DIE SOGENANNTEN
J
UND IHRE STELLUNG IN DER
ÄLTEREN SPRUCHDICHTUNG
S. ANHOLT
BIBLIOTHEEK DER
RIJKSUNIVERSITEIT
UTRECHT.
■■ quot;-' Ar
A gt;
liiW
-ocr page 3- -ocr page 4-y
riS'--
-ocr page 5-UND IHRE STELLUNG IN DER
ÄLTEREN SPRUCHDICHTUNG
TER VERKRIJGING VAN DEN GRAAD VAN
DOCTOR IN DE LETTEREN EN WIJSBEGEERTE
AAN DE RIJKS-UNIVERSITEIT TE UTRECHT
OP GEZAG VAN DEN RECTOR MAGNIFICUS
DR J. BOEKE, HOOGLEERAAR IN DE FACULTEIT
DER GENEESKUNDE, VOLGENS BESLUIT VAN
DEN SENAAT DER UNIVERSITEIT TEGEN DE
BEDENKINGEN VAN DE FACULTEIT TE
VERDEDIGEN OP VRIJDAG 12 NOV. DES
NAMIDDAGS TE 4 UUR
DOOR
GEBOREN TE KAMPEN
AMSTERDAM-H. J. PARIS -MCMXXXVII
BIBLIOTHEEK DER
RIJKSUNIVERSITEIT
'm
sriïös^quot;
- Jjg-
«
AAN DE NAGEDACHTENIS MIJNER OUDERS
AAN MIJN VROUW EN KINDEREN
f«
-ocr page 9-PROMOTOR PROF. DR A. G. VAN HAMEL
-ocr page 10- -ocr page 11-Seite
EINLEITUNGnbsp;XI
IInbsp;- DER ALTE DICHTER (HERGER)
1nbsp;- DAS ORDNENDE PRINZIP IN DEN PENTADENnbsp;17
b)nbsp;Die folgenden Pentadennbsp;23
2nbsp;- FESTSTELLUNG DER PERSÖNLICHKEITEN UND
IHRER GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGENnbsp;29
a)nbsp;Keriinc und Gebehartnbsp;29
c)nbsp;Die Datierung des Dichtersnbsp;33
3nbsp;- HERGERS SOZIALE STELLUNG UND DIE KUL-
TURELLE BEDEUTUNG SEINER POESIEnbsp;38
IIInbsp;- DER JÜNGERE DICHTER (SPERVOGEL)
1nbsp;- ZUR INTERPRETATION DER SPRÜCHEnbsp;49
b)nbsp;Die literarischen Beziehungen Spervogel-Winsbekenbsp;61
c)nbsp;Die Strophengruppe 1-11 AC (MF 20,1-22,24)nbsp;67
(die Strophen 20,1 20,17 und 20,25; Voraussetzungen
für die Zyklusthese; die Strophen 21,29 und 22,1;
die Zyklusthese)
2nbsp;- DER MEISZENER DICHTERSTREITnbsp;81
a)nbsp;Spervogel contra Walthernbsp;81
b)nbsp;Walther contra Spervogelnbsp;88
(Spervogels Halmspruch; Walthers Bohnenspruch)
IX
-ocr page 12-Seite
c)nbsp;Der Wicmanspruchnbsp;96
d)nbsp;Der Spruch 18,15nbsp;108
f)nbsp;Schlussfolgerungennbsp;114
3 - SPERVOGELS SPRÜCHE IM RAHMEN DER ÄL-
TEREN SPRUCHDICHTUNG
a)nbsp;Die kulturelle und politische Funktion der älteren
Spruchdichternbsp;116
(Herger und Walther; Bruder Werner)
b)nbsp;Charakteristik der Spervogelsprüchenbsp;141
IV - SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICKnbsp;153
-ocr page 13-Als ich mich zum ersten Male eingehender mit den in Minne-
sangs Frühling aufgenommenen ältesten Proben der Spruch-
dichtung beschäftigte, war es mir sofort klar, daß die in A
und C in gleicher Anzahl und Reihenfolge überlieferten elf
Strophen MF 20,1-22,24 einen Zyklus bildeten, die Schilderung
der Erlebnisse eines Spruchdichters enthaltend, der einem Herrn
als Berater in Fragen der Lebensführung zur Seite stand. Aber
dieser Zyklusgedanke fand wenig Beifall, auch stand man einer
derartigen Funktion des Spruchdichters skeptisch gegenüber,
sodaß ich mich entschloß, weitere Gründe für meine Ansichten
zu suchen. Daher prüfte ich die älteren Spruchdichter auf den
Charakter ihrer sozialen Stellung und den Zweck ihres dichteri-
schen Auftretens. So entstand die vorliegende Arbeit, die zum
Verständnis der sogenannten Spervogelsprüche beitragen soll
und darüber hinaus die weitere Entwicklung der Spruchdichtung
berücksichtigt.
Den Ausgangspunkt für meine Untersuchung bildete die be-
kannte Abhandlung über Spervogel in dem I. Teil von W. Sche-
rers „Deutschen Studienquot;^). Hier wurden diese Sprüche metho-
disch untersucht, indem Scherer sie älteren Anregungen folgend
auf ihre Verfasser prüfte. Er stellte auf Grund metrischer und
biographischer Kriterien fest, daß die in den Handschriften A
und C unter dem Namen Spervogel gehenden Sprüche haupt-
sächlich drei Autoren angehörten, deren jeder sich eines beson-
deren Tones bediente; er unterschied einen ungenannten alten
Dichter, den er Spervogel Anonymus nannte, einen jüngeren
Dichter, dem mit Recht der Name Spervogel zukam und einen
noch jüngeren Dichter, der in der Handschrift A mit dem Na-
men des jungen Spervogel bezeichnet wurde. Auch entdeckte
Scherer, daß die Strophensammlung des alten Dichters je
5 Strophen zu einem Zyklus vereinte, wobei noch ein Rest von
W. Scherer, Deutsche Studien, I Spervogel, WSB 64,283.
-ocr page 14-3 Strophen übrig blieb. Obwohl manche noch immer an die
Einheitlichtkeit der Töne des Anonymus und Spervogel glaub-
ten, und auch die Richtigkeit der Pentadeneinteilung, wenig-
stens für einen Teil, bezweifelt wurde, drangen Scherers An-
sichten am Ende durch; Garthaus' Versuch'), die Identität des
Anonymus und des echten Spervogel nachzuweisen, wurde kaum
noch beachtet. Für Scherer bestand der Wert der Anonymus-
und Spervogelsprüche darin, daß in ihnen die spätere bürger-
liche Dichtung vorgebildet war. Was die Datierung der Ano-
nymussprüche betrifft, schloß Scherer sich Haupt an, der ver-
mutete, daß mit Walther von Husen der Vater des Minne-
sängers Friedrich von Hausen gemeint sei, welcher in Urkun-
den bis zum Jahre 1173 bezeugt ist. Gegen diese Datierung
erhob E. Henrici^) in seiner Dissertation Widerspruch. Er
hatte zu der Anonymusstelle 25,29-31 eine Parallele in der
Kaiserchronik entdeckt und glaubte nun daraus auf Einfluß
des Anonymusspruches auf die Kaiserchronik schließen zu dür-
fen. Ohne Zweifel befand sich Henrici damit im Irrtum, den-
noch muß man ihm das Verdienst zuerkennen, daß er einen
Walther von Husen schon in einer Urkunde vom Jahre 1124
nachgewiesen hat.
Scherer beschränkte sich darauf, sein Augenmerk auf die Ver-
fasserfrage, die Handschriftenprobleme und die literarhistori-
sche Stellung dieser alten Spruchpoesie zu richten, und hat zur
Texterklärung selbst nur wenig beigesteuert. Mit dieser be-
schäftigten sich dann Schönbach'), J. Meiert, Wallner') und
vor allem G. Ehrismannquot;), der an Scherer und Schönbach an-
knüpfend manche tiefsinnige Bemerkung über den Charakter
der beiden Dichter und über den Stil und Gehalt ihrer Sprüche
F. Garthaus, Zur Spervogelfrage, Germania 28,214.
E Henrici, Zur Geschichte der mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin
1876.
A. Schönbach, Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichtwerke,
WSB 141, II, 9ff.
*) J. Meier, Beiträge zur Erklärung und Kritik mittelhochdeutscher
Gedichte. Spervogel und der Anonymus PBB 15,307 ff.
Prager deutsche St.udien Bd. 8.
«) G. Ehrismann, Beiträge zur Erklärung der Spervogelsprüche in der
Festschrift für M. H. Jellinek 1928.
machte. An diese Untersuchungen will sich die vorliegende Ar-
beit anschließen.
Da sich mit der Handschriftenfrage bereits außer Scherer
noch einige andere Forscher befaßt haben, so besonders Wisser
(Jahresbericht über das Großherz. Mariengymnasium zu Jever
1882), konnte ich mich mit einer kurzen kritischen Betrachtung
der bisher vorgebrachten Ansichten begnügen. Dagegen schien
es mir von Wichtigkeit einige Probleme in den Sprüchen des
alten Dichters zu erörtern, sowie dessen kulturelle Bedeutung
und soziale Stellung zu erforschen. Dann wandte ich mich dem
jüngeren Dichter, Spervogel, zu. Um dem Vorwurf zu entgehen,
daß ich die Interpretationen der Strophenreihe MF 20,1-22,24
auf den Zyklusgedanken zugeschnitten hätte, hob ich die Pria-
meln aus und suchte diese nach einer kurzen Analyse des Sper-
vogelschen Stils zusammen mit den anderen Priameln des Dich-
ters methodisch zu interpretieren. Nun hätte ich die Zyklus-
these folgen lassen können. Es schien mir aber wünschenswert
erst durch Heranziehung des Winsbeken eine sichere Grundlage
für die Deutung einiger Spervogelsprüche zu gewinnen und auf
diese Weise den Forscher in den Gedankenkreis der Sprüche
einzuführen. Dann begann ich mit der Strophenreihe, vorläufig
ohne den Zyklusgedanken zu erwähnen. Bevor ich mich an die
Deutung der schwierigen Sprüche 21,29 und 22,1 machte, sah
ich mich genötigt die Voraussetzungen zum Verständnis der
Zyklusthese darzulegen. Noch von einer anderen Seite ließ sich
diese These stützen. Einige Sprüche Bruder Werners zeugen von
einer ähnlichen Beratertätigkeit wie hier für Spervogel ange-
nommen werden mußte. Daher wurden die älteren Spruch-
dichter, namentlich Walther von der Vogelweide und Bruder
Werner, auf ihre kulturellen und sozialen Funktionen unter-
sucht. Für das Studium von Walthers Sprüchen lag in Wil-
manns-Michels' Waltherausgabe und Waltherbiographie, wie
auch in Burdachs Waltherforschungen reiches Material vor,
für Bruder Werner stand Schönbachs Textausgabe mit erläu-
ternden Ausführungen^) zur Verfügung. Leider hat Schönbach
A. Schönbach, Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichtwerke,
WSB 148, VI 1 und 150,1.
den Wert der Jenaer Liederhandschrift für die Textgestaltung
der Sprüche unterschätzt, und es ist ihm auch nicht immer ge-
lungen den Gehalt der Sprüche richtig zu erfassen. Ich sah mich
daher vor die Aufgabe gestellt, die Fassungen der in C und J
überlieferten Sprüche auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen und
mußte mir die Verwendung einiger wichtiger Sprüche ver-
sagen, um eine den Zusammenhang meiner Ausführungen stö-
rende' Auseinandersetzung mit Schönbachs Auffassungen zu
vermeiden.
über den Entwicklungsgang der Spruchdichtung gibt be-
kanntlich G. Roethe in seinem Werk über Reinmar von Zweter
wertvolle Bemerkungen, die jedoch nicht ganz vorbehaltlos auf-
genommen werden dürfen, da Roethe eine Scheidung zwischen
adligen und bürgerlichen Spruchdichtern vornahm und alle für
adlig hielt, denen die Überlieferung das Epitheton „herquot; beilegt.
Das Selbstgefühl des Spruchdichters wird beim adligen als
Standesstolz gelobt, beim bürgerlichen für anspruchsvoll er-
klärt. Reinmar von Zweter und Walther werden als adlige
Dichter hochgeschätzt, die „Spervögelquot; aber als geringere Leute
betrachtet. Dabei hätte ihn doch die von ihm selbst mit Ver-
wunderung bemerkte Tatsache, daß Reinmar von Zweter, „den
adliges Standesgefühl in eine höhere Sphäre der Gesittung er-
hebtquot;, sobald er mitteldeutsches Gebiet betritt sich in nichts
mehr von seinen bürgerlichen Kollegen unterscheidet, eines Bes-
seren belehren können. Es versteht sich, daß ich bei der Be-
trachtung der älteren Spruchdichter auf Vollständigkeit von
vornherein verzichten mußte; auch hätte eine umfangreichere
Untersuchung den Rahmen meiner Arbeit überschritten. Für
meine Zwecke genügte es die kulturelle Bedeutung der Spruch-
dichter und ihre soziale Stellung kennen zu lernen. So wurde
der geeignete Hintergrund geschaffen, von dem aus eine neue
Charakteristik der Spervogelpoesie in Angriff genommen werden
konnte.
Indessen führte mich die Deutung des Spervogelschen Halm-
spruches auf den Spruch von Bohne und Halm bei Walther.
Es gelang mir beide Sprüche unter einem und dernselben Ge-
sichtspunkt zu erklären und allmählich entwickelte sich ein Bild
von dem Zusammentreffen der beiden Dichter am Meißener
Hof. Drei Sprüche Spervogels und zwei Walthers erschienen da-
bei in einer helleren Beleuchtung; in keinem anderen Spruch als
23,5 „Mich nimt wunderquot; tritt uns Spervogels Gestalt so leib-
haftig entgegen, auch zeigt kein Spruch so deutlich, wie schwach
in Spervogels Sprüchen das Erlebnis zutage tritt. Auch ein altes
Problem der Waltherforschung dürfte durch diese Untersuchung
eine befriedigende Lösung erfahren haben: der unbekannte
Dichter Wicman wurde mit Spervogel identifiziert. Mit Dank-
barkeit benutzte ich den neuen Kommentar zu Walthers Ge-
dichten, den von Kraus als Vorbereitung zu seiner Waltheraus-
gabe erscheinen ließ, wenn ich auch selten mit seinen Ansich-
ten übereinstimmen konnte. Diesen „Meißener Dichterstreitquot;
glaubte ich zwischen die Ausführungen über die Zyklusthese
und die Erörterungen zur älteren Spruchdichtung einschieben
zu müssen. In der Schlußbetrachtung habe ich einen Gedanken
näher ausgeführt, der sich mir im Verlaufe meiner Untersuchung
und als Ergebnis derselben immer mehr aufdrängte: die Frage
nach dem Ursprung des Spruchdichters. Denn es wurde mir
immer klarer, daß in dem Spruchdichter der germanische Pries-
ter (Kultredner) fortlebt. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist,
diese Auffassung überzeugend zu begründen.
io!
Jatt
»«.••aifeiiv
-ocr page 19-Die Überlieferung
-ocr page 20-'pi: 'i
tÄri
- v'lï
il. ft ■'
■i
äff.
m | ||
fBB^ ^ | ||
K xh, quot; |
* |
' ^ \ |
t.' | |
STROPHENBESTAND DER HANDSCHRIFTEN
C UND A^)
Swer in fremeden landen vil der tugende hat
Unin£ere hunde sol man schüpfen zuo dem bern
Swer suochet rät und volget des der habe danc
Ez zimt wol helden daz si fró nach leide sin
Waz frumt dem rosse daz ez bi dem fuoter stät
Swer einen friunt wil suochen da er sin niht enhät
Swer lange dienet da man dienstes niht verstät
Diu saelde dringet für die kunst daz eilen gät
Wan sol einen biderben man wol drizec jär
So wê dir armüete du benimest dem man
So wol dir wirt wie wol dü doch dem hüse zimest
Ich sage iu lieben süne min
Mich riuwet Fruot von über mar
Wer sol üf Steinesberc
Do der guote Wernhart
Steinesberc die tugende hat
Wan seit ze hove masre
Mich müet daz alter sêre
Wie sich der riche betraget
Weistu wie der igel sprach
Swie daz weter tüeje
Ez was ein wolf gräwe
Ein wolf unde ein witzic man
Ein wolf sine sünde floch
Ez mac der man so vil vertragen
Spervogel | |
C |
A |
1 |
1 |
2 |
2 |
3 |
3 |
4 |
4 |
5 |
5 |
6 |
6 |
7 |
7 |
8 |
8 |
9 |
9 |
10 |
10 |
11 |
11 |
12 |
12 |
13 |
13 |
14 |
14 |
15 |
15 |
16 |
16 |
17 |
17 |
18 |
18 |
19 |
19 |
20 |
20 |
21 |
21 |
22 |
22 |
23 |
23 |
24 |
24 |
25 |
25 |
26 |
26 |
Zwên hunde striten umbe ein bein
Die Anfänge der Herg6r- und Spervogelstrophen nach dem Text in
Minnesangs Frühling.
Ich bin ein wegemüeder man
Entwerfen ist ein spaeher list
Swer des biderben swache pfligt
Swer mir durch sine kündekeit
Der alten rat versmahet nu den kinden
Güsse schadet dem brunnen
Swa zwene dienent einem wibe
Alder weite höh
Zwo gespilen mere
Sage bi den triuwen
Leit und ungemüete
Sene dich in der maze
In dem walde und uf der grüenen heide
Wol in den der deine vogele singen
Er ist gewaltec unde starc
In der helle ist michel unrät
In himelriche ein hüs stät
Swer gerne zuo der kirchen gät
Ich hän gedienet lange
Mich hungerte harte
Swä ein guot boum stät
Swelch man ein guot wip hat
Ein man sol haben êre
Korn säte ein büman
Krist sich ze marterenne gap
An dem österlichen tage
Würze des waldes
Wan sol den mantel kéren als daz weter gät
Swer mir nü verwizet daz ich niht enhän
Mich wundert dicke daz ein wol geraten man
Daz ich ungelücke hän daz tuot mir wê
Swer den wolf ze hüse ladet der nimt sin schaden
Wir loben alle diesen halm wand er uns truoc
Treit ein reine wip niht guoter kleider an
Zer Werlte ein sinnericher man
der junge | |
Spervogel | |
A | |
27 |
27 |
28 |
28 |
29 |
29 |
30 |
30 |
31 |
31 |
32 |
32 |
33 |
33 |
34 | |
35 | |
36 | |
37 | |
38 | |
39 | |
40 | |
34 |
41 |
35 |
42 |
36 |
43 |
37 |
44 |
38 |
45 |
39 |
46 |
40 |
47 |
41 |
48 |
42 |
49 |
43 |
50 |
44 |
51 |
45 |
52 |
46 |
53 |
47 | |
48 | |
49 | |
50 | |
51 | |
52 | |
53 | |
54 | |
4 |
Unter dem Namen Spervogel steht in der großen Heidelber-
ger Liederhandschrift (C) eine bunte Sammlung von Strophen,
die nach ihrem Bau zu einzelnen Gruppen vereint sind. Diese
sind aber nicht alle im Ton verschieden, sondern es erscheinen
bisweilen Gruppen desselben Tones an verschiedenen Stellen der
Sammlung.
In der alten Heidelberger Liederhandschrift (A) folgen zwei
Strophensammlungen aufeinander: die erste unter dem Namen
Spervogel, die zweite unter dem des jungen Spervogel. Vereinigt
man beide, so stimmen Strophenzahl und Strophenfolge hier
und in der Handschrift C dermaßen überein, daß wir für beide
Handschriften zweifellos eine gemeinschaftliche Vorlage zu-
grunde legen dürfen. Betrachten wir zunächst den Strophen-
bestand.
In C und A eröffnet die Sammlung eine Gruppe von 11 Stro-
phen, die mit Recht den Namen Spervogelstrophen verdienen.
In der Jenaer Liederhandschrift werden nämlich unter dem
Namen Spervogel 13 Strophen desselben Tones überliefert, von
denen 4 mit Strophen in dieser Eingangsgruppe von C und A
identisch sind. (Vgl. auch die unter Spervogels Namen zitierte
Strophe in der Zimmerischen Chronik') und die Erwähnung
Spervogels in der 3. Strophe dieser Gruppe (MF 20,17).^)
In den beiden Handschriften folgen 15 Strophen in einem
älteren Ton, die nach Scherer einem anderen Dichter, von ihm
als Spervogel Anonymus bezeichnet, gehören müssen. Wir nen-
nen ihn mit Simrock®) nach der freilich viel umstrittenen Stelle
in der siebenten Strophe dieser Gruppe (MF 26, 21) Herger.
Die Handschrift A bringt alle folgenden Strophen unter dem
Namen „der junge Spervogelquot;. Wie Scherer hervorhebt, hat
Scherer a.a.O. S. 355.
Scherer a.a.O. S. 291 f.
Scherer a.a.O. S. 293.
-ocr page 24-diese Bezeichnung nur dann Sinn, wenn man annimmt, daß
sie sich ursprünglich auf die nächsten vier Strophen bezieht,
die einem und demselben Ton angehören. Die fünfte Strophe
weist im Bau und im Inhalt in eine jüngere Zeit, kann also
nicht dem jungen Spervogel angehört haben. Von den folgen-
den zwei Strophen ist die erste für den jungen Spervogel zu alt,
und die zweite steht in C auch unter Dietmar von Eist. Diesel-
ben 7 Strophen folgen auch in der Handschrift C.
Bisher liefen beide Handschriften parallel, an dieser Stelle
aber hat A der Handschrift C gegenüber einen Einschub von
7 Strophen, und zwar stehen die ersten fünf in C unter Waltram
von Gresten und bilden ein Neithartsches Lied, während die
letzten zwei in C und in der Weingartner Handschrift unter
Leutold von Seven überliefert werden.
Beide Handschriften lassen nun dreizehn Hergêrstrophen fol-
gen, womit dann die Handschrift A schließt. C bringt einen
Anhang von 7 Strophen im echten Spervogelton und eine
Strophe, die mit den oben erwähnten 4 Strophen des jungen
Spervogel im Ton übereinstimmt.
Die Strophensammlungen in den beiden Handschriften be-
stehen also aus
IInbsp;Spervogelstrophen, 15 Hergêrstrophen, 4 Strophen des
jungen Spervogel, Nr. 31 AC, Nr. 32 AC (MF 30,34),
Nr. 33 AC, (A 5 Neithartstrophen, 2 Strophen Leutolds
von Seven), 13 Hergêrstrophen, (C 7 Spervogelstrophen,
1 Strophe des jungen Spervogel).
Zunächst erhebt sich die Frage: Wie war die Vorlage von
AC beschaffen? Scherer weist ihr die A und C gemeinsamen
Strophen zu:
I 1-11 AC (MF 20,1-22,24) Strophen Spervogels
II 12-26 AC (25,13-28,12) Strophen des Anonymus
IIInbsp;27-33 AC
IVnbsp;41-53 A, 34-46 C (28,13-30,33) Strophen des Ano-
nymus,
Wisser^) dagegen alle Strophen, die überhaupt in A und C
Scherer a.a.O. S. 312 f.
^ä) Zu Spervogel: der Archetypus von AC, Progr. Jever 1882.
-ocr page 25-überliefert sind, also auch die, welche nur in A oder in C stehen.
Ich glaube, daß wir bei der Beantwortung dieser Frage die
Charaktere der Schreiber (Sammler) von A und C zu berück-
sichtigen haben. Eine treffende Charakteristik von ihnen gibt
Wisser S. 12:
„In der Tat war A ein Abschreiber so gedankenlos und skla-
visch treu, wie nur möglich. Daß der auf Grund eigenen Nach-
denkens von seiner Vorlage irgendwie abgewichen sein und gar
auf eigene Hand Vermutungen sollte gewagt haben, ist ganz
undenkbar____C dagegen hat auf Schritt und Tritt Kritik
geübt und an zahlreichen Stellen seine Vorlage willkürlich ge-
ändert. Haben wir uns demgemäß, wo A und C von einander
abweichen, grundsätzlich A anzuschließen, so ist dies geradezu
selbstverständlich in allen den Fällen, wo sich für willkürliche
Änderungen durch C ein plausibler Grund auffinden laßt.quot;
Ich nehme daher an, daß die Überlieferung in A eine sklavi-
sche Abschrift der Vorlage darstellt, nur wurde hier die Be-
zeichnung „der junge Spervogelquot; gedankenlos auf alle weiteren
Strophen bezogen.
Wie war nun diese Bezeichnung „der junge Spervogelquot; ent-
standen?
Scherer nahm an, daß „der junge Spervogelquot; der Verfasser
der vier ersten ihm zugeschriebenen Strophen und wahrschein-
lich auch einiger anderer in h (Heidelberger Freidank) war, ein
jüngerer Zeitgenosse Spervogels. Nach StrobP), Kohnle^) und
anderen würde es sich um einen fingierten Namen handeln, der
auf eine Randglosse in der Vorlage zurückgeht. Kohnle erörtert
die Möglichkeit die Strophen dem Reinmar von Zweter zuzu-
weisen. Diese Frage scheint mir noch nicht geklärt, aber jeden-
falls muß man der Ansicht Strobls zustimmen, daß der Ver-
fasser der Strophen des jungen Spervogel als Nachahmer Sper-
vogels betrachtet werden kann, worauf übrigens auch der me-
trische Bau hinweist: die sechs letzten Verse des Spervogeltons
entsprechen genau den sechs letzten der Strophe des jungen
Spervogel.
') Germania 15,241.
') Kohnle: Studien zu den Ordnungsgrundsätzen mittelhochd. Lieder-
hss.; Tübinger Germ. Arb. 20, 1934.
C nahm nun folgende Veränderungen an der Vorlage vor :
1.nbsp;ließ er die Bezeichnung „der junge Spervogelquot; als irre-
führend aus.nbsp;. r,quot; , • u. f
2.nbsp;hatte er, wie wir annehmen wollen, den mit Rücksicht am
den Umfang der Vorlage benötigten Raum schon abgesteckt. Er
bemerkte nun bei näherer Durchsicht derselben, daß er 7 Stro-
phen schon unter anderem Namen (5 unter Waltram von Gresten,
2 unter Leutold von Seven) gebracht hatte. Er ließ diese Stro-
phen aus, schrieb die Vorlage anschließend weiter ab und be-
hielt nun am Ende den Raum dieser 7 Strophen übrig. Aus
einer anderen Quelle, die Strophen im echten Spervogelton
enthielt (denken wir an eine Quelle, wie sie der Jenaer
Liederhandschrift vorgelegen haben muß), schrieb er gerade
7nbsp;Strophen ab, die den noch zur Verfügung stehenden Raum
füllten.nbsp;^ „
3.nbsp;C ging während des Abschreibens eine Quelle zu, die die
Strophengruppe des jungen Spervogel in ursprünglicherer Ge-
stalt, als sie in der Vorlage von AC überliefert wurde, enthielt:
den vier Strophen folgte hier nämlich eine fünfte. Bevor die
Strophengruppe des jungen Spervogel in die Vorlage von AC
aufgenommen wurde, mußte einem Abschreiber der Fehler un-
terlaufen sein, daß er die fünfte Strophe ausließ. Auf diese
Möglichkeit weist bereits Wisser hin. Man brauche nur zu be-
denken, daß das letzte Verspaar der fünften Strophe nicht bloß
denselben Reim, sogar dieselben Worte, wenigstens dieselben
Buchstaben am Ende hat wie das letzte Verspaar der vierten
Strophe (wste und stjete, waete und tsete). Der übrigbleibende
Raum wurde vielleicht mit der Strophe, die in der Vorlage von
AC und auch in A und C selber unmittelbar auf die vier Stro-
phen des jungen Spervogel folgt, gefüllt. C fand es erwünscht
die echte fünfte Strophe am Schluß der Sammlung, vielleicht
am Rande nachzutragen.
Betrachten wir jetzt die Vorlage von AC.
Sie bestand, wie wir oben bemerkten, aus
11 Spervogelstrophen, 15 Hergêrstrophen, 4 Strophen des
jungen Spervogel und als Zusatz Nr. 31 AC, Nr. 32 AC
(MF 30,34), Nr. 33 AC, 5 Neithartstrophen, 2 Strophen
Leutolds von Seven, 13 Hergêrstrophen.
In dieser Vorlage werden die Hergergruppen durch 2X7
fremde Strophen getrennt. Es erhebt sich nun die Frage, ob
ursprünglich die beiden Hergergruppen unmittelbar aufeinander
folgten und somit diese 2X7 Strophen als ein störender Ein-
schub anzusehen sind. Scherer, Strobl, Wisser und Garthaus be-
jahen diese Frage, während sie von Kohnle, wie ich glaube mit
Unrecht, verneint wird. Mit Scherer') c.s. vermute ich, daß
ein fremdes Blatt, das auf jeder Seite 7 Strophen enthielt, zwi-
schen die Blätter mit Hergerstrophen geraten war und später
mit diesen vereint wurde.
Die ursprüngliche Sammlung umfaßte also:
11 Spervogelstrophen, 28 (15 13) Hergerstrophen.
Wie schon Scherer bemerkt hat, wird mit der 15. Strophe der
Hergergruppe die Rückseite eines Blattes geschlossen haben,
und die Vorderseite des folgenden Blattes begann mit der 16.
In dieser Sammlung von 11 Strophen Spervogels und 28 Stro-
phen Hergers haben wir wohl das alte Vortragsbüchlein eines
Spruchdichters zu erblicken. Möglicherweise war Hergers Name
schon verschollen, und unser Spruchdichter glaubte vielleicht,
daß beide Gruppen dem Spervogel gehörten.
Wie Scherers Forschungen ergeben haben, besteht die Eigenart
der Hergersammlung darin, daß sie zyklenmäszig gruppiert ist.
Sie zählt 5 Gruppen zu je fünf Strophen, wobei noch ein Rest
von drei Strophen übrig bleibt. Aber auch die Spervogelgruppe
bildet einen Zyklus, wofür ich noch im dritten Teil meiner Ab-
handlung den Nachweis zu erbringen hoffe.
Zunächst halte ich es für wahrscheinlich, daß die Anordnung
der beiden Gruppen von den Dichtern selber herrührt, während
Scherer sie mit der Beschaffenheit der Grundhandschrift in Ver-
bindung bringt. Er vermutete nämlich, daß der Sammler auf
jede Seite 30 Zeilen hinschrieb. Die Seite zählte also fünf Stro-
phen, und nun rekonstruierte Scherer diese Grundhandschrift,
wobei er von den 11 Spervogelstrophen die dritte als unecht
ausschied, die dann später am Rande des ersten Blattes
(Bl. Ib) nachgetragen wäre.
') Scherer selbst dachte hier nur an die Strophen 27-33 AC.
-ocr page 28-10 Spervogelstrophen (eine am Rande
des Bl. Ib)
15 Hergêrstrophen
13 Hergêrstrophen
Scherer meint nun': ,quot;,Auf dem fünften Blatte des Lieder-
buches standen nur drei Strophen. Es war also, wenn dieselbe
Zeilenzahl auf der Seite beibehalten wurde, noch für 7 Strophen
Raum. Und um gerade so viel Strophen finden wir das Lieder-
buch in C vermehrt an seinem Schlüsse, 47-53 C (22,25-24,8)...
Daß unsere Rekonstruktion des Liederbuches hierdurch auf das
allervollkommenste bestätigt wird, brauche ich nicht erst her-
vorzuheben. Wenn aber in C noch Str. 54 (MF 244,49-60) im
ersten Ton des sogenannten jungen Spervogel folgt, so wird
diese wohl erst der Schreiber von C aus einer anderen Quelle
nachgetragen haben.quot;
Niemand ist Scherer in der Annahme einer Grundhandschrift
in abgesetzten Zeilen gefolgt; somit bleibt die Rolle, die die
Zahl 5 in der Hergêrsammlung spielt, unerklärt. Dazu möchte
ich bemerken, daß die Gruppe des jungen Spervogel (ursprüng-
lich) auch aus 5 Strophen besteht, ebenfalls das Neithartlied.
Dann macht sich auch die Zahl 7 bemerkbar: die Hergêr-
sammlung besteht gerade aus 4 X 7 Strophen, das eingeschobene
Blatt enthielt 2X7 Strophen oder vielleicht genauer 2 X
(5 4- 2) Strophen, die Zahl der Spervogelstrophen, die C bei-
steuert, beträgt auch gerade 7.
Es ist, wie wir schon oben bemerkten, möglich, daß die 11
Spervogel- und 28 Hergêrstrophen das alte Repertoirebüchlein
eines Spruchdichters bildeten. Wisser nimmt an, daß auch die
beiden Spervogelgruppen (II AC und 7 C) ursprünglich eine
einheitliche Sammlung bildeten; aber hier liegen, meines Erach-
tens, die Verhältnisse anders: in den 28 Hergêrstrophen war
das Prinzip der Pentadeneinteilung überall durchgeführt; tei
den 18 Spervogelstrophen vermissen wir ein Prinzip der Ein-
Blatt Ia leer
Ib Reihe |
l.I |
2a „ |
1,2 |
2b „ |
IM |
3a „ |
11,2 |
3b „ |
11,3 |
4a „ |
IV,1 |
4b „ |
IV,2 |
5a „ |
IV,3 |
heitlichkeit. Die erste Gruppe 11 AC weist viele Bindungen von
Strophe zu Strophe auf und bildet einen Zyklus'). Die Gruppe
von 7 Strophen hängt damit keineswegs zusammen, auch läßt
sich ein bestimmtes Ordnungsprinzip hier nicht entdecken, höch-
stens kann man feststellen, daß die ersten 4 Strophen inhalt-
lich mehr zusammengehören, und jedenfalls ein Sammler — nicht
Spervogel selber — die 2. und 3. Strophe verknüpft hat (wol
beraten - wol geraten). Es fehlt also die Berechtigung die 18
Spervogelstrophen als ein einheitliches Gebilde zu betrachten.
Noch aus einem anderen Grunde müssen wir Wissers Theorie
ablehnen.
Die Vorlage von AC bestand nach ihm aus
la, IIa, III-5, IV, IIb, Ib III5
(Ia = 11 AC, Ib = 7 Spervogelstrophen C 47-53; IIa = 15 Her-
gerstrophen 12-26 AC, IIb =13 Hergerstrophen 34-46 C 41-
53 A; 1115 = 54 C gehört zu den Strophen des jungen Sper-
vogel und zwar vor die letzte derselben, mit II 1-5 bezeichnet
er die 7 Strophen 27-33 AC; IV = 34-40 A).
Die Quelle dieser Vorlage umfaßte, wenn II 15 an die, nach
Wissers Meinung, ursprüngliche Stelle gesetzt wird, folgende
Gruppen
la IIa III IV IIb Ib
Wisser meint nun, daß diese Quelle, das Liederbuch des
Sammlers, aus drei ineinandergelegten Blätterpaaren entstanden
sei, und jedes Blättchen eine Liedersammlung enthalten habe.
Die Annahme, daß die Vorlage von AC alle zusammen von
A und C überhaupt überlieferten Strophen enthalten habe, setzt
ihn in Widerspruch mit den von ihm selbst aufgestellten und
von uns oben zitierten Richtlinien für die Beurteilung dessen,
Was man den Schreibern von A und C zutrauen darf. Es ergibt
sich nun für Wisser die weitere Folgerung, daß A aus eigener
Initiative Ib und II 15 weggelassen hat. Das stimmt aber nicht
zu der Charakterisierung des Schreibers von A, als eines sich
sklavisch an die Vorlage haltenden gedankenlosen Abschreibers.
Wisser sah sich zur Erklärung dieses überraschenden Vorgangs
genötigt, seine Zuflucht zu einer Spitzfindigkeit zu nehmen: „Ich
Siehe unten S. 67 f.
-ocr page 30-trage kein Bedenken auf dieses Wort „endequot; (das letzte Wort der
Hergerstrophe46C 53 A) die Auslassung vom Ib und II15 zuruck-
zufUhren. Wahrscheinlich hatte schon der Sammler jenes Wort
in der angegebenen Weise (mit Verzierungen das Wort hervor-
hebend) verwandt und Q (die Quelle der Vorlage von AG) war
ihm darin, obgleich für ihn die Sammlung noch nicht zu Ende
war, gedankenlos gefolgt; möglich auch, daß jenes „endequot; erst
von Q in dessen Augen es doch immer noch den Schluß einer
ganzen Strophengruppe (IIb) bildete, von irgendwelchen Ver-
zierungen versehen war: jedenfalls ist A durch dies Wort zu
der irrtümlichen Annahme verleitet worden, daß mit der letzten
Strophe von IIb die Sammlung mit der Überschrift der junge
Spervogel zu Ende sei und mit der ersten Strophe von Ib, die
zudem einen anderen Bau zeigte, das Eigentum eines neuen
Dichters beginne.quot; Der Schreiber von A läßt auf einmal, wie
man sieht, die Gedankenlosigkeit fahren.
Auch Kohnles Ansichten muß ich ablehnen. Er steht im
Banne der Untersuchungen Hermann Schneiders'), der den
Nachweis führte, daß die Sammlung, auf die die Hss. B und C
zurückgehen „ein vollkommen einheitliches Gebilde war, für das
wir einen kunstverständigen Sammler verantwortlich machen
müssenquot;. Kohnle unterwirft nun auch die Quelle AG einer der-
artigen Untersuchung und befaßt sich daher u.a. mit der Sper-
vogelsammlung. Die Annahme, daß die Unterbrechung der
Hergerstrophen auf das Einschieben eines fremden Blattes zu-
rückzuführen sei, teilt Kohnle nicht; er sucht vielmehr die Ur-
sache in der Erwägung des kunstverständigen Sammlers, daß
„die ernsten religiösen Strophen 34-38 C 41-45 A nicht dem
Fabelzyklus angehängt werden könnten.quot; Aber, so wenden wir
ein, läßt sich im Ernst annehmen, daß dieser Sammler als
üb'ergangsgruppe eine so heterogene Masse zusammengestellt
hätte, die keineswegs, wie man erwarten würde, von der prak-
tischen Lebensweisheit schrittweise hinanführt zu den geist-
lichen Sprüchen? Auch an den fünften Zyklus mit seiner prak-
tischen Lebenserfahrung schließen sich die drei religiösen
Sprüche des Anhangs unmittelbar an. Kohnle sieht ein, daß
1) H. Schneider, Eine mittelhochdeutsche Liedersammlung als Kunst-
werk, PBB 47,225 ff.
er seine These nur dann begründen kann, wenn es ihm gelingt,
bewußt künstlerische Bindungen von Gruppe zu Gruppe auf-
zufinden. Wo er aber eine Bindung vonnöten hätte, beim Über-
gang der Leutold von Seven-Gruppe zu den religiösen Hergêr-
strophen muß er gestehen ;S. 76 „Keine directe Verbin-
dung! Allenfalls könnte Str. 42 auf die vorhergehenden Natur-
strophen belogen werden. Dort ist von hluomenschm die Rede,
hier wird in Antithese dazu gesagt, daß die Hölle weder Mond-
noch Sternenschein kenne.quot; Aus diesem Zusatz Kohnles möchte
man schließen, daß er die Warnung Hermann Pauls, die er selbst
in seiner Einleitung zitiert: „Wenn man sich erlaubt, das Wi-
dersprechende willkürlich zu beseitigen, so ist es nachher leicht,
sich die Dinge nach seinem Gefallen zurechtzulegenquot; nicht ge-
nügend beachtet hat.
Es ist Kohnle nicht gelungen überzeugend zu begründen, daß
die Sammlung, auf die A und G zurückgehen, ein einheitliches
nach künstlerischen Prinzipien angeordnetes Gebilde darstellt.
Wenigstens was die Spervogelsammlung betrifft. Er selbst war
sich dieser Unzulänglichkeit bewußt: S. 130 bemerkt er: „Bei
Spervogel findet der Zweifler schon eher Gelegenheit, seine Be-
denken anzubringenquot; und S. 71: „Die Spervogelsammlung ist
vielleicht die problematischste aller in die Hss. A und G auf-
genommenen Sammlungen.quot; Die Spervogelsammlung wollte
sich eben der allgemeinen These nicht fügen. Daß Kohnle das
nicht klar erkannt und daraus seine Folgerungen gezogen hat,
ist ihm zum Verhängnis geworden.
Zu den 18 Spervogelstrophen der Handschriften A und C
überliefert auch die Jenaer Liederhandschrift unter Spervogels
Namen 13 Spervogelstrophen; sie sind, wie Scherermitteilt,
nach dem Inhalt geordnet; 4 dieser Strophen stehen auch in
den Handschriften A und G: Nr. 6 J = 6 AC, 9 J=10 AC,
10 J = 5 AC, 12 J = 2 AC, 4 in C: 3 J = 49 C, 4 J = 5I C,
5 J = 53 C, 8J = 50C, die Nummern 1, 2, 7, 11 und 13 stehen
allein in J. Die Strophe 6 ACJ ist uns auch sonst noch über-
liefert, vgl. MF 21,13 t und die Strophe 4 J 51 C auch in der
Zimmerischen Chronik (Scherer S. 355).
Scherer a.a.O. S. 299.
-ocr page 32--ti^ sqqinö os »qqs/tD jt^nöfert'ïè''ïlTo^^
'nbsp;ßHMnbsp;^ïWbmÖ sMs iCoquot;^
gF^. e .nbsp;fï8ï!ÖïgU3-5 nab usnbsp;hkgt;imXvàgt;
.Tili-iÄ ij^nbsp;«^j tiï Inöö .mfti-^nbsp;«^^ÏWI
^^ ^iftifys -ß aifcnbsp;tiftArmsiH ptuinsW stb is öéb^ïiHife mm
îibm quot;nsjptire'rfwuSnbsp;iWfT?^ Aiàn mM-ih
isb èim^ M .fts§ûgt; irblit -»^arft jwaMr^r ■■^quot;«àrtif
jErfnbsp;insmn'j^ioll sob? deciiefe bryj m»figt;îl9 tßjjf îîiviii
quot; ty
SX
u Uttu if N-f m^rnm 'Hh
■i^^iïKÎtinbsp;rtJös «fltf J« t3A è^^rft^erts« «16 rifea«
lêîj Ai jfoüÄ D t ^^nbsp;J Hm- .»^i
A
-ocr page 33-II.
Der alte Dichter (Herg^r)
-ocr page 34-.11
iiCfin-jU) i-nthiG -M
-ocr page 35-II - DER ALTE DICHTER (HERGER)
1. DAS ORDNENDE PRINZIP IN DEN PENTADEN
a) DIE 1. PENTADE
Die Frage nach dem Zusammenhang der Strophen der L
Pentade hat die Forschung bisher nicht befriedigend zu lösen
gewußt. Zwar zweifelt keiner daran, daß die Strophen II bis V
(MF 25,20-26,12) zusammen gehören — handeln sie doch alle
von dem verstorbenen oder künftigen Herrn auf Burg Stein-
berg — unerklärlich schien es aber, daß eine Strophe vorauf-
geht, die sich mit einem ganz anderen Thema befaßt, obwohl
andrerseits die Wiederholung des Namens „Fruotquot; auf eine be-
wußte Verknüpfung der ersten zwei Strophen weist.
Scherer, der zuerst die Behauptung aufgestellt hat, daß die
Sprüche des älteren Dichters in wohlgeordneten Gruppen von
5 Strophen überliefert sind, glaubte auch für die 1. Pentade
das ordnende Prinzip entdeckt zu heben; er meinte'): „Die
fünf ersten 25,13-26,12 beziehen sich auf Gönner des fahrenden
Dichters: wir können sie Gönnerstrophen nennen.quot; Er fand es
aber nötig in einer Fußnote hinzuzufügen: „Durch Strophe
25,13—19 empfiehlt der Dichter seine Söhne dem Wohlwollen
hoher Gönner, denen für ihre Freigebigkeit der Ruhm des mil-
ten Fruote (oder Fruot, wie er hier heißt) in Aussicht gestellt
wird.quot;
Scherers Ansichten stießen auf scharfe Kritik; zuerst äußerte
sich Hermann PauP): „Die erste Reihe MF 25,13-26,12 sollen
sich auf Gönner des Dichters beziehen. In diese Kategorie läßt
sich aber die erste Strophe nur auf gewaltsame Weise einfügen.
Die anderen vier bilden wahrscheinlich ein zusammenhängen-
des Lied. Wenigstens stehen sie in der engsten Beziehung zu-
einander und sind wahrscheinlich von Anfang an zusammen
Scherer a.a.O. S. 302.
PBB 2,429.
-ocr page 36-überliefert.quot; Ihm folgte Bartsch^), der die Strophen II bis V als
ein Lied zusammenfaßte.
Zu Scherers Auffassung kehrte Schönbach wieder zurück. Er
schreibt: „Wenn Bartsch Recht hätte, der 25,20-26,12 als ein
Lied gibt, dann gehörte als Einleitung auch dieser Spruch an
die Söhne dazu, die statt an das Erbe an die milden Herren
gewiesen werden, deren Spende sie ernähren soll. V. 19 ist an
sich ganz locker angelehnt und wohl nur verständlich, wenn 20
darauf folgt. Denn zwischen den Söhnen und König Fruote
besteht keine Analogie, aber daß es dem milten Fruote vi! wol
gelanc, mag den Gönnern, deren Vorgänger in den folgenden
Strophen gerühmt werden, als Beispiel dienen.quot;
Hierin Klarheit zu schaffen, gibt sich Vogt, der Herausgeber
von Minnesangs Frühling, vergebens Mühe. Nachdem er MP
S. 291 Scherers Auffassung gegenüber bemerkt hat: „deutlich
von Strophe zu Strophe aneinander gekettet sind von der ersten
Gruppe wenigstens die zweite bis fünfte Strophe,quot; heißt es
S. 292 „und man mag es bei der Annahme bewenden lassen, daß
der Dichter einen ziemlich ungeschickten Gedankensprung ge-
macht hat, indem er, statt die Söhne auf einen Gönner zu ver-
trösten, die Herren auf die guten Früchte der Freigebigkeit
durch das Beispiel des glücklichen Meistergönners hinweist.
Schönbach betont mit Recht, daß er dabei schon an die fol-
genden Strophen gedacht haben muß. Bei dieser Erklärung
würde also die Pentade von vornherein im Zusammenhang ge-
dichtet sein. Immerhin bleibt dann das Verhältnis des Schluß-
verses zu den vorhergehenden in der ersten Strophe ein anderes
als in allen übrigen Strophen dieses Tones.quot;
Diese Frage bedarf also der Klärung, die meines Erachtens
nur dann erfolgen kann, wenn die Interpretation der 1. Strophe
eindeutig festgestellt ist. Hier liefert Bartsch mit seiner bekann-
ten Deutung den Ausgangspunkt: „Der Dichter verweist seine
Söhne, denen er keinen festen Besitz hinterlassen kann, an
Gottes Gnade und die Freigebigkeit der Herren und schließt
Bartsch-Golther, Deutsche Liederdichter des zwölften bis vierzehnten
Jahrhunderts, Anm. zu Spervogel III.
WSB 141,21.
-ocr page 37-mit der sprichwörtlichen Erwähnung des milten Fruote von
Dänemark, eines sagenhaften Königs, über den Haupt (Engel-
hart S. XI) gehandelt hat.quot; Im Anschluß an Bartsch glaubt
Schönbach (a.a.O.), daß der Vater ihnen in einem feierlichen
Akt mitteilt, daß er ihnen keinen Besitz übertragen kann und
er sucht dementsprechend obwohl nicht immer mit Erfolg, juris-
tische Fachausdrücke im Text nachzuweisen. Bei all dem wird
aber der Zusammenhang der ersten Strophe mit den folgenden
nicht klarer.
Eine einfache stilistische Analyse der ersten zwei Strophen
führt uns, wie ich glaube, auf die richtige Spur. Nehmen wir die
2. Strophe: es handelt sich hier in den ersten vier Zeilen um
eine Aufzählung; wir bemerken, wie der Dichter durch Än-
derung der Wortstellung das einförmige Klappern zu vermei-
den weiß: bald geht der Vorname, bald der Ortsname vorher;
merkwürdig ist es nun, daß dieser Wechsel schon im Schluß-
Vers der ersten Strophe anfängt.
19.nbsp;vil wol gelanc von Tenemarke Fruote.
20.nbsp;Mich riuwet Fruot von über mer
und von Husen Walt her
Heinrich von Gebechenstein
von Stoufen was ir noch ein.
Die ersten zwei Strophen sind also stilistisch verbunden. Es
kommt hinzu, daß der Dichter sich offenbar scheut einen und
denselben Eigennamen zu wiederholen; an zwei Stellen (Vers
20 und Vers 23) verwendet er deshalb einen variierenden Aus-
druck: eigene Erfindung ist wohl die Umschreibung Vers 23
für Heinrich: „über merquot; als Bezeichnung für Tenemarke be-
gegnet nicht selten^). Aber nicht so sehr die stilistische Be-
sonderheit selbst erregt unser Interesse, wichtiger ist vielmehr,
daß die Umschreibung „über merquot; im Eingangsvers der 2. Strc^
Phe auf den Schlußvers der 1. Strophe zurückweist. Offenbar
folgten für den Dichter V. 19 und V. 20 unmittelbar aufeinander,
als wären es Verse einer und derselben Strophe. Beide Strophen
hat der Dichter unlöslich aneinander gekettet. Wir dürfen daher
MF Anm. zu 25,20.
-ocr page 38-wohl annehmen, daß die 2. Strophe nicht lange nach der ersten
und als Fortsetzung derselben gedichtet wurde, wahrscheinlich
unmittelbar nachher.
Auch sonst stimmen beide Strophen in stilistischer Hinsicht
überein: in beiden enthalten die ersten vier Zeilen paarweise
einen Satz (in der 1. Strophe fängt der erste Satz an mit „ich
sage iuquot; und schließt mit der Formel „korn noch der win;quot; der
zweite Satz fängt in paralleler Weise an mit „ich enkan luquot;
und schließt mit „diu lehen noch diu eigenquot;; in der zweiten
Strophe sind die ersten zwei Zeilen durch „undquot; (V. 21), die fol-
genden zwei durch die Beziehung auf den Namen Heinrich
(V. 23) verbunden. In beiden Strophen finden wir nach der
4. Zeile einen Gedankeneinschnitt; offenbar war die dichterische
Einstellung für beide Strophen dieselbe. Unter diesen Verhält-
nissen ist es bemerkenswert, daß der Dichter sich in beiden
Strophen mit der 5. Zeile auf Gott hinwendet: 25,17 nu genäde
iu got der guote; 25,24 got gnade Wernharte. Die Strophen
sind also wohl aus derselben Stimmung, aus derselben Lebens-
lage heraus gedichtet. Es drängt sich uwillkürlich der Gedanke
auf, daß Wernharts Tod, der den Dichter zu der 2. Strophe
veranlaßte, auch auf das Schicksal der Söhne Ausfluß ausübte.
Sein Tod beraubte wohl nicht allein den Dichter, sondern auch
dessen Söhne ihres Heimes.
Damit wird eine von Ehrismann geäußerte Vermutung: Der
Dichter hat wohl eine bestimmte Veranlassung im Auge: das
Eintreten der Söhne in die Volljährigkeit oder den Augenblick
des Abschiedes, wo er sie in die Fremde schickt'quot;^) bestätigt.
In den zwei Versen 19 und 20 gedenkt der Dichter des Fruot
von Tenemarke; als Urbild des milden Herrn taucht seine Ge-
stalt immer wieder in der mhd. Literatur auf, speziell in der
Spruchdichtung (vgl. Haupt zu Engelhart S. XI). Nun sollte
man erwarten, daß wie V. 20 auch V. 19 sich auf diesen milden
Herrscher bezöge, allein alle Versuche V. 19 dementspechend zu
deuten, sind erfolglos geblieben Nur dann läßt sich eine
Analogie zwischen den Söhnen und Fruote herstellen, wenn wir
Ehrismann a.a.O. S. 9 f.
Vgl. Vogt, Anm. zu 21,15; Schönbach WSB 140,21.
-ocr page 39-annehmen, daß dem Dichter eine Sage vom jungen Fruot be-
kannt war, die ihm als die Jugendgeschichte des milden Herr-
schers galt. K. Helm, der die Möglichkeit annimt, daß 25,13-19
ursprünglich selbständig war, macht auf eine Fruotstelle bei
Saxo Grammaticus (Holder S. 38) aufmerksam, für die er fol-
gende Interpretation gibt: „Frotho war beim Regierungsantritt
mittellos, da ihm sein Vater infolge seiner Kriege, von denen
am Ende von Buch I erzählt ist, nichts hinterlassen hatte.quot; Es
folgen dieser Saxostelle Verse, in denen er aufgefordert wird
zu einer Fahrt nach einer Insel, wo er nach einem Kampfe mit
einem Untier reiche Schätze findet. Wir hätten so, meint Helm,
eine treffende Parallele zu den Söhnen des Dichters, die auch
kein Erbteil erwartet; sie werden getröstet mit dem Hinweis
nicht auf den freigebigen, sondern auf den in der Jugend gleich-
falls armen Fruot, dem es trotzdem „vil wol gelancquot;^). Jeden-
falls deuten die von Saxo angeführten Verse auf eine ältere
Quelle für die Identifizierung des Wikings und des Sagenkönigs,
welche beide den Namen Frödi trugen.
Auch ließe sich, wie mir scheint, an die Jung-Fruotsage den-
ken, wie sie im Rosengarten D Eingang gefunden hat, und die
Von Kralik (vgl. auch Helm a.a.O.) in seinem Werke „zur nord-
germanischen Sagengeschichtequot; S. 85, für einen Ausfluß echter
Sage hält: er heißt hier der junge König von Dänemark
(D 161), er ist von Gunther aus seinem Reich vertrieben
(S. 359 f.), lebt daher als Verbannter bei Etzel (72) und erlangt
durch seinen Sieg über Gunther sein Land wieder (378f.), wohin
er zurückkehrt (630) — (G. Holz. Die Gedichte vom Rosen-
garten zu Worms S. CX und 270). Auch hier sind die Elemente
zu einer Analogie vorhanden: wie die Söhne mußte auch der
junge König Fruot seine Heimat verlassen, wie er ziehen auch
sie arm in die Fremde, und wie einst dem Fruot das Glück
hold war, so möge es, nach des Vaters Wunsch, auch den Söhnen
günstig sein.
Beachtung verdient die Art und Weise, wie sich hier die
Sagenwelt mit der Wirklichkeit verwebt. Die Sage ist hier leben-
dige im Hintergrund der Erinnerung stehende Wirklichkeit. Wie
') PBB 47,158.
-ocr page 40-im Ynglingatal Götter und Heroen zu Urkönigen gemacht und
in einen künstlichen Zusammenhang mit der Genealogie des
historischen Königsstammes gebracht werden^), eröffnet hier
Fruot die Reihe musterhafter Herren, er verleiht ihnen Glanz,
wie es Wernhart zum Ruhm gereicht, wenn er Rüdiger an die
Seite gestellt wird. Die Sagengestalten sind leuchtende Vorbil-
der, ihre Schicksale haben Wert und Sinn für die Gegenwart.
Wenn der Vater die Söhne in die Welt schicken muß und er
ihnen seinen Segen mit auf die Reise gibt, fallen ihm in seiner
Besorgnis die Schicksale des verehrten Fruot ein; Fruots Wohl-
ergehen ist ihm eine Bürgschaft für der Söhne Glück. Vielleicht
dürfen wir noch weiter gehen und den dunklen Vers 25,19 in
primitiv religiösem Sinne deuten: die Anrufung Gottes V. 17
bot ihm nicht die genügende Gewähr, das heidnisch-religiöse
Gefühl regte sich noch mächtig in ihm und trieb ihn zu der
kraftgefüllten zauberformelhaft-knappen Wendung „vil wol ge-
lanc von Tenemarke Fruotequot;, die durch Analogiewirkung das
Ersehnte herbeiführen sollte. Der Dichter stand mit dem einen
Fuß im Christentum, mit dem anderen noch unbewußt im
germanischen Heidentum.
Hat der Dichter diese Pentade von vornherein als zusammen-
hängendes Lied gedichtet, wie Schönbach und Vogt vermuten?
Wenn man bedenkt, daß es sich um Erlebnissprüche handelt
und zwischen V. 27 ff, worin der Dichter fragt: „wer sol üf Stei-
nesberc würken Wernhartes werc?quot; und der Tatsache der Zu-
weisung der Erbschaft (26,10) einige Zeit verstreichen mußte,
so scheint eine planmäßige Verteilung der Stoffes über diese
Strophengruppe ausgeschlossen.
Wir haben uns den Sachverhalt so vorzustellen: es war der
Brauch der Spruchdichter Sprüche zu einem Vortrag zu ver-
binden; sie wirkten dann umso tiefer und nachhaltiger, man
denke z.B. an Walthers Sprüche im Reichston, die durch den
parallelen Anfang zu einer Trias verbunden sind^). Auch in
technischer Hinsicht bot dieses Verfahren allerhand Vorteile:
der Sänger brauchte sich beim Vortrag nicht lange auf einen
1)nbsp;R. von Kralik, a.a.O. S. 2.
2)nbsp;Wilmanns-Michels, Waltherausg. Vorbemerkung zu 8,4.
-ocr page 41-neuen Spruch zu besinnen, auch wäre ein einzelner Spruch ver-
loren gegangen. Andererseits lag es im Sprachstil der Zeit be-
gründet: die dichterische Arbeit wurde durch Anknüpfung an
eine gegebene Strophe, besonders an deren Schlußvers, erleich-
tert. Hieraus läßt es sich erklären, daß ein neu gedichteter
Spruch sich einem früheren anschließt: so scheint 26.10 „nü
hat es einen erbenquot; eine Antwort auf die Frage 25,27.28: „wer
sol üf Steinesberc würken Wernhartes werc?quot;
Für diese Pentade bot, wie aus dem obigen hervorgeht, das
Leben des Dichters selbst das ordnende Prinzip. Die Erschüt-
terung durch den Tod des Gönners, die Sorge um Söhne und
Heim waren die Veranlassung zu diesen fünf Sprüchen.
b) DIE FOLGENDEN PENTADEN
Wie in der ersten Pentade ist auch in der zweiten das Ver-
hältnis zwischen der Eingangsstrophe und den vier folgenden
unklar. In den Strophen II bis V ertönt immer wieder die Klage
über die Not des unbehausten Alters, während die erste über
den Streit der beiden Genossen Kerlinc und Gebehart berichtet.
In der ersten Pentade lag dem Dichter vor allem das Schicksal
der beiden Söhne am Herzen. Wenn wir bedenken, daß Kerlinc
Und Gebehart, wie ich weiter unten nachweisen werde, als die
Söhne des Dichters anzusehen sind, so finden wir in diesen
Strophen Ähnliches, nur daß hier jene bewußte Verknüpfung
der ersten zwei Strophen fehlt. Schwerer noch als die Mühselig-
keiten des Wanderlebens drückte den Dichter das Zerwürfnis
der beiden Söhne. Diese fünf Sprüche zeugen von dem trüben
Leben des Dichters, nachdem offenbar der neue Besitzer der
Burg Steinberg die vom Dichter auf ihn gesetzten Hoffnungen
getäuscht hatte.
Die dritte Pentade enthält Tierfabeln, von denen die ersten
drei eine besondere Gruppe bilden. Der Wolf, der vermensch-
licht auftritt, kann im Umgang mit den Menschen seine tieri-
sche Natur nicht verleugnen. Die ersten zwei Spriiche rücken
noch näher zusammen, wenn man 27,20 statt „witzicquot; „gräwequot;
(wie 27,13) liest, wie die Bearbeitung des Spruches in Laßbergs
Liedersaal (MF Anm. zu 27,13) nahelegt. Auch die letzten zwei
gehören zusammen, und der Hundestreit ist hier als ein Gleichnis
für menschliche Verhältnisse aufzufassen. Ob alle diese Stro-
phen in derselben Zeit entstanden sind, läßt sich bezweifeln.
Die Eingangsverse der ersten Strophe: „ez was ein wolf gräwe
unde ein man alwärequot; klingen durchaus altertümlich, auch weist
diese Strophe wie 29,13 und wie die altertümliche Strophe 30,27
nur klingende Reime auf, aber die Tatsache, daß auch hier
27,35 der Name Kerlinc begegnet, läßt, im Anschluß an die Be-
merkungen auf S. 29 ff. vermuten, daß jedenfalls die Anordnung
dieser Pentade nicht älter sein wird als die der vorhergehenden.
Von Christus und Teufel, Himmel und Hölle, von den Be-
lohnungen der Christgläubigen und den Strafen der Bösen han-
delt die vierte Pentade; sie klingt in dem eigenen Sündenbe-
kenntnis des Dichters aus, der den Heiligen Geist anruft zur
Befreiung aus des Teufels Banden. Die ersten vier Strophen sind
auch äußerlich aneinander gekettet: diu helle 28,19, in der
helle 28,20; ze himel 28,26, in himelriche 28,27; reine 28,33,
reine 29,5.
Weniger klar sind die Zusammenhänge in der fünften Pentade.
Von den fünf Strophen enthalten alle außer 29,34 ein Gleichnis.
Die erste Strophe schildert eine trübe Erfahrung des Dichters.
In der Hoffnung seinen Hunger zu stillen, begab er sich in einen
Obstgarten — das Paradies wird in der geistlichen Dichtung als
solcher dargestellt — wo er wiederholt, aber ohne Erfolg, den
fruchtbeladenen Ast schüttelt. Hier bezweckt der Dichter wohl
die Gesetze, die im Leben der Menschen wirken, aufzuzeigen,
denn 29,17 belehrt über die Ursache „ez kam von unheilequot;.
Spervogel ahmt 23,13 diese Strophe nach, rückt aber die Zeile,
in der alles auf die Wirkung des Unheils zurückgeführt wird,
an die Spitze der Strophe. Ihm folgt darin Walther 20,31, der
den Gedanken bildhaft-dramatisch ausarbeitet: „mir ist ver-
spätt der Salden tor, da sten ich als ein weise vor: mich hilfet
niht swaz ich dar an geklopfe.quot;
Auch in der zweiten Strophe wird das Gleichnis ohne wei-
teren Kommentar gegeben. Der Dichter überläßt es dem Pu-
blikum selber die Anwendung auf das praktische Leben zu
machen; offenbar handelt es sich um ein traditionelles Motiv.
In welcher Richtung die Deutung gesucht werden muß, wird
beim Guotasre klar, der MSH 42a dasselbe Thema behandelt
und zum Schluß bemerkt: „schedelicher ist swä valscher
rät wonet iungen herren nähen biquot; (Vgl. Vogt MF Anm. zu
29,20). Wie sehr dem Dichter jeder moralisierende Ton fernlag,
erhellt aus der dritten Strophe dieser Pentade, wo der Dichter,
nachdem er an dem Gleichnis vom Schwein, das den lauteren
Brunnen verläßt, um sich in den trüben Pfuhl zu legen, den
vom Mann verübten Ehebruch gerügt hat, einfach die bloße
Tatsache verzeichnet: „den site hat vil manic man gewunnen.quot;
Bloß die Strophe 29,34 enthält kein Gleichnis; sie gehört,
weil der Dichter hier zu einer gewissen Synthese zwischen Welt
und Christentum gelangt, zu den wichtigsten der ganzen Stro-
phensammlung. Die landläufige Deutung findet sich schon in
Steinmeyers Rezension der Dissertation Henricis (AfdA 2,138):
„ein Mann soll die ritterliche Lebensauffassung haben, aber er
soll doch insoweit sein Seelenheil bedenken, daß ihn sein über-
muot d.h. der Ausfluß jener standesmäßigen Denkart nicht
vom rechten Wege ablenkt und ihm dies Ablenken nicht einst.
Wenn er Abschied von der Welt nimmt, auf der letzten Wan-
derung schadet; daß urlobes gern=sterben anderweitig nicht be-
legt ist, beweist gar nichts gegen die Möglichkeit den Ausdruck
in dem Sinne zu verwenden.quot; Auch nach Ehrismann ist das Ziel
des ganzen Spruches auf den Weg zur Ewigkeit gerichtet^) und
Wallner a.a.O. charakterisiert den Spruch durch die sensatio-
nelle Überschrift: „Die Wegelagerer an der Himmelsstraße.quot;
Ohne Zweifel wird der Aufstieg der Seele zum Himmel tradi-
tionell als eine Reise dargestellt, ich glaube aber, daß es mög-
lich ist, an der realen Bedeutung von urlobes gern festzuhalten.
Wer nach christlicher Auffassung das Heil der Seele bedenkt,
erwirbt damit Gottes Huld und steht auf der Reise unter sei-
nem Schutz. Diese Ansicht belege ich mit einer Stelle aus der
Reimpredigt des armen Hartmann, der sein Werk zwischen
1130 und 1170 gedichtet hat. Glouve 1225 ff.
swer ze missen sin offer gibet... siner sele ze wegede
got machet er ime holt;... daz er got da mite ermane
daz er sine gnade habe.
Ehrismann a.a.O. S. 9.
-ocr page 44-daz er rûchin beware
swâ sô er hine vare
sin lîp und sîn sêle ^
und sîne wertlichen ère
vor sunden und vor scanden,
vor allen vianden,
daz er zallin stunden
in den rehten werde befunden^
und niener ne werde verdamnôt
in den êwigen tôt.
Hergêr steht nicht auf Hartmanns extrem kirchlichem Stand-
punkt und es ist daher wahrscheinlich, daß er die Schlußzeile
dieser'Strophe (30,5) in mehr weltUchem Sinne meint, wobei
er an den Schutz vor Feinden denkt. So erklärt es sich auch,
daß dieser Spruch nicht unter den geistlichen Sprüchen, sondern
unter denen, die über das praktische Leben belehren wollen,
einen Platz gefunden hat.
Von den drei Strophen des Anhangs gehören die ersten zwei
nahe zusammen (Krist 30,13; Krist 30,21), während die dritte
mit der deutlich hervortretenden Alliteration einen altertum-
lichen Eindruck macht.
Hat der Dichter selber oder ein kunstverständiger Sammler
die 28 Strophen in Pentaden eingeteilt?
Fassen wir zusammen: die 1. Pentade enthält a) Str. I: Ab-
schied des Vaters an die Söhne; b) Str. 11-IV: die Totenklage,
wozu Str. II auch inhaltlich den Eingang bildet; c) Str. V: des
Dichters Erwartungen von dem neuen Besitzer; diese folgt
chronologisch (als Antwort) auf Str. III; lassen wir Str. IV aus,
so wären II, III und V durch „Steinesbercquot; (25,25; 25,27; 26,6)
aneinandergereiht. Allerdings läßt sich auch zwischen III und
IV eine Bindung auffinden (Wernhartes 25,28 Wernhart 25,34.)
Mit Sicherheit läßt sich behaupten (vgl. S. 19 f.), daß die
eigenartige stilistische Verknüpfung der Strophen I und II vom
Dichter selber herrührt. Psychologisch kann die Voraufstellung
der Söhnestrophe aus der Besorgnis des Vaters erklart werden.
Str. V wurde (als Antwort) im Hinblick auf Str. III gedichtet.
Alle 5 Strophen sind in der für den Dichter und Vater so
spannungsvollen Zeit zwischen Wernharts Hinscheiden und der
Zuweisung der Burg an den Öttinger entstanden. Auf Grund
dieser Argumente neige ich zu der Annahme, daß der Dichter
selber diese Strophen zu einem Zyklus vereint hat.
Die Verhältnisse in der 2. Pentade betrachten wir unter der
Voraussetzung, daß Kerlinc und Gebehart die Söhne des Dich-
ters sind. Auch hier tritt dasselbe psychologische Moment wie
in der 1. Pentade zutage: bei den Strophen II-V stand dem
Dichter der junge Kerlinc vor Augen, und mehr als die eigene
Not quälte ihn die Sorge, daß der Sohn die günstige Zeit zur
Gründung eines Heimes versäumen möchte, wie dies bei ihm
selbst der Fall war. Denn die Mahnung 26,23-26 richtet sich
an junge Künstler, die wie einst der Dichter „ze hove leitquot; wer-
den könnten. Die beiden Strophen 27,6 und 26,27 vermitteln
nach einer Einleitung, in der auf das behagliche Leben des
Reichen im Gegensatz zu den Mühseligkeiten des alternden
Wanderers hingewiesen wird, einen Blick in die versäumte
Jugendzeit, als Mahnung 27,12, als warnendes Beispiel 26,30-33,
und 26,34 richtet sich der Dichter mit derselben Mahnung be-
lehrend' und beschwörend an Kerlinc. Der Zusammenhang wird
uns also klar: die gemeinsame Triebfeder zu den 5 Strophen
war die Sorge um die Söhne. Das weist mit großer Wahrschein-
lichkeit auf den Dichter als Anordner. Dazu kommt, daß sie
wohl alle in derselben Periode, nämlich in der Wanderzeit des
Dichters, entstanden sind, nachdem ihm der Öttinger vermut-
lich die Aufnahme verweigert hatte.
Die folgenden Pentaden sind, soweit wir sehen können, nach
rein künstlerischen Prinzipien zusammengestellt, wobei die Stro-
phenbindungen in der 4. Pentade besonders auffallen. Eigen-
namen kommen, mit Ausnahme von 27,34 hier nicht vor, sodaß
eine Vermutung über die Person des Anordners nicht aufzustel-
len ist. Da wir aber annehmen dürfen, daß dieselbe Hand, die
die ersten zwei Pentaden zusammenstellte, auch weiterhin am
Werke war, ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit daß die gesam-
ten Hergerstrophen ihre Gruppierung dem Dichter selbst ver-
danken. Wie der Dichter bei der Anordnung dieser Spruch-
sammlung, die er in vorgerücktem Alter, wohl kurz nach Wern-
harts Tod vornahm, verfuhr, läßt sich nicht mit Sicherheit
sagen Nach den obigen Ausführungen vermuten wir, daß er
27
-ocr page 46-gewohnt war eine neue Strophe im Hinblick auf eine frühere
zu dichten, sodaß ihm wohl neben einzelnen Strophen mehrere
einzelne Strophenreihen zur Verfügung standen. Diese hat er
mit künstlerischem Geschick auf das Fünfermaß zu bringen
gewußt. Nichts spricht gegen die Annahme, daß dem Dichter
noch drei Strophen (30,13-30,33) als Rest übrig blieben, die den
Anhang zu seiner Sammlung bilden mußten. Jedenfalls ist die
Schlußstrophe mit der deutlich hervortretenden Alliteration als
die älteste und dabei schönste der ganzen Strophensammlung
zu betrachten.
über die Strophe 30,34 berichtet Vogt in der Anmerkung in
MF: „Ich möchte dazu bemerken, wenn es höchst unsicher ist,
ob Hergêr der Dichter ist, so scheint es mir mit Rücksicht auf
die unterdrückten Senkungen völlig ausgeschlossen, daß sie
Spervogel gehört.quot; Die Tatsache, daß Vogt in dem kritischen
Text das Wort „diuquot; vor „sunnequot; (30,35) ausgelassen hat, ob-
wohl doch beide Handschriften es bieten, läßt vermuten, daß er
die Strophe metrisch nicht richtig gelesen hat. Die Strophe stellt
sich nämlich als ein metrisch kunstvolles Gebilde dar, wenn
man das „diuquot; wieder aufnimmt und Güsse (wie Würze 30,27)
zweihebig liest.
Güssé schadet dem brunnen
sam tüot dem rifén diu sünne
sam tüot dem stóubé der régen
ärmuot hóenét den dégen
(brunnen wie auch sunne tragen nur eine Hebung.)
Die erste Hälfte der Strophe läßt in jeder Zeile die Senkung
nach der zweiten Hebung aus, wodurch eine retardierende Wir-
kung entsteht. In der zweiten Hälfte sind alle Senkungen aus-
gefüllt (wahrscheinlich mit Ausnahme der ersten Senkung in 31,3,
wenn wir hier schadet oüch lesen. Es fällt auf, daß die erste
Senkung sowohl im Eingang der zweiten Hälfte, als auch im
Eingang der ersten Hälfte fehlt (Güsse), was wohl vom Dichter
beabsichtigt ist.) Daher macht das Gedicht beim Lesen denselben
Eindruck wie ein Kinderlied, bei dessen erster Hälfte die Kinder
stehend singen, dessen zweite Hälfte aber im Tanz gesungen
wird. Es ist offenbar als ein Scheltlied zu betrachten, womit ein
Spruchdichter sich an seinem jungen Gönner (enthält 31,1 eine
Anspielung auf den Namen Regenstouf?) gerächt hat.
Die Handschriften bieten keine Gewähr für Hergers Verfasser-
schaft, denn sie bringen diesen Spruch in dem Strophengemisch,
das den Zusammenhang der Hergersammlung sprengt. Auch
weicht er im Bau vom Hergerton ab.
2. FESTSTELLUNG DER PERSÖNLICHKEITEN UND
IHRER GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN
a) KERLINC UND GEBEHART
Wer waren KerHnc und Gebehart? Wallner') hat Kerlinc
als den Dichter, Gebehart als dessen Gönner gedeutet, welche
Auffassung Vogt^) mit Recht zurückgewiesen hat. Ehrismann
Weist zum Überfluß noch darauf hin, daß nach der streng be-
obachteten Standesordnung Spielmann und vornehmer Herr
nicht Brüder genannt werden konnten, auch nicht einmal bild-
lich. Es scheint, als bliebe dann nichts anderes übrig als zu der
früheren Deutung zurückzukehren, daß der Dichter sich mit
einer Friedensmahnung an zwei jüngere Kunstgenossen wendet.
Eifersüchteleien zwischen Kunstgenossen kommen in der
Spruchdichtung häufig vor, Friedensmahnungen sind dagegen
schon seltener. Wie ist nun hier der Sachverhalt? Der Dichter
tritt (26,13) dem am Hofe verbreiteten Gerücht entgegen, daß
Kerlinc und Gebehart geschieden wären; wie kam es, daß der
Dichter sich so darüber aufregt?
„si liegent sem mir min bartquot;: er beteuert bei seinem Leben,
daß es gelogen ist. Gerät man so in Eifer, wenn es fremde
Kunstgenossen gilt? Die Angelegenheiten der beiden Menschen
interessieren den Dichter dermaßen, daß sie ihm innerlich wohl
sehr nahe gestanden haben müssen, und in diesem Zusammen-
hange läßt Str. 25,13 den Gedanken aufkommen, daß der Dich-
ter auch hier die Söhne meint. Nun gewinnen auch die Schluß-
zeilen an Nachdruck: zwar kommt es vor, daß Brüder sich
Prager deutsche Studien Bd. 8.
') MF Anm. zu 26,15.
entzweien, zu einem unheilbaren Bruch lassen sie es aber nicht
kommen, vielmehr finden sie immer wieder den Weg zu ein-
ander zurück^).
Gebehart ist urkundlich als Spielmann nachgewiesen, aber
auch Kerlinc war ein Fahrender und auf die Gunst der Herren
angewiesen, wie sich aus Str. 26,34 schließen läßt, und beide
waren wohl gleich dem Vater sogenannte fahrende Künstler.
Möglich ist es, daß die beiden Künstler zusammen vor dem
Publikum auftraten, und mit der Auflösung ihres Bundes war
vielleicht ihre finanzielle Existenz bedroht. Auf diese Weise
kann man erst recht die tiefe Erregung des Dichters verstehen.
Gebehart kommt nur an dieser Stelle vor, Kerlinc aber wird
noch in zwei Strophen erwähnt (26,34 und 27,34), sodaß es
also möglich ist unsere Deutung auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Str. 26,34. - Der Dichter bedauert es 26,30-34 daß er sich
in seiner Jugend kein Heim gegründet hat und 26, 23-26 er-
mahnt er junge Fahrende zeitig daran zu denken. Auch Kerlinc,
dem er 26,34 denselben Rat erteilt, war also ein junger Mann,
der von Hof zu Hof wanderte. Die Sorge des Alten, den Jüng-
ling vor der ihn selbst quälenden Not zu behüten, stimmt vor-
trefflich zu der Annahme eines Vater-Sohn-Verhältnisses.
Str. 27,34. - Diesem Spruch liegt wohl ein Gespräch zwi-
schen dem Dichter und Kerlinc zugrunde. Kerlinc hat sich be-
klagt, er lasse in seiner Friedfertigkeit viel über sich ergehen,
man behandele ihn aber deswegen umso schlimmer. Der Dichter
erteilt ihm nun den Rat eine schärfere Art hervorzukehren.
Es scheint, daß man bisher diese Strophe anders aufgefaßt
hat. So nimmt Vogt an, daß der Dichter auch 28,1-4 dem Ker-
linc in den Mund legt, und Ehrismann ist derselben Ansicht,
wenn er a.a.O. schreibt: „Kerlinc ist offenbar ein Spielmanns-
name, und der Dichter hatte dabei einen bestimmten in Spiel-
mannskreisen bekannten Fahrenden im Auge, der eben diesen
Namen trug; er beruft sich auf ihn als Autorität in Lebens-
erfahrung.quot; Merkwürdig wäre es, daß diese „Autorität in
Schönbach WSB 141,11,23 erklärt: Die beiden Brüder hier, ob-
wohl feindliche Hausgenossen, streiten doch wenigstens nicht um den
gemeinsamen Weg, den sie zusammen brauchen.
Lebenserfahrungquot; in Str. 26,34 als ein des Rates bedürftiger
Jüngling erscheint.
Ich gebe hier den Text der Strophe aus Minnesangs Früh-
Hng, schließe aber die Anführungszeichen nach der dritten Zeile
Und nicht wie Vogt nach der fünften.
„Ez mac der man so vil vertragenquot;
hört ich Kerlingen sagen
„daz man in deste wirs hat.quot;
so wirt sin sus vil guot rät,
ist er widersaeze;
zwen hunde striten umbe ein bein:
do truoc ez hin ze jungest der rseze.
Mit 27,34-36 legt also der Dichter seinen Hörern die schwie-
rige Lage Kerlincs vor, indem er dessen eigene Worte anführt.
Dann teilt er dem Publikum mit, welchen Rat er in einem sol-
chen Falle gibt. So wird des Dichters einfache Unterredung mit
Kerlinc in die höhere Sphäre der Kunst erhoben, und in den
Geschehnissen um Kerlinc wird im Licht der Fabel vom Hun-
destreit ein ewiges Gesetz menschlichen Zusammenlebens erkannt.
Also auch hier wieder ein enges Verhältnis zwischen Kerlinc
Und dem Dichter, zwischen dem an Weltkenntnis reichen älteren
Mann und dem unerfahrenen Jüngling.
b) HERGER
In den Strophen 26,20-27,12 schildert der Dichter die eigene
^ot: Unbeliebtheit am Hofe (Str. 26,25), die Mühseligkeiten
des Wanderlebens (Str. 26,26), Mangel an Bequemlichkeiten des
Lebens (Str. 26,34), das elende Geschick immer Gast zu sein
'Str. 27,6). Dabei handelt es sich immer wieder um ein und
denselben Gegensatz zwischen dem Alter und der Jugend, um
den einen Gedanken, den der Dichter am Schluß der Str. 27,6
»^urz ausdrückt: „swer in dem alter welle wesen wirt, der sol
Sich in der jugent niht sümen.quot; Wenn wir nun Str. 26,20 und
26,27 mit einander vergleichen, so bemerken wir eine weitgehen-
de Übereinstimmung; die vier Zeilen von der 4. an enthalten
denselben Gedanken: „baue in der Jugend dein Hausquot;, in Str.
als allgemeine Mahnung an die jungen wanderden Künst-
Ier, in Strophe 26,27 als persönHche Lebenserfahrung. Sogar der
Ausdruck „der gransprunge manquot; 26,23 wiederholt sich 26,31 t.
als „dó mir begonde entspringen von alrêrste min bart.quot; Auf
diesen Gedanken wird der Dichter in 26,27 durch die eigene Not-
lage geführt, die er in den ersten drei Zeilen geschildert hat.
Logisch scheint es nun, daß auch in 26,20 das eigene Alter
ihn hier zu demselben Gedanken veranlaßt'). Und nehmen
wir für einen Augenblick an, Hergêr wäre der Name des Gön-
ners, wie Wallner freilich ohne hinreichende Begründung be-
hauptet, oder ein befreundeter Kunstgenosse, müßte es dann
nicht auffallen, daß eine für unseren Dichter so wichtige Per-
son am Eingang dieser 4 Strophen eingeführt wird, um sie gleich
darauf wieder aus dem Gesichtskreise verschwinden zu lassen?
überdies war der Dichter zur Zeit, als er diese Strophen dich-
tete, fortwährend auf der Wanderung (Str. 26,27-30; 27,6); schon
aus diesem Grunde muß Wallners Ansicht abgelehnt werden.
Die Stelle 26,20 „mich müet daz alter sêrequot; kann sich also')
nur auf den Dichter selbst beziehen. Nun bleibt allerdings das
Bedenken, daß unmittelbar darauf der Dichter, von der 1. Per-
son in die 3. übergehend, mit dem eigenen Namen hervortritt.
Haupt fand diese „Vermischung der 1. und 3. Person nicht son-
derlich geschicktquot;; Ehrismann meint: „Der Dichter redet un-
persönlich wie von einem anderen Menschen; die sprachliche
Objektivierung des Ich begegnet ja im mhd. nicht selten, s. Pra-
ger d. Studien 8,299, aber die Beziehungen im ganzen Gedan-
kenzusammenhang sind dann klarer').quot; Dann müßte also Her-
gêr ein (noch älterer) Doppelgänger des alten Dichters sein?
Zu dieser Frage hat, wie mir scheint, C. Kraus in seinem
Werk: mhd. Ged. S. 196 die richtige Lösung gefunden. Kraus
weist an einer großen Zahl von Belegen nach, daß es eine stilisti-
sche Eigenheit der älteren Dichtersprache war, im voranste-
henden Satz durch ein Fürwort auf das im folgenden Satz erst
mitgeteilte Substantiv (auch Eigennamen) hinzudeuten. Auf die-
sen Punkt hatten bereits Heinzel und Schmedes (Literatur-
')nbsp;Vgl. auch Vogt, MF Anm. zu 26,21.
=)nbsp;Vgl. auch Vogt, MF Anm. zu 26,21.
®)nbsp;Ehrismann a.a.O. S. 12.
-ocr page 51-angaben bei Kraus a.a.O.) aufmerksam gemacht und Belege
gesammelt. Ich gebe hier einige Beispiele, worin es sich um
Eigennamen handelt: „ein tûsint beleih ime dâ tôt von chrie-
chisen chunne, ê Alexander den furt ie gewunnequot; (Vor. Alexan-
der Kinz. 1222 - Heinzel); „si mac sin gerne lougen, des Prün-
hilde hie verjehen hatquot; (Nib. hs. B 774,4 - Schmedes).
Handelt es sich im vor auf gehen den Satz um ein Pronomen der
1. Person, wie an unserer Stelle, so kann die nähere Angabe nur
in der 3. Person stehen z.B. „wol dich, trût tochter min, nu
vrouwet sich der vater din (Roth. 3888). Vermischung der 1.
und 3. Person, wobei der Sprechende seinen Namen nennt,
kommt in den Volksepen und auch sonst nicht selten vor. Einige
Beispiele aus dem Nibelungenlied, in dem bekanntlich Sitten
und Art des 12. Jahrhunderts sich ziemlich getreu abspiegeln,
mögen das zeigen: „do sprach der marcgrâve wider daz edel
wîp; ez muoz noch hiute gelten des Riiedegêres lip, swaz ir
und ouch min herre mir liebes hât getânquot; Nib. 2100 (Schmedes) ;
„Leget mine friunde, die Schilde für den vuoz und geltet, ob
iu iemen biete swachen gruoz, mit tiefen verhwunden: daz ist
Hagenen rät.quot; Hier treten die Personen im Gefühl ihres Wertes
mit dem eigenen Namen hervor. Unter diesem Gesichtspunkte
erklärt es sich, daß der Dichter sich in einer dem modernen
Empfinden unverständlichen Art mit dem eigenen Namen be-
zeichnet.
Hergêr hieß der Dichter, seine Söhne, wie wir vermuten dür-
fen, Kerlinc und Gebehart. Aus der Tatsache, daß der Dichter
sich beide Male mit seinem Rat an Kerlinc wendet, läßt sich
vielleicht schließen, daß dieser der jüngere war.
c) DIE DATIERUNG DES DICHTERS
Die reichhaltigsten Anhaltspunkte zur Datierung unseres
Dichters scheint Strophe 25,20 mit ihren vielen Eigennamen zu
bieten. Man könnte glauben, es genüge nur das Todesdatum der
genannten Herren festzustellen, um die Enstehungszeit des Spru-
ches fast auf den Tag bestimmen zu können. Trotz der eifrig-
sten Nachforschungen gelingt es aber kaum einen dieser Eigen-
namen mit Sicherheit zu identifizieren. So hat man einen Hein-
3nbsp;33
rieh von Gebechenstein der zeitlich passen würde, überhaupt
nicht nachweisen können. Nur einmal taucht in einer Urkunde
ein Wernhart von Steinberg auf. Geschlechter, die der Dichter
mit „von Stoufenquot; gemeint haben kann, gibt es verschiedene,
und in allen kommen Heinriche vor, sodaß sich, wie auch
Haupt meint, nicht wird bestimmen lassen, welcher Heinrich
von Stoufen dem Dichter vorschwebt. Am Ende bleibt nur Wal-
ther von Hüsen übrig. Haupt will in diesem Walther den Vater
des Minnesängers Friedrich von Hausen erkennen, dem wir von
der Zeit um 1140 bis zum Jahre 1173 häufig in Urkunden be-
gegnen^). Daher meint Scherer„Aus Haupts urkundlichen
Nachweisungen (Hartmann von Aue Lieder und Büchl. S. XVI,
MF S. 237 Zs. 13, 326) ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit, daß
der Anonymus nach 1175 noch lebte: Walther von Hüsen kommt
1173 zuletzt vor, Heinrich von Stoufen 1177 MF 238, oder
wenn der ältere Steveninger gemeint ist MF 232, 1175; der letzte
Steveninger ist wohl zu jung und sein Tod zeitlich zu weit ent-
fernt von dem der anderen, mit denen ihn der Dichter 25,21 in
einem Atem beklagt.quot;
Vogt schließt sich in seiner Geschichte der mhd. Lit. S. 157
dieser Datierung an: „unter den Namen jener verstorbenen
Kunstbeschützer begegnet Walther von Hausen, der bei Worms
begüterte Vater des Minnesängers Friedrich. Daß er im Jahre
1173 zum letzten Male urkundlich bezeugt ist, gibt den ein-
zigen bestimmteren Anhaltspunkt für die Datierung der Sprü-
che. Ein Heinrich von Staufen, den er mit ihm zusammen be-
klagt, führt in den Kreis der Burggrafen von Regensburg; viel-
leicht ist sogar der Vater des Dichters gemeint, der noch ge-
legentlich von Staufen genannt wird und 1174-77 starb.quot;
Bevor wir uns mit diesen Identifizierungen befassen, wollen
wir uns erst die Strophe 25,20 etwas genauer ansehen. Es erhebt
sich zunächst die Frage: Wenn der Dichter den Tod einiger
Herren in diesem Spruch beklagt, sind wir dann zu der An-
nahme gezwungen, daß sie alle um dieselbe Zeit gestorben sind?
Das Erlebnis, das unseren Spruch veranlaßte, war Wernharts
Vgl. Vogt, MF Anm. zu 25,21.
Scherer a.a.O. S. 290.
-ocr page 53-Hinscheiden. Dieser schwere Verlust rief im Dichter die Er-
innerung an andere hochverehrte Herren wach, die der Tod
früher dahingerafft hatte. Mit Sicherheit läßt sich also
sagen, daß Wernharts Tod der Entstehung unseres Spruches
unmittelbar vorherging, auch daß Wernhart von allen der
zuletzt Verstorbene war. Die Tatsache, daß er den Hingeschie-
denen die sagenhafte Gestalt des Fruot an die Spitze stellt,
läßt meines Erachtens der Möglichkeit Raum, daß er ihrer
nur als Mustergestalten ritterlicher Tugend, nicht als Gön-
ner gedenkt. Es ist also nicht unbedingt sicher, obwohl immer-
hin wahrscheinlich, daß alle (Fruot ausgenommen) wie Wern-
hart seine Gönner gewesen sind. Bei einer Betrachtung der Art
Und Weise, wie der Dichter diese Herren erwähnt, können wir
die Beobachtung machen, daß er, anstatt mit den Geschehnis-
sen der Gegenwart anzufangen und dann allmählich immer tiefer
in die Vergangenheit zurückzugehen, umgekehrt verfährt, in-
dem er mit der sagenhaften Vorzeit beginnt und mit der Gegen-
wart endet. Wenn er dabei, was begreiflich wäre, chronologisch
Verfährt, wie auch Garthaus S. 228 vermutet, dann muß der
Tod Walthers von Hüsen am weitesten zurückliegen, und es
folgten dann der Reihe nach die Sterbetage des Herrn von Ge-
bechenstein, des Herrn von Stoufen und Wernharts von Stein-
berg. Waren diese Herren seine Gönner, so hat er vermutlich
dem Herrn von Hüsen zuerst gedient, und wenn bei Wernharts
Tod Walther von Hüsen schon der fernen Vergangenheit an-
gehörte, so muß des Dichters Aufenthalt auf Steinberg (ver-
niutlich) einige Dezennien nach 1173 fallen. Der Dichter hätte
dann wahrscheinlich bis in die neunziger Jahre gelebt und wäre
dann ein Zeitgenosse Walthers von der Vogelweide gewesen.
Aber auch die von Haupt, Scherer und Vogt als sicher be-
^achtete Identifikation Walthers von Hüsen steht nicht fest.
E- Henrici hat den Namen Walther von Hüsen in einer Ur-
kunde vom Jahre 1124 gefunden. Er nimmt an (und Vogt gibt
ihm Anm. zu 25.21 offenbar Recht, auch Steinmeyer äußerte
sich zustimmend), daß dieser Walther nicht mit dem, der
Später vom Jahre 1140 bis 1173 fast ununterbrochen bezeugt
ist, identisch sein könne. Das stimmte zu Henricis Behauptung,
daß die Sprüche nicht über die Mitte des XII. Jahrhunderts
herabreichten. Das Geschlecht derer von Hüsen gehörte, nach
Henricis Nachweis, in die Wormser Gegend. „Es liegt nahe, so
bemerkt Henrici'), den von Stoufen in der Wormser Gegend
zu suchen; es gibt hier auch in der Tat eine Familie von Stauf,
deren Stammschloß ca. 1150 an die Grafen von Eberstein
überging; der von Spervogel beklagte könnte dann spätestens
1150 gestorben sein, und das stimmt gut zu unserer übrigen
Rechnung.quot;
Sowohl Scherer wie Henrici gründen ihre Datierung auf die, wie
ich glaube, irrige Voraussetzung, daß Walthers von Hüsen Tod
ungefähr gleichzeitig mit der Entstehung des Spruches erfolgte.
Wo das in der Strophe 25,20 enthaltene Material nicht aus-
reicht, können wir unsere Zuflucht zu anderen urkundlichen
Belegen nehmen, in denen der Name Gebehart erscheint. Scherer
berichtet darüber in seinen D. Studien S. 293 f.: „Gebehart ist
mir von Müllenhoff nachgewiesen; im Schenkungsbuch des
Klosters St. Emmeram Nr. 216 unter Abt Perger (1177-1201)
findet sich Gebehart gigare als Zeuge; in einer Prüflinger Ur-
kunde Nr. 63 Gebehart cytarista. Dann — wohl nach dieses
Gebeharts Tode — in einer Weltenburger Urkunde von etwa
1180 Gebehart filius Gebehardi histrionis, in einer anderen
ebenda von 1187 noch mal Gebhart filius Gebhardi histrionis.
Alles in Regensburg oder nahe dabei. Und in der Prüflinger
Urkunde stehen daneben als Zeugen Sigefridus et frater eius
Hartwicus ministerialis Heinrici prefecti (d.i. des Burggrafen
von Regenburg) und Sigbot de Stoufe.quot; Vogt gibt dieses Zitat
MF S. 296 und bemerkt dazu: „Ich halte diesen schon von
Wilmanns in die Anmerkung gesetzten Nachweis nach wie vor
für wichtig.quot;
Von diesen 4 Urkunden fehlt für die ersten zwei eine genauere
Datierung; auch läßt sich nicht feststellen, ob hier mit Geb-
hart gigare und Gebehart cytarista der ältere oder der jüngere
Gebehart gemeint ist. Wenn die anderen beiden zu 26,15 heran-
gezogen werden können, so kann hier nur der ältere Gebehart
— der Gebehart histrio — in Betracht kommen, dessen Sohn
Henrici a.a.O. S. 20.
-ocr page 55-Gebehart also 1180 und 1187 als Zeuge auftritt. Aus der Tat-
sache, daß dieser sich als Gebhart filius Gebehardi histrionis
unterschreibt, braucht nicht mit Haupt gefolgert zu werden,
daß der Vater schon gestorben war; dann wäre eben der Zusatz
filius Gebehardi überflüssig gewesen. Er läßt sich nach diesen
Ausführungen folgender Stammbaum aufstellen:
Hergêr
Gebehart histrionbsp;Kerlinc
Gebehart 1180
1187
Wir stellen fest: um 1180 war der Enkel des Dichters schon
so alt, daß er als Zeuge auftreten konnte. Gesetzt dieser Enkel
wäre damals 20 Jahre alt gewesen, so muß der Vater vor 1160
geheiratet haben. Geschah dies vor oder nach der Entstehung
der 1. Pentade? Wenn wir ferner annehmen dürfen, daß mit den
Söhnen (25,13) Kerlinc und Gebehart gemeint waren — andere
Namen werden ja in den Sprüchen nicht genannt — so läßt
sich vermuten, daß Gebehart sich erst nach dieser Zeit in der
Fremde selbständig gemacht und eine Familie gegründet hat.
Der Spruch 25,13 muß dann vor 1160 entstanden sein. Danach
würde 25,21 nur ein älterer Walther von Hüsen, vielleicht der
Von Henrici in der Urkunde von 1124 nachgewiesene, in Be-
tracht kommen. Was Heinrich von Stoufen betrifft, könnte man
mit Henrici mutmaßen, daß er ca. 1150 gestorben ist. Die Ur-
kunde mit Wernher von Steinberg aus 1165 wäre aber dann
zu jung, und es bliebe allein der Werenhardus de Steinesberch
aus der Urkunde von 1128 übrig (vgl. Vogt MF S. 294). Frei-
lich hätten wir dann anzunehmen, daß Wernhart noch unge-
fähr dreißig Jahre gelebt hätte, bis er wohl in hohem Alter
zwischen 1150 und 1160 starb und damit den um vier Jahre
früher bezeugten Walther von Hüsen um einige Dezennien über-
lebte. Wahrscheinlich stand Hergêr, als Wernhart starb, schon
in vorgerücktem Alter. Nehmen wir an, daß er damals 50 Jahre
alt war, so war er im ersten Dezennium des Jahrhunderts ge-
boren, und sein Dichten fiel ungefähr in die Zeit zwischen 1130
37
-ocr page 56-bis 1160. Das stimmt auch zu Roethes Urteil in der ADB: „Die
archaische Verstechnik des Dichters weist mit ihren unreinen
Reimen, ihrer gleichmäßigen Verwendung stumpfer und klin-
gender Ausgänge, ihren fehlenden Senkungen in eine erheblich
frühere Zeit (als in der Spervogel lebte) hin, wie der von den
modernen Strömungen unberührte Gedankenkreis.quot; Wenn aber
Roethe trotzdem an dem Datum „nach 1173quot; festhält, ja keine
Bedenken gegen eine Datierung über 1185 hinaus hat, ließe
sich die Frage stellen, ob es möglich wäre, daß ein Dichter sich
ungefähr dreißig Jahre lang gegen alle Einflüsse einer so tief-
bewegten Zeit (1160-1190) hätte absperren können. Die bis-
herige Auffassung, daß Gebehart und der Dichter einer und
derselben Generation angehörten, führte in Verbindung mit der
Datierung der Gebehart-Urkunden dazu, den Herger in eine
spätere Zeit hinaufzurücken.
3. HERGERS SOZIALE STELLUNG UND DIE
KULTURELLE BEDEUTUNG SEINER POESIE
Bereits H. Schneider hat in Heldend. S. 513 auf die Notwen-
digkeit einer Geschichte der Spruchdichting der nachwalther-
schen Zeit hingewiesen. In der Tat ist es nicht leicht, einen Über-
blick über die Spruchdichtung, wie sie uns bei Herger zuerst
entgegentritt, und wie sie für das XIII. Jahrh. vor allem in der
Jenaer Liederhandschrift überliefert ist, zu gewinnen. Der Grund
liegt wohl darin, daß Walthers überragende Größe die For-
schung in ihrem Bann hielt. Verglichen mit Walthers genialer
Kunst schien die Poesie jener Dichter, die sich ausschließlich
der Spruchdichtung widmeten, jeden Glanz zu entbehren. Die
Minnelyrik war adlige, ritterlich-lebensfrohe Dichtung, die
Spruchpoesie galt für eine bürgerlich-didaktische. Neben Wal-
ther nahm allenfalls noch der adlige Reinmar von Zweter das
Interesse in Anspruch. Die anderen Spruchdichter gehörten zu
jenen Spielleuten, die ohne literarischen Ehrgeiz, ohne höhere
Gesinnung, Gabe heischend, die Herren lobend oder scheltend,
andere Kunstgenossen befehdend, rechtlich ehrlos, und von der
Kirche verdammt, durch die Lande zogen. Mit Verwunderung
mußte man aber die Tatsache feststellen, daß auch der ritter-
liche Walther die bürgerliche Spruchdichtung gepflegt hatte,
und man glaubte, Walther habe die Standesschranken durch-
brechen müssen, als er, der Adlige, von der Minnelyrik zur
Spruchdichtung schritt. Der treffliche Kenner der älteren
Spruchdichtung Roethe, der in seinem Werke über Reinmar von
Zweter die gesamte Spruchpoesie des XII. und XIII. Jahrhun-
derts in den Bereich seiner Forschung zog, gab in der A.D.B, fol-
gendes Urteil über Hergêrs Poesie: „Die Sprüche der Spervogel-
poesie sind zumal in ihren ältesten Bestandteilen für uns un-
schätzbare Dokumente der reinen volkstümlich-spielmännischen
Spruchdichtung, wie sie war, ehe höfische Einflüsse sie zu der
Spruchpoesie Walthers umformten, ehe gelehrte Kunst sie auf
den abschüssigen Weg zum Meistergesang brachte.quot; über den
Dichter selber, dessen klare, starke Persönlichkeit und konser-
vativ bäurische Gesinnung er lobend hervorhebt, schrieb Roethe:
..Bäurischen Standes hat er doch als junger Bursche den Pflug
verschmäht und den Reizen des aufregenden Spielmannstreibens
nicht widerstanden. Er hat es soweit gebracht, daß er von
Schusters Rappen zum eigenen Pferde avanciert ist----quot;
Es ist Naumanns Verdienst eine Klärung des romantischen
Begriffs Spielmannspoesie angestrebt zu haben'); er sprach dem
eigentlichen Spielmann jede höhere dichterische Begabung ab
ünd legte dar, daß dieser unmöglich der Schöpfer der Dichtun-
gen gewesen sein könne, mit deren Vortrag er sich ernährte.
Diese Untersuchung führte Naumann zu einer höheren Ein-
schätzung des ältesten Spruchdichters: „Hält man mir Hergêr
pnd seine drei oder fünf kurzen Tiersprüche entgegen, so muß
ich allerdings bekennen, daß ich mir auch für die uns bekannte
vorhöfische Spruchdichtung, so wenig wie etwa für die eddische
Spruchpoesie, mit der sie manches Motiv, wie das vom fremden
Dach und eigenen Heime teilt, nicht das liederliche Gesindel der
Spielleute als Urheber denken kann, daß ich überhaupt an
fahrende Spruchdichter nicht glaube.quot; Das Vorurteil gegen die
') H. Naumann, Versuch einer Einschränkung des romantischen Be-
griffs Spielmannsdichtung, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literatur und
Geisteswissenschaft, 2, Heft IV.
Spruchdichter hatte aber zu tief Wurzel gefaßt. Wenig Jahre
später schränkt in derselben Zeitschrift (8,61) Stemger das
günstige Urteil ein; er hält sowohl den Hergêr, bei dem er zwar
„ländlichen Erdgeruchquot; aber nichts von ritterlichem hochge-
müete spüre, wie auch den Spervogel für Leute niederen Standes.
Es ist daher nicht überflüssig auch hier einer Erörterung dieser
Frage Raum zu geben.
Eine Urkunde, in der uns Hergêr bezeugt ist, gibt es nicht. Kein
Dichter hat uns seinen Namen erwähnt, daher sind wir für die
Beurteilung seines Standes lediglich auf seine Sprüche ange-
wiesen. Vergleichen wir Walthers Dichtung mit der Hergêrs, so
läßt sich bei aller Anerkennung von Walthers überragender
Kunst, kein triftiges Argument für die Annahme anführen, daß
Walthers Stand ein höherer gewesen wäre als der Hergêrs. An
Würde der Person und Ernst der Dichtung steht dieser dem
großen Nachfahren nicht nach. Wenn immer wieder von Hergêr
berichtet wird, wie z.B. bei Schneider a.a.O. S. 413, „Er ist immer
auf das Gehren angewiesen und findet in Lobsprüchen auf
gütige Herren sein Hauptthemaquot;, so wird der Dichter damit
in eine falsche Beleuchtung gerückt. Bettelsprüche hat er, so-
weit die Überlieferung uns ein Urteil gestattet, nicht gedichtet,
so wenig wie Scheltsprüche, und der Nachruf auf Wernhart ist
kein Lobspruch im gemeinen Sinn. Wenn er einmal beklagt, daß
er vergebens den fruchtbeladenen Ast geschüttelt hat, so läßt
sich bei Walther ein ähnlicher Spruch (20,31) daneben stellen,
der sogar mit einer unverhüllten persönlichen Bettelei schließt.
Nicht, daß es Walther zur Schande gereicht hätte! Als mittel-
loser Sänger blieb ihm eben in einer vorwiegend agrarischen
Welt, solange er nicht am Herde eines Gönners saß, kein anderes
Mittel sein Leben zu fristen. Walthers Selbstgefühl beruhte auf
seiner Kunst, nicht auf seinem Stande. Auch Hergêr war sich
seines Wertes bewußt, und aus diesem Gesichtspunkte erklärt
sich die Namensnennung 26,21. Ebenso spricht gefestigtes Selbst-
gefühl aus den Worten, die er in tiefer Besorgnis an die in die
Fremde ziehenden Söhne richtet. Diese Worte erwecken den Ge-
danken, daß der Besitz von „eigenquot; und „lêhenquot; wohl zu seiner
Persönlichkeit gepaßt hätte.
Scherer hielt ihn für einen Bauernsohn: „es stand ihm frei das
-ocr page 59-Land zu bebauen wie wahrscheinlich seine Eltern und Voreltern
getanDiese Meinung beruht, wie Wallner a.a.O. riachge-
wiesen hat, auf einer irrtümlichen Deutung von 26,30: mit „daz
ich ze büwe niht engreifquot; ist nicht der Ackerbau gemeint, son-
dern der Hausbau. Aus der Tatsache, daß der Dichter seine
Bilder dem Bauernleben entnimmt, läßt sich, wenn wir den
agrarischen Charakter jenes Zeitalters berücksichtigen, nicht
ohne weiteres auf bäuerliche Herkunft schließen. Auch Roethe
hat bekanntlich später die Argumente für die bäuerliche Her-
kunft des Dichters weniger hoch angeschlagen^). Wie seine
Söhne und wie sein Enkel hatte auch Hergêr sich von Jugend
auf dem Künstlerberuf gewidmet. Darauf weist neben der be-
trächtlichen Zahl seiner Gönner auch die Tatsache, daß er es
im Alter bereut, nicht in der Jugend bedacht zu haben, daß
man „ze hove leit werdenquot; kann.
Hergêr besaß eine für seine Zeit sicher ungewöhnliche Laien-
bildung: er war mit der Heldensage wie mit der geistlichen
Dichtung seiner Zeit, soweit diese für Laien bestimmt war, ver-
traut. Auch die Kaiserchronik war ihm bekannt, und die Wolfs-
fabeln lassen auf mittelbare Beziehungen zur klösterlichen Ge-
lehrsamkeit schließen. (Vgl. Scherer S. 339 f.)
über Hergêrs künstlerische Begabung lautet das Urteil im all-
gemeinen nicht günstig. „Seinen Sprüchenquot;, sagt Wilmanns'),
'.kommt wenig Originalität zu.quot; Gewiß ist es war, daß er sich
traditioneller Redewendungen, der knappen Formeln, in die von
altersher die überkommene Lebensweisheit gekleidet wurde, be-
diente, aber tat das nicht jeder mittelalterliche Dichter, und
bestand nicht gerade ihre Kunst darin, die alten Mosaiksteine
zu einem neuen überraschenden Ganzen zusammenzufügen?
Scherer a.a.O. S. 287.
ZfdA 48,146. „ich möchte den biographischen Gehalt der Anonymus-
sprüche jetzt geringer anschlagen, als ich das A.D.B. XXXV,140f getan
habe. Das Tantalusgleichnis 29,13, das seine andre Hälfte an Spervogels
Spruch 23,13 hat und das seltsame Gleichnis von dem Baum mit zweiedei
Obst, 29,20, ein Bild, das aus zwei Haufen gepflückten Obstes misver-
standen scheint (H.M.S., 111,42), sprechen in ihrer Unwürklichkeit eher
gegen als für bäuerische Herkunft;quot;.
Wilmanns-Michels, Leben S. 18.
-ocr page 60-Für seine Gelegenheitssprüche, zu denen die Beobachtung von
Menschen und Zuständen sowie seine eigenen Schicksale den
Stoff boten, trifft dieser Vorwurf am wenigsten zu. „Die
Sprüche des Anonymus zeigen ein so starkes persönliches Ele-
ment, wie es in der mhd. Spruchdichtung nicht wieder be-
gegnet,quot; sagt Roethe. Herger besaß eben eine kräftige Indivi-
dualität, daher tritt uns in so vielen Sprüchen von ihm seine
Gestalt leibhaftig entgegen. In dieser Beziehung mutet der
Dichter modern an, auch in der Klarheit des Ausdruckes, über
der man zu vergessen geneigt ist, — ich denke an den Streit
um den Namen Herger — daß der mühsam um das Wort und
mit dem Wort ringende Dichter an die Stilgesetze seiner Zeit
gebunden war. Den Kern der Sache arbeitet er klar und scharf
heraus mit einer gewissen Kargheit in der Ausführung, ohne
Pathos und ohne moralisierenden Ton. Roethe will diese Knapp-
heit auf die kurze Strophenform und auf die Tatsache zurück-
führen, daß die Gleichnisse als allgemein bekannt vorausgesetzt
wurden. Ich glaube aber, daß sich darin der besondere Charak-
ter dieser alten Spruchdichtung offenbart. Das Publikum suchte
in den Sprüchen Belehrung über das Leben, Lebensweisheit,
daher auch die Vorliebe für die in kurze Formeln gefaßte Le-
benserfahrung, die von Person zu Person, von Generation auf
Generation ging. Ein Vorzug war die scharfe Prägung, die
nicht nur, wie bei einer wissenschaftlichen Definition, jede Miß-
deutung ausschloß, sondern auch, besonders wenn der Reim
die Zeilen zu einer abgeschlossenen Einheit zusammenschmie-
dete, dem primitiven Denken die Wahrheit zu verbürgen schien.
Ich erinnere in diesem Zusammenhange an die Beliebtheit jener
Sammlungen von Weisheitssprüchen, wie sie Freidanks Beschei-
denheit darstellt. Es handelt sich hier um die über Jahrhunderte
aufgespeicherte Weisheit der Denker aus dem Volke, um eine
primitive „biologischequot; Wissenschaft. In der Ausführung des
Spruches gelangt die Art und Weise zum Ausdruck, wie das
Publikum sich diese Weisheit zu eigen machte. In dem Spruch
— lehrreich sind in dieser Beziehung 27,34 oder 26,13 — wird
scharf und klar der Einzelfall gegeben, nämlich das eben Er-
lebte und daran das allgemeine Gesetz veranschaulicht. Hatte
das Publikum das eingesehen, so war die Lebensweisheit zu
seinem persönlichen Eigentum geworden. Jedes überflüssige
Wort hätte geschadet. Allerdings kann man auch verstehen
warum Scherer diese Poesie trocken und starr findet. Es hattet
ihr in der Tat eine gewisse nüchterne Kuhle an.
Diese Charakteristik gilt für die Sprüche der II. III und
Pentade, aber, könnte man fragen, auch für die I Pentade und
für Strophe 28,13, die offenbar rein persönliche Interenen des
Dichters behandeln? Ich glaube, vom Standpunkt des Dichters
aus ganz gewiß, denn auch dieser Stoff gehört mit zum vollen
Leben das der Dichter zu schildern hatte. „Der Anonymus,
sagt Ehrismann, „ist überhaupt der naive Mensch, er ist der
Mittelpunkt, um den sich die Dinge drehen, sem Leben ist das
Büd des Lebens überhaupt').quot; Gerade in diesen Spruchen, in
denen der Belehrungszweck nicht so stark hervortritt, pulsiert
bisweilen wärmeres Leben und inniges Gefühl, der ganzen
Eigenart dieser Poesie zum Trotz, wie der Spruch an die
Söhne beweist.nbsp;, i unbsp;a
Der Spruchdichter Hergêr war ein Kenner des Lebens und
der darin waltenden Gesetze, ein „Biologequot;, ein Weiser kern
Moralprediger. Daß er auch, wie Roethe feinsinnig bemerkt, die
geistlichen Sprüche in derselben Weise ausführte, zeugt für die
Kraft seiner Individualität. ....nbsp;j- • y tk.i.
Von der neuen Welle der Christianisierung, die im X. Jhrh.
eingesetzt hatte, wurde auch unser Dichter erfaßt, und er stellte
seine Gaben in den Dienst der christlichen Propaganda. Ob-
wohl er bereits für seine eigene Person mit dem Glauben Ernst
gemacht hatte, hält ihn zum Teil noch die germanisch-heidni-
sche Gedankenwelt in ihrem Bann. Er ist vielleicht durch Un-
gunst der Überlieferung der erste, zugleich aber wie wir ver-
muten dürfen, der letzte deutsche Lyriker, dem diese germani-
sche Welt noch Sache des wirklichen Lebens war. Von dem
sogenannten Volksepos sagt Panzer (das altd. Volksepos): wie
die höfischen Epen die Ideale des neuen Rittertums enthielten,
so war auch das altgermanische Epos ausgesprochene Standes-
poesie quot; Auch die bei Hergêr in dieses Gebiet weisenden Spruche
tragen denselben Charakter; die Heldensage bedeutet für ihn
') Ehrismann a.a.O. S. 7.
-ocr page 62-die höhere vorbildliche Bühne des Lebens, und für den Vortrag
dieser Sprüche war er auf die Höfe angewiesen. So urteilt auch
Steinmeyer AfdA 2,138: „die fünf Gönnerstrophen des Anony-
mus können zwar sehr wohl öfter als einmal vom Verfasser
vorgetragen, von anderen vielleicht nachgesungen sein, aber
doch jedenfalls nur an ritterlichen oder fürstlichen Höfen, nicht
vor einer Volksmasse.quot; Indessen wurden auch die geistlichen
Sprüche dort vorgetragen; darauf weist Str. 29,34, worin neben
der Ehre die Sorge für die Seele empfohlen wird.
Hergêrs Poesie ist an die Höfe gebunden; sie ist höfische
Poesie sowie der Minnesang höfische Poesie war. Wenn Walther
den Schritt von der Minnelyrik zur Spruchdichtung vollzog, so
geht er von der modischen Hofpoesie zur alten Hofpoesie über,
die wir infolge des in ihr hervortretenden germanischen Ele-
ments auch die altnationale Hofpoesie nennen könnten.
Wäre uns die I. Pentade nicht überliefert, so hätten wir uns
der Annahme anschließen dürfen, daß Hergêrs Poesie aus der
geistlichen Dichtung hervorgegangen ist, zumal der altertüm-
lichste Spruch 30,27 Gottes Allmacht schildert. Das intime Ver-
hältnis zu der Heldensage, wie dies in der 1. Pentade zutage
tritt, weist aber auf germanische Wurzeln seiner Poesie.
Diese Pflege der Heldensage ist wohl das ältere Element in
Hergêrs Poesie. Von der germanisch-deutschen Gedankenwelt
hat sich nur das Persönlichkeitsideal erhalten: höchstes Ziel
ist der Glanz, der die Person umstrahlt als geehrtes Mitglied
der mittelalterlichen Gesellschaft, die Ehre, von dem erworben,
der nicht am Gut hängt, mit vollen Händen aus seinem Schatz
spendet und dem hülfsbedürftigen „anständigen Menschenquot;
(dem biderben man) durch Gaben und durch Zuweisung eines
Lehngutes zu helfen bereit ist. Hergêr rühmt an Wernhart, daß
er „niht vor den éren verspartequot; d.h. seinen ganzen Schatz für
die Ehre hingab. Und wie im Volksepos nur der ein wahrer
Held ist, der sich schon in der Wiege durch gewaltige Körper-
kraft auszeichnet, so war Wernhart von Geburt an (25,34.35)
in diesem höchst denkbaren Maße freigebig (26,1).
Wernharts Sitz, Burg Steinberg, konnte nur dem anheimfal-
len, der auf Ehre hielt, der den guten Ruf der Burg wahrte.
Diese Art zu leben und das Haus zu führen, wird auch in zeit-
44
genössischen Werken und im Volksepos als vorbildlich gepriesen.
Für die Kaiserchronik verweise ich bloß auf die Parallelstelle
Kehr 16162 , er gab unde lêch: swes er dem armen verzech daz
ne maht er niender gewinnen').quot; Rol. 7418 „nu gib iz selbe
eineme herren ther thiseme richi gezeme; ther miltichlichen gebe
und niht enspare vor then êrenquot;; Nib. 1310. „die künden und
die geste die hâten einen muot daz si dâ niht sparten deheiner
slahte guot; swes iemen an si gerte, daz gäben si bereit; des
stuont dâ vil der degene von milte blôz âne kleit.quot;
Das den kirchlichen Anschauungen entsprechende Herren-
ideal legt den Nachdruck auf die auf einem stärkeren sozialen
Gefühl beruhenden christlichen Vorschriften der Nächstenliebe
(vgl. Glouve 1680 ff.). Immerhin besteht zwischen dem welt-
lichen und dem kirchlichen Herrenideal ein gewisser Parallelis-
mus, wie auch die weltliche Vorschrift „niht vor der ère sparenquot;
eine' Parallele in der Vorschrift der Kirche findet, was vom
Einkommen übrigbleibt, den Armen zu spenden. Daraus läßt
sich die Formel erklären „geben durch got und durch èrequot;, z.B.
Herzog Ernst 154 „beidiu durch ère und durch got teilte er swaz
er mohte hânquot;. Tiefere Gemüter fühlten sich in schweren Stun-
den von dem Gedanken gequält, daß sie beim Almosenspenden
nur an die Ehre gedacht hätten z.B. in der Upsalaer Sünden-
klage (Waag XIII, 13 „ich gaf min almüsene in rûmquot;).
In kultureller Hinsicht war dieses weltliche Herrenideal wert-
voll: am Hofe, wo der Wirt der liberalitas pflegte, konnte sich
eine freudige Schar sammeln. Hier war die Sorge verbannt, hier
fand der Sänger eine Wirkungsstätte und konnte in seinen
Sprüchen wie in einem Spiegel das Leben zeigen. Hier am Hofe
trug er die Heldensage vor und leitete zu den höchsten Werten
an, die sich im Leben erwerben ließen. Eine solche pädagogische
Aufgabe setzt eine so angesehene Stellung voraus, wie Hergêr
sie auf Steinberg innehatte und der nur der Tod des Gönners
ein Ende bereitete.nbsp;, ,
Der Herrenhof als Zentrum der Kultur ist das lockende Ziel
des Sängers, während das Wandern selbst als ein Unglück
empfunden wird. Kann oder will man ihm am Hofe keinen
') Henrici a.a.O. S, 8.
-ocr page 64-dauernden Aufenthalt mehr gewähren, so sehnt er sich nach
einem eigenen Heim: so geht es Hergêr, so geht es später
Walther.
Es versteht sich, daß diese Lebenshaltung des „niht vor der
êre sparenquot; nur zu einer Zeit als Richtschnur gelten konnte, wo
der adlige Herr über ungemessenen Landbesitz verfügte, in einer
agrarischen Wirtschaftsperiode, in der die Sicherheit der wirt-
schaftlichen Existenz auf dem Ertrag der Felder beruhte und
der Blick nicht weiter als bis zur nächsten Ernte reichte in der
die Überschüsse sich schwer in bare Münze verwandeln ließen
und sich dem Kapital wenig Verwendung darbot. Mit dem
Übergang der agrarischen Wirtschaftsform in die kapitalistische
mußten sich die Anschauungen ändern. Die wirtschaftliche
Expansion vollzog sich nach ökonomischen Gesetzen. Ein neuer
Kampf ums Dasein mußte geführt werden, in dem nicht Ge-
burtsadel und Körperkraft mehr galten, sondern wirtschaftliche
Waffen. Keiner stand den neuen Verhältnissen ratloser gegen-
über als der Spruchdichter, dessen Ideal der adligen Lebens-
haltung der vergangenen Wirtschaftsperiode angehörte. Er be-
griff die Zeit nicht mehr, die sich von den edlen Idealen immer
weiter abwandte. Die Werbekraft der von ihm vertretenen Kul-
tur wurde immer schwächer, seine Existenz war bedroht. Trotz-
dem blieb er von der absoluten Gültigkeit der von ihm verkün-
deten Ideale felsenfest überzeugt. Nach seiner Meinung trugen
die Herren allein die Schuld, die dem alten Ideal untreu ge-
v/orden waren. Diese Zeittendenzen, die den Spruchdichtern des
XIII. Jahrhunderts die verzweifeltsten Klagen entrangen, mach-
ten sich schon um die Mitte des XII. Jahrhunderts bemerkbar.
In diesem Licht muß Hergêrs Klage 27,3 „die hérren sint er-
argetquot; betrachtet werden.
III.
Der jüngere Dichter (Spervogel)
-ocr page 66-J .
« in
? '^SS.Hil
'.rà
-ocr page 67-III - DER JÜNGERE DICHTER (SPERVOGEL)
1. ZUR INTERPRETATION DER SPRÜCHE
a) SPERVOGELS STIL
Der allgemeine unpersönliche Charakter der Spruchpoesie
tritt in der Spervogeldichtung, verglichen mit den Sprüchen
eines Hergêr oder Walther von der Vogelweide in erhöhtem
Maße hervor. Eigennamen, die sonst einem Spruche etwas In-
dividuelles, Erlebnishaftes verleihen, sucht man hier — der
Spervogelname 20,18 steht in einem unechten Spruch — ver-
gebens. Charakteristisch ist in dieser Beziehung für den Sper-
vogelstil, daß das Anredewort „duquot; (ihr) fast garnicht ge-
braucht wird; nur 22,9 und 22,17 steht es in traditionellen Stro-
phenanfängen. An den Stellen, wo der Dichter vermutlich seine
Worte an eine vor ihm stehende Person richtet, gelingt es ihm
nicht aus sich herauszutreten. Es ist gleichsam, als wenn zwi-
schen ihm und der angeredeten Person eine Scheidewand er-
richtet wäre, und was wir vom Dichter hören, sind bestenfalls
Sentenzen unpersönlicher Art. Als Beispiel hierfür verweise
ich auf Str. 22,1, die in einzelne scheinbar unzusammenhängende
kritische Bemerkungen zerfällt. Von den Schlußzeilen dieser
Strophe sagt Ehrismann: „Technisch sind diese letzten Verse
im Verhältnis zum Sinn des Ganzen nur StrophenfüllseP).quot;
Die Interpretation wird ergeben, daß der Dichter sich hier wahr-
scheinlich an den Herrn wendet. Er fühlt sich aber mit seiner
T'ersönlichkeit so gebunden, und er empfindet bei der poeti-
schen Arbeit so vielfache Hemmungen, daß die dichterische
Stimmung einfach nicht zum Durchbruch kommt.
Diese Eigenart des Dichters, die Gebundenheit seiner Per-
sönlichkeit, das Auflösen alles Individuellen im Allgemeinen,
Ehrismann a.a.O. S. 20.
4nbsp;49
Unpersönlichen bildet für die Deutung der Sprüche und ihre
biographische Verwertung die größten Schwierigkeiten. Das
hatte schon Scherer empfunden, dessen Meinung ich mich voll-
kommen anschließe, wenn er a.a.O. S. 289 schreibt: „Noch im-
mer sind die Gedichte wahrscheinlich vorzugsweise Gelegen-
heitspoesie. Aber die Veranlassung läßt sich oft schwer erken-
nen, und manchmal kann man garnicht sagen, ob eine Strophe
überhaupt durch einen bestimmten Anlaß hervorgerufen ist oder
nicht. 24,1 kann ebensowohl ein Spottgedicht auf eine Dame
sein als ein Lobgedicht, und so, wie es sich gibt, ist es weder
das eine noch das andere, sondern eine bloße Gnome. So weiß
man auch mehrfach nicht, ob der Dichter von eigener Erfahrung
ausgeht, oder von einer fremden, der er nur als Zuschauer gegen-
übersteht. Darum sind die Lebensverhältnisse des Dichters und
seine Beziehungen zu Protektoren, die im zweiten Ton so offen
daliegen, so versteckt^).quot;
So originell sich auch die Spervogeldichtung gibt, so ist sie
doch nicht frei von formelhaften Elementen, und wie viele Ge-
danken des Dichters als traditionell anzusehen sind, kann man
an der stattlichen Zahl von Parallelen ersehen, die J. Meier
gesammelt hat. Ob Spervogel einen reicheren Gebrauch von dem
überkommenen Formelschatz gemacht hat als andere Dichter,
mag dahingestellt bleiben. An poetischer Kraft reicht er jeden-
falls nicht an Hergêr heran. Dazu fehlt ihm die Gabe, seine
Erlebnisse unmittelbar auszudrücken. Die dichterische Arbeit
findet bei ihm in der Sphäre des Intellekts statt, als ein dem
Scheine nach leichtes, in Wirklichkeit aber mühsames Spiel des
Geistes. Stimmungen und Gefühle dringen kaum in diese Sphäre
hinein, und der Dichter deutet sie nur gedanklich an. Daher
strömt in Spervogels Sprüchen nicht der warme Hauch des Le-
bens, daher spiegelt sich in ihnen nur schwach das Erlebnis ab,
das sie ins Dasein gerufen hatte.
Für einen so veranlagten Dichter gewinnt das Priamel, dieses
Kind des Witzes, eine besondere Bedeutung. Seine eigentümliche
Form mit einem von vornherein feststehenden Gedankengerüst,
Scherer a.a.O. S. 289.
J. Meier PBB 15,307.
gestaltet die Arbeit des Dichters zu einem mechanischen Spiel,
indem sie ihn der Mühe der Gedankengliederung enthebt. Der
Priameldichter sieht sich vor die Aufgabe gestellt, unter Be-
obachtung dieser festen Anlage, seine scharf formulierten Ge-
danken in dieses Gerüst einzufügen, sie in sinnvolle Beziehung
zueinander zu bringen und zugleich den Sinn des Ganzen her-
vortreten zu lassen. An dem alten Priamel 30,34 läßt sich schon
beobachten, daß der Dichter sich zu diesem Zwecke besonderer
technischer Mittel bedient: Vergleichung und Antithese, Gleich-
lauf und Zeilenarchitektonik werden wirksam verwendet. Die-
selbe Priameltechnik, nur ausgebildet und verfeinert, findet sich
auch bei Spervogel. Es ist für das Verständnis der Spervogel-
dichtung von Wichtigkeit dieser Technik eingehend nachzu-
spüren.
Eine einfache, klare Anlage, die sich dem metrischen Bau der
Strophe vortrefflich anschmiegt, zeigt das Priamel 23,21 auf
dem nicht mit Unrecht Spervogels Nachruhm in der Zimmeri-
schen Chronik beruht. Hier ist es ohne weiteres klar, daß
23,24-28 den Kerngedanken enthält, dem sich die beiden in den
zwei Eingangszeilen enthaltenen Gedanken unterordnen. Wirk-
sam trennt die Zeile 23,23 „daz ich iu sage daz ist warquot; diese
Nebengedanken von dem Kerngedanken und zwar verstärkt sie
einerseits den Eindruck, daß diese Nebengedanken als ein Paar
zusammengehören, während sie andererseits mit Nachdruck auf
den Wert des folgenden Kerngedankens hinweist. Diesen realen
Kerngedanken sollen nun die Nebengedanken deutlicher hervor-
treten lassen. Sie beleuchten einmal die Handlungsweise des Man-
nes, der, ohne an sich selber zu denken, nur seiner Frau viele
Schöne Kleider kauft, und stellen dann beide die sich ergeben-
den schlimmen Folgen in Aussicht. Ihr realer Wert besteht dar-
in, daß sie dem Kerngedanken anschaulich zum Ausdruck ge-
brachte, in Wahrheit aber abstrakte Züge beifügen: wer so han-
delt wie der Mann dieser Frau, handelt zugleich wie ein Mann
23,21 und wie einer in 23,22; er handelt unklug und fahr-
lässig. Wir haben hier also einen Kerngedanken und dienende
Glieder; man könnte diesen Priamelstil nicht treffender als mit
dem Worte „gradualistischquot; bezeichnen.
Betrachten wir das schwierige Priamel 22,25. Es enthält wie
-ocr page 70-Roethe^) und Euling^) meinen, „eine Häufung von Vorschrif-
tenquot;, weil deren innerer Zusammenhang sich nicht entdecken
ließ. Tieferes Verständnis bekundet Ehrismanns Deutung:
„Wan sol den mantel kéren als daz weter gätquot; hat hier nicht
den utilaristischen Sinn, seine Gesinnung wechseln je nach dem
Profit, sondern bedeutet, sich einrichten nach den Verhältnis-
sen und deren Wandel, sich in das Schicksal fügen wie Vers 26:
man soll die Dinge nehmen wie sie sind. Daraus ergibt sich die
Mahnung zum Maßhalten v. 27 f., im Geist der stoischen
axaga^ia. In V. 29-32 kann zugleich eine Warnung für die
Mächtigen und Beglückten liegen.
Volle Befriedigung empfinden wir allerdings auch bei dieser
Erklärung nicht. Wenn wir aber gradualistischen Stil anneh-
men, so dürfte alles klar werden: um den Kerngedanken v. 27 f.
gruppieren sich die dienenden Glieder voraufgehend v. 25 f.,
folgend V. 29-32; dieser Kerngedanke setzt sich aus zwei Lehren,
die, wie ein Ganzes aus zwei Hälften, gegensätzlich verbunden
sind, zusammen. Inhaltlich stimmt nun v. 27 als Lehre für un-
angenehme Lebensumstände zu den beiden voraufgehenden
Exempeln, die durch Gleichlauf (innere Anapher) zu einem Paar
vereint sind und v. 28 kann nun nicht anders als zu den beiden
folgenden trüben Lebenserfahrungen gehören. Offenbar hält der
Dichter sich in Bezug auf die Mittel zur Herausarbeitung des
Gedankenschemas an das Prinzip der Sparsamkeit. Diese An-
lage wird noch durch Zeilenarchitektonik unterstrichen, sodaß
unserem Priamel also folgendes Schema zugrunde liegt:
[a Wan sol den mantel kéren als daz weter gät.
|a' ein frumer man der habe sin dinc als ez da stät.
A Isins leides si er niht ze dol,
B jsin liep er schöne haben sol.
b ést hiute min, morne din:
so teilet man die huoben.
b' vil dicke er selbe drinne lit,
der dem andern grebt die gruoben.
Roethe, Reinmar von Zweter S. 245.
K. Euling, das Priamel S. 465.
Die Interpretation muß demnach etwa lauten: man handle
klug (wie nach der Lehre a) und handle zugleich mannhaft (wie
nach der Lehre a') und sei daher in Bezug auf das, was emem
Leid verursacht, nicht zu unsinnig. Dabei sei man aber gegen-
über dem, was Freude bereitet, maßvoll, denn Besitz (b) und
Machtstellung (b') gehören bald dem einen bald dem andern.
Ein ähnliches Gedankenschema läßt sich für 21,13 annehmen.
21,13 Swer einen friunt wil suochen dâ er sin niht enhät
und vert ze walde spüren so der snê zergât
und koufet ungeschouwet vil
und haltet gar verlorniu spil
und dienet einem bœsen man,
dâ ez âne lôn belîbet,
dem wirt wol afterriuwe kunt
ob erz die lenge tribet.
(ich lese 21,16 statt „gerne gar,
das durch t gestützt wird.)
Wenn man hoffnungsvoll und mit Aufbietung aller Kräfte,
jedoch ohne die nötige Weltkenntnis einem lockenden Ziel nach-
gestrebt hat, das sich bei näherer Betrachtung als ein Trugbild
erweist, so wird man sich bittere Vorwürfe wegen der aufge-
wandten Mühe und Zeit machen, sowie Reue über die unbe-
sonnene Handlungsweise empfinden: ein traditionelles Motiv,
wie das alte Priamel zeigt:
tiefe furt truobe
und schœniu wiphuore
swem dä wirt ze gâch
den gerüwitz sä.
Ein derartiger Vierzeiler wird auch Spervögel vorgelegen
haben.
Es werden bei ihm fünf Situationen geschildert, m denen am
Ende Reue empfunden wird. Den Kerngedanken birgt die zweite
Hälfte der Strophe; die erste Hälfte enthält die dienenden Glie-
der, die paarweise zusammengehören und vom Dichter durch
Parallelismus in der Satzkonstruktion als Zwillingspaare be-
zeichnet werden. Beim ersten Paar geht man suchend und spü-
rend dahin mit einem bestimmten Ort vor Augen, an dem man
das Gesuchte, Gespürte zu seiner Enttäuschung nicht findet;
beim zweiten sieht man sich in der Hoffnung betrogen Mate-
rielles vom Partner zu bekommen, und zwar geschieht dies zu
wiederholten Malen („vilquot; = oft; die Mehrzahl „verlorniu spilquot;).
Soweit reichen die klaren Hinweise. Wozu nun diese Gruppie-
rung? Vergleichen wir das soeben besprochene Priamel 22,25,
so läßt sich vermuten, daß es sich auch hier bei der fünften
Situation um eine Zweiteilung handelt: das erste Paar gehört
wohl zu v. 21,17, das zweite zu v. 21,18.
Wir hätten also das folgende Schema:
Ianbsp;Swer einen friunt wil suochen dâ er sin niht enhät
a'nbsp;und vert ze walde spüren so der snê zergât
fbnbsp;und koufet ungeschouwet vil
Ht
(b' und haltet gar verlorniu spil
■ A 1 und dienet einem bœsen man,
B |dâ ez âne lôn belîbet,
dem wirt wol afterriuwe kunt
ob erz die lenge tribet.
Es handelt sich vielleicht ausnahmslos um konventionelle
Bilder; Parallelstellen aus der derzeitigen Literatur können oft
über den Sinn dieser symbolhaften Sprache aufklären, wo sie
aber fehlen, sind wir auf bloße Vermutungen angewiesen. So
will der Dichter mit dem Wort Freund (22,13) wohl den Begriff
Treue wecken : Freund und Treue gehören zusammen (vgl. Erec
4548 f., Winsbeke Str. 36 Spervogel 24,9 f.), ebenso stehen
auch Herr und Diener in einem Freundschaftsverhältnis, denn
der Herr wird geradezu als „friuntquot; bezeichnet.
Wer einem „bœsenquot; Mann dient, dem ergeht es wie einem,
der einen Freund dort suchen will, wo er ihn nicht hat. Er hätte
sich also erst überlegen sollen, ob der Freund (die Treue) am
Ort anwesend ist. Dabei handelt der Betreffende ohne kluge
Umsicht wie jemand, der die Fährte des Wildes im Schnee ver-
folgen will, ohne auf die Witterung zu achten. Mit Rücksicht
auf das Ausbleiben der Belohnung, wenn das Dienstverhältnis
längere Zeit dauert, ergeht es ihm, der immerfort seine Dienste
leistet, wie einem, der immer „ungeschouwetquot; kaufend um das
54
Erkaufte betrogen wird, und wie einem Spieler, der immer wie-
der den Einsatz wagt, obwohl die Möglichkeit zu gewinnen von
vornherein ausgeschlossen ist.nbsp;_
Wem diese Deutung einleuchtet, wird zugeben müssen, daß
der Dichter auf überraschende Weise die verwandten Situatio-
nen zusammengesucht und zu einem Gedankenkomplex vereint
hat indem er die traurige Situation eines Dieners schildert, der
einem treulosen kargen Herrn längere Zeit dient und bittere
Reue darüber empfindet, daß er sich vorher nicht eines Bes-
seren besonnen hat.
In dem auch in der Überlieferung sich anschließenden Spruch
21,21 enthält die erste Hälfte nach Eulings Einteilung ein vier-
zeiliges analytisches Priamel.
21,21 Swer lange dienet dâ man dienstes niht verstât,
und einen ungetriuwen miteslüzzel hât,
und einen valschen nâchgebûr,
dem wirt sin spise harte sûr.
Ob er sich wil also betragen
dêr arman niht verdirbet,
daz muoz von gotes helfe komen,
wan er mit triuwen wirbet.
Zu welch irriger Deutung man gelangt, wenn man die Glieder
des Priamels als real gemeint auffaßt, ist aus Schönbachs Inter-
pretation zu ersehen: „Jedenfalls bezieht sich der ganze Spruch...
auf den Inhaber eines Verwaltungspostens, einen Schatzmeister,
auf die Finanzgebahrung bei einem großen Herrn. Der versteht
sich nicht auf das Geschäft (V. 21), der Verwalter hat einen
untreuen Mitschließer bei einer fürstlichen Kasse, überdies lebt
er neben einem betrügerischen Nachbar, und so muß ihm seine
spise sauer werden, d.h. die Nahrung seines Amtes, das Ein-
kommen davon allzu kärglich...quot; Diese Deutung wurde von
Vogt M mit Recht abgelehnt.
Der Sinn dieses Priamels läßt sich nur dann erfassen, wenn
wir bedenken, daß der Dichter die Glieder desselben graduahs-
tisch ordnet und selber auf das Gedankenschema aufmerksam
Vogt, MF Anm. zu 21,28.
-ocr page 74-gemacht hat, indem er durch abweichende Satzkonstruktion die
erste Zeile von den folgenden abhebt. Nur die erste Zeile ist
real gemeint, während die folgenden zwei die in der ersten Zeile
geschilderte Lage des Dieners beleuchten sollen.
Es gibt in diesem Spruch mehrere dunkle Stellen : zunächst in
der ersten Zeile „dä man dienstes niht verstätquot;, was von Vogt
mit Rücksicht auf die bekannte Parallelstelle bei Reinmar
MF 172,30 mit „wo man Dienst nicht zu würdigen weißquot; über-
setzt wird. Auch könnte man vielleicht „dienstquot; als Diener auf-
fassen und „verstänquot; in der (abgeschwächten) alten Bedeutung:
vor Gericht vertreten. Der Sinn wäre dann „wo man die Rechte
des Dieners nicht vertrittquot; oder „wo man den Diener nicht zu
seinem Rechte gelangen läßtquot;. Für die folgenden Zeilen ver-
weist Meier auf eine merkwürdige Parallelstelle in Tristan
15051 f. „ich spriche daz wol überlüt daz deheiner slahte nez-
zelkrüt nie wart so bitter und so sûr also der sûre nâchgebûr,
noch nie angest also grôz also der valsche hûsgenôz.quot; Hier fin-
den wir dieselben Elemente wie bei Spervögel: der sûre nâch-
gebûr — der valsche nachgebür, der valsche hûsgenôz — der
ungetriuwe miteslüzzel. Das sonst nicht belegte miteslüzzel wird
von Meier als „gemeinsamer Schlüsselquot; erklärt. Man kann sich
die beiden Personen, die einen gemeinsamen Schlüssel besitzen,
als Standesgenossen denken, denen in der Burg eine gemein-
same Truhe zur Aufbewahrung ihrer Habe überlassen wurde.
Es ergibt sich nun als Interpretation: Wer lange dient, wo
der Diener nicht zur Geltung gelangt, dem ergeht es wie einem,
der von einem Hausgenossen bestohlen wird — er kommt näm-
lich immer wieder um seine Belohnung, zugleich aber ergeht
es ihm wie einem, der von der Seite eines Nachbars, von dem
er doch Treue hätte erwarten dürfen, immer aufs neue Treu-
losigkeiten erduldet. Daß dieselben Elemente des vorhergehen-
den Priamels v. 21,17 der „bœsequot; Herr und v. 21,18 das Aus-
bleiben des Lohnes hier wiederkehren, obwohl in umgekehrter
Folge, bestätigt die Richtigkeit unseres Gedankenschemas in
jenem Priamel. Wer sich in einer solchen Situation befindet,
so lehrt der Spruch weiter, dem wird das Leben vergällt. Soll
J. Meier PBB 15,317.
-ocr page 75-der „armanquot; (Diener; armer unglücklicher Mensch) nicht zu-
grunde gehen, so hängt das allein von Gott ab, denn er selber,
der treue Dienste geleistet hat, vermag weiter nichts mehr zu
tun. Spervogel benutzt hier ein altes Vierzeilerpriamel, dem er
eine wohl traditionelle pessimistische Äußerung wirkungsvoll
anhängt. Gewöhnlich schließt diese Äußerung mit der Zeile,
in der das fatalistisch gemeinte „muozquot; steht (vgl. des muoz
gelucke walten Freid. 148,4-11 und Bezzenbergers Anm.). Es
scheint mir, daß Schönbach, der den Schlußvers 21,28 als Be-
gründung des Anspruchs auf Gottes Hilfe auffaßt, damit zu-
gleich von dem an solchen Stellen traditionellen Sinn der Wen-
dung mit „muozquot; abweicht. Beide Priameln gehören zusammen,
und die Situation des Dieners im 2. Priamel weist auf ein wei-
teres Stadium des Dienstverhältnisses. War der Diener im 1.
Priamel enttäuscht und empfand er „afterriuwequot;, so ist jetzt,
da er „lange dienetquot;, seine Lage unerträglich geworden.
20,9
Den Text dieser Strophe haben A und C, also wohl schon
die Vorlage AC, bis zur Unverständlichkeit entstellt; nur J
bietet meines Erachtens die ursprüngliche Fassung.
Hss.AundC. Wan sol die iungen hunde (hunden C) lazen
zuo dem bern
und den roten (iungen C) habech zem (zeim A)
reiger welle ers gern
und elliu ros zurstun slahen
mit linden wazzern hende twahen
mit rehtem (rehte C) herzen (truwen A)
minnen got
und al die werlt wol eren
und neme ze wisem manne rat
und volge ouch siner lere.
Hs. J. Unmere hunde sol man schupfen zuo dem beren.
und roten habich werfen zuo dem reiger tar ers geren
Altez ros zuo der stuote slan
mit linden wazzer hende twan
Von herzen sol man minnen got.
Die werlt ein teil um ere.
wisen man den sol man willich haben
und volgen siner lere.
-ocr page 76-Bartsch und Schönbach schlössen sich im großen und ganzen
dem Text von AG an, ebenso Vogt, nur liest dieser die ersten
zwei Zeilen nach J, weil er meint, daß J hier das unentbehrliche,
auch von Bartsch aufgenommene „werfenquot; biete. Vogt gibt
daher in MF folgenden Text:
Unmsere hunde sol man schüpfen zuo dem bern,
und röten habech zem reiger werfen, tar ers gern,
und altiu ros zer stuote slahen,
mit linden wazzern hende twahen,
mit rehtem herzen minnen got,
und al die werlt wol éren,
und neme ze wisem manne rät,
und volge ouch siner lêre.
Ich lese nach der Handschrift J; nur hat diese die ursprüng-
liche Lesart „jungequot; AG mit „unmaerequot; verdeutlicht, freilich
damit zugleich den Schlüssel zum Verständnis der Strophe
geliefert. Metrisch stimmt die 2. Zeile nach J nicht ganz, man
braucht aber nur „werfenquot; hinter „reigerquot; zu setzen; auch die
vorletzte Zeile fällt in metrischer Hinsicht auf (vgl. dazu die
Bemerkung auf S. 156). Was die Priorität der 5. und 6. Zeile
betrifft, siehe unten S. 77. Nur der J-Text bietet sowohl die sym-
metrische Gedankengliederung, als auch das in der ganzen
Strophe durchgeführte „solquot;.
Dieser Achtzeiler ist als ein verdoppelter antithetischer Vier-
zeiler zu betrachten. Um von der Anlage eines solchen Priamels
eine Vorstellung zu gewinnen, gehen wir am besten von einem
einfachen Antithesen-Priamel aus.
a Alte Leute krauen sich,
b zornige Leute hauen sich;
B weise Leute besinnen sich,
A junge Leute minnen sich.
K. Euling, das Priamel S. 226.
Hier bilden a und A einen Gegensatz (alte Leute-junge Leute,
sich krauen-sich minnen); ebenso b und B (zornige Leute-weise
Leute, sich hauen-sich besinnen); auch enthält die erste Hälfte
nur Schlimmes und bildet daher schon an sich einen Gegensatz
zu der zweiten Hälfte, die nur Gutes bietet. Stellen wir uns
nun vor, daß wir statt a, b, B, A die Zeilenfolge a, b, A, B hät-
ten und jede Zeile verdoppelt würde, so hätten wir das Schema
des Spervogelspruches.
[a Junge hunde sol man schüpfen zuo dem beren
[a' und róten habich zem reiger werfen, tar ers geren,
Ib altez ros zer stuote slahen,
b' mit lindem wazzer hende twahen.
A Von herzen sol man minnen got
A' die werlt ein teil um êre;
B wisen man den sol man willich haben
B' und volgen siner lêre.
Inwieweit der Dichter uns selber auf diese Anlage hinweist,
läßt sich daraus erkennen, daß a und a' zweifach miteinander
verknüpft sind: durch „undquot; und das gemeinsame Verb, ebenso
B und B' durch „undquot; und die Beziehung zwischen „sinerquot; und
„wisen manquot;. Weiter bemerke man, daß das nur einmal ge-
brauchte „solquot; in der 1. Zeile sich auf die ganze erste Hälfte
des Spruches erstreckt, wodurch diese als ein Ganzes gekenn-
zeichnet wird. A und A' haben ein gemeinsames Verb, nur b
und b' sind ohne äußere Bindung, aber die Ausnahme ist nur
eine scheinbare: in der Umgebung der gebundenen Zeilen stel-
len sie sich von selbst als ein Paar zusammen. (Inhaltlich ge-
hören sie zusammen wie sich aus der Interpretation ergeben
^ird.)nbsp;. . ,
In diesem Priamel finden wir dieselben antithetischen Ver-
hältnisse nur muß man bedenken, daß es sich um Gegensatze
in poetischem Sinne handelt. Der Reiz des Priamels beruht eben
darauf, daß der Dichter Beispiele aus den verschiedensten Le-
bensgebieten heranzieht, um sie zu vergleichen oder in einen
Gegensatz zu stellen.
a, a' - A, A'
Junge Hunde sind einem gleichgültig (unmsere J), der rote
59
-ocr page 78-Habicht hat nur geringen Wert (vgl. Anm. MF zu 29,9). Was
einem gleichgültig ist, und was nur geringen Wert hat, soll man
ruhig fahren lassen; dem soll man seine Liebe nicht zuwenden,
von Herzen aber soll man Gott, das Allgeliebte und die so
wertvolle „wertlich èrequot; lieben.
b, b' - B, B'
Wenn Spervogel hier das Wort „stuotquot; gebraucht, denkt er
an den Ort, wo sich die Pferde befinden, die nicht zur Arbeit
verwendet werden (vgl. Craon 1000 „diu ros liefen tere als ez
ein stuot waerequot;. Wig. 485 „diu ros liefen ledic dâ als ein stuot
waer üz geslagenquot;). Spervogel meint: ein altes Roß soll man
nicht zur Arbeit heranziehen, wohl aber den „wisen manquot;, den
soll man sich (zu Diensten) geneigt machen, (zu „willich ha-
benquot; vgl. Rol. B. 1696 „er habe willich sine manquot;, Lehrg. K. T.
„habe willec dîne manquot;, Freid. 121,16 vil laster in vergât, der
sine gebüren willic hât).
„mit lindem wazzer hende twân.quot; Nehmen wir das Wort linde
in der Bedeutung „was sich weich anfühltquot; : solches Wasser wäre
laues, abgestandenes Wasser, stehendes Wasser in Tümpeln
usw. Weshalb aber sollte man solches Wasser zum Hände-
waschen bevorzugen? Eine frische Quelle, ein schnell fließender
Bach werden in der Literatur rühmlich erwähnt. Das faule
„lindequot; Wasser kann schädliche Keime enthalten; daher soll
man es nicht zum Trinken benutzen, sondern höchstens zum
Waschen der Hände. Taugt das „lindequot; Wasser nicht, die Lehre
des „wisenquot; Mannes ist in hohem Maße tauglich, ihr soll man
folgen.
Wie man sieht, enthüllt sich dieses Priamel als ein kunstvol-
les, äußerlich wie innerlich symmetrisch gegliedertes Gebilde.
Die Adjektiva „junge, röten, altez, lindemquot; machen die an sich
wertvollen Substantiva „hunde, habich, ros, wazzerquot; wertlos;
jedes dieser Adjektiva erweckt eine abstrakte Vorstellung, ein
Werturteil (daher gehört „unmsrequot; J nicht in den Text). Im
Gegensatz zu der zweiten Hälfte enthält die erste nur Wertloses,
Irreales. Sie ist der zweiten untergeordnet und bildet gleichsam
den schwarzen Hintergrund, von dem uns die Juwelen in der
zweiten Hälfte umso heller entgegenfunkeln.
Obwohl Spervogel sich meistens an bestehende Priameln an-
-ocr page 79-lehnt und dabei gewönlich den Vierzeiler zum Achtzeiler er-
weitert ist jedes Priamel, wie aus den Interpretationen her-
vorging nach einem eigenen Schema gebaut. Als Priameldich-
ter besitzt Spervogel also eine gewisse Originalität Auf diesem
Gebiet hatte ihm der Dichter des alten Priamels 30,34 den Weg
gewiesen, wie auch der Spervogelton sich als eine Weiterbildung
der Strophenform dieses alten Spruches betrachten laßt^).
b) BEZIEHUNGEN ZWISCHEN SPERVOGEL UND DEM
WINSBEKEN
Daß die Spervogeldichtung in einigen Sprüchen dem Stoff-
kreis des Winsbeken nahesteht, haben sowohl Schönbach wie
Ehrismann dargelegt. Eine methodische Untersuchung dieser
Frage kann Anhaltspunkte für die Datierung der Spruche er-
geben und deren Verständnis fördern.nbsp;,,nbsp;T^
Nehmen wir zuerst 22,17. Mit Recht lehnt Vogt^') die Deu-
tung die Jellinek auf Sievers Anregung gab, ab. Jellinek sel-
ber waren schon ernste Bedenken gegen das vermeintliche Spiel
von hüs, man, wirt gekommen: „nach den Wörterbuchern kom-
men hüswirt und hüsman nicht eben häufig vor.quot;
Richtiger urteilte unter Verweisung auf den Winsbeken Ehris-
mann: „Die andere Strophe 22,17 spricht von dem Wirte allein,
es ist ein Preis des pflichtgetreuen Hausherrn, der das Recht im
Hause wahrt.quot;nbsp;,
Sicher besingt kein Dichter das Lob des Wirtes, der die
Hausehre wahrt, in so feierlichen Tönen wie der Wmsbeke. Von
den fünf Strophen (von 47 an), in denen er über die hüsere han-
delt, ist Strophe 50 für unseren Spervogelspruch von besonderer
Bedeutung; hier lauten die ersten 6 Zeilen:
sun, swer mit fügenden hüses pfliget
der nimt an werdekeit niht abe,
und also mit der mäze^ wiget,
daz im gevallen mac sin habe,
und krüche der an einem stabe,
got und der werlte waere er wert.
Scherer S. 286.
') Vogt, MF Anm. zu 22,17.
PBB 38,56.
-ocr page 80-(Sohn, wer mit Tugenden dem Hause vorsteht und so nach dem
Pnnzip der mäze die Ausgaben abzuwiegen versteht, daß die
Emnahmen ihnen entsprechen, der nimmt an Ansehen nicht ab •
und kröche er an einem Stabe (hier ist der Stab des Alters
gemeint), dennoch wäre er vor Gott und Menschen ein ange-
sehener Mann.)')
In dem Spervogelspruch finden wir ähnliche Gedanken wie
beim Winsbeken. Wir stellen sie hier untereinander
Winsbeke: sun, swer mit tugenden hüses pfliget
der nimt an werdekeit niht abe
Spervogel: so wol dir wirt, wie wol du doch dem hüse zimest
an dem worte niemer me dü abe genimest
(gemeinsamer Gedanke: der gute Wirt behält immer Ansehen).
Ehrisman sagt a.a.O. S. 20 „in der Wendung an dem Worte
memer me du abe genimest Spervogel 22,18 und der nimt an wer-
dekeit niht abe Winsbeke 50,2 stimmen beide Dichtungen wört-
lich iiberein.
Winsbeke: und also mit der mäze wiget
daz im gevallen mac sin habe
Spervogel: der wirt der kan des hüses reht
wol mezzen nach der snüere
(in beiden Fällen weiß der Wirt die Ausgaben richtig abzumessen,
und in beiden Fällen werden hierfür technische Ausdrücke ver-
wendet wie: „wigetquot; und „mezzen nach der snüere.quot;)
Winsbeke: und krüche der an einem stabe
got und der werlte w£ere er wert
Spervogel: swie kleine man gebresten hat
wol doch der wirt dem hüse stät
(trotz der unansehnlichen körperlichen Erscheinung steht der
Mann als Wirt in Ehren da.)
Betrachten wir jetzt den Spervogelspruch etwas näher: 22,18
steht „wortquot; m der Bedeutung Ruf wie z.B. Winsbeke 48,7 „min
') Vgl. ZfdA 68,129.
62
umbeszezen wizzen wol, wie dó min wort in éren lacquot;; zu
22,19 f.: Erec 2101 findet sich ein ähnlicher Gedanke; von dem
Zwergkönig Bilêi heißt es hier: „swes im an wahsene gebrast,
daz het der wênige gast vol an dem muote.quot; Bech übersetzt:
„was ihm seinem Wüchse, seiner Körpergröße nach fehlte, das
besaß der kleine Gast in vollem Maße seinem inneren Gehalt
nach.quot; Erec „gebrastquot; „der wênige gastquot; stimmen zu Spervo-
gel „gebresten hat und „kleine man.quot;
22,21 f. Das Haus darf hinsichtlich der Ausgaben das bean-
spruchen, was die Habe leisten kann; wird mehr ausgegeben,
so muß man borgen, wird weniger ausgegeben, so behält man
übrig, und beides ist vom Übel (vgl. a. Heinrich 66 er was der
niilte ein glichiu wäge: im enwart über noch gebrast.) Der Wirt
hat für das rechte Maß zu sorgen.
22,23 f. Scherer meint „Mit 22,17 konnte er etwa einen nach
Hause zurükkehrenden Besitzer begrüßenquot; (vgl. auch Vogt MF
Anm. zu 22,17); er verkennt hier offenbar den Wert der Schluß-
Pointe, die wie auch an anderen Stellen bloß den Zweck hat,
die Richtigkeit des Hauptgedankens in überraschender Weise
zu beleuchten. Eine solche antithetische Schlußpointe gehört zum
Stilcharakter des Winsbeken. Der Dichter fragt hier: Wozu
taugte ein führerloses Heer, das ohne Gewalthaber einherginge?
Wozu taugte also ein Haus ohne Wirt?
Es ergibt sich demnach als Interpretation: Heil dir Wirt, wie
schön paßt du doch zum Haus! Solange du in diesem Ruf
stehst, nimmt dein Ansehen nicht ab. Trotz körperlicher Un-
yollkommenheit steht der Wirt in dem Hause als eine herr-
liche Erscheinung da. Der Wirt versteht es genau das abzu-
messen, was dem Hause gebührt. Wozu taugte ein führerloses
Heer ohne Gewalthaber?
Demselben Gedankenkreis gehört auch Str. 25,5 an, worin das
Thema von Wirt und Gast, jedoch anders als sonst bei den
Fahrenden (Hergêr oder Walther) behandelt wird. Dieser Spruch
ist nicht aus den Lebenserfahrungen des wandernden Sängers
hervorgegangen; der Dichter tritt hier als Berater des Herrn
^uf, der sich durch richtigen Empfang der Gäste Lob erwerben
Soll. Wie Schönbach zieht auch Ehrismann Strophe 49 des Wins-
beken zum Vergleich heran, meint aber: „überhaupt spricht
Spervogel nur von der Gastfreundschaft im allgemeinen, wäh-
rend der Winsbeke offenbar speziell einen dürftige Wanderer
im Auge hat.quot;').
Beide Strophen stimmen meines Erachtens im wesentlichen
überein.
Winsbeke 49:
Sun, swer das hûs haben wil,
der muoz driu dinc ze stiure hân,
guot, milte, zuht, so lit sin spil.
ist er dâ bi ein vrcelich man
derz wol den liuten bieten kan
so tuot sin brôt dem nemenden wol
und lâchent beide ein ander an.^
sun, sint dir niht die tugende bî,
so mac der gast wol riten vür,
swie gar er naz und müede si.
Spervogel 25,5:
Der guote gruoz der vreut den gast swenn er in gät,
vil wol dem wirte daz in sinem hüse stät
daz er mit zühten wese vrô
und bietez sinem gaste so
daz in der wille dünke guot
den er gegen im kêret,
mit lihter kost er dienet^ lop
swer fremden man wol êret.
Es hat den Anschein, als wenn die Anfangszeile bei Spervogel
sich an die vorletzte Zeile der Winsbekestrophe anlehnt; man
beachte, wie lose diese Zeile in der Spervogelstrophe mit den
folgenden zusammenhängt. In beiden Strophen handelt es sich
um die bekannte Haltung der vornehmen Gesellschaft, die Sper-
vogel mit der traditionellen Wendung „mit zühten vrôquot; bezeich-
net. Spervogel 25,8 klingt im Wortlaut an Winsbeke 49,5 an,
und die folgenden zwei Zeilen bei Spervogel sind als eine wei-
tere Ausführung des „wolquot; in 49,5 anzusehen. Nur die Schluß-
Ehrismann a.a.O. S. 20.
-ocr page 83-pointe weicht ab. Während der Winsbeke die Richtigkeit seiner
Lehre dadurch beleuchtet, daß er schildert, wie es sein wurde,
wenn dem Wirt diese Haltung fehlte, faßt Spervogel die Ten-
denz der Strophe in kurze, scharfe Worte zusammen. Beachtung
verdient aber, daß auch der Winsbeke nicht von^ einer reich-
lichen Bewirtung spricht, sondern nur von dem „brötquot;, das eben
durch die höfische Haltung des Wirtes zum herrlichen Mahle
wird. Und wenn der Winsbeke von dem Gaste sagt „er mac wol
rîten vürquot;, so handelt es sich dabei wohl nicht um einen „dürf-
tigen Wandererquot;.
Auch 24,33 kommt hier in Betracht. Diese Strophe beleuch-
tet die Stellung des Spruchdichters seinem Herrn gegenüber. Wir
begegnen hier der so oft angestimmten Klage, daß der treue Rat
auf den anderen keinen Eindruck macht. Es ist ein traditionelles
Motiv, in welchem die gleichen Redewendungen oft wieder-
kehren'- so heißt es in der etwa um 1150 verfaßten Bußpredigt
„die Wahrheitquot; (Ehrismann Gesch. der d. L. 11,1,194) Waag kl.
Ged. Xl,70: „swer dumben herfet, der flûsit sin arebeit: swer
SÔ winch'et dem plinten, der verliuset sine stunde.quot; In fast kei-
nem Spervogelspruch tritt des Dichters Abhängigkeit, was Mo-
tive und Sprache betrifft, so stark zutage. Vogt vermutet'),
daß diesem Spruch die analoge Sentenz bei Freidanc 54,6 zu-
grunde liegt: „swer tugent hât derst wolgeborn: ân tugent ist
adel gar verlornquot;, aber es läßt sich auch, wie mir scheint, an
Winsbeke 28,5 denken: der tagende hât derst wol geborn: ver-
lorn. Für 24,34 mache ich auf eine Parallele im Münchner Oswalt
18,12 aufmerksam:
dâvon ist er komen in arbeit;
daz hän ich im allez vorgeseit;
ich sagete dem vursten hochgeborn,
quaeme er âne mich hinüber,
sin arbeit waere gar verlorn.
Man vergleiche hier: Spervogel wolgeborn; swaz man dem
0 Vogt, MF Anm. zu 24,33.
5nbsp;65
bcesen imrgeseit, deist gar verlorn. Auch neben diesen Spervo-
gelspruch läßt sich eine Winsbekestrophe stellen.
Winsbeke 35:
Sun swer sich selber éren wil
der nimt getriuwes rätes war;
man vliuset guoter raete vil
an einem herzen tugende bar.
swer dienet und ratet dar
da manz ze guote niht vervat
der vliuset sine wile gar.
swaz vriunde vriunt geraten mac,
er enwelle selbe stiuren sich
ez ist in einen bach ein slac.
Spervogel 24,33:
Swer guote witze hat der ist yil wol geborn,
swaz man dem boesen vürgeseit, deist gar verlorn;
man tuot im ie den besten rät
wie selten er daz für guot enpfät!
ern welle allen sinen sin
an ganze tugende kéren
so mohte man ein wilden bern
noch sanfter harfen léren.
In beiden Strophen stimmt der Gedankengang überein: das
Urteil, daß beim Tugendlosen der Rat unnütz ist, findet sich
Winsb. 35,3 f. man vliuset guoter raete vil an einem herben tu-
gende har, und Sperv. 24,34 waz man dem bcesen vürgeseit, deist
gar verlorn'^).
Dann das Verweilen bei diesem Gedanken:
Winsb. 35,5 f. swer dienet unde ratet dar, da manz ze danke
niht vervat. (Var. nit für guot Hs. K. enpfdt C), der vliuset
sine wile gar.
Und Sperv. 34,35 man tuot im ie den besten rat, wie selten
er daz für guot enpfät.
boese (24,34) hat hier also nicht, wie Ehrismann a.a.O. S. 15 meint,
die ursprüngliche Bedeutung von untüchtig, unnütz, nichts wert, wertlos.
Und endlich der Schluß, der auch bei Spervogel einen anti-
thetischen Charakter trägt, freilich vergröbert ihn Spervogel ms
Komische:
Winsbeke: Swaz vriunde vriunt gerâten mac, er enwelle selbe
stiuren sich, ez ist in einen bach ein slac, und Spervogel : ern -mile
allen sînen sin an ganze tugende kéren, so mohte man ein wilden
bern noch sanfter harfen léren. Für die Priorität der Winsbeke-
strophe spricht die einfachere Fassung des Schlußverses.
Vogt (MF Anm. zu 24,33) und Ehrismann nehmen an, daß
dieser Spruch an das Thema des vorhergehenden (24,25) an-
knüpft. Man bedenke aber, daß die Anordnung der beiden
Sprüche nicht aus der Hs. J. stammt, sondern von dem Heraus-
geber von MF selber herrührt. Ich glaube, daß es sich in 24,33
um die traditionelle Spruchdichterklage handelt, wonach das
Herrenideal, das dem Spruchdichter vor Augen steht, und das
er dem Herrn empfiehlt, bei diesem wenig Verständnis findet:
es geht um den Begriff der „êrequot; und die zur Erlangung dieser
„êrequot; erforderlichen Tugenden triuwe, milte, zuht (vgl.
21,31-34).
Aus obigen Ausführungen ergibt sich, daß der Wmsbeke und
Spervogel literarische Berührungen aufweisen, und zwar stand
Spervogel unter dem Einfluß des Winsbekegedichtes, wie er auch
die Gepflogenheit des Winsbeken, den Kerngedanken durch anti-
thetischen Schluß zu unterstreichen, geschickt nachzunahmen
wußte.
c) DIE STROPHENGRUPPE 1-11 AC (MF 20,1-22,24)
Strophe
Swer in fremeden landen vil der tugende ^hât^
der solte niemer komen hein, daz waer min rät,
ern hete dâ denselben muot. ^
ez en wart nie mannes lop so guot
so daz von sinem hüse vert
dâ man in wol erkennet.
waz hilfet daz man traegen esel
mit snellem marke rennet.
Die heutzutage wohl allgemein als sicher geltende Deutung
67
-ocr page 86-unseres Spruches gibt Vogt MF in der Anm. zu 20 7 Voets Auf-
fassung geht auf Schönbach WSB 141,9 zurück: „Der Spruch
ist, wie ich glaube, eine Improvisation bei ganz bestimmter Ge-
legenheit. Es ist jemand von einer Fahrt in fremde Lande, aus
gemden Diensten, heimgekommen und pocht mit den in der
Ferne gewonnenen Erfolgen zu Hause, wo man weiß daß er un
tüchtig ist. Der Schluß spricht über ihn das SrTeil vvas hüft s
wenn man einen langsamen Esel (der zu Hause als solcher giltquot;
in der Fremde) mit schnellem Roß um die Wette laufen liât
er bleibt doch ein Esel.quot; Diese InterpretationTalte h Sr vei^
fehlt; den rechten Sinn des Spruches erfassen wir am besten
^'n^^fJ' 26 (Hs. C. PfVrS
abdr. S. 1134) zum Ausgangspunkt nehmen, auf die sowohl
Schonbach wie Ehrismann aufmerksam machen. Br Werners
Spruch hat den Vorzug, daß manches darin deutlich ausgespS
chen wird, was Spervögel bloß andeutet oder gar verschweigt
Br. JVerner J, III, 26:
Ich han der swaben wirdicheit in vremden landen vil gesen*
Da worben sie nach brise also daz man yn wirde muoste fen'
Nu wil ich in ir lande varen, wie sie da heyme syn SS^
Swer mir da heyme unde anderswa von schulden muoz
Er si gewis daz ich yme tuo mit dienste also ich vorrSe'Id
Ist daz ich yne vmde so daz er vur valsche ist behuot
Eyn lob daz uz der künde veret
Daz hat der wisen volge in vremeden landen •
So ist maniger der mit scalle guot durch roiim bi den
Unde lebet da heyme in grozen houbetschand'Jrquot;'^'quot;
Swer beider lob behalten wil der ere sin hus; dazquot; ist mvn raf
Daz wazzer nynder ist so guot so da ez uz von springSi gat
„Daß die Schwaben sich im Ausland durch hohe schätren^
werte Vorzüge auszeichneten, habe ich sehr oftgesehen Da
bemuhten sie sich so um Lob, daß man erkiten'muß?e sil
zu erîahTenquot;^'^rem Lande reisen,'(um
S^^r oïnhî T unbsp;in der Heimat hegen. Wer
mir sowohl in der Heimat wie anderswo von Rechts wegen ge-
Oo
-ocr page 87-fallen muß, der kann sich darauf verlassen, daß ich ihm pflicht-
gemäß dienen werde, vorausgesetzt, daß er sich bei näherer
Bekanntschaft als einen zuverlässigen Mann erweist. Das Lob,
das von der Heimat ausgeht, halten die Kenner im Auslande
für wahr; es kommt ja oft vor, daß einer im Ausland nur des
schönen Eindrucks wegen mit Freudenlärm Geld verzehrt und
zu Hause recht knauserig lebt. Wer sowohl das eine wie das
andere Lob behalten will, der sorge, daß sein Haus in Ehren
dasteht, das ist mein Rat; ist doch auch das Wasser an der
Quelle am besten.quot;
In diesem Spruch tritt Br. Werner den schwäbischen Herren
mit dem Rat entgegen sich in der Heimat einen guten Ruf zu
erwerben, nur dann werde die Welt sehen, daß sie das Lob im
Ausland wirklich verdienten. In Spervogels Spruch handelt es
sich um dieselben Gedanken; nicht selten finden wir auch sprach-
liche Anklänge.
Br. Werner 1 stellt die Tatsache fest, daß die Schwaben sich
„in vremeden landenquot; durch hohe schätzens-
werte Vorzüge auszeichneten.
Spervogel 20,1 setzt voraus, daß ein Herr „in vremeden landenquot;
viele Tugenden besitzt.
Br. Werner 3 unsicher ist es noch, ob die Schwaben in der
Heimat auch so „gemuotquot; sind.
Spervogel 20,3 unsicher ist es noch, ob der Herr in der Heimat
denselben „muotquot; hat.
Br. Werner 7,8 Die Kenner im Ausland halten das Lob für
wahr „daz üz der künde veretquot;.
Spervogel 4-6 Das Lob ist das wahre, „daz von sinem hüse
veret, da man in wol erkennetquot;.
Bruder Werner tritt in seinem Spruch als Ratgeber auf, „daz
ist myn ratquot; (Z 11), auch Spervogel tut es mit fast denselben
Worten, „daz waer min rätquot; (20,2). Wie Bruder Werner hat auch
Spervogel seinem Publikum gegenüber einen Ton der Über-
legenheit, mit dem der Spruchdichter als Sachverständiger im
Punkte der Lebensführung Eindruck machen will.
Auf Grund dieser Übereinstimmung wage ich es den Sper-
vogelspruch an Hand des Wernerschen auszulegen: Wenn ein
Herr im Auslande viele Tugenden besitzt, so sollte er nie heim-
kehren, es wäre denn, daß er daheim dieselbe Gesinnung hätte.
Das Lob, das von seinem Hause ausgeht, da man ihn gut kennt,
ist das echte, echter als andres Lob. Wird nun nach der Rück-
kehr sein Ruf in der Heimat schlecht, so wird man sich in sei-
nem Urteil über den Herrn nach diesem Ruf (Lob) richten, die
Aufrichtigkeit seiner Gesinnung im Auslande würde man dann
in Zweifel ziehen und die Folge würde sein, daß er auch noch
das gute Lob im Auslande verlöre. Sollte der Herr sich der
Hoffnung hingeben, daß das gute Lob in der Fremde auf das
schlechte Lob in der Heimat Einfluß ausüben könnte, so täuscht
er sich, das ist der Sinn der Schlußpointe. Der Dichter stellt hier
das gute Lob im Auslande durch das Bild eines schnellen Pfer-
des dar — ohne Zweifel ein konventionelles Bild, man vgl. Parz.
115,5 f.; Br. Werner J. Lhs. III, 55 — den schlechten Ruf in
der Heimat als einen trägen Esel. Der Esel besitzt hier nämlich
die auch im Sprichtwort (Freid. 116,25 und Anm. Bezzenb.;
Winsbeke 33,6 f.) bekannte vortreffliche Eigenschaft, daß er
sich durch andere nicht beeinflussen läßt. So wenig es gelingen
wird, den trägen Esel mit einem schnellen Pferd zur Eile an-
zutreiben — ein träges Pferd z.B. würde sich im Gang einem
neben ihm trabenden Pferde wohl anpassen — so unmöglich
ist es, daß das gute Lob im Auslande den schlechten Ruf in der
Heimat besser machen kann.
Strophe 20,17:
Swer suochet rät und volget des, der habe danc,
alse min geselle Spervogel sanc.
Und solde er leben tüsent jâr,
sîn ère stigent, daz ist wâr.
ist danne daz er triuwen pfliget
und den niht wil entwenken,
so er in der erde erfület ist
so muoz man sîn gedenken.
Wie Haupt') schon bemerkt hat, enthält der Anfang von
Strophe 20,17 eine deutliche Beziehung auf den Schluß des vor-
') ZfdA 11,579.
70
hergehenden Spruches „und neme ze wisem manne rät und volge
ouch siner lere.quot; „Wer nun nicht in bodenlose Emfälle sich ver-
lieren will, dem wird hierdurch als erwiesen gelten, daß der
Dichter der Strophen dieses Tones Spervogel hieß. Die Bin-
dung der beiden Strophen bleibt auch bestehen, wenn man IV,9
statt mit AC mit der Hs J liest; vermutlich hat AC die Be-
ziehung stärker hervortreten lassen. Was ist aber der Zweck
dieser Bindung? Besteht, wie Ehrismann meint, ein inhaltlicher
Zusammenhang zwischen den ersten drei Strophen? Ich werde
weiter unten auf diese Frage näher eingehen. Daß Spervogel
selber diese Strophe nicht gedichtet hat, darin stimme ich Vogt
(MF S 285) bei; man könnte auch sprachliche Argumente
dafür geltend machen, u.a. das Wort erfülen 20,22, das m dieser
Verwendung nicht in die höfische Sphäre gehört; Spervopl
drückt sich gewählter aus. Was den Dichter dieser Strophe be-
wogen haben mag, Spervogel nachzuahmen, dafür hat sich bisher
keine Erklärung gefunden.
Strophe 20,25:
Ez zimt wol beiden, daz si frö nach leide sin.
kein ungelücke wart nie so gröz, da enwsere bi
ein heil: des suln wir uns versehen.
uns mac wol frum nach schaden geschehen.
wir haben verlorn ein veigez guot:
vil stolzen helde, enruochet.
dar umbe suln wir niht verzagen:
ez wirt noch baz versuochet.
Auch die Echtheit dieses Spruches könnte angezweifelt wer-
den Der Reim sin: bi ist nicht das Schlimmste, obwohl Sper-
vogel sonst dialektisch gefärbte Reime meidet. Was aber Sper-
vogel nicht vermochte, vermag der Dichter dieser Strophe wohl:
er ist imstande aus sich herauszutreten. Es wurde schon oben
S 49 bemerkt, daß Spervogel die direkte Anrede möglichst
meidet, und wenn er in Ausnahmefällen „duquot; f braucht, wie
z.B in traditionellen Strophenanfängen 22,9 und 22,17, so er-
streckt sich diese Ausdrucksweise auf höchstens zwei Zeilen,
dann geht der Dichter sofort zur 3. Person über. In diesem
Spruch aber findet sich die einzige l^räftige Anrede „vil stolzen
beide, enruochetquot; und zwar am Schluß der Strophe. Dazu stimmt
die Bemerkung Ehrismanns (a.a.O.), daß diese Strophe an Tem-
perament alle anderen überragt.
Ähnliche Gedanken wie in der ersten Hälfte dieses Spruches
finden wir Büchl. 11 581 f. „Ich erkande ein wisen man, der
gloubte vaste daran, er klagete nie swenn im geschach ein leit
ode ein ungemach, er jach daz ie nach swsere ein heil gewis
waere, wan daz ez mir niht geschiht, so waene ich des diu werlt,
daz dehein schade si, däne si ein frume bi.quot; Und Büchl. II,
649 f. „so mac ez harte wol geschehen, des ich den wisen horte
jehen, daz liebe nach leide erge unde frume bi schaden geste.quot;
Bech verweist hier auf MF 211,29 „für trüren hän ich einen list,
swaz mir geschiht ze leide, so gedenke ich iemer so; nü lä varn,
es solte dir geschehen: schiere kumet daz dir gefrumet, sus sol
ein man des besten sich versehen.quot;
Ich könnte mir vorstellen, daß der Spruch zur tröstenden
Begrüßung von Kreuzfahrern gedichtet wurde, die nach einem
gescheiterten Kreuzzug mit Verlust ihrer Habe in die Heimat
heimkehrten. Auch Heinrich von Rugge redet in seinem Kreuz-
leich die Kreuzfahrer mit „stolze beidenquot; (MF 99,3) an; es fin-
den sich Anklänge an diesen Leich, denen ich aber keinen
großen Wert beimessen möchte: 98,29 „wie wol daz beiden
zimetquot;; 97,32 „ja sun wir niht verzagenquot; vgl. Sperv. 25,25 „ez
zimt wol beidenquot; und 21,3 „darumbe suln wir niht verzagen.quot;
In diesen Gedankenkreis würde auch der Ausdruck „veigez
guotquot; passen, denn für den Dichter und sein Publikum gab es
ja höhere Güter, so schmerzlich auch der Verlust der Habe
sein mochte. Es ließe sich vielleicht an den Kreuzzug gegen
die Albigenser denken, an dem sich auch deutsche Ritter be-
teiligten. Wilmanns berichtet darüber'): „Bevor die Kreuzfahrer
auf dem Schauplatz ankamen, hatte sich die Situation vollkom-
men geändert: Graf Raimund von Toulouse hatte beim Papst
das Verbot des Kampfes durchgesetzt. Alle Kreuzfahrer mußten
unverrichteter Sache umkehren und fühlten sich in unwürdiger
Weise hintergangen. Gegen Ende des Jahres 1212 oder zu An-
') Wilmanns-Michels, Leben S. 134.
72
fang 1213 kamen sie nach Deutschland zurück.quot; Es schemt mir
denkbar, daß der Spruch die aus diesem Kreuzzug heimkehren-
den Streiter trösten und sie mit dem Hinweis auf eine mögliche
Wiederaufnahme des Unternehmens (ez wirt noch baz versuo-
chet) zuversichtlicher stimmen sollte; zu mehr als einer bloßen
Vermutung reichen aber die wenigen Anhaltspunkte des Spru-
ches nicht aus. Wie man ihn auch deuten will, inhaltlich läßt
sich, wie mir scheint, weder Anschluß an die unmittelbar vor-
hergehenden noch an die folgenden Strophen finden.
Voraussetzungen für die Zyklusthese.
Unterzieht man die Strophenreihe einer schärferen Betrach-
tung, so empfängt man den Eindruck einer bewußten Gruppie-
rung'. Es wurde schon oben bemerkt, daß eine deutliche Bindung
der zweiten und dritten Strophe vorhanden ist. Beide Priameln
21 13 und 21,21 behandeln das Thema: traurige Situation eines
Di'eners; hier fällt die Bindung „lengequot; 21,20 „langequot; 21,21 auf;
die übereinstimmenden kritischen Äußerungen „erst tump swer
guot vor êren spartquot; 21,31 und „swem daz guot ze herzen gât,
der gewinnet niemer èrequot; 22,5.6 lassen vermuten, daß auch die
Strophen 21,29 und 22,1 zusammengehören und endlich sind
22,9 und 22,17 durch die Strophenanfänge „so wè dirquot; „so wol
dirquot; offenbar trotz des abweichenden Inhalts aneinander ge-
reiht. Unwillkürlich erhebt sich die Frage, ob diese 11 Strophen
zyklusartig gruppiert sind, und das scheint mir in der Tat der
Fall zu sein. Eine Erörterung dieser These wird aber nur dann
fruchtbar sein, wenn man überzeugt ist, daß es sich bei dieser
Strophengruppe um die Möglichkeit einer eigenartigen kulturel-
len Funktion des Spruchdichters handelt. Dieser kann als sach-
verständiger Berater im Punkte der Lebensführung in den
Dienst der Herren treten, und von einem solchen Amt zeugen
auch die Sprüche 25,5 und 24,33. Gewöhnlich dauerte das Dienst-
verhältnis nur kurze Zeit. Seine Ansichten über die Lebens-
führung, mit denen der Spruchdichter dem Herrn predigend
entgegentrat, hatte er einer versunkenen Welt entnommen, deren
ökonomisches Verhalten nicht mehr zeitgemäß war. Die Vor-
schrift um der Ehre willen mit voller Hand zu spenden, das
73
-ocr page 92-Verbot Kapital anzuhäufen widerstrebte einer Zeit, in der die
wirtschaftliche Bedeutung des Kapitals, des „guotquot;, sich schon
bemerkbar machte. Zwar reizte es den Ehrgeiz der Herren ihr
Lob verbreitet zu wissen, wie sich z.B. aus Walthers zwei
Bogensere-Sprüchen 80,27 und 80,35 ergibt („in brachte ein
meister baz ze masre dann tüsent snarrenzaere, taet er den
hovewerden bazquot;), aber der Zwang der ökonomischen Gesetze war
zu mächtig, und wo der Herr selber geneigt gewesen wäre, sich
den Forderungen des Spruchdichters zu fügen, belehren ihn seine
wirtschaftlichen Berater eines Besseren. Diese und der Spruch-
dichter vertreten im ganzen entgegengesetzte Anschauungen.
Hergêr und Walther von der Vogelweide traten wohl als päda-
gogische Berater der Hofgesellschaft auf, und namentlich letzte-
rer richtet sich mit seinen Lehrsprüchen wiederholt an die
Jugend, aber ein so typisches Dienstverhältnis, wie es unserer
Spruchgruppe zugrunde liegt, läßt sich auch bei ihm nicht
nachweisen. Nur Bruder Werner spielt, wie wir unten sehen wer-
den, in drei Sprüchen mehr oder weniger deutlich auf ein solches
Verhältnis an. Daher werden diese elf Strophen, auf deren In-
terpretation ich mich vorläufig beschränke, erst dann die rechte
Beleuchtung erhalten, wenn eine Behandlung der spruchdichte-
rischen Tätigkeit Bruder Werners voraufgeht. Leugnet man für
Spervogel die Möglichkeit einer derartigen kulturellen Funktion,
so müßte man auf die Interpretation der Strophen 21,29 und
22,1 überhaupt verzichten. Schließlich möchte ich noch bemer-
ken, daß man zugleich dem eigenartigen Stil dieser Sprüche
Rechnung zu tragen hat. Es wurde schon oben ausgeführt, daß
eine Entscheidung, ob wir es in einem bestimmten Falle mit
einem Gelegenheitsspruch oder mit einer bloßen Gnome zu tun
haben, kaum zu treffen ist. Mit Rücksicht auf die Zyklusthese
müssen wir die Strophen unserer Gruppe unbedingt als Gelegen-
heitsdichtungen betrachten.
Die Strophen 21, 29 und 22,1.
In beiden Priameln 21,29 und 22,1 verwendet der Dichter
als Kerngedanken das Motiv: beklagenswerte Lage des unbe-
lohnten Dieners. Ich nehme mit Ehrismann an'), daß beide
Sprüche aus des Dichters eigenen Lebenserfahrungen hervor-
gegangen sind und in der Reihenfolge, wie die Handschriften
sie uns überliefern, gedichtet wurden. In dem zweiten Priamel
befindet sich der Dichter schon längere Zeit in den Diensten
dieses Herrn, von „afterriuwequot; ist hier keine Rede mehr, seine
Lage gestaltet sich immer verzweifelter, und nur Gott allein
kann ihm noch Rettung vom Untergang bringen. Hier schließen
sich die zwei Sprüche 21,29 und 22,1 an. Sie sind beide Ge-
legenheitssprüche, und in beiden scheint ein den ganzen Spruch
beherrschender Kerngedanke zu fehlen, jedenfalls suchen wir
vergebens nach einem logisch sich entwickelnden Gedanken-
gang. Die Ursache liegt darin, daß der Dichter hier in doppelter
Rolle vor uns auftritt: als Diener und als Spruchdichter.
Strophe 21,29.
In diesem Spruch lassen sich deutlich drei Teile unterscheiden:
a) die ersten zwei Zeilen, b) das Mittelstück 21,31-34 und
c) die beiden Schlußzeilen.
a)nbsp;Von den beiden parallelen Erfahrungssätzen ist nur der
erste real gemeint und bezieht sich auf Spervogels Lebens-
umstände. Die „kunstquot; (die Vorbildung des Spruchdichters),
die dem Dichter eine bevorzugte Stellung verleihen müßte, nützt
weniger als die Gunst des Glücks — eine bittere, für einen
Spruchdichter allerdings charakteristische Lebenserfahrung —
(vgl. Roethe a.a.O. S. 192; vgl. auch die Variante D zum An-
fange des Spruches Reinmars v. Zweter 93,1 „waz hilfet âne
saelde kunstquot;.) In dem folgenden Satz knüpft der Dichter zu-
nächst an die Abstrakta „saeldequot; und „kunstquot; durch das Ab-
stractum „eilenquot; an, dem er durch den Zusatz „in swacher
wâtquot; in gewissem Sinn wieder einen konkreten Begriff ver-
leiht, um dadurch einen Gegensatz zu „dem riehen zagenquot; her-
stellen zu können.
b)nbsp;Das vom Dichter propagierte Lebensideal findet beim
Herrn wenig Anklang. Hieraus ergibt sich des Dichters bittere
Klage über Zurücksetzung der Kunst. Die folgenden Äußerun-
') Ehrismann a.a.O. S. 19.
-ocr page 94-gen richten sich denn auch an die Adresse des Herrn. Der Dich-
ter hat die Zeilen 21,31 und 32 durch den Gegensatz „tumpquot;,
gräwequot; miteinander verknüpft. Es handelt sich hier um die
„miltequot; und die „zuhtquot;, die beiden Tugenden, die nach Wins-
beke 49,3 für die hûsêre unentbehrlich sind. Das jugendliche
Alter des Herrn wird offenbar für das Fehlen dieser Tugenden
verantwortlich gemacht, und auch an „triuwequot; mangelt es dem
Herrn, denn nur so wird das Urteil „triuwe mâchent werden
manquot; begreiflich; eine Besserung wird nicht eintreten, wenn er
keine Belehrung sucht, (die „frägequot; bekunden das Verlangen
zu lernen,, Roethe a.a.O. 194,9 und Anm; vgl. auch Sunbg. III
74b „ich rät in daz si frâgen: des entuon si waerlich niht, die
man in houbetsünden (= Knauserigkeit, Habgier) weizquot;- ferner
Freidanc 78,17 f. 78,23.24 und Anm. Bezzenb.; V. 21.34 schœne =
dem Ideal der mâze entsprechend, in ruhig bescheidenem Ton
vgl. die Bedeutung von „schönequot; in 22,28).
c) Die Schlußverse 21,35 und 36 bilden gleichsam einen
selbständigen Spruch. Das Gefühl, daß man einer und derselben
Gemeinschaft angehört — diu liebe — erweckt eine günstige
Stimmung für den Abschluß eines Kaufes (zu dieser Bedeutung
von „liebequot; vgl. Pfaff Textabdr. Hs. G 958 Str. 10, speziell
958,26 f.: „diu liebe rihtet selten wol; si sprichet iemer gen
den friunden baz und gen den mägenquot;; dieselbe Bedeutung hat
„liebequot; auch Walther 105,25.26 „seht, diep stal diebe, drö tet
liebequot;. Wilmanns erklärt: „Des Kaisers Drohung flößte ihnen
wieder Liebe einquot;; der Sinn ist wohl: erst entzweiten sich die
Diebe, wie sich das bei einer Diebesbande erwarten läßt, des
Kaisers Drohung aber stellte die Eintracht wieder her.) Dieses
Gefühl verschwindet jedoch und wird in das Gegenteil verkehrt,
wenn Schaden erlitten wird, denn: der Schaden führt unter
„mägenquot; zum Bruch'). Diesen Schlußvers haben wir wohl dahin
Scherer 290f: Er schliesst mit der versteckten Drohung: Wenn du
mich nicht freundlich behandelst, so sind wir geschiedene Leute Seine
Worte sind: ,liebe meistert wol den kauf, so scheidet schade die mâge'.
Bei gegenseitiger Zuneigung und Freundlichkeit wird leicht ein Kauf
abgeschlossen, dagegen sieht man dass selbst Verwandte sich trennen, wenn
ihnen Schaden aus der Verbindung erwächst. So werde ich mich von dir
trennen, will er sagen — ich, der ich gar nicht einmal mit dir verwandt
bin —, wenn ich nichts als Schaden von dir habe
76
-ocr page 95-zu deuten, daß der Dichter in gereizter Stimmung zur Einsicht
gelangt, daß es besser wäre eine Verbindung zu lösen, die auch
ihm nichts als Schaden gebracht hat.
Schönbach nennt diesen Spruch mit Recht einen Ketten-
spruch. Einige stilistische Kunstgriffe, wenn man sie so nennen
darf, erinnern an Eigenheiten des frühmhd. Stils, auf den H. de
Boor') aufmerksam macht:
zu 21,31,32 vgl. Ezzo 259 der tievel ginite an daz fleisc, der
angel was diu gotheit;
zu 21,33.34 vgl. Ezzo 210 von dem wazzer machot er den win
drin toten gab er den lib_
von dem bluote nert er ein wib
di chrumben und di halzen
di machet er alle ganze.
Hierzu bemerkt H. de Boor: „Die ersten drei Zeilen sind in
ihrem Aufbau ganz übereinstimmend. Die letzte Periode hebt
sich von den übrigen schon durch den größeren Umfang von
zwei Zeilen ab und kehrt in ihrem Aufbau die beiden Außen-
posten um.quot; Der Schreiber von AC hatte v. 34 diese Stileigen-
heit nicht erkannt; auch nicht 20,14, wo er an dem Text herum-
besserte, der Herausgeber von MF stellte sich auf die Seite dieses
Schreibers, obwohl der bessere Text in der Hs. J vorlag.
Strophe 22,1.
Die Anlage dieser Strophe stimmt in gewissem Sinn mit
der der voraufgehenden überein, nur gehören die zwei Sätze
in der zweiten Hälfte näher zusammen, sodaß es den An-
schein hat, als zerfalle der Spruch in zwei Hälften, die in-
haltlich lose nebeneinander stehen. Auch die kunstvolle priamel-
hafte Ausarbeitung fehlt dieser Strophe. Der Dichter ermahnt
einen Herrn, einen biderben (anständigen) Menschen wohl
dreißig Jahre im Dienst zu behalten mit Rücksicht auf die
Dienste, die dieser ihm bei einer etwaigen Fehde leisten könnte.
Der Dichter sucht also den Herrn, der den Diener offenbar ent-
lassen will, von dessen Wert zu überzeugen. Auch hier spricht
der Dichter im eigenen Interesse. Schönbach meint „Der Ver-
H de Boor, frühmhd. Sprachstil ZfdPh 51,244 und 52,31.
-ocr page 96-fasser ist ein Fahrender; er kann nicht in Bezug auf sich den
Wert hervorheben, den es für den Herrn in einer Gefahr hat,
wenn er sich einen bewährten Mann lange Zeit erhielt.quot;')
Schererist anderer Meinung: „man stellt sich unwillkürlich
eine Fehde vor, worin der Dichter auf der einen Seite steht und
die Gegner mit Spottreden überschüttet.quot; Man kann sich, wie
mir scheint, die Dienste aber auch in anderer Weise vorstellen.
Die Natur hatte unseren Dichter mit einem besonders aufge-
weckten Verstand ausgestattet, und er glaubte als Vermittler
gute Dienste leisten zu können. Darauf weist eine andere Strophe
hin 24,25, worin der Dichter stolz den Wert hervorhebt, den
ein solcher Diener für ein vornehmes Geschlecht besitzt: mit
seiner Hilfe steigt es, ohne ihn sinkt es herab und richtet sich
nie wieder auf, denn er „suonte swaz si tätenquot;. Auch Walther
von der Vogelweide sucht den Meißner von seinem Wert zu
überzeugen 106,11: „noch kan ich schaden vertribenquot;; Lach-
mann fragt hier zweifelnd: „wie konnte Walther dem Mark-
grafen nützen?quot;') Aber Walthers ganze politische Tätigkeit fin-
det wahrscheinlich in dieser Funktion des Spruchdichters ihren
Ausgangspunkt. Wir gewinnen den Eindruck, als ob Spervogel
sich mit dieser Ermahnung direkt an den Herrn richtet, wie
auch die folgenden zwei Zeilen 5 und 6 eine kritische Bemer-
kung an die Adresse des Herrn enthalten. In den Schlußzeilen
läßt der Dichter endlich die Maske fallen, indem er hier leib-
haftig in der 1. Person vor uns oder vielmehr vor dem Herrn
auftritt und beteuert, daß, wenn er auf „miltequot; drängt, er dabei
den eigenen Vorteil nicht im Auge hat; sie bildet den Eckpfeiler
der idealen Welt, die er errichten will. Daß er sich aber gegen
den Vorwurf des Eigennutzes verteidigen muß, ist ein Beweis
für das geringe Verständnis, das der Herr dem Kulturideal des
Dichters entgegenbringt.
Zyklusthese
In Str. 22,9 ist die Stimmung des Dichters sehr gedrückt. Die
Armut beraubt ihn des Gebrauchs seiner Geisteskräfte und ver-
1) Schönbach a.a.O. S. 15.
Scherer a.a.O. S. 291.
Lachmann-v. Kraus, Waltherausg., Anm. zu 106,11.
-ocr page 97-scheucht die Freunde. Diese Strophe schließt sich dem Inhalt
nach der vorhergehenden vortrefflich an, wenn man annimmt,
daß die befürchtete Entlassung inzwischen zur Tatsache gewor-
den ist Jetzt muß er einen neuen Herrn suchen, was ihm offen-
bar gelingt, denn mit Str. 22,17 begrüßt er wohl diesen neuen
Gönner.
Ich glaube, daß die 6 Strophen von 21,13 an sich inhaltlich sehr
wohl aneinander reihen lassen. Nun ist die Frage, ob die ersten
Sprüche den Anfang dieses Dienstverhältnisses schildern. In
Str. 20,1 trat der Spruchdichter dem Herrn mit der Mahnung
entgegen, vor allem auf das Lob in der Heimat bedacht zu sein.
Er versuchte wohl damit die Aufmerksamkeit auf sich selber
zu lenken, denn es ist ja die Aufgabe des Spruchdichters in
Sachen der Lebensführung guten Rat zu erteilen. In der folgen-
den Strophe unternimmt er einen zweiten Schritt: er empfiehlt
hier, offenbar mit Rücksicht auf die Ideale Gott und Ehre, von
den Diensten des weisen Mannes Gebrauch zu machen. Geht
der Herr auf das Anerbieten ein?
Zunächst knüpft sich die unechte Strophe an, in der ein Herr,
der Rat sucht und demselben folgt, gepriesen wird. Wenn hier
dem Herrn prophezeit wird: „und solde er leben tüsent jär,
sin êre stigent, daz ist war,quot; so wird das der Beratung des
Spruchdichters zu verdanken sein. Allerdings muß zugegeben
Werden, daß dieser Spruch sich als Gnome gibt, seine Beziehung
auf den unmittelbar vorhergehenden ist aber so auffallend, und
der eigenartige Gedankengehalt schließt sich so vortrefflich an,
daß hier, wie ich glaube, eine Andeutung vorliegt, wonach der
Herr die Dienste des Spruchdichters benutzen will.
Dann kommen noch zwei Strophen, von denen die eine dem
Inhalte nach aus dem Zusammenhange herausfällt und wahr-
scheinlich unecht ist, während die andere, in der — wohl vom
Dichter selbst — über Mangel an Geld geklagt wird, sehr gut
zu dem Inhalt paßt.nbsp;..
Nach meiner Auffassung war ursprünglich ein vollständiger
ganz von Spervogel verfaßter Zyklus vorhanden, von dem im
Laufe der Zeit aber einige Strophen verloren gingen. Als dann
ein Kunstgenosse die Strophensammlung zum Vortrage benut-
zen wollte, sah er sich vor die Aufgabe gestellt, die Lücke aus-
79
-ocr page 98-zufüllen. Daß nach dem zweiten Spruch eine Strophe ausgefallen
sein mußte, in der der Dichter den Dienst antrat, war dem Sän-
ger klar; möglicherweise hatte er auch früher den vollständigen
Zyklus von Spervogel selber gehört, denn er spricht ja über ihn
als einen ihm bekannten Kunstgenossen (min geselle Spervogel).
Er flickte nun eine Strophe zusammen und schob sie zugleich
mit 20,25 in die Lücke ein. Was ihn dabei bewog die störende
Strophe 20,25 aufzunehmen, läßt sich nicht ermitteln. Dieser
Zyklus schließt sich dem Verlauf eines Dienstverhältnisses an,
ähnlich wie Hergêr in der ersten Pentade seine Schicksale beim
Ableben Wernharts schilderte. Nichts steht der Annahme im
Wege, daß auch die Abfassungszeit der Strophen mit der in den
Handschriften überlieferten Reihenfolge übereinstimmt.
ÜBERSICHT
1.nbsp;Strophe 20,1nbsp;Der Spruchdichter weist den Herrn
auf den Wert der hüsêre.
2.nbsp;20,9 volgen (J) er empfiehlt seine Dienste und
seine Lehre.
20,17 volget ein Herr wird gelobt, der Wert auf
Belehrung legt.
20,25nbsp;paßt nicht in den Zusammenhang.
5.nbsp;21,5nbsp;Klage über Mangel an Geld.
6.nbsp;21,13 lenge Der diener hat sich im Herrn ge-
täuscht.
7.nbsp;21,21 lange Die Lage des Dieners wird immer
verzweifelter.
8.nbsp;21,29nbsp;Bittere Stimmung des Spruchdich-
ters; er sieht ein, daß es zum Bruch
kommen muß.
9.nbsp;22,1nbsp;Der Herr droht ihn zu entlassen.
10.nbsp;22,9 so wê dir Armut.
11.nbsp;22,17 so wol dir Lob eines (neuen) Herrn.
-ocr page 99-2. DER MEISSENER DICHTERSTREIT
Spervogel und Walther von der Vogelweide
Der Zusammenhang zwischen den einzelnen hierher gehöri-
gen Untersuchungen läßt sich am besten verstehen, wenn wir,
vorläufig noch als These, eine Zusammenfassung der Ergebnisse
vorausschicken:nbsp;r jnbsp;j
Am Meißener Hof hatte Spervogel Aufnahme gefunden und
sich eine angesehene Stellung erworben. In diesen Kreis trat
eines Tages Walther, dem sich sofort die Gunst der Vornehmen
zuwandte Die Folge war, daß Spervogel sich in den Schatten
gestellt sah und sich verdrängt fühlte. So entstand zwischen den
beiden Dichtern eine scharfe Mißstimmung. Wer zuerst den
Streit entfachte, Walther oder Spervogel, läßt sich nicht ohne
weiteres entscheiden. Spervogel bekrittelt im Minnespruch Wal-
thers Mailied, und Walther nimmt im Bohnenspruch gegen Sper-
vogels Halmspruch Stellung. In der Wicmanstrophe, die dem
Bohnenspruch nahesteht, richtet sich Walther anscheinend auch
gegen Spervogel, sodaß Wicman mit Spervogel identisch sein
müßte. In diesem Streit hat Walther das Feld behauptet, denn
Spervogel beklagt sich 23,5, daß die Freunde einen Fremden hö-
her schätzen als ihn. Dieser Fremde war kein anderer als Wal-
ther von der Vogelweide.
a) SPERVOGEL CONTRA WALTHER
Es gibt unter Spervogels Sprüchen zwei, die sich mit dem
Thema Frau befassen: 23,21 und 24,1. In dem ersteren gilt die
Frau wie bei Hergêr als Ehefrau, und die rechte Ehe ist der
erwünschte ideale Zustand, während in dem anderen die Frau
als vornehme verehrungswürdige Dame erscheint wie im Min-
nesang und entsprechend der höfischen Kultursphäre.
Von diesem Spruch gibt es zwei Fassungen G und J, die hier
und da auseinandergehen:
Ehrismann a.a.O. S. 16.
6 81
C Treit ein reine wib niht guoter kleider an,
so kleidet doch ir tugent, als ich mich kan entstan,
daz si vil wol geblüemet gat
alsam der liebte sunne hat
an einem tage sinen schin
luter unde reine:
Swie vil ein valsche kleider treit,
doch sint ir eren kleine.
J Treit ein reine wib niht guoter kleider an,
so zieret wol ir tugent, also ich es mich kan verstan,
daz si vil schone bluot stat
also die liebte sunne ufgat
die kegen den morgen schinet vruo,
so luter unde reine.
Swie vil ein valsche kleider treit,
so ist doch ir lob vil kleine.
C, dem offenbar das Wort bluot, von Schönbach als gebluhet,
von Vogt richtiger als gebluoet oder geblüet gedeutet, nicht ge-
läufig war, hat das Bild 4-6 verflacht. Mit Recht liest Vogt die
Strophe nach J, nur scheint mir das Bild vom Tugendkleid die
Lesart „kleidetquot; aus C zu verlangen; vielleicht ist auch 24,6 bes-
ser mit C zu lesen.
Treit ein reine wip niht guoter kleider an,
so kleidet wol ir tugent, als ich michs kan verstan,
daz si vil schone geblüet stät
also diu liebte sunne üf gät
diu gegen dem morgen schinet vruo
luter unde reine.
swie vil ein valschiu kleider treit
söst doch ir lop vil kleine.
über den Gehalt des Spruches meint Ehrismann: „Logisch
beherrscht ist der Gedankenbestand durch die Gegenüberstel-
lung der reinen Frau mit guten Kleidern und der falschen mit
vielen Kleidern, dem der ethische Gegensatz „tugentquot; des reinen
Weibes, geringe Ehre des falschen entspricht.quot;Auch hier ver-
Ehrismann a.a.O. S. 16.
-ocr page 101-kennt Ehrismann den Wert der Schlußpointe, die nur den Zweck
hat durch Antithese den Kerngedanken umso wirksamer her-
vortreten zu lassen. Eine tadellose Dame, so lehrt uns der
Spruch, ist auch ohne reiche Kleider eine herrliche Epchemung,
denn ihre Tugend ist das schönste Kleid, dem Schein der auf-
gehenden Sonne vergleichbar.nbsp;„ ,
Spervogel steht in diesem Spruch unter dem Emfluß des Mm-
nesangs; vielleicht läßt sich die Quelle ermitteln, aus der er seme
Gedanken geschöpft hat.
Die Tugend der Dame vergleicht Spervogel mit dem Schein
der Morgensonne. Solche Bilder und Gleichnisse sind in der mit-
telalterlichen Literatur nicht selten; Zingerle hat in der Ger-
mania 13,294 f. eine stattliche Zahl solcher Stellen gesammelt;
sie finden sich in der geistlichen Poesie wie im Volksepos, in
den höfischen Epen wie in der Minnelyrik. Vor allem liebt es
Morungen die Geliebte mit den Gestirnen zu vergleichen und,
was für unseren Spervogel wichtig ist, nicht nur die Schönheit
der Dame, sondern auch ihre Tugend. Diese Bilder beherrschen
bei ihm wie in Spervogels Spruch nicht selten die ganze Strophe.
Ich möchte das in Bezug auf die Spervogelstrophe durch die
folgenden zwei Stellen belegen:
MF 122,5: alse der mäne vil verre über lant
liuhtet des nahtes wol lieht unde breit
so daz sin schin al die weit umbevet,^
als ist mit güete umbevangen diu schöne;
Wie der Schein des Mondes in der Nacht die ganze Erde be-
leuchtet, so wird die Schöne von ihrer Güte umstrahlt.
MF \23\- ir tugent reine ist der sunnen gelich
diu trüebiu wölken tuot liehte gevar ^
swenne in dem meien ir schin ist so klar.
Die Tugend der Dame wird hier mit dem Schein der Maien-
sonne verglichen. Ersetzen wir die Maiensonne durch die Mor-
gensonne so haben wir das Bild der Spervogelstrophe; wie bei
Morungen „reinequot; dem „klärquot;, so entspricht bei Spervogel
83
-ocr page 102-„reinequot; (worauf „ir tugentquot; 24,2 sich bezieht, vergleiche Mo-
rungen „ir tugent reinequot;) dem „lüter unde reinequot; 24,6. Und
auch das Bild von der aufgehenden Sonne findet sich bei Mo-
rungen 129,20 „si liuhtet sam der sunne tuot gegen dem Hebten
morgen (Sperv. also die liehte sunne üfgät diu gegen dem mor-
gen schinet vruo). Alle Elemente des Spervogelschen Bildes
sind bei Morungen vorhanden.
Für Morungens Einfluß spricht noch ein zweiter Grund. Morun-
gen und Spervögel verwenden beide „geblüetquot; in einer vom tra-
ditionellen Gebrauch abweichenden Art: geblüet kommt schon
im Heliand vor 1671 f: 6c mugun gi an iuuom hugi marcon,
uueros umbi iuuua geuuädi, huuo thie uurti sint fagoro
gefratoot, thea hir an felde städ, berhtlico giblöid. In dersel-
ben Weise wird es im mnl. gebraucht z.B. Een appelboom die
daar stoet scone ghelovert ende ghebloet Parth. 2921, immer
nur von einem Baum, Zweig, Baumgarten oder Feld^). So fin-
den wir auch bei Heinrich von Veldeke MF 64,18 „Et dün die
vogele skin dat si die boume sien geblüt.quot; Morungen verwendet
das Wort seiner dichterischen Art entsprechend mit Bezug auf
einen Himmelskörper MF 136,6 „und saz vor mir diu liebe
wolgetäne gebluhet (hs. AC gebluot) rehte alsam ein voller
mänequot; und ihm folgt darin Spervögel „daz si vil schöne geblüet
stät, also diu liehte sunne üfgätquot;. Hier besteht unverkennbar
literarischer Zusammenhang. Spervogels Abhängigkeit von Mo-
rungen läßt sich am besten erklären, wenn wir annehmen, daß
er an einem Hof verkehrte, an dem Morungens Lyrik beliebt
war. Da das oberdeutsche Sprachgebiet das Wort „geblüetquot;
nicht kennt, und der Minnesang in Thüringen nicht recht be-
liebt war, kommt wohl nur der Meißener Hof in Betracht.
Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Spervogelstrophe
und betrachten wir die Ausdrucksweise „als ich michs kan ver-
stänquot; (so wie ich es zu beurteilen vermag). Offenbar nimmt
der Dichter hier gegen eine andere Auffassung Stellung, und die
entgegengesetzte Anschauung kann nur die sein, daß man mit
Rücksicht auf den herrlichen Eindruck, den ein reines Weib
Vgl. das middelnederl. Woordenb. und Van Swaay, het prefix ge
S. 96.
84
macht, schöne Kleider für unentbehrlich halt. Laßt sich diese
Anschauung irgendwo nachweisen? Im allgemeinen hat der
Minnesang einen zu starken idealistischen Zug, als daß au das
Materielle^ die Kleider der Dame, geachtet wurde. Soweit ich
das hier in Betracht kommende Gebiet überschauen kann gibt
Ï nur ein Lied, in dem die reine Dame im Schmuck schoner
Kleider geschildert wird und zwar das Lied Walthers von der
Vogelweide 45,37.
1nbsp;So die bluomen üz dem grase dringent,
same si lachen gegen der spilden sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo.
Und diu kleinen vogellin wol singent
in ir besten wise die si kunnen,
waz wünne mac sich da genozen zuo?
Ez ist wol halp ein himelriche.
suln wir sprechen was sich deme geliche,
so sage ich waz mir dicke ^baz
in minen ougen hat getan,
und taete ouch noch, gesaehe ich daz.
2nbsp;Swä ein edeliu frouwe schoene reine
wol gekleidet unde wol gebunden,^
dur kurzewile zuo vil Hüten gät.
Hovelichen höhgemuot, niht eine,
umbe sehende ein wênic under stunden,^
alsam der sunne gegen den sternen stat, —
Der meie bringe uns al sin wunder,
waz ist da so wünnecliches under,
als ir vil minneclicher lip?
wir läzen alle bluomen stän
und kapfen an daz werde wip.
3. Nü wol dan, welt ir die wärheit schouwen!
gên wir zuo des meien höhgezite!
der ist mit aller siner krefte komen.
Seht an in und seht an schoene frouwen,
wederz da daz ander überstnte;
daz bezzer spil, ob ich daz han genomen.
Owê der mich da welen hieze,
deich daz eine dur daz ander lieze.
-ocr page 104-wie rechte schiere ich danne kür!
hêr Meie, ir müeset merze sin,
ê ich min frouwen dâ verlür.
(Wilmanns-Michels Waltherausg.)
Dieses Lied gehört zu den schönsten, die Walther gedichtet
hat. In seiner dramatischen Belebung, in der schalkhaften Dia-
lektik trägt es die Merkmale Waltherscher Begabung, während
es in der Naturschilderung unter dem Einfluß der Vaganten-
poesie, vor allem aber Morungens steht, der 140,32 die Anregung
zu diesem Liede bot. Plenio bezeichnet') diese Art der Wal-
therschen Poesie als Meißener Stil.
140,32 1. Uns ist zergangen der liepliche summer.
dâ man brach bluomen dâ lit nu der snê.
mich muoz belangen wenn si minen kummer
welle volenden der mir tuot so wê.
jâ klage ich niht den klê,
swenn ich gedenke an ir lieplichen wangen
die man ze fröide so gerne ane sê.
2.nbsp;Seht an ir ougen und merket ir kinne
seht an ir kel wiz und prüevet ir mund
si ist âne lougen gestalt sam diu minne,
mir wart von frouwen sô liebez nie kunt.
jâ hât si mich verwunt
sêre in den tôt, ich verliuse die sinne
gnäde, ein küneginne, du tuo mich gesunt.
3.nbsp;Diech mit gesange hie prise unde kröne,
an die hât got sinen wünsch wol geleit.
in sach nu lange nie bilde alse schöne
als ist min frouwe; des bin ich gemeit.
mich fröit ir werdekeit
haz dan der meie und al sine dône
die die vogel singent; da^ sî iu geseit.
Schon in Walthers Wiener Periode hatte Morungens Lied ihn
angeregt^), vgl. Walther 92,13: Noch fröuwet mich ein anderz
') PBB 43,67.
Halbach, ein Zyklus von Morungen ZfdPh 54,401.
-ocr page 105-baz dan aller vogellîne sanc: swâ man noch wîbes guete maz,
dâ wart ir ie der habedanc. (Der Gedanke an sich ist konven-
tionell: Dietm. 32,16 lieber het ich ir minne dan al der vogele
Sinsen- Ven. 83,36 diu beide noch der vogelsanc kan an ir trost
r;rniht vröide bringen vgl. Wilm. Leb. III Nr. 2 .) Als Wal-
ther aber in Morungens Kreis trat, wirkte das Lied mit neuem
Zauber auf ihn, manches erinnert an das Vorbild (so z.B. der
Vergleich der Dame mit der Sonne 46,15; das wiederholte seht
an 46 24 das auch in dem Lied Walthers 51,13 begegnet.)
Neben Morungens Lyrik klingt, wie bereits erwähnt, auch die
Vagantenpoesie mit ihrer lebhaften Schilderung des alles und
alle belebenden Frühlings bei Walther nach'). Walther schaut
in seinem Liede nicht mit dem sehnsüchtig schmachtenden Blick
des Verehrers zu der Geliebten auf, sondern er schildert wie
ein Maler objektiv die herrliche Erscheinung der vornehmen,
verehrungswerten Dame. Daher wirkte auf ihn alles was den
Glanz des Äußern erhöhte, also auch ihre schönen Kleider und
^^ dS?ffder Schilderung entsprach nicht dem dichterischen
Geschmack Spervogels, der in ihr einen ethisch-ideahstischen
Grundzug vermißte, und deshalb betonte er nun Walther gegen-
über den eigenen Standpunkt. Feierte Walther die Dame als
frouwe so nennt Spervogel sie einfach wip, wie Walther selber
in dem Lied 47,36 nach unbefriedigtem Minneverhaltnis den
gemeinen Gattungsnamen wip höher als das den bevorzugten
Stand bezeichnende frouwe schätzte. Von den schrnuckenden
Beiwörtern edele, schoene, reine, die Walther fur die frouwe
verwendet, wählt Spervogel nur das ethisch wertvolle „reme :
ein „reine wipquot; sagt Spervogel brauche nicht schon gekleidet
zu sein Das Walthersche Wort „wolgekleidetquot; klingt bei ihm
in der Lesart C 24,2 „kleidetquot; „wolquot; wieder.
Für Walthers ästhetische Einstellung konnte Spervogel kein
Verständnis aufbringen, und wir können uns wohl vorstellen,
daß seine Kritik dem großen Künstler als das Merkmal eines
beschränkten Geistes erscheinen mußte.
1) Moll, Einfluss der lat. Vagantendichtung auf die Lyrik Walthers
S. 62 f und Plenio a.a.O.nbsp;^^
b) WALTHER CONTRA SPERVOGEL
MF 23,29 Spervogels Halmspnich.
wir loben alle disen halm wand er uns truoc;
vernt was ein schoener sumer und korns genuoc;
des was al diu werlt ouch vro.
wer gesach ie schoener stro?
ez füllet gar dem riehen man,
die schiure und ouch die kiste.
swann ez gedienet dar ez sol
so wirt ez aber ze miste.
Wenn wir auch bei diesem Spruch die Frage aufwerfen, ob
er als Gnome oder als Gelegenheitsgedicht aufzufassen ist, so
dürfen wir ihn unter Berücksichtigung der Stelle, die auf die
reiche Ernte des vorhergehenden Jahres Bezug hat, als ein Ge-
legenheitsgedicht betrachten. Diese Ansicht vertritt auch Vogt:
„nach dem „disenquot; und der Beziehung auf die Beteiligung aller
Anwesenden am Halmlob sowie auf die Fruchtbarkeit des ver-
flossenen Jahres muß dieser Spruch bei einer bestimmten Ge-
legenheit vorgetragen, improvisiert worden sein').quot; Welche be-
stimmte Gelegenheit hier gemeint sein kann — ein Erntefest
wird doch nicht erst im folgenden Jahr gefeiert — darüber hat
sich allerdings Vogt nicht geäußert, zumal auch der Spruch
selbst irgendwelche sonstigen Andeutungen nicht enthält. So
führt uns diese Erklärung nicht weiter. Faßt man ihn dagegen
als Gnome auf, so müßte der Halm wohl dazu dienen, irgend
eine „biologischequot; Wahrheit zu veranschaulichen wie z.B. in dem
Spruch Freid. 77,12:
swä die halme ein hérren weint
und sie ir hoehstez künne zeint
so mac der schoup wol wesen fro
erst tiurer dan ein ander stró.
In diesem Sinne hat den Spruch zuerst Schönbach gedeutet,
wenn er WSB 141,19 schreibt: „Den Sinn des Spruches, bei
welchem der Dichter 29 und 32 den Halm vorzeigt, finde ich
MF Anm. zu 23,29.
-ocr page 107-in dem Hinweis auf das allgemeine Menschenschicksal, dem
jeder Wackere unterliegt, auch der, an den hier besonders ge-
dacht wird.quot; Ehrismann hält der Deutung Schönbachs folgend
das Beispiel vom Halm für eine originelle Versinnbildlichung
des bitteren Unrechts, das dem Diener der Reichen zugefugt
wird, daß er, wenn man ihn und seine Dienste ausgebraucht
hat, weggeworfen wird'). Beide Erklärer empfinden offenbar
einen Gegensatz zwischen den guten Diensten und dem späte-
ren beklagenswerten Zustande. Von einem bitteren Unrecht
läßt sich im Spruch nur wenig finden, sondern es wird ohne
weitere Empfindsamkeit einfach mitgeteilt, daß der Halm, wenn
er ausgedient hat „ze miste wirtquot; d.h. sich naturgemäß m Mist
verwandelt. Als Halm und Stroh verrichtet es die Dienste, dann
aber sinkt es zur bloßen Naturform „ze mistequot; herab. Mit „misf
wird auch gern, besonders in der geistlichen Poesie, das nichtige
Wesen des Menschen bezeichnet (Elis. 99,73 „von dem miste
(aus dem Staube, aus der Erde) erhaben werdenquot;, er wird am
Ende zu Miste: MSH 2,228a „wan siht üz schoenen frouwen
und üz künegen werden swachen mistquot;, er ist selber Mist: Gen.
D. 191,13 „wan du waere ein stoup und mistquot;. Glouwe 2535
bose gestuppe unde mist, bose wurme unde maden.)
Wie mir ferner scheint, wurde auch zu wenig auf die Worte
25,35 „dar ez solquot; geachtet; ich verstehe sie als „der Bestim-
mung gemäßquot;. Das Stroh hat einen bestimmten Platz in der
Weltordnung und erfüllt nur die ihm zugewiesene Aufgabe.
Dieses „solquot; begegnet auch sonst zur Bezeichnung des Ordnungs-
gedankräs z.B. Freid. 3,1.2 „got hat allen dingen gegeben die
mäze wie si sulen lebenquot;. Der Halm hat nach seiner mäze ge-
lebt, hat Korn und Stroh gegeben, verdient deswegen Lob, sinkt
dann aber zu seinem eigentlichen Wesen, zu seinem niedrigen
Stande herab. Ich sehe in dem Spruch eine Konkretisierung der
Lehre, wonach jeder, mag er auch einem niedrigen Stpde an-
gehört Lob verdient, wenn er der mäze gemäß die ihm auf-
erlegten Pflichten vortrefflich erfüllt. Ähnliches finden wir
Winsb. 41,5 f. „ein iegelich man hat eren vil, der rehte in
smer mäze lebet und übermizzet niht sin zilquot;. Diese Anschau-
0 Ehrismann a.a.O. S. 19.
-ocr page 108-ung liegt auch dem bekannten Waltherliede 66,21 zugrunde. Es
scheint mir daher angebracht die Interpretation dieses Liedes,
das an sich mit dem Thema Spervogel-Walther nicht zusam-
menhängt, hier folgen zu lassen.
Ir reiniu wip, ir werden man
ez stet also daz man mir muoz
er unde minneclichen gruoz
noch volleclicher bieten an.
Des habet ir nü von schulden groezer reht dan e.
weit ir vernemen, ich sage iu wes:
wol vierzec jär hän ich gesungen oder me
von minnen und als iemen sol.
do was ichs mit den andern geil
nü enwirt mirs niht, ez wirt iu gar.
min minnesanc der diene iu dar
und iuwer hulde si min teil.
„und als iemen solquot; erklärt Wilmanns: „und zwar so, wie
es sich ziemt; Walther hebt seine Sangesweise als die rechte
hervorquot;; ich sehe aber auch hier den oben angeführten gradu-
alistischen Gedanken: und zwar so wie jeder, wer er auch sei,
seine ihm vorbestimmte Aufgabe zu vollbringen hat.
Lät mich an eime Stabe gän
Und werben umbe werdekeit
mit unverzageter arebeit,
als ich von kinde habe getan
so bin ich doch, swie nider ich si, der werden ein,
genuoc in miner mäze ho.
Hier hat sich Michels der Ansicht Burdachs angeschlossen,
der im Gegensatz zu Wilmanns interpretiert: „setzt einmal den
(unmöglichen) Fall, daß ich aller Mittel beraubt zu Fuß ein-
herziehen muß wie der elendeste Bänkelsänger, so werde ich,
vorausgesetzt, daß ich fortfahre nach werdekeit zu streben, wie
niedrig an äußerem Rang ich dann auch sei, immer zu den
Edeln gehören')quot;. Weshalb es hier, wo Walther eben gesagt
Burdach, Walther von der Vogelweide I, S. 11 und 275 ff.
-ocr page 109-hat, daß er wohl mehr als vierzig Jahre von „minnenquot; gesun-
gen hat, und daß er jetzt für das lebenweckende Gefühl der
minne zu alt sei, nun gerade, wie Burdach mit großem Auf-
Wand von Gelehrsamkeit beweisen will, der Stab der Armut
sein soll, vermag ich nicht einzusehen. Michels zitiert Winsbeke
50,1-6: „sun, swer mit tugenden hüses pfliget, der nimt an
Werdekeit niht abe und also mit der mâze wiget daz im gevolgen
(lies gevallen = congruere')) mac sin habe, und krüche der
an einem stabe, got und der werlte wsere er wert.quot; An dieser
Stelle kann sicher nicht der Stab der Armut gemeint sein. Der
Wirt, der mühsam am Stabe geht, kann rein körperlich wenig
Anspruch auf Ansehen erheben, denn nach dem Äußern erscheint
er als ein Geringer, trotzdem ist er als rechter Wirt, der die
Ausgaben den Einnahmen anzumessen weiß, vor Gott und
Menschen angesehen. In diesem Sinne haben wir auch 66,33 und
37 aufzufassen. Mit „Lät mich an einem stabe gânquot; legt der
Dichter nicht, wie Burdach meint, einen unmöglichen Fall vor;
ich verweise auf die Waltherstelle 91,1-4:
Lät mich zuo den vrouwen gân
so ist daz min allermeiste klage,
so ich ie mère zühte hän,
so ich ie minre werdekeit bejage.
Hier handelt es sich um einen durchaus real gedachten Fall.
Walther sagt: gesetzt ich gehe am Altersstabe und bemühe mich
Unverzagt um Ansehen in der Gesellschaft, wie ich das von
Jugend auf getan habe, so bin ich doch, wie gering ich auch
meiner Erscheinung nach sein mag, einer der Angesehenen; m
dem mir zugewiesenen Lebenskreise, in meinem Stande (eines
Dienenden vgl. 66,31.42) hoch genug. Walthers Leistungen, die
Vortreffliche Erfüllung der ihm auferlegten Lebensaufgabe, ver-
schaffen ihm das Recht auf Ansehen und verleihen ihm zugleich
ein hohes Selbstbewußtsein.
^althers Bohnenspruch.
Es ist bisher der Waltherforschung nicht gelungen, diesen Spruch
') ZfdA 68,129.
befriedigend zu deuten; auch Frantzen (Album Kern S. 310)
hatte die Hoffnung schon aufgegeben: „de volgende spreuk waz
êren hat fró Bóne is zeer duister en zal wel nooit voldoende
opgehelderd worden.quot; Man bat sich daher, wenn auch nur zö-
gernd, dem Einfall Lachmanns angeschlossen, der in der An-
merkung zu 17,25 folgende Erklärung gab: „Meine Auslegung
beruht auf dem von W. Grimm bemerkten Gegensatze des Auf-
und Abgesangs. Dieser Gegensatz scheint mir zu sein Bohne
und Halm. Ich glaube, ein Tadler, vielleicht der Dichter, den
das nächstfolgende Gesetz derb abfertigt, hatte Walthers Lied
vom Halmmessen verhöhnt, etwa in dem Sinne, Herrn Walthers
Halm sei keine Bohne wert, die man dagegen schon eher be-
singen könnte. Was, sagt der Dichter, ist an der Bohne zu loben,
sie ist Fastenspeise, vor und nach Himmelfahrt (none) faul, und
von Anfang voll Würmer; dagegen Halm, Korn und Stroh gut
und erfreulich und zu jeder Zeit brauchbar; aber vor der Bohne
muß man ein Paternoster beten, um ihrer los zu werden.quot; Sim-
rock bestritt, wie mir scheint mit Recht, diese Auffassung, denn
in dem Lied vom Halmmessen handelt es sich nicht um das
Lob des Halmes, sondern um ein Liebesorakel. Man sollte er-
warten, daß Walther im Bohnenspruch sich nicht die Gelegen-
heit hätte entgehen lassen, auf den Nutzen des Halms beim
Liebesorakel anzuspielen. Frantzen sucht Lachmanns Deutung
zu stützen, indem er meint, daß V. 17,36 er machet manic herze
fro den Worten 66,5 mich hat ein halm gemachet fró ent-
spricht. Zu einer wirklichen Begründung reicht dieser Anklang
nicht aus, auch im Lied des Königs von Odenwald (Germ.
23,193) heißt es: stró:machen die liute vró, in Walthers Vocal-
spiel 76,10 sumer, mache uns aber fró:stró. Frantzen hat a.a.O.
Lachmanns Einfall weitergesponnen, und ich würde seine Be-
merkungen hier nicht so ausführlich zitieren, wenn sich nicht
von Kraus so häufig auf ihn gestützt hätte. Frantzen meint
nämlich: „men heeft daaruit opgemaakt dat de aanvaller over
het halmlied van Walther had gespot. Men zou echter nog ver-
der kunnen gaan en het vermoeden opperen, dat de onbekende
bestrijder niet enkel een spotliedje had gedicht, maar dat hij
tegen den maker van het venijnige „bratenlietquot; de partij van
Philips had opgevat. Hij zou hem b.v. hebben kunnen verwij-
92
ten dat hij van zulke ordinaire dingen als gebraden vleesch had
gezongen en hem spottend hebben aangeraden liever van de
ordinairste spijs, van boonen te zingen, zooals hij immers al van
halm en stroo gezongen had. Dat zou een zeker licht werpen
op: si rehtiu vastenkiuwe: de boonen als vastenspijs tegenover het
gebraad! en de tegenstelling tusschen boon en halm ware dan
verklaard.quot; Aber nirgends, weder im Bohnenspruch noch im
Wîcmanspruch, wird auf Politisches hingewiesen, nichts erin-
nert im Bohnenspruch an den Spruch vom Braten; „de boon als
vastenspijs tegenover het gebraad!quot; Aus welchen Worten liest
nun Frantzen oder von Kraus das heraus, und wenn der Braten
zu den mit „ordinärquot; bezeichneten Dingen gehört, ist es dann
wahrscheinlich, daß ihm die Bohne als Fastenspeise gegenüber
gestellt wird? Gewiß macht Frantzen die richtige Bemerkung,
daß der Bratenspruch dem Bohnenspruch in beiden Handschrif-
ten unmittelbar vorhergeht, aber dieses äußere Argument allein
genügt nicht, und inhaltliche Beziehungen zwischen den beiden
Sprüchen hat er nicht zu entdecken vermocht. Andere Forscher
wie Walther') und Jantzen^) denken an ein „geteiltez spilquot;,
von dem das oben erwähnte Lied des Königs von Odenwald ein
Beispiel darstellt.
einer gît geteilter vil,
der ander rîmet swelchz er wil;
nü bin ich über ein kumen
und hän mir ein geteiltz numen:
borten clär von sîden,
die wölt ich lieber miden,
danne die vom strö,^
machen die liute vrô.
Auch Jantzen verwirft mit Simrock die oben dargelegte Deu-
tung Lachmanns. Er verweist, ohne jedoch an eine Beziehung zu
denken, auf Spervogels Halmspruch und glaubt aus dem An-
fang „waz eren hat frô bône, daz man so von ir singen solquot;
schlielien zu müssen, daß ein anderer Sänger ein Loblied auf
1) Walther PBB 33,4.
4 Jantzen, das Streitgedicht S. 35; 72; 74.
-ocr page 112-die Bohne gesungen hat, das nun von Walther widerlegt wird
An Jantzens Ausführungen anknüpfend, möchte ich behaupten,
daß der andere Sanger nicht ein Loblied auf die Bohne gesungen
hat sondern auf den Halm, und daß dieser Sänger kein anderer
hatte Was lage auch naher, als den einzigen Spruch in der mhd.
Literatur heranzuziehen, in dem in ähnlicher Weise das Lob
des Halmes gesungen wird. Gegen diesen Spruch wendet sich
Walther oder vielmehr gegen eine Verallgemeinerung der in ihm
enthaltenen Tendenz. Er wählt als Beispiel die BohL und stelk
die Frage: Besitzt die Bohne derartiges Ansehen, daß man so
(wie Spervogel vom Halm) von ihr singen wird? Walther schil-
dert nun die Bohne in ihrer ganzen Verworfenheit, um zu bewei-
sen, daß es keinem einfallen wird sie zu loben, und nachdem er
von dem Halm aussagt, daß es mit ihm eine ganz andere Be-
wandms habe, kommt er in der Schlußzeile wieder auf die Bohne
zuruci^ deren Unbeliebtheit er von neuem derb und kräftig be-
polemische Ton, den man hier heraushört,
1 egt lediglich in der scharfen Art, womit der Gedanke daß auch
die Bohne in der Weise wie der Halm gelobt werden könnte
zurückgewiesen wird.
17,25 Waz êren hât frö Böne
daz man so von ir singen sol?
si rehtiu vastenkiuwe!
si^st vor und nâch der nöne
fül und ist der wibel vol
wan êrest in der niuwe.
ein halm ist kreftec unde guot:
waz er uns allen liebes tuot!
er fröit vil manegem sinen muot
wie danne umb sinen sâmen?
von grase wirdet halm ze strö
er machet manic herze frö,
er ist guot nider unde hö.'
frou Bon, set liberâ nos â mâlô, âmen.
Zunächst sei das Lob des Halmes bei Walther und bei Sper-
vogel verglichen: Als höfische Dichter legen beide Wert auf die
Freude, die Halm oder Stroh gewähren. „Waz er uns allen liebes
94
tuot, er fröit vil manegem sinen muot, er machet manic herze
fröquot;, singt Walther. Spervogel kleidet diesen Gedanken in
die Worte: „des was al diu werlt ouch vro, wer gesach ie schoe-
ner ströquot; und hebt zugleich mit größerem Nachdruck als Wal-
ther den Nutzen hervor: „wir loben disen halm wand er uns
truoc; vernt was .. . korns genuoc. ez füllet gar dem riehen man
die schiure und ouch die kistequot;. Walther läßt uns mit den Wor-
ten : „wie danne umb sinen sämenquot; oder: „von grase wirdet halm
ze ströquot; nur den Nutzen erraten. Wir können daher bei Walther
eine mehr ästhetische, bei Spervogel eine mehr ethische Einstel-
lung beobachten.
Auf die Anfangsworte: wir loben disen halm bei Spervogel
wird deutlich in denen des Bohnenspruchs: waz eren hat frö
Böne Bezug genommen; auch den Gebrauch des „wirquot; nimmt
Walther herüber. Nur finden wir für den Gedanken in Spervo-
gels Strophenschluß, daß nämlich der Halm am Ende ze miste
wird, bei Walther nichts Entsprechendes, vielleicht weil es in die-
ser Beziehung keinen Unterschied zwischen Halm und Bohne
gibt.
In Walthers Bohnenspruch steht der Halm der Bohne ge-
genüber. Anfang und Schluß seiner Lobrede bildet die vorzüg-
liche Beschaffenheit des Halms: „ein halm ist kreftec unde guot,
er ist guot nider und hö (Wilmanns: „niderquot; als Halm, „hoquot; als
Korn); er nützt den Menschen, ist aber vor allem ein Freuden-
erreger. Die Bohne stellt in allem das Gegenteil dar: ihre in-
nere Beschaffenheit taugt nichts: sist vor und nach der nöne
fül und ist der wibel vol wan erest in der niuwe. Auch einen
Nutzen hat sie kaum, denn als Speise ist sie widerwärtig: sie
ist „rehtiu vastenkiuwequot;, und im Gegensatz zu dem Halm, der
überall Freude erweckt, ist sie verhaßt wie der Teufel, sodaß
man bei ihrem Anblick unwillkürlich ein Paternoster betet (auch
Walther 23,17 ist der Teufel das Bild für Verhaßtes.) Man kann
sich nun vorstellen, was am Meißener Hof geschah: Walther
hört Spervogels Spruch, in dem dieser an dem Beispiel des
Halmes dartut, daß jeder Mensch Anspruch auf Lob hat, der
seiner Bestimmung gemäß, und mag er auch dem geringsten
Stande angehören, seine Dienste leistet. Dem aristokratischen
Gefühl Walthers widerstrebt es, daß jeder Dienende in dieser
Hinsicht gleich behandelt werden soll. Für ihn ist zunächst die
Qualität des Mannes das Entscheidende, dazu seine wertvollen
Dienste und seine Beliebtheit beim Publikum. Nur ein Walther
hat das Recht sich als Halm zu betrachten, nicht aber der ihm
unsympathische Spervogel, dem es (nach Walthers Meinung)
an Fähigkeiten und Verdiensten mangelt, und der dem Publikum
verhaßt ist. Auf einen solchen Menschen paßt vielmehr das
Bild von der Bohne, und nun ergreift Walther im Bohnenspruch
die Gelegenheit den Gegner derb abzufertigen. Indem er die
Vorzüge des Halmes hervorhebt, weist er von selber die An-
maßung des als Bohne Qualifizierten zurück das Bild des Hal-
mes für sich in Anspruch zu nehmen.
c) DER WICMANSPRUCH
Wie wir nachgewiesen haben, bestanden also Beziehungen
zwischen Walther und Spervogel. Dieser hatte mit seinem Spruch
24,1 Walthers Mailied kritisiert, Walther wiederum hatte sich
in seinem Bohnenspruch gegen Spervogels Halmspruch gerich-
tet. Walther befand sich damals auf der Höhe seines Schaffens.
Wohl von Thüringen aus hatte ihn sein Weg nach Meißen ge-
führt, und hier am Meißener Hof, der Wirkungsstätte Morun-
gens, hatte vermutlich auch Spervogel Aufnahme gefunden.
Jedenfalls scheinen Walther und Spervogel hier einander nahe
getreten zu sein. Zwischen den beiden Dichtern herrschte eine
gewisse Rivalität. Daß Walther sich der besonderen Gunst des
Markgrafen erfreute, ersehen wir aus dem Dankspruch 18,15,
in dem er für ein Geschenk Ludwigs von Baiern dankt, das
ihm der Markgraf aus Franken mitgebracht hatte. Wir können
uns gut vorstellen, daß sich Walther als Künstler dem Sper-
vogel überlegen fühlte, und daß dieser es nur schwer ertrug,
von ihm in der Gunst des Publikums verdrängt zu werden. In
der Handschrift A folgt der Wicmanspruch unmittelbar nach
dem Bohnenspruch. Beide Sprüche haben eine agressive Ten-
denz, und es braucht uns nicht zu wundern, daß man zwischen
beiden von jeher einen Zusammenhang vermutet hat. Außer-
dem enthält der Anfang des Wicmanspruchs „Hêr Wicman, ist
daz èrequot; eine deutliche Beziehung auf die Anfangsworte des
Bohnenspruchs: „waz êren hât frô Bônequot;. Hierauf machte be-
96
reits Frantzen a.a.O. aufmerksam, und von Kraus wies ergän-
zend darauf hin, daß der C-Text des Wîcmanspruches diesen
Widerhall noch deutlicher hervortreten läßt ( Bohnenspruch :
waz éren hat frô Bône; Wîcmanspruch C Hér Volcnant, habt
irs ére.) Daher liegt der Gedanke nahe, daß Wîcman (Volcnant)
der Dichter ist, gegen den Walther im Bohnenspruch polemisiert,
und da unsere Untersuchungen ergeben haben, daß sich Walther
hier gegen Spervogel wendet, müssen Wîcman (Volcnant) und
Spervogel identisch sein.
In diesem Zusammenhange verdient auch das Strophen-
schema dieser Sprüche und insbesondere die Verlängerung der
10. Zeile im Wîcmanspruch Beachtung. Der sogenannte 2. Phi-
lippston besteht nach Wilmanns aus einem Aufgesang von zwei
dreizeiligen Stollen und einem achtzeiligen Abgesang. Es ist
möglich Walthers Abgesang von dem Spervogelton herzuleiten,
wenn wir zunächst hier mit dem dritten Vers anfangen und die
Waise verdreifachen:
Der Spervogelton (-6, ^6)nbsp;^4,
wird dannnbsp;-4, „4,nbsp;(3 X), -3^
In Walthers Strophenschema ist der Schlußvers um zwei He-
bungen verlängert,nbsp;„4, .3..,, (3 X),
wodurch die Übereinstimmung mit dem Spervogelton stärker
zurücktritt. Nach diesem Schema sind die Abgesänge der drei
Sprüche 16,36 17,11 17,25 gebaut. Während keiner dieser
Sprüche ein Schwanken in der Taktzahl der 4. Zeile verrät,
hat beim Wîcmanspruch die Handschrift A hier 4 Hebungen,
auch C, wenn wir das metrisch störende „rehtequot;, womit wohl
der Schreiber diese Zeile dem Schlußvers angleichen wollte,
streichen. Stellt man hier mit Bartsch'), Wallner und von
Kraus einen Dreihebler her, so droht die Gefahr, daß ma.n der
Überlieferung nicht gerecht wird und eine Besonderheit des
Spruches verwischt. Walther mag, als er nach Mitteldeutsch-
land kam, sich an den dort beliebten Spervogelton angelehnt
haben, in dem Wîcmanspruch aber, diesem Anti-Spervogel-
spruch, hat er in der Absicht, seine Eigenart Spervogel gegen-
1) Germania 6,197.
7nbsp;97
über zu betonen und deswegen weiter vom Spervogelton ab-
zurücken, den Vers um eine Hebung verlängert.
In dem nun folgenden Dankspruch hat die 4. Zeile in A 3 He-
bungen, in C 5 Hebungen; auch hier hat C wohl eine Anglei-
chung an den Schlußvers vorgenommen; das Bedürfnis die Ab-
weichung vom Spervogelton zu verstärken, lag hier nicht
mehr vor.
Aus Ärger über die Kritik des Mailiedes in Spervogels Minne-
spruch dichtete Walther den Wicmanspruch. Die Interpretation
dieses Spruches wird Gelegenheit bieten die Richtigkeit der von
uns entdeckten Voraussetzung zu prüfen. Gleichzeitig werden
wir beurteilen können, ob das hier von Walthers Gegner ent-
worfene Bild zu der Dichtergestalt paßt, die uns in Spervogels
Sprüchen entgegentritt. Der Text des Spruches ist noch um-
stritten: bisher galt der A-Text, dem Lachmann und Wilmanns
folgten, als der vorzüglichere, dann trat Wallner') für den Text
von C ein, ihm schließt sich jetzt von Kraus an. Ich gebe beide
Fassungen, die, wie man sehen wird, stark von einander ab-
weichen :
Hs. A. Her wicman ist d'ere
dc man die meister irten sol,
so meinst'lichen spreche.
lat ez uch geschehen niht mere
vur war ich uch dc raten sol.
WC obe her waither irruhe
ir solt ez doch iem'han vor uch.
also der wetze vor d'spriu.
singet er einz er singet drü.
dc gelichet sich rechte alse ars und mane
her waither singet wc er wil
des kurzen und des langen vil.
sus meret er der weite spil
so iagent ir alse ein leithunt nach wane.
Hs. C. Her volcnant habt irs ere
das ir den meistern tretten weit
ir meisterlichen Sprüche
___latz iu geschehen niht mere
') PBB 33,4.
98
sit das mans iu zunwizen zeit
wan ob her waither krüche
man beten doch vil bas danne iu
er ist das korn ir sit diu spriu
singet ir eins er singet driu
ir sit gelich als ars und mane
her waither singet swas er wil
des kurken und des langen vil
sus meret er der werlt ir spil
so iagent ir als ein valscher hunt nach wane.
Vergleicht man beide Texte miteinander, so ergibt sich, daß
die Abweichungen besonders die Verse 18,2 und 18,5 sowie
18,7.8 betreffen. Sie lassen sich, wenn wir von dem C-Text als
dem ursprünglichen ausgehen, mühelos erklären: zunwizen C
18,5 gehört zu den Wörtern, die bei schlechter Überlieferung oft
nicht mehr lesbar sind und dann zu Änderungen Anlaß geben;
mit 18,5 wurde auch die im Reime korrespondierende Zeile 18,2
in Mitleidenschaft gezogen. 18,7 handelt es sich um den dialek-
tisch gefärbten Accusativ iu (vgl. Schirokauer PBB 47,70; vor-
wiegend nd.; auch A. v. Halberstadt Zs. 11), der dem Ober-
deutschen nicht geläufig war. Um diese Form als Dativ auf-
fassen zu können, wurde der Text geändert und die Ausdrucks-
weise mit vor („vorquot; mit dem Dativ drückt wie „fürquot; mit dem
Akkusativ einen Vorzug aus) führte zu dem Bild von der Wurf-
schaufel und bewirkte auch die Aufnahme des „vorquot; in der fol-
genden Zeile (die uch-Formen vom A-Schreiber sind natürlich
Dativformen, vgl. Paul mhd. Gr. 12. Aufl. S. 99,5).
Der C-Text ist überhaupt agressiver: C 18,1 habt irs ere daz
ir den meistern tretten weit 18,5 zunwizen zeit 18,8 er ist das
korn ir sit diu spriu 18,10 ir sit gelich als ars und mane. Mit
von Kraus halte ich A waz obe und leithunt für besser als die
Lesarten in C. Auch scheint mir 18,10 zu dem Vergleich mit
„ars und manequot; „daz gelichet sichquot; nach A besser zu stimmen
als daz „irquot; aus C; 18,8.9 mag der kunstvolle metrische und
sprachliche Parallelismus als Vorzug des C-Textes gelten.
18,1 Hêr Volcnant habt irs ère
daz ir den meistern treten weit
ir meisterlichen Sprüche?
lâtz iu geschehen nicht mère
sît daz manz iu zunwizen zeit.
waz ob hêr Walther krüche?
man heten doch vil baz danne iu,
er ist daz korn, ir sit diu spriu;
Singet ir einz, er singet driu.
daz glichet sich als ars und mäne.
Hèr Walther singet swaz er wil,
des kurzen und des langen vil;
sus mèret er der werlt ir spil ;
sô iaget ir als ein leitehunt nâch wâne.
18,1 bis 6 enthalten Volcnants Vergehen: seine Kritik der
Waltherschen „Sprüchequot;. Sind mit diesen „Sprüchequot; die in der
Hs. A unmittelbar vorhergehenden Sprüche gemeint? Von Kraus
z.B. will 18,2 „soquot; aus A herübernehmen „weil damit deutlich
auf die vorhergehenden Sprüche 17,11 17,25 hingedeutet wird,
von denen ja tatsächlich der erstere den Angriffspunkt für die
Kritik des Volcnant geliefert hat, und der zweite die Erwiderung
Walthers bringtquot;. Entspricht mhd. Sprüche dem nhd. Sprüche?
Vor der Auffassung dieses Wortes in modern wissenschaftlichem
Sinne wird im DWB nachdrücklich gewarnt: „die sachliche Un-
terscheidung mag berechtigt sein, es ist dafür nicht der Beweis
erbracht, daß das Wort „spruchquot; im Mittelhochdeutschen in
diesem technischen Sinne gebräuchlich war.quot; Es scheint mir
daher erwünscht die Bedeutung, die das Wort bei Walther hat,
eindeutig festzustellen. Walther verwendet nämlich die Mehr-
zahl Sprüche noch an zwei andren Stellen; zunächst 26,27:
Ich han hèrn Otten triuwe, er welle mich noch riehen
wie nam abe er min dienest ie sô trügelichen
ald waz bestèt ze lône des den künec Friderîchen?
min vorderunge ist üf in kleiner danne ein bône;
ezn si sô vil, obe er der alten Sprüche waere frô;
ein vater lêrte wilent sinen sun also,
„sun, diene manne bœstem daz dir manne beste lône.quot;
hèr Otte, ich binz der sun, ir sit der bœste man,
wand ich sô rehte bœsen hérren nie gewan:
hèr künec, sit irz der beste, sit iu got des lônes gan.
Auch hier wurde „Sprüchequot; von den Waltherforschern als
100
Sprüche aufgefaßt. So bemerkt Wilmanns zu 26,27: „mit den
Sprüchen meint Walther seine früheren Lieder, namentlich wohl
die im Dienste der Staufenschen Politiek gedichteten. Walther
mag sie vor Friedrich gesungen haben.quot; Auch Burdach') meint:
„Walther deutet an, daß Friedrich sich über seine alten Sprüche
gefreut habe d.h. Sprüche, welche er einst im Dienste der Stau-
fischen Sache für seinen Oheim Philipp gesungen hatte. Aber
wir können annehmen, daß Friedrich, der deutsches Wesen,
deutsche Sprache und Dichtung aus eigener Anschauung kaum
kannte, von anderer Seite auf Walther und seine politische
Dichtung hingewiesen war.quot;
Daß „Sprüchequot; hier in anderem Sinne aufzufassen ist, hatte
schon Rieger bemerkt, der den Ausdruck „die alten sprüchequot;
auf den unmittelbar folgenden Spruch (Sprichwort) bezog. Ihm
stimmte von Kraus zu, der auf HMS 153 a weist: „die alten
Sprüche sagent uns daz: swes brot man ezzen wil, des liet sol
man singen gerne und spiln mit vlize swes er wil.quot; Walther hat
hier wie auch sonst das eigene Interesse mit dem des Ange-
bettelten zu verbinden gesucht. Richtet Friedrich sich nach dem
alten Spruch, so erweist er sich dadurch im Vergleich mit Otto
als den besseren Mann, und Walther hat den materiellen Vor-
teil. Gewöhnlich werden diese Art „sprüchequot; als alt bezeichnet;
das Alter verbürgt ihre Gültigkeit. Deutlicher ist die zweite
Stelle 48,13:
Hie vor, dö man so rehte minneclichen warp
dö waren mine sprüche fröiden riche
Sit daz diu minnecliche minne also verdarp
sit sanc ouch ich ein teil unminnecliche.
Hier handelt es sich sicher nicht um Sprüche in modern-
technischem Sinne, sondern um Minnesang, wie z.B. auch Mo-
rungen MF 106,35: „nieman sol daz rechen, ob ich hohe
Sprüche hän, wä von sol der sprechen, der nie höhen muot ge-
wan?quot; oder 136,25 „swä ich vor ir stän und sprüche ein wunder
vinde und muoz doch von ir ungesprochen gän.quot; Unter „sprüchequot;
Burdach, Walther von der Vogelweide I, S. 78.
ZfdA 47,232.
-ocr page 120-sind hier wohl Sätze zu verstehen, die durch ihren Inhalt oder
durch ihren poetischen Schwung bedeutsam sind. Wir können
uns daher der Angabe des DWB auch in Bezug auf die Stellen
bei Walther anschließen: „spruch (sprüche): überhaupt kurze
geschlossene Wortverbindung, Behauptung, Satz mit eigenarti-
gem Inhalt, besonders soweit sie auf allgemeine Beachtung An-
spruch machen.quot;
Walther gebraucht Sprüche nicht für „Sprüchequot; in technischem
Sinn. Wenn er 84,28 sagt: „nü hilf mir edelr küneges rät,
da enzwischen dringen, daz wir als e ein ungehazzet liet ze-
samene bringenquot;, so ist mit diesem „lietquot; (vgl. von Kraus a.a.O.
gegen Wilmanns) wahrscheinlich ein Spruch gemeint.
Diese Abschweifung war nötig, um klarzustellen, daß „ir
meisterlichen sprüchequot; sich ebensogut auf den Minnesang be-
ziehen kann, und damit bestätigt sich unsere Vermutung. Wir
haben ja gesehen, daß Spervogel Walthers Mailied kritisiert
hatte, und auf diese Kritik stimmt von Walthers Seite vortreff-
lich das Urteil (18,5): da man es Euch als Mangel an Einsicht,
als Unverstand anrechnet; so wird sich Walthers Umgebung,
in die auch Morungen gehörte, über Spervogels Kritik geäußert
haben.
Es fällt auf, daß Walther nicht nur in eigenem Interesse
spricht, sondern die „meisterquot; vor Volcnant in Schutz nimmt,
mit denen natürlich an erster Stelle Walther selbst gemeint ist.
Diese Bezeichnung hat Befremden erweckt: sie wurde von
Schwietering (S. 60) und von von Kraus als Grund für Unecht-
heit der Strophe angeführt; sicher mit Unrecht, denn Walther
hat sich selbst als Meister gefühlt (Plenio PBB 42,425 Fuß-
note) : man vergleiche 80,32 wo Walther sich mit Stolz den von
ihm verachteten Sängern gegenüber als Meister bezeichnet: „in
braehte ein meister baz ze maere danne tüsent snarrenzaere, taet
er den hovewerden bazquot; und weiter 101,33 „nü si din schuole
meisterlös an miner stat.quot; Auch die Zeitgenossen verehrten ihn
als Meister, wie aus der Tristanstelle 4798 (meisterinne) und
aus den bei Wilmanns angeführten Strophen 108,6 „uns ist un-
sers sanges meister an die vart, den man e von der Vogelweide
nandequot; hervorgeht. Plenio a.a.O. bemerkt, daß auch die Tage-
lieddichter, mit denen also höfische Lyriker gemeint sind,
102
„meisterquot; heißen (Lichtenstein 509,14), ebenso Wolfram bei
Walther (122,24).
Mit den „meisternquot; könnte Walther also außer sich selbst
auch Morungen gemeint haben, obwohl sich in Spervogels
Sprüchen zwar Einfluß dieses Dichters, aber keine Hinweise
auf eine feindliche Stellung zu ihm entdecken lassen. Wahr-
scheinlich ist es, daß Walther Morungen auf seiner Seite wußte,
war doch das Mailied auf Anregung Morungens entstanden
(MF 141,12-14).
Gleich anfangs rückt Walther, indem er sich den Meistern
zuzählt, von dem Gegner ab, der „in seines nichts durchbohren-
dem Gefühlequot; stehen bleibt und zugleich mit dem Makel be-
haftet wird, daß er so unanständig und frech ist, die „meister-
lichen Sprüchequot; solcher hochverehrten Männer zu schmähen.
Ich lehne die von von Kraus 18,2 für „tretenquot; vorgeschlagene
Konjektur ritern = sieben ab, weil dieses Wort in Walthers
Munde eine schiefe Andeutung für Spervogels Kritik wäre.
Denn wer siebt, dem ist es um das Gute zu tun, das vom Schlech-
ten gesondert werden soll, und wenn die Kritik dies bezweckt,
so kann der Kritiker keineswegs eine verabscheuungswürdige
Persönlichkeit sein; das ritern paßt also nicht zu Walthers
schroffer Ablehnung der Spervogelschen Kritik und zu seinem
vernichtenden Urteil über den Gegner selbst.
Auch mit der Deutung, die von Kraus dem Worte „krüchequot;
verleiht 18,6 bin ich nicht einverstanden. Er erklärt dieses Wort
im Hinblick auf das Strophenschema folgendermaßen: „Wenn
die Melodie, was bei der sonstigen Paarigkeit des Strophenbaus
doch wohl wahrscheinlich ist, in der zehnten Zeile gleichfalls
sechs Takte umspannte wie in der letzten dann mußten die
sprachlichen Vierer gedehnt werden, um den melodischen Rah-
men zu füllen. Dem Inhalt nach vertragen sie das sehr wohl,
ja solche Dehnung kommt ihnen zugute, denn die fraglichen
Verse bringen etwas Bedeutsames ... Eine solche verlangsamen-
de Vortragsweise konnte ein böswilliger Kritiker sehr wohl als
„kriechenquot; bezeichnen.quot;
Kann ein kunsttechnischer Griff, so fragen wir, der doch dem
Publikum nur die Meisterschaft des Sängers in der Melodik
bekundete, einem Kritiker Anlaß zu einem Angriff geboten
haben? Dann ließe sich noch eher an die von mir bemerkte
Übereinstimmung des 2. Philippstons mit dem Spervogelton
denken: ein Dichter wie Spervögel, der sich immer eines und
desselben Tones bediente, konnte die Ähnlichkeit bemerkt und
höhnisch gesagt haben, daß Walther sich anlehne, sich an seinen
Ton anlehne, also (am Stabe) krieche: das hätte dann eine
scharfe persönliche Spitze gehabt. Damit ließe sich auch die
auffallende Abweichung im Bau des Wicmanspruchs erklären.
Aber warum sollte man das Wort „krüchequot; nicht ungefähr in
demselben Sinn auffassen, in dem es der Winsbeke an der wie-
derholt zitierten Stelle 50,5 verwendet, nämlich „aus Kraft-
losigkeit nicht aufrecht gehen können und daher einen unan-
sehnlichen Eindruck machen?quot; Es wird dann einfach 18,6 ge-
sagt : „Und wenn Walther in der Tat, wie du, Volcnant, es ihm
vorwirfst, aus Mangel an dichterischer Kraft ein schlechtes Lied
brächte und damit einen stümperhaften Eindruck machte! Ich
ziehe jedenfalls diese einfachere Deutung vor. In 18,6 wird also
als Abschluß der Anklage gegen Spervögel dessen Kritik über-
scharf und prägnant zusammengefaßt.
Ist Spervögel wirklich ein „neidischer, kritisierender poeti-
scher Concurrent')quot; gewesen, wie sich aus Walthers Worten
schließen ließe? Spervogels Sprüche zeigen ihn uns als einen
sentimentalen Dichter, als einen Menschen, der bei ungerechter
Behandlung seinen Trost in der Zukunft sucht. Wenn er es
24,1 wagte Walthers Mailied zu bekritteln, so trieb ihn eben
der Umstand dazu, daß Walther sein Rivale war. Um die hef-
tige Entladung im Wîcmanspruch zu verstehen, müssen wir
meines Erachtens Walthers Charakter berücksichtigen, der nach
Burdachs Schilderung „ ... receptiv bis zur Reizbarkeit und
höchsten Gereiztheit, selbständig, unverträglich und streitsüch-
tig')quot; war. Schon ein geringer Anlaß mag genügt haben Wal-
thers Zorn zu erregen, um wieviel mehr eine Schmähung des
Liedes, in dem er so ganz aus seinem innersten Wesen heraus
die hoheitsvolle, reizende Erscheinung der Dame der mittelalter-
Burdach, Walther von der Vogelweide I, S. 98.
Burdach, Reinmar der Alte und Walther, S. 10.
liehen Gesellschaft in schwungvollen Worten (mit „meister-
lichen Sprüchenquot;) geschildert hatte. Kein Wunder also, wenn
er dadurch in maßlose Aufregung versetzt wurde und ihm das
Gefühl für die Grenzen des Anstands abhanden zu kommen
drohte.nbsp;• , • •
Walther war sich seines Wertes bewußt, und die Objektivie-
rung „her Waltherquot; eröffnete ihm die Möglichkeit sich seines
Könnens ungeniert zu rühmen, sich in seiner ganzen genialen
Größe vor den Gegner hinzustellen, ihn durch die Wucht semer
Persönlichkeit moralisch zu erdrücken und ihn dem öffentli-
chen Hohn preiszugeben.
Wie im Bohnenspruch Halm und Bohne einander gegenüber-
gestellt werden, so hier Korn und Spreu. Walther ist Halm und
Korn, der elende Gegner die wertlose Bohne und Spreu. Er be-
tont die eigene Schöpferkraft: „singet ir einz, er singet driuquot;.
Ich glaube nicht, daß Walther bei „driuquot; an die in der Hs. A
unmittelbar vorhergehenden drei Sprüche denkt, wie von Kraus
meint; es sind offenbar traditionelle Zahlen. Messen wir das
kleine' Häuflein der uns erhaltenen Spervogelsprüche an Wal-
thers reicher Fülle, so ist das Zahlenverhältnis für Spervogel
noch viel zu günstig. Derb und höhnisch charakterisiert Wal-
ther den Unterschied zwischen sich und dem Widerpart mit dem
drastischen Vergleich von ars und mäne (vgl. die schwäbische
Redensart das reimt sich wie ars und Friedrich ZfdA 49,155).
Zum zweiten Male holt Walther aus und vergleicht sein geniales
Schaffen mit dem stümperhaften Gebaren des andern: „Hêr
Walther singet swaz er wil, des kurzen und des langen vil.quot; Wil-
manns meint, Walther habe mit diesen Worten Wicmans Tadel,
daß die Sprüche 18.1 und 18,15 in ihrer zehnten Zeile das Maß
der drei vorhergehenden überschritten, zurückgewiesen. Mit
Recht lehnt von Kraus diese Vermutung ab, glaubt vielmehr,
daß der Ausdruck vom Kriechen und des langen und des kurzen
Singen auf dasselbe hinzielen: nämlich auf den Umstand, daß
die 10. Zeile in diesem Tone um zwei Takte weniger zählt als
die Schlußzeile, also der sprachliche Vierer der }0. gedehnt wer-
den müsse, um den melodischen Rahmen zu füllen. Aber auch
diese Erklärung ist kaum haltbar: im W. Gast verwendet Tho-
masin von Zirclaria denselben Ausdruck, wenn er Walthers
105
-ocr page 124-Streit gegen den Papst tadelt, sicher ohne dabei an die Sprüche
im 2. Philippston zu denken. Auch Wolfram gebraucht diesen
Ausdruck (Vl,7,34): „Din güetlich geläz mich twanc,quot; sagt er
zu seiner Dame, „daz ich dir beide sing al kurz od wiltu lancquot;.
Hier haben wir an Minnelyrik zu denken und wohl auch bei
Walther. Darauf weist meines Erachtens die folgende Zeile
(vgl. Walther 83,7). Zu diesem Ausdruck bemerkt Plenio')
„Leider sind diese term. techn. nicht eindeutig. Einerseits wur-
den sie auf den Umfang des ganzen Strophenschemas bezo-
gen ..., andererseits aber sind Liechtensteins „lange wisenquot;
(III. XV) nicht durch besondere Ausdehnung des Schemas von
seinen andren Strophenformen (die z. T. länger sind) unter-
schieden, hier mag, meine ich, die Bezeichnung „lancquot; auf ir-
gendwelchen Eigenheiten der Melodie beruhen, die wir nun
leider nicht kennen.quot; Es ist also nicht zu unterscheiden, ob die
Verse 11 und 12 seine Meisterschaft in der Strophik oder Melo-
dik hervorheben. Walther, geschult und begabt, besitzt dichteri-
sche Meisterschaft; Spervogel dagegen ist an den einen Ton
gebunden wie ein Hund an die Leine. Er vermag nicht das
dichterische Ziel ins Auge fassend seinen eigenen Weg zu wäh-
len; er muß abwarten, wohin dieser einzige ihm zur Verfügung
stehende Ton ihn führt. Er kann nur am Gängelband dieses
einen Tones gehen: er jaget nach wäne.
Es erregt Verwunderung, daß Walther sich nicht unmittelbar
gegen Volcnant richtet, sondern als hêr Walther auftritt. Saran
hat diese Objektivierung für ein Zeichen der Unechtheit gehal-
ten und für diese seine Vermutung weitere Gründe gesucht und
gefunden. So weist er^) auf die schon von Wilmanns bemerkte
für Walther ungewöhnliche Inclination 18,4 lat ez A latz C,
auf die schwebende Betonung singé(n)t, auf den derben Ver-
gleich in V. 10, alles an und für sich, wie Saran zugibt, unbe-
deutende Abweichungen von dem, was bei Walther als Norm
erscheint. Sie sind von Wallner PBB 35,191 zum Teil wider-
legt worden. Wallners Ausführungen ließen sich noch dahin ergän-
zen, daß schwebende Betonung im Verseingang bei Walther nicht
PBB 41,78 f.
PBB 27,202.
-ocr page 125-selten vorkommt; auch wäre hier vielleicht „singtquot; ohne Auf-
takt wie 17,15 und 17,29 zu lesen.
Mit „hêr Waltherquot; sichert der Dichter sich vor dem Vor-
wurf des Eigenlobes, zugleich bezweckt er wohl, wie auch Wall-
ner und Fischer') schon vermuteten, die Nachäffung des
Gegners. In ähnlicher Art ironisiert Walther 34,4 den Papst
( ich hän zwên Almän under eine kröne brähtquot;). Man kann
sich vorstellen, daß Spervogel, der in seinen Sprüchen die di-
rekte Anrede meidet, auch Walther von der Vogelweide immer
nur mit hêr Walther angeredet hat, und diese unmannhafte
Art wollte Walther hier wohl an den Pranger stellen.
Triftige Argumente gegen die Echtheit der Strophe sind nicht
beigebracht worden, sie trägt im Gegenteil, wie mir scheint, in
starkem Maße Walthers Gepräge: der gereizte Ton, die auf-
lodernde Leidenschaft kennzeichnen schon den Dichter als den
Interessenten wie auch der derbe Vergleich, zu dem der Zorn
ihn hinriß. Trotz der gereizten Stimmung fließt die Redeflut
rhythmisch beherrscht dahin. Auf Übereinstimmungen mit dem
Bohnenspruch: die agressive Stimmung, den Vergleich Halm-
Bohne, Korn-Spreu wurde schon aufmerksam gemacht'). Vor
allem fällt die Tatsache ins Gewicht, daß sich hier die allen
Sprüchen gemeinsame Gedankengliederung nachweisen läßt, die
sich dem metrischen Bau der Strophe anschmiegt. Aufgesang
und Abgesang heben sich inhaltlich von einander ab: in 16,36
richtet sich der Aufgesang an Philipp, der Abgesang erörtert
den Nutzen der milte; in 17,11 enthält der Aufgesang den Rat
an die Köche, der Abgesang berichtet warnend über die Vor-
gänge in Griechenland; in dem Bohnenspruch wendet der Auf-
gesang sich gegen die Bohne, der Abgesang (außer dem Schluß-
vers) lobt den Halm. In unserem Spruch enthält der Aufgesang
die Anklage, der Abgesang das Strafgericht.
Forscher, die an die Unechtheit der Wicmanstrophe glauben,
behaupten, daß mit ihr das „lietquot; (andre Lesart, „liehtquot;) 18,15
1) Vgl. Wilmanns-Michels, Leben, S. 338 f.
ZfdA 49,154.
0 Auch schliessen die beiden Strophen 18,1 und 18,15 mit einem Bild,
das dem Jagdleben entnommen ist.
gemeint sei, das dem Dichter vom Markgrafen überbracht
wurde. Der Vollständigkeit wegen geben wir daher auch diesen
Spruch 18,15, obwohl er nach unserer Meinung mit dem Wic-
manspruch oder dem Spervogel-Walther-Streit nicht direkt zu-
sammenhängt. Wohl stützt er unsre Vermutung, daß sich dieser
Streit in Meißen abgespielt hat, zumal Wicmanspruch und
Missenasrespruch in den beiden Handschriften unmittelbar auf-
einander folgen; auch zeugt er von der besonderen Gunst, deren
Walther sich in Meißen erfreute.
d) STR. 18,15
Mir hât ein lieht von Franken
der stolze Missenœre brâht
daz vert von Ludewige.
ichn kan ims niht gedanken
sô wol als er min hât gedâht
wan daz ich tiefe nige.
Künd ich swaz ieman guotes kan
daz teilte ich mit dem werden man,
der mir sô höher êren gan.
got müeze im ère mèren.
zuo flieze im aller saslden fluz,
niht wildes mide sinen schuz,
sins hundes louf, sins hornes duz
erhelle und erschelle im wol nâch êren.
Es ist viel darüber gestritten worden, ob Walther dem
Meißner oder dem Ludwig seinen Dank ausspricht. Von Kraus,
der den Wicmanspruch für das überbrachte Geschenk, „daz
lietquot; hält, äußert sich zu der Frage, wer diesen Spruch gedichtet
habe, folgendermaßen: „Die Antwort hängt davon ab, an wen
der Dank gerichtet ist, an Ludwig oder an den Meißner. Pfeiffer
und weniger bestimmt auch Paul dachten an den letzteren.
Aber die Worte „ichn kan ims niht gedanken, so wol als er
min hât gedâhtquot; passen viel natürlicher auf den, von dem die
Ehrenrettung und der Preis von Walthers Kunst ausgeht, als
auf den der beides nur übermittelt. Ebenso bezieht man den
Vers „der mir so höher êren ganquot; doch weit ungezwungener
auf den ehrenden Inhalt, als auf das bloße überbringen. Der
Dank gilt also sicherlich dem Ludwig, wie schon Lachmann
108
(zu 28 15) gemeint hat, der unsern Spruch (und damit auch den
vorhergehenden) ins Jahr 1212 setzt.quot; Wie hat man sich die
Situation vorzustellen? Ludwig von Baiern gibt dem Meißner
ein Geschenk für Walther mit. Walther und der Meißner sind
miteinander bekannt, sie stehen auf vertrautem Fuß, sonst
hätte der Meißner sich nicht die Mühe gegeben das Geschenk
mitzunehmen. Ob Ludwig und Walther in einem so intimen
Verhältnis zueinander standen, wissen wir nicht. Was ist nun
natürlicher als anzunehmen, daß es der Meißner gewesen war,
der Walthers Interessen so warm bei Ludwig vertreten hatte,
daß dieser sich veranlaßt fühlte, dem Dichter seine Achtung zu
bezeugen? „so wol als er min hat gedähtquot; wird sich also wohl
auf das Lob, auf die Fürsprache des Meißner beziehen müssen,
durch die Ludwigs Sympathie für den Dichter geweckt wurde.
Ich möchte auf eine Parallelstelle weisen, wo „gedenkenquot; in
demselben Sinne gebraucht wird:
106,3 Ich hän dem Missenaere
gefüeget manec msere
baz danne er nü gedenke min.
Hier steht das, was Walther von dem Meißner verkündet
hatte, im Widerspruch zu der Art wie der Meißner sich jetzt
über ' Walther äußert. Auch macht Wallner mit Recht darauf
aufmerksam, daß der Dichter die Worte „wan daz ich tiefe nigequot;
schwerlich an den in der Ferne sich befindenden Ludwig ge-
richtet haben könne. Ich weise in diesem Zusammenhang auf
Strophe 84,30, wo ein ähnliches Verhältnis vorliegt, indem Wal-
ther sich mit seinem Dank an den in der Ferne weilenden
Kaiser wendet.
Von Röme keiser here, ir hänt also getän ^
ze minen dingen, daz ich iu muoz danken lan:^
in kan iu selbe niht gedanken, als ich willen han.
Also wäre Pfeiffer c.s. gegenüber von Kraus im Recht? Auf
Grund der in den andern Sprüchen dieses Tones beobachteten
Gedankengliederung glaube ich zur Schlichtung des Streites
folgendes anführen zu können: Walther dankt im Aufgesang
109
-ocr page 128-dem Meißner, dem Überbringer des Geschenkes, im Abgesang
aber Ludwig, dem Spender der Gabe. Daß dieser ein vornehmer
Herr gewesen sein muß, darauf deutet die ehrfurchtsvolle Art,
in der der Dichter sich an ihn richtet, das Jagdheil, das der
Dichter ihm wünscht und die Tatsache, daß dem Dichter mit
dieser Gabe eine so hohe Auszeichnung zuteil wird (V. 18,23).
Es ist ausgeschlossen, daß wir in ihm einen besitzlosen Dichter
zu sehen haben.
Sowohl in dem oben erwähnten Spruch 84,33 wie hier in
18,15 empfindet Walther es als eine erfreuende, ehrenvolle Aus-
zeichnung, daß ihm von einer hohen Persönlichkeit aus der
Ferne ein „liehtquot; (Kerze) geschickt wird.
Liest man 18,15 mit Saran, Frantzen, Plenio und von Kraus
liet (C und Z) statt lieht (A) und betrachtet man Str. 18,1 als
den vom Meißner aus Franken mitgebrachten Spruch, so hat
man sich gezwungenermaßen die Sache so vorzustellen: Dietrich
von Meißen trifft in Franken mit Ludwig von Baiern zusammen.
Der Markgraf erzählt dem Baiernherzog von dem Ärger, den
Wicman dem hochgeschätzten Dichter bereitet. Da entschließt
sich Ludwig ein Lied zu dichten oder einem (ungenannten)
Dichter den Auftrag dazu zu erteilen, in dem Walther Wicman
gegenüber rehabilitiert wird; das wäre dann die Strophe 18,1
gewesen. Gegen diese Vorstellung spricht allerdings die Erwä-
gung, daß der Wicmanspruch eine so eingehende Kenntnis von
den Mißhelligkeiten zwischen den beiden Dichtern voraussetzt,
wie sie nur derjenige besitzen kann, der alles in nächster Nähe
miterlebt hat. überdies enthalten die Anfangsworte des Wic-
manspruchs, wie auch Frantzen und von Kraus bemerkten, eine
deutliche Beziehung auf die Anfangszeile im Bohnenspruch.
Wenn ein Dichter in Franken den Wicmanspruch gedichtet hat,
muß ihm der Bohnenspruch vorgelegen haben. Wenn wir weiter
bedenken, daß der Wicmanspruch stilistisch ein ebenbürtiges
Seitenstück zum Bohnenspruch darstellt, so ließe sich die Frage
stellen, welcher Dichter imstande gewesen wäre Walthers Stil
so täuschend nachzuahmen, so vollkommen die Wallungen
seines Blutes in sich selber zu empfinden. Walther erwähnt in
dem Spruch 18,23 nur die hohe Auszeichnung, mit keinem Worte
wird des Streites mit Wicman gedacht. Von Kraus meint mit
110
„so hoher erenquot; wäre nicht etwas so Materielles wie eine Kerze
gemeint, aber es handelt sich ja gar nicht um das Stück Wachs,
sondern'um die symbolische Bedeutung, die die Kerze für Wal-
ther haben mußte. Der Spruch wäre nach von Kraus als eine
Ehrenrettung für Walther gemeint; als ob Walther einer Ehren-
rettung gegen den weniger Begabten bedurft hätte.
Entstand der Spruch 18,15 in Meißen, so ist es möglich, daß
das Wort „liehtquot; in dieser Gegend in dem Sinn von Kerze ge-
bräuchlich war. Wenn Hermann PauP) das Wort im Ober-
deutschen in dieser Bedeutung nicht kennt, so ist damit noch
nichts gegen den Gebrauch in unsrem Spruch gesagt. So ver-
wendet Walther hier auch das Wort stolz (v. 16), das nach
Wilmanns ursprünglich in Oberdeutschland nicht recht hei-
misch war.
e) SPERVOGEL 23,5
Dieser Spruch ist uns sowohl in der Hs. C wie J enthalten.
Ich gebe beide Fassungen:
C. Mich wundert dicke de ein wol geraten man
under sinen friunden niht erben kan
si sin im ane schulde gehas
und gunden einen frömden bas
der eren so er solde pflegen
bi in in den landen
so si des friundes nien enhant
si trüegen in uf den banden.
J. Mich nympt wunder daz ein reyne byderbe man
umme syner vriunde hulde niht werben kan
sie ne tragen ym ane sculde haz
unde gunden eynem vremden baz
der ere die er solte han
mit den besten in den landen,
stirbet er sie sen den tac.
sie trüegen in of den banden.
Vogt nimmt in MF den C-Text als Grundlage und ergänzt
dann und wann aus der Hs. J; meines Erachtens verdient der
PBB 8,301.
-ocr page 130-Text J in allem den Vorzug, schon aus dem Grunde, weil diese
Handschrift im Gegensatz zu C nirgends geändert zu werden
braucht, um einen vorzüglichen Text zu liefern. Der C-Text ist
wie auch Vogt MF mit seinen Abweichungen stillschweigend
zugibt, höchst unzuverlässig und verderbt; sogar das „werbenquot;
J 23,6 kann stehen bleiben.nbsp;.
Die Anfangszeile erfordert unsere besondere Aufmerksamkeit.
In C bemerkt man deutlich eine gewisse Bindung mit dem un-
mittelbar vorhergehenden Spruch:
22 33 (48 C) swer mir nü verwizet daz ich niht enhän,
gelebe ich iemer daz ich wol beraten gän
23,5 (49 C) Mich wundert dicke daz ein wol geraten man
Ist diese Bindung als ursprünglich zu betrachten? Ich glaube,
daß man bei der Verderbtheit des Textes das Recht hat dies
zu bezweifeln. Wir haben hier wieder einen jener Fälle, in denen
ein Sammler, in der Absicht eine Bindung zwischen den ein-
zelnen Strophen herzustellen, willkürlich in den Text eingegrif-
fen hat. In J liegt diese Gefahr nicht vor: hier stehen drei Stro-
phen, in denen das Thema Freund behandelt wird, beisammen.
Beim' J-Text läßt sich aber eine andere Verknüpfung entdecken,
die nicht vom Sammler herrühren wird, weil die beiden Stro-
phen nicht unmittelbar auf einander folgen:
23,5 (J 3) Mich nympt wunder daz ein reyne byderbe man
und 24,1 (J 5) Treit ein reine wip niht guoter kleider an
Wir dürfen wohl annehmen, daß der Dichter in 23,5 das
„reinequot; im Hinblick auf die Anfangzeile der Strophe 24,1 ge-
braucht hat. Diese wohl vom Dichter beabsichtigte Bindung der
beiden Strophen berechtigt uns auch 23,5 in den Kreis unseres
Themas zu ziehen.
Daß diesem Spruch ein persönliches Erlebnis des Dichters
zugrunde liegt, dürfen wir nach den sentimentalen Schlußversen
annehmen. Auch die individuell geschilderte Lage des beklagten
Mannes, der offenbar ein strebsamer Diener der Mächtigen ist,
weist darauf hin, obwohl die Anfangsworte „mich nimt wunderquot;
an und für sich auch wohl eine Beobachtung des Dichters an
Personen aus seiner Umgebung hätten einleiten können. Sper-
vogel bezeichnet sich selber als einen sittlich tadellosen Mann,
der sich der Gunst der Leute erfreut. Es berührt ihn daher
schmerzlich, wenn er bemerken muß, daß die Freunde sich von
ihm abwenden und ihm ohne sein Verschulden feindhch ge-
sinnt sind. Denn die ihm gebührende Ehre bei den Machtigen
im Lande gönnen sie lieber einem Fremden.nbsp;, u •
Ohne Zweifel wird das dem Spruch zugrunde hegende Erlebnis
den Dichter stark ergriffen haben; trotzdem ist der Spruch m
gnomenhaft ruhigem Ton gehalten. Von der heftigen Erschüt-
terung wird im Spruch kaum mehr etwas bemerkt, eben weil
die dichterische Arbeit Spervogels sich innerhalb der intellek-
tuellen Sphäre vollzieht und nur „mich nimt wunder deutet
schwach auf den erlittenen Ärger hin.
Der Dichter schildert uns hier den Ablauf des Streites. Wal-
ther der Fremde, behauptet das Feld. Spervogels Freunde sogar,
unter die wir wohl auch Morungen rechnen dürfen, erkennen
des Fremden Begabung und dessen Recht auf die Gunst der Vor-
nehmen an. Spervögel fühlt sich vereinsamt, von dem genialen
Fremden verdrängt.
Zum Schluß lassen sich mit Hilfe der so merkwürdigen Stro-
phenverbindungen (Walther 18,1 und 18,15), (Spervögel 24,1
und 23,5) folgende Vermutungen über die Chronologie der Vor-
gänge aufstellen:nbsp;.
Zuerst dichtete Spervögel seinen Halmspruch. Was ihn dazu
bewog haben wir nicht ermitteln können, aber wahrscheinlich
verfolgte er damit den Zweck den eigenen Wert hervorzuheben,
sonst wäre es nicht denkbar, daß Walther mit seinem Bohnen-
spruch so heftig darauf reagierte. Diesen Gegenschlag beant-
wortete Spervögel unvorsichtigerweise damit, daß er Walthers
Mailied in seinem Minnespruch 24,1 kritisierte, worauf Walther
wütend vor Zorn im Wîcmanspruch den Gegner zu Boden
schlägt. Der Freundeskreis, der schon Spervogels Kritik am Mai-
lied als Ausfluß eines beschränkten Geistes zurückgewiesen hatte,
schlägt sich auf Walthers Seite, und auch von den Mächtigen
im Lande — vielleicht dürfen wir hier an erster Stelle an
Dietrich von Meißen denken — wird Walther Verehrung ent-
gegengebracht. Spervögel verliert seinen Einfluß. Das wird dann
von ihm in dem letzten hierher gehörigen Spruch beklagt.
f) SCHLUSSFOLGERUNGEN
Daß der Dichter der Sprüche MF 20,1-24,12 Spervogel hieß,
und daß er unter diesem Namen weiterlebte, ist eine feststehende
Tatsache. Halten wir die Identifizierung Wicman (Volcnant)-
Spervogel für berechtigt, so müssen wir annehmen, daß Sper-
vogel der bloße Dichtername, Wicman (Volcnant) sein Tauf-
name war. Wir hätten dann ein ähnliches Problem wie bei dem
Namen Walther von der Vogelweide, wo man auch geneigt ist
Walther als den wirklichen Namen des Dichters, von der Vogel-
weide als einen beigelegten anzusehen. Dieser Auffassung stimmt
Burdach zu: „Wenn man ... Grund hat anzunehmen, daß Wal-
ther derjenigen niedersten Classe des Ministerialenstandes an-
gehört hat, die in seiner Zeit einen Familiennamen überhaupt
noch nicht führte, wenn ein Geschlecht von der Vogelweide aus
dem 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts nicht nachgewiesen
werden kann, so darf man im Ernst fragen, ob der Beiname
nicht ähnlich zu erklären sei wie verwandte Namen fahrender
Sänger').quot; Zur Vergleichung weist Burdach dann auf die „Spiel-
mannsnamenquot; Spervogel (Sperling), Falchelinus, Der wilde
man, Raumslant, Suchenwirt, Velchelinus (Fälklein), Hasen-
sprunch, Hagedorn, Irregang, Waller, Ellend, Regenbogen, die
„Unbehaustheit und Besitzlosigkeit, das unstäte Wanderleben
in mannigfachen Bildern zur Schau bringen.quot;
Es ist beachtenswert, daß in der Wicmanstrophe Walther und
Wicman sich als Angehörige der Hofgesellschaft gegenüber-
stehen: der geniale Dichter heißt hier Walther, nicht von der
Vogelweide oder Walther von der Vogelweide, der angegriffene
heißt Wicman (Volcnant), nicht Spervogel. Es tut wenig zur
Sache, ob wir Wicman oder Volcnant als den richtigen Namen
wählen. Den besseren Text des Spruches bietet C, daher wäre
vielleicht Volcnant vorzuziehen, aber auch A hat gegenüber C
wichtige Lesarten treu erhalten. Ohne Zweifel haben Frantzen
und von Kraus mit ihrer Behauptung Recht, daß beide Namen
sich graphisch nahestehen. Frantzen macht darauf aufmerksam,
daß die Verlesung oder Verschreibung wicnam zu volcnant ge-
-:--i
Burdach, Walther von der Vogelweide I, S. 25.
-ocr page 133-führt haben könnte; umgekehrt natürlich volcnant über wicnam
zu wicman. Glaubt man nicht an eine Verlesung, so mußte Volc-
nant zu Wicnant geführt haben wie in Klage 1555, wo beide
Lesarten nebeneinander vorkommen, und man konnte dann an-
nehmen, daß der Schreiber von A den Namen Wicman, der ihm
geläufig war, gedankenlos dafür eingesetzt hat'). Eine sichere
Entscheidung läßt sich nicht treffen, vielleicht verdient Volc-
nant das größere Vertrauen.nbsp;j „ ,
Literarhistorisch ist es nicht ohne Bedeutung, daß beiden
Namen Walther und Volcnant der Titel Herr beigefügt wird,
woraus hervorgeht, daß beide Dichter sich desselben gesell-
schaftlichen Ansehens erfreuten, und wahrscheinlich geborten
sie auch demselben Stande an. Wird Walther als ritter-
bürtig betrachtet, so mag diese Annahme auch für Spervogel
gelten Aber dann ist der Gedanke, daß Walther, als er sich
der Spruchdichtung widmete, „die Standesschrankequot; habe
durchbrechen müssen'), nicht mehr haltbar, so wenig wie Bur-
dachs Auffassung „Sein Weggang von Osterreich, die Verän-
derung seiner Lebenstellung zwang ihn eine bis dahin von rit-
terlichen Sängern in deutscher Sprache nicht gepflegte Igt;ch-
tungsart aufzunehmen und aus der sicheren Position eines Hof-
dichters in die Reihen der fahrenden Sänger einzutreten').'
Nach unserer bereits erwähnten Auffassung widmete Walther
sich nach seinem Weggange aus Wien neben der bisher gepflegten
neuen modischen Hofpoesie des Minnesangs der alten nationalen
Hofpoesie der Spruchdichtung. In dieser Beziehung spielte zu
Walthers Zeit der Stand des Dichters keine Rolle. Die geläufige
Auffassung, daß Hergêr, Spervogel, kurz die Spruchdichter bür-
gerliche, fahrende Sänger, Spielleute, also Menschen niederen
Schlages und Standes gewesen wären, ist jedenfalls für Walthers
Zeit irrig.
1) Vgl E Schröder ZfdA 49,156'. Wallner PBB 35,191 erörtert die
Möglichkeit, dass beide Handschriften den Namen falsch übediefern und
dass dem Volcnant und Wicman ein Wicnant (wie m der Klage) zu-
^'quot;quot;'^Voethe, Reinmar von Zweter S. 23 und Wilmanns-Michels Leben
S 61
quot; 8) ' Burdach, Walther von der Vogelweide I, S. 37.
-ocr page 134-Bisher war es nicht möglich Spervogel mit Sicherheit zu da-
tieren. Jetzt läßt sich feststellen, daß er ein Zeitgenosse Wal-
thers war, vermutlich sogar ein Altersgenosse. Walther stand
damals im reifen Mannesalter, war sich seiner schöpferischen
Kraft bewußt und konnte sich seiner Meisterschaft in der Dicht-
kunst rühmen. Auch Spervogel hatte sich eine angesehene Stel-
lung erworben, und die Mächtigen im Lande schenkten ihm ihre
Gunst. Wenn von Kraus den unbekannten Dichter Wicman
einen „unverächtlichen Gegnerquot; nennt, weil „nicht weniger als
drei Sprüche Walthers und seines Anwalts gegen ihn gerichtet
wurdenquot;, so paßt diese Charakteristik nicht übel auf Spervogel.
3. SPERVOGELS SPRÜCHE IM RAHMEN DER
ÄLTEREN SPRUCHDICHTUNG
Will man zum vollen Verständnis der Spervogelsprüche ge-
langen und überhaupt tiefer in das Wesen der Spruchdichtung,
wie sie uns bei den älteren Spruchdichtern entgegentritt, ein-
dringen, so ist es notwendig, sich über die kulturelle und poli-
tische Funktion der Spruchdichter Klarheit zu verschaffen. Ich
will daher im folgenden diese Funktion unter Beschränkung auf
die Dichter Hergêr, Walther und Bruder Werner untersuchen
und dabei nur die Punkte herauswählen, die mir mit Rücksicht
auf die Spervogelpoesie besonders wertvoll scheinen.
a) DIE KULTURELLE UND POLITISCHE FUNKTION DER
ÄLTEREN SPRUCHDICHTER
Hergêr und Walther
Den Namen eines Spielmannes in dem verächtlichen Sinn,
mit dem die Literaturgeschichte eine gewisse Klasse Fahrender
zu bezeichnen pflegt, verdient Hergêr nicht. Seine Kunst war
an den Hof gebunden und ist Hofpoesie; seine Stellung war die
eines Hofsängers oder vielmehr eines Hofpädagogen. Bei Wern-
hart fand er eine gastliche Aufnahme. Wir wissen nicht, wie
lange er auf Steinberg verweilt hat; vermutlich geraume Zeit,
denn Steinberg war ihm zur Heimat geworden, und ein festes
Band der Dankbarkeit und der Verehrung knüpfte ihn an den
Burgherrn. Wie auf Steinberg wird es ihm auch an den Hofen
der anderen Herren ergangen sein, deren Tod er beklagt Seine
Sprüche kennzeichnen ihn als Berater der Hofgesellschaft, als
Künder der höchsten Ideale, sowie als Lehrer der praktischen
Lebensweisheit. Wer wie er mit diesem Amt betraut war, mußte
Bescheid um das ganze volle Leben und um dessen höchste
Werte wissen, aber auch die Charaktere der Menschen kennen
und die Gesetze, die in ihrem Zusammenleben walten: kurz, er
mußte ein Kenner des Lebens, ein „Biologequot; sein.
War Hergêr, der in der Überlieferung als der älteste Vertre-
ter der Spruchdichtung erscheint, auch der Schöpfer derselben?
Soweit mir bekannt ist, hat noch kein Forscher diese Frage in
positivem Sinne beantwortet. Daß einige Sprüche sich an altere
Vorbilder anlehnen, wäre an sich noch kein Beweis für das
Gegenteil; es entspricht aber nicht dem Senex-Charakter jener
Zeit (Bühler), daß der Einzelne sich zu einer solchen schöpferi-
schen Tat aufgeschwungen hätte; auch übt der Spruchdichter
eine kulturelle Funktion aus, und diese muß in den Zuständen
der damaligen Gesellschaft begründet gewesen sein. Als Hergêr
sich dieser Hofpoesie widmete, begab er sich wohl m eine durch
Tradition vorgezeichnete Bahn; Form und Gehalt dieser Poesie
mag er weitergebildet und zeitgemäß umgeformt haben. Der
Spruchdichter nahm den alten, angesehenen, ihm fest bestimm-
ten Platz am Hof ein als Berater der Hofgesellschaft, als Ver-
walter eines laienpriesterlichen Amtes. Neben Welt- und Men-
schenkenntnis vermittelte er die dualistische mittelalterliche
Weltanschauung.
Zwischen Hergêrs Spruchsammlung und Walthers erstem Aut-
treten klafft eine breite Zeitspanne. Daß in diesem Zeitraum
die Spruchdichtung kontinuierlich weitergeführt wurde, beweist
die Spruchpoesie Spervogels, der ganz in der Art des Herger
dichtend nach aller Wahrscheinlichkeit ein Zeitgenosse Walthers
war. Auch Walther trat in die Spuren des alten Hergêr. Er, in
dessen Herzen der Puls einer verjüngten Zeit schlug, hatte bisher
das Lied des neuen Lebensstils, den Minnesang, ertönen lassen.
Als er Wien, den Sitz der neuen modischen Hofpoesie verlassen
mußte wandte er sich auch der alten Hofpoesie, der Spruch-
dichtung zu. Er verlieh ihr neuen Glanz, indem er sie in Bezug
auf Strophik und Melodik dem Minnesang an die Seite stellte
und ihr das Gebiet der politischen Dichtung eröffnete. Als Nach-
folger des alten Hergêr erbte Walther auch dessen kulturelle
Funktion: auch er tritt vor die Gesellschaft hin im Bewußtsein
zum Kulturträger, zum Lehrer und wo nötig zum Richter der
Welt berufen zu sein. Auch Walther wird zum „Biologenquot;; es
liegt ihm ob den Weg zu weisen, der ohne Schaden für Ehre
und Seele aus den Wirrnissen des Lebens hinausführt.
In diesem Zusammenhang ist der älteste Spruch 8,4 bemer-
kenswert, der das Selbstbildnis Walthers in seiner Funktion
eines Spruchdichters enthält. Von ihm, dem Weisen, wird ver-
langt, daß er Rat erteilt, wie man zu den höchsten Werten des
Lebens gelangen kann. Das Thema des Spruchdichters „wie
man zer werlte solte lebenquot; beschäftigt ihn, er muß aber ge-
stehen :
„deheinen rät kond ich gegeben.
wie man driu dinc erwürbe
der keinez niht verdürbe.quot;
Unter diesen „driu dincquot; sind zwei Diesseitswerte: êre und
varnde guot. Es ist schon oben bemerkt worden, daß unter dem
Begriff êre die Geltung verstanden werden muß, deren jemand
sich in seinem Umkreis erfreut, sozusagen der Nimbus, der
ihn in den Augen der Umwelt umstrahlt. Dieses Ansehen wird
durch musterhaftes Handeln erworben, wozu vortreffliche per-
sönliche Eigenschaften befähigen. Unter diese gehört an erster
Stelle die milte, die Gebefreudigkeit, die eine standesgemäße
Führung des Haushalts und die Bewirtung der Gäste ermög-
licht. Um die Person des Herrn, sei es zu Hause in der Burg,
sei es draußen in der Welt, soll seine milte eine sorgenlose
Sphäre schaffen, die einen jeden die Not des Lebens vergessen
macht; die êre gestaltet den sonst so drückenden Alltag zu
einem Fest. An einem Hof, wo die Ehre gewahrt wird, interes-
siert man sich für die tieferen Fragen des Lebens, hiej findet
der Spruchdichter seinen Wirkungskreis. Bei dem Wort êre kann
sich die Vorstellung von einem auf die höchsten Ideale gerichte-
ten Streben, aber auch die von einem freudig bewegten gesell-
schaftlichen Leben einstellen; es kann sowohl idealistische Ge-
sinnung wie glänzendes Weltleben bezeichnen.
Es mag Verwunderung erregen, daß dem Dichter auch das
Gut als begehrenswert erscheint, freilich nicht der Besitz
schlechthin, sondern das „varende guotquot;. In dem Schwaben-
spiegel wird der Begriff varnde guot erklärt: daz varnde guot
heizet: golt und edel gestein unde vihe unde ros unde alles daz
man getriben unde getragen mag unde phantschaft') ; mit dem
varnde guot wird der Aufwand des Lebens bestritten. Herger
rühmt an Wernhart, daß dieser „al sin guotquot; von Geburt an
verteilte, alles der Ehre opferte, eine idealistische Gesinning wie
sie nur in einer agrarischen Zeit möglich war. Es zeugt von Wal-
thers Wirklichkeitssinn, daß er den Anforderungen seiner eigenen
Zeit Rechnung trägt, in der sich das Kapital schon Geltung ver-
schafft hatte. Der Besitz des varnde guot verbürgt die Weiter-
führung des glänzenden Lebens und verleiht also dem Besitzer
die finanzielle Unabhängigkeit; daher heißt es bei Walther 8,14
ère unde varnde guot, daz dicke einander schaden tuot.
Höher aber als die Diesseitsgüter steht Gottes Huld: das be-
seligende Gefühl in Gottes Schutz zu leben mit der Sicherheit,
nach dem Tode die ewigen Freuden zu genießen. Wer diese drei
Werte vereint besitzt, erfreut sich eines durch Gottes Gunst
beseligten, finanziell gesicherten Lebens auf den Höhen der
iMenschheit Zu einem solchen Menschen und Gott wohlgefäl-
ligen Leben will Walther als Spruchdichter den Weg zeigen,
aber angesichts der zerrütteten Zustände im Reich laßt sich
nicht an die Verwirklichung dieses Ideals denken; erst mussen
Pax und Justifia wieder in ihre Rechte eingesetzt werden.
In den folgenden zwei Sprüchen tritt Walther als „Biologe
hervor • „ich hörte ein wasser diezen und sach die vische fliezen,
ich sach swaz in der werlte was...quot; und: „Ich sach mit mmen
ougen man unde wibe tougen, daz ich gehörte und gesach swaz
iemen tet, swaz iemen sprach.quot; Der „Biologequot; hört scharfer und
blickt weiter als andere Menschenkinder. Vor ihm gibt es keine
Geheimnisse, und wie Hergêr an dem Hundestreit seine Lehre
veranschaulichte, so weist Walther auf die Ordnung im Tier-
Dieffenbacher, Deutsches Leben S. 58.
-ocr page 138-reich, um den Ruf nach einem Reichsoberhaupt zu rechtfertigen.
Nicht nur in Bezug auf die Wertschätzung des guot, auch was
die Regeln für den Gebrauch des guot betrifft, huldigt Walther
den modernen Anschauungen, wie wir sie zuerst bei Werner von
Elmendorf finden. In dem Spruch 22,33 der unter dem Einfluß
des Winsbeken steht, erteilt er der jungen Welt den Rat, sich
nach dem Prinzip der mäze zu richten: Ausgaben und Ein-
nahmen sollen sich das Gleichgewicht halten; in beide Schalen
der Wage soll das rechte Gewicht gelegt werden. Auf der einen
Seite wird eme genaue Berechnung der Einnahmen verlangt
(ein rehtez lót), auf der andern Seite müssen die Ausgaben ent-
sprechend geregelt werden:
leg üf die wäge ein rehtez lót
und wig ouch dar mit allen dinen sinnen,
alsó diu mäze ie gebót.
Voll Mißtrauen schaute Walther auf die wachsende Bedeu-
tung des guot, des Kapitals. Mit Schrecken nahm er wahr, wie
es alle in seinen Bann riß, und wie es das sittliche Gefüge der
Welt lockerte: Der Machtsreichtum wurde zur Reichtumsmacht
(Sombart); das guot maßte sich die Rechte an, die bisher die
Ehre besessen hatte. So 31,13, wo der Dichter als „Biologequot;
vor das Publikum tritt: das ganze Gebiet deutscher Zunge hat
er bereist, überall hat er auf die Lebensführung der Menschen
geachtet, und als Summe seiner Lebenserfahrung muß er er-
klären: diu meiste menege enruochet wies erwirbet guot. Das
ist kein Gemeinplatz, wie Wilmanns meint, sondern tief empfun-
dene Zeitklage. Mit Ingrimm sah Walther die verheerende Wir-
kung des Kapitals; bildet doch der Übergang aus der Natural-
wirtschaft in die Kapitalwirtschaft eine zwar allmählich sich
vollziehende, aber das ganze Leben und der Menschen gegen-
seitige Beziehungen umgestaltende Revolution. Daß dabei über-
mächtige ökonomische Gesetze wirkten, erkannte man nicht.
Daß jemand als weise gelten soll, der rücksichtslos nach Besitz
strebt und mit Hülfe des Kapitals zu wirtschaftlichem Auf-
schwung gelangt, blieb Walther unverständlich. Er glaubt 22,18,
daß ein Urteilsfähiger ihn vielmehr als Toren erkennen wird.
120
„Der Weise strebt nach Gottes Huld und Ehre, der Tor hält das
guot für das Höchste.quot;
Der wise minnet niht so sêre,
also gotes hulde und êre:
sin selbes lip, wip unde kint
diu lät er ê er disiu zwei Verliese.
Es ist bemerkenswert, daß Walther hier das Gebot der Hin-
gabe alles Irdischen, das sonst nur für das religiöse Ideal gilt,
auch mit auf die Ehre bezieht. Eine derartige Glorifikation der
Ehre begegnet auch 32,32 (edel Kerendaere... marter^re umbe
êre), wo die Opferfreudigkeit für die Ehre der für Gott gleich-
gestellt wird.
Kein Wunder, daß der Dichter mit einer Welt hadert, die
nicht mehr wie früher das Bild glanzvoller Geselligkeit, der êre,
bietet.
21,16 waz éren hast uns. her behalten?
nieman siht dich fröiden walten,
als man ir doch wilent pflac.
Es ist, als ob die freigebig Gesinnten irgend eine Schuld auf
sich geladen hätten, so wenig Ansehen genießen sie jetzt im
Vergleich mit denen, die knauserig ihren Reichtum zu vermeh-
ren streben.
wê dir, wes hänt diu milten herze engolten!
für diu lopt man die argen riehen.
Dem Dichter gebricht es, wie er sagt, an Worten den schand-
vollen Zustand der Welt zu schildern:
triuwe unde wärheit die sint nü bescholten,
die alte natürliche Verbundenheit der Welt mit den „milten
herzenquot;, die „triuwequot; wird damit beschimpft, auch die Wahr-
heit, da man Unwürdige lobt.
Verständnislos steht der Dichter der neuen Welt gegenüber. Er
weiß die wirtschaftlich Tüchtigen nicht zu würdigen, denn nach
seiner Meinung verdienen nur diejenigen Lob, die dem alten
Ideal huldigen. Voll bewunderung rühmt er den „miltenquot; Weif,
der in Wahrheit, wie Wilmanns bemerkt, ein verschwenderi-
scher und untätiger Mann war. Unter diesem Gesichtspunkt
haben wir auch die bekannte Stelle 24,10 zu betrachten:
bereitet is daz velt, verhouwen ist der walt.
Aus der landschaftlichen Umwandlung spricht die moderne
ökonomische Zeittendenz, die der ihm lieben alten Welt den
Untergang bereitet hat').
Es ist die Tragik im Leben des Spruchdichters, daß trotz
seines Wirkens die Welt in immer steigendem Maße dem alten
Ideale untreu wird und auch die Zukunft keine Besserung ver-
spricht. Anknüpfend an das Traumgesicht Nebukadnezars 23,13
schildert er düster und voll Ingrimm die Zukunft:
der tiefei waer mir niht so smaehe
kœme er dar, dâ ich in s^ehe
sam des bœsen bœser barn.
Er hofft, daß die „bœsenquot; ohne Erben bleiben mögen und
richtet zum Schluß an Gott das Gebet:
daz tugendelöser hérren werde iht mère
daz solt dû, hêrre got, bewarn.
Es ist durchaus zu verstehen, daß man Walther, den Berater
und Erzieher der höfischen Gesellschaft, als Pädagogen für die
Jugend herangezogen hat. Von einer derartigen Tätigkeit legt
das in der Form des Palindroms gedichtete Lied 87,1 „nieman
kan mit gerten, kindes zuht hebertenquot; Zeugnis ab; auch andere
Sprüche weisen auf ein derartiges Amt unseres Dichters: z.B.
85,17:
Swer an des edeln lantgräven râte si,
dur sine hübscheit, er si dienstman oder fri,
der mane in umb min léren, so daz ich in spür dâ bî.
mîn junger hêrre ist milt erkant, man seit mir er si staete,
dar zuo wol gezogen : daz sint gelobter tugende dri :
ob er die vierden tugent willeclichen taete,
so gienge er ebene und daz er selten missetr£ete;
Wter unsümic. sûmunge schât dem snit und schât der saete.
Für die Richtigkeit dieser Anschauung spricht die Parallelstelle bei
Bruder Werner auf die unten aufmerksam gemacht wird.
Ohne Zweifel ist der Spruch aus der Ferne gesandt, und Wal-
ther beruft sich hinsichtlich der Eigenschaften des jungen Land-
grafen auf Hörensagen'), aber man braucht daraus durchaus
nicht zu schließen, daß eine nähere Bekanntschaft Walthers mit
dem jungen Herrn nicht bestanden hätte, vielmehr entspricht es
der Tatsache, daß Walther mehr als einmal eine gastliche Auf-
nahme am Hof des Vaters gefunden hatte, ja er nennt sich
sogar 35,7 „des milten lantgräven ingesindequot;. Auch Wilmanns
äußert diese Meinung'): „Ludwig war im Jahre 1200 geboren,
und Walther hatte also viel Gelegenheit ihn zu sehen und ken-
nen zu lernen; erst in seiner Heimat, später auf Reichstagen.quot;
Wodurch dieser Spruch veranlaßt wurde, in welcher Ange-
legenheit oder bei welchen Gelegenheiten der junge Landgraf
gegen die vierte Tugend gesündigt hatte, dafür haben sich keine
Anhaltspunkte finden lassen. Die Art der Beziehung zwischen
Walther und dem jungen Grafen, wie sie in dem Spruch zu Tage
tritt, läßt auf ein früheres Verhältnis von Erzieher und Zögling
schließen; nur dann versteht man „min junger hêrrequot; erst recht.
Durchaus logisch scheint mir die Auffassung, daß es sich mit
den vier Tugenden um eine Rekapitulation der früher erteilten
Lehren handelt, denn an die schon befolgten drei Lehren braucht
der junge Herr nicht mehr gemahnt zu werden; Walther wie-
derholt sie nur, weil sie zum Aufgabenkreis seines früheren
„lérensquot; gehörten.nbsp;^ , c u
Auch die alte schon von Daffis aufgestellte, auf dem Spruch
84,22 beruhende Annahme, daß Walther als Erzieher des jungen
Königs Heinrich aufgetreten sei, wurde trotz anfänglicher Zu-
stimmung später nachdrücklich zurückgewiesen, so z.B. von Bur-
dach'), jedoch ohne eigentliche Begründung. Auch Wilmanns
verhielt sich ablehnend: „die romantische Anschauung wird
aber wohl niemand mehr hegenquot;; in der Anmerkung II 286
bringt Wilmanns einige Gründe vor; „mir ist es undenkbar, daß
ein Mann wie Friedrich 11. einen fahrenden Sänger zum Er-
zieher seines königlichen Sohnes sollte berufen habe. Wir ken-
1)nbsp;Wilmans-Michels, Leben II Nr. 268 (Rieger ZfdA 46,385).
2)nbsp;a.a.O. S. 175.
') Walther 1 S. 88.
-ocr page 142-nen die Personen, welche mit der Sorge um Heinrich betraut
waren, aus historischen Quellen; der berühmte Sänger wird
nirgends unter ihnen genannt.quot; Aber Wilmanns zeigt sich damit
selbst in jener anderen „romantischenquot; Auffassung befangen, zu-
folge der die gesellschaftliche Stellung des Spruchdichters als
eines fahrenden Sängers tiefer herabgedrückt wird als es der
Wirklichkeit entsprach. Die Tatsache, daß Walther in den histo-
rischen Quellen nicht erwähnt wird, sollte nicht allzu schwer
ins Gewicht fallen. Es wird gewiß keiner die hervorragende poli-
tische Bedeutung Walthers im Dienste der Reichsidee leugnen,
aber welches historische Dokument legt Zeugnis davon ab?
Feststeht jedenfalls, daß Walther zu der wichtigsten Person
„dem alleinigen und einzigen Gubernatorquot; dem Erzbischof En-
gelbert von Köln in freundschaftlicher Beziehung stand. Warum
sollte es nicht möglich sein, daß Walther nach Friedrichs Ab-
reise von Engelbert die Aufforderung erhielt die Sorge für die
Charakterbildung — nicht für die politische Ausbildung — des
jungen Fürsten zu übernehmen, und daß Friedrich II durch das
übersenden der Kerze 84,30 seiner Genehmigung des Dienst-
verhältnisses symbolischen Ausdruck verleihen wollte?
Von den drei Sprüchen im Heinrichston beziehen sich ohne
jeden Zweifel zwei auf Angelegenheiten um den jungen König;
auf Heinrichs Ehe 102,15 und auf die Zustände während seiner
Regierung 102,1; sogar Wilmanns findet es unter diesen Um-
ständen ganz natürlich, daß auch der dritte Spruch 101,23 auf
Heinrich zielt. Will man aber Walthers erzieherische Tätigkeit
leugnen, so wäre der Spruch, wie es Burdach (S. 88) getan hat,
allegorisch zu deuten: „Doch mag man das „selbwahsen kindquot;
101,23 zunächst allegorisch auf allgemeine Zustände deuten;
nicht zwar mit P. Walther (Germ. 30,310 ff) auf die Jugend,
sondern auf die höfische Gesellschaft und höfische Kunst, wie
sie sich unter der Teilnahme der jungen Generation, insbeson-
dere wohl des Königs Heinrich entwickelt hatte.quot; Zu einer alle-
gorischen Deutung aber ist dieser Spruch kaum geeignet, dazu
trägt die in ihm geschilderte Situation zu viele individuelle
Züge. Wie vortreflich paßt das hier entworfene Charakterbild
des Kindes auf den späteren König Heinrich!
Es hängt mit dem Begriff der Ehre zusammen, daß der mit-
telalterliche Mensch dem öffentlichen Lob, dem Ruf, großen
Wert beimißt. Mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse
konnte es den Mächtigen nicht gleichgültig sein, wie das Ge-
rücht über sie urteilte. Die Aufgabe, Lob oder Tadel zu spen-
den und zu verbreiten, fiel dem Spruchdichter zu, der ja als
Autorität in Fragen der Lebensführung galt; auch in Walthers
Sprüchen gibt es viele Stellen, wo ein Urteil über vornehme
Personen von ihm ausgesprochen wird, wobei oft das person-
liche Interesse des Dichters eine Rolle spielt. Als Grundgedanke
des Spruchdichters gilt es aber nur den zu loben, der es wirklich
verdient, nämlich den, der standesgemäß lebt und nicht am Be-
sitz hängt. Der wirschaftlich Tüchtige, der fleißig und spar-
sam seinen Besitz zu vermehren strebt, kann vom Spruchdichter
nicht gewürdigt werden. Das guot-vûr-êre-nemen, das Loben
um der Gabe willen, nimmt anscheinend erst nach Walther über-
hand Zwei Sprüche aber weisen doch bedenklich in diese Rich-
tung: Walther empfiehlt sich 80,27 dem Grafen von Katzenel-
lenbogen, indem er betont, daß ein „meisterquot; ihn besser „ze
mxre bringenquot; könne als tausend Geigenkratzer, „taet er den
hovewerden bazquot;. 80,35 berichtet er, der Graf habe ihm einen
Diamanten geschenkt und fügt hinzu: âne bete wart mir diu
gäbe sine;quot; die erwartete Lobrede auf den Grafen folgt dann
auch prompt:
80,27 Ich bin dem Bogensere holt
gar âne gäbe und âne solt:
er ist milte, sowie klein ichs geniuze.
so nieze in aber ein Pôlân aide ein Riuze :
daz ist allez âne minen haz.
in braehte ein meister baz ze maere
danne tüsent snarrenzaere,
tœt er den hovewerden baz.
80,35 Den diemant den edelen stein
gap mir der schœnster ritter ein;
âne bete wart mir diu gäbe sine,
jô lob ich niht die schœne nâch dem schine:
milter man ist schœne und wol gezogen,
man sol die inre tugent üz kéren:
sô ist daz ûzer lop nâch êren,
sam des von Katzenellenbogen.
Beachtung verdient Wilmanns Bemerkung, daß Walther „den
vor und nach Walther in Lobsprüchen beliebten Effekt, den
Namen des Besungenen erst am Schluß zu nennen, nur hier
ausübt.quot;
Walthers politische Dichtung findet nach meiner Meinung
ihren Ausgangspunkt in der wohl traditionellen Berater- und
Vermittlertätigkeit des Spruchdichters, da wo es galt die In-
teressen des Gönners zu vertreten. Wer hätte sich zu diesem
Amt auch besser geeignet als der Mann, der es als seine Auf-
gabe betrachtete, die Menschen in ihren gegenseitigen Beziehun-
gen, ihre Charaktere und ihr Streben zu erforschen? Und nun
gar ein so vielseitig begabter Dichter wie Walther! Deutlicher
als auf dem Gebiet der Reichspolitik wird uns diese Funktion
in den Beziehungen zu den deutschen Fürsten klar, und ich
denke hier an erster Stelle an sein Verhältnis zu Dietrich von
Meißen. „In welchem Jahre Walther nach Meißen gekommen
ist, wie lange er dem Markgrafen gedient hat, läßt sich nicht
bestimmenquot;, sagt Wilmanns'). Wir haben oben erwähnt, daß
Walthers Bohnenlied und Wicmanspruch zu Anfang seines
Meißener Aufenthaltes gedichtet wurden. Kimmt man an, daß
Strophe 18,15, die in A und C unmittelbar auf den Wicman-
spruch folgt, nicht zu lange nach jenen beiden Sprüchen ge-
dichtet wurde, so haben wir in ihr das erste literarische Zeugnis
zu sehen, das Kunde von des Dichters Verhältnis zu Dietrich
gibt. Und wenn Wilmanns mit seiner Annahme Recht haben
sollte, daß im allgemeinen Sprüche desselben Tones nicht zu weit
auseinander liegen^), so wird, da die ersten zwei Sprüche des
2. Philippstones 16,36 und 17,11 nicht später als in das Jahr
1207 (Wilmanns) gesetzt werden, Walther nicht viel später
nach Meißen gekommen sein. Strophe 18,15 läßt vermuten,
Wilmanns-Michels, Leben S. 177.
a.a.O. S. 165.
daß Walther die Gunst und die Wertschätzung des Markgrafen
genoß Als dieser daher in Franken mit Ludwig von Baiern zu-
sammentraf, rühmte er Walthers Fähigkeiten und Begabung;
darauf gab Ludwig für Walther eine Kerze mit als Zeichen
seiner Huld und wohl mit Rücksicht auf Vermittlerdienste, die
der begnadete Dichter ihm vielleicht später einmal leisten
könnte.nbsp;^ ,
Mit Strophe 11,30 begrüßt Walther Kaiser Otto, als dieser
geschmückt mit der Kaiserkrone, aber zugleich mit dem Fluch
des Bannes beladen, aus Italien zurückgekehrt war und im März
1212 in Frankfurt seinen ersten Reichstag hielt (Wilmanns).
Walther war wohl im Gefolge des Markgrafen nach Frankfurt
gekommen, in dessen Diensten er stand und den er beim Kaiser
zu schützen suchte.
12,1 dje fürsten sint iu undertän
sie habent mit zühten iuwer kunft erbeitet.
und ie der Missensere
derst iemer iuwer âne wân:
von gote wurde ein engel ê verleitet.
Lesen wir Wilmanns Schilderung von der Treulosigkeit der
Fürsten, so staunen wir über das gute Leumundszeugnis, das
Walther ihnen ausstellt; er tritt hier eben als Anwalt der Für-
sten, insbesondere des Markgrafen auf, deren böse Sache er nach
besten Kräften verteidigt und gebraucht mit Rücksicht auf
seinen Gönner das Bild vom treuen Engel, wie auch sonst in
seiner politischen Dichtung alle Saiten der mittelalterlichen
Psyche mit Virtuosität angeschlagen werden.
Daß es nicht so sehr die dichterische Meisterschaft war, die
den Markgrafen an Walther interessierte, als vielmehr seine
Einsicht und Dienste in politischen Angelegenheiten, beweisen
die spätere Sprüche 105,27 und 106,3, die wahrscheinlich in
dieselbe Zeit gehören wie der in demselben Ton gedichtete
Spruch 105,13, der von Lachmann in das Jahr 1215 gesetzt wird.
Das Verhältnis zu Dietrich hatte sich geändert. Die Zeit, wo
der Markgraf Walthers Fähigkeiten rühmte, war dahin.
106,3 Ich hän dem Missensere
gefüeget manec maere
baz danne er nü gedenke min.
Und nun lüftet der Dichter im Unmut über Dietrichs Un-
dankbarkeit ein wenig den Schleier, der über Walthers Tätig-
keit in Meißen gebreitet liegt:
106,6 was soi diu rede beschœnet?
möht ich in hân gekrœnet
diu kröne waere hiute sin.
Diese Zeilen enthüllen uns die ehrgeizigen Pläne, mit denen
der Markgraf sich damals trug; ob dabei die böhmische Krone
oder die Kaiserkrone gemeint ist, läßt sich nicht mit Sicherheit
aus diesem Spruch entnehmen. Lachmann') glaubt, daß es die
böhmische Krone sei, aber in dem von ihm zitierten Gedicht des
Tannhäuser, in dem Walthers Äußerungen über Dietrich einen
Widerhall finden, obwohl das Lob Dietrichs auf seinen Sohn
Heinrich übertragen wird, heißt es: er solte des riches
kröne tragen. Jedenfalls waren es politische Angelegenheiten,
für die der Markgraf Walthers Rat und Hilfe in Anspruch ge-
nommen hatte. Auch die folgenden Zeilen werden nun ver-
ständlich :
het er mir dö gelönet baz
ich diente im aber eteswaz:
noch kan ich schaden vertriben.
„Bessere Belohnung würde mich bewegen ihm wieder bei
Gelegenheiten zu dienen : denn auch jetzt noch vermag ich Scha-
den abzuwenden.quot;
Aus obigen Betrachtungen ergibt sich, daß Walther nicht nur
wie Hergêr der höfischen Gesellschaft als pädagogischer Be-
rater dient, sondern auch als Erzieher der Jugend auftritt. Auf
das Lob eines so hervorragenden Sachverständigen wird großer
Wert gelegt; daher bilden die Lobsprüche auf vornehme Her-
ren für unsren Dichter eine besondre Einnahmequelle. Auch
fühlt er sich zum politischen Berater und Vermittler berufen
und leistet in dieser Funktion den Gönnern wertvolle Dienste.
1) Lachmann-von Kraus, Die Gedichte Walthers von der Vogelweide,
Anm. zu 12,3.
Bruder Werner.
Wenn Walther als Laudator acti temporis voll Pathos gegen
die neue um sich greifende kapitalistische Zeittendenz ankampft,
so steht ihm das Bild einer glücklicheren Vergangenheit vor
Augen in der der Adel, noch nicht durch die Sucht nach ma-
teriellem Gewinn verderbt, an den Höfen ein glanzvolles Leben
entfaltete und auch dem Spruchdichter, dem Künder einer vor-
bildlichen und klugen Lebensführung, gern eine gastlichte Auf-
nahme gewährte. In den Anforderungen, die Walther an das
ökonomische Verhalten der Herren stellte, trug er aber insofern
den neuen Lebensbedingungen Rechnung, als er den Gebrauch
des guot unter das Prinzip der mäze stellte. Die nachwalthersche
Spruchdichtung hält, solange wie es ihr möglich war, an dem
alten Gebot der uneingeschränkten Liberalitas fest, dem alten
Ideal der Lebensführung, dem auch Wernhart von Steinberg
huldigte, der nach Hergêr niht vor den éren versparte. Inzwi-
schen hatten sich aber die Zeiten geändert, und das Kapital
hatte sich schon Geltung verschafft, indem es alle, auch die
Herren, die in ihrem Herzen die alte idealistische Gesinnung
ehrten, in seinen Bann zwang. Die Zahl der Getreuen, die auf des
Spruchdichters Worte hörten, schrumpfte immer mehr zusam-
men. Und je mehr sich die Kluft zwischen dem von dem Spruch-
dichter verkündeten Ideal und den Anforderungen des prakti-
schen Lebens erweiterte, um so fanatischer schleudert er der
Welt seine bitteren Anklagen entgegen, indem er glaubt, daß
es nur von dem guten Willen der Herren abhinge, eine bessere
Zeit her auf zuführen. Endlich muß vor dem Drang der allmäch-
tigen ökonomischen Gesetze das alte Kulturideal weichen, des-
sen Wert erst bezweifelt, dann aber ganz geleugnet wird. Es ist
die Tragik im Leben des Spruchdichters, daß er trotz seines
felsenfesten Glaubens an die Gültigkeit seines Ideals die Er-
fahrung machen muß, daß seine Worte ungehört verhallen und
er der Welt zum Spott wird. Mit dem Schwinden seines An-
sehens steigt die Sorge um seine materielle Existenz, und damit
büßt er seine menschliche und dichterische Würde ein.
Wie günstig das literarhistorische Urteil über Bruder Werner
lautet geht schon daraus hervor, daß er als Erbe der walther-
sehen Kunst gilt. „Er ist von allen Spruchdiehtern,quot; sagt
H. Sehneider, „der kraftvollste, ein wirklieh bedeutender Poet,
spraehmäehtig und ansehauungsreieh, eine Persönliehkeit von
ernster Festigkeit und starkem sittliehen Pathos').quot; Aber
Schneider glaubt das Lob sofort wieder einschränken zu müs-
sen: „Die Vornehmheit Walthers erreicht er nicht mehr ganz,
wenn er ausruft: „Niemand soll sein Gut vor mir sparen!quot; so
liegt darin eine Drohung des wirkungssieheren Poeten an die
gebeunlustigen Herren.quot;
Da dieser Vorwurf für die ungerechte Beurteilung Bruder
Werners, ja der Spruchdichter überhaupt, charakteristisch ist,
scheint es mir, mit Rücksicht auf eine richtige Erfassung seiner
kulturellen Bedeutung, erwünscht, an Hand des Spruches, dem
obiges Zitat entnommen ist, die Grundlosigkeit des von
H. Schneider vorgebrachten Tadels darzutun.
Jenaer Liederhs. 111,64 (MSH. 2,235a, SehönbaehWSB 14,
VI 1,89):
Nieman sol guot vur mir versparn!
Sit daz ich gedenke vil der jare,
han ich der lande vil durchvarn;
so ken ich ouch der dorfe deste mere;
ich kan ouch deste baz gesagen,
wamit der man verliuset wirde und ere.
Swa ich daz indert muoz verdagen,
daz vromet vur scanden niht kegen eime hare.
Ich wil ouch unverworfen sin;
der wile unde ich geroren mac die Zungen,
so tun ich mit gesange schin,
ob ich ein schelten pruben kan den alten und den jungen.
Ich meine die alten die mit scanden haben gelebt von
kindes iugent,
darzuo mein ich die jungen, die da wassen ane tugent.
Dieser Spruch, der wohl in das reifere Lebensalter des Dich-
ters gehört, erinnert an Walther 31,13. Dort schildert dieser,
nachdem er das ganze Gebiet deutscher Zunge durchreist hat,
auf Grund seiner Beobachtung der Menschen den verderblichen
Siegeszug des guot. Vergleichen wir die beiden Sprüche mit ein-
') H. Schneider, Heldendichtung S. 446.
130
ander, so finden wir bei Walther in Darstellung und Beobach-
tung eine größere Objektivität verbunden mit einem ergreifen-
den Pathos und Gedanken, die sich aus der Natur des dichteri-
schen Stoffes selber ergeben. Bruder Werner dagegen erscheint
als ein fanatisch-treuer Diener seiner Idee, die ihn vollkommen
beherrscht, die ihn keinen Augenblick in Ruhe läßt, und die er,
soweit sein Einfluß gilt, als einzige Herrin anerkannt wissen
will. Diese Idee ist in dem drohenden Ausruf „Nieman soi guot
vur mir versparnquot; ausgedrückt. In dem ganzen Spruch findet
man aber keinen einzigen Anhaltspunkt für die Annahme, daß
der Dichter an sein persönlich-materielles Interesse denkt, viel-
mehr droht er nur mit der Zuchtrute seiner Schmählieder, um
von den Herrn die Befolgung der alten Vorschrift des „niht vor
der ère sparnquot; zu erzwingen, damit sie ihre vorzügliche Art und
ihr Ansehen behalten.
Wer knauserig lebt, verliert die ère, aber auch gotes huld,
denn wer den Armen nicht spendet, übertritt Gottes Gebot;
daher fällt derjenige, der nicht um Gottes und der Ehre willen
zu spenden bereit ist, der Verachtung der Menschen und der
Hölle anheim.
Dieser Kerngedanke Wernerscher Sittenlehre erscheint natür-
lich in vielen Sprüchen. Besonders interessant ist in dieser Be-
ziehung Schönbach 17, J43,C9, AI, wo der Dichter als Antwort
auf die Frage, was er tun würde, wenn er auch zu den Reichen
gehörte, seinen idealen Standpunkt folgendermaßen zum Aus-
druck bringt:
Ich weiz der herren manigen, ob ich het ir eines guot,
ich weit ouch verre baz wen er vur scanden sin behuot,
ich weit ouch baz die sele vur des tiubels bande nern,
ich wolt ouch varendez guot durch got und ouch um ere zern.
Nur wer in einer dem Ideal des Dichters entsprechenden Art
sein Leben führt, dem wird das Lob des Dichters zuteil, aber
nicht dem, der aus Sparsamkeit die Lebensfreude verschmähend
sich der Sünde und der Schande ergibt. Der Dichter wird nicht
müde, immer wieder die Unabhängigkeit seiner Gesinnung zu
betonen. Als typisches Beispiel dafür möge Schönbach 69, J49,
MSH 3,18a folgen:
Lobete ich die riehen bösen und ir sundechlichez guot
wa were denne komen hin min unverzageter muot?
Ich wil in nach ir wirde gerne singen minen sanc
unde wil mit lobe die milten kronen sunder valschen wanc.
die hochgelobten biderben suln mir des immer wizzen danc,
daz ich min lop im gar versage, swer lesterlichen tuot.
Waz sol ir Hb, waz sol ir leben,
waz sol in richer bort,
ich meine die nach sunden unde nach houbetscanden streben;
die selben sin verlorn hie und dort.
Ir ere gernden minnet got und lazent bliben wernden haz;
sit des gewis daz got guoter milter Hute nie vergaz.
Das Ziel der „kunstquot;, der rechten „kunstquot; ist den wirklich
„mildequot; gesinnten Herrn zu loben, der diese Gesinnung nicht
nur gelegentlich zur Schau trägt. Und die Kollegen des Sängers,
die aus Schmeichelei den Schlechten loben, werden gerügt. Nur
in einem Spruch Schönbach 11,C18 spricht Bruder Werner über
diese seine „kunstquot; (in Schönbach 39,C30 hat Schönbach mit
Unrecht „kunftquot; in „kunstquot; geändert, in Schönbach 70, J 51 fin-
det sich „künsterichenquot;).
Ich han so vil gesungen, daz maneger nu geswüere wol,
ich bete gar gesungen uz; ich han noch ganze winkel vol
der kunst, diu recht an singen zimt, als ich si bringe vür.
Ich Wolde e gar swigen, e ich niemer me gesunge niht,
e daz ich schande also verswige, der leider alze vil geschiht
und daz ich minen süezen spruch an valscher milte vlür.
durch vorhte maneger swigen muoz
der ouch durch losen lop den argen singet.
dem selben wirt ze lone kume ein danken und ein valscher gruoz
swer toren fröit und ir gemüete ringet.
Ich bin vil dicke alsam gefröit, darnach ze truren mir geschah,
do mir niht baz gelonet wart und ich doch lob mit triuwen sprach.
In Schönbach 45, J8 gewährt uns der Dichter einen Blick in
seine Werkstätte, indem er klagt, wie schwer es sei, so zu sin-
gen, daß Mißverständnisse bei den Herren ausgeschlossen sind.
Er laufe Gefahr, daß das Lob als Schmeichelei, die Gleichnisse
als Spott, seine Ermahnungen als Schmähworte aufgefaßt wer-
den. Die gutgesinnten Herrn wüßten, daß die rechten Sänger
guter Sitten sind. Von den andren, die den Dichter mißverstehen,
wendet er sich ärgerlich ab, und wenn diese ihm femdhch ge-
sinnt sind, so ist das nicht seine Schuld:
Wie sol ein singer sich bewarn
sint man die lob vur smeichen hat
und ouch diu bispil vur ein spot, sin twmgen vur schelten zeit.''
Swelich herre sich des niht an lat
der mac mit eren wol gevarn;
dem sint ouch singer gute zuht, ob er die rechten weit.
Waz weiz an sime herzen der,
der mir min lob ze losen giht,
min twingen z'eime schelten?
Der wil, daz er min, unde ich sin, ze vriunde enber.
Daz solte er of den holten slan, wes lezt er mich engelten.
Got weiz daz wol, daz ich den biderben guotes noch
gesprochen han,
daz ich daz niht durch losen tete, ich wände ich bete reht
unde wol getan.
(In der 3. Zeile ist das metrisch störende „vurquot; nach „twin-
genquot; zu streichen: vgl. Jen. Liederhs. I „krist zeit sie sine
zartenquot;).
Es ist begreiflich, daß mancher, dem die Worte des Dichters
unbequem waren, sich ärgerte und ihm zu schaden suchte. In
einigen Sprüchen sucht der Dichter diesen Haß zu erklären, so
z.B. in Schönbach 26, J6, C25, wo er sein Verhältnis zu dem ihn
hassenden Herrn unter dem Bilde eines braven Ehemanns dar-
stellt, den die Frau nicht leiden mag, weil sie sich einem un-
sittlichen Lebenswandel hingibt. In Schönbach 66, J46 be-
trachtet sich der Dichter als den guten Vater, der von seinem
Kinde wünscht, daß „er were vur sunden und vur scanden vriquot;,
und er meint nun, weil zwischen ihm und dem Herrn, die Ver-
wandtschaft keine Rolle spielt, umso eher auf Wohlwollen
rechnen zu dürfen. In Schönbach 70,J51 wird der Knauserige,
der statt nach Gottes Gebot den Armen zu spenden nur seinen
Schatz zu vermehren sucht, als ein Dieb dargestellt, der Angst
vor dem Schergen hat, mit dem natürlich der Dichter ge-
meint ist.
Wie verhaßt der Karge unter den Menschen ist, schildert uns
der Dichter u.a. Schönbach 72, J 53: Weib und Kind wünschen
seinen Tod herbei, den Verwandten ist er so verhaßt wie der
beizende Rauch, der einem in die Augen sticht, die Dienerschaft
schilt: „daz ist des tiubels spil, wa wil der zage mit sinem guote
hinquot;, das fahrende Volk singt Schmählieder, und die Armen
haben keine Ursache ihm zu danken.
Mit Vorliebe richtet Bruder Werner wie ein zorniger Predi-
ger die Aufmerksamkeit auf die Todesstunde des Kargen, der
sich auf Erden der Schande und der Sünde ergeben hat und
nun als Diener des Teufels zur Hölle fahren muß, wie Spruch
Schönbach 36, C36 zeigen möge:
Vers 7-14:
wie trüeget den sin kranker sin,
der sich den tievel lat alsus beschrenken,
daz er ze samene hordet guot,
daz uf in wuochert sunde unde da bi schände.
Wie we daz an dem ende tuot,
swenn erz berimpfen muoz, und er den kumber gerne wände!
so hat er sich versumet gar; sin spaetiu riuwe im kleine vrumt,
swenn er ze helle porte in vur sinen meister kumt.
Der Dichter fühlt sich glücklich, wenn er das Lob muster-
hafter Herren verkünden kann, obwohl ihn dabei der Gedanke
wehmütig stimmt, daß deren Zahl so gering ist. So feiert er in
dem Spruch Schönbach 30, C22 den „tugentrichenquot; Herrn von
Orte, der in der Steiermark wohnt, indem er die Leute, die von
dort kommen, nach seinem Wohlbefinden fragt und zu seiner
Freude von allen hört, „er si der schände gar verhert und daz
nu lützel ieman lebt, der sich im des genashe, daz er so willec-
liche als er nach hohen eren strebequot;; der Dichter fügt aber
hinzu: „darnach zehant so wont mir sa ein truren bi, des ich
vil lihte und ouch vil sanfte enbaere, und daz nu lützel ieman
lebt die vri als er von schänden sin. Der vinde ich leider fünfe
niht von ungerlant ze berge unz an den rin.quot;
Wie hier wird das gespendete Lob auch Schönbach 75, J58
vom Gerücht bestätigt, wo der Graf von Osterberc gerühmt
134
wird- Her werket wol mit zuhten werdichliche werc. Er ist
an tugenden und an rehter milte vunden. Des höre ich im die
wisen und darzuo die besten ien. Er stiget of an werdicheit.
Und in dem Streit der Sänger, wer der lobenswerteste der Her-
ren sei wird ihm der Preis zuerkannt. Dieses Thema des ban-
gerstreites wird in dem Spruch Schönbach 56, J31 recht wirk-
sam ausgeführt, um das Lob des Herrn von Hiunenburc zu be-
gründen :
Nu ratent alle die nu leben unde ouch bi guoten witzen sint,
in welchem lande vrouwe ere habe ein reine gebende kint,
daz niht wen milter werke phlege, baz dan le milter man gephlac.
Als ich daz wort hie vur gesprach, do wart ein vil gemeine rot,
do riefen iene und dise: got milter herren nie geschot
den graben wilhalm von hunesburc, des ist der gernden ostertac!
Dar ne boret nuwen bieten zuo
die hende, swer sin guot entfahen welle.
Nu saget wer so groze milte in al der werlte tuo.
Swaz man der gebenden ieman vürgezelle,
des milten salatines hant gesete um ere nie so witen scaz
noch nieman der ie wart geborn, des si m al der werlde tratz.
In Schönbach 60, J37 weiß der Dichter das Interesse des Pu-
blikums dadurch zu wecken und zugleich die Wirksamkeit der
Huldigung zu steigern, daß er nach der lobenden Schilderung
eines Herrn die Frage stellt, wer wohl gemeint sei und dann
noch erst auf den verkehrten raten läßt.
Der wile er ungenennet ist
ir muget wenen, ez si der kastellere —
nein tzeware hern is es niht, her wirt genant in kurzer vrist
her heizet boppe und ist schänden lere,
von hinnenberc ist her geborn, das hust ist von al su her art,
S ez niht böser herren birt. Des hat ez sich unz her bewart.
Aber solche Herren sind seltene Ausnahmen. Viel zahlreicher
sind die Sprüche, in denen wie bei Walther23,II der üble Zu-
stand der Welt beklagt wird, besonders weil die Jungen sich
noch schlimmer gebärden als die Alten. Interessant ist beson-
ders Schönbach 12, J39, C20, wo das Mißtrauen des Spruch-
dichters gegen die neue ökonomische Zeittendenz zutage tritt,
ganz wie bei Walther 124,10. Der Dichter schilt hier den Erben:
„man siht in walde riuten, ouch siht man in büwen breite veltquot;,
also eine Parallele zu Walthers Klage 124,10: „bereitet ist daz
velt, verhouwen ist der wald.quot;
Swä herren sterbent, daz ist schade, des möchte doch wol
werden rat,
wen daz ir sumelicher hie so gar unnutzen erben lat,
der guot vertirbet, des sich vil der guoten Hute solden nern.
Man siht in walde riuten ouch siht man in buwen breite velt.
man grebt in silber unde gold diu sträze und aller wazzer gelt;
da dienet in da bi siht man sie scatz vil snodelichen zern.
So we mir, we der alter vlorn!
sit man der jungen siht so vil verzien,
unde immer we daz ich vur sumeliche han so vil gesworn.
Ich wante daz er weite um ere lien
ein guot den armen den die riehen edelen helfe sculdich sint.
Ich wil den bösen nimmer klagen der uns hie let ein böser kint.
Ohne Zweifel hat bei manchem Herrn das neue wirtschaftliche
Streben die eingeborene Neigung zur Kargheit verstärkt. Eine
wichtige Einnahmequelle werden für unsern Dichter die Lob-
Heder gebildet haben. Wir schwer wird ihm aber das Leben
geworden sein, wenn er die Jungen folgendermaßen charak-
terisieren muß:
Schönbach 13 C 20,7-12:
Nach lobe ir etesHches muot
so vaste strebt, als ich iu wil bescheiden,
daz er niht anders bsete me wan: „habe din lop, lä mir min guot!quot;
der wil sich minen süezen Sprüchen leiden
vil gar, die wile unz ich ersihe, wiez im an werdekeit ergat.
Dar nach so singe ich Hhte ein lop, daz nahe bi dem schelten stat.
Der Dichter will in diesem Spruch abwarten, wie es dem
Herrn an „werdekeitquot; ergeht, denn er, der Spruchdichter, ist wie
kein andrer befähigt die Herren auf ihre Gesinnung zu prüfen
und zu beurteilen, wie es um ihr Ansehen bestellt ist. Daher ist
es erklärlich, daß der Spruchdichter bereit ist, einem Herrn, der
sich einen guten Ruf erwerben will, mit seinem Rate beizu-
stehen. Und noch verständlicher ist, daß einem solchen Ver-
hältnis in der Regel ein vorzeitiges Ende beschieden war, denn
die Zeittendenz und des Spruchdichters Lehre vertrugen sich
eben schlecht. In drei Sprüchen spielt der Dichter auf ein sol-
ches Verhältnis an.nbsp;^ , . , , t^^ o-
Betrachten wir zunächst den Spruch Schonbach 64, J44. Hier
stellt der Sänger das Lob des Herrn unter dem Bilde einer
Flamme dar, die er entzündet hat und nun mit vortrefflichen
Ermahnungen anzufachen sucht. Der Herr läßt aber die Flamme
erlöschen; darüber ist der Spruchdichter so ärgerlich, daß er
sich vornimmt, in der Folge an einer solchen Stelle keine Be-
mühungen mehr aufzuwenden. Den Mißerfolg führt er auf den
Rat des „schalkesquot; zurück — wohl des wirtschaftlichen Beraters
des Herrn — der sich nicht scheut sogar das „lasterquot; selber,
mit welchem V/orte wohl die Sparsamkeit (Knauserigkeit) ge-
meint ist, zu empfehlen.
Mir ist ein lob erluschen deme ich doch vil dicke zuo
mit guoten spruchen biete; ich wene ichz immer me getuo,
daz ich min lob entzünde da, da manz erleschen lat.
Ein milter man der solte ungerne volgen scalkes rat,
davon ein lob erleschet, daz in ganzer wirde stat.
Sie ne ratent anders niht den abent unde den morgen vruo
Nicht wen da laster von gescicht,
daz ratent sie vil gar.nbsp;.nbsp;.
Ein wip die misseraten hat, die ne gan irer tochter nicht
daz sie ane var mit willen wol gevar. _ _
Sie seit ir vil der mere vur, wie sie in ir lugende habe gevarn.
Sam tuot ein scalk dem herren sin, den er vur tugenden wil bewarn.
Ähnlichen Inhalts ist der 2. Spruch Schönbach 62, J41, der
offenbar als Fortsetzung von Schönbach?,J36,C7 gedichtet
wurde, denn in beiden Sprüchen wird für das Lob das Bild eines
Hause's verwendet. Das Haus wird vom Besitzer vernachlässigt,
ohne Dach und Spangen gelassen, d.h. der Herr hat sich um
seine Ehre nicht bemüht und so allmählich sein Ansehen ver-
loren. Der Spruchdichter, der als Sachverständiger herbeigeru-
fen wird hält es für unmöglich, daß einer das Haus wieder
in Stand setzen, nämlich den guten Ruf des Herrn wieder her-
stellen könnte. Seine Bemühungen würden keinen Erfolg haben:
„swaz ich im niuwer nagele sla, wir sin damite doch gar be-
trogenquot;, denn „den man von iugent unz an sin alter in houbet-
scanden siht, wie möchte ich den in erenwerche rihten.quot; Und der
Dichter schließt höhnisch:
„vurwar, so sult ir wizzen daz ez sint verscamter koche kint
unde scameloser muoter barn, die an tugenden so verweiset sint.
Schwerer zu deuten ist der dritte Spruch Schönbach 21, J55.
C31, dessen Text in C starke Abweichungen von dem in J auf-
weist. Wie immer gibt auch hier Schönbach C den Vorzug, wie
ich aber glaube mit Unrecht.
Swes lob vernagelt wirt, daz niht ein meister büezen kan
dernellet an den eren, daz vil lichte ein kundich man,
an siner wirde ein struchen spuret und ouch ein hinkent sciere,
darnach ein vallen des er sich nimmer me sit erholt,
ob man sinen eit zebrechen wil, daz er ungerne dolt.
Ir sint in minem lobe me erhunken danne viere
den starke nagele sint geslagen
hin durch die tugent unde anderthalb verzwicket.
Es ist ouch war, ich ne kan iu, weiz got, anders niht gesagen.
waz man mit swinden worten da gebicket,
sie sint an ganzer wirde und an den eren gar veriamet;
phrut umme die andren, die sich haben an eren sus verscamet.
Zunächst einige Bemerkungen: „dernellet (durnellet = durch-
nagelt) an den erenquot;, will „swes lob vernagelt wirdquot; erklären,
wie auch „ein kundich manquot; das Wort „meisterquot;. „Lobquot; ist
der gute Ruf des Herrn und wird mit ere, wirde und tugent
variiert. „Eitquot; erscheint hier in abgeschwächter Bedeutung wie
„eiden = in Eid und Pflicht nehmen, Walther 95,8 (vgl. Wil-
manns Anm.).
Das Lob wird hier als ein Pferd gefaßt, dem ein Hufnagel
schlecht eingeschlagen ist, sodaß kein Hufschmied den Schaden
zu bessern vermag. Ein Sachverständiger wird erst ein Strau-
cheln bemerken, dann ein Hinken und wird ein Hinstürzen
voraussehen. Ein Herr, der seine Ehre dermaßen vernachlässigt
hat, wird es trotzdem unangenehm finden, wenn man (der
Spr'uchdichter) es ablehnt ihm weiter zu dienen. Der Dichter
weiß aus seiner Praxis verschiedene Fälle aufzuzählen, in denen
trotz seiner Bemühungen die Ehre des Herrn unwiederbringlich
verloren gegangen ist, und er schließt mit einer bittern Schmä-
hung gegen alle, die schamlos leben.
In diesen drei Sprüchen tritt der Dichter als Sachverständiger
auf, wo es gilt, sich durch geeignete Lebensführung einen guten
Ruf zu erwerben. Er sieht es als seine Aufgabe an, den Herren
in dieser Beziehung mit seinem Rate beizustehen. Gelingt es dem
Spruchdichter einmal durch seinen vortrefflichen Rat („die guo-
ten Sprüchequot;) die Gesinnung des Herrn in dem Maße zu be-
einflussen, daß dieser einen guten Ruf gewinnt, so ist es der
wirtschaftliche Berater, ein „schalcquot;, der den Herrn zur Spar-
samkeit beredet, und der enttäuschte Spruchdichter nimmt sich
vor in der Folge seinen Rat nicht wieder unnütz zu verschwen-
den. Denn von der Gesinnung des Herrn hängt der Erfolg des
Spruchdichters ab. Ist diese so schlecht, daß der gute Ruf end-
gültig verloren ist, so helfen auch scharfe Ermahnungen des
Spruchdichters, seine „swinden wortequot; (sprüche G), nicht mehr.
Weil die Kluft zwischen Bruder Werners Ideal und der Zeit-
tendenz unüberbrückbar war, und er außerdem keine schmieg-
same Art besaß, wurde es ihm schwer sich durchzuringen.
Manchmal mochte ihm das Wasser bis zum Munde stehen, wie
sich aus dem Spruch Schönbach 55,J30 ersehen läßt, der viel-
leicht im Anschluß an Schönbach60,J30 gedichtet wurde:
Wer helfet mir an siner stat, des helfe mir was vil gereit?
Ich lige sere in iamers bat. Wer wil durch sine werdecheit
mir helfen so, daz mir noch vreude werde baz bekant?
Den wille ich ze herren han mit dienste also ich von rechte sol
unde wil im wesen undertan, wes herze ist reiner tugenden vol,
der sich des unterwinde, daz er biete mir durch helfe die hant,
hiemite sinen werden gruoz, daz er spreche: vriunt, ich wil
von aremuot, die bi dir ist--------dich losen
Und der bedrängte Dichter wendet sich nach allen Seiten,
in der Hoffnung seine Lage zu verbessern. Zu diesem Zwecke
139
-ocr page 158-macht er eine Reise nach Schwaben, worüber Schönbach 14,
J26, C27 berichtet. Er rühmt in diesem Spruch die gute Lebens-
führung der Schwaben im Ausland, weist sie aber zugleich auf
den Wert des Lobes hin, das sie zu Hause verdienen. Wahr-
scheinlich erwartete Bruder Werner, daß irgendein schwäbischer
Herr geneigt sein werde, sich in der Hoffnung auf dieses Lob
der Dienste eines so hervorragenden Sachverständigen zu be-
dienen, denn die Worte
Swer mir da heime unde anderswa voni schulden muoz bevallen wol,
er si gewis, daz ich ime tuo mit dienste als ich von rechte sol,
ist daz ich ine vinde so daz er vur valsche ist behuot
erinnern an V. 4.5 des soeben besprochenen Hilferufs (Den wille
ich ze herren han mit dienste also ich von rechte sol — er si
gewis daz ich ime tuo mit dienste als ich von rechte sol; wes herze
ist reiner tugende vol — ist daz ich ine vinde so daz er vur
valsche ist behuot.)
Ob Bruder Werner in Schwaben Erfolg gehabt hat, wissen
wir nicht, sicher ist, daß eine Reise nach dem Rheinland ihm
nichts als Enttäuschungen brachte. Er gießt bitteren Spott über
die kargen rheinländischen Herren aus (Schönbach 67, J47),
von denen er grimmig mitteilt: man muoz die hoen herren
umme ein ezzen sere vlen.
Bruder Werner hat wohl nicht wie Hergêr und Walther dauern-
de Aufnahme an einem der Höfe gefunden. Die gesellschaftliche
Stellung des Spruchdichters hatte an Ansehen eingebüßt, sodaß
er sich schließlich den fahrenden Leuten zurechnen mußte, wie
die Anfangsworte des Spruches Schönbach70,J51 beweisen:
„swa man den künsterichen varenden man ungerne siehtquot;. In
Schönbach 71,J 52 schildert er sich selbst, wie er vor den milten
Herren um Gabe seine Lieder singen will, dabei aber von den
Höflingen verspottet wird, sodaß er unbeschenkt von dannen
gehen muß:
Ich muoz vil dicke an maneger stat des guotes armer sin
so tuont ouch mir die milten herren dicke ir helfe schin.
Den spreche ich darnach als ich sol unz an mines endes zil.
Dabi duld ich von bösen Hüten spottes al ze vil.
Ich kome ze manigem herren derz mir wol erbieten wil;
so Stent die orendriusel hinder mir unde spotten min.
Swie gerne ich sunge guoten sanc, der dunket sie ein wicht.
Sus wenen sie lieben sich unde mâchent mir die gäbe kranc.
Swer mir sus gebe der git mir danne nicht.
So sin ouch mine gedanken so: unde hete der herre milten muot
er lieze ez durch die schalke nicht, her ne gebe mir durch
sine tugende guot.
Wenn Schönbach von diesem Spruch sagt, daß er ein
wahrer Bettelspruch sei, der recht deutlich zeige, um wieviel tiefer
schon Werner stehe als Walther, so hat er zum Teil recht. Es
ist ein Spruch, der uns das tragische Los des hochgemuten
Spruchdichters vor Augen führt, der durch die Ungunst der
Zeiten zum bettelnden Sänger heruntergesunken ist.
b) CHARAKTERISTIK DER SPERVOGELPOESIE
Die Interpretation des Zyklus 20,1-22,24 enthüllt uns eine
eigenartige kulturelle Funktion unseres Spruchdichters. Er tritt
mit 20,1 einem jungen Herrn, der von einer Reise heimkehrt,
mit der Mahnung entgegen vor allem dafür zu sorgen, daß er
mit seiner Lebensführung in der Heimat Lob erntet. Dieser
Spruch 20,1 wies eine weitgehende Übereinstimmung mit Bru-
der Werners Schwabenspruch auf (S. 139), mit dem dieser Dich-
ter sich unter den schwäbischen Herren einen Gönner suchte.
Ähnlich wie Bruder Werner trägt er dabei eine gewisse Über-
legenheit zur Schau, die sich u.a. in den Worten „daz waer min
rätquot; äußert. Denn Spervögel, der sich selbst als einen „wisen
manquot; bezeichnet, ist wie sein jüngerer Kollege sozusagen ein
Sachverständiger auf dem Gebiete der adligen Lebensführung
und vermag einem Herrn, der um sein Lob besorgt ist, gute
Dienste zu leisten.
Die Tätigkeit des Spruchdichters vollzieht sich innerhalb
eines bestimmten Lebenskreises, in dem dieselben Personen,
wenn auch mit anderem Namen, immer wieder die gleiche Rolle
spielen. Kein Wunder also, wenn sich allmählich ein bestimmter
1) WSB 150, I, 92.
-ocr page 160-Spruchdichterstil herausbildet und manche Motive, Situationen
und Redewendungen einen traditionellen Charakter annehmen.
So teilt z.B. Spervogel mit anderen Spruchdichtern, namentlich
mit Bruder Werner, die Vorliebe das Lob des Herrn durch tref-
fende Bilder zu charakterisieren: Bruder Werner stellt das Lob
unter dem Bilde eines Hauses, einer Flamme, eines Pferdes dar,
Spervogel verwendet das Bild des trägen Esels und des schnel-
len Rosses. Und wenn der Herr von der Belehrung des Spruch-
dichters Gebrauch machen will, wird ihm prophezeit, daß „sin
êre stigentquot;, ähnlich wie Bruder Werner den Grafen von Oster-
berc mit den Worten lobt: „er stiget üf an werdecheitquot;; zugleich
aber wird dem Herrn die Bedingung gestellt, daß er „triuwen
pfligetquot; wie auch Bruder Werner nur einem Herrn dienen will,
„wes herze ist reiner tugende volquot; oder den er „vur valsche
behuotquot; weiß. Spervogel hat mit diesem Dienstverhältnis so
wenig Glück gehabt wie später Bruder Werner. Es fehlte dem
Herrn an den erforderlichen Tugenden und insonderheit hängt
er am „guotquot;. Spervogels Ermahnungen „erst tump, swer guot
vor êren spartquot; und „swem daz guot ze herzen gät, der ge-
winnet niemer êre: sind als „swinde sprüchequot; zu betrachten, die
in ähnlichen Fällen Bruder Werner an die Herren richtet. Nach-
dem das Dienstverhältnis nach kurzer Zeit vom Herrn gelöst
worden war, mußte Spervogel noch eine trübe Zeit der Armut
verleben, bis er Aufnahme an einem anderen Hof fand.
Noch zwei Sprüche setzen ein ähnliches Verhältnis voraus;
Spruch 24,33 worin der Dichter dem Herrn, der kein Verständnis
für den guten Rat zeigt, vorwirft, daß es ihm an der erforder-
lichen Einsicht und an den nötigen Tugenden fehlt.
Von einer solchen Belehrung bietet der zweite Spruch (24,5)
eine Probe, der dem Herrn Anweisungen erteilt, wie er sich beim
Empfang der Gäste zu benehmen hat: in höfisch-froher Stim-
mung (mit zühten vro) soll er dastehen, den Gästen einen freund-
lichen Gruß gönnen und bei der Bewirtung vor allem seinen gu-
ten Willen zeigen.
Beide Sprüche, die, wie wir oben sahen, unter dem Einfluß
des Winsbeken stehen, haben später Beachtung gefunden; so
knüpft „Der Lietscouwerequot; Jen. Liederhs. XVI,3 an Vers
23,34 an:
142
Swaz man den bösen vurgesinget unde gesaget,
daz ist verloren arebeit;
die bösen sint gemeit,
swa man wil lesterlichen leben.
Den bösen scalken swinde bosheit wol behaget.
Die bösen minnent arge list;
gar vil der bösen ist;
die bösen ie nach bosheit streben.
Den bösen dunket bose, daz der biderben guoten dunket guot,
die bösen haben zuo allen ziten suren muot
Den bösen wil ich sin gehaz
unde loben die guoten baz
went ir lib bosheit niht enkan.
Und „Der Helleviurquot; Jen. Liederhs. X, 2 führt unter An-
lehnung'an Spruch 24,5 den Eingangsvers desselben weiter aus:
Der gruoz den gast vil schone vreuwet.
Der gruoz ist êre unde stêt ouch wol.
Der gruoz des gastes sorgen dreuwet,
daz sie niht wachent. Dennoch stet der gruoz dem Wirte wol.
Der gruoz der machet hohen muot
dem gast, swen in der wirt an set, ob er den gruoz mit willen tuot.
Ein lachen, vragen, höret da zuo; der wirt niht swigen sol,
also ein stum unselich wirt, der also sprachelos ie wart gevunden,
kegen sinen gesten, ane gruoz und ane vrage; er lat sich
schande wunden,
Sodaz im laster bi besté unde daz in ere gar verbirt.
Da denket an: sit gruozes milte, daz vreuwet den gast und
eret wol den wirt.
Von der bei Bruder Werner vollausgebildeten eigenartigen
Spruchdichterwelt lassen sich bei Spervogel nur erst geringe
Ansätze entdecken; Schlagworte wie „schandequot;, „lasterquot;,
„schalcquot;, bittere Urteile über die Alten und die Jungen, pathe-
tische Zeitklagen, Loblieder auf Herren finden sich in seinen
Sprüchen nicht.
Spervogel tritt wie die anderen Dichter als Hofpädagoge auf
und will mit seinen Sprüchen die Hofgesellschaft über die rechte
Art zu leben und über das Leben selbst belehren. Wie Hergêr
das Ideal der rechten Ehe verficht, indem er den ehebrüchigen
143
-ocr page 162-Mann mit einem Schwein vergleicht, das sich m den trüben
Pfuhl legt, so kehrt Spervogel deutlich hervor, daß em braver
Ehemann,'der seiner Frau immerfort neue Kleider kauft und
für sich selbst keine Ansprüche stellt, selber die Gefahr herauf-
beschwört, daß sie ihm untreu wird.
Im Gegensatz zu Walther, der die Freundschaft hoher als die
Verwandtschaft schätzt'), stellt Spervogel 24,9 die treue
Freundschaft der Verwandtschaft gleich. Er steht in dieser Be-
ziehung auf der Stufe des Winsbeken, der in Str. 28 sich aus den
„mägenquot; einen Freund erwählt. Auch der anschließende Spruch
24 17 swer den sinen guoten vriunt behalten wilquot; erinnert an
eine s't'elle beim Winsbeken: 30,1-4 „Sun, dinen guoten friunt
behalt der dir mit triuwen bi gestat, und wis im zorne niht ze
balt mit gxhen siten, dêst min rät.quot; Da in Spervogels Spruchen
bisweilen die verschiedenartigsten Reminiszenzen zusammen-
treffen, können beide Sprüche 24,9 und 24,17 als Umschreibungen
einiger' Sentenzen in der moralis philosophia Hildeberts (oder
Wilhelms von Conches) betrachtet werden, wie dies von Ehns-
m.ann geschieht. Die übereinstimmende Aufeinanderfolge der
Gedanken in den beiden Sprüchen und in der moralis philosophia
veranlaßt Ehrismann zu der Annahme, daß Spervogel beide
Sprüche in einem Zuge abgefaßt hat.
Nicht so leicht wie bei Hergêr lassen sich bei Spervogel die
Sprüche, die sich mit persönlichen Beziehungen befassen, von
den andren absondern. Seine Sprüche scheinen, weil sie alles
Individuelle abgestreift haben, reine Lehrspruche zu sem, ob-
wohl bei eingehender Untersuchung auch sie vielleicht mit weni-
gen Ausnahmen als Gelegenheitssprüche anzusehen sind. Sicher
ist dies der Fall mit 22,33 wo der Verfasser sich den Vorwürfen
gegenüber, daß er nichts besitzt, mit dem Hinweis auf den Rhein
verteidigt, der auch klein angefangen habe, und mit Spruch
23,13, worin erzählt wird, wie er an einem See saß, dem ein
kühler Quell entfloß. Mancher habe dort seinen Durst gelöscht,
ihm aber habe man keinen Trunk geboten. Hierher gehören
ferner die Sprüche, die sich auf den Streit mit Walther beziehen.
1) Walther 79,17 (Vgl. Wilmanns-Michels, Leben S. 253 und Anm.
IV, 155).
144
Sogar das Priamel, das sich so recht zur Gnome eignet, wird von
Spervogel zum Gelegenheitsspruch verwendet. , ^ ^
Aus Hergêrs Sprüchen gewinnen wir den Emdruck, daß die von
ihm so gerühmte vorkapitalistische Lebenshaltung noch einiger-
maßen in den Lebensumständen der damaligen vornehmen Welt
begründet war, wenn auch die schon eingetretene und allmahlich
weit um sich greifende neue Wirtschaftsordnung seinen Lebens-
abend verdüsterte. Bei Spervogel ist der Bruch zwischen dem
alten Ideal und der neuen Lebenspraxis schon zur Tatsache ge-
worden und der Spruchdichter sieht sich genötigt durch Beleh-
rung und Ermahnung die hohen Herren für seine Anschauunpn
zu gewinnen. Wie selten das dem Spruchdichter gelang, ersehen
wir aus Bruder Werners Sprüchen. Auch Spervogels Leben hatte
sich trauriger gestaltet, wenn er nicht neben dem pädagogischen
Amt die Funktion eines politischen Agenten ausgeübt hatte Wie
Walther tritt auch Spervogel im Dienste der vornehmen Herren
als Berater und Vermittler in Streitsachen auf, freilich inner-
halb eines engeren Kreises, sodaß er nicht auf das Gebiet der
politischen Dichtung geführt wurde, wozu übrigens auch seine
Begabung nicht ausgereicht hätte. Von dieser Tätigkeit zeugt
Strophe 24,25 in der der Dichter die Bedeutung, die ein treuer
Diener für ein edles Geschlecht hat, hervorhebt. Offenbar fühlte
der Dichter, der hier wohl die eigene Sache führt, seine Stellung
bedroht und befürchtete er seine Entlassung. Denn er weist mit
Nachdruck darauf hin, daß dieses edle Geschlecht mit semer
Hilfe hoch emporsteigt, ohne ihn aber tief sinkt, um sich nie
wieder aufzurichten.
24 5 Ein edele künne stiget üf bi einem man
der dem vil wol gehelfen unde raten kan;
so stiget ein höhez künne nider
und rihtet sich üf nimmer wider
so si verliesent under in
der in da solten raten.
Er was in ie mit triuwen bi
und suonte swaz si täten.
Worin besteht nun eine Übereinstimmung zwischen Hergêr
und Spervogel? Diese Frage dürfen und müssen wir wohl für
145
-ocr page 164-berechtigt halten, wenn wir in Betracht ziehen, wieviel Forscher-
mühe aufgewandt wurde, um in den durch Zufall in der Über-
lieferung zusammengeworfenen Sprüchen Hergêrs und Sper-
vogels das Werk zweier verschiedener Dichter zu erkennen. Und
hat nicht sogar nach dem Erscheinen von Scherers Deutschen
Studien noch Garthaus in der Germania 28,214 den Versuch
unternommen die beiden Dichter als identisch zu erweisen?
Zunächst wollen wir uns daran erinnern, daß Walthers geniale
Leistung die gesamte Spruchdichtung auf eine höhere Ebene
erhoben hat. Seinem Wirken ist es zu verdanken, wenn an die
musikalische Bildung der Spruchdichter höhere Anforderungen
gestellt wurden, sodaß sie sich stolz als „singerquot; bezeichnen
konnten. Was metrische Technik und musikalischen Vortrag der
Sprüche betrifft, schließt auch Spervogel sich natürlich den Be-
strebungen seiner Zeit an, aber wie Hergêr bedient er sich nur
eines einzigen, höchst einfachen Tones, der als Weiterbildung
der alten Priamelstrophe 30,34 gelten kann. Während in Wal-
thers Spruchdichtung und in der seiner Nachfolger eine bunt-
bewegte Zeit in voller Spannung und Gährung vor uns tritt,
schauen wir bei Hergêr in die altfeudale Welt, in der nur Wern-
hart von Steinberg in dem Nachruf des Dichters sichtbar wird,
und in welcher der um das Los der Söhne bangende Dichter der
einzige Ruhelose ist, der von Hof zu Hof reitend die Not des
Lebens spürt. Trotz der blitzartig vor unseren Augen vorüber-
ziehenden Bilderfülle der Priamelreihen beschränken sich auch
Spervogels Sprüche auf das eigene Leben und das seiner näch-
sten Umwelt, sodaß es den Anschein hat, als träte uns hier auch
die einfache Welt Hergêrs entgegen.
Es kommt hinzu, daß die Knappheit im Ausdruck ebenfalls
ein charakteristisches Merkmal der Spervogelpoesie bildet, nur
fehlt Hergêr der sentimentale Zug, der in Spervogels Sprüchen
hier und da so warm anspricht. Es wurde schon oben bemerkt,
daß der bereits bei Walther nachweisbare, und dann bei Bruder
Werner zur vollen Ausbildung gelangte eigenartige Gedanken-
kreis der Spruchdichter bei Hergêr noch fehlt und bei Spervogel
erst im Entstehen begriffen ist. Auch stimmen die Ausdrücke,
mit denen Hergêr und Spervogel das Ideal der vornehmen Le-
benshaltung andeuten, fast wörtlich überein (Hergêr: der niht
146
vor den êren versparte, und Spervogel: erst tump swer guot
vor êren spart).
Wenn wir in Erwägung ziehen, daß alle Spruchdichter aus
dem ererbten Formelschatz schöpfen, daß der Stil im wesent-
lichen unverändert bleibt, daß Lebensbedingungen und Schick-
sale der Dichter vielfach übereinstimmen, so begreifen wir auch,
warum es so schwer fällt, die Individualität eines Dichters ganz
scharf zu umreißen. Diese Ähnlichkeit im Charakter und Ge-
halt der Hergêr- und Spervogelsprüche hat Garthaus zu dem
bekannten Trugschluß geführt, daß Hergêr und Spervogel iden-
tisch seien. Es ist Garthaus nicht gelungen, sich in die Seele
dieser Dichter hineinzufühlen; auch war es ihm entgangen, daß
es psychologisch kaum denkbar ist, wenn derselbe Dichter, der
schon in vorgerücktem Alter den Blick auf die versäumte Ju-
gendzeit richtet, in noch höherem Alter sich auf einmal zu einem
Zukunftsoptimismus versteigen soll. Eine weit treffendere Cha-
rakterschilderung der beiden Dichter gibt G. Ehrismann, zu der
ich ergänzend auf folgendes hinweisen möchte.
Aus der Interpretation des Minnespruchs 24,1 ging hervor,
daß Spervogel den Einfluß Morungens erfahren hat; zugleich
sahen wir, wie vortrefflich Spervogel Morungens Gleichnisse
nachzuahmen wußte. Das Sinnvolle und Beziehungsreiche von
Si^rvogels Priameln scheint in der Tat zu der Art und Weise
wie Morungen seine Gleichnisse auszuführen pflegte zu stim-
men. Vielleicht läßt sich auch der Umstand, daß Spervogel
keine Namen nennt, auf Einfluß der Minnelyrik zurückführen.
Wie sehr Spervogels mildes Wesen an die Natur der Minne-
lyriker gemahnt, wird sofort deutlich, wenn wir seine Prophe-
zeiung: „stirbet er, si sehent den tac, si trüegen in üf den han-
denquot; mit Reinmars Worten 193,38 „die nu vil lihte min enbernt,
die windent danne ir hendequot; oder 175,27 „mich beginnet noch
nâch minem töde klagen, maneger der nu lihte enbaere minquot;
vergleichen. Von einer so milden Natur hätte man sicher reli-
giöse Sprüche erwarten dürfen; es mangelte aber Spervogels
Publikum wahrscheinlich an Interesse dafür, denn wie wäre
sonst die auffallende Tatsache zu erklären, daß sie unter seinen
Sprüchen gänzlich fehlen.
Die heutige geringschätzige und ungerechte Beurteilung der
-ocr page 166-beiden Dichter geht auf G. Roethe zurück, der bei Besprechung
der Reinmarschen Lügensprüche ihre Tätigkeit folgendermaßen
schildert: „Reinmar entnahm diese recht volkstümliche Gattung
(der Lügensprüche) jener unscheinbaren und bescheidenen
Klasse von Spielleuten, die ohne alle literarischen Prätentionen
ihr Publikum durch Witze, Geschichtchen und Lehren unter-
hielten. Für uns verhüllt bis tief ins dreizehnte Jahrhundert
hinein ein dichter Schleier das Treiben und Dichten dieses
Völkchens — kaum daß ein paar dürftige Nachrichten, daß die
Sprüche der Spervogelsippe und wenige andere Einzelstrophen
uns wie durch einen Riß hinter jenen Vorhang lugen lassen. Im
Laufe des dreizehnten Jahrhunderts lichtet sich der Schleier:
unter den zahlreichen Spruchdichtern aber, die wir da kennen
lernen, dominiert doch weitaus eine Klasse von anspruchsvollen
Fahrenden, welche mit Verachtung auf die ungebildeten Genos-
sen herabblickt und auf eine eingebildete Gelehrsamkeit pochend
auch vom Publikum eifersüchtig verlangt, jenen vorgezogen zu
werden. Das Stichwort, mit dem diese Herren prunken, ist
die „kunstquot;.quot;
Roethe übersieht dabei, daß auch Spervogel um seiner „kunstquot;
willen Anerkennung verlangt, wenn er (V. 21,29) mit Bitterkeit
feststellt: „diu saelde dringet vür die kunstquot;. Prinzipiell läßt
sich also Spervogel nicht von den späteren Spruchdichtern tren-
nen. Was Spervogel mit seiner „kunstquot; meint, läßt sich nicht
mit Sicherheit feststellen. Wir sind mit Burger') durchaus der
Meinung, daß man in der klassischen Blütezeit der mittelhoch-
deutschen Literatur offenbar wenig Bedürfnis fühlte, sich über
Sinn und Wesen der Dichtkunst Rechenschaft zu geben. Von
der Kunst der frühen Meistersinger sagt Burger, daß der Dich-
ter, um gut dichten zu können, die Kenntnisse und Fertigkeiten
sämtlicher artes beherrschen müsse. Wir dürfen also anneh-
men, daß dieses Wort „kunstquot; bei Spervogel sowohl Wissen wie
Können, das heißt sowohl das Gedankengut des Spruchdichters,
als auch seine dichterische Fertigkeit umfaßt. Als Muster seiner
Kunst mögen seine Priameln gelten. Wenn Burger bemerkt: „In
der Ausgewogenheit einer streng proportionierten Tektonik soll
Burger, Die Kunstauffassung der frühen Meistersinger S. 9.
-ocr page 167-der hauptsächliche Reiz des Meistersingergedichtes liegenquot;, so
denken wir unwillkürlich an die kunstvolle Gedankengliederung
der Priameln, die in der Zeilenarchitektonik ihren sinnfälligen
Ausdruck findet. Auch die Verwendung der Gleichnisse, des
Bilderschmucks gehören zu den erforderlichen Merkmalen dieser
Kunstgebilde. Sagt Spervögel: „altez pfert zer stuote slahenquot;,
so haben das alte Pferd und die Zuchtherde nur das eine ge-
meinsam, daß man sie beide nicht zur gewöhnlichen Arbeit her-
anzieht. Das alte zur Arbeit unfähige Pferd wird dann in Gegen-
satz gestellt zu dem arbeitstüchtigen „wisen manquot;.
„Es ist nicht soquot;, sagt Burger, „als ob die allegorischen Bilder
das wirklich Wesentliche einer Sache erschöpfend darstellen
sollen. Sie sind vielmehr Gleichnisse, und so genügt es, daß Bild
und Sache in irgendeinem Punkt eine Analogie aufweisen, im
übrigen dürfen sie hinken.quot; Der erhaltene Eindruck ist also
dieser: je weiter die Lebenskreise von Bild und Sache vonein-
ander entfernt sind, je größerer Scharfsinn zur Auffindung einer
doch überraschenden Ähnlichkeit aufgewendet werden muß,
umso reizvoller erscheint dem Publikum der Spruch, umso tiefere
Bewunderung zollt man dem Dichter. Die proportio einerseits
und der color andererseits, beide sind, wie Burger weiter aus-
führt, die objektiven Bedingungen der körperlichen Schönheit.
Und auch für Spervogels Priameln gelten die Worte: „wie die
meistersingersche proportio weniger ein sinnbildliches Klang-
gebilde fürs Ohr hat, als vielmehr ein gedankliches Schema, so
will der color weniger die Illusion, als vielmehr ein Denken in
Begriffsbildern auslösen. Als ein bildhaftes Denken manifestiert
sich beidemal der ästhetische Akt.quot; Unsere Interpretation der
Spervogelschen Sprüche ergab, daß sie trotz dieser Bildersprache
ganz rational zu erfassen sind. Freilich, diese Kunst stellte hohe
Anforderungen an das Fassungsvermögen des Publikums; sie
gewährte ihm ein geistvolles Spiel und entsprach so seinem
Schönheitsbedürfnis. Diese scheinbar so dunklen Sprüche, die
sich schließlich doch in begrifflicher Klarheit aufhellen, sollen
des Dichters höhere Begabung zeigen. Er bewies damit, daß er
zu einer besonderen Gruppe der Wissenden und Eingeweihten
gehörte, daß ihm der Name eines „wisenquot; Mannes mit Recht
zukam.
Bei Hergêr findet sich das Wort „kunstquot; nicht; auch in dieser
Hinsicht mag er einer älteren Kulturstufe angehören. Er be-
fleißt sich im allgemeinen, wie übrigens alle Spruchdichter, einer
knappen und klaren Sprache. Daneben gibt es aber auch bei
ihm Sprüche, die dem mittelalterlichen Publikum wohl nicht
ohne weiteres verständlich waren und deren Sinn zu deuten auch
den heutigen Forschern noch nicht restlos gelungen ist. Ich er-
wähne nur das Gleichnis vom Baum, der süße und saure
Früchte zugleich trägt, die man nicht auf einen Haufen werfen
soll. Schon aus diesem Beispiel sehen wir, wie auch Hergêr das
Bestreben hat, sich in dem Besitz tieferer, dem Durchschnitts-
publikum nicht gleich zugänglicher Weisheit zu zeigen.
IV.
Schlussbetrachtung und Ausblick
-ocr page 170-m
-ocr page 171-IV - SGHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK
Wenn auch die Spruchdichtung später in der bürgerlichen
Poesie ihre Fortsetzung findet, so ist sie doch in ihren Anfän-
gen an die Höfe gebunden und muß als höfische Dichtung ge-
wertet werden. Sie verfolgt den Zweck die dualistische Welt-
anschauung zu verbreiten und über das praktische Leben zu be-
lehren. In den vom Spruchdichter erteilten Lehren nehmen die
Vorschriften über das ökonomische Verhalten einen wichtigen
Platz ein. Daß der Spruchdichter an dem vorkapitalistischen
Ideal zu einer Zeit festhält, wo die neue Wirtschaftsordnung
einen anderen Menschentypus verlangte, wurde ihm zum Ver-
hängnis.
Hergêrs Klage, daß die Herren „erargetquot; sind, beweist, daß
sich schon damals eine Veränderung in den Ansichten der Her-
ren vollzogen hatte. Mit dem Erstarken der kapitalistischen
Tendenz verliert die Spruchdichtung an Wert und Ansehen und
dementsprechend sinkt auch die soziale Stellung des Spruch-
dichters.
Wandernde Spruchdichter gibt es, wenigstens in der älteren
Zeit, nicht; das Wandern wird vom Dichter als ein Unglück
empfunden. Seine Sehnsucht geht dahin an dem Hof eines wohl-
gesinnten Herrn Aufnahme zu finden und hier seines pädagogi-
schen Amtes zu walten. Hergêr bleibt jedesmal solange an dem
Hofe des Herrn, bis dieser stirbt; offenbar nach einer alten Tra-
dition. Das Dienstverhältnis des Spruchdichters dauerte bis an
den Tod des Gönners.
In einer Hinsicht stimmen alle Spruchdichter überein: Das
Bewußtsein von dem hohen Wert und der absoluten Gültigkeit
ihrer Anschauungen verleiht ihnen ein hohes Selbstgefühl. Sie
treten der Welt als autoritative Kenner der Sitte und der
„biologischenquot; Gesetze gegenüber und betonen gern ihre Un-
abhängigkeit in der Kritik an der Lebensführung der Herren,
eine vornehme Gesinnung, die umso höher bewertet werden
muß, als sie selber mittellos in einer vorwiegend agrarischen
Welt auf die Gunst der hohen Herren angewiesen waren.
Für Walther und die nachwaltherschen Spruchdichter bilden
die Loblieder auf die nach dem alten Ideal lebenden Herren eine
wichtige Einnahmequelle. Ob diese Tätigkeit sich erst später
herausgebildet hat, wissen wir nicht, jedenfalls läßt sie sich bei
Hergêr und Spervogel nicht nachweisen. Wohl dürfen wir, wie
m.ir scheint, die politische Funktion des Spruchdichters, die
Rolle des Beraters und Vermittlers, die uns bei Walther und
bei Spervogel begegnet, als traditionell ansehen. So bemerkt
z.B. zu Spervogels Spruch 24,25 Ehrismann: „24,25 ist eine
Verherrlichung des treuen Ratgebers, jener besonders im mit-
telalterlichen Epos so beliebten Figur, die ihr tatsächliches
Vorbild in der Geschichte und in der Feudalverfassung hat.quot;
Angesichts der langen Reihe von Spruchdichtern, die alle die
erzieherische Funktion ausübten und dieselbe soziale Stellung
innehatten, erhebt sich die Frage, ob es sich hier nicht um eine
uralte kulturelle Einrichtung handelt. Hergêrs Sprüche wurzel-
ten zum Teil in der germanischen Welt der Heldensage. Wir
dürfen vermuten, daß in der uns nicht überlieferten vorhergêr-
schen Spruchdichtung das germanische Element eine noch wich-
tigere Rolle gespielt haben wird; auch läßt sich annehmen, daß
ihre Stellung damals einen noch stärkeren autoritativen Charak-
ter besessen hat. Dieser Gedankengang führt uns zu der weiteren
Vermutung, daß diese Autorität in der Würde des Amtes be-
gründet war; aber dann muß dieses Amt mit einer sakralen
Würde bekleidet gewesen sein, mit anderen Worten der Spruch-
dichter ist als eine spätere Entwicklung des germanischen
Priesters (Kultredners) zu betrachten.
Von dem germanischen Priester ist uns nur wenig bekannt.
„Von vornherein ist anzunehmenquot;, sagt Jan de Vries in seiner
altgerm. Religionsgesch. S. 262, „daß die Priester die Hüter der
heiligen Tradition des Stammes waren.quot; Und weiter: „Daneben
müssen wir aber noch eine andere und zwar esoterische Über-
lieferung annehmen; die Kenntnis von dem Hergang und der
Bedeutung der Riten, von den verschiedenen Mythen, von der
Orakeltechnik und wohl auch von der magischen Praxis. Das
alles bleibt uns jedoch verschlossen.quot;
Den Lauf der Entwicklung haben wir uns dann folgender-
maßen vorzustellen: mit der Einführung des Christentums ver-
lor der Priester (Kultredner) seine sakrale Function. Völlig ver-
schwand er nicht, dazu hatte er eine zu wichtige kulturelle Stel-
lung eingenommen. Er paßte sich den neuen Verhältnissen an,
indem er sich auf ein Gebiet seiner bisherigen Tätigkeit be-
schränkte, wo er keine Anfeindung seitens der Kirche zu be-
fürchten hatte. Er blieb Hüter der Sitte und verkündete nun
neben den alten weltlichen Idealen die christliche Lehre. Den
festen Platz am Hofe behielt er, auch blieb ihm seine autorita-
tive Stellung und die unabhängige Gesinnung. Mit der Berater-
stelle, die der Priester wohl ursprünglich bei dem Herrn ver-
treten hatte, wurde auch nach der Umwandlung der Spruch-
dichter betraut, wiewohl ihn auf diesem Gebiete der Bischof zum
Teil verdrängte. Daß nicht das Geringste in der Spruchdichtung
an den germanischen Priester erinnert, findet seinen Grund in
dem Umstände, daß er sich bestreben mußte, jeder Verdächti-
gung auszuweichen und als aufrichtiger Christ zu erscheinen;
seine Stellung war ja ohnehin gefährdet. Auch bedenke man,
wieviel Jahrhunderte vergangen sind, bevor der Spruchdichter
in unsrer Überlieferung ans Licht tritt.
Mit dieser These erklärt sich die starke Anhänglichkeit des
Spruchdichters an die weltlich-germanischen Anschauungen und
seine Neigung (vgl. Walther 22,27 und 32,32) das weltliche
Ideal der Ehre zu glorifizieren.
Vielleicht verdient in diesem Zusammenhange die Stelle 20,15
„wisen man, den sol man willich habenquot; Beachtung. In dem
Ausdruck „wisen manquot; haben wir eine Bezeichnung des Spruch-
dichters zu sehen, die schon damals im Veralten begriffen war,
weil die nachwaltherschen Spruchdichter sich „singerquot; nannten,
wie auch Walther selbst in den Reiserechnungen des Passauer
Bischofs Wolfger von Ellenbrechtskirchen „cantorquot; genannt wur-
de. Auch sonst spielen „die wisenquot; in der Spruchdichtung eine
wichtige Rolle. Darüber berichtet Roethe S. 330: „Die wisen
sind das Tribunal, das den Spruchdichtern über Gut und Böse,
Recht und Unrecht entscheidet: sie repräsentieren die Blüte des
sittlichen Denkens und Urteilens... Der „wisen lopquot; ist die
höchste Auszeichnung, ihrer Lehre soll man folgen, meiden, was
155
-ocr page 174-ihnen mißfällt: diese Anschauung vermisse ich außer bei Kon-
rad nur in den Sprüchen der Spervogel und Alexanders. So wer-
den die wisen gerne als Gewähr für Gnomen zitiert, namentlich
von den älteren minder gelehrten Dichtern.quot; Zu dem Ausdruck
„die wisenquot; bemerkt das mhd. Wörterbuch: „nicht, was wir die
Weisen nennen würden, sondern Leute, die eine Sache verstehen,
denen ein Urteil zukommt; die Kundigen, die Kenner.quot; In der
Spruchdichtung sind „die wisenquot; ein Kollektivbegriff, Männer,
denen in Bezug auf Sitte ein besonderes Wissen zu Gebote steht,
das sie zu autoritativen Urteilen berechtigt. Bemerkung ver-
dient, daß im Gegensatz zu dem deutschen Wort, womit Kenner
und Hüter der Sitte bezeichnet werden, mit dem englischen „wise
manquot; a man, who is versed or skilled in hidden arts, as magic,
witchcraft and the like, a magician, wizard, bezeichnet wird.
Auch das Wort wizard gehört hierher, das nach Murray aus
wise und ard zusammengesetzt ist: a man, who is skilled in
occult arts, in later use, a man who practises witchcraft. Interes-
sant sind auch einige bei Murray verzeichnete Belege z.B.:
„whan we be in trouble or siknes or lose any thing: we runne
hither and thither to wyssardes or scorcerers, whom we call wise
man.quot; Man möchte sagen, das deutsche und das englische Wort
heben zusammen die charakteristischen Tätigkeitsgebiete des
germanischen Priesters hervor. Ich glaube daher, daß wir in
„wisen manquot; bei Spervogel eine gesunkene Bezeichnung für
den germanischen Priester zu sehen haben. Roethe hatte in der
von uns oben angeführten Erörterung unsere Spervogelstelle
übersehen, die einzige, wo ein Spruchdichter sich selbst als
„wisen manquot; bezeichnet. Neben „wise manquot; kommen im Engli-
schen und Niederländischen auch die Zusammensetzungen
„wisemanquot; „wijsmanquot; vor; im Mhd. findet sich nur eine Beleg-
stelle wisman Renn. 1303. Es scheint mir möglich, daß an der
Spervogelstelle ursprünglich eine derartige Zusammensetzung
gestanden hat, denn der Vers „wisen man den sol man willich
habenquot; ist metrisch wohl kaum richtig; vielleicht hat er ur-
sprünglich gelautet: „den wisman sol man willich haben.quot;
Nehmen wir das außerdeutsche Material über den germani-
schen Priester zu Hilfe, so möchte man an erster Stelle das aus
altn. und angels. Quellen erschließbare |)ulrtum heranziehen.
W H Vogt gibt in seiner Abhandlung: Der frühgermanische
Kultredner APH S. 2 (1927) S. 250-263 folgendes Urteil über
den germanischen *J)uliz: „im germanischen *J)uliz sehe ich die
den Kultus redend ausübende Persönlichkeit. Sein Tun umfaßt
das ganze Volksleben, soweit es religiös in Handlung und Lei-
den tritt: den empfangenden und den wirkenden Verkehr mit
den Göttern, das Recht, die Lehre, die Sitte und die göttlich
geleitete Geschichte. Seine Kraft liegt konzentriert im Seher- und
Magierwesen.quot;
Wie der Spruchdichter hat auch der *{)uliz eine amtliche Stel-
lung am Hofe als Berater des Fürsten bekleidet. „Der Thul war
der Rat der Fürstenquot; urteilt Andreas Heusler in seiner „alt-
germanischen Dichtungquot; S. 106 f. Vogt bezweifelt dies und
meint, daß diese anscheinend amtliche Stellung des Unferd
J)yle im Beowulf einer jüngeren Kulturlage angehört. „In jenem
dänischen {)ul — nicht in dem des Beowulf — steckt eine Be-
ratertätigkeit, und sie mag als eine der Federn vermutet wer-
den die einen {)yle auf den Thron der Rondingen (Wids. 24)
gehoben hat. Politische Ratsstellung der geistlichen Person ist
der Geschichte geläufig und mag auch in der des {)uls häufig
vorgekommen sein.quot;
Die soziale Stellung der älteren deutschen Spruchdichter setzt
offenbar eine derartige Entwicklung wie beim dänischen |)ul
voraus.
Was den altnordischen Jiulr betrifft, meint Vogt: „Der {)ulr
war Großgrundherr; das beweist der Snoldelev Stein auf den
{)ul ä Salhaugum. Dieser war anscheinend nicht Priester (godi),
der |)ulr von Byrca aber dürfte mit dem Tempelkult von Uppsalir
in Verbindung gestanden haben. Der {)ulr sprach {)ular stoH ä.
Ziemlich viele Stücke zeugen dafür, daß der Hügel sein kulti-
scher Sitz gewesen ist: ä Salhaugum redete der {)ulr, er wohnte
at oder undir Salhaugum ... In der mythischen Sphäre ent-
spricht ihm (seinem Sitz) Hlidskialf, der Sitz, den Odin be-
stieg, wenn er die Welt überschauen wollte. Kein andrer betrat
ihn ungestraft.quot;
Diese Ausführungen können vielleicht auf drei der wichtig-
sten Sprüche der ganzen Spruchdichtung neues Licht werfen.
Ich meine die bekannten drei Walthersprüche im Reichston
8,4/8,28 und 9,16. In diesem Ton gab Walther, nach Wilmanns
Urteil, „das erste Beispiel politischer Dichtung in deutscher
Zunge. Trotz der verschiedenen Zeit der Abfassung ist die augen-
fällige Übereinstimmung in der Anlage der drei Sprüche nicht
zufällig und absichtslos. Zu beachten ist schon der parallele An-
fang der Sprüche. Walter wird den letzten gedichtet haben, um
ihn im Anschluß an die beiden vorhergehenden vorzütragen.quot;
Betrachten wir zunächst den ersten Spruch.
Ich saz üf eime steine
und dahte bein mit beine:
dar üf satzt ich den ellenbogen;
ich hete in mine hant gesmogen
daz kinne und ein min wange.
In der hier geschilderten Stellung ist Walther bekanntlich in
der Weingartner und Pariser Handschrift abgebildet. Es herrscht
eine gewisse Feierlichkeit in der Art und Weise, wie Walther
sich zum Denken hinsetzt. Ernst und gemessen, als gelte es ein
bestimmtes Ritual, folgen die einzelnen Handlungen aufeinan-
der. Wilmanns meint: „sie schildern die typische Stellung des
Nachdenkenden. All diese charakteristischen Züge vereinigt
Walther mit überraschender Anschaulichkeit zu einem Ganzen.quot;
Ich glaube, daß diese eigenartige Stellung des Dichters, mit
der er wohl einer alten Tradition folgt, die Aufmerksamkeit des
Publikums aufs höchste spannt und es auf wichtige Offenbarun-
gen vorbereitet. Eben weil diese Stellung eine traditionell ge-
heiligte war, denn sie war die des germanischen Priesters (Kult-
redners). Das beweist der Eingangsvers: „ich saz üf eime steine.quot;
Walther sitzt nicht wie der {)ulr ä Salhaugum auf einem Hügel
oder wie Odin auf Hlidskialf, aber doch auf einer Anhöhe; dieser
Stein ist Walthers kultischer Sitz. Als ein priesterlicher Seher,
den Blick in die Ferne gerichtet, setzt er sich hin, indem er
sich von den Menschen absondert, denn in stiller Einsamkeit
soll ihm der Erleuchtung bringende Geist kommen. Das Publi-
kum sieht den alten |)ulr vor sich, von dessen Lippen prophe-
tische Weisheit strömen wird. Unser Dichter erzählt aus der
Erinnerung heraus, aber nach einer Weile verschmelzen Ver-
gangenheit und Gegenwart. Eine schicksalsschwere Frage war
ihm aufgelegt worden, auf deren Beantwortung die Welt in ban-
ger Spannung harrt, „do dähte ich mir vil ange, wie man zer
Werlte solte leben.quot; Die Lösung des Problems will nicht gelin-
gen, aber des Sehers Blick dringt wie der Odins tief in die Welt,
er durchschaut das ganze Menschengetriebe und erblickt alle
Hindernisse. „Untriuwe ist in der säze; gewalt vert üf der
sträze.quot; Befreiend ringt sich ihm die Einsicht los: „diu driu
enhabent geleites niht, diu zwei enwerden e gesunt.quot;
Auch die zwei anschließenden Sprüche sind Jjulr-Reden; hier
belehrt der hellsehende Priester über die Geheimnisse der Natur,
um dann einen Wehruf hören zu lassen: „so we dir tiuschiu zunge,
wie stet din ordenunge!quot; und zum Schluß die Mahnung: „Phi-
lippe setze en weisen üf, und heiz si treten hinder sich.quot; Dem
Hellsehenden bleibt nichts verborgen: „Ich sach mit minen ougen
manne und wibe tougenquot;, er berichtet über die geheimen Vor-
gänge unter den Menschen und speziell über die Intrigen in
Rom, um die kläglichen Zustände im Reich zu erklären.
Walther in der Maske des germanischen Priesters (Kult-
redners), ist das nicht ein Beweis für die Richtigkeit unserer
Auffassung, daß die Spruchdichtung als eine Fortsetzung der
{)ulr-Dichtung zu betrachten ist? Wir haben wohl anzunehmen,
daß diese Jjulr-Reden mit ihrer eigenartigen Einkleidung sich
in der Tradition erhielten und immer noch, auch zu Walthers
Zeiten, einen feierlichen Eindruck machten. Wenn später Frauen-
lob (MSH. 2,351b) darüber reflektiert, daß ohne Geld keine
Ehre zu haben ist, singt er wie Walther: „ich saz üf einer griiene
und dähte an maniger bände dinc, wie ich die werlt behielte
und ouch gen gote icht wurde lincquot;, aber der Charakter der
Thulrede ist bei ihm kaum noch erkennbar.
Diese drei politischen Sprüche Walthers erscheinen uns, im
Licht der These vom Ursprung der Spruchdichtung, als letzte
charakteristische Ausläufer einer vorliterarischen Thuldichtung.
ï« -gt;rtgt;ij
r ^.f^
__________'i^t
-ocr page 179-Literatur
-ocr page 180- -ocr page 181-Anholt, Salomon, Zur Textgestaltung und Texterklärung des
Winsbeken, Zeitschr. f. deutsches Altert. 68,129
Bartsch-Golther, Deutsche Liederdichter des zwölften bis vier-
zehnten Jahrhunderts, vierte Auflage, Berhn lyui.
de Boor Helmut, Frühmittelhochdeutscher Sprachstil, Zeitschr.
f. deutsche Philol. 51,244 und 52,31.
Burdach, Konrad, Reinmar der Alte und Walther von der Vo-
gelweide, Leipzig 1880.nbsp;r,i -i i a
Burdach, Konrad, Walther von der Vogelweide, Philol. und
historische Forschungen, Leipzig 1900.
Bühler, lohannes. Die Kultur des Mittelalters, Leipzig 1931.
Burger, Heinz, Otto, Die Kunstauffassung der frühen Meister-
singer, Berlin 1936.
Ehrismann, Gustav, Beiträge zur Erklärung der Spervogel-
sprüche, Festschrift für M. H. Jellinek, Wien und Leip-
zig 1928.
Ehrismann, Gustav, Geschichte der mittelhochd. Literatur, Mün-
chen 1922.nbsp;^
Euling, Karl, Das Priamel bis Hans Rosenplut, Studien zur
Volkspoesie, Breslau 1905.
Frantzen, J. J. A. A., Album Kern, Leiden 1903
Garthaus, Franz, Zur Spervogelfrage, Germania 28,214.
Halbach Kurt, Herbert, Ein Zyklus von Morungen, Zeitschr. f.
deutsche Philol. 54,401.nbsp;. ,,nbsp;u i quot;i
Henrici, Emil, Zur Geschichte der mittelhochdeutschen Lyrik,
Dissertation Berlin 1876.nbsp;r, i- ima
Heusler, Andreas, Die altgermanische Dichtung, Berlin 19Z3.
Holz, Georg, Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms, Halle
lantzen Hermann, Geschichte des deutschen Streitgedichtes im
Mittelalter, mit Berücksichtigung ähnlicher Erscheinun-
gen in andren Litteraturen, Breslau 1896.
Kohnle Eduard, Hans, Studien zu den Ordnungsgrundsatzen
mittelhochdeutscher Liederhandschriften, Tubinger Germ.
Arb. 20, 1934.nbsp;• . cnbsp;u-
von Kralik, Richard, Zur nordgermanischen Sagengeschichte,
Wien 1908.
-ocr page 182-Kraus, Carl, Deutsche Gedichte des zwölften Jahrhunderts,
Halle 1894.
von Kraus, Carl, Walther von der Vogelweide, Untersuchungen,
Berlin 1935.
Lachmann-v. Kraus, Die Gedichte Walthers von der Vogel-
weide, achte Ausgabe, Berlin und Leipzig 1923.
Meier, John, Beiträge zur Erklärung und Kritik mittelhoch-
deutscher Gedichte, I Spervogel und der Anonymus,
Paul und Braunes Beiträge 15,307.
Moll, Willem, Hendrik, über den Einfluß der lateinischen Va-
gantendichtung auf die Lyrik Walthers von der Vogel-
weide und die seiner Epigonen im 13. Jahrhundert, Am-
sterdam 1925.
Müller, Gunther, Gradualismus, Eine Vorstudie zur altdeutschen
Literaturgeschichte, Deutsche Vielteljahrsschr. f. Litera-
turwissensch. und Geistesgesch. Jahrg. 2 Heft IV.
Naumann, Hans, Versuch einer Einschränkung des romanti-
schen Begriffs Spielmannsdichtung, Deutsche Viertel-
jahrsschr. f. Literaturwissensch, und Geistesgesch. Jahrg.
2 Heft IV.
Panzer, Friedrich, Das altdeutsche Volksepos, Vortrag, Halle
a. S. 1903.
Paul, Hermann, Kritische Beiträge zu den Minnesingern, Paul
und Braunes Beiträge 2,406.
Plenio, Kurt, Bausteine zur altdeutschen Strophik, Paul und
Braunes Beiträge 42, 410 und 43,56.
Roethe, Gustav, Allgemeine deutsche Biographie, 35, 159.
Roethe, Gustav, Die Gedichte Reinmars von Zweter, Leipzig
1887.
Scherer, Wilhelm, Deutsche Studien I, Sitzungsberichte der kai-
serlichen Akademie der Wissenschaften, Philos. hist.
Klasse, 64,283, Wien 1870.
Saran, Franz, Zu Walther 84,30 und 18,1-28, Paul und Braunes
Beiträge 27,199.
Schneider, Hermann, Heldendichtung, Geistlichendichtung, Rit-
terdichtung, Heidelberg 1925.
Schönbach, Anton, Bruder Werner, Sitzungsberichte der kaiser-
lichen Akademie der W^issenschaften, Philos. hist. Klasse,
148,VI1 und 150,1.
Schönbach, Anton, Die älteren Minnesinger, Sitzungsberichte
U.S.W. 141,11. Wien 1899.
Sombart, Werner, Der moderne Kapitalismus, Leipzig 1902.
-ocr page 183-Steinger, Hans, Falirende Dichter im deutschen Mittelalter,
Deutsche Viertel]ahrsschrift für Literaturwissensch, und
Geistesgesch., Jahrg. 8, Heft I.
Vogt, Friedrich, Geschichte der mittelhochdeutschen Literatur,
I. Teil, Berlin und Leipzig 1922.
Vogt, Wilhelm, H., Der frühgermanische Kultredner, Acta
philol. Scandinavia 2 (1927) S. 250.
de Vries, Jan, Altgermanische Religionsgeschichte, Berlin
1935-37.
Wallner, Anton, Zu Walther von der Vogelweide, Paul und
Braunes Beiträge 33,1.
Wallner, Anton, Kerlinc und Spervogel, Prager deutsche Stu-
dien, Bd. 8 (1908).
Wilmanns-Michels, Walther von der Vogelweide, I Leben und
Dichten, vierte Auflage, Halle 1916.
Wilmanns-Michels, Walther von der Vogelweide, II, Lieder und
Sprüche, vierte Auflage, Halle 1924.
Wisser, Wilhelm, Zu Spervogel: der Archetypus von AG, Progr.
Jever 1882.
-ocr page 184-ru..
m
m
-ocr page 185-STELLINGEN
Het vermoeden, dat in de volgende dichtregels van Robyn
(Jenaer Liederhandschrift, Abdruck von G. Holz, Leipzig 1901,
VII,2)
Nitharden muoz ich klagen
Bruder wirnenen lange.
Der muoz uns wol behagen
Er hetzync mit getwange.
Kunde guot bejagen.
„hetzyncquot; de naam van een verder onbekend dichter zou zijn
(Holz bl. 237; evenzoo Lamey, Bruder Wernher, Karlsruhe
1880) is onjuist.
Ten onrechte meent Holz, dat in de onder stelling I aange-
haalde dichtregels Bruder Werner als levend wordt vermeld (zie
Holz, Abdruck, bl. 240).
III
De gedachten, die Walther v. d. V. in de spreuk 33,31 ont-
wikkelt, kunnen als reactie op de Winsbekestrofen 6 en 7 zijn
gewekt.
IV
De door Euling in zijn werk: Das Priamel bis Hans Rosen-
plüt op bl. 15 gegeven Priameldefinitie: Demnach ist das
Priamel eine im fünfzehnten Jahrhundert selbstständige Gattung
enz. kan niet worden geaccepteerd.
S. ANHOLT
-ocr page 186-JasaaplïfM b» è«
__________
hflääbdao täwv (i» nav lt;««so afe
«boianbsp;M
jfótmaftaf
si
Jji^w^Jiii^
-ocr page 187-In de le Merseburger Tooverspreuk kan men tot een passende
verklaring van de woorden sazun hera duoder komen, wanneer
men (h)era opvat als gen. plur. van het pron. pers. en duoder
afleidt van „dotquot;.
VI
In de 2e Merseburger Tooverspreuk is „Balderesquot; een later
invoegsel.
VII
Het is Schiller niet gelukt de verschijning van den zwarten
ridder in de Jungfrau von Orleans aannemelijk te maken.
VIII
Staring's verdediging van zijn sprookjesgedicht „De Dooden-
dansquot; tegenover Goethe's ballade „Der Totentanzquot; is niet als
geslaagd te beschouwen.
IX
Staring staat in zijn sprookjesgedicht „De Doodendansquot; onder
invloed van Goethe's ballade „Der Totentanzquot;.
X
Een nieuwe kritische uitgave van Bruder Werner's spreuken
is gewenscht.
XI
De splitsing in mathematisch-physische en litterair-econo-
mische afdeeling op de Hoogere Burgerschool zou beter na het
2e leerjaar kunnen plaats vinden.
^'dbr»!«eq ö^Iöï asra ^siqïwyOuTnbsp;»t afc Ät.%,
,fi3(tfnoi la^jôôti Kîsîi öosi^ «aèiûo^ ifo psv i^ansüJwv^
quot;nbsp;m Mitst mjq figt;é M» .-HJ^ ass «Is itir^ si^fî) tsm
lt;,
ÏV
-m
• T^ist fj^ ''wsfefetS.. H toîjrwvoôT lîsgiiii^v^Sf^ at eî» stî ^ :
flsîijm /tab fj«/ sflm[tri3lt;w ab îJiuba quot;»îï^tt^ at îsH i
.aäisia ^j'^fphctwöffsfi «s^aîO mv wtl^mi sb ai sMm
Wsnbsp;rxfiJïïwîQT Änbsp;^Kàboô a«? tiüölvßl
■1?
Wv^^^VniaWnbsp;ÖÄV V^SJJ.'Ö aflosiriiüJi av/iisb «aS
-ocr page 189- -ocr page 190- -ocr page 191-rv-
a
quot;rvy -vi;
ï
r
■ ■ :
mmmmm
-ocr page 192-'m
■^Sifiii
^ 1
quot; S i- \
H
S'' ''
il
mâ