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Schillers Aesthetik

verglichen mit der romantischen

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SCHILLERS AESTHETIK

VERGLICHEN MIT DER ROMANTISCHEN

PROEFSCHRIFT TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD VAN
DOCTOR IN DE LETTEREN EN WIJSBEGEERTE AAN DE RIJKS-
UNIVERSITEIT TE UTRECHT. OP GEZAG VAN DEN RECTOR
MAGNIFICUS Mr. J. C. NABER. HOOGLEERAAR IN DE FACUL-
TEIT DER RECHTSGELEERDHEID. TEGEN DE BEDENKINGEN
VAN DE FACULTEIT DER LETTEREN EN WIJSBEGEERTE TE
VERDEDIGEN OP VRIJDAG 13 JULI 1923. DES NAMIDDAGS 4 UUR.
DOOR PETRUS ANTONIUS JOSEPHUS HENRICUS GERVERSMAN.
GEBOREN TE SITTARD

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M. LINDENBAUM G Co - DRUKKERS - AMSTERDAM

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Der Mutter meiner Kinder

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Bij de voltooiing van deze dissertatie gevoel ik mij
gedrongen, mijn oprechten dank te betuigen aan Prof. Dr.
B. Symons en den Heer H. Breuning, Lector, wier colleges
ik mocht volgen aan de Rijksuniversiteit te Groningen.

Verder dank ik de Heeren A. L. Brouwer en H. Annema
te Leeuwarden voor dc leiding, die ik van hen bij mijne
studie in dc Hoogduitschc Taal en Letterkunde heb ge-
noten.

Maar bovenal ben ik U, Hooggeleerde Frantzcn, Hoog-
geachte Promotor, dankbaar, ten eerste voor Uwe colleges,
die ik ecnigen tijd aan de Rijksuniversiteit te Utrecht mocht
bijwonen, maar dan ook voor Uwe belangstelling bij mijn
verdere studie, voor Uwe hulp cn voor dc hartelijke toe-
wijding, die ik van U heb mogen ondervinden.

Ook aan U, Hooggeleerden, De Vooys en Ovink, betuig
ik mijn hartcHjken dank voor dc medewerking, die Gij bij
mijn promotic hebt willen verlccncn.

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DAS MORALISCHE ELEMENT.

„Beauty and Good arc still onc and the
samc," Shaftcsbury. The Moralists.

Aus seiner ganzen Menschheit, wie diese sich entwickelte
in der Berührung der eigenen Natur mit den äuszeren Um-
ständen, entstand Schiliers Aesthetik. In ihr lebt sein Leben,
sein Wünschen und Wollen, sein Suchen und Hoffen, sein
Glauben und sein rastloses Streben. Erwin Kircher, der
feine, früh-verstorbene Romantiker, spricht von dem Rhyth-
mus des Schiller\'sehen Lebens, dem Rhythmus seines
Körpers und seiner Seele,Und dieser Rhythmus wurde
getragen von dem Gefühl einer idealen Sittlichkeit. Aus
diesem Gefühl heraus entwickelte sich seine Schönheit,
seine Weltanschauung, einseitig häufig, aber immer er-
haben, mit dem hohen Ziel einer idealen Menschheit vor
Augen... Wie ein frommer Priester suchte er das Wesen
seines Gottes zu durchforschen und bisweilen streng und
schroff verteidigte er seine Dogmen gegen fremde Meinung,
denn wie dem frommen Priester, so war auch ihm der
eigene Gott der einzige und wahre....

Das 18. Jahrhundert in seiner ersten Hälfte war das
moralische Zeitalter im wahrsten Sinne des Wortes, die
Zeit der Haller und der Brockes, denen die Natur diente
mZu langweilig weitschweifiger Beschreibung oder zu pro-
saischen Beweisen für die Allmacht und Weisheit
Gottes",\') das Zeitalter der moralischen Wochenschriften,
der moralischen Erzählungen, der moralischen Philosophen,

\') Philosophie der Roraontlk, S. 67. \') Hettncr R. S. S. 75.

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und Shaftesbury war der gröszte unter ihnen, der feinsin-
nigste, dem Leben und Kunst eins waren. Aber diese
Lebenskunst war ihm das Sittlichschöne: „The most natura
Beauty in the World is Honesty, and moral Truth. For all
Beauty is Truth".\') Und nachdrücklich hatte er wieder-
holt: „Beauty and Good are still one and the same",*) das
Höchste, das Göttlichste im Menschen: „there is nothing so
divine as Beauty: which belonging not to Body, nor having
any Principle or Existence except in Mind and Reason, is
alone discover\'d and acquir\'d by this diviner Part, when it
inspects it-self, the only Object worthy of it-self".»)

Solche Lehren wurden von Schillers kongenialer Seele,
die durch Naturanlage und Erziehung dem Moralischen
weit
offenstand, gierig aufgenommen. Schon als der Karls-
schüler die Fragen über die Charaktereigenschaften seiner
Mitschüler beantworten muszte, zeigte sich, „dasz cr seine
Kollegen schon damals mehr nach ihrem sittlichen Werte
und ihrem Gemüte, als nach der Intelligenz beurteilte".

Zwar Shaftesbury war nicht seine unmittelbare Quelle.
Ferguson in Garves Uebersetzung (Grundsätze der Moral-
philosophie, 1772) war sein Führer, aber Ferguson fuszte
auf Shaftesbury, dessen Lehre er in systematischen Zu-
sammenhang zu bringen unternommen hatte.

Daneben wirkten Leibnitzische Gedanken. „Perfice te!"
lautete das oberste Moralprinzip. Je näher der Vollkom-
menheit, umso näher der höchsten Sittlichkeit. Die schönste
Seele ist die vollkommenste, die sittlichste.

Und dann war es sein Lehrer Abel, der ihn erst recht in
die Philosophie einführte, Abel, dem die Philosophie Ver-
edlung des Herzens, Ausbildung des Geschmacks, die Ver-
bindung des Ethischen mit dem Aesthetischen war. „Die
Moral aber wurde aus seinem Munde zur wichtigsten aller

«) „An Essay on the Freedom of Wit and Humour." «) „The MoralisU."
») Ebda. \') Minor. Schiller S. 103. ») Berger, Schillers AestheUk, S. 10.

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philosophischen Disciplinen".\') Leitete er doch sogar die
Unsterblichkeit aus einer moralischen Weltordnung ab.

Aber unter diesem Sittlichkeitsideal stand eine Alltags-
welt, mit ihrer spieszbürgerlichen Wirklichkeit, ihrer plat-
ten Nüchternheit. Da war es Schiller, der junge, eroberungs-
süchtige Held, der in Sturm und Drang über diese Welt
dahinbrausen, sie zu sich emporheben wollte, weil er nicht
zu ihr hinuntersteigen konnte: er wurde Idealist aus Grund-
satz. \') Das Ideal war das Sittlichschöne, das Mittel aber
war die Kunst, besonders die dramatische Kunst.

Denn die Schaubühne ist ihm die moralische, die „ver-
dienstvolle Anstalt", die aber leider ihre moralische Ab-
sicht verfehlt; „die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich
Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurz-
weil mit Bildung galtet", wo der „rohe Unmensch" zum
ersten Male zu empfinden anfängt, wo jede Brust nur einer
Empfindung Raum gibt, nämlich: ein Mensch zu sein.
„Grosz und vielfach ist (also) das Verdienst der besseren
Bühne um die sittliche Bildung; kein geringeres gebührt ihr
(aber) um die ganze Aufklärung des Verstandes". Und
dann, vor allen andern, ist die Bühne das Mittel, den
„ästhetischen Sinn oder das Gefühl für das Schöne" zu
erregen, jenen „mittleren Zustand" hervorzurufen, der dazu
dient, die Kluft zwischen dem „Zustande des Tiers" und
den „feinern Arbeiten des Verstandes" zu überbrücken.\'")

") Minor. Schiller, S. 103. •) Hettner, R. S. S. 20. ") Interessant Ist es.
mit dieser moralischen Wirkung auf das Publikum eins der „Fragmente zu
vergleichen (Ath. 1798, II, S. 67): „Ein Gedicht oder ein Drama, welches
der Menge gefallen soll, musz ein wenig von allem haben, eine Art Mik-
rokosmus sein. Ein wenig Unglück und ein wenig Glück, etwas Kunst, und
etwas Natur, die gehörige Quantität Tugend und eine gewisse Dosis Laster,
Auch Geist musz drin sein nebst Witz, ja sogar Philosophie, und vorzüglich

Moral, auch Politik mitunter. Hilft ein Ingrediens nicht, so kann vielleicht das

«ndre helfen. Und gesetzt auch, das Ganze könnte nicht helfen, so könnte es doch
«uch. wie manche darum Immer zu lobende Medizin, wenigstens nicht schaden."

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In der „Theosophie" aber gipfelt Schillers Moralästhetik,
indem sie sich erhebt zu einer spekulativ-mystischen „Phi-
losophie, die sein Herz adelt und die Perspektive seines
Lebens verschönert". „Nähert euch dem Gott, den ihr mei-
net!" ruft der begeisterte Dichter. Dieses Emporstreben
zum Göttlichen liegt aber im Erkennen der Schönheit und
der Harmonie des göttlichen Kunstwerkes, der Welt, emem
Erkennen, das wir nur in liebevoller Anschauung erreichen,
wodurch wir selbst in den Zustand des Schönen, des Wah-
ren, des Vortrefflichen eintreten, den wir wahrnehmen. Das
ist die Wechselwirkung „zwischen dem Schauenden und
Angeschauten beim Akte des Schönen", der wir auch in
einer späteren Periode wieder begegnen. ")

Die Kritik über Bürgers Gedichte (Dez. 1790) ist sodann
gleichsam die Anwendung jener moralisch-ästhetischen
Theorien, Der Dichter sollte „durch das geübte Schönheits-
gefühl den sittlichen Trieben eine Nachhilfe geben", er
sollte, „ein Vorläufer der hellen Erkenntnis", „die gewag-
testen Vernunftwahrheiten in reizender und verdachtloser
Hülle, lange vorher unter das Volk (bringen), ehe der Phi-
losoph und Gesetzgeber sich erkühnen dürfen, sie in ihrem
vollen Glänze heraufzuführen".") Der Dichter sollte „ein-
geweiht in die Mysterien des Schönen, Edeln und Wahren,
zu dem Volke bildend herniedersteigen". Aber es erweise
sich, „dasz der Geist, der sich in diesen Gedichten dar-
stellte, kein gereifter, kein vollendeter Geist sei, dasz

") „Derjenige Gegenstand, der mich mir selbst zu einer unendlichen Grösie
macht, helszt erhaben." (Von der ästhetischen Gröszcnschätzung.) Vcrgl.

Solger. Erwin 1. S. 21.......In Bezug auf das Schöne... hättest du wohl

recht zu sagen, dasz auch wir selbst ganz mit dem Gegenstände zusammen-
schmelzen." Erwin II. S. 165. Die ..Erkenntnisart. worin das Erkennen mit
dem Gegenstände vollkommen In eins zusammenfällt" Ist die Anschauung.
Heine. Rom. Schulc: ..Indem wir das Unendliche gcschaut zu haben meinen.
Ist unser Gefühl unendlich geworden, poetisch." ") Vgl. Die Künstler:
„Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen.....etc.

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seinen Produkten nur deswegen die letzte Hand fehlen
möchte, weil sie — ihm (dem Dichter) selbst fehlte".")

Aber neue Einflüsse wirkten.,, Körner.., Kant... Und
über seine Lehrer hinaus fing Schiller an selbstdenkend,
selbstsuchend, sich selbst zu werden. Nicht, dasz er den
sittlichen Standpunkt verlassen hätte — er hätte sich selbst
verlassen müssen! — aber eine Ahnung, dasz die Kunst für
sich bestehe, ohne moralische Zweckmäszigkeit, dasz über-
haupt Schönheit und Sittlichkeit nicht eins und dasselbe
seien, ging ihm auf. Und das brachte mit sich das Forschen
und Suchen nach einer genauen Begriffsbestimmung des
Schönen. In einem Brief an Körner vom 25. Dez. 1788 ist
er bereits davon überzeugt, dasz das Kunstwerk nur seiner
eigenen Schönheitsregel Rechenschaft geben dürfe und
keiner anderen Forderung unterworfen sei. Er fügt aber
hinzu: „Hingegen glaub\' ich auch fest, dasz es gerade auf
diesem Wege auch alle übrigen Forderungen mittelbar be-
friedigen musz, weil sich jede Schönheit doch endlich in
allgemeine Wahrheit auflösen läszt. Der Dichter, der sich
nur Schönheit zum Zwecke setzt, aber dieser heilig folgt,
wird am Ende alle anderen Rücksichten, die er zu vernach-
lässigen schien, ohne dasz er \'s will oder weisz, gleichsam
zur Zugabe mit erreicht haben..." Und in den beiden Ab-
handlungen über das Tragische aus dem Jahre 1791 wider-

") Eben diese Anwendung wurde von A. W. Schlegel scharf getadelt.
..Die Zufälligkeiten, wclche die Entstehung eines Kunstwerkes umgaben,
dürfen nicht In Anschlag gebracht werden, wenn von einer Beurteilung nach
Kunstgesetzen die Rede Ist." — ..Das war es wohl eben, woi Bürgern In
der oben erwähnten Beurteilung ... am empfindlichsten kränkte, dasz sie
diese Trennung nicht zugab, dasz so bestimmt darin ausgesprochen wurde,
was man am Dichter vermisse, gehe dem Menschen ab", — ..Es ward Ihm
Mangel an Bildung vorgeworfen. In einem Alter, wo man eine solche Ver-
säumnis schwerlich mehr nachholt." — ..Die moralischen
Angelegenheiten
eines noch lebenden Menschen vor das grosze Publikum zu ziehen. Ist In
der Tat grausam."

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spricht er denn auch seinen früheren Ansichten: „Die wohl-
gemeinte Absicht, das
Moralischgute überall als höchsten
Zweck zn verfolgen, die in der Kunst schon so manches
Mittelmäszige erzeugte und in Schutz nahm, hat auch m
der Theorie einen ähnlichen Schaden angerichtet . Allem
das Ergebnis bleibt nichtsdestoweniger ein recht unbefrie-
digendes. Bald
hat es den Anschein, als stünde die Kunst
auf sich da, nur sich selbst gehorchend, bald wird alles doch
schlieszlich wieder ins Moralische hinübergespielt. Es ist
eben das dem Suchen eigene Schwanken, das Unbestimmte
der dunkeln Ahnung, das, mit sich selbst ringend, sich zur
Klarheit hindurcharbeiten will... Und in der Begeisterung
seiner wollenden Sehnsucht dringt er weiter hinein ins
Reich der
Schönheit, erobernd, Schritt für Schritt, der kühn-
ste Herold der freien Vernunft... , ^ , ,

Es folgten die Kallias-Briefe. Kant hatte den Geschmack
als das Beurteilungsvermögen des Schönen aufgestellt, dann
aber hinzugefügt"): „Es kann keine objektive Geschmacks-
regel, die durch Begriffe bestimmte, was schön sei, geben.
Denn alles Urteil aus dieser Quelle ist ästhetisch, d.i. das
Gefühl des Subjekts und kein Begriff eines Objekts ist sein
ßestimmungsgrund. Ein Prinzip des Geschmacks, welches
das allgemeine Kriterium des Schönen durch bestimmte
Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose Bemühung,
weil, was gesucht wird, unmöglich und an sich selbst wider-
sprechend ist".

Das aber wollte Schiller nicht einleuchten. „Eben von
dieser Unvermeidlichkeit des Empirischen, von dieser Un-
möglichkeit eines objektiven Prinzips für den Geschmack
kann ich mich noch nicht überzeugen", schrieb er an Kör-
ner, und Kant zum Trotz wollte er den Stein der Weisen
finden. Kant hatte schon die Schönheit als ein Analogen
der Sittlichkeit betrachtet, hatte aber zugleich auf den

~ ") Analytik des Schönen. § 17. ») 25. Januar 1793.

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groszen Unterschied hingewiesen.") Hier knüpfte Schiller
an, brauchte auch seinen sittlichen Standpunkt nicht auf-
zugeben, sodasz sogar Körner meinte, er hätte die Schön-
heit aus der Sittlichkeit deduziert,") Schiller verwahrte
sich dagegen, glaubte aber doch in dieser Analogie den
Begriff des Schönen entdeckt zu haben: „Uebereinstimmung
einer Handlung mit der Form des reinen Willens ist Sitt-
lichkeit; — Analogie einer Erscheinung mit der Form des
reinen Willens oder der Freiheit ist Schönheit. Schönheit
also ist nichts anderes, als Freiheit in der Erscheinung".")

Körner aber war „beim fortgesetzten Nachdenken" nicht
befriedigt. Schillers Prinzip der Schönheit sei blosz subjek-
tiv; es beruhe auf der Autonomie, welche zu der gegebenen
Erscheinung
hinzugedacht werde.") Das objektive Merk-
mal fehlte! Schiller führte seine Gedanken weiter aus...
Umsonst... „Noch vermisse ich für die Schönheit überhaupt
ein solches Merkmal, an dem sie leicht zu erkennen wäre",
antwortet Körner. „Wodurch äuszert sich die Autonomie
in dem Objekte?" fragt er. „Was nötigt mich, den Grund
der Form in ihr selbst zu suchen?" ") Am 5. Mai antwortet
Schiller, ein bejahendes objektives Merkmal der Freiheit in
der Erscheinung, d.h. also der Schönheit sei nun gefunden.
Allein am 17. Oktober 1794 hat Körner es noch immer nicht
erhalten. „Ueberhaupt", schreibt cr, „scheint mir die Frei-
heit eine Eigenschaft, aber kein Kennzeichen des Schönen
zu sein. Alles Schönc ist frei, aber nicht alles Freie ist
schön".

Neben dem sittlichen Ideal wuchs aus dem Bedürfnis der
Zeit ein erneutes Interesse für die griechische Kunst her-
vor, in ihrer edlen Einfalt, in ihrer stillen Grösze, deren
Nachahmung, nach Winckelmann, der einzige Weg wäre,
grosz, ja, unnachahmlich zu werden. Aber nun wurde

") Die Dialektik der ttJthetlKhen Urteilskraft § 58. ") 15. Februar 1793.
") 8. Febr. 1793. >•) 15. Febr. 1793. »•) 26. Febr. 1793.

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dieses griechische Schönheitsideal wieder verquickt mit dem
Moralischen, Schon für Herder war die Lektüre der Alten
die wahre Wissenschaft des Schönen zur höhern Kenntnis.
Aber bei Sulzer und Mendelssohn wurde der Geschmack
am Schönen vollends als „Vorbereitung zu einem höhern
Zweck, zur wissenschaftlichen Erkenntnis und sittlichen
Kultur aufgefaszt".")

Und nun wieder Schiller. In der Abhandlung „Ueber
Anmut und Würde" fand er das Ideal der menschlichen
Schönheit in den Antiken. „Man erkennt es in der göttlichen
Gestalt einer Niobe, im Belvederischen Apoll, in dem
Borghesischen geflügelten Genius und in der Muse des Bar-
berinischen Palastes", Man erkennt es aber da, wo Anmut
und Würde in derselben Person vereinigt sind.

Allein was nennt er Anmut? was nennt er Würde? „Das
Maximum der Charaktervollkommenheit eines Menschen",
schrieb er an Körner,") „ist moralische Schönheit, denn sie
tritt nur alsdann ein, wenn ihm die Pflicht zur Natur ge-
worden ist". Und diesen Gedanken nimmt Schiller wieder
auf in jener Abhandlung, „In einer schönen Seele harmonie-
ren Sinnlichkeit und Vernunft, Neigung und Pflicht, und
Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung". Die Schönheit
der Anmut ist also durchaus moralisch. Dasselbe gilt aber
von der Würde: „Beherrschung der Triebe durch die mora-
lische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heiszt ihr Aus-
druck in der Erscheinung". Die Vereinigung dieser beiden
moralischen Erscheinungen bildet das Ideal: die griechi-
schen Götter. „Die Göttergestalten der antiken Kiinst", sagt
Walzel,") „repräsentieren ihm sein ethisches und ästhe-
tisches Ideal harmonischer Totalität".

Schillers Aesthetik wurzelt eben in seinem moralischen
Gefühl. Daher könnte es auffallen, wenn er das Aesthetische
scharf vom Moralischen unterscheidet, wie in der Abhand-

»») Alt. S. 6. «) 19. Febr. 1793. ») Schiller und die bildende Kunst.

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lung: „Ucber das Pathetische" und in den „Zerstreuten
Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände".
Dort heiszt es z.B. sehr richtig: „Der nämliche Gegenstand
kann uns in der moralischen Schätzung miszfallen und in
der ästhetischen sehr anziehend für uns sein", wie er auch
in den „Betrachtungen" behauptet, „dasz ein Gegenstand
seinem innern Wesen nach das moralische Gefühl empören
und doch in der Betrachtung gefallen, doch schön sein
könne". Aber wir erkennen ihn wieder, den Moral-Aesthe-
tiker! „Es ist blosz die vorgestellte Möglichkeit eines ab-
solut freien Wollens, wodurch die wirkliche Ausübung
desselben unserm ästhetischen Sinn gefällt". Hier haben wir
also den Unterschied: das Aesthcüschc die Möglichkeit
zum Moralischen! Und wiederholt er es nicht klar und
deutlich, wie er das Acsthctische aufgefaszt haben will, in
der Abhandlung „Uebcr den moralischen Nutzen ästheti-
scher Sitten", indem er sagt: „Der Geschmack gibt also dem
Gemüt eine für die Tugend zweckmäszige Stimmung, weil
cr die Neigungen entfernt, die sie hindern, und diejenigen
erweckt, die ihr günstig sind".

Das Moralische triumphiert, erhebt sich, steigert sich bis
zu jenem Kraftaufwand, wo es den Tod überwinden
möchte... Denn „der moralisch gebildete Mensch, und nur
dieser, ist ganz frei". Und der Tod beschränkt diese Frei-
heit nicht, sonst würde er „den ganzen Begriff des Men-
schen aufheben", „denn der Mensch ist das Wesen, welches
will".")

Wir denken unwillkürlich an Novalis... Wenn Schiller
aber die äuszere Gewalt des Todes dem Begriff nach ver-
nichtet, so wird sie in Hardenbergs magischem Idealismus
der Tat nach vernichtet.

Aus Liebe war ihm Todcsschnsucht erwachsen, harrend
der Vereinigung mit der verstorbenen Geliebten... Und

") Ucbcr das Erhabene.

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Todessehnsucht wurde unter dem Einflusz des weltschaf-
fenden Fichte\'schen Ich Todesüberwindung. Denn der
Wille ist unbedingt; der Wille \\virkt das Wunderbare, —
nicht das Wunderbare im kirchlichen Sinne, sondern das
moralisch Wunderbare der freien Willenshandlung. Der
Wille gebietet dem Körper, heilt ihn, tötet ihn,.. So ist
Sterben nichts als ein „echt philosophischer Akt". Das ist
das grosze Wunder seiner ins Magische gesteigerten Mora-
lität, aus Liebe entstanden, denn „die Liebe wirkt magisch".

So war Schillers Sittlichkeit gleichsam Vernunftmoralität,
diejenige Hardenbergs aber Gemütsmoralität. Und ebenso
war Schillers Aesthetik Vernunftästhetik, Hardenbergs
Schönheit hingegen entsprosz wiederum der tiefen Innig-
keit seines Gemütes. Und in diesem Gemüte war am Ende

alles Poesie, Hier keine Absichten, keine Funktionen,__

hier nur die Apotheose der Schönheit, die Apotheose seines
eigenen Lebens,..

Aber in Schillers Philosophie hat nunmehr das Aesthe-
tische seine Funktion bekommen, und diese Funktion bildet
das Hauptthema der ästhetischen Briefe: die Möglichkeit
zum Moralischen aber wird zur ausschiieszlichen Möglich-
keit. Daraus würde allerdings hervorgehen, dasz das Mora-
lische das höchste Ziel menschlichen Strebens wäre, allein
in geradem Widerspruch damit erklärt Schiller schlieszlich
doch wieder den ästhetischen Staat zum idealen! Und über
diesen Widerspruch kommt er nicht hinaus.")

Suchen und Schwanken und Schwanken und Suchen I
Der Philosoph Schiller ist wohl kaum über seine „Künstler"
hinausgekommen. Fast all seine .späteren Ideen finden sich
dort schon andeutungsweise; er führt sie nur breiter aus,
betrachtet sie von allen Seiten, bis der Dichter Schiller der
Sehnsucht nicht länger widerstehen kann... Aber nun er-
kennt
er:

") Vergl. Flschcr II. S. 321 und 339.

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„Abend ward\'s und wurde Morgen,
Nimmer, nimmer stand ich still;

Aber immer blieb\'s verborgen.
Was ich suche, was ich will".

(Der Pilgrim).

Und der Dichter möchte den Philosophen wohl beiseite
schieben, um nur dichten zu können, frei und herrlich. An-
läszlich eines Briefes vom 7. Juli 1797 an Goethe sagt Wat-
zel denn auch: „Schillers Worte sind von dem Wunsche
getragen, der Kunst freie Hand zu lassen, und war es auf
Kosten seiner eigenen älteren Theoreme".

Aber noch eins blieb ihm zu tun übrig, bevor er sich frei
in das Reich der Dichtung hineinwagen durfte: die Ausein-
andersetzung mit Goethe: der sentimcntalische Dichter mit
dem naiven. Und wieder liesz cr sich von seinem morali-
schen Gefühl hinreiszen, indem cr „den Gegensatz zweier
moralischer Empfindungszuständc entwickelt, die ohne
weiteres mit zwei genau entsprechenden künstlerischen Er-
fahrungsweisen identifiziert werden", wie Erwin Kirchcr
weiter darlegt. So hat denn auch diese seine letzte Abhand-
lung manche Bedenken erregt. A. W. Schlegel betonte ihre
Einseitigkeit: das Naive und das Sentimentale seien Ver-
hältnisbegriffe aus dem subjektiven Standpunkt der Senti-
mentalität, die auszerdcm keine Realität hätten: denn für
wen sei das sogenannte Naive naiv, auszer für den Senti-
mentalen? Und Lotze bemerkt,") „dasz die scntimenta-
lische Empfindungsweise zwar zu einer reflektierenden
Dichtung verführe, aber eine objektive Darstellung nicht
unbedingt ausschlicsze".

So hat Schiller tatsächlich den moralischen Standpunkt

") Schiller und die bildende Kunst. S. 55. ") Alt. Schliler-Schlcgcl. S. 15.

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nie verlassen. Wenn er später auch nicht mehr das Schöne
ohne weiteres mit dem Sittlichen identifizierte, so führte er
doch beide immer im engsten Zusammenhang mit einander
auf. Wie wenig übrigens sein Urteil über Kunst und Schön-
heit seit dem Jahre 1790 durch die ganze Periode seiner
philosophisch-ästhetischen Entwicklung hindurch und sogar
darüber hinaus sich geändert hatte, das geht klar und deut-
lich hervor aus jenem Schlusz, den er im Jahre 1802 der
Kritik über Bürgers Gedichte zufügte: „So urteilte der
Verfasser vor elf Jahren über Bürgers Dichterverdienst",
sagt er, und gesteht dann: „er kann auch jetzt seine Mei-
nung nicht ändern, aber er würde sie mit bündigem Bewei-
sen unterstützen, denn sein Gefühl war richtiger, als sein
Raisonnement",

Das eben war Schillers Einseitigkeit, dasz er die Kunst
von seinem objektiv-moralischen Standpunkt aus beurteilte.
Allerdings liegt ja in der Kunst, wie in Religion und Moral
der Faktor des Objektiven, des Gesellschaftlichen. Aber
wer möchte den Einflusz der persönlichen Eigentümlichkeit
ausschalten! Tatsächlich sind Kunst und Religion und Mo-
ral im Individuum modifizierte Kulturprodukte. Und die
Kunst ist nicht weniger Kunst und ihre Schönheit nicht
geringer, auch wenn sie sich aus dieser modifizierenden
Individualität heraus gegen die allgemein-menschliche,
„objektive" Sittlichkeit richten sollte.

Unrichtig aber ist\'s auch, wenn Schiller das Moralische
dem Aesthetischen gegenüberstellt. Denn die Schönheit ist
vielmehr der Spiegel, der die Welt des Künstlers in ihrer
ganzen Fülle, in ihrer Liebe, in ihrem Hasz, in ihren
Höhen und in ihren Tiefen, auch in ihrer eigensten, persön-
lichsten Moralität widerstrahlt. So bildet das Sittliche nur
einen Teil der allumfassenden Schönheit, die nur von einer
allumfassenden, ästhetischen Kritik beurteilt werden sollte,
wobei der Kritiker sich selbst willkürlich zu stimmen, „in
jedem Augenblick für jede Art von Geistesprodukt die

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reinste und regste Empfänglichkeit in sich hervorzurufen"
im Stande sein sollte. ")

Ich erwähnte Schillers Kritik der Bürger\'schen Gedichte;
ich möchte sein Urteil über Wieland danebenstellen, wie
wir es in der Abhandlung „Ueber naive und sentimentali-
sche Dichtung" finden. Wieland nämlich besteht die Probe
der wahrhaften Sittlichkeit durch den „Ernst seiner Emp-
findung". Sogar die mutwilligen Spiele seiner Laune, d.h.
seine sinnlichen Schilderungen, beseele die Grazie seines
Herzens. Denn nur das Naive und die schöne Natur könne
gewisse Freiheiten in der Darstellung rechtfertigen. Und
gerade in den naiven und genialischen Dichtungen des
unsterblichen Verfassers des Agathon, Oberen, etc. bilde
sich eine schöne und edle Seele mit unverkennbaren
Zügen ab.

Und nun wieder Wilh. Schlegels Urteil in den Berliner
Vorlesungen. Die Grundsätze sind dieselben wie bei Schil-
ler. Auch Schlegel erklärt sehr ausgelassene und sehr
glühende Darstellungen in der Poesie für zulässig, wenn
nur ein höherer künstlerischer Zweck sie rechtfertige. Aber
wie Voltaire und Crébillon") die Poesie zur Kupplerin des
Lasters machten, so könne auch Wieland von diesem ver-
dammlichstcn Miszbrauch nicht freigesprochen werden, ja,
derselbe sei bei ihm umso schlimmcr, mit je weniger Keck-
heit und kühlerer Phantasie dieser die schlcchte Absicht
durchgeführt habe!

Und wie Schiller einmal Bürger, so greift Schlcgcl jetzt
Wieland persönlich an und wirft ihm „innere Auflösung
des Gemüts" vor. Und Karolinc schrieb denn auch offen-
herzig genug an Huber, der füi\' Wieland eintrat: „Verfolgt

") Noch einem Lyccum-Frogmente Fr. Schlcocls. ») Schiller entschuldigt
sich, dasz er Wleland
„In dieser Gesellschaft" nennt und will ihn ausdrücklich
keineswegs mit derselben verwechselt haben I

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man die Sache, so geht\'s dann auch gegen die Person, Ist
nicht Wielands Poesie Wielands Person?"

Ich wiederhole: wer möchte das Persönliche ausschalten!

Schillers überwiegende Sittlichkeit ist ja übrigens be-
greiflich. Seine stark sinnliche Natur war Jahre lang ein-
gepfercht gewesen in die Schnürbrust einer allzu straffen
Erziehung, einer kasernenmäszigen Schuldordnung. Und
dann kam sie nach der endlichen Befreiung, nach der lang
ersehnten Lösung der Bande, zur mutwilligsten Aeuszerung
in Sturm und Drang,,.

Aber eben da, gleichsam angegriffen in ihren Rechten,
kam auch seine
sittliche Natur zur vollsten Betätigung, Und
dieser Kampf
zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit hat
Schillers Leben und Denken erfüllt. Das Ideal, die Harmo-
nie, war die „schöne Seele". Im Leben aber ist diese heilige
Ruhe des in sich vollendeten Daseins nicht zu erreichen.
Immer überwiegt eins der beiden Elemente, — und in
Schillers Theorie war das ganz bestimmt das moralische.
Die Rückwirkung auf seine Kunst ist ganz selbstverständ-
lich und offenbar. Manches ist ja angewandte Philosophie,
Rhetorik, Mache, mehr durchdacht als gefühlt, mehr Ver-
standesarbeit als spontaner Wurf. Daher auch all diese
Umänderungen, dieses Hinzufügen und Streichen, wie
Schiller es mit seinen Gedichten vornehmen konnte. Und
daher auch war es möglich, dasz Humboldt an Schiller an-
läszlich des „verschleierten Bildes zu Sais" schreiben
konnte: „Hätten Sie ihr (der Erzählung), ohne zu groszcn
Aufwand von Zeit und Mühe, noch den Reiz des Reimes
geben können, so hätte ich es freilich noch vorgezogen". Ein
anderes Mal (das Ideal und das Leben) quälte Schiller der
Reim zu sehr, und er half sich „durch einen Kniff, der
freilich nicht der feinste ist". Im Jahre 1796 fing seine
Ideenpoesie ihm an unschmackhaft zu werden und 15.
August 1798 schrieb cr an Körner, er habe sogar eine Ab-
neigung gegen das Lyrische!

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Angesichts dieser Tatsachen begreifen wir das Urteil der
„Modernen" über Schillers Moralphilosophie und Moral-
poesie, ihre Geringschätzung für „die sittliche Herrlichkeit
eines Max Piccolomini, einer Thekla, eines Marquis Posa
und sonstiger Schillerschen Theaterhelden", denn „die
Kunst sei ihrer selbst willen da", und „müsse daher beson-
ders unabhängig bleiben von der Moral". *")

Denn wie gestaltet sich bei den Romantikern schlieszlich
das Verhältnis zwischen dem Sittlichen und dem Aestheti-
schen? Eine einfach bestimmte Antwort ist wohl kaum
möglich, und umso weniger, wo wir mit einer Schule zu
tun haben, in der eben jenes Prinzip und jenes Recht der
Eigentümlichkeit eine solche hervorragende Rolle spielen.

Aus den verschiedenen, nach Person und Zeit abgestuften
Auffassungen, treten aber zwei besonders scharf hervor,
von denen die eine sich mit Schiller berührt, die andere
aber den charakteristischen Gegensatz zu ihm bildet.

Denn wie Schiller, so traten auch diese Romantiker in die
Schranken gegen die heuchlerische Scheinsittlichkeit der
Aufklärung, gegen das platte Moralisieren eines Nikolai,
eines Iffland und Kotzebuc. In diesem Sturm-und-Drang
gegen das Philistertum standen sie neben Schillcr: Ticck,
der Anfangs selbst der Aufklärung geopfert hatte, dann
aber mit beiszendcm Spott über sie hinging in den „Schild-
bürgern", welche die Schaubühne als „Anhang des Laza-
retts", als eine „Besserungsanstalt im Groszen" (Haym)
betrachteten; im „Gestiefelten Kater", in der „Verkehrten
Welt", im „Zcrbino"; und die Schlcgel und Schleiermacher;
ja, eben dieser, der feine, der innig-fromme Schlcicrmachcr
nicht an letzter Stelle, cr, von dem Novalis sagte: „cr hat
einen neuen Schlcicr für die Heilige (die Religion) gemacht,
der ihren himmlischen Gliederbau anschmiegend verrät,
und doch sie züchtiger als ein Andrer verhüllt", er trifft mit

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voller Wucht in seinen „Reden über die Religion" das ganze
System der Aufklärung, die in ihrer Nüchternheit „ohne
Wissenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne
Geist und wahrlich auch ohne Buchstaben" sei.

Und mit glühendem Hohn führen die Schlegelianen die-
sen Kampf weiter in ihrem Athenäum, den Kampf gegen
die Philister, die in dem leeren Einerlei ihres Alltagslebens,
alles tun um des irdischen Lebens willen, und zur Notdurft
etwas Poesie untermischen, „weil sie nun einmal an eine
gewisse Unterbrechung ihres täglichen Laufs gewöhnt
sind",") eine Unterbrechung, die in der Regel alle sieben
Tage erfolgt, „ein poetisches Septanfieber". Gegen den
Philister, gegen seine Leiden und Freuden, gegen seine
Religion, gegen seine Moral richtet sich die übersprühende
Jugendkraft dieser romantischen Revolutionäre, mit ihren
neuen Lebensauffassungen, ihrer neuen Religion und Moral,
die eine Opposition ist gegen die positive Gesetzlichkeit und
konvenzionelle Rechtlichkeit.") Fort also mit den abge-
schmackten moralischen Nutzanwendungen und morali-
schen Uebungen! „Da man jetzt überall moralische Nutzan-
wendungen verlangt", spottet Wilhelm Schlegel,") „so
wird man auch die Nützlichkeit der Porträtmalerei durch
eine Beziehung auf häusliches Glück dartun müssen. Man-
cher, der sich an seiner Frau ein wenig müde gesehen, findet
seine ersten Regungen vor den reineren Zügen ihres Bild-
nisses wieder". Oder man fragt, warum in den
modigen Ver-
zeichnissen aller möglichen Grundsätze der Moral immer
das Ridiküle fehle, und meint, es sei wohl darum, weil dieses
Prinzip nur in der Praxis allgemein gelte. In seiner Schrift
„Ueber die Philosophie" an Dorothea spricht Friedrich ge-
radezu seine Miszbilligung über die sittliche Erziehung aus,
die er für ganz töricht und ganz unerlaubt hält. "jUndinden

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„Ween" betont er es noch einmal: „Nach der Sittlichkeit zu
streben ist wohl der schlechteste Zeitvertreib, die Uebungen
in der Gottseligkeit ausgenommen". In demselben Sinne
spricht sich Sophie Bernhardi aus in ihrer „Lebensansicht",
nur ruhiger, nur zahmer: „Wie viel Schaden tun die Men-
schen, welche die Moral lehren, der höhern Moral".")

Zwar das ist alles negativ, aber daneben erblicken wir
doch auch positive Ideen einer neuen, „freien Sittlichkeit",
deren wichtigster Vertreter auch jetzt wieder Friedrich
Schlegel ist.

In dem Kampf gegen die Aufklärung standen Schiller und
Schlegel einmütig nebeneinander. Als aber Letzterer sich
daran machte, „eine Moral zu stiften", da traten die Gegen-
sätze scharf hervor, Gegensätze, die eben in der persön-
lichen Natur, in dem persönlichen Temperament wurzelten.
Denn aus dem persönlichen Gegensatz folgte der theore-
tische, der zugleich charakteristisch für die Romantiker
überhaupt war. Das war: Schiller moralisierte das Leben,
die Liebe, die Poesie, — die Romantiker poetisierten das
Leben, die Liebe, die Moral, poetisierten sogar das Unsitt-
liche und erhoben es in die Sphäre bezaubernder Schönheit.
Denn „sie alle", sagt Heltner,") „lassen sich,.. nur durch
Poesie erziehen, leben nur für und durch diese". Das war
der Einflusz von Goethes Wilhelm Meister, dessen
Aesthetisierung wir in gesteigerter Form wiederfinden im
Stcrnbald wie im Ofterdingen. Hinsichtlich des sittlichen
Elements ist namentlich Tiecks Künstlcrroman wichtig,
diese Mischung Goethc\'scher und Wackcnroder\'scher Be-
einflussung. In dem Künstlcrleben zu Florenz, wo die
Dezcnz des gemeinen, prosaischen Lebens unerlaubt ist,
lernt der junge Stcrnbald die der Kunst unentbehrliche
Sinnlichkeit. Wenn aber auch manche lüsterne Schilderung
nicht Tiecks eigenem Charakter entsprang, so ist doch auch

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in dieser Beziehung der Roman interessant als Erzeugnis
des romantischen Ideenkreises, Dasz er besonders Friedrich
Schlegel gefallen muszte, ist ja natürlich, wie er denn auch
dem Bruder schrieb: „Mich interessiert auszer dem Meister
und Fr. Richter kein andrer deutscher Roman so".Ja,
dieses Interesse wiederholt er Anfang \'99 in heller Begeiste-
rung: „Lies nun ja den Stembald — noch einmal hätte ich
bald gesagt. Aber hast du ihn auch schon ordentlich gelesen.
Es ist ein göttliches Buch und es heiszt wenig; wenn man sagt
es sei Tiecks bestes, sagt man sehr wenig. Es ist der erste
Roman seit Cervantes der romantisch ist, und darüber weit
über Meister". Damals hatte Friedrich Schlegel schon von
der Lucinde „ein tüchtiges Stück fertig".Da aber wurde,
mit der Einseitigkeit der subjektivsten Idealistik, die Moral
in den Dienst und unter die Herrschaft der Poesie gestellt.

Friedrich Schlegel stand ja allerdings in seinen Anfängen
Schiller nahe. Auch Schlegel stellt das wechselseitige Ver-
hältnis zwischen Ethischem und Aesthetischem fest, weist
auf die Wirkung der Komödie hin, die das Publikum ver-
führe und durch das Element der Freude die Sinnlichkeit
berausche. Umgekehrt aber sei der künstlerische und sitt-
liche Sinn der Menge eben die bestimmende Macht, das
leitende Gestirn der reinen Komödie. Wenn die schöne
Freude aber als das Resultat einer Bildung des Menschen
durch Freiheit und Natur betrachtet wird, so haben wir hier
dasselbe Verhältnis, das bei Schiller in der Harmonie zwi-
schen Vernunft und Sinnlichkeit die „schöne Seele" er-
zeugte. Und doch ist es auffallend, wie schon in diesen
Jugendschriften Schlegels erstens die Aesthetisierung eine
überwiegende Rolle spielt, und zweitens, wie „er mit Vor-
liebe diejenigen Erscheinungen des griechischen Altertums
sich herausgreift,... bei denen es uns am schwersten fällt,
die selbständige Berechtigung des sittlichen Gesicht-

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Punkts preiszugeben, um diesen dem ästhetischen unter-
zuordnen". ")

Und wie Schiller glaubte auch er an eine objektive Schön-
heit, deren Urbild er bei den Griechen fand. Nachahmung
der griechischen Kunst sollte aber "Nachahmung des grie-
chischen Geistes sein, — und diese Objektivität fand
Schlegel besonders wieder bei Schiller. Später verspottete
er die „revolutionäre Objektivitätswut", und kam mit der
Idee einer „organischen Sittlichkeit" und einer subjektiven
Kunst und Schönheit der Wahrheit näher.

Ich glaube aber, dasz auch die frühere Anlehnung an Schil-
ler nicht zu stark betont werden sollte, dasz sie mehr äuszer-
lich als innerlich, mehr scheinbar als wesentlich war, be-
kommt man doch manchmal recht deutlich den Eindruck, als
hätte Friedrich dem Allmächtigen in Jena ein wenig nach
dem Munde geredet: „Denn nur vom Nutzen wird die Welt
regiert", ein Vorwurf, von dem übrigens auch Schiller nicht
ganz freizusprechen ist, namentlich in Bezug auf A. W.
Schlegel!

Allein wie dem auch sei: Friedrichs erotisches, leicht
entzündetes Temperament, heftig, eifersüchtig und haltlos,
stimmte nicht mit Schillers gesetzterer, männlicher Natur
und dieser Unterschied trat schon gleich bei ihrer ersten
Begegnung im Körner\'schen Hause hervor.

Auch Frantzcn hat gegen Minors Auffassung, dasz
der Gegensatz zwischen klassischem und romanti-
schem Gcschmack erst seit 1805 hcrvorlrete, nur zu rich-
^g bemerkt, „dasz es in der Kunst nicht nur auf die ab-
strakten Grundsätze, sondern auch auf das persönliche
Temperament ankomme".") Und dieses persönliche Tem-
perament äuszerte sich in jeder Form so charakteristisch,
so hervorragend, dasz meines Erachtcns dieser Gegensatz,

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wenigstens auf moralisch-ästhetischem Gebiete, um 1800
nicht einmal mehr latent genannt werden dürfte.

Man ahnt schon etwas von dem künftigen Widerstreit
zwischen Schiller und Schlegel gleich in einem der ersten
Briefe, die Friedrich seinem Bruder aus Leipzig schrieb "):
„An Schillers Werken habe ich viel gefimden, doch auch
mitunter fallen mir dabei die Zeilen ein

Mit Tugendsprüchen und groszen Worten
Gefällt man wohl an allen Orten:
Denn da denkt ein jeder bei sich allein:
So ein Mann magst Du auch wohl sein".

Uebrigens ist das Verhältnis vorläufig noch leidlich. Am
11. Febr. 1792 macht Friedrich den Bruder aufmerksam auf
die Abhandlung „Ueber den Grund des Vergnügens an tra-
gischen Gegenständen". Dieselbe enthalte viel Vortreff-
liches, sie sei bestimmt, gedrängt, schmucklos und männlich,
wie er noch nichts von Schiller gelesen habe. „Man merkt
das Studium des Kants darin", fährt er dann fort, „den er
doch einseitig gefaszt zu haben scheint, nämlich nur von
der rationalen Seite, sowie die ganze Abhandlung einseitig
ist .

Der Vorvmrf der Einseitigkeit trifft Schiller häufiger, so
in dem Brief vom 17. Mai 1792, nach jener verhängnisvollen
Begegnung, wo Friedrich mit gleichgiltigem Spott sich über
die Beleidigung hinwegsetzen will: „Er konnte mich nicht
leiden", schreibt er, „und wir haben nicht viel über sechs
Worte mit einander gewechselt. Ich habe zufällig Kömers
und seine Urteile über mich erfahren. Solltest du glauben,
dasz ich ihnen ein unbescheidncr, kalter Witzling geschie-
nen? und auch Schillern? Doch hat dieser mehrere Proben
seiner Einseitigkeit im Urteilen gegeben".

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Es ist klar, hier stehen sich zwei Naturen gegenüber, die
ihre eigenen Wege gehen werden, welche je länger, je
weiter auseinandertreten müssen. So ist denn Friedrichs
Urteil über Schiller von vornherein mehr oder weniger
feindseliger Art, und sogar das Lob, das er ihm gelegentlich
spendet, wird durch folgenden Tadel wieder hinlänglich
neutralisiert. So bekommen wir den Eindruck des Schwan-
kenden, des Widerspruchsvollen, des Haltlosen, kurz: den
Eindruck von Friedrichs eigenstem Charakter.

Ich erwähne z.B. den Briefwechsel anläszlich der Bür-
gerrezension, wo Friedrich Schillers Partei ergreift. Allein
dessenungeachtet gefällt ihm Wilhelms Gedicht „An einen
Kunstrichter" sehr gut; es sei ernst und der Tadel gerade
wie er ihn billigen könne.") Oktober 1793 aber fragt er
gleichsam entrüstet: „Mensch, ich soll Dir beweisen, dasz
Schiller ein groszer Mann ist? Beweisen sagst Du? —
Krämer mögen von der Tugend Rechnungen machen; wir
in Deutschland pflegen unsre Liebe und Achtung nur zu
rechtfertigen". Und seine Rechtfertigung liege deutlich ge-
nug in Schillers Werken. Aber... in einer Geschichte der
Kunst würde er ihm vielleicht diesen Namen versagen,
Wegen des Rohen und Abgerissenen in allem, wegen der
i.unzüchtigcn Einbildung" und am Ende sei doch sein gan-
zes Wesen zerrissen und ohne Einklangl Anfang November
desselben Jahres scheint ihm jedoch das bekannte Schil-
ler\'schc Urteil, „was Bürgers Plattheit und Selbstzucht
betrifft", unaussprechlich wahr, — während ihm einige
Zeilen später Schillers Rezension ganz geschmacklos und
lächerlich bis zum Erbärmlichen vorkommtI

Und doch stand er wieder am 11. Dezember auf dem
sittiich-beurteilcnden Standpunkt Schillers: „Dasz Bürger
die Gabe hat, seine schönsten Werke zu verunstalten, und

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Plattheiten von sich zu geben, wirst Du wohl nicht leugnen..
Und eben so wenig kannst Du wohl angeben, was Edles in
seinem Leben ist".

Ich erwähne noch die schroff ablehnende Rezension von
Schillers Musenalmanach für das Jahr 1796, und daneben
die gleichzeitige Lobhudelei in der Abhandlung „Ueber das
Studium der griechischen Poesie", Allein man kennt die
Motive! Es ist eben der fehlgeschlagene Versuch, sich in die
Horen einzuschmeicheln! Denn „das hohe Honorar würde
mir gut tun", gesteht er dem Bruder,.,

„Denn nur vom Nutzen wird die Welt regiert".
Als aber Schiller den Aufsatz „Cäsar und Alexander"
ablehnte, war für Friedrich jede weitere Zuneigung un-
möglich, eine Zuneigung, die aber doch nur äuszerlich ge-
wesen wäre. Denn „Ich habe Schiller nie geliebt", schrieb
er schon am 11. Dezember 1793, und die Art und Weise, wie
er denn auch späterhin über Schiller urteilt, der mit der
gröszten Anstrengung die Gedanken heraufpumpen müsse
und sich durch Weintrinken begeistere; wie er spricht über
Schillers Nichtswürdigkeit gegen Goethe, wie er ihn mit
Jacobi einen halbierten Don Quichotes nennt und ihn für
den vornehmsten Repräsentanten des bösen Prinzips in der
deutschen Literatur erklärt, wie cr ihn einen Dichter und
Kunstrichter nennt, „der getrocknet aufgegangen ist", ja,
wie er noch am 15. Januar 1803 aus Paris Schiller eines

niederträchtigen Betragens ihm gegenüber bezichtigt, _

das alles und viel mehr beweist nur zu deutlich, dasz

Friedrich ihn tatsächlich — euphemistisch gesprochen _

nicht liebte! In alle dem erblickt man einen solchen liefen
Gegensatz der Charaktere, dasz dieser auch in der Theorie
zum Durchbruch kommen musz, namentlich da, wo dieselbe
so aus dem vollen Leben, aus dem ureigensten Gefühl her-
vorgeht, wie Schönheit und Sittlichkeit. Dies gilt natürlich

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besonders für diejenige Periode, wo Schlegel sich selbst
war und diese Selbständigkeit noch nicht in der Allge-
meinheit des Katholizismus verloren hatte.

Starke Sinnlichkeit und daneben tiefe Sehnsucht nach
Schönheit zeichneten Friedrich Schlegel aus. Und das
wuszte er wohl, dasz nur Schönheit seine Sinnlichkeit retten
konnte. Sittliche Schönheit war Schillers Ideal, Friedrich
Schlegel verherrlichte die sinnliche Schönheit, So wuszte er
denn auch in der Abhandlung „Ueber die Diotima" (1795)
den Hetärenstand zu poetisieren, zu idealisieren. Das Leben
der Hetären verglich er mit einer schönen sinnlichen Kunst
und ihr Ideal, „die milesische Aspasia war es vorzüglich,
welche die attischen Hetären lehrte, sich durch Geist und
Schönheit Unabhängigkeit, durch die feinste Kultur aber
öffentliche Achtung zu erwerben; sie, deren Umgange die
gröszten Männer ihres Zeitalters selbst ihre schönste Bil-
dung verdankten".

Hier liegen schon die Keime seiner Lucinde (1799), jener
— ich möchte sagen praktischen Verherrlichung des Hetä-
renstandes, d.h. in diesem Fall der freien Ehe. „Dasz hier
gar keine Gemeinschaft mehr mit Schillcr existiert, bedarf
keiner Erörterung".")

Diese freie Ehe aber ist der Gegensatz zu der unechten
Ehe. zu den „Konkubinaten\' , jenen ,, provisorischen Ver-
suchen und entfernten Annäherungen zu einer wirklichen
Ehe". Der Staat aber, der diese miszglückten Eheversuchc
mit Gewalt zusammenhalten wolle, hindere dadurch die
Möglichkeit der Ehe selbst.") Sogar Schleiermacher ruft
der Frau zu: „Merke auf den Sabbath deines Herzens dasz
du ihn feierst, und wenn sie dich hallen, so mache dich frei
oder gehe zu Grunde".

Auf Liebe aber soll die echte Ehe sich gründen, auf Liebe,

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die, wie die Natur, die Schönheit und die Moral organisch
ist. n

Auch jetzt also wieder der Kampf gegen die Aufklärung,
nun aber ins Positive übertragen, mit dem Unterschied, dasz
was bei Schlegel grell und herausfordernd, bei Schleier-
macher fein und verinnigt war.

„Poetische Sittlichkeit" nennen die Romantiker sehr rich-
tig diese Poetisierung der Moral im Leben, wie in der Kunst.
Aber dieses Poetisieren war nichts Anderes, als das Aus-
leben, das Austoben ihrer eigenen, nach Schönheit sich
sehnenden Natur. Das war das Leben in der Wahrheit, wie
Kiroher es nennt, das Leben im Wahrheitsenthusiasmus. Das
war ihr „schöner Mutwille", das Einzige eben, was in der
Kunst die poetische Sittlichkeit lüsterner Schilderungen
retten könne. „Ueberschäumende Fülle der Lebenskraft",
„das Gefühl der unendlichen Lebensfülle",„die ganze
Fülle der Menschheit""): das ist ihre poetische Sittlich-
keit: die Sehnsucht nach dem Unendlichen, die sich auflöst
und vollendet im Gottesbewusztsein. Denn Moral in der
höchsten Dignität ist echte Mystik. „Gott werden, Mensch
sein, sich bilden aber sind Ausdrücke, die einerlei bedeu-
ten".") Und so müssen wir Novalis verstehen: „Wir sind
auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir
berufen".")

Dasz aber die poetische Sittlichkeit in der Kunst etwas
Anderes ist, als was man gewöhnlich Sittlichkeit nennt, das
betonte Friedr. Schlegel schon in der Abhandlung: „Vom
künstlerischen Werte der alten griechischen Komödie" 1794,
wo er davor warnte, das, was auch in praktischer Beziehung
wahrhaft und reell unsittlich sei, nicht mit der künst-

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lerischen Unsittlichkeit zu verwechseln. Denn die Kunst
sollte frei sein von jeder gewöhnlich-moralisierenden Ten-
denz,") unabhängig, autonom. So besteht denn auch für
Wilhelm Schlegel die poetische Sittlichkeit darin, „dasz
man in der Poesie durch nichts andres gefallen will,
als durch das eigene Wesen dieser Kunst", und
auch für Schleiermacher ist ein Kunstwerk sittlich,
wenn es schön und vortrefflich ist, also seinem Wesen voll-
ständig entspricht, während Solger schlieszlich bemerkt,
dasz die Poesie in Verworrenheit zurücksinke, wo sie von
dem Grübeln über das Sittliche, und von manchem anderen
Antriebe zum Philosophieren in sich irre gemacht worden
sei.") Daher wohl auch Wilhelms Abneigung gegen philo-
sophisch-ästhetische Erörterung. Erfuhr doch auch Schiller
später selbst, wie wenig der Poet durch allgemeine reine
Begriffe bei der Ausübung der Kunst gefördert werde, und
dasz es kein Gefäsz gebe, die Werke der Einbildungskraft
zu fassen, als eben diese Einbildungskraft selbst.

In einem Brief vom 15. Dezember 1793 erklärt Friedrich
Schlegel seinem Bruder schon, was cr unter poetischer Sitt-
lichkeit versteht und wenige Monate vorher hatte er den
Wert eines Kunstwerkes folgendermaszen zu bestimmen
versucht: „Ein Mensch hat soviel Wert als Dasein, d.h. als
Leben, Kraft und Gott in ihm ist... Dieser Maszstab gilt
auch für einzelne menschliche Werke; also ein Gedicht
z.B. hat soviel Wert als menschliche Lebenskraft darin ist".
So konnte er denn auch in jenem Brief den Schlusz der
Stella in Rücksicht der Sittlichkeit vortrefflich finden, denn
i.das Moralische einer Schrift liegt nicht im Gegenstande,
oder im Verhältnis des Redenden zu den Angeredeten,

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sondern im Geist der Behandlung, Atmet dieser die ganze
Fülle der Menschheit, so ist sie moralisch".") Und daher
ist Homer als Dichter betrachtet, sehr sittlich, weil er so
natürlich, und doch so poetisch ist. „Als Sittenlehrer aber...
ist er eben darum sehr unsittlich",Und das ist ja das
Schöne, „was uns an die Natur erinnert, und also das Ge-
fühl der imendlichen Lebensfülle anregt".

Allein der ewig Wandelbare, der den Widerspruch nie
gescheut hatte, sollte auch diese Ansichten einmal wider-
rufen, Am 16. April 1808 war er katholisch geworden, und
forderte er, wie so mancher Konvertit in überschwenglicher
Bekehrungssucht, schon vorher, dasz alle Poesie mytholo-
gisch und katholisch sein müsse, so urteilte er nunmehr
mit der Strenge eines Inquisitors über Leben und Sittlich-
keit: Ehescheidung unmöglich, Todesstrafe aber für Ehe-
bruch! •

Was die Literatur betrifft, so behauptet er in der Vorrede
des „Deutschen Museums" (1. Heft. Jan. 1812), dasz die-
selbe vorzüglich an zwei entgegengesetzten Uebeln leide.
Das erste dieser Uebel aber sei eine gewisse ästhetisch phi-
losophische Gleichgültigkeit, welche nur keine moralischen
und religiösen Bande dulde und anerkenne. Diesem Uebel
der moralischen Erschlaffung und Gleichgültigkeit gegen
Wahrheit und Recht könne, weil das Uebel aus einer fal-
schen, sophistisch unverständlichen und spielenden Philo-
sophie entstanden sei, auch nur durch eine bessere, dem
ernsten Geiste der Wahrheit und der Gerechtigkeit wieder-
gegebene Philosophie abgeholfen werden. Selbstverständ-
lich zieht er nun auch die Erziehung in den Kreis seiner
Betrachtungen.

Das Moralische aber „ist der eigentliche Gegenstand und
Zielpunkt" der neuen Zeitschrift „Concordia", wie es in der

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Vorrede des 1. Heftes 1820 heiszt, einer Zeitschrift, „zu
deren Fortführung (er) die Mitwirkung einer bedeutenden
Anzahl von Gelehrten und wissenschaftlich gebildeten
Männern in Oesterreich und in dem übrigen katholischen
Deutschland hoffen und versprechen dürfe". „Denn die
religiöse Begründung des Lebens und moralische Befesti-
gung des Zeitalters ist das Eine, was Not und der Zweck
auf welchen allein dieses Unternehmen gerichtet ist".

Das alles flieszt allerdings sehr fromm und katholisch
aus der Feder dieses mit dem Christus orden geschmückten
Neomoralisten. Aber man wäre doch versucht zu fragen,
ob hier tatsächlich der wirkliche Friedrich Schlegel sich
zeige oder ob er sich — wie über Schiller! —auch über solche
Sachen in intimem Kreise nicht etwa anders habe verneh-
men lassen als vor dem Forum der Oeffentlichkeit? Hatte
doch auch sein Bruder Wilhelm um diese Zeit die unwill-
kommene Erfahrung gemacht, dasz seine mündlichen
Aeuszerungen anders lauteten, als die gedruckten Buch-
staben. Vieles aus der Concordia habe ihn denn auch mit
der höchsten Indignation erfüllt,

Die widerwärtigste Schilderung gibt aber als Augenzeuge
Franz Grillparzer über diesen Friedrich Schlegel, der, wie
er auch dusele und frömmele, doch noch immer derselbe
sei, als da er die scheuszliche Lucinde geschrieben habe.
Dieser Mensch könne noch einen Ehebruch begehen und
sich völlig beruhigt fühlen, wenn er dabei nur symbolisch
an die Vereinigung Christi mit der Kirche dächte!

Das ist Friedrich Schlegel in seiner letzten, katholi-
sierenden Periode.

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DIE LIEBE.

,.,, „die groszen Quellen des Enthusiasmus:
Liehe und Freundschaft."

Kirchcr, S, 5,

Aus dem tiefsten Bedürfnis nach Liebe, nach einem mit-
fühlenden Herzen; aus einsamster, eingeschnürter Sehn-
sucht entstand die leidenschaftliche, überreizte Liebesdich-
tung und Philosophie des Stürmers und Drängers; eine
Liebe, die über alle irdischen Grenzen hinweg, aus der Sinn-
lichkeit ins Mystische und Magische übergehend, die Unend-
lichkeit suchte. Später hat Schiller den Unterschied zwi-
schen „Liebe und Begierde" hervorgehoben; in seiner
Jugend aber war ihm Lieben: Begehren; da liebte er nicht,
was er hatte: da liebte er, was er begehrte.

Wir betrachten zuerst Schillers „Philosophische Briefe",
bezw. die „Theosophie des Julius", das Ergebnis jener
„seligen, paradiesischen Zeit", wo er, nach seinen eigenen
Worten, empfand und glücklich war; wo sich sein Herz eine
Philosophie suchte und die Phantasie ihre Träume unter-
schob.

Berger will die Entstehung der „Philosophischen
Briefe" in die Zeit verlegen, in der sie veröffentlicht wurden,
etwa 1786. Einen Beweis gibt er aber gar nicht. Wohl be-
merkt er, dasz Schiller noch in der Bauerbacher Zeit von
diesen Ideen beherrscht sei, wie ein Brief vom 14, April
1783 an Reinwald beweise. Allein was will Berger mit dieser
Behauptung? Doch wohl nicht dartun, dasz erst wieder drei
Jahre später diese Ideen geschrieben wurden? — Fischer
beruft sich auf Aehnlichkeit zweier Abschnitte mit der
Charakterisierung des Posa.\') Aber ebenso richtig weist

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Minor auf wörtliche Uebereinstimmung der Theosophie mit
den beiden akademischen Reden Schillers hin, und be-
merkt a. a, 0. „die (mit Herder) übereinstimmenden Ge-
danken der Theosophie finden sich alle schon in den
Gedichten der Anthologie", 1) Man vergleiche weiter die
düstern Grübeleien des ersten Juliusbriefes über Gott und
Welt, über den vollendeten Schöpfer, der dennoch eine
Schöpfung brauche, mit dem Tagesrapport an den Obersten
von Seeger vom 26, Juni 1780: ,,über die Krankheitsum-
stände des Eleven Grammont". Da heiszt es u.a.: „Pietis-
tische Schwärmerei schien den Grund zum ganzen nachfol-
genden Uebel gelegt zu haben. Sie schärfte sein Gewissen
und machte ihn gegen alle Gegenstände von Tugend und
Religion äuszerst empfindlich, und verwirrte seine Begriffe.
Das Studium der Metaphysik machte ihm zuletzt alle Wahr-
heit verdächtig, und risz ihn zum andern Extrcmo über, so
dasz er, der die Religion vorhero übertrieben hatte, durch
sceptische Grübeleien nicht selten dahin gebracht wurde,
an ihren Grundpfeilern zu zweifeln. Diese schwankende
Ungcwiszheit der wichtigsten Wahrheiten ertrug sein vor-
treffliches Herz nicht. Er strebte nach Ueberzeugung, aber
verirrte auf einen falschen Weg, da er sie suchen wollte,
versank in die finstersten Zweifel, verzweifelte an der
Glückseligkeit, an der Gottheit, und glaubte sich den un-
glücklichsten Menschcn auf Erden".

Wie genau paszt das alles auf unsern Juliusl Und wenn
dieser dann berichtet, er habe zweimal vor dem Bette des
Todes gestanden und zweimal die Wunderwirkung der Re-
ligion geschaut, dann denken wir an August von Hoven und
Weckheriin. Und gewisse andere Stellen aus dem zweiten
Juliusbrief vergleiche man endlich mit dem düstern
Pessimismus Wollmars im „Spaziergang unter den Linden".

Warum könnte es mithin nicht möglich und wahrschein-

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lieber sein, dasz Schiller behufs der Ausbildung des Freund-
schaftsverhältnisses zwischen Karlos und Posa die bereits
niedergeschriebenen Ideen zu Rate gezogen hätte? Eben jener
Brief an Reinwald, mitten in der Arbeit am Don Karlos,
enthält Gedanken und Aussprüche, die darauf hinweisen
dürften, dasz Schiller sich damals ganz bestimmt mit älteren
Papieren beschäftigte.®) Wenn er ebenda von Gott sagt,
er finde in jedem einzelnen Geschöpf
„Trümmer" seines
Wesens, und weiter: „Der ewige innere Hang, in das Ne-
bengeschöpf überzugehen, oder dasselbe
in sich hineinzu-
schlingen, es anzureiszen,
ist Liebe", so sind diese ganz
eigentümlichen Redewendungen buchstäblich in der An-
thologie zurückzufinden. Man vergleiche „Das Geheimnis
der Reminiszenz":

„Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Dringen,
Das verlorne Wesen einzuschlingen..."

Und die „Phantasie an Laura":

„Meine Laura! nenne mir den Wirbel,
Der an Körper Körper mächtig reiszt."

Und überhaupt der Umstand, dasz in der Theosophie Stro-
phen früherer Gedichte vorkommen, beweist doch wenig-
stens dasz der Verfasser alte Papiere durchstöbert hat.

Ich glaube annehmen zu dürfen, dasz Schiller etwa 1781,
bereits seine Ideen aufgeschrieben hat, dasz er später, 1783
und folgende Jahre, die alten Papiere wieder vorgenom-
men hat bei der Arbeit am Don Karlos, und dasz sie dann
wieder besondere Bedeutung erhielten, als das Freund-
schaftsverhältnis met Körner sich gestaltete\'). Als er dann
die „Briefe" in die Thalia einrücken lassen wollte, hat cr sie

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überarbeitet, wobei denn wohl manches umgestaltet, vertiett
und hinzugefügt wurde\'). Wenn Fischer also behauptet, die
Theosophie des Julius,
so wie dieselbe in den philosophi-
schen Briefen zu lesen stehe,
rühre aus den Anfängen des
Dresdener Aufenthaltes her,") so dürfte das, mit der be-
tonten Einschränkung, schon richtig sein. In dieser uns vor-
liegenden Fassung betrachten wir nunmehr die „Philoso-
phischen Briefe".

Die „Verwechslung der Wesen" beim Akte der ästheti-
schen Anschauung ist auch der Quell der Liebe. Begierde
nach fremder Glückseligkeit, weil ich meine eigene begehre,
ist Wohlwollen, Liebe. Glückseligkeit besteht aber in der
Vollkommenheit, und so wird Liebe Selmsucht nach dem
Vollkommnen, nach dem Unendlichen.

Liebe gründet sich „auf einen augenblicklichen Tausch
der Persönlichkeit".

„Nur in dir bestaun\' ich mich"
singt Julius dem Freunde zu. — Auch Posa erblickte seine
Ideale, seine Welt in Karl.

Liebe jedoch zu der ganzen Natur, wodurch man diese in
sich selbst aufnimmt, bringt uns der Gottheit um vieles
näher, ja, weil Gott und Natur zwei Gröszen sind, die sich
vollkommen gleich sind, ist diese allumfassende Liebe der
Weg zur Gottähnlidikeit. „Liebe ist die Leiter, worauf wir
emporklimmen zur Gottähnlichkcit". Und so mündet diese
Liebe schlieszlich ins Religiöse: „Seid vollkommen, wie

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euer Vater im Himmel vollkommen ist, sagt der Stifter
unsers Glaubens. Die schwache Menschheit erblaszte bei
diesem Gebote, darum erklärte er sich deutlicher: Liebet
euch unter einander!"

Weil in Gott aber alle Vollkommenheiten des Universums
vereinigt sind, so ist Liebe zugleich der Weg zur vollen-
deten Schönheit, zur vollendeten Kunst, Denn die Welt,
die wir zu lieben bestrebt sind, ist ja das erhabene Kunst-
werk des ewigen Schöpfers, des höchsten Künstlers.

Dieselben Gedanken finden sich in den Gedichten jener
Periode, wo sich Sinnliches mit Uebersinnlichem zu einem
mystischen Ganzen vereinigt. Durch „die schwebende Welt"
fliegt der Dichter, die Unendlichkeit zu fassen. Umsonst: ein
Pilger begegnet ihm auf einsamem Pfade: „Du segelst um-
sonst — vor dir Unendlichkeit, Pilger, auch hinter mir!"

Aber Liebessehnsucht wird ihm die göttliche Unendlich-
keit wiedergeben. Denn wie die Natur ein unendlich geteil-
ter Gott ist, so sind auch er und seine Geliebte Teile,
„Trümmer" dieses Gottes, die in der Liebe nach Wieder-
vereinigung streben, „das verlorne Wesen einzuschlingen,
Gottheit zu erschwingen".

Begierde, Sehnsucht, Liebe ist Anziehung. Liebe zur
Unendlichkeit empfinden wir, wenn das ganze Universum
uns anzieht. Im „Körperweltgewühle" hat Newton diese
Anziehung, diese unendliche Liebe entdeckt, die aus dem
Chaos die herrliche Harmonie geschaffen hat. So aber auch
beherrscht die Liebe das „Geisterreich", und am Arme
seines Freundes wagt der Dichter „freudig den Vollen-
dungsgang".

Aber nicht immer finden wir dieses frohe Hinaufstreben
ins Unendliche. Es mutet an wie „romantische Ironie" von
ihrer düstersten Seite, wenn in die Verherrlichung der voll-
endenden Liebe ein Ton klingt, wie:

„Dieser Kelch, woraus mir Gottheit düftet_

Laura — ist vergiftet!"

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Und verzweifelnd an irdischer Schönheit sehnt er sich
zu sterben in der Blüte seiner Jahre:

„Brich die Blume in der schönsten Schöne,
Lösch\', o Jüngling mit der Trauermiene,
Meine Fackel weinend aus;
Wie der Vorhang an der Trauerbühne
Niederrauschet bei der schönsten Scene,
Fliehn die Schatten — und noch schweigend horcht das

Haus".

Es ist eben das rastlos sich hin und her Bewegen des
Menschen, dem es ja nicht gegeben ist, länger als einen
Augenblick auf der höchsten Höhe seines Gefühls zu ver-
weilen. Und doch ist es wieder die Liebe, die die Aeuszer-
stcn verbindet: Freude und Schmerz, Hoffnung und Ver-
zweiflung, Wollust und Schwermut finden sich zusammen,
umarmen sich in der Liebe, die Vergangenheit mit Zukunft,
Zeit mit Ewigkeit verbindet.

Noch ein anderes Gefühl spielt in diese ekstatische Liebe
hinein: das Magische, das sich in der unmittelbarsten
Sprache der Gefühle, in der Musik, äuszert, wo der enthu-
siastische Zuhörer bald „entgeistert", bald „entkörpert" da
steht, wo die Geliebte über Tod und Leben gebietet, wie der
Zauberkünstler Philadelphia. Aber auch die Magic ist Weg
zur Vollendung, zur Erkenntnis durch unmittelbare Ver-
bindung mit der Geistcrwelt. „Stehst mit höhern Geistern
^u im Bunde?" fragt der Dichter die Geliebte, und es ist
ihm, als höre er in ihrem Spiel die Sprachc, „die man in
Elysen spricht". Also aucli jetzt wieder und immer wieder
^ic Liebcssehnsucht nach dem Unendlichen, hier aber, ich
möchte sagen, von ihrer romantischsten Seite genommen.
^Ilein diese magische Gewalt der Liebe ist ihm doch nur
eine jener Hyperbeln, einer jener Kraftausdrückc, deren cr
sich in seiner Ucberschwenglichkcit nur zu häufig bedient,
®lso nichts Wesentliches, keine Schöpferkraft, weder actu
loch potentia, wie bei Novalis.

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Aber neben diesem mystisch-magischen Element, das uns
der Erde entrückt, erblicken wir doch auch die Liebe in
einer Phase, die der Wirklichkeit, dem Irdischen; die den
Liebeswirren des jungen Dichters näher steht. Es ist nicht
immer die Sehnsucht nach einer übersinnlichen Unendlich-
keit Quelle der Liebe: es ist auch das leidenschaftliche Ver-
langen, sich selbst zu vergessen, sich zu versenken in die
dunkel-warmen Tiefen der innigsten Sympathie; die Ge-
liebte an die Brust zu pressen und den heiszen Kusz der
Liebe auf ihre Lippen zu drücken. Das ist die „Freigeisterei
der Leidenschaft", die tobt gegen die bestehende Ordnung,
wie Ferdinand in „Kabale und Liebe"; gegen die Gesetz-
lichkeit einer verhaszten Ehe, welche die Geliebte in „frem-
de Fesseln zwang". — bis sie endlich einer dumpfen Resig-
nation Platz macht,

Aehnlich im Don Karlos. Auch hier lehnt ein feuriger
Prinz sich auf gegen eine tückische Weltordnung; allein er
weisz sich aus der Verzweiflung aufzuraffen und seine Liebe
auf „ein höher, wünschenswerter Gut" zu richten. Don
Karlos: es ist die Tragödie der Liebe, nicht nur der Liebe
zwischen Mann und Weib, sondern auch die Tragödie der
Freundschaft. Im Don Karlos wird die Liebe zu einem
wirklichen Gegenstand abgewogen gegen die Liebe zu einem
Ideal®): die Liebe wird zum moralischen Begriff und ihr
Wert wird bestimmt nach dem Werte ihres Zweckes, Meines
Erachtens bringt dieser moralische Konflikt etwas Unreines
in die Freundschaft, Denn nach des Dichters eigenen Wor-
ten wird Karlos von Posa „als das einzige unentbehrliche
Werkzeug"") zur Befreiung Flanderns betrachtet. iWas
würde Posa sich um Karlos kümmern, wenn cr ihn nicht
brauchte? Schon gleich bei der ersten Begrüszung erscheint
Posa nicht als Freund, sondern als „ein Abgeordneter der
ganzen Menschheit", speziell der flandrischen Provinzen,

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die gerettet werden sollen. Die Freundschaftsidee wird da-
durch um vieles herabgestimmt: die enthusiastische, reine
Liebe von Freund zu Freund suchen wir vergebens. Wir
denken an die Freundschaft Friedrich Schlegels zu seinem
Bruder: Karlos soll der „Mittler" sein; sobald aber Posa
„ein noch besseres Medium" mit „der ganzen Menschheit"
findet, musz Karlos den Platz räumen.
Aber:

„die Philosophie

Schlägt um, wie unsre Pulse anders schlagen".")
Und so war es möglich, dasz Schiller nach einigen Jahren
die Liebe mit philosophischem Gleichmut auf dem Sezier-
tisch seiner Vernunft analysieren konnte. Die Anziehung,
auch jetzt Wohlwollen, Liebe genannt, wird nunmehr er-
klärt und ihre Eigenschaften werden aufgezählt.") Es ist
die Anmut, welche Liebe erregt, d.h. das Ideal der harmo-
nischen „schönen Seele", die kein anderes Glück kennt, als
das Heilige in sich auszer sich nachgeahmt oder verwirklicht
zu sehen. Und so bewegt Schiller sich hier wieder in der
einseitigen, idealistischen Welt einer nur in der Idee exi-
stierenden platonisch-moralischen Liebe.

Max und Thekla sind die Anwendung dieser Liebe-in-
der-Idee, sind daher durchaus symbolisch aufzufassen und
bewegen sich somit als blutlose Schemen zwischen den
Figuren der Wallensteintragödie. Und wenn Max unter den
Hufen seiner Rosse zertreten wird, so ist es nicht Thekla,
sondern vielmehr der Dichter, welcher klagt:
..Das ist das Los des Schönen auf der Erde!"
Denn er erkannte die Unmöglichkeit, sein Ideal zu ver-
wirklichen. ..

Die Gefahren der Liebe, die notwendigen Grenzen der
Liebe in Bezug\'auf die Vernunft werden in der Abhandlung
..Ueber die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner

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Formen" erörtert. Wenn Schiller jedoch geradezu behaup-
tet, die Liebe stamme ab von dem Schönheitsgefühl,so
dürfte diese Aeuszerung doch wohl wieder zu einseitig und
zu positiv sein. Wie stimmt das übrigens zu dem Begriff der
Schönheit, die nach Kant ein
interesseloses Wohlgefallen
erregt,") womit Schiller sich an mehreren Orten einver-
standen erklärt?

Das philosopische Zergliedern der Liebe war den Roman-
tikern fremd. Sie genossen sie vielmehr in dem Wahrheits-
enthusiasmus ihres Lebens und so wurde sie von selbst zum
„Zentrum der romantischen Poesie und Weltanschau-
ung". Nirgends berührt die Romantik sich denn auch mit
Schiller so enge, als in der Auffassung der Liebe, wie dieser
sie hegte in seiner ersten Periode. Von der reinsten Unend-
lichkeitssehnsucht bis zur ekstatischen Magie; von der zar-
testen Freundschaft bis zur feurigsten Leidenschaft: in all
ihren Phasen finden vrir sie wieder bei den Romantikern;
nur tiefer, nur wirklicher, nur konsequenter.

Da haben wir denn an allererster Stelle das innige
Freundschaftsverhältnis zwischen Wackenroder und Tieck.
Es ist rührend, wie der eine sich gleichsam emporhebt an
der Liebe des andern; wie ihr Leben ausgefüllt und veredelt
wird von dieser häufig überzarten, mädchenhaften Freund-
schaft. Der weiche, schwärmerische Wackenroder möchte
sich selbst anbeten, wenn ein Mensch, wie Tieck, dessen
Worte ihm Orakel sind, ihn mit dem veredelten Bild seiner

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selbst in Rausch und Taumel setzt (5 Mai 1792); und Tieck
seinerseits beteuert dem Freunde, dasz dieser ihn von der
trübsten Schwermut geheilt, all seine Gefühle verfeinert und
veredelt habe (29 Mai 1792). „Alles vergröszert, veredelt
Deine Freundschaft", schreibt er noch einmal am 28. Dez.
1792. Und an Schiller denken wir, wenn Wackenroder
schreibt (ohne Datum; Dez. 1792): „Jede Fröhlichkeit,
jede Liebe, jede Zuneigung veredelt uns, ist selber
Tugend; jedes Gefühl, wovon Hasz die Wurzel ist, ver-
schlechtert und erniedrigt uns". ") Wie sehr übrigens Schil-
lers himmelanstrebendes Freundschaftsideal die beiden
Freunde begeisterte, das lesen wir aus jenem Brief von
Tieck") (28 Dez. 1792), wo er die Stelle aus der Freund-
schaftsode „Stand\' im All der Schöpfung ich alleine, etc."
anführt, die Wackenroder so auszcrordentlich gefallen habe
und die cr gar nicht mehr los werden könne. Auch sonst
werden die philosophischen Briefe erwähnt und auch sonst
findet sich Beeinflussung.")

Beachtenswert ist auch, wie Tieck die Rührung des Er-
habenen aus der Liebe hervorgehen läszt (29 Mai 1792) und
eben diese Rührung aus dem Tausch der Personen erklärt.
„Denn die Rührung ist ja nichts Anderes als Sympathie mit
denen Personen, die uns rühren, ein Freundschaftszug, der
uns zu ihnen hinzieht und macht, dasz wir an allen ihren
Schicksalen teilnehmen". Und weiter: „Wir entdecken im
Erhabenen uns selbst,") die Sympathie zieht uns zu der

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Person hin, die erhaben denkt, und diese Liebe, mit Ver-
ehrung vermischt, kann so stark sein, dasz sie in Tränen

ausbricht, etc." , , t,

So werden immer wieder in diesem Briefwechsel Pro-
bleme der Kunst behandelt und mit gröszter Offenherzig-
keit tauschen die Freunde ihre Gedanken aus, auch wenn
es Lob oder Tadel eigener dichterischer Produkte betrifft.
Wie innig schlieszlich diese Freundschaft mit dem höchsten
Streben der Kunst
verwachsen war, das beweist auch die
Allegorie „Der Traum", Tiecks dichterische Verherrlichung
dieses Kunst- und
Freundschaftsbundes:

„Durch dunkle Schatten" lenken die beiden Freunde ihre
Schritte, bis an ihren Füszen eine wunderbare Blume auf-
blüht, während aus der Ferne ein entzückender Gesang
erklingt. Da fühlten sie „ein unerklärbar Streben Nur nach
dem Edelsten und Schönsten hin" und „der Geist dringt
zum Unendlichen hinan". Die Blume aber wächst empor
zum höchsten Baume, aus dessen Blüten Engel mit Pfeilen,
mit Tönen schieszen, bis aus dem Wipfel die Geister jener
Groszen erscheinen: Homers, Raphaels und Shakespeares.
Dann wacht der träumende Dichter auf; als er aber den
vielgeliebten Freund, mit dem das Schicksal ihn schon als
Knaben verband, nicht an seiner Seite erblickt, da betet er:
„0 bleib\', und lasz uns Hand in Hand durcheilen
Der vielgeliebten Kunst geweihtes Land,
Ich würde ohne Dich den Mut verlieren,
So Kunst als Leben weiter fortzuführen".

Wie Wackenroders Leben, so waren auch seine Werke
gleichsam getränkt in Liebe und Freundschaft. Sehnsucht
aber, wie bei Schiller, war die Quelle; Sehnsucht, den Geist
auszudehnen durch allgemeine, umfassende Liebe, denn
„nur durch solche Liebe gelangen wir in die Nähe göttlicher
Seligkeit".") Diese allgemeine Liebe führt ihn denn auch

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zu jener Allgemeinheit, zu jener „Toleranz" in der Kunst,
die das Schöne nicht blosz in den eigenen Werken erblickt,
sondern sich auch in die Schöpfungen fremder Völker
hineinzufühlen bestrebt. Also nur kein Schönheitssystem,
das alle Menschen zwingen möchte, nach eigenen Vorschrif-
ten und Regeln zu fühlen! Denn „wer ein System glaubt,
hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen verdrängt".
Und mithin auch keine objektive Schönheit, wie doch auch
Schiller sie zu begründen bemüht war. Denn jeder sieht das
Schönste nur in sich, und alle haben es in den verschieden-
sten Formen von Demjenigen erhalten, Dem das Brüllen
des Löwen so angenehm ist, wie das Schreien des Renn-
tiers; Dem die Aloe ebenso lieblich duftet wie Rose und
Hyazinthe. — So münden auch hier schlieszlich Kunst und

Schönheit ins Religiöse.

Sehnsucht nach dem Unendlichen gestillt in Liebe und
Kunst ist auch das Thema jenes „wunderbaren morgenlän-
dischen Märchens von einem nackten Heiligen", der mit
fortgerissen vom Strudel des Lebens, betäubt vom ewigen,
rastlosen Treiben der Menschheit, gezwungen ist, das Rad
der Zeit mit umzudrehen. Aber in dieser furchtbaren Bewe-
gung verzehrt ihn eine Sehnsucht nach unbekannten, schö-
nen Dingen, bis endlich in einer herrlichen Mondnacht Liebe
und Kunst den verirrten Geist aus seiner irdischen Hülle
befreien. Die Sehnsucht war gestillt und in die Unendlich-
keit hinauf schwebte, eine herrliche Wundererscheinung,
der Genius der Liebe und der Musik.

Wackenroder spricht von einer allgemeinen Liebe, die
den Menschen erhebe, — Tieck empfindet die Gewalt der
persönlichen Liebe, der Liebe des Mannes zum Weibe. So
schreibt Antonio an seinen Freund Jacobo, dasz er durch
die Liebe zu seiner Amalie ") einen schönen VC\'eg zur An-

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betung der Kunst gefunden habe, dasz er erst jetzt die
Natur und die Schönheit der Welt zu sehen bekomme.
Eigentümlich ist der Zug, dasz Raphaels Madonnen seiner
Amalie ähnlich sehen. Gleiches finden wir im Sternbald: die
Geliebte wird ihm zum Symbol des Schönen.

Jacobs Antwort ist ganz Wackenroder\'sch: die Kunst
müsse Antonios höhere Geliebte sein, sie müsse eine
religiöse Liebe ^ oder eine geliebte Religion werden.
Indessen verneint er doch keineswegs die verinnigende
und erhebende Kraft der irdischen Liebe. Er macht aber
keinen Unterschied zwischen der subjektiven Kunstäusze-
rung und der Idee „Kunst".

Auch in dem Brief eines jungen deutschen Malers in
Rom an seinen Freund in Nürnberg spielt die Liebe eine
entscheidende Rolle. Nicht nur sucht auch hier der Künstler
die Züge seiner Geliebten in den besten Gemälden und
findet sie bei seinen liebsten Meistern, — die Geliebte zeigt
ihm auch den Weg „zum alten, wahren Glauben" und über-
wältigt von mehreren zusammenwirkenden Eindrücken tritt
er zum Katholizismus über.

Die Liebe ist es weiter, welche in der Erzählung aus einem
italienischen Buch übersetzt den armen verlassenen Maler
veranlaszt, der Madonna die Züge seiner verstorbenen
Gattin zu leihen, so dasz der reiche Käufer in heller Be-
wunderung vor dem Bilde steht, das seine höchste Erwar-
tung übertrifft.

Und dann endlich das Liebesmotiv im Sternbald.

„Alle heiligen Spiele der Kunst", sagt Lothario in dem
„Gespräch über die Poesie",„sind nur ferne Nachbil-
dungen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig
sich selbst bildenden Kunstwerk". Und Ludoviko antwortet:
„Mit anderen Worten: alle Schönheit ist Allegorie. Das

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Höchste kann man eben weil es unaussprechlich ist, nur
allegorisch sagen".

Und: „Alle Kunst ist allegorisch", so belehrt der alte
Eremit, der vereinsamte Maler, den jungen suchenden
Stcrnbald.") „Allegorie. Das Wort bezeichnet nichts An-
ders, als die wahrhafte Poesie, die das Hohe und Edle
sucht..."

Ich glaube, in dieser alt-deutschen Geschichte das Liebes-
thema symbolisch auffassen zu müssen. Die wahrhafte
Poesie, die das Hohe und Edle sucht, jene „Allegorie" ist
hier eben die Liebe. Die Geliebte aber, die Stcrnbald endlich
• nach vielen Irrfahrten findet, ja, die er sogar einmal glaubte
verloren zu haben; die Geliebte, vor der er ehrfurchtsvoll
niederkniet, ist die Schönheit, die er in der vollendeten
Kunst findet und anbetet.

Als Schüler, bescheiden und schüchtern, verläszt Stcrn-
bald seinen Meister und Nürnberg und irrt in die weite
Welt hinaus. So besucht er denn auch die Stelle seiner
ersten Jugend, wo sich zuerst sein Trieb entzündet hatte, —
und eben hier erinnert er sich jener Begegnung mit dem
blonden Mädchen, das um seine Blumen bat. „Alles Liebe
und Holde entlehnte cr von ihrem Bilde, alles Schöne, was
er sah, trug er zu ihrer Gestalt hinüber..." Und seufzend
gesteht er rieh: „0 mein Geist strebt nach etwas Uebcrirdi-
schem, das keinem Menschen gegönnt ist". Er denkt an die
Kunst — er denkt an seine wunderbare Geliebte... Alles
^ar ihm allmählich zur Traumgestalt geworden... Aber da,
^n eben dem Tage, wo sein Altargemälde in der Kirche seines
stillen Heimatdorfes aufgestellt wurde, da sah cr seine
Geliebte wieder, nur kurz und flüchtig zwar... Aber in
®>ncr kleinen, zierlichen Brieftasche, die sie verloren hatte,
land er — „ein Gebinde wilder, vertrockneter Blumen", und
em Taschenbuch enthielt die Namen Lucas von Leydcns und
Albrecht Dürers: der beiden Meister, die bis jetzt noch
Sternbalds Schönheitsideal in ihren Werken vertraten...

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Dann versnchte er ihr Bild zu

Bemühen - aber in seinem Traum vor der Stadt Leyden
sieht er seinen Meister Dürer, der emsig an einem Gemälde
arbeitet: „es war der Kopf der Fremden, das Gesicht war
zum Sprechen ähnlich." Was dem Schüler nicht gelungen
war; nicht gelingen konnte: der Meister hatte es voll-

^"E^zieht weiter, gerät in eine bunte Gesellschaft, schUeszt
Freundschaft mit einem jungen Abenteurer. Rudolph
Flo-
restan, der die Geschichte eines Ritters erzählt, welcher
das Bild eines Mädchens gefunden hat und nun von Liebe
verzehrt das Land durchzieht, um diejenige zu fmden, von •
der er bis jetzt nur das Gemälde besitzt... Er fmdet sie
und ist glücklich. Franz aber, heiszt es dann weiter, „war
sehr
nachdenkend geworden. Fast alles, was er hörte und

sah, bezog er auf sich." —

In Antwerpen zieht er beim Kaufmann Vansen ein, wo

er der Versuchung widersteht, seine Kunst wie seine Ge-
liebte zu verlieren. , . .
du
Aber „auf eine fast magische Weise... ist (seine) l\'han-

tasie mit dem Engelsbilde" seiner Geliebten angefüllt und
als er in Straszburg eine H. Familie malt, versucht er in der
Madonna abermals die Gestalt zu zeichnen, die sein Inneres
erleuchtet. Und buchstäblich schreibt cr dem Freunde
Sebastian: „Es kann sein, dasz diese meine Geliebte (denn
warum soll ich sie nicht so nennen?) das Ideal ist, nach dem
die groszen Meister gestrebt haben, und von dem in der
Kunst so viel die Rede ist... Festen Mutes, wie ein Erobe-
rer, will ich in das Gebiet der Kunst vorrücken."

Er wird stolzer, er wird selbstbewuszter, je näher cr, un-
bewuszt, dem Ziele seiner Sehnsucht kommt.

Und eines Tages — es war wie damals in früher Ju-
gend — da hörte er Waldhörner und frohen Gesang; er
glaubte „die Geislerwelt habe sich plötzlich aufgeschlos-
sen," und als er vollends der schönen Jägerin ansichtig

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wurde, da glich diese ihm einer Göttin und „er wünschte
jetzt nichts so sehr, als in der Nähe dieses wundervollen
Wesens zu bleiben."

Sie verdrängte in ihm das Bild seiner idealen Geliebten,
und umso leichter, da sie derjenigen glich, die er nicht zu

nennen wuszte----Ist es doch so natürlich: je näher er dem

Ideal war, umso leichter konnte er sich einer lieben Täu-
schung hingeben. Und wieder sasz er vor der Staffelei und
malte diejenige, die ihm erzählt hatte, ihre Schwester, seine
Geliebte sei tot!... Und bei dem alten, wahnsinnigen Ein-
siedler hatte er noch ihr holdes Bild entdeckt!... So war
er ihr auf der Spur und nun wäre sie ihm auf immer
verloren?!.

Erschüttert fiel er von einer Verirrung in die andere. Mit
der blonden Emma verlebte er Augenblicke schwülster
Sinnlichkeit; in Florenz erblühte ihm in der mutwilligen
Lenorc ein neues Ideal und in dem lustigen Kreise der
zechenden Maler ging er mit Kunst und Liebe aus Rand
und Band!...

Aber dann kam Rom mit seinen Kirchen, mit dem Vati-

can----und in der sixtinischen Kapelle, da stand er vor

dem Bilde des jüngsten Gerichtes und bat „dem Geiste
Michael Angelos seine Verirrung ab". Manche leichtsinnige
Stunde bereute er. „Eine neue Liebe zur Kunst erwachtc
in ihm," und an eben dem Tage, wo er die Kunst wieder-
fand, da fand er seine Geliebte! Wieder ertönte das Wald-
horn und Franz... „sank vor der schönen bewegten Ge-
stalt in die Knie, weinend küszte er ihre Hände." „Ihr seid
mir wie ein längst gekannter Freund. Ihr seid mir nicht
fremde", gesteht sie ihm. Er aber ergieszt seine übervolle
Seele in die Töne eines glücklichen Liedes.

So hatte Franz seine Geliebte, seine Schönheit gefunden,
m Rom, im Zentrum der Kunst, aber auch — und das ist
^^achtig! — im Zentrum des Katholizismus! Jener „Brief
eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund

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in Nürnberg" ist gleichsam die Fortsetzung des Romans und
gibt uns näheren Aufschlusz über die Geliebte. Sie bittet
den jungen Maler inbrünstig „zum alten, wahren Glauben
zurückzukehren." Und als Sternbald nach einigen Tagen
seine Braut heimführt, da hat der Künstler seine Schönheit
und seinen Glauben gefunden. Die Liebe ist für Tieck die
neue Mythologie, nach der die Romantiker suchten.

Sehnsucht, das menschlichste aller Gefühle, ist die unver-
siegbare Quelle romantischer Dichtung. Bald ist sie Selbst-
zweck, „ein hohes, ewiges Glück" an sich, wie für Christian
im „Runenberg", der den in seiner Jugend ersehnten Be-
sitz „ein vergängliches und zeitliches" nennt; bald will sie
sich hinaufschwingen ins Unendliche. Und was unerreich-
bar ist für die Vernunft, das will der Künstler sich im Ge-
fühlsrausch erringen: im Taumel der Liebe, in der Mystik
der Religion, in der allumfassenden Kunst.

So war\'s bei Schiller, so war\'s bei den Romantikern. Al-
lein Schiller kehrte zurück zur Vernunft, die Romantiker
aber lieszen sich weiterführen auf dem wunderbaren Strom
des Gefühls und sie landeten im Reiche der Märchen, der
Sagen, der Legenden, und — des Aberglaubens....

Aber wie die wechselnde Gestalt auch sein möge: der
Urquell ist immer dieses tief-menschliche Sehnen nach un-
erreichbaren Fernen; eine Sehnsucht, verklärt und verinnigt
von Schleiermacher, wie alles sich verklärte und verinnigte,
was dieser mit seiner warmen Seele berührte.

Mit Friedrich Schlegel treten wir in die Phase der sinn-
lichen Liebe. Tieck hatte mit der Sinnlichkeit gespielt,")
hatte sie sich unter fremdem Einflusz angeeignet: Friedrich
Schlegel macht Ernst mit ihr. Aber zu gleicher Zeit wird
dadurch jene Sehnsucht gleichsam verkörpert; sie verliert
sich nicht mehr in Phantasien, nicht mehr in Figuren der

«) Für Lovell ist sie sogar Anfang. Quelle aller Empfindungen.

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Ueber treibung: der Satz: „Sie waren einer dem anderen das
Universum" ist jetzt buchstäblich wahr geworden.

Wie „der grosze Weltenmeister" in seiner freundlosen
Einsamkeit zur Stillung seiner unendlichen Sehnsucht sich
die Geister schuf, so sehnt auch Julius sich nach einer Welt,
die er umarmen möchte, — aber umsonst. Der geistige Dich-
ter der „Freundschaft" würde Seelen träumen in die Fel-
sensteine, wenn er im AH der Schöpfung allein stünde: der
sinnliche Julius verwildert aus unbefriedigter Sehnsucht, ist
sinnlich aus Verzweiflung am Geistigen. Ja, erst durch die
Liebe, die er endlich wirklich gefunden, wird alles für ihn
beseelt, weil er die wiedererwachte Natur in sich spürt in
ihrer ursprünglichen Göttlichkeit, — und ihr heiligstes
Wunder ist die Wollust in der einsamen Umarmung der
Liebenden.....

In Lucinde ist Leben und Lieben eins und dasselbe; sie
fühlt alles ganz und unendlich; ihr Wesen ist eins und un-
teilbar und alle Stufen der Menschheit verbindet ihre Liebe.
Julius betet die Menschheit an, aber jetzt erblickt cr in die-
ser allumfassenden Weiblichkeit deren Gipfel und Vollen-
dung. Das Ewig Weibliche zieht auch ihn hinan____

Aber „die Liebe ist nicht blosz das stille Verlangen nach
dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Gcnusz einer
schönen Gegenwart." Gewisz, denn in der irdischen Gegen-
wart liegt ihre Fähigkeit: die „Empfindung des Fleisches,"
der erste Grad der Liebeskunst, der höhere Kunstsinn der
Wollust, der endlich zur vollendeten Menschheit hinauf-
führt.

Hier haben wir wieder einen Unterschied gegen Schiller.
Friedrich Schlegel läszt der Sinnlichkeit den freien Zügel,
zu gleicher Zeit aber poctisiert er sie; Schiller hingegen emp-
findet die „Freigeisterei der Leidenschaft" als etwas
Pflichtwidriges, dem er sich nur nach vergeblichem Kampf,
in Verzweiflung an dem Höchsten, ergibt. In der Won-
netrunkenheit der sinnlichen Liebe will Schiller den tiefen

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Fall verschmerzen, — aus eben dieser Wonnetrunkenheit
erblüht für Schlegel das Ideal menschlicher Vollendung.

„Totalität" nennt Schiller es, allseitige Betätigung der
Persönlichkeit des Mannes einerseits, wie der Frau anderer-
seits, zu erreichen auf dem Wege harmonischer Ausbildung.
Schiller stellt Mann und Weib einander gegenüber, jedes
mit eigenen Idealen, jedes mit eigener Harmonie.

Auch Friedrich Schlegel spricht von „harmonischer Aus-
bildung". Schon in dem Aufsatz „Ueber die Diotima" heiszt
es: „die Weiblichkeit sollte wie die Männlichkeit zur höhern
Menschlichkeit gereinigt werden". Das Geschlecht soll,
ohne es zu vertilgen, der Gattung untergeordnet werden.
Das Sanfte des weiblichen Charakters soll sich mit dem
Selbständigen des männlichen zu einem schönen Ganzen
vereinen.®") „Wie fest und selbständig, wie glatt und wie
fein. Das ist harmonische Ausbildung", ruft Julius, als er
bewundernd vor seiner Lucinde steht. Es ist der Austausch
der Charaktere: „Nimm meine Seele ganz und gib mir
deine!... 0 schönes, herrliches Zugleich!" so schwärmt er
in Lucindens fester Umarmung.

Dieses „herrliche Zugleich" ist seine Totalität, Es ist der
dritte und höchste Grad der Liebe, wo der Jüngling nicht
mehr blosz wie ein Mann, sondern zugleich auch wie ein
Weib liebt. Es ist die Synthese des männlichen und des
weiblichen Charakters im Zustand der Liebe, das Vertau-
schen der Rollen in der „schönsten Situation".

Noch einiges über diese Liebe, Auch hier, wie bei Schiller,
spielt das „Geheimnis der Reminiszens" an,") Einst werden
die Liebenden wissen, dasz, was sie jetzt nur Hoff-
nung nennen, eigentlich Erinnerung war. Auch hier,
wie bei Schiller im „Triumpf der Liebe," ist es die Liebe, die
den Menschen den Göttern ähnlich macht. Und auch hier
das Magische, aber jetzt nicht mehr, wie bei Schiller, als

«) S. W. Bnd. 4. S. 92. f. Vergl. unten Novalis, S. 64.

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dichterische Uebertreibung, sondern bereits als eine sich be-
wuszt werdende Macht. Die Liebe wird empfunden nicht
nur als ein Uebergang vom Sterblichen zum Unsterblichen,
sondern als völlige Einheit beider. — Wir sind auf dem
Wege zu Novalis, auch an anderer Stelle, wo der Dichter
in überreizter Phantasie sich zu seiner toten Geliebten hin-
übersehnt, oder wo Lucinde innig fühlt, sie sei nur der
Nacht geweiht.

Und endlich: diese Liebe ist keine nackte Sinnlichkeit.
Emil Lucka unterscheidet drei Stufen der Erotik, Zu der
dritten und höchsten Stufe gehört diese romantische Liebe.
Es ist die Sinnlichkeit
in der Liebe, die uns hier entgegen-
tritt; die zu einer „liebenswürdigen Moral der Liebe" gerei-
nigte Sinnlichkeit. Nicht die zerstörende Sinnlichkeit ohne
Liebe; nicht dieses, wo der Mann in der Frau nur die Gat-
tung liebt; nein, so erklärt sich Julius, „Es ist alles in der
Liebe: Freundschaft, schöner Umgang, Sinnlichkeit und
auch Leidenschaft; und es musz alles darin sein, und eins
das andere verstärken und lindern, beleben und erhöhen."

Dieselben Ideen im Athenäum, wo was die Menschen ge-
wöhnlich „Liebe" nennen, verspottet wird als eine eigene
Art von Magnetismus, die endigt mit einem ekelhaften
Hellsehen und viel Ermattung"), während wirkliche Liebe
Freundschaft von allen Seiten und nach allen Richtungen
ist, universelle Freundschaft"). Hier also auch wieder das
Streben nach dem Unendlichen. „Ich weisz nicht," so heiszt
CS in dem Brief „Ueber die Philosophie" an Dorothea, — und
eben so redet Julius zu seiner Lucinde — „Ich weisz nicht,
ob ich das Universum von ganzer Seele anbeten könnte,
wenn ich nie ein Weib geliebt hätte — Liebst Du wohl, wenn
Du nicht die Welt in dem Geliebten findest?" *■)

Wir sahen bereits, wie die Liebe zur Totalität führte.

") Ath. 1798. II. Fragmente. S. 100. ») Ebda. S. 106. »•) Ath. 1799.
1- S. H.

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Allmählich wird diese aber als eine höhere empfunden; die
Liebe wird mystisch. „Nur durch die Liebe und durch das
Bewusztsein der Liebe wird der Mensch zum Menschen,"
heiszt es in den „Ideen".") Das ist das bildende Element
in der Liebe, der Weg zur Menschwerdung, zur Gottwer-
dung.") Aber weil das Ideal in weitester Ferne winkt, er-
scheint die Liebe am meisten als Sehnsucht und als stille
Wehmut,") die ja wieder ein Element dieser Sehnsucht
bildet.

Wie bei Tieck ist auch hier die Liebe innig verquickt mit
Leben und Kunst. So bereits in den Jugendschriften, be-
sonders und wohl am schönsten in der Abhandlung über die
Diotima. „Wohl hätte Schlegel," sagt Schier"), „den anti-
quarischen Schatten der griechischen Hetäre schwerlich mit
so lebendigem Blut erfüllen können, wenn er in Carolines
Geist und Sinnlichkeit nicht die wiedererstandene Aspasia
und Diotima erlebt hätte." So bedeuten auch für Lucinde
Liebe und Leben dasselbe. Ein anderes Mal nennt Julius
die Liebe das Leben des Lebens. Sie ist aber auch das Leben
seiner Kunst. Julius, der wie Sternbald Maler ist, erblickt
die Madonna in der Geliebten und durch seine Liebe vollen-
det sich seine Kunst, ja, sein ganzes Leben wird ihm zum
Kunstwerk; Liebe löst ihm das Rätsel seines Daseins. Liebe
wie Kunst, beide sehnen sie sich nach dem Unendlichen.
Daher musz der Geist der Liebe in der romantischen Poesie
überall unsichtbar sichtbar schweben, dieser heilige Hauch,
der in sterbliche Schönheit verhüllt auch die Zauberworte
der Poesie mit seiner Kraft durchdringt und beseelt. Alles
Einzelne aber ist für den wahren Dichter „nur Hindeutung
auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphe der einen ewigen

»\') Ath. 1800. I. S. 18. **) Vergl. Schiller. Theosophie: „Seid voll-
kommen. wie euer Vater Im Himmel vollkommen Ist... Liebet euch unter
einander." **) Ath. 1800. l S.22. «) Schier. S. 79.

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Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur"
Hier wird aber die Liebe in die Sphäre des rein Geistigen
erhoben, hier — unter Schleiermachers Einflusz — berührt
sie sich aufs engste mit der Religion.

Schleiermacher, der Priester der Romantik, der ehr-
furchtsvoll sich versenkte in den Geist, — denn der Geist
ist\'s, welcher lebendig macht, — der das Allerheiligste der
Liebe segnend der Gemeinde zeigte, damit sie liebend im
Geiste dem Irdischen entsagte und eingehe in Ewigkeit und
Unendlichtkeit. Aber „um des Weltgeistes Leben in sich
aufzunehmen und um Religion zu haben, musz der Mensch
erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur
in Liebe und durch Liebe." **) Nicht Künstler war er, nicht
Priester wie Novalis: aus jedem Kunstwerk strahlte ihm die
Menschheit, die darin abgebildet, weit heller hervor, als des
Bildners Kunst*\'), ahcr manches hat er sinnig verstanden

_denn sein Sinn war nie verschlossen — und manchem hat

er gegeben von seinem Geiste — denn mild war seine Liebe.
Sinn und Liebe waren ihm die höchsten Bedingungen der
Sittlichkeit, d. h. der Bildung. Denn auch cr fühlte sich be-
rufen zur Bildung der Menschheit; auch er war auf einer
Mission.

Wie Schiller nennt er die Liebe die anziehende Kraft der
(geistigen) Welt. „Kein eignes Leben und keine Bildung ist
möglich ohne dich, ohne dich müszte alles in gleichförmige
rohe Masse zcrflieszen!" Er sehnt sich nach Liebe, nicht
aber nach der äuszeren, den Geist beschränkenden Liebe,
sondern nach derjenigen Liebe, wo die Eigentümlichkeit
sich kräftig ausbilden könne „bis zur reifsten Vollendung
der Menschheit"; wo jeder den andern frei gewähren läszt,
nicht einer dem andern die eigenen Gedanken unterschiebt.
Rührend ist es, wie cr sich sehnt nach der heiligsten Vcr-

-Gtapräch über die Poesie" Alh. 1800. I. S. 120 f. ") Reden Uber
die Religion. 2. Rede. S. 66. Monologen. S. 35. ") Ebda. S. 38.

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bindung, die ihn auf eine neue Stufe des Lebens erheben
sollte, „Verschmelzen musz ich mich zu Einem Wesen mit
einer geliebten Seele, dasz auch auf die schönste Weise

meine Menschheit auf Menschheit wirke----In Vaterrecht

und Pflichten musz ich mich einweihen, dasz auch die höch-
ste Kraft, die gegen freie Wesen Freiheit übt, nicht in mir
schlummre,"

So jubelt Julius in einem der Briefe an Lucinde, als sie
ihm „die schöne Verheiszung" gibt. Inniger fühlt er sich mit
der Natur verbunden, ganz und unauflöslich, „Im endlosen
Wechsel neuer Gestalten flicht die bildende Zeit den Kranz
der Ewigkeit, und heilig ist der Mensch, den das Glück be-
rührt, dasz er Früchte trägt und gesund ist----So lasz uns

denn unsere Stelle in dieser schönen Welt verdienen, lasz
uns auch die unsterblichen Früchte tragen, die der Geist
und die Willkür bilden, und lasz uns eintreten in den
Reigen der Menschheit."

Und ganz herrKch drückt Novalis sich aus: „Ein Kind ist
eine sichtbar gewordene Liebe". Und weiter: „Wo Kinder
sind, da ist ein goldnes Zeitalter": denn, fügt Schier hinzu,
„in ihnen lebt noch die ungebrochene Harmonie der frühen
Menschheit, die spielende Zwecklosigkeit,"So erinnert
auch Schiller das Kind an die Einfalt und Wahrheit der
Natur, und er empfindet eine „moralische" Rührung, wenn
er die grenzenlose Bestimmbarkeit in diem Kinde erblickt,
die Vergegenwärtigung des aufgegebenen Ideals, die Grösze
einer Idee, etc.")

„Wirke, soviel du willst, du stehest doch ewig allein da,

Bis an das All die Natur dich, die gewaltige, knüpft."

Was Schiller auf moralischem Wege sucht: die Unendlich-
keit, das Ewige: die Romantiker suchen es auf dem Wege

") Ebda. S. 75. ") Schier. S. 172. ..Uber naive und sentlmcntalischc
Dichtung." XII. S. 134.

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und in der Kraft der Liebe, die hinaufführt in die Religion,
Wie die Liebe das Moralische umfaszt, so umfaszt die Reli-
gion wieder die Liebe; es kommt nur noch darauf an, den
wahren Künstler zu finden, der in seiner Kunst dies alles

wieder umschlieszt: Novalis----

„Novalis, der einzige echte Dichter des romantischen
Kreises.""} Liebe, Magie, Mystik, Kunst: bei ihm wird\'s
Ereignis: aus der „Vielheit" wird die herrliche „Einheit"
des Dichters, die zu gleicher Zeit „Allheit" ist. Liebe ist
die Triebkraft seines Daseins, die ihn durch alle Stufen hin-
durchführt zur Unendlichkeit. Liebe ist die Kraft seines
Willens, Liebe ist die Seele seiner Dichtung. Für Schiller
war die Liebe Gegenstand der philosophischen Betrachtung,
auch in den Jugendwerken. Es ist nicht unmittelbares Er-
lebnis in jenen Gedichten; es ist höchstens Erinnerung,
künstliche Wiederbelebung und Steigerung der Gefühle
durch überhitzte Phantasie. Daher überstürzen sich die Ge-
danken, daher die unnatürliche Ueberschwenglichkeit dieser
Poesie. „Am schwülsten", sagt Schier,„liegt die Treib-
hausluft des Sturm und Dranges auf der Lyrik des jungen
Schiller, mit ihrem pathetisch-schwülstigen Enthusiasmus,
dem kalten Phantasiefeuer einer erlebnislosen Erotik und
dem bitteren in den Schauern der Vernichtung wühlenden

Pessimismus." \'

Friedrich Schlegels Liebe war Selbstliebe, erhabner
Egoismus, wenn man will. An denjenigen, die er liebte,
wollte er sich emporbilden. So schrieb er seinem Bruder:
„Ich sage Dir aber, dasz ich es so mit Dir halte, wie Lavater
mit Christus, der ihm geradezu erklärt, dasz, wenn er ein
noch besseres Medium mit Gott findet, er den ersten Platz
räumen musz." ") Auch Schleiermacher war ihm ein solches
„Medium": Du bist mir „für die Menschheit, was mir Goethe

") Haym. S. 376. ") Schier. S. 19. ") Oktober \'91.

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und Fichte für die Poesie und Philosophie waren,.. Du
muszt mich in der Mitte der Menschheit festhalten."

Novalis aber war ganz Liebe, und so gab er sich auch im-
mer ganz dem Gegenstande seiner Liebe hin, und daher
kommt es, dasz auch in seiner Kunst der reine Duft dieser
All-Liebe uns überall anweht. Worum Friedrich Schlegel
Gott bitten möchte, um Liebe, das hat, ich möchte sagen, das
ist Novalis.

Wie schwärmt er nicht für Schiller, für seinen „lieben,
groszen Schiller", und wie spricht er ihm nicht nach von
„sittlicher Grazie", von „moralischer Schönheit." Und dann,
als er Friedrich Schlegel kennen lernt, wie bald öffnet er
auch ihm „das Heiligtum seines Herzens." Aber schon eher,
mit Sophie von Kühn, hatte sein Leben und Dichten eine
ganz neue Wendung genommen. Liebe der Weg zur Unend-
lichkeit: das war für ihn kein leerer Begriff, keine Wort-
spielerei, das war für ihn Tatsache, inneres Erlebnis. Wir
wissen, wie er sich aus dem Leben in den Tod hinüberseh-
nen wollte: die „Hymnen an die Nacht" sind die herrliche
Aeuszerung dieser magisch-mystischen Sehnsucht. Hier wird
nicht
von der Liebe gesungen, hier singt die Liebe selbst.
Aus der tiefsten Tiefe einer Dichterseele hören wir das
rauschende, singende Wunder; eine Schönheit, unsäglich
fein, die sich nicht schildern, die sich nur anfühlen läszt in
stiller Ehrfurcht... und dankbar sind wir dem gütigen Ge-
schick, das uns diese Hymnen der Liebe schenkte.....

Wie Novalis über das Verhältnis zwischen Tod und Le-
ben, Geist und Körper dachte, ersehen wir auch aus den
gleichzeitigen Fragmenten. Leben ist der Anfang des Todes;
der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, heiszt es da.
Und an anderer Stelle: „Die Körperwelt verhält sich zur
Scelenwelt, wie die festen Körper zu den luftigen oder,"
fügt Novalis erläuternd hinzu, „oder besser den Kräften."

") Vergl. Haym. S. 190: Schier. S. 67.

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Und durch diese Kraft, d, h, durch den Geist kann der ganze
Körper in Bewegung gesetzt werden, „Die Wirkungen der
Furcht, des Schreckens, der Traurigkeit, des Zornes, des
Neides, der Scham, der Freude, der Phantasie u.s.w. sind
Indikationen genug."

Auch Schleiermacher erwähnt die „Götterkraft der Fan-
tasie, die allein den Geist ins freie stellt, ihn über jede Ge-
walt und jede Beschränkung weit hinaus trägt, und ohne
die des Menschen Kreis so eng und ängstlich ist!"

Aber „Ueber den Zusammenhang der tierischen Natur des
Menschen mit seiner geistigen" handelte schon Schillers
zweite Dissertation (1780), und unter den Beispielen, die
seine Lehre erhärten sollten, nannte er auch seine eigene
dramatische Anwendung: Franz Moor. Ich möchte aber in
diesem Zusammenhang mehr als auf die Schilderung seines
Angsttraumes die Aufmerksamkeit lenken auf jene Scene,
wo Franz darauf sinnt, seinen Vater zu töten (Akt II,
Scene I): „Philosophen und Mediziner lehren mich, wie tref-
fend die Stimmungen des Geistes mit den Bewegungen der
Maschine zusammenlauten." Und nun geht er all diesen
Stimmungen nach: Zorn, Sorge, Gram, Furcht, Schrecken,
Jammer und Reue, Selbstvcrklagung und Verzweiflung, die
„den Furientrupp" schlieszt, womit cr den kranken Alten

ins Verderben stürzen will----

Novalis aber verläszt den Boden der Medizin und der
Philosophie und begeistert sich ins Magische hinüber. Er
will den Menschen völlig unabhängig von der Natur ma-
chen. Er denkt an die Möglichkeit, „verlorene Glieder zu
restaurieren, sich blosz durch seinen Willen zu töten....
sich von seinem Körper zu trennen." Und was bei Schiller
der Hasz mit dem Aufgebot all seiner Trabanten: das sollte
bei Novalis die Liebe hervorrufen in ihrer reinsten und tief-
sten Sehnsucht. Denn „die Liebe wirkt magisch".

") Monologen. IV. S. 77.

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Novalis gründet seine Lehre des „magischen Idealismus"
auf der intellektuellen
Selbstanschauung Fichtes. Schillers
Ausgangspunkt war der „Elementarsatz": „Vollkommenheit
des Menschen liegt in der Uebung seiner Kräfte durch
Be-
trachtung des Weltplans"
") So wollte er auch später den
Menschen frei machen von der Natur durch Betrachtung,
durch einen öfteren Umgang „mit der zerstörenden Natur,
sowohl da, wo sie ihm ihre verderbliche Macht blosz von
ferne zeigt, als wo sie sie wirklich gegen seine Mitmenschen
äuszert,"

Schiller ist moralisch; Novalis ist magisch. Es entspricht
durchaus dem Charakter des Autosuggestiven, wenn er sich
von dem Licht abwärts wendet „zu der heiligen, unaus-
sprechlichen, geheimnisvollen Nacht" und nicht mehr zu-
rückkehren möchte in das Treiben der Welt, „in das Land,
wo das Licht in ewiger Unruh\' hauset."

„Es ist Pflicht an die Verstorbenen zu denken. Es ist der
einzige Weg in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben" "), so
heiszt es in einem von den Blütenstaubfragmenten; und in
der Nacht sucht er die innigste Verbindung mit der Dahin-
geschiedenen:

„Ich lebe bei Tage
Voll Glauben und Mut,
Und sterbe die Nächte
In heiliger Glut."

Wie diese Liebe in Religion übergehen kann, sagt uns
Novalis selbst in zwei andern Fragmenten. „Liebe kann
\' durch absoluten Willen in Religion übergehen." — „Abso-
lute Liebe, vom Herzen unabhängige, auf Glauben gegrün-
dete, ist Religion." Es gibt hier schlieszlich nur einen gra-
duellen Unterschied, was die Willenswirkung anbetrifft.
Sobald die „magische Liebe" vom Herzen unabhängig wird.

Über den Zusammenhang" § 2. ") „Uber das Erhabene." *») Ath.
1798 I. S. 80.

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musz der Wille auf den blosz vorgestellten Gegenstand des
Glaubens stärker angespannt werden, wodurch tatsächlich
„magische" Wirkungen erzielt werden können, Dasz hier
von „Wundern" in kirchlichem Sinne nicht die Rede sein
kann, ist klar. Ein Sachverständiger auf diesem Gebiet, Dr,
Trömner, bemerkt: „Die wichtigsten kirchlichen. Wunder
werden im Lichte der Suggestionslehre zu Erscheinungen,
welche zwar nicht völlig begreiflich sind, aber doch in das
Bereich physiologisch zu erklärender Erscheinungen hinein-
fallen. Ein Wunder im naturwissenschaftlichen Sinne wer-
den sie immerhin bleiben, ebenso wie die Bildung eines
Kristalls, das Keimen einer Pflanze u.a., Wunder im kirch-
lichen Sinne nicht mehr." ")

Und dasz Novalis schon nicht anders dachte, darauf hat
Havenstein hingewiesen.") „Tatsächlich ist es Novalis
niemals eingefallen, Wunder im Sinne der kirchlich-ortho-
doxen Dogmatik anzuerkennen." Novalis selbst aber sagt:
„Wunder als widernatürliche Fakta sind anathematisch, es
gibt kein Wunder in diesem Sinn."

Novalis war doch wohl zu philosophisch, als dasz er sich
einem absoluten Wunderglauben hingegeben hätte. Zu be-
wuszt war er sich von der Kraft des selbstschaffenden Ich,
zu selbständig im Suchen und Forschen nach Wahrheit und
Erkenntnis; auf eigenen Wegen suchte auch er die „Mutter
der Dinge", die verschleierte Jungfrau, die Wahrheit. Und
Hyazinth-Novalis fand sie... in der Liebe!... Aber nur der
Traum durfte ihn in das Allerheiligste führen.

Warum nur der Traum?

Wir wissen, welche wichtige Rolle er bei Novalis spielt.
..Der Traum ist oft bedeutend und prophetisch" sagt eins
der Fragmente. Heinrich von Ofterdingen nicht nur, auch
sein Vater kamen vom Traum zur Liebe, als wäre nur der
Weg des Traumes, die träumende Sehnsucht fein genug, die

") Trömner. S. 50. »\')S. 79f.

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Liebe zu finden. So ist Liebe gleichsam die Erfülling eines
Traumes, selbst Traum und — Erinnerung: „Liebe Mathil-
de, sagte Heinrich nach einem langen Kusse, es ist mir wie
ein Traum, dasz du mein bist. Mich dünkt, sagte Mathilde,
ich kennte dich seit undenklichen Zeiten." ")

So ist bei Novalis eben der Traum das „Vorstadium der
Liebe." ") Aber mehr: wir denken an Sophie von Kühn; wir
denken an Novalis\' Todessehnsucht. Und wo nun ,, der
Traum als zeitweise Befreiung der Seele von den Schranken
des Körperlichen, als Entfaltung ihres eigensten innersten
Wesens, als Naturseelenwirkung" gilt, da wird es be-
greiflich, dasz Hyazinth im Traume nur die Wahrheit, die
ewige Liebe fand....

Und wo die Liebe die Erfüllung des Traumes, der Traum
aber das Leben bedeutet, da ist die Liebe Erfüllung des
Lebens:

„Welten bauen genügt nicht dem tiefer langenden Sinne,
Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist."

Die Poesie aber endlich ist das Allumfassende. „Du",
sagt Heinrich zu Klingsohr, dem Vertreter der Poesie, „Du
bist ja der Vater der Liebe." —

Wenn wir aber schlieszlich lesen: „Die Liebe ist der End-
zweck der Weltgeschichte — das Amen des Universums",
dann denken wir noch einmal an Schillers Theosophie, wo
doch auch das heilige „Liebet euch unter einander" als
höchstes Ziel der „schwachen Menschheit" verkündet wird.

») H. v. Oft. Kap. 8. ») Schier. S. 83. ") Ebda. S. 121.

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DAS RELIGIÖSE ELEMENT.

„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
Die du mir nennst, — Und warum keine? Aus
Religion\', Schiller, Votivtafeln.

Erzogen in „altschwäbischer Frömmigkeit", von einem
Vater, ernst und streng, der naiv betete: „Gib, dasz ich alles
tue, was recht ist"; von einer sanft religiösen Mutter, die
mit einfach-schönen Erzählungen das fromme Gefühl ihrer
Kinder vertiefte; dann unter der Aufsicht des Pastors Mo-
ser, wurden dem Knaben Schiller schon in zartester Jugend
Tugend und Religion eingeprägt, und manche liebliche
Anekdote erzählt uns von der kindlichen Andacht des Kna-
ben. Bibel und Gesangbuch bildeten seine erste Lektüre.
Die Sprache der Bibel war dem Vater wie dem Sohne eigen.

Wir kennen diese deutsche Frömmigkeit, die sich so gern
ergeht in frommen Sprüchen und biblischem Pathos; die
sich so nichtig und demütig gehorsam fühlt nicht nur ihrem
Gotte, sondern auch den von Gott gestellten Vorgesetzten
gegenüber; die aber diesen heiligen Gehorsam auch von den
Untergebenen, an allererster Stelle von den Kindern mit
alt-testamentischer Strenge fordert. So vernehmen wir denn
auch, wie noch in späteren Jahren der alte Schiller dem
Sohne in diesem Tone schreibt und sich erbietet, „ihn die
Wege Gottes zu leiten."

Den Sohn, der sich schon als Kind im Predigen versuchte,
zum Pfarrer ausbilden zu .lassen, war ein Herzenswunsch
der Eltern, und die Pflicht des Gehorsams kam dem Vater
schwer an, als der Herzog anders bestimmte. Am 17. Januar
1773 wurde Schiller in der Militärakademie aufgenommen.
Für seine weitere Ausbildung sorgte der herzogliche Schul-
meister, dem „die Interessen des Despotismus und der

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Willkür (eins waren) mit der Sache der Religion und der
Tugend, in deren Namen er allezeit strafte." Da nun hat-
ten die Zöglinge in
Schul aufs ätzen und Festreden hinrei-
chend Gelegenheit, über Religion und Tugend nachzudenken
und mit Fergusons Glückseligkeitslehre sich die Zufrieden-
heit mit ihrem Schicksal einzuprägen. Wichtig sind die Ant-
worten, welche Schiller auf die Fragen gab, die der Herzog
den Zöglingen im Jahre 1774 voriegte. Es handelte sich u.a.
dabei um die Charaktereigenschaften und Lieblingsneigun-
gen der Schüler. Schillers Eingabe ist religiös, nicht nur
was das biblische Pathos des Stils anbetrifft, sondern auch in
Bezug auf den Inhalt, wenn er schonend seine Mitschüler
behandelt, wenn er die Pflichten gegen Gott als die höch-
sten und die alle anderen umfassenden verehrt, schlieszlich
aber auch, wenn sich jetzt, wo er das Studium der Rechte
bereits angenommen hat, noch herausstellt, wie er in seinem
Herzen fühlt und denkt: wie er sich glücklich schätzen
würde, als Gottesgelehrter Fürst und Vaterland dienen zu
können.

Ein wahrhaft gläubiger Christ war Schiller auch dann
noch, als er schon zum Studium der Medizin übergetreten
war. Die Religion war ihm alles, und tief muszte es ihn
schmerzen, als sein Mitschüler Boigeol und namentlich sein
Freund Scharffenstein die Wahrheit seiner religiösen Emp-
findungen bezweifélten. Religiös gestimmt aber waren die
Briefe, die er ihnen aus der Fülle seines tief verletzten Her-
zens schrieb. David und Jonathan sind ihm das Ideal wahrer
Freundschaft. Gott soll Richter sein zwischen seinem Freun-
de und ihm, und beide Briefe schlieszen mit einem Blick
in die Ewigkeit. Im Himmel wird er edele Herzen finden, so
tröstet er sich über den Verlust des Freundes. Und der
Brief an Boigeol endet mit der Hoffnung, dasz in einer
bessern Welt sich vielleicht diejenigen sogar in „freund-

\') Minor. I. S. 85. ») Ebda. S. 103ff.

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lieber Umarmung" umfangen, die hier keine Freunde waren.

Auch die Dichtung verfehlte nicht ihren Einflusz auf den
jungen Schiller. Da ist an allererster Stelle zu bemerken,
wie die schwäbische Dichtung überhaupt eine religiöse war,
„Gott in den Wundern und Schrecken der Natur zu ver-
herrlichen, wie die deutsche Dichtung seit den Zeiten
Brockes\', der Bremer Beiträger und Klopstocks gewohnt
war, wird der unaufhörliche Inhalt der schwäbischen Dich-
tungen und Predigten".Poesie und Religion waren für
Schiller denn auch eins, und neben der Lutherischen Bibel
bildeten Haller, Klopstock und Uz, der i-ieblingsdichter der
Mutter, seine Lektüre,

Wie verhält es sich schlieszlich mit Schillers eigener
Jugenddichtung? Mit Recht behauptet Minor,1) Schillers
dichterische Begeisterung entstamme seiner religiösen An-
lage. Wir denken dabei an allererster Stelle an sein erstes,
selbständiges, deutsches Gedicht vor dem Konfirmations-
tage, dem vollwichtigen Tage, da er durch Gottes Gnade in
der Erkenntnis der seligmachenden Religion soweit gekom-
men ist, dasz er den Bund seiner Taufe aus eigenem Munde
mit Gott bekräftigen soll, wie er seiner Taufpatin schreibt.
Wir denken an die anderen Gedichte in dramatischer,
epischer oder lyrischer Form: die Christen, Absalon, Moses,
An die Sonne, die alle aufs engste mit seinen jungen, tiefen,
religiösen Empfindungen zusammenhängen.

Aber auch andere als blosz geistliche Töne drangen all-
mählich, jedoch unaufhaltsam durch die Mauern der Aka-
demie: Gerstenberg, Lessing, Goethe... und Abel selbst
War es, der 1775—76 seine Schüler mit Shakespeare be-
\'«annt machte. Dann folgten Klinger und Leisewitz, und der
Sturm und Drang und die Freiheitssehnsucht bemächtigten
sich zündend jener unnatürlich von der Welt abgesonderten

1  Minor. S. 129. ♦) Ebda. S. 71. \') An Frau Stoll. 21. April 1772.

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Jünglinge,.. Zwar wurzelt die Ode „der Abend" noch völ-
lig im Religiösen:

„Jetzt schwillt des Dichters Geist zu göttlichen Gesängen;
Lasz strömen sie, o Herr! aus höherem Gefühl,
Lasz die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
Zu dir! zu dir! des hohen Fluges Ziel,.."

Aber im „Eroberer" dröhnt es mächtig wie Auflehnung
und Hasz und Lechzen nach endlicher Befreiung:
„Dir, Eroberer, dir schwellet mein Busen auf,
Dir zu fluchen den Fluch glühenden Rachedursts".
Auch hier fehlt freilich das Religiöse nicht. In gewaltigen
Worten mahnt der Dichter den Eroberer an den jüngsten
Tag, wo die „Donnerposaun Gottes" die Auferstehung ge-
bietet. Aber das jedenfalls unwahre Gefühl, woraus diese
Kraftode entstand, war doch ein anderes. Zudem ist das
religiöse Element auch nicht rein gehalten: biblische Bilder
wechseln störend mit griechischer Mythologie, eine Folge
der unwahren Ueberschwenglichkeit.

Allein wie dem auch sei, wichtig genug ist es, zu bemer-
ken, wie mit Schillers Denken und Dichten eine Verände-
rung vorging. Mit dem Denken entstanden die Zweifel mit
ihren Exzessen von düsterster Schwermut neben frechster
Verhöhnung. Es ist eben das qualvolle hin und her Schwan-
ken der Seele; es ist der Kampf zwischen Altem und Neuem,
der herrliche, jugendliche Kampf mit dem ewig Gestrigen,
mit dem „Gemeinen",

„Was immer war und immer wiederkehrt.
Und morgen gilt, weil\'s heute hat gegolten!"
Aber siegreich ist Schiller aus diesem Kampf hervorge-
treten: denn

„hinter ihm in wesenlosem Scheine
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine".
Das gilt auch in dieser Beziehung. „Was alle bändigt",
Schiller hat es von sich geworfen; nicht das tiefe, reine,
religiöse Gefühl, aber das Enge, das Beschränkte und Bc-

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schränkende, das Vernunftwidrige, das hat er abgestreift,
um aus reinster Religion sich zu keiner Religion zu beken-
nen, „Er wird den Bruch mit dem Glauben seiner Eltern
nicht leicht, nicht ohne Schmerz vollzogen haben", sagt
Weltrich,\') „aber dem Bruch mit der christlichen Dogmatik
entzieht sich kein logisch klarer, kein einheitlich denkender
Kopf, und wir sehen Schiller, nachdem er einmal frei zu
denken gelernt hatte, sehr bald mit pointierter Schärfe die
Rechte der Vernunft verfechten". Der Durchschnittsmensch
mag gläubig sein, vielleicht aus Gleichgültigkeit, vielleicht
aus Gewohnheit, denn „die Gewohnheit nennt er seine
Amme". Er denkt nicht, fragt nicht, will nicht wissen, wagt
sich nicht an die Kritik heran, die ihm von vornherein als
sündhaft, frevelhaft verleidet wird. Aber es gibt eine andere
Gruppe, die da nicht stehen bleibt, wo der Zufall der Ge-
burt sie hingeworfen, es sei denn „aus Einsicht, Gründen,
Wahl des Bessern", wie Saladin sagt. Das sind die freien
Denker, die Gefürchteten, die Verfolgten. Darum stellt die
Inquisition dem Prinzen Karlos nach. Denn:
„Sein Herz entglüht für eine neue Tugend,
Die, stolz und sicher und sich selbst genug,
Von keinem Glauben betteln will, —
Er denkt!"

(II. 10).

Und zu dieser Gruppe gehörte auch Schillcr. Was waren
seine Anregungen? Wer war der „Raphael", der ihn den-
ken gelehrt hatte?... Die Akademie selbst, die zur Freiheit
reizte?... Der Tod des jungen Wcckherlin, wodurch er den
ihm unbegreiflichen „Miszklang auf der groszen Laute" der
Weltharmonie empfand?.\'.. Ferguson, der lehrte, dasz Tu-
gend und Glückseligkeit eine persönliche Eigenschaft
seien?... Rousseau, „der aus Christen Mcnschcn wirbt",

\') S. 235. Vergl. auch das Gedieht „Einem jungen Freunde, als cr sich
«Jer Weltweisheit widmete":

..Fühlst du dir Starke genug, der Kampfe schwersten zu kämpfen.
Wenn sich Verstand und Herr. Sinn und Gedanken entiweln?" etc.

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und durch Christen fällt? Denn, „ihr Stolz ist: Christen
sein, nicht Menschen", wie Lessing lehrte...

Ich wiederhole, nicht gegen die reine Religion, die ge-
priesene „Himmelstochter" eiferte der kühne Stürmer und
Dränger, sondern gegen „verderbengeifernde Imane", gegen
Vorurteil, Nacht und Dummheit und Eigennutz. Das Gedicht
an Rousseau gehört der Anthologie an. Ich nenne noch aus
dieser Jugendsammlung. „Die Pest": auch das Furchtbare
preist in seiner gräsziichen Grösze die Allmacht Gottes;
die „Hymne an den Unendlichen": die „ungeheure Natur"
ist Jehovahs Spiegel, Orkan und Gewittersturm verkünden
„Zebaoths Namen"; und „Die Grösze der Welt", wo „reli-
giöse Stimmung und schweifender Erkenntnistrieb sich ver-
binden".A Ii , .

Aber noch ein anderes Gedicht gehört der Anthologie

an: „Die Freundschaft", und damit lenken wir, wieder von
einer andern Seite in die „Philosophischen Briefe" ein. Et-
was von dem innern Kampfe zwischen dem alten Glauben
und der neuen Idee finden wir auch hier, namentlich im
ersten Juliusbrief. Da klagt der Dichter, wie „Raphael" ihm
den alten Glauben gestohlen habe, der ihm, wie so vielen,
vielen andern, Frieden gegeben habe. Zweimal stand er vor
dem Bette des Todes, und zweimal hat er die Wunderwir-
kung der Religion geschaut: die Hoffnung des Himmels
siegend über die Schrecknisse der Vernichtung. Aber nun
hat Raphaels kalte Weisheit die Begeisterung für diesen
herrlichen Glauben gelöscht: er hat ihn
denken gelehrt.
„Wenn das Gebäude der Welt eine Vollkommenheit des
Schöpfers ist, so fehlte ihm ja eine Vollkommenheit vor Er-
schaffung der Welt? Aber eine solche Voraussetzung wider-
spricht der Idee des vollendeten Gottes, also war keine
Schöpfung — Wo bin ich hingeraten... Ich gebe den Schöp-
fer auf, sobald ich an einen Gott glaube. Wozu brauche ich

n Wehrich. S. 525.

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einen Gott, wenn ich ohne den Schöpfer ausreiche?" Und
doch einmal hatte er ja wirklich daran geglaubt, dasz Gott
die Geister erschaffen hätte, weil er freundlos gewesen
wäre, Mangel gefühlt hätte, Mangel an Liebe!... Und jetzt
ist ihm keine andere Wahrheit geblieben, als was die Ver-
nunft erkennt. Aber „die Vernunft ist eine Fackel in einem
Kerker". Dann legt Julius dem Freunde das ganze System
seiner jugendlichen Philosophie vor, damit dieser ihn trös-
ten könne, Balsam giesze in seine brennende Wunde.

Wie das Universum ein Gedanke Gottes ist, so sucht er
überall hinter den Dingen das denkende Wesen, so liest er
die Seele des Künstlers in seinem Apoll, — und so empfin-
det er die Allgegenwart Gottes, pantheïstisch: die Natur
ist eine Emanation Gottes, „ein unendlich geteilter Gott".
Ziel des Menschen ist, durch Betrachtung der Unendlich-
keit, der Vollkommenheit, diese Eigenschaften in sich auf-
zunehmen, d.h. selbst vollkommen zu werden. Mit den
Worten Christi: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Him-
mel vollkommen ist", schlieszt die eigentliche Theosophie
und auch der wohl später hinzugefügte Abschnitt endet mit
denselben Gedanken:
„eine Wahrheit ist es, die gleich einer
festen Achse, gemeinschaftlich durch alle Religionen und
alle Systeme geht — „Nähert euch dem Gott, den ihr
meinet!"

Dann antwortet Raphael—Körner, der Kantianer, und
redet von den Grenzen der menschlichen Erfahrung, wo-
durch das geheimnisvolle Innere der Natur uns nie enthüllt
Werden könne. Besonders richtet er sich dann gegen zwei
Punkte: gegen das „träge Anstaunen fremder Grösze", das
kein höheres Verdienst sein könne, und gegen die religiös
gestimmte Kunstidee Schillers. Einmal sei es nicht die
höchste Bestimmung des Menschen, den Geist des Wclt-
schöpfcrs in seinem Kunstwerk zu ahnen, und dann gebe
es überhaupt einen Unterschied zwischen dem Universum
und dem vollendeten Werk eines menschlichen Künstlers,

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und zwar: Leben und Freiheit im gröszten möglichen Um-
fange, sei das Gepräge der göttlichen Schöpfung, während
der Künstler despotisch über den toten Stoff herrsche.

Damit schlieszen die „Philosophischen Briefe". Aber aus
Schillers Antwort vom 18. April 1788 geht hervor, dasz er
nicht mit dem Freunde einverstanden war,
Leben und Frei-
heit
sollten auch die Merkmale der menschlichen Kunst
sein. Und wenn wir wissen, wie Schiller seine Ideen tief
und treu mit sich führte, Jahre hindurch, und wenn wir dann
hören, wie er später die Schönheit definiert als „Freiheit
in der Erscheinung", und noch später spricht von „lebender
Gestalt", dann dürfen wir wohl behaupten, dasz das die
bewuszte oder unbewuszte Fortsetzung früherer Gedanken
ist; m. a. W.
Schillers Schönheitslehre wurzelt in seinem

moralisch-religiösen Gefühle.

Schiller hatte sich inzwischen aus dem orthodox-konfes-
sionellen Glauben zu einem allgemeinen Religionsgefühl
emporgehoben und von dieser freien Höhe betrachtete er
nunmehr die Wirkungen desjenigen, was man im allgemei-
nen „Religion" nennt, und verglich sie mit denen der Kunst,
des Geschmacks.

Die Religion wird, nach der gewöhnlichsten, gangbaren
Auffassung, als eine notwendige, als die festeste Säule des
Staats betrachtet. Von einer Trennung von Staat und Kirche
kann bei Schiller gar keine Rede sein. Die Religion ist dem
Staat unentbehrlich. Ihre moralischen Gesetze ergänzen die
unzulänglichen, schwankenden staatlichen Vorschriften.
Und eine solche moralische Ergänzung bildet auch die
Bühne, „Religion wirkt im Ganzen mehr auf den sinnlichen
Teil des Volks". Ihre Kraft ist dahin, wenn ihr das Sinnliche
entnommen wird, wenn man ihre Bilder von Himmel und
Hölle zernichtet, die doch tatsächlich „nur Gemälde der
Phantasie, Rätsel ohne Auflösung, Schreckbilder und

») In der Mannheimer Rede 1784.

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Lockungen aus der Ferne" sind. Man erkennt den freien,
reinen Blick des jungen Denkers, der von seiner Höhe auf
die Masse und die in ihr und auf sie wirkenden Kräfte nie-
derschaut.

Neben dieser Schilderung der vagen, religiösen Elemente
treten die Wirkungen des Dramas schärfer und reeller in
den Vordergrund, denn hier ist „Anschauung und lebendige
Gegenwart", wo alle menschlichen Eigenschaften „faszlich
und wahr" vorgeführt werden.

Wie Schillers Ideen überhaupt sich wenig änderten, so
blieb ihm auch der moralische Nutzen der Religion in ihrem
äuszerlichsten und gröbsten Sinne derselbe. In der Abhand-
lung „Ueber den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten"
(1793) hat er „nicht ohne Absicht Religion und Geschmack
in eine Klasse gesetzt". Durch beide sind wir verpflichtet,
unsere Leidenschaften zu beherrschen; an ihren beiden
„starken Ankern" soll zur Sicherheit das Wohl des Men-
schengeschlechts befestigt sein. Beide, Religion und Ge-
schmack, sind aber nur im Stande,
ein Surrogat der wahren
Tugend
hervorzurufen; können nur dazu dienen, „die Lega-
lität zu sichern, wo die Moralität nicht zu hoffen ist", m, a.
W. das Sittliche steht selbständig gegenüber dem Religiösen;
die Tugend war vor der Religion, die Tugend besteht auch
ohne die Religion.\')

Aber wie erhebt sich dann wieder das reine, chrisllich-
religiöse Gefühl, wenn Schillcr es in Bezug auf die tragische
Kunst mit dem griechischcn vergleicht.") Was uns in den
vortrefflichsten Stücken der griechischen Bühne unange-
nehm berührt, das ist, nach Schillcr, eine blinde Unterwür-
figkeit unter das Schicksal. Aber dieses demütigende und

\') Kant (Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhobenen)
»Pricht von „adoptierten" und „schönen Tugenden". Auch er betont die
Selbständigkeit des Sittlichen neben dem Religiösen. ") „Über die tragische

Kunst", XI. S. 344.

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kränkende Gefühl verschwindet, wo die „Unzufriedenheit
mit dem Schicksal hinwegfällt und sich in die Ahnung oder
lieber in ein deutliches Bewusztsein einer teleologischen
Verknüpfung der Dinge, einer erhabenen Ordnung, eines
gütigen Willens verliert".") Aber, heiszt es dann weiter,
zu dieser reinen Höhe tragischer Rührung hat sich die
griechische Kunst nie erhoben, weil weder die Volksreligion
noch selbst die Philosophie der Griechen ihnen soweit voran-
leuchtete". Und doch bedauert Schiller es, dasz wir darauf
verzichten müssen, griechische Kunst je wieder herzustellen,
denn auch jetzt wieder seien der philosophische Genius des
Zeitalters und die moderne Kultur überhaupt der Poesie
nicht günstig! Nur auf die tragische Kunst, welche mehr
auf dem Sittlichen ruhe, wirkten diese beiden Elemente
weniger nachteilig, setzt Schiller sehr vorsichtig hinzu. Das
ist auffallend, nachdem er einige Zeilen vorher von der
neuem Kunst unter dem Einflusz der „geläuterten Philo-
sophie" schlechthin die Erfüllung der „höchsten Forderung"
erwartete!

Inzwischen befinden wir uns schon tief in Schillers grie-
chischer Periode. Schon früher, 1788, hatte er in den Göt-
tern Griechenlands den Unterschied zwischen griechisch-
religiöser Kunst und christlicher Lebensauffassung dichte-
risch ausgeführt. Das Gedicht ist mehr als eine blosze Gric-
chenverehrung und etwas ganz Anderes als die „Stolber-
gische Sottise" darin zu sehen glaubte: eine Gottesleugnung.
In der griechischen Mythologie nähere sich das Menschliche
überall dem Heiligen, sagte A. W. Schlegel.") Und diese
Erhebung, d.h. das rein Religiöse lesen wir in den Göttern
Griechenlands. „Die Sehnsucht nach dem Höchsten und
Ewigen" fanden auch Karoline und Lotte darin, und die
Broschüre des Pfarrers von Winterthur, „eines schwärme-
rischen Christen", der Schillcr lebhaft gegen Stolberg vcr-

\' ") Ulbnltzlache Gedanken! ") Ath. 1798. II. S. 53.

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teidigte, fand, „dasz alles was (Schiller) an den griechischen
Göttern herausgehoben hätte, \'das Bedürfnis einer edeln,
empfindsamen Seele sei".")

Diese religiöse Senhsucht nach dem Unendlichen, nach
dem Ewigen, die auch Fr. Schlegel in ihm zu schätzen
wuszte, war ein Element von Schillers Rückkehr zur An-
tike. Suchte er einerseits das Schönheitsideal bei den alten
Griechen, so waren ihm andererseits ihre Götter und Helden
Symbole des Groszen, des Erhabenen, des Göttlichen über-
haupt, das er so sehr vermiszte in der platten Nüchternheit
einer herzlosen Aufklärung. Von einer Empfindung, wie Hie
Griechen sie hatten, kann natürlicherweise keine Rede sein.
Schiller selbst hat den Unterschied erkannt: die Griechen
empfanden naiv; cr fühlte sentimentalisch; ihm blieb nur
die Sehnsucht. Wo er sich aber allzu tief in das antike Ideal
hineinbohrte, da verleugnet er sich selbst und die Wahrheit.
Wir können ihn anstaunen, aber begreifen werden wir ihn
nicht. „Diese unbedingte Rückkehr zur Antike", sagt Hctt-
ner sehr richtig, ") „jetzt nachdem uns eine Kluft von mehr
als zwei Jahrtausenden von ihr trennt, ist ein Wider-
spruch, ein prinzipielles Unding." In jenem Brief an Körner
vom 25. Dez. 1788 sagt Schillcr aber selbst: „Die Götter der
Griechen, die ich ans Licht stelle, sind nur die lieblichcn
Eigenschaften der griechischen Mythologie in eine Vor-
stellungsart zusammengcfaszt". — „Vorstcllungsart": dds
ist Schillers Antikisieren. Das Innere, das Wahre läszt sich
aber nicht verleugnen, und interessant ist es, wie es immer
wieder zum Durchbruch kommt, das wirkliche Sein durch
den schönen Schein, aber auch nur den Schein einer Grie-
chennachahmung.")
Ebensowenig wie A. W. Schlegel Katholik sein wollte,

") An Körner. 28. Mal 1789. ") R. S. S. 89. ") Wie z.B. sehr
Prägnant In dem Distichon:

»Lieblich sieht er zwar aus mit seiner erloschenen Fackel:
Aber. Ihr Herren, der Tod ist so ästhetisch doch nicht".

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wenn er auch dichterisch den katholischen Glauben verherr-
lichte, ebensowenig war Schiller ein Anbeter der olympi-
schen Götter, und ebensowenig war auch er katholisch, wo
er „katholisierte". Sein
wahres Verhältnis zum Katholizisnms
soll man nicht so sehr suchen in der Jungfrau von Orleans,
oder in der Maria Stuart, als vielmehr im Geisterseher, im
Don Karlos, oder in dem Brief an Reinwald vom 14. April
\'83, Da schreibt er Folgendes: „Auszerdem will ich es mir
in diesem Schauspiel zur Pflicht machen, in Darstellung der
Inquisition die prostituierte Menschheit zu rächen, und ihre
Schandflecken fürchterlich an den Pranger zu stellen. Ich
will.... einer Menschenart, welche der Dolch der Tra-
gödie bis jetzt nur gestreift hat, auf die Seele stoszen." ^

Was die beiden andern Stücke anbetrifft, so möchte ich
fragen, kann hier wohl von einer „prédilection d\'artiste"
Schillers für den Katholizismus die Rede sein? Frantzen hat
schon richtig erkannt"), dasz die Beicht- und Kommunions-
szene des 5. Aktes der Maria Stuart „ein durch die Sachlage
gegebenes, willkommenes Mittel, die Katharsis der Heldin
auf der Bühne anschaulich zu machen" ist. Ueberdies ist die
ganze Szene im Wesentlichen sehr wenig katholisch, son-
dern vielmehr eine von Schiller frei umgemodelte religiöse
Zeremonie.

Was die Figur Mortimers anbelangt: auch hier ist von
einer prédilection Schillers für den Katholizismus keine
Rede. Die hätte Schiller besser einer andern Person in den
Mund legen können, als dem listigen, schleichenden Wüst-
ling Mortimer! Höchstens könnte man reden von einer pré-
dilection
Mortimers für den Katholizismus, obgleich ich
glaube, dasz seine prédilection für die schöne, bezaubernde
Königin gröszer istl") Noch einige Stellen möchte ich er-
wähnen, wo Schiller den Katholizismus nicht von der

>•) Neophilologus. I. S. 115. Auch sein Tod Ist ,.dn wahrer Liebestod.
In dem die Irdische Maria sich mit der himmlischen vermischt". Ebda. S. 117.

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schönsten und edelsten Seite beleuchtet hat. Zwölf edle
Jünglinge, erzählt Mortimer (I, 6.), haben das Sakrament
darauf empfangen, Maria Stuart mit starkem Arm aus ihrem
Gefängnis zu führen. Näheres darüber findet sich III. 6,
Ich zitiere die Stelle, worum es sich handelt.
Mortimer: Hört, was beschlossen ist. Versammelt hab\' ich
In heimlicher Kapelle die Gefährten;
Ein Priester hörte unsre Beichte an,
Ablasz ist uns erteilt für alle Schulden,
Die wir begingen,
Ablasz im voraus
Für alle, die wir noch begehen werden.
Das letzte Sakrament empfingen wir,
Und fertig sind wir zu der letzten Reise:
Maria: 0, welche fürchterliche Vorbereitung!
Mortimer: Dies Schlosz ersteigen wir in dieser Nacht,
Der Schlüssel bin ich mächtig. Wir ermorden
Die Hüter, reiszen dich aus deiner Kammer
Gewaltsam; sterben musz von unsrer Hand,
Dasz niemand überbleibe, der den Raub
Verraten könne, jede lebende Seele.
Maria: Und Drury, Faulet, meine Kerkermeister?

0, eher werden sie ihr letztes Blut —
Mortimer: Von meinem Dolche fallen sie zuerst!
Maria: Was? Euer Oheim, euer zweiter Vater?
Mortimer: Von meinen Händen stirbt er. Ich ermord\' ihn.
Maria: 0, blut\'ger Frevel!

Mortimer: Alle Frevel sind

Vergeben im voraus. Ich kann das Aergste
Begehen, und ich wiU\'s.
Maria: 0, schrecklich, schrecklich!

Mortimer: Und müszt\' ich auch die Königin durchbohren,
Ich hab\' es auf die Hostie geschworen.
Was ist mir alles Leben gegen dich
Und meine Liebe

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— Ich achte nichts mehr! Eh\' ich dir entsage,
Eh\' nahe sich das Ende aller Tage.

etc.

Dann regt Mortimer sich auf in glühendster Sinnlichkeit,
dasz Maria die Hilfe Gottes und seiner Heiligen gegen den
Wollüstling anruft, dem Ablasz im voraus erteilt wurde für
alle Sünden, die er noch begehen sollte! —

Sogar in der groszen Szene I. 6„ wo Mortimer über den
Katholizismus schwärmt, findet sich Unkatholisches, näm-
lich die Lehre,

„Dasz (des Menschen) Augen sehen müssen, was
Das Herz soll glauben".

Geradezu anti-katholisch aber ist der Seitenhieb von „der
Verstellung schwerer Kunst", die man dem Proselyten mit
Erfolg beigebracht hat! —

Dasz wir in der Jungfrau von Orleans katholische und
biblische Elemente finden, ist ganz natürlich und dem
Gegenstande gemäsz. Von einer katholischen Tendenz zu
reden in dieser Schicksalstragödie, wo das Wunder herrscht
und der naivste Aberglaube, wäre jedoch durchaus unge-
reimt. Dazu hätte Schiller wahrlich einen bessern Stoff fin-
den können als diesen, bei dem er, der abgesagte Feind der
Inquisition, Bücher über Hexenprozesse zu Rate zog!")

Romantisieren ist noch nicht katholisieren. Das gilt auch
für die Maria Stuart. Nein, bei dem Kantianer Schiller, der
auch die Religion, den „Kirchenglauben" innerhalb der
Grenzen der bloszen Vernunft betrachtete,") erwarte man
keine Vorliebe für den Katholizismus! Zeitlebens hat er viel-
mehr die tiefste Abneigung des freien Denkers gegen jedes
Dogma bekundet. Mit grösztem Interesse las er die „History
of the Popes" von Archibald Bow^r, „der selbst Jesuit war.

") An Körner 13. Juli 1800. „Sei doch so gut mir, wenn Du kannst,
einige Hexenprozesse und Schriften über diesen Gegenstand zu verschaffen.
Ich streife bei meinem neuen Stück an diese Materie", etc.
1») Vergl. an Körner 28. Febr. 1793.

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und der, indem er sich von den Grundfesten des Pabsttums
aus den Quellen zu unterrichten suchte, auf diesem Wege,
wo er sich in seinem Glauben zu befestigen meinte, das
Gegenteil gefunden hat, und der nun seine Gelehrsamkeit
gegen das Pabsttum anwendet". In eben dieser Schrift
mag er wohl die Bekanntschaft mit dem heiligen Bernhard
gemacht haben, wie er an Goethe schrieb. ") Und was dem
Denker, dem Strebenden am meisten zuwider war, das geht
klar genug aus diesem Briefe hervor: „Er (Bernhard von
Clairvaux) hasztc und unterdrückte nach Vermögen alles
Strebende, und beförderte die dickste Mönchsdummheit",
etc.")

Gegen das dumpfige Mönchswesen des Mittelalters rich-
tet sich auch das Lied „Die vier Weltalter". Es scheint, dasz
Schiller sich hierin ursprünglich Ausfälle gegen die christ-
liche Religion überhaupt hatte zu Schulden kommen lassen.
Körner macht ihn darauf aufmerksam,") und scheidet das
Christentum in seiner ursprünglichen Reinheit von derjeni-
gen Religion, „die in ihrer Ausartung eine Störerin der
Freude ist". Schiller erklärte Körners Einwendung für ge-
gründet; ") er habe aber vorzüglich die betreffende Stelle
gemeint, als er geschrieben habe, dasz dem Gedicht noch
die letzte Hand gefehlt hätte. Wir lesen jetzt noch die
Zeile: „Der Mönch und die Nonne zergeiszelten sich".")
Aber eine Stelle gegen die reine christliche Religion findet
sich nicht mehr. Das wäre auch, wie jener Brief vom 18.

«») An Goethe, 10. März 1802. ") 17. März 1802. ") Luthers Urteil:
„Ist Jemals ein gottesfürchtlger und frommer Mönch gewesen, so war\'s
Sankt Bernhard, den ich allein viel höher halte, denn alle Mönche und
Pfaffen auf dem ganzen Erdboden". ") 10. Febr. 1802. 18. Febr. 1802.

") Man vergl. was Kant von diesen Miszbrüuchen sagt In den „Beobach-
tungen", II. „Unnatürliche Dinge, In so ferne das Erhabene darin gemeint
Ist, ob es gleich wenig oder gar nicht angetroffen wird, sind
Fratzen".
Als Beispiele werden u.a. angeführt: „Klöster und dergleichen Grüber, um
lebendige Heilige einzusperren, sind
Fratzen. — Casteiungen, Gelübde und
andere Mönchstugenden mehr, sind
Fratzen", etc.

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Februar schon zeigt, ganz gegen Schillers eigenes Gefühl
gewesen, das immer religiös, auf allgemein christlicher
Grundlage beruhend, geblieben ist.

Seinen Glauben verkündet er in schwungvollen Rhyth-
men: der Mensch ist frei, die Tugend besteht,
„Und ein Gottist, ein heiliger Wille lebt.
Wie auch der menschliche wanke".
Neben diesen Worten des Glaubens aber stehen die Worte
des Wahns, Schiller ist jetzt nicht mehr eudämonistisch:

das buhlende Glück,

„Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick;
Nicht dem Guten gehöret die Erde".
Und die Wahrheit, sie wird dem irdischen Verstände nie
erscheinen, aber dennoch ist sie; das Schöne, das Wahre
besteht dennoch, allein: „es ist in dir, du bringst es ewg
hervor". Das ist der „himmlische Glaube", den man sich
treu bewahren soll. Hier redet das Herz, das Gefühl. Fühlen
auch soll man den Gott, den man denkt; nur dann ist er
ganz unser.

An der Unsterblichkeit scheint Schiller schon in seiner
Jugend gezweifelt zu haben: „Nimmer gibt das Grab zu-
rück", klagt der Dichter der Leichenphantasie. Und das
Distichon „Unsterblichkeit" weist auf „das Ganze" hin:
„Leb\' im Ganzen I Wenn du lange dahin bist, es bleibt". Al-
lein in unserem Herzen lebt doch eine tröstende Hoffnung:
„Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schosz,
Und hoffen, dasz er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los".")
Ja, die Hoffnung wird mit dem Greis nicht be-
graben:

„Denn beschlieszt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er — die Hoffnung auf".

«•) Das Lied von der Glocke. Hoffnung.

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Dieser Hoffnung entspricht die Sehnsucht nach dem Un-
endlichen, dem Unerreichbaren. Mutig, begeistert fährt der
Jüngling aus: „still, auf gerettetem Boot, treibt in dem
Hafen der Greis". Nach der Unendlichkeit streben wir,
„doch mit dem engesten Kreis\' höret der Weiseste auf".

Anschauung des Groszen soll uns selbst gröszer machen,
wie die Peterskirche in ihrer Unermeszlichkeit. Der
Triumphbogen aber ist gleichsam das Symbol des Unend-
lichen. — Unendlichkeit, Vollendetsein, dem Höchsten
gleich sein ist unsere Aufgabe. Es ist derselbe Gedanke, mit
dem die Theosophie des Julius schlieszt, dieselbe ewige
Sehnsucht...

Sehnsucht: der ureigenste Trieb des Menschenge-
schlechts. Der in der ganzen Schöpfung liegende, immer
wirkende Trieb nach Entwicklung, nach Fortbildung ist in
dem Menschen als Sehnsucht bewuszt geworden. Und wer
fühlt diese Sehnsucht intensiver, als eben der Dichter, „von
feinerem Stoff als viele".") Sehnsucht ist die Verbindung
des Menschen mit dem Unerreichten, dem Ucbermcnsch-
lichen, dem Göttlichen. Sehnsucht ist das Wesen jeder
Religion; Sehnsucht auch war die Religion der Romantiker.

Für Jakob Böhme war diese Sehnsucht Uranfang des
Universums, der „Ungrund", das „mystcrium magnum",
worin der Wille ruht, der sich selbst begehrende Wille, Und
Wenn das Begehren sich im Spiegel der Weisheit erblickt,
dann wird \'s Imagination. Und durch Begehren und Imagi-
nation endlich gebiert der Wille die Welt. Aber auch in der
Welt wirkt die göttliche Sehnsucht weiter als schaffender
Naturtrieb. Daher kann Böhme dem Menschen zurufen:
«.Wenn du die Tiefe und die Sterne und die Erde ansiehest,
so siehest du deinen Gott, und in demselben lebst und bist
du auch, und derselbe Gott regiert dich auch..." So ist die

") An Bolgeol 1778.

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ganze Schöpfung die sichtbar gewordene Sehnsucht Gottes:
„das Sehnen macht die Kraft materiaiisch".

Die Imagination, die göttliche Phantasie, die beseelte
Natur, die Sprache, in ihrer Poesie ein letzter Rest des pa-
radiesischen Lebens, - das waren Gedanken, die so ganz
dem Gefühl der Romantiker entsprachen und daher m hel-
ler Begeisterung aufgenommen wurden,

Tieck hat Böhme in die Romantik eingeführt. Schon sehr
früh soll er selbst mit dem alten Mystiker bekannt gewor-
den sein und dessen Einflusz erfahren haben Nach Eder-
heimer») trägt der schon 1792
vollendete „Abdallah deut-
lich Böhmesches Gepräge. Ich glaube aber, dasz der Ver-
fasser diese
Jugendeindrücke überschätzt. Er führt einige
Belege für seine Behauptung an, die Omar als Träger der
Böhmeschen Theosophie erweisen sollen. An allererster
Stelle bemerke ich aber, dasz die meisten der genannten
Ideen in Gedanken, oder sogar im Wortlaut sich auch in
Schillers Philosophischen Briefen und in der Anthologie
finden. Man vergleiche folgende Parallelen:

Die von Ederhcimcr angeführ-
ten Belegstellen aus „Abdal-
lah".

„Die Weisen der Welt sehen
mit Verachtung auf sie (näm-
lich die, welchc die Natur phan-
tastisch betrachten) herab, und
der Weisere klagt sie nicht
ihrer Blindheil wegen an, er
greift dreist an die Handhabe
der Natur, cr hat die verborge-
nen, aber einfachen Gesetze ge-
sehen und er ist Herr der

Welt....."

„Eine groize Schwungkralt
belebt die Unendlichkeit. Alle

»») S, 26 ff.

SCHILLER.

„Viele unserer denkenden
Köpfe haben es sich angelegen
sein lassen, diesen himmlischen
Trieb (der phantastischen Na-
turliebe) aus der mcnschlichcn

Seele hinwegzuspolten....."

(uebe).

„Geitterreich und KörperweU-
gewühle
W&Iret eines Rade«

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Kräfte weben und wirken durch-
einander von Ewigkeit berech-
net,
die treibende Gewalt er-
mattet nie, das Leben flieszt
durch alle Pulse der Natur und
so geht das grosze Werk den
allmächtigen Gang."

„Jüngling, was wir gut, was
wir böse nennen, verschwimmt
in ein Wesen, alles ist nur ein
Hauch, ein Geist wandelt durch
die Ganze Natur und ein Ele-
ment wogt in der Uncrmeszlich-
keit — und dieses ist Gottl"

„Wo sollte der Unendliche
jenseits der Schöpfung Raum
für sich finden? Er umarmt und
durchdringt die Welt,
die Welt
int Gott,
in einem Urstoff steht
er
in Millionen Formen vor uns,
wir selbst sind
Teile teinet We-
sens.\' Das ist der tiefe Sinn von
der Lehre der Allgegenwartl"

\' \' I.

;Dtr Mtnich wäre glücklich,
hätte er nie höher gestrebt, die
Natur umfinge ihn dann noch
\'"tt ihren liebevollen Armen,
liegte ihn und spielte mit ihm

Schwung zum Ziele,,..
War\'s nicht
dies allmächtige

Getriebe____

(Die „Schwungkraft", die
„treibende Gewalt" ist die
Liebe),

„Die ganze Schöpfung zer-
flieszt in seine Persönlichkeit"
(nämlich desjenigen, der durch
die allumfassende Naturliebe
der ■\'Gottheit näher gerückt is),
(Liebe).

„Das Universum ist ein Ge-
danke Gottes.....Also gibt es

für mich nur eine einzige Er-
scheinung in der Natur: das den-
kende Wesen (= Gott)." (Die
Welt und das denkende Wesen).

„Gott und Natur sind zwei
Grötzen, die sich vollkommen

gleich sind".....Die Natur ist

ein unendlich geteilter Gott."
(Gott.) Auch sonst begegnet die
rreilung, z.B.: „Vier Elemente
sind es, woraus alle Geiiter
schöpfen: Ihr Ich, die Natur,
Gott und die Zukunft. Alle
milchen sie
millionenhch an-
ders,
geben sie millionenfach an-
ders
wieder..." (Gott.) Vergl,
auch: „Geheimnis der Remini-
zenz": „Du und Ich
des Gottes
schöne Trümmer."

Das Umfangen der Natur auch
bei Schiller:
„ein Umarmen der
ganzen Natur, gleich unsrer Ge-
liebten."
(Liebe).

„Ich empfand und war

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als mit ihrem Kinde — aber der
Stolze
hat sich von seiner Mut-
ter losgeschworen, sieht die
Sterne, die über seinem Haupte
hängen,
erklimmt eine schroffe
Klippe
und schreit ihnen zu: Ich
bin euch nahe!") Wehmütig
lächelnd bficken die Sterne auf
ihn herab, und er steht nun ver-
irrt am schwindelnden Ab-
schuszj zur
blühenden Wiese,
die er erst verschmähte, hat er
den Rückweg verloren."
glücklich."
(1. JuUusbrief), „Es
scheint nicht so ganz unwich-
tig____
die verborgenen Klippen

zu zeigen, an denen die stolze
Vernunft
schon gescheitert hat."
Vorerinnerung). „Ich habe...
alle Hoffnung zur
Rückkehr
vernichtet."
(1. Juliusbrief). „Die
Rückkehr unter die Vormund-
schaft deiner Kindheit ist
auf
ewig versperrt."
(letzter Ra-
phaelbrief).
„Die Höhe ist erstie-
gen,
der Nebel ist gefallen, wie
in
einer blühenden Landschaft
stehe ich mitten im Unendli-
chen." (Liebe).

Die Idee aber, dasz Gott nur das Laster zulasse, wenn er
auch nicht selbst den Bösen führe,") ist ein allgemein

christlicher Gedanke. „ . ^ . x •

Schillers Einflusz auf Tieck in dieser Penode ist meines
Erachtens unverkennbar. Auch im William Lovell finden
sich Stellen, die ebenfalls stark an Schillers Jugendwerke
erinnern. Man vergleiche z, B.:

TIECK.")

„Dieses neue Bewusztsein
(der Liebe) hat mich aus allen
kleinen armseligen Gefühlen zum
hohen Genüsse eines Gottes em-
porgerissen ... ctc,"
l. 11,

Der alte Graf Melun zu sei-

SCHILLtR.

„Also Liebe, mein Raphael,
ist die Leiter, worauf wir em-
porklimmen zur Gottähnlich-
keit," (Phil. Br. Gott).

„Liebe, Liebe leitet nur

Zu dem Vater der Natur----"

(Ebda).

„Nur in dir bestaun ich mich.

Vergl. auch: „Die Grösze der Welt": „Sterne sah ich bereits Jugend-
lich auferstehn." ") Ederheimer, S. 28. ") Die römischen Ziffern bezeich-
nen das Buch, die arabischen die Briefnummer.

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ner Nichte: „Ich gefalle mir in
Ihnen, wie in einem verschö-
nernden Spiegel."

II, 18.

III. 10. Das Gespräch zwi-
schen William Lovell und Hai-
der zeigt auffallende Aehnlich-
kcit mit dem „Spaziergang un-
ter den Linden"; einige Stel-
len seien angeführt:

Lovell: Sich die reizende
Schöpfung umher ,.. sich wie
sich die ganze Natur freut und
glücklich ist! Haider: Und alles
stirbt und verwest; — vergis-
sest du, dasz wir über Leichen
von Millionen mannichfaltigcr
Geschöpfe gehn, — dasz die
Pracht der Natur ihren Stoff aus
dem Moder nimmt, — dasz sie
nichts als eine verkleidete Ver-
wesung ist?" clc, clc

Haider: 0 William, was nen-
nen wir Vernunft? ... Wir irren
in einem groszen Gefängnisse
umher, wir winseln nach Frei-
heit und schreien nach Tages-
licht ,,." III 10.

So sagt auch Rosa III. 22;
„Der Sonnenschein spielt mut-
willig vor seinem Fenster, die
Lcrche singt durch den blauen
Himmel, — aber er hört nur
seine Philosophie, cr sieht nur
die kahlen Wände seiner engen
Hehausung."

„Jeder Mensch hat seine
eigene Philosophie, und die
langsamere oder Schnellcrc Zir-

Schöner malt sich mir die schöne
Erde,

Heller spiegelt in des Freunds
Geberde,

Reizender der Himmel sich."

Edwin: Der Tag ist so schön
— die ganze Natur hat sich auf-
geheitert...... Wollmar: Mir

erscheint sie als eine abgelebte
Matrone, rote Schminke auf
ihren grüngelben Wangen....
Aber es sind abgetragene Klei-
der und schon hunderttausend-
mal gewandt.... Jahrtausende
zehrt sie nur mit dem Amrag
von der Tafel des Todes, kocht
sich Schminkc aus den Gebei-
nen ihrer eigenen Kinder und
stutzt die Verwesung zu blen-
denden Flittern.... Dachtest du
je, dasz dieses unendliche Rund
das Grabmal deiner Ahnen
ist...clc.

„Die Vernunft ist eine Fackel
in einem Kerker, Der Gefangene
wuszte nichts von dem Lichte,
aber ein Traum der Freiheit
schien über ihm, wie ein Hlitz
in der Nacht, der sie finsterer
zurückläszt." (2. Juliusbrief).

„ — diese Veredlung des
Geistes ist bei vielen nur ein un-
natürlicher Zustand, durch eine

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lebhaftere Wallung des Bluts,
einen raschern Schwung der
Phantasie gewaltsam hervorge-
bracht..." (Phil. Br. Idee).

„Es mag sein ,.., dasz ich
Wallungen meines Blutes, Ah-
nungen") und Bedürfnisse mei-
nes Herzens für nüchtemc Weis-
heit verkaufe." (Ebda, Gott).

„Die Philosophie schlägt um,
wie unsre Pulse anders schla-
gen." (An einen Moralisten).

„Wie sich im prismatischen
Glase ein weiszer Lichtstreif in
sieben dunklere Strahlen spal-
tet, hat sich das göttliche Ich in
zahllose, empfindende Substan-
zen gebrochen----Die vorhan-
dene Form des Naturgebäudes
ist das optische Glas, und alle
Tätigkeiten der Geister nur ein
unendliches Farbenspiel jenes
, einfachen, göttlichen Strahles."
(Phil, Br. Gott).

kulation des Blutes macht im
Grunde die Verschiedenheit in
den Gesinnungen der Menschen
aus" IV 25.

„Das ist eben das Hohe in der
menschlichen Seele, dasz sich
ihr einfacher Strahl in so un-
endlich mannichfaltigc Farbe
brechen kann IV 25,

Schiller war dem jungen Tieck durchaus bekannt. Was
aber weiter Böhmes Einflusz anbelangt, möchte ich schliesz-
lich noch auf die Tatsache hinweisen, dasz sich in Tiecks
Briefwechsel mit Wackenroder, dem vertrautesten seiner
Jugendfreunde, nirgends eine Erwähnung Böhmes findet,
was doch wenigstens auffallend wäre, wenn Böhme wirklich
einen solchen tief und plötzlich wirkenden Einflusz auf
Ticck ausgeübt hätte. Dazu kommt noch ein Umstand: in
jenem Brief vom 5. März 1793, worin Wackcnroder den
Abdallah und „die philosophischen Hypothesen des Omar"
bespricht, findet sich keine Spur von einer Erwähnung
Böhmes!

»») Ahnungen spielen Im Lovell eine grösze Rolle I

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Ich wiederhole: ich glaube den Einflusz Böhmes auf den
jungen Aufklärer nicht so hoch veranschlagen zu müssen.
Erst später hat dieser sich in die Lektüre des Görlitzer
Philosophen vertieft; erst später hat er Novalis begeistert
darauf aufmerksam gemacht, und noch 1801 schreibt Tieck
an Fr. Schlegel über seine ,, beständigen Studien zu Jak,
Böhme".

Und doch, wer hätte tiefer und inniger Böhmes Poesie in
sich aufgenommen als eben Wackenroder, „ein Mensch von
solcher Lieblichkeit, dasz das zarteste Wort zu plump
scheint, um sein Wesen zu bezeichnen", wie Ricarda Huch
von ihm sagt;Wackenroder, dessen religiöse Natur sich
liebend in den Böhmeschcn Mystizismus versenkt hätte.
Denn durchaus mystisch war doch auch Wackenroder ver-
anlagt und mancher an Böhme erinnernde Zug findet sich
in seinen Werken: seine Gedanken über Gott und
Natur, über Toleranz und namentlich die Schilderung
jenes morgenländischen Heiligen. Das „Rad der Zeit in
seinem sausenden Umschwung", die furchtbare Angst des
nach Erlösung sich sehnenden Heiligen, und endlich die Er-
scheinung der Liebe im milden Licht einer mondhellen
Sommernacht, das alles ist so durchaus Böhmcsch, als
wären die Motive dem alten Mystiker selbst entnommen.

Wo immer Wackenroder Kunst und Religion vereinigt
fand, da öffnete er weit sein Herz, um die gleichen Empfin-
dungen tief in sich aufzunehmen. Koldewey hat an mancher
Stelle auf Schillers Einflusz hingewiesen. Schillers religiöses
Gefühl wird aber getrübt durch kalte Spekulationen; cr kann
sich nicht mit ganzer, warm fühlender Seele an die Natur
schmiegen, während Wackenroders reines, naives Gefühl
nur in sich aufnimmt. In tiefer Demut ehrt er die Natur,
worin Gott selbst von den himmlischen Dingen redet: „Ich

") I. S. 138.

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falte die Hände und bete an". Wie einfach, wie kristall-klar
und kindlich rein ist das dem überschwenglichen, religiösen
Toben des jungen Schiller gegenüber!

Aber auch die Kunst ist ihm eine göttliche Sprache, welche
nur wenige Auserwählten unter den Menschen reden, und
die uns in menschlicher Gestalt alles zeigt, „was edel, grosz
und göttlich ist". Und wie Schiller die Schöpfung mit der
Kunst vergleicht, also auch Wackenroder: Gott, so meint er,
möge wohl die ganze Natur oder die ganze Welt auf ähn-
liche Weise ansehen, wie wir ein Kunstwerk.»)

Es ist ganz natürlich, wenn mit diesem a//gemcin-religi-
ösen Gefühl und mit der Liebe zur altdeutschen Kunst sich
auch für
spezie//-religiöse, d. h. für katholische Kunst eine
religiös-künstlerische Verehrung verbindet. Denn das musz
hervorgehoben werden, dasz bei Wackenroder von einem
eigentlichen Katholisieren nicht die Rede ist; bei ihm ist
alles so natürlich, so ohne Absicht. Dazu kommt, dasz eben
im Mittelalter Kunst und Religion aufs engste verbunden
waren und die nüchterne Gegenwart der Berliner Aufklä-
rung dem jungen Gefühlsmenschen keine Befriedigung
schenken konnte. Und sagt Wackenroder nicht selbst,*)
„wir müssen uns jedem groszen Künstler hingeben, mit
seinen Organen die Dinge der Natur anschauen und ergrei-
fen, und in
seiner Seele sprechen können: Das Werk ist in
seiner Art richtig und wahr". — Und also soll man sich
katholisch stimmen, wenn man katholische Kunst beurteilen
will. Wir denken dabei an Friedrich Schlegels Worte: „Ein
recht freier und gebildeter Mensch müszte sich selbst nach
Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poe-
tisch, .,. antik oder modern stimmen können, ganz willkür-
lich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in
jedem Grade". Und wir denken an jene Stelle in dem Ge-

" »») „Von zwei wunderbaren Sprachen". ") Die Grösze des Michel An-
gele BuonaroUi.

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sprach über die Gemälde,*\') wo Louise die sixtinische
Madonna bewundert und Waller sie warnt: „Sie sind in
Gefahr katholisch zu werden". Jene aber antwortet: „Wie
dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabei, wenn
Raphael der Priester ist".

So wurde auch Wackenroder nur künstlerisch-katholisch
gestimmt, und er war weit davon entfernt, die katholische
Kunst als die einzig wahre und schöne zu verherrlichen, wie
Fr. Schlegel in seiner katholischen Periode und wie bis auf
den heutigen Tag mancher Fanatiker in unkünstlerischer
Beschränktheit es verkündet. Da sucht man denn auch ver-
gebens nach jener Toleranz Wackenroders, der diesen „blö-
den Menschen" vorwirft: „Sie betrachten ihr Gefühl als das
Zentrum alles Schönen in der Kunst, und sprechen, wie vom
Richterstuhle, über alles das entscheidende Urteil ab, ohne
zu bedenken, dasz sie niemand zu Richtern gesetzt hat, und
dasz diejenigen, die von ihnen verurteilt sind, sich eben
sowohl dazu aufwerfen könnten".")

Wackenroder war es, der Tieck auf altdeutsche Art und
Kunst hinwies, — Wackenroder war es auch, der in Tieck
das religiöse Kunstgefühl erweckte. Aber was bei jenem
zart und fein und vor allem echt war, das wurde von Tieck
in bloszcr Nachempfindung vergröbert und übertrieben. Wie
der leicht dichtende Tieck spielte mit Moral und Sinnlich-
keit, so spielte cr auch mit dem Religiösen, — und er spielte
CS völlig ins Katholische hinüber. Und wie der schwerfällige
Fr. Schlegel Ernst machte mit dem Sinnlichen, so machte
er auch Ernst mit dem Katholischen; aber Tieck war\'s, der
»^us den reinen Anregungen Wackenroders die vertrackte
^ode aufgebracht hatte. —

Schon im Lovell wird auf die Kunst des Mittelalters

Ath. 1799. S. 131. ") Über Allgemeinheit. Toleranz und MenKhen-
"ebe In der Kun«t.

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hingewiesen. Zwar wird, genau so wie in Schillers „Göttern
Griechenlands" das Verschwinden der goldenen Zeiten der
Musen beklagt, (II 2), der Zeiten, wo die Götter und die
Natur und die Menschen noch zu einem schönen Ganzen
innig verbunden waren. Aber daneben erwähnt Eduard Bur-
ton (II 5) die „Denkmale des sogenannten Mittelalters".
Geht dieses Interesse auf die Anregungen Wackenroders
zurück? — Von einer katholisierenden Tendenz ist damals
aber noch nicht die Rede. Im Gegenteil: in dem Briefwech-
sel der beiden Hetären (X 4) lesen wir: „Sind nicht Priester
und Prälaten bei uns gewesen und haben sich mit uns ge-
freut? Auf sie fällt gröszere Schuld, als auf uns selbst,
denn sie haben uns in unserm Lebenswandel bestärkt.
Beichten Sie und seien Sie dann auszer Sorgen."

Letzteres klingt sogar wie ein Angriff auf die katholische
Moral überhaupt! — Und doch schrieb Tieck diese Stelle
des 10. Buches erst im Jahre 1796, also bereits nach jahre-
langer Freundschaft mit Wackenroder, und in eben dem
Jahre, wo dieser ihn mit seinen eigenen literarischen Pro-
dukten bekannt machte. Und im 3. Buche (24) schreibt der
treuherzige Willy an seinen Bruder Thomas über Lovells
katholische Neigungen folgendermaszen: „Mein Herr geht
oft in die Kirche, doch hoffe ich immer noch, er tut es mehr
der Weiber wegen... Es ist ein verführerisches Wesen mit
dem Singsang und den prächtigen Kleidern." — Ich be-
merke hierbei, dasz im Sommer 1793 Ticck und Wacken-
roder von Erlangen aus Bamberg besuchten, wo sie einem
katholischen Hochamte beiwohnten. Vielleicht liesze sich
obige Stelle aus dem Lovell darauf beziehen. Das „ver-
führerische Wesen" dieses „Singsangs" hat Wackenroder
in dem Leben Joseph Berglingers geschildert mit all den
Farben seiner herrlichen Begeisterung, — wahrlich ver-
führerisch genug für romantisch veranlagte Jünglinge! Der

»•) Koldewey S. 98.

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Glanz und die Herrlichkeit und — die reine Schwärmerei
des Freundes konnten aber schlieszlich nicht ihren Einflusz
auf Tieck verfehlen; er nahm sie auf, führte das Motiv kon-
sequent durch und verfiel so in jene Katholisierung, wie sie
sich an allererster Stelle zeigt in dem „Brief eines jungen
deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg",
und wie sie sich steigert in der „missa solemnis" der h.
Genoveva. —

Wie dann von hier aus Schiller sogar wieder beeinfluszt
wurde, das hat der Verfasser selbst schon stolz erkannt;
weiter hat u.a. Walzel darauf hingewiesen, *") während
Frantzen mit mancher Parallelstelle den engen Zusammen-
hang zwischen der Genoveva und der Jungfrau von Or-
leans nachwies. ") Wenn aber die Tieckschen (und A, W.
Schlegelschen) religiösen Dichtungen Produkte aus zweiter
und dritter Hand waren, was will man dann noch von einem
Katholisieren Schillers erwarten? ")

Aber inzwischen hatte Tieck noch andere religiöse Anre-
gungen erfahren. 1799 waren Schlcicrmachers Reden über
die Religion erschienen, an welchen cr sich schon gleich in
Berlin begeistert hatte, und in eben dem Jahre machte er
die Bekanntschaft Hardenbergs, dessen geistliche Lieder ihn"
zur Nachahmung drängten. Allein so tief wie Novalis, mit
seinem jugendlich vcrgröszernden Enthusiasmus, mit seiner
phantastisch religiösen Schwärmerei, war Tieck nicht im
Stande, all jene Ideen in sich aufzunehmen. Wenn wir die
beiden vergleichen, so ist es augenfällig, wie bei Novalis
sich alles mit seiner eigenen Seele zu einem neuen Ganzen
von wunderbarer Subtililät verbunden hat, während es bei
Tieck mehr an der Oberfläche bleibt und da in tausend
Farben schimmert und glänzt.

") Im ..ersten Vorberichf. Julius 1828. ") Schiller und die Romantik.

Neophll. I. S. 117 ff. Vergl. Haym. S. 515.

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Nicht in Schleiermachers Reden aber wurzelte die Katho-
lisierung. Schleiermacher hatte nur die Religion auf das
Gefühl zurückgebracht, sie scharf getrennt von Sittlichkeit
und Metaphysik, sie nicht, wie Schiller, zur Stütze der
Moral oder des Staates erniedrigt, sondern sie vielmehr
erhoben zu einem alles durchdringenden Gefühl, zum
Gefühl des Universums; „wahre Religion ist Sinn und
Geschmack für das
Unendliche." ") Wenn er aber die Un-
sterblichkeit erklärt als ein EinswerHen mit dem Unend-
liehen, ewig sein in jedem Augenblick, dann denken wir
an Schillers Mahnung: „Leb\' im Ganzen!" Religiös im rein-
sten Sinne ist aber nicht das „arithmetische Erstaunen"
über die
materielle Unendlichkeit, worin Schiller das Erha-
bene findet. Das ist nur ein Teil des Ganzen und nicht das
ewig Ganze selbst, zu dem das Gröszte, aber auch das
Kleinste; die Weltsysteme, aber auch das Stäubchen ge-
hören. ") _

So ist für Schleiermacher also die Religion in jeder nm-
sicht ein Unendliches und nicht unter eine einzelne Form
zu fassen. Daher einerseits seine Toleranz, die aus dem
Wesen der Religion selbst entspringt; andererseits aber sein
Widerwille gegen „dürftige Systemsucht", namentlich
gegen „das neue Rom, das gottlose (= inproductive) aber
konsequente, das Bannstrahlen schleudert und Ketzer aus-
stöszt." ")

Es ist ganz natürlich, dasz Schleiermacher Hardenbergs
Aufsatz über die „Christenheit" ablehnte, worin dieser die
Allgemeinheit und Unendlichkeit der Religion durchaus un-
historisch und unlogisch verarbeitet hatte. Wie aber Schleier-
macher über den Dichter Novalis urteilte, das geht hervor
aus dem herrlichen Nachruf, den er in die zweite Ausgabe
der Reden aufgenommen hat. Da gedenkt er des zu früh

«) Reden. S. 37. Ebda. S. 91. ") Ebda. S. 61 f. ") Reden. S. 51-
<•) Ebda. S. 38.

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entschlafenen Jünglings, „dem alles Kunst ward, was sein
Geist berührte, seine ganze Weltbetrachtung unmittelbar zu
einem groszen Gedicht, den ihr, wiewohl er kaum mehr als
die ersten Laute wirklich ausgesprochen hat, den reichsten
Dichtern beigesellen müszt, jenen seltenen, die ebenso tief-
sinnig sind als klar und lebendig..

So waren denn auch Novalis\'religiöse Anschauungen lauter
Poesie, und im Sinne der romantischen waren sie werdende,
wachsende und individualisierte Poesie. Von vornherein
scheidet er sie ab von der Religion des Philisters, die nur
reizend oder betäubend wirke. „Ihre Früh- und Abend-
gebete sind ihnen, wie Frühstück und Abendbrot, notwendig.
Sie können \'s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt
sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kir-
mesz, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der
sublimierte macht aus dem Himmel eine prächtige Kirche
mit schöner Musik, vielem Gepränge, mit Stühlen für das
gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen
für die Vornehmern."

Aber die Religion soll vielmehr werden praktische Poesie,
was sie schon gcwissermaszen bei den Alten war. Da war
die Religion wesentlich Gegenstand der menschlichen
Kunst. Die Kunst schien göttlich, oder die Religion künst-
lich und menschlich. Der Kunstsinn war der Religions-
Erzeugungssinn. Die Gottheit offenbarte sich durch die
Kunst. ") Aber auch die Welt ist ihm, wie Schillcr, Mittei-
lung, Offenbarung des Geistes. Allein der Sinn der Welt
ist verloren gegangen: die Bedeutung der Hieroglyphe
fehlt.") So sagt Schillcr: „Alles in mir und auszer mir ist
nur Hieroglyphe einer Kraft, die mir ähnlich ist".")

Gott ist überall, er erscheint in tausend mannigfaltigen

**} Ath. 1798. I. Blütenstaub. S. 95. ") Böliche. Bd. III. S. 56.
") Ebda. Bd. III. S. 153. ") Ebda. S. 64. ") Phil. Br.: Die Welt
und das denkende Wesen.

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Gestalten. Auch diese pantheistische Auffassung erinnert
an Schiller. „Nur pantheistisch", sagt Novalis, "} „erscheint
Gott
ganz, im Pantheismus ist Gott ganz, überall in jedem
einzelnen. Und Schiller: „Die Natur ist ein unendlich ge-
teilter Gott," Wenn Novalis aber sagt: „In dem Augen-
blick, wo ich Gott glaube, ist er", dann denken wir dabei
mehr an den Solipsismus Lovells: „Die Wesen sind, weil wir
sie dachten, — Die Tugend ist nur, weil ich sie gedacht",
als an den Objektivismus Schillers: „Und die Tugend, sie
ist kein leerer Schall,., Und ein Gott ist, ein heiliger Wille
lebt..."

Auch das Bildungselement wird, wie bei Schiller, wieder-
holt betont. Der Mensch ist wie eine Maschine, die vom
groszen perpetuo mobili, von Gott und durch Gott lebt,
selbst zum perpetuo mobili und so Gott werden soll. Und
wieder: „Gotteskinder, göttliche Keime sind wir. Einst wer-
den wir sein, was unser Vater ist". Und Schiller: II

Seid

vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist."
So sollen auch, mit Rücksicht auf das Ganze, auf
Weltgeist
und Weltseele, Geist und Seele des Einzelnen gebildet wer-
den. Das ist die Schleiermachersche Beziehung auf das
Unendliche womit die Idee des Absoluten Hand in
Hand
geht. Daher ist absolute Liebe Religion, daher ist überhaupt
jede absolute Empfindung religiös, also auch die absolute
Empfindung des Schönen. Und so spricht Novalis denn auch
von einer Religion des Schönen, einer Künstlerreligion,

Also doch wieder die Beziehung auf Kunst und Schönheit!
Denn die Poesie ist ja das echt absolut Reelle. Das ist, nacli
seinen eigenen Worten, der Kern seiner Philosophie:
poetischer, je wahrer".\'") So ist ihm denn auch die Ge-
schichte Christi ebenso gewisz ein Gedicht, wie eine Ge-
schichte.

»«) Ebda. S. 198. ") Phil. Br.: Gott, »j III. 23. ") Ebda. S. 192-
") Phil. Br.: Gott. »•) Bd. III. S. 68. ••) Ebda S. 56.

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Wie die religiösen Stimmungen in der Baukunst zum
Ausdruck kommen, bemerkt Novalis mit feinstem Gefühl
in jenem Fragment, wo er die Klosterkirchen eine „ecclesia
pressa" nennt, im Gegensatz zu der „ecclesia Triumpha-
trix", dem echt gotischen Tempel, der die wahrhafte Reli-
gion vertritt. ") Aber der göttliche Tempel vor allen ist der
menschliche Körper. Denn unter den Menschen musz man
Gott suchen. „Man berührt den Himmel, wenn man einen
Menschenleib betastet." — ")

Und wie sich denn schlieszlich Hardenbergs ureigenste
religiöse Empfindungen herrlich und kristallklar äuszern,
das zeigen seine wunderbaren geistlichen Lieder. „Die sind
nun das göttlichste, was cr je gemacht", schrieb Fr. Schlegel
an Schleiermacher. Darin, wie in den „Hymnen", gibt No-
valis seine tiefste Seele, löst er seine tiefsten Gefülile in
Töne auf von einer Zartheit, so ätherisch fein, dasz man sie
nur in anbetendem Schweigen, in mit-betender Ehrfurcht
belauschen und in sich aufnehmen kann:
„Wenn alle untreu werden.
So bleib ich dir doch treu,
Dasz Dankbarkeit auf Erden
Nich ausgestorben sei.

Ich habe dich empfunden,
Ol lasse nicht von mir;
Lasz innig mich verbunden
Auf ewig sein mit dir..."

„Ich habe dich empfunden". Dds ist die Herrlichkeit, das
ist die tief-wirkende Kraft der Novalis\'schen Dichtung! Das
ist die Unendlichkeit die ihn trennt von Wilhelm Schlcgcls
erkünstelter Begeisterung, von dessen Religion, wie wir sie
In den katholisierenden Gcmäldesonetten finden, oder viel-

Ebda. S. 137. ") Ebda. S. 136.

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mehr, um mit Schleiermacher zu reden, nicht darin
finden,

Haym hat diese Katholisierung Schlegels ganz vorzüglich
charakterisiert ") Schlegels Verhältnis zur Religion, sagt er,
„zur christlichen zumal, weit entfernt ein Verhältnis natür-
licher Zuneigung zu sein, war lediglich ein Verhältnis der
Höflichkeit." Und weiter: „Es kostete ihm ebensowenig, den
heiligen Personen des katholischen Glaubens in elegant ge-
drechselten Reimen zu huldigen, als es ihm früher gekostet
hatte, die Ideale der griechischen Götterwelt zu wiederho-
len." — Wo Schiller sich an diesen Produkten „begeisterte,"
dürfen wir uns über dessen Katholisierung beruhigt fühlen!

Doch hat Wilhelm Schlegel als Aesthetiker manches
Wahre über das Verhältnis zwischen Religion und Kunst
geäuszert. Ich erwähne hier an allererster Stelle eine kurze
Besprechung von Pamy\'s „Guerre des Dieux" (1800), wo
Schlegel die poetische Freiheit, in der die echte Toleranz
bestehe, anerkennt und anwendet, indem er ein „als unsitt-
lich und irreligiös berüchtigtes Gedicht" blosz in poetischer
Hinsicht beurteilt"), was darum möglich ist, weil „die not-
wendigen Sphären und Elemente der menschlichen Bildung,
Sittlichkeit, Religion, Philosophie und Poesie, niemals zer-
störend in einander eingreifen können."

Sodann nennt Schlegel den auch schon von Schiller in
den „Göttern Griechenlands" behandelten Kampf der alten
und neuen Gottheiten einen wahrhaft poetischen Gegen-
stand. Dieser Kampf ist aber schlieszlich
ein Kampf zwischen
der schönen, blühenden Sinnlichkeit griechischer Lebensauf-
fassung und der Hintansetzung alles Irdischen des mittel-
alterlichen Christentums, Das Ideal ist die Vereinigung bei-
der. Wie überhaupt die Verschiedenheit der Religion mit
der Verschiedenheit der Kunst zusammenhängt, das ist ein

..) Haym. S. 5H f. (1870. S. 456-58). **) Böcklng, XII. S. 93. Ath-
1800 II. S. 252 ff.

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Punkt, auf den Schlegel a, m. 0. hingewiesen hat.") Er geht
dabei aus von der universellen, tief wirkenden Bedeutung
des religiösen Gefühls: „Die Religion ist die Wurzel des
menschlichen Daseins. Wäre es dem Menschen möglich, alle
Religion, auch die unbewuszte und unwillkürliche, zu ver-
leugnen, so würde er ganz Oberfläche werden, und kein
Inneres mehr haben. Wenn dies Centrum verrückt wird, so
musz sich folglich darnach die gesamte Wirksamkeit der
Gemüts- und Geisteskräfte anders bestimmen".")

Danach ist es klar, wie die griechische Religion die klas-
sische Kunst bestimmte: war jene eine frohe Vergötterung
der Naturkräfte, so war diese eine Poetik der Freude, der
veredelten, sinnlichen Freude.")

Der Umschwung kam mit dem Christentum: „Die An-
schauung des Unendlichen hat das Endliche vernichtet; das
Leben ist zur Schattenwelt und zur Nacht geworden, und
erst jenseits gehl der ewige Tag des wesentlichen Daseins
auf... Die Poesie der Alten war die des Besitzes, die unse-
rige ist die der Sehnsucht..."Aber das Streben der
neueren Poesie ist „die beiden Welten, zwischen denen wir
uns geteilt fühlen, die geistige und sinnliche, mit einander
auszusöhnen und unauflöslich zu verschmelzen." *•)

Auch Schiller hatte die ungeteilte, sinnliche Einheil der
Alten als ein harmonierendes Ganze empfunden. Im Stande
der Kultur sei aber diese sinnliche Harmonie im Menschen

") Vergl. nuch Solgeri Ausführungen. Er spricht von einer „Schönheit
«\'er Freiheit", oder einer „christlichen Schönheit": daneben von einer
•.Schönheit der Notwendigkeit", oder einer ..griechischen Schönkeit". (Erwin I.

213 ff.) Auch die Unterscheidung von „Allegorie" als dem Wesen der
chrUtllchen Kunst, und „Symbolik", als dem Wesen der griechischen
Kunst beruht auf der oben erwähnten Lebensanschnuung. (Erwin II. S. 52 ff.
und S. 56 ff.) ") Wiener Vorlesungen. BöckIng V. S. 13. "} Vergl. Fr.
Schlegels Aufsatz ..Vom Künstlerischen Werte der alten gr. Komödie". S.

IV. S. 22 ff. ") BöckIng. V. S. 16. ") Ebda. S. 17.

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aufgehoben, und dieser könne nur noch als moralische Ein-
heit, d.h. als nach Einheit strebend, sich äuszern.

So heiszt es in der Schiller\'schen Moralästhetik, Wilhelm
Schlegel
sucht die Vereinigung auf religiös-ästhetischem
Wege: „Die sinnlichen Eindrücke sollen durch ihr geheim-
nisvolles Bündnis mit höheren Gefühlen gleichsam geheiligt
werden."

Schiller verlangte die Harmonie zwischen Vernunft und
Sinnlichkeit; Schlegel die zwischen (übersinnlicher) Reli-
gion und Sinnlichkeit. Das Resultat ist bei beiden dasselbe.
Schiller: „Der eine (der das Ziel der Harmonie durch die
Natur erreicht) erhält seinen Wert durch absolute Errei-
chung einer endlichen, der andere (durch die Kultur)
erlangt ihn durch Annäherung zu einer unendlichen
Grösze".™) Und Schlegel: „Jene (die griechische Kunst)
hat ihre Aufgabe bis zur Vollendung gelöst; diese (die
neuere Kunst) kann ihrem Streben ins Unendliche hin nur
durch Annäherung Genüge leisten." ")

Einen weiteren interessanten Vergleich zwischen griechi-
scher und neuerer Kunst gibt der Aufsatz über den Domini-
kanermönch und Maler Johann von Fiesole. Es heiszt da
u. a."): „Die Kunst der Griechen ging vom Körper aus, die
der Neueren von der Seele... Der Kunstgeschichte liegt
es ob, zu zeigen, wie die Verschiedenheit der Religionen
diese entgegengesetzten Richtungen bewirkt hat. Je weiter
wir sowohl in der Kunst der Alten als der Neueren zurück-
gehen, desto mehr finden wir sie ausschlieszend dem Gottes-
dienste gewidmet, und durch Religionsbcgriffe bestimmt,\'
Sodann bedauert Schlegel es, dasz die Kunst immer weltli-
cher geworden sei und nennt das ihren eigentlichen Verfall.
Der Künstler müsse eine höhere Weihung empfangen; die

f) Über naive u. sent. Dicht.: Die Sentim. Dichter. Söcking V. S. 17.

Böcklng IX. S. 354 f.

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Kunst als ein Widerschein des Göttlichen in der sichtbaren
Welt, sei ein Bedürfnis der Menschheit,

Dasz hier die Kunst zur Dienerin der Religion herabge-
drückt wird, ist klar. Und dasz hier „Religion" nicht mehr
dieselbe universelle Bedeutung hat wie in den Wiener Vor-
lesungen, leuchtet ebenfalls ein.Da hatte er die Religion
—auch die unbewuszte und unwillkürliche — die Wurzel
des menschlichen Daseins genannt, ohne welche der Mensch
ganz Oberfläche wäre und kein Inneres mehr hätte. Allein
aus dieser innern Leere kann niemals Kunst entstehen! Es
wäre demnach widersinnig, von einer Verweltlichung der
Kunst zu reden, die dadurch entstehe, dasz der Künstler
sich von der Religion entferne, — es sei denn, dasz Schlegel
hier eine bestimmte Religion ins Auge gefaszt hätte!

Kehren wir noch einmal zu den Wiener Vorlesungen zu-
rück. Die tragische Stimmung wird da geschildert als das
Gefühl des Vergänglichen und Nichtigen, das Gefühl der
eigenen Unmacht „gegen den Andrang unermcszlichcr
Naturkräftc und streitender Begierden," das Gefühl einer
unaussprechlichen Wehmut, „gegen die es keine andere
Schutzwehr gibt, als das Bewusztsein eines über das Ir-
dische hinausgehenden Berufs".Und auf die Frage, was
uns zu den tragischen Darstellungen hinziehe, eine Frage,
die auch Schillcr sich vorgelegt hatte, antwortet Schlegel:
..Was in einem schönen Trauerspiel aus unsrer Teilnahme
an den dargestellten gewaltsamen Lagen und zerrciszcnden
Leiden eine gewisse Befriedigung hervorgehen läszt, ist ent-
weder das Gefühl der Würde der menschlichen Natur,
durch grosze Vorbilder gcweckt, oder die Spur einer höheren
Ordnung der Dinge, dem scheinbar unregclmäszigcn Gange
der Begebenheiten eingedrückt, und geheimnisvoll darin
offenbart, oder beides zusammen." ") So hatte auch Schillcr
die Lösung des Knotens einer blinden Notwendigkeit in

Ebda. V. S. 13. ») Böcklng. V. S -Jl f. ») Ebda. V. S. 75.

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„einer teleologischen Verknüpfung der Dinge, einer erhabe-
nen Ordnung," in einem gütigen Willen gefunden.

Wenn aber, sagt Schlegel weiter, „der tragische Zweck
einmal als eine Lehre vorgestellt werden soll, so sei es diese,
dasz, um die Ansprüche des Gemüts auf innere Göttlichkeit
zu behaupten, das irdische Dasein für nichts zu achten sei;
dasz alle Leiden dafür erduldet, alle Schwierigkeiten über-
wunden werden müssen;" ") eine Lehre, die unmittelbar
hervorgeht aus jenem beruhigenden „Bewusztsein eines
über das Irdische hinausgehenden Berufs." —

Keiner von den Romantikern bramarbasierte so in Bezug
auf Religion wie Friedrich Schlegel. Auf ihn ist Lessings
Wort zutreffend (Minna von Barnhelm II. 1. ): „Man spricht
selten von der Tugend, die man hat, aber desto öfter von
der, die uns fehlt." —

Aus dem schwülsten und frechsten Atheismus verfiel er
schlieszlich in den abergläubischsten Katholizismus. Dieses
Verbinden der Gegensätze, dieses „Herpendeln" von einem
Aeuszersten ins andere, das „Proteische" war ja das Wesen
der Romantik, der romantischen Ironie. Friedrich Schlegel
ist sich selbst zur romantischen Ironie geworden I

„Glauben", sagt Schleiermacher,") „annehmen, was ein
anderer gesagt oder getan hat, nachdenken und nachfühlen
wollen, was ein anderer gedacht und gefühlt hat, ist ein har-
ter und unwürdiger Dienst, und statt das Höchste in der
Religion zu sein, wie man wähnt, musz er gerade abgelegt
werden von jedem, der in ihr Heiligtum dringen will.
Einen
solchen nachbetenden Glauben haben und behalten wollen,

beweist, dasz man der Religion unfähig ist----"

Friedrich Schlegel war der Religion unfähig. Ihm fehlte
die Liebe"), die grosze universelle Liebe, die man, nach

") Über die tragische Kunst. ") Böcklng. V. S. 76. \'•) Reden. S. 82.
\'») Vergl. Briefe S. 108.

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Schleiermacher eben haben müsse, um durch die Mensch-
heit des Weltgeistes Leben in sich aufzunehmen und Reli-
gion zu haben.

In der schwülen Leipziger Zeit war Schlegel ganz einem
verhöhnenden Atheismus verfallen. Er bittet den Bruder
wiederholt um dessen (ungeschriebenen) Aufsatz über den
Adel des Atheismus.") Sodann erwähne ich den Brief vom
8, Nov. \'91, wo er sich über Wilhelms rätselhaftes Benehmen
beunruhigt und hinzufügt, jener könne auf ihn rechnen; er
wolle alles auf sich nehmen, auch das, was die Welt Sünde
nenne, sei es durch die Tat oder durch Schweigen. Dann
heiszt es buchstäblich: „Was es auch sein mag, was Du
unternimmst, lieber Bruder —handle grosz, und wenn es
nicht gelingt, so bleibe fest stehen. Du wirst alsdann eine
glorreiche Gelegenheit haben, Gott zu verachten----"

Das ist einfach ekelhaft freche Renommisterei. Ein ande-
res Mal hat es den Anschein, alsob Religion ihm etwas
wäre, was man gleichsam wie Steuern „zusammenbringen"
müsse. Und doch brüstet cr sich so gern, eine gute Quanti-
tät dieser Spezies zu haben! „So viel Religion wie Du",
schreibt cr dem Bruder,"") „bringe ich auch noch zusammen".
Und sich mit Novalis vergleichend, meint er ebenda: „Hat
Hardenberg mehr Religion, so hab\' ich vielleicht mehr Phi-
losophie der Religion."

Und was ist denn schlieszlich diese seine „Philosophie der
Religion", oder vielleicht genauer, diese „Religion der
Aesthetik", die er zu stiften beabsichtigt? Die Antwort ist
wahrlich nicht leicht, weil Schlegel selbst aus der Verwor-
renheit nicht zur Klarheit herausgekommen ist.

Wie die romantische Poesie eine progressive Univcrsal-
poesie sein soll, so spricht cr auch von einer „universellen
und progressiven Religion", die cr vorläufig noch mehr.in

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dem „sentimentalen" Protestantismus als in dem „naiven"

Katholizismus findet.

Wie die romantische Poesie nur durch eine „divinatori-
sche Kritik" charakterisiert werden könne, ebenso könne
auch „der Christianismus" nur durch eine solche Kritik

charakterisiert werden.

Und wie die romantische Dichtart noch im werden sei,
so soll auch der Christianismus, zwar ein „Faktum", „aber
ein erst angefangenes Faktum", also auch ein werdendes
sein; „das Evangelium der Menschheit und der Bildung"
wird in einem „ewig
werdenden Buche" offenbart.

Weiter: wie die romantische Poesie alles umfaszt, was
nur poetisch ist, „vom gröszten wieder mehrere Systeme in
sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer,
dem Kusz, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen
Gesang", so heiszt es auch von der Religion "): „In allen
Gestalten von Gefühl kann die Religion ausbrechen. Der
wilde Zorn und der süszeste Schmerz grenzen hier unmit-
telbar aneinander, der fressende Hasz und das kindliche
Lächeln froher Demut."

Und schlieszlich: wie die romantische Poesie allein
unendlich und frei ist und als ihr erstes Gesetz anerkennt,
dasz die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide
— so ist auch Religion jede Beziehung des Menschen auf
das Unendliche") und so sagt er auch von der Religion:
„Je freier, je religiöser" •*), und so betont cr auch die Indi-
vidualisierung der Religion. —

Nach diesem Nebeneinander wäre man wohl zu der Frage
berechtigt: ist denn diese Religion schlieszlich nichts Ande-
res als ein anderer Name für Poesie, speziell romantische
Poesie? Andere Fragmente, bezw. Ideen scheinen das zu

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bestätigen. So sagt Schlegel z. B. an anderer Stelle: „Nur
derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigne Reli-
gion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat". Und
dann wieder: „Künstler ist ein jeder, dem es Ziel und Mitte
des Daseins ist, seinen Sinn zu bilden" ") Was meint aber
Schlegel mit dieser Selbstbildung? Eins der Fragmente gibt
uns die Erklärung"): „Jeder gute Mensch wird immer
mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden,
sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten." Und stellen wir
daneben: „Dein Ziel ist die Kunst und die Wissenschaft,
dein Leben Liebe und Bildung", dann ist es klar, dasz dieses
Gottwerden das Kunstideal ist. „Du bist ohne es zu wissen
auf dem Wege zur Religion," fügt Schlegel hinzu"), d.h.:
zur Kunst. —

Bis soweit stimmt alles. Religion ist für Friedrich Schle-
gel also Poesie, Kunst, in schnurgeradem Gegensatz zu
seiner späteren Ansicht, wo Poesie nur Religion, und zwar
katholische Religion sein durfte.

Ist auch nicht für Schiller Kunst, bezw. Schönheit Ele-
ment der Bildung? Schönheit ist es, durch welche man zur
Freiheit wandere, heiszt es in dem zweiten der ästhetischen
Briefe. Und ist auch ihm nicht die Schönheit das Göttliche;
hat auch er nicht die Religion des Dichters? — Wenn Schil-
lers Ideal aber doch schlieszlich ein Konglomerat war:
moralische Schönheit, so verfiel Friedrich Schlegel in voll-
ständige Verworrenheit und unbegreifliche Widersprüche
entdecken wir, wenn wir das Ganze seiner religiösen Ideen
zusammenfassen. Glawe nennt die religions-philosophischen
Ansichten Schlegels in seiner ersten Periode geradezu eine
Karikatur.")

Denn wie reimt sich das z. B. mit dem oben erwähnten
Bildungsideal der Religion, wenn es zwischendurch heiszt,

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die Religion sei nur ein Surrogat der Bildung und je mehr
Bildung, je weniger Religion, Und was will Schlegel dann
wieder mit jener Behauptung aus dem Briefe „über die
Philosophie an Dorothea", dasz die Frauen nur durch Philo-
sophie zur Religion gelangen könnten? Was ist diese Reli-
gion? Bald eine Liebhaberei für die Frauen, bald ihre Inner-
lichkeit, die stille Regsamkeit alles Dichtens und Trachtens,
bald ist es alles, was man aus Liebe tut, blosz weil Gott es
sagt, nämlich Gott in uns (?), und bald etwas Erlernbares,
worin zwei Liebende „beide zusammen schnellere und wei-
tere Fortschritte spüren, als wenn jeder für sich allein mit
heiszem Bemühen nach Religion gestrebt hätte,"

Und dann heiszt es wieder in den „Ideen", Religion sei
die allbelebende Weltseele der Bildung,") nicht blosz ein
Teil der Bildung, ein Glied der Menschheit, sondern das
Zentrum aller Uebrigen, überall das Erste und Höchste, das
schlechthin Ursprüngliche,") Und etwas später ist dann
doch wieder die Bildung das höchste Gut,") Poesie allein
bildet jetzt nicht mehr die Religion, sondern Poesie mit
Philosophie verbunden, Wenn es dann aber weiter heiszt,
man habe nur so viel Moral, als man Philosophie und Poesie
habe,"\') so wird auf einmal die Moral in den Bereich der
Religion gezogen und von ihr abhängig erklärt, wie Schlegel
denn auch a. a. 0. sagt: die Moral sei der Religion nicht
gleich, sondern untergeordnet. Doch es sind Religion und
Moral unteilbar, und die Trennung würde die eigentliche
Energie des Bösen im Menschen erzeugen, „das furchtbare,
grausame, wütende und unmenschliche Prinzip, was ur-
sprünglich in seinem Geiste liege". Worin liegt nun aber
dies ursprünglich Furchtbare: in der Moral oder in der Reli-
gion (= Philosophie Poesie)? Mit der Religion scheint

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es überhaupt eine heikle Sache zu sein, denn Schlegel er-
wähnt noch einmal die schrecklichen Folgen einer even-
tuellen Trennung: „Ohne Poesie wird die Religion dunkel,
falsch und bösartig; ohne Philosophie ausschweifend in
aller Unzucht und wollüstig bis zur Selbstentmannung."
Und in der Lucinde vollends wird der Müsziggang als Reli-
gion angepriesen! —

So ist für Friedrich Schlegel „Religion" schlieszlich nur
ein Wort, ein tiefes, hohles Wort, das nichts und alles ent-
halten kann, — ein Chaos in verworrener Gärung, woraus
ihm endlich nichts Neues erwuchs, keine neue, zu stiftende
Religion, keine neue Bibel, keine neue Mythologie, — son-
dern das endlich kraftlos in sich zusammensank und ent-
kräftet in den systematisierten Katholizismus verfiel.
Friedrich Schlegel hatte einmal wieder gespielt und —
verloren!

„Friedrich Schlegel", sagt Ricarda Huch"*), „streckte die
Waffen, er kapitulierte schmählich. Wie ein Soldat, der
dem Feinde, dem cr sich ergeben hat, schwören musz, nie
wieder ein Schwcrt für sein Vaterland zu ziehen. Er strich
selbst seinen Namen aus der Liste der guten Kämpfer und
liesz sich die Hände binden."

Und er wendet sich nunmehr — namentlich in der „Con-
cordia" — an das katholische Deutschland und arbeitet an
der religiösen Begründung des Lebens und an der morali-
schen Befestigung des Zeitalters.In den philosophischen
Vorlesungen (Wien und Dresden) stellte cr Betrachtungen
an über das Alter der Patriarchen, über die Sprache Kains
und denkt alles Ernstes an die Möglichkeit einer persönli-
chen Bekanntschaft Byrons, der Verfassers des „Cain", mit
^cm Teufel! Treibt Schlegel die Ironie wirklich nicht zu
Weit, oder will cr versuchen, wie viel Unsinn er seinen from-
*ncn Lesern aufbinden könne!

Ebda. S. 31. I. S. 362. \'") Vorrede der ..Concordia".

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Und was die Kunst anbelangt, so fordert er von ihr nur
göttliche Bedeutung, weil sie ohne diese nicht Kunst zu
heiszen verdiene, n Und „in den Vorlesungen von 1804/6
verlangt er, alle Poesie müsse mythologisch und katholisch
sein, d, h. sie solle die Tradition lebendig erhalten und das
zukünftige Reich Gottes verkündigen."

Ja, hierin hatte eben die Gefahr gelegen: in dem Spielen
mit einer neuen Mythologie. Für seine progressive Universal-
poesie hatte Schlegel sichtbare, tastbare, überhaupt sinnliche
Realität gesucht. Warum? Weil er kein Dichter war! Da
bot sich ihm die bereits existierende progressive Universal-
religion. Universal nennt sie sich selbst, denn sie heiszt
katholisch. Und progressiv ist sie auch! Und unwillkürlich
musz ich denken an Goethes Ballade vom Fischer:
„Sic sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war\'s um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn".

So waren Friedrich Schlegel und Schiller in jeder Hin-
sicht Antipoden. Aus einem dogmatisch beschränkten Glau-
ben hatte Schiller sich zu einer reinen, allgemeinen,
tatsächlich universellen Religion hindurchgcrungen, wäh-
rend Schlegel aus dem frechsten Atheismus, aus der Sphäre
der unbeschränktesten Freiheit in dem Katholizismus
unterging.

Und während Kant und Schiller bestrebt gewesen waren,
der Schönheit ihre eigene Provinz zu geben, sank sie bei
Schlegel endlich wieder zurück in die „undeutliche Vorstufe
der vernünftigen Erkenntnis" der Baumgartenschen
Aesthetik.

AU. S. 115. Alt S. 116.

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DIE SCHÖNHEIT.

„A thing of beauty Is a joy for cvcr,"

Keats. Endymion.

Weder das moralische Gefühl, noch die Liebe, noch die
Religion machen den Künstler, sondern die Kunst, Schön-
heit darzustellen. Ich wage es nicht, über
die Schönheit
zu sprechen, alsob es eine bestimmte, objektive, allgemein-
gültige Schönheit gäbe. Schönheit aber ist etwas durchaus
Persönliches. Wieland hat in den „Abderiten" seine Ansicht
über den subjektiven Charakter der Schönheit in seiner
feinen, launigen Art dargelegt. Es heiszt da u. A.: „Ich be-
schrieb Ihnen eine Schönheit nach äthiopischem Ge-
schmack. Es ist nicht meine Schuld, wenn die griechische
Häszlichkeit in Aethiopien Schönheit ist. Auch seh\' ich
nicht, was mich berechtigen könnte, zwischen den Grie-
chen und Aethiopiern zu entscheiden. Ich vermute, es
könnte sein, dasz beide recht hätten."

Kant hatte die Unmöglichkeit eines objektiven Ge-
schmacksurteiles erkannt. Schiller wollte trotz ihm den
Stein der Weisen suchen, allein vergeblich! Und auch bei
den Romantikern finden sich mehrere Stellen, wo auf das
Subjektive der Schönheit hingewiesen wird. So z. B. Ath.
Fragment 186; „Wir lachen mit Recht über die Chinesen,
«lie beim Anblick europäischer Porträte mit Licht und
Schatten, fragten, ob die Personen denn wirklich so fleckig
wären? Aber würden wir es wagen, über einen alten Grie-
chen zu lächeln, dem man ein Stück mit Rembrandschen

\') Kürtchners Natlonal-Lllteratur. Wielands Werke III. S. 28.

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Helldunkel gezeigt, und der in semer Unschuld gememt
hätte: so malte man wohl im Lande der Cimmerier? )

Ich glaube denn auch dem Urteile Friedrich Naumanns )
völlig zustimmen zu dürfen: „Was eigentlich schön ist,
kann kein Buch sagen, denn es ist etwas ganz persönliches,
für jeden vielleicht etwas verschiedenes. Und über die^s
Persönliche der Schönheit kommen wir nicht hmaus. Wo
wir sie erblicken, da ist sie für uns. „La Beauté est partout ,
sagt Rodin. „Ce n\'est point elle qui manque à «os yeux
mais nos yeux qui manquent à l\'apercevoir. La Beauté, c est

le caractère et l\'expression.... \' *)

Wir denken an die Romantiker. - wir denken an Schil-
lers Distichon: . , j
Völlig charakterlos ist die Poesie der Modernen. ^^
Denn Sie verstehen blosz, charakteristisch zu sein. —

Zum Hervorbringen wie zum Genieszen der Schönheit
ist ein eigener Sinn tätig, der mehr oder weniger entwickelt
sein kann und sich mehr oder weniger rein erhalten kann
von trübenden Nebengefühlen. Dieser Schönheitssinn kann
aktiv oder passiv sein; aktiv ist er bei dem schaffenden
Künstler, passiv bei dem sich der Schönheit hingebenden,
empfangenden, blosz empfindenden Menschen. Der aktive
Künstler sucht nun diesen seinen Schönheitssinn bis zu
einem relativen Maximum auszubilden. Ueber jedes rela-
tive Maximum kann sich aber wieder ein anderes, noch
höheres erheben; die
theoretische Grenze könnte man das
absolute Maximum oder
die Schönheit überhaupt nennen.
Die Schönheit ist also nur eine Idee, von der wir uns keine
Vorstellung machen können; ein unerreichbar Höchstes.

Wie nun der religiöse Mensch sich zu Gott erheben
möchte, so strebt der Künstler danach, diesem seinem

«) Ath. 1798. II. S. 48. In der „Hilfe" vom 9. August 1896.
<) L\'Art, page. 152.

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eigensten Ideale näher zu kommen, einem Ideale aber, das
in immer weiterer Ferne verschwindet...

„Te hoog bloeit ze voor onz\' hand!"
klagt einer der liebenswürdigsten flandrischen Dichter.»)
Was macht den Künstler? Die Schönheit. Wie die Gläu-
bigen sich Gotteskinder nennen, so nennt der Künstler sich
der Schönheit Sohn, und aus diesem Verhältnis blüht ein
neuer Glaube hervor, der die Schönheit, die weite, unsicht-
bare, unnahbare Schönheit verherrlicht und anbetet. Und
wie es schlieszlich Theoretiker und Dogmatiker gibt, die
den Glauben des Naiven systematisieren, das Wesen Got-
tes ergründen und ihr eitles Menschenwerk als höchste
Wahrheit verkünden wollen, — so gibt es auch hier ästhe-
tische Dogmatiker, die kühn, allzukühn die göttliche Schön-
heit herunterziehen zu können meinen in den Bereich ihrer

beschränkten Gedanken----aber mancher musz endlich

reuig gestehen, dasz sie unter Menschen nicht leben
kann____

Was ist Wahrheit? fragt der Eine. Was ist Schönheit?
fragt der Andere. Denn die Schönheit ist
ihm die Wahrheit,
die künstlerische Wahrheit des Dichters:

„Beauty is truth, truth bcauty" — that is all
Ye know on earth and all ye necd to know." 1)
Das ist das einfache und tiefe Glaubensbekenntnis des
naiven Künstlers,

Aber unbefriedigt lautet immer noch die Frage des For-
schers: Was ist Wahrheit? Was ist Schönheit? — Und er
sucht sich endlich eine Deutung, eine erschöpfende Glau-
benslehre.... Und oben zwinkern die Sterne und die
Schönheit lächelt in ihrem unerschaffenen Himmel I...

Wir sahen bereits, wie Schiller die Schönheit moralisch
zu erklären suchte und seine Untersuchungen zusammen-

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faszte in der Formel: „Schönheit ist Freiheit in der Erschei-
nung." Körner erkannte die Unzulänglichkeit dieser Aus-
sage und Schiller blieb ihm eine genauere Definition schul-
dig. Die Anwendung dieser moralischen Schönheitslehre
war an erster Stelle die Rezension von Bürgers Gedichten
über deren Ansichten, wie wir bemerkten, Schiller nicht

hinausgekommen ist.

Friedrich Schlegel nahm sich dieser Kritik gegen den
Bruder an, indem er nicht wollte, dasz die Dichter ihre
Werke sittlich
machen sollten, sondern dasz sie selbst viel-
mehr gut und edel sein müszten.\') Wie sehr er überhaupt
in der Idee einer moralischen Schönheit befangen war, zeigt
sein Aufsatz „Ueber das Studium der griechischen Poesie,\'
Darin behauptet er u. A., der richtige Kunstsinn sei das
gebildete Gefühl eines sittlich guten Gemüts und das
Kunstgefühl eines schlechten Menschen könne unmöglich
richtig und mit sich selbst einig sein.") Es nimmt uns nach
dieser verdrehten Darstellung nicht Wunder, wenn er
schlieszlich das Schöne als die angenehme, sinnliche
Erscheinung des Guten"), daneben die Erscheinung des
Schlechten als häszlich bezeichnet.")

„Freiheit in der Erscheinung" hatte Schiller Schönheit
genannt, und eben diese „Freiheit der darstellenden Kunst"
war auch für Friedrich Schlegel eines der eigentlichen
Kennzeichen der echt hellenischen Bildung"). Das andere
aber war „die Heiligkeit schöner Spiele." So sagt auch
Schiller, der Spieltrieb habe schon längst in der Kunst, in
dem Gefühle der Griechen gelebt und gewirkt.") Dieser
Spieltrieb sei der echte ästhetische Trieb, wo „sich das
Gemüt bei Anschauung des Schönen in einer glücklichcn
Mitte zwischen dem Gesetz und Bedürfnis befindet." Diesen
Zustand findet Schlegel nur bei den Griechen: „Bei den

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Griechen allein", sagt er, „war die Kunst von dem Zwange
des Bedürfnisses und der Herrschaft des Verstandes immer
gleich frei."")

Es ist auffallend, wie die Schönheit bei Schiller kein ein-
heitliches Element ist, sondern eine harmonisch zu vereini-
gende Zweiheit. Die „schöne Seele" ist die Vereinigung
von Pflicht und Neigung, das Ideal schöner Menschlichkeit
kann nur hervorgehen aus der innigen Verbindung des
naiven und des sentimentalischen Charakters. ") Aehnliches
findet sich a, m, 0. bei Friedrich Schlegel. Man vergleiche
z. B. das Ideal der sHtlichen Schönheit im weiblichen Cha-
rakter; ") es ist die Vereinigung selbständiger Weiblichkeit
mit sanfter Männlichkeit. ") In der Abhandlung „Ueber die
Grenzen des Schönen" wird die Kunst die Krone des
Lebens genannt, die Freiheit und Schicksal vereinige und
wohltätig allen Streit löse.Und wie bei Schiller, so ist
auch ihm das Ideal der Poesie eine Vereinigung des We-
sentlich-Antiken (des Naiven) mit dem Wesentlich-
Modernen (dem Sentimentalen).") An anderer Stelle be-
zeichnet Schiller die Vereinigung von Anmut und Würde
als das Ideal menschlicher Schönheit und in den Fragmen-
ten") lesen wir: „Schön ist, was zugleich reizend und
erhaben ist."

Auch die Sitten bildende Kraft des Schönen fehlt bei
Schlegel nicht, was ja ganz natürlich ist, wenn das Schöne
die Vermählung des Guten mit dem Angenehmen sein
soll.") Freilich, der Genusz soll frei sein, aber doch nimmt
Schlegel die Möglichkeit an, durch das Schöne die Sitten
bilden zu können. ") Schiller äuszerte sich ja viel positiver
Wenn er auch das eine Mal behauptet: „Die Schönheit gibt

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schlechterdings kein einzelnes Resultat weder für den Ver-
stand noch für den Wülen, sie führt keinen
einzebcn weder
intellektuellen, noch moralischen Zweck aus, sie findet
keine einzige Wahrheit, hilft uns keine einzige Pflicht er-
füllen, und ist, mit einem Worte, gleich ungeschickt, den
Charakter zu gründen und den Kopf aufzuklären," —
so heiszt es demgegenüber doch in der Abhandlung „Ueber
den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten": „Der Ge-
schmack gibt dem Gemüt eine für die Tugend zweckmäszige
Stimmung" Man vergleiche auch die Wirkung des Erha-
benen auf den Charakter: „Dazu (nämlich der Macht der
Natur zu widerstehen) stärken (den Menschen) erhabene
Rührungen". Und ist nicht in den Briefen über die ästheti-
sche Erziehung die Schönheit trotz allem überhaupt das

einzige Mittel____moralisch zu werden?

Wie ganz anders lautet dann das Ath.-Fragment 251::
......Eine Philosophie der Poesie----würde mit der Selb-
ständigkeit des Schönen beginnen, mit dem Satz, dasz es
vom Wahren und Sittlichen getrennt sei und getrennt sein

solle, und dasz es mit diesem gleiche Rechte habe----" ")

Schon in der „Darstellung der weiblichcn Charaktere in
den griechischen Dichtern" lesen wir: „Die ungewisse Hoff-
nung vollkommner Charakter-Schönheit durch eine ideale
Seelen- und Sittenbildung hatte die Menschcn noch nicht
von dem Wege der Natur abgeführt."") Im „Lyceum" hatte
Schlegel gefragt: „Sollte die harmonische Ausbildung....
der Künstler nicht etwa blosz eine harmonische Einbildung
sein?" Und schlieszlich erklärte er denn auch in den
„Ideen": „Vergeblich sucht ihr in dem was ihr Aesthctik
nennt die harmonische Fülle der Menschheit, Anfang und
Ende der Bildung."")
Was ist ihm denn nunmehr die Schönheit? „Schön ist,

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was uns an die Natur erinnert", sagt er ebenda,") und in
dem „Gespräch über die Poesie" heiszt es vielumfassend:
„Alle heiligen Spiele der Kunst sind nur ferne Nachbildun-
gen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig sich
selbst bildenden Kunstwerk. Mit andern Worten: alle
Schönheit ist Allegorie. Das Höchste kann man eben weil
es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen."

Das ist allerdings etwas ganz Anderes als Schillers mora-
lische Schönheit. Und doch ist auch hier wieder eine Ver-
gleichimg möglich, an allererster Stelle mit Schillers erster
Periode. Ich weise noch einmal auf die Theosophie des
Julius hin. Auch da findet sich bereits das symbolische
Element. Die Welt ist ihm Symbol des denkenden Wesens,
Hieroglyphe einer Kraft. Plastische Symbolik! Aber dann
folgt die Anwendung auf den Künstler, der in seiner Kunst
jeden Zustand seiner Seele, das Unaussprechliche, durch
„eine Parabel in der physischen Schöpfung" bezeichnet.
Gewisz, was hier nur angedeutet wird, Schlegel hat es ver-
tieft, ist gleichsam hinabgestiegen ins Unergründliche und
hat uns seine allegorische Schönheit als einzige Erinnerung
aus den Tiefen der Unendlichkeit mit heraufgebracht.

Aber auch noch später faszt Schiller die Schönheit sym-
bolisch auf. Kant hatte die Schönheit das Symbol des sitt-
lich Guten genannt") und in Schillers „Künstlern" steht die
Stelle:

„Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen.
Die alternde Vernunft erfand,
Lag im Symbol des Schönen und des Groszen
Voraus gcoffcnbart dem kindischen Verstand."

Und auch in den ästhetischen Briefen ist die Schönheit
doch das Symbol einer vollendeten Menschheit. Doch war

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die allegorische Schönheit Friedrich Schlegels mehr: sie
war nicht das Symbol irgend einer Erkenntnis, irgend einer
Vernunftwahrheit: sie war schlechthin das Symbol der
Unendlichkeit. —

In den Berliner Vorlesungen hat August Wilhelm Schlegel
diese Definition des Schönen von seinem Bruder übernom-
men, „Das Schöne (ich zitiere Haym S. 836) ist eine sym-
bolische Darstellung des Unendlichen. Alles Dichten....
sei ein ewiges Symbolisieren. Jedes Ding sei zuvörderst,
indem es sein eigenes Wesen durch die Erscheinung offen-
bare, Symbol für sich selbst, weiterhin für das, womit es in
näheren Verhältnissen stehe, endlich ein Spiegel des Uni-
versums."

Daneben aber finden sich auch Gedanken, die aulfallend
an Schillers Lehre von der Harmonie zwischen Sinnlichkeit
und Sittlichkeit erinnern. So führt Alt die Stelle an, wo
das Schöne erklärt wird als die Erscheinung der Harmonie
unserer gedoppelten geistigen und sinnlichen Natur und
weist auf den Ausdruck hin: „Die Schönheit ist das Pro-
dukt der Zusammenstimmung zwischen dem Geist und den
Sinnen."

Ueberhaupt findet sich bei A. W. Schlegel auch wieder
dieselbe Zwitterhaftigkeit, die wir bei Schillcr entdeckten.
Einerseits betont er immer wieder die Autonomie des
Schönen, die Unabhängigkeit des Schönen vom Sittlichen:
„Die moralische Würdigung ist der ästhetischen völlig ent-
gegensetzt", heiszt es im Athenäum, Die Kunst, die Schön-
heit ist über alle gemeine Sittlichkeit erhaben; sie ist qua
Kunst immer sittlich: „Alle höhere bildende Kunst ist daher
keusch, ohne Rücksicht auf die Gegenstände... Ihre
zufäl-
ligen Wirkungen kommen hierbei nicht in Betracht: denn

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in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalin Begierden
erregen".

Durchaus richtig und völlig zutreffend auf jene be-
schränkten Seelen, die sich nicht zu einer rein-ästhetischen
Würdigung emporschwingen können und jedes Kunstwerk
nur von dem Standpunkt ihrer kleinlichen Herdenmoral
beurteilen, manchen wertlosen Plunder anerkennen, wenn
er nur recht fromm und artig aussieht, und manches ge-
waltige Kunstwerk verdammen und dem Scheiterhaufen
des Pöbels verweisen!

Allein wie ich schon bemerkte, konsequent war auch
A. W. Schlegel nicht. Mit Schillers moralisierender Vörie,
sung: „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich
wirken", erklärte er sich in den Göttingischen Gelehrten
Anzeigen (1789) einverstanden; an Ifflands Stücken ver-
miszte er in der Allgemeinen Literaturzeitung die Idealität
des Sittlichen, und in den Berliner Vorlesungen sprach er
es geradezu aus, „dasz das Talent ohne echte Sittlichkeit
nur etwas sehr Untergeordnetes zu erreichen vermöge", *)
und stand damit auf dem Standpunkt der einmal von ihm
bekämpften Bürgerrezension Schillers.

Wir wissen endlich, dasz Schiller die Verwirklichung des
Schönheitsideals bei den Griechen fand. Ebenso Friedrich
Schlegel in seiner später von ihm selbst verspotteten
„Objektivitätswut", und Wilhelm schlieszt sich den beiden
an. So schrieb Schiller z. B.: „Nach diesem Ideal mensch-
licher Schönheit (der Verbindung der Anmut mit der
Würde) sind die Antiken gebildet, und man erkennt es in
fler göttlichen Gestalt einer Niobe, im belvederischen
Apoll, in dem borghesischen geflügelten Genius, und in der
Muse des Barberinischen Pallastes".") Und Wilhelm
Schlegel in den dramaturgischen Vorlesungen: „Die Götter-

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bilder der griechischen Skulptur stehen für alle Zeit als
vollendete Typen da."^\') Beide gehen schlieszlich auf
Winckelmann zurück. Nun ist es auffallend, wie neben
dieser einseitigen Graekomanie doch auch eine richtige
Anerkennung anderer Schönheitsideale vorkommt, denn
der „Geist der Poesie, so oft er sich im Menschen-
geschlechte neu gebiert, musz sich aus den Nahrungsstoffen
eines veränderten Zeitalters auch einen anders gestalteten

Leib zubilden.") Hier bricht Schlegel also selbst mit der

Mode des Zeitalters, an die Griechen — und nur an die
Griechen zu glauben.")

Keiner aber hat diesen Bruch so vollständig vollzogen

wie Wackenroder und Tieck.

Bei Wackenroder ist es eben der religiöse Toleranz-
gedanke, der ihn jede Schönheit anerkennen läszt. So stellt
er z. B. neben den göttlichen Raphael den Francesco
Francia, der in
seiner Weise ebenfalls die Schönheit her-
vorbrachte. „Denn allerdings ist die Schönheit in der Kunst
nicht etwas so Armes und Dürftiges, dasz
eines Menschcn
Leben sie erschöpfen könnte; und ihr Preis ist kein Los,
das nur allein auf Einen Auserwählten fällt"; jeder Künstler
gibt sie vielmehr auf eigne Art und Weise zurück.

Jedes Land, jedes Volk hat seine eigene Kunst und
Schönheit: „Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung
zu nennen. In ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich
unter den mannigfaltigen Zonen der Erde zum Himmel
empor" und „dem allgemeinen Vater" „ist der gotische
Tempel so wohlgefällig als der Tempel der Griechen; und
die rohe Kriegsmusik der Wilden ist Ihm ein so lieblicher
Klang, als kunstreiche Chöre und Kirchengesänge." ")

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„Wollt ihr", so fragt er a. a, 0, die dünkelhaften Kunst-
richter, „wollt ihr das Mittelalter verdammen, dasz es nicht
solche Tempel baute wie Griechenland?" ") Wie hoch er
übrigens die griechische Kunst schätzte, zeigt die Stelle:
„Wenn aber das Losungswort
Schönheil ertönt, drängt sich

dir da nicht unwillkürlich aus innerer Seele____ das Bild

der Venus Urania in deinem Busen hervor?"")

Durchaus subjektiv wie Wackenroder Kunst und Schön-
heit auf faszt, ist ihm jedes System verhaszt:
„Schönheit:
ein wunderseltsames Wort!" sagt er. „Erfindet erst neue
Worte für jedes
einzelne Kunstgefühl, für jedes einzelne
Werk der Kunst! In jedem spielt eine andre Farbe „und
für ein jedes sind andre Nerven in dem Gebäude des Men-
schen geschaffen." Und weiter: „Jegliches Wesen strebt
nach dem Schönsten: aber es kann nicht aus sich heraus-
gehen, und sieht das Schönste nur in sich." ") Von der
Urschönheit aber, von der Idee Schönheit, wie Schiller es
nennen würde, wissen wir, Menschen, nichts: die zeigt sich
nur dem, „der den Regenbogen, und das Auge, das ihn
siehet, gemacht hat."

Auch die Kunst als Symbol finden wir bei Wackenroder.
Er stellt sie neben die Religion und vergleicht diese beiden
mit zwei magischen Hohlspiegeln, „die (ihm) alle Dinge der
Welt sinnbildlich abspiegeln, durch deren Zauberbilder
hindurch (er) den wahren Geist aller Dinge erkennen und
verstehen lernt," •") sowie Schillcr in allen Dingen das den-
kende Wesen erblickt.

Es ist mithin natüriich, dasz die Schönheit für Wacken-
roder mehr ist, als eine äuszere Erscheinung. Wenn cr
Dürers Bilder erblickt, dann heftet er sein Auge zuerst auf

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die Seele und tiefe Bedeutung seiner Menschen;der
Künstler
beseelt seine Gegenstände mit seinen Empfindun-
gen, bald mit einer stillen und geheimen poetischen Seele,
bald mit überflieszender, üppiger Dichterkraft.") Man soll
daher mit entgegenkommendem Herzen in die Kunst
hineingehen, in ihr leben und atmen. Denn sie ist nicht ein
Paragraph eines Lehrbuches, den man, wenn man mit
kurzer Mühe die Bedeutung der Worte herausgenommen
hat, als eine unnütze Hülse liegen läszt: bei vortrefflichen
Kunstwerken währt der Genusz immer, ohne aufhören,
fort:") „a thing of beauty is a joy for ever!"

Wie Schiller, so nennt auch Wackenroder die Kunst ein
Spiel, „ein liebliches Spielwerk", worin die verschieden-
artigsten Empfindungen des Lebens in Heiterkeit sich
auflösen.")

Und schlieszlicH betont auch er, schon in dem Jugend-
aufsatz über Hans Sachs, die Autonomie der Kunst, was
natürlich nicht einen — zufälligen — bildenden Einflusz
ausschlieszt. So sagt er einmal, manche Gemälde aus der
Leidensgeschichte Christi u.a. hätten sein Gemüt mehr
gesäubert und seinem innern Sinne tugendseligerc Ge-
sinnungen eingeflöszl, als Systeme der Moral und geist-
liche Betrachtungen.Die Beziehungen auf das Religiöse
sind auch nicht aufzufassen, als stehe die Kunst im Dienste
der Religion, sie erklären sich vielmehr aus dem ganzen
Charakter Wackenroders, für den Kunst und Religion ja
eins und dasselbe waren. ")

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Jede andere als eine ästhetische Wirkung der Schönheit
ist also zufällig. Wenn Tieck dem Freunde seine Meinung
über das Schauspiel mitteilt, schreibt er u. A,: „Das Schau-
spiel sei
schön in allen seinen Teilen, der moralische Nutzen
ist blosz zufällig." ") Und auch Sternbald vertritt begeistert
die Autonomie der Kunst: „Wann", so ruft er aus, „wann
hat sich je das Grosze und Schöne so tief erniedrigt, um zu
nützen?.... Das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nüt-
zen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz
fremd."")

Tieck bildet in mehr als einer Beziehung die Fortsetzung
zu Wackenroder. Auch er verherrlicht einerseits mit
Lovells Feder die „männlichen, kraftvollen Urbilder Roms
und Griechenlands" und nennt Sophokles gleich neben
dem „göttlichen Shakespeare""), aber andererseits gibt
der häufig allzu naive und offenherzige alte Willy auch sein
Urteil ab über diese Antiken, an denen er nichts Beson-
deres finde; das Alter sei vielleicht das beste an ihnen und
manche sähen ganz verfallen und ungesund aus.")

Dürfen wir diesem Urteile gar keinen persönlichen Wert
beimessen? Tieck lehnte doch auch Schillers antikisie-
rende Dramen ab und bewunderte nur „die Räuber" als
grosze Dichtung,") Dazu kommt noch etwas Anderes. Im
„Sternbald" spricht Lukas von Leyden seine Verwunde-
rung aus über die Künstler, die Wallfahrten nach Italien,
wie nach einem gelobten Lande der Kunst, anstellen, und
behauptet, jedes Land habe seine eigene Kunst: „wir sind
einmal keine Italiener, und ein Italiener wird nimmermehr
deutsch empfinden." Auch die besten Meister in den Nie-
derlanden Hätten Italien nicht gesehen; einheimische Natur
und Kunst hätte sie grosz gezogen. Nachahmung fremder

\\2. Juni 1792. W. W. II. S. 68. ") I. S. 226.

") II. 2. Vergl. auch Phantasus S. 332. ") III. 6.

") Vergl. den zweiten Vorbericht zu Tlecks Werken Band II und
Huch I. S. 199.

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Manier sei etwas Erzwungenes, Und schlieszlich heiszt es
buchstäblich: „Wir sind gewisz nicht für die Antiken, wir
verstehen sie auch nicht mehr, unser Fach ist die wahre
nordische Natur; je mehr wir diese erreichen, je wahrer
und lieblicher wir diese ausdrücken, je mehr sind wir
Künstler, Und das Ziel, wornach wir streben, ist gewisz
ebenso grosz, als der poetische Zweck, den sich die andern
vorgestellt haben," ") Das ist klar und deutlich gesprochen,
und wir behaupten wohl nicht zu viel, wenn wir sagen,
dasz Tieck hier seine eigenen Ansichten mitgeteilt hat,

Schönheit ist Allegorie: das ist auch ein Tieck\'scher
Gedanke, Die
ausgeführte Allegorie aber, schreibt er an
Wackenroder,finde er mehr in den zeichnenden und
bildenden Künsten als in der Dichtkunst- an ihrer Stelle.
Ganze grosze allegorische Gedichte seien Undinge. Er
selbst aber hat in dem Traumgedicht an seinen verstor-
benen Freund ein Beispiel einer ausgeführten dichterischen
Allegorie gegeben. Das Streben zur Allegorie findet er
weiter in allen Kunstwerken Michel\' Angelos. Namentlich
im Jüngsten Gericht dieses Meisters erhalte alles nur durch
die Allegorie Bedeutung und Würde.") Und Franz Stcrn-
bald verherrlicht das Straszburger Münster als „die
kühnste allegorische Dichtung des menschlichen Gei-
stes". ") Der alte Einsiedler aber belehrt ihn über die Alle-
gorie: alle Kunst sei allegorisch. Das Wort Allegorie
bezeichne nichts Anderes, als die wahrhafte Poesie, die
das Hohe und Edle suche,

Dasz die Kunst ein Spiel sei, hat auch Tieck a, m, 0,
betont. Ein einzelnes Mal nennt cr sie in religiöser Ehr-
furcht ein „eitles menschliches Spielwerk," ") Ein anderes

") I. S. 127 ff. ") 12. Juni 1792. W. W. II. S. 67.

»«) W. W. I. S. 246 „Das Jüngste Gericht von Michel\' Angelo".

») II. S. 34. ") II. S. 88. ") W. W. I. S. 237 „Raphaels Bildnis".

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Mal ein Kinderspiel, in dem aber das Höchste atme und
den Stoff regiere. Wenn es aber im Sternbald heiszt, die
Kunst „ist Spiel mit Ernst gemischt, und Ernst durch
Lieblichkeit gemildert,"®*) dann haben wir hier tatsächlich
wie Koldewey sich ausdrückt— „eine Formel, die recht
zwischen Schiller und Fr. Schlegel steht,"

Hardenbergs Schönheit, könnte man sagen, liegt auszer-
halb jeder Theorie. ") Sie ist Märchen und Traum, duftende

Ferne und stille Nacht mit tiefen, wehmütigen Augen____

Sie ist einerseits Zauberei — das ist die Steigerung des
Schillerschen Spieltricbes — andererseits Magie — das ist
die Steigerung des Fichte\'schen Ich.

Wie die Schönheit eines Kunstwerkes beschaffen sein
soll, spricht Novalis aber aus in einer Beurteilung seiner
eigenen Werke.") Da lesen wir: „Meine Erzählungen und
romantischen Arbeiten sind noch zu grell und zu hart gc-
zeichnel, nichts als derbe Striche und Umrisse, nackt und
unausgeführt. Es fehlt ihnen jener sanfte, rundende Hauch,
jene Fülle der Ausarbeitung, Mittcltinten, feine, verbin-
dende Züge, eine gewisse Haltung, Ruhe und Bewegung
ineinander, individuelle Beschlossenheit und Fremdheit,
Geschmeidigkeit und Reichtum des Stiles, ein Ohr und eine
Hand für reizende Pcriodcnkettcn."

Vergleicht man dieses Hauchartige, dieses Individuelle,
diese Geschmeidigkeit und diesen Reichtum mit dem
scharf Begrenzten, Objektiven und einfach Würdevollen
der antiken „edlen Einfalt und stillen Grösze", dann hat
man eben den Unterschied zwischen romantischer und
klassischer Schönheit.

Den durchaus individuellen Charakter der Schönheit,

") W. W. I. S. 293. ..Die Töne". »») I. S. 225. **) S. 171. Fusznote.
") ..Die Aesthetik Ist ganz unabhftngio von der Poesie". III. S. 152. \'
") Iii. S. HS.

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resp. der Poesie") hebt Novalis auch noch a. a A. hervor.
SoLgt er z. B. Folgendes: „Die Poesie ist durchaus perso-
nell und darum unbeschreiblich und indehmssabel Wer es
nicht umnittelbar weisz und fühlt was Poesie Ist dem
läszt sich kein Begriff davon beibrmgen. Poesie ist

Poesie " ")

Jedes Wort hat hier seinen Wert und seine Bedeutung;
und wenn der subjektive Novalis seine Schönheitsidee für
objektiv-gültig gehalten werden wil . so tut er das kr^^^^
seines Dichtertums. Das ist das objektiv GuUige der Schon
heit, dasz sie durchaus subjektiv ist! Und im Uebrigen is
sie unergründlich. „Das wahre Schone, die Grosze der
Kunst
ist\'unergründlich/\' sagt Tieck."
Herz, wo wir sie wahrnehmen, magnetisch an sich, wir
fühlen bis in die innersten Tiefen unsre ewige Verwandt-
schaft____wir erkennen das Göttliche---- etc.

Wir denken an Goethes Faust:
Wenn Ihr\'s nicht fühlt, Ihr werdet\'s nicht erjagen....
Gefühl ist alles!.... Poesie ist Poesie.... Schönheit ist
Schönheit: wir stehen vor dem Unerforschlichen. nur für
den innern Sinn Wahrnehmbaren. Dieser „innere Sinn\' ist
der Sinn „für das Eigentümliche. Personelle. Unbekannte.
Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das Notwend.g-Zufallige.
Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht
das Unsich bare
fühlt das Unfühlbare...Und der Dichter, das Werkzeug
der Schönheit, „der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt, er
dichtet — „und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum

gerade so und nicht anders." *•)

Er stellt das Undarstellbare dar." Also auch hier wie-
der« Kunst ist Allegorie. Manches Fragment handelt über
Symbolik und Allegorie. Sehr schön z. B. sagt Novalis: „Die

•») Vergl. III. S. 173: ..Schönheit Ist das Ideal, das Ziel, die Möglich-
keit. der Zweck der Poesie überhaupt".
") III. S. 153. ") W. W. I. S. 257. III. S. 152 f.

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Frau ist das Symbol der Güte und Schönheit; der Mann das
Symbol der Wahrheit und des Rechts". Und nach seiner
Lehre von Symbol und Gegensymbol könnte man sagen:
Schönheit und Güte sind Symbol und Gegensymbol,\'")

Aber sind seine eigenen Werke nicht Allegorien? Ist der
„Ofterdingen" nicht eine grosze, ausgeführte Allegorie und
Allegorie
in der Allegorie? Das Werk ist Bruchstück ge-
blieben, aber aus Tiecks Mitteilungen und Hardenbergs
Notizen lesen wir bis zum Ende das Allegorische heraus:
„Alles flieszt in eine Allegorie zusammen." ")

Und das Ergebnis dieser Betrachtungen? Jeder Künstler
erblickt auf seine Weise die Welt der Wirklichkeit und die
Welt seiner Träume, und auf seine Weise stellt cr sie dar.
Der Künstler ist Darsteller der Schönheit, aber seiner
eigenen Schönheit, — und cr soll es seini Jedes Kunstwerk
ist mithin seine eigenste Schöpfung und nur so entsteht die
schöne Mannigfaltigkeit, die in ihrer groszen Einheit das
Spiegelbild der Natur bildet, der Urschönhcit. Denn im
Anfang war die Natur.

in. S. 172 und 173. *•) II. S. M9.

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DER KÜNSTLER.

„Poets arc the trumpcts, which sing lo battlc."

Shelley.

Der Künstler, im engern und geläufigen Sinn des Wortes,
ist der Schöpfer der Kunst, und nur insoweit ein Mensch
Kunst schafft, Schönheit hervorbringt, ist er Künstler. Es
handelt sich dabei nicht um die Frage, ob der Künstler seine
eigensten Gefühle oder die Stimmungen der Gesellschaft
schildert, m. a. W. ob er Individualist oder Gesellschafts-
mensch ist. Das sind nur Kategorien der Kunst. Es ist be-
greiflich, dasz ein Künstler sich aus einer platten, nüchter-
nen, unpoetischen Zeit herausflüchtet in die tiefsten Tiefe
seines eigenen Ich und zum Individualisten wird. Anderer-
seits leuchtet es ein, dasz der Dichter, Sohn einer groszen,
gärenden, dröhnenden Zeit, wo die entgegengesetzten Stim-
mungen in gewaltigen Akkorden zusammenschlagen, bis die
neue Harmonie wunderbar aus dem Chaos der Töne hervor-
geht, — dasz ein solcher Dichter von den Wogen seiner
Zeit hingerissen wird und in seiner Kunst eben diese Zeit
darstellt in ihrem gigantischen Ringen nach höherer Ruhe
und Einheit. Aber wie dem auch sei, däs bleibt doch immer
wahr, dasz der Künstler mit eignen Augen seine Seele
und
mit eignen Augen die Seele seiner Zeit erblickt und crblik-
ken soll. Demzufolge läszt sich das individuelle Element in

der Kunst nicht leugnen.

Wie nun die Kunst als Kunst, d.h. an allererster Stelle
rein-ästhetisch betrachtet werden sollte, so sollte man auch
den Künstler nur ästhetisch beurteilen. Das ästhctischc
Urteil nur bestimmt seinen Wert als Künstler.

Die jeweiligen Gefühle, aus denen der Künstler schöpft.

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sind das Zufällige in ihm. Sic beherrschen ihn aber völlig in
den Stunden der Hervorbringung; seine ganze Persönlich-
keit identifiziert sich in dem Augenblick mit seinem Ge-
fühl, oder, wie Schiller es ausdrückt: „Ich bin überzeugt,
dasz in dem glücklichen Momente des Ideals der Künstler,
der Philosoph und der Dichter die groszen und guten Men-
schen wirklich sind, deren Bild sie entwerfen".\')

Je vollständiger der Künstler ein Gefühl in sich aufneh-
men kann; je tiefer er sein ganzes Ich darin zu versenken
im Stande ist, umso wahrer ist seine Kunst. Der Künstler
soll sich in jede Seele, in jeden Charakter hineinversetzen
können. — Das ist die allseitige Bestimmbarkeit Friedrich
Schlegels. — In dieser künstlerischen Bestimmbarkeit, die
ein stark sensitives Gemüt voraussetzt, dürfte der Grund der
so vielen Künstlern eigenen Unbestimmtheit, Unbeständig-
keit liegen.

Nun ist es möglich, dasz eins dieser Gefühle vorherrscht;
man könnte es das Leitgefühl des Künstlers nennen. Schil-
lers Leitgefühl z. B. war das Moralische; bei Hardenberg
überwog das Religiöse. Und nach diesem Leitgefühl, das in
der Kunst als Leitmotiv erscheint, bestimmt der Künstler
sein Ideal.

Umgekehrt läszt sich also von diesem Ideal aus auf das
Wesen des betreffenden Künstlers selbst schlicszen.

Es fällt auf, dasz das Ideal des Künstlers immer als über
die Masse, über die Menschheit hinausragend dargestellt
wird. Kommt dem Künstler diese Sonderstellung zu? Wenn
wir aber wissen, wie die Kunst die herrlichste Blüte der
Menschheit ist; wenn wir uns ihrer wirklichen Universalität
erinnern; wenn wir in ihr die Welt erblicken wie der Spie-
gel einer fein auffassenden Mcnschcnsecle sie zurückwirft;
^enn wir also überhaupt die Kunst als die Sublimierung
der Menschheit aufzufassen berechtigt sind, wer würde es

\') Phil. Br. ..Idee".

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dann bezweifeln, dasz der Künstler, der Schöpfer selbst
ein
Ausnahmemensch höherer, feinerer Art ist? „Ich bin
ein Jüngling von feinerem Stoff als viele", — das schrieb
und fühlte der junge Schiller schon\'), und bezeichnend ist
auch für sein erwachendes Künstlergefühl jener verwun-
derte Ausruf der Mutter eines Zöglings, die ihn durch den
Schlafsaal schreiten sah: „Sieh doch, der dort bildet sich
wohl mehr ein als der Herzog von Württemberg!" — „Schil-
ler", fügt Minor hinzu,\') „Schiller fühlte wirklich damals
bereits eine Kraft in sich, die ihn... im Innern über den
Herzog von Württemberg erhob." Das aber war die göttliche

Kraft des Künstlers.

Würdig und sich dieser innern Kraft und Grösze bewuszt
wendet er sich an den Herzog, der dem Dichter das Dichten
verbieten wollte: „Der allgemeine Beifall, womit einige
meiner Versuche von ganz Deutschland aufgenommen wur-
den. ,, hat mich einigermaszen veranlaszt, stolz sein zu
können, dasz ich von allen bisherigen Zöglingen der gro-
szen Karls-Akademie der Erste und Einzige gewesen, der
die Aufmerksamkeit der groszen Welt angezogen, und ihr
wenigstens einige Achtung abgedrungen hat". 1)

Er fühlt es, „dasz die Natur ein eigenes Projekt mit ihm
vorhat;"\') er freut sich, nach der Flucht, seiner Freiheit,
denn ebenso fühlt er es, dasz die Freiheit dem Dichter un-
entbehrlich ist. „Der Freiheit freie Söhne", nennt er die
Künstler,\') sie, der Menschheit erste Stufe „in der erhabnen
Geisterwelt," ^ Und diese erste und höchste Stufe behaup-
tet der Künstler allenthalben. Denn er ist König. „Sic beide
wohnen auf der Menschheit Höhen!"\') Aber mit unbe-
schränkter Gewalt herrscht er im Reiche des
Unendlichen:
„denn nichts beschränkt die freie Dichterkraft."

\') An Bolgeol 1778. \') Minor II. S. 118. *) 1. Sept. 1782. \') An
Körner. 10. Febr. 1785. •) An Kömer. 25. Dez. 1788. Später:
„Der freisten
Mutter freie Söhne". ^ ..Die Künstler." •) Jungfr. v. Orl. I. 2.

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„(Ihn) hält kein Band, (ihn) fesselt keine Schranke,
Frei schwingt (er sich) durch alle Räume fort..."\')
Er steht mit den Göttern im Bunde, er blickt in das tiefste
Geheimnis des Daseins, er wiederspiegelt die Welt, er ver-
senkt sich in die vergangenen Jahrhunderte und sieht in die
Zukunft hinein.\'»)

Das alles ist das Allgemeine am Ideal-Künstler, das wir
auch bei den Romantikern wiederfinden. So lesen wir im
„Blütenstaub", dasz eine geistige Gegenwart, worin Zu-
kunft und Vergangenheit identisch seien, die Atmosphäre
des Dichters wäre,") So sagt auch Fr, Schlegel: „Durch die
Künstler wird die Menschheit ein Individuum, indem sie
Vorwelt und Nachwelt in der Gegenwart verknüpfen. Sie
sind das höhere Seelenorgan, wo die Lebensgeister der gan-
zen äuszeren Menschheit zusammentreffen und in welchem
die innere zunächst wirkt,"") Und die hohe SonderstelHng
der Künstler spricht er in den Worten aus: „Was die Men-
schen unter den andern Bildungen der Erde, das sind die
Künstler unter den Menschen" "), oder: „Wie die Senatoren
der Römer sind die wahren Künstler ein Volk von
Königen".") Und Novalis wieder: „Der Künstler steht auf
dem Menschen, wie die Statue auf dem Piedestal." ") Und
wie Schiller in den „Vier Weltaltern", so auch Novalis:
„Der echte Dichter ist allwissend; er ist eine wirkliche Welt
im Kleinen."") Und neben Schillers Worte, der Dichter
..behorchte der Dinge geheimste Saat", stelle ich noch ein-
mal Novalis: ..Nur ein Künstler kann den Sinn des Lebens
erraten",") oder: „Der Poet versteht die Natur besser, wie
der wissenschaftliche Kopf." ") Und Solgcr schlieszlich, in
seiner tiefsinnigen Art, drückt sich folgendermaszen aus:

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die Künstler.... in welchen sich das Ewige selbst als
Einzelnes darstellt, sind
eben deshalb unabhängig, weil
jeder für sich und an
seinem^ ^sonderen Platze das ganze
Weltall auszudrücken strebt." ")

Betrachten wir nach diesen allgemeinen die besondern
Züge des Künstlerideals, so wird sich ergeben, dasz das
Charakteristische bei Schiller sich um das Moralische und
Objektive; bei den Romantikern durchgängig um das Reli-
giöse und Subjektive bewegt.

Weil das Moralische aber ein allgemein menschliches
Element ist, ist Schillers Künstler an allererster Stelle em
edler Mensch, der allerdings die Gabe und auch den Drang
hat, seine hoch-moralischen Gedanken in schöner Form zu

äuszern, , ,

Ein edler Mensch ist er, und daher vor allen andern l^-

rechtigt, als Lehrer der Menschheit, „Lehrer des Volks"\'")
aufzutreten. Er ist der auserwählte Hüter der menschlichen
Würde und seine moralische Pflicht ist es, das ihm anver-
traute Gut heilig zu wahren:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,

Bewahret sie! . . l u ••

Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben .
Er ist es, der „mit göttlich erhabenen Lehren die Brust
bewegt; er ist es, der strafend oder belohnend die Talen
der Menschen beurteilt; er ist es schlicszlich und nur er,
der die hohe Aufgabe der Charakterveredlung der Mensch-
heit zu lösen im Stande ist.")

Denn obgleich der Künstler der Sohn seiner Zeit ist, so
soll er doch nicht ihr Zögling oder gar ihr Günstling sein.
Unter
griechischem Himmel zur Mündigkeit einer innern,
ewigen Harmonie gereift, soll cr seinem Jahrhundert wic-

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derkehren, um es zu reinigen. Und aus den Tiefen dieser
„absoluten unwandelbaren Einheit seines Wesens" soll er
die moralische Schönheit und Würde schöpfen, die siegende
Wahrheit darstellen, handelnd oder bildend.

Das ist die hohe, moralische, erziehende Aufgabe des
Schiller\'schen Idealkünstlers. Für Schiller jedoch hat das
Wort „Künstler" eine weitere Bedeutung, als worin wir es
zu gebrauchen pflegen. Die beiden letzten Worte ,,handelnd
oder bildend" weisen schon darauf hin. Handelnd nämlich
tritt besonders der pädagogische, der politische oder der
Staatskünstler auf, bildend der schöne Künstler. Der Un-
terschied liegt nicht nur in dem zu bearbeitenden Stoff,
sondern auch in dem Verhältnisse des Künstlers zu seiner
Materie.")

Schon in den Phil. Briefen macht Schiller einen Unter-
schied zwischen dem mechanischen Künstler, „der den
rohen Demant zum Brillanten schleift" und dem andern,
offenbar dem schönen Künstler, „der gemeinere Steine bis
zur scheinbaren Würde des Demants veredelt".

Im dritten der ästhetischen Briefe nennt cr den Uhr-
macher Künstler, und vergleicht ihn mit dem Staatskünstler.

Die Frage liegt auf der Hand: gibt es denn einen wesent-
lichen
Unterschied zwischen dem Künstler des Handwerks
und dem Künstler in cngerm Sinne? Und auch nach Schil-
lers Lehre musz diese Frage durchaus bejahend beantwor-
tet werden. Der mechanische Künstler bearbeitet den Stoff
nach bestimmten Zwccken, wobei er die Teile dem Ganzen
unterordnet. Hier liegt der Unterschied. Freilich, auch der
schöne Künstler musz dem Stoff Gewalt antun, allein cr
vermeidet es, dieselbe zu zeigen, dadurch, dasz er ihm Frei-
heit leiht, denn: Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung.
Diese Freiheit aber ist ein Analogen seiner eigenen morali-
schen Freiheit, die sich in dem Kunstwerke ausprägen soll.

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„Alles, was der Dichter uns geben kann , sagt Schiller m
der Kritik über Bürgers Gedichte. ..ist seine Individualität.
Diese musz es also wert sein, vor Welt und Nachwelt aus-
gestellt zu werden". Und weiter: „Kein noch so groszes
Talent kann dem
einzelnen Kunstwerk verleihen, was dem

Schöpfer desselben gebricht".

Moralisch, durchaus moralisch also ist Schillers Dichter-
ideal, auch in den späteren Abhandlungen, wie
in der
Schrift über naive und
sentimentalische Dichtung. „Der
Dichter ist entweder Natur, oder er wird sie suchen .heiszt
es dort. Erwin Kircher aber bemerkt ganz richtig: „Das ist
eine moralische, aber keine ästhetisch fruchtbare Entgegen-
Setzung. Jenes macht nicht den naiven, dieses nicht den
sentimentalen Dichter, sondern zwischen diesen Tatsachen
des moralischen Empfindungszustandes steht der ästheti-
sche Verwandlungs- und Auffassungsprozesz mit einem nie
deduzierbaren Reichtum psychischer Möglichkeiten".")

Und was schlieszlich unterscheidet denn den Dichter vom
sittlich-hochstehenden Menschen? Dieses und nur dieses:
das Talent der Dichtung. Damit aber stehen wir vor dem
Unerforschlichen, vor den verborgenen Tiefen,") vor den
nie entdeckten Quellen,») kurz vor dem Gcheimms des

Künstlertums. .... j ui •

So sagt auch Wackenroder: „Der Kunstgeist ist und blei-
bet dem Menschen ein ewiges Geheimnis, wobei er schwin-
delt, wenn er die Tiefen desselben ergründen will . )

Der romantische Idealkünstler steht an der Grenze des
Menschlichen, des Natürlichen, ja, schwankt sogar oft hin-
über ins Uebernatürliche, Uebcrmenschliche. Er ist cm Ma-
dicr- er ist der Mittler zwischen den Menschen und Gott;
er ist ein Priester, ein
vates schlechthin. Seine Kunst ist

"n^\'^chcT. S. 130. «) ..Graf v. Habsburg". ») „Macht dcsGcsanges".

««) W. W. 1. S. 151.

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Offenbarung, seine Inspiration der erschütternde Augen-
blick höchster Begeisterung, heiligster Extase, worin ihm
das Göttliche mit elementarer Gewalt verkündet wird.

Wie auf dieser einsamen Höhe der Künstler in Verein-
samung untergehen kann, das sehen wir am jungen Wacken-
roder, Ihm war es offenbar unmöglich, die breite Kluft, die
den Künstler von der tiefen, gemeinen Welt trennt, zu über-
brücken, Er war für diese Welt eben zu zart, zu ätherisch.
Selbst schildert er seine innere Lebensgeschichte in den
beiden Hauptstücken über Joseph Berglinger, wie Kolde-
wey dargetan hat,\'") Da lesen wir über den jungen Musiker
u. A, Folgendes: „Seine Seele glich einem zarten Bäumchen,
dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen
fallen liesz, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich
hervorschieszt. Er war stets einsam und^ still für sich, und
weidete sich nur an seinen innern Phantasieen.,, Sein In-
neres schätzte er über alles, und hielt es vor andern heim-
lich und verborgen.,." ") Das war Wackenroder selbst, der
heimliche, verschwiegene, der den Schlüssel des „Schatz-
kästieins" seiner Seele „niemandem in die Hände" gab.

Sein ganzes Leben war ein schöner, poetischer Traum,
aber „diese bittere Miszhelligkeit zwischen seinem angebo-
renen ätherischen Enthusiasmus, und dem irdischen Anteil
an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus
seinen Schwärmereien mit Gewalt herabzieht, quälte ihn
sein ganzes Leben hindurch". Und quälte den jungen Berg-
linger auch, als er vor einem unempfindenden Publikum
seine Werke aufführen durfte und „er geriet auf die Idee,
ein Künstler müsse nur für sich allein, zu seiner eignen
Herzenserhebung, und für einen oder ein paar Menschen,
die ihn verstehen, Künstler sein". Also „L\'artpourl\'artr\'Die
Kunst um ihrer selbst willen! Nur diese sei Poesie, sagt Fr.
Schlegel in dem „Gespräch über die Poesie": „Jede Kunst

") S. 96. ff. ") W. W. 1. S. 128 f.

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und jede Wissenschaft, die durch die Rede wirkt, wenn sie
als Kunst um ihrer selbst willen geübt wird, und wenn sie
den höchsten Gipfel erreicht, erscheint als Poesie", ^

Allein für den jungen Berglinger gab es keine Befriedi-
gung in dieser Idee, hatte er doch einmal zur h, Cacilia

gebetet:

„Oeffne mir der Menschen Geister,
Dasz ich ihrer Seelen Meister
Durch die Kraft der Töne sei", —

Und in steigendem Miszmut setzte er sich hin und schrieb
„in einer wunderbaren Begeisterung" seine Passionsmusik,
Bald darauf aber befiel ihn eine Nervenschwäche; „er krän-
kelte eine Zeitlang hin, und starb nicht lang darauf, in der

Blüte seiner Jahre".

Hat Wackenroder sein eigenes Ende vorhergesehen? In
einem längern Brief vom 17. Febr. 1798 meldete Fr. Schlegel
dem Bruder kurz und kalt und lieblos, wie etwas Gleich-
gültiges, Beiläufiges, und doch sensationell, wie nur er es
verstand: „Wackenroder ist gestorben. Er hatte ein Faul-
fieber, ist dann mehrere Monate melancholisch gewesen,
oder wie andere sagen rasend".

War auch Wackenroder nicht einer jener „avertis", von
denen Maeterlinck sagt: „Souvent, nous n\'avons pas jlc
temps de les apercevoir; ils s\'en vont sans rien dire.,. )
Aber im Herzen tragen sie ihr Geheimnis mit sich, still und
einsam und unverstanden: le trésor des humbles...

Das schwanke Wesen des romantischen Künstlers, der
sich jedem Hauche, jeder wechselnden Stimmung träume-
risch hingibt, schildert uns Tieck. In „einem Briefe Joseph
Berglingers" ") sagt cr charakteristisch: „Der Künstler...
kennt keine feste Ueberzeugung, und findet alles schön.

»•) Ath. 1800. I. S. 87. „Trésor des humbles", pag. 50.
") W. W. I. S. 274 ff.

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%

was an gehörigem Orte steht". Seine Seele gleicht der
schwebenden Aeolsharfe, „in deren Saiten ein fremder,
unbekannter Hauch weht, und wechselnde Lüfte nach Ge-
fallen herumwühlen". Er steht vor dem Geheimnis seines
tiefsten Wesens, er fühlt es, aber erforschen kann er es nicht
und willenlos gibt er sich hin... „Besonders ist der Geist
des Dichters ein wenig (ewig?) bewegter Strom", heiszt es
im Sternbald,") „dessen murmelnde Melodie in keinem
Augenblicke schweigt, jeder Hauch rührt ihn an, und läszt
eine Spur zurück..." etc. Aber vermöge dieser überaus
feinen Reizbarkeit gibt es auch niemand, der das Leben so
verstünde wie der Künstler. „Nur ein Künstler kann die
Welt und ihre Freuden auf die wahre und edelste Art ge-
nieszen, er hat das grösze Geheimnis erfunden, alles in
Gold zu verwandeln". ") Und wie auch Schiller in der Seele
des Künstlers Vergangenheit und Zukunft verbindet, so sagt
Tieck: „Die Seele des Künstlers (ist) oft von wunderbarli-
chcn Träumereien befangen, denn jeder Gegenstand der
Natur, jede bewegte Blume, jede ziehende Wolke ist ihm
eine
Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft".")

„Der Künstler kennt keine feste Ueberzcugung". Der
Bildhauer im „Sternbald", der in heller Begeisterung das
Straszburger Münster bewundert, spricht denselben Gedan-
ken aus: „Was gehen mich meine Begriffe an!" Mit dieser
Begriffslosigkeit, mit diesem hin und her Schwärmen in oft
plötzlich wechselnden Stimmungen hängen dann Aus-
sprüche zusammen wie: „Warum musz denn eben alles einen
Schlusz haben?"") oder: „Warum soll eben Inhalt den
Inhalt eines Gedichtes ausmachen?"*) Also auch jetzt
wieder etwas wie „L\'art pour l\'art"? Deutlicher, ja, unver-
kennbar sind die Worte: „Zweifelt nicht, dasz der Künstler
in seinem schönen Wahne die ganze Welt, und jede Emp-

") I. S. 85. ") II. S. 248. »«) I. S. 85. ") Sternbald. II. S. 50.
") Ebda. II. S. 166.

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findung seines Herzens in seine Kunst verflicht, er führt
sein Leben nur für die Kunst, und wenn die Kunst ihm
abstürbe, würde er nicht wissen, was er mit seinem übrigen
Leben weiter anfangen sollte".")

Dennoch teilt der Dichter sich gern mit, wie Lothar sagt
im Phantasus, Wenn er aber hinzufügt: „vorzüglich in einem
Kreise, wie der gegenwärtige ist", dann denken wir wieder
an Wackenroders Berglinger, der ja nur für wenige
Menschen, die ihn verstünden, Künstler sein wollte.

Noch einiges über die Begeisterung, von der Fr. Schlegel
sagte: „enthusiasmus est principium artis et scientiae".
Auch bei Tieck schafft der Künstler nur aus der tiefsten
Begeisterung heraus. Wie Schiller vergleicht auch er sie
mit einem bewegten Strom.") Aber auch hier wieder die
nie entdeckten Quellen: „Man spricht von dieser Begeiste-
rung so oft, als von einem natürlichen Dinge, aber sie ist
durchaus unerklärlich, sie kommt, sie geht, gleich dem
ersten Frühlingslichte, das unvermutet aus den Wolken
niederkommt, und oft, ehe du es genieszest, zurück ge-
flohen ist".»)

Ganz herrlich, in wunderbarer Wirklichkeit, schildert
Tiecks Freund Solger diese Begeisterung, diesen Schöp-
fungsdrang, das Göttliche im Künstler, das sein ganzes
Wesen bestimmt ünd beherrscht, und von ihm fordert
„was
er selbst noch nicht weisz".
Dann stöszt der Künstler allent-
halben an die äuszere Welt an, aber mit Lust nimmt er den
süszen Schmerz auf, in welchem er das Schöne gebären soll,
„und durch die Schönheit, die ihm nun zugleich erscheint
als sein eigenes Geschöpf, und zugleich als die ihn beherr-
schende Macht, erfährt erst der Künstler, was er selbst sei,
und was in ihm lebe", ")

") Ebda. I. S. 227.228. »») Ebda. II. S. 85. ") Ebda II. S. 86.
Vergl. Schillers ..Grafen von Habsburg". ♦•) Erv?ln II. S. 32-33.

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Begeisterung, sagt A. W. Schlegels in der Kritik über
Schillers Künstler,") ursprüngliche Begeisterung findet
Wahrheit, eilt der Erkenntnis voran. Daher kann der Dich-
ter wenig vom Philosophen, dieser aber viel von ihm lernen.
Denn der Dichter wohnt „im Licht der Offenbarung",")
und daher kann man sagen, „dasz es ein charakteristisches
Kennzeichen des dichtenden Genies ist, viel mehr zu wissen,
als es weisz, dasz es weisz".") Diese Wissenschaft liegt in
den „verworrenen Gefühlen und Ahnungen", wodurch wir
Verhältnisse zwischen den Dingen entdecken, „ohne dasz
wir die Reihe der Mittelideen mehr als dunkel wahr-
nehmen".") Wir denken natürlich an die Stelle aus den
,,Künstlern":

„Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
Die alternde Vernunft erfand,
Lag im Symbol des Schönen und des Groszen
Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand".")

„Der ist ein Dichter", sagt Schlegel a. a. 0. „der die un-
sichtbare Gottheit nicht nur entdeckt, sondern sie auch
andern zu offenbaren weisz". *") Auch Schlegel spricht von
„dunklen Antrieben, die sich unserm Bewusztsein entzie-
hen". Die Stellen befinden sich in den „Briefen über Poesie,
Silbenmasz und Sprache", in denen Schiller die Rücksicht
auf die selbständige, moralische Natur des Menschen ver-
miszte.")

Andererseits betont Schlegel später sehr stark das
reflexive Element im Dichter.") Ja, er glaubt nicht an „ein
blindes, wild laufendes Genie", und erblickt auch „bei sol-

<\') Böcklng. VII. -f f. ") Ath. 1798 II. S. 31 <«) Ebdn. S. 45.
") Vergl. „Ueber Anmut u. Würde" i ..
Dm zarte Gefühl der Gricchcn
unterschied schon frühe, was die Vernunft noch nicht zu verdeutlichen
fähig war", ctc. ") An Schlegel. 10. Dez. 1795. ") Böcklng VII. S. 105.
Wiener Vorlesungen. 1808. Böcklng VI. S. 182 f.

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chen Dichtern, die man für sorglose Zöglinge der Natur
ohne alle Kunst und Schule auszugeben pflegt". Ueber-
legung und Absicht, wenn sich der Dichter auch nicht immer
augenblicklich Rechenschaft davon wird ablegen können.
„Eben die Schnelligkeit und Sicherheit der Geisteswirkung",
heiszt es dann weiter, „die höchste Klarheit des Verstandes
macht, dasz das Denken beim Dichten nicht als etwas Ab-
gesondertes wahrgenommen wird, nicht als
Nachdenken
erscheint". Und wegwerfend spricht cr über den Begriff von
der poetischen Begeisterung, den manche lyrische Dichter
in Umlauf gebracht hätten, als wären sie auszer sich, und
erteilten wie die Pythia, von einer fremden Gottheit ergrif-
fen, ihnen selbst unverständliche Orakelsprüche.

Dürfen wir nach Obigem Schlegel „Schnelligkeit und
Sicherheit der Geisteswirkung" absprechen, weil in seinen
eigenen „poetischen" Erzeugnissen das Denken nur zu oft
als ein
iVac/idenken erscheint? Ich wage es nicht, aber wohl
behaupte ich, dasz es ihm gerade an jener poetischen Be-
geisterung mangelte, die er so geringschätzend verwirft.
A. W. Schlegel war Philosoph, Kritiker, Philologe, aber
Dichter war er eben nicht. Er kannte nur den Enthusiasmus
als „principium scientiae", aber die heilige „ursprüngliche
Begeisterung" des Dichters war ihm fremd.")

Und so verhielt es sich auch mit seinem Bruder Friedrich,
dessen Kunst er gelegentlich „pötern" nennt, und der
selbst an einem „poetischen Septanfieber" litt. Es was alles
nur eine seelenlose äuszere Nachahmung, eine häufig müh-
selige Nachbildung fremder Formen, worin aber kein
Schöpfer den lebendigen Hauch zu blasen wuszte.

Was Fr. Schlegel von dem Dichter und Künstler sagt, ist
wie seine ganze Religionsästhetik: bald sind es Gedanken,

") Vergl. auch Haym. S. 859. der von ..euphcmUtischen Beschreibungen
der reflektierten, gemachten und gelehrten Dichterei de« Redners" spricht.

»•) Brief vom 17. April 1801. S. 476.

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die tatsächlich ein tieferes Verständnis verraten, bald ist
es verworren und widerspruchsvoll.

Wie bei Schiller, hat auch bei ihm das Wort „Künstler"
eine umfassendere Bedeutung.") Dem Bildungsideale ge-
mäsz, spricht auch er von politischen und ökonomischen
Künstlern, die herangebildet werden sollen.") Denn die
Bildung, das Menschwerden, von Menschheit-durchdrungen-
werden, das Gottwerden ist ja sein Höchstes. ") Und dieses
Ideal zu verwirklichen, ist Aufgabe der Künstler. „Künst-
ler ist ein jeder, dem es Ziel und Mitte des Daseins ist,
seinen Sinn zu bilden" ") und „durch die Künstler wird die
Menschheit ein Individuum",und daher wird man denn
auch die Fülle der Bildung in unsrer höchsten Poesie
finden.

Um diese universelle Bildung zu bewerkstelligen, sollen
die Künstler als Eidgenossen zusammentreten zu ewigem
Bündnis,") dem man aber keinen bestimmten Zweck geben
dürfe, denn das heisze die Gemeinde der Heiligen zum Staat
erniedrigen.")

Die Künstler sind also die Mittler, die ihr Centrum in
sich selbst haben, die nur göttlich dichtcn und denken kön-
nen und mit Religion leben.") Der Begriff „Religion" be-
zeichnet hier schlieszlich nichts Anderes, als Bildung zum
Unendlichen. Aber dann betont Schlegel die ausgeprägteste
Individualisierung; „Nur derjenige kann ein Künstler sein,
Welcher eine
eigne Religion, eine originelle Ansicht des Un-
endlichen hat". -)

Dieses grösze, göttliche Bildungswerk, dieses gegenseitige
Sichbeleben, ist der Stolz des Künstlers.") Das erhebt ihn

") Vcrgl. Buch Brief von 17. Aug. 1795. S. 236.
") Ath. 1800 I. S. 14. »») Ath. 1798 II. S. 73. 1800 I. S. 9 und 15.
^"
qI. auch Brief an Wilhelm vom 28. Aug. S. MI. »Was Ist denn unsre
^ürde. . " etc. ") Ath. 1800 I. S. 7. »») Ebda. S. 15. »•)Ebda.S.14
") Ebda. S. 9. ••) Ebda. S. 13. »») Ebda. S. II. ••) Ebda. S. 6.
\'0 Ebda. S. 28 f.

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über alle anderen Menschen. Daher sollte sich die Lebens-
art der Künstler von der Lebensart der übrigen Menschen
sogar in den äuszerlichen Gebräuchen durchaus unterschei-
den Denn „sie sind Braminen, eine höhere Kaste, aber nicht
durch Geburt, sondern durch freie Selbsteinweihung ge-

adelt"

Schlieszlich noch einige Worte über das Verhältnis des
Dichters zu seinem Werke. Das bekannte Ath. Fragment
116 stellt den Satz auf, „dasz die Willkür des Dichters kern
Gesetz über sich leide", und auch Schiller räumt dem Dich-
ter in der Welt des Scheins absolutes Herrscherrecht cm:
„Nichts darf ihm hier heilig sein, als sein eigenes Gesetz".")
Aber diese Schiller\'sche gesetzmäszige Freiheit ist etwas
Anderes als die Schlegel\'sche Freiheit der Willkür. Jene
ist Harmonie, diese ist die Erlaubnis zu jeder beliebigen
Disharmonie; jene ist Einheit, diese eine bunte Wirrnis;
jene endlich ist die moralische Freiheit Schillers, diese die
unmoralische Ausschweifung Schlegels,

Und schlieszlich Novalis: der Dichter über den Dichter!
Auch bei ihm begegnet wieder die Bildung: die Bildung der
Erde, das ist die Mission des Künstlers; nicht aber, wie bei
Schiller, eine moralische, sondern vielmehr eine magische
Bildung. Die höchste Aufgabe dieser Bildung ist, sich seines
transzendentalen Selbst zu bcmächligcn, das Ich seines Ichs
zugleich zu sein.") Und weiter: „Der Künstler ist durchaus
transzendental".\'") Da haben wir denn gleich den Kern
seines Dichtens: transzendentale Produktion, möchte ich es
nennen; ein gesteigertes Wissen beim Akte der Hervorbrin-
gung, deren geheimnisvolle Quelle aber ein spezielles Organ
ist, „das man entweder hat oder nicht hat". **]

Der Künstler ist Darsteller, soll aber auch das ihm

«) Ebda. S. 31. ") Im 26. der ästh. Br. ") Blütenstaub.

") BöUche III. S. 59. \'*) Havensteln S. 107.

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durchaus Fremde darzustellen verstehen,") soll auch eine
fremde Individualität in sich zu erwecken wissen: „der
Künstler macht sich zu allem, was er sieht und sein will". ")
Da haben wir wieder die bekannte Wechselwerkung, aber
mit dem Unterschied, dasz sie bei Schiller passiv, bei Nova-
Iis activ stattfindet.

Auch Novalis gebraucht die Worte „Kunst" und „Künst-
ler" in weiterer Bedeutung und wie Schiller nennt er auch
die Handwerker Künstler, mechanische Künstler, denen die
Künstler
katexochin, die organischen Künstler, gegenüber-
stehen. "*) Ich bemerke noch, dasz auch wieder bei Novalis
„l\'art pour l\'art" begegnet. Die eigentliche Kunst, sagt er
in demselben Fragment, ist Zweck an sich, befriedigende
Tätigkeit des Geistes, Seibstgenusz des Geistes. Wenn Wal-
zel meint, man könne die Romantik
nur höchst selten bei
einseitiger Verwertung der Formel l\'art pour l\'art antref-
fen, so bemerke ich doch, dasz eben diese Formel in der
einen oder andern Fassung bei allen hier erwähnten Roman-
tikern begegnet.

Ueber die unendliche Bestimmbarkeit des Dichters
äuszert Novalis sich auch a. a. 0. Er spricht von einer viel-
seitigen Empfänglichkeit, und fordert dasz der Dichter
„keine (feste) Anheftung an einen Gegenstand" habe.")
Weiter soll der Dichter sich von irdischer Geschäftigkeit
und kleinlichen Angelegenheiten abhalten, eine sorgenfreie
Lage genieszen, die Bekanntschaft mit vielartigen Menschen
machcn, etc.") Sein „Reich sei die Welt, in den Fokus
seiner Zeit gedrängt";er ist „der Spiegel, in dem sich
das ganze Weltgeschehen spiegelt; er, der Dichter
katexo-
f^hin ist der Repräsentant des Genius der Menschheit.

Und endlich: er ist Priester. „Dichter und Priester", so

Bölichc III. S. 10. Ebda. S. 59. ") Bölsche III. S. 61 f.
\'•) Deutsche Romantik S. 26. ") Bölschc III. S. 74. ") Ebda. S. 73.
") Ebda. S. 75.

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HO

heiszt es schon im „Blütenstaub",\'*) „waren im Anfang
Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der echte
Dichter ist aber immer Priester, so wie der echte Priester
immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den
alten Zustand der Dinge wieder herbeiführen?" — Das
wäre also der Zustand, wo der Dichter herrscht im Reiche
der Schönheit, wo man die Schönheit wieder allgemein ver-
herrlicht und anbetet in der sichtbaren Gestalt der Kunst.
Noch einmal lenken wir damit in Schillers Anschauungen
ein, der am Ende der ästhetischen Briefe gleichfalls den
Staat des schönen Scheins herbeisehnt, welcher dem Be-
dürfnis nach in jeder feingestimmten Seele existiere, der
Tat nach aber nur in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln
zu finden sei.

Wir sehen, wie der Dichter hier sehnsuchtsvoll seiner
Zeit voraneilt. Langsam und träge wird sie ihm folgen; sie
wird ihn verspotten, verlachen; achselzuckcnd wird sie
seine Begeisterung sehen, — und dennoch: sie wird ihm
folgen...

Der Künstler und die Menge. Wo finden sich tiefere Un-
terschiede, wo schärfere Kontraste! Und wo findet sich ein
härteres, liebloseres und ungerechteres Urteil als dasjenige,
was die Menge in ihrer selbstsicheren Wahnweisheit und
tatsächlichen Beschränktheit nur zu oft über den Künstler
verhängt!...

Zwar genieszt man die Schöpfung mit gieriger Seele, den
Schöpfer aber verleugnet man; die Kunst staunt man an,
den Künstler bemäkelt man. Die neidische Menge aber dul-
det keinen Höheren über sich, und wo sie einen erblickt, ist
sie gleich darauf bedacht, wenn er sich nicht folgsam fügt,
ihn zu sich herunterzuholen, durch den Staub zu ziehen.

Und schadenfroh munkelt man manches über Dieses und

") Ath. 1798 I. S. 90.

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Jenes aus des Künstlers Leben, und irgend ein gemeiner
Philister spricht das moralische Urteil. Ist er besser? Und
was hat er aus der Aermlichkeit seines Charakters gelei-
stet? Man kann den Kampf der jungen\'Künstler mit jenem
Menschenschlag begreifen!

Gestehen wir\'s, es sei denn mit dem Leben des Künstlers
wie ihm wolle: aber das Schöne, das Grösze, das Gewaltige,
das Ewige, das hat er doch aus seiner ganzen Persönlichkeit
heraus geschaffen, einer Persönlichkeit, so wunderbar tief,
so kompliziert, mit so viel in einander wirkenden Kräften,
von denen jede aber einen wesentlichen Teil des Ganzen
bildet, dasz manche einfältige Seele dabei den Kopf schüt-
telt oder, je nach der Veranlagung, die eigene Leere mit
einer gewissen naseweisen Frechheit und einigen Gemein-
plätzen auszufüllen sucht.

Allein auch hier dürften Schillers Worte Anwendung
finden:

„Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun".

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Leipzig 1846. (= Böcklng.)
t\'V. Schlcgcl nach den «amtl. Werken, zweiter Original-Ausgabe.

Wien 1846. 1= S. W.)
Lucinde nath Keclami Ausgabe.

^^ovalit nach der Ausgabe in drei Bänden v. W. Bölichc. Hesse. Lclp-

xig 1903. (= Bölschc.)
Heck nach den sümtl. Werken. Poris 1841.

Die Beltr&gc zu den „Hcrzenscrgleszungcn" und zu den „Phanto-
•Icn" nach W. W.

iTonz Stcmbnids Wanderungen nach dem 23. und 24. Band der
■fimtl. Werke. Wien 1821.
•^nnt nach der Ausgabe von K. Rosenkranz. IH. Leipzig 1838.

\'..Vom Geistesleben des 18. und 19. Jahrhunderts". Leipzig 1911.

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STELLINGEN.

I.

Schillcrs Behauptung: „Wenn das Gebäude der Welt eine
Vollkommenheit des Schöpfers ist, so fehlte ihm eine Voll-
kommenheit vor Erschaffung der Welt", ist nicht richtig,
(Phil. Br. Goedeke X. S. 223).

II.

Walzcl hat In seiner „Dcutschcn Romantik" das Gefühls-
clemcnt nicht genug betont.

III.

Lucka hat den Beweis von der Selbständigkeit der Liebe
nicht erbracht. (Die drei Stufen der Erotik. Berlin 1920.
Vorrede).

IV.

Das Mystische bildet ein wcscntlichcs Element der Kunst.

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Hamlet\'s Charakter ist Weltcharakter.

VI.

Jacques Perk is als dichter in menig opzicht met Novalis
te vergelijken.

VII.

Het is te betreuren, dat werken als Lessings „Nathan"
en Goethes „Faust" van \'t leerplan eener openbare Middel-
bare School geschrapt moesten worden:

a. met \'t oog op \'t karakter van \'t openbaar onderwijs.

b. met \'t oog op de vrijheid van den leeraar.

VIII.

Dc inleidende beginselverklaring van \'t tijdschrift „Roeping"
(Ic Aflevering Oct. 1922) is in zich-zelf tegenstrijdig.

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