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Geschenk

uit de nalatenschap van Prof. Dr. F. C.

1834 -1953 1930-1958 Erelid der vereniging

U 7/

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vt . gt; CVK. O vu

DEUTSCHE BIBLIOTHEK

FüR

NI E ü E R L A N D E R.

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Deutsche Bibliotliek für Niederlander.

MU STER WERKE

DER

DEUTSCHEN LITTERATUR

MIT NOTEN UND ERLAUTERÜNGEN, für Schule und Hans ,

herausgegeben von

E. A. H. SEIPGENS,

Lehrer au der Hvheren Biirgerschule in Ziltfen.

Jl ¥ •

WILHELM TELL.

Ein Schauspiel in fiinf Aufziigen VON

SCHILLEB.

Z Ü T F E N, W. J. THIEME amp; CIE.

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C Jf.

WILHELM TELL.

------f C gt;V

amp; I i t é! c f ] a 11 gt; p i ct 0

//? /quot;ü.?/\' Aufzügen.

VON

SCHIIiliEB,

MIT NOTEN UND ERLAUTERÜNGEN, ƒ(/)■ Schule und Uaus ,

HERAUSGEGEBEN

VON

E. A. H. SE IPG ENS,

Lchrer an der Huileren Biiryerschule in Ziitfen.

Z C T F E N ,

W. J. THIEME amp; Cie.

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PERSONEN.

Hermann Giïssler , Beiclisvogt in Schwyz und Uri. Werner , Pueiueuu von Attingiiausen , Bannerherr. Üliiicii von Rudenz , sein NefFe.

Werner Stauffacher ,

Kon rad Hunn ,

Iïel Beding ,

Hans auf der Mauer.

J org im Hofe.

Ulricii der Schmid.

JoST von WeILER.

Walther Fürst ,

Wilhelm\' Tell ,

Rösselmann, der Pfarrer,

PETBRMANN , DER SlGRIST ,

KüONI , der HlRT ,

Werni , der Jager ,

Rüodi , der Fischer ,

Arnold von Melchthal ,

Konrad Baumgarten ,

Meier von Saiinen.

Struth von Winkelried.

Klaus von der Flüe ,

Burkiiart am Bühel ,

Arnold von Sewa.

PlEIFER VON LUZERN.

Kunz von Gersau.

Jenni , Pischerknabe.

Seppi , Hirtenknabe.

Gertrud , Stauffachers Gattin.

Hedwig , Tells Gattin , Fürsts Tocliter.

Bertha von Bruneck , eine reiche Erbin

Landleute aus Schwyz.

i

Landleute aus Uri.

Landleute aus Unter-walden.

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Armgard, Mrciithild , Elsbeth , Htldegard, Walthee ,

wilhelji ,

Friesshard, Leuthold ,

Bauerinnen.

I Tells Knabeu. | Söldner.

Rudolf der Hauras , Gefslers Stallmeister.

Johannes Parricida , Herzog von Schwaben.

StCssi , der Pliirschütz.

Der Stier von Uri.

Efn Reicusboïe.

plloiinvogï.

Meister Steinmetz , Gesellen und Handlanger. Ofpentliche Ausrufer.

Barmherzige Brüder.

Gessleriscue und Landenbergische Reiïer.

Viele Landleute , Manner und Weiber aus denWald-

statten.

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ERSïEE AIJFZUCt.

E r s t e S z e n e.

Holies Felsenufer des VierwaldstEittersees, S c h w y z g e g e n ü b e r.

]Jej- See macht eine Bucht ins Land, eine Tlütte ist imiceit clem Ufer. Fis c her Iznahe fahrt sich in, einem Kalm. Uber den See Mn weg sieht man die f/rünen Matten , Döifer wad Höfe von Schwys ini hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolhen umc/eben ; zur Rechten im Jemen Irlin-tergrund sieht man die Eisgehirge. Noch ehe der Verhang aufgeht, hiirt man den Kuhreihen und das harmonische Gelüute der Herdengloclccn, ivelchas sich auch hei eröffneter Szene noch eine Zeit lang fortsetzt.

Fischekknabe (singt im Kalm).

Melodie des Kuhreihens,

Es liichelt der See , er ladet zum Bade ,

AUitte — quot;Wiese, Yiehweide in den Alpen. Höfe = Pachtliöfe. Haken = Hacken oder Haggen, Berg bei Schwyz. Vorhang — gordijn. Kuhreihen — Lied und W\'eise der suhweizor I\'irten, eigentlich zum Locken der im Gebirg zer-sfrenten Ivühe, wenn sie gemelkt quot;werden sollen, bestimint aber von den Hirten auch beim Austreiben der Herden und sonst gesungen ; eine Reihe einfacher , in der Kehle allein gobildeter ïöne ohneWorte, die, auf mannigfache quot;Woise gemodett, durch Höhen und Thaler widerhallen i geblasen wird der Kuhreihen auf einem grefoen Horn, dem sogunannten Alpenhorne.

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Der Knabe schlief ein am grünen Gestade;

Da hort er ein Klingen ,

Wie Ploten so süfs ,

5 Wie Stimmen der Engel

lm Paradies.

Und wie er erwaehet in seliger Lust,

Da spuien die Wasser ihm um die Brust ,

Und es ruft aus den Tiefen :

10 Lieb Knabe , bist mein !

Ich locke den Schlafer,

Tch ziek\' ihn herein.

Hirte (ciuf dem Bergé).

Variation des Kuhreihens.

Ihr Matten, lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden !

•15 Der Senne mufs scheiden ,

Der Sommer ist hin.

Wir fahren zu Berg , wir kommen wieder,

Wenn der Kuckuk ruft, wenn erwachen die Lieder, Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu , 20 Wenn die Brünnlein fliefsen im lieblichen Mai. Ihr Matten , lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden !

Der Senne mufs scheiden ,

Der Sommer ist Inn.

Alpenjager ferscheint gegen\'iber anf der Höhe des Felsen).

Zweite Variation.

25 Es donnern die Höhen , es zittert der Steg,

2. Gestado — Ufer. 15. Senno oder Senn — Alpenhirt 25. donnern — von den heruntersturzenden Lawinen. Steg schmaler Fufsweg, auch schmale Bretterbrücke.

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Nicht grauet dem Scimtzen auf sehwindlichtem Weg; Er schreitet verwegen Auf Feldern von Eis ;

Da pranget kein Frühling , 30 Da grünet kein Eeis ;

Und unter den Füfsen^ ein neblichtes Meer, Erkennt er die StJidte der Menschen nicht mehr; Durch den Mf^\'nur der Wolken Erblickt er die Welt,

35 Tief unter den Wassern

Das grünende Feld.

{Die Landschaft verandert sich , man hört ein dumpfes

Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.)

Rüodi , deh Fischer , kommt ans der Hütte. Weuki , deii Jager , steigl x^om Felsen. Kuoni , der Hirïe, kommt mit dem Melkwtjif auf der Schidter ; Seppi , sein Handbub , folgt Ahm.

Rüodi. Mach hürtig , Jenni. Ziiih die Naue ein. Der graue Thalyogt kommt, dnrapf brüllt der Firn, Der Mythenstein zieht seine Haube an,

26. schwindlicht = Sehwmifel crregend, 35. die Wasser = hier: die Wolken, prangen = prijken. Reis ~ takje.

Ruodi — Rudolf; Werni :r Werner; Kuoni = Konrad; Seppi — Joseph; Jenni = Johann. Uo sprich zweisilbig mit naohtönendein o.

37. Ifaue = plattes Fahrzcug, Lastsehiff, 38. der graue \'Thalyogt =; wenn Wolken von grauer Farbe von Unterwalden her, durch das Thai kommen , so erwartefe man Regen und pflegte zu sagen: der graue Thalvogt kommt Firn = alter Torjiihriger Schnee. 39. Mythenstein = eigcntlich ein aus dem See ragender Fels in der Nahe des Rütli; hier ist aber der grofse Mythen bei Schwyz gemeint. zieht seine Haube an —- umgiebt sich mit Wolken , die Wolken lagern sich um seine Spitze.

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£jt/ty\'kliHrJ\' •

40 Und kalt her blSst es aus dem Wetteiiocn :

Der Sturm, ich mein\', wird da sein, eh\'wir s denken.

Kuoni. \'s kommt Regen, Ptihrmann. Meine

/ Schafe frezen ,

Mit Begierde Gras undWacliter diearaé.\'

Werni. Die Fisclie springen nnd das Wasserhuhn

45 Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

Kuoki [zim Buben). Seppi, ob das^iek

sicli nicht verJaufen ?

Seppi. Die braune Liesel kenn\' ich am Geliiut.

Kuoni. So fehlt uns keine mehr, die geht am

weitsten.

Ruodi. Ihr habt ein schön Gelitute, Meister Hirt.

50 Werni. Und schmuckes Vieh. lüt\'s ener eignes r

Landsmann ?

Kuoni. Bin nit so reich, \'s ist meines gnad\'gen Herrn, Des Attinghausers, und mir zugezilhlt

Ruodi. Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

Kuoni. Das weifs sie aueh, dafs sie den Reihen führtl

40. Wetterloch = Wetterlöcher sind Höhlen und Bergspalten aus denen bald kalte , bald warme Winde hervorgehen, welche gutes oder schlimmes quot;VVetter anzeigen. 43. Wachter — der Name des llundes. 40. Lugen =: zusehen. 47. Liesel — Name der Kuh. am Geiaut = derjenigen Kuh , welche gewöhnlich am weitesten geht, hangt der Senn eine Glocke an ; kommt diese an, so weifs er dann sog\'eich , dafs alle übrigen schon versammelt sind. 49 ein schön Gelaute = Je-icr Senn hat ein Gelaut, welches aus drei, wenigatens aus zwei Glocken besteht, die unter einander und mit dem Gesang des Kuhreihens harmoniëren. Die schönste schwarze Kuh tragt die grofste Glocke am Halse und führt dann die Sente (Herde) an. 52. zugezahlt = stückwoise gegen Pacht oder Lohn übergeben.

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55 ünd niihm\' ich ihr\'s, sie hörte auf zn fressen.

Ruodi. Ihr seid nicht klug, eiu unvernünft\'ges Vieh —

Werki. 1st bald gesagt. Das Tiei-hataucli Vernunft; Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen. Die stellen klug , wo sie zur Weide gehn , 60 \'ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet Mit heller Pfeife , wenn der Jiiger naht.

Rcodi {zum llirten). Treibt ihr jetzt heim ?

Kuoni. Die Alp ist abgeweidet.

Wehni. Glücksel\'ge Heimkehr , Senn !

Kuoni. Die wiinsch\' ich euch;

Von eurer Fahrt kehrtsich\'s nicht immer wieder. 65 Ruodi. Uort kommt ein Mann in voller Hastgelaufen.

Werni. Ich kenn\' ihn , \'s ist der Baumgart von

Alzellen.

Konrad Baumgart en {atemlos heroinstiirzend). Baumgarten. üm Gotteswillen, Pahrman, eurenKahn! Ruodi. Nun , nun , was giebt\'s so eilig ? Baumgarten. Bindet los!

Ihr rettet mich voni Tode. Setzt mich über! 70 Kuoni. Landsmann, was habt ihr?

Wehni. War vei-folgt euch denn ?

Baumgarten {zum Fischer). Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen! Des Landvogts Reiter kommen hinter mir; Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

01. mit heller Pfeife mit pfeifender Stlmme. G7. Kalm = Boot. 71. Fer.se = hiel.

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Euodi. Warum verfolgen euch die Reisigen ? 75 Baumgartex. Erst rettet mich, und dann steh\'

ich euch Eede. Webni. Ihr seid mit Blut befleekt, was hat\'s gegeben? Baumgauïen. Des Kaisers Burgvogt, der aufRofs-

berg safs —

Kuoni. Der Wolfenscliiefsen? Lafst euch der verfolgen?

o

Baumgakten. Der schadet nicht mehr, ich hab\'

ihn erschlagen. 80 Alle {fahren zurüclc). Gott sei euch gnadig ! Was

habt ihr gethan ? Baumgarten. Was jeder freie Mann an meinem Platz. Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt Am Schilnder meiner Ehr\' und meines Weibes. Kuoni. Hat euch der Burgvogt an der Ehr\' geschadigt? 8ï) Baumgarten. Dafs er sein bös Gelüsten nicht voll-

bracht,

Hatt Gott und meine gute Axt verhütet.

Webni. Ihr habt ihm mit der Axt den Kopfzerspalten?

Kuoni. O lafst uns alles horen; ihr habt Zeit, Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.

00 Baumgarten. Ich hatte Holz gefallt im Wald,

da kommt

Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.

7-i Reisige = Reiter. 75. Kede stehen — te n oord staan. 77. der auf Kofsberg safs = der die Burg Rofsberg be-wühr.te. 79. ersclilageii = totschlagen. 80. zurückfah-ren — terugdeinzen 82. mein gutes Hausrecht — die Tótung des ertoppten Ehebreehers stand dein Manue nach deutschem wie iiach römischem Rechte zu. 86. Axt ~ Beil.

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»Der Burgvogt lieg\' in meinem Haus, er hab\' Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.

Drauf hab\' er üngebührliches von ihr 1)5 Verlangt; sie sei entsprungen , mich zu suchen.quot; Da lief ich frisch hinzu , so wie ich war, Und mit der Axt hab ich ihm\'s Bad gesegnet. Werni. Ihr thatet wohl, kein Mensch kann^uch

drum ^Qielfen.

Kuosi. Der Wüterieh ! Der hat nun seinen Lohn! 100 Hat\'s lang verdient ums Volk von Unterwalden. Baumgaiiten. Die That ward ruchtbar; mir wird

nachgesetzt.

Indem wir spreehen , Gott, verrinnt die Zeit! (Es fangt an zu donnern.)

Kuoni. Frisch, Fahrmann , soliaff\' den Bieaermann

hinüber!

Rüodi. Geht nicht. Ein sehweres Ungewitter ist 105 lm Anzug. Ihr miifst warten.

Baumgaiiten. Heil\'ger Gott!

Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet. Kuoni (zum Fischer). Greif an mit Gott! Dem Niichsten mufs man helfen ; Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

{Brausen und Donnem.)

92. liegen --- sich befinden, sich auflialten. 93. rüsten = zum Gobraucli ferlig machen. 94 ungcbülirlich — onleta-)}telijh. 98. schelten = tarteln. 99. Wiiterich — woest-aard, wreedaard. 102. verrinnen = vervloeien, voorbijgaan. 103. Biedermann = Ehrenmann, rechtsohaffener Mann. 106. Aufschub = uitstel. 107. Greif an! — ans Werk! 108. Gleiches = iets dergelijks, hetzelfde.

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Eüodi. Der Föhn ist los , ihr seht, wie hoch der

See gebt;

110 Icli kann nicht steuern gegen Sturm unci Wellen. Baumgarten {umfajst seine Knie) So half eucli Gott,

wie ihr ouch mein erbarmet! Wr:iixi. Es geht ums Leben. Sei barmberzig,

Fübrmann !

Küoki. \'sist ein Hausvater unci bat AVeib und Kinder!

(Wiederholte Donnerschlcij/e.)

Ruodi. Was? Ich hab\' auch ein Leben zu vei\'lieren, 115 Hab\' Weib und Kind daheim , wie er. Sebt bin, Wie\'s brandet, wie es wogt und Wirbel ziebt Und alle Wasser aufrübrt in der Tiefe. Ich wollte gern den Biedermann erretten ;

Doch es ist rein unmöglich , ihr seht selbst. 120 Baümgakten {noch avf den Knien). So mufs ich fallen in des Fein des Hand, Das nabe Rettungsufer im Gesichte !

Dort liegt\'s ! ich kann\'s erreichen mit den Augen, Hiniiber dringen kann der Stimme Schall, Da ist der Kabn, der mich hinübertrüge , 125 iJnd mufs hier liegen, bilflos , und verzagen ! Kuoni. Seht, wer da kommt.

109 Föhn = Siidwind, namlich der aus den Sandwüsten Afrikas herwehende Sirocco, der zwar abgekühlt aber immer noch mit ermattender Lauigkeit herankommt. Bei seiner An-kunft löscht man in der Schweiz kraft gesetzlicher Vorschrift, das Feuer in den Hausern aus; vgl 42 4. wie hoch der See geht = wie der See aufbraust 110. steuern — das Ruder führen 111. mein rrmeiner. 116. quot;Wirbel = wieling, draaikolk. 125 verzagen — den moed opgeven. 126, Bürglen Dorf, eine Viertelstunde von Aïtorf, an der Mündung des Schachenthales im Reufsthal. Armbrust =: hand- of voethoog.

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We km. Es ist der Tell aus Bilrglen.

Tell mit der A nnhmst

Tell Wer ist der Mann, der hier um Hilfe fleht? Küoni \'s ist ein Alzeller Mann ; er hat sein\' Ehr\' Verteidigt und den Wolfenschiels ersclilagen , 130 Des Königs Burgvogt, der auf Rofsberg sal\'s.

Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen. Er fleht den Schilfer um die Überfahrt; Der fürcht sich vor dem Sturm und will nicht

fahren.

Rijodi. Da ist der Teil, er führt das Ruder auch, 135 Der soli mir\'s zeugen , ob die Pahrt zu wagen. Tkll. Wo\'s Not thut, Pahrmann , lafst sich alles

wagen.

{Heftige DonnerscMöge, der See rauscht auf.) Ruoui. Ich soli mich in den Höllenrachen stürzen ? Das thate kelner, der bei Sinnen ist.

Tell. Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt; 140 Vertrau\' auf Gott und rette den Bedriingten. Rüodi. Vom sichej n Port lafst sich\'s gemachlich raten.

Da ist der Kahn und dort der See ; versucht\'s ! Tell. Der See kann sich, der Landvogt nicht

erbarmen.

Versuch\' es , Pahrmann !

Hikten und Jageii. Rett\' ihn! Rett\' ihn! Rett\' ihn!

133. fürcht = fürchtet. 136. Not tun == nötig sein. 137. Höllenrachen =: drohend ent^e^engahnender Abgrund der Hölle. 139. brav = rechtschapen. 141. Port = Haten, Ort wo man sich in Sicherheit befindet.

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145 Euodi. Und war\'s mein Bruder und mein leiblich

Kind ,

Es kann nicht sein ; \'s ist lieut Simons und Judü, Da rast der See und will sein Opfer haben.

Tell. Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft; Die Stnnde dringt, dem Mannmufs Hilfe werden. 150 Sprich , Pahrmann , willst du fahren ?

Ruodi. , Neiu, nicht ich!

Tell. In Gottes Namen denn ! Gieb her den Kahn!

Ich will\'s mit meiner schwachen Kraft versuchen. Kuoni. Ha , wackrer Teil!

Werni. Das gleicht dem Waidgesellen!

Baumgarten. Mein Ketter seid ihr und mein Engel , Teil!

155 Tell. Wohl aus des Vogts Gewalt errett\'ich euch ; Aus Sturmes Noten mufs ein andrer helfen. Doch besser ist\'s , ihr fallt in Gottes Hand Als in der Menschen.

{Zu dem Hirten.) Landsmann , tröstet ihr Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet. 160 Ich hab\' gethan , was ich nicht lassen konnte.

{Er springt in den Kahn.)

145. leiblich = eigen. 146. Simons und Juda = der 28 October, Festtag der H Apostel Simon und Juda; in einigen Gegenden herrscht der Abergloube , an die-se n Tage müsse das quot;Wasser jahrlich sein Opfer haben. 153. Waidgeselle = Waidmann, Jager; das gleicht dem Waidgesellen — daran erkennt man den Waidgesellen 159, was Menschliches = was jedem Menschen bevorsteht: der Tod; lies ; wenn ich nicht wiederkehren sollte.

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Kuom [zura Fischer). Ihr seid ein Meister Steuer-

mann. Was sich Der Teil getraut, das konntet ihr nicht wagen ? Ruodi. Wohl befsre Manner thun\'s dem Teil nicht

nach;

Es giebt nieh zwei, wie der ist, im G-ebirge. -165 Werni {ist auf den Fels i/estiegen). Er stöfst schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer !

Sieh , wie das Schifflein auf den Wellen schwankt! Kuoni {am Ufer). Die Flut geht drüber weg, ich

seh\'s nicht mehr.

Doch halt, da ist es wieder! Kraftiglich Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung. 170 Seppi. Des Landvogts Eeiter kommen angesprengt. Küoni. Weifs Gott, sie sind\'s. Das war Hilf\' in

der Not.

Ein Trupp Landenberoischer Reiter.

Ersteü, Eeiter. Den Mörder gebt heraus, den

ihr verborgen !

Zweiter. Des Wegs kam er, umsonst verhehltihrihn.

Küoni tmd Ruodi. Wen moint ihr , Reiter ?

Ersteii Reiter. (entdecht den Nachen) Ha , was

seh\' ich ! Teufel! 175 Werni (oben). Ist\'s der im Nachen, den ihrsucht? )

Reit zu I ^ Wenn ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein.

Zweiter. Verwünscht! Er ist entwischt.

102. sich etwas getrauen = den Mut haben etw.is zu unterneh-raen 166. schwanken = dobberen. 170. ausprengen = herangalopieren. 17 l.Weifs Gott eine Beteuerung; Gott weifs es! 173. verhehlen = verbergen. 175. reit = reitet. 176. beilegen = vorwiirts machen, zureiten. 177. entwischt — ontsnapt. f

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Erstee {zum Hirten und Fischer). Ihr habt ihiu

fortgeholfen; Ihr sollt uns bttfsen. Pallt in ihre Herde ! -Die Hütte leifset ein , brennt und schlagt nieder !

{Eden, fort.) 180 Seppi [stürzt nach). O meine Lammer !

Kuoni (JblgtJ. Weh inir , meine Herde!

Weeni. Die Wütriche !

Ruodi {ringt die Heinde). Gerechtigkeit des Himmels Wann wird der Better kommen diesem Lande ?

(Folgt ihnen.)

Z w e i f. e S z e u e.

Zu Steinen in Schwyz, eine Linde vor des Stauffachers Hause ander Landstrafse nïlchst der JBrücke.

Weenee Staüeeachee , Pfeifee von Lüzeen kommen im Gesprach.

1 feifee. Ja , ja , Herr Stauffacher , wie ich eucli

... sagte.

ochwört nicht zu üstreich, wenn ihr\'s könnt

vermeiden.

181. ringen — wringen. 184. Suhwört nicht zu \'dtreich — Uber die Urgeschichte des Sclnveizervolkes, s 1159 s hutte seine Freiheit stets bewalirt s. 1210 „Aus freiem ntriebe batten sie (die Bewohner der Urkantone) jedoch den phirm des deutschen Keiches nachgesuoht s 1212 u.fg. uud er-orben und waren ein unmittelbares, freies Volk desselben ge-orden , was sie sich der Sicherheit wegen von den Kaisern [kundlich bekriiftigen liefseu. Dafür iolgten sie denselben tiller, Wilhelm Teil 2

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185 Haltet fest am Reich unci wacker, wie bisher. Gott schirme euch bei eurer alten Freiheit! {Driicht ihm herzlich die Hand und will gehea.)

Stauffacqer. Bleibt doch, bis meine Wirtin

kommt. Ihr seid Mein Gast zu Schwyz , ich in Luzern der eure. Pfeifer. Viel Dank! Mufs lieute Gersau noch

erreichen.

190 Was ihr audi Schweres mögt zu leiden haben Von eurer Vögte Geiz und Ubermut,

in ihre Kriege s. 1227. Hire Landesangelegenlieiten verwalte-ten sie selbst. Die Landesgeinciiidc (Parlament, Kaimnern) steilte unter Leitung des LaiuiaininaTiues die Gesetze fest, und ii\'oertrug diesem die Ausfiihiung derselben. 2s ur das Blutge-rieht wurde in des Kaisers Namen geiibt. I.)azu bestellte der Kaiser eiuen Reichsvogt (Amtmann) gewölinlieh einen bt-nachbarten Grafen, denn cr durl\'ie nicht im Lande wohnen, sondern wenn Blutscliuld kam , rief man ilm herein , und er spraeh dann lieeht öffentlich , vor allem Yolk und m.tar frei-lt;-m Himrnel. Dies Verhaltnis hatte im ganzen zur Zulrieden-iieid beider Teile, der Kegierten wie der Regierenden , bestanden bis zu der Zeit wo Albrecht I, Sohn Rudolfs von llabsburg, 1298 zur Kaiserwiirde ge\'.angte. Dieser war gegen die Schweizer streng und zurnend , nicht weil er als höchster Richter des Landes dazu Veranlassung gehabt hiitte, gt;ondern vielmehr aus einer andern, rein persöulichen Ab-siciit. Er verlangte namlich von den Scliweizern , sie sollten dein Reich eutsagm und sich dem erblichen Scliutze seines , als des herzoglich-österreichischen Regentenhauses anver-trauen. Das heil\'st freilich: sie sollten , wahrend sie so lange deutsch gewesen waren, nunmehr auf immer habsburgisch tuier osterreichisch werden. Einzelne Kantone der Schweiz liel\'sen sich wirklich dazu bringen, z. B. Luzern. (vgl: die quot;NV or te Pfeifers von Luzern V. 184— 186.) Lüben und Nac-ke, Einführung in die deutsche Literatur II 695. 187. Wirtin = llausfrau.

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Tragi s in Geduld ! Eis kann sich andem, sehnell, Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.

beid ihr erst Osterreiehs, seid ihr\'s auf immer.

Er r/eht ah. Stayffacher setzt si\'-.h knmmervoll nuf etna Bank unter der Linde. So findetihn O ert rud, seme F1/au, die si-h nebe.ti. l.hn. stelit mul ihn eine ZeiHwg schiveigmd bt-trachiet.

Gertrud. So ernst, mein Freund ? Ich kenne dieh . nicht mehr.

oenon viele Tage seh ich\'s schweigend au , Wie finstrer ïrübsinn deine Stirne furcht. Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten, Vertrau es mir; ich bin dein treues Weib , -00 Und meine Halite fordr\' ich deines Grams.

(\'twJf\'aTher reicht ihr die Hand und sohweiyt.) Was kann dein Herz beklemmen, sao-\' es mir Gesegnet ist dein Fleifs, dein Glücksstand blüht^ \\ oil sind die Schennen, und der Einder Scharen , L*61\' glatten Pf\'erde wohlgeniihrte Zucht -O-j 1st von den Bergen glücklich heimgebracht /ur Winterung in den bequemen Stnllen. Da steht dein fiaus, reich, wie ein Edelsitz: Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert Und nach dem Riehtmafs ordentlich gefügt; quot; yron vielen Fenstern gliinzt es wohnlich . heli; Mit bunten Wappenschildern ist\'s bemalt

193. ans Keich gelangen -I den ïhron ersfeigen. 197 ■gt;!u y w r/quot;fe\'equot; ,98- hebresten = Kummer, Qual.

Zucht - Brut. ielt;iU , hudde. 207. Edelsitz = Wohn-sitz cines Ad],gen. 208. Stammholz z= 01 erholz, hoch-st imm.ge Baume. 209. Riehtmafs = eigentl. Winkelmals. werden m s = ,quot;er: wifl ein Hans soil gehaut

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Und weisen Sprilchen , die der Wandersmann Verweilend liest und ihren Sinn hewundert.

Stauffacueii. Wohl steht das Haus gezimmert

und gefügt;

215 Doch ach! es wankt der Grand, auf dem wir

bauten.

Geiituli). Main Werner, sage, wie verstehst du das?

Sïauffachek. Vor dieser Linde safs ich jüngst,

wie heut\',

Das schon Vollbrachte freudig überdenkend, Da kam daber von Küfsnacht, seiner Burg, 220 Der Vogt mit seinen Eeisigen geritten.

Vor diesem Hause hielt er wundernd an; Doch ich erhob rnich schnell, und unterwürfig, Wie sich\'s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen. Der uns des Kaisers richterliche Macht 22ö Vorstellt im Lande. Wessen ist dies Haus? Fragt\' er bösrneinend , denn er wufst\'es wohl. Doch schnell besonnen ich entgegn\' ihm so : Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers Und eures, und mein Lehen. Da versetzt er; 230 »Ich bin Eegent im Land an Kaisers Statt, Und will nicht, dafs der Bauer Hüuser baue Auf seine eigne Hand , und also frei Hinleb\', als ob er Herr war\' in dem Lande; Ich werd\' mich unterstehn, euch das zu wehren.quot; 235 Dies sagend ritt er trutziglich von dannen; Ich aber blieb mit kummervoller Seele, Das Wort bedenkend, das der Bose sprach.

219. Küfsnacht, am IsTordost-En(le des Vierwaldstatter-sees. 223. gebühren = geziemen. 234 sich unterste-lien sich beeifern und erkühnen. wehren = verhindern. 235. trutzifilich — trutzlich, trotzich.

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Gertrüd. Mein lieberHerrundEhewirt! Magstdu Ein redlieh Wort von deinem Weib vernehmen? 240 Des edeln Ibergs ïochtfir rühm\' ich mich ,

Des vielerfahrnen Manns. Wir Sehwestern safsen, I \'ie Wolle spinnend, in den langen Nachten, Wenn bei dem Vater sich des Volkes Hiiupter Versammelten , die Pergamente lasen 245 Der alten Kaiser und des Landes Wohl Bedachten in vernünftigem Gesprach. Aufmerkend hort\' ich da manch kinges Wort, Was der Verstand\'ge deukt, der ftute wiinscht, Lnd still im Herzen hab\' ich mir\'s bewahrt. 250 So höre denn und acht\' auf meine Rede.

Denn was dich prefste, sieh. das wufst\' ich lüngst. Dir grollt der Landvogt, möchte gein dir schaden, Denn du bist ihm ein Hindernis, dais sich Der Schwyzer nicht dem neuen Ptirstenhaus 255 Will unterwerfen, sondern treu und fest Beim Reich beharren, wie die würdigen Altvordern es gehalten i.nd gethan.

1st s nicht so , Werner? Sag\'es, wenn ich Itige. Staüfpachek. So ist\'s, das ist des Gefslers Groll

auf mich.

-00 Gertrud. Er ist dir iteidisch, weil du glücklicli

. wohnst,

Em freier Mann auf deinem eignen Erb\';

Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich Tragst du dies Haus zu Lehn; du darfst eszeigen,

Ï38. Ehewirt = Geraahl. redlieh — aufrichtig uni] vcrm\'inftii», 24(1. rühm\' ich mich = rühme ich inich zu sein 247. Pers-a-mente = Freiheitsbriefe. 251. pressen driicken. 252 gnillen = heimlich ziirnen, 25«. beharren = aashaltenquot;, standhaft bleibeu. 257. Altvordern = Vorfahren.

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So gut der Keichsfürst seine Lander zeigt; 265 ])enii über dir erkennst du keinen Herrn , Als nur den hochsten in der Cliristenheit. Er ist eiu jiingrer Sohn nur seines Hauses, Niclits nennt er sein ais seinen Rittermantel; Drum siebt er jedes Biedermannes Gliick 270 Mit scheelen Augen gift\'ger Mil\'sgunst an.

Dir hat er langst den Untergang geschworen. Noch stelist du unversehrt. Willst du erwarten, Bis er die böse Lust an dir gebüfst ? Der kluge Mann baut vor.

Stalti\'acher. Was ist zu thun ?

275 Gkbtbud (tritt nci\'ier). So Lore meinen Eat. Du

weifst, wie hier Zu Schwyz sich alle Eedlichen beklagen Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei. So zweifle nicht, dafs sie dort drüben audi In Unterwalden und im Urner Land 280 Des Drangcs müd\' sind und des harten Jochs. Denn wie der Gefsler hier, so schaift es frech Der Landenberger drüben überm See. Es kommt kein Pischerkahn zu uns herüber, Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-285 Beginnen von den Vögten uns verkündet. Drum that es gut, dai\'s euer etliche ,

Die\'s redlich meinen, still zu Eate gingen ,

206. der hóchste in der Cliristenheit = tier Kaiser. 267. ein jiingrer Solm = die Giiler gingen auf den Erstgebornen ilber. 271 noch stehst du unversehrt = noch bliebst du unverletzt. 273. die biise Lust biii\'sen = iiir genugthun , ale befriedigen , kiihlon. 274. vorbauen = zavorkommen , vcrhiiten, Gegenanstalton troffen 277. ob — liber. Wüterei ~ Rasei\'ei, tolles Treiblt;n. 278. dort drüben an der Überseite der Yierwaldstattersees. 2 SO. Drang = verdrukking.

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23

Wie man des Drucks sich mSeht\' eiiedigen ; So achtich wohl, Gott würd\' euch nicht verlassen 290 Und der gerechten Sache gniidig sein.

Hast du in üri keinen Gastfreund , sprieh, Dem du deiu Herz magst redlich effenbaren ? Staüfpacheu. Der wackern Manner kenn\' ieh

viele dort Und angesehen grofse Herrenleute ,

quot;295 Die mir geheim sind und gar wohl. vertraut.

{Er stekt anf.)

Prau, weiehen Sturm gefahrlicher Gedanken Weekst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen, Und was ich mir zu denken still verbot, 300 Du spricht\'s mit leichter Zunge kecklich aus. Hast du. auch wohl bedacht, was du mir ratst? Die wilde Zwietracht and den Klang der Waffen Rufst du in dieses friedgewohnte Thai.-Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten, 305 In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt ? Der gute Schein nur ist\'s , worauf sie warten , Um loszulassen\' auf dies arme Land Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,

Darin zu schajten mit des Siegers Rechten, 8.10 Und unterm Schein gerechter Züchtigung Die alten Preiheitsbriefe zu vertilgen.

Gertiidd. Ihr seid auch Manner, wisset eure Axt

ti88. sich erledigen sicli befreien, 289. achten = glauben *295. geheim — eigentl. zur selben Heimat gehorend , daher ; innig befreundet. 299. zu denken still =: still zu denken. 300. kecklich kühnlich, frank und frei. 304 wir wagten es = sollten wir es wagen. 308 Horde = roher, wilder Haute, Bande. 309. schalten = herrschen. 312. Axt = strijdbijl.

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Zu fühven , tind dem Mutigen hilft Gott. Stauffachek. 0 Weib! Ein furchtbar wütend

Schrecknis ist 315 Der Krieg; die Herde schliigt er und den Hirtenv

Gertrud. Ertragen mufs man , was der Himmel

sendet;

Unbilliges ertriigt kein edles Herz. Stauffaciiek. Dies Haus erfreut dich, das wir

neu erbauten ; Der Krieg, der ungeheure , brennt es nieder. 320 Gertrud. Wüfst\' ich mein Herz an zeitlich Gut

gefesselt,

Den Brand w\'irf\' icli binein mit eigner Hand. Stauffachek. Du glaubst an Menscblicbkeit; es

schont der Krieg Audi nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

Gertrtjd. Die Unscbuld bat im Himmel einen

Freund.

325 Sieli vorwarts, Werner, und nicht hinter dicli! Stauffachek. Wir Manner können tapfer fech-

tend sterben ; Welch Schicksal aber wird das eure sein ?

Gertrud. Die letzte Wahl steht auoh dem

Schwüchsten offen , Ein Sprung von dieser Briicke macht micb frei. 330 Stauffachek {stiirzt in Hire Arme). Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt, Der kann ftir Herd und Hof mit Freuden fechten, Und keines Königs Heermacht fürcbtet er. Nach Uri fahr\' ich stehnden Pufses gleich ;

ï\'20. Zeitlich — irdisch.

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Dort lebtein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst, 335 Der über diese Zeiten denkt, wie ieh.

Auch find\' ich dort den edlen Bannerherrn Von Attinghans ; obgleich von hohem Stamm r Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten. Mit ilinen beiden pfleg\' ich Rats, wie man 340 Der Landesfeinde mutig sich erwehrt

Leb\' wohl, und weil ich fern bin, führe du Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses. Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt, Dem frommen Mönch. der für sein Kloster

sammelt,

845 Gieb reichlich und entlafs ihn wohlgepflegt.

Stauffachers Haus verbii gt sich nicht. Zu aufserst Am offnen Heerweg steht\'s, ein wirtlich Dacli Für alle Wandrer, die des Weges fahren.

_ T-ndem sie nach dem Hintergrunde abgehen, tntt

Wilhklm Tell mit Baumgarten vorn avf die Szene.

Tell {zu Baumgarten) Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten. 350 Zu jenem Hause gehet ein , dort wohnt

Der Stauffacher, ein Vater der Bedrangten. Doch sieh, da ist erselber. Polgtmir, kommt! {Gehen auf ihn zu : die Szene verwandelt sich.)

336. Bannerherr — eigentlich jeder quot;vom hohen Adel, der sein eigenes Banner führen durfte, in der Scliweiz der Auführer der Mannschalt eines Kantons. 341 weil —; so lange. 34i\'. Regiment = hier: die Oberherrachaft. 243. wallen — wallfahrten, ee.ue hedei-aaH houden- 347./u aus-serst am oftnen Heerweg --- am Ende des offenen Heerwegs. wirtlich — gastvrij, 348, fahren ~ Ziehen.

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1) r i 11 e S z e u e.

Üffentlicher Platz bei Altorf.

Auf einer Anhöhe im Hintergrund sield man eine Feste banen, icelcha sc/ion so weit gediehen, dafs sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern toird eben gebaut, das Geruste stekt noch , an xvelchem die Werh-leute auf und nieder steigen ; auf dem Jiöchsten Dach hangt der Schiefer decker ; alles ist in Be-u-egung und Arbeit.

Frohnvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.

Frohnvogt {mit dem Stabe, treïbt die Arbeiler). Nicht lang gefeiert, frisch ! Die Mauersteine Herbei, den Kalk , den Mortel zugefahren , o55 WennderHerrLandvogtkommt dafserdasWerk Gewachsen sieht! Das schlendert wie die Schneeken.

{Zu zwei Handlangern ivelche tragen.)

Helfst das geladen ? Gleich das Doppelte ! Wie die ïagdiebe ihre 1\'flicht bestehlen !

Erster Gesell. Das ist doeli hart, dafs wir die

Steine selbst

-360 Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren !

gedeihm = wachsen, guten Fortgang haben; hier: vollführen, vollenden. sich darstellen =: sich zeigen. eben = in diesem Augenblicke. Schiefer = lei. Frohnvogt = Aufseher über die Fröhner, Arbeiter im Herrendienste. Steinmetz = Maurer. Handlanger = opperman.

353. feiern =: von der Arbeit rahen. 354. Möit3l cement 356 Das = hier geringschatzend und verhöhnend vou Personen gebraucht 360. Twing — Zwingburg.

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Fuohnvogt. Was murret ihr ? Das ist ein

sehlechtes Volk, Zu nichts anstellig, als das Vieh zu melken Und faul herum zu schlendern auf den Bergen. Alter Mann [ruht aus). Ich kann nicht mehr. Peohxvogï (schüt\'elt Hm). Frisch, Alter, an die

Arbeit!

uC5 En ster Gksell. Habt ihr denn gar kein Einge-

weid , dafs ihr Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann, Zuni harten Prohndienst treibt ?

Meister Steinmetz und Gesellen, \'s ist him

melsehreiend ! Fuohnvogt. Sorgt ihr für euch ; ich thu , was

meines Amts. Zjquot;weiter Gesell. Prohnvogt, wie wird die Feste 0_ . denn sich nennen,

•j70 Die wir da baun ?

1( rohnvogt. Zwing Uri soli sie heifsen ;

Denn unter dieses Joch wird man euch beugen. Gesellen. Zwing Uri ?

Prohnvogt. Nun, was giebt\'s dabei zu lachen ? Zweiter Gesell. Mit diesem Hiiuslein wollt ihr

Uri zwingen ? Luster Gesell. Lafs sehn, wie viel man solcher

Maulwurfshaufen 375 Mufs über \'nander setzen , bis ein Berg

3«2. aiis\'jeUigr = gewandt, handig, knap. 474. Maul-vvurlshaufe = molsla )p.

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Draus wird , wie der geringste nur in üri! {Frohnvogt gekt nach dem Hintergmnd)

Meister Steinmetz. Den Hammer werf ieh in

den tiefsten See, Der mir gedient bei diesem Pluciigebïude !

Tell und Staufpacher hommen.

Stauffacheb. O hntt\' ich nie gelebt, um das

zu schauen !

-383 Tell. Hier ist nicht gut sein. Lafst uns weiter gehn.

Stauffacheb. Bin ich zu Uri, in der Freiheit Land ? Meister Steinmetz. O Hen , wenn ihr die Keiler erst gesehn

Unter den Türraen ! Ja , wer die bewohnt, Der wird den Hahn nicht fürder krahen hören. 385 Stauffacheb,. O Gott!

Steinmetz. Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler! Die stehn , wie für die Ewigkeit gebaut.

Tell. Was Hilnde bauten, können Hiinde stürzen; {Nach. den Bergen zeigend)

Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet. Man hort eine Trommel, es kommen Leute , die einen Hut auf einer Stange tragen, ein Ausrufeb. folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tunndtuarisch nach.

378. Fluohgebaude = fluchbeladenes Gobaude. 384. frtr-der = ferner, weiter. 385 Fianke = die Se\'tc des Ge-baudcs. Strebepfeiler = schragfltehende Pfeiler zur Stütze f\'iir hohe Mauern

Stange = lange stok, staal\'. tumultuarisch = met tumult, sturmisch.

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Eustek Gesell. Was will die Trommel? Gebet Acht! Mejsïer Steinmetz. Was für

390 Ein Fastnachtsaufzng, und was soil der Hut? Ausbdeer. In des Kaisers Namen ! Höret! Gesellen. Still doch ! Höret!

Ausbdfee. Ihr sehet diesen Hut, Manner von ürif Aufrichten wird man ihn auf hoher Saule , Mitten in Altorf, an dein höohsten Ort, 395 Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung : Dem Hut soli gleiclie Ehre, wie ihm selbst,

geschebn.

Man soli ihn mit gebognem Knie und mit Entblöistem Haupt verehren. Dar an will Der König die Gehorsamen erkennen. 400 Verfallen ist mit seinem Leib und Gut Dem Könige , wer das Gebot verachtet. (Dus Volk lacht laut auf, die Trommel wird (je-

rülirt, sie gehen voriiber.)

Ekster Gesell. Welch neues Unerhörtes bat der

Vogt

Sich ausgesonnen ! Wir \'nen Hut verehren ! Sagt, bat man je vernommen von dergleichen? 405 Meisïee, Steinmetz. Wir unsre Kniee beugen

einem Hut! Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd\'gen

Leuten ?

Ekster Gesell. Wiir\'s noch die kaiserliche Kron\'!

So ist\'s

Der Hut von Osterreich; ich sah ihn hangen

390. Fastnachtsaufzug = optocht van vastenavondgekken t, maskerade. 408. Der Hut von Österreich = der Herzogs-hut (eine Krone, die mit zwölf goldnen Perlen geziert war

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i

Tiber dem Thron , wo man die Lehen giebt. 410 Meister Steinmetz. Der Hut von Osterreich!

Gebt Acht, es ist Ein Fallstrick, uns an Ostreich zu verraten ! Gesellen. Kein Ehrenmann wird sich der Sehmach

bequemen.

Meister Steinmetz. Kommt, lafst nus mit den andern Abred\' nehmen. (Sie gehen nach der Tiefe.)

Tell (zum Stavffacher). Ihr wisset nun Bescheid Lebt wohl, Herr Werner ! 415 StauI\'Taciier. Wo wollt ihr bin? O eilt nicht

so von dannen ! Tell. Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebetwohl. Staufeacher. Mir ist das Herz so voll, mit

euch zu reden. Tell. Das schwere Herz wird nicht durch Worte

leicht.

Stautfacuer. Doch könnten Worte uns zu Thaten

fiihren.

420 Tell. Die einz\'ge That ist jetzt Geduld und

Schweigen.

und oben die Weltkufrel trug) wai das Zeichen der bosondern Reichsfürstenwürde König Albreclits, als Herzogs von Osterreich und hing- als soldier über dem Thron auf welchem er safs , wenn er Vasallen belehnto oder in ihren Lehen be-statigte. Hier soli du Hut den Schweizern Erbunterthiinig-keit unter Osterreich be ieuten. vgl 411. 412. sich bequemen = sich in etwas schicken. 413 Abrede = ein durch gemeinschaftliche Besprechung und Beratung festgestellter Beschlufs. Tiefe = Hintergrund,

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Stauffaciikr. Soil man ertragen, was unleidlich ist? Tell. Die sclinellen Herrscher sind\'s, die kurz

regieren.

Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden, Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen ■125 Eilends den Hafen , und der macht\'ge Geist Geht ohne Schaden spurlos über die Erde. Ein jeder lebe still \'bei sich daheim ;

Dein Priedlichen gewiihrt man gern den Frieden. Stauffacuer. Meint ihr ?

Tell. Die Schlange sticht nicht ungereizt.

430 Sie werden endlich doch von selbst ermüden , enn sie die Lande ruhig bleiben sehn.

Stauffacuer. Wir könnten viel, wenn wir zu-

sammen standen. Tell. Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich

leichter.

Stauffacuer. So kalt verlafst ihr die gemeine

Sache ?

•435 Tell. Ein jeder zahlt nur sicher auf sich selbst. Stauffacheb. Verbunden werden auch die

Schwachen machtig. Tell. Der Starke ist am machtigsten allein. Stauffacuer. So kann das Vaterland auf euch

nicht ziihlen , Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift ?

440 Tell (gieut ihm die Hand). Der Teil holt ein verlornes Lamm vom Abgrund ,

422, Schnell = hier: gestreng. 423. Sehlund = Schluclit, Abgrund. 429. ungereizt = ongetergd.

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Und sollte seinen Freunden sich entziehen ? Doch, was ihr thut, lafst mich aus eurem Eat; Ich kann nicht lange prüfen oder wiihlen. Bedürft ihr meiner zn bestimmter That, 445 Dann ruft den Teil, es soil an mir nicht fehlen. (Gehen ah zu vef sehied\'.ne-n Seiten. Ein plötzlicher Anflauf entstehl. um, das Geruste.)

Meister Steinmeïz {eilt Mn). Was giebt\'s? Ekster Gesell (kommt vor, vu fend). Der Schie-ferdecker ist vom Dach gestürzt.

Behtiia stürzt herein. Gefolge.

Bertha. 1st er zerschmettert ? Rennet, rettet, helft! Wenn Hilfe möglich, rettet! hier ist Gold. (Wh\'ft ihr Geschmeide unter das Volk). Meister. Mit eurem Golde ! Alles ist euch feil 450 Um Gold ; wenn ihr den Vater von den Kindern Gerissen und den Mann von seinem Weibe, Und Jammer habt gebracht über die Welt, Denkt ihr\'s mit Golde zu vergiiten. Geht! Wir waren frohe Menschen , eh\' ihr kamt; 455 Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

Bertha {zu dem Frohnvogt, der zurvchkommt).

Lebt er ?

{Frohnvogt giebt ein Zeichen des Gegenteils).

O unglücksel\'ges Schlofs, mit Flüchen Erbaut, und Pluche werden dich bewohnen !

{Geld ab)

443. prüfen = untersuchen. 447. zeraclimettern = verpletteren. Geschmeide = Goldachmuck 451. ihr = namentl. Gefsler und die fremden Herrscher , an dessen Hot\' Bertha lebt.

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Vier te Szeue.

W alther Fürsts W o li n u n o-

O

Waltiier Plust und Arnold vom Melchïhal treten zugletch ciïi vou vet\'scluedetieu Seiten,

Melchthal. Hen- Walther Pürst —

Walther Pürst. Wenn inau uns überrasclite! Bleibt, vvo ihr seid. Wir sind umringt von

Spahern.

460 Melchthal. Bringt ihr mir nichts von Unter-

walden ? nichts Von meinem Vater? Nicht ertrag\'ich\'slanger, Als ein Gefang\'ner müfsig hier zu liegen. 0 Was hah ieh denu so Strafiiches gethan, üm mich gleich einem Mörder zu verbergen? 46a üem frechen Buben, der die Ochsen mir, Das trefflichste Gespann , vor meinen Auo-en Weg wollte treiben auf des Vogts Geheill^ Hab\' ich den Finger mit deiu btab gebrochen. Walther Pürst. Ihr seid zu rasch. Der Bube

war des Vogts; 4/U Von eurer Obrigkeit war er gesendet.

Ihr wart in Straf gefallen , mufstet euch, Wie schwer sie war, der Bufse schweigend fügen.

Melchthal. Ertragen sollt\' ich die leichtfert\'ge Rede Des ünverschamten: »Wenn der Bauer Brot 475; Wollt\' essen, mög\' er selbst am Pfluge ziehn?quot; In die Seele schnitt mir\'s, als der Bub die Ochsen,

465. = Be-

459. Spaher = Spion. 462. müfsig =untliatio-. BubeJ=; Gerichtsknecht oder -bote. 407 Geheifs tehl. 472. Bufse = Geldstrafo.

Schiller, Wilhelm Teil.

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Die schonen Tiere , von dem Pfluge spannte; Dumpf brüllten sie , als hiitten sie Gefiihl Der Ungebühr, unci stiefsen mit den Hornern; 480 Da übernahm mich der gerechte Zorn ,

ünd, meiner selbst nicht Herr, schlug ich den

Boten.

Waltheii Fübst. O , kaum bezwingen wir das

eigne Herz ;

Wie soil die rasche Jugend sich bezahmen ?

Melchthal. Mich jammert nur der Vater. Er

bedarf

485 So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern. Der Vogt ist ihm gehiissig, weil er stets Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten. Drum werden sie den alten Mann bedriingen, Und niemand ist, der ihn vor Ünglimpf sehütze. 4S0 Werde mit mir, was will, ich mufs hinüber. Waliheb First. Frwartet nur und fafst euch

in G-eduld,

Bis Nachricht uns herüber kommt vom Walde. Ich bore klopfen , geht! Vielleicht ein Bote Vom Landvogt. Geht hinein ! Ihr seid in Uri 4\'. 5 Nicht i-icher vor des Landenbergers Arm , Denn die Tyrannen reichen sich die Hiinde. Melci.thai . Sie lehren uns, was wir thun sollten. Waltheii FCust. Geht !

479. Ungebühr = Unbill. 480 iibernehmen = ergreifen. 482. wir = die Alten. 486. gehassig\' — feindselig gesinnt. 488. bedr;iii«ien = plagen. 489. Unglinipf — loiie, unbil-lige Behandlung. 490. hinüber ~ er heen. 492. vom quot;VVnlde = aus ünterwalden. 485. Landenberger = der Vogt in Untenvalden.

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Ich ruf\' eucli wieder, wenn\'s hier sicher ist.

(Melchthal geht hinein.) Dei- Unglückselige, ich darf ihm nicht 500 Gestehen , was mir Böses schwant. Wer klopft ? So oft die Thüre rauscht. erwart\' ich Unglück. Verrat und Argwohn lanscht in allen Ecken ; Bis in das Innerste der HSuser dringen Die Boten der Gewalt; bald that\' eamp;0 Not, 505 Wir hatten Schlofs und Eiegel an den Thüren. Er öffnet und tntt erstuunt zuriick : da W\'crner 6\' tauffucher hemntritt Was seh\' ich? Ihr, Herr Werner? Nun, bei

GrOtt ,

Ein werter , teurer Gast! kein befsrer Mann 1st tiber diese Schwelle noch gegangen.

Seid hocli willkommen unter meinem Dach. 510 Was führt euch her ? Vi as sucht ihr hier in Uri? Stauffacher {tkm die Hand reichend). Die alten

Zeiten und die alte Schweiz. Walther Pürst. Die bringt ihr mit euch—Sieh,

mir wird so wohl. Warm geht das Herz mir auf bei eurem Anblick. Setzt euch , Herr Werner ! Wie verlielset ihr 515 Prau Gertrud . eure angenehme Wirtin ,

Des weisen Ibergs hochverstünd\'ge Tochter ? Von allen Wandrern aus dem deutschen Land. Die iiber Meinrads Zeil nach Welschland fahren,

500. mir schwant — ich habe eine dunkle Vorompfindutiüquot;. 504 Not thun — notig; sein 5Ü5. Riegel = grendel. 58118. Schwelle _ drempel. 51S. vg] 240. 518. Meinrads Zeil — ein beileutender Wallfahrtsort der Schweiz, jetzt Kloster Einsiedeln Meinrads Zeil genannt nach dem Grafen Meinrad von Hohenzollern , der hier als Einsiedler lebte und 861 von Raubern ersohlagen wurde. Welschland = Italiën.

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Kiihmt jeder euer gasgt;tlicli Haus. Doch sagt, 520 Kommt ihr so eben frisch von Flüelen her, Und habt euch nirgends sonst noch umgesehen, Eh\' ihr den Fufs gesetzt auf diese Schwelle ?

Stauffacheii {actzl sich). Wohl ein erstaunlich neues Werk hab\' ich Bereiten sehen , das mich nicht erfreute. 525 Waltiieu Flmist. O Freund, da habt ihr\'s gleich

mit e i n e m Blicke ! Stauffaciok. Ein solches ist in Uri nie gewesen; Seit Menschendenken war kein Zwinghof hier, Und fest war keine Wohnung, als das Grab.

Waltiieu FOitsr. Ein Grab der Freiheit ist\'s. Ihr

nennt\'s mit Namen. / 530 Stavffacheu. Herr Walther Fürst, ich will euch 1 nicht verhalten ,

Nicht eine müfs\'ge Neugier fiihrt mich her ; Mich drücken schwere Sorgen. I \'rangsal hab\' ich Zu Haus verlassen , Drangsal find\' ich hier. L)enn ganz unleidlich ist\'s, was wir erdulden, 535 Und dieses Dranges ist kein Ziel zu sehn.

Frei war der Schweizer von Uralters her, Wir sind\'s gewohnt, dafs man uns gut begegnet. Ein solches war im Lande nie erlebt,

8o lang ein Hirte trieb auf diesen Bergen.

520. frisch = rechtstreeks. Fluelen = (sprich: Flühlen) Jlat\'enplatz am Südende des Vierwaldstatter Sees, aaf eine ItHlbfl Stunde von Altorf. 521. sich umsehen r-r rondzien, 25 es = unser ganzes Elend, 529. mit Namen = beim rechten Namen. 530. verhalten = verhehlen. 531. müfsig = leer, unnütz. 532. Drangsal = Not, Kummer. 535. ZiiM — Ende.

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540 Waltueh Fl-bst. Ja, es ist ohne Beispiel wie

sie\'s treiben.

Audi unser edler Hen- von Attinghausen , J)er )ioch die alten Zeiten hat gesehn ,

Meint selber, es sei nicht mehr zu ertragen. amp;tauffac[ier. Auch drüben nnterm Wald geht

- Ti lil i • Schweres vor

\' ülld blquot;tig wird\'s gebüfst. Der Wolfenscliiefseu, Des Kaisers Vogt, der auf dem Rofsberg hauste, Ueliisten trug er nach verbot\'ner Frucht; Baumgartens Weib. der haushiilt zu Alzellen, •ei Zu flquot;ecller Ungebühr mifsbrauchen •)-)0 Lnd mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.

Waltheb Fi\'rst. O , die Gerichte Gottes sind

ere ree lit!

Baurngarten , sagt ihr ? ein bescheidner Mann ! Ijr ist gerettet doch und wohl geborgen ?

ferAUFPACHER. Euer Bidam hat ihn übern See

err ,, . . r, geflüehtet;

\'\'ei uur zu bteinen halt\' ich ihn verborgen. Noch Greulichers hat mir derselbe Mann Berichtet, was zu Samen ist geschehn. Bas Herz mufs jedem Biedennanne bluteu. Walther FüitsT {anfmerhsam). Sagt an, was isfs? . Stauffacher. Im Melchthal, da, wo man

•gt;\'00 Eintntt bei Kerns, wohnt ein gerechter Mann, bie nennen ihn den Heinrich von der Halden, Ünd seine fetimm gilt was in der Gemeinde.

■-gt;■44. unterm quot;WaKl — in Unterwalclen. vorgelien = sicli ereignen , statt finden. Schwere? = sohwere Frevelhafeu. ■gt; i4. Eidam schoonzoon. 561 Heinrieh von der l\'aldeii = Arnold vom Melchthals Vater. Dieser tragt seinen Xamen von Wohnorte, dem Melchthal.

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Waltiieii F Oust. Wer kennt ilm nicht? Was ist\'s mit ihm ? Vollendet !

Stauffaciu\'.r. Der Landenberger büfste seinen Solm 5ö5 Um kleinen Fehlers willen, liei\'s die Oclisen , Das besle Paar, ihm aus dem Pfluge spannen; Da selling der Knab den Knecht und wurde

fiiichtig.

Waltueb PC est {in huckster Spannvng). Der Vater aber , sagt, wie steht\'s um den V

SïAurFACUER. Den Vater lafst der Landenberger

fordern ,

57U Zur Stelle schaffen soil\' er ihm den Sohn,

Und da der al te Mann mit Wahrheit schwört, Er liabe von clem Plüchtling keine Kunde , Da lilfst der Vogt die Polterknechte kommen —

Wai.THKII Pühsï {springt auf und ihn will mif die andre Seite ivhren). O still, nichts mehr !

Stauffacheu {wit steigeudem Ton). »Ist mir der

Sohn entgangen , 575 So hab\' ich dicli!quot; liifst ihn zu Boden werfen, 1 )en spitz\'gen Stahl ihm in die Augen bohren — Walther PiliiST. Barmherz\'ger Himmel! Melchthal {stiirzt heraus). In die Augen, sagt ihrV

Stauffacheii {erstaunt zu Walther FiirstJ. Wer

ist der Jüngling ?

580 Melchthal {fa/st ihn mith-ampjhajter Heftigheit).

In die Agerr? Ked\'etlA^ -

Waliiieu Fükst. O der Bejammernswürdige !

(51). fordern — auffordern. 570. zur Stelle schaffen — lieibeischaffend 572. Kunde — ïfacliricht. 575. zu Bo-den an die Erde.

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Stauffachku. Wer ist\'s?

{Da Wallher Fiirst ihm ein Zei.chen (jieht.) Der Sohn ist\'s ? Allgerechter Gott!

Melchïhal. _ _ Und ich

Mufs ferne sein ! In seine beiden Augen ?

Walther Fürst. Bezvvinget eueh ! Ertragt es ,

wie ein Mann! Melchtual. Um meiner Scliuld, um meines Fre-

vels willen ! Blind also ? wirklicli blind und ganz geblendet ?

585 Stauffacher. Ich sagt\'s. Der Quell des Seh\'ns

ist ausgeflossen, Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.

Walteer Fürst. Schont seines Schmerzens! Melchtual. Niemals , niemals wieder !

{Er drücht die JTand vor die Augen und schweigt einifje Momente ; dctnn wendet er sich von dem emen zu dem andern und spric/it ruit sanfter, von Thranen erstickter Stimme.)

0 eine edle Himmelsgabe ist Das Licht des Auges ! Alle Wesen leben 590 Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf,

Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte. Und er mufs sitzen, fühlend, in der Nacht, lm ewig Finstern , ihn erquickt nicht mehr Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz, 595 Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen! Sterben ist nichts , doch leben und nicht sehen. Das ist ein Unglück. Warum seht ihr mich

583. Frevel = misdaad. 5!)4. Schmelz =: Glanz , Far-benpracht. 595. die roten Firnen — im Alpeuglühen.

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So jammernd an ? Ich liab\' zwei frische Augen Und kann dem blinden Vater keines geben, lt;300 Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts, Das glanzvoll, blendend mir ins Auge dringt. Stauffacher. Ach , ich mufs euern Jammer noch

vergröfsern, Statt ihn /.u heileri. Er bedarf noch mehr; Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt, (505 Nichts hat er ihm gelassen als den Stab,

Um nackt und blind von Thür zu Thür zu

wandern.

Melchthal. Nichts als den Stab dem angenlo-

sen Greis!

Alles geraubt und auch das Licht der Sonne, Des Armsten allgemeines Gut! Jetzt rede 010 Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen! Was für ein feiger Elender bin ich ,

Dafs ich auf meine Sicherheit gedacht Und nicht auf deine ! dein geliebtes Haupt Als Pfand gelassen in des Wütrichs Handen ! 1)15 Feigherz\'ge Vorsicht, fahre hin ! Auf nichts Als blutige Vergeltung will ich denken. Hintiber will ich , — keiner soli mich halten — Des Vaters Auge von dem Landvogt fordern. Aus allen seinen Reisigen heraus 620 Will ich ihn finden. Nichts liegt mir am Leben, Wenn ich den heifsen , ungeheuren Schmerz In seinem Lebensblute kühle.

{Er will geiten.) Waltiiee Fübst. Bleibt!

Was könnt ihr gegen ihn? Er sitzt zu Samen

619. Reisige = Reitkneehte, Diener.

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Auf seiner holien Herrenburg und spottet 625 Ohnmiielit\'gen Zorns in seiner siehern Feste. Melchthal. ünd wohnt\' er droben auf dem

Eispalast

Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau Seit Ewigkeit verschleiert sitzt, ich mache Mir Bahn zu ihm , mit zwanzig Jünglingen , 630 Gesinnt wie ich, zerbrech\' ich seine Peste.

Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle,. Fiir cure Hutten bang und eure Herden,

Euch dem Tyrannenjoehe beugt, die Hirten Will ich zusammenrufen im Gebirg, 635 Dort unterm freien Himmelsdache , wo

Der Sinn noch fi isch ist und das Herz gesuild. Das ungehener Grafsliche erzahlen.

Stauffacher. (^v. Walther Fürst). Es ist auf sei-nem Gipfel. Wollen wir Erwarten , bis das Aufserste —

Melchthal. Welch Aufserstes

640 1st noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges In seiner Höhle nicht mehr sicher ist ?

Sind wir denn wehrlos ? Wozu lernten wir Die Armbrust spannen und die schwere Wucht Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward li45 Ein Notgewehr in der Verzweifiungsangst.

Es stellt s:ch der erschöpfte Hirsch und zeigt

(i27. das Schreckïiorn und die Jungfrau — zwei ungeheure Il.ïhen oder Hörner der Berner Alpen. 632. Herde = hudde.

J-.s m das Elend. Gipfel — toppunt, 643. Armbrust = kruisboog Wucht — Gewicht, Last. 644.Axt — b[jl. sich stellen = namentl. um den Angriff zu erwarten. erschöpft = uitgeput.

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Der Meute sein gefürclitetes Geweih , Die Gemse reifst den Jager in den Abgrund, Der Pfiugstier selbst, der sanfte Hausgenofs 650 Des Menschen, der die ungeheure Kraft Des Halses duldsam unters Joch gebogen, Springt auf gereizt, wetzt sein gewaltig Horn Und sclileudert seinen Feind den Wolken zu.

^ Walther PüasT. Wenn die drei Lande dachten,

wie wir drei,

655 Sc mochten wir vielleicht etwas. vermogen.

Stauppacheu. Wenn Uri ruft. wenn ünterwalden

hilft,

Der Schwyzer wird die alten Biinde elu-en.

Melcuthal. Grofs ist in Ünterwalden meine

Freundschaft Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut, 660 Wenn er am andern einen Rücken hat

Und Schirm. O fromme Vater dieses Landes! Ich stehe , nur ein Jüngling , zwisehen euch , Den vielerfahrnen , meine Stimme mufs

Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde.

• . . . 0 . . 665 Nicht, weil ich jung bin und nicht viel erlebte,

Verachtet meinen Rat und meine Rede ;

Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt

Das höchsten Jammers schmerzliche Gewalt,

047. Meute = die Jagdhande 652. reizen = tergen. wetzen = wetten, scherp maken. 653 schleudern = slingeren. 657. die alten Blinde = Die Waldstatte (Schwyz Uri und Ünterwalden) hatten schon sehr früh (oinige wollen das Jahr 809 anführen) den Schirm des Reicbs aus freiem Willen gesucht und erworben; gegen Auslander hiel-ten sie so zusammen , dafs die drei Völkerschaften wie nur eine gehalten wurden. Dieser Bund warde namentlich in den Jaliren 1200, 1251 und 1297 erneuert. 601. fromm — brav , bieder. 667. lüstern = heifs.

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Was audi den Stein des Felsen mufs erbarmen. 670 Ihr selbst seid Viiter, Hiiupter eines Hauses , ünd wünscht euch einen tugendhaften Sohn , Der eures Hatiptes heü\'ge Locken ehre , Und euch den Stern des Auges fromm bewaclie. O , weil ihr selbst an eurem Leib und Gut 675 Nocli nichts erlitten , eure Augen sich

Noch frisch und heil in ihren Kreisen regen , So sei euch darum unsre Not nicht fremd. Auch über euch Iv\'ingt das Tyrannenschwert. Ihr habt das Land von Ostreich abgewendet; 680 Kein anderes war meines Vaters ünrecht;

Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammnis.

Stauffacher (zu Walther Filmt). Beschliefset ihr;

ich bin bereit zu folgen. Walther Fürst. Wir wollen horen, was die

ediln Herrn Von Sillinen , von Attinghausen raten. 085 Ihr Name , denk\'ich, wird uns Freunde werben.

Melchthal. Wo ist ein Name in dem Waldgebirg Ehrwürdiger, als eurer und der eure ? An solcher Namen echte Wiihrung glaubt Das Volk , sie haben guten Klang im Lande. 690 Ihr habt ein reiches Erb\' von Viltertugend

Und habt es selber reich vermehrt. Wasbraucht\'s Des Edelmanns ? Lafst\'s uns allein vollenden! Waren wir doch allein im Land ! Ich meine, Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen. 695 Stauffacher. Die Edeln driingt nicht gleiche

Not nut uns ;

676. Kreis = hier: Augenhöhle. 681 Verdammnis = Slrarwürdigkeit. 683. quot;Wahrungquot; — Wert.

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Der Strom, der in den Niedermigen wütet, Bis jetzt hat er die Höh\'n noch nicht erreicht; Doch ihre Hilfe wird uns nicht entstehn , Wenn sie das Land in Waffen erst erblieken.

700 Walïher Pürsï. Ware ein Obmann zwischen

uns und Ostreich, So möchte Recht entscheiden und Gesetz.

Doch , der uns unterdriickt, ist unser Kaiser Und höchster Richter ; so mufs Gott uns helfen Durch unsern Arm. Erforschet ihr die Manner 705 Von Schwyz , ich will in Uri Freunde werben. Wen aber senden wir nach Unterwalden ?

Melchthal, Mich sendet hin. Wem liig\' es

naher an ?

Walthek Fürst. Ich geb\'s nicht zu; ihr seid mein Gast. ich mufs Für eure Sicherheit gewahren.

Melchthal. Lafst mich !

710 Die Schliche kenn1 ich und die Felsensteige; Auch Freunde find\' ich gnug, die mich dem Feind Verhehlen und ein Obdach gern gewahren.

Stauffaciiek. Lafst ihn mit Gott hintiber gehn.

Dort drüben 1st kein Verrater. So verabscheut ist 715 Die Tyrannei, dafs sie kein Werkzeug findet.

698. entstehcn = man gel n, fehlcn. 700. Obmann — S «hif dsrichtei. 707. Wem lag\' es naher an =. namentl. am llerzen 709. gewahren — einstehen, biirg-en. 710. Schliche = geheime Wege, Schleichwege. 712. Obdach = scliuilplaatst. gewahren = verschaften-

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Audi der Alzeller soil uns nid dem Wald Genossen werben und das Land erregeu.

Melchtiial. \\N ie bringen wir uns sichre Kunde zu, Dafs wir den Argwohn der Tyrannen tauschenV 720 Stauffaciier. Wir könnten uns zu Brunnen

oder ïreib

^ ersammeln , wo die Kaufmannssehiffe landen.

Waltheh FiiiiST. So offen diirfen wir das Werk

nicht treiben. Hort meine Meinung. Links am See, wenn man Nach Brunnen fiilirt, dem Mythenstein grad\'über, 725 Liegt eine Matte heimlich im Gehölz ,

Das Rütli lieifst sie bei dem Volk der Hirten, ^\\eil dort die Waldung ausgereutet ward.

Lort ist s, wo unsre Landmark und die eure

(Zu Melchthal.)

Zusammen grenzen , und in kurzer Fahrt (Zu ■SUiuffacher.)

730 Triigt eucli der leicbte Kalm von Scliwyz herüber. Auf oden Pfaden können wir dahin Hei Nachtzeit wandern und uns still beraten. Dahin mag jeder zelm vertraute Manner Mitbringen, die herzeinig siud mit uns ; 735 So können wir gemeinsam das Gemeine

Besprechen und mit Gott es frisch beschliefsen.

Staltfacheu. So sei\'s. Jetzt reicht mir eure

biedre Eechte,

TIO. der Allzeller = Baumgarten ven Allzellen. nid dem Wald = Der Kernwald teilt Unterwalden in zwei Bezirke; ob und nid dem quot;Walde. Nid walden ist der nördliche , tiefer ge-legjne Bezirk. 717. erregen = aufriihren. 727. aus-reuten ausroden. 728. unsre Landmark ~ Uri. die eure = Unterwalden. 737. bieder = chrlich.

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Reiuht ihr die eure her, und so , wie wir Drei Manner jetzo unter uns die Hiinde 7-10 Zusammen flechten , redlich , ohne Palsch , So wollen wir drei Lander auch zu Sehutz Und Trutz zusammen stelin anf Tod und Leben.

Waltheii Pürst und Melchthal. Auf Tod unci

Leben.

(Sie halten die Heinde noch einige Pausen lang zusammenjejioahten und schweigen.) Melchthal. Blinder, alter Vater,

l)u kannst den Tag der Freiheit nicht mehr

schauen,

745 Du solist ihn horen ! Wenn von Alp zu Alp Die Feuerzeichen flammend sich erheben , Die lesten Schlosser der Tyrannen fallen : In deine Hiitte soil der Schweizer wallen , Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen , 75 ft Und hell in deiner Nacht soli es dir tagen !

(Sie gehen. anseinander.)

7 2. zu Schutz uml Trutz = zur Verteidigung und zum Angriff; defensiv und offensiv 7 G. Feuerzeichen = durch an^ezündete Feuer auf den iiergen gebeu sich die Schweizer Zeichen zum Aufstand oder Nuchricnr vom Sieg.

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ZWEITER AUFZUG.

Erstc Szenc.

d e 1 h o f des Preiherrn von Attinghausen.

Fau gotischer Saai, mit Wappenschildern und Helmen verz/ert. Der Fi e i h err, ein Greis von fimfandachtzig Jahren , von holier , edler SUitiir, an ein em Stale , worauf ein Gemsenhor n , und in em Pelzivams gekt idet. Ku o n i und noch s e c h a K n e c h t e steken nm ihn her mit Rechen und Sensen. UI r i c h v o n R u d e n z tritt ein in liitterldeidung.

Rudenz. Hier bin ich, Oheira. Was ist euer Wille? Attinghausen Erlaubt, dafs ich nach altem

Hausgebrauch Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten teile. {Er trinkt avs einem Becher , der dann in der

Reihe herumgeht.j Sonst war ich stlber mit in Peld und Wald , 5 Mit meinem Ange ihren Fleifs regierend , Wie sie mein Banner führte in der Schlacht; Jetzt kann ich nichts mehr als den Schaffner

machen,

ünd kommt die warme Sonne nicht zu mir,

Rechen =

Statur = Gestalt. quot;Warns = wambuis, \'n-k. Sense — zeis,

757. Schaffner = Verwalter der Wirtschaft.

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Ich kanii sie nicht melir suchen auf den Bergen. 760 Und so, in engerm stets und engerm Kreis, Beweg ich mich dem engesten und letzten , Wo alles Leben still steht, langsam zu.

Mein Schatten bin ich nur, bald uur mein Name.

Kuoni Ruclenz mit dem Becher). Ich bring\'s

euch, Junker.

(Da Ruclenz zandert, den BecJier zu ne/men.J Trinket frisch ! Es geht 765 Aus einem Becher und aus einem Herzen.

Attixoiiausex. Geht, Kinder, und wenn\'s Fei-

erabend ist, Daim reden wir auch von des Lands Gesehaften.

{Knechte gehen ab.)

Aïïinghalsen und Eudenz.

A-TTixgiiausen. Ich sehe dich gegürtet und gerüstet, Du willst nach Altorf in die Herrenburg ?

770 Eudenz. Ja, Oheim, und ich darf nicht langer

saumen.

Aïtixgii.vusex [setzt sicli). Hast du\'s so eilig V Wie ? 1st deiner Jugend Die Zeit so karg gemessen , dal\'s du sie An deinem alten Oheim mufst ersparen ?

Eudenz. Ich sehe , dafs ihr meiner nicht bediirft, 775 Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.

Attinghausen {hat ihn lange mit den Angengemustert) Ja, leider bist du\'s, leider ist die Heimat Zur Fremde dir geworden ! Uli ! Uli !

701 dem engesten und letzten (Kreise) = dem Grabe. Sehntten = schim. 764. bringen = zub.\'injen. es das Glas 769. Herrenburg; — Gefslers Burg. 777. Uli = volkstümliclie Abkürzung von Ulrich.

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Mi kenne dieh nicht mehr. In Seide prangst du Die Pfauenfeder trilgst du stolz zur Schau, \' 780 ünd schlagst den Purpermantel um die Schultern; Den Landmann blickst du mit Verachtung an\' Ijnd schamst dich seiner I niuliclten Begi\'iifsung. Rudenz. Die Elir\', die ihm gebülirt, geb\' ich . . ilmi gem;

Das Eecht, das er sicli niimut, verweigr\' ich ihm,

785 Attinghausen. Das ganze Land liegt unterm . schweren Zorn

Des Königs, jedes Biedermannes Herz 1st kummervoll ob der tyrannischen Gewalt, Die wir erdulden ; dich allein rührt nicht Der allgemeine Schmerz, dich siehet man, 790 Abtrünnig von den Deinen, auf der Seite Des Landesfeindes stehen , unsrer Not Hohnsprechend , nach der leichten Freude jagen Und buhlen um die Fürstengunst, indes 0 Dein Vaterland von schwerer Geifsel blutet. 795 Rüdenz. Das Land ist schwer bedrangt. Warum,

W • J.1 ■, mein öheim?

Wer ists, der es gestürzt in diese Not? Es kostete ein einzig leichtes Wort, Um augenblicks des Dranges los zu sein IJnd einen gnad gen Kaiser zu gewinnen 800 Weh ihnen, die dem Volk die Augen h\'alten

779; PfaiienfedOT = ein Zeichen der Anhanglichkeit an Osterreich, weil die Herzoge und ihre Ritter eine Pfauenfeder auf ihren Helmen trugen. 780. Purpermantel = rot, die Farbe der Herzoge von Osterreich. 783. gebiihren = zu-, 787- ob = wegen. 790. abtrünnig = durch Abfall sicli trennend 795. bedrangt sein — in Not Ter-kehren. 799. und einen gnad\'gen Kaiser zu gewinnen = und den Kaiser zur Gnade zu bewegen. 800. halten = zuhalten. Schiller , quot;Wilhelm Tell. *

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r.0

Dafs es dem wahren Besten widerstrebt. Um eig\'nen Vorteils willen hindern sie,

Dafs die Waldstatte nicht zu Östreich sehwören, Wie ringsum alle Lande doch gethan. 805 Wohl thut es ihnen auf der Herrenbank Zu sitzen mit dem Edelmann; den Kaiser Will man zum Henn, um Jjeinen Herrn zu

haben.

Attinghausen. Mufs ich das horen und aus

deinem Munde

Rubenz. Ihr habt mich aufgefordert, lafst mich

enden.

810 Welche Person ist\'s, Oheim , die ihr selbst

Hier spielt ? Habt ihr nicht höhern Stolz, als hier Landammann oder Bannerherr zu sein Und neben diesen Hirten zu regieren ? Wie? Ist\'s nicht eine rühmlichere Wahl, 815 Zu huldigen dem königlichen Herrn ,

Sich an sein glanzend Lager anzuschliefseu , Als eurer eig\'nen Knechte Pair zu sein, Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer ?

Attinghaüsen. Ach Uli! Uli! Ich erkenne sie, 820 Die Stimme der Verfiihrung! Sie ergriff

Dein offnes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet.

Rudenz. Ja , ich verberg\' es nicht, in tiefer Seele Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns

805. auf der Herrenbank = zu Gericht und bei Beratung der Landesangelegenheit, wo die Ritter und die von der Ge-meinde gewahlten Landleute gleiches Recht und gleiche Stimme hatten. 812. Landammann =. Amtmann, der höchste Be-amte eines Kantons, auch Prasident der Landesgemeinde. 812. Bannerherr = Trager der Landenfahne. 814, Wahl = keuze. 816. Lager = Hoflager. 817. Pair = Gleicher , Gleichberechtigter,

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Den Bauernadel schelten. Nicht ertrag\' ich\'s , 825 Indes die edle Jugend rings umher

Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Palmen , Auf meinem Erb hier müfsig still zu liegen ünd bei gemeinem TagCwerk den Lenz Des Lebens zn verlieren. Anderswo 830 Geschehen Thaten , eine Welt des Euhms

Bewegt sich glanzend jenseits dieser Berge ; Mir rosten in der Halle Helm und Schild ; Der Kriegsdrommete mutiges Geton , Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet, 835 Er dringt in diese Thaler nicht herein;

Nichts als den Kuhreih\'n und der Herdeglocken Einförmiges Geliiut\' vernehm\' ich hier.

Attingiiausen. Verblendeter, vom eiteln Glanz \'

verführt, ^ Verachte dein Geburtsland ! Schüme dich, S-iO Der uralt frommen Sitte deiner Vilter!

Mit heifsen Thriinen wirst du dich dereinst Heimsehnen nach den vaterlichen Bergen , ünd dieses Herdenreihens Melodie,

Die du in stolzem Überdrufs vf.rschmiihst, 845 Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich ergreifen, Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde. O , machtig ist der Trieb des Vaterlands! Die fremde, falsche Welt ist nicht für dich; Dort an dem stolzen Kaiserhof bleibst du 850 Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen,

832. Hallo — Wafltenhalle. 833, Drommete ~ Trompete. 841. dereinst = einst, einmal. 842. sich heimsehnen verlangen nach der Heimat. 844. Überdrufs = Ubersatti-gung. 846. wenn sie dir anklingt = wenn ahnliches Klin-gen dich an sie erinnert.

4 ,,,

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Die Welt, sie fordert andre Tugenden , Als du in diesen Thalern dir erworben. Geh hin , verkaufe deine freie Seele,

Nimm Land zu Lehen, werd\' ein Flirstenknecht, 85 j Da du ein Seftstherr sein kannst und ein Fiirst Auf deinem eig\'nen Erb und freien Boden. Ach Uli! Uli! bleibe bei den Deinen ! Geh nicht nach Altorf! 0 , verlafs sie nicht, Die heil\'ge Sache deines Vaterlands ! 8Ö0 Ich bin der letzte meines Stamms , mein Name Endet mit mir. Da hangen Helm und Schild, Die werden sie mir in das Grab mitgeben. Und muls ich denken bei dem letzten Hauch, l)als du mein brechend Auge nur erwartest, 865 Um hinzugehn vor diesen neuen Lehnhof Und meine edlen Güter, die ich frei Von Gott empfing, von Ostreich zu empfangen?

Hudenz. Vergebens widerstreben wir dem König. 1 ie W elt gehort ihm ; wollen wir allein 870 Uns eigensinnig steifen und verstocken, Die Liinderkette ihm zu unterbrechen,

Die er gewaltig rings um uns gezogen ?

Sein sind die Markte , die Gerichte , sein Die Kaufmannsstralsen, und das Saumrofs selbst, 875 Das auf den Gotthard ziehet, mufs ihm zollen. Von seinen LSndern wie mit einem Netz Sind wir umgarnet rings und eingeschlossen.

802. mitgeben = dem letzten eines Gesclilechts wurden Helm und Schild mit in das Grab gegeben. 863. Hauch = ademtocht. 868. dem König = Albrecht I in seiner AVurde als Ilerzog von Osterreich. Hier König genannt. 873. Markte = Orter, wo Jahr- und Wochenmarkte gehalten werden. . 874. Saumrofs = Lastpferd. 875. zollen =-• Zoll bezablon.

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Wird uns das Eeich beschützen ? Kannes selbst Sich schützen gegen üstreichs wachsende Gewalt? 880 Hilft Grott uns nicht, kein Kaiser kann uns

helfen.

Was ist zu geben auf der Kaiser Wort,

VVenn sie in Geld- und Kriegesnot die Stiidte, Die untern Schirm des Adlers sich gefiüclitet, ^ Verpfanden dütfen und dem Reich verSufsern? 885 Nein, Oheim ! Wohlthat ist\'s und weise Vorsicht In diesen schweren Zeiten der Parteiung ,

Sich anzuschliefsen an ein machtig Haupt. Die Kaiserkrone geht von Stamm zu Stamm, Die hat für treue Dienste kein GediLchtnis ; 890 Doch um den macht\'gen Erhherrn wohl verdienen

Heifst Saaten in die Zukunft streu\'n.

Aïtinghaüskn. Bist du so weise ?

Willst heller sehn als deine edlen Vater, Die um der Freiheit kostbarn Edelstein Mit Gut und Blut und Heldenkraft gestritten\'? 895 Schiff\' nach Luzern hinunter, frage dort,

Wie Ostreichs Herrschaft lastet auf den Lilndern. Sie werden kommen, unsre Schaf und Kinder Zu ziihlen , unsre Alpen abzumessen , Den Hochflug und das Hochgewilde bannen

878. das Reich = das deutsche Reich. 884 veraufsern = vervreemden naraentlich dadurch dafs die aufgenommenen Gelder nicht zurückg-ezahlt werden konnten 88G. Parteiimg - üneinigkeit. 890. verdienen — sich verdient maclien. 899. Hochflug ~ das Gefliigel der hohen .Tagd, z B. Fasane, Reiher, Habichte, Sperber, Adler, u. s. w. Hoch-gcwild Oder Hochwild = das Wild der hohen Jagd, z. 15. Hirsche, Reha, wilde Schweine, Baren , Wölfc, u s. w. 899. bannen = liir Eigentum erklaren , der allgemoinen Be-nutzung entziehen.

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900 In unsem freien Wiildern, ihren ScMagbaum An unsre Brücken, unsre Thore setzen , Mit nnsrer Armut ihre Laiiclerkiiufe , Mit unserni Blute ihre Kriege zahlen Nein , wenn wir unser Blut dran setzen sollen, 905 So sei\'s fur uns ! Wohlfeiler kaufen wir Die Preiheit als die Knechtschaft ein

Rudenz Was können wir,

Ein Volk der Hirten , gegen Albreehts Heere!

Attikghausen. Lern\' dieses Volk der Hirten kennen , Knabe !

Icb kenn\'s, icli hab\' es angeführt in Schlachten, 910 leh hab\' es fechten sehen bei Pavenz

Sie sollen kommen, uns ein Joch aufzwingen. Das wir entschlossen sind nicht zu ertragen!

0 lerne fühlen, welches Stamms du bist! Wirf nicht für eiteln Glanz und Plitterschein

915 Die echte Perle deines Wertes bin !

Das Haupt zu heifsen eines freien Volks , Das dir aus Liebe nur sich herzlich weiht, Das treulich zu dir steht in Kampf und Tod,

1 as sei dein Stolz , des Adels rühme dich. 920 Die angebornen Bande knüpfe fest,

A.ns Vaterland , ans teure , scbliefs dich an , Das halte fest mit deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft; Dort in der fremden Welt stehst du allein,

910. Favenz. =: Als Friedrich II ira Jahre 1240 die Stadt Favenz (Faenza, südwestlieli von Ravenna) belagerte, schick-ten ihm die quot;VValdstatte 600 Mann zur Unterstiitzung. 914. Flitter. = klatergoud. 920. Die angebornen Bande .= die Bande der Verwandtschaft und der Heimat.

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925 Ein schwankes Eohr. das jeder Sturm zerknickt. O komm, du hast uns lang nicht mehr gesehn, Versuch\'s mit uns nur ein en Tag, nur heute Geh nicht nach Altorf! horst du, heute nicht! Den ein en Tag nur schenke dich den Deinen!

(Er fafst seine Hand.)

930 Eudenz. Ich gab mein Wort. La\'st mich,

ich bin gebunden.

Attinghaüsen (lafst seine hand los , mit Ernst.)

Du bist gebunden! Ja, Unglüeklicher, Du bist\'s, doch nicht durch Wort und Schwur, Gebunden bist du durch der Liebe Seile !

(Rudenz wendet sich iveg.) Verbirg dich, wie du willst, das Fraulein ist\'s, 935 Bertha von Bruneck, die zur Herrenburg

Dich zieht, dich fesselt an des Kaisers Dienst. Das Bitterfraulein willst du dir erwerben Mit deinem Abfall von dem Land. Betrüg

dich nicht! Dich anzulocken zeigt man dir die Braut; 940 Doch deiner Unschuld ist sie nicht beschieden.

Rudenz. Genug hab\' ich gehort Gehabt euch

wohl. {Er geht ah.)

925. Rohr — riet. 940. deiner Unschuld =r deiner Ar^-losigkeit, die dich nicht durchschauen lafst dafs Gefsler dich mit der Geliebten nur zum besten hat und weit entfernt ist dir diese wirklich za Teil werden zu lassen. Beschieden = zugewiesen, zug-edacht. 941. Gehabt euch wohl =: lebt wohl.

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Attinghausen. Wahnsinn\'ger Jüngling , bleib !

Er geht dahin ! Ich kann ihn nicht erhalten , nicht erretten. So ist der Wolfenschiefsen abgefallen 945 Von seinem Land, so werden andre folgen ; Der fremde Zauher reifst die Jugend fort, Gewaltsam strebend über unsre Berge. O unglücksel\'ge Stunde, da das Fremde In diese still beglückten Thiiler kam , 950 Der Sitten fromme Unschuld zu zerstören !

Das Neue dringt herein mit Macht, das Alte, Das Würd\'ge scheidet, andre Zeiten kommen, Es lebt ein andersdenkendes Geschlecht. Was thu ich hier ? Sie sind begraben alle, 955 Mit denen ich gewaltet imd gelebt.

Unter der Erde schon liegt meine Zeit;

Wohl dem, der mit der neuen nicht mehr

braucht zu leben ! {Geht al).)

Zwei to Szenc.

Eine Wiese, von hohen Felsen und Wald u m g e b e n.

Avf den Felsen sind Steige mit Gelandern, auch Leitern, von clenen man iiachher die Landleute herahsteigen sieht. Im Hintergrunde zeigt sich der See , über welchem anjangs ein Mondregenbogen

946. Zauber = hetoovering, verlokking. 947. strebpnd = bezieht sich auf Jugend. 955 walten = Umgang pflegen, schaffen und wirken,

II. Steig = schmalcr, steiler Fufspfad oder Stufengang. Gelander = leuning.

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z\'i. sehen ist. Den Prospeht schlie fsen hohe Berge., lanter welchcn noch höhere Eisgebirge ragen. Es ist völlig Nacht auf der Szene , nur der See und die weifsen Gletscher leuchten im Mondlicht.

MeLCIITIIAL , BaUMGAKTEN , WlNKELEIED , meier von Sarnen, Bürkhard am Echel, Arnold von Sew a , Klaus von der Plüe , und noch vier andre Landleute, alle bewaffnet.

Melchtiial (noch hinter der Szene). Der Bergweg öffnet sicht, nur frisch mir nach! Den Fels erkenn\' ich und das Kreuzlein drauf; 960 Wir sind am Ziel, hier ist das Eütli.

{Treten auf mit Windlichtern.)

Winkel ried. Horeh!

Sewa. Ganz leer.

Meier. \'s 1st noch kein Landmann da. Wird sind Die ersten auf dem Platz, wir Unterwaldner.

Melchtiial. Wie weit ist\'s in der Nacht ?

Baumgarten. Der Feuerwachter

Von Selisberg hat eben zwei gerufen.

{Man hort in der Feme lauten.) 965 Meier. Still! horch !

Am Bühel. Das Mettenglöcklein in der Wald-

kapelle

Klingt heil herüher aus dem Schwyzerland.

Prospekt — Hintergrund. ragen — höher sein, uitsteken, völlig — ganzlich. Gletscher — Eisberg. Windlichter = die Buch im Winde nicht verloschen, Faekeln 964. Der Feuer-wjichter von Selisberg — der Nachtwachter des gerade über dem Riitli liegenden Dorfes Selisberg. 967 Mettenglöcklein = Morgenglöcklein , von lat: matutina (hora.)

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Von deb Flüe. Die Luft ist rein und tragt den

Schall so weit.

Melchthal. Geh\'n einige und zünden Reisholz an, Dafs es loh brenne , wenn die Manner kommen.

{Zwei Landleute gehen.) 970 Sew a. \'s 1st eine schone Mondennacht. Der See Liegt ruhig da, als wie ein eb\'ner Spiegel.

Am Buhel. Sie haben eine leiclite Fahrt. Winkelried {zeUjt nach dem See). Ha, seht! Seht dorthin ! Seht ihr niehts ?

Meier. Was denn? Ja, wahrlich!

Ein Regenbogen mitten in der Nacht!

975 Melchthal. Es ist das Licht des Mondes, das

ihn bildet.

Von der Flüe Das ist ein seltsam wunderbares

Zeichen!

Es leben viele, die das nicht gesehn.

Sewa. Er ist doppelt; seht, ein blüsserer steht

driiber.

Baumgarten. Ein Nachen fahrt so eben drunter

weg.

980 Melchthal. Das ist der Stauffacher mit seinem

Kahn,

Der Biedermann liifst sich nicht lang erwarten. {Geht mit Baumgarten nach dem Uter.) Meier. Die Urn er sind es, die am langsten saumen. Am Bühel. Sie müssen weit umgehen durchs

Gebirg,

969 loh ~ laai, 972. sie = die Manner von Schwyz.

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Dafs sie des Landvogts Kundschaft liintergehen.

(Unterdessen haben die zwei Landleute in der Mitte des J\'latzes ein Feuer angezündet.)

^,985 Melchthal (am UJer). Weristda? Gebt das Wort!

Stauffaceek {van unten). Freunde des Landes.

Alle cjehen nach der Tiefe , den Kommenden entgegen. Aus dem Kahn steigen S t a u j f a c her, 11 el Reding, Hans av f d er Maner, J örg im Hofe, Konrad Hunn, Ulrich der S c h mi d , J o s t von W ei l er nnd noch drei andre Landleute, gleichfalls hewaffnet.

Alle (ruferi). Willkommen!

{Indem die vhrigen in der Tiefe venveilen nnd sich

hegrüfsen, hoinmt Melchthal mit Stauffacher vorwarts.)

Melchthal. O Herr Stauffacher! Ich hab\' ihn Geseh\'n, der mich nicht wiedersehen konnte i Die Hand hab\' ich gelegt auf seine Augen , Und glühend Rachgefühl hab\' ich gesogen 990 Aus der erlosch\'nen Sonne seines Blicks.

Stauffacher. Sprecht nicht von Rache. Nicht

Grescheh\'nes rachen , Gedrohtem Übel wollen wir begegnen.

Jetzt sagt, was ihr im Unterwaldner Land Geschafft und für gemeine Sach\' geworben, 995 Wie die Landleute denken , wie ihr selbst Den Stricken des Verrats entgangen seid.

984. Kundschaft Kundscliafter, Spione. 985. das Wort = das Erkcnnungswort der Verschworenen. 992. begegnen =: entgegenwirken. 994. schaffen = ausrichten.

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GO

Melcjithal. Durcli der Surennen furchtbares

Gebirg,

Auf weit verbreitet oden Eisesfeldern , Wo nur der heisre Lammergpier krachzt, 1000 Gelangt\' ich zu der Alpentrift, wo sich Aus Uri und vorn Engelberg die Hirten Anrufend griifsen und gemeinsam weiden, Den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch, Die in den Runsen scbiiumend niederquillt. 1005 In den einsamen Sennhiitten kebrt\' icb ein,

Mein eig\'ner Wirt und Gast, bis dafs ich kam Zu Wohnungen gesellig lebender Menschen. Erschollen war in diesen Thalern schon Der Ruf des neuen Greuels , der gescheh\'n , 1010 Und fromme Ehrfurcbt schaffte mirmein ünglück Vor jeder Pforte , wo ich wandernd klopfte. Entriistet fand ich diese gquot;raden Seelen Ob dem gewaltsam neuen Regiment;

Denn so wie ihre Alpen fort und fort 1015 Dieselben Kriiuter niihren, ihre Brunnen

Gleichförmig fliefsen , Wolken selbst und Winde Den gleichen Strich unwandelbar befolgen , So hat die alte Sitte bier vom Aim

097. Die Surennen ■= ein wildes, mit Schnee bedecktes Grenzgebirge zwischen Uri und Unterwalden. 998 öde = wiist und leer. 1000. Trifn = Viehweide. 1001. Engelberg = in Unterwalden ob dem Wald. 1003. Der Gletscher Milch = das weifse Gletscherwasser, weifs von zerriebenen Mineraliën, wie Quarz, Feldspat und Glimmer. 1004. Kunse = Rinne, greppel * welche das Wasser sich selbst grabt niederquellen = niederströmen 1008 er-schallen = erklingen. 1009. Ruf = Gerilcht. 1012. entriistet = empört g-erade = auii^chtig, ofFen. 1013. ob = wegen. Regiment = Staatsverwaltung, Regierung. 1014. fort und fort = fortwahrend 1017. Strich = Himmelsstrich. 4018. Ahn = Vorfahr.

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01

Zum Enkel unverandert fort bestanden. 1020 Nicht tragen sie verweg\'ne Neuerung

lm altgewohnten gleichen Gang des Lebens. Die harten Hande reichten sie mir dar, Von den Wanden langten sie die rost\'gen

Schwerter,

, ünd aus den Augen blickte freudiges

102d Gefühl des Aluts, als ich die Namen nannte, Die im Gebirg dem Landmann heilig sind , Den eurigen und Walther Pürsts. Was euch Recht würde dunken , schwuren sie zu thun, Euch schwuren sie bis in den Tod zu folgen. 1030 So eilt\' ich sicher unterm heil\'gen Schirm Des Gastrechts von Gehöfte zu Gehöfte, ünd als ich kam ins heimatliche Thai, Wo mir die Vettern viel verbreitet wohnen, Als ich den Vater fand, beraubt und blind, 103o Auf fremdem Stroh, von der Barmherzigkeit MildthSt\'ger Menschen lebend —

Staüffacher. Herr im Himmel!

Melchthal. Da weint\' ich nicht. Nicht in ohn-_ macht\'gen Thranen

Gofs_ ich die Kraft des heifsen Schmerzes aus, In tiefer Brust, wie einen teuren Schatz, t 1040 Verschlofs ich ihn und dachte nur auf Thaten.

Ich kroch durch alle Krümmen des Gebirgs, Kein Thai war so versteekt, ich spiiht\' es aus; Bis an der Gletscher eisbedeckten Fufs

1015. Enkel = Nachkomme. 1020. verwegen = roekeloos Neuerung = Veranderung. 1023. langen = fas-sen und darbieten. 1030. Sicher = veilig. 1031. Gehöfte = hoeve. 1033. viel verbreitet = überall zerstreut, 1042. ausspahen = ausspüren.

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Erwartet\' ich und fand bewohnte Hütten , 1045 Und überall, wohin mein Fufs micli trug, Fand ich den gleichen Hafs der Tyrannei; Demi bis an diese letzte Grenze selbst Belebter Schopfung, wo der starre Boden Aufhört zu geben , raubt der Vogte Geiz. 1050 Die Herzen alle dieses biedern Volks

Erregt\' ich mit dem Stachel mein er Worte, Und unser sind sie all\' mit Herz und Mund.

Stauffacher. Grofses habt ihr in kurzer Frist

geleistet.

Melchthal. Ich that noch mehr. Die beiden

Festen sind\'s, 1055 Eofsberg und Samen, die der Landmann

fürchtet;

Denn hinter ihren Felsen wallen schirmt Der Feind sich leicht und schadiget das Land. Mit eig\'nen Augen wollt\' ich es erkunden ; Ich war zu Sarnen und besah die Burg. 1060 Stauffacher. Ihr wagtet euch bis in des Tigers Höhle?

Melchthal. Ich war verkleidet dort in Pilgers-

tracht,

Ich sah den Landvogt an der Tafel schweigen; Urteilt, ob ich mein Herz bezwingen kann: Ich sah den Feind und ich erschlug ihn nicht. 1065 Stauffacher. Fürwahr, das Glück war eurer

Ktihnheit hold.

(TJnterdessen sind die andern Land leute vorwdrts gtkommen und nahem sich den beiden)

1051. Stachel = angel. 1053. Frist = Zeit, 1055. Sarnen = Landenberg» Burg. 1058. erkunden =; er-tbrschen. 1065. Hold — goedgunstig toegedaan.

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Doch jetzo sagt mir, wer die Freunde sind Und die gerechten Manner, die euch. folgten; Macht mich bekannt mit ihnen, dafs wir mis Zutraulich nahen und die Herzen öffnen. 1070 Meier. Wer kennte euch nicht, Herr, in

den drei Landen? Ich bin der Meier von Sarnen , dies hier ist Mein Schwestersohn, der Struth von Winkelried. Stauffacher. Ihr nennl mir keinen unbekann-

ten Namen.

Ein Winkelried war\'s, der den Drachen schlug 1075 Jm Sumpf bei Weiier und sein Leben liefs In diesem Straufs.

Winkelried. Das war mein Ahn, Herr Werner.

Melciithal (zeigt auf zwei Landleute.) Die woh-nen hinterm Wald, sind Klosterleute Vom Engelberg. Ihr werdet sie drum nicht Verachten, weil sie eig\'ne Leute sind 1080 Und nicht, wie wir , frei sitzen auf dem Erbe. Sie lieben\'s Land, sind sonst auch wohl berufen.

Stauffacher (zu den beiden). Gebt mir die Hand.

Es preise sich , wer keinem Mit seinem Leibe pflichtig ist auf Erden; Doch Redlichkeit gedeiht in jedem Stande. 1085 Konrad Huxn. Das ist Herr Reding, unser

Altlandammann.

1066. Jetzo = jetzt. 1067. Straufs = Kampf. Ahn = Vorfahr. 1079. eigen = dem Kloster von Engelberg mit Leib und Gut zinsptiichtig 1081. berufen =: hefaanid-1084. Redlichkeit = Rechtschaflfenheit. gedeihen = wach-sen , bloeien, 1085. Altlandammann = gewesener Lanéam-mann s 812.

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Meier. Ich kenn\' ihn wohl. Er ist mein Wi-

derpart,

Der um ein altes Erbstück mit mir rechtet. Herr Beding, wir sind Feinde vor Gericht; Hier sind wir einig.

{Schiittelt ihm die Hand.)

Stauffachek, Das ist brav gesproclien.

1090 Winkelried. Hort ihr ? Sie kommen. Hört

das Horn von Uri!

{Rechts und links sieht man hewaffnete Manner mit Windlichtern die Felsen herabsteigen.)

Aüf der Mauer. Seht, steigt nicht selbst der fromme Diener Gottes, Der würd\'ge Pfarrer mit herab ? Nicht scheut er Des Weges Mühen und das Grau\'n der Nacht, Ein treuer Hirte für das Volk zu sorgen.

1095 Baumgakten. Der Sigrist folgt ihm und Herr

W alther Fiirst; Doch nicht den Teil erblick\' ich in der Menge.

W a Ith e r F ür s t, H ö s s e I m a n n , der Pfarrer, Peter mann, der Sigrist, Kuoni, der Hirt, Werni, der Jager,

1086. Widerpart = Gegenpartei. 1087, rechten = Prozefs führen. 1090. Das Hom von Uri = das uralte Signal Uris , ein Auerhorn, mit lieziehung darauf dafs man den Namen des Landes von A*erochson herleitete, woher .auch der Kopf eines solohen in dessen Wappen sioh findet. Der Blaser dieses Hornes hiefs : der Stier von Uri. 1093. Mühe = Beschwerde und Anstrengung. das Grauen = das Sehauder Erregende, het huiveringwekkende 1095. ein

treuer Hirte = um als ein treuer Hirte. 1995. Sigrist = Küster, Mesner.

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(.:5

Ru o di, der Fischer, und noch J\'ünf au-\'e, L an die ii te. Alle ziisammen , dreiund-dreifsig an. der Zalü, treten vorwarts und stellen sich um das Feuer.

Walthee Flest. So müfsen wir auf unserui

TT j .. , eig\'nen Erb1

Und vaterhehen Boden uns verstolilen ^usammen schleichen , wie die Morder thr.n, 1100 Und bei der Nacht, die ihren schwarzen Manteï -Nui dem Verbrechen und der sonnenschenen Verschwörung leihet, unser gutes Recht Uns holen, das doch lauter ist und klar, Weichwie der glanzvoll offne Schofs des Tages.

1105 Melchthal. Lafst\'s gut sein. Was die dunkle

o li r. , „ Nacht gesponnen,

boll frei und fröhlich an das Licht der Sonnen.

Rösselmann. Hort, was mir Gott ins Herz giebt,

ckt i i , . Eidgenofsen!

Ti , statt einer Landsgemeinde

,,,,, LJnlt;J können gelten für ein ganzes Volk.

bo lafst uns tagen nach den alten BrSuchen i)es Lands, wie wir\'s in ruhigen Zeiten pflesen Was ungesetzlich ist in der Versammluno-, Lntschuldige die Not der Zeit. Doch Gott

nn? 81ch schleichen = sluipen. 1103. lauter = icin. quot; 5;, gu\' Scin la98en - «B abgemacht sein lassen, zufrie-\'lt \' 8f.,n- J1106- der Sonnen = der Sonne. Las u iet

alte Deklmation, des Keimes wegen im Sprichwort. 1108

,; ^rrde T Versammlung aller stimmfahigen Bürgei-mZ u^d^eraten LandeS- 1U0- ^

Schiller , Wilhelm Teil.

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1st überall, wo man das Recht verwaltet, 1115 Und unter seinem Himmel stehen wir.

Stauffachee. Wohl, lafst uns tagen nach del-

alten Sitte ;

1st es gleich Nacht, so leuchtet unser Recht.

Melchthal. 1st gleich die Zahl nicht voll, das

Herz ist hier Des ganzen Volks, die Besten sind zugegen.

1120 Konrad Hunn. Sind auch die alten Bücher

nicht zur Hand, Sie sind in unsre Herzen eingeschriehen. Rüsselmann, Wohlan, so sei der Ring so-

gleich gebildet. Man pflanze auf die Schwerter der Gewalt!

Acr dek. Maler. Der Landesammann nehme

seinen Platz ,

1125 ünd seine Weibel stehen ihm zur Seite !

Si grist Es sind der Völker dreie. Welchem nun Gebührt\'s , das Haupt zu geben der Gemeinde ? Meier. Urn diese Ehr\' mag Schwyz mit Uri

streiten,

Wir Unterwaldner stehen frei zurück. 11 oO Melchthal. Wir stehn zurück; wir sind die

Flehenden,

1114. yerwalten = handhaben. 1119. zugegen =: tegen\' ivvordig. 1120. die alten Bücher =. die Gesetzbücher.

1122. Ring = der Halbkreis , den die \\ ersammlung bildet.

1123. Gewalt =z Macht, Autoritat. Die Schwerter der Ge-w/lt =: neben dem Landammann wurden zwei Schwerter aui\'gepflanzt, 1125. Weibel = Diener und Bofen der üben-lt;l(m Macht, aus unbescholtenen Landleuten auf Lebenszeit gcwahlt. 1127. gebühren .— zukommen. 1130. flehen = siueéken.

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Die Hilfe heischen von den maclit\'gen Freunden. Statjffacher. So nehme Uri denn das Schwert;

sein Banner Zieht bei den Römerzügen uns voran.

Walïher PiiRST. Des Schwertes Ehre werde

Sehwyz zu teil; 1135 Denn seines Stammes rühmen wir uns alle.

Rösselmann. Den edeln Wettstreit lafst mich

freundlich schlichten : Schwyz soli im Eat, Uri im Felde führen.

Waltiier Fürst (reicht dem Stauffacher die Schwer-

ter). So nehmt! Stauffacher. Nicht mir , dem Alter sei die Ehre. Im hofe. Die meisten Jahre zahlt Ulrich der

Schmid.

1140 Aur dt5r Mauer. Der Mann ist wacker, doch

nicht freien Stands; Kein eigner Mann kann Richter sein in Schwyz.

Stauffacher. Steht nicht Herr Reding hier,

der Altlandammann ? Was suchen wir noch einen wiirdigern ?

Walther Füest. Er sei der Ammann und des

Tages Haupt. 1145 Wer dazu stimmt, erhebe seine Hande.

{Alle heben die rechte Hand auf.)

Reding (tritt in die Mitte). Ich kann die Hand nicht auf die Bücher legen ,

1131. heischen begehron. 1133. Romerziige ~ die Züge der Waldstatte im Dienste des Kaisers. 11)5. vgl. 1159 u. fg. 1141. eigner Mann = Leibeigener. 1144, Tag = Versammlung; vgl. 1110.

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So schwör\' ich droben bei den ew\'gen Sternen, Dafs ich mich nimmer will vom Recht entfernen, {Man richtet die zwei Schwerter vor ihm auf, der Ring bildet sich vm ihn, her, Schivyz halt die Mitte, rechts stellt sich Uri und links Unter-ivalden. Er steht auf sein Schlachtschiuert ge-stützt )

Was ist\'s, das die drei Völker des Gebirgs 1150 Hier an des Sees unwirtlichem Gestade Zusammenführte in der Geisterstunde ? Was soil der Inhalt sein des neuen Bunds, Den wir hier unterm Sternenhimmel stiften ? Stauffacher (trittin den Ring). Wir stiften keinen

neuen Bund, es ist 1155 Ein uralt Bündnis nur von Vüter Zeit, Das wir erneuern. Wifset, Eidgenofsen, Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden, Und jedes Volk sich für sich selbst regiert, So sind wir e i n e s Stammes doch und Bluts, 1160 Und eine Heimat ist\'s, aus der wir zogen.

Winkelried. So ist es wahr, wie\'s in den Lie-

dern lautet, Dafs wir von fern her in das Land gewallt? O teilt\'s uns mit, was euch davon bekannt, Dafs sich der neue Bund am alten starke, 1165 Stauffacheb. Hört, was die alten Hirten

sich erzahlen.

1150. unwirtlich = onherbergzaam ; weil die Ufer des Sees wild und schaurig Bind, so dais nur besondere Umstandedort eine Versammlung veranstalten können. Gestade =|Ufer. 1151. Geisterstunde = Mitternacht, wenn die Geister erschei-nen. 1161. in den Liedern = in den alten VolksUcdern, vgl. 1165. 1162. walten = ziehen-

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Es war ein grofses Volk, hinten im Lande Nach Mitternacht, das litt von schwerer Teu-

rung.

In dieser Not beschlofs die Landsgemeinde, Dafs je der zehnte Bürger nach detn Los 1170 Der Vüter Land verJafse. Das geschah.

IJnd zogen aus, wehklagend, Miinnerund Weiber, Ein grofser Heerzug, nach der Mittagssonne, Mit dem Schwert sich schlagend durch das

deutsche Land , Bis an das Hochland dieser Waldgebirge. 1175 TJnd eher nicht ermüdete der Zug ,

Bis dafs sie kamen in das wilde Thai, Wo jetzt die Muotta zwischen Wiesen rinnt. Nicht Menschenspuren waren hier zu sehen, Nur eine Hütte stand am Ufer einsam. 1180 Da safs ein Mann und wartete der Filhre; Doch heftig wogete der See und war Nicht fahrbar. Da besahen sie das Land Sich naher und gewahrten schone Fülle Des Holzes und entdeckten gute Brunnen, 1185 Und meinten, sich im lieben Vaterland

Zu finden. Da beschlossen sie zu bleiben , Erbaueten den alten Flecken Schwyz , Und hatten mandiën sauren Tag, den Wald Mit weit verschlung\'nen Wurzelii auszuroden.

1167. nach Mitternacht = gen Norden. Teurung = die teure Zeit. 1169. je = telkens, 1172. nach der Mittagssonne = nach Süden 1180. warten = versorgen. Fahre — das Überfahrtsboot. 1181. wogen •= quot;Wellen schla-gen, fluten. 1183. gewahren = wahrneraen, bemerken. Fülle ■= Überflufs.

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1190 Drauf, als der Boden nicht mehr Gnügen that Der Zahl des Volks , da zogen sie hinüber Zuin schwarzen Berg, ja, bis ans Weifsland hin, Wo, hinter ew\'gem Eiseswall verborgen, Ein andres Volk in andern Zungen spricht 1195 Den Flecken Stanz erbauten sie am Kernwald, Den Flecken Altorf in dem Thai der Reufs. Doch blieben sie des Urfprungs stets gedenk; Ans all den fremden Stammen , die seitdem In Mitte ihres Lands sieh angesiedelt, 1200 Finden die Schwyzer Manner sich heraus,

Es giebt das Herz , das Blut sich zu erkennen. {Reicht rechts und links die Hand hin) Aüf der Maüee. Ja, wir sind ein es Herzens,

e i n e s Bluts !

Alle {sich die Heinde rekkend). Wir sind ein Volk , und einig wollen wir handeln.

Stauffachee. Die andern Völker tragen frem-

des Joch,

1205 Sie haben sich dem Sieger unterworfen.

Es leben selbst in unsern Landesmarken Der Sassen viel, die fremde Pflichten tragen,

1190. drauf = dann, darnach Genügen thun = ge-nflgend sein, ausreichen. 1192. der schwarze Berg = Bruning in Unterwaiden. Weifsland = das Oberhasli, das obere Aarthal, wegen der Gletscher so genannt. 1194. Zunge = Sprache. Die Kantone Wallis »nd Tessin spreehen keine deutsche Mundart mehr, sondern französisch und ita-lienisch. 1195 der Kernwald = in Unterwaiden 1199 sich ansiedeln = niederlassen , anbauen. 1200. sichheraus-iinden = sich unterscheiden und durch XJnterschied gefunden werden. 1207 Sassen = Bei-oder Hintersassen , Einwohner ohne Burgerrechte fremde Pflichten = Verpflichtungen an Fremde , Auswartige.

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Und ihre Knechtschaft erbt auf ihre Kinder. Doch wir, der alten Schweizer echter Stamm, 1210 Wir haben stets die Freiheit uns bewahrt. Nicht unter Pürsten bogen wir das Knie, Preiwillig wiihlten wir den Schirm der Kaiser. Rösselmann Frei wiihlten wir des Reiches Schutz

und Schirm ;

So steht\'s bemerkt in Kaiser Friedrichs Brief. 1215 Statjffachek. Denn herrenlos ist auch der freiste

nicht.

Ein Oberhaupt mufs sein, ein höchster Eichter, Wo man das Recht mag schöpfen in dem Streit. Drum haben unsre Vilter für den Boden, Den sie der alten Wildnis abgewonnen , 1220 Die Ehr\' gegönnt dsm Kaiser, der den Herm Sich nennt der deutschen und der welschen

Erde,

Und , wie die andern Freien seines Reichs, Sich ihm zu edelm Waffendienst gelobt;

Denn dieses ist der Freien einz\'ge Pflicht, 1225 Das Reich zu schirmen, das sie selbst beschirmt.

Melcutiial. Was drüber ist, ist Merkmal eines

Knechts.

Stauffacheb. Sie folgten, wenn der Heribann

erging,

Dem Reichspanier und schlugen seine Schlachten.

1214. Kaiser Friedrichs Brief = in Kaiser Friedrichs II Brief, 1240 vor Faenza ausgestellt (vgl. 910) heifst es: „frei-willig habt Ihr unsre und des Reiches Oberherrschaft erwahlt. 1217. schöpfen rz: hier: holen. 1221. die welsche Erde = Welschland, Italiën. 1223. gelobt = versprochen, zu-i?esagt. 1227. Heribann = (raittellateinisch: heribannusgt; Heerbann , Aufgebot zum Kriege.

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Nach Weschland zogen sie gewappnet mit, 12u0 Die Römerkron\' ihm auf das Haupt zu setzen. Daheim regierten sie sich fröhUch selbst Nach altem Brauch und eigenem Gesetz ; Per höchste Blutbann war allein des Kaisers. Und dazu ward bestellt ein grofser Graf, 1235 Der hatte seinen Sitz nicht in dem Lande.

Wenn Blutschuld kam, so rief man ihn herein, Und unter offnem Himmel, schlicht und klar, Sprach er das Recht und ohne Furcht der

Menschen.

Wo sind hier Spuren , dafs wir Knechte sind? 1240 1st einer , der es anders weifs , der rede!

Lm Hofe. Nein , so verhalt sich alles, wie ihr

sprecht,

Gewaltherrschaft ward nie bei uns geduldet. Stauffacuer. Dem Kaiser selbst versagten wir

Gehorsarn ,

Da er das Recht zu Gunst der Pfaffen bog. 1245 Denn als die Leute von dem Gotteshaus

Einsiedeln uns die Alp in Anspruch nahmen, Die wir beweidet seit der Vater Zeit, Der Abt herfürzog einen alten Brief,

Der ihm die herrenlose Wüste schenkte , 1250 — Denn unser Dasein hatte man verhehlt — Da sprachen wir : »Erschlichen ist der Brief!

1233 der höchste Blutbann = Gericht über Leben und Tod, Hn Is gericht. 1234. bestellen anstellen. 1237 schlicht = •einfach 1243. versagen =.=. verweigern 1245. Gotteshaus = Kloster. 1246. in Anspruch nehmen = aanspraah jnaken op, 1248 heriur = hervor. Brief = kaiserliches Dokuraent 1251 erschleichen = durch List erlangen, «durcli Ranke ^Knilfe) bewirken.

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Kein Kaiser kann , was unser ist, verschenken; ünd wird uns Recht versagt vom Reich, wir

können

In unsern Bergen audi des Reichs entbehren.quot; 1255 So sprachen unsre Vater. Sollen wir

Des neuen Joches SchSndlichkeit erdulden , Erleiden von dem fremden Knecht, was uns In seiner Macht kein Kaiser durfte bieten ? -Wir haben diesen Boden uns erschaifen 1260 Durch unsrer Hande Fleii\'s, den alten Wald , Der sonst der Baren wilde Wohnung war, Zu einem Sitz fiir Menschen umgewandelt; Die Brut des Drachen haben wir getötet, Der aus den Slimpfen giftgeschwollen stieg; 1-65 Die Nebeldecke haben wir zerrissen ,

Die ewig grau um diese Wildnis hing, Den harten Pels gesprengt, iiber den Abgrund Dem Wandersmann den sichern Steg geleitet; Unser ist durch tausendjahrigen Besitz 1270 Der Boden, und der fremde Herrenknecht

Soli kommen dürfen und uns Ketten Schmieden Und Schmach anthun auf unsrer eignen Erde ? 1st keine Hilfe gegen solchen Drang?

{Eine grojse Bewegung unter den Landleuten.) Nein , eine- Grenze hat Tyrannenmacht. 1275 Wenn der Gedrückte nirgends Recht kan finden,

1255. unsre Vater =: unsre Yorfahren , namentlich in 1144, zu Kaiser Konrad III. 1257. der fremde Knecht = der österrelchische Landvojjt. 1359 erschaifen = bewohnbar gemacht. 1262. Sitz = quot;Wohnort. 1263. Gebrut = ge-broedsel 1264, Surapf = Morast. 1265. zerrissen = durch Ausrodung der Walder und Bebauung des Bodens. 1268 Steg = Brücke für Fufsganger. 1273. Drang =B«-drangnis, benarde toestand.

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Wenn unertraglich wird die Last, greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew\'gen Rechte , Die droben hangen unveraufserlich 1280 Und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst. Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Mensohen gegenüber steht. Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben. 1285 Der Güter höchstes dürfen wir verteid\'gen Gregen Gewalt. Wir stehn fur unser Land, Wir stehn fur unsre Weiber, unsre Kinder ! Alle (an ihre Schwert er schla(iend). Wir stehn fiir unsre Weiber, unsre Kinder ! Eosselmann (trilt in ilea Ring). Eh\' ihr zum Schwerte greift, bedenkt es wohl! 1290 Ihr könnt es friedlich mit dem Kaiser schlichten. Es kostet euch ein Wort und die Tyrannen , Die euch jetzt schwer bedrilngen, schmeicheln

euch.

Ergreift, was man euch oft geboten hat, Trennt euch vom Eeich, erkennet Östreichs

Hoheit —

1295 Aur dee Mauer. Was sagt der Pfarrer ? Wir zu

Östreich schwören! Am BOhel. Hort ihn nicht an !

Winkeltued. Das rat uns ein Verrater,

Ein Feind des Landes!

1279. unveriiufseilich — onvervreemdbaar. 1281. der alte Urstand der Natur = der ursprungliche Zustand der Gfleich-lieit, der zur Notwehr veranlafst. 1284 verfangen wir-ken. 1290. friedlich schlichten =: don Streit in Frieden entscheiden, beilegen.

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Eeding. Rullig , Eidgenossen !

Setva. Wir Östreich huldigen, nach solcher

Schmach T

Von der FlCe. Wir uns abtrotzen lassen durch

Gewalt

1300 Was wir der Gtite weigerten !

Meier. Dann waren

Wir Sklaven , und verdienten es zu sein. Auf der Maueb. Der sei gestofsen aus dem Recht

der Schweizer Wer von Ergebung spricht an Osterreich! Landammann, ich bestehe drauf, dies sei 1305 Das erste Landsgesetz , das wir hier geben.

Melchthal So sei\'s. Wer von Ergebung spricht

an Östreich, Soil rechtlos sein und aller Ehren bar,

Kein Landmann nehm\' ihn auf an seinem Feuer. Alle (hehen die rechte Hand au/). Wir wollen es,

das sei Gesetz f

Reding {riach einer Pause). Es ist\'s.

1310 Rosselmann. Jetzt seid ihr frei, ihr seid\'s durch.

dies Gesetz.

Nicht durch Gewalt soil Osterreich ertrotzen f Was es durch freundlich Werben nicht erhielt. Jost von Weiler. Zur Tagesordnung , weiter !

Reding. Eidgenossen!

Sind alle sanften Mittel auch versucht ?

1299. abtrotzen = abzwingen. 1303. Ergebtmg = o/wter-werping. 1307 rechtlos =i: vogelfrei. bar = beraubt, ogt;i^-hloot van, 1308 an seinem Feuer = an seinem gastfreien Herd. 1311. ertrotzen = erzwingen.

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1315 Vielleicht weifs es der König nicht; es ist

Wohl gar sein Wille nicht, was wir erdulden. Auch dieses letzte sollten wir versuchen,

Erst unsre Klagen bringen vor sein Ohr, Eh\' wir zum Schwerte greifen. Schrecklich

immer,

1320 Auch in gerechter Sache, ist Gewalt.

Gott hilft nur dann, wenn Menschen nicht

mehr helfan.

Stauffaciier (zu Konrad Hunn). Nun ist\'s an auch, Bericht zu gaban. Eadet.

Kon rad Hunn. Ich war zu Kheinfeld an des

Kaisers Pfalz , Wider der Vogte harten Druck zu klagen , loquot;25 Den Brief zu holen unsrar alten Freiheit, Den jeder neua König sonst bestütigt. Die Boten vieler Stadta fand ich dort, Vom schwab\'schen Landa und vom Lauf des

Eheins;

Die all erhielten ihra Pargamente 1330 Und kehrten freudig wieder in ihr Land.

Mich, euren Boten, wies man an dia Rata, ünd die entliafsan mich mit leerem Trost: »Dar Kaiser haba diesmal kaina Zeit; gt;Er würde sonst ainmal wohl an uns danken.quot; 1335 Und als ich traurig durch dia Sale ging

Der Königsburg, da sah ich Harzog Hansen

1323. Pfalz = eigentl: Palast (aus lat. palatium) oder Residenz; hier: Hoflager des Kaisers. l;25. bestatigen = bekraftigen. 1332. entlassen = verabschieden. leer = ijdel, ledig, 1336. Herzog Hans =. Johann von Schwaben, des Königs Neffe , derselbe der im fünften Akte unter dera Namen Johannes Parricida erscheint; vgl 3096 u, fg.

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In einem Erker weinend stehn, um ihn Die edeln Herrn von Wert und Tegerfeld. Die riefen mir und sagten : »Helfteuchselbst! 1340 y Gerechtigkeit erwartet nicht vom König.

jgt;Beraubt er nicht des eignen Bruders Kind, gt;Und hinterhült ihm sein gerechtes Erbe ? »Der Herzog fleht\' ihn um sein Mütterliches, »Er habe seine Jahre voll, es ware 1345 gt;Nun Zeit, auch Land und Leute zu regieren. »Was ward ihm zum Bescheid? Ein Kranzlein

setzt\' ihm

»Der Kaiser auf: das sei die Zier der Jugend.quot; Auf der Mauer. Ihr habt\'s gehort. Recht und

Gerechtigkeit

Erwartet nicht vom Kaiser! Helft euchselbst! 1350 Reding. Nichts andres bleibt uns übrig. Nun

gebt Rat,

Wie wir es klug zum frohen Ende leiten. Walther Fükst {tritt in den Ring). Abtreiben wollen wir verhafsten Zwang; Die alten Rechte, wie wir sie ererbt Von unsern Vatern , wollen wir bewahren , 1355 Nicht ungezügelt nach dem Neuen greifen Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist, Wer einen Herrn hat, dien\' ihm pflichtgemafs. Meier. Ich trage Gut von Österreich zu Lehen.

1337. Erker = überbauter Vorspruog an einem Gebaude, mit Fenstern zum Ausschauen. 1343. sein Mütterliches = das ihm von seiner Mutter hinterlassene Erbe 1344 seino Jahro voll haben = grofsjahrig sein 1351 froh = hier gut. 1352 abtreiben r= wegtreiben, abkehren. 1355 nach dem Neuen = nach neuen Freiheiten; in Gegensatz zu den alten Rechten.

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Walthee Pübst Ihr fahret fort, Östreich die

Pflicht zu leisten.

1360 Jost von Weiler. Ich steure an die Herrn von

Eappersweil.

Walthee Füest. Ihr fahret fort, zu zinsen und

zu steuern.

Eosselmann. Der grofsen Frau zu Ztirch bin

ich vereidet.

Walthee Füest. Ihr gebt dem Kloster, was des

Klosters ist.

STAUrrACHEB. Ich trage keine Lehen, als des

Reichs.

1365 Walthee Füest. Was sein mufs, das geschehe,

doch nicht drüber. Die Vögte wollen wir mit ihren Knechten Verjagen und die festen Schlösser brechen ; Doch, wenn es sein mag, olme Blut. Es sehe Der Kaiser, dafs wir notgedrungen nur 1370 Der Ehrfurcht fromme Pflichten abgeworfen.

Und sieht er uns in unsern Schranken bleiben, Vielleicht besiegt er staatsklug seinen Zorn; Denn bill\'ge Furcht erwecket sich ein Volk, Das mit dem Schwerte in der Faust sich müfsigt. 1375 Reding. Doch lasset horen, wie vollendenwir\'s? Es hat der Feind die WafFen in der Hand ,

1359 leistcn = erfüllen. J360. steuern = Steuer be-zahlen. 1362. die grofse Frau = das aufserordentlich^mach-tige Frauenkloster in Ziirich. vereidet = durcli Eid verpfliohtet Zinsen zu bezahlen. 1367. breohen = stur-zen 1371. Schranken =; Grenzen. 1372 staatsklug = staatserfahren , politisch. 1373 billig = reehtraafsig. 1374, sich mafsigen = sich im Zaume halten.

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Und nicht fürwahr in Frieden wü\'d er weichen. Stauffacher. Er wird\'s, wenn er in Waffen

uns erblickt; Wir überraschen ihn, eh\' er sich rüstet.

1380. Meier. 1st bald gesprochen, aber schwer ge than. Uns ragen in dem Land zwei feste Schlösser, Die geben Schirm dem Feind und werden

furehtbar,

Wenn uns der König in das Land sollt\'fallen, Rofsberg und Sarnen mufs bezwungen sein, 1385 Eh\' man ein Schwert erhebt in den drei Landen. Stauffauuee. Saumt man so lang, so wird der

Feind gewarnt, Zu viele sind\'s, die das Geheimnis teilen.

Meier. In den \\V aldstatten find\'t sichkeinVer-

rater.

Eosselmann. Der Eifer auch, der gute, kann

verraten.

1390 Walther Fürst. Schiebt man es auf, so wird

der Twing vollendet In Altorf und der Vogt befestigt sich.

Meier. Ihr denkt an euch.

Sigrist. Und ihr seid ungerecht.

Meier (auffahrend). Wir ungerecht ? Das darf

uns Uri bieten ! Reding. Bei eurem Eide , Ruh !

Meier. Ja, wenn sich Schwyz

1381. ragen r= zich verheffen. 1393. auffahren = cpitniven. 1394, bei eurem Ëide jeder Jiingling hatte einen Bürgereid auf die Gesetze abzulegen.

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1395 Versteht mit Uri, müssen wir wohl schweigen. Reding. Ich mufs euch weisen vor der Lands-

gemeinde,

Dafs ihr mit heft\'gem Sinn den Frieden stort. Stehn wir nicht alle für dieselbe Sache?

Winkelried. Wenn wir\'s verschieben bis zum

Fest des Herrn, 1400 Dann bringt\'s die Sitte mit, dafs alle Sassen Dem Vogt Geschenke bringen auf das Schlofs. So konnen zehen Miinner oder zwolf Sich unverdüchtig in der Burg versammeln , Die führen heimlich spitz\'ge Eisen mit, 1405 Die man geschwind kann an die Stiibe stecken, Denn niemand kommt mit Waffen in die Burg Ztmachst im Wald halt dann der grofse Haufe, Und wenn die andem glücklich sich des Thors Ermachtiget, so wird ein Horn geblasen, 1410 Und jene brechen aus dem Hinterhalt.

Sc wird das Schlols mit leichter Arbeit unser. Melchthal. Den Rofsberg übernehm\' ich zu

ersteigen ,

Denn eine Dirn\' des Schlosses ist mir hold, Und leicht bethör\' ich sie, zum nSchtlichen 1415 Besuch die schwanke Leiter mir zu reichen;

Bin ich droben erst, zieh\' ich die Freunde nach. Reding. Ist\'s aller Wille, dafs verschoben werde ?

{Die Mehrheil erhelt die Hand.)

1396. weisen = znrechtweisen. 1399. das Fest des Herrn ^Weihnachten. 1400. Sassen = s. 1207. 1403. un-verdachtig = okne Verdacht zu erregen. 1407. der grofse Haufe = der Mitversehworenen. 1410. Hinterhalt = hinderlaag. 1413. hold = treuergeben, toegenegen 1414. bethören = verführen, I41ó. sohwank = wankend, be-weglich.

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Stauffaciier {zühlt die Sliinmen) Es ist ein Mehi

von zvvanzig gegen zwolf!

Walïhek Pc hst Wenn am bestim mten Tag die

-Mon q , . Burgen fallen,

14JU bo geben wir von einem Berg zuni andern

Das Zeichen mit dein Raueh ; der Landsturm

Aufgeboten, schnell, im Hauptort iedes Landes Wenn dann die Vögte sehn der Waffen Ernst\' i ) or. t auuti nur, sie werden sich des Streits be-eben 14^5 Und gern ergreifen friedliches Geleit,

Aus unsem Xjandesmatken zu eutvveiclien. Stacffacheu. Nur mit dem Gefsler fürch\' ieh

. _ schweren Stand, rurcntbar ist er mit Reisigen umgeben; . ohne Blut rilumt er das Pefd, ja\'selbst

Vertneben^ bleibt er furchtbar noch dem Land. Schwer ist s und fast gefahrlich, ihn zu schonen. Baumgaiiten Wo\'s halsgefahrlich ist, da stellt

r» m ii i 1*1 mich hin.

JJem lell verdank ich mein gerettet Leben

no. ,,ei.\'n, s^lag icil\'s in die Schanze für das Land; 1435 Mein Ehr hab\' ich besehützt, mein Herz be-

friedigt.

Reding. Die Zeit bringt Rat. Erwartet\'s in Geduld. Man muis dem Augenblick auch was vertrauen. Doch seht, inde * wir nachtlich hier noch tagen, btellt auf den höchsten Bergen schon der Moi-gen

1420. Rauch = Feucrzeichen. 1421. Landsturm = das allgememe Autgebot zum Kriegsdienst. 1424. sich begeben = Yereichten auf. 1426. Mark = Grenze 14quot;7 schweren Stand _ Schwierigkeitea. 1428. Keisige - Keitcr. ln d,e bchanze schlagen =: auls Spiel setzen.

Schiller, Wilhelm Teil.

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(■•J

1440 Die glüh\'nde Hocliwaclit aus. Kommt, lafst

uns scheiden , Eh\' uns des Tages Leuchten liberraseht. Walthek FCkst. Sorgt nicht, die Nacht weicht langsam aus den Thalern.

{Alle hahcn uriirillh\'irlich die Hide abgenommen nnd betrachten mil stiller Sammlung die Morgenröte)

Rcsselmakk. Bei diesem Licht, das uns zuerst

begrüfst

Von allen Vólkern, die tief unter uns 1445 Schwer atmend wohnen in dem Qualm der StRdte, Lal\'st uns den Eid des neuen Bundes schwören. Wir wollen sein ein einzig Volk von Briidern, In keiner Not uns trennen und Gefahr.

(Alle sprechen es nach mil erhohenen drei Fingern.) Wir wollen frei sein wie die Vilter waren, 1450 Eher den Tod , als in der Knechtschaft leben.

(Wie ohen.)

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott, Und uns nicht fürchten vor der Macht der

Menschen.

(Wie ohen. Die Landleute umarmen einander.)

Stalffacher. Jetzt gehe jeder seines Weges still Zu seiner Freundschaft und Genofssame. 1455 Wer Wirt ist, wintre ruhig seine Herde

Und werb\' im Stillen Freunde für den Bund.

1440. Hocliwaclit = Feuersignale, die von einem zu dem andeni Berge gelien und mittels welcher die ganze Nation in die quot;Waften geruï\'en werden koimte. üi» glühende Hochwaclit = die bonne. Sammlung = Einkehr in sich selbst. 1454. Genofssame = Oenossenscliaft. Uri ist noch in Genoa-senschaften geteilt. 1455.51 wintern = überwintern

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Was noch bis dahin mufs erduldet werden, Erduldet\'s! Lafst die Rechnung der Tyrannen Anwachsen , bis e i n Tag die allgemeine 1460 Und die besondre Schuld auf einmal zahlt Bezahme jeder die gerechte Wut Und spare für das Ganze seine Eache ,

Denn Eaub begeht am allgemeinen Gut, Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.

(Indem sie zu drei verschiedenen Seiten in grof ster Ruhe abgehen, fallt das Orchester mit einem prachtvollen Schivung ein; die here Szene bleibt noch eine Zeit lang off en und zeigt das Schau-spiel der aufgekenden Sonne iiher den Eisbergen.)

1460; die allgi meine uud die besondre Schuld — was die Vögte sich dein Lande, dem allgemeinen Wohlsein unl jedem Einzelnen ins besondre zu Schulden kommen liefsen.

Schwung = geistvolle Wendung.

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DEITTEE AUFZUtr.

Erste Szene.

Hof vor Tells Hause.

Tell ist mit der Zimmeraa t, Hedwig mit einer hciusUchen Arbeit besc/id/tifjt. W alther und WlI-helm in der Tiefe spielen mit einer kleinen Armbrust,

Walthrr (sin (ft).

1465 Mit dein Pfeil , dem Bogen

Durch Gebirg und Thai Kommt der Schütz gezogen Früh am Morgenstrahl.

Wie im Reicli der Lüfte 1470 König ist der Weih ,

Durch Gebirg und Klüfte Herrscht der Schütze frei.

Ihm gehort das Weite,

Was sein Pfeil erreicht; 1475 Das ist seine Beute ,

W as da kreucht und fleugt.

(Komt gesprungen.)

Der Strang ist mir entzwei. Mach\' mir ihn, Vater.

Hof = offener Eaum. Tiefe = Hintergrund. Armbrust = handboog.

1470. der Weill = eigentl. jeder Raubvogel, Geier , Falke u. 8. w. hier allg\'emeiïi , für Adler. 1473. das quot;Weite — alles, was in der Weite iot. 1476. da = er. kreucht und fleugt = kriecht, kruipt und fliegt. 1477. Strang = de pees van den boog.

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Tell. Ich nicht. Ein reehterScliützehilftsichselbst.

(Knaben entfernea slch.)

Hedwig. Die Knaben fangen zeitig an zu schiefsen. 1480 Tell. Friih iibt sich , was ein Meister werden will. Hedwig. Ach, wollte Gott, sie lernten\'s nie ! Tell. Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben Sich frisch will schlagen , mufs zu Schutz und

Trutz

G-erüstet sein.

Hedwig. Ach, es wird keiner seine Ruh

1^85 Zu Hause finden.

1ELL- _ Mutter, ich kann\'s auch nicht.

Zuni Plirten hat Natur mieh nicht gebildet; Rastlos muls ich ein flüchrig Ziel verfolgen. Dann erst geniefs\' ich meines Lebens recht , Wenn ich mir\'s jeden Tag aufs neu erbeute. 1490 Hedwig. Und an die Angst der Hausfrau denkst

du nicht,

Die sich indessen , deiner wartend, hiirmt. Denn mich erfiillt\'s mit Grausen, was die

Knechte

Von euren Wagefahrten sich erzahlen. Bei jedem Abschied zittert mir das Herz, 1495 Dafs du mir nimmer werdest wiederkehren. Ich sehe dich , im wilden Eisgebirg Verirrt, von einer Klippe zu der andern

1478. rechter = wahrer. 1483. Sohutz und Trutz — Vertaidigung und Angriff. 1488. recht = vollauf. 1489. erbeutcn = veroveren. 1491. sich harmon — Harm (hartzeer) empfinden. 1492. grausen = schaudern, ijzen. 1493 Wagefahrt = gevaarvolle tocht.

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Den Fehlsprung thun , seh\', wie die Gemse dich Rückspringend mit sich in den Abgrund reifst, 1500 Wie eine Windlawine dich verschüttet, Wie unter dir der trügerische Firn Einbricht, und du hinabsinkst, ein lebendig Begrabner, in die scbaueiiicbe Gruft. Ach , den verwegnen Alpenjager hascht 1505 Der Tod in hundert wechselnden Gestalten ! Das ist ein unglückseliges Gewerb\' , Das halsgefahrlich führt am Abgrund bin.

Tell. Wer frisch umherspSht mit gesunden

Sinnen,

Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft, 1510 Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Not; Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren.

{Er hat seine Arbeit vollendet, legt das Gerat hinweg.)

Jetzt, mein\' ich, halt das Thor auf Jahr und Tag. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.

{Nimmt den Hut.)

Hedwig. Wo gehst du bin ?

1498. Fehlspi-ung = verfehlter Sprung, mist sprong. 1499. rückspringend = zurückspringend. 1500 Windlawine = Die Windlawineu bestehen aus frischem, tiefem, lockerm Schnee; sie schiefsen plötzlich mit ungeheurer Schnelligkeit von den Abhangen herab , erzeugen dadurck einen gewaltigen Windstofs und reifsen alles nieder. vgl 25. u 1780. verschutten n: bedelven. 1501. trügerisch — betn\'igerisch Firn s. 38. 1502. einbreclie.: = einstürzen 1503. schauerlich 3= hutoerhigwekkeml 1504 verwegen — ver

metel. liaschen — greifen. 1506. unglückselig = traurig. Gewerbe = Geschaft, Handwerk 1508 umherspahen — um sich schauen. 1509. gelenk = sich leicht und gewandt bicgend und bewegend 1510. sich ringen — zich ontivor-stelen aan. Fahr — Gefahr.

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Tell. Nacli Altorf zu dem

Vater.

1515. Hedwio. SiTinst du audi nichts Grefalirliches?

Gesteh mir\'s. Tell. Wie kommst du darauf, Frau ?

Hedwig. Es spinnt sich etwas

Gegen die Vögte Auf dem Riitli ward Getagfc, ich weifs , und du bist audi im Bunde. Tell. Ich war nidit mit dabei; dodi werd\'

ich mich

1520 Dem Lande nidit entziehen , wenn es ruft.

Hedwig. Sie werden dich hinstellen, wo Grefahr ist; Das Schwerste wird dein Anteil sein, wie

immer.

Tell. Ein jeder wird besteuert nacli Vermogen. Hedwig. Den Unterwaldner hast du audi im

Sturme

1525 L\'ber den See gesdiafft. Ein Wunder war\'s, Dafs ihr entkommen. Dachtest du den gar nidit An Kind und Weib \'?

Tell. Lieb Weib, idi dacht\'

an each;

Drum rettet\' ich den Vater seinen Kindern. Hedwig. Zu schiffen in dem wilt\'gen See ! Das

heifst

1530 Nicht Gott vertrauen, das heifst Gott versuchen !

1515. Sinnat du anch nichts Gefahrliclies = Hast flu anch etwas Gefahrlichos im Sinne? 151c. es spinnt sich etwas = es wird etwas gespomieii, spinnen = hier: suiedin. 1523. besteuern = helasten. 1529. schiffen = mreit, zeilen.

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SS

1 ell. Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig

leisten

Hedwig Ja du List gut und hilfreicb, dienest

allen ,

Und wenn du selbst in Not lcommst. hilft

dir keiner.

Tell. Verliüt\' es Gott, dafs icb nicht Hilfe

bratiche!

(/.»• nimmt die A rmhntst unci Pfeile ) 1535 Hedwig. Was willst du mit der Armbrust?

Lafs sie hier. Iell. Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe

fehlt.

(/ Kvahen kommen zin Hek.)

Waltheu. Yater, wo gehst du bin ?

Tell Nacb Altorf Knabe,

Zum Ehni Willst du mit?

Walïiieii. Ja, freilich will ich.

He])wig. Der Landvogt ist jetzt dort. Bleib

weg von Altorf.

1540 Tell. Er gebt, noch beute.

Hedwig. Drum lafs ibn erst

fort sein.

Gemabn\' ibn nicht an dich; du weifst, er

grollt uns.

1531. leisten nr vollbringen. 1534 dafs ich niebt Hilfe branche — «lafs icli Uille brauche. 1530 mir fehlt der Arm = es ist mir alsob icli keinen Arm hfttte 1538. Ehni — Grofsvatcr, Alm, schweizerisch wie Atti und Muetti iiir Yater mul Mutter. 1541. g-emahnen ei innern. grollen = heimlich ziirnen.

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Tj:ll. Mir soil sein bösev Wille nicht viel schaden; Ich thue recht und scheue keinen Feind.

Hedwig. Die recht thun , eben die hafst er am

meisten.

1545 Tell. Weil er nicht an sie kommen kann. Mich

wird

Der Ritter vvohl in Frieden lassen , mein\' ich.

H EmviG. So, weifst du das ?

\'J\'1\'-1\'1quot; Es ist nicht lange her,

Da ging ich jagen durch die wilden Griinde Des Schachenthals auf menschenleerer Spur, 1550 Und da ich einsam einen Felsensteig

Verfolgte , wo nicht auszuweichen war ,

Denn über mir hing schroft\' die Felswand her, Und unten rauschte fürchterlich der SchUchen,

{Die Knahen drangen sich rechts und links anihn und sehen mit gespannier Neugier an ihm hinauf.) I \'a kam der Landvogt gegen mich daher, 1555 Er ganz allein mit mir, der auch allein war, Bloi\'s Menscb. zu Mensch , und neben uns der

Abgrnnd.

Und als der Herre mein ansichtig ward Und mich erkannte , den er kurz zuvor Um kleiner Ursach\' willen schwer gebüfst, 1560 Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr

1548. die Gründe = das Innere, het hartje. 1549. d is Schachenthal zieht sich von Altorf ^egen vier Stunden ostwarts, bis zur Balmwaiid. Spur — hier: Balm 1550 Steig- =. Steg, enger und steiler Weg 1552 schroff = steil aufsteigend 1553 der Schnclieu = der Schtichenbach. 1554. da kam der Landvogt gogen mien daher = da begegnete 1557 mein r= meiner. ansichtiir werden —in^t oog krijgen 1559 biilseu — mit einer Bufse bestralen 1560 stattlicli = vorzüglich. Gewehr — die Armbrust.

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Daher geschritten kommen , da verblafst\' er , Die Knie versagten ihin , ich sah es kommen, Dafs er jetzt an die Felswand wnrde sinken. Da jammerte mich sein , ich trat zu ihm Bescheidentlich und sprach : Ich bin\'s, Hen-

Land vogt. Er aber konnte keinen armen Lant Aus seinem Munde geben. Mit der Hand nur Winkt\' er mir scliweigend, meines Wegs zu gehn; Da ging ich fort, und sandt\' ihm sein Gefolge.

Hedwig. Er hat vor dir gezittert; wehe dir !

Dafs du ihn schwach gesehn , vergiebt er nie. Tell. Drum meid\' ich ihn , und er wird mich

nicht suchen. Hedwig. Bleib heute nur dort weg. Geh lieber

jagen.

Tell. Was filllt dir ein?

Hedwig. Mich iingstigt\'s. Bleibe weg.

1575 Tell. Wie kannst du dich so ohne ürsach\'quillen? Hedwig. Weil\'s keine ürsach\' hat. Tell, bleibe hier. Tell. Ich hab\'s versprochen , liebes Weib , zu

kommen.

Hedwig. Mufst du , so geh , nur lasse mir den

1565

1570

Knaben !

1562. versag» n = hun dienst weigeren. es = den Augenblick. 1564. sein = seiner; da jamerte mich sein = ik kreeg medelijden methem 1566 arm — klein, nnbedeutend. göben = henrorbringen. 1576 weii\'s keine ürsach\' hat =ebenweil Hedwig sich keine Grründe für ihre Angst angeben kann, betrachtet sie dteselbe als Vorahnung einer drohenden Gefahr.

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Walteer. Nein, Mütterchen. Ich gehe mit

dem Vater.

1580 Hedwig. Walti, verlassen willst du deine Mutter? Walther. Ich bring\' dir auch was hübsches

mit vom Ehni.

{Geht mit dem Vater.)

Wilhelm. Mutter, ich bleibe bei dir.

Hedwig (timarmt ihn). Ja, du bist

Mein liebes Kind , du bleibst mir noch allein! (Sie gekt an das Hofthor vnd folgt den abgehendei lange mil den Augen.)

Ziveito Szene.

Eine eingeschlossene, wilde Waldge-gend, StaubbSche sttirzen von den Felsen.

Berïha im Jagdkleid. Gleich davauf Eudenz.

Bertha. Er folgt mir. Endlich kann ich mich

erklaren.

1585 Rudekz (tritt rasch ein) Prilulein , jetzt endlich

ünd\' ich euch allein ; Abgründe schliefsen rings umher uns ein. In dieser Wildnis fürcht\' ich keinen Zeugen; Vom Herzen walz\' ich dieses lange Schweigen.

1580. Walti = quot;Walther, Liebkosung-snamen,

Staubbiicho = Wasserfalle, deren Wasser sich in Staub auflost

1584 erklaren = aussprechen 1588 walzen = wentelen.

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Bertha. Seid ihr gevvifs , dafs uns die Jagd nicht

folgt ?

1590 R cdenz. Die Jagd ist dort hinaus. Jetzt oder nie ! Ich mufs den teuren Augenblick ergreifen , Entscbieden sehen mufs ich mein Greschick, Und sollt\' es mich auf ewig von euch scheiden. O , waifnet eure güt\'gen Blicke nicht 1595 Mit dieser finstern Strenge! Wer bin ich,

Dafs ich den ktlhnen Wunsch zu euch erhebe ? Mich hat der liuhm noch nicht genannt; ich darf Mich in die Eeih\'nicht stellen mit den Bittern, Die siegberühmt und gliinzend euch \\imwerben. 1600 Nichts liab\' ich , als mein H erz voll Treu und

Liebe —

Bertha (ernst und streng). Dürft ihr von Liebe reden und von Treue , Der treulos wird an seinen nilchsten Pflichten ?

(liuden- tritt zuriick.)

Der Skiave Osterreichs , der sich dem Fremdling Verkauft, dem Unterdriicker seines Volks? 1605 Rudenz. Von euch, mein Praulein, hör\' ich

diesen Vorwurf? Wen such\' ich denn als euch auf jener Seite ?

Bertha. Mich denkt ihr auf der Seite des Verrats Zu finden ? Eher wollt\' ich meine Hand Dem Gefsler selbst, dem Unterdriicker, schenken, 1610 Als dem naturvergefsnen Sohn der Schweiz, Der sich zu seinem Werkzeug machen kann !

1592 entscheiden = beslissen Schicksal — lot. 1599 umwerben - - zuin Jlittelpunkt seines AVerbens machen, 1605. Vorwurf —- verwijt 1010 naturvergessen — der sich lt;ler nattirlichen Getuhle entaufsert liat.

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Ru denz. O Gott, was mufs ich horen ?

Bebtha. Wie ? Was liegt

Dem guten Mensclien naher als die Seinen ? Giebt\'s schonre Pflichten für ein edles Herz , 1615 Als ein Verteidiger der Unscliuld sein ,

Das Eeclit des Unterdrückten zu beschirmen ? Die Seele blutet mir um ener Volk,

Ich leide mit ilim , denn ich mufs es lieben, Das so bescheiden ist und doch voll Kraft; 1620 Es zieht mein ganzes Herz mich zu ihm hin , Mit jedem Tage lern\' ich\'s mehr verehren. Ihr aber , den Xatur und Ritterpflicht Ihm zum geborenen Beschiltzer gaben , Und der\'s verlilfst, der treulos übertritt 1625 Zum Feind und Ketteii schmiedet seinem Land, Ihr seid\'s , der mich verletzt und krankt; ich

mufs

Mein Herz bezwingen, dafs ich euch nicht hasse. Rudenz. Will ich denn nicht das Beste meines

Volks ?

Ihm unter Ostreichs milcht\'gem Zepter nicht 1630 Den Frieden —

Berïha. Knechtschaft wollt ihr ihm

bereiten ,

t Die Freiheit wollt ihr aus dem letzten Schlofs,

Das ihr noch auf der Erde blieb , verjagen. Das Volk versteht sich besser auf sein Gllick, Kein Schein verlïihrt sein sicheres Gefühl; 1635 Euch haben sie das Netz ums Haupt geworfen.

Rudf.nz. Bertha ! Ihr hafst mich, ihr verachtefc

mich !

1614. naher liegen = namenlt. am Herzen. 1626. verlet-zen = kuetseu. 1633, sich verstellen auf = kennen.

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Bertha. That ich\'s , mir wiire besser ; aber den Verachtet sehen und verachtungswert, Den man gem lieben möchte —

Rudenz. Bertha ! Bertha!

1640 Ihr zeiget mir das hoehste Himmelsgliick

Und stürzt mich tief in e i n e m Augenblick.

Bertha. Nein, nein, das Edle ist nicht ganz

erstickt

In euch, es schlummert nur; ich will es wecken. Ihr müfst Gewalt ausiiben an euch selbst, 1645 Die angestammte Tugend zu ertöten;

Doch wohl euch, sie ist machtiger als ihr, Und trotz euch selber seid ihr gut und edel.

Rudenz. Ihr glaubt an mich ? 0 Bertha, alles lïifst Mich eure Liebe sein und werden !

Bebtha. Seid,

1650 Wozu die herrliche Natur euch machte !

Erfüllt den Platz , wohin sie euch gestellt, Zu eurem Volke steht und eurem Lande , Und kilmpft für euer heilig Recht!

Rudenz. Weh mir!

Wie kann ich euch erringen , euch besitzen, 1655 Wenn ich der Macht des Kaisers widerstrebe? Ist\'s der Verwandten macht\'ger Wille nicht, Der über eure Hand tyrannisch waltet ?

Bertha. In den Waldstütten liegen meine Güter, Und ist der Schweizer frei, so bin audi ich\'s. 1660 Rudenz. Bertha, welch einen Bliek thut ihr

mir auf!

1645. angestammt = angeboren. 1654. erringen == erobern. 1657. walten = gebieten.

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Bertha. Hofft nicht durch Östreichs Gunst

niich zu erringen Nach meinem Elbe strecken sie die Hand, Das will man mit dem grofsen Erb\' vereinen; Dieselbe Liindergier , die eure Freiheit 1665 Verschlingen will, sie drohet auch der meinen. 0 Freund, xum Opfer bin icb ausersehn , Vielleicht um einen Gtinstling zu belohnen. Dort, wo die Falscliheit und die Eiinke wohnen, Hin an den Kaiserliof will man mich ziehn. 1670 Dort harren mein verhaister Ehe Ketten ;

Die Liebe nur, die eure , kann mich retten !

Eudenz. Ihr könntet euch entschliefsen, bier

zu leben,

In meinem Vaterlande main zü sein ? 0 Bertha ■, all mein Sehnen in das Weite, 1*675 Was war es, als ein Streben nur nach euch? Euch sucht\' ich einzig auf dem Weg des Ivuhms, Und all mein Ehrgeiz war nur meine Liebe. Könnt ihr mit mir euch in dies stille Thai Einschliefsen und der Erde Glanz entsagen , 1680 O dann ist meines Strebens Ziel gefunden.

Dann mag der Strom der wildbewegten Welt Ans sichre Ufer dieser Berge schlagen ,

Kein flüchtiges Verlangen hab\' ich mehr Hinauszusenden in des Lebens Weiten. 1685 Dann mogen diese Felsen um uns her

1662 Erbe = Erbteil. 16C4 Landergier = B»gierde nach fremden Reichen 1666. ausersehen zi; auserkoren. 1668 Rank = versteckter Betrug, intrige, kuiperij, 1670. mein = meiner. 1674. Sehnen = Verlangen. in = nach 1677 Ehrgeiz = eeyzvcht. 1679. entsagen = vaarwelzegyen. 1680 Ziel = doel. 1684. in des Lebens Weiten in die weite Welt

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Die undurchdringlich feste Mauer breiten , Und dies verschlolsne sel\'ge Thai allein Zum Himmel offen mid gelichtet sein.

Bertha. J etzt bist du ganz, wie dicli mein

ahnend llerz

1690 Getriiumt, mieli hat mein Glaube nicht be-

trogen !

Rudenz. Fahr hin , du eitler Wahn , der mich

bethört!

Ich soil das Gliick in meiner Heimat finden. Hier, wo der Knabe fröhlich aufgeblüht, Wo tausen\'d Preudespuren mich umgeben, 1695 Wo alle Quellen mir und Bilume leben ,

lm Vaterland willst du die meine werden ! Ach , wohl hab\' ich es stets geliebt! Ich fiihl\'s, Es fehlte mir zu jedem Glück der Erden. Bertha. Wo wiir\' die sel\'ge Insel aufzufinden, 1700 Wenn sie nicht hier ist, in der Unschuld Land, Hier, wo die alte Treue heimisch wohnt, Wo sich die Falschheit noch nicht hingelünden ? Da triibt kein Neid die Quelle unsers Glücks, Und ewig hell entfliehen uns die Stunden. 1705 Da seh\' ich dich im hchten Milnnerwert,

Den ersten von den Preien und den Gleichen, Mit reiner, freier Huldigung verelnt.

Grofs, wie ein König wirkt in seinen Beichen.

1686. breiten — ausbreiten. 1688. gelichtet = beleuchtet. 168i*. ahneu zu eine Vorcmpfinduug haben 1691 bethö-ren = zu einem Thore machen. 1695. leben =; durch Erinnerung-en, die sich daran knilpfen. 1699 die sel\'g-e Insel = das Land der Gliicklichen. 1701. heimisch wohnt = einheimisch, inliindisch ist 1702 sich hinfinden = sich vorfinden, sich linden. 1703. triiben — die Reinheit storen.

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97

Rudbnz; Da seh\' ich dich, die Krone aller Frauen 1710 In weiblich reizender Geschaftigkeit

In meinem Hans den Himmel mir erbauen Und, wie der Frühling seine Blumen streut, Mit schoner Anmut mir das Leben schmücken Und alles rings beleben und beglücken.

171.j Bertha. Sieh, teurer Freund, warum ich

ai • , , trauerte,

Ais ich dies höchste Lebensglück dich selbst Zerstören sah. Weh mir ! Wie stünd\'s um mich, AVenn ich dem stolzen Ritter mufste fel gen , \' iron Dem La-ndbedrücker , auf sein finstres Schlofs! 1/-0 Hier ist kein Schlofs. Mich scheiden keineMauern von einem Volk, das ich beglücken kann. Rudenz. Doch wie mich retten, wie die Schlinge

f-.. . , . lösen,

e lch mi1\' thöricht selbst ums Haupt gelegt ?

i 7ok BEw\'LV\' Z,eriquot;eifse sie mit mannlichem Entschlufs!

aucl1 draus werde, steh zu deinernVoIk! Es ist dein angeborner Platz.

{Jagdhörner in der Feme.) Die Jagd

li-ommt naher. Fort, wir müssen scheiden.

Ti- -.r , , , Kümpfe

I urs Vaterland , du kampfst für deine Liebe !

i ron ttS ist ?i n \' vor dem wir alle zittern ,

1 iöü Und e i n e Freiheit macht uns alle frei !

[Gehen ab.)

held10\' 1713- Anmut = bem»!9-

heul 1714. beleben = beseven. 1717. wie stünd\'s

-quot;«rit- ~ iT^f\'s M-ire mein Sul,ick3al- 1719. finster - sombe,. 1721. Schlinge = strik. lösen = los machen.

Schiller, Wilhelm Tell. 7

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lts

1) ritte Szcne.

W i e s e bei A 11 o r f.

Im Vordergrimd Baume, in cle.r Tiefe der Hut auf einer Sfange. Der Prospékt ivird b\'grenzt durch den. Bannberg , über ivelchem ein Sch. n eegehirg empon-a\'j t.

Priesshaud nnd Lelthold halten Waehe.

Peiessiiaud. Wir passen auf umsonst. Es will

sich niemand

Heranbegeben und dem Hut sein\' Reverenz Erzeigen. \'s War doch sonst wie Jahrmarkt hier, Jetzt ist der ganze Anger wie verödet, 1735 Seitdem der Popanz auf der Stange hangt.

Lel\'Tiiold. Nur schlecht Gesindel lafst sich sehn

und sehwingt

Uns zum Verdriefse die zerlumpten Mützen. Was rechte Leute sind, die machen lieber Den langen Umweg um den halben Flecken, 17-40 Eh\' sie den Eücken beugten vor dem Hut.

PniESSliARD. Sie müssen über diesen Platz,

wenn sie

Tiefe = Hintergrund. Bannberg = östlich von Altorf, so genannt weil es t\'.urch das Gesetz verboten ist einen Baum darauf zu fallen, indem der Bannwald als Schutz g\'egen die Lawinen dient; vgl. 1770 u. fg. emporragen = uitsteken.

1731. umsonst rz: te vergeefs. 1732. Reverenz = Ehr-furclitsbezeigung, Verbeugung. 1734. Anger = Wiese. Yerödet = ontvolkt. 1735. Popanz =: vermummtes Sekreck-cspenst, bullebak. 1736 Gesindel = gepeupel, gespuis. gschwingen = hier: abnehmen, lüften. 1737, zerlumpt — in flarden gescheurd.

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Vom Eathans kommen um die Mittagsstunde. Da meint\' ich sohon, \'nen guten Pang zu tliun, Denn keiner daclite dran , den Hut zu grüfsén. 1745 Da sieht\'s der PftifF, der Kösselmann - kam just Von einem Kranken her — und stellt sieh hin Mit dem Hochwürdigen, grad vor die Stange; Der Sigrist mufste mit dem Glöcklein schellen, Da fielen all aufs Knie , ich selber mit, 1750 Und grüfsten die Monstranz, doch nicht den Hut. Leuïhold. Höre, Gesell, es fiingt rnir an zu

deuchten ,

Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut; \'s ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann, Schildwach\' zu stehn vor einem leeren Hut, 1755 Und jeder rechte Kerl mufs uns verachten. Die Èeverenz zu machen einem Hut,

Es ist doch, traun, ein narrischer Befehl ! Friess hard. Warum nicht einem leeren, hohlen

Hut ?

Bückst du dich doch vor manchem hohlen

Schtldel.

Hildegard, Mechthild und Elsbeth treten auf mit Kindern und stellen sich um die Stange. 1760 Leuthold. Und du hist auch so ein dienst-

• fert\'ger Schurke

1745. Pfaff = Geistliclier , jedooh hier in verachtlichem Sinne, paap 1747, das Hochwürdige — die geweihte Hostie, vg-l. 1750. 1750 Monstranz ~ das Gcfafs, worin das Hochwürdige ausgesetzt wird. Schiller verwechselt hier die Monstranz mit dein Kelche, worin das Hochwürdige, der Leib des Herrn, zum Kranken getragen wird. 1751. deuch-

* ten = dunken. 1752 Pranger = Schandpfahl. 1753. Schimpf = Schande. 1757 traun r_- wahrlich.

A

1

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100

Und brSchtest wackre Leute gern ins Unglück. Mag, wer da will, am Hut vortibergehn , Ich drück\' die Augen zu und seh\' nicht liin.

Mechthilu. Da hangt der Landvogt Habt Re-

spekt , ihr Buben !

1765 Elsbeth. Wollt\'s Gott, er ging\' und Hefs\' uns

seinen Hut; Es sollte drum nicht schlechter stehn uu:s Land.

Piuesshahd {yerscheucht sic). Wollt ihr vom Platz!

Verwünschtes Volk der Weiber! Wer fragt nach eueh ? Schickt eure Manner her, Wenn sie der Mut sticht, dem Befehl zu trotzen.

(Weiber gehen ) Teil mit der Armhrmt tritt auf, den Knaben an der Hand jiihrend ; sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Szene, ohne darauf zu achten. 1770 Walïiier (zeigt nach dem Bannhergj. Vater, ist\'s wahr, dal\'s auf dem Berge dort Die Bilume bluten , wenn man einen Streich Drauf führte mit der Axt ?

Tell. Wer sagt das, Knabe?

Walthee. Der Meister Hirt erzithlt\'s Die Biiume

seien

Gebannt, sagt er, und wer sie schadige, 1775 Dem wachse seine Hand heraus zum Grabs.

Tell Die Biiunie sind gebannt, das ist die

Wahrheit.

Siehst du die Firnen dort, die weifsen Hörner,

1764. Respekt — Ehrfurcht 1767. verscheuchen = fortjagen. wenn sie der Mut sticht = als zij het hart hebben. 1771, Streich = slag. 1774. bannen = lür heilig und unverletzlich erklaren. 1777, Hörner = die Spitzen eines Schnee- oder Eisgebirges,

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Die hoch bis in den Himmel sich verlieren? Waltheu Das sind die Gletseher, die des Nachts

so donnern

1780 Und uns die Schlaglawinen niedersenden

Tell. So ist\'s, und die Lawinen hatten langst Den Plecken Altorf unter ihrer Last Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht Als eine Landwehr sich dagegen steilte.

1785 Waltheu (nach einigem Besinnen). Griebt\'s Liin-der , Vater, wo nicht Berge sind? Teh. Wenn man hinunter steigt von unsern

Höhen

Und\' immer tiefer steigt, den Stromen nach , Gelangt man in ein grofses, ebnes Land , Wo die Wald wasser nicht mehr brausend schiiu-

men,

1790 Die Fliisse ruhig und gemachlich ziehn ;

Da sieht man frei nach alien Himmelsraumen, Das Kom waohst dort in langen schonen Auen, Und wie ein Garten ist das Land zu schauen. Waltheb. Ei , Vater , warum steigen wir denu

nicht

1795 Geschwind hinab in dieses schone Land ,

Statt dafs wir uns hier angstigen und plagen ? Tell. Das Land ist schön und gütig, wie der

Himmel;

Doch die\'s bebauen , sie geniefsen nicht

1780. Schlaglawine -- Die Schlaglawinen, aus fest zusam-menhaltenden Schneemassen, stiirzen mit verderblictler Gewalt ■von abgerissenen Bergabhangen, so dafs alles voc ihnen zer-triimmert wird. Vgl, 1500 u. 25. 1783 verschutten = hedelveii. 1784. Landwehr m Damm, \\Vehr fiir das Land. 1790. gemachlich = müh- und anstrengungslos , ungestört.

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Iu2

Den Segen , den sie pflanzen Walïher. Wohnen sie

1800 Nicht frei, wie du, auf ihrem eignen Erbe ?

Tell Das Feld gehort dem Bischof und dem

König.

Walther. So dürfen sie doch frei in Waldern

jagen ?

Tell. Dem Herrn gehort das Wild und das

Gefieder.

Walther. Sie dürfen doch frei fischen in dem

Strom ?

1805 Tell. Der Strom, das Meer, das Salz gehort

dem König.

Walther Wer ist der König denn , den alle

fürchten ?

Tell. Es ist der eine, der sie schützt und nahrt. Walther. Sie können sich nicht mutig selbst

beschützen ?

Tell. Dort darf der Nachbar nicht dem Nach-

bar trauen.

1810 Walther. Vater, es wird mir eng im weiten

Land;

Da wohn\' ich lieber unter den Lawinen.

Tell. Ja, wohl ist\'s besser, Kind, die Glet-

scherberge

lm Rücken haben, als die bösen Menschen (Sie ivotten vorübergehen )

1803. Gefieder = gecederte. 1805. Salz = das salzige Heerwasser 1811, da =- dann

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Waltuer. Ei, Vater, sieh den Hut dort auf

der Stange.

1815 Tell. Was kümmert uns der Hut! Komm,

lafs uns gehen. {Indem er abgehen will, tritt ihm Friefskanl mit vorgehaltener Fik.: eutgegen.)

Friessiiakd. In des Kaisers Namen ! Haltet an

und steht!

Tell {grei.ft in die Pike). Was wollt ihr ? Warum

haltet ihr mich auf? Pwesshard. Ihr habfs Mandat verletzt ; ihr

mtifst uns folgen. Leuthold Ihr habt dem Hut nicht Reverenz

bewiesen.

1820 Tell. Freund, lafs mich gehen.

Friesshaud. Fort, fort ins Gefiingnis!

Waltuer. Den Vater ins Gefiingnis! Hilfe! Hilfe.\' (/« die Szene rufend.)

Herbei, ihr Manner , gute Leute , helft! Gewalt! Gewalt! sie führen ihn gefangen.

li ö s s elmann , der Pfarrer, und Petermann, der Sigrist, kommen herb\' i mit drei andern Mannern.

Sigrist. Was giebt\'s ?

Rösselmann. Was legst du Hand an diesen

Mann ?

1815 Pike = piek. 1817 greifen in = ergreifen, anfassen. 1818. Mandat = Bcfehl. verletzt = geschonden.

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1825 Fbiesshaud. Er ist ein Feind des Kaisers, ein

Verrat er.

Tell {fafst ihn heftig). Ein Verritter, ich ? Rösselmann Du irrst dicli, Freund. Das ist Der Teil, ein Ehrenmann und guter Bürger. WaLIHEU {erhlickt Walther Fürsten und eilt ihm entgfgen) Grofsvater , hilf! Gewalt ge-schieht dem Vater. Friesshaud. Ins Gefiingnis , fort!

Waltueh Fuust {herleieilend). Ich leiste Bürg ■

schaft, haltet!

Um Gottes willen, Teil, was ist gescliehenV M elcht h a l und Staufjacher kommen. 1830 Feiesshard Des Landvogts oberherrliche Gewalt Veraclitet er und will sie nicht erkennen.

Stauffachex Das hStt\' der Teil ge than ? Melchthal. Das lügst du , Bube !

Leüthold. Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

Walther FCrst. Und darum soil er ins Ge-

fiingnis ? Freund , 1835 Nimm meine Bürgschaft an und lafs ihn ledig. Friesshard. Bürg\' du für dich und deinen eignen

Leib !

Wir thun . was unsres Amtes. Fort mit ihm ! Melchthal (zu den Landleuteri). Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wir\'s ,

1828. Bürg-scliaft leisten = sich verbifrgen, Rürg-e stellen. 1830 Gewalt = Macht, 1835. ledig = frei. 1838. Gewalt = gewéld.

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Dafs man ihn fortführt, frech, vor unsern

Augen ?

1840 Sigrist. Wir sind die stürkern. Freunde, dul-

det\'s nicht! ir liaben einen Eücken an den andern.

Friesshaiid. Wer widersetzt sich dem Befehl

des Vogts ?

Noch drei Landleute (herheieilend). Wir helfen euch. Was giebt\'s ? Schlagt sie zu Boden !

(Ilildegard , Mechthild und Elsheth hommen zunick.)

Tell. Ich helfe mir sclion selbst. Geht, gute

Lente

1845 Meint ihr, wenn icli die Kraft gebrauchen

wollte,

Ich würde mich vor ihren Spiefsen fürchten ? MelCiITHal {zu Friefshard). Wag\'s, ihn aus uns-

rer Mitte wegzuführen ! WaltherFürst und Stauffacheh. Gelassen! Ruhig! Friesshard (schreit.) Aufruhr und Empöruïig!

{Man hort Jagdhörner )

Weiber. Da kommt der Landvogt!

Friesshard (erhebt die Stinme.) Meuterei!

Empörung!

1850 Stauffacher. Schrei, bis du berslest, Schurke! Rösselman und Melchthal. Willst du schweigen ?

1839 frech = driest en onbeschaamd. 1841. Rücken = rug, steuu. 1846. Spiei\'s = Speer. 1848. gelassen = gefafst, kalm. Empörung = Aufstaiul

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Friesshard {ruft noch lanter). Zu Hilf , zu Hilf

den Dienern des Gesetzes! Walther Fürst. Da ist der Vogt! Well uns, was wird das werden !

Gessler zu Pferd, den Falkm auj der Faust, Rudolf der Harras, Bertha nnd Kcdenz, \' tin yrofses Gefolge von beivaffneten Kiechten, ivelche einen Kreis von Pike a um dii ganze Szene schliefsen.

Rudolf der Harras. Platz, Platz dem Land vogt! Gessler. Treibt sie auseinander !

Was liluft das Volk zusammen ? Wer ruft Hilfe? f.A llc/emeine Stille.)

1855 Wer war\'s ? Ich will es wissen.

{Zie Friefshard.)

Du, tritt vor!

Wer bist du , und was hiiltst du diesen Mann? {Er giebt den Fuiken einem Diener.) Friesshard. Gestrenger Herr, ich bin dein

Waffenknecht ünd wohlbestellter Wachter bei dem Hut.

Diesen Mann ergrifi\' ich über frischer That, 1860 Wie er dem Hut den Ehrengrufs versagte. Verhaften wollt\' ich ihn , wie du befahlst, Und mit Ge walt will ihn das Volk entreifsen. i

Gessler (nach einer Pause). Verachtest du so deinen Kaiser , Tell, Und mich , der hier an seiner Statt gebietet, 1865 Dafs du die Ehr\' versagst dem Hut, den ich

1856. halten = gefangen halten. 1858. wohlbestellt = gesetzlich angestellt. 1859. über = wahrend. 1860, % versagen = ontzeggen, verweigern.

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Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen ? Dein boses Trachten hast du mir verraten. Tell. Verzeiht mir, lieber Herr! Aus ünbedacht. Nicht aus Verachtung eurer ist\'s geschehen. 1870 War\' ich besonnen , hiefs ieh nicht der Teil.

Ich bitt\' um Gnad\', es soil nicht mehr begegnen, Gessler (nach einigem Stillschweif/en). Du bist ein.

Meister auf der Armbrust, Teil, Man sagt, du nehmst es auf mit jedem Schützen?\' Walther Tell. Und das mufs wahr sein, Herr,.

\'nen Apfel schiefst 1875 Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte..

Gessler. 1st das dein Knabe , Teil ?

Tell. Ja, lieber Herr.

Gessler. Hast du der Kinder mehr ?

Tell. Zwei Knaben , Herr.

Gessleb. ■ Und welcher ist\'s , den du am meisten

liebst ?

Tell. Herr, beide sind sie mir gleich liebe

Kinder.

1880 Gessler. Nun, Tell! Weil du den Apfel triffst

vom Baume Auf hundert Schritt, so wirst du deine Kunst

1870 der Teil = der Unbesonnene, der Einfaltige; yoi» „talen einfaltig oder kindiscli sein. quot;Wahrscheinlich ist d^ies kein eigener oder ererbter sondern ein angenommener Name, den vielleicht Wilhelms samtliche Bundesgenossen sich in ahnlicher Absicht beiiegten , wie die niederlandischtn Verschworenen den Spottnamen „Geusenquot;. 1871. begeg-nen = vorkommen. 1873. es aufnehmen = einen VVettkampf anfangen.

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10S

Vor mir bewiihren müssen. Nimm die Arm-

brust —

Du hast sie gleich zur Hand — und mach\'

dich fertig,

Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schiefsen. 1885 Doch , will ich raten , ziele gut, dafs du Den Apfel treffest auf den ersten Schufs; Denn fehlst du ihn , so ist dein Kopf verloren. CAlle geben Zeichen, des Schreckens )

Tell. Herr ! welches Ungeheure sinnet ihr Mir an ? Mi soli vom Haupte meines Kindes —■ 1890 Nein, nein doch,lieberHerr,daskommteuchnicht Zu Sinn, verhüt\'s der gnad\'ge Gott, das könntihr lm Ernst von einem Vater nicht begehren ! Gessle». Du wirst den Apfel schiefsen von dem

Kopf

Des Knaben. Ich begehr\'s und will\'s.

Tell. ■ Ich soil

1895 Mit meiner Armbrust auf das liebe Hanpt Des eignen Kindes zielen ? Eher sterb\' ich !

Gessler. Du schiefsest oder stirbst mit deinem

Knaben.

Tell. Ich soil der Mörder werden meines Kinds ! Herr, ihr habt keine Kinder, wisset nicht, 1900 Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.

Gessler. Ei, Teil, du bist ja plötzlich so be-

sonnen!

Man sagte mir, dafs du ein Traumer seist

1882. bewahren = als wahr, als echt beweisen. 1883. gleich = sofort. 1885. zielen =: mikken 1888. einem etwas ansinnen = einem etwas anmuten, von ihm verlangen oder fordern.

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TJnd dich entfernst von andrer Menschen Weise. Du liebst das Seltsame, drum hab\' ich jetzt 1905 Ein eigen Wagstück fur dich ausgesucht.

Ein andrer wohl bedachte sich , du drückst Die Augen zu, und greifst es herzhaft an. Bertha. Scherzt nicht, o Herr, mit diesen

armen Leuten! Ihr seht sie bleich und zitternd stehn; so wenig 1910 Sind sie Kurzweils gewohnt aus eurem Munde.

Gesslkr. Wer sagt euch , dafs ich scherze ? {Greift nach einem Baumzweige , der über ihn herhangt.)

Hier ist der Apfel. Man mache Eaum ! er nehme seine Weite , Wie\'s Branch ist! Achtzig Schritte geb\' ich ihm, Nicht weniger, noch mehr. Er rühmte sich, 1915 Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen.

Jetzt, Schtitze, triff, und fehle nicht das Ziel! Rudolf der Haeuas. Gott, das wird ernsthaft.

Falie nieder , Knabe , Es gilt, und fleh\' den Landvogt um dein Leben!

Walther FCrst {beiseite zu Melc\'ithal, der kaum seine Uitgeduid bezivingt).

Haltet an euch, ich fieh\' euch drum, bleibtruhig.

1920 Beutha. {zum Landvogt). Lafst es genug sein,

Herr ! Unmenschlich ist\'s , Mit eines Vaters Angst also zu spielen.

1903. Weise Denkweise. 1906. du drückst die Augen zu = willst die Gefahr nicht sehen. 1911. Weite = Ent-fernung. 1918. es gilt = es ist Ernst, es kommt darauf an. 1919. an sich halten = sich in den Schranken der Malsigung halten

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Wenn dieser arme Mann aueh Leib und Leben Verwirkt durch eine leichte Schuld, bei Gott, Er hiitte jetzt zehnfachen Tod empfunden. 1925 Entlafst ilin ungekrankt in seine Hiitte , Er hat euch kennen lernen; dieser Stunde Wird er und seine Kindeskinder denken. Gessler. Offnet die Gasse ! Frisch, was zau-

derst du ?

Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich toten, 1930 Und sieh, ich lege gniidig dein Geschick In deine eigne , kunstgelibte Hand.

Der kann nicht klagen über harten Spruch , Den man zum Meister seines Schicksals macht. Du rühmst dich deines sichern Blicks ; wohlan, 1935 Hier gilt es , Schtitze, deine Kunst zu zeigen! Das Ziel ist würdig , und der Preis ist grofs. Das Schwarze treffen in der Scheibe , das Kann auch ein andrer ; der ist mir der Meister, Der seiner Kunst gewifs ist überall, 1940 Dem \'s Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge. Waltheb. Fürst (wirft sich vor ihm nieder). Herr Landvogt , wir erkennen eure Hoheit; Doch lasset Gnad\' für Recht ergehen. Nehmt Die Halfte meiner Habe , nehmt sie ganz , Nur dieses Grafsliche erlasset einem Vater !

1945 Waltheb Tell. Grofsvater , knie nicht vor dem

falschen Mann !

1923. verwirkt = verheurd. 1928, Gasse = Straise, Durchgang; hier: öffnet die Reihen, gebet Raum. zaudern =1 aarzelen. 1930. Geschick = Schicksal, Los 1932. Spruch = Urteil. 1940. in die Hand = dafs er zittert, ins Auge = dafs es ihm vor den Augen schwimmt; vgl: 1980. 1944 erlassen = ablassen , schenken.

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Ill

Sagt, wo iehhinstehn soil. Iclifürcht\' mieh nicht. Der Vater trifft den Vogel ja im Flug, Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindss. Staltfacher. Herr Landvogt, rührt eueh nicht des Kindes Unschuld ? 1950 Eösselmann. O denket, dafs ein Gott im Him-

mel ist,

Dem ihr müfst Eede stehn ftir eure ïhaten! Gessleu (zeigt auf den Knaben)M.a,n bind\' ihn an

die Linde dort! Walther Tell. Mich binden?

Nein , ich will nicht gebunden sein. Ieh will Still halten wie ein ein Lamm, und auch nicht

atmen.

1955 Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ich\'s nicht, So werd\' ich toben gegen meina Bande. Rudolf der Harras. Die Augen nur lafs dir

verbinden, Knabe! Walther Trll. Warum die Augen? Denket ihr,.

ich fürchte

Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihnfest 1960 Erwarten und nicht zucken mit den Wimpern. Frisch , Vater , zeig\'s, dafs du ein Schütze bist! 4 Er glaubt dir\'s nicht, er denkt uns zu verderben;

Dem Wütrich zumVerdrusse schiefs und trifif! {Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.) Melchthal {zu den Landlenten). Was ? soil der Frevel sich vor unsern Augen

1947 Flug = vlucht. 1951. Eede stehen = Reehensehaft geben. 1956 toben — hier; worstelen, wüten. 1960, zucken mit den Wimpern = die quot;Wimpern bewegen.

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1965 Vollenden \'? Wozu haben wir geschworen ?

Staüfpacher. Es ist umsonst. Wir haben keine

Waffen;

Ilir seht den Wald von Lanzen um uns her.

Melchthal. O , hütten wir\'s mit frischer That

vollendet!

Verzeih\'s Gott denen, die zum Aufschub rieten !

1970 Gessler {zum Teil). Ans Werk! Man führt die

Waifen nicht vergebens. Gefahrlich ist\'s, ein Mordgewehr zu tragen, Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück. Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt, Beleidiget den höchsten Herrn des Landes. 1975 Gewaffnet sei niemand , als wer gebietet.

Freut\'s euch, den Pfeil zu führen und den Bogen, Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben. Tell {apannt die Armhrust und ler/t den Pfeil auf).

üfFnet die Gasse! Platz ! Stauffacher. Was, Teil ? Ihr wolltet — Nim-mermehr ! Ihr zittert, 1980 Die Hand erbebt euch, eure Kniee wanken.

Tell {lafst die Armbrust sinken). Mir schwimmt

es vor den Augen ! Weiber. Gott im Himmel!

1966. umsonst = ie vergeefs. 1968. es = das quot;Werk der Befreiung zu dem im Rütli beschlossen wurde. 1969. Aufschub = uitstel 1977. Ziel = mikpunt. 1978. Gasse s. 1928. 1980. es schwimmt mir ™ es schwebt und schwankt mir vor den Augen. die Umrisse der Gegen-stande erscheinen nicht mehr frst. 1981. erlassen = schenken.

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Tell (~um Lanclvogt). Eiiasset mir den Schufs;

hier ist mein Herz ! (Er rei/\'st die Brust auf)

Ruft eure Reisigen und stofst micli nieder ! Gesslek. Ich will dein Leben nicht, ich will . ^en Schufs.

lJ8o Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du; Das SteueiTuder führst du wie den Bogen , Dioh schreckt kein Sturm, wenn es 7ai retten gilt; Jetzt, Retter , hilf dir selbst, du rettest alle! Tell stekt in fürchterlichem Kampf, mit den Handen zuchend und die rollenden Augea held auf den Landvogt bald zwn Himmel gerichlet. PLötz-lich greift er in seinen Kncher, nimmt einen z weit en Pjeil heraus und steekt thn in seinen Goiter. Der Landvogt bemerkt alle diese Be-Wigungen.)

Waltiier Tell {unter der Linde). Vater , schiefs

zu ! Ich fiircht\' mich nicht. Tell. Es mufs!

{Er rafft sich zusammen und legt an.) Rudenz {der die gauze Zeit ilbcr m der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten , tritt hervor).

1990 Herr Landvogt, weiter werdet ihr\'s nicht treiben, Ihr werdet nicht! Es war nur eiue Priifung. Den Zweck habt ihr erreicht. Zu weit getrieben Verfehlt die Strenge ihres weisen Zweeks ,

1983. Reisige = Reiter. 1985 verzag-en = verzwei-feln, den Mut verlieren. 1987. zucken = kramphaft bewegen. Groller = Warns, Lederwams 1989. sich zusam-menrafFen = seine Kriifte sammeln. iiber = wahrend. an sich halten = sich bezwingen, vgl 1919. 1993. verfehlen = missen.

Schiller % Wilhelm Tell. g

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ünd allzustraff gespannt zerspringt der Bogen. 1095 Gessler. Ihr scliweigt, bis man eueli aufruft. Eudenz. Icli will reden ,

Icli darf\'s. Des Königs Ehre ist mir heilig ; Doch solches Regiment mufs Hafs erwerben. Das ist des Königs Wille nicht, ich darf s Behaupten, solche Grausamkeit verdient 2000 Mein Volk nicht; dazu habt ihr keine Vollmacht.

Gessler. Ha, ihr erkühnt euch!

Rudenz. Ich hab\' still geschwiegen

Zu allen schweren Thaten , die ich sah;

Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen , Mein überschwellend und empörtes Herz 2005 Hab\' ich hinabgedrückt in meinen Busen.

Doch langer schweigen war\' Verrat zugleich An meinem Vaterland und an dem Kaiser. Beiitha (wirft sich zwischen ihn und den Landvogt.J

O Gott, ihr reizt den Wütenden noch mehr. Rudenz. Mein Volk verliefs ich, meinen Bluts-

verwandten 2010 Entsagt\' ich , alle Bande der Natur

Zen-ifs ich, um an euch mich anzuschliefsen; Das Beste aller glaubt\' ich zu befördern, Da ich des Kaisers Macht befestigte ; Die Binde filllt von meinen Augen; schaudernd 2015 Seh\' ich an einen Abgrund mich geführt, Mein freies Urteil habt ihr irr geleitet,

1997. Regiment = Regierung. 1999. behaupten = staande houden 2001. sich erkühnen = zich vermeten. 2002. schwere Thaten = Frevelthaten. 2004. überschwellen = overvloeien. empört = verontwaardigd. 2006. reizen — sarren. 2010, entsagen = brechen mit. 2014. Binde = sluier. scliaudern = huiveren. 1016. irr — auf den Irrweg.

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Mein redlich Herz verführt; ick war daran , Mein Volk in bester Meinung zu verderben.\'

Gesslek. Verwegner, diese Sprache deinem Herrn? 2020 Rudenz. Der Kaiser ist mein Herr, nicht ihr.

Prei bin ich Wie inr geboren, und ich messe mich Mit euch in jeder ritterlichen Tugend. Und stündet ihr nicht hier in Kaisers Namen, „ . Den ich verehre selbst wo man ihn schündet,\' Den Handschub warf ich vor euch hin, ihr solltet Nach ritterlichem Branch mir Antwort geben. Ja , winkt nur euren Reisigen; ich stehe Nicht wehrlos da , wie die ;

{Auf das Volh zeigend.)

ich hab\' ein Schwert,

- U nd wer mir naht —

Staufpacheb (ruft). Der Apfel ist gefallen!

[Indem sich alle nach dieser Seite gewendet, und het tha zwischen Kudenz und den J^andvoqt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.) 2030 Rösselmann. Der Knabe lebt!

Viele Stimmen. Der Apfel ist getroffen!

(Walther Fürst schwankt und droht zu sinhen, Bertha halt ihn.)

Gessler. (erstaunt). Er hat geschossen? Wie ?

Der Rasende ! Bebtiia. Der Knabe lebt! Kommt zu euch,

guter Vater !

2017. ich war daran = ik stond op het punt. 2019. verwegencr = vermetele. 2024. schanden = onteeren.

de,n Handschuh = als Aufforderung- zum ZweikampE. 20ol, schwanken = wankelen.

8\'

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116

Walthek Tell (kommt mit dem Apfel gesprungen). Vater, hier ist der Apfel. Wufst\'ich\'s ja, Du wnrdest deinen Knaben niclit verletzen.

Tell (stand mil vorgebogenem Leib, als wolh er dem Pfeile folgen, die Arwbrust entsinkt seiner Hand; wie er den Knaben hommen sieht, eilt er ihm mit ansqebreiteten Armen enigegen und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf; in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stelten gerührt).

2035 Bertha. O güt\'ger Himmel!

Waltheu Fürst {za Vater und Sohn). Kinder!

meine Kinder !

Stauffacher. Gott sei gelobt!

Leuthold. Das wai\' ein Schufs!

Davon

quot;Wird man noch reden in den spatsten Zeiten.

Rudolf der Harkas. ErzShlen wird man von

dem Schützen Teil, So lang die Berge stehn auf ihrem Grunde. {Reicht dem Landvogt den Apfel) 2040 Gessler. Bei Gott, der Apfel mitten durchgeschossen! Es war ein Meisterschufs , ich mufs ihn loben.

Kösselman. Der Schufs war gut; doch wehe

dem, der ihn Dazu getrieben, dafs er Gott versuchte!

Stauffacher. Kommt zu euch, Teil. steht auf!

ihr habt euch mannlich 2045 Gelost, und frei könnt ihr nach Hause gehen.

2034. verletzen = vcrwunden. heftig = vurig. Inbrunst =; innigheid. 2045. gelost = den Lösepreis bezahlt, befreit.

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Rösselmann. Kommt, kommt und bringt der

Mutter ihren Sohn ! (Sit wollen ihn wegföhren.)

Gkssler. Teil, höre !

Tell (kommt zuriick). Was befehlt ihr, Herr?

Gesslek. Du stecktest

Noch einen zweiten Pfeil zu dir — ja, ja, Ich sah es wohl — was meintest du damit ? 2050 Tell (verlegen). Herr, das ist also braucUich

bei den Schützen. Gessleu Nein, Teil, die Antwort lafs\' ich dir

nicht gelten; Es wird was andres wohl bedeutet haben. Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Teil; Was es auch sei, dein Leben sichr\' ich dir. 2055 Wozu der zweite Pfeil ?

Tell. Wohlan , o Herr,

Weil ihr mich meines Lebens habt gesichert, So will ich euch die Wahrheit grtindlich sagen.

O O

(Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mil einem furchtbaren Bliek an.)

Mit diesem zwei ten Pfeil durchschofs ich euch, Wenn ich mein liebes Kind getroffen hiitte, 2060 Und eurer, wahrlich, hatt\' ich nicht gefehlt.

Gessler. Wohl, Teil, des Lebenshab ich dich gesichert, Ich gab main Ritterwort, das will ich halten; Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt.

Will ich dich führen lassen und verwahren, 2065 Wc weder Mond noch Sonne dich bescheint.

2057. griindlich = ganz und gar. 2060. eurer = euer.

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Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen. Ergreift ihn , Knechte ! Bindet ihn !

(Teil wird gebunden,]

Stauffacher. Wie, Herr?

So könntet ihr an einem Manne handeln , An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt? 2070 Gesslfr. Lafs sehn, ob sie ihn zweimal ratten wird.

Man bring\' ihn auf mein Schiff! Ich folge nach Sogleich, ich selbst will ihn nach Küfsnacht fiihren. Eosselmann. Das dürft ihr nicht, das darf der

Kaiser nicht, Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen ! 2075 Gessleb, Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestütigt? Er hat sie nicht bestatigt; diese Gunst Mufs erst erworben werden durch Gehorsam. Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers Gericht und mihrt verwegene Emporung. 2080 Ich kenn\' euch alle, ich durchschau euch ganz. Den nehm\' ich jetzt heraus aus eurer Mitte : Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld. Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen. (Er entfernt sich, Bertha, 1\'udenz, Harras und Knechte folgen , Friefshard und Lenthold bleiben zurüeic.)

Walthkr Eüest (in heftigem Schmerz). Es ist vorbei; er hat\'s beschlossen, mich 2085 Mit meinem ganzen Hause zu verderben!

2073 dürfen = erlaubt sein. 2074 unsern Freiheitsbriefen = nacli diesen durfte kcin Gefangener aufser Landes gefiihrt werden. Küfsnacht lag im Kanton Luzern. 2075, bestatigen bekrachtiffen 2078. Rebellen — oproerlingen* 2079. Emporung = Aufruhr.

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Stauffacher. {zum Tell). O , warum mufstet ihr

den Wütrich reizen! Tell. Bezvvinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!

Stauffacher. O, nun ist alles, alles hin! Mit euch Sind wir gefesselt alle und gebunden !

2090 Landleute {umnngen den Teil). Mit euch gelit

unser letzter Trost dahin ! Leutuold (ndhert sic\'i). Teil, es erbarmt mich , doch ich mufs gehorchen.

Tell. Lebt wohl !

Waltheu Tell (sich mit heftigem Schmerz an i/m

schmieyend). O Vater! Vater! lieber Vater! Tell (liebt die Arme zum Ilimmeï). Dort droben

ist dein Vater! Den ruf an! Stauffacher. Tell, sag\' ich eurem Weibe nichts

von euch ?

2095 Tell (hebt den Knaben mit Tnbrunst an seine Brust). Der Knab\' ist unverletzt, mir wir

Gott helfen.

(Rei fst sich schnell los und Jolgt den Waffenknechten.)

2091. es erbarmt mich = es tlmt mir Leiii. 2093-chmiegeu j= drlicken.

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VIEETEE ATJFZUG.

Erste Szcne.

Ostliches Ufer des Vier waldstattersees.

Die seltsam gestalteten schroffen. Felsen im Westen schliefsen den Pros pekt. Der See ist bewegt, heftiges Rauschen vnd Tonen, dazwischen Blitze und Donnerschldge.

Künz von Gersau. Fischer und Fisciierknabe.

Kunz. Ich sah\'s mit Augen an, ihr könnt mir\'s

glauben;

\'s ist alles so geschehn , wie ich euch sagte. Fisceek. Der Teil gefangen abgeführtnachKüfsnacht, Der beste Mann im Land , der bravste Arm , .2100 Wenn\'s einmal gelten sollte für die Freilieit! Kunz. Der Landvogt führt ihn selbst denSeeherauf; Sie waren eben dran , sicli einzuschiffen , Als ich von Flüelen abfuhi-; doch der Sturm, Der eben jetzt im Anzug ist und der ■2105 Auch mich gezwungen eilends hier zu landen, Mag ihre Abfahrt ,wohl verhindert haben. 1 Fischer. Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt! O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,

gestaltet = gevormd. tosen = in ungestüm wilder Be-wegung- laut rauschend schallen ; loeien. 2096. mit Augen = mit meinen eigenen leiblichen Augen. 2102. daran gein = in Begriff stehen. 2107. Gewalt = Macht.

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Dafs er des Tages Licht nicht wieder sieht! 2110 Denn fürchten mufs er die gerechte Eache Des freien Mannes , den er schwer gereizt. Kunz. Der Altlandammann auch, der edle Herr Von Attinghausen , sagt man, lieg\' am Tode. Fischek. So bricht derletzte Anker unsrerHofifnung! 2115 Der war es noch allein , der seine Stimme Erheben durf te für des Volkes Hechte.

Kunz. Der Sturm nimmt überhand. Gehabt

euch wohl!

Ich nehme Herberg in dem Dorf; denn heut 1st doch an keine Abfahrt mehr zu denken.

(Geht ab.)

2120 Fischek. Der Teil gefangen, und der Freiherr tot! Erheb\' die freche Stirne , Tyrannei ,

Wirf alle Scheu binweg! Der Mund der Wahrheit 1st stumm, das seh\'nde Auge ist geblendet, Der Arm , der retten sollte, ist gefesselt! 2125 Knabe. Es hagelt schwer. Kommt in die Hütte,

Vater,

Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen. Fischeb. Raset, ihr Winde! Flammt herab, ihr Blitze! Ihr Wolken berstet! Giefst herunter, Ströme Des Himmels, und ersauft das Land! Zerstört 3130 lm Reim die ungeborenen Geschlechter!

2111. reizen sarren. 2012. Altlandammann s. 1085. 2116. Gehabt euch wohl = lebt wohl. 2118 in dem Dorf = es is wohl Sisikon gemeint. 2122. der Mund der Wahrheit = Attinghausen. 2123. das seh\'nde Auge = der alte Melch-thal. 2124. der Arm der retten sollte = Teil. 2126. kommlich = bequem , behaglich. 2129. ersaufen = über-schwemmen. 2130. die ungeborenen Geschlechter =. des Samenkeimes.

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J 22

Ihr wilden Elemente, werdet Herr! Ihr Baren, kommt. ihr alten Wölfe wieder Der grofsen Wüste! euch gehort das Land. Wer wird hier leben wollen ohne Preiheit 1 2135 Knabe. Hört, wie der Abgrund tost, der Wir-

hel brtillt;

So hat\'s noch nie gerast in diesem Schlunde ! Fischer. Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt, Solches ward keinem Vater noch geboten! Und die Natur soil nicht in wildem Grimm 2140 Sich drob emporen? 0, mich soil\'s nicht wundern, Wenn sich die Pelsen bücken in den See, Wenn jene Zacken , jene Eisestiirme ,

Die nie auftau\'en seit dem Schöpfungstag, Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen, 2145 Wenn die Berge brechen, wenn die alten Kliifte Einstürzen , eine zweite Sündflut alle Wohnstatten der Lebendigen verschlingt! [Man hort lauten.)

Knabe. Hört ihr, sie lauten droben auf dem Berg. Gewifs hat man ein Schiif in Not gesehn 2150 Und zieht die Glocke , dafs gebetet werde.

(Steigt duf eine Anhöhe)

Fischer. Wehe demFahrzeug das jetztunterwegs, In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt! Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer, Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen 2155 Ball mit dem Menschen. Da ist nah und fern

2135. Wirbel =. draaikolk. 2136. Schlund =: Abgrund. 2138. geboten = befohlen. 2140. drob =r darob, dariiber. sich empören = in opstand komen. 2142. Zacken = Bergspitze. 2143. auftauen = schmelzen. 2144. Kulmen =: Berggipfel

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Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewahrte Handlos nnd schroff ansteigend starren ihm Die Felsen, die unwirtlichen , entgegen Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust.

2160 Kxabe {deutet links). Vater, ein Schiff! eskommt

von Flüelen her.

Fischee Gott helf\' den armen Leuten ! Wenn

der Sturm

In dieser Wasserkluft sich erst verfangen, Dann rast er um sich mit des Raubtiers Angst,, Das an des Gitters Eisenstftbe schlügt.

2165 Die Pforte sucht er heulend sich vergebens;

Denn ringsum schranken ihn die Felsen ein, Die himmelhoch den engen Pafs vermauern.

{Er steigt auf din Anhöhe.)

Knabe. Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater; Ich kenn\'s am roten üach und an der Fahne.

2170 Fischer. Gerichte Gottes! Ja, er ist es selbst, Der Landvogt der da führt! Dort schifft er hin Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit! Schnell hat der Arm des Rüchers ihn gefunden; Jetzt kennt er über sich den starkern Herrn.

2175 Diese Wellen geben nicht auf seine Stimme, Diese Felsen bücken ihre Haupter nicht

2156. Busen = Seebusen. gewahren r= verleihen. 2156 handlos = ihm keine Hand, Handhabe bietend. 2157, unwirtlich = ongastvrij, onherbergzaam, vgl. 1150 2162. quot;Wenn der Sturm sich verfangen (hat) — sich derartig ver-wickelt hat dafs er nicht mehr aus der Wasserkluft heraus kann. 2164. öitter = eiserner Kafig. 2166. einschran-ken = einschliefsen. 2167. vermauern = durch Mauern abschliefsen. 2168. Herrenschiff — das Schiff des Landes-herrn, Gefslers. 2169. rot = die österreiehische Farbe und Fahne. 2172. sein Verbrechen — den Gegenstand seines Verbrechens, Teil. 2175. geben = gehorchen.

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Vor seinem Hute ! Knabe, bete nicht,

Greif nicht dem Richter in den Arm !

Knabe Ich bete für den Landvogt nicht, ich bete 2180 Für den Teil, der aufdem Schift\'sich mit befindet. Fischer. O Unvernunft des blinden Elements ! Mufst du , um e i n e n Schuldigen zu treffen, Das Schiiï mit samt dem Steuermann verderben! Knabe. Sieh, sieh, sie waren glücklich schon vorbei 2185 Am Buggisgrat; doch die Gewalt des Sturms, Der von dem Teufelsmünster widerprallt, Wirft sie zum grofsen Axenberg zurück. Ich seh\' sie nicht mehr.

Fischek. Dort ist das Hackmesser,

Wo schon der Schiffe mehrere gebrochen. Wenn sie nicht weislich dort vorüberlenken, Sc wird das Schiff\' zerschmettert an der Pluh, Die sieh giihstotzig absenkt in die Tiefe. Sie haben einen guten Steuermann Am Bord; könnt\' einer retten, war\'s der Tell; Doch dem sind Arm und Hünde ja gefesselt. Wilhelm Tell mit, der Armbrusl. {Er Icommt mit raschen Schntten, blickt erstaunt umher und zeigt die heftigste Berregnng. Wenn er mitten ai if der Szene ist, wirft er sieh nieder, die Tliinde zu der Erde und daim zum Himmel ausbreitend.)

2178. in den Arm greifeu =; dadurch verhindern dafs etwas geschehe. 2185 Buggisgrat = Felsen am See. Ebenso das Teufelsmünster, der Axenberg und das Hackmesser. 2186, widerprallen = terugstuiten, 2190. Torüberlenken = vorbeisteuern. 2191. zerschmettern = verbrijzelen, Fluh — Felswand. 2191, gahstotzig = von gah oder jah = steil, und atotzig von Stotz = seukreohter Abhang.

■2190

2195

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Knabe {bemerkt ihn). Sieh, Vater, wer derMann

ist, der dort kniet ?

Fischer. Er fafst die Erde an mit seinen Handen Und scheint wie aufser sich zu sein.

Knabe (kommt vorwarts) Was sell icli ? Valer f Vater , kommt und seht l

2200 Fischer (ndhei t sich). Wer ist es? Gott im Him-

mel! Was ? der Teil ? Wie kommt ihr hieher? Redet!

Knabe. Wart ihr nicht

Dort auf dem Schiff gefangen und gebunden ?

Fischer. Ihr wurdet nicht nach Küfsnacht abgeführt?

ïell (steht auf). Ich bin befreit.

Fischer und Knabe. Befreit? O Wunder

Gottes!

2205 Knabe. Wo kommt ihr her?

Tell. Dort ai.s dem Schiffe.

Fischer. Was?

Knabe (zugleich). Wo ist der Landvogt?

Tell. Auf den Wellen

treibt er.

Fischer. Ist\'s möglich? Aber ihr? wie seid ihr hier, Seid euren Banden und dem Sturm entkommen? Tell. Durch Gottes gnad\'ge Fürsehung. Hort an!

2197. fafst die Erde an mit seinen Handen = aus Freude und Dank, dafs er aus der Net gerettet, festen Grund und Boden unter sich hat. 2198. aufser sich — huiten zich zelve.

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2210 Fischer und Knabe. 0 redet, redet!

Tell. Was in Altorf

sich

Begeben, wifst ihr\'s?

Fischer. Alles weifs ich , redet!

Tell. Dafs micli der Landvogt fallen liefs und binden, Nach seiner Burg zu Kiifsnacht wollte flihren. Fischer. Und sich mit eueh zu Fliielen eingeschifft. ■2215 Wir wissen alles. Sprecht, wie ihr entkommen? Tell. Ich lag im Schiff, mit Stricken fast gebunden, Wehrlos, ein aufgegebner Mann. Nicht hoift\' ich , Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn , Der Gattin und der Kinder liebes Antlitz , 2220 Und trostlos blickt\' ich in die Wasserwtiste. Fischer. O armer Mann!

Tell. So fuhren wir dahin,

Der Vogt, Eudolf der Harras und die Knechte. Mein Kocher aber mit der Armbrust lag Am hintern Gransen bei dem Steuerruder. 2225 Und als wir an die Eckn jetzt gelangt

Beim kleinen Axen, da verhangt\' es Gott, Dafs solch ein grausam mördrisch Ungewitter Gilhlings herfürbrach aus des Gotthards

Schliinden,

Dafs allen Ruderern das Herz entsank,

2211. sich begeben (hat) =: sich ereignet hat, vorgefallen ist. 2212 fahen = gefangen nehmen. 2217. aufgegeben = verloren. 2219. Antlitz —. Angesicht. 2224. Gransen quot; oder Grans , Schiffsschnabel, das vordere oder hintere Ende des Schiffes. 2225. gelangen = kommen. 2226. verhangen = geachehen lassen, beschihken. !228. gahlings =: plöUlioh. herfürbrach = losbrach. Schlund = Abgrund,

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2230 ünd meinten alle, elend zu ertrinken.

Da hort\' ich\'s, wie der Diener einer sich Zum Landvogt vvendet\' und die Worte spraeh : Ihr sehet eure Not und unsre , Herr, Und dais wir all\' am Rand des Todes schweben. 2235 Die Steuerleute aber wissen sich

Vor grofser Furcht nicht Rat und sind des Fahrens Nicht wohl berichtet. Nun aber ist der Teil Ein starker Mann und weifs sin Schiff zu steuern. Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Not? 2240 Da sprach der Vogt zu mir: Teil, wenn du dir\'s Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm , So möcht\' ich dich der Bande wohl entled\'gen. Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hilfe Getrau\' ich nvr\'s und helf\' uns wohl hiedannen. 1245 So ward ich meiner Bande los und stand Am Steuerruder und fuhr redlich hin.

Doch schielt\' ich seitwarts , wo mein Schiefs-

zeug lag,

Und an dem Ufer merkt\' ich scharf umher, Wo sich ein Vorteil aufthat\' zum Entspringen. 2250 Und wie ich eines Pelsenriffs gewahre , Das abgeplattet vorsprang in den öee — Fischer. Ich kenn\'s , es ist am Fufs des grofsen

Axen,

Doch nicht für möglich acht\' ich\'s — so gar steil Geht\'s an — vom Schifif es springend abzureichen.

2237. berichtet = kundig. 2239. wie = wie ware es ? sein = seiner. 2241. sich getrauen = wagen , dürfen. 2242. entledigen = befreien. 2244. hiedannen = von hier weg. 2247. schielen = blieken. 2253. gar = sehr. 2254. an = in die Höhe. abzureichen = mit den Handeu zu erreichen.

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2255 Tell. Schrie icli den Knechten, handlich zuzugehn, Bis dafs wir vor die Felsenplatte kiimen , Dort, rief ich , sei das Argste iiberstanden. ünd als wir sie frisch rudernd bald erreicht, Pleh\' ich die Gnade Gottes an und driicke, 2260 Mit alien Leibeskraften angestemmt,

Den hintern Gransen an die Felswand hin. Jetzt sehnell rnein Schiefszeug fassend schwing\'

ich selbst

Hochspringend auf die Platte mich hinauf, Und mit gewalt\'gem Fufsstofs hinter mich 2265 Schleudr\' ich das Schifflein in den Schlund

der Wasser.

Dort mag\'s, wie Gott will, auf den Wellen treiben! So bin ich hier, gerettet aus des Sturms Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen. Fischer. Tell, Tell! ein sichtbar Wunder hat

der H err

2270 An euchgethan; kaum glaub\' ich\'smeinen Sinnen. Doch saget, wo gedenket ihr jetzt hin ?

Denn Sicherheit ist nicht lur euch, wofern Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt. Tell. Ich hort\' ihn sagen, da ich noch im Schiff 2275 Gebunden lag, er woll\' bei Brunnen landen Und ilber Schwyz nach seiner Burg mich fiihren.

Fischer. Will er den Weg dahin zu Landenehmen? Tell. Er denkt\'s.

2255. handlich zuzugehen = rüstig die liande zu riihren uiiil llülfe zu leisten. 2260. anstemmen = sichanstrengen. 2262. sich schwingen = sich rasch springend hinauf bewegen. 2^65. schleudern = slingeren. 2271. hin = hinzugehen. 2272. wofern — wenn.

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Fischee. 0 so verbergt such ohne Siiumea !

Nicht zweimal hilft euch Gott aus seiner Hand. 2280 Tell Nennt mir den nüehsten Weg nach Arth

nnd Küfsnacht. Fischer. Die offne Strafse zieht sich über Steinen; Doch einen kürzern Weg und heimlichern Kann euch mein Knabe über Lowerz führen. Tell {giebt ihm die Hand). Gott lohn\' euch eure Gutthat. Lebet wohl. [Geht und Jzehvt wieder uttl.)

2285 Habt ihr nicht auch im Eiitli mitgeschworen? Mir deucht, man nannt\' euch mir.

PrecHER. Ich war dabei

Und hab den Eid des Bundes mitbeschworen. Tell. So eilt nach Bürglen. thut die Lieb\'mir an!

oooa iein.yeib verzagt um mich; verkündet ihr, Dals ich gerettet sei und wohl geborgen.

FisciiEa. Doch wohin sag\' ich ihr dafs ihr geflohn?

Tell. Ihr werdet meinen Schwaher bei ihr finden Und andre , die im Eütli mit geschworen

ooor S0llen Tacker sein und gutes Muts,

Der Teil sei frei und seines Armes milchtio-; Bald werden sie ein weitres von mir horen.

Fischer. WashabtihrimGemtit?Entdecktmirsfrei.

2280. Arth = Dorf ara Zugersee, am Fufse des Rigi. »981 Strafse = Heerbahn. sich Ziehen = hier: gehen. 2283\' Lowerz = Dorf am Lowerzersee. 2288. Liebe = Freundl schaftsdienst. 2289. verzagen = in Unruhe verkehren verzweifeln. 2292. Schwilher = hier Schwiegervater, Wal-ther Fürst. 2294 wacker — waehsam. 2297. ein weitres = etwas mehr.

Schiller % Wilhelm Tell. q

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Tell. 1st es gethan, wird\'s auch zur Eede

kommen. {Geht ab.)

Fiscuer. Zeig\' ihm den Weg, Jenni. Gott steh

ihm bei!

2300 Er führt\'s zum Ziel, was er auch unternommen.

(fieht ab.)

Zwcite Szcnce.

Edel li of zu Attinghausen.

Uer Fueiheiib, in einem Armsessel, sterbend. Waltheb FCkst , Stauitacueu , Melchthal und Babmgarten tmt Urn beichajtigt. Walther Tell knieend vor dem Sterbenden.

Walther First. Es ist vorbei mit ilim, er ist

hinüber.

Stauffacuer. Er liegt nicht, wie ein Toter;

seht, die Feder Auf seinen Lippen regt sich. Ruhig ist Sein Schlaf, und friedlich liicheln seine Ziige.

(Baumgarten geht an die Thüre und spticht mitjemand.)

2305 Walther First {zu Baumgarten). Wer ist\'s ?

Baumgarten (kommt zurilck). Es ist Frau

Hedwig , eure Tochter;

2300. urn ihn beacliaftigt =. sich zu thun gebend und sich interesslerend urn ihn. \'2301. hinuber = in die Ewigkeit ge-gangen. 2302. die Feder = den Sterbenden, Scheintoten legt man eine Feder auf die Lippen, um zu aelien , ob aie noch atmen 2303, sich regen = sich leise bewegen.

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Sie will euch sprechen , will den Knaben sehn. ( Walther Teil richtet sich auf.)

Waltheb Fühst. Kann ich sie trosten? hab

ich selber Trost? Hauft alles Leiden sich auf meinem Haupt ?

Hedwig. (hereindnngend). Wo ist mein Kind ?

Lafst mieh , ich mufs es sehn ! 2310 SrAUFFACHEii. Fafst ,each! bedenkt, dafs ihr im

Haus des Todes — Hedwig [stürzt auf den Knaben). Mein Walti!

O , er lebt mir! Waltheb. Tell (Julngt an ihr). Arme Matter! Hedwig. Ist\'s auch gewifs? Bistnumirunverletzt? (Betrac\'itet ihn mit angstlicher Sorgfalt.)

quot;Ond ist es möglich ? konnt\' eraufdich zielen? Wie konnt er\'s? O, er hat kein Herz; erkonnte 2315 Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind.

Waltheb Pübst. Er that\'s mit Angst, mit schmerzzerrifsner Seele ; Gezwungen that er\'s, denn es galt das Leben.

Hedwig. O hatt\' er eines Vaters Herz, eh\' er\'s Grethan, er ware tausendmal gestorbeu !

2320 SrAumciiEK. Ihr solltet Gottes gnüd\'ge Schik-

kung preisen,

Die es so gut gelenkt.

Hedwig. Kann ich vergessen.

Wie s hcitte kommen können? Gott des Himmels! Und lebt ich achtzig Jahr, ich seh\'Knaben ewig

2321. lenken = fügen.

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Gebtmden stehn, den Vater auf ihn zielen, 2825 ünd ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

Melchtiial, Frau, wtfstet ihr, wie ihn der

Vogt gereizt!

Hedwig. 0 rohes Herz der Manner! Wenn ihr Stolz Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr; Sie setzen in der blinden Wut des Spiels 2330 Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter! Balmoarten. 1st eures Mannes Los nicht hart

genug,

Dafs ihr mit schwerem Tadel ihn noch krilnkt? Für seine Leiden habt ihr kein Gefühl ?

Hedwig fkehrt sich nach ihn und sieht ihn mit einem grofsen Bliek an)

Hast du nur Thrtinen für des Freundes ünglück? 2335 Wo waret ihr, da man den Trefflichen

In Bande schlug ? Wo war da eure Hilfe ? Ihr gabet zu, ihr lielst das Grafsliche geschehn; Geduldig littet ihr\'s, dafs man den Preund Aus eurer Mitte führte. Hat der Teil 2340 Auch so an euch gehandelt ? stand er auch Bedauernd da, als hinter dir die Eeiter Des Landvogts drangen, als der wüt\'ge See Vor dir erbrauste? Nicht mit mül\'s\'gen Thranen Beklagt\' er dich; in den Nadien sprang er, Weib 2345 Und Kind vergafs er und befreite dich.

Walther Fübst. Was konnten wir zu seiner

Rettung wagen , Die kleine Zahl, die unbevvaiïnet war ?

2332. Tadel = hlaam. 2341. bedauernd = bemitleidend, bejammernd. 2343. mifsig = unnütz.

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Hedwig (wirft sich an seine Brust). O Vater, und auch du hast ihn verloren! Das Land, wir alle haben ihn verloren, 2350 Uns allen fehlt er; ach, wir fehlen ihm !

Gott rette seine Seele vor Verzweiflung! Zu ihm hinab ins ode Burgverliefs Dringt keines Freundes Trost. Wenn er erkrankte! Ach, in des Kerkers feuchter Finstern is 2355 Mufs er erkranken. Wie die Alpenrose

Bleicht und verkümmert in der Sumpfesluft, So ist fiir ihn kein Leben als im Licht Der Sonne, in dem Balsamstrom der Lüfte. Gefangen ! Er ! Sein Atem ist die Freiheit; 2360 Er kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte.

Stauffacher. Beruhigt euch. Wir alle wollen

handeln,

Um seinen Kerker aufzuthun.

Hedwig. Was könnt ihr schaffen ohne ihn? So lang Der Teil noch frei war, ja, da war noch Hoffnung, 2365 Da hatte noch die Unschuld einen Freund, Da hatte einen Helfer der Verfolgte ,

Euch alle rettete der Teil; ihr alle Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen !

{Der Freiherr erwacht I Baumgauten. Er regt sich , still!

Attinohausen {sich aufricht end). Woister? Stauffacher. Wer ?

Attinghausen. Er fehlt mir,

2352. öde = einsam. Burgverliefs = unterirdisches Burg-gefangnis. 2356. verkümmern = verkwijnen. Sumpf = Morast. 2360. Hauch = Luft, Atmosphare. Gruft = hier : Kerker. 2363. schaffen = ausrichten, ausführen.

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2370 Verliifst micli in dem letzten Angenblick ?

Stauffacheb. Er meint den Junker. Schickte

man nach ihm ? Walther First. Es ist nach ihm gesendet;

tröstet euch! Er hat sein Herz gefunden, er ist unser.

Attingiiausen. Hat er gesprochen für sein

Vaterland ? 2875 Stauffacheb. Mit Heldenkühnheit.

Attingiiausen. Warumkommt

er nicht,

TJm meinen letzten Segen zu empfangen ? Ich fühle , dafs es schleunig mit mir endet.

Stauffacher. Nicht also , edlerHerr! Der kurze

Schlaf

Hat euch erquickt, und heil ist euer Bliek.

2380 Attingiiausen. Der Schmerz ist Lehen, er ver-

liefs mich auch. Das Leiden ist so wie die Hoffnung aus.

(Er bemerkt den Knahen)

Wer ist der Knahe ?

Walther fürst. Segnet ihn , o Herr !

Er ist mein Enkel und ist vaterlos.

{Uedivig sinkt mit dem Knahen vor dem Sterbenden nieder.)

Attingiiausen. Und vaterlos lafs\' ich euch alle, alle

2373. sein Herz gefunden = sich selbst, seine wahre See-leuneigung1, die alte Liebe zum Vaterland. 2377. schleunig-=; sohnell 2378. Nicht also = glaubt und sprecht nicht also. 2383. Enkel = kleinzoon.

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2385 Zurück. Weh mir, dafs meine letzten Blicke Den Untergang des Vaterlands gesehn !

Mufst\' ich des Lebens hochses Mafs erreiehen, üm ganz mit allen Hoffnnngen zu sterben ?

Stauffacher (zu Walther Filrst) Soil ei\' in diesem finstern Kummer scheiden ?

2390 Erhellen wir ihtn nicht die letzte Stunde

Mit sehönem Strahl der Hoffnung ? Edler Freiherr, Erhebet euren Geist! Wir sind nicht ganz Verlassen, sind nicht rettungslos verloren.

Attinghausen. Wer soli euch retten ?

Walter Pübst. Wir uns selbst. Vernehmt!

2895 Es haben die drei Lande sich das Wort Gegeben, die Tyrannen zu verjagen.

Geschlossen ist der Bund; ein heil\'ger Schwur Verbindet uns. Es wird gehandelt werden, Eh\' noch das Jahr den neuen Kreis beginnt.

2400 Euer Staub wird ruhn in einem freien Lande.

Attinghausen. O saget mir geschlossen ist

der Bund ?

Melchthax Am gleiclien Tage werden alle drei Waldstiltte sich erheben. Alles ist Bereit, und das Geheimnis wohlbewahrt

2405 Bis jetzt, obgleich viel Hunderte es teilen.

Hohl ist der Boden unter den Tyrannen, Die Tage ihrer Herrschaft sind geziihlt, Und bald ist ihre Spur nicht mehr zu finden.

Attinghausen. Die festen Burgen aber in den

Landen ?

2410 Melchthal. Sie fallen alle an dem gleichen Tag.

2390. erhellen = beleuchten. 2399. Kreis = Kreislauf.

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Attinghause.v. Und sind die Edlen dieses Bunds

teilhaftig ?

St a u r f a c 11 k r . Wir harren ihres Beistands ,

wenn es gilt; Jetzt aber hat der Landmann nur geschworen

Attinghausen {richtet sick langsam in die Höhe mit grofsem Erstaunen). Hat sich der Landmann solcher That verwogen, 2415 Aus eignem Mittel, ohne Hilf der Edlen, Hat er der eignen Kraft so viel vertraut: Ja , dann bedarl es unserer nicht mehr, Getröstet können wir zu Grabe steigen , Es lebt nach uns, durch andre KrUfte will 2420 Das Herrliche der Menschheit sich erhalten

{Er legt seine Hand auf das Haupt des Kindes , das vor ihm auf den Knietn liegt.)

Auf diesem Haupte, wo der Apfel lag,

Wird euch die neue , befsre Freiheit grünen ; Das Alte stürzt, es ilndert sich sie Zeit,

IJnd neues Leben blüht aus den Ruinen 2425 Stauffacher (zu Walther Fürst). Seht, welcher Glanz sich um sein Aug\' ergiefst! Das ist nicht das Erlöschen der Natur,

Das ist der Strahl schon eines neuen Lebens. Attinghausen. Der Adel steigt von seinen alten

Burgen

Und schwört den Stiidten seinen Biirgereid;

2412. harren = warten. 2414. sich verwagen = hier: alch vermessen, sich unterfangen. 2417. unserer = unser, des Adels. 2420. das Herrliche der Menschheit = die Freiheit. 2424. Ruine = puinhoop. 2426. erlöschen = uitdooven.

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2430 lm Üclitland schon, im Thurgau hat\'s begonnen, Die edle Bern erhebt ihr herrschend Haupt, Preiburg ist eine sichre Burg der Preien , Die rege Ziirich waffnet ihre Zünfte Zum kriegerischen Heer, es bricht die Macht 2435 Der Könige sich an ihren ew\'gen Wallen.

{Er spricht das Folgende mit dem Ton eines Sehers, seine Rede steigt bis zur Begeisterung.) Die Pürsten seh\' ich und die edeln Herrn In Harnischen herangezogen kommen, Ein harmlos Volk von Hirten zu bekriegen. Auf Tod und Leben wird gekampft, undherrlich 2440 Wird mancher Pafs durch blutige Entscheidung. Der Landmann stürzt sich mit der nackten Brust, Ein freies Opfer, in die Schar der Lanzen. Er bricht sie, und des Adels Blüte Mit, Es hebt die Preiheit siegend ihre Pahne.

(Walther Fürsts und Stmffachers Hande /assend.) 2445 Drum haltet fest zusammen, fest und ewig;

2430. Uchtland = Odland, das früher sumpfige Land zwi-schen dem Jura and den Berneralpen, urn die drei Seen: den Neuchateller- Bieler- und Murtensee. Thurgau = am Hodensee; früher wurde die ganze nordöstliche Schweiz, östlich von Aargau zum Thurgau gereehnet, so hier 2433. Zunft =. gilde. 2435. Wallen = Z iricn hat manche Bela-gerung rühmlich überstanden; besonders im Reichskrieg unter Karl IV. 2438. harmlos = niemanden krankend. bekriegen =: mit Krieg überziehen Es sind hier wohl die Niederlagen Österreichs bei Morgarten 1315, Laupen 1339, Sempach 1386 und Nafels 1 ■\'■88 gemeint. 2440. mancher Pafs = z. B. das Thai von Egerisefv bei Morgarten, s. oben , am Stofs 1404. Entscheidung = beslissing. 2442. der Landman stürzt sich in die Schar der Lanzen = wie Winkel-ried bei Sempach, 1386 , der sich die Lanzen des Feindes in den Leib drückte «m den Bundesgenossen die feindlichen Reihen zu offnen.

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Kein Ort der Freiheit sei dem andern fremd , Hochwaehten stellet aus auf euren Bergen, Dafs sich der Bund zum Bunde rasch versammle. Seid einig , einig , einig !

(Er fcillt in dus Kissen zurück, seine Heinde halten enUeelt noch die andern c/efafst. Fürst und Stavffacher betrachten ihn noch eine Zeit hing schweigend; dann treten sie hiniveg, jeder seinem Schmerz iiberlassen. Unterdessen smd die Knechte still hereingedrunyen , sie nahem sich mit Zeichen eines stillern oder heftigern Schmerz-s, einige . knieen bei Urm niedrr und weinen (tuf seine Hand\', wahrend dieser ftummen Szene wird die Burg-glocke geliivtet.)

K u d e n z zu den vorige n.

2450 Rudenz (rasch eintretend). Lebt er? O saget, kann

er mich noch horen ?

WalïiierFtiisrUleutethinmd weggewandtem Gesicht). Ihr seid jetzt unser Lehensherr und Schirmer, Und dieses Sehlofs hat einen andern Namen

2446. Ort = Kanton. Lurern trat 1333, Zurich 1351, Glarus und Zug 1352 , Hem 1353 den drei Ui kantonen Schwyz, Uri und Unterwalden bei. Sie werden die acht alten Orte genannt 2447. Hochwachten = Feuersignale vgl 1440. Hochwaehten errichtet man anf deti höclisten Punkten der Berge, die davon selbst Hochwachten heifsen, und von dort Feuerzei-chen geben. Der Dichter denkt sich hier wohl Wilohter, welche die geschauten Feuerzeichen sofort verbreiten ; durch sie soil jeder Kanton dem andern seine Not schnell mitteilen. 2451. Lehensherr = Kudenz ist jetzt Lehensherr der noch in Uri bestehenden Lehen des Geschlechtes Attinghausen; auch freie Leute trugen neben ihrem eigenen Besitz noch Lehen, 2452. einen andern Namen = das Sehlofs heifst unter ihm das Sehlofs von Rudenz auf Attinghausen.

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Rudenz (erhlickt den Leichnam, und steht von hef-tigem Schmerz ergriffeii).

O güt\'ger Grott, kommt meine Reu\' zu spat ? Konnt er nicht wen\'ge Pulse langer leben , 2455 Um mein geiindert Herz zu sehn ?

Verachtet hab\' ich seine treue Stimme,

Da er noch wandelte im T.icht Er ist Dahin , ist fort auf immerdar und lafst mir Die schwere , unbezahlte Schuld ! 0 saget, 2460 Schied er dahin im Unmut gegen mich ?

Stadpfacher. Er hörte sterbend noch, was--

ihr gethan , Und segnete den Mut, mit dem ihr spracht.

Rudenz {kniet an dem Toten niedei-). Ja, heil\'gfr Reste eines teuren Mannes! Entseelter Leichnam ! hier gelob\' ich dir\'s 2465 In deine kalte Totenhand: zerrissen

Hab\' ich auf ewig alle fremden Bande; Zurückgegeben bin ich meinem Volk , Ein Schweizer bin ich, und ich will es sein. Von ganzer Seele.

[Aufstehend.)

Trauert um den Freund, 2470 Den Vater aller, doch verzaget nicht!

Nicht blofs sein Erbe ist mir zugefallen , Es steigt sein Herz , sein Geist auf mich herab, Und leisten soil euch meine frische Jugend , Was euch sein greises Alter schuldig blieb. 2475 Ehrwürd\'ger Vater, gebt mir eure Hand!

Gebt mir die eurige ! Melchthal, auch ihr!

2453. Pulse = Pulsachl.ïge. 2460. Unmut = ünzufrie-denheit. 2470. verzagen — verzweifeln, 2472. steigen = dalen, 2473. leisten = hier: bezahlen.

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Bedenkt euch nicht! O wendet euch nicht weg! Empfanget meinen Schwur und main G-eltlbde. Walthrk Fl\'rst. Gebt ihm die Hand. Sein wie-derkehrend Herz

2480 Verdient Vertrau\'n.

Melchthal. Ihr habtdenLandmann nichts

geachtet;

Sprecht, wessen soli man sieh zu euch versehn? Eudenz. O denket nicht des Iirtums meiner

Jugend !

Stauffacher (zu Melchthal). Seid einig, war das letzte Wort des Vaters.

Gedenket dessen!

Melchthal Hier ist meine Hand !

2485 Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch Ein Mannes wort. Was ist der Ritter ohne uns? ünd unser Stand ist ülter als der eure.

Eudenz. Ich ehr\' ihn, und mein Schwert soil

ihn beschiitzen. Melchthal. Der Arm , Herr Freiherr, der die

harte Erde

2490 Sieh unterwirft und ihren Schofs befruchtet, Kann auch des Mannes Brust beschiitzen. Eudenz. Ihr

Solt meine Brust, ich will die eure schützen, So sind wir einer durch den andern stark. Doch wozu reden , da das Vaterland 2495 Ein Raub noch ist der fremden Tyrannei ?

Wenn erst der Boden rein ist von dem Feind,

2481. wessen soil man sieh zu euch versehn = was darf man von euch erwarten ? 2482 Irrtum = dwaling.

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Daim wollen wir\'s in Frieden sehon vergleichen.

( Nuchdem er einen A ugenbliek inne gehalten gt; Ihr schweigt? Ihr habt inir niclits zu sagen\'!1 Wie? Verdien\' ich\'s noch nicht., dafs ihr mir vertraut? 2500 So muis ich wider euren Willen mich

In das Geheimnis eures Bundes dr ngen. Ihr habt getagt, geschworen auf dam Rütli. Ich weifs, weifs alles, was ihr dort verhandelt, Und , was mir nicht von euch vertrauet ward, 2505 Ich hab\'s bewahrt gleichwie ein heilig Pfand.

Nie war ich meines Landes Feind. glaubt mir, Und niemals hatt\' ich gegen euch gehandelt. Doch übel thatet ihr, es zu verschieben ; Die Stunde drin-t, und rascher That bedarf s. 2510 Der Tell ward schon das Opfer eures Saumens.

Sta uil\'ac ii e r. Das Christfest abzuwarten schwu-

ren wir.

Eudekz. Ich war nicht dort, ich hab nicht

mitgeschworen.

Wartet ihr ab , ich handle.

Melchtetal. Was ? Ihr wolltet —

Eudknz. Des Landes Viitern zilhl\' ich mich jetzt bei, 2515 Und meine erste Pflicht ist, euch zu schtitzen! Walïhek Fürst. Der Erde diesen teuri n Staub

zu geben, 1st eure nachste Pflicht und heiligste.

Eudenz. Wenn wir das Land befreit, dannlegenwir Den frischen Kranz des Siegs ihm auf die Bahre.

2497 verg-leichen = ausgleiclu n, schlichten. 2502. tag-en \' — sich versammeln. 2508. veramp;chiebeii ~ vertagen auf einen andern Tag verleen; vgl. 1S99 u fg- 2509. bedür-fen = uötig sein. 2510. saumeu = dralen.

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2520 O Freunde! eure Sache nicht allein,

Ich babe meine eigne auszufechten Mit dem Tyrannen. Hort und wifst! Ver-

schwunden 1st meine Bertha , heimlich weggeraubt Mit keeker Frevelthat aus unsrer Mitte! :2525 Statffachrr. Solcher Gewaltthat hatte der Tyrann Wider die freie Edle sich ver wogen?

Eudenz. O meine Freunde! euch versprach ich Hilfe, Und ich zuerst mufs sie von euch erfleim. Geraubt, entrissen ist mir d:e Geliebte. ■2530 Wer weif\'s, wo sie der Wütende verbirgt, Welcher Gewalt sie frevelnd sich erkühnen, Ihr Herz zu zwingen zum verhafsten Band ! Verlafst mich nicht, o helft mir sie erretten! Sie liebt euch ; o sie hat\'s verdient ums Land, 2535 Dafs alle Arme sich für sie bewaffnen.

Walt he a Fiiusï. Was wollt ihr unternehmen?

Rudenz. Weifs ich\'s ? Ach !

In dieser Nacht, die ihr Geschick umhtillt, In dieses Zweifels ungeheurer Angst,

Wo ich nichts Festes zu erfassen weifs, 2540 1st mir nur dieses in der Seele klar:

Unter den Trümmern der Tyrannenmacht Allein kann sie hervorgegraben werden. Die Pesten alle miissen wir bezwingen, Ob wir vielleicht in ihren Kerker dringen.

2524. keek = freeli. 2526. ver wogen — vermessen. quot;2530. dor Wütende — de woestaavd, 2531. sie = der Ty-•rann und sein Hofgesinde. sich erkühnen ~ sich erdreis-ten, sich verraessen. 2532. Band = namentl. der Ehe. 2537. erfassen = hier: beschliefsen. 2541. die Trümmer = de puinhoopen. 2542. hervor = heraus, ans Lioht.

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U3

2545 Melchthal. Kommt, führt uns an ! Wir folgen

euch. Warum Bis morgen sparen, was wir heut\' vermögen? Frei war der Teil. als wir im llütli schwuren, Das üngeheure war noch nicht geschehen. Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz; 2550 Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen! Rudenz (z\'t Stauffacher unci Walther Piirst) Indus bewaffnet und zum Werk bereit, Erwartet ihr der l\'erge Peuerzeichen ;

Denn schneller als ein Botensegel fliegt,

Soli euch die Botschaft unsres iSiegs erreichen; 2555 Und seht ihr leuchten die willkomnmen Flam men j Dann auf die Feinde stürzt wie Wetters Strahl, Und brecht den Bau der Tyrannei zusammen.

{Gehen ab )

D r i 11 e S z e n e.

Die hohle Gasse bei Küfsnacht.

Man steigt von hinten zwischen Felsen herunter, und die Wanderer werden , ehe sie auf der Szene er-scheinen, schon von der Höhe gesehen. Felsen umschliefsen die ganze Szene ; auf einem der vor-dersten ist ein Vor sprung mit Gestrauch bewachsen.

Tell tritt auf mit der Armbrust.

Durch diese hohle Gasse mufs er kommen;

2548. das Üngeheure = das Grafaliehe. 2550. feig =: laf. zagen = zögern , dralen. 25 3. Botensegel = Schiff eines Eilboten. 2556. Wetter =; Blitz. 2557. zusammens brechen = stürzen.

III Die hohle Grasse = der Hohlweg, eine halbe Stundd vou Küfsnacht, auf dein Wege nach Immensee (Imisee).

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Es führt kein andrer Weg nach Küfsnaeht. Hier 2560 Vollend\' ich\'s, die Gelegenheit ist günstig.

Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm, Von dort herab kann ihn main Pfeil erlangen; Des Weges Enge wehret den Verfolgern.

Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt! 2565 Fort mufst du , deine Uhr ist abgelaufen.

Ich lebte still und harmlos, das Geschofs War auf des Waldes Tiere nur gerichtet, Meine Gedanken waren rein von Mord; Du bast aus meinem Frieden mich heraus 2570 Geschreckt, in gahrend Drachengift hast du Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt, Zum üngeheuren hast du mich gewöhnt. Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte, Der kann auch treifen in das Herz des Feinds. 2575 Die armen Kindlein , die unschuldigen ,

Das treue Weib mufs ich vor deiner Wut Beschützen, Landvogt! Da, als ich den

Bogen Strang Anzog, als mir die Hand erzitterte,

Als du mit grausam teufelischer Lust 2580 Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen, Als ich ohnmaehtig flehend rang vor dir : Damals gelobt\' ich mir in meinem Innern Mit furchtbarm Eidschwur, den nur Gott gehort,

2561. Holunder = vlier 2562 erlangen = errcichen. 2565. Uhr — Sanduhr, als Symbol der Lebensdauer. 2566. harmlos = vreedzaam. 2570. herausschrecken =; aufschrecken gahren = gisten. 2571. die Milch = Milch hier genommen als etwas Mildes. Die Milch wird oft der Galle und dem Gift entgegengesetzt. fromm = friedsam. Denkart ■= Gesinnung. 2572. das Ungeheure — het monsterachtige onnatuurlijke. 2577. Strang — pees, 2581 ringen hier: die Hande ringen , wringen.

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Dafs meines naehsteu Schusses erstes Ziel 2585 Dein Herz sein sollte. Was ich mir gelobt In jenes Augenblickes Hollenqualen ,

1st eine heil\'ge Schuld , ich will sie zahlen.

Du bist mein Herr und meines Kaisers Vogt; Doch nicht der Kaiser hütte sich erlaubt, 2590 quot;Was du. Er sandte dich in diese Lande,

Um Recht zu sprechen, strenges, denn er zürnet, Doch nicht, um mit der mörderischen Lust Dich jedes Greuels straflos zu erfrechen ; Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rachen. 2o95 Komm du hervor , du Bringer bittrer Schmerzen, Mein teures Kleinod jetzt, mein höchster Schatz! Ein Ziel will ich dir geben , das bis jetzt Der frommen Bitte undurchdringlich war, Doch dir soil es nicht widerstehn. Und du, 2600 Vertraute Bogensehne, die so oft

Mir treu gedient hat in der Preude Spielen, Verlafs mich nicht im fürchterlichen Ernst! Nur jetzt noch halte fest, du treuer Strang , Der mir so oft den herben Pfeil beflügelt! 2605 Entrann\' er jetzo kraftlos meinen Handen, Ich habe keiuen zweiten zu versenden.

( Wandrer gehen über die Szene.) Auf dieser Bank yon Stein will ich mich setzen, Dem Wanderer zur kurzen Ruh bereitet;

Denn hier ist keine Heimat, jeder treibt

2 ,01. er zürnet == weil die Schweizer Albreohfcs Forderung, «ie sollen sich an Österreich unterwerl\'en , abgewiesen hatcen. 2693. sioh erfreshen zich vermeten. 2600. Srflue — pees. 2601. in der Freude Spielen = beim Scheibenschieisen. 2604. herb — schart\'. 2605. entdnnen -zz. entkommen\' jetzo - jetzt. 2609. sich treiben = eilen.

Schiller, quot;Wilhelm Teil. jq

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2610 Sich an dem andern rasch und fremd vorüber Und fraget nicht nach seinem Schmerz; hier geht Der sorgenvolle Kaufmann uhd der leicht Geschürzte Pilger , der andiicht\'ge Mönch , Der dürstre Kiiuber und der heitre Spielmann, 2615 Der Sauiner mit dem schwer beladnen Rofs, Der ferne herkommt von der Menschen Landern, — Denn jede Strafse führt ans End der W elt — Sie alle ziehen ihres Weges fort An ihr Geschaft, und meines ist der Mord!

{Setzt sich.)

2620 Sonst, wenn der Vater auszog, liebe Kinder, Da war ein Preuen , wenn er wieder kam ; Denn niemals kehrt\' er heim, er bracht\' euch et was. War\'s eine schone Alpenblume , war\'s Ein seltner Vogel oder Ammonshorn, 2625 Wie es der Wandrer findet auf den Bergen.

Jetzt geht er einem andern Weidwerk nach, Am wilden Weg sitzt er mit Mordgedanken; Des Feindes Lel3en ist\'s, worauf er lauert. Und doch an euch nur deukt er, liebe Kinder , 2630 Auch jetzt, euch zu verteid\'gen, eure holde

Unschuld

Zu schützen vor der Rache des Tyrannen , Will er zum Morde jetzt den Bogen spannen. (Steht auf.)

2613. leichtgeschürzt = leicht und bequem gekleidet. andachtig = vroom. 2615. Siiumer = Treiber der Saum-oder Lastpferde vgl. 874. 2624. Araraonshorn = odei-Am-monit; versteinerte gewundene Schnecke, einem kleinen Widderhorn ahnlich sehend. So genannt von den Widder-höniern mit ■«■elchen Jupiter Ammon abgebildet wurde, 2626. quot;Weidwerk — Jagd; einem Weidwerk nachgehen auf die Jagd gehen. 2630. hold = liebUch,

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Ich laure auf ein edles Wild. Lïfst sich\'s Der Jager nicht verdriefsen , Tage lang 2635 ümher zu streifen in des Winters Strenge, Von Fels zu Fels den Wagesprung zu thun, Hinan zu klimmen an den glatten Wilnden , Wo er sich anleimt init dem eignen Blut, Urn ein armselig Grattier zu erjagen : 2640 Hier gilt es einen köstlicheren Preis ,

Das Herz des Todfeiuds, der mich will verderben.

{Man hort von feme cine heitere Musik, icekhe sich ncihert.)

Mein ganzes Leben lang hab ich den Bogen Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel; Ich habe oft geschossen in das Schwarze 2645 Und manchen schonen Preis mir heimgebracht Vom Freudenschiefsen ; aber heute will ich Den Meisterschufs thun und das Beste mir

2fi:!5. umherstreifen — rondzwerven 2638. wo er sich anleimt mit dem eignen iïlut = Es ka na sich zutragen dafa ein Jager sich ao weit versteigt, dafs er fast weder hinter nucli vor sich kommen kann und genötigt wird sein Leben zu retten durch einen beileutenden Sprung , einen Wagsprung, bei dem er keinen mehrern Ansafz bat, ais eine halbe oder ganze Handbreit hervorragendes Felsenstück. In dieser jiufdersten Gefahr wirft er sein Geschofs von sich, zieht die Scbuhe, denen er wegen Schl pfrigkeit nicht tranen darf, aus scbneidet sich mit dem Messer ill die Fersen oder Ballen der Fu!se, um das lilut als Lehm zu benutzen j um nicht abzugleiten. Gewöhnlich brauchen die Jiiger dazu frisches Fichtenharz. So erzahlen altere Schriftsteller über die Schweiz; in neuern Schriften wird solohes als ein albernes Marchen bezeichnet. 2639. Grattiere = Gemsen welche sich auf den Graten (Bergspitzen, Felskanten) aufhalten , in Gegensatz zu den Waldtieren, Gemsen welche in die Thiüer heiabkoramen. Erstere sind kleiner. 2647. das Beste = den höchsten Preis, die grofste Wohlthat, welche er den Waldstiitten erzeigen kann, die Befreiung vom Tyrannen.

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lm ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen,

Eine HocIiZ\' it zie/it iiber die Szene und durch den Hohhceg hinuvf. Teil betrachtet sie, aufseinen Bogen gelehnt; Stüssi der Flurschütz, gesellt sich zn ihm.

^ Stüssi. Das istderKlostermeirvonMörliscliachen,

2650 Der hier den Brautlauf halt; ein reicher Mann, Er hat wohl zehen Senten auf den Alpen. Die Braut holt er jetzt ah zu Imisee, Und diese Nacht wird hoch gesehwelgt zu

Küfsnacht.

Kommt mit! \'s ist jeder Biedermann geladen.

2655^ïell. Ein ernster Gast stimmt nicht zum Hoch-

zeithaus.

Stvssi. Drückt euch ein Kummer, werft ihn

frisch vom Herzen ! Nehmt mit, was kommt , die Zeiten sind

jetzt schwer, Drum mufs derMensch dieFreudeleichtergreifen. Hier wird gefreit und anderswo hegraben.

2660 Tell. Und oft kommt gar das eine zu dem andern.

Stvssi. So geht die Welt nun. Es giebt allerwegen

2648. Hochzeit = hnnloft. Flurschtltz = Fe\'.dhüter. •20411. Klostorraeier = Eentmeister eines Klosters, hier Engel-borg in Mörlischachen, am Yierwaldstattersee, drei Vicrtel-atur.den von Küfsnacht auf dem quot;Wege nach Luzern. 2650. den Brautlauf halten = die Braut heimholen. 2651. Sente = eine Herde Kühe , die der Senne auf die Weide führt. 2652. Imisee = limnensee am Zugersee. 2653. sehwelgen = piassen, hoch =;übermafsig. 2654. Biedermann = Ehren-mann. geladen - eingeladen, genoodigd. 2655. stim-itfen = passen. 2659, gefreit = Hochzeit gefeiert. 2661. allerwegen = überall.

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ünglücks genug. Ein Ruffi ist gegangen lm Glarner Land , und eine ganze Seite Von Glarnisch eingesunken.

Tell. Wanken aucli

2665 Die Berge selbst? Es steht nichts fest auf Erden. Stüssi. Auch anderswo vernimmt man Wunder-

dinge.

Da spraeh ich einen , der von Baden kam. Ein Ritter wollte zu dem König reiten , Und unterwegs begegnet ihm ein Schwann 2670 Von Hornissen; die fallen auf sein Rofs ,

Dafs es vor Marter tot zu Boden sinkt, Und er zu Fufse ankommt bei dem König. Tell. Dem Schwaehen ist sein Stachel auch

gegeben.

Armg.viid koni\'nt mit mehveren Kindern und stellt sich an den Eingang des Ilohlwegs.

Stüssi. Man deutet\'s auf ein grofses Landesunglilck, 2675 Auf schvvere Thaten wider die Natur.

Tell. Dergleichen Thaten bringet jcder Tag; Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkttnden.

Stüssi. Ja, wohl dem, der sein Feld bestellt in Rnh Und ungekriinkt daheim sitzt bei den Seinen.

2662. Ruffi == Erdrutsche, Bergsturz. Ein Rufi ist gangen = Schweizerausdruck. 2664. Glarnisch nr holier Felsberg bei Glarus. 2667. Baden — an der Limmat im Kanton Aargau , gewöhnliche Residenz der Habsburger in der Schweiz. 2670, Horois = oder Hornisse , horzel. 2671. Marter — marteling. 2673. Stachel = angel. 2673. deuten = verklaren. 2678. bestellen = beackern. 2679. nnge-krankt = ongedeerd, daheim = thuis.

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2fl£0 Tell. Es kann der Frommste nicht im Frieden

bleiben ,

Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefallt.

(Tell sielit oft rnit unnihiger Erwartung nach der

Höhe des Weges.)

Stüssi. Gehabt euch wohl! Ihr wartet hier auf

jemand.

Tell. Das tlm ich.

Sïüssi. Frohe Heimkehr zu den Euern !

Ihr seid aus Uri ? Unser gnad\'ger Herr , 2685 Der Landvogt, wird noch heut von dort erwartet.

Wandrek (kommf). Den Vogt erwartet heut\'nicht

mehr. Die Wasser Sind ausgetreten von dem grofsen Regen , Und alle Erücken hat der Strom zerrissen.

{Teil steht auf.)

Armgard (Iconimt vorwdrts) Der Landvogt kommt

nicht?

Sïüssi. Sucht ihr was an ihn ?

2690 Armgard. Ach freilich !

Sïüssi. Warum stellet ihr euch denn

In dieser hohlen Gafs\' ihm in den Weg ?

Armgard. Hier weicht er mir nicht aus, er

mufs mich horen.

2680. der Frommste = der Friedlichst®. 2682. gehabt euch wolil = vgl. 941. 2687. austreten = überschwera-men. 2688. der Strom = die Muotta, ein Bergstrom vgl. 2699, wo die Muotta ein Alpenwasser genannt wird. Über das Zerreifsen der Brücken vgl. 2697. 2689. Sucht ihr was an ihn = Habt ihr ein Gesuch, eine Bitte an ihn ? 2690. freilich = voorzeker. 2692. ausweichen = ontwijken.

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Priesshabd (kommt eilfertig den Hohlweg her ah mul ruft in die Szené).

Man fahre aus dem Weg! Mein gnad\'ger Hen-,. 2695 Der Landvogt, kommt dicht hinter mir geritten. (TeU geht ab.)

Armgard {lebhaft). Der Landvogt kommt! {Sie geht mit ihren Kindern nach der vordern Szem, Gefsler und Rudolf der Harras zeigen sich zu Pferd auf der Höhe des Wegs).

Stüssi (zum Friefsharct). Wie kamt ihr

durch das Wasser, Da doch der Strom die Brücken fortgeführt ?

Friesshard. Wir haben mit dem See gefochten,

Freund,

Und fürchten uns vor keinem Alpenwasser. 2700 Stüssi. Ihr wart zu Schiff im dem gewalt\'gen

Sturm ?

Friesshard. Das waren wir, mein Lebtag denk\'

ich dran.

Stüssi. O bleibt, erzahlt!

Friesshard. Lafst mich, ich mufs voraus.

Den Landvogtmufs ichin der Burg verkünden. (.41gt;.)

Stüssi. War\'n gute Leute auf dem Schiff gewesen, 2705 In Grund gesunken war\'s mit Mann und Maus ; Dem Volk kann weder Wasser bei noch Feuer.

{Er sieht sich v.m.)

2694. eilfertig = rasch fahren = gehen. 2G9G. kommt = kommt also doch ! 2703. verkiinden = anmelden. 2706. dem Volk = den Tyrannen und ihrem Gesinde; drr Ton liegt auf „demquot; beikönnen = beikommen können.

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Wo kam der Weidmaim hin, mit dem ich sprach?

{Geht ab.)

Gessler unci Rudolf der Habras zu Pferd.

Gessler, Sagt, was ihr wollt, ieh bin des Kaisers Diener

Und mufs drauf denken, wie ich ihm gefalle. 2710 Er hal mich nicht ins Land geschickt, dem Volk Zu scbmeicheln und ihm sanft zu thun ; Gehorsam Erwartet er. Der Streit ist, ob der Bauer Soli Herr sein in dem Lande oder der Kaiser.

Armgard. Jetzt ist der Augenblick, jetzt bring\'

ich\'s an.

(Ndhert sich furchtsam.)

2715 Gessler. Ich hab\' den Hut nicht aufgesteckt zu

Altorf

Des Scherzes wegen oder um die Herzen Des Volks zu prüfen; diese kenn\' ich iSngst. Ich hab\' ihn aufgesteckt, dafs sie den Nacken Mir lernen beugen , den sie aufrecht tragen. Das Unbequeme hab\' ich hingepflanzt 2720 Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn mussen, Dafs sie drauf stoften mit dem Aug\' und sich Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen. Rtjdolf. Das Volk hat aber doch gewisse Rechte.

Gessler. Die abzuwiigen ist jetzt keine Zeit. 2725 Weitschicht\'ge Dingesind im Werk und Werden :

2707. quot;Weidmann — Jager, vgl. 2G26. 2710 sanft than = streden 2713. anbringen = vorbringen, namentlich ihr Gesuch. 2716. prüfen =2 toetsen. 2721. drauf stofsen mit dem Aug\' = het oog er op laten vallen, 2725. weit-schichtig = weitgreifend . vielumfassend.

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Das Kaiserhaus will wachsen; was der Vater Glorreich begonnen . will der Sohn vollenden. Dies kleine Volk ist uns ein Stein im Weg; So oder so , es mufs sich ur terwerfen.

{Sie wellen vortiber. Die Frau wirft sich vor dem Landvoyt nieder)

2730 Armgaiid. Barmherzigkeit, Herr Landvogt!

Gnade! Gnade!

Gessleb. Was dringt ihr euch auf offner Strafse mir In weg ? Zurück !

Armgard. Mein Mann liegtim Gefilngnis;

Die armen Waisenschrein nach Brot. HabtMitleid Gestrenger Herr, mit unsrem grofsen Elend! 2735 Rudolf. Werseidihr? WeristeuerMann?

Armgard. Ein armer

Wildheuer , guter Herr , vom Rigiberge , Der überm Abgrund weg das freie Gras Abmahet von den schroffen Felsenwiinden , Wohin das Vieh sicb nicht getraut zu steigen. 2740 Rudolf (zum Landvogt). Bei Gott, ein elend und.

erbiirmlich Leben! Ich bitt\' euch , gebt ihn los, den armen Mann! Was er auch Schweres mag verschuldet haben,,

2726. der Vater Rudolf von Habsburg. 2729. so oder so = auf die eine oder auf die andre Weise, hier: freiwillig oder pezwungen. 27 6, Wildheuer = Wildheuer sind arme Leute , welche weder Wiesen noch Alpen besitzen ihr weniger Vieh damit zu nahem, und deswegen das Heu (von dein sie den Namen bekommen) in der WiK nis, in hohen gahstotzigen (vgl. 2191) Orten sammeln nuissen , wohin die Eigentumsherren nicht einmal getrauen ihr Vieh zu treiben. Rigiberg = der Rigi, zwischen dem Vierwaldstatter-, Zuger« und Lowerzersee.

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Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk.

{Zu der Fran.)

Euch soil Reclit werden ! drinnen auf der Burg 2745 iSTennt eure Bitte; hier ist nicht der Ort.

Akmgabd Nein, nein, ich weiche nicht von

diesem Platz, Bis mir der Vogt den Mann zuriickgegeben ! Schon in den sechsten Mond liegt er im Turin Und harret auf den Richterspruch vergebens. 2750 Gessler. Weib, wollt ihr mir Gewalt anthun?

Hinweg!

Akmgabd. Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist

der Richter

lm Lande an des Kaisers statt und Gottes. Thu deine Pflicht! So du Gerechtigkeit Vom Himmel hoffest, so erzeig\' sie uns! 2755 Gessleb. Fort! Schafft das freche Volk mir aus

den Augen !

Abmoaud (greift in die Zügel des Pferdes). Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren. Du kommst nicht von der Stelle, Vogt, bis du Mir Recht gesprochen ! Palte deine Stirne , Rolle die Augen , wie du willst, wir sind 2760 So grenzenlos ungliicklich, dal\'s wir nichts Nach deinem Zorn mehr fragen.

Gesslee. Weib, mach\' Platz,

Oder mein Rofs geht über dich hinweg !

Armgard Lafs es über mich dahin gehn, Da —

2748. Mond — Monat. 2749 harren = warten. 2755. schaften — bringen. frech = brutaal. 2757. vonder Stelle = van plaats. 2758. falten = hier: runzeln.

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(Sie reifst ihre Kinder zu Boden nnd wirft sich mil ihnen ihm in den Weg.)

hier lieg\' ich

Mit meinen Kindern. Lafs die armen Waisen 2765 Von deines Pferdes Huf zertreten werden! Es ist das Argste nicht. was du gethan. Eudolf. Weib , seid ihr rasend ?

Abmgakd {hfjtiger fortfahrend.) Tratest du doch

langst

Das Land des Kaisers unter deine Füfse ! O, ich bin nur ein Weib. War\'ich ein Mann, 2770 Ich wüfste wohl was Besseres, als hier lm Staub zu liegen !

{Man h\'u t die vorige Mtisik wieder auf der Höhe

des Wegs , aber gedampft.)

Gessler. Wo sind meine Knechte?

Man reifse sie von hinnen oder ich Vergesse mich und thue , was mich reuet.

Rudolf. Die Knechtekönnen nichthindurch, o Herr; 2775 Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit. Gessler. Ein allzu milder Herrscher bin ich noch Gegen dies Volk. Die Zungen sind noch frei; Es ist noch nicht ganz , wie es soil, gebiindigt. Doch es soil anders werden , ich gelob\' es. 2780 Ich will ihn brechen, diesen starren Sinn,

Den kecken Geist der Ereiheit will ich beugen, Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen Verkündigen , ich will —

2767. langst seit langer Zeit schon. gedampft = halblaut. 2772 von hinnen = von der Stelle. 2778. bandigen = an Bande legen. 2780. starr = koppig. 2781. keek — driest

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{Ein Pfeil durchbohrt ihn ; er fahvt mit der Hand cms Herz vnd will sinken. Mit matter Stimme.)

Gott sei mir gnSdig!

o o

Rudolf. Herr Landvogt! Gott, was ist das ? 2785 Armgard (auffahrend). Mord! Mord! Ertaumelt,

sinkt! Er ist getroffen ! Mittten ins Herz hat ihn der Pfeil getroffen!

Rudolf {springt vom Pferdé). Welch grafsliches Ereignis ! Gott! Herr Ritter, Ruft die Erbarmung Gottes an ! ihr seid Ein Mann des Todes!

Gesslkh. Das ist Tells Gesehofs.

{1st vom Pferd herab dem Rudolf Harras in den. Arm gegleitet und ivird auf der Bank niedergelassen). 2790 Tell {erscheint oben auf der Höhe des Felsen). Du kennst den Schützen , suche keinen andern! Frei sind die Hutten , sicher ist die ünschuld Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden. (Verschwindet von der Höhe. Volk stürzt herein). Stüssi {voran). Was gieht as hier? Was hat

sich zugetragen ? Armgard. Der Landvogt ist von einem Pfeil

durchschossen.

2795 Volk {im Hereinstürzen). Wer ist erschossen ?

{Indem die vor der sten von dem Brautzug auf die Szene kommen , sind die hintersten noch auf der Höhe und die Mmik geht fort.)

fahren — hier: greifen nach etwas. will = ist im Begriff. 2787. Ereignis = voorval. 2795. sich verbluten = bis zur Erschöpfung bluten.

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Rudolf df.r Harras. Er verblutet sich.

Fort, schaft\'et Hilfe ! Setzt dem Mörder nach! Verlorner Mann, so mufs es mit dir enden! Doch meine Warnung wolltest du nicht horen.

Stüssi. Bei Grott, da liegt er bleich und ohne

Leben!

2800 Viele Stimmen. Wer hat die That gethan?

Rudolf der Harras. Rast dieses Volk,

Dafs es dem Mord Musik macht ? Lafst sie

schweigen !

{Musilc bricht plötzlich ab, es kornmt noch niehr Volk nach.)

Herr Landvogt, redet, wenn ihr könnt! Habt ihr Mir nichts mehr zu vertrauen ?

(Gefsler giebt Zeichen vut der Hand , die er mit Heftigheit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden).

Wo soli ich hin?

Nach Küfsnacht? Ich versteh\' euch nicht. O

werdet

2805 Nicht ungeduldig ! Lafst das Irdische ,

Denkt jetzt euch mit dem Himmel zu versöhnen!

(Die ganze Hochzeitgeselïschajt umsteht den Sterbenden mit einem fühllosen Grausen.)

Stüssi. Sieh, wie er bleich wird. Jetzt, jetzt

tritt der Tod Ihm an das Herz; die Augen sind gebrochen.

2796. schaffen = besorgen, lierbeiholen. 2800. rasen = sich in einem Ausbruch dev Tollheit befinden 2806. Grausen = afschuw.

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Armgaiid {hebt ein Kind ernpor.) Seht, Kinder, wie ein Wüterich verscheidet!

2810 Eudolf der Harras. Wahnsinn\'ge Weiber, habt

ihr kein Gefühl, Dafs ihr den Bliek an diese m Schrecknis weidet? Helft, leget Hand an ! Stelit mir niemand bei, Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn?

Weiber (h-etea zurüclc]. Wir ihn beriihren, wel-chen Gott geschlagen ? 2815 Eudolf der Harras. Fluch treff eucli und Ver-

dammnis !

{Zieht das Schwert.)

Stüssi {fallt ihm in den Arm). Wagt es, Herr!

Eur Walten bat ein Ende Der Tyrann Des Landes ist gefallen. Wir erduiden Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen. Alle (tumnltuarisch). Das Land ist frei!

Eudolf der Harras. 1st es dabin gekommen?

2820 Endet die Furcbt so scbnell und der Geborsam?

{Zu den Waffenknechten, die hereindringen).

Ibr seht die grausenvolle That des Mords, Die hier geschehen. Hilfe ist umsonst, Vergeblich ist\'s dem Mörder nachzusetzen. Uns drangen andre Sorgen. Auf, nach Küfsnacht, 2825 Dafs wir dem Kaiser seine Feste retten!

Denn aufgelöst in diesem Augenblick

2809, Wüterich = ivoesfaard, tiran. 2812. die Hand anlegen = de hulprijke hand leenen. 2815. in den Arm fallen = den Arm ergreifen und festhalten. 2816. Wal-ten = regieren. 2819. tumultuarisch s. 388. dahin = zoo ver.

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Sind aller Ordnung, aller Pflichten Bande , ünd keines Mannes Treu ist zu vertrauen.

Indem er mit den Waffenhnechten ahgeht, erschei-nen s ec h s harmherzige B rit d er.

Armgard. Platz ! Platz \' Da kommen die barm-

herz\'gen Brüder.

2830 StCssi. Das Opfer liegt, die Eaben steigen nieder. Barmherzioe Beüdeb.

(scldiefsen einen Halbkreis um den Toten und sin ff en in tiefem Ton).

Rasch tritt der Tod den Menschen an,

Es ist ihm keine Frist gegeben ,

Es stürzt ihn mitten in der Bahn ,

Es reii\'st ihn fort vom vollen Leben.

2835 Bereitet oder nicht zu gehen,

Er mufs vor seinem Richter stehen !

(Indem die letzten Zeilen wiederholt teerden , fallt der Vorhang.)

2829. barmherzige Brüder = Broeders van liefdadigheid. Dieser Mönchsorden wurde 1540 von Johannes di Dio in Sevilla gegründet. Der Hauptzweck war Krankenpflege, aber auch die Sorge für Verunglückte und die Bestattung (het ter aarde bestellen) Erschlagener gehorte zu seinen Pflichten. 2831. Raben == wie die Raben ein gefalienes Tier, so betrachten die barmherzigen Brüder einen Toten als willkom-raene Beute. Die barmherzigen Brüder trugen sohwarze Kutten (monnikspij) Daher die Arergleicnung. 2832. Frist — uitstel. 3836. Zeile = regel.

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rÜNFTER AUFZUGr.

Erste Szeue.

Öffentlicher Platz bei Altorf.

Tm Hintergrunde rechts die Feste Zwing Uri mit dem noch stekenden Baurjerüste tv ie in der dritten Szene des ersten A ufzugs ; links eine Aussicht in viele Berge hinein , auf rvelchen allen Signalfeuer brennen. Es ist ehen Tagesanbruch, GLoaken ertönen aus verschiedenen Fernen.

Ruom , Küoni , Weuni , Meistee Steinmetz und viele andere Landleüte, audi Weibeu und Kindek.

Rüodi. Seht ihr die Feursignale auf den Bergen ? Steinmetz. Hört ihr die Glocken drüben übenn

Wald ?

Rüodi. Die Feinde sind verjagt.

Steinmetz. Die Burgen sind erobert.

2840 Ruodi. Und wir im Lande Uri dulden noch Auf unsrem Boden das Tyrannenschlofs ?

Sind wir die letzten , die sich frei erklaren ? Steinmetz. Das Joch soil stehen, das uns zwingen wollte ?

Auf, reifst es nieder!

Alle. Nieder! nieder ! nieder !

2838. drüben = ai der Überseite.

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2845 Edodi. Wo ist der Stier von Uri ?

Stier von Uri. Hier. Was soil ich?

Ruodi. Steigt auf die Hochwacht, blast in euer

Hom,

Dafs es weitschmetternd in die Berge schalie, Und jedes Echo in den Feisenklüften Aufweckend schnell die Manner des Gebirgs 2850 Zusammenrufe.

Mier von Uri (jeht ah, WaLtkev Ftirst hom\'nt, Walther Fürst. Haltet, Freunde ! Haltet! Noch fehlt uns Kunde , was in tlnterwalden Und Schwyz geschehen. Lafst uns Boten erst Erwarten.

Ruodi. Was erwarten ? Der Tyraiin 2855 1st tot, der Tag der Freiheit ist erschienen. Steinmeïz. Ist\'s nicht genug an diesen flammen-

den Boten,

Die rings herum auf allen Bergen leuchten ? Ruodi. Kommt alle , kommt, legt Hand an, Manner und Weiber! Brecht das Geruste! Sprengt die Bogen! Reifst 2860 Die Mauern ein! Kein Stein bleib\' auf dem andern.

Steinmetz. Gesellen, kommt! Wir haben\'s auf-

gebauet,

Wir wissen\'s zu zerstören. ■^LLE- Kommt, reifst nieder !

{Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Ban.)

_2845. der Stier von Uri =■ s. 1090. 2847. Hochwacht

— s. 2447. 2848. schmettern — schetteren. 2859. sprengen etwas in Stücke, entzwei springen maohen. die Bogen = der Gewölbe des Schlosses. 2862. zerstören — zernichten.

Schiller , Wilhelm Teil. i j

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Walther Fübst. Es ist im Lauf. Icli kann sie nicht mehi; halten. .

Melchthal und Baumgabïen kommen.

Melchthal. Was? Steht die Burg noch, und

Schlofs Sarnen liegt 2805 In Asche , uud der Rofsberg ist gebrochen ?

Waltheb. POrst. Seid ihr es , Melchthal? Bringt ihr uns die Freiheit ? Sagt, sind die Lande alle rein vom Feind ?

Melchthal (umannt ihri). Rein ist der Boden.

Freut euch , alter Vater! In diesem Augenblicke, da wir reden, 2870 1st kein Tyrann mehr in der Schweizer Land.

Walïher IFOiist. O sprecht, wie wurdet ihr der Burgen machtig?

Melchthal. Der Rudenz war es, der das Sar-

ner Schlofs Mit mannlich kühner Wagethat gewann. Den Rofsberg hatt\' ich nachts zuvor erstiegen. 2875 Doch höret, was geschah. Als wir das Schlofs, Vom Feind geleert, nun freudig angczündet, Die Flamme prasselnd schon zum Himmelschlug, Da stürzt der Diethelm, Gefslers Bub\', hervor Und ruft, dafs die Bruneckerin verbrenne.

2880 Walther FCrst. Gerechter Gott!

(Man hurt die Balken des Gerüsles stürzen.)

Melchthal. Sie war es selbst, war heimlich Hier eingeschlossen auf des Vogts Geheifs.

2865. quot;-ebrochen = niedergerisscn. 2877. prasseln = knetteren.0 2878. Bube = Schildknappe. 2879. die Brunek-kerin = Bertha von Bruneek. 2881. Geheifs = Befehl.

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Rasend erhob sich Rudenz , denn wir horten Die Balken schon , die festen Pfosten stürzen Und aus dam Rauch hervor den Jammerruf 2885 Der Ungliickseligen.

Walïher Fürst. Sie ist gerettet ?

Melchthal. Da galt Geschwindsein und Ent-

schlossenheit! War\' er nur unser Edelmann gewesen, Wir hatten unser Leben wohl geliebt;

Doch er war unser Eidgenofs, und Bertha 2890 Ehrte das Volk. So setzten wir getrost

Das Leben dran und stürzten in das Feuer. Walther Fürst. Sie ist gerettet ?

Melchthal. Sie ist\'s. Rudenz und ich,

Wir trugen sie selbander aus den Plammen , Und hinter uns fiel krachend das Gebalk. 2895 Und jetzt, als sie gerettet sich erkannte ,

Die Augen aufschlng zu dem Himmelslicht, Jetzt stürzte mir der Freiherr an das Herz, Und schweigend ward ein Bündnis jetzt be-

schworen , Das fest gehartet in des Feuers Glut 2900 Bestehen wird in allen Schicksalsproben.

Walther Fürst. Wo ist der Landenberg\'? quot;

Melchthal. Über den Brünig.

Nicht lag\'s an mir, dafs er das Licht der Augen Davontrug, der den Vater mir geblendet.

2886. Entschlossenheit = vastberadenheid. 2890. dran setzen = op het spel zetten. getrost = moedig. 2894. selbander =; zusammen. 2900. bestellen = bestatul houden. Probe Z= beproeving. 2902. der Brünig = oder Bruning südlich yon Sarnen s. Hquot;2 2904, d^vcintrageu — hier: behalten. \'

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ÏG4

Nach jagt\' ich ihm, erreicht\' ihn auf der Flucht 2905 Und rifs ihn zn den Füfsen meines Vaters.

Geschwungen über ihn war schon das Schwert; Von der Barmherzigkeit des blinden Greises Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens. Urfehde schwur er , nie zurück zu kehren ; 2910 Er wird sie halten ; unsern Arm hat er Gefühlt.

Walther Fükst. Wohl euch , dafs ihr den rei-

nen Sieg

Mit Blute nicht geschandet!

Kinder {eüen mit Triimmern des Gerüstes vber die Szené). Freiheit! Freiheit!

(})a.i Hom von Uri icird mit Macht gehlasen.)

Walther Fürst. Seht, welch ein Fest! Des

Tages werden sich 2915 Die Kinder spiit als Greise noch erinnern.

{Müdchen hringen den Hut avf einer Stange getragen; die ganze Szene füllt sich mit Volk an.)

Euodi. Hier ist der Hut, dem wir uns beugen

mufsten.

Baumgarten. Gebt uns Bescheid, was damit

werden soil.

Walther Fürst. Gott! Unter diesem Hute stand

mein Enkel.

Meiirere Sïimmen. Zerstört das Denkmal der

Tyrannenmaclit!

2920 Ins Feuer mit ihm !

2907- schwingen — zwaaien. 2909. flehen = smeeken, 2910. Urfehde schwören = schwören den Streit aufzugeben und sich nicht zu rïchen. 2912. Trüramer = Überreste. 2918. Enkel — kleinzoon.

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Walthee Fürst. Nein , lafst ilin aufbewahren! Der Tyrannei mufst\' er zum Werkzeug dienen, Er soil der Preiheit ewig Zeichen sein ! {Die Landleute , Manner, Weiher und Kinder ste-hen und sitzen auf den Balken des zerbrochenen Geriistes malerisch g nip piert in einem grofsen Halbkreis timher.)

Melchïhal. So stehen wir nun frohlich auf den

Triimmern Der Tyrannei , und herrlich ist\'s erfüllt, 2925 Was wir im Rütli schwuren , Eidgenossen.

Walther Fürst. Das Werk ist angefangen, nicht

vollendet.

Jetzt ist uns Mut und feste Eintracht not; Denn, seid gewifs, nicht stiumen vvird der König, Den Tod zu rachen seines Vogts und den 2930 Vertriebnen mit Gewalt zurück zu führen.

Melchthal. Er zieh\' heran mit seiner Heeresmacht! 1st aus dem Innern doch der Feind verjagt; Dem Feind von aufsen wollen wir begegnen.

o o

Ruodi. Nur wen\'ge Piisse öft\'nen ihm das Land, 2935 Die wollen wir mit unsern Leibern decken.

Baumgarten. Wir sind vereinigt durch ein ewig

Band,

Und seine Heere sollen uns nicht schrecken. liösselmann und S t auffa cher kommen. Rösselmann {im Eintreten). Das sind des Him-mels furchtbare Gerichte.

2922. Zeichen = der Hut ist das Symbol der Freiheit. malerisch — schilderachtig. 2923. Trümmer =, puinhoop. 2927. net sein nötior sein, bedürfen 2928. saumen = dralen. 2933. dem Feind begegnen = den vijand staan.

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Landleute. Was giebt\'s?

Rösselm ank. In welchen Zeiten leben wir

2940 Walther Fürst. Sagt an, wasistes? Ha, seid

ihr\'s, Herr Werner?

Was bringt ihr uns ?

Landleüte. Was giebt\'s ?

Stauffacher. Von einer grofsen Furcht sind wir

befreit.

Rösselmakn. Der Kaiser ist ermordet.

Waltheb FCest. Gnad\'ger Grott!

{Landleüte machen einen Aufstand und umdrangcn den Stauffacher.)

Alle. Ermordet! Der Kaiser? Hort! Der Kaiser!

2945 Melchthal. Nicht möglich! Woher kam euch

diese Kunde ?

Stauffacher. Es ist gewifs. Bei Bruck liel König

Albrecht

Durch Mörders Hand. Ein glaubenswerter Mann, Johannes Müller, bracht\' es von Schaffhansen.

Walther Fürst. Wer wagte solche grauenvolle

That ?

2941. erstaunen = verhazen. 2943. Aufstand = oploop. 2946. Bruck = oder Brugg; Stadtchen an der Aar, ira Kanton Aargau , an der Strafse zwischen Basel und Zürich 2948. Johannes Muller Schiller setzte hier seinem Freunde Joh. M\'ller, dem Geschichtschreiber der Schwf iz, dessen Werk „Geschichte der Eidgenossenschaff er vielfach benutzt hatte, ein schönes Denkmal. Joh. Müller (g^b 1752 zu Schalthausen f 1809 zu Kassei), wohnte der zweiten Autfüh-rung des Tell in Weimar bei und safs nehen Wielaud in der fnrstlichen Loge. Als dieser Vers gesprochen wurde richteteu sich die Augen der Zuhörer auf inn.

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2950 Stauffacheb. Sie wird noch grauenvoller dureh

den Thiiter. Es war sein Neffe, seines Bruders Kind, Herzog Johann von Schwaben, der\'s vollbrachte.

Melcuthal. quot;Was trieb ihn zu der That des Va-

termords ?

Stauffacher. Der Kaiser hielt das vUteiiiche Erbe 2955 Dem ungeduldig mahnenden zurttck;

Es hiefs, er denk\' ihn ganz darum zu ktirzen, Mit einem Bischofshut ihn abzufinden.

AVie dem auch sei. der .lüngling öffnete Der Waffenfreunde bosem Rat sein Ohr , Und mit den edeln Herru von Eschenbaeh,

2952 Johann von Schwaben = einziger Sohn Herzog Ru-«lolfs, des Bruders von Albrecht. vgl. 1336. Er soil nach der Ermordung Albrechts, 1 Mai 1308 , nach Pisa entkommen und dort in einem Kloster gestorben sein. 2953. \\ atermord = Verwandtenmord. 2954. das vater liche Erbe V. 1343 hei I\'s t es: um sein Miitterliches. Nach Tschudi\'s Chronicon helveticum wurde ihm das vaterliche und mütterliche Erbe vorenthalten. 2957. Bischofshut = das Zeichen der bischöflichcn \\Vürde, hier: für die Würdeselbst. Den jüngern Söhnen grofser Familien war eine Stelle als Bischof sehr willkommen, indem nur die altern Söhne adli-cher Familien in den Besitz der Ritterburg und des rifterli-chen Gutes traten , und der geistliche Stand noch immerhin ein einflufsreiches und sorgenloses Dasein gewahrte. Der Bischofshut oder die Bischofsmütze, auch Inful genannt, besteht aus zwei flachen, oben spitz zulaufenden Deckeln, die mit Seide überzogen und vorn mit einem Kreuze verziert sind. abfinden = abspeisen. paaien, afschepen. 2060. von Eschenbach = Walther von Eschenbach, Konrad von Teger-felden , Rudolf von Wart und Rudolf von Palm, Auch die Edlen des Landes hatten durch die Habsucht Albrechts zu leiden und sehnten sich nach der Herrschaft ihres rechtmafsi-gen Herzogs.

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Von Tegerfelden, von der Wart und Palm Beschlofs er, da er Recht nicht konnte finden, Sich Each\' zu holen mit der eignen Hand. Walther Pürst. O sprecht, wie ward das Griifsliche vollendet ?

2965 Stauffacher, Der König ritt herab vom Stein

zu Baden ,

Gen Rheinfeld , wo die Hofstatt war, zu ziehn, Mit ihm die Fiirsten Hans und Leopold Und ein Gefolge hochgeborner Herren. Und als sie kamen an die Reufs, wo man 2970 Auf einer Fiihre sich lafst übersetzen,

Da drSngten sich die Mörder in das Schiff, Dafs sie den Kaiser vom Gefolge trennten. Drauf, als der Pürst durch ein geackert Feld Hinreitet (eine alte grofse Stadt 2975 Soli drunter liegen aus der Heiden Zeit) , Die alte Peste Habsburg im Gesicht, Wo seines Stammes Hoheit ausgegangen, Stöfst Herzog Hans den Dolch ihm in die Keble, Rudolf von Palm durchrennt ihn mit dem Speer, 2980 Und Eschenbach zerspaltet ihm das Haupt, Dafs er heruntersinkt in seinem Blut,

2965. der Stein zu Baden = das Schlol\'s der Herzoge von Österreich. 2966. gen = nach. Hofstatt = oder Pfalz, die Statte des Hofes, die angenbliekllche Kosidenz; vgl. 1323. 2967. Leopold = Albrechts zweiter Sohn. 2970. Fahre == veerpont. 2972. trennen = scheiden. 2974. alte grofse Stadt — das römische Vindonissa, jetzt «\'as Dorf Windisch, seiner Zeit eine wichtige Grenzfestung wider die Germanen, (inter Kaiser Augustus ein bedeutender Waffenplatz der Römer; 594 dureh den Frankenkönig Childebert II zerstört. 2976. Habsburg = bei Schinznach , von Graf Radbot von Altenburg 1020 erbaut. 2980 zerspalten =; Moven.

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Gemordet von den Seinen auf dem Seinen. Am andern Ufer sahen sie die That;

Doch , durch. den Strom geschieden, konnten sie 2985 Nur ein ohnmachtig Wehgeschrei erheben ; Am Wage aber sals ein armes Weib,

In ihrem Schofs verblutete der Kaiser.

Mklciiïhal. So hat er nur sein frühesörabgegraben, Der unersattlich alles wollte haben !

2990 Staüffacher. Ein ungeheurer Sehrecken ist im

Land umher; Gesperrt sind alle Passé des Gebirgs,

Jedweder Stand verwahret seine Grenzen; Die alte Zürich selbst schlofs ihre Thore, Die dreifsig Jahr lang offen standen . zu , 2995 Die Morder fürehtend und noch mehr die RJicher. Denn mit des Bannes Pluch bewaffnet kommt Der Ungarn Königin , die strenge Agnes, Die nicht die Milde kennet ihres zarten Geschlechts, des Vaters königliches Blut 3000 Zu rtichen an der Mörder ganzem Stamm ,

An ihren Knechten, Xindern , Kindeskindern,

2982. auf dem Seinen = auf seinem eigenen Besitz und Boden. 2987. verbluten =: s. 2795. 2992 jedweder = jeder. Stand = jede staatiiche, sei es geistliche oder weltliche, Herrsehaft. seine Grenzen = die Grenzen seines Gebietes, seines Landes. 2996. mit des Bannes Fluch bewaffnet = die Mörder Albrechts wurden weltlich geachtet und g«istlicli verflucht, mit dem Bannfluch belegt 997 Agnes = die Witwe des Königs von Ungarn , Andreas 111; Tschudi zeugt von ihr sie wütete mehr als unmenschlich und anders als einem Weibshild gebührt. Nach der Eroberung von Fürwan-gen, einer Burg Rudolfs von Palm , liefs sie 63 Kriegsleute vor ihren Augen enthaupten und zeigte sich nach Tschudi so unbarmherzig „dafs sie in der Eutleibten Blut herumspaziert und gesagt: sie bade im Maientau. vgl. 3003

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170

Ja an den Steinen ihrer Schlösser selbst. Geschworen hat sie , ganze Zeugungen Hinabzusenden in des Vaters Grab ,

3005 In Blut sich wie in Maientau zu baden.

Melchthal. Weifs man, wo? sich die Morder

hingeflüchtet ?

Stauffacher. Sie flohen alsbald nach vollbrach-

ter That

Auf fünf verschiednen Strafsen anseinander Und trennten sich , um nie sich mehr zu sehn. 3010 Herzog Johann soli irren im Gebirge.

Walther PfRsT. So triigt die Unthat ihnen

keine Frucht! Eache triigt keine Frucht; sich selbst ist sie Die fürchterliche Nahrung; ihr Genufs 1st Mord und ihre Siittigung das Grausen.

8015 Stauffacher. Den Mördern bringt die Unthat

nicht Gewinn ; Wir aber brechen mit der reinen Hand Des blut\'gen Frevels segenvolle Frucht Denn einer grofsen Furcht sind wir entledigt: Gefallen ist der Freiheit gröfster Feind, 3020 Und , wie verlautét, wird das Zepter gehn

Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm; Das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten.

3003. Zeugungen = Geschlechter. 3008. Strafse = Weg. 3013. fürchterliche Nahrung = die Rache will nichts , als sich selbat befriedigen (Nahrung) und zwar durch Mord und Grausen (fürchterliche). 3016 brechen = hier: pflucken. 3017. Frevel = Missethat. 3020 wie verlautet = wie gesagt wird. 3022 das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten = das deutsche Reich will an seinem Rechte festhal-ten, sich selbst einen Kaiser auf freie Weise zu wahlen.

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Waltheh Fürst und mehrere. Vernahmt ihr was?

Stadffacheb. Der Graf van Luxemburg

1st von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet. 3025 Walthek Fürst. Wohl uns, dafs wir beim Reiche

treu gehalten! Jetzt ist zu boffen auf Gerechtigkeit.

Stauffacher. Dem neuen Herrn thun tapfre-

Freunde not: Er wird uns schirmen gegen Ostreichs Rache

(Die Landleute umarmen einander.)

Si g r is t mit einem Reich sbote n. sifjrist. Hiersind desLandes würd\'geOberhaupter, 3030 Rösselmann und mehrere. Sigrist, was giebt\'s ? Sigrist. Ein Reichsbot\' bringt dies Schreiben.. Alle (zu Walther Fürst) Erbrecht und leset. Waltiiee Fürst [liest). »Den bescheidneni

Mannern

»Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet 2gt;Die Königin Elsbeth Gnad\' und alles Gutes T

Viele Stimmen. Was will die Königin? Ihr

Reich ist aus.

3035 Walther Fühst {liest). »In ihrern grofsen Schmerz

und Witwenleid »Worein der blut\'ge Hinscheid ihres Herrn

3023. der Graf von Luxemburg\' = Heinrich VII von Luxemburg, gest. 1313. 3024. mehrsten = meisten. 3027. not thun = nötig sein. 3031 bescheiden = hier: gescheit, klug , vernünftig ; bescheidene Manner, = vroede mannen 3033. Elsbeth = von Karnthen, die Königin Witwe. 3036. Hinscheid = Tod. Herr = Gemahl.

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gt;Die Königin versetzt, gedenkt sie nocli »Dei- alten Treu und Lieb\'der Schwyzerlande.quot; Melchthal. In ihrem Glück hat sie das nie gethan. 3040 Eösselmann. Still! lasset horen !

Walther Fürst (liest). »IJnd sie versieht sicli

zu dem treuen Volk, »Dafs es gerechten Abscheu werde tragen »Vor den verfluchten Thatern dieser That. »üarum erwartet sie von den drei Landen , 3015 »Dafs sie den Mördern nimmer Vorschub thun, )«Vielmehr getreulich dazu helfen werden , »Sie auszuliefern in des Ktlchers Hand, »Der Lieb\' gedenkend und der alten Gunst. »Die sie von Rudolfs Fürstenhaus empfangen.quot;

{Zeichen des Unwillens unter den Landleuten.) 3050 Viele Stimmen. Der Lieb\' und Gunst!

Stauffacher. Wir haben Gunst empfangen von

dem Vater;

Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn? Hat er den Brief der Freiheit uns bestiitigt, Wie vor ihm alle Kaiser doch gethan ? 8055 Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch

Und der bedrangten Unschuld Schutz verliehn? Hat er auch nur die Boten wollen horen , Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet ? quot;Nicht eins von diesem allem hat der König 3060 An uns gethan , und hatten wir nicht selbst Uns Recht verschafft mit eigner mut\'ger Hand, Ihn rührte unsre Not nicht an. Ihm Dank ?

3041. sich versehen zu = rait Sicherheit erwarten von 3045. Vorschub thun = heimlichen Schutz und geheime Hilfe verleihen. 3053 bestatigen = bekraftigen.

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Nicht Dank hat er gesat in diesen Thiilern. Er stand auf einem hohen Platz , er konnte 3Ö65 Ein Vater seiner Völker sein; doch ihm Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen. Die er gemehrt hat, mogen um ihn weinen!

Walïhëb Füiist. Wir wollen nicht frohlocken

seines Palls, Nicht des empfangnen Bösen jetzt gedenken, 3070 Pern sei\'s von uns ! Doch dafs wir riichen sollten Des Königs Tod, der nie uns Gutes that, Und die verfolgen , die uns nie betrübten, Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren. Die Liebe will ein freies Opfer sein ; 3075 Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten, Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten. Melchthal. Und weint die Königin in ihrer

Kammer,

Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an, So seht ihr hier ein angstbefreites Volk 3 8 1 Zu eben diesem Himmol dankend flehen.

Wer Thranen ernten will , mufs Liebe siien.

{Reichsbote gekt ab.) Statjffacher (zu dem Volk). Wo is der Tell? Soil

er allein uns fehlen , Der unsrer Preiheit Stifter ist ? Das Grofste Hat er gethan, das Harteste erduldet. 3085 Kommt alle, kommt nach seinem Haus zu wallen, Und rufet Heil dem Ketter von uns allen.

(A//e gehen ab.)

3067. gemehrt — grofs und reich gemaeht. Im Titel der Kaiser hiefs es: allzeit Mehrer des Reichs. 3008. frohlocken = juichen. 3072. ziemen == passen. gebühren = zu-kommen. c076 entrichten = bezahlcn 3084 erdulden = erleiden 3085. wallen = ziehen

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1.74

Zweite Szeue.

Tells Hausflur.

Ein Feuer brennt auf dem Herd. Die offenstehende Thüre zeigt ins Freie.

Hedwig , Waltiier und Wilhelm.

Hedwig. Heut kommt der Vater. Kinder, liebe

Kinder !

Er lebt, ist frei, und wir sind frei, und alles! Und euer Vater ist\'s , der\'s Land gerettet. 3090 Walïher. Und ich bin audi dabei gewesen,

Mutter!

Mich mufs man auch mit nennen. Vaters Pfeil Ging mir am Leben hart vorbei, und ich Hab\' nicht gezittert.

Hedwig (umarmt ihn). Ja, du bist mir wieder Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren ! 3095 Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich! Es ist vorbei; ich hab\' euch beide, beide ! Und heute kommt der liebe Vater wieder!

Ein M önch erscheint an der Ilausthüre. Wilhelm. Siah, Mutter, sieh, dort steht ein

frommt r Bruder; Gewifs wird er um eine Gabe flehn. 3100 Hedwig. Führ\' ihn herein, dam it wir ihn erquicken; Er fühl\'s, dafs er ins Freudenhaus gekommen. {Geld hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.)

Hausflur = innerer Raura ira Hause, Vorhaua 3092. hart = nahe.

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Wilhelm (zum Mönch). Kommt, guter Mann.

Die Mutter will euch laben. Walthek. Kommt, ruht euch aus und geht

gestürkt von dannen. Mönch (schm umherblichend mit zerstörten Ziigen). Wo bin ich? Saget an, in welchemLande? 3105 Walïheii. Seid ihr verin-et, dafsihr das nicht wifst? Ihr seid zu Bürglen , Herr, im Lande Uri, Wo man hineingeht in das Schachenthal. Mönch (zur Heclwig, welche zurücklcommt). Seid ihr

allein ? 1st euer Herr zu Hause? Hedwig. Ich erwart\' ihn eben. Doch was ist

euch , Mann ?

3110 Ihr seht nicht aus, als ob ihr Gutes brUchtet. Wer ihr auch seid , ihr seid bedürftig, nehmt! (Eeicht ihn den Becher.)

Mönch. Wie auch mein lechzend Herz nach La-

bung schmachtet, Nichts rilhr\' ich an , bis ihr mir zugesagt — Hedwig. Berührt mein Kleid nicht, tretet mir

nicht nah,

3015 Bleibt ferne stehn , wenn ich euch hören soil.

Mönch. Bei diesem Feuer, das hier gastlich lodert. Bei eurer Kinder teurem Haupt, das ich Umfasse —

(Ergreift die Knalten.)

3104, Züge = gelaatstrekken, 8109 eben = ^erade jetzt. 3111. bedürftig = behoeftig. 3112. lechzen = eine hoifse Beg-ierde nach etwas Kund geben, schmachten. 3113. zusagen = versprechen. 3116. gastüch = gastfreundlich. lodern -= flackern.

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Hedwig. Mann, was sinnet ihr? Zurtick

Von meinen Kindern ! Ihr seid kein Mönch !

Ihr seid

3120 Es nicht! Der Friede wohnt in diesem Kleide; In euren Ziigen wohnt der Friede nicht. Mönch. Ich bin der unglückseligste der Menschen.

Hedwio. Das Unglück spricht gewaltig zu dem

Herzen ;

Doch ener Bliek schnürt mir das Innre zu.

3125 Walther {aufspringend). Mutter, der Vater!

(Eilt Mnaus.)

Hedwig. O mein Gott!

(Will nach, zittert unci halt sich an.)

Wilhelm {eilt nach). Der Vater!

Walther (draufsen). Da bist du wieder !

Wilhelm (draufsen). Vater! liefeer Vater!

Tell (draufsen). Da bin ich wieder. Wo ist

eure Mutter ?

(Treten herein.)

Walther. Da steht sie an der Thür und kann

nicht weiter. So zittert sie vor Schrecken und vor Freude. 3130 Tell. O Hedwig! Hedwig! Mutter meiner Kinder! Gott hat geholfen; uns trennt kein Tyrann mehr. Hedwig (an seinem Halse). O Tell! Teil! Welche Angst litt ich um dich!

(Mönch wird aufmerles am.)

3122. sich anhalten

3118 ainnen — iin Sinne haben. — sich stützen auf etwas.

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Tell. Vergifs sie jetzt und lebe nur der Freude! Da bin ich wieder ! Das ist meine Hiitte ! 3135 Ich stehe wieder aus dem Meinigen !

Wilhelm. Wo aber bast du. deine Armbrust, Vater? Ich seh\' sie nicht.

Tell. Du wirst sie nie mehr sehn.

An beil\'ger Statte ist sie aufbevvahrt;

Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen. 3140 Hedwig. 0 Tell! Tell!

(Tritt zurück, lafst seine Hand los.)

Tell. Was erschreckt dich, liebes Weib?

Hedwig. Wie , wie kommst du mir wieder ?

Diese Hand , Darf ich sie fassen ? Diese Hand — o Gott! Tell (lierzlich und mutig). Hat euch verteidigt und das Land gerettet; Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben. (Mönch macht eine rasche Bewegung, er erblickt ihn) 3145 Wer ist der Bruder hier ?

Hedwig. Ach, ich vergafs ihn.

Sprich du mit ihm , mir graut in seiner Niihe. Mönch (tritt naher) Seid ihr der Teil, durch den

der Landvogt fiel ? Tell Der bin ich, ich verberg\' es keinem Menschen,

Mönch ■ Ihr seid der Teil! Ach, es ist Gottes Hand, 3150 Die unter euer Dacti mich hat geführt

Tell (mifit ihn mit den Augeti). Ihr seid kein Mönch! Wer seid ihr?

3138. Statte = Ort, plaats. 3139. hinfort = voortaan. Schiller, Wilhelm Teil. 12

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Mükcu. Ihr erschlugt

Den Landvogt, der eucli Bösestbat. Auch ich Hab\' einen Feind ersclilagen , der mir Eecht Versagte ; er war euer Feind , wie meiner; 3155 Ich hab\' das Land von ihm befreit.

Tell (zurückfdhrend) Ihr seid —

Entsetzen ! Kinder ! Kinder , geht hinein ! Geh , liebes Weib , geh, geh ! Unglücklicher ! Ihr wiiret —

Hedwig. Gott, wer ist es ?

Tell. Frage nicht!

Fort, fort! Die Kinder dürfen es nicht horen. 3160 Geh aus dem Hause , weit bin weg! Du darfst Nicht unter e i n e m Dach mit diesem wohnen.

Hedwig. Web mir, was ist das? Kommt!

{Geht mit den Kindern.)

Tell (zu dem Möncli). Ihr seid der Herzog

Von Österreich. Ihr seid\'s! Ihr habt den Kaiser Erschlagen, euern Ohm nnd Herrn.

Johannes Pakricida. Er war

3165 Der Rituber meines Erbes.

Tell. • Euern Ohm

Erschlagen , euern Kaiser ! Und euch tragt Die Erde noch ? Euch leuchtet noch die Sonne?

Parricida. Teil, hort mich, eh ihr —

Tell. Von dem Blute triefend

Des Vatermordes und des Kaisermords 3170 Wagst du zu treten in mein reines Haus?

3154. versagen ontzeggen. S156. Entsetzen — Schrek-ken. 3164. Parricida = Va ter- f auch Verwandtenmörder. 3168. triefen = druipen.

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Du wagst\'s , dein Antlitz einem guten Menschen Zu zeigen und das Gastrecht zu begeliren ?

I\'aiuucid.v. Bei euch hoft\'t\' icli Barmherzigkeit

zu finden;

Auch ihr nahmt Racli\' an eurem Feind.

Tell Unglücklicher!

3175 Uarfst du der Ehrsucht blut\'ge Schuld vermengen Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?

Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt? Des Herdes Heiligtum beschützt ? das Schreck-

lichste,

Das Letzte von den Deinen abgewehrt? 3180 Zum Himmel heb\' ich meine reinen Hünde, Verfluche dich und deine That. Geracht Hab\' ich die heilige Natur , die du Geschiindet Nichts teil\' ich mit dir. Gemordet Hast du , ich hab mein Teuerstes verteidigt

3185 Paiuucida. Ihr stofst mich von euch, trostlos ,

in Verzweiflung V

Tp:ll. Mich fafst ein Grausen, da ich mit dir rede Fort! Wandle deine fürehterliche Strafse !

Lafs rein die Hütte, wo die TJnschuld wohnt!

Paiuucida. (wendet sich m qehen) So kann ich und so will ich nicht mehr leben !

3190 Tell. Und doch erbarmt mich deiner. Gottdes

Himmels!

So jung, von solchem adellichen Stamm, Der Enkel Rudolfs , meines Herrn und Kaisers, Als Mörder flüchtig , hier an meiuer Schwelle ,

3183. teile ich mit dir — habe ich mit dir gemein. 3187. Strafse = Weg\'. 3193. Schwellc — drempel.

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Des armen Mannes , flehend und verzweifelnd !

(Verhüllt sich das Gesichl) 3195 Parkicida. O, wenn ihr weinen könnt, lafst

mein Geschick

Euch jammern ; es ist fürchterlich. Ich bin Ein Fürst, ich war\'s, ichkonnte glücklich werden, Wenn ich der Wünsche Ungeduld bezwang. Der Neid zernagte mir das Herz Ich sah 3200 Die Jugend meines Vetters Leopold

Gekrönt mit Ehre und mit Land belohnt, Und mich, der gleiches Alters mit ihm war, In sklavischer Unmündigkeit gehalten.

Tell. Unglücklicher, wohl kannte dich dein Ohm, 3205 Da er dir Land und Leute weigerte;

Du selbst mit rascher, wilder Wahnsinnsthat Rechtfertigst furchtbar seinen weieen Schlufs. Wo sind die blut\'gen Helfer deines Mords ? Parkicida. Wohin die Eachegeister sie geführt; 3210 Ich sah sie seit der Unglücksthat nicht wieder. Tell. Weifst du, dafs dich die Acht verfolgt,

dafs du

Dem Freund verboten und dem Feind erlaubt ? Parkicida, Darum vermeid\' ich alle ofFne Strafsen, An keine Hütte wag\' ich anzupochen 3 15 Der Wüste kehr\' ich meine Schritte zu;

Mein eignes Schrecknis irr\' ich durch die Berge

3195. Geschick = lot. 3199. zernagen = doorknagen, 3200. Leopold = zweiter Sohn des Königs Albrecht s. 2967. 3205. Land und Leute = welche ihm durch Erbschaft zukamen. 3207. S hlufs = besluit, 3211. die Acht die Verbannungf. 3212. dem Freund verboten und dem Feind erlaubt — Diejse sind die Worte der Achtserklaring. 3214. Anpochen = anklopfen. 3215. der Wüste = wo es menschenlcer ist.

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Und fahre schaudernd voi- mir selbst zurück, Zeigt mir ein Bach mein ungliickselig Bild. O, wenn ihr M itleid fühlt und Menschlichkeit -{Fallt vor ïhm nieder.)

3220 Tell (ahgewendet). Steht auf! Steht auf!

Parricida. Nicht, bis ihr mir die Hand ge-

reicht zur Hilfe. Tell. Kann ich euch helfen ? Kann\'s ein Mensch

der Sünde ? Doch stehet auf. Was ihr auch grlifsliches Verübt: ihr seid ein Mensch , ich bin es auch. 3225 Vom Tell soli keiner ungetröstet scheiden; Was ich vermag, das will ich thun.

I ARRiciDA (aufspringend und seine Hand mit Hef-tigTceit ergreifend). O Teil! Ihr rettet meine Seele von Verzweiflung.

Tell. Lafst meine Hand los! Ihr müfst fort.

Hier könnt

■gt; gt; unentdeckt nicht bleiben , könnt entdeckt

3230 Auf Schutz nicht rechnen. Wo gedenkt ihr hin ? Wo hoiFt ihr Ruh zu finden ?

Parricida. Weifs ich\'s ? Ach!

Iell. Hort, was mir Gott ins Herz giebt. Ihr

müfst fort

Ins Land Italian , aach Sankt Peters Stadt; Dort werft ihr euch dem Papst zu Füfsen, beichtet 3235 Ihm eure Schuld und löset eure Seele.

3217, schauilern = rillen. zuriickfaliren = terugdeinzen, 3230 Wo gedenkt ihr hin = hinzugehen. 3233. Sankt I eters Stadt Rom. 3235. lösen = aus den Banden der Sünde.

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Parricuja. Wird er mich nicht dsm RiLcher

dberliefern ?

Tell. Was er eucli tliut, das nelimet an von Gott. Pak rigid a. Wie komm\' ich in das nnbekannte Land? 3240 Ich bin des Wegs nicht kundig, wage nicht Zu Wanderern die Schritte zu gesellen.

Tell. Den Weg will ich euch nennen, merket wohl! Ihr steigt hinauf, dem Strom der Reufs entgegen, Die wildes Laufes von dem Berge stiirzt — Paiihicida [erschricht). Sell ich die Reufs ? Sie flofs bei meiner That.

3245 Tell. Am Abgrund geht der Weg, und viele

Kreuze

Bezeichnen ihn , errichtet zum Gedachtnis Der Wanderer, die die Lawin\' begraben.

Paruicida. Ich fürchte nicht die Schrecken der

Natur,

Wenn ich des Herzens wilde Qualen zahme. 3250 Tell. Vor jedem Kreuze fallet hin und büi\'set Mit heifsen Eeuethranen eure Schuld. Undseidihrglücklich durch die Schreckensstrafse, Sendet der Berg nicht seine Windeswehen Auf euch herab von dem beeisten Joch, 3255 So kommt ihr auf die Brücke, welche stiiubet.

3252. Schreckensstrafse = die -wilde Schlucht Schöllenen , zwischen dem Dorfe Göschenen und der Teufelsbrücke. Es sollen zwischen den beiden Örtern 23 Kreuze zum Andenken an Erschlagene gestanden liaben. 3253. quot;Windeswehen = zusammeng-ewehte Schneemassen. 3254. Joch — holier Bergrücken. = 3255. die Brücke welche staubet =: die Teufelsbrücke hiefs früher die staubende Brücke, nach der schaumend tallenden Keufs, welche hier cinen quot;Wasserfall bildct.

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Wenn sie nicht einbriclit unter eurer Schuld, Wemi ihr sie glücklich hinter exich gelassen , So reifst ein schwarzes Felsenthor sich auf, Kein Tag hat\'s noch erhellt, da geht ihr durch, 3260 Es führt etich in ein heitres Thai der Preude. Doch schnellen Schritts müfst ihr vorüber eilen; Ihr diirft nicht weilen , wo die Ruhe wohnt.

Patuiicida. O Rudolf! Rudolf! königlicher Ahn! So zieht dein Enkel ein auf deines Reiches Boden! 32G5 Tell. So immer steigend kommt ihr auf die Höhen Des Gotthards, wo die ew\'gen Seen sind, Die von des Himmels Stromen selbst sich filllen. Dort nehmt ihr Abschied von der deutschen Erde, Und muntern Laufs führt euch ein andrer Strom 3270 Ins Land Italien hinab , euch das gelobte — (Man hört den Kiihreihen von vielen Alphornern

geblasen.)

Ich höre Stimmen. Port !

Hedwig (eilt herein). Wo bist du , Tell ?

Der Vater kommt! Es nahn in frohem Zug Die Eidgenossen alle.

Pakricida (verhiilll sich) Wehe mir I

Ich darf nicht weilen bei den Grlücklichen

3258. ein schwarzes Felsenthor = das Urnor oder Ursener Loch, eine in den Fels gesprengte Gallerie. 32 0. Thai der Frende ^ das Ursernthal. 3263. Rudolf — Rudolf von Habsburg. Ahn — Vorfahr. 3264 auf deines Reiches Boden = Italien. Als Kaiser von Deutschland herrschte Rudolf von Habsburg audi über Italien. 3260. die ewigen Seen „Auf der Höhe des Gotthards unweit der Hrn. Capu-cinern Herberg, innerhalb dem Hegriff einer Stunde sind sie-ben lautere Seen zu sehen (Scheuchzer, ^aturgeschichten des Schweizerlandes1. 3267. des Himmels Stromen = Regen und Schnee. 3269. ein andrer Strom = der Tessin.

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3275 Tell. Oeh , liebes Weib. Erfrische diesen Mann, Belad\' ibn reich mit Oaben, denn sein Weg 1st weit, und keine Herberg findet er.

Eile ! Sie nalm.

Hedwig. War ist est?

Tbll. Porsche nicht!

üud wenn er geht, so wende deine Augen , 3280 Dafs sie nicht sehen, welchen Weg er wandelt!

Parricida geht auf den Tell zu mit einer raschen Bewegung ; dieser aber hedeutet ihn mit der Hand und geht. Wenn beide zu verschiedenen Seittn abgegangen, verandert sich der Schauplatz, und man sieht in der

Letzten Szeue

den ganzen Thalgrund vor Tells Wohnung nebst den Anhöhen , welche ihn einschliefsen , mit Land-leuien besetzt, welche sich zu einem malerischen Ganzen gruppieren. Andere kommen über einen hohen Steg, der über den Schdchen fiihrt, gezogen. Walther Fürst mit den beiden Knaben , Melchthal und Stauffacher kommen vorwarts, andere drangen nach; wie Ttll heraustritt, empfangen ihn alle mit lautem Frohlocken.

Alle. Es lebeTell, der Schiitz und der Erretter! Indern sich die vonlersten um den Teil drangen und ihn umarme-i , erscheinen noch R u d en z und Bertha, jener die Landleute, diese die Hedwig umarmend. Die Musih vom Berge be-gleitet diese stumme Szene. Wenn sit geendigt, tritt Bertha in die Mitte des Volks.

Bertha. Landleute! Eidgenossen! Nehmt mich auf

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In euern Bund , die erste GliicklicJie, Die Schutz gefunden in der Preiheit Land. 3285 In eure tapfre Hand leg\' icli mein üeclit;

Wollt ihr als eure Biirgerin mich schtitzen ? Landlkutr. Das wollen wir mit Gut und Blut.

Bertha. Wohlan!

So reich\' icli diesem Jüngling meine Rechte, Die freie Schweizerin dem freien Mann !

3290 Eudenz. Und frei erklar\' icli alle meine Knechte.

{1\'ndem die Musik von nmem rasch einfcillt, fcillt der Vor hang.)

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signatuur:

Universiteits Bibliotheek Utrecht

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