ÜBER DEN B1BLISCHEN BEGRIFF DER WA HK HE IT
GEHALTEN ZU TÜBINGÉN
c
AM 29. MAI 1879 von
ord. professor der theologie
VERLAG UND DRUCK VON FRANZ FUES (L. FR. FUES'sche SORTLMENTS-BUCFÜ-IANDLUNG)
lis gehort zu den charakteristischen Eigcnthümlich-kciten unsres geistigen Leben.s, dass wir gcnöthigt sind, fiir Alles, was wir geistig verarbeitcn, moglichst scharfe mid klare Gegensatzc aufzustellen, nach entgegengesctzten Ideen unser Denken, nach entgegengesctzten Principien unser sittliches Urtheilcn und Mandeln zu rcguliren. Und doch führt das Leben selbst, wie es die tagliche Er-fahrung bictct, nie und nirgends uns diesc Antithesen in reiner Auspragung vor; das Leben selbst steht mitten inne zwischen solchen Gegensatzen, und bat immer, bald mchr nach dieser, bald mehr nach jener Seite geneigt, an beiden, sich gegentiberstehcndcn Idecn Thcil, ist nie bios in Eine, immer in mehrere Farben getaucht. 1st doch unser Leben selbst wohl ein Widerspiel des Todes; wcr aber möchte behaupten, unser Leben sei der Gegensatz des 'lodes? Ein Leben, das ganz und nur Leben ware, lacht uns auf Erden nirgends entgegen, auch das edelste bat den Tod in sich; aber auch eines Todos, der ganz und nur Tod ware, düsteres, schauerliches Bild steht nirgends vor uns; aus jedem Tod sprosst Leben, Lebensfrucht hervor.
Das Gesagte gilt auch von dem Gegensatz, welcher uns heute beschaftigt, dem von Wahrbcit und Un-wahrbeit. So alt die Menscbhcit ist, hat sie diesen Gegensatz in ihrem Denken und Urtheilcn vollziehcn mils-sen; es w;ire das sicbere Zeichcn des geistigen und sitt-lichcn Untergangs der Menscbhcit, wenn sie cinmal auf-hörtc, mit aller Entscbicdcnbeit zu statuiren: cine Wahrbcit ist, muss sein, muss geiten, aber leider auch zu con-statiren: cinc Umvahrbeit ist, die nicht sein soli, eine fin-
stcre Macht, welche der der Wahrheit, des Lichtes ent-gegensteht. Wicderum aber, in unsrem erfahrungsmassigen Leben sind diese beiden Machte wohl wider, und doch in einander; die Wahrheit im absolutcn Sinn wagen wir keinem Sterblichen zlizuschreiben, aber auch die Unwahr-heit im absoluten Sinn können wir auf lirden niclit ent-decken. So kommen wir denn leicht dazu, wohl von W ah r hei ten zu reden, welche wir oder Andere ge-funden haben und in deren Licht wir fröhlich sind, von der Wahrheit aber nur als von einer Idee, die unser Denken leitet, oder als von einem Ideal, dem wir naeh-jagen. Der Beg riff von Wahrheit aber, welcher hiebei zu Grund liegt, ist theils ein logischer oder scienti-fischer, theils ein moralischer. Wahrheit ist die Congruenz unseres Erkennens und Urtheilens theils mit den inneren Gesetzen des Denkens, theils mit dem Sein selbst, dies der logische oder scientifische Begriff von Wahrheit ; Wahrheit ist aber auch die Congruenz unseres sitt-lichen Urtheilens und Handelns mit dem innern Gesetz unsres Sollens und mit dem Sein, wie es als verwirklichtes Sollen vor uns steht, dies der moralise he Begriff von Wahrheit. In beiden Beziehungen reden wir, wie schon bemerkt, zunachst von Wahrheiten; wie das Gebiet des Seins und des Seinsollcns ein unendlich reiches ist, so gibt es unendlich viele Wahrheiten. Mit dieser Mannig-faltigkeit, welche an sich auch Relativitat der Wahrheit ist, ist aber unser Geist nicht zufrieden, er strebt der Wahrheit zu, und sucht sic zu finden dadurch, dass er die auf einem bestimmten Gebiet erkannten Wahrheiten in ein System zusammenarbeitet, und die Einheit, das I'rincip desselben nonnen wir dann die oberste Wahrheit, die Grundwahrheit. Und noch weiter, noch höher hinauf geht unser Begehren; die Wahrheit als Wissenschaft können wir erst dann für gefunden halten, wenn es gelange, für alles Denken und Urtheilen in allen Wis-
senschaftcn ja auch in allem Handeln und Sein Eine, nur Sine allumfassende Idee zu ergreifen, in der Alles lebens-voll beschlossen lage, aus der Alles deducirt werden könnte. Dann erschallt erst das freudenvolle Heureka; das ware dann die Wahrheit, eine Idee, deren Erkenntniss unsern jeist voll undganz befnedigen, ein Ideal, dessen Erreichung auch die stolzesten Hoffnungen kronen würde. Aber sie ware zunachst auch nur eine Idee, nur ein Ideal, über dessen Real.tat, abgesehen von der in unsrem Geiste, wir erfahrungsgemass nichts aussagen könnten. Denn diese Idee der Wahrheit, auf dem beschriebcnen Weg gefunden ■st ja ^ etwas von lins l,ro(l,lcrr-e:mc^
soil durchaus nicht heissen, sie sei eine blosse Phantasie oder gar en, Iraum; sie ist ja kein Gedankenspiel, sonde.,, ein nothwendig ge word en es und für unser Denken und Handeln wesentliches Produkt unseres Gei-stes, aber mehr könnten wir nicht sagen.
Wie nun aber, vvenn diese Idee und dieses Ideal reel 1 objektiv vorhanden ware? Wie, wenn die Wahrheit die' Eine, erhabene, göttliche, nicht blos Existenz in unsrem Geist, sondern in sich selbst absolute Existenz hattegt; Wie wenn sic kcineswegs das Product unsres Geistes, vielmehr umgekchr t das Prod uci ren de ware, nicht unser Geist sie, sondern sie unsern Geist mit seiner auf sie führenden mneren Nothwendigkeit schüfe? Wenn dies, dann ist die Wahrheit nicht in erster Linie ein scientifischer oder mora-hscher Begnff, sondern ein su bstantiale r; nur die Wir-kung, die Abspicglung des letzteren ware der erstere Dann is Wahrheit so viel als Wesenheit, oder sie ist das Leben selbst, das Leben vor Allem, wie es sich zusammenfasst in dem Einen Wesen, das in sich selbst absolut vollkommen sich auch in sich selbst absolut ab-spiegelt und erkennt, die Wahrheit ist Gott und subject,v ausgedrückt, Gottes Selbsterkenntniss; und das System, das Reich der Wahrheit ist nichts an-
deres als die unendlichreiche Fülle von Leb en, von Wesenheit, von Realitat, die in Gott beschlossen liegt und aus Gott heraustritt, dem menschlichcn Geist sich als das einzig vollgiltige Objekt und Norm seines Denk ons und Arbeitens an bietend.
Und in diesem Sinn redet die Bibel, vorab das Neue Testament von der Wahrheit; in diesem Sinn erklart sie von sich selbst, die Wahrheit, die Eine göttliche zu besitzen und zu geben. Wahrhaft staunens-werth ist die unbedingte Seibstgewissheit, oder vielmehr Gottesgewissheit, mit welcher die Manner des Neuen Testaments sich den Wahrheitsbesitz zuschreiben. Mit apodictischer Entschiedenheit sagt Christus: „ich bin die Wahrheitquot; (Joh. 14, 6), nicht blos; „ich habe den Beruf, zu zeugen von der Wahrheitquot; (Joh. 18, 37). Das erstere allerdings wagt kein Apostel von sich zu sagen, wohl aber das zweite; die Offenbarung der Wahrheit (2 Cor. 4, 2), die Verkündigung des Wortes der Wahrheit (2 Cor. 6, 7) nennen sie ihre Aufgabe; und wie absolut gewiss sie des Besitzes dieser Wahrheit sind, zeigt neben manch andern Aussprüchen jenes, für moderne Ohren sehr stark klingende Wort des Paulus, womit er selbst einen Engel anathema-tisirt, der anders lehren würde, denn er gelehrt hat (Gal. 1. 9, vgl. Apoc. 22, 18. 19). — Nun ist es ja freilich be-kannt, dass die Manner der Bibel nicht die einzigen sind, welche im Lauf der Menschheitsgeschichte sich den Wahrheitsbesitz zugeschrieben haben. Mehr oder weniger ha-ben dies alle Religionsheroen und Religionsverkündiger gcthan. Ob mit Recht und inwieweit etwa mit einem gewissen Recht, dies haben wir hier nicht zu untersuchen. Aber auf ei nes mussen wir wohl achten; wo immer in der Welt ein Mensch aufgetreten ist mit dem Anspruch, nicht blos Wahrheiten entdeckt zu haben, sondern d i e Wahrheit selb st zu vertreten, weil er sie besitze, da hat er — Jeder ohne Ausnahme — das nicht sich selbst,
sondern einer Offenbarung der Go11h ei t zugeschrie-ben. Ein wohl zu bedenkender, merkwürdiger consensus gentium, wodurch die Menschheit ilir eigenes Ermangeln des Wahrheitsbesitzes, aber auch die Nothwendigkeit, die Möglichkeit und die erfahrungsmassige Gewissheit einer Wahrheitsmittheilung von Seitcn der Gottheit bekennt.
Wo in der Welt die Wahrheit auftritt, tritt sie als eine Gabe der Gottheit auf. Sic sclbst also i s t e i n e Prarogative der Gottheit; wollte man sie selber schaucn in ihrer ewigen Reinheit und Schönheit, Klarheit und Harmonie, so müsste man von den abgelcitcten Lich-tern, wclche Himmel und Erde bietet, aufsteigen zu dem „Vater der Lichterquot; (Jak. i, 18). Und dieses Aufsteigen bis zu dem Throne, von welchem Leben und Licht, Kraft und Wahrheit ausströmt, haben denn auch manch edle Geister versucht, freilich nicht ohne geblendct von den Strahlen der ewigen Sonne, wenn sie in menschlicher Sprache künden sollten was sie gesehen, auch manchmal Nebelbilder an die Stelle von klaren Lichtesbildern zu setzen. Auf christlichem Gebiet haben dies hauptsachlich die My stileer und Theosophen unternommen; die zu Grund liegende Erkenntniss, dass die Wahrheit das Reich der RealitÉit in Gott ist, haben sie weiter ausge-sponnen, haben diese Wahrheit als von Gott ausge-sprochene Wahrheit, haben daher das in Gott be-schlossene Reich der Wahrheit als cin ewig aus Gott herausgetretenes, als ein eigenes selbstandig exi-stirendes Wesen erfasst; sodann, theils mit offenbarer Hereinziehung der platonischen Tdeenlehre, mehr nur idealistisch, theils mit ganz strengem Realismus, fast könnte man sagen: mit transscendentalem Naturalismus haben sie in diesem ewigen Reich der Realitaten die Quelle und die Urbilder, die Urformen alles dessen nachgewiesen, was auf der Welt überhaupt für existirend gelten kann. Besonders gern zicht man in jener ersteren Beziehung die
johanneische Logoslehre bei und lehrt, dass in dem ewigen Gottessohne, den Johannes als Logos schildert, jenes Reich der Realitaten seine Einheit habe; „Gott erschliesst aus sichquot;, sagt ein neuerer Mystiker, Martensen, (namlich im Logos), „ein Reich der Wesenheiten, der Ideen, der Machte und Krafte, eine innere ungeschaffene Welt (xoajjio; vorr xo;)quot;. Durch die hiebei leicht einschleichenden emanati-stischen Vorstellungen bedenklich gemacht, fassen Andere diese himmlische Wahrheit oder, wie sie nach prov. 8 nnd ahnlichen Stellen lieber sagen, diese Weisheit als ein oberstes Geschöpf oder Product Gottes, oder, wie Schöberlein sich ausdrückt, als „eine Geburt aus dem drei-einigen Licbesleben Gottesquot;; es soil „diese Idee der Welt Gott immanent, ein rein ideelies Geistesleben in Gott sein, aber doch zugleich ein freies Erzcugniss Gottes in Kraft seiner trinitarischen Liebe, und nicht blos das Urbild, sondern zugleich das urgründlichc Wesen und die ideelle Lebensquelle der wirklichen, geschaffenen Weltquot;. So gewiss diese Beschreibung Schöberleins dadurch viel ntich-terner ist, als die vorhin angeführte, dass sie das subjek-tive Moment, das Wissen Gottes mehr betont, so wenig wird euch von dem Bild, das er entwirft, eine klare Vor-stellung möglich sein, und, was uns die Hauptsache ist, audi seine Schilderung hatte ihre Legitimation durch die Bibel erst nachzuweisen.
Fragen wir namlich: wie stellt sich die h. Schrift zu dem Satz, dass die Wahrheit im substantialen Sinn des Worts allein bei Gott zu finden ist, und zu dem andern, dass sie als ein eigenes, irgend wie aus Gott herausgetretenes Reich der Ideen oder der ewigen Ui bil der alles Existirenden bei Gott lebt; so werden wir den ersten Satz sicher bejahen, den zweiten nur unter allerhand Cautelen bis auf einen gewissen Grad zugeben können. Die h. Schrift ist bei all ihrer Tiefe und Er-habenheit ungemein nüchtern. Nicht einmal der Satz
„Gott ist die Wahrheitquot;, welchen wir gewiss für berech-tigt im Sinne der Bibel halten diirften, findet sich aus-driicklich in ihr. Der sich of fen barende Gott ist es, welcher in Christo sagt: „ich bin die Wahrheitquot; (Joh. 14,6); von dem sich offenbarenden Gott lieisst es: „der Geist ist die Wahrheitquot; 1 Joh. 5, 6). Von dem an sicli seienden Gott fchlt dieser Ausdruck, so gewiss er eine nothwendige Consequenz des Satzes „Gott ist Geistquot; enthalt. Dass Gott das Lcben unci das Licht ist, ebendamit Inbegriff aller Wesenheit und Wahrheit, ebendamit auch Quelle alles Lichtes, aller Wahrheit auf Erden, stcht fest; wenn Gott im Alten Testament sagt „Ich bin esquot;
oder „Ich bin erquot;, wenn er bei sich selbst schwört quot;N 'n „lebendig bin ichquot;, wenn sein Name Jahvch ist, so liegt sicher in dem Allem das, was wir unter substantialer Wahrheit verstellen; aber auch dcr Jahveh-Name ist doch Name des sich offenbarenden, in die Geschichte ein-gehenden Gottes. Im Neuen Testament heisst Gott mit Nachdruck 0 [xovo? aXr/Jtvo; (Joh. 17, 3; 1 Joh. 5, 20, vgl. i Thess. i, 9), und das bedeutet sicher nicht blos „der al lei n wahrhaftequot;, sondern „der allein wesenhaftequot;. Und nicht laugnen wird man können, dass, auch wenn wir absehen von den grossartigen apokalyptischen Schil-derungen eines Ezechiel und Johannes, namentlich von dem Throne Gottes mit den vier Tragern, den vier Lebe-wesen oder, wird man sagen diirfen, Reprasentanten der Realitaten, die h. Schrift da und dort uns ahnende Hlicke oder Vorbücke thun lasst in die erhabenen Spharen, \vo Wahrheit und Leben ist, was hier Schatten, Licht, was Finsterniss, Wonne und Ruhe, was hier Mühe und Streit, ein Meer harmonischer Vollendung, was hier im wogenden Strom der Zeiten, getrübt und kampfend sich durch-ringt. Und die Bibel will mit solchen Schilderungen in den sterblichen, irrenden, aber auf die Ewigkcit und auf die Wahrheit angelegten Menschenkindern die Sehn-
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sucht erwecken, wie es ein moderner christlicher Dichter ausdrückt
In die Fiille aus der Leere, In das Wcsen aus dem Schein,
Aus der Lilge in die Wahrheit, Aus dem Dunkel in die Klarheit.
Abcr um ja keinc Phantasieen, keinc schwarmcrischen Traume aufkommen zu lassen, legt die h. Schrift durch-aus auf die Wahrheitsoffenbarung, die wir hienieden haben im Wort, den grösstcn Nachdruck, und gibt kein Recht zu weiteren Ausdeutungen. Kaum auch zu denen, welche über ein besonders existirendes, in Gott ewig seiendes und doch aus Gott hervorgetretenes Rcich der Wahrheit der Wesenhcit und über dessen Beschlossensein im ewigen Gottessohn oder im Geiste Gottes aus-gedacht worden sind. Wohl sagt sie, durch den Sohn sei die Welt geschaffen, und in ihm sei das Leben und das Licht der Welt; wohl sagt sie, der Geist sei das Element des Lebens und der Wahrheit; dabei halt sie aber den Schöpfungsbegriff, fern von allen emanatisti-schen Vorstellungen streng fest, und gibt nur in Bezug auf die Schöpfung und für das GeschafTene, nicht in Bezug auf das an sich seiende Wescn und Walten Gottes dem Sohn und Geist unbestreitbarer Weise solche Stellung. Für das Verhaltniss zum Geschaffenen kann man aller-dings manche Andeutungen der Schrift dahin benützen, dass von himmlischen Urbildern, in der Art j^lato-nischer, nur realistisch gcfasster Ideen für die irdischen Existenzen die Rede sei; so z. B. die Ausführungen des Hcbraerbriefs über die himmlische wesenhafte (aXr^Oivoj) Hütte als Bauriss oder Modell des irdischen Heiligthums (8, 2. 5; 9, 24, vgl. Exod. 25,40), ja auch die Aussprüche Christi: „ich bin der wesenhafte Weinstockquot; (Joh. 15, 1 ff.), „das wesenhafte Brotquot; Joh. 6, 32) u. dgl. Aber nüchterne Schriftforschung wird theils de» bildlichen Charakter sol-cher Stellen nicht aus dem Auge verlieren, theils minde-
stens zur grösstcn Vorsicht in der vveiteren Vcrfolgung solcher Andcutungen mahncn; sonst kame man zu leicht in sehr sonderbare Consequenzen hinein. — Mit weit mehr Recht wird ein anderer Zug in der Bibel benützt werden dürfen, welcher, wcnn man so sagen darf, auch in Gott selbst die subjective oder scientifische Seite des VVahr-heitsbegriffes, die Wahrheit ais etwas ewig von Gott ge-wusstes hervorkehrt. Wir meinen das, was das Neuc Testament von dem ewigen Gottesgedanken oder Rathschluss des Heiis sagt, von dem Mysterium, welches von Ewigkeit her in Gott verborgen, aber in Christo ge-offenbart worden ist (Rom. 16, 25; Eph. 1, 9; 3, 11; Col. 1, 26). Diesen Gottesgedanken der Erlösung werden wir als die evvige Wahrheit im Sinn der erkannten oder innerlich ausgesprochenen Wahrheit bezeichnen dürfen. In eigene Existcn/. aber tritt sie erst damit, dass sie den Menschen gegenüber ausgesprochen oder geoffenbart wird, und dies geschieht durch das Wort der Wahrheit oder das Wort Gott es.
Auch für diesen Hegriff „Wort der Wahrheitquot; — gewiss einer der wichtigsten biblischen Begriffe — muss durchaus die substantiale Basis dessen, was in ihm scientifisch und moralisch beschlossen liegt, festgehalten werden. Wahrheitserkenntniss für unser Sein und für unser Sollen bietct das Wort Gottes nur, weil es Wahr-heitssubstanz, Leben in sich hat; und nur soweit die letztere des Menschen Eigenthum wird, kommt es in ihm auch zu voller, ganzcr Wahrheitserkenntniss. Hierin liegen nun mehrere wichtige, allgemein giltige Consequenzen beschlossen, für den In halt und für den C ha rak ter der Wahrheitserkenntniss. Das Object der Wahrheit ist Gott und nur Gott und seine Offenbarung, Alles Andere nur in seiner lebendigen Beziehung zu Gott. Soweit Etwas blos an sich, nicht in dieser Beziehung zu Gott gewusst ist, findet der Begrifif „Wahrheitquot; auf dasselbe
gar keine Anwendung: ein wichtiger Canon fiir die Er-kenntniss des biblischen Inhalts selbst und seiner Infalli-' Sodann aber= Gott istGeist, ist Leben. Lebens-sacbe also ist die Wahrheit, nicht Schulsache; Wahrheit im subjectivcn Sinn kommt nur zu Stand durch .cbenserfahrung, nicht durch das Lehren und Lcrnen als solches Somit ist Gcgensatz zur Wahrheit nicht blos das Sclbsterfundene oder Selbstgemachte, sondern audi as blosse Wissen als solches, vollends das bios kunst-massige, ja gar erkiinsteltc Erkennen, wahrend das lebens-gemasse, erfahrungsgcmasse, natürliche Denken und Ur-t leilcn iminer dcr W'eg zur Wahrheit ist. Wo bios die eigenen, formalen menschlichen Krafte, wenn audi sinn-voll, walten, da fürchte die Bibcl cine ^uowvoiio; yvtoa:,-(i 1 im. 6, 20. 5), eine Erkenntniss odcr Wissenschaft welche diesen Namen mit Unrecht tragt und in Gcfahr ist, von der Wahrheit abzufuhren, ein Lcrnen, womit man zur Erkenntniss dcr Wahrheit nicht kommt (2 Tim. 3,7). Und endlich; 1st Wahrheit nur der Reflex der Lebcnsge-memschaft mit Gott im Denken und Urtheilen, so muss sic nach Christi Wort vor Ailem frei mach en (Job. 8, 32): sic erhebt über die Welt und das eigene Ich empor ni die Sphare der Gotthcit, sie bricht den Bann, der auf Denken, Wollen und Sein liegt und stellt den, dcr sie hat und der ihr folgt, wirklich - und war's gegenüber dcr ganzen Welt — auf eigene Eüsse, diese selbst abcr stehen auf dem Boden der göttlichen Wahrheitssubstanz.
Diese allgemcine Charakteristik dessen, was das Wort der \\ ahrheit bietet, will und wirkt, ist nun zuerst anzu-wenden auf das vor- und ausserchristliche Gebiet. Audi dieses ist nach der Bibel vom Wort dcr Wahrheit vom Wort Gottes nicht absolut verlassen. Das bekannte leologummon vom Aoyo; aTcepixav.xog hat biblische Bc-rechtigung. Durch den, welcher das wesenhafte Wort Gottes hcisst, sind audi in der gefallenen Menschhcit
überall noch Samenkörner der Wahrheit ausgestreut. So weit durch ihn noch Leben, Gottesgemeinschaft in die Menschen einströmen kann, sovveit besitzen sie auch Wahrheit; weil die Philosophen des Alterthums eo ipso Theologen waren und soweit sie das vvirklich waren, fehlt es bei ihnen nicht an Wahrheitserkenntnissen. Noch mehr aber, wo die Wahrheit m o r a 1 i s c h gesucht und befoigt wirrl, da gibt sie sicii auch kund; Christus kennt auch unter Nichtchristen und Nichtjuden solche, die aus der Wahrheit sind (Joh. 18, 37; 3, 21); Johannes nennt sie die überall zerstreuten Gotteskinder (Joh. 11, 52); Paulus redet von Solchen, welche, wahrend Andere die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten, also die Gottesoffen-barung an ihrer subjectiven Wirksamkeit hindern, vielmehr der Wahrheit gehorchen und nach ewigem Leben trachten (Rom. 1, 18; 2, 7. 8), das sind Leute, die frei werden wollen. Und solches Streben können die Menschen haben, weil in Allen eine Gottes-, eine Wahrhcitsanlage waltet, das ist das Gewissen und die Vermmft: ihr Wahr-heitsgehalt besteht eben in ihrem Gottesgehalt; das Mass des letzteren ist auch das des ersteren. Gerade desswegen freilich, weil der Gottesgehalt nicht seine volle Kraft entfalten kann, kommts auch ausserhalb Christo wohl zu Wahrheiten, aber nicht /ai der Wahrheit, dazu, dass die Substanz der Wahrheit vollkraftig sich crschliesst.
So ist ja allerdings die Bibel in der Zeichnung des Schattens, welchen sie in der Welt dem göttlichen Licht-bild gegenüberstellt, viel nüchterncr, milder und — wahrer, als es Manche gewesen sind, welche gerade die biblische Wahrheit vertreten sollten. Das aber lehrt auch die Bibel unverhohlen, dass im grossen Ganzen das Bild der Welt ausserhalb der speziellen Offenbarung ein sehr trübes ist. Die Welt nimmt den logos, der ihr Licht ist, nicht auf (Joh. 1, 5. 11) und so liegt sie in der Gewalt der Un-wahrheit; und zwar dies wieder intellectuell, weil es
am rechten moralischen Verhalten zur Wahrheit fehlt, und substantiell, weil die ethische und intellectuelle Wahrheits-aneignung fehlt. Branche ich, was das Substantiellc bc-trifft, zu erinnern an Alles, was die Hibel iibcr die irdische laaxatoxryg sagt, an die Klage des Kohqlcth: „Eitelkeit der Kitelkeiten, es ist Alles Eitelkeitquot;: ein Wort, welches nicht blos die Verganglichkeit, sondern die Gehaltlosigkeit des Irdischen constatirt, etwa das, was wir den Schwindel und Humbug des Weltlcbcns nennen; das, dass kein achtes, frisches und freies, daher auch kein wahrhaft ncues Leben pulsirt auf Erden, das ist Koheleths Klage. Soil ich, was den Mangel an ethischem Wahrheitsleben und i n t e 11 e c t u e 11 cr Wahr heitse rkenntniss angeht, erinnern an das starke Wort Pauli; „Gott allein ist wahr-haftig, alle Menschen Liignerquot; (Röm. 3, 4), an jenc Schil-derung der gottentfremdeten Menschen, deren göttliches Wahrhcitsorgan selbst, der vou;, der vcrfallen ist,
so dass auch ihr Verstand, ihre Stavo'.a, verfmstert und Ignoranz in göttlichen Dingen ihr Eoos ist (Eph. 4, 17. 18), oder an das Wort des Hriefs Juda, von den Psysikern, die Gcist nicht haben? (11. 19.) Das Resultat soldier Ent-fremdung von der göttlichen Wahrheit bci festgehaltenem intellectualistischem Strcben nach Wahrheit ist nach der Bibel cine völlige Verkehrung der Anschauung betreffend das Verhaltniss Gottes zur Welt, des Producirenden zum Producirtcn, der Realitat zur Tdealitat: das allein Rcelle, Gott und sein Reich, wird zur blossen Idee abge-blasst, das in sich Unreellc, Nichtige, das Irdische wird Realiteit; die Wahrheit ist entweder ein blosses Gedankending oder ist das nur sinnlich erfahrene, am Ende nur das, was man isst und trinkt.
So tritt denn das Wort der Wahrheit, wie es inChristo wesentlich geoffenbart ist, so freundlich es jencVorbereitung durch die Wahrheitskeime in der Welt anerkennt, dieser Verkehrung der Wahrheit, dieser nur
kosmischen Weisheit oder sein sollendcn Wahrhcitserkennt-niss so entschieden gegenüber, dass das Neue Testament sich wolil bewusst ist, dieser Gegncrin gcradezu als Thor-heit zu erscheinen, dabei aber auch sich wohl bewusst, die göttliche Weisheit zu bieten (i. Cor. i, 17 bis 2, 16), das Wort der Wahrheit, durch welches nach Jakobi Ausdruck(Jak. 1, 17,18) der Vater der Lichter seine Lichtes-und Lebenskraft in Christo der Mcnschheit eingeströmt hat. Was im Aoyog anepnzv.y.oc, der Macht derFinsterniss gegenüber sporadisch da und dort gewirkt hat, an seiner vollen Kntfaltung gehindert, das ist im Xoyoc, evaapy.o; in ganzer, concentrirter Realitat der Welt erschlossen worden. Was das Alte Testament theils padagogisch vorbereitet, theils typisch vorgebildet, ist nun selbst, ganz und voll da. Wo Johannes Christum und das alttestamentliche Gesetz ein-ander gegenüberstellt, sagt er: das Gesetz ist durch Mose gegeben, /xp'-i und aXrjöeta ist durch Christum geworden (Joh. 1, 17). J.ehrreich ist in diesem Ausspruch schon der Unterschied von „gegebenquot; und „gewordenquot;, Mose hat nur etwas geben können, was ihm selbst an sich ein fremdes, ein empfangenes war; durch Christum ist Gnade und Wahrheit geworden, weil es in ihm ruhte und durch ihn erst ins Sein für die Welt eintrat. Aber be-sonders zu beachten ist der Gegensatz der Subjecte: dein Gesetz steht x^p-^ und zhjlkiz gegenüber, jenes, wie Hengel fein bemerkt, sofern das Gesetz iram parat, dieses sofern es umbram habet.) Die Zeit der Gottesferne ist vorbei, Gottesgemeinschaft hergestellt; und die Zeit der blossen schattenrissartigen Darstellung, der C7y.'.x (Col. 2, 17) ist auch vorbei, die Sache selbst, der Körper — sagt jene Colosserstelle geradewegs — d i e W e s e n h e i t i s t d a in dem, dei xo 7tXifjpü)|xs! xï^ uwijkzxixwj in sich hat
(Col. 2, g). Wcnn hienach unbestreitbar ist, dass auch in Christo, und am allermeisten in ihm die „Wahrheitquot; niemals in blos scientifischem oder moralischem Sinn, son-
dern reel!, substantiell zii fasscn ist, so werden wir doch berechtigt sein, gerade wenn vom Wort der Wahrheit die Rede ist, hauptsachlich auf die Erkenntnissseite unsere Aufmerksamkeit zu richten. Nun müsste ja freilich eine ganz umfassende Behandlung des Themas, das wir uns gestellt, auch auf die Frage eingehcn: wie kommt es denn nach der Bibel überhaupt zu einem Wort, das geradezu Gottes Wort oder Wahrheit (Joh. 17, 13) heisst und als solches sich spezifisch abhebt von allen andern Worten, die von oder zu Menschen gesprochen werden? Wie ent-steht dieses Wort und zwar zunachst als gesprochenesr sodann wie verhalt sich hiezu das geschriebene Wort und zwar zuerst als einzelnes, dann als eine Reihe von solchen Gottesvvorten, als eine Schrift und endlich als eine Samm-lung von Schriften, als dieses Alte und Neue Testament, wie wir es vor uns haben und wie wir es das Wort Gottes nennen? Auf all diese Fragen können wir hier nur eine sehr kurze und sehr allgemeine Antwort geben, mit welcher insbesondere für die Art und Weise, wie wir uns die Entstehung der Schrift, der Bibel als des Buches xax' eQoyjjV zu denken haben, nur eine breite Basis und ein oberster Canon und Corrigent gegenüber allerhand falschen Anschauungen gegeben ist; und diese Antwort finden wir in zwei Bibelworten, eintnal: „dein Wort ist die Wahrheitquot; (Joh. 17, 13), sodann „der Geist ist die Wahrheitquot; (l. Joh. 5, 6). Das Wort, das wir in der Bibel vor uns haben, also zwar nicht blos, aber vor Allem der biblische Inhalt, das was in der Bibel verkündigt und gelehrt ist, ist Wahrheit, weil es aus dem Geist Gottes und Christi stammt und diesen Geist in sich hat. Wort und Geist sind unzertrennbar verblinden, jenes ist der Ausdruck des Geistes, dieser die Quelle und die Kraft des Worts; also gilt; der Geist nur i m Wort und das Wort n u r durch den Geist ist die Wahrheit. iieides darf man weder identificiren, wozu bis auf einen gewissen Grad der
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Orthodoxismus und Pietismus gencigt ist, noch darf man Heides, Wort und Gcist, aus einandcr reisscn, wozu theils die schwarmerische, theils, von anderer Seite, die rationalistische Richtung geneigt ist. Das Wort ist Ausdruck und Vehikel des Geistes, darin liegt freilich ein ge wiss es Getrenntsein beider, auch eine gewisse Incongruenz, die dem Wort gegeniiber dem Gcist zukommt, es liegt aber auch darin klar das wirkliche Innesein und Wirkcn des Geistes durch das Wort, und zvvar des Geistes der spe-zifischen, übernatürlichen, historischen Offenbarung, deren Zeugen die Redenden, vor allcm die Apostel sind (Joh. 15, 26. 27). Und Wahrheit kommt diesem ihrem Zeugniss zunachst einfach desswegen zu, weil sie, in lebendiger Erfahrung der Offenbarung und erfüllt vom Offenbarungs-geist bezeugen, was sie gesehen und gehort und betastet haben(i. Joh. 1, 1). Für ihr Wort und für die Erkenntniss desselben, für die scientifische Seite des Wahrheitsbegriffs liegt hierin vor Allem das, dass sie die Geschichte, die sie erlebt haben, den Hörern und Lehrern so vor Augen stellen, dass diese, wie Johannes es ausdriickt, „Gcmcin-schaft mit ihncn habenquot; (1. Joh. 1, 3), also geistig dasselbe erfahren können, was jene als Augen- und Ohrenzeugen erfahren hatten, oder, wie Paulus es bezeichnet (Gal. 3, 1), dass den Hörern und Lesern Christus so lebendig vor Augen gemalt wird, als ware er unter ihncn gekreuzigt worden. So hat das Zeugniss der Schrift von dieser Gottesoffenbarung historische Wahrheit. Damit ist nicht ausgeschlossen, sondern eingcschlossen, dass es auf diesen Anspruch hin auch, und historisch, mit den Mitteln der Wissenschaft gepriift werden muss. Es versteht sich auch von selbst, dass eine Menge Kragen, Rathsel, Schwierig-keiten bei dieser Untersuchung sich erheben. Aber das, was sie als Geschichtsurkunde leisten soli und will, ein durchaus getreues Bild der Offenbarungsgeschichte geben, leistet sie unbedingt.
Kübul, Wuliiiiüit.
Aber nicht blos dies. Wie jede Offenbarung Gottcs Gcist, Lebensgeist in sich hat, so auch diese. Strömt durch die Naturoffcnbarung in uns ein der Gcist der Natur, die Kraft des diesscitigen Lebcns, durch die Gewissensoffen-barung der Gcist des Gcsetzcs odcr der Pflicht, die Kraft, Gutcs zu wollen, Böscs zu verwerfen, so strömt durch die Offenbarung Gottes in Christo der Geist evvigen und heiligen Lcbens in die Zeugen und durch ihre Darstellung der Offenbarung in uns ein und beweist sich als soldier am Gewissen der Menschen. Wie die Erkenntntss in ihr das höchste und das vollbcfriedigendc Object des Dcnkens findet, so Gewissen und Wille die Norm und die sittliche Kraft, deren sie bedürfcn. Hierin liegt der Wahrheits-erweis für das Wort Gottes in der Bibcl, ihre Selbst-rechtfertigung als moralise he Wahrheit an Mörern und Lesern. Wahrheit als die Wahrheit die Eine, die gött-lichc tritt mit unbedingter Herrenhoheit auf; und das Gewissen des selbstherrlichen Menschen crkennt diescn Hcrrenanspruch an, beugt sich unci nöthigt den Menschen, sich unter denselben zu beugen. Er kann dieser ihm gegen-iibertretenden sittlichcn Autoritat sich nicht entziehen, ohnc sich selbst entgegenzuhandeln. Also nicht, wcil ihm hier Lehrcn, Dogmen oder auch kategorische Imperative mit ausserlich imponirender Hoheit oktroirt vviirden - - davon ist wahrlich in der Bibel keine Rede —, sondern weil i h n hier ein Geist a n w e h t, w e 1 c h e n e r als seines eigenen Geistes höchste Füllung, als seines ticf-sten Strebens vollste Erfüllung erfahrt; nicht weil er zur Unterthanigkeit, sondern weil er zur Frciheit in der Unterwerfung, der sittlich-freicn Unterwerfung unter dieses Wort sich geführt findet — desswegen erkennt er dieses Wort als die Wahrheit an. Und nicht so, dass etwa in der ersten Begcisterung ihm nur hier eine himmlischc Idee aufgienge und er in sittlichem Enthusiasmus in ein Idcalreich und Tugendreich und dergl. sich versetzt fiihlte,
Zee.
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Wort will Wahrheit sein, weil der Gcist die Wahrheit ist. Wahrheit also spricht sieh die Uibel zu in dem Sinn, dass in ihr der Geist des ewigen Lebens, der heilige Gei stGottes u n d s e i n e s R e i c h e s n i e h t b 1 o s s i c h a u s spricht, s o n d e r n in ihr 1 e b t n n d w i r k t, d u r c h sic als sein a d a q u a testes Organ s i c h c r-schliesst; diesem Geist dient Alles in der Bibel als Organ und Symbol, abcr jedes in seiner Art und an seinem Ort; in vollkommener Weise aber eo ipso nur das Ganze, als Ein Organismus. Dieser Geist aber ist nicht an sich soviel als das eigenthiimliche religiose Bewusstsein dieser Manner, sondern er ist der Geist ewiger, himmlischer Wcsenheit, einer Wahrheit, substanz, die nicht vom Menschengcist, auch nicht von mcnschlicher Frömmigkcit herstammt, sondern die sich nur von Oben und zwar durch die gcschicht-liche Offenbarung Gottes in Christo mitgetheilt hat. Diese Wahrheit hat sich in der Bibel in reicher Man nigfaltig-keit erschlossen; dcr Organismus des Wahrheitsworts in der Bibel ist aus allerhand Gliedern, auch solchen von höherem oder tieferem Wcrth zusammengesetzt. Und die biblische Wissenschaft hat Pflicht und Recht, diesen Unter-schieden und den Urkunden, den Schriften, in welchen sic vorliegen, in jeder Beziehung mit den Mitteln der Wissenschaft nachzuforschen; sic vvird aber nie anders können, als in all diesen Tndividualitaten doch den Einen Geist, den Geist der gottlichcn Wahrheit constatiren. Diesen Wahrheitsgeist aber kann man nicht sozusagen bannen, sowenig wie man irgend einen Geist bannen kann, bannen durch formal fixirte Untcrscheidung cines Theils des In-halts, den man mehr oder weniger preisgeben könnte, und cines andcrn, den man in gewissen Formeln festhalten müsste. Ta -vsujjiaf.xa Tcveuixaxtxw? avaxpivsxat und txveu-[iauxots auyxpivexat, i. Cor. 2, 13. 14.
Hierin liegt nun endlich auch dcr Charakter angc-deutet, welchen die V erarbei tung dcr biblischcn Wahr-
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heit in Form eines wisscnschaftlichcn Systems an sich tragen muss. Die biblische Wahrhcit als Wissenschaft folgtc ganz so, wie ihre Selbstbezeugung in der 15ibcl unci ihr subjectivcr Wahrhcitsenveis beim Einzelnen, durchaus dem Canon des Geistes, d. h. das System und das im System, was sich als geboren aus den im Bibelwort beschlossenen Geist ausweisen kann, hat auch Theil an der Autoritat der biblischen Wahrhcit. Nicmals frcilich darf cin solches System, seis dass es cin Einzelner, seis dass es die Kirche selbst aufstellt, sich an sich mit dcr biblischen Wahrhcit identificiren, andererseits abcr ist selbstverstiindlich, dass cin möglichstes Annahern an adaquate Reproduction dcr biblischen Wahrhcit stattfinden kann und soil. Dcnn die Bibel selbst gibt ihrc Wahrhcit nicht in dcr Form wissenschaftlich l^cgri ffli chcr Darstel lung, sondcrn in Form lebendigen Zcug-nisses unmittelbarcr Erfahrung; die Manner dcr Bibel schreiben aus dem Leb en fur das Leben. Die Reproduction ihres Zcugnisscs in Form eines wisscnschaftlichcn oder kirchlichen Lehrsystems beruht also auf cincm Vcrmittiungsprocess, wobci die Subjectivitat, dcr jevvcilige Stand der Wissenschaft u. s. w. ihren bedcutcndcn Einfluss haben mussen, nicht weniger, abcr auch nicht mchr, als dies bei allen ahnlichen Arbciten auf alien mog-lichen Gcbieten dcr Fall ist. Und es verstcht sich von selbst, dass dcr jeweilige wissenschaftliche Bcarbeiter nach den Gesetzen und der Methode aller wisscnschaftlichcn Forschung zu venahren hat; dabei abcr blcibt dcr eigen-thiimliche Charakter dcr biblischen Wahrheit in seiner Gcltung und hat dcr Geist dcr Bibel die Seele der ganzen Arbeit zu bilden. Abcr nicht blos, sofern das System dcr biblischen Wahrhcit trcu aus diescm Geist flicsst, kann es wenigstens annahernd dicselbc reproduciren, sondcrn auch, für die Darstellung seines Lehrinhalts selbcr bictet die l^ibel Basis und Norm: im Neucn Testament
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selbst sind nicht blos überhaupt bestimmte Lehren, son-dern auch schon die ersten Ansatze zu einer wirklichen, in gewissem Sinn darf man sagen: dogmatisch odcr symbolisch fixirten Lehrsummc gegeben, welche natiirlich die materiale Grundlage des Ganzen bilden mussen. 1st es doch nicht zufallig, dass Christus selbst ausdrücklich sein Wort als eine O'.Oy.yyj bezeichnet (z. B. Joh. 7, 16. 17) und durchaus nicht, wie man gerne sagt, blosse moralische Grundsatze, sondern auch eigentliche Glaubenslehren auf-stellt, liauptsachlich über sich selbst und sein Verhaltniss zum Vater; und dies gar nicht blos bei Johannes, sondern auch bei den Synoptikern. So wissen und sagen auch die Apostel, dass sie eine SiSoc^ zu geben haben (z. B. Apost.-Gesch. 2, 42; Tit. 1, 9), und sic legen auf etliche dogmatische odcr historische Punkte, wie die Auferstehung Christi, entscheidendes Gewicht. Abcr, wie schon bemerkt, an einigen Stellen allcrdings der spatcren neutestament-lichcn Schriften finden sich auch bereits Lchr- oder Be-kenntnisssummen, so namentlich in den Pastoralbriefen; und so gewiss auch diesc nicht den Charaktcr unscrer wissenschaftlichcn Sprache an sich tragen, also erst in diese übersetzt werden mussen, so gewiss ihnen damit auch — und ware es ganz unbewusst — ein vom ursprüng-lichen et was abweichendes Colorit gegeben wird: so gewiss ist doch damit für die Systematisirung der biblischen Wahrheit ak Lehre, als W isscnschaft eine sichere l?asis und ein nicht zu unterschatzender Regulator gegeben, wenn sie anders geben und sein will, was Paulus die gesimde Lehre oder das lehrgcmasse, zuverlassige Wort (oxaxa xrjv S'.Sxyr^ maios Xoyog) nennt, Tit. 1, 9. Klar aber ist mit dem Al lom, wie die Wahrheit die Eine gött-Hche, wohl durch ihr Wort als eine klare, feste und helle (vgl. 2. Petr. 1, 19) vor uns stcht, eine Wahr-heitssubstanz, die für Erkcnntniss und Wollen sich lebcns-ki.iftig ausweist, wie aber zugleich damit dem er n sten
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Suchcn nach Wahrheit, dein Ernst der Wissenschaft, die sich auf die Hibel stellt, aus ihr lebt und in sie ein-fiihrcn will, nur ein urn so starkerer Antrieb und Sporn gegeben ist. Auf der einen Seitc steht die Wissenschaft in dieser Bczichung vor einem «outov, iiber dessen Schwelle geschrieben ist; Ta ayix xot? ayoois -/.a-. jisnur^ievoic;; auf der andern vor einer weiten effenen, mit Lebensblumen und Lebensbaumen der reichsten Art übersaten Flur, die zu betreten und zu durchforschen die höchste Arbeit und die höchste Freude zugleich ist. Wohl dem, der Beides recht zu vereinen weiss, die heilige Scheu vor dem llci-ligen und die crnste, freudige Arbeit des Forschers nach Wahrheit.
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