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BIBLIOTHEEK UNIVERSITEIT UTRECHT
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Mittheilungen
über die
Rinderpest,
gesammelt
auf einer, im Auftrage der Königlich Preussischen
Staatsregierung im Frühjahr 1845 nach Polen
und Russland unternommenen Reise.
M
Von
Dr. fFerra. Theod, Jos, JSpinofa.
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1 -
Berlin, 1846.
Bei Aug. Hirschwalil.
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Torrede*
Jjas Interesse, welches die Rinderpest in der neusten Zeit erregte, ihre grosse Wichtigkeit für das Gemeinwohl, wie für die Wissenschaft, so wie endlich das Dunkel, welches über den Ur­sprung dieser Seuche, die Art ihrer Weiterver­breitung u. s. w. noch obwaltet, rechtfertigen wohl hinlänglich die Veröffentlichung der nachstehenden Mittheilungen, welche das Ergebniss einer, im Auf­trage der Königl. Staatsregierung nach Polen und Russland im Frühjahr 1845 unternommenen Reise sind.
Wenngleich ich nicht hoffen darf, den Gegen­stand erschöpfend behandelt und alles Dunkle auf­gehellt zu haben, so glaube ich doch auf theils Unbekanntes grössere Aufmerksamkeit lenken und für das Gekannte bestätigende, erläuternde oder widersprechende Thatsachen aufstellen zu können.
Diese Mittheilungen sind ein Theil des von mir erstatteten Reiseberichts, den ich deshalb nicht vollständig geben durfte, weil derselbe manche Mittheilung enthielt, welche aus verschiedenen
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Rücksichten der Veröffentlichung vorenthalten blei-ben musste. Das Ganze erleidet indessen hier­durch keinen wesentlichen Abbruch.
Bei der Anordnung der vorliegenden Abhand­lung habe ich mich an die, von dem hohen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Me-dizinal-Angelegenheiten für jene Reise mir ertheilte Instruction um deswillen gehalten, weil die in der­selben hervorgehobenen Punkte grade das umfassen, was der jetzige Stand der Wissenschaft zu er­forschen erlaubte.
Es wird mich freuen, wenn diese Mitthei-lungen, welche im Volke selbst gesammelt und wenig aus amtlichen Nachrichten geschöpft worden sind, Beifall erwerben, jedenfalls aber darf ich mir sagen, dass nur das Interesse für die Wissenschaft und der Wunsch, ihr nach Kräften zu dienen, mich veranlasste, den an mich ergangenen Auffor­derungen zu genügen, indem ich diese Blätter hier­mit der Oeffentlichkeit übergebe.
. :
Berlin im Aug
squot;-
st 1846.
Der Verfasser.
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Inhalt.
Kinlei lung...........nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;....
Allgemeine Hemerkungen ulier Rindrieliziirlit ii. s. gt;v. . . Ueber ilie Art dec Snlstehung der Binderpest u. s. w. , , Die Ausbreiliing dec Rinderpest in Polen und Russland Kranklieilsersrlteintingen in lebenden und todten Thleren, Ver
lauf und Natur der Rinderpest........
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Nacliriehlen über angewendete Heilmitlei und Impfungen und
deren Erfolg ...............nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;I^ij
Die Ausführung der medirinal-polizeiliclien Maassregeln in Polen
und Russland und deren AVirksamkeit, mit Rücksicht und im
Vergleich auf dieselben Maussregeln im Preussischen Staate 151
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Einleitung;.
s
Unter den verschiedenen Seuchenkrankhciten unserer Haus-thierc ist keine so verderbenbringend, wie die Rinderpest. Keine von ihnen bereitet dem Rindvieh so grosse Niederla­gen; keine von allen hat jemals den Wohlstand ganzer Län­der so gefährdet und zerrüttet und nie Vichbesitzer in gros-scre Besorgniss und Schrecken versetzt, wie diese höchst ansteckende und mörderische Krankheit, die oft, in ffrossen Zügen weithin über Europa sich verbreitend, Zcugniss von ihrer Herrschaft gegeben.
Die Geschichte liefert hiervon der traurigen Belege ge­nug und bekundet, dass die Seuche bereits seit 1400 Jahren von Zeit zu Zeit als Geisscl grössercr Ländcrstriehe auftrat. Dass sie dadurch von jeher die besondere Aufmerksamkeit der Landesregierungen auf sich gezogen, wird ebenso natür­lich erscheinen, als sie bei ihrem wiederholten Herannahen stets von Neuem wieder Besorgniss im Volke erregte. So war es denn auch im Herbste 1844 der B'all, als sichete Kunde von einer grossen Verbreitung der Rinderpest in dem südlich europäischen Russland — jener Quelle, aus der ein gi'osser Thcil von Schlachte ich für die benachbarten Länder bezogen wird — einging, und sich dieselbe im Spät­herbste auch bereits in Polen, Gallizien, Böhmen u, s. w. zeigte.
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Die Furcht, dass diesollie aucli über die Grenzen dieser Lander hinaus weiter westwärts sich verhrciten werde, schien um so mehr hegriindet, als man Ursache zu hahen glaubte: die Tilgungsraassregcln jener Länder für ungenügend zu halten, und überdies von dorther Ansichten über die Natur der heranziehenden Rinderpest laut wurden, die mit den seither gewonnenen Erfahrungen im Widerspruch stan­den, namentlich Stimmen für die autochthone Entwick­lung derselben bei uns sich erhoben.
So geschah es denn, dass von mehreren deutschen Re­gierungen, und selbst von Seilen Frankreichs, Sachverstän­dige in jene Gegenden (Böhmen) gesendet wurden, um Kenntniss und Belehrung über diese Krankheit zu schöpfen und hiernach Vorschläge zu den event, zu ergreifenden Si-chcrungsmassregeln zu machen.
Nur unsere erleuchtete Regierung zögerte anfänglich noch, in dein festen Vertrauen auf ihre bewährten Schutz-massrcgeln. Doch um der Wissenschaft willen und um in den von der Krankheit zumeist bedrohten Provinzen des Staates mit Thierärzten versehen zu sein, welche diese noch in mancher Beziehung dunkle Krankheit aus eigener Anschauung kennen, wurden von den Hohen Ministerien der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal - Angelegenheiten und des Innern auch preussischcr Seits später Thicrärzte entsendet.
Da hierbei richtig erkannt wurde, dass es im Interesse der Wissenschaft liegen müsse, die verschiedenen Ansichten, welche mau über die Natur der heranziehenden Rinderpest äussern hörte, näher prüfen zu lassen, so begnügte man sich nicht damit, Aufklärung in den nächstgelegenen Post­orten zu suchen, sondern man hielt es für nothwendig, den Quellen der diesmaligen Rinderpest nachforschen und über­haupt Untersuchungen über dieselbe in wissenschaftlicher, wie administrativer Hinsicht anstellen zu lassen.
So wurde denn mir im Februar 1845 der ehrenvolle Auftrag, mich zu dem gedachten Zwecke nach Polen und Russland zu begeben, während mehrere andere Thierärzte theils nach Böhmen, theils nach Polen beordert wurden.
Um mich von dem Stande der Angelegenheit zu unter-
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richten, wandte ielraquo; mich zunächst \nach Warschau. Den hier crhaltenexi Mitlheilungen zufolge, war die Rinderpest durch eine in der Nähe von Wlodawa über den zugefrorucn Bugfluss cingeschwärzte lieerde Steppenvieh in das König­reich eingeschleppt worden, hatte sich fast gleichzeitig an mehreren Orten gezeigt und war von diesen aus nach ver­schiedenen Richtungen hin weiter verbreitet worden. Ueber-all war der Gang der Seuche klar und evident aus erfolgter Ansteckung hervorgegangen. Gründe für die autochthonc Entwicklung des Leidens in Polen hatten sich nirgends er­geben, wie denn dieselbe überhaupt von allen den Sachver­ständigen, deren Bekanntschaft zu machen ich Gelegenheit fand, in Abrede gestellt wurde.
Die Üebcrzcugung eben, dass die Rinderpest stets nur durch Ansteckung in Polen zur Herrschaft gelange, und zwar vermittelst des zugetriebenen Steppenviehs eingeschleppt werde, hat zu dem Erlasse geschärfter Vorschriften, in den 1844 erlassenen raquo;Verordnungen der Veterinairpolizei u, s. w. (Ustawa Policyi vieterynaryjnéy)* geführt; doch selbst diese wurden von Sachkundigen für unzureichend und nicht streng genug erachtet.
Gleichzeitig thcilte man mir in Warschau mit, dass — neben der Unzulänglichkeit technischer Untersuchung — das Herrschen der Leberegelscuchc, welche zu fast grosseren Verlusten geführt, als selbst die Rinderpest, sehr in Dunkel gestellt habe, wo letztere herrsche und wo nicht, so dass mit Sicherheit kein Ort angegeben werden könne, wo die­selbe grassire. Nach den amt/tc/ieM Nachrichten sollte sogar die Rinderpest im Königreiche bereits erloschen sein.
So unangenehm es sein musste, sich von Muthmassun-gen leiten zu lassen, so sicher glaubte ich die Richtigkeit der amtlichen Nachrichten bezweifeln zu dürfen0); und es war an mir, dem Glücke vertrauend, die Rinderpest zu suchen.
Die Vermuthung, auf welche mich schwankende Ge­rüchte führten, die Pest herrsche in der Nähe der Ouarantainc-
*) Dies 1st weniger den Beliürdcn, raquo;leren freuiulliclies Biitgegen-kommen iclraquo; niclil genug rülimeu kann, als laquo;lern Volke zuzusclueiben,
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Oortcr Torespol und Wlódawa, gleichzeitig aber der Wunsch, mich von der Einrichtung der letzteren zu unterrichten, bewog mich zu einer Bereisung derselben in Begleitung des Veteri­nair-Assessors Ripke; während die Departeraents-Thierärzte Kuhlmann, La Nolle und Richter sich nach Lublin begaben.
Die genaueste Nachforschung in der Nähe der angege­benen Ouarantaine-Oerter, so wie in den von mir berührten Ortschaften Hess nur die Leheregeheuc.he — und sie aller­dings in grosser Ausdehnung — entdecken, die Rinderpest fand sich erst in der Nähe von Lublin — unter dem Vieh des Gutes Cieczerxyn, Wronowo u. s. w. -—
Die ersten Nachrichten von dem Herrschen der diesma­ligen Rinderpest und ihrem Herannahen an die russisch-pol­nische Grenze gelangten schon im Anfange Octobers nach Warschau. Sofort wurden nun von Seiten der Behörden die wegen der Viehtriebe aus Russland gewöhnlich bestehen­den Vorschriften verschärft.
Die Seuche trat indessen, wie oben bemerkt worden, trotz aller Vorsicht der Behörden, durch eine über die Grenze geschmuggelte Heerde verbreitet, im Königreiche an mehre­ren Orten auf. Nach dem Eintritt in Polen scheint diese lieerde eine Theilung in zwei Triebe erlilten zu haben, von denen der kleinere sich nordwestwärts in das Warschauer Gouvernement, der grösserc aber in das von Lublin verbrei­tete. Wenigstens ist der Gang der Seuche nach diesen bei­den Riehtungen hin ursprünglich klar zu erweisen gewesen, und wie für das Gouvernement Warschau der Markt zu Praga, so ist der zu Lublin für diesen Bezirk zum Mittel-punete für das Umsichgreifen der Rinderpest zu bezeichnen; indem von diesen beiden Orten die Forlpllanzung des Con-tagiums, theils unmittelbar durch krankes Vieh, theils mittel­bar durch andere marklbarc Gegenstände (z. B. Heu) fast überall nachgewiesen werden konnte.
Einmal zum Ausbruch gekommen, fand diese Seuche in mancherlei Verhältnissen Begünstigung für ihre Verbreitung: Unwissenheit des gemeinen Volkes auf der einen, Halsstar­rigkeit und offene, wie verdeckte Widersetzlichkeit gegen die Anordnungen der Behörden, wie sie der grösserc Besitzer iu
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Polen nicht selten bewiesen haben soll, auf der andern Seite leisteten der Verbreitung der Seuche ausserordentlichcn Vorschub, um so mehr, da gewissenlose und gewinnsüchtige Personen beide Lebelsläude zu ihrem Vortheile in der be­züglichen llichtung auszubeuten bemüht waren.
Folgender, mir erzählter Fall möge (unter mehreren ähnli­chen) als Beleg für das so eben Gesagte, hier Mittheilung finden. Im November brach unter dem bedeutenden Viehstande des Gr. P. in W. die Rinderpest aus. Anfangs für blossen Durchfall erklärt, erschien sie doch, nachdem bereits 50 Stück krepirt waren, bedenklicher, und es wurde der Director der Areteri-nair-Schulc Ostrowski zur näheren Constatirung der Krank­heit nach W. gesendet. Der Besitzer wies nun jede Til-gungsmassrcgel hartnäckig zurück, behauptete die Krankheit sei nicht die Rinderpest, und beantragte bei der Regierung die Gcstattung von Heilversuchen durch einen Menschen, der vorgab, im Besitz eines untrüglichen Mittels gegen die Krank­heit zu sein. Diesem Antrage wurde Folge gegeben, und jenem Pfuscher, unter Aufsicht eines Sachverständigen, Heil­versuche anzustellen gestattet. Das Mittel wurde an 32 Stück versucht — doch alle starben. Entrüstet hierüber liess der Besitzer den Rest seines Viehes (8 Stück Kühe) tödten, um mit diesem zugleich auch die Pest zu tilgen.
Die Natur der Rinderpest anlangend, so halten alle die­jenigen Sachverständigen, welche ich in Polen kennen lernte, und von denen ich besonders des Geh. Medizinal-Raths Dr. fVoJde, des Directors der Thicrarzneischule zu Warschau Ostrowski, des Assessors und Lehrers ebendaselbst Eycli-ler, und des Lekarz Powiatowi Buczynski zu Siedice (ei­nes Schülers von Bojanua) erwähnen muss — dieselbe für einen Typhus contagiosus.
Wie zu erwarten stand, sind in Polen vielfache Kur­versuche angestellt worden; man hat die widersprechendsten und mannichfachsten Heilverfahren in Anwendung gebracht. Man hat, die Erscheinungen im Cadaver für solche dagewe­sener Entzündung nehmend, die antiphlogistische Heilmethode in grösserer oder geringerer Ausdehnung in Anwendung ge­bracht und hat davon keinen Nutzen gesehen; man hat, die
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Symptome am lebenden Thierc besser würdigend, €hlor, Mincralsäureu (namentlich die eisenhaltige Salzsäure) Campher u. s. w. angewendet, ist jedoch auch hier zu einem über­zeugend günstigen Resultate nicht gekommen und ist meist so ehrlich gewesen, dies einzugestehen.
Impfungen, Behufs schnellerer Tilgung der Krankheit u. s. w., sind nicht unternommen worden..
Halte sich in Polen Gelegenheit dargeboten, die Rinder­pest selbst in einer Anzahl von Kranken zu beobachten, so schien es mir für die übrigen Zwecke meiner Reise ange-messen, wenn ich im ferneren Verfolge dieser meinen Weg durch Volhynien, und zwar zunächst In entgegengesetzter Richtung desjenigen Weges nähme, auf welchen die lieerden Sleppenvieh dem Königreich Polen zugetrieben Werden. Fol­gende Gründe imisslcn mich hierfür besonders bestimmen.
1.nbsp; nbsp; nbsp;Konnte dadurch, unter den obwaltenden umständen, dass nämlich sichern Nachrichten zufolge in den Steppen selbst die Rinderpest grassire, am meisten Aufschhiss über die Frage erhalten werden: ob die Rinderpest ursprünglich nur in dem Steppenvieh sich entwickle, und dieselbe daher vorzugsweise durch dieses nach Polen (und andern Länder-theilen, welche Vieh dieser Race beziehen) verschleppt wor­den sei. Denn es musstc sich hierbei herausstellen, ob die Rinderpest ausschliesslich nur in der Richtung, in welcher das Steppenvich getrieben worden, sich verbreitet hatte. Sobald dies der Fall war und anderen Orts, unter gleichen Verhältnissen in der Viehhaltung, die Krankheit sich nicht zeigte, musste auch die Ansicht, nach welcher die Rinderpest bei andern, der Steppenrace nicht angehörigen Viche sich auch ursprünglich entwickeln könne, sehr geschwächt wer­den; und insofern es gelang, darüber sicheren Aufschhiss zu erhalten, ob bei den einzelnen Ausbrüchen der Rinderpest unter den einheimischen Vieh die Ansteckung nachzuweisen gewesen, musste das Irrige jener Annahme um so mehr dar-gethan werden.
2.nbsp; nbsp; nbsp;Konnten durch Verfolgung des Weges bis zur Step-pengrenzc (in den Steppen selbst war natürlich zur Ent-
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schcidung obiger Frage kein positiver Aufschluss zu erhalten) auch genauere Nachforschungen über die Art, die Mittel und Wege der Verschleppung etc. der Rinderpest angestellt wer­den; vielleicht noch weniger bekannte, oder selbst noch unbekannte und neuen Aufschluss gebende Thatsachcn ge­sammelt werden.
3.nbsp; nbsp; nbsp;Nicht minder lag aber auch mehr oder weniger die Aussicht vor, die Rinderpest bei dem Stcppenvichc und in ihrer Ilcimath seihst, unter den gewöhnlichen Lebensver­hältnissen desselben, beohachten zu können; wozu sich bis dahin den deutschen Reisenden wenig oder gar keine Gele­genheit dargeboten bat.
4.nbsp; nbsp; nbsp;Endlich glaubte ich, auch noch darin eine Auffor­derung zur Reise his in die Steppenlandc finden zu müssen, dass Behufs der Beobachtung der lliuderpest von verschiedenen teutschen Staaten und seihst von Frankreich Sachverständige, entsendet worden waren, keinerseits aher wesentlich ein anderer Zweck als der, die Rinderpest als Krankheit kennen zu ler­nen, verfolgt worden ist, und somit für die Aufhellung der Eingangs genannten Streitfrage, durch jene Reisende, sich eben kein Resultat versprechen Hess. Unter diesen Um­ständen hielt ich es den sonst und überall an den Tag ge­legten Gesinnungen meiner vorgesetzten Behörde für ange­messen, wenn ich mich der beschwerlichen und vielfach gefahrvollen Reise, um der Wichtigkeit des Gegenstandes und des noch aufzuklärenden Dunkels willen, unterzog.
Der Weg nun. welcher mit den, aus den Steppen kom­menden Trcibheerden gen Wlodawa (dem Einlassorte für dieselben nach Polen) eingefchlagen wird, berührt die Städte StarokonstantynoW) 'Anslaw. Ostrog, Duhno, Luck und Kovel, in welchen Orten die Trcibheerden zur Zeit der herr­schenden Seuche auch zugleich eine Revision (Besichtigung durch den Lekarz Powiatowi) unterworfen werden.
Auf dieser ganzen Route durch Volhynicn nun wurde mir uherall die Mittheilung, dass die Rinderpest in der Um­gegend geherrscht, bereits (um Starokonstantynow) schon im Monat September begonnen und etwa Ende November
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am meisten an Ausbreitung gewonnen gehabt habe; zur Zeit jedoch (Anfangs April) nicht mehr grassirc0)
Zu den interessantesten Mittheiiungen, welche mir in Betreff der Rinderpest auf meiner Reise durch Volhynien geworden sind, gehören diejenigen des hekarz Powiatowi (Kreisarztes]) Dr. Pawlowaki in Dubno und des Dr. liorg-mann in Starokonstanlynow. Es dürften daher die Mitthei­iungen dieser heiden Aerzte um so mehr hier etwas spezieller angeführt zu werden verdienen, als dadurch zugleich die in ganz Volhynien herrschenden Ansichten über die Rinderpest gewissermassen repräsentirt werden, und jenen etwa direkt widersprechende nirgend gegen mich geäussert worden sind.
Pawlowaki hat früher, wie er sagte, längere Zeit im südlichen Russland und im Orient verweilt, dort Gelegenheit genommen die Menschen- wie die Rinder-Pest specicller zu studiren, über erstere auch seine Observationen in polnischer Sprache der Ocffentlichkeit übergeben. Nach ihm sind beide Krankheiten analoge Leiden: was die Pest für den Menschen sei die Rinderpest für das Rindvieh. — Bei dem einhei­mischen (dem volhynischen) Vieh entwickelt sich die Krank­heit nach P, niemals ursprünglich; diesem wird sie stets von dem Steppenvieh mitgetheilt. Oftmals schon sei ihm der Fall vorgekommen, dass eine Lebertragung von scheinbar gesundem und später auch gesund gebliebenem Steppenvieh stattgefunden habe. In derartigen Fällen sei es ihm durch Nachforschungen gelungen, zu ermitteln, dass in solchen Heerden Steppenvieh bereits die Krankheit früher grassirt habe, und somit ein Durchgeseuehtsein der betreffenden Thiere vor oder während der Wanderung angenommen werden
*) In Bizesc-Xitewsld (Litlliauen), dem Qunrantaiiie-Oile Teres-liol gegenüber, be]iaup(ete man die Kindeipest in der Umgegend gar niclil gehabt zu haben; was sich dadurch erklären lässl, dass über diesen Ort direkt aus den Steppen kommende Treibheerden in das Königreich Polen nicht einpassiren. Ebenso lässt sich daraus auch die Thatsache erklären, dass während der ganzen Zeit, wo Wlodatva geschlossen war (von Ende November bis März) und Terespol der ein­zige Kinlassort für das von russischer Seite kommende Vieh bildete, über letzteren Ort die Pest nach Polen nicht eingeschleppt worden ist.
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müsse. Das Contagiiun klebe aber solchen Thieren noch längere Zeit an und so komme es, dass überall dort, wo sie mit dem einheimischen Vieh in Gemeinschaft geriethen, unter diesen die Pest bald zum Ausbruch gelange, während sie selbst gesund blieben. — Dieser Umstand gebequot; dann auch häufig zu der falschen Ansicht, die Pest sei nicht durch das eingeführte Steppenvieh unter den einheiinisehcn entstanden, die Veranlassung; eine Ansicht, welche die Viehhändler nur zu sehr bemüht wären zu verbreiten1; was ja in ihrem In­teresse Hese. Wer aber das Treiben dieser Leute, die übri-gens den Verlauf der Rinderpest in der Regel gut studirt hätten, zu beobachten Gelegenheit gefunden und kenne, der wisse auch, was .auf ihre Aussagen zu geben sei. Der Fall, wo die ganze lieerde aus durchgeseuchten Stücken bestehe, konnnc jedoch nur selten vor und könne nur dann sich ereignen, wenn die Pest schon in den heimathlichen Steppen selbst grassire, der grösste Theil der Heerde — oder alle Thierc derselben. — die Krankheit dort schon überstanden hätte, und die wenigen noch verschont gebliebenen in den ersten Tagen der Wanderung von ihr ergriffen würden. Gewöhnlicher gelangten indessen die lieerden in Dubno an, wenn die Krankheit in derselben noch nicht getilgt sei, oft erst eben zum Ausbruch komme. Da nun aber den Händ­lern alles daran liegen müsse, keine kranken Thierc am Orte der Revision mitzuführen, weil sie sonst könnten angehalten werden, so veräusserten sie unterwegs (zwischen den Revi­sionsorten) die ihnen verdächtigen Thierc, und trotz der schon so oft geinachten traurigen Erfahrungen, fänden sich auch immer Abnehmer. Durch den Ankauf erkrankter Stücke (von den Händlern für ermüdete ausgegeben) wäre die Pest in seinem Amtsbezirke gar oftmals schon zum Aus­bruch gekommen, trotz den angeordneten Revisionen. Es könne dies auch nicht anders sein, da in Russland die Vieh­händler weiter keiner strengern Controle unterworfen wären, sie überall auf ihrer Wanderung Vieh absetzten, wo sich Käufer fänden. Wenn daher die Pest in den benachbarten Steppenländern herrsche, oder das Vieh auf seiner Wande­rung daran erkranke, so wäre es kaum anders denkbar, als
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dass durch die Troibhcerden die Krankheit weiter verschleppt und auf das einheimische Vieh übertragen werde. — Da nun der Zutrieb jenes Viehes von Monat Juni bis November dauere, so käme denn auch in der Regel im Herbst die Krankheit in dortiger Gegend unter dem einheimischen Viehe zum Ausbruch (wohl richtiger gesagt, erst zur offenbaren Kunde.)- So sei es auch diesmal der Fall gewesen: Anfangs November vorigen Jahres (1844) hätten sich die ersten Pest­fälle in seinem ausgedehnten Amtsbezirke gezeigt, und überall habe sich herausgestellt, dass die Pest von angekauftem Steppenvieh ausgegangen sei, und zwar von Vieh, welches aus Bcssarabicn gestammt hätte. Das meiste Vieh, welches Volhynien erhalte, namentlich dasjenige, welches von den Brennereibesitzern Volhyniens zum Mästen im Herbste auf­gekauft werde, so wie auch jenes, welches hier durch- und dem Königreich Polen zugetrieben werde, komme aus der Ukraine und Podolien, wenig nur ans Bessarabicn.
PawJowshi bemerkte ferner bezüglich der Tilgungs-massregcln gegen die Rinderpest, dass nach seiner Ansicht nur in dem zeitigen Gebrauche der Keule das sicherste Mittel für Volhynien gefunden werden könne. Alan habe um so mehr Ursache, in einem durchgreifenden polizeilichen Ver­fahren das zweckentsprechende Mittel für die Unterdrückung der Rinderpest zu finden, als alle bisher versuchten Heil­mittel gegen dieselbe sich nutzlos bewiesen hätten. Seiner Meinung nach könnten überhaupt Kurversuche nur erst dann zulässig erscheinen, wenn durch andere Hilfsmittel eine schnelle Tilgung der Krankheit nicht mehr zu erwarten stände; wie dies z. B. bei sehr grosser Verbreitung der Pest der Fall sein könne. Indessen auch dann würden, seiner Er­fahrung nach, Arzneimittel wenig oder gar keinen Erfolg bringen und gewiss, wie er behaupten zu können glaube, keinen bessern, als wenn man der Natur das Heilgeschäft allein überlasse. — Wenn man von einzelnen Mitteln wohl Rühmens gemacht habe, so habe man hierbei übersehen, dass die Pest nicht immer gleich bösartig sei. In sehr bösartigen Fällen nütze Nichts! — und in den gelindern pflegten viele
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Tlüerc durchzuseuchcn, auch ohne Ziitlum der Kunst. — Impfungen sind von PawlotvsM niemals versucht worden.
Der Dr. Borgmann (ein geb. Hannoveraner und auf deutscher Universität gebildeter Arzt) welcher bereits seit 35 lahren in Russlund lebt, den grössten Thcil dieser Zeit in seiner jetzigen amtlichen Stellung zubrachte und in Bezug auf die Rinderpest ein erfahrner Mann genannt zu werden verdient, theiltc mir mit, dass in seinem Amtsbezirk im Laufe des vorigen Herbstes, zu Anfang September schon, die Rinderpest zum Ausbruch gekommen sei und zwar zu­nächst unter dem Vielie der Stadt selbst, später aber sei dieselbe auch in verscliiedenen Gemeinden, jedoch meistens nur in den der Stadt benachbarten vorgekommen. Die grösste Verbreitung habe die Krankheit gegen den Monat November erreicht gehabt, im December und Januar aber seien keine neuen Ausbrüche mehr vorgekommen und scheine dieselbe gegenwärlig (April) erloschen. Borgmann's Mei­nung nach ist die Pest hiesigen Orts nicht durch die Trcib-heerden eingeschleppt, sondern durch die Ochsen der Fuhr­leute (Tscbumaki) welche den Sommer und Herbst über Salz von Odessa: nach Starokonstantynow (welches einer der Haupt-Salzniederlage-Orte in Volhynien ist) transportiren. Unter den Ochsen dieser Fuhrleute soll, durch die Strapazen etc., welchen dieselben auf ihrer Reise unterworfen sind, bedingt, die Pest am gewöhnlichsten sich zeigen. Es ist nun üblich, dass die Ochsen, nachdem das Salz in der Stadt abgeladen worden, auf eine bei der Stadt gelegene Weide getrieben werden, die auch von dem Stadtvieh besucht wird. Durch diese genannten Verhältnisse nun, behauptet Borg­mann, ist Starokonstantynow mehr als alle übrigen Orte den Ausbrüchen der Rinderpest preisgegeben. Er glaubt ferner behaupten zu können, dass die Viehheerdcn, welche, aus Podolien kommend, dem Königreich Polen (über Wlo-dawa) und zum Theil auch Gallizien (Brody über Radziwilow) zugetrieben werden, gewöhnlich erst in Starokonstantynow infizirt würden; so auch in diesem Jahre. Jene Treibheerden nämlich müssten Starokonstantynow passiren, verweilten eben-, falls auf der genannten Weide, und so sei die Gelegenheit
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zur Ansteckung liinlänglich gegeben. Mit einem Worte, Starokonslantynow werde im eigenliiehen Sinne des Wortes gar oft ciil wahrer Pcsthcerd, und von hier aus würde die Pest, da Starokonstantynow ferner zugleich als ein Sammel­platz von Steppenvieh zu betrachten sei, den westlich ge­legenen Ländern, wohin das Vieh wandere, zugeschleppt. 7i'laquo;. Meinung nach, wenngleich sich derselbe aus eigner Erfah­rung kein bestimmtes Urlheil darüber beimisst, entwickelt sich spontan die Rinderpest unter dem Vieh in Podolien nicht, sondern es sei vorzugsweise das Krimmer Vieh, unter wel­chem sie sich ursprünglich entwickle. Seinen bisherigen, vielfachen Beobachtungen zufolge, war es stets dieses Vieh, namentlich die zum Fuhrwerk verwendeten Ochsen, durch welche die Pest nach Volhynicn gebracht wurde. Unter dem einheimischen Vieh und selbst unter jenem, das sich seiner Ge­stalt und Abkunft nach dem Steppenvieh nähere, komme die Pest ursprünglich niemals zum Ausbruch; diesem Vieh man­gele durchaus die Anlage. Heftiger pflege jedoch die Krank­heit unter dem einheimischen Vieh aufzutreten und die Sterblichkeit grosser zu sein, ohne dass hierbei bei den verschiedenen hierorts gehaltenen V'ichschlägen ein Unterschied beobachtet werde. So sei diesmal auf dem grossen Gute in Starokonstantynow, wo neben dem Vieh einheimischen Schla­ges auch 40 Stück Tyroler Kühe gehalten werden, bis auf wenige Stücke, säramtliches Vieh an der Pest gefallen.
Heilmittel sind von Borgmann verschiedene versucht. Innerlich ist am meisten jedoch die eisenhaltige Salzsäure angewendet worden. Ein in dortiger Gegend sehr beliebtes Mittel sei Theer mit Knoblauch, womit man den Thieren das Maul bestreiche. Aeusserlich sind Chlorräucherungen in Gebrauch gezogen, und auch kalte Sturzbäder versucht wor­den; doch im Allgemeinen alle Mittel mit gleich fruchtlosem Erfolge. Wenigstens wurde durch dieselben kein günstigeres Resultat erzielt, als wenn man gar Nichts unternahm. — Impfungen sind niemals versucht worden.
Borgmann stellt die Rinderpest dem Abdominaltyphus der Menschen zur Seite, hält sie für im höchsten Grade ansteckend und glaubt, dem einheimischen Vieh eine gröamp;sere
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Empfänglichkeit für das Contagium beimessen zu müssen. — Seine Angaben über die Zufalle und den Verlauf der Krank­heit weichen nicht von dein Bekannten ab. Der Verlauf wie die Dauer zeigen sich verschieden. Gutgenährtc, kräftige Thicre pflegen eher zu erliegen, als die im mittelmässigen Futtcrzuslande sich befindenden. Die Sterblichkeit ist bei ersteren am grössten. Race und Geschlecht scheinen bei den einheimischen Thiercn ohne Einfluss zu sein.
Leber die polizeilichen Massregeln Hess sich Borgmann in gleicher Weise aus, wie Paiclowskl in Dubno. Auch er klagte über die Lnzulänglichkeit derselben.
Früher, als in Volbynien, zeigte sich die Rinderpest in der Ukraine, und soll dieselbe im Gouvernement Char­kow bereits Anfangs Juni aufgetreten und sich dort mit reis-sender Schnelligkeit weiter verbreitet und überhaupt sehr bösartig gezeigt haben. (Man schätzt den Verlust, den dieses Gouvernement allein an Vieh erlitt, auf 50,000 Stück).
W ie mir der Gubernial Medicinal-Inspector Brxcünshi millheilte, hüllen die grossen Verluste Alles aufbieten lassen, um der Krankheit vorzubeugen, Da hierzu nun die Erfor­schung der Ursachen zunächst gehöre, so sei, auf seinen Antrag, Seitens des Gouverneinenls die medizinische Fakultät der Lniversität Charkow zur Abgabe ihres Gutachtens auf­gefordert, und habe diese zur mögliclisten Aulhellun? der Sache dienlich erscheinende Üntersuchunscn anseordnet und respect, ausgeführt. Der Professor der Veterinairkunde sei nach jenen Ortschaften, in denen die Krankheit zunächst aufgetreten, gesendet worden, um an Ort und Stelle Nachforschungen über die Art und Wege der Entstehung der Pest anzustellen. Man unternahm mehre Versuche, welche hätten dazu führen können, über die veranlassenden Ursachen der Rinderpest Licht zu verbreiten. Man untersuchte das Trinkwasser und Flitter, chemisch und mikroskopisch. Man traf Abänderungen, im Fulter und Getränk sowohl, als Ilinsichts der Aufent­haltsorte. Man suchte mehre reiche Grundbesitzer dahin zu bewegen, Stallungen zu erbauen, um den Thiercn ein Obdach zu gewähren. — Ebenso wenig als etwas direkt Nachtheiliges an dem Futter (etwa Kryptogamcubildung u. s. w.)
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oder in dem Trinkwasser aufgefunden werden konnte, ebenso blieben die getroffenen Acndernngen in dem Verhalten der Tliiere ohne Einfluss auf die Weiterverbreitung u. s. w. der Pest: sie wütbete fort. Alle versuchten Heilmittel blieben fruchtlos, doch schien von dem angewendeten das Calomel zu £) j zweimal täglich, in Pillcnform gegeben, zu Anfange der Krankheit, wenn noch Obstruction vorhanden. Einiges, im Ganzen jedoch wenig zu leisten. — Impfungen versuchte man nicht.
Bezüglich der Natur der Rinderpest Hess sich Herr JBrxciinshi dahin aus; dass er sie für einen im hohen Grade contagiösen Typhus gastricus und dem Typhus des Menschen analog halten müsse. — Er glaubt, dass die Ur­sachen miasmatischer Art und spccicll auf den Nahrungs-schlauch (durch das Blut?) von nachtheiliger Wirkung sei: Entzündung des vierten Magens u. s. w. veranlasste. — Ein Üntcrshicd in dein Stcrblichkcitsverhältniss zwischen dem Stcppenvieh und anderm Vieh ist von Brzciinski nicht beobachtet worden. Die grösscre oder geringere Sterblich­keit richte sich zwar bei den verschiedenen Seuchengängen nach der Bösartigkeit der Krankheit; denn nicht immer trete sie gleich bösartig auf, hänge aber vorzugsweise von der Dauer der Seuche ab. Gegen das Ende der Seuche sei die Sterblichkeit stets geringer, wie dies mit allen epidemischen und contagiösen Krankheiten der Fall sei. — In Bezug der Gegend, wo die Rinderpest ursprünglich sich entwickelt; so hält BrzcünaJd insbesondere das untere Flussgebiet des Don für die Ilauptcntwicklungsstätte derselben. In jener Gegend soll sie alle 5 — 7 Jahr erscheinen.
In PodoUen scheint gleichfalls, wie in VoVtynien, die Pest im Monat September, in einzelnen Gegenden dieses Landes (im Distrikt Balta) seihst noch früher aufgetreten zu sein. Nach den an Ort und Stelle erhaltenen Mittheilungen wurde dieselbe nach dem obern Podolien, in die Nähe von der Stadt Lityn, gleichfalls durch zum Salztransport benutzte Ochsen gebracht und, wie aus glaubwürdigen Munde er­zählt wurde, auf folgende Weise:
Der Besitzer des Dorfes J. Herr v. C%, Hess im Herbst
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1844 auf 150 mit Ochsen bespannten Wagen Weizen nach Odessa transportiren und zurück Salz laden. — Dies Verfah­ren wird von vielen Gutsbesitzern Podolicns executirt, um ihren Weizen Oberhaupt und zu höhern Preisen anzubrin­gen. Doch würde der Transport des Weizens (der Schfl. kostete 1844 in loco ungefiihr f Thlr.) nach Odessa, der grossen Entfernung wegen, sich nicht lohnen, wenn dieser Ort (die Hauptsalzquellc für Rnssland) nicht zugleich Gele­genheit darböte, für die Rückfracht Salz zu verladen, um hierdurch die Reisekosten zu decken. — Auf der Rückreise von Odessa zeigte sich nun unter den Gespannochsen des v. Gz. die Pest, mehrere krepirten, so dass man sich ge­zwungen sah, in Lityn (einer Stadt auf der Strasse nach Odessa, etwa noch 80 Werste von J. entfernt), mehrere be­frachtete Was;en zurück zu lassen. Die heimkehrenden Ochsen brachten die Pest nicht nur nach J., wo die Nieder­lagen unter dem dortigen reichen Vichstande enorm gewesen sein sollen, sondern die Krankheit verbreitete sich auch bald in der Umgegend.
In Podolicn hört man überhaupt sehr allgemein be­haupten, dass ihnen die Pest vermittelst der zum Salztrans­port verwendeten Ochsen zugeführt werde. Die ursprüng­liche Entwicklung der Pest in Podolicn selbst wird fast durchweg in Abrede gestellt, mindestens als die seltenste Art ihres Auftretens hezeichuet. Nach den Mittheilungen des bereits seit 1833 als Gouvernements-Thierarzt thätigen Vete­rinair-Assessors Solognb in Kamenicz-PodohJe namentlich, hat sich weder diesmal noch je, wenigstens während seines Dortseins, die Rinderpest an Ort und Stelle entwickelt, son­dern stets (sie herrschte 1834, 1838, 1841 und 1844) ist sie eingeschleppt, und zwar durch die Ochsen der Tschu­rn aken. Er hält überhaupt den Salztransport von Odessa aus in die diesseitigen Gouvernements für den gewöhnlich­sten Weg, auf welchem die Pest verbreitet wird. Nach ihm sollen Behufs der Transportirung des Salzes jährlich gegen 1 Million Ochsen verwendet werden. Wenngleich nun die Pest iü den grosseren Steppen ursprünglich am gc-
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#9632;wölinlichsteu entsteht, und jene als der eigentliche Hecrd dieser Krankheit betrachtet werden müssen, und dieselbe von dort aus vorzugsweise, wenn auch nicht alleinig, durch das Zusaramcntrcffen der zum Salz transport in Odessa versammellcn Ochsen verschleppt werde, so glaubt Sologub doch auch, dass durch die Fatiguen u. s. w., welchen die Thierc aul' der Reise ausgesetzt wären, die Pest erst bei ihnen sich entwickeln könne, auch wenn dieselbe in den Steppen selbst nicht herrsche. — Entschieden glaubt er, sich gegen die ursprüngliche Entwicklung der Pest in dem nord-Avestlichcn Thcile von Podolien aussprechen zu müssen; da hier das Rindvieh noch besser gehalten werde und im Win­ter vvenigslens ein Obdach finde, überhaupt diesem Theile von Podolien noch die Slcppcnnatur abgehe, und solche erst in dem südöstlichen Theile Podolicns, in dem District Balta, hervorlrcte.
Einen mildern Verlauf der Pest bei dem Vieh der Slep-penrace, als bei dem übrigen, nicht dieser Race angehörenden Rindvieh (wie es davon in diesem Theile von Podolien noch geibt, (cf. den folgenden AbschnilQ will So/og-w6 nicht beob­achtet haben. Der Nährzustand sei weit entscheidender: je wohlgenährter die Thiere, desto gefährlicher sei die Krank­heit, dagegen von weniger gulgenährten, doch nicht magern, und an Arbeit gewöhnten Ochsen komme eine grösscre An­zahl davon. Auch glaubt er, wenn ernstlich etwas bei den Kranken geschähe, namentlich eine gute diätetische Pflege ihnen würde, dass dann viel mehr durchseuchen würden. Davon könne aber hierorts nicht die Rede sein: die gegebe­nen Rathschlägc und Anordnungen würden wenig beachtet und noch weniger befolgt. Immer habe er aber bemerkt, dass, wenn die Seuche schon länger geherrscht habe und ihrem Ende entgegen gehe, die Krankheit von ihrer früheren Bösartigkeit verliere, und mehr Thierc durchseuchten, als zu Anfange derselben. Ucbrigens verhielten sich auch nicht alle Seuchen gleich; es zeigten dieselben vielmehr unter sich eine dem Grade nach verschiedene Bösartigkeit.
Als Hcilmillel hat sich Sologub besonders der Salz-
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säure bedient. Er glaubt einigen, im Ganzen jedoch keinen erheblichen Nutzen davon gesehen zu haben. — Impfungen, Behufs schnellerer Tilgung der Krankheit, hat er nie vorge nommen, und er fühlt als Grund an, dass sich die Besitzer doch dazu nicht verstehen würden.
Dem Wesen -nach hält Sologub die Rinderpest für ein rühr artiges, höchst ansteckendes Fieber.
Wie in Podolicn, so auch in Bessarahien, hört man vielseitig die ursprüngliche Entwicklung der Pest läugnen Man klagt auch hier vorzugsweise die zum Salztrans­port verwendeten Ochsen als die Üeberbringcr der Pest an. So soll auch diesmal die Pest von Odessa aus über Akierman, wro die Krankheit schon im Monat July sich ge­zeigt, in nördlicher Richtung Bcssarabicn durchzogen und bereits im Monat August die nördliche Spitze dieses Landes erreicht haben.' Reichlich bot sich in Bessarabien Gele­genheit dar, die Pest zu sehen u. s. w., doch war hier mit manchen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Die Bewoh­ner wurden weniger zugänglich als in den übrigen bereisten Provinzen gefunden. Unser Erscheinen schien ihnen augen­fällig Misstrauen zu erwecken: sie suchten die Kranken zu verheimlichen, namentlich aber die Cadaver durch schnelle Beiscitschaffung und Abhäutung der Lntersuchung zu ent­ziehen. Wir hatten unsere ganze Ucberredungskunst, neben Geldopfern aufzuwenden, um zu unserem Zwecke zu gelan­gen. — Die Besitzer verlangten von uns Hilfe und zeigten wenig Neigung, ihr krankes Vieh blos unserer Belehrung Preis zu geben. Sie stellten uns z. B. die Bedingung, dass, wenn wir ihre Kranken in Behandlung nehmen wollten, sie uns für jedes geheilte Stück bezahlen würden, dagegen soll­ten wir ihnen jedes gefallene Stück ersetzen. — Eine Be­dingung, auf die natürlicher Weise nicht eingegangen wer­den konnte: der Ortsvorsteher bemerkte auf unsere auswei­chenden Antworten sehr naiv: raquo;Wenraquo; Ihr so weit her­kommt und könnt uns keine Hilfe bringen ^ was wollt Ihr denn hier? Unser Vieh hlos anschauen, nützt uns iVtc/i/laquo;; der Anschauer giebt es auch hier^ aber noch Niemand brachte uns Hilfe, Da dächte ich, wäret
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mich Ihr besser daheim gehlieben, als Euch in unsere Steppen xu verirren.raquo; *) —
Der BcssaraLier scheint voller Misstraiien gegen die Behörden und alle Fremde zu sein, die bis in ihre elenden Hütten dringen; und wir hatten hinlänglich Gelegenheit, uns davon zu überzeugen, was uns in dieser Beziehung von Kennern des Landes mitgcthcilt worden war.
Ausseiquot; der Beobachtung von Rinderpest-Kranken selbst, bot sich zugleich auch genügende Gelegenheit dar, von dein laquo;ränzlichen Uebersehcn und Lmcehen aoh Polizei- und son-stigen Tilgungsmassrcgeln gegen die Krankheit Kenntniss zu nehmen. Weder von einer Absonderung zwischen Ge­sunden und Kranken — wozu sich übrigens auch keine Gelegenheit findet, da weder Stallungen vorbanden sind, noch Material zur Erbauung von Nothställen u. s, w. zur Hand ist — noch von einem sonst irgendwie beschränkenden Verkehr der infizirten Ortschaften mit anderen, noch unin-fizirten, war eine Spur zu entdecken. Die Kranken lagen überall bei den Hütten, oft dicht,am Wege: die Bewohner fuhren mit ihren noch gesunden Ochsen in die benachbarten Orte respect. Städte zu Markte u. s. w. Die Cadaver wurraquo; gen abgeledert und die Felle bei der Behausung getrocknet; die Hunde schleppten sich mit dem Luder umher u. s. w.quot;), Dass unter solchen Umständen die Pest,reissendc Fortschritte macht, kann nicht befromden; und die so erheblichen Ver­luste, wie sie Bessarabien während der jetzigen Seuche er-
*) Ich iniissle also liier beinalie dftjfcclbä erfalireil, laquo;orülu-r sclioii Gmclin aus dem Jahre 1768 1gt;ei einer äliiiliclien Gelcjenlieil, in einem Dorfe am Don, Klage führt; er laquo;ollle helfen, Ueilver-siielic anstellen, halte Mittel bei sich, \gt;\\v vom Gouverneur ilazu liefehligl mul bevollinächligt ^ allein die Uinwohnei- statt zu danken, raquo;aren ängstlich, entflohen und liessen kaum zu, das leliendige Vieh Zu hesichtigen, geschneige denn mehr!
*•) Das Ahhlinten unlerbleilit in Russland ulieiliaujil laquo;ohl sel--ten. Geschieht es nicht üirenllicb, so doch heimlich. So ivurde mir in Starokoustantynoiv die Millheihing, dass die dort zahlreich nuh-raquo;enden Juden ein lukratives Geschäft daraus gemacht hätten ^ die mit der Haut verrscharrteu Cadaver nächllichenveisc raquo;ieder auszu^ graben und zu entliSulen!
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litten hat, werden weiter nicht auffallen. Man berechnete die Einhussc an Vieh hei meincin Dortsein schon (Ende April 1845) auf mehr denn 20,000 Stück.
In wissenschaftlicher Beziehung interessante Mittheilun­gen über die Rinderpest einzuziehen, fand sich weiter keine Gelegenheit. Nach Bessarahien scheint noch eben keine be­sondere Wissenschaftlichkeit gedrungen zu sein. Die Aerzte, welche ich dort kennen zu lernen Gelegenheit fand, schie­nen den Musen nicht sonderlich gehuldigt, am Wenigsten aber den Vichkrankheiten ihre Aufmerksamkeit zugewendet zu haben.
Leber die in den Kranken beobachtete Krankheit mosc hier die allgemeine Bemerkung genügen, dass sie im Wesent­lichen sich so gestaltete, wie ich sie in Polen zu beobachten Gelegenheit gefunden; nur trat dieselbe hier rein und nicht in Verbindung mit der Lcbcregelkrankhcit auf, und fehlten somit diejenigen Erscheinungen, welche dieses Leiden beglei­ten. Das Nähere hierüber siehe unten bei der Krankheits­beschreibung.
Was die Sterblichkeit anbelangt, so soll diese, wie die Bewohner sagten, früher (die Krankheit herrschte in den be­treffenden Orten bereits im 3. Monat) grosser gewesen sein, jetzt aber nachgelassen haben nnd zur Zeit viel mehr Thiere durchseuchen. In einzelnen Gehöften trat die Krankheit hef­tiger auf, als in anderen. So war einzelnen Besitzern nur wenig oder gar kein quot;Vieh geblieben, andere waren mit #9632;| Verlust davon gekommen. Viele Thiere sollen gar nicht erkrankt sein; doch meinten die Eigenthümer, dass auch sie gehustet hätten (also auch wohl mit der Krankheit in sehr geringem Grade behaftet waren).
Bei der geringen Aufsicht, welche den Thieren wird, ist ein Lebersehen der Krankheit in ihren gelinderen Gra­den leicht möglich, und ebendeshalb lässt sich ein sicherer Schluss über die Verbreitung derselben nicht ziehen. — Dem Fremden aber wird ein Aufschluss in dieser Hinsicht zu er­halten, dadurch sehr erschwert, dass die Thiere gegen fremde, in anderer Tracht erscheinende Personen, oft unbändig sich benehmen und dadurch die, ihrer geringen Zahmheit wegen
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überhaupt schon erschwerten, näheren Untersuchung ganz lieh vereiteln. So sprang z. B. einmal ein, schon seit 6 Ta­gen kranker Ochse, bei unserer Annäherung wüthend auf uns ein, und rannte uns über. Ein Glück, dass das Thier schon schwach und nicht mehr im Besitz seiner vollen Kraft quot;war, sonst würden wir schwerlich mit einfachen Contusio-uen davon gekommen sein. Die Bessarabier aber schlugeu ein Hohngelächtcr auf, gleichsam sich freuend, dass ihre Ochsen in ihre eigene Gesinnungen einstimmten: Miistrauen gegen die Fremden hegten und sieh ihrer auf die le-qucmsle Art zu entledigen suchten. Wir aber fanden Gelegenheit uns zu überzeugen, in welche misslichc Lage wir uns eigentlich befanden. Die Sehnsucht nach der Hei-math wurde reger — und die schon beschlossene Rückkehr beeilt.
Da ich meine Rückreise auf der Strasse von Jassy über C'zernou-ilx, Liemberg. Krakau u. s. w. nahm, so zog ich auch auf dieser noch, so viel sich Gelegenheit dazu darbot, Erkundigungen über die Rinderpest ein. Diese liefen nun darauf hinaus, dass sowohl in der Moldau als in der Buka-rvina und Gallixien an verschiedenen Orten, die Pest auf­getreten sei, doch soll dieselbe in den letztgenannten beiden Ländern weiter nicht in beunruhigender Weise um sich gegrif­fen haben, es vielmehr gelungen sein, dieselbe bald zu tilgen. Die ursprüngliche Entwicklung der Pest in dem Landvich der Bukowina und Gallizien, wird, wie in Volhynien, allgemein in Abrede gestellt. Wohl ist während der letz­ten Seuche in Gallizien die Ansicht ausgesprochen, respect. Behauptung aufgestellt worden, dass die Pest auch in dem einheimischen Vieh auf spontane Weise zur Entwicklung gelangen könne. Es hat sich nämlich der Fall ereignet, dass eine für gesund erklärte lieerde Steppenvieh später die Ver­breiterin der Rinderpest wurde. Aus Consequenz, oder vielmehr wohl nur, um sich der Vorwürfe und Verantwort­lichkeit zu überheben, stellte man nun die Ansicht auf: die Pest sei betreffenden Orts in dem einheimischen Vieh durch Selbstentwicklung entstanden. Man äusserte indessen gegen
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mich, class derjenige Arzt, welcher jene Ansicht ausgespro­chen, es nicht aus Uehcrzeugung gethan hahe. —
Als Beweis, was durch zweckentsprechende Maasregcln zu erreichen steht, sei bemerkt, dass es durch dieselbe ge­lungen ist, diesmal die Pest von dem Krakauer Gebiet ab-zuhalten.
An dem Stadt-Physikus Herrn Dr. Iflohr in Krahau, welcher bereits 17 Jahr im Amte ist und die Rinderpest aus den Jahren 1829, 34, 35, 38 und 40 kennt, fand ich, zum Schluss meiner Reise, noch einen erfahrenen und unter­richteten Arzt. — Die neuerlichst erst getroffenen, enlspre-cbenden Sichcrheitsmassregcln (die Einführung einer Grenz­sperre) sind vorzugsweise ein Werk seiner Vorschläge und Bemühungen. — Seine Ansichten über die Natur der Rin­derpest sind als gründliche zu bezeichnen. Laut tadelt er die Ansicht von der ursprünglichen Entwicklung der Rin­derpest auch in anderem Vieh als dem der Stcppenracc und bezeichnet jene als eine verderbliche. — Nach ihm entsteht die Rinderpest niemals bei dem einheimischen Vieh durch Selbstentwicklung; dies gesebieht nur bei dem Vieh der Steppenrace. Doch kann sie bei diesem auch ausserhalb seiner Heimath, auf der Wanderung, erst entstehen. Daher denn alle Schutzmassregeln zunächst gegen das zugetriebene Steppenvieh zu richten sind. Tödten der Ersterkrankten und Sperre erkennt er als diejenigen Mittel an, wobei man auf Erfolg rechnen kann. — Alle Präservativkuren, so wie Heilversuche überhaupt, sind fruchtlos und schaden in Bezug auf die Gefahr der Weiterverbreilung: sie leisten dieser nur Vorschub. — Von Impflingen hält er Nichts. — Nach sei­nen Beobachtungen und Erfahrungen verhindert tiefer Schnee, ein strenger Winter überhaupt, die allgemeinere Verbreitung der Pest, doch nur dadurch, dass jene den regern Verkehr hemmen und somit wenig Gelegenheit zur Berührung des Viehs aus verschiedenen Ortschaften gegeben ist. — Uebri-gens behauptet die Pest nicht immer eine gleich grosse Bösartigkeit
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Allgemeine Bemerkiiugen
über Rindviehzttchl, Viehhallung, Viehverivendmig u. s. w., mit
Bezug ihres 'Einßusses auf die Entstehung von Krankheilen
unter dem Vieh überhavpt und insbesondere auf die
Rinderpest und deren Verbreitung.
JSoch wenig Eingang hal eine verbcsscrle Rindvichzucht in Polen und Volhynien gefunden. Podolien, Bessaralien, Vkraine, wie üherliaupt das südlich-europäische llussland, oder vielmehr die Steppenlande besitzen ihre oigcuthümlkhe llindviehrace, die sogenannte Stcppcnrace (von der man jedoch auch verschiedene Schläge unterscheidet) wie sie seit Men­schengedenken gezüchtet worden, mit wenigen Ausnahmen unvermischt gchliehen und für die Localitätsvcrhältnisso u. s. w. unstreitig auch die zweckmassigste ist. Wie man denn überhaupt wohl den Satz als giltig aufstellen kann, dass nach und nach thierische Organismen, in fortgesetzter Generation, für eine Gegend sich anpassen, wie sie für solche die geeignetsten sind. —
Der Rindvichschlag in Polen gehört den kleinen und meist unansehnlichen an. Nur auf einzelnen Gütern, fin­det man mittelgrosse und ansehnliche Thiere; ausnahms­weise nur solche fremder Racen und von diesen fast aus-schliesslich nur Schweizer und Tyroler Vieh. Doch ist mir kein Fall bekannt geworden, wo der ganze Viehstand nur aus solchem bestanden hätte; sondern nur ein Theil, und verhältnissmässig der kleinste gehörte demselben an; der grösstc
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Thcil fid der Landracc anbcim. Mau hält die fremden Racen theils bloss aus Liebhaberei und Gefallsucht, theils aber werden sie von intclligentcri Laudwirthcn zur Verbesserung der Landeszucht benutzt; doch machen sich in dieser Bezie­hung Fortschritte eben noch nicht bemerkbar. Die wenigen bessern Viehstückc verlieren sich überhaupt in der Masse noch zu sehr, als dass sie dazu beitragen könnten dem Ganzen ein vortheilhaftcres Ansehen zu verleihen. Die nach Polen übergesiedelten Teutschen ver\%-enden im Allgemeinen mebr Sorgfalt auf die Rindviehzucht; und daher pflegt man denn auch bei ihnen besseres Vieh anzutreffen, als es bei den Eingebornen der Fall ist. Vor allen aber trifft man das schlechteste Rindvieh bei dem polnischen Landraaun an; und je tiefer nach Polen bincin, desto schlechter das Rind­vieh. Die Beschaffenheit des Grundes und Bodens, die grös-sere oder geringere Nahrhaftigkeit der Weiden, macht sich auch in der grössern oder geringem Kleinheit des Rindviehs bemerkbar, so dass in weniger fruchtbaren, den mehr hoch­gelegenen Theilen Polens das Rindvieh in seiner grössten Kleinheit, in den fruchtbaren und mehr niedrig gelegenen, an Weiden und Wiesen reichern Gegenden weniger klein angetroffen wird. Die Farbe des polnischen Rindviehs ist die rothe, in verschiedenen Abstufungen und Vermischung mit der weissen als bunt; doch findet man der volhynischeu Grenze zu schon manchen Schimmel eingemischt.
Etwas besser, wenngleich noch immer klein und unan-sebnlicb, ist auch das Rindvieh in Volhynien, diesem, mit wenigen Ausnahmen, höchst fruchtbarem Lande, von dessen reichen Erndten man kaum eine Vorstellung hat. Man be­zieht auch den Namen Schitomir, der Gouvernements-Stadt Volhyniens, hierauf, indem derselbe so viel als raquo;Kornhaufenlaquo; bedeutet. Die rothe Farbe des Rindviehs ist im Allgemeinen auch hier die vorherrschende; doch finden sich Schimmel schon häufiger und treten diese der podolischen und ukrai­nischen Grenze zu immer mehr und mehr auf, so dass sie in den Grenzorten selbst theils schon die vorwaltende Farbe ausmachen. Namentlich macht sich diese Farbe bei den in dortiger Gegend schon allgemein zum Zuge benutzten Ochsen
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zur herrschenden. Die Thiere der Schiinmelfarbe sind ent­weder aus einer Vermischung andern Rindviehs mit dem der Stcppenrace hervorgegangen, oder stammen aber auch wohl von diesem ursprünglich ab und haben sich im Laufe der Zeit zu einem eignen Schlag, welcher die Mitte zwischen der eigentlichen Stcppenrace und der gemeinen polnischen hält, herangebildet. — Die ganze Körpcrformation inclusive des Haares, mit Ausnahme der Grössc. entspricht jener der Stcp­penrace. —
Wie nun an der Grenze von Podolien und dor Ukraine, das Rindvieh so auffallend sich dor Stcppenrace annähert, so sehen wir es in den Grenzorten dieser Länder darin iibergehn. Doch ist es keineswegs der Fall, wie es all­gemein angenommen worden ist, dass Podolien nur Vieh der Steppenrace besitze und deshalb der Name raquo;Stcppenvieha und raquo;podolisches Viehlaquo; für gleichbedeutend zu nehmen sei. In seinem nordwestlichen Theile, den man seiner pbysicalischen Beschaffenheit nach, auch wohl den Höhentheil') nennen könnte, und wo noch die Ackerwirth-schaft (wenigstens jetzt) über die der Steppemvirthschaft vorwaltet, mit einem Worte eigentliche und grösscre Steppen nicht angetroffen werden, sofern man mit dem Worte raquo;Stepperaquo;, welches den landesüblichen Sprachgebrauch nach, so viel als grosse, nicht dem Pfluge unterworfene Weide- oder Wiesen-flachen bedeutet, den richtigen Begriff verbindet — findet man noch viel Vieh (von rother und bunter Farbe) welches der Steppenrace nicht angehört. Nur die zum Zuge ver­wendeten Ochsen gehören allgemein dieser Race an; doch sind es meistens Thicrc, die der Hauszucht entsprungen und nicht aus der Heerdenzucht, wie sie in den ausgedehnten Steppen üblich ist, hervorgegangen sind; weil man allgemein gefunden haben will, dass das eigentliche Stepponvieh für
*) Ks ist überhaupt inig, wenn man sieh laquo;lie europäischen Step-penlancle als eine weithin sich verbreitende Ebene denkt. Auch sie bieten theihveise ein mehr oder weniger hügeliges Terrain dar, und abgeplattete Erderhebungen durchziehen, gleichsam wie Adern, als flache Bergrücken, das Land manchen Orts. —
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den Zug zu weichlich sei, wie man sich ausdrückt. — So­wohl seiner physicalischen Beschaffenheit nach als insbeson­dere auch der Bonutzung des Grnud und Bodens nach, ver­dient erst der südöstliche Theil Podoliens und namentlich der Distrikt von Balta den Stcppenlanden beigezählt zu werden, und bietet daher dieser Theil von Podolien in Bezug auf Viehzucht gleiche Verhältnisse dar, wie die be­nachbarten, südlich und siidüstlich, dem schwarzen Meere zu gelegenen Gouvenunients: licssnrabien. C/ierson, Jekaleri-noslaw u. s. w. O'0 jedoch, in den letztern. von den dort angesiedelten leutschen Kolonisten, ihrer Landessitte entspre­chend, diesem Zweigt mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird/) Anders als mit Podolien verhält es sich mit ßessarabien. So wie man den Tinesler überschritten hat, erblickt man kein Stück Rindvieh mehr, welches nicht der Sleppenracc ange­hörte. Die Schimiaelfarbe, obwohl in sehr verschiedenen Nuancen, wie sie dieser Race eigen ist, wird zur alleinigen. — Bezüglich der verschiedenen Abstufungen der Schimmel-larbe sei bemerkt, dass die meisten davon bei den jungen Thieren vorkommen. Die Kälber nämlich werden nicht alle als Schimmel geboren, sondern viele, von ihnen tragen vor­herrschend rothe Haare, andere schwarze, so dass die Grund­farbe rolh, röthlich und schwarz ist; noch andere kommen weiss zur Welt, und bei diesen findet man mitunter den Körper mit einzelnen dunklen Platten besetzt, so dass sie wie scheckig erscheinen. Erst später, im zweiten Lebensjahre findet eine Farbenausgleichung dahin statt, dass sic théils Grau- theils Blau- theils Schwarzschimrael sind. Der letz­tern findet man jedoch weniger und beschränkt sich die dunklere Farbe bei ihnen vorzugsweise auf die am Wicler-rüst und obern llalslheil zur Mähne geformten Haare, so wie auf das buschige Haar am Triel und auf das der Schwanzquaste; selten dass das ganze Deckhaar diese Farbe trägt. In diesem Falle pllegt dann gewöhnlich das die innere Ohrfläche und die Lippen bekleidende Haar gelb zu sein (sog. Kupfermäuler). Dunkle Streifen um die Augen, über den Rücken und das Kreuz (sog. Aalstrich) werden nicht selten gesehen. Von dunkler Farbe pflegen die Bullen
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zu sein. — Die Nuancen in der Schhnmelfarbc sollen mehr das Ergebniss der Hauszucht — wenn man sie sonst so bezeichnen darf — sein, während in den Heerdenzuchtcn, wie sie in den grössern Steppen (Heerden) durchweg be­trieben wird, nicht, mindestens seltener gefunden werden. Hier bat eine allgemeine Ausgleichung der Farbe in Grau­oder Blauschimmel statt, und nur insofern findet man dunkle Nüancirungen, als alle Thiere im Frühjahr ein lebhafteres t.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Haar tragen.
Einer noch nähern Beschreibung des Viehs der Stcp-penrace, seiner Körperbildung nach, bedarf es hier wohl nicht; es ist diese allgemein gekannt. Ich wende mich daher zu einem andern, für unsern Zweck wichtigem Gegenstand, zu dem der Vichhallung, der Wartung und Pflege, Fütlcrung u. s. w. des Rindviehs.
Wo noch die Menschen selbst, in Vergleich zu andern, civilisirten Völkern, annähernd dem Viehc leben; nicht allein ungebildet und roh, sondern vorzugsweise auch unreinlich sind, sorglos in den Tag hinein leben, wenig bedacht sind, Unfällen, wie sie im gewöhnlichen Laufe der Dinge doch vorkommen, zu begegnen durch vorsichliges Handeln und zweckentsprechende Einrichtungen — da iässt sich schon erwarten, dass von einer besondern Pflege der Thiere nicht die Rede sein könne. — In der That finden wir denn auch im Allgemeinen die äusserste Rücksichtslosigkeit gegen die Thiere gehandhabt. — Wenn das im Allgemeinen rauhe und kältere Klima Polens erwarten lassen sollte, dass durch gute Stallcinrichtungen den Thieren der nöthige Schutz gegen die Winterkälte gewährt werde, so vermissen wir diese. In Polen selbst ist es zwar noch gebräucblieh, die Thiere den Winter über aufzustauen, doch die Ställe, die zu ihrer Aufnahme dienen, von denen kann man mit Recht sagen, dass sie sind wie sie nicht sein sollten: Kleine, erbärmliche, von Reisergeflechten oder zusammengefügten Holzlatten her­gestellte Hütten mit elendem Strohdach, ohne Decke, der äussern Luft überall freien Zutritt gestattend, erblickt man die Ställe der bäuerlichen Wirthe. Von nicht viel besserer Einrichtung auf den grössern Gütern. Der grosse, oft bc-
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deutende Vielisland macht hier grössere Stallungen nothwendig. Sie sind selten von Fachwerk aufgeführt, sondern meistens von gespaltenen, sehwachen Baumstämmen in ihren Wan­dungen construirt, die meistens hinlängliche Spalten und Ocflnungen zwischen sicli lassen, um der Luft, dem Schnee u. s. w. freien Eingang zu verschaffen. Somit stellen sie gewissermassen mir Schuppen dar, die eine schwache Kopf-hedeckung tragen \md an ihren Enden mit nachlässig aus Brettern zusammengenagelten, oder auch wohl nur aus hlossen lleisergcfleclit hcrgcstelllen Thorwegen, zum Ein- und Aus­lassen der Thiere bestimmt, versehen sind. — Den Wänden entlang, in zwei Reihen, dos il dus, sind die Thiere an einer krippenähnlichen Vorrichtung angehunden, die dazu dient das täglich zweimal dargereichte Futter, was aus Stroh, Heu, mitunter zu Häckerling geschnitten, hesleht, zu fassen; selten nur hat jene die gleichzeitige Bestimmung, Getränke aufzunehmen; da meistens die Thiere im Freien, an Flüssen, Seen, Teichen (in deren Eisdecke Löcher gehauen werden, woraus die Thiere mit Unheqtiemlichkeit und seihst Gefahr den Durst zu löschen haben) oder wo diese fehlen, aus Brunnen getränkt werden, und zwar in der Regel nur ein­mal des Tags. Nicht selten aber dient hloser Schnee zur Löschung des Durstes. — Der an sich nun schon schlechte Winteraufenthalt wird noch dadurch für die Thiere ein unhehaglichcr, dass es nicht gehiäuchlich ist, die Ställe etwa allwöchentlich, geschweige denn täglich auszumisten, sondern dies geschieht höchstens ein oder ein paar 3Ial den Winter üher; oft mag es auch wohl gar nicht geschehen. Man findet daher den Dünger hinter den Thieren hoch auf-gethürmt, diese wie auf hohen Wällen, in der unbequemsten Lage und Stellung, hinten hoch, vorn niedrig, lagern. Bei hartem Froslwetter stehen sie gleichsam auf Steinhaufen, indem der Koth steinhart friert, hei geliiulem Wetter his an die Spruno-o-e-lenke und tiefer im Morast. Das Letztere namentlich, wenn es, wie in diesem Jahre, an Streu fehlt und nicht hinlänglich ein­gestreut werden kann. — Daher findet man denn die Thiero mit Schmutzpanzern bedeckt, und wo diese nicht hinreichen
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und, einmal gefroren, den Körper noch eine schützende Decke gegen den Frost verleihen-, das Haar struppig, die Haut unrein und vor Frost erzitternd. —
So fern lebende Wesen nur unter dem Einflüsse der Wärme gedeihen und sich gut entwicliclnquot;, mag es in dem Verhalten der Thiere im Winter mit begründet sein, dass ihr Körper in der Entwicklung zurück, gewissermassen ver­kümmert und klein bleibt, dass Polen kleines Rindvieh be­sitzt. Man denke sich nur ein neugebornes Kalb, eben dem Mutterleibe und einem Medium von p. p. - - 300 R. ent­rückt, jetzt plötzlich in eine Temperatur von — 10 und mehr Grad versetzt: wie das, halbverklamint, kaum Leben zeigt. Doch hier findet man den gemeinen Polen, zwar mehr seinen Voriheil wahrnehmend, als aus Mitleid, sich bequemen, das Junge in sein Wohngemach aufzunehmen und mit ihm die Ofenwärme zu theilen. Daher kömmt es denn auch, dass man beim Eintritt in die Behausung des Polen oft in Zweifel geräth, ob man unter Menschen oder Thieren weilt: denn Kälber sind es nicht allein, die Einem den Platz streitig machen, auch Ferkeln, wohl sammt ihrer Mutter, der Sau, Puten, Hühner, Gänse it. s. w. Alles sucht sich der erwärmten Stube zu erfreuen. — Nur in den bessern, ge­regeitern, nach tcutscher Sitte bewirthschafteten Gütern, findet man die gerügten Mängel nicht, oder doch nicht in dem Grade. —
Findet man nun in Polen wenigstens noch besor.dere Stallungen für den Winteraufenthalt der Thiere, so sehen wir solche jenseits des Bugßusses. in Yolhynien immer mehr und mehr schwinden. Anfänglich zwar, an der volhynisch-polnischen Grenze finden sich deren noch vor, doch selten schon noch mit Krippen versehen: meistens nur einfache Schuppen, die selten aus Holz, wie es in Polen noch häufig, ja gewöhnlich der Fall ist, erbaut sind, sondern meistens aus Reisergeflechten aufgeführt und mit einem leichten, oft nicht einmal besonders zusammengefügten Strohdache ver­sehen. — Zeugen die Reisergeflechte in Polen oft noch von einiger Kunstfertigkeit und erscheinen sie den Korbgeflechten ähnlich; so bemerkt man in Volhynien diese Kunst nicht
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mehr: sic sind unseen Zaungcflechtcn ähnlich construirt. — Weiter der podolischen und ukrainischen Grenze zu, in der ümgegend von Sfarokonslanlynote, werden von allen (4) Seiten geschlossene Schuppen schon seltener gesehen; sie sind gewöhnlich nach einer Seite offen und bilden so mehr hlosse Unterstände; ja nicht selten fehlen alle Seiten­wände schon, und bios cine, auf vier Pfählen ruhende Beda­chung ist Alles, was den Thieren als Schutz geboten wird, oder vielmehr bloss den Ort bezeichnet, wo sie ihr Futter einnehmen. Daher findet man denn auch in dieser Gegend das Vieh schon freier in den Dörfern, Städten u. s. w. nach Belieben umhergehen, auf den Strassen, bei den Häusern und theils in diesen selbst umherliegen und stehen, mit Schnee ihren Durst löschen und als Futter das ihnen vor­geworfene Heu und Stroh verzehren. — Scheunenräumc zur Aufbewahrung des Getreides und Heus findet man wenig oder gar nicht. Es wird dies alles im Freien in Haufen, sog. Schobern, Dimnen oder Mielhen aufbewahrt; theils in der Nähe der Gehöfte, grösstentheils aber auch an dem Orte ihrer Gewinnung. Durch Umzäunungen sind diese Getreidehaufen u. s. w. vor dem Andringen der Thiere ge­schützt; übrigens in der Regel sehr geschickt aufgeschichtet, so dass man den Volhyniern in dem Bau der Miethen eine besondere Kunstfertigkeit zuschreiben muss. — Die enormen reichen Erndtcn würden grosse Scheuncnräume erfordern; diese aber vcrhältnissmässig zu den gewöhnlichen Preisen des Getreides (der Berliner Scheffel Roggen kostete bei meinem Dortsein circa 10 Silbergroschen) zu kostspielig sein; auch fehlt hier schon das Holz zum Aufbau. Man sah solche Gctrcidemiethcn zu hunderten auf den Feldern, in der Nähe der Ortschaften umher stehen, als Beweis, wie reich /lie Erndtc im verflossenen Jahre gewesen war. — Unter solchen Umständen fehlt es dann auch den Thieren an reichlichem Futter in der Regel nicht, und ihr Nährzustand war im Allgemeinen ein guter.
Treten in Volhynien sehr allgemein schon au die Stelle der Stallungen blosse Schuppen oder Unterstände für das Vieh, so ist dies in Pothlien, mit sehr wenigen Ausnahlaquo;
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men, die sich auf einzelne Güter beziehen, noch mehr der Fall. Doch finden sich solche in dem nordwestlichen Thcilc
dieses Landes weniffstens noch vor: in dem südöstlichen
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Theile, in der Gegend von Balta, fehlen sie indessen schon sehr häufig. So wie man den Dnester überschreitet und Bessarabien betritt, haben aber auch Schuppen und Un­terstände ihre Endschaft erreicht: nur auf einzelnen grosse­ren Gütern kömmt wohl noch ein Analagon davon vor. Bei den bäuerlichen Wirthen aber ist in der Regel Nichts von allen Dem zu finden. Die Thiere sind durchaus ohne Obdach, wennsonst sie nicht ein solches zufällig irgendwo ausfindig machen. Der ßessarnbier selbst lebt in Hütten. Den Namen Häuser verdienen seine Wobnungen im Allge­meinen nicht. In die blosse Erde gesetzte Pfeiler, deren Zwischenräume mit Reiser ausgeflochten und diese dürftig mit Lehm beklebt sind, construiren das Haus in seinen Sei­tenwandungen. Dem Wohngeniach entsprechend, befindet sich in der Vorderwand eine Glasscheibe angebracht (einge­klebt), die, spärlich Licht spendend, den Bewohnern Kunde von Tag und Nacht giebt. Ein rundes, etwa 6 — 8 Zoll im Durchmesser grosses Loch in der Wand, neben der Thür, dient zur Erleuchtung des Hausflurs, wenn sonst man die Entree so nennen will. Als Dach dienen Lagen von Kukurutz (Türkischer Weizen) oder anderm Stroh, und eine in der Bedachung gelassene Oeffnung gestattet den von der Feuerung ausgehenden Rauch freien Durchgang. — Er­blickt man von Ferne ein bessarabisches Dorf inmitten der Steppe, so gewährt es den Anblick von Maulwurfshaufen auf einer Wiese. Ohne Ordnung stehen die Häuser, hier und da eins hingeklickt, besitzen die Dorfschaften grosse
Ausdelmun
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. Anderweitige Wirthsehaftsgebäude existiren
nicht, wenn man nicht etwa den beim Wohnhause sich be-fmdenden, aus blossem Rciscrgeflecht hergestellten, verdeckten, kastenähnlichen Korb, zur Aufbewahrung der Kolben des türkischen Weizen bestimmt, und einen gleichfalls aus Rei­sern geflochtenen, korbähnlichen Behälter, worin den Thieren das in Schobern aufbewahrte Heu als- Futter vorgeworfen wird, hierher rechnen will. — So sorgt der gemeine Bcss-
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arabier für seine Wohnung! Wie kann man da erwarten, dass er seinem Vieh eine besonsere Pflege angedeihen lasse und demselben Stallungen anweise. Unter freiem Himmel, Tag und Nacht, bei der strengsten Kälte und im tiefen Schnee, müssen die Thierc zubringen; denn auch Bessara-bien hat der strengen Winter, wie noch in diesem Jahre, so selten nicht. Am 20. April war der Schnee noch nicht überall geschwunden; man sah noch davon in Gründen lie­gen. - Blossc Erdaufwürfc oder auch Einzäunungen be­grenzen die Gehöfts-Territorien, und innerhalb dieser weilt das Vieh den Winter über, oder, wenn es den Thicrcn be­liebt, ausserhalb desselben im Dorfe. Doch gestattet man ihm zur Winterzeit das freie Umhergehen auf den Steppen unbewacht nicht leicht, aus Furcht vor einem ücberfall der Wölfe. So wie aber die Frühlingssonnc den Schnee eben weglcckt, und die Grasnarbe nur hie und da sich blicken lässt, sieht man die Thierc auf den Steppen Ausflüge ma­chen, besonders wenn ein langer Winter die Futtervorräthc bereits absorbirt hat, und der Hunger die Thierc dazu antreibt.
Die im Vorstehenden gegebene kurze Schilderung des Verhaltens des Rindviehs im Winter mag hinreichen, um zti zeigen, wie sorglos jene Thiere in dieser Zeit gepflegt Werden. Leber ihr Verhalten in der übrigen Jahreszeit vermag ich zwar, aus eigener Anschauung, kein Urtheil zu fällen, so viel ich hierüber jedoch, bezüglich der Stcppen-landc, in Erfahrung gebracht habe, weicht es von jenem in den ungarischen Steppen, die ich im Sommer 1830 be­suchte, nicht ab.
Dass das Verhalten des Viehs, wie im Winter, so auch in der übrigen Jahreszeit nicht immer ein angemessenes sei, lässt sich leicht denken. Namentlich ist es auch in Polen und Volhjnicn gebräuchlich, so lange es eben die Witte-rung gestattet, d. h. nicht tiefer Schnee liegt, die Weiden im Herbst zu betreiben, eblaquo;n so auch zeitig im Frühjahr, sobald nur die Erde eben von Schnee cntblösst ist. Die Sorglosigkeit, mit welcher der Pole im Allgemeinen wirth-schaftet, soll selbst in reichen Erndtejahren so weit gehen,
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dass, wenn eben ein verspätetes Frühjahr eintritt, die Fut tervorräthe zeitiger aufgezehrt sind, als die Weide die nö-tliige Nahrung darbietet, fast rtgclrecht Ausgangs Frühjahr die Thierc Hunger leiden. So erzählte man mir von einzel­nen schlecht bewirthschafteten Gütern und als sehr allgemein von dem polnischen Bauer giltig, dass, wenn die Ochsen und Kühe fast fett in den Winter kommen, doch im Frühjahr so elend würden, dass sie nur mit Hilfe aufstehen könnten. Weidegang ist in Polen allgemein, Stallfütterung kaum irgendwo eingeführt. Die im Allgemeinen vorhandenen grossen Flächen, die nur als Weide oder Wiese benutzt werden, lassen diese Art des landwirthschaftlichen Betriebes auch gerechtfertigt erscheinen. Dagegen aber wird auf Ver­besserung der Wiesen und Weiden wenig oder gar nichts gegeben; ihre vielen Orts schlechte Qualität wenig oder gar nicht zu bessern gesucht; auf Herstellung eines gesunden Trinkwassers wenig gesehen. — Der Bauer, noch -nicht frei, ist träge, klebt am Alten; die grosseren Gutsbesitzer, zum Theil noch befangen, an den Fortschritt der Zeit nicht Theil nehmend, gute Vorbilder nicht beachtend, oder wohl gar ver­achtend, erkennen ihren eignen Vortheil nicht. Kurz man­cher Nachtheil auf die Gesundheit der Thiere könnte abge­wendet werden, den man hergebrachter Weise fortwirken lässt. Dazu kommt noch, dass das Vieh, seiner Kleinheit wegen, wenig Werth hat, und was wenig Werth hat, wird nicht hoch geschätzt; der Verlust eines oder mehrerer Stück Vieh erscheint mithin, trügerischer Weise, nicht gross. — Viele Gegenden, insbesondere die Nicderungsgcgenden, die in der Nähe der Flüsse gelegenen, oder an Seen und Sümpfen reichen, bieten der Nachtheile mehr und vor andern dar: besonders wenn regnerische Jahre sind, die Flüsse wiederholt aus ihren Ufern treten. Wiesen und Weiden verderben: die Erndtc nur schlecht gewinnen lassen. Auf solche Ereignisse ist man niemals vorbereitet, man tbut, wie gesagt. Nichts, um das unabwendbare weniger schädlich zu machen; man lässt es gehen, wie es kommt, ohne darauf bedacht zu sein, dass es den Thicren Schaden bringen könne. Es treten diese mehr iu den Hintergrund und müssen es auch, da Po-
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Icn mehr ein Ackerbau, als Viehzucht treibendes Land ist; sein Erwerb mithin vorzugsweise aus reichen Erndten und nicht aus der Viehzucht entspringt. — Anders verhält es sich mit den Steppenlanden. Hier ist Viehzucht die Haupt-erwerbsquelle, und daher wird dem Vieh, wenngleich auch nicht in dem Maase, wie es zum Vortheil gereichen würde, im Ganzen doch mehr Aufmerksamkeit zugewendet, als dies in Polen und Volhynien der Fall ist. Nur anhaltende Win­ter, viel Schnee wird am Meisten gefürchtet, weil die Thicre von deren Einwirkung leiden und mehr als durch Futter­mangel. Die meist sehr fruchtbaren Steppen, die neben ausgedehnten Weiden der Wiesenflächen grosse darbieten, liefern, wenn nicht sehr trockene Jahre einfallen, nicht allein eine nahrhafte Weide für den Sommer, sondern gestatten auch eine reichliche Erndte an Futter für den Winter. Der im Allgemeinen auch in den Steppen Bessarabiens und den angrenzenden, von stätigen Völkern bewohnten Step­penlanden, gegen früher vorgeschrittene Getreidebau, erzeugt viel Stroh; und wenn dieses auch meistens nur als Brenn­material dient, so kann es doch zugleich auch im Fall der Noth als Futter verwendet werden. Hunger leidet in den von mir bereisten Sleppenländern das Vieh nicht leicht, wie man mir versicherte. Ich fand im April das Vieh gut ge­nährt, und die Futtervorräthe noch nicht verzehrt. — An­ders mag es sich mit den weithin sich ausdehnenden Step­pen jenseits der Wolga^ namentlich den von Ost-Sibirien'. den der Kirgisen u. s. w. verhalten, die keinen bestimmten Eigenthümern angehören, mehr von nomadisirenden Horden mit ihren Viehhecrden bezogen werden, und fast ausschliess-lich nur als Weide dienen. Hier denkt, und kann man an das Einsammeln von Winterfutter nicht denken, da feste Wohnsitze fehlen, die Thiere, dem Wilde gleich, Sommer und Winter auf den Steppen zubringen, und man keine an­dere Rücksicht nimmt, als den Winteraufenthalt an solchen Orten zu wählen, die den Sommer über nicht beweidet wor­den, oder wo überhaupt wenig Schnee liegt und hoher, über den Schnee hervorragender Pflanzenwuchs, Strauch­werk u. s. w. eine dürftige Nahrung auf den sclmeebedeck-
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ten Auen gewährt. Dort, wo die Thiere oft gezwungen sind, bei hochliegendein Schnee, durch Fortscharren dessel­ben mit den Füssen, sich erst Zugang zu dem spärlichen Fund an Nahrung zu verschaffen (obschon auch die Hirten selbst, besorgt für ihr Vieh, sich an das Fortschaufeln des Schnees machen sollen) — da allerdings tritt Mangel an Nahrung ein, und Hungerleiden ist an der Tagesordnung. Nicnts fürchten daher z. B. die, im Vieh ihre einzige Habe besitzenden Buräten (von deren \ iehreichthum man so viel Sagens macht, obwohl, soweit neuere Nachrichten über sie, so wie über die JKr.g-t.seM uni Kalmücken reichen, die Viehzucht im Abnehmen begriffen sein soll) — mehr als die Winter, welche vielen und lange liegen bleibenden Schnee bringen, und noch mehr, wenn der Schnee mit einer Eis­kruste überzogen wird, weil dann das Vieh nicht allein die im Herbste besessene Feistigkeit gänzlich verliert, sondern selbst zu Gerippen abmagert, wohl gar zu Grunde geht. —
Ein Mchreres, als geschehen, über die Steppenwirth-schaft zu sagen, würde unsern Zweck: nur in Bezug auf die Rinderpest das Wissenwertheste hervorzuheben — über­schreiten. Wir besitzen überdies schon so treffliche Schil­derungen der Steppenländer, dass ich ein Bekanntsein mit den Eigenthümlichkeiten dieser, in mancher Beziehung so interessanten Länder bei dem Leser voraussetzen darf.
Wenden wir uns daher zu einem andern, in Bezug auf die Rinderpest, wichtigeren Gegenstand, den der Viehverwen­dung und den hieraus entspringenden Verkehr mit Vieh. —
Was in dieser Beziehimg zunächst Polen betrifft, so bietet dieses Land eben keine Abweichungen gegen Teutsch­land dar. Dieselbe Verwendungsweise des Viehs, wie hier, findet auch dort statt. Nur der Punkt kann nicht unerwo-gen bleiben, dass die Kleinheit des Rindviehs es macht, dass der nöthige Bedarf an Schlachtvieh mangelt, und das feh­lende daher vom Auslande, aus Russland, bezogen werden muss'). Es könnte zwar in Frage kommen, ob die Kitinraquo;
*) Es beträgt ilie Anzahl des aus Bussland bezogenen Vi elis jälirlicl. circa 20,000 Stück, Woran ungefähr 17,000 Stück übel Wlodawa eingehen.
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heit des polnischen Viehs wirklich die Ursache in sich schliessc, dass Polen den Bedarf an Schlachtvieh nicht selbst zu liefern im Stande sei. Ich muss es nach dem, was ich gesehen und erfahren habe, -schliessen. — Polen ist im Ganzen durch seine Bodenbeschaffenheit ein gesegnetes Land, und fast durchweg geeignet, bei einer besseren BeWirthschaf-tung seiner Bodenfläche grösseres Vieh zu züchten. Auch würden sich nicht minder und mit Vortheil Ochsen allge­meiner znm Zuge verwenden lassen. Dies geschieht jedoch nicht, sondern gewöhhlich werden nur Pferde, und gleich­falls von schlechter Qualität, dazu benutzt. — Ist es doch möglich geworden, für die Mark Brandenburg, mit ihrer grossen Residenz und mehreren andern grössern Städten, vielen Fabriken u. s. w. die Zufuhr von Schlachtvieh der Steppenracc, dessen ehemals so viel auf dem Berliner und andern Viehmärkten erschien, zu entbehren! Leichter noch müsste es Polen werden, die circa 20,000 Stück russischen Schlachtviehs zu ersetzen.
Wie oben erwähnt, werden in Volhynien die Ochsen schon allgemeiner zum Zuge verwendet. Die Zahl des schlacht­baren Viehs steigt dadurch, und der Bedarf an Steppenvieh wird dadurch zur eignen Consumtion fast beseitigt. Dage­gen ist es hier üblich, Ochsen der Steppenracc im Spät­herbst aufzukaufen, neben denjenigen der eigenen Zucht, zu mästen, und sie im Winter fett an Händler zu verkau­fen, welche überall im Lande umherziehen, und welche sie dann in kleineren oder grosseren Trieben von 20 und meh­reren Stücken den grosseren Städten, Warschau nament­lich, zutreiben.
In den, vorzugsweise Rindviehzucht treibenden Steppen­ländern, wozu auch Podolien und Bessarabien gehören, werden Ochsen allgemein, und von den kleinen Steppenwir-then ausschliesslich, zum Zuge verwendet. Was nicht hierzu benutzt, oder eine Zeitlang, einige Jahre, dazu ver­wendet worden ist, wird bekanntlich, mit Ausnahme des wenigen selbst consumirten, als Schlachtvieh ausgeführt. Viele Tausende wandern alljährlich andern russischen Pro­vinzen, besonders den Hauptstädten Russlauds, den russischen
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Ostseeprovinzen, dem Königreich Polen, der Bukowina, Galli-zien und selbst Mähren und Böhmen zu.
Was nun zunächst .die zum Zuge verwendeten Ochsen anbetrifft, so verdient hierüber vor Allem erwähnt zu wer­den, dass dies nicht blos im Bereiche der ländlichen Arbei­ten geschieht — wo man sich dabei häufig 6 Ochsen vor einem Pfluge bedient, weil man sehr tief pflügt und, des liefwurzelnden Unkrauts wegen, tief pflügen muss — son­dern ein grosser Theil davon fällt dem Reisefuhrwerk an-heim. Zu denjenigen Reisefuhren (Frachtfuhren), die vor­zugsweise oder alleinig nur im Sommer ausgeführt werden können, bedient man sich sehr allgemein der Ochsen; wäh­rend man zu solchen Frachtfuhren, die Sommer und Win­ter im Gange sind (wegen der in letzterer Jahreszeit für Ochsen nicht füglich passirbaren Wege) nur Pferde benutzt. Jener Fuhrleute (Tschumaki), die zum Angespann sich der Ochsen bedienen, Hauptbeschäftigung ist es, Salz von Odessa aus in das russische Reich zu verfahren, und an­dere Waaren, wohin auch Weizen gehört, zurückzunehmen. Man spannt je 2 und 2 Ochsen vor einen Wagen (Pferde in der Regel, namentlich im Winter, stets nur eins), und mehreren Paaren, 3 — 5, ist ein Knecht beigegeben, so dass stets eine grössere Anzahl von Wagen zusammen ist, welche, figürlich zu reden, karavanenweisc einherzichen, wie dies überhaupt in Russland mit den Fuhrleuten der Fall ist. Zu 50—100 und mehr beladene Wagen sieht man nicht sel­ten in einer Reihe, oder doch mit wenigen Unterbrechun­gen, auf den von Odessa führenden Hauplslrassen, sich be­wegen. — Die Zahl der, zu genanntem Behufe verwendeten Ochsen schlägt man (doch wohl übermässig) auf nahe einer Million an (Cf. p. 15.). Der Waarentransport von Odessa bedingt zur Sommerzeit, in und um diese Stadt, das Zu­sammentreffen einer grossen Anzahl von Ochsen aus den verschiedensten Gegenden; denn mit der Verführung von Salz beschäftigen sich nicht bios die Tschumahen allein, sondern, wie pag. 15 angeführt, ist es auch üblich, dass grössere Gutsbesitzer Podoliens u. s. w, sich diesem Geschäfte gelegentlich unterziehen. Den Winter über wei-
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icu die Tschumaken mit ihren Ochsen auf den weniger mit Schnee bedeckten Steppen des südlich-europäischen Russ­lands, wo sie sich geeignete Orte für den Aufenthalt in dieser Jahreszeit suchen. UcLerhanpt halten sich die Tschu­maken in den (südlichen) Steppenlanden auf, wo es au her­renlosen Weiden nichl fehlt, sie ihren Stieren Nahrung ver-schaffen und die nöthige Erholung gönnen können.
Das Schlachtvieh, gleichfalls Stiere, selten nur eine Kuh, nie Kälber (wie denn überhaupt nur ausnahmsweise wohl einmal ein Kalb geschlachtet wird; wie dies bei einem Vieh­zucht treibenden Volke in der Natur der Sache liegen muss) wird vorzugsweise nur den Sommer und Anfangs Herbst, vom Juni bis November, derjenigen Jahreszeit, wo es am beleihtesten (feistesten) ist, unmittelbar jenen Gegenden, die Schlachtvieh zu beziehen gezwungen sind, in kleinern oder grössern Heerden, von 100 bis 500 Stück und mehr, zu­getrieben, und hat. je nach der Entfernung, weite Märsche, selbst von tausend und mehr Wersten, zu machen. Im Spätherbst, wo die Weiden schon weniger nahrhaft sind und das Fettwerden des Viehs nicht mehr begünstigen, wird zwar aus den weniger entfernten Steppen auch noch Vieh heerdenweise ausgeführt, doch geht dieses nicht unmittelbar seinem Ziel entgegen, sondern es wird solches, meistens von Brennereibesitzern, in russisch Litthauen, Volhynien, Gallizien (dieses Land bezieht jedoch zu gleichem Zwecke auch ungarisches Vieh) u. s. w. aufgekauft, erst noch ge­mästet, gelangt so mittelbar an den Ort seiner Bestim­mung, und liefert den Winter und Frühjahr hindurch, bis dahin, wo wieder unmittelbar Vieh aus den Steppen anlangt, den betreffenden Städten einen Theil ihres Fleischbedarfs. Es ist somit irrig, wenn man erzählt, dass das ganze Jahr grosse Triebe Vieh aus den Steppen abgingen und ihren Marsch in entfernte Gegenden fortsetzten. Wer den tiefen Schnee gesehen, der zur Winterzeit die Wege jener Land­striche bedeckt und ungangbar macht, welche das Vieh zu passiren hat, die Ünwegsamkeit der Strassen überhaupt ausser der Sommerzeit kennen gelernt und empfunden hat — wird bald einseben, dass solche Erzählungen mehr den Mährchen
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anhcim fallen. Unter den grössten Anstrengungen, höchst ermattet und erschöpft, sieht man schon die aus den Bren­nereien Litthauens und Volhynicns im Winter kommenden Ochsen auf dem Viehmarkte in Praga bei Warschau an­langen; während ihr Weg doch nur ein kurzer im Verhält-niss zu jenen aus den Steppen zu nennen ist. —
Den Winter über finden nur Kleinmärkte in den Step­penländern statt und der Zutrieb von Vieh zu ihnen aus den Steppen ist nur gering zu nennen. Die Grossmärkte be­ginnen erst mit dem Anfang des Sommers. Die besuchtesten dieser Märkte werden gegenwärtig, wie seither, in Bahn, Jelisawetgrad und Berdicxow abgehalten und dauren einige Wochen. Der grösste von allen d. h. auf dem das meiste Rindvieh erscheint, ist der Sommermarkt (Mitte Juni) in Balla. Hier sollen bis 500,000 und mehr Ochsen ab­gesetzt werden. Dass nach der geographischen Lage dieser Orte sich laquo;uch der Zutrieb von Vieh aus den verschiedenen Steppen richte, und daher auf dem einen Platze vor dem andern vorzugsweise Vieh gewisser Steppen erscheine, bedarf wohl kaum der Erwähnung: nur dass sei bemerkt, dass die ge­nannten drei Orte es sind, auf welchen von Händlern das Vieh erstanden wird, welches (ausser zum Theil den russi­schen Ostseeprovinzen sammt der Residenzstadt Petersburg) dem Königreich Polen, Gallizien, Mähren und Böhmen aus dem südlich europäischen Russland (mit Einschluss von Podolieh) namentlich den am schwarzen und asowschen Meere zu gelegenen Steppen, zugetrieben wird. Der Weg, welcher mit dem Vieh auf seiner fernem Wanderung, von den oben genannten Marktorten aus, nach den genannten Ländern hin genommen wird, ist zwar verschieden und richtet sich namentlich, sofern es Polen und Gallizien u. s. w. betrifft, nach den Einlasspunkten, die für das Steppen­vieh bestimmt sind. Für Polen ist der Haupteinlassort Wlodawa, denn über Terespol und Siechonetcice geht nur wenig Vieh, und Treibheerden fast gar nicht ein. Ich habe bereits pag. 7. den Weg, welchen die Treibheerden gen Wlodaum nehmen, näher bezeifchnet und bemerke nur noch, dass Starokomtantynotv gewissermassen einen Con-
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zentrationspunkt für das den genannten Ländern, insbesondere Polen, zugetriebene Vieh abgiebt. Der Hauptcinlassort für das, aus den russischen Steppen kommende und in die östreichischen Staaten eingehende Vieh ist Bojan; doch passirt auch Vieh über die russischen Grenzkammern Isakow, Husiatin, Radxiwilow etc. und geht an den entsprechenden östreichischen Grenzorten in Gallizien ein.
Ausser an den genannten drei Hauptmarktorten finden in den Stcppenländern noch an vielen andern Orten, den kleinern Städten besonders, häufig Viehmärkte statt. So wird das Städtchen Bellsehi in Bessarahten, seiner allmo­natlich und öfter noch stattfindenden Viehmärktc wegen, von Händlern sehr besucht. Es erscheinen auch hier mit­unter mehre tausend Ochsen. Selbst auf den gewöhnlichen Wochenmärkten der kleinen Städte werden häufig Handel abgeschlossen, da solche von den Steppenbewohnern, zur Absetzung ihrer sonstigen Produkte und zum Einkauf von häusslichen Bedürfnissen, fleissig besucht werden, und sie behufs dessen mit Ochsengespann eintreffen. Es ist nichts Ungewöhnliches auf solchen Wochenmärkten, wie z. B. in Chodxim u. s. w. 500 bis 800 und mehr Ochsen, vor Schlitten oder Wagen gespannt, zu sehen. Ueberall auf den Strassen, den freien Plätzen lagern Ochsen umher. — Ausser auf den Märkten, ziehen aber auch noch stets Händler in den Steppendorfschaften u. s. w. selbst umher und kaufen Vieh 5 namentlich von den kleinen Steppenwirthen, an Ort und Stelle auf, um es den Märkten wieder zuzutreiben und an Grosshändler zu verkaufen. Durch diese Zwischenhändler dürfte sogar wohl das meiste Vieh in den Steppen aufge­kauft werden. Nur an den Festtagen der Juden ruht der Handel, sonst ist dieser stets, vom Frühjahr bis in den Winter, im Gange. — Anders lässt es sich aber auch wohl nicht denken in einem Lande, wo Vieh die Haupthandels-waare ist.
Diese Verhältnisse nun, noch mehr, als die früher be­sprochenen, weisen darauf hin, wie vielfach die Wege sind, auf denen einmal zum Ausbruch gelangte ansteckende Krank­heiten, insbesondere die Rinderpest unter dem Vieh sich
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verbreiten und eine Allgcineinlierrschaft erlangen können, wie ilic letztgenannte Krankheit über die Steppen hinaus in ferne liegenden sich verschleppen lasse und dort dem Rindvieh Tod und Verderben bringen könne. — Die grossen Züge, welche die Pest von Zeit zu Zeit genommen hat, dienen als Beweis des Einllusscs, welchen die berührten Verkehrsver-hältnisse auf den Gang dieser Seuche haben. — Es muss klar in die Augen springen, dass ein Ausbruch der Pest unter den Ochsen der Tsc/mmaken immer am Verderben bringendsten ist und wesentlich zur allgemeinen und schnel­lem Verbreitung der Pest beitragen müsse. Um so auffal­lender muss es sein, dass von den Schriftstellern, welche über Rinderpest geschrieben, dieses Umstandes nicht näher gedacht wird, von ihnen vielmehr stets aiur die Treibheer-den, als die alleinig (oder doch vorzugsweise) Unglück brin­genden betrachtet worden sind. — Doch dieser Punkt wird weiter, unten noch seine Erörterug finden; daher es uns zu genügen scheint, hier vorläufig schon die Aufmerksamkeit darauf gelenkt zu haben. — Vor der Hand wollen wir nicht weiter zu erforschen streben, wo der ursprüngliche Heard der Rinderpest aufzusuchen sei. So viel ist gewiss, dass durch die genannten Verkehrsvcrhältnisse Russlands eine allgemeine Verbreitung der Pest durchaus befördert werde. Die Niederlagen, welche diese Krankheit, während ihres jetzigen Herrschens in dem südlich-europäischen Russland angerichtet hat, sind enorm zu nennen. Nach einer massigen Berechnung betrug der Verlust an Vieh, bis zu meinem Dortsein, mehr denn 400,000 Stück. (In dem asiatischen Russland, namentlich in dem Gouvernement Tobolsk und Irkutsk sollen, wie mir Reisende raitthcilten, die Niederlagen verhältnissmässig nicht minder gross gewesen sein. Auch Pferde und Schafe sollen dort zahlreich in Folge einer Seuchenkrankheit eingegangen sein.) Die spätem Verluste noch hinzugerechnet, dürfte der Gesammtverlust, welcher durch die diesmalige Seuche veranlasst worden ist, auf circa eine Million zu berechnen sein.
Ziehen wir nun die bisher genannten Verhältnisse des Verhaltens u. s. w. des Rindviehs in nähern Betracht, so
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kann es nicht weiter zweifelhaft bleiben, darin Momente auf­zufinden, die nachlheilig auf die Gesundheit der Thiere ein­wirken, und diese zu Krankheiten disponirt machen.
Wenden wir uns zunächst zu dem frei in den Steppen lebenden Vieh!—Von diesem wissen wir, dasses gewöhnlich Krankheiten nur wenig unterworfen ist. Sporadische Krank­heiten sind sehr selten und' müssen seltene Erscheinungen sein, da alle Thiere gleichen allgemeinen (und besondern) Einflüssen ausgesetzt sind. — Ebendeshalb sehen wir denn auch, wenn Krankheiten unter ihnen vorkommen, diese das Verhalten der Heerdcnkrankheiten annehmen und bald auf eine oder mehrere Steppen sich beschränken oder allgemeiner werden, wie es den veranlassenden Ursachen (ob solche in einer oder der andern Steppe allein und vorzugsweise oder über mehrere gleichmässig verbreitet obwalten) und der Natur der Krankheit entsprisht. — Wir kennen von diesen Heer­dcnkrankheiten die Aphlhenseuche (Maul- und Klauenseuche) den Milzbrand in seinen verschiedenen Formen und Varie­täten. Welche jedoch von diesen die am gewöhnlichsten vorkommende Form ist, ist noch nicht ermittelt. Von Sibirien wissen wir, dass dort die sogenannte Beulenkrank­heit (carbuneulöser Milzbrand?) die herrschendste ist, doch soll diese, ausser den Menschen, nur das Pferd befallen, (wie Haupt berichtet), nicht so auch das Rindvieh. Ferner ge­hören hierher Lungenentzündungen (sog. Lungenbrand) und ganz insbesondere J9raquo;/rcÄ/a//c, Rühren und bösartige lieber. Doch sind auch diese Krankheiten, mit Ausnahme des Durchfalls, der sich als Frühjahrskrankheit, bei den Käl­bern namentlich nicht selten einstellen soll — wie mir sehr allgemein versichert wurde — im Ganzen seltene Erschei­nungen und kommen mehr periodisch vor; den verschiedenen Behauptungen nach alle 4 bis 6 oder 8 bis 10 Jahre. — Wohl mag es sich anders verhalten, da es an zuverlässigen Beobachtungen noch zu sehr fehlt und hierbei meistens den Berichten von Viehhändlern, den Erzählungen der Heerden-wächter u. s. w. Glauben geschenkt worden ist. Doch so viel steht fest, dass von den Naturforschern, welche Russ­land bereist haben, wie Pallas, Giildenstedt, Gmelin
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u. s. w. Viehkrankheiten nur wenig gedacht werden, was doch, da sie auch überall der Viehzucht ihre Aufmerksam­keit zugewendet haben, geschehen sein würde, wenn ihnen wirklich öfter Viehkrankheiten vorgekommen wären. Gmelin, der es sich besonders, wie er Thl. 1. pag. 82 selbst sagt, mit zur Aufgabe gestellt hatte: raquo;Viehseuchen zu beobachten und zu untersuchen so oft er Gelegenheit haben werdelaquo; — erwähnt nur, dass er 1768 am Don in einem Dorfe eine Lungen­seuche und in einem andern an demselben Flusse gelegenen die Viehpest gesehen habe. Die Nachrichten späterer Rei­senden , so wie die Mittheiiungen, welche uns durch die in jenen Ländern bei Viehseuchen tbätigen Personen, wie Kreis­ärzte und Gouvernementsthierärztc, gemacht worden sind, lassen es wohl zweifelsfrei, dass selbst auch Seuchenkrank­heiten in den Steppen nicht häufig sind. — Nur bei unge­wöhnlichem Laufe der Jahreswitterung, aussergewöhnlichen Naturereignissen: Ueberschwemmungen, grosser Dürre im Sommer, anhaltenden schncereichcn Wintern, sollen Krank­heiten auftreten; doch behauptet man, dass diesen mehr das Vieh in jenen Steppen unterlegen sei, die ihrer Beschaffen­heit, Lage und Oertlichkcit nach leichter von nachtheiligem Einfluss auf die Thiere sind. Man nimmt dieses sehr all­gemein mehr von den, an den untern Flussgebieten der, dem schwarzen und asowschen Meere zufliesscnden Ströme ge­legenen Steppen an; wo öfter Ueberschwemmungen vor­kommen und Sumpfgegenden sich häufiger eingemischt finden.— So soll namentlich der Milzbrand, der übrigens im süd­lichen Russland unter Rindvieh, besonders aber Schafen (den feinen mehr) nicht gar selten ist, in der Nähe der Dnieper• Mündung am schwarzen Meere, in dem Gouver­nement Cheraon und Taurien, selbst enzoofisch vorkommen. Mehr noch und namentlich bezüglich des Vorkommens der Rinderpest, glaubt man das untere Flussgebiet der Wolga, insbesondere das der linken Uferseite (Asien) beschuldigen zu müssen. — Weniger sollen in Podolien Viehkrankheiten (ausscr der Aphthenseuche, die auch hier in den letzten Jahren sich zeigte) vorkommen und behauptet man hier (cf. pag. 15.) wie in Bessarabien, dass die Rinderpest
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ursprünglich daselbst sich nicht entwickle. — Von Andern hört man aber auch wieder behaupten, dass ohne nachweis­bare und namentlich ohne die vorhin genannten Calanaitäten, doch periodenweise Krankheiten sich zeigten, ohne zu wissen woher sie kämen. Man hält sie für Schickungen (Strafen) des Himmels und glaubt, solche durch Nichts abwenden und mildern zu können. — Einzelne wieder wollen solche Krankheiten mit den Heuschrecken in Verbindung bringen. Diese Thiere durchziehen nicht selten im südlichen Russlaud strichweise weithin Gegenden, lassen sich auf Feldern, Wiesen und Weiden u. s. w. nieder, zernagen und verunreinigen die Gewächse. Indessen gegen diese Ansicht erheben sich auch wieder Stimmen, indem sie auf Facta sich berufen, wo ge­rade die von Heuschrecken heimgesuchten Gegenden frei vom Viehsterben blieben, und dagegen jene, welche von diesen zerstörenden Gästen nicht heimgesucht wurden, an Vieli-krankheiten litten, oder aber es wurde hierin gar kein Un­terschied beobachtet: es zeigten sich Viehkrankheiten eben­sowohl an Orten, wohin Heuschrecken, als dort, wohin keine gelangt waren, wenn überhaupt Krankheiten vorkamen. Häufiger aber durchziehen Heuschrecken das Land, ohne dass gleichzeitig Krankheiten unter dem Vieh beobachtet werden. — Würde man, diesen verschiedenen Angaben und Behaup­tungen zufolge, sich ein ürtheil erlauben dürfen, ohne aus eigner Anschauung, berichten zu können; so würde es dahin ausfallen, dass sehr wahrscheinlich die Heuschrecken an der Entstehung von Krankheiten unter dem Viehe wenig oder nicht Theil haben; insbesondere aber nicht mit hinlänglichem Grunde mit der Rinderpest selbst in Beziehung gebracht werden können.
Von einigen wenigen, an der Entstehung von Krank­heiten sich betheiligenden Einflüssen abgesehen, wird doch im Ganzen zugestanden werden müssen, dass Seuchenkrank­heiten unter dem Vieh der Steppen periodenweise unter aussergewöhnlichen Einflüssen sich zeigen. An ein immer­währendes Fortbestehen von einmal zum Ausbruch gelangten Seuchen, wie man das namentlich auch wohl von der Rin-. derpest angenommen hat, glaubt wohl kein Sachkundiger
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mehr! — deg;) Da nun jenes, der Erfahrung zufolge, zugegeben werden inuss, so werden auch ungezwungen in den Ein­flüssen, welchen das auswandernde Stcppenvich, (die Treib-heerden) auf der Reise ausgesetzt ist, und je weiter diese geht desto mehr — der aussergewöhnlichen genug sich auf­finden lassen. — Sie werden dem Maase nach steigen, so-Laid die Thiere nicht bloss die heimathlichen Steppen, son­dern überhaupt die Steppcnlande verlassen haben: sie treten in ganz neue Verhältnisse. An Stelle freiwilliger und be­liebiger Bewegung, tritt jetzt eine gezwungene und mehr oder weniger ermüdende, besonders bei schlechter Beschaffen­heit der Wege; Wechsel im Futter und Getränk, oft beides nur nothdürftig oder schlecht, selbst wohl ungesund; nicht immer, bei Eilmärschen, die nöthige Ruhe zum Wieder­käuen, sind unvermeidlich. Dazu kommt noch, dass mit den Treibheerdcn eine Gegend durchwandert wird, die vielfach sumpfig und daher unter Umständen, im hohen Sommer, nicht den gesunden beigezählt werden kann. So z. B. ist der Weg von Starohonslanlynow bis Wlodawa hin reich an Moorgründen und Seen und selbst der Ouarantainort davon nicht frei'). Ucbcrhaupt bewegen sich die Thiere in der Richtung zu den Quellen jener Flüsse, die dem schwar­zen Meere zueilen, und bekanntlich sind solche grösstentheils in Sumpf - Gegenden, die reich an moorigen Seen sind, ge­legen. Ganze Reihen (Ketten) von Seen umlagern viele der Anfänge, der nachmals so mächtig werdenden Ströme.
In den genannten sind nun wohl der Momente hin­reichende aufzufinden, welche geeignet sind, je nach dem Grade und ihrer fortgesetzten Einwirkung Krankheiten zu erzeugen. Sie werden das um so eher thun, wenn die Thiere
*) Wie würden sonst wohl jene Gegenden, wenn sie fortwährend eine so rerheerende Krankheit, wie die Rinderpest, in ihrem Schoosse bergten, seit Jahrhunderten eine unerschUiifliche Quelle ron Schlacht­vieh haben abgeben kUnnen? —
**) Der Platz, wo in Wlodawa das Vieh aufgelrieben wird, ist auf einem Wiesengrunde, unmittelbar diesseits des Bugflusses (ohne alle Verschrankungen) und den Ueberschwemmungen desselben häutig ausgesetzt) steht daher periodisch unter Wasser und ist für eine längere Zeit des Jahres mehr oder weniger sumpfig.
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in den Steppen selbst schon von aussergewöhnlichcn, nach­theiligen Einflüssen heimgesucht, und dadurch mehr zu Krank­heiten disponirt werden. Muss man nun auch im Allge­meinen den Treibern und Wächtern solcher Heerden eine genaue Bekanntschaft mit den Locaiitäts- und sonstigen Ver­hältnissen der zu passirenden Gegenden zuschreiben und ihnen zugestehen, dass sie mit Sorgfalt verfahren, wie es ja in ihrem eignen Interesse liegt — so sind doch manche Dinge unabwendbar und die Folgen bleiben nicht leicht aus. —Es sind alle hierauf bezüglichen Verhältnisse von Lorinser'^) zu treffend geschildert, als dass ich Veranlassung nehmen könnte, bei diesem Gegenstände noch länger zu verweilen. ;
Sind nun schon die Treibbeerden den Widerwärtigkeiten, je nach den Umständen mehr oder weniger ausgesetzt; so treffen die im Joch ziehenden Ochsen der Tschumaken derselben noch mehre. Mag man immerhin einwenden, dass diese Leute grosse Aufmerksamkeit auf ihr Vieh verwenden, ihr Weg sie meistens auf den Hauptstrassen entlang führt, wo der Tränkcstellen regelnlässiger sich finden, und Futter in der Regel überall zuhaben ist; denn an sog. Kretschmern (gewöhnlichen Wirthsbäuseru, Krügen) fehlt es an den Strassen nicht: so liegt doch die Beschaffung einer guten Qualität der Nahrung und des Getränks nicht überall in ihrer Macht, und noch viel weniger die der Wege, die durch Regengüsse zeitweise verderbt, für die belasteten Thiere nur mit der grössttn Anstrengung zu passiren sind. Mag man ferner immerhin durch nächtliches Reisen und Ruhe am Tage die Belästigung der Thiere au beissen Sommertagen zu mas­sigen suchen: nur kurze Märsche machen und den Thieren die nöthige Zeit zum Wiederkauen gönnen — nicht alle, nicht vorherzusehende Nachtheile, schädliche und krankma­chende Einflüsse lassen sich abwenden. Sie smd zeitweise unzertrennlich von den Dienstleistungen der Ochsen: der Beschaffenheit der Witterung und der Wege, zur Zeit herr­schenden, besonderen Witterungs- und hiermit zusammenhän­genden Krankheitsconstitutioncn können sie nicht entzogen werden. — Wohl mil Recht hat man daher die Ochsen
*) Unteisuchungen über die Kinderjiest, Berlin, 1831,
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der Tschumaken in Verdacht, dasraquo; sie die Verbreiter von Krankheiten sind.
Inwiefern min aus den bisher angedeuteten Ursachen auch die Rinderpest sich entwickeln könne, wollen wir demnächst weiter unten auseinander zu setzen uns bemühen. Zunächst erst noch einen Blick auf Polen und Volhynien.
Das Verhalten der Thiere in diesen Ländern, nament­lich in Polen, haben wir im Allgemeinen als ein rücksichts­loses schildern müssen. Darf man nun auch hierbei anneh­men, dass, nach den Gesetzen der Angewöhnung, der thic-rischc Organismus alle die Unbill, wie sie beim gewöhnli­chen Laufe der Dinge vorkommen, zu ertragen sich bequemt habe; so treten aber doch auch hier unter Umständen Ver­hältnisse ein, die den Thieren verderbenbringend werden. Am meisten von Allen gehört hierher Misswachs; da, wie bemerkt, der gemeine Pole im Allgemeinen sorglos in den Tag hineinlebt, und wenig oder gar kein Bedacht auf solche Unfälle nimmt. Der in Polen im Allgemeinen lange anhal­tende Winter, verspätetes Frühjahr, machen einen grossen Bedarf an Winterfutter nothwendig. Ist die Erndte kärg­lich, das Futter obenein noch schlecht gewonnen, tritt der Winter früh, der Frühling ungewöhnlich spät ein, wie dies z. B. im abgelaufenen Wintersemester 18|^ der Fall war, so tritt Futternoth ein, und die Thiere müssen Hunger lei­den. Sind die Jahrgänge nass, erfolgen häufige Ueber-schwemmungen, wie im Sommer 1844, wo der Bug fünf­mal aus seinen Ufern trat, wodurch Triften, Weiden und Wiesen unter Wasser gesetzt werden; so leiden die Gegen­den an den Flüssen viel. Sommerweiden und Winterfutter sind schlecht, und es entstehen in Folge dessen Krankheiten, vorzugsweise solche, wie sie gewöhnlich aus einer mangel­haften und verdorbenen Nahrung hervorzugehen pflegen: cachectische Leiden, namentlich Bleichsucht und Wurm-suchten, in specie die Leberegelkrankheit, welche dann, ge­wöhnlich unter Schafen und Rindvieh gleichzeitig auftretend, grosse Niederlagen anrichtet. So war denn auch, wie oben über meine Reise durch Polen bereits berichtet, im verflos­senen Winter die Leberegelkrankheit (poln. Motylica') zu
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einer allgemein grassirenden Seuche geworden, und Tausenden von Thieren brachte sie den Tod. Man kann wohl ohne Uebertreibung behaupten, dass Polen gegen 10,000 Stück Rindvieh, und gewiss f seiner Schafe, an dieser Krankheit cingebüsst hat. Der Verlust durch diese Seuche ist bei Weitem grosser, als der durch die Rinderpest verursachte. Die Leberegclkrankheit ist es aber auch, die häufig mit der Rinderpest verwechselt worden ist, und dadurch zu dem Ge­rücht die Veranlassung gab, dass durch Polen die Rinder­pest allgemein verbreitet sei; was im Winter keineswegs der Fall war.
Eine kurze Beschreibung der Leberegclkrankheit möge hier zunächst erst Platz finden, bevor ich meine Aufgabe, die Rinderpest, weiter verfolge. Vorab sei indessen be­merkt, dass jene Krankheit, ausser in Polen, auch am rech­ten Ufer des Bugflusses, in Volhynien und Litthauen, aus-serdem auch im niederen Gallizien geherrscht und hier gleichfalls viel Vieh getödtet hat. —
Die Leheregelkrankhe.it, Cachexia icterico-vermi-nosa, ist ein Leiden, welches zwar auch in einigen Gegenden Teutschlands bei dem Rindvieh vorkommt, doch in der (epi-zootischen) Ausdehnung, wie sie im vorigen Jahre, und schon öfter zu anderen Zeiten, in Polen erschienen, ist sie bei uns ungekannt. Bei uns, mehr den Schafen als dem Rindvieh angehörend, erscheint sie nur in Bruchgegenden, und nament­lich in nassen Jahrgängen, und tritt dann beim Schaf in en-zootischer Verbreitung, beim Rindvieh gewöhnlich doch nur sporadisch auf. Das Vorkommen dieser Krankheit in Nie­derungsgegenden, die an Bruch-Moor und Moorgründen reich sind, zeigt auf die veranlassenden Ursachen dieser Krankheit schon hin. Daher denn auch das Behüten mooriger, sumpfi­ger, mit sogenannten sauren Gräsern bewachsener Weiden, so wie das Futtern von saurem, kraftlosem, insbesondere dumpfigem, moorigem Rauhfutter, wie es in nassen Jahrgän­gen, insbesondere nach stattgefundenen Ueberschwemmungen, nur gewonnen werden kann, in Verbindung mit dem Ausge­setztsein einer regnerischen, kalten, rauhen Witterung, —
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längst als diejenigen Momente, welche die LeLeregelkrank-heit erzeugen, erkannt worden sind.
Machen wir nun von diesem Ergebnisse auf die Ver­hältnisse Polens Anwendung, und ziehen wir dabei beson­ders das, was wir oben über das Verhalten des Rindviehs in Polen gesagt haben, in nähern Betracht, und bringen solche noch mit der im Jahre 1844 stattgefundenen Witterungs­beschaffenheit in Verbindung — só wird es erklärlich, wie die genannte Krankheit als wahre Epizootic über einen grossen Theil von Polen verbreitet sein konnte, und nament­lich jene Gegenden, die am Bug, der Weichsel gelegen sindraquo; heimsuchte.
Der Bug trat, wie bereits hemerkt worden, vom Früh­jahr bis zum Winter fünf mal aus seinen Ufern. Die Weichsel folgte seinem Beispiel. Weitausgcdchnte Niederungen ziehen sich an verschiedenen Stellen dieser Flüsse hin, und sind solche, namentlich im Flussgebiete des Bugs vielfach mit Moorgrüudcn und rohrreichen Seen untermischt. Sich wie­derholende und anhaltende Regengüsse unterhielten den Som­mer 1844 über die Niederungen stets im sumpfigen Zustande und licssen ein Austrocknen nicht zu Stande kommen; selbst die mehr hochgelegenen Stellen wurden dadurch zu nassen umgeschaffeu. Das Futter konnte unter den gegebenen Wit-terungseinflüsscii nur schlecht gewonnen werden. Mehr als in andern Jahre keimten saure Gräser und Sumpfpflanzen. Ihre Eiiisammlung konnte nur ausnahmeweisse in der er­wünschten Trockenheit erfolgen, meistens wurde das Futter in einem feuchten, das Dumpfig- und Schimmeligwerden begünstigenden Zustande eingebracht. — Die Weiden boten daher den Thiercn nur ein Gras schlechter Qualität dar, und sie selbst waren dabei, für den grössten Theil der Weide­zeit, einer regnerischen, rauhen Witterung ausgesetzt, lebten in einer feuchtkalten Atmosphäre. Der Winter erwartete ihrer mit einem an Qualität nicht minder schlechten, unge­sunden Futter und, hergebrachterweise, einem rücksichtslosen Verhalten. Es geschah Nichts, was auch nur einigermassen die Nachtheile zu mindern und zu mildem im Stande ge­wesen wäre. Vielen Orts konnte den Thicren noch nicht
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einmal das hiureichcude, wenn auch schlechte, Fultcr geholen werden, um ihren Hunger zu stillen. — Die Erndle war zugleich dürftig ausgefallen. Mit leeren Magen konnten die Thicre den Einwirkungen der Kälte um so weniger wider­stehen, als dadurch der Quell- der Wärmeentwicklung ver­siegte. Halb verhungert und halb verklamt — kämpften, die Thiere gewissermassen so schon zwischen Hunger- und Er­frier-Tode: nun noch nebenbei die Nachtheile des Genusses einer schlechten, verdorbenen Nahrung zu überwinden: Das war zu viel! Der Organismus musste, erschüttert in seinen Grundfesten, den der regclmässigen und hinreichenden Er­nährung, in Siechthum verfallen, cachectischc Uebel zur Aus­bildung gelangen. Leiden, die, den veranlassenden Ursachen entsprechend, im Allgemeinen als hydropischc sich aussprachen, im Besondern aber mit Leberleidcn sich paarten. —
Als allgemein hydropischc Leiden mussten sie in Folge des an Nährstoffen gehaltlosen, wässrigen, oder an Wasser­stoff reichen Futters ebensowohl auftreten, als in Folge einer dürftigen, unzulänglichen, indem das Blut in beiden Fällen an Wässrigkeit zu-, an plastischen, bildungsfähigen Stoffen aber abnimmt. Alle Absonderungen mussten, sowohl die zum organischen Ansatz, als zur Ausscheidung dienenden, wäss-riger, insbesondere aber jene, ihrer Natur nach schon wäss-rigeren, reichlicher ausfallen, weil eben für diese Absonderungen reichlicherer Stoff vorhanden war. So lange noch Fett im Körper vorhanden ist, und dieses zu anderweitigen neuen Stoffbildungen verwendet werden kann, findet der Organismus an ihm noch ein Material für seine Ernährung im Falle der Noth; so wie aber auch dieses geschwunden, sinkt die all­gemeine Ernährung um so schneller und tiefer. In Folge der angeführten nachtheiligen Einflüsse wird daher, bei nachhal­tiger Einwirkung, allgemeine Abmagerung, gewissermassen ein Hinwelken des Körpers unausbleiblich sein, und dieser Zu­stand bald früher bald später eintreten, je nachdem die Kon­stitution und der Fulterzustand der Thiere bis dahin war. — Der hydropischc Zustand ist der durchgreifendste im KrankKeitsprozcss (hierfür spricht, dass nicht immer mit ihm ein Wurmleiden verbunden ist): das Leberleiden, und mit
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ihm die Wurinbildung in der Leber, scheint mehr eine Com-plicalion zu sein und vorzugsweise durch die Verderbniss: vermoderte, schimmlige und nicht durch die bloss wäss-rige und gehaltlose Beschaffenheit des Futters — bedingt zu sein. Es wird dadurch ein qualitativ veränderter, fehlerhafter Chymus wie Chylus erzeugt, der in seinen fremdartigen, für eine reichlichere Gallenabsonderung geeigneten, Beimischungen vorzugsweise von den Venen aufgenommen dem Pfortader-blute und der Leber zugeführt wird, auf dieses Organ höchst­wahrscheinlich reizend einwirkt; Blutanschoppungen in dem­selben begünstigt, in Folge dessen, durch längeres Verweilen des Gallcnbluts, nicht allein Störungen in der Function der Leber eintreten und Afterproductionen begünstigt werden; sondern es dürfte auch zugleich die Galle selbst eine für die Schleimhaut der Gallengäugc und Gallenblase reizende Be­schaffenheit annehmen, solche zur vermehrten Secretion eines zugleich auch qualitativ veränderten Schleims anspornen, in welchen der Grundstoff (differenter Eiweissstofi) der Wurm­bildung {.suhslanliu venninattonis) enthalten ist, und die Bildung des Disloma in den Gallengängcn zu Stande kom­men lässt. — So Hesse sich die Entstehung der Leberegel­krankheit, in Folge der obengenannten Ursachen erklären. — Die anderweitigen mit dieser Krankheit noch vorkommenden Kranklieitserschcinungen, wie die häufig gleichzeitig beob­achtete Marklliissigkcit, lassen sich durch die allgemein herabgesetzte Ernährung und Blutwässrigkcit, mit Berück­sichtigung der zugleich darniederliegendcn Function der assi-milirenaen und absorbirenden Lymphgefdssc (die durch die obengenannte qualitativ veränderte Beschaffenheit des Chylus gleichfalls abnorm erregt, zu Stockungen in der Fortleitung der Lymphe disponirt und der Entwicklung hydropischer Zu­stände begünstigend gestimmt werden) leicht erklären; und es bedarf hierzu nicht der Annahme einer Säurung in den ersten Wegen. Die Betheiligung des Lymphsystems an dem Krankheitsprozesse wird in den mehr oder weniger krank­haft veränderten Lymphdrüsen, namentlich denen des Ge­kröses, deutlich genug versinnlicht. quot;
Ilaben wir nun versucht die Wirkungen der vcranlas-
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senden Ursachen darzulhun, so bliebe uns noch übrig, die­selben in einem Krankheitsbilde zusammen zu fügen. In wenigen Zügen lässt sich das Bild der Lcberegcl-Krankheit malen. —
Ohne anfänglich besondere Krankheitssymptome zu äussern, magern die Thicre ab und entkräften, bleiben dabei fortwäh­rend bei ziemlich reger Press- und Sauflust, wie auch beim Wiederkauen, bis sie endlich so geschwächt sind, dass sie unvermögend sind aufzustehen, wie gelähmt, oder auch wirk­lich im Hinterthcil gelähmt, an der Erde liegen bleiben, auch in diesem Zustande mitunter noch Wochen zubringen, bis alle Lebenskraft erschöpft, sie das Leben aushauchen. An­derweitige diesen Zustand begleitende Zufälle sind: Neigung, die Wände zu belecken, Erde zu fressen u. s. vv.; Hart­leibigkeit bis zum Ende, seltener tritt mit diesem Durch­fall ein. Das Haar glanzlos, struppig; die Haut kühl, trocken, unrein, fest anliegend {Harthäutigkeil) mit Neigung zu trocknen oder nässenden (flechtenähnlichen) Ausschlägen. Die Maulschlcimhaut bleich, gelblich; die Conjunctiva auf­gedunsen, wie wässrig infiltrirt; ebenfalls bleich, gelblich. Die Augenlider wie geschwollen; das Auge in seine Höhle zurückgezogen, matt und glanzlos; im iunern Augenwinkel sammelt sich gelbliche Schmiere an. Die Milchsecretion ist vermindert, die Milch wässrig, (gelblich) von unangenehmen Geschmack und wohl selbst unangeneliracn Geruch. Das Euter bleich und schlaff. Zuletzt treten noch wohl öde-matöse Anschwellungen im Kchlgange, im Triel, an den Sprunggelenken ein; die Zeichen des hectisehen Fiebers ge­sellen sich hinzu, und die Thierc sterben, nachdem sie in dem vorbeschriebenen Zustande 4—6 Wochen zugebracht, wie oben angegeben. Selten, dass sie sich wieder erholen. Doch erfolgt dies bei guter Pflege, der Darreichung eines gesunden Futters, so wie nach der Verabreichung von passenden, die Verdauung stärkenden, den Assimilationsprozess hebenden Arzneimittel, aus jenen Zeitraum der Krankheit wohl, wo die Thierc noch nicht so entkräftet sind, dass sie beständig am Boden liegen.
Nach dem Tode finden sich neben den allgemeinen Zeichen
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lies alrophischen und hydropischen Zustaudes: Blut-wiissrigkeit, grosse Abmagerung, blasses, welkes Muskelflcisch, gänzliche Fettlosigkeit, oder anstatt des Fettes eine gelbliche sulzige Flüssigkeit in dem Fettgewebe; abnorme Ansamm­lung gelblichen klaren Wassers in der Bauch- uud Brust­höhle, dem Herzbeutel; wovon sich häufig auch in den Hirnhöhlen und dem Rückcnmarkskanal findet; bleiche, wie ausgewässerte Beschaffenheit der Eingeweide; aufgetriebene, speckig, erweichte missfarbige Gekrössdrüsen; verflüssigtes Mark in den Röhrenknochen; von sulziger Masse umgebenes, erweichtes Rückenmark in seinem Caudaltheil —; die Leber entartet: stellenweise aufgetrieben, und in ihrem Gewebe verdichtet (verhärtet) oder auch theilweise wie geschwun­den, zusammengefallen und in ihrer Farbe verändert; die Gallengängc erscheinen aufgetrieben; in ihren Wänden ver­dickt und verhärtet, durchziehen sie, wie weisse Stränge in ästiger Verbreitung, den vorherrschend kranken Lebcrtheil; ihre Schleiinhaut, wie die der gewöhnlich sehr ausgedehnten und eine dünne, wässrige Galle enthaltende Gallenblase, er­scheint aufgelockert, ödematös und finden sich in ihnen die Leberegel in grosser Anzahl vor und ausserdem gewöhnlich auch noch schuppenförmige Krustationen von schwarz-brauner Farbe (Gallcnsedimente).
Ueher die Art der Entstehung und fVeiterverbreitung der Rinderpest in Polen und Rttssland.
So weit es Polen und Volhynien (sowie auch Gal-lizien etc.) betrifft, ist es weiter nicht in Zweifel zu ziehen, dass die in diesen Ländern im Herbst 1844 aufgetretene Rinderpest nur durch Einschleppung des Contagiums ent­standen ist, und zwar, wie die Ermittelungen ergeben haben, nach Polen durch krankes, der Steppcnrace angehörendes
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Rindvieh selbst (cf. p. 3. u. 4.). Die ersten Ausbrüche der Rinderpest in Polen traten an solchen Orten auf (bei Wlo-daua. Lublin, TFai'schau n. s. w.) wohin Stcppcuvicli gelangt war, und Kranke unter demselben sich vorgefunden hatten. Dieses letztere ist bald evident nachgewiesen, oder die gepflogenen Ermittelungen machten es doch höchst wahr­scheinlich. — Was aber ganz besonders für die Ein-schleppung der Rinderpest nach Polen durch Steppenvieh sprechen würde, auch wenn der so eben genannte That-bestand sich nicht ergeben hätte, ist, dass sich dieselbe an­fänglich durchaus nur in jenem Theile Polens zeigte, welchen das Steppenvieh auf seiner Wanderung gen Warschau und LiihHii. denjenigen beiden grössten Städten Polens, denen das meiste Vieh zugetrieben wird, — zunächst berührte. Die Pest trat überhaupt nur an der russisch-polnischen Grenze, in der Richtung gen Wlodawa, dem Haupleinlass-orte für das russische \ieh, auf. Jene Distrikte Polens, die diesseits Warse/tau gelegen und bis wohin kein Steppen­vieh gelangt, blieben den Winter über ganz verschont, und erhielten die Krankheit später erst auf andern Wegen, d. h. nicht unmittelbar von dem Steppenvieh selbst, sondern mit­telbar von bereits erkranktem einheimischem Vieh, durch Ver­kehr der Ortschaften unter sich. Auf diese Weise gelangte z. B. die Pest auch nach Ciecxerxyn').
Möge es dahin gestellt bleiben, ob jene verdächtige Heerde (cf. p. 3.) die übliche Revision, respect. Quaran­taine von 48 Stunden iiberstannen hatte, oder eine einge­schmuggelte war, wie Seitens der Behörden behauptet wird: genug, unbestreitbar ist sie als die Trägerin des Contagiums und somit als die Einschleppcrin der Rinderpest in Polen zu betrachten. — Fraglich muss es zwar bleiben; hat jene Heerde die Krankheit aus den Steppen selbst mitgebracht, oder hat sich dieselbe solche erst auf ihrer fernem Wan-
*) Ein Bewühner dieses Orts, und zwar derjenige, bei dem die Pest zunächst ausbracli, halle iiänilich in einer der Vorstädte Lublins von Jemand Futter gekauft, dessen Vieh bereits an der Pest ge­fallen war.
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ilcrung erworben: cvenlualiter ist sie auf ihrem Marsche erst infizirt Avordcn. oder entwickelte sich während der Zeit erst in ihr ursprünglich die Pest? — Alle drei Fälle sind möglich. Nicht aber ist der Nachweis evident zu liefern, welcher von dreien wirklich stattgefunden hat. Nur so viel lässt sich annehmen, dass der eine Fall grösserc Wahrschein­lichkeit vor dem andern habe.
Dass die genannte lieerde die Krankheit (tief) aus den Steppen selbst mitgebracht habe, scheint der am wenigsten wahrscheinliche zu sein; wenngleich der l instand, dass schon den Sommer hindurch die Pest in den Steppenlanden gras-sirte, sehr dafür spricht. Es scheint mir nämlich nicht wahr­scheinlich, dass eine Heerde Vieh, in welcher schon die Krankheit grassirt, auch wenn nur ein einziges Stück be­fallen wäre, den weiten Weg aus den Steppen bis nach Wlttdätoä sollte zurücklegen können, ohne zum grösslen Theil schon von der Pest aufgerieben zu werden: gewiss aber ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine Heerde eine, auch nur 48slündige Quarantaine überstehen könne, ohne dass Erkrankungen in ihr vorfielen: unwahrscheinlich also, dass die Krankheit verborgen bleiben komite. Ein pest­krankes Haupt schon, frei in einer Heerde, wird bald mehre Stücke angesteckt haben, bevor es noch entfernt worden; und sobald erst mehre erkranken, und von mehren Punkten aus eine Ansteckung erfolgt, geht diese die Heerde bald durch. Wenn nun vollends der, doch viel wahrscheinlichere Fall, als der angenommene, eintritt, dass gleich anfangs mehre kranke Thicrc, noch innerhalb der Steppen in der Heerde sich befinden, und nun noch zeiliger der Fall einer von mehren Punkten ausgehenden Ansteckung eintritt, so verliert jene Annahme noch um so mehr an Wahrscheinlichkeit. Denn jedenfalls muss es uns wahrscheinlicher dünken, dass, wenn die Thiere in einer Steppe aufgekauft worden sind, wo die Pest bereits herrscht, die Erkrankungen nicht isolirt auftreten werden. Wie weit würde in diesem Falle eine Heerde, in Betracht des gewöhnlichen Ganges der Rinderpest, wohl kommen, ohne diese Krankheit in allgemeiner Verbrei­tung zu verrathen? — Dieser gerügte Umstand widerspricht
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wohl zu sehr den vieler Seils, von Theoretikern angenom-nieuen Fall: dass in einer lieerde Vieh schon innerhalb der Steppen die Pest grassiren und sie doch noch, mit geringem Verlust, bis an die Grenzen Teutschlands und selbst weiter gelangen könnte. Diese Annahme, die sich lediglich auf die der Rinderpest supponirten Eigenschaft, nach welcher die­selbe in ihrem Fortschreilen deutlich 7 — 8 tägige Intervallen (Perioden) zeigen soll, stützt, wird in Erwägung der Dinge ebensowenig haltbar erscheinen, als bereits die der Rinder­pest in ihrem Krankhcits-Verlaufe vindizirle Stadienhildung (von denen zusammen selbst noch neuere Schriftsteller ihre Erkennung abhängig machen wollen) von treuen Beobachtern als ein Unding erkannt worden istquot;). —
Zieht man daher den Umstand in gebührende Berück­sichtigung, dass IV/odawa von der Steppengrenzc schon über 300 Werste entfernt liegt; dass die Entfernung von den oben pag. 38 genannten Marktorlen, mit Ausnahme von Ber-diezow, welches näher liegt, circa 600 Wcrstc beträgt;, dass das Vieh bis zu diesen Marktorten schon 200 — 500 Werste und mehr zurückgelegt habe — so ist leicht einzu­sehen, dass eine lieerde Vieh, welche schon in den Steppen selbst infizirt war, nicht bis IVlodmca, gesund erscheinend, gelangen könne, und dass daher jene Annahme sich mehr auf blosse Möglichkeiten als Wahrscheinlichkeit basire. — Viehhändler, welche man über diesen Punkt spricht, lächeln der Annahme und bestreiten geradezu die Möglichkeit, mit einer Heerde Vieh, in welcher schon in den Steppen selbst der Keim zur Pestgelegt, welche, mit andern Worten, infizirt sei, mit ertragbaren Verlust noch den Ort ihrer Bestimmung er-
*) IHuss es iloch hUclisl fabelhaft klingen, wenn von der conla-giü.seslen aller Krankheilen, -wie die Rinderpest anerkannt es ist, nach Zahlen ihre Verbreitung berechnet und behauptet wird: ein ange­stecktes Rind vermilge auf der Wanderung noch sieben Tage seinen Weg forlzusetzen, ehe die Krankheit zum Ausbruch komme; die nächste Ansteckung finde erst vierzehn Tag*, die dritte drei Wochen nach der Abreise statt; und auf diese Art geschehe es, dass auf einer Reise von 100 3Ieilen etwa nur 5—10, um\ hei 300 Metten höc/utens 30 Häupter erkrankten'.quot; —
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reichen zu können. So viel ich laquo;her diesen Punkt hahe in Erfahrung hringen können, wagt es, wo nicht niemals, doch nicht leicht ein Viehhändler, mit einer schon infizirten Heerdc die Steppen zu verlassen, weil das ganz gegen seinen eignen \ortheil sein würde. In den Steppen kann er seiner lieerde noch Ruhe gönnen und passendere Nahrung auf wohlfeilere Art, ja meistens sogar unentgeltlich verschaffen: er ist über­haupt eher im Stande, solche Momente herbeizuführen, die eher ein Durchseuchen der Thiere erwarten lassen, während, würde er weiter treiben, er diejenigen Nachlheile der Reise, wie sie oben im Allgemeinen geschildert worden, über die TMere bringen, und dadurch voraussichtlich seinen Schaden nur erhöhen würdequot;). Auffallen aber muss es, wie man
*) Haupt igt;. 254 (iu der igt;. lt;)3 eil. Scliiifl) sagt in lieli-ell Mieses Punktes aticli: „Tu dieser Hinsicht in Sibirien gemaclite Erfalirungeti stimmen niclil mil den, in Europa gemacht sein sollenden, und dem darauf geslillz-len Glauben, überein: dass eine Treibheerde die Rinderpest lange ver­stecken, dass sie, mit Aufuidening und lieseitigung einiger gefalleneu oder kranken Thiere, ihren Weg raquo;eil fortsetzen künne, nie Erfah­rung fiel in Sibirien anders ans. Dieser zufolge kann die Pest, so­bald sie in einer Heerde ausgebruchen ist, nicht, laquo;enigslens nicht lange, verborgen bleiben; die Heerde kann ihren Weg nicht lange weiter fortsetzen, weit die Krankheit schnell überliaml nimml. So ufl ich hiervon mit Treibern und Heerdeneigenlhiimern sprach, fan­den sie den Gedanken, mit einer solchen Heerde fortgehen zu wol­len, mehr als sonderbar und ganz fremdj von Treibern selbst gewiss nicht ausgegangen und nicht genehmigt: sie waren einstimmig der Ueberzeugung, dass nach Ausbruch der Pesl jede Heerde, auch ohiTe Einwirkung der Obrigkeit, zum Stillstand gezwungen sei; dass heim versuchten Weitertreiben sich die Anzahl der Kranken und die Sterblichkeit eben so schnell vermehrt habe, und noch häufiger ge­worden sei. Demnach vermeint man wohl in Europa mit Uitrecht, eine pestkranke Heerde künne ihren Unfall lange verheimlichen, mit Verlust eines oder ein yaar, je über 6 —10 Tage gefallener Stücke, weit fortkommen. — Es scheint hier mehr Theorie als wirkliche Er­fahrung zum Grunde zu liegen, obgleich jene Meinung in allen Schriften über diesen Gegenstand wiederholt angenommen ist. Die Lüserdürre müsste in Europa grade in diesem Punkte sich von der in Sibirien unterscheiden, wenn sie in jenem bewohntem, volkrei­chen Lande, wo Treibheerden viel beengter ihren Weg machen, so sonderbar langsam die Ansteckung fortpflanzte, die Ausbreitung in
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trotzdem, Jass man in den Vcrliältnisscn, welchen die Thiere auf ihrer Wanderung ausgesetzt sind, doch die Ursachen zur ursprünglichen Entwicklung der Pest hat auffinden zu müssen geglaubt, noch hat behaupten können, dass unter denselben Verhältnissen es möglieh sei: dass eine Hecrde Vieh, in welcher die Krankheit schon in den Steppen gras-sirc (wegen gelinderer Erkrankung des Steppenviehs) mit nur Kcrinsem Verluste seiir wohl noch den Ort ihrer Be-Stimmung erreichen könne. — Würden in diesem Falle nicht alle die Widerwärtigkeiten, welche mit der Reise verbunden, und die Krankheit an sich schon zu erzeugen im Stande sind, nicht auf einen Übeln (bösartigen) Verlauf der Krank--heit hinwirken müssen — und eine grössc\-e Sterblichkeit-veranlassen? -^ Welcher Widerspruch liegt in solchen Be­hauptungen! —
Ein Anderes ist es, wenn in der Hecrde ausserhalb den Steppe'nländern, ihrem Ziele schon näher, erst die Krankheit ausbricht: da suchen die Treiber sobald als möglich das Ziel der Reise zu erreichen und, wo sich nur Gelegenheit darbietet, die ihnen verdächtig scheinenden Häupter allerorts abzusetzen, wozu sich ausserhalb der Steppen eher Gelegen­heit darbietet, als innerhalb derselben. Hier werden sie nicht leicht Ein Stück losl — Die Viehhändler schert sich daher sehr vor, nicht in und aus Gegenden Vieh anzukaufen, wo die Pest herrscht. Sie sind meistens durch die Erfahrung schon vorsichtig gemacht. Sie wissen, was ihnen bevor­steht. Man hat Beispiele, dass ganze Heerden Vieh, die auf ihrer Wanderung der Pest wegen nicht weiter konnten, durch diese Krankheit aufgerieben worden sind. Es soll sich, wie man behauptet, überhaupt die Pest in den Treib-heerden immer bösartiger zeigen, und das relative Sterblich-keitsverhältniss grosser sein. Ueberhaupt erleidet jene An­nahme, dass die Pest bei dem Steppenvieh immer milder sich zeige, als bei unserm einheimischen Vieh, und viel
selbigem so laiige lieschränkt blielie und sich ileshalb versleckett liesse, indess weder das eine noch das andere auf den freien Stepraquo; pen Sibiriens sich also yerhäll oder möglich ist.quot;
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mehr Thierc von ihnen durchseuchten, als von den nnsrigen, viel Ausnahmen, und dürfte kaum so unbedingt als Regel hingestellt zu werden verdienen0). (Weiter unten wird die­ses Umstandcs noch gedacht werden.)
In Berücksichtigung des bisher Gesagten wird es also wahrscheinlicher sein, dass das Vieh jener Treibheerde, durch welche Polen die Pest erhielt, nicht aus Steppen her­rührte, in denen die Krankheit vor der Auswanderung schon grassirtc, und, dieselbe in sich bergend, die Steppen verliess. Wäre dies der Fall gewesen, so würde es schwerlich den Ort seiner Bestimmung noch erreicht haben. Anders würde es sich verhalten, wenn die Heerde aus bereits eben durch-geseuchten Thieren bestand. Von solchen wissen wir, dass sie noch Träger des Kontagiums sein können, ohne selbst krank zu erscheinen. Durch solche Thiere kann allerdings die Pest weithin verschleppt werden, und die Möglichkeit, sie bis nach Polen zu tragen, Hesse sich [nicht bestreiten. Dieser Fall wird aber im Allgemeinen nicht eintreten, weil solches Vieh keine gute Handelswaare ist, und kann in con­creto nicht Anwendung finden; da aus jener Heerde ange­kaufte Thiere, sofern sie nicht gleich geschlachtet worden sind (was zwar mit den meisten derselben wirklich gesche-
*) Das verschiedene SlerUicIikeitsrerliältni^s unler dem Sleppcn-rieli scheint vorzugsweise von dem Grude der Bösartigkeit, mit wel­cher die Rinderpest in dem gegebenen Falle auflrilt, ahhängig zu sein. Nicht alle Rinderpestepizootien zeigten sich gleich hUsarlig! — Ahgeseheu von diesem Umstände kümmt aher auch noch ein anderer mit in Betracht, nämlicli der, dass man, den mir gewordenen IMit-Iheilungen zufolge, auch in den Steppen diesellie Beobachtung ge­macht haben will, (die wir von andern ansteckenden Sciiclienkrank-heilen, wie den Pocken u, s, w, kennen, und auch hierorts bei den Rinderpest-Invasionen sich herausstellte) dass die Pest im Allgemei­nen um so busartiger aufzutreten pflege, je weiter die Zeiträume auseinander liegen , in welchen die Pest grassirte. Dann ist ferner in den Steppen auch allgemein beobachtet worden, dass die Pest ge­gen das ISnde der Seuche milder werde und viel mehr Thiere durch­seuchten.
Nach Nebels Berechnung z, B. soll im Jahre 1711 nur 1 pCt,, 1740 — 45 5 pCt., und im siebenjährigen Kriege 20 pCt. durchge-seucht sein. Vergl. auch Lorinser 1, c, pag. 8d — 89. —
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hen ist), überall die Erslerkranktcn abgaben, und dann erst das einheimische Vieh erkrankte. (Cf. Einleitung.)
Welcher von den beiden noch übrigen Fällen der Ent-stehungsweise dor Pest in der quaest. lieerde der wahre sei r ob der durch Selbstentwicklung während der Reise, oder der durch Mittheilung bei Gelegenheit des Durchtreibens durch schon infizirte Gegenden und Ortschaften — lässt sich nicht 'entscheiden. Um das ersterc anzunehmen, miisstc überhaupt erst nachgewiesen werden: dass die Pest auch ausserhalb der Steppen in dem Steppenvieh noch ursprüng­lich sich entwickeln könne. Dieser Punkt soll weiter unten nähere Erörterung finden. Vorläufig wollen wir die Mög­lichkeit zwar zugeben, können aber nicht umhin, den Fall als den wahrscheinlicheren hervorzuheben, dass jene Heerde unterwegs (vielleicht in Slarokonstanlynow) erst angesteckt worden ist. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass bereits schon im September in Starokonsfanlynow und in dessen Umgegend sowohl (cf. pag. 11), als auch im obern Podolien schon, überhaupt in jener Gegend, welche die Strassen durchschneiden, auf denen die Treibheerden einher­ziehen — die Pest herrschte. Sei es nun, dass sie durch frühere, jene Gegenden passirenden Triebheerden, oder über-haupt durch den Verkehr mit Stcppcnvieh, dorthin gebracht wurde, oder, was wahrscheinlicher ist, durch die Ochsen der Tschumalien. Wenigstens wurde sie durch diese, nach dem Zeugnisse des Dr. Borchmann, nach Slarokomtanly-now gebracht; ebenso auch durch von Odessa aus zum Salztransport verwendeten Ochsen nach dem obern Podolien, nach und in die Umgegend von Lityn (cf. pag. 15.) Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass jene Heerde, welche man polni­scher Seits in Verdacht genommen hat, die Pest eingeschleppt zu haben, und vielleicht selbst mehrere Heerden hintereinan­der, erst unterwegs angesteckt worden sind. Das Vieh konnte dann sehr wohl, selbst nach überstandener 48stün­diger Quarantaine, bis in das polnische Gebiet gelangen, be­vor die Krankheit zum offenbaren Ausbruch kam; oder trat dieser Fall noch vor Erreichung und Ueberschreitung der Grenze ein, und machte es die Treiber besorgt, auch nach
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Beiseitschaffung der Erslcrkrankten, während der 48stündi-gcn Quarantaine neuen Erkrankungen, und event, dem Anhal­ten ihrer Heerde sich ausgesetzt zn sehen, so mögen sie sich allerdings des Mittels des Eimchmtiggelns bedient haben. In Betracht dessen nun, dass sowohl das Eine, wie das An­dere, der Fall gewesen sein könne, vielleicht, und wahr­scheinlich sogar, Beides stattgefunden hat; in Betracht des­sen, dass eine 48 stündige Quarantaine beinahe so gut als gar keine ist, und das Schmnggelhandwerk an den Grenzen Russlands zu Hause gehört; in Betracht endlich, dass die vorgeschriebene Controlle, den verschmitzten Viehhändlern gegenüber, auch wohl nicht überall exact genug geführt wird, so dass Unterschleife Begünstigung finden — wird ein Nach­forschen hierüber ohne Erfolg bleiben müssen und auch wei­ter nicht von Belang sein können.
Wie nach Polen, so auch nach Volhynien ist die Pest durch Vieh der Steppenrace verschleppt worden; wie kierfür alle eingezogenen Erkundigungen sprechen.
Nach den Behauptungen der Bewohner Podoliens und Bessarahtens sowohl, als auch nach dein Zeusniss dortiger Sachverständiger soll min auch diesen Ländern die Pest dies­mal, wie stets, nur auf dem Wege der Ansteckung zuge­kommen sein; während doch auch ihr Vieh der Steppenrace angehört, in welcher die ursprüngliche Entwicklung der Pest nicht bestritten werden kann. — Dieser Punkt wird nun nothwendig zu einigen Reflexionen über die ursprüngliche Entwicklung der Pest veranlassen; wobei zugleich auch die Erage aufzustellen sein wird:
raquo;ob die Pest nicht auch ursprünglich unter dem in Polen
u. s. w. einheimischen Vieh, so wie überhaupt bei Vieh,
welches nicht der Steppenrace angehört, sich entwickeln
könne ?•lt;
So weit glaubwürdige Beobachtungen reichen, mit Umsicht
und Sachkenntniss geleitete Untersuchungen geführt worden
sind und zu einem Schluss berechtigen — steht fest, dasraquo;
die Rinderpest niemals bei anderm Vieh als den der
Steppen ursprünglich sich entwickle.
Es fehlt zwar nicht an vereinzelt stehenden entgegen-
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gesetzten Behauptungen, selbst aus der jüngsten Zeit. Doch sehen wir hierbei auf die Personen, welche solche aufstellten, erwägen wir die Motive, die hier mitunter zu Grunde lagen und liegen konnten, dass also nicht inimer solche Behaup­tungen aus wirklich vermeinter Uebcrzeugung hervorgingen (cf. c. g. pag. 21.) so liegt ihre Vagheit zu offen am Tage, als dass es sich der Mühe lohnen könnte, das Ungegründetc dieser mit Recht verderblich zu nennenden Ansicht nach­zuweisen. Wo so laut die Erfahrung das Wort redet, da kann ein ohnmächtiges Thcoretisiren denn auch nicht die Oberhand gewinnen, und jene wenigen Stimmen verhallen, wie schwache Laute in jähem Abgrunde. So lange es nicht gelingt den Nachweis von dem Auftreten der Rinderpest in einem Lande zu liefern, wohin gar kein Steppenvieh ge­langte, oder ein sonstiger Verkehr mit den Steppenlandeyn nicht stattfindet: so lange verdienen alle derartige Behauptun­gen keine Berücksichtigung. Ein solcher Fall liegt bis jetzt nicht vor. Diejenigen Fälle, die man als beweisführend er­zählt, wohin insbesondere auch die neuerlichst in Böhmen benutzten, geboren, sind nicht lauter und klar. Denn Hess sich in einzelnen Orten die Einschleppung der Rinderpest auch nicht nachweisen, so steht doch fest, dass Böhmen Steppenvieh bezogen und von diesen aus die Entstehung der Rinderpest begann. Kurz, nur dann würden jene Behaup­tungen eine Berücksichtigung verdienen, wäre die Rinder­pest in Böhmen zum Ausbruch gekommen, ohne im Ge­ringsten mit Steppenvieh verkehrt zu haben. —
Ist es somit bis jetzt Niemand gelungen, den Erfah­rungssatz: dolaquo;laquo; die Rinderpest in ursprünglicher Ent­wicklung ein Eigenthum des Steppenviehs sei — umzu-stossen; so führt dies zunächst zu der Annahme: Jalaquo;laquo; wur dem Steppenvieh die Anlage zur spontanen Erzeugung der Pest inwohne. — Durch welche Umstände und Ver­hältnisse nun diese Anlage bedingt werde, mit unanfechtbaren Gründen zu belegen, vermögen wir nicht. Es muss aber auch ein Versuch, den näheren Nachweis durch theoretische Gründe liefern zu wollen, im Ganzen nutzlos und ein Rai-sonnement hierüber überflüssig erscheinen. Wo die Erfah-
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rung so entschieden als Riclitcrin auftritt: da, glaube ich, können wir uns füglich mit ihrem Ausspruch begnügen. — Nicht überall entscheidet die Erfahrung so bestimmt, wie über diesen Punkt. Nur wo dies nicht der Fall ist, mag man Vernunftgründe zur Aushilfe nehmen! — Könnte damit besonders genützt werden, wenn wir uns z. B. des Ura-standes zur Erklärung bedienten: dass die generelle Anlage zu Kränkelten, wie sie jedem Thicre inwohnt, im Conflikt mit den eigenthümlichen Verhältnissen und der Lebensweise der Thiere in den Steppen, wie diese solchen seit Jahrhun­derten ausgesetzt gewesen, — die besondere Anlage zur Rinderpest in diesen Thiesen erzeugt habe? Es klingt dies allerdings nach Etwas. Doch erklärt ist Nichts. Denn das Wie, durch welches jene Anlage bedingt, welche Momente u. s. w. die dabei betheiligten eigentlich gewesen, ist daraus noch nicht näher ergründet.
Liegen uns bis jetzt auch nur Fragmente einer Ge­schichte über Thicrseuchen in jenen ausgebreiteten Steppen des südlich europäischen und asiatischen Russlands vor; be­ruhen gleich die meisten Nachrichten mehr auf blossen Volks­sagen, als auf Erforschungen durch Sachverständige — so viel kann dennoch mit vollster Üebcrzeugung dargethan und behauptet werden: dass von Zieil zu Xeit in den Slep-penländern Seuchenkrank/teilen unter den Thieren über­haupt und insbesondere auch unter dem Rindvieh auf­treten, (cf. pag. 41). Durch Lage und Oertlichkeit be­dingt scheinen solche in gewissen Steppen vorzugsweise, in andern seltener, in einigen sogar höchst selten oder nie vor­zukommen. Nach dein, was mir darüber bekannt geworden, sind die Steppen am schwarzen und asowschen Meere die­jenigen, wo allgemeine Viehkrankheiten noch am häufigsten beobachtet worden sind; die mehr west-nordwärts gelege­nen, wohin auch Podolien gehört, werden seltener heimge­sucht. Die Tungusen und Buräten, jenseits des Ba'ikals, sollen sich sogar rühmen, unter ihrem Vieh nie irgend eine Seuche gehabt zu haben. (Gmelin Reise durch Sibirien.)
Wenn die verschiedenen naturforschenden Reisenden durch Russland bald nur wenig, bald gar nicht, bald aber
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auch mehr ihnen vorgekouimcncr Seuchen erwähueu, so liegt dies wohl vorzugsweise daran, in welche Zeit ihre Reise fiel: oh in eine mehr seuchenfreic oder seuchenreiche. — Von allen uns bis jetzt gewordenen Mittheilungen, sind die des Oberthierarztcs Haupt in Moskau (Ueber einige Seuche­krankheiten der Hausthiere in Sibirien und im südlich euro­päischen Russland. Berlin, 1845.) die schätzbarsten. Der­selbe giebt uns Nachrichten über die Viehkrankheiten in Si-hirien, wo er von 1810 —1823 (7 Jahre in Irkutsk und G in Tobolsk), so wie über die des Gouvernements Jeka-lerinoslaw, wo er gleichfalls von 1823 — 29 als Gouverne-mentsthierarzt thätlg war, und ihm als solcher die Unter­suchung der Seuchenkrankheiten amtlich oblag. — Neben den Mittheiluugcu nun, die mir selber, in den von mir be­reisten russischen Steppenländern, an Ort und Stelle, theils von Aerztcn und Landwirthen (grössern und kleinern), so wie von Viehhändlern u. s. w. gemacht worden sind, und die theils auch auf noch entfernter gelegene Steppenländer sich bezogen — habe ich bei dem Nächstfolgenden xauch be­sonders Haupl's Mitthciluugen benutzt, respect, mit den mir gewordenen verglichen, und auf alle insgesamrat meine Schlussfolgcrungcn gestützt.
Dass die Rinderpest, wenn auch nicht allein, doch vor­zugsweise ihre ursprüngliche Entwicklung in den Steppen Russlands findet, mit einem Worte, ihr Haupthcerd dort zu suchen ist: hierfür spricht die Erfahrung zu entschieden, als dass es sich noch der Mühe lohnen könnte, solches mit aller Breite auf historischem Wege beweisen zu wollen. — Un­entschieden ist es aber bis jetzt noch geblieben, ob die Pest überall und in jeder Steppe in ursprünglicher Entwicklung auftreten könne, oder oh nur gewissen Steppen, und welchen, diese Eigenschaft inwohne. Bekanntlich hat man die Ansicht, respect. Behauptung aufgestellt, dass sie in den asiatischen Steppen zu Hause gehöre, und von dort aus erst in die europäischen verschleppt werde. Nach Anderen aber kann dieselbe sich ebensowohl in den europäischen Steppen ur­sprünglich entwickeln; es findet aber eine wirkliche Mei-nungsverschiedeuheit nur in sofern statt, als von einer Seite
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vorzugsweise nur die Steppen des südlich europäischen Russ­lands — namentlich jene dem schwarzen und asowschen Meere zu gelegenen — als Brüteslellen der Rinderpest gelten lässt. Von der andern Seite aher glauht man sich veran-lasst, jene Eigenschaft allen sogenannten Steppen, oder rich­tiger gesagt, dem Rinde der Steppen, zugestehen zu müssen; somit nicht blos den Steppen Russlands, sondern auch jenen von Ungarn, der Moldau u. s. w.
Bei dem jetzt vorhandenen Material, bei der Unzuver-lässlichkeit der meisten der vorliegenden Nachrichten, insbe­sondere dem Mangel an gründlichen Beobachtungen durch Sachverständige, ist es nicht ihöglich, das eigentlich Richtige und Wahre, auf Erfahrung Gegründete, bis zur Evidenz nachzuweisen. — Die zu wünschende Aufhellung über diesen, in vieler Hinsicht wichtigen Punkt, kann uns vorzugsweise nur Russland, durch zweckentsprechende Einrichtungen und Nachforschungen verschaffen. Doch dürfte hierauf in den nächsten Decenniën, aus mancherlei Gründen, nicht zu rechnen sein, und wir somit vor der Hand vergeblich nach vollstän­digem Aufschluss streben. Wir werden uns daher in der Beleuchtung dieses Punktes vielleicht nur der Wahrheit nähern können: doch liegt es im Reiche der Möglichkeit, dass wir sie wirklich finden.
Einer durch Russland weit verbreiteten Sage und viel­fachen Annahme nach, tritt die Rinderpest ursprünglich auf der sogenannten Kirgisenlinic (der Kirgisensteppe) zuerst hervor, doch sollen die Kirgisen wieder behaupten, dass dieselbe sich bei dem Viehe der Bucharen und Perser er­zeuge und von dort aus erst auf ihre Steppe eingebracht werde. — Von der Kirgisenlinic aus soll sich die Pest wei­ter durch das asiatische Russland verbreiten, und von hier­aus erst nach dem europäischen Russland, und somit auch in die hier gelegenen Sleppenlande verschleppt werden. Dieser Ansicht schlicsst sich auch Haupt, nur mit der Mo­dification an, dass die Rinderpest auch in Sibirien ursprüng­lich auftrete. Dies scheint uns wichtig, da er aus Erfahrung spricht, indem er Gelegenheit hatte, während seines Aufent­halts in Sibirien, Beobachtungen über die Rinderpest anzu-
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stellen. Indessen seine Erfahrung erstreckt sieh nur über einen Seuchengang, und was zu bedauern ist, er sah die Rinderpest nicht in ihren ersten Anfängen. Ebendeshalb kann Unupl's Ansicht nicht als vollgiltiger Beweis für die Richtigkeit seiner Aimahme — dass der Rinderpest eigentliches Vaterland Asien sei — betrachtet werden. Sollte diese An­nahme Geltung finden, so müsste vor Allem erst nachgewie­sen werden, dass, so oft die Rinderpest in dem südlich europäischen Russland gesehen worden, dieselbe früher schon in Sibirien sich gezeigt, und dann die Wege mit Sicherheit nachgewiesen werden, auf denen eine Verschleppung der Pest von dort, in die im südlich europäischen Russland gelegenen Steppen stattgefunden habe; mit einem Worte, eine genaue Verfolgung des Seuchenganges vorliegen'). Das Eine wie das Andere aber fehlt zur Zeit noch, und wird noch lange fehlend bleiben: so lange, als noch die Verhält­nisse in dortiger Gegend dieselben bleiben und Seitens Russ­lands nicht andere und geeignetere Mittel ergriffen werden, welche dahin führen können, Aufschluss zu verschaffen! — Es würde eine totale Unbekanntschaft mit den Verhält­nissen jeuer Gegenden und der Möglichkeit, gründliche Nach­forschungen daselbst leicht anstellen zu können, verrathen: wollte man behaupten, dass der nöthige Aufschluss bald zu erlangen sei. In Betracht dessen muss es dem Unbefan­genen um so mehr auffallen, wie man noch weiter hat ge­hen, und die Behauptung aufstellen können: die Rinderpest sei eine stationaire Krankheit in Asien, sie gehe dort nie­mals aus. Niemand ist es bis jetzt gelungen, dies nachzu­weisen. Wohl aber sprechen die wenigen, von dorther ein­gezogenen Nachrichten (HaupC) für das Gegentheil, wie
*) Lorinser p. 69. sagt: „Wer künftig den asiatisclien Ursprung und die Einwanderung der Rinderpest mit Erfolg rertheidigen will, der mVge zuerst beweisen, dass alle jene grossen Viehseuclien, welche Tor 1709 in einem Zeiträume Ton zwVlf Jahrhunderten er­schienen sind, nichts mit der Rinderpest gemein hatten; der zeige uns das Land, wo diese geboren und einheimisch ist; er bringe uns unrerwerfliche Zeugnisse über ihre Wanderung nach Europa herbei, und nenne die Reiseaden, welche sie in Asien gesehen haben 1quot; —
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denn insbesondere auch jeder Vernunftschluss. Durch Lo-rinser hat diese Annahme bereits eine eben so schöne, als gründliche Widerlegung gefunden! —
Vorläufig also muss die Annahme, dass Asien das ei­gentliche und ausschliessliche Vaterland der Rinderpest sei, als nicht hinlänglich begründet, oder, richtiger gesagt, wn-begrwtdel angeschen werden. Sie scheint aber auch überhaupt unrichtig zu sein, wenn einmal auf den Umstand Rücksicht genoinmen wird, dass jene von dorther kommen­den Viehtriebe sich in der Regel in einer andern (westlich und nordwestlichen) Richtung, als in der, gegen das südlich europäische Russland bewegen, so dass hierdurch im Alige-meinen jene Annahme von einer Verschleppung der Pest von Sibirien aus, und—wie Haupt (pag. 387. 1. c.) annimmt — von dem Gouvernement Tobolsk aus in das von Perm u. s, w., ausserdein aber auch, unmittelbar von der Kirgisen-steppc aus, durch die Gouvernements Simbirsk und Saratow, in das europäische Russland (und somit auch dem asowschen und schwarzen Meere zu) — keine besondere Unterstützung findet. Insbesondere aber streitet gegen diese Annahme, dass die ÄiVg-wensteppc der eigentliche Geburtsort der Rin­derpest sei, der Umstand, dass diese Steppe erst in neuerer Zeit — nachdem von den Einwohnern den Kalmücken Rind­vieh geraubt worden, und dessen Vermehrung ungestört vor sich gegangen war — mit Rindvieh versehen worden ist, während doch die Rinderpest schon lange (seit Jahrhunder­ten) bekannt ist. Gegen die Annahme, dass Asien die al­leinige Geburtsstättc der Rinderpest sei, spricht endlich nicht minder auch ihr Vorkommen in dem südlich europäischen Russlaud u. s. w., ohne dass über ein gleichzeitiges Vor­kommen der Rinderpest auch im asiatischen Russland sichere Nachrichten vorliegen. Wohl dürfte zwar diesem Umstände nicht eine grosse Entscheidung beigelegt werden können, da die Ausbrüche der Pest in den Steppenlanden wohl nur sel­ten rechtzeitig, oft sogar gar nicht, zur Kenntniss gelangen, um über den eigentlichen Zeitpunkt ihres Ausbruchs niit Gewissheit aburthcilen, oder sagen zu können, hier oder dort sei sie zuerst gewesen, an diesem Punkte habe sie ihre
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Entstehung gefunden0). — Sehr auffallende Beispiele der Art sind mir aus der jetzigen Seuche zur Kcnntniss gekom­men. So z. B. galt im Monat September v. J. (1844) in Alexandrowsk die Meinung, die Pest komme von Bess-nrahien und der Moldau (in der Richtung von West ge­gen Ost) zu ihnen; während die Verbreitung der Rinder­pest durch das südliche Russland gerade in entgegengesetzter Richtung (von Ost gegen West, wie gewöhnlich) erfolgt istquot;).
*) Alle Nacliforscliungen daher, ilie angestellt weiden, nachdem die Seuche schon eine weite Veihreilung erlangt, ülicrhauju schon längere Zeit (Jahr und Tag) bestanden, hat — werden nie zu einem genügenden Resultate führen können. Alle Opfer daher, die Russ­land jetzt bringt, sind unzeitig verwendet,
**) Zur Bestätigung müge folgendes Excerpt aus einem Briefe des Thierarztes Zinkeisen, in Belenkie (bei A.lexand.rowsk), Vom 13. September a. St, 1844, an den Veterinair-Assessor Eychler in War­schau,, dessen gütiger Miltheilung ich solches rerdanke, dienen:
„Die Bindvieliseuche ist hier im Lande ausgebrochen, und küminl von Bessarahien und der Moldau herauf. Vor 5 Jahren war sie hier, und ich hürte von mehreren Personen, dass sie immer solche Zeiträume ron 4—ft Jahren hält, wann sie wiederkommt. Schon war sie vor 3 Wochen auf 60 Wersle uns nahe, hat sich aber bis jetzt von der Seile von Nikopol nicht genähert. Auf der andern Seite des Dniepcrs, im Taurischcn Gouverneinent, jenseits der MoloCzna, bat sie viel Vieh getüdtet. Wir dachten liier bei uns daran schon, Vorkehrungen und Sperren zu treifen, und ich machte den Leuten einen grossen Schreck dadurch, dass ich anord­nete (nämlich wenn die Seuche in der Nachbarschaft ist), dass jedes erkrankte Stück Vieh, ohne Weiteres, sogleich lodtgcschlagen und mit der Haut vergraben werden sollte. Das hiesige Volk hat so etwas noch nicht gehUrtj sie liessen das erkranktlaquo; Vieh krepiren, und da­durch wurde die Ansteckung und Weiterverbreilung ungeheuer aus­gedehnt. Man will im glücklichen Falle das Durchseuchen abwar­ten, und schadet dadurch nur noch mehr. — Die polizeilichen Blass­regeln, von Seiten der Regierung, scheinen unzureichend zu sein. Ich entnehme dies aus dem Betspiel: Als vor 4 Wochen bei uns, hinter Nikopol, das Vieh schon häutig fiel, war ein Jahrmarkt in dieser Stadt; der Kteis-Stanowoj liess also die Hauplslrassen zu dieser Stadt mit Wachen besetzen, und kein Ochsenfuhrwerk oder loses Rindvieh dahin Jassiren, Die klugen Bauern aber fuhren zu­rück, und dann auf Umwegen und kleinen Nebenwegen kamen sie doch zur Stadt} diese Nebenwege hatte die Polizei nicht beachtet,quot;
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Die meiste Aufklärung kann nur dadurch werden, dass wir die Seuchenkrankheiten einer nähern Untersuchung un­terwerfen, welche in dem südlich europäischen Russland un­ter dein Rindvieh von Zeit zu Zeit vorkommen und zu er­mitteln suchen: oh sich in ihrer Mitte nicht etwa auch die Rinderpest finde,
Wir hahen bereits ohen (pag. 41.) erwähnt, dass Seuchenkrankheiten in den Steppen des südlich europäischen Russlands unter dem Rindvieh von Zeit zu Zeit gesehen werden. Auch Haupt berichtet uns über solche aus dem Jehaterinoslawer Gouvernement mit grosser Ausführlich­keit. — Die ïhatsache also, dass in jenen Landestheilen Seuchenkrankheiten zeitweise grassiren, liegt vor. Dasselbe gilt auch von der Rinderpest. Es kann mithin nur in Frage kommen, oh diese in Folge ursprünglicher Entwicklung da­selbst auftrete, oder, nach der Ansicht Mehrerer, auch dort­hin erst durch Verschleppung, vom asiatischen Russland aus, gelange.
In Berücksichtigung des vorhin Gesagten, ist das Letz­tere bis jetzt nicht nur nicht nachgewiesen worden, sondern erscheint sogar unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher, und mehr als das, dagegen ist es, dass die Rinderpest auch im südlich europäischen Russland, in den Steppenländern über­haupt, in spontaner Entwicklung auftrete. Vergleichen wir namentlich die Beschreibung, welche uns Haupt über das, im Jelcaterinoslawer Gouvernement beobachtete bösartige Fieber giebt, mit der Rinderpest; so, glaube ich, liegt der Schluss nahe genug, und kann es nichts weniger als gewagt erscheinen, wenn wir ihn dahin ziehen: dass in dieser Krankheit (sobald sie sich bis zur Kontagiosität herangebil­det hat) die Rinderpest ihre Entstehung finde, wahrschein­licher aber noch, dass sie selbst gleich die Rinderpest ist. Diesem Schlüsse würde nur die Behauptung entgegenstehen, dass auch diese Krauhheit eingeschleppt würde. Doch eine solche habe ich nirgend aufstellen hören, und somit kann man wohl annehmen, dass ein Grund für das Eingeschlcppt-sein niemals vorgefunden worden sei. Vielmehr scheinen
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alle Umstände für die ursprüngliche Entwicklmig gesprochen zu haben.
Haupt selbst, dem es überhaupt nur darum zu thua war, wie er sagt, Thatsachen zu liefern, hat zwar Anstand genommen, das laquo;bösartige Fieberlaquo; beim eigentlichen Namen raquo;Rinderpestlaquo; zu nennen, wohl aber setzt er diesen in Pa­renthese hinzu. Die Idee, dass es doch wohl die Rinderpest sei, muss ihm sonach vorgeschwebt haben. Auch erzählt er pag. 359. 1. c, dass erfahrene Aerzte in diesem bösar­tigen Fieber die Rinderpest erkannt hätten. Rechnen wir dahin nun ferner noch, dass das bösartige Fieber (so weit wenigstens meine Nachforschungen reichen) stets um dieselbe Zeit, wo auch die Rinderpest herrschte, auftrat, so wie endlich auch, dass das Auftreten der Rinderpest über die Grenzen des russischen Reichs hinaus, gleichfalls (soweit nämlich Nachrichten vorliegen) stets in eine Zeit fällt, wo bösartige Fieber unter dem Viehe in den Steppen grassir-ten, so gewinnt obio;e Annahme noch an festerer Basis.
Wenn Haupt sich gescheut, das Kind beim rechten Namen zu nennen, so glauben wir, ohne einen Trugschluss zu begehen, behaupten zu dürfen:
Jenes bösartige Fieher, welches in den Step' pen des südlich europäischen Russlands von Zeit zu Zeit vorkömmt, schliesst die Rinderpest in sicïi, und tritt somit diese daselbst als eine epixootisch (tnias-matisch) contagiöse Krankheit auf.
Stellen wir die Erscheinungen, welche das bösartige Fieber begleiten, mit denen, wie sie bei der Rinderpest ge­sehen werden, nebeneinander, so springt die Gleichheit gar bald in die Augen; und wo eine solche Syinptomengleichheit ist, sollte man da nicht auch auf eine gleiche Natur der Krankheit zurückzuschliessen berechtigt sein? — Nur die Ansteckungs/ähigkeit und der Kontagionslauf sind es, welche bei dem bösartigen Fieber nicht so deutlich erkannt worden sind, in vielen Fällen sogar nicht vorhanden zu sein schienen. Doch diesem Umstände kann ein besonderes Ge­wicht nicht beigelegt werden, sobald wir nur wieder die obwaltenden Verhältnisse in Betracht ziehen. An der Stätte
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der ursprünglichen Entwicklung einer ansteckenden Krank­heit nämlich, lassen sich niemals über den Kontagionslauf genaue Beobachtungen anstellen. Hier lässt sich oft nicht ermitteln und erkennen: was auf Rechnung der Ansteckung, und was auf Rechnung der Ursachen zur ursprünglichen Entwicklung der Krankheit zu schreiben sei, zumal wenn letztere, wie vorliegend, nicht einmal erkannt sind,
Dies gilt von allen miasmatisch-contagiöaen Krank­heiten ; wobei auch nicht zu übersehen ist, dass ihre Con-tagiosität mehr oder weniger von dem Fortbestehen der miasmatischen Einflüsse (bedingt und) begünstigt wird, so wie denn auch die Epoche der Seuche hierfür gleichfalls maassgebend ist. — Der Confagionslauf lässt sich erst, genau und unzweifelhaft, entfernt von der ursprüngli­chen Entwickelungsstätte der Krankheit erkennen; in Bezug auf die Rinderpest also erst ausserhalb der Steppenlande; und da ist er auch stets deutlich xu erkennen ge­wesen!
Der Umstand, dass das, von Haupt beschriebene bös­artige Fieber sich mehrere Jahre im Jekalerin o slawer Gouvernement erhielt, und in den ergriffenen Ortschaften Monate lang fortbestand, nach längeren Pausen von Neuem wieder hervortrat, spricht indessen wohl zu sehr für seine ansteckende Natur; und somit auch indirekt dafür, dass es die Rinderpest gewesen!
Wir überheben uns nun hier einer Vergleichung der Symptome, wie sie das sogenannte bösartige Fieber des Steppenviehs (wovon uns Haupt 1. c. p. 351 und 375 eine Zusammenstellung giebt) begleiten, mit denen, wie wir sie bei dieser Race in der Rinderpest zu sehen Gelegenheit ge­funden; indem wir versichern, im Wesentlichen durchaus keine Verschiedenheit aufgefunden zu haben. — Wer die Rinderpest gesehen, oder sie auch nur aus treuen Schil­derungen, wie z. B. die von Lortnser, kennt, und die Schrift von Haupt zur Hand nimmt, und vorurtheilsfrei die von ihm gegebene Schilderung des bösartigen Fiebers liest, wird mit sich nicht lange darüber im Zweifel bleiben: dass
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er in dem bösartigen Fieber die Rinderpest erkennen müsse'). Ich i hörte an mehreren Orten PodoHens, Bessarabiens laquo;. s. w. auch sagen, dass die dort geherrscht habende und herr­schende Krankheit nicht eine ansteckende Rinderpest sei; und selbst in Orten, wo ich die letztere in voller Blüthe fand, wollte man Nichts von einer ansteckenden Krankheit wissen. Hört man aber solche Behauptungen nicht überall — selbst bei uns — aufstellen; und wird man sich, in Erwä­gung der Motive hierzu, zur Beistimmung verleiten lassen? Wichtiger, als eine Zusammenstellung der Symptome des bösartigen Fiebers des Steppenviehs, mit jenen der Rin­derpest, scheint uns der Punkt zu sein, und einige Worte glauben wir seiner Erörterung noch schuldig zu sein, nämlich:
*) Mindestens laquo;ml man mit vollem Grinule lieliaufiten laquo;liirfen, class, wenn dieses sogenannte bösartige Fieber (wohl sainmt der ßnlir) bis zu dem Grade der Bösartigkeit gediehen ist, dass es die Entwicke-lung eines Kontaginms mit sich fuhrt, als eigentliche Rinderpest be­ansprucht werden müsse. Wohl möglich zwar, dass die Rinderpest, als eine besondere Krankheit^ neben dem bösartigen Fieber sclbst-sländig auftritt; aber durchaus nicht wahrscheinlich. — Nur der Einwurf gegen die Annahme der ursprünglichen Entwickelung der Hinderpest in den europäischen Steppen, lässt sich ror der Hand noch nicht beseitigen,,nämlich der, ob das sogenannte bösartige Fie­ber nicht etwa selbst in jene Landestheile erst eingeschleppt werde. Dieser Einwurf muss allerdings so lange gellen, bis gründlichere Nachforschungen angestellt worden sind, und derselbe entweder ge­rechtfertigt, oder TOllige Beseitigung gefunden hat (cf, pag. 68.) Doch so weit uns jetzt Nachrichten vorliegen, scheint die ursprüngliche Entwicklung des bösartigen Fiebers in den Steppen des südlich euro­päischen Russlands, namentlich in den, dem schwarzen und asowschen Mlaquo;;ere zu gelegenen, Gouvernements (.Jeiaterinoslaw, Cherson, in Taurien u. s, w.) so zu sagen, gewiss zu sein. So weit nun ferner Nachrichten über das Auftreten dieser Krankheit daselbst vorliegen, ergiebt sich auch, dass die Rinderpest in entferntere Länder durch Steppenvieh verschleppt wurde, (cf. yag. 69.) Ein Umstand, der wichtig ist, und im Auge behalten zu werden verdient! — Das sogenannte bösartige Fieber hat man durch Treibheerden in allen Richtungen und in weite Entfernungen verschleppen sehen (cf. auch Haupt 1. c. pag. 376 sub 7 e.) und wurde dort meistens als die wahre Rinderpest erkannt!
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Unter welchen Verhältnissen {durch welche Ein­flüsse') h'ïmmt die Rinderpest (.oder das sogenannte bösartige Fieber) in den Steppen zum Ausbruch?
Vor Allem scheint uns hierbei zunächst ein Phänomen zur Sprache gebracht werden zu müssen, nämlich das des periodischen Auftretens der Rinderpest (s. d. des bösartigen Fiebers) in den Steppenländern. Wir können uns hier nicht auf die Widerlegung alter irrthümlicher Ansichten, wie: dass die Rinderpest daselbst nie ausginge, in der ei­nen oder andern Steppe stets vorhanden sei u. s. w. einlassen; sondern sehen uns veranlasst, das periodenweise Auftreten der Rinderpest als richtig anzuerkennen. Ob aber solche Perioden eine gewisse Regelmässigkeit inne halten, wie wohl behauptet worden, ob die Rinderpest alle 3, 4, 6 oder 8 Jahre ihre Eruptionen mache: das wollen wir da­hin gestellt sein lassen. Nach den verschiedenen Gegenden, wo die Krankheit ursprünglich aufzutreten vermag, durch deren besondere physicalische u. s. w. Eigenschaften be­dingt — mögen hierauf (bei anderweitig coneurrirenden Aus-seneinflüssen) influirende Momente sich finden; erkannt sind sie aber noch nicht, und können daher nicht in Betracht kommen. Soviel steht indessen fest, dass in den Eruptions­zeiten keine Stetigkeit, vielmehr grosse Wandelbarkeit ob­waltet. Es muss letztere aber auch bestehen, wie sich dies aus einer Berücksichtigung der obwaltenden Umstände leicht ergiebt.
Periodisch tritt die Rinderpest auf. Dies wissen wir, nicht so aber kennen wir die Verhältnisse und Umstände, unter denen dies erfolgt; mit einem Worte: die Ursachen hiervon sind uns unbekannt. Nur approximativ würden #9632;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;wir solche einer Erörterung unterwerfen können, da die
'nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Verhältnisse, wie oben augedeutet, eine 'erschöpfande Behand-
lung dieses Punktes unmöglich machen. Doch werden fort­gesetzte Nachforschungen (sei es auch auf negativem Wege) an Ort und Stelle — wozu jedoch eine Reise nicht ausreicht, am allerwenigsten aber, wenn solche erst unternommen wird, nachdem die Seuche erst eine Allgemcinhcrrschaft erlangt hat — vielleicht noch zu dem erwünschten Aufschluss fuh-
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ren. Rassland kann ihn möglicherweise am leichtesten geben! —
Wenn nun bei dem periodischen Auftreten der Rinderpest auch nicht ihre Eigenschaft zu übersehen ist, dass sie nämlich bei den Thieren, welche sie einmal überstanden haben, die Anlage tilgt und demzufolge, wenn sie einmal eine Allge­meinherrschaft erlangt und das gesammte Vieh einer Gegend heimgesucht (alle Steppen durchzogen) hat, erst wieder eine Anzahl infectionsfähiger Thiere (neue Generation) heran­wachsen müsse, bevor sie wieder zur allgemeinen Verbreitung gelangen könne (wodurch eine Periodenbildung an sich schon erklärlich wird); so dürfte dessen ungeachtet doch das perio­dische Auftreten der Rinderpest zunächst zu dem Schluss führen, dass die Thiere in jenen Ländern auch periodisch wiederkehrenden Einflüssen ausgesetzt sind, weiche das Auf­kommen der Rinderpest veranlassen; denn solche muss ea doch geben) um sie von Neuem wieder entstehen xu lassen. Diese Einflüsse nun sind, wie vorhin bemerkt, bis dahin noch nicht, mindestens nicht hinlänglich, ermittelt, um sagen zu können: hierauf beruht es! — Wir wollen uns hierbei weiter nicht in besondere Muthmassungen über eigenthümliclic Naturprozesse, Prozesse des Erdorga­nismus, planetarische Lehensgesetze u. s. w. erschöp­fen. Es würde dadurch für die Sache nichts Reelles ge­wonnen werden. Nur bemerken wollen wir, dass es unwahr­scheinlich ist, dass jene Einflüsse in den physicalischen Eigen­schaften dortiger Gegend allein begründet liegen. Hiergegen sprechen Thatsachen. So z. B., dass der Beispiele, wo Step­penvieh entfernt von seiner Heimath erst erkrankte, genug vor­liegen; dass Rindvieh anderer Racen in jenen Gegenden ursprüng­lich nicht in die Krankheit verfallen ist (man hat das wohl auf eine bessere Pflege dieser Thiere bezogen) u. dgl. m. Wenn nun der letztere und andere Umstände (so z. B. dass die Rinderpest bei uns niemals in ursprünglicher Entwickelung vorkömmt) auffallend genug darauf hindeutet, dass dem Step-penvieh die Anlage zur Rinderpest eigenthümlich sein müsse, so glauben auch wir, der Annahme Lorinser's u. A. fol­gend, solches behaupten zu müssen. *
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Die Anlage min vorausgesetzt, wird es sich besonders um den Nachweis der veranlassenden Ursachen zur Entste­hung der Rinderpest überhaupt handeln. Wie schon be­merkt, kennen wir diese, wenigstens genügend, nicht. Doch dürfte, sofern die Gesundheit eines Himmelsstrichs vorzugs­weise von der Stetigkeit seiner Eigcnthümlichkeitcn abhängig ist, der Schluss gezogen werden, dass — sobald sie ins Schwan­ken gerätb, d. h. aussergewöhnliche Ereignisse vorkommen, wo­durch die gewöhnliche Beschaffenheit des Landes eine Abän­derung erleidet und die Thiere in einen Zustand versetzt wer­den, der sie mehr oder weniger aus ihrer gewohnten Lebens­weise reisst — Verhältnisse auftreten, die geeignet sind, die Gesundheit der Thiere zu gefährden und allgemeine Krank­heiten bei ihnen hervorzurufen deg;). Wir haben bereits oben (pag. 42. seq.) auf jene nachweisbaren Umstände und Verhält­nisse, welche, Krankheiten unter dem Steppenvieh erzeugend, beschuldigt werden können, hingewiesen und dort schon Veranlassung genommen, hervorzuheben, dass man nicht selten, auch ohne nachweisbare nachtheilige Einflüsse, Krankheiten, namentlich auch die Rinderpest, habe auftreten sehen. Ja selbst alle getroffenen Aenderungen in der Lebens- und Füt­terungsweise der Thiere habennicht vermocht, dem Ausbruch die­ser Krankheit vorzubeugen (cf. pag. 13.). Vorausgesetzt, dass diese Beobachtungen richtig, respect, die Versuche rein ge­wesen, würde der Grund der ursprünglichen Entwickelung
*) Auf diesen allgemein reräntlerten Einflüssen beruht es ohne Zweifel, dass nlaquo;lgt;en der Rinderpest auch noch andere Krankheilen auftreten, namentlich bei den übrigen Thieren (und selbst den Men­sehen.) Pahei ganz gewöhnlich zu derselben Zeit, wo die Pest beim nindvieh grassiri, auch über Krankheiten bei Schafen u. $, w. Klage geführt wird. Wie nun jene aussergewShnlichen Einflüsse auch über die Grenze der Steppenlande hinaus sich geltend machen können, so werden gleichzeitig auch anderwärts Seuchenkrankheiten beobachtet werden; wie dies namentlich auch im v. J. der Kali war, und da wir Ursache haben anzunehmen (pag. 76.), (Uss in durch Ueberscliwem-mungeu ausgezeichneten Jahren in den Steppen die Pest am gewühr.lich-sten auftritt, werden die unter Rindvieh uml Schafen andernorts auftre­tenden Krankheiten sich meistens als hydropische und wurmige Leiden, (Leberegelkrankheit) aussein.
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der Pest in den Steppenlanden, mit Rücksicht auf die uns zu Gebote stehenden Erkcunungsmittel, in noch unbekannten atmosphärischen oder teliurischen Einflüssen, mit andern Wor­ten in einer gewissen epizootischen Konstitution, zu suchen sein. Weniger dürften jedoch hierbei die atmosphärischen, mehr die tellurischen, wirksam sein. Dass die letzteren höchst wahrscheinlich sich am vorherrschendsten betheiligen, zu diesem Schluss berechtigt, mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten jener Länder, eine vernünftige Combi­nation zwar, aber eine genügende Erklärung findet hierin das periodische Auftreten der Rinderpest für alle Fälle nicht; ebensowenig als ihr geographischer Zug von 0. nach W. Letztem — den man auch wohl mit dem tellurischen Magnetismus, den electrischen Strömungen u. s. w. in Verbindung bringen und dadurch zu erklären versucht wer­den könnte — muss man, wenn auch nur bedingungsweise — d. h. für die epizootische Verbreitungsweise und theilweisc auch als massgebend für die contagiöse — doch zugestehen. Wollte man zur Hypothese greifen, so wäre eine Erklärung für das periodische Auftreten und hiermit zugleich auch für die veranlassenden Ursachen der Rinderpest gegeben. Man dürfte nur annehmen: dass in der Erde, sei es durch wel­chen Prozess, oder durch Absorption aus der Luft, sich Stoffe bilden, die so weit die Capazität der Erde es zulässt, sich in derselben anhäufen, dann aber aus derselben sich entladen (derselben entströmen) ähnlich der Electrizität in der Luft beim Gewitter. — Eine leitende Thatsache, welche zur Aufhellung dieses Punktes führen könnte, liegt nicht vor; vielleicht giebt die Folgezeit Aufschluss. Wir sind wenig­stens berechtigt, dies zu hoffen; da es wohl möglich, dass nur ungenaue und unvollständige Beobachtungen — und kaum anders sind die vorliegenden zu nennen — die nachweis­baren nachtheiligen Einflüsse nicht erkennen Hessen und so der Schhiss gezogen wurde: dass in dem Verhalten, der Lebensweise der Thiere, in ihrem Futter und Getränk, Auf­enthalt u. s. w. nichts Nachtheiliges gelegen habe; während fortgesetzte genaulaquo; und mit Sachkenntniss gepflogene Unter­suchungen doch die Ursachen würden aufgefunden haben.
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Vielleicht endlich auch, dass eine Verwechslung in der Ent-wickelungsweise der Rinderpest stattgefunden hat; dass man sie für ursprünglich hielt, während sie abgeleitet war; wo man im letzten Falle natürlich vergeblich den Ursachen nach­jagte. — Erst wenn Russland mit mehr bessern Thicrärzten versehen ist, steht grösserer Aufschluss zu erwarten. Bei der jetzigen Einrichtung in Betreff der Veterinair-Saniläts-Polizei, bei dem Mangel an wissenschaftlich gebildeten Thier-ärzten, bei der Unzulänglichkeit der thierärztlichcn Ueberwa-chung u. s. w. kann auf solchen Aufschluss kein Ansprach ge­macht werden. Durch Reisende, welche flüchtig jene Gegenden
durchstreifen, steht er noch viel weniger zu erwarten.-----------
Liegen Fälle genug vor, wo nachweisbar keine Ursachen haben aufgefunden werden können Cdie jedoch, der so eben geinachten Bemerkung zufolge, nicht so unbedingten Glauben verdienen); so sind doch auch in andern Fällen, bei gleich­zeitigem Auftreten der Rinderpest, Momente erkannt worden, die wohl mit Recht den veranlassenden Ursachen der Rin­derpest beigezählt zu werden verdienen. — Wir haben bereits oben jener Einflüsse Erwähnung gethan, welche unter dem Steppenvieh Krankheiten zu erzeugen vermögen, und da wir hinlänglich Grund zu haben glauben, unter diesen auch die Rinderpest zu erblicken, so sind auch zugleich die muth-masslichen Gelegenheitsursachen der Rinderpest selbst mit an­gedeutet worden, und verweisen wir deshalb auf das dort Gesagte; glauben jedoch noch bemerken zu müssen, dass — unserer Ansicht nach und auf Grund vorliegender Thatsachen, dass die Rinderpest gewöhnlich in durch Ueberschwemmungen ausgezeichneten Jahren auftritt — von allen Einflüssen, welche man wohl angeklagt hat, diejenigen am meisten Wahrschein­lichkeit für sich haben, wie sie im Gefolge von Ueberschwem­mungen vorkommen. Man hat zwar ausser den obgenannten Einflüssen auch wohl noch verschiedene andere, mit der Rinderpest in Beziehung zu bringen gesucht, so namentlich mit den in jenen Gegenden wohl vorkommenden Salzseeen; wir übergehen solche aber hier, da sie insgesammt keine Wahrscheinlichkeit für sich haben; mindestens keine That-
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Sachen vorliegen, durch welche ihre Beziehung zur Rinder­pest nachgewiesen werden könnte.
Die grösste Wahrscheinlichkeit haben, wie so eben be­merkt, die im Gefolge von Ueberschwcmmungen auftretenden nachtheiligen Einflüsse für sich. Hierher gehört nun vor allen die nach dem Verlaufen des Wassers vor sich gehende Zersetzung und Ausdünstung an der Erdoberfläche. Denn wir wissen, dass Moräste und Sümpfe erst dann gefährlich werden, wenn sie austrocknen und der schlammige Grund biosgelegt (und den Einwirkungen der Sonnenstrahlen aus­gesetzt) ist. Solche Sumpfausdünstungen (Miasmata) sind als Erzeuger typhöser Leiden längst erkannt. Daher auch alle jene Gegenden (ihrer Sumpfausdünstungen wegen) ver­rufen sind, die, den engern Flussgebieten und Ausmündungen der Flüsse angehörend, eine feuchte und niedrige Lage haben oder selbst ehemaligen Meeresgrund bilden, wie dies von den an dem schwarzen und asowschen Meere gelegenen Steppen mit allem Grunde gesagt werden kann. Ganz besonders aber dann, wenn sie noch zeitweilige Ueberschwcmmungen von Meerwasser zulassenquot;'). — Wenden wir diese Thatsache auf -------;--------
*) Meerraquo;asser bringt gefährlichere Ausilünslungen hervor, als Flusswasser! Am gefährlichsten soll es sein, wo beide zusammen-nirken. Albers (allg. PalU. II. p. 498) theilt z, B, ein hierher gehöriges inleressatites Beispiel mit.
In eiuem Susswassersee Italiens, in den das Meer seine Flutheil warf, und wodurch in jedem Sommer die bösartigsten Epidemien sich ausbildeten, hürte die Seuche auf, als man den Eintritt des Meer-wassers rerhiuderte.
Ein nolhwendigesBedingniss für die Sumpf- und Erdausdünstung ist bekanntlich die Wärme. Hierauf mag es beruhen, wenn in süd­lichen Gegenden die schädlichen Erdausdünstungen weit liäufiger sind, als im Norden, warum in selir trocknen Sommern die Nach-llieile der Sümpfe sich auffallender bemerkbar machen. Ich erinnere liier nur an den Milzbrand, —
Neuen UnlersucLungen zufolge scheinen es die mepliitisclien Gas­arten an und für sich aber iiiclil zu sein, welche jene schädlichen Wirkungen besitzen, sondern vielraelir beigemengte faulende organische Stoffe. Zii diesem Schluss berechtigt: dass man in allen Aus­dünstungen, selbst in den atmosphärischen Niederschlägen, z. B. im Thau aus der Umgebung von Sümpfen, eine organische Substanz ge-
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eiueu ïlieil der Steppcnlande an, so begegnen wir Verhält­nissen, welche dem Aufkommen von typhösen Krankheiten und somit auch der Rinderpest im höchsten Grade günstig sind. Wir unterlassen hier, diese Verhältnisse näher hervorzuheben, da solche bereits treffend von Larimer (1. c. p. 91. süq.) geschildert worden sind, und ihre Beziehung zur Rinderpest nachzuweisen gesucht ist. Doch auf einen Punkt möchte ich bei dieser Gelegenheit aufmerksam gemacht haben: dass wir auch hier wieder auf Besonderheilen stossen, wofür eine Erklärung vorläufig abgeht. Die Savannen Amerika's bieten ganz ähnliche Verhältnisse dar, wie die Steppen — und doch kennt man dort die Rinderpest nicht! — Ein Punkt dürfte hier nun noch einer Erwähnung nicht überhoben bleiben können. Es betrifft dieser nämlich die Frage: ob die Rinderpest auch ausscrhalb der Steppen sich unter dem Vieh dieser Gegenden noch zu entwickeln vermöge oder nicht? — Müssen wir nach unserem jetzigen Wissen der Steppenrace allein eine Anlage zur Rinderpest zuschreiben, so würde es sich fragen: ob die Anlage unter allen Umständen diesen Thisren verbleibe und nicht etwa unter andern Ausseneinflüssen, als die Steppenlande sie mit sich führen, getilgt werde? Ob nämlich nicht durch eine Versetzung der Thiere in andere Gegenden, nach einer ge­wissen Zeit die Anlage in ihnen schwinde: ob dies erst in fortgesetzter Generation und überhaupt erfolge? Für letztern Punkt fehlt es durchaus an Belegen, und wir wissen hier­über gar Nichts. Aber auch für den ersten fehlt es au genügenden Beobachtungen. Doch zu dem Schluss berechtigt eine grosse Anzahl von Beobachtungen: dass nämlich die Anlage nicht an die Einflüsse der Steppcnlande, also auch nicht an die physicalischen (undclimatischen) Eigenschaften derselben (wenn­gleich sie zunächst als ein Produkt dieser und der cigenthüm liehen Lebensweise der Thiere bezeichnet werden muss) und den hiervon abhängigen, zeitweise auftretenden aussergewöhn-lichen Einflüssen (wie hierauf schon oben aufmerksam ge-
fumli-u hat, die auf andere orgahisdie Sloffe wie ein Ferment iviikte timl Gslirung oder eigenlliclie Fäulniss hervorrief. —
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macht worden ist) gebunden sei, um im Verein mit diesen die Krankheit zu erzeugen. Auch ausserhalb der Steppen können die Thierc noch in die Rinderpest verfallen und zwar, was wichtig ist, nachdem sie gesund die Steppen ver­lassen halten: also unter andern Aussenciuflüsscn, als sie die Steppen und die Lebensweise der Thierc daselbst mit sich bringen! — Dies beweist nun einmal, dass die Anlage nicht sobald, mindestens nicht sofort getilgt werde, sie also eine tiefer in der Organisation begründete, individuelle sein müsse; dann aber, dass es ausserhalb der Steppen noch Einflüsse geben müsse, die für Gelegeuheitsursachen der Rin­derpest zu halten sind. Wir glauben mit JLorinaer, Renner u. s. w. — und mit Recht — solche Momente in denjenigen Einflüssen, wie sie mitunter die Treibheerden zu erdulden haben, aufzufinden, noch mehr aber glauben wir sie in den­jenigen, welchen die Ochsen der Tschumoken ausgesetzt sind, anerkennen zu müssen, und halten daher auch diese einmal zur ursprünglichen Entwicklung der Pest ganz be­sonders verdächtig, dann aber auch, aus Rücksicht ihrer Bestimmung, ganz besonders geeignet. Verbreiter der Rinder­pest zu werden — und die Anklagen der Jiessuralier, Podolier und Volhynier für begründet').
*) Ist es doch eine gescliiclilliclie Thatsaclie, dass die, im ruf* siscli-lürkisclien Felilzuge (1828 —1829) ilrm Heere nachgetriebenen Kamele, unter ähnlichen Verhältnissen in die Ruhr verfielen und zahlreich daran eingingen! Soll dies auch weiter Kithls für die ursprüngliche Entwickelung derRinderiiest heweisen, so berechtigt es doch zu dem Schlüsse, dass jene Einflüsse überhaupt geeignet sind, hüssnrtige Krankheiten zu erzeugen! —
Die während dieses Krieges gleichfalls aufgetretene Binderpest soll sich zunächst unter den Zugochsen, welche das schwere Bela­gerungsgeschütz aus dem Gourerneinent Kiew nach Bessarahieu schaffen mussten und unterwegs viel Unbill zu erdulden hatten —• gezeigt und durch dieselben weiter verbreitet worden sein! —
Der Umstand: dass die Rinderpest ein fast steter Begleiter der Kriege ist — wennsonst für die Armeen Steppenvieh bezogen wird — dürfte an und für sich wohl schon darauf hinweisen, die Ursachen davon in den vielfachen Widerwärtigkeiten, walchen dieThfere aus­gesetzt sind, zu suchen.
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Eine an den vorstehenden Punkt sich anknüpfende Frage ist noch die, ob nicht die Thiere aus der einen Ge­gend, unter den genannten Einflüssen, leichter und vor andern in die Pest verfallen. Hierüber lässt sich zwar nichts Be-stimintcs sagen; so weit jedoch Beobachtungen vorliegen und Vcrnunftschiüsse ergänzend zu benutzen gestattet ist, dürfte in den Heerden, respect. Fracbtfuhr-Zugochsen, welche den Entbehrungen und Mühseligkeiten der Reise längere Zeit oder in besonderm Maasse ausgesetzt sind, auch eher Krank­heiten sich zeigen, und daher im Allgemeinen und der Er­fahrung entsprechend, auch anzunehmen sein: dass das Vieh aus entfernten Steppen in der genannten Beziehung für viel verdächtiger zu halten sei, als das aus den näher gelegenen wie z. B. aus dem obern Podolien (Ungarn u. s. w.) Aber behaupten zu wollen, dass in dem Vieh dieser Länder (gleichfalls der Stcppenrace angehörend) niemals die Rinder­pest auf spontanem Wege zur Ausbildung gelange, scheint mindestens durchaus voreilig; denn es widerspricht nicht allein der dem Steppenvieh für die Rinderpest inwohnenden Anlage, sondern auch mehren vorliegenden entgegengesetzten Beobachtungen. — Anders mag es sich iij Bezug der ur­sprünglichen Entwicklung der Pest an Ort und Stelle (in der Heimath) verhalten, insofern im obern Podolien (den eingezogenen Erkundigungen zufolge) die Pest ur­sprünglich selten oder nie auftritt, weil die Aussenverhält-nisse daselbst jenen in den Steppen nur annähernd sind (cf. pag. 16. und 24.). Doch kann all dieses nur von der Gegenwart gelten, nicht von der Vergangenheit. Der immer mehr vorgeschrittene Ackerhau in dem genannten Landestheile führte neben Beschränkung der Viehzucht, auch andere Verhältnisse in der Verhaltungsweise u. s. w. der Thiere herbei, und mit diesen mögen die begünstigenden Einflüsse für die Erzeugung der Rinderpest gleichzeitig ge­schwächt oder selbst mehr oder weniger entfernt sein. Wohl steht daher zu erwarten, dass, je mehr und je weiter die Ackerwirthschaft in den Steppen vorschreitet, auch die Be­dingnisse für die Entstehung der Rinderpest eine Verrin­gerung erleiden und diese Krankheit weniger häufig vor-
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kommen werde. Hierauf dürfte es gleichfalls beruhen, wenn gegenwärtig auch das ungarische Vieh bezüglich der ur­sprünglichen Entwicklung der Rinderpest in ihm nicht mehr für so verdächtig gehalten wird, als ehemals.
Wo indessen die Bedingnissc vorhanden sind, welche die Rinderpest zu ihrer ursprünglichen Erzeugung erfordert, da wird sie sich auch zeigen. Sofern diese nun in der einen Gegend, vermöge ihrer Besoudcrlieiten häufiger gegeben, in einer andern seltener, in noch andern höchst selten, viel­leicht gar nicht, wird sie, dem entsprechend, auftreten; und daher eben mag es kommen, dass das Vieh aus der einen Gegend vor dem aus der andern für verdächtig gehalten wird und dafür gehalten zu werden auch verdient, ohne dass hieraus der Schluss gezogen werden kann: nur dem Vieh gewisser Steppen wohne die Eigenschaft der ursprüng­lichen Entwicklung der Pest bei. — Wir halten das gc-sammte Stcppenraccvieh für mit der Anlage begabt, in sich die Rinderpest zu erzeugen; eine Anlage, die dem Vieh, welches nicht dieser Race angehört, mangelt; selbst jenen nicht inwohnt, welches sich in Gestalt u. s. w. schon nahe verwandt der Sleppcnracc zeigt, (cf. p. 12.)
Bezüglich der Nachforschungen der Ursachen der Rin­derpest aber dürfte der beregte Punkt von Interesse bleiben und vielleicht wichtige Fingerzeige für die Auffindung der Brütestetten der Pest geben.
Wollte man nun auch nicht zugestehen, dass in den nachlhciligen Einflüssen, welchen die Thiere auf ihren Wan­derungen unter Umständen ausgesetzt sind, die hinlänglichen Ursachen zur spontanen Entwicklung der Pest aufgefunden werden könnten; so würde doch mindestens nicht in Abrede zu stellen sein, dass dieses in Fällen, wo die Thiere in den Steppen schon Einflüssen ausgesetzt waren, welche zum Erkranken an der Pest vorbereiteten, erfolgen könne. In­sofern als nun ferner der Fall nicht bloss denkbar ist, sondern selbst sich ereignen mag, dass die Einflüsse, welche als vor­bereitende Ursachen der Pest in den Steppen wirksam sind (den Grund zu einer Pestdyskrasie legen, wie wir es einmal nennen wollen) auch wieder verschwinden, bevor noch
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die Pest zum vollständigen Ausbruch gelangt; mit andern Worten, nicht nachhaltig genug wirken, um den Pestaus-bruch zu veranlassen; während bei dem ausgewanderten Vieh in den Strapazen u. s. w. der Heise noch Momente auftreten, welche den völligen Ausbruch der Pest bedingen — so würden doch wenigstens auf' diese Weise jene Fälle ihre Erklärung finden, wenn, wie Beobachtungen gelehrt haben, die Pest durch die auswandernden Heerden verbreitet wurde, ohne dass in den Steppen selbst die Pest herrschtequot;). Ein Umstand dürfte hier ferner noch, bevor wir die Bemerkungen über die ätiologischen Verhältnisse schliessen, erwähnt zu werden verdienen: nämlich, dass man so häufig die Pest in den ausgewandertem Vieh erst entstehen sah, nachdem es den Strapazen der Reise überhoben und schon
*) Es muss allerdings laquo;alusclieiulitlier ersclieinen, laquo;lass in den Tieiblieerden und unter den Kraclilfuliroclisen die Pest vorzugsweise nur dann zum Ausbrucli komme, wenn überliaupl allgemeine die Pest bedingende Einflüsse (Pest-Conslilution) obwalten, so dass die Stra-jiazen u, s. w. der lieise nur ein die Entwicklung der Kranklieit fürmlernden, den Ausbrucli begünstigemlon Blument abgeben. Dann würde gewissermaassen also ein analoges Verliällniss bestelin, wie bei der Klaueuseuclie, von der wir wissen, dass sie in Treiblieerden gern zuerst ausbricht; von diesen oft schon weithin versclileppl wurde, hevor sie noch als Seuche ihren Zng hält. Jene Annahme scheint dadurch ünlerslützmig zu iinden, dass der Falle vorliegen, wo die Treiblieerden u. s, w, der Strapazen genug und wohl noch mehr zu erdulden hatten, und die Pest sich doch nicht zeigte. Im Ganzen dürfte daher der Schluss wohl gezogen werden können, dass clurch die Mühseligkeilen, Entbehrungen u. s. w. welchen die Tiiiere anf der Reise ausgesetzt sind, allein die Pest nicht so leicht erzeugt werde, wenn nicht schon durch anderweitige Einflüsse die Krankheit mehr oder weniger vorbereitet sei.
In Berücksichtigung des Umslandes nun, dass jene allgemeinen Einflüsse (epizoolische Krankheilsconstilution) das Steppenvieh auch auf seiner Wanderung hegleilen, auf welcher die gelegentlich hinzu* kommenden nachlheiligen Einflüsse zahlreicher dasselbe treffen, als auf den heimathlichen Triften — dürfte selbst der Vermutliung Raum gegeben werden, dass unter den gegebenen Verhältnissen in den wandernden Heerden und den Ochsen der Tschumaken die Pest am ehesten zum Ausbruch gelange. Hierfür sprechen mehrere Thatsaclien beweisend, (cf. p. 19, Anmexk.)
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einige Zeit der Ruhe genossen hatte. Besonders auch hat man hcohachtet, dass auf der Reise erlahmte Stücke, wenn solche zurückgelassen, Verhreiter der Pest wurden. (Dieser Um­stand deutet nun ganz hesonders noch darauf hin, dass die Fatiguen der Reise wohl geeignet sind, die Gelegenheits-Ürsachcn der Pest abzugeheif). Fälle, wie die genannten, wurden mir besonders viel in Volhynicn von den in den Brennereien zur Mästung aufgestellten Ochsen der Steppen-racc erzählt: ja sogar als gewöhnlich sich ereignend be­zeichnet. Dabei bemerkte man mir noch, dass es eben die­sem Umstände beizumessen sei, wenn hier und dort dio Pest in einzelnen Stallungen isolirt auftrete, ohne dass von einer weitern Verbreitung der Pest etwas ruchbar würde'). — Diese Thatsache genügend zu erklären vermögen wir zwar nicht, doch weist dieselbe auf analoge Verhältnisse, bezüglich des Typhus der Menschen, hin. Denn gleiche und ähnliche Beispiele hat man in Menge bei Menschen beobachtet. Man hat nämlich gewöhnlich den Typhus unter den Truppen in den Lagern, Quartieren und Lazarethen entstehen sehen, fast niemals auf dem Marsche {d. Lorlnsor 1. c. pag. 122—126.),
Endlich feldt es nicht an Beispielen, wro das einge­brachte Steppenvieh selbst gesund blieb und dennoch die Pest unter dem einheimischen Vieh verbreitet wurde; wo dann anzunehmen ist, dass es selbst bereits die Pest überstanden aber noch Träger des Contagiums war (cf. pag. 8.)deg;deg;).
Als negativer Beweis für die Entstehung der Rinderpest
*) Wie in Volliynien, so liat man auch in der Bukowina und GaUizien mehrfach zu heohaclilen Gelegenheit gehabt, dass die Pest noch unter dem eiiigefülulen Stepyenvieli zum Ausbruch gelangte, nachdem es schon wochenlang (drei bis vier Wochen) auf Mästung gestanden. Durch solche Fülle sah man sich sogar 1829 in Gallizien und der Bukoivina veranlassl, die Quarantaine bis auf 26 Tage zu erhöhen, cf. Lorinser 1. c. p. 120. und 121,
**) Ein sehr aufi'allendes Beispiel der Art erzählt uns auch Pilger (Handb. der theorel. und prakt. Veterinänvissenschaft B. II. p. 1076) aus dem Jahre 1797 j laquo;o durch 1500 für die Armee be­stimmte Schlachlochsen von der Steppenrace, überall auf ihrem Wege wo sie übernachtet hallen, die Pest zurückgelassemvurde, ohne selbst ein auffallendes Zeichen dieser Seuche zu iiussern,
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iii den ausgewanderten Heerden dürfte endlich auch noch gelten: dass, wenn eine lieerde 2 bis 3 Wochen auf ihrer Wanderung vollkommen gesund blieb und während dieser Zeit in einer pestfreien Gegend sich befand, und die Krank­heit auf einheimisches Vieh nicht übertrug — dieselbe die Krankheit nicht aus den Steppen mitgebracht haben könne, wenn sie darin verfällt. Wie derartige Fälle vorliegen, (cf. liorinser 1. c. p. 116 seq.)
Würden wir nun aus dem bisher Gesagten ein Resultat zu ziehen haben, so würde sich in Bezug der ursprünglichen Entwicklung der Pest, in den Steppen selbst, ergeben:
1)nbsp; Dass die Rinderpest an verschiedenen Orten des russischen Reichs, sowohl in den asiatischen als europäischen Steppen ursprünglich sich entwickeln könne, und zur Zeit durchaus kein Grund vorliege, die Selbsterzeugung derselben auf die asiatischen Steppen zu beschränken.
2)nbsp; Dass es wahrscheinlich sei, dass dieselhe in den süd­lich und südöstlich gelegenen Steppen Europas gewöhnlicher auf spontanem Wege zur Entwicklung gelange, als in den westlich und nordwestlich gelegenen Steppen.
3)nbsp; Dass dieselbe auch ausserhafb der Steppen in dem auswandernden Vieh (den Trcihbeerden) so wie unter den Ochsen der Tscimmalten ihre spontane Entwicklung finden könne.
4)nbsp; Dass nur das Vieh der Steppcnrace für die ursprüng­liche Entwicklung der Pest Anlage besitze; nicht so auch das Vieh anderer Racen; die Krankheit auf dieses vielmehr stets durch Ansteckung übergehe.
Mit solch appodictischer Gewissheit lassen sich jedoch die sub 1 — 3 aufgestellten Sätze nicht hinstellen, wie der suh 4. — Um dieses zu können, würden allerdings noch fernere Nachforschungen ebenso wünschenswerth als noth-wendig erscheinen. Hierbei dürfte es unserer Ansicht nach nun besondere Aufgabe sein, zu erforschen:
1) Ist die Rinderpest in den südlich-europäischen Russ-
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laud auch zu Hause, oder wird sie dahin erst von dem asiatischen gebracht.
Die betreffenden Ermittelungen hierzu werden auf dem Wege zu erhalten sein, dass zunächst festgestellt wird: dass so oft im asiatischen Russland die Rinderpest sich zeigt, dieselbe auch im südlich-europäischen Russland auftritt, oder vielmehr in diesem nie anders vorkomme, als wenn sie zuvor im asiatischen erschien. — Ergiebt sich dies als Thatsache, so werden weiter die Wege und Mittel der Verbreitune (Verschleppung) zu erforschen sein. Ergiebt sich aber das Umgekehrte, nämlich, dass die Rinderpest auch im südlich­europäischen Russland vorkömmt, ohne früher im asiatischen beobachtet zu werden; so wird dies zu den Schluss be­rechtigen, dass die Pest auch in dem südlich-europäischen Rnssland in ursprünglicher Entwickelung auftritt. Dann wird es ferner
2) Aufgabe sein, diejenigen Einflüsse und Aussenver-hältnisse zu ermitteln, unter denen das Aufkommen der Pest gesehen wird, so wie auch, ob sie etwa als Enzooiie oder Ephootie auftritt. Dahin würde ferner auch gehören: ob neben der Pest gleichzeitig auch andere Seuchen-Krankheiten vorkommen, und welche Bezie­hungen zwischen beiden etwa bestehen. Dies sind nun im Allgemeinen die nöthigsten zum Nach­weis zu bringenden Punkte; andern reihen sich diesen noch an. Dass die bezüglichen Nachforschungen nun aber nicht so bald und nicht lediglich durch den Verfolg einer Rinder­pesteruption erreicht werden können, versteht sich von selbst, sondern es gehört hierzu vielmehr eine genaue Verfolgung von mehrern Eruptionen respect. Invasionen der Rinderpest. ^Schon Lorinser pag. 110. 1. c., erwähnt, dass, wenn man den Rath eines ungenannten Arztes (vom Jahre 1767) be­folgt, und von Zeit zu Zeit Sachverständige in die Steppen gesendet hätte, man schon weiter, bezüglich der Entstehungs­arten der Rinderpest, sein würde — und er hat Recht. — Solche Untersuchungen, respect. Nachforschungen aber an­stellen zu wollen, wenn die Pest schon eine grosse Aus-dehnung gewonnen, ist ein Missgriff und führt zu nur
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ungenügenden Resultaten und selbst leicht zu falschem Urtheil.
Die Ausbreitung dev R'mderjiesl in Polen und liussluml.
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Es würde wenig Wahrhcilsiielic verrathen, wollte ich es unteniehmen, über diesen Gegenstand hier Bestimmtes hinzustellen. Sichere und authentische Nachrichten darüher, wo die diesmalige Rinderpest ihren ersten Anfang genommen, von welchem Punkte aus sie begonnen und sich allniäliquot;: weiter verbreitet habe, oh von einem oder mehren {hinkten aus, habe ich nicht vermögt einzuziehen: auch musstc ich, in Beriicksiclitigung der obwaltenden Verhältnisse, bald zu der Ucherzeugung gelangen, dass glaubwürdige Nachrichten hier­über zu erhalten, ein fruchtloses Strchen bleiben werde. In einem so ausgedehnten Reiche wie Russland, welches in seinen einzelnen Landesthcilcn so verschiedene Verhältnisse darbietet; wo es an einem übersichtlichen Ganzen noch ge­bricht, wo namentlich die medizinische und insbesondere mit ihr die Veterinär-Polizei noch im Aufkeimen begriffen ist, wo selbst die Handhabung der fragmentarischen Sanitäts-maassrcgeln noch in Unordnung erfolgt und in Bezug auf die Thiere erfolgen muss, weil es an den wichtigsten Werk­zeugen hierzu, an Sachverständigen d. h. Thierärzlen fehlt, um auf eine geregelte Execution rechnen zu können, mit einem Worte die Ueberwachung der Thierseuchen unzuläng­lich ist') — da kann auf Genauigkeit kein Anspruch ge-
*) Jedes Gouvernement, es mag noch so gross seinj (und es giett deren einzelne von 600 Ms 800 u. m. Wsl. im grösslen Dr.rcli-messer) besitzt einen Gouvernemenls-Tliierar/I. Die einzelnen Di­strikte, deren jeder einzelne zivar mit einem Kreis - Menschen - Arzt verseilen ist, sind enlsiirechend an Griisse.
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macht werden. Wo der gemeine Mann selbst noch in Arg­wohn und nicht selten noch im Aberglauben befangen lebt; wo es ihm häufig noch an Vertrauen zu den Behörden ge­bricht; wo Vieïe aus Nachlässigkeit, oder von falschen Vor­aussetzungen irre geleitet, dass eigne Wohl und Beste ver­kennen — wie könnte man da, ohne in Selbsttäiischung zu verfallen, erwarten wollen: eine Thicrseuche gleich in ihrem ersten Anbeginn zur Kenntniss der Behörde gebracht zu sehen? Fast regelrecht ziehen die Krankheiten erst dann die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich, wenn sie bereits au Ausdehnung und mit dieser zugleich an Bedeutung gewonnen haben. Die Zeit des ersten Auftretens der Krankheit ist längst verstrichen, diese vielleicht schon 100 MeUen weit verschleppt, bevor die Kunde davon an die Behörde gelangt; geschweige bis dann ein Untersuchung eingeleitet wird.
Verzichten wir daher lieber auf das, was nicht mit Genauigkeit zu erhalten' ist, als uns trügerischen Muth-maassungen hinzugeben. Die erste Zeit des Auftretens der Kinderpest, der Punkt, von welchem sie ausging, ob von einem oder mehren Punkten zugleich, zu bestimmen, werden wir aufgeben. — Wollten wir uns indessen zur Aufgabe stellen aus Dem, was uns durch die Behörden und durch die Erzählungen Anderer (worüber jedoch bemerkt zu wer­den verdient, dass hierin häufig Widersprüche sich finden) mitgetheilt worden ist, einen Schluss zu ziehen, der jedoch, wir verkennen es nicht, mehr oder weniger vag ist — so trat die Pest, soweit es das europäische Russland betrifft, in den oestlich gelegenen Gouvernements früher auf, als in den westlichen. Im Gouvernement Charkow war sie schon im Juni (cf. pag. 13.). Um dieselbe Zeit, und was mehr­fach behauptet wird, noch etwas früher, auch in den Gou­vernements Tscherkask und Cherson (und mit diesen um Odessa, und wahrscheinlich auch in Taurten), während sie in JSessarabien und Podolien erst im August und Sep­tember sich zeigte. Erwiesen ist, dass die Ausbreitung nicht allmälig, gleichsam schrittweise von Osten gen Westen er­folgte, sondern sehr rasch und die Pest an sehr verschiedenen.
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von einander entfernten Punkten zu gleicher Zeit auftratquot;); so in Bessarabien^ Podolien und Volhynien im September. Die Erklärung für dieses Erciguiss ist leicht in dem Mittel der Verbreitung gefunden, den auswandernden Heerden (deren grösstc Zahl gerade in die Monate Juni und July fallen, in welcher Zeit zugleich auch der grösste Zutrieb von Vieh zu den Hauptmärkten statt hat) insbesondere aber auch in den Ochsen der Tschumaken, welche letzten, besonders von Odessa aus, in allen Richtungen das Reich durchziehen und somit nach sehr verschiedenen Punkten hin die Pest zu gleicher Zeit verschleppen können (cf. p. 40.).
In richtiger Würdigung der ebengenannten Umstände er-giebt sich wohl von selbst, dass diejenigen Rinderpesten, welche im Vorsommer zum Ausbruch kommen, zumal aber, wenn sie sich gleichzeitig unter den Ochsen der Tschumaken zeigen, die leichtesten und am schnellsten sich ausdehnenden sein werden. Es scheint mir sogar, dass das Vorkommen der Pest unter den Ochsen der Tschumalcen hierbei eine sehr wesentliche Rolle spiele. Jene Rinderpesten, welche im Herbst entstehen, werden weniger schnell sich verbreiten, weil die Mittel der Weiterver­breitung an Zahl geringer sind, mit dem Eintritt des Winters so­gar eine ausserordentliche Beschränkung erleiden.
Aus einer richtigen Würdigung der Mittel der Weiter-verbrcilung, wird sich nun ferner aber auch noch die That-sache erklären lassen, warum in Bezug auf Russland die Pest, wenn auch anfänglich (durch die Lage der ursprünglichen Entwik-kelungsstätte bedingt) von Osten und Südosten gen Westen und Nordwesten hin vorschreite, der fernere Zug derselben doch im­mer in der Richtung von Süden gen Norden erfolgen weide. Die Lage der Hauptmarktorte, denen das Vieh zunächst meistens zugetrieben wird, so wie die Lage jener Provinzen und Städte, (Ostseeprovinzen, Petersburg uni Moskau) wt\cht den Endpunkt der Triebe (und zum Theil des Reisefuhr­werks) bilden, sind als die bedingenden Momente hiervon zu betrachten. Sie sind es zugleich aber auch, welche den
*) Dasselbe wurde auch im russisch - türkischen Feldzuge be-ohachtel.
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Gang der Rinderpest, den wir ihr, (als miasmatisch-epizoo-tische Karnkheit aufgefasst) von Osten gen Westen, zuge­stehen müssen, sehr modifizircn und mannigfach verdunkeln werden. Denn es kann hierhei wohl nicht fehlen, dass der Lauf der Epizootic mit dem Gange der Kontagion manchen Ortes sich herühren und durchkreuzen werde.
Würde nun, den vorliegenden Nachrichten zufolge, der Anfang der Pest etwa gegen Ende Mai fallen, so würde sie, von dieser Zeit an, bis in den Monat September, im russi­schen Reiche die grösste Ausdehnung und Verbreitung, ihre Höhe, erlangt gehabt haben: denn in diesem Menate war sie nicht nur über (fast) säramtliche Gouvernements des südlich europäischen (und, wie mir Reisende mittheilten, in einigen Gouvernements des asiatischen) Russlands verbreitet, sondern erschien auch schon in Volhynicn (und Litthauen). Später erst, im November, wurde sie nach Polen übertragen und drang bekanntlich auch über Gallizien und Mähren nach Böhmen ein.
; Leber die Verbreitung der Pest in Polen liegen sichere Nachrichten vor. Diese konnten hier auch mit grösserer Gewissheit erhalten werden; da die Pest lediglich auf dem Wege der Ansteckung sich fortpflanzte. Die, auf die Ver­breitung der Pest in Polen bezüglichen Verhältnisse, sind in den oben gemachten Mittheilungen (cf. pag. 4.) näher ent­halten.
Demzufolge wurde dieselbe über den Quarantaine - Ort Wlodawa im November 1844 (wahrscheinlich durch eine Heerde Treibvieh eingeschleppt, trat zu gleicher Zeit in der Nähe dieses Ortes, von Warschau und Luhlin, so wie an einzelnen Orten, welche die Heerde auf ihrem Wege nach Warschau und Lublin berührt hatte, auf, und zeigte sich dann in verschiedeneu andern Ortschaften, wohin sie, durch Verkehr mit den zuerst infizirten, verschleppt wurde. Wie es die Lage Yon^Wlodatca mit sich bringen musste, verbreitete sich die Pest in Polen in der Richtung von Osten nach Westen, wie dies in Polen denn auch stets beobachtet worden ist, und beobachtet werden musste; da Polen ostwärts an Russland grenzt, und somit das Steppenvieh in der Richtuug von
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Osten nach Westen das Königreich (bis zu den Hauptstädten) durchwandert.
Dem Ausbruche der Pest niit beginnendem Winter ist es wohl lediglich zuzuschreiben, wenn dieselbe nicht sehr schnell an Weiterverbreitung gewann, sondern vielmehr im Monat Marx dein Erlöschen nahe schien, fälschlich sogar ein Getilgtsein derselben Glaubcij linden konnte (cf. pag. 3.) üic Handhabung der Tilgungsraaassregeln hat wohl nur we­nig dazu beigetragen. Ebendeshalb war denn auch vorher­zusehen, dass mit dem wieder beginnenden Weidegange und dadurch herbeigeführten, häufigen Berührungspunkten des Viehes unter sich, die Krankheit von Jenen Orten aus, wo sie noch im Stillen glimmte, oder Desinfectionen vernachläs­sigt worden, sich von Neuem weiter verbreiten würde; wie denn auch geschehen.
Wie in Polen die Weiterverbreitung der Pest durch die von der Jahreszeit abhängigen Verhältnisse eine Be­schränkung erlitt, so war dies auch in Russland der Fall. Auch hier trat mit dem Eintritt des Winters ein bedeuten­der Nachlass ein; es nahm selbst den Anschein, als sei die­selbe in mehreren Gouvernements beendet;, ja, man gab sich schon der Hoffnung des völligen Getilgtseins hier und da hin. — Ein gänzliches Uebcrsehen der obwaltenden Verhält­nisse konnte auch hier nur zu solchen täuschenden Hoffnun­gen führen. Wer Gelegenheit fand, davon Leberzeugung zu nehmen, wie die Tilgungsmaassrcgeln nur gehandhabt werden können, und auch gehandhabt werden, und hierbei den, durch die Jahreszeit gebotenen, beschränkteren Verkehr mit Vieh, direkt aus den Steppen, welcher im verwichenen Jahre durch den aussergewöhnlichen Schneefall und strengen, anhaltenden Winter auch im südlichen Russland noch erhöht wurde, so wie das eingestellte Reisefuhrwerk mit Ochsen, berücksichtigt — der konnte mit sich nicht lange darüber im Zweifel bleiben: dass nicht nur hier und da, an verschiedenen Punkten des russischen Reichs, die Pest noch im Verborgenen glimme, sondern dass noch wiederholte Ausbrüche sich ereignen wür­den, sobald der Winter vorüber, und mit dem eintretenden Frühling und Sommer die Viehtriebe wieder begonnen, das
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Ochsenfuhrwerk wieder in Gang gekommen, die Verkehrs verhaitnissc überhaupt wieder reger geworden seien.
In dieser.Präsuinption bin ich nicht getäuscht worden; es gelang nicht nur, trotz der Versicherung der Behörden, dass die Pest erloschen sei, dieselbe noch an verschiedenen Orten aufzufinden, sondern sie hat sich auch im Laufe des Sommers 1845 wieder allgemeiner gezeigt.
„ Dass die Rinderpest, wenn sie einmal an Ausbreitung gewonnen, in Russland nicht sobald wieder ihre Eudschaft erreiche, lässt sich schon im Voraus entnehmen, wenn sonst die coneurrirenden Verhältnisse dabei erwogen werden: auch wenn bestätigende Thalsaehen nicht vorliegen. So ereignet es sich denn ganz gewöhnlich, dass die Rinderpest-Epide­mien, resp. Kontagionen, sich über 2 — 3 Jahre hinziehen; nicht selten neue boginnen, während die alten noch nicht überall erloschen sind. Dieser Umstand — und die hierauf sich gründenden Sagen — mag nun wohl vorzugs­weise zu jener Annahme verleitet haben: die Rinderpest gehe in den Steppen niemals gänzlich aus.
Das frühere oder spätere Erlöschen der Rinderpest dürfte, nach dem zu schliessen, was ich darüber habe in Erfahrung bringen können, vorzugsweise davon abhängen, ob und in welcher Ausdehnung sie als Epizootic auftritt; weil hiermit auch zugleich die Mittel und Wege an Zahl gewinnen, durch und auf welche die Weiterverbreitung ge­fördert wird. Denn, wenn die Rinderpest gewissermaassen erst als Epizootic und Kontagion sich begegnet und durch­kreuzt (pag. 89.), so hat ihre Vervielfältigung gewiss den höchsten Grad erreichtquot;). Dieser Umstand verdient gewiss
*) Es laquo;inl laquo;lies an dem Orle lt;ler tirspriinglichen Entwicklung nun stets im Sommer lt;ler Fall sein, umi /laquo;laquo;.Cf es sein, wenn wir ilarauf rücksichtigen^ ilass zur Bildung von Fäulniss-und Zerselzungs-Produclen, 3liasiiien, organisclie Sloffe, Feucliligkeit und Wärme zu­sammen wirken müssen. Da nun die letzte vorzugsweise im Som­mer wirksam ist, sq ist denn auch grade in dieser Jahreszeit von den Ausdünstungen der Sümpfe u. s. w. der Bildung von Sliasmen, am meisten zu hesorgen, während im Winter von ihnen Nichts zu hefürchlen stellt (cf. pag. 17.) Kunnen diese nun überhaupt zur
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für die richtige Beurtheilung des Auftretens der Rinderpest in dem südlich europäischen Russland und ihres Verhaltens über­haupt die allcrgrösste Beachtung, und muss jedenfalls mehr erwogen werden, als bisher geschehen. Tritt sie dagegen mehr isolirt, iu einer einzelnen Treibheerde, erst auf der Wanderung, hervor, oder unter einer Abtheilung der Ochsen der Tschumaken, also nicht als eigentliche Epizootic: so wird ihre Weitervcrhreitung vorzugsweise von der gegebe­nen Gelegenheit zur Ansteckung abhängen, und diese im All­gemeinen mit dem kürzeren oder entfernteren Ziele der Reise der Heerden Schlachtsviehs und der Zugochsen, und den auf dieser sich darbietenden Berührungspunkten mit an-^ derem Vieh, zusammen fallen. — Daher ist es denn sehr wohl möglich, dass die Rinderpest sehr beschränkt bleibt, gleichsam isolirt auftritt. Seltener wird dies zwar im Som­mer, leichter jedoch im Winter der Fall sein. Darf man den, in dieser Beziehung erhaltenen, Mitthcilungen einigen Glauben schenken, so scheint ein solch isolirtes Auftreten der Rinderpest in Alt-Russland, und namentlich in der Nähe grosser Städte, nicht so gar selten zu sein. Es lässt sich dies Ereigniss sehr wohl durch die Umstände erklären, dass die Heerden sowohl den grössern Städten zugetrieben wer­den, als auch der Handeis-Waarenverkehr sich hauptsächlich dorthin wirft, welcher letztere besonders die zeitweise An­sammlung von Zugochsen zur Folge hat. —
Haben wir nun allen Grund, das Entstehen der Rin­derpest in den Einflüssen, wie sie die Treibheerden und Zugochsen unter Umständen treffen, zuzugeben, und ist fer-
Enlsteliung der Rinderi'est führen oder beilragen, so ist ihre Mituir-kung auf die schnellere Verbreitung dieser Krankheit nicht in Ab­rede zu stellen. Wenn sonach, vorzugsweise im Sommer, die ejii-zootische mit der cunlagiüsen Verbreilungsneisv zusammenfällt, so laquo;ird im AVinter wieder nur die letztere vorzugsweise thälig sein kUnnen. — Dadurch würde es sich deun auch, abgesehen von. den Verkehrsverkältnissen , erklären lassen , warum in jenen Gegenden, in der erstgenannten Jahreszeit, die Fest, so reisseml um sich grei­fen kann, während sie in der letztem auch dort eine Beschränkung erleidet.
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ncr durch zahlreiche Beobachtungen ausscr Zweifel gesetzt, dass die Erkrankungen gern erst nach iiberstandenen Stra­pazen und nach gepflogener Ruhe eintreten: so hört es auf, ein Problem zu sein, wenn hier und da unverhofft einmal die Rinderpest sich zeigt, und selbst in der Nähe von Peters­burg und Moskau erscheine (wie uns auch Haupt hierher gehörige Fälle erzählt 1. c. pag. 390 u. a. 0.), ohne dass man von einer allgemeinen Verbreitung der Rinderpest in Russland (den Steppen namentlich) Kunde hat. — Es wird ferner aber aus dem Gesagten sich auch ergeben, wie — unter Mitwirkung einer epizootischen Verbreitungsweisc — zeitweise ein allge­meines Auftreten der Rinderpest vorkommen, und dieselhc pe­riodisch grosse Züge vollenden könne. Wälzt sich die Krankheit auf zwei Wegen zugleich in einer Richtung fort, so wird ihre allgemeine Verbreitung schneller erfolgen, als wenn sie nur auf einem, dem der Ansteckung, weiter geht. Doch dürfte der Winter beiden Wegen eine Hemmung ent­gegen setzen; denn wahrscheinlich erscheint es, dass, wie die verminderten Vcrkchrsverhältnissc u. s. w. im Winter die Gelegenheit zur Ansteckung beschränken, auch die Ver­hältnisse der ursprünglichen Entwicklung der Rinderpest^ vorzugsweise nur im Sommer in den Steppen gegeben sind (cf. Anmerkung). Hierin müssen wir auch die Erklärung mitfinden, warum die Pest im Sommer so leicht reissende Fortschritte machen könne.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes dürfte wohl noch der Punkt Erwähnung finden: wie, allen vorliegenden Beobach­tungen und sicheren Nachrichten zufolge, die Rinderpest über eine gewisse Grenze hinaus gegen Osten sieh nicht wei­ter zu verbreiten vermöge. Wie nun geheime Kräfte der Rinderpest ihren Zug als Epizootic von Westen gegen Osten vorschreiben; so scheinen dieselben Kräfte auch auf den Kontagionslauf von Einfluss zu sein, und einer Weiterver­breitung in östlicher Richtung hemmend entgegen zu treten. So z. B. muss es immer auffallend bleiben, warum die Rin­derpest nicht auch den Zügen der Kreuzfahrer folgte, da dieselben doch zum Theil durch Ungarn und Bulgarien ih­ren Weg nahmen, und zahlreiche Heerden Schlachtviehs mit
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sich führten. Wird uns von den gleichzeitigen Geschichts­schreibern auch gemeldet, dass viel Vieh vor Hunger und Durst (so. namentlich hei der Belagerung von Antiocftien, Jerusalem und Oamielle) umgekommen sei, so schweigen doch alle von einer ansteckenden Krankheit. — So hegeg-nen wir denn auch hier wieder einem Problem, wofür es an einer genügenden Erklärung-fehlt! —
Kranliheilserscheinungen im lebenden und iodten Thiere, Ver­lauf und JValur der liinderpesl.
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Als eine wesentlich fieberhafte Krankheit, beginnt auch die Rinderpest mit Trübungen in dem Allgemeinbefinden, mit einem Gcstörtscin des Gcmcingefühls, und schliesst dies gleichsam ein Stadium prodromorum in sich, welches je­doch selten über 24 Stunden sich ausdehnt, in vielen Fäl­len sogar bis zum vollständig entwickelten Fieber nur we­nige Stunden zu betragen scheint. — Vermisst werden aber gewisse Vorläufer wohl niemals, und es bestehen diese in einer gewissen Veränderung der Physiognomie, des Habitus überhaupt, und des Benehmens der Thiere, welches letztere sich in der Hegel durch verminderte Munterkeit, Trägheit, Gleichgiltigkeit gegen ihre Umgebung, häufig jedoch auch durch eine gewisse Aufgeregtheit, wo dann die Thiere beim Annähern, Berühren u. s. w. grosse Unruhe verrathen, sich scheu benehmen, und alle Lebensäusscrungen lebhafter, gleich­sam hastiger, von Statten gehen — zu erkennen geben. Im letzgenannten Falle scheint gleichsam eine innere Unruhe und Angst der Thiere sich bemächtigt zu haben. Hierbei verdient jedoch bemerkt zu werden, dass während dieser Aufregungsperiode in vielen Fällen die Thiere zeitweise, auf einige Minuten, timider sich zeigen, überhaupt nur selten eine Stetigkeit in der Art des Benehmens der Thiere gese­hen wird.
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Die Fresslust ist um diese Zeit zwar noch rege, doch wechselnd, zeitweise mehr angeregt, und erfolgt dann wohl die Futtcraufnahme mit ungewöhnlicher Hast. Der Durst ist meistens vermindert, während er später vermehrt zu sein pflegt. Das Wiederkäuen geschieht träge, unregelmässig, mit Unterbrechungen, und stehen die Thierc während der letztern, gleichsam als sännen sie über Etwas nach (stilles Dahinbrütcn). — In den Se- und Excrctionen wrcrden zwar noch keine erhebliche Abweichungen bemerkt, doch pflegt bei Milchkühen die Milchsecretion schon jetzt eine Vermin­derung zu erleiden, und dient dies Nachlassen in der Milch als das auffallendste, oft als das erste bemerkbare Zeichen des nahen Ausbruchs der Krankheit. Die Mistcxcrction ist verzögert, und der entleerte Koth in der Regel von festerer Beschaffenheit und dunklerer Farbe.
Den genannten Erscheinungen gesellt sich ein kurzer, heiserer, anfangs noch kräftiger, später jedoch matter und dumpfer werdender, Husten hinzu, oder es geht dieser, was sehr häufig beobachtet worden ist — vorher, und stellt dann das erste Krankheitssymptom dar, aus welchem mit Hilfe der Anamnese die Rinderpest erkannt wird. Selten nur pflegt er zu fehlen''). Mit dem Husten, welcher übri­gens die Thierc sehr zu belästigen scheint, verbinden sich dann auch noch anderweitige pneumonische Zufälle: das Athmen erscheint mehr oder weniger beschleunigt, bald kür-
*) In Cieczerzjn war dies Lei vielen Kranken lt;ler Fall. Hier hot laquo;las Bilil lies Leidens Überhaupt einige Verscliiedenlieil von dem gen ühnlichen, indem die einzelnen Symptome niclit zur vollen Ent­wicklung kamen; sie erschienen mehr verwischt. Die Ursache hier­von ist in dem gleichsam überhasteten {sit venia verbot) Verlauf, wie ihn die Pest hierorts nahm, zu suchen; und dies Verhültniss war wieder in der ausserordentlichen Kraftlosigkeit der Tliiere 1gt;e-grümlet, welche eine enlfernlere Folge der beispiellosen Nässe laquo;les Jahres 1844 war, Diese halle theils unmiltelbar, theils mittelbar, buchst nachtheilig auf die Thiere eingewirkt, indem sie zur Entste­hung cachectischer Leiden, welche sich beim Rindvieh] besonders als Leberegelseuche manifestirten, geführt halle. Die Thiere erlagen der Rinderpest nun tun so schleuniger, als ihnen jelaquo;le Kraft zum Widerstände gebrach.
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zcr bald tiefer als gcwiilmlicli (mehr hcschlcunigt und kürzer in der Regel hei vorhandener Aufregung; tiefer und wenig heschleunigt bei gleich anfangs vorhandener Abstumpfung). In den Herz- und Gefässhewegungen werden um diese Zeit noch keine oder doch im Ganzen nur geringfügige Abwei­chungen bemerkt; ebenso auch wird in der Körpertempe­ratur keine auffallende Veränderung wahrgenommen.
Nachdem nun die genannten Erscheinungen, wie oben bemerkt, bald nur wenige Stunden bald aber auch einen ganzen Tag hindurch — selten länger (mit Ausnahme des Hustens, welcher mitunter mehre Tage dem Ausbruche der Krankheit vorhergeht) — bemerkt worden, tritt Zitterji der Haut, mit mehr oder minder Aufbiirslung der Haare (Horri-pilationen) ein, welches bald mehr partiell, bald aber auch über den ganzen Körper verbreitet erscheint und in diesem Falle in einem wirklichen Frostschauder überseht. Dieser Zufall nun kündigt den eigentlichen Eintritt des Fiebers und mit diesem zugleich die vollständig entwickelte Krankheit näher an. Die Veränderung in der Physiognomie nimmt zu, so wie nun auch der ganze Habitus des Körpers auffallend verändert erscheint. Die ganze Haltung des Tbieres ist mühsam und träge, der Gang schwerfällig, wankend, nicht selten von auffallender Schwäche im Kreuze zeugend. Der Kopf wird zur Erde gesenkt oder in einer gleichgiltigen Stellung empor gehalten, bei bcträchlicbcm Frostsciiauder geräth er selbst in eine zitternde Bewegung, sammt den an ihm schlaff herabhängenden Ohren. Die Augen ersciieincn gläsern, trübe, thränenvoll; der Blick ist matt und stier, ängstlich: die Conjunctiva wie auch die Maul- und Nasen-Schleimhaut bekommt einen Anflug höherer Röthc; die Augenlicder erscheinen wie geschwollen; ebenso die Lippen, welche meistens nicht festgeschlosscn sind, indem die Unter­lippe mehr herabhängt und über ihren Rand Speichel in einzelnen Tropfen hinwegrollt. — In vielen Fällen äussern die Thicrc schon jetzt eine auffallende Empfindlichkeit in der Lcnden-gegend des Rückens, die jedoch in andern fehlt. Bei man­chen nimmt man ein Poltern im Leibe schon so wahr, oder gewahrt es doch bei Anlegung des Ohrs an den Bauch.
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Was nun das Fieber selbst und die anderweitig mit ihm inniger zusammenhängenden Symptome anbetrifft, so verdient hier vorab hervorgehoben zu werden, dass das Fieber zunächst gewöhnlich, wenn auch nur auf sehr kurze Zeit, als ein erefhisc/ies, bald mit den Charakter der Asthenie, bald aber auch mit einem entzündlichen Anßua; auftritt, in vielen Fällen jedoch auch gleich anfangs mit deutlicher Abstumpfung beginnt. Stets aber macht der an­fängliche Erethismus (nachdem er ungefähr einen Tag über bestanden) später dem entgegengesetzten Zustande, dem einer grossen Torpiditäl, Platz. Man kann wohl mit Recht sagen, dass das Fieber (der Gattung der nervösen Fieber angehö-rendj bald eine J'ebris nervosa erethistica s, versalilis. bald als eine fehr. nerv, shipida s. torpida darstelle. Diesen zwei verschiedenen Richtungsweisen des Fiebers pas­sen sich denn auch die begleitenden Symptome an und zeigen einige Abweichungen, die im Ganzen jedoch, in Bezug auf die Beurtbcilung und Bedeutung der Krankheit, unwesentlich sind. Wir werden bei der fernem Beschreibung hierauf rücksichtigen, nachdem wir noch die Bemerkung voraus-schicken, dass in keinem Falle das Fieber mit wahrhaft synochösen Charakter auftritt. Wie gross die Frequenz und die veränderte Qualität des Pulses auch sein möge, wirklich voll und stark, hart wird er niemals, und der Herz­schlag bleibt mehr oder minder fühlbar. Nur wenn der Krankheitsvcrlauf eine grosse Rapidität bekundet, hört wohl der Herzschlag auf fühlbar zu bleiben; was jedoch, in Berück­sichtigung des kleinen, weichen, leeren, zitternden Pulses gewiss nicht für ein Zeichen innerer Entzündung gelten kann. Es gebricht vielmehr dem Gcfässsystem an Energie. Dies ergiebt sich auch aus der Beschaffenheil des, den Kran­ken versuchsweise in den verschiedenen Stadien der Krank­heit entzogenen Bluts: dasselbe ist von dunkler, schwarz* rother Farbe, hat seine normale Gerinnungsfähigkeit durchaus cingebüsst: es gerinnt nur sehr langsam, selbst bei einer Temperatur unter 0, zu einem dunkel kirschenrothen, eiweis-artigen Coaguhnn. Das Vermögen zu gerinnen, wurde in einzelnen Fällen in dem Maasse vermisst, dass das Blut,
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einem höhern Kältegrad ausgesetzt, zwar auf der Oberfläche gefror, im übrigen aber flüssig blieb, ein braunrothes leim-artiges Fluidum darstellend. Gegen Lakmus wie Kurkuma-papicr verhielt es sich indifferent. —
Leberall nun, wo das Fieber nicht gleich von Hause aus sich zu einer ƒebr. nerv, stupid, gestaltet, und als solche, von grosser Abstumpfung begleitet, auftritt, sondern mit dem Charakter des Erethismus beginnt, zeigt es eine grosse Unregelmässigkeit und Unbeständigkeit in seinen Symptomen. So bedeutend es aber auch sein mag, stets bleibt es wesent­lich ohne wahre Energie: die Thiere sind sehr erregbar, so dass oft die leiseste Berühmng derselben eine Beschleunigung des Pulses zur Folge hat. Der Puls selbst ist unsicher, nach Constitution, Alter und Nährzustand der Thiere (vielleicht auch nach dem Grade der Infection) bald voller, bald leerer, bald gespannter und härtlich, bald weich und klein; seine Frequenz verschieden: bei jungen und kräftigen Thiercn ge­wöhnlich bedeutender, bis zu 90 — 100 Schläge, bei altern und schwachem Thicren geringer, bis 60, 80 Schläge in der Minute gesteigert; immer aber wird ein grösscrer oder geringerer Wechsel in der Grosse der Frequenz der Gefäss-bewegungen und sehr häufig eine ungleiche Stärke derselben wahrgenommen. Sind die Thiere robuster Constitution, und tritt das Fieber mit grosserlaquo;- Heftigkeit auf, ist die Auf­regung überhaupt bedeutend, zeigt der Puls mehr Fülle und Spannung, wodurch der ganzen Krankheit der vorhin er­wähnte entzündliche Anstrich verliehen wird: so erscheinen die sichtbaren Schleimhäute, insbesondere die Bindehaut des Auges, durch stärkere Injection ihrer, von dunklem Blute gleichsam varicös angeschwellten Gefässe, lebhaft geröthet; doch changirt diese Röthe bald ins bläuliche und marquirt sich auf der Maulschleimhaut längs den Zahnreiheu am deut­lichsten. Immer aber bleiben die Schleimhäute feucht: das Auge, dessen Blick dann mehr oder minder feurig erscheint, bleibt thränenvoll, das Maul schleimig. Wie überhaupt die Secretioncn der Schleimhäute eine Vermehrung erleiden, so sehen wir dagegen jene der Haut und insbesondere die der Milch vermindert. Die Haut hat ihre Weichheit und Geschmeidig-
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kfiit verloren, beginnt sich fester anzulegen und ersclieint trocken. Die Milch wird wässriger und bläulich von Farbe; das Euter erschlafft, wird welk. Die Kürpertemperatur ist etwras erhöht; die ausgeathuietc Lxift wärmer, das Flotzmaul trocken.
Diese Aufregungsperiode hält, wie bemerkt, in der Regel nicht über einen Tag hinaus an und geht dann, wie gleich­falls bemerkt, in den Zustand grosser Abstumpfung über; welche letztere in den tödlich endenden Fällen sich nicht nicht wieder verliert. In den Fällen aber, wo Genesung eintritt, oder die Krankheit nicht direkt zum Tode führt, sehen wir jedoch die Aufregung, wenn auch schwächer und mehr vorübergehend, wquot;ohl wiederkehren; und es scheint dies an gewissen Tagen (die zwischen dem vierten und achten Tage der Krankheit liegen) zu erfolgen. Diese Wie­derkehr der Aufregung dürfte auf eine Verstärkung der orga­nischen Reaction gegen den Krankheitsprozess hindeuten und daher im Allgemeinen auch-als eine günstige Erscheinung zu betrachten sein.
Mit dem Schwinden des Erethismus und dem Eintritt der Abstumpfung, nimmt auch die Hinfälligkeit zu; man kann wohl mit Recht sagen, dass diese mit jener in gradein Ver­hältnisse stehe. Der Puls wird klein, weich, leicht zu unter­drücken; später, nach erfolgtem Eintritt des Durchfalls, schwach, leer, kaum fühlbar, (nur noch an den grossern Arterien, wie den Carotiden, ist er in der Anzahl von 80—120 zu fühlen) zuletzt aussetzend. Seine Frequenz nimmt mit dem Colla-biren der Kräfte im Allgemeinen zu, doch zeigt sich hierin keine Stetigkeit, denn nicht ganz selten wird, und namentlich gegen das tödliche Ende der Krankheit, ein vorübergehendes Nachlassen in der Beschleunigung der Gefässbewegungcn be­merkt, so dass selbst eine Verminderung der Pulse bis auf die Hälfte, von 90 — 100 auf 50 in der Minute, eintreten kann. Der Puls verliert dabei aber von seiner Kleinheit und Weiche nicht, hebt sich auch bald und meistens sehr rasch wieder bis zu der frühern Höhe und wohl noch dar­über hinaus; wo er dann in einanderfliessend wird und sich dem untersuchenden Finger entzieht; während der Herzschlag
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welcher, wie oben bemerkt, in der Regel während der ganzen Dauer der Krankheil fühlbar bleibt, wohl selbst doppel-schlägig hervortritt.
Die Körperwärme sinkt mit dem Eintritt der Abstum­pfung gleichfalls sehr. War früher schon, mit Ausnahme des Grandes der Ohren und Homer, welche Theile in Ab­wechslung eine erhöhte Wärme zeigen, keine auffallende Erhöhung der normalen Temperatur wahrzunehmen; so macht sich jetzt eine auffallende Kühle an der ganzen Kör-perumfläche, insbesondere in den peripherischen Theilcn: an den Schenkeln, den Lippen, Ohren, die eine fast eisige Kälte zeigen, bemerkbar, und bleibt solche in den tödlich endenden Fällen in stetem Zunehmen. Mit dieser Tempcraturverän-derung (zugleich auch ein Zeichen der darnicderliegenden Hautfunktion) sind auch gewisse Veränderungen verbunden, welche sich an der Haut selbst finden: diese erscheint, bei mehr allgemein aufgerichtetem Haar, mehr oder weniger un­rein, wie bestäubt, ihre schon früher wahrjreiioramene Trok-kenheit ist fast bis zur Härte gesteigert, sie fühlt sich per-gamentarlig an und ist in vielen Fällen, besonders längs des Rückens, emphysematisch. -
Während das Fieber in der angegebenen Weise sich entfaltet, sehen wir nun auch die bereits genannten ander­weitigen Erscheinigungen in verstärktem Maasse nicht allein hervortreten, sondern es zeigen sich auch noch andere, und unter diesen sogar die wichtigsten erst.
Zu den ersten gehören:
1) Die bereits oben erwähnten, in der Regel vorhan­denen pnenmonischen Zufälle, welche durch den ganzen Verlauf der Krankheit bleiben. Der Husten, welcher, wie oben bemerkt, anfänglich noch mit mehr oder minder Kraft ausgcslossen wurde, wird mit dem zweiten Tage der Krank­heit kürzer, rauher, später selbst kreischend und dabei schwächer. Er erfolgt in einzelnen Anfällen, geht meistens mit einzelnen Stössen vorüber, verursacht aber augenfällig den Thieren grosse Qual. Daher bemühen sie sich, ihn auf der Höhe der Krank­heit zu unterdrücken, wohl lediglich aus dem Grunde, um die Er­schütterung des Bauches, welche schmerzerregend ist, zu ver-
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hüten. Später gegen das Ende der Krankheit (am vierten und fünften Tage) mit der Zunahme der allgemeinen Schwäche und Hinfälligkeit, vermögen die Thiere, wegen Machtlosig­keit, den Husten gar nicht mehr auszustossen. Ein dumpfes, kurzes Aechzcn tritt an seine Stelle. Die Respiration, zwar nicht immer sehr beschleunigt, zeigt doch zeitweise eine Vermehrung, die mitunter sogar auffallend genug ist. Eine Uebereinstimmnng des Athmens mit der Frequenz des Pulses wird selten oder nie beobachtet. Am ersten Tage, und wenn noch Obstruction besteht, ist das Athmen kurz und angestrengt, später wird es tiefer und zuletzt wohl pumpend. In andern Fällen aber erfolgt es auch fast unmerklich, so dass keine Stetigkeit, noch eine bestimmte Beschaffenheit des Athemholens beobachtet wird; doch sieht man, dass bei dem­selben die Mitwirkung der Bauchmuskeln mehr zu vermeiden gesucht wird, während die Rippen in grösserer Thäligkeit sich zu befinden pflegen. In dein Respirationsgeräusch geben sich eben keine nennenswerthe, noch A'iel weniger constante Abweichungen kund; wie sich dies schon aus dem, was über das Athemholen gesagt worden ist, von selber ergiebt. Es scheint häufig ganz normal, mitunter ist es an der einen Brustscite deutlicher und stärker hörbar, nicht selten knis­ternd. Die ausgeathraete Luft, die, wie oben bemerkt, zu Anfang etwas vermehrt warm ist, wird später, mit dem Sin­ken der Körpertemperatur überhaupt, kühler und gegen das Lebensende fast kalt.
2) Die in vielen Fällen vorhandene vermehrte Empfind-Uchkeil in der Lendenparlhie des Rückens, welche, wo sie vorhanden, mit der steigenden Krankheit zunimmt, ge­wöhnlich am zweiten Tage derselben am stärksten hervor­tritt, verschwindet zuletzt, mit der Zunahme des Colapsus und Sinken der Lebenskraft, wieder. Es wird nun aber gewöhnlich an dieser Stelle, gleichzeitig auch wohl an an­dern Stellen noch, so auf dem Kreuze, den Rippen u. s. w. die Haut emphysematisch; doch gewinnen die Emphyseme nur in wenigen Fällen eine bedeutende Grosse. Oft scheinen sie zu fehlen, während eine genaue Untersuchung sie doch nachzuweisen vermag. Man vernimmt, wenigstens bei Fal-
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lenbilduug der Haut, auf der Croupe z. B., ein Knistern, welches wohl nur durch die im Zeilgewebe angesammelte Luft verursacht wird.
3) Wie die Empfindlichkeit in der Lendengegend zu­nimmt, so treten auch die Schmerzäusserungen deutlicher hervor und scheinen ihre höchste Stufe mit dem Eintritt des Durchfalls erreicht zu haben. Erst wenn die Ahstumpfung bis zu dem äussersten Grade gesteigert ist, sehen wir jene Empfindlichkeit wieder schwinden, oder doch nur noch schwach angedeutet. Neben den Schmerzen scheinen nun aber auch die Thiere noch von Angst befallen zu sein. Diese, anfangs mit einem blossen Unbehagen beginnend, wel­ches immer grosser wird, bis es ailmälig zur Angst gewor­den, äussern die Patienten besonders: durch Unruhe, ängst­lichen, scheuen, unstäten Blick, in horchender Stellung zu halten suchende Ohren, Schütteln des Kopfes, wobei sie wohl Luft ausschnauben, schreckhaftes Zusammenfahren beim Annähern von Personen, selbst Ausweichen oder Abwehren. Es scheint die Angst aus dem Hinterleibe hervorzugehen, weil sie bis zu und mit dem Eintritt des Durchfalls am meisten geäussert zu werden pflegt — . vielleicht auch auf einem getrübten, verkehrten Vorstellungsvermögen zu be­ruhen.
Die empfundenen Schmerzen, deren Sitz gleichfalls im Hinterleibe ist, geben die Thiere zu erkennen, durch zeit­weises Umsehen nach dem Hinterleibe, wobei sie den Kopf mitunter längere Zeit in der (rechten) Seite weilen lassen; durch Knirschen mit den Zähnen, was anfangs nur hin und wieder, später aber immer häufiger gehört wird; durch Aechzen und Stöhnen, fast bei jedem Athemzuge, was jedoch immer matter, zuletzt leise brummend wird, so zu sagen, in ein Wimmern übergeht. Nach angebrachtem Druck an die Bauchwandungen, besonders der rechten Unterrippenge­gend, treten die Schmerzäusserungen noch deutlicher hervor, indem die Thiere ausweichen, sich biegen und krümmen und dabei laut ächzen und stöhnen. Erst wenn die Ab­stumpfung einen hohen Grad erreicht hat zeigen sich die Thiere gegen angebrachten Druck unempfindlich. Daher denn
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auch ia jenen Fällen, wo die Krankheit gleich von vornherein solche im hohen Grade mit sich führt, die Schmerzäusse-rungen für die ganze Dauer der Krankheit entweder ver-misst werden, oder nur zeitweise und dann sehr geringe hervortreten'quot;)
Mit der zunehmenden Schmerz- und Angstäusserung in genauem Zusamiaenhange steht auch die nun immer mehr und mehr zunehmende Veränderung des Habitus und der Physiognomie, welche sich füglich nicht durch Worte schil­dern lässt. —
4) Das früher erwähnte Zittern (tremor) artet gern iu Zuckungen (convulsiones^ aus; und es erstrecken sich diese entweder über den ganzen Körper, oder sie stellen mehr partielle Muskelzuckungen dar. Erstere scheinen vom Bauche auszugehen und lassen sich nicht unpassend mit dem sogenannten Schluckauf der Menschen vergleichen. Sie er-schültern den ganzen Körper und versetzen dadurch den Kopf in eine förmlich ruckende Bewegung; während, wie oben bemerkt, bei heftigem Zittern nur eine nickende beob­achtet wird. Es pflegen diese, den ganzen Körper erschüt­ternden Zuckungen gegen den dritten.Tag der entwickelten Krankheit einzutreten und sind mit starkem Fieberschauer verbunden, so dass sie im Ganzen wohl nur als ein auf das äusserste gesteigerter Frostschauder zu betrachten sind. Da­für dürfte insbesondere sprechen, dass sie mit jenem wieder verschwinden; selten sind sie nur am folgenden Tage, und dann immer nur sehr schwach zu bemerken.
Die partiellen Muskelzuckungen halten länger an, be­stehen nicht selten bis zum Tode und zeigen sich am ge­wöhnlichsten an den Hinterschenkeln, jedoch in sehr verschie­dener Stärke. Andere und tonisch krampfhafte Zufälle sind höchst seltene Erscheinungen. Alles, was in dieser Beziehung von mir gesehen worden, ist ein krampfhaftes Verbiegen des Halses nach einer Seite; gewöhnlicher aber ist diese Erschei­nung eine blosse Folge der auf das Höchste gesteigerten Er-
•) So verhielt es raquo;ich mil mehren Kranken in Cieczerczin.
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schlaffung der Muskeln, in Folgen dessen dann Hals und Kopf nach einer Seite klaffen.
5) Die Tkränen- und Schleimabsonderung nimmt zu, wird in sehr vielen Fällen zum wirklichen Fluss, so dass die Thräncn über die Wangen fortrollen, hier die Haare netzen und so deutliche Spuren ihre Bahn bezeichnen. Im inaern Augenwinkel sammelt sich Schleim, welcher durch den Hinzutritt der Luft verdichtet wird, an den Augcn-lidrändern kleben bleibt und dadurch dem Auge ein eitriges Ansehen verleiht. Aus der Nase stellt sich Schlciinfluss ein. Das Maul geifert stark, so dass sich der Geifer wohl in Fäden bis zur Erde spinnt. In andern Fällen wird der Schleimfluss aus der Nasequot;, Geifern des Mauls in dem Maasse quot;zwar vermisst, aber schleimreich und daher schmierig er­scheinen die genannten Theile immer.
Mit der vermehrten Schlcimsccretion und zunehmender Abstumpfung schwindet die früher höhere Röthe der Schleim­häute, namentlich die der Conjunctiva; sie erscheinen nun­mehr livid, bleich, blass; doch erhält sich der oben erwähnte, rothe Streif auf der Maulschlcimhaut, wo diese die Zähne umschliesst, länger; indessen hat er jetzt eine dunkle Röthe angenommen, die zuletzt gleichfalls ins livide übergeht. — Was aber später, am dritten, vierten Tage der Krankheit häufig, ja fast gewöhnlich gesehen wird, ist: dass auf der sonst erbleichten Schleimhaut einzelne Venenzweige stark turgescirend hervortreten, selbst Blutaustretungen (Ecchy-mosen) vorkommen. In Folge dessen erscheint dann die Schleimhaut, stellenweise gleichsam wie mit Blut imbibirt, mit dunklen Flecken und Streifen besetzt; so die Nasen­schleimhaut, namentlich aber die Schleimhaut der Scheide, insbesondere um die Clitoris herum.
Das Epithelium der Maulschleimhaut schwellt auf, er­weicht, es stossen sich wohl Stücken derselben ab und machen die Schleimhaut erodirt; oder es erhebt sich wohl das Epi­thelium, mit einer gelblichen Flüssigkeit sich füllend, zu kleinen Blasen (Ap/ilhen). Eine Erscheinung, die jedoch in der gegenwärtigen Seuche im Ganzen nur selten gesehen worden ist. Dagegen winde das Hervortreten einzelner ge-
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rötheter, später vom Epithelium sich entblüssender Stellen, Punkte, an der Sehlcimhautfläche der Lippen, die sich wie Knötchen in der Tiefe anfühlten, häufiger bemerkt und scheinen diese Knötchen weiter Nichts, als angeschwellte Schleimbälge zu sein. Durch die Anschwellung des dicken Epithelialübcrzuges, vielleicht auch durch Turgescenz der Gefässe der Zunge, erscheint diese wie geschwollen und ver­ursacht das Hervorziehen der Zunge den Thieren augen­fällig Schmerz. — Bei sehr vehementem Verlaufe der Krank­heit, treten die genannten Veränderungen an der Maulschleim­haut gar nicht oder nur in schwachen Andeutungen hervor. Was nun die nähere Beschaffenheit der genannten Aus­flüsse anbetrifft, so sei hierüber noch bemerkt:
a)nbsp; Die Thronen bleiben in den erstem Tagen klar und wässrig, erst später, wenn die Schlcimabsondcrung zunimmt, erscheinen sie schleimiger, zäher und klebender. Einer wei­teren qualitativen Veränderung pflegen sie nicht unterworfen zu sein. In keinem Falle werden sie eitrig, noch besonders übelartig; doch ermangeln sie einer gewissen Schärfe nicht und verursachen bei reichlichem FIuss Anätzung der Haut.
b)nbsp; Der Nasenausßuss ist zuerst wasserhell, leicht schleimig, später aber missfarbig, gelbgrüulich und klebrig, oder graulich trübe und dünnflüssig, zuweilen durch Wund­machen der Nasenränder Schärfe verrathend; quot;selten nimmt
. er einen üblen Geruch an.
c)nbsp; Der Geifer^ zuerst gleichfalls von leicht schleimiger, wässriger Beschaffenheit und normalem Geruch, wird bald, am 2. Tage schon, zäher, dicklich und von widrigem, ste­chend süsslich fauligem Geruch, und nimmt leicht eine Schärfe an, in Folge deren der Rand der Unterlippe 'erodirt er­scheint.
6. Die Urinsecretion erleidet, ausser während des Fiebereintritts, selten nur eine merkliche Veränderung; sie scheint, während der Zunahme der Krankheit, mit der Quantität des genossenen Getränks im Verhältniss zu blei­ben. Zu Anfange der Krankheit und bis zu deren Höhe, pflegt die Harnentleerung in kürzeren oder längeren Zwischen­zeiten zu erfolgen; wenn die Abstufung aber einen hohen
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Grad erreicht, die Durchfallsmasseu unwillkürlich abfliessen, dann scheint nicht allein die Harnabsonderung wirklich be­schränkt zu sein, sondern es pflegt auch der Urinabsatz zu unterbleiben. Der entleerte Harn selbst erscheint klar, mein oder minder gelb gefärbt und besitzt einen durchdringenden (spargelartigen) Geruch. In einem Gelasse aufgefangen, bil­det sich in ihm während des Erkaltens ein flockig schleimiger, mit einem freischwebenden Wölkchen verbundener Bodensatz. Eine Erscheinung, welche in den, in Genesung endenden Krankheitsfällen namentlich bemerkt wird.
7. Auffallender ist die Veränderung, welche die Milch-secretion erleidet. Sie versiegt immer mehr und mehr, bis in der Regel auf der Höhe der Krankheit, dieselbe gänzlich eingestellt ist. Nur noch wenige Tropfen pflegen in dieser Periode der Krankheit ausgemelkt werden zu können; in manchen Fällen aber gelingt auch dies nicht mehr. In dem Verhältnisse, wie die Milchsecretion nachlässt, welkt und schrumpft das Euter zusammen. Der Qualität nach erscheint die Milch verschieden verändert; was wohl thcils mit der Dauer der Krankheit, theils, und insbesondere aber, damit zusammenhängt: ob diese Secretion schon, längere oder kür­zere Zeit bestanden, ob die Kuh alt oder frischmiiehend ist. Sie erscheint jedoch gewöhnlich zuerst wässriger und von blauer Farbe, welche letztere nach und nach zuzunehmen pflegt; zuweilen aber auch ist sie gelblich gefärbt, in wel-, chem Falle sie sich dann gern, im ferneren Verlaufe der Krankheit, in ein klümperiges, schleimiges Secret umwandelt*).
*) In einzelnen Fällen l)eoliachtete man — in Bölemea — an ilejn Euler und den Zitzen mit LyrnjiKe gefüllte Blattern, am 2. oder 3. Tage der Krankheit, die jedocli am andern Tage geHUlinlicli Mie­der austrockneten und keinen entzündeten Hof besassen.
Dieser Euterausschlag ist jedoch wohl laquo;ur als rein zufällig zu betrachten, und wahrscheinlich weiter NichU, als falsche Pocken (Varicellae), welche eine häufige Erscheinung bei Kühen sir.d. — Glaubt man, wegen des Nichtvorhandenseins eines entzündeten Hofes, die jiockenartige Natur des Ausschlags desarouiren zu müssen, so ist hiergegen zu bemerken, dass selbst die ächten Pocken (Variolae) den eutzttndclen Hof oft entbehren, und dieser daher keineswegs den
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Wie nun in allen Se- und Excretloueu auffaltende Ab­weichungen wahrgcnomnien werden, namentlich aber, mit Ausnahme jener der Haut und der Milch (und zum Theile des Urins) eine Vermehrung beobachtet wird, so bietet man auch die Mistexe.re.lion wichtige und auffallende Verände­rungen dar. Diese Veränderungen sind stetig, und daher auch von allen andern (neben denjenigen, auf das Fieber und die hiermit zusammenhängende, veränderte Blutmischung sich beziehenden) Zufallen das durchgreifendste Symptom. Sie macht einen integrirenden Thcil der Krankheit aus; sie ge­hört zu den hervorstechendsten Erscheinungen im ganzen Krankheitsprozcsse. — Eine genaue Beschreibung der hierauf sich beziehenden Abweichungen verleiht erst dem ganzen Bilde der Rinderpest sein Charakteristisches und seine Vollständigkeit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ,
Zunächst (während der ersten Anzeichen des Unwohl­seins, der beschriebenen Aufregungsperiode, überhaupt am ersten Tage des sichtlichen Erkrankens, seltener' über 24 Stunden hinaus) erscheint die JMistung in der Regel verzö­gert. Der in kleinen Portionen, jedoch häufig abgesetzte, härtliche und dunkel (schwärzlich) gefärbte Mist ist mit Schleim umhüllt; der Leib pflegt angedostet zu sein. Mei­stens wird Poltern im Leibe bemerkt, welches in der Re­gel schon so hörbar ist, durch Anlegen des Ohres an die Bauchwandungen aber noch deutlicher vernommen wird. Dieser Obstruction folgt bald, wennsonst während derselben nicht schon der Tod die Patienten ereilt, was jedoch zu den Ausnahmen gehört, Durchjall, der, immer heftiger werdend, in wahre Ruhr ausartet. Die Patienten drängen häufig, unter Schmerzensäusserung und Zwang, auf den Ab­satz der Excremente, die anfänglich in wässrigen, gallich­ten, grünlich gefärbten, säuerlich übelriechenden (sauer rea-girenden) Massen, mit Futterresten vermengt, bestehen; spä­ter aber immer übelartiger, selbst von jaachigter Beschaffen­heit werden, eine gelbgrüne, dann gelbbräunliche, oder auch
Pocken der Tliiere wesentlich angeliüre, Mie man dies irriger Weise wohl behauptet hal.
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gelblich graue Farbe annehmen; später reichlicb mit Schleim, welcher letztere mehr oder weniger dicklich, gallertartig, selbst wohl mit theils flüssigem, theils geronnenem Blute untermengt ist, und dann einen äusserst stinkenden Geruch verbreitet. Der anfänglich bestehende Zwang bei der Ent­leerung der Durchfallsmasscn verliert sich später; es tritt vielmehr (gegen das Ende) Erschlaffung des Afters ein. Die­ser steht dann offen, ist hervorgedrängt, seine Schleimhaut erscheint stark dunkel geröthet — und es fliessen nun die Durchfallsmassen unwillkürlich ab. Der früher angedostete Leib fällt ein, die Ilungergruben werden tief, der ganze Körper flacht sich so zu sagen ab; höchst selten nfTr be­steht einige meteoritische Auftreibung. — Mit dem Durch­bruch der Diarrhöe nimmt die Hinfälligkeit, der collapsm rlrinin, bedeutend zu, und gewinnt immer mehr und mehr ein drohendes Ansehen. Er allein ist keinem Wechsel un­terworfen und his zum Tode in fortdauernder, reissender Zunahme begriffen. Eine allgemeine Erschlaffung, man könnte sagen, Welkwerden des gesammten Muskelapparats, wird auffallend: die Thiere vermögen kaum, dazu angeregt, in taumelnden Schritten, wobei sie sichtlich eine Erschütterung des Hinterleibes (wegen gesteigerter Schmerzen) zu ver­meiden suchen, unter Aechzen und Stöhnen, sich noch fort­zubewegen, liegen daher viel — und sind zuletzt kaum im Stande, aufzustehen. Bei den Versuchen dazu brechen sie oftmals machtlos zusammen. Stehen sie, wobei der Kopf gesenkt, der Rücken gewöhnlich aufwärts gekrümmt ist, und die Beine mehr unter den Leib geschoben sind, so sind sie doch unvermögend, sich lange auf den Beinen zu erhal­ten, fallen vielmehr bald wieder kraftlos zu Boden und lie­gen zuletzt in völliger Entkräftimg, meist mit nach der Seite (und zwar in der Regel nach der rechten) gebo­genem Halse, so dass der Kopf, an dem nunmehr die Ohren ganz erschlafft, gleichsam wie todte Anhängsel, herabhängen, auf der Brustwandung ruht. Die Erschlaffung der Mus­keln wurde, in einzelnen Fällen, in einem solchen Grade beobachtet, dass die Thiere beim gezwungenen Aufstehen auf die Fessel zu stehen kamen, indem sie nicht mehr ver-
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mochten, die Zehen zu strecken. — Bald nach dem Eintritte dieses hohen Schwächegrades pflegen die Thiere ruhig und ohne stürmischen Akt, gleichsam ruhig einschlafend, ihr Le­hen auszuhauchen. Der Tod erfolgt gewöhnlich zwischen dcai 4. und 7. Tage. Doch kann derselbe auch schon frü­her oder noch später eintreten; wie denn überhaupt eben so wenig hierin eine Stetigkeit herrscht, als die Krankheits-Erscheinungen, wie von den meisten Schriftstellern behauptet worden, an gewisse Zeiträume gebunden sind. Es treten dieselben vielmehr nach Körperconstitution, Race u. s. w. bald schneller, bald langsamer hervor. Bei manchen Kran­ken häufen sie sich so stürmisch und zerrütten die Kräfte und das Leben so heftig, dass sie innerhalb zwei Tagen schon sterben; bei andern erfolgt der Tod etwas langsamer, mit dem 4. bis 5. Tage, noch andere halten sich, zwischen Tod und Leben ringend, mitunter noch 7 bis 8, in seltenen Fällen selbst 14 bis 16 Tage am Leben. — Ein Nachlass der Krankheitszufälle berechtigt zwar zu der Hoffnung, das Thier durchseuchen zu sehen; mit Gewissheit lässt sich hierauf aber niemals eher rechnen, bis die Thiere wieder vollkommen munter sind, weil diese so heftige Krankheit in vielen Fällen, bei den anscheinend in die Reconvalescenz übergetretenen Thieren, von Neuem sich steigert und diese doch noch mit dein 16. bis 18. Tage der Krankheit hinweg-raffl. In anderen Fällen steht Besserung und Verschlimme­rung in stetem Wechsel und Kampfe, und der Organismus unterliegt zuletzt doch.
Wo indessen Genesung eintritt, pflegt der Verlauf der Krankheit verlangsamt zu sein, und in den Symptomen, welche weder eine so grosse Ausdehnung erlangen, noch so drohend werden, als in den tödlich endenden Fällen, wird ein lebhafterer Wechsel (deutlichere Remissionen und Exa-cerbationen) beobachtet. Der collapsus virium, und mit ihm die Stumpfsinnigkeit, erreichen nicht den hohen Grad; die Diarrhöe ist weniger heftig; die Ausleerungen erfolgen freier, ohne bedeutenden Zwang und nicht unwillkührlich, und die Durchfallsmasscn selbst sind nicht von so übler, jauchigter Beschaffenheit. Auch die pneumonischen Zufälle
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erreichen nicht den hohen Grad. Das Athemholen, zwar an­fangs auch irritirt, hleibt doch freier, der Husten ist selte­ner, gedehnter und feucht, nicht so belästigend für die Kran­ken. Das Wiederkauen ist zwar auch eingestellt, doch schwin­det die Fresslust nicht gänzlich: die Kranken langen zeitweise noch nach Nahrung, wenngleich auch nur wenig davon ge­nossen wird. In den Krcislaufsbewegungen nun besonders wird die wechselnde Stärke beobachtet. Die Exaccrbationen treten deutlicher, schärfer hervor, und es seheinen diese selbst doppelter Art zu sein, d. h. ausser den täglich, doch zu un­bestimmten Zeiten wiederkelirendcn und nicht so merklich her­vortretenden, erfolgen an gewissen Tagen (den 5., 7.) noch deutlicher ausgesprochene und kräftigere, und dürften letz­tere von einer verstärkten Reaktion des Organismus, von einem Streben, den Krankheitsstoff auszustossen, zeugen. Der Puls gewinnt dabei an Frequenz — 110 —120 in der Minute — erscheint härtlicher, der Herzschlag ist nur mehr in der Tiefe fühlbar. Es pflegen die Thiere in der Lenden­gegend meist sehr empfindlich zu sein, und das, bis dahin an dieser Stelle aufgebürstete Haar, sich wieder glatt anzu­legen, welche letztere Erscheinung für eine regere Hautaus­dünstung sprechen dürfte. — Die Kranken erscheinen nach dem Vorübersein dieser Exacerbation (perlurbatlo critica ?) zwar matt, doch ist ihr Gemeingefühl reger, der Habitus gehobener und das ganze Benehmen geweckter. Es wird viel eines breiigen, mehr grungefärbten Kothcs und klaren, intensiv gelb gefärbten, stark (ammoniakalisch) riechenden Harnes in reichlicher Menge entleert. Letzterer, in einem Glase aufgefangen, bildet einen stark flockigen, schleimigen, mit einem feinschwebenden Wölkchen verbundenen Nieder­schlag und reagirt sauer. — Geifer und Nasenausfluss wer­den geringer und schwinden immer mehr, bis sie zuletzt ganz aufhören. — Die Thiere zeigen mehr Fresslust, und mit ihr stellt sich die Rumination wieder ein. Der gestei­gerte Durst schwindet, und die Thiere fangen an, sich die Nase, und demnächst auch den Körper zu belecken: stehen längere Zeit, bewegen sich freier und benehmen sich überhaupt munterer. Die etwa sich zeigenden Ausschläge treten jetzt
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deutlicher hervor und veranlassen Ausfallen der Haare an den betreffenden Stellen. Ein theilweises Verlieren des Haars wird jedoch, auch ohne dass ein Hautausschlag hervortritt, im späteren Verlaufe der Reconvalescenz nicht selten beob­achtet.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; v
Die Besserung pflegt indessen nicht immer in gleich-massiger Zunahme begriffen zu sein, sondern es treten viel­mehr in den ersten Tagen der erfolgenden Genesung noch wohl ab und zu Verschlimmerungen ein, während welcher das Gemeingefühl wieder bedeutend ergriffen erscheint. Doch machen dieselben sich immer schwächer bemerkbar; die or­ganischen Verrichtungen erfolgen nach und nach immer ge­regelter, bis in diesen, um den 14. bis 16. Tag ungefähr, das normale Verhältniss wieder eintritt, alle Krankheitser­scheinungen geschwunden sind, bis auf einige Mattigkeit, die bei den, von schweren Krankheitsfällen Genesenen noch zu­rück bleibt und nur zögernd schwindet, so dass sich solche Thiere sehr langsam erholen.
Je grosser die zurückbleibende Mattigkeit ist, je lässi­ger die Thiere sich benehmen, insbesondere aber, wenn die Mistung noch durchfällig bleibt, um so trügerischer ist die Genesung. In solchen Fällen verfallen die Thiere, nach Ver­lauf von mehreren Tagen, selbst 2 bis 4 Wochen, nachdem man schon der besten Hoffnung für die Erhaltung der Thiere Raum gegeben, von Neuem wieder in einen schmelzenden (eitrigen, blutgemischten) Durchfall; die Hinfälligkeit nimmt wieder zu, die Kräfte collabiren von Neuem, alle Erschei­nungen eines putriden Fiebers treten ein, und die Thiere gehen zu Grunde. Solche Fälle sind es nun, die zu der Behauptung von Rückfällen geführt haben, indem man sich hierbei von dem hervorstechendsten Symptome, dem Durch­fall, hat leiten lassen. —
Ein Rückfall der eigentlichen Rinderpest muss aber, als jemals eingetreten, sehr bezweifelt werden. Es ist viel­mehr der wieder eintretende, schmelzende Durchfall, beglei­tet von den Zufällen des putriden Fiebers, als ein consecu-tives Leiden der Rinderpest und — wennsonst es erlaubt sein dürfte, aus einem beobachteten Falle zu schliessen — m
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Geschwürsbildung auf der Darmschlcimhaut (Dannschwiiid-sucht?) beruhend, zu betrachten. Die pneumonischen Zu­fälle können sich hierbei auch allerdings wiederholen.
Interessant ist nun auch die gradatim sich wieder ein­findende, normale Beschaffenheil des Bluts, wie sich solche an dem, während der Wiedergenesung aus der Ader ent­nommenen Blute, wahrnehmen lässt.
Die in den Cadavern der an der Rinderpest gefalle­nen Thicre sich vorfindenden Abnormitäten, bieten zwar nach Verschiedenheit der Dauer der Krankheit, etwaigen Verbindungen mit andern Leiden, der Constitution und Race u. s. w. einige Abweichungen dar; im Wesentlichen aber sind sie sich immer gleich, und bezichen sich nament­lich auf das Blut und seine Gcfässe und auf die Schleim-Itäute, insbesondere auf die des Labmagens und der dünnen Gedärme. — Alle übrige sich findenden Abweichungen, aus-ser jenen an dem Blute und den Schleimhäuten, scheinen le­diglich von diesen abhängig, und daher conseculiv zu sein.
Das Resultat, welches sich aus einer Reihe, in der jetzigen Rinderpest, sowohl beim Steppen-, als anderm Vieh, unternommenen Seclioncn ergeben hat, würde — abgesehen von der Verbindung, in welcher die Rinderpest verschiede­nen Orts mit andern, chronischen, Krankheiten vorkam — folgender sein.
Von dem besonderen Ernährungszuslande der Thiere abgesehn, sind die Kadaver meistens sehr zusammengefallen; selten nur, und stets wohl nur dann, wenn die Kadaver längere Zeit gelegen haben, oder die Thicre schon vor dem Eintritt des Durchfalls verendeten, erscheint der Bauch von Luft aufgetrieben. After und Scheide werden, wenn der Durchfall im Leben länger bestanden hatte und heftig war,quot; gewöhnlich hervorgetreten, und häufig geöffnet vorgefunden. Dann flicsst aus dem ersten wohl noch von den jauchigen Durchfallsmasscn, und die hervorgetrelcne Schleimhaut er­scheint geschwollen, und stark dunkel geröthet; auch auf der, im Üebrigen bleich gefärblen, Schlcimhaul der Scheide bemerkt man dunkelrolhe, bläulich rothe, livide Streifen, welche, gegen die Clitoris zu, in Flecke auslaufen. Hatte
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dagegen der Durchfall gar nicht, oder doch nicht lange be­standen, so wird der After geschlossen und ohne Verände­rung gefunden; doch fehlen die Streifen auf der Schleimhaut der Scheide nicht leicht. — An den Augen, die in der Re­gel sehr eingesunken sind, der Nase und dem Maule klebt noch von den im Leben beobachteten Ausflüssen, so wie sich an der Schleimhaut des letzten auch noch die, gleich­falls im Leben schon wahrgenommene, dunkle Rölbc längs der Zähne zeigt, und zwar als livider Streif; auch werden wohl aphthöse Erosionen an derselben gefunden.
Nach Abnahme der Haut, welche, je nach dem Ernäh­rungszustande des Thieres und der Dauer der Krankheit, mehr oder weniger fest anliegt, mit Ausnahme jener Stellen, wo sich Emphyseme unter derselben gebildet hatten — er­scheinen die Muskeln meistens weicher, schlaff, und mehr oder weniger abnorm gefärbt; bald dunkel geröthet, bald graubraun, bald schmutzig blass, selten nur ohne merkliche Farbeveränderung. — Die Unterhautvenen, welche gleichsam mehrfach übereinander gelagerte Netze bilden, strotzen von dunklem, theerartig flüssigem Blute. Eine Erscheinung, die übrigens überall an den Venen des Körpers hervortritt, an den grosseren wie den kleinsten, den intermediären Gefäss-chen, wahrzunehmen ist. So erscheinen, nach Eröffnung der Bauchhöhle, zunächst schon die Gefässe des Netzes wie injizirt, und bilden stellenweise, durch schärferes Hervortre­ten ihrer vielfachen, büschelförmigen Verzweigungen, und den in ihrer Nähe sich findenden Blutaustretungen (Ecchy-mosen), im Netze rothe Flecke. Diese Flecke sind von ver­schiedener Grosse, selten so klein, dass sie nur Punkte dar­stellen, meistens vielmehr haben sie einen Durchmesser von mehreren Linien bis zu einem Zolle, und eine länglich runde Gestalt. Näher untersucht, erscheinen sie scharf begrenzt, über die Fläche des zarten Netzes erhaben und, gegen das Sonnenlicht gehalten, ist deutlich zu erkennen, dass sie einer Ueberföllung der feinen Gefässe mit Blut ihre Entstehung verdanken, indem diese Ueberfüllung, namentlich an den Winkeln der Gefässverzweigungen, die energielosen Wandungen in bezeichneter Art ausdehnten. Durch vorsich-
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tig eingeführte seichte Schnitte lassen sich an einzelnen Stel­len kleine Gerinnsel aus einer eigenthümlichcn, weichen, leicht zerreibharen — nicht faserigen — Masse hestehend, hervordrücken, und so die bezeichneten rothen Stellen mehr oder weniger verwischen. Solche Flecke (Ecchymosen), von grösscrem Umfange oder mehr vereinzelt stehend, finden sich häufig auch an andern Parthien des Bauchfells, insbesondere aber werden sie, fast constant, unter dem Bauchfelliiberzuge, in der Nähe der grossen Gefässstämme, gesehen. — In der Bauchhöhle ist gewöhnlich Serum, in abnormer Quantität, enthalten, und besitzt solches bald eine gelbröthliche Farbe und ist geruchlos, bald aber ist es von schmutzig braunro-ther Farbe und sehr übelriechend. Diese Verschiedenheit in der Beschaffenheit der Flüssigkeit scheint im Zusammenhange mit der Dauer der Krankheit, dem höheren oder geringeren Grade des septischen Zustandes zu stehen, insbesondere aber auch von der Zeit, binnen welcher nach dem Tode die Sektion vorgenommen wurde, abzuhängen.
An den ersten beiden Magenabtheilungen, dem Pansen und der Haube, wurden keine constante, noch überhaupt er-wähnenswerlhc Abweichungen wahrgenommen. Sie enthal­ten immer mehr oder weniger und saftige Futterstoffe. In manchen Fällen, besonders dann, wenn die Obduction nicht bald nach erfolgtem Ableben unternommen winde, bemerkt man eine leichtere Ablöslichkeit des etwas aufgeschwellt er­scheinenden Epitheliums, und an einzelnen Stellen dié unter­liegende Schleimhaut abnorm geröthet. — Häufiger werden am Psalter Abnormitäten gefunden, doch sind auch diese kei­neswegs constant. Was zunächst seinen Futterinhalt anbe­trifft, so wurde dieser, olme auffallende Farbeveränderung, in vielen Fällen sehr trocken, in einzelnen Fällen gleichsam wie gedorrt und fest zwischen die Falten des Magens eingeknetet gefunden. Das Epithelium löst sich dann durchweg sehr leicht, und bleibt an den zu Scheiben geformten Futtermas­sen kleben und verleiht diesen anscheinend eine aschgraue Farbe, welche sie aber an und für sich niemals besitzen. Die von dem Epithelium entblösste Schleimhaut zeigt, besonders an der Basis der Falten, rothe Flecke von dentrischer Form,
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die nach der Oeffnung der vierten Magenabtheilung, dem Lab zu, am intensivsten hervortreten. In andern Füllen je­doch wurden die Fjittermassen saftig, selbst weich gefunden, und die genannten Ïlecke sind nur schwach angedeutet, sel­ten aber, dass sie gänzlich vermisst würden.
Konstant und wesentlich sich immer gleich bleibend, sind jene krankhaften Veränderungen, welche sich im 4. Magen und den dünnen Därmen linden. Sie sind die auffallendsten und hervorstechendsten. Schon bei der äusserlichen Besich­tigung macht sich dies durch eine abnorme Röthe dieser Theile, im Vergleich zu den anderen Magen- und Darmparthieen, sehr augenfällig bemerkbar. Sie erscheinen stark dunkel, fleckig geröthet; der Dünndarm mitunter in längeren Streifen seihst schwärzlich roth, schwärzlich grau von Farbe; doch lehrt eine genaue Untersuchung bald, dass diese abnorme Farbe den genannten Theilen nicht äusserlich anklebt, sondern dass die Röthe eine hloss durchschimmernde, von der inneren Fläche ausgehende ist; wenngleich mitunter die Bauchhaut, wie an andern Stellen, auch hier, wo sie Magen und Gedärme über­zieht, mit rothen Flecken besetzt gefunden wird. — Die Er­öffnung des Labmagens und der Därme weisst solches auch bald nach und lässt an der inneren, der Schleimhautfläche überhaupt folgende Abnormitäten wahrnehmen:
Gewöhnlich wird der 4. Magen leer von Futterstoffen gefunden. Die Schleimhaut desselben erscheint zunächst von einem zähen, bald roth-, bald grau-, bald grün-braunen (blu­tig jauchigten) Schleim mit Futterbreiresten untermengt, gleichsam wie überklcistert. Spült man diese kleisterige Masse vorsichtig ab, so erscheint die Schleimhaut selbst wie aufgeschwellt, sueculenter und durchweg stark geröthet, doch in verschiedenen Nuancen (kupferroth, kirschbraun, schwarz-roth) und nie glcichmässig, sondern stellenweise dunkler, so dass dadurch die Röthe ein mehr oder weniger deutlich mar-morirtes Ansehen gewinnt. Die dunkle — schwarzrothe — Färbung findet sich besonders stärker an den Blattfalten die­ses Magens. Welche Röthe die Magenhäute aber auch zei­gen mögen, immer kann man — den Magen gegen das Son­nenlicht gehalten — vielfache Verzweigungen turgescirender
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Gefassc, gleiclisam als schwarzblaue Stränge, in büschelför­migen Ausstrahlungen den fäculenten Grund durchziehend erkennen. Im Mittelstück des Magens pflegt die Röthe am stärksten zu sein und geht dem Pylorus zu, mit den Schleimhaütfalten verlaufend, in eine fleckig streifige über. An dieser Stelle ist aber die Aufschwellung und Versaftung der Schleimhaut grade am stärksten, so dass sie hier gleich­sam (durch wässrig sulzige Infiltration in das Untcrschleim-hautzeligewebe) wie aufgewulstet angetroffen wird, und da­durch die Pförtneröffnung verengt erscheint; wozu das hier­orts gelagerte Fett gleichfalls in sofern beiträgt, als dasselbe einer wirklichen Verflüssigung unterliegt. Hierfür spricht insbesondere, dass sich bei den getödteten Thieren diese Ansammlung, obgleich hier die Röthe im Magen nur ge­ring erschien, in gleicher Art, nur etwas derber, kör­niger — talgiger — vorfindet, und sich noch deutlicher als Fett erkennen liess. Sucht man den Ursprung der ab­normen Röthe, durch Gegenhalten eines abgeschnittenen Stücks vom Magen gegen das Licht, näher zu erforschen, so überzeugt man sich bald, dass sie theils von einer leb­haften Injection der feinen Gefässe (Venen), welche in bü-schel- und netzartigen Verzweigungen die Schleimhaut durch­ziehen, und vielfache Ecchymosen zwischen sich enthalten, theils aber auch von einer Imbibition des ausser Circulation gesetzten Blutes herrühren. Diese abnorme Röthung, die häufig bis zum schwarzrothen gesteigert ist, kann, bei ober­flächlicher Betrachtung, die Theile lür entzündet und selbst brandig halten lassen. Bei genauer Untersuchung aber lässt eich leicht erkennen, dass die netz- und büschelförmig ver­zweigten Blutgefasse, welche die Röthe erzeugen, hauptsäch­lich nur Venennetze sind; und nur in Folge der Stockung des Bluts in denselben enthalten auch die feineren Arterien­zweige etwas Blut. Die Röthung lässt sich durch Druck und Fortstreichen des Bluts mehr oder weniger unterbre­chen: weder deutliche Spur aktiver Austretung, noch orga­nischer Umbildungen sind wahrzunehmen. Die Röthung beruht somit auf eine Blutstase und nicht auf Ent­zündung, Es beschränkt sich diese Veränderung am Lab-
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magen überdies auf die Schleimhaut; die Muskel- und se­röse Haut haben daran weiter nicht Theil genommen, wie sich dies durch behutsame Entfernung der Schleimhaut nach­weisen lässt.
Eine fernere Abnormität an der Schleimhaut des vier­ten Magens, welche von allen Beobachtern während dieses Seuchenganges wahrgenommen worden ist, besteht in dem Vorhandensein kleiner, isolirt stehender, im Vergleich zu der dunkleren Grundfarbe der Schleimhaut licht gefärbter Punkte (Knötchen) von der Grosse einer Linse bis zu der einer Wicke. Sie ragen über die Fläche der Schleimhaut, gleich Inseln, hervor und verleihen letzterer das Ansehn, wie wäre sie mit Hanfkörnern übersäet. Es sind diese Knötchen, welche am zahlreichsten im Mittelstück des Magens vorge­funden zu werden pflegen, indessen nicht immer von ganz gleichem Aussehen, doch scheint diese Verschiedenheit im Aussehen, wie in ihrer Beschaffenheit abhängig von der Dauer der Krankheit. Ihre Farbe ist schmutzig grau oder gelblich, und waren die Thiere nach kurzer Dauer eingegan­gen, so fühlen sie sich derb und fest, vergleichungsweisc gesprochen, wie Warzen an, und sind noch vom Epithe­lium bedeckt. Ein lebhaft büschelartig injicirter Gefässkranz uragiebt sie, ohne dass dieser jedoch mit ihnen in unmittelbarer Verbindung zu stehen scheint. Einzelne von ihnen sind schon, jetzt, nach längerer Krankheitsdauer gewöhnlich aber schon die meisten, vom Epithelium enthlösst; indem, wie es scheint, dieses über ihnen gerissen und sich um den Rand derselben zurückgezogen hat. Dadurch erscheinen sie gleichsam wie mit einer seichten Rinne umgeben, und sie selber mehr über die Schleimhaut erhoben. Späterhin erscheinen sie mehr ab­geflacht, auf ihrer Oberfläche vertieft, wie mil Grübchen versehen, der Masse nach mehr erweicht, speckigt zu sein; in den Grübchen findet sich wohl ein graubraunes Koagu-lum (schorfartige Masse?), das gleichsam wie ein Pfropf ein­gesenkt ist und sich hervorziehen lässt. In anderen Fällen erschienen die Vertiefungen mit einer purulenten Flüssigkeit angefüllt, welche ihnen das Ansehen von Geschwürchen ver-
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lieh. Ihre Form ist cine rundliche, ovale, doch finden sich auch einzelne und grössere, von unregelniässiger, buchtig ausgeschweifter Begrenzung, und haben solche ganz das An­sehen, als wären sie durch Zusamnicnfliesscn von melu'cren kleinen entstanden.
Ausser diesen kleinen, knotigen Erhabenheiten in der Schleimhaut, findet man zuweilen auch noch grössere (bis zur Grössc eines Silbergroschen) schwärzliche Flecke, welche gleichfalls etwas über der Schleimhaut erhaben stehen, sich aber nicht so derb anfühlen, bald und gewöhnlich noch vorn Epithelium bedeckt sind; in einzelnen Fällen aber er­scheint dieses über demselben wie zerrissen, geplatzt und bedingt dadurch mehr oder weniger deutliche Erosionen der Schleimhaut Die Grundlage dieser Flecke ist ein schwar­zes, krihnliches (vertrocknetes) Blut, welches sich leicht fort­schaben lässt und, in Wasser gebracht, sich fast unverändert auf dem Boden des Gcfässes als Sediment ansammelt. Es sind demnach diese grosseren Flecke weiter nichts, als Blut-extravasate, auf denen mitunter das Epithelium gerissen und zerstört ist, und dann die Schleimhaut crodirt erscheint, während in dem oben genannten kleinen, angeschwellte Schleimbeutel (Drüschen) erkannt werden.
Eine gleiche Veränderung, wie im Labmagen, bietet auch die Schleimhaut des Zwölfringerdarmes dar; auch sie erscheint, ausscrdein dass sie geschwollen, saftreicher, im submueösen Zellgewebe wie sulzig iufiltrirt (ödematös) ist und ihre Villosiläten, unter der Loupe betrachtet, stumpfer sind — stark geröthet, vielfach mit von dunklem Blute strotzenden Gefässcn in banmastähulichen Verzweigungen durchzogen. An und zwischen diesen Verzweigungen finden sich viele kleine, linsengrosse Blutcxtravasate, so dass da­durch dem Ganzen ein Ansehen verliehen wird, welches sich mit einem entblätterten und mit Früchten besetzten Baum­zweige vergleichen lässt. Ausser diesen kleinen Extravasa-ten finden sich an einzelnen Stellen auch grössere, die sich ganz so verhalten, wie jene im Labmagen.
Ia einzelnen Fällen ging die Röthe im Zwölffinger-
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darmc und weiterhin im Leerdame ins Schwarze überquot;), und gab der Zottenhaut das Anseilen, wie wenn sie mit schwarzem Staube bestreut wäre. Es erschien dann die In­jection der Gefässe an vielen Stellen unterbrochen. Gleich­sam als wäre das Blut zusammengetrocknet, bildete der In­halt der Gefässe ein krümliches, trocknes, schwarzes Blut, von dem, an den Villositäten ausgetreten, diesen das Aus­sehen verliehen wurde, als wären sie mit Kohlenstaub be­streut. Ein Aussehen, was man mit einer gekochten Aals­haut CKuhlmann), oder auch mit dem feinen Baumschlag auf einer Kupfcrradirung (Richter) vergleichen könnte.
Diese schwarze, frei an den Zotten haftende Masse, Hess sich leicht mit den Fingern abwischen und theilte die­sen die Farbe mit. Davon gesammelt und in Wasser ge­bracht, senkte sie sich gegen den Boden des Gefässes, wäh­rend der beigemengte Schleim in dem Wasser mehr suspen-dirt blieb. CEs scheint uns somit diese Masse weilcr Nichts als ausgcsjchiedener und an den Zotten haftender Farbestoff des Blutes zu sein).
Der Leerdarm, welcher bald mehr bald weniger einer übelriechenden, braunrothen, jauchigen, schleimigen Flüssig­keit enthält, wurde bald gleichmässig, gewöhnlich aber nur stellenweise stark geröthet gefunden, und verhielt sich die Schleimhaut an diesen, Stellen entsprechend der im Duo­dena. Aufgescbwellt und sueculenter findet sich aber die­selbe durchweg. In der Regel sind auch im Verlaufe des Leerdarmes die beim Labmagen beschriebenen, kleinen, ein­zeln stehenden, Hervorragungen (der solitären Schleimdrüs­chen) gefunden worden, und ausserdem noch grössere, trau­benartig geformte, welche letztere flacher erscheinen und mehr oder weniger deutlich eine eingeschnürte Grundfläche besitzen, sich speckig, fast knorpelartig anfühlen, äusserlich von schmutzig grauer, im Innern von mehr gelblicher Farbe
*) Die scliwarzUclie Färbung lt;ler iiinern Darmfläclie verlieh, tlurclisclieineml, der ausseien ein graues Anselin, von ^velcliem in laquo;lei That mit Sicherheit- auf erslere geschlossen werden konnte.
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sind, und oft eine mehr oder weniger geschwürige Ober­fläche haben, und dann vollständig vom Epithelium entblösst erscheinen. Einzelne von ihnen sind, vom Blutgerinsel mit Epitheliumrcstcn vermengt, wie mit einem schmutzig, gelb-bräunlichen, weichen, anhängenden Schorf bedeckt. Ein strahlig büschelförmiger Gcfässkranz umgiebt auch sie. — Es dienen diesen Abnormitäten die Peyer'schen Drüsen als Grundlagen, indem letztere durch Infiltration geschwellt, ver­dickt Caufgewulstet) und so bedeutend über die Fläche der Schleimhaut erhoben erscheinen, später aber einer wirklichen Geschwürsbildung weichen.
Der Hüftdarm wird in der Regel wieder stärker und gleichmässiger geröthet als der Leerdarm gefunden. Er ent­hält meistens viel rothbräunlichen Schleimes mit Futterresten vermengt, und seine Schleimhaut erscheint in der Regel am meisten versaftet von allen Darmparthien, und das submueöse Zellgewebe ist meistens bedeutend öderaatös infiltrirt.
Der Dickdarm zeigt, bei einiger Auflockerung der Schleimhaut, auf seiner innern Fläche in der Regel bald nur geringe, bald aber eine bedeutendere, lebhaftere, meisten-theils streifige, in manchen Fällen marmorirte, hier und da ecehymotische Röthe, welche gegen das Mastdarmende am stärksten hervortrat, wenn der Durchfall sehr bösartig, und die abgehenden Massen scharf geworden waren. Der Inhalt war den, in der letzten Zeit abgegangenen Durchfallsmassen an Farbe und sonstiger Beschaffenheit entsprechend.
Die Gekrössdrüscn wurden meistens mehr oder minder durch Anschwellung und Auflockerung vergrössert, von spek-kiger Struktur, an der Umfläche grau, in der Tiefe schwärzlich grau oder schmutzig roth gefärbt, in einzelnen Fällen er­weicht gefunden.
Die Milz erscheint weicher, doch nicht vergrössert, im Gegentheil mehr zusammengefallen und schlaff. Auf der Aussenfläche ist sie zuweilen mit einzelnen schwarz-rothen Flecken (Ecchymoscn) besetzt und enthält ein dunkles, violett schimmerndes, theerartiges Blut.
Die Leber ist stets, auch wo die Rinderpest in Thieren, die nicht mit der Leberegelkrankheit behaftet waren, auf-
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trat, verändert gefunden; doch nicht immer auf ganz gleiche Weise. Am gewöhnlichsten erschien sie missfarbig, grau­braun (Ichmfarben) in ihrem Parenchym erweicht, so dass man sie mitunter förmlich, wie zum Brei zerdrücken konnte. (Hierbei ist jedoch die Dauer der Krankheit und insbeson­dere die Zeit, binnen welcher die Obduction nach dem Ab­leben der Thiere unternommen wurde, mit in Anrechnung zu bringen). Zuweilen zeigte sich die Leber bezüglich Farbe, Umfang und Zusammenhang nur wenig verändert, immer aber wurde die von Galle strotzende Gallenblase über den gewöhnlichen Umfang stark ausgedehnt, die Galle gewöhnlich hellgrün gefärbt und wässriger, olme das bei der Leberegel­krankheit gewöhnliche Sediment gefunden (cf. p. 52). Die Schleimhaut der Gallenblase zeigte an mehren Stellen eine lebhafte Injection der Gcfässe und erscheint dadurch (ziegel) roth gefleckt, ist mehr oder weniger ödematös aufgeschwellt, weicher, von sulzigcm Aussehen, mitunter an einzelnen Stellen uneben und dann hier mit einer grauen (markigen) Masse infiltrirt. —
Die an den übrigen, in der Bauch- und Beckenhöhle gelagerten, Organen, wohin auch die tragende Gebärmutter gehört, sich wohl findenden Veränderungen, die sich insge-sammt auf eine theilweise stärkere Injection der Gefässe und daher rührende fleckige Röthe beziehen — sind weiter nicht bemerkenswerth.
Die an den Organen der Brusthöhle vorkommenden Abnormitäten sind im Ganzen, mit Ausnahme des Herzens, wenig constant, überhaupt aber von untergeordneter Bedeu­tung. In der Brusthöhle selbst wird zunächst in vielen Fällen, ein gelbliches Serum in abnormer Quantität gefunden; an dem Brustfell werden mitunter streifig rothe Flecke be­merkt. Die Lungen sind in der Regel zusammengefallen, zuweilen mit dunklem Blute stark angefüllt, niemals aber wirklich entzündet. Die Schleimhaut der grössern Bron­chienzweige findet man in einzelnen Fällen (so namentlich, wenn die pneumonischen Zufälle sammt dem Husten im Leben bedeutend gewesen) stellenweise mit rothen, bläulich-rothen Flecken und Streifen besetzt, erscheint dann aufgeschwellt,
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saftreicher, und die Bronchien enthalten mehr oder minder ,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;schaumigen, blutgefärbten Schleim. In diesen Fällen zeigt
dann auch die Schleimhaut der Luftröhre an verschiedenen Stellen eine lebhafte Gefässinjection und daher rührende rothe Färbung, welche letzte sich gewöhnlich im Kehlkopf allge­meiner verbreitet findet und sich auch auf die Schleimhaut des Schlundkopfes, der Rachenhöhle, der Nase u. s. w. er­streckt; hier oft sogar sehr intensiv roth (zinnoberroth) ist und dann ausserdera durch Ecchymosenbildung wohl noch marmorirt erscheint.
Konstante Veränderungen finden sich; wie bereits ange­deutet worden ist, am Herzen vor. Im Herzbeutel, der auch wohl rothfleckig erscheint, wird gewöhnlich auch ein gelbes Serum in abnormer Quantität angetroffen. Das Herz selbst erschlafft, welk, meistens dunkel- oder hraun-roth gefärbt und in seiner Substanz weicher, ist auf seiner Aussenfläche mit dunkclrothen Flecken (Ecchymoscn) besetzt, die ge­wöhnlich in zahlreicherer Menge und von sehr verschiedener Grössc an den Herzohrcn vorkommen, wodurch diesen, be­sonders an ihrem Rande, eine schwarzrothe Farbe verliehen wird. Die Herzkammern enthalten gemeinhin nur wenig; Blut und das darin vorhandene ist schwarzschillernd, flüssig, nur wenig weiches Coagulum zeigend, kriimlich (wie denn über­haupt das in den grössern Venenstämmen sich vorfindende Blut im flüssigen Zustande vorgefunden wurde). Auch an den Wänden der Herzkammern finden sich dunkclrothe Flecke, die theils als wahre Ecchymosen sich zu erkennen geben, iheils aber auch von einer Bluttränkung (Imbibition) her­rühren').
Die Veränderungen, welche am Gehirn und Rücken gefun­den werden, sind sehr unbeständig und bald mehr oder minder erheblich, bald aber auch unerheblich; im Ganzen beziehen sie sich viel mehr auf die häutigen ümkleidungen als auf die Sub­stanz dieser Organe selbst und bestehen solche, in grösserer
*) Diese rothen Flecke im Herzen wurden selbst liei einem auf iler Hübe der Pest gelikllelen Tbiere nicht vennissl; während sie im Netze fehlten.
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Anfiilluiig der Gcfässc mit dunklem Blute, Blutaustretungen und Abscheidungen, so dass mitunter analoge Erscheinungen wie an den Darmhäuten gesehen werden. Dies ist namentlich mit dem genannten schwarzen Anflug der Fall, indem der­selbe, wenn er im Darme sich findet, auch raquo;am Gehirne vor­kömmt. Es dürften diese, an zwei von einander entfernten Orten und in zwei verschiedenen Gebilden sich findenden, gleiche krankhaften Erscheinungen wohl unzweideutig für eine Grundursache sprechen, und diese in der Blutmischung und der damit zusammenhängenden Geneigtheit, Ausschei­dungen seiner kohlenstoffigen Bestandtheilc zu bilden, gesucht werden müssen. Es fand sich diese im Ganzen sonderbare Erscheinung nun zwar ehen so wenig am Gehirn, wie an den Gedärmen constant vor. Dies mag indessen von dem Grade und der Dauer der Krankheit und der hiermit wieder im Vcrhältniss stehenden grössern oder geringern Blutcnt-mischung abhängig sein. Es kann ferner aber auch diese Erscheinung nicht als eine nur bei der Rinderpest vorkom­mende betrachtet werden; sie findet sich auch bei andern Krankheiten vor. Davon unten ein Näheres.
An den grössern Nervenstämmen,' wie dem pneumo-gaslricus, dann und insbesondere dem sympaihicus und den in seinem Verlaufe sich findenden Nervenknoten, konnten erhebliche Abweichungen nicht aufgefunden werden. Das Neurilcm erschien zwar stellenweise abnorm geröthet, und das Bauchgeflecht {plexus salaris) wurde in mehren Fällen durch etwas sulzigc Infiltration seiner Umgebung und Rö-thung der Bauchhaut an dieser Stelle wie aufgeschwellt ge­funden, doch konnten in seiner Struktur selbst keine deutliche Abweichungen wahrgenommen werden. Nur in ein paar Fällen erschien es weicher; doch müssen wir hierbei be­merken, dass die Obduction in diesen Fällen erst 24 Stunden nach dem Tode vorgenommen wurde. —
Nachdem wir nun in dem Vorstehenden eine Beschrei­bung der Rinderpest, ihren Symptomen im Leben der Thiere und den in den Cadavern sich vorfindenden Abnormitäten nach, möglichst treu zu liefern uns bemüht haben, wird es sich leicht ergeben:
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ob und welche Abweichungen die gegenwärtige Seuche in Vergleich mit den früher beobachteten dargeboten habe und ob daraus Eigenthümlichkeiten sich ableiten lassen? Nehmen wir hierbei die treuesten Schilderungen der Rinder­pest aus früherer Zeit zur Hand, wie z. B. die von Lorinser, so ergiebt sich sehr bald:
dass im Wesentlichen dieselben Erscheinungen auch in dieser Seuche wiedergefunden worden sind. Wir glauben uns einer Nebencinanderstellung der Symptome wohl überheben zu dürfen, indem wir auf die classischc Schrift von Lorinser verweisen.
Eine Abweichung bat die gegenwärtige Seuche aller­dings dargeboten, die, wennsonst ein Ueberschen früherer Beobachter nicht stattgefunden hat, auch als eine Eigen-• thümlichkeit hingestellt zu werden verdienen dürfte.
Will man aber überhaupt von Eigenthümlichkeiten bei einer Seuchenkrankheit sprechen, so dürfte dies w7ohl nie-' mals absolut, sondern stets nur relativ genommen werden, wennsonst man der Erfahrung nicht Hohn sprechen will. Diese weist nämlich nach, dass die verschiedenen Seuchen (ich wüsste wenigstens keine Ausnahme aufzufinden, auch selbst bei den Pocken nicht) in ihren einzelnen Auftreten und Zügen stets mehr oder minder Abweiïhendes von frü­hem zeigen; sei es bezüglich ihrer Symptome, ihres Ver­laufs, Ganges oder Charakters, der grössern oder geringern Bösartigkeit u. s. w. Es ist dies der Ausdruck des genius epidemicus! — Nur in diesem Sinne wird das Nächst­folgende zu beurtheilen sein.
Als eine Abweichung der gegenwärtigen Seuche wird — abgesehen von einigen Geringfügigkeiten, die sich auf die Zufälle im Leben beziehen und dem Umstände, dass die von Einigen der Rinderpest zugeschriebene deutliche Stadienbil­dung in dem Krankheitsverlaufe u. s. w. nicht hat erkannt werden können — die durchgreifend gefundene krankhafte Veränderung der Schleimdrüsen im Verlaufe des Darm-tractus hingestellt werden müssen. Denn es ist wohl füglich nicht anzunehmen, dass sie, wäre sie in frühern Seuchen­fällen auch vorhanden gewesen, von den Beobachtern ganz-
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lieh übersehen worden wäre. Müssen wir auch, als eine Frucht des eifrigen Studiums der pathologischen Anatomie in der Neuzeit, zugestehen, dass geringe krankhafte Verän­derungen leichter erkannt und richtiger beurtheilt, die Sek­tionsergebnisse überhaupt mit grösserer Genauigkeit geliefert werden: so ist doch die genannte Abnormität zu auffallend, um, wäre sie wirklich vorhanden gewesen, von frühern Beobachtern gänzlich ignorirt zu sein. — Möglich ist es zwar! —
Anders mag es sich verhalten mit einigen andern, in der gegenwärtigen Seuche gleichfalls mehr oder minder con­stant vorgefundenen Abnormitäten, wohin namentlich die ecchymotischc Beschaffenheit des Herzens zu zählen sein dürfte. —
Ausser diesen Abweichungen nun, die man (vielleicht) als eine Eigcnthümlichkeit der gegenwärtigen Seuche be­trachten kann, haben sich aber in Bezug des Verlaufes und Ganges derselben, so wie überhaupt ihrer Wesenheit (und Contagiosität) nach durchaus keine Besonderheiten von den früher beobachteten ergeben. Und dies ist doch wohl das Wichtigste! Die Rinderpest wird, abgesehen von einigen Modificationen, immer ein und dieselbe verderbliche Krank­heit, eine Pest, bleiben. Das verschiedene Sterblichkeitsver-hältniss, welches die Rinderpest zeigen kann, unberücksichtigt gelassen, erschien sie diessmal in derselben Gestalt, wie sie in den Seuchengängen früherer Zeit aufgetreten ist.
Eine andere Frage, die bei dieser Gelegenheit wohl noch zur Sprache gebracht zu werden verdienen dürfte, ist noch die:
Besitzt die Rinderpest überhaupt ihre eigenthümlichen, charakteristischen, nur ihr zukommenden und bei andern Krankheiten des Rindviehs sich nicht findenden Symptome aus denen sie allein mit Sicherheit erkannt werden kann? — Ich muss gestehen, ich habe kein solches Symptom auf­zufinden vermögt, welches ich nicht auch in andern Krank­heiten des Rindviehs gesehen hätte. Ja, was noch mehr ist, selbst die Sektionsergebnisse und zwar vereint, wie sie bei der Rinderpest gefunden werden, bieten uns gewisse Krank-
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heitcn des Rindes mehr oder minder dar. Wenigstens er­scheint es dem unbewaffneten Auge. so. Wohl möglich, dass unter Benutzung anderer Hilfsmittel Abweichungen sich werden auffinden lassen! —
Bald nach meiner Rückkehr aus Russland QBessarabieri) und vom Schauplatz der Rinderpest, machte ich die Section (die erste nach der Rinderpest) bei einer Kuh — und fand, mit Ausnahme, dass ein Mitleiden der Schieimdriiscn (Pey-erschen Drüsen) des Darmkanals nicht so prävalirte, in der Bauchhöhle (also an jenem Orte, wo die constantesten Ver­änderungen in den Cadavern der an der Rinderpest gefallenen Thiere gefunden werden) ganz gleiche Erscheinungen, wie bei der Rinderpest: im Netze jene Flecke, wenngleich nicht so vollkommen entwickelt, gleiche Gefassinjectionen im Lab­magen und den Därmen, ja, was noch mehr ist, seihst jener kohlenstaubähnliche Anflug war vorhanden, im Herzen fehlten die Ecchymosen nicht, und selbst in der Scheide waren sie vorhanden.
Es dürfte vielleicht nicht uninteressant sein, über diesen Fall etwas Näheres zu berichten.
Seit einiger Zeit schon fielen in einem grossen Vich-standc hiesiger Umgegend, welcher bei Stall- und Schlem­pefütterung gehalten wird, im Frühjahr ab und zu Erkran­kungen an Indigestionen (acuter Unverdaulichkeit) vor, die nach eingetretener durchfälliger Mistung beseitigt wurden. In einem frühern Falle schon zeigte sich die Krankheit sehr hartnäckig und nahm nach ein paar Tagen durch Uebergang in Darmentzündung ienteritis') einen tödtlichen Ausgang. Ende Mai und Anfangs Juni trat an verschiedenen Orten der Milzbrand auf, eine Milzbrandconstitution schien Allge­meinherrschaft zu erlangen und verlieh andern, sporodisch vorkommenden Krankheiten mehr oder minder einen anthrax-artigen (also typhösen) Anstrich. So verhielt es sich auch mit dem Ende Juni vorkommenden genannten Falle, und es zeigte sich bei diesem, ausser den anfänglichen Erscheinungen einer Indigestion, später die der hinzugetretenen Darment­zündung und, was bei den früheren Fällen nicht beobachtet worden, auch ein Rothlauf über das ganze Euter; der Verlauf
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der ganzen Krankheit war heftiger, die zunächst in Anwen­dung gehrachten Abführmittel hatten zwar eine nachhaltige durchfäliige Mistung bewirkt, jedoch ohne Besserung im Krankheitszustand; sie nahm vielmehr später durch Ueber-maas einen ruhrartigen Charakter an. Der Tod erfolgte am vierten Tage. Die von mir unternommene Section erregte in mir den Verdacht, dass sich die anfänglich gutartigen Erkrankungen allinälig bis zum Milzbrände heranbilden könnten. Die dieserhalb von mir vorgeschlagenen Vorbcugungsmaass-regehi unterblieben indessen vorläufig, bis etwa 14 Tage später, an zwei hintereinanderfoigenden Tagen abermals zwei Kühe erkrankten, bei denen sich die anthraxarlige Natur, doch ohne alle Karbunkelbildung, noch deutlicher aussprach. Beide Kranken wurden hergestellt; ein durchgreifendes Prä-servatiwerfahren bei den noch Gesunden eingeleitet und exact durchgeführt — und ferner gleiche Erkrankungsfälle kamen nicht mehr vor, obwohl ab und zu später und auch jetzt noch — bei der sehr kräftigen Fütterung sich Ver­dauungsleiden wieder zeigten, die jedoch eben so gutartig wie früher verlaufen. —
Wie in dem eben erzählten Falle, so auch in andern habe ich Gelegenheit gehabt, der Rinderpest analoge Er­scheinungen in den Kadavern zu sehen. Bei dem sporadisch vorkommenden typhösen Fieber (dem sog. gastroenteritischen Fieber mit typhösen Charakter — Typhoiden? —) des Rindviehs (von dem beiläufig bemerkt sei, dass solches seit Jahresfrist in hiesiger Gegend und namentlich in einzelnen Stallungen zu einer ziemlich häufigen Erscheinung gehört) ist dies nicht allein in den Cadavern der Fall, sondern auch in den Symptomen der Krankheit spricht sich eine grosse Aehnlichkeit aus. Es kann-dies auch weiter nicht auffallen, da die Rinderpest gleichfalls ein typhöses Fieber ist. Eben­deshalb findet sich denn auch in den Sektionsergebnissen zwischen der Rinderpest und dem Anthrax (der ebenfalls den Typhen angehört) eine nicht unbedeutende Annäherung. So namentlich in Bezug der Ecchymosenbildung. Weiter unten werden wir auf diesen Punkt noch einmal wieder zu­rückkommen und ihn dort noch etwas ausführlicher erörtern.
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Ganz Recht hat daher auch Lorinser, wenn er Cpag' 171. 1. c.) behauptet: raquo;dass unter den Symptomen der Rin­derpest kein einziges sich befinde, welches nicht auch in andern Krankheiten vorkommen könntelaquo; — und ich muss ihm hierin aus voller Ueberzeugung beistimmen. — Anders verhält es sich jedoch, wenn wir die Summe der Erschei­nungen, wie sie sich im Bilde der Rinderpest vereinen, auf­fassen. Dadurch wird eine Eigenthümlichkeit im Ganzen her­vorgerufen, die bei einer andern Krankheit so nicht wieder sich finden dürfte. Den Kranken wird ein gewisser Aus­druck; ein bestimmt veränderterter Habitus verlieben, worin der Erfahrne die Rinderpest erkennen mag. Aber auch dem­jenigen, welcher mit den übrigen, beim Rindvieh vorkom­menden Krankheiten vertraut ist und sich frühe daran ge­wöhnt hat, deren G esammtbild aufzufassen und sich zu eigen zu machen — wird ein gewisses Abweichendes in dem Bilde der Rinderpest, im Vergleich mit andern Krankheiten, nicht entgehen, und ihn so diese Krankheit auf negativem Wege, wenn auch nicht sicher erkennen, doch auf die Vermuthung kommen lassen, dass er es mit der Rinderpest zu thun habe. —
Es ist unmöglich, diesen Ausdruck im Bilde der Krank­heit durch Worte so zu geben, wie ihn das (in den übrigen Rindviehkrankheiten schon geübte) Auge aufzufassen vermag. Ich glaube indessen keine Unwahrheit zu sagen, wenn ich behaupte, dass jede beträchtliche Krankheit, in ihrer Totalität aufgefasst, je nach ihrer Verschiedenheit selbst, auch im Ha­bitus des ganzen Körpers wieder verschieden sich abspiegele. Es tritt dies um so deutlicher hervor in je weniger ver­wandtschaftlicher Beziehung sie zu einander stehen; undeut­licher je grosser ihre Annäherung in der Wesenheit ist. —
Demnach wird denn auch nur in der Summe der Er­scheinungen jedes einzelne Symptom seinen relativen Werth behaupten können; sofern es nämlich einen Theil des Gan­zen ausmacht und zum Ganzen gehört. Doch ist hierbei wohl zu unterscheiden, dass nicht alle bei der Rinderpest gesehenen Erscheinungen in der genannten Beziehung gleich wichtig sind: es können einzelne fehlen, und der Totalein­druck der Krankheit bleibt doch derselbe. Irrthümlich aber
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ist es, an einzelnen Symptomen die Rinderpest erkennen zu wollen, wie z. B.: an der besondern Beschaffenheit des Hustens (der von Einigen deshalb wohl als eigenthümlich bezeichnet zu v/erden pflegt) dem Thränenfluss, dem Geifern aus dem Maule u. s. w.; denn alle insgesammt, und selbst der Durchfall, können in gewissen Fällen entweder nur sehr geringfügig sein, oder ganz fehlen — und doch ist die Krank­heit die Rinderpest. — Eine Wahrheit wird es bleiben, wenn Lorinser 1. c. p. 149. sagt: raquo;Die Gesammtheit der Syrap-raquo;tome, welche der Rinderpest eigen sind, wird niemals bei raquo;einem einzelnen Kranken, kaum in einer ganzen Hecrde, raquo;immer jedoch um so vollständiger wahrgenommen, je grosser raquo;die Menge der kranken Häupter ist.laquo;
Werden wir nun, dem Vorausgeschickten zufolge, zu dem Resultate gelangen müssen, dass sich unter den Symp­tomen der Krankheit kein einziges findet, was einzeln für sich zur Erkennung der Rinderpest führen könne; werden wir ferner aber auch noch behaupten müssen, dass in dem Verlaufe der Krankheit (der Aufeinanderfolge der Symptome) keine solche Besonderheit und Eigenthümlichkeit aufgefunden werden, welche geeignet sein könnten, hieraus allein die Rin­derpest zu erkennen — so ist doch damit ihre Werthlosig-keit bezüglich der Diagnose noch nicht behauptet. Es sollte nur dargethan werden: dass eine einseitige Auffassung ein­zelner Symptome, oder des Verlaufs der Krankheit hierzu nicht ausreiche, sondern zur richtigen Erkennung der Rin­derpest eine Auffassung aller ihrer Eigenschaften gehöre. Hierher ist- nun insbesondere auch ihr Seuchengang zu zählen.
In einer richtigen Auffassung und Würdigung aller der zur Erkennung der Rinderpest dienenden Momente, wird daher auch der Weg aufgefunden werden müssen, auf dem man zur richtigen Diagnose gelangt. Jene werden zeigen, dass man diese nicht auf eine einzige Erscheinung gründen könne, sondern dass hierzu vielmehr eine sorgfältige Wahr­nehmung und Beurtheilung alles dessen gehöre, was sich auf die Symptome, den Sektionsbefund, den Verlauf der Krank­heit und den Seuchengang bezieht. — Diese Momente ins-
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gesainmt richtig gewürdigt (denn isolirt tritt von ihnen eben­sowenig eins auf, als die Symptome einzeln erscheinen) dürfte die Erkennung der Rinderpest keiner grössern Schwierig­keit unterworfen sein, als die mancher anderen Krankheit des Rindviehs.
Würde es uns nun noch obliegen, unsere Ansicht über die Natur — das Wesen — der Rinderpest auszusprechen, so würde dies natürlich, wennsonst sie eine festere Basis gewinnnn soll, nur auf Grund des im Krankheitsprozesse Beobachteten und Wahrnehmbaren geschehen können. —
Vor Allen sticht nun im Krankheitsprozcssc hervor: eine krankhafte Beschaffenheit des Bluts. Worin die­selbe aber eigentlich bestehe, vermag ich nicht näher anzu­geben. Gelegenheit und Mittel zu genauen chemischen u. s. w. Untersuchungen gingen mir ab. Aber gesetzt auch, sie hätten mir zu Gebote gestanden, so würde das Resultat doch eben zu keinem besondern, mindestens nicht zu dem zu wün­schenden Aufschluss geführt haben; weil bei dergleichen Untersuchungen einmal im Allgemeinen schon, dann aber vorliegenden Falles insbesondere, mancherlei Umstände sich vorfinden, die auf ein sicheres und gleichmässiges Resultat kaum Anspruch machen lassen. — Alter, Konstitution und Nährzustand der Thiere; die Verschiedenheit der Haltungs-weise und des Futters n. s. w. sind Momente, die auf die Blutbeschaffenheit schon ihre Einwirkung äussern müssen; zufällig vorhandene Krankheiten, wie die Leberegelkrankheit, thun dies aber noch mehr. Somit dürfte sich schwer unter­scheiden lassen: was auf Rechnung der Rinderpest oder auf die andern Zustände zu schreiben sei. Es soll hiermit aber keineswegs behauptet werden, dass derartige Untersuchungen überhaupt nutzlos sind; ich erkenne ihren Nutzen vielmehr vollständig an. Ich habe nur auf die Umstände, die dabei berücksichtigt zu werden verdienen, aufmerksam machen und zugleich andeuten wollen, dass eine Reihe von Untersuchungen
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in verschiedenen Seuchen erforderlich ist, bevor ein möglichst sicheres Resultat gezogen werden kann.
#9632; Dass nuu wirklich eine krankhafte Beschaffenheit des Bluts in der Rinderpest vorhanden sei, ergiebt sich schon aus dem äusserlichen Verhalten des Bluts, worin es von gesundem Blute sehr abweichend sich zeigt. Da nun ferner diese Abweichung gleich zu Anfang der Krankheit schon vorhanden — im fernem Verlaufe derselben zwar immer mehr zunehmend — ist, so dürfte auch das JVächsfursäch-liche der ganzen Krankheit wohl mit Fug und Recht in das Blut selbst zu versetzen sein. Alle übrige Erscheinungen, sowohl die, welche im Leben der Thierc wahrgenommen, als auch jene, welche in den Cadavern angetroffen werden, müssen als von der krankhaften Blutmischung ausgehend betrachtet werden.
Erörtern wir daher zunächst erst die am Blute bemerk­baren Veränderungen. Wir bemerken an dem aus der Jugu-larvene entzogenen und in einem Gefässe (Glase) aufgefan­geneu Blute (welches sich gegen Lakmus- und Kurkuma-Papier indifferent verhält) durchgreifend Folgendes: Dasselbe ist dunkeler, schwärzlich-roth (violett schimmernd), gerinnt, dem gesunden Blute des Rindviehs ganz entgegen •), nur sehr langsam zu einem lockern, losen Coagulum, von dunkel violetter, dunkel kirschrother oder braun-rother Farbe. Auf der Oberfläche desselben bildet sich (durch den Hinzutritt der Luft und der Sauerstoffaufnabme aus derselben) zwar auch, wie dies überall beim Venenblute des Rindviehs, wenn es einige Zeit der Luft exponirt gewesen, der Fall ist, eine Schicht von etwa 1 ^- 2quot;/ Dicke, die heller gefärbt und sich
*) la dem so raschen Gerinnen des gesunden ßindeildules liegt es liegründet, dass es bei demselben, wenn es in Gefässe aufgefangen wird, niclit zur Ausscheidung seiner nähern Bestandtheile kommt, sondern mehr zu einer glelchmässigen blasse gerinnt! 'mm Es ist un-richlig, wenn man von einer Sjieckhaut (oder crusta' itiflammatoria) bei Rinderblut spricht. Die nach längerem Stehen an der Luft auf der Oberfläche sich bildende hellere Schicht ist damit nicht zu ver­wechseln! — Sie rührt von einer Absorption des Sauerslofis aus der Luft her.
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etwas derber, elastischer anfühlt, doch weicht die Farbe hier wesentlich ah. Während sie hei gesundem Blute eine schöne, hochrothe Farbe besitzt, erscheint sie auf dem Blute der Rinderpestkranken mehr schmutzig carmoisin gefärbt. Der, nach vollständig erfolgtem Erkalten des Blutes, unter der eben beschriebenen Schichte, übrige Theil des Coagulums stellt, abgesehen von der dunkel violetten u. s. w. Färbung, ein loses breiiges Blutgerinsel, in dem der körnige, krümlich aussehende, Cruor vorzuwalten scheint, dar. Es enthält viel Blutserum, welches durch leisen Druck zum Ausfliessen ge­bracht werden kann, sich aber von selbst nicht ausscheidet.
Wie das den kranken Thiercn entzogene Blut schon auffallend verändert sich zeigt, so ist dies noch mehr in den Cadavern, sowohl der der Krankheit erlegenen, als der wegen derselben erschlagenen Thicre der Fall. In den Drossel-Venen wird das dunkle Blut flüssig, theerartig ge­funden; das der erschlagenen Thiere, gesammelt und der Kälte ausgesetzt, gerinnt nicht; das in den Herzkammern der krepirten Stücke sich vorfindende Blut ist nur leicht zu einer weichen, krümlichen, locker zusammenhängenden Masse geronnen; ebenso (in der Regel noch weniger geronnen und daher mehr flüssig) das inquot; den grössern Venenstämmen vorhandene. —
Aus diesen äusserlich an dem Blute wahrnehmbaren Ver­änderungen dürfte nun wohl mit Grund zu folgern sein: dass in der Rinderpest das Blut ausserordentlich arm an Faserstoff und kohliger sei, als selbst gesundes Venenhlut.
Mit dieser abnormen Blutbeschaffenheit correspondiren denn auch die an den Kranken im Leben sowohl, als nach dem Tode sich vorfindenden krankhaften Erscheinungen, und lassen sich diese aus jener sehr wohl erklären. Doch ist es mehr als wahrscheinlich, dass ausser und mit der genannten abnormen Blutbeschaffenheit noch eine andere bestehe, welche auf der Bildung eines besondern, spezifisch pathischen Stoffes beruhe, welcher in eine besondere Beziehung zu der Schleim­haut tritt, zur Ausscheidung durch diese bestimmt ist und
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in ihr zu eigeiithiiinlichen Veränderungen, zu einem be­stimmten Krankheitsprozessc führt.
Wenn nun eine Uebcrladung des Blutes mit kohlcn-stoffigen (und wasserstoffigen) Bcstandtheilen von depri-mirender (lähmender) Wirkung auf das Gesammtnervensystcin ist, so findet hierin der im Verlaufe der Rinderpest so auf­fallend sich hervorthuende collapsus virium seine Erklä­rung hinlänglich. Aus der gleichen, lähmenden Wirkung auf die Gefässnervea einerseits, so wie andererseits aus der Beschaffenheit des Bluts selbst, die für eine freiere Circu­lation desselben in den feinen Gefässen weniger geeignet sein dürfte, lassen sich die Blutstockungen, die allgemeine Blut-stase in den (intermediären) Kapillargefässen, wie solche überall, sowohl in dem Gcfässnetze unter der allgemeinen Decke u. s. w., als insbesondere in der Schleimhaut der Verdauungs­wege sichtbar sind, erklären. Die übrigen krankhaften Ver­änderungen, welche sich im Schleimhautgewebe sammt dem Unterschleimhaut-Zellgewcbe und insbesondere an den Schleim­drüsen sowohl den Peyerschen Drüsenhaufen, als den solitairen Drüschen, dann an den Lymphdrüsen u. s. w. vorfinden, wie solche insgesammt oben näher beschrieben worden sind — werden zwar auch zum Theil in der eben zur Sprache gebrachten Blutveränderung ihre Erklärung finden, eine voll­ständige jedoch erst, wenn wir, wie oben schon angedeutet, noch die Bildung eines besonders gearteten pathischen Stoffes im Blute gleichzeitig anerkennen. , Dies müssen wir nun auch; denn jene (markigte) Masse, welche wir in den ge­nannten Theilen mehr oder minder abgeschieden finden, weist eine solche auch unzweideutig nach. Es lässt sich die Bildung eines solchen Stoffes aber auch aus dem im Blute erfolgenden pathologisch - chemischen Prozesse, aus der lebhaften Umbil­dung seiner Bestandtheile, folgern. Einmal gebildet, erleidet derselbe nun seine eignen, von der Blutkrase weniger abhän­gigen Verwandlungen, welche — allgemein bezeichnet — auf einen Erweichungs- und Abstossungs-Prozess (in der Schleimhaut) hinausgehen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;. .
Worin dieser Stoff bestehe, was er eigentlich sei, das vermag ich nicht anzugeben. Aber der Schluss ist aus dem
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Gcsammtkrankhcitsprozesse in der Rinderpest, seinen Er­scheinungen nach, ohne Trug zu ziehen: dolaquo;laquo; diese Krank­heit ein waJirer Typhus sei,
Dass es wirklich so sei, hiervon wäre der Beweis leicht zu führen, wenn solches sonst noch erforderlich scheinen könnte. Schon von Hildenbrand (cf. dessen Schrift raquo;über den ansteckenden Typhus. Wien 1814. 2. Aufl.laquo;) zählte die Rinderpest den Varietäten des Typhus bei und forderte die Thierärztc auf, das, was er über den Typhus des Men­schen gesagt, passend auf die Rinderpest zu übertragen. Lorinser (1. c. p. 58. u. s. w.) hat dies bereits auf eine überzeugende Weise gethan.
Wir glauben uns daher jeder näheren Beweisluhrung hier überheben zu dürfen. Nur einige Bemerkungen wollen wir dem bereits Gesagten noch hinzufügen.
Die Rinderpest als Typhus anerkannt, zeigt von jenem des Menschen einige Besonderheiten, wovon der Grund in dem besonderen Organisationsverhältnissc des Rindes, seiner abweichenden Ernährungsweise u. s. w., zu suchen sein dürfte. Es beziehen sich jene nun nicht lediglich auf die Zufälle der Krankheit im Leben und die Erscheinungen nach dem Tode, sondern auch auf den Verlauf des ganzen Lei­dens. — Vor Allem am auffallendsten ist, dass die Rinder­pest heftiger aufzutreten pflegt: sie tritt mit einem Worte tunjultuarischer auf. Ebendeshalb lassen sich denn auch die beim Menschen im Typhusprozesse örtlich, auf der (Darm-) Schleimhaut, wohl unterschiedenen Stadien als: 1) das der Congestion, 2) der typhösen Infiltration, 3) der Auflockerung, Erweichung und Abstossung, 4) des typhösen Darmgeschwürs, weniger oder gar nicht unterscheiden: nur schwach sind sie angedeutet; namentlich aber wird das letzte in der Regel vermisst. Diese Abweichungen berechtigen aber nicht, die Rinderpest nicht als Typhus anerkennen zu wollen.
Die Rindeipest zeigt nun ferner (wie auch der Typhus des Menschen) in sich wieder einige Abweichungen — Ano­malien — die sich theils auf die Quantität, theils auf die Qualität der Erscheinungen im Krankheitsprozesse beziehen. Dieser Umstand ist von hoher Bedeutung für die richtige
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Beurtheilung dieser Krankheit; indem er es ist, welcher so­wohl die Abweichungea in den einzelnen Seuchen unter sich, als auch diejenigen, wie sie unter den einzelnen Kranken sich zeigen — erklären lässt und beweist, dass so wenig bei der Rinderpest, wie bei jeder andern Seuche (Epizootie) eine njich allen Seiten hin sich zeigende Beständigkeit obwalte, und dass man zuviel verlange, wenn man überall ganz das­selbe wieder zu finden fordere. — So sehen wir, dass der örtliche Typhusprozcss in seiner Entwicklung eine Hemmung erleidet: er bleibt gewissermaassen auf der ersten Stufe, der der allgemeinen Blutstase stehen, während die Krankheit schon tödtlich wird. Es spricht sich dann gewöhnlich über­haupt, wie auch in dem örtlichen Krankheitsprozesse eine grössere Intensität, durch auf das Höchste gesteigerte Blut­anhäufung') in der Magen-und Darmschleimhaut, aus, wobei es zu bedeutenden Blutaustretungen gekommen ist, so dass die ganze Schleimhaut wie mit Blut imbibirt erscheint. Das in den Gefässen enthaltene Blut erscheint gleichsam wie zu einer schwarzen, krümlichen, pulverigen Masse verkohlt, und das bereits extravasirte verleihet dann der Schleimhaut nicht selten jenen schwarzen Anflug (cf. p. 119.) (indem wahr­scheinlich der veränderte, die Typhusmaterie mit sich füh­rende plasmatischc Bluttheil, nach den Gesetzen der Endos-
*) Andere verbinden liiermit zwar den Begriff von Congestion und Entzündung, Das kann ich jedocli nicht zngesleken; vie ick denn überhaupt den gelaquo;Uhiilichen Begriff von Congestion, sofern man sich darunter einen vermehrten Zitfluss von Blut nach irgend einem Theile denkt (und sich dadurch auch zugleich die stärkere Pulsation der dem entzündeten Theile der Blut zuführenden Gefässe erklärt) nicht als richtig anerkenne. Ein wahrhaft vermehrter Zufluss von Blut nach dem entzündeten Theile findet wohl niemals statt, sonderu nur eine Blutanhäufung, Stockung in demselben. — Jener wütdu nothwendig darauf hinweisen, dass schon vom Herzen aus eine ab­norme Vertheilung des Bluts stattfinde, so zu sagen, einen Regulator in demselben voraussetze. Dem ist aber doch wohl nicht so I — Ich habe mich mit den gewUhnliehen Ansichten über die Congestionen nie­mals vertraut machen können. Durch Versuche habe ich mich davon überzeugt, dass sie nicht richtig sind. — Andernorts hierüber viel­leicht etwas Näheres! —
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inose und Exosmose, in das submucöse Zellgewebe dringt, während der Cruor an den Vilositäten der Schleimhaut haften bleibt). — Es gieht sich dann gewöhnlich gleichzeitig auch in andern Organen eine auffallende Blutstagnation zu erkennen; so insbesondere auch im Gehirn, wo sich dann auch der genannte Anflug zeigt. — Es scheint in derartigen Fallen oft örtlich auf der Darmschleimhaut nicht einmal bis zur förmlichen Ausscheidung des Typhusstoffes gekommen, der ganze Prozess vielmehr, ohne sich localisirt zu haben, innerhalb der Blutmasse selbst verlaufen zu sein. —
In andern Fällen nimmt der Krankheitsprozess einen zögernden Verlauf; und diese Fälle sind es dann eben, wo Geschwüfe auf der Darmschleimhaut deutlicher zur Ausbil­dung gelangen und nach dem Tode auch vorgefunden wer­den. Das ist sonst gewöhnlich nicht der Fall; vielmehr weisen, wie sich aus dem Sectionsbefunde ergiebt, die Ver­änderungen der Schleimhaut nur frühere Stufen des Typhus­prozesses nach.
Wie nun nach den vorliegenden Ergebnissen in der Rinderpest der allgemeine Krankheitsprozess in spezifischer Beziehung znl Schleimhaut des Labmagens und des Dünn­darmes tritt und in dieser gewisse Veränderungen (durch die Ausscheidung und Ablagerung eines cigenthümlichen Stoffes, der fortan seine eigne Metamorphose eingeht — cf. p. 133. —) hervorruft, so beschränkt sich dieser Vorgang doch nicht ausschliesslich auf die genannte Schleimhautparthie, sondern es können auch neben ihr noch audere Parthieen der Schleim­haut den Sitz des örtlichen Typhusprozesses abgeben. So finden wir es denn auch in der That: das ganze Schleim-membrauensystem betheiligt sich dabei mehr oder minder, und hierauf beruhen denn auch die an andern Parthien der Schleimhaut sich findenden krankhaften Umbildungen. So namentlich im Bereiche der Respirationswege. — Es wird hierbei insbesondere davon abhängen, ob ein solches Ergrif­fensein anderer Schleimhautparthien im geringern oder grös-sern Maasse stattfindet, wenn an und in den Kranken Er­scheinungen wahrgenommen werden,' die in andern Fällen fehlen, oder doch nur in unbedeutendem Grade sich einfinden.
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In dieser Beziehung verdienen insbesondere die pueumoni-schen Zufälle in Betracht gezogen zu werden, die bald sehr beträchtlich, bald minder beträchtlich im Verlaufe der Krank­heit hervortreten. — Wenn wir, bezüglich dieser, auch nicht übersehen wollen, dass vielleicht die Blutbeschaffenheit an sich schon solche hervorzurufen im Stande sei, so spricht doch auch der Befund an der Schleimhaut der Respirations­wege dafür, dass auch hier der Typhusprozess mehr oder weniger entwickelt zu Stande kommen könne; woraus sich die mitunter beoTjachteten Zulalle von Bräune (als Laryngo-lyphus), von Lungenentzündung (als Broncho-lyphus) eben­sowohl, als die aphlhösen Bildungen auf der Maul-schletmhaut erklären lassen. Zugleich wird dadurch aber auch Aufschluss über die Unbeständigkeit einzelner Sym­ptome bei der Rinderpest gewonnen.
Es sind nun aber nicht ausschliesslich die Schleimhäute, an denen örtlich krankhafte Veränderungen sich finden; sie scheinen nur die geeignetsten zur Ausscheidung des Typhus­stoffes; denn auch andere (Secretions-) Organe, häutige Ge­bilde, insbesondere aber die Drüsen, können sich dabei gleich­falls betheiligen. Dies weisen die an den Gekrössdrüsen (durch speckige Infiltration, markige Erweichung u. s. w.) dem Gehirn und seinen Häuten, dann, und insbesondere die an den serösen Häuten sich vorfindenden Veränderungen nach. Bei der vorherrschenden Entwicklung des örtlichen Krank­heitsprozesses auf der Schleimhaut des 4. Magens u. s. w, in der Rinderpest, worauf die eigenthümliche Einrichtung des Verdauungsapparats bei den Wiederkäuern von Einfluss sein mag — kommt es für gewöhnlich zwar nicht zu erheb­lichen Leiden anderer Organe, und wohl nie erreichen sie den Grad, dass sie jenen überragten und in den Hintergrund drängten. Daher sind denn auch von jeher die constantesten Veränderungen in dem Labmagen und den dünnen Gedärmen gefunden worden. Einzelne andere sich vorfindende Ab­normitäten mögen des leichtern Ucbersehens u. s. w. wegen zwar unbeachtet geblieben, oder doch nicht weiter berück­sichtigt worden sein. Hierher dürften die oben angeführ­ten Veränderungen der Nervengeflechte wohl zu zählen sein.
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Eine Erscheinung die wohl der Aufmerksamkeit werth ist, da sie von Einfluss auf die nähere Einsicht in den Ge-sammtkrankheitsprozess werden kann.
Ein Umstand, den ich noch erwähnen will, betrifft die Petechienbildung auf der Haut, die im menschlichen Typhus nicht selten gesehen wird. Auch sie scheint in der Rinder­pest nicht gänzlich zu fehlen. Ich sah wenigstens in einem Falle, bei weissgefärbter Haut, deutliche Pctechien. Der beiin Rindvieh gewöhnlich dunkel gefärbten Haut wegen, können sie nur nicht wahrgenommen werden. Die turgeszi-renden Gefassnetze und Ecchymosen unter und in der Haut lassen auf ihr Vorkommen schon schlicssen, und die hier und da an der Haut erfolgenden Abschilferungen der Epi­dermis, wie sie bei manchen Kranken in einzelnen Seuchen gesehen worden sind, dürften wahrscheinlich vorhandenen Pctechien ihren Ursprung verdanken (Petechialfriesel?)
Worin aber eigentlich der örtliche Typhusprozess be­stehe: ob in einer Entzündung, oder worin sonst? — würde zwar auch noch einer Erörterung bedürfen, wennsonst eine vollständige Ansicht von dem Gesammtkrankheitszustande bei der Rinderpest sich gewinnen lassen soll. Wir müssen jedoch darauf verzichten, diese Frage auf eine befriedigende Weise zu beantworten, da noch Manches ferneren Nachfor­schungen vorbehalten ist. — Doch wollen wir wenigstens versuchen — wenn es uns auch nicht gelingen wird, nach­zuweisen, welcher Prozess örtlich eigentlich stattfindet — zu beweisen, was er, andern Annahmen entgegen, nicht ist.
Wir stehen dabei von der Berücksichtigung einiger äl­teren Ansichten, die man über die Natur und das Wesen der Rinderpest wohl aufgestellt hat, ab, und wenden uns gleich zu derjenigen, welcher in der Neuzeit die allgemeinste Annahme geworden ist, und namhafte Vertheidiger gefunden hat, nämlich zu der, nach welcher der örtliche Krankheits-prozess in Entzündung besteht.
Zu der Annahme einer Entzündung hat insbesondere der Umstand geführt, dass man die betreffenden Schleimhäute mehr oder weniger dunkel geröthet, die feinern Gefässver-zweigungen, und zwar sowohl die der Arterien, als Venen
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(Kapillargefassnctz) und nicht blos die Venen iujizirt fand, i Doch diese Röthung summt der Gerassinjection Lerechtigt, meiner Meinung nach, ebensowenig überall zu der Annahme einer Entzündurrg, als insbesondere auch bei der Rinderpest. Auch die übrigen, der Entzündung in ihrem Verlaufe zu­kommenden Erscheinungen müssen damit verbunden sein. Diese beziehen sich nun auf eine gewisse organische An-und Umbildung (hervorgerufen durch das in die Gcwebtheile abgelagerte Plasma) in dem von der Entzündung ergriffenen Organe. Von solchen plastischen An- und Umbildungen fin­det sich aber in der Rinderpest nicht die Spur. In der Entzündung, auf arterieller Thätigkeit beruhend, spricht sich eine grosse bildende Energie aus. Im ganzen Verlaufe der Rinderpest giebt sich aber, entgegengesetzt, ein ausseror-dentlicher Mangel an solcher ebensowohl kund, als eine ar­terielle Thätigkeit überhaupt vermisst wird, und dafür eine venöse hervortritt. Vorzugsweise sind es die venösen Ge­lasse, in welchen die Blutstagnationen stattfinden; und wo die feinen Arterienzweige gleichfalls mit Blut erfüllt sind, da ist dies als abhängig von den Venen — durch Rück-stauung — zu betrachten (cf. pag. 116). Wahrhaft plasti­sche Ausschwitzungen, als das Wesentliche der Entzündung deg;), fehlen, nur Blutaustretungen und Ausscheidungen finden sich. Mit einem Worte, wir haben es in der Rinderpest nur mit einer (gleichsam unthätigen) Blutstase zu thun quot;). Durch diese
*) Ich Letraclite diese, mit Anderen, als einen nolliweiuligen Be gleitet der Entzündung, als eine Bedingung — und nicht als einen Massen Ausgang — derselben. Sie kUnnen als Product der Eulzün­dung, nach Beseitigung dieser, mehr oder weniger verändert zurückraquo; bleiben, wo sie dann, als Ueberreste (sog. Uebergiinge) der Entzün­dung, den Grund zu Verdichtungen, Uepalisation u. s. w. in den von der Entzündung befallen gewesenen Organtheilen legen.
*) Faserige Blutgerinnsel (in welchen der Faserstoff gleichsam ein verfilztes Gewebe darstellt) in den kleineren (arteriellen) Gefäs sen, plastische Exsudate, als anatomische Kriterien der Entzündung, fehlen. Eine Stase allein begründet die Annahme dagewesener Ent­zündung keineswegs (wenn man nicht zu den schon — an und in sich einen Widerspruch enthaltenden — Umschreibungen, alj venüse, passive, lyphüse u. s. w. Entzündung, seine Zuflucht nehmen will.
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lassen sich alle Erscheinungen: die Erfüllung der Kapillarge-fässe, die dunkle Rothung der Schleimhaut, die (im Verlaufe der Venen sich findenden) Ecchymosen, die ödematösen In­filtrationen u. s. w. erklären, und es bedarf hierzu nicht der Annahme einer Entzündung. Die Bemerkung aher können wir nicht unterdrücken: dass, wenn der örtliche Krankheits-prozess auf der Magen- und Darmschleimhaut wirklich Ent­zündung sei — auch die übrigen in der Rinderpest anderen Orts vorkommenden und sich ebenso verhaltenden Gcfässin-jeetionen, wie die in der Schleimhaut der Respirationswege, in den serösen Häuten, dem Bauchfell, an und im Herzen, dem Gehirn, in und unter der allgemeinen Haut (cutis) u. s. w. ebenfalls auf Entzündung beruhend anerkannt werden müssten. Eine so allgemein durch den Körper verbreitete, an den verschiedensten Stellen desselben zugleich auftretende Entzündung ist doch wohl — Hypothese? — In der Wirk­lichkeit kommt sie gewiss nicht vor! Wenigstens findet sich kein annäherndes Beispiel in der ganzen Krankhcitswelt! — Sollte sich aus der Wesenheit der Entzündung die so enorme Kontagiosität der Rinderpest — vermöge welcher sie als ein won plus ultra dasteht — wohl, genügend erklären lassen? —
Es licsse sich zwar noch mancher triftige Grund gegen die Annahme der Entzündung anführen, sowohl anatomischer als physiologisch-pathologischer. Ich übergehe solche jedoch hier, da deren Erörterung uns zu weit ablenken würde; dann aber glaube ich auch in dein Gesagten genug ange­führt zu haben, um zu beweisen: dass der auf der Darm­schleimhaut in der Rinderpest bestehende Krankheitsprozess nicht Entzündung ist. — Da ich nun solches mit allem Grund behaupten zu dürfen glaube, so bedarf es auch nicht der näheren Erörterung einer zweiten sich sonst hieran noch knüpfenden Frage, nämlich: ob die Entzündung des 4. Ma­gens u. s. w. im Gesammtkrankheitsprozesse primair oder secundair sei; ob jene Recht oder Unrecht haben, welche die Rinderpest als eine Gaalro-enteritis betrachten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;gt;
Abgesehen von der Wesenheit des örtlichen Krank­heitsprozesses in der Schleimhaut, so müssen wir, auf Grund
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des Verlaufs der Krankheit und der geringfügigen Verände­rungen, welche hei den in der ersten Zeit der Krankheit ge-tödteten Thieren in der Schleimhaut gefunden werden — annehmen, dass derselbe secundair sei. — Das Primaire ist die veränderte Blutkrasc; mag diese auf dem Wege der spontanen Entwicklung der Rinderpest, durch gewisse Aus-sencinflüsse (Miasmata) bedingt, oder per Contagium zu Stande kommen. Die gleich zu Anfange der Krankheit schon bemerkte auffallende Veränderung am Blute, während erhebliche \ eränderungen an der Darmschlcimhaut noch we­nig oder gar nicht wahrzunehmen sind, berechtigen wohl zu diesem Schlüsse und weisen zugleich darauf hin, dass das Miasma wie Contagium quot;seine Erstwirkung auf die Blutmasse äussere: die nächste Ursache der Krankheit also auch in dieser zu suchen sei. Die veränderte Blutmischung ist das erste Auffallende im Krankheitsprozess. Gegen diese wird der Organismus (behufs Ausgleichung der erlittenen Beleidigung zur Reaction aufgefordert, und es spricht sich solche durch Fieberbewegungen, und mit diesen die Krank­heit selbst zunächst als ein Allgemeinlciden aus. Keine all­gemeine Krankheit (Fieber) hält sich als solche lange: das Streben, sich in irgend einem Systemtheile oder Organe zu localisiren, wohnt allen inne^; und es kommt demnach die Localisirung für gewöhnlich auch immer mehr oder weniger zu Stande. Die besondere Beziehung des Allgemeinleidens zu irgend einem Organe u. s. w. mag dabei maassgebend sein, wo sie ihren spezielleren Heerd aufschlägt. Wir glau­ben in Bezug auf die Rinderpest berechtigt zu sein, eine solche Beziehung zu der Schleimhaut (der Verdauungswege, vorzugsweise der des 4. Magens und des Dünndarms) anzu­nehmen (cf. pag. 132) obwohl andere Systemtheile und Or­gane davon nicht absolut ausgeschlossen sind.
Es ist aber nicht Entzündung, wodurch sich die Rin­derpest localisirt; es ist ein eigenthümlilt;*hcr, auf Ausschei­dung des pathischen Stoffes aus dem Blute hingerichteter Prozess; und da dieser Stoff wahrscheinlich in einer gewis­sen Affinität zu der Schleimsecretion steht, so betheiligen sich hierbei auch vorzugsweise die Schleimhaut und mit ihr
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die Schleimdrüsen, als die, die Schleimhaut näher construw renden Theilc. Denn, wenn wir auch die serösen Häute z. B. mit leiden sehen, so beweisen doch ihre, im Verhäit-niss zu der Schleimhaut viel geringeren Veränderungen nur zu deutlich, dass sie für die Ausscheidung des Typhus­stoffes nicht besonders geeignet sind. Die an ihnen sich vorfindenden Veränderungen lassen sich vielmehr aus der sonstigen Beschaffenheit des Blutes genügend ableiten, indem sie sich allein auf Anstauung der Gcfässe bezichen.
Hätten wir nun in dem Vorstehenden das Nächstur­sächliche und die Natur der Rinderpest darzulegen versucht, so ist dabei doch noch ein Umstand aus näherer Berück­sichtigung geblieben, der gleichfalls der Wesenheit der Rin­derpest angehört, ja, als ein integrirender Theil derselben betrachtet werden muss: Ich meine ihre Kontagiosität. Diese Eigenschaft der Rinderpest ist stets erkannt und so allgemein anerkannt, dass wir uns den Beweis davon zu liefern wohl für überhoben erklären können. — Wie aber die Ent­wicklung undßildung dcsKontagii in dieser Krankheit zuSlande komme, welche Besonderheit des Krankheitsprozesses dazu führet dies vermag ich nicht zu ergründen. — Wollten wir eine Erklärung versuchen, so würde sie nur Hypothese sein können und sich somit denjenigen Erklärungsweisen anreihen, die man wohl überhaupt über die Bildung, Beschaffenheit und Zusammensetzung der Ansleckungsstoffe gegeben hat. Wir würden also, mit einem Worte, einen unfruchtbaren Boden betreten. Geben wir daher lieber auf, was nicht zu erreichen steht, als uns dem Vorwurfe, in nutzlose Specula-lionen uns verirrt zu haben, auszusetzen.
üeber die Bedingungen, unter denen wir die Bildung eines Kontagiums in fieberhaften Krankheiten zu Stande kommen sehen, wissen wir (präsurotiv) allerdings Einiges, und dürfte man der Erfahrung zufolge schliessen: dass, je mehr in einem Krankheitsprozesse die normale Sältekrasis leidet, je tiefer das Nervensystem ergriffen und seine Thä-tigkeit thirnicderliegt, dasselbe in Torpor und Typhomanie versunken ist -r der * ganze Bildungsprozess um so mehr eine abnorme Richtung gewinnt, sich leicht in Afterpro-
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ductioncn erschöpft, und somit auch die Bildung eines Kon-tagii gegeben sein kann. Vorzugsweise ist dies aber nun der Fall, wenn die Schleimkäute sich an dem Krankheits­prozesse betheiligen. — Wenden wir dies allgemeine Resul­tat (Erfahrungssatz) auf die Rinderpest an — so finden wir bei dieser Krankheit alle genannten Momente im höchsten Maasse vor, und mit diesen auch eine Ansteckungsfahigkeit, wie sie dem Beispiele nach nur existiren kannquot;). — Doch auch hier stossen wir wieder in der Krankheitswelt auf ein Problem, das der menschliche Forschungsgeist kaum zu lö­sen im Stande sein dürfte. Wir sehen nämlich bei dem sporadisch vorkommenden typhösen Fieber einen ähnlichen Krankheitsprozess, wie den geschilderten, und doch mangelt ihm, wenigstens für gewöhnlich, die Ansteckungsfahigkeit. Ein gewisses Etwas (wahrscheinlich durch die Ursachen ge­geben) muss also noch hinzutreten, um die Bildung des Kontagiums zu Stande kommen zu lassen? — Andererseits kennen wir auch Krankheiten, die ansteckungsfähig sich zei­gen, in welchen ein so grosses Darniederlicgen der Nerven thätigkeit und Rlutcnlmischung nicht beobachtet wird, obwohl es Leiden sind, an denen die Schleimhaut partizipirt. —
Mehr als den Entwicklungsvorgang und die Beschaffen­heit (Zusammensetzung) des Kontagii der Rinderpest ken­nen wir seine Wirkungen und seinen Einfluss auf den Gang der Krankheit, als Seuche betrachtet — und aus diesen sei­nen Wirkungen vermögen wir allerdings auch auf dessen Eigenschaften zurück zu schliessen.
Die Eigenschaften des Rinderpestcontagii von der ge­nannten Seite sind mehr oder weniger schon lange bekannt, nicht immer aber richtig gedeutet worden. Wir glauben ---------------
*) Es wünle sich auf die angegebene Weise aucli erklSren las­sen, wie die sogenannte Magenseuche, die man woJi! als laquo;ins gelin. dere Form der lümlcrjiesl betrachtet hat, der Ansleckungsfsliigleit ermangeln kvnne. Ebenso aucli, ivarum es ansteckende und nicht ansteckende Nervenlieber giebt. — Das Verliältniss, in ivelcliem das Nervenleiden zu den Sclileimhäulen tritt, die GrBsse desselben und der hiermit zusnmmenliitngende grüssere oder geringere Grad der Btiitreründening — sind hierbei waliischeinlick inaassgebend.
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indessen nicht nöthig zu haben, bei diesem Gegenstande länger zu verweilen, da derselbe bereits von Lorinaer (1. c. p. 127 seq.) eine angemessene Erörterung gefunden bat. Des Kontagiuras Ëinfluss auf den Gang der Seuche ist in den bereits oben betrachteten ätiologischen Verhältnissen der Rinderpest auch schon mehr oder weniger dargelegt, und es bedarf hier nur noch, dem dort Gesagten ergänzend hinzuzufügen: dass der Intensitätsgrad des Kontagiums mit der Epoche (Dauer) der Seuche in genauster Beziehung (in geradem Verhältnisse) stehe. — Wenn in dieser Beziehung die Erfahrung nachgewiesen, dass die Rinderpest nach län­gerer Herrschaft von ihrer Bösartigkeit verliert, milder wird, so hat sich auch ebenmässig herausgestellt, dass nun auch das Kontagium dem Grade nach an Wirksamkeit verliert, bis diese zuletzt untergeht, mit andern Worten: das Kon­tagium (als lebendes Wesen betrachtet) erstirbt. Eine Wahr­heit, die sich in den Steppen sowohl, wie auserhalb dersel­ben bestätigt, und selbst in den am westlichsten gelegenen Ländern sich bewährt hat, wo sonst, Beobachtungen zufolge, des Kontagiums Gewalt, so zu sagen, den Culminations-punkt erreicht. —
Es findet in diesem Verhalten der Rinderpest nun zu­gleich auch das verschieden? Sterblichkeitsverhältniss, wel­ches dieselbe zu Anfange, auf der Höhe und zu Ende der Krankheit zeigt, seine Erklärung, ganz besonders aber auch das sehr verschiedene Resultat, welches die unternommenen Heilversuche und Impfungen geliefert, und mehreren Mitteln einen unverdienten Ruf verliehen haben (cf. p. 58 die Note und Lorinser p. 87 seq.). — Aber auch mancher prakti­sche Wink wird dadurch zugleich an die Hand gegeben: überhaupt kann man wohl mit Recht sagen, dass in dem beregten Umstände der Hauptschlüssel für die richtige Beur-theilung der Rinderpest — sowohl als Gegenstand der Pa­thologie, als auch der Veterinair-Sanitätspolizei — gege­ben sei. —
Würden wir uns schUesslichj auf Grund der vorange-sebickten Erörterungen über die Rinderpest, noch die Auf­gabe stellen, eine kurze Definition von dieser Krankheit zu
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geben und sie mit einein teclinischen Namen zu belegen, so würden wir sie, ihrer Gesammtheit nach, ais : einen (fieber­haften) höchst contagiösen Typhus, mit vorzugsweisem Er­griffensein der Magen- und Darmschlcimhaut, also mit Bezug auf das Localieiden, als einen Typhus gaslricua s. abdo-minnlis conlagiosus, s. pestilentialis bezeichnen können. Andere Bezeichnungen sind, wenigstens nicht so genau als diese, namentlich aber jene nicht, die auf einzelne der bestän­digsten Symptome, wie Durchfall u. s. w. sich beziehen; da diese insgesammt öfter oder seltener in den einzelnen Krank­heitsfällen fehlen können; der örtliche Krankhcitsprozess auf der Magen- und Darmschleimhaut aber stets (wenngleich auch nicht immer in gleich starkem Maasse) sich nachwei­sen lässt.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes habe ich es mir nicht versagen können, noch auf einen Umstand die Aufmerksam­keit zu lenken.
Fassen wir nämlich die Rinderpest in der angegebenen Weise, als eine primaire Krankheit des Bluts, auf, so ge­winnt dadurch das in manchen Hinsichten sich herausstel­lende, verwandschaftliche Verhältniss mit dem Milzbrand (Anthrax) an Erklärung. — Auch dieser, eine typhöse Krank­heit, findet sein Nächstursächlichcs in einer veränderten Blut­mischung, die sich auch hier, neben einer überkohlenstoffi-gen Beschaffenheit des Bluts, durch Blutstockungen im Be­reiche der Venen, Ecchymosenbildung u. s. w., durch die Bildung einer eigenthümlichen Materie im Blute, der Anthrax-materie, auszeichnet. Die Tendenz zur Ausscheidung dieser Materie aus dem Blute waltet auch beim Anthrax vor. Es steht dieselbe jedoch hier mehr in besonderer Beziehung zu dem Zellgewebe und den serösen Häuten; während bei der Rinderpest eine solche Beziehung zu den Schleimhäuten her­vortritt. Wie bei der Rinderpest die Ausscheidung in der Schleimhaut zu Stande kommt, so erfolgt sie beim Anthrax in das Zellgewebe unter der Haut (Karbunkeln) oder nach inneren Organen, zwischen den Gekrössplatten u. s. w.; als Ergiessnng in die Bauch- und Brusthöhle (den Herzbeutel). Wie in der Rinderpest die Ausscheidung nicht immer oder
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doch nur unvollständig zu Stande kommt, so auch im An­thrax; und es scheint dann hier, wie dort, die Krankheit gleichsam innerhalh der Blutmasse zu verlaufen (cf. pag. 136.) Ein Fall, welcher beim Milzbrand, der überhaupt stürmischer auftritt, sogar sehr häufig vorkommt und selbst wohl die Veranlassung geworden ist, daraus eine besondere Art des Milzbrandes, den Anthrax apopleeticua, abzuleiten.
Hat man beim Milzbrand schon längst nach Grosse der zu Stande gekommenen Ausscheidung der Anthraxmaterie und dem hiermit innig zusammenhängenden, rascheren oder langsamem Verlaufe, die Modificationen desselben näher fest­zustellen gesucht; so sind ähnliche Versuche bei der Rinder­pest zwar noch nicht gemacht'worden, jedenfalls aber bie­tet auch sie der Modificationen dar. Deshalb vermeinten wir auch pag. 134 Ursache zu haben, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.
Aus den verschiedenen Beziehungen, in welchen die im Blute sich bildenden pathischen Stoffe bei der Rinderpest und Milzbrand stehen; indem der eine für die Ausschei­dung durch die Schleimhaut, der andere durch das Zellge­webe und die serösen Häute geeignet erscheint -~ wird sich die Differenz zwischen beiden Stoffen und den Krankheiten selbst ergeben müssen. Die abweichenden ursächlichen Ver­hältnisse dieser beiden Krankheiten werden den nächsten Grund zu jener Differenz legen; obwohl sich hieraus nicht wird erklären lassen, warum das Kontagium dieser beiden Krankheiten gegen andere thierische Organismen so verschie­den sich verhalte: das Kontagium der Rinderpest seine Wirkung anf das Rind beschränkt, \yahrend das des Milz­brandes fast auf alle Thierklassen seines verderblichen Ein-lluss übt.
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Nachrichten über angewendete Heilmillel und Impfungen und deren Erfolg.
Wie andern Orts, so hat es auch in Polen und Russ­land nicht an Heilversuchen bei der Rinderpest gefehlt; ein­zelne Mittel sind selbst unverdient angepriesen, manche so­gar als Arcana ausgeschrieen worden. — Wir haben im ersten Abschnitte dieses Berichts schon mehrere derjenigen Mittel, welche von Acrzten versucht worden sind, und zu­gleich auch deren Resultate erwähnt. Auch von Laien sind die verschiedensten, mitunter widersinnigsten, selbst ekel­haftesten Mittel in Gebrauch gezogen; manche von ihnen sind allgemeiner bekannt geworden, andere aber sind ein Geheimniss geblieben; weil ihre Wirkungslosigkeit sich bald genug herausstellte und hiermit zugleich auch der Wunsch vernichtet wurde, das angepriesene Mittel kennen zu lernen, (cf. e. g. pag. 5.)
Es würde völlig nutzlos sein, hier dergleichen Mittel aufzählen zu wollen, da alle gleichmässig ohne Erfolg ange­wendet worden sind, und somit keine Motive für ihre naf-here Erörterung vorliegen können. An Anpreissungen hat es bei mehreren derselben zwar nicht gefehlt, die theils aus Täuschungen und Leichtgläubigkeit, theils und gewöhnlicher aber aus unlautern Absichten entsprungen sind. So behaup­tete ein gewisser O., General-Commissair einer grossen Herr­schaft in der Umgegend von PiaaTei, ein sonst sehr unter­richteter und gebildeter Landwirth, dass er in Alt-Russland viele Hundert von Thicren durch grosse Dosen von Brechwein­stein {Tart. stibiat.) gerettet habe. Er gab dieses Mittel zu 2 Loth pr. dosi. Es soll bald darauf heftiges Gepolter im Leibe entstehen, und dies ein sicheres Zeichen der günstigen Wirkung sein u. s. w. Wenngleich nun in Berücksichtigung der Natur der Rinderpest, als typhösen Leidens, nicht in Ab­rede gestellt werden kann, dass der Tnrl. slihial. mit zu jenen Mitteln gehöre, welche bei der Rinderpest angezeigt sind — denn er hut sich bei andern typhösen Leiden, wie
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z. B. beim Milzbrand, als ein der besten Mittel gezeigt und ist hier von mir in Verbindung mit ätherisch öligen Mitteln wie Kampher, Terpentinöl u. s. w. vielfach mit günstigem Erfolge angewendet worden — so hat er doch anderorts gegen die Rinderpest versucht, sich nicht bewährt. — Mehr noch als der Brechweinstein ist in Polen wie in Russland von Aerzten die eisenhaltige Sahsäure, und nächstdem das Calomel (cf. pag. 6. 12. 14. 17.) angewendet worden, doch gleichfalls ohne Erfolg, wie alle andere, von individuel­len Ansichten etwa geleitet, noch zur Anwendung gekomme­nen pharmaceutischen Mittel. Selbst die in der Neuzeit so vielfach Eingang gefundene hydropathische Kur ist bei der Rinderpest versucht worden, hat aber keines beson­deren Nutzens sich zu erfreuen gehabt, wenngleich ihr ver­schiedenen Orts Anpreisungen geworden sind. So wurde mir namentlich in Gallizien die Mittheilung über versuchte und erfolgreiche Wasserkuren gemacht.
Im Ganzen hat sich also in Polen wie in Russland ein gleiches Resultat, wie anderwärts, herausgestellt, nämlich: dass sich unter den bis jetzt versuchten Mitteln keins findet, welches sich wahrhaft hilfreich gezeigt .hätte. Wenn man hier und da von günstigen Resultaten hörte, so waren solche doch stets auf den überall sich ergebenden Umstand zurück­zuführen, dass, wenn erst gegen das Ende der Seuche die Erkrankungen gelinder geworden, die Macht der Seuche über­haupt gebrochen war — die versuchten Mittel Erfolg hat­ten; dass dann aber auch ohne Mittel viel mehr Thiere durchseuchen. — Dieses eng mit der Dauer (Periode) der Seuche zusammenhängende Resultat findet seine Erklärung in den gewöhnlichen Gesetzen des Seuchenganges und hat für uns nichts Unerklärliches mehr! —
Wie die Heilkunde eine Erfahrungswissenschaft ist, so wird denn auch die Empirie erst noch ein Mittel auffinden müssen, welches sich heilsam in der Rinderpest zeigt; denn diejenigen Mittel, welche bisher die Theorie an die Hand gab, haben sich insgesammt ohne nachweisbaren Nutzen ge­zeigt. Doch sind auch die Aussichten, anf ersterem Wege ein Mittel aufgefunden zu sehen, sehr getrübt, da bis jetzt
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auch alle auf diesem versuchte fruchtlos gewesen sind. — Das durch die angestellten Heilversuche gewonnene Gesammt-resultat gereicht der Heilkunde allerdings nicht zur Ehre —-aher auch nicht zur Schande. Doch wird die Letztere ihr überall dort erwachsen, wo sie verblendet durch Arzneiwir­kungen in Arzneimittel ihr Heil sucht; während ihre Ehre erblühen wird, wo sie, in richtiger Erkcnntniss der Krank­heit, das wahre Heil in angemessenen Schutzmaassregeln er­kennt. So verhält es sich für alle Länder, in welchen die Rinderpest als reine Kontagion auftritt. Am Orte ihrer ursprünglichen Entwicklung, wo sie als miasmatisch-conta-giöse Krankheit aufkeimt, treten allerdings andere Verhält­nisse auf. — Hier werden Heilversuche nicht allein zulässig sein, sondern vielleicht auch als nützlich sich bewähren; selbst im Interesse der Wissenschaft wünschenswerth er­scheinen. — Doch um solche anstellen zu können, dazu ge­hören Thierärzte, die in Russland noch fehlen.
Wie aus curativen, so auch aus präservativen Rück­sichten sind Arzneimittel versucht worden. Doch auch hier hat der Erfolg gefehlt; und wo ein solcher erzielt zu sein vorgegeben wird — fehlt die nöthige Glaubwürdigkeit. — Wir wollen hiermit zwar keineswegs behaupten, dass zu ge­nanntein Behufe nicht von einzelnen Mitteln innerlich ein zweckmässiger Gebrauch gemacht werden könne, doch wird sich solcher mehr auf die ursprüngliche Entwicklung der Krankheit beziehen. Immer wird es aber hier zunächst erst auf die Ermittelung der Kausalverhältnisse ankommen, um hiernach die passenden Mittel auswählen zu können; und auch dann werden diese stets nur im Verein mit den erfor­derlichen diätetischen Maassnahmen einigen Erfolg ver­sprechen.
Anders verhält es sich, wo die Krankheit als reine Kontagion auftritt. Hier ist die Abhaltung des Ansteckungs-stoffes die Hauptsache und das allein sichern Erfolg ver­sprechende. Das Verfahren hierbei ist polizeilicher Natur, kann mithin hier seine Erörterung nicht finden. — Wo aber das polizeiliche Verfahren nachlässig ausgeführt wird; da werden Mittel, welche die Eigenschaft besitzen, das
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Kontagiuin zu zerstören, Anwendung finden. Hierher ge­hören nun vorzugsweise Chlorräueherungcn. Sollen solche aher Nutzen stiften, so wird es darauf ankommen, die Thiere anhaltend in einer mit Chlor geschwängerten Luft zu erhalten. In Ställen ist dies leichter möglich; beim Weidegange könnte es unerreichbar erscheinen. Dennoch aber lässt sich hier der Zweck erreichen. In dieser Bezie­hung schlage ich vor: Die Thiere vor dem Austreiben zur Weide mit Chlorkalkwasser zu besprengen. Ein Verfah­ren, welches leicht und selbst bei grosseren Heerden schnell auszuführen ist und dazu dient, die Thiere perpetuell in einem, ihren Körper umgebenden Dunstkreis von chlorge-schwängerter Luft zu erhalten.
Ich habe dies Verfahren einigen, von der Rinderpest hart bedroheten, Gutsbesitzern in Polen gerathen — und bis jetzt, wo ich dies niederschreibe, sind ihre Heerden noch verschont geblieben.
Von, durch Aerztc angestellten Impfungen habe ich Nichts erfahren können (cf. Einleitung). Es sind deren in Russland überhaupt wohl noch keine, mindestens nicht in einiger Ausdehnung, versucht worden. Daher vermag ich denn auch über etwaige Resultate derselben Nichts zu be­richten. — Sollten aber auch irgendwo in Russland solche (im Kleinen) angestellt worden sein, jedenfalls werden sich die Resultate an dieselben Verhältnisse knüpfen, wie die vorhin, in Bezug der Heilung, angeführten.
Ausgedehnte Impfungen in Russland angestellt zu sehen, würde, in Bezug ihrer etwaigen Benutzung als Tilgungs-maassregel gegen die Seuche in diesem Lande, nicht ohne Interesse sein. Ihre Nutzanwendung lässt sich überhaupt nicht im Voraus berechnen. Vielleicht, dass es sich even-tualiter bewährt, die auswandernden Heerden (beim Vorhan­densein der Pest in den Steppen) noch innerhalb der Step­pen erst zu impfen, um so die Verschleppung der Krank­heit durch sie zu verhüten. Vielleicht liesse sich selbst eine Art Schutzimpfung einführen! — Es ist sogar höchst wahrscheinlich, dass derartige Maassnahmen, in ihrem Er­folge durch die Verhältnisse begünstigt, mehr sich bewähren
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würden, als die Emfühiung einer Quarantaine, welche Russ­land in seinem eigenen Lande gegen die aus den Steppen kommenden Heerden anzuordnen, vielleicht versucht werden könnte! —
#9632; Die Ausführung der medicinal-poHxeilichen Maasregeln in Po­len und Russland nnd deren Wirksamkeit, mil Rücksicht und im Fergleich auf dieselben Maassregeln im Preussischen Staate.
In einem Lande (wie das südlich europäische Russland namentlich) dessen Bewohner in ihrer Allgemeinheit noch auf einer so geringen Stufe der Bildung und Einsicht stehen, und, dem entsprechend, ein grosses Misstrauen gegen alle (sie mo­mentan beschränkenden) Einrichtungen haben, wo nur Furcht vor Strafe Folgsamkeit gebietet, lässt sich schon im Vor­aus von den medicinal-polizeilichen Maassregeln der Behörde, auch wenn es die zweckmässigsten wären, kein befriedigen­des Resultat erwarten.
Erwägt man nun ferner alle übrigen coneurrirenden Verhältnisse, insbesondere die Verkehrsverhältnisse mit Vieh in Russland (cf. p. 36 seq.); indem durch den Viehreichthum eines Theiles des Reiches, die daran ärmeren Theile, insbe­sondere die vielen grossen Städte, mit Schlachtvieh versehen werden müssen, so wie auch die Benutzung der Ochsen zu Frachtfuhrwerk — so geht daraus hinlänglich hervor: welche grosse Hemmnisse und Beschränkungen medizinal-polizeiliche Maassregeln mit sich führen müssen, und wie Seitens der Betheiligten mannigfach gestrebt werde, sich solchen zu ent­ziehen. — Sind nun noch die vorgeschriebenen Maassregeln der Art, dass sie sich erfolglos und somit auch zwecklos zeigen; so wird die Ucberzeugung hiervon um so mehr eine Umgehung der Maassregeln zur Folge haben und jeg­licher Zweck dadurch verfehlt werden.
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Es würde nun zu weit führen, wollte ich es versuchen, die in Russland bestehenden Verordnungen gegen die Rin­derpest, und die Art ihrer Handhabung spezieller anzufüh­ren und kritisch zu beleuchten. Wir glauben uns vielmehr kurz fassen zu dürfen, indem wir das Resultat reden lassen. Dies spricht nun ebensowohl gegen die Zweckmässigkeit, als gegen die Güte der Handhabung der medicinal-polizeili-chen Maassregeln. Denn so oft die Rinderpest in Russland zu einer Zeit aufgetreten, wo der Verkehr mit Vieh am regsten ist (im Sommer), hat sie stets eine allgemeine Ver­breitung erreicht und nicht Tausendc, sondern hundert Tau­sende von Rindern getödtet. Ihre Tilgung ist immer nur sehr langsam, nach Jahren, erfolgt (cf. p. 91.), so dass wohl mit Grund der Gedanke auftauchen kann, dass an der Tilgung der natürliche Lauf der Seuche mehr Antbcil ge­habt habe, als die executirten medicinal - polizeilichen Maassregeln. Ja man behauptet selbst keine Unwahrheit, wenn man den letztern allen Antheil an dem Erlöschen der Pest abspricht. — Wo so entschieden die Erfahrung spricht, wie in dieser Angelegenheit, da, glaube ich, darf man sich wohl der Mühe überheben, den näheren Nachweis von der ünzweckmässigkeit der medizinal-polizeilichen Maassregeln zu liefern. Alle besser unterrichteten russischen Aerzte, de­ren ürtheil ich hierüber hörte, stimmen darin überein. Auch Haupt schliesst sich diesem Urtheil an. (Cf, 1. c. pag. 289 seq.)
Von einer Wirksamkeit der Maassregeln kann, dem Bemerkten zufolge, nicht die Rede sein, da ihre Unwirksam­keit so unzweideutig sich ergiebt. Noch viel weniger aber können sie geeignet erscheinen, mit den im Preussischen Staate giltigen verglichen zu werden. — Eine Vergleichung würde meiner Ansicht nach, sofern es Russland betrifft, auch völlig zwecklos erscheinen müssen; denn was für Russland, in dessen Schoosse die Rinderpest ursprünglich sich ent­wickelt, und wo überdies die Verhältnisse ganz anderer Art sind, passt, kann auf Preussen, wo die Krankheit nur als reine Kontagion auftritt, und welches, in Vergleich mit
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Russland, abweichende Verhältnisse darbietet, keine Anwen­dung finden.
Verlassen wir daher Russland und wenden wir uns zu Polen.
Nach der am Eingange dieses Berichts (pag. 3.) citirten Ustawa Policyi Weterynaryjnéj zu urtheilen, sind in Polen die mcdizinalpolizcilichen Maassregeln gegen Thier-krankheiten überhaupt und somit auch gegen die Rinderpest schon geregelter, wenngleich nicht immer sachgemäss genug getroffen'). Die hierniiehst folgende, kurze Darstellung möge als Beweis für das so eben gefällte Urtheil dienen.
Bei der Durchsicht der vorgeschriebenen Maassregeln gegen die Rinderpest ist zwar nicht zu verkennen, dass der Gegenstand allseitig aufgefasst ist, und dabei die in Preussen bestehenden Vorschriften benutzt worden sind. Nur in ein­zelnen Punkten ist man abgewichen; doch sind diese Ab­weichungen nicht etwa durch die Krankheit selbst geboten, sondern lediglich aus Rücksieht auf die Vcrkehrsverhältnissc genommen worden; indem man dabei weniger die Gefahr für das ganze Land im Auge behielt, als vielmehr die Be­schränkungen, welche daraus für Einzelne nothwendig er­wachsen müssen, entscheiden Hess. Dies leuchtet nur zu deutlich daraus hervor, dass man z. B. selbst die als am zweckmässigsten erkannten Maassnahmen zwar anordnet, aber vorbehaltlich der Einwilligung der Besitzer (cf. e. g. sect;. 66, 73, 94; auch 44. u. s. w. der Ustana).
Hierin liegt nun ein grosser Missgriff, und die gehegten Hoffnungen von dem Erfolge der erst 1844 gegebenen neuen Vorschriften dürften sich schwerlich jemals verwirklichen. Sie sind auch gleich am ersten Prüfstein gescheitert. Noch in demselben Jahre sollten sie sich als unzulänglich beweisen — und noch hat Polen diesen Missgriff, in Mitten des Frie­dens, hart zu büssen, Wohl nie mehr hat das alte Sprüch­wort: raquo;halbe Maassregeln sind so gut als gar keinelaquo; — sich bewährt, als in Betreff der Ustawa u. s. w.
*) Nachahmungswürclig ist dagegen die Marklpolizei und wahr­haft musterhaft sind die FeuetlOscliungsanslalten zu nennen! —
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Nachfolgende Bemerkungen werden Belege für die Uttlaquo; zulänglichkeit der getroffenen Maassregeln abgeben.
Was zunächst die allgemeinen Vorschriften in Bezug des Eintriebes von ausländischem Vieh in das Königreich anbetrifft, so ist, ausser jenen Vorschriften, die sich auf die Wege, welche mit dem Viche inne zu halten sind, die Pflichten der Viehhändler und Vichtrciber, die Obliegenheiten der Beamten, so wie auf die Einwohner des Orts, durch welche das Vieh getrieben wird, bezichen — im sect;. 34. eine Besichtigung des Viehs an der Grenze vorgeschrieben. So­fern sich aber bei der Grenzkammer kein Arzt befindet, ist der Treiber verpflichtet, dasselbe einein amtlichen Arzte, im nächsten Städtchen, welches er passirt, vorzustellen.
Wie leicht ist es nun bei diesem Verfahren nicht mög­lich, dass durch die einwandernden Heerden die Pest meilen­weit in das Land verschleppt wird, da ihrer Wanderung bis zur nächsten Stadt nichts im Wege steht. Die Grenzkamraer Tereapol z. B. besitzt keinen Grenzarzt; der Lekars Po-winlowi wohnt in der circa 40 VVst. entlegenen Stadt Biala.
Die Vorschriften des sect;. 36. gestatten sogar auch dann noch, wenn keine amtliche (!) Nachrichten von dem Herrschen der Seuche in jenen Orten, woher das Vieh kommt, vorliegen, und wenn in einer Strecke von 20 Meilen von der Grenze, im Auslande nirgends die Seuche herrscht; wenn ferner auf dem ganzen VVege Nichts (?) vorgefallen ist, was auf den Verdacht von det Seuche in der Heerde zuverlässig führen könnte — den Ein­gang; jedoch vorbehaltlich einer Revision, die sich zwar auf eine Besichtigung jedes einzelnen Stück Viehes erstrecken soll, aber nicht mehr Zeit einnehmen darf, als im Verhältniss zur Zahl des Viehes durchaus nöthig ist. Namentlich ist es nicht erlaubt, das Vieh länger als 24 Stunden an der Grenzkammer aufzuhalten. —
Enthält dieser sect;. nicht die grösste Begünstigung fur die Einschleppung der Pest? —
Abgesehen davon, dass auf die Zuverlässigkeit der amt­lichen Nachrichten nicht gross zu bauen ist (da die Beamten selbst in der Regel zu spät Kunde von dem Ausbruch der
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Pest erhalten): so liegt es doch auf der Hand, dass für eine Heerde, welche, 20 Meilen von der Grenze entfernt, der Ge­fahr infizirt zu werden mehr oder minder ausgesetzt gewesen ist — eine hlosse Besichtigung, die als Maximum der Zeit nur 24 Stunden umfassen darf, nicht ausreichen kann.
Der sect;. 53. schreibt nun zwar vor, dass, wenn im Aus­lande die Seuche herrscht (weniger als 20 Meilen von der Grenze nach sect;. 52.) die Untersuchungen mit grösserer Strenge abgehalten werden sollen. Diese grösserc Strenge besteht nun darin: dass das Vieh 48 Stunden unter aufmerksame Aufsicht des amtlichen Arztes gestellt werden soll! —
Nur das unbedingte Vertrauen, welches man den Ge- quot; sundheitszeugnissen schenkt, lässt es erklären, wie man, selbst unter den ebengenannten Umständen, noch mit einer 48 stün­digen Quarantaine auszureichen glaubt. — Diess lässt sich wenigstens aus dem Inhalt des folgenden sect;. schlicssen, wo bestimmt wird, dass, wenn in den Gesundheitszeugnissen ein Widerspruch gefunden werde, welcher die Zahl der Stücke betrifft, oder der Eigenthümer das vorgeschriebene Zeugniss nicht vorgezeigt habe und sich darüber nicht zu rechtfertigen vermöge — das Vieh 14 Tage in Observation erhalten wer­den soll. —
Diese wenigen Citate mögen genügend beweisen, wie man in den gegebenen Vorschriften bemüht gewesen ist, die Pest von Polen überhaupt abzuwehren, und dass man diese Krankheit ihrer Natur und ihrem Verlaufe nach, ganz beson­ders aber in Bezug ihrer Entstehung — erst auf der Wan­derung der Thiere — unrichtig beurthcilt hat, wenn man glauben konnte, den beabsichtigten Zweck, durch die gege­benen Vorschriften, zu erreichen.
Was nun diejenigen Vorschriften anbetrifft, welche zum Zwecke haben, die im Lande ausgebrochene Viehseuche zu tilgen, so handeln die sect;sect;. 64., 65., 66. von jenen Maass­regeln, welche zu ergreifen sind, wenn die Pest in einer eingeführten Heerde zum Ausbruch gekommen ist:
Dem Gemeindevorsteher wird aufgegeben eine solche Heerde anzuhalten, ein spezielles Protokoll aufzunehmen und dem Kreisvorsteher {Nacxelnik powiatowi) ohne Verzug
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davon Anzeige zu machen. — Der hinzugezogene Arzt hat dann die Verpflichtung, die Krankheit möglichst vollständig zu ermitteln, eventucl ist die Heerde in kleinen Abtheilungen von 5 — 10 Stück zu thcilen u. s. w. und soll jede solche Abtheilung durch 14 Tage strenge beobachtet, täglich ge­schwemmt u. s. w. werden. Sobald aber in dieser Zeit die Seuche nicht zum Ausbruch kommt — ist die Heerde für gesund zu halten (!). — Erscheinen in irgend einer Ab­theilung Zeichen der Seuche, so ist es am besten eine solche Abtheiiung zu tödten. Im Fall aber der Eigenthümer seine Zustimmung dazu nicht geben will, ist die Beobachtung vom Tode des letztgefallen Thiercs wieder durch 14 Tage fort­zusetzen u. s. w.! —
Die sect;sect;. 67. — inclus. 99. enthalten diejenigen Vor­schriften, respect. Tilgungsraaassregeln, wenn die Pest in einer inländischen Heerde ausgebrochen, dieselbe überhaupt im Königreich schon eingerissen ist. Den hier gegebenen Vorschriften ist ihre Aiigemesscnheit im Allgemeinen nicht abzusprechen. Man ist hierbei sogar mit einer gewissen Peinlichkeit zu Werke gegangen. So z. B. wird es sect;sect;. 99. den Aerzten und Thierärzten zur Pflicht gemacht Handschuhe u. s. w (!) anzuziehen, bevor sie sich zu den kranken Thieren begeben. —
Wenn die Vorschriften in der Art, wie sie gegeben, wirklich zur Ausführung gelangten, so könnte auch der Er­folg nicht fehlen. Aber eben an der Ausführung fehlt es; und warum? — Weil
1)nbsp; die gegebenen Vorschriften nicht genugsam den Ver­hältnissen angepasst sind, und daher ein grosser Thcil derselben unerfüllt bleiben muss. Die Erfüllung der wichtigsten aber der Einwilligung der Eigenthümer an-heim gegeben ist, welche sie in der Regel versagen; und
2)nbsp; es an dem blossen Geben von Vorschriften nicht ge­nügt, sondern alles darauf ankommt, dass sie auch, dem Sinne entsprechend, executirt werden.
Wenn in ernsten Dingen Willkühr gestattet wird, so ist die Sache schlecht bestellt. Was als nothwendig und
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unerlasslich erkannt worden, darf nicht von Zuftilligkeiten abhängig gemacht werden. Was entbehrt werden kann, soll billig nicht als drückende Maassregel aufgenommen werden. Solche Inconsequenzcn verleiten zu falschen Deutungen und geben Veranlassung zur Verwechslung des Nothwendigen mit dem Nichtnothwendigen — und führen so leicht neben Um­gehung des Letzten auch zu dem des Ersten; wozu der gemeine Mann nur zu sehr inclinirt.
ad. 1. bedarf es nur den Inhalt der sect;sect;. 73. und 74. wörtlich zu citirten, um das Gesagte zu begründen:
raquo;sect;. 73. Tritt anfangs in einer grossen Wirthschaft, wo viel Hornvieh gehalten wird, die Seuche auf und zwar in einer Abtheilung als: im Viehstall, Standplatze oder in der Hcerde, worin bis zehn Stück zusammen sind, so ist das beste Mittel, die Krankheit in ihrem Keime zu vernichten, nicht nur das kranke, sondern auch das scheinbar gesunde Vieh zu tödten, wenn es der Eigenthümer zulässt, und dann zu vergraben, wie es der sect;. 74. vorschreibt.laquo;
raquo;sect;. 74. Die uragestandenen Thierc müssen auf einen abgelegenen Ort zu Wagen mit einem Pferde (niemals mit Hornvieh) hinausgeschafft und dort mit, an verschiedenen Stellen eingeschnittener. Haut, Hörnern und Klauen in eine nicht weniger als 6 Fuss tiefe Grube geworfen und vergra­ben werden; doch sollen sie zuerst noch eine halbe Elle hoch mit ungelöschtem Kalk (wo er zu haben ist) überschüttet und dann mit Erde bedeckt werden.raquo;
Wenn das Tödten der ersterkrankten Häupter als das beste Mittel erkannt ist: warum es dann nicht unbedingt anordnen? — Der Besitzer geht gewiss selten oder nie auf diese Anordnung ein, so. lange ihm noch die Hoffnung bleibt von den genannten zehn Stück Vieh das eine oder andere zu erhalten; wennsonst ihm nicht eine angemessene Ent­schädigung wird. — Nun aber schreibt der sect;. 73. mit Be­zug auf sect;. 74. vollends vor, die Cadaver mit Haut und Haare u. s. w. zu vergraben. Gerettet wird also Nichts; selbst nicht einmal die Haut von den als gesund getödteten Thieren. Zu solchen Opfern versteht sich Niemand leicht; am wenigsten aber dürfte man auf Bereitwilligkeit in Polen
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rechnen. Der arme polnische Bauer, dem zunächst sein eignes Wohl und Weh mehr am Herzen liegen muss, als das seiner Nachbarn: wie wird der sich gut- und freiwillig solchen Vorschriften unterwerfen? Wollte man daher diese Maassregeln, im Interesse der guten Sache, exceutiren, so liegt es in der Billigkeit, dass demjenigen, welcher zum allgemeinen Besten Opfer bringt, auch eine angemessene Entschädigung werde.
Mit diesem Opfer ist es nun aber noch nicht einmal abgethan. Es wird noch ein zweites gefordert: die Cadaver sollen in der Grube noch mit einer halben Elle hohen Schicht ungelöschten Kalkes beschüttet werden. — Dies ist aber, selbst in Polen, eine kostspielige Sache! — Findet sich hierbei nun noch gar die Klausel eingeschoben: raquo;wenn der Kalk zu haben istlaquo; — so wird dadurch klar an den Tag gelegt, dass man die Ueberschüttung mit Kalk nicht für durchaus nothwendig hält. (Ich habe sie auch nirgend aus­führen sehen). — In dieser Ueberzeugung hätte man doch diese Vorschrift, wie sie es auch verdient, besser gar nicht gegeben! —
Das Vergraben der Cadaver ohne vorherige Enthäutnng muss an sich schon als eine harte Maassregcl erscheinen und dürfte, als aligemein durchgreifend, in Berücksichtigung der grossen Verluste, überhaupt erst dann verdienen ausgeführt zu werden, wenn wir aller Mittel entbehrten uns vor Nach­theilen durch die Häute zu schützen. — Wir besitzen aber die Mittel in Händen, die Häute (ebensowohl wie andere mit dem Contagium geschwängerte Gegenstände) unschädlich zu machen. Deshalb muss es als eine der billigsten An­forderungen erscheinen, unter gewissen zu beobachtenden Vorskhtsmaassregeln, das Abhäuten zu gestatten, d. h. in allen jenen Fällen, wo die Krankheit in grössern Viehständen schon allgemein um sich gegriffen hat* und von der Beiseit-schaffung der Ersterkrankten kein Erfolg mehr zu erwarten steht. — Es ist immer viel besser, eine Sache, unter be­schränkenden Veshältnissen zuzugeben, als ein totales Verbot eintreten zu lassen. Die ersteren werden viel lieber ertragen,
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da durch sie noch Gewinn in Aussicht steht; das letztere aber gern umgangen, weil es Verlust bringt.
Das Verbot des Abhätitens lässt sich überdies in staats-wirthschaftlicher Hinsicht nicht genügend rechtfertigen; da es unter Umständen zu harten Einbussen führt. Sollten die Häute von den circa 1,000,000 Stück betragendem Rindvieh, welche Russland in der letzten Pest ~eingebüsst hat, ganz unbenutzt geblieben sein, welchen Verlust würde das mit sich führen? — Daher denn auch das Abhäuten in Russland (wenngleich es auch dort verboten ist) nur selten unterbleibt. Gewiss nicht der zehnte Theil wird mit Haut und Haaren vergraben, und selbst von den bereits vergrabenen Thieren sucht man sich nach Möglichkeit die Haut noch nachträglich heimlicher und nächtlicher Weise zu verschaffen (cf. p. 18. Note). Nicht bloss einzelne, sondern zu 50—100 ent­häutete Cadaver sah ich in Volhynien, Podolien u. s. w. frei auf offnem Felde, nachdem die Erde von Schnee entblösst war, liegen; bis dahin war ihre Bedeckung Schnee ge­wesen! —
Dieser so eben berührte Punkt führt uns nun noeh zu einigen Bemerkungen
ad 2. und legt genügend Zeugniss von der Exactitude ab, mit welcher die gegebenen Vorschriften ausgeführt werden. — Wie in diesem Punkt, so in vielen andern, fehlt es an dem nöthigen Nachdruck in der Ausführung. — Was soll man z. B. dazu sagen, wenn, wie ich mehr als einmal Augenzeuge davon gewesen bin, die zur Aufsicht bestellten Kosaken selbst Hand mit anlegen bei der Fortschaffung der Cadaver (wofür sie Sorge zu tragen haben) und sich dann wieder in ihre Quartiere in dea Nachbarort begeben. — Man stellt nämlich die Ko­saken nicht immer in die inßzirten Ortschaften auf, sondern in die benachbarten, um diese von jenen abzusperren. — Ist nun auch in solchen Fällen eine Reinigung vorgeschrieben, (Wechseln der Kleider, Stiefel u. s. w.) welche überhaupt für alle Personen, die in inilzirtea Ortschaften gewesen sind, gütig ist, so soll dies doch erst stattfinden, nachdem sie zu Hanse wieder angelangt sind (sect;. 98.). Diese Vorschrift aber setzt voraus, dass die Betreffenden auch mehr als einen Rock
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ein Paar Stiefeln u. s. w. besitzen. Dies ist jedoch häufig nicht aliein nicht der Fall, sondern in unzähligen Fällen fehlt eine andere Fussbekleidung als die aus Bastgeflechten con-struirten Sandalen! —
Dem nur halb gehemmten Verkehr mit infizirten Ort­schaften und den überhaupt unangemessen getroffenen Sperr-maassrcgeln, muss es nun vorzugsweise zugeschrieben wer­den, dass der Zweck nicht allein oft, sondern fast in der Regel vereitelt wird, wenn nicht zufällig die Einsicht der Bewohner selbst weiter geht. —
Aus den wenigen, vorstehend in besondere Berücksich­tigung gezogenen Verordnungen dürfte zur Genüge erhellen: dass auch in Polen die medizinal-polizeilichen Maassregeln, weder überall als zweckentsprechend anerkannt werden können, noch in ihrer Ausführung exact genug genannt zu werden verdienen.
Wir glauben daher auch, wie wir bereits schon oben beiläufig erwähnt haben, denselben, ebensowohl für Polen als ganz insbesondere für Russland, keine besondere Wirk­samkeit beimessen zu können, am allerwenigsten aber wür­den sie in dieser Beziehung in Vergleich mit den im Preuss. Staate giltigen zu bringen sein. —
Es kann nun zwar nicht zu meiner Aufgabe gehören, hier Vorschläge zu einer verbesserten Medizinal-Polizeipflege in Betreff der Rinderpest für Polen und Russland, noch überhaupt, zu machen; doch mögen folgende Ansichten hier in Kürze Platz finden.
Was zunächst Polen anbetrifft, so befindet sich dieses Land, der Rinderpest gegenüber, in gleicher Lage wie Preussen. Auch dort entwickelt sich die Pest nie ursprünglich; sie tritt vielmehr dort ebensowohl wie bei uns als reine Kontagion auf. Daher wird denn auch Polen nur in geeigneten Maass-nahmen gegen das einwandernde Steppenvieh, so wie auf den Verkehr mit Vieh an der polnisch-russischen Grenze überhaupt, d. h. in geregelten und Sicherheit gewährenden Quarantaine-Anstalten an der Grenze — vorzugsweise den sichersten Schutz zu suchen haben. — Es würde andern­falls auch dahin zu streben suchen müssen (und die Ein-
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führung einer strengern Oaarantaitie ist ein Mittel dazu) — seine inländische Viehzucht zu heben, um dadurch den Be­darf an Steppenvieh zu vermindern (denn mit der Vcrmin-derung des Bedarfs an Steppenrieh wird zugleich auch die Gelegenheit der Einschleppung der Rinderpest, vermindert) oder selbst dessen Entbehrung herbeizuführen: was zu er­zielen sein dürfte (cf. p, 35.)'.
Russland, welches in seinem eignen Schoosse die Rin­derpest erzeugen kann, hat ganz andere Maassnahmen zu ergreifen. Es sind solche in dem bereits andernorts Gesagten schon angedeutet worden. Insofern nun, als es sich stets zunächst darum handeln wird, eine Krankheit richtig zu er­kennen, um event, geeiguete Maassregeln gegen ihre Weiter­verbreitung ergreifen zu können, wird es ebenmässig zunächst auch an dem Mittel, welches zu dem Erstnothwendigcn, der Erkennung der Krankheit, führt, nicht fehlen dürfen — ich meine Thierärztc. —
Der beste Rath, welcher Russland zu geben, ist der: für die nöthige Anzahl tauglicher Thierärztc zu sorgen. Es wird dadurch auch zugleich der Weg geöffnet, auf welchem der in mancher Beziehung noch zu wünschende Aufschluss über die Rinderpest zu erhalten ist. -^- Ausserdem aber würde Russland zu empfehlen sein, das Vorschreiten des Acker­baues (und der Schafzucht) in den Steppen nach Möglichkeit zu fördern. Der vorschreilmide Ackerbau wird nicht allein auf die Rindviehzucht selbst von Einfluss sein, sondern es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass durch grössere Urbar­machung des Bodens zugleich auch die veranlassenden Ur­sachen der Rinderpest eine Verminderung erleiden (cf, p. 80. seq.)
Ocstreich wird gleiche Maassregein, wie Preussen zu treffen haben, und es wäre deren baldige Einführung daselbst sehr wünschenswerth; denn so lange Ocstreich nicht gleiche Maassnahmen mit Preussen ergreift, ist letzteres Land, wel­ches in einer ziemlich langen Linie, durch Schlesien, mit dem östreichischein Staate grenzt — häufig der Gefahr, die Rinderpest eingeschleppt zu sehen, ausgesetzt. -
Die weiter westwärts gelegenen Länder, wie Holland,
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Frankreich u. s. \v. werden für gewöhnlich von dieser ver­heerenden Seuche nicht bedroht sein. Nur in Kriegszeiten, wenn die Hand der Medizinal - Polizei in den östlich und nordöstlich vorgeschobenen Ländern erlahmt, wird die Rin­derpest dorthin gelangen können. Für den Eventual-Fall aber, werden auch in diesen Ländern analoge Maassnahmen zu empfehlen sein, wio sie unser Staat seither mit Erfolg executirt hat. —
Wenn in Ober-Schlesien (Reg. Bez. Oppelti) inden letzten 17 Jahren 26 mal die Rinderpest sich einschlich (1844 jedoch diese Provinz ganz verschont blieb) und keinmal zu nennens-werthen Opfern führte, so beweist dies zur Genüge die An­gemessenheit der Maassrcgeln, ganz besonders aber auch die gute und energische Ausführung. — Mögen sie in gewisser Beziehung hart erscheinen; so haben sie doch bis jetzt treff­liche Dienste geleistet: sie haben uns nicht allein, trotz der vielfach gegebenen Gelegenheit, vor beklagenswerthen Ver­lusten geschützt — sondern sie haben sogar, durch ihren unverkennbaren Einfluss auf die Hebung der Landesrindvieh-zucht, goldne Früchte getragen! —
Ein Ablassen von bewährten Maassregeln, zumal wo die Nachbarn (Vordermänner) die Sache leichter nehmen, würde — traurige Folgen haben können! —
Druck von F. Nietaek in Berlin.
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