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Bollinger, [O.]. Ueber eine neue WÜd- und Rinderseuche, welche im Sommer 1878 in der Umgebung von München be­obachtet wurde, München, 1878, 80.
V, f, C, 3318 (1626)
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BIBLIOTHEEK UNIVERSITEIT UTRECHT
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Im Laufe dieses Sommers kamen in mehreren königlichen Parkrevieren in der Umgebung von München seuchenartige Erkrankungen unter dem Wildstande vor, die nicht bloss durch die bedeutenden Verheerungen, die sie unter dem Wilde und später unter den Rindern anrichteten, ein grosses praktisches, sondern auch durch die Neuheit der dabei beobachteten patho­logischen Vorgänge ein eminent wissenschaftliches Interesse beanspruchen. Eine vorläufige summarische Mittheilung der wichtigsten bei dieser Seuche gemachten Beobachtungen dürfte um so mehr am Platze sein, als eine Beihe unzuverlässiger und häufig geradezu falscher Darstellungen in die politische Presse Eingang gefunden haben, deren Berichtigung wenigstens für wissenschaftliche Kreise geboten erscheint. Ich bemerke ausdrücklich, dass die folgenden Zeilen nichts anderes bieten sollen, als eine flüchtige Skizze, zn deren Bearbeitung der Berichterstatter von verschiedenen Seiten aufgefordert wurde und die in keiner Weise den Anspruch erhebt, irgendwie das zu Tage geförderte Material erschöpfend behandelt zu haben. *) Da gegenwärtig die Seuche unter den Bindern noch fortwährend Verluste anrichtet, so schien auch mit Bücksicht auf dieFort-
*) Eine ausführliche Publication über die Seuche mit entsprechenden Abbildungen glaube ich bestimmt in Aussicht stellen zu können.
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dauer dieser Calaraitiit eine kurze Schilderung der wichtigsten Untersnchungsergebnisse am Platze.
Soweit die amtlichen Erhebungen reichen, sind an der Seuche gefallen:
Bis zum 13. Juli:
Wildschweine Hirsche
1.nbsp; im Forstenrieder Parkenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 117nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;104
2.nbsp; im Grflnwalder Parkenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 3
3.nbsp; im Anzingerforstenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;22nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9
Summal 189nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;116
Ferner vom 14.—31. Juli:
Wildschweine Hirsche
1.nbsp; im Forsteurieder Parkenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 23nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;19
2.nbsp; im Grünwalder Parkenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 6
3.nbsp; im Anzingerforstenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 18________12_____
Summa: 45nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;37
Es gingen sonach bis Ende Juli an der Seuche zu Grunde: 234 Wildschweine und 153 Hirsche (Edel- und Dammwild), Zusammen: 387 Stück Wild.*)
Nachdem die Wildseuche Anfangs August vollständig er­loschen schien, kamen fortwährend in verschiedenen Ortschaften in der Umgebung der genannten Forstreviere Erkrankungs-und Todesfälle bei Rindern vor, die in verschiedener Richt­ung so sehr mit den beim Wild beobachteten Krankheitsfällen fibereinstimmten, dass man sie mit Rücksicht auf ihr zeitliches und örtliches Auftreten mit Recht als mit der Wildseuche in Verbindung stehend, wenn nicht als identisch mit letzterer betrachtete.
In Folgendem will ich nun versuchen, die wichtigsten Beobachtungen zusammenzufassen, wobei in erster Linie die
*) Diese Zahlen verdanke ich einer gütigen Mittheilung des Herrn Ereisthierarztes Zeilinger in München.
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ätiologische Seitlaquo; der Krankheit auf Grund experiraehteller and anatomischer Ergebnisse berücksichtigt werden soll.
üeber die Erscheinungen im Leben bei den an der Wildseuche erkrankten Thieren lässt sich nur soviel angeben, dass der Verlauf in der Mehrzahl der Fälle ein höchst acuter ist. Die Dauer der Krankheit beläuft sich wahrscheinlich in der Eegel auf 12—24—36 Stunden; in maximo dürfte der Process bei Localisation in den inneren Organen (Pleuro-pneumonie) in 5—6 Tagen lethal endigen, eine Berechnung, die sich auf pathologisch-anatomische Er­fahrungen und Analogien stützt. Die Incubationsdauer beträgt höchstens einige Stunden; wenigstens Hess sich bei den künst­lich erzeugten Processen selten eine längere Dauer beobachten. Als anatomische Veränderungen Hessen sich sowohl bei den der Seuche erlegenen Wildschweinen wie Hirschen croupöse Pnenmonie (Stadium der rothen und grauen Hepatisation); Pleuritis, Pericarditis und Mediasti­ni t i s constatiren, während die beim Rind häufiger vorkom­menden exanthematischen — mit Erysipelas und entzündlichem Oedem, einhergehenden — Formen heim Wilde entweder fehlten oder jedenfalls seltener vorzukommen schienen. Durch Impfung vom gefallenen Wilde auf Haus-thiere werden diese manchmal in wenigen Standen getödtet, ohne dass sich an der Impfstelle eine erhebliche Impfgeschwulst ausbildete und ohne dass die Section besonders charakteristische Veränderungen nachweisen Hess.
Während die vorliegende infectiöse Form der Pleuro-Pneamonie beim Wilde sich anatomisch der menschlichen croupösen Pneumonie sowie der Lungenseuche des Rindes (Pleuro-Pneumonia boum infectiosa) an die Seite stellt, waren die Entzündungen der serösen Häute theils serös-fibrinöser, theils zellig-fibrinöser Natur. Während das Blut selbst makros­kopisch keine charakteristischen Veränderungen bot, fanden sich öfters Ekchymosen besonders am Herzen, unter dem Epicardium,
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unter der Pleura, ferner katarrhalische Veränderungen des Verdauungscanales. Milzbrandähnliche Befunde konnten beim Wild nach meinen Erfahrungen nicht erhoben werden. — Die in einem oder dem anderen Falle im Blute vorgefundenen Bacterien müssen mit Rücksicht auf sonstige Verhältnisse (lange Zeitdauer nach dem Tode, hohe äussere Temperatur) als post-mortale Producte aufgefasst werden.
Abgesehen von dem wahrhaft seuchenartigen en- und epi-zootischen Auftreten der Krankheit konnte schon Anfangs Juli, als zum erstenmale frisches Material zur Untersuchung kam, durch Impfungen zweifellos constatirt werden, dass es sich entgegen der allgemeinen Annahme hier nicht um Anthrax bandele, sondern, dass die Wildsenche eine besondere, bisher unbekannte, peracute Infectionskrankheit darstelle, deren Bösartigkeit und Gefährlichkeit daraus hervor­ging, dass kleinere Versuchsthiere (Kaninchen) — mit mini­malen Quantitäten geimpft — schon 6 — 8 Stunden nach der Impfung der Infection erlagen, während grössere Thiere (Ziegen und Schafe), in ähnlicher Weise inficirt, nach 30—36 Stunden starben. Die Befunde bei diesen Impfthieren waren wenig er­giebig; ausser einem massigen trüben Oedem an der Impfstelle und kleinen Blutungen in inneren Organen fand sich nichts Charakteristisches. Dass die Versuchsthiere wirklich einer In­fection erlegen und nicht an anderweitigen zufalligen Einflüssen zu Grunde gegangen waren, ging daraus hervor, dass sich von denselben wieder mit demselben lethalen Erfolge weiter impfen Hess.
Ich bemerke ausdrücklich, dass von circa 35 im Ganzen vorgenommenen Infectionsversuchen nur diejenigen als beweis­kräftig hier verwerthet werden, bei denen zweifellos frisches Impfmaterial verwendet werden konnte, wobei jedes Fäulniss-product oder sonstige Zufälligkeiten mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnten.
Im Allgemeinen war die wissenschaftliche Ausbeute trotz
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der durch die Seuche unter dem Wilde hervorgebrachten Ver­heerungen desshalb eine beschränkte, weil es nur in wenigen Fällen gelang, ganz frische Cadaver zur anatomischen Unter­suchung und weiteren Verwerthung zu erhalten.
Diesem Mangel an brauchbarem Material sollte uner­warteter Weise abgeholfen werden durch die Anfangs Juli in der Umgebung der genannten Parkreviere auftretenden seachen-artigen Erkrankungen bei den Rindern.
Aus den Beobachtungsergebnissen von circa 15 Fällen beim Bind, die entweder ganz oder theilweise zur Untersuchung kamen, Hessen sich ungefähr folgende Hauptpunkte feststellen:
Die Rinderseuche trat in zwei Hanptformen auf, näm­lich einmal als exanthematische Form (Erysipelas in-fectiosum), oder als pectorale mit Localisation in den Brust-Organen; als Begleiterscheinung bei beiden fehlte selten eine hochgradige hämorrhagische Enteritis, die hauptsäch­lich im Dünndarm ihren Sitz hatte.
Die exanthematische Form der Seuche ist charakterisirt durch ein peracnt sich entwickelndes entzündliches Oedem am Kopfe und im Angesicht, welches vorwiegend im Kehlgang, im Zungenparenchym, am Hals, Triel, überhaupt in sämmtlichen Weichtheilen des Kopfes seinen Sitz hatte. Dieses foudroyante Erysipel entwickelte sich in 6 — 12 Stunden zu den denkbar colossalsten Formen, wobei unter brettartiger und schmerzhafter Härte der Haut und des Unterhautzellge­webes beide sich bis auf 15—20 cm Durchmesser verdickten und unter hochgradiger Verunstaltung der normalen Formen die Thiere sehr rasch durch Erstickung zu Grunde gingen. Sämmtliche Schleimhäute des Kopfes zeigten sich dann dunkel violett oder braunroth gefärbt und hämorrhagisch infiltrirt, die Zunge häufig um das 2—3 fache ihres normalen Volums geschwellt. Das Infiltrat selbst, welches diese hochgradigen Formveränderungen bedingte, war entweder rein seröser Natur
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— mit einzelnen weissen Blutkörperchen gemischt, - oder es war serös-hämorrhagisch.
Bei der pectoralen Form der Rinderseuche fanden sich genau dieselben Veränderungen wie bei dem der Seuche erlegenen Wilde: Croupöse Pleuro-Pneumonie, Pleuritis und Pericarditis in mannigfaltiger Abstufung und Combination und gleichzeitig fast niemals fehlend: hoch­gradige hämorrhagische Enteritis im Dünndarm. — Durch Impfung mit Blut von derartig erkrankten Bindern ge­lang es, zwei alte Pferde unter Auftreten serös-hämorrhagischer Infiltrate an der Impfstelle in kürzester Zeit zu tödten, während gleichzeitige Impfversuche an Bindern zwar locale Anschwell­ungen aber kein lethales Ende hervorbrachten. (Prof. Pried-berger und Hahn.*)
Von den weiteren angestellten Versuchen will ich nur diejenigen anführen, welche für die Pathogenese dieser merkwürdigen Zoognose von Bedeutung sind.
Eine Ealbin (Puchheim, Bezirksamt Brück) war von dernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^t-
höchst charakteristischen exanthematischen Form mit enormer Anschwellung des ganzen Kopfes und Halses nach kurzer Erankheitsdauer zu Grunde gegangen. In dem hochgradig entzündeten Dünndarm fand sich ein reichlicher chocolade-farbiger blutiger Inhalt. Mit einem Fingerhut voll dieses Darminhaltes, mit etwas Wasser verdünnt, wurde ein 1'/laquo;jähr­iger gesunder Stier derart gefüttert, dass das Thier die in die Backentaschen gebrachte Flüssigkeit ohne Schwierigkeit ab­schluckte. Am nächsten Tage zeigt das so gefütterte Versuchs-thier massiges Fieber, erschwerte und beschleunigte Respiration und stirbt 54 Stunden nach der Fütterung. Die Section ergibt eine Pleuro-Pneumonie genau von derselben Form wie ich sie beim Wild und Rind gefunden hatte: die
*) Für die freundliche üeberlassung ihres Untersuchungsmaterials erstatte ich den genannten Herren hiemit meinen besten Dank.
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vordere Hälfte der linken Lunge im Uebergang zur rothen Hepatisatiou, dabei eine doppelseitige Pleuritis mit Bildung ausgedehnter fibrinöser Pseudomembranen. — Das Merkwürdige an diesem vollkommen reinen Versuche liegt meines Erachtens nicht bloss darin, dass es gelang, aus der exanthemat-ischenForm der Seuche die pectorale zu erzeugen und damit die ätiologische Identität beider zu be­weisen, sondern auch in dem umstände, dass es möglich war, durch Fütterung von 2 Gramm Darminhalt eine heftige und nach 54 Stunden tö dt lie he Pleuro-Pneumonie hervorzubringen. Mag nun die Infection von einer beliebigen Stelle des Verdauungstractus — von der Maul­oder Rachenhöhle, vom Magen oder Darmcanale aus — erfolgt sein, jedenfalls war von der gefütterten virulenten Masse nichts direct in die Luftwege gelangt und zweifellos scheint mir die Möglichkeit dargethan, dass eine infectiöse Pleuro-Pneumonie durch Aufnahme des Virus vom Verdauungscanale aus sich ent­wickeln kann.
Umgekehrt konnte fernerhin der experimentelle Beweis erbracht werden, dass sich diepectoraleForm derSeuche auf dem Wege der Impfung in die exanthemath-ische überführen lässt:
Ein gesundes Schwein wurde an der linken Schulter derart geimpft, dass ihm einige Tropfen Herzblut von einem Vraquo; jährigen Kalbe (Holzhausen bei Brück) subeutan injicirt wurden, welches — als viertes Opfer der Seuche in demselben Stalle — an infectiöser Pleuro-Pneumonie gestorben war. Das Versuchsthier zeigte schon 12 Stunden nach der Impfung schwere Krankheitssymptome, starkes Fieber, sowie ein von der Impfstelle nach allen Eichtungen sich verbreitendes Ery-sipel. Tod 22 Stunden nach der Impfung. Bei der Section fand sich ausser der über den ganzen linken Vorder­körper verbreiteten erysipelatösen Geschwulst eine beginnende fibrinöse Pleuritis.
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Mit Impfmaterial von demselben Kalbe — nämlich mit
einem linsengrossen Stückchen fibrinösen Pleura-Exsudates haben wir ferner eine Kuh links am Halse subcutan geimpft. Schon 12 Stunden nach der Impfung beobachtet man schwere krank­hafte Symptome: neben aufgehobener Futter- und Getränkauf­nahme grosse Traurigkeit und an der Impfstelle das Auftreten einer starken Geschwulst von brettartiger Härte, die sich rasch über Hals, Triel und Vorderbrust verbreitet. Tod 30 Stun­den nach der Impfung. Die Section ergibt genau den­selben Befund wie bei den spontanen exanthematischen Seuche­fällen; entzündliches Oedem des Halses, der Vorderbrust mit serösem und serös-hämorrhagischem Infiltrat sämmtlicher lende-gewebiger Weichtheile, daneben eine hämorrhagische Gastro-Enteritis.
Auf diese Weise konnte nicht bloss die ätiologische Iden­tität der verschiedenen Seucheformen beim Bind zweifellos fest­gestellt werden, sondern es war auch dargethan, dass die Er-
krankungs- und Todesfälle bei den Kindern demselben
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Virus ihre Entstehung verdankten, wie die zahlreichen Todes­falle beim Wilde. Ferner ergänzten die erwähnten experimen­tellen Erfahrungen jene Beobachtungen, wornach in demselben Orte oder in derselben Stallung exanthematische Seuchefälle abwechselnd mit internenlaquo; (pectoralen) Formen vorkamen. In Bezug auf die Erklärung der so verschieden auftretenden Locali­sation en der Seuche sei hier nur der Hinweis gestattet, dass sich bei verschiedenen Thierseuchen z. B. beim Anthrax, Kotz, bei der Kinderpest, bei Maul- und Klauenseuche Aehnliches häufig genug beobachten lässt.
Negative Uebertragungsversuche wurden ebenfalls gemacht: Impfungen und Fütterungen blieben in einzelnen Fällen resul­tatlos, oder es entstanden unter ziemlich bedeutenden Allge­meinstörungen locale Impfgeschwülste, die zu Abscessbildung etc. führten, ohne dass die Impfthiere zu Grunde gingen. Ein Ochse, der 2 Tage lang in einem abgeschlossenen Stall zu der
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Haut eines an der Seuche gefallenen Thieres gestellt wurde, blieb vollkommen gesund. — Während Kaninchen — mit kaum nachweisbaren Impfgeschwülsten — regelmässig der Infection erlagen, konnten ein Hund und ein Huhn nicht inficirt werden.
In ätiologischer Beziehung wäre noch zu erwäh­nen, dass das Auftreten und die Verbreitung der Seuche im Sommer vielleicht auf ähnlichen pathogenetischen Bedingungen beruht wie die Explosionen des Milzbrands in der heissen Jahreszeit. Nachdem die Impfbarkeit der Seuche durch minimale Quantitäten virulenten Stoffes, sowie ihre Ver-schleppbarkeit durch Fleisch verkauf von einer ver­seuchten Ortschaft in benachbarte zweifellos constatirt sind, muss auch an eine Verbreitung der Seuche durch Fliegen und Bremsen gedacht werden; dadurch würden auch die exanthematischen Seucheformen eine genügende Er­klärung finden.
Die Verbreitung der Wildseuche vom Forstenriederparke aus, der auf dem linken Isarufer gelegen ist, auf den später ergriffenen Grünwalderpark, der gegenüber auf dem rechten Ufer der Isar liegt, könnte durch Vermittlung derartiger In­sekten gedacht werden. Allerdings soll das Edel- und Damm­wild nicht selten durch Ueberschreiten des Isarbettes den Aufenthalt an beiden Ufern wechseln. — Der experimentelle Nachweis, dass das Seuchengift durch Fütterung von Darm­inhalt sich auf gesunde Thiere übertragen lässt, legt endlich die Wahrscheinlichkeit nahe, dass die Wildschweine, die die Cadaver gefallener Thiere als Futter nicht versehmähen, und die in so grosser Zahl zu Grunde gingen, sich öfters auf diesem Wege inficirten.
In Bezug auf die Differentialdiagnose ist hervor­zuheben, dass beim Ausbruch der Seuche unter dem Wilde der Verdacht auf Milzbrand, wie schon erwähnt, rege wurde, zumal bei den Anthraxepizootien in den bayerischen Alpen das Wild meistens ebenfalls ergriffen wird, und bei der
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verheerenden Wildseuche im Grunewald bei Berlin im Jahre 1874, wo über 2000 Stück Wild zu Grunde gingen, die Natur der Krankheit als Milzbrand zweifellos festgestellt worden war. — Dass schon die ersten Sectionen genügten, diese Annahme zu widerlegen, wurde schon bemerkt. Die charakteristischen Veränderungen des Anthrax: die eigenthümliche theerartige Beschaffenheit des Blutes, die Bacillen im Blute, der Milz­tumor, alles dies fehlte und wenn noch ein Zweifel übrig blieb, so wurde er durch die Resultate der Versuche gründlich zer­stört : die für die Diagnose des Anthrax nach meinen Erfahr­ungen feinste und kaum jemals versagende Probe, die Impfung, die in zweifelhaften Fällen in geeigneten Impfthieren immer die charakteristischen Bacillen erzeugt, hat sich auch im vor­liegenden Falle glänzend bewährt, wenn auch nach der nega­tiven Seite hin. — Vom anatomischen Standpunkt könijten höchstens die karbunkelartigen erysipelatösen Formen, derhämorr-hagische Process im Darmcaual sowie die Blutungen in inneren Organen als mit dem Anthrax verwandte Veränderungen auf-gefasst werden und dürfte es ausserdem auch ziemlich sicher sein, dass diese Seuche in früheren Zeiten, wenn sie überhaupt jemals vorkam, zum Milzbrand gerechnet wurde, sei es als Gloss-Anthrax, oder als weis'ser Milzbrand (Charbon blanc der Franzosen, Avant-coeur etc.) oder als Milzbrand-Lungenseuche. — Dass der überaus rasche Verlauf der künstlich erzeugten Krankheitsformen, der beim Milzbrand nie­mals beobachtet wird, ebenfalls gegen die Anthraxnatur der Seuche spricht, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Ebensowenig wie um Milzbrand kann es sich um Lungenseuche handeln, wenn auch das anatomische Bild bei den betreffenden Formen wenig differirt.
Der Vollständigkeit halber sei schliesslich noch erwähnt, dass bei den Wildschweinen die Untersuchung auch auf Trichi­nose ausgedehnt wurde, jedoch ohne jegliches Resultat.
In Bezug auf die Prognose ist zu bemerken, dass beim
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Wilde Genesungsfalle, soweit ein ürtheil in dieser Richtung zulässig ist, nicht beobachtet wurden. Bei Bindern dagegen wurde sowohl bei den spontan entstandenen wie bei den künst­lich erzeugten Krankheitsformen in einzelnen Fällen Genesung constatirt. So sah ich einen Fall mit hochgradigem Erysipel des Kehlganges und bedeutender Zungenanschwellung bei einer Kuh in kürzester Zeit in Genesung ausgehen. Auf alle Fälle haben wir es mit einer höchst gefährlichen Infectionskrankheit zu thun, bei der das Mortalitätsprocent das des Milzbrands (70 — 75%) bedeutend übersteigt und bei welcher Genesung als Ausnahme, das lethale Ende als die Regel betrachtet werden kann.
Was die Uebertragbarkeit der Seuche auf den Menschen betrifft, so ist sieber, dass das Fleisch der an der Seuche erkrankten Thiere — sowohl des Wildes wie der Rinder —, die häufig und in den verschiedensten Stadien der Krankheit geschlachtet wurden, in einer Reihe ron Fällen ohne nachweisbaren Schaden für die menschliche Gesundheit in ver­schiedenen Zubereitungsarten genossen wurde.
Selbst in München wurde nach einer mir gewordenen Mittheilung im Beginn der Seuche ein an derselben erkranktes Rind geschlachtet und ohne Nachtheil verzehrt. Abgesehen davon, dass die Uebertragbarkeit der Seuche auf den Menschen einstweilen eine offene Frage ist, ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Methoden der Zubereitung (Kochen, Pöckeln, Räuchern) im ungünstigsten Falle wohl im Stande waren, das Krankheitsvirus zu zerstören, ähnlich wie wir dies bei milz­brandigem Fleische häufig genug beobachten können.
Auf alle Fälle ist die Disposition des Menschen für die vorliegende Seuche, was äussere Infection betrifft, keine sehr bedeutende, da Referent mehrfach beobachtete, dass Menschen mit Wunden an den Händen, die sich bei Sectionen längere Zeit hindurch mit Blut besudelten, keinen weiteren Schaden davontrugen. — Der einzige verdächtige Fall wurde in Forsten-
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ried während des Herrschens der Wildseuche beobachtet. Ein Arbeiter, der in der Nähe eines gefallenen Wildstückes be­schäftigt war, wurde von einem Insekt am Fusse gestochen. Es entwickelte sich eine bedeutende Schwellang des Fusses mit blauschwarzer Färbung der Haut und Blasenbildung an der Impfstelle. Patient war einige Tage hindurch unvermög­end zu stehen, litt angeblich an Fieber und die Reste der Blasen waren noch nach mehreren Tagen sichtbar. Im Verlauf der Lymphgefässe der betreffenden Bxtremität wurden Schmerzen empfunden. Nach 8 Tagen war Patient wieder vollkommen genesen (Prof. Hahn). Ob es sich hier um eine der gewöhnlichen septischen Infectionen oder um Seuchen­vergiftung handelte, ist nicht festzustellen.
Die prophylaktischen Massregeln gegen die Weiterverbreitung der Seuche wurden in ähnlicher Weise wie beim Milzbrand gehandhabt, nur dass im Anfange, so lange man über die Natur der Krankheit bei den Bindern im Un­klaren war, der Fleischgenuss vielfach gestattet wurde. In den Parkrevieren wurden täglich Streifen behufs Durchsuch­ung der Wälder nach gefallenem Wilde abgehalten. Das bei den Streifen vorgefundene gefallene Wild wurde sofort vor-schriftsmässig verbrannt oder vergraben. Ausserdem wurde von polizeilicher Seite die möglichste Absperrung der Forste, Verbot der Viehweide in der Nähe der verseuchten Reviere, Verbot des Sammeins von Beeren etc. angeordnet und durch­geführt. — Als die Seuche unter dem Rindvieh immer mehr um sich griff, wurde die Krankheit genau wie Milzbrand be­handelt: Ortsperre, Stallsperre, Verbot des Fleischgenusses, unschädliche Beseitigung der Cadaver, Isolirung der erkrankten Thiere etc., waren die wichtigsten polizeilichen Massregeln. Nachdem die Impfbarkeit der Seuche dargethan und mehrere Fälle von Verschleppung durch Fleischverkauf constatirt waren, schien eher eine Verschärfung als eine Milderung der gegen den Milzbrand gebräuchlichen Massregeln am Platze, um der
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Weiterverbreitung der Seuche unter den Bindern Einhall zu thun, die nach den Erfahrungen bei der Wildseuche sich leicht zu einer grossen Calamität für die Viehzucht hätte ent­wickeln können.
Wenn wir zum Schlüsse die Frage aufwerfen, wohin wir diese Seuche zu stellen haben, so wird die Ant­wort dahin lauten müssen, dass wir es mit einer infectiösen Zoonose zu thun haben, die der jetzt lebenden Generation un­bekannt ist und insoferne jedenfalls als eine neue Krank­heit bezeichnet werden kann. Wenn auch diese Seuche, wie aus unseren obigen Auseinandersetzungen hervorgeht, eine Reihe von Vergleichspunkten mit der Lungenseuche des Kindes, mit Anthrax sowie mit infectiösem Erysipel des Menschen bietet, so darf sie doch mit keinem dieser Processe identiflcirt wer­den. Aus verschiedenen hier nicht näher zu erörternden Grün­den lässt sich jedoch annehmen, dass dieselbe Seuche in früheren Zeiten — im vorigen und im Anfang unseres Jahr­hunderts — schon bei den Hausthieren vorkam und von den damaligen Autoren zum Milzbrand gerechnet wurde, sei es als Milzbrand-Lungenseuche, oder als weisser Milz­brand (Charton blanc) oder als Gloss-Anthrax, alles For­men, die wenigstens beim ächten Milzbrand unserer Zeiten niemals beobachtet werden.
Es wird von grossem Interesse sein, im Verlaufe der nächsten Jahre zuzusehen, ob die Seuche ähnlich wie Milz­brand oder Bauschbrand in denselben Revieren und Ortschaften wiederkehren wird, ob sie eventuell eine stationäre enzootische Krankheit werden wird. Es wird dies von der Betheiligung des Bodens an der Conservirung und Beproduction des Krank-heitsvirus, von der Tenacität des Giftes sowie von der Fähig­keit desselben zur ektogenen Vermehrung abhängen, alles Fra­gen, über welche die bereits eingeleiteten Versuche vielleicht noch einigen Aufscbluss zu geben vermögen.
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Das Besame unserer Beobachtungen würde dem­nach einstweilen so zu lauten haben:
1)nbsp; Die Wild- und Eiuderseuche, wie sie im Sommer 1878 in der Umgebung von München herrschte, ist eine neue, der gegenwärtigen Generation unbekannte Infectlonskrankheit, die primär beim Wilde (Wildschwein und Hirsch) sich entwickelt und sich weiter auf Binder und in einzelnen Fällen auch auf Pferde verbreitet.
Die Binderseuche ist identisch mit der Wildseuche.
2)nbsp; Die Seuche hat in verschiedener Bichtung Aehnlichkeit mit Anthrax, mit Lungenseuche, mit infectiösem Erysipel, ist aber mit keinem dieser Processe zu identificiren.
3)nbsp; Anatomisch ist die Krankheit charakterisirt durch ver­schiedene Localisationen: es lässt sich eine exanthematische (erysipelatose) Form der Seuche scharf unterscheiden von einer pectoralen. Bei beiden findet sich als gemein­sames Merkmal in der Begel eine hämorrhagische Darment­zündung. Die ätiologische Identität dieser Formen ergibt sich daraus, dass beide sich künstlich in einander überführen lassen.
3)nbsp; Das ursächliche Seuchengift ist verschleppbar und impf­bar, haftet an allen Theilen des erkrankten Körpers, besonders aber im Blute, in den specificirten Krankheitsproducten, im Darminhalt. Dasselbe vermehrt sich auf endogenem Wege, ob auch auf ektogene Weise, ist nicht festgestellt. Das Gift selbst besteht wahrscheinlich aus einem im Blute vorhandenen aber schwierig nachweisbaren pflanzlichen Mikroparasiten (Spalt­pilz *), der jedoch mit den bekannten Stähchenpilzeu des Milz­brandes keine Aehnlichkeit hat.
4)nbsp; Die Seuche bietet das merkwürdige und seltene Bei­spiel einer anscheinend autochthonen Entstehung und wurde früher wahrscheinlich zum Milzbrande gerechnet.
*) üeber diesen sehr diflicilen Punkt behalte ich mir nähere Mit-theihmg bevor.
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5)nbsp; Die Uebertragbarkeit der Seuche auf den Menschen ist zweifelhaft, während sich dieselbe durch Impfung auf Schafe, Ziegen, Pferde und Kaninchen übertragen lässt.
6)nbsp; In Anbetracht der Verheerungen unter dem Wilde und der immer noch fortdauernden Erkrankungen unter den land-wirthschaftlichen Hausthieren sind die denkbar strengsten Mass­regeln gegen die Weiterverbreitung der Seuche am Platze, be­sonders da die Möglichkeit einer Wiederkehr der Krankheit in den nächsten Jahren nicht ausgeschlossen werden kann.
Am Schlüsse unserer Mittheilung angelangt, erachte ich es für eine besondere Pflicht, mit Dank der einsichtsvollen Liberalität und Fürsorge unserer hohen Staatsregierung und Abgeordnetenkammer zu gedenken, welche durch Bewilligung reichlicher Mittel (2700 Mark für einmalige Einrichtungen, 8000 Mark für fortlaufende Ausgaben pro Jahr) die Erricht­ung einer Seuchen-Versuchsstation an der kgl. Thierarzneischule zu München ermöglichten — wobei dieFrage von der Zulässigkeit der Milch und des Fleisches tuberculöser Rinder als menschliche Nahrung ebenfalls in das Versuchsprogramm aufgenommen wurde. — Abgesehen von der hohen Bedeutung einer solchen experimentellen Station für die Erforschung der Infections-krankheiten überhaupt, dürfte der Beweis für die praktische und staatspolizeilich direct verwerthbare Nützlichkeit einer der­artigen Institution, deren sich bisher kein anderer Staat er­freut, bei Gelegenheit der besprochenen Seuche zur Genüge er­bracht worden sein.
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