalis ableite. Dagegen besteht zwischen
Boen\'s
Darstellung der Schilddrüsenbildung und der meinigen keine sehr
tiefe Differenz. Dadurch, dass ich auf frühere Stufen zurückgegangen
bin, ist es mir gelungen, die gemeinsame Beziehung zwischen der
mittleren und den seithchen Anlagen aufzufinden und zu zeigen,
dass die Gesammtanlage aus dem früheren Boden des Mundrachen-
raumes hervorgeht. Bei der Darstellung von
Born musste es be-
fremden, dass die beiderlei Anlagen aus anscheinend ganz verschieden-
artigen Bildungen, einerseits dem vorderen Mundboden, andererseits
der hintersten Schlundspalte entstehen sollten. Kein allzu grosses
Gewicht möchte ich darauf legen, dass ich die seitliche Schilddrüsen-
anlage aus dem Sulcus arcuatus ableite,
Born dagegen aus der
vierten Schlundspalte. Einmal giebt
Boen seine Ableitung nur als
eine wahrscheinliche, andererseits aber zeigt ein Blick auf meine
Figur 41 S. 63, dass das hintere Ende des Sulcus arcuatus mit der
vierten Schlundspalte zusammenfliesst.

Die Zungenbildung geschieht nach Boen in der Weise, dass ein
dem Unterkieferbogen entstammender, von ihm Schaltstück genannter
Wulst sich mit den zweiten Schlundbogen verbindet. Ich selbst
hatte im ersten Heft die Betheiligung der Unterkieferbogen an der
Zungenbildung in Abrede gestellt\') oder höchstens eine Betheiligung
des unteren Grenzabschnittes zugegeben. Auf diesem die Betheiligung
des Unterkieferbogens verneinenden Standpunkte bleibe ich heute
noch stehen, gleichwohl betrifft die Differenz zwischen
Born und
mir mehr den Wortlaut der Darstellung, als die Sache. Es ist näm-
hch unzweifelhaft, dass mein Tuberculum impar mit
Born\'s Schalt-
stück identisch ist, von dem es ausdrücklich heisst -), dass dasselbe
zwischen den Unterkieferfortsätzen der ersten Kiemenbogen und den
nach hinten convergirenden Enden der zweiten gelegen ist. Nach-
dem ich in obiger Darstellung den Nachweis geführt habe, dass
das mesobranchiale Feld, welchem das Tub. impar angehört, sowohl
nach seinem morphologischen Verhalten, als nach seiner Structur von
den Bogenwülsten zu unterscheiden ist, wird vielleicht auch
Born
kein allzu grosses Gewicht mehr auf die Abbildung seines Schalt-

1) 1. c. S. 54. 2) 1. C. S. 312.

His, MenscM. Embryonen. IH.

-ocr page 122-

stückes vom Unterkieferbogen legen. In gleicher Weise fällt meines
Erachtens die Erage dahin, ob die Epiglottis dem dritten oder dem
vierten Schlundbogen zuzuweisen sei, auch sie entwickelt sich zwi-
schen den Bogenwülsten und hat vom Anfang ab nichts mit den-
selben gemein.

In einem diametralen Gegensatz befinden sich Boen und ich
in Betreff der Theilnahme des dritten Bogenpaares an der Zungen-
bildung.
Boen stellt eine solche absolut in Abrede, ich halte sie
ebenso absolut aufrecht.
Boen\'s eigene Zeichnungen, Fig. 7 und 8,
zeigen die dritten Bogenwülste als hintere Abgrenzung der Zungen-
wurzel und sie begegnen sich hier, gleichwie bei meinen eigenen
Figuren, in einem dreieckigen vor der Epiglottis befindlichen Felde.
In der That ist es schwer die Betheiligung der dritten Bogenwülste
an der Zungenbildung in Abrede zu stellen, wenn man bedenkt,
dass diese Wülste die Träger der Nn. glossopharyngei sind und dass
ihnen ja auch die grossen Hörner des Zungenbeins angehören, beides
Bildungen, deren Zugehörigkeit zur Zunge doch keines Beweises bedarf.

-ocr page 123-

Die Bildiiiigsgescliiclite des Halses.

Die Bildung des Halses gehört zu den für die Körpergestaltung
allereingreifendsten Vorgängen, und es erscheint daher zweckmässig,
ihr an dieser Stelle einen besonderen Abschnitt zu widmen.

Der ausgebildete Hals erhebt sich frei über Brustkorb und
Schultergürtel, und er findet seine untere Grenze in der vorspringen-
den Knochenlinie des letzteren, in Clavicula, Acromion und Spina
scapulae. Vom Eumpf unterscheidet sich derselbe durch das Fehlen
einer die Eingeweide umschhessenden Höhle, eines Cölomes, wie
der neuere Ausdruck lautet. Die topographische Anatomie theilt den
Hals ein: in den Nacken, in die seitliche und in die vordere Hals-
gegend, wobei der Nacken bis zum vorderen Eande des M. cucullaris,
die seitliche Halsgegend von da aus bis zum M.
sternocleidomastoi-
deus gerechnet wird. In rein anatomischer Hinsicht ist diese Ein-
theilung vortreffhch, für die embrjologische Betrachtung wird es
aber nöthig sein, den Begriff des Nackens etwas enger, den der
seitlichen Halsgegend etwas breiter zu fassen.

Dem Nacken im engeren Sinn weise ich jene Theile zu, welche
aus der ursprünglichen Stammzone des Keimes hervorgegangen sind:
das Kückenmark, die acht Halsnerven und Halsganglien, die da-
zwischen hegenden sieben Halswirbel und die zugehörige, von den
Eami posteriores innervirte Längsmusculatur. In der Tiefe des Halses
werden die Mm. cervicalis ascendens, transversalis cervicis und tra-
chelomastoideus, etwas oberflächlicher die Mm. splenii die embryo-
logische Nacken grenze bezeichnen, wogegen der Levator scapulae
und der M. cucullaris nach meinem Dafürhalten nicht mehr echte
Nackenmuskeln, sondern von der Seite her secundärerweise in ihre

-ocr page 124-

Lage eingerückt sind. Für diese Auffassung spricht beim Cucullaris,
ausser der Innervation, der Umstand, dass der Muskel medianwärts
durch eine Sehne unterbrochen ist.

Während die ursprüngliche Grenze zwischen dem Nacken und
dem seitlichen Halsgebiete durch das Verhalten des M. cucullaris
mehr oder weniger verwischt ist, wird die vordere Grenze des letz-
teren durch den medialen Eand des M. sternocleidomastoideus sehr
präcis bezeichnet. Dieselbe verläuft vom Proc. mastoideus aus, schräg
nach vorn absteigend zum Sternoclaviculargelenk. Die Easern des
Muskels folgen im Allgemeinen derselben Eichtung, sie breiten sich
indessen nach abwärts etwas fächerförmig aus und dasselbe gilt für
die Mm. scaleni, welche sich zum M. sternocleidomastoideus wie
eine kürzere, die tief gelegenen Endpunkte verbindende Wiederholung
verhalten. Da überdies dieselbe Easerrichtung auch im Halstheile
des M. cucullaris wiederkehrt, so ergiebt sie sich als gemeinsamer
Charakter der aus der parietalen Keimzone hervorgegangenen Seiten-
musculatur des Halses. Abweichend verhalten sich nur der M. leva-
tor scapulae und der hintere Bauch des Omohyoideus, zwei Muskeln,
welche durch ihre Insertion an stark verschiebbaren Skelettstücken
aus der Gruppe der übrigen herausgelöst erscheinen.

Das typische Bild für den Aufbau der seitlichen Halswand
gewährt die Gruppe der drei Scaleni. Hiernach ist jene als ein Dreieck
aufzufassen, dessen Basis auf dem Brustkorb aufruht, dessen Spitze
dem Kopf zugewendet ist und dessen längste Seite nach vorn sieht.
In diesem Dreieck folgen die vordersten Easern dem schräg abfallen-
den vorderen, die hintersten dem steilen hinteren Rande, sie bilden
somit im Ganzen einen von der Spitze des Dreiecks zur Basis hin
sich ausbreitenden Fächer. Dem gegenüber ist bei der Nacken-
musculatur die Hauptrichtung eine nach vorn schräg ansteigende.

Die Ränder der beiden Mm. sternocleidomastoidei umschliessen
die vordere Hals gegen d, in welcher die Halseingeweide liegen,
Kehlkopf, Trachea, Schilddrüse und Oesophagus, von einigen dün-
nen Muskelplatten bedeckt und von Nerven und Gefässstämmen
begleitet. Darüber liegt die Inframaxillargegend, deren obere Grenze
dem Unterkiefer entlang, vom Kinn bis unter das Ohr heraufreicht.
Diese Gegend ist nicht mehr dem Hals zuzurechnen, sondern dem
Kopf, und ihre untere Grenze erstreckt sich vom Schildknorpel

-ocr page 125-

aus schräg nach aufwärts, gegen den Processus mastoideus. Die
Inframaxillargegend bildet somit einen nach abwärts gerichteten
stumpfen Winkel, und sie sowohl als die vordere Halsgegend be-
stehen aus je zwei in der Mittellinie zusammenstossenden Drei-
ecken.

Im Nachfolgenden werde ich, der obigen Darlegung gemäss, zu
unterscheiden haben:

den die Axengebilde umschliessenden Nacken,
das Seitendreieck des Halses,
die vordere Halsgegend und
die Inframaxillargegend.

Als Kehle ist die G-renzlinie der beiden letzteren Gegenden
zu bezeichnen.

Die eben aufgeführten Regionen des Halses werden in der an-
gegebenen Reihenfolge am Embryo unterscheidbar: zuerst die Axial-
gebilde, dann das seitliche Halsdreieck und zuletzt die vordere Hals-
wand. Die Emancipation der letzteren aber hängt mit derjenigen
der Inframaxillargegend genau zusammen.

Sobald überhaupt die Urwirbel angelegt sind, kann man mit
deren Hülfe nachzählen, wie weit die axiale Anlage des Halses sich
erstreckt, und dabei findet man sich überrascht durch deren im
Verhältniss zu anderen Theilen äusserst tiefe Stellung. Mag man
für die jüngsten Embryonen Lg und BB (Taf. IX Eig. 6 — 10) allen-
falls annehmen, es seien die obersten zwei bis drei Urwirbel noch
nicht unterscheidbar gewesen, weil sie sich am Querschnitt nicht
genügend charakterisirt haben\'), so ist doch sicher, dass bei jenen
Embryonen die untere Grenze der Hals
Wirbelsäule bis unter das
Niveau des Leberganges und bis in dasjenige des Nahelblasenein-
ganges herabgereicht hat. Noch bei Embryo Lr (Taf. IX Eig. 14)

1) In den angegebenen Figuren ist die obere Grenze der ürwirbelsäule
laut deren an Querschnitten leicht erkennbarem Verhalten bestimmt worden.
Für die umgeknickten Strecken konnten die Urwirbel direct abgezählt werden,
und für die bei Lg nur etwa drei Urwirbel umfassende obere Strecke musste
interpolirt werden.

2) Ich werde mir erlauben, den Ausdruck Halswirbelsäule auch da zu
gebrauchen, wo es sich um die Urwirbel handelt, indem ein Missverständniss
kaum zu befürchten ist. Die Haisurwirbelsäule zählt natürlich acht Segmente.

-ocr page 126-

hat sich diese Beziehung erhalten, und es liegen hier vor der Hals-
wirbelsäule die Anlagen der Lungen, des Magens und der Leber,
welche Theile ihrerseits wiederum vom Herzen überlagert sind.

Fragen wir uns, ob man bei Embryonen dieser Stufe von
einem Hals reden darf und was dazu zu rechnen sei, so ist klar,
dass wir uns vor allem darüber zu verständigen haben, welche
Attribute des Halses wir als die wesentlichen ansehen wollen. Die
Attribute des ausgebildeten Halses bestehen bekannthch darin, dass
derselbe ein, zwischen dem Kopf und dem Eumpf frei sich erheben-
der, höhlenloser und mit einer bestimmten Eeihe von Eingeweiden
ausgestatteter Körperabschnitt ist. Legen wir aber bei der Begriffs-
bestimmung des Halses das Hauptgewicht auf das Fehlen der Höhle
und auf das Vorhandensein einer freien Vorderfläche, so besitzt der
jüngere Embryo keinen Hals, sondern er besteht, bei dieser Begriffs-
fassung, nur aus dem Kopf und dem Eumpf. Sehen wir dagegen
ab von der Höhle und rechnen zum Hals Alles, was vor den acht
Urwirbeln liegt, bez. was demselben Metamerenkreis angehört, wie
diese, so ertheilen wir dem jüngeren Embryo einen Hals von un-
Terhältnissmässig grosser Ausdehnung, und derselbe umschliesst als-
dann einen guten Theil der Organe, die späterhin dem Brust- und
-dem Bauchraum zukommen.

Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass wir auf eine freie
Vorderfläche verzichten und im embryonalen Hals diejenigen Theile
zusammenzufassen suchen, welche im späteren Halsgebiete vereinigt
sind. Annähernd lässt sich dies erreichen, wenn wir vom oberen
■und vom unteren Ende der Halswirbelsäule aus zwei Linien nach
der primitiven Kehle, d. h. nach dem Einschnitt zwischen dem Unter-
kiefer und der Parietalhöhlenwand hinziehen. Bei Embryo Lr z. B.
umgeben die beiden Linien in Verbindung mit der Rückenlinie ein
schräges, die Parietalhöhle eben noch streifendes Dreieck, in welchem
fast lauter dem späteren Hals angehörige Theile enthalten sind.

Diese letzte Begriffsfassung für den embryonalen Hals halte ich
für die zweckmässigste, und sie lässt sich noch etwas präciser gestal-
ten, wenn man die vom oberen Haisurwirbel ausgehende Linie nach
der unteren Ecke des zweiten Schlundbogens und erst von da aus
zur primitiven Kehle hinführt und wenn man ausserdem die untere
Begrenzungslinie im Bogen hinter der Parietalhöhle vorbeileitet. Da-

-ocr page 127-

119 Die Bildungsgeschiclite des Halses.

durch wird der Halshezirk oder der primitive Halskeil, wie wir
ihn nennen können, anstatt von drei, von vier Seiten eingefasst, er
stösst in einer gebrochenen Linie an den Kopf, in einer etwas ein-
gebogenen an den Eumpf und nur die hintere oder Naokenseite des-
selben ist frei. Die Anlage des Kehlkopfes fällt mit in den Bereich
des also umgrenzten Halskeiles, wogegen die Anlagen der Lungen,
des Magens und der Leber davon
ausgeschlossen sind. Die mit
ausspringendem Winkel an den
Kopf anstossende Grenzlinie be-
steht aus dem Stück, das vom
ersten Urwirbel zur Ecke des
zweiten Schlundbogens sich er-
streckt, und aus einem zweiten,
das von hier aus, dem zweiten
Schlundbogen und dem Unter-
kiefer entlang, zur primitiven
Kehle tritt. Dies letzte Stück
bezeichnet die Strecke, längs
deren späterhin der Kopf von
seiner Unterlage sich ablösen
und eine vordere Halswand sich
bilden wird. Ich bezeichne es
als den Vorderrand des pri-
mitiven Halses. Unsere nächste
Aufgabe geht nun dahin, zu
zeigen, wie der dem Eumpf von
hinten her angelagerte primitive
Halskeil über das Höhlengebiet des letzteren sich erhebt und wie
er dann weiterhin durch Trennung vom Inframaxillargebiete eine
freie vordere Fläche bekommt.

Bei dem jüngsten von meinen construirten Embryonen Lg
(Fig. 6 und 7 Taf. IX) steht die Kuppel der Parietalhöhle höher
als die Gehörblase und auch bei BB (Fig. 9 bis 11) überragt sie
das obere Ende der Urwirbelsäule noch um ein gutes Stück. Bei
Lr ist die Höhenausdehnung der Höhle derjenigen der Hals Wirbel-
säule annähernd gleich, bei E (Taf. XIII Fig. 3) fällt der höchste

-ocr page 128-

Punkt der Höhle in das Niveau des 4. Haisurwirbels, bei Embryo A
(Taf. Vn Fig. A 1) ungefähr in das des fünften und bei Embryo Sch
ist er kaum noch in der Höhe des 7. Halswirbels.

Das Verhältniss der Parietalhöhlenkuppel zur Halswirbelsäule
ändert sich somit von früh ab und durch geraume Zeit hindurch,
und zwar geschieht dies in der Weise, dass einestheils die Höhlen-
kuppel sich senkt, anderntheils die Wirbelsäule heraufrückt. Beide
Vorgänge combiniren sich mit einander und beide hängen zusammen
mit der fortschreitenden Entwickelung der embryonalen Nacken-
krümmung.

Die Senkung der Parietalhöhlenkuppel ist ein leicht verständ-
licher Vorgang. Solange der Kopf des Embryo aufgerichtet ist, ist
der vor dem Unterkiefer liegende Theil der Höhle am höchsten ge-
legen, dann aber, wenn sich der Kopf und mit ihm der Unterkiefer
vornüberneigt, verschiebt sich auch der Ort der Kuppel. Bei Em-
bryo E z. B. (Taf. XIII Fig. 3) liegt dieser dem vierten Schlund-
bogen gegenüber, d. h. es ist jetzt eine Stelle die höchste geworden,
welche bei BB nur in halber Höhe gestanden hatte und die von der
damahgen Kuppel weit überragt war.

Wenn die Nackenkrümmung ihr Maximum erreicht hat, was
ja schon im Laufe der vierten Woche der Fall ist, so besteht kein
weiterer Grund mehr zu einem Herabsteigen der Parietalhöhlen-
kuppel. Gleichwohl ändert sich auch jetzt noch das Verhältniss
zwischen dieser und der Halswirbelsäule, zugleich aber auch das-
jenige der Halswirbelsäule zu den davorliegenden Eingeweiden, zu
den Anlagen von Lunge, Magen und Leber. Es beruht dies auf
einem Emporsteigen der gesammten Halswirbelsäule, einem Vorgang,
der einer etwas eingehenderen Erörterung bedarf.

Bei jüngeren Embryonen beschreiben die Längsaxen des Me-
dullarrohres, der Urwirbelsäule, des Eingeweiderohres und diejenige
der Körperhöhlen Bogenlinien, die unter sich gleichartig und, abge-
sehen von einigen besonderen Abweichungen, nahezu parallele sind
(man vergl. die Figuren von Taf. IX, sowie Taf. XIII Fig. 3). Den
längsten Bogen beschreibt das Medullarrohr, den kürzesten die Rück-
wand der vereinigten Leibeshöhlen. Die verschiedenen Bogensysteme
stehen hinsichtlich ihrer Biegung in gegenseitiger Solidarität, denn es
ist klar, dass die äusseren Bogen sich nicht strecken können, ohne

-ocr page 129-

die inneren mit zunehmen, und dass diese hinwiederum bei eintre-
tender Streckung die äusseren vor sich hertreiben müssen. Bei der
Zusammenspannung der verschiedenen Bogensysteme kann deren
gleichläufige und regelmässige Krümmung nur so lange erhalten blei-
ben, als ihr Längenwachsthum gleichmässig fortschreitet. Sowie
dies nicht mehr der Fall ist, setzen die vorhandenen Verbindungen
sowohl nach der einen als nach der anderen Seite hin gewisse Aus-
dehnungswiderstände, welche schhesslich zur Folge haben, dass ein-
zelne Bogenstrecken sich emancipiren und selbständige Krümmungen
beschreiben. 0 Solche Eigenbiegungen beschreibt das Eingeweide-
rohr besonders in seinem Magen- und Darmtheil, das Medullarrohr
aber in seinem Hals- und Gehirnabschnitt. Die mittlere Axe da-
gegen, diejenige der Chorda dorsalis beschreibt keine Eigenbiegungen,
ihre Krümmung bleibt zwar nicht überall gleich stark oder auch nur
gleich gerichtet, aber sie bewahrt doch überall und bis in späte
Perioden ihren sanft geschwungenen Charakter bei, und so bildet
die Chorda eine Art von neutraler Axe zwischen den dahinter und
den davor liegenden Gebilden.

Der Hals und Gehirntheil der Medullarrohres erheben sich über
ihrer Basis zu einem Doppelgewölbe, dessen drei Fusspunkte in der
Zwischenhirnbasis, in der Brücke und im Halsrückenmark, dessen
Scheitel im Mittelhirn und im Nackenhöcker gelegen sind. Von den
beiden Gewölben interessirt uns an dieser Stelle nur das hintere.
Seine Ausbildung beginnt schon in der vierten, erreicht aber ihren
Höhepunkt im Verlaufe der fünften und sechsten Woche. In dieser
Zeit bilden verlängertes Mark und oberes Halsmark mit einander
einen spitzen Winkel und der Nackenhöcker tritt auch nach aussen
auf das schärfste hervor (man vergl. die Tafeln X Fig. 16—20 und
Taf. XIII und XIV). Während nun aber die Fusspunkte des vor-
deren Gewölbes dauernd zusammengerückt bleiben, die Brücke da-
her jederzeit bis fast an den Boden des dritten Ventrikels heran-
reicht, öffnet sich der Winkel des hinteren Gewölbes nachträghch
wieder und die Folge davon wird in der zunehmenden Abflachung
des Nackenhöckers auch äusserlich sichtbar (Taf. X Fig. 21—25).

1) In dem Sinne batte ich bei einem früheren Anlass Totalfalten und
Eigenfalten des Keimes unterschieden (Monogr. d. Hühnchenentwickel. S. 143).

-ocr page 130-

Als eine bleibende Folge der hinteren Gewölb- bez. der Nackenhöcker-
bildung ergiebt sich die Entfernung des oberen Eückenmarksstückes
von den Abschnitten des Eingeweiderohres, denen es von Anfang
ab zugetheilt war, von dem Oesophagus und der Trachea.

Die spinalen Ganglienanlagen nehmen insofern an der Gewölb-
bildung des Medullarrohres Theil, als auch sie bis in den Winkel
zwischen Halsmark und Medulla oblongata heraufrücken. Weit sanf-
ter bleibt dagegen der Bogen, welchen die Chorda nebst der sie um-
gebenden Wirbelkörpersäule beschreibt, auch steht noch bei Embryo
Sch der oberste Halswirbel ein ganzes Ende tiefer als die obere Eücken-

marksgrenze (Fig. 77). Immerhin hat die Nackenhöckerbildung auch
für die Chorda und deren Umgebung die Folge, dass sich diese Theile
steiler aufrichten und dadurch über ihr früheres Niveau emporsteigen.
Wenn dann in der Folge der Kopf unter Oeffnung des Nackenwinkels
sich hebt, so streckt sich die Wirbelsäule derart, dass ihr oberes
Ende vor dasjenige des Eückenmarks zu stehen kommt.

Fassen wir diese Verhältnisse noch einmal zusammen, so schiebt
sich beim Eintritt der Nackenkrümmung zunächst das Halsmark
nebst den zugehörigen Ganglien über die ihm entsprechende Einge-
weide- und Höhlenzone empor und ihm folgt weiterhin die Halswir-

-ocr page 131-

belsäule, welche von da ah dem Bereich der Höhlen bleibend ent-
rückt ist. Indem der Nacken in der angegebenen Weise sich em-
porhebt und vom Eumpf, hinter dem er anfangs versteckt gewesen
war, emancipirt, tritt auch die Seitenwand des Halses allmähhch
in die ihr zukommende Stellung ein. Ihre Basis nähert sich der
horizontalen Eichtung, ihre dem Kopf zugewendete Seite fällt
schräg nach vorn ab, und sie erscheint nunmehr wie ein dem Nacken
nach vorn angesetztes dreikantiges Prisma, dessen vorderer Eand
über der Brust ausläuft. Unter den Figuren meiner Tafeln eignet
sich Taf. XIV Fig. 1 am ehesten zur Veranschauhchung der bezüg-
lichen Verhältnisse, weil da die Nackensegmente äusserhch erkenn-
bar sind. Die keilförmige Grundgestalt der Halsanlage ist noch wie
seiner Zeit beiLr vorhanden, allein der Durchschnitt des Keiles und die
Stellung seiner Seiten sind nunmehr andere geworden. Der vom
Kinn bis hinter das Ohr reichende Saum, den ich oben als den
Vorderrand des Halses bezeichnet habe, zeigt jetzt eine mässige
Neigung nach vorn. Bei weiterschreitender Entwickelung wird
dessen Eichtung eine viel steilere, wie dies aus den Figuren 22 bis
25 von Tafel X zu ersehen ist. Indem sich nämlich der Kopf hebt,
bekommt auch das Ohr eine höhere Lage und daraus ergiebt sich
als weitere Folge die Aufrichtung des vorderen Halsrandes.

Bei den Embrj^onen der untersten Zeile von Taf. X hat der
vordere Halsrand seine Verbindung mit dem Kinn bereits aufgegeben,
er charakterisirt sich nunmehr als ein von der Brust ausgehender
und hinter dem Ohr auslaufender Wulst. Lage
und Eichtung
des vorderen Halsrandes stimmen mit denjenigen des
M. sternocleidomastoideus überein.i)

Demgemäss können wir schon bei sehr jangen Embryonen, wie
z. B. bei Lr oder bei BB im vorderen Halsrand den Ort bezeichnen,
der dem später auftretenden M. sternocleidomastoideus entspricht.

1) In einer soeben erscheinenden Arbeit (Archiv f. Anat. u. Physiol., anat.
Abth. 1885. S. 15) bezeichnet F
eobiep als Kopfnickerwulst eine Leiste, welche
hinter der Schulter abgeht und hinter den letzten Schlundbogenwülsten aus-
läuft. Dieselbe liegt unmittelbar vor der Reihe der Urwirbel. Die Lage und
Eichtung der Leiste zeigen genügend, dass dieselbe mit dem Kopfnicker Kichts
zu thun hat. Will man sie jetzt schon auf einen Muskel beziehen, so kann
dies nur der Cucullaris sein.

-ocr page 132-

Andererseits aber vermögen wir noch im ausgebildeten Körper mit
Hülfe des Muskels zu bestimmen, wie weit seiner Zeit der primitive
Halskeil sich erstreckt hat.

Der Vorderrand des primitiven Halses verläuft, wie wir gesehen
haben, dem Unterkiefer und dem zweiten Schlundbogen entlang nach
rückwärts, und in dieser Ausdehnung ist der Kopf mit seiner Unter-
lage verwachsen. Die Trennung vollzieht sich vom Beginn des zwei-
ten Monats ab dadurch, dass zwei tiefe Falten zwischen der Parie-
talhöhle und dem Mundboden einschneiden, die sich schliesslich in
der Mittellinie begegnen. Die Trennung beginnt an der Spitze des
inframaxillaren Dreiecks und schreitet von da gegen die Basis fort
(man vergl. oben S. 56). Dem frei werdenden Inframaxillardreieck
entspricht als unteres Gegenstück die von den Mm. sternocleido-
mastoidei eingefasste vordere Halsgegend. Bei dieser ist es der
über der späteren Incisura sterni liegende Winkel, der zuerst frei
wird. Diesem Winkel hat früherhin das Kinn aufgelegen, und wir
werden somit im Stande sein, an uns selbst die primitive Stellung
der Theile nachzuahmen, wenn wir bei möglichster Senkung des
Kopfes das Kinn auf das Sternum aufstützen.

Ein strenger Beweis für die ursprüngliche Verbindung der In-
framaxillar- und der vorderen Halsgegend lässt sich dadurch geben,
dass man für einen Embryo aus der Zeit der beginnenden Knorpel-
entwickelung die Skelettstücke in ihrer natürlichen Lage aufzeich-
net. Fig. 76 giebt für Embryo Sch eine frontale, Fig. 77 eine sagit-
tale Construction. Das Brustbein ist zu dieser Zeit noch nicht ge-
schlossen, aber das, was in Verbindung mit der obersten Eippe davon
da ist, bezeichnet genügend sicher den Ort des späteren Manubrium.
Der
MECKEL\'sche Knorpel steigt bis beinahe zur Höhe des oberen
Brustbeinrandes herab, er liegt indessen noch etwas vor diesem, da
er ja nicht im Kinn ausläuft. Um an diesen Figuren Lage und
Richtung des M. sternocleidomastoideus zu bestimmen, kann man
das Foramen stylomastoideum benützen, dessen Lage an den Durch-
schnitten leicht zu ermitteln ist und das ich an beiden Figuren ein-
getragen habe. Der Ort des Proc. mast. wird etwas seitlich davon
zu legen sein. Zieht man nun vom Ort des Manubrium sterni aus
nach dem des Processus mastoideus eine Linie, so deckt sich die-
selbe bei Fig. 76 beinahe vollständig mit dem Bild des
MECKEL\'schen

-ocr page 133-

Knorpels und bei Fig. 77 Terläuft sie hinter diesem und völlig parallel
mit ihm.

Die letztere Figur zeigt auch, dass die Kuppel der Parietalhöhle
durch den Vorderrand des Halses vom Kopf abgedrängt ist und dass

sie jetzt nur um Weniges den Brustkorb überragt. Indessen liegt der
definitive Aortenbogen noch über der oberen Brustapertur. Die beiden
Mm. sternocleidomastoidei und, in etwas tieferer Schicht, die Mm.
scaleni begrenzen die Pforte, durch welche das Herz und die am

-ocr page 134-

Kopf entstandenen grossen Gefässstämme ihren Rückzug nach der
Brust hin bewerkstelhgen. Bei der schrägen Begrenzung dieser
Pforte wird die durch sie hindurch führende Bahn vorn am kürze-
sten sein und am tiefsten anfangen.

Bei meiner bisherigen Darstellung habe ich den Vorderrand des
primitiven Halskeiles hinter dem zweiten Schlundbogen auslaufen
lassen, ohne die beiden hinteren Bogen zu berücksichtigen. Da nun
aber diese zum primitiven Kopf mit hinzugehören, so bedarf mein
Verfahren noch einer besonderen Begründung. Diese finde ich darin,
dass die hinteren Schlundbogen vom Beginn des zweiten Monats ab
in die Tiefe rücken und keine äusserlich wahrnehmbare Spur hinter-
lassen. Der dem Hals angehörige M. sternocleidomastoideus reicht
im ausgebildeten Körper nicht allein bis nahe an das Ohr heran,
er überdeckt sogar den aus dem Schädel austretenden, dem zweiten
Bogengebiete angehörigen N. faciahs. Die dem dritten Schlund-
bogen entstammenden Theile, der M. stylopharyngeus, der N. glosso-
pharyngeus und die Carotis interna sind weit von der Oberfläche
abgerückt.

Insoweit also die hinteren Bogen überhaupt in die Tiefe ge-
drängt werden, wird man bei einer äusserlichen Regionenbestimmung
von ihnen absehen müssen. Dazu kommt aber noch hinzu, dass ein
Theil ihrer Producte direct dem Halse zufällt. Die Ueberlagerung,
welche die hinteren beiden Bogenwülste erfahren, geschieht nicht
ausschliesslich durch den davor liegenden zweiten Bogen, sondern
zum Theil auch von hinten bez. vom Hals her, dessen Vorderrand
den Sinus praecervicaUs mit abschliessen hilft. Wie dies u. A. Fig. 68
S. 105 bestätigt, so wird danach der Kehlkopf verhältnissmässig
früh dem Halskeil einverleibt, und dasselbe gilt von den in seiner
Nähe liegenden Anlagen von Schilddrüse und Thymus. Bei Embryo
Sch findet man die letztgenannten Theile schon eine ganze Strecke
weit hinter dem vorderen Halsrande liegend. Von Nerven streift der
Stamm des N. hypoglossus auf sehr kurze Strecke das Halsgebiet
und zwar an der Stelle, wo er den Eamus descendens abgiebt. In
Uebereinstimmung damit hat
Rehn in seinem Fall von Halsfistel
den Kanal zwischen dem M. digastricus und dem N. hypoglossus
hindurch verfolgen können.

Bei der Entscheidung über die Definition dessen, was man

-ocr page 135-

beim Embryo zum Hals rechnen soll, habe ich mich bis dahin
durch die Rücksicht auf die spätere Entwickelung leiten lassen.
Wesenthch abweichend muss sich die Darstellung gestalten, wenn
man darauf ausgehen will, die Theile zusammenzufassen, welche
gleichen metameren Zonen angehören. Eine derartige, ihr selb-
ständiges Interesse darbietende Darstellung muss z. B. den M. ster-
nocleidomastoideus noch unter die Kopfmuskeln rechnen, da sich
derselbe aus einem Substanzstreifen entwickelt, welcher sich ur-
sprünghch dicht vor dem Unterkiefer und vor dem zweiten Schlund-
bogen befunden hatte (s. oben S. 118). Ja es wird bei Verfolgung
dieses Gesichtspunktes zugleich mit dem Herzen auch ein Theil der
Brustwand dem Kopfgebiet zuzuweisen sein, während ein anderer
Theil davon der Halszone zufällt.

Ohne diese Verhältnisse hier erschöpfend behandeln zu wollen,
verweise ich auf Eigur 74 Seite 119, bei welcher man vom Kopf
und vom Rumpf aus unschwer die ventrale Verlängerung der meta-
meren Abtheilungen ergänzen kann. Dabei ergiebt sich, dass ein
Theil der späteren Seitenwand des Halses ursprünghch Bestand-
theil der Kopfwand gewesen sein muss, und dass letztere noch
ein gutes Stück mit in das Gebiet der späteren Brustwand über-
greift. Bei der Bildung des Halses steigt zunächst der Nacken
hinter der Seitenwand empor und zum Schluss hat sich dann die
letztere aufzurichten. Die metameren Zonen werden daher mit
fortschreitender Entwickelung eine zunehmende Schrägstellung er-
fahren, welche in der Verlaufsweise der Nerven und vor allem in
der Easerrichtung der seithchen Halsmusculatur ihren bleibenden
Ausdruck findet. Dazu gesellen sich aber weitere Verwickelungen
der Verhältnisse, die dadurch bedingt sind, dass bestimmte, zu-
erst an der Oberfläche gelegene Bezirke in die Tiefe gedrängt
werden. Dahin gehören zunächst die bereits erörterten Bezirke
der beiden hinteren Schlundbogen. Allein dasselbe gilt auch von
einem Abschnitt der ursprünghch vorderen Kopfwand, denn, wie wir
in einem der vorigen Capitel sahen, so wird ein Theil derselben
zur Bildung der Zunge und des Mundhöhlenbodens verwendet. Bei
früheren Anlässen wurde von mir die Ansicht vertreten\'), dass die-

1) Heft n. S. 64 und 65.

-ocr page 136-

jenige Längszone des Hinterkopfes, die ich als ßATHKE\'schen Streifen
■ bezeichnet habe, von diesem an die Brust abgegeben werde. Dies
ist indessen nach dem, was oben über die Zungenbildung mitgetheilt
worden ist, nicht vollständig der Fall, denn indem ein, allerdings
kleiner Theil der Parietalhöhle in den Sublingualbezirk mit aufge-
nommen wird, tritt auch die umgreifende Muskelschicht in dies^en
ein. Auch geht jederseits die Falte, durch welche die Inframaxillar-
gegend von der vorderen Halsgegend getrennt wird, aus dem
EATHKK\'schen Streifen hervor, dieser betheihgt sich somit an der
Bekleidung der Inframaxillargegend sowohl, als an derjenigen der
vorderen Halsgegend.

-ocr page 137-

Das Herz/)

Die Grruiidfoi\'in des eiiil)ryoiiaIen Herzens.

Die jüngsten Stufen der Herzbildung kennen wir bei mensch-
licben Embryonen nur aus der äusseren Besichtigung und ich ver-
weise in deren Betreff auf die Darstellungen, welche die Präparate
von
Allen Thomson, sowie meine Embryonen SR und B in den
früheren beiden Heften gefunden haben.-) Danach scheinen bei
Embryo E die beiden Herzhälften noch völlig getrennt gewesen zu
sein, bei den Embryonen SR und
A. Th. waren sie wohl in ihrem
Ventrikelabschnitt vereinigt, die Organanlage aber noch symetrisch.

Bei der nächstfolgenden Stufe (Li, Lg, Sehl) ist das Herz
bereits ein stark gekrümmter Schlauch, der nur noch mittelst des
Aortenbulbus und des Vorhofes am Vorderdarm anhaftet, während
das Gekröse des Ventrikeltheiles bereits geschwunden ist. Der
Charakter des gekrümmten Schlauches erhält sich noch durch eine
Reihe späterer Stufen hindurch, bis dann durch schärfere Dilferen-
zirung der einzelnen Abschnitte, durch innigere Aneinanderlagerung
und theilweise durch Verwachsung derselben das Herz seine mehr ab-
geschlossene Gestalt annimmt. In seinen frühen Jugendformen fällt
das Herz nicht allein durch seine hohe Lagerung, sondern auch
durch die relativ enorme Mächtigkeit seiner Entwickelung auf, ins-
besondere stellt es sich in der Frontalansicht eine Zeit lang als ein
unförmlich hervortretender Querwulst dar.

1) Zur Erläuterung der steUenweise etwas verwickelten Geschichte des
Herzens habe ich eine Anzahl von Modellen angefertigt, die ich im verflos-
senen Jahre der anatomischen Section des internationalen Congresses in Kopen-
hagen vorgelegt habe. Copien derselben wird Herr Dr. E. Z
ieglee in Frei-
bnrg i, B. in den Handel bringen.

2) Heft I. S. 140-146, 152—154 und Heft H. S. 32.

His, MetiscM. Embryonen. HI. 9

-ocr page 138-

Ich verfolge zunächst die allgemeine Gestaltung der
Schleife und deren Umlagerung. Am übersichtlichsten lassen
sich die Verhältnisse verfolgen, wenn man sich zunächst auf die
Betrachtung des Endothelialschlauches beschränkt. Bei dessen ge-

Cava super., V. u Vena
umbilicalis,
F. o. m Vena
omphalo-mesent.,
Lb so-
lide Leberanlage, ZJ? Le-
bergang,
Hg Herzge-
kröse,
V. l link. Schenkel
des Ventrikels.

ringem Caliber werden die Ueberlagerungen einzelner Schlauchab-
schnitte den Ueberbhck minder stören, als beim voluminöseren
Muskelschlauch. Bei den Embryonen Lg bis BB steigt der venöse
Schenkel des Herzens mit seinem am Vorderdarm befestigten
Vorhofstheil steil in die Höhe und biegt sich dann nach vorn und
links. Der aus ihm hervorgehende Ventrikeltheil des Schlauches

-ocr page 139-

-verläuft quer von links nach rechts, zugleich etwas sich senkend.
Dann biegt er sich mit seinem rechten Ende wieder nach rückwärts
und geht schliesshch ansteigend in den Bulbustheil über. Dieser
hegt zum grössten Theil in der
rechten Körperhälfte und er-
reicht erst mit seinem Inser-
tionsende wieder die Mittellinie.
In der Frontalan sieht gesehen,
bildet sonach die Axe des Her-
zens ein schräg liegendes, mit
seinen beiden Endpunkten der
Mitteüinie angesetztes S, im
Profil dagegen eine ringförmige
Schleife mit gekreuzt über-
einandergreifenden Schenkeln,
einem linken venösen und einen
rechten arteriellen (man vgl.
auch Taf. IX Fig. 6—12).

Auf der Stufe von Embryo
Lr hat sich die Stellung der

Ventrikelschleife verändert,
dieselbe bildet jetzt einen
gleichmässig gewölbten Bogen
mit einem absteigenden venö-
sen Schenkel, einem langen
queren Mittelstück und einem
wiederum aufsteigenden arte-
riellen Schenkel. Der an den
letzteren sich anschliessende

Bulbustheil überschreitet,
schräg ansteigend, die Mittel-

1) Die auf Taf. 711 seinerzeit mitgetheilten Herzconstructionen vom Em-
bryo M stimmen mit obiger Darstellung nicht überein. Es standen mir zu jenen
nur zwei ziemlich dicke Schnitte (6 u. 8 Taf. VI) zu Gebot, zu den neueren
Constructionen von Lg u. BB dagegen eine grössere Zahl von feineren Schnitten.
Letztere Constructionen sind sonach unbedingt als die correcteren anzusehen.
Aus der Profil- und der Vorderansicht von M lässt sich übrigens die Herzform
von BB mit geringen Abänderungen in der Verbindung der Theile herstellen.

9*

^ F. cd

\\ r. u.
Fig. 83.

Endothelherz von Lr im Profil gesehen. Vergr. 40
(man vergl. anch Taf. IX Fig. 15).
F,; Vena jugularis, F.
cd Vena cardinalis.

-ocr page 140-

linie, kehrt aber mit seinem Insertionsende wieder in diese zurück und
besitzt daher eine nach hnks gekehrte Knickung. Der Vorhofstheil des
Herzens ist etwas nach rechts gerückt. Im Ganzen bildet jetzt, von
vorn her gesehen, das Herz eine ringförmige Schleife mit erheb-
hch überwiegendem Querdurchmesser, während die Profilansicht zu
einer S-förmigen geworden ist. Aus der früheren Porm lässt sich
die gegenwärtige dadurch ableiten, dass man sich das Querstück
von jener nach abwärts umgelegt denkt, wobei der arterielle Ventrikel-
schenkel von der Rückseite des Mittelstückes an dessen oberes Ende
gelangt, während zugleich der Vorhofsschenkel des Herzens nach
rechts hin verschoben wird. Am Endothelherzen markirt sich die
Grenze zwischen Vorhof und Ventrikel durch die verengte Strecke

Fig. 83 und 84.

Muskelherz von Lr in der Ansicht von vorn und von hinten. Vergr. 40.

des CanaHs auricularis. Dieser steigt bei Lg (Fig. 81) noch steil in
die Höhe, während er bei Lr (Fig. 82) von hinten nach vorn verläuft.

Auf der eben beschriebenen Stufe bildet der Ventrikeltheil des
Herzens ein Hufeisen, dessen beide nach oben gekehrte Enden noch
weit auseinanderstehen und das eine in der linken, das andere in
der rechten Körperhälfte sich befinden (Fig. 83 u. Fig. 84). Der eine
von den Endschenkeln ist der spätere Conus arteriosus, den an-
deren können wir mit entsprechendem Namen als Conus venosus
bezeichnen. Dieses Hufeisen krümmt sich in der nächstfolgenden
Zeit mehr zusammen, sein arterieller Schenkel biegt sich nach vorn
und zugleich stark medianwärts, und er setzt sich nunmehr durch
eine tief einschneidende Eurche vom Mittelstück ab. Auch das
venöse Ventrikelende nähert sich mit seinem oberen Ende der Mittel-

-ocr page 141-

linie und so geschieht es, dass sich in der letzteren die beiden Ueber-
gangsstücke des Herzschlauches kreuzen. Das untere Bulbusende
kommt vor den sogenannten Ohrkanal, d. h, vor das Verbindungsstück
des Vorhofs mit dem Ventrikel zu liegen, Jenseits von der Durch-
kreuzung richtet sich der Bulbustheil wieder auf und steigt vor

dem gleichfalls sich aufrichtenden Mittelstück des Herzvorhofes steil
in die Höhe, i)

In der beschriebenen Weise finden sich die Verhältnisse bei

1) Man vergleiche auch Text und P\'igur von Heft I. S, 73.

-ocr page 142-

Embryo Bl. Es deckt hier der medianwärts umgelegte rechte Yen-
trikelschenkel oder Conus arteriosus, in Yerbindung mit dem An-
fangsstück des Bulbus, das Mittelstück mehr als zur Hälfte zu (Fig.
85 und 86). Um die Form von Bl in die von Lr zurückzuführen,
müsste der quer vorgelagerte Bogen wieder nach oben und rechts
hin umgeschlagen werden.

Aehnlich, wie bei Embryo Bl, hegen die Dinge im Allgemeinen
hei Embryo K. Indessen ist hier die Ueberlagerung des mittleren
Yentrikelstückes durch den Conus arteriosus keine so weitgehende.
Die Grenzfurche zwischen beiden, die bei Bl vorwiegend horizontal
verläuft, steht bei R fast senkrecht und das Mittelstück zeigt nun-
mehr auch an seinem unteren Rande einen wohlausgesprochenen
Einschnitt. Bl steht in seiner Entwickelung zwischen Lr (Fig. 83)
imd R (Fig. 87). Mit ersterem stimmt die
convexe Bogenlinie der
unteren Yentrikelgrenze, mit R die Yorlagerung des Conus arteriosus.
Der weitere Fortschritt von R gegenüber von Bl hegt darin, dass
\'die rechte Yentrikelhälfte sich gesenkt und von der hnken abgeknickt
hat. Als Folge hiervon hat sich am unteren Yentrikelrand eine ein-
. springende Furche gebildet, und der Conus arteriosus hat eine steilere
Stellung angenommen, die in der Folge noch zunimmt.

Mit dieser letzten Umstellung sind die verschiedenen Herzab-
schnitte in ihre definitive gegenseitige Lagebeziehungen eingerückt.
Der Yentrikeltheil des Herzens hegt jetzt am tiefsten und er zer-
fällt, von vornher gesehen, durch einen scharfen Einschnitt, den
Sulcus interventricularis, in eine rechte und eine linke Abthei-
lung. Die rechte Abtheilung liegt weiter nach vorn als die linke;
sie schhesst sich nach oben und medianwärts mittelst des vorsprin-
genden Conus arteriosus an den Bulbustheil an.

Auch an der Rückseite sind rechte und linke Yentrikelhälfte
durch einen Sulcus interventricularis von einander geschieden. Es
ist die hintere Furche dadurch entstanden, dass der venöse Schenkel
des Yentrikeltheiles, der Conus venosus, wie wir ihn oben nannten,
sich medianwärts gegen das Mittelstück eingebogen hat. Die hintere
Eurche ist minder tief als die vordere, und beide begegnen sich am
unteren Herzrand. Jede der beiden Yentrikelhälften umfasst, ausser
dem betreffenden Conus, einen Theil des ursprünghchen Mittelstückes,
und zwar kommt der betreffende Antheil auf der rechten Seite unter

-ocr page 143-

und hinter den Conus arteriosus, auf der linken dagegen unter und
vor den Conus venosus zu liegen. Indem die vordere Furche links
vom Conus arteriosus, die hintere rechts vom Conus venosus aus-
läuft, fällt das Ostium arteriosum der rechten, das Ostium venosum
der linken Ventrikelhälfte zu, und es wird später zu untersuchen sein,
wie sich die Verschränkung der definitiven Verbindungen herstellt.

Trennung der einzelnen Abtlieilungen.

Wie wir aus der primitiven Geschichte des Herzens wissen, so
unterscheiden sich die drei Hauptabtheilungen des Herzens: Bulbus,
Ventrikel und Vorhof, von Anfang ab dadurch von einander, dass
deren ursprünglich getrennte Seitenhälften vor ihrer Vereinigung in
verschiedenen Beziehungen zum Vorderdarm stehen und dass sie
auch nicht gleichzeitig zum geschlossenen Eohr zusammenwachsen, i)

1) Ich verweise in der Hinsicht auf meine früheren Darstellungen in der
Monogr. d. Hühnchenentwickelung. S. 84 u. 110, sowie auf die Briefe über die
Körperform, S. 68. Bei dem Anlass möchte ich denn doch betonen, dass es
ungerechtfertigt ist, wenn in neueren Arbeiten consequent
Gasseb als Haupt-
entdecker der bilateralen Herzanlage citirt wird.
Gasser\'s 1876 erschienene
Mittheilung hat nichts gebracht, was nicht schon 9 bez. 8 Jahre früher durch
Hensen beim Kaninchen, durch mich beim Hühnchen festgestellt gewesen
wäre.
Hensen gehört die Priorität der Entdeckung und er hat in Frankfurt
in der Naturf.-Versammlung vom Jahre 1867 darüber berichtet (Sitzungsbe-
richt vom 23. September). Ich selbst war zu jener Zeit selbständig zu gleichen
Ergebnissen gelangt und in meiner 1868 erschienenen Monographie habe ich
zuerst eine ausführliche, durch Abbildungen und durch gleichzeitig herausge-
gebene Modelle erläuterte Darstellung des Bildungsherganges gegeben.
Vor
uns Beiden hatte Daeeste für das Hühnchen eine Entwickelung des Herzens
aus zwei getrennten Blastemen behauptet (Comptes rendus T. 63, Sitzung vom
31. Dec. 1866), aber da er die Blasteme in den vorderen Theil des Fruchthofes
neben die hier vorhandene gefässlose Stelle verlegt hat, so muss seiner Be-
hauptung ein Irrthum zu Grunde gelegen haben.
Gassee theilt in seinem
Aufsatz in
Schtjltze\'s Archiv (Bd. 14. S. 460) einige historische Bemsrkungen
mit, dieselben sind indessen sehr oberflächlich gehalten und zum Theil irr-
thümlich. Oberflächlich muss ich den
Vorwurf nennen, dass meine sämmtlichen
Zeichnungen (S. 70 der Körperform) des Endothelschlauches entbehren, denn
einmal gilt dies nur von einem Theil derselben und für diese sagt eine er-
klärende Bemerkung ausdrücklich, dass der Schlauch wegen Kleinheit der
Figuren nicht eingezeichnet worden
sei. Irrthümlich und in directem Wider-
spruch mit meinen Angaben ist die Behauptung, ich lasse den Ventrikel aus

-ocr page 144-

Der zuerst sich schhessende Ventrikeltheil verhert frühzeitig seine
Gekrösverhindung, und als freie Schleife verlässt er die Stätte" seiner
ersten Entstehung. Bulbus und Vorhofstheil bleiben dagegen am
Vorderdarm angeheftet, obwohl nicht ihrer ganzen Länge nach. Der
Bulbustheil wird mit seinem unteren, an den Ventrikel anstossen-
den Ende frei und beschreibt von da ab selbständige Krümmungen.
Die dorsale Verbindung des Vorhofes erhält sich in noch grösserer
Ausdehnung, und wir werden nachher auf deren Einzelnheiten aus-
führhch zurückkommen müssen.

Auf den jüngeren Entwickelungsstufen sind die Caliberunter-
schiede der einzelnen Herzabtheilungen noch nicht so bedeutend,
wie später. Am weitesten ist ursprünghch die linke Ventrikelhälfte,
später gewinnt dann vor allem der Vorhof das Caliberübergewicht.
Nach der arteriellen Hälfte hin verjüngt sich der Ventrikeltheil all-
mähhch und die Verjüngung schreitet über den Bulbus fort, so dass
dessen Insertionsstück den engsten Abschnitt des Herzschlauches dar-
stellt (man vgl. Fig. 78 u. Fig. 83 S. 130 u. 132).

Für die äussere Gestaltung des Herzens sind nun weiterhin
zwei Bildungen von eingreifender Bedeutung, die Herz obren: und
der Ohrkanal. Die Herzohren\') treten als zwei seitliche Aus-
sackungen am Vorhof da auf, wo derselbe von der Vorderdarm-
wand sich abzubiegen beginnt. So sind sie schon beim Herzen von
Lg (Fig. 79) und bei dem von Lr (Fig. 84) sichtbar. Anfangs erscheinen
sie als ziemhch gleichmässig gewölbte rundhche Vortreibungen, dann
aber ändert sich ihre Gestalt, sie weiten sich zu umfänghchen Bil-
dungen aus, welche den gesammten oberen Theil der Parietalhöhle

einer ungetrennten Anlage hervorgehen. Noch gröbere Unrichtigkeiten ent-
halt allerdings die historische Darstellung von F
ostee - Bälfoue (Deutsche
Ausgabe
S. 62), auf welche Gassee Bezug nimmt.

1) Die Bezeichnung Herzohr (Auricula cordis) ist schon von älteren
Anatomen verschieden weit gefasst worden, indem die Einen darunter den «ge-
sammten Vorhof, die Anderen nur dessen zipfelförmige vordere Anhän<^e
verstanden haben (vergl.
Halleb, Element. Physiol. I. 304). Die Franzosen
nennen noch jetzt den ganzen Vorhof Oreillette und unterscheiden davon die
Anhänge als Auricules, während die Engländer jenen als Auricle, diese als
auncular appendages bezeichnen. Von den neueren deutschen Anatomen wird
wohl allgemein der Ausdruck Herzohr im engeren Sinne gebraucht und vom
Herzohr jederseits der Vorhofssinus unterschieden. Auch die Embryologen
trennen am Vorhof die Herzohren vom Sinus, aber der Sinus und die Herz-

-ocr page 145-

ausfüllen. Es ist aus ihrem Verhalten zu erschliessen, dass, nach-
dem die Herzohren anfangs als Knickungsohren an dem noch un-
vollkommen geschlossenen Schlauch entstanden sind, sie weiterhin
über ihre Elasticitätsgrenze hinaus ausgeweitet und nun als ausdehn-
bare Säcke nur noch vom Druck der umschlossenen Flüssigkeit
geformt werden, so dass sie nunmehr allenthalben hindringen, wo
ihnen Raum geboten ist. 0

Die Ausweitung der Herzohren erfolgt sehr rasch. Bei Embryo
Lg und noch bei Lr sind dieselben unbedeutende Nebentaschen des
Vorhofes, bei den Embryonen a, Bl u. R dagegen haben sie bereits
jene charakteristische Form und Ausdehnung angenommen, die sie
auch für die Folge bewahren. Es besteht jetzt der Vorhof aus einem
engeren Mittelstück, dem Vorhofssinus, und aus den dasselbe
flügelartig überragenden Herzohren. Ersterer ist durch das Gekröse
an der Rückwand der Höhle befestigt und in ihn mündet das zu-
fliessende Venenblut ein. Seine engste Stelle können wir passender-
weise als Isthmus vestibufl bezeichnen. Die Herzohren entwickeln
sich frei nach oben, nach vorn und nach unten. Ihre oberen Taschen,
durch einen Einschnitt von einander getrennt, legen sich der Wand
des Vorderdarmes an, die vorderen Ränder umgreifen als Appen-
dices auriculares (oder Herzohren im engeren Sinne) zugeschärft
die Seitenflächen des Aortenbulbus, die unteren Verlängerungen schie-
ben sich neben dem Ohrkanal herab und überdecken noch theilweise
die Ventrikeloberfläche. An den vortretenden Rändern der Herzohren
entstehen weiterhin auch einzelne Kerben, wodurch die Umgrenzung
eine etwas unregelmässige wird.

obren der Embryologen decken sich nicht mit den gleichnamigen Gebilden
der descriptiven Anatomen, denn jene verstehen unter Herzohren die ge-
sammten seitHchen Aussackungen des Vorhofstheiles (man vergl. z. B. v.
Baeb\'s
Entwickelungsgesch. II. 138), und nicht nur dessen vordere, die Aorta um-
fassende Anhänge. Zur Vermeidung des Uebelstandes könnte man auch für
das embryonale Herz die Bezeichnung einschränken und die Aussackung mit
besonderem Namen, etwa als Bursa auricularis oder als Ala vestibuli be-
zeichnen. Yielleicht genügt es indessen, wenn man bei der v.
BAER\'schen
weiteren Fassung bleibt und die vorderen Abschnitte als Appendices auricu-
lares besonders unterscheidet. In dem Sinne sind oben die Ausdrücke ge-
braucht.

1) Heft I. S. 75 und Körperform S. 96.

-ocr page 146-

Der Ohrt anal i) ist gleich den Herzohren frühzeitig angelegt,
erreicht aber nicht sofort seine volle Ausbildung. Schon bei den
jüngeren Embryonen Lg und BB ist er erkennbar als eine zwischen
dem befestigten Yorhofstheil und dem durch seine Weite ausge-
zeichneten Ventrikelanfang liegende verjüngte Strecke. Bei diesen
jüngeren Embryonen, vor Eintritt der Nackenbeuge, ist die Richtung
des Ohrkanales, vom Yorhof ausgehend, eine ansteigende (Eig. 80
S. 130), dann aber, wenn der Kopf sich vornübergebeugt hat, wird
sie aus einer ansteigenden eine steil absteigende und zugleich etwas
nach links gerichtete (Fig. 88). Der Ohrkanal tritt nunmehr als
cyhndrisches Rohr aus dem unteren Ende des Vorhofssinus, er wird
von den Herzohren beiderseits weit überragt und theilweise noch
begleitet. Auch gegen den Ventrikel hin grenzt sich der Ohrkanal
ziemhch scharf ab, um so mehr, da seine Muskel wand im Gegen-
satz zu derjenigen des Ventrikels compact und dünn ist Er ist
von einer gewissen Länge und bildet, dank seinen verschiedenen
Eigenthümlichkeiten, einen sehr wohl charakterisirten Abschnitt des
embryonalen Herzens. Soll der Ohrkanal einer von den beiden an-
grenzenden Herzabtheilungen untergeordnet werden, so theilt man
ihn nach seiner späteren Entwickelung besser dem Ventrikel als dem
Yorhof zu. Noch zweckmässiger ist es, bei Beschreibung jugend-
hcher Stufen denselben als selbständigen Theil zu behandeln\'\' und
den Ventrikel erst an dessen unterem Ende anfangen zu lassen.

Die Yentrikelanlage ist, wie wir oben sahen, ein gebogener
Schlauch, dessen Caliber vom venösen nach dem arteriellen Ende
hin abnimmt. Zur Zeit, da die Nackenbeuge beim Embryo auftritt,
verläuft der untere Rand des Bogens durchweg convex und die
Gestalt des Theiles erinnert auffällig an diejenige des
Magens. 2)
Schon die Herzdarstellung (Fig. 83 S. 132) vom Embryo Lr giebt
diesen Eindruck, noch mehr die Figuren 85 u. 86, welche das Herz
vom Embryo Bl wiedergeben. Hier kann man mit vollem Recht

1) Die Bezeiclinung Ohrkanal (Canalis auricularis) stammt von Hallee
(Sur la formation du Coeur. IL 74), der diesen Theil zuerst genau unterschie-
den und in seiner Geschichte verfolgt hat.

2) Wie ich nachträglich finde, so hat schon Rathee die Form das embryo-
nalen Ventrikels mit der eines Magens verglichen (Entwickelung der Natter.
S. 99. Man vergleiche auch dessen Taf. 17 Fig.
19 u. 20).

-ocr page 147-

von einer Curvatnra minor nnd major und von einem Fundus ventri-
culi sprechen. Letzterer erstreckt sich von der Einmündungsstelle
des Ohrkanales aus
nach links und bil-
det den geräumigsten
Theil der Ventrikel-
höhle.

Solange der Ven-
trikel die magenähn-
liche Gestalt besitzt,
sind zwar seine bei-
den Hälften an Form
und Weite unter-
schieden, eine eigent-
liche Trennung der-
selben ist aber kaum

eingeleitet. Erst
nachdem die oben
besprochene Umla-
gerung von Conus
arteriosus und veno-
sus und die Abwärts-
knickung des rechten
Ventrikelendes er-
folgt ist, tritt nicht
allein äusserlich, son-
dern auch innerlich

eine bestimmte
Scheidung der bei-
den Hälften zu Tage.
Entsprechend den
äusseren Furchen schiebt sich die faltenartig nach innen vorgetrie-
bene Wand als Leiste gegen die Lichtung vor und constituirt so das
Septum ventriculorum (oder Septum inferius). Bei Em-
bryo R hat sich diese Entwickelung soeben vollzogen; um Weniges
weiter vorgeschritten finden wir sie bei den Embryonen A und B •)
1) Heft 1. S. 73,

-ocr page 148-

und auf der Höhe angelangt bei Pr. Mit dem Auftreten des Septum
inferius verkürzt sich (relativ) die Queraxe der Ventrikelanlage und
die beiden Ostien, welche anfangs durch einen breiten Zwischen-
raum getrennt gewesen waren (Mg. 86), rücken auch innerlich mehr
zusammen. Zum grossen Theil kommt dies wohl auf Rechnung der
zunehmenden Ausweitung des Ventrikelraumes, zum Theil mag in-
dessen wohl auch die Einfaltung der Wand geradezu ihren Ort
wechseln.

Soweit das Septum inferius von unten her in den Ventrikel-
raum einschneidet, bildet es eine breite Sichel mit oberem gerun-
deten Ausschnitt. Indem es vorn an der linken Seite des Conus
arteriosus, hinten an der rechten Seite des Conus venosus anhaftet,
ist es windschief gekrümmt und seine Ränder laufen verschränkt.
Folgt man den sich zuschärfenden oberen Rändern, so gelangt man
sowohl von vorn, als von hinten her zu einer einspringenden Falte

an der Grenze vom Ohrkanal und Conus arteriosus. In Verbindung

Ö

mit dem Septum inferius bildet diese ein ringförmiges, zwischen die
beiden Ventrikelhälften eingeschobenes Diaphragma. Die obere Hälfte
dieses Diaphragma reicht hinten weiter nach rechts, vorn weiter
nach links als die untere; auf eine Horizontalebene projicirt würde
der Rand der Oeffnung eine Achtertour beschreiben, deren hinterer
Eing nach rechts, deren vorderer nach links ausbiegt.

Der Conus arteriosus entsteht, wie wir oben sahen, aus
dem vornübergebogenen arteriellen Ende der Ventrikelschleife. Bei
Embryo BI noch beinahe horizontal verlaufend, zeigt er schon bei R
schräg ansteigende Eichtung und seine Stellung wird in der Folge
immer steiler. Seine anfangs so scharfe Trennung vom übrigen
Ventrikel wird durch Ausfüllung der trennenden Furche äusserlich
mehr und mehr verwischt.

Bulbus, Fretum und Truncus arteriosus. Der Bulbustheil
des Herzens setzt sich vom Conus arteriosus durch einen nur seichten
Einschnitt ab, und wir unterscheiden an ihm zwei gesonderte Ab-
theilungen: das Fretum und den Truncus arteriosus. Als Fretum
(Fretum
Halleei) ist die Stelle des Rohres zu bezeichnen, an wel-
chem die vom Ventrikel ausgehende Blutbahn erhebhch eingeengt ist,
d. h. die Stelle, an der sich später die Semilunarklappen bilden, i)

1) Haller in seiner klassischen Darstellung von der Herzentwickekmg

-ocr page 149-

Es liegt bei Fig. 81 und 82 das Fretum noch in der unmittelbaren
Yerlängerung des Conus arteriosus, bei Fig. 86 u. 88 biegt sich sein
linkes Ende steil empor und geht nun in den eigentlichen Truncus
über. Bei Bl ist der Winkel noch nahezu ein rechter, bei E ist
er zu einem stumpfen geworden. Der Truncus steigt vor dem
oberen Theil des Ohrkanales und vor dem Vorhofssinus in die Höhe
(Fig. 85—87) und heftet sich vor der Kehlkopfanlage an die Wand
des Vorderdarmes an.

Das Endothelrohr des Herzens.

Bei den jüngeren Embryonen Lg bis Lr bildet das endotheliale
Rohr einen vom Muskelherzen durch einen breiten Zwischenraum
geschiedenen inneren Schlauch. Zahlreiche Fäden erstrecken sich
von der Aussenfläche des Endothelrohres zur Innenfläche des Muskel-
rohres und da, wo stärkere Fäden vom Innenrohr abgehen, ist dessen
Querschnitt in Zacken ausgezogen, von denen es unentschieden
bleiben mag, ob sie vorgebildet waren oder ob sie durch die Prä-
paration erzeugt worden sind (Taf. XI Lr 15a—19c und Taf. XII
Lg 56-—
102). Im Allgemeinen liegt das innere Eohr inmitten des

unterscheidet am Aortentheil des Herzens : le détroit, le bulbe et le bec. Spätere
Embryologen haben bei Erörterung des
haller\'schen Fretum oder Détroit
das Hauptgewicht auf das Yorhandensein einer äusseren Einschnürung gelegt.
Eine solche ist zwar vorhanden, aber nur unbedeutend (vergl. v. B
aeb, Ent-
wickelungsgeschichte. I. 56). K
ölliker (Entwickelungsgeschichte. 2. Aufl. 903)
hat sich deshalb geradezu verleiten lassen, den Namen Fretum als überflüssig
zu verwerfen. Er übersieht dabei, dass H
allee, der am lebenden Herzen
beobachtet hat, bei seiner Unterscheidung an den Blutstrom anknüpft. „L\'onde
de sang qui parcourt le détroit est plus effilée" sagt H
allee an einer Stelle
und an einer anderen Stelle: „le sang sort du ventricule par un orifice plus
étroit que le bulbe de l\'aorte" (1. c. I. 116 und II. 84). Diesen Verhältnissen
am schlagenden Herzen entspricht an Durchschnittsbildern die Enge des
Endothelrohres beim Uebergang aus dem Conus arteriosus in den Truncus,
Da das Fretum die Anlage des scharf bestimmten Gebietes der Semilunar-
klappen darstellt, und da es ferner von sehr früher Zeit ab charakteristisch
sich abhebt, so ist dessen Unterscheidung nichts weniger denn ungerecht-
fertigt. Uebrigens ist es auch begründbar, wenn H
allee den Herzabschnitt,
den ich oben Truncus genannt habe, in einen Bulbus und ein Kostrum unter-
abtheilt. Ersterer entspricht der nach links vorspringenden Ecke des Rohres,
letzterer dem am Yorderdarm sich inserirenden Endstück.

-ocr page 150-

äusseren, nur stellenweise rückt es der einen Wand näher als der
anderen; es verhält sich demnach in früher Zeit seiner Form nach
zum Gesammtherzen, als ob es ein stark geschrumpfter innerer Aas-
guss desselben wäre (man vergleiche unter Anderem die Figuren 78
und 79 oder 85 und 86).

An der weiteren Umgestaltung des primitiven Herzschlauches
nehmen die verschiedenen Strecken des Endothelrohres in ungleichem
Maasse Theil und die gegenseitige Beziehung zwischen den beiden
Bestandtheilen gestaltet sich für jeden der Herzabschnitte in eigen-
thümHcher Weise.\') Construirt man demnach das Endothelherz, etwa
vom Embryo Bl oder von einer noch höheren Stufe, so treten an

den Figuren die einzelnen Abthei-
lungen in weit schärferer Weise her-
r./i vor, als am Gesammtherzen.

Am einfachsten macht sich die Sache
am Vorhof, hier legt sich die Bndothel-
schicht der Aussenwand unmittelbar an
und bekleidet in gleichmässiger Weise
deren Innenfläche. Die Muskelwand des
Vorhofes aber erscheint als eine com-
pacte, verhältnissmässig dünne Platte,
völhg im Gegensatz zu der stark auf-
gelockerten Wandung der Ventrikel.

Im Ohrkanal ändert sich das Verhalten: während hier das
Muskelrohr einen regelmässig elliptischen Qaerschnitt hat, erscheint
der Endothelschlauch in sagittaler Eichtung stark abgeplattet, stellen-
weise bis beinahe zur Berührung der beiden Wandschichten. Die
spaltförmige Lichtung weitet sich beiderseits aus und wird von zwei
breiten und ZAvei schmalen Polstern eingefasst, welche aus einer
sehr zarten zellenreichen Bindesubstanz bestehen und den Eaum bis
zur Muskelwand erfüllen. Es sind dies die Endothelpolster von
F. Schmidt oder die Atrioventricularlippen von Lindes."^)

Anders gestaltet sich die Sache im Ventrikel. In dem Eaum,
der zwischen Endothelrohr und Muskelwand ursprünglich frei ge-
bheben war, sind hier von der Muskelwand aus zahlreiche kleine

1) Monogr. d. Hühnclienentwickelung. S. 141.

2) Man vergl. die Figuren 34-36 Taf. II und Fig. 84u. 85 Taf. V.

-ocr page 151-

Balken vorgedrungen, welche in der Nähe der mittleren Lichtung
sich, verbreitern und kranzförmig untereinander verbinden. Sehr bald
sieht man diese kleinen Balken auch ihrerseits von dünnen Endothel-
scheiden umgeben. Wir haben nunmehr eine mittlere, völhg freie
Lichtung und ausserhalb dieser ein System von zusammenhängen-
den Spalten, welche sämmthch vom Endothel ausgekleidet sind.

Das eben beschriebene Verhalten findet sich noch im Grunde
des Conus arteriosus (R 50 Taf. XII); weiter oben (R 53) wird die
Wand des letzteren dünn und compact und der gesammte Bulbus-
theil hat eine dünne compacte Muskelwand. Der Endothelschlauch
steht im Bulbustheil von der Muskelwand weit ab und der Zwi-
schenraum füllt sich in der Folge mit einer weichen Bindesubstanz
aus. Soweit das Fretum reicht, ist der Endothelschlauch flach ge-
drückt und ähnlich wie im Ohrkanale von zwei gegen seine Lichtung
conves vorspringenden Kissen eingefasst, aus denen, wie wir durch
F.
Schmidt wissen, in späterer Zeit die Semilunarklappen hervor-
gehen. An der Insertionsstelle des Aortentruncus biegt dessen Aussen-
wand unmittelbar in die des Vorderdarmes um und das Endothelrobr
setzt sich in die verschiedenen abgehenden Zweige fort. Die Aorten-
bogen, gleich den Aortae descendentes und den übrigen grösseren
Gefässstämmen, haben anfangs nur den Bau von Capillaren, d. h. sie
sind einfache Endothelröhren.

Die\'zum Herzen liinführenden Cfefässstämme, der Sinus
und Saccus reuniens und die Porta vestibuli.

Bei jüngeren Embryonen sammeln sich unter dem venösen Herz-
ende die Dottervenen, die Nabelvenen, die Cardinal- und
die Jugularvenen. Jugular- und Cardinalvenen verbinden sich
jederseits zum Ductus Cuvieri oder zur oberen Hohlvene.
Dieselbe entsteht noch im Stammtheil des Rumpfes, geht dann in
der Seitenwand der Parietalhöhle nach vorn und trifft mit der von
unten heraufsteigenden Nabel vene zusammen (Taf. IX Fig. 7 u. 10).
Der gemeinsame Stamm tritt in das Septum transversum ein und
wendet sich in diesem medianwärts, um sich mit dem entsprechenden
Stamm der anderen Seite zu verbinden. Ehe dies geschieht, nimmt
er die vom Darm heraufsteigende Dottervene auf. Die beiden Sam-

-ocr page 152-

nielstämme bilden zusammen ein queres Venenrobr, welclies über
der Leberanlage und unmittelbar unter dem Zwerchfell liegt, ich
bezeichne dasselbe als Sinus reuniens. Da, wo das Zwerchfell
in die Muskelwand des Herzens übergeht, tritt die Fortsetzung des
Sinus in den Yorhof ein (Taf. IX Fig. 12).

Das eben beschriebene Verhalten der Yenen bietet mancherlei
auffällige Momente: so tritt die Yena cava superior unter dem

Zwerchfell durch zum Herzen, die
Yena umbilicalis ist bilateral an-
gelegt und nimmt ihren Weg über
der Leber weg, und auch die Dot-
tervenen zeigen Verhältnisse, aus
aus denen die der späteren V. por-
tae nicht ohne Weiteres abzuleiten
sind. Wir werden bei einem spä-
teren Anlass die Umbildung der
Unterleib Svenen zu verfolgen ha-
ben, und ich beschränke mich an
dieser Stelle auf Erörterung der-
jenigen Punkte, welche für die
Geschichte des Herzens bedeut-
sam sind, die Dislocation der
oberen Hohlvene und diejenige des Sinus reuniens. Zuvor aber bedarf
es einer genauen Feststellung von der Anheftungsweise des Herz-
vorhofes.

Der Herzvorhof haftet mit seiner Eückwand an der Wand des
Vorderdarmes an und zwar, wie dies schon früher (S. 15) gezeigt
wurde, unmittelbar vor der Anlage der Lungen. Yor der Vorderwand
des Yorderdarmes weichen die beiden Muskelblätter unter einem
Winkel von ca. 180^ auseinander und gehen in die Muskelwand des
Yorhofes über (Taf. XI BB Fig. 7
,5, Lr Fig. 18a). Bei den jüngsten
meiner Embryonen bleibt an der Wurzel des-^Herzgekröses zwischen
beiden Blättern noch eine Spalte übrig, in welche die epitheliale
Lungenanlage sich frei hineinschiebt; dies ändert sich aber bald,
indem der Zwischenraum von Bindesubstanz ausgefüllt wird.

Das vom Yorderdarm abgehende Vorhofsgekröse hängt nach ab-
wärts mit der Zwerchfellverbindung des Herzens zusammen. Indem

-ocr page 153-

das Herz dem Zwerclifell unmittelbar aufrulit, nur durch eine ein-
springende Furche davon geschieden, kommt es zwischen beiden
nicht zur Bildung eines selbständigen Gekröses. Denken wir uns
das Herz von seiner Verbindung losgeschnitten, so wird die Durch-
schnittslinie, die Vorhofwurzel, wie wir sie nennen können, eine
schleifenförmige Figur bilden, bestehend aus einem schmalen verti-
calen Streifen, dem Gekröstheil der Vorhofwurzel und einem breiten
transversalen. Durch letzteren tritt der aus dem Sinus reuniens
kommende (ursprünglich doppelt angelegte) Endothelschlauch in das
Herz, und ich bezeichne ihn daher als Porta vestibuli. Beiden
Embryonen vor Eintritt der Nackenbeuge liegen die beiden Ab-
schnitte der Vorhofwurzel nicht in derselben Flucht; der Gekrös-
theil steht vorwiegend vertical, die Porta mehr horizontal. Später
scheint sich der Gekröstheil zu verkürzen, seine beiden Schenkel
treten mehr auseinander und die dazwischenliegende Lücke schliesst
sich als mediane Verlängerung der Porta vestibuh an. Die Stellung
der letzteren wird in der Folge eine steilere, indem auch das Zwerch-
fell nach eingetretener Kopfkrümmung eine stärkere Neigung an-
nimmt. 1)

Noch bei Embryo Lr liegt der Sinus reuniens unterhalb des
Zwerchfells und ist von diesem glatt überbrückt. Bei den Em-
bryonen Bl und E dagegen hat er sich emporgehoben und den
Zwerchfellüberzug vor sich hergetrieben. Das emporgehobene Feld
wird durch eine von unten her einschneidende Furche umschnürt
und gestaltet sich zu einem zwischen Zwerchfell und Vorhof ein-
geschobenen Sack, dem Saccus reuniens. An der Eückseite und
am oberen Ende nimmt dieser die zufliessenden Venen auf, nach
vorn communicirt er durch die tief abgesetzte Porta hindurch mit
dem Vorhof.

Von den in den Sinus reuniens eintretenden Venenstämmen
haben durch die Bildung der Nackenkrümmung die beiden oberen
Hohl venen. eine weit steilere Eichtung angenommen, sie treten jetzt
von oben herab zum Sinus hin und umgreifen dabei von der Seite
her die Eingänge in die Recessus pulmonales der Parietalhöhle.
Dabei heben sich die beiden Hohlvenen nicht allein aus der Zwerch-

1) Man vergleiche die Durchschnitte der Tafeln XI und XIL

His, MenscW. Embryonen. HI. 10

-ocr page 154-

fellfläche empor, sondern sie drängen gieiclizeitig die Wandsohicht
der ParietalliÖhle vor sicli her und erscheinen somit in den Eand
einer sichelförmigen Falte eingeschlossen. Der seithche Ursprungs-
theil dieser Falte bildet eine Art von Gekröse für die Venenstämme
und wird allmähhch zu einer dünnen Haut, welche, dem Venen-
stamm folgend, wie eine Coulisse medianwärts sich vorschiebt und
den Zugang zu dem Eecessus pulmonales mehr und mehr ver-
engt. Es ist dies Venenge-
kröse identisch mit der Mem-
brana pleuro-pericar-
diaca von
Schmidt und es
wird schhesshch jederseits
zur Grenzhaut von Pleura-
und von Pericardialhöhle.
Der Anschluss der beiden
Fiff- 93. oberen Hohlvenen an den Sac-

Seitenansicht des Saccus reuniens vom Embryo Bl.
Vergr. 30.
Ho recbtes Herzohr, C. a Can. auricularis, CUS rOUnienS geSClueht ohno
F.
c Vena cava super., F. h Vena hepatica, Y.u Vena

umbilicalis, ä. i Septum transversum, 2) Diaphragma, SCharfC GreUZe. Letzterer
Lb Leber.

zieht sich demnach in zwei
gekrümmte Verlängerungen aus, die wir als dessen Cornua be-
zeichnen wollen. Es ist unschwer zu verstehen, wie das Empor-
heben des Saccus reuniens aus der Zwerchfellfläche, die Bildung
seiner Hörner und die zunehmende Einwärtsschiebung der Hohlvenen
ihrem Mechanismus nach völlig zusammengehörige Vorgänge sind.
Indem die Venenstämme in ihrem relativen Längenwachsthum zurück-
bleiben, üben sie nach den Seiten und nach unten hin einen Zug
auf ihre Umgebung aus, dessen Folgen in den aufgezählten Dis-
locationen zu Tage treten.

Die Hebung der beiden Enden des Saccus reuniens ist eine \'
ungleiche, rechts erfolgt sie ausgiebiger als links. Demgemäss nimmt\'
der Saccus reuniens bald eine unsymmetrische Lage an, die ur-
sprüngliche Mitte rückt schräg nach rechts herüber, das linke Horn,
ist weit länger und stärker gekrümmt als das rechte. Letzteres
verdeckt demnach auch weit früher die zugehörige Lungenanlage als
das linke (Fig. 94).

Bei der eben beschriebenen Schrägstellung des Saccus kommt
es zu einer Verzerrung seiner eigenen Anheftungslinie sowohl, als

-ocr page 155-

deijenigen der Porta vestibuli. Die Figuren 94 und 95 können da-
von eine Vorstellung geben: die Anheftungslinie des Saccus, zur
Zeit noch ausgedehnter als die Porta, bildet eine dreiarmige Figur,
deren rechter Schenkel weit heraufreicht, während der linke nahezu
horizontal verläuft; beide Schenkel nehmen an ihren Enden die
entsprechenden Hohlvenen auf, der obere Theil des Mittelstücks fällt
mit dem Gekröstheil der früheren Vorhofswurzel zusammen, und
zwar erscheinen dessen Blät-
ter in der Mittellinie aus-
einandergerückt und bilden
ein Dreieck mit abwärts ge-
kehrter Basis.

Die Porta vestibuh hat
durch den Anschluss des
ausgeweiteten Gekröstheiles
gleichfalls eine vorwiegend
dreieckige Gestalt angenom-
men (Fig. 94), und zwar weicht
die Basis des Dreiecks nach
der rechten Seite und nach
oben hin ab. Ihr oberes Ende
hat sich zu einem beinahe
selbständigen Flügel ausge-
zogen, innerhalb dessen die
obere Communicationsöffnung
liegt; eine zweite Oeffnung

■befindet sich gleichfalls nach Embryo bi. Vergr.SO r Trachea, Lunge, V c.f u.d
" ® Vena cava sup. sinistra u. dextra, Ä.r Eröffneter Sinus

rechts von der Mittelhnie im ^e^nlens, G Her^gekr^e, Ort^des^rnndegew^
Mittelstück des Feldes. Das

Blut von der linken Cava muss demnach einen starken die Mittel-
linie überschreitenden Bogen beschreiben, ehe es den Zugang zur
Porta findet. Eine doppelte Ausmündung des Sinus reuniens in den
Vorhof habe ich bei BI als unstreitig vorhanden gefunden.\') Immer-
hin wage ich zur Zeit noch nicht allzu grosses Gewicht auf dies
Verhalten zu legen, denn dasselbe ist nur ein vorübergehendes.

1) So wiedergegeben in den Figuren 93 und 94.

-ocr page 156-

früher sowohl als später liegen die Verhältnisse anders und der
Sinus reuniens schliesst sich mit einfacher Verbindungsöffnung dem
Vorhof an. Mag nun die Oeffnung doppelt oder einfach sein, so
nimmt dieselbe nur einen Theil des Portaraumes ein, der übrige,
vorzugsweise nach oben und nach links sich ausdehnende Raum wird
von Bindesubstanz ausgefüllt.

, Je mehr der Saccus reuniens aus der Zwerchfellfläche sich
emporhebt, um so mehr muss er sich zu einem Anhangsgebilde

des Herzvorhofes ge-
stalten. Als solcher
verbindet er sich auch
mehr und mehr mit
dem Herzen. Für das
linke Horn nebst dem
Mittelstück bleibt die
Verbindung eine mehr
äusserliche, dasselbe
persistirt als bestimmt
abgegrenztes Gebilde
in Gestalt des Sinus
coronarius. Das
rechte Horn dagegen
senkt sich tief in den
Vorhof ein und seine
"Wandung verwächst
mit der Wandung des
letzteren. Einsenkung
und Verwachsung des
Sinus reuniens gehen hier so weit, dass die Anatomie bis jetzt gar
kein Bedürfniss empfunden hat, denselben als getrennten Abschnitt
zu unterscheiden. Gleichwohl erhält sich seine Abgrenzung, sowohl
äusserlich als innerlich, zeitlebens. Aeusserhch zeichnet sie sich als
eine (in den Lehrbüchern wenig beachtete) Furche aus, welche als
Sulcus terminalis auf der rechten Seite von der Einmündungs-
stelle der Cava superior zu derjenigen der Cava inferior hin verläuft.
An der Innenseite liegt an entsprechender Stelle eine stark vor-
springende Leiste, die Taenia terminalis, welche die Enden der

Fig. 96.

-ocr page 157-

Mm. pectinati aufnimmt und das durch die letzteren charakterisirte
Vorhofsgebiet in engerem Sinne vom glatten Gebiet des Sinus re-
uniens abtrennt.\')

Mit der Ablösung des Saccus reuniens vom Zwerchfell hängt,
wie ich kaum bezweifle, auch die Bildung des Centrum tendineum
zusammen. Indem ein Theil der primären Zwerchfellanlage zur Um-
kleidung des Saccus reuniens Verwendung findet, muss in der Muskel-
anlage eine Lücke entstehen, die sich durch Bindegewebe ausfüllt.
Es hat sogar den Anschein, als ob die Grundform des Centrum ten-
dineum in dem Eig. 95 dargestellten Eelde bereits angelegt sei. Denkt
man sich dort die Schenkel des Gekröstheiles zusammengeschoben,
so dass sie noch Eaum für die Hiatus bieten, so bleibt der ventral-
wärts ausgebogene Querstreifen übrig, dessen rechte Hälfte die Oeff-
nung der Cava inferior enthält.

Die Area iiiterposita, die Eiistaclii\'sche Klapi)e und die
Spina Testibuli.

Die Innenfläche des Vorhofes zeigt auf der Stufe von Embrjo Bl
folgende Verhältnisse (Eig. 97): eine annähernd medianstehende Ealte
des Septum superius atrio-
rum drängt sich zwischen den
oberen Theil der Vorhofshälften
ein. Von den letzteren nimmt die
rechte die aus dem Sinus reuniens
kommenden beiden Gefässröhren
auf. Ihre Ostien liegen innerhalb
eines Feldes, an dessen Bekleidung,
laut dem früher über die Porta
vestibuli Mitgetheilten, die Muskel-
wand nicht participirt, und zwar be-
finden sie sich in dem nach rechts
emporgehobenen Flügel des Porta-
feldes. Das übrige Portagebiet ist
von Bindesubstanz eingenommen. Wir treffen also in der hinteren
Vorhofswand ausser den Gefässöffnungen eine von der Muskelum-

1) Diese Leiste ist von F. Schmidt beachtet und als fundamentale Muskel-
schleife bezeichnet worden.

-ocr page 158-

Meldung frei gelassene Stelle, die in der Folge eine selbständige
Entwickelung einschlägt und die ich vorerst als Area interpo-
sita bezeichnen will. Dieser Area begegnen wir auch auf den
späteren Stufen, ich verweise z. B. auf Fig. 89 und auf untenstehende
Figur 98. Sie bildet ein Dreieck mit abwärts gerichteter, etwas
schräger Basis. Die Spitze des Dreiecks sieht nach oben und etwas
nach rechts und sie läuft neben dem Septum superius aus. Die linke

untere Ecke geht ein
Stück weit unter diesem
durch. Die rechte Ecke
schhesst sich dem nun-
mehr einfachen Ostium
des Sinus reuniens an.

Indem nun das rechte
Horn des Sinus reuniens
sich in den Vorhof vor-
treibt, wird auch seine
Oeffnung in den letzte-
ren hinein geschoben.
Als spaltartige Lücke
der dünnen vorderen Si-
nuswand wird dieselbe
von zwei Falten einge-
fasst, von welchen die
laterale erheblich brei-

Innenfläclie des Herzens vom Embrj\'o Fr. Vergr. 32. ^gj jg^, g^jg (Jjg mediale
V. c. s Vena cava super., S. s Septura sup., S. i Septum infer., \'

P.. septum ^P-YSktLlIrt^eSiariippe\'^ Mit scharfem Eand ragt

jene in den Vorhof hin-
ein und gemäss der schrägen Eichtung des Ostium verläuft sie mit
ihrem unteren Ende schräg medianwärts und erreicht damit die
laterale Ecke der Area interposita. Es ist diese aus der vorderen
Wand des Sinus reuniens gebildete Falte die Anlage der Valvula
Eustachi, welche, wie wir durch F. Schmidt\'s Arbeiten wissen, ur-
sprünghch auch die Mündung der Cava superior umschhesst.

Den medianen Saum des Ostium bildet in dessen oberer Hälfte
eine dünne Falte, die Valvula vestibuli sinistra, unten aber
wird die Oeffnung von einem Bindegewebskeil begrenzt, dessen Vorder-

-ocr page 159-

fläche dem Vorhofsraum als Area interposita zugewendet ist. Vor
der Lungen- und der Magenanlage beginnend, geht derselbe median-
wärts vom Sinus re-
uniens vorbei in die hin-
tere Vorhofswand über.
Der Keil ist in einem
grösseren Theil seiner
Ausdehnung dreikantig.
Von den Kanten sind
zwei lateralwärts ge-
richtet und bilden den
hinteren und den vor-
deren Grenzsaum des
Sinus reuniens bez. sei-
ner Ostien. Die dritte,
nach vorn gerichtete
Kante legt sich als me-
diale Grenze der Area
interposita eine Strecke
weit dem Septum supe-
rius an und pflegt, we-
nigstens stellenweise,
frühzeitig mit diesem
zu verwachsen.

Der eben beschrie-
bene Bindegewebskeil
erfährt in der Folge
eine zunehmende, nach
vorn und medianwärts
gerichtete Drehung. Da-
durch und zum Theil Fig. 99 und 100.
wohl auch durch gleich-
zeitiges Wachsthum
springt derselbe weit in
die Vorhofshöhle hinein
vor und gestaltet sich zu einer selbständigen Anlage der Herzscheide-
wand. In dieser Eigenschaft bezeichne ich ihn als Spina vesti-

-ocr page 160-

buli. Die rechtsseitige Ecke der Spina nimmt das Ende der Eu-
STACHfschen Klappe auf und bildet mit dieser den Boden des Sac-
cus reuniens (Eig. 98).

Der Ohrkanal und die Bildung der Ostia renosa.

Der zwischen Ventrikel und Vorhof liegende Ohrkanal ist, wie
wir früher sahen, in seiner Muskelwand ein etwas abgeplattetes

cylindrisches Eohr, die Lichtung seiner Blutbahn dagegen stellt eine
Querspalte dar, die in der Mitte eng, an den beiden Kauten aus-
geweitet ist. Der Zwischenraum zwischen dem Endothel- und dem
Muskelrohr wird durch eine weiche Bindesubstanz ausgefüllt und
so entstehen zwei breite und zwei schmale, die Lichtung umgebende
Substanzleisten, die Atrioventri
cularlippen von Lindes oder

-ocr page 161-

E n d 01 h e 1 k i s s e n von F. Schmidt. Dmch das Verhalten der Herz-
ohren zum Ohrkanal wird übrigens bedingt, dass der Rand des
letzteren eine Strecke weit in den Vorhofsraum hineinragt.

In seiner vollen Entwickelung zeigt sich der Ohrkanal noch
bei den Embryonen A, B und bei Pr. Allein schon nach Kurzem
ist er als selbständiger Herzabschnitt geschwunden und der Vorhof
sitzt jetzt dem Ventrikel unmittelbar auf. Ueber das Verbleiben
des früheren Ohrkanals geben Durchschnitte unzweideutigen Auf-
schluss : derselbe ist von der anstossenden Ventrikelwand umgriffen

worden \') und, wie früher in den Vorhof, so ragt er jetzt mit scharfem
Rande in den Ventrikelraum vor, als ob er durch eine vom Vorhofe
her wirkende Kraft in denselben wäre vorgeschoben worden. Dabei
zeigt sich auch die anstossende Ventrikelwand etwas eingestülpt,

1) „II est repris successivement dans les chairs du coeur" sagt Kaller
mit einem glücklichen Ausdruck vom schwindenden Ohrkanal (1. c. II. 77.)

-ocr page 162-

und zwischen ihr und dem früheren Ohrkanal ist eine schmale Spalte
entstanden, die alsbald durch einen prismatischen Bindegewebsstreifen
ausgefüllt wird (Fig. 103).

Da die Kante des Septum inferius schräg unter dem Ohrkanal
durchläuft, so gelangt ein Theil der vorgeschobenen Wand in die
rechte, ein anderer in die linke Ventrikelhälfte. Aus der röhren-
artig hereinhängenden Falte bildet sich die Anlage für die peri-
pherischen Segel der Atrioventricularklappen.

Zugleich mit dieser Einstülpung des Ohrkanals hat sich eine
weitere Veränderung vollzogen, von deren Natur Eigur 103 eine
Uebersicht zu geben vermag. Zwischen Vorhof und Ventrikel hegt
jetzt ein breiter Bindegewebspfropf, welcher mit der Rückwand des
Vorhofes durch einen verjüngten Stiel in Verbindung steht. Gleich
einem Spritzenstempel erscheint er in die Lichtung des Ohrkanals

-ocr page 163-

emgescholben und er lässt von derselben jederseits nur einen schmalen
Gang frei, die nunmehrigen Ostia atrioventricularia destrum
und sinistrum.

Das eben beschriebene gestielte Gebilde bezeichnen wir als
Septum intermedium. Es ist gemischten Ursprungs und da-
durch entstanden, dass die aus der hinteren Yorhofswand hervor-
getretene Spina vestibuli mit der benachbarten hinteren und weiter-
hin auch mit der vorderen Atrioventricularlippe sich verbunden hat.
Aus letzteren beiden ist der breite Stempel des Septum intermedium
hervorgegangen, die Spina vestibuh hat dessen Stiel geliefert. Beide
Bildungen stimmen auch histologisch überein, da sie beide binde-
gewebiger Natur sind, ihre Grenze markirt sich noch eine Zeit lang
durch die ungleiche Dichtigkeit des Gefüges. Mit dem Stiel des
Septum intermedium bleibt das untere Ende der
EusTAcm\'schen
Klappe verbunden.

Der Stempel des Septum intermedium und die Kante des
Septum inferius begegnen sich, und indem sie sich mit einander
verbinden, wird die Trennung der Ventrikel vervollständigt. Bei
Embryo & (Eig. 103) ist die Begegnung beider Septa noch nicht
erfolgt, bei Embryo Br2 (Fig. 104) erst theilweise, bei Sch dagegen
(Fig. 105) ist die Verbindung eine vollständige. Der Stempel des
Septum intermedium reitet nunmehr auf der Kante des Septum in-
ferius und überragt das letztere mit scharfen Rändern. Diese vor-
tretenden Ränder aber treten in Verbindung mit Balken der Ven-
trikelwand und aus ihnen gehen die medialen Zipfel der
beiden Atrioventricularklappen hervor. Die Gesammtanlage
der genannten Klappen umfasst somit die eingestülpte Wand des
Canalis auricularis und die vorspringenden Ränder des Septum inter-
medium, welch letztere aus der bindegewebigen Füllungsmasse des
Ohrkanales hervorgegangen sind.

Die Bildung und Verschiebung des Septum intermedium und
die Einstülpung des Ohrkanales in den Ventrikeleingang sind Vor-
gänge, welche nicht allein der Zeit nach zusammenfallen, sondern
die unzweifelhaft auch auf gleiche Grundbedingungen sich zurück-
führen. Für die entscheidenden Bedingungen halte ich einestheils
die zunehmende Lagenveränderung des ganzen Herzens, anderntheils
diejenige der Saccus reuniens. Noch bei den Embryonen von

-ocr page 164-

7—10 mm, so noch bei Pr, steht die Ventrikelase annähernd parallel
mit der Äse des Saccus reuniens und eine Verlängerung derselben
schneidet das obere Ende des Vorhofes (Eig. 101). In der Folge
hebt sich aber (wohl in Folge des Leberwachsthums) die Herzspitze
mehr imd mehr, bis ihre Eichtung schliesshch senkrecht zu der-
jenigen des Saccus reuniens steht. Bei dieser Drehung des Herzens

muss der sich hebende Ventrikeltheil gegen den Vorhofstheil bez.
gegen den Canahs auricularis angedrängt werden, ein Verhältniss,
das sowohl der Einstülpung des letzteren, als der Vorschiebung des
Septum intermedium zu Gute kommt.

Die zweite bei Beurtheilung dieser Dinge in Betracht kommende
Veränderung betrifft den Saccus reuniens. Ursprünghch ist dieser
quer gestellt und seine beiden Seitenhälften liegen in derselben
Flucht (Fig. 100). In der Folge geht die ursprüngliche Querstel-
^ung in eine schräge, ja in eine nahezu sagittale über. Es gilt

\'A" \' iT \'

-ocr page 165-

dies in erster Linie vom rechten Horn des Saccus reuniens (Fig. 104),
in etwas geringerem Maasse jedoch auch vom linken, insbesondere
von dessen unterstem Abschnitt. Wenn nun das rechte Horn des
Saccus reuniens sich also umstellt, bekommt nicht allein die
EuSTACHi\'sche Klappe, sondern auch die ursprünglich hintere Wand
eine nahezu sagittale Stellung. Dadurch wird die Spina vestibuli
tiefer in den Yorhof herein und an die beiden mittleren Atrio-

ventricularlippen herangedrängt, mit denen sie nach erfolgter Be-
rührung verwächst. Die Bedeutung des Vorganges kann man sich
leicht klar machen: versucht man in Gedanken bei Fig. 103, 104
oder 105 den Saccus reuniens wieder quer zu stellen, so ist dies
nur unter der Bedingung möglich, dass das Septum intermedium
nach dem Vorhof hin zurückgezogen und vom Septum inferius ge-
trennt wird.

An der Bildung der Atrioventricularklappen betheiligen sich

-ocr page 166-

einestheils die Muskelwaud des Ohrkanales und des anstossenden
Ventrikelgebietes, anderntheils die Bindesubstanzmasse der vier Atrio-
ventricularhppen. Von diesen sind die beiden lateralen von unter-
geordneter Bedeutung, wogegen die in das Septum intermedium
einbezogenen medialen Lippen den oben als Stempel bezeichneten
umfänglichen Körper darstellen. Die musculöse Wand des Ohr-
kanales reicht tief in den Saum der peripherischen Klappensegel
herab und biegt hier in die verdichtete Eindenschicht der einge-
stülpten Ventrikelwand um. Die der letzteren angehörigen Muskel-
bälkchen erscheinen nunmehr mit dem freien Eand und der unteren

Fläche der neugebildeten Klappe verbunden und bilden die Chor-
dae, die noch nicht tendineae, sondern musculares sind. Für
diesen Theil der Chordae bedarf es keiner secundären Verbindung
mit den Klappen, sie sind von Anfang ab Bestandtheile derselben
Ventrikelwand gewesen, aus der das untere Blatt der Klappen her-
vorgeht.

Compacte Papillarmuskeln bilden sich erst in einer späteren
Zeit durch Zusammendrängung bestimmter Züge von primitiven
Muskelbalken. Immerhin findet man schon gleich nach Einstülpung
des Ohrkanales, dass Anlagen für Papillarmuskeln gegeben sind und
durch etwas dichtere Gruppirung der Bälkchen sich charakterisiren.
Auch das Septum inferius ist anfangs von schwammigem Gefüge
und zeichnet sich nur durch seine etwas engeren und regelmässiger
angeordneten Maschen von der Umgebung aus.

-ocr page 167-

Bei den aus dem Septum interniedium hervorgehenden Klappen-
segeln ist die Verbindung mit den Chordae, mit Ausnahme vielleicht
von den hintersten Abschnitten, nicht primitiv angelegt, sondern sie
muss sich auf dem Wege secundärer Verwachsung vollziehen. ^^

Ausser den aufgezählten Bestandtheilen, der Muskelwand und
dem Endocardium, betheiligt sich an der Bildung der peripherischen
Klappensegel auch das Epicardium. Wie schon oben erwähnt wurde,
so zieht sich zwischen dem eingestülpten Ohrkanal und der Ven-
trikelwand eine Spalte in die Tiefe, welche von Seiten des Epi-
cardiums durch einen prismatischen Substanzring ausgefüllt wird.
Eine blattartige Verlängerung dieser Ausfüllungsmasse bildet die
mittlere Lamelle des Klappensegels und erhält sich als solche
zeitlebens.

Die ursprünglich musculöse Beschaffenheit der Klappen, auf
welche schon von früheren Beobachtern hingewiesen worden ist,
macht nun allmähhch der sehnigen Platz. Zuerst kommt es zu einer
Continuitätstrennung zwischen den beiden, im Klappenrand in ein-
ander übergehenden Muskelblättern. Noch bei Embryo ja bei
Embryo Br 2 (Eig. 103 und 104) ist der Zusammenhang vorhanden.
Bei Sch (Fig. 105) dagegen finde ich, dass Vorhofs- und Ventrikel-
musculatur zugeschärft auslaufen und dass nunmehr die vom Epi-
cardium stammende mittlere Lamelle völlig durchschneidet. Die
Persistenz dünnerer, aus dem Vorhof herabsteigender Muskelzüge in
den Klappen ist seit
Kürschner bekannt.\') Die grosse Mehrzahl der
Muskeln aber geht verloren, wobei man vielleicht, ähnlich wie im
Truncus Aortae, an Druckatrophie denken darf. Bei den Chordae
braucht eine histologische Umwandlung des Gewebes nicht noth-
wendig angenommen zu werden. Jedes Bälkchen liegt in einer En-
dothelscheide, welche letztere den Zusammenhang mit den Scheiden

1) Kürschnee, E. Wagner\'s Handwörterbuch. Bd. II. S.54. Man vergleiche
auch
Gtjssenbauer , Sitzungsbericht der Wiener Akademie. Bd. 57. Von den
vier Schichten der Klappen, welche
Güssenbauer unterscheidet, stammt Nr. 1,
die stärkere vom Vorhof herabsteigende Endocardialschicht, von den Atrio-
ventricularlippen; Nr. 2, die Muskelschicht, von der Muskelwand des Ohr-
kanales ; Nr. 3, die mittlere Hauptschicht der Klappen, vom Epicardium; Nr. 4,
das Yentrikelendocardium, von der Endothelauskleidung. Zwischen 3 und 4
müsste man die Reste früherer Ventrikelmusculatur erwarten, diese sind aber
vollständig geschwunden.

-ocr page 168-

anderer Balken bez. mit den Bindesubstanzpolstern an den Ostien
vermittelt. Wenn diese Scheiden sich selbständig ausziehen und
weiter entwickeln, können sie zu Sehnenfäden werden, ohne dass
eine Muskelrückbildung damit sich zu combiniren braucht.

Das Septum aorticum.

Der Bulbus aortae besteht anfänglich, wie die übrigen Herz-
abtheilungen, aus einem Muskelrohr und einem Bndothelrohr. Das
Muskelrohr, von einer dünnen und compacten Wand gebildet, ist
vom Endothelrohr nur unvollständig erfüllt. Der Zwischenraum zwi-
schen beiden wird von einer Bindesubstanz erfüllt, als deren erste
Anfänge die Eäden zu betrachten sind, welche vom inneren zum
äusseren Bohre hingehen. Diese Bindesubstanzschicht liefert die
spätere Intima der Arterien, während das Muskelrohr in die Me-
dia übergeht.

Grleich im Anfangstheile des Bulbus, im sog. Fretum, zeigt der
Endothelschlauch eine Abplattung, die innere Lichtung ist spaltförmig,
und zwar wechselt die Stellung der Spalte in den verschiedenen Höhen.

Beim Ursprung aus dem Conus arteriosus sagittal gestellt, dreht
sich die Spalte mit ihrem vorderen Ende nach links und schliess-
lich wird ihre Richtung eine transversale. Im oberen Theile des
Bulbus, dem Truncus, verliert sich die Abplattung des inneren Eohres
und der Querschnitt wird wiederum cylindrisch. Sehr bald weitet
sich die Spalte an ihren beiden Rändern aus, während sie in der
Mitte sich verengt. Zwei halbcyhndrische Leisten treten in die
Lichtung vor, und indem sie ihre Convexität einander zukehren,
scheiden sie zwei auf dem Querschnitte dreieckig erscheinende Gänge
von einander.

-ocr page 169-

Wie wir nun schon durch ältere Arbeiten wissen, so vollzieht
sich im Bereich des Bulbus die Trennung derart, dass die beiden
Längsleisten zusammentreffen und verwachsen. Der vordere, weiter-
hin linke Gang wird zur Lichtung der A. pulmonalis, der hintere
zur Aorta. Die Trennung der beiden Röhren beginnt oben und
schreitet von da aus nach abwärts vor. Die Schnittreihe, welche ich
Fig. 107 mittheile, zeigt links die noch sagittal stehende verhält-
nissmässig breite Spalte unmittelbar über dem Conus arteriosus,
dann wird die Spalte etwas enger und schräg gestellt, 3 u. 4 zeigen
zwei bereits getrennte dreieckige Lichtungen, bei 5 sind die Lich-
tungen gerundet, bei 6 beginnt der Kanal der Pulmonalarterie um
den der Aorta herumzubiegen und nach dessen Rückseite zu treten.

Noch ist anfangs die Strecke, innerhalb deren die beiden Lich-
tungen einen dreieckigen Querschnitt haben, ziemlich lang. Die
Rundung der Röhren schreitet von oben nach abwärts vor. Im
unteren Theile des Fretum erhält sich der dreieckige Querschnitt,
die gegen die Lichtung vortretenden Gewebskissen beginnen an ihrer
arteriellen Seite sich auszuhöhlen und sie bilden
sich hierdurch zu den Semilunarklappen um.
Diese haben bei ihrem ersten Auftreten die Ge-
stalt von sehr plumpen Wülsten. Bei Zw finde
ich sie indessen verhältnissmässig wohl ausge-
bildet und sicherlich sind sie zu der Zeit schon
schlussfähig.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass das
Septum aorticum in Gestalt zweier longitu-
dinaler Bindesubstanzleisten sich anlegt, und
dass die Vereinigung dieser Leisten von oben
nach abwärts fortschreitet. Beim Eintritt in den
Ventrikel schwinden diese Leisten nicht vollständig. Die eine der-
selben (die linke) lässt sich noch eine Strecke weit in den Conus
arteriosus hinein verfolgen, sie scheidet hier einen Sulcus aorticus
und einen Sulcus pulmonalis und nimmt in gleich zu betrachten-
der Weise an der Bildung der Herzscheidewand Theil.

11

His, MenscM. Embryonen. III.

-ocr page 170-

Bie Verbindimg der Scheidewände des Herzens.

Wir haben bis jetzt vier von einander unabhängige Scheidewand-
anlagen kennen gelernt: das Septum superius, inferius, inter-
medium und das Septum aorticum. Diesen kann hier noch
eine weitere Bildung als Septum spurium angereiht werden. Es
ist dies eine Ealte, welche von der Decke des rechten Vorhofes
abgeht und welche die vordere Kante des in den Vorhof einge-
schobenen Saccus reuniens mit der Vorderwand des Herzohres ver-
bindet. Sie besitzt bei Pr (Eig. 101) ungefähr die halbe Höhe des
Septum superius und endet nach unten mit scharfem Rand. Eür
die weitere Herzentwickelung ist diese Bildung ohne eingreifende
Bedeutung, indessen erhält sich ein Rest derselben als sagittale vor
der Einmündungsstelle der V. cava superior liegende Leiste auch
im ausgebildeten Herzen (Taenia sagittalis). „Z^

Von den eigentlichen Scheidewandanlagen ist das Septum
superius aus einer Einfaltung der oberen Vorhofswand hervorge-
gangen. Das Motiv seiner Entstehung liegt darin, dass die Rück-
wand des Vorhofes durch den Gekröstheil der Herzwurzel fixirt ist,
beiderseits davon aber weitet sich der Vorhof nach oben hin aus und
so entsteht eine mediane Einziehung, die in der Eolge zur scharfen
Falte sich ausbildet.

Das Septum inferius verläuft, wie wir oben (S. 140) sahen,
als windschiefe Sichel vom linken Rande des Conus arteriosus zum
rechten des Conus venosus; nach oben hängen seine Enden durch
eine gleichfalls einspringende Falte der Wand zusammen und so
kommt ein Diaphragma zu Stande, welches nur durch einen ver-
hältnissmässig kleinen runden Ausschnitt die Communication beider
Ventrikelhälften gestattet.

Das Septum intermedium, durch Verschmelzung der Spina
vestibuli mit den zwei mittleren Atrioventricularlippen entstanden,
ist ein gestielter\'Bindegewebspfropf, dessen Stiel in der hinteren
Vorhofswand wurzelt, dessen breiter Theil im Ohrkanale liegt.

Das Septum aorticum, soweit es in den Ventrikelraum ein-
tritt, ist eine Bindegewebsleiste, welche, aus dem Bulbus herabsteigend,
den nach rechts und vorn hegenden Sulcus pulmonalis von dem nach
links und etwas weiter rückwärts liegenden Sulcus aorticus trennt.

-ocr page 171-

Die Stufen von A und von Pr zeigen diese sämmtlichen Scheide-
wandanlagen noch getrennt (Pig. 89 u. 90,
98 u. 109) und das Septum
intermedium, obwohl vorhanden, tritt nur in geringem Maasse gegen
den Yorhofsraum vor.

Es ist nun vor allem zu untersuchen, in welcher Weise die
Yentrikeltrennung sich vollzieht. Dächte man sich das Dia-
phragma des Septum inferius mehr und mehr verengt, so müsste
dies zwar eine Trennung der beiden Yentrikelhälften zur Folge haben,
aber von den beiden also getrennten Kammern hätte die linke keinen
Abfiuss, die rechte keinen Zufluss. Es müssen also bei der defini-
tiven Scheidung Yorgänge Platz greifen, welche jeder der beiden
Abtheilungen sowohl ihre Zufluss- als ihre Abflusspforte offen er-
halten.

Die Scheidung der Zuflusspforten wird, wie wir schon oben sahen,
durch das Septum intermedium hergestellt. Yon der hinteren Yor-
hofswand ausgehend tritt dasselbe mehr und mehr nach vorn; es
erreicht zunächst mit seinem oberen Saum die gegenüberliegende
Wand des Yorhofes. Mit seinem dicken unteren Theil aber erreicht
es den Ohrkanal und drängt sich mit diesem in den Yentrikelein-
gang herein. Dabei begegnet es zuerst dem hinteren Ende des
Septum inferius, während in der Mitte noch eine weite Lücke zwi-
schen beiden Bildungen übrig bleibt (Fig. 106). Bald wird aber die
Berührung eine ausgiebigere und das Septum pösteiltis umgreift
mit seinen vorspringenden Rändern die untere Scheidewand und
betheiligt sich in der früher erörterten Weise an der Bildung der
Atrioventricularklappen.

Es ist nun klar, dass, wenn die Yerwachsung beider Scheide-
wände längs der ganzen Kante des Septum inferius vor sich ginge,
der linke Yentrikel von der Aorta müsste abgeschnitten werden.
Dies wird indessen vermieden: der vorderste Theil des Septum in-
ferius bleibt nach der Aorta hin frei, und dafür bildet sich eine
Yerwachsung zwischen dem Septum intermedium und dem untersten ;
Ende des Septum aorticum. Die nach ihrer primären Anlage dem^
rechten Herzen und zwar dem Conus arteriosus angehörige Aorta
wird hierdurch vom rechten Yentrikel geschieden und durqji den
allervordersten, ausgespart bleibenden Theil des Ostium interventri-

culare hindurch mit dem linken in Yerbindung gelassen.

11*

-ocr page 172-

Mit Hülfe der verschiedenen Abbildungen ist es wohl nicht all-
zu schwer, das räumhche Ineinandergreifen der verschiedenen Bil-
dungen sich klar zu machen. Für frühere Stufen verweise ich auf
die Figur 106, sowie auf untenstehende Figur 109. Hier sieht man
zunächst den Üebergang des Septum inferius in die, auf der Grenze
des Canalis auricul. liegende, einspringende Wandfalte. Unter der
letzteren hindurch führt der Eingang in den Aortenbulbus, aus wel-

chem der Sulcus aorticus und der Sulcus pulmonalis, durch das linke
Septum aorticum geschieden, herabsteigen. Furche und Leiste biegen
medialwärts um, der Sulcus aorticus leitet gegen den Einschnitt der
unteren Scheidewand, die Leiste gegen diese selbst.

Bei der auf Seite 158 mitgetheilten Zeichnung vom Embryo ^
(Fig. 106) ist das Septum intermedium bereits bis an die Ventrikel-
grenze vorgedrungen, auch hier verfolgt man das untere Auslaufen
des Sulcus aorticus gegen das Ostium interventriculare und das des
Septum aorticum gegen die untere Scheidewand. Legt man sich in
Gedanken die Brücke vom Septum aorticum zum intermedium hin, so
kommt man zur Trennung der Aorta von der rechten und zu ihrer
Ueberleitung nach der linken Ventrikelhöhle.

-ocr page 173-

Bei Embryo Sch hat sich die Verbindung vom Septum aorticum
und intermedium soeben vollzogen. Eig. 110 zeigt an einem Durch-

schnitt das Zusammentreffen derselben. Bei Eig. 111 sind die Verhält-
nisse in grösserer Ausdehnung dargestellt. Das Septum intermedium
reicht hier schon tief in den Ventrikel herein, und sein freier Saum

Überragt als Klappenzipfel das Septum inferius. Die Grenze des
letzteren ist als unterbrochene Linie eingezeichnet. In einem Bogen
verlaufend, greift sie über den oberen Eand des Septum intermedium

-ocr page 174-

hinaus. Letzteres wird an der betreffenden Stelle vom Septum aorti-
cum (das punktirt ist) erreicht, und es wird dadurch die Einmündung
der Aorta in den linken "Ventrikel überlagert. Das vom Septum
aorticum gelieferte Stück der Herzscheidewand liefert deren häutige
Stelle, und es ist verständlich, wie diese noch zum Theil in den
Aorteneingang hineinreichen kann. Ebenso ergiebt sich aus der
Bildungsgeschichte des Aortenzuganges, dass derselbe unter dem
medialen Klappensegel der Valvula mitralis durchführen muss, denn
letzteres überragt das Septum inferius nach links hin. Der Eingang
in die Aorta liegt aber rechts von diesem.

Fassen wir noch einmal den Vorgang der Ventrikelscheidung
zusammen, so leitet sich die erste Trennung der beiden Hälften durch
das Sichel- bez. ringförmig angelegte Septum inferius ein. Der von
diesem frei gelassene Ausschnitt wird zum grossen Theil ausgefüllt
durch das vom Vorhof herkommende Septum intermedium. Nach
vorn bleibt eine Lücke als Aortenzugang und jenseits von diesem
bildet sich das fehlende Stück Scheidewand als eine Verlängerung

des vom Bulbus herkommenden Septum
aorticum. Durch das Sept. intermedium
erfolgt somit die Trennung der Zufluss-
bahnen zu den Ventrikeln, durch das
Septum aorticum die Trennung von den
Abflussbahnen. Beifolgende Eigur kann
ein zu Schulzwecken brauchbares Schema
der Verhältnisse geben. Conus veno-
sus und Conus arteriosus sind etwas
auseinander gelegt dargestellt. In jenen
senkt sich der eingestülpte Ohrkanal
als peripherische Anlage der Atrioventri-
cularklappen. Die punktirte Doppelflnie
bezeichnet das Septum inferius, welches die beiden links vom Conus
arteriosus und rechts vom Conus venosus einspringenden Falten mit
einander verbindet. Durch das Ostium venosum tritt das schrafflrte
Septum intermedium mit seinem verbreiterten Ende; vom Aorten-
bulbus aus entwickelt sich das als breite Linie dargesteflte Septum
aorticum. Beide treffen rechts vom Ostium interventriculare zu-
sammen. Die Bedeutung des vorderen Streifens als Septum mem-

s -

-ocr page 175-

branaceum und der Weg des Aortenzuganges unter dem vorderen
Mitraliszipfel durcb lassen sich darcb die Figur leicht erläutern.

Die Selieidimg der beiden Vorliöfe

ist als ein in später Zeit sich vollziehender Vorgang vielfach Gegen-
stand der Untersuchung gewesen und liegt uns in ihren Hauptzügen
ziemhch Mar vor. In übereinstimmender Weise lautet für den
menschlichen Fötus vom dritten Monat ab die Schilderung der Be-
obachter dahin, dass eine hintere und eine vordere Anlage vorhan-
den sind, die wir der leichteren Verständigung halber als vordere
und als hintere Scheidewandsichel bezeichnen wollen. Erstere
ist eine musculöse Falte, welche von der vorderen Vorhofswand ab-
geht und mit einem Schenkel der Decke, mit einem anderen dem
Boden des Vorhofes anhaftet, deren freier Rand somit nach rück-
wärts sieht. Ihr gegenüberstehend liegt an der Rückwand des Vor-
hofes ein die Mündung des Sinus reuniens (oder wie es in der
Regel heisst der unteren Hohlvene) einfassender Klappenapparat, der
aus zwei schräg gestellten halbmondförmigen Falten besteht. Die
rechte Falte ist die Valv.
Eustachi, die linke wird zur hinteren
Scheidewandanlage. Es reicht die hnke Klappe in den linken Vor-
hof herein, und indem dieselbe der vorderen Sichel entgegenrückt,
bildet sie in der Folge den häutigen Abschluss des Foramen ovale,
wobei ihr letzter Rest als Valvula foraminis ovalis persistirt, während
der Saum der vorderen Sichel als Limbus
Vieüsseni sich erhält.

Es stellt sich nun die Aufgabe, diese in späterer Fötalzeit
unterscheidbaren Theile auf die Bildungen früherer Zeit zurückzu-
führen. Zu dem Zweck greifen wir zurück auf die Figuren
89 u. 98
(S. 139 u. 150). Es stellt sich da die Porta vestibuli als ein zwei-
schenkeliges Feld dar. Der eine Schenkel des Feldes wird durch
die Gefässöffnung repräsentirt, der zweite durch die als Bindege-
webskeil hervortretende Area interposita. Beide Schenkel divergiren
nach oben und fliessen nach abwärts zusammen. Die Trennung der
beiden Vorhöfe ist zu der Zeit durch das Septum superius einge-
leitet, dessen unterer Rand über dem linken Ende der Area inter-
posita ausläuft.

-ocr page 176-

Wenn nun der Sinus reuniens tiefer in den Vorhof sich vor-
wölbt, so werden die beiden Seitenhälften seiner Vorderwand als
klappenartige Falten hervortreten. Es sind dies die Valvula vesti-
buli dextra oder Valv.
Eustachi und die Valvula sinistra.
So lange die Oeffnung des Sinus in den Vorhof keine sehr aus-
giebige ist, ist das obere Ende der Area interposita noch vom linken
Klappenflügel getrennt (Fig. 98). Bei Erweiterung der Oeffnung aber
verschwindet die Grenze und das Verhältniss vereinfacht sich dahin,
dass nunmehr die weite Oeffnung von zwei schräg gestellten Klappen
eingefasst ist, welche nach abwärts zusammen-
treffen und welche sich dem, als selbständiger
Bindegewebskeil hervortretenden Septum inter-
medium anschliessen.

Das Septum intermedium schiebt sich, wie wir
früher sahen, mit seinem oberen Saum an die
vordere Vorhofswand heran und verwächst mit
ihr. Hier begegnet es dem vorderen Ende des
Septum superius, und indem beide sich verbin-
den, entsteht die vordere Scheidewand-
sichel, aus welcher späterhin der Limbus for.
oval, hervorgeht (Fig. 106 und III).

Die linke Vorhofsklappe beginnt rechts vom
Septum superius, allein sie tritt schräg unter
diesem durch und baucht sich nach dem linken
Vorhof aus. Da, wo nun das Septum superius auf ihr aufruht,
verwächst es mit ihr (Fig. 105), und so kommt es, dass ein Theil
des Klappensegels bleibend nach der linken Seite herübergeschoben
erscheint. Das ursprüngliche Verhältniss verwischt sich noch da-
durch, dass die linke Klappe nicht allein unter dem Septum supe-
rius durchtritt, sondern dass sie eine Strecke weit um dieses sich
herumschlägt und an dessen linker Seite festwächst. Innerhalb des
gegebenen Feldes öffnet sich die Vena pulmonalis (s. obiges Schema).

»■\'fr

Li:*\'

w

-ocr page 177-

Die Einmünduiig des Sinus coronarius und die
Lungenrenen.

Der Sinus coronarius geht, wie wir oben schon sahen, aus dem
hnken Horn des Sinus reuniens hervor. Zu dem Hauptzufluss aus
der Vena cava sinistra gesellen sich die Nebenzuflüsse aus der Herz-
wand, die in der Folge, wenn die linke Hohlvene sich schliesst, als
einzige Blutquellen übrig bleiben. Nun trifft ursprünghch das linke
Horn des Sinus reuniens mit dem rechten zusammen, oder mit anderen
Worten ausgedrückt, der Sinus coronarius öffnet sich in den Raum
über der
EusTAcm\'schen Klappe, in den auch Cava superior und
inferior ausmünden. Dies hatte schon F.
Schmidt erkannt und sich
dadurch bestimmen lassen, die betreffende Falte (die Valvula de-
crescens, wie er sie nannte) als Ausgangspunkt auch der
Thebesi-

sehen Klappe anzusehen, i) Ich komme indessen zu einem etwas
anderen Ergebniss: Die primäre Oeffnung des Sinus coronarius in
dem Raum medialwärts von der
EusTACHi\'schen Klappe muss sich
schliessen, und an deren Stelle eine neue entstehen, welche, unter
der
EuSTACHi\'schen Klappe hindurchgehend, direct in den rechten
Vorhof ausmündet.

Wie dies die obenstehende Fig. 114 zeigt, so wird die Verbin-
dung der linken Hohlvene, bez. des Sinus coronarius mit dem Sinus
reuniens bei Embryo Sch durch einen engen, im Winkel zurück-

1) Die von F. Schmidt gegebene Zeichnung ist übrigens durchaus richtig,
man findet bei älteren Fötalherzen meistens ein den Limbus nach abwärts
überschreitendes und in die Valv. T
hebesii übergehendes Fältchen. Ich halte
dies indessen für eine secundär entstandene Bildung.

-ocr page 178-

laufenden Gang vermittelt. Es hängt dies zusammen mit der schon
oben besprochenen Einknickung und Eichtungsänderung, welche zu
der Zeit der Saccus reuniens erfahren hat. Die primäre Verbindung
ist noch bei Embrjo Zw vorhanden, die Hohlvene geht (Fig. 115)
in einem Bogen unter dem Vorhof vorbei, um schhesshch das vor-
dere Ende des Sinus reuniens zu erreichen. Dabei ist das vordere
Ende des Sinus coronarius ganz dicht an die untere Ausbuchtung
des rechten Vorhofes herangerückt, und, um die Communication her-
zustellen, braucht nur eine dünne Gewebsschicht durchbrochen zu
werden (Fig. 114).

Die Lungenvenen finde ich in ihren ersten Spuren bei dem
Embryo Sch und ebenso bei Zw. Hier treten aus dem die Lunge

umgebenden Gewebe kleine Gefässe in den bindegewebigen Theil der
Vorhofswurzel ein. Ihre Ausmündung in den hnken Vorhof ist da-
durch ermöghcht, dass die xirea interposita, innerhalb deren sie zum
Vorschein kommen müssen, die Mittelhnie überschreitet. Demnach
ist die Oeffnung dieser Venen zur Zeit des ersten Auftretens im media-
len Abschnitt des hnken Vorhofes befindlich, und die Mündungen müs-
sen späterhin Verschiebungen nach oben hin und theilweise lateral-
wärts erfahren. Den genaueren Hergang habe ich nicht verfolgt, da
er in spätere als die von mir bearbeiteten Stufen hineinreicht. Nach
F.
Schmidt, der diese Verhältnisse eingehend untersucht hat, liegt
im Mesocardium anfangs nur ein einziger gemeinschafthcher Lungen-
venenstamm. Derselbe ist kurz und wird später in den Vorhof mit

-ocr page 179-

einbezogen. So fand er noch einen Stamm bei 7 wöchenthchen Em-
bryonen; bei einem 14—15 wöchenthchen waren deren zwei vorhan-
den, einer für jede Lunge; bei einem nur wenig älteren hatten sich
bereits alle vier Oeffnungen von einander getrennt, i) ^

Muskel- und Bindegewebsantlieil der Herzwand, Epi-
cardium und Faserringe.

Von der ursprünghchen Herzanlage hefert der äussere Schlauch
die Musculatur und zwar nur die Musculatur. Die bindege-
webigen Bestandtheile der Herzwand nebst den Herzgefässen und
das Pericardium entstammen dem Bndothehalrohre und den Binde-
gewebselementen, welche von der Vorhofswurzel her das Herz er-
reicht haben.

Bei den jüngsten von mir untersuchten Embryonen Lg, Rf u. BB
tritt der Muskelcharakter der Wandzellen deuthch hervor: die mit
grossen ovalen Kernen versehenen Elemente enthalten Züge von
Eibrillen, die bei Lg schon erkennbar, bei Rf und BB sehr aus-
gesprochen sind. Da, wo die Zellen auseinanderweichen, begegne
ich verzweigten dreiarmigen Eormen. Die Muskelzellen rei-
chen zu der Zeit bis zur Aussenfläche des Herzens und
sind von keiner anderweitigen Schicht umgeben. Dagegen enthält
das Innere des Herzens eine zarte Gewebsmasse, welche aus einem
System spinnwebartig ausgebreiteter Eäden besteht. Vom Endothel-
rohr ausgehend erstrecken sich diese Fäden bis zur Muskelwand
und ihnen liegen auch ausserhalb des Endothelrohres kernhaltige
Zellkörper an. Theilweise haben wir es bei letzteren mit verzweigten
Bindesubstanzzellen zu thun, theilweise wohl auch mit Wander-
zellen, die längs der Fäden sich ausbreiten.

Die dem Endothelrohr anhaftende Gewebsmasse reicht bei Lg
nur bis zur Innenfläche der Muskelwand, aber schon bei BB finden
sich in letzterer, zwischen die Muskelzellen eingesprengt, einzelne
eckige, durch ihre dunkler tingirten, relativ kleinen Kerne ausge-
zeichnete Körper. Weiterhin finde ich, dass diese Körper unter sich

1) Literaturnachweis im histor. Capitel.

-ocr page 180-

■:t 172 Das Herz.

verbunden und dass sie einem System durchsichtiger Eöhren ein-
verleibt sind, welche mit den Muskelelementen sich verschränken.
Zuerst tritt innerhalb des Yentrikelraumes eine Umschliessung der
frei hervortretenden Muskelbälkchen durch endotheliale Scheiden
hervor; so bei BB und noch ausgeprägter bei Lr. Bei letzterem
Embryo zeigt sich aber auch der compactere Theil der Wand von
Endothelröhren durchsetzt und Endothelialelemente kleiden nunmehr
alle zwischen den Muskelzellen frei bleibenden Lücken aus.

Auf dem Wege durch die Wand hindurch gelangen die endo-
thelbildenden Zellen bis an die äussere Oberfläche des Herzens
Noch sammeln sie sich bei Lr nicht zu einer zusammenhängenden
Lage. Bei Bl dagegen haben dunkelkernige Zellen die Muskelwand
allenthalben überschritten und bilden nun eine äussere, von der
Muskelwand abstehende Mantelschicht. Es ist dies die erste An-
lage des visceralen Pericardium (Epicardium von
Allen
Thomson). Dasselbe hängt mit der intermuscularen Bindesubstanz
noch allenthalben durch einzelne Streifen zusammen, zwischen ihm
und der Muskelwand liegt ein System communicirender Spalten.
Später gewinnt die Lamelle mehr Selbständigkeit und hebt sich
stellenweise als einschichtige Endothelhaut frei von der Muskelwand
ab (so bei R).

Nach der gegebenen Darstellung erfolgt am Herzen eine vom
inneren Endothelschlauch ausgehende, successiv von innen nach
aussen fortschreitende Durchwachsung mit Bindesubstanzzellen, und
der Vorgang schhesst sich mit Bildung des das Herz umkleidenden
Epicardiums ab. Ein dem eben geschilderten analoger Durchwach-
sungsprocess liefert die seröse Bekleidung im Bereich der Aussen-
wand der Parietalhöhle, worüber die Einzelnheiten bei anderem An-
lasse sollen mitgetheilt werden.

Etwas später als Endocardium und Epicardium legen sich die
Easerringe des Herzens an. Wenn der Ohrkanal in den Ventrikel
sich einstülpt, entsteht, wie wir früher sahen, zwischen beiden Wan-
dungen eine schmale Spalte (Fig.
103). Diese füllt sich bald durch
eine vom Epicardium ausgehende Gewebsmasse aus (Fig.
104 u. 105)
nnd so entsteht um das Ostium venosum herum ein Bindesubstanz-
keil, der nach einwärts in eine dünne Lamelle sich fortsetzt. Letztere
tritt in die peripherischen Klappensegel ein und ihre anatomische

-ocr page 181-

Bedeutung ist "besonders von Henle eingehend gewürdigt worden, i)
Die vom Vorhof stammende endooardiale Lamelle der Klappen-
segel hat sich aus den GewehsMssen entwickelt, welche anfänglich
den Ohrkanal und zwar besonders dessen vordere und hintere Wand
bekleidet hatten.

Eine zweite Bindegewebsquelle des Herzens hat ihren Ausgangs-
punkt an der Porta vestibuli. Von hier aus dringt in früher er-
örterter Weise das Septum intermedium vor, aus welchem die Nodi
der Atrioventricularklappen, sowie die medialen Klappensegel selbst
entstehen. Als eine dritte, übrigens nicht selbständige Quelle er-
giebt sich das Septum aorticum, welches den fibrösen Abschnitt
der Ventrikelsoheidewand liefert.

Die Beziehungen des ausgebildeten Herzens zum
embryonalen.

Wie so manche unserer anatomischen Beschreibungen, so ist
auch die des Herzens von ganz anderen, als embryologischen Ge-
sichtspunkten aus geschaffen worden. Ziemlich allgemein lautet die-
selbe dahin, es sei das Herz ein kegelförmiger Muskel, der äusser-
lich durch eine Kreuzfurche, innerlich durch eine Scheidewand und
durch Klappen in vier Abtheilungen getrennt werde. 2) An diese erste
orientirende Darstellung pflegen sich dann die weiteren Auseinander-
setzungen über Axenstellung, über Klappeneinrichtung u. s. w. anzu-
schliessen, und meistens wissen Esaminanden auf den Grad genau
anzugeben, welchen Winkel die Herzaxe mit der Mittelebene des
Körpers büden soll. Giebt man aber einem Studirenden ein Stück
Kreide in die Hand und lässt ihn ein Herz aufzeichnen, so wird
er, conform obiger Beschreibung, in 9 von 10 EäUen eine kegel-
förmige, durch ein Kreuz abgetheilte Eigur entwerfen, dann aber
auch in die grösste Verlegenheit gerathen, sowie er sich vor die
Aufgabe gestellt sieht, dem Schema die abgehenden Gefässstämme

1) Gefässlehre. 1. Aufl. S. 14 u. f.

2) Eine Abweichung von diesem Herkommen finde ich bei Gegenbaue,
der S. 617 seines Lehrbuches bei der Beschreibung des Herzens an dessen
embryonale Schleifenform anknüpft.

-ocr page 182-

anzupassen. Diese ungemein leicht zu wiederholende Erfahrung
muss stutzig machen, oh es gerechtfertigt ist, heim Unterricht ein
Definitionsschema heizubehalten, das dem Studirenden den Ueber-
gang zur Vorstellung der thatsächlichen Form des Organes so sehr
erschwert. Jedenfalls wird es sich verlohnen, den Versuch zu machen,
ob nicht eine an die ursprüngliche Einfachheit des Herzschlauches
und an seine Schleifenform anknüpfende Darstellung sich finden
lässt, die dem Anfänger correctere Formbegriffe beibringt, als die
herkömmliche Beschreibungsweise.

Ich sehe es nun nicht als meine Aufgabe an, hier eine solche
Normalbeschreibung zu unternehmen, dagegen scheint es mir ange-

Fig. 116.

messen, eine Anzahl von Punkten hervorzuheben, welche die gene-
tische Erläuterung bestimmter anatomischer Einrichtungen geben
können.

Die Grundform des Herzens entspricht derjenigen einer Schleife
mit verschränkt stehenden Schenkeln, einem hinteren absteigenden
und einem vorderen aufsteigenden. Das ursprünglich hufeisenför-
mige Mittelstück der Schleife liefert die Ventrikel, das hintere End-
stück die Vorhöfe, das vordere Endstück die grossen Arterienstämme.
Die beiden Enden der Schleife sind an der Brustwand befestigt, das
Mittelstück ist frei, dazwischen liegt eine quere Lücke,
Henle\'s
Sinus transversus pericardii.

Der Vorhofsschenkel der Herzschleife treibt beiderseits die

Ii!

i\'ï

-ocr page 183-

mächtigen Herzohren hervor, welche den arteriellen Endschenkel
seithch umgreifen. Der Querschnitt des Vorhofstheiles nimmt dem-
nach die Gestalt eines Halbmondes an und diese behält er zeit-
lebens bei. Die Hörner des Halbmondes sind die beiden nach vorn
gerichteten Appendices auriculares.

Der ursprünglich zum Herzen gehörige Bulbus Aortae scheidet
sich vom Ventrikeltheil scharf ab, einestheils durch die Rückbildung
seiner Musculatur, anderntheils durch die an seinem unteren Ende
auftretenden Klappen, und die aus ihm hervorgehenden beiden Ge-
fässstämme, die Pulmonalarterie und die Aorta rechnen wir von da
ab nicht mehr zum Herzen im engeren Sinne. Die Grenze der ur-

sprünglichen Herzanlage wird an den grossen Gefässstämmen durch
die Anheftungslinie des parietalen Pericardialblattes bezeichnet.

An dem Ventrikeltheil der Herzschleife bezeichnet eine ring-
förmige Eurche die primäre Trennungslinie von rechter und hnker
Hälfte. Die einzelnen Abschnitte dieser Eurche sind: der Sulcus
longit. anterior, der Sulcus longit. posterior und der von diesem zur
vorderen Längsfurche sich erstreckende Sulcus circularis dexter. Es
ist dies der Eurchenzug, in welchen sich die beiden Kranzarterien
einlagern. Die hnke Ringfurche hat eine andere Bedeutung als die
rechte, ein Theil derselben entspricht dem Einschnitt, der zwischen
linkem Herzohr und Ventrikel sich hinzieht, der andere Theil aber
ist die Abgrenzung des Sinus reuniens (und zwar seines linken Homes)
vom Herzen.

-ocr page 184-

Von den beiden Schenkeln der Yentrikelanlage kommt der
rechte vor den linken zu liegen. Jener führt zum Conus arteriosus,
dieser zu den Ostia venosa, von welchen Bildungen der Conus arte-
riosus seiner primitiven Anlage nach dem rechten, die Ostia venosa
dagegen dem linken Herzen angehören. Der Aortenursprung spaltet
sich vom Conus arteriosus an dessen Rückseite ab und beurkundet

Fig. 118.

Ventrikelscheidewand und Arterieneingänge vom Herzen des Erwachsenen.
Vordere Wand eines mit Chromsäure gehärteten menschlichen Herzens, die Ostia arte-
riosa sind von der Rückseite her dargestellt, das Detail der Traheculae carneae ist nicht
eingezeichnet. Der Aorteneingang bildet einen in den rechten Ventrikel hereinragenden ;
Vorbau, das unter ihm vorbeitretende Septum membranaceum ventriculi erweist sich als :
die unmittelbare Fortsetzung vom Septum aorticum, d.h. von derjenigen Platte, welche.\'
die Aorta vom Truncus pulmonalis trennt. Jenseits der Vv. semilunares besteht diese\'
Platte aus den gesonderten Wandungen der beiden Gefässe und aus einer dazwischen
geschobenen lockeren Schicht, diesseits von den Klappen verschmelzen die 3 Schichten
zu einer einzigen, welche sich in das Septum membr. fortsetzt.

durch seine bleibende Lage die primäre Zusammengehörigkeit mit
demselben.

Noch am Herzen des Erwachsenen lässt sich die ursprüngliche
Zugehörigkeit der Aorta zum rechten Herzen leicht anschauhch
machen, wenn man die Ventrikelscheidewand von der Rückseite her
präparirt. Eig. 118 stellt ein solches Präparat dar: der Aortenein-
gang überschreitet das Septum musculare und während das letztere

-ocr page 185-

links von jenem in die Vorderwand des Herzens ausläuft, ragt der
Boden des Aorteneinganges gleich einem Erker in den rechten
Ventrikel herüber. Derselbe wird theilweise von den zwischen beide
Arterien eingeschobenen Wandschichten gebildet, theilweise aber vom
Septum membranaceum, das sich als die unmittelbare Fortsetzung
des Septum aorticum zu erkennen giebt.

Die Lage der Ostia venosa ist naturgemäss hinter derjenigen
der Ostia arteriosa, und ihre Scheidung vollzieht sich in früher be-
schriebener Weise vom Vorhof aus, während diejenige der Ostia
arteriosa vom Bulbus aus vor sich geht. Aus der Stellung der pri-
mären Ventrikelschenkel ergiebt sich ferner als selbstverständlich
die Vorlagerung nicht allein des Conus arteriosus, sondern auch
die der Hauptmasse des rechten Ventrikels, sowie die Rückwärts-
schiebung des linken. Die Verschränkung der Schenkel führt zu
einer Einfaltung der Wand und damit zur Anlage der musculösen
Ventrikelscheidewand. Dabei wird ein Theil der ursprünglich an
der Oberfläche hegenden Muskelzüge in die Tiefe einbezogen, und
es entsteht so die Formation des Herzwirbels. Längs der vorderen
Furche müssen die von links kommenden, längs der hinteren Furche
die von rechts kommenden Faserzüge in die Tiefe treten. In secun-
därer Weise schieben sich die oberflächlichen Muskelmassen über
die Spaltenränder weg und verbinden die beiden Ventrikel der
Quere nach.

Die Musculatur der Vorhöfe und diejenige der Ventrikel haben
ursprünglich zusammengehangen. Die Trennung beider Musculaturen
und die Einschiebung eines bindegewebigen Zwischenstückes ist durch
die Einstülpung des Ohrkanales veranlasst worden, einen Vorgang,
welcher auch der Bildung der Atrioventricularklappen zu Grunde
liegt. Es stülpt sich bei der Bildung dieser Klappen nicht nur das
Endocardium ein, sondern die gesammte Herz wand, wobei der ein-
gestülpte Muskelantheil anfangs sich verjüngt, späterhin aber fast
völlig verkümmert.

In Betreff der Vorhöfe ist für das Verständniss ausgebildeter
Zustände, abgesehen von den bekannten Verhältnissen der Scheide-
wandbildung, besonders die Beziehung zum Saccus reuniens von
Bedeutung. Die zum Herzen hintretenden Venen haben sich ur-
sprünglich in einen gemeinsamen Behälter, den Saccus reuniens,

Iiis, MenscM. Embryonen. III. 12

-ocr page 186-

ergossen, dessen nach dem Vorhof hinführende Oeffnung frühzeitig
eine Verschiebung nach rechts erfahren hat. Dieser Saccus reuniens
verschmilzt aber weiterhin mit dem Herzen, seine Unke Hälfte ver-
wächst äusserlich mit ihm und erhält sich als scharf abgegrenzter
Wulst im Sinus coronarius, wogegen sich die rechte Hälfte in den
Vorhof tief hereindrängt und infolge davon, sowie infolge der Er-
weiterung der Oeffnung in diesem aufzugehen scheint. Die Ver-
schmelzung beider Bildungen ist indessen keine absolute, äusserlich
charakterisirt sie sich durch eine wenig bemerkbar bleibende Furche,
innen ist das Gebiet des früheren Saccus reuniens durch die Valv.
Eustachi und durch die Taenia terminahs abgegrenzt; die Mm.
pectinati gehören nur dem primären Vorhof an und endigen in der
Taenia.

Historische Notizen betreffend die Lehre Yon der
Herzentwiclfelung.

In vorzüghcher Weise hat schon Hallee in seiner Schrift „Sur
la formation du coeur du Foulet" die fundamentalen Vorgänge der
Herzentwickelung geschildert: das Auftreten und die äusserliche
Umbildung der Hauptabtheilungen des Organes, die Schleifenform
seiner Anlage, die Kreuzung des arteriellen rechten mit dem venösen
linken Schleifenschenkel, das frühe Vorhandensein und das spätere
Schwinden des Canahs auricularis u. A. m. Ueber die Bildung der
Scheidewände und der Klappen theilt
Halles keine Beobachtungen
mit, er glaubt indessen constatiren zu können, dass der rechte
Ventrikel später entsteht als der linke.

Das frühe Auftreten eines Septum inferius hat v. Baee zuerst
erkannt, indessen verlegt er dasselbe in die Längsaxe des Ventrikels,
und es sollen dadurch zwei, nebeneinander herlaufende Gänge ge-
schieden werden.\') — Die im Innern des Herzens ablaufenden Ent-
wickelungsvorgänge hat unter den älteren Embryologen unseres
Jahrhunderts
Eathke jedenfalls am tiefsten erforscht. 2) Derselbe

1) v. Baeb, Entwickelungsgeschichte. II. 138.

2) Rathke, Entwickelungsgeschichte der Natter. S. 99, 100 und lG2u. f.,
sowie Taf. IV.

-ocr page 187-

Historische Notizen betr. die Lehre von der Herzentwickelung. 179

schildert bereits das Auftreten der ersten Klappenanlagen am Ven-
trikeleingang, sowie die den Kanal einengenden, aus lockerem Ge-
webe gebildeten Längsleisten im Fretum. Das Septum atriorum
(superius) lässt er als einspringende halbmondförmige Falte der Wand
entstehen und das Septum ventriculorum (inferius) schildert er, in
Verbindung mit den Muskelbalken, als einen Strang, welcher unver-
zweigt von der Dorsalwand des Ventrikels gegen das Fretum sich
erstrecke. Aus der Ventrikelscheidewand soll dann weiterhin eine
Leiste gegen das Ostium atrioventriculare hinwachsen, dieses halbiren
und sich in der Folge mit dem oberen Vorhofsseptum verbinden,
bez. mit diesem das Foramen ovale umgrenzen, i)

Bischoff 2), obwohl an Eathke sich anschhessend, ist doch
weniger eingehend als dieser. Ich finde indessen bei ihm die wich-
tige Bemerkung, dass die an der Convexität der Kammeranschwel-
lung auftretende Scheidewand der äusserhch vorhandenen Theilung
entspricht. Mit halbmondförmig ausgeschnittenem Eande soll die
Ventrikelscheidewand sowohl gegen die Vorkammer als gegen den
Aorteneingang hinwachsen und deren Oeflfnungen gleichfalls halbiren.

Sehr fördernd auf das allgemeine Interesse an der Herzent-
wickelung haben A.
Ecker\'s Arbeiten gewirkt, insbesondere auch
vermittelst der unter seiner Leitung entstandenen Wachsmodelle, s)
Von den 10 Nummern der
ziegler\'schen Modellreihe erläutern drei
die Entstehung der Scheidewände. Nr. 7 zeigt das Septum ventri-
culorum; dasselbe setzt mit seinem vorderen Eande neben dem Conus
arteriosus, der äusseren Eurche entsprechend, richtig ein; hinten da-
gegen ist es, um die Halbirung des Ostium venosum zu erreichen,
nicht längs des Sulcus posterior weitergeleitet, sondern es läuft
nach links von diesem, inmitten jener Oeffnung aus. Das Modell 9
zeigt das Septum ventriculorum wie oben, nur reicht es jetzt mit
seinen Verlängerungen sowohl in den Aortenbulbus, als in den Vor-

1) Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte. S. 248. Ausser den oben aus-
führlich behandelten Schriften kommen für Herzentwickelung noch in Betracht :
J. F. M
eckel, Arch. f. Physiol. 1816, Allen Thomson in Froriep\'s Notizen.
1831. Nr. 639, das Lehrbuch von V
alentin, sowie Pbevost u. Lebeet in An-
nales des Sciences nat. Zool. Serie IIL Vol. 1,2 u. 3.

2) Bischofi\', Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte. S. 248.

3) Eckee, Icones physiol. Taf. XXX und Text.

-ocr page 188-

liof hinein. Dazu kommt ein ringförmiges Diaphragma auf der
Grenze von Vorhof und Ventrikel, von
Ecker im Text der Icones
als Limhus bezeichnet. Im Modell erscheint der Limbus als scharf-
randige Scheibe, während aus der Erklärung zu Fig. XXII hervor-
geht, dass
Ecker damit die gewulstete Masse im Auge hat, welche
den Canahs auricularis bis auf eine enge Spalte ausfüllt. — Modell 10
zeigt die Verhältnisse der Vorhofsscheidewand in einem ziemlich vor-
gerückten Stadium. Wie der Text zu Fig. 30 bemerkt, so hat sich
das Septum atriornm in Form einer Leiste auf dem oberen Rand
des Septum ventriculorum und an der Vorderwand des Vorhofes
erhoben, es bildet eine sichelförmige Falte mit einem der oberen
und einem der unteren Wand entlang laufenden Horn. Die voll-
ständige Trennung der Vorhöfe geschieht dadurch, dass von der
Einmündung der Cava inferior aus zwei Klappen in den Vorhof
hineinwachsen. Die rechte Klappe ist die Valvula
Eustachi, die
linke wächst links vom Septum atriorum nach vorn und begegnet
diesem letzteren am Rande des Foramen ovale.

Aehnlich den zuletzt erwähnten Angaben über das Septum atrio-
rum
Ecker\'s sind die von J. Arnold, i) Dieser Beobachter hat seine
Untersuchungen an relativ weit vorgerückten Fötalstufen angestellt.
Er unterscheidet eine häutige und eine musculöse Anlage der Vor-
hofsscheidewand. Letztere besteht im Anfang des dritten Monats
aus einer niedrigen, auf dem Septum ventriculorum aufruhenden, an
der vorderen Vorhofswand befestigten Falte. Rechts und links von
der Vena cava trägt die Rückwand zwei zarte Klappen, von denen
die eine ins linke Atrium hereinragt. Gemeinsam mit der vorderen
Anlage umschliesst diese in der Folge das Foramen ovale.

Die bedeutendste Arbeit über Herzentwickelung nach Rathke
hat jedenfalls Lindes geliefert. Durch eine beobachtete Missbildung
angeregt, hat er an Hühnerembryonen die Entwickelungsgeschichte
des Herzens von frühen Stadien ab studirt, und er ist zu Ergeb-
nissen gelangt, die ihn, wenigstens in Betreff der Ventrikelscheidung,
erhebhch über seine Vorgänger hinaus geführt haben. Er unter-
scheidet drei unabhängig von einander auftretende Anlagen der Herz-
scheidewand: das Septum atriorum, das Septum ventriculorum und

1) ViECHOw\'s Archiv. Bd. 51. S. 220 u. f.

-ocr page 189-

das Septum trunci arteriosi; dazu kommen als vierte Anlage noch
die im Ohrkanal liegenden Atrioventricularhppen hinzu. Mit grosser
Bestimmtheit lehrt
Lindes, dass der Arterientruncus nur der rechten
Herzhälfte angehört, dass das Septum ventriculorum nicht völhg
sich schliesst, sondern dass in ihm eine Lücke bleibt, die zum
Ostium Aortae wird. Dabei zeigt er, dass die Trennung der beiden
Herzhälften durch das Septum trunci arteriosi vervollständigt wird,
das mit dem Septum ventriculorum verwächst und als Septum
membranaceum in den Herzraum hereinreicht.

Die Arbeit von Lindes wird zwar im keeeestein\'schen Jahres-
bericht von
18661), sowie auch bei Beenays^) und in Köllikee\'s
Entwickelungsgeschichte genannt, aber an keiner der genannten
Stellen findet sich ein Wort über ihre Ergebnisse mitgetheilt.
Bal-
eoue
kennt dieselbe gar nicht, und auch in der ausführhchen Em-
bryologie von
Allen Thomson, in der 9. Auflage von Quain-Shae-
pey\'s
Anatomie wird ihrer nicht erwähnt. Ich selbst habe die Arbeit
von
Lindes gleich der in der embryologischen Literatur bis jetzt
unberücksichtigt gebliebenen Arbeit von
Rokitansky erst nach Ab-
schluss meiner Untersuchungen kennen gelernt. Ich hatte bis dahin
geglaubt, die Betheihgung des Septum aorticum an der Bildung der
Herzscheidewand und seine Beziehung zur Pars membranacea septi
und zur Ueberleitung der Aorta zuerst entdeckt zu haben, da der
Eund von
Lindes in keiner der embryologischen Fachschriften Er-
wähnung gefunden hatte.

An Lindes hat sich Rokitansky in seinem Prachtwerke über
die Defecte der Herzscheidewände in allen Theilen angeschlossen,
auf G-rund eigener, am Hühnchen angestellter Untersuchungen.
Rokitansky fasst seine Ansicht dahin zusammen, dass Vorhofs-
und Ventrikelscheidewand als zwei sichelförmige Falten entstehen,
die annähernd in einer Ebene liegen. Beide Sicheln inseriren sich
an die Atrioventricularhppen. Durch die Verwachsung der letzteren
untereinander und durch ihre Verbindung mit der anstossenden Vor-
hofssichel entsteht die obere Scheidewand mit ihrem natürlichen, erst
später sich schliessenden Defect. Durch die Verwachsung mit der

1) Zeitschr. 1\'. rationelle Medicin. III. 30.

2) Morpholog. Jahrbücher. II. 478.

-ocr page 190-

im Ventrikel liegenden Sichel bildet sich die Ventrikelscheidewand, J
deren Oeffnung als Aortenzugang persistirt.

Die älteren Embryologen hatten an der primären Herzanlage
den Gegensatz von Muskel- und von Endothelrohr nicht gekannt.
Nachdem 1867 und 1868 durch
Hensen und durch mich das Innen-
rohr aufgefunden worden war und nachdem ich für das Hühnchen
dessen Bedeutung eingehend erörtert hatte, knüpfte E.
Schmidt an
den neugewonnenen Standpunkt an und veröffentlichte eine sorg-
fältige Untersuchung über die Vorgänge der Herzentwickelung, die
zahlreiche und wichtige Ergebnisse geliefert hat.
0 Schmidt, dessen
dänisch publicirte Arbeit durch ein ausführhches Eeferat von
Pa-
num
auch deutschen Lesern zugänghch geworden ist, giebt zunächst
eine sorgfältige Darstellung von der Einmündung der Venenstämme
in das Herz. Er kennt die Vereinigung der beiden Venae cavae su-
periores zu einem gemeinsamen Behälter (meinem Saccus reuniens).
Er constatirt, dass die Einmündung aller drei Venenstämme im
rechten Vorhof von einer einfachen Klappe (seiner Valv. decrescens)
eingefasst ist, von der er annimmt, dass sie auch die Anlage der
V.
Thebesii mit umfasst. E. Schmidt hat zuerst die ursprünglich
einfache Einmündung der Lungenvenen gesehen und deren spätere
Scheidung in zwei und weiterhin in vier Stämme verfolgt. Aehnlich
wie
Ecker lässt Schmidt die Venenmündung im rechten Vorhof
von zwei Klappen eingefasst sein, wovon die rechte die Valv. de-
crescens ist, die linke zur Scheidewand verwendet wird. Beide Klap-
pen vereinigen sich sowohl an ihrem oberen, als an ihrem unteren
Ende zu einem nach vorn gerichteten gemeinsamen Sporn (vergleich-
bar den Erena der Valv. ileocoecahs). Dadurch entstehen die ersten
Anlagen des Septum cordis.

Sowohl im Aortentruncus als im Ohrkanal beschreibt Schmidt
die von Kathke zuerst gesehenen, von späteren Autoren bis auf
Lindes vernachlässigten weichen Gewebsleisten, welche an dem einen
wie am anderen Orte die Stromlichtung zu einer spaltförmigen ge-
stalten. Br zeigt dann, wie im Aortentruncus die Trennung der
Bahnen von oben nach abwärts fortschreitet, indem die sich gegen-

1) Bidrag til Kundshaben om Hjertets UdviklingsMstorie. Nordiskt Me-
diciniskt Arkiv. Vol.
II. No. 23. 1870. Das deutsche Eeferat von Pahum steht
im Jahresbericht von
Viechow-Hirsch für das Jahr 1870. Bd. I. S. 65.

-ocr page 191-

Überliegenden Längsleisten verwachsen. Dann schildert er, wie
durch Ausglätten der weichen „Endothelkissen" die anfangs drei-
strahlige Lichtung der Röhren cylindrisch wird, und wie schliesslich
die Semilunarklappen aus den ausgeglätteten Endothelkissen hervor-
gehen. In derselben Weise, wie die Trennung der beiden Arterien-
röhren, erklärt
Schmidt auch die Scheidung der Vorhofsostien. Ja
er geht noch weiter, indem er an jedem Punkte des Herzrohres
eine von Endothelkissen eingefasste flache Lichtung voraussetzt und
so die Scheidewandbildung aller drei Herzabtheilungen als einen
einheitlichen, durch Verwachsung der sich begegnenden „Grund-
leisten" vermittelten Vorgang auffasst. Von der Einmündungsstelle
des Hohladerstammes sollen die beiden Grundleisten bis an das
Theilungsende des Truncus aortae reichen, indem sie spiralig durch
das gekrümmte Eohr sich erstrecken.

Schmidt\'s Untersuchungen, soweit sie jüngere Stadien betreffen,
beziehen sich auf Hühnerembryonen. Menschliche Embryonen hat
er nicht jünger als von 7—8 Wochen benützen können und auch
seine Säugethlerembryonen scheinen derselben Stufe entsprochen
zu haben. Zu der Zeit ist aber die Ventrikelscheidewand schon
vollständig geschlossen und so erklärt sich auch, wie gerade die
Angaben über deren Bildung bei
Schmidt einen so hypothetischen
Charakter tragen. Seine Mittheilungen dagegen über das Verhalten
der ins Herz einmündenden Venen und vor allem seine Darstellung
von den Vorgängen im Aortentruncus bezeichnen einen bedeutsamen
Eortschritt unserer Kenntnisse.

Speciell über die Atrioventricularklappen hat 1876 Beenays
eine Arbeit veröffentlicht. 2) Das Material bildeten menschliche Em-
bryonen von der achten Woche ab, sowie Säugethlerembryonen von
1216 mm Länge. Sein Hauptergebniss fasst Beenays dahin zu-
sammen, dass die Atrioventricularklappen in ihrer ersten Anlage
halbmondförmige, rein endocardiale Vorsprünge sind, welche sich
nur secundär mit dem musculösen Balkennetz der Kammerwand
verbinden und hierauf in dem Maasse verkümmern, als der aus
der letzteren differenzirte, bleibende Klappenapparat sich ausbildet.

1) Hierzu vergleiche man Fig. 11 von Schmidt\'s Tafel.

2) Morphol. Jahrbücher. Bd. II. S. 478.

-ocr page 192-

Abgesehen von dem verdickten Wulst am freien Eande nämhch be-,
steht der ganze Klappenapparat eine Zeit lang aus Muskelgewebe und
erst später wird dieser musculöse Klappenapparat sehnig, mit Aus-
nahme der Papillarmuskeln. Die Angabe von der ursprünghch rein
bindegewebigen (endocardialen) Natur der Klappen bezieht sich auf
Thierembryonen, die, nach dem mitgetheilten Schnitt (1. c. Fig. 1) zu
schhessen, etwa auf der Stufe von Fig. 15 Taf. X sich befunden haben.
Dabei ist hervorzuheben, dass die, übrigens ziemhch schematisirte
Figur wenigstens auf der einen (rechten) Seite breite Verbindungen
der Muskelbalken mit der Unterfläohe der Klappen zeigt.

Gegen Schmidt tritt Beenays in einer meines Erachtens un-
gerecht absprechenden Weise auf.
Schmidt geht bei seiner Arbeit
aus von der Unterscheidung zwischen dem Muskel- und dem Endo-
thelrohr des Herzens und von der im Ohrkanal constatirten Exi-
stenz eines weichen, zwischen beide Wandbestandtheile eingelagerten
Gewebspolsters. Letzteres lässt er vom Ventrikel her durch den
Druck der Flüssigkeit comprimirt und ausgeglättet werden, wobei
die Muskelbälkchen mit den durch Verdichtung des weichen Gewebes
entstehenden Klappensegeln in Verbindung bleiben.
Schmidt\'s Vor-
aussetzungen nennt
Beenays Hypothesen und unbestätigte Angaben,
ein Vorwurf, der nur aus einer ünkenntniss der früheren Ent-
wickelungsstufen des Herzens erklärbar erscheint. Für die periphe-
rischen Abschnitte der Atrioventricularklappen ist
Schmidt\'s Dar-
stellung jedenfalls sehr viel correcter, als diejenige von
Beenays,
denn jene zeigen vermöge ihrer Entstehungsweise schon in der
frühesten Zeit ihres Auftretens einen Zusammenhang mit den Bälk-
chen der Ventrikelwand.

-ocr page 193-

Die Aortenbogen.

Aus dem Truncus Aortae, d. h. also aus dem früheren Endah-
schnitt des Herzschlauches entwickeln sich die Aorta ascendens
und der Truncus pulmonalis, soweit als diese Gefässstämme
f
späterhin vom Herzbeutel umschlossen sind, die Aorta somit bis in
die Nähe der abgehenden A. anonyma, der Truncus pulmonalis bis
zu seiner Theilungsstelle. 0 Die Trennung der beiden Blutbahnen
schreitet, wie wir im vorigen Abschnitte gesehen haben, von oben
nach abwärts vor und sie ist schon auf den Stufen S 1 und Eg, d. h. \'
also bei Embryonen vom Beginn des zweiten Monats eingeleitet, bei
Sch mit 5 Wochen vollzogen.
 j

Das obere Ende des Aortentruncus inserirt sich, seiner Ent-
stehung gemäss, in die Vorderwand des Mundrachenraumes, und
zwar liegt bei den jüngsten Stufen von Lg und Ef der Insertionsort
im einspringenden Winkel unter der Verbindungsstelle der beiden
TJnterkieferbogen, zur Hälfte noch in deren Bereich, zur Hälfte
in demjenigen des zweiten Bogenpaares. (Man vergleiche ausser der
nachstehenden Fig. 119 die Figuren 1, 2, 6, 7 und 8 von Taf. IX.)
In dieser Zeit setzt sich der Endothelschlauch des Truncus jeder-
seits in zwei Bogengefässe fort, die nach ihrem Abgang vom Haupt-
rohr, nur wenig von einander divergirend, den Vorderdarm umgreifen
und dann in zwei Aortae descendentes sich fortsetzen.

1) Den Ausdruck Truncus pulmonalis brauche ich im Gegensatz
zu den Aa. pulmonales für das aus dem Aortenbulbus hervorgehende An-
fangsstück des Stammes. Truncus anterior könnte man es auch im Gegensatz
zur Aorta ascendens nennen.

-ocr page 194-

Die Zahl der Aortenbogen nimmt rasch zu und schon auf den
Stufen von M (Taf. VII Mg. 4) und von BB (Taf. IX Fig. 10) sind

deren jederseits fünf vorhanden. Die fünf
Gefässbahnen sind eine Zeit lang gleich-
zeitig offen, die unteren Bogen anfangs
schwächer als die oberen. Schon bei M
und bei BB ist die Insertion des Truncus
sichtlich heruntergerückt: ein aufsteigen-
der Stamm, die spätere Carotis externa,
tritt an das frühere Insertionsgebiet zwi-
schen Unterkiefer und zweitem Schlund-
bogen, ein absteigender giebt den dritten,
vierten und fünften Gefässbogen ab (Taf. IX
Fig. 10 und 14). Der Insertionspunkt des
Endothelrohres liegt in der Höhe zwischen
zweitem und drittem Schlundbogen. Hin-
sichtlich der Stromrichtung liegen der
zweite und dritte Gefässbogen am günstig-
sten, dann folgt der erste und am ungün-
stigsten sind zu der Zeit der vierte und
fünfte gestellt.

Die ersten vier Gefässbogen befinden sich in der Seiten wand
des Hinterkopfes und verlaufen eine Strecke weit innerhalb der

nach aussen sowohl, als nach innen
wulstig sich vortreibenden Schlund-
bogen. Der fünfte Gefässbogen da-
gegen liegt viel weiter medialwärts,
als die vier oberen; er fällt bereits
in den oberen Rumpfbereich und
geht durch das auf Seite 64 als
Crista terminalis bezeichnete Ge-
bilde, das seiner Lage nach der
späteren Cart. arytaenoidea ent-
spricht.

Ziemlich früh entwickeln sich,
von den fünften Bogen ausgehend, zwei zur Lungenanlage herab-
steigende Stämmchen, die Aa. pulmonales dextra und sinistra.

-ocr page 195-

Ihre ersten Anfänge finde ich schon bei Embryo Lr, und sehr deut-
hch zeigen sich die zwei Stämmchen bei den Embryonen Bl, R u. If.
Ferner tritt vom obersten Gefässbogen aus ein Zweig gegen die
Basis des Zwischenhirns und gegen das Auge, als obere Anlage der
Carotis interna und der A. ophthalmica (Taf. IX Fig. 14.)

Mit dem Eintritt der Nackenkrümmung schliesst sich das Ver-
bindungsstück des ersten und bald darauf auch dasjenige des zweiten
Aortenbogens. Als Beispiel für die Anfangsstufe dieser Veränderung
gebe ich in Eig. 121 das Aortensystem vom Embryo Bl: der zweite,
dritte, vierte und fünfte Bogen sind mit der Aorta descendens ver-

bunden; letztere setzt sich nach oben hin in die Carotis interna
fort, welche ihrerseits bis zum Auge verfolgbar ist. Als vorderer Rest
des ersten Bogens aber ist ein Ast vorhanden, der von unten her
zunächst in den Unterkiefer eintritt und der weiterhin auch dem
Oberkiefer Zweige abgiebt. Dieser Ast kann zunächst als A. maxil-
laris communis bezeichnet werden. Vom Anfangstheil des zwei-
ten Bogens geht ein nach vorn gerichteter Zweig ab, welcher gegen
den Mundhöhlenboden hinläuft, und den ich für die A. lingualis
halte.\')

Es ist unschwer zu verstehen, weshalb der erste Gefässbogen

1) Man vergleiche das Heft I S. 80 u. ff. hierüber Gesagte.

-ocr page 196-

nach Eintritt der Nackenkrümmung sich sehliessen muss. Mit letz-
terer complicirt sich, wie dies a. a. 0. gezeigt worden ist (S. 56),
eine Emportreihung des Unterkiefers, in Eolge deren er winkelig
gegen den Oberkiefer herangedrängt wird. Ist schon dies Moment
störend für eine ungehemmte Weiterführung des Blutstromes, so
kommt noch als ein weiteres hinzu, dass mit der Vornüberlagerung
des Kopfes der Aortentruncus und die Carotis externa einander ent-
gegengesetzte Eichtungen bekommen. Dies letzte Verhalten wirkt

ZU Ungunsten der Circulation auch im zweiten Gefässbogen und ist
wohl ein Hauptmotiv für dessen Verkümmerung.

Auf der Stufe, da noch drei Gefässbogen durchgängig und mit
der Aorta descendens verbunden sind, befinden sich die auf Taf. VII
A1 u. B1 abgebildeten Embryonen, sowie Embryo Pr, dessen Aorten-
system ich beistehend reproducire. Ausser der A. lingualis geht
hier von der Wurzel des zweiten Bogen ein Aestchen ab, das die
Eichtung des früheren Schlussstückes einschlägt, ohne jedoch mit
der Carotis interna sich zu verbinden. Da dies Gefäss der Eachen-
wand dicht entlang läuft, so scheint mir dasselbe als A. pharyngé a
ascendens gedeutet werden zu sollen.

-ocr page 197-

Nach obiger Darstellung würden aus dem zweiten Aortenbogen
die A. linguahs und die A. pharyngea ascendens hervorgehen, wäh-
rend aus dem Wurzelstück des ersten Bogens ein Stämmchen sich
entwickelt, welches in das Kiefergebiet eintritt. Ich habe dies oben
als Maxillaris communis bezeichnet, weil aus ihm, soweit ich die
Sache übersehe, die Aa. maxill. externa, maxill. interna und A. tem-
poralis hervorgehen. Die A. occipitalis und die auricularis poster,
glaube ich dem ursprünglich zweiten Bogengebiet zuweisen zu sollen.
Die Auricularis nämlich, deren einer Endast hinter das Ohr, deren
anderer als A. stylomastoidea in den Pacialiskanal tritt, versorgt ein
durchweg dem zweiten Schlundbogen angehöriges Territorium. Wenn
aber die Auricularis dem zweiten Gefässbogen entstammt, so muss
dasselbe von der unter ihr entspringenden A. occipitalis gelten.

Ueber das Auftreten der A. thyreoidea super, besitze ich keine
directen Erfahrungen, indessen bietet gerade dies Gefäss dem Ver-
ständniss wenig Schwierigkeiten, denn da das Mittelstück der Schild-
drüsenanlage von Anfang ab zwischen den beiden Carotiden gelegen
ist, so kann sich, sei es von der Carotis externa, sei es vom Ende
der Carotis communis aus, leicht ein Zweig entwickeln, der auf
kürzestem Weg an dasselbe herantritt. Die vom vierten Bogengebiet
ausgehende untere Schilddrüsenarterie ist ursprünghch für die tiefer
entstehenden Seitenanlagen der Drüse bestimmt, und dieser Beziehung
entspricht ja auch das bleibende Verhalten der Gefässe, wonach die
obere Arterie dem medialen, die untere dem lateralen Theil der
Drüse sich zuwendet.

Schon bei Embryo BI und noch mehr bei Pr ergiebt sich eine
weitere Herabschiebung der Aorteninsertion: das Ende des gemein-
samen Truncus gelangt nunmehr in die Höhe des dritten Schlund-
bogenpaares, nahe vor das obere Ende der Kehlkopfhöhle (dasselbe
gilt auch für die Embryonen A und B von Taf. VII). Eine Eolge
dieser Verschiebung ist die, dass die Zweigvertheilung zwischen dem
auf- und dem absteigenden Hauptast des Aortentruncus eine andere
wird. Bei BI umfasst der aufsteigende Ast die Gebiete der Bogen
I, II und III, d. h. das Gesammtgebiet der späteren A. carotis
communis; der absteigende Ast speist nur noch IV und V. Bei
Pr dagegen ist die Insertion des Truncus bis unter den vierten Bogen
herabgerückt; dem aufsteigenden Ast gehören jetzt die Gebiete I—IV

■ ^

-ocr page 198-

an, d.h. rechts das Gesammtgehiet der A. anonyma, hnks dasjenige
des Arcus Aortae; dem absteigenden Ast gehört nur noch der Bogen V
und die von diesem sich abzweigende A. pulmonahs.

Von diesem zuletzt betrachteten Zeitpimkt ab entwickelt sich
die Scheidung der beiden Strombahnen des Aortentruncus. Indem
das Septum vom Insertionsende aus gegen das Herz hin vorrückt,

trennt dasselbe die Bahn, die mit dem linken Herzen, von der, die
mit dem rechten zusammenhängt. An der Insertionsstelle des Truncus
liegt jene Bahn höher als diese, und so ergiebt sich naturgemäss,
dass sie in den Eamus ascendens, die andere aber in den Eamus

-ocr page 199-

descendens sich fortsetzt. Die Aorta ascendens speist auf die Weise
die vier oberen Bogensysteme, der Truncus pulmonalis dagegen nur
das fünfte. Für die definitive Zutheilung der Gefässe zu der einen
oder zur anderen Hauptbahn ist es demnach von entscheidender Be-
deutung, dass die Trennung des Truncus aorticus durch das Septum
erst von dem Moment an beginnt, da seine Insertionsstelle zwi-
schen die Abgangsstelle vom vierten und fünften Bogen herabge-
rückt ist. 1) Wäre die Trennung früher eingetreten, z. B. auf der
Stufe Bl, so würde der Truncus pulmonalis auch die vierten Bogen,
oder noch früher bei BB die dritten Bogen mit gespeist haben, ja
bei Lg, wo nur der erste Bogen Eamus ascendens, der zweite schon

Eamus descendens ist, wäre demselben sogar das Gebiet des zweiten
Bogens mit zugefallen.

Auch nach Trennung der beiden Truncusbahnen bleibt die In-
sertionsstelle nicht stehen, sondern sie schiebt sich immer weiter
herab, bis sie dann schliesslich unterhalb der Bifurcationsstelle der
Trachea ihre bleibende Stätte erreicht. Bei Eg (Eig. 124) liegt sie
schon vor der unteren Hälfte des Kehlkopfes, bei S1 (Eig. 123) unter-

1) Ich kann nicht umhin, hier nochmals darauf hinzuweisen, wie un-
richtig die Vorstellungen sind, welche durch die in den Lehrbüchern üblichen
Bogenschemata begründet werden. Eine Aorta ascendens, welche sich erst
spaltet und dann jederseits fünf Bogen entsendet, giebt es zu keiner Periode
der Entwickelung (Heft I S. 82).

-ocr page 200-

halb des Kehlkopfgebietes, und noch weiter unten liegt sie bei Sch
(Fig. 125). Zugleich rücken der vierte und der fünfte Bogen tiefer
herab. Beide treten anfangs neben der oberen Kehlkopfhälfte vor-
bei, verlassen aber weiterhin das Gebiet des Kehlkopfes, um sich
der Trachea entlang in tiefere Regionen zu senken. Dabei wird
auch der unter dem fünften Bogen vorbeitretende N. laryngeus in-
ferior mitgenommen und allmähhch zum N. recurrens gemacht.
Schon bei Embryo Sch ist der K laryngeus inferior rückläufig (S. 89
Fig. 62) und tritt links dicht unter dem fünften, rechts unter dem
vierten Bogen vorbei.\')

Beim Herabsteigen der Aorteninsertion und der unteren Gefäss-
bogen verlängert sich naturgemäss auch mehr und mehr die Caro-
tis communis, die, wie wir oben sahen, als ein anfangs kurzer
gemeinsamer Ast der drei oberen Paare bestanden hatte (Fig. 121).

Des Zusammenhanges halber habe ich einige allgemeine Ver-
hältnisse vorweg behandelt und ich komme nun auf die Einzeln-
heiten zurück, zunächst auf das Verhalten der Carotis interna,
bez. ihres Anfangstheiles: der dritte Gefässbogen tritt bei Pr in
einem S-förmig geschwungenen Verlauf nach der Aorta descendens
hin, und er hängt nach aufwärts mit der Carotis interna, nach abwärts
durch die Aorta descendens mit den beiden unteren Gefässbogen
zusammen. Erstere Verbindung geschieht unter spitzem, letztere
unter stumpfem Vi^inkel. Dabei ist aber der Strom voraussichthch
ein vorwiegend nach oben, in der Richtung der Carotis interna hin
gerichteter. Von der Mitte der fünften Woche ab wird die hintere
Verbindung zwischen dem dritten und dem vierten Bogen unter-
brochen, und von da ab ist der dritte Bogen einfach zur Wurzel
der Carotis interna geworden. Bei S 1 (Fig. 124) hat er noch die
mit dem vierten Bogen parallele Richtung und er biegt unter
spitzem Winkel in den der hinteren Pharynxwand entlang laufenden
Gefässstamm um. Allein je weiter die Truncusinsertion herabrückt,
um so steiler richtet sich auch das Wurzelstück der Carotis auf
und um so mehr nimmt dessen Üebergang in den
retro-pharyngealen
Theil die Gestalt eines sanftgeschwungenen Bogens an (Fig. 125)._

1) Ueber die constanten Beziehungen des N. recurrens vagi zu den Aorten-
bogen vergleiche man den Aufsatz von A.
Brennbk im Archiv für Anat und
Physiol., anat. Abth. 1883. S. 373.

-ocr page 201-

Die Carotis interna besteht obiger Darlegung zufolge aus drei gene-
tisch differenten Strecken. Das Endstück entsteht als selbstän-
diges Astgebiet über dem obersten Aortenbogen und ist eine an-
fänghche Dependenz von diesem. Das Mittel stück entwickelt sich
nach dem Eingehen der ersten zwei Aortenbogen aus dem oberen
Ende der Aorta descendens, wobei die früher absteigende Strom-
richtung zu einer .aufsteigenden wird. Das Wurzelstück der
Carotis interna entsteht in der eben betrachteten Weise aus dem
dritten Aortenbogen.

Arteriae vertebrales und A. basilaris. Schon bei der
Beschreibung der Embryonen A und B im ersten Hefte habe ich
(I. S. 81) zweier Längsgefässe gedacht, welche der vorderen Hirn-
kante folgen und von denen ich damals vermuthete, dass sie die
Kopfstücke der Aa. vertebrales seien. Die Vermuthung ist richtig
gewesen, und ich finde die betreffenden Gefässe sogar schon bei den
Embryonen E und Bl. Sie sind hier, im Vergleich zur Carotis in-
terna, noch schwach und nicht bis zur Verbindung mit der letzteren
nachzuweisen. Auch laufen die Stämmchen zu der Zeit ihrer ganzen
Länge nach neben einander, ohne zu einer unpaaren A. basilaris sich
zu verbinden. Nach rückwärts sind sie bis zur Schädelgrenze ver-
folgbar und biegen hier in starkem Winkel lateralwärts um.

Bei Embryo Pr ist durch das theilweise Zusammentreffen der
Aa. vertebrales eine kräftige Basilararterie entstanden; die vorderen
Endäste derselben gehen in die Enden der Carotis über und so
kommt es zur Bildung eines Circulus
Willisii (Eig. 122).

Weit später als die Entwickelung des Kopfstückes erfolgt für
die Aa. vertebrales die Entstehung eines zusammenhängenden Hals-
theiles. Bevor ein solcher zu Stande kommt, ist am Hals-, gleich
wie am Brust- und Bauchtheil des Körpers eine Eeihenfolge von
Intervertebralgefässen vorhanden, welche die Wirbelanlagen einzeln
umgreifen und bis zum Eückenmark vordringen. Die obersten von
diesen Intervertebralgefässen hängen mit dem Anfangstheil der A.
vertebralis cephalica zusammen. Der Stamm der A. ver-
tebralis cervicalis entsteht dadurch, dass die Intervertebral-
arterien unter einander zu einer neben den Halswirbeln gelegenen
Anastomosenkette zusammenfliessen und dass, unter Verkümmerung
der oberen Zuflüsse, ein unterer allein übrig bleibt. Ich vermag

His, Mensclil. Embryonen. IU. i3

-ocr page 202-

erst von der Stufe vom Embryo Sl an eine zusammenhängende
A. vertebralis cervicalis nachzuweisen. Dieselbe tritt, gegenüber von
der Einmündungsstelle des fünften Bogens, aus der Aorta descendens
hervor und sie erreicht die Wirbelsäule am sechsten Halswirbel.
Unterhalb dieser Stelle folgt eine Kette von Intervertebralgefässen,
die späterhin zu den Aa. intercostales werden.

Da, wo der Stamm der A. vertebrahs an den Nerven wurzeln
des Plexus brachialis vorbeiläuft, zweigt sich ein Gefäss ab, welches
diesen begleitet, und das somit als der erste Anfang einer Extre-
mitätenarterie sich darstellt. Wenn ich diese als A. subclavia
bezeichne, so geschieht es mit dem Vorbehalt, dass die Bezeich-
nung zuviel besagt, da das Stämmchen entschieden nicht das ganze
spätere Subclaviagebiet deckt. Mit der Bezeichnung A. axillaris würde
zu wenig gesagt sein.

Eückbildung der Aorta descendens dextra. Schon
bei jüngeren Embryonen finde ich die beiden Aortae descendentes
von ungleichem Caliber, die hnke stärker denn die rechte, und
zwar tritt das Ueberwiegen des linken Stammes unterhalb der Ein-
mündung des vierten Bogens ein. Ich vermisse auf den Stufen
von M, BB, Lr, ß, E und Bl bei keinem der Embryonen einen
Unterschied der beiderseitigen Stämme; allein es ist derselbe nicht
bei allen gleich ausgesprochen. Während bei M, bei Lr und bei Bl
das Verhältniss der Durchmesser stellenweise wie 2:1 ist, sind bei
anderen, wie bei BB und bei die Gegensätze viel geringer. Als
Grund des einseitigen Ueberwiegens sehe ich die schräge Insertion
des Aortentruncus an, vermöge deren der Blutstrom an die links-
seitigen unteren Bogen unter einem günstigeren Winkel herantritt,
als an die rechtsseitigen, i)

Auffallenderweise tritt ein Zeitpunkt ein, während dessen der
Unterschied der rechten und hnken Aorta nahezu verwischt erscheint.
Sowohl bei den Embryonen A und B, als bei Pr ist eine Differenz
beider Stämme nicht in die Augen fallend. Immerhin ist mir un-
wahrscheinhch, dass eine solche ganz und gar geschwunden sei.
Zu genaueren Messungen behufs einer genauen Entscheidung der
Erage eignen sich meine Schnitte deshalb nicht, weil im betreffen-

1) Heft I. S. 123.

-ocr page 203-

den Abschnitt die Aorten sehr schräg oder sogar longitudinal ge-
troffen sind.

Mag dem sein wie ihm will, es tritt jedenfalls im weiteren
Verlauf der Entwickelung der Unterschied beider Aorten wieder sehr
auffallend hervor, so bei Eg und noch mehr
bei S l. Schon auf der Stufe von Sch, also
beim 5 wöchentlichen Embryo, ist der fünfte
Bogen der rechten Seite und zugleich damit
auch das Verbindungsstück der Aorta descen-
dens dextra eingegangen. Der vierte rechte
Bogen läuft nunmehr in die A. vertebralis
und subclavia aus.

Abgesehen von den relativen Grössen-
verhältnissen der einzelnen Stämme sind
jetzt die Verhältnisse der Hauptäste so, wie sie bis zur Geburt
bleibend sich erhalten. Der aus dem linken Herzen kommende

Vergr. 24.

Truncus Aortae oder die spätere Aorta ascendens spaltet sich
in eine rechte und eine linke Hälfte (je einen Eamus ascendens der
Darstellung von S. 189); erstere, weit schwächer denn letztere, ist
die spätere A. anonyma, von welcher das gemeinsame Wurzelstück
von den Bogen 3, 2 und 1 als Carotis communis abgeht, nebst
dem vierten Bogen oder der nunmehrigen A. subclavia. Der
linke Hauptast des Aortentruncus bildet den Arcus Aortae, der so-

13*

-ocr page 204-

mit der A. anonyma gleichwerthig ist. Davon spaltet sich wiederum
die Carotis communis und subclavia sinistra ab, während an der
concaven Seite der fünfte Bogen oder Ductus
Botalli in ihn ein-
mündet. Der Truncus pulmonalis hatte sich noch auf der
Stufe von Eg in zwei Aeste gespalten, von denen jeder eine A. ptil-
monahs abgegeben hatte. Nachdem das rechtsseitige Verbindungs-
stück zur Aorta descendens geschwunden ist, bleibt die rechte A.
pulmonahs als Eest dieser Seite übrig. Während somit beim Trun-
cus Aortae der primitive Theilungswinkel zwischen A. anonyma und
Arcus Aortae hegt, fällt derselbe beim Truncus pulmonahs zwischen
die rechte Pulmonalarterie und den Ductus
Botalli, es ist daher
unrichtig, wenn die übhchen Schemata die rechte Pulmonalis vom
hnken fünften Bogen ableiten.\')

Im Gegensatz zu manchen Lehrbuchdarstellungen mag hier be-
tont werden, dass die aus dem Arcus Aortae entspringenden grossen

Stämme auch beim Erwachsenen stets
die verlängerte Richtung der Aorta
ascendens innehalten und demgemäss
auch niemals rechtwinkelig zum Bogen
stehen.

Die Strecke der Aorta zwischen
der abgehenden Subclavia sinistra und
der Insertion des Ductus
Botalli ist
beim Fötus enger, als die Strecke
unterhalb der letzteren. Reste dieser
Differenz erhalten sich, wie ich aus
der Vergleichung zahlreicher injicirter
Stücke ersehe, beim Erwachsenen in
einer sehr merklichen Weise. In-
jectionspräparate der Aorta zeigen,
jenseits vom Abgang der A. subclavia, eine oft nicht
unerhebhche
Verjüngung, auf welche beim Üebergang in die Aorta descendens eine
spindelförmige Auftreibung folgt. Ich bezeichne die beiden Strecken
als Aortenenge und Aortenspindel. Auf der
Grenze beider hat
das Eohr an seiner Concavität meistens eine ausgeprägte Einknickung.

1) So neuerdings bei Gegenbaue, Lehrbuch der Anatomie. S. 640.

-ocr page 205-

Letztere scheint bereits von Henle und von Luschka beachtet wor-
den zu sein.
Henle sagt nämlich in seiner Gefässlehre (1. Aufl.
S. 79), dass die Insertion des Ductus arteriosus zuweilen einer merk-
lichen Einschnürung entspricht, und bei
Luschka (Lehrbuch der
topogr. Anat., Brust, S. 429) wird ausdrücklich hervorgehoben, dass
das Aortenrohr zwischen dem Abgang der A. subclavia sinistra und
der Insertion des Ligam. arteriosum etwas enger als im übrigen
Verlauf, „ja bisweilen sogar merklich eingeschnürt" ist. Hinweise
auf die spindelförmige Anschwellung der Aorta geben die genannten
Autoren nicht, wie ich deren auch in der sonstigen gangbaren Lite-
ratur keine vorgefunden habe.

Nach den an 15 injicirten und getrockneten Präparaten ange-
stellten Messungen beträgt der mittlere Durchmesser beim erwach-
senen Menschen:

für die Aorta ascendens unmittelbar unter

dem Truncus anonymus 29.6 mm

für die Aortenenge 22.4 =

für die Aortenspindel 25.4

für die Aorta descendens jenseits der Spindel 22.3 =

Die mittlere Caliberdifierenz zwischen Aortenenge und Aortenspindel
beträgt sonach 3 mm. Als Maximum dieser Difierenz habe ich 5 mm,
als Minimum 1 mm gefanden, letzteres nur zweimal unter den
15 Fällen.

Gleich der absoluten und relativen Mächtigkeit wechseln die
Längen von Aortenenge und Aortenspindel je nach den Individuen.
Beide Bildungen sind auch am feuchten, nicht injicirten Eohr zu
erkennen; sie unterscheiden sich hier nicht allein durch das ver-
schiedene Caliber, sondern überdies durch erheblich verschiedene
Wanddicke. Schneidet man das Eohr an seiner concaven Seite
auf, so findet man ganz unerwartet grosse Differenzen in nahe bei-
sammenliegenden Strecken; so finde ich z. B. an einem Präparat
mit Hülfe eines mikrometrischen Messapparates:

für die Aorta ascendens 1.621 mm Wanddicke

für die Aortenenge 0.562 ^^

für die Aortenspindel 1.371 = ^

Der Uebergang von der dünnen Strecke der Aortenenge zur dickeren

-ocr page 206-

der Spindel erfolgt ziemlich rasch, an der Insertionsstelle des Ductus
Botalli,

Dies ungleiche Verhalten der Wand bietet ein besonderes physio-
logisches Interesse dar, denn es ist zu erwarten, dass den Strecken
von so verschiedener Wanddicke im Innern des Rohres auch eine
ungleiche Vertheilung des Blutdruckes entspricht. Um diese Frage
gehörig zu discutiren, bedarf es einer Vergleichung der Dicken-
schwankungen der Aorta mit denjenigen anderer grosser Arterien.
Darauf einzugehen darf ich um so mehr unterlassen, als die Aufgabe
zur Zeit an der hiesigen Anstalt speciell bearbeitet wird.

Die Bildung der Aortenwand. Die primitiven Aorten,
gleich wie die übrigen primitiven Blutgefässe, bestehen zur Zeit ihres
erstens Auftretens aus einem einfachen Endothelrohr. In einer, an-
fangs sehr unscheinbaren Weise legt sich die T. media an und erst
mit Beginn des zweiten Monats gewinnt dieselbe ein etwas com-
pacteres Gefüge. Beim Durchgehen meiner Präparate gelange ich
zu folgenden Anschauungen. Schon bei Embryo Lg, noch deuthcher
aber bei BB liegt um das Endothelrohr der Aortae descendentes
herum ein Kranz von Zellen, die sich da etwas dichter zusammen-
drängen, als in der weiteren Umgebung. Eine bestimmte Gesetz-
mässigkeit in der Lagerung der Zellkörper vermag ich noch nicht
zu constatiren, manche derselben stehen mit ihrer Längsaxe schräg
zur Gefässaxe. Auch habe ich kein Criterium, um zu entscheiden,
inwieweit es sich nur um Muskel- oder zugleich um Muskel- und
Bindegewebszellen handelt. In Betreff der ersteren bin ich für das
Hühnchen Vorjahren zum Ergebniss gelangt, dass sie aus der tie-
feren Schicht der Urwirbelrinde, bez. aus der entsprechenden Schicht
der Kopfplatten hervorgehen und sich schon ziemhch früh um die
Aorten herumlegen, i) Zur Controlle dieser Auffassung haben mir
die Schnitte menschlicher Embryonen keine Anhaltspunkte gewährt.

Die Zellen, welche um die Aorten herumhegen, nehmen all-
mähhch concentrische Schichtung an. Schon bei den Embryonen R
und Bl, und noch mehr bei Pr sind einige Lagen von spindelförmigen
Zellen nach aussen vom Endothelrohr befindlich. Die Zahl dieser
Lagen ist noch keine sehr grosse (2—3) und auch ihre Schichtung

1) Monogr. der Hühncbenentwickelung und Körperform. S. 35.

-ocr page 207-

keine sehr dichte. Von der Stufe von S1 aber und noch mehr von
derjenigen von Sch ab hat die Aortenwand ein weit ausgeprägteres
Gefüge angenommen. Es oharakterisirt sich nunmehr die T. media
als ein aus gedrängt liegenden Spindelzellen gebildeter Ring von
vielfacher Schichtung. Dazu kommt als neue Bildung die Anlage
einer dickeren T. intima hinzu. An der Innenfläche des Muskelringes
nämflch hat sich eine 2-3fache Lage von Zellen gebildet, welche
nicht oder nur wenig abgeplattet und dabei auch trüber und körner-
reicher sind als die Elemente der Media. Es handelt sich hier
unzweifelhaft um Zellen parablastischer Abkunft, mögen dieselben
durch den Muskelring hindurch zur inneren Gefässfläche gelangt, oder
mögen sie, was mir wahrscheinflcher ist, aus Zellen des Blutstromes
selbst hervorgegangen sein. Der Endothelschlauch bewahrt übrigens
eine gewisse Unabhängigkeit von der übrigen Anlage der Intima,
und noch auf der Stufe von Zw flnde ich an Durchschnitten das
endotheflale Innenrohr stellenweise collabirt und von der übrigen
Intima abgehoben. Als erste Andeutung einer T. adventitia ist das
aufgelockerte Gewebe aufzufassen, welches die Muskelwand der Aorta
von aussen her umgiebt.

-ocr page 208-

Von der Umbildung der zum Herzen führenden
grossen Venenstämme. 0

Es sind in einem früheren Capitel (S. 143) die Venen aufge-

uSr a\'^Lm pZuÄr. K Vena omph.-mes.. F. Venanmbil.

S n caxd°n^ F « "\'^\'^bl.ängig gewordenes Endstück der Nabelvenen, V.J u. fTvv
P n ff \' ® ^eia cava sup. dextra n. sinistra, F. A Vena hepatica Ä r Sinn«
leuniens, i> Oeffnungen des Sinus reuniens in den Vorhof un der Porta vestibuli, Bauohsüel
Das Eingevfeiderohr ist punktirt dargestellt. oauonbtiel.

zählt worden, welche theils von der Nabelblase, theils vom Körper
her das Blut zum Herzen führen: die Dottervenen, die Nabel-

_ 1) Ueber die in diesem Capitel behandelten Verhältnisse habe ich 1883
bei der anat. Section der deutschen naturf. Gesellschaft in Freiburg i/B. eine

-ocr page 209-

venen, die Cardinal- und die Jugularvenen. Die Cardinal-
und die Jugularvenen verbinden sicli jederseits zur oberen Hohl-
vene (oder dem Ductus
Cuvieri). Diese trifft zuerst mit der Nabel-
vene zusammen und tritt dann im Septum transversum medianwärts
dem entsprechenden Stamm der anderen Seite entgegen; vor der

Vereinigung der beiden erfolgt sodann die Einmündung der Dotter-
venen. Gemeinsamer Sammelraum sämmtlicher Blutbahnen ist der

Mittheilung gemacht; der gedruckte Bericht enthält allerdings nur deren Titel,
da mh der Abdruck einer Notiz ohne Abbildungen nutzlos zu sein schien.

-ocr page 210-

unter dem Zwerclifell liegende Sinus reuniens (Taf. IX Fig. 7
bis 10 und S. 144 Fig. 92), und es ist der Nachweis geführt worden,
dass dieser Behälter im Laufe der Entwickelung seine primäre Stel-
lung verlässt und sich dem Herzvorhof anschliesst. Es handelt sich
nunmehr darum, die Umbildung der einzelnen Stammsysteme zu
verfolgen, und zwar kann ich mich auf die von unten her kommen-
den Venen beschränken, da die Ümlagerung der V. cava superior
schon an früherer Stelle erörtert worden ist (S. 145).

Fig. 132. Flg. 133.

Querschnitte durch die Leheranlage vom Embryo Bl. Vergr. 36. Fig. 132 stellt den höher
gelegenen Schnitt dar und zeigt den oberen Gefässring in einem grossen Theil seines üm-
fanges. In Fig. 133 ist die hintere Verbindung der zwei Dottervenen zu sehen.

Die Venae omphalomesentericae sind ursprünglich doppelt
angelegt und sie steigen vor dem Darmrohr und mit diesem ver-
bunden bis in die Nähe des abgehenden Leberganges, alsdann wen-
den sie sich etwas dorsalwärts und kommen seitlich von Darm und
Magen zu liegen, wobei sie in einer besonderen Ausladung von
deren Wand eingeschlossen erscheinen (Taf. XI BB Fig. 9
,3 bis 8,4
und Lr 23 d bis 19 c).

Zwischen den neben einander herlaufenden Dottervenen bilden
sich von ziemlich früh ab quere Verbindungen (Taf. XI BB
8,7 und
Lr 21 c). Auf den Stufen der Embryonen Bl und E sind drei Ver-
bindungsbogen vorhanden, zwei vor und einer hinter dem Duodenum
liegend. Dieselben sind so angeordnet, dass der Darm von zwei
Gefässringen eingefasst wird, welche mit ihren hinteren Abschnitten
unter einander verbunden sind. Die Verbindungsstelle der beiden
Gefässringe liegt in der Höhe der Pankreasanlage. Der untere Ring

-ocr page 211-

tritt zuerst auf, ihn hahe ich seiner Zeit schon hei Emhryo a auf-
gefunden und dargestellt (Heft I S. III u. 115 und Taf. VHI « 4,
sowie 21—24). 0

Währenddem diese Querverbindungen zwischen den beiden Dot-
tervenen entstanden sind, hat sich auch das Verhältniss zwischen
dem unteren und dem oberen Theil ihrer Stämme erheblich ge-
ändert. An Stelle der zuvor einfachen Verbindung hat sich schon
von den Stufen von BB und Lr ab (Taf. IX Fig. 12 — 15) ein Ge-
fässnetz entwickelt, das mit der zunehmenden Ausbildung der Leber
immer reicher wird. Die unteren Abschnitte der Dottervenen er-
scheinen nunmehr als die zuführenden Gefässe der Leber und, wie
dies auch Fig. 130 zeigt, so gehen aus dem oberen Ring mehrfache
Gefässstrahlen aus, welche in das Netz der eigenthchen Lebercapil-
laren ausmünden. Die oberen Enden der beiden Vv. ompbalomesen-
tericae verhalten sich dagegen als die ableitenden Sammelbahnen
der Lebercapillaren, d.h. als die Anlagen der Lebervenen, und
sie führen das durch die Leber getretene Blut jederseits dem Sinus
reuniens zu. Die Lage ihrer Wurzeln innerhalb der Leber ist eine
durchaus charakteristische. Die Leber bildet nämlich eine zwischen
den Magen und das Diaphragma eingeschobene Substanzplatte,
welche jederseits einen frei in den Bauchraum hereinragenden Lap-
pen trägt. Die zwei Lappen umgreifen die Magenanlage von den
Seiten her und laufen dorsalwärts in eine mehr oder minder scharfe
Kante aus (Taf. XII R 50—58). Die Wurzeln der Venae hepaticae
hegen in der Nähe dieser hinteren Leberkanten, und sie wenden

1) Fol , welcher auf Grund seiner an einem 5.6 mm langen Embryo ge-
machten Erfahrungen mehrere von meinen an Embryo « gemachten Ergeb-
nissen beanstandet, zeigt sich auch geneigt, die Existenz eines Sinus annu-
laris zu bezweifeln. Meines Erachtens ist über einen solchen nicht zu streiten,
es giebt sogar zwei solche Eingsinus. Die Bemängelung meiner Figur Tafel
Vni (X 4 wegen angeblich verschränkter V. umbilicalis hätte wohl bei einiger
Aufmerksamkeit können vermieden werden. Aus dem Verhalten zu den Um-
bilicalarterien und aus dem blassen Druck des Streifens hätte
Fol erkennen
können, dass das abgebildete Gefäss nicht die rechte, sondern die linke Nabel-
vene ist, dessen oberes Ende durch die durchsichtig gedachte Leber hindurch
bis zum Eintritt in den Sinus reuniens verfolgbar erscheint. Das Verhältniss der
Leber zum jenseitigen Gefäss hätte der Lithograph vielleicht noch etwas deut-
licher markiren können, immerhin lässt auch hier die Deckung der Vene durch
die untere Lebercontour keinen Zweifel über die Intention der Zeichnung.

-ocr page 212-

sich im oberen Abschnitt der Leber in einem Bogen nach vorn, um
den Sinus reuniens zu erreichen. Vergleicht man damit das Ver-
halten der Dottervenen auf jüngeren Stufen (z. B. bei Lg Taf. XII
120 u. 112, bei BB Taf. XI 9,3—8,i und besonders bei Lr Taf. XI
21 c bis 19 b), so kann man erkennen, dass dasselbe zur Formbil-
dung der Leber in unmittelbarster Beziehung steht. Die neben dem
Magen hegenden dorsalwärts gerichteten Ausladungen, in denen die
Dottervenen hegen, sind die Vorgebilde der beiden Seitenlappen der
Leber. Wenn dieselben bei zunehmender Entwickelung des Leber-

Venenstämrae vom Embryo E, von vorn und im Profil. Vergr. 40. Bei Fig. 134 Ist der
eröifnete Sinus reuniens senkreclit scliraffirt.
V. A Vena Akanzii.

gewebes an Umfang zunehmen, behalten die aus den Dottervenen
hervorgegangenen Vv. hepaticae ihre Lage in der Nähe des dorsalen
Eandes bei, sie werden um so weiter nach rückwärts verschoben, je
mehr von vom her das eigenthche Lebergewebe überhand nimmt.

Venae umbilicales. Die beiden Nabelvenen verlaufen in
der seithchen Bauchwand, ganz nahe an deren Umbiegungssaum in
das Amnion (Taf. XI Lr 23d bis 21 c und BB 12,lo bis
8,7). Da, wo
die seithche Bauch wand das Septum transversum erreicht, gehen
die Nabelvenen in dieses über, und sie nehmen ihren Weg nach dem
Sinus reuniens dicht unterhalb des Zwerchfells und über der pri-
mären Leberanlage vorbei. Die unteren Enden der beiden Nabel-
venen kommen aus den Seitenrändern des Bauchstieles, und sie ent-

-ocr page 213-

stehen als Theilzweige eines unpaaren, hinter dem Allantoisgang ge-
legenen G-efässstammes, der erst mit der Annäherung an das Chorion
wieder in getrennte Wurzeln sich auflöst (Taf. IX Fig. 6, 7, 9, 10 u. 14).
Dieser unpaare Stamm findet sich schon bei dem jüngsten meiner
construirten Embryonen, bei Lg.

In ihrer weiteren Entwickelung verhalten sich die beiden Nabel-
venenstämme verschieden: der rechte, von früh ab etwas schwä-
cher als der linke, geht an seinem der Leber zugewendeten Ende
in mehrere Aeste auseinander (so schon bei Lr Taf. IX Fig. 15), und
weiterhin erscheint bei Bl und bei E seine Verbindung mit dem
oberen Abflussrohr unterbrochen. Statt dessen flnden sich verschie-
dene der Bauchdecke angehörige Seitenäste, das Gefäss ist nunmehr

Fig^ise.

ZU einer Bauchdeckenvene geworden und die Stromrichtung hat
sich von einer aufsteigenden zu einer absteigenden umgewendet.\')
Im Uebrigen scheinen einzelne Zweige des Stammes in der Leber
zu wurzeln, und selbst auf der verhältnissmässig späten Stufe vom
Embryo Eg bekomme ich noch Bilder, welche ich als einen Zusam-
menhang der rechten Nabelvene mit der Leber deuten muss.

Für die linke Nabelvene tritt, wie für die rechte, eine Unter-
brechung der ursprünglichen Abflussbahn ein. Der längs der Bauch-

1) Das Verhalten der rechten Nabelvene habe ich bei meinen im ersten
Heft gegebenen Bearbeitungen nicht verstanden, ich hatte zwar Theilungen
derselben wahrgenommen, dieselben aber nicht für etwas principiell Wichtiges
angesehen.

-ocr page 214-

wand heraufsteigende Stamm geht in der Höhe des Septum trans-
versum in mehrere Zweige auseinander, von denen einer als Hauptast
unter der Leber durch schräg nach aufwärts zum Sinus annularis
hintritt und in diesen einmündet. So finden sieh die Verhältnisse
mit Bestimmtheit von der Stufe von Embryo R ab. Das Nabel-
venenblut erfährt damit seine Zuleitung nach der Leberpforte hin;
dabei muss sich mit dem vom Chorion herkommenden Blut dasjenige
vermengen, welches von den Bauchdecken herstammt, da ja die rechte
Nabelvene keinen anderen Abfiuss hat, als nach der linken hin.

Die über der Leber befindhchen Endstücke der primären Nabel-
venen verkümmern nicht mit einem Male, sie erhalten sich auf bei-
den Seiten noch eine Zeit lang als schwache kleine Stämmchen, die
von oben und von unten her aus der Leibeswand Blut aufnehmen
und dasselbe dem Sinus reuniens zuführen.

Vena ascendens oder V. Aeanzii. Während einer kurzen
Frist steht der Sinus annularis mit den höher gelegenen Blutbahnen
nur durch Vermittelung der Lebercapillaren in Zusammenhang. Dann
aber bildet sich unter den vom Sinus ausstrahlenden Zweigen einer
zu einem Verbindungsgefässe aus. Derselbe steigt vom oberen Quer-
bogen ab vor dem Magen in die Höhe und verbindet sich mit der
Venahepatica dextra. Dies neue Gefäss, das wir als Vena ascen-
dens oder V.
Aeanzii bezeichnen können, scheint andeutungsweise
schon bei Embryo Bl angelegt zu sein, bei R dagegen ist es ein
ansehnücher Stamm (Taf. XI R 55—58), der nun von da ab, durch .
alle nachfolgenden Entwickelungsstufen hindurch bis zur Geburt
sich erhält. Das obere Ende der Vena ascendens wendet sich nach
rechts herüber, und es fiiesst mit der Vena hepatica dextra kurz
vor deren Einmündung in den Sinus reuniens zusammen. Die Vena
hepatica sinistra besitzt auf der Stufe von R noch ihre selbständige
Einmündung in den Sinus reuniens. Später (ich kann nicht genau
sagen in welchem Zeitpunkt) schliesst sich der obere Abfiuss und \'
an dessen Stelle tritt eine Querverbindung der linken
Lebervene
mit der Vena ascendens.

Vena Portae. Die Vena Portae als ein unpaares, das Duo-
denum umgreifendes Gefäss bildet sich aus, noch bevor die Em-
bryonen 7 mm lang sind, denn ich habe sie in der Form schon bei
meinen früheren Bearbeitungen der Embryonen A und B vorge-

-ocr page 215-

fanden. Eol giebt an, dass bei seinem 5.6 mm langen Embryo
dies Gefäss ancli scbon eine unpaare Spirale um den Darm gebildet
habe. Das Verständniss der Entwickelung des unpaaren Stammes
bietet wenig Schwierigkeiten, das einfache Zuflussstück entsteht
durch eine zunehmende Längsverschmelzung der dicht neben ein-
ander herlaufenden Aa. ompbalomesentericae. Weiter oben wird
das Gefäss dadurch unpaar, dass vom unteren Eing die rechte, vom
oberen die linke Hälfte verkümmert. (In Eigur 136 ist das Leber-
gefässsystem vom Embryo E so dargestellt, dass die bleibenden Ge-
fässe schrafflrt, die verkümmernden weiss gehalten sind; die zu der
Zeit noch fehlende Verbindung der linken Lebervene mit der V.
ascendens ist punktirt angegeben.)

Mit der Entwickelung der Vena Portae ist die Umbildung der
grossen Unterleibsvenen im Wesentlichen vollendet und nur in dem
einen Punkte wird die Eolge bedeutendere Aenderungen bringen, als
die V. Portae mehr und mehr ihre Wurzeln vom Darm und vom
Magen her beziehen wird. Auffallend ist die ausserordentliche Mäch-
tigkeit, welche nicht allein die Unterleibs-, sondern überhaupt sämmt-
hche Körpervenen während eines gewissen Zeitraumes besitzen. Bei
Embryonen ungefähr vom Anfang bis zum Ende der fünften Woche
Pr, Eg, Brl und Sl sind die Jugular- und die Cardinalvenen,
sowie die sämmtlichen Unterleibsvenen so bedeutend an Caliber, dass
auf manchen Querschnitten das von den Venen eingenommene Feld
wohl V^ bis Vs der Gesammtfläche einnimmt. Schon von der Stufe
des Embryo Sch ab änderte sich dies Verhältniss wieder und die
Venenstämme kehren zu bescheidenen Maassen zurück. Noch ein
weiterer Punkt erscheint mir bemerkenswerth, es sind dies die
Schwankungen im Caliber desselben Gefässes. Während wir sonst ge-
wohnt sind die Zweige eines Stammes enger zu finden, als den Stamm
selbst, trifft dies Verhältniss für die Nabelvenen bei den Embryonen
Pr, ^ u. s. w. nicht zu. Der im Bauchstiel befindliche Stamm ist viel
enger als das in der linken Bauchwand befindhche Eohr und als
dessen Fortsetzung unter der Leber hindurch. Aehnhches gilt zum
Theil auch von den Jugularvenen, deren Wurzelgebiet an der Basis
des Mittelhirns den Charakter eines unverhältnissmässig weiten Sinus
annimmt. Ich werde vielleicht Anlass haben später noch einmal auf
diese Dinge zurückzukommen, zu deren genauerem Studium die Be-

-ocr page 216-

obachtungen an ganz frischem, sowie an thierischem Material erfor-
derlich sein werden.

Meine Ergebnisse über die Umbildung der grossen Unterleibs-
venen stehen mit der übUchen Darstellung der Lehrbücher in directem
Widerspruch. Hiernach soll durch Längsverwachsung des Endstückes
der zwei
Yv. oniphalo-mesentericae bez. der zwei mit ihnen sich ver-
bindenden Umbilicales ein unpaarer, hinter der Leber herablaufender

Stamm entstehen, von dem aus sich die zu- und die abführenden
Lebergefässe entwickeln.i) Nun ist leicht zu erkennen, dass dies
Schema unrichtig sein muss, da ja die Vv. umbilicales im Anfang
dicht unter dem Zwerchfell und über der Leber auslaufen.\' Eine
Verschmelzung tritt weder für die Endstücke der Vv. omphalomesen-
tericae, noch für diejenigen der Vv. umbilicales ein. Jene persistiren

1) Z.B. bei Kölliker. Grundriss. 2. Aufl. S.400.

-ocr page 217-

als Lebervenenstämme, diese erhalten sich eine Zeit lang getrennt
und gehen späterhin ein. Die Vena
Aranzii hat mit den zuerst

vorhandenen Endstücken der Dotter- und der Nabelvenen Nichts ge- /
mein, sondern sie ist ein neu gebildeter Stamm.

Eine in mehreren Hauptpunkten richtige, der fehlenden Abbil-
dungen halber allerdings unverstanden gebhebene Darstellung der

His, MeascM. Embryonen. III. 14

-ocr page 218-

Verhältnisse hat schon vor 47 Jahren der so scharf beobachtende
Rathke gegeben. 0 Die Ringsinus hat derselbe nicht mehr gesehen,
indem er die Nabelgekrösvene bereits als ein Gefäss beschreibt, das
seinen Weg um die linke Seite des Darmes herum nimmt dagegen
sagt er von der Nabelvene bei Säugethieren: „der kurze Stamm
geht ursprünglich vor der Leber in den vordersten Theil der Nabel-
gekrösvene, d. h. in denjenigen Theil, welcher später den vordersten
Theil der hinteren Hohlvene ausmacht, ja vielleicht entsteht der
Stamm der Nabelvene sogar früher als die Leber. Bald aber ent-
steht an der hinteren Seite der Leber eine kurze Anastomose zwi-
schen der Nabelvene und der Nabelgekrösvene, worauf dann, indem
sich diese rasch ausweitet, der vor ihr liegende und an der unteren
Seite der Leber befindhche Theil der Nabelvene verschwindet. Etwas
später sendet die Nabelvene, wo sie an der Leber verläuft, etliche
Zweige in dies Organ hinein und führt ihm zu einer gewissen Periode
durch diese Zweige bei weitem mehr Blut zu als die Nabelgekrös-
vene. Dasjenige Stück der erwähnten Anastomose, welches sich
zwischen diesen Zweigen und der Nabelgekrösvene befindet, giebt
sich nach einiger Zeit als einen Theil vom linken Ast der Pfortader
zu erkennen. Erüh auch bildete sich eine Anastomose zwischen der
Nabelvene und der hinteren Hohlvene, nämhch der Ductus venosus
Aeanzh." Diese Darstellung zeigt unverkennbar, dass Rathke das
Schwinden des ursprünghchen, zwischen Herz und Leber gelegenen
Endstückes der V. umbihcahs beobachtet hat. Auch hat er die
Bildung einer neuen Verbindung zwischen Nabel- und Dottervene
diesseits von der Leber und das secundäre Auftreten der Vena
Aeanzii erkannt. Bischopf 4) hat Rathke\'s Darstellung für unver-
ständhch erklärt und ihm hat sich
Köllikee angeschlossen. An
der Hand meiner Darstellung wird hoffentlich auch die
rathke\'sche
wieder zu ihrem Recht gelangen.

1) Ueber den Bau und die Entwickelung des Venensystems der Wirbelthiere
im dritten Bericht des naturwissenschaftl. Seminars zu Königsberg. 1838.

2) S. 13. 3) S. 18.

4) Entwickelungsgeschichte. S. 268.

fäi.

-ocr page 219-

Die Formentwickelung des äusseren Ohres.

Schon im vorigen Heft (IL S. 60 — 62) hatte sich Gelegenheit
gefunden, die Pormentwickelung der Ohrmuschel zu besprechen, und
ich habe dort einige von den in Betracht kommenden Punkten fest-
zustellen gesucht. Seitdem habe ich den Gegenstand noch einmal
vorgehabt und in der folgenden Darstellung werden auch die spä-
teren Entwickelungsstufen der Ohrmuschel bis zur Zeit der Geburt
hin Berücksichtigung finden.

Die Ohrmuschel entsteht aus den wulstigen Eändern, welche
die erste Schlundspalte äusserhch umgeben, und ihre Anlage zeigt
schon frühzeitig eine Ghederung in
eine Eeihe von mehr oder minder
scharf ausgesprochenen Höckern.
Bei Embryonen vom Schluss des ! ^M^J\'J\'f
ersten Monats lassen sich deren
sechs unterscheiden, wovon zwei
dem Unterkieferbogen angehören,
drei dem zweiten Schlundbogen
und einer dem Verbindungsstück Hg.
139.

-ymuf^Vion (Id-m prafpTi nnrl flpm Kopf vom Emtryo A. Die bei der Ohrbildung
zwischen aem ersten una aem tetheiUgten Höcker sind mit den Ziffern 1-6

zweiten Schlundbogen. Bei der bezeichnet.

Schwierigkeit die Wülste nach ihrer Lage zu bestimmen, bezeichne
ich sie vorerst nur mit Ziffern; 1 und 2 gehören dem Unterkiefer-

1) Den äusseren Anlass zu einer nochmaligen Bearbeitung der Ohr-
muschel hat mir die Abhaltung des internationalen otologischen Congresses
in Basel gegeben, wobei ich zu einem Referat über den Gegenstand veran-
lasst worden bin. Von dem in den Comptes rendus des Congresses (Basel bei

14*

-ocr page 220-

bogen an, 3 ist das Tuberculum intermedium, 4, 5 und 6 bilden
den Eand des zweiten Bogens.

Eine genauere Analyse der Verhältnisse zeigt noch einige Be-
sonderheiten des ersten sowohl, als des zweiten Schlundbogens. Am
UnterMeferbogen scheidet sich vom unteren Haupthöcker ein kleiner
Nebenhöcker ab, den ich mit Rücksicht auf seine spätere Bedeu-
tung als Tuberculum tragicum bezeichne (man vergL auch
Taf. I* Fig. 2 u. Taf. XIII Fig. 5). Der Rest des unteren Haupthöckers
scheidet sich in der Folge in Lippen- und in Eckwulst und nimmt

an der ferneren Ohrbildung keinen di-
recten Antheil. — Am zweiten Schlund-
bogen bildet sich hinter dem Gebiet
der drei Eandhöcker eine den Bogen-
wulst der Länge nach halbirende zarte
Furche. Es wird dadurch ein hinter
den Höckern herabsteigender Streifen
abgegrenzt, der in der Folge wie eine
Verlängerung des Tuberculum inter-
medium sich ausnimmt und den ich
vorläufig als dessen Gau da bezeich-
nen will.

Die Schlundspalte greift mit zacki-

Umgebung der ersten ScUandspalte vom

EmbryoBri.^z^Labyrin^hbia^ 1 Tuberc. gen Ausbuchtungeu In die Interstltieu

der sie umgrenzenden Höcker herein,
auch läuft sie noch bei Embryonen vom Schluss des ersten Monats an
ihrem ventralen Ende frei aus. Letzteres Verhältniss ändert sich in-
dessen im Verlauf der fünften Woche. Der Eckwulst des Unterkiefer-
bogens schiebt sich über das Tuberc. 6 hinweg und deckt dasselbe
mehr und mehr zu. Weiterhin verwächst er mit ihm, und nun-
mehr bleibt nur noch der obere Theil der Spalte klaffend, der von
den Tubercula 1 — 5 umgeben erscheint und der demnach in fünf
ausspringende Zacken ausläuft. Ich bezeichne den also umgrenzten
Raum als Fossa angularis. Die Breite der Grube nimmt in der

B. Schwabe. 1885) abgedruckten Aufsatz unterscheidet sich das obige Capitel,
abgesehen von Einleitung und Schluss, durch einige weitere Ausführungen.
Auch ist am angegebenen Ort durch ein Versehen als Fig. 1 ein unrichtiger,
zum Aufsatz in keiner Beziehung stehender Stock abgedruckt worden.

-ocr page 221-

nächstfolgenden Zeit nicht unerhebhch zu und an ihrem Boden wird
eine quere Erhebung sichtbar, einTuberculumcentrale, welche
eine obere und eine untere Vertiefung von einander trennt. Die
eine Vertiefung zeigt ihre grösste Ausbildung in der oberen hinteren,
die andere in der unteren und in der vorderen Ecke der Fossa
angularis.

Die fünf Wülste, welche den Grubeneingang umgeben, schliessen
sich zu einem plumpen Ring aneinander, die Art ihres gegenseitigen
Anschlusses ist aber nicht allenthalben dieselbe. Am wenigsten ver-

bunden sind, der Natur der Sache nach, das Tuberculum 1 und 5
oder Tuberculum tragicum und antitragicum. Hier ist die
Verbindung überhaupt nur secundär entstanden und es verbleibt als
Spur der früheren Trennung eine Furche, deren Tiefe nur allmählich
und im Laufe der späteren Entwickelung sich ausgleicht. Ich be-
zeichne dieselbe als Sulcus intertragicus (im Gegensatz zur
Incisura intertragica, welche der Fossa angularis angehört). Tuber-
culum
1 und 2, sowie 2 und 3 schhessen sich endständig anein-
ander an. Zwischen Tuberculum
3 und 4 erhält sich eine tiefe
Eurche, dagegen setzt sich das Tuberculum 3 in jenen als Schweif
bezeichneten Streifen fort, der, wie wir oben sahen, aus dem hin-
teren Theil des zweiten Schlundbogens hervorgegangen ist. Hinter
den Tubercula
4 und 5 herabsteigend verliert sich die Cauda in der
Nähe des Tuberculum 6. Von den verschiedenen Stücken verbinden
sich das Tuberculum 2 oder Tuberculum anterius mit dem

-ocr page 222-

Tuberc.3 oder Tuberculum intermedium und die Cauda zur
Anlage des Helix. Das Tuberculum 4 wird zum Anthelix und
kann als Tuberculum anthelicis benannt werden. Dasselbe
schiebt sich in der Folge mit seinem unteren Ende hinter das Tu-
berculum antitragicum und verdrängt es theilweise von der Peri-
pherie des Einges.

Die hintere Bogenhälfte des die Fossa angularis umgebenden
Einges greift tiefer herab, als die vordere und, da sie an ihrem
unteren Ende vom Unterkieferbogen überlagert ist, hört sie wie ab-
geschnitten auf und es entsteht hier eine festgewachsene Ecke.
Vor der letzteren nimmt der Sulcus intertragicus seinen Anfang.
Der fragliche, vom Tuberculum antitragicum durch eine Furche ge-
schiedene Substanzstreifen ist als der freigebliebene Eest des früheren
Tuberculum 6 zu verstehen, und er bildet sich später zum Ohr-
läppchen um, weshalb wir ihn als Taenia lobularis bezeichnen
können, die festgewachsene Ecke mag der Angulus terminalis
heissen.

In einer nun folgenden Entwickelungsstufe (zwischen 6—8 Wo-
chen) wird die Gestalt der Ohrmuschel eine etwas schlankere und
zugleich mehr gerundete. Die Fossa angu-
laris ist relativ höher und ihre scharfen Ecken
sind zum Theil ausgeglichen. So ist insbe-
sondere die obere vordere Ecke geschwunden,
und es geht nun das Tuberculum anterius
als aufsteigendes Wurzelstück des Helix mit
sanftem Bogen in das frühere Tuberculum inter-
medium oder in den oberen Theil des Helix
über, dessen Cauda den Anthelix, gleichfalls
in weichem Bogen umgreift. Letzterer steht
steil und zeigt noch keine Andeutung einer
Theilung. Von den früheren fünf Ecken der
Grube sind noch drei bestimmt ausgeprägt, die beiden übrigen da-
gegen sind verwischt und weich gerundet. Scharf ausgesprochen
sind noch die obere hintere Ecke, die Incisura triangularis,
sowie die allerunterste oder die Incisura intertragica, etwas
minder scharf, dafür aber sehr lang, erscheint der vordere untere Ein-
schnitt oder die Incisura anterior. Eine vordere obere und eine

-ocr page 223-

hintere untere Ecke dagegen sind als solche nicht mehr vorhanden.
Ein fernerer Fortschritt der jetzigen Ohrform gegenüber der früheren
liegt darin, dass im Bereich des Tuberculum anterius der gewulstete
Eand der Fossa angularis nach einwärts gekrümmt erscheint und
dass er mit convexem Vorsprung dem Anthehx sich nähert, die
Fossa selbst ist demnach jetzt in ihrem Mittelstück nicht unerheb-
lich verengt.

An dem Ohr, wie es beim Schluss des zweiten Monats vorliegt,
sind die wesentlichen Theile alle leicht erkennbar, auch weicht dessen
Form nicht allzu sehr von der späteren ab, und man sollte denken,
dass von nun ab nur noch untergeordnete Veränderungen in der
Gestalt Platz greifen werden. Dies ist indessen nicht der Fall, und
es hat die Ohrmuschel noch eine ganze Eeihe von Umbildungen zu
erleiden, bevor ihre Formentwickelung als abgeschlossen kann be-
trachtet werden.

Zunächst wächst vom Beginn des dritten Monats ab der hintere
obere Theil der Ohrmuschel mehr aus der Kopffläche heraus, seine
Eückfläche richtet sich dabei auf und sie biegt sich weiterhin mehr
und mehr vorn über, so dass schliesslich der Anthelix und die
Fossa angularis völhg überdeckt werden. Die-
selbe Veränderung tritt auf entsprechender
Stufe auch bei Säugethierohren ein (Schaf,
Schwein u. s. w.), und während der Zeit kommt
es bei diesen zur Entwickelung der Spitze der
Ohrmuschel. Beim menschhchen Fötus dauert
die Umkrempung der Ohrmuschel nicht lange,
vielleicht kaum mehr denn einen halben Mo-
nat. Nach dieser Zeit tritt der Helix wieder
zurück und der Anthelix wird abermals in . „ .

Ohr eines Fotas vom Beginn

seiner ganzen Ausdehnung frei. Monats.

Die Form der Ohrmuschel gleich nach der Phase der Umkrem-
pung zeigt gegen vorher die folgenden Differenzen: Der obere Theil
der Ohrmuschel erscheint stark vornübergebogen und der früher ge-
streckte Anthelix ist jetzt im Winkel gekrümmt. Auch hat sich
nunmehr ein Grus inferius von ihm abgezweigt, das früher noch
nicht erkennbar gewesen war. Das Tuberculum anterius ist soweit
eingeknickt, dass seine Convexität bis zum Anthehx heranreicht und

-ocr page 224-

in dessen Concavität sich einpasst. Die Fossa angularis ist in ihrem
oberen Theil zu einer schmalen Spalte von S-förmiger Biegung um-
gewandelt. Ihr Endabschnitt, die Incisura triangularis, geht in die
Bucht dér Fossa triangularis über, und die Furche umgreift somit
den unteren Schenkel des Anthelix (Fig. 145).

In ihrer unteren Hälfte hat sich die Fossa angularis gegen
früher gleichfalls etwas verengt, der vordere Einschnitt ist tiefer
geworden und hat eine schräg ansteigende Eichtung angenommen,
auch tritt jetzt der hintere Einschnitt wieder scharf hervor. Der

tiefste Punkt des Ohres ist noch jetzt die Anheftungsstelle der Taenia
lobularis, und von einem eigenthchen Ohrläppchen kann daher noch
nicht die Eede sein.

Eine nächste Stufe vom Ende des dritten oder vom Beginn des
vierten Monats zeigt auch den unteren Theil der Fossa angularis
zu einer engen Spalte umgebildet. Der zurückgebogene Theil des
früheren Tuberculum anterius berührt jetzt nicht allein den Anthelix,
sondern er stösst nach abwärts auch an den Antitragus. In der Zeit
beginnt das Ohrläppchen als selbständiger Theil hervorzutreten,
indem der hinter der Anheftungsecke gelegene Theil der Taenia lobu-
laris sich nach unten hin ausbaucht. Indem die Ausbauchung in
der Folge mehr und mehr zunimmt, rückt das Ohrläppchen immer
tiefer unter den Angulus terminalis herab.

Hatte bis dahin die Fossa angularis noch ihren Zusammenhang
gewahrt, so wird sie in einer folgenden Periode erst einfach und

-ocr page 225-

weiterhin doppelt überbrückt. Das Ende des Tuberculum anterius,
welches an den Anthelix herangedrängt worden war, verwächst mit
diesem und bildet nunmehr das Grus oder die Spina he Ii eis.
Der obere, bogenförmige Abschnitt der früheren Eossa angularis wird
dadurch von dem unteren, H-förmig gestalteten Stück getrennt.

Die Verwachsung mit dem Anthelix vollzieht sich im Laufe des
vierten Monats; noch etwas später verbindet sich das Grus hehcis
auch nach abwärts mit der Basis des Antitragus. Die hierdurch ent-
stehende Brücke trennt den hinter dem Tragus liegenden Eingang

in den Meatus auditivus von einer kleinen, zwischen Grus hehcis,
Anthehx und Antitragus eingeschlossenen Bucht. Letztere ist von
temporärer Bedeutung und geht in der Folge, indem sie seichter
wird, mit in die Cavitas conchae über.

Während die zuletzt beschriebenen Veränderungen eingetreten
sind, hat das Gebiet zwischen dem Grus helicis und dem Tragus
noch eine besondere Umbildung erfahren. Bei der vom zweiten
Monat ab stetig weiterschreitenden Rückwärtsknickung des Tuber-
culum anterius zieht sich in dessen vorderen Rand eine Bucht herein,
die anfangs seicht, später aber markirter erscheint. Der der Fossa
angularis zugewendete Saum des Tuberculum anterius gestaltet sich
demnach zu einem im Winkel gebogenen zweischenkehgen Wulst.
Der obere Schenkel wird in früher beschriebener Weise zum Grus
helicis, der untere dagegen vermittelt die Verbindung mit dem Tragus,

-ocr page 226-

und er umsäumt von oben und von vorn her die Fissura anterior
(Mg. 143, 144 u. 145). Im Gegensatz zum Grus belicis bezeichne
ich ihn als Grus supratragicum. Eine Zeit hindurch wird die
Länge der Eissura anterior und damit auch der Abstand des Tragus
von dem Grus hehcis immer grösser. Dann aber tritt im Verlaufe
des vierten Monats ein Wendepunkt ein, der Tragus rückt, indem
er gleichzeitig steiler sich aufrichtet, in zunehmendem Maasse an
das Grus hehcis heran und bleibt schhesshch nur durch einen engen
Zwischenraum davon geschieden. Die Eissura anterior verkürzt sich
hierbei gleichfalls bis auf einen geringen Eest.

Die Annäherung des Tragus an das Grus helicis geschieht auf
Kosten des Grus supratragicum. Es wird dieser Substanzstreifen
zunächst durch eine breite Furche gekreuzt (Fig. 146), dann erfährt
er eine Einknickung und wird in die Tiefe gedrängt, so dass er
schhesshch fast ganz und gar unter dem Grus hehcis verschwindet
(Fig. 147 u. 148). Ein Eest desselben erhält sich auch am ausge-
bildeten Ohr in Gestalt eines kleinen über dem eigentlichen Tragus
liegenden Höckers, des Tuberculum supratragicum, wie wir
denselben nennen können, i) Es ist beachtenswerth, dass gerade zwi-
schen Tragus und Grus helicis die Knorpelplatte des Ohres bleibend
unterbrochen ist. Wäre das Grus supratragicum in der Zeit der
fraghchen Entwickelung mit einem festen Gerüst versehen gewesen,
so würde voraussichthch seine Verdrängung in die Tiefe nicht haben
erfolgen können.

Etwa in der Mitte der Schwangerschaftszeit sind die verschie-
denen secundären Verbindungen an der Ohrmuschel vollzogen und
alle später vorhandenen Theile unterscheidbar. In einem Punkte
jedoch weicht die Ohrmuschel zu der Zeit noch erhebhch von ihrer
späteren Form ab. Sie besitzt noch keine irgendwie ausgedehnte
Goncha. Sowohl die Gymba als die Gavitas conchae sind nur durch
schmale Spalten repräsentirt (Fig. 148), die Eeste der früheren Fossa
angularis. Ebenso ist die Incisura intertragica zu der Zeit ein sehr
enger Schlitz. Noch ehe das Kind ausgetragen ist, haben diese Ver-

1) Ein Tuberculum infratragicum ist an manchen Ohren auch unter-
scheidbar und wird bedingt durch eine frühzeitig erfolgende Einbiegung des
primitiven Traguswulstes.

-ocr page 227-

hältnisse eine wesentliche Umänderung erfahren. Das Ohr des Neu-
geborenen zeigt eine relativ sehr viel weitere Concha als das des
fünfmonatlichen Toetus, und noch in der Zeit nach der Gehnrt fährt
diese fort, eine Zeit lang an Ausdehnung zu gewinnen.

Unter den Bedingungen, die hei den successiven Umgestaltungen
der Ohrmuschel eine Eolle spielen, scheinen mir einerseits die Ent-
wickelung des Schädels, anderer-
seits aber diejenige des Unterkiefer-
astes im Vordergrund zu stehen.
Eine Anzahl von den Verände-
rungen, welche die gestreckte Form
vom Schluss des zweiten Monats in
die geknickte der späteren Perio-
den überführen, ist zurückführbar
auf einen vom Unterkieferast aus
schräg nach hinten und oben wir*
kenden Druck.

Die Entwickelung des Ohr-
knorpels nimmt ihren Anfang gegen
Schluss des zweiten Monats, von
da ab wird somit die Ohranlage

nicht mehr als eine weiche widerstandslose Masse sich verhalten
können.

Was die individuellen Varietäten der Ohrmuschel betrifft, so
scheint mir, dass die Mehrzahl derselben in den Bereich der secun-
dären Bildungsvorgänge fällt, d. h. jener Vorgänge, die erst zwischen
zweitem und fünftem Monat vor sich gehen. Selbst von den einfachen
Missbildungen scheint dies zu gelten, und so glaube ich speciell, dass
die sog. Eistula auris congenita mit der primären Ohrspalte Nichts
zu thun hat. Als ihr Ort wird nämlich eine Stelle vor dem Crus
helicis angegeben»), wohin die Eossa angularis niemals reicht. Eine
hier befindliche Grube kann meines Erachtens nur von einer unge-
nügenden Verwachsung der Eurche zwischen dem Crus helicis und
dem Crus supratragicum ableitbar sein. Jedenfalls sind über diese,

1) Man vergleiche Keatz , üeber Fistula fissurae branchialis I congenita.
Diss, inaug. Bonn 1880.

-ocr page 228-

sowie Über sonstige Missbildungen des Ohres erneute Untersuchungen
erforderlich.

Ich komme zum Schluss noch mit ein paar Worten auf die
Verhältnisse zurück, wie sie an Durchschnitten verfolgbar sind. Es
wurde oben (S. 213 und Fig. 142) jenes Wulstes gedacht, welcher
aus dem Grunde der Fossa angularis sich erhebt und der die Grube
in zwei Abschnitte, einen oberen und einen unteren, scheidet. Bei-
stehender Durchschnitt durch den Kopf vom Embryo Sch zeigt das

■jmßm.
. idMpim

j/.

Ohr so getroffen, dass oben der Helisbogen, unten der Tragus im
Schnitte liegen. Der dazwischenliegende vom Boden der Fossa sich
erhebende Centraiwulst ist sehr ausgeprägt und es ist unschwer zu
erkennen, dass seine Entstehung auf einer Hervorwölbung der die
erste Schlundspalte durchsetzenden Verschlussplatte beruht. Der
äusseren Convexität des Wulstes entspricht eine der Eachenhöhle zu-

-ocr page 229-

gewendete schräge Begrenzung der Platte. Die Platte besitzt nun-
mehr eine gewisse Dicke und zwischen den beiden sie einfassenden
Epithellamellen liegt ein Bindesubstanzpolster, in welches der dem
zweiten Schlundbogen angehörige Knorpelstreif noch eine Strecke
weit hereinreicht. Ein kleines auf dem Durchschnitte sichtbares
Blutgefäss ist vielleicht als die von den Arbeiten von
Eraser u. A.
her bekannte A. stapedia zu deuten. Der N. facialis ist auf dem
Schnitt zweimal getroffen; einmal über dem Ohr vor der Kniebil-
dung, das zweite Mal im Bereich des Unterkieferbogens nahe am Pes
anserinus. Das Labyrinth liegt ziemlich hoch über dem äusseren Ohr,
zwischen beiden tritt der K facialis hindurch, von einem stärkeren
zur V. jugularis gehörigen Gefässstamm begleitet.

Von den beiden Buchten der Fossa angularis, welche durch den
Centraiwulst geschieden sind, ist die untere tiefer als die obere. Das
Niveau von jener hegt in der Höhe der Rachenhöhle, das Niveau
der unteren Bucht dagegen liegt tiefer als der Rachenraum und ist
medianwärts der Zungenwurzel zugekehrt. Diese untere Bucht ist
die erste Anlage eines Gehörganges, während die obere dem System
der Ohrmuschelgruben angehört. Schon auf der dargestellten Stufe
ist die Stellung des Centraiwulstes bez. diejenige vom Boden der
Fossa angularis eine schräge. Diese Schrägstellung nimmt in der
Eolge noch zu und sie führt zu einer grösseren Vertiefung des Ge-
hörganges. Der Centraiwulst bildet dabei die Decke des Gehörganges,
und ein Theil seiner Oberfläche geht in das Trommelfell über.

-ocr page 230-

Bauchstiel und Nahelstrang.

Das Capitel, das naturgemässerweise erst nach Behandlung der
Beckengebilde folgen sollte, schhesse ich hier an, weil in einem
früheren Abschnitt (S. 15) ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist.

Als Bauchstiel bezeichne ich jenen dicken Strang, der schon
bei sehr jungen Embryonen die Yerbindung zwischen Embryo und
Chorion herstellt. Derselbe entwickelt sich dicht unterhalb des Nabel-
schlitzes aus der vorderen Leibeswand. Yor dem stumpf auslaufen-
den Beckenende des Körpers biegt er sich unter scharfem Winkel
ab, und er tritt vor ihm vorbei nach abwärts, um sich nach kurzem
Yerlauf in das Chorion zu inseriren (Taf. I* Eig. 6, Taf. IX Fig. 1—7,
Fig. 9—11 u. Fig. 14\'). Nach Emporhebung des Beckentheiles er-
scheint der Bauchstiel zwischen diesen und den Stiel der Nabelblase
eingeklemmt, späterhin Avandelt er sich in den Nabelstrang um, als
dessen Yorgebilde er zu betrachten ist.

Die Hauptmasse des Bauchstieles ist eine lockere Bindesub-
stanz nebst etwas glatten Muskelzellen; seine dorsale Fläche trägt
eine Ectodermbekleidung, während die ventrale Hälfte den Allantois-
gang und die zwei neben diesem herlaufenden Aa. umbilicales um-
schliesst. Dorsalwärts von den letztgenannten Theilen verläuft eine
mächtige Yena umbihcahs (Taf. XI BB 13 —15 und Taf. XII Lg
204 u. 208).

Manche ältere Beobachter haben den Bauchstiel kurzweg als
Allantois bezeichnet und neuerdings behauptet auch
Köllikee, dass
ich die Allantois Bauchstiel nenne.^) Will man indessen die Be-

1) Die Länge des Bauchstieles betrug bei Embryo SR 0.6 mm, bei Lg
0.6, bei R 0.7, bei BB 0.9 und bei Lr 1.1 mm.

2) Grundriss. 2. Aufl. S. 140.

-ocr page 231-

Zeichnung Allantois nicht ganz diffus werden lassen, so wird man
gut thun, sie auf das Gebilde zu beschränken, das man von Alters
her so genannt hat, auf eine aus dem Bauch frei hervortretende,
dem übrigen Eingeweiderohr durch Vermittelung des TJrachus end-
ständig angefügte Blase.

Eine blasenförmige oder auch nur eine freie Allantois hat mau
bei menschlichen Embryonen niemals beobachtet und. der im Bauch-
stiel vorhandene enge Gang, der Allantoisgang, wie ich ihn bis-
her bezeichnet habe, ist jedenfalls nur ein sehr verkümmerter Ee-
_ Präsentant des bei vielen Säugethieren so mächtigen Gebildes. Nach
meinem Dafürhalten ist auch der Bauchstiel nicht durch Anwachsen
einer freien Allantoisanlage an das Chorion entstanden, sondern er
bezeichnet den Ort einer primären, niemals unterbrochenen Verbin-
dung zwischen dem Embryo und der Keimblase.\') Durch diese Auf-
fassung allein wird es verständHch, dass der Stiel schon bei den
allerjüngsten menschhchen Embryonen als ein relativ mächtiger Theil
vorhanden ist.

Der Bauchstiel erweist sich nach seinem morphologischen Auf-
bau als eine Fortsetzung der Eumpfanlage. Indem nämlich die
Körperanlage mit ihrem unteren Endtheil eine S-förmige Biegung
beschreibt, bildet der Bauchstiel den vorderen Schenkel des S und
alle in ihm enthaltenen Theile erweisen sich als entsprechende Fort-
setzungen von gleichartigen Bestandtheilen des Eumpfes. Der Allan-
toisgang des Bauchstieles ist der nach vorn umgebogene Endschenkel
des Eingeweiderohrs. Die Aa. umbilicales sind die Endschenkel der
S-förmig gebogenen Aorten und in einem ähnhchen Verhältniss steht
die V. umbilicalis des Bauchstieles zu den gleichnamigen Gefässen
des Eumpfes.

Bei jungen Embryonen lässt sich in der Nähe des Bauchstiel-
ursprunges die Uebereinstimmung im Aufbau des Bauchstieles mit
demjenigen des Eumpfes sehr deuthch verfolgen. Figur 151 zeigt
einen solchen Durchschnitt vom Embryo Lg, und in Figur 152 habe
ich denselben symmetrisch umgezeichnet. Dabei ergiebt sich, dass

1) Heftl. S. 169 und Heft II. S. 33 u. ff. Kölliker verwirft meine Gründe,
ohne näher darauf einzugehen, und bleibt bei der alten Behauptung vom ^
einstigen Vorhandensein einer freien Allantoisblase stehen.

-ocr page 232-

der Bauchstiel gleich der Rumpfanlage eine Platte darstellt mit
axialer Verdickung und mit seitlicher Zuschärfung. Die Seitenränder
erheben sich dorsalwärts und ihre Ectodermbekleidung schliesst sich
zum Amnion. Längs der Axe verläuft im Beginn des Bauchstieles
eine dorsale Rinne, als unverkennbare Fortsetzung der Medullar-
rinne, an ihrem Grunde ist das Ectoderm dicker als in den Seiten-
abschnitten. Die verjüngten Seitenflügel des Durchschnitts sind

diesseits vom Beginn des Am-
nion die Träger der Vv. umbi-
licales, d. h. wir finden diese
Gefässe an derselben Stelle, die
sie auch am Rumpf einnehmen.
Dies gilt wenigstens von hoch-
gelegenen Durchschnitten, wei-
ter nach abwärts hin rücken sich
die beiden Venen in der Mittel-
linie entgegen und vereinigen
sich zu einem einzigen dorsal-
wärts von den Arterien liegen-
den Stamme.

Der Allantoisgang liegt von
den axial gelagerten Theilen am
meisten ventralwärts, d. h. er
verhält sich hinsichtlich seiner
Lagerung so, wie im Rumpfe
der Darm. Etwas mehr dorsal-
wärts und seitlich davon hegen
die beiden Fortsetzungen der
Aorten, die Aa. umbihcales. Dieser typische Aufbau des Bauchstieles
verwischt sich weiter nach dem Chorion zu, dadurch vor allem,
dass, sei es von Natur, sei es in Folge der Präparation, die ur-
sprünghche Symmetrie der Theile gestört wird. Dagegen giebt sich
die Uebereinstimmung der Bauchstielanlage mit der Rumpfanlage
ihrer ganzen Länge nach zu erkennen in dessen Umbildungsweise
zum Nabelstrang.

Der Bauchstiel wandelt sich dadurch zum Nabelstrang um, dass
seine beiden lateralen Abschnitte sich ventralwärts einbiegen und

-ocr page 233-

der Länge nach mit einander verwachsen, dahei umschhessen sie
eine Höhle, die eine Fortsetzung der Leiheshöhle ist und in welche
der Stiel der Nahelblase mit aufgenommen wird. Der Anfangstheil
der Höhle ist sogar so geräumig, dass die Schlingen des Mesenterial-
darms darin Aufnahme finden. Indem so der Bauchstiel zum Eohr
sich schhesst, kommen an dessen ventraler Seite auch die Eänder
seiner ectodermalen Bekleidungen zusammen und verwachsen zu
einer doppelten Umhüllung, es bilden sich für den Nabelstrang ein
geschlossener Ectodermüberzug und eine gleichfalls geschlossene
Amnionscheide.

Beifolgender Durchschnitt des Nabelstranges vom Embryo Sch
zeigt am meisten dorsalwärts die Vena umbilicalis, davorliegend die
Arterien und den Allantoisgang und
dann das Coelom. Die Nabelge-
fässe besitzen eine Muscularis, die
bei den Arterien stärker ist als bei
der Vene. Der im Coelom hegende
Darmstiel enthält keinen Darm-
dottergang mehr, sondern nur noch
die beiden Vasa omphalomesen-
terica.

Es ist wohl zu beachten, dass
derjenige Abschnitt des Einge-
weiderohres, welcher dem Bauch-
stiel genetisch zugehört, nicht etwa
der Darmdottergang ist, sondern
der Allantoisgang. Jener ist ein
secundär umwachsenes Gebilde, das zum Bauchstiel keine morpho-
logischen Beziehungen besitzt und das ja auch völhg frei und ohne
Gekröse in der Nabelstranghöhle liegt. Würde dagegen der Allan-
toisgang, anstatt in der Dicke der Höhlenwand zurückzubleiben, sieh
etwas nach der Höhle hin hervordrängen, so würde er gleich den
Eumpfabschnitten des Eingeweiderohres eine Art von Gekröse hinter
sich herziehen.

Die beiden Hauptpunkte, in denen Rumpf und Bauchstiel von
einander differiren, sind:

1. das NichtZustandekommen eines ectodermalen Nervenrohres

His, MenscM. Embryonen. IH. 15

-ocr page 234-

und 2. das Fehlen eines somatischen Mesohlasten und der von diesem
abstammenden Gebilde. Ob auch ein visceraler Mesoblast fehlt, mag
angesichts der kräftigen Gefässmuskeln unbeantwortet bleiben. Letz-
tere können möglicherweise vom Körper ausgehend die Gefässe um-
wachsen haben, aber ebenso gut ist es denkbar, dass sie aus primär
vorhandenen Zellen des Bauchstieles hervorgegangen sind.

Der Sprung von der Eumpfanlage zum Bauchstiel ist übrigens
kein plötzlicher, denn, wie wir wissen, so besteht im Schwanzfaden
der Säugethiere und des Menschen, wenigstens vorübergehend ein
Körperabschnitt, welcher zwar ein Medullarrohr, aber keine Urwirbel
umschliesst.

Bei jüngsten Embryonen geht laut obiger Darstellung die dorsale
Wand des Beckenstumpfes ununterbrochen in die ventrale und in die-
jenige des Bauchstieles über, die gesammte Strecke ist ursprünglich
nahtfrei. Weiterhin aber bildet sich auf der Bauchseite des Becken-
endes und im Bereich der Bauchwand eine mediane Naht dadurch,
dass sich die Wand von beiden Seiten her einfaltet. Aehnlich wié
zwischen Inframaxillar- und vorderer Halsgegend kommt es hier unter
Bildung einer medianen Naht zu einer Trennung zwischen der ven-
tralen Steissfläche und dem Dammgebiet. Auf den im Profil auf-
tretenden Einschnitt habe ich schon früher (S. 22) hingewiesen, eine
eingehendere Darstellung des Herganges gedenke ich im IV. Heft
zu geben.

-ocr page 235-

NACHTRAG zu Seite 80.

Etwas verspätet habe ich in Betreff des For a men coecum
linguae die Originalstelle bei
Morgagni eingesehen (Animadvers.
anat. I. 4). Dabei hat sich gezeigt, dass
Moegagni\'s Darstellung
und dass besonders seine Abbildung sehr viel correcter ist, als
alle diejenigen moderner Lehrbücher. Die Figur zeigt nämlich,
gleich meiner Fig. 59, das Foramen als Endvertiefung einer winkelig
gebogenen Furche, an der Grenze des mit Balgdrüsen besetzten
Zungengebietes liegend. Der Arcus papillaris ist flach und vom
Foramen, sowie von der eigenthchen Zungenwurzel durch eine ziem-
hch breite papillentragende Zone geschieden. Im Text bespricht
Morgagni eingehend den Wechsel in der Entwickelung des Fora-
men. Auch erwähnt er eines Falles, in dem dasselbe in einen zwei
Zoll langen, bis zum Zungenbein herabreichenden Kanal hereinge-
führt hat. Das von
Morgagni abgebildete Präparat zeigt auch, was
mir besonders beachtenswerth scheint, ein bis zur Zungenbeinhöhe
heraufreichendes Cornu medium der Schilddrüse.

-ocr page 236-

Erklärung der Tafeln.

Tafel IX.

Jüngere Formen vor Eintritt der Naekenkrümmung.

Die Figuren 1—5 geben die äusseren Formen der Embryonen
Lg (Fig. 1), Sch (Fig. 2), BB (Fig. 3), Rf (Fig. 4) und Lr (Fig. 5)
bei 30 faoher Vergrösserung. Yon diesen 5 Embryonen sind nur die
beiden ersten vollständig mit Amnion und mit Nabelblase dargestellt.
Der Embryo Ef (Fig. 4) ist verletzt, indem die Wand der Parietal-
hölile zerrissen nnd das Herz aus seiner natürlichen Lage gebracht
ist. Für die Beurtheilung der gegenseitigen Stellung von Yentrikel
und von Aortenbulbus darf daher diese Figur nicht verwerthet wer-
den. Abgesehen davon scheint mir aber das Präparat noch instructiv
genug, um eine Abbildung zu rechtfertigen, um so mehr, da das
Material für diese Stufe sehr sparsam vorhegt.

Die drei Embryonen Lg, Sch und BB zeigen steil aufgerichteten
Kopf, nach abwärts gerichtetes Beckenende und die schon bei frühe-
rem Anlass discutirte tiefe Einziehung des Eückentheiles. i) Bei den
Embryonen Ef und Lr dagegen (Fig. 4 und 5) ist der Eücken convex
und das Beckenende bereits emporgehoben. In Betreff der so auf-
fallenden dorsalen Einknickung bei Fig. 1—3 ist soviel zu betonen,
dass bei jüngsten Embryonen eine concave Biegung des Eückens
unbedingt als gesetzmässiges Yorkommniss muss angesehen werden.
Nur die Frage kann meines Erachtens Gegenstand der Discussion

1) Heft II. S. 36.

2) Man vergl. auch Taf. I * Fig. 6 sowie die Figuren von Allen Thomson
und Coste im II. Heft.

-ocr page 237-

sein, ob die hohen Grade Yon Einziehung, wie sie meine Präparate
gezeigt haben und wie sie unter anderen auch von den Embryonen
von JoH.
Müller und von E. Wagner her bekannt sind, als normal
bezeichnet werden dürfen.

Es wird schwer sein, zu sagen, wo die normale Krümmung auf-
hört und eine abnorme beginnt. Man sieht nämUch leicht ein, dass
bei jungen Embryonen die mittlere Strecke des Leibes ihrer flachen
Eorm halber weit biegsamer sein muss, als die beiden Endstrecken,
und unter den Umständen wird man zwar wohl die Eichtung, nicht
aber den Grad der typischen Biegung feststellen können. Vielleicht
mag die Biegung auch beim lebenden Embryo innerhalb nicht allzu
enger physiologischer Grenzen schwanken, jedenfalls muss dieselbe
p. m. durch die Präparation erhebflch beeinflussbar sein.

Ueber ein gewisses Maass hinaus kann der mit seinen Hüllen
verbundene Embryo nicht gestreckt sein, weil die Insertionslinie
des Amnion und die dieser Linie folgenden Vv. umbiflcales dies
verhindern. Es verläuft nämflch, laut Eig. 7 und Fig. 10, die V.
umbiflcalis nahezu gestreckt vom Bauchstiel zum Sinus reuniens, und
es ergiebt sich daraus, was ich im IL Heft (S. 42) bereits hervor-
gehoben habe, dass, solange das Amnion und die Umbiflcalvenen
intact sind, der Embryo unmögflch gestreckt sein kann, sein Eücken
muss entweder einen concaven oder einen convexen Bogen beschrei-
ben und der Uebergang aus der einen in die andere Form muss
als eine Art von Federwirkung sich ziemlich rasch vollziehen.

Bei den 5 auf Tafel IX dargestellten Embryonen, gleich wie bei
L (Taf. VI, la) und bei M (Taf. I* 5) ist die Scheitelkrümmung des
Kopfes soweit ausgebildet, dass das Mittelhirn der am höchsten
stehende Abschnitt ist und das Hemisphärenhirn nach vorn sieht.
Letzteres füllt nebst den Augenblasen den die Mundöffnung über-
ragenden Stirnwulst. Die MundöfFnung ist noch unverhältnissmässig
weit und sie läuft (Fig. 4) in 5 Rinnen aus, in die beiden Augen-
nasenrinnen, in die beiden Mundwinkel und in die Medianrinne des
Unterkiefers. Auf den die Mundöffnung seitlich begrenzenden Ober-
kiefer folgt der schräg herabhängende Unterkiefer, an welchem jeder-
seits eine schmale Wurzel und ein verdicktes Endstück zu unter-
scheiden sind. Je jünger die Entwickelungsstufe ist, um so niedriger
erscheint die freie Vorderfläche des Unterkiefers, bei Lg und Sch

-ocr page 238-

(Fig. 1—2) ist dieselbe noch kaum angedeutet, bei Lr dagegen (Fig. 5)
besitzt sie fast die volle Höhe.

Bei der Scheidung zwischen dem ventralwärts freien Vorder-
kopf und dem ursprünglich offenen Hinterkopf hat man den Unter-
kiefer dem letzteren zuzuweisen. Die Vorderwand des Hinterkopfes
trägt das Herz nebst der Parietalhöhle; in seiner Seitenwand ent-
wickeln sich der Reihe nach die vier Schlundspalten. Bei den
Figuren 1 u. 2 sind zwei Schlundspalten unterscheidbar, bei Fig. 3 u. 4
sind es deren drei; bei Embryo Lr (Fig. 5) ist unter der dritten
deutlich ausgeprägten Spalte eine Vertiefung vorhanden, deren un-
teres Ende die Andeutung einer vierten Eurche enthält. An Durch-
schnitten zeigen sich zu der Zeit die vom Schlund ausgehenden vier
Spalten alle als vorhanden. Im Ganzen erscheint das Feld der seit-
lichen Kopfwand, welches die Spalten trägt, als ein schräges, von
zwei nach abwärts convergirenden Leisten eingefasstes Dreieck. Ver-
folgt man z. B. bei Fig. 5 die Modelhrung des Hinterkopfes vom
dorsalen zum ventralen Rande des Profils, so stösst man zuerst auf
die dem Nachhirn zugehörige medulläre Leiste, welcher in der Höhe
der zweiten Schlundspalte die Gehörblase angelagert ist; nun kommt,
durch eine Eurche getrennt, eine hinter den
Schlundfurchen herab-
laufende retrobranchiale Leiste, und auf das dreieckige Bran-
chialfeld folgt eine die vorderen Spaltenränder verbindende prä-
branchiale Leiste, die sich ihrerseits durch eine tiefe Furche
von der dünnen Parietalhöhlenwand absetzt (man vergl. auch Taf. XI
Lr 14 a und 15 a).

Nach Feststellung dieses objectiven Thatbestandes bleibt die
Längsghederung des Hinterkopfes mit derjenigen des Rumpfes in
Beziehung zu setzen. Die longitudinalen Hauptzonen des letzteren
sind die Stamm- und die Parietalzone, von denen jene in die Me-
dullär- und die Urwirbelleiste, diese in die
WoLFF\'sche Leiste und
den
RATHKE\'schen Streifen sich gliedert (Heft IL S. 64). Im Be-
reiche von der
WoLFF\'schen Leiste bilden sich die Extremitäten,
aus dem
RATHKE\'schen Streifen wird die dünne Seiten- und Vorder-
wand des Bauches.

Eine Uebertragung dieser Zonenghederung auf den Hinter-
kopf findet deshalb grosse Schwierigkeiten, weil hier die Modelhrung
eine andere ist. Als Grenze zwischen Stamm- und Parietalzone ist

-ocr page 239-

die hinter der Eetrohranchialleiste befindliche Furche aufzufassen.
Die Parietalzone reicht von jener Furche aus nach vorn bis zur
Mittelhnie und sie umfasst somit nach rückwärts die Retrobranchial-
leiste, nach vorn die Wand der Parietalhöhle. Wie weit nun aber
innerhalb dieses Bezirkes das Gebiet der
WoLFP\'schen Leiste sich
erstrecke, ist nicht ohne Weiteres anzugeben. Bei meinen früheren
Darstellungen habe ich dasselbe im Interesse einer klaren Bestim-
mung bis zur hinteren Grenze der Parietalhöhle reichen lassen.
Neuerdings hat nun
Fkoriep \') die Behauptung ausgesprochen, dass
nur die Präbranchialleiste (seine Schulterzungenleiste) als Fortsetzung
der
WoLFF\'schen zu betrachten sei, und dass man den dahinter he-
genden Schlundbogenabschnitt des Hinterkopfes als etwas neu Hinzu-
gekommenes zu betrachten habe.

Wollen wir uns nicht in Willkürhchkeiten verlieren, so werden
wir uns entschliessen müssen, auf die genetische Bedeutung der
einzelnen Wülste zurückzugreifen, und dabei kann ich allerdings nicht
vermeiden, auf das von den meisten Morphologen etwas schief an-
gesehene Capitel von der primitiven Faltenlegung einzugehen. Bei
der Emporhebung des Embryo aus der übrigen Keimhaut bildet sich
zuerst vorn eine bogenförmige Querfalte, mit der sich weiterhin zwei
seithche Längsfalten kreuzen, später kommt noch eine hintere Quer-
falte hinzu. Von diesen vier Keimfalten, wie ich sie seiner Zeit ge-
nannt habe, legen sich zuerst die vordere und dann die beiden seit-
hchen um; mit der ITmlegung der vorderen Keimfalte wird die
Bildung eines freien Vorderkopfes eingeleitet. Ich verweise in Be-
treff dieser Dinge auf die Briefe „Ueber unsere Körperform", denen
ich auch den nachfolgenden Holzschnitt entnehme. Dabei scheint
es aber nöthig, auf die Bezeichnungsweise der einzelnen Faltenab-
schnitte zurückzukommen. Die Geologen, welche bei ihren Arbeiten
die Con
Sequenzen aus dem Faltungsprincip minder schüchtern ge-
zogen haben, als unsere Fachgenossen, haben auch ihrerseits das Be-
dürfniss einer klaren Terminologie empfunden, und es wird gut sein,
wenn wir von ihren Ausdrücken Kenntniss nehmen. Eine Falte,
wie sie die untere Figur beifolgenden Holzschnittes zeigt, wird von

1) Fbobiep, Archiv f. Anatomie und Physiologie, anatom. Abtheilung.
1885. S. 49.

-ocr page 240-

den Geologen als ein liegendes Gewölbe bezeichnet.\') Die con-
vexe Biegung (meine frühere Keimfaltenfirst 2)) heisst die Gewolb-
biegung, die concave die Muldenbiegung (meine Grenzrinne).
Die 3 Schenkel der Falte, die ich als dorsalen, ventralen und als
Uebergangsschenkel bezeichnet hatte, heissen bei den Geologen der
Gewölbschenkel, der Mittelschenkel und der Mulden-
schenkel.

Hiernach ist die WoLPF\'sche Leiste der Gewölbtheil, der Rathke-
sche Streifen der Muldentheil der seithchen Keimfalte. Beim Ueber-
gang vom Eumpf auf den Kopf compliciren sich die Verhältnisse
dieser Falte mit denen der vorderen. An dieser können wir, da sie
einen Bogen bildet, ein Scheitelstück und zwei Seitenschenkel unter-
scheiden, s) Für jenes fällt die Gewölbbiegung in den Stirnwulst, die
Muldenbiegung an das untere Ende der Mundbucht. Für die beiden
Seitenschenkel aber, welche mit zunehmender Entwickelung eine
immer steilere Stellung annehmen, gestaltet sich die Sache dahin,
dass dieselben vom Stirnwulst aus (in einer secundär sich brechen-
den Linie) auf Oberkiefer und Unterkiefer sich fortsetzen, von da

1) Heim, Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbilduno-
Basel 1878.

2) Körperform. S. 20.

3) Körperform. S. 28 und Monographie des Hühnchens S. 45.

-ocr page 241-

aus aber in die beiden PräbrancMalleisten auslaufen. Wie wir wissen,
bezeichnet die Kreuzungsstelle der vorderen mit der seitlichen Keim-
falte den Ort der oberen Extremität, und dies bestätigt sich auch
für die menschhchen Embryonen, denn hier begegnen sich (Taf.
JX
Fig. 3 und Fig. 5) an der Extremitätenwurzel die schräg herabstei-
gende präbranchiale und die in der Verlängerung der WoLFF\'schen
verlaufende retrobranchiale Leiste, jene ein Stück der vorderen,
diese ein Stück der seitlichen Keimfalte.

Indem wir nun auf die endgültige Deutung der Theile des
Hinterkopfes zurückkommen, muss unser Votum anders lauten, je
nachdem wir dabei die Form- oder die Substanzanlagen im Auge
haben. Verstehen wir unter der WoLFF\'schen Leiste unbedingt nur
den Gewölbtheil der seitlichen Keimfalte, so beschränkt sich der
Kopftheil derselben auf die Eetrobranchialleiste. Eechnen wir aber
zur WoLFF\'schen Leiste die massigere hintere, zum EATHSE\'schen
Streifen die dünnere vordere Hälfte der seithchen Kopfwand, so
werden wir die natürhche Grenze beider an den Ursprungssaum der
Parietalhöhlenwand verlegen. Mögen wir die Sache in dem einen
oder in dem anderen Sinne nehmen, so ist die Behauptung, dass die
Präbranchialleiste die eigenthche Fortsetzung der WoLFP\'schen Leiste
sei, in gleicher Weise unhaltbar. Als Formanlage gehört die Prä-
branchialleiste nicht zum System der seitlichen, sondern zu dem der
vorderen Keimfalte, als Substanzanlage bildet dieselbe nur den Theil
eines grösseren, die Schlundfurchen umfassenden Massencomplexes.

Was die sonstigen Formeigenthümlichkeiten des embryonalen
Kopfes betrifft, so bildet das Herz einen um so unverhältnissmässi-
geren Antheil desselben, je jünger die Stufe ist. Am unförmhchsten
ist in der Hinsicht der Kopf von Lg (Fig. 1), wogegen bei Lr (Fig. 5)
durch Abwärtsbiegung des Ventrikeltheiles und durch Senkung der
Aorteninsertion die Kopfform eine viel schlankere geworden ist. Der
vordere Abschnitt des Herzens ist bis zu Embryo BB noch nicht
von Amnion umschlossen, wogegen bei Lr auch in der Hinsicht die
bleibenden Verhältnisse sich eingeleitet haben.

Für den Rumpf- und Beckentheil der auf Taf. IX abgebildeten
Embryonen bedarf es keiner besonderen Erläuterungen, da die Dinge
ziemhch klar vorliegen. Der Bauchabschnitt des Rumpfes ist selbst
bei Embryo Lr noch sehr unbedeutend und seithch eingesunken, ein

-ocr page 242-

Verhalten, das damit zusammenhängt, dass in dieser Zeit die Leber-
anlage noch sehr bescheidenen Umfang besitzt.

Fig. 6 und 7. Anatomie des Embryo Z*/. Vergrösserung,
auf das feuchte Präparat bezogen, 37 (40 für die Schnitte). Am
Gehirn ist der Hemisphärentheil bereits markirt, die Augenblasen
treten als stark gewölbte Gebilde hervor. Zwischenhirn, Mittelhirn,
Hinterhirn sind scharf geschieden, die Brückenkrümmung kaum an-
gedeutet. Die Gehörgrube ist noch offen.

Die Eachenhaut ist bei diesem Embryo noch vorhanden, sie trennt
die Mundbucht vom Vorderdarm, von denen jene in die
ßATHKE\'sche,
dieser in die SEESSEL\'sche Tasche ausläuft. Im unteren Abschnitt
des Vorderdarms bezeichnet eine niederige Längsleiste die erste
Trennung vom Nahrungs- und Athmungsrohr. Ueber dem Verbin-
dungstheil von Vorderdarm und Nabelblase hegen der Lebergang und
die solide Leberanlage, welche ihrerseits in das Septum transversum
eingeschlossen sind. Vom Herzen ist bei Fig. 6 die rechte Ventrikel-
hälfte nebst dem Aortenbulbus sichtbar, bei Fig. 7 ist das Endothel-
robr isohrt dargestellt. Canahs auricularis und Fretum sind sicht-
bar, der Aortenbulbus geht in zwei Aortenbogen über.

Unter dem primären Zwerchfell liegt der Sinus reuniens, bei
Fig.
6 im Durchschnitt, bei Fig. 7 mit seinen Wurzeln gezeichnet,
mit der kurz abgeschnittenen V. cava superior, der Dottervene und
der Nabelvene; letztere verläuft beinahe gestreckt zum Bauchstiel
und verbindet sich hier mit dem Stamm der anderen Seite. Die
unpaare Nabelvene liegt weiter dorsalwärts als die beiden aus der
Aorta hervorgehenden Nabelarterien und als der Allantoisgang.

Fig. 8. Kopfdurchschnitt vom Embryo Rf, Vergrösse-
rung 40 der Schnitte, ca. 35 des feuchten Präparates.

Fig. 9 und 10. Anatomie vom Embryo BB. Vergrösse-
rung 37 auf das feuchte Präparat bezogen (40 für die Schnitte).
Gehirnghederung wie bei Fig. 6 und 7; an der Augenblase beginnt
sich eine äussere Höhlung zu markiren. Eautengrube und Brücken-
krümmung sind etwas deuthcher geworden, die Gehörblase ist ge-
schlossen, die Eachenhaut geschwunden, ein Vorsprung bezeichnet die
Grenze der
EATHKE\'schen und der SEESSEL\'schen Tasche. Die Innen-
wand des Vorderdarms zeigt die vier Schlundspalten. In der Höhe
vom dritten und vierten Bogen liegt die Stelle des Kehlkopfein-

-ocr page 243-

ganges. Hinter dem Herzvorhof zeichnet sich die Lungenanlage
und darunter die etwas ausgeweitete Stelle der Magenanlage aus.
Nun folgen der Lebergang mit der compacten Leberanlage und der
Eingang in die Nabelblase. Unterhalb des letzteren folgt eine be-
reits geschlossene Darmstrecke, dann die Abgangsstelle des Allantois-
ganges und die Bursa pelvis. Bei Eig. 10 ist auch das untere Ende
des Urnierenganges dargestellt, der in einem nach abwärts convexen
Bogen zur Bursa hintritt.

Bei Eig. 9 ist wiederum das Muskelherz, bei Eig. 10 das Endo-
thelialherz eingezeichnet. Der Aortenbulbus geht zur Zeit in fünf
offene Bogen über. V. jugularis, V. cardinahs sowie die übrigen
Venen sind leicht verständhch.

Eig. 11. Derselbe Embryo ist so dargestellt, dass
man eine Uebersicht über seine Höhlen bekommt. Das
Eingeweiderohr ist punktirt angegeben. Die das Herz umschhessende
Parietalhöhle hegt dem Schlundbogengebiet des Kopfes von vorn
her an, durch einen engen Gang (den Recessus parietalis) öffnet sie
sich in die Bauchhöhle. Der Gang wird von der oberen Hohlvene
gekreuzt. Den Boden der Parietalhöhle bildet das Septum trans-
versum, dasselbe besteht aus dem dorsalwärts frei auslaufenden pri-
mären Zwerchfell, aus dem darunter befindhchen Sinus reuniens und
aus der Vorleber, einem Bindesubstanzwulst, in den von unten her
die epitheliale Leberanlage hereinragt. Das Gebiet der Bauchhöhle
ist quer schrafflrt, nach abwärts erstreckt sich dasselbe bis in den
Beginn des Beckenstumpfes, aber nicht so tief herab, als das End-
stück der Cloake.

Fig. 12. Frontalconstruction desselben Embryo. Es
sind sichtbar: das Hemisphärenhirn, die Augenblasen, das Zwischen-
und das Mittelhirn, die fünfeckige, von Stirnwulst, Ober- und Unter-
kiefer umfasste Mundöffnung, die eröffnete Parietalhöhle mit dem
Endothehalherzen, die 5 Aortenbogen, das Septum transversum mit
seinen verschiedenen Bestandtheilen und der Sinus reuniens. Die
Dottervenen beginnen, sich in mehrere Aeste aufzulösen. In der
Seitenwand des Körpers sind die Nabelvene und die obere Hohl-
vene dargestellt.

Fig. 13 und 14. Anatomie des Embryo X?-. Vergrösserung
circa
35 fach auf das feuchte Präparat bezogen (40 der Schnitte).

-ocr page 244-

Kg. 13 zeigt den Durchsclinitt des Vorderdarms und der Parietalhöhle.
Bei Pig. 14 ist die letztere von der rechten Seite her eröffnet dar-
gestellt, und es sind die grossen Gefässstämme, die fünf Aortenbogen
und die Yenen eingezeichnet. Der Sinus reuniens beginnt bereits
aus der übrigen Zwerchfellfläche emporzusteigen. In der unteren
Körperhälfte ist auch das Eingeweiderohr punktirt angegeben. Der
Bauchstiel ist durchsichtig gedacht, die beiden Nabelarterien ver-
binden sich in der Nähe der Insertion auf kurze Strecke zu einem
unpaaren Stamm.

Eig. 15. Erontalconstruction desselben Embryo, ähnhch behan-
delt wie Fig. 12. Die punktirte Linie am Hemisphärenhirn bezeich-
net die Ausdehnung der
ßATHKE^schen Tasche.

Tafel X. Normentafel.

(Vergrösserung 5.)

Die Tafel soll in fortlaufender Reihe die Entwickelung embryo-
naler Formen von den frühesten bekannten Stufen ab bis zur Yoll-
endung der äusseren Ghederung darstellen. Der Yergrösserungs-
maassstab ist für alle 25 Figuren derselbe. Der grössere Theil der
Embryonen dieser Tafel ist in den Textbildern des zweiten Heftes
schon abgebildet worden, aber nichtsdestoweniger glaube ich eine
nochmahge Zusammenstellung der Figuren auf einem Blatt verant-
worten zu dürfen, denn ich habe mich überzeugt, wie sehr dadurch
das Yerständniss an übersichtlicher Klarheit gewinnt. Auch ist
manches Detail sorgfältiger durchstudirt und ausgeführt worden, und
bei der Yergleichung kann man sich überzeugen, dass meine älteren
Figuren bei der Ueberarbeitung durch die Hand eines geschickten
Künstlers Yieles gewonnen haben. Dies gilt besonders von den Zeich-
nungen der vorgerückteren Stufen, welche nach den Originalpräparaten
sehr genau revidirt worden sind. Für die jüngeren Stufen bieten
andere Tafeln des Werkes in grösserem Maassstab ausgeführte und
dem entsprechend auch detaiUirtere Darstellungen.

Es sind lauter eigene Beobachtungen in die Tafel aufgenommen
worden, und die Reihe ist jetzt innerhalb der gegebenen Grenzen nahezu
ununterbrochen. Höchstens möchte man wünschen, zwischen 2 und 3
und allenfalls zwischen 6 und 7 noch ein Zwischenghed einzuschieben,
eine Lücke für das Yerständniss ist indessen auch an diesen beiden

-ocr page 245-

Stellen nicht vorhanden. Die im zweiten Heft nur durch unvoll-
kommene Stücke repräsentirte Stufe von 9 und 10 mm konnte ich
durch besseres Material ausfüllen; einmal habe ich, dank dem
freundlichen Entgegenkommen von Herrn Collegen
Waldeyer, die
Sammlung der Berhner anatomischen Anstalt durchsehen dürfen, in
welcher sich das Original zu Eig. Ii vorgefunden hat; dann aber hat
mir Herr Dr. Carl
Euge in Berhn von Neuem und in bereitwilligster
Weise seine Schatzkammer eröffnet, und dieser entstammt das Ori-
ginal von Fig. 12, sowie ausserdem diejenigen von Fig. 15 und 19.

Ich gebe zunächst eine tabellarische Uebersicht der abgebildeten
Präparate, an die ich dann eine kurze Discussion besonderer Ver-
hältnisse anschliessen werde. Die Präparatenbezeichnungen sind
meistens doppelt, sowohl in Buchstaben, als in römischen Ziffern,
und sie entsprechen den auf der Tabelle von Heft II. S. 9 gegebe-
nen. Die Längenmaasse sind für Fig. 1—6 (als
L) vom Scheitel
zum Steissende gemessen, für Fig. 7—25 ist die Länge der Nacken-
linie
{NL) verzeichnet, worüber ich auf Heft IL Seite 4 verweise.
Da, wo die Präparate dem Uterus von Leichen entstammen, ist dies
ausdrücklich bemerkt, die übrigen sind aus Fehlgeburten; Nr. 25
ist das Product einer extrauterinen Schwangerschaft.

Fig. 1

Embryo- E (Vll)

L = 2.1 mm

Heft I S.

145

2

SR (VI)

2.2

=

r =

140

=

3

Lg\' (LXVIII)

1 s

s

II =

88

4

Seh (LXVI)

2.2

=

II =

89

Uterus

Ü

■ 5

M (lY)

2.6

---

i -

116

6

1-

Lr (LXVII)

4.2

=

II =

90

7

ee (III)

Nl=4

=

B:

I =

101

s

R (LVII)

5

s:

S

II =

91

-

9

A (II)

7.5

«

S

1

14

10

=

Pr

10

Uterus

^

11

Berliner anat. Sammig.

9.1

=

Uterus

12

RuGE\'sclie Sammlung

9.1

=

tf

13

Embryo M (X)

10.5

j

II =

94

s:

14

=

Br (XXIX)

11

s

II =

94

«

15

Rg (LXXIV)

11.5

=

s:

II =

95

a

16

=

Sl (XXXV)

12.5

=

s

n =

96

s=

17

is

CII

13.7

s

18

Seh2 (XT,YI)

13.8

s:

--

II -

97

19

RuGE\'solie Sammlung

13.6

20

Embryo »r (XXXIY)

14.5

II -

97

Uterus

21

=

S2 (XXXVI)

15.5

II»

96

22

TS

XCI

16

^

C

23

=

Ltz

17.5

zs

=

24

s:

Zw

18.5

25

Wt (LXXVII)

23

II =

97

extrauterin

-ocr page 246-

Zeile 1 enthält Embryonen vor Eintritt der Nackenkrümmung
von 2.1 bis 4.2 mm L.

Zeile 2 Embryonen nach Eintritt der Nackenkrümmung von
4 bis 10 mm Nl.

Zeile 3 Embryonen von 10.5 bis 13.7 Nl.

Zeile 4 Embryonen von 13.8 bis 15.5 Nl.

Zeile 5 Embryonen von 16 bis 23 Nl.

Hinsichthch des Alters ist laut Heft I. S. 166 und Heft H.
S. 72 u. f. mit annähernder Sicherheit folgende Skala aufzustellen:
12 bis 15 Tage Eig. 1 bis 4
18 bis 21 Tage Fig. 5 und 6

23 Tage Fig. 7
24 bis 25 Tage Fig. 8
27 bis 30 Tage Fig. 9 bis 12
31 bis 34 Tage Fig. 13 bis 17
35 bis 36 Tage Fig. 18 und 19.

Von hier ab hegen mir erst wieder über den Embryo von Fig. 23
bestimmte Angaben vor, nach welchen sich dessen Alter auf 47 Tage
berechnet.\') Bei einem anderen, seit Lithographirung der Tafel er-
haltenen Embryo von 17 mm NL, der somit in seiner Grösse um
ein kleines unter dem von Fig. 23 steht, ergiebt die Altersberech-
nung 50—51 Tage 2), jedenfalls hegt das Alter der in Fig. 23 abge-
bildeten Stufe nahe an 7 Wochen. Ein anderer, neuerdings erhal-

1) Der Embryo von Fig. 23 stammt aus der Praxis des Herrn Dr. Lötz
in Basel. Die regelmässig menstruirte Frau hatte ihre letzte Periode am
29. October, der Abortus erfolgte am 14. December.

2) Embryo Lhs, dessen Kopf auf Taf. XIV Fig. 8 abgebildet ist. Ich
verdanke das Präparat Herrn Dr.
Lohsb in Leipzig. Die gütigst mitge-
theilten Daten sind folgende: die Frau, sehr ruhig und zuverlässig in
ihren Angaben, war regelmässig alle 4 Wochen menstruirt. Die Dauer der
Periode war in der Regel 3 Tage. Die Cohabitation pflegte, zumal in den
letzten Zeiten, immer erst in der zweiten Hälfte des betreffenden Monats statt-
zufinden, da die Frau während der ersten Hälfte an schmerzhafter Erreg-
barkeit litt. Der Eintritt der letzten Periode fiel auf den 4. Mai 1884, die
auf den 1. Juni wieder erwartete Blutung blieb aus, am 5. Juni erfolgte eine
sehr kurz andauernde geringe Blutung, am 24. Juni der Abortus. Hier,
gleich wie im Fall von Fig. 23, ist die Berechnung auf die zuletzt stattgehabte
Periode zu beziehen und ergibt, vom 4. Mai bis 24. Juni, 7 Wochen und
2 Tage. Die Frau hatte schon mehrmals abortirt, was deshalb besonders
hervorgehoben zu werden verdient, weil der Embryo völlig normal gewesen ist.

-ocr page 247-

tener Embryo von genau 8 Wochen zeigt eine NL von 22 mm^),
somit werde ich nicht weit fehlgehen, wenn ich das Alter des Em-
bryo Ton Fig. 25 auf 2 Monate veranschlage. Durch Interpolation
ergeben sich nunmehr folgende Bestimmungen:
37 bis 38 Tage Fig. 20
39 bis 40 Tage Fig. 21
42 bis 45 Tage Fig. 22
47 bis 51 Tage Fig. 23
52 bis 54 Tage Fig. 24
58 bis 62 Tage Fig. 25
oder in abgerundeten Angaben:

etwa 5 Wochen Fig. 18 und 19
gegen 51/2 Wochen Fig. 20
gegen 6 Wochen Fig. 21
gegen 6V2 Wochen Fig. 22
gegen 7 Wochen Fig. 23
etwa 71/2 Wochen Fig. 24
etwa 81/2 Wochen Fig. 25.

Mit Eücksicht auf den zeitlichen Ablauf der Formbildung er-
sieht man, dass, vom Momente der Imprägnation ab gerechnet, die
ersten 2 Wochen den frühen Stufen der Keimentwickelung bis zur
beginnenden Embryobildung angehören. In die Zeit vom Ende
der 2. bis gegen Ende der 4. Woche (Fig. 1—9) fällt die Ausbildung
der typischen Embryonalform; von da ab bis zum Schluss der
6. Woche (Fig. 10—22) vollzieht sich die Umbildung der embryo-
nalen in die fötale Form 2), d. h. es tritt die Wiederaufrichtung
des Kopfes und die Senkung des Beckens, die Ausbildung einer
charakteristischen Kopfform, sowie die volle Ghederung der Extre-
mitäten ein.

Hinsichthch der zeithchen Fortschritte des Massenwachsthumes
sind wir nur auf mehr oder minder grobe Schätzungen angewiesen.

1) Diesen Embryo verdanke ich Herrn Prof. Miesohbe-Euesch. Derselbe
stammt von einer gesunden Frau, Mutter von 4 wohlgenährten Kindern. Ein-
tritt der letzten Menses am 21. Februar. In der Zwischenzeit keinerlei patho-
logische Erscheinungen bis zum 16. April, wo die Frau bei einer Wäsche sich
zu stark anstrengte. Der Abortus erfolgte am 18. April 1885.

1) Heft II. S. 44.

-ocr page 248-

Soviel ist immerhin leicht zu constatiren, dass die Periode des leb-
haftesten relativen Wachsthums in die vierte Entwickelungwoche
fällt. Nach der in Heft II. S. 68 mitgetheilten Tabelle erfährt von
Lg bis Lr (Fig. 4—6), d. h. im Zeitraum von annähernd der dritten
Woche, die Profilfläche eine Verdreifachung, von da bis A (Fig. 9),
im Verlauf der vierten Woche, eine Versechsfachung. In der fol-
genden, fünften Woche vergrössert sich das Profil um das 3 V-2 fache
(Fig. 9—18), dann aber bis gegen Ende des zweiten Monats in der 6.,
7. und 8. Woche zusammengenommen nur noch um das fache.

Von Vögeln und auch von Säugethieren wissen wir, dass die
Entwickelung verschiedener Embryonen bei gleichem Alter nicht
immer genau dieselbe ist, und es ist wahrscheinlich, dass dies auch
von menschhchen Embryonen gilt. Der oben (S. 238) citirte Fall
der Embryonen Ltz und Lhs (Fig. 23) mag vielleicht als bestätigen-
des Beispiel hierfür angeführt werden. Immerhin müssen wir selbst
da, wo solche Parallelfälle, wie die genannten, vorhegen, uns in
Erinnerung halten, wie unsicher im einzelnen Fall unsere Kenntniss
vom effectiven Beginne der Entwickelung, d. h. vom genauen Zeit-
punkt der Begegnung von Samen und Ei ist.

Die Grössenentwickelung der Embryonen hält im Allgemeinen
mit der Formentwickelung Schritt, derart dass die Embryonen glei-
cher Entwickelungsstufe auch hinsichtlich der Grösse sich entspre-
chen. Aus diesem Grunde kann man auch mit einiger Vorsicht und
bei gutem Material die Angaben über die Grösse eines Embryo als
Maassstab seiner Entwickelung benutzen. Indessen bin ich doch auf
einige Abweichungen von der allgemeinen Eegel gestossen, indem
ich einzelne Individuen hinsichtlich der Grösse ihrer Entwickelungs-
stufe vorausgeeilt fand. Das auffälligste Beispiel einer solchen in-
dividuellen Abweichung bietet Embryo Pr (Fig. 10 von Taf. X und
Fig. 4 von Taf. XIII). Derselbe zeigt sich nicht nur um nahezu
V4 grösser, als die gleichweit entwickelten Embryonen A und B
(Fig. 1 —2 Taf. I und Fig. 9 Taf. X), sondern er ist selbst grösser,
als die weiter entwickelten Embryonen von Fig. 11 und 12 (man
vergleiche auch Taf. XIII Fig. 4 und 5). An eine Abnormität ist da-
bei nicht zu denken, indem gerade Embryo Pr, gleich dem in Fig. 11
abgebildeten Berliner Embryo, einem Uterus entnommen ist. Man
könnte also zur Erklärung der Differenzen nur etwa Ungleichheiten

-ocr page 249-

der Schrumpfung durch den Alkohol herbeiziehen, eine Erklärung
die ich in dem Falle für unzureichend halte.

Von den 25 auf Tafel X abgebildeten Embryonen haben die
beiden Fig. 1 und 2 eine offene Medullarrinne und dieselben sitzen
noch breit auf der Nabelblase auf. Von 3 und 4 ab ist das Gre-
hirn geschlossen, das Herz als frei vortretende Schlinge angelegt,
und es sind jederseits zwei Schlundspalten vorhanden. Bis dahin
ist der Dorsaltheil des Körpers concav eingebogen, das Beckenende
des Körpers sieht nach abwärts und ist von dem aufgerichteten
Kopfe abgewendet. Von 5 ab ist die concave Rückenbiegung zu
einer convexen geworden, und im Zusammenhang mit dieser Ver-
änderung steht die Hebung des Beckenendes, dessen freie Spitze
nunmehr nach vorn und oben sieht. Der Bauchstiel, der früher
vor dem Beckenende vorbeitrat, ist zwischen dieses und den Stiel
der Nabelblase eingeklemmt.

Bei 6 beginnt die Vornüberbeugung des Kopfes und schon bei
7 ist die Rücken- und Nackenkrümmung so stark geworden, dass
eine vom Scheitel- zum Steissende geführte Linie mehr denn einen
vollen Kreis beschreibt.\') Es ist dies das Maximum der Zusammen-
biegung, das der Embryo erreicht, Nr. 8, 9 und die folgenden zeigen
zwar den vornüberhängenden Kopf und den steil emporsteigenden
Beckentheil, aber bei keinem sind die beiden Körperenden so weit
aneinander vorbeigeschoben, wie bei Fig. 7. Bemerkenswerth ist
übrigens, dass R (Fig. 8) weniger stark gekrümmt ist als A (Fig. 9),
ein Verhältniss, von dem ich zweifelhaft bin, ob es als Präparations-
folge darf aufgefasst werden.

Vom Schluss des ersten bis zu dem des zweiten Monats (Fig. 9
bis Fig. 25) behauptet jede Entwickelungsstufe ihre typische Krüm-
mung, und zwar ist der allgemeine Gang der, dass das emporgehobene
Beckenende sich wiederum senkt, der Kopf dagegen sich hebt. Der
Bogen, den das Rückenprofil beschreibt, zeigt vom Ende der vierten
Woche ab drei Stellen grösserer Krümmung\'-): die oberste, der
Nackenhöcker, hegt am hinteren Ende des Hinterkopfes, da wo dieser
in den Halstheil des Rumpfes übergeht; die zweite, als Rücken-

1) Man vergleiche auch Taf. VIII a 1 u. 2.

2) Heft II. S. 25.

His, Menschl. Embryonen. III. 16

-ocr page 250-

höcker zu bezeichnende, befindet sich ungefähr in der Höhe des
9.—10. IJrwirbels, d.h. also im Beginn des eigentlichen Dorsalab-
schnittes des Eumpfes; die dritte Strecke grösserer Biegung fällt
auf die Grenze von Bauch- und von Beckentheil. Diese Strecke
schliesst sich in sanft geschwungenem Bogen den Nachbarstrecken
an, während der Rücken- und noch mehr der Nackenhöcker als knie-
förmige Vorsprünge aus ihrer Umgebung hervortreten.

Der Antheil an der Wiederaufrichtung des Körpers vertheilt
sich auf diese drei Strecken in der Weise, dass zuerst die Rücken-
krümmung, dann die Beckenkrümmung und zuletzt die Nacken-
krümmung sich vermindert. Schon von Fig. 16 ab nimmt die Wöl-
bung des Rückens in bemerkbarer Weise ab und bei 20 und 21 ist
sie auf ihr Minimum gesunken, von wo aus sie wieder etwas zu-
nimmt. Der Winkel an der Nackenbeuge bleibt sich durch geraume
Zeit (Fig. 9—20) ziemhch gleich und beträgt etwas über 90Von
Fig. 21 ab nimmt derselbe rasch zu und es kommt nunmehr zur
definitiven Aufrichtung des Kopfes.

Unterhalb des Nackenhöckers bildet sich während der Streckung
des Rückens eine ausgesprochene Einsenkung, die Nackengrube\'),
deren Anfänge schon von Fig. 11 ab erkennbar sind und die bei
den Embryonen der vierten Zeile (Fig. 18—21) im Maximum aus-
gebildet erscheint. Dieselbe erhält sich bis in eine spätere Periode
hinein und ist auf unserer Tafel noch bei Fig. 25 vorhanden. Eine
zweite Einsenkung, die Hinterkopfgrube, liegt über dem Rauten-
grubeneingang und sie trägt im Verein mit der Nackengrube dazu
bei, bei den Embryonen des zweiten Monats den Nackenhöcker so
deuthch hervortreten zu lassen.

Auf die Einzelheiten der Beckensenkung werde ich unten zurück-
kommen. Das allmähliche Herabrücken der Beckenspitze bis in
die Stellung, die sie in den Figuren 24 und 25 einnimmt, ist an
einem grossen Theil der Figuren leicht zu verfolgen (Fig. 9—16,
Fig. 20, Eig. 22 und Fig. 24 u. 25).

Die Gestalt des Kopfes ist eine sehr einfache, so lange
der Embryo aufgerichtet ist, und ich verweise in der Hinsicht auf

1) Heft n. S. 51.

-ocr page 251-

Taf. IX und deren Erklärung. Die weitergehende Umbildung des-
selben beginnt mit seiner Vornüberbiegung, und zwar leitet sie sich
durch die Abgabe des Herzens an die Brust ein. Auf diesen für
die Körpergestaltung so tief eingreifenden Vorgang ist schon in
den beiden früheren Heften mehrfach hingewiesen worden. Das
seiner Hauptmasse nach als Organ des Kopfes angelegte Herz
hebt sich, selbst auf jüngeren Stufen der Embryonalbildung, mit
einer gewissen Selbständigkeit vom übrigen Kopfe oder von der
Kopfanlage im engeren Sinne ab, es erscheint nebst seiner
Umhüllung wie ein blosses Anhängsel von der letzteren. Vom Vorder-
kopf wird das Herzgebiet frei überragt, vom Hinterkopf ist es durch
die vor den Schlundbogen herablaufende Präbranchialfurche abge-
setzt. Sowie die Vornüberbeugung des Kopfes eingetreten ist — auf
unserer Tafel von Eig. 7 ab —, ist das Herz in den Winkel zwischen
Kopf und Brust eingeklemmt. Von Eig. J1 ab erscheint der hintere
Theil der präbranchialen Eurche in den Sinus praecervicalis mit
einbezogen (dieses Heft S. 105), der vordere Theil der Eurche ver-
tieft sich immer mehr und schneidet allmählich durch, indem die
eine Hälfte der einschneidenden Ealte zur Bekleidung der Infra-
maxillargegend, die andere zu derjenigen der vorderen Halsgegend
wird (S. 121). Dieser Process, welcher mit der Wiederaufrichtung
des Kopfes sich combinirt, verläuft ziemlich langsam und hat am
Schluss des zweiten Monats kaum sein Ende erreicht. In eben dem
Maasse als der Kopf sich wieder aufrichtet, trennt er sich vom
Herzgebiet, dieses der Brust zurücklassend. Die Verschmelzung
aber des Herzgebietes mit der eigentlichen Eumpfanlage geschieht
selbst äusserlich in sehr weit gehendem Maasse, und die anfangs
noch erkennbare Trennungsfurche erscheint schliesslich ganz und
gar verwischt, eine Veränderung, die wohl in erster Linie auf die
ausgleichende Wirkung der mächtig wachsenden Leber zurückzu-
führen ist.

Die Kopfanlage im engeren Sinne hat im Profil gesehen die
Grundform eines länglichen Vierecks. Von den vier Seiten ist die
etwas gekrümmte Eückenlinie die längste und reicht vom Nacken-
höcker bis zur Höhe des Mittelhirns; an sie schliesst sich die vom
Mittel- zum Hemisphärenhirn sich erstreckende Scheitellinie an.
Die vordere Seite des Vierecks besteht aus zwei wohl zu unter-

16*

-ocr page 252-

scheidenden Strecken, der eigenthchen Gesichtslinie, die von der
Stirn zum Unterkiefer geht, und der Prähranchiallinie vom Unter-
kiefer zur Spitze des vierten Schlundbogens. Von da aus zum Nacken-
höcker reicht die Befestigungsbasis des Kopfes. Den weitaus gröss-
ten Theil des Kopfprofils nimmt das Gehirn ein, das in dieser
Periode als zweiarmiges, im Winkel gebogenes Gebilde die dorsale,
die dem Scheitel angehörige, und einen Theil der facialen Grenzlinie
berührt. Im Stirntheil des Kopfes die ganze Tiefe ausfüllend, nimmt
es in den übrigen Abschnitten noch wenigstens drei Fünftel der
Profilfläche ein. Die beiden Abschnitte des Gehirns bezeichne ich
als Rautengrubenarm und als Grosshirnarm. Jenem gehören

Nachhirn und Hinterhirn an, diesem das Hemisphärenhirn und das
Zwischenhirn. Beide Arme begegnen sich im Mittelhirn. Die An-
lagen der Nase, des Auges und der Labyrinthblase fallen zu der
Zeit noch innerhalb der Grenzen des Gehirnprofils. In dem von
dem letzteren freigelassenen Streifen hegt, von den Kiefer- und
Schlundwülsten eingefasst, die Mundrachenspalte, deren Lichtung
gleich dem Gehirn im Winkel gebogen ist; ihr Zugangsschenkel
tritt zwischen Stirnwulst und Unterkiefer durch nach rückwärts, der
absteigende Schenkel beginnt vor der Brückenkrümmung des Ge-
hirns und nimmt seinen Weg vor dem Nachhirn herab. Zwischen
beiden Schenkeln der Spalte bildet die
RATHKE\'sche Tasche eine
scharfe Ecke.

-ocr page 253-

Im Ganzen genommen zeichnet sich der embryonale Kopf der
vierten Woche durch seine langgestreckte Form aus und durch das
verhältnissmässig starke Vorwalten des Hinterkopfes. Vergleichen
wir nun, zunächst unter Vernachlässigung der Detailveränderungen,
die Grundform des Kopfes von einer späteren Stufe, etwa von Fig. 23
oder 24, so ergiebt sich Folgendes: die allgemeine Kopfform ist eine
gedrungene geworden. Während bei a das Verhältniss der Höhe zur
Tiefe ungefähr das von 3 : 2 gewesen war, sind jetzt Höhe und Tiefe
des Kopfes nahezu gleich, letztere eher etwas grösser denn jene.
Annähernd lässt sich nunmehr der Kopf in ein Quadrat einzeich-

nen. Die Rückenlinie erscheint verkürzt, die Scheitelhnie erhebhch
verlängert und an der Vorderseite ist das Verhältniss der beiden
Abschnitte zu einander ein durchaus anderes geworden. Die Gesichts-
linie kommt jetzt beinahe der gesammten Kopfhöhe bei, eine Prä-
branchiallinie existirt nicht mehr; als ihren stark veränderten Eest
kann man höchstens noch die Linie beanspruchen, welche vom Kinn
bis hinter das Ohr sich erstreckt.

Ein Blick auf das in Fig. 156 eingezeichnete Gehirn ergiebt
uns grossentheils den Schlüssel für die geschilderte Verwandlung
des Kopfprofiles. Entsprechend der Verkürzung der Rückenlinie
finden wir zu der Zeit eine sehr beträchtliche Zusammenbiegung
des Rautengrubenarmes. Die Nackenkrümmung erfolgt unter einem

-ocr page 254-

Winkel von mehr denn 90» und die Brückenkrümmung ist so stark
ausgesprochen, dass Hinterhirn und Nachhirn sich mit ihren dor-
salen Flächen berühren. Während sich in Folge dieser starken Bie-
gung der Eautengrubenarm des Gehirns relativ erheblich verkürzt
hat, hat sich der Grosshirnarm dadurch bedeutend verlängert, dass
die Hemisphären als selbständige Abtheilung an Umfang gewonnen
haben. Zum Theil haben sie sich zwar über das Zwischenhirn zurück-
geschoben, zum grossen Theil aber treiben sie sich nach vorn vor
und bilden eine die Nasenwurzel weit überragende Wölbung.

Die starke Entwickelung der Hemisphären macht sich natür-
licherweise auch geltend für die Vorderlinie des Kopfprofiles. Die
Höhenzunahme des Gesichtes kommt zu einem grossen Theil auf
ihre Eechnung, zu einem anderen Theil aber ist sie bedingt durch
die Entwickelung des mittleren Stirnfortsatzes und durch die Bil-
dung der von diesem gelieferten Nase und Oberlippe. Was nun
die Verkümmerung der branchialen Strecke betrifft, so wird diese
leicht verständhch, wenn wir uns in Erinnerung rufen, wie die hin-
teren Schlundbogen allmählich in die Tiefe gedrängt imd von aussen
her überdeckt worden sind (S. 28). Bei Fig. 7 und 8 sind noch
vier Schlundbogen sichtbar, bei 9 und 10 noch drei, von Eig. 11
ab nur noch zwei. Auch der zweite, ursprünghch als breiter platter
Streifen angelegte Bogen verliert diesen Charakter mehr und mehr,
theils in Folge von Ueberlagerung durch Nachbartheile, theils aber
in Folge einer Drehung des frei bleibenden Stückes. Es wird näm-
lich, von der Seite gesehen, der zweite Schlundbogen in eben dem
Maasse schmäler, als er bestimmter zur Ohrmuschelbildung herbei-
gezogen wird. Bei Eig. 16 u. 17 vermögen wir den zweiten Schlund-
bogen noch deuthch als solchen zu erkennen. Von Fig. 18 ab wird
sein unteres Ende zugedeckt und damit die Ohrmuschelgrube oder
die Fossa angularis, wie sie oben (S. 212) genannt wurde, abge-
grenzt. Der frühere hintere Saum des zweiten Bogens stellt sich
als Cauda helicis immer steiler auf, bis er dann schliesslich den
davorhegenden vorderen Abschnitt, den Anthelix, vöUig überlagert
(S. 215).

Die Spalte des Mundrachenraumes hat von der Stufe von
Embryo a bis zu der von Zw (d. h. von Fig. 7 Taf. X bis zu Fig. 24)
eine ähnliche Umbildung erfahren in dem Sinne, als auch bei ihr

-ocr page 255-

der obere Schenkel länger, der hintere kürzer geworden ist. Die
Verlängerung des Zugangsschenkels der Spalte findet ihren Grund
in der Entwickelung des primitiven Gaumens, insbesondere der Ober-
lippe und des Zwischenkiefers, denn, wie wir früher gezeigt haben
(S. 50), so hegt das den Ort der Choane bestimmende hintere Ende
der Eiechgrube ursprünglich ausserhalb des Mundbereiches und rückt
mit der zunehmenden Entwickelung des mittleren Stirnfortsatzes se-
cundär in die Munddecke ein. Die Verkürzung aber des hinteren
Schenkels der Mundrachenspalte ist zunächst eine Folge der Schlund-
bogenverschiebung (S. 27) und als solche schon früher zur Sprache
gekommen. Eine besondere Eolle bei diesem Verkürzungsvorgang
spielt die Abschnürung der
eathke\'schen Tasche; es wird nämlich
durch deren Zustandekommen ein Stück aus der Eückwand der Mund-
rachenspalte herausgeschnitten. Indem das hinter dem Schlund he-
gende Gebiet durch die Gehirnbiegung, die Vorderwand aber durch
die Schlundbogenverschiebung verkürzt wird, so muss nothwendiger-
weise auch für die Eückwand der Mundrachenspalte eine Verminde-
rung der ursprünglichen Länge eingeleitet werden.

Eine besonders auffällige Folgeerscheinung von der Verkürzung
des Hinterkopfes zeigt sich in der Annäherung des Ohres an die
AVurzel der oberen Extremität. Während bei den Embryonen der
vierten Woche die erste Schlundspalte weit von der Extremitäten-
wurzel absteht (Fig. 7—11), rückt sie derselben im Verlauf der
fünften Woche immer näher, und bei den Embryonen von Fig. 18
und 19 ist das Ohr bis dicht an die Schulter herangerückt. Mit
der Hebung des Kopfes kommt weiterhin auch die Ohröffnung
wieder höher zu stehen. Bei genauerer Verfolgung der Sachlage
kann man übrigens wahrnehmen, dass bei dem Zusammenrücken
von Ohr und von Schulter nicht nur die Eückwärtsschiebung des
ersteren, sondern zugleich auch eine Hebung, der Schultergegend in
Betracht kommt. Letzterer Vorgang aber hängt mit dem Empor-
steigen der Halswirbelsäule bez. des ganzen Halsgebietes (S. 122)
unmittelbar zusammen.

Wir gehen nach der allgemeinen Formbetrachtung des Kopfes
auf einige Einzelnheiten über:

Der Nackenhöcker bezeichnet im Eückenprofil die Grenze
zwischen Hals und Kopf. Seine ersten Andeutungen beginnen bei

-ocr page 256-

Embryo Lr Eig. 6 (Taf. IX Eig. 5), von da ab gewinnt er rasch an
Ausbildung, er erhält sich in höchst charakteristischer Weise bis
zu Eig. 20, ist aber auch bei Eig. 25 noch deutlich erkennbar Von
den beiden ihn einfassenden Gruben ist die obere die Hinterhaupts-
grube (s.
0. S. 242), über dem Eingang zur Eautengrube gelegen, und
msofern erlaubt sie auch dann, wenn die Schädeldecken nicht mehr
durchsichtig sind, eine Orientirung in Betreff der letzteren.

Auf jüngeren Stufen zeichnet sich der Rand der Rautengrube
auch für die äussere Betrachtung aus, und es lässt sich von Eig. 7 ab
bis zu Eig. 21 verfolgen, wie derselbe aus einem hinteren längeren
und einem kürzeren vorderen Schenkel gebildet wird, von denen jener
gegen den Nackenhöcker hin spitz ausläuft.

Früher als die äusserlichen Spuren der Rautengrube verlieren
sich diejenigen der übrigen Gehirngliederung. Noch bis in den Be-
ginn der 6. Woche hinein sind die einzelnen Gehirnabtheilungen
durch die Bedeckung hindurch erkennbar, und dasselbe gilt zum
Theil auch von den Ganglien (Taf. XIV Fig. 4); dann aber nimmt
das gallertige Gewebe der Haut mehr überhand und, gleichwie die
segmentale Gliederung des Rumpfes, so verliert sich auch mehr und
mehr die durch die Gehirngliederung bedingte äusserliche Modelli-
rung des Kopfes. Bei den Embryonen der untersten Zeile (Fig. 22-25)
ist dieselbe völlig verwischt.

Das Auge tritt vor Eintritt der Nackenkrümmung äusserlich
kaum als eine flache Vorwölbung zu Tage (Taf. IX 5), hinter welcher
die Augennasenrinne emporsteigt. Die erste deutliche Spur einer
neben den Augenblasen befindflehen Linsengrube findet sich bei Em-
bryo R (Fig. 8 oder Taf. XHI 1). Bei den Embryonen A, B Pr
(Flg. 9 und 10 und Taf. P 1 und 2) ist die Linse bereits scharf
umgrenzt, aber, wie die Durchschnitte zeigen, noch nicht geschlossen
Das Auge bildet an der Oberfläche einen kugeligen Vorsprung, nach
dem Gesichte hin fällt derselbe gegen eine tiefe, zwischen Nase und
zwischen Oberkiefer einschneidende Furche steil ab (Taf. I* 1 und 2,
Taf. XIII 4-7); dorsalwärts vom Auge und in einiger Entfernung
davon flegt die Anschwellung des GangL Gasseri (I* 2). Weiterhin
aber bilden sich in der unmittelbaren Umgebung des Auges einige
besondere Wülste. So werden zunächst (Taf. XIII Fig. 5, 6 und 7)
zwei kleine Höckerchen dicht hinter dem Auge sichtbar\', die viel-

-ocr page 257-

leicM als Augemnuskelwülste zu deuten sind. Man findet dieselben
nocb bei späteren Stufen bis zu Taf. XIV Fig. 5. Etwas später als
diese beiden tritt ein vor dem Augapfel liegender Wulst auf, welcher
zwischen diesen und den Nasenflügel sich einschiebt (Taf. XIV Fig. 1,
3, 4 und 5). Dieser Wulst scheint aus der Tiefe heraufgerückt zu
sein, denn noch bei Embryo Brl (Taf. XÜI Fig. 6) hegt an seiner
Stelle ein tiefer Einschnitt und auch bei S1 (Fig. 7} ist derselbe
kaum andeutungsweise vorhanden. Die drei das Auge umgebenden
Wülste werden nun nebst dem letzteren durch zwei Bogenlinien ein-
gefasst (Taf. XIV Fig. 3—5), und es wird dadurch das Conjunctival-
gebiet umsäumt. Der vordere von den Wülsten bildet den medialen
Augenwinkel, während der untere hintere in den lateralen zu hegen
kommt. Noch bei Embryo Dr (Fig. 5, Taf. XIV) führt eine tiefe
Bucht vom medialen Augenwinkel aus nach der Spalte hin, die zwi-
schen dem Oberkiefer und dem seithchen Stirnfortsatz vorhanden ist.

Nachdem einmal das Conjunctivalgebiet umgrenzt ist, erheben
sich, schon von Fig. 22 unserer Taf. X ab, an seinem Rande zwei
Hautwülste, aus denen die beiden Lider hervorgehen. Noch hegt
bei Fig. 25 das Auge offen da, allein schon in der ersten Hälfte des
3. Monats rücken sich die Lidränder an dessen Aussenfläche ent-
gegen, und sie schhessen dasselbe weiterhin von der Oberfläche ab.
Von Fig. 22 ab erscheint auch die Spalte zu geschlossen, welche bis
dahin noch zwischen dem Oberkiefer und dem seithchen Stirnfort-
satz vorhanden gewesen war.

Zwischen der Wölbung des Auges und derjenigen der Hemi-
sphären hegt am Schluss des 1. Monats (Taf. XIII Fig. 4) eine flache
Einsenkung, dann aber bildet sich in dieser Gegend ein convexer
Vorsprung aus, den wir als Supraorbitalwulst bezeichnen können
(Taf. XIII Fig. 6 u. 7 und Taf. XIV Fig. 1 u. 3-5). Seine Abgrenzung
gegen die Stirn verhert sich späterhin, wogegen derselbe fortfährt
die Augengegend als langgezogenen Vorsprung zu überwölben (Taf. X
Fig. 22—25).

Die Bildung der Nase ist in einem besonderen Capitel des Textes
(S. 45) eingehend erörtert worden, auf das ich hier hinweisen kann.
Die seitliche Ueberlagerung der bis dahin offenen Gruben beginnt mit
dem Anfang des 2. Monats und vollzieht sich ziemhch rasch (man
vergl. z. B. Taf. XIII Fig. 4 u. 5), so dass weiterhin im Profil sogar

-ocr page 258-

die Nasenlöcher verdeckt erscheinen (Fig. 16—19). Später (von Fig. 20
ab) werden sie dann wieder sichtbar. Der wulstige Nasenflügel ist
sehr früh ausgesprochen.

Von einer Wange kann man erst von Fig. 22 ab sprechen, die-
selbe grenzt sich von der Nase und vom Lippen- und Kinngebiet
durch eine schräge Furche ab, welche vor dem medialen Augen-
winkel beginnt, dicht hinter dem Mundwinkel herabsteigt und in den
Unterkiefer einschneidet (Fig. 22 —25). Im Betreff der Lippenbildung
und der Gestaltung des Unterkiefers verweise ich auf den Test
(S. 33 u. ff. u. S. 56), ebenso scheint es überflüssig, noch einmal auf
die Geschichte des Halses zurückzukommen (S. 115 u. ff.).

Am Rumpf erhält sich einestheils die segmentale Ghederung
und anderntheils die Ghederung in Längszonen bis in die 6. Woche
herein. Bei Embryo D r (Taf. XIV 5) ist erstere schon im Schwinden
begriffen, die letztere noch deuthch vorhanden. Die Segmentgliederung
ist theils auf die Urwirbel, theils aber auch auf die nur theilweise
davon bedeckten Ganghenanlagen zu beziehen, und es ist nicht allent-
halben leicht, von aussen her zu entscheiden, was dem einen und
was dem anderen von diesen Theilen zuzuschreiben ist. Meistens
zeigt die Modellirung eine gewisse Comphcirfcheit, die auf das In-
einandergreifen mehrerer Grundbedingungen hinweist. Bei Embryo R
z.B. (Taf. XIII 1) hegt vorn eine Reihe viereckiger Platten, hinter
welcher verschränkt liegende rundhche Vorsprünge sichtbar sind.
Hier scheint kein Zweifel, das die vorderen Felder die den Urwirbeln
angehörigen Muskelanlagen sind, die hinteren Wülste dagegen den
nur theilweise hervortretenden Ganghenanlagen angehören. Auch bei
Embryo Br 1 und bei A (Taf. XIII Eig. 6 und Taf. I*
2) ist eine
doppelte Reihe von Vorsprüngen erkennbar, die dieselbe Deutung
erfahren müssen. Dagegen zeichnen sich bei Embryo Pr (Taf. XIII4)
helle Felder und Streifen durch die Haut hindurch, die man ohne
Weiteres als die Ganghen- und Nervenanlagen erkennt. Ja es sind
sogar die Anfänge eines Plexus brachialis in einem über der Schulter-
gegend befindhchen Zickzackwulst unverkennbar zu sehen. Diese Be-
sonderheit, die ich bei keinem der anderen Embryonen gleich aus-
gesprochen gefunden habe, ist unzweifelhaft auf Verhältnisse der
Conservirung zurückzuführen. Möglicherweise hat hier die zur Här-

-ocr page 259-

tung mit angewendete Salpetersäure die oberfläoliliolien Muskelan-
lagen aufgehellt und die tieferen Nervenanlagen weisslich getrübt.
Hier bei Embryo Pr umgreifen die dicken Nervenstämme die
WoLPF\'sche Leiste zum grossen Theil. Allein auch da, wo die äusser-
lich sichtbaren Segmente den Muskelanlagen entsprechen, geht ihr
ventrales Ende eine kurze Strecke weit auf die WoLPF\'sche Leiste
über (Taf. I* 2, Taf. XIV 1), ein Verhältniss, das ja auch an den
Querschnitten des Rumpfes zu Tage tritt.

Aus der WoLFF\'schen Leiste erheben sich die obere und die
untere Extremität, jene an der Stelle, wo die Präbranchialleiste
die
WoLFF\'sche kreuzt, diese im einspringenden Winkel von der
unteren Körperbiegung (Taf. IX 5). Beide Extremitätenanlagen sitzen
anfangs mit langgezogener Basis auf der
WoLFF\'schen Leiste auf,
sind niedrig und dabei an ihrer dorsalen Oberfläche convex, an der
ventralen etwas concav.

Die obere Extremität beginnt zunächst durch eine von unten
her einschneidende Eurche sich etwas zu emancipiren (Taf.
XIII i),
und sie besteht weiterhin aus einem breiten flachen Lappen, der
durch einen im Winkel angefügten Stiel mit dem Rumpf verbunden
bleibt (1*2 u. XIII 4). Spurenweise vermag man allenfalls schon
bei Embryo Pr eine Dreigliederung der Extremität zu erkennen,
deuthcher wird dieselbe erst etwas später von den Stufen der Fig. 11
n. 12 ab (Taf. XIH 5).

An dem breiten Endstück der Extremität bildet sich ein Gegen-
satz aus zwischen einem gewulsteten Wurzelstück und einem etwas
abgeplatteten Randtheile. Auf der Grenze beider beginnen die ersten
Andeutungen einer Pingergliederung (Taf. XIH 5 u. 6). Die Hand,
die sich nunmehr durch zwei tiefere Furchen vom Vorderarm ab-
setzt, bekommt eine eigenthümhch pfeilspitzenartige Gestalt, indem
ihr Rand eine gebrochene Linie bildet. Die am meisten hervor-
tretende Ecke bezeichnet den Ort des Mittelfingers (XIII 6 und 7).
Noch tritt indessen keiner der Finger über den Rand hervor und
letzterer wird von einem schmalen dünnen Saum eingefasst. Weiter-
hin greift aber die Gliederung auch in diesen letzteren über, und
von da ab wachsen die Finger als kurze Zacken über ihre frühere
Begrenzungslinie hinaus (Taf. XIV 1 u. 3 — 5). So finden wir die
Sachlage im Verlauf der 6. Woche (Taf. X Zeile 4). In der 7. Woche

-ocr page 260-

gliedern sich die Phalangen ab und nun bekömmt das Händchen
rasch seine charakteristische Gestalt (Taf. X 22 — 25), wobei sich
immer noch der Handrüqken als ein dickes rundliches Kissen kenn-
zeichnet (Fig. 20—25).

Der Ellenbogen ist ursprünglich nach oben und dorsalwärts ge-
richtet (Fig. 11 — 14), dann bekommt er immer mehr eine lateral-
wärts gerichtete Stellung (15 — 17) und biegt sich weiterhin nach
abwärts aus (18 — 25). Der Oberarm, zuerst sehr kurz angelegt
(12—18), gewinnt von der 6. Woche ab etwas mehr an Länge und
ist schon am Schluss des 2. Monats der längste Abschnitt der Ex-
tremität geworden (25). Ein in seiner oberen Hälfte vorhandener
Wulst ist wohl auf den M. deltoïdes zu beziehen.

Als Anlage der Schulter ist schon in früher Zeit eines-
theils das Wurzelstück der
WoLFF\'schen Leiste selbst, anderntheils
die auf den Eumpf übergehende Fortsetzung der präbranchialen
Leiste zu verstehen (Taf. IX 5). Letztere bezeichnen wir am besten
als vordere Schulterleiste.\') Während der Kopftheil der Prä-
branchialleiste schon von den Stufen von a und von E ab in die
Tiefe gerückt und daher im Profil unsichtbar geworden ist (Taf. XIH 1),
geht die vordere Schulterleiste, über dem Herzvorhof vorbei, schräg
nach aufwärts, und ihr oberes Ende versteckt sich ungefähr in der
Höhe des 3. Schlundbogens.

Je weiter nun die Wirbelsäule und mit ihr die Extremitäten-
wurzel hinter der Parietalhöhle heraufsteigt (S. 120), um so mehr
nimmt die vordere Schulterleiste eine transversale Eichtung an und
um so mehr verkürzt sie sich auch. Vielleicht wird ein Theil ihrer
Substanz geradezu in die Anlage des Armes mit hereinbezogen.
Schon bei Embryo A und bei Pr (Taf. I* 2 u. XIII 4) ist die Neigung
der Schulterleiste weit geringer als bei R, und auf den nachfolgen-
den Stufen (XIII 5—7) wird deren Richtung eine nahezu horizontale.
Eine Beziehung dieser Leiste zur Zunge, wie sie
Feoeiep statuirt,
halte ich nicht für annehmbar. Während sich die vordere Schulter-
leiste in der angegebenen Weise umlagert, hebt sich mehr und mehr
ein dreieckiges Feld ab, welches über der Extremitätenwurzel be-
ginnt und unter allmählicher Zuschärfung hinter dieser herabsteigt

1) Archiv für Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1881. S. 318.

-ocr page 261-

(Taf. XIII 6 u. 7 und besonders deutlicb Taf. XIV Fig. 3). Dass dies
Feld den Ort der Schulterblattanlage bezeichnet, scheint mir ziem-
lich Mar, und in Uebereinstimmung damit ergiebt auch die Con-
struction von Embryo Sch (Fig. 77 S. 125) das Schulterblatt sehr
hochstehend und zum Theil noch in das Halsgebiet hineinreichend.

An der Anlage der unteren Extremität beginnt der den Fuss
frei machende Einschnitt gleichfalls vom caudalen Ende her vorzu-
rücken. Wiederum geht ein Stadium der Zweigliederung der de-
finitiven Dreigliederung voraus (Taf. I* 2). Letztere beginnt von
Fig. 12 (Taf. XIII 5) ab deutlich zu werden, und auch da ist der
Oberschenkel anfangs sehr kurz angelegt. Die Pfeilform des End-
gliedes ist noch schärfer ausgesprochen als bei der Hand, und zwar
fällt die Spitze an den Ort der 2. Zehe (Taf. XIV 1 u. 3 — 5). Die
Bildung eines peripherischen Saumes geht der Zehengliederung vor-
aus. Letztere folgt der Fingergliederung durchweg nach, so zeigen
2. B. Fig. 16 und 17 bereits die Anfänge der Fingerghederung bei
noch ungegliederter Fussanlage. Bei Fig. 22 beginnen die Zehen
erst als kurze Stümpfe den Fussrand zu überragen, während die
Hand schon ziemlich ausgebildet ist.

Das Knie sieht auf den jüngsten Stufen 12 —14 nach hinten
und abwärts, dann dreht es sich gleich dem Ellenbogen mehr lateral-
wärts (15—21) und nimmt schliesslich die nach aufwärts gebogene
Richtung an. Gleichzeitig verlängert sich der Oberschenkel in er-
heblichem Maasse und überholt bald die im Längenwachsthum voran-
geeilten unteren Abschnitte der Extremität.

Der vor der WoLFF\'schen Leiste gelegene Abschnitt des Rumpfes
gliedert sich, wenn wir zunächst ;das Becken bei Seite lassen, natur-
gemässerweise in drei Etagen für Herz, Leber und Darm. Bis in
die 5. Woche herein sind die Modellirungen von Herz und von Leber
äusserhch sehr wohl erkennbar. Das Herz tritt zu der Zeit noch
schräg vor der Leber herab und ist anfangs durch eine fast verti-
cale, späterhin durch eine schräge Linie von dieser geschieden (Taf.I*
1—4 und Taf. XHI 1 u. 3—7). Mit zunehmender Entwickelung wird
die Leber verhältnissmässig immer grösser, sie hebt das Herz in die
Höhe, so dass z. B. auf Stufe Zw dessen Axe fast horizontal ver-
läuft (S. 174 u. 175 Fig. 116 u. 117), und dabei verwischen sich seine
äusserlich sichtbaren Abgrenzungen. Nach abwärts greift die Leber

-ocr page 262-

in das frülier etwas eingesunkene Darmgebiet hinein, wobei der
beweghohe Darm grossentheils aus der eigenthchen Bauchhöhle
heraus in den Nabelstrang gedrängt wird (S. 19). Wenn die Leber
in der Weise nach oben und nach unten hin sich ausgebreitet hat,
gewinnt der ganze Bauchtheil des Kumpfes ein kugeliges Ansehen
und durch eine tief einspringende Rinne setzt er sich alsdann vom
Nabelstrang ab (Taf. XIY Fig.
5 und X 22—24).

Der Beckentheil des Rumpfes erfährt schon von Fig. 5
und 6 ab die bekannte Emporhebung, in Folge deren der Steiss spitz
nach oben, ja vorübergehend sogar (Fig.
7) dorsalwärts gekehrt wird.
Der Ort der Biegung fällt anfangs noch in den Bauchtheil der Wirbel-
säule, verschiebt sich aber später mehr und mehr nach abwärts
(n 66). Schon auf der Stufe von Br 1 und S1 (Taf. XTTT 6 u. 7) be-
ginnen die oberen Beckensegmente wieder in die Rückenlinie einzu-
treten, und schhesshch (Taf. X
22—25) ist es nur noch das Steiss-
beingebiet, welches nach vorn gekehrt und ein wenig gehoben er-
scheint.

Die Ausbildung eines Schwanzfadens erreicht ihren Höhe-
punkt im Laufe der fünften Woche. Noch bei A und Pr endet der
Beckentheil mit einer stumpfen Spitze (Taf. I* 4 und XI[I4), bei
Rg, Brl und Sl (Taf. XHI
5, 6 u. 7) wird dieselbe von einem dünnen
Anhang überragt, der vom übrigen Beckentheil, sei es lateralwärts,
sei es nach vorn hin, abgebogen erscheint. Diese Biegung des Schwanz-
fadens ist offenbar durch den Druck des dagegen andrängenden Na-
belstranges herbeigeführt. Reste des Schwanzfadens sind noch bei
Zw (Fig.
24) zu sehen, bei Wt dagegen (Fig. 25) besteht nur noch
ein stumpfer nach vorn gekehrter Steisshöcker.

Die Entwickelung der äusseren Sexualfalten ist an Profil-
bildern nicht leicht zu studiren, weil diese Theile durch die Extre-
mitäten verdeckt zu sein pflegen. Eür eine frühe Stufe verweise
ich vorläufig auf Taf. XIV Fig. 2 und behalte mir vor, dies Gebiet
in meinem Schlussheft eingehender zu behandeln. Ziemlich weit
entwickelt zeigt sich das Sexualglied auf der Schlussfigur der Tafel X.

-ocr page 263-

Tafel XI.

Durchschnitte der beiden Embryonen BB und Lr
(Taf. IX Eig. 3 und 5). Durch ein Versehen des Lithographen sind
die beiden Abtheilungen der Reihe BB durch die Reihe Lr von
einander getrennt. Die zwei obersten und die zwei untersten
Schnittreihen gehören BB an, die vier mittleren Lr. Die Ver-
grösserung ist 40. Die Ziffern sind meine Schnittnummern.

Die Buchstabenbezeichnungen sind die des 1. Heftes (I. S. 174),
neu sind:

B. p Bursa parietalis.

Dv bez. Ds Dottervene.

Fu Furcula.

R. p Recessus parietalis.

S. p Sinus pyriformis (Fundus branchialis).

T. i Tuberculum impar.

Tafel XII.

Durchschnitte vom Embryo R 20fach und vom Em-
bryo Lg 40 fach vergrössert (Taf. XIII Fig. 1 und 2 und Taf. IX
Fig. 1). "Wegen nachträghcher Veränderung dieser Tafel sind auch
hier die beiden Reihen verschränkt. Die drei obersten und die drei
untersten gehören Embryo R, die mittleren Embryo Lg an.

Neue Bezeichnungen:
C. a Canalis auricularis.
Rh Rachenhaut.

Tafel XIII.

Fnj.J. Profil vom Embryo R. Vergrösserung 20. Das
vorzüglich erhaltene Präparat, das mir 1881 durch die Post aus
Russland zugesandt worden war, hat mich in diesen verflossenen
4 Jahren sehr viel beschäftigt und ich habe schon bei verschiedenen
Anlässen über einzelne daran gewonnene Ergebnisse berichtet.») Im

1) Arch. f. Anat. u. Physioi., anat. Abth. 1881. S. 303 u. ff. und 1883. S. 166.
Bei dem Anlass bemerke ich, dass in der Tabelle Heft II. S. 7 die Länge des
Embryo aus Versehen auf 5 anstatt auf 5.5 mm angegeben ist. Von dort aus
ist der Fehler in die Tabelle des gegenwärtigen Heftes (S. 9) übergegangen.

-ocr page 264-

verflossenen Sommer bin ich nun anlässflch des Kopenhagener Con-
gresses auch so glückflch gewesen, in Herrn Hofrath Dr. E.
Berg aus
St. Petersburg den mir bisher unbekannten freundflehen Geber des
Präparates kennen zu lernen. Ein dem vorflegenden sehr nahe-
stehendes Object hat neuerdings H.
Fol abgebildet. Bei Vergleichung
unserer beiderseitigen Figuren wird man finden, dass die äussere
Modellirung meines Präparates eine vollkommenere gewesen ist.

Fig. 2. Dorsale Ansicht vom Embryo R.

Fig. 3. Anatomie vom Embryo E. Vergrösserung 20 des
feuchten Präparats. Das Gehirn zeigt die verschiedenen Abtheilun-
gen: Hemisphärenhirn, Augenblase, Zwischen-, Mittel- und Rauten-
grubenhirn. Seitlich davon sind auch die Ganglienanlagen und die
Gehörblase eingezeichnet. Die Chorda dorsafls läuft hinter der
rathke\'schen Tasche aus. Der Vorderdarm ist bis zum Eingang
von Luftröhre und Oesophagus geöfihet, von da ab ist das Ein-
geweiderohr, Lunge, Oesophagus, Magen, Eankreas, Lebergang und
Darm bis zur Cloake punktirt. Letztere nebst dem Allantoisgang ist
voll ausgezeichnet. Die in den Bauchstiel eintretenden Nabelarte-
rien und die Nabelvenen sind als abgeschnittene Stümpfe dargestellt.
Zwischen dem Herzen und der Leber ist der aus dem Zwerchfell
heraustretende Sinus reuniens sichtbar nebst der V. cava superior,
der Nabelvene und der Lebervene (bez. Dottervene). Die Urniere
nebst ihrem Gang und der Nierenanlage sind gleichfalls eingezeichnet.

Fig._4. Embryo Pr. 15fach vergrössert.

Fig. 5. Embryo aus der C. RuGE\'schen Sammlung nebst Na-
belblase. Vergrösserung 15. (Taf. X Fig. 12.)

Embryo Br 1. Vergrösserung 12. (Taf. X 14.)

Fig. 7. Embryo S 1. Vergrösserung 12.\' (Taf. X 16.)

Tafel XIV.

Fig. 1. Embryo Br 2. Vergrösserung 10.
Fig. 2. Derselbe Embryo von vorn her gesehen.
Fig. 3. Embryo Sch 2. Vergrösserung 10.
Fig. 4. Embryo aus der C. RüGE\'schen Sammlung. Vergrösse-
rung 10. (Taf. X 19.)

Fig. 5. Embrj^o Dr. Vergrösserung 10. (Taf. X 20.)

-ocr page 265-

Fig. 6. GesicM vom Embryo Hn. Vergr. 15.

Fig. 7. Gesicht vom Embryo C H. Vergrösserung 10. (Taf. X
Eig. 17.)

- Fig. 8. Gesicht vom Embryo Lhs (s. oben S. 238). Vergrösse-
rung 107"

Fig. 9. Gesicht eines etwas weiter entwickelten Embryo. Ver-
grösserung 10.

Zur Erläuterung der Eig. 6—9 vergleiche man den Text S. 33
und 56.

Tafel I*.

Von meinen älteren Tafeln war die zuerst in Arbeit genommene.
Taf. I in der Lithographie etwas sehr hart herausgekommen, auch
habe ich seit der Zeit ihrer Anfertigung manche Einzelnheiten der
Formen besser verstehen gelernt. Da nun gerade diese Tafel einige
meiner wichtigsten Stücke enthält, so habe ich mich entschlossen,
die darauf abgebildeten Embryonen ES, M, A und E von Herrn
Pausch umzeichnen und noch einmal lithographiren zu lassen. Ich
befürchte kaum, dass man nach einem Vergleich der beiden Tafeln
mich hierfür tadeln wird. Die in der alten Taf. I enthaltenen Ana-
tomien zu reproduciren, schien mir indessen überflüssig und ich habe
statt derselben die Anatomien von zwei neueren Embryonen BI und
Pr zur Darstellung gebracht.

Fig. 1. Embryo B (Heft L S. 16) von der rechten Seite her.
Vergrösserung 20. Der Embryo ist noch vom Amnion umhüllt und
in Verbindung mit der Nabelblase. Von neuen, bei der früheren
Figur unberücksichtigten Einzelnheiten hebe ich folgende hervor:
zwischen den obersten Urwirbeln und der Gehörblase liegen 2 bez.
3 helle Vorsprünge, welche als die Ganglien der Nn. glossopharyn-
geus und vagus zu verstehen sind. Das Nasenfeld und die Jacob-
son\'sche Grube sind durch das Amnion hindurch sichtbar und auch
die Schlundbogen sind eingehend durchgearbeitet. Die seitliche
Bauchwand lässt eine verzweigte Figur erkennen, die nichts Anderes
sein kann als die Vena umbihcahs dextra (S. 205).

Fig. 2. Embryo A. Vergrösserung 20. Die bei der früheren
Darstellung eingezeichnete Eisse sind ausgefüllt worden, was man

His, Menschl. Embryonen. HI. 17

-ocr page 266-

sich ohne Gefahr eines Irrthums erlauben durfte. An der alten
Fig. I war das Nasenfeld unverstanden gehliehen, ich hatte dort nur
die jACOBSON\'sche Grube eingezeichnet, eine Lücke, die dann durch
die Supplementarfigur Taf. VII a 4 auszufüllen versucht wurde. .Die
Ghederung des Unterkieferbogens und des zweiten Schlundbogens
sind sorgfältig durchgeführt. An ersterem erkennt man bereits das
Tuberculum tragicum (S. 212), an letzterem ist die noch sehr zarte
Längstheilung angedeutet. Aus dem hinteren Streifen des zweiten
Bogens wird die Cauda helicis. Das geübte Auge vermag schon auf
dieser Stufe die Hauptabschnitte der Ohrmuschel, die drei Gheder des
Hehx und den Anthehx, den Tragus und den Antitragus und sogar
die Taenia lobularis zu erkennen. In Betreff der übrigen Formver-
hältnisse verweise ich auf den Text des L Heftes (L 16 u. ff.).

Fig. 3. Anatomie des Embryo Bl. Vergrösserung, auf den
feuchten Embryo bezogen, 30fach. Zu äusserst umfassen Gehirn
und Eückenmark den Körper, von denen ersteres bereits in vier
Hauptabtheilungen gegliedert ist. Die secundäre Augenblase beginnt
sich an ihrem basilaren Eand zu schhessen. Die auf das Medullar-
rohr folgende Chorda läuft diesem im Allgemeinen parallel und nur
unterhalb des Nackenhöckers entfernt sie sich von ihm etwas mehr
denn in ihrer übrigen Länge. Hier ist auch die Eückwand des Ein-
geweiderohres vom Medullarrohr am weitesten abgerückt, während
sie demselben im Bereich der Brückenkrümmung des Gehirns sehr
nahe liegt. Das obere Chordaende verliert sich etwas verbreitert in
der Eückwand der
EATHKE\'schen Tasche.

Das Eingeweiderohr ist in seinem Kopftheil eröffiiet dargestellt,
für den Eumpftheil dagegen ist die Lichtung punktirt angegeben.
Im Mundrachenraum folgt auf den Unterkiefer die erste Schlund-
spalte, dann der zweite Schlundbogenwulst und die darunterliegende
nach vorn geöffnete mittlere Anlage der Schilddrüse; der Ort des
Tuberculum impar hegt vor der letzteren. Im Bereich der dritten
Spalte sieht man die durchschnittene Epiglottis, dahinter den noch
unverhältnissmässig langen Hohlraum für Kehlkopf und Respirations-
wege. Die Lungenanlage wird von der oberen Hohlvene gekreuzt.
Von den Aortenbogen sind vier durchgängig, der erste ist verküm-
mert, als Rest desselben hat sich die A. maxillaris erhalten.

Die das Herz umschhessende Parietalhöhle berührt die Vorder-

-ocr page 267-

wand des Mundraohenraumes, vom Unterkiefer ah his in die Höhe
der Lnngenanlage. Die Leber ist von der Parietalhöhle durch das
Zwerchfell geschieden, das zur Zeit beinahe vertical steht. Die Leber
ist durchsichtig gehalten, man sieht oben die Vv. hepaticae, nnten
die Vv. omphalomesentericae nebst den Sinus annulares. Die zwei
oberflächlich liegenden Venen sind: das obere Endstück der früheren
V. umbihcahs dextra und ein Abschnitt vom unteren Stamm.

Darm und Darmstiel sind leicht verständhch, das Gekröse ist
quer schraffirt, dahinter liegt die langgestreckte Urniere, deren
Gang an die Seitenwand der Cloake tritt; vor der Einmündungsstelle
liegt die erste Spur einer Nierenanlage. Die Cloake fällt jenseits
vom Bereich der Leibeshöhle, sie liegt in der compacten Substanz
des Beckentheiles eingebettet. Die Grenze der Leibeshöhle ist
dicht hinter dem Bogen, den die Aorta jederseits bei ihrem Ueber-
gang in die A. umbilicalis bildet. Zwischen den beiden, isolirt dar-
gestellten Nabelarterien ist der in den Bauchstiel hereintretende
Allantoisgang sichtbar, die Venen der unteren Körperhälfte sind
nicht eingezeichnet.

Fig. 4. Anatomie des Embryo Pr. Vergrösserung, auf
das feuchte Präparat berechnet, ca. 14fach (20fach der Schnitte).
Gehirn, Eückenmark und Chorda wie oben. Im Mundrachenraum
ist die Zunge bereits angelegt und die mittlere Schilddrüsenanlage
demgemäss isolirt. Kehlkopf und Pharynx sind bis zu ihrem unteren
Ende offen gezeichnet. Dieselben werden von dem dritten bis fünf-
ten Aortenbogen gekreuzt. Die Höhlungen von Trachea, Lungen,
Oesophagus, Magen und Darm sind punktirt. Man bemerkt, wie der
untere Theil der Trachea in die Parietalhöhle hervortritt, während der
obere Theil noch umschlossen ist. Von der V. cava superior sinistra
sind die beiden Gekrösblätter (die M. pleuropericardiaca) im Durch-
schnitt dargestellt. Die Leber ist hier in der Medianebene durch-
schnitten gedacht, daher sie viel weniger tief erscheint als bei Eig. 3.
Als ein dicker, auf eine kurze Strecke zweigetheilter Stamm tritt
die V. umbilicalis sinistra von der Bauchwand her zur Leber, hier
nimmt sie die V. Portae auf und geht alsdann in die vor dem Magen
emporsteigende V.
Aeanzii über. Die Vena Portae tritt in einem
Bogen um das Duodenum und kommt von der rechten Seite her an
die Umbilicalis. Im unteren Körperabschnitt sind der Urnierengang

-ocr page 268-

und die nunmehr etwas vergrösserte Nierenanlage sichtbar. Die
Cloake ist bedeutend verkürzt. Im oberen Theile des Bauchstieles
sieht man die Fortsetzung der Leibeshöhle, im unteren Theil sind
punktirt Allantoisgang und die Nabelvene eingezeichnet. Die Ur-
wirbelgliederung des Eumpfes ist an der Figur mit Strichen an-
gegeben.

Fig. 5. E m b r y 0 M. Vergrösserung 40. Es ist der Em-
bryo diesmal nur von der einen, rechten Seite her dargestellt, dafür
ist die Nabelblase mit dazu gezeichnet. Die Formverhältnisse des
Embryo sind im ersten Heft ausführhch erörtert worden, nur in
Betreff des Amnion füge ich noch einige Worte bei. Dasselbe um-
hüllt den Vorderkopf vollständig, am Hinterkopf dagegen lässt es zur
Zeit noch die vordere Partie des Herzens bez. die Präcardialplatte
frei (wie dies aus den Durchschnitten sicher zu entnehmen ist).
Das Beckenende ist vollständig eingeschlossen und sein Amnion-
überzug tritt an den Bauchstiel, mit dem er sich verbindet.

Fig. 6. Embryo SE. Vergrösserung 40. Abgesehen von
der künstlerischen Vervollkommnung, welche diese Figur erfahren
hat, bietet sie einiges neue Detail in ihrem Nabelblasentheil. Eines-
theils ist die bei der früheren Darstellung vernachlässigte höckerige
Beschaffenheit der Oberfläche wiedergegeben, sodann aber zeigt die
nach mehrfachen photographischen Aufnahmen entworfene Zeich-
nung in dem an den Embryo anstossenden Theil der Nabelblase
einen breiten hellen Streifen, von dem ich nach den neueren Er-
fahrungen über Säugethierentwickelung vermuthen möchte, dass er
die Ausdehnung des Gefässblattes bezeichnet.

BERICHTIGUNGEN.

Seite 47 sind die Figurenbezeichnungen je um zwei zu klein angegeben, anstatt

Fig. 28 soll es helssen Fig. 30, anstatt Fig. 29 Fig. 31 u. s. w.
Seite 96 ScMussabschnitt Zeile 3 lese man anstatt „bereits offene Gruben"
breite offene Gruben.

Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.

-ocr page 269-

^^

f jt.-miwij-\'^a^mf-"tr? ■ iisixzzr^a—mi^i^—■

-ocr page 270-
-ocr page 271-

5E

■r
dr-.

m

-ocr page 272-

:

"/f-m vr t

^ ■■ V

>

- -