-ocr page 1-

i

--------

n

ir^i

-ocr page 2-

W f A. qu. \\

109 Vr^. A ^ -

-ocr page 3-

^ (5 ^ (5

-ocr page 4-

mm

\\ .. »

. ■ ■ \' V v;-

ÎÇC\'\'-

y

•V

m:

. • r

u

r-^\'X.\'

i

m-

I

m

V I

. S

\'.U. -

, ■ iV-1

s."

-ocr page 5-

TRISTAN UND PARZIVAL

-ocr page 6-

RUKSUNIVERSITEIT UTRECHT

/

0824 3424

-ocr page 7-

TRISTAN UND PARZIVAL

EIN BEITRAG ZUR
KULTURGESCHICHTE DES MITTELALTERS.

PROEFSCHRIFT TER VERKRIJGING VAN DEN
GRAAD VAN
DOCTOR IN DE LETTEREN EN
WIJSBEGEERTE
AAN DE RIJKSUNIVERSITEIT
TE UTRECHT OP GEZAG VAN DEN RECTOR
MAGNIFICUS
Mr. J. C. NABER, HOOGLEERAAR
IN DE FACULTEIT DER RECHTSGELEERD-
HEID, VOLGENS BESLUIT VAN DEN SENAAT
DER UNIVERSITEIT TE VERDEDIGEN TEGEN
DE BEDENKINGEN VAN DE FACULTEIT DER
LETTEREN EN WIJSBEGEERTE OP
VRIJDAG
25 MEI 1923, DES NAMIDDAGS TE 3 URE

DOOR

BARBARA JANSEN,

:: GEBOREN TE UTRECHT. :;

UTRECHT — A. OOSTHOEK — 1923

BIBLIOTHEEK DER
RIJKSUNIVERSITEIT
UTRBOHTd

-ocr page 8-

-

.... \'-.^y"?-

W

\'S

N

-

* \'4

.i ■

• ^ •• . s . -V-" .

-ocr page 9-

Meinem Vater, der bis zu seinem Hinscheiden den
lebhaftesten Anteil an meinen Studien nahm und
meiner lieben Mutter widme ich diese Schrift.

-ocr page 10-

p....

«■f ,

r»»

f

■»1

î- -

-ocr page 11-

Beim Abschluß meiner akademischen Studien freut es mich
an dieser Stelle aussprechen zu dürfen, wieviel ich Ihnen, Pro-
fessor Frantzen, verschulde. Durch Ihre Vorlesungen wurde ich
zum Studium der mittelalterlichen Literatur angeregt; Sie haben
mich nicht nur. in die vergleichende germanische Sprachwissen-
schaft, sondern auch in das Studium des Altfranzösischen und
Altitalienischen eingeführt und als Promotor haben Sie durch
Ihre Ratschläge und Ihr persönliches Interesse meine Arbeit
wesentlich gefördert. Ganz besonders danke ich Ihnen aber, daß
Sie mich in schweren Tagen zur Arbeit angehalten und mir
dadurch den besten Trost geschenkt haben.

Es war mir leider nicht vergönnt, Professor Bédier, Ihre Vor-
lesungen an der Sorbonne zu hören. Gern gedenke ich, wie
freundlich Sie mich in Paris empfangen und wie sehr Sie mir
die Arbeit in der „Bibliothèque nationale" erleichtert haben.

Ihnen, Professor de Vooys und Professor Vogelsang, danke

ich, daß Sie mir, obgleich ich nicht Ihre Schülerin war, beim

Abschluß meiner Studien in freundlichster Weise behiinich
gewesen sind.

Endlich danke ich meinem Bruder, Ir. Daan Jansen, der den
Einband zeichnete.

-ocr page 12-

BERICHTIGUNGEN UND NACHTRÄGE.

Die Ausdrücke Mittelalter und mittelalterlich stehen der Kürze wegen für
die Blütezeit der höfischen Dichtkunst.

Zu Seite 7. vergl. man August Forel „Sexuelle Frage" S. 381. ff.

Man lese:
Seite 2. Z, 2. v. u.: conquiert.

6. Note 1.: zum süszen neuen Stil.

9. wechsle man die Noten und die zugehörigen Ziffern um und lese

Strophe XXX.
10. Note 1.: les débats: Z. 1.: moyen-âge.
15. Z. 15,: genaeht.
35, Note 1.: prov. Chrest.
37. Z. 3.: ez liebet liebe.
42. Z. 10.: Literatur.

44. Z. 5. V. u.: übermütig; Z. 2. v. u.: edlen.
47. Z. 2.: fremedem.
64. Z. 2.: sïniu; Z. 7. v. u.: granz.
72. Z. 5.: häufen.
105. Z. 2.
V. u.: Reminiszenzen.
107, Z. 11.: d\'émotion.

109. Z. 1.: Synonymen.

110. Z. 8. V. u. : von der sunnen.

111. Z. 9.: soldiere.

113. Z. 7. V. u.: XIX. Kap.; Z. 6. v. u.: per maggior.

114. Z. 11,: rationalem.

Man füge einen Doppelpunkt hinter getân (S, 56. Z. 15. v. u.) und hinter
„Vita nuova". (S.113. Z. 9.v.u,); Anführungszeichen füge man hinter dorperfe
(S. 74. Z. 13.), vor sfne
stricke (S. 109, Z, 10), hinter topelspil (S, III. Z. 1.)
und streiche sie hinter
Nebel (S. 108. Z. 17,).

-ocr page 13-

EINLEITUNG.

I. MITTELALTERLICHE WELTANSCHAUUNG.

Das Mittelalter ist eine Zeit der grellsten Kontraste, der
schroffsten Gegensätze. Der Dualismus der mittelalterlichen
Philosophie, welche eine tiefe Kluft zwischen Diesseits und
Jenseits, Welt und Geist, irdischem Glück und himmlischer
behgkeit voraussetzt, gibt auch dem gesellschaftlichen Leben
Sern Gepräge, drückt auch der Kunst seinen Stempel auf. Alles
Vergängliche hat für den gläubigen Christen des Mittelalters
seinen Wert verloren und jede sinnliche Begierde muß er
unterdrücken Verachtung des Lebens und der irdischen Güter
gut als der Grundzug wahrer Frömmigkeit; nur durch Welt-
üucht und Askese, durch Fasten, Beten und Kasteiung kann der

MenschdergöttlichenGnadeteilhaftigwerden.Anachoret^^^^^
Einsiedler,MönchewidmensichdermystischenKontemplationund

das gerade zu einer Zeit, wo die Kirche nach der Weltherrschaft
strebte und der größere Teil der hohen Geistlichkeit in Reichtum
und Genuß schwelgte. „Die Weltflucht im Dienste der weltbe-
herrschenden Kirche, die Weltherrschaft im Dienste derWelt-
entsagung, das war das Problem und das Ideal des Mittelalters.
Welch eine Naivität, welch eine Fülle von Illusionen gehörte
dazu um an die Verwirklichung dieses Ideals zu glauben und
an Ihr zu arbeiten\')". - Freilich, nicht innerhalb der Mauern
der entarteten Kirche, sondern außerhalb derselben, unter
Ketzern und Apostaten, wird mit dieser Askese am meisten
Ernst gemacht. Seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts predigen
in der Provence Peter von Bruys und Heinrich von Lausanne
die Nachfolge Christi durch Armut, Keuschheit und Gehorsam,

\') Harnack: Dogmengeschichte III^, 311.

1

-ocr page 14-

und sprechen damit aus, was in vielen Herzen lebt. Eine große
Laienbewegung entsteht, welche ein apostolisches Leben, freie
Predigt in der Volkssprache, Übersetzung der Heiligen Schrift
fürs Volk fordert. Katharer, Waldenser, Albigenser, Bettelmönche
haben alle das gemeinsame Ziel, durch Verzicht auf die Freuden
des Erdenlebens sich die himmlische Seligkeit zu erwerben.
Jede irdische Lust gilt ihnen als gleich sündhaft. Nicht nur die
höfische Bildung, sondern auch Vaterlands-, Gatten-, und
Kindesliebe werden als „glänzende Laster" bezeichnet. Durch
Kasteiung soll der Körper gefügig gemacht und jede Begierde
getötet werden. „Vides, quia carnis infirmitas robur spiritui
augeat, et subministret vires? Ita e contrario noveris, carnis
fortitudinem debilitatem spiritus operari", lehrt der heilige
Bernhard \')• Wundertätige Männer und Frauen, die Gebeine der
verstorbenen Heiligen, geweihte Stätten und Reliquien werden
inbrünstig verehrt; Pilger-und Bußfahrten werden unternommen
und in ekstatischer Verzückung sucht der Fromme die Ver-
einigung mit Gott, eine Ekstase, die in den gothischen Kathe-
dralen ihren künstlerischen Ausdruck findet.

Das Rittertum mit seinem Wirklichkeitssinn, seiner Freude
am Abenteuer, seiner Tatkraft, steht dieser Weltentsagung
zunächst fremd und feindlich gegenüber, bis der Aufruf zur
Wiedereroberung des Heiligen Landes dem Ritter Gelegenheit
bietet, einem christlichen Ideal im Ernste oder zum Scheine
nachzustreben. Oft nur zum Schein: die große Mehrzahl der
Kreuzfahrer denkt auf dem Wege nach dem Heiligen Lande
nur wenig an den Gekreuzigten. Von ihnen gilt was Conon de
Bethune in seinem „Chanson de Croisade" sagt:

2) „et sachent bien Ii grant et Ii menour
„que la doit on faire chevalerie,
„qu\'on i conqutrt paradis et honour
„et pris et los et l\'amour de s\'amie".

1) Serm, in Cant. XXIX. 7.

2) Bartsch: Chrest. de l\'ancien français No. 42b.

-ocr page 15-

Im Orient entstehen die christlichen Ritterorden der Templer
und Johanniter, die außer den drei Mönchsgelübden die Ver-
pflichtung zum Kampfe gegen die Ungläubigen übernehmen.
Auf diesem Wege wird eine Verbindung der Abenteuerlust mit
asketischer, mehr oder weniger ketzerischer Gottessehnsucht
möglich, die ihren Niederschlag in der späteren Gralliteratur,
namentlich in Wolframs Parzival findet \')•

Es gab aber noch einen andern Weg sich von der herrschenden
Kirche und deren Weltanschauung zu befreien. Diesen wählten
die südfranzösischen Höfe, indem sie der „clerzia" die „cortezia",
der Askese die Lebensfreude, der Gottesminne die Frauenminne
gegenübersetzten 2). So befremdend es auch scheinen mag,
dennoch ist es derselbe Drang nach innerer Selbständigkeit,
welcher Ketzerei und Frauendienst hervorgerufen hat. Daß viele
vornehme Herren und Damen, welche der Kirche gleichgültig
oder feindlich gegenüberstanden, sich vor ihrem Tode in ein
Kloster zurückzogen, zeugt doch nur dafür, daß ihnen die Kraft
fehlte einer übwmächtigen Geistlichkeit zu trotzen und daß die
Sorge um ihr Seelenheil, die Furcht vor der ewigen Verdamnis,
sie wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurück-
führte. Übrigens gab es auch solche, die lieber auf die Wonnen
des Paradieses, als auf die Geliebte verzichten wollten. In
„Aucassin et Nicolette" \') lesen wir: „En paradis qu\' ai-je a
faire? Je n\'i quier entrer, mais quej\'aie Nicolete, ma tresdouce
amie que j\'aim tant... Mais en infer voil jou aler: car en
infer vont Ii bei clerc et Ii bei Chevalier... Et s\'i vont les
beles dames cortoises, que eles ont deus amis ou trois, avoc

leur barons....." Fürwahr eine kühne Behauptung für einen

mittelalterlichen Menschen!

\') Zwischen der von der Kirche gepredigten und der von den Ketzern
anempfohlenen Askese ist ein wesentlicher Unterschied, da erstere unfreiwillig,
letztere freiwillig ausgeübt wird. Auch wo solches nicht ausdrücklich erwähnt
(Wird, wolle man in der ganzen Abhandlung diesen Unterschied vor Augen halten.

Wechssler: Kulturprobleme des Minnesangs S. 29.

3) Suchier 6, 8.

-ocr page 16-

Daß der Frauendienst zuerst in der Provence entstand, erklärt
sich aus der besondern Stellung, welche die südfranzösischen
Fürstinnen in der Gesellschaft einnahmen. Nur südlich der
Loire herrschte nach wie vor das römische Erbrecht, das den
Töchtern einen gleichen Anteil an der Hinterlassenschaft ge-
währte, wie den Söhnen. Das reiche, fruchtbare Land hatte
außerdem nach Beendigung der Sarazenenkriege eine gut
organisierte Verwaltung und die Fürstinnen konnten sich auf
den Gehorsam und die Treue ihrer Vasallen verlassen. Ermen-
gard von Narbonne, Guillemette von Nîmes, Alienor von Poitou
und viele andre, verwalteten dort selbständig ihre Erbländer,
sprachen Recht und empfingen den Lehenseid ihrer Vasallen.
Sie sammelten um sich herum einen Kreis von Gelehrten»
Künstlern, feingebildeten Männern und Frauen und erhoben
das Gesellschaftsleben zu einer wohlgepflegten Kunst der feinen,
höfischen Lebensart. Vom Süden aus verbreitet sich der Frauen-
dienst nach Norden: in Paris, Troyes, Bloys, Gent entstehen
berühmte „cours d\'amour."

Die „cortezia" stellt anfangs nur Forderungen an die guten
Sitten, nicht an die Sittlichkeit. Nicht um eine ethische, sondern
um eine ästhetische Weltanschauung handelt es sich. Als
höfische Tugenden gelten: joi (Freude), déport (amusement),,
solatz (conversation), amör (höfische Frauenminne), largueza
(Freigebigkeit) und mesura (Maßhalten). Durch „ensenhamen"
(vgl. die deutschen Tischzuchten) wurde man in der „cortezia"
unterrichtet. Ihr Gegensatz war die „vilania" („törperheit"),.
die jetzt nicht mehr bloß für einen sozialen Begriß galt. So
sagt Crestien von Troyes in der Einleitung des „Yvain" (v. 31) :.

„Qu\' ancor vaut miauz, ce m\'est avis,

„uns cortois morz, qu\' uns vilains vis."

Kein Wunder, daß die hohe Herrin im Mittelpunkt der höfischen
Verehrung stand. Von dem Einfluß, welchen sie auf alle ausübt,
die mit ihr in Berührung kommen, erzählt Gawan in Crestiens;
„Conte del graal":

-ocr page 17-

„Qu\' ausins come Ii sages mestre

„Les petiz anfanz andoctrine,

„Ausi ma dame la reine

„Tot le monde anseigne e aprant.

„Que de Ii toz Ii biens descent

„Car de Ii vient e de Ii muet.

„De ma dame partir ne puet

„Nus qui desconselliez s\'an aut

„Qu\' ele set bien que chascuns vaut,

„E que an doit a chascun fere

„Por ce qu\' ele Ii doie plere.

„Nus hom bien ne enor ne fait

„A cui ma dame apris ne l\'ait

„Ne ja nus n\'iert si desheitiez

„Qui de ma dame parte iriez" (Baist. v. 8148).

Ja, es wird ihr sogar wundertätige Kraft zugeschrieben. So
sagt Guilhem, comte de Peitieu, von seiner Dame:

„Per son ioy pot malautz sanar
„e per sa ira sas morir
„e savis hom enfolezir
„e belhs hom sa beutat mudar
„e \'1 plus cortes vilaneiar
„e \'1 totz vilas encortezir". 0

Die „Minne" des Troubadours, seine Liebeswerbung und
Liebesklage, beruht nun freilich auf einer Fiktion. Die hohe
Herrin schenkt dem dienenden Sänger nicht ihre Neigung; ihr
Gruß, ihr Lob, ihr Geschenk: das ist das einzige, was er sich
erwerben kann. Ganz anders verhält es sich aber mit der Minne
des ebenbtlrtigen Ritters zu seiner Dame. „Die höfische Gesell-
schaft ist sich aufs Klarste der Mittel bewußt, durch welche
die ästhetische und sentimentale Steigerung der Geschlechtsliebe
erzielt wird: man häuft so viele Schranken als möglich

\') Vers und Canzone 11. Appel: Provenzalische Chrestomathie.

-ocr page 18-

zwischen Begierde und Genuß."\') Eifersucht, Scham, Furcht,
Trotz, Hohn müssen die sinnliche Begierde aufs Höchste steigern
und werden, wo sie nicht vorhanden sind, künstlich erzeugt.
Es leuchtet ein, daß der vertrauliche Verkehr des Ehelebens
diese hemmenden Affekte nicht oder nur in sehr geringem
Maße hervorrufen kann. Bedenkt man außerdem, daß das
geltende Recht im Mittelalter Gleichbürtigkeit der Ehegatten
forderte und freie W^ahl deshalb oft unmöglich war, daß das
Cölibat die ganze höhere Geistlichkeit von dem Eheleben aus-
schloß, daß die Frau sich in der Ehe ohne Grund dem Manne
nicht versagen darf und die höfische Minne voraussetzt, daß
die Frau frei über ihre Liebe verfügt, so kann es uns nicht
Wunder nehmen, daß Andreas Capellanus in seinem Buche „de
amore" den Satz aufstellte: „Minne und Ehe haben nichts mit
einander zu tun und können unabhängig von einander bestehen.^)

So urteilt auch Sordello in seinem „ensenhamen d\'onor\'")
(v. 1127 ff.), daß Minne höher steht als eheliche Liebe:

„Quar pos l\'aura pres, nol poira
„Laissar plus que molier marit.
„Enanz es plus fort establit
„que jas parton, per parentes,
„Moilleranzas, mas no es res,
„que puesc\' amors, ses mort, partir..

Der Frauendienst wird als eine Art feudalen Dienstes betrachtet.

Das Symbol der Belehnung: der Ring (Vgl. den Investiturstreit)
gilt auch als Zeichen der zugesagten Liebesgunst.\'\') Wie der
Vasall seinem Herrn gehorcht, so folgt der Ritter den Befehlen
seiner Dame. Bisweilen steigert sich die Unterwürfigkeit des
Liebhabers bis zur sexuellen Hörigkeit: bis zur willenlosen
Lust an der Tyrannei der Geliebten. Die berühmteste Schilderung
- 2üf}i

\') Voszler: Die philosophischen Grundlagen d«e süßen neuen Stil« S. 44.

2) Vgl, Wechssler: Kulturprobleme des Mittelalters. S. 209.

3) Sordello dl goito. Roman. Bibl. nr. 11.

*) Vgl. Wechssler: Kulturprobleme des Mittelalters. S. 163.

-ocr page 19-

der sexuellen Hörigkeit des Mannes gibt Crestien de Troyes in
„Le Chevalier à la charrette". Die Steigerung und Verfeinerung
der geschlechtlichen Liebe trägt aber zugleich in sich die Keime
zu einer übersinnlichen, mystischen Frauenverehrung, zu einer
ganz eigenartigen, höfischen Religion. „Cet amour exalté et
„presque mystique, sans cesser pourtant d\'être sensuel... cette
„conception qui, de plus en plus idéalisée et systématisée, devait
„aboutir au mysticisme amoureux d\'un Guido Guinizelli ou
„d\'un Dante", sagt Gaston Paris in seiner Abhandlung über
Lancelot. Wie einerseits die religiöse Verzückung von heißer
Sinnlichkeit durchglüht vs^urde, wie die Nonnen nächtlichen
Liebesverkehr mit ihrem ,Jesulein" zu haben glaubten,
wie der Ausdruck der „conceptio immaculata" von Murillo
und der Heiligen auf Correggios Gemälden höchstes Liebes-
entzücken, verliebte Inbrunst zeigt, so war andrerseits. die
höfische Minne von übersinnlichen Gefühlen durchdrungen, die
Herrin wurde zum Typus der weiblichen Vollkommenheit, die
in unerreichbarer Höhe thronte, die Frauenminne zum Heili-
genkult. Diese höchste Stufe erreichte Dante in seiner „divina
commedia". Aber die ersten Schritte dazu taten die höfischen
Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts, tat vor allem Gottfried
von Straßburg in seinem „Tristan". Wollen wir seiner Dichtung
gerecht werden, so müssen wir seine Schilderung der außerehe-
lichen, nach der Auffassung der christlichen Moral „sündigen",
Liebe, im Lichte besehen, das die Weltanschauung der Dichter
des „dolce stil nuovo" darauf zurückwirft.

II. KLERIKER.

In den höfischen Kreisen nehmen die Kleriker eine wichtige
Stelle ein als Berater, Erzieher und Lehrer der Damen. Unter
Klerikern versteht man im Mittelalter alle, die mit dem Vorsatz
sich der Kirche zu widmen eine gelehrte Schule besucht
haben, auch wenn sie nachher in die Welt zurückgetreten sind.

-ocr page 20-

Sie müssen sich alsdann zwar dem geistlichen Gerichte unter-
werfen, sind aber sonst aller Rechte und Pflichten eines Geist-
lichen ledig, können einen weltlichen Beruf ausüben und
dürfen sich verheiraten. Oft gibt man sogar jedem, der sich
den gelehrten Studien widmet, auch wenn er sich für einen
weltlichen Beruf vorbereitet, den Namen Kleriker. „So eng war
„im frühen Mittelalter das geistliche und geistige Leben mit
„einander verbunden, daß ein jeder, der sich mit den Gegen-
„ständen der Schule befaßte .... clericus hieß.... In Frankreich
„verstand man überhaupt unter dem Worte „clergie" die ganze
„Gelehrsamkeit, die sich auf der Schulbank erwerben ließ." \')

Das Leben der Kleriker wird von vielen ihrer Zeitgenossen
scharf getadelt. Man wirft ihnen vor, daß sie nicht wie Ritter
kämpfen und nicht wie Geistliche predigen. „Rogo, quid hoc
est monstri ut, cum et clericus et miles simul videri velit,
neutrum sit."

Innocenz III. ist entrüstet über ihre Aufführung: „Quidam
nocte filium Veneris agitant in cubili, mane filium Virginis
■agitant in altari; nocte Venerem amplexantur, mane virginem
venera\'ntur". Der heilige Bernhard klagt darüber, daß sie
immer bei Hofe sind und sich um die Huld der Fürsten, um
die Freundschaft der Prinzen bemühen. ^ Auch leben sie vom
Gut der Kirche, das sie nicht verdienen:

„lor soignanz peissent, lor mestriz
„del patremoine au crucefls.
„Et lor effanponez petiz
„des trentins qu\'il n\'ont deserviz".

Als völlig ehrlos stellt der Dichter von „Blancheflour e
Florence" sie dar:

1) Specht: Unterrichtswesen 231.

2) Migne, t. 182, no. 81. (St. Bernard.)

3) Innocent III, Migne, t. IV. p. 368. Sermon pour le jour des Cendres.
») Oulmont: Les débats du clerc et du chevalier, p. 29.

5) Estienne de Fougères, évèque de Rennes: „Livre des manières" v. 209.

-ocr page 21-

„(Kar), quant Ii clerc vient al mouster,

„En son surpelice s\'en va seer

„E pense de papelardie.

„E of ses meins que taunt sount noirs

„Maigne graeauz e tropeirs

„E sur Dieu reschine.

„Tot son honur par taunt resceoit,

„E com un pork mangent e boit;

„Ensi sa vie fine." ^ ^XX und ff.)-^)

Glücklicherweise sind die Kleriker nicht alle so, wie sie hier
geschildert werden. Es gibt auch solche, die weder reich noch
unsittlich sind, die arbeiten und forschen, und die den Rittern
durch ihre Gelehrsamkeit und ihre feinen, höfischen Sitten
weit überlegen sind:

„Que sor toutes les genz qui sont,
„doivent Ii clerc avoir amie,
„Quar plus sevent de cortoisie,
„Que autre gent, ne chevalier,
„Ne sevent vaillant un denier
„Envers clerc qui d\'amors s\'envoise". \')
Und die Nachtigall spendet ihnen das Lob:

(vs. 333) ,Je di qu\'il n\'est nus homme el monde,
„Tant com il dure a la reonde,
„Qui envers clerc prendre se puist
„Ne de solaz ne de déduit,
,Ja n\'avendra que nus s\'i pi^ingne.
„Nature lor done et ensaingne
„Tout bien et toute cortoisie."
Oft treten Kleriker und Ritter als Rivale auf und bewerben
sich beide um die Gunst und die Liebe der Frauen. Es ist der
alte Gegensatz zwischen Bürger und Edelmann. „Le contraste

2) Le jugement d\'amours v. 140. (Oulmont; „Les débats du clerc et du
chevalier").

f) Oulmont: „Les débals du clerc et du chevalier."

-ocr page 22-

„apparut avant le moyen-âge dans la société gallo-romaine,
„polie et raffinée, dominée d\'abord par les conquérants germa-
„niques, les dominant à son tour par la supériorité de l\'esprit
„sur la force brutale". \')

Aus der besiegten romanischen Gesellschaft gingen lange Zeit
die Kleriker, aus der germanischen die Ritter hervor. Und wie
die Ritter sich mit ihrer hohen Geburt und ihrer Tapferkeit
brüsteten, so beriefen sich die Kleriker auf ihre Gelehrsamkeit
und auf die Weltherrschaft der römisch-katholischen Kirche,
unter deren Schutz sie standen.

Sehr oft entscheidet die Dame zu Gunsten des Klerikers:

„Mais Ii clers que jou aimme et prise
„Sevent engien querre et aïe,
„Et d\' amors celer la maistrie,
„Et si sont sage d\'aus garder,
„Si en font molt plus a amer."

Ein solcher Kleriker mag wohl der Dichter von „Tristan und
Isolde" gewesen sein, über dessen Leben uns nichts bekannt
ist. Seine Zeitgenossen nennen ihn „meister", also mit dem
Titel der bürgerlichen Dichter. In Bezug auf seine Bildung
dürfen wir ihn wohl mit dem Kaplan Lohier in „Galeran"
vergleichen von dem es heißt:

(918) „II ot la bouche bien apperte
„a bien chanter et a bien lire
„n\'estoit de Ii meilleur eslire
„pour conseiller un desvoiéj;. . .
„si se savoit bien entremectre
„de trover layz et nouviaux c/ians
„moult fu de biaux déduis trouvans
„et en françoys et en latin,
„n\'est oultrageux de boire vin

\') Oulmont:^s débats du clerc et du chevalier, p. 80.
2) Le jugement d\'amours, Ms. D. ms. Bibl. nat. fr. 795 vol. 7 vs. 53—57,
(Oulmont: les débats du clerc et du chevalier").

-ocr page 23-

„ne a jeun n\'avoit mate chiere.
„II savoit toute la maniéré
„de herpe, d\'autres instrumens
„d\'eschiés,
de tables, d\'autre jeuz
„Haus bons estoit, doulz et piteuz."

Seine sprachlichen Kenntnisse (Tristan 155-9), seine Bekannt-
schaft mit dem Harfenspiel und mit andern Instrumenten
(3659 ff.) und mit dem Schachspiel (2228 ff.), teilt er jedenfalls
mit ihm. Dagegen finden wir in seinem Gedichte nirgends die
Freude am Waffenspiel und in den wenigen Beschreibungen
von Gefechten nicht die Erwähnung eines einzigen Kampfes-
kunstgriffs.

Gottfried von Straßburg nennt er sich; sehr wahrscheinlich
lebte er also an einem elsässischen Hofe. Das Akrostichon der
vierzeiligen Anfangsstrophen ergibt den Namen Dietrich, aber
ein Fürst dieses Namens ist uns nicht bekannt. Wo aber
Philippe d\'Alsace, dessen Schwester Marguerite eine „cour d\'
amour" in Gent hatte, selbst als Reichsverweser geraume Zeit
in Paris verweilte, wird die „cortezia" der französischen Höfe
den elsässischen Fürsten nicht unbekannt gewesen sein und
wird Gottfried Gelegenheit genug gehabt haben, sie zu üben.
Vielleicht dürfen wir in der Schilderung des Pfaffen im „Tristan"
eine Art Selbstbildnis erblicken. Von diesem wird uns erzählt:

(7704) „wan er ouch selbe künde
„liste unde kunst genuoge,
„mit banden manege fuoge
„an iegelîchem
seitspil
„und künde ouch fremeder spräche vil.
„an fuoge unde an höfscheit
„hete er gewendet unde geleit
„sine tage und sine sinne,
„der was der küniginne
„meister unde gesinde,
„und hete sî von kinde

-ocr page 24-

„gewitziget sëre,
„an maneger guoten lere,
„mit manegem fremedem liste
..den si von im wiste."

III. RITTER.

Übten die Zeitgenossen an dem Leben der Kleriker eine
scharfe Kritik, so hatten sie an der Aufführung der Ritter auch
manches auszusetzen. Wer dem Ritterstande angehörte mußte
sich von Jugend an im WafFenhandwerk üben. Für Schulbildung
blieb kaum Zeit übrig und gelehrte Ritter waren denn auch
«ine Seltenheit. Mit Recht durfte Hartman in den Anfangs-
versen seines „Armen Heinrich" betonen:

„Ein ritter sö geleret was,
„daz er an den buochen las,
„swaz er daran geschriben vant,
„der was Hartman genant,
„dienstman was er ze Ouwe."

Hatte der Jüngling die Schwertleite empfangen, so zog er
auf Abenteuer und streifte ruhelos durch die Welt, immer neue
Kämpfe suchend.

1) „(pa et la veit sovent se torne,
„ne repose ne ne sejorne,
„chasteaus abat, chasteaus aorne,
„sovent haiti6, plus sovent morne.
„9a et la veit, pas ne repose,
„que sa marche ne seit desclose,
„Nendis mengier ne beivre ose
„For venin et por male chose."

Siegt er im Turnier, so erwirbt er sich Ruhm und Reichtum;

1) Le livre des manières. Ms. 295 de la Blbl. d\'Angers, fol. 141.

-ocr page 25-

verliert er aber, so versetzt er Pferd und Rüstung, bis er nichts
mehr übrig hat. So heißt es als Hueline und Aiglentine \') sich
über die Vorzüge ihrer Liebhaber streiten:

(123) „Et Ii vostre (le chevalier) est plains de poverte,
„Et met ses gages en taverne,
„Et qant il vait a cez tornois,
„Dont li estuet par fin destroit
„Denier querre a emprunter,
„Don il se puisse conreer.
„Tant com li durent cil denier
„A il a boivre et a mangier ....

Hat er nichts mehr, so verkauft er sein Roß und:
„quant li chevax sera mangiez
„Et li hauberz ert engagiez
„Li hiaumes ira au marché ....

Dem Helm folgt Lanze, Sattel und Zaum.

Mit der Moral des Ritters ist es übel bestellt, denn er sucht
sich in jedem Lande, wohin er kommt, eine Geliebte:

(308)2) „Communément la ou il vount,
„En chescune pays, voilent amer
„E diverses femmes daun[ei]er;

Auch sind die Ritter berüchtigt ihres Schwadronierens wegen :

(311) „E quant il sunt ensemble assis
„Les chivalers de grant pris,
„S\'il comencent a parler,
„Dune se weulent avaunter
„Chescune a autre de sa amie
„E descovrir tout lur druerie."

\'0 Huellne et Aiglentine. Ms. de Berne 354 no. 655 (Oulmont „Les débats
du clerc et du chevalier").

Mellor e Ydoine. (Bibliothèque de l\'Université de Cambridge, mss. Gg. li..
fol. 4744. Oulmont : Les débats du clerc et du chevalier).

-ocr page 26-

Und das Mädchen im „Roman des Sept sages" \') sagt denn
auch zu ihrer Mutter: ,Je ne voldroie pas amer chevalier, car
il se venteroient à la gent, et gaberoient de moi, et me deman-
deroient mes gajes à engajer."

Der Ritter ist stolz auf seine hohe Geburt und verachtet den
Bauern. Nie darf der „vilain" sich um die Liebe einer hohen
Frau bewerben. In „Blancheflour e Florence" heißt es beim
Eintritt in den „palais d\'amour":

(XLVIII) Mes d\'une chose soiez certein,
Qe chascon fiz de vilein
A l\'entree sera destourbee,
Kar n\'i ad ja taunt vaillaunt
Qe par la porte passat avaunt
Si par Amours ne soit maundee.

Auf das Ungerechte dieser Verachtung wird in dem „livre
des manières" hingewiesen:

(577) „Molt devon chiers aveir nos homes,
„quar Ii vilein portent les somes,
„dont nos vivon quant que nos summes
„et chevaliers et clers et domes".

Und ihr Los ist fürwahr nicht leicht:
(677) „Terres arer, noirir aumaille,
„Sor le vilain est la bataille,
„quar chevalier et clerc sans faille
„vivent de ce que il travaille".

In dem Dichter des Parzival dürfen wir zweifellos einen
Ritter erblicken. Er stellt sich dem Publikum als Ritter vor
(„schildes ambet ist min art") und in ritterlicher Rüstung wird
er in der großen Bildersammlung der Minnesänger abgebildet.

\') Essai sur les fables indiennes, suivi du R. des s. S. p. p, Leroux de
Lincy. Paris 1838 p. 47.

2) Florence et Blancheflor (anglo-normand). Eibl. Philipps, no. 25970, fol. 29
no. 3. Oulmont: Les débats du clerc et du chevalier.

-ocr page 27-

Zu wiederholten Malen erklärt er selbst, er könne wederlesen
noch schreiben:

„swaz an den buochen stet geschriben
„des bin ich künstelös beliben,
„niht anders ich gelëret bin:
„wan hän ich kunst, die gît mir sin." \')
und nachdrücklich versichert er: „disiu äventiure — vert äne der
buoche stiure" (P. llS^s-ö). Nicht seiner Dichtkunst, sondern
seiner ritterlichen Tapferkeit wegen, will er von den Frauen geliebt
werden. Er war aus Baiern gebürtig, oder hat jedenfalls die
größte Zeit seines Lebens dort verbracht; die Baiern aber
werden von ihm selbst „toersch" genannt. (1217). Parzival
wird mehr als einmal verächtlich über die Bauern
geredet:(74i3)
„(Kanvoleiz), dä nie geträt vilänes fuoz"; (144i4-7) „diu mässeme
ist sölher art — gena^ht ir immer vilän, - daz waer vil sëre
missetän" ; (142i«) wird der Geiz des Fischers erklärt aus seiner
niedern Herkunft: „als noch üf ungeslähte birt;" Malcreatiures
Pferd ist ein Bauernpferd. Vielleicht ist mit Parzivals Narren-
anzug auch die Bauerntracht gemeint. Singer^) weist hin auf
Boivin de Provins in einer Erzählung des Courtois d\' Arras,
der als Bauer verkleidet in die Stadt geht und einen ähnlichen
Anzug tragt wie der junge Parzival: „Vestuz se fu d\'un burel
gns, cote et surcote et chape ensanbles, que tout fu d\'un ....
ses sollers ne sont mie a las, ainz sont de vache dur et fort".
Haben wir also in Wolfram, den die Zeitgenossen mit „her"
anreden, den stolzen, selbstbewußten Ritter ohne Schulbildung

r^^iK^Ü^\' "Füssen wir um so mehr sein außerordentliches
Gedächtnis, sein Kombinationstalent und seine Phantasie
bewundern.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht darzulegen, daß
»Tristan und Isolde" von Gottfried von Straßburg die charak-
teristischen Merkmale eines Kleriker-Romans und Wolfram von

\') Willehalm.

Singer: Wolframs Stil und Stoff der Sprache. S. 70.

-ocr page 28-

Eschenbachs „Parzival" die eines Rittergedichtes aufweist; daß
die Moral des „Tristan" die des mystischen Frauenkults, die
Moral des „Parzival"\' einerseits die des ritterlichen Minnedienstes,
andrerseits die der mehr oder weniger ketzerischen Askese ist;daß
der Stil des „Tristan" die vollendete klare Dichtform der Gelehrten-
schule, der Stil des „Parzival" die dunkle Erzählungsweise des
selbstbewußten, phantasiereichen Ritters zeigt. Der Dualismus der
mittelalterlichen Weltanschauung und der mittelalterlichen
Ästhetik konnte zwei so grundverschiedene, jede in ihrer Art
bedeutende Dichtungen in dem selben Lande und fast gleich-
zeitig entstehen lassen. In dem Schlußkapitel wollen wir
darauf hinweisen, wie die Dichter des „dolce stil nuovo" eine
höhere Synthese zwischen Kleriker- und Ritterdichtung fanden,
welche gipfelt in Dantes „Divina Commedia".

-ocr page 29-

ERSTES KAPITTEL.
GOTTFRIED UND WOLFRAM.

1. GELEHRSAMKEIT IN „TRISTAN UND ISOLDE".

Die d-elehrsamkeit des Tristandichters geht zunächst aus
seiner Stellung zur zeitgenössischen Literatur hervor und zwar
kennt er nicht nur den Inhalt der vor ihm verfaßten Romane
und Gedichte, sondern er tritt auch als Kunstrichter auf, der
jedes Werk auf seinen ästhetischen Wert zu prüfen weiß In
der „Schwertleite" nennt er Hartmans Verse „kristalllniu wor-
tehn . Bhcher von Steinachs Stil vergleicht
er mit Gold- und
Seidenstickereien mit griechischen Rändern, mit Spinnerei der
Feeen, welche sie in ihrem Brunnen gereinigt haben,mit poly-
p^homscher Harfenmusik, mit dem gewandten Messerspiel
der
Gaukler, mit dem Flug des Adlers. Von seiner Reimkunst sagt
er: „wie kan er rlme llmen, - als ob si da gewahsen sin!"
Heinrich von Veldeke kennt er vermutlich
nur vom Hörensagen.
U ] ine han sin selbe niht(s) gesehen; 4742 und ist diu selbe
künde - sö witen gebreitet, u. s. w.). Ihm rühmt er aber nach:
„er inpfete daz erste ris - in tiutscher zungen." Dagegen tadelt
er aufs schärfste die „vindaere wilder maere" (466i), die er
den Gauklern und dem fahrenden Volke gleichstellt:

(4665 u. ff.) „die mit den ketenen liegent
„und stumpfe sinne triegent,
„die golt von swachen Sachen
„den kinden kunnen machen
„und üz der bühsen giezen
„stoubine mergriezen."

»tiutaere mit ir maere läzen
gan und unmutig ruft er aus: „sone hän wir ouch der

-ocr page 30-

muoze niht, — daz wir die glöse suochen — in den swarzen
buochen."

Man hat diese Stelle oft auf Wolfram bezogen. Wir glauben eher,
daß Gottfried sämtliche Dichter gemeint hat, die einen „dunkeln"
Stil schrieben, darunter auch die ihm bekannten Franzosen.

Von den lyrischen Dichtern, den „nahtegalen", lobt Gottfried
besonders seinen bereits verstorbenen Landsmann Reinmar von
Hagenouwe. Er staunt über dessen musikalische Begabung:
„wannen ir daz wunder kaeme - s5 maneger wandelunge." Nicht
minder hoch schätzt er Walthers Musikalität ein:

(4800) „hei wie diu über heide

„mit höher stimme schellet!
„waz
Wunders sï stellet!
„wie spaehe si organieret!
„wie si ir sanc wandelieret!"

Eilhart von Oberges „Tristan" scheint er eingehend studiert
zu haben. \')

Piquet sieht in der Beschreibung des Turniers (650—717),
eine Nachahmung von Hartmans „Erec" (2338 — 42) und in
Rual als Tristans Berater vor der Schwertleite (4504—44), eine
Reminiszenz an „Erec" 2247—83.

Gern trägt Gottfried seine Kenntnisse der klassischen Mytho-
logie und Literatur zur Schau. So spielt er auf Ovid an : „einen
senelïchen leich als ë — de la cürtoise Tispê — von der alten
Bäbilöne". (3613—5). Den Pegasus erwähnt er in dem Lob
auf Veldeke: „ich waene, er sme wisheit — üz Pegases
Ur-
sprünge nam, — von dem diu wisheit elliu kam." (4728—30).

Von Reinmar von Hagenouwe sagt er: „ich waene Orphëes
zunge, — diu alle doene kunde, — diu doenete üz ir munde".
(4788—90). Die Insel Cythera denkt er sich als eine Art

\') Vgl. Joseph Bédier: Introduction sur Thomas„ Le poème de Tristan", p. 81.

2) Piquet: „L\'originalité de Gottfried de Strasbourg", troisième partie II.

3) Die Form „Zithëröne" bei Gottfried dürfte ein Genit. Plur. sein:

zà KvûriQa - t<wv Kvê^gcov.

-ocr page 31-

Venusberg: „ich meine aber in dem döne — dä her von
Zitheröne, — dä diu gotinne Minne — gebiutet üf und inne".
<4805—8). Sehr merkwürdig sind die Verse 4860 ff. in welchen
der Dichter nicht Gott und die Heilige Jungfrau, sondern die
heidnischen Götter anruft. In der mittelalterlichen deutschen
Literatur wird die klassische Kunst nirgendwosonst so ausführ-
lich und pompös verherrlicht. Er betet zu dem „Elicöne", zu
dem „niunvalten trône, — von dem die brunnen diezent, —
üz den die gäbe fliezent — der worte unde der sinne." Apollo
und die Camënae, „der ören niun Sirenen", teilen dort die
\' Gaben aus. Er begehrt nur einen Tropfen aus ihrem Brunnen,
denn der wird genügen seine Rede zu läutern. Die Verse
4930—4962 spielen gleichfalls auf die Klassiker an. Seine Kennt-
nisse wird Gottfried teilweise aus Heinrich von Veldekes „Eneide",
besonders aber aus dem „Roman de Troie", sei es aus dem
französischen Original, oder aus Herbort von Fritzlars Über-
setzung geschöpft haben. Er nennt „Vulcän", den Waffenschmied

der den Schild des Aeneas arbeitete ; als Helmschmuck erwähnt

er den Adler Jupiters mit den Blitzen in den Klauen, die er
als die Pfeile Amors deutet; Cassandra lobt er als die
Verfertigerin kunstvoller Gewänder, „der geist ze himele, als
ich ez las, — von den goten gefeinet was."

Aber nicht nur in der „Schwertleite", sondern auch an
andern Stellen finden sich Anspielungen auf die klassische
Literatur. 8091 wird Isolde mit einer Sirene verglichen, die
mit dem „agesteine" (Magnetstein) die Schiffe zu sich zieht.
Tristan berichtet über Isolde:

(8265) „diu lütere, diu liehte ïsolt,

„diu ist lüter alse aräbesch golt.
„des ich ie waenende was,
„als ich ez
an den buochen las,
„diu von ir lobe geschriben sint,
„Auroren tohter und ir kint,
„Tintarides diu maere,
„daz an ir eine waere

-ocr page 32-

„aller wibe Schönheit
„an einen bluomen geleit:
„von dem wane bin ich komen;
„Isöt hat mir den wän benomen.
„ine geloube niemer me,
„daz sunne von Myzene ge;
„ganzlichiu schoene ertagete nie
„ze Kriechenlant, si taget hie."

In der Liebesgrotte reden Tristan und Isolde mit einander
über andre Geliebte, über Villise von Träze (Phyllis aus Ovids
Herolden No, 2),Kanäze (aus Ovids Heroi\'dennr. ll),Biblise(Byblis
aus Ovids Metamorphosen IX. 454 ff.), Didö (aus Virgils Aeneas).

Charakteristisch für die Klerikerschule ist auch die sinnbild-
liche Deutung der Kleider, welche Tristan bei der Schwertleite
anlegt. „Höher muot" (Ehrgeiz), „vollez guot" (Freigebigkeit),
„bescheidenheit" (züchtiges Betragen), sollen verbunden werden
durch „höfschen sin." Diese Allegorie findet ihren Ursprung in
der symbolischen Waffenrüstung Gottes, wie sie der Apostel
Paulus im Epheserbrief (Kap. 6. V. 11 und ff.) beschreibt.

Der gelehrte Dichter legt natürlich Wert darauf, daß man
seiner Erzählung Glauben beimißt. Gleich im Anfang verbürgt
er die Zuverlässigkeit seiner Quelle. Alle, die vor ihm von
Tristan und Isolde erzählt haben, taten es „üz edelem muote"
und sind deswegen also nicht zu tadeln; denn „swaz der man\'
in guot getuot, — daz ist ouch guot und wol getan". Aber
„sine sprächen in der rihte niht, — als Thomas von Britanje
„giht, — der äventiure meister was — und an britünschen
„buochen las — aller der lantherren leben — und ez uns ze
„künde hat gegeben." Seine Quelle erwähnt er außerdem 8946
„also man an der geste list; 14250 und ff. „nune vinde ich
„aber niht von ime (Melot) — an dem wären maere, — wan
"daz ez kündic waere, — listic unde rederlch"; 15919 „Als uns diu
„wäre istörje seit — von Tristandes manheit"; 16357 „si tetz,
als uns diz maere seit". 8605—32 protestiert Gottfried gegen
die Fabel der Schwalbe und gegen die planlose Fahrt der

-ocr page 33-

Brautwerber. 16663 wird betont, daß Tristan „Hiudanen, niht
Petitcriu" mit sich ins Exil nahm.

Von den ritterlichen Dichtern unterscheidet sich Gottfried
dadurch, daß er es verschmäht prachtvolle Rüstungen, Ge-
wänder und Gemächer zu beschreiben. Wo er es dennoch tut,
deutet er sie allegorisch, so Tristans Rüstung bei der Schwert-
leite und das Innere der Liebesgrotte. Dagegen zeigt Gottfried
für psychologische Schilderungen eine große Vorliebe und ein
sehr feines Empfinden. Er beschreibt die Eifersucht Mariodocs ;
die Stimme des Blutes, die Marke und Tristan zu einander
bringt; Tristans Erwägungen bevor er den Bettsprung wagt;
Markes Zweifel nachdem er das blutbefieckte Betttuch findet;
Isoldes und Tristans Gefühle vor dem Gottesurteil; Markes
Trauer nach der Verbannung; die Angst der Geliebten während
Markes Jagd ; Gilans Schmerz über den Verlust von Petitcriu ;
Brangänes Verzweiflung; Tristans Sehnsucht nach Isolde, als er
vom Hofe verbannt worden ist. Piquet \') weist darauf hin, daß
Gottfried besondere Sorgfalt auf die Schilderung der Gemüts-
verfassung seiner Nebenfiguren verwendet ; z. B. schildert er die
irischen Barone dem prahlerischen Seneschall gegenüber; das
Staunen der Jäger über Tristans Kunstfertigkeit; den lebhaften
Anteil des Hofes in Cornwall bei Ruals Bericht ; den Enthusias-
mus über Tristans Betrug und seine Heilung in England;Gilans,
Angst über Tristan; Brangänes Unruhe in der Baumgartenszene.
„II éprouve le contre-coup des chocs qui les frappent et il
réagit avec eux".

Bisweilen tritt der Dichter auf als Moralist. 11589 und ff.
beteuert Isolde, sie wolle lieber arm sein und glücklich, als
reich und unglücklich. 8397 und ff. mahnt Marke Tristan, er
solle keine Angst vor dem Neid des Hofes haben : „hazzen unde
nïden — daz muoz der biderbe llden". 12187 und ff. verteidigt
Gottfried die höfische Liebe; 13781 und ff., und 18229 und ff.

\') Piquet : l\'Originalité de Gottfried de Strasbourg, quatrième partie III.

2) Piquet : l\'Originalité de Gottfried de Strasbourg, p. 345.

-ocr page 34-

verficht er die Ansicht, daß Zweifel an der Treue der Geliebten
besser sei, als die Gewißheit ihrer Untreue.

Gottfried erweist sich aber nicht nur als Gelehrter und Denker,
sondern auch als Liebender und als Hofmann. Als er das Leßen
in der Minnegrotte beschreibt, fügt er hinzu (16924): „ich treip
ouch eteswenne — alsus getane lebesite: — dö dühte es mich
genuoc dermite". 17104—17142 versichert er, daß er auch
Vögeln und Wild nachgegangen sei „über manege waltriviere",
aber es sei alles umsonst gewesen. Er habe auch die Klinke
gefunden und sei auch manchmal zu dem kristallenen Bette
gegangen und wenn der grüne Marmor sich nicht immer von
selbst erneute, müßte man die Spur seiner Fußtritte noch darauf
finden. Oft habe er an der Wand emporgeblickt, zu dem Schluß-
stein der Tugenden, so daß er sich die Augen fast darüber ver-
dorben. Oft hätten die Fenster ihm ihren Glanz ins Herz geschickt,
ja von Jugend an sei er ein Liebender gewesen: 17140 „ich hän
die fossiure erkant — sIt minen eilif jären ie — und enkam
ze Kurnewäle nie."

Manchmal hat Gottfried seine Quelle geändert, indem er un-
höfische Motive durch höfische ersetzte\'). So fordert Marke
Tristan nicht auf mit ihm aus einer Schüssel zu essen, sondern
sich an seinen Tisch zu setzen. Bei Thomas trinkt Tristan, bei
Gottfried Isolde den Zaubertrank zuerst. Bei Gottfried ist Marke
nicht betrunken in der Brautnacht. Isoldes Aufführung in der
Badestube ist viel züchtiger als bei Thomas. Ein Pfaffe, der
Lehrer der Königin, vermittelt zwischen Tristan und dem Hofe.
Bisweilen sind die höfischen Änderungen angebracht auf Kosten
der Logik. Weil bei Gottfried Tristan zur Heilung seiner Wunde
absichtlich nach Irland fährt, geht das wirksame Motiv, daß
ein böses Schicksal Tristan und Isolde zusammenbringt, ver-
loren. Die Mehlszene, das Gottesurteil und die Verbannung passen
nicht mehr gut zusammen. Obgleich Marke den Geliebten die
Wahl läßt, wohin sie ziehen wollen, darf Husdant nicht bellen.

\') Piquet: l\'Originalité de Gottfried de Strasbourg, quatrième partie II.

-ocr page 35-

Sehr ungeschickt ist die Wendung, daß in dem heiklen Augen-
blick, worin Marke Zeugen für Isoldes Untreue holt, diese
Gelegenheit findet, Tristan den Ring zu überreichen, („das Bett
im Garten".) Eine ganze Reihe UnWahrscheinlichkeiten beruht,
wie Bédier nachweist, darauf, daß der höfische Dichter die
Szene mit dem Scheiterhaufen und mit den Aussätzigen fortläßt,
das elende Leben im Walde zu einem idyllischen Liebesglück
umwandelt und damit auch die Bekehrung durch Ogrin fallen
lassen muß. Folklore-motive sind alle in höfischer Weise um-
gebogen worden. (Im Folklore will der König den Untergang
des Helden, bekommt der Drachentöter die Jungfrau, verrät die
Dienerin ihre Herrin \'). Die einzige Szene, die aus der höfischen
Lebensanschauung herausfällt, ist die Eroberung Isoldes mittels
der Harfe und ihre Rückeroberung mittels der Rotte.

Was nun endlich Gottfrieds Stellung zur Kirche betrifft, so
finden wir durch das ganze Gedicht hindurch unsre Annahme
bestätigt, daß wir mit einem Dichter zu tun haben, der den
Anschauungen der römisch-katholischen Kirche huldigt. Riwalins
Ehe wird kirchlich geschlossen; Tristan wird getauft; Kurvenal
betet, als er auf dem Meere ausgesetzt wird, zu Gott; Rual
und die Seinen gehen, als sie das Unglück erfahren, an den
Strand und beten: „bëas Tristan, cürtois Tristan, — tun cors,
ta vie a dë comant!" (2395—6). Der Sturm, der Tristan aus
den Händen der Seeräuber befreit, wird betrachtet als von
Gott gesendet:

(2404) „dö widerschuof ez allez der,
„der elliu dinc beslihtet,
„beslihtende berihtet,
„dem winde, mer und elliu kraft
„bibende sint dienesthaft."

In der Einsamkeit fleht der ans Land gesetzte Tristan Gott

\') Bédier: Introduction sur Thomas „Le poème de Tristan", chap. V, 4. p. 179.

-ocr page 36-

um Schutz an. Rual findet ihn wieder, als er mit Marke und
dem ganzen Hofhalt aus der Kirche kommt. Marke verabschiedet
sich von Tristan mit den Worten: „der megede sun, der hüete
dîn." (5167).

Tristan findet die Barone, die Morholt den Tribut zahlen
sollen „kniewende unde an ir gebete". (6043). Er überredet
sie einen Kämpen zu stellen, da es wider Gottes Gebot sei, Kinder
als Sklaven hinzugeben und der Besieger des Unrechts „dort
gotes lön, hie ère" (6106) bekommen werde. Man solle beten
„daz ime der heilige geist — gelücke gebe und ëre". (6126—7).
Gott möge man die Entscheidung anheimstellen: „der nie dekeinen
man verlie, — der mit dem rehten umbe gie". (6131—2). Als
Tristan sich zum Kampfe rüstet, mahnt er sie (6174): „si, daz
ez aber ze heile ergë, — daz ist binamen von gotes geböte : —
des endanket nieman niwan gote." Seine Helfer im Kampf
sind Gott und das Recht. Der ganze Hof betet für ihn: (6477 ff.)
„dä rief an der stunde — von herzen und von munde —
manec edeliu zunge hin ze gote, — daz got mit sînem geböte
— bedachte ir laster unde ir leit — und löste sî von schalcheit."
Vor der Abfahrt zum Holmgang betont Tristan es noch einmal,
daß nichts geschehe ohne Gottes Willen: (6764) „wir suln ez
allez gote ergeben"; (6776) „ez ergät doch niuwan alse ez soi";
6785 „got muoz binamen mit mir gesigen — oder mit mir
sigelös beiigen." Im Vertrauen auf sein gutes Recht sagt er
zu Morholt: (7079 ff.) „der rehte und der gewaere got — und
gotes waerlïch gebot — die hänt dîn unreht wol bedäht —
und reht an mir ze rehte bräht". Nach dem Siege loben sie
alle Gott. Morholt bekommt seinen Lohn, denn (7229) „der
„was niwan an sïner kraft — und niht an gote gemuothaft."
Der kranke Tristan verabschiedet sich von seinen Getreuen,
nachdem er in England gelandet, mit den Worten: (7489) „ich
muoz ze disen zïten — der gotes genäden biten." Von Tristans
Harfenspiel heißt es: (7649) „got möhte in gerne hoeren — in
sînen himelkoeren." Tantris dankt der Königin vor seiner
Abreise :

-ocr page 37-

(8168) „frouwe, genâde unde gemach

„und helfe, die ir mir habet getan,
„die läze iu got ze staten gestän
„in dem ewigen riche!"

Als Tantris nach dem Kampf mit dem Drachen gefunden
worden, sagt Brangäne: (10439) „got der hete unser ruoche—
an unserre suoche."

Bei der Abfahrt nach Cornwall beten Tristan und Isolde zu
Gott, er möge Land und Leute beschützen. Brangäne schließt
Ihre Rede an die Schergen mit den Worten:

(12847 ff.) „und got durch sine güete
„der bewar ir unde behüete
„ir ëre, ir lïp unde ir leben!
„und min töt der sï ir vergeben,
„die sële die bevilhe ich gote,
„den lïp hin ziuwerem geböte."

Marke stellt Isolde auf die Probe, indem er eine Wallfahrt
vorschützt. Tristan betet, als er im Baumgarten die Schatten
des Königs und des Zwerges entdeckt: (14657) „jä, hërre got,
erbarme dich — über sî und über mich !" Desgleichen fleht Isolde:
(14710^0.) „beschirme uns, hërre trehtïn! — hilf uns, daz wir
„mit ëren — von hinnen müezen këren; — hërre, bewar in
„unde mich!" Als Marke von der Liebesgrotte wegschleicht
heißt es: (17620) „er bat ir got den guoten pflegen." Tristan
am Grabe seiner Eltern sagt sich: (18670) „die got der
„werlt so haete — gewerdet unde geschoenet, — die sint
„ouch dort gekroenet, — da diu gotes kint gekroenet sint."

Diese religiöse Anschauung ist aber eine anerzogene, die das
Innenleben des Menschen nur oberflächlich berührt. In Be-
drängnis und Gefahr wird Gottes Hilfe angerufen; hat man
gesiegt, ist man gerettet worden, so dankt man Ihm. Aber
eine innige Seelengemeinschaft, eine mystische Vereinigung mit
Gott, wird nicht gesucht und nicht erlebt. Die verweltlichte
Kirche konnte sie ja nicht mehr gewähren. Statt dessen finden

-ocr page 38-

Tristan und Isolde die höchste Erfüllung ihrer Sehnsucht in
der Liebesextase, in einer Liebe, welche die bürgerliche Moral
\'verurteilt und die christliche Lehre verdammt.

Von dem Konflikt dieser höfischen Liebe mit der christlichen
und bürgerlichen Moral handelt Gottfrieds Gedicht und weder
der Dichter noch der Leser weiß ihn zu lösen. „La légende
est fondée tout entière sur la loi sociale, reconnue comme bonne,
nécessaire et juste;.... l\'idée n\'est pas que la loi sociale est
mauvaise, elle est que l\'amour pose en face d\'elle un monde
de droits, non pas supérieurs aux droits sociaux, mais sans
commune mesure avec eux et qu\'il crée entre la loi et la
nature une lutte, où Dieu même est pris pour juge." \')

II. RITTERTUM IM „PARZIVAL".

Daß der Dichter des „Parzival" kein Gelehrter war, dafür
zeugt seine Stellung zur zeitgenössischen Literatur. Zwar ist ihm
die Epik und Lyrik seiner Zeit nicht unbekannt. Er tadelt
Reinmar von Hagenouwe (115®): „sin lop hinket ame spat, —
swer allen frouwen sprichet mat — durch sin eines frouwen."
143^2 redet er Hartman von Ouwe an: „frou Ginover iwer
frouwe — und iwer herre der künc Artüs, — den kumt ein
min gast ze hüs." Sie sollen Parzival gut behandeln: (143^®)
„anders iwer frouwe Enide — unt ir muoter Karsnafide —
werdent durch die mül gezücket — unde ir lop gebrücket."
4015—40122 wird eine Stelle aus dem „Erec" erwähnt, doch ist
der Name des Zwergs anders als bei Hartman. (Erec 1076
Maledicur). Hat Wolfram das Ursprüngliche (Maliclisier =
schlechter Kirchgänger), so wird er die Stelle nicht der Hart-
manschen Dichtung, sondern seiner Quelle entnommen haben\').
Auf Hartmans „Erec\'* und „Iwein" wird 5832^ und ff. ange-
spielt: „Li gweiz prelljüs der furt, — und Erek der Schoydelakurt

\') Sedier: Introduction sur Ttiomas „le poème de Tristan", chap IV. p. 166.
2) Singer: Wolframs Stil und Stoff der Sprache S. 59.

-ocr page 39-

»-— erstreit ab Mabonagrïn, — der newederz gap sö höhen
„pjn, i^ch dö der stolze Iwän — sïnen guz niht wolde
„lan — uf der äventiure stein". 82629 ^eißt es: „hie solte
Ereck nu sprechen"; 253^0 und ff. tadelt der Dichter die Untreue
der Frauen in „Iwein": „ouch was froun Lüneten rät — ninder
aa bï ir gewesen. — diu riet ir frouwen lät genesen — disen
^^^ iweren sluoc: — er mag ergetzen iuch genuoc".
504 und fiF. geht auf Veldekes „Eneide" zurück: „ob ez halt frou
Kamille waere, — diu mit riterllchen (?) maere — vor Laurente
Pns erstreit, — waer si gesunt als si dort reit, — ez wurde iedoch
versuocht an sie, — op si mir striten büte alhie." Auch Cupido
mit dem „stralen", Amor mit dem „gër" und ihre Mutter Venus
r^ioi^i-V^"^^®^^" ^^^ Liebesgötter, stammen aus der „Eneide"
Ï^qLn ^^^ Wundersäule in Klingsors Schloß wird gesagt

(589 ), daß sie so groß war: „froun Camillen sarc — waer
druffe wol gestanden."\') So wie in der „Eneide" Juno den Sturm
erregt, so lobt Feirefiz seine Göttin Juno: (750» und ff ) daz si
daz weter fuogte sö". Veldeke war aber schon tot, als Wolfram
den „Parzival" verfaßte: (40428) „öwë daz sö fruo erstarp —
von Veldeke der wise man! — der kunde se baz gelobet hän."
297 wird Waither von der Vogel weide erwähnt: „des muoz hër
Walther singen — guoten tac, boes unde guot." Eine Anspielung
auf Eilharts Tristan findet sich 573i4 und ff: „sin wanküssen
ungehch — was dem daz Gymële — von Monte Rybële, — diu
süeze und diu wise, — legete Kahenlse, — dar üffe er sinen prls
verslief . 77322 nennt er den Helden des französischen Gedichtes
„Eracles" von Gauthier d\'Arras und fügt dessen Namen aus der
deutschen Bearbeitung von Meister Otte hinzu. 387i und 5838 wird
die Episode von der Schwertbrücke aus dem französischen „Lan-
celot" erwähnt. Sie kommt in Zatzikhovens „Lanzelet" nicht
vor. Auch had Wolfram die französische Namensform des
Helden „Lanzilöt". Wolfram muß diese Episode also entweder
aus dem Crestienschen Roman, oder aus einer verloren ge-

\') Vgl. Veldeke En. 9413—9574.

-ocr page 40-

^angenen deutschen Übersetzung desselben, oder — was uns
am Wahrscheinlichsten vorkommt — aus seiner Quelle haben.
Die Anspielungen auf die deutsche Heldensage (42123-8 und
42022-30) können den Nationalepen nicht entnommen sein, da
diese ihrerseits aus Wolfram entlehnen. Vielleicht liegt hier
mündliche Überlieferung vor. Wir sehen also, daß Wolfram
dieselben Dichter gekannt hat als Gottfried. Wo aber Gottfried
ein
ästhetisches Urteil über die zeitgenössische Literatur aus-
spricht, erwähnt Wolfram nur den Inhalt der ihm bekannten
Gedichte und spricht er darüber nur ein
ethisches Urteil aus.
Gottfried muß die Epik und Lyrik seiner Zeit genau studiert
haben, Wolfram braucht sie nicht einmal gelesen zu haben;
was er weiß, kann ihm auch aus mündlicher Mitteilung
beigeblieben sein.

Gegen den Frauendienst verhält Wolfram sich ablehnend.
Er versichert ausdrücklich, daß er kein Frauendichter ist. (587® i^)
meint er in Bezug auf Gawans Minne zu Orgeluse : „ich möhte nu
wol stille dagen: — ezsolten m//2nûe/-eklagen, —wazdemvonNor-
waege was, — dö er der äventiure genas, — daz in bestuont der
minnen schür — äne helfe gar ze sür." Als Orgeluse Gawan auffor-
dert den Kranz für sie zu brechen, fügt er hinzu : (604^) „ich
-wolt ir minne also niht nemn: ich weiz wol wes mich soi
gezemn." Scharf rügt er die ungetreuen Frauen und vergleicht
sie mit dem „safer ime golde" (S^^). 1148 und ff. zürnt er gegen
die Dame, die er „an wanke sach". 116^ und ff. klagt er darüber,
daß auch die Ungetreuen den Namen „wlp" tragen: „wïpheit,
dîn ordenlicher site, — dem vert und fuor ie triwe mite." Die
Schulgelehrsamkeit verachtet er, ja er hält es für ausgeschlossen,
daß man die Liebe einer Frau anders als durch Tapferkeit
erwerben könnte: (115^®) „vil hohes topels er doch spilt, —
der än ritterschaft nach minnen zilt". \')

Er findet es auch nicht nötig, die Glaubwürdigkeit seiner
Quelle in der Einleitung zu verbürgen, wie es Gottfried tut.

•) Statt „an" ist wohl „an" gemeint, das einen besseren Sinn ergibt.

-ocr page 41-

Erst im achten Buche (416^°) nennt er seinen Gewährsmann
Kyöt und erzählt, daß dieser ein „Provenzäl" gewesen sei, der
»dise äventiur von Parziväl — heidensch geschriben sach".
(453) fügt er hinzu, daß Kyöt, „der meister wol bekant", die
„äventiure" in Toledo gelesen und das Geschlecht der Gralhüter,
die Nachkommen von Mazadan, in lateinischen Büchern ge-
funden habe. Die Quelle wird sonst noch erv.ähnt: lOi^o,
50827, 58930^ 7042, 7341«;^ 7761° lesen wir „ob Kyöt die wärheit
sprach", und 805^0 „op\' der Provenzäl die wärheit las". Am
Schluß des letzten Buches wird ausdrücklich betont, daß nicht
»von Troys meister Cristjän", sondern Kyöt die Wahrheit über
Parzivals Gralsuche berichtet habe.

So wenig Wert Wolfram auf Schulbildung legt, so viel
Interesse hat er für die okkulte Wissenschaft. Toledo
galt im Mittelalter als das Zentrum
der Dämonologie, des
Okkultismus. Die ganze mittelalterliche Kultur beruhte ja
nicht nur auf antiken Quellen, sondern auch auf der
arabischen Philosophie und Naturwissenschaft, welche die
Natur darstellt als einen göttlichen Mechanismus, dem der
Mensch unterworfen ist. An den arabischen Universitäten wer-
den die daraus hervorgehenden Wissenschaften: Heilkunde,
Astrologie, Wahrsagerei, Alchemie und Steinkunde gelehrt.
Christliche Ärzte gab es nicht, da die Kirche die Sektion, über-
haupt das Studium der Natur, verbot. Die Arzneien, welche
Wolfram im IX. Buch aufzählt, gehören dieser wunderbaren
Heilkunde an. Er nennt Schlangengegengifte; das Wasser aus
den vier Flüssen des Paradieses; das Reis, das Aeneas auf
Geheiß der Sibylle mit in die Hölle nahm; das Blut des Peli-
kans; das Herz des Einhorns; den unter dem Horn des Einhorns
wachsenden Karfunkel; die Natterwurz, die aus Drachenblut
Wächst und vor der Wiederkehr des Sternbildes „Drachen"
auf die Wunde gelegt werden soll. Der Gral ist ein Stein und
hat wunderbare Kräfte: er speist, verleiht ein jugendliches
Aussehen, erhält am Leben; der Phönix verbrennt durch ihn;,
er ist so schwer, daß ihn „diu fälschlich menscheit — nim-

-ocr page 42-

mer von der stat getreit" (47717-8) und wird dennoch von einer
Jungfrau getragen; Ungetaufte erblicken ihn nicht. Kundrie hat
nicht nur alle Sprachen studiert, sondern auch Dialektik
Geometrie und Astronomie. Flegetanis hat den Namen des
Grals in den Sternen gelesen und versteht sich auf die schwarze
Kunst. Amfortas\' Wunde schmerzt am meisten bei einer bestimm-
ten Planeten-konstellation (789^ u.
ff.). Feirefiz ruft aus: (74823)

„geert sï des planeten schïn, — dar inne diu reise min_nach

äventiure wart getan". Am ausführlichsten wird die Macht der
Planeten über das Schicksal der Menschen in Kundries Rede
im XV. Buche beschrieben:

(782^3 ff) ensprichez niht üz eime troum:
„die sint des ürmamentes zoum,
„die enthalden sine snelheit:
„ir kriec gein sïme loufte ie streit,
„sorge ist dinhalp nu weise.
„swaz der planeten reise
umblouft, ir schtn bedecket,
des sint dir zil gestecket
ze reichen und zerwerben.
din riwe muoz verderben.

Daß der Verfasser des „Parzival" ein Ritter war, dafür
zeugt die Vorliebe, womit er die Rittertugenden seiner Helden
hervorhebt. Gahmuret bekommt reiche Geschenke von seinen
Verwandten, damit er die „mildekeit" üben könne. Er ist
maQvoll in seinem Betragen: (133) „Gahmuret der site phlac,—
den rehtiu mäze widerwac";
bescheiden: (138) „sin rüemen
daz was kleine";
aufrichtig: (138) „der löse wille in gar
vermeit";
stolz: (13® ff.) „doch wände der gefüege, — daz niemen
kröne trüege, — künec, keiser, keiserln, — des messenïe er
Wolde sin, — wan eines der die hoesten hant — trüege üf
erde übr elliu lant". Er erwirbt den Ruf, daß keiner mit
ihm zu kämpfen wagt (1522-4). von Isenhart rühmt Belakane
(26"), daß er kühn, weise, treu, züchtig, mutig, freigebig und

-ocr page 43-

»gein valscher fuore ein tör" war. Ginover klagt über Ithers
Tod: (160^8 u. ff.) „nu muoz ich alze fruo begrabn — ein slöz
ob dem prIse. — sin herze an zühten wise, — obem slöze ein
hantveste, — riet im benamn daz beste, —
swä man nach
wibes minne — mit ellenthaftem sinne — solt erzeigen mannes
triuwe". Nach der Befreiung von Pelrapeire wird Parzivals
Freigebigkeit gelobt. Orgeluse nennt den erschlagenen Cidegast
(6139) „ein quecprunne der tugent", (613^2) „der triuwe ein
monizirus".

Der Ritter Wolfram liebt die prunkhaften Beschreibungen
von Kleidern, Pferden, Zelten und die ausführliche Schilderung
des ritterlichen Kampfes. Wir erinnern an den pomphaften
Einzug Gahmurets in Zazamanc und Kanvoleis; die Beschrei-
bung des Kampfrosses und der Rüstung (36^^—37\'^); Gahmurets
tjoste mit Hiuteger und Gaschier; die Turniere um die Hand
der Herzeloyde. Oft ist die Schilderung
sehr anschaulich und
werden Einzelheiten erwähnt, die der
Dichter aus eigner Erfah-
rung wissen musz, z. B. die Art, wie Gahmuret dem abend-
lichen Vorspiel des Turniers zuschaut: (69^0) „sInen tepich leit
man üf den plan, — dä sich die pönder wurren — unt diu
ors von Stichen kurren. — von knappen was umb in ein rinc,
— dä bi von swerten klingä klinc." Gahmurets Waffenrock
ist so lang:(7pO) „des lenge den teppech ruorte.-" Kleine Kunst-
griffe und besondre Bräuche werden nicht vergessen: (73^®)
„Mörholt in einen riter stal, — üzem satel er in für sich
huop — (daz was ein ungefüeger uop)"; (732«) „dö luste disen
starken man — daz er in twunge sunder swert." Der umge-
wandte Schild gilt als Zeichen der Trauer; das Reiten durch
die Zeltschnüre als ein Verstoß gegen die guten Sitten. Kaylet
hebt als naher Verwandter Herzeloyde „sunder schamel üf
ir pfert." (893-4). Als Gahmuret gestorben, wird sein Helm, mit
einem Epitaph versehen, an das Kreuz seines Grabes befestigt
und versiegelt. Ausführlich schildert der Dichter das kostbare
Zelt der Jeschute. Gahmurets Unterrichtung Parzivals (17320—
I750) verrät genaue Kenntnis der Reiter- und Kampfes-sitten.

-ocr page 44-

Lebhaft wird der Streit zwischen Parzival und Kingrun be-
schrieben :

(197®) „daz von sïner tjoste hurt
„bëden orsen wart enkurt.
„darmgürtel brästen umbe daz:
„ietweder ors üf hähsen saz."

Die Belagerungswerkzeuge vor Pelrapeire werden aufgezählt.
Parzival bestraft die Bürger, weil sie die Feinde „zen slitzen
In" stechen. Als Parzival Clamide besiegt hat, springt er „äne
Stegreif" auf sein Roß, „daz alumbe begunden

zirben — sin verhouwene schildes schirben." Orilus und
Parzival rennen so auf einander ein, (263^8) „daz die ringe
von den knien zestuben." Später drückt Parzival ihn an sich
(265^®) „daz bluotes regen — spranc durch die barbiere." Se-
gramors hat eine solche Kampfbegierde, (285^) „swä der vehten
wände vinden, — da muose man in binden." Kingrimursel reitet
als Kläger in den Ring mit aufgebundenem Helme und
(320^2) ,,dez swert in sïner hende, — bedecket mit der schei-
den." Einige Ritter machen sich den Kampf absichtlich schwer.
Der „turkoyte" (596^^) kämpft mit dem Speer, doch ohne
Schwert. Gramoflanz (604^^) kämpft bloß gegen zwei oder mehr
Gegner. Jungfrauen dienen den Helden: Artus\' Boten finden
Gramoflanz auf einer seidenen Matratze liegen, während (683^®)
„juncfrouwen clär und gemeit — schuohten ïsrïn kolzen —
an den künec stolzen"; zwölf Jungfrauen tragen nachher den
Thronhimmel über seinem Haupte; zwei andre stützen ihn
unter den Armen. Feirefiz tritt in glänzender Rüstung auf.
Sein Waffenrock ist mit kostbaren Steinen besetzt, desgleichen
der Rand seines Schildes. Auf dem Helm trägt er einen „eci-
demön". Sein Roß ist mit einer wundervollen Seidendecke
bekleidet. Sein Schild ist aus „holz hiez aspindë", das nicht
fault und nicht verbrennt ; in der Mitte leuchtet ein Karfunkel.
Feirefiz brüstet sich mit seiner Turnierkunst :

-ocr page 45-

(8120-10) „fünf Stiche mac turnieren hän:
„die sint mit mïner hant getan,
„einer ist zem puneiz:
„ze triviers ich den andern weiz:
„der dritte ist zentmuoten:
„ze rehter tjost den guoten
„hurtecllch ich hän geriten,
„und den zer volge ouch niht vermiten."

Wie steht es um Wolframs religiöse Anschauungen im
„Parzival"? Da wir Wolframs Quelle nicht kennen, läßt es
sich nicht entscheiden, welche Stellung der Dichter selbst der
Kirche gegenüber einnahm und in wie weit wir ihn für die
mehr oder weniger ketzerisch gefärbten Motive und Ausdrücke
in seiner Dichtung verantwortlich machen dürfen. Die Kirche
spielt im „Parzival", — besonders in den Gawanepisoden —
eine ähnliche Rolle wie im „Tristan". Gahmuret hat
auf seinen
Fahrten einen Kaplan mit, der ihm morgens die Messe singt (36®~
Das Singen der Messe wird
außerdem erwähnt: in Zazamanc
vor Gahmurets Ankunft; bei Parzivals Rückkehr zur Tafel-
runde (30713); bei der Belagerung von Bearosche; nach dem
Kampf in Antikonies Turm; vor dem Zweikampf zwischen
Gawan und Gramoflanz. Als der Bote zu der Königin Ginever

kommt, liest sie eben den Psalter. Gahmuret beichtet vor seinem

Tode einem Kaplan seine Sünden. Auf seinem Grabe (107 )
„ein kriuze nach der marter site, — als uns Kristes töt loste —
liez man stözen im ze tröste, — ze scherm der sële, überz grap.
Iwanet streut Blumen über Ithers Leichnam und (159^®) „stiez
den gabylötes stil ~ zuo zim nach der marter zil". Parzival
schwört auf der „kefsen" vor Trevrizents Klause bei seiner
Ritterschaft und bei seinem Seelenheil im Diesseits und im
Jenseits. Als Gawan erfährt, daß unter seinen Gegnern auch
der rote Ritter gewesen: „sin nîgen er gein ^imel gap, — da^
got ir strïtes gegenniet - des tages von ein ander
schiet {dy^ -
3932). Der alte Ritter im Baumgarten sagt zu Gawan : (514 ) „aes
hant dez mer gesalzen hät, - der geb iu für kumber rat.

-ocr page 46-

Gawan betet in dem „lit marveil"; der Lärm des Bettes wird
mit den Posaunen des
jüngsten Gerichtes verglichen. Arnive
nimmt Abschied von Gawan mit den Worten: (659^0) „der die
Sterne hat gezalt, — der müeze iuch helfe leren — und uns
gein freuden keren."

Wie im „Tristan", handelt es sich aber auch hier nur um
eine äußerliche Befolgung der kirchlichen Vorschriften und um
eine Religion, die das Innenleben kaum berührt. Dagegen trägt
die Gralgemeinde die Züge des Templerordens, der im Rufe der
Ketzerei stand und der Gralsucher findet den Weg zur höchsten
Seligkeit ohne den Beistand der Kirche. Später kommen wir
noch ausführlicher darauf zurück.

III. PROGRAMM DER DICHTUNG UND PUBLIKUM.

Gottfried und Wolfram haben beide zu ihrem Gedichte eine
Einleitung geschrieben, in der sie ihr Programm und ihre
Stellung zum Publikum mitteilen.

Gottfrieds Gedicht fängt an mit den Worten: „ich hän mir
eine unmüezekeit — der werlt ze liebe vür geleit — und
edelen herzen zeiner hage." Der Ausdruck „edele herzen" findet
sich in dieser Bedeutung zuerst bei Gottfried \'). Das Wort „edel",
das sonst im Mittelalter die Bedeutung hat: „von adliger Ge-
burt", wird hier auf das Geistige übertragen und zwar ohne
daß die edle Gesinnung als Ausfluß des Geburtsadels betrachtet
wird. Das geht schon daraus hervor, daß Gottfried, der bürger-
liche Dichter, sichselbst zu jener Gemeinde der „edelen herzen"
rechnet; („den herzen den ich herze trage, — der werlde in
die min herze siht.") und daß er andrerseits einen Teil der
Hofgesellschaft, für die er dichtet, davon ausschließt („ine meine
ir aller werlde niht"). Eine solche Auffassung konnte nur in
jenen Kreisen hochkommen, wo die „cortezia" entschied über

1) Vgl. Friedrich Vogt: Rektoratsrede. Marburg. 1908.

-ocr page 47-

den Wert des Menschen, wo „cortois" identisch geworden war
mit „gebildet" und „vilain" mit „ungebildet", wo auch der
Bürger, der Arme, persönliche Anerkennung erwerben konnte,
was bis dahin nur dem Geburtsadel vorbehalten blieb. In einer
Streitfrage zwischen dem Delphin von Auvergne und Perdigos
heißt es:

\') „Perdigos, ses vassallage
„sai cavalhiers e baros,
„laiz e malvaz e feilos;
„e sai de villan linhage
„omes cortes e chauzitz,
„larcs e liais e arditz.
„e digatz m\'al vostre semblan
„qal d\'aquels deu amar enan
„domna, pos la destreinh amors?"

Der Delphin vertritt dabei die Sache des „villan cortes". So
sagt der Kaplan Andreas in seinem Traktat „de amore":
„non forma, non corporis cultu, non etiam opulentia rerum,
sed sola fuit morum probitas, quae primitus nobilitate distinxit
homines ac generis induxit difîerentiam". Und Dante entscheidet:

„è gentilezza dovunque è virtute,
„ma non
virtute, ov\'ella:
„siccome è cielo dovunque è la Stella,
„ma ciö non e converso."

Der Begriff „edel" hat aber bei Gottfried keine „moralische"
Bedeutung. Vielmehr wird damit ausgedrückt ein verfeinertes
Empfinden, eine Vertiefung des Gefühlslebens. Der „edele"
Mensch begnügt sich nicht mit oberflächlichen Genüssen, sondern
er will auch das Leid, namentlich den Liebeskummer, in seiner
ganzen Bitterkeit erschöpfen und auskosten. Nur die Verbindung
von Freude und Schmerz macht den Liebenden glücklich.
Denselben Gedanken spricht Goethe aus in „Clärchens Lied":

\') Appel: Chrestomathie de l\'ancien français. 133.

2) Dante: II convivio IV. 101 und S.

-ocr page 48-

„Freudvoll und leidvoll"; „himmelhoch jauchzend, zum Tode
betrübt"; das ist für ihn das Wesen der Liebe. — Darum
wendet der Tristandichter sich ab von jener großen Menge der
Alltagsmenschen, die „keine swaere" ertragen können, die
„niwan in fröuden" leben wollen; und richtet sich an jene
Gemeinde von Auserwählten, die „sament in eime herzen
treit — ir süeze sûr, ir liebez leit". Vogt weist darauf hin, daß
der Ursprung dieses gesteigerten Empflndungslebens in der
religiösen Mystik zu suchen sei. „So verschieden nun auch die
„Ziele der Mystiker und die des Weltkindes Gottfried von
"straßburg sind, die innere Verwandtschaft ihrer Vorstellungen
\',|vom Seelenadel ist nicht zu verkennen. Beiderseits ist der
".Maßstab nicht sowohl das Handeln, als das Empfinden, hier
„die ganz in die kontemplative Gottesminne versunkene „edele
„sele", dort das liebes- und wehmutsselige „edele herze", das
sich gern „in inneclïche gedanc" versenkt und das sich auch
auf Gottes Huld verlassen kann, der „edeler herzen nie vergaz".
Gottfried rechnet sich zu dieser Gemeinde, er redet ja aus eigner
Erfahrung (17104
ff.) und hat von Jugend an in einem solchen

Kreise gelebt. (68—70).

Der Zweck seiner Dichtung ist den Liebenden eine Beschäf-
tigung zu geben, die „ir nähe gënde swaere — ze halber senfte
bringe". Untätigkeit erschwert den Liebeskummer. Eindringlich
warnt der Dichter aber, daß man sich nicht zerstreuen soll in
einer Weise, welche der Liebe unwürdig wäre. Er denkt dabei
zweifellos an die Schundliteratur, an derbe Schwänke und
obscöne Lieder. Nur wenn die Dichtung ein reines Spiegelbild
der Liebe ist, welche ein edeles Herz empfindet, kann sie
Dichter und Zuhörer nützen. Man befürchte nur nicht, daß die
Beschäftigung mit der Liebe den Liebeskummer unerträglich
machen könnte: „diz leit ist liebes alse vol, — daz übel daz
tuot s5 herzewol, — daz es kein edel herze enbirt, — sît es hie
von geherzet wirt". Darum zweifelt der Dichter auch nicht
daran, daß „edelen" Liebenden eine Liebesgeschichte nicht ge-
fallen sollte. Er nun will erzählen von der reinen Liebe „edeler-

-ocr page 49-

senedaere" : von Tristan und Isolde. Seine Erzählung kann den
edeln Herzen, die sie hören, zu großem Nutzen gereichen, denn
„ez liebet Iftie und edelet muot, — ez staetet triuvi^e und tugen-
„det leben, — ez kan wol lebene tugende geben : — wan swä
„man hoeret oder list, — daz von so reinen triuwen ist, —
„dä liebent dem getriuwen man — triuwe und ander tugende
„van". Hier finden wir einen neuen Gedanken: die Beschäfti-
gung mit echter Liebespoesie veredelt das Herz, bestärkt die
Treue und andre menschliche Tugenden. Das durch die Lek-
türe gesteigerte Empfinden stößt alles Unschöne ab — dichte-
risch unschön ist aber alles, was nicht zur „cortezia" gehört.
Dies führt zu einer immer größern Verfeinerung des Schön-
heitsgefühls. Warum ist es aber gerade das
Liebesgedicht, das
diese Wirkung auf Zuhörer und Leser ausübt? Der Dichter
antwortet: „liebe ist ein alsö saelic dinc — ein also saeliclîch
gerinc, — daz nieman äne ir lere — noch tugende hät noch
ëre". Die Liebe ist mithin der Urquell aller Tugenden. Crestien
de Troyes sagt : \')

(17, 18) „nuls, s\'il n\'est cortois et sages

„ne puet rien d\'amors aprendre....

(25, 26) „fols cuers, legiers ne volages

„ne puet rien d\'amors aprendre".

Wenn aber nur der „Edle" wahrhaft lieben kann, so kann
auch mit gleichem Rechte behauptet werden, daß nur der
Liebende „edel" ist. Minne und Tugend stehen also in ursäch-
lichem Zusammenhang zu einander. Guido Guinizelli drückt
es also aus:

„AI cor gentil ripara sempre amore
„com\'a la selva augello in la verdura:
„nè fe\' amore avanti gentil core,
„ne gentil core avanti amor Natura."

\') Amors tançon.

Guido Guinizelli: Canzone 15.

-ocr page 50-

Und Dante sagt: „Amore e\'l cor gentil sono una cosa".\')
Die geschlechtliche Liebe ist folglich bei Gottfried etwas ganz
Andres als roher Naturtrieb und Sinnengenuß. Piquet sagt
darüber:^) „l\'Affection sexuelle est à ses yeux un sentiment
„d\'essence mystérieuse, né d\'un secret accord des âmes." Wenn
auch das religiöse Moment bei Gottfried fehlt, so steht er
doch jener Liebesauffassung sehr nahe, welche in der geschlecht-
lichen Liebe die Vorstufe zu der Vereinigung mit der Gottheit
erblickt. Von ihm bis zu Dante und den Romantikern des
igten Jahrhunderts bedarf es im Grunde nur eines Schrittes.
Man vergleiche Novalis\' Abendmahlshymne:

„Aber wer jemals von heißen geliebten Lippen
„Atem des Lebens sog,

„Wem heilige Glut in zitternde Wellen das Herz schmolz,

„Wem das Auge aufging, daß er des Himmels

„unergründliche Tiefe maß —

„wird essen von seinem Leibe

„und trinken von seinem Blute

„ewiglich." —

Man hat Gottfried bittres Unrecht angetan, als man ihn frivol
und unsittlich schalt^). Das Ideal, das er im Liebesbunde von
Tristan und Isolde darzustellen sucht, ist sehr hoch gesteckt,
der Weg dorthin ist schwer und mühsam, denn er führt durch
großes Leid hindurch und der Dichter klagt selbst darüber,
daß nur so wenige ihn zu gehen wagen. (193 ff.). Freilich
verträgt dieses Ideal — wir sagten es schon — sich weder mit
der Kirchenlehre, noch mit der bürgerlichen Moral seinerzeit.
Auch zu seinen Lebzeiten hat die Kritik ihn nicht geschont.
Wie seine Helden an der Klippe der öffentlichen Meinung
scheitern, so hat auch der Dichter sich manchen Tadel zuge-
zogen. Davon zeugen die mit dem Akrostichon versehenen

\') Vita nuova 20.

2) Piquet: „l\'originalité de Gottfried de Strasbourg. Pag. 323.

3) Vgl. Lachmann „Kleinere Schriften" I. Seite 159,

-ocr page 51-

Anfangsstrophen seines Gedichtes. Gottfried wehrt sich darin
gegen die Nörgler, die an allem etwas auszusetzen haben, die
„daz guote ze übele wegent", die der Kunst entgegenarbeiten,
statt sie zu fördern. Er betont ausdrücklich, daß er sein Gedicht
geschrieben habe, „niwan der werlt ze guote" und macht
Anspruch auf eine gerechte Beurteilung. Lob und Ehrenbezei-
gung ist der Kunst unentbehrlich, ja, die Kunst ist recht
eigentlich zum Lobe geschaffen. Auch das erinnert an die
Stellung des Dichters an den französischen „cours d\'amour".
Indem die Fürstin ihn lobte bekam er, der Bürger, das Recht,
in die Hofgesellschaft aufgenommen zu werden. Den fehlenden
Geburtsadel mußte die „cortezia" ersetzen und daß er diese
besaß, sollte eben seine Dichtung bezeugen. Wenn sein Werk
also nicht verstanden virurde, ja seine guten Absichten sogar
verkannt wurden, mußte er der Anerkennung entbehren, die
für ihn eben das höchste Ziel seines Strebens war und konnte
er mit Recht klagen: „sone vare ich in der werlt sus hin —
niht s5 gewerldet alse ich bin." —

Betrachten wir jetzt die|\'Einleitung des „Parzival". Der
Dichter unterscheidet zweierlei Menschen: „staete" und
„unstaete". Ehrismann \') führt eine große Anzahl Beispiele aus
der mittelalterlichen Moralphilosophie an, um zu beweisen, daß
diese Begriffe damals allgemein bekannt waren. Die „staete",
d.h. „die Charakterfestigkeit", ist eine natürliche Anlage, eine
persönliche Verfassung, die bestimmend ist für das ganze
Leben des Menschen. Sie bezeichnet das starke, feste Gemüt,
das sein Lebensziel unverrückt im Auge behält, das sich durch
nichts von dem Wege ablenken läßt, auf dem eine höhere
Intuition es vorwärtstreibt. Die „unstaete", d.h. die Haltlosigkeit,
ist dagegen die schlimmste aller Sünden. Sie bezeichnet die
Flatterhaftigkeit, das „In den Tag hineinleben", den Mangel
an Ernst. Der „unstaete" weiß nicht was er will und nicht

\') Ehrismann „Über Wolframs Ethik".

-ocr page 52-

was er soll; er hängt den Mantel nach dem Winde; er spielt
mit den Menschen, mit den heiligsten Gefühlen, mit sichselbst.
Darum geht der „unstaete" verloren und wird der „staete"
gerettet. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, daß auch der staete
vorübergehend seinen Glauben, sein festes Vertrauen zu ver-
lieren droht. Himmel und Hölle kämpfen ja um den Besitz
der menschlichen Seele. In Goethes „Faust" steht neben dem
Worte: „Wer immer strebend sich bemüht — den können wir
erlösen", jenes andre Wort: „es irrt der Mensch so lang er
strebt". So kann „unverzaget mannes muot", die tapfre Be-
ständigkeit, die vor keinem Kampfe zurückscheut und alle
Hindernisse überwindet, verbunden sein mit „zwivel", mit
Mangel an Zuversicht, mit Unsicherheit. Wenn das bei einem
Menschen der Fall ist, so ist er zugleich „gesmaehet" und
„gezieret"; zweifarbig ist er wie die Elster, aber verloren ist
er deshalb noch nicht, denn „an im sint beidiu teil — des
himels und der helle". —

Wolfram wendet sich nun an seine Zuhörer; auch diese
zerfallen in zwei Gruppen: die „tumben" und „ungetriuwen",
und die „wisen". „Tumbe" sind solche, die nicht bei der Sache
bleiben können, die den Schein für das Wesen halten und
daher den tiefern Sinn seiner Worte nicht verstehen. — „Un-
getriuwe" aber sind solche, die den bösen Willen haben,
Dichtung und Dichter zu verspotten. Ehrismann glaubt, daß
mit den „ungetriuwen" besonders die Kollegen in der Dicht-
kunst gemeint seien. „Valsch geselleclicher muot" erklärt er als:
„geheuchelte Freundschaft des Gesellen d.h. des Standesgenossen".
„Wise" endlich sind solche, die aus der Erzählung Nutzen
und gute Lehre ziehen. Freilich macht der Dichter es ihnen
nicht leicht. Seine Sprüche „vliehent" und „jagent", weichen
und wenden, tadeln und loben — und nur wer sich auf all
diese Wechselfälle versteht, zu folgen weiß und einen guten
Verstand hat, kann sich die Erzählung zu nutze machen. Aus
diesen Forderungen spricht das Selbstbewußtsein des ritter-
lichen Dichters, der es den Zuhörern durch seinen „dunkeln"

-ocr page 53-

Stil absichtlich erschwert, seine Dichtung zu verstehen. Wir
kommen im dritten Kapitel darauf zurück, wenn wir Wolframs
Stil näher betrachten.

„Staete" und „unstaete", „triuwe" und „untriuwe" sind für
unsern Dichter allgemeine moralische Begriffe. Sie haben auch
ihre Gültigkeit für die Frau und
für ihr Verhältnis zum Manne.

Die Frau soll wohl zusehen „war si këre — ir prïs und ir
ëre", wem sie schenkt „minne und ir werdekeit"; sonst bereut
sie vielleicht später, daß sie ihre Treue an einen Unwürdigen
verschwendet hat. Andrerseits soll sie selbst auch treu sein

und nicht wie „dünnez ïs, — daz ougestheize sunnen hät." Viele
loben die Schönheit einer Frau, obgleich ihr Herz falsch ist.
Wir denken an Eleonore von Poitou, die Gemahlin Heinrichs
II. von England, von der auch ein deutscher Spielmann sang:

\') „Waere diu weit alliu min

„von dem mere unz an den RIn,
„des wolt ich mich darben,
„daz diu künegin von Engellant
„laege an minen armen".

Ihre Schönheit, aber auch ihr Leichtsinn, war allgemein be-
kannt und Treulosigkeit war der Grund, warum ihre erste Ehe
mit Ludwig VII. von Frankreich geschieden wurde. Wolfram
vergleicht eine solche Frau mit einer in Gold gefaßten Glas-
perle, während „rehten wïbes muot" einem in wertlosen Messing
gefaßten kostbaren Rubine gleicht. Nicht die glänzenden Ge-
wänder, die das Herz bedecken, sondern die Treue, die im Herzen
wohnt, ist für Wolfram maßgebend. Seine Erzählung wird von
Liebe und Leid, von Freude und Kummer handeln und fügt er
selbstbewußt hinzu, drei Dichter könnten zusammen nicht leicht
so viel mitteilen, als er alleine erzählen will.

\') „Des Minnesangs Frühling" neu bearbeiteit von Fr. Vogt. S. 3. (M. 108a)-

-ocr page 54-

ZUSAMMENFASSUNG.

Bevor wir die Geschichte von „Tristan und Isolde" und die
von Parzivals Gralsuche einer näheren Betrachtung unterziehen,
wollen wir die charakteristischen Züge, die wir bis jetzt bei
beiden Dichtern gefunden haben, mit einander vergleichen. Wir
kommen alsdann zu dem folgenden Ergebnis:

1) Gottfried spricht über die zeitgenössische Literatur ein ästhe-

tisches,

Wolfram ein ethisches Urteil aus.

2) Gottfried spielt gern an auf die klassische Mythologie und

Lil/eratur;

Wolfram verachtet die Schulgelehrsamkeit, aber er fühlt
sich als phantasievoller Mensch zu der okkulten
Wissenschaft angezogen.

3) Gottfried verschmäht prunkhafte Beschreibungen;
Wolfram hat eine große Vorliebe für prunkhafte Beschrei-
bungen.

4) Gottfried hat viel psychologische Schilderungen und eine

große Anzahl höfische Motive; Ritterbräuche und
Kampfes-Kunstgriffe fehlen bei ihm;
Wolfram erwähnt gerade sehr viele Einzelheiten aus dem
ritterlichen Kampfe und Abenteuerleben.

5) Gottfried unterscheidet bei den Zuhörern solche, die nur

dem oberflächlichen Genuß leben und „edele herzen",
die das tiefste Geheimnis der Liebe verstehen und
erleben;

Wolfram teilt die Menschen ein in „staete", die unverrückt
ihr Lebensziel im Auge behalten und deshalb geret-
tet werden und „unstaete", die durch die Schwäche
ihrer Natur verloren gehen.

Seine Zuhörer teilt er ein in Laien, Neider, Kenner.

6) Bei Gottfried handelt es sich in erster Linie um eine Ver-

feinerung des ästhetischen Empfindens;
Bei
Wolfram um ein religiös-ethisches Verhalten.

-ocr page 55-

7) Gottfried schildert die „Minne" im Kampfe mit der christ-

lichen und bürgerlichen Moral;
Wolfram: die „staete" im Kampfe mit dem „zwivel".

8) Bei Gottfried spielt die Religion eine untergeordnete Rolle;
Wolfram stellt das Religiöse in den Vordergrund und zwar

den Dualismus von Himmel und Hölle.

9) Gottfried wirbt um Lob und Anerkennung; er steht im

Frauendienst;
Wolfram verwirft den Frauendienst.

10) Gottfried erwähnt das Studium der Klassiker; er verbürgt

gleich in der Einleitung die Zuverlässigkeit seiner
Quelle.

Wolfram redet von keinen Büchern; er nennt seine Quelle
erst im achten Buche seines Gedichtes; er brüstet
sich aber damit, daß er interessanter erzählen
könne, als drei andre Dichter zusammen.

Dieser Vergleich bestätigt unsre Voraussetzung, daß Gottfried
ein gelehrter Kleriker war, der jenen Hofkreisen angehörte, wo
die „cortezia", vor allem die „höfische Minne", als das höchste
Ideal verherrlicht wurde und bereits anfing sich zu einem myst-
ischen Frauenkult zu entwickeln, wo die günstige Aufnahme
seines Gedichtes hauptsächlich abhing, von dem größeren oder
geringem ästhetischen Empfinden seiner Zuhörer; wo aber das
religiöse Gefühl, seit dem man sich mehr oder weniger von der
Kirche und dem traditionellen Glauben entfremdet hatte, neben-
sächlich geworden oder verkümmert war.

Wolfram dagegen zeigt sich als der ungeschulte, selbstbe-
wußte Ritter, der von Büchergelehrsamkeit nichts wissen will,
dessen Phantasie sich aber gern mit der okkulten Wissenschaft
beschäftigt, der das Ritterleben in glänzenden Farben zu schil-
dern weiß und der ein religiös-ethisches Ideal vor Augen hat
das dem höfischen Frauendienst fremd war.

-ocr page 56-

ZWEITES KAPITEL: TRISTAN UND PARZIVAL.

I. JUGEND.

1. Tristan.

Der Dichter fängt seine Erzählung mit einer Vorgeschichte
an, die nicht nur dazu dient, uns die Umstände zu schildern
unter denen der Held auftritt, sondern auch um uns seine wich-
tigsten Charaktereigenschaften als Erbgut von den Eltern darzu-
stellen. Tristans Vater, Riwalin, ist ein Muster höfischer Tugend:
(249 u. ff.)

„des lîbes schoene und wunnecllch,
„getriuwe, küene, milte, rïch;
„und den er fröude solte tragen,
„den was der hërre in sïnen tagen
„ein fröude berndiu sunne.
er was der werlde ein Wunne,
der ritterschefte ein lere,
„sïner mäge ein ëre,
„sïnes landes ein zuoversiht".

Schon glauben wir den jungen Tristan vor uns zu sehen, über
dessen Schönheit die Pilger staunen ; der als treuer und kühner
Vasall für seinen König den gefährlichsten Feind des Landes
besiegt; der durch sein Saitenspiel die Höflinge entzückt; auf
den das ganze Volk sich verläßt, so daß Isolde von ihm sagen
darf: „äne in sö kumet dä nieman zuo, — durch den man läze
oder tuo". (14115 — 6). Riwalin war übermütig; auch Tristans
Mut grenzt an Tollkühnheit: man denke an seinen Aufenthalt
am irischen Hofe und an den Kampf mit dem Drachen. Hat er
die höfischen Tugenden: Treue, Tapferkeit, Freigebigkeit, edlea
Anstand und Frohsinn vom Vater, so hat er von der Mutter,

-ocr page 57-

die sich dem todkranken Geliebten hingab, die Liebesleiden-
schaft ererbt, die für sein ganzes Leben bestimmend wird..
Blanscheflur stirbt gleich nach der Geburt ihres Sohnes und
Rual sprengt das Gerücht aus : „ir frouwe haete ein kint getra-
gen, — das waere in ir und mit ir tôt". (1826—7). Denn er
befürchtet mit Recht, daß Herzog Morgan, der das Land erobert
hat, „ob er daz kint dä wiste, — daz er ez sö mit liste — s5 mit
gewalt verdarbte, — daz lant an ime entarbte" (2031—4). Er über-
redet seine Frau zur Scheinschwangerschaft und Tristan gilt
nunmehr als Ruals Sohn. So wird er denn durch eine List am
Leben erhalten und die List spielt auch weiter in seinem Leben
eine große Rolle.

Die Mutter liebt den Knaben, „ob sï in selbe ie haete — under
ir brüsten getragen" und: „daz selbe süeze kint truoc ir — als.
süezliche kindes gir, — als ein kint sïner muoter soi". (1935—7).
Fast noch zärtlicher gestaltet sich das Verhältnis zwischen
Vater und Sohn: (1950—2) „wie väterliche swaere — und wie
vil manege arbeit — der getriuwe marschalc durch in leit."

Nachdem Tristan von den Kaufleuten entführt worden, sucht
Rual ihn mehr als vier Jahre lang, ohne sich um Weib und
Kinder zu kümmern. Habe und Pferde hat er verkauft, „ergie
betelen umbe bröt" (3780) und sieht zuletzt wie ein „ribalt"
aus. Endlich findet er seinen Sohn an Markes Hof und dieser
schämt sich seiner nicht, obgleich er ohne Mantel und barfuß
geht, sondern begrüßt ihn aufs herzlichste und führt ihn zum
König. Auch jetzt wo der Knabe zum Jüngling herangewachsen,,
bleibt Rual sein väterlicher Freund und Berater; zwischen Vater
und Sohn ist das ideale Verhältnis von Jugend und Alter:

(4527) „Rüal, der tugende erkande,
„der geloubete Tristande
„und sach die jugende an im an;
„sö entweich aber Tristan
„den tugenden an Rüäle....

(4535) „alsus so wärens under in zwein

-ocr page 58-

„mit willen und mit muote al ein.
„hie von wart alter unde jugent,
„gehellesam an einer tugent;
„alhie viel höher muot in sin,
„hie mite behieltens under in
„Tristan sin reht an muote,
„Rüal die mäze an guote,
„daz ir ietwederre an der stete
„niht wider sinem rehte tete."

Tristan bekommt eine sorgfältige Erziehung. Mit 7 Jahren
übergibt Rual ihn „einem wisen man" und schickt ihn zur
Erlernung der Fremdsprachen ins Ausland. Der Dichter bedauert
diesen Lernzwang, der dem jungen Kinde schon die Freiheit
nimmt und ihn den Ernst des Lebens spüren läßt: „der buoche
lere und ir getwanc — was siner sorgen anevanc". (2083-4).
Tristan ist ein fleißiger Schüler und eignet sich in wenigen
Jahren mehr an, als andre Kinder. Bald setzt er die Erwachsenen
durch seine Kenntnisse und Fertigkeiten in Erstaunen. Mit den
nordischen Kaufleuten unterhält der vierzehnjährige Knabe sich
in ihrer eignen Sprache „die lützel ieman künde dä.\'") Sobald
er weiß, was für Landsleute die Pilger sind, kann er sich mit
ihnen verständigen. An Markes Hof singt er „britünsche, gäloise,
latinsche und franzoise schanzüne\'.\' und zeigt, daß er diese
Sprachen beherrscht. Von den sonstigen Fremdsprachen sind
Nordisch, Irisch, Deutsch, Schottisch und Dänisch ihm geläufig.
Ja, er kennt sogar die Schach- und Jagdausdrücke (die „zabel-
wortelin"). Mit der wissenschaftlichen Ausbildung geht die künst-
lerische Hand in Hand. Dem Saitenspiel widmet er viele Stunden.
Bei der Schachpartie auf dem nordischen Handelsschiff singt
er: „wol ze prise — schanzüne und spaehe wise, — refloit und
stampenie". (2291—3). Als er an der Spitze der Jäger nach der
Königsburg reitet und Marke von weitem erblickt, fängt er an:

\') In den Hafenstädten der Normandie wurde noch um 1200 Nordisch
gesprochen.

-ocr page 59-

„in grüezen schöne.

„in fremeda)4iorndöne

„ein ander wxse huob er an:

„sö lüte er hürnen began,

„daz im nieman an der stunde

„wol gevolgen künde". (3245—50).

An Markes Hof spielt er Harfe; er kann allerlei „uräuoche"
(= Präludien) und stimmt selbst das Instrument. Er singt den
»britünschen" Leich von „Grälandes Geliebte" und den von
„la cürtoise Tispe" Später gesteht er seinem Onkel, daß walli-
sische und „britünsche" Meister ihn „vldel, Symphonie, harphe
rotte, llre und sambiüt" gelehrt haben.

Auch die gesellschaftliche Erziehung wird nicht vernachläs-
sigt. Von dem jungen Gregor kann bloß gesagt werden: „an
slme einleften järe — döne was ze wäre — dehein bezzer
gräma-
ticiis
— danne daz kint Gregörjus". (Gregor 1009 u. ff.); aber
auf Tristan könnten sich die Worte beziehen, die vom jungen

Siegfried erzählen: (Nibelungen 26) „sin pflägen ouch die wisen,_

den ere was bekant." So wird denn Tristan eingeweiht in alle
Kunstgriffe des Jägerhandwerks: „ouch hoere wir diz maere
sagen, — ez gelernete birsen unde jagen — nie kein man sö
wol sö er." (2115 u. ff.). Mit seinen Brüdern geht er auf das
Handelsschiff um Jagdvögel zu kaufen. Markes Jäger belehrt
er über den „bast", die „furkie" und die „curie"; er ordnet
den kunstgerechten Einritt in die Königsburg. In der Reit-und
Turnierkunst ist er nicht weniger geübt. Er lernt Schild und
Speer handhaben,

„daz ors ze beiden siten
„bescheidenliche rüeren,
„von Sprunge ez freche füeren.
„furnieren und leisieren,
„mit schenkein sambelieren
„rehte und nach ritterlichem site".

(2104—9)

-ocr page 60-

Mit vierzehn Jahren ist er ein Meister des Schachspiels.
Freilich hat die höfische Erziehung auch ihre Schattenseite.
„Die
Virisen manegez irret — däz tören lützel wirret" sagt
Freidank\'). Das bewährt sich auch bei Tristan. Als er von
den Norwegern ans Land gesetzt worden ist, fürchtet er sich
in der Einsamkeit. Denn er überlegt bei sich, daß er vielleicht
die Sprache des Landes nicht verstehen wird, daß Wölfe ihn
angreifen und zerreißen könnten, daß der Abend schon herein-
bricht und er kein Obdach hat für die Nacht. —

Auch in seiner Kleidung ist Tristan ein vornehmer Edelmann.
Rock und Mantel sind aus sarazenischem Seidengewebe, mit
Hermelin gefüttert. Sie sind so lang, daß er beim Aufstieg auf
die Felsen, den Rock schürzen und den Mantel über die Schulter
schlagen muß. Wie zierlich er sie zu tragen weiß, geht aus
der Bemerkung des Dichters hervor: „ouch künde er selbe
schöne gän". (3329). Ausführlich werden Tristans gesellschaft-
liche Tugenden geschildert. Er ist sehr bescheiden. Nachdem
der König ihn zu seinem Jägermeister ernannt hat, weigert er
sich dennoch den Jägern ihren Stand zu weisen, weil sie die
Gegend besser kennen als er. Aus zweierlei Grund lehnt er
zunächst die Schwertleite ab: weil ein Ritter ein großes Land
besitzen müsse und weil man sich von Jugend an im Ritter-
handwerk üben solle Tristan fragt nicht, sondern er antwor-
tet und zwar „niwan ze staten und ze nöt — er hete sine
mäze — an rede und an geläze". (2736—8)^). Neben Beschei-
denheit und Anstand erscheint als dritte Tugend seine Listigkeit.
Schon in der Jugendgeschichte spielt die List eine große Rolle.
Stumm grüßt Tristan die Pilger um aus ihrer Antwort ihre
Herkunft zu erfahren. Auf die Frage nach Familie und Heimat
erzählt er eine ersonnene Geschichte. Auch den Jägern gegen-
über verstellt er sich und behauptet, er sei der Sohn eines
Kaufmanns. Marke wundert sich später darüber, daß er seine

1) Freidanks „Bescheidenheit": Von den Wisen unde Toren.

2) Vgl. Hartmans „Erec" 2253 und ff.

3) Vgl. Winsbeke 243.

-ocr page 61-

Fertigkeiten „also verhelen künde". Freidank lehrt nun frei-
lich: ) „liegen triegen wer diu kan, — den lobt man zeime
wisen man" und „liegen triegen manegen nert, — der doch bi
den guoten vert". Müssen wir Tristans Listen solchen Lügen
gleichstellen? Das zu glauben wäre eben so falsch, als wenn
man die höfische Liebe bei Gottfried als niedrige Sinneslust
auffassen wollte! Tristan bedient sich ja nur dann einer List,
wenn er sich in großer Gefahr befindet. Im fremden Lande
weiß er ja nicht, ob man ihm Schutz verleihen wird, wenn
man seine Herkunft erfährt. Er kann unter Feinde geraten
sem; auch ist es fraglich, ob man dem abenteuerlichen Bericht
von seiner Entführung und Befreiung Glauben beimessen würde,
l^m weiteren Verlauf des Romans handelt es sich gleichfalls
bloß um Notlügen. Als Tristan krank nach Irland kommt zu
der Einzigen, die ihm heilen kann, muß er eine List erdenken,

r ^i® der irischen Küste landen, sofort

getötet werden. Die Erlaubnis zur Heimkehr, die er dringend
braucht, weil er einmal geheilt, leicht wieder erkannt werden
könnte, gewinnt er nur, indem er vorschützt seine Frau könnte
glauben, er sei tot und einen andern heiraten. Wiederum muß
er sich einer List bedienen, da er als Brautwerber nach Irland
fährt, sonst muß er samt den Gefährten sterben. Brangänes
Stellvertretung in der Brautnacht wird nach zwei Seiten hin
gut motiviert: die Liebenden befürchten die Entdeckung ihres
Liebesbundes und Markes Rache, Brangäne aber fühlt sich
schuldig, weil ihre Unaufmerksamkeit das Unglück herbeige-

H Listen Marke gegenüber sind durch die

wachsende Gefahr bedingt, worin die Liebenden sich befinden.
Wird nun die List, wofern man sie als einziges Rettungsmittel
in emer heiklen Lage anwendet, für berechtigt gehalten, so
zeugt sie zugleich für den Scharfsinn und die Klugheit dessen,
der sie erdenkt, der die Situation ganz überblickt, alle Konse-
quenzen in Betracht zieht und dann das schwierigste Problem

\') Freidanks „Bescheidenheit": Von Llegenne unde Trlegenne.

4

-ocr page 62-

zu lösen weiß. So darf Gottfried seinem Helden die Listigkeit
als höfische Tugend anrechnen. Tristan ist eben nicht naiv,
sondern überklug; nicht spontan, sondern berechnend; einer
von denen, die von sich sagen können: „ich stehe immer wie
über einem Schachspiele" \')•

Endlich versteht Tristan die Kunst, sich bei allen beliebt zu
machen, durch seine
Dienstfertigkeit und seine maßvolle Heiter-
keit: Schmerz und Sorge, Freude und Glück will er mit allen
teilen :

„ouch was er also dienesthaft
„dem armen und dem riehen,
„möhte er ir iegelïchen
„üf sïner hant getragen hän,
„daz haete èr gerne getan".

(3488—92).

und

„er künde und wolte in allen leben:

„lachen, tanzen, singen,

„riten, loufen, springen,

zuhten unde schallen,

daz künde er mit in allen".

(3494—98).

Trotz dieser sorgfältigen Erziehung fehlt nun aber jede Beleh-
rung auf religiösem Gebiete. Freilich wird er im Alter von sechs
Wochen getauft; als ihn die Kaufleute ans Land gesetzt, betet
er zu Gott; vor der Schwertleite hört er die Messe. Aber nir-
gendwo lesen wir, daß seine Eltern, sein Lehrer Kurvenal, sein
Onkel Marke sich über religiöse Fragen mit ihm unterhalten.
Bei der Schwertleite ermahnt ihn der König, er solle immer
seiner hohen Geburt gedenken, demütig, ohne Trug, wahrhaftig,
anstandsvoll, gut für die Armen, „den riehen iemer höchge-
muot" sein und die Frauen ehren und minnen. So mahnt der
Winsbeke seinen Sohn : ») „wis wol gezogen, — getriuwe, milte,

>) Goethe: Egmont IV.

2) Winsbeke 182 u. ff.

-ocr page 63-

küene, sieht" und \')»leg in dîn herze ein reinez wïp — mit staeter
liebe sunder wanc". Wenn aber Marke seine Rede schließt mit
den Worten : „gebe dir got durch sine kraft — heil ze dîner ritter-
schaft! — wis iemer höfsch, wis iemer frö !" — so fehlt, trotzdem
Gottes Hilfe angerufen wird, jede Aufforderung, Ihm durch Fasten,
Beten, Kirchgang und ein frommes Leben zu dienen.

Isoldes Erziehung stimmt im Großen und Ganzen mit Trist-
ans Erziehung überein. Auch bei ihr wird großer Wert auf die
wissenschaftliche, künstlerische und gesellschaftliche Aus-
bildung gelegt und auch bei ihr kommt die Religion nicht oder
kaum in Betracht. Von einem Pfaffen lernt sie „beidiu buoch
und seitspil". (7731). Später wird Tantris ihr Lehrer aber: (7985-92).

„sie künde ë schoene fuoge
„und höfscheit genuoge
„mit banden und mit munde,
„diu schoene si künde
„ir spräche da von Develln ;
„si künde franzois und latîn
„videlen wol ze prîse
„in weihischer wîse".

Sie spielt Leier und Harfe und singt sehr schön. Tantris erteilt
ihr weiteren Unterricht und bringt ihr besonders „moräliteit",
d. h. Anstand bei. Oft wird sie, wenn Fremdenbesuch gekommen
ist, zu ihrem Vater, dem König beschieden, damit sie die Gäste
mit ihren Fertigkeiten amüsiere:

„diu süeze Isöt, diu reine,
„si sanc, si schreip und si las;
„und swaz ir aller fröude was,
„daz was ir banekîe.
„si videlte ir stampenîe,
„leiche und sö fremediu notelïn,
„diu niemer fremeder künden sin,

0 Winsbeke 136 u. ff.

-ocr page 64-

„in franzoiser wise

„von Sanze und San Dinise."

(8058—66).

Sie singt „pasturele", „rotruwange", „rundäte", „schanzüne",
„refloit" und „folate"; dabei spielt sie selbst die Begleitung.
Von Tantris lernt sie außerdem „brieve und schanzüne tihten, —
ir getihte schöne slihten".
(8143—4).

Tristan und Isolde bekommen also beide den wissenschaft-
lichen Unterricht der Klerikerschule, eine musikalische Aus-
bildung und die feine Erziehung der höfischen Gesellschaft;
außerdem wird der Knabe im Ritterhandwerk geübt. Bei beiden
fehlt aber die religiöse Erziehung. Der Stoff des Gedichtes ist
ja ganz weltlich, diesseitig, wie in allen Artusromanen und
somit kommt das religiöse Leben auch für die Jugendgeschichte
nicht in Betracht.

2. PARZIVAL.

Auch Wolfram schickt seiner Erzählung eine Vorgeschichte
voraus, welche über die Eltern seines Helden handelt. Gahmuret
wird uns geschildert als der Ritter ohne Fehl; vorhin haben
wir bereits auf seine Turnierkunst und seine ritterlichen Tugen-
den hingewiesen. Besonders charakteristisch sind bei ihm seine
Tapferkeit und seine Liebe zu schönen Frauen. Parzival ist kühn
wie sein Vater; er besiegt die ersten Ritter der Tafelrunder
Ither, Keie, Segramors, Gawan. Wo aber Gahmuret nach einan-
der die Königin Amphlise von Frankreich, die Mohrenfürstin
Belakane und die Schwester des Gralkönigs Herzelöude liebt,
um sie wieder für neue Abenteuer zu verlassen, will Parzival
von Minnedienst nichts wissen.!] Wolframs Vorgeschichte hat
aber große Ähnlichkeit mit der Bliocadrans-episode des Pseudo-
Crestien \') und wir haben guten Grund zu glauben, daß beide
auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. Wir dürfen anneh-

\') Vgl. Jessie Weston. „The Legend of Sir Perceval" L 72. ff.

-ocr page 65-

men, daß Parzival darin ein Frauenritter war, wie Gawan, in
der Minne gleichfalls ein würdiger Erbe seines Vaters, und daß
er erst später bei Wolfram oder Kyöt (Wolframs Verhältnis zu
seiner Quelle müssen wir, als nicht zu unsrer Aufgabe gehörend,
unberücksichtigt lassen) die Züge des keuschen Gralsuchers
bekommen hat. Für diese Annahme werden wir im nächsten
Abschnitt noch weitere Belege finden. Parzivals Mutter ist die
Schwester des Gralkönigs Amfortas. Sie spricht mit dem Knaben
über religiöse Fragen und von ihr mag wohl der tiefreligiöse
Zug seines Wesens herrühren. Als Herzelöude den Tod ihres
Gatten erfährt, ist sie außer sich. Bei
Pseudo-Crestien klagt
sie: „Lasse, caitive, — dolante, por coi sui-je vive — quant
j\'ai perdu mon bon signor — qui si me portoit grant honor!"
Sie schreit auf, rauft sich die Haare, schlägt sich an die Brust
und verflucht die Stunde, da sie geboren wurde, so „qu\' il n\'est
hom, si dur euer eust — s\'il le veist, dolans ne fust". Weit
furchtbarer äußert sich aber ihre Verzweiflung bei Wolfram.
Singer\') faßt ihre Handlungsweise und Reden, wobei sie sich
mit der Himmelskönigin vergleicht und wenn sie nicht bereits
getauft wäre, mit ihrer eigenen Milch und ihren Tränen getauft
werden möchte, als Wahnsinn auf und vergleicht sie mit den
Erlebnissen der Mystikerin Margaretha Ebner\'): „Durch diesen
Wahnsinn wird ihr ganzes späteres... törichtes Verhalten
psychologisch begründet; das aussichtslose Ankämpfen gegen
den angebornen Rittersinn des Sohnes, der Kampf gegen die
Vögel, der seltsame theologische Unterricht, die wirren Rat-
schläge, die sie ihm auf den Lebensweg mit gibt. Aber wie in
dem eines Lear, steckt doch in ihrem Wahnsinn tiefe Weisheit
verborgen". Es könnte hier aber noch etwas andres mitspielen.
Bei Crestien heißt Parzival „Ii filz a la veve dame". Jessie
Weston hat nachgewiesen, daß wir hier mit einer okkulten Uber-
lieferung zu tun haben. Freimaurer nennen sich „Children of

\') Singer: Wolframs Stil und Stoff der Sprache. S. 63.

2) Zöpf.: Die Mystikerin Margaretha Ebner. S. 18.

-ocr page 66-

^

the widow". Besonders aber läßt sich dieser Name auf Chistus
anwenden, dessen Vater kein Sterblicher, sondern Gott ist. Wenn
sich Herzelöude mit der Mutter Gottes vergleicht, so mag hier
tatsächlich der Gedanke vorliegen, daß sie den Erlöser, den
Gralfinder, gebären wird.

In ihrem wilden Schmerz kommt sie zu dem Entschluß, ihren
Sohn um jeden Preis für sich zu behalten. Bei Wolfram ver-
bietet sie der Dienerschaft, die ihr in die Waldeinsamkeit
gefolgt ist, über das Ritterwesen zu reden, weil Parzival nie
erfahren soll „welch ritters leben waere". Pseudo-Crestien ist
deutlicher : „s\'il par armes estoit mors — comme sont si oncle et
ses père — ele méisme k\'ert sa mère — s\' ociroit tost de duel
apriès — ne j\' amais joi ne vivroit mès." (Potvin 954—58). Mithin
wird er „an kûneclïcher fuore betrogn". In der Wildnis wächst
er auf, weit weg vom Tageslärm, ohne jede Erziehung und Aus-
bildung. Nichts lernt er als Bogen und Bolzen schneiden. Durch
das Leben im Freien wird er kräftig und abgehärtet. Das er-
schossene Wild trägt er unzerlegt nach Hause, aber er fängt
zu weinen an, als er die Vögel singen hört : „daz erstracte im
sïniu brustelïn — al weinde er lief zer künegln". Empfindlich-
keit und Rohheit sind in der naiven Kindesseele mit einander
verbunden. Vergebens forscht die Mutter, die ihren Sohn ver-
göttert, nach der Ursache seines Kummers. Als sie endlich die
Schuldigen ermittelt hat, befiehlt sie ihren Leuten, die Vögel zu
töten. Mit diesem Massenmord ist Parzival aber nicht einver-
standen; er bittet schleunigst damit aufzuhören und als die
Mutter seine Bestürzung sieht, küßt sie ihn und sagt : wie konnte
ich mich so dem Willen,Gottes widersetzen und fordern, daß
die Vögel um meinetwillen ihren Gesang einstellten. Der Knabe
horcht auf: zum ersten Male vernimmt er den Namen Gottes
und ängstlich fragt er: „öwe muoter, waz ist got?" Noch ein-
mal in seinem Leben wird er dieselbe Frage stellen (332\'), aber
dann wird er keine Antwort bekommen, keine bekommen
wollen und der „zwivel" wird ihn viele lange Jahre auf Irrwege
führen, der „zwivel", vor dem die Mutter ihn jetzt warnt.

-ocr page 67-

Sie antwortet: (119^® u. ff.)

„sun, ich sage dirz âne spot.

„er ist noch liehter denne der tac,

„der antlitzes sich bewac

„nach menschen antlitze.

„sun, merke eine witze,

„und flehe in umbe dîne nöt:

„sïn triwe der werlde ie helfe bot,

„sö heizet einr der helle wirt:

„der ist swarz, untriwe in nicht verbirt,

„von dem kër dîne gedanke,

„und och von zwïvels wanke".

Die erste Belehrung, welche der junge Parzival erhält, handelt
also über den weißen und den schwarzen Gott, den Beherrscher
des Lichtreichs und den bösen Dämon, dem das Reich der
Finsternis Untertan ist, den „triwen", zu dem man in der Not
um Hilfe flehen und den „untriwen", von dem man die Gedan-
ken abwenden soll. Dieser absolute Dualismus widerspricht den
Dogmen des Christentums, ist aber die fundamentale Lehre des
Albigenser-Glaubens und wurzelt in dem Manichäismus, der zwar
im Laufe des sechsten Jahrhunderts infolge der heftigen Bekämp-
fung durch Christen und Heiden zu Grunde ging, aber dennoch
heimlich unter Ketzern und Apostaten weiter wirkte, bis er im
12.Jahrhundert, sei es auch in geänderter Form, eine Aufer-
stehung erlebte, als in der Provence die Albigenser die Lehre
verkündeten von dem ewigen Kampf zwischen Gott und Teufel,
zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen
Geist und Materie, und, wie einst Mani getan, zur Tötung der
fleischlichen Begierden ermahnten. Bei Crestien warnt die Mut-
ter ihren Sohn vor mit Stahl bedeckten Menschen : „ce sont li
dyable en apiert", die ihn fressen wollten; er solle auf ihre
Fragen nicht antworten, sondern bloß sein „Credo" hersagen.
Wolframs Parzival kennt das Glaubensbekenntnis der Kir-
che nicht. Ahnungslos streift er durch den Wald. Da begeg-

-ocr page 68-

net er drei Rittern in glänzender Rüstung-; es kommen ihm
die Worte seiner Mutter in den Sinn, daß Gott lichter sei als
der Tag und daß „sm triwe der werlde ie helfe bot". Er kniet
hin und was die Mutter ihm gesagt, tönt jetzt als Gebet von
seinen Lippen: „hilf, got: du mäht wol helfe hän". Als die Ritter
ihn eines Bessern belehrt haben, bestürmt er sie mit Fragen
und was er über das Rittertum vernimmt, erregt sofort in ihm
den Wunsch, auch ein Ritter zu werden. Er will zu dem „roi
ki les Chevaliers fait". Nach Hause gekommen erzählt er der
Mutter sein Erlebnis. Vor Schrecken fällt sie in Ohnmacht;
allmählich erholt sie sich und befragt ihn, wer ihm das alles
erzählt habe. Da antwortet er:

„muoter, ich sach vier man^
„noch liehter danne got getän :
„die sagten mir von ritterschaft.
„Artüs küneclichiu kraft
„sol mich nach riters eren
„an schildes ambet keren."

126» u. ff.

„Noch liehter danne got getän" iahnungslos spricht der Knabe
damit aus, was zu dem großen Irrtum seines Lebens führen
wird: daß nichts über das Rittertum gehe und Gott selbst
dagegen zurückstehen müsse. Die unbewußte Begierde nach
Ehre und Ruhm reißt ihn aus dem Waldesfrieden heraus in
den Strom des Lebens und nur durch freiwilligen Verzicht
findet er endlich den Weg zu Gott wieder. Die Mutter macht
einen letzten Versuch, ihn zurückzuhalten. Sie schneidet ihm
einen Narrenanzug und gibt ihm ein altes Pferd : vielleicht
wird der Spott der Leute ihn Kehrt machen lassen. Aber sie
glaubt selbst nicht recht, daß sie Erfolg haben wird. Auf alle
Fälle gibt sie ihm Ratschläge mit auf den Weg: er solle nicht
auf ungebahnten. Straßen reiten und das dunkle Wasser bloß
bei einer Furt überqueren; er solle auf den Rat alter und
weiser Männer hören; Ring und Kuß einer guten, keuschen

-ocr page 69-

Frau zu erwerben suchen und sein von Lähelin geraubtes
Erbland wiedergewinnen. Auffallend ist, daß Crestien hinzu-
setzt: er solle in Kirchen und Münster gehen um zu beten,
und dem entsprechend auch erzählt, daß er Jeschutes Zelt zu-
nächst für eine Kirche hält und deshalb bei ihr eintritt. Herze-
löude, die Schwester des Gralkönigs, die ihren Sohn über Gott
und Teufel belehrt und zum Beten ermahnt hat, legt keinen
Wert darauf, daß er die Kirche besucht; denn die Gralge-
meinde bei Wolfram hat zu der Kirche keinerlei Beziehung.
— Als Parzival davonreitet läuft die Mutter ihm nach, aber
er wendet sich nicht um; da bricht sie, überwältigt durch
Herzeleid, zusammen und stirbt vor Kummer; „ir vil getriu-
lîcher tôt — der frouwen wert die hellenöt." (12823-4),

Tristans erste Begegnung mit fremden Leuten setzt diese
gleich über seinen Anstand, seine höfischen Manieren, seine
Fertigkeiten in Erstaunen. Parzivals Eintritt in die Welt kenn-
zeichnet sich durch grobe Verstöße gegen die Sitten und
Bräuche der höfischen Gesellschaft. In einem Zelte findet er
eine schöne Frau, welche auf einem Ruhebett liegt und schläft.
Parzival erinnert sich des Rates seiner Mutter, Kuß und Ring
zu erwerben und befolgt ihn buchstäblich, zum nicht geringen

Entsetzen der Dame, welche erwacht und sich aus Leibeskräften

wehrt. Er beklagt sich, daß er Hunger habe; sie zeigt ihm
Brot, Wein und Geflügel, und er tut sich gütlich damit. Da
sie ihn für einen „garzün — gescheiden von der witze" hält,
macht sie einen Versuch ihn zu bewegen, ihr den Ring und
die Spange welche er ihr geraubt, zurückzugeben, indem sie
ihm mit dem Zorn ihres Mannes droht. Er macht sich aber
nichts daraus, küßt sie unter heftigem Widerstreben zum
zweiten Male und reitet davon „des roubes gemeit." Daß er
etwas Unrechtes an der Dame begangen, daß er gestohlen hat,
kommt ihm gar nicht in den Sinn. Er hat den Rat der Mutter
befolgt und ein gutes Essen gehabt:
das genügt ihm. Alle Leute,
denen er begegnet, grüßt er und fügt immer hinzu: „sus riet
mïn muoter". An einem Felsenhang trifft er mit Sigune zu-

-ocr page 70-

sammen, die den toten Schionatulander im Schöße hält. Der
spontane Anteil, den er an ihrem Schmerze nimmt, steht in
schroffem Gegensatz zu seinem spätem Schweigen auf der
Gralsburg. Sigune lobt ihn deswegen: „du bist geborn von
triuwen — daz er dich sus kan riuwen". Sie fragt nach seinem
Namen und er antwortet, seine Mutter habe ihn „bon üz, scher
fiz, beä fiz" genannt. Daran erkennt sie ihn aber und erzählt
ihm seine Herkunft. Ihre Mitteilungen haben auf Parzival keine
andre Wirkung, als daß sie seine Kampfbegierde um so hefti-
ger erregen: „dö was im gein dem strite gäch". Trotz ihrer
Warnung reitet er weiter und grüßst nach wie vor die Leute,
die ihm begegnen. Seine Erscheinung bei Hofe steht wiederum
in auffallendem Kontrast zu Tristans Ankunft bei Marke. Als
die Knappen Parzival unter lautem Jubel vor den König ge-
führt, ist sein erstes Wort die unhöfliche Bemerkung: (149^^ u. ff.)
„der wile dunket mich ein jär — daz ich niht ritter wesen
sol, — daz tuot mir wirs denne wol," Der gutmütige Artus
erzürnt nicht; er hat Gefallen an dem trotz seines lächerlichen
Anzugs so hübschen Knaben, Er ist bereit ihm gleich am
nächsten Tage die Schwertleite zu erteilen. Aber (1492®) „der
wol geborne knappe — hielt gagernde als ein trappe," Er will
nicht warten, er will sofort die Rüstung des roten Ritters
haben, den er draußen halten gesehen. Artus lehnt ab, aber
Keie sagt, man solle Parzival gewähren lassen; könne er der
Rüstung habhaft werden, so möge man sie ihm schenken.
Natürlich fällt es ihm gar nicht ein, daß es dem albernen
Jungen gelingen könnte, den kampferprobten Ritter zu erschlagen.
Parzival leistet jedoch das Unglaubliche: er tötet Ither mit
seinem „gabylöt". Gleich fällt er über die Leiche her und
sucht ihr die Rüstung abzuziehen. Der Dichter hebt diesen
Mangel an Pietät, dem großen Toten gegenüber, scharf hervor:
(155^®) „Parzival
der tumbe — kerte\'n dicke al umbe — erkunde
im ab geziehen niht." Iwanet hilft ihm die Rüstung anlegen;
von seiner Narrenkleidung will er sich aber nicht trennen, weil
er sie von seiner Mutter bekommen und er zieht deshalb deo^

-ocr page 71-

Harnisch darüber an. Nachdem der Knappe ihn auch über die
Handhabung der Waffen unterrichtet hat, macht er sich auf
den Weg. Der ritterliche Dichter aber empfindet tief Ithers
schmähliches Ende:

159® „Ithern von Gaheviez

„er jaemerlïche ligen liez.

„der wras doch tôt sö minneclïch:

„lebende wras er saelden rïch."

Wäre er im ritterlichen Kampfe gefallen, so v^räre er nicht
beklagenswert, aber: „er starp von eime gabylöt." —

Bis dahin ist Parzival der naive, unbesonnene, unerfahrene
Dümmling; harmlos in der Freundlichkeit, womit er alle
Menschen grüßt, in dem festen Glauben an alles, was die
Mutter gesagt, in der raschen Befriedigung seiner Wünsche
und Begierden, in seiner Rohheit und Rücksichtslosigkeit. Nun
aber kommt er auf Gurnemanz\' Burg, wo er lernt, wie man
sich in der höfischen Gesellschaft betragen soll. Er soll des
Besiegten Sicherheit fordern, statt ihn zu töten; nicht fragen
und sich nicht ausfragen lassen; die Mutter nicht mehr erwähnen;
Maß halten; viel die Waffen führen und die Frauen lieben.
Crestien fügt die Mahnung hinzu: „volentiers alés au mostiers
die bei Wolfram wieder fehlt. Weiter bringt Gurnemanz seinem
Gaste alle Kunstgriffe der Reit- und Turnierkunst bei und
er hat an Parzival einen gelehrigen Schüler, denn „der junge
süeze äne bart, — den twanc diu Gahmuretes art -- und an
geborniu manheit". (17423-25). Nach vierzehn Tagen bittet er
um Erlaubnis Abschied nehiÄen zu dürfen. Zwar hat er sich
in Gurnemanz\' Tochter Liaze verliebt, aber „er wold ê gestrîten
baz — ë daz er dar an wurde warm, — daz man dä heizet
frouwen arm. — in dühte, wert gedinge — daz waere ein
höhiu linge — ze disem lïbe hie und dort". (1772-7) So zieht er
denn eines schönen Morgens aufs Neue in die Welt hinein; in
Gurnemanz\' Burg läßt er aber seine kindliche Naivität und
Unschuld zurück.

-ocr page 72-

IL LIEBE UND SCHULD.

I. Tristan.

Die Liebesepisode von Riwalin und Blanscheflur ist gleichsam
die Vorstufe zu der Liebestragödie von Tristan und Isolde.
Mehrere höfische Motive, die wir in der spätem Geschichte
gleichfalls vorfinden, sind darin verarbeitet: Liebe veredelt;
Liebe hat wunderbare Kraft; der Liebesantrag geht von der
Frau aus; die Liebenden sind eins; die höfische Minne verträgt
sich nicht mit der herrschenden Moral.

Blanscheflur ist so schön, daß jeder, der sie mit liebenden
Augen betrachtet, dadurch veredelt wird: „sine gesaehe nie
kein lebende man — mit inneclichen ougen an, — ern minnete
dä nach iemer me — wip unde
tagende baz danne e." (635—8).
Beim großen Turnier am Hofe ihres Bruders zeichnet sich
Riwalin besonders aus; alle Damen loben ihn, Blanscheflur
aber verliebt sich in ihn: (723—30).

„si hete in in ir muot genomen,
„er was ir in ir herze komen;
„er truoc gewaltecllche
„in ir herzen ktinicriche
„den
Zepter und die kröne;
„daz sl doch also schöne
„und also tougenllchen hal,
„daz si ez in allen vor verstal."

Nach dem „buhurt"- reitet Riwalin zu ihr und grüßt sie. Sie
dankt ihm, indem sie ihm einen heimlichen Liebesantrag macht:
„an einem friunde min, — dem besten, den ich ie gewan, —
dä habet ir mich beswaeret an." (752—4). Riwalin versteht
sie nicht;] als er aber davonreiten will seufzt sie auf und
spricht, „uz innecllchem herzen: „ach, — friunt lieber, got
segene dich". (786—7). Von dem Augenblick an „huob ez sich
mit gedanken under in". Riwalin sucht Blanscheflurs W^orte

-ocr page 73-

zu deuten und indem er darüber nachgrübelt, sich ihre Gestalt,
ihren Blick, den Klang ihrer Stimme zu vergegenwärtigen sucht,
erwacht auch in seinem Herzen die Minne. Wie der Vogel
auf dem Leime, der mit den Füßen anklebt und vergeblich
davonzufliegen sucht, bis er „sich selben vehtende übersiget
-und gelimet an dem zwige liget" (855-6), so ergeht\'s ihm.
Er quält sich mit der Frage, ob sie ihn wiederliebe; aus
Zweifel wird Hoffnung, aus Hoffnung Gewißheit. Sem Herz
entflammt in heißer Liebesglut; er ist wie ausgewechselt:

„sin leben begunde swachen
„von rehtem herzelachen;
„des er dä vor was wol gewon,
„dä zöch er sich mitalle von.
„swigen unde wesen unfrö,
„daz was sin beste leben dö,
„wan elliu sin gemuotheit
„was gär in senede nöt geleit".

(947—954).

Auch Blanscheflur verzehrt sich in Sehnsucht nach dem
Geliebten. Erst fragt sie sich, ob es Zauberkraft sei, die von
ihm ausgehe, aber dann gesteht sie sich: (1071 u. ff.) „der
süeze herzesmerze, — der vil manec edele herze — quelt mit
süezem smerzen, — der liget in minem herzen." Hier, wie in der
Einleitung des Gedichtes, wird die Wonne des Liebesleides
hervorgehoben. Von nun an benutzt Blanscheflur jede Gelegen-
heit, „swenne ez diu fuoge lie geschehen", den Geliebten „vil
tougen" zu grüßen. Riwalin bemerkt es und erwidert ihren
Gruß. Eines Tages wird Riwalin im Kampfe schwer \\^erwundet.
Blanscheflur ist in heller Verzweiflung und wäre vor Kummer
gestorben, wenn nicht die Liebe Ursache ihres Schmerzes
gewesen wäre; diese aber erregt in ihr den Wunsch Riwalin
wiederzusehen und dadurch wird sie am Leben erhalten. Wieder-
um betont der Dichter, daß die Minne Schmerz und Freude,
Verzweiflung und Hoffnung, Todessehnsucht und Lebenskraft

-ocr page 74-

in sich vereinigt. Händeringend, während die „heizen trehene"
„gedihtecllche und ange" über ihr „vil liehtiu wange" rinnen,
klagt sie ihrer „meisterinne" ihre Not. Dieser gelingt es, sie als
„arzätinne vermumnit in Riwalins Krankenzimmer zu führen
und als Blanscheflur sich an den Sterbenden schmiegt und ihn
küßt, geht eine Wandlung mit ihm vor: die halberloschene
Lebenskraft flammt wieder auf:

„ir munt der tete in fröudehaft,
„ir munt der brähte im eine kraft,
„daz er daz keiserliche wip
„an sinen halptöten Up,

„vil nähe und innecllche twanc". (1315—9).

Bald ist Riwalin genesen, Blanscheflur aber ist „von ime ent-
laden und beladen — mit zweier hande herzeschaden".

Ihre brennende Sehnsucht hat bei ihm Befriedigung gefunden;
dafür hat sie mit dem Kinde, das sie von ihm empfangen,
sich den Tod geholt. Dennoch denkt sie weder an die mögliche
Schande, noch an den Tod, sondern nur an den Geliebten und
auch Riwalin ist ganz erfüllt von der Minne zu ihr:

(1356) „sus was er sl und si was er,
„er was ir und si was sin;
„dä Blanscheflur, dä Riwalin,
dä Riwalin, dä Blanscheflür".

Kurze Zeit hernach wird Riwalins Land von Morgan bedroht;
er muß sofort heimfahren um den Feind zu bekriegen. Als er
nun aber Abschied nehmen will von seiner Geliebten spricht
sie: „herre unde friunt, ich hän von iu — manec leit und vor
den allen driu, — diu toedic und unwendic sint". (1461—3).

Dieser dreifache Kummer besteht darin, daß sie befürchtet bei
der Geburt des Kindes sterben zu müssen, daß ihr Bruder,
wenn er ihre Schande entdeckt, sie töten lassen oder enterben
werde, daß das Kind „äne vater rät" erzogen werden müsse

-ocr page 75-

und sie Schande über England und Cornwall br ngen werde
Ri walin ist über ihre Mitteilung sehr bestürzt
und sofort bereit die
Geliebte in Schutz zu nehmen. Auf seinen Vorschlag hm beg eite
sie ihn nach Parmenie. Dort heiraten sie sich;
bei Thomas finde
die öffentliche Eheschließung und die kirchhche Trauung, be
Gottfried nur letztere statt. Auch die Vorgeschichte endet mit
dem Tod der Geliebten: Riwalin fällt
im Kampfe, Blanscheflur
stirbt vor Schmerz über den Verlust des Gatten.

Dieselben Motive finden wir nun vertieft
Liebesgeschichte von Tristan und Isolde. Gottfried hat sich
bemüht, die Beziehungen zwischen
Marke und Tristan mögest
innig und
freundschaftlich zu gestalten, damit der KonfliKt
zwischen Pflicht und Liebe um so furchtbarer u^nd
tragischer
werde. Marke hält Tristan als seinen eignen Sohn, er wu
unverheiratet bleiben, und seinen Neffen zum f/^f ^f^fjf^^-
Vergebens sucht er Tristan vom Kampfe mit Morholt
zurück
zuhalten und als Tristan darauf besteht, sagt er: „neve, swie
gerne ch staete - und triuwe zuo dir haete - sone gestatest
L mirs niht". Tristan betrachtet ihn als seinen besten
Freund. Als er krank ist, schickt er zu ihm und sei e im a
von ende her - sin tougen unde sînen muot,
sLm friunde tuot". (7316-8). Entrüstet weist Marke den
Vorschlag der Barone
zurück, Tristan als Brautwerber nach
Irland zu senden:

„ir flizet iuch ze starke
„Tristandes schaden und sïner nöt.
„er ist doch zeinem mâle tôt
„vür iuch und iuwer erben,
„ir suit in aber sterben
„ze dem anderen mäle.
„ir müezet selbe dä hin.
\' „nimêre ratet mir üf in." (8540 u. ff.)

Auf Tristans dringende Bitte gibt er endlich schweren Herzens

nach. Bei der Versöhnung mit König Gurmun fragt Tristan

-ocr page 76-

gleich: „an dirre suone dä ist an — min hërre und beidiu
sïniè\'\' lant"? (10674—5). Und als endlich das Furchtbare ge-
schieht und Tristan die Wirkung des Zaubertranks verspürt,
ist sein erster Gedanke, daß er Isolde nicht lieben darf: „lä
stän, Tristan, versinne dich, — niemer genim es keine war".
(11750—1.) Aber auch Isolde sieht in Tristan zunächst nur den
Brautwerber, welchen sie haßt, weil er ihren Onkel erschlagen
hat. Als der Drachentöter in der Badestube entlarvt wird,
will sie ihn gleich auf der\' Stelle mit dem Schwerte töten und
läßt sich nur mit Mühe durch die Mutter und Brangäne von
ihrem Vorhaben abbringen. Bei der Versöhnung umarmt sie
Tristan widerstrebend und nach langer Zögerung: „doch tet ez
Isöt diu junge, — mit langer widerunge". (10539—40). An Bord
des Schiffes sucht Tristan sie zu ermuntern, aber sie wehrt
sich heftig dagegen. Sie ist ihm feind, denn nicht nur hat er
ihren Verwandten getötet, sondern er hat sie auch in listiger
Weise den Eltern abgewonnen und führt sie hinweg in eine
unbekannte Ferne, einem fremden Gatten zu, den sie nicht
liebt. Viel lieber hätte sie auf allen Reichtum verzichtet oder
den „truhsaeze" geheiratet.

Dieses feindliche Verhältnis entspricht freilich nicht der
Schilderung bei Thomas. Bei ihm lieben Tristan und Isolde
sich bereits bei der ersten Begegnung; am Schluß seines Ge-
dichtes spielt er darauf an 2485—9:

„Dites Ii qu\'ore Ii suvenge
„des ^nz peines e des tristurs
„e des joies e des du9urs
„de nostre amur fine e veraie
„quant el jadis guari ma plaie" \').

Diese Liebe vor dem Trünke wird aber nirgendwo sonst
erwähnt. Offenbar hat Thomas es zu schwer gefunden, diese
höfische Änderung seiner Vorlage weiter auszuarbeiten, da die

\') Bédier: Introduction sur Tliomas „le poème de Tristan". Chap. VIL

-ocr page 77-

ganze Konzeption darauf zielt, ^aß erst der Zaubertr^

Liebe bewirkt und der Kampf mit f^

für Isoldes Haß Bedeutung hat. Obgleich Gottfried s,ch nu^

der Spielmannsversion anschließt, hat ^^^^^^^

eine ganz andre Bedeutung als bei Eilhart un
diesen ist er das Mittel, dessen ein böses Schicksa^

dient, die ahnungslosen Menschen ins Verderben ^urz
Der Trank wirkt bei Beroul drei,

nach bleibt die Liebe zwar, aber die Leidenschaft ^^
so daß eine Trennung möglich wird Bei Gottfried hing g^^
bewirkt der Trank eine Liebe, die ewig

Seligkeit führt, an der die Liebenden "^en

^ehen müssen. Diese Liebe tritt nicht von außen an die Menscnen

fe^an,T wird nicht bei jedem beliebigen Menschen entfach

u^d kann keinem aufgenötigt werden. Im Gegensatz zu Thomas

beton7Gottfried denn auch, daß Marke nicht von dem Liebes-
^ l Trinkt (12654-60). Aber sie hat dennoch etwas

ühernatSScLs und Gehimnisvolles; mit zwingender Gewalt
Ubernatürlicnes un widerstandslos

und ästhetischen Gründen das alte moi , , weise

hfihehalten aber er hat dadurch zugleich in genialer wei»
Ten my ti
Ch7n Charakter der höfischen Liebe -

SO J nachdem beide getrunken haben: „was ""ch d r werWe

„si heten beide e»" -/—tr^erdeHa^

r Ta^g rcTd-:; l[eb:"ei:\';.da. honegende geilet - da.

-ocr page 78-

süezende siuret, — daz touwende fiuret, — daz senftende
smerzet, — daz elliu herze entherzet." (11888—92). Durch ver-
stohlene Blicke und Erröten verraten sie einander ihre Gefühle.
Endlich gesteht Isolde dem Geliebten, vi^ie es einst Blanscheflur
getan, in verblümten Worten ihre Liebe: „lameir, sprach sï,
daz ist mïn nöt, — lameir daz sw^aeret mir den muot, — lameir
ist, daz mir leide tuot."| (11990—2). Daß das Liebesgeständnis
zuerst von der Frau gemacht wird, ist charakteristisch für die
höfische Auffassung der Liebe. Wie der Herr seinem Vasallen
eine Gunst gewährt, so schenkt die Frau dem Manne ihre Minne,
um die er nicht zu bitten wagt. Scham und Anstand fordern
aber, daß sie ihre Gefühle nicht offen ausspricht und die Mög-
lichkeit, daß ihre Liebe einmal verschmäht werden könnte, gebietet
ihr außerdem die Gesinnung des Mannes durch verblümte
Anspielungen auf ihre Neigung zu prüfen. So spricht Esmerée zu
Galeran :

„Galeren, frère, il m\'est avis

„— fait privéement la pucelle —

„que vous estes dessouz l\'esselle

„d\'une plaie bleciez oscure

„ou il ne pert point d\'ouverture

„vous la devez mout bien ouvrir.

„dictes moy, si je vous dy voir." (4559 u. ff.)

Als Tristan Isoldes Geständnis erfaßt hat, antwortet er:

„ir eine und iuwer minne

„ir habt mir mïne sinne

„gär verkëret unde benomen,

„ich bin üzer wege komen

„sö starke und alsö sëre:

„ich erhol mich niemer mëre.

„mich müejet und mich swaeret,

„mir swachet unde unmaeret

„allez, daz mïn ouge siht:

„in al der werlde enist mir niht

„in mïnem herzen liep wan ir". (12021—31).

-ocr page 79-

Der Gedanke, daß für den Liebenden alles, was nicht zu
seiner Liebe in Beziehung steht, seinen Wert und seine Bedeu-
tung verliert, findet sich auch in Crestiens „Yvain":

„An tel (meniere) que graindre estre ne puet,

„An tel que de vos ne se muet

„Mes cuers, n\'onques aillors nel truis,

„An tel, qu\'aillors panser ne puis,

„An tel, que toz a vos m\'otroi,

„An tel, que plus vos aim que moi,

„An tel, s\'il vos plest, a délivré,

„Que por vos vuel morir ou vivre". (2025 u. ff.)

Von nun an werden die Liebenden kühner. Sie küssen sich
heimlich, blicken sich an, seufzen und trauern, werden nach-
denklich, verlieren ihre Farbe und haben keinen Appetit mehr.
Brangäne beunruhigt sich darüber, sie forscht nach und Tristan
.sagt ihr endlich die Wahrheit:

„wir zwei wir sïn in kurzer frist

„unsinnic worden beide

„mit wunderlichem leide:

„wir sterben von minnen

„und enkunnen niht gewinnen

„weder zït noch State derzuo;

„ir irret uns späte unde fruo,

„und sicherlïche sterben wir"; (12112—9).

Brangäne sieht ein, daß alles Ankämpfen gegen eine solche
"Leidenschaft umsonst wäre und läßt ihre Herrin frei. ^^

Nachts schleicht Tristan zu Isolde und Minne „diu strickaerinne
.strickt ihre Herzen so meisterhaft zusammen, „daz si unreloeset
wären-in allen ir jären" (12185-6). Hier schaltet Gottfried seine
große Verteidigung der höfischen Minne ein (12204 ff.). Wenn er
an die Freude der endlich vereinigten Geliebten denkt, so wachsen
.seine Gedanken bis in die Wolken und sein Herz weitet sich,
.daß es größer wird als sieben Welten. Er bedauert es „daz

-ocr page 80-

meistic alle, die der lebent, — an minnen hangent unde klebent —
und ir doch nieman rehte tuot." Zwar sehnen die Menschen
sich nach Liebesglück, aber sie handeln wie der Tor, der glaubt,
er könne von Bilsensamen Rosen und Lihen ziehen. Bittre,
falsche, schlechte Minne trägt faule Früchte: Schmerz, Übel,
Unart. Zu des Dichters Zeit erlebt man nicht mehr die Wonne,

„des unser iegelïcher gert

„und des wir alle sïn entwert.

„daz ist der staete friundes muot,

„der staeteclïche sanfte tuot,

„der die rosen bî dem dorne treit,

„die senfte bî der arbeit;

„an dem ie lit verborgen

„diu Wunne bî den sorgen,

„der an dem ende ie fröude birt

„als ofte als er beswaeret wirt..." (12271—80).

Denn der Weg zur höchsten Seligkeit geht durch den tiefsten
Schmerz hindurch, und den will man nicht gehen. „Minne ist
getriben unde gejaget — in den endelesten ort". Sogar ihr
Name, das Einzige was noch blieb, wird mißbraucht. Wie eine
Bettlerin schleicht sie von Haus zu Haus und trägt einen bunt-
scheckigen Sack, aus schlechten Sitten angefertigt, worin sie
ihren Raub auf der Straße feilbietet. Aber wir, sagt der Dichter,
wir deren Leben ohne Liebe und Liebesglück ist, können uns
dennoch freuen an dem, woran wir keinen Anteil haben : an der
Erzählung zweier Liebenden, die sich vor hunderten Jahren ohne

Falschheit geliebt.

Die Küste von Cornwall kommt in Sicht und nach der befriedigten
Begierde stellt sich bei Tristan und Isolde zum ersten Male die Sorge
ein: „daz was daz, dazdiuschoeneïsöt—dem manne werden solte,
— dem SÏniht werden wolte" (12404—6) und daß Isolde nicht mehr
Jungfrau ist. Denn die bürgerliche Moral urteilt strenge über die,
gefallene Frau. In „Blancheflour e Florence" lesen wir \') :

•) Oulmont: Les débats du clerc et du chevalier.

-ocr page 81-

XXI. „Qe, qant le tile est foillie,
„Le beau bois par tot florie
„La demoer est joiouse;
„Mès quant les braunches en sont nwes,
„Foilles flestriz qe furent drwes,
„La voie est ennoiouse.

XXÏL „Ensi est d\'une pucele:

„Coment q\'ele soit gente e bele
„E de parenté honorouse,
„E une foitz eit forvoiiee
„Cele qe fut taunt desirée
„Serra de touz heygnouse".

Tristan und Isolde zerbrechen sich den Kopf darüber wie

sie ihre Liebe für Marke verbergen könnten und Isolde erdenkt

zuletzt eine List: Brangäne soll ihre Stellvertreterin in der
Brautnacht sein. Der Dichter betont, daß die Liebe es ist, welche
die Unerfahrene klug und schlau macht:

(12451—6) „alsus sö lëret minne
„durnehtecllche sinne
„ze valsche sïn verflizzen,
„die doch niht solten wizzen,
„waz ze sus getaner trüge
„und ze valscheit genüge".

Diese Worte sind nicht so zu verstehen, daß Liebe an sich

den Menschen unaufrichtig und untreu macht. Das wäre ja im

Widerspruch mit dem veredelnden Einfluß der Minne, von dem

schon wiederholt die Rede war. Vielmehr ist dies gemeint: die

höfische Minne und die herrschende "

in Konflikt geraten, können nicht Betrug

noch versucht beiden Herrinnen zu dienen, muß List und Betrug

nach langem Zögern auf den Vorschlag e^
wen sie sich ihrer Schuld bewußt is, und teilt den Liebenden

-ocr page 82-

mit, was es für eine Bewandtnis hatte mit jenem Trank, von
dem sie gekostet. Tristan bereut es aber nicht getrunken zu
haben :

(12502—6) „dirre tôt der tuot mir wol.

„solte diu wunneclïche Isöt
„iemer alsus sïn mïn tôt,
„sö wolte ich gerne werben
„umbe ein ëweclïchez sterben".

Ausdrücklich wird erwähnt, daß Tristan sich seiner Pflicht
Marke gegenüber bewußt bleibt: (12520—2) „sin triuwe lag im
allez an, —daz er ir wol gedaehte — und Marke sïn wïp braehte."

Die geplante Verwechslung in der Hochzeitsnacht gelingt,
aber Isolde freut sich nicht darüber. Bald bereut sie, daß eine
um ihre Liebe und ihren Betrug weiß und reift bei ihr der
Entschluß, Brangäne töten zu lassen. Die Szene mit den Scher-
gen fällt ein weinig aus dem Ton heraus ; dennoch hat Gottfried
sie zu mildern gesucht. Nach der Aussöhnung hat Brangäne
auf immer das Vertrauen ihrer Herrin. Der zweite, der um
das Geheimnis weiß, ist der neidische Liebhaber Marjodoc, der
Tristan abends bis ins Schlafzimmer der Königin folgt. Er ist
der Typus des „lausengier". Unter „lausengier" oder „merkaere"
versteht man in der höfischen Poesie des Mittelalters nicht nur
den vom Gatten der Herrin angestellten, berufsmäßigen Merker,
sondern auch den neidischen Rivalen. Marjodoc hegt für Isolde
„tougenlïchen muot, — als manec man maneger frouwen tuot, —
sich lützel këret an". (13473—5). Er teilt seinen Verdacht
dem König mit, der ihm anfangs nicht glauben will, aber der
zuletzt doch Argwohn bekommt und Isolde durch verfängliche
Fragen auf die Probe stellt. Mit Hilfe Brangänens gelingt es Isolde,
den Gatten von ihrer Unschuld zu überzeugen. Marjodoc zieht
nunmehr den Zwerg Melot zu Rate, der Marke aufs Neue
argwöhnisch macht. Der König verbietet Tristan den Zutritt
zu den Gemächern der Königin, der üblen Rede wegen. So
leben denn die Geliebten eine Weile von einander getrennt und

-ocr page 83-

werden blaß und elend vor Liebesweh. Brangäne ersinnt die
List mit den Holzspänen; siebenmal kommen sie
ungehindert
zum Stelldichein, dann werden sie von JVIelot entdeckt. Es iolgt
die Szene im Baumgarten. Zum ersten Mal sind Tristan und
Isolde der Gefahr ausgesetzt, von Marke selbst
auf frischer
Tat ertappt zu werden. Dennoch finden sie auch jetzt einen
Ausweg und versöhnen sich wieder mit Marke. Bald gelingt
es Marjodoc und Melot, Tristan aufs Neue beim König zu
verdächtigen. Zwar wird die Schuld der Liebenden nicnt
überzeugend nachgewiesen, aber die blutbefleckte Leinwand
nach dem Bettsprung gibt Marke die Gewißheit, daß er in
irgendeiner Weise betrogen wird. Schon macht das Gerücht
von der Untreue der Königin im ganzen Lande die Runde. Der
König ruft seine Fürsten zusammen, und diese raten ihn zu
einem Konzil in Lundres. Auf diesem Konzil, das in der Woche
nach Pfingsten abgehalten wird, sagt der Bischof von Thamise
Isolde an, daß sie sich dem Gottesurteil unterziehen soll und
findet sie zu jeder Prüfung bereit\').

Die Szenen zwischen der Hochzeitsnacht und dem Gottes-
urteil bilden in dem Kampf zwischen Liebe und Sittlichkeit
einen Klimax, bei dem die Sittlichkeit immer mehr Raum
gewinnt und die Liebenden immer mehr in die Enge getrieben

werden. Erst weiß nur eine, die beste Freundin, um den Betrug;
dann wissen zwei, drei, vier, zuletzt alle
drum, ohne daß jedoch
die Schuld überzeugend nachgewiesen ist. Wer diese Szenen
ohne Vorurteil liest, wundert sich, daß man darin eine Ver-
herrlichung des Unsittlichen und Frivolen erblicken kann. Wo
findet sich denn bei Tristan und Isolde auch nur die geringste
Freude über eine erdachte List oder einen gelungenen Betrug?
Ja, wo ist in diesen Szenen überhaupt von Freude und Lust
die Rede? Von dem jungen Tristan wird erzählt, daß er mit
allen lachen, tanzen, singen konnte. Hat er das Singen und

•) Die Szene erinnert an das aufseilenerregende Konzil, das Ludwig VIL

anberaumte, als Eleonore, seine Gemahlin, ihn ^reuzzuge 1147 n

Antiochien mit ihrem Onkel betrogen hatte und das zu der Ehescheidung führte.

-ocr page 84-

Lachen bloß deshalb verlernt, weil er ein paar Jahre älter
geworden ist? Isolde scherzt mit Marke, — aber ist es nicht
die wahnsinnige Angst vor der Entdeckung, die sie dazu treibt?
Fürwahr die Liebenden tragen „durch liebe
leiV\\ „durch herze-
wunne
senedez klagen". Sie sündigen, sie häufen Verbrechen
auf Verbrechen, Betrug auf Betrug, und sie sind sich ihrer
Schuld bewußt, ihre Herzen bluten, daß sie Marke, den sie
schätzen, ehren, lieben, durch List und Lüge um das Beste
bringen, worauf er Anrecht hat: die reine Liebe seiner Gattin.
\') „Tristan n\'est pas un révolté, il ne renie pas l\'institution sociale,
il la respecte au contraire, il en souffre, et seule cette souffrance
confère à ses actes la beauté. Il est le neveu et le fils adoptif
du roi Marc; il ne conteste pas la loi de la reconnaissance, il
la viole et souffre de la violer. Il est le vassal du roi Marc:
il ne conteste pas la loi de l\'honneur vassalique ; il la viole et
la violant il souffre". — In den wenigen Augenblicken, wo die
Liebenden zusammen sind, erleben sie die höchste Seligkeit,
aber sie erkaufen sich diese durch Sünde, Schmerz und Schande.
:Das eben ist das Tief-tragische in Gottfrieds Roman, daß zwei
.„edele herzen" körperlich
und seelisch zu Grunde gehen an
.einer Liebe, die an sich weit über allem Gemeinen erhaben
^st. — Das Gottesurteil soll ausgesprochen werden.; Isolde hat
sich ihrer Kleinodien, Pferde, Gewänder entäußert, damit Gott
ihr gnädig sei. Im Münster hört sie die Messe und „ir andäht
diu was gotelïch." Man bringt die Reliquie herbei, auf die sie
schwören soll. „Nu hete Isöt ëre unde leben — vil verre üf gotes
güete ergeben : — si bot ir herze unde Ir hant —
vorhtlkhe, als
ez ir
IVÛS gewant, —dem heiltuome unde demeide." (15677—81).
Isolde fürchtet sich: Gott, der jetzt das Urteil sprechen soll,
ist für sie eine fremde, unbekannte Macht, von der die Kirche
lehrt, daß sie über das Schicksal des Menschen entscheidet,
den Guten belohnt, aber den Bösen straft. Sie hat es nicht
gewagt, einem Priester ihre Schuld zu beichten, aber durch
Gebet und gute Werke hat sie versucht, Gott für sich zu
stimmen. Wie könnte Gott ihre Liebe zu Tristan, das Höchste

1) Bedien Introduction sur Thomas „Le poème de Tristan", deuxième partie,
chap. IV. p. 166.

-ocr page 85-

und Heiligste was sich denken läßt,

Er ihre schwere Schuld an Marke ^f ^ ^^

sichselbst gesteht: »W ^in -n

doch alles, was dazu mich trieb, - ^i^h von

so lieb!" und zur Mater Dolorosa erzTsangst:

Schmach und Tod", so betet Isolde sl

„daz got ir r^ärcn schulde - an ir iht gf ^
zir ëren braehte". (15652-4). Gretchen ^

Kind und vermehrt ihre Schuld, Isolde versündigt sich aufs Ne

durch schweren Betrug. — ^ . „. ^ao öHihende

Das Gottesurteil entscheidet zu ihren \'

Eisen läßt sie unversehrt. Der Dichter

Ausgang, durch welchen Gott offen vor der ganzen Welt a^

Zeuge fir die Lüge erscheint.\') Seine scharfe Kritik
15754) richtet sich weder gegen die Geistlichkeit, noch gegen
ChrSus ändern gegen das törichte und frevelhafte Institut
der GoUesurteile Gottfried spricht darin aus, was der B schof
AsobarTvon Lyon bereits im 9. Jahrhundert über diese Unsitte
sagte" Xnn\'dieser die Gesetzgebung und Sitte auch nicht
\'wesentlich beeinflussen konnte, - ^aben doch nach ih«
hoch stehende Kleriker, dazu mehrere

urteile protestiert. (Stephan V., Nicolaus I., AlexanderHL, Innoc^^^^^

m.). Gottfrieds Worte sind nur als eine weitere Aus «

von den Gegnern der Gottesurteile immer wieder zitierten Satzes

zu betrachten: „non tentabis deum". «„..u« —

Isolde wird nunmehr „starke - von ir herren Marke
geminnet unde geëret". (15755-7). Inzwischen besiegt Tristan
L Dienste des Herzogs von Wales den /^«^f" "^f °
erhält den ausbedungenen Lohn: das

rr r^^r—ÄJS^^ bedenkt,
düngen im Tristan Gottfrieds von Straßburg. S. 80 und ff.

2) Migne 104, 250 ff.

-ocr page 86-

(

daß Tristan jetzt alleine den Schmerz zu tragen habe, bricht
sie die Schellen ab, die dadurch ihre Wunderkraft verlieren.
Tristan virird zurückgerufen an Markes Hof und begnadigt.
Bald verraten die Blicke der Liebenden dem König ihre heim-
liche Neigung. Jetzt reißt dem König die Geduld; zum ersten
Male wird er zornig. Er fragt sich nicht mehr, ob er Grund
zu seinem Argwohn hat: „ern haete niht gegeben ein här —
waere ez gelogen oder war". (16537—8). „Im hete leit unde
zorn — sinne unde mäze verlorn". (16519—20). In „blindem
leide" ruft er Isolde und Tristan zu sich. Weil sie nicht von
einander lassen wollen, will er zurücktreten. Denn „der künec
der wizzenllche hat — an minnen cumpanïe, — deist michel
dorperîe. (16618—20). Nicht rächen will er sich: „daz ich iu
beiden den töt — oder iht herzeleides tuo" (16592—3), denn
dazu liebt er sie zu sehr. Sie sollen aber den Hof und die Gegend
verlassen; wollen sie ihm weiter Schmerz zufügen, so will er
es weder hören noch sehen:

„vart ir beidiu gote ergeben,
„leitet liebe unde leben,
„als iu ze muote geste:

„dirre cumpanïe wirt nimë!" (16621—4).

Und Tristan und Isolde, unter dem Eindruck seines gerechten
Zorns, rüsten sich still und schuldbewußt zur Fahrt. Sie bitten
Brangäne vorläufig zu bleiben und womöglich eine Versöhnung
zu bewirken.

2. Parzival.

In der Vorgeschichte des „Parzival" spielt die höfische Minne
eine große Rolle. Gahmuret ist ein Frauenritter: durch Helden-
taten sucht er, wie so mancher Ritter der Tafelrunde, die Gunst
der Damen zu erwerben. Als sein Bruder Galoes ihn von der
geplanten Abenteuerfahrt abzubringen sucht, erinnert er diesen
an ihren gemeinsamen Minnedienst:

-ocr page 87-

(8") „wir fuoren gesellecliche----

(820) „manegen kumberlichen pln
„wir bede dolten umbe liep.
„ir wäret ritter unde diep,
„ir kündet dienen unde lieln:
„wan künde ouch ich nu minne stein,
„öwe wan het ich iwer kunst
„und anderhalp die wären gunst!"

VonseinerDame.derKöniginAmphlisevonFrankreich,bekommt

er vor der Abreise Geschenke. Nach vielen Abenteuern gelangt
er in das Königreich Zazamanc, dessen Mohrenfürstm, Belakane
sich
sofort in ihn verliebt. Von einem Heiratsantrag des Mannes
oder von einer Hochzeit ist nicht die Rede.
Als Belakane zwölf

Wochen schwanger ist, verläßt Gahmuret sie heimlich, nachdem

er ihr in einem Brief seinen Stammbaum mitgeteilt hat. Mazadan,

der Ahnherr des Geschlechtes, ist von einer Fee entführt worden

und die Anjous sind also zur Minne vorbestimmt Gahmuret
kommt nach Kanvofeis, gerade zu der Zeit, wo die Königin
von Waleis, Herzeloyde, ein großes
furnier anberaumt hat
wobei sie sich und ihr Land als Preis eingesetzt hat. Während
sich Gahmuret daran beteiligt, bekommt er einen schriftlichen
Liebesantrag der verwitweten Amphlise. Singer\') weist daraui
hin, daß der Streit zweier Frauen um einen Mann im Ge-
sichtskreis der französischen Minnefragen und „cours d amour
liegt. Als Beweis führt er „Sone de Nausay" an, worin eine

Gralprinzessin und eine französische Gräfin sich um den Helden

streiten. Wir erinnern auch an Galeran, um ^en sich aie
Zwillingsschwestern Fresne und Fleurie bewerben ^ J^J ^^fP
erhöht der Gedanke an seine Geliebte Gahmurets Mut (78 /
gröz liebe und starkiu triuwe - sine
kraft im frumt al niuwe .

Nach dem Turnier besucht Herzeloyde den Ritter in seinem

\') Singer: Wolframs Stil und Stoff der Spraclie. S. 55.

2) Entfernt erinnert die Stelle auch an den Streit zwischen Obie

Obilot über Gawan.

-ocr page 88-

Zelt und macht aus ihrer Neigung keinen Hehl: „er saz für
si sö nähe nidr, — daz sin begreif und zöch in widr — ander-
halp vast an ir Up". (843-®). Als nun der Kaplan der Königin ^
von Frankreich deren
Liebesgeständnis wiederholt, bittet sie:

(87^-®) „swaz mines rehtes an iu si,
„dä sult ir mich läzen bi:
„dar zuo min dienst genäden gert.
„wird ich der beider hie gewert,
„sol iu daz pris verkrenken,
„sö lät mich ftirder wenken."

Gahmuret aber denkt schweren Herzens an die verlassene
Belakane, von der er sich getrennt, weil „der frouwen huote
mich üf pant, — daz ich niht riterschefte vant." Her-

zeloyde mahnt ihn, er solle auf die Heidin verzichten. Wenn
das recht sei, erwidert er, so habe Amphlise vor allen andern
Anspruch auf ihn, weil sie sich schon als Kinder geliebt. Herze-
loyde, die von dem Sieger im Turnier nicht lassen will, ruft nun
die Richter zusammen und diese entscheiden zu ihren Gunsten.
Ausdrücklich mahnt Gahmuret seine Gattin: „sö lät mich äne
huote wesen".(962®). Denn, wenn sie ihn je vom ritterlichen Kampfe
zurückhalten wolle, müsse er sie heimlich verlassen. Von einer
Hochzeit ist auch jetzt nicht die Rede und Gahmuret bleibt
auch nach der Vermählung im Minnedienst der Königin von
Frankreich: „ich sül iedoch ir ritter sin — ob mir alle kröne
waern bereit, — ich hän nach ir min hoehste leit." (98^"®).

Bald zieht er auf Abenteuer und fällt im Kampfe. — Neben
Gahmuret erwähnt die Vorgeschichte auch bei andern Rittern
charakteristische Züge des Frauendienstes. Galoes fällt im Kampf
gegen Orilus, als er im Dienste der Königin Annore von Averre
tjostiert. Hiuteger trägt am Schilde immer ein Kleinod seiner
Dame. Isenhart ist gefallen, weil er auf Belakanes Wunsch
ohne Schutzwaffen in den Kampf gezogen ist. (Im „Roman de
Thebes" ist das harnischlose Kämpfen ein ständiges Motiv. —)
Diese ritterliche Minne ist nun aber ganz andrer Art, wie

-ocr page 89-

Tristans Liebe zu Isolde. Tristan liebt -r ^ ^^

Sich sogar wenn er auf Nimmerwiedersehen von ihrje ^^^^
ist, nicht dazu entschließen e.e andre zu

hingegen gehört zu jenen ^ "ande lieben und meh-

Ydoine" gesagt wird, daß ^^^^^ hält fhnen auch die Treue
rere Geliebte haben wollen. ) Er haix Abenteuern

nicht, sondern verläßt sie, so oft ^^^^n nach neuen^
gelüstet. Weil er für einen der tapfersten /G;richt

jede Dame ihn in ihrem Dienste haben ""^^^^^^^^ebe fehlt
die Ansprüche der Rivalinnen prüfen In

durchaus das mystische Element und das .^n

leid, die beide im „Tristan" eine f der Mann.

Gahmuretepisoden Kampf

Tristan ^^hrt seiner L ebe wegen ^,„3,henden Moral;
mit seinem °

Gahmurets Minne entspricht ^^^^^^^^^ findet seine

frau, die raffinierte ^eltdame.^ Nachdr^^^^^^^^^ ^^^^^^ ^^^^

hervor, daß wir uns Obilot als ^^^ in großer

als ihr Ritter sie um ein (3721«) nnd
Verlegenheit: „sit daz wir niht wan tocken ^^

nach errungenem Sieg drückt Gawan ^ „a s ein ^^^^^^

sine brüst". (39523). Dieser Backfisch häl^abe ei ^^

Ansprache, die ihrer Hofmeistenn Ehre macht u
Erwachsene ihr nicht verbessert hätte:

„ir Sit mit der wärheit ich,
",swie die namen teilen sich.^
"mlns llbes namen suit ir hän:
"nu Sit maget unde man.
„ich hän iwer und min gegert.

I) Vgl. Seite 13.

-ocr page 90-

„lät ir mich, hërre, ungewert

„nu schamllche von iu gën,

„dar umbe muoz ze rehte stën

„iwer prïs vor iwer selbes zuht,

„Sit min magtuomlichiu fluht

„iwer genäde suochet". (369"-27).

Sie versichert Herrn Gawan, daß sie „üf der mäze pfat" gehe
und „diens wert" sei. Crestien hat diese höfische Unnatürlich-
,keit weniger hervorgehoben als Wolfram. Bei Crestien bittet
der Vater Gawan, das Kind nicht zu beachten, bei Wolfram
bittet er Obilot, Gawan zum Kampf zu tiberreden; bei Cres-
tien umfaßt Obilot Gawans Beine, bei Wolfram setzt er sich
„zuo der süezen"; bei Crestien bringt sie selbst dem Ritter ihren
Ärmel, bei Wolfram wird ein neues Kleid aus kostbaren Stoffen
für sie angefertigt und überreicht des Burggrafen Töchterlein,
Clauditte, das Liebespfand. Gawan nagelt den Ärmel auf seinen
Schild; er nimmt sie durchaus ernst und beantwortet ihre
höfische Rede mit einem feierlichen Dienstgelöbnis:

A

(37025-30) i^^erre hende si min swert.

„ob iemen tjoste gein mir gert,
„den poynder müezt
ir riten,
„ir suit dä für mich striten.
„man mac mich dä in strite sehn:
„der muoz mïnhalp von iu geschehn."

Mehr als Crestien stellt Wolfram in Obilot das Widerspiel
des naiven jungen Parzival dar. Ihre Wechselrede mit Gawan
erinnert an Gottfrieds „Tristan", denn auch hier wird gesagt,
daß die Liebenden
eine Seele und ein Leib sind. Und dennoch:
welcher Unterschied! Was im „Tristan" auf eine mystische
Vereinigung hindeutet, auf eine Hingabe, wobei die Liebende
nicht nur den seelischen, sondern auch den körperlichen Schmerz
des Geliebten mitempfindet, ist hier zur Phrase geworden. Bald
reitet Gawan auf neue Abenteuer und die junge Schöne, die ihrem

-ocr page 91-

Ritter gern gefolgt wäre, wird sich wohl mit einem andern

Liebhaber getröstet haben. . ^ .

Weniger unschuldig als das Liebesidyll zwischen dem tap-
fersten Helden der Tafelrunde und dem kleinen Fräulein von
Bearosche, ist sein Abenteuer mit der schönen Antikonie D^
Motiv des schnellgewonnenen Mädchens ist, wie der Name dem
„Roman de Thèbes" entnommen. Bei Crestien macht Gawan
ihr in harmloser Weise den Hof:

„Mesire Gauvains le requiert
„d\' amors et prie et dist qu\'il iert
„ses
Chevaliers toute sa vie,
„et eile nel refuse mie,

„ains li otroie volontiers." (Potvin 7205-9).

Bei Wolfram tut er es aber in sehr ungenierter Weise:„er greif ir
undern mantel dar: - ich waene, er ruort irz hüffelln" (4072-3).
Der graue Ritter, der die Liebenden überrascht, wirft Gawan
nicht ohne Grund vor: „mïns hérren den ir sluoget - daz
iuch des niht genuoget, - irn nötzogt och sm tohter hie .
(40717-9)- denn, daß er dazu die Absicht hatte und Antikonie
Unig Widerstand geleistet hätte, darauf spielen die vorange-
henden Verse an:

„von der liebe alsölhe nöt gewan

„beidiu magt und ouch der man,

„daz dä nach was ein dinc geschehen,

„hetenz übel ougen niht ersehen.

„des willti si bede warn bereit." (407®"»).

Antikonies Aüßeres reizt die sinnliche Begierde des Mannes:
ir munt was heiz, dick unde röt"; „baz geschiet an spizze hasen,
:^ich waene den gesäht ir nie,-dan si was dort unde hie,-
zwischen der hüffe unde ir brüst;" „irn gesäht
bezzers
gelenkes pflac, - dan si was dä der ë^f \'

40026-0. 4 102-4) Wenn sie sich aber nachher damit brüstet, sie hane
zwei Schutzwaffen für ihre
Jungfräulichkeit gehabt: „guot ge-

-ocr page 92-

baerde und kiusche(r) site", so glauben wir ihr doch nicht recht.
Beim Abschied von Gawan bedauert sie, daß sie mit ihrer
Fürsprache nicht mehr erzielt habe und versichert ihm:

„des gloubt ab, swenne ir lidet pin,

„ob iuch vertreit ritterschaft

„in riwebaere kumbers kraft,

„s5 wizzet, min her Gäwän,

„des sol min herze pflihte hän

„ze flüste odr ze gewinne." (43128—4321).

Wenn dies keine Redensarten sind, so wäre es hier doch
wieder bloß die
Frau, welche an dem Schmerz ihres Ritters
Anteil nehmen will, denn Gawan verfolgt seinen Weg und ist
bald im Dienste einer andern Dame, der verführerischen
Orgeluse. —

Wenn wir die Szenen zwischen Gawan und Orgeluse bei
Crestien, mit denen bei Wolfram vergleichen, so finden wir
eine wichtige Abweichung: Wolfram entschuldigt das Betragen
der Dame damit, daß sie einen Rächer für den von Gramoflanz
getöteten Cidegast sucht und deshalb jeden Ritter auf seine Tapfer-
keit hin prüft. Offenbar war Wolfram die grausame Herrsch-
sucht der Frau und die sklavische Unterwürfigkeit des Mannes
zuwider. Schalten wir aber diese Entschuldigung aus und
ergänzen wir Wolframs Schilderung mit einigen Zügen aus
Crestien, so bekommt Gawans Verhältnis zu Orgeluse große
Ähnlichkeit, mit der sexuellen Hörigkeit des „Chevalier ä la
charrette". Wenn auch die Zumutungen, die ihm gemacht
werden, weniger stark sind, wenn auch körperliche Verletzung
und Blasphemie bei Wolfram keine Rolle spielen, so muß Gawan
sich dennoch den schmählichsten Hohn von seiner Dame gefallen
lassen. Als er ihr das Pferd übergibt, weigert sie sich die
Stelle anzufassen, die seine Hand berührt hat. Nach /dem
Abenteuer im Baumgarten empfängt sie ihn mit Schimpfworten:
„west willekomn, ir gans. — nie man sö gröze tumpheit dans,
— ob ir mich diens weit gewern". (SlSis-®). Die Hilfe beim

-ocr page 93-

Aufsteigen schlägt sie aus: „des hän ich niht gfS^ft 7- iwer
unversichert hant - mac grifen wol an smaeher pfant. (515 ).
Crestien fügt noch hinzu, daß sie sich ereifert, weil er ihren
Mantel aufheben will: „que tu n\'as mie les mains
netes - por
ballier cose que je veste - ne que je mete entor ma teste^
(Potvin 8248-50). Den ganzen Tag darf er sie nicht anrühren
„Et va quel part que tu vorras, - que a mon cors ne a mes
dras - ne touceras nient de plus pres". (Potvin 8210 uff).
Nachdem er Malcreatiures Klepper bestiegen hat, mahnt sie
ihn noch einmal, er solle sie verlassen. Er aber antwortet:

(52322-5) ,,iwer minne ich haben wolte.

„mag ich der niht erwerben,
„s5 muoz ein sürez sterben

„sich schiere an mir rezeigen----"

(52330-524^) „nu nennt mich rïter oder kneht,
„garzün oder vilän.
„swaz ir spottes hät gein mir getän,
„dä mite ir sünde enpfähet,
„ob ir mïn dienst smähet,"

Als Gawan Kräuter pflückt spottet sie: „daz sihe ich gerne.—

waz ob ich kunst gelerne?" (517010) und „kan der geselle mm-
arzet unde rïter sïn, - er mac sich harte wol bejagn, - gelernt
er bühsen veile tragn". (51629-5172). Daß Gawan seinen Schild
auf die Rosinante bindet, gibt ihr Anlaß zu neuem Hohn: „wer
gap mir ze teile — einen arzet unde eins krämes pflege?
(531^^®). Nachdem er den „turkoyten" besiegt, fordert sie ihn
ironisch auf, seine Wunden verbinden zu lassen: »lätJu den
vinger ziehen. - ritet wider üf zen frouwen". (59989). Aber
nichts vermag seine Liebe zu erkälten:

„wan immer swenner an si sach,
„sö was sïn pfant ze riwe quït.
„si was im reht ein meien zït,
„vor allem blicke ein flörï,

-ocr page 94-

„ougen süeze unt sûr dem herzen bï.
„sït vlust unt vinden an ir was,
„unt des siechiu freude wol genas,
„daz frumt in zallen stunden
„ledec unt sëre gebunden". (SSl^aso).

Er gesteht ihr, daß er ihr „Gefangener" sei und fleht sie an:

„kêrt gein mir wïplïchen sin.
„swies iuch habe verdrozzen,
„ir habt mich in geslozzen:
„nu loeset oder bindet." (SlO^o^S).

Endlich, nachdem er das gefährliche Abenteuer am „gweiz
prelljus" bestanden, versöhnt sie sich mit ihm und wenn bei der
Mahlzeit „siz parel im geböt — daz gerüeret het ir munt, —
sö wart im niwe freude kunt — daz er dä nach solt trinken".
(62222-2S).

Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß die sexuelle
Hörigkeit, wenngleich ein Auswuchs der höfischen Minne, denn-
noch wesentlich verschieden ist von der Liebe, wie sie Gottfried
schildert. Das Erotische nähert sich hier dem Perversen, während
es sich im „Tristan" dem Übersinnlichen nähert.

Bei den Nebenfiguren der Gawanepisoden finden sich einige
Züge, die das ritterlicheElement der höfischen Minne hervorheben.
Obie schlägt den Antrag ihres Liebhabers aus, weil er sich noch
nicht im Kampfe bewährt habe. Als der Fährmann seine Toch-
ter weinen sieht und glaubt, daß Gawan sie belästigt habe,
tadelt er ihn deswegen nicht; ein einfaches Mädchen muß es
sich zur Ehre anrechnen, daß ein hoher Herr sich mit ihr abgeben
will: „ob daz von erste bringet zorn, — der ist schier dä nach
verkorn". (SSS^^-so). — Auch der Minnebrief, „le salut d\'amour",
fehlt nicht. Itonje, die ihren Geliebten,\'Gramoflanz, nie gesehen hat,
bekommt einen solchen von ihm, worin die Treue der Lieben-
den mit der Unbeweglichkeit des Polarsterns verglichen wird
und der Verfasser sich „den dienstman" seiner Dame nennt.

-ocr page 95-

Besondere Beachtung verdienen v/eiter noch die „love-trances",
die im „Parzival" erv^rähnt und beschrieben werden. Vorbildlich
ist wieder „le
Chevalier ä la charrette", worin Lancelot wie em
Nachtwandler hinter der Königin Ginevra hergeht. Ohne Schmerz
zu empfinden kriecht er auf nackten Knieen über die Messer-
brücke, die in das Zauberland von Gorre führt; als die Kömgm
an seinem Fenster vorbeigeführt wird, will er sich hinaus-
stürzen; die Gitterstäbe des Tores, das ihn von der Geliebten
trennt, zerbricht er, ohne zu bemerken, daß er sich dabei die
Hände wund reißt:

„Et ses pansers est de tel guise

„que lui meismes an oblie,

„ne set s\' il est ou s\' il n\' est mie,

„ne ne Ii manbre de son non,

„ne set s\' il est armez ou non,

„ne set ou va, ne set dou vient;

„de rien nule ne Ii sovient

„fors d\'une sole, e por celi

„a mis les autres an obli." (v. 718 u. ff.)

So wird im „Parzival" darauf angespielt, daß Gawan, als
Page, sich beim Anblick der Königin Inguse in die Hand ge-
schnitten und daß er später im Kampfe mit Lähelin durch den
Anblick der Geliebten von Sinnen gebracht
und besiegt worden.
.<301®-20). Vor allem erinnert aber an Lancelot die Schilderung,
wie Parzival durch die drei Blutstropfen im Schnee sich in
Gedanken an Kondwiramur verliert und im Traumzustand
Segramors und Keie besiegt. Diese erotische Ekstase enthält ein
mystisches Element, das die höfische Minne über das Niveau
der bloßen Sinnlichkeit hinaushebt. Wir erinnern an Bernhard
von Clairvaux, von dem Görres in seiner „Mystik" erzählt (S.249):
„Die Sinnen fanden sich so gebunden, daß er sehend nicht
sah, hörend nicht hörte, noch auch schmeckend einigen Ge-
schmack empfand." Derselbe Zustand des Entrücktseins wird
in Dantes „Purgatorio" geschildert:

-ocr page 96-

„O immaginativa, che ne rube

„tal volta si di fuor, ch\'uom non s\'accorge,

„Perché d\' intorno suonin mille tube,

„Chi move te, se il senso non ti porge?

„Moveti lume, che nel ciel s\'informa

„Per sè, o per voler che giù lo scorge." (XVII13—18).

Der ritterliche Frauendienst, der sich sonst im Parzival auf
das Erotische beschränkt, nähert sich also in den „lovetrances"
der mystischen Frauenliebe des „Lancelot."

Auffallend ist nun freilich, daß Parzival gleichfalls das Opfer
eines solchen Liebeszaubers v^ird. Wir haben darin eine Bestä-
tigung für die Annahme, daß er ursprünglich
wie Gahmuret und
Gav/an ein Frauenritter war. Die Begegnung mit Jeschute v^ird
früher nicht einen so stumpfen Ausgang gehabt haben, wie
jetzt; darauf deutet noch die Beschreibung der schlafenden
Jeschute und Parzivals leidenschaftliche Umarmung hin. Im
Übrigen bildet die Gralgemeinde namentlich durch ihre Keuschheit
einen Gegensatz zu der Tafelrunde. Die Gralritter dürfen sich
bloß verheiraten, wenn sie zum Schutz eines herrenlosen Landes
die Gralsburg verlassen haben. Der Gralkönig ist verwundet wor-
den, vreil er das Keuschheitsgelübde gebrochen und ein Opfer der
verführerischen Orgeluse geworden ist. Diejungfrauwird verherr-
licht in der Gestalt der Erde vor der Entehrung durch Abels
Blut (464^3 u. ff.), in dem Einhorn (482^4 u. ff.), in der Mutter
Gottes (46420). ßei Crestien folgt dem keuschen Beilager mit
Kondv^iramur keine Ehe, bei Wolfram erfolgt die Ehe, erst,
nachdem Parzival sie drei Nächte Jungfrau gelassen. Aus alledem
zeigt sich deutlich das Bestreben, Parzival immer mehr zum
keuschen Gralsucher zu machen, in dessen Leben die Minne
keine Rolle spielt. Kleine Züge aus der Jugendgeschichte deuten
gleichfalls darauf hin. Gurnemanz bittet Parzival sich auszu-
ziehen: „ungernerz tet, doch muostez sîn". (166i^). Jungfrauea
baden ihn aber:

(167^^ u. ff.) „man bot ein badelachen dar:

-ocr page 97-

„des nam er vil kleine war.
„sus kunder sich bî frouwen schemn,
„vor in wolt ers niht umbe nemn.
„die juncfrouwen muosen gën:
„sine torsten dä niht langer stën."

Im nächsten Abschnitt wird noch von der Keuschheitsprobe
die Rede sein, die Parzival bestehen soll, um in die Gralgemeinde

aufgenommen zu werden.

Wolfram aber steht selbst nicht auf dem Standpunkt, daß
der Gralsucher auf jede Liebe verzichten soll. Der höfischen
Minne gegenüber verficht er die Berechtigung der Ehe. Obgleich
die „liebe" zu Blutschande (Gregor) und Untreue gegen Freund
und Lehnsherrn führt (Tristan, Lancelot), obgleich sie zu Be-
gierden verleitet, wofür die Seele im Jenseits büßt, ist sie die
Spenderin der Herzensfreude und wäre es ein Fehler sie ohne
Weiteres zu tadeln
(291—2935).

Nicht die plötzlich aufflammende Leidenschaft ist Liebe, sondern
„reht minne ist wäriu triuwe" (5321°). Diese lobt er: „lüter minne
ich prise — unt alle die sint wise: — ez sï wïp oder man: —
von den ichs ganze volge hän." (533^1 u. ff.).

Von dieser Liebe sagt Gurnemanz:

„man und wïp diu sint al ein;

„als diu sunn, diu hlute schein,

„und ouch der name der heizet tac.

„der enwederz sich gescheiden mac:

„si blüent üz eime kerne gar." (VIZ^-^).

Auch Parzivals Schuld ist nun freilich eine Liebesschuld, aber
nicht\'völHge Hingabe, sondern Mangel an Mitgefühl wird ihm vor-
geworfen. Nicht auf dem Gebiete der mystisch-erotischen Frauen-
minne versündigt er sich, sondern auf dem der allgemeinen,
christlichen Menschenliebe. Seine Schuld steht der Sünde Tri-
stans diametral gegenüber. Sowohl bei Crestien wie bei Wolfram
ist Parzivals Hauptsünde, daß er auf der Gralsburg nicht fragt.

-ocr page 98-

Bei Crestien handelt es sich dabei um eine Frage, bezüglich
den Gebrauch des Grals: „qui on en sert". — bei Wolfram
um die Mitleidsfrage: „oeheim, waz wirret dier". Keiner von
beiden wird wohl das Ursprüngliche haben ; die Formel, welche
die Entzauberung herbeiführen und den kranken Gralkönig
heilen soll, hat jedenfalls bei Wolfram einen tiefern ethischen
Inhalt. Auf der Gralsburg sündigt Parzival unwissentlich:

„umbe den wurf der sorgen

„wart getoppelt, dö er den gräl vant,

„mit sïnen ougen, äne hant

„und äne Würfels ecke." (248io-i3).

Diese Schuld ist jedoch die Folge eines schweren Vergehens:
bei Crestien hat er den Tod der Mutter, bei Wolfram den
Leichenraub Ithers und den Tod der Mutter auf dem Gewissen.
Bei Crestien weiß Parzival sehr wohl, daß Herzeloyde vor
Schmerz ohnmächtig geworden ist. Er verabschiedet sich von Gur-
nemanz weil: (Potvin 2779—84) „de duel de moi, quantlelaissai —
caï pasmée
bien lésai; — et pour çou ne poroit pas estre — tant que
je séusce son estre — que je feisse lonc séjor; — ains m\'en irai
demain au jor." Auch von Blancheflor trennt er sich um die
Mutter zu suchen; unterwegs betet er immerfort, er möge sie
noch gesund wiederfinden. Seine bewußte Hartherzigkeit wird
streng bestraft. Ungesucht -findet er die Gralsburg, aber die
Frage, wodurch der Zauber gelöst und der kranke König geheilt
werden könnte, fällt ihm nicht ein: der Gralsucher hat sein
Glück und das der Gralhüter verspielt. Bei Wolfram aber weiß
Parzival nicht, daß seine Mutter ohnmächtig geworden und
gestorben. Er verabschiedet sich von Gurnemanz um auf Aben-
teuer zu ziehen und trennt sich von Kondwiramur gleichfalls
„durch äventiure zil". Freilich will er auch seine Mutter be-
suchen, aber von ängstlicher Sorge um sie ist nicht die Rede:

„ob ir gebietet, frouwe,
„mit urloube ich schouwe

-ocr page 99-

„wiez umbe mïne muoter stë.

„ob der wol oder wë

„SÎ, daz ist mir harte unkunt." (223i\'^-2i).

Unterwegs denkt er auch nicht an sie, sondern er trauert
um Kondwiramur, die er auf lange Zeit verlassen.

Wenn aber Parzival nicht um den Tod der Mutter weiß,
so kann seine Hartherzigkeit ihr gegenüber auch nicht die
Ursache seines Schweigens auf der Gralsburg sein. Dem wider-
spricht ja auch der herzliche Anteil,
vor dem Besuch auf der
Gralsburg, an dem Schmerz der um den erschlagenen Schiona-
tulander trauernden Sigune. Daß Parzival Amfortas nicht nach
seinem Leiden fragt, findet lediglich seine Ursache darin, daß
das bei Gurnemanz neu erworbene Anstandsgefühl, das natür-
liche Mitleid unterdrückt; daß die buchstäbliche Befolgung von
Gurnemanz\' Ratschlägen zu kluger Überlegung, zu kalter Teil-
nahmslosigkeit führt. Bei alledem hat Parzival geglaubt, er tue
das Richtige, denn seine Mutter war es, die ihm empfahl, auf
den Rat alter und weiser Männer zu hören. Wie konnte das
Gute zur Sünde werden?
Weil in der Welt der beste und reinste
Mensch Gott nicht gehorchen kann;
weil der Mensch der zu der
Erkenntnis kommt, daß die Ritter „noch liehter danne got
getän" sind, zum Erlöser der Welt nicht taugt; weil keiner,
den die Flut des Lebens lockt und mit sich reißt, der himm-
lischen Seligkeit teilhaftig wird. Die ganze düstre Weltanschauung
der asketischen Albigenser, der Anachoreten, Einsiedler und
Klausner redet aus dieser Auffassung der Gralsuche \')• Aber
Wolfram war kein Asket, sondern ein lebensfroher Ritter! So
wenig wie die absolute Keuschheit seines Helden, vertrug sich
dessen völliger Verzicht auf das Ritterleben mit seiner eignen
Weltanschauung. Ob Kyot ihr huldigte, oder ob auch er bereits
seine Quelle in ähnlicher Weise geändert hatte, wollen wir

\') Pauphllet hat in seinem Buche „Études sur la Queste del saint Graal"
dargelegt, wie zuletzt der Gral und die Gralsuche zum Symbol Gottes und der
Gottsuche werden.

-ocr page 100-

unberücksichtigt lassen. In Wolframs „Parzival" ist jedenfalls
der Versuch gemacht worden, Parzivals Schuld ins Ritterliche
zu wenden: Nicht der Tod der Mutter, nicht der Auszug in die
Welt, sondern der unritterliche Leichenraub macht ihn des
Grales und der Tafelrunde unwürdig. Nur darauf können sich
Kundries Worte beziehen: „tavelrunder ist entnihtet: — der
valsch hat dran gepflihtet". (31429-30), ^n die sich gleich die
Erzählung von Ithers Tod reiht. Als Nebenmotiv behält Wolfram
den Tod der Mutter bei.

Dadurch ist nun aber die Schuldfrage bei Wolfram sehr
unklar und verworren geworden. Denn, wenn der Leichenraub
das Hauptmotiv zu Parzivals Schuld ist, ist es bedauerlich, daß
er nicht eher von Gurnemanz über Ritterbräuche belehrt worden
ist und Gurnemanz\' Belehrung hat andrerseits die unmittelbare
Folge, daß Parzival auf der Gralsburg zu fragen versäumt.
Ist diese Umänderung des Schuldmotivs also ein Kompositions-
fehler in Wolframs Gedicht, so ist sie für unsre Unter-
suchung um so wichtiger. Denn sie beweist uns wiederum, daß
der Dichter ein
Ritter war.

III. VERBANNUNG UND BEKEHRUNG.

1. Tristan.

In Béroul\'s „Tristan" führen die Liebenden nach ihrer Ver-
bannung ein elendes Leben im wilden Walde. Tristan macht
aus Ästen und Zweigen eine Laube, worin sie zusammen
schlafen. Sie haben weder Milch noch Salz: „De char vivent."
(1645). — „Longuement par Morrois fuirent. — Chascun
d\'eus soffre paine elgal, — Qar l\'un por l\'autre resent
mal". (1648—50). Der Dichter beklagt sie bitter, denn ihr Leben
ist „aspre et dure". Lange Zeit verweilen sie „en la forest par-
fondement, — longuement sont en cel desert." (1304—5). All-
mählich erwacht in beider Herzen die Reue. Tristan macht

-ocr page 101-

sich Vorwürfe, daß er seine Ritterpflichten vernachlässigt hat:
„oublie ai chevalerie, — a seure cort et baronie (2165—6); daß
er Marke betrogen: „Dex! tant m\'amast mes oncles chiers, —
se tant n\'eüse a lui mesfet!" (2170—1); daß er Iseut um seinet-
willen Armut leiden läßt:

„en bois est, et si peüst estre

„en beles chanbres, o son estre,

„portenduës de dras de soie.

„Por moi a prise male voie." (2181—84).

Indessen sagt Isolde sich, daß sie jetzt wie eine Königin
leben könnte, wenn Brangain den Zaubertrank besser gehütet
hätte. Ihr Gewissen klagt sie an und sie fordert Tristan auf,
mit ihr Gottes Gnade zu erflehen:

„Amis Tristran, mot dites bien.

„Au riche roi celestïen

„puison andui crïer merci,

„qu\'il ait de nos, Tristran, amil" (2285—8).

Ganz anders bei Gottfried. Bei ihm bedeutet die Verbannung
für die Geliebten die höchste Seligkeit, weil sie jetzt einander
gehören dürfen, weil niemand sie mehr belauscht als die Blumen
und Vögel, die Kinder und Boten der Liebe/ In der mittelalter-
lichen Literatur ist der Baumgarten als Lieiaeshof ein stehendes
Motiv, das auf die Schilderung des Paradieses im Buche Genesis
zurückgeht. „Verger et palais (le palais d\'amour)... (sont)
séparés d\'un pont de fleurs... Dans toute la cour: chantres,
conseillers, messagers, champions,
les oiseaux... : ils sont juges,
cavaliers, servants et protecteurs des dames pour lesquelles ils se
battent. Enfin, flottant sur toutes ces merveilles, le souffle du prin-
temps, d\'un printemps éternel." \') Nicht in einer Laube, sondern in
einer wundervollen Grotte, die in alter Zeit den Riesen als
Liebeshöhle gedient, leben Tristan und Isolde. Eine Krone aus
Edelsteinen schließt das Gewölbe; der Estrich ist aus grünem

\') Oulmont: Lea débats du clerc et du chevalier. Pag. 2.

-ocr page 102-

Marmor; das kristallene Bett ist mit Inschriften über
das Wesen der Minne geschmückt. Oben in der Grotte
sind kleine Fenster, durch die das Sonnenlicht herein-
flutet; eine eherne Tür, die durch zwei Riegel von innen
geschlossen wird, bannt alle Unberufene aus ; vor dem
Eingang verbreiten drei große Linden ihren Schatten; etwas
weiter dehnt sich eine blumige Wiese aus, in deren Mitte ein
klarer Brunnen fließt Wie eine Oase liegt dieses Paradies in
einer felsigen Wildnis, durch die kein gebahnter Weg hin-
durch führt. Sanfte Winde wehen um die Höhle und durch
die Fenster dringen Sonnenschein, Vogelsang und Blumenduft
und umschweben das selige Paar. Nie hat König Artus ein
solches Fest bereitet, nie gab es eine Freude in der Welt, wie
sie jetzt erleben. Ihr „ingesinde" sind Bäume, Schatten, Sonne,
Blumen, Gras, Laub und Blüten; ihr „dienst" ist „der vogele
schal". Fürwahr diese „Ritter" sind herrlicher als die der
Tafelrunde !

Die Liebenden brauchen keine leibliche Nahrung; sie nähren
sich mit ihren Liebesblicken. So weigert sich Flamenca,\') nach
ihrem Stelldichein mit Guillaume, zu essen:

„Non hai pron manjar et begut
„can mon amie ai hui tengut
„entre mos bras, bell\' Aélis?
„e cujas ii qu\'en paradis
„aia hom talent de manjar?
„de neguna ren non ai faim
„mas de veser celui cui aim"

(„Flamenca" V. 6085 u. ff.).

Morgens gehen Tristan und Isolde durch die betaute Wiese.
Sie ruhen am Bach, oder wenn\'s wärmer wird, unter den
schattigen Linden und lauschen dem Vogelgesang und dem Brun-
nen geplätscher. Oft unterhalten sie sich über andre Liebende,
von denen die Dichter erzählen. Sie gehen auch auf die Jagd
nach Wild und Vögeln aber:

\') La société française au XIIIo siècle. Langlois.

-ocr page 103-

„niht durch dekeinen den bejac,

„der an solhen dingen lît,

„niuwan durch die kurzen zït,

„die man hie mite haben soi." (17266—9).

Und abends, wenn die Vögel schweigen, tönt aus der Grotte
Harfenspiel und Gesang. Ausführlich wird das Innere der Höhle
beschrieben und symbolisch gedeutet. Die Ausschmückung des
„palais d\'amour" mit kostbaren Edelsteinen geht zurück auf die
Schilderung des himmlischen Jerusalem in der Apokalypse:
(XXI.ii) „Habentem claritatem Dei, et lumen ejus similo
lapidi pretioso, tanquam lapidijaspidis,sicutcristallum.(18) Et erat
structura muri ejus ex lapide jaspide, ipsa vero civitas aurum
mundum simile vitro mundo". (XXI^®) „Et fundamenta
muri civitatis omni lapide pretioso ornata". Die kostbaren Steine
werden bei Gottfried symbolisch zum Schmuck der Liebeshöhle
verwendet, deren Form und Ausstattung gleichfalls symbolisch
gedeutet wird. Die Grotte ist länglich rund, ohne Winkel, weil
die Minne ohne List und Tücke sein soll. Ihre Weite zeugt von
der Kraft, ihre Höhe von der Freude des Liebesglücks. Das
Gewölbe wird geschlossen mittels einer Krone aus Edelsteinen :
die Tugenden, zu denen wir emporstreben sollen. Der Estrich
ist aus grünem Marmor, denn auch die „staete" soll immer neu
und lauter sein. Durchsichtig ist die wahre Liebe, wie das
kristallene Bett; die Tür wird von Innen geschlossen, denn wer
zur Minnepforte eintritt, ohne daß man ihn von Innen einläßt,
übt Gewalt oder List aus. Das Zedernholz bedeutet Weisheit,
das Elfenbein Keuschheit; der Griff aus Zinn symbolisiert die
heimlichen Gedanken, die goldene Klinke das Glück. Die drei
Fenster: Güte, Demut und Zucht lassen den Sonnenschein :
die Ehre herein. Wie aber die Höhle mitten In der Wüste liegt,
so ist auch die Minne nicht leicht zu erwerben :

(17095 ff.) „swer aber sö saellc mac gesïn,
„daz er zer wilde kumet hin In,
„der selbe hat sin arbeit

-ocr page 104-

„vil saeleclïchen an geleit:
„der vindet dä des herzen spil;
„swaz sö daz öre hoeren wil
„und swaz dem ougen lieben sol,
„des alles ist diu wilde vol."

Auch hier betont der Dichter w^ieder, daß der Weg zur
höchsten Seligkeit durch Kampf und Leiden geht.

Dennoch findet eines Tages ein Unberufener den Weg zur
Grotte: Markes Jägermeister, der einen entflohenen Hirsch ver-
folgt, entdeckt die Höhle und blickt durch das Fenster hinein.
Isolde und Tristan aber, die den Schall der Hörner vernommen,
halten sich nicht wie sonst im Schlaf umschlungen, sondern
liegen getrennt, ein blankes Schwert zwischen ihnen. So schaut
sie auch Marke und zweifelt aufs Neue an ihrer Schuld. Da
liegt Isolde, die schönste aller Frauen; golden schimmern ihre blon-
den Haare im Sonnenschein und ihre Wangen röten sich im
Schlaf. Er hat sich verzehrt in Sehnsucht nach ihr; aber immer
wieder hat er sein Verlangen niedergekämpft, weil er wußte,
daß sie einen Andern liebte; an der Seite dieses Andern liegt
sie jetzt, aber ein blankes Schwert trennt sie von ihm: sie
gehört ihm nicht 1 Er wagt sie nicht zu wecken, nicht zu
küssen; nur einen kleinen Liebesdienst darf er ihr erweisen:
er verdeckt das Fenster mit Laub und Blumen, damit das
Sonnenlicht sie nicht hindre; dann kehrt er weinend zu den
Seinigen zurück. Er ruft den Hof zusammen, erzählt was er
gesehen und bekommt dessen Einwilligung, Tristan und Isolde
zurückzurufen. Kurvenal wird hingeschickt und die Verbannten
kommen wieder heim. Sie verlassen das Paradies ihres Liebes-
glücks, das sie nicht mehr betreten werden, „durch got und
durch ir ëre" d. h. weil sie Gottes Huld und die Achtung der
Welt wiedergewinnen wollen.

Nicht weil sie das elende Leben im Walde müde sind, denn
für sie war es die himmlische Seligkeit; nicht weil sie ihre
Liebe bereuen, denn sie ist ihnen das Höchste und Heiligste;

-ocr page 105-

sondern weil sie sich dessen bewußt sind, daß ihre Liebe mit Gottes

Gebot und den menschlichen Gesetzen im Widerstreit ist, fangen

sie aufs Neue den verzweifelten Kampf mit ihrem eignen
Herzen an.

Isolde lebt nunmehr als Königin an der Seite ihres Gemahls.
Zwar sieht er es vor Augen, daß sie Tristan liebt, aber durch
ihre Schönheit geblendet, will er \'s nicht wissen, bildet er sich
ein, daß sie ihm allein gehöre. Gottfried nimmt Isolde gegen,
jeden Tadel in Schutz. Man könne ihr keinen Vorwurf machen,
denn sie betrüge weder Marke noch Tristan, sondern zeige
deutlich ihre Gesinnung: „welle wir den billïch schouwen, -—
sone sulen wir den frouwen — dekeine schulde geben hier an".
(17787—9). Denn die Liebe ist übermächtig
und läßt sich durch
nichts zurückdrängen. Gesteigert wird die heimliche Neigung aber
durch die „huote": „daz vertäne antwerc". Denn das Verbotene
reizt: Eva hätte nie vom Feigenbaum genascht, wenn Gott es
ihr nicht untersagt hätte. Durch die fortwährende Beobachtung,
der die Liebenden ausgesetzt sind, entflammt die brennende
Sehnsucht nach ungestörtem Liebesglück, die zum Stelldichein
im Garten führt. Dort überrascht Marke die Schlafenden und
entdeckt zum ersten Male mit eignen Augen den Betrug:

(18219—22) „Der künec dö er sïn ungemach
„als offenbaerliche ersach,
„dö was im
êrste vür geleit
„sin endelichez herzeleit."

Er schleicht davon um Zeugen zu holen, aber Tristan erwacht,
warnt Isolde und nimmt schleunigst Abschied von ihr. Sie gibt
ihm einen Ring als Liebespfand. Obgleich sie jetzt räumlich
getrennt werden, bleiben ihre
Herzen und ihre Körper vereinigt:

(14329—40) „es wundert mich kleine,
„was ir nöt gemeine
„und ir leit ungescheiden;
„ez enwas ouch an in beiden

-ocr page 106-

„nie më wan ein herze unde ein muot;
„ir beider übel, ir beider guot,
„ir beider tôt, ir beider leben
„diu wären alse in ein geweben:
„swaz ir dewederem gewar,
„des wart daz ander gewar;
„swaz sö dem einem sanfte tete,
„des enpfant daz ander an der stete".

Isolde bittet denn auch ihren Geliebten:

<18339—50) „swelch enden landes ir gevart,
„daz ir
iuch, mînen lîp, bewart;
„wan swenne ich des verwlset bin,
„sö bin
ich, iuwer lîp, dä hin:
„mir, iuwerm übe, dem wil ich
„durch iuwern willen, nicht durch mich,
„filz unde schoene huote geben,
„wan
iuwer lîp und iuwer leben,
„daz weiz ich wol, daz lït an mir:
„ein lîp
und ein leben, daz sin wir
„nu bedenket ie genöte
„mich, iuwern lîp, Isole."

Wir werden erinnert an die schönen Verse im „Lai du
Chèvrefeuille" \'), wo es heißt :

„Faite m\'aveis grant bontei,
„douce amie, debonaire riens,
„don j\'ai vostre euer dontei,
„si ke vostres est Ii cuers et miens."

Als Markes Höflinge kommen, finden sie Isolde alleine im
Garten und glauben, der argwöhnische König habe seine Gattin
verleumdet. Tristan aber schifft sich mit seinen Mannen ein nach
der Normandie.

\') Bartsch: Chrestomathie de 1\'ancien français. 40, 21.

-ocr page 107-

Isolde bleibt in heller Verzweiflung zurück; sie beklagt sich,
daß Tristan ihr Leben mit sich führe, daß sie Wogen und
Winden preisgegeben sei, daß weder sie noch Tristan weiter-
leben könnten, ohne daß ihre Herzen und Körper vereinigt seien.
Dann überlegt sie bei sich, daß Tristan, der Fliehende, schwereres
Leid zu tragen habe als sie und tröstet sie sich mit dem Ge-
danken:

(18588—92) „mir ist doch lieber vil, daz er
„gesundes libes von mir si,
„dan er mir also waere bl,
„daz ich mich des versaehe,
„daz im schade bl mir geschaehe." —

Nach vielen Abenteuern kommt Tristan in seine Heimat
zurück, wo seine Pflegeeltern bereits gestorben sind, Ruals Söhne
ihn aber herzlich empfangen. Er hilft dem Herzog von Arundel
im Kriege mit feindlichen Nachbarn und gelangt dadurch zu
großen Ehren. Dessen Tochter erinnert ihn an die verlorne Geliebte,
denn sie heißt gleichfalls Isolde. Er wird unendlich traurig,
aber er freut sich dennoch seines Schmerzes: „im tete diu triure
verrebaz, — die er nach der blunden haete, — dan im ander fröude
taete". (18988—90). Der Dichter wiederholt den in der Einleitung
ausgesprochenen Gedanken über das Liebesleid: „daz übel daz
tuot sö herzewol....". Tristan leistet ihr oft Gesellschaft; er
schreibt und liest für sie; er fängt wieder zu dichten und zu
komponieren an und der Refrain seiner Lieder lautet immer:

„Isöt ma drüe, Isöt m\'amie, — en vüs ma mort, en vüs ma vie".

Er denkt dabei an die blonde Königin von Cornwall, aber
die Herrin von Karke bezieht die Worte auf sich und der
ganze Hof glaubt mit ihr, daß er um ihre Hand anhalten wolle.
Tristan bemerkt es und macht sich Vorwürfe, daß er es so
weit hat kommen lassen. Er fängt zu zweifeln an. Er fragt
sich, ob es billig sei, daß Isolde die Blonde als Markes Gattin
lebe, während er nirgendwo Befriedigung für seine sinnliche
Begierde suchen dürfe* Wenn er nur dessen sicher wäre,

-ocr page 108-

daß sie ihn liebe wie einst, aber sie hat ihm seit seiner Abreise
keine Nachricht geschickt, obgleich es gar nicht so schwer ge-
wesen wäre, seinen Aufenthalt auszuforschen. Wie Galeran
traurigen Herzens sich entschließt, die schöne Fleurie zu heiraten,
weil sie seiner Jugendgeliebten so ähnlich sieht, so reift allmäh-
lich bei ihm der Entschluß, sich die Namensschwester seiner
Isolde zur Frau zu nehmen.

Zur Entschuldigung fügt der Dichter hinzu: „daz man vil
michels baz vertreit — durch verre minne ein verre leit, —
dan daz man minne nähe bi — und näher minne äne si."
(19369—72.). Hier bricht Gottfrieds Gedicht ab; daß es aber
mit dem Tod der Geliebten enden würde, verbürgt uns die
Einleitung. Dem tragischen Charakter der Erzählung entspricht
es, daß die Geliebten sich nicht wiedersehen und Isoldes Liebes-
tod findet ihr ergreifendes Gegenstück in Dantes „Vita nuova":

„lo divenia nel dolor si umile,
»Veggendo in lei tanta umiltä formata,
„Ch\'io dicea: Morte, assai dolce ti tegno;
„Tu dei omai esser cosa gentile,
„Poiche tu se\' nella mia donna stata,
„E dei aver pietate, e non disdegno.
„Vedi che si desideroso vegno
„D\'esser de \'tuoi, ch\'io ti somiglio in fede.
„Vieni, che \'1 cor te chiede".

(Schlußstrophe z. Canzone Cap. 23.)

2. PARZIVAL.

Sobald Cundrie den Fluch über Parzival ausgesprochen hat,
rüstet dieser sich zum Aufbruch. Weil die Tafelrunde durch
seine Gegenwart entehrt wird, ist seines Bleibens dort nicht
länger. Aber er ist keineswegs gedemütigt und schuldbewußt I.
Zwar kann er\'s den Rittern nicht verdenken, wenn sie sich von
ihm abwenden, aber er hofft dennoch durch seine Tapferkeit
ihre Huld wieder zu gewinnen. Sein Stolz bäumt sich auf gegea

-ocr page 109-

den unverdienten Hohn: hat doch der „virerdq" Gurnemanz ihm
geraten, unnützes Fragen zu unterlassen! Warum hat Gott
ihn nicht gewarnt, warum hat Er nicht verhütet, daß Gralsucher
und Gralgemeinde um das höchste Glück gebracht wurden?
Fürwahr, wenn Gott allmächtig wäre, so wäre alles anders
gekommen: „We waz ist got? - waer der gewaldec, sölhen
spot - het er uns peden niht gegebn, - künde got mit kreften
lebn." (3321-^). Wie aber Gahmuret nur dem mächtigsten Für-
sten dienen wollte
 so will Parzival nur einem allmäch-
tigen Gotte dienen.

Darum kündigt er Ihm den Gehorsam: „nu wil i m dienst
widersagn:-hät er haz, den wil ich tragn». (332^-8). Statt daß
er aber auf das Gralkönigtum, dessen Cundrie ihn unwürdig
erklärt hat, verzichtet, zieht er aus den Gral zu
suchen, und
wär\' es bis ans Ende der Welt. Nirgendwo will er länger als
eine Nacht verweilen, vor keinem Kampfe will er zurückschrek-
ken, bis er ihn wiedergefunden. Was ihm vorenthalten wird,
will er sich erzwingen und ertrotzen. So irrt er denn mehrere
Jahre durch die Welt und besteht blindlings allerhand Abenteuer;
wie Iwein und Lancelot hat er jede Erinnerung an Gott ver-
loren:
„ernsuochte niht wan striten. _ ich waen bi sinen
ziten ie dechein man
s5 vil gestreit". (390«-ii). Aber das
Ziel, die Gralsuche, hat er immer
vor Augen und jeder Besiegte
der ihm Sicherheit leistet, bekommt den Auftrag ihm den Gral
zu erwerben. Nie hätte Parzival dieses Ziel
erreicht, wenn Gott
nicht eingegriffen hätte, wenn nicht durch eine providentielle
Fügung seine Bekehrung vorbereitet worden wäre: „der junge
degen unervorht — reit durch äventiure suochen: —
Sin WOlte
got dö niochen." (43510-12). Eines Tages kommt er von ungefähr
in die Nähe des Gralschlosses und zu der Klause, worin Sigune
sich mit dem balsamierten Leichnam Schionatulanders hat

einmauern lassen.

Klausner und Klausnerinnen gab es ja sehr viele im Mittel-
alter. So wird vom helligen Fintan, dem Gründer des Klosters
Rheinau bei Schaffhausen erzählt, daß man ihn ganze Nächte

-ocr page 110-

hindurch in seiner Klause laut beten hörte, um die Versuchun-
gen des Teufels zu beschwören \'), und die Klausnerin Wiborad,
die sich in der Nähe des Klosters Sankt Gallen einmauern
ließ ist allgemein bekannt, besonders durch die Rolle, welche sie
in Scheffels Roman „Ekkehard" spielt. Auch das Einbalsamieren
der Leiche des Geliebten, mit der alsdann eine Art Heiligenkult
getrieben wird, kommt vor. Singer^) weist hin auf „Richard
Ii biaus" (3200): „la puchielle enoindre de basme—fait son signour,
puis si a dit — que le metra dedans son lit, — cascun jour pour
lui rapaisier — le vorra IUI fois baisier." Freilich werden wir
auch an die trauernde Maria am Grabe Christi erinnert, um
so mehr wo auf die Ähnlichkeit zwischen Sigune mit Schionatu-
landers Leichnam im Schoß — wie sie Parzival bei der ersten
Begegnung erblickt — und der „pietä", schon häufig hinge-
wiesen wurde. Durch das Fenster unterhält sich Parzival mit
der Klausnerin. Zum ersten Male wird er zur Heilung seines
Schmerzes auf Gott verwiesen: „nu helfe dir des hant, — dem
aller kumber ist bekant". (442®"!°). Er erfährt, daß sie wöchent-
lich durch die Gralsbotin Nahrung vom Gral bekommt und in
seiner Seele wird die Hoffnung neu belebt, als sie ihn auf die
Möglichkeit hinweist, auf der Spur des Maultiers das Gralschloß
zu erreichen. Parzival macht sich sofort auf den Weg, aber er
wird bald enttäuscht: die Spur verliert sich im Gestrüpp.
Dennoch bleibt seine Mühe nicht unbelohnt, denn im Kampfe
mit einem Gralritter, der ihm den Weg vertritt, gewinnt er
dessen Gralroß. Dadurch ist die erste Verbindung mit der Gral-
gemeinde wiederhergestellt. Er reitet wieder Tage lang die kreuz
und quer durch die Wälder, bis er am Karfreitag dem alten
Ritter Kahenis begegnet, der mit seiner Familie und Dienerschaft
im Bußgewande seiner Burg zuschreitet. Es entspinnt sich eine
Disputation zwischen ihnen, weil Parzival am Gedächtnistag

\') Vita S. Findani confessoria. Mone: Ouellensamml. d. badischcn Lan-
desgesch. S. 57.

\') Casus S. Galli. cap. 3. Pertz, Monum. II. 107,

\') Singer: Wolframs Stil und Stoff der Sprache, S. 95,

-ocr page 111-

des Todes Christi dîe ritterliche Rüstung trägt. Zuletzt mahnt
Kahenis ihn den Einsiedler zu besuchen, bei dem er und die
Seinigen vorhin die Absolution empfangen. Parzival bleibt alleine
zurück; seit langer Zeit gedenkt er ^m ersten Male seines
Schöpfers. Die von der Mutter ererbte „triuwe", (welche nach
mittelalterlicher Auffassung Menschenliebe und Gottvertrauen
bezeichnet) regt sich und weckt in seinem erbitterten und ver-
stockten Herzen die Reue und das Verlangen nach Versöhnung
mit Gott. Noch brüstet er sich freilich mit seiner Rittertugend
und glaubt er kraft seiner Tapferkeit ein Anrecht auf die Gnade
des Himmels zu haben. Darum trägt das Gralroß ihn, als er
es frei läßt, nicht auf die Gralsburg, sondern zu Trevrizent,
der ihn zur Demut bekehren soll. Der Einsiedler ist ebenfalls
eine stehende Figur in den mittelalterlichen Romanen ; er spielt
u.a. eine Rolle in Béroul\'s „Tristan" und in „le chevalier à
la charrette". Ganz besonders erinnert Parzivals Besuch bei
Trevrizent an einen historischen Vorfall: an Richard Löwen-
herz\' Buße bei dem Klausner Joachim von Flore. Crestiens
Erzählung weicht hier sehr von Wolfram ab. Bei ihm findet
Parzival den Einsiedler
samt einem Priester, und Meßdiener
(clerzon), während sie eben die Messe singen. Nachdem er ge-
beichtet, wird ihm die Absolution erteilt. Hernach ist von dem
Priester nicht mehr die Rede. Nun widerspricht aber das Zele-
brieren der Messe am Karfreitag dem katholischen Kirchenbrauch;
außerdem ist est auffallend, daß ein Priester deswegen zu dem
Einsiedler kommen sollte. Vielleicht haben wir hier mit einer
Interpolation des Dichters zu tun, der dadurch ermöglichen
wollte, daß Parzival von einem
Priester die Absolution erhielt.
Bei Wolfram wird sie ihm ebenfalls erteilt, obgleich der Priester
fehlt: „Parzival die swaere (nl. das Fasten) — truoc durch
süeziu maere, —
wand in der wirt von silnden scliiet." {SOl^^-\'^).
Trevrizent ist aber ein Laie. Früher war er ein Frauenritter:
„min lebn ich dar üf zierte — daz mir genäde taete ein wip"
(45810
-11). jetzt büßt er für die Schuld seines Bruders Amfortas.
In der Klause erblickt Parzival einen des Karfreitags wegen

-ocr page 112-

ungeschmückten Altarstein mit dem Reliquienkasten. Da der
Einsiedler bei Crestien mit dem Namen „buen home", bei Wol-
fram mit „der guote man" bezeichnet wird, was W. Grimm
bereits als den Titel der Albigenserprediger deutete, und da die
Absolutionsformel: „gip mir din sünde her: — vor gote ich bin
din
Wandels wer." 5022^-6 nicht nachweisbar ist, so haben wir
guten Grund in Trevrizent einen jener Laienpriester zu erblicken,
wie die Albigenser sie statt der kirchlich-geweihten angestellt
hatten. Seine Nahrung entspricht gleichfalls der von den albi-
gensischen Predigern ausdrücklich empfohlenen: Wasser,Kräuter
und Obst. In seinem Aufsatz „Über Wolframs Ethik" hat Ehris-
mann die Unterredung zwischen Parzival und dem Einsiedler
ausführlich behandelt; wir wollen uns auf dasjenige beschränken,
was für unsre Untersuchung wichtig ist. Parzival beklagt sich
über zwei Gebrechen: Mangel an Freude und Haß gegen Gott.
Trevrizent spricht zunächst nur über das Zweite. Entsprechend
der christlichen Philosophie gründet er den Glauben auf die
Vernunft (4612®—462") und weist deshalb die Anklage gegen
Gott zurück. Als Gottes Eigenschaften werden, „triuwe", „wär-
heit" und „minne" (die absolute Liebe) genannt; in kurzen
Zügen wird die Heilsgeschichte erzählt und auf das Sündigen
durch Gedanken, Worte und Werke hingewiesen, woran sich
die Ermahnung zur Beichte schließt. Darauf behandelt er den
Mangel an Freude und belehrt Parzival über die Berechtigung^
der „tristitia", wofern sie sich auf himmlische Dinge bezieht.
Weil die Ehe ein Sakrament ist, ist Parzival „in rehter kum-
bers dol" wenn er um seine Gattin trauert. Bemerkenswert ist
nun, wie lange Parzival mit dem Geständnis seiner Sünden
zögert. Derselbe Trotz womit er sich nach der Begegnung mit
den Pilgern auf seine Rittertugend berufen hat — während er
bei Crestien zu weinen anfängt — hält ihn auch jetzt von der
Beichte zurück, macht daß er sich auch jetzt mit seiner Tap-
ferkeit brüstet. Der Einsiedler mahnt ihn zur Demut, indem er
ihn auf Amfortas\' Schicksal hinweist. Parzival gesteht datt
er Ither erschlagen; den Tod der Mutter erfährt er von Trevri--

-ocr page 113-

zent; erst ganz zuletzt, als nach langer Unterredung Trevizent
ihn in den Stall zur Versorgung des Pferdes begleitet, beichtet
er aber seine größte
Schuld: die Unterlassung der Mitleidsfrage.
Der Einsiedler erklärt diese Sünde aus Betörung der Sinne:
„dö dir got fünf sinne lëch — die hänt ir rät dir vor bespart".
(48826-7)5 m. a. W.: er hat zu klug sein wollen und dadurch
das natürliche Mitleidsgefühl vergewaltigt. Nicht Herzensverhär-
tung — wie bei Crestien — sondern der entschuldbare Vorwitz
der Jugend ist die Ursache seiner Schuld. Ernstlich mahnt Tre-
vrizent ihn vor der Verzweiflung an Gottes Gnade, der Sünde
wider den Heiligen Geist. Er gibt ihm den Rat seine Schuld zu
büßen und seinen Glauben im Lebenskampf zu erstärken, damit
im Jenseits „diu sële ruowe dol". Auch daraus redet der ritter-
liche Dichter. Es läge doch auf der Hand, daß der Einsiedler,
der Tag und Nacht in strengster Askese die Schuld seines
Bruders büßt, ein Gleiches von Parzival gefordert hätte. Hart-
mans „Gregör" empfiehlt seiner Mutter ja auch die größte
Enthaltsamkeit und büßt selbst viele Jahre lang auf dem Felsen
seine Sünde. Bei Wolfram sucht Trevrizent den jungen Parzival
zum christlichen Ritter zu erziehen; im Gegensatz zu der Welt-
verneinung der Albigenser, vertritt der Ritter Wolfram die
Weltbejahung. — Trevrizents Belehrungen und Ermahnungen
werden unterbrochen durch Mitteilungen über den Gral und
die Gralhüter. Sehr auffallend ist sein Urteil über die im Kampf
zwischen Gott und Lucifer neutral gebliebenen Engel, die den
Gral auf die Erde gebracht haben. Ihre Existenz wird im
Mittelalter allgemein anerkannt. So lesen wir in Dantes „Inferno":

„Questo misero modo

„Tengon l\'anime triste di coloro,

„Che visser senza infamia e senza lodo.

„Mischiate sono a quel cattivo coro

„Degli angeli, che non furon ribelli,

„Nè fur fedeli a Dio, ma per sè foro.

„Caccianli i Ciel per non esser men belli:

-ocr page 114-

„Ne lo profondo inferno gli riceve,

Che alcuna gloria i rei avrebber d\'elli". (Canto terzo.)

Zwar läßt auch Dante sie im Vorhof, nicht in der eigent-
lichen Hölle verweilen, aber er spricht es doch sehr entschieden
aus, daß sie aus dem Himmel geworfen worden und also der
himmlischen Seligkeit auf immer verlustig gegangen sind. Das
nun läßt Trevrizent eben dahin gestellt: (47123)
Jch enweiz
op got üf si verkös,
— ode ob ers fürbaz verlos." Er
hält es nicht für ausgeschlossen, daß Gott sie begnadigen
wird. Später widerruft Trevrizent diese Worte und ver-
sichert: „ewecllch sint si verlorn: — die vlust si selbe hänt
erkorn". (7982i~2)_ Wolfram hat wohl Angst gehabt, man könnte
ihn der Ketzerei beschuldigen. Denn das mildere Urteil über die
neutralen Engel entspricht durchaus dem Standpunkte, den der
Dichter (oder seine Quelle) den Heiden gegenüber einnimmt:
Trevrizent nennt Plato und die Sibylle als Profeten der Heils-
geschichte; die Heiden suchen auch den Gral; der Gralsucher
darf einen Heiden mit auf die Gralsburg bringen. Die neutralen
Engel haben ihr Amt den Gralrittern übertragen. Diese haben
sehr viele Züge mit den Templern gemein. Wie di^e hüten
sie ein Heiligtum und verpflichten sich zur Keuschheit, Verzicht
auf die Freuden der Welt, Gehorsam und Beschützung der
wehrlosen Frauen. Der Templerorden war am Ende des 12.
Jhdts. wegen Ketzerei und Unsittlichkeit verrufen, wie aus den
Zeugnissen Johanns von Würzburg und des Papstes Innocenz
III hervorgeht\'). In Wolframs Gedicht haben wir also wahr-
scheinlich mit einer idealisierenden Ummodelung der bösen
Gerüchte zu tun, die im 14. Jhdt. zur Verurteilung des Ordens
führten. Der Heimlichkeit der Kapitel und der Aufnahme in
den Orden, entspricht auch die Unaufflndbarkeit des Gralschlosses.

Nachdem Parzival die Absolution erhalten, soll er eine dreifache
Prüfung ablegen, die dem dreifachen Gelöbnis der Templer
genau entspricht. Zunächst bewährt er seine Keuschheit, als er

") Vgl. Singer: Wolframs Stil und Stoff der Sprache. Seite 94.

-ocr page 115-

den verführerischen Reizen der schönen Orgeluse widersteht;
dann verzichtet er, nachdem die Tafelrunde ihn freudig aufge-
nommen, auf das höfische Leben, und endlich besteht er die
Tapferkeitsprobe in dem dreifachen Kampfe mit Gramoflanz,
Gawan und Feirefiz. Das unrechtmäßig der Leiche Ithers
geraubte Schwert, zerbricht. Es ist wohl mehr als Zufall, daß
der Dichter den Nachdruck auf die letzte Probe legt, wobei es
sich um die
ritterliche Tugend handelt. Hier hat nun freilich
Wolframs Kunst versagt: von der Wirkung von Trevrizents
Lehre kommt in den äußern Taten Parzivals fast nichts zur
Geltung. Wolfram wollte, wie Ehrismann betont, die Gnade
Gottes nur den Anstoß, die eigne Kraft des Menschen den Aus-
schlag geben lassen. Parzival aber, der im Kampfe mit Feirefiz:
durch die Minne gestärkt wird und sich seiner Großtaten rühmt,
ist im Grunde nicht verschieden von jedem andern Ritter und
ist zur Demut noch nicht bekehrt worden! So kann uns denn
der Schluß des Romans nur wenig befriedigen und Parzivals
Einzug auf der Gralsburg, sowohl als die übermütige Erzählung
von Feirefiz\' Taufe, stimmen erst recht nicht zu der düstern
Loherangrin-geschichte, in der das Gedicht ausklingt. Wolfram
hat seine eigne lebensfrohe Weltbejahung mit der asketischen
Weltverneinung seiner Quelle vereinigen wollen, was ihm trotz
seiner Genialität nicht gelungen ist. Die Grundstimmung des
Gralromans bleibt tragisch, denn das Gralreich liegt
ausserhalb
der Wirklichkeit, es fordert Verzicht auf die Freuden des
Lebens, es fordert vor allem Keuschheit und Gehorsam. Mag
Wolfram auch noch so sehr betonen, daß Parzival bei der
Gralsuche fortwährend an Herzeloyde denkt, so hat sie doch
an seiner Lebensaufgabe keinen Anteil. Bei allen Unterschieden
haben Tristan und Parzival etwas gemein: daß das Ideal,dem
sie nachstreben, nicht paßt zu der Welt worin sie leben.

-ocr page 116-

ZUSAMMENFASSUNG.

Aus den Resultaten unsrer Untersuchung über Tristan und

Parzival ergibt sich Folgendes:

\') Tristan bekommt die wissenschaftliche Erziehung der Kle-
rikerschule, die künstlerische und gesellschaftliche
Ausbildung der Hofkreise. Von einer religiösen
Erziehung ist nicht die Rede.

Parzival wächst ohne wissenschaftliche, künstlerische und
gesellschaftliche Erziehung auf. Die Mutter belehrt
ihn über das Grunddogma der Albigenser.

2) Bei Tristan ist die List eine Tugend.

Bei Parzival isX die Wahrheitsliebe eine Tugend.

Tristan zeichnet sich bei seinem Eintritt in die Welt durch
ein anstandsvolles Betragen aus.

Parzival h&g&hX gleich eine ganze Reihe Verstöße gegen
Sitten und Bräuche der höfischen Gesellschaft.

*) Die Liebe im Tristan ist mystischer Art und gipfelt in dem
gemeinsamen
lAehesle.id.

Die Liebe im Parzival ist rein erotisch; sie enthält bloß
in den „love-trances" ein mystisches Element und
dient als Hintergrund, von dem sich die Keuschheit
der Gralritter abhebt.

=) Die Schuld im Tristan beruht auf dem tragischen Konflikt
zwischen Liebe und Moral.

Die Schuld im Parzival beruht im Grunde auf der Unmög-
lichkeit Gott in der Welt zu dienen (mönchische
Weltflucht), ist aber vom Dichter ins Ritterliche
gewendet worden (Leichenraub).

») Tristans Verbannung bedeutet für die Geliebten die höchste
Seligkeit.

Parzivals Verbannung bedeutet für ihn das größte Elend.

0 Tristan wird im Grunde nicht bekehrt, sondern er beugt
sich vor der Macht der Sitte und Religion

Parzival wird bekehrt und büßt seine Schuld durch eine

-ocr page 117-

dreifache Prüfung, welche den Gelübden des Tem-
plerordens entspricht.
8) Die Grundstimmung im
Tristan ist tragisch, weil der Held
an seiner Liebe zu Grunde gehen muß.

Die Grundstimmung im Parzival ist im Grunde auch tra-
gisch, weil von dem Helden Verzicht auf die Freuden
des Erdenlebens gefordert wird, aber sie ist von
Wolfram, entsprechend der Lebensbejahung des
Rittertums, ins Heitere gewendet.

Auch dieser Vergleich bestätigt unsre Voraussetzung, daß wir
im „Tristan" mit einer Klerikerdichtung zu tun haben, dessen
Held alle höfischen Tugenden und Fertigkeiten besitzt und dem
mystischen Frauenkult huldigt; daß wir aber in Parzival den
Helden eines Ritterromans vor uns haben, der die Weltanschau-
ung der Albigenser, und Reminiszenzen an den im Rufe der
Ketzerei stehenden Templerorden, noch sehr deutlich aufweist.

-ocr page 118-

DRITTES KAPITEL: STIL.

In seiner Abhandlung „Wolframs Stil und Stoff der Sprache",
auf die wir uns in den vorigen Kapiteln schon öfters berufen
haben, spricht Singer über „Asianismus", worunter er jene
barocke Übertreibung des hohen klassischen Stils versteht, die
ein Kennzeichen des asianischen Stils, der antiken Rhetorik war.
Diese künstliche Übertreibung findet sich in späteren Zeiten
z. B. in der blühenden Rede der Meistersinger und bei den
Précieusen. Sie kann zweierlei Ursprung haben : entweder beruht
sie auf einem selbstbewußten Ästhetentum, das sich nur den
Beifall weniger Auserlesenen wünscht und deshalb absichtlich
der breiten Masse unverständlich bleiben will —oder auf einer
den Künstler selbst überwältigenden Gefühls- und Gedan-
kenmasse, die sich nur mit Hilfe außergewöhnlicher Stilmittel
und Redewendungen gestalten läßt. Dieses „verschlossene Dich-
ten", das „trobar dus", findet sich im Mittelalter bei den pro-
venzalischen Lyrikern, u. a. schon bei Marcabru: „per savil
tenc ses doptanssa cel qui de mon chant devina so que chascus
motz déclina, si cum la razos despleia; qu\'ieu mezeis sui en
erranssa d\'esclarzir paraul\' escura." \') Auch Giraut de Bornelh
tut sich etwas darauf zugute, nur für die Klugen zu dichten. Dem-
gegenüber steht das „trobar planh", der einfache, klare, leicht-
verständliche Stil. Auch die deutsche Literatur des Mittelalters
kennt diesen Unterschied und merkwürdigerweise sind Gottfried
und Wolfram gerade zwei sehr charakteristische Vertreter der
„hellen" und „dunklen" Dichtungsart.

Sedier hat Gottfrieds Sprache folgendermaßen charakteri-
siert:\') „c\'est une aisance agile aux jeux de la préciosité, c\'est,
dans les pensées et les paroles un charme plus amolli, mieux

\') ed. Dejcanne Nr. 37.

2) Bédler „Introduction sur Thomas" le poème de Tristan" p. 80.

-ocr page 119-

fait pour „les chambres des femmes". Ce n\'est plus ce style
du trouvère, travaillé robuste, mais lent, c\'est l\'imprévu d\'une
invention verbale sans cesse active et vraiment admirable ....
Ce n\'est plus cette gravité, triste souvent, du poète anglo-nor-
mand, mais la gaieté, la lumière, cette sorte d\' exaltation
sentimentale et d\' ivresse légère, que les poètes courtois, donnant
au mot un sens ésotérique, appelaient la yb/e. Or, par un singulier
privilège cet éclat joyeux, ces raffinements, cette recherche
d\'élégance, cet effort du „minnesinger" pour enchérir sur la
courtoisie de son modèle, n\'empêchent pas que son roman soit
tout baigné d\'émotion# et de tendresse; et partout, répandu sur
l\'oeuvre entière, imprégnant les pensées et les discours, mode-
lant les images et les rhythmes, ce don souverain,
la grâce\'1
Allerhand Stilflguren werden von dem Dichter mühelos und
zwanglos angewandt. Sehr beliebt ist die Annominatio: (745—6)
„der elliu herze
rîche tuot — der rîclie iu herze unde muot";
(1871—2) „sö sol er mit den
lebenden leben — im selben tröst ze
/eôe/ze geben"; (6634—6)„daz iegellches
Schönheit — dem andern

schoene baere —und sïn geschoenet waere----"; (8910—2) „der

hete liute unde lant — mit alsö schedelkheni schaden — sö

schedelkhen überladen____" (12189—90) „kurz rede von guoten

minnen — diu guotet guoten sinnen"; (15502) „dermïnes leides
leidicsl..:\'
(16067—8) „sus was der flôz aise gröz — der von
Urgänes wunden
flôz"\', u. v. a. Wortpaare werden häufig durch
Alliteration verbunden: „lieber lïp"; „leit unde liep"; „gevellet
unde geveiget"; „Hut unde lande"; „llp unde leben"; „wint
unde wäc"; „state und stunde"; „tumben unde tören"; „mit
herzen und mit henden"; „weinen unde wuoft"; „mäge und
man"; „mit stürmen und mit strïten";
„laster unde leit"; „sïne
lüge und sïne läge zuo"; „hant unde herze"; u. a. Desgleichen
finden sich chiastische Verbindungen: (129) „ein man ein wïp,
ein wïp ein man"; (1356) „sus was er sï und sï was er";
(11732) „ir swaere was sïn smerze — sïn smerze was ir
swaere"; (13607) „haz unde leit, leit unde haz"; (14395) „si
klagete im unde er klagete ir". u.a. Der Reim ist immer rein;

-ocr page 120-

mit großem Geschick wird der rührende Reim angewandt:
4547—8 gewant; 5067—9 leit; 7257—8 in; 8783—4 habe;
9877—8 wïs; 10097—8 wäfen; 12187—9 minnen; 12188—90
sinnen; 12329—30 wol; 12331—2 waere; 12435—7 kinden;
12436—8 vinden; 12507—9 belïben; 12508—10 trïben; 13701—2
wîs; 14337—8 gewar; 15719—20 arme, und an vielen andern
Stellen. Als Stilfiguren benutzt der Dichter weiter das
Oxymoron :
„liebes leit"; „des senften herzesmerzen"; „sanfte unsanfte";
„lebender tôt; süeze sür; senftez ungemach; und die
Litotes
z.B.: „vil kleine"; „lützel ieman"; „vil verre"; „niht kleine";
„vil lützel"; „in harte unlangem zïte"; „vil selten"; „niht ein
lützel"; „vil lützel iht sö guot".

Hermann Bahr\') hat aber einmal behauptet: „unser trübes
Auge verträgt das volle Licht der Sprache Goethes nicht" und
Kant habe zwar auf Goethe gewirkt, wie „das Betreten eines
hell beleuchteten Raumes", es scheine aber, daß wir heute
besser im Schatten dächten, bei Nebel." Ein ähnliche Bemerkung
träfe für Gottfrieds „Tristan" zu. Eben weil der Dichter „kri-
stallïniu wortelïn" schreibt, weil seine Rede so durchsichtig,
der Rhythmus so regelmäßig, der Reim so rein ist, wird es uns
bisweilen schwer, den Sinn seiner Worte ganz zu fassen: wir
lesen darüber hinweg. Zu dieser Klarheit des Stils und der
sorgfältigen Wortwahl tritt nun freilich ein Gefallen am Wort-
spiel, an Wiederholung und Antithese, wodurch die Lektüre
ermüdet und das Verständnis erschwert wird. Wir erinnern
an das sehr gesuchte Wortspiel mit dem Namen „Vater"
(4365 uff.); an die ausführliche, fast komisch wirkende Lösung
des Wortes „Tantris" (10104 uff.); an die dreifache Deutung
des Wortes „lameir\'\' (11990 uff.); an den Doppelsinn des Wor-
tes „sunne" (17587) und „ëre" (16317 u. ff.).rDasselbe Wort wird
zahllose Male in aufeinander folgenden Zeilen wiederholt z. B.
(278—90): schade; (307—10): leben; (544—6): süeze; (1750 u. ff.):
leide ; (5067 u. ff.) : staete ; (8079) : wol u. a.
Unerschöpflich schier ist

-ocr page 121-

Gottfried in der Erfindung von Synon^en: (2628) „dietruogen
unde heten an"; (5816) „gröz jämer unde klage"; (6024) „seht,
dä hörte er unde vernam"; (6261) „waz ich hie wirbe
und wes
ich ger"; (8319) „er was dö geil und frö"; (8737) "f wafen
unde wiegar"; (10129) „disen
valsch und dise trügeheit ;(11388)
„gevellic unde gebaere"; (11521) „dicke und ze manegem male ,
(11743) „der urhap unde der begin"; (10597) „sïn
gelücke und
sïne linge"; (12379) „an der reise und an der vart ; (1277^)
in die wüeste und in die wilde"; (13125) »f^f
gezieret"; (14034) sïne stricke und sïne lage ; (15574) „^oi
gebót unde hiez"; und sehr viele andre.
Entgegengesetzte Be-
griffe werden häufig in eine Zeile zusammengebracht: ,^.aht
unde tac"; „späte unde fruo"; „mit antwürte und mit frage ,
„tuon unde län"; „arm oder rïch"; „smalen oder breiten —
kürzen oder lengen - frïen oder twengen" (17052) u. a.

Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß der kunst-
gerechte Stil ein Zeugnis für die gelehrte Schulbildung des
Dichters ist. Dafür zeugen auch die vielen französischen

Wendungen und Ausdrücke. , ^ .

Die Vergleiche und Personifikationen im „Tristan sind dem
höfischen Leben und der Natur entnommen.\') Riwalins heitre
Tugend ist wie der aufgehende „tagesterne", der lachend in die
Welt blickt (304); die Königin Isolde und
ihre Tochter sind wie
Morgenröte und Sonne (8284-5), die stolze Brangaene wie der

schöne Vollmond (9463-4); die Augen werden „des herzen leites-
sterne" genannt. Auf Vögel und Vogelfang beziehen sich : (839u. n.j
der Liebende ist wie der Vogel auf dem Leime; (5483) das
Gerücht von Morgans Tod verbreitet sich „als obe er fiücke
waere"; (10961) die Geliebten werfen sich
„gevedere schach-
blicke" zu; (11934 u. ff.) „der Minnen wildenaere - leiten ein ander
dicke — ir netze unde ir stricke - ir warte unde ^^ |age ;
(14380) Tristan wird „der sieche weidenaere" genannt; (15092)

-ocr page 122-

Melöt und Marjödö sind „eiterslangen in tüben bilde". Einige
Bilder sind der Schiffahrt entnommen: (888u.ff.) „susswebetensine
sinne — in einer ungewissen habe — tröst truog in an und
zwivel abe"; (8099) die unbeherrschte Sehnsucht ist wie ein „kiel
äne anker"; (19358u.ff.) der Wankelmut gleicht dem Schiff auf den
Wogen; (19439 u. ff.) die Liebe wird geschwächt, wenn sie geteilt
wird, wie der geteilte Rheinstrom allmählich seine Kraft ver-
liert. Die Minne wird eine „arzätinne" (12168), eine „strickaerinne"
(12180), eine Bettlerin (12295) genannt\'; der „arcwän" ist wie
Unkraut, das trotz Mangel an Regen üppig wächst(16459 u. ff.);
die „triuwe" ist wie Gold, das im Ziegel gebrannt und geläutert
wurde; „wibes ere" ist wie Spiegelglas (1905); die Augen sind
„venster" (8130), sie sind auch „des herzen friunt" (16494).

Sehr bezeichnend für den Stand des Dichters ist es aber, daß
wir unter all diesen Bildern und Vergleichen nichts finden,
was sich auf den ritterlichen Kampf bezieht.

Dem „trobar planh" im „Tristan" steht das „trobar clus"
im „Parzival" gegenüber. Wolfram liebt die dunkle Rede, die
schwerverständlichen Wortspiele, die sonderbarsten Vergleiche.
Er ist einer der „üf der wortheide — höchsprünge und wit-
weide — mit bickelworten welle sin." Die Einleitung seines
Gedichtes enthält schon eine ganze Reihe der merkwürdigsten
Bilder: der Vergleich mit der Farbe der Elster (6), mit dem
„schellec hase" (19), dem Spiegelglas (21), dem Traum des
Blinden (21), die Haare im Innern der Hand (27), die Kürze
des Kuhschwanzes. (2^0). Die „triuwe" verschwindet „als viur
in dem brunnen —unt daz tou vor\\ der sunnen;" die Scham ist
„ein slöz ob allen siten"; die falsche Frau gleicht einer in Gold
gefaßten Glasperle, die gute einem in Kupfer gefaßten Rubin.
Im weiteren Verlauf der Erzählung werden kämpfende Ritter
mit Dreschern (385iOu.ff.), mit Schmieden (11228, 210^ 53727), mit
Kreisel und Peitsche (150^®) verglichen. Eine schlanke Dame
ist wie ein Hase am Bratspieß (40920), ein jammernder Mann
wie eine klagende Witwe (673^). Beliebt sind Bilder aus dem

-ocr page 123-

Würfelspiel z. B.: „riterschaft ist topelspil (289^4) und
„umbe den wurf der sorgen - wart getoppelt, dö er den
gräl vant." (248io-ii), Die meisten Vergleiche sind aber dem
ritterlichen Kampfe entnommen: der reißende Fluß gleicht dem
schwirrenden Pfeile (ISO^»); Kingrun und Clamide glauben im
Kampfe mit Parzival, sie seien einer Wurfmaschine ausgesetzt
(19724-5); das Hereinbrechen der Nacht
bedeutet die Niederlage
des Tages im Kampfe (42315); die Geliebten sind „minnen sol-
diei« (677"); Parzivals Traum auf der Gralsburg gleicht einem
Schilde „mit swertslegen umbe den soum, — dervor mit maneger
tjoste rieh". (245io-ii); Parzival und Feirefiz sind beide „uz
krache (nl. der zersplitternden Lanzen) erborn." (73821).

Wolfram hat eine Vorliebe für Neubildungen (z. B. „üzgesinde
2971®). Die negative Litotes findet sich sogar in Verbindung mit
einem positiven Begriff („al weinde sunder lachen"). Fremdwörter
werden verhunzt; französische Brocken mit deutschen ver-
mischt. (65827). „ . „

Personen, besonders Gott, Christus und den Helden des Romans
umschreibt der Dichter oft durch einen Relativsatz. (454 ,
10522 14830). Des Reimes wegen stellt er den Eigennamen im
Genetiv zwischen den Artikel und das regierende Substantiv
(386) oder der Eigenname im Genitiv steht nach (195 }. Die
Satzkonstruktion wird häufig gestört: Subjekt und Verbum
können verschiedenen Numerus haben (75^-5, u.a.); das

•a^rd Kotvov ist sehr gewöhnlich (z.B. 607-8), die Konjunktion
fehlt oft. Ein vor Wolfram nicht verwendetes Stilmittel ist das
Praesens historicum. Mit dem Nationalepos teilt Wolfram^den
unvermittelten Übergang von direkter in indirekte Rede. (30 ,
20910-20).

Diese Eigentümlichkeiten und so manche andre in Wolframs
Stil, weisen auf mündlichen Vortrag hin. Die Wahl der Bilder
aber und das „verschlossene Dichten" zeugen dafür, daß wir
in dem Dichter einen selbstbewußten Ritter vor uns haben,
der nur für die „wIsen" nicht für die „tumben" dichtet (Vgl.
die Einleitung des Gedichtes) und dessen stolzes „ich bin Wol-

-ocr page 124-

fram von Eschenbach" (II412) eine Parallele bildet zu dem sieges-
bev^^ußten Bekenntnis des Fürsten der dunklen Rede, Arnaut
Daniel: „ieu sui Arnautz qu\'amas l\'aura — e chatz la lebreab
lo bou — e nadi contra suberna."

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK.

Sow^ohl von ethisch-religiösem als von aesthetischem Stand-
punkt
aus, läßt sich kaum ein schroffrer Gegensatz denken, als
zwischen Gottfrieds „Tristan" und Wolframs „Parzival". Zwi-
schen der Lebens- und Kunstauffassung beider Dichter gähnt eine
tiefe Kluft: höfische Minne und Keuschheit, Schulbildung und
selbstbewußte Ungelehrsamkeit, veräußerlichter Kirchenglaube
und persönliche Gottsuche, „trobar planh" und „trobar dus"
sind unversöhnliche Begriffe, schließen sich gegenseitig aus.
Dennoch gelang es später, freilich
zunächst nicht auf deutschem
Boden, sie in einer höhern Synthese zu verbinden. In Italien
erheben die Dichter des „dolce stil nuovo" die irdische Herrin
zu einem göttlichen Wesen, zu einer höhern Intelligenz und
damit die sinnliche Liebe zum Symbol der übersinnlichen,
ewigen Gottesminne. Der erste, der diesen genialen Ausweg
fand, war Guinizelli als er am Schluß seiner wundervollen
Canzone sagte:

„Dir li potrö: Tenea d\'Angel sembianza

Che fosse del tuo regno:

Non mi sie fallo, s\' io le posi amanza".

Und bei Dante, der sich diese Wahrheit ganz zum persön-
lichen Erlebnis, zum geistigen Eigentum gemacht hat, wird
Gott denn auch sogar zum „sire della cortesia". Beschließt er
doch sein Jugendwerk mit den Worten : „E poi piaccia a Colui,
che è sire della cortesia, che la mia anima se ne possa gire a
vedere la gloria della sua donna, cioè di quella benedetta
Beatrice, la quäle gloriosamente mira nella faccia di Colui, qui
est per omnia saecula benedictus."

-ocr page 125-

Nun wird das Sittliche nicht mehr geschätzt weil es gefällig,
vernünftig, zweckmäßig ist, sondern um seiner selbst willen,
denn die Geliebte, als Verkörperung der Gottheit, vermittelt die
Werte, die aus Gott selber auf die Menschheit herabströmen.
Was Gottfried in der Einleitung des „Tristan" andeutet, als er
von der veredelnden Wirkung der Liebe spricht, das wird bei
den Dichtern des „dolce stil nuovo" zur fundamentalen Lebens-
wahrheit :

„Tanto mi salva il dolce salutare,

„Che vien da quella, ch\' e somma salute;

„In cui le grazie son tutte compiute:

„Con lei va Amor, che con lei nato pare.

„E fa rinovellar la terra e\' l mare,

„e rallegrar lo Gel, la sua virtute.

„Giammai non für tal novitä vedute,

„Quali per lei ci face Dio mostrare.

„Quando va fuora adorna, par che il mondo

„Sia tutto pien di spiriti d\'amore,

„Si che ogni gentil cor divien giocondo.

„E lo villan domanda: Ove m\'ascondo?

„Per tema di morir vuol fuggir fuore:

„Che abbassi gli occhi l\'Uomo, allor rispondo."

Cino da Pistoia.\')

So sagt auch Dante im X. Kap. der „Vita nuova" „quella
gentilissima, la quäle fu
distruggitrice di tutti vizi^ regina del-
le virtüdi"
und in der Canzone des XIX. BuS^: „Ancor
le ha Dio p«r maggior grazia dato — Che non pub mal finir,
Chi le ha parlato". — Manchmal will es fast scheinen, als wäre
diese Liebe identisch mit dem platonischen Eros. Bei beiden
erscheint die Menschenseele als absolut wertvoll, beide werden
durch den Anblick körperlicher Schönheit erregt, beide sind
die Quelle alles Guten, lassen sich bloß in edle Herzen nieder

■) Cino da Pistoia. Sonetto. Raccolta dl Llrlci italianl. Glronl. P. 4.

8

-ocr page 126-

(Symposion Kap. 18), sind mit ehelicher Liebe unvereinbar und
werden zur Kunst ausgebildet. (Phaidros, Kap. 38.) Ganz pla-
tonisch mutet die Aussage im „Convivio" (II. Kap. 16) an: „e cosi
dico e affermo che la donna di cui io innamorai appresso lo
primo amore fu la bellissima e onestissima flglia dello impe-
radore dell\' universo, alla quäle Pittagora pose nome filosofia."
Hier übernimmt die Geliebte die Rolle der „Sapienza divina",
des von Gott zuerst erschaffenen Wesens, von dem Hugo de
St. Victor sagt: (De sacram. L V. 2): „Scriptura dicit, quod
primo omnium creata est sapientia (Eccl. I); et intelligimus
sapientiam creatam rationa^m creaturam dici; quoniam et
ipsa sapientia est sicut lumen lucens ex lumine non lumen
illuminans". Trotzdem ist zwischen dieser Minne, auch in
ihrer höchsten Vergeistigung, und dem platonischen „Eros" ein
wesentlicher Unterschied, weil das Objekt ihrer Verehrung
immer die Züge der irdischen, sei es auch der nach dem Tode
verklärten, Geliebten trägt. Indem die Dichter des „dolce stil
nuovo" die Frauenminne aber in die Sphäre des Übersinnlichen
entrücken, wird zugleich der unlösbare Konflikt zwischen
höfischer Liebe und christlich-bürgerlicher Moral aufgehoben
und wird die religiöse Sehnsucht des Gralsuchers \') auf die hohe
Herrin gerichtet.

Zugleich sind in dem „süßen neuen Stil" das „trobar planh"
und „trobar clus" in überraschender Weise mit einander
verbunden. Die formvollendeten Verse eines Cavalcanti, Guini-
zelli, Dante stellen die höchste Stufe der Schultechnik dar, aber
haben nichts Schablonenhaftes, sie sind durchaus persönlich
und Bilderfülle und Farbenreichtum machen sie gleichsam zu
einer veredelten Form des oft bizarren „trobar clus". Die beiden
ersten Strophen von Guinizellis Canzone mögen als Beispiel
dienen:

1) Vgl. die Note S. 87. (Der Gralsucher ist in der„ Queste" 2um GoZ/sucher
geworden.)

-ocr page 127-

„AI cor gentil ripara sempre amore,

„Com\' a la selva augello in la verdura:

„Nè fe\' amore avanti gentil core

„Nè gentil çore avanti amor Natura.

„Ch\' adesso che fo il sole,

„Si tosto lo splendore fo\' lucente,

„Nè fo\' avanti il sole.

„E prende amore in gentilezza loco,

„Cosi propiamente

„Como clarore in clarità di foco.

„Foco d\'amore in gentil cor s\'apprende,

„Como vertute in pietra preziosa:

„Che da la Stella valor non discende,

„Avanti \'1 soi la faccia gentil cosa.

„Foi che n\' ha tratto fore,

„Per soa forza, lo soi ciö che Ii è vile,

„La Stella i dà valore:

„Cos! lo cor ch\' è fatto da natura

„Eletto pur gentile,

„Donna, a quisa di Stella, lo inamura".

Hier reihen sich die Vergleiche mit dem Vogel im Laub, mit
dem Sonnenlicht, dem Feuerschein, der Kraft des Edelsteines,
dem Sternenglanz, zwanglos an einander und der kunstvolle
Satzbau wird nie gekünstelt.

Viel später sollte diese Höhe auch in Deutschland erreicht
werden, als der greise Dichter des „Faust" sein Lebenswerk in
einer Verherrlichung der übersinnlich-sinnlichen Liebe ausklingen
ließ, in inhaltsschweren Strophen, die freilich an die formvol-
lendeten Verse seiner Tassodichtung nicht heranreichen. Wer
von dieser Höhe auf Gottfried und Wolfram herabblickt, der
findet in ihren Gedichten erst recht das Suchen der Zeit, einer
Zeit, die noch nicht zu der Erkenntnis kommen konnte, das
„Alles Vergängliche (auch die Frauenliebe) nur „ein Gleichnis"
ist und nur das „£\'»V/^-weibliche" den Menschen „heranziehen"

-ocr page 128-

kann; die sich noch nicht der kunstgerechten Formen zu
bedienen wußte, um das Allerpersönlichste auszudrücken, aber
die in ihren größten Dichtern, wie Gottfried und Wolfram,
Wege fand, die einst zur höchsten Blüte der Dichtkunst führen
konnten.

-ocr page 129-

STELLINGEN.

1.

Der Gral wird für die mittelalterlichen Dichter immer mehr
ein leerer Begriff, den sie als Symbol ihres eignen Lebensideals

benutzen.

2.

Voor- Que il ot une tor nueve — De chastiax qui ale estoient\'
(Crestien \' „Ii contes del graal". Baist 3386—7) leze men met
Potvin (4602): „que il ot
une trace nueve — De chevax etc."

3.

Das Wort „pas" (Tristan 2907 und 3007) hat Gottfried seiner
französischen Quelle entnommen, ohne es zu verstehen.

4.

Für ,ime wazzer er ze toufe gienc — von dem Adam antlitze
enphienc" (Parzival 81723-4 Wolfram) gibt Martin eine un-
genügende Erklärung.

5.

Gustav Meyrinks Okkultismus ist keine Mystik.

6.

Mit Unrecht behauptet W.S. Logemann (Neoph. V. 4 P. 369).
daß in Goethes „Grenzen der Menschheit" das Wort „ihr
(Z. 41) sich auf „Götter" bezieht.

-ocr page 130-

7.

In Dante\'s „vita nuova" is slechts sprake van bovenzinnelijke
liefde.

8.

Ruusbroec heeft bij de samenstelling van het „Boec van den
tv^aelf Dogheden" uit Meister Eckhart geput.

9.

Terecht verklaart A. C. Bouwman het mnl. „doom" en het
Du^tscS „Dom" (Schiller: „Laura-ode „Meine Blumen\'^) als
e"n sinnfälliger d.h. für das Auge wahrnehmbarer Dampf der
unter Umständen die Eigenschaft des Geruchs an sich haben kann .

10.

Sigune met den dooden Schionatulander in de armen (Wolframs
Parzival 138) en Sigune, treurend naast het lijk van haar geliefde
Parzival 804), stemmen overeen met de
pieta-voorstellingen in
de Middeleeuwsche dicht-, schilder- en beeldhouwkunst en zijn
wellicht door deze beïnvloed.

11.

Het eigenaardige bouwplan van sommige door Ludwig Hoff-
mann ontworpen scholen te Berlijn, waarbij het eigenlijke
schoolgebouw zich op een binnenterrein bevindt, hangt ten
nauwste samen met een ondoelmatigen stadsuitleg in de tweede
helft der 19de eeuw.

12.

Ten onrechte beweert C. H. Peters (De Nederl. Stedenbouw
Bd I
P. 426-8), dat de Engelsche „hall" haar ontstaan te danken
zou hebben aan het Middeleeuwsche
„koopmanshuis met om-
gaande tusschenverdieping.

-ocr page 131-

13.

De exameneischen voor Duitsch M. O. A. leiden in de laa ste
jaren steeds meer tot het memoreeren van taalverschijnselen,
die door den candidaat niet begrepen kunnen worden.

14.

Voor het onderwijs in de moderne talen aan scholen voor
Voorbereidend Hooger Onderwijs ware het gewenscht, dat de
eindexamenvertaling vervangen werd door een mondehnge
verklaring, zoo veel mogelijk in de
vreemde taal, van een voor-

gelegden tekst.

-ocr page 132-

»t \'

\' -i <. .

. Vv-J

fe.-

\'SÀ,:

"Iii

V- • s ■ .

•>■ Î

-ocr page 133- -ocr page 134- -ocr page 135-

i\'A

-ocr page 136-

BÄiilff

•T\'^i"\'"**

Vfv,;

i\'Ary.-

: • S\'; ;--:- •

...... •

Ic^y.\'-:

r;\':^.:-^,.^

•..-••^v-\'.S\',

mÊÊ