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ÜBER DEN

KIEFERMECHANISMUS
DER KNOCHENHSCHE

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ÜBER DEN KIEFERMECHANISMUS
DER KNOCHENFISCHE

PROEFSCHRIFT

TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD VAN
DOCTOR IN DE WIS- EN NATUURKUNDE AAN
DE RIJKSUNIVERSITEIT TE UTRECHT OP GEZAG
VAN DEN RECTOR MAGNIFICUS DR. C. W. VOLL-
GRAFF, HOOGLEERAAR IN DE FACULTEIT DER
LETTEREN EN WIJSBEGEERTE, VOLGENS BESLUIT
VAN DEN SENAAT DER UNIVERSITEIT TEGEN
DE BEDENKINGEN VAN DE FACULTEIT DER WIS-
EN NATUURKUNDE TE VERDEDIGEN OP MAAN-
DAG 25 NOVEMBER 1935 DES NAMIDDAGS TE
4 UUR

DOOR

WILLEM HILBRAND VAN DOBBEN
GEBOREN TE WEIDUM.

BIBLIOTHEEK DER
RIJKSUNIVERSITEIT
UTRECHT.

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ÜBER DEN KIEFERMECHANISMUS DER
KNOCHENFISCHE

von

W. H. VAN DOBBEN.

aus dem zoologischen institut utrecht und der zoologischen
station den helder

EINLEITUNG

In der grossen Mehrzahl der Arbeiten, die die Anatomie der
Teleostei behandeln, wird der Stoff ausschliesslich systematisch
oder vergleichend-anatomisch verwertet. Die Autoren be-
schränken sich meistens darauf, die bei jeder neu untersuchten
Art wieder abweichenden Formen der Skeletteile und Organe
aufs Genaueste zu beschreiben, und mit denen schon bekannter
Fische zu vergleichen. Fragt men aber nach der Bedeutung, die
solche stark variierenden Strukturen für ihren Träger besitzen,
so bekommt man meistens keine Antwort. Sogar über die ein-
fache Wirkung der Skelett- und Muskelteile schweigt die grosse
Mehrheit der Beschreiber. Statt die Teile eines Tieres mit-
einander zu vergleichen und ihre Zusammenarbeit darzustellen,
vergleicht man immer wieder die Teile verschiedener Tiere, in
der Hoffnung, systematische Beziehungen und vergleichend-
anatomische Gesichtspunkte zu entdecken. Ohne die Bedeutung
solcher Bestrebungen zu unterschätzen, darf man feststellen, dass
sie in eine Sackgasse führen, wenn man nur die Form, nicht
aber die Funktion kennt. Genaue Beschreibungen von Muskeln
z.B. haben nur Sinn, wenn man ihre Wirkung ebenso genau
darstellt. Auch eine vergleichend-anatomische Auswertung
dieser Muskeln ist nur interessant, wenn man weiss, welche Auf-
gabe sie im Organismus erfüllen; dasselbe gilt für Skeletteile.

Leider wurde dies nicht nur von älteren Anatomen, deren
Auffassungen diese Einseitigkeit förderten, verkannt; auch mo-
derne Untersucher beschreiben oft lieber Formen, statt deren
Bedeutung klarzustellen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass
die Arbeit der Anatomen immer unter einem Verkennen der
Funktionsforschung gelitten hat. Leider finden wir in physiolo-
gischen und ökologischen Arbeiten die Kehrseite desselben
Übels in dem Sinne, dass wir dort oft zu wenig von der ana-
tomischen Grundlage des Geschehens erfahren.

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Es gibt aber Ausnahmen; die Abhandlungen von Holm^vist
(1910, 1911) über die Kiefermuskulatur der Knochenfische und
die Analyse der Atmungsbewegungen, von
Willem (1926, 1931)
sind Beispiele dafür. Diese Forscher zeigen uns Form und Funk-
tion in einleuchtendem Zusammenhang, sie beschreiben so-
wohl Skeletteile, als auch die Wirkung der Muskeln auf diese
Skeletteile: d.h. sie zeigen uns den
Mechanismus, um schliesslich
anzugeben, welche Bedeutung dieser Mechanismus für den
Fisch hat.

Die vorliegende Arbeit ist entstanden mit dem Ziel, diese
Methode auf die Kiefer der Teleostei anzuwenden, also auf die
Elemente, die zum Greifen der Nahrung dienen.

Eine vollständige Behandlung der Nahrungsaufnahme darf
der Leser aber nicht erwarten. Es wurde nur versucht, die
Wirkung des Kiefermechanismus darzustellen, sowie seine Be-
deutung für den Träger. Aber sogar diese bescheidene Aufgabe
ist nicht vollständig gelöst. In vielen Fällen fehlte die Gelegen-
heit zu beobachten, wie das Tier seinen Kiefer benutzt, oder die
Kenntnis der Lebensweise stellte sich als unvollständig heraus.
In diesen Fällen bleibt die
Bedeutung des Kiefermechanismus
natürlich fraglich; man kann jedoch wenigstens seine Wirkung
feststellen, vorausgesetzt, dass man frisches Material untersucht.
Die Kiefer bilden eben einen Mechanismus; dieser wirkt, wenn
man den Unterkiefer senkt, und es ist ziemlich gleichgültig, ob
dies vom lebenden Tier, oder vom Untersuchenden ausgeführt
wird. Auch die Wirkung der Muskeln wurde festgestellt, indem
ich mit einer Pinzette an ihnen zog; eine ziemlich grobe Me-
thode, womit man aber bei vorsichtiger Anwendung, die
Qualität der Bewegung feststellen kann. Fixiertes Material ist
natürlich fast wertlos; daher beschränkt sich diese Arbeit auf
die Arten, die man in Holland lebendig bekommen kann. 1)
Diese gehören zu sehr verschiedenen Gruppen, welche in syste-
matischer Reihenfolge (Syst.
Kyle) behandelt werden. Eine
Ausnahme bildet
Perca, mit dem die Reihe eröffnet wird, weil
es wünschenswert erschien, zuerst eine gut bekannte, ziemlich
differenzierte Art etwas ausführlicher zu beschreiben. Diese
grössere Vollständigkeit besteht darin, das ausser dem Kiefer-
mechanismus auch die Bewegungen der übrigen Teile des
Visceralskeletts beschrieben worden sind, die gleichzeitig und

1) Mit Ausnahme von zwei tropischen Formen, Epibulus und Pseudoscarus.

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in Zusammenhang mit den Kiefern funktionieren. Auch die
Bedeutung
dieser Bewegungen für Atmung und Nahrungs-
aufnahme ist oberflächlich angedeutet, um annähernd anzu-
geben, welche Stellung der Kiefermechanismus in dieser Ge-
samtheit einnimmt.
Perca wurde gewählt, weil ihre Beschreibung,
wenigstens im Prinzip, für viele andere Arten zutrifft. Wo ein
grosser Unterschied auffiel (z.B.
Lophius), wird dies ausdrücklich
angegeben.

PERCA FLUVIATILIS L. (Abb. 1-12).

Das Öffnen und Schliessen des Mundes.

Das Öffnen des Mundes geschieht bei Perca, wie bei allen
Knochenfischen, durch Vermittelung des Interoperculum
{I op
Abb. ib). Das Interoperculum ist vorne durch ein Ligamentum

A-. = Oberflächliche Schicht des Musculus
adductor mandibulae.
Sehne von dieser Schicht zum Maxil-
lare.

Mittlere Schicht des Musculus ad-
ductor mandibulae.
Tiefste Schicht des Musculus ad-
ductor mandibulae.
= Dentale.
= Hyomandibulare.
= Hyale.

= Interoperculum.

= Ligamentum maxillo-mandibulare
posterius.

= Ligamentum maxillo-mandibulare
anterius.

mit geschlossenem,
Lmo =

Abb. I. Perca fluviatilis L., (a
= Angulare.

An

Mao =

Mdo =
Mio =
Mlh =
Mph =
Msh =
M ==
0 =
Pal =
Pm =
Pr =
Ra =
S =
S^ =

A„ =

A. =

D
Hm

Hy
lop
L

La

{b) mit weit geöflFnetem Mund.
Ligamentum mandibulo-operculare.
Insertionsstelle des Musculus ad-
ductor operculi an der Innenseite des
Operculum.

Musculus dilatator operculi.

Musculus levator operculi.

Musculus levator hyomandibularis.

Musculus protractor hyoidei.

Musculus sterno-hyoideus.

Maxillare.

Operculum.

Palatinum.

Praemaxillare.

Praeoperculum.

Radii branchiostegi.

Suboperculum.

Schultergürtel.

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mandibulo-operculare (Lmo, Abb. la) mit dem hinter dem
Kiefergelenk liegenden Teil des Unterkiefers (Angulus mandi-
bulae = Angulare;
An, Abb. \a) verbunden. Wenn das Intero-
perculum nach hinten bewegt wird und den Angulus mandi-
bulae zurückzieht, senkt sich der vor dem Kiefergelenk liegende
Teil des Unterkiefers; der Mund wird also geöffnet (Abb. i,
a-h). Dieser Mechanismus wurde von Holmqvist (1910) bei
Gadus entdeckt. Er zeigte in seiner vorbildlichen, aber noch zu
wenig bekannten Arbeit, dass das Interoperculum den Unter-
kiefer senkt, und nicht der im Mundboden liegende Musculus

protractor hyoidei
{Mph, Abb. \h). Das
Interoperculum wird
dabei auf die folgende
Art und Weise caudad
gezogen:

Das Hyale (Zungen-
bogen;
Hy Abb. \h
und 2) ist durch 'das
Stylhyale
{St, Abbquot;. 2)
mit dem Hyomandi-
bulare
[Hm, Abb. \h
und 2) beweglich ver-
bunden. Zusammen
bilden diese drei Ske-
letteile den auf den
Kieferbogen folgenden
Visceralbogen (vergl.
Abb. 3a). Die Verbin-
dungsstellen, über und
unter dem Stylhyale werden von Gelenken gebildet. Auch gelenkt
das Stylhyale etwa in der Mitte mit dem Interoperculum (bei
a:,
Abb. 2).Offnet der Fisch den Mund, so zieht er mit dem Muse,
sterno-hyoideus
[Msh, Abb. ih und 2) das Hyale ventrad und
caudad. Diese Bewegung verursacht ein Zurückdrehen des
Stylhyale (Abb. 2). Dabei führt es das Interoperculum mit, das
jetzt einen Zug auf den Unterkiefer ausübt und ihn dadurch
senkt. Der Muse, protractor hyoidei
{Mph, Abb. ib), der Hyale
und Unterkiefer verbindet und zu unrecht fast überall für den
Mundöffner gilt, beteiligt sich hierbei nicht; er wird gedehnt
und zieht später beim Schliessen des Mundes das Hyale wieder

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über den kiefermechanismus der knochenfische.nbsp;5

zurück, dorsad und rostrad. i) Ich mache schon jetzt darauf
aufmerksam, dass das Hyale (= der Mundboden) beim Öffnen
des Mundes gesenkt, der Raum der Mundhöhle also vergrössert
wird. Beim Schliessen des Mundes wird das Hyale dagegen ge-
hoben, der Inhalt der Mundhöhle also verkleinert
(Willem,
1926).

Ausser der Wirkung des Hyale besteht eine zweite Bewegung,
die das Interoperculum zurückziehen, den Mund also öffnen
kann. Der Kiemendeckel
{Op, Abb. i) übt nämlich einen Zug
auf das Interoperculum aus, wenn er von den MM. dilatator
und levator operculi
{Mdo, Mio, Abb. la) gehoben wird. Der
Muse, dilatator opercuh abduziert den Kiemendeckel, der
Muse, levator operculi hebt ihn, zieht ihn dorsad. Dabei dreht
sich der Kiemendeckel um sein Gelenk
{T, Abb. ib) mit dem
Hyomandibulare. Besonders die hebende Wirkung des Muse,
levator operculi wird vom Operculum auf das Interoperculum
übertragen; dies wird dabei caudad gezogen und senkt so den
Unterkiefer
(Holmqvist, 1910).

Der Mund kann also von zwei verschiedenen Muskelgruppen

1)nbsp;Die älteren Anatomen hielten den Muse, protractor hyoidei (Abb. ib,
M ph)
einstimmig für den Öffner des Mundes. Cuvier nennte ihn Muse,
geniohyoideus,
nach einem Muskel der Tetrapoden, der gleiche Gestalt und
Lagebeziehungen aufweist, aber eine ganz andere Funktion hat, weil er dort
wirklich den Unterkiefer senkt. Um das Misverständnis zu beseitigen, schlug
HoLMqviST den Namen
protractor hyoidei vor. Man muss aber beim Durchlesen
der neueren Literatur feststellen, dass der alte Fehler trotzdem immer wieder-
holt wird; es gibt sogar Autoren, die die Arbeit von
Holmqvist ihrem
Literaturverzeichniss nach gelesen haben, und dennoch ohne Begründung
den Muse, protractor hyoidei (= geniohyoideus) als Depressor des Unter-
kiefers bezeichnen.

Wir lesen z.B. bei Lubosch ( i 9 i 7, S. 304)----„die Depressoren des Unter-
kiefers. Diese, den Mundboden bildenden Muskeln . . . die sich vom Zun-
genbeinapparat (Hyale) zur Symphyse des Unterkiefers erstrecken, bewirken,
indem sie den Mundboden abflachen, zugleich auch die Öffnungsbewegung
im Kiefergelenkquot;.

Thilo (1920) sagt vom Karpfen: „Geöffnet wird das Maul durch zwei
Muskeln, von denen jederseits einer vom untern Ende des Schultergürtels
entspringt, und sich an das Kinn setzt (Musculus coraco-mandibularis).quot;

Ein solcher Muskel besteht aber gar nicht!

Ähnliche falsche Vorstellungen finden wir bei Fiebinger (1931) und
Edgeworth {1931).

2)nbsp;Beim Schliessen des Mundes wird das Operculum vom Muse, adductor
operculi
(Mao, Abb. la) adduziert. Dieser verläuft von der Innenseite des
Operculum zum Neurocranium.

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geöffnet werden; in Wirklichkeit wird der Unterkiefer durch
die Zusammenarbeit beider gesenkt. Zwischen der Wirkung des
Muse, sterno-hyoideus und der MM. dilatator und levator oper-
culi besteht ein besonderer Zusammenhang, weil sie auf das-
selbe System einwirken. Wird nämlich nur das Hyale vom
Muse, sterno-hyoideus zurückgezogen, so drückt das Intero-
perculum den Kiemendeckel dorsad und laterad; und wenn
nur die Opercularmuskeln den Kiemendeckel heben, ziehen sie
mit Hilfe des Interoperculum auch das Hyale nach hinten.

Also: Muse, sterno-hyoideus und Opercularmuskeln haben
eine gleiche Wirkung auf das System, wenn sie auch an sehr
verschiedenen Teilen desselben angreifen. Die Bewegung ist also
doppelt gesichert.

Wie genau die Verhältnisse in diesem System aufeinander abgestimmt
sem müssen, zeigt sich im folgenden Beispiel: (Abb. 2).

Wird das Hyale zurückgezogen, so dreht das Stylhyale um a, und ^ bewegt
sich nach
z'- Der Verbindungspunkt mit dem Interoperculum, bewegt sich
nach
a;'. Der Weg z-z' ist länger als x-x', der Letzte ist aber ausschlaggebend
dafür, in welchem Maasse das Interoperculum caudad gezogen wird.
Die Entfernung
x-x', also auch die Bewegung des Interoperculum wird
grösser, je weiter x von
a entfernt ist.

Die Auswirkung des Zuges, den das Interoperculum auf den Unterkiefer
ausübt, hängt aber ab von der Entfernung zwischen dem Verbindungspunkt
L mo (Abb. 2) und dem Kiefergelenk (G). Ist diese Entfernung klein, so
genügt schon eine geringe caudade Bewegung des Interoperculum, um den
Unterkiefer weit zu senken. In diesem Falle muss also auch klein sein,
und darum die Entfernung
a-x gering. Liegt L mo jedoch weit vom Kiefer-
gelenk entfernt (z.B.
Gadus, S. 38) so muss, um den Unterkiefer erheblich
senken zu können, das Interoperculum weit nach hinten gezogen werden,
der Abstand muss gross sein, und infolgedessen die Entfernung
a~x
ebenfalls, * kann sogar an der gleichen Stelle liegen wie In diesem Fall
wt das Interoperculum direkt mit dem Hyale verbunden und folgt dessen
Bewegungen im gleichen Maasse, während z.B. im Fall von Abb. 2 eine
Verschiebung des Hyale um die Strecke
n, das Interoperculum nur um etwa
i « verschiebt. Die Weise, worauf das Stylhyale mit dem Interoperculum
verbunden ist, muss also genau auf die Entfernung des Verbindingspunktes
L mo vom Kiefergelenk abgestimmt sein. Diese Entfernung ist bei Gadus
dementsprechend grösser als bei Perca.

Der Musculus sterno-hyoideus (Abb. ib und 2, Msh) verbindet
das Hyale mit dem Schultergürtel
[Sg). Er bewegt das Hyale
beim Mundöffnen caudad und wird dabei
dadurch erheblich
unterstützt, dass die hypaxonische Körpermuskulatur den
Schultergürtel beim Öffnen des Mundes caudad zieht, wie man
das bei jedem lebendigen Fisch leicht beobachten kann. Gleich-

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über den kiefermechanismus der knochenfische.

zeitig dreht die epaxonische Körpermuskulatur das Neurocranium
etwas nach oben und hebt dadurch den Oberkiefer. Der Muse,
protractor hyoidei (Abb.
ib, Mph) ist, wie schon gesagt, am Mund-
öflFnen nicht aktiv beteiligt. Wird aber das Hyale so weit ventrad
und caudad gezogen, dass dieser Muskel ganz gedehnt ist, so
überträgt er einen direkten Zug vom Hyale auf die Spitze des
Unterkiefers. Dieses Moment spielt also nur eine Rolle bei
maximalem Öffnen des Mundes. Zieht man bei einem frisch
getöteten Fisch das Hyale caudad, so kann man sich leicht
davon überzeugen, das dieser Zug auf die oben beschriebene
Weise ein Senken des Unterkiefers (bewirkt dies wies
Holmqvist
auch experimentell nach); aber ausserdem sehen wir, dass diese
Bewegung noch ver-
schiedene andere Folgen
hat: Maxillareund Prae-
maxillare werden plötz-
lich nach vorne gestülpt,
(Abb.
i a-b) und der
ganze Komplex (Hyo-
mandibulare, Quadra-
tum,Palatinum), der die
Mundhöhle seitlich be-
grenzt, dreht sich latero-
dorsad, wobei die zwei
Kiefergelenke sich von-
einander entfernen. Wir fassen zunächst die letzte Erscheinung
ins Auge.

Der genannte Komplex - wir werden ihn mit „Buccal-
Komplexquot; bezeichnen - ist vorn durch das Palatinum, hinten
durch das Hyomandibulare mit dem Neurocranium gelenkig
verbunden. Die Gelenke lassen zu, das der ganze Komplex
latero-dorsad gedreht wird. Es handelt sich um den sogenannten
hyostylen Zustand; das Kiefergelenk ist mit Hilfe des Hyoman-
dibulare am Neurocranium aufgehängt (vergl. Abb. 3, auch 12).
Bei dieser lateraden Bewegung des Buccal-Komplexes wird der
ganze Kiemendeckel mitgeführt. Alle selbständigen lateraden
Bewegungen des Operculum sind superponiert. Die latero-
dorsade Bewegung des Buccal-Komplexes wird, ebenso wie das
Senken des Unterkiefers, von zwei verschiedenen Muskeln be-
herrscht. Erstens der Muse, levator hyomandibularis et arcus
palatini (Abb.
la und 3, Mlh), der den Komplex beim Mund-

7

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Öffnen direkt seitwärts aufhebt. (Der Muse, adductor arcus
palatini (Abb. 3,
Mad. a), sein Antagonist, dreht den Buccal-
Komplex beim Schliessen des Mundes wieder zurück). Zweitens
abduziert, wie oben bemerkt wurde, das Hyale beim Mund-
öffnen unter Einwirkung des Muse, sterno-hyoideus den Buccal-
Komplex, und zwar folgendermassen:

Abb. 4 stellt den Mundboden in ventraler Ansicht dar. Bei
K sind die Unterkieferhälften gelenkig verbunden. Die Hyalia
sind vorne beweglich mit dem Glossohyale
{Gl) verbunden. Der
Muse, sterno-hyoideus zieht die Copulae und das Glossohyale

beim Mundöffnen caudad. Halten
wir uns zunächst an das linke
Hyale, so ergibt sich, das der hier-
auf ausgeübte Druck zerlegt wird
in zwei Faktoren: eine Kraft
q, in
der Längsrichtung des Hyale, und
eine Kraft
z, die einen Druck auf
das Glossohyale ausübt, der durch
den entsprechenden Druck des
rechten Hyale aufgehoben wird.
Es ergibt sich also eine Kraft, die,
ausgeübt von den beiden Hyalia
in ihrer Längsrichtung, caudad
auf Stylhyale und Interoperculum
einwirkt. Das Interoperculum
kann in zwei Richtungen nach-
geben; es kann nach hinten glei-
ten
{p) wobei sich bekanntlich
der Unterkiefer senkt, aber es kann
auch mit dem Buccal-Komplex
laterad ausweichen (r). Normalerweise finden beide Bewegungen
statt, wenn nicht eine von ihnen verhindert wird. Das Zurück-
ziehen des Hyale durch den Muse, sterno-hyoideus hat also,
abgesehen vom Senken der Unterkiefers, auch die Abduktion
des Buccal-Komplexes zu Folge.

Zieht, umgekehrt, der Muse, protractor hyoidei das Hyale
beim Schliessen des Mundes wieder nach vorn, so werden
hierdurch auch Interoperculum und Buccal-Komplex wieder an
den Körper herangezogen. Hyale und Buccal-Komplex werden
also durch den Muse, protractor hyoidei und den Muse, adductor
arcus palatini in den Ruhestand zurückgeführt. Die wichtigste

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Rolle beim Schliessen des Mundes spielt aber der Muse, adductor
mandibulae, der den Unterkiefer hebt. Dieser Muskel besteht
bei
Perca (Abb. ib) aus drei Schichten; die oberflächHche Partie
Ai 1) inseriert am Unterkiefer und am Maxillare (ihre Wirkung
auf das Maxillare wird später erörtert), die tieferen Schichten
A^, A^ verlaufen vom Praeoperculum, Hyomandibulare, Meta-
pterygoid und Quadratum direkt zum Unterkiefer. Alle drei
Partien heben den Unterkiefer. Dabei wird aber mit Hilfe des
Ligamentum mandibulo-operculare (Abb.
la, Lmo) auch das
Interoperculum orad geführt. Letzteres führt wieder Stylhyale
und Hyale nach vorne, auch senkt und adduziert es das Oper-
culum. Die Bedeutung dieser Bewegungen für Atmung und
Nahrungsaufnahme werde ich später besprechen.

Fassen wir jetzt die Wirkungen der besprochenen Muskeln
auf die Kiefer und den Buccal-Komplex einmal zusammen,
so ergibt sich:

1.nbsp;Wirkung der Muskeln beim Öffnen des Mundes (Abb. i).

Musculus sterno-hyoideus: Zieht das Hyale caudad, senkt Mund-
boden und Unterkiefer, hebt den Buccal-Komplex, sowie den
Kiemendeckel dorso-laterad.

Musculus levator operculi: Hebt den Kiemendeckel dorsad, zieht
Interoperculum und Hyale caudad, senkt den Unterkiefer.

Musculus dilatator operculi: Hebt den Kiemendeckel laterad.

Musculus levator hyomandihularis et arcus palatini: Hebt den Buccal-
Komplex dorso-laterad.

Es zeigt sich, dass das Senken des Unterkiefers, das Heben
des Kiemendeckels, das Abspreizen von Buccal-Komplex und
Kiemendeckel, und das Zurückziehen des Hyale doppelt ge-
sichert sind, die Wirkungen verschiedener Muskeln sind stark
miteinander verknüpft.

2.nbsp;Wirkung der Muskeln beim SchUessen des Mundes.

Musculus adductor mandibulae. Hebt den Unterkiefer, zieht dabei

Interoperculum und Hyale orad, senkt den Kiemendeckel.

Musculus protractor hyoidei. Hebt das Hyale (also den Mund-
boden), zieht es auch orad, und bewegt dabei den Buccal-
Komplex und den Kiemendeckel medio-ventrad.

Musculus adductor operculi. Zieht den Kiemendeckel mediad.

Musculus adductor hyomandihularis et arcus palatini. (Abb. 3, Mad. a).
Zieht den Buccal-Komplex mediad.

1) Die hier benutzte Nomenklatur wurde von Vetter (1878) eingeführt.

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Musculus intermandibularis (Abb. 4, Mi). Bewegt die Unter-
kieferhälften, und also auch den Buccal-Komplex, mediad.

Das Heranziehen von Buccal-Komplex und Kiemendeckel
an den Körper ist beim Schliessen des Mundes doppelt gesichert,
nicht aber das Heben von Unterkiefer und Hyale.

Der Maxillar-Mechanismus.

Nicht nur die Elemente von Kiefer- und Zungenbogen führen
beim Öffnen des Mundes Bewegungen aus, auch die prae-
oralen Kieferteile beteiligen sich daran. Die Lage von Maxillare
und Praemaxillare ist in Abb. i und 5 dargestellt. Die zwei
Praemaxillaria sind median fest miteinander verbunden, ihre

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über den kiefermechanismus der knochenfische. ii

medianen Fortsätze (Abb. m) sind zusammen in das knor-
pelige Rostrale (Abb. 5a,
R) eingebettet und ruhen auf dem
vorderen, knorpeligen Teil des Neuroeranium (Mesethmoid).
Das Rostrale und die medianen Fortsätze der Praemaxillaria
trennen die beiden Maxiilaria und werden von ihnen links und
reehts gabelförmig umfasst (Abb. 5 und 6). Beim Öffnen des
Mundes tritt in diesem Maxillar-Apparat ein sehr verwickelter
Mechanismus in Wirksamkeit. Das Resultat ist, dass sich das
Maxillare dreht und das Praemaxillare nach vorne gestülpt
wird (Abb. i
a-b). Das Drehen des Maxillare kommt folgender-
massen zustande:

Ein Sehnenbündel L (Abb. i) verläuft von der Aussenseite
des Unterkiefers (vom Articulare) hinauf zum Maxillare und
inseriert hier oben auf dessen
etwa horizontal liegendem, me-
dianem Teil (Abb. 6,
x). Beim
Senken des Unterkiefers wird
also diese Insertionsstelle
x cau-
dad und ventrad gezogen (in
Abb. 6 bewegt sich
x also unter ^^^^ g Perca fluviatilis L. Schema-
die Ebene der Abb.). Dabei tischer Querschnitt durch den Maxil-
dreht sich der mediane, horizon- larapparat. Ka = Kamm des Mes-
tale Teil des Maxillare um seine ethmoid. Lm= Ligamentum maxil-
Längsachse, und der lateralenbsp;= Injertionsstelle des Lig.

rr. ,nbsp;-11 1nbsp;^ • 1 maxillo-mandibulare posterms. jv =

Teil des Maxillare bewegt sich insertionsstelle der Sehne Alt
nach vorn (in Abb. 6: über der (Abb. i). Die übrigen Bezeichnun-
Ebene der Abb.). Der oberenbsp;gen wie in Abb. i.

Gabelzahn des Maxillare dreht

sich nach hinten, der untere nach vorne (sie drücken dabei das
Praemaxillare rostrad, wie wir später sehen werden). Man kann
sich von diesem Vorgang leicht überzeugen, wenn man bei einem
frisch getöteten Fisch (statt
Perca kann auch Cottus benutzt werden)
alle Verbindungen zwischen Unterkiefer und Maxillare fort-
nimmt, ohne jedoch das Bündel
L zu verletzen. Dann sieht man,
wie sich das Maxillare beim Senken des Unterkiefers, d.h. wenn
L gespannt wird, dreht, und das Praemaxillare sich orad bewegt.
Durchschneidet man
L, so bleibt die Bewegung des Maxillar-
apparates beim Senken des Unterkiefers aus.

Das Sehnenbündel L wurde von Brooks (1885) Ligamentum
maxillo-mandibulare posterius
genannt. Seine Beschreibung bezieht
sich aber auf
Gadus. Das Ligamentum maxillo-mandibulare

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anterius (Abb. ib, La) verbindet das laterale Ende des Maxillare
mit dem Processus coronoideus des Unterkiefers. Auch dieses
Band spielt eine Rolle bei den Kieferbewegungen. Es unter-
stützt die Wirkung des Lig. max.-mand. posterius beim Öffnen
des Mundes dadurch, dass es den lateralen Teil des Maxillare

rostrad zieht (weil sich dann der
Processus coron. orad bewegt); beim
Schliessen des Mundes zieht es diesen
Teil des Maxillare wieder in die Mund-
ecke zurück.

Oben wurde schon gesagt, dass bei
der drehenden Bewegung des Maxillare
eine Ausstülpung des Praemaxillare
auftritt. Die medianen Fortsätze der
Praemaxillaria bilden, zusammen mit
dem Rostrale, einen glatten Kegel, der
seitlich von den Gabeln der Maxiilaria
umfasst wird. Dieser Kegel kann nur
rostrad gleiten, weil das Rostrale unten
eine Längsgrube trägt, die auf einen
medianen Kamm des Mesethmoid (also,
des Neurocranium) passt (Abb. 6).
Wenn sich die Maxiilaria beim Senken
des Unterkiefers um ihre Längsachsen drehen und die Gabel-
zähne unten und oben einen Druck auf den Kegel ausüben, wird
dieser nach vorne gepresst: die Praemaxillaria werden dann
ausgestülpt (Abb. 5,
a-b, Abb. 7).Wir können
diese Wirkung z.B. vergleichen mit der Be-
wegung eines Eiszapfen, den man zwischen
zwei Fingern drückt und der sich dann in der
Richtung seiner Längsachse bewegt. Dasnbsp;,

Schema von Abb. 7 entspricht der Wirklichkeit Abb. 8. Wirkliche
natürlich nur in sehr groben Zügen. Tatsäch- Form der in Abb. 7
lieh seht ein solcher Längsschnitt aus wie ^'-hs'^ätisch darge-
Abb. 8.nbsp;stellten Teile.

Die Drehung des Maxillare beim Öffnen des Mundes ist nicht
das einzig wirksame Moment beim Vorstülpen des Praemaxillare.
Auch die sehr geringe Senkung des ganzen Maxillarapparates^
der beim Senken des Unterkiefers von den beiden Lig. max.-
mand. ventrad gezogen wird, verursacht ein Ausstülpen der
Praemaxillaria. Abb. 9 zeigt, das eine solche Senkung nur mög-

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lieh ist, wenn das Rostrale (also auch die Praemaxillaria) über
den schräg ablaufenden, medianen Kamm des Mesethmoid
nach vorn gleitet. Dieser Gesichtspunkt spielt bei
Perca nur eine
untergeordnete Rolle, anderswo (z.B.
Heterosomata) ist er sehr
wichtig. Diese Senkung muss von den Bändern, die den Maxillar-
apparat mit dem Palatinum und dem Neurocranium verbinden,
gestattet werden. Soweit diese Ligamente am Praemaxillare
ansetzen (Abb. 5), sind sie sehr dehnbar (sie lassen sogar die
starke, rostrade Bewegung beim Austül-
pen zu); soweit sie am Maxillare ansetzen,
sind sie nur sehr wenig dehnbar, gestat-
ten aber eine geringe Senkung des Maxil-
larapparates.

Es gibt noch ein drittes Moment, das
beim Ausstülpen des Praemaxillare wäh-
rend des Öffnen des Mundes wirksam ist,
nämlich das Abspreizen des Buccal-Kom-
plexes. Die Ursache davon ist, dass bei
dieser Bewegung auch die lateralen Enden
der Maxiilaria seitlich gehoben werden.
Weil die unteren Gabelzähne der Maxil-
laria durch ein undehnbares Band (Abb. 6,
Lm\ wir können es Ligamentum maxillare
nennen) miteinander verbunden sind,
nähern sich die oberen Gabelzähne bei
dieser Hebung: der Raum zwischen den
Gabeln wird verringert und der ,,Kegelquot;
der Praemaxillaria wird nach vorn gepresst. Diese Wirkung
ist bei
Perca weniger wichtig, sie spielt jedoch bei Z^us faber
(S. 58) die Hauptrolle.

Es sei hervorgehoben, das die besprochenen drei Momente,
die, wenn man sie experimentell isoliert, jedes für sich ein Vor-
stülpen des Praemaxillare verursachen können, in Wirklichkeit
gleichzeitig auftreten und diesen Effekt gemeinsam hervorrufen.

Jetzt kommen wir zur Frage, wie das Maxillare beim SchHessen
des Mundes wieder zurückgedreht und die Vorstülpung des
Praemaxillare wieder aufgehoben wird. An der Unterseite des
medianen, horizontalen Teiles des Maxillare (Abb. 6,
y) in-
seriert eine Sehne A^t, die mit dem oberflächlichen Teil A-^ des
Muse, adductor mandibulae (Abb. i) in Verbindung steht.
Diese Sehne dreht beim Schliessen des Mundes den horizontalen

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Teil des Maxillare im entgegengesetzten Sinn als das Ligamen-
tum maxillo-mandibulare posterius (Z); das Maxillare dreht
sich hierbei also wieder zurück. Weiter unten werden wir sehen,
dass dabei auch die Ausstülpung des Praemaxillare aufgehoben
wird. Die Sehne
A^t (Abb. \b) inseriert auch am Unterkiefer;
sie hat eine doppelte Wirkung: das Zurückdrehen des Maxillare^
und das Heben des Unterkiefers. Die Kraft, die von der Muskel-
partie A^ auf sie ausgeübt wird, zerfällt daher in zwei Kompo-
nenten: das Resultat ist, dass, während der Drehung des Maxil-
lare nach hinten, der Unterkiefer gehoben wird.

Die Muskelfasern des Jj sind nicht nach einem der bewegten
Elemente gerichtet, sondern verlaufen ungefähr horizontal.

Wir haben jetzt zwei Sehnen erwähnt, die Unterkiefer und
Maxillare verbinden, i: das Ligamentum maxillo-mandibulare
posterius, das bei beiden Skeletteilen an der Aussenseite in-
seriert, beim Öffnen des Mundes das Maxülare nach vorne
dreht und das Praemaxillare ausstülpt. 2: Die Sehne A^t des
Muse, adductor mandibulae, die an den Innenseiten inseriert
und beim Schliessen des Mundes das Maxillare zurückdreht
(und, wie wir sehen werden, die Ausstülpung des Praemaxillare
aufhebt).

Diese zwei Bänder werden in der mir bekannten Literatur
immer miteinander verwechselt, wahrscheinlich weil man
ihre antagonistische Wirkung nicht kannte. Das ist um so be-
greiflicher, weil sie bei den meisten Fischarten nicht getrennt
vorkommen, bei
Gadus z.B. (S. 37) werden wir eine Sehne
vorfinden, die ungefähr die Eigenschaften beider in sich ver-
einigt.

Sogar bei Perca laufen einige kleinen Sehnenfasern von
zu
L (Abb. i); Z wird daher beim Schliessen des Mundes auch
von A^ nach hinten gezogen; dabei übt es, wie beim Öffnen
des Mundes, einen Zug auf das Maxillare aus, der aber in
diesem Moment weit übertroffen wird durch die Wirkung von A^t.

Vetter (1878) erwähnt in seiner bekannten Beschreibung der Kiefer-
muskulatur von
Perca das Ligamentum maxillo-mandibulare posterius gar
nicht. Es gehört wahrscheinlich auch nicht zur Muskulatur, „es erscheint
vielmehr wie eine Verdichtung der in der zwischen den Kiefern ausge-
spannten Bindehaut laufenden Faserstrichequot; (
Holmqvist, 1910), aber man
dürfte trotzdem eine Bemerkung über ein so direkt mit dem Musculus
adductor mandibulae zusammenhängendes Element erwarten. Er hat die
Lage von ^Jedoch in Abb. 13 (Taf. XIV) abgebildet. Über die Befestigung
von A^ am Maxillare sagt
Vetter: „ein nach vorn verlaufender, starker

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Sehnenstrang, welcher sich nahe dem Vorderende des Maxillare an dessen
Innenseite befestigt, dicht unter und hinter seinem Drehpunkt um das

Palatinum.quot;nbsp;■ o u

Die Zeichnung stimmt hiermit aber nicht überein. Dort ist die Sehne Aj^t
an der Aussenseite, oben an dem Maxillare befestigt, eben an der Stelle, wo
in Wirklichkeit das Lig. maxillo-mandibulare sitzt. Ich glaube, das hier
eine Verwechslung vorliegt. Die Wirkung der Sehne A^t wird von
Vetter
folgendermassen angedeutet: „Die Function . . . kann nur darin bestehen,
gleichzeitig mit der Hebung des Unterkiefers das Maxillare und mit diesem
das Praemaxillare an ihren vorderen Enden nach hinten und etwas nach
unten zu ziehen.quot;

Diese Angabe ist aber auch nicht vollkommen richtig, oder, besser gesagt,
sie gibt Anlass zu unrichtigen Vorstellungen. Das Maxillare wird nicht an
seinem vorderen Ende nach hinten und etwas nach unten gedreht, sondern
dieses „vordere Endequot; wird um die Längsachse gedreht. Auf die Übertragung
dieser Bewegung auf das Praemaxillare geht
Vetter nicht ein.

Bei dem Zurückdrehen bewegt sich der laterale Teil des
Maxillare, das beim Öffnen des Mundes rostrad geführt war,
wieder caudad (Abb. i lgt;-a). Laterad ist das Maxillare, wie
schon erwähnt, durch das Ligamentum
maxillo-mandibulare
anterius
(La) mit dem Processus coronoideus des Unterkiefers
verbunden, der ihn beim Schliessen des Mundes in die Mund-
ecke zurückführt.

Beim Zurückdrehen des Maxillare durch die Sehne Aj tritt
auch das Praemaxillare in die Ruhestellung zurück. Verschie-
dene Momente spielen dabei eine
Rolle. Erstens ist das Praemaxil-
lare durch zwei dehnbare Bänder
mit den Palatina (Abb. 5a,
Lpp:
Ligamentum palato-praemaxil-
lare) und zweitens mit dem Neu-
rocranium
{Lpe\ Ligamentum hhh. 10. Percafiuviatilis'L.Tra.w-
praemaxillo-ethmoidale 1) ver- versalschnitt durch Maxillare und

bunden. Diese Bander „erdennbsp;Te^Äfuquot;

beim Ausstülpen des Praemaxil- ^^ ^^jgg^j^ in Ruhelage, {b)
lare gedehnt, und können es zu- während des Vorstülpens des
rückziehen, wenn die Einwirkungnbsp;Praemaxillare.

der ausstülpenden Kraft aufhört.

Den wichtigsten Anteil hat aber die Haut zwischen Maxillare
und Praemaxillare. Diese Haut erlaubt die Ausstülpung des
Praemaxillare, sie wird dabei zwischen Maxillare und Prae-

1) Diese Nomenklatur entnehme ich Brooks (1885).

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maxillare gespannt. Machen wir in diesem Augenblick einen
Transversalschnitt durch beide, dort, wo
L und A^t am Maxil-
lare inserieren, so bekommen wir das Bild von Abb. lo. Dreht
sich nun das Maxillare, angezogen von A■^t, um seine Längs-
achse zurück, dann wird das Praemaxillare zurückgezogen,
einfach weil die dazwischenliegende Haut sich um das Maxillare
wickelt.

Allgemeines über die Funktion des Kiefer- und
Zungenbogens bei den Teleostei.

Wir können nunmehr die Bewegungen von Kiefer, Zungen-
bogen und Opercula in ihren Zusammenhängen einigermassen
überblicken und werden nunmehr die Gelegenheit angreifen,
die biologische Bedeutung der beschriebenen Verhältnisse zu
skizzieren.

Die Atmung.

Wir beschränken uns darauf, eine allgemeine Übersicht der
Atmungsbewegungen zu geben.

Bei kräftigem Einatmen werden alle Bewegungen ausgeführt,
die auf S. 9 unter
Öffnen des Mundes genannt sind. Diese Bewe-
gungen führen dazu, dass der Inhalt von Mund- und Kiemen-
höhle stark vergrössert wird.

Der Inhalt der Mundhöhle wird dabei vergrössert durch:

1.nbsp;Das Senken des Mundbodens (Hyale).

2.nbsp;Die laterade Bewegung des Buccal-Komplexes.

Der Inhalt der Kiemenhöhle wird vergrössert durch:

1.nbsp;Die dorso-laterade Bewegung der Kiemendeckel.

2.nbsp;Das Entfalten des Branchiostegalapparates. (Dies geschieht
automatisch bei der caudaden Bewegung des Hyale, das die
Radii branchiostegi
{Ra, Abb. \b) trägt.) Gleichzeitig wird auch
der Mund geöffnet, und lässt das infolge der Raumerweiterung
angesogene Wasser eintreten; der entfaltete Branchiostegalap-
parat schliesst die Kiemenspalte.

Bei kräftigem Ausatmen werden alle unter „Schliessen des
Mundesquot;
genannten Bewegungen ausgeführt. Sie haben zur
Folge, dass der Inhalt von Mund- und Kiemenhöhle stark ver-
kleinert wird.

Der Inhalt der Mundhöhle wird dabei verkleinert durch:

1.nbsp;Das Heben des Mundbodens (Hyale).

2.nbsp;Die mediade Bewegung des Buccal-Komplexes.

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über den kiefermechanismus der knochenfische.nbsp;i7

Der Inhalt der Kiemenhöhle wird verkleinert durch:

1.nbsp;Die ventro-mediade Bewegung der Kiemendeckel.

2.nbsp;Das Zusammenfalten des Branchiostegalapparates (durch
den Musculus hyo-hyoideus, der zwischen den Radii verläuft).

Gleichzeitig schliesst sich der Mund, das Wasser strömt durch
die Kiemerspalte aus; dabei drückt es die Kiemendeckel laterad,
daher werden diese nicht ganz gleichzeitig, aber etwas spater

mediad bewegt.nbsp;.

Diese letzte Tatsache hat zu einem langen Streit geiuhrt, ob
nämlich die Atmungsbewegungen synchron sind oder nicht.
Später ergab sich jedoch, dass der Zusammenhang der Teile
die Bewegungen zu einer Synchronie zwingt, wobei aber die
vom Wasserdruck hervorgerufene Verspätung der Kiemen-
deckel alternierende Bewegungen vortäuscht
(Willem, 1927).

Die oben beschriebene vollständige Atmungsbewegung

wird aber nur in sauerstoffarmem Milieu, oder nachnbsp;--

kräftiger körperlicher Bewegung ausgeführt. Bei ruhi- -^Tquot;quot;
gem Atmen können einige Bewegungen unterbleiben.
Der Unterkiefer liegt dann unbeweglich, (also auch das
Interoperculum), der Mund ist ein wenig geöffnet. Der
nbsp;d

Musculus sterno-hyoideus senkt das Hyale (also den 0

Mundboden), der Buccal-Komplex wird gehoben (verg.nbsp;V--

Abb. 4, nur die Kraft r ruft eine seitliche Bewegung ^^^^ ^^
hervor, die caudade Bewegung m Richtung der Kraftnbsp;^^^^^

p wird verhindert). Der mit dem Interoperculum ver-nbsp;pigchkopf- Wir-

bundene Kiemendeckel kann nicht dorsad, wohl aber ^^^ ^^^ Buccal-

durch den Muse, dilatator operculi laterad bewegt wer-nbsp;®nbsp;/^x

aen. Beim Ausatmen hebt der Muse, protractor hyoideinbsp;Einatmen

das Hyale, Buccal-Komplex und Kiemendeckel werdennbsp;beimAusat-

mediad gezogen, der Mund jedoch nicht geschlossen. ^ ' ^^^ ^ ^
Das Wasser strömt dennoch durch die Kiemenspalten Mundöffnune
ab, denn die Buccalmembran (Abb. 11) verschliesst
den Weg nach vorn.

Wir wollen uns mit dieser rohen Skizze begnügen. Einzel-
heiten findet man in den Detailstudien von
Willem, der die
Möglichkeit und den Wert einer genauen vergleichenden
Analyse der Atmungsbewegungen bei Fischen verschiedener
Lebensweise nachgewiesen hat. Es zeigt sich dabei, dass die
Bewegungen, aus denen der Atmungsvorgang besteht, bei
Fischen verschiedener Lebensweise sehr verschiedene Bedeutung
haben, worauf allerdings auch schon
Baglioni (1908) hinge-
wiesen hatte. Bei Bodenformen ist der Branchiostegalapparat
sehr, die Bewegungen der Kiemendeckel weniger wichtig. Dem-

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entsprechend ist das Operculum klein, der Branchiostegal-
apparat dagegen oft gewaltig entwickelt. Bei freischwimmenden
Formen tritt der Branchiostegalapparat dagegen an Bedeutung
und Ausbildung dem Kiemendeckel gegenüber zurück, dort
sind die Opercula meist viel grösser als bei Bodenfischen. Diese
Unterschiede entsprechen zwei sehr verschiedenen Atmungs-
typen, die beide in dem Milieu ihrer Besitzer ihre spezielle
Bedeutung haben. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass ein
morphologischer Vergleich der beteiligten Elemente nur Sinn
bekommen kann, wenn man gleichzeitig die Funktion heran-
zieht, d.h. wenn man in den verschiedenen Formen die An-
passung erblickt. Es ist eben das Verdienst von
Willem, die
Grundlage für eine derartige vergleichende Biologie der At-
mungsorgane geschaffen zu haben.

Die Nahrungsaufnahme.

Die Bewegungen beim Greifen und Verschlingen der Beute
sind mit den Atmungsbewegungen sehr gut zu vergleichen
(Holmqvist, 1910), und dieselben Elemente beteiligen sich
daran. Öffnet ein Fisch den Mund, zur Nahrungsaufnahme,
so geschieht eigentlich dasselbe wie beim Einatmen, nur ist die
Bewegung kräftiger und unregelmässig. Die Bewegungen beim
Einatmen: Öffnen der Kiefer, Inhaltsvergrösserung der Mund-
höhle, schaffen auch die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme.

1.nbsp;Der vergrösserte Querschnitt der Mundhöhle kann grössere

Beute durchlassen.

2.nbsp;Der eingesaugte Wasserstrom kann kleinere Beute mit-

reissen.

3.nbsp;Die geöffneten Kiefer können eine Beute umklammern.

Auf die Bedeutung dieser drei Momente werden wir etwas

näher eingehen.

Vergrösserung des Querschnittes der Mundhöhle. Bei den Raub-
fischen ist ein Kauen oder Zerkleinern der Nahrung ziemlich
selten; die meisten sind „Schlingerquot;, die Beute wird ungeteilt
verschluckt. Daher ist es von Bedeutung, dass die Elemente, die
Mundhöhle und Pharynx begrenzen, auseinander weichen
können und beim Verschlingen grösserer Beute kein Hindernis
darstellen. Bei einem Hecht unseres Aquariums, der einen nicht
einmal viel kleineren Artgenossen zu verschlingen suchte, erhielt
ich den Eindruck, als seien nicht Mundhöhle und Pharynx,
sondern der Verdauungskanal der beschränkende Faktor dieses

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Prozesses! Das Kopfskelett, und auch die Kiemenbogen bieten bei
extrem geöffnetem Munde gewaltige Durchgangsmöglichkeiten.

Die Hyostylie ermöglicht es, dass die Kiefergelenke dabei
auseinander weichen. In Abb. 12 ist der Kopf eines Fisches in
Vorderansicht schematisch dargestellt, mit geschlossenem und
mit geöffnetem Munde. Die Bewegungen der Kiemenbogen
sind mit denen des Kieferbogens zu vergleichen, sie werden in
gleicher Weise „geöffnetquot;. Bei einem extremen
Abduzieren der Hyomandibularia (also auch
der Kiemendeckel) kann die Kiemenspalte
nicht, wie bei der Einatmung, verschlossen
bleiben. Steckt eine Beute längere Zeit in dernbsp;/--^
d

Mundhöhle eines Hechtes, so ist der Kiemen-
deckel weit geöffnet; hierdurch wird das Tier
Abb. 12. Schema
vielleicht vor dem Ersticken geschützt.nbsp;emer vorderen An-

Die Nahrungsaufnahme durch eingesaugtes Was- ^^^^^^^^ rin«'Fisches

ser. Die Erweiterung der Mundhöhle erzeugt ^_^nbsp;_

beim Öffnen des Mundes einen nach innen ge- nach dem Öffnen
richteten Wasserstrom, der kleinere Nahrungs- des Mundes. Erklä-
objekte mitführen kann. Dies benutzten vielenbsp;™ Text. Nr

Fische. Ein Goldfisch, der eine Wasserfloh ^e^Xi^n™-
fangen will, schwimmt bis an das Tierchen
Zeichnungen wie in
heran, öffnet den Mund, und saugt es blitz-nbsp;Abb. i.

schnell und unfehlbar ein.

Diese Jagdmethode ist sehr allgemein, sie wird auch ver-
wendet um kleine öbjekte vom Boden zu nehmen. Bei Fischen,
die ganz auf diese Methode eingestellt sind, könnten wir von
einem Saugmund sprechen
{Cyprinus carpio und Verwandte).
Wichtig ist dabei, dass der erzeugte Wasserstrom innerhalb
gewisser Grenzen umso stärker ist, je enger die Mundöffnung
wird. Bei allen Fischen spielt diese Saugkraft eine mehr oder
wenig wichtige Rolle, einige sind ausschliesslich auf sie speziali-
ziert (z.B.
Lophius, S. 41).

Die Kiefer und die Mahrungsaufnahme. Die Kiefer haben bei
den verschiedenen Ernährungsmethoden eine sehr verschiedene
Funktion. Bei einem Saugmund, wie bei
Cyprinus (S. 27) bilden
sie nur die knöcherne Stütze des Saugrüssels; bei
Clupea (S. 22)
dienen sie der Entfaltung einer Reuse. In den meisten Fällen
aber umklammern die Kiefer die Beute und sind entsprechend
bezahnt. Dabei stehen ursprünglich zwei Elemente einander
gegenüber: das Palatoquadratum hat der Oberkieferfunktion,

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die Cartilago Meckeli bildet den Unterkiefer. Mit „ursprüng-
lichquot; ist hier gemeint: bei den Haifischen, und „primitiven'^
Teleostiern. Wir sehen aber, dass bei den „modernerenquot; Fisch-
gruppen die Oberkieferfunktion nach vorn, auf das Maxillare,
oder sogar das Praemaxillare übertragen ist. Diese Elemente
werden von zwei sogenannten praeoralen Bogen abgeleitet,
welche mehr oder weniger frei vom übrigen Skelett vor dem
Kieferbogen liegen. Gewöhnlich wird das Praemaxillare von
einem vorderen, das Maxillare von einem hinteren „Lippen-
knorpelquot; abgeleitet. Dieses Übertragen der Oberkieferfunktion
auf praeorale Teile ist ein sehr wichtiges Moment. Diese Ele-
mente liegen nämlich nicht, wie das Palatoquadratum, dem
Kopfskelett fest an; sie sind also nicht mehr oder weniger fixiert,
sondern frei beweglich. Dadurch wird die Möglichkeit eines
beweglichen, vorstülpbaren Oberkiefers geschaffen. Die Über-
nahme der Oberkieferfunktion durch die praeoralen Bogen ist
also die Voraussetzung für die mannigfaltigen Mundbewe-
gungen, die wir bei sehr vielen Fischgruppen finden und die
ihnen eine weitgehende Anpassung an die verschiedensten
Lebensbedingungen gestatten. Wenn man die Kieferverhält-
nisse der Teleostier mit Berücksichtigung des gebräuchlichen
Systems überblickt, so ergibt sich, das bei den „primitiverenquot;
Formen das Palatoquadratum als Oberkiefer wirkt, während bei
den „fortschrittlichstenquot; Formen das Praemaxillare diese
Funktion übernimmt. In den dazwischen liegenden Gruppen
findet man alle Übergänge zwischen beiden Stadien, wobei oft
das Maxillare als Oberkiefer funktioniert und sich manchmal
sogar mehrere Visceralbogen die Oberkieferfunktion teilen. Man
bekommt den Eindruck, dass diese Funktion im Verlauf der
historischen Entwicklung vom Palatoquadratum allmählich auf
das Maxillare überging, und sich dann von dort aus weiter
nach vorne auf das Praemaxillare verschob.

Einige Beispiele, etwa in systematischer Reihenfolge, mögen
dies erläutern:

Esox lucius (S. 26). Dem Unterkiefer steht das Palatinum gegenüber, über
seiner Spitze das zwischen den Palatina eingeschobene Vomer. Das Maxillare
ist ausgeschaltet, das Praemaxillare sehr klein.

Osmerus eperlanus (S. 25). Dem Unterkiefer steht das Palatinum gegenüber;
über seiner Spitze das kleine Praemaxillare. Das Maxillare ist ausgeschaltet.

Salmo salar (S. 24). Dem Unterkiefer steht das Maxillare gegenüber, über
seiner Spitze aber das Praemaxillare, das Palatinum ist ausgeschaltet.

Conger vulgaris (S. 26). Dem Unterkiefer steht das Maxillare gegenüber.

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Über seiner Spitze das kleine, mit dem Neurocranium verwachsene Prae-
maxillare.

Cyprinidae (S. 27), Teleosteiphysoclysti (hierzu auch Perca). Dem Unterkiefer
steht das gut entwickelte Praemaxillare gegenüber; Maxillare und Palatinum
sind ausgeschaltet.

Im Allgemeinen gelten die erstgenannten Gruppen, alle
Teleostei physostomi, den Teleostei physoclysti gegenüber als die
primitiveren Formen. Die Kieferverhältnisse stimmen also gut
mit unserer Vorstellung überein. Bei den Crossopterygiern (un-
tersucht wurde
Polypterus bichir), von denen man die Teleostei
ableitet, bilden jedoch Maxillare und Praemaxillare zusammen
den Oberkiefer, das Palatinum ist ausgeschaltet. In dieser Hin-
sicht wäre die Gruppe also weniger primitiv als
Esox. Bei den
vermeintlichen Vorfahren der Teleostei ist also keine Stütze
für unsere Vorstellung zu finden. Es ist übrigens auch unmöglich
an rezentem Material zu beweisen, dass diese der Wirklichkeit
entspricht, sie gibt aber vielleicht ein brauchbares Bild. Jeden-
falls sind die Kiefer bei den niederen Fischgruppen starr, bei
den höheren Formen dagegen oft sehr beweglich, und dem ent-
spricht der erwähnte Unterschied in der Oberkieferausbildung,
denn das Palatoquadratum ist starr, das Praemaxillare beweglich.

Bei der Betrachtung der obenerwähnten Reihe entsteht der
Eindruck, dass in der historischen Entwicklung der Teleostier-
kiefer die Festigkeit der Beweglichkeit geopfert wurde. Dieser
Eindruck wird dadurch verstärkt, dass bei höheren Fromen,
deren Lebensweise sehr druckfeste Kiefer benötigt, rückgängige
Prozesse
{Anarrhichas, S. 39) aufftreten, oder die Festigkeit durch
sonderbare Kunstgriffe
{Pseudoscarus, S. 63) wiederhergestellt wird.

Die Fische sind jedoch im Allgemeinen Schlinger, die Nahrung
wird selten gekaut oder abgebissen, daher ist keine besondere
Festigkeit der Kiefer nötig; sie dienen vor allem dem Greifen.
Es liegt eine gewisse Logik in der Tatsache, das diese Greiffunk-
tion den vordersten und beweglichsten Kopfelementen (den
Praemaxillaria) übertragen wurde.

Die Bewegungen der Kiefer beim Schlingen. - Über das Schlingen ist im All-
gemeinen sehr wenig bekannt. Bei
Cottus wurde jedoch die Zusammenarbeit der
Kiefer - und Zungenelemente während dieses VorgangesvonVANDENBERGHE
(1928) analysiert. Diese Beschreibung trifft ebenfalls fürnbsp;und vielleicht

auch für viele verwandte Raubfische zu. Die Beute wird zwischen Prae-

Den bei Perca beschriebenen Maxillarmechanismus finden wir in fast
genau derselben Form bei vielen
Teleostei physoclysti, die ebenso räubepisch
leben und wenig spezialisiert sind, z. B.
Cottus, Zo^^rus, Trachinus.

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maxillare und Unterkiefer gefasst und nachher unzerkleinert geschluckt. Bei
diesem Schlingen spielen die Bewegungen von Praemaxillare und Hyale die
Hauptrolle. Es wurde schon erwähnt, dass beim Öffnen des Mundes das
Hyale, beim Schliessen des Mundes das Praemaxillare zurückgezogen wird.
Diese abwechselnden Bewegungen werden bei der Nahrungsaufnahme
folgendermassen ausgenutzt:

Wenn die Beute gegriffen wird, ist der Mund geöffnet, also das Prae-
maxillare ausgestülpt. Beim Schliessen des Mundes wird das Praemaxillare,
und mit ihm die Beute, caudad gezogen. Jetzt greifen die Hypopharyngeal-
zähne des Glossohyale die Beute, und der Mund öffnet sich wieder. Dabei
lässt das Praemaxillare los, das Hyale (und das Glossohyale) bewegt sich
aber (zurückgezogen durch den Muse, sterno-hyoideus) caudad und führt
dabei die Beute weiter nach innen. Jetzt hat das Praemaxillare wieder
Gelegenheit, um beim erneuten Schliessen des Mundes seine Zähne weiter
nach vorne in die Beute zu schlagen, während die Hypopharyngealzähne
wieder loslassen, weil sie mit dem Hyale wieder nach vorn gezogen werden,
um ihre Tätigkeit zu wiederholen. Die ganze Wirkung beruht darauf, dass
die Zähne, weil sie schräg caudad gerichtet sind, die Beute nur mitführen,
wenn sie caudad gezogen werden. So schiebt bei jedem Öffnen und Schliessen
des Mundes die Beute etwas nach hinten, abwechselnd gefasst von den
caudad gerichteten Zähnen des Hyoid und denen des Praemaxillare. Diese
Wirkung wird unterstützt durch die zwei bezahnten Epipharyngealplatten,
die am Munddach liegen, und die selbständig durch Re- und Protraktoren
bewegt werden. Diese Platten findet man bei den Raubfischen sehr oft, sie
dienen wohl überall der Nahrungsaufnahme. Auch die beschriebene Wechsel-
wirkung von Praemaxillare und Hyale entspricht bei vielen Arten wohl
hauptsächlich den Angaben von
Vandenberghe. Das ist aber niemals
genügend untersucht. Wir werden uns im Folgenden mit der Technik der
Nahrungaufnahme nicht beschäftigen und beschränken uns auf den eigent-
lichen Kiefermechanismus.

CLUPEA HARENGUS L. (Abb. 13).

Der Mund des Herings bildet in geöffnetem Zustande eine
Reuse. Die Kiefer, vor allem Maxillare und Dentale, die sehr
hoch und platt sind, stützen diese Reuse. Ihre Bezahnung ist
sehr schwach. Das Entfalten dieser Reuse ist in Abb. 13 dar-
gestellt. Das Lig.
maxillo-mandibulare anterius {La) und pos-
terius
[L] arbeiten beim Senken des Unterkiefers zusammen
und bewegen das Maxillare orad. Der Processus coronoideus
liegt sehr weit nach vorne, daher wird das mit ihm durch das
La verbundene Maxillare ebenfalls weit orad gezogen. Dabei
dreht sich das sehr geräumige Lig. maxillo-mandibulare an-
terius um etwa 180°; seine Insertionsstelle am Processus coro-
noideus (jv) liegt bei geschlossenem Mund über seiner Verbindung
mit dem Maxillare (x), bei geöffnetem Mund dagegen darunter
(Vergl. Abb. 13
a-b). Das Lig. max.-mand. posterius hat die-

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selbe Funktion wie bei Perca; es verläuft vom Unterkiefer zum
medianen Teil des Maxillare und dreht diesen Teil beim Öffnen
des Mundes um die Längsachse, wobei es den lateralen Teil des
Maxillare gemeinsam mit dem Lig. max.-mand. anterius orad
bewegt. L. hebt sich hier sehr wenig von der Umgebung ab,
eigentlich hat ein ganzer Streifen Bindegewebe seine Funktion.

Das Praemaxillare
ist nur sehr klein, es
wird beim Öffnen des
Mundes gehoben und
vervollständigt den
Trichterrand an der
Oberseite. Die zwei
Admaxillaria folgen
in ihren Bewegungen
dem Maxillare. Das
Admax.
I ist unten
mit dem Maxillare,
oben mit dem Lig.
max.-mand. posterius
verbunden. Wenn,
beim Öffnen des
Mundes, diese letzte
Verbindung nach
unten gezogen wird,
schiebt das Admaxil-
lare
I das Maxillare
nach vorne und un-
terstützt damit des-
sen orade Bewegung
(Vergl.
Jordan, 1918,
dort wird aber dieses
Moment für das ein-
zig wirksame gehalten). Das Admax.
II liegt wieder beweglich
zwischen Admax.
I und Maxillare. Die Bewegung der Ad-
maxillaria beim Öffnen des Mundes ergibt sich aus Abb. 13
a-b
mit ausreichender Deutlichkeit.

Beim Schliessen des Mundes hebt der Muse, adductor mandi-
bulae (Abb. 13
b, A^ den Unterkiefer; er hat keine direkten
Beziehungen zum Maxillare. Das Maxillare wird nur vom Lig.
m.-m. anterius zurückgeführt und faltet dabei auch die Ad-

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maxillaria wieder zusammen. Der hohe Processus coronoideus
schiebt sich bei geschlossenem Munde zwischen Maxillare und
Palatinum.

Die Nahrung des Herings besteht hauptsächlich aus Plankton-
organismen
(Kyle und Ehrenbaum, 1929). Die vom geöffneten
Mund gebildete Reuse erscheint zum Planktonfang sehr ge-
eignet
(Jordan, 1918).

SALMO SALAR L. (Abb. 14).

Die Praemaxillaria sind stark verlängert und unbeweglich
mit dem Neurocranium verbunden - sie bilden eine scharfe
Schauzenspitze. Ihren Zähnen stehen die der Unterkieferspitze

gegenüber, wäh-
rend die hinteren
Zähne des Unter-
kiefers in die Zähne
auf dem Vorder-
rand des Maxillare
greifen. Das Maxil-
lare ist mit dem Pa-
latinum und Prae-
maxillare beweglich
verbunden. Beim
Öffnen des Mundes
dreht das Lig. max.-
mand. posterius das
Maxillare, wie bei

Perca, aber viel schwächer, rostrad und etwas um seine Längs-
achse. Dabei wird der bezahnte Vorderrand etwas nach aussen
gerichtet. Eine besondere Sehne des Musculus adductor man-
dibulae, die beim Schliessen des Mundes das Maxillare zurück-
führt, besteht hier nicht; dies geschieht durch das Ligam.
maxillo-mandibulare anterius
{La), das nur dem Schliessen
des Mundes dient (in Gegensatz zu
Clupea). Es inseriert am
Vorderrand des Maxillare und dreht diesen beim Heben des
Unterkiefers wieder nach innen, hebt das Maxillare und
drückt es fest in die Mundecke. Das Admaxillare
[ad) ist in
seiner ganzen Länge fest mit dem Maxillare verbunden und
folgt den Bewegungen desselben (vergl.
Clupea). Der Lachs ist
ein Raubfisch. Die Kiefer bilden, wie beim Hecht, eine Greif-

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zange; nur beteiligen sich andere Oberkieferelemente daran
(vergl. S. 20).

OSMERUS EPERLANUS L. (Abb. 15).

Das stark bezahnte Palatinum hat Oberkieferfunktion und
steht dem Unterkiefer gegenüber, während die kleinen Zähne
des Maxillare seitlich der
Mandibula ins Leere greifen.
Der Unterkieferspitze ent-
sprechen die Zähne des Prae-
maxillare. Die starken Zähne
des Vomer greifen in die
Zähne des Glossohyale; den
hintern Zähnen des Hyale
entspricht der mediane be-
zahnte Rand der Entopte-
rygoidea. Maxillare und
Praemaxillare bewegen sich
beim Öffnen des Mundes
nur schwach. Die Maxil-
laria reichen mediad kaum
bis zum Neurocranium und
sind bewegHch mit den Pa-
latina verbunden; sie wer-
den, genau wie bei
Salmo,
beim Öffnen des Mundes
vom Lig. maxillo-mandi-
bulare posterius gedreht, nur
arbeitet dies hier mit dem

Lig. max.-mand. anterius zusammen. Dabei ist das Praemaxillare
(bei
q, Abb. 15) ebenfalls einem Druck ausgesetzt; es dreht sich
bei ^ gegen das Nasale und der bezahnte Vorderrand hebt sich
etwas. Das Admaxillare spielt dieselbe Rolle wie bei
Clupea
(S. 23). Das Maxillare wird beim Schliessen des Mundes vom
Lig. max.-mand. anterius wieder gehoben. Der Muse, adductor
mandibulae hat keine direkten Beziehungen zum Maxillare und
inseriert nur am Unterkiefer.
Osmerus ist ein noch ausgesproche-
nerer Raubfisch als
Salmo. Der Mund ist dementsprechend
grösser und stärker bezahnt, zeigt im Übrigen aber denselben
Typus.

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CONGER VULGARIS CUV. (Abb. i6).

Hier erfüllt das Maxillare die Funktion des Oberkiefers. Es
ist dementsprechend bezahnt und steht dem Unterkiefer gegen-
über. Die Praemaxillaria sind klein und vollständig miteinander
und mit dem Neurocranium verwachsen. Sie schieben sich als
eine mit Zähnen besetzte Platte zwischen die Maxiilaria ein

(tragen hier also den Na-
men „Zwischenkieferquot; mit
Recht) und stehen der Un-
terkieferspitze gegenüber.
Das Maxillare ist durch ein
Lig. max.-mand. anterius
Pr h quot;quot; (Abb. i6, La) ziemlich fest
Abb. i6. Conger vulgaris Cuv. Kiefer- mit dem Unterkiefer ver-
Skelett. N = Nasale; die übrigen Be- bunden; es bewegt sich beim
Zeichnungen wie in Abb. i.nbsp;^^^ SchHessen des

Mundes mit ihm auf und nieder, wobei es sich (bei z) gegen
Palatinum und Praemaxillare dreht. Die Kiefermuskulatur ist
gewaltig entwickelt. Dorsal dehnt sich der Muse, adductor man-
dibulae so weit aus, das die Muskeln von links und rechts auf
der Mitte des Schädels zusammenstossen. Der Muse, adductor
mandibulae inseriert nur am Unterkiefer, er weist keinerlei
Beziehungen zum Maxillare auf. Auch ist kein Lig. max.-mand.
posterius vorhanden.
Conger ist ein Raubfisch. Das Kieferskelett
ist sehr starr; die Kiefer bilden eine feste Greifzange.

ESOX LUCIUS L. (Abb. 17).

Bei Esox greifen die Zähne von Palatinum und Unterkiefer
ineinander. Gegenüber der Unterkieferspitze steht das zwischen
den Palatina liegende, stark bezahnte Vomer. Maxillare und
Praemaxillare spielen beim Greifen der Beute fast überhaupt
keine Rolle. Die sehr kleinen, schwach bezahnten Praemaxillaria
liegen getrennt der die Schnauzenspitze bildenden Regio eth-
moidalis an und sind zwischen dieser und den Palatina fest
eingefügt (Abb.
i']b). Die unbezahnten Maxiilaria begrenzen
die Mundhöhle. Senkt sich der Unterkiefer, so wird das Maxillare
vom Processus coronoideus, mit dem es durch ein Ligamentum
maxillo-mandibulare anterius
{La) verbunden ist, mitgezogen;
sein Drehpunkt liegt am Palatinum. Beim Schliessen des Mundes
wird der Unterkiefer vom Muse, adductor mandibulae (^2) ge-
hoben. Dieser ist geschichtet, es fehlt hier aber eine oberfläch-

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liehe Partie, die eine Sehne zum Maxillare hinaufsendet. Das
Maxillare folgt nur passiv dem Unterkiefer. Der Hecht ist ein

Pa!nbsp;__Eth

^.rmx

Abb. 17. Esox lucius L , (a) seitliche Ansicht des Kopfes; {b) obere Ansicht
des Rostrum. jV = Nasale,
ad = Admaxillare. Die übrigen Bezeichnungen

wie in Abb. i.

typischer Raubfisch; seine Jagdweise besteht darin, dass er sich
aus dem Hinterhalt blitzschnell auf die Beute wirft. Seine Kiefer
bilden eine Zange; der Mund stülpt kein Element aus, sondern
umgreift die Beute einfach.

CYPRINUS CARPIO L. (Abb. 18-20).

Gegenüber dem Unterkiefer finden wir das Praemaxillare,
beide sind zahnlos. Die Praemaxillaria können vorgestülpt
werden, dies geschieht hier aber auf eine prinzipiell andere
Weise als bei
Perca beschrieben wurde.

Abb. 18. Cyprinus carpio L., (a) mit
geschlossenem,
(b) mit geöffnetem
Mund,
(c) den Boden absuchend.
A\ und A^quot;, zwei Teile der ober-
flächlichen Schicht des Musculus
adductor mandibulae. Die übrigen
Bezeichnungen wie Abb. i.

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Wird der Unterkiefer gesenkt, so schiebt ein Knorpelkissen x
(Abb. 19), das am Hinterrande des Maxillare entlanggleitet, das
Maxillare nach vorn (Abb. 19
a-V). Dies dreht sich dabei um
seine Befestigung am Palatinum und erreicht so den in Abb. 19amp;

Abb. 19. Cyprinus carpio L. Die Bewegungen der Kieferteile
beim Öffnen des Mundes. Erklärung im Text.
Lpm = Liga-
mentum palato-maxillare,
R = Rostrale; die übrigen Bezeich-
nungen wie in Abb. i und 18.

dargestellten Stand. Das gegen das Maxillare anliegende Prae-
maxillare dreht sich mit. Senkt sich nun der Unterkiefer weiter,
so zieht er mit Hilfe eines Bandes
iL) das ganze Maxillare ven-
trad (Abb. 19c) Dabei gleitet es am Palatinum entlang, und das
Ligamentum palato-maxillare
[Lpm) dehnt
sich ein wenig. Durch diese ventrade Be-
wegung der Maxillaria werden die Prae-
maxillaria gleichzeitig auf die folgende
Art und Weise vorgestülpt:

Das Rostrale [R) ist verknöchert und
stäbchenförmig, es hat bei
q einen Dreh-
punkt dem Neurocranium gegenüber. Bei
j ist es mit den Praemaxillaria beweglich
verbunden, bei
r schiebt es sich gelenkig
zwischen die ventralen Processi der beiden
Maxillaria ein (vergl. Abb. 20). Gleiten
die Maxillaria nun, wie beschrieben wurde,
ventrad und caudad, so wird der Punkt
r
mitgezogen. Jetzt dreht sich das Rostrale
in der Medianebene um
q, s bewegt sich nach vorn, und stülpt
die Praemaxillaria aus (Abb. 19c).

Hebt sich der Unterkiefer wieder, dann fällt der Zug von L
weg, das elastische Lig. palato-maxillare hebt das Maxillare in

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die Ruhestellung und das Rostrale dreht sich wieder zurück,
führt dabei das Praemaxillare mit. Bei frischen Tieren kann man
diesen Vorgang leicht beobachten, wenn man Haut und Gewebe
wegnimmt, ohne die Kiefermechanik zu zerstören. Man braucht
nur den Unterkiefer maximal zu senken um die Vorstülpung
zu erhalten. Beim lebendigen Tier können wir jedoch oft, z.B.
bei der Nahrungsaufnahme vom Boden, beobachten, dass der
Fisch bei nur halbgeöffnetem Munde plötzlich, ohne weiteres
Senken des Unterkiefers, die Praemaxillaria vorstülpt (wie in
Abb. i8c). Hierbei bewegen sie sich aber nicht nach vorn (wie
in Abb. 19c und iB^i), sondern schräg nach unten. Diese Beob-
achtung ist zunächst verwunderlich, denn in den bisherigen
Fällen reagierte das Praemaxillare nur auf Unterkiefersenkung,
selbständige Bewegung war dort unmöglich, es fehlten dazu ja
auch die Muskeln. Eine Erklärung für den Vorgang finden wir
in der Anatomie des Musculus adductor mandibulae. Das
Ligamentum maxillo-mandibulare posterius übertrug, u.a. bei
Perca, die Unterkieferbewegung nur passiv auf das Maxillare.
Bei
Cyprinus aber ist es mit einem Teil des Muse, adductor mandi-
bulae verbunden, und zwar mit der Muskelportion
A'\ (Abb.
1
8c), die auf Quadratum und Unterkiefer (Aussenseite des Ar-
tikulare) inseriert. Wenn dieser Muskel am Bande
L zieht, so
bewegt dies das Maxillare ventrad und das Praemaxillare stülpt
sich vor. Dieses Vorstülpen ist hier also auch ohne Kiefersenken
zu erreichen. Die Haltung des Mundes bei diesem Vorgang ist
auf Abb. iBc, dargestellt, es zeigt die Haltung eines Karpfens, der
den Boden absucht. Beachtenswert sind jetzt auch die Tastfäden,
die eine seitliche Verlängerung der Maxillaria bilden. In der
Haltung der Abb. iBc hängen sie ganz unterhalb der Mund-
öffnung und können so den Boden abtasten (vergl. i8Ä). Die
Muskelportion Aquot;i dient also dem Öffnen des Mundes, nicht
dem SchHessen. Anders die Portion
A\, die beim SchHessen des
Mundes das Maxillare in dem Ruhestand zurückzieht. Insofern
sind die beiden Portionen also Antagonisten. Trotzdem ist im
folgenden Falle eine Zusammenarbeit von
A\ und A'\ wahr-
scheinHch: Wenn bei dem in Abb. iBc dargesteUten Zustande,
in dem
A'\ gespannt ist, sich auch A\ zusammenzieht, so wird
das Maxillare caudad bewegt, es dreht sich dabei um seine Be-
festigung am Palatinum, und so wird die Mundöffnung noch
weiter in der Richtung des Bodens ausgestülpt. Diese Bewegung
kann man am lebenden Tier beobachten; ob sie in der be-

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schriebenen Weise geschieht, wage ich nicht mit Sicherheit zu
sagen, es ist aber sehr wahrscheinlich.

Beim Schliessen des Mundes muss A'\ erschlafft sein, um das
Praemaxillare zurücktreten zu lassen;
A\ zieht das Maxillare
in die Ruhelage zurück. Die tieferen Teile des Musculus adductor
mandibulae heben dabei den Unterkiefer.
Vetter (1873) hat
die erwähnten Muskelportionen
A\ und A'\ genannt, weil er
sie als Teile der bei anderen Fischen einheitlichen oberfläch-
lichen Partie A^ des Musculus adductor mandibulae auffasste.
Diese steht überall, wo sie auftritt, in Beziehung zum Maxillare.

Dass die scharfe Trennung des Aj^ in zwei Portionen bei Cyprinus mit dem
obenbeschriebenen Antagonismus zusammenhängt, war
Vetter jedoch
unbekannt. Nach einer ausgezeichneten Beschreibung der Anatomie der
Kiefermuskeln von
Cyprinus, hat Vetter jedoch auch versucht, die Wirkung
dieser Muskeln darzustellen. Er sagt u.a.:

„Die Function der Schicht A^ kann nur darin bestehen, gleichzeitig mit
der Hebung des Unterkiefers das Maxillare, und mit diesem das Praemaxillare
an ihren vorderen Enden nach hinten, und etwas nach unten zu ziehen
d.h., jene Rückwärtsbewegungen, die der ganze Kiefergaumenapparat beim
Schliessen des Mundes passiv ausführt, activ zu unterstützen.... Bei
Cyprinus bezweckt die Differenzierung dieser Portion in zwei, sich kreuzende
Muskeln offenbar, die Bewegungen des Maxillare (und des Praemaxillare)
nach unten
{Aquot;-^ und nach hinten (A\) um so vollkommener und energischer
zu vollziehen, wodurch sich zugleich das auf den ersten Blick fast wunderlich
erscheinende Übergreifen des Ursprungs des Muse, adductor mandibulae
auf die Mandibel selbst,
leicht erklärtquot; (hervorgehoben von mir).

Wir sehen hier, dass sogar ein so gründlicher Anatom wie Vetter sich
begnügt mit einer oberflächlichen und ungenauen Darstellung der Wirkung
der beschriebenen Muskeln, und es unterlässt, den Kiefermechanismus auf
seine Bewegungsmöglichkeiten zu prüfen. Auch kann man das Übergreifen
des Ursprungs des Muse, adductor mandibulae auf die Mandibel selbst,
nicht auf diese Weise erklären. Von dieser Erscheinung kann man nur die
Bedeutung angeben, wenn man die Rolle des Ligamentum maxillo-mandi-
bulare hervorhebt, und darauf hinweist, dass die beschriebene Lage einer
Partie des Muse, adductor mandibulae es möglich macht, das Praemaxillare
selbständig auszustülpen, und dass der „Rüsselquot; des Karpfens gerade deswegen
so plastisch ist.

Eine gute Beschreibung vom Ausstülpen der Praemaxillaria beim Karpfen
gibt
Fiebinger (1931). Ich habe aber den Eindruck, dass sie für Nichtsach-
verständige nur schwer verständlich ist, sodass es nicht überflüssig erscheint,
eine Darstellung mit Abbildungen zu geben. Die Arbeit von
Fiebinger ist
übrigens hauptsächlich histologisch. - Der Verfasser hat die Rolle der
Muskelpartien
A\ und A'\ m.E. auch nicht ganz richtig beurteilt: er ist
der Ansicht, dass
A'\ bei jedem Ausstülpen tätig ist, und A\ dagegen nur
beim Schliessen des Mundes. Auf die anderen Möglichkeiten, infolge deren
verscheidene Arten der Ausstülpung möglich sind, wurde nicht geachtet.

Auch bei Thilo (1920) finden wir eine Behandlung der Kiefermechanik

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des Karpfens. Diese Beschreibung ist aber sehr oberflächhch. Der Verfasser
sagt: „Der Unterkiefer, Vorkiefer und Oberkiefer sind fächerförmig an-
geordnet. (In der Ruhe) .... ist der Fächer zusammengefaltet. Klappt man
den Unterkiefer nach unten, so wird er entfaltet.quot; Die Abbildungen sind
gleichfalls undeutlich. Die Rolle des Rostrale wird nicht beschrieben, wohl
spricht der Verfasser von „einem knorpelhaften Bandquot;, das sich nach oben
krümmen soll, wenn das Maul geschlossen wird. Ist damit vielleicht das
Rostrale gemeint? Es klingt etwas sonderbar, wenn der Verfasser erklärt:
„Ich hoffe, der Leser wird aus meinen Darlegungen ersehen, dass die mecha-
nischen Verhältnisse des Karpfenmauls leichter zu durchschauen sind, als
es auf den ersten Blick erscheint. Allerdings darf man sich nicht von vorn-
herein in Einzelheiten verlierenquot; (!)

Vom Schliessen des Mundes sagt Thilo: „Geschlossen wird das Maul
durch .... den Musculus adductor mandibulae. Von diesem setzt sich
jederseits eine Zacke an das obere Ende des Oberkiefers, eine zweite Zacke
an die hintere Hälfte des Unterkiefers. Als Schliesser dient noch ein zweiter
kleiner Muskel (Musculus levator palatini). Er entspringt unter der Augen-
höhle, und setzt sich an einen besonderen Muskelfortsatz in der Mitte des
Oberkiefers.quot; Mit dem letzten Muskel ist offenbar die Muskelpartie im
Sinne von
Vetter gemeint; es ist aber unverständlich warum der Verfasser,
der, seinem Literaturverzeichnis nach, die Arbeit von
Vetter kennt, hier
mit einer ganz neuen, unrichtigen Nomenklatur Verwirrung stiftet.

Richtig betont Thilo jedoch die Bedeutung der Kiefer-
mechanik für die Ernährungsweise von Cyprinus. Die Art er-
nährt sich von Wasserpflanzen, aber auch von Insekten, Plank-
ton, Schecken, Würmern und anderen niedern Tieren
(Kyle
und Ehrenbaum, 1929). Diese werden oft durch Wühlen im
Boden gefunden. Entsprechend dieser Aufgabe bildet der Mund
eine enge, bewegliche Röhre.

BELONE ACUS RISSO (Abb. 21-22).

Das Praemaxillare ist nach vorne schnabelförmig verlängert.
Es ist stark bezahnt und liegt dem noch etwas stärker verlänger-
ten Unterkiefer gegenüber. Das kleine Maxillare ist unbeweglich
mit dem Praemaxillare verwachsen, der von ihnen gebildete
Komplex bei ^ beweglich mit dem Palatinum verbunden.

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Ein Ligam. maxillo-
mandibulare posterius
(Z) verbindet das
Maxillare mit dem
Unterkiefer. Wenn die-
ser sich senkt, wird
das Maxillare nach
unten gezogen und
das Prmx. gehoben.
Diese Bewegung ist
in Abb. 22 schema-
tisch dargestellt. Beim
Schliessen des Mundes
wird der Unterkiefer
(und das Max.) wie-

der gehoben, wobei der „Oberschnabelquot; sich senkt. Der Muse,
adductor mandibulae sendet keine Sehne zum Max., er inseriert
nur am Unterkiefer.

Belone ist ein Raubfisch, seine Nahrung besteht hauptsächlich
aus kleinen, pelagischen Fischen.

ORTHAGORISCUS MOLA L. (Abb. 23).

Untersucht wurde nur ein frisches Exemplar von 127 cm
Länge. Das Kieferskelett ist sehr starr. Das unbezahnte Prae-
maxillare steht dem Unterkiefer gegenüber und ist mit dem
Maxillare verwachsen; der von ihnen gebildete Komplex kann
sich um ^ (Abb. 23) drehen und folgt den Bewegungen des
Unterkiefers wegen eines Ligamentum maxillo-mandibulare an-
terius
[La). Wenn der Unterkiefer sich senkt, wird die Spitze
des Oberkiefers gehoben, und umgekehrt.

Da die Kopfmuskulatur des untersuchten Orthagoriscus sehr
erhebhch von den übrigen Fischen abweicht, erscheint es mir
erwünscht, sie etwas vollständiger zu beschreiben. Die Kiefer-
muskeln waren nur an der rechten Seite des Kopfes ausgebildet.
Es ergab sich, dass der Unterkiefer nur durch die Opercular-
muskeln gesenkt werken kann. Das Interoperculum
{lop) ver-
läuft als langer, knorpeUger Stab vom Angulare zum Kiemen-
deckel, ohne Beziehungen zum Hyale aufzuweisen. Die MM.
levator und dilatator operculi
(Mio, Mdo) sind gut entwickelt.
Wenn sie das Operculum heben, übt das Interoperculum einen

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Zug auf den Unterkiefer aus, der ihn senkt. Das Hyale kann
dabei gar keine Rolle spielen, weil jede Verbindung mit dem
Unterkiefer fehlt; auch die MM. protractor hyoidei und sterno-
hyoideus fehlen. Das Hyale kann also nicht einmal selbständig
bewegt werden. Eigentümlicherweise sind seine
Radii {Ra) durch
sehnenartige Bildungen mit dem Schultergürtel verbunden.
Wird der Schultergürtel von der Körpermuskulatur etwas
caudad gezogen, so muss das Hyale also folgen. Ob dies wirklich
eine Rolle spielt, ist
am toten Tier na-
türlich nicht zu
entscheiden. Das
Schliessen der Kie-
fer beruht zweifellos
auf der Wirkung
des Musculus ad-
ductor mandibulae.
Dieser weist eine

oberflächliche
Schicht Ai auf, wel-
che am Maxillare ^^^ ^^
Orthagoriscus mala L. Kieferskelett und
inseriert. Eine tie-nbsp;Muskulatur. Bezeichnungen wie in Abb. i.

fere Schicht ver-
läuft vom Oberteil des Praeoperculum und vom Hyomandibulare
zum Unterkiefer (^3). Ausser diesen zwei Muskelschichten findet
sich zwischen ihnen noch eine Sehne, die am Unterkiefer inseriert
und deren Muskel offensichtlich degeneriert ist. Die Vermutung
liegt nahe, dass diese Schicht übereinstimmt mit der mittleren
Schicht des Muse, adductor mandibulae im Sinne von
Vetter.
Weitere Kopfmuskulatur ist an der rechten Seite nicht zu finden,
auch ein Musculus levator oder
adductor hyomandibularis fehlt.

An der linken Seite des Kopfes sind alle Muskeln vollkommen
degeneriert. Nur die Sehnen der drei Teile des Musculus adduc-
tor mandibulae sind erhalten geblieben. Eine weiche, graue
Masse ersetzt die Muskeln. Die gute Ausbildung der Sehnen
lässt allerdings vermuten, dass die Degeneration der Muskeln
erst erfolgte, nachdem das Tier erwachsen war. Auch die Radu
branchiostegi haben keine Muskulatur; die Atmungsbewegungen
beschränken sich also vermutlich auf ein Heben des rechten
Operculum, vielleicht spielt auch ein Senken des Hyale mit Hilfe
des Schultergürtels (siehe oben) eine Rolle.

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Leider stand nur ein Exemplar der Art zur Verfügung; es
wäre interessant zu wissen, ob sich bei jedem erwachsenen
Orthagoriscus eine so weitgehende Muskeldegeneration findet. Das
untersuchte Stück machte übrigens einen ganz normalen Ein-
druck.

Die Nahrung der Art besteht anscheinend aus Cephalopoden,
Crustaceen und dergleichen
(E. W. Mohr, 1929), die Lebens-
weise ist übrigens sehr wenig bekannt.

AMMODYTES TOBIANUS L. (Abb. 24).

Senkt man bei einem frisch getöteten Tier den Unterkiefer,
so dreht sich das Maxillare um etwa 120° rostrad (Abb. 24
a-c),
während das Praemaxillare weit nach vorn ausgestülpt wird.
Dieser Mechanismus ist sehr zart, während des Experimen-
tierens zerstört man ihn meistens sofort. Nur wenn man die
Haut und das Praeorbitale vorsichtig ablöst, gelingt es, ihn in-
takt zu halten. Bei geringem Senken des Unterkiefers schiebt
ein Knorpelwulst (7quot;) das Maxillare und Praemaxillare etwas
nach vorn (Abb. 24
a-b), die gleiche Bewegung bewirkt der
Unterkiefer mit Hilfe des Ligamentum maxillo-mandibulare
anterius
{La). Bei weiterem Senken des Unterkiefers geht das
Maxillare jedoch an der Unterkieferspitze vorbei und stülpt
das Praemaxillare maximal aus (Abb. 24
b-c). Die Kraft, die
dies bewirkt, kann also unmöglich am lateralen Teil des Maxil-
lare angreifen; es zeigt sich, dass auch hier wieder ein Ligamen-
tum maxillo-mandibulare posterius die Ursache der Wirkung
ist. Das Ligament inseriert hier jedoch im Gegensatz zu
Perca
an einem Fortsatz q des Maxillare, der über dem Drehpunkt {p)
zwischen Maxillare und Palatinum hinausragt. Beim Mund-
öffnen zieht das Lig. max.-mand. posterius diesen Fortsatz cau-
dad; der laterale Teil des Maxillare, jenseits des Drehpunktes,
bewegt sich dabei nach vorne (Abb. 24
b~c). Dabei wird das
Praemaxillare gezwungen, nach vorne zu treten, nicht weil, wie
bei
Perca (S. 12) oder ^eai- (S. 60) ein Druck auf seinen medianen
Fortsatz ausgeübt wird, sondern weil das laterale Ende des
Maxillare es vorwärts schiebt.

^ Aber nicht nur das Ligamentum max.-mand. posterius kann
einen Zug auf dem Processus
q des Maxillare ausüben. Auch ein
kleiner Muskel (Abb. 24c,
Mm) entspringt hier. Dieser verläuft
zum Unterkiefer und inseriert gleich neben dem Musculus

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adductor mandibulae. Dieser Muskel muss im Stande sein,
Maxillare und Praemaxillare unabhängig vom Senken des
Unterkiefers auszustülpen. Es ist zu erwarten, dass es durch
Beobachten lebender Exemplare von
Ammodytes gelingen wird,
eine solche Ausstülpung ohne Senken des Unterkiefers festzu-
stellen. Ich hatte keine Gelegenheit dies zu kontrollieren; in der
Gefangenschaft sterben die Tiere sofort. Den beschriebenen
Muskel könnte man
Musculus maxillo-mandibularis nennen. Ich
fand ihn nur erwähnt bei
SouGHE (1932), wo er „Por-
tion maxillaire superficielle
de l'adducteur de la man-
dibulequot; heisst.

Er identifiziert ihn also mit
der Muskelpartie A^ von
Vetter. Nach den Angaben
von
SoucHE inseriert er am
Quadratum, und
nicht am
Unterkiefer; das stimmt je-
doch m.E. nicht. - Nur bei
Cyprinus besteht ein Muskel
mit einer ähnlichen Lage und
Wirkung (Abb. 18,
S. 27).
Dieser inseriert aber am Qua-
dratum
und am Unterkiefer,
er wird von
Vetter als De-
rivat des Musculus adductor
mandibulae aufgefasst. Viel-
leicht trifft dies (wie
Souche
annimmt) auch für den Mus-
culus maxillo-mandibularis

zu. Bei Ammodytes erfolgt das Schliessen der Kiefer beim Heben
des Unterkiefers durch den Muse, adductor mandibulae. Er
faltet dabei Maxillare und Praemaxillare zusammen, vielleicht
spielen auch dehnbare Membranen eine geringe Rolle. - Eine
m.E. völUg unrichtige Beschreibung des Kiefermechanismus
von
Ammodytes gibt Thilo (1920). Dieser Autor vergleicht der
Unterkiefer mit der Schubkurbel einer Dampfmachine und
das Praemaxillare mit der Schubstange. Aus der Darstellung
geht jedoch hervor, dass der Verfasser die Wirkung dieser Teile
gar nicht verstanden hat. Er sagt z.B.: „Der Vorkiefer ... ist

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am Unterkiefer befestigt, und jedesmal, wenn das Maul sich
öffnet, wird er nach vorne gezogen.quot; Dabei würde das Prae-
maxillare von der Spitze des Unterkiefers mitgeführt, und die
drehende Bewegung des Unterkiefers in eine schiebende Be-
wegung des Praemaxillare umgesetzt. Die Sache ist aber, wie
wir gesehen haben, weniger einfach!

Der geöffnete Mund von Ammodytes bildet eine gewaltige Reuse.
Welche Bedeutung dies für das Tier hat, ist unklar.
Thilo
gibt an, der Reusenmund spiele beim blitzschnellen Eingraben
des Tobiasfisches in den Sand eine Rolle, sagt aber nicht, um
welche Rolle es sich handelt.

Für Planktonfang scheint die Einrichtung nicht ungeeignet,
anscheinend ernährt sich die Art jedoch nicht von Plankton,
sondern von grösseren Tieren, Jungfischen, Krebsen und Wür-
mern (E. W.
Mohr, 1929).

MUGIL CAPITO CUV. (Abb. 25).

Das Praemaxillare übt die Funktion des Oberkiefers aus. Das
Senken des Unterkiefers verursacht auch hier Bewegungen von
Maxillare und Praemaxillare. Ein Ligamentum maxillo-mandi-

bulare posterius ist nicht vor-
handen. Ein Lig. max.-mand.
anterius
{La) verbindet je-
doch die lateralen Teile von
Maxillare und Praemaxillare
mit dem Processus coronoi-
deus. Beim Senken des Unter-
kiefers werden Maxillare und
Praemaxillare also vom Pro-
cessus coronoideus nach vorn
gedreht (Abb. 25
a-b). Das
Ligament ist nicht dehnbar -
ist ein gewisser Öffnungsgrad
erreicht, so werden, bei wei-
terem Senken des Unterkie-
fers, Maxillare und Praemaxil-
lare senkrecht ventrad gezo-
gen. Dabei stülpt sich das
Praemaxillare in genau derselben Weise aus, die in Abb. 9
bei
Perca dargestellt ist: das Praemaxillare gleitet ventrad und
rostrad über einem Kamm des Mesethmoid. Bei
Perca war

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dieses Moment Nebensache, bei Mugil ist es dagegen die ein-
zige Ursache der Ausstülpung. Das Senken von Maxillare und
Praemaxillare wird zugelassen von dehnbaren Ligamenten
zwischen Maxillare und Palatinum, sowie zwischen Praemaxil-
lare und Ethmoid. Das erste Ligament zieht Maxillare und
Praemaxillare beim Schliessen des Mundes dorsad, das zweite
führt dabei das Praemaxillare caudad und hebt so die Ausstül-
pung wieder auf.

Schliesst sich der Mund, dann werden Maxillare und Prae-
maxillare beim Heben des Unterkiefers vom Ligam. max.-mand.
anterius mitgeführt, aber auch direkt angezogen durch eine
Sehne, die von dem oberflächlichen Teil des Muse, adductor
mandibulae ausgeht; diese inseriert hier nicht, wie bei
Perca, am
medianen, sondern am lateralen Teil des Maxillare (Abb. 25^»).

So wird eine sehr kräftige Schliessbewegung der Kiefer er-
möglicht. Die tieferen Schichten des Musculus adductor mandi-
bulae verlaufen zum Unterkiefer. Die Zähne von Unter- und
Zwischenkiefer sind klein und scharf, die kurzen Kiefer haben
einige Ähnlichkeit mit einer Kneifzange.

Mugil ernährt sich von hartschaligen Tieren (Mollusca, Crus-
tacea). Die kurzen, kräftigen Kiefer sind sehr geeignet zum
Abbeissen und Zerbeissen harter Nahrung.

GADUS MORRHUA L. (Abb. 26).

Dem Unterkiefer steht das stark bezahnte Praemaxillare
gegenüber. Die medianen Teile von Maxillare und Praemaxillare
liegen nicht auf dem Mesethmoid, wie es sonst meistens der Fall
ist, sondern sind weit rostrad verschoben. Das stark rostrad ver-
längerte Nasale (jV) trägt das Praemaxillare, das Palatinum das
Maxillare. Das Maxillare ist bei
p (Abb. 2ßb) beweglich mit
dem Palatinum verbunden, das Praemaxillare bei
x mit dem
Nasale. Ein Ligamentum maxillo-mandibulare posterius (Z)
verläuft vom Unterkiefer hinauf und inseriert bei
t hinten auf
dem Maxillare. Die Vorgänge beim Öffnen und Schliessen des
Mundes wurden in den wesentlichen Zügen schon von
Holm-
qvist
(1911) beschrieben. Senkt sich der Unterkiefer, so zieht

Die Praemaxillaria sind durch gekreuzte, nicht dehnbare Ligamente
mit den Palatina verbunden, die Maxillaria mit dem Mesethmoid; siehe die
Abb. bei
Brooks (1885) und Holmqvist (191 i).

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das Ligament das Maxillare nach vorn, bis L gestreckt ist, und
p, t und L in einer Linie liegen (Abb. 266). Dabei dreht sich das
Maxillare etwas um seine Längsachse und übt bei
q einen Druck
in oraler Richtung auf das Praemaxillare aus, das sich gleich-
falls um sein Gelenk
a; nach vorn dreht. Bewegt sich das Maxillare
beim Schliessen des Mundes wieder nach hinten, so wird auch

das Praemaxillare (bei q)
wieder caudad gezogen.
Diese Bewegung kommt
ebenfalls unter Einwir-
kung des Ligamentum

maxillo-mandibulare
posterius zustande. Die
oberflächliche Partie A-^
des Musculus adductor
mandibulae inseriert an
diesem Ligament, ihre

Sehnenfasern laufen
durch dieses hinauf zum
Maxillare. A^ verläuft et-
wa horizontal - es zieht
beim Schliessen des Mun-
des also das Ligament in
der Mitte caudad. Das
Resultat ist, dass gleich-
zeitig der Unterkiefer
nach oben und das
Maxillare caudad gezo-
gen wird, Ai zieht also
durch eine Zweiteilung
seiner Kraft zwei Skeletteile nach sehr verschiedenen Richtun-
gen. Hierin weicht
Gadus in eigentümlicher Weise von Perca ab.
Dort wäre eine vollkommene Vereinigung der Sehne des A^
mit dem Ligamentum maxillo-mandibulare unmöglich, weil
das Ligament das Maxillare um die Längsachse orad, A^ es
dagegen caudad dreht. Bei
Gadus fehlt dieser Antagonismus, das
Ligament zieht beim Öffnen des Mundes das Maxillare mit Hilfe
des Unterkiefers rostrad, beim Schliessen des Mundes mit Hilfe
des Ai caudad.

Beim Schliessen des Mundes kann noch ein zweiter Muskel
das Maxillare zurückziehen: der
Musculus pterygo-maxillaris (.^4).

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Dieser verläuft vom Hyomandibulare fast horizontal unter der
Augenhöhle zum medianen Teil des Maxillare, wo er unten,
an der
Innenseite inseriert (Abb. 26). Der Name (Jourdain, 1878)
ist also, wie schon
Holmqvist (191 i) bemerkte, unrichtig.
Letzterer schlägt vor, den Muskel, der
vexxer'schen Nomen-
klatur entsprechend, Ai zu nennen, weil er zwischen A^ und ^3,
den zwei tieferen Schichten des Musculus adductor mandibulae
liegt und wohl von diesen abgeleitet werden muss. Die Wirkung
dieser Muskelpartie besteht offenbar in einem Zurückdrehen
des Maxillare um die Längsachse
beim Schliessen des Mundes.
Diese Aufgabe kann A-^ nicht lösen, denn dieser Muskelteil in-
seriert (mit Hilfe von
L) an der Aussenseite des Maxillare, und L
verursacht eben das Drehen beim Öffnen des Mundes.

Das Ligamentum maxillo-mandibulare anterius {La) ist bei
Gadus gleichfalls stark entwickelt. Es verbindet als dicker, elasti-
scher Knorpelstab Maxillare und Unterkiefer, überträgt aber
die Bewegungen des Unterkiefers beim Öffnen des Mundes nicht
auf das Maxillare, wie
Jordan (1918) angibt, sondern wird von
beiden passiv bewegt, bei geöffnetem Mund bleibt es schlaff und
bewirkt eine seitliche Verbreiterung des Mundes.

Gadus ist ein Raubfisch, der sowohl pelagische Fische wie
Grundformen jagt, aber auch Crustacea usw. aufnimmt, also
wenig spezialisiert ist.

ANARRHICHAS LUPUS L. (Abb. 27-28).

Das Cranium des Seewolfs weicht in der Form ziemlich stark
von den bisher besprochenen Fischen ab. Der Kopf ist schmal,
kurz und hoch gebaut. Dies
hängt mit der Ernährung
zusammen, die Art ist auf
Conchiphagie eingestellt.
Die hartschalige Nahrung
wird zwischen breiten plat-
ten Mahlzähnen zerkaut, die
auf Dentale, Palatinum und
Vomer sitzen. Das Kauen
ist bei den Fischen nicht
sehr häufig, die schweben-
den Öberkieferteile sindnbsp;^^^^^
L. Seitliche
dafür auch ungeeignet. Bei Ansicht der Kiefer und der Kiefermus-
Anarrhichas sind Maxillare kulatur. Bezeichnungen wie in Abb. i.

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und Praemaxillare dementsprechend ausgeschaltet; das Vomer
bildet, zusammen mit den Palatina eine, mit Kauzähnen besetzte
Fläche. Das Dentale ist stark nach innen gebogen, damit seine
Mahlzähne mit denen auf dieser Fläche korrespondieren. Auf S. 20

wurde besprochen,
dass man die Zusam-
menarbeit Dentale -
Palatinum als primi-
tiv
bezeichnen kann,
und dass eine Evolu-
tion der Kiefer denk-
bar ist, welche von die-
sem Zustande dahin
führt, dass das Prae-
maxillare die Ober-
kieferfunktion über-
nimmt. Auch
Anarrhi-
chas
wäre also in dieser
Hinsicht primitiv. Das
ist aber ziemlich un-
wahrscheinlich, denn
bei den
nächsten Ver-
wandten, den
Blenni-
idae,
steht der Un-
terkiefer vollkommen
dem Praemaxillare ge-
genüber. Das ,,ur-
sprünglichequot; Verhält-
nis von Dentale und
Palatinum ist bei
An-
arrhichas
wahrschein-
lich später erworben,
nach unserer Vorstel-
lung also infolge eines
rückläufigen Prozesses.
Diese Kiefer
Verhältnisse bieten bei der Lebensweise von Anarrhi-
chas
beträchtliche Vorteile, der „rückläufigequot; Prozess bedeutet
eine Anpassung an die Conchiphagie. Diese Vorteile sind:
I. Das Palatinum und Vomer sind druckfester als Maxillare
und Praemaxillare. Zum Greifen der Nahrung sind die vorderen
Elemente geeigneter, dagegen ist zum Kauen harter Nahrung

Abb. 28. Schematische Darstellung der Kiefer
und des Muse, adductor mandibulae von
Anarrhichas (links) und Esox. Die Längsachse
des Muskels ist durch eine unterbrochene Linie
wiedergegeben. Es zeigt sich, dass die vertikale
Komponente
{p) der vom Muskel ausgeübten,
hebenden Kraft bei
Anarrhichas grösser ist, weil
der Muskel stärker vertikal steht. Diese verti-
kale Lage des Muskels ist möglich, weil der
Kopf sehr hoch gebaut ist. Die horizontalere
Lage des Muskels bei
Esox ist bedingt durch
den schlanken Bau des Tieres, das, in Gegensatz
zu
Anarrhichas, auf Schnelligkeit eingestellt ist.

Weiterhin zeigt sich, dass die Kraft, die ein
bestimmter Teil des Kiefers ausübt, desto klei-
ner ist, je grösser sein Abstand vom Ansatz
des Muse, adductor mandibulae wird. Wenn
die Kraft bei
a = p ist, so ist die Kraft bei h
= 1/2 p
und bei c = V3 P- Es bedeutet also für
Anarrhichas einen Vorteil, dass seine Molaren,
die harte Nahrung zerbrechen müssen, sich auf
den hinteren Teilen der obendrein kurzen Kie-
fer beschränken. Sind die Kiefer lang, wie bei
Esox, so wird die Greifweite erhöht, die Kraft
aber verringert. Entsprechend dem Kieferbau
ist bei der Lebensweise von
Esox die Greifweite,
bei
Anarrhichas dagegen die Beisskraft der Kiefer
der wichtigste Punkt.

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das, dem Neurocranium fest angefügte Palatinum brauchbarer.
2. Das Palatinum ist vom Kiefergelenk nicht so weit entfernt
als das Praemaxillare, der Muse, adductor mandibulae kann
daher hierauf einen grösseren Druck ausüben (Vergl. Abb. 28).

Ausserdem ist der ganze Bau des Cranium an das Zerbeissen
harter Nahrung angepasst. In Abb. 28 ist zum Vergleich
Esox
herangezogen. Dabei zeigt sich, das die Kiefer von Anarrhichas
relativ kurz sind, dass der Muse, adductor mandibulae mehr
vertikal steht; ausserdem ermöglicht die hohe, schmale Form
des Cranium eine gewaltige Entwicklung dieses Muskels.

Das Praemaxillare trägt lange, scharfe Kegelzähne und steht
der Unterkieferspitze, die ebenso bewaffnet ist, gegenüber. Diese
vorderen Zähne werden wahrscheinhch zum Ausgraben oder
Losreissen der hartschaligen Nahrung benützt. Auch dazu ist
eine grosse Festigkeit nötig, und dementsprechend sitzt das Prae-
maxillare mit einer breiten Gelenkfläche am Neurocranium fest
(Abb. 27,
z)- Es kann nur wenig bewegt werden: die Zähne
drehen sich beim Öffnen des Mundes etwas nach vorn, beim
Schliessen des Mundes wieder zurück. Diese Bewegung wird
auch hier vom Maxillare verursacht. Kommt der Processus
coronoideus beim Senken des Unterkiefers nach vorn, so dreht
sich das Maxillare, das damit beweglich verbunden ist
[La), eben-
falls nach vorn (Drehpunkt am Palatinum). Es schiebt nunmehr
bei Ä das Praemaxillare rostrad, dies dreht beim Punkte ^ und
richtet die Zähne nach vorne. Der Musculus adductor mandi-
bulae schliesst den Mund; wie schon erwähnt ist er beini See-
wolf massig entwickelt; durch eine stark ausgeprägte Tropibasie
wird für ihn am Schädel Platz geschaffen. Die tieferen Teile des
Muskels inserieren am Unterkiefer, die oberflächliche Schicht A-^^
endet rostrad in einer sehnigen Masse, die sich teilweise an das
Maxillare, teilweise an den Unterkiefer anheftet.

LOPHIUS PISCATORIUS L. (Abb. 29-34).

Bei dieser Art stossen wir auf die Schwierigkeit, dass es
nur ausnahmsweise gelingt, das Tier lebend zu erhalten; die
Nahrungsaufnahme ist anscheinend in Gefangenschaft nur ein-
mal beobachtet worden
(Chadwick, 1929). Ich konnte wenig-
stens etwas von der Atmungsbewegung und Ruhehaltung
eines erwachsenen
Lophius sehen, der nach 2 Tagen leider
einging. Nach den Angaben von
Chadwick liegt Lophius bei der

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Jagd Still am Boden, und „angeltquot; mit den Kopfstacheln, d.h.
er bewegt sie hin und her. Kommt ein nahrungssuchender Fisch
näher, so öffnet sich das gewaltige Maul von
Lophius, und saugt
Wasser, und dabei manchmal auch die Beute ein. Das Tier soll

sich dabei nichtvom
Boden erheben, der
Körper liegt zum
Teil im Schlamm
begraben. Das Öff-
nen des Mundes
und die Vergrösse-
rung der Mund-
höhle wird hier aber
in ganz anderer
Weise erreicht als
in den bisher be-
schriebenen Fäl-
len. Das zeigt sich
sofort, wenn man
einen
Lophius in

Ruhehaltung (Abb. 29) beobachtet. Der Kopf ist dann breit
und platt (Abb. 30a); der „Buccal-Komplexquot; (Hyomandibulare
und Arcus palatini) liegt seitiich, maximal gehoben, und die
Kiefergelenke liegen möglichst weit von einander entfernt, was
wir bisher nur beim extrem ge-
öffneten Fischmaul feststelltennbsp;_ ® /-\ ^

(Vergl. Abb. 12). Wenn der
Mund geöffnet wird, senkt sich
der Buccal-Komplex, und die
Kiefergelenke werden einander
genähert (Abb. 30 ; gerade
diese Bewegung sahen wir bei
anderen Fischen beim Schliessen
des Mundes!

Jetzt ist schon deutlich, dass
Muskeln, die z.B. bei
Perca den

Mund öffnen, bei Lophius zum Schliessen dienen müssen, und
umgekehrt. Bei diesem Senken, Adduzieren des Buccal-Kom-
plexes wird der Mundinhalt bei
Lophius gewaltig vergrössert. Bei
Perca wurde dies gerade beim Heben des Buccal-Komplexes
erreicht. Wie das beides möglich ist, zeigt Abb. 30.

Abb. 30. Lophius piscatorius L. Sche-
matischer Transversalschnitt durch
die Mundhöhle; Erklärung im
Text.
Nr = Neuroeranium, Hm =
Hyomandibulare.

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Da sehen wir einen schematischen Transversalschnitt der
Mundhöhle, der das Hyomandibulare trifft. Bewegt sich das
Hm aus der Lage (a) in die Lage (c), so kommt ein Moment,
wo der Inhalt der Mundhöhle am grössten ist, nämlich, wenn
die Lage
[b) erreicht wird. Also: In Lage (a) ergibt sich aus dem
Senken der Hyomandibularia eine Vergrösserung der Mund-
höhle (stimmt überein mit
Lophius), bei Lage (c) ergibt Heben
der Hyomandibularia Vergrösserung der Mundhöhle (stimmt
überein mit Perca). Der
Unterschied im Mund-
inhalt ist zwischen (a)
und
{b) viel grösser als
zwischen (c) und
{b).
Darum wird der Was-
serstrom, der beim
Öffnen des Mundes
auftritt, bei
Lophius
relativ stärker sein als
bei
Perca, dement-
sprechend ist auch die
Saugkraft des Mundes
bei
Lophius viel wich-
tiger ! - Aus dem Sen-
ken des Buccal-Kom-
plexes beim Öffnen
des Mundes ersehen
wir, dass der Muse, ad-
ductor hyomandibu-
laris et arcus palatini
bei
Lophius hieran be-
teiligt sein muss, wäh-
rend der Muse, levator
hyomandibularis (der sehr klein ist, Abb. 29) beim Schliessen
des Mundes in Wirksamkeit tritt.

Während des Senkens des Buccal-Komplexes beim Mundöffnen
wird das Neurocranium (mit den Oberkiefern) gehoben (Abb.
•^oa-b, 31 a-b). Dieses Heben der Oberkiefer ersetzt bei Lophius
das Senken des Unterkiefers. Dieser kann nicht gesenkt werden,
denn er liegt fortwährend am Boden.

An diesem Heben des Neurocranium beteiligt sich die Körper-
muskulatur. Bei
Perca erwähnten wir, dass der Musculus sterno-

a

/ (

/

.....-'^p

hm/^'

J?

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hyoideus den Unterkiefer (mittels Hyale und Interoperculum)
senkt, und dabei unterstützt wird von der hypaxonischen Kör-
permuskulatur, die den Schultergürtel caudad zieht. Auch bei
Lophius wird der Gürtel hierbei von einem Derivat der hyp-
axonischen Körpermuskulatur caudad gezogen (Abb. 31^1,
Hp).
Das Resultat ist, das sich der Gürtel aufrichtet, er hebt dabei
das Neurocranium (Abb. 31
a-b). Nunmehr ruht dieses auf dem
Schultergürtel, der mit Hilfe der Extremitäten fest auf dem
Boden steht, und kann von der epaxonischen Körpermuskulatur
(Abb. 31Ö,
Ep) weiter gehoben werden (Abb. 31 b-c). Ein
Gelenk zwischen dem Cranium und dem ersten freien Wirbel

(Abb. 32) ermöglicht
eine Drehung des Neu-
rocranium der Wirbel-
säule gegenüber. Die-
ses Aufwärtsdrehen

Abb. 32. Lophius piscatorius L. (a) Rückseitenbsp;Cranium muss der

des Neurocranium mit walzenförmiger Ge-nbsp;Komplex von Hyo-

lenkfläche. (b) Vorderseite des i. Wirbelsnbsp;mandibulare und Ar-

mit entsprechender Gelenkgrube, (c) 2. Wir-nbsp;cus palatini mitma-

bel von caudal.nbsp;, , j 1 .. • 1

chen, also dreht sich
auch das Kiefergelenk etwas dorsad, es kommt vom Boden frei.
Jetzt kann sich der Unterkiefer etwas senken (Abb. 31c).

Dies Senken geschieht in der bekannten Weise durch das
Interoperculum, das vom Hyale (bei j) mitgeführt wird. Das
Angulare des Unterkiefers, an dem auch hier das Interoper-
culum verbunden ist, dehnt sich weit hinter das Kiefergelenk
aus; es hemmt das Öffnen des Mundes, denn bei einem gewissen
Öffnungsgrad stösst das Angulare gegen das Quadratum (Abb.
31c). Weiteres Heben des Cranium hat jetzt auch ein Heben der
Unterkieferspitze zur Folge, denn der Mund kann ja einfach
nicht weiter geöffnet werden. Die Greifweite des Unterkiefers
wird durch diesen ganzen Prozess stark vergrössert, seine Spitze
wird weit nach vorn geschoben; wir werden sehen, dass ein
Ausstülpen des Oberkiefers auch diesen nach vorn führen kann.

Das in Abb. ^ib gezeichnete Zwischenstadium besteht natür-
lich nur theoretisch, die beschriebenen Bewegungen geschehen
alle gleichzeitig. Über diese Bewegungen muss ich noch Fol-
gendes bemerken:

Wenn der Schultergürtel in seine vertikale Stellung gezogen
wird, so zieht er schon durch den Muse, sterno-hyoideus das

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Hyale ebenfalls mit nach hinten. Der Zug, den das Hyale mit
Hilfe des Interoperculum auf den Unterkiefer ausübt, setzt also
gleichzeitig mit dieser Bewegung ein. Auch muss ich noch auf
die gewaltige Inhaltsvergrösserung der Pharynxhöhle aufmerk-
sam machen, welche sich beim Heben des Neurocranium ergibt.
Auch die Kiemenhöhle beteiligt sich an der Inhaltsvergrösserung
unter Entfaltung der gewaltigen Branchiostegalmembran. Diese
Membran ist geschlos-
sen; nur durch eine
kleine Öffnung hin-
ter der Extremität
(Abb. 33) strömt das
Wasser aus der Kie-
menhöhle. Die Kiemen
liegen ganz im Mund-
boden, die aufsteigen-
den Bogenteile tragen
keine Kiemen. Einen
Hinweis dafür, dass
auch die Kiemenhöhle
bei der Nahrungsauf-
nahme viel Wasser an-
saugt, sehe ich in der
Tatsache, dass sich bei
zwei der untersuchten
Exemplaren in der
Kiemenhöhle je ein
Plattfisch befand.

Besprechen wir jetzt
die Bewegungen von
Maxillare und Prae-
maxillare. Bei
Lophius
erfolgt beim Öffnen des Mundes automatisch ein Drehen des
Maxillare und ein Vorstülpen des Praemaxillare.

Auch hier sind Unterkiefer und Maxillare verbunden durch
ein Ligamentum maxillo-mandibulare posterius, das diese Be-
wegungen hervorruft, und, wie bei
Perca, am Oberrand des
Maxillare angeheftet ist (Abb. 34). Dass sich im vorliegenden
Fall nicht der Unterkiefer vom Oberkiefer entfernt, sondern
umgekehrt, macht gar keinen Unterschied. Das Maxillare dreht
sich gegen das Palatinum um seine Längsachse. Dabei beschreibt

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der mediane Kopf des Maxillare einen Halbkreis nach vorne,
wobei er das Praemaxillare rostrad stösst (Abb. 34
a-b). Bei
erwachsenen Tieren befindet sich im Kopf des Maxillare eine
Grube, worin in der Ruhe der mediane Fortsatz des Prae-
maxillare ruht; diese Grube ist dagegen bei jungen Exemplaren
nicht vorhanden.

Beim einfachen Öffnen des Mundes wird das Praemaxillare
bei
Lophius niemals maximal vorgestülpt; dies erreicht man nur,

Qnbsp;wenn man den Zug, den

—nbsp;der oberflächliche Teil ^^

des Muse, adductor man-
dibulae auf
L ausübt,
nachahmt. Bei
Perca zog
dieser Teil A^ das vorge-
stülpte Praemaxillare cau-
dad und war daher, in
Gegensatz zu
L, unten am
Maxillare angeheftet. Bei
Lophius ist jedoch die ober-
flächliche Partie voll-
kommen mit
L verwach-
sen; ihre Wirkung hebt die
durch
L verursachte Dreh-
ung nicht auf, sondern ver-
stärkt sie. Daraus könnte
man den Schluss sieben,
dass A-i im Gegensatz zu
den anderen Teilen des
Muse, adductor mandibu-

lae, beim Öffnen des Mundes wirksam ist, denn wir sahen
das Vorstülpen bisher nur beim Öffnen des Mundes. Das ist
jedoch unwahrscheinlich, ich machte eine Beobachtung woraus
hervorgeht, das bei
Lophius das maximale Vorstülpen des Prae-
maxillare mit Hilfe der Muskelpartie A-^ eben beim Mundver-
schluss stattfindet.

Abb. 29 zeigt die Ruhehaltung eines Lophius. Der Mund ist
dann nie geschlossen, weil der Unterkiefer das Praemaxillare
nach vorn überragt. Reizt man jetzt das Tier, etwas mit den
Zähnen zu ergreifen, so stülpt es das Praemaxillare nach vorn,
bringt so die Zähne des Ober- und Unterkiefers übereinander
und greift zu (Abb. 33^). Es ist also wahrscheinlich, dass der

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ganze Muse, adduetor mandibulae, auch A^, zum Schliessen
des Mundes verwendet wird; dabei zieht A^ aber das Praemaxil-
lare nicht zurück, sondern verstärkt die beim einfachen Öffnen
des Mundes erfolgte, geringe Ausstülpung (Abb. 33a), wodurch
erreicht wird, dass die Zähne des Ober- und Unterkiefers, die
in der Ruhe weit voneinander entfernt liegen, zusammen-
schlagen; dies ist für das Greifen der Beute natürlich unerlässlich.

Diese Ausstülpung wird erst aufgehoben, wenn der ganze
Muse, adductor mandibulae erschlafft. Es gibt keine besonderen
Muskeln oder dehnbaren Bänder, die das Praemaxillare zurück-
ziehen, aber bei geschlossenem Mund treten Spannungen in den
umgebenden Geweben auf, die es dem Maxillare und Prae-
maxillare unmöglich machen, die ausgestülpte Lage ohne Hilfe
von Ai beizubehalten.

Ausser dem Muse, adductor mandibulae spielt, wie schon
erwähnt, auch der allerdings schwach entwickelte Musculus
levator hyomandibularis beim Schliessen des Mundes eine Rolle.
Weiterhin besteht ein Muskel, der den Schultergürtel wieder
in die Ruhehaltung zurückzieht (Abb. 316,
m).

Über die Atmungsbewegungen von Lophius machte ich die
folgenden Beobachtungen. In der Ruhehaltung ist der Mund
immer geöffnet, weil das Praemaxillare nicht ausgestülpt ist
(Abb. 29). Daher spielt die Valvula buccalis
{B, Abb. 29) eine
wichtige Rolle, denn sie muss bei jedem Ausatmen den Mund-
spalt verschliessen (Vergl. Abb. 11) .Atmungsbewegungen der
Kiefer oder des Hyale habe ich nicht beobachtet, auch nicht
wenn das Tier sich anstrengte. Immer war nur der gewaltig
entwickelte Branchiostegalapparat in Bewegung.

CALLIONYMUS LYRA L. (Abb. 35).

Dem Unterkiefer steht das Praemaxillare gegenüber. Maxillare
und Praemaxillare sind laterad (bei
La, Abb. 35) innig mit dem
Processus coronoideus des Unterkiefers verbunden. Wenn der
Unterkiefer gesenkt wird, so dreht sich der Proc. coron. nach
vorn, dabei wird das Maxillare einfach mitgeführt, und gleitet
dann an der Innenseite des Praeorbitale
{Orb.) entlang. Auch
das Praemaxillare wird nach vorn geschoben, hierbei werden
die zusammengefügten medianen Fortsätze, die bis zwischen
den Augen auf dem Neurocranium liegen, zu einer rostraden
Bewegung gezwungen. Dieser mediane Stiel der Praemaxillaria

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ist etwas kreisförmig nach unten gebogen, und die Hülle, aus der
er hervortritt, zwingt ihn, einen Kreisbogen rostrad und ventrad
zu beschreiben. Das Resultat ist, dass die Mundöffnung dem

Boden zugewendet wird. Das
Maxillare dreht sich nicht um
die Längsachse, es umfasst den
medianen Stiel der Praemaxil-
laria mit einer Gabel; diese
zwei Gabeln der Maxillaria
spielen beim Ausstülpen der
Praemaxillaria keine Rolle,
sondern bilden nur einen Ring,
durch den der mediane Stiel
der Praemaxillaria nach vorn
gleiten kann. Beim Schliessen
des Mundes wird der Processus
coronoideus des Unterkiefers
gehoben, das Maxillare dreht
sich zurück, und der mediane
Stiel des Oberkiefers wird wie-

der in seine Hülle zurückgeführt. Die oberflächliche Schicht
A-^ des Musculus adductor mandibulae, der das Schliessen be-
wirkt, inseriert rostrad am Unterkiefer und am Maxillare. Die
tieferen Schichten verlaufen nur zum Unterkiefer. Die Nahrung
von
Callionymus besteht aus kleineren Bodentieren (Mollusken,
Crustaceen), die beim systematischen Absuchen des Bodens
aufgefunden werden
(Steven, 1930). Der Mund zeigt eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit dem Saugrohr des Karpfens und anderen,
im Schlamm wühlenden Fischen.

RHOMBUS MAXIMUS L. (Abb. 36-37).

Rhombus gehört zu den Plattfischen, deren Mund fasi; voll-
kommen symmetrisch ist. Eine genaue Beschreibung des Kopf-
skelettes findet man bei
Traquair (1865). Dort werden einige
geringe Abweichungen von der Kiefersymmetrie festgestellt; das
linke Praemaxillare ist etwas länger, stärker gebogen und trägt
etwas mehr Zähne als das rechte; dagegen ist das Dentale ge-
rade an der rechten Seite schwerer, ebenso der mediane Kopf
des Maxillare. Die Kieferbewegungen werden jedoch von
Traquair nicht besprochen.

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Vergleicht man die Abb. 36 b und c miteinander, so zeigt
sich die Übereinstimmung zwischen links und rechts auch beim
Öffnen des Mundes.

Nur die Muse, adductores mandibulae sind stark verschieden
ausgebildet, auf der Blindseite findet sich ja auch viel mehr

Platz als auf der Augenseite. - Zuerst möchte ich diese letzt-
genannte Seite behandeln. (Abb. 36
a-b).

Beim Senken des Unterkiefers zieht hier wieder ein Ligamen-
tum
maxillo-mandibulare posterius [L) das Maxillare rostrad,
dreht es dabei etwas um die Längsachse und stülpt das Prae-
maxillare aus. Es inseriert an einem Tuberculum, das hinten auf
dem medianen Teil des Maxillare sitzt; seine Wirkung erinnert
an die, welche wir bei
Gadus (S. 37) fanden. Wie dort, wird

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hier das Ligament aueh beim Schliessen des Mundes zum Zu-
rückziehen von Maxillare und Unterkiefer benutzt. Die oberen
Sehnenfasern der oberflächlichen Muskelschicht A^ heften sich
an dieses Ligament (Abb. 36
b, r). Die unteren Fasern (.y) sind

nicht mit L verbunden, sondern verlau-
fen unter ihm zum Unterkiefer und
heben diesen direkt, was die mit
L
verbundenen Fasern indirekt tun.

An der Blindseite (Abb. 36 c) ist die
Sachlage etwas anders. Auch hier hat
Ai mit Hilfe von Sehnenfasern (r) Be-
ziehungen zu
L undzumUnterkiefer(^).
Ausserdem besteht noch ein Sehnen-
bündel
(q), das direkt oben an der
Innenseite des Maxillare inseriert, und
dies beim Schliessen des Mundes zurück-
dreht (vorallem um die Längsachse!)

Das Vorstülpen der Praemaxillaria
beim Öffnen des Mundes erfolgt bei
Rhombus im Wesentlichen auf die in
Abb. 9 dargestellten Weise.

Die medianen Fortsätze der Prae-
maxillaria mit dem Rostrale gleiten bei
einem ventraden Zug über den schräg
ablaufenden Kamm des Mesethmoid
genau rostrad. Dieser Kamm zeigt hier
nämlich, wie bei
Perca (in Gegensatz
zu
Pleuronectes, S. 54) genau nach vorn.
Diese ausstülpende Bewegung verläuft
aber bei
Rhombus nicht ganz symmetrisch. Das Praemaxillare
rückt beim Vorstülpen ein wenig nach rechts, es dreht sich dabei
jedoch nicht, sondern bleibt rostrad gerichtet. Wenn man den
Apparat freiprepariert und von oben betrachtet (Abb. 37),
ergibt sich, das die geringe seitliche Bewegung auf den Verhält-
nissen der Ligamente beruht, die die Bewegungen der Maxiilaria
und Praemaxillaria beschränken. Wenn sich die mit dem Rostrale
fest verbundenen Medianfortsätze der Praemaxillaria beim Aus-
stülpen nach vorn schieben, müssen sie zwangsläufig nach rechts
abweichen, da das hier einseitig entwickelte, undehnbare Liga-
mentum palato-praemaxillare
{Lpp, Abb. 37) einen seitlichen
Zug auf sie ausübt.

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Hierbei bleibt das linke Maxillare ungefähr auf seinem Platz,
das rechte kann etwas seitiich ausweichen, weil das Ligamentum
palato-maxillare
{Lpm, Abb. 37) hier länger, dünner und dehn-
barer ist als links. Die übrigen Ligamente sind schwach ent-
wickelt.

Es ist auffallend, dass diese geringe Bewegung des Maxillar-
Apparates nach rechts, eine vollständige Symmetrie der Kiefer
herstellt.

Das Praemaxillare befindet sich in der Ruhelage nämlich
nicht ganz in der Medianebene
{Med, Abb. 37), sondern weicht
etwas nach links ab. Beim Öffnen des Mundes wird hier also
eine Asymmetrie durch asymmetrische Verhältnisse berichtigt!
Daraus ergibt sich, dass bei
Rhombus eine sehr starke Neigung
besteht um die Kiefersymmetrie zu erhalten. Dies hat seine bio-
logische Bedeutung.

Die Nahrung von Rhombus besteht ausschliesslich aus Fischen,
er ist der schlimmste Räuber unter den
Heterosomata. Ein Raub-
fisch, der sich auf eine schnellschwimmende Beute stürzt, braucht
eine Mundöffnung, die genau nach vorn gerichtet ist. Für den
Friedfisch
Pleuronectes z.B. ist es dagegen wertvoll, dass die Mund-
bewegung stark asymmetrisch ist und die Mundöffnung dadurch
dem Boden zugewendet wird; zum Greifen freischwimmender
Fische eignet sich dieser Zustand natürlich weiniger.

PLEURONECTES PLATESSA L. (Abb. 38-40)-

In Gegensatz zu Rhombus sind bei dieser Art auch die Kiefer
stark asymmetrisch. Das zeigt sich aber erst richtig, wenn der
Mund geöffnet ist, denn in geschlossenem Zustande liegen die
Mundteile links und rechts etwa gleich (Abb. 40a), wenn auch
in Form und Bezahnung Unterschiede bestehen. Aber sobald
sich der Unterkiefer senkt, geht der Maxillarapparat nach der
Blindseite herüber und die Mundöffnung wird stark seitlich
nach links gerichtet (Abb. 40Ö) .Hieran beteiligt sich nicht nur
der Oberkiefer, sondern auch die Unterkieferspitze biegt nach
links ab. Das scheint auf den ersten Blick sehr sonderbar, da
wir bisher immer gefunden haben, dass der Unterkiefer sich nur
auf und nieder bewegt; die Kiefergelenke lassen nur diese Be-
wegung zu. Das wird dadurch bedingt, dass die Achse, um die
sich der Unterkiefer dreht und die durch die beiden Kiefer-
gelenke verläuft, normalerweise mit der Medianebene des

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Körpers einen rechten Winkel bildet. Dies ist jedoch bei Pleuro-
nectes
keineswegs der Fall. Das linke Kiefergelenk lag bei einem
Ex. von 25 cm Länge 22 mm von der Kieferspitze entfernt, das
rechte Kiefergelenk dagegen nur 19 mm. Die Kieferachse steht
also schräg (Abb. 40,
g-g'), aber sie verläuft nicht nur schräg
nach
hinten, sondern auch nach unten, denn das linke Kiefergelenk
liegt etwa 3 mm weiter dorsad als das rechte. Daher muss die
Unterkieferspitze beim Senken aus der Medianebene abweichen
und nach links herübergehen. So erklärt sich die asymmetrische
Bewegung des Unterkiefers. Wie ist nun aber die Sachlage am
Oberkiefer? Beim Senken des Unterkiefers wird auch hier durch

Abb. 38. Pleuromctes platessa L. Blindseite, (a) bei ge-
schlossenem,
{b) bei geöffnetem Munde. Lpm = Liga-
mentum palato-maxillare. Die übrigen Bezeichnungen
wie in Abb. i.

ein Ligamentum maxillo-mandibulare posterius (L, Abb. 38-40)
ein Zug auf die Maxiilaria ausgeübt. Betrachten wir erst die
linke, die Blindseite (Abb. 38).

L inseriert an einem Tuberculum hinten auf dem Maxillare.
Senkt sich der Unterkiefer, so wird das Maxillare stark rostrad
gedreht und ventrad gezogen. Hieraus ergeben sich folgende
Resultate (Abb. 40
a-b):

1.nbsp;Das Praemaxillare wird schräg nach links ausgestülpt,
weil das Rostrale mit den medianen Fortsätzen des Praemaxil-
lare, niedergedrückt vom Maxillare, über den schräg nach links
verlaufenden Kamm des Mesethmoid nach vorn und links gleitet
(in der gleichen Weise, die in Abb. 9 für
Perca dargestellt ist, da
aber ohne Abweichung nach links).

2.nbsp;Das linke Ligamentum maxillo-mandibulare posterius
(Z, Abb. 40) zieht den ganzen Maxillarapparat nach hnks.

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Dieser letzte Vorgang lässt vermuten, dass an der rechten Seite
kein Lig. maxillo-mandibulare posterius vorhanden ist, weil dies
ja ein Abgleiten nach links verhindert. Trotzdem besteht auch
rechts ein solches Ligament
{L', Abb. 40); beim Messen zeigt
sich aber, dass es infolge seiner geringeren Entfernung vom
Kiefergelenk beim Senken des Unterkiefers lange nicht so stark
gespannt wird wie das der linken Seite.

Seine Wirkung ist daher gering, es zieht nur den Kopf des
Maxillare am Palatinum entlang nach unten, verhindert aber
nicht, dass das Maxillare gleichzeitig nach links abgleitet. Auch
das rechte, sehr
lange Lig. maxil-
lo-mandibulare
anterius
{La,
Abb. 39Z1) ver-
hindert dieses
Abgleiten nicht.
Abgesehen von
der Asymmetrie
der zwei Liga-
menta maxillo-

mandibularia
posteriora ist das
Abgleiten der
Praemaxillaria nach links bedingt durch die Richtung, in der
ein Ausstülpen der Praemaxillaria überhaupt nur möglich ist;
wie schon erwähnt, ist der Kamm des Mesethmoid, auf dem das
Rostrale mit den an ihm befestigten medianen Fortsätzen der
Praemaxillaria entlang gleitet, nach Unks gebogen
{Ka, Abb. 40,
vergl.
Rhombus, Abb. 37). Das Ergebnis ist also, dass der ge-
öffnete Mund einer
Pleuronectes, deren Blindseite nach unten
gewendet ist, automatisch auf den Boden gestülpt wird. Dies ist
für das Genus, das sich vorwiegend von niederen Bodentieren
ernährt, sehr wichtig. Bei
Solea (S. 58) werde ich die Jagd-
weise ausführlicher besprechen.

Beim Schliessen des Mundes werden die Maxillaria links und
rechts zurückgezogen durch eine Sehne des oberflächlichen
Teiles des Musculus adductor mandibulae (^1), dessen tiefere
Teile den Unterkiefer heben.

CoLE und Johnstone (1901) bestreiten das Bestehen einer
Verbindung zwischen dem Musculus adductor mandibulae und

Abb. 39. Pleuronectes platessa L. Augenseite, (a) bei
geschlossenem,
{b) bei geöffnetem Mund. Bezeichnun-
gen wie in Abb. i.

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Maxillare an der Augenseite von Pleuronectes', sie geben an, nur
an der Blindseite reiche eine Sehne des A^ zum Maxillare hinauf.
Ich glaube aber deutlich zu sehen, dass ein Sehnenbündel von
Ai rechts, zwar dicht am Unterkiefer entlang läuft, sich dort

aber nicht anheftet, son-
dern am Maxillare inse-
riert (Alt, Abb. 3glgt;). Beim
Schliessen des Mundes
wird der Unterkiefer ge-
hoben; er schiebt dabei
auch die Oberkiefer in
der Ruhelage zurück, in
Zusammenarbeit also mit
den zu den Maxiilaria
verlaufenden Sehnen des
A^. Auch die beim Öffnen
des Mundes gedehnten
Bänder, Ligamentum
palato-maxillare, Lig.
maxillo-ethmoidale und
Lig. palato-praemaxillare
{Lpm, Lme, Lpp, Abb. 40)
ziehen Maxillare und
Praemaxillare in die
Ruhestellung zurück.

Cole und Johnstone
geben auch eine Beschrei-
bung der Wirkung des
Kiefermechanismus von
Pleuronectes. Sie sagen
(richtig), die asymmetri-
sche Bewegung beim
Mundöffnen werde vom
linken Lig. maxillo-man-
dibulare posterius ver-
ursacht.
L wird folgendermassen beschrieben: „A stout tendon
arising in connection with the M. add. mandibulae, and the
action of with tends to draw the jaws towards the eyeless side.
This . . . tendon (is) not conspicious on the ocular sidequot;.

Cole und Johnstone verwechseln das Ligamentum offenbar
mit der Sehne von A^l Wie die „actionquot; des Ligamentum zu-

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Stande kommt, wird nicht näher gesagt, doch bekommt man den
Eindruck, dass die Verfasser der Meinung sind, sie werde durch
die Partie Aj^ des Muse, adductor mandibulae verursacht. Dies
ist bestimmt unrichtig. A^ zieht die Kiefer zurück und hat gerade
bei
Pleuronectes keinerlei Beziehungen zum Ligamentum maxillo-
mandibulare posterius. Das Verhältnis zwischen
L und dem
Unterkiefer, sowie den Antagonismus zwischen dem Ligament
und dem zum Maxillare ziehenden Sehnenbündel von A-^,
haben
Cole und Johnstone nicht erkannt. Daher ist ihre
Beschreibung des Mechanismus unvollständig geblieben.

Eine Beschreibung seiner Wirkung finden wir auch bei Jordan
(1918); diese ist richtig, aber sehr kurz und nicht vollständig (wie
dort auch angegeben wird).

SOLEA VULGARIS QUENSEL (Abb. 41-44)-

Obgleich auch Solea wie Pleuronectes und Rhombus zur Gruppe
der
Heterosomata gehört, bestehen zwischen dieser Gattung und
den übrigen Plattfischen wichtige anatomische Unterschiede.
Auch die Kiefer und ihre Wirkung sind nur schwer mit den
Verhältnissen zu vergleichen, die wir bei
Rhombus oder Pleuro-
nectes
finden. Bei Solea besteht eine stärker ausgeprägte Asymme-
trie, die ausserdem in ganz anderer Weise zum Ausdruck kommt,
als bei den anderen Gattungen.

Wir können den Mund von Solea am besten durch die Fest-
stellung kennzeichnen, dass die rechte und die linke Hälfte zwei
Funktionen unter sich geteilt heben. Die Mundhälfte der Augen-
seite dient der Atmung, während die Blindseite im Dienst der
Nahrungsaufnahme steht. Diese Diffquot;erenzierung geht sogar so
weit, dass die zwei Hälften in ihren Bewegungen voneinander
ziemlich unabhängig sind. Wenn man eine ruhig atmende
Solea
beobachtet, so stellt man sofort fest, dass sie, bei vollkommen
geschlossener „blinderquot; Mundecke, den Mund mit Hilfe der
Unterkieferhälfte der Augenseite seitlich öffnen und so Atem-
wasser einlassen kann. Wir wollen zunächst sehen, wie dies
möglich ist. In erster Linie stellen wir fest, dass die Verbindung
zwischen den beiden Unterkieferhälften ligamentös ist und alle
möglichen Bewegungen zulässt. Auch das Kiefergelenk ist sehr
locker, die Unterkieferhälften können sich sogar ziemlich weit
um ihre Längsachse drehen. Bei der ruhigen-Atembewegung
dreht sich die rechte Unterkieferhälfte tatsächlich um eine Achse,

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die Kiefergelenk und Kieferspitze (Abb. 41) verbindet. Ihr
Saum (j) bewegt sich nach oben (d.h. über die Ebene der Zeich-
nung hinaus) - und lässt eine Öffnung frei (Abb. 41 i). Diese

Drehung wird durch
einen, vom Interopercu-
lum auf das Angulare (^w)
ausgeübten Zug verur-
sacht. Dabei wird das
Angulare nach hinten
und nach unten (d.h.
unter die Ebene der Zeich-
nung) gezogen, denn das
Interoperculum liegt er-
heblich tiefer (weiter me-
diad) als der Unterkie-
fer. Beim Schliessen wird
die rechte Unterkiefer-
hälfte durch den Mus-
culus adductor mandibulae in die Ruhelage zurückgedreht.
Das Maxillare und das mit ihm fast unbeweglich verbundene
Praemaxillare (Abb. 42) folgen den Bewegungen des Unterkiefers.
Die Schicht A-^ des Muse, adductor man-
dibulae entsendet zwar eine Sehne zum
Maxillare doch ist der Effekt gering. -
Betrachten wir jetzt die Hnke, blinde Seite
des Mundes. - Bewegen wir hier das Inter-
operculum caudad, so wird dieHnkeMund-
ecke rüsselartig nach der Seite ausge-
stülpt, wird also, wenn das Tier auf der
Blindseite liegt, senkrecht in den Boden
gebohrt. An Hand der Abb. 44 lässt sich
erläutern, wie diese Bewegung zustande
kommt. Das Praemaxillare ist links sehr stark entwickelt, es
wird nicht vom Maxillare „gesteuertquot;, sondern unmittelbar vom
Unterkiefer. Laterad (bei
a:, Abb. 44) ist es sehr fest mit dem stark
entwickelten Processus coronoideus des Unterkiefers verbunden.
An der Schnauzenspitze
{y) kann das Praemaxillare nicht vor-
gestülpt werden, seine Verbindungen dort lassen nur Drehungen
zu. Zieht nun das Interoperculum bei ^ in eaudaler Richtung, so
muss sich x eigentlich einfach nach vorn verschieben. Das ist
aber unmöglich, weil es vom Praemaxillare verhindert wird.

Abb. 41. Solea vulgaris Quensel. Augenseite,
{a) bei geschlossenem Munde, {b) beim
Einsaugen von Atemwasser. Bezeichnung
wie Abb. i.

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Der Verbindungspunkt zwischen Praemaxillare und Unter-
kiefer,
X, liegt bei Solea hinter der Verbindungslinie zwischen
der Schnauzenspitze und dem Kiefergelenk
{y-G) und kann
daher unmöglich zwischen diesen beiden nach vorn treten. Das
würde ein Öffnen des Mundes überhaupt un-
mögUch machen, wenn nicht der Punkt x nach
oben (d.h. über die Ebene der Zeichnung) aus-
wiche. Dieses Ausweichen ist möglich, weil sich
die Unterkieferhälfte der Blindseite genau so wie
rechts um eine Längsachse drehen kann, dabei
wird X laterad bewegt, während ^ vom Interoper-
culum, das auch hier tiefer Hegt, mediad und cau-
dad gezogen wird. Ist der Punkt x seitlich aus-
gestülpt, so kann er sich auch nach vorn bewegen,
und der ganze Unterkiefer wird normal gesenkt
(Abb. 44i).

Solea kann also den Mund nur öffnen, wenn
die blinde Mundecke zuvor ausgestülpt wurde.
Dieser Teil des Mundes hat auch den Hauptanteil
an der Nahrungsaufnahme, der ganze Unter-
kiefer ist bis auf einen Fortsatz
{q, Abb. 44) der „Windenquot; Hälfte
unbezahnt. Dieser Fortsatz bildet die Spitze des Rüssels, der
beim Öffnen des Mundes ausgestülpt wird, er stellt in physiolo-
gischem Sinne die Unterkieferspitze dar.

Das linke Praemaxillare, das ihm gegenübersteht, ist gleich-
falls stark bezahnt, während
das rechte sehr klein und
zahnlos ist (Abb. 42).

Das Maxillare der Blind-
seite ist sehr schwach, zu
ihm zieht kein Ligamentum
maxillo-mandibulare poste-
rius und keine Sehne des
Muse, adductor mandibulae.
Es folgt nur den Bewegungen
des Praemaxillare und stützt
die Bindehaut, die beim
Vorstülpen des Rüssels gespannt wird.

Um die Bedeutung des eigenartigen Mundmechanismus bei
Solea einigermassen zu begreifen, müssen wir die Lebensweise
des Tieres in unsere Betrachtung einbeziehen. In der Arbeit von

Abb. 44. Solea vulgaris Quensel. Die
Lage der [Kiefer an der Blindseite,
(fl) bei geschlossenem,
{b) bei geöffnetem
Munde. Bezeichnungen wie Abb. i.

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Steven (1930) finden wir die folgenden Einzelheiten. Die
Nahrung besteht aus Bodentieren (Polychaeten, Mollusken, z.B.),
und wird hauptsächlich nachts gesucht. Die Augen werden zum
Absuchen des Bodens nichts benutzt, sie sind auch wenig be-
weglich. Während der Nahrungssuche drückt das Tier die Blind-
seite des Kopfes, die Tastorgane trägt, auf den Boden. Dabei
würde die „blindequot; Mundecke, wenn sie sich an den Atmungs-
bewegungen beteiligte, nur Schlamm einsaugen - die erwähnte
Differenzierung der Kiefer hat hier also eine spezielle Bedeutung!

Die „blindequot; Mundecke ist jedoch auf die Aufnahme von
Nahrung aus dem Schlamm eingestellt, und wird dabei rüssel-
artig in den Boden gestülpt.

Vergleichen wir jetzt Solea mit Pleuronectes, der dieselbe Nah-
rung jagt, so könnte man bei oberflächlicher Beurteilung viel-
leicht zu der Auffassung neigen,
Solea stelle eine höhere Anpas-
sungsform dar, da bei
Pleuronectes eine so weitgehende Differen-
zierung fehlt. Aus den verschiedenen Jagdarten ergibt sich jedoch,
dass beide Formen nicht einfach verglichen werden können. Wie
auch
Steven sagt, erhebt Pleuronectes den vorderen Körperteil
bei der Jagd vom Boden und richtet die Schnauzenspitze dann
wieder etwas nach unten. Mit den Augen wird der Boden ab-
gesucht
{Pleuronectes ist auch kein Nachttier, wie Solea). Die
Augen sind sehr beweglich und erheben sich wie drehbare
Panzertürme über den Körper des Fisches. Der Mund ruht also
bei der Nahrungssuche nicht auf dem Boden, eine Beschränkung
der Atmung auf die Augenseite hätte hier also keinen Zweck.
Bei der Nahrungsaufnahme wird der Kopf schräg nach unten
gedreht und der Mund durch die beschriebenen, asymmetri-
schen Bewegungen ganz auf den Boden gestülpt.

Beide, sowohl Solea als auch Pleuronectes stellen nicht ver-
schiedene Stufen einer mehr und mehr vollkomneten Reihe dar,
sondern sind jede an ihre eigene Jagd weise gleichmässig voll-
kommen angepasst; das gleiche gilt von
Rhombus, der, wie wir
schon sahen, als Raubfisch keinen asymmetrischen Mund ge-
brauchen kann.

ZEUS FABER L. (Abb. 45—47).

Diese Art ist wohl das klassische Beispiel eines Fisches mit vor-
stülpbarem Mund. Es ist mir jedoch nicht gelungen, im Schrift-
tum eine gute Beschreibung der Kiefermechanik zu finden. Die
Kiefer von Z^^^ werden verhältnismässig nicht weiter nach vorn

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gestülpt als bei vielen anderen Fischen; da jedoch der Kopf etwa
ein Drittel des Körpers einnimmt, und die Mundöffnung sehr
gross ist, fällt die Erscheinung hier besonders auf. Das Maxillare

Abb. 45. Zeus Jaber L. (a) mit fast geschlossenem, (6) mit geöffnetem
Mund. Bezeichnungen wie Abb. i.

wird beim Mundöffnen von
einem Knorpelwulst des
Processus coronoideus (x,
Abb. 45^) rostrad verscho-
ben, und vom Ligamentum
maxillo-mandibulare pos-
terius
{L) in der bekannten
Weise rostrad gedreht.
Gleichzeitig wird auch das
Praemaxillare ausgestülpt.
Dass es bei diesem Vorgang
nicht einfach vom lateralen
Teil des Maxillare nach vorn
getragen wird (wie bei
Cal-
lionymus,
S. 47), ersehen
wir schon aus der Tatsache,
dass das Praemaxillare bei
geöffnetem Mund laterad
nicht auf dem Maxillare
ruht, sondern weiter nach
vorn ragt (Abb. 45^ beijv).

Die Ausstülpung des Prae-
maxillare erfolgt durch den
Druck der Maxillaria auf

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die zusammen kegelförmigen medianen Fortsätze der Praemaxil-
laria. Dieser Kegel ist teilweise von Knorpel umhüllt (Abb. 46)
und trägt an der Unterseite eine Längsrinne, die auf einen Kamm
des Mesethmoid passt (Abb. 47); dieser gestattet nur ein rostrades,
bzw. caudades Gleiten. Beim Öffnen des Mundes werden die
Maxiilaria laterad stark gehoben (zusammen mit dem ganzen

„Buccal-Komplexquot;) Sie drehen
sich dabei um die Palatina
(Abb .47), ihre medialen Teile
drücken also nach unten und
zwingen den „Kegelquot; der Prae-
maxillaria zu einer rostraden
Verschiebung, stülpen also die
Praemaxillaria aus. (Abb. 46
a-b, Abb. 45^). Dabei läuft
der Fortsatz
q (Abb. 46) des
Maxillare, der eine kleine Rin-
ne aufweist, am Flügel ^ des
Praemaxillare entlang, und
trägt das Praemaxillare ganz,
wenn dies so weit nach vorn
gedrückt ist, dass es nicht mehr
auf dem Kamm des Meseth-
moid ruht. In dieser Haltung bilden die Kiefer eine gewaltige
Reuse (Abb. 45Ä). Wie diese genau benutzt wird, ist mir nicht
bekannt, doch scheint es mir wahrscheinlich, dass die grosse
Saugkraft des Mundes bei der Jagd auf die ziemlich grossen
Heringe, die ich im Magen von ^ewj- fand, eine Rolle spielt.
Vielleicht ersetzt diese einen Mangel an Schnelligkeit, die Volu-
menzunahme der Mundhöhle beim Öffnen ist sehr erheblich.
Dass ihm die Fische ins „aufgesperrte Maulquot; schwimmen wie
Thilo (1920) angibt, scheint mir sehr fraglich, wie auch die
Rolle der „Sperrvorrichtungenquot;, die dieser Autor beschreibt.

Die tieferen Schichten des Musculus adductor mandibulae
schliessen den Mund durch Heben des Unterkiefers, während
seine oberflächliche Schicht A-^ durch ihre, am Ligamentum
maxillomandibulare inserierten Sehnenfasern das Maxillare
zurückzieht. Hierbei wird auch das Praemaxillare zurück-
bewegt, es wird hauptsächlich vom Unterkiefer in seine Hülle
zurückgedrückt.

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EPIBULUS INSIDIATOR CUV. VAL. (Abb. 48—49)-

Bei diesem Fisch hat die Ausstülpbarkeit der Kiefer eine sehr
hohe Stufe erreicht; hier wird nicht nur das Praemaxillare,
sondern auch der ganze Unterkiefer beim Öffnen des Mundes
ausgestülpt.
Delsman (1925) verdanken wir eine Beschreibung
der Kiefer von
Epibulus; in seiner Arbeit wird gezeigt, wie durch
die Beweglichkeit des Quadratum das Kiefergelenk nach vorn
geführt werden kann. Wie diese Bewegung jedoch beim Öffnen
des Mundes zustande kommt und welche Wirkung die Kiefer-
muskulatur auf diesen Mechanismus ausübt, sagt
Delsman nicht.
Dr. J.
Verwey stellte mir ein in Alkohol konserviertes Stück

aus seinem bei Batavia gesammelten Material zur Verfügung.
In der Bucht von Batavia lebt die Art, wenig allgemein, zwischen
Korallenriffen.

Die Schwierigkeit, dass ein solches Alkoholpräparat ganz er-
starrt ist, wurde dadurch überwunden, dass der Fisch monate-
lang in Wasser, und danach in Glycerin aufgeweicht wurde.
SchliessUch wurde das Exemplar auf diese Weise wieder so
bewegUch, dass ein Einblick in die Wirkung des Mechanismus
möglich war. Es ergab sich, dass auch in diesem Falle eine cau-
dade Bewegung des Hyale das Vorstülpen der Kiefer hervorruft.
Das Hyomandibulare ist sehr kurz und der hintere Teil des
Hyale (Abb. 49) liegt höher als der Vorderteil. Das Stylhyale
[St) ist beweglich zwischen Hyale und Hyomandibulare einge-

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fügt. Aus der Lage von Stylhyale und Hyale geht hervor, dass
ihr Verbindungspunkt
x sich nach oben bewegen muss, wenn
der Muse, sterno-hyoideus kontrahiert und den Vorderteil des
Hyale caudad zieht. Bei
x ist auch das Interoperculum mit dem
Stylhyale verbunden, es wird also mit nach oben gezogen. Bei je
ist es am Operculum befestigt, dieser Punkt kann also nicht mit
gehoben werden; daraus ergibt sich, dass Punkt
z des Intero-
perculum stark gehoben wird und das Knochenstück eine hori-
zontale Lage bekommt, während das Operculum etwas nach

hinten gedrückt wird (Abb. 48
a-b). Der Punkt z des Interoper-
culum ist jedoch durch ein
Ligamentum operculo-mandi-
bulare
{Lmo) mit dem Angulus
mandibulae
{An, Abb. 48a)
verbunden. Dieser wird also
ebenfalls stark nach oben an-
gezogen, wobei sich das Qua-
dratum nach vorn dreht, der
Unterkiefer sich senkt und weit
nach vorn geschoben wird
(Abb. 48
a-b). Maxillare und
Praemaxillare werden dabei
vom Unterkiefer passiv mit-
geführt. Das Maxillare ist durch
einen Lig. maxillo-mandibu-
lare
{La) mit dem Unterkiefer
verbunden, es dreht sich beim
Öffnen des Mundes gegen das
Palatinum nach vorn. Das
Praemaxillare ist bei
r mit dem
Unterkiefer verbunden; beim Ausstülpen desselben wird das
ganze Praemaxillare mitgeführt, während sein sehr langer
medianer Fortsatz, der in der Ruhelage auf dem Neurocranium
liegt, hervortritt. Dieser mediane Fortsatz wird von zwei Gabeln
der Maxillaria umfasst.

Der Mund wird geschlossen durch Kontraktion des Musculus
adductor mandibulae (Abb. 48a, Jj), der eine kurze Sehne zum
Maxillare und eine längere zum Unterkiefer entsendet. Der von
diesen Sehnen ausgeübte Zug faltet den Apparat wieder in die
Ruhestellung zusammen, auch das Praemaxillare wird zurück-

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geführt durch einen Druck, den der Unterkiefer bei r darauf
ausübt.

Dr. Verwey teilte mir mit, dass sich Epibulus im Aquarium
des „Laboratorium voor onderzoek der zeequot; in Batavia von
Mjsis ernährt, die durch blitzschnelles Ausstülpen des Mundes
gefangen werden. Für das Greifen kleinerer Beute ist dieser
Mund anscheinend ein ideales Instrument. Er reicht beim Vor-
stülpen sehr weit nach vorn und kann sicher auch eine erheb-
liche Saugung entwickeln.

PSEUDOSGARUS FORSTENI BLEEKER. (Abb. 50).

Das untersuchte Ex. stammt aus dem östlichen Teil der Java-
see. Dr. J.
Verwey, der es mir zur Verfügung stellte, teilte niir
folgendes über die Ernährungsweise der Pseudoscariden mit:
„Bei niedrigem Wasserstand sieht man grosse Trupps auf den
fast trockenliegenden Korallenbänken ihre Nahrung suchen. Die
Schwänze ragen aus dem Wasser heraus, die Tiere stehen ver-
tikal auf dem Kopf und kratzen die Algen vom Korallenkalk.
Das geschieht derartig gründlich, dass im Kalk ganze Rippel-
marken entstehen; auch zeigt sich bei Untersuchung dieser
Fische, dass im Magen oft Kalkfragmente gefunden werden. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass grössere Arten sich tatsächlich von
wachsenden Korallenteilen ernährenquot;. - Entsprechend dieser
harten Arbeit ist der Kiefermechanismus auf eine, im Vergleich
zu anderen Fischen stark vergrösserte Beisskraft eingestellt.
Abb.
50b zeigt Form und Lage der beteiligten Elemente. Der
Unterkiefer zerfällt bei den Pseudoscariden bekanntlich in zwei
Teile, das Articulare
{Art) und das Dentale {D) die bei x mit
einander gelenken. Das Dentale bildet auch (bei 7) ein Gelenk
mit dem Maxillare. Das Maxillare ist oben beweglich, aber sehr
fest mit dem Palatinum verbunden; es bildet einen Napf, in den
das Palatinum genau hineinpasst. Das Praemaxillare liegt dem
Maxillare fest an und folgt seinen Bewegungen. Der Mund wird
folgendermassen geöffnet:

Das Interoperculum zieht mit Hilfe des Ligamentum mandi-
bulo-operculare den Punkt An zurück. Das Articulare dreht sich
dann im Kiefergelenk (G), d.h., x bewegt sich nach vorn. Auchj
wird nach vorn geführt, das Maxillare dreht und hebt die Ober-
kieferspitze (das Praemaxillare). Zugleich senkt sich die Spitze
des Dentale (Abb. 50
a-b).

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Jetzt ist der Schnabel geöffnet. Das Schliessen wird vom Mus-
culus adductor mandibulae verursacht. Der Hauptteil dieses
Muskels, die grosse oberflächliche Partie, die vielleicht mit den
Schichten Ai und A^ von
Vetter zu vergleichen ist, heftet sich
bei jgt; ans Dentale, teilweise aber auch ans Maxillare. Eine kleine,
tiefe Schicht (vieUeicht vergleichbar mit von
Vetter) verläuft
mehr vertikal zum Artikulare (Abb. 506). Ein zwischen dem
Auge und dem Maxillare liegender kleiner Muskelteil (A4) ver-
läuft nur zum Maxillare.

Um die Kraft zu beurteilen, womit der Hauptteil des Muse.

Abb. 50. Pseudoscarus Forsteni Bleeker. (a) bei halb, (Ä) bei weit geöffnetem Munde.

Bezeichnungen wie Abb. i.

adductor mandibulae die Kiefer schhesst, ziehen wir erst die
bei „normalenquot; Fischen gefundenen Verhältnisse zum Vergleich
heran. Bei
Esox (Abb. 28) z.B. ist die Kraft, die die Unterkiefer-
spitze beim Schliessen ausübt, etwa 3-mal kleiner als die ur-
sprüngliche Kraft, mit der der Musculus adductor mandibulae
auf den Unterkiefer bei
a einwirkt, denn der Hebelarm g-c ist
etwa 3-mal länger als der Hebelarm
g-a. Die Unterkieferspitze
legt beim Schliessen des Mundes einen Weg zurück, der 3-mal
länger ist als den Weg der Insertionsstefle des Musculus adductor
mandibulae. Mit anderen Worten: an zwei Punkten eines Hebel-
armes sind die Produkte von Kraft und zurückgelegtem Weg
gleich.

Wenn wir bei Pseudoscarus untersuchen, in welchem Verhältnis
die Kraft, mit der der Muskel den Punktjy caudad zieht, und die

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Kraft, mit der die Kieferspitzen aufeinander kneifen, zueinander
stehen,
so brauchen wir (nach dem Prinzip von d'alemberx) nur
die zurückgelegten Wege miteinander zu vergleichen. Es zeigt
sich dabei, das der Weg vonj (Insertionsstelle vom Muskel) beim
Schliessen des Mundes ungefähr übereinstimmt mit dem Weg,
der inzwischen von der gehobenen Unterkieferspitze zurück-
gelegt ist, sowie mit der Strecke, um welche sich die Spitze des
Praemaxillare senkt. Also sind auch die Kräfte, womit sich die
Sehnabelspitzen einander nähern, zusammen ebenso gross,
wie die Kraft, womit der Muskel den Punkt jgt; caudad zieht.
Pseudoscarus schliesst also seine Kiefer verhältnissmässig 3-mal
kräftiger als
Esox. Die Kiefer bilden eine Zange, die mit der
gleichen Kraft geschlossen wird, die auftreten würde, wenn der
Musculus adductor mandibulae die Schnabelspitzen^unmittelbar
miteinander verbände.

Ein solches Ergebniss ist bei der normalen Kieferforrn uner-
reichbar; sogar
Anarrhichas (S. 40), der auch auf grosse Beisskraft
spezialisiert ist, bleibt verhältnismässig weit hinter
Pseudoscarus
zurück.

Nur das doppelte Kiefergelenk von Pseudoscarus ist sozusagen
der technische Kunstgriff, der eine vollkommene Ausnutzung der
Kraft des Musculus adductor mandibulae ermöglicht.

ZUSAMMENFASSUNG UND ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN.

Überblicken wir nun das untersuchte Material und fragen
uns, welchen Wert die gefundenen Tatsachen vom allgemein
zoologischen Gesichtspunkt besitzen, so ergibt sich erstens, dass
eine Darstellung des Kiefermechanismus, wie sie hier versucht
wurde, unentbehrlich ist, wenn wir unsere ziemlich oberfläch-
lichen Kenntnisse der Lebensweise der Fische vertiefen wollen.
Erst wenn dieser Mechanismus gut bekannt ist, kann man an die
Beobachtung der Nahrungsaufnahme herangehen und erfor-
schen, wie der Fisch diesen Mechanismus in verschiedenen
Lagen anwendet. Die vorliegende Arbeit greift nicht weiter auf
dies oekologische Gebiet über, ich habe mich darauf beschränkt,
die Benutzung der beschriebenen Kieferverhältnisse im All-
gemeinen zu berühren. Von einem rein biologischen Gesichts-
punkt aus erscheinen die Ergebnisse also nur als Vorarbeit zur
eigentlichen Untersuchung.

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Kiefermechanismus und Klassifikation.

Vergleichend-anatomisch und systematisch jedoch ist unser
Material sofort verwertbar. Was ergibt sich dabei? Wir sahen
schon (S. 20) dass innerhalb der
Teleostei physostomi die Kom-
ponenten des Oberkiefers wahrscheinlich eine Entwicklung
durchgemacht haben, bei der das Palatinum allmählich die
Oberkieferfunktion verliert und diese auf das Praemaxillare
übertragen wird, d.h. also der Zustand erreicht wird, den wir bei
den
Teleostei physoclysti finden.

Diese Vorstellung stimmt überein mit vielen anderen Tat-
sachen, die die
Teleostei physoclysti gegenüber den T. physostomi
als eine höhere Entwicklungsstufe erscheinen lassen. In dieser
Hinsicht unterstützen also die Kieferverhältnisse die übliche
Klassifikation. - Innerhalb der
Teleostei physoclysti ist jedoch eine
weitere Entwicklungslinie keineswegs deudich. Die Kiefer sind
hier stark variabel; sie sind bei einander sicher systematisch nahe
stehenden Formen völlig verschieden, während weniger ver-
wandten Formen einander in dieser Hinsicht auffallend ähneln,
wie z.B.
Cottus, Trachinus und ^o^rces, bei denen Kiefer und
Kiefermechanismen fast vollkommen mit dem von
Perca iden-
tisch sind (sie wurden daher nicht beschrieben). Wollte man eine
Klassifikation aufstellen, die auf Form und Wirkung der Kiefer
beruht, so müsste man diese vier Gattungen bestimmt zuein-
ander stellen. In der gebräuchhchen Klassifikation sind sie aber
getrennt und gehören zu Gruppen, die sich in allerhand anderen
Merkmale unterscheiden. Sie stehen darin neben Arten, deren
Kiefer ganz verschieden sind, so steht (S. 72):

Zoarces neben Anarrhichas und Lophius [Blenniformes); Trachinus
neben Callionymus (Trachiniformes); Cottus neben Cyclopterus {Sclero-
parei)
, während Perca zu den Perciformes gehört. — Nun bilden zwar
die Gruppen wie die
Blenniformes und die Scleroparei keineswegs
natürliche Einheiten und die übliche Klassifikation ist auch
ziemlich willkürlich, aber die Tatsache bleibt bestehen, dass man
Zoarces, Trachinus, Cottus und Perca eher zu verschiedenen Gat-
tungen stellt, als dass man sie beieinander lässt. Dass sie übrigens
etwa die gleichen Kieferverhältnisse aufweisen, entspricht der
Tatsache, dass sie auch etwa gleiche Jagdmethoden anwenden
und räuberisch leben. Es ist also nicht sehr verwunderlich, dass
ihre Kiefermechanismen einander stärker ähneln als denen von
näheren Verwandten mit ganz anderer Ernährungsweise.

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Anarrhichas, Callionymus und Cyclopterus sind ja „Friedfischequot; und
Lophius hat eine andere Jagdmethode.

Solche Betrachtungen führen zum Schluss, dass der „Perca-
ähnlichequot; Kiefermechanismus nicht ein Zustand ist, der bei den
Teleostei physoclysti immer auf einer bestimmten Entwicklungs-
stufe auftritt, sondern eine Anpassung, die sich dort findet, wo
eine bestimmte Lebensweise besteht.

Es ist also eine Unmöglichkeit, diese oder andere Kiefer-
mechanismen innerhalb dieser Gruppe systematisch zu ver-
werten. Die Klassifikation der Arten ist überhaupt eine schwierige
Sache bei einer grossen Gruppe wie die
Teleostei physoclysti, deren
Körperbau in den Grundzügen so einheitlich, aber übrigens ge-
waltig vielseitig verschiedenen Lebensbedingungen angepasst ist.

Neurocranium und Klassifikation.

Bei der Untersuchung der besprochenen Fische wurde auch
die Gelegenheit benutzt, das Neurocranium frei zu präparieren,
und in seine Teile zu zerlegen. Dabei ergab sich in vergleichend-
anatomischer Hinsicht dasselbe wie bei den Kiefern. Das Cra-
nium variiert in Form ausserordentlich, dagegen sind die Grund-
züge seines Baues und die beteiligten Elemente immer die
gleichen.

Schon beim Vergleich der Kiefermechanismen ergab sich, dass
zwischen den
Teleosteiphysostomi und T. physoclysti im Allgemeinen
einige Unterschiede auftreten. Dies gilt auch für das Neuro-
cranium. Vor allem finden wir einen Unterschied in der Aus-
bildung des Knorpelschädels, der einer oft angenommenen Ent-
wicklung innerhalb der Fische entspricht. Danach verschwände
zunächst das knorpeUge Primordialcranium allmählich, die Be-
deutung der Knochen nimmt dagegen zu. i)

Bei den Teleostei physostomi ist das knorpelige Primordial-
cranium meist noch gut entwickelt, wenn auch Knochen dar-
aufliegen und es teilweise ersetzt haben. Bei den
T. physoclysti
ist der Knorpel dagegen schwach ausgebildet, so fehlt meist das
knorpelige Dach der Schädelhöhle. Doch bestehen auch Aus-
nahmen dieser Regel;
Clupea [T. physostomi) ist sehr knorpelarm,
während
Cyclopterus (T. physoclysti) einen vollständigen Knorpel-
schädel besitzt, der nur mit dünnen Knochenplättchen belegt
ist. Aus solchen Fällen zog schon
Gegenbaur (1878) den

1) Diese Auffassung wird bekanntlich von O. Jaekel (1926) bestritten.

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Schluss, dass das Maass von Knorpel nicht ohne weiteres syste-
matisch verwertbar sei. Auch
Gaupp (1906) gibt an, dass zwar
bei niederen Formen im Allgemeinen knorpelige Schädelteile
in grösserem Umfang bestehen bleiben als bei höheren, hiervon
jedoch mancherlei Ausnahmen bestehen, und dass Knorpel
scheinbar immer dort entstehen kann, wo es die Entwicklung
oder Lebensweise erfordern.

Damit gelangen wir hinsichdich der Ausbildung des Knorpels,
wie überhaupt hinsichdich aller Variationen, die am Crariium
der Teleostier auftreten, zu demselben Punkt, wie oben hinsicht-
lich des Kiefermechanismus. Wir kommen zwangsläufig auf den
Gedanken, dass wir die meisten dieser Variationen besser nur als
gleichwertige Anpassungen an verschiedene Lebensweiseri auf-
fassen müssen; wir müssen wenigstens nicht zu schnell in ihnen
Kettenglieder einer sich innerhalb der Teleostei vollziehenden,
weitgehenden Evolution sehen!

Die Aufgabe des Neuroeranium: Umhüllen des Gehirns und
der Sinnesorgane, Stützung und Anheftung der Kiefermusku-
latur, sind innerhalb der vielseitigen Gruppe der Teleostier
immer wieder anders geartet. Es liegt auf der Hand, dass die
verschiedenen Formen des Cranium hiermit zusammenhängen.
Diese Korrelation ist z.B. bei
Anarrhickas besonders deutlich,
Hesse sich schliesslich aber auch bei allen anderen Formen nach-
weisen. In dieser Hinsicht habe ich mein Material nur sehr
oberflächlich untersucht; eine eingehende Behandlung erforderte
eine Arbeit für sich.

Das Entstehen der Kiefermechanismen.

Kyle und Ehrenbaum (1929) versuchen einen Teil der Ent-
wicklung des Kiefermechanismus auf rein mechanische Momente
zurückzuführen.

Die Asymmetrie der Kiefer der Heterosomata wollen diese
Forscher durch einen Druck erklären, der im Jugendstadium
auf den Schädel ausgeübt wird. Sie sagen: „In fast allen Fällen
(bei den Teleostei) können wir bei den postlarvalen Stadien
bemerken, welche Schwierigkeiten der Fisch beim Öffnen und
Schliessen des Mundes einfach deshalb zu überwinden hat, weil
die Muskeln, die zum Öffnen des Mundes dienen, und am
Schultergürtel ansetzen . . . dazu neigen den langen, schwachen
Meckelschen Knorpel (Unterkiefer) nach hinten zu ziehen . . .
das Mandibulare ist nach oben gebogen
... Der zum Öffnen des

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Mundes dienende Muskel setzt in der Mitte des Mandibularteiles an,
also an der Symphyse der Dentalia
(cursiver Satz von mir), wenn
diese verknöchern, und das Zurückziehen dieses Mittelteils führt
zu einem SchHessen, statt zu einem Öffnen des Mundes.quot;

Gelingt das Öffnen, so geschieht es folgendermassen: „Wenn
der Hyoidbogen zurückgezogen ist, wirkt ein Zug vom Inter-
operculum auf das Angulare, und dieses wiederum auf das
Mandibulare. Dieser Vorgang leitet das Öffnen des Mundes ein,
und wenn dann der Unterkiefer eine gewisse Strecke herun-
tergedreht ist, ist der
eigentliche (curs. von mir) Öffnungs-
apparat imstande, den Prozess fortzusetzen.quot; Die Schwierig-
keiten beim Öffnen des Mundes führen zu einer „Stauchung der
Schädelachsequot;, weil die Kiefer, statt sich zu öffnen, fest gegen
den Schädel angedrückt werden. „Eine derartige Zusammen-
drückung des Schädels,quot; fahren
Kyle und Ehrenbaum fort,
„hat auch zu jener Verbildung geführt, die wir bei den Platt-
fischen finden, denn bei diesen arbeiten die Kiefer nicht um
eine longitudinale Achse, sondern ein wenig nach einer Seite
hin, also unsymmetrisch,
und damit wird auch der Schädel unsymme-
trischquot;
(curs. von mir).

Erstens sind diese Schwierigkeiten der Jungfische beim Offnen
des Munden sehr fraglich. Bekanntlich ist die Verbindung Inter-
operculum-Angulare der „eigentliche Öffnungsapparatquot; und
nicht der Muse, protractor hyoidei, der an der Symphyse des
Unterkiefers angreift. (S. 5).

Was weiter die Asymmetrie der Schädel der Heterosomata an-
geht, so haben die Kiefer in dem Prozess, der hierzu führte,
wahrscheinlich keine führende Rolle gespielt, wie
Kyle und
Ehrenbaum es annehmen.

Die Kieferasymmetrie ist nicht die Ursache der Schädel-
asymmetrie. Das geht am deutlichsten hervor aus den Zuständen
bei
Rhombus (S. 49) und auch Hippoglossus. Diese Arten haben
asymmetrische Schädel, erhalten ihre Kiefersymmetrie aber
sorgfältig. Dies Beispiel beweist erstens, dass der Schädel ohne
Hilfe der Kiefer asymmetrisch werden kann, und zweitens,
dass die Asymmetrie des Schädels gar nicht unbedingt die
Asymmetrie der Kiefer zur Folge haben muss. In anderen
Fällen, wie bei
Pleuronectes, ist der Schädel also asymmetrisch,
nicht
weil die Kiefer asymmetrisch sind, sondern, weil die ganze
Asymmetrie zu einer bestimmten Funktion passt. Es herrscht
also kein mechanischer, sondern ein biologischer Zusammenhang!

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Pleuronectes nimmt Nahrung aus dem Sand auf und stülpt
dabei seinen asymmetrischen Mund dem Boden zu.
Rhombus und
Hippoglossus sind Räuber, sie stürzen sich auf die Beute und
brauchen einen vorwärts gerichteten Mund. Es wäre daher auch
falsch zu sagen,
Rhombus sei primitiver als Pleuronectes, denn er
habe „nochquot; keine asymmetrischen Kiefer. Beide Formen sind
an ihre Lebensweise gleichmässig vollkommen angepasst, und
alle Versuche, derartig fein in unzähligen, ineinandergreifenden
Kleinigkeiten zur Ausbildung kommenden Anpassungen durch
einen einfachen „Druckquot; zu erklären, stellen sich m.E. als völlig
unhaltbar heraus. Was die eigentliche treibende Kraft ist in
dem Prozess, der zu solchen Anpassungen führt, - diese Frage
ist gerade die Kernfrage des ganzen Evolutionsproblems!

Da uns die Naturwissenschaft noch kein befriedigendes Bild
der Evolution bieten kann, ist es auch unmöglich, schon heute
das Werden der Kiefermechanismen der Teleostei zu erklären
und wir müssen uns vorläufig mit Beschreibungen von Form,
Wirkung und Funktion zufrieden geben.

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VERZEICHNIS DER BENUTZTEN LITERATUR.

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amphibiens. Bruxelles.

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Apodes,

Esociformes,

Ostariophysi,

( Salmonidae,

KLASSIFIKATION DER UNTERSUCHTEN FISCHE
(nach Kyle)

A. Teleostei physostomi

i Clupeidae,

Clupeiformes, Fam.

Fam. Anguillidae,
Fam. Esocidae,
Fam. Cyprinidae,

S.

Clupea harengus L. .

22

Salmo salar L. .

24

Osmerus eperlanus L.

25

Conger vulgaris Cuv.

26

Esox lucius L. .

26

Cyprinus carpio L. .

27

B. Teleostei physoclysti

Scleroparei,

Ammodytiformes,

Atheriniformes,

Gadiformes,

Blenniformes,

Trachiniformes, Fam.

Heterosomata, Fam.

Fam.

Fam.

Fam.
Fam.

Labriformes,

Carangiformes,
Perciformes,

Mugil capita Cuvier.
Gadus morrhua L.
Zoarces viviparus L. .
Anarrhichas lupus L.
Lophius piscatorius L.

Trachinus vipera Cuv. Val

47
70

51

48
55
21

66

1 Rhombidae,
1 Solidae,

^ Cottidae,

\ Cyclopteridae,
, Labridae,

Scaridae,

Zeidae,
Percidae,

^ Trachinidae,

{ Callionymidae, Callionymus lyra L. .

I Hippoglossidae, Hippoglossusvulgaris'Flem
Pleuronectidae, Pleuronectus platessa L.

Rhombus maximus L.
Solea vulgaris Quensel.

Cottus scorpius L.

61

63
58
3

Cyclopterus lumpus L.

Epibulus insidiator Cuv

Val. .
Pseudoscarus forsteni
Bleeker.

Zeus jaber L. .
Perca fluviatilis L. .

Scombresociformes, Fam. Belonidae, Belone acus Risso. .
Plectognathi,nbsp;Fam. Orthagoriscidae,
Orthagoriscus mola L.

Fam. Ammodytidae, Ammodytes tobianus L.
Fam. Mugilidae,
Fam. Gadidae,

I Zoarcidae,
Fam. lt; Anarrhichidae,
f Lophiidae,

31

32
34
36

38

21

39
41

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I.

De musculus protractor hyoidei (genio-hyoideus) der beenvissen,
die van de onderkaak naar het tongbeen verloopt, opent de bek niet,
maar is in tegenstelling daarmee, werkzaam bij het sluiten.

(O. Holmqvist: Der Musculus Protractor Hyoidei......; Acta

Universitatis Lundensis, nova series, Abt. 2, Bnd. 6, 1911.)

II.

Het kraakbeengehalte van de schedel is een voor de systematiek
der beenvissen onbruikbaar kenmerk.

III.

Een homologisering van de schedelbeenderen van de beenvissen
met die der viervoetige dieren is doorvoerbaar.

(Contra: Abel.quot; ,,Die Stämme der Wirbeltierequot;.)

IV.

Tussen de z.g. primaire beenderen (autostosen) en dekbeenderen
(allostosen) in den zin van Gaupp, bestaat geen enkel principieel
verschil.

V.

In de klassificatie der Crustacea dient men de fossiele groep der
Trilobita in te delen bij de Branchiopoda (Phyllopoda).

(O. Storch: Lieber Bau und Funktion der Trilobitengliedmaszen.
Zeitschr. f. Wiss. Zool. 125, 1925.)

VI.

Bij de vetresorbtie van de zoogdieren speelt ook desaturatie van
vetzuren een rol.

(H. Tangl und N. Berend: Die Fettresorbtion durch die Desa-
turation der Fettsaüre. Biochemische Zeitschrift, 220, en B.Z. 232.
N. Berend: Ueber ein fettdehydrierendes Ferment. B.Z. 260.)

VII.

Het al of niet synchroon zijn van grenslagen in hoogvenen is
met behulp van de stratigrafie nooit met zekerheidquot; vast te stellen;
dit kan alleen door pollendiagrammen uitgemaakt worden.

(H. Grosz: Zur Frage des Weberschen Grenzhorizontes......;

Beihefte zum Bot. Centralblatt. Bnd. LI, Abt II.)

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De struktuur van de z.g. grenslaag in onze hoogvenen, onder de
„grenshorizon van Weberquot;, bev^ijst niet, dat het klimaat in
de periode van vorming (vaak subboreale periode genoemd) war-
mer en (of) droger was dan daarvoor.

(H. Grosz: Das Problem der nacheiszeitlichen Klima- und Flo-
renentwicklung in Nord- und Mitteleuropa. Beihefte zum Bot.
Centralblatt Bnd. XLVII Abt. 2.)

IX.

Behalve voor enkele watervogels bestaan vogeltrekwegen („Zug-
strassenquot; in den zin van Palmén) in het geheel niet.

X.

De mogelijkheid van een z.g. generatio spontanea, het zich uit
„levenlozequot; stof spontaan ontwikkelen van organismen, is nimmer
principieel weerlegd.

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