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Üeber
Kiiocheiibrücliigkeit und Lähine
(Osteomalacia und RacHtis),
mit besonderer Rücksicht
auf ilie
Krankheiten der Hausthiere.
Von
Hr. V. KolofT.
Doccnt der Thicrliettkunde nm lamhvirlhsclinltliphen Inslitnt ici tiaiip.
B e r 1 i n.
P-uck und Verlag von Georg Reimer. 1867.
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BIBLIOTHEEK UNIVERSITEIT UTRECHT
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Ueber
Knochenbruchigkeit und Lähme
(Osteomalacia und Rachitis),
mit besonderer Rücksicht
auf die
Krankheiten der Hausthiere.
Von
Dr. F. RolofT,
Doceiu iler TUierheilkunde am landwirthsnhartlidifn Inslimi in Halle.
(Resonders abgedruckt aus dem 37sten Bande des Archivs für patbolog. Anat., Physiol. und klinische Medicin, heransgeg. von R. Virchow.)
Berlin.
Druck und Verlag von Georg Reimer. 1867.
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lieber Osteomalacia und Rachitis.
Hie Osteoraalacie, von der Tbierheilkunde Knochenbriichig-keit genannt, gehört zu den wichtigeren und desshalb auch am längsten bekannten Krankheiten des Rindviehes. Die Krankheit ist in gewissen Localitaten stationär und tritt unter bestimmten Um­ständen auch in anderen Gegenden in ausserordentlich grosser Verbreitung auf. Sie ist von grosser Bedeutung, weil sie nicht nur die Nutzung der Arbeits- und Milchthiere herabsetzt, sondern auch gewöhnlich mit dem Tode endet, wenn die Verhältnisse, wel­che dem Leiden zum Grunde liegen, nicht frühzeitig geändert wer­den können.
Stationär ist die Krankheit in manchen Gegenden, in welchen die Kühe im Sommer auf sauren Weiden sich nähren müssen und im Winter Heu bekommen, welches vorzugsweise aus sauren, un-ächten Gräsern besteht. Diese Thatsache führte zu der Annahme, dass in Folge der vermehrten Einnahme von Säuren eine Entkal­kung des Knochengewebes und damit eine Brüchigkeit desselben zu Stande komme. Chemische Untersuchungen bestätigten, dass die Knochen, welche sich constant nicht nur brüchiger, sondern auch weicher, nicht spröder, sondern vielmehr poröser, mürber und leichter zeigten, ärmer an Kalksaizen waren, als die entspre-
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chenden Knochen von gesunden Thieren. Die in der Regel im Anfange der Krankheit beobachtete Lecksucht der Thicre wurde für ein unzweifelhaftes Symptom von Säuerung im Verdauungskanale gehalten.
Weitere thatsächliche Begründungen hat die erwähnte Hypo­these jedoch nicht gefunden; es ist weder erwiesen, dass bei den kranken Thieren ein abnormer Säuregehalt im Verdauungskanale besteht, noch dass das Blut Säuren in dem Maasse und der Art enthält, dass daraus die Entkalkung des Knochengewebes auch nur mit Wahrscheinlichkeit erklärt werden könnte. Auch ist bisher nicht nachgewiesen , dass bei der Knochenbrüchigkeit eine ver­mehrte Ausfuhr von Kalksalzen stattfindet. Das kranke Knochen­gewebe reagirt vielmehr vollkommen alkalisch. Ebenso ist die Voraussetzung ganz willkürlich, dass die Lecksucht die Gegenwart von freien Säuren im Verdauungskanale anzeige. Die Thiere zei­gen zwar Verlangen nach alkalischen und erdigen Substanzen, in­dem sie Holz, Erde, Steine u. dergl. benagen und theilweise ver­schlingen; das Verlangen wurzelt aber nicht sowohl im Magen, als vielmehr im Gewebe des Körpers und im Blute, und es beweist, dass es im Körper an Erden oder an Alkalien fehlte. Es besteht in den betrefTenden Thieren ein besonderer Hunger, der jedoch über den zum Grunde liegenden Krankheitszustand keinen be­stimmten Aufschluss zu geben vermag, weil die Thiere verschie­denartige Dinge benagen und belecken und auch den vorhandenen Appetit nicht durch eine wählerische Aufnahme von fremdartigen Stoffen bestimmter anzeigen können, weil sie die Eigenschaften der ihnen bis dahin fremden einzelnen Stoffe nicht kennen. Eine gründliche Widerlegung findet jene Hypothese in den Thatsachen, dass Kühe lange Zeit hindurch, ja fast ununterbrochen stark säure­haltige Nahrungsmittel (Schlempe, Pressrückstände u. dergl.) in grossen Quantitäten gemessen können, ohne von Lecksucht oder Knochenbrüchigkeit befallen zu werden, und dass letztere unter gewissen Umständen bei Kühen erscheint, welche weder saure Gräser noch andere saure Nahrungsmittel erhalten und weder sau­ren Harn noch saure Fäces entleeren. Erfahrungsgemäss erscheint die Knochenbrüchigkeit im Herbste und Winter in Gegenden, wo sich ein warmer, humusreicher und kalkhaltiger Boden befindet, wenn daselbst in Kolge anhaltender Dürre im Sommer die Vege-
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tation sehr dürftig gewesen ist. Es stimmt mit dieser Erfahrung vollkommen überein, dass im verflossenen Winter die Krankheit in Deutschland eine ausserordentlich grosse Verbreitung gewonnen und fast überall in ungewöhnlich kurzer Zeit eine hohe Entwickc-lungsstufe erreicht hat. Auf Grund der vorerwähnten Erfahrung kam bei vielen Thierärzten die Ansicht zur Geltung, dass die Kno-chenbrüchigkeit nicht sowohl in einer blossen Verarmung der Kno­chen an Kalksalzen bestehe, sondern vielmehr eine wirkliche Atro­phie der Knochensubstanz darstelle, hervorgebracht durch dürftige Nahrung, also durch eine mangelhafte Ernährung überhaupt. Es wird dafür besonders der Umstand hervorgehoben, dass bei der Krankheit an den Bruchenden der Knochen keine organische An­lage zur Callusbildung eintritt *) und dass die Knochen nicht bloss weicher, sondern auch poröser werden. Ausserdem werden für die letzterwähnte Ansicht auch die chemischen Untersuchungen von v. Bibra angeführt, nach welchen ein relativer Mangel an Kalk­salzen in den kranken Knochen nicht besteht. Es bleibt dabei, wie Ger lach mit Recht hervorhebt, jedoch sehr fraglich, ob v. Bibra's Untersuchungen kranke Knochen betroffen haben, da dieser Forscher selbst sagt, dass die Knochen einen makroskopi­schen und mikroskopischen Unterschied von gesunden Knochen nicht dargeboten hätten. Irrthümer in der Diagnose der Krank­heit können wohl vorkommen. Zahlreiche andere Untersuchungen haben entgegengesetzte Resultate ergeben. Keuscher und v. Go-rup fanden:
in normalen Knochen bei Knochenbrüchigkeil
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Schenkelbein . . Rippen .... Wirbel- u. Becken­knochen . . .
Erd. Sahst. 60,02 57,49
57,42
Thier. Subst.
39,98 42,51
Erd. Subst. 32,50 30,00
Thier. Subst.
67,50 70,00
42,58
26,13 73,87.
Die chemischen Untersuchungen und die anatomische Beschaf­fenheit der Knochen erweisen unzweifelhaft, dass in denselben die Kalksalze relativ vermindert sind, und es würde nun zunächst in Frage kommen, ob die krankhafte Veränderung die Folge einer kümmerlichen Ernährung überhaupt ist. Für diese Annahme spricht
*) Gerlacb, Gerichtliche Tbierlieilkunde. f. A'iO.
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allerdings die Erfahrung, dass die Krankheit da vorkommt, wo we­nig nährende Pflanzen (saure Gräser) wachsen, dass dort die kranken Thiere immer mehr abmagern und schliesslich an Ent-kräftung sterben und dass in solchen Wirthschaften und Orten, wo die Knochenbriichigkeit unter den Kühen herrscht, die Ochsen in der Regel verschont bleihen, wenn sie zur Arbeit verwendet und demgemäss besser ernährt werden, d. h. mehr Futter und mehr concentriite Nahrung, wie Oelsamenkuchen, Kleie, Kleeheu u. dergl., erbalten. Entgegengesetzt steht aber erl'ahrungsmässig fest, dass Kühe in Folge von Krankheiten'oder knapper Fütterung im höchsten Maasse abmagern können, ohne von der Knochen-brüchigkeit befallen zu werden. Wie andere Thiere, so können auch Kühe bis zum Scelett abmagern, also ihr Scelett bis zuletzt unversehrt erballen. Andererseits finden sich sehr häufig die Er­scheinungen der weit vorgeschrittenen Knochenbrüchigkeit bei Kü­hen, die noch gar keine Abmagerung wahrnehmen lassen, sogar sehr gut genährt erscheinen. Besonders in dem verflossenen Win­ter wurde in der Provinz Sachsen die Knochenbrüchigkeit vielfach in Viehständen beobachtet, die das gewöhnliche Futter in hinrei­chender Menge erhielten und verzehrten und auch bis gegen das Ende der Krankheit wohlbeleibt erschienen und eine der Futter­menge entsprechende Quantität Milch gaben. Es konnte ferner constatirt werden, dass in einzelnen Viehständen die Krankheit bei reichlicher Fütterung bereits im Vorwinter deutlich hervortrat, wäh­rend in benachbarten Höfen und Orlschal'ten die Viehstände, wel­che nicht reichlicher, öfters sogar knapper gefüttert wurden, erst 2 bis 3 Monate später, theils auch gar nicht deutlich erkrankten. Eine dürftige Ernährung überhaupt kann demnach nicht als Ur­sache der Krankheit erachtet werden. Die Erscheinung, dass Zug­ochsen meistens nicht erkranken, ist auf andere Weise zu deuten und wird in Nachstehendem weiter beleuchtet werden.
Ganz unzweifelhaft liegt die Ursache der Knochenbrüchigkeit in den Nahrungsmitteln, und zwar in deren Qualität. Die von Einigen aufgestellte Behauptung, dass gewisse Pflanzen oder ge­wisse präparirte Nahrungsmittel, wie Pressrückstände von Zucker­rüben u. dergl., durch eine specifische Einwirkung die Krankheit hervorzubringen vermöchten, ist nicht zu begründen, denn diesel­ben Nahrungsmittel in derselben Quantität genossen, verursachen
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in gewissen Orlen und in gewissen Jahren die Krankheit, in an­deren nicht. Es muss sich demnach in den Nahrungsmitteln, wel­che sich dort, wo die Krankheit stationär ist, regelmässig vorfin­den, und in denen, welche in anderen Gegenden in Folge grosser Dürre sich eigenthiimlich entwickeln, eine qualitative Uebereinstim-mung bestehen. Es müssen die Futtergewächse auf gutem, nicht saurem Boden bei anhaltender Dürre eine Beschaffenheit anneh­men, wonach sie für die Ernährung der Knochen eine gleiche Un­zulänglichkeit erlangen, wie die sauren Gräser, welche auf Moor-und Torfboden wachsen. Einige thlerärztliche Schriftsteller, na­mentlich Haubner*) sind zwar der Ansicht, dass nicht ausschliess-lich in den Nahrungsmitteln die Entstehung der Krankheit begrün­det sei, sondern dass auch feuchte, kalte Stallungen mitwirken, und Körber hat auf Grund dessen sogar eine besondere rheu­matische Form der Knochenbrüchigkeit unterschieden. Jene An­nahme ist aber thatsächlich nicht erwiesen, denn im sächsischen Erzgebirge, wo Haubner die Krankheit beobachtete, war neben den schlechten Stallungen auch eine sehr schlechte Fütterung vor­handen, und erfahrungsgemäss erscheint die Krankheit in vielen Gegenden und Wirthschaften, in welchen Stallungen und Pflege des Rindviehes überhaupt sehr schlecht sind, niemals oder doch nur ausnahmsweise, und zwar gerade in warmen, trockenen Jah­ren, wohingegen sie in anderen Orten, auf Torf- und Moorboden, bei der besten Stallpflege stationär ist und in wieder anderen Ge­genden, wo die Stallpflege musterhaft genannt werden muss, nach sehr trocknen Sommern öfters sogar eine senchenartige Ausbrei­tung gewinnt. In diesem Jahre trat ein Einfluss der Stallungen auf die Entwickelung der Krankheit nirgends hervor, wohl aber konnte mit Sicherheit constatirt werden, dass Ausbruch und Ver­lauf der Seuche regelmässig von der Nahrung abhängig war. Die Aufstellung einer rheumatischen Form der Knochenbrüchigkeit ist ein willkürlicher Act. Alle Kranken zeigen auf einer gewissen Entwickelungsstufe der Krankheit Beschwerden beim Aufstehen und einen steifen, gespannten Gang, und es kommt nicht selten vor, dass in einer Heerde einzelne Thiere schon Steifigkeit in dem ganzen Körper oder in einzelnen Theilen, im Kreuze oder in den Gliedmaassen, deutlich bekunden, während andere anscheinend noch *) Dresdener Jahresbericht. 1859.
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gut marschiren, weil in ihnen die Krankheit in ihrer Entwicke-lung noch zurück ist. Es ist ferner nicht selten, dass einzelne Thiere, die nach vorheriger Ruhe einen Marsch machen raussten oder sich sonstwie aussergewöhnlich anstrengend bewegten, hinter­her plötzlich sehr gespannt und auf einem oder mehreren Füssen lahm gehen. Diese Erscheinungen allein können aher nimmer­mehr die Diagnose auf Rheumatismus begründen, und andere Symptome dieses Leidens konnten hier nie herausgefunden wer­den und dürften auch kaum aufzufinden sein, wenn nicht zufällig eine Complication beider Krankheiten vorhanden ist. Verwechse­lungen werden noch oft begangen, und es gehört auch in der That eine richtige Würdigung aller Verhältnisse dazu, um die Knochenbrüchigkeit gleich in den ersten Fällen zu erkennen, ganz besonders bei Ziegen, die in diesem Jahre an Knochenbrüchigkeit vorzugsweise erkrankten, traten Steifigkeit und Scbmerzäusserung bei Bewegungen hervor. Die Thiere erschienen auf der Höhe der Krankheit in der Regel vollständig gelähmt und äusserten enorme Schmerzen, wenn sie berührt und aus der ruhigen Lage gebracht wurden. Bisher scheint die Krankheit bei Ziegen nicht untersucht zu sein, obgleich sie ohne Zweifel vorgekommen ist. Verwechse­lungen mit Rheumatismus oder mit Lähmungen mögen nicht sel-sen stattgefunden haben.
Wie der gespannte Gang, so ist auch die Lecksucht nicht selten einseitig berücksichtigt und nicht nur als eine besondere Form der Knochenbrüchigkeit, sondern sogar als eine besondere Krankheit in dem Systeme aufgeführt. Die Lecksucht ist in der Regel das erste Symptom der Knochenbrüchigkeit, und es kann, je nach der Grosse der Krankheitsursache, nicht nur eine verschie­den lange Zeit vergehen, ehe andere Symptome hinzutreten, son­dern es kann sogar die Krankheit auf der ersten Enlwickelungs-stufe stehen und mehr oder weniger latent bleiben, bis in Folge besserer Fütterung die Ernährungsstörung in den Knochen allmäh­lich beseitigt wird. Dann hat scheinbar die Lecksucht für sich bestanden; aber nur scheinbar, wie unzweifelhaft aus der Beob­achtung der Seuche unter verschiedenen localen Verhältnissen her­vorgeht. Es ist einleuchtend, dass in massig dürren Jahren, in welchen die Vegetation weniger, und in dem Maasse, dass die Ent-wickelung der Knochenbrüchigkeit eingeleitet wird, nur auf verein-
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zelten, besonders trocknen Aeckern alterirt wird, die Lecksuchl leicht für eine besondere Krankheit gehalten werden kann, weil bei der Geruigfügigkeit der Schädlichkeit in dem Futter die Kno-chenbriichigkeit sich nur langsam und bei wenigen Thieren und bis zur Zeit des natürlichen Futterwechsels im Frühjahre über­haupt nicht vollständig entwickelt.
Aus den vorstehenden Erörterungen ergibt sich die Folgerung, dass auf dem empirischen Wege der Forschung das Wesen der Knochenbrüchigkeit und deren Ursachen nicht erkannt werden kön­nen. Die Erscheinungen und der Verlauf der Krankheit und die Verhältnisse, unter welchen sie auftritt, erscheinen bei der ge­wöhnlichen Betrachtung so verschiedenartig, dass es fast unmög­lich erscheint, die Ursachen, so wie die Wirkung, auf eine Ein­heit zurückzuführen. Dieser Versuch muss nothwendig mit einer genaueren Untersuchung der krankhaften Veränderungen in dem Organismus, und speciell an den Knochen, beginnen.
An den Knochen solcher Thiere, welche im Beginne der Krank­heit geschlachtet sind und noch gut genährt erschienen, ist bei oberflächlicher Betrachtung eine krankhafte Veränderung nicht wahr­zunehmen. Sie erscheinen noch fest und hart, und die Mark­räume sind mit gut aussehendem Mark gefüllt. Bei genauer Be­sichtigung ist jedoch ein vermehrter Blutgehalt zu erkennen; die Oeffnungen an der Rinde erscheinen etwas erweitert, auf dem Durchschnitte finden sich feine Blutpunkte, und das Mark ist, vor­zugsweise an der Grenze der Knochensubstanz, von erweiterten Gelassen durchzogen und von zahlreichen kleinen Extravasaten durchsetzt, im Uebrigen aber anscheinend normal und fest. Die mikroskopische Untersuchung eines Schliffes zeigt ebenfalls Erwei­terung der gefässführendeu Kanäle und Blutanhäufung in densel­ben. Recht auffällig tritt dieses Verhältniss bei der Untersuchung von Knochenlheilen hervor, welche in Salzsäure entkalkt und darauf in Chromsäure wieder gehärtet sind. Es erscheint dann ferner das Gewebe in der Umgebung der erweiterten Havers'schen Kanäle weniger markirt gestreift, und zwischen den gestreiften Grenz­schichten der Kanäle liegen breitere, nicht streifig, sondern punk-tirt erscheinende Abschnitte, als in dem Gewebe von gesunden Knochen, welche zusammen mit den kranken in derselben Weise präparirt wurden.
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Ist die Krankheit weiter vorgeschritten, so bieten die Knochen auffälligere Veränderungen dar. Die Rinde erscheint äusserlich auffälliger und dichter roth punktirt, der Knochen gibt einen we­niger hellen Klang, widersteht der Säge und dem Messer weniger als entsprechende gesunde Knochen, erscheint auf dem Durch­schnitte weniger glänzend, deutlicher roth punktirt und enthält ein, zwar noch festes und gelbes, aber stark hyperämisches und mit Extravasaten durchsetztes Mark. Die Markräume in der Diploe der flachen, und die Röhren in den langen Knochen sind erwei­tert; in der Diploe sind viele kleine Blättchen oder Bälkchen in ihrem Zusammenhange gelockert oder ganz aus dem Zusammen­hange gelöst, und auch an der Innenfläche der Rinde finden sich zahlreiche feine Blältchen, welche theils der Rinde lose aufliegen und theils damit nur noch durch eine mürbe, oft krilmlich er­scheinende Masse verbunden sind. Die locker gewordenen oder lose im Marke liegenden Knochenblättchen sind untereinander an Dicke verschieden, und an jedem einzelnen finden sich verschie­den dicke Stellen. Viele Blättchen sind nicht stärker, als das feinste Papier, und dabei häufig ebenso biegsam. Bei der mikro­skopischen Untersuchung der feinen Knochenblättchen oder feiner Schnitte von der Rinde erscheint die Substanz zunächst insofern ungleichmässig, als einzelne Stellen bei gleicher Dicke bedeutend durchsichtiger sind als andere, indem die Havers'schen Kanäle we­niger dunkle und weniger breite streifige Säume und diese dem-gemäss grössere und hellere Zwischenräume haben. Die quer­durchschnittenen Kanäle erscheinen erweitert und bluthältig. In den hellen Zwischenräumen der Kanäle erscheinen die Knochen­körper etwas vergrössert und im Ganzen weniger dunkel, sondern durchscheinend und mit dunklen Contouren versehen. Die Aus­läufer sind weniger deutlich und stellen nicht mehr überall ganz dunkle, sondern stellenweise feine'helle Streifen mit dunklen Con­touren dar. Andere Ausläufer sind noch ganz dunkel und er­scheinen wie straffe dunkle Fasern in der helleren Substanz. Die hellen und dunklen Streifen anastomosireu vielfach untereinander; die dunklen Streifen gehen auch vielfach über die helleren Kno­chenkörper hinweg und verleihen diesamp;n dadurch ein runzliches Aussehen. Ausserdem finden sich sehr viele dunkle Streifen, wel­che in der Richtung von spindelförmig erscheinenden Knochen-
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zellen ziehen, und dazwischen sehr zahlreiche dunkle und helle Punkte und kleine ovale helle Räume mit dunklem Saume, so dass das Gewebe ausserordentlich bunt erscheint. An manchen Stellen herrschen die hellen Streifen mit dunkler Contour, weiche steifen elastischen Fasern ausserordentlich ähnlich sind, oder, so dass das Gewebe deutlich streifig erscheint^ an anderen Stellen finden sich vorherrschend dunkel contourirte runde oder ovale helle Räume, in Folge dessen, namentlich bei schwächerer Vergrösserung, ein punktirtes Aussehn hervorkommt. An den letzterwähnten Stellen sind die Knochenzellen schwer zu sehen und oft nur bei schiefer Beleuchtung deutlich wahrnehmbar. Sie liegen hier nicht mit ihrer Längsaxe in der Ebene und treten desshalb nur bei gewisser Ein­stellung in runder oder ovaler Form in der punktirten Masse her­vor. Es kann demnach sehr wohl der Anschein entstehen, als seien die Knochenzellen stellenweise in einer punktförmigen Masse verschwunden.
Je heller die Knochensubstanz wird, um so mehr tritt an Stelle der dunklen Streifung eine helle Streifung in etwas dunk­lerer Grundmasse hervor, um so grosser werden auch die hellen, runden oder ovalen Räume und um so schmaler ihre Contouren. Auch die Knochenkörper erscheinen dann immer weniger deutlich contourirt, nehmen immer mehr ein glänzendes, helles Aussehn an und verlieren immer mehr ihre längliche Form, erlangen viel­mehr eine ovale oder rundliche Form und zeigen vielfache Ein­buchlungen und zuweilen selbst eine polyedrische Gestalt. Auch wird dann im Umkreise der Knochenzellen oft ein doppelt con-tourirter heller Saum, ähnlich den Knorpelkapseln, sichtbar. Auf Zusatz von Essigsäure hellt sich die Intercellularsubstanz noch mehr auf und treten die dunklen (Kalk-) Ringe um die Knochen­zellen deutlicher hervor.
Wird das Gewebe noch mehr hell, so werden auch die Kno­chenzellen, namentlich in den punktirl erscheinenden Bezirken, im­mer mehr rund und immer grosser, lassen keine Ausläufer mehr wahrnehmen, werden fettkörnchenhältig und gehen endlich in Fettzellen über. Auch in der intercellularsubstanz, welche mit der Vergrösserung und Umwandlung der Knochenzellen immer geringer geworden ist, erscheint dann freies Fett. Die zuletzt erwähnten Veränderungen finden sich vorzugsweise an den verdünnten Rän-
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dem der lose am Marke hängenden feinen Knochenblattchen, fer­ner am Rande der kleinen Oeffnungen, welche sich in den Blätt­chen häufig finden, und an der Grenze der Rinde gegen die Mark­substanz.
Im weiteren Verlaufe der Krankheil werden die bereits er­wähnten makroskopischen krankhaften Veränderungen immer auf­fälliger; die feste Knochensubstanz, und zwar sowohl die Rinde als auch die Diploe, schwindet mehr und mehr, während die Marksubstanz in demselben Maasse an Umfang zunimmt. Nament­lich bei Ziegen findet sich nicht selten eine hochgradige Verdün­nung der Rinde nebst entsprechender Erweiterung und Verlänge­rung der Markhöhle in den Röhrenknochen. Gleichzeitig wird die Knochensubstanz immer mürber oder gleichmässig weicher, so dass entweder eine zunehmende Briichigkeit oder eine grössere Bieg­samkeit hervortritt. Knochensubstanz und Mark erscheinen mehr und mehr geröthet, der Zusammenhang der inneren Knochenlagen in den Röhrenknochen und der Diploe wird immer mehr gelok-kert, und auf dem Durchschnitte der Rinde bilden sich an der Luft bald zahlreiche feine Vertiefungen, so dass die Substanz deut­lich spongiös erscheint. Das Mark ist dann in den Röhrenknochen an der Grenze nicht mehr deutlich von der Rinde abgesetzt, son­dern mehr faserig, so dass es anscheinend allmählich in die Knö-chensubstanz übergeht. Die Consistenz des Markes ist im Uebri-gen nach dem Ernährungszustände des betreffenden Thieres ver­schieden. War das Thier sehr abgemagert, so erscheint auch das Mark weniger fest und weniger fetthaltig, sondern weicher und wässriger, zuweilen wie eine röthliche Gallerte (Markflüssigkeit).
Am auffälligsten zeigen sich constant die Knochen des Rum­pfes und die oberen Schenkelknochen, Femur, Scapula und Hu-merus, verändert, und in den oberen Röhrenknochen ist Dicke und Härte der Rinde am meisten am oberen Ende der in die Epiphyse hineingeriickten Markhöhle vermindert, so dass zuweilen die Wandung in eine fibröse Masse mit äusserst dünner Knochen­rinde verwandelt erscheint. In diesen Fällen findet sich auch in den Gelenkhöhlen gewöhnlich eine Ansammlung von röthlicher wässriger Flüssigkeit.
Bei der mikroskopischen Untersuchung finden sich dann die bereits beschriebenen krankhaften Veränderungen in grösserer Aus-
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dehnung in der Rinde, und zwar vorzugsweise an der inneren Grenze, vor. Die an den Knochen grenzende Marksubslanz ist sehr faserig; die Fasern sind sehr steif, dunkel contourirt und communiciren vielfach miteinander und mit den zahlreich vorhan­denen hellen, dunkel contourirten Punkten. In der faserigen Masse sind überall rundliche Zellen von den bereits erwähnten Form­verschiedenheiten sichtbar. An manchen Stellen erscheint das fa­serige Gewebe sehr weitmaschig und dem osteoiden Gewebe mit vorzeitiger Markraumbiidung ganz ähnlich. Essigsäure klärt das faserige Mark wenig auf; Salzsäure mehr, und wird dann in Sal­petersäure gelöstes molybdänsaures Ammoniak hinzugesetzt, so ent­steht eine neue Trübung durch einen körnigen gelblichen Nieder­schlag, und in der Flüssigkeit neben dem Objecle bilden sich sehr zahlreiche gelbe oclaödrische Krystalle. Bei diesem Verfahren ent­steht in den mehr homogenen hellen Partien eine weniger deut­liche Trübung.
Wenn die Knochen in einem höheren Grade erkrankt sind, so zeigt sich auch an Längsschnitten, die der Rinde ganz nahe der Oberfläche entnommen sind, eine auffällige Ungleichmässigkeit in der Structur. Manche Stellen erscheinen noch normal, andere sind so durchsichtig, und die Faserung und die Knochenzellen treten so deutlich hervor wie an Schnitten oder einem in Salz­säure entkalkten Knochen. Die dicht an den erweiterten Havers'-schen Kanälen liegenden Knochenzellen erscheinen immer lang gestreckt, spindelförmig und dicht gelagert, während die entfernter liegenden Zellen eine ovale und weiterhin eine rundliche Form haben.
Die Erscheinungen an den Knochen lassen deutlich erkennen, dass die krankhafte Veränderung in einer Verminderung der Kalk­salze und einer Metamorphose der Knochensubstanz in osteoides Gewebe und weiterhin in Markgewebe besteht. Die Veränderung ist im Wesentlichen ganz gleich der normalen Einschmeizung des Knochens, welche beim Dickenwachsthum an der Innenfläche der Rinde vor sich geht. Bei der Knochenbrüchigkeit tritt aber die Einschmeizung der innersten Rindenschichten zur unrechten Zeit, d. h. nach vollendetem Dickenwachsthum, ein, so dass eine Ver­dünnung der Rinde zu Stande kommt, und sie geht auch an der Diploe • und an den Balken und Scheidewänden in der Markröhre,
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die test bleiben sollten, vor sich. Die Metamorphose ist ferner auch insofern regelwidrig, als sie an der Rinde nicht schrittweise von innen nach aussen und an den Platten der Diploe nicht gleich-massig von der ganzen Oberfläche aus, sondern ungleichmässig vorschreitet und weit vor der Einschmelzungslinie in der, im Ganzen noch fest erscheinenden, Knochensubstanz schon heerd-weise auftritt. Die Heerde vergrössern sich immer mehr und be­wirken dadurch, je nachdem sie sich gleichmässig oder vorzugs­weise nach einer Richtung ausbreiten, entweder eine gleichmässige Erweichung oder eine Lockerung in dem Zusammenhange noch fester Knochentheile. Die Einschmelzung schreitet immer schneller zwischen den Lamellen fort, als sie diese durchdringt, und daher kommt es, dass häufig giosse Plättchen aus dem Zusammenhange gelöst werden. Dieser Vorgang wird besonders an kranken Knochen deutlich, welche im Papinianischen Topfe vollständig ausgekocht sind. Die Rinde erscheint an denselben durebgehends, und zwar nach aussen hin immer feiner, spongiös, und die einzelnen La­mellen sind zwar noch als solche zu erkennen, aber vielfach durch­löchert und an verschiedenen Stellen durch ein verschieden dichtes Dalkennelz mit einander verbunden. Das Verhältniss ist dem ähn­lich, wie es sich im grösseren Maassstabe in den Osteophyten findet. Der Prozess ist demnach streng genommen nicht eine ex-centrische Atrophie; derselbe erscheint vielmehr von vornherein diffus in der Rnochensubstanz und schreitet nur scheinbar von innen nach aussen vor, weil die Entwickelung an den inneren Schichten eine rapidere ist. In dem Verhältnisse, als die alten Markräume sich erweitern, wird die vorher feste Knochensubstanz durch neue Markräume, welche in derselben entstehen, immer mehr in ein spongiöses Gewebe umgewandelt.
In Folge des heerdweisen Auftretens der Metamorphose in der Knochensubstanz geht die Homogenität und folgeweise die Festig­keil derselben verloren; sie wird zwar weicher, aber brüchiger, morscher (Osteomalacia fraclurosa). Die Rrüchigkeit wird demnach nicht allein und nicht einmal vorzugsweise durch die Verdiinnung der Rinde verursacht. Sie wird oft so gross, dass Kühe beim Niederlegen sich mehrere Rippen der Seite, auf welche sie sich legen, zerbrechen, dass beim Aufstehen Reinbrüche und beim nor­malen Gebäracle Reckenbrüche entstehen. Rei einer Ziege waren
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im hiesigen Thierspitale ohne nachweisbare äussere Veranlassung im beiden Schenkeln das obere Gelenkende des Femur und das obere Ende des rechten Humerus abgebrochen.
Erfolgt die Erweichung mehr gleichmässig, oder richtiger, hat die Metamorphose sieb so weit entwickelt, dass fast alle Knochen­substanz mehr oder weniger erweicht ist, so tritt eine abnorme Biegsamkeit an die Stelle der Brüchigkeit. Die in den Markhöhlen von der Rinde losgelösten Lamellen sind oft ungemein biegsam und zähe und auch an dem ganzen Knochen lässt sich zuweilen eine abnorme Biegsamkeit erkennen. Bei Ziegen kommen Verkrüm­mungen der Röhrenknochen nicht selten vor; es ist jedoch noch nicht festgestellt, in wie weit Infractionen dabei betheiligt sind. Der höchste Grad der Krankheit, die vollendete Osteomalacia flexilis, kommt bei Thieren nicht vor, weil dieselben entweder vorher sich restauriren oder wegen Mangel an der nothigen Pflege zu Grunde gehen.
Es würde nun in Frage kommen, in welchem Verhältnisse die fortschreitende Abnahme der Kalksalze im Knochengewebe zu dessen Metamorphose steht, ob zunächst die Metamorphose der organischen Grundlage eingeleitet wird und damit die Fähigkeit derselben, die Kalksalze zu fixiren, verloren geht, oder ob die Metamorphose des (Jewebes in Folge der Abnahme von Kaiksalzen entsteht. Beide Verhältnisse sind möglich. Bei verschiedenartigen localen Krank­heitsprozessen im Knochen, welche unzweifelhaft auf einer verän­derten Thätigkeit der zelligen Elemente beruhen, wandelt sich die Knochensubstanz in ein weiches Gewebe um. In derartigen Fällen bildet sich aber immer sofort mit der Eutkalkung der organischen Grundlage eine Umwandlung derselben in ein fremdartiges Gewebe hervor. Dahingegen ist bei der Knoclienbriichigkeit an dem Kno­chengewebe noch keine wesentliche Veränderung zu bemerken, wenn die Kalksalze schon zum grossen Theile verschwunden sind. Es bleibt zunächst normales osteoides Gewebe zurück, welches sich zwar im weiteren Verlaufe in Markgewebe umwandelt, aber als solches durchaus nichts Fremdartiges ist. Die Abnahme der Kalk­salze bleibt immer die auffälligste Erscheinung, welche zwar die Formveränderung der organischen Elemente erklärlich macht, ihrer­seits aber daraus nicht erklärt werden kann. Die Knochenzellen verlieren hei der Ahnahme der Kalksalze ihre Ausläufer, wie sie
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umgekehrt bei dem Knochenwachsthum ihre runde Form einbüssen, indem sich Kalksalze in ihrer Umgehung ablagern und die Inter-cellularsuhstanz nicht nur vermehren, sondern auch in dem Grade härten, dass sie bestimmend auf die Form der Zellen einwirken muss: die comprimirten Zellen senden Fortsätze in die offen blei­benden Kanäle der Intercellularsubslanz hinein. Erweicht die Inter-cellularsuhstanz wiederum in dem Maasse, dass sie dem elastischen Drucke der Knochenzelien nicht mehr zu widerstehen vermag, so ziehen diese ihre Ausläufer ein und nehmen, je nach den fortbe­stehenden Druckverhältnissen, eine andere, neue Form an. Sie erscheinen spindelförmig, wo die Intercellularsubstanz stark streifig erscheint, und rundlich und endlich ganz rund innerhalb einer mehr homogenen Intercellularsubstanz. Am meisten gestreckt bleiben die Knochenzelien, welche nahe den erweiterten Havers'schen Ka­nälen liegen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der vermehrte Blut­gehalt der Knochen und des Markes eine directe Folge der Erwei­chung ist, insofern als das Blut in die erweichte Substanz leichter einströmen kann. Es verhält sich umgekehrt, als wenn ein Ge­webe in Folge von Sclerosirung blutarm wird. Rückwärts compri-mirt das Blut die angrenzende erweichte Substanz, sodass die Knochenzellen nicht nur in der Richtung der Gefasse comprirairt, sondern auch einander näher gerückt werden, da mit der Erwei­chung der Intercellularsubslanz auch eine Verminderung derselben einhergeht. Ist dieselbe im hohen Maasse erweicht und vermin­dert, und sind in Folge dessen die Zellen stark gestreckt und ein­ander sehr nahe gerückt, so kann es den Anschein gewinnen, als habe eine Neubildung von Spindelzellen neben den Gefässen statt­gefunden. Die Vergleichung der verschiedenen ürawandlungsstufen zeigt jedoch, dass eine Zellenneubildung jan den Gefässen nicht existirt hat.
Die weiter von den Gefässen entfernt liegenden Knochenzelien vergrössern sich gleichmässig und wandeln sich endlich in grosse runde Fettzellen um. Eine Trübung des Inhaltes, wie bei entzünd­licher Schwellung und Zellenwucherung, tritt bei jener Metamor­phose nicht hervor; es kann aber auf einer gewissen Stufe der Metamorphose, wenn dieselbe an einzelnen Zellen bereits weit vor-geschrilteu ist, während die meisten noch die Grosse und Rundung von jungen Markzellen besitzen, der Anschein von Zellenwucherung
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entstehen, und zwar vorzugsweise an der Grenze der Markräume. Am bequcuisten lässt sich der Uebergang von Knochenzellen in Markzellen in den Wirbeln, die bei dem Krankheitsprozesse regel-mässig stark sich betheiligen, verfolgen, indem an denselben die Uebereinstimmung der Zellen des rothen Markes und der runden Knochenzellen deutlich hervortritt. Auch in dem alten Marke lan­den sich in keinem Falle neben der Hyperämie Erscheinungen von Zellenneubildung. Die Erscheinungen an den zelligen Elementen bestätigen demnach weder die auf die Osteonoalacie beim Menschen bezügliche Angabe von Litzmann*), dass das Stadium der Hyper­ämie in dem Marke in der Regel durch eine reichliche Bildung runder, granulirter, ein- oder raehrkerniger Zellen bezeichnet ist, noch die Ansicht R. Volkmann's **), dass die Osteomalacie ein wesentlich activer Prozess ist, der sich unmittelbar an die Ostitis und Osteomyelitis anschliesst und vielleicht nur eine besondere Form derselben darstellt.
Die Intercellularsubstanz, welche mit der Entfernung der Kalk­salze weicher wird und abnimmt, gewinnt dabei auch ein verän­dertes Aussehn. Die saftführenden Kanälchen werden mit der Aufhellung ihrer Wandungen weiter und erscheinen als helle Strei­fen mit dunklen Contouren. In der Regel hellen sich auch die Wandungen der Lacunen ziemlich schnell auf, so dass die Kno­chenzellen von Kalkringen umgeben scheinen, die weiterhin durch stollenweise Aufhellung in Segmente sich theilen und dann in der, nach Lage des Schnittes, faserig oder punktirt erscheinenden Masse leicht übersehen werden können, namentlich dann, wenn der Schnitt in der Queraxe der gestreckten Knochenkörper liegt. Es kann dann bei weiterem Fortgange der Metamorphose der Schein ent­stehen, als sei das Knochengewebe in grösseren Bezirken total zer­fallen und würde weiterhin durch neue Markzellen, welche von dem seitlich gelegenen Marke herrührten, ersetzt. Die Untersuchung zeigt jedoch, dass an allen Punkten die Markzellen aus den vor­handenen Knochenzellen hervorgehen. Aehnliche Verhältnisse fin­den sich an der Knochensubstanz, welcher durch Salzsäure ein grosser Theil der Kalksalze entzogen ist. Es zeigen sich dann
• •) Die Formen des Beckens nebst einem Anhange über die Osteomalacie.
Berlin 1861. *•) Handb. der Cbirnrgie von v. Pitba und Billrotb. II. 2.
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auch in der Intercellularsubstanz längere und kürzere helle Strei­ten mit dunklen Contouren und an manchen Stellen so zahlreiche Unterbrechungen der Contouren, dass diese wie Reihen von Punk­ten erscheinen.
Die angeführten Erscheinungen dürften schon genügen, der auch bereits von Dalrymple ausgesprochenen Annahme, dass die Formveränderungen der Knochenzellen durch Absorption des in der Umgebung geschmolzenen Gewebes bedingt sind, eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Es muss aber hinzugefügt werden, dass das schmelzende Gewehe nicht, wie Dalrymple sagt, in der Regel, sondern in allen Fällen zunächst seine Kalk­salze verliert und dadurch erweicht. Denn die Intercellularsub­stanz zeigt auch in den Fällen von hochgradiger Erweichung keine chemischen Veränderungen, welche auf eine tiefere innere Erkran­kung schliessen liessen. Dahingegen spricht der Befund gegen die von anderer Seite aufgestellte Annahme, dass die Osteomalacie eine recht eigentliche Malacie ist; denn eine Erweichung durch Ver­flüssigung des Gewebes in toto kommt dabei nicht vor. Das Ge­webe, namentlich auch der zellige Antheil, erleidet eine Umwand­lung, es verschwindet aber nicht, so dass Lücken entständen. Diess ist bereits von Virchow hervorgehoben.
Die Behauptung, dass die Entkalkung des Knochengewebes das Primäre und Wesentliche bei der Osteomalacie ist, widerspricht allerdings der Annahme, dass das Knochengewebe im Stande sei, seine Kalksalze in der gewöhnlichen Menge zu fixiren, so lange es selbst gesund ist. Für diese Annahme sind jedoch sichere Be­weise bisher nicht gegeben; denn die Thatsache,' dass das Gewebe in Folge von Erkrankungen seine Kalksalze verliert, kann nicht die Folgerung begründen, dass die Enlkalkung am gesunden Ge­webe nicht vorkommen könne. Die Entwickelung des Knochens zeigt vielmehr, dass dessen organische Grundlage eine gewisse Zeit hindurch besteben kann, bevor die vollständige Verkalkung eintritt. Letztere kann demnach nicht als ein notwendiges Attri­but des Knochengewebes betrachtet werden. Es ist ferner auch nicht anzunehmen, dass der physiologischen Markbildung aus Kno-chensubslanz eine Erkrankung der letzteren zum Grunde liegt; es ist vielmehr wahrscheinlich, dass die Eigenthümlichkeit der Circu-lationsverhältnisse die F.ntkalkung und Umbildung verursacht. End-
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lieh können auch mehrere Futterungsversuche an Thieren als Be­weis dienen, dass der Gehalt an phosphorsaurem Kalk im Körper gewissen Schwankungen unterliegt, ohne dass Krankheitserschei-nungen irgend welcher Art und Abmagerung bemerkbar werden. Henneberg und Stohmann*) fanden nämlich bei FUtterungs-versuchen mit ruhenden Ochsen, welche vom Februar bis Juli nur das nothwendigsle Erhaltungsfutter erhielten, das Verhältniss zwi­schen Einnahme und Ausgabe in der Quantität Futter, welches pro Kilogr. Lebendgewicht gegeben wurde, wie folgt:
Phosphorsäure Futternbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Harn
u. Fäces Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.
Februar .... 0,090 0,082
März.....0,036 0,051
Juli.....0,047 0,048
Kalkerde
Futter
Harn
u. Faces
Grm.
Grm.
0,243
0,252
0,076
0,140
0,125
0,118
Bei dem Versuche ist der vorherrschend aus Kalksalzen be­stehende Rückstand des Trinkwassers nicht berücksichtigt. Das­selbe enthielt in der Quantität, welche pro Kilogr. Lebendgewicht aufgenommen wurde, an Mineralbestandtheilen nach Abzug der Kohlensäure im Februar 0,008 bis 0,020 Grm. und im Juli etwa 0,040 Grm., so dass es den Verlust im Körper nicht decken konnte. Fast die ganze Menge der ausgeschiedenen Phosphorsäure und Kalkerde war in den Fäces enthalten; im Harne waren kaum Spu­ren nachweisbar. Diese Thatsache, dass die Kalksalze beim Rind­vieh und auch bei Schafen nicht mit dem Harne, sondern mit den Fäces ausgeschieden werden, ist durch zahlreiche andere Unter­suchungen bestätigt.
Bei einem anderen Versuche vom September bis Januar fand sich im Mittel, pro Kilogr. Lebendgewicht berechnet: Phosphorsäurenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Kalkerde
Futter u. Getränke Excremente Futter u. Getränke Excremente Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Grm.
0,040nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,049nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,085nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,104.
Es wurde also auch hier mehr ausgeschieden als aufgenommen, während keine Erscheinung auf eine Knochenerkrankung hindeutete.
*) Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer. Braun­schweig, 1864.
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Vor Allem sind nun aber die Verhältnisse, unter welchen die Knochenbrüchigkeit sich entwickelt, so wie der Krankheitsverlauf, wichtig für die Entscheidung der Frage, ob eine primäre Erkran­kung des organischen Gewebes besteht.
Die Krankheit ist in gewissen Gegenden stationär und ergreift dort alles Rindvieh, wenn auch manche Abtheilungen stärker als andere. Nach einer Mittheilung herrscht die Krankheit auf einem genau umschriebenen Terrain in Astettringen bei Augsburg seit längster Zeit, so dass Milchkühe dort höchstens 3 Jahre aushalten. Derartige Bezirke gibt es mehrere in Deutschland. Ferner kommt, wie bereits bemerkt ist, in sehr trocknen Jahren die Krankheit seuchenartig in Gegenden vor, die in anderen Jahren davon frei sind. In jedem Falle werden Kühe ergriffen, die bis dahin ganz gesund waren. Besondere vorbereitende Krankheitszustände im Organismus erfordert die Knochenbrüchigkeit erfahrungsmässig zu ihrer Entwickelung ebenso wenig, als die Mitwirkung von Schäd­lichkeiten, die nicht in der Nahrung liegen. Auch während der ersten Entwickelungsperiode der Krankheit werden an den betrof­fenen Thieren keine Erscheinungen wahrgenommen, die auf eine tiefere Störung in der Ernährung der organischen Bestandtheile des Körpers schliessen lassen könnten. Appetit, Verdauung, Milch­absonderung bei Kühen, Puls, Athmen, Temperatur und Körper­fülle sind vollständig normal und bleiben oft unverändert, so lange die Thiere sich noch ohne besondere Mühe erheben und eine Zeit lang auf den Beinen erhalten können. Nur die Anstrengung beim Aufstehen verursacht dann vorübergehend Puls- und Athembeschleu-nigung. Die Lecksucht, welche sich in der Regel frühzeitig ein­findet, kann wohl als Beweis gelten, dass es dem Organismus an Erden fehlt, aber nicht erweisen, dass der Kalkmangel in den Kno­chen eine secundäre Erscheinung ist. Im Gegentheil: wenn durch die Lecksucht ein Bedürfniss nach Kalksalzen angezeigt wird, so folgt daraus, dass das Knochengewebe nicht hinreichend damit gesättigt ist, dass ihm assinailirbarer Kalk in zu geringer Menge zugeführt oder durch Verhältnisse, welche in ihm selbst nicht be­gründet sind, entrissen wird. Würde der Kalk im Knochen mo­bil, weil er dort nicht mehr fixirt quot;werden könnte und überflüssig geworden wäre, so würde die Lecksucht nicht entstehen.
Ferner ist durch die Erfahrung festgestellt, dass Kühe, wel-
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ehe schon auffällige Erscheinungen der Knochenbrüchigkeit zeig­ten, in der Regel schnell und vollständig wieder geheilt werden, wenn sie gesunde Nahrung hekonunen, indem sie aus dem Seuche­bezirke entfernt oder auf andere Fütterung, z. B. Grünfütterung im Frühjahre nach einem trocknen Jahre, gesetzt werden. Diese That-sachen, so wie vorzugsweise auch der Umstand, dass Arbeitsochsen viel seltener und viel geringer erkranken als ruhende Milchkühe, sprechen namentlich gegen die Annahme, dass der Krankheitspro-zess einen entzündlichen Charakter an sich trage. Die Wirksam­keit etwa vorhandener Entzündungsreize würde durch Anstrengung gesteigert werden. Als Beweis für die Existenz eines entzünd­lichen Prozesses könnte zwar die augenscheinliche Schmerzhaftig-keit des Leidens angeführt werden; das Symptom gewinnt aber eine andere Bedeutung, wenn es genauer betrachtet wird. In der Regel zeigen die Thiere in der ersten Entwickelungsperiode der Krankheit, nämlich wenn sie bereits eine Zeit lang den Verhält­nissen unterworfen waren, welche mit Sicherheit die Krankheit all­mählich hervorrufen, in keiner Weise Schmerzen an. Erst später findet sich Steiiigkeit im Gange und mühsames Aufstehen. Die Thiere empfinden dann unzweifelhaft bei der Bewegung Schmerz, nicht aber im ruhenden Zustande. Der Krankheitsprozess ist dem­nach nicht an sich schmerzhaft; es ist vielmehr höchst wahrschein­lich, dass die Verminderung der Cohäsion in der Knochensubstanz, wobei deren Theilchen in ungleichem Maasse verschiebbar werden, den Schmerz bei der Bewegung verursacht. Die Knochensubstanz verliert bei der Krankheit immer mehr ihre Widerstandsfähigkeit gegen gewöhnliche mechanische Einwirkungen. Dadurch wird auch die Thatsache erklärlich, dass die Krankheit, welche bis dahin un­bemerkt blieb, nach Anstrengungen, Sprüngen u. dergl., bei Kühen nach dem Kalben und selbst nach der Ueberführung von Thieren aus Seuchebezirken in gesunde Bezirke, sich plötzlich durch Schmerz-äusserungen zu erkennen gibt oder bei bereits offenbar kranken Thie­ren plötzlich eine bedeutende Steigerung erfährt. Die weitere Beob­achtung der Thiere, welche z. B. nach einem Transporte last alle Beweglichkeit verloren haben, zeigt dann aber in der Regel, dass die Krankheit, wenn sie überhaupt noch nicht zu einem hohen Grade entwickelt war, sehr bald wieder Rückschritte macht und unter günstigen Fütterungsverhältnissen bald vollständig verschwindet.
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Auf der verminderten Widerstandsfähigkeit der Knochen be­ruhen höchst wahrscheinlich auch die entzündlichen Gelenkanschwel­lungen, welche sich in manchen Fällen bei der Krankheit entwik-keln. Dieselben sind nicht constante Vorkommnisse, wie fast alle Autoren angeben, denn in fast allen Fällen, die hier in diesem Jahre von mir beobachtet wurden, fehlten sie bei älteren Thieren. Die Erscheinung wird bei der Besprechung der Rachitis noch näher erörtert werden, und es möge hier nur die Bemerkung Platz finden, dass bei der krankhaften Veränderung in der Kno­chenrinde die Anheftung des Periost's gelockert wird und durch Zerrungen von Seiten der Sehnen und Bänder leicht in Entzündung versetzt werden kann. Die entzündliche Reizung setzt sich mei­stens auf das anliegende Bindegewebe und auf die Synovialkapsel fort. Sie ist eine secundäre Erscheinung und bei Thieren, die ruhig im Stalle stehen, sehr selten.
Nach dem Gebäracte gestaltet sich der Verlauf in der Regel ungünstiger. Erfahrungsmässig wird nämlich die Krankheit durch die Trächtigkeit in ihrer Entwickelung gefördert, und bei dem Ge­bäracte erleiden dann gerade diejenigen Knochen, welche immer vorzugsweise erkranken, heftige Erschütterungen, öfters sogar mehr­fache Brüche. Da dann die Kühe auch nach dem Abkalben ge­wöhnlich an dem Orte verbleiben, wo sie die Krankheit erwarben, so kann es nicht auffallen, dass die Krankheit öfters bei densel­ben schnell hervortritt und dann schnell sich noch weiter stei­gert. Es gewinnt dann zuweilen den Anschein, als sei der Ge-bäract oder eine etwa darauf folgende Krankheit die Ursache der Osteomalacie. Noch mehr als die Trächtigkeit befördert erfahrungs-gemäss die Lactation die Entwickelung der Knochenbrüchigkeit, so dass diese bei den einzelnen Kühen im geraden Verhältnisse zu deren Milchergiebigkeit steht, und dieser Umstand trägt ganz be­sonders dazu bei, dass die Krankheit nach dem Gebären offenbar wird und schnell zunimmt. Zuweilen geht die Krankheit im wei­teren Verlaufe der Lactation, während die FUtterungsverhältnisse sich gleich bleiben, wieder zurück und erscheint dann nach dem nächsten Abkalben von Neuem und gewöhnlich viel heftiger. Diese Erscheinung wird noch weiter besprochen werden.
Andere Autoren halten die behauptete primäre Ernährungs­störung in dem organischen Knochengewebe nicht für eine ent-
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zündliche, sondern für eine Atrophie. Spinola*) nennt die Krank­heit geradezu eine Cachexia ossium. Als Beweis dafür wird be­sonders immer die Beobachtung hervorgehoben, dass bei Brüchen gar keine Heilung eingeleitet werde. Diess würde allerdings ein sehr gewichtiges Argument sein, wenn es in der That sich so verhielte, wie behauptet wird. Es findet sich aber in den thier-ärztlichen Abhandlungen kein stichhaltiger Grund für jene Be­hauptung, denn es ist niemals genau beschrieben, wie die Umge­bung des Bruches beschaffen zu sein pflegt. Eigene Untersuchun­gen haben mir gezeigt, dass die Heilung der Brüche selbst bei solchen Thieren eingeleitet wird, die im höchsten Grade erkrankt sind; es fand sich sowohl am Periost, als auch am Marke Wu­cherung und Bildung von osteoidem Gewebe in dem Maasse, als es in Rücksicht auf die Länge der Zeit, welche seit der Entste­hung des Bruches verflossen war, überhaupt erwartet werden konnte. Weit vorgeschrittene Neubildungen werden kaum beobachtet wer­den können, da die Thiere selten lange am Leben bleiben, nach­dem Knochenbrüche erfolgt sind. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Brüche in der Regel erst auf der Höhe der Krankheit, wenn bereits allgemeine Abmagerung und Appetitlosigkeit eingetre­ten ist, erfolgen, und dass regenerative Vorgänge in dem hun­gernden und abgezehrten Thiere nicht so lebhaft sein können, wie in einem gesunden Organismus.
Ferner wird angeführt, dass im Knochen nicht nur die Kalk­salze relativ vermindert seien, sondern dass auch an der organi­schen Substanz eine absolute Abnahme gefunden werde. Das ist allerdings richtig; denn mit der Umbildung des osteoiden Gewebes in Markgewebe wird die organische Substanz vermindert, nament­lich dann, wenn das betreffende Thier abgemagert und in Folge dessen das Mark wässrig geworden ist. Unter solchen Verhält­nissen sind bisher auch meistens die Untersuchungen ausgeführt worden. Ebenso ist die in fast allen Beschreibungen der Krank­heit wiederkehrende Behauptung, dass die aligemeine Abmagerung eine constante Erscheinung sei, nur bedingungsweise richtig, näm­lich nur in Beziehung auf die stationäre Seuche auf solchem Bo­den, dessen Pflanzen überhaupt wenig Nahrungswerth haben. Nicht
*) Specielle Pathologie. 11. Aull.
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jede Nahrung, welche die Knochenbrüchigkeit verursacht, ist in demselben Maasse arm an organischen Nährstoffen, wenn es auch richtig ist, dass Nahrungsmittel allein wegen ihres Kalkmangels unfähig sind, den Organismus auf die Dauer zu erhalten. Es kommt nicht selten vor, dass Kühe mehrere Monate hindurch, während die Knochenbrüchigkeit immer deutlicher hervortritt, nicht nur wohlbeleibt bleiben, sondern auch reichliche Quantitäten Milch geben. In den meisten Fällen fanden sich alle Markräume in den Knochen bei den wegen hochgradiger Erkrankung getödteten Thie-ren mit festem Mark gefüllt, selbst noch bei der Ziege, bei wel­cher sich Brüche an drei Schenkeln vorfanden. Auch an den Muskeln waren bei der mikroskopischen Untersuchung krankhafte Veränderungen nicht wahrnehmbar. Endlich magern die Thiere allerdings ab, und zwar oft recht schnell, wenn sie vom Fressen ablassen, weil ihnen das Aufstehen oder das Stehen überhaupt be­schwerlich ist, oder weil sie mehr Appetit auf fremde Dinge als auf Futter haben und lieber die Krippe als deren Inhalt verzehren.
Nach dieser Darstellung kann nur die Annahme aufrecht er­halten werden, dass die Knochenbrüchigkeit wesentlich in einer Abnahme der Kalksalze besteht.
Der Kalkmangel kann durch eine vermehrte Abscheidung oder durch eine verminderte Aufnahme verursacht sein. In Betreff der vermehrten Abscheidung ist aber eine Unterscheidung zu machen. Dieselbe kann möglicherweise dadurch zu Stande kommen, dass Substanzen in das Blut gelangen, welche die Kalksalze aus den Knochen auslösen und in Secrete überführen, so dass eine ver­mehrte Ausfuhr von Kalksalzen aus dem Körper stattfindet. Dass auf diese Weise bei der Knochenbrüchigkeit die Entkalkung der Knochen zu Stande kommt, ist sehr unwahrscheinlich, denn es ist bisher weder eine vermehrte Ausscheidung von Kalksalzen nach­gewiesen, noch ist ein anderer positiver Grund für die Annahme vorhanden, dass in der Nahrung, welche die hinreichende Veran­lassung zur Entstehung der Krankheit bildet, etwas vorhanden ist, was in den Knochen die Kalksalze in aussergewöhnlicber Weise lösen könnte.
Ferner kann eine vermehrte Abscheidung dadurch zu Stande kommen, dass das, im Uebrigen normal beschaffene, Blut eine Verarmung an Kalksalzen erfährt und dadurch befähigt und veran-
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lasst wird, letztere aus den Knochen auszulösen. Denn das Kno­chengewebe enthält, wie bereits bemerkt ist, mehr Kalksalze, als es zu seiner Existenz durchaus bedarf und festhalten muss, und es kann desshalb unzweifelhaft vorkommen, dass das Blut in Folge von Kalkarmuth mehr als gewöhnlich Kalksalze aus den Knochen fortführt, um sie wieder an andere Gewebstheile, welche eine stär­kere Anziehung darauf ausüben, abzugeben. In dieser Weise kann eine vermehrte Abscheidung von Kalksalzen aus den Knochen ohne krankhaft gesteigerte Ausfuhr aus dem Körper stattfinden, und darin findet auch die Thatsache ihre Erklärung, dass Trächtigkeit und Lactation die Entwickelung der Krankheit befördern. Diese Art der vermehrten Abscheid ung fällt mit verminderter Zufuhr zu­sammen, in analoger Weise wie bei normalem Stoflfverbrauch im Körper das Fettgewebe hei unzureichender Ernährung einen Theil seines Fettes verliert. Da nach den angeführten Thatsachen nicht angenommen werden kann, dass das Knochengewebe bei der Kno-chenbrüchigkeit in der Weise erkrankt ist, dass es ausser Stande wäre, die zum Ersatz der im gewöhnlichen Stoffwechsel abgehen­den hinreichend gebotenen Kalksalze sich anzueignen, so bleibt nur die Annahme übrig, dass eine verminderte Zufuhr an Kalk­salzen der Krankheit zum Grunde liegt; denn auch der Einwand, dass eine fehlerhafte Blutmischung, der zu Folge die Assimilation der darin enthaltenen Kalksalze nicht möglich sei, bestehen könne, wird durch die Erfahrung widerlegt, dass im Verlaufe der Krank­heit im Fötus Knochenneubildung zu Stande kommt. Das Blut ist nur in sofern krankhaft verändert, als es kalkarm ist in Folge mangelhafter Zufuhr von Kalksalzen aus dem Verdauungskanale. Diese Behauptung wird durch die Thatsache, dass die Kalksalze beim Rindvieh und Schafe den Körper durch den Darmkanal ver­lassen und dass desshalb ein Kalkmangel im Darmkanale eigent­lich niemals entstehen könnte, nicht entkräftet, weil bis jetzt nicht zu erweisen ist, dass die in irgend einem Secrete ausgeführten Kalksalze in einer verdaulichen Verbindung enthalten sind, wäh­rend andererseits festgestellt ist, dass nicht jede Kalkverbindung von den Verdauungssäften erschlossen werden kann.
Mit der aufgestellten Theorie stehen die Erfahrungen über die ursächlichen Verhältnisse der Knochenbrüchigkeit vollkommen im Einklänge, denn unter allen Verhältnissen, welche die Krank-
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heit erzeugen, stimmt das Futter darin überein, dass es ausser-gewöbnlich arm an Kalksalzen, namentlich an phosphorsaurem Kalk, ist.
Es ist Thatsache, dass in Folge anhaltender Dürre die Lö­sung der zur Ernährung der Pflanzen nothwendigen Mineralstoffe im Boden nicht in hinreichendem Maasse geschieht und dass in Folge dessen die Pflanzen sich im Ganzen mangelhaft entwickeln und auch eine abnorme Zusammensetzung erlangen. Das gilt na­türlich nur im Allgemeinen; denn je nachdem der Boden viel oder wenig mineralische Nährstoffe enthält und je nachdem dieselben in einer leicht oder schwer löslichen Form vorhanden sind, findet bei Mangel an Feuchtigkeit eine weniger oder mehr kümmerliche und qualitativ veränderte Bildung der Pflanzen statt. Gleichartige Pflanzen zeigen erfahrungsmässig grosse Verschiedenheiten in ihrer Zusammensetzung, wenn sie bei gleichen Witterungsverhältnissen auf verschiedenen Bodenarten gewachsen und mit verschiedenen Dungstoffen behandelt sind. Die Pflanzen sind die Produkte ihres Standortes! Ganz besonders mangelt es bei Dürre den Pflanzen an schwer löslichen Stoffen, namentlich an phosphorsaurem Kalk. In dieser Beziehung besteht jedoch ein Unterschied hinsichtlich der besonderen Art der mangelhaften Entwickelung. Die Pflanzen können eine mangelhafte Entwickelung der Früchte oder Samen zeigen, während Halm und Blätter gut entwickelt sind, oder es besteht umgekehrt eine kümmerliche Entwickelung des Halmes, bei verbältnissmässig guter Fruchtbildung, oder beide Theile sind küm­merlich. Unter diesen verschiedenen Verhältnissen ist die Zusam­mensetzung und der Futterwerth der Pflanzen, namentlich der Halme, welche als Heu resp. Stroh für Bindvieh vorzugsweise zur Verwendung kommen, sehr verschieden. Die Körner werden durch Vermittelung des Halmes ernährt und entwickelt, und sie entziehen dem Halme um so mehr Nährstoffe, je vollkommener sie sich im Verhältnisse zu demselben ausbilden. Demgemäss ist bei einer Ernte, welche wenig Stroh, aber einen noch guten Körnerertrag gibt, das Stroh arm an Proteinstoffen und Aschenbestandtheilen. Ist hingegen bei einer schlechten Ernte vorzugsweise der Körner­ertrag gering, so kann das Stroh sogar reicher an Proteinstoffen und Aschenbestandtheilen sein, als bei gleichmässig guter Ent­wickelung aller Pflanzentheile, indem die Stoffe darin angehäuft
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zurückbleiben. Als Beweis mögen einige Untersuchungen von Lawes und Gilbert*) hier Platz finden:
Auf einem engl. Acre wurde geerntet Weizen:
Körner
Pfd.
1853.
358
1854.
1360
_ .nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; In 100 Thei'len wasserfr. Subst.
Proteinstoffenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Asche
Pfd.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Körner Stroh Körner Stroh
1414nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 14,9 8,1 2,52 6,50
2136nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 12,9 4,8 2,01 5,26
Es waren demnach bei unverhältnissmässig starkem Körnerertrage im Jahre 1854 die Körner, namentlich aber das Stroh arm an Proteinstoffen und Asche.
Aehnliche Verhältnisse fanden sich, wenn die Ernten auf demselben Felde in Folge verschiedener Düngungen ungleich aus­fielen, wie folgende tabellarische Uebersicht zeigt:
Totalertragnbsp; nbsp; nbsp;Procent. Menge
pro Acrenbsp; nbsp; nbsp;Korn im Totalertr.
1845.nbsp; nbsp; 5545 33,1
1846.nbsp; nbsp; 4114 43,1
1853.nbsp; nbsp; 3932 25,1
1854.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 6803nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 35,8
Körner
Stroh
Asche Rückst. $
Asche
Rückst. %
1,91 2,25
7,06
0,92
1,96 2,15
6,02
0,67
2,24 2,35
6,27
1,20
1,93 2,14
5,08
0,69
Aus Vorstehendem ist ferner ersichtlich, dass der Aschenge­halt der Nahrungsmittel nicht immer zu dem Gehalte an Protein­stoffen in demselben Verhältnisse steht. In dieser Hinsicht kom­men noch grössere Verschiedenheiten vor. Z. B. enthalten nach
Crusius **):
Stickstoff Asche Erbsenschrot 3,850 3,2
Malzkeime 4,160 6,5 Der Proteingehalt der Nahrungsmittel darf desshalb bei diätetischen Anordnungen nicht einseitig berücksichtigt werden, wenn eine ver­mehrte Zufuhr von Kalk beabsichtigt wird.
Tritt die Dürre erst später ein, nachdem die Halme sich be­reits bis zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit entwickelt haben, und findet dann eine mangelhafte Aehren- resp. Rispen­bildung statt, oder wird diese noch durch andere locale Schäd­lichkeiten weiter beeinträchtigt, so kann bei einer knappen Stroh-und Heufütterung dennoch genügender Kalk eingeführt werden und die Knochenbriichigkeit ausbleiben.
•) Wolf, Fütterungslehre. ••) Wilda, landw. Centr.-Bl. 1861. I.
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Aehnliche Verhältnisse finden sich bei den Gräsern und Fut­terkräutern. Dieselben enthalten in den ersten Perioden der Ent-wickelung bedeutend mehr Proteinstoffe und Asche, als später. Wolf fand im heutrocknen Rothklee:
Ganz jung 13. Juni 23-Juni 20. Juli Proteinsubst. . 21,9 13,8 11,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9,5
Asche ... 9,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,6
Sind die Halme schwach entwickelt, so ist der Werth des Heues in derselben Weise verringert, wie es beim Stroh der Fall sein kann; denn von den Samen und den an Proteinstoffen und Kalk verhältnissmässig sehr reichen Blättern geht ein grosser Theil verloren, bevor das Heu zur Verfütterung kommt.
Ist Heu- und Strohernte mangelhaft, so erhalten die Thiere davon weniger als in guten Jahren, und nur in wenigen Wirth-schaften ist es dann möglich, durch Verabreichung von grösseren Quantitäten den relativen Mangel an einzelnen Stoffen einiger-maassen auszugleichen. Der Ausfall an jenen Futtermitteln wird vielmehr in der Regel durch solche Futterstoffe gedeckt, welche zwar einen gewissen Nähreffect ausüben, aber an sich immer arm an Kalksalzen sind, nämlich durch Wurzelgewächse oder durch Schlempe oder Presslinge. Während 1000 Gewichtstheile Wiesen­heu nach Lehmann neben 3,3 Phosphorsäure 10,01 Kalk ent­halten, finden sich in Kartoffeln neben 2,0 Phosphorsäure nur 0,16 Kalk. Damit kann dann eine Mästung effectuirt und die Milch-secretion unterhalten werden, obgleich die Knochen immer mehr Kalksalze verlieren. Denn die Fettproduction erfolgt auch bei mangelhafter Zufuhr von Mineralstoffen; fette Thiere enthalten im­mer relativ weniger Asche als magere. Lawes und Gilbert*) fanden:
SchlachtQeisch
Lebendgewicht
Trockensubst.
Asche
Trockensubst.
Asche
Halbfetter Ochs
46,0
5,56
40,4
4,66
Fetter Ochs . .
54,4
4,56
48,5
3,92
Mageres Schaf .
42,7
4,36
36,7
3,16
Sehr fettes Schaf
67,0
2,77
59,5
2,90
Mageres Schwein
44,7
2,57
39,7
2,67
Fettes Schwein .
61,5
1,40 quot;
54,7
1,65
*) Pliilos. transact. 1859. II. Journal für Landwirthsch. Neue Folge. I,
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In dieser Richtung ist im vergangenen Winter an der landw. Lehranstalt zu Worms ein Versuch angestellt*). Drei Kühe, die sich im mittelguten Ernährungszustände befanden, wurden vom 17. Januar an ausschliesslich mit Kartoffel- und Röbenfutter er­nährt. Die Kühe behielten zwar ein ziemlich gutes Aussehen, wa­ren aber bereits Mitte Februar kaum mehr im Stande, sich zu erheben, und vom 21. Februar an standen sie nicht mehr auf. Darauf bekamen zwei Kühe reichliche Portionen 1864er Heues, daneben Kleien, Schrot und Oelkuchen; die dritte bekam ihr quot;Wurzelwerk wie vorher, aber mit einem Zusätze von 2 Loth gut präparirten Futterknochenmehl. Die zwei ersten Kühe standen am 11. März zum ersten Male wieder auf und zeigten sich vollkommen gesund, während die dritte Kuh erst am 20. März zum Stehen kam und im Vergleich zu den beiden anderen bedeutend ma­gerer war.
Die vorstehend angeführten Thatsachen machen es erklärlich, dass im vorigen Jahre, wo eine sehr schlechte Strohernte, aber eine verhältnissraässig gute Körnerernte stattgefunden hat, die Knochenbrüchigkeit in ausserordentlich grosser Verbreitung und an manchen Orten sehr bösartig aufgetreten ist. Der Einfluss der trocknen Witterung liess sich auch deutlich daran erkennen, dass in denjenigen Ortschaften und Gehöften, deren Fluren vorzugs­weise ausgetrocknet waren, die Seuche sich am frühesten und am schnellsten entwickelte. In einem Orte waren die Kühe und das Jungvieh einer Wirthschaft, deren Aecker besonders hoch und trocken liegen, trotz ziemlich reichlicher Heu- und Slrohfütterung bereits im November im höchsten Grade erkrankt und gingen sämmtlich ein, während alle übrigen Kühe des Ortes erst später und in weit geringerem Grade erkrankten. Einen wie grossen Einfluss ferner die Bodenbeschaffenheit bei gleichen Witterungs­und Culturverhältnissen auf die Zusammensetzung der Pflanzen hat, kam in einem Orte zur Beobachtung, wo sämmtliches Rind­vieh, dessen Futter an der einen, niedrig und verhältnissmässig feucht gelegenen Seite gewachsen war, sehr stark erkrankte und zum grössten Theile einging, während das Futter von der ande­ren, hoch gelegenen Seite der Feldflur, wo Kalkuntergrund vor-
*) Agronom. Zeitung No. 31.
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lianden ist, sich viel weniger nachtheilig erwies. In demselben Orte ist die Krankheit in anderen Jahren überhaupt nicht beobachtet.
In ähnlicher Welse machte sich überall die Art der Zusam­mensetzung des Futters geltend. Eine Beigabe von Körnern, na­mentlich Hülsenfrüchten, und noch mehr die Fütterung von Raps­kuchen bewirkten in allen Fällen, dass die Krankheit sich lang­samer und nicht bis zum höchsten Grade entwickelte. Auch im Heu sind wieder Verschiedenheiten gegeben, je nachdem es aus diesen oder jenen Gräsern besteht. Nach Wolf enthält z. B. Rai-gras 1,6 Kalk und 1,7 Phosphorsäure und Thimotheegras 2,0 Kalk und 2,3 Phosphorsäure.
Werden alle Verhältnisse, welche auf die Entwickelung der Krankheit einwirken, nämlich Feuchtigkeitsgehalt des Bodens, Zu­sammensetzung desselben, Düngung, überhaupt Cultur, Art der Futterstoffe und Zusammensetzung des Futters, berücksichtigt, so kann es weiter nicht auffallen, dass Entwickelung und Verlauf der Seuche in verschiedenen Viehständen sich überaus verschieden ge­staltet.
Das stationäre Vorkommen der Knochenbrüchigkeit wird vor­zugsweise da beobachtet, wo die Nahrung des Rindviehes zum grössten Theile aus sauren Gräsern besteht, die auf Moor- und Torfboden gewachsen sind. Erfahrungsmässig tritt die Krankheit auch in derartigen Districten heftiger auf, wenn die Witterung an­haltend trocken ist, so dass die Lösung von Stoffen, die ohnehin in dem Boden nur sparsam enthalten sind, noch beeinträchtigt wird. Der Torf- und Moorboden ist ein Gemisch von humosen Stoffen und unzersetzten Pflanzentheilen, in welchem sich anorga­nische Stoffe meistens nur in geringer Menge finden. Der Boden enthält oft nur 4 — 5 pCt. erdiger Stoffe, zuweilen, besonders im Bruchboden, aber selbst 20 — 40 pCt. Es ist natürlich, dass auf einem sehr kalkarmen Boden auch die Pflanzen kalkarm sein müs­sen und dass bei einer solchen Nahrung ein Kalkmangel im Kör­per unausbleiblich ist. Die Verschiedenartigkeit des Moor- und Torfbodens macht es ferner auch erklärlich, dass nicht aberall auf solchem Boden die Knochenbrüchigkeit vorkommt, indem die Pflan­zen, der Bodenart gemäss, eine sehr verschiedene Zusammensetzung haben. Ritthausen*) fand sogar, dass die unächten Gräser im #9830;) Wilda's Centralblatt 1860. I.
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Allgemeinen nicht weniger Stickstoff, PhosphorsSure und Kalk ent­halten, als die ächten. Leider ist nicht angegeben, *linter welchen Verhältnissen die Gräser gewachsen waren; durch eine geeignete Cultur kann steriler Torfboden sogar die Fähigkeit erlangen, Ge­treide zu tragen. Die Praxis hat jedoch längst entschieden, dass saure Gräser nur einen geringen Nahrungswerth haben, so dass, wenn dieselben etwa regelmässig den ächten Gräsern ehemisch gleich sein sollten, die Nährstofie als nicht verdaulich angesehen werden müssen. Wenn die organischen ßestandtheile der Pflan­zen unverdaut bleiben, so können auch die damit verbundenen Erden nicht zur Verwerthung kommen. Nach Versuchen von Henneberg und Stohmann*) bleibt immer ein Theil der Nähr­stoffe, namentlich Proteinstoffe und Cellulose, ungelöst, selbst wenn die Thiere kaum das nöthige Erhaltungsfutter bekommen, und das Verhältniss der verdaulichen zu den unverdaulichen Stoffmengen ist in den einzelnen Pflanzen sehr verschieden.
In 100 Gewichtslheilen lufttrockner Substanz (15 pCt. Feuch­tigkeit) finden sich:
Im Ganzen Rohprotein Rohfaser
Bohnenstroh 10,3 34,9
Verdauliche Stoffe Protein Cellulose
5,3 12,6
Kleeheu . . 14,1
28,2
7,2 11,0
Wiesenheu . 13,3
24,2
8,0 14,4
Bohnenschrot 26,9
6,5
26,9 —
Beide Forscher sind der Ansicht, dass die unverdaut blei­bende Proteinsubstanz und Cellulose wahrscheinlich von der ver­daulichen chemisch nicht verschieden, sondern nur schwer löslich ist. Demnach können chemische Untersuchungen der sauren Grä­ser nicht die Erfahrung widerlegen, dass dieselben nur einen ge­ringen Nähreffect haben. Es stimmt auch mit dieser Erfahrung überein, dass in Folge der Fütterung mit sauren Gräsern Knochen-brüchigkeit und allgemeine Abmagerung nebeneinander entstehen, obgleich die betreffenden Thiere bei Appetit bleiben und grosse Quantitäten von Futter aufnehmen. Bei der Abmagerung ver­schwindet auch das Fett aus dem Knochenmark, so dass dieses flüssiger wird und schliesslich eine gelb - röthliche Emulsion dar-
*) Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer. II. Hft. Braunschweig 1864.
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stellt. Die sogenannte Markflüssigkeit ist demnach nicht notwen­dig mit Knocftenbi-iichigkeit verbunden und nicht ein besonderes Stadium derselben, sondern nur unter gewissen Verhältnissen eine Theilerscheinung der Krankheit.
Diese Anschauung wird besonders durch eine Beobachtung bestätigt, welche Herr Reinecke zu Wiedenbrück mir kürzlich mittheilte. Dort kam auf einem sumpfigen Terrain die Knochen-brüchigkeit früher in manchen Jahren allgemein vor. Die Seuche verschwand, nachdem der Boden, welcher aus feinkörnigem Sande ohne Beimischung von Lehm besteht-, trocken gelegt und in Riesel­wiesen, die jetzt einen hohen Ertrag an gutem Heu liefern, um­gewandelt war. Nur in einem Stalle, dessen Kühe ausschliesslich mit dem Rieselwiesengrase, im Winter neben Kartoffeln und Rü­ben, aber ohne Beigabe von Stroh, ernährt werden, tritt die Krank­heit seitdem periodisch, in manchen Jahren heftiger als in ande­ren, auch bis jetzt noch auf, trotzdem die Kühe viel Futter be­kommen und in sehr gutem Nährzustande sich befinden. In an­deren Ställen, in welchen Gras und Heu von denselben Wiesen, aber mit Beigabe von Stroh gefüttert wird, erschien die Krankheit nicht und auch im vergangenen Jahre nur in den Ställen, in wel­chen wegen Strohmangel mehr Heu als sonst gefüttert wurde. Abbruch an Heu, welches fast nur aus ächten Gräsern besteht, und Beigabe von Stroh wirkt dort offenbar der Entwickelung der Krankheit entgegen. Das Heu, welches jetzt untersucht wird, ist höchst wahrscheinlich arm an phosphorsaurem Kalk. Denn im Sandboden, namentlich auch in humosem Sandboden, fehlt es an Phosphorsäure, wenn auch Kalk in genügender Menge vorhanden ist, und nach wiederholten Untersuchungen ist die Menge der im Wasser löslichen Mineralien von der Menge der im Boden vorhan­denen Mineralsäuren abhängig. Die Kühe, welche auf den erwähn­ten Rieselwiesen weiden, fressen das ihnen gebotene Knochenmehl mit Begierde und l'rassen Grasstellen, auf welche einige Hände voll Knochenmehl gestreut waren, sofort ganz kahl.
In der Gegend von Augsburg herrscht die Knochenbrüchigkeit stationär auf einer Fläche, deren Boden der jüngsten Formation angehört und 50 — 90 pCt. reinen kohlensauren Kalk enthäl: und der Almgrund genannt wird. Genau mit dem Aufhören dieses Almgrundes hört die Knochenbrüchigkeit auf und ist östlich und
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westlich vom Thale auf dem dortigen Lehmboden völlig unbekannt-In trocknen Jahren ist die Krankheit allgemeiner; in feuchten Jahren hauptsächlich nur in den Ställen, wo kein Kraftfutter ge­geben wird. Der Boden hat keine Kleefähigkeit, wird aber klee-fähig und überhaupt bedeutend ertragsfäfaiger durch Düngung mit Superphosphat und Knochenmehl. Es fehlt dem Boden an der hinreichenden Menge Phosphorsäure und es fehlt desshalb phos­phorsaurer Kalk in den Pflanzen, welche er producirt und die die Knochenbrüchigkeit hervorrufen.
Auf den Mangel an Phosphorsäure im Boden muss es auch zurückgeführt werden, dass die Krankheit bei seuchenartiger Ver­breitung in dürren Jahren öfters vorzugsweise in solchen Gegen­den auftritt, deren Boden durchaus nicht kalkarm ist. Nach den bekannten thierärztlichen Berichten erscheint die Seuche z. B. in einzelnen Kreisen des Beg.-Bez. Merseburg häufiger und heftiger als in der Gegend von Magdeburg, obgleich der Boden in letzterer Gegend weniger Kalk enthält. Die bekannten chemischen Unter­suchungen weisen aber in dem Humusboden der Magdeburger Börde einen bedeutend grösseren Phosphorsäuregehalt nach, als im Boder\ des Mansfelder Seekreises, wo die Krankheit öfters beob­achtet wird.
Es bleibt nun noch übrig, den Einfluss zu erörtern, welchen Trächtigkeit und Milchsecretion auf die Entwickelung der Krank­heit ausüben. Die Thatsache, dass die Entwickelung des Fötus die Krankheit des Mutterthieres steigert, bedarf keiner Erklärung, denn das Skelett des Fötus bildet sich auf Kosten der Mutter. Einen noch grösseren Einfluss übt aber erfahrungsmässig die Lac­tation aus, denn in sehr häufigen Fällen steigert sich die Krank­heit gerade in der ersten Zeit nach dem Gebären sehr schnell. In manchen Gegenden, wo die Krankheit stationär ist, erkranken die Kühe in der Begel 6 — 8 Wochen nach dem Gebären, wäh­rend sie sich später öfters wieder bessern und scheinbar gesund sind bis zu derselben Zeit nach der nächsten Geburt.
Struckmann*) fand, dass neugeborne Kälber der holländer Bace in 17 Fällen durchschnittlich 88,5 Pfund wogen. Wird das Gewicht sogar etwas höher, zu 90 Pfund, angenommen, so hat
*) Wolf, Fütterungslehre.
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das Kalb bei der mittleren Fötalzeit von 286 Tagen täglich etwas mehr, als J Pfund zugenommen, und würde es, da neugeborne Kälber durchschnittlich in t Pfund Lebendgewicht, 0,17 Stickstoff­verbindungen, 0,11 Fett, 0,05 Mineralstoffe und darin 0,020 Phos­phorsäure und 0,024 Kalk enthalten, dem Mutterthiere im Ganzen 1,80 Pfd. Phosphorsäure und 2,16 Pfd. Kalk, also pro Tag kaum 0,0063 Pfd. Phosphorsäure und 0,0076 Pfd. Kalk entzogen haben. Nach der Geburt nehmen die Kälber bedeutend mehr, und zwar nach Versuchen von Perrault*) durchschnittlich täglich wenig­stens 1,20 Kilogr. zu, wobei das Mutterthier noch das Material liefern muss. Nach Lehmann enthalten 10 Pfd. Milch durch­schnittlich Mineralstoffe 0,07 Pfd., und zwar 0,022 Pfd. Phosphor­säure und 0,017 Pfd. Kalk, und würden demnach mit 20 Pfd. Milch täglich aus der Kuh 0,044 Pfd. Phosphorsäure und 0,034 Pfd. Kalk, folglich hedeutend mehr abgehen, als zur Bildung des Fötus täglich abgegeben wurde. Die Mehrausgabe von den genannten Stoffen an das Kalb nach der Geburt wird auch dadurch erwie­sen, dass das Kalbsblut bedeutend mehr von den Stoffen enthält als das Blut des erwachsenen Rindes, denn das Blut des Fötus kann in seinem Gehalte an gelösten Stoffen von dem Blute der Mutterthiere nicht wesentlich verschieden sein **). Da nun nach Henneberg und Stohmann im Erhaltungsfutter pro Kilogr. Le­bendgewicht täglich 0,05 Grm. Phosphorsäure und 0,1 Grm. Kalk, für eine Kuh von 350 Kilogr. Lebendgewicht demnach 0,05 Pfd. Phosphorsäure und 0,1 Pfd. Kalk täglich nolhwendig sind, so würde die Kuh bei Abgabe von nur 20 Pfd. Milch täglich schon um fast ein Drittel mehr wie gewöhnlich Kalk zu ihrer Erhaltung gebrau­chen. Dabei ist ferner noch zu berücksichtigen, dass die Abgabe von Kalk an den Fötus sich nicht gleichmässig auf die ganze Tragezeit vertheilt, sondern vorzugsweise in der letzten Periode stattfindet, und dass die Milch gleich nach der Geburt sehr reich an Proteinsubstanzen und Salzen ist und später immer ärmer daran wird. In dem Kalbe finden sich pro Pfund Lebendgewicht 0,05 Pfund Mineralstoffe und im 7—8 Wochen alten (21,28 Grm. schweren) Fötus fand Schlossberger^nur 1,27 pCt. Asche. Im
•) Grouwen, Vorträge über Agricultur-Chemie. Köln 1862. **) Fehling, Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie.
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Colostrum finden sich nach Boussingault 15,0 pCt. Casein und 3 pCt. Salze, während die Milch 6,8 pCt. Casein nebst 0,6 pCt. Salzen (Simon) und noch weniger, selbst nur 3,0 pCt. Casein nebst 0,1 pCt. Salzen (Boussingault) enthält. Dem entspre­chend wird auch nach der Geburt bei blosser Milchnahrung die tägliche Zunahme der Kälber immer geringer. Wie bedeutend in der Milch im Verlaufe der Lactation der Gehalt an Trockensubstanz und namentlich an Albumin abnimmt, haben die Untersuchungen von Boussingault gezeigt. Derselbe fand in der Kuhmilcti:
Tag nach
Trockensubst.
Albumin
Butter
Zucker
dem Kalben
(PCt.)
(pCt.)
(pCt.)
(pCt.)
unmittelbar
38,4
15,5
8,4
0,0
1.
30,1
13,7
5,9
0,2
2.
23,1
10,9
6,2
0,9
3.
15,3
8,6
4,0
2,5
7.
12,5
2,1
2,5
4,3
14.
12,6
1,6
2,5
4,3
21.
12,1
0,9
2,3
4,6
28.
12,4
0,7
2,6
4,4
Die angeführten Thatsachen erweisen unzweifelhaft, dass den Kühen unmittelbar vor und nach der Geburt ausserordentlich viel Phosphorsäure und Kalk entzogen wird. Die Thatsachen stützen auch ganz besonders die Annahme, dass der Abgang von Kalk der beschleunigten Entwickeluug der Krankheit hei der Milchsecre-tion zum Grunde liegt, denn eine Abnahme der Weichtheile findet nicht in dem Maasse statt, dass der Verlust an Nährstoffen über­haupt als Krankheitsursache erachtet werden könnte. Wird dann femer noch der Umstand berücksichtigt, dass häufig einige Zeit nach dem Kalben die FUUerung eine bessere und ausserdem auch reichlicher wird, indem die Kühe häufig einige Zeit vor dem Be­ginne der Grünfütterung abkalben, so wird es auch erklärlich, dass in den späteren Perioden der Lactation die Krankheit öfters wie­der abnimmt.
Die Beobachtung, dass Ochsen seltener und weniger heftig an der Knochenbrüchigkeit erkranken als Milchkühe, bedarf nach den vorstellenden Anführungen keiner weiteren Erörterung, wohl aber die Beobachtung, dass auch Jungvieh weniger häufig und weniger heftig ergriffen wird. Eine Immunität besitzen junge Thiere
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so wenig als Ochsen; die Krankheit entwickelt sich bei diesen Thieren nur langsamer. Die Erklärung findet sich darin, dass dns Wachsthum im Verlaufe der Entwickelung immer langsamer von Statten geht, bei ungenügender Nahrung sogar ganz still stehen kann, dass demnach auch der Bedarf an Kalk immer geringer wird. Ein Kalb, welches während des Saugens bis zum 42sten Tage durchschnittlich täglich 1,20 Kilogr. zugenommen hatte, nahm bei Fütterung von Gerstenschrot und Grummet nebst etwas Milch zum Saufen vom 42.—50. Tagfe täglich 0,65 Kilogr. und vom 71. — 78. Tage täglich nur 0,23 Kilogr. zu. Das Wachsthum kann demnach so gering sein, dass ein Thier wenig mehr, als sein Er­haltungsfutter, gebraucht.
Aussei* Kühen und Ziegen leiden auch Vögel an der Knochen-brüchigkeit. C hos sat brachte bei Tauben durch ausschliessliche Fütterung mit Weizen die Krankheit hervor. Die Tauben starben zwischen dem 8. und 10. Monate, und die Knochen wurden zu­letzt so zart, dass sie schon in den noch lebenden Thieren zer­brachen. Eine Taube verzehrte täglich 30 Grm. Weizen und da­mit 0,296 Phosphorsäure und nur 0,018 Grm. Kalk.
Ferner ist die Knochenbrüchigkeit bei Reihern und in meh­reren Fällen auch bei Giratfen, im .lardin de Plantes, in Windsor und in Schönbrunn, beobachtet. Eine in Frankfurt a. M. gestor­bene Giraffe war gut genährt, die Knochen waren wohl gebildet, von natürlicher Form und Grosse, die Gelenkenden nicht aufge­trieben, aber an allen vier FUssen waren die Ansalzstellen der grossen Streckmuskeln abgebrochen; die Hin den Substanz dieser Knochen war papierdünn, durchscheinend, fast ohne Spur von Marksubstanz. Die Knochen zeigten keinen Mangel an Kalksalzen, waren bloss poröser, an der Oberfläche glanzlos, fein gefurcht, siebartig durchlöchert, ihre Knochenhöhle und Knochenkanäle er­weitert. Die Krankheit war nach Bruch*) „ein wahrer Schwund der Knochen mit übermässiger Bildung von Knochenmark und wahrscheinlich hervorgebracht durch Mangel an Bewegung und da­durch bedingten geringeren Stoffwechsel.quot;
Bei Schafen ist die Knochenbrüchigkeit bis jetzt nicht beob­achtet. Auf sauren Weiden werden Schafe gewöhnlich nicht ge-
*) Der zoolog. Garten. 1864. Im Auszuge in der Oesterr. Viertel(ahrsscbr. für Veteriuarkunde. XXIII.
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halten und in der Regel bekommen diese Thiere verhaltnissmassig mehr Stroh und besseres Heu als Kühe. Darin mag es begrün­det sein, dass Schafe nicht offenbar an Knocbenbrüchigkeit erkran­ken. Es ist auch möglich, dass Schafe eine geringere Disposition zu der Krankheit besitzen, indem entweder ihre Knochen die Kalk­salze mehr fixiren als die Knochen der Ziegen und Rinder, oder indem bei ihnen die Ausscheidung von Kalk durch die Secrete weniger energisch und bei mangelhafter Zufuhr nicht auf Kosten der Knochen stattfindet. Die Existenz einer mehr minder giossen Gattungsanlage zu der Knocbenbrüchigkeit kann um so weniger bestritten werden, als festgestellt ist, dass die verschiedenen Pflan­zenfresser sich hinsichtlich der Fähigkeit, die einzelnen Pflanzen-bestandtheile zu verdauen, und hinsichtlich der Secretionen sehr verschieden verhalten. Die Existenz einer individuellen Prädispo-silion ist durch die Erfahrung erwiesen und durch Versuche er­klärt, indem es sich immer herausstellte, dass die verschiedenen Individuen in verschiedenem Maasse das Futter verwerlhen.
Auf Grund der Folgerung, dass die Brüchigkeit der Knochen von einem Mangel an Kalksalzen in denselben abhängig sei, in­dem Festigkeit und Härte für gleichbedeutend gehalten wurden, ist bereits seit längerer Zeit von einigen Thierärzten und Land-wirthen Kalk als Heilmittel angewendet worden. Das Mittel hat sich angeblich in vielen Fällen bewährt, wohingegen es in ande­ren Fällen ohne Nutzen geblieben ist. Die Zeit der Anwendung und die Form des Mittels sind für dessen Wirksamkeit von Be­deutung. Kühe, die im höchsten Grade krank und dann noch gute Milcher sind, gehen in der Regel zu Grunde, und der Kalk ist nicht in jeder Form nützlich. Da es dem Körper an phos­phorsaurem Kalk fehlt, so muss solcher gegeben werden. Nicht selten findet sich zwar in dem Futter, dem es an Kalk mangelt, die nölhige Menge Phosphorsäure; dieses ist aber nicht immer der Fall, und dann würde der Zusatz von reinem Kalk oder koh­lensaurem Kalk nichts nützen. Auch ist der phosphorsaure Kalk nicht in jeder Form gleich leicht verdaulich. In den erwähnten Verhältnissen dürften die Verschiedenheiten in dem Heilerfolge ihre Erklärung finden.
Am besten wirkt das präparirte Knochenmehl, in welchem der phosphorsaure Kalk sehr fein vertheilt ist. Dasselbe ist von or-
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ganischen Beimengungen ziemlich vollständig frei und daher der Verderbniss nicht leicht unterworfen. Die Verdaulichkeit des phos­phorsauren Kalks ist bereits vor Jahren von Lehmann*) nach­gewiesen. Ein 5 Monate altes, 297 Pfd. schweres Kalb erhielt in seiner Ration Futter täglich 24,531 Grm. Kalk und 39,169quot; Grm. Phosphorsäure. Davon verblieben im Körper während der zwei­tägigen Untersuchung 20,742 Gnu. Kalk und 36,262 Phosphor­säure. Als dann dem Futter in zwei Tagen 25,694 Grm. phos­phorsauren Kalks zugesetzt wurden, verblieben im Körper in die­ser Zeit 26,776 Grm. Kalk und 42,047 Phosphorsäure. Aehnliche Resultate erhielt Theod. v. Gohren**). Es wurde ein Schaf vom 14.— 21. Juli ohne Zusatz von Erdphosphaten gefüttert, und betrug
die durchschnitt), tägl. Einnahme in Grm
die durcbschnittl. tägl. Ausgabe in Grm.
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Kalk . . 7,045 0,036 7,081 7,028nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,028 0,053
Phosphors. 3,187 — 3,187 2,884 0,076 2,960 0,227 Vom 21.—28. Juli mit Zusatz von 10 Grm. Erdphosphaten (3,335 Grm. Kalk und 4,253 Grm. Phosphorsäure) täglich:
Kalk . . 7,045 0,041 10,421 9,238 — 9,238 1,183 Phosphors. 3,187 — 7,440 5,485 0,134 5,619 1,821 Bei Versuchen, welche in der neueren Zeit an der Thierarznei-schule in München angestellt worden sind, hat sich ferner erge­ben, dass die Verdaulichkeit des Futterknochenmehls durch eine Beigabe von Kochsalz gesteigert wird. Dasselbe kann den Thieren mit dem Futter gegeben werden. Die tägliche Dosis würde nach den vorstehenden Anführungen über den Bedarf der Thiere für Rinder auf 1 Unze und für Milchkühe auf 1^ — 2 Unzen festzu­stellen sein. Wichtig ist es, dass das Mittel frühzeitig, entweder als Vorbeugungsmittel, namentlich bei tragenden und milchenden Kühen, oder doch sofort gegeben wird, wenn die ersten Spuren der Krankheit sich zeigen. In den Bezirken, in welchen die Seu­che stationär ist, weil es dem Boden an Kalk oder an Phosphor­säure oder an beiden Substanzen fehlt, wird eine Düngung mit
*) Wilda, Landw. Centralbl. 1859. **) Landw. Versucbsstatiunea. Dresden 1861.
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den fehlenden Stoffen, mit Knochenmehl oder Superphosphat, mit dem Ertrage im Allgemeinen auch die Qualität der Pflanzen bes­sern und der Entwickelung der Krankheit entgegenwirken. Bei Kühen, die einen besonderen Zuchtwerth haben, dürfte die Unter­drückung der Milchsecretion durch immer unvollständigeres Aus­melken als wichtigstes Heilmittel anzuwenden sein. Ausserdem ist aber die Regulirung der Fütterung nothwendig, und gerade in dieser Hinsicht werden oft arge Fehler begangen. In der Voraus­setzung nämlich, dass die Krankheit in einer mangelhaften Ernäh­rung überhaupt begründet sei, werden den Thieren grosse Mengen von Futterstofifen, und zwar oft in der fehlerhaftesten Zusammen­setzung, gegeben und zum grössten Theile verschwendet, indem sie nicht ausgenutzt werden können. Qualitative Mängel in der Nahrung können durch die Quantität nie hinreichend ausgeglichen werden; concentrirte Nahrung wird durch grosse Mengen nicht concentrirter Nahrung nicht ersetzt, wenn mit dieser auch dieselbe Quantität von verdaulichen Nährstoffen eingeführt wird. Demge-mäss können grosse Mengen protein- und kalkarmer Nahrungs­mittel auch nicht als Ersatz für weniger grosse Quantitäten protein-und kalkreicher Futterstoffe erachtet werden. Das Futter muss in der Art zusammengesetzt werden, dass den Thieren neben den nöthigen organischen Stoffen eine möglichst grosse Quantität Kalk zugeführt wird. Es müssen demnach vor Allem genügende Quan­titäten von Proteinstoffen und von den proteinreichen Futtermitteln wieder die kalkreichsten gewählt werden. Hafer enthält doppelt so viel Kalk als Gerste, Roggen und Weizen, ist also viel zweck-mässiger als diese; noch vortheilhafter sind Hülsenfrüchte, Hülsen-fruchtstroh, Esparsette- und Kleeheu. Als das zweckmässigste Futtermittel sind unzweifelhaft Rapssamen- und Mohnsamenkuchen zu erachten, indem sie viel verdauliches Protein enthalten und durch ihren Oelgehalt die Verdauung der Proteinstoffe überhaupt befördern. In dieser Thatsache dürfte auch die Beobachtung, dass Leberthran bei der Knochenbrüchigkeit günstig wirkt, ihre Erklä­rung finden. Trotzdem ist aber Leberthran des hohen Preises wegen nicht zu empfehlen; jedes andere Oel oder Fett leistet das­selbe. Wurzelgewächse, namentlich Kartoffeln, sind bei der Kno­chenbrüchigkeit unpassende Nahrungsmittel. Die Fütterung von Kartoffeln oder Rüben und Gerstenstroh mit Roggen oder Gerste
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würde sehr theuer sein, weil diese Futterstoffe, wenn sie in Hin­sicht auf ihren Gehalt an Proteinstoffen, Kohlenhydraten und Fett in der gehörigen Menge und Zusammensetzung gegeben werden, dem Körper eine zu geringe Menge Kalk zuführen, und desshalb in unnöthig grossen Mengen gegeben werden müssten, wohingegen eine Fütterung, bei welcher die nölhigen Proteinstoffe vorzugs­weise durch Rapskuchen und Hülsenfrüchte oder Hafer und die Kohlenhydrate vorzugsweise durch Stroh, namentlich Hülsenfrucht-strob, weniger durch Wurzelgewächse, geliefert werden, neben den gehörigen Mengen organischer Nährstoffe dem Körper verhältniss-raässig grosse Quantitäten Kalk zuführt. Der Phosphorsäuregebalt der Futterstoffe braucht bei der Auswahl derselben weniger als der Kalkgehalt berücksichtigt zu werden, weil die Phosphorsäure neben dem Kalke in jedem Falle in der für die Knochenernährung nöthigen Quantität vorhanden ist.
Besondere Schwierigkeiten bietet die Regulirung der Diät in den Landwirtbschaften, die mit technischen Gewerben verbunden sind und deren Abfälle, RUben-Pressrückstände oder Schlempe, als Futter verwerthen müssen. Die Abfälle, welche sehr kalkarm sind, bilden dort immer das Hauptfutler. Es konnte desshalb auch die Ansicht sich bilden, dass Rübenpresslinge eine specifische schäd­liche Einwirkung auf die Knochen ausüben. In solchen Wirth-schaften ist die Auswahl des Beifutters besonders sorgfältig vor­zunehmen und der durch die Futtercomposition nicht zu behe­bende Kalkmangel durch frühzeitige und consequente Fütterung von Knochenmehl zu ersetzen. Diese Maassregel würde Platz grei­fen müssen, wenn in einem dürren Jahre mit knapper Heu- und Strohernte der Ausbruch der Seuche zu vermuthen steht. In solchen Fällen den Thieren durch grosse Quantitäten Roggen- oder Gerstenschrot helfen zu wollen, weil diese Körner zu dem Kraft­futter gezählt werden, ist die grösste Verschwendung. Die starke Retheiligung der Ziegen an der Krankheit dürfte auch darauf zu­rückzuführen sein, dass diese Thiere gewöhnlich die Abfölle aus der Wirthschaft, Kartoffelschalen u. dergl., als Hauptfutter und da­neben in einem trocknen Jahre nur wenig Heu erhalten.
Am sichersten und schneuzten erfolgt immer die Heilung der Krankheit, wenn die Thiere aus den Seuchebezirken in gesunde Gegenden translocirt werden können, oder wenn in Gegenden, wo
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die Krankheit ausnahmsweise in Folge grosser Dürre auftrat, im folgenden Frühjahre die GrUnfütterung beginnt. Mit dem Beginne einer normalen Fütterung erfolgt immer eine sofortige Wendung zum Bessern, und Thiere, welche noch gesunden Appetit haben, genesen dann in der Regel in kurzer Zeit.
Nach dieser Darstellung entwickelt sich die Osteo-malacie in der Weise, dass zunächst eine Entkalkung der Knochensubstanz und dann als weitere nothwen-dige Folge der fortschreitenden Entkalkung eine Um­wandlung des osteoiden Gewebes in Markgewehe ent­steht.
Die einzige und hinreichende Ursache der Osteo-malacie ist eine mangelhafte Einnahme von Kalksalzen mit der Nahrung, und dieselbe wirkt um so stärker, wenn der Bedarf an Kalksalzen durch Trächtigkeit oder durch Lactation aussergewöhnlich gesteigert ist oder wenn Krankheiten bestehen, welche die Verdauung be­schränken.
Ist die Osteomalaeie wesentlich verschieden von der Rachitis? Diese Frage ist fast immer, wenn sie discutirt wurde, veraeint. Seitdem Virchow *) in seiner berühmten Ab­handlung über Rachitis geurtheilt hat, dass genetisch jede Ueber-einstimmung zwisch'en beiden Krankheiten fehle, ist die Frage einer ausführlichen Erörterung nicht mehr unterworfen. Bei der Osteo­malaeie wird der harte Knochen weich, es wird wirklich resorbirt; in der Rachitis wird der weiche Knochen nicht hart, es wird kein Kalk abgelagert. Beide Zustände müssen sich natürlich ver­schieden darstellen, verschiedene Krankheitsbilder geben. Verschie­dene „Krankheitenquot; können aber wesentlich gleich sein, d. h. den­selben inneren Grund haben, und die Frage, ob der innere Grund der Osteomalaeie und der Rachitis übereinstimmt oder verschie­den ist, soll in Nachstehendem kurz erörtert werden. Vorher dürfte die Bemerkung nöthig sein, dass der rachitische Prozess bei den Hausthieren, Pferd, Rind, Schaf, Ziege und Schwein ana­tomisch in der Hauptsache so erscheint wie bei Kindern, und sich von der Rachitis der Kinder nur dadurch unterscheidet, dass er
*) Dieses Archiv, 1853.
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in der Regel heftiger auftritt und, entsprechend der schnelleren Entwickelung des Thierkörpers überhaupt, rapider verläuft. Die eigentlich sogenannte Lähme der jungen Thiere, bei welcher Stei-figkeit, Lahragehen, Gelenkanschwellungen und Verkrümmungen der Knochen die auffälligsten Krankheitserscheinungen bilden, ist eine veritabele Rachitis. Bei dem normalen Knochenwachsthum wer­den Kalksalze in die Knorpelsubstanz abgelagert, bevor diese in osteoides Gewebe umgewandelt ist, und erst die verkalkte Knorpel­grundsubstanz verschwindet dann, um dem sich bildenden osteoi-den Gewebe Platz zu machen. Weiterhin verschwindet auch das mehr weniger vollständig verkalkte osteoide Gewebe, die feste Knochensubstanz, stellenweise wieder und geht in Warksufastanz über. Es findet also bei der Entwickelung des Knochens nicht nur eine Anbildung, sondern auch eine Resorption, und zwar eine Resorption von verkalkter Grundsubstanz, statt. Beides kommt bei der Rachitis vor, aber in einer anderen Weise, und zwar darin verschieden, dass die Verkalkung, d. h. die vollständige Ver­kalkung, zu langsam und folgeweise unregelmässig von Statten geht. Die Unregelmässigkeit in der vollständigen Verkalkung ist als eine nothwendige Begleiterin von deren Langsamkeit anzuse­hen, weil in Folge der Ernährungsverhältnisse auch beim norma­len Wachsthume einzelne Stellen leichter und dauernder verkalken als andere, und dieser Unterschied natürlich um so mehr hervor­treten muss, wenn die Verkalkung im Ganzen behindert ist. Dann haben die physiologischen Hindernisse ein um so grösseres Ge­wicht. Die Langsamkeit der Verkalkung wird zuerst bemerkt; die Unregelmässigkeit tritt erst im weiteren Verlaufe des Prozesses immer deutlicher hervor. Es kommt demnach hauptsächlich auf die Beantwortung der Frage an, wesshalh die Verkalkung zu lang­sam vor sich geht? Die Beschaffenheit der zu verkalkenden Theile kann dem Krankheitszustande nicht zum Grunde liegen, weil sie bei der Heilung Kalk aufnehmen. Diess wird von Virchow aus­drücklich hervorgehoben und von anderen Autoren ebenfalls aner­kannt. R. Volkmann *) sagt: Das neugebildete Gewebe zeigt auch an Stellen, wo aller Absatz von Kalk fehlt, histologisch oft einen exquisit knochenähnlichen, ostebiden Bau, in sofern eben
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nur die Verkalkung hintenangehalten wird. Die Fähigkeit des Ge­webes, Kalk aufzunehmen, tritt bereits deutlich hervor bei dem Wucherungsprozesse der Knorpelzellen, welcher sich bei Thieren in der Patella, wo die Knorpelzellen ausserordentlich gross wer­den, am meisten übersichtlich darstellt. Es finden sich dort Grup­pen von sehr grossen Zellen in runden oder ovalen Räumen, welche von einer breiten Kapsel umgeben sind. Die Kapsel ent­wickelt an ihrer inneren Fläche Fortsätze und sendet diese zwischen die Zellen hinein, und indem sich der Vorgang an allen Punkten, wo zwei Zellen an einander grenzen, wiederholt und die Fortsätze scbliesslich sich im Centrum des gemeinschaftlichen Raumes tref­fen und zusammenfliessen, entsteht ein Bild, welches einem von der Seite gesehenen Rade sehr ähnlich ist. Sämmtliche Scheide­wände, welche den Speichen entsprechen, gehen nicht nur im Centrum unmittelbar in einander über, sondern setzen sich auch an der Peripherie in die ursprüngliche Kapsel des Hohlraumes fort, ohne dass eine Grenze wahrgenommen werden kann. Ge­meinschaftliche Kapsel und Scheidewände bilden eine zusammen­hängende Masse. Die Scheidewände zwischen den Zellen sind an­fangs ganz homogen und glänzend; späterhin verbreitern sie sich immer mehr, und wenn sie eine gewisse Breite erlangt haben, so differenziren sie sich in zwei glänzende, homogene Grenzstreifen und in eine, anfangs trübe und fein punktirte und endlich deut­lich streifige, Mittelschicht. Damit wird die Verkalkung der neu­gebildeten Intercellularsubstanz offenbar. Die gemeinschaftliche Kapsel erscheint öfters schon in einer gewissen Breite deutlich verkalkt, während die inneren Scheidewände noch vollständig klar sind. Die Knorpelgrundsubstanz, welche zwischen den Zellen­gruppen liegt, ist an irfanchen Stellen vollständig homogen, glän­zend und durchscheinend; an anderen Stellen erscheint sie dunk­ler, gelblich, fein punktirt und endlich gestreift. An dieser Ver­änderung, welche bereits zu Stande kommt, während die Scheide­wände zwischen den Zellen noch hell sind, nimmt die Kapsel, welche die Zellengruppen umgibt, häufig von vornherein Theil.
Bei Zunahme der Zellen Wucherung schwindet die Grundsub­stanz mehr und mehr und wird wieder homogen und hell. Auch die Scheidewände zwischen den Zellen werden immer zarter, die Hohlräume werden grosser, erscheinen endlich ganz dicht mit
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rundlichen Zellen gefüllt, fliessen zuweilen in einander und bilden dann grosse Markräume. Zwischen den Markräumen finden sich noch einzeln liegende, primäre Knorpelgruppen in streifiger Grund­substanz. Salzsäure hellt die dunkle, streifige Intercellularsubstanz auf, so dass die Streifung verschwindet. Ein Zusatz von raolyb-dänsaurem Ammoniak bringt dann wieder eine leicht punktirte, gelbliche Trübung hervor. Die Knorpelgrundsubstanz hat bei dem geschilderten Vorgange unzweifelhaft Kalksalze angenommen, und besonders die Streuung ist als ein Erfolg der Kalkaufnahme an­zusprechen. In gleicher Weise findet auch bei der Bildung des osteoiden Gewebes von vornherein eine Aufnahme von Kalksalzen statt, und die eigentlich sogenannte Verkalkung ist nur eine Ver­vollständigung der bereits vorher begonnenen Verkalkung, indem höchst wahrscheinlich fortwährend die Kalkverbindungen durch Ent­ziehung von organischen Bestandtheilen Seitens der Zellen unlös­lich gemacht werden. Bei dem Wucherungsvorgange in der Pa­tella zeigt es sich deutlich, dass auch die Knorpelzellen im Stande sind, eine streifige Intercellularsubstanz zu produciren, und dass ihre Form hauptsächlich von der Masse und Härte der Intercellular­substanz abhängig ist. Dieser Vorgang dürfte geeignet sein, die Bildung der späteren Knochengrundsubstanz zum Theil zu erklären. Die Erscheinungen können zwar nicht die Frage entscheiden, ob die Knochengrundsubstanz, wie Lieberkühn *) behauptet, aus der Knorpelgrundsubstanz hervorgeht, oder ob sie neugebildet wird, sie stützen aber die Ansicht von H. Müller**) und von Gegen­bau r, dass die Knochengrundsubstanz ein Ausscheidungsprodukt der Osteoblasten ist, gegenüber der Annahme von Waldeyer ***) u. A., dass die Grundsubstanz aus einer Umwandlung der peri-pherischen Theile der Osteoblasten hervorgeht. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Kalksalze sich nicht erst aus einer Lö­sung niederschlagen, welche aus den Zellen wieder herausgetreten ist, sondern sofort ausserhalb der Zelle und ohne diese vorher zu passiren. Sie würden demnach nicht eigentlich von den Zellen ausgeschieden, sondern aus dem Ernährungsmaterial neben den
•j Reichert's und Du Bois Reymond's Archiv 1862 u. 1864. •*) Zeitschr. für Wissenschaft). Zoologie. IX. 1856. **) Archiv für mikroskopische Anatomie. I. i. Hft.
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Zellen abgeschieden werden, indem letzlere das Lösuugsmaterial zum Theii in sich aufnehmen.
Die Langsamkeit und namentlich die damit zusam­menhängende Unregelmässigkeit in der Verkalkung hat eine vermehrte Wucherung, eine Vergrösserung der präparatorischen Wucherungslinie und ein Vorrücken der Markraumbildung in die Ossificationslinie oder noch über dieselbe hinaus (Virchow) zur Folge. Das weiche Gewebe ist dehnbarer, die Zerrung bei der Bewegung ist grosser und wird immer bedeutender, je mehr sich eine Ungleich-mässigkeit in der Verkalkung hervorbildet. Die Verschiebungen der Epiphysen auf der Diaphyse, welche sich bei Thieren nicht selten finden und öfters ganz bedeutende Krümmungen der Kno­chen bedingen, zeigen deutlich, in welchem Maasse die weichen Schichten in den Knochen gezerrt werden, und an den in der Längsrichtung durchsägten Röhrenknochen ist sehr leicht zu con-statiren, dass namentlich bei quot;drehenden Bewegungen des Knochens eine höchst ungleichmässige Verschiebung der Theile und eine Zerrung und Quetschung derselben in der ausgezackten Verknö-cherungslinie eintritt. In Folge der mechanischen Reizung kann sehr wohl eine krankhaft gesteigerte Wucherung eintreten, und in Folge eines Mangels an Kalk zur Erhärtung der vorhandenen oder neugebildeten Intercellularsubstanz kann eine Verschmelzung der Zellenräume auch an solchen Stellen zu Stande kommen, an wel­chen bei dem Vorhandensein von hinreichenden Kalkmengen und bei normaler Wucherung die Zwischensubstanz noch fest und er­halten bleibt. In welchem Maasse die mechanischen Reize die Wucherung vermehren und überhaupt beeinflussen^ erweist das Vorkommen des rachitischen Rosenkranzes an den Rippen, wel­cher sich auch bei Thieren in sehr ausgeprägter Form vorfindet, und vorzüglich die periostalen Wucherungen an den Stellen, an welchen Muskeln oder Sehnen oder Bänder sich inseriren. In Folge der Breite und Weichheit des Cambium entstehen Zerrungen und immer stärkere Wucherung desselben. Die Knochen erschei­nen an den betreffenden Stellen aufgetrieben, stark geröthet und weich, und auf dem Durchschnitte zeigt sich zwischen Periost und Rinde eine breite Lage einer weichen, spongiösen Substanz, deren Balken ausserordentlich fein sind. Diese krankhafte Veränderung
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fand sich bei Schweinen öfters im hohen Grade an der Insertions-stelle des Psoas inagnus und Iliacus internus am Femur, so dass letzteres äusserlich ganz gerade gerichtet erschien, während die alte Rinde auf der Schnittfläche sich noch in dem ursprünglich gebogenen Zustande darstellte. Nicht selten finden sich ferner die Erscheinungen der Zerrung des Periost's bei Thieren am Höcker des Calcaneus, und zwar vorzugsweise bei denjenigen Individuen, deren Sprunggelenke von vornherein stark gebogen sind, so dass eine starke Belastung der hinteren Bänder und der Sehne der Gastrocnemii stattfindet. In Folge der Abhebung des Periost's ent­steht nicht nur eine, zuweilen höchst auffällige Verlängerung und Verdickung des Höckers vom Sprungbeine, sondern in manchen Fällen eine noch stärkere Biegung des Gelenks, welche bei Schwei­nen zuweilen so bedeutend ist, dass die Thiere im Gange mit dem Hintertheile fast die Erde berühren. Bei Füllen entsteht nicht sel­ten eine so starke Durchbiegung des Fesselgelenks, dass dieselben einen bärenfüssigen Stand bekommen. Der Zustand wird als eine Folge von Muskellähmung betrachtet, aber mit Unrecht, weil die Muskeln bei der Bewegung deutliche Contractionsfähigkeit wahr­nehmen lassen. An der Scapula sass bei halbjährigen rachiti­schen Schweinen das Periost einige Male so locker auf, dass es sich durch Zug an den Muskeln mit diesen ablöste. Unter diesen Verhältnissen empfinden die Thiere bei der Bewegung enorme Schmerzen, und die Bezeichnung „Lähmequot; ist für diese Krankheit wohl gerechtfertigt, wdl das Lahrngehen auf einem oder mehre­ren Füssen in vielen Fällen die erste, und immer die auffälligste Erscheinung ist. In manchen Fällen äussert sich freilich der Krank­heitszustand anders, nämlich entweder durch eine steife und ge­spannte Haltung des ganzen Körpers oder durch eine Lähme im Kreuze. Beide Rrankheitsformen sind eine Folge von allgemeiner rachitischer Erkrankung, welche vorzugsweise die Rumpfknochen, namentlich die Wirbel, ergriffen hat. Sie kommen häufig bei Läm­mern vor. Die Thiere haben bei der Bewegung und bei Berüh­rungen enorme Schmerzen und erscheinen in Folge dessen bald völlig gelähmt, gerade wie die Ziegen, welche im hohen Grade an der Osteomalacie erkrankt sind.
Die allgemeine Rachitis findet sich nur bei ganz jungen Thie­ren; späterhin, wenn die Thiere erst einige Wochen alt sind, und
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namentlich bei Kälbern und bei jungen Schweinen, tritt der Pro-zess mehr local an den Gelenken der Extremitäten auf. Zuweilen schliessen sich die Localprozesse an die Allgemeinerkrankung an, wenn diese nicht so heftig ist, dass die Thiere daran schnell zu Grunde gehen. Es bilden sich dann mehr weniger schnell ent­zündliche Anschwellungen hervor, indem zu der Schwellung der knorpeligen Epiphyse in Folge der Zerrung des Periost's eine Pe­riostitis hinzutritt, die sich oft sehr schnell auf das benachbarte Bindegewebe und auf die Gelenkkapsel fortsetzt. Die Localaffec-tionen lassen in der Regel dauernde Verdickungen der Epiphysen zurück; zuweilen entsteht auch Eiterung im Knochen und der Tod durch Erschöpfung oder Pyämie. Die in der Thierheilkunde gül­tige Annahme, dass die Gelenkentzündungen rheumatische oder scrophulöse seien, ist eine irrthümliche; der Prozess ist exquisit rachitisch und hat namentlich mit der Geschwulstbildung an der Vorderfusswurzel bei Rindern, dem sogenannten Knieschwamm, gar nichts gemein. Auch ist die Annahme nicht richtig, dass die Lähme die jungen Thiere nur in den ersten Wochen nach der Ge­burt befallen könne. Die Thiere können an der Rachitis erkran­ken, so lange der Verknöcherungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Die ausgeprägtesten Formen rachitischer Störungen am gan­zen Scelett habe ich bei Schweinen gesehen, welche wenigstens J-Jahr alt und über halb ausgewachsen waren. Eine nicht geringe Anzahl von solchen Schweinen ging in Folge der Krankheit zu Grunde, indem sie vor Schmerzen nicht gehen und nicht stehen konnten und immer mehr entkräftet wurden. Auch bei halbjähri­gen Rindern und Schafen kommt die Krankheit noch deutlich ent­wickelt vor. In einem Stalle waren in diesem Sommer die vor­handenen 36 halbjährigen Rinder sämmtlich in mehr weniger ho­hem Grade rachitisch. Alle hatten Gelenkanschwellungen und einige in dem Grade, dass sie eine Zeit lang nicht von der Stelle zu gehen vermochten.
Die Lähme zeigte sich in diesem Jahre in der Provinz Sach­sen ausserordentlich häufig und am meisten und intensivsten an den Orten, wo die Knochenbrüchigkeit am meisten vorkam und besonders schnell sich entwickelte. An Orten, wo die Lähme in anderen Jahren nicht beobachtet wurde, trat sie in diesem Jahre auf und befiel auch die halberwachsenen Thiere, und in solchen
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Wirthschaften, die fast jährlich Verluste durch die Lähme erleiden, war die Seuche in diesem Jahre besonders bösartig. Ein Zusam­mengehen der Osteomalacie und der Rachitis war nicht zu ver­kennen. Vorzugsweise die Schweine wurden von der Lähme he­fallen. Unter diesen Umständen konnte auch constatirt werden, dass beide Krankheitszustände in ein und demselben Individuum vorkommen und sich neben einander in der Weise entwickeln können, dass sie mit einander verschmelzen. Dass beide Krank­heiten neben einander vorkommen können, wird auch von Ritter von Rittershain*) angegeben, die Möglichkeit der Verschmel­zung beider Prozesse zu einer Consumptio rachitica aber bestrit­ten ; die Osteomalacie soll vielmehr der Rachitis sich hinzugesellen wie die Tuberculosis. Denn beide Krankheiten sind nach demsel­ben Autor wesentlich verschieden, weil die Osteomalacie durch vermehrte Resorption bedingt ist, die Rachitis aber nicht.
An den Knochen von Thieren, namentlich von älteren Schwei­nen, welche im höchsten Grade rachitisch waren, fanden sich an der alten, verkalkten Knochensubstanz die Erscheinungen der Osteo­malacie sehr deutlich entwickelt vor, so dass die Substanz wei­cher und mürber oder biegsamer geworden, stärker geröthet und mit zahlreichen kleinen Markheerden durchsetzt war. An der Scapula stellte die Rinde zuweilen eine feinspongiöse Substanz dar, die sich wie ein dünner, maschiger Rast mit Leichtigkeit von der üiploe abziehen Hess und stellenweise gleich im Zusammen­hange mit dem Periost sich löste, wenn dieses abgezogen wurde. Man konnte in diesen Fällen nicht annehmen, dass die Osteoma­lacie zu der Rachitis hinzugetreten war, denn die Thiere waren in friihester Jugend anscheinend nicht rachitisch gewesen, sondern es erst später, und zwar ganz allmählich, geworden. Auch die häufigen Infractionen und Verbiegungen bei rachitischen Knochen dürften kaum allein durch die entstandene Verdünnung der Rinde erklärt werden können, vielmehr auf osteomalacische Störungen hinweisen. An verdünnten, in ihrer Structur aber unveränderten Knochenrinden entstehen leicht Fracturen, aber weniger leicht In­fractionen. Durch die chemischen Untersuchungen von Fried­berg**) ist auch eine Verminderung der Erdsalze in den festen
*) Die Pathologie und Therapie der Rachitis. Berlin, 1863. **) Ritter von Rittershain I.e.
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Knochen bei der Rachitis constatirt. Ferner fand Marchand im Femur eines rachitischen Kindes 14,78 Kaikphosphat und 7,20 Feit, während das gesunde Femur eines fjährigen Kindes nach v. ßibra 56,43 anorganische Substanz und-nur 1,86 Fett ent­hielt. Rag sky fand im Humerus eines Rachitischen nur 18,88 anorganische Stoffe. Friedberg fand die Abnahme der Erdsalze in den Oberarmknochen beträchtlicher als in der Tibia, und dieses stimmt auch mit den Erfahrungen über die Osteomalacie überein.
Andererseits gesellen sich der Osteomalacie nicht selten ra­chitische Erscheinungen, nämlich Gelenkanschwellungen, die offen­bar einen entzündlichen Charakter haben, hinzu. Es ist bei Be­sprechung der Osteomalacie bereits erwähnt worden, dass in den höheren Graden der Krankheit auch an den Längsschnitten von der Oberfläche der Rinde eine Verminderung der Homogenität wahrzunehmen ist, indem stellenweise eine weit vorgeschrittene Entkalkung der Substanz stattgefunden hat. Daraus resultirt eine Lockerung der Anheftung des Periost und eine gewisse Vulnera-bilitäl der betreffenden Partien. Schwellungen des Knochens kön­nen natürlich nicht vorkommen, wenn die Rinde überall verknö­chert ist; nur das Periost, das anliegende Bindegewebe und die Gelenkkapsel können bei der Anschwellung betheiligt sein. Von diesen Theilen gehen auch die schnell entstehenden Anschwellun­gen bei der Rachitis der ganz jungen Thiere aus. Dieselbe Er­scheinung kommt in geringerem Grade, aber in derselben Weise, selbst an gesunden Knochen vor. Heftige Prellungen, Ausgleiten u. dergl. heftige Einwirkungen führen bei Pferden nicht selten an gewissen Theilen Periostitis mit nachfolgender Hyperostosenbildung herbei. Dahin gehören Spat, Stehbein, gewisse Hasenhacken u.s.w. Die Entzündung geht in der Regel von der Insertionsstelle der • Bänder aus. Noch häufiger kommt Periostitis an den Sesambeinen an der hinteren Fläche der Fesselgelenke, öfters mit entzündlicher Schwellung der Aufhängebänder vergesellschaftet, vor, die eben­falls durch eine heftige Zerrung entsteht. Demnach können die Erscheinungen der krankhaft erhöhten Wucherung bei derRachitis ungezwungen auf die mangelhafte Ver­kalkung des neugebildeten osteoiden Gewebes zurück­geführt werden. Je langsamer die Intercellularsubstanz erhärtet, um so später wird die Wucherung der Zellen durch Raumbeen-
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gung abgeschlossen, und je breiter die Wucherungslinie ist, und je 'unregelmässiger die Verkalkung vorschreitet, um so mehr fin­den immer neue Zerrungen des neuen Gewebes und damit immer neue Reizungen in demselben statt.
Die Ursache der zu langsamen Verkalkung muss in der Be­schaffenheit des den Knochen zugefiihrlen Ernäbrungsraalerials ge­sucht werden. In der Thierheilkunde sind über die Ursachen der Lähme so viele und so verschiedenartige Hypothesen aufgestellt, aber meistentheils so wenig durch Gründe gestützt, dass eine aus­führliche Kritik derselben keinen besonderen Nutzen bringen würde. Mehrere thiereirztliche Schriftsteller erklären die Lähme für eine constitutionelle, dem jugendlichen Alter eigene Krankheit, für eine
wahre Diathese. Die hauptsächlichsten Erscheinungen der Krank­heit können selbstverständlich nur so lange, aber auch eben so
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lange, vorkommen, als das Knochenwachsthum noch nicht beendet ist, und die Erkrankungen in den verschiedenen Entwickelungs-perioden, welche in der Thierheilkunde in Krankheitsforraen streng geschieden werden, sind nur graduell verschieden. Die behaup­tete Diathese lässt sich, aber bei Thieren, die oft heerdenweise an der Rachitis leiden , nicht nachweisen. Es kann im Allgemeinen weder die Annahme begründet werden, dass bei den Thieren eine primäre Erkrankung der Verdauungsorgane und eine mangelhafte Resorption im Darme vorhanden ist, noch dass eine fehlerhafte Blutmischung besteht, derzufolge dessen Kalkverbiudungen von dem Knochengewebe nicht assirailirt werden könnten. Es bleibt nur die Annahme übrig, dass den Knochen zu wenig Kalksalze zugeführt werden, weil dieselben in der Nahrung nicht in hinreichender Menge vorhanden sind. Diese Annahme findet namentlich in den Untersuchungen, welche bezüglich der Ernährung der Kälber gemacht worden sind, eine thatsächliche Begründung.
Bei jungen Kälbern, welche ausschliesslich und genügend mit Milch von guter Qualität ernährt werden, kommt in der Regel durchschnittlich 1 Pfund Gewichtszunahme auf 10 Pfund der ver­zehrten Milch. Da nun durchschnittlich enthalten sind
i Stickstoffverb. Fett Mineralst. Phosphors. Kalkerde in IPfd. Gew. des Kalbes 0,17 0,11 0,05 0,020 0,024 und in 10 Pfd. Milch . . 0,40 0,33 0,07 0,022 0,017,
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so liefert die Milch im Allgemeinen für das Wacbsthum wenig Phosphorsäure und namentlich wenig Kalkerde. Bei manchen Ver­suchen von Gerrault u. A. fand sich bei reichlichem Milchge-nusse (22—23 Pfund täglich) sogar eine tägliche Gewichtszunahme von 2,44 Pfund und darüber, und zwar in der Art, dass in der l.—2. Woche durchschnittlich mit 6 Pfund Muttermilch, in der 3. — 4. Woche mit 8 — 9 Pfund und in der 5. — 9. Woche mit 12 Pfund Milch t Pfund Gewichtszunahme bewirkt wurde. Dem­nach liefert das genossene Quantum normaler Milch, namentlich in der ersten Zeit nach der Geburt, kaum so viel Kalkerde, als für die Erhaltung und das Wachsthum der Thiere erforderlich ist, wenn auch der Kalk und die Phosphorsäure der Milch leicht ver­daut und vollständig verwerthet werden können. Die Milch würde sogar ein durchaus ungenügendes Ernährungsmaterial sein, wenn die starke Gewichtszunahme in der ersten Lebenszeit allein auf der Anbildung fester, namentlich verhältnissmässig kalkreicher Stoffe beruhete. Bei einem Versuche von Lebel verzehrten zwei Kälber in einer 6 Wochen langen Saugezeit täglich resp. 8,64 und 10,28 Litre (ä 1,035 Kilo) Milch und nahmen dabei täglich resp. 1,20 und 1,31 Kilogr. zu. Das erste Kalb würde also mit der Milch täglich circa 0,030 Pfund Kalk aufgenommen haben, während 0,0576 Pfund täglich erforderlich gewesen wären, wenn das pro-centische Gewichtsverhältniss des Kalbes dem beim jungen Kalbe gefundenen hätte gleich bleiben sollen. Es könnte demnach schei­nen, dass in dem Kalbe, specieli in dessen Knochen, ein ausser-ordentlich grosser Kalkmangel hätte entstehen müssen. Die Thiere halten aber in der ersten Zeit ihres Wachsthums nach der Geburt ausserordentlich viel Wasser zurück. Bei einem Versuche brauchte ein Kalb von ausgezeichnet guter Milch auf jedes Pfund Zunahme
Milch.
Trockensubstanz.
Pfund
Pfund
in der 1. Woche
4,2
0,6
2.
5,5
0,7
- 3.
6,9
0,8
4.
8,0
1,0
und ein anderes Kalb brauchte
in der 5. Woche'
10,0
1,1
9.
15,0
1,7.
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Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass die Gewichtszunahme der jungen Thiere vorzugsweise durch das Wachsthum der kalk­armen Weichtheile erfolgt, und dass die harten, kalkreichen Theile, namentlich die Knochen, verhältnissmässig langsamer an Masse zu­nehmen. Die Thiere erscheinen gleich nach der Geburt in der Regel sehr mager und zeigen dann weiterhin bei guter Nahrung eine immer bessere Rundung des Körpers, indem die Knochen sich mit Weichtheilen mehr und mehr bedecken. Das Scelett tritt offenbar im Verhältniss zur Masse des ganzen Körpers zurück. In welchem Maasse sich das Verhältniss des phosphorsauren Kal­kes der Knochen zum Gesammtgewiclite bei der Körperzunahme ändert, zeigt eine Untersuchung von Boussingault. Derselbe fand bei einem neugebornen Schweine:
In den Knochen
Gew. des Thieres. Gesammtascbc. Phosphorsäure.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Kalkerde.
Kilonbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Grm.
0,65nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;20,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;10,2
und in einem 8 Monate alten, gewöhnlich ernährten Schweine: 60,55nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1353nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 591nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 701
Hätte hei dem ersten Schweine die Kalkmenge in den Kno­chen in gleichem Verhältnisse zu dem zunehmenden Körpergewichte bleiben sollen, so würden bei einem Gewichte von 60,55 Kilogr. 934,78 Grm. Kalkerde sich haben finden müssen. Immerhin zei­gen aber die Berechnungen, dass bei dem gewöhnlichen Wachs-thume der Kälber gate Milch kaum die genügende Kalkmenge zu­führt, damit die Knochenbildung mit der Zunahme der Weichtheile regelmässig Schritt zu halten vermag, und dass eine mangelhafte Kalkzufuhr zu den Knochen sehr leicht eintreten kann, indem die Milch relativ arm an Kalksalzen ist, oder indem dieselben nicht vollständig verdaut werden. Eine mangelhafte Verdauung der Kalksalze ist bei Milchnahrung nicht zu vermuthen, wenn nicht offenbare Erscheinungen einer Verdauungskrankheit bestehen. Denn die Kalksalze der Milch sind leicht verdaulich. Leidet ein junges Thier aber an einer Verdauungskrankheit, so kann dadurch aller­dings die Aufnahme der Kalksalz^ der Milch verringert werden. Dann ist aber auch die Resorption der übrigen Stoffe vermindert, so dass das Wachsthum im Ganzen verlangsamt und damit der Bedarf an Kalksalzen geringer wird. Erfahrungsmässig entwickelt
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sich die Rachitis so häufig bei Thieren, die weder vor, noch wäh­rend derselben anderweitig krank erscheinen, dass man sie als ein consecutives Leiden nicht ansprechen kann. Damit steht auch die Erfahrung im Einklänge, dass die Lähme sich vorzugsweise bei Thieren findet, welche in guten Ställen gehalten und reichlich er­nährt werden, und viel seltener bei solchen, die von frühester Ju­gend auf ein kümmerliches Dasein fristen und in kalten, schlech­ten Ställen sich langsam entwickeln. Von den meisten Thierärzten und Landwirthen wird es sogar für eine abgemachte Sache gehal­ten, dass die Lähme eine Folge „zu guter Nahrungquot;, d. b. einer zu reichlichen Fütterung oder der Verabreichung von concentrirter Nahrung ist. Knappe Fütterung der Mutterthiere in der letzten Periode der Trächtigkeit und während der Sängezeit wird von vie­len Seiten auf Grund von Erfahrungen als das beste Präservativ gerühmt und nur desshalb nicht häufig angewendet, weil meistens die mangelhafte Entwickelung aller Jungen und die Abmagerung der Mutterthiere grössere pecuniäre Nachtheile involvirt als der Verlust einer gewissen Prozentzahl junger Thiere.
Das Wachsthum der Thiere erfolgt nicht in allen Entwicke-lungsperioden gleichmässig. In der ersten Zeit des Fötallebens werden vorzugsweise weiche Theile gebildet und erst späterhin tritt die Bildung harter Knochenmasse mehr hervor, so dass die Thiere bei der Geburt im Verhältniss mehr harte Knochensubstanz und im ganzen Körper mehr Aschenprocente besitzen, als in frü­heren Zeitabschnitten. Nach der Geburt ändert sich die Entwicke­lung wieder in sofern, als die Gewichtszunahme vorzugsweise durch die Vermehrung der Weichtheile bedingt wird. Das Wachsthum im Ganzen nimmt aber nach der Geburt einen bedeutenden Auf­schwung, und auch die Knochenbildung geht ausserordentlich leb­haft von Statten, wenngleich sie hinter der Zunahme der Weich­gebilde zurückbleibt. Messungen bei Füllen von edlen Gestüts­pferden ergaben, dass dieselben bei der Geburt im Durchschnitt 3 Fuss bis 3 Fuss 4 Zoll (Bandmaass) hoch sind und dann im 1. Jahre 15 Zoll, und zwar in den ersten 3 — 4 Monaten schon 8 — 10 Zoll, im 2. Jahre 5 Zoll, im 3. Jahre 3 Zoll, im 4. Jahre 1^ Zoll und im 5. Jahre £ bis | Zoll zunehmen. Das Knochen-wachsthum ist demnach gerade in der ersten Zeit nach der Ge­burt sehr rege, und es sind dabei neben den organischen Stoffen
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um so mehr Erdsalze, namentlich phosphorsaurer Kalk, notwen­dig, als neben dem Längenwachsthum überhaupt auch noch ein grosser Theil der bereits bei der Geburt vorhandenen Substanz verknöchern, also auch mit kalksalzen erfüllt werden soll. Erfah-rungsmässig erfolgt nun aber das Wachsthum der jungen Thiere nicht ganz streng in einer bestimmten, typischen Weise, sondern im Verhältniss zu der Nahrung. Viel Nährstoffe bedingen starkes Wachsthum sowohl vor der Geburt als auch nachher. Dabei kann aber das Wachsthum ein vollkommen regelmässiges sein, d. h. es können sich alle Körpertheile, harte und weiche, in einem solchen Verhältnisse zu einander entwickeln, dass am Ende jedes Zeitab­schnittes der Körper normal gebildet erscheint. Dazu ist es selbst­verständlich erforderlich, dass die Nährstoffe in dem richtigen ge­genseitigen Verhältnisse in den Körper gelangen. Denn nicht nur die Grosse des Wachsthums, sondern auch die besondere Art des­selben hängt von der Nahrung ab. Erfahrungsmässig kann ver­mittelst besonderer Futterstoffe mehr Fleisch oder mehr Fett, und bei Milchthieren eine fette oder eine wässrige Milch producirt werden. Ferner ist auch bei Fütterungsversuchen wissenschaftlich festgestellt, dass weder die Resorption der Bildungsstoffc im Ver-dauungskanale, noch auch die weitere Verwerthung derselben im Organismus bei jedem Thiere oder bei jeder Race an ganz be­stimmte Regeln gebunden ist. Die einzelnen Stoffe können in verschiedenen Verhältnissen zu einander resorbirt und verwerthet werden; die Assimilation der Nährstoffe und das Wachsthum der einzelnen Körpergebilde geht auch innerhalb der einzelnen Ent-wickelungsperioden je nach der relativen Menge der einzelnen Nährstoffe und folglich je nach der besonderen Zusammensetzung der Nahrung in verschiedenen gegenseitigen Verhältnissen vor sich. Die Weichtheile können bei reichlicher Nahrung stark wachsen, während die Knochenbildung aussergewöhnlich zurückbleibt, weil die Menge der Kalksalze in der Nahrung relativ gering ist. Denn das Fleisch enthält nach Lehmann nur 0,02 bis 0,03 pCt. Kalk neben 0,66 bis 0,70 pCt. Phosphorsäure. Bleibt die Knochenbil­dung im Ganzen aussergewöhnlich Zurück, so entsteht nichts eigent­lich Krankhaftes. Es gibt gewisse Racen und in jeder Rage ein-zelne Individuen, welche wenig Knochen und unverhältnissmassig viel Fleisch und Fett bilden und zwar Zwerge, aber ganz gesunde
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Zwerge werden. Geht aber auch in den Knochen die Neubildung der weichen Theile lebhaft von Statten, ohne dass hinreichender Kalk zur nachfolgenden Verhärtung vorhanden ist, so ist ein krank­hafter Zustand gegeben. Das Wachsthum des weichen Knochen­gewebes ist um so lebhafter, je mehr ßildungsmaterial zugeführt wird, und der weiche Knochen wird um so mehr gereizt, je schwerer die Körperlast ist und je kräftiger die Muskeln wirken. Demnach kann bei gleichem relativen Missverhältnisse der Nähr­stoffe eine grosse Quantität derselben nachtheiliger wirken als eine kleine. Namentlich von jungen Thieren lässt sich zuweilen mit Recht sagen, dass sie sich selbst nicht tragen können. Kommen die Nährstoffe im richtigen gegenseitigen Verhältnisse zur Resorp­tion, so verursachen sie durch ihre grosse Menge keinen Nach­theil, und die Behauptung, dass zu gute Nahrung die Lähme ver­ursachen könne, widerspricht durchaus der Wissenschaft und Er­fahrung. Die Kaikabscheidung in den Knochen, die Verhärtung des neugebildeten Gewebes, erfordert allerdings eine gewisse Zeit, aber doch nicht soviel, dass sie bei Anwesenheit hinreichender Kalk­mengen mit der regelmässig fortschreitenden Gewebsbildung nicht Schritt zu halten vermöchte. Erst wenn diese übermässig gestei­gert wird, bleibt die Verkalkung immer mehr zurück. Ganz ent­schieden wird jene Behauptung durch die Erfahrung widerlegt, dass einzelne Thiere zuweilen und gewisse Ragen constant sich ausserordentlich schnell entwickeln, weil sie viel Nahrung aufneh­men und gute Futterverwerther sind, ohne jedoch von der Lähme befallen zu werden. Namentlich Southdownlämmer müssten bei ihrer rapiden Entwickelung regelmässig an der Lähme erkranken, wenn gute Nahrung die Krankheit hervorzurufen vermöchte. Ein­zelne Schafe sind durch forcirte Fütterung mit 9 Monaten bis auf 83, andere mit 11 Monaten bis auf 101 Pfund Gewicht gebracht, aber nicht an der Lähme erkrankt. Wären sie krank geworden, so würden sie das ausserordentlich hohe Gewicht nicht erreicht haben. Das gewöhnlich für gut gehaltene Futter ist jedoch oft nichts weniger als zweckmässig. Denn der Begriff „gutquot; ist na­mentlich in Beziehung auf die Fütterung sehr relativ, weil das wachsende Thier anderes Futter verlangt wie das ausgewachsene, und das ruhende anderes wie das arbeitende. In der Regel wird das Futter einseitig nach seinem Gehalte an organischen Nähr-
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Stoffen beurtheilt und nicht selten sogar bloss nach seinem Aus­sehen oder nach dem Namen, den es trägt. Nach dem gewöhn­lichen Begriffe ist Heu ein besseres Futter als Stroh, und doch kann es vorkommen, dass Kühe bei reinem Heu an Knochenbrü-chigkeit erkranken und abgehen, während sie gesund und fett blei­ben, wenn das Heu mit Stroh verfüttert, das Futter also nach dem gewöhnlichen Begriffe schlechter gemacht wird. In solchem Falle kann nicht behauptet werden, dass das Heu besser war, als das Gemenge aus Heu und Stroh. - Das Futter ist auch bei hohem Ge­halte an organischen Stoffen nicht gut, wenn die Stoffe nicht unter einander in richtigem Verhältnisse stehen und wenn die erforder­lichen anorganischen Bestandtheile daneben nicht in der richtigen Menge vorhanden sind. Gewisse anorganische Stoffe, namentlich Kalk, sind vorzugsweise für den Aufbau des Körpers, namentlich der Knochen, welche grosser und härter werden sollen, nöthig. Das ausgewachsene Thier braucht weniger, weil es die harten Theile nur erhalten soll. Der Kalk ist ein Hauptbestandtheil in dem Pro-ductionsfutter junger Thiere.
Nach Versuchen, welche kürzlich an der Münchener Thier-arzneischule gemacht worden sind, befördert der Kalk das Wachs-thum überhaupt, indem er die Ausnutzung des Futters durch Lö­sung der Albuminate und die Umsetzung derselben im Körper steigert. Dasselbe Resultat gaben Versuche v. Gohren's *). Acht 3 Monate alte Widderlämmer wurden in 2 Abtheilungen mit luft-trocknem Wiesenheu 45 Tage lang gefüttert und dabei der einen Abtheilung 10 Grm. Knochenmehl täglich beigegeben. In dieser Abtheilung betrug die Zunahme des Lebendgewichtes 10,430 Kilogr., in der anderen nur 9,730 Kilogr. Ein ausgewachsenes Schaf nahm in 71 Tagen 3,430 Kilogr. zu und dann bei gleichem Futter mit Zusatz von Knochenmehl in 45 Tagen 2,310 Kilogr., also zuerst täglich 48,30 Grm. und zuletzt 51,33 Grm. Ebenso fand Leh­mann bei Fütterungsversuchen mit jungen Schweinen, dass eine Beigabe von präparirtem phosphorsauren Kalk zum Futter, wenn dieses Kalk nicht in hinreichender Quantität enthielt, die Gewichts­zunahme der Thiere bedeutend steigerte und eine bessere Ent-wickelung des Sceletts hervorrief. --Das alte und vielfach bekrit-
•) Landn-irtbschaftliche Versuchsstation 1861.
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leite Verfahren gewisser Pferdehändler, ihre Pferde durch Fütterung von Kalk wohlbeleibi zu machen, ist nicht so widersinnig, als oft geglaubt wird. Vorzugsweise ist es aber die günstige Einwirkung der Kalkfütterung auf die Scelettbildung, welche auch von vielen praktischen Landwirtfcen anerkannt wird. Die sonst häufigen krüp­pelhaften Bildungen wurden oft dadurch verhütet, und diese sind die Folge der Lähme, des rachitischen Krankheitsprozesses.
Dass ein Kalkmangel in der Nahrung der Thiere vorkommen kann, ist bei der Besprechung der Knochenbrüchigkeit erörtert, und es muss demnach auch a priori zugestanden werden, dass die Milch in derselben Weise fehlerhaft sein kann, weil ihre Be­schaffenheit unzweifelhaft zum grössten Theile von der Nahrung der Milchthiere abhängig ist. Auch muss es nach den bereits an­geführten Thatsachen erklärlich erscheinen, dass die Lähme vor­zugsweise in der ersten Zeit nach der Geburt, wenn das Wachs-thum stark anhebt, erscheint. Bei einem Kalbe, welches während der Saugezeit bis zum 42. Tage täglich 1,31 Kilogr., und zwar im Anfange mehr als später, und dann bei der Fütterung in der­selben Zeit täglich nur 0,72 Kilogr. zunimmt, kann in der ersten Zeit ganz besonders leicht ein Mangel an Kalk im Körper entste­hen. Bei dem späteren, immer mehr abnehmenden Wactisthume ist nicht nur der Bedarf an Kalk bedeutend geringer, sondern auch häufig die Nahrung zweckmässiger. Die Milch enthält in der Trockensubstanz 1,40 pCt. Kalk, das Kleeheu dagegen 2,13 pCt.
Die wenigen Untersuchungen, welche bisher über die Ver­hältnisse, unter denen die Lähme erscheint, gemacht worden sind, haben zu keinem bestimmten Resultate geführt. Thierärzte und Landwirthe behaupten fast einstimmig, dass zu nahrhaftes Futter die Ursache sei, und stimmen wieder in der Behauptung überein, dass gut genährte, kräftige Junge viel seltener und nicht so heftig erkranken als Schwächlinge. Der Eine lobt gewisse Futterstoffe, der Andere tadelt dieselben. Auch das Wasser soll „zu nahrhaftquot; sein und die Lähme verursachen können. In einem Gestüte ver­schwand die Lähme, nachdem die Mutterstuten nicht mehr aus dem Flusse, sondern aus einem artesischen Brunnen getränkt wur­den, und sie kehrte in einem Jahre bei der einen Abtheilung der Pferde zurück, als diese, weil der Brunnen zugefroren war, wie­der aus dem Flusse getränkt werden mussten. Es bestehen so
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bedeutende Widersprüche in den Angaben, dass dieselben gar keine Folgerung erlauben. Nur eine bestimmte Beobachtung ist an allen Orten, wo die Lähme vorkommt, gemacht worden, näm­lich die, dass die Lähme bei Schafen durch Einführung der Som-raerlamniunf,' verhütet oder doch bedeutend beschränkt wird. Diese unbestrittene Erfahrung hätte der Ausgangspunkt fruchtbarer Unter­suchungen werden können, wenn sie nicht in der Regel durch hypothetische Erklärungen von vornherein verdunkelt worden wäre. Auf Grund der Voraussetzung, dass der Krankheitszustand seinem Wesen nach in der Anhäufung nicht organisirter plastischer Stoffe im Blute bestehe und dass diese sich in den Knochen ablagern und dieselben entzünden, wenn eine Erkältung als Gelegenheits­ursache einwirke, ist der günstige Einfluss der Sommerlammung in dem Umstände gesucht worden, dass bei derselben Erkältungen der Neugebornen nicht vorkommen. Dieses ist jedoch wiederum eine unbegründete Voraussetzung; man kann im Gegentheil be-lianptcn, dass die jungen Lämmer im Winter in guten Ställen we­niger Erkältungen ausgesetzt sind, als wenn sie im Sommer im Freien geboren werden und dann fortdauernd mit ihren Müttern die Weide besuchen. Ich habe die Lähme bei Lämmern und an­deren Thieren in Ställen beobachtet, deren Einrichtung kaum die Vermuthung aufkommen Hess, dass die Thiere sich erkältet haben könnten. Wenn die Krankheit aus Erkältung hervorginge, so wäre es höchst wunderbar, dass sie vorzugsweise in den besseren Schä­fereien und seltener in kleinen Ställen auftritt, in denen eine Re-gulirung der Temperatur nicht möglich ist und auch meistens nicht versucht wird, die abwechselnd heiss und kalt sind. Es gibt sehr zahlreiche Orte, an welchen niemals Lähme vorkommt, obgleich die ganz jungen Lämmer täglich einige Male aus den heissen Stäl­len in die zugigen Hofräume getrieben werden. Der günstige Ein­fluss der Sommerlammung ist vielmehr darin zu suchen, dass da­bei die Schafe in der letzten Periode der Trächtigkeit und während der Säugezeit ein zweckmässiges Futter geniessen. Das junge Grunfutter und namentlich die Pflanzen der künstlichen Weiden, welche in der Begel bei Sommerlammung benutzt werden, liefern das für die Entwickelung des jungen Körpers nothwendige Mate­rial und namentlich hinreichende Kalkmengen. Nicht nur die Mütter werden dann zweckmässig ernährt; auch die jungen Thiere
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nehmen neben der Muttermilch frühzeitig die jungen Pflanzen auf und können dieselben für sich leichter und vollkommener aus­nutzen, als das Heu, welches ihnen im Winter bei Stallfütterung geboten wird. Denn die jungen grünen Pflanzen sind gehaltreicher an Proteinstoffen und Kalksalzen und leichter verdaulich, als das Heu. Zahlreiche Untersuchungen des Klee's haben gezeigt, dass die Blätter absolut und relativ immer weit reicher, oft um das doppelte und dreifache reicher an Kalk sind, als die Stengel. Jeder Landwirth weiss, dass Grünfutter mehr und bessere Milch gibt als trockenes Futter, und diese Thatsache ist vor Allem ge­eignet, die schon durch andere Gründe wiederlegte Behauptung, dass „zu gutequot; Milch die Lähme verursache, völlig zu entkräften. In dieser Beziehung wurde in diesem Frühjahre auf einem Gute eine interessante Beobachtung gemacht. Es waren dort sämmt-liche Ferkel von verschiedenen Sauen an der Lähme zu Grunde gegangen. Darauf wurde den Sauen, welche noch ferkeln muss-ten, vor und nach dem Gebären täglich eine Quantität Grünfutter gegeben, und dieses hatte den Erfolg, dass deren Ferkel säramt-lich gesund geboren wurden und gut gediehen. Auf einigen an­deren Gütern genasen die mit Lähme behafteten älteren Schweine ziemlich schnell, als sie täglich eine Quantität Grünfutter bekamen. In dem Winterfutter werden den trächtigen und säugenden Thie-ren, namentlich den Schafen, häufig nicht die hinreichenden Ralk-mengen geboten. Die Thiere bekommen häufig um so mehr kalk­arme Wurzelgewächse als Futterzulage, je mehr sie des Kalkes bedürfen, und eine solche Fütterung wird besonders dann un-zweckmässig, wenn auch das Heu kalkarm ist, weil es auf sol­chem Boden gewachsen, in welchem es entweder an Kalk oder an Phosphorsäure oder an beiden Stoffen gleichzeitig fehlt. Auf kalkarmem Niederungsboden, auf Torf- und Moorboden, auf kalk­armem Sandboden, der Mergel verlangt, und auf phosphorsäure-armem humosen Sande ist nach meinen Beobachtungen die Lähme am meisten zu finden. Werden in solchen Gegenden : ,e Schafe gut gefüttert, und bekommen sie so viel von dem kalkarmen Heu und Wurzelfutter, dass sie die kalkreichen Slrohtheile verschmä­hen, so wird ihre Nahrung ungeeignet, den Aufbau des jungen Thierkörpers zu vermitteln. Derartige vermeintliche Verbesserun­gen des Futters greifen vorzugsweise in guten Schäfereien oft
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Platz. Gemeine Schafe werden gewöhnlich planlos gefüttert; sie bekommen vielerlei Futterstoffe und in der Regel hinreichend Stroh, aus dem sie die kalkreichen Aehren und Kräuter heraus­suchen.
Das Futter ist in manchen Jahren unvollkommener als in an­deren, und demgemäss erscheint die Lähme nicht in allen Jahren in gleicher Häufigkeit und Heftigkeit. Es gilt in dieser Beziehung alles das, was bei Besprechung der Knochenbrüchigkeit angelührt ist. Dieselben Verhältnisse, welche in diesem Jahre die Knochen-brüchigkeit verursachten, müssen als Ursache der gleichzeitig er­schienenen Lähme angesehen werden.
Die häufig wiederholte Angabe, dass die frühzeitige Verab­reichung von Beifutter an die jungen Thiere die Lähme hervor­rufe, entbehrt der thatsächlichen Begründung und beruht wieder auf der irrthümlichen Voraussetzung, dass der Krankheit die An­wesenheit cruder plastischer Stoffe im Blute zum Grunde liege. Es geht in dieser Beziehung der Lähme wie früher der Drehkrank­heit, die auch immer durch starke Fütterung entstanden sein musste, weil die drehkranken Thiere vorher starkes Futter bekom­men hatten. Das Beifutter befördert allerdings die Entwickelung der Lähme, wenn es schlecht beschaffen ist. Wenn die jungen Thiere neben der Muttermilch Mehltränke oder Hafer oder schlech­tes Heu oder andere kalkarme Nahrungsmittel bekommen und da­durch veranlasst werden, immer weniger zu saugen, oder wenn durch das Beifutter Verdauungsstörungen, namentlich Durchfall, entstehen, so kann dadurch die Lähme hervorgerufen werden. Protein- und kalkreiches Beifutter, welches leicht verdaulich ist, z. B. Rapskuchenmehl, gutes Heu, namentlich Klee- oder Espar­setteheu, bringt niemals Lähme hervor, und bei einer solchen Fütterung entsteht die Lähme nur dann, wenn die Mutterthiere unzweckmässig gefüttert werden und kalkarme Milch geben.
Unter Umständen können zwar die Thiere scheinbar unzweck­mässig gefüttert werden, ohne dass sie an Lähme erkranken. Boussingault berechnete, dass das untersuchte 8 Monate alle Schwein seit der Geburt pro Tag 0,25 Kilogr. an Gewicht zuge­nommen und in seinem Scelett täglich 2,4 Grm. Phosphorsäure und 2,8 Grm. Kalk, demnach pro Pfund Lebendgewicht 4,8 Grm. Phosphorsäurc und 5,6 Grm. Kalk assinulirt hatte. Dahingegen
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fand sich bei Untersuchung eines 11^ Monate alten Schweines, welches in den letzten 93 Tagen nur mit Kartoffeln gefüttert war,
in den Knochen
Lebendgewicht. Gesammtasche. Phosphorsäure.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Kalk.
Kilogr.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Grm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Gnn.
67,24nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1586,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 710,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;840,6
und würde dieses Sehwein, vorausgesetzt, dass es mit 8 Monaten dem anderen gleich gewesen ist, zugenommen haben pro Tag . . 0,07nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,6
und pro Pfundnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;19,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 10,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 11,4.
Das Schwein hatte bei der an organischen Nährstoffen armen Kartoffelfütterung an Gewicht wenig zugenommen, aber dabei ver­hältnissmassig viel Kalk in den Knochen depouirt. Diese Erschei­nung findet jedoch nach Boussingault ihre Erklärung darin, dass das Schwein mit dem Trinkwasser viel Kalk aufnahm und denselben verwerthen konnte, weil die Kartoffeln eine grosse Quan­tität Phosphorsäure enthielten. Dieser Versuch zeigt recht deut­lich, in welchem Maasse die Beschaffenheit des Trinkwassers den Erfolg einer gewissen Fütterung zu beeinflussen vermag, und wie wichtig es ist, die Beschaffenheit des Wassers bei der Auswahl des Futters und bei der Beurtheilung des Erfolges zu berücksich­tigen. Darin findet sich auch die Erklärung der Beobachtung, dass die Lähme bei Pferden verschwand, als dieselben statt des Fluss­wassers Brunnenwasser erhielten. Flusswasser ist nicht „zu nahr­haftquot;, häufig aber sehr kalkarm.
Die grösste Bedeutung hat die Lähme bei Lämmern, weil sie bei denselben häufig in grosser Verbreitung und sehr bösartig auftritt. Grouven *) gibt die Mittheilung eines Landwirths wie folgt wieder:
„Von circa 900 Lämmern, die ich jährlich ziehe, werden un­gefähr 200 befallen und hiervon sterben wenigstens 100 Stück. Die anderen hundert vegeliren fort bis zum Alter von f Jahren, wo dann gewöhnlich eine Geschwulst an verschiedenen Gelenken eintritt, in Folge dessen die Lämmer allmählich so abmagern, dass sie beseitigt oder geschlachtet werden müssen.quot;
•) Erster Bericht über die Arbeiten der agricultur-chemischen Versuchsstation zu Salzmünde. 1S63.
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Der gewöhnlichen Annahme gemäss, dass die Lähme nur in frühester Jugend entsteht, könnte es bezweifelt werden, dass die Krankheit, über welche Grouven berichtet, Rachitis war. Denn mit Lähme werden summarisch verschiedenartige Jugendkrankheiten bezeichnet, und es erscheint in der That auffallend, dass die Ge­lenkanschwellungen erst im Alter von f Jahren hervortraten. Nach meinen Beobachtungen kann ein solcher Verlauf aber auch bei der Rachitis vorkommen. Die bald nach der Geburt von der Krank­heit befallenen Lämmer werden gewöhnlich sehr schnell von Kräm­pfen und Lähmung befallen und gehen zu Grunde. Dass in sol­chen Fällen keine Gelenkanschwellungen hervortreten, liegt in der Natur der Sache; denn die auf Neubildung beruhenden Anschwel­lungen bedürfen einer gewissen Zeit zu ihrer Entwickelung. Sol­che Fälle erweisen nun aber auch unzweifelhaft, dass die Krank­heit unter Umständen angeboren wird. Die Lähme würde nicht angeboren werden können, wenn sie aus Erkältung oder aus ga­strischen Krankheiten oder in Folge von Verabreichung von Bei­futter entstände, wohl aber, wenn sie ihrem Wesen nach in einer mangelhaften Verkalkung des Knochengewebes besteht. Denn die |(jj|nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Verkalkung der fötalen Knochen ist abhängig von dem Kalkgehalte
des Blutes des Mutterthieres, und kalkarme Nahrung während der letzten Hälfte der Tragezeit macht die Mutterthiere unfähig, das Scelett des Fötus zur gehörigen Entwickelung zu bringen. Der ruhende Fötus kann sich dann im Uebrigen anscheinend vollkom­men entwickeln; aber die Bewegungen des jungen Thieres nach der Geburt rufen sofort grosse Schmerzen und die übrigen Krank­heitserscheinungen hervor, gerade wie die latente Knoche.abrüchig-keit durch aussergewöhnliche heftige Bewegungen der betreffenden Thiere plötzlich offenbar wird. Die angeborne Rachitis findet sich vorzugsweise bei Lämmern und Füllen, weniger oft bei Kälbern.
'gt;
Diese Erscheinung ist sehr interessant, insofern als die Osteoma-lacie wieder vorzugsweise bei Kühen erscheint. Die Thatsache ist ein wichtiger Grund für die Richtigkeit der aufgestellten Krank­heitstheorie. Wären Osteomalacie und Rachitis Folgezustände einer Dyskrasie im gewöhnlichen Sinne, so würde in der Erkrankung des Mutterthieres und des Fötus eint Uebereinstimmung bestehen müssen. Ist aber mangelhafte Zufuhr von Kalksalzen zu den Kno­chen die Ursache, so lässt es sich sehr wohl begreifen, dass die
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Erkrankung des Mutterthieres mit der des Fötus nicht correspon-dirt. Je mehr die Knochen des Mutterthieres ihre Kalksalze fest­halten, um so mehr wird eine mangelhafte Einnahme von Kalk mit der Nahrung den Fötus benachtheiligen. Gibt aber das Mutter-thier von deinen eigenen Knochen einen gewissen Antheil Kalk leicht ab, so kann dieser dem Fötus zu Gute kommen. Nach Lieb ig sollen die Gewebe der Pflanzenfresser überhaupt die Fä­higkeit besitzen, die Phosphate stark zu fixiren, weil sie davon eben soviel besitzen, wie die Gewebe der Fleischfresser, trotzdem ihr Blut weit ärmer daran ist, als das Blut der letzteren. Dieser Ausspruch ist jedoch in Beziehung auf Bindvieh und Ziegen nicht richtig. Auch die Thatsache, dass Binder und Schafe niemals, Pferde aber regelmässig Kalksalze mit dem Harne ausscheiden, zeigt an, dass die Vorgänge im Organismus bei den verschiedenen Arten der Pflanzenfresser bezüglich der Umsetzung der Kalksalze nicht übereinstimmen. Ob unter den Pferden und Schafen vor­zugsweise die veredelten Ragen eine Disposition zur Bachitis ha­ben, ist schwer mit Sicherheit zu erweisen, weil es selten mög­lich ist, verschiedene Bacen unter denselben äusseren Verhältnis­sen längere Zeit zu beobachten. Die Erfahrung, dass die Krank­heit sich am häufigsten bei veredelten Thieren, namentlich bei Schafen fast nur in veredelten Ileerden zeigt, spricht scheinbar sehr zu Gunsten der oft wiederholten Behauptung, dass sich mit der Veredlung eine Disposition zur Lähme herausbilde. In Ge-mässheit der Behauptung von Nelaton, Frerichs u. A., dass das Knochengewebe eine constante chemische Verbindung darstellt, die hei einer Thierart an allen Knochen, festen und spongiösen, gleich ist, müssle hingegen die Frage verneint werden. In Vor­stehendem ist aber gezeigt, dass die chemische Verbindung nicht constant ist, und es erscheint auch sehr wahrscheinlich, dass die Verbindung von organischen Stoffen und Kalksalzen in den Kno­chen bei den verschiedenen Bncen nicht übereinstimmt. Die Binde eines gewissen Knochen beim arabischen Vollblutpferde verhält sich offenbar anders als beim dänischen Niederungspferde. Man könnte hier zwar einwenden, dass das Verhalten der Knochen nur physikalisch verschieden sei, indem die Binde des Dänen bei che­misch gleicher Knochensubstanz weitere Hohlräume besitzt als die des Arabers. Dieses kommt aber schliesslich immer wieder auf
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einen chemischen Unterschied heraus, der nicht nur zufällig vor­handen, sondern typisch ist. Dass Niederuugsracen schwammige und Höhenracen feste Knochen haben, ist auf die Beschaffenheit der Nahrung zurückzuführen. Die Pflanzen der Niederung liefern verhältnissmässig mehr organische Substanz und weniger Kalksalze als die Gewächse der Höhe, und sie lassen desshalb die Verkal­kung des Knochengewebes langsamer zu Stande kommen, als diess bei kalkreicher Nahrung geschehen kann. Der Bildungsvorgang wird aber schliesslich Race-Eigenschaft und ändert sich unter an­deren Verhältnissen nur ganz allmählich. Die arabische Race be­hält in der Niederung noch lange Zeit dünne und sehr feste Kno­chen. Wenn es aber richtig ist, dass veredelte Racen dünnere und festere Knochen haben, weil das Knochengewebe die Fähigkeit besitzt, Kalksalze leicht aufzunehmen und dauernd zu fixiren, so kann ihnen eine Prädisposition zu der Rachitis nicht zugesprochen werden. Es würde im Gegentheil anzunehmen sein, dass der ty­pische Entwickelungsgang der dicken, schwammigen Knochen bei gemeinen Racen eine grosse Neigung zur rachitischen Erkrankung involvirt. Andererseits würde aber zugegeben werden müssen, dass wenn edle Thiere eine grössere Fähigkeit besitzen, die Kalksalze in ihren Knochen zu fixiren, solche Mutterthiere weniger befähigt sind, das Scelett der Jungen auf eigene Kosten zu bilden und na­mentlich mit der Milch einen Theil ihrer eigenen Kalksalze auszu­scheiden, wenn ihre Nahrung daran Mangel hat. Es würden sich in dieser Reziehung die edlen Racen zu den gemeinen verhalten, wie die Schafe zu den Kühen, welche letztere ihre eigenen Kalk­salze mit der Milch abscheiden und an Knochenbrüchigke;t erkran­ken, während Schafe gesund bleiben, trotzdem ihre Lämmer im höchsten Grade rachitisch sind. Ghemische Verschiedenheiten in den Umsetzungsprozessen bestehen unzweifelhaft bei den verschie­denen Racen. Dafür sprechen deutlich die Unterschiede in der Vevdauungsthätigkeit und in den Secretionen. Die Unterschiede in der Futterverwerthung sind erwiesenermaassen bei den verschie­denen Racen sehr beträchtlich, und die Milch einer Schweizer­kuh ist bei demselben Futter anders als die einer Holländer­kuh. Gleich grosse Verschiedenheiten finden sich auch in der
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Milch verschiedener Schafracen. *) Chemisches Centralblatt. 1859.
Filhoe und Joly *) erhielten
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bei ihren Untersuchungen der Milch von Schafen folgenden Be­fund:
Dishley.
Southdown. Merinos.
Lauraguais.
Casein .... 7,50
7,90
6,50 9,02
8,30
Butter .... 5,00
3,70
4,00 7,60
10,40
Zucker .... 5,80
5,35
4,61 4,37
4,16
Extractivst. u. Salze 0,70
0,55
0,69 0,61
0,16
Wasser . . . 81,00
82,50
84,20 78,40
76,98.
Demnach sind die
Ernährung
sverhältnisse der Lämmer bei
den verschiedenen Racen
verschieden. Leider haben F
Ihoe und
Joly nicht mitgetheilt, wie die Schafe ernährt wurden, wie viel Feit diese mit der Nahrung einnahmen, in welcher Periode der Lactation dieselben bei Entnahme der Milch sich befanden und in welcher Weise die Milch entnommen wurde. Denn die Zusam­mensetzung der Milch ist sowohl nach dem Futter, als nach der Tageszeit, als auch namentlich danach verschieden, ob sie in den unteren Milchräumen sich befand und zuerst, oder ob sie zuletzt abgemolken wurde. Hellriegel*) fand in der Milch, welche in Portionen gesondert aufgefangen wurde:
Morgenmilch.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Mittagsrailcb.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Abendmileli.
ItesQuart. itesQuarl. ItesQuart. 2tes Quart, lies J Quart. 2tes| Quart.
Butter . 1,49
2,37
2,19
6,50
3,40
5,28
Casein . 2,14
2,26
3,37
3,36
2,64
3,10
Milchzucker 4,10
4,50
4,24
4,06
4,03
3,97
Salze . 0,71
0,76
0,75
0,73
0,75
0,72
Wasser . 91,50
90,10
89,45
85,35
89,18
86,93.
Es kann demnach zwar nicht mit genügender Sicherheit be-urthcilt werden, in welchem Verhältnisse die mit der Schafmilch eingenommenen Stoffe zu dem Wachsthume der Lämmer standen. Trotzdem wird durch die Untersuchungen aber die Behauptung Grouven's entkräftet, dass die Lämmerlährae die Folge von zu grosser Nahrhaftigkeit der Milch sei. Grouven untersuchte näm­lich die Milch von Schafen, deren Lümmer gesund waren, und von Schafen derselben Heerde, welche kranke Lämmer hatten, und fand folgende Unterschiede:
*) Wolf, Fütterungslehre.
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Milch
von Schafen
Milch
von Schafen
- mit gesunden Lämmern.
mit kranken Lämmern
Wasser . .
87,02
82,24
Milchzucker .
5,41
5,05
Räsestoff . .
4,83
5,88
Fett . . .
2,36
6,34
Salze . . .
0,89
0,91
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Die Milch, welche in diesem Falle die kranken Lämmer ge­nossen, war nicht nahrhafter als die Milch der englischen Schafe. Auch ist oben bereits erörtert, dass kräftige Ernährung und schnel­les Wachsthutn nicht Lähme hervorrufen, wenn die Nährstoffe in dem richtigen Verhältnisse gegeben werden. In den von Grou-ven untersuchten Milchsorten ist aber das Verhältniss der Einzel­stoffe sehr verschieden: die Trockensubstanz der Milch, welche die kranken Lämmer genossen, war relativ weit ärmer an Salzen als die andere, und wenn auch ein Theil des im Uebermaasse vor­handenen Fettes nicht resorbirt wurde, so blieb der resorbirte Theil gegen die gesunde Milch dennoch im bedeutenden Grade arm an Salzen und, da in beiden Milchsorten die Salze in ihrer Zu­sammensetzung keine nennenswerthen Unterschiede darboten, na­mentlich auch arm an phosphorsaurem Kalk. Nicht der absolut hohe Gehalt an organischen Stoffen, sondern der relative Mangel an Kalksalzen ist anzuklagen; dass speciell eine starke Fetteinnahme bei den jungen Thieren nicht Lähme verursacht, wird durch die in England vielfach gebräuchliche Anwendung stark fetthaltiger Futtermittel erwiesen. Gegen Grouven's Behauptung spricht auch die Angabe von Fried berg*), dass die Milch zweier Frauen, de­ren Kinder an Rachitis litten, ärmer an Proteinsubstanzen und Kohlenhydraten war, als normale Frauenmilch. Diese kranke Frau-milch enthielt aber auch weniger Erdsalze; die eine gab 0,069 und die andere 0,099 phosphorsauren Kalk.
Die Schädlichkeit der Milch wurde auch in dem von Grou-ven behandelten Falle dem Futter der Mutterschafe zugeschrieben. Dieselben erhielten während des Winters pro Stück täglich 1^ Pfd. Eibheu (Vormast), 2 Pfd. Rüben, 0,06 Pfd. Oelkuchen und Weizen-und Erbsenstroh ad libitum. Das Eibheu war üppig gewachsen und bestand aus Klee, Vogelwicken und vielen feinen Gräsern.
*) Litzmann a. a. O.
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Die Mutterschafe waren gesund und gleich gut genährt, mochten die Lämmer krank werden oder nicht. „Der Wiesenboden ist sehr gut, aus Anschwemmungen der Elhe entstanden.quot; Besonders das Eibheu wurde als Ursache der Krankheit beschuldigt, weil es kräf­tig sei. Ich glaube, mit Unrecht, da erfahrungsmassig die Lähme bei kräftiger Fütterung der Mutterschafe, namentlich auf Kleewei­den, sehr häufig nicht vorkommt, andererseits aber zuweilen seu­chenartig in Heerden auftritt, welche nur massig gefüttert werden und namentlich Heu bekommen, welches im gewöhnlichen Sinne eher schlecht als gut genannt werden kann. Es kommt auf die Zusammensetzung des Heues an. Auch üppig gewachsene, ächte Gräser und Klee können unpassend für die Ernährung der Kno­chen sein, indem sie arm an Kalksalzen sind. Auf die Beschaf­fenheit des Trinkwassers, welches die Schafe erhielten, ist gar keine Rücksicht genommen.
Das häufige Vorkommen der Lähme bei den Lämmern gegen­über den anderen Hausthierarten dürfte zum Theil auch in dem . schnellen Wachsthume derselben nach der Geburt begründet sein. Die Lämmer wachsen im Verbältnisse zu ihrem Lebendgewicht durchschnittlich mehr als Kälber; sie wachsen schneller aus, und durch starke Fütterung wird die Ausbildung des Körpers bei ih­nen verbältnissmässig mehr gesteigert, als bei anderen Thieren. Die Körpermasse des Schafes verhält sich zu der des Rindes nach der allgemein gültigen Annahme wie 1 : 10, und es müsste dem­nach, da ein Schaf mit 9 Monaten 83 Pfund wiegen kann, ein Kalb in derselben Zeit auf 830 Pfund gebracht werden können. Dieses ist aber bis jetzt nicht beobachtet. Die rasche Entwicke-lung an sich kann jedoch nicht als hinreichende Krankheitsursache angesehen werden, weil sie in vielen Schäfereien durch kräftige Fütterung ohne Nachtheil für die Gesundheit noch bedeutend ge­steigert wird. Sie bildet aber in sofern eine Disposition zu der Krankheit, als bei schnellem Knochenwachsthume eine mangelhafte Kalkzufuhr um so nachtheiliger wirkt. Aus diesem Grunde findet sich die Lähme vorzugsweise in edlen Schäfereien, in welchen die Kniwickelung des Körpers nach einer Seite hin forcirt und zu dem Zwecke eine künstliche, aber nicht eine naturgemässe Fütte­rung eingerichtet wird. Die Lähme ist dann eine häufige Neben­erscheinung, aber keine nothwendige Folge gewisser Veredlungen,
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weil sie in sehr vielen edlen Schäfereien niemals und in anderen nur zeitweise auftritt. Auch bewegen die Lämmer sich in frühe-ster Jugend in der Regel mehr als andere junge Hausthiere, und befördern dadurch die Entwickelung der Folgezustände der man­gelhaften Verkalkung in dem neugebildeten Knochengewebe. Bei dem Saugen müssen die Lämmer namentlich die Wirbelsäule stark biegen, und Reizungen derselben können dadurch leicht zu Stande kommen. Daraus erklärt sich auch die Angabe, dass die Lämmer steif im Genick werden, weil sie sich diesen Theil an den kalten oder nassen Müttern erkälten.
Die Erscheinung, dass von einer Heerde junger Thiere nur immer ein Theil an der Lähme erkrankt und dass bei dem Be­troffenen der Grad der Erkrankung ausserordentlich verschieden ist, ist nach den angeführten thatsächlichen Verhältnissen nicht sowohl darin begründet, dass gewisse junge Thiere eine grössere Disposition zu der Krankheit besitzen, als vielmehr in der Indivi­dualität der Mutterthiere. Es ist auch durch die Erfahrung viel­fach bestätigt, dass kranke Junge häufig bald genesen, wenn sie eine Amme bekommen, und dass gesunde Junge erkranken, wenn sie ein Mutterthier als Amme erbalten, dessen Junges bereits an der Lähme zu Grunde gegangen ist. Es ist häufig beobachtet, dass von Zwillingslämmern das eine, welches eine Amme erhielt, dessen Lamm an Lähme gestorben war, ebenfalls erkrankte, wäh­rend das andere, welches bei der Mutter verblieb, sich gut ent­wickelte.
Schwieriger ist nun aber die Beantwortung der Frage, aus welchem Grunde die einzelnen Mutterthiere, namentlich Mutter­schafe, derselben Heerde, welche gleichmässig gehalten und gefüt­tert werden, eine qualitativ sehr verschiedene Milch geben. In­dividuelle Verschiedenheiten der Thiere in Beziehung auf ihre in­nere Einrichtung können der Erscheinung zum Grunde liegen, indem die einzelnen Individuen das verzehrte Futter in verschie­dener Art verdauen und auch die resorbirten Stoffe weiterhin für die Milchproduction in verschiedener Art verwerthen. Eine ebenso grosse, wenn nicht grössere, Bedeutung muss aber dem Umstände beigelegt werden, dass in einer Heerde die einzelnen Individuen nicht gleichmässig fressen. Wenn Schafe gemeinschaftlich ein Ge­menge von verschiedenen Futterstoffen erbalten, so verzehren sie
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diese nicht gleichmassig, sondern wählen zunächst einzelne Stoffe aus, und die einzelnen Individuen entwickeln eine verschieden grosse Virtuosität, die angenehmsten Futtertheile für sich zu er­langen. Die Beschaffenheit der Milch ist aber von der Nahrung abhängig, und so kann es kommen, dass gewisse Thiere in einer Scbafheerde, die im Stalle gefuttert wird, ganz andere Milch ge­ben, als die übrigen, und dass ihre Milch zwar viel Protein und Fett, aber wenig Kalk enthält, weil sie sich an Heu und Rüben sättigen und das kalkreicbe Stroh verschmähen. Gerade der starke Fettgehalt der Milch von Schalen, deren Lämmer krank waren, spricht dafdr, dass diese Schafe andere Nahrung eingenommen batten, als die übrigen. Diese Erscheinung erweist auch, wie unsicher es ist, bei Heerden die Qualität des Futters im Ganzen als gut oder schlecht zu bezeichnen und darauf ohne Weiteres Schlüsse zu bauen.
In welchem Verhältnisse die zuweilen neben der Lähme ein­hergehenden Verdauungskrankheiten zu derselben stehen, ist schwer zu ermitteln. Dass Verdauungskrankheiten die Entwickelung des jungen Thierkörpers überhaupt stören müssen, ist ganz natürlich, ob aber dabei die Resorption des Kalkes einseitig behindert wer­den kann, ist wissenschaftlich nicht zu erweisen. Erfahrungs-mässig steht fest, dass die Lähme sich sehr häufig entwickelt, ohne dass irgend eine Erkrankung der Verdauungsorgane nach­weisbar vorhanden ist, und es ist demnach wahrscheinlich, dass die Verdauungsstörungen nicht die Grundlage der Lähme, sondern eine Theilerscheinung derselben sind, oder dass sie in Folge der Lähme entstehen. In jedem Falle wirken sie nachtheilig auf den weiteren Verlauf der Krankheit ein, und zwar vorzugsweise da­durch, dass sie entweder eine tödtliche Schwäche des Körpers hervorrufen oder doch die Thiere abhalten, Futter aufzunehmen, und die regelmässige Ausnutzung der genossenen Nahrung ver­hindern. Entsteht bei einem bis dahin gesunden Thiere eine Ver­minderung in der Aufnahme von Nährstoffen in das Blut, so bleibt die Entwickelung des Körpers im Ganzen zurück; ist aber bereits eine krankhafte Wucherung in dem Knochengewebe eingeleitet, so schreitet diese in der Regel auch bei mangelhafter Verdauung auf Kosten der übrigen, gesunden Körpertheile weiter fort, und die Verkalkung bleibt immer weiter zurück, weil mit der Ahnahme der
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Zufuhr von Nährstoffen überhaupt die Kalkzufuhr absolut gerin­ger wird.
Bei älteren Thieren, welche bereits entwöhnt und auf feste, schwerer verdauliche Nahrung angewiesen sind, kommt die Grosse der Verdauungskraft bei den einzelnen Individuen mehr in Be­tracht. Eine grosse Bedeutung kann aber der individuellen Dis­position auch in Beziehung auf ältere Thiere nicht beigelegt wer­den, weil die Lähme an sehr vielen Orten niemals vorkommt und sie doch ab und zu auch bei gutem Futter bei einzelnen Thieren entstehen müsste, wenn die Anlage eine grosse Rolle spielte. Sehr häufig ist die Entwickelung der Krankheit, welche nach der Ent­wöhnung hervortritt, bereits während der Saugezeit eingeleitet, und dieselbe kann dann fernerhin immer weiter fortschreiten, wenn die Verhältnisse für die Heilung nicht sehr günstig sind. Die localen Krankheitsprozesse besitzen, wie oben bereits erörtert ist, in einem gewissen Grade die Fähigkeit sich selbst zu erhalten, und sie be­stehen zuweilen an einzelnen Stellen noch lange fort, während an allen anderen Theilen die Entwickelung des Sceletts bereits wie­der ganz regeliuässig geworden ist. Werden junge Thiere in grös-seren Abtheilungen zusammen gefüttert, so tritt auch bei ihnen der Fall ein, dass die einzelnen Stücke die verschiedenen Futter­stoffe nicht in gleichen Quantitäten aufnehmen und desshalb eine in der Zusammensetzung verschiedene Nahrung bekommen. Ein­zelne Thiere können dann erkranken, während die übrigen gesund bleiben. Die wachsenden Thiere finden in dem Futter in der Re­gel nicht die erforderlichen Kalkmengen, wenn sie nicht vorzugs­weise gutes Heu, sondern Körner und Wurzelgewächse bekommen Boussingault fand, dass ein 336 Pfund schweres, 6 Monate altes Kalb bei Heufütterung, wovon es pro Tag 8,67 Pfund ver­zehrte, in einem Tage 6,5 Grm. Phosphorsäure und 32,6 Grra. Kalk assimilirte. Damit stimmen andere Versuche, namentlich die von Lehmann, überein, wobei es sich herausstellte, dass Kälber, die von der Milchnahrung entwöhnt sind und hinreichende orga­nische Nährstoffe verzehren, um täglich 1,25 —1,50 Pfund zuzu­nehmen, wenigstens 30 Grm. Phosphorsäure und 35 Grm. Kalk täglich bedürfen. Wie leicht es vorkommen kann, dass die nö-thige Kalkmenge nicht gegeben wird, lässt sich leicht berechnen. In gewissen Arten Wiesenheu fanden sich auf 100 Trockensub-
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stanz 1,18 Kalk, und würden davon 8,67 Pfund in den 6,5 Pfund Trockensubstanz nur 26,845 Grm. Kalk enthalten, also bedeutend weniger, als das Kalb, welches Boussingault fütterte, assimi-lirte und folglich gebrauchte. Werden neben kalkarmem Heu noch Kartoffeln, Rüben oder Körner gefüttert, und ist auch das Trink­wasser kalkarm, so kann leicht ein so bedeutender Kalkmangel im Körper entstehen, dass ein krankhafter Zustand sich sichtbar her­vorbildet.
Bei Schweinen finden sich im Körper immer viel weniger Mineralsubstanzen als bei Rindern, und daher mag es kommen, dass dieselben kalkarme Nahrung häufig ohne Nachtheil erhalten.
Nach diesen Erörterungen dürfte es kaum noch zweifelhaft erscheinen, dass die Lähme der jungen Thiere, d. h. diejenige Krankheit derselben, welche sich durch Steifigkeit, Gelenkanschwellungen und Ver­krümmungen der Knochen charakterisirt, die Rachitis, allein durch eine mangelhafte Kalkzufuhr entsteht. Die Rachitis und die Osteotnalacie stimmen folglich in ihrem in­neren Grunde vollkommen überein und die anatomischen Verschie­denheiten beider Krankheiten gehen, wie bereits von Trousseau und Lasegue behauptet worden ist, einzig und allein aus den Alters- und Entwickelungsverschiedenheiten der betroffenen Kno­chen hervor. Der Umstand, dass bei der Osteomalacie harte Kno­chen wieder weich und bei der Rachitis weiche Knochen nicht hart werden, drückt eine wesentliche Verschiedenheit beider Krank­heiten um so weniger aus, als erwiesen ist, dass die Kalksalze der Knochen überhaupt keine stabile Bestandtheile sind.
Die Behandlung der Lähme würde demnach die Aufgabe ha­ben, dem wachsenden Körper die erforderliche Kalkmenge zu bie­ten. Da die Lähme in sehr vielen Fällen angeboren wird, so ist es nöthig, die trächtigen Mutterthiere zu behandeln und deren Füt­terung so einzurichten, dass sie hinreichend Kalk erhalten, um neben der Erhaltung ihres Körpers noch das Scelett des Fötus bilden zu können. Es ist desshalb nöthig, wenigstens, in der letz­ten Hälfte der Tragezeit kalkreiches Futter zu geben. Wie bereits ausgeführt ist, genügt es aber nicht, den Werth des Futters nach den gewöhnlichen Anschauungen zu schätzen; üppig gewachsenes und gut aussehendes Futter kann ungenügend sein für die Er-
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nährung tragender oder säugender Muttertbiere, wenn es auf Bo­den gewachsen ist, welcher an Kalk oder an Pbosphorsäure oder an beiden Stoffen Mangel hat. Neben dem Fuller ist auch der Kalkgehalt des Trinkwassers zu berücksichtigen. Die Methode, die Muttertbiere in der letzten Periode der Schwangerschaft knapp zu füttern, ist in jeder Hinsicht unzweckmässig und durchaus kein Präservativ gegen die Lähme. In Gegenden und Wirthschaften, in welchen die Lähme häutig oder sogar stationär vorkommt, und eine solche Zusammensetzung des Futters, dass damit hinreichende Kalkmengen zugeführt werden, nicht ausführbar erscheint, weil namentlich das Heu kalkarm ist, bildet ein Zusatz von Knochen­mehl zum Futter das beste Präservativ. Dieses Mittel muss dann besonders auch den säugenden Mutterthieren gegeben werden. Die leichte Verdaulichkeit des Knochenmehls macht dasselbe auch als Zusatz zum Beifutter der jungen Thiere sehr geeignet, und es ist sogar wahrscheinlich, dass die Thiere das Knochenmehl leich­ter verdauen als den Kalk, welcher in den Futterstoffen enthalten ist. Die Fütterung von Knochenmehl verdient schon aus dem Grunde eine häufigere Anwendung als bisher, weil es die Ent-wickelung des Körpers im Ganzen befördert. Auch die Weich-theile enthalten Kalk und bedürfen desselben zum Aufbau. Die Dosis des Knochenmehls ist, da es ein Corrigens des Futters sein soll, nach der Beschaffenheit des letzteren zu bemessen. Für ein Füllen oder Kalb würde eine Quantität von 5—10 Grm., für ein Lamm etwas weniger, pro Tag genügen. Wenn auf diese Weise die jungen Thiere mehr Kalk erhalten, als sie gebrauchen, so geht daraus ein Nachtheil für sie nicht hervor.
Ist die Krankheit zur Entwickelung gekommen, so ist es vor Allem nölhig, die Bewegung der betreffenden jungen Tfciere so viel als möglich zu beschränken und etwa vorhandene Verdauungsstö­rungen zu beseitigen. Zu letzterem Zwecke muss verhütet wer­den, dass die Thiere grosse Quantitäten Nahrung auf einmal auf­nehmen. Wenn die Kranken vom Saugen ablassen, so müssen sie durch Eingüsse ernährt werden, und zwar am besten durch eine Mischung von Milch und Heuthee zu gleichen Theilen, welche lauwarm gegeben wird. Der Heuthee enthält viel Proteinsubstan­zen und viel phosphorsauren Kalk. Es ist vortheilhaft, der Flüs­sigkeit noch eine kleine Quantität Knochenmehl zuzusetzen. Ge-
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gen etwa vorhandene Verstopfung sind kleine Gaben Leinöl und gegen Durchfall kleine Gaben Opium, bei saurem Geruch der Faces in Verbindung mit Magnesia, am zweckmässigsten. Alle übrigen sogenannten verdauungsstärkenden oder angeblich speci-fisch gegen die Lähme wirkenden Arzneimittel sind nicht nur nutz­los, sondern geradezu schädlich, weil sie bei den kranken Thieren die Neigung, Nahrung anzunehmen, immer mehr vermindern. Wenn die kranken Thiere noch freiwillig Nahrung aufnehmen und mit Appetit saugen, wenn sie unter das Mutterthier gebracht werden, oder ohne Hülfe das Euter aufsuchen, so ist es nöthig, die Milch durch Verabreichung von kalkreicher Nahrung oder von Knochen­mehl an die Mutterthiere zu verbessern und den jungen Thieren neben der Muttermilch mit leicht verdaulichem Beifutter oder durch eine Beigabe von Knochenmehl die für die Wiederherstellung des normalen Bildungsprozesses in den Knochen nothwendige Quantität Kalk zuzuführen. Zur Erreichung dieses Zweckes ist es nothwen-dig, beim Ausbruche der Krankheit unter Heerden die betreffen­den Mutterthiere mit ihren Jungen von den übrigen zu trennen und als eine besondere Abtheilung zu füttern. Je kleiner die Ab-theilungen der Mutterthiere, namentlich in Schafheerden, durch Abtheilen des Stalles gehalten werden können, um so besser kann die Fütterung in Beziehung auf die einzelnen Individuen regulirt werden und um so weniger sind die kranken Jungen Behufs Auf­suchung ihrer Mütter zu Bewegungen genöthigt.
Die übliche Anwendung reizender Einreibungen auf die an­geschwollenen Gelenke erfordert namentlich bei sehr jungen Thie­ren grosse Vorsicht, weil sie augenblicklich die Schmerzen und damit die allgemeine Schwäche vermehrt. Vortheilhafter ist es, die leidenden Gelenke mit wollenen Binden zu umwickeln. Im Uebrigen geschieht die Behandlung nach den bekannten Regeln.
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