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RIJKSUNIVERSITEITTE UTRECHT
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Üeber
die gänzliche Ausrottung
der
Rinderpest.
Von
Peter Jessen,
Director der Dorpater Veterinairanslalt.
norpat 1652.
Druck von Heinrich Luakmann.
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Der Druck dieser Schrift wird unter der Bedingung gestattet, dass nach Beendigung desselben der Abgetheilten Censur die vorschriftmässige Anzahl von Exemplaren eingeliefert werde.
Dorpat d. 31. October 1852.
Abgetheilter Censor, Hofrath de laCroiz.
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quot;ir müssen also impfen. Das ist eine Wahrheit, die sich uns von allen Seiten aufdringt. Wir müssen impfen, um die Rinderpest zu tödten. Dies ist der einzige sichere Weg auf welchem uns die Hand der Erfahrung leicht und gewiss zum Ziele führt, dies ist der Weg, der die Kunst mit dem höchsten Triumph krönt, dem Triumph, sich die Natur unterwürfig zu machen.
Leber die Rinderpest und die Mittel sie zu heilen und auszurotten. Von Dr. Gottl.Rich. Frank. BerlinlSOä. S. 167.
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Einleitung.
#9660; #9660; er von der Wahrheit durchdrungen ist, dass die practischen Aufgaben für die medicinischen Wissen­schaften nicht allein darauf hinausgehen, die Krank­heiten zu heilen, sondern auch ihnen vorzubeugen und sie wo möglich gänzlich auszurotten, der wird mit mir darin tibereinstimmen, dass es für die Veterinair-Medicin kein höheres Ziel giebt, als die gänzliche Vertilgung der Rinderpest. Für die Richtigkeit der Rehauptung wollen wir Zahlen sprechen lassen, die in öconoraischen Dingen immer die grösste Reweiskraft haben. Nach den geringsten Rerechnungen verlor Europa seit dem Anfange des ntea Jahrhunderts, ^ dem Zeitpuncte von wo aus wir die Geschichte dieser verheerenden Seuche genauer verfolgen, gegen 2V2 Millionen, nach den höch­sten 4,800,000 Stück Rindvieh, zu einem Werthe von 60 bis 90 Millionen Thalern '). Aber die letztere Summe
I) S. Seer über die Rinderpest der Jahre 1844 und 1845 in Böhmen, Zeitschrift für die gesammte Thierheilkonde und Vieh­zucht, von Dietrichs, Nehel und Vix, XIV. Bd . I Heft S. 44. 1846.
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ist noch viel zu gering angenommen; gingen doch in dem kleinen Dännemark von 1745 bis 1752 aliein gegen 2,086,162 Häupter zu Grunde *), und wer hat es berech­net und kann es berechnen, wie viel Russland einbtisste, wo die Seuche so häufig auftritt, dass man sich Schon daran gewöhnt hat, sie als ein unvermeidliches Uebelnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; , (
zu betrachten.
Die Zahl derer, die an die Möglichkeit einer gänz­lichen Ausrottung der Rinderpest glaubten, ist gering und sie wussten Alle nur einen Weg anzugeben, auf dem dies grosse Ziel erreicht werden könnte, nämlich die fortgesetzte Impfung der Seuche.
Der erste, welcher sie als radicales Vertilgungs­mittel anempfahl, war Ulrich Christoph Salchow in Meldorf, der Arzneigelahrtheit Doctor, Professor der Chemie und Physicus der Landschaft Süder-dithmarschen. Das Büchlein, worin er diesen Gegen­stand abhandelte, erschien in Hamburg 1779. Er war von der Wichtigkeit desselben so überzeugt, dass er auf den ersten beiden Blättern folgende Zueignung drucken Hess:
raquo;Allen Potentaten, Denen an dem Flor Ihrer Länder raquo;gelegen ist und welche das Glück Ihrer Völker so raquo;eifrig befördern, und daher auch die Heilung und raquo;gänzliche Tilgung der Rindviehseuche für ausge-raquo;setzte Preise jemals zu wissen verlangt haben und raquo;annoch wünschen, widmet in allertiefster Ehrfiircht
2} V. Veterinairselskabets Skrifter. Tredie Deel. S. 17.
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raquo;diese entdeckte Heilart: und mit dem allerdemü-raquo;thigstem Wunsche, dass der Allmächtige Ihre Aller-raquo;seitige Regierung mit seinem Segen bekrönen und raquo;Sie mit der innigsten Freude über die Glückseeligkeit raquo;Ihrer Staaten erquicken wolle! erbittet sich nun-raquo;mehro allerunterthänigst die von Allerhöchst denen-raquo;selben für diese Erfindung verheissene Gnadea-raquo;belohnungen, der Erfinder und Verfasser.laquo; Man sieht, der gute Salchow dachte auch an sich selbst; kann aber nicht seine Zueignung füglich noch heute an der Spitze einer Abhandlung stehen, die sich milder Ausrottung der Rinderpest beschäftigt? Wann hat es eine Zeit gegeben, wo die europäischen Regie­rungen so bemüht waren, ihren Völkern alle Quellen des National-Wohlstandes zu eröffnen und was der Entwickelung desselben bisher hindernd-im Wege stand, hinwegzuräumen? Wann war es so nothwendig als gegenwärtig, alle Möglichkeiten hervorzusuchen, um die Rinderpest verschwinden zu machen, da es wegen des, gegen einstige Zeiten, bis ins Fabelhafte gestei­gerten Verkehrs immer schwieriger wird, die Verbreitung derselben durch veterinair-polizeiliche Maasregeln zu verhüten ?
Ein anderer der die Impfung anrieth und sich von der Ausführung seiner Vorschläge die gänzliche Aus­rottung der Seuche innerhalb der preussischen Grenzen binnen 3 Jahren versprach, war Dr. Gottlieb Richard Frank, Kreisphysicus des Gnesner undPowidzer Kreises. Seine Schrift über die Rinderpest und die Mittel sie zu heilen und auszurotten, erschien in Berlin 1802, wurde
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von Regierungswegen höchlichst belobt, ohne dass jedoch die darin enthaltenen Vorschläge zur Ausführung kamen. Es war dies für die preussischen Staaten, wo die Rinderpest nicht einheimisch ist, auch bisher grade keine unumgängliche Nothwendigkeit, indem ihr Ein­dringen und ihre weitere Verschleppung, wenn sie ein­gedrungen war, durch wohlgeordnete polizeiliche Maas-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;j regeln noch verhütet werden konnte.
E. Viborg war der Dritte, von dem die Impfung, in seiner Untersuchung der von der Academic der Wissenschaften in Warschau für das Jahr 1809 aus­gesetzten Preisfrage über die Rinderpest vorgeschlagen wurde. Er wollte sie aber in den Steppengegenden, die wir als Heimath derselben anzusehen gewohnt sind und von denen aus beständig das übrige Europa bedroht ist, ausgeführt wissen. Die angeführte Abhandlung sagt darüber:
raquo;Die Impfung muss in solchen Ländern nicht als raquo;ein Mittel zur Verminderung der Sterblichkeit an-raquo;gewandt werden, weil die Seuche sich hier selten raquo;bösartig zeigt; sondern man soll dies Mittel ge-raquo;brauchen, um dieser verderblichen Ansteckungs-raquo;seuche vorzubeugen und sie von Grund aus aus-raquo;zurotten 3).laquo;
Diese Ideen meines unvergesslichen Lehrers, der seiner Zeit unstreitig einer der besten, ein durch eigne vielseitige Erfahrung belehrter Kenner der Rinderpest war, brachte ich mit, als ich 1823 nach .Russland berufen
3) Veterinairselskabets Skrifter, anden Deel. S. 106.
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wurde, um hier gegen die Seuchen der Hausthiere zu wirken und ich bin ihnen auch bis heute noch treu geblieben. Jch überzeugte mich bald davon, raquo;dasslaquo; — um mit Lorinser zu reden4) — raquo;die Pathologie der raquo;Rinderpest ohne Fundament ist und über die ersten raquo;Anfönge nicht hinauskommt, slaquo; lange die Untersuchung raquo;sich nur auf kranke Thiere beschränkt, die nicht zur raquo;Steppenrace gehören;raquo;— raquo;dassraquo;— wie ich an einer andern Stelle5) mich ausgedrückt habe ~ raquo;die Vor-raquo;kehrungen zur Tilgung der Rinderpest im Norden raquo;und Westen Russland's der Arbeit eines Mannes glichen raquo;und gleichen, der mit Mühe, Sorgfalt und Kosten-raquo;aufwand das Wasser von seinen überschwemmten raquo;Aeckern ableitet, jedoch den Strom nicht abzudämmen raquo;vermag, der sie jeden Augenblick wieder überfluthen raquo;kann.laquo; So oft der Frühling wiederkehrte, fühlte ich einen lebhaften Zug nach den Steppen hin, um die EigenthUmlichkeiten derselben zu erforschen und di^ Rinderpest dort zu studiren. Es ward mir jedoch leider nur die Gelegenheit vergönnt, einige flüchtige Blicke auf die Steppenregion zu werfen. Wenn von der ver­derblichsten aller Thierseuchen die Rede war, so habe ich — vielleicht Manchen zum Ueberdruss —quot; nie unterlassen zu wiederholen:
raquo;sie muss in den Steppenländern von Sachkundigen raquo;untersucht und dort die Impfung eingeführt werden.laquo;
,4) Lorinser : Untersuchungen über die Rinderpest, Berlin 1831. S. 74.
5) Zeitschrift für die gesammte Thierheilkuude, XIV Band I. Heft 1846. S. 50.
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Zu dem Ende Hess ich im Jahre 1834 meine kleine Schrift: raquo;die Rinderpest, mit besonderer Beziehung auf Russlandlaquo;, erscheinen. Ich suchte darin kurz und bündig darzuthun, wie weit wir überhaupt mit der Erkenntniss der Krankheit gekommen sind und auf welche Puncte bei der weitern Forschung hauptsächlich Rücksicht zu nehmen ist, machte auch in dieser Hinsichtnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; lt; ,
die Vorschläge welche mir die geeignetesten schienen. Die Hoffnung, diese Vorschläge von Sachkundigen ge­prüft und vielleicht zur Ausführung gebracht zu sehen, scheiterte indessen daran, dass der Mann, dem die Schrift zur vorläufigen Begutachtung übergeben wurde, starb und sie so in Vergessenheit gerieth. Daher ist sie in Russland kaum bekannt geworden und hat nur in Deutschland Beachtung gefunden.
Als im Jahre 1847 mehrere Professoren der Vete-rinairwissenschaft aus Deutschland und Dännemark hieher zur Untersuchung der Rinderpest berufen wurden, hatten diese die Freundlichkeit, bei der Rückkehr von ihrem Ausflug ein die Steppen Südrussland's, mich mit den Resultaten ihrer Reise und den von ihnen noth-wendig erachteten Massregeln zur künftigen Tilgung der Rinderpest, bekannt zu machen. Die letztern be­zogen sich indessen meistens auf die Vervollkommnung der veterinair-pölizeilichen Massregeln; — der Impfung, alsdesendlichen und einzigen Mittels zurgänzli-chen Ausrottung der Seuche, war gar keine Erwäh­nung geschehen. Ich hielt es daher für meine Pflicht ihnen in einem kurzen Aufsatze meine Ansichten über diesen Gegenstand mitzutheilen; ob jedoch hinsichtlich der
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Impfung etwas in ihrem Bericht an die Regierung auf­genommen wurde, ist mir unbekannt geblieben. Weil die Sache aber damals noch schwebte, so Hess ich den kleinen Aufsatz in dem Journale von Dietrich's, Nebel und Vix, Bd. XIV. Heft t abdrucken, ohne meinen Namen zu nennen. Denn mich leitete zu der Zeit, wie immer, das lebhafte Interesse für die Sache und ich wollte gern eine neue Besprechung derselben anregen.
Auch dieser Aufsatz ist in Russland nur Wenigen zu Gesicht gekommen; doch fand sich ein Patriot, der die Sache mit lebendigem Eifer erfasste, das Project für eine wichtige Angelegenheit erklärte und einen Antrag zur Ausführung der von mir gemachten Vor­schläge, bei einer öconomischen Gesellschaft, deren Mitglied er war, darauf begründete. Dieser führte in­dessen — wie es sich voraussehen Hess, — zu der Resolution: raquo;dass in einer so umfassenden Sache eine raquo;Gesellschaft die Initiative nicht ergreifen könne.laquo;
Wenn ich nun hier diesen Gegenstand abermals zur Sprache bringe, so ist doch die Hoffnung, mich selbst auch practisch noch dabei zu betheiligen, all-mählig sehr in den Hintergrund getreten; Frau, Kinder und Amt legen Protest ein, wenn ich es auch gegen­wärtig für meinen Lieblingswunsch erkläre, einige Jahre in den Steppen Südrussland's zur Erforschung der Rinderpest zubringen zu können, und das mehr und mehr ergrauende Haar droht die Hoffnung: die Ein­führung der Impfung der Rinderpest in den Sleppen-ländern noch zu erleben, Lügen zu strafen. Aber andre Motive dictirlen mir diesen Aufsatz in die Feder.
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Zunächst wollte ich die Gelegenheit benutzen, um auf die glücklichen Resultate welche die Impfung der Rinder­pest in der neuesten Zeit wieder in Oestreich hatte, hinzuweisen. Dann hielt ich den Zeitpunct zur neuen Anregung der grossen Frage für besonders geeignet, wo in Russland so viel für die gründlichere Ausbildung der Veterinairärzte geschieht. Ich sehe unter meinen Augen viele hoffnungsvolle Jünglinge mit allem Ernst und Fleiss sich dem Studium der Wissenschaft hingeben, und auf diesen beruht jetzt meine Hoffnung. Sie werden gewiss auch einst zur Lösung einer Aufgabe welche im Eingange für die wichtigste der practischen Veteri-nairmedicin erklärt wurde, berufen sein, und wahr­scheinlich die Steppenländer genauer zu erforschen Gelegenheit finden. Für sie mag denn dieser Aufsatz als Aufforderung dienen, nicht nur die Litteratur der Rinderpest gründlich zu studireu, sondern auch im prac­tischen Leben dieser Seuche ihre besondere Aufmerksam­keit zu widmen, um, mit Unterstützung der Regierung, zur Erreichung des grossen Zieles mehr beizutragen, als es mir die Umstände erlaubten.
Schon aus Pietät werden sie die Meinungen ihres ehemaligen Lehrers vorzugsweise beachten; ich hege aber die Ueberzeugung, dass sie selbst prufrn, nicht in verba magistri schwören und daher auch bald einsehen, wo er Recht hatte und wo er fehlte, und ob wirklich in der Impfung der Rinderpest — der er so beharrlich das Wort redet — das Heil zu suchen ist.
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lieber die Impfung der Rinderpest, als
Ausrottungsmittel.
1^1 ach dem Vorausgegangenen wird der geneigte Leser dieser Mittheilungen keine weitläuftige Abhandlung über die Rinderpest erwarten. Die Litteratur dieser Krankheit ist ohnehin überreich; hier handelt es sich nur darum noch einmal auszusprechen, welcher Plan hinsichtlich der Impfung mir vorschwebt und die Grund­sätze welche mich dabei leiteten, als eben so viele The­sen hinzustellen, damit jeder Sachkundige im Stande ist, sich ein Urtheil über die Ausführbarkeit und Nütz­lichkeit des Planes zu bilden. Dieser ist, mit geringen Abweichungen, der nämliche, den schon E. Viborg in der obenerwähnten Abhandlung, vorgezeichnnet hat.
In dem ganzen Steppengebiete Russland's müsste alles vorhandene Vieh künftig mit der Rinderpest geimpft und diese Impfung später von Zeit zu Zeit an den nachgebornen Kälbern wiederholt werden, damit endlich in diesen Ländern kein Vieh
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mehr übrig bliebe, bei dem sich noch die Rinder­pest von selbst entwickeln könnte. Zur Vorbereitung dieser umfassenden Massregel und aur Belehrung über die richtige Art und Weise, wie solche aus­zuführen ist, wäre vorläufig ein Impfinstitut in der Steppe seihst einzurichten.
Ueber die Einrichtung eines solchen Impfinstituts habe ich mich in dem schon angeführten Aufsatze6) ausgesprochen und will hier das Wesentlichste von dem dort Gesagten wiederholen.
Das Impfinstitut müsste in einer guten, grasreichen Steppe, wo möglich mit einem Flusse oder wenn dieser fehlt, doch mit einer hinlänglichen Anzahl guter Brunnen, begründet werden. Das Areal müsste wenigstens für 200 Stück Steppeuvieh ge­nügende Weide darbieten können und in Schläge vielfach abgetheilt sein. Zur Impfanstalt gehören folgende Gebäude:
1)nbsp; Wohnung für den Director und mehrere Ge­hülfen.
2)nbsp; Wohnung für die Wärter.
3)nbsp; Magazin für Heu und Stroh.
4)nbsp; Ställe für das geimpfte Vieh.
5)nbsp; Ein zweckmassig eingerichteter Raum zu Sectionen.'
Alle Gebäude sind fest, dauerhaft, nach der landes-
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6)quot; Zeitschrift Tür die gesammte Thierheilkunde etc. XIV. Bd. I. Beft, 1846, S. 53.
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üblichen Bauart, jedoch ohne Luxus, herzustellen. Die Wohnung des Directors muss eine kleine Apotheke, ein Laboratorium und alle Instrumente und Apparate enthalten, wodurch die wissenschaft­liche Ausbeute vermehrt werden kann. Die ganze Anstalt wird durch eine Einfriedigung von der übrigen Steppe getreinil; eine solche muss ausser-dem noch das ganze Gebiet umgeben und wenn die Impfungen begonnen haben, werden auf etwa dahin-führenden Wegen miiitairische Wachtposten auf­gestellt, die Niemand ohne besondere Erlaubniss hinzulassen dürfen. Diese Wachtposten selbst communiciren nicht mit den Eingeschlossenen.
Ist die Einrichtung vollendet, so werde eine Heerdc von mindestens iOO Stück Steppenvieh, Stiere, Ochsen, Kühe und Kälber, aus einem von der Seuche gänzlich freien und unverdächtigem Bezirke angekauft. Mit herbeigeschafftem Impf­stoffe werde diese Heerde sogleich bei ihrem Ein­tritte geimpft und — ist es im Sommer — auf die Steppenweide gelassen, im Winter aber in die Ställe vertheilt. Hier werden sie nun von den Sachkundigen mehrere Male täglich aufs Genaueste beobachtet, diese Beobachtungen in ein Protocoll verzeichnet, die schwer Erkrankenden den Um­ständen nach behandelt; zugleich aber ist auch Sorge dafür zu tragen, dass von der gutartigen Krankheit der Impfstoff gesammelt und sorgfältig aufbewahrt wird. Die Durchgeseuchten erhalten ein Brandzeichen und sind entweder auf einem isolirten Weideplatze oder in dem Contumazstalle noch 8 Tage genau zn beobachten. Dann werden sie mit einer sehr verdünnten Chlorauflösung am ganzen Körper gewaschen, in unverdächtige Orte zurückgegeben und dort meistbietend verkauft.
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Zwar liegen über die Impfung der Rinderpest schon reichhaltige Erfahrungen vor7}, die sich jedoch nicht auf die russischen Steppen und deren Viehrace beziehen; wir müssen also in der Anstalt erst das richtige Impfen lernen und werden gewiss bald von der Erfahrung auf Abänderungen und Verbesserungen in der Methode
7) V. u. a. Professor Kranz Christian Lorenz Karsten'laquo; Prüfung der gegen die Rinderpest empfohlenen Schutzmittel. Götlingen 1814. Er stellte folgende Sätze auf:
1.nbsp; nbsp;Pestmaterie von gutartiger Krankheit, unter gehöriger Vorsicht angewandt, giebt unfehlbar die glücklichsten Resultate,
2.nbsp; nbsp;Diese gutartige Materie sind wir im Stande uns zu verschaffen.
3.nbsp; nbsp;Die durch Impfung gelinderte Krankheit artet nie wieder in eine bösartige aus,
4.nbsp; nbsp;Das auf diese Art in einer solchen gelinden Krankheit durchgeseuchte Vieh wird nie wieder von der Pest an­gesteckt. Es seucht ganz vollkommen durch, wovon die strengsten und auf jede denkbare Art angestellten Versuche die Beweise zu Tage gelegt haben.
5.nbsp; nbsp;Die Gefahr der Ansteckung durch eingeimpftes Vieh kann mit Gefahr der Ansteckung durch die natürliche
fnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Pest in keinen Vergleich gestellt werden.
6.nbsp; nbsp;Bei der Impfung fallen im Durchschnitt aufs höchste zehn von hundert und bei gehöriger Vorsicht noch weniger •#9632;, bei der natürlichen Seuche kommen höchstens zwölf von hundert durch.
7.nbsp; nbsp;Die zur Handhabung nöthiger Polizeimassregeln erfor­derlichen Menschen kommen bei den Impfungsanstalten in keinen Vergleich mit der Menschenmenge, die eine strenge Sperre und Quarantaine - Anstalt nothwendig macht. Mithin verursacht
8.nbsp; nbsp;die Impfung bei weitem die Kosten nicht, die durch Sperre und Quarantaine-Anstalten nothwendig gemacht werden.
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geführt werden. Hauptsächlich soll uns diese die Regeln an die Hand geben welche später bei einer allgemeinen Impfung massgebend werden durften. Sie wird uns darüber belehren, ob wir künftig das Impfen, ohne weitere Gefahr, in den Steppenansiedelungen selbst vor­nehmen können, oder mit neuen Impfinstituten allmählig weiter vorrücken müssen. In der Anstalt sollen zugleich die Subjecte ausgebildet werden die in Zukunft die Impfung ausführen können und, wo möglich, ist diese so zu vereinfachen, dass sie auch ungebildeten Leuten aus der niedern Volksklässe überlassen werden kann. Der Zeitraum von 2 Jahren würde schon hinreichen, um über alle diese Punkte genügende Auskunft zu geben; denn da alle 4 Wochen wieder neue Rinder zur Impfung aufgenommen werden können, so könnten in dieser Zeit also schon an mindestens 2600 Geimpften Beobach­tungen angestellt werden. Und diese Erfahrungen hielten uns, und würden das aufgewandte Kapital gewiss später noch reichlich verzinsen, wenn wir auch den aller-schlimmsten Fall annehmen: dass nämlich die Ergeb­nisse in der Anstalt gegen die allgemeine Impfung des Steppenviehes sprächen.
Der Erfolg der ersten Impfanstalt wird aber auch von ihrer Leitung abhängen; der Director muss natür­lich Veterinairarzl sein, nicht nur die Rinderpest aus eigner Anschauung, sondern auch Alles was bisher über die Impfung derselben geschrieben ist, gründlich kennen; vor allen Dingen aber den rechten Eifer für das grossartige Unternehmen haben!
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Gründe für die unumgängliche Noth-wendigkeit der Impfung.
Erste These.
Wir erhalten im Norden und Westen Europa's die Rinderpest immer ans den Steppenländern und durch das Steppenvieh, während sie sich bei unserm einheimischen Vieh nie von seihst entwickelt.
Ich weiss es wohl, dass diese erste Behauptung hier in Russland, und auch im Auslande, nicht unangefochten bleibt. Der Professor Wsäwolodow huldigt der Mei­nung, dass die Rinderpest sich überall bei dem Rindvieh von selbst entwickeln kann, wenn ähnliche Umstände auf dasselbe einwirken, wie diejenigen, wodurch die Krankheit in dem Steppenvieh erzeugt wird. Er stellt daher auch die Behauptung auf, dass eine Versuchs-Heerde, im St. Petersburg'schen oder Archangel'schen Gouvernement, aus einem gänzlich unverdächtigem Orte angekauft, wenn sie unter der Influenz ähnlicher Schäd­lichkeiten den Marsch in die Steppen anträte, wie sie das Steppenvieh während seiner Wanderung in die Hauptstädte aushalten muss, jedenfalls die Rinderpest aus sich selbst hervorbringen würde, falls sie auch von jeder Berührung mit dem Contagium freigehalten werden könnte8). Er beschreibt daher auch eine ur-
8) OntiTi yiema o nosn.iLuuxi BoAeaHaXi K np. C, Ile-Tepöypra 1840. Crp. 656.
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sprüngliche (ucpnooöpaaiioii; und eine mitgetheilte (HaHocuaH) Rinderpest9).
Kein Wunder daher, wenn ein Schüler von ihm, Burkow, der im vorigen Winter in der Adelsversamm­lung zu Saratow öffentliche Vorlesungen über die Seuchen der Hausthiere hielt, seine Zuhörer davon zu überzeugen sucht, dass die Rinderpest nicht bloss bei dem gewöhn­lichen Rindviehschlage des nordwestlichen Russlasd's, sondern unter allen Rindviehracen, zu jeder Jahreszeit und in allen Klimaten und Gegenden der Knie, sich ursprünglich entwickeln kann ,0).
Es würde für den Zweck dieser Abhandlung viel zu weit führen, wenn ich mich hier auf eine ausführ­liche Widerlegung dieser Meinungen einlassen wollte. Sie gründen sich auf theoretische Speculationen; denn mit Gewissheit haben jene Beobachter so wenig als ich selbst, in einer langjährigen Praxis in Russland und bei nicht geringer Bekanntschaft mit der Rinderpest, jemals darthun können, dass sich irgendwo im nörd­lichen Theile des Reiches diese Seuche von selbst ent­wickelt hätte. Ich appellire einfach an die Geschichte der Krankheit, ohne deren genauere Kenntniss wir überhaupt bei unsern Untersuchungen keinen sichern Schritt thun können. Wäre jene Meinung begründet, wie wollte man es sich erklären, dass für die Länder
9)nbsp; ilocimo - MsfliiHHiicuiM jKvpnajri,, #9632;lacxr. I., Nr, T., 1847: 061 \ önBaiiin aaiyu.ieBBaro CKOTa u np,
10)nbsp; nbsp;Cm. raquo;ypna.ii. nomiosaBo.icrun h oxorhi, AsrycTK 1852, Crp. 247.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; , .
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des nördlichen Europa's die Ausführung der Verord­nungen, vyelche alle auf den Grundsatz basirt sind: die Rinderpest kann sich bei uns nicht von selbst entwickeln — so vortrefllich gewirkt und die Seuche fern gehalten hat ?! Hätten die Männer, von welchen der Hauptimpuls zu den erwähnten strengen Gesetzen ausging, die Grenzsperre, Ortssperre und Nirtlerschlagen der kranken und verdächtigen Rinder vorschreiben, den Grundsatz von der Selbstentwickelung der Rinderpest bei dem der Steppenrace nicht angehö-hörigen Vieh, nicht mit Entschiedenheit zurückgewiesen, so wäre es nie zum Erlass solcher Vorschriften gekom­men. Aber es wurde geschichtlich dargethan, dass die Invasionen der Rinderpest injmer von den Steppen­ländern ausgingen und noch ausgehen, dass sie daher auch ein beständiges Gefolge derjenigen Kriege war, woran Truppen theilnahmen, zu derem Unterhalte Step­penvieh den Armeen nachgetrieben wurde. Der letzte ungarisch-östreichische Krieg, bei welchem die russi­schen Truppen so glorreich betheiligt waren, hat dazu einen neuen Beweis geliefert. Auch in einige Orte der Umgegend von Dorpat wurde die Seuche unter andern in Folge dieses Krieges verschleppt, aber auch bald durch das Erschlagen der kranken und verdächtigen Rinder und sorgfältige Desinfection gehemmt.
Obgleich in Deutschland Alle, welche die Rinder­pest am besten und aus eigener Erfahrung kennen, sie als eine nicht einheimische Krankheit betrachten, so giebt es doch noch Vertheidiger der Meinung, dass sie sich überall von selbst entwickeln kann. Es sind
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dies besonders die neuern Aerzte, Anbänger der ana-tomisch-patbologischen Schule, die für die Bestimmung der Krankbeit am meisten auf den Leicbenbefund giebt. Weil nun dieser bei den an der Rinderpest Gefallenen Ergebnisse darbot, die mit denen des Typhus beim Menseben Aehnlichkeit hatten, weil zudem während des Herrschens der Seuche auch hei andern Hausthieren und selbst beim Menschen, die Sectionen ähnliche, ty­phöse Zeichen nachwiesen, so war der Spruch reif: die Rinderpest ist ein Typhus und kann sich, wie dieser, beim Menschen, überall von selbst entwickeln. Gut war es, dass diesen Herren ein Dementi gege­ben und so die auf historische Ueberlieferungen fussende Meinung von der Fremdartigkeit der Rinderpest für Deutschland wieder fest begründet ward. Dadurch möchte der peeuniäre Verlust, der durch jene Irrefüh­rung veranlasst wurde, reichlich aufgewogen werden, so schwer er auch den Betheiligten zu tragen gewesen sein mag. Ich erlaube mir aus Kreutzer's Central-Zeitung für die Veterinairmedicin etc. 1. Jahrgang, Erlangen 1851, S. 175, die Erzählung der Thatsacbe zu entnehmen, da solche Facta auch in Russland mehr bekannt zu werden verdienen.
. raquo;Nach amtlicher Constatirung trat die. Rinderpest raquo;gegen Ende 1844 in Böhmen auf, und zwar zuerst im raquo;Königsgräzer und fast gleichzeitig im Bidschower Kreise. raquo;Der dortige Landesthierarzt erklärte damals sogleich, raquo;als Resultat der ihm aufgetragenen Untersuchung, die raquo;Seuche für die wahre Rinderpest; das Gubernium in raquo;Prag aber, und namentlich der Protomedicus Nadherny,
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raquo;stimmten, gestützt auf die Aussprüche einiger, sonst raquo;in der gelehrten Welt mit Recht sehr hochgeachteten raquo;Mens^henärzte, die ohne Thierarzt zu sein, sich über raquo;den Landesthierarzt gleichwohl in thierärztlichen Dingen raquo;erhaben dünkten und ohne Weiteres ihre vermeint-raquo;lichen, vorgefundenen Analogien zwischen dem Typhus raquo;des Menschen und der Rinderpest, in vollster Ausdeh-raquo;nung, zur Grundlage weilgreifender, practischer Rath-raquo;schläge machten, mit der Ansicht des Landesthierarztes raquo;nicht überein, hielten die Seuche nicht für eine von raquo;aussen eingeschleppte Contagion, sondern für eine im raquo;Inlande, durch Zusammentluss von mancherlei Schäd-raquo;lichkeilen, entstandene, dem dysenterischen Typhus des raquo;Menschen ähnliche, contagiöamp;e Epizootic, und ergriifen raquo;nur laxe, polizeiliche Massregeln. In Folge dessen raquo;verbreitete sich die Krankheit rasch durch ganz Böh-raquo;men, so dass von den 16 Kreisen dieses Reiches fast raquo;keiner verschont blieb, und das ganze westliche Europa raquo;dem Yorschreileu der Seuche mit Zittern entgegensah quot;}. raquo;Im November 1844 erhielt der Director der Wiener raquo;Thierarzneischule, Dr. Eckel, den Auftrag zur Unter-raquo;suchung dieser Seuche, deren Ergebniss war, dass raquo;die Krankheit die wahre Rinderpest sei, dass dieselbe raquo;nicht aus der ungünstigen Witterung und den Fütte-raquo;rungs- und Verpflegungsverhältnissen ihren Ursprung raquo;genommen, sondern, dass sie rein auf Einschleppung raquo;des ihr eigenthümlichen Contagiums beruhe. Jetzt
Mi V. auch: Fuchs Jahresbericht über die Fortschritte der Thierheilkunde im Jahre 1845. S. 39.
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raquo;erst wurden die gehörigen Einleitungen zur Unter-raquo;driickung der Seuche getroffen!laquo; —
Preussen und Sachsen sind bis jetzt die Vormauer gegen die Rinderpest für das übrige Europa gewesen, indem sie durch die strengen Massregeln der Sperre und des Niederschiagens die Seuche bald nach ihrem Eindringen iibel- die Grenze zu tilgen wussten. Was würde geschehen, wenn esvgelänge, die dortigen Macht­haber zu dem Glauben zu bringen, dass auch in ihren Staaten die Krankheit sich von selbst erzeuge?
Zweite These.
So lange wir die Rinderpest in den Steppen­ländern nicht auszurotten vermögen, sind der Norden und Westen Russland's nie gegen .ihr Eindringen gesichert, indem sie des dortigen Viehes bedürfen.
Dass die bisher bestehenden veterinairpolizeilichen Maasregeln die Einschleppung der Seuche aus den Steppenländern nicht verhindern konnten, hat die Er­fahrung gelehrt. Können sie jemals so vervollkommt und so gewissenhaft ausgeführt werden, dass dadurch die Nichtsteppenländer gesichert sind? Bojanus 12) meint, dass dies durch eine gleichzeitige Thätigkeit des russischen und östreichischen Staates, welche die Step-
12) Bojanus: Ueber die Ausrottnug der Rinderpest etc. Riga 1810. S. 52.
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penländer in sich schliessen, gescheiten könne. Er hofll, dass künftige Geschlechter die glückliche Zeil erleben werden, wo diese beiden Nachbarstaaten, in dieser Hinsicht, einen auf das Wohl des Ganzen abzwe­ckenden Plan 10 Jahre hindurch gemeioschaftlich verfolgen.
Die Verwirklichung dieser Hoffnung wird aber jedenfalls so lange auf sich warten lassen, bis wir über verschiedene Eigenthiimlichkeiten der Rinderpest bei dem Steppenvieh und in den Steppen erst mehr Aufklärung erlangt haben. Jedenfalls miissten in den gemeinschaftlich zu verfolgenden Plan auch die an den Grenzen der Steppenländer zu errichtenden Quarantaine-anstalten mit aufgenommen werden. Aber ich frage Heute, wie 1834 ,3}, raquo;wo sollen die Quarantainen er-raquo;richlet werden, da wir die Grenzen von der Heimath raquo;der Rinderpest kaum noch muthmasslich festsetzen raquo;könfien ?laquo; Ist die Meinung von der Selbsterzeugung der Rinderpest bei dem wandernden Steppenvieh, auch ausserhalb der Grenzen seiner Heimath, begründet, so werden auch die Quarantainen nichts nützen. Nur wenn wir kein andres als geimpftes Vieh, das die Rinderpest zum zweitenmale nicht bekommen kann, aus den Steppen treiben, sind wir also vor neuen Invasionen gesichert.
13) Jessen: Die Rinderpest etc. Berlin 1834. S. 20l.
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Dritte These.
Es ist unmöglich in den Steppenländern den Ausbrach der Seuche zu verhüten, da wir die eigentlichen Ursachen derselben nicht kennen, und wenn wir sie kennten, wahrscheinlich nicht im Stande wären, sie zu beseitigen. Strenge Polizei­massregeln,, wodurch nach erfolgtem Ausbruch ihr Umsichgreifen zu verhüten wäre, sind dort unausführbar. Es bleibt also als einzige Hoff­nung nur die Impfung.
Hypothesen über die Entstehungsursachen der Rinder­pest und die Verhütung derselben, giebt es freilich in Masse. Meist sind sie ausgegangen von Schriftstellern, die nie die Steppen gesehen haben und es lohnt daher nicht der Mühe, näher darauf einzugehen. Kommen wir dahin, so sagt man uns an den meisten Orten, dass die Seuche durch Ansteckung von Aussen her entstanden sei. Es kann also auch jetzt noch nicht mehr behauptet werden, als was ich in der angeführten Schrift S. 92, Punct 3, ausgesprochen habe: raquo;in der raquo;Steppenrace des südöstlichen Russland's scheint die raquo;Rinderpest sich von selbst zu erzeugen.laquo; Neuere Zeugnisse finden wir dafür in Haupt's Schrift: über einige Seuchen - Krankheiten der Hausthiere in Sibirien und im südlichen europäischen Russland. Berlin 1845.
Das von ihm in den Jahren 1824 bis 29 im Kathe-rinoslaw Ischen Gouvernement beobachtete, bösartige Fieber bot soviel Analogien mit der Rinderpest dar,
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dass viele es auch dafür hielten und Haupt selbst in Zweifel war, ob er es nicht mit der letztem Seuche zu thun habe. Dieses Fieber aber soll sich dort von selbst entwickeln und etwa alle 6 bis 7 Jahre epizootisch auf­treten. Wie sehr ist es zu beklagen, dass Haupt nicht Gelegenheit fand sich durch Impfungen zu überzeugen, ob die Krankheit Rinderpest war!
Nach einem recht gut geschriebenen Aufsatze eines ungenannten Arztes, in den Schriften der Kaiserlich freien öconomischen Gesellschaft zu St. Petersburg, 3. Bd. Nr. 9, September 1852, S. 318 bis 325, fände dasselbe Yerhältniss mit der Rinderpest in Neureussen überhaupt statt. Er sagt aber auch, dass nicht alle dort an die Selbsterzeugung der Krankheit glauben, will sich indessen davon überzeugt haben, dass in dem Cherson'schen, Katerinoslawi'schen, Tauri'schen Gouver­nement und vielleicht auch in Bessarabien, sich die Rinderpest von selbst entwickelt, zuweilen nicht an­steckend bleibt, unter begünstigenden Umständen aber zur contagiösen Epidemie (Epizootic) wird.
liierte These.
Jedes Sttick Vieh, welches die natürliche oder eingeimpfte Rinderpest einmal überstanden hat, ist für immer dagegen gesichert.
Würde dieser Satz umgestossen, so wäre damit das ganze Project hinsichtlich der Impfung als Aus­rottungsmittel der Seuche zu Grabe getragen. Aus
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eigener Erfahrung kann ich nur einen Fall anführen, wo eine einmal an der natürlichen Rinderpest krank gewesene und durchgeseuchte Kuh, nicht wieder ange­steckt wurde, als sie mit einer andern Pestkranken zusammenstandI4).
Die Geschichte der Inoculation der Rinderpest hat aber die Wahrheit des oben ausgesprochenea Satzes zur Gentige dargethan, und wenn wir daran zwei­feln wollen, so müssen wir z. B. alle in der v. Oer-tzen'schen15} Schrift beigebrachten, grösstentheils von dem Herzoge von Mecklenburg selbst bezeugten und mit seinem Siegel bekräftigten Beweise, Lügen strafen.
Dennoch giebt es Zweifler. Wsäwolodow ) sieht sich durch einen Bericht des Veterinärarztes Sologub, der die Bemerkung macht, däss Rinder, die nicht länger als 3 Tage an der Rinderpest krank waren und dann genasen, die Disposition für die Aufnahme des An-steckungsgifles behielten und auf's neue, wenn auch in einem leichteren Grade, erkrankten, zu folgendem Ausspruch bewogeu : raquo;Wahrlich die Möglichkeit anneh-raquo;men zu wollen, dass ein Ochse oder eine Kuh, nach raquo;dem Ueberstehen eines Anfalles der Seuche, während raquo;ihres ganzen Lebens gänzlich unempfindlich für die raquo;Einflüsse der erzeugenden Ursachen, die immer und raquo;überall dieselben bleiben, würden,, oder, im Gegentheil,
14)nbsp; a. a. 0. S. 183.
15)nbsp; Die Inoculation der Kindviehseuche etc. von Claus Deth-loff von Oertzen. Berlin 1781.
16)nbsp; Boemio - HeAHijHncKiH . aiypaa.raquo;, lacxB XLIX., Nr. 1., 1847, Crp. 219.
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raquo;dadurch sich die Stärke und Kraft erwürben, die raquo;ausreichte den Einfluss des Ansteckungsgiftes selbst raquo;zu vernichten, schiene gegen jede gesunde ärztliche raquo;Logik zu verstossen.raquo;
Der neueste Zweifler ist der k. k. Bezirksarzt Dr. Wehli in Mohaks, der in Nr. 17 der Wiener medici-nischen Wochenschrift von 1851 sich dahin ausspricht: dass es ein Irrthum sei, durch die Einimpfung der Rinderpest noch gesund gebliebenes Hornvieh gegen die neue Ansteckung und gegen die Pest selbst zu schützen, etwa wie die Vaccine gegen die Variola, die Schafpocke gegen die bösartige Schafpocke in Gebrauch gezogen werdenir).
Leider konnte ich die medicinische Wochenschrift selbst nicht zu Gesicht bekommen, weiss daher auch nicht, welche Grunde den Dr. Wehli zu dem Ausspruch dieser Meinung, die allen früheren Erfahrungen wider­spricht, bewogen haben. Welcher Art sie auch sein mögen, so können sie doch die vielfach constatirten Thatsachen nicht umstossen. Durch einen der neuesten Beobachter, Dr. Julius Barrasch aus Bukarest, erhalten diese eine abermalige Bestätigung. Er sagt: raquo;die raquo;Krankheit befällt nur ein einziges Mal das Thier raquo;in seinem ganzen Leben, und durcbgesenchtes raquo;Hornvieh ist also für immer vor der Ansteckung der Löserdürre geschützt18).laquo; Auch den russischen Haus-
17)nbsp; V. Centralzeitung für die gesammte Veterinairmeilicin und ihre Hülfswissenschaften. Nr. 21. 1851.
18)nbsp; V. Centralzeitung Nr. 16, 1851. S. 122.
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thiereigenthUmern ist es keinesweges unbekannt, dass ihr einmal an der Rinderpest durchgeseuchtes Vieh künftig vor derselben Krankheit gesichert ist, und daher einen viel höheren Werth hat. Noch vor wenigen Jahren machte ein Herr von Ritter, sich auf diese Erfahrung stützend, den Vorschlag: die Regierung möge doch die Impfung der Rinderpest anbefehlen.
Wenn man Haupt's Schrift sowohl als den Aufsatz des erwähnten Arztes durchliest, so muss es auffallen, dass die Rinderpest im Süden Russland's, wo sie in eine Heerde einbricht, oft nur einen verhältnissmässig geringen Theil derselben und zwar vorzugsweise Jung­vieh ergreift, während in den nördlichen Provinzen des Reiches von den Heerden nur selten einige wenige Häupter verschont bleiben. Sollte dies nicht darin liegen, dass im Süden alle Heerden einen grossen Theil altern, schon früher durchgeseuchten Viehes enthalten, weil eben die Krankheit dort so häufig auftritt?
Wie sehr wäre es zu wünschen, dass umfassende Versuche mit der Einimpfung an solchen Ochsen, die nach dem Norden als Schlachtvieh getrieben werden und denjenigen, mit welchen die Tschumacken durch's Land ziehen und die Rinderpest verbreiten, angestellt würden. Dadurch kämen wir bald zur Gewissheit darüber: raquo;ob das Ueberstehen der Krankheit sie sowohl raquo;für die Einflüsse der erzeugenden Ursachen als des raquo;Ansteckungsgifles unempfindlich macht.laquo;
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Fünfte These.
Die Rinderpest ist in den Steppenländern vieJ gutartiger; daher wird auch der Verlust bei der Impfung nur gering sein.
Dieser Satz wird wohl keine Anfechtung erleiden, da er sich in seinem ersten Theil auf allbekannte Er­fahrungen gründet. Wenn wir die Berichte, welche in Russland über die Verheerungen der Rinderpest in Seuchenjahren eingehen, prüfend vergleichen, so stellt sich immer die Thatsache heraus : dass die Sterblichkeit beständig von Süden nach Norden zunimmt. Während in den südlichen Steppenländern ein Drittel oder die Hälfte der Erkrankten zu Grunde geht, crepiren in den nördlichen Gouvernements 3/4 bis Vio derselben.
Allerdings können auch in den Steppenländern Umstände — oft noch gänzlich unerklärliche — ein­treffen, wodurch die Seuche verderblich wird. So fand ich im Sommer 1838 sie in der Stadt Cherson ausser-ordentlich bösartig und man sagte mir, dass die Mehr­zahl der Kranken als Opfer fiele. Dagegen sah ich in Nowoi-Bug eine Heerde von circa 500 Stück, die nur 35 an der Pest verloren hatte, während in der Ent­fernung von etlichen Wersten von einer eben so grossen Heerde Steppenvieh kaum 100 nachgeblieben waren.
Lorinser19) gedenkt zweier Impfversuche, die in Galitzien 1829 an russischen Steppenochsen unter-
19) UntersuchuDgea über die Rinderpest. Berlin 1831.
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nommcn wurden, und noch dazu mit dem Gifte der bösartigen Krankheit. In dem einen Falle überstanden von 119 Geimpften 105, in dem andern von 54 — 49 die Seuche.
Von Resultaten der Impfung mit dem Gifte der Rinderpest will ich hier nur noch 2 vom Jahre 1778 in Meklenburg wieder in Erinnerung bringen20), und einigender neuesten Zeit angehOrige, anführen.
Es waren geimpft21), nach dem ersten Berichte, 3806 Häupter.
Davon starben..........344
Es seuchten durch.......3107
Beim Eingang der Berichte stan­den noch in der Seuche . . . 290
Geimpft aber noch nicht krank . 65
Nach dem zweiten Berichte:
Geimpft.............nbsp; nbsp;269
Crepirt ........*.....nbsp; nbsp; nbsp;94
Durchgeseucht..........nbsp; nbsp; 134
Schwach krank gewesen und noch
nicht erkrankt ........nbsp; nbsp; nbsp;41
Nicht weniger glücklich ist der Ausfall der Impfung in der allerneuesten, durch den österreichisch-ungari­schen Krieg verbreiteten Rinderpest gewesen, worauf ich hier noch besonders aufmerksam machen will. Die Impfung wurde nur als Abkürzungsmittel der Seuche und zur Verringerung des Verlustes angewandt und
20)nbsp; V. die Inoculation der Rindviehseoche etc. von Claus Dethloff von Oertzen. Berlin 1781.
21)nbsp; Claus Dethloff von Oertzen. Berlin 1781. S. 78—79.
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als solches namentlich von den schon genannten Dr. Barrasch und Wehli warm anempfohlen.
Barrasch berichtet22): raquo;Zahlreiche Beispiele geben raquo;für die Impfung der Loserdürre ein günstiges Votum raquo;ab, und ein paar Fälle sollen, als besonders frappant, raquo;ausführlich hervorgehoben werden. In dem Dorfe raquo;Beiletschi, mit etwa 7000 Stück Vieh, brach die Löser-raquo;dürre am 15. Juni 1847 aus und befiel bis Ende August raquo;desselben Jahres circa 4500 Stück, von denen etwa raquo;1500 Stück umgekommen sind. Seit der Manifestation raquo;der Krankheit waren zwischen den einzelnen Heerden raquo;die consequentesten Isolirungsmassregeln (eigner Cor-raquo;don und eigner Brunnen für jede Heerde) in's Werk , raquo;gesetzt, und es erkrankte, von den von Anfang an raquo;isolirt gewesenen 2500 Stücken Vieh, bis zum August raquo;kein einziges Stück an der Seuche; die 4500 nach raquo;einander von der Krankheit ergriffenen Stücke hin-raquo;gegen waren im Momente des Ausbruches der Krank-raquo;heit in mehreren, communizirenden Heerden verbreitet raquo;und trugen schon den Keim der Infection in sich, raquo;weshalb eine spätere Isolirung nichts mehr half. Um raquo;nun aber ein für allemal mit der Seuche in diesem raquo;Dorfe ein Ende zu machen, wurde am Anfang Sep-raquo;tember 1847 bei allen bis dahin noch vollkommen raquo;gesunden und pestfreien Heerden, die, wie gesagt, raquo;eine Anzahl von etwa 2600 Stück begriffen, die Im-raquo;pfung vorgenommen. Binnen einem Monat waren die raquo;meisten. Geimpften durchgeseucht, nur bei Wenigen
22) Centraheitung etc. Nr. 16, 1851. S. 123.
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raquo;hatte die Impfung nicht gefangen; aber von allen raquo;2500 Geimpften zählte man nur 75 Todle und raquo;binnen einem Monate war also das gau/e Dorf pestfrei raquo;und blieb es auch, obschon in den Jahren 1848 und raquo;1849 die Seuche sich wieder in der nächsten iNähe raquo;gezeigt hat. Ein ähnliches Resultat wurde in dem raquo;Dorfe Intersuea, dann in einer Heerde bei dem Dorfe raquo;Pojann erzielt.raquo;
Dr. Wehli (a. a. Orte berichtet; dass in einem Falle von 29 Eingeimpften 3, in einem andern von 135 Geimpften 7, in einem drillen von 164 nur 4 Stücke umgestanden seien. Die Gemeinden, in denen die Seuche bereits 3 bis 6 Monate gedatierl halte, baten selbst um die Impfung, weil die Opfer in Vergleich zu ihren Vor-theilen (durch die Aufhebung der Sperre) nicht in An­schlag zu bringen seien.
Sechste These.
Ist erst in den Steppenländcrn die gehörige Anzahl geimpften und durchgeseuchten Viehes vorhanden, so wird kein HändJer. kein Tsdntmack (Ochsenfuhrmann) ungeimpfte. Ochsen kaufen und schon dadurch wird der Verschleppung der Rinder­pest aus den Steppen vorgebeugt. Wird es nur erst bekannt, dass in den Iropfanstalten die wahre Verhütung der Rinderpest gegeben ist, so werden auch Private bald ihr Vieh daselbst geimpft haben wollen.
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Die Anstalten können sogar den EigenthUmern den billig abgeschätzten Werth ihres Viehes, gegen Ent­richtung einer festgesetzten Abgabe garantiren, da die Erfahrung es bald lehren muss, auf wie viele Procente der Verlust sich in der Durchschnittszahl beschränkt.
Arn Schlüsse dieser Abhandlung richte ich nun die Frage au jeden sachkundigen Leser, ob etwa die Im­pfung der Rinderpest weniger günstige Resultate ver­spricht, als diejenige der Lungenseuche des Rindviehes, von welcher gegenwärtig grade die meisten veterinair-medicinischen und landwirthschaftlichen Journale so viel reden? Jene hat sich längst bewährt, hat ihre eigne, auf die Erfahrungen vieler vorurtheilsfreien Reobachter wohlbegründete Geschichte und es wird von ihr nur noch die Lösung der letzten Aufgabe verlangt, nämlich: es dahinzubringen, dass die Rinderpest höch­stens noch so unschädlich existirt, als gegen­wärtig die ächte Menschenblatter. Diese basirt sich bis jetzt grösstentheils auf die Versuche der Doc-toren Desaive und Willems, und obgleich die Wieder­holung derselben, nach den Rerichten verschiedener Journale, das nämliche günstige Resultat, d. h. Ver­hütung des Ausbruches der Lungenseuche gehabt haben soll, so ist doch noch viel dagegen einzuwenden. Sie bringt die Krankheit, von welcher der Impfstoff ge­nommen war, nicht in derselben Form hervor; diese Krankheit ist offenbar zuweilen gar nicht ansteckend und die Impfungen bleiben dann wirkungslos; es wird
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zwar von einigen angenommen, ist aber keinesweges mit Sicherheit erwiesen, dass ein Rind nicht mehrmals von der Lungenseuche befallen werden kann. Und doch wird die Sache mit Eifer aufgefasst, es werden Prüfungscommissionen zur Untersuchung ernannt, grosse Summen darauf verwandt und selbst der Veterinairarzt kämpft seine Zweifel mit einem: raquo;es wäre am Ende doch möglichlaquo; nieder; die Impfung der Rinderpest zu versuchen, fühlt sich höchstens der seuchetilgende Arzt angetrieben, wenn die materia medica ihn im Stich lässt und die strengen Massregeln der Sperre und des Mederschlagens allgemeinen Unwillen erregen und die Calamität noch vergrössern. Worin Hegt jener Eifer und diese Nichtachtung? Ich glaube grösstentheils darin, dass die Impfung der Lungenseuche noch den JXimbus der Neuheit und des Wunderbaren an sich trägt, wäh­rend die der Rinderpest, als veraltet, schon in die Rum­pelkammer der Vergessenheit versenkt wurde. Es kommt freilich hinzu, dass diese, wie schon erwähnt, für die Nichtsteppenländer keinesweges das Interesse und die Bedeutung hat, wie für Russland, indem dort die polizeilichen Massregeln zur Tilgung der Seuche ausreichen und höchstens einmal die Impfung als HUlfs-mittel gestatten.
Möchte es mir denn gelungen sein, durch diese Zeilen, die hoffentlich keinem täuschenden Wahne ihr Entstehen verdanken, die Aufmerksamkeit so ernstlich auf die wichtigste Aufgabe der practischen Veterinair-medicin gelenkt zu haben, dass die rettende That nicht länger auf sich warten lässt.
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Nachträgliche Bemerkung.
Nach der, mir jelzl crsl zugekommenen, interes­santen Zusammenstellung, die der Director, Dr. Eckel, im 2. Hefte des ersten Bandes der Wiener Vierteljahr­schrift für wissenschaftliche Veterinairkunde giebt, haben die Ostreichischen Länder vom Januar 1349 bis Ende März 1861, an der Hinderpest 109,897 Stuck Rind­vieh verloren, deren Werth er zu 6,547,800 11. C.-M. berechnet.
Von 100 Erkrankten starben:
in Schlesien......76
,, Galitzien...... 75
„ Niederöstreich .... 73
,, Mähren....... 64
im Banat........66
in Siebenbürgen .... 66 ,, Ungarn.......49
a.
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