Kast 220 PI. E N0.18
| l E a A A T
If VAN WIJLEN
■d
Dr. L. J. MORELL.
' b cT'
rijksuniversiteit te utrecht
2717 356 0
Das
sittlich - religiose Verhalten
der Griechen in der Zeit ihrer Blüthe.
Greifswald 1S48.
C. A. Koch's Verlagshandlung. (Th. Kunike.)
' ■
Die Feier, die zum Andenken Winckelmanns seit einigen Jaliren unter mis begangen wird, liai mir friiher Veranlassung gegeben, theils die Stellung, welche die von Winckeiinann begriindete Archaeologie in dem Kreise der Alterthumswisseii-schaft einnimmt, zu bes|)recheii, theils an einem einzelnen Werke der alten Kunst den Versu-h zu maehen, die Aue der Ar-cbaeoiogle zu lüsen und das Verstiindniss desselljen aucli dem weniger mit dem Alterthum vertrauten Ueschauer niiber zu brin-gen. Bei der lieutigen Feier erbitte ich mir die Aufinerksamkeit der geelirten Versammlung für eine Betracbtung allgemeinerer Art, die indessen weder dem Manne, dem unsere Feier gilt, noch dem ftemeinsamen Interesse, das uns zu ibr vereiuigt hat, fremd geachtet werden darlquot;. Ich beabsichtige namlieh eine Betracbtung anzustellen iiber das sittlich - religiiise Verhalten des classischen Alterthums im Vergleich zu dem der neuerii Zeit. Sittlich - religiose ideen sind es ja, welche in den edelsten Werken der alten Kunst, der bildenden wie der redenden, ei-nen Ausdruck suchcn; und wenn Winckelmann mit Recht als ein Mann von antiker und heidnischer Sinnesart bezeichnet wird, so ist damit doch wohl namentlich audi dies gemeint, dass sein sittlich-religiöses Verhalten nicht wesentlich von dem des classischen Alterthums verschieden gewesen sei. „Er hatte sich,quot; sagt Schlegel, „ganz in einen Alten verwandelt, und iebte nur scheinbar in seinem Jahrhundert, von dessen Einfliis-sen unberührt.quot; Slan meint Winckelmann mit diesem ürtbeii nicht zu tadeln, sondern zu ehren, und er selbst wiirde es gewiss als ein Lob aufgenommen haben. Heutzutage dürfte er wohl wegen jener antiken Sinnesweise von Diesem oder .lenem
I*
4
in die gleiclie Verdamnmiss begriffen werden, welche fiber Manche unserer grössten Manner, auf die das Vaterland stolz ist, von bekannten Stimmen ausgesjirocben worden ist. Unbe-langene Erwagnng w ird, wahrend isie sich gedrungen fiililt, Wi nckelinanns Sinnesweise als eine unter den Verhaltnissen, unter denen er sicb bildete nnd entwickelte, volllvoiiimen erkliir-licbe und berechtigte anzueikennen, dagegen doch audi einge-stehn, dass eine ganz uiUl aiischliesslich antike Denkart eine Einseitigkeit sei, die niclit mifer alien Umstanden und zu alien Zeiten gebilligt oiler gerechtfertigt werden künne. Am wenig-sten diirl'te sie in unsern ïagen demjenigen geziemen, der es uiiterniinint, die Werke jener untergegangenen Welt und das was in ihnen Anspruch auf ewige Dauer und Wirkung hat, fiir das Bewusstsein der Gegenwart wieder zu beleben und ihr Ver-standniss zu vermitteln. Denn solche Vennittelung wird wahr-haft nur dem gelingen kiinnen, welcher, im Altertliuiu und in der neuern Zeit gleich heimisch , das was jenes in seiner Weise dachte und aussprach, in die Denk- und Ausdrucksweise dieser zu übertragen vermag: und der Ausleger der Alten muss deswegen gleichsam zweien Weiten angehiiren, der antiken und der neuen, mit klaren» Bewusstsein dessen, was sie scheidet und was sie verbindet, selbst alter weder ausschliessiich antik noch aus-schliesslich modem gebildet und gesinnt.
Um nun aber bei derGegenüberstellung der antiken und modernen Welt in Absicht auf ihr sittlich-religiiises Verhaiten uns niclit allzusehr ins Weite zu verlieren, ist vor allem niithig, uns liber die iiussere Unigranzung beider zu verstandigen, in-nerhalb deren die Vergleichnng sich zu halten bat. J)ass wir nur vom classischen Alterthume reden, versteht sich von selbst: aber audi dies zerl'allt in zwei grosse Halften, die bei aller Aehnlichkeit doch auch wieder einen wesentlieh verschiedenen Charakter zeigen, in die Griechische und die ROinischc Welt; und beide wiederum haben ibren Lebensprocess durch eine Reihe von Jabrhunderten hindurch gefiihrt und niannichfaltigc Pha.sen der Bildung durcblaufen, so dass, was von einem Zeitalter, von einer Entwicklungsstufe wahr ist, von der andern nicht mehr wahr sein kann. Und ebenso ist der Begriff der neuen Zeit, auch wenn wir ihn nur auf die niichstvergangenen Jubrhunderte und auf die gebildeten christlichen Volker beschranken, doch
noch ein sehr weitschichtiger unJ sehr Verschiedenartiges um-fassendcr, so (lass auch von ihm oftmals das Widersprechendstc mit gleichem Keclite ausgesagt werden darl'. Fassen wir aber, «ie es gewöhnlich geschieht, und «ie es aucli meine Absicht ist, nur den Zeitraum ins Auge, in dein wir selber leben, und stellen wir diesem uur dasjenige Volk des Alterthums, das au der Spit'ze der antiken Bildung stelit, das Griechische, und auch dies nur in dem Zeitraum seiner schönsten lilüthe gegeniiber, so tritt uns auch dann auf beiden Seiteri eine Mannichi'altigkeit, und zwar grade auf dem sittlich-religiösen Gebiete eutgegen, die ein Gesaninitnrtheii schwierig oder uinnöglich zu machen scheint. Denn wie gespannt gerade in unsern Tagen nicht bloss die verschiedenen Confessionen, sondern auch die verschiedenen Ilichtungen innerhalh derselben Confession gegen einander stehn, wie weit gerade fiber die Frage nacli dem Wesentlichen und Specilischen unserer Religion die Ansichten auseinander gehn: wer ist so theilnahndos, dass er es nicht wissen, dass er da-von nicht im eignen'Innern aul's tiefste und wold auch aufs sclimerzlichste berührt sein sollte. Und man würde gar sehr irren, wenn man glaubte, dass ahnliche, wenn nicht Kampfe, doch (Jegensatze nicJit auch iin Alterthum gewesen waren. Denn gab es dort gleit'h kein System vou Dogmen, «Tts auf allge-meine Anerkennung Anspruch machte, liatte auch keine Kirche in unserm Sinne den Glauben 'des Volkes zu feiten und zu iiberwachen, so gab es doch auch dort altiiberlicferte \ or-stellungsweisen und eine mehr oder minder ausgesprochene Opposition dagegen, und so entsprang doch auch dort diese Opposition bald aus einem höheren Bediirfiiiss der denkenden Ver-nunft und des religiösen Gemüthes, das in dem Herkönimlichen keine Uefriedignng zu linden vermochte, bald aus dem dünkel-haften Wahn, der sich gegen ajle Abliangigkeit des Menschen und alle ünferordnung unter ein Höheres andehnte, und statt lier Götter und der göttlichen Gebote den Egoismus und die Klugbeit auf den Thron erhob. — Indessen bei aller Mannich-faltigkeit giebt es doch auf jeder von beiden Seiten auch wieder ein Gemeinsames, was das Alterthum und die moderne Welt unterscheidend charakterisirt. Fassen wir nur die eben schon be-rührten Punkte niiher ins Auge, so tritt uns hier eine Kirche und kirchliche Lehre entgegen, wahrend dort die Priester nur den
6
Cultus und seine Gebrauche zu besorgen hatten, eine öflfentlich autorisirte Lebrc aber nicht vorhanden war: und beides hüngt min weiter mit dem ganzen Verhaltniss der Religionen wesent-lich zusaminen. Hier lieilig geaclitete Urkundea, die Deutung und Auslegung fbrdern, dort nur Ueberlielerungen, die nirgends festgestellt und gleichsam codilicirt waren, sondern in freier, lliessender Mittheilung nach jedes Zeitalters, ja nacli der Individuen Auffassung und liicbtung so oder anders betrachtet und geacbtet werden nioclitcn; hier ein von anderswoher üargcbo-tenes, in ietzter Quelle aus hiiherer Offenbarung Abgeleitetes, dort ein urspriiglich aus dein Volke selbst Erwachsenes: end-lich hier eine Religion des (üeistes, dort eine Naturreligion.
Hiermit ist nun schon der Punkt bezeichiiet, von weiehein aus der Gegensatz zwischen der nntik-heidnischen und der christlichen Reli giositat aufzufassen ist, ein Gegensatz, der in seiner ganzen Scharfe namentlich zu jener Zeit hervortreten musste, als das jüngst geoflfenbarte ('hristenthum seinen Kamjifgegen das geal-terte und in sich sellgt;st zerfallende Heidenthum begann. Da fand es ein.tief gesunkenes, rath- und hiilfloses Geschlecht, an das es sich warnend und strafend, aber auch erinunternd und aufrichtend wandte. Ihm predigte es, wie die Natur im Menschen mit dem Geiste entzweit sei (lurch die Sünde, und wie, in den Banden der sündhaften Natur befangen, der Mensch aus eigner Kraft sicli nicht mehr zu Gott zu erheben vermöge, sondern einer höheren Hiilfe zur Erh'isung und Ver-söhnung bediirfe. Da lehrte es, wie diese der Welt in Christus dargeboten sei, und wie der Mensch sich ihrer theilhaftig machen könne, wenn er bereue, bfisse und giaube. Darum drang es vor Allem auf Selbstverliiugnung und Entsagung. Ein denuithiges und gebrochenes Herz, eine zum Glauben gestiminte Seele müsse man dein Hiinmel entgegenbringen, um seiner Gnade theilhaftig werden zu können. Dann werde Gottes Geist ira Menschen Wohnung nehmen; dann werde der Mensch durch den Glauben wiedergeboren und gerechtfertigt: einen Glauben, dessen Inhalt spatere Lehrer der Kirclie, im Contact mit heidni-scher Speculation, die auch ins Christenthum sich eindrangte, bald immer genauer und positiver zu bestimmen und in ein 1System von Dogmen zu formuliren veranlasst wurden, welehe, da sie nicht auf Vernunfterkenntniss sondern auf einer hühern Auctoritat
7
beruhten, eben auch uur als Mysteriën der Offenbarung geglaubt werden konnten, aber als solche auch geglaubt werden niussten, weil in dein Unglauben sicl» zugleich ein Widcrstreben gegen jene höhere Auctoritat, und somit ein Mangel an jener Selbst-bezwingung und Entsagung, jenes Gefühls der Bediirftigkeit liöherer Ofl'etibaruug verrietb, ohne die das Heil nicht zu gewinnen war1). — Von diesen christlichen Principien und For-denmgen war nun die griechische Naturreligion augenscbeinlich sehr weit entfernt. Jene Entzweiung zwischen Natur und Geist erkannte sie nicht an: sie vergötterte vielmehr die Natur, und lieh damit auch dem Sinnlichen, ja dem Sündlichen den Schein selbststiindiger Berechtigung und giittlicher Wiirde. Ihre Gutter waren von dem erhabenen ethischer! Begriff eines hüch-sten reingeistigen Wesens ganz und gar verschieden: ihre Gebote wussteu Nichts von der sittlichen Strenge des Christen-thuins: nicht Wiedergebnrt mid Heiligung ward erstrebt durch selbstverlaugnende Entsagung und Hingehung ini Glauben an Gott: aussere Giiter und Genüsse, gutes Gelingen im irdischen Thun und Treiben, das war es vorzugsueise, weshalb man sich betend zu den Göttern wandte; die innern Giiter aber, die Weisheit und die Tugend, nieinte man sich sell)st erwerben zu nuissen und zu können: dazu bedürfe es keines Glaubens an irgend welche Mysterien, sondorn nur des Achtens auf die Stimme der eigenen Yernunft und der Anwendung der eigenci\ sittlichen Kraft.
Ich glaube hiermit den Gegensatz zwischen dem Christen-thum und dem autiken Heidentlmni scliarf gering bezeichnet zu haben, schrirfer als ich selbst ihn geschichtlich nachzuweisen vermochte, doch aber so, wie er in der That von Vielen auf-gefasst und dargestellt zu werden pflegt2). Und allerdings diirfte sich nicht liiugaen lassen, dass aus den Grnndprincipien des Christenthums auf der einen, des He'ulenthums auf der an-dern Seite, sofern sie mit einseitiger Consequenz durchgelïilirt werden, Jene so weit divergirenden Richtungen, wie ich sie eben bezeichnet habe, scheinen hervorgehn zu mussen. Aber eine solche Consequenz hat nun weder im Heidenthum noch im Christenthum, weder bei den Alten noch bei den ÏNeueren wirk-liclr geherrscht. Was zunachst unsre eigne Zeit betriflt, so
8
will ich gar nicht darnach fragen, ob und inwiefem das Leben der christlicben VJilker den Forderungen der Lehre, nach der sie sich nennen, wirklich entsprechend sei: ich will nur fragen, wie ■\ iele von denen, die uenigstens ihrem Bewusstsein und ihrer Gesinnnng tuicli anf dem Boden des Christentliums zu ste-hen meinen, vnrklicli dal»ei an jene entsagende Denuith, an jene Zerknirschung und Selbstent.ïusserung, an jene Wiederse-bnrt und Heiligung, oder wirklich an die Notliuendigkeit des Glaubens grade an diese oder jene unbegreiflichen Satze zu denken geuohnt sind. Das, worin sie sich als Christen fiihlen und betrachten, ist gewiss bei den Allermeisten von weit weni-ger strenger und positiver Art. Es ist zunachst uur der reinere und höhere Begri.T dt-r Gottheit, den ihr Cbristenthum vor dem Heidenthum voraus hat: es ist ferner der Glaube an eine, sei es iibernatfirliche, sei es natiirliche Offenbarunjjk, durch die zuerst das Bild eines wabrbaft g.'ittlicben Lebens der Mensch-heit vor Augen gestellt, und der ünzulnngiichkeit der sich füh-rerlos allein iiberlassenen Seele der Weg zum Heile gezeigt sei: es ist die ünterordnung des Natürlichen gegen das Gei-stige, des Irdischen gegen das Himmlische: es ist die Ancr-kennnng des höchsten Gebotes, Gott zu lieben fiber alle Dinge und den Niicbsten als sich selbst3). Dies sind die Grundsiitze, die freilich nicht immer im Thun, aher doch im Denken bei nns vorwalten, die nns das Richtmass geben, nach dem wir den ^erth oder l nwerth der Dinge und der Hamllnngen bemessen, auf denen mit I inem Worte diejenige Weltanschauung lierubt, die wir als die chnstliche der heidnischen entgegensetzen. — Aher linden wir denn min das Heidenthum wirklich durchweg dem urspriinglicben Principe seiner Religion gotreu? Ich « ill auch hier nicht vom Lelien reden: ich lasse es dahin gestellt sein, ob das I hun der Alten von dem der christlicben Vfil-ker wirklich so verscbicden und soviel schlecbter sei, als man nach dem ünterschiede der Religionen erwarten sollte: denn man könnte sagen, dies sei deswegen nicht so, weil bei den christ-lichen \ ölkern die Religion noch nicht viillig das Leben durch-drnngen hahe, noch vieles Heidniscbe bei ihnen fibrig geblieben oder auch durch die fortwabrende Bescbaftigung mit jenen Alten ihnen eingeflösst sei. Ich beschranke mich vielmebr bloss auf das theoretische Gebiet, ich wende mich zu den Stinim-
9
fiihrern des biiher entwickelten Bewusstseins, und frage nun, ob hier im Alterthum das heidnisehe Princip, das Princip der Katurreligion, eine consequentere und ausschliesslicliere Herr-schaft behaupte, als das chrlstliche Princip bei denen, die quot; ir als die Reprasentanten der modernen Bildung anzuseben baben. Icb glaube eine tiefer eingehende und unbefangene Betrachtung vvird uns das Gegeutheil leliren. Wir werden linden, dass auf beiden Seiten von der strengen Consequenz der Principe vielfacb abgewicben, hier Einiges von dem, was als das specifisch-christliche, dort Meles von dem, was als das speciliscb-beid-niscbe gelten darf, aufgegeben sei, und dass man sicb in der That bis auf eine schmale, von Mancben vielleicht kauni wabr-zunehmende Grenze genabert babe.
Ein Mann, der nicht mir unsre Zeit, sondern auch dns Alterthum besser als die Meisten kannte. Wilhelm von Humboldt4), riihmt an den Griecben vor Allem den Reichthum an mannichfaltigen Formen, der sich in ihrer ganzen Cultur zeige, und womit eine solcbe Ausbildung der Charaktere verblinden sei, wie sie in jeder Lage dasein kunne und solle. Diese Man-nichfaltigkeit der Formen und Charaktere steigert sich aber, je biiher das Volk in seiner Entwickelung fortschreitet, und offen-bart sicb in den verschiedensten Richtungen des innern wie des aussern Lebens, in den verschiedensten Standpunkten iïir die Auffassung und Wiirdigung der IJinge, in den verschiedensten politischen, religiiisen, pbilosophischen und kiinstleriscben Ansichten und Besfrel.'iingen, wie sich uns diese in den ausge-zeichnetsten Geistern der verschiedenen Zeiten darstellen. Kei-ner wird laugnen wollen, dass allerdings der Hauptstrom des volksthfinilichen Lebens im Wesentlicben gleichartig geblieben sei, dass ein gewisses gemeinsaines nationales und beidnisches Geprfige das Griechenthum im Ganzen unterscbeidend charakte-risire; aber Keiner wird auch laugnen, dass sich bei diesem Allgemeinen immer doch auch viele Besonderheiten linden, die zum Theil weit dariiber hinausragen, und auf einer andern und böberen Stufe, als dem Volke im Ganzen zu ersteigen vergönnt war, stehen oder vorbereitend darauf hindeuten.
Soil icli nun alier jenes Allgemeine, was die griechische Nationalitat vorzüglich charakterisirt, zu bezeicbuen unter-nehmen, und z, -ar, wie es meinem gegenwartigen Zwecke ge-
1«
mass ist, namentlich insofeni, als die Religion des V olkes dadurch bedingt war, so nuicht' ich sagen, es bestehe dies in der Hingebung der Scele an die Natur; nicht aber in bewust-loser Gebundenheit und Passivitat, sondern init selbstthiitigem Sinn und schiipferischer Phantasie, die die Natur Hiit gei-stigen und sittlichen Kriiften belebte, und das Sinnliche nicht als einen Gegensatz zuiu Geistigen und einen Abfall von ihm, sondern als den Leib und die Form ansah, in der al-leiii es sich offenbare, und die eiu getheiltes Reich des Geistigen und des Natiirlichen nicht kanute. Deswegen sind denn audi die Giitter den Griechen nothwendig nicht reingeistige, sondern zugleich auch sinnliche und körperhafte Wesen, wie der Mensch, und ihre Erhebung fiber diesem besteht nur in einer edleren, unzerstörbaren Leiblichkeit, gepaart mit einem unendlich höheren Grade geistigen Vermogens, als den Sterb-lichen verliehen ist, und mit einem unendlich grosseren Mass von Kratten, vvorauf ebon ihrWalten in der Welt beruht. Non AUmacht aber, von Alltveisheit, von Allgegenwart, von Heilig-keit ist und kann bei solchen Göttern nicht die Rede sein; ja man möchte wiinschen , dass man überhaupt liir sie statt dieses jNamens einen anderen gebrauchen könnte, da er nothwendig, eben weil die mit ihm benannten Wesen so wenig unserem Gottesbegriflf entsprechen, sehr leicht zu falschën Urtheilen ver-leitet. Der griechische Name, der ireilich spiiter auch zur lie-nennung (les wahren Gottes gebraucht wird, bezeiclmet eigent-lich nur Himmlische, und erhebt die so Bezeichneten aus der niedern Sphare, in der die Menschen leben, in cine hiihere, doch aber nicht wesentlich verschiedene. Man könnte diese Vorstellung fiiglich mit derjenigen vergleichen, die sich in den Schriften iilterer chrisllicher Kirchenvater von den Engeln lin-det5). üenn auch diese werden nicht kiirperlos, sondern nur mit einem feineren Kiirper als der menschliche begabt gedacht, deswegen auch behaftet mit leiblichen Bediirlnissen, gleichwie die Götter der Griechen, auch ebenso wie diese nicht trei von Fehlern utid Verirrungen, ja einige unter ihnen gradezu biise, die durch Hochmuth oder Sinnlichkeit von ibrer ursprfinglichen Reinheit herabgesuriken sind: kurz die Aehnlichkeit der Engel mit den Göttern der Griechen ist gross genug, dass viele der alten Kirchenlehrer audi diese wivklich lïir Engel, aber freilich
11
für gefallene crklart hahen, itideni sie namlich sich an die vielen Anstiissigkeiten der Mythologie hieiten , die freilich von dcr Art sind, dass sie dem christlichen Bevvustsein nur als Zeiehen einer verderbten Natur erscheinen konnten. Und \vie ferner die Engel als erscliaffene VV'esen unter dem Gesetze dessen stehn, von dem sie geschaffen sind, so sind auch die grie-chischen Giitter sammt und sonders keine urspriingliche und ungeschaffne Wesen, soudern sie sind, mitsanmit der Welt in der sie walten, Erzeugnisse aus einem Uranfanglichen , in wel-cheni der Grund und das Gesetz alles Daseins, und folglich auch des ihrigen ontlialten ist.
Ein alter christlieher Kirehenlehrer sagt, vom liiichsten Wesen redend: „In ihm ist die erste Ursache, der Grund, die HJöglichkeit aller Dinge: es ist nnendiich, unerschaffen, unver-ganglich, einzig, in keiner körperlichen Gestaltnng, ohne alle Um-- granzung, von keiner denkbaren und hestimmbaren Qualitiit odor Quantitat, in keinemllaume u ohnend, seinen Ort nicht wechseltid, seinen Zustand nicht andernd, dureh keinen Ausdruck der Men-schensprache zu hezeichnen, mit keinem Namen zu benennen6).quot; Unter den alteren Griechen finden vvir keinen, der sich in ahnlieher Weise von dem Uranfanglichen zu reden beschieden liatte; viel-mehr vviderstanden sie der Versnchung nicht, sich iiber den Ursprung der Dinge wenigstens Vorstellungen zu bilden, die denn allerdings ein sehr materialistisches Ansehen hatten7). In-dcssen auch wenn sie das Urwesen als Wasser, als Lult, als Feuer bezeichneten, so meinten sie doch nicht das Feuer, was «ir sehen, die Luft die wit athmen, das Wasser, was im Meer und in den Stromen iliesst, sondern ein anderes, aus dem diese und alle anderen Dinge, und die Seele, die alles Lebende be-lebt, und der Geist, der im Menschen und in den Göttern denkt, hervorgegangen sei, das also auch dies alles in seinein Schooss getragen habenniuss, wenngleich der Geist in freier, selbstbewuss-ter Personlichkeit erst auf spateren Stufen der Entwickelung sicli entfaltete und hervortrat. Was aber aus dem Urwesen alle Dinge von Anbegiun hervorgehn. Alles sicli entwickeln liess, war Nichts als die eigene ihm selber ursprünglich inwohnende Nothwendigkeit8): und eben diese Nothwendigkeit ist auch die letzte Ursache alles Gcschehenden, der letzte Grund von allem, was im Laufe der Zeiten aus ineinander gekettetcn Ursachcn
12
und Wirkungen sicli ergiebt, das Schicksal, dei» die Gotter wie die Menschen untenvorfen sind9). — Ich brauche nicht zu sagen, wie weit sich diese Vorstellungsart von dein Begriflf eines höchsten weltschafifenden Geistes, eines persünlichen, allvveisen, aliwissenden, alliebenden Gottes entferne. Zu die-sem Begriff aber bat sicli überbaupt das classiscbe Altertbum auch in seiner am nacbsten an das Cbristentbura lieranreicben-den Speculation nicbt erboben. Denn selbst der Platonische Demiurg entspricht diesein Begriffe nicht, da er in der That nicht der Schiipfcr, sondern nur der Bildner der Welt ist aus der Materie, die neben ibm besteht10). ünd auch von diesem Demiursen wusste ja die Religion des Volkes Xicbts. Tempel und Altiire, üpfer und Gebete galten mir den gewordenen, dem Schicksal unterworfenen Göttern. Wenden also auch wir uns mit unsrer Betrachtung zu diesen zurück.
Wir sahen, wie der Glaube an .sou lie Giitter in jener Sinnesart des Volkes wurzeite. die das GJittliche nur in der Form des Natüi lichen erkannte. Indem nun aber die Phantasie das Wellall nicbt mit reingeistigen uml körperlosen, sondern mit leiblichen und nach dem Bilde der Menschen geschaftenen Göttern belebte, und sich das Wirken der natüiTichen Kriifte uml Gesetze in ein menschenahniicbes Handein denkender und wollender Person lie b kei ten gleichsam übersetzte, inussten sich daraus nothw endig Vorstellungen von bestimmten geistigen und leiblichen .. Gestalten, von göttlichen Personen eines individuellen Charakters bilden, und was ein abstractes Denken als Naturordnung und Naturereigniss begreift, musste sich zur Gescliichte der göttlichen Personen gestalten. So entstand was wir Mythologie nennen; und je mehr auch das Leben und die Schicksale der Menschen von jenen Natunniichten bedingt und bestimmt erschienen, je mehr mitbin die Götter in das Thun der Alenschen eingreifend gedacht wurden, desto mehr ward auch die Götturgeschicbte in die menschliche Gescliichte verllochten, und desto reicber und mannichfaltiger der Strom der Mythologie. In ihn floss alles zu-sammen, was der jugendliche Geist der Griechen über den Zu-sammenbang menschlicher und göttlicher Dinge dacbte oder phantasirte, erfuhr oder glanbte; alles, was sich von Ideen in ihnen regte, trat nur in der Weise des Bildes, der Vorstellung ins Bewusstsein , und kleidete sich in die Form der Erziibiung,
13
des,My thus. Und wie derBoden, auf dem dieMythologie ursprüng-lich envudis, die iS'aturvergötterung, die Gutter alle ursprüng-lieh Naturgiltter waren, so war auch der Cuitiis dieser Gutter mit seinen Gebriiuchen nie mit den Legenden, die sich daran kniipf-ten, melir oder weniger uur sinnliche Vergegenwartigung des natürlichen Wirkens, welches ein anderes ist, als das sittliche. An die Herrschaft des Sittlichen in der jNatur kann man wohl glauben, wenn man an einen lieiligen SchiipCer und Gesetzgeher der Natur glauht; aber ohne solchen Glauben, den elien das alte Heideiithuiii nicht hatte, erscheint das Walten der Natur-miichte nothwendig vielfach als ein unsittliches, sowohl ini ne-gativen Sinne, insofern es nicht auf sittlichen Motiven beruht und sittliclie Zwecke vcrfolgt, als audi im positiven, insofern es als ein Uandeln selbstbewusster Perslinlichkeiteu angeschaut wild. Denn jedes Handeln soldier Persönlichkciten, was nicJit als sittlich gerechtfertigt werden kann, darf auch positiv unsittlich ge-uannt werden. Soicher Art aber war das Handeln der (*ötter, welches die alten, auf dem Boden der Naturvergötterung erwach-senen Mythen darstellten; und wenn auch damals, als diese Mythen entstanden, das sittliche Bewusstsein im mensdilichen Geiste noch nicht entwickdt und vorherrschend genug war, 'um das Maas der Sittlichkeit audi an die Handlungeii der Gutter zu legen, so blieb doch das Volk nicht auf dieser Stufe stehn, und es musst^n ihni, auf einer höheren Stufe der Entwickelung, die Gutter der Mythologie nothwendig nicht als rein sittliche, sondern als oft auch unsittliche Wesen erscheinen. Uazu kommt nun aber noch dies, dass die Gutter durch die Art und Weise wie die alten Mythen spater aufgefasst und behandelt wur-den, allmahlig etwas Anderes als blosse iNaturgöttcr, blosse Personificationen ifatiirlicher Krafte, dass sie immer niehr quot;-anz inenschenahnliche Wesen wurden, die man zwar, jeden in dem ihm zugefallenen Gebiete der Natur waltend und wirkend, keinesweges aber so auf dieses Gebiet beschrankt dachte, dass sie es nicht audi zu iiberschreiten, und eine freie, durch Motive ihrer Wahl und Einsicht bestinimte ïhiitigkeit in wei-terem ümfang zu üben vermocht hiitten. Diese Auffassung und Behandlung ist diejenige, die uns bei Homer und den in gieicher Weise dichtenden Siingern entgegentritt. Alle diese trugen Mythen vor, die sie bei weiten zum grüssten ïheile nicht selbst
14
erfumlen hatten, somlern die sic vorfamlen als einen aus frühe-rer Zeit iiberlieferten, von ihnen nur zu bearbeitenden Stoff, und alle bearbeiteten diesen StoflF so, dass er unter ibren Hün-den immer niebr von seiner anfiinglichen Bedeutung einbüsste. Offenbar \var aus einer Menge der mytbischen Ueberlieferimgen der ursprüngliche Geist damals schon langst entwicben, d. h. sie wurden von Keinem, aucb von den Dicbtern selbst nicht mebr in dem Sinne verstanden, in dem sie anfanglich gedacht worden waren. Vielmehr was nrspriinglich sinnvoller IVIythus gewesen, war grossentheils langst znm unterhaltenden IVIarchen, zuin interessanten Abenteuer geworden, und ward von ihnen zu kei-neiu andern Zweck als zur Unterhaltuug wiedererziihlt. Der Horazische Spruch, dass der Dichter nicht bloss nützen son-dern aucb ergötzen wolle, gilt für alle Zeiten, und galt nament-lich für jene, und zwar, denke ich , so, dass das Ergötzen den ersten Platz einnahm, der Nutzcn alter eine weniger in Rech-nung kommende Zugabe war. Igt;ei einem Volke wie die Grie-chen, von Natur mit dein lebhartesten Sinn für die Schönheit be^abt, war dies Ergötzen wesentlich bedingt durch die An-nmth der Eonn, die durchsichtige Klarbeit des Ausdrucks, die lebendige Wahrheit der Charaktere, die Anschaulichkeit der Schilderungen, die überschauliche Verkniiplung »ler Vorgange: und wer ihnen einen Gegenstand in soldier Form darzustellen vermochte, der konnte des Beifalls gewiss sein. So ward denn im Munde der Dichter die mythische Ueberlielening aucli vor-zugsweise nnr nach solchen Rücksichten behandelt, und so statt eines Gegenstandes ernster Bedeutung, zuni Gegenstande lieiterer Unterhaltung und asthetisehen Genusses: und also wurden aucb die Götter, von deren Thun und Treiben ja meist in ihr die Retle war, sehr gewöhnlicb melir mit asthetischem als mit sittlichem Interesse, inehr wie Gegenstande künstlerischer als religiöser üedeutung vorgeführt. Daher denn audi so viele VViderspriiche bei Homer in Beziehung auf die Götter, je nach-dem vom bloss poetischen oder vom religiösen Standpunkte über sie gesprocben wird. Hier heissen sie ihm gut und weise, nur dem Rechte und der Tugend hold, Feinde und Racher je-der Unbilde und Freveltat, wie es der sittlichen Entwickelung und dem religiösen Gefüble der damaligen Zeit entsprach; dort handcln sie selbst unter dem Einfluss jeder Art von menschli.
15
dier Leidenschaft, und begehen eben die Thaten, die sie aii-derswo an den Menschen bestrafen. Nicht mit üurecht kann man daher sagen. Homer denke eigentlich besser von seinen Göttern als sie es verdienen11) d. h. die Ansichten, die er öfters iiber die sittliche Würde der Gutter ausspricht, seien besser, als man nach den Mythen, die er von ihnen herichtet, cnvarten sollte, und, füge ich hinzn, als sie sein könnten, wenn er selbst in ganzem Ernst an jene Mythen glaubte. Aber eben dies lieu eist doch aiich , wie « enig vorwaltend die relisfiöse Stim-mung bei dein Dichter und bei seinen Zwhörern gewesen sein nuisse, wenn jener es sich erlauben, diese es ertragen konnten, dieselben Wesen einmal als Gegenstande der Verelming, mit Anerkennung nicht hloss ihrer Macht sondern auch ihrer sitt-lichen Erhabenheit, ein andermal aber bloss als poetische Fir guren zn behandeln, die dem Interesse der Dichtung gemass verwendet werden diirften auch ohnc Rücksicbt auf ihre wahre Würde. — Nun aber war Homer von dem unverkennbarsten Einiluss auf die gesammte Hildung seines Volkes: er war das anerkannteste Vorbild der Nachahmung lur die Spaleren, eine Quelle, aus der alle fortwahrend mehr oder minder schöpften: er war der allgemeinste Liebling der Nation, die in dein klaren S]»iegel seiner Paesie ihr eigenthiimliches Wesen mit seinen Vorziigen und seinen Mangein, seiner Starke und seiner Schvvache wiederfand; aber es leuchtet ein, dass seine Wirkung auf die Religion des Volkes zum mindesten sehr zweideutig sein musste. Es konnte nicht fehlen, das von der Mehrzahl nicht immer bedachtig unterschieden wurde, was in den Gesangen, die man mit so grosser Befriedigung zu hüren gevvohnt war, wirklich der Religion des Dichters, und was blos seiner Poesie angehorte, und - dass somit Vorstellungen, die nur in dem einen Gebiete gelten durften, auch in das andere hineingetragen wurden, dem sie fern bleiben mussten. Dass dies wirklich geschehen, dass da-durch wirklich die Religion des Volkes vielfach irre geleitet worden sei, liisst sich durch Zeugnisse und Beispiele darthun1-2). Es gab in Griechenland keine Kirche, keine öffentlich autorisirte Belehrung, die solcher Verirrung wirksam hatte steuern kunnen, und mochten die Weisen immerhin den Dichter bekiimpfen oder umdeuten, mochten von ihnen die Götter, deren Handlungen dargestellt wurden, selbst ihrer Substantialitat entkleidet und
16
zu allegorischen Figuren gemacht werden: dem VolLe blieben sie Personen, snbstantiell daselende, leibende und lebende, selbstbewusst wollende und handelnde, und somit nothwendig oft auch nnsittlicbe Wesen. Und wenn auch die gesunde Na-tur der Griecben einer viilligen religiiisen und sittlichen Verwilde-rung nocb lange nicbt unterlag, wenn audi die in ibrer Brust nie ganzlicb zu verdunkelnde Abnung der Wabrheit Mancbe dabin fiibren mocbte, dass sie in den Göttem das wirkiicb Giittlicbe und
das diesembeigemiscbte Ungöttlicbe auseinander bielten, jenes in ibnen anbeteten und verebrten, von diesem aber absaben als von Scbwacben und Gelirecben, die dasselbe wobl tbcilweise und vorübergebend trübten, nie aber aufbüben und vernicbteten, mit andern Worten, wenn sie sicb «eniger an die Gütterindivi-duen als an die Gottbeit im Ganzen bielten, von der in jedcm einzelnen ein Tbeil, sie selbst in ibrer ganzen Fülle aber in in Keinem wobnte: wenn, sage icb, Manche auch wirkiicb so dachten, in der 1Menge konnte doch schwerlich eine solche Denk-art sicb verbreiten oder behaupten. Eine Naturreligion, deren Gutter von Hause aus etwas anders als reinsittliche Wesen waren, ein Cultus, der vieifaitig alles andere cber als sittiiche Ideen hervorrief, eine Myti.ologie, auf dem Boden der Naturreligion entstanden, und dann vorzugsweise von.einer mebr kiinst-leriscben als religiösen Interessen dienenden Poesie ausgebildet, alles dies scbmeichelte zu sebr den unsittlichen Trieben und Neigungen, als dass nicht hiitte eintreten sollen, was der Apostel Paulus sagt: „sie wurden dabin gegeben in ibrer Herzen Gebiste und in Unreinkkeit.quot; Diesen sittlichen Verfall des Heidenthunis kann und wird kein Unbefangener leugnen, noch seine Quelle verkennen. Er war eben durch das primitive Wesen der Religion selbst veranlasst: seine Spuren zeigen sicb deswegen, wenn auch vereinzelt, doch schon friih, bis er zuletzt immer grosser und immer allgenieiner, und eine liettung nur durch den Untergang des Heidentbums und die Bekehrung zu der ihm principiell ent-quot;■egengesetzten Religion des Geistes möglich ward.
Icb babe, glaub' icb, mit diesem Zugestandniss auch den eifrigsten Gegnern des griechischen Heidentbums ein volles Ge-nüge getban: es fordert die Gerechtigkeit, nun auch die andere Seite des Bildes nicht zu überseben. Die Griecben diirfen es von uns verlangen, dass wir sie beurtheilen nicbt nach dem was
17
sie waren in den Zeiten ihres Verfalls, sondern in den Zeiten ihrer Blüthe, dass wir nicht bloss sagen, «as sie geworden sind in Folge ihres Heidenthnnis, sondern atich was sie gewesen sind trotz dieses Heidenthinns. Ich hahe schon frfiher angedeu-tet, dass mir das Leben der Griechen in ihrer Bliithenzeit nicht eben schlechter und unsittlicher gewesen zn sein scheine, ais das der Neuern, soweit ich beides ans der Geschichte zn heiir-theilen vermag. Wohlverstanden, ich spreche vom Leben, wie es sich in Handlungen darlegt, nicht von Grundsatzen, zu denen man sich theoretisch bekennt ohne sic praktisch auszuüben. Denn an solchen allerdings sind die neueren Völker unverhalt-nissmiissig reicher. Von allgemeinen Menschenrechten nnd all-gemeiner Menschenlielte re.den sie inehr, die Sklaverei erkennen sie als ein Unrecht13), in den Beziehnngen der Sfaaton zn ein-ander wird Anerkennung ('remden Hechts und fremder Selbstiin-digkeit proclamirt, in dem A'crkelir der Einzelnen soil Gerechtig-keit, Wahrheit, fjiebe walten. Aber wenn wir dagegen fïir das, was tiiglich mn uns her geschieht, die Augen niclit verschliessen, •—-ich will nichts Einzelnes aufziihlen, denn das nuichte gehassig und anstössig sein —■, aher ich zwei(le, ob der Egoismns, wenn er die Sprache des Rechtes (ïihrt, darum weniger Egoismns, der Hass, wenn er leiser auftritt, darum weniger Hass sei: ich zweifle, ob die beschönigenden Formen der modernen Civilisation einen höheren sittlichen Werth haben, als die unverhiillter und derber auftretende Natürlichkeit der Alten: ich glaube vielmehr, dass ihre Wahrheit und Aufrichtigkeit audi nicht olme Werth sei, und dass, wenn sie mancher Dinge sich nicht schamten, deren die Neueren sich schamen ohne doch sich ihrer zu enthalten, da-für auch bei ihnen weit weniger von dem Gebrechen war, woran die neuere Zeit Manchen ganz besonders zu kranken scheint, der Heuchelei und Umvahrheit, Gebrechen, von denen Manche behaupten wollen, dass sie bei uns sich selbst in den Bereich drangen, ja dass sie in dem Bereiche vorzugsweise geniihrt und gepdegt werden, wo, wenn in irgend einem andern, allein uur Aufrichtigkeit und Wahrheit herrschen sollten.
Doch einc ^ ergieichung der sittlichen Praxis des Alter-thums und der tienen Zeit kann ich und darf ich nicht so durch-führen, wie es der Gegenstand verlangte. Icli wende mich deswegen lieber zu dem theoretischen Gcbiet, der sittlichreligiüsen
18
ErkenntnUs, voh dem ich ungescheuter und mit weniger Furcht vor Anstoss reden darf. Uenn das haben ja selbst die altesten christtichen Bekampfer des Heidenthums nicht angcstanden zu bekennen, dass es Christen gegeben habe bevor Christus auf Erden erscliienen sei 14j: so gern und willig begriissten sie jene wenn auch getriibten Strahlen der göttlichen Wahrbeit, die we-nigstens einzelne vorragentle Geister erleuchteten, und sie auf eine Stufe der Erkenntniss leiteten, die voni Christenthum nicht allzinveit entiernt scheinen durfte. Forschen «ir nun aber nach den ersten und gleichsam vorbereitentlen Aiuleutungen dieser höheren Ivichtung des Geistes, so mussen «ir schon auf die nachsten Jahrhunderte nach lloiner zuriickblicken, die, so quot;enig auch im Einzelnen iiber diese Zeiten bekannt ist, doch durch Alles, was wir von ihnen vernehmen, einen merklichen Um-scbwung in der Denk- und Sinnesart der Griechen zu erkennen geben. Schon bei Hesiod Iierrscbt eine ganz andere Stiramung als bei Homer, namentlich in demjenigen der Hesiodischen Gedichte, das uir als das iilteste der verschiedenen unter diesem Namen zusammengefassten zu betrachten haben. - dem ersten Lehrgedichte der griechischen Litteratur, den Werken und Ta-gen15). iSicht die Stimme des lieitern Lebensgenusses tönt uns aus diesem entgegen, kein harmonisches Behagen an der Welt und ihren Zustanden, oder frischer, freudiger Muth zu den Kani-|»fen, die zu bestehen sind, wié dies der vorherrschende Ton des von Homer geschilderten Lebens ist, nur seiten und aus-nahmsweise durch triibere Gedanken unterbrochen; sondern wir vernehmen hier uur die Stimme der Reflexion, die sich vorzugs-weise auf die Noth des bediirfnissvollen Lebens richtet, und die Sor^e für das Dasein, die Arbeit urn den Enverb einscharft, mit ernsten Mahnungen an die streng wakenden Götter, die nicht gewollt haben, dass das Leben dem Menscheu allzuleicht sei, und deren Huid man leicht verscherzen kann, nicht bloss durch Uebertretung der sittlichen Gesetze, die sie vorgeschrieben haben, sondern auch durch Versaumniss superstitiöser Riicksichten, die man in Menge von ihnen gefordert glaubte. — Was aber in dem Hesiodischen Gedichte sich ankiindigt, das zeigt uns die nachstfolgende Zeit nach beiden Seiten hin entwickelt: eine grössere sittliche ïiefe und eine ernstere Auffassung der göttlichen und menscblichen Dinge, aber auch ein aberglaubisclies
19
Uestreben, slch der Huid tier Himmlischen (lurch sorgfiiltige iiussere Cultusformen mid Beobachtungen zu versichern. Man sielit, der Geist ist nicht mehr befriedigt durch das, was bisher genügt hatte. Aus dieser Unbefriedigung entspringt dann aul' der einen Seite jcne mystische und theosophische Richtung, deren berühmtester Reprasentant Ephnenides von Kreta, deren wunderiichstes Erzeugniss die Orphischen Hirngespinste waren; auf der andern Seite eine Philosophic, die sich sofort mit den mythologischcn Vorstellungen der Homerischen Poesie in ent-schiedene Opposition setzte. Diese Opposition beruhteaberebenaur einem tieferen sittlichen und religiösen Bewusstsein, auf einer höheren und wiirdigeren Ansicht von den güttlichen Persönlichkeiten, die man nicht anders als sittlich erhaben gedacht und dargestellt wissen wollte, kurz auf dem Gedanken, den spaterhin ein Tra-gikcr mit den Worten aussprach: „Sitid Götter schlecht, dann sind es keine Giitter mehr.'' Dieser Gedanke liegt dem Ver-danimungsurtheil zu Grunde, welches Pythagoras, Xenophanes16) und Andere über die Homerischen Giitterfabeln aussprachen, ebenso wie dem Urtheil des Plato, der dieser Fabeln wegen die Dichter aus seinem Staato verbannt, damit die Gemüther der Jugend und der Unmiindigen nicht durch ihren verfiihrerischen Linfluss irregeführt werden. Und wenn man alle x\eusserungen in diesem Sinne bei den heidnischen Schriftstellern zusammen-stellte, man wiirde fmden, dass Nichts, was spaterhin die Apologeten des Christenthunis gegcn die Unwürdigkeit und Unge-reinitheit der mythologisclien Vorstellungen gesagt haben, nicht auch schon unter den Heiden selbst gesagt worden sei17). Aber freiiich die Dichter wurdcn nicht aus den Slaaten verbannt, und ihre Eimvirkung, die Plato verhindern wollte, wurde nicht verhindert18). Und wenn auch zugegeben werden muss, dass ein Glaube an alle Einzelheiten der mythologischen Fabeln keines-weges vorhanden war, ja wenn sich darthun lasst, dass ein soldier Glaube auch gar nicht vorhanden sein konnte19), so lag doch in dem ursprünglichen Wesen des Heidenthums selbst, und in dem Culte, durch den es ins Leben eingrifl' und auf die Geister wirkte, ein schwer zu übervvindendes Hinderniss, welches sich den reineren nnd würdigeren Vorstellungen in den WTeg steilte. Doch davon ist schon oben geredet, und die nothwen-(lige Consequenz aus dem Principe der Naturreligion ist zuge-
20
standen worden. Wer also sagt, dass es christlich Gesinnte auch im Heidenthum gegeben habe, der sagt damit nichts anders, als dass es Geister gegeben habe, die den Boden der volksthiiniliclien Religion verlassen, nnd sich aul den Standpunkt der Religion des Geistes erhoben haben. — Die Philosophie begann sich dahin zu erheben,'seitdem Anaxagoras den walten-dcn und ordnenden Geist der Materie, als dem lïeherrschten und Geordneten,quot; entgegensetzte. Sie begann, sage ich: denn es ist gewiss, dass dieser Geist beim Anaxagoras noch nicht zu seinem vollen Rechte kam, und dass noch viele Stufen zwischen diesem Standpunkt und demjenigen liegen, auf dem, am Schlusse der Blüthenzcit des Hellenenthunis, Plato stcht. \Mevvohl zu seinem vollen Rechte war auch bei diesem der Geist noch nicht n-elangt, denn auch bei ibin bleibt die IVIateric dem Geiste gegen-iiber: er ist nicht absolut frei, er ist in seinem Walten bedingt durch Etwas ausser ihm selbst, und so erhaben, so weise, so heilig er auch ist, der Gott des Christenthums ist er noch nicht.
Wollen wir aber im Allgenieinen den religiösen Standpunkt jener Philosophic bezeichneii, so können wir sagen es sei Mo-notheismus mit Polytheismus gepaart. Einer steht an der Spitzc der Welt: in ihm vereinigt sich die höchste Weisheit mit der grössten Macht: er ist gerecht, gut, vollkominen, heilig: er be-heiTscht die Natur ohne vou ihr beherrscht zu werden. Ihm iintergeordnet ist eine Schaar von vveniger vollkommnen Göttern, seinen Dienern, ja seinen Geschöpfen. Diesen hat er die Welt übergeben: sie wirken und walten, jeder in dem Kreise der ihm angewiesen, und nach dem Maasse der Macht und Weisheit, das ihnen verliehcn quot;ist. Eine solche Ansicht mochte uun sich auch mit dem Volksglauben auf gewisse Weise wohl vertragen. Die Vielheit der Götter batte sie mit ihm gemein, nur dass sie durchaus dem Einen Höchsten untergeordnet wurden; ja dieser Höchste selbst durfte unbedenklich auch mit demselben Namen bezeichnet werden, mit dem die A olksreligion den (ïötteikönig bezeichnete, da dieser Name von ganz allgemeiner Bedeutung war. Auch dem Culte der untern Götter brauchte man sich nicht zu entziehen, insofern man das, was in ihm symbolisch war, in einem etwanig befriedigenden Sinne zu deuten vermochte; ja selbst in den mythologischen Fabeln mochte man sich manches getallen lassen, insofern es den Begriffen von, wenn auch nicht sitt-
21
lich vollkommenen unci heiligen, so doch audi nicht unsittlichen Wesen nicht uidersprach, und als hildliche Einkleidung von ethischen oder physischen Satzen genommen werden konnte.
Zwischen dieser Ansicht der Philosophen und dem durch Homer und den Cultus genahrten und getragenen Volksglauben gah es nun notliwendig manche Mittelstufen. Die Resultate der Philosophic hliehen nicht und konnten nicht aufquot; die Philosophen beschrankt bleiben, sie mussten sich in weiteren Kreisen verbreiten und, wenn auch nicht die Masse des Volks, doch eine grosse Zahl von Gebildeten beriihren und anregen, und zwar nm so gewisser, je itiehr ihnen die gesunde Vernunft, das eigene sittliche Gel'ühl und das religiose Bedürfniss entgegen kamen. Wenn man auch in die Speculationen der Philosophen selbst nicht einging, die Fragen iiber die Grundursachen der Dinge^ fiber die weltbauenden und erhaltenden Kriifte, die den Erschei-nungen zu Grundc liegende Realitiit, die Kriterien des Wahren und des Falschen, des Guten und des Bösen nicht auf ihren abstrakten Wegen zu verfolgen geeignet nnd geneigt war: die Punkte wenigstens, wo die Philosophic sich mit der Religion berührte, waren auch für das allgemeine Bewustsein der Gebildeten von zu grossem Interesse, als dass man von ihnen nicht hatte Notiz nehinen, und, wenn dies geschah, dass man nicht bis zu einem gewissen Grade auf die Seite der Philosophic hiitte treten sollen. Die Philosophie nun verhielt sich zu den mythischen Vorstellungen von den göttlichen Dingen theils kri-tisirend theils deutend: kritisirend, insofcrn sie alles verwarf, was der Vernunft und Sittlichkeit vvidersprach, deutend, inso-fern sie in einem grossen Theil der Mythen nur den allegoriscbcn Ausdruck physischer Siitze, nicht aber cigentlich zu verstehende Erzahlung vom Handeln wirklicher Personen sah. Gegcn das crstere konnte sich natürlich von keiner Seite ein ernstlicher Widerspruch erheben; viehnehr jene Kritik befreite die Vorstel-lung von einem Widerspruch, in den sie sich verwickelt fand. wenn sic sich an die Mythen und ihre Uebeiiiefemng bei den Dichtern hielt. Aber auch das andere, die Deutung, musste man wenigstens insoweit gelten lassen, dass, wenn man auch die Art und Weise, wie das Einzelne zu dcuten sei, auf sich beruhcn liess, man doch im Allgemeinen zugab, dass die Mythen nicht als buchstabiich wahre Geschichten, sondern als bildliche
22
Einkleidungen gewisser Ideen zu verstellen seien. — Dass ein solcbes Verhaltniss zur Mythologie bei allen Gebildeten wirklich stattgefunden habe, lasst sich auls überzeugendste nachneisen, und ebenso auch, dass es weder vom Staate, noch von deiien, vveichen die specielle Sorge für die Staatsreligion oblag, als ein unberechtigtes betrachtet worden sei. Demi von einer kirehlichen Dogmatik, die die Priester zu lehren, von einein orthodoxen Glauben, den sie zu bewahren verpflichtet gewesen waren, ist im griechischen Alterthum nicht die Rede. Die Gutter, die seit der Viiter Zeiten im Staate galten, anzuerkcnnen und zu ehren, ihnen den Cult zu weihen, der nach altem Braucli ihnen zukam, das war die einzige Forderung, die der Staat und die Priester-schaft an die Burger stejlten, und diese Forderung konnte Jeder mit gutem Gewissen erfüllen, da ihm iiber die Weise, wie er sich die Gutter diichte, und fiber die Bedeutung, die die Cult-gebrauche fïir ihn liiitten, kein Glaubeiisbekeiintniss abverlangt und keine Glaubensregel vorgeschrieben vvurde. Bei dieser Freiheit der Gewissen können wir sagen, daés im Alterthume wirklich gewesen sei, was Manche als das Ziel bezeichnet'ha-ben, dem auch die neneste Zeit entgegen gehe, eine individuelle Religiositat20), d. h. eine Heligiositat, die ohne an eine be-stimmte Glaubensform ansschllesslich gebunden zu sein, sich fiber die göttlichen Dinge mit der Vernunft verstandigte, je nach dem Masse der Einsicht und Erkenntniss, die Jedem zu errei-chen vergönnt gewesen war. Das Gemeinsante und Bindende, die Basis, anf welcher sich der Gebildete mit dem Volke zu-sammenfand, war, wie gesagt, nur die Verehrung der alten Giitter in den hergebrachten Cultusformen: und dass diese Verehrung auch bei den Uochgebildeten eine herzliche und aufrich-tige, eine wahrhafte Iroinme gewesen sei, wer tk'irfte das bezwei-feln, wenn er anf so viele Stimmen achtet, die davon Zeugniss geben21)? Und warum solite sie es nicht auch gewesen sein? VVarum solite sich nicht das religiose Gemfith die unendliche Kluft zwischen dem Höchsten, dem Unerforschlichen und ünbe-greillichen, den kein Gedanke erreichen, keine Vorstellung fassen kann, die Kluft zwischen diesem und dem Menschen gern und glaubig ausgefiillt haben mit jenen nicht unendlichen sondern gewordenen, aber persüniichen und menschenahnlichen Giittern, zu dcncn Einer beten mochte mit vollem Vertrauen, dass sie
23
in ihn hörten, zu denen er aulschaute als zu den wohiwolleiideu
quot;h Lenkern seines Lebens, denen er zuschrieb, nas in ihm selbst
n, das Edelste und Beste nar, deren er iiberall bedurfte und ohne
n, die er Niebts vermochte. Dass so die Besten initer den Alten
in von ihren Göttern reden, vveiss Jeder der sie kennt, und dass
in es ihnen wahrer, heiliger Ernst damit gewesen sei, ware frevel-
in baft zu laugnen.
st Wie aber, mag man fragen, wie konnten sie so innig an
it die Gutter glauben, die doch in Wahrheit Nichts als Pliantasie-
i, gebilde waren? — VVollte ich hierauf ini Sinn der alten Kirchen-
i, vater antworten, so künnte ich sagen: Nein, sie waren nicht bloss Pbantasiegebilde, sie waren wirklich substanzielle Wesen,
r sie waren Engel und Damonen22), und jene Heiden irrten nur
r darin, dass sie die Anbetung, die dem Einen wahren Gott ge-
gt; biihrt, auf jene iibertrugen, und nicht den Schiijtfer sondern die
t Geschüpfe verèhrten23). Man sieht aus dieser Ansicht der f'rom-
r men Vater wenigstens soviel, dass eiu Glaube, den sie sich nur
so erklaren konnten, nicht ohne Kraft und Leben gewesen sei. Hatte man aber Einem der Denkenden unten jenen Alten selbst die Frage nach dem Ursprung seines Giaubens vorgelegt, so wiirde er wabrscheinlich geantwortet haben: Er glaube an die Gutter, weil dieser Glaube von den Vorfahren iiberliefert sei; den Vorfahreu aber batten sich die Gutter selbst und unmittelbar offenbart und zu erkennen gegeben. Denn es sei eine Zeit gewesen, wo die Giitter menschenabnlich unter befreundeten Men-schen gewandelt hatten, und aus dieser Zeit stamme, was von den Göttern Wabres und Gewisses iiberliefert sei24). Und hatte man weiter gefragt, was denn dieses Wahre und Gewisse sei, und woher denn doch auch soviel des Unwahren und Un-glaublichen iiber die Giitter gesagt und geglaubt werde, so wiirde er geantwortet haben: das Wahrste und Gewisseste sei, dass die Giitter daseien, dass sie miicbtig und erbaben, gerecht und weise, Freunde des Guten, Racher des Bösen seien, und dass den Menschen alle gute Gabe nur vou ihnen konime. Was iiber der Einzelnen besondere Aemter und Gestalten geglaubt werde, sei wohl weniger gewiss, und gehiire zu den Dingen, deren sichere Kunde den Menschen verborgen sei25). Falsch aber sei sicherlich Alles, was mit der Giite, Weisheit und Ge-rechtigkeit der Götter nicht zu vereinigen sei. Dieses Falsche.
24
.ibei sei in den Glauben eingetlrungen entweder durcli Miss-* erstand bildlicher Darstellung, oder, mul inehr noch, durch eine ^ ercluquot;kelutig der iiltesten üeberlieferung, durch einen Ahfall »oii der Offenbarung, da die Dichter angefangen, leichtl'ertig über göttliche Uinge zu reden, nnd die Schüpfungen ihrer Ein-bildung in unfronimem Sinne und zur Ergötzung unfronim Ge-sinnter als Thaten der Gutter zu besingen.
Dies also war im Allgemeinen der Standpunkt der Ge-bildeteu in Griechenland, d. h. dcrer, die weder zu den eigentlich sogenannten Philosophen, noch zu dem grossen Haul'en des llachcn und gedankenlosen A olkes gehörten, der Standpunkt, auf elchem nanientlich die bcssern Scliriftsteller der classischen Zeit alle stehn. Ich liabe ihn den Standpunkt individueller Re-ligiositat genannt, weil das Verhiiltniss zu dem überliel'erten Glauben durch das subjective Vermogen und die Sinnesart der Individuen bestimmt wurde, und es ergiebt sich hieraus, dass die Modilicationen im Einzelnen so mannichlaltig sein konnten, als die Individuen selbst waren. Für uns aber, die wir uns zu Auslegern jener Alten erbieten, folgt daraus, sobald wir etwas mehr als eiti Verstandniss ihrer Sprache und ihrer kiinst-lerischen Formen, sobald wir ein Verstandniss ihres Geistes und Sinnes vermitteln wollen, nothwendig diese Forderung, dass w ir befahigt seien , in ilire sittliche und religiose Individualitat einzugehn, uns selbst iebendig auf ihren Standpunkt zu verse-tzen, uns jcder vorgefassten Meinung, niögen wir sie aus dem Alterthum oder aus der modernen Denkweise geschöpft haben, zu entaussern, uur zu sehen was wirklich da ist, ohne weder etwas hineinzutragen noch etwas zu übersehen. Hier wird nun allerdings nach den beiden entgegengesetzten Seiten hin nicht seiten gelehit. Ausgehend von dem in seiner Allgemein-heit nicht zu laugnenden Satze, dass Etwas von christlichen Ansichten und Gedanken 'auch im Alterthum sich linde, dass auch dass Heidenthum schon eine Vorahnung christlicher Wahr-heiten gehabt, haben Manche, nicht zul'rieden, dergleichen in einzelnen vorragenden Geistern des Alterthums anzuerkennen und nachznweisen, sich verleiten lassen, auch in Solchem, was recht eigentlich aul dem Boden des Heidenthums ervvachsen ist, ein Analogon des Christlichen fmden zu wollen, und Mythen, die ihrer Entstehung und Bedeutung, Cultgebrauchen, die ihrer
^3
Symbolik nach lediglich der Naturreligion angehören, einen In-halt zuzuschreiben, den sie aus der wesentlich verschiedenen Sphare der lieistesreligion e'ntlehnten. Wir haben lïemiiliungen dieser Art als Vorzeichen einer Wiedergebnrt der Pbilologie preisen gehort26); doch die Pbilologie, in dieser Richtung fort-schreitend, würde in der That das Bild des Alterlhums bald bis zur Unkenntlichkeit verfiilschen. Aber nicht «eniger freilich verfalschen es auf der andern Seite auch diejenigen, die fiir keine Erscheinung ein Auge, f'ür keine Grösse ein Maass haben, sobald -sie sich von dem, woran sie genöhnt sind, entlernt. Diese erkennen die Manichfaltigkeit der Richtnngen, die Verschiedenheit der Standpunkte, die Berechtigung der Individuen gerade auf diesein sittlich-religiösen Gebiete nicht an, wo sie am meisten anerkannt werden müsste, und sie erkennen sie deswegen nicht an, weil sie für das, was auf diesem Gebiete liegt, überhaupt kein rechtes lebendiges Interesse haben. Sie bilden sich ein, als ob hier kein Grieche, nanientlich kein Dichter, wesentlich fiber den Honierischen Standpunkt hinaus gekommen sei, als ob dieselbe so ganz und völlig durchgeführte Vermenschlichung der Götter, die naive ünbefangenheit oder Leichtfertigkeit, mit der auf der einen Seite von ihren Leidenschaften, \ erirrungen und Siinden erzahlt wird, auf der andern Seite aber sie doch als Gegenstiinde der Verehrung, als Wabrer des Rechts und der Tugend hingestellt weiden, fortwahrend die allgemein herrschende Denkart der Dichter gewesen sei. Weil man gleiche Formen findet, so setzt man auch den gleichen Inhalt voraus: weil der sj)iitcre Dichter den Gott mit demselben Namen benennt, wie der frühere, und manches von den Fabeln aufnimmt, die der Frühere erzahlt hat, so schliesst man, dass auch die Vorstel-lung von dem Gotte und der Sinn, in dem die Fabel gefiisst werde, bei beiden nicht wesentlich verschieden gewesen sein könne. Und doch ist das Gegentheil so einleuchtend, dass man eine Verkennung kaum für möglich halten sollte. Man darf nur dem Homer denjenigen spatern Dichter gegeniiber stellen, von dem selbst die Oberfliichlichsten wenigstens dies wissen mussen, dass er das Bewusstseiu des grössten Theils der Gebildeten seines Zeitalters am entschiedensten und unzweideutigsten aus-spreche, den Euripides. Nun, Euripides verwirft an vielen Stellen gradezu und mit klaren VVorten alle jene mythologischen
26
Anstiissigkoiten, an denen die Homerische Poesie so reich ist, als verdammliche Lügen der Sanger. Er spricht den Satz aus, dass Glitter, welche schlecht seien, auch iiberall nicht Gutter seien, und er giebt uns durch solche Urtheile den deutlichsten Aufschluss über seine Schatzung der Mythologie überhaupt, und die sichersle Uelehrung über den Sinn, mit dem er sie auch da behandelt habe, wo er ihre Fabeln anwendet ohne seine Kritik ausdrücklich auszusprechen. Nun ist aber auch dies allbekannt, dass kein anderer Dichter jener Zeit in Griechenland so popular gewesen sei, als eben dieser Euripides. Wie aber ware das möglich gewesen, wenn jene Art von Kritik nicht in dem Be-wusstsein einer grossen Zahl Anklang und Wiederhall gefunden hatte? Will man min etwa sagen, Eurijtides und seine Zeit seien eben nicht mehr echt antik gewesen? Allerdings diese Zeit steht auf der Grenze, wo die Blüthe antiker Bildung zu welken beginnt; aber man wird doch wohl nicht meinen, dass das Alterthum mit einem raschen Sprunge, durch einen plötzlichen Umschwung von dem Homerischen «Standpunkt auf den Euripi-deischen gekommen sei. Aeschylus,-der alteste der drei Fürsten der Tragödie, ist vom Euripides nicht volle funi'zig Jabre ge-trennt. Soil vielleicht innerhalb dieser lunfzig Jahre eine so totale ümwandelung vorgegangen sein, dass der eine Dichter ganz auf dieser, der andere noch auf jener Seite steht'? Diese Ansicht würde gar keiner ernstlichen Widerlegung werth sein. Nein, Aeschylus denkt in Wahrheit nicht weniger würdig von der Gottheit, als Euripides; er ist nicht blindglaubiger gegen die Fabeln als dieserquot;27). Aber darin besteht der ünterschied zwischen beiden, dass der Eine mit seiner Kritik laut.und wort-reich hervortritt, der Andere sie schonend und gleichsam still-schweigend übt, der Eine auch die anstüssigsten Dinge aus den Fabeln aufnimmt, um sie dann zu kritisiren, der Andere mit weiser Auswahl nur dasjenige darstellt, was ihm unanstössig oder als Hülle einer wahren und würdigen Idee erscheint, dem Einen endlich selbst das Dasein der Volksgötter zweifelhaft ist, der Andere an sie glaubt, aber so, wie es des frommen und weiscn Mannes würdig war. Demi indem er den Volksglauben theilt und ehrt, erhebt er sich doch fiber ihn: indem er sich nicht negirend und kritisirend ihm gegenüberstellt, sondem in seine Vorstellungsformen eingeht, adelt er diese zugleich durch
27
den Sinn, in dem er sie auffasst. — Die üehandlung ciniger seiner ïragodien, die in diesen Sinn einzugehn, und den Aeschylus aus sich selbst und von seinem eigenen Standpunkte aus zu erkliiren unternahm, hat von einer gevvissen Seite her den Vorwurf erfahren, dass sie von modernen Anschauungen aus-gehe, und den alten Heiden mit Gewalt zum Christen machen wolle. So wenig vermogen Manche, den Ausdruck der Frümmigkeit zu verstehn, wenn er in die Formen des Heiden-thums gekleidet ist: so sehr vergessen sie, dass es auf dem religiösen Gebietc ein allgemein Menschliches gieht, welches weder dem Christenthum noch dem Heidenthum ausschliesslich eigen ist, sondern sich mit den verschiedensten Ixeligionslbrmen vertragt. üenn nur dies allgemein Menschliche ist es, IN'ichts ausschliesslich Christliches, dessen Anerkennung der unbefangene, aber lïir die Wahrheit, wo er sie iindet, empfiingliche Forscher des Alterthums auch bei Jenem anerkannt wissen will28). Da-durch wird Aeschylus nicht modern ; er bleibt antik wie er ist, antik in seiner sinnlich lebendigen, kriiftigen Ausdrucksweise, in seiner einfachen, grossartigen Compositionslbrm, in der plasti-schen Gediegenheit seiner Gestalten, in der Wahl der Typen, in denen er seine Gedanken auspragt; aber auch antik in dem Geiste, lt;ler seine Dichtungen beherrscht und durchdringt, antik in seiner ganzen Anschauungsweise der giittlichen und menschliclien Dinge, die sich auch da, wo sie sich am höchsten erhebt und am nachsten an das christliche liewusstsein heranstreift, doch nicht fiber die Grenze hinaus versteigt, die das Heidenthum, auch das weiseste und frömmste, vomChristenthumescheidet. Das dagegen, was man ilim liat quot;aufdringen wollen, die Geringschiitzung der Götter, die üeberhebung menschlicher Kraft und menscblicher Weisheit der göttliclien gegeniiber, das stolze Selbstvertrauen, das zur Tugend und Trefflichkeit ohne den Beistand der Götter durch die eigene Natur zu gelangen walmt, das ist nicht antik, dem widersprechen laut die Stimmen des Aeschylus selbst und seiner Zeitgenossen, das ist, wo dergleicben im Alterthuni sich zeigt, schon eine Entartung, das ist vielmehr neues als altes Heidenthum. Denn, ich wiederhole es, nicht Aeschylus allein steht auf jenem Standpunkte wahrer Frömmigkeit; es stehn auf demselben alle Bessern dieses Zeitraums, und ich habe jenen nur deswegen namentlich herausgehoben, weil bei Keinem an-
28
dern jene Religiositiit elnen so innigen uiul warmen Ausdruck gefunden hat, als bei ihm, einen Ausdruck, der trotz der Vor-' stellungsformcn, die wir voi» unserm Standpunkt aus nicht umliin können für unangeniessen zu erklaren, dennoch eben durch die Innigkeit und Warme der Gesinnung auch anf das christliche Gemiith wohlthiitig und envarmend zu ivirken nicht verfehlen kann. Euripides hat von solcher Warme Nichts: ihm ist die Religion vielniehr Sache des Verstandes als das Gemiithes, der Keflexion als des Glaubens; er ist durchaus rationalistisch, und die mythischen Formen als Einkleidung höherer Ideen zu behandeln sagt seinem Sinne nicht zu; sie sind ihm nur ein poetischer Stoff, den er ohne religiöses Interesse behandelt, oder den er, sobald ein solches bei ihm zur Sprache kommt, nur seiner rationalistischen Kritik untervvirft29). — Zwischen die-sen beiden min haben alle classischen alten Schriftsteller ihre Standpunkte, theils dem Einen theils dem Andern naher; aber ich vrürde die Grenzen des gegemviirtigen Vortrages weit über-schreiten mussen, wenn ich es untemahme, dies an den Einzel-nen nachzimeisen. Es ware aber wohl eine lohnende Aufgabe, die ausgezeichneten und wahrhaft classischen unter den Alten einmal in dieser Beziehung tiefer und eindringender, als es bis-her geschehen ist, zu betrachten: viele herkömmliche Irrthümer, viele oberdiichliche Vorurtheile würden dann widerlegt, aber freilich anch vieler und heftiger Widerspruch hervorgerufen werden bei allen denen, die nun einmal gewohnt und entschlossen sind, sich aus den Alten nur das herauszulesen, was ihnen zu-sagt. Die aber, denen der wahre Geist und Sinn jener Alten offenbar und üeb geworden ist, und die sich bemfen lulden, ihn den Zeitgenossen zu verkünden und zu deuten, sollen sich darin nicht irre machen lassen durch den Wiederspruch, den Flachheit und Einseitigkeit gegen sie erheben.
29
1) Kin deiitsrhcr Theologe (llumlcsliagcn), in dter trcfflicheii Schrift, Der deutsche l'iotcstiintisiniis. Zwcitcr A lui ruck. Frkf. a. M. 1847, iicnnt S. 108 schr init Rt!rht itie Lchre voni Glauben eine schwer niissverstandenc, mid zwar, darf man Avohl hinziisctzen, nicht am wenigsten gerade auf der Seite missverstanden, die sich vorzugs-weise ihres Ghiubens zu riihmcii pflegt. Ob den Anatlienien, init wel-chen die alte Kircbe ibre Glaubcnssiitze zu stützen liebte, wirlilieli der Glanbe zu Grimde gelegen babe, den II. S. 29. so wahr und treffend als den echt christlrchen bezeiclinet, oder nicht vielniehr die S. 96 gesebilderte Gesinnnng, die an der lieligion nnr ein wissenschaftliehes Interesse nimmt, und sich eben uur für die Arbeit erhitzt, deren sie den Gegenstand gewürdigt, für ibre eigene Ehre, für ihr Irh, dass sich in Folge irgend welchen Antriebes einmal auf dicsen l'iinkt ge-worfen bat, darüber diirfto bei einiger Bekantschaft mit der Kirchen-gescbichte kaïim ein Zweifel stattlinden könncn. — Ob man aber jene Anatlieuie M'irklich in der im Texte angegebeneu Weise begründet habe, veiss ich freilich, als in jener Litterator weuiger bcwandert, nicht mit Gewissheit anzugeben , ich sebe aber nicht, was sich zu ihrer Begriiiidimg Anderes hiitte sagen lassen.
2) So z. IJ. jüngst in der Schrift von Dr. Sclileuimcr in Miin-chcn, Ueber llellenismus und Christenthuni, die ich indessen nnr aus dein Bericht kenne, der iu den N. Jahrb. f. 1'hilologie und Püdogogik 1847 Bd. 50, 2 S. 255 ff. davon gegeben ist. Eudaiuoiiismus, heisst es hier, Gennss und Freude seien dein Griechischen lleidentbume Hauptzweck; es trete in directen Gegensatz zur christlichen Lebrc vou dem Willen, von Freiheit, ethischer Kraft, und leiste der modernen Negation den hülfreichsten Vorschub. — Auch Hundeshagen S. 58 ist der Meinimg, dass dureh das Studium des Alterthnms eine Pelagi-anische Keigung genahrt werde. Ich denke, nur dann, wenn man das Alterthuui mit dem Zeitalter der So|ihistik beginnen lasst, und alles Frübere ignorirt. Uenn der Glaube der Aelteren ist in der That voni Felagianisiiuis sehr weit entfernt, und Aenssernngen, wie die des Aka-demikers bei Cicero de n. d. Ill, 36: Virtutem nemo unquain acceptam deo retulit. Nimirnm rccte. Propter virtutem enim inre laudaintir et in virtute recto gloriamnr, quod non contingeret, si id doiiniu a deo.
30
non a nobis Imbercinns, — win! man bei ihnen nicht vielc findcn, wohl aber cntgegengcsctzte in grosser An/ulil.
3) Ob die aufgestcllten S.it/r wirklicb dein echten mid wesent-lichen Principe des ChrUtenthiims erschö|)flt;-nd cntsprecben, dariiber sind bcltanntlirh audi die Theologen nichts weniger nls cinig unter einander, nm gar nicht von den Nichttheologen zn reden, von denen Eincr, den jeder gewiss als einen vollkomineii beriifencn Stinimfüh-rer des religiösen Bcwtisstseins eincs sehr achtnngswnrdigen Theiles der Zeitgenossen gelten lassen vvird, E. Ueinhold, in der Schrift, üns Wesen der Religion mid sein Ausdriick in dein evangeliscben Christen-thuin. Jena 1846, als den wesentlichen Gehalt mid Kern des Chri-stenthnins noch sehr bedentend weniger anerkennt. Gervinus in dcr Mission der Dentsehkatoliken. Zilrich 1816, S. 2T sagt u. a. „Gewiss ieh wciss jenen Intherisclien Glanben nnd jede andere aus wall rem innern Orange geflossene Glanbcnsart in jedein Menschen 7.11 acht én und 'zu ehren; doch sehe ich in jedem Meuschen dieser Art, je anf-richtiger und naiver er ist, überall cinen Fremdling und einen Gast gleichsam aus andercr Zeit quot;
4) Bei F. A. Wolf, Grundriss der Alterthiiinswissenscliaft, S. 70 der Ausg. von Hoflinann,
5) Eine sehr genaue Darstellung der Ansichten des iiltesten ehrist-lichen Apologeten, Jiistinus des Mürtyrers, iiber die Engel, giebt Seinisch in der trefflichen Monographie iiber Jnstinus (Rreslau 1840. 42.), Th. II. S.339 ff. 343 ff. 377 ff. lm allg. vgl. man Petav. de theol. dogm. toin. 111. zu Anf. Mosheini, de daemonologia Christiana in den Uissertt. ad hist. eccl. pertin. I. p. 343., uml über die weitet unten erwiïhnte Mei-nung, dass die Götter gefallene Engel scien, Semisch I. S. 153 ff. u. II. S. 380 ff. Pfanner, theol. gentil. p. 310 ff. Piper, Mythologie u. Symbolik d. christl. Kunst. 1. S. 118. Den spiiteren Apologeten sagte im Allgemeincn mehr der Enhemerisnius «u, wonach die Götter der Heiden nichts als vergötterte Könige und Helden der Vorzeit waren. Einige der vielen Stellen dieser Art ans den Schriften jener Apologeten führt Limburg Brouwer a 11, in dem mir so eben ziigekomraenen Me-moire sur l'explication nllégorique de la mythologie grecque (a Gro-ningue 1847) p. 41.
6) Arnob. adv. gent. 1, 31: Prima enim tu cansa es, locus reruin ac spatium fiindamentumqne cnnctorum quaecunqne simt, infinitns, inge-nitus, immortalis, perpetuus, solus, quein nulla delineat forma corporalis, nulla dcteiminat circnmscriptio, qnalitatis expers, qnantitatis, sine situ, motu et habitu, de quo nihil dici et exprimi mortalium potis est significatione verborum: qui ut intelligaris, tacendum est, atque ut per umbram te possit errans investigare snspioio, nihil est omnino mutiendum. Vgl. Minuc. Felix, Octav. c. 18: Deo, qui solus est, Dei vocabulum totum est: quein si patreni dixcro, terrenuni opi-
31
ncris, si regcm, carnalem suspireris, si doroiniim, intelligcs utiquc mortiilem. Anfer additiiincnta nominuin, ct iicrspicies ejus cliiritateni.
7) O: nh'atot ras iv vh/S eïdei /wvtts (urjxf-ijaav u('Xrh tivat itav-tojv, saquot;;' Aristoteles, Metaphys. 1, 3, wo er die namliaflesten Ansichten aufführt. Ueber das Urwasser, die Urluft, das Urfeuer giebt jede Gescliiclite der alten Philosophic die erforderlichen Kachweisiingen: und audi das ist cine sich Jedein leieht darliictende Wahrnehinung, dass die alten Denker in diesen Ansichten oder Phantasien ihre \or-giïnger an den alten Dichtern Iiatten. Vgl. auch Baur, Symliolik 1. S. 343. und Krisehe, Forsclinngen S. 35. Das Urwasser des Thales finden wir in derjenigen alten Theogonie, deren Spuren die ilomerischeii Gedithtc zeigen: die Urluft des Anaxiinenes und Diogenes von Apollo-nia ist das llcsiodische Chaos, nicht, gt;vic die Meisten geiiieint liahen, der absolnt leere Uamn, sondern cine Inftige, nebelartigc Urmatcrie. Vergl. die deni vorjahrigen Vorlesiingsverzeichnisse der hies. Uuivers. für das Sonimerscin. vorangeschickte Abh.: Coinparatio theog. Ilesio -deae c. Homerica p. 6.7. Solchc nebelartigc Uruiaterie haben bekannt-lich auch unter den Neueren Viele angenonnnen, wie Kant und Laplace. Gegen die Alternative übrigens, die Lactant. II., 8. den alten materia-listischcn Natnrpliilosophen entgegen halt, itaque deus ex materia ortus est aut materia ex deo, licssc sich im A'ame dieser wolil ent-gegnen, dass es doch auch noch cin Drittes gebe, namlich aut deus (oder dei) et materia orti sunt ex aliquo, quod neutrum esset ipsuin, scd haberct in se causas utriusque generis: und in diescm Sinn habc ich denn auch iiu Textc über die Urmatcrie gcsprochen.
8) '/ƒ rije xoofiixjjs yevtastus n'fiapfitfi/ licist diese Xothwendigkeit bei Heraclid. alleg. Hom. c. 48. p. 160. Schow. Dicselbc ist ge-meint, wenn das schopferischc I'rincip (pvaig, natura genannt wird ; und wenn Lactant a. a. O. sagt: co revolventur, ut dicant et materiam, de qua mundus est, et mundiim, qui de materia est, natura extitisse, quiiin ego ipsaiu naturaiu Dcnm esse contendam, so bezeiehnet er da-mit zwar den Gegensatz zwischen sich und den Akadeiuikern, gegen die er dort disputirt, ganz richtig; abcr cin Stoiker würde ihm liabcn entgegnen können, dass eben dies anch seine Meinung sei. Vgl. Cic. de n. d. II., 32: nanique alii naturam censcnt esse vim quandam sine ra-tioue, cientein motusin corporibusnecessarios: alii autem vim participem rationis atque ordinis, tanquaiii via progredientem dcclarantemque, quid cujusqucrei causaeffleiat, quid sequatiir; cujus sollertiam nulla ars, nullfi manus, nemo opifex consequi possit imitando. Dicse letztern sind eben die Stoiker, denen Natur, Vorseliung, Welt nur verschiedenc He-zeicbnungen und verschiedene Manifestationen des Kincn hödistcn und allumfassenden Wcsens sind, aus dem alle Dingc hervorgegangen, welches in allen Dingen gegenwiirtig ist, in welches alle Dinge zurück-kehren werden, welches sie als denkend, als weise und vollkonimen, und wenn auch freilich nicht als reingeistig, doch nicht als grob kör-
32
pcrlich, snndern von der fcinstcn, iithcrisclien und fenrigcn Kürpdilicli-kelt dachten. Cie. 1. 1. c. 22.; Zeno igitur natiirain ita deiinit, ut eam dicat igncin esse artifieiosiini ad gignendiini progredientcni via. Vgl. noch Uing. L. VII., 135. 147 sq. 15ti.
9) Wie sieh /u diesein alisoliiten, alliinifassrndcn Scliicksal die einzelnen Scliicksalsgnttheiten verlialten, von denen so oft die Rede ist, oder wie es zu verstellen sei, wenn die Sdiicksale der itlenselien als Iiestiinint durcli den Uutliscliluss der Götter vorgestellt werden, dies darznlegcn wiirde eine weitlsinftige Krörtemng nötliig inaehen, auf die ich hier nicht eingehen knnn. jVm- diese Andeiitnngen will ich mir erlauben , erstens, dass die Schicksnlsgottheiten solche sind, in deren Wesen es liegt, dass ihnen das nranfiingliche altbcdingende SohicksaI oiTenbar sei, mul dass sie es nur vollstrecken: zweitens, dass innerhalb dessen, was im Ganzen nnd Allgeineinen von Anbeginn nnahanderlich bestininit ist, doch aucli, nainentlich im Gebiete des menschlichen Lcbens. viel Kinzelnes übrig bleibt, was, nnbcschadet jener allgemeinen Bcstlininung, so oder anders gewandt werden kann, und in dessen Lenkung die Götter freie Hand haben.
10) Einige freilich, wie Baur, das Christliche des Platonismus. Tnb. 1847. S. 58., nnd Stallbainii 1'rolcgg. ad I'lnt. Tiniac. p. 44., sind der Meinnng, dass der Platonische Gott die Welt obne praeexisti-renden Stoff geschaffen habe; aber der anfinerksanie Leser des Plato Avird vielinehr das Gegentheil linden, wie es schon Jiistinns Mart. coh. ad Gr. c. 21). |i. 60. Ott. gefunden bat. Vgl. l'fanniT, tbeol. gent. |». 157. Mosheim ad Cndworth, syst. int. p. 957. Ackennann, das Christliche im Plato S. 49.
11) Vgl. Kagelsbach, Ilomerische Theologie S. 37., wo mir indessen der wahre Gesicbtspnnkt doch nicht ganz richtig anfgefasst zu sein scheint.
12) Man vergleiche, nm nur Einiges, was sich mir grade dar-bietet, anzuführen, die Stellen bei Aristoph. Wolken v. 905. nnd 1070., oder Platons Euthyphrori Kap.G. nnd Hecks Anmk. zu Aristoph. Th. 1. S. 3G8. Dazu Jacobs Verin. Schr. lid. 3. S. 96. flquot;.
13) Wie indessen die christliche Kirehe selbst lange Zeit die Sklaverci nicht nur geduldet, sondern selbst befördert habe, darüber verdient der tüchtige Aufsatz „Sklaverci und deren Ausrottungquot; in der Beil. zur Augsb. Allg. Zeit. 1847, S. 1538 ff. nacbgelesen zu werden.
14) Vgl. bes. Justin. Mart, apolog. II. c. 8. 10. 13. und Seiuisch Th. II. S. 127. 161. 163 ff. In diesem Sinne ist es wahr, was Schelling sagt. Philos. u. Ilelig. Tub. 1804 S. 75., dass Christenthiiin und llcidcnthiim von jeher bcisanmien gewesen, nicht aber so wie es Schelling meint, dass das lleidenthnm in Mysteriën verhüllt, was das Christenthum offenbar vorgetragen habe. Ueber die Mysteriën steht seit Lobek das Urtheil der Besonnenen wohl fest: und schon lange
33
vor Lobeck hat Wegscheider eine Abliandlnng gesehriehen. De Graeco-ram raysteriis religioni non ohtendendis. Gotting, 1805.
15) Vgl. Benj. Constant de la religion I. XII. Allerdings hat O. Muller, KI. Schr. 11. S. 79. nicht TJnrecht, wenn er dagegen bemerkt, dasa jene Verschiedenheit der Hesiodischen Pocsie von der Homeri-sehen auch in dein verschiedenen StofT ihren Grnnd habe und durch den Gegensatz der epischen Schildernng der Heroenwclt und didaktischer Lebensweisheit herbeigeführt worden sei. Aber es ist doch klar, dass die Hesiodische Pocsie, eben indem sie diesen StofT wahlt, schon da-durch eine Stinimung der Zeit ansspricht, die nicht mehr znr heiteren Ergötzung in der Erinnernng an die Herocnzeit, sondern znr ernsten Betrachtung der Wirklichkeit mit ihren Zustanden und Forderungen aufgelegt ist. Die Spartnner nannten Homrr den Dichter für den Herrenstand, Hesiod den Dichter für die Heloten d. h. für die anf Arbeit angewiesene Klasse der Gesellschaft. Die Zei t des Herrenstandcs war vorbei als Hesiod auftrat: es war jetzt die Zeit, wo auch die niederen Schichten der Gesellschaft mit ihrein Bewusstsein in den Vordergrund traten, — Uebrigens ist eine ernstere Behandlung der Götter und ihrer Mythen auch in der Hesiodischen Theogonie zu erkennen, was ich namentlich in Beziehnng auf den Zeus in der Comparatio theog. Hes. c. Hom. p. 27. nachgewiesen habe: ja dass selbst zwischen den beiden Homeri-schen Gedichten, dem alteren, der Ilias, und dem jüngern, der Odyssee, ein Unterschicd in Hinsicht auf die Art und Weise stattfinde, wie die Götter dargestellt werden, hat ebenfulls B. Const. I. VIH. ch. ]. sehr richtig bemerkt, und schwerlich möchte sich diescr Unterschied bloss aus der Vei-schicdeiiheit des Stoffes der beiden Gedichte erklaren lassen, wie Müller mcint a. a. O. S. 73.
16) Ueber beide vgl. man Karsten, Xenopbanis Col. carm. reliquiae (Bruxell. 1830) p. 16.; iüber Pythagoras' Religiositat aber meine Einl. zu Aeschylus' Prometheus S. 101., und über Xenophanes bes. d. Fragm. no. XXI., 13. 21 u. Karstens Anmerk. p. 75. — Der vorher an-gef. Vers ist ans Enripidcs, Fr. Belleroph. XIX., 4.: ft (hoi ti Syüaiv aiaXQOV, ovx tiolv fteoi.
17) Dies erkennen die Apologeten zum Theil selbst an, wie Arnob. III., 6. Vgl. Davis zu Cic. de n. d. c. 16. Karsten zu Xeno-phan. p. 41. Creuzer in Ullm. u. Uinbr. Tbeolog. Stud. u. Kritiken 1846, 1. p. 210. ff.
18) Selbst der Eifer, mit dem die Apologeten jene Vorstellnngen bekampfen, dient zum Beweise, wie sehr sie ini Geiste des Volkes wirklich geherrscht haben mussen, da sich doch nicht annehmen liisst, dass jene ihre Strciche in die Luft geführt und gegen einenFeind gestrit-ten hsitten, der iu der That nicht bestritten zu werden brauchte. Vgl O. Müller, KI. Schr. II. S. 79.
19) Ich will hier uur an die vielen und unvereinbaren Wider-sprüche erinnern, die über jeden Gott ohne Ausnahme in den mytho-
3
34
logischen Ueberliefmingen vorVnnien, und die nothwcndig Jeden stutzig machen mul ziim Zweifel an der Glaubwurdigkeit solcher Ueberlieferungcn überhaupt veranlassen mussten, wie denn scbon das Proönüum der Hesiodiscben Theogonie die Mnsen, grade in üeziehung auf diese Gegenstündc, aiisdrüeklieh bekennen lasst, dass sie zwar Wahrheit, aber aucb Liigen zu sagen wüssten, v. 27., und Hekataus, nach Uenictr. Phal. de eloc. 5. 2. seine Genealogien mit der Erklarung begann, dass die Sagengeschiehten, die bei den Griechrn ini Sebwange gingen, ihm tto/./.oï v.tü ytlo'oi zu sein schienen. Aiuh Ilerodots Aus-druek II., 32. oi Tioir/aavrts irtoyovirjv vernïth keine sonderliche Glau-bigkeit an die Theogonie, und gleich zu Anfang seines Werkes sehn wir ibn zu einem zienilich rationalistischen Pragmatisnms geneigt. Doch eine speeiellcrn liebnmliung dieses Gegenstandes, über den bei Vielen noch sehr unrichtige Vorstellungen herrschen, muss ich einem andern Orte vorbehalten.
20) Z. B. H. Koenig, die Anfgabe des Jahrhunderts (Leipzig 1842) S. 51. Vgl. Zeiler, in den Jabrb. d. Gegenw. 18i4 S. 527. „Nur aeeundare Bedeutung haben die Vorstellungen, in welchem sich dom religiösen Bewusstsein sein inneres Wesen wiederspiegelt.quot;
21) Hierin, denke ich, liegt der Untcrschied zwischen jenen Alten, die nicht des Glaubens überhaupt, sondern nur des Glaubens au die mythologische Vorstellungsweise enthehrten, nnd einer doch wohl nicht sehr grossen Znhl der heutigen Gegner des Fositiven, die nicht sowohl Glaubens- als Unglanbensfreiheit wollen, und über Glaubens-zwang nicht deswegen klagen, weil sie überhaupt noch einen Glauben batten, dem Zwang angethan werden könnte, sondern weil ihnen nicht freigestellt wird, den Glauben derer, die noch welchen haben, irre zu machen und zu untergraben.
22) Vgl. oben Anm. 5. Freilich fehlte es auch nicht an solchen, die die heidnisvben Götter fiir blosse Pbantasiegebilde erklarten, wie es bei Clem. Alex. Protr. e. 2. §. 23. heisst, ovk 'óvTOJS 'óvrae, tia'/.Anp St ovSt 'óvras, fiüvov Si zo * óvófiazos rfTvx'/xórag. Doch dies waren yer-haltnissinassig wenige, und noch der heil. Martin y-on Tours sab die Damonen Jupiter und iVlercurius personIich vor sich erscheinen und bannte sie, wie sein Jünger und Biograph Sulpicius Severus versicbert. Dial. II. de virt. beat. Mart. c. i4.: Jam vero daemones, prout ad eum quisque yenisset, suis nominibus increpabat. Mercurium maxime pa-tiebatur infestum: Jovem brutum atque bebetem esse dicebat.
23) Daher nennt Origenes ctr. Cels. I., 1. p. 20. Lontm. das Heidcnthum eine clamp;aoe noXvamp;tirrjS. Mit welchem Ueehte, brancht hier nicht genauer erörtert zu werden. Vgl. indess Jacobs Verui. Schriften Th. 3. S. 98. die Anmerk. u. S. 348. ff.
24) Lactant. V , 19. sagt von dem Glauben der Heiden: si per-suasionis ejus rationem requiras, nullam |gt;ossunt reddere, sed ad m;ijo-rum indicia confugiunt, quod illi sapientes fuerint, illi probaverint, illi
35
scieiint quid essct n|itimuni. Alter dieses Wissen von den Gnttern mul {riittliehen Dingen hiittcn, nach der lierrsehenden Ansicht, die Torfahren cben deswegen , weil sic sellist noch den (iöttern niilier Maren mid in engerer Uezieliung zu ihnen standen, also dnrih eine Art von Offen-barnng-. Plat. Pliileb. p. 16. C. : 01' fiiv 'rraKaioï r-Qtixrovts j'/uoiv xai ty-yvTtyoj amp;tuiv oixovVTiS ToiavTt/v naytSuaav, Timae. p. 40. 1). nti-
attov tolt;c tl(gt;7j*óaiv t/in(joaamp;tv, ïxyóvois fiiv amp;s(üv ovaiv, cjs ïrfaaav, oarpwe Si nov roi'S yc tavriZp iryoyóvovs eiSóacv. ülicr welclie Stelle Atlicnag. apol. p. 2UG. Reclienb., Clem. Ai. Strom. V, 13, 85. Euseb. pr. eu. XIII, 1, 3. zu verijl. Ob Plato selbst es mit diesen Aensse-rungen ganz ernsthaft gemeint babe odernieht, thut INirhts zur Saehr, denn sie beweisen jedcnfalls die Ansicht :encr Zeit. Dersclben Ansicht geiiiiiss heisst es bei Cicero Tusc. I, 12.: Antiquitas, quo propius abe-rat ab ortu et divina progenie, eo melius ea fortasse, quae erant vera cernebat. und de legg. 11., 11.: Kitus familiae patrumqiie servare, id est — quoniam antiquitas proxiine accedit ad deos, — a diis quasi traditam religionem tueri. Vgl. noch Uicaearch ap. Porphyr. de abst. IV, 2. p. 293. Khoer. rovs nai.aiOLS xaï lyyve amp;t(üv ytyovdras ^t/.TioroiS re 'óvtae tpvati xal rov apiarov tamp;jxuTas piov, und andere Stellen iihn-licher Art bei lluscbke Analectt. litt. p. 332 fT, Chlebus, Jndenthum und lleidenthum, S. 116. tlerinann, gottesdienstl. Alterth. S. i, 7. — Xenophon, in den Memorabilien I., 4, 16. lasst wenigstens den Glau-ben an die Macht und Güte der Giitter den Mcnschen von jenen selbst cingepilanzt sein: und dass überhaupt das Gottesbewusstscin im Mcnschen ein eingebornes, von den Göttern selbst herstauiiuendes sei, ist eine Ueberzcugnng, die wir haufig genng aiisgesprnchen Jiiiden. Vgl. Cic. d. nat. deor. 1., 16, 43. 17, 42. II., 2. 5. u. a. bei Pfanner. thco-log. gent. p. 34. 36.
25) Keinem der Stcrblichen nar es vergönnt noch wird es ver-
gönnt sein.
Je das Wcsen der Gutter, das AU jemals zu erliennen:
Und so sich Einer am höchsten erhebt in vollcndetcm Denken,
1st sein Wissen doch Nichts; nurquot;Mciiuing giebt es von allem.
So singt Xenophancs Fr. XIV. p. 51. Karst., und vom Sim on id es er-zalilt Cicero de nat. deor. 1, 22, 60, als der König Iliero ihn gefragt, was und wie beschafTcn die Gottheit sei, babe er sich eincn Tag zniu Bedenken aiisgebeten; als jener daim die Frage wiederholte, zwei Tage, und so bei jcder wiederholten Frage immer wieder die doppeite Zahl, und endlich dem verwunderten Königc diesen Grund angegeben: Weil, jc langer ich nachdcnke, desto dunklcr mir die Sache scheint. — Si-monides war ein Dichter, der in seinen poetischen Werken sich der herkömmliche'n Mythologie, wenn auch mit verstandiger Auswahl, be-dientc; dass er sich uber als ein lilindglaubiger gegen die Mythen verhalten babe, wird man ihm nach jener Antwort schwcrlich zutrauen.
36
26) Von A. Lntterlicck , in der Schrift: Ueber die Nothwendig-keit einer Wiedergeburt der Philologie 7.u deren wissenschaftlicher Vollendung. Mainz 1817. — Der Vf. erwartet die Wiedergeburt der Philologie von einer Behandlungsart, wie sic Hr. Prof. v. Lasaulx in Tcrsnliiedciien kleinen Schriften über Gegenstande der Mythologie nnd des Culflis angewandt hat, indem er geflissentlich daranf ausging, die-selhen als Trager Mcsentlich christlicher Ideen darzustellen. Dass duroh eine solchc Ahsichtlichkeit, die die Dinge nicht darstellt wie sie sind, sondern wie man will dass sie sein sollen, in der That weder der AItcrtliiimswissenschaft nach dem Christenthum ein Dienst geleistet werden könne, springt in dieAugen, Hrn.Lutterbecks Schrift abpr ist gewiss sehr gut gemeint, nnd ilim, als einem katholischcn Theologen, der das Alterthum nnd den gegenwiirtigen Standpiinkt der Altertbnins-wisscnschaft nicht ans eigenen griindlichen nnd eindringenden Studiën kennt, ist es nicht zu verargen, wenn er verkennt worauf es eigent-lich ankoinmt. obgleich er allerdings hesser gethan batte, von Dingen, die er nicht zu beurtheilcn versteht, auch nicht öfTentlich, und gar als Wegweiser, zu reden. Dagegen aher nmss ich protestiren, dass nicine liearbeitnng des Aescbylcischen Prnnicthens von ihni als cine christlichc belobt wird, insofern sie, wie es scheint, damit in die gleiche Fiategorie mit jenen ISciiiiihiingcn gcstellt werden soli, von welchen er die Wiedergeburt der Philologie erwartet: und ich freue inich, dass dagegen auch schon Ilr. Keicbardt, in den Jabrbücbcrh der Gegenwart 1817 Oct. S. 832., Kinspruch gethan bat.
27) Grote in seiner history of Greece toni. I. |i. 519., wie ich aus dein Classical Museum no. 1G. p. 138. ersebe, (denn das Bucb selbst ist mir noch nicht ziigckouimcn.) spricht den Satz aus: Aeschylus seems tö have heen a greater innovator as to the matter of the mythes, than either Sophocles or Euripides: und das ist gewiss rich-tig. E iniges über die Frcibeit, mit welcher Aeschylus die mythische Uelicrliefcrung behandelt, babe ich schon in den Vindiciis Jovis Aeschy-lei bemerkt, p. 15, 17., nnd die Beispiele liessen sich leicht vermeb-rcn. Sein Princip, das Anstössige in den Mythen zu beseitigen, erkennt audi Aristophanes an, indem er ihn, in den Fröschen v. 1053, dem Euripides die Darstellung der Phiidra vorwerfen uild auf dessen Entgeg-nung, TTuteQov iï ov* üvta '/.uyov rot ror nigl rije 'PaiSyas die Antwort geben lasst: fia d//.' urr ' a).L aTtoxQvntfiv /ni] ro novTjQov róv ye troirjtrjv. Das aber macht mir den Aeschylus so vor alien an-dern Gricchischcii Dichtern bewiindernswürdig, dass bei Keinein, ohne Ausnahme bei Keinein, sich ein so reiner und inniger religiöser Sinn, und solche Weisbeit in der Hebandlung der mythiscben Dinge diesein Sinnc gemass iindet, wobei denn freilich zugestanden werden muss, dass cr sich unmöglicb ganz von dem Standpnnkte seiner Kation und seiner Zeit zu entfernen vermochte. Aber wabr ist cs, was Athenaeus VIII., 8. sagt, lt;pi).óaolt;pos t/v tojv navv ó Ala%ih)S, wenn er auch nicht
37
schulmüssig philosophirte; unrt wahr auch was Körner, Bricfwecha, mit Schiller Th. IV. S. 311., ojigleich nicht in bcsondcrer Bcziehung anf seinen sittlichcn nnd rclig;iü.scii Charakter sagt: „Aoschylns schcint fast luehr als cin Grieche; er scheint, wie Shnkspearc, ein Weltbür-ger zii sein, der zufiillig in Griechenland lebte, ah er auch alles mit Begeisternng auffasste, was ihm cin solches Volk nnd ein solche* Zeitalter bot.quot;
28) In dein Bericht über die Verhand!, der Königl. Sachs. Ge-seilsch. d. Wissensch. zu Leipzig no. VII. S. 243. heisst es: „Die An-dentiing des Vorwurfs, der den Froniethcus der Tragödic treffc, dass alles Gnte, was er den Menschen verliehen zu haben sicli rühme, nur in solchen Dingen bcstehe, die das Leben bequemer nnd angenehmer machen, nicht aber den Hlcnsclien sittlieh veredein, zeigt eine Ansicht die dein Alterthum ganz fremd war u. s. w.quot; Das Missverstandniss, welches dicser Ausstellung zu Grimde liegt, habe ich schon früher berichtigt, ia den Vindic. Jov. Aescli. p. 12., und ich denke es ist ein solches, in das ein aufmerksamer und unbefangencr Leser raeiner Arbeit über den Prometheus gar nicht einmal hiitte yerfallen können. Da ich es min hier doch wiederholt finde, so kann ich nur auf ein entschicdcnes Vichtverstehenwollen schliesscn; und dagegen ist denn freilicli Nichts anznfangen.
29) Ans der Frciheit, mit welcher Euripides die Mythen behandelt, ist ihm natürlicher Weise kein Vorwurf zu machen: diese Frei-heit haben sicli alle Dichter, Aeschylus nicht am wenigsten, genom-men, iinil sic war durch die Beschaflenheit der Saclie seliist gegeben. Aber das gercicht ihm zum Vorwurf, dnss er bei der Wahl und He-handlung der Mythen so rücksichtslos verfahrt, und die Verachtung, die er gegen einzelne Anstössigkeiten empflndet, auf eine Weise aus-spricht, dass sic auch die Götter selber trifTt. — Man wird nicht um-hin können, Schlegela Urtheil, (Vorl. üb. dram. Kunst u. Litt. I. S-146. d. Ausg. v. Boeking) wahr und richtig zu linden: ,,Ucberliaiipt ist die Meinung kcinesweges, dem E. das erstaunliche Talent abzu-sprechen; nur wird behaiiptet, es sei nicht mit einem die Strenge sitt-licher Grundsatze und die Ilciligkcit religiöser Gefühle über alles ehrenden Geinütlie gepaart gewesen.quot; Alles, was von Xcueren zu Gunsten des E. vorgebracht worden ist, enthalt in der That Nichts, wodiirdi dieses Urtheil widerlegt werden könntc, sondern iiiuft am Ende darauf hinaiis, dass man die nnleugbaren Vorzüge des Dichters mögliehst liervorhebt, seine Mangel und Schwachen aber als solehe darstcllt, die zu erklaren und zu entschuldigen scien. Das kann man bereitwillig zogehen': deswegen hören sie aber doch nicht auf. Mangel und Schwachen zn sein.