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RIJKSUNIVERSITEIT UTRECHT

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1598 3517

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ZUM

BEWEIS m GLAUBENS

Vüii

Dr. Albert Peip,

ausserordentlichem Professor der Philosophic an der Universitamp;t zu Göttinge ordentlichem Mitgliede der historisch - theologischen Societèit zu Leipzig.

Soiulerabdruck aus der apologetischen Monalssehrift „Der Beweis des Glaubensquot;.

Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 18G7.

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Das Hecht Uer Uebersetzung wird vorbebalten.

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V O R W O R T.

Die folgenden drei eng zusammengeliorigen Artikel erschienen, von geringen Aenderungen und Zusatzen abgesehen, einzeln schon in der von O. Andreae und C. Brachmann herausgegebenen Monatsschrift „Der Beweis des Glaubensquot; (Jahrg. 18GG und 1867). Hire Tendenz ist, wie die der genannten Zeitschrift, eine apologetische, keine unmittelbar polemische. Sie ^rer-theidigen den (Jlauben gegen die Beweisgründe des Unglaubens; Soldi en, die gegen die letzteren der lliilfe bedürfen, wollen sie an ihrem Theile helfen. Sie o-rei-f'en den Lnglauben niclit an, sondern schlagen nur seine Angriffe zurück; Solchen, die der liiickschlag trifft, wollen sic nach Massgabe des „suurn cuiquequot; dienen. Dass jcne lliilfe und dieser Dienst erspriess-licher sein würden, wenn der wesentliche Inhalt des kleinen Ganzen in grösserem Stile systematisch bear-beitet vorlage, verbirgt sich dom Verfasser niclit; dennoch zielit er, durch zahlreiche l^eispiele aus der Geschichte gerade seiner Wissenschaft belehrt und ge-warnt, es vor, mit dem schriftstellerischen Aufban

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eines Systems zu warten, bis er die Wahrlieit und Wirkungskraft dessen, was er zu bieten bat, in münd-licben akademiscben Vortragen wird erprobt baben. Daber kann er fiir jetzt nur wiinseben, dass die Artikel den Zweck, den sie naeb ibrem ersten Erscbei-nen, wie aucb üffentlicb kund geworden, niebt ganz verfeblt baben, nun in einem noeb weiteren lieser-kreise wenigstens gleicb annabernd erreieben mögen.

Gottingen, den 4. Juni 18G7.

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T.

DIK GRANZEX DES BE WE IS ES.

W er in uiiscrn Tageu den Glaubeu beweisen will, hat von vorn herein mil zwei Klassen von wisseuschaftlichen Gegneru zu streiten. Die Einen sagen; Nichts lassl sieii beweisen, folg-lich auch der Glaube niclil. DieAndern: Alles lüsst sicli beweisen, uur der Giiiubc nicht, Wir können jene die skeptischen, diese die kritisclien Gegner nennen, ohne jedoch behaupten zu diirfen, die Geguer dos Glaubensbewelses seien als solche schon (iegner des (ilaubens. Vielmebr giebt es unler den Glaubigen Viele, die eiueiu der beiden Siitze zusUnimen, nur dass sic dar-ans ein Anderes erschliessen als die Unglaubigen, nanilich diess, dass, ebeu well der Glaube, sei's gleich allem Uebrigen, sei's allein, im Unterschiede von allem Uebrigen, sich nicht beweisen lasse, man nur glauben, einfach den „Gehorsam des Glaubensquot; lernen und Uben miisse trotz der Unbeweisbarkeit desselben. Um so dringender ersclieint die Nothwendigkeit einer Vcrstiindigung über die Griiiizen des Beweises, und da das Beweisen bekannt-lich eine logische, iiiitliin philosophische Function ist, so liegt der Versuch soldier Verstandigung einem philosopliisclien Mitar-beiter au dem „Beweis des Glaubensquot; besonders nahe.1) Dieser Versuch wird seineiu Zweck am besten entspreehen, wemi die

') Dass hier und au einigen andereu Stellen die Spuren der ursprüng-lichen Bestiiniuung des nun selbstsliindig ersclieinendeu Beitrngs zumGlau-bensbeweise niclit getilgt sind, reclitfertigt sich aus dem im Vorworle Gesagteu.

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User den Eindruck empfangeu, dass er nicht mit absonderlichen, gewagten Kunstgriffen, sondern mit bewalirten, insgemein iibiiclien, einfachen Mitteln angestellt worden. Zu deni Behufe soil im Fol-gendcn Schritt vor Schritt auf anerkannte Meister der wissen-schaftiichen Forschung verwiesen werden, bei denen zugleioli die etwa zur Fortselzung einer oder der anderen Gedankenreilie ge-neigten Leser sicli Kaths erholen mögen.

Voligiiilige, vollkommen wissenschaftliclie Beweise sind, nacli dein durch Aristoteles fcstgestellten Sprachgebrauche der 1'liilo-sopliie, nur die der Wahrheil, niclit die der Wahrscheinlicbkeit. Alle durch blosse Induction vennittelten, alle auf blosse Erkennt-nissgrilnde, die nicht zugleich Realgrilnde sind, gestiltzten Beweise, also weitaus die meisten Beweise der empirischen Fachwissen-schaften sind, wie werthvoll audi, doch immer nur Beweise der im besten Falie liöchsten Wahrsclieinlichkeit. Hierilber besteht unter den besonnenen, erkennlnisstheoretisch gescliulten Vertre-tern dieser Fachwissenschaften nacli unzweideutigen eigenen Aus-sagen nicht der niindesle Zweifel.') Der Glaubensbeweis aber, dem nicht nur die Wahrsclieinlichkeit, sondern die Wahrheit, die voile Wahrheit des Glaubens zu beweisen obliegt, soli und will eben darum zur Art der vollgiiltigen Beweise gehören. Mit dieser

') .\kin vgl. z. B. Vircliow „Vier Heden Ober Leben undKrankseinquot;, 1862, S. 14: „Alle erfalmingsmSssige Kemitniss ist unvollstftndig und li'ickenbaftquot;, und Ruete „Ueber die Existenz der Seele vom uatnrwissen-schaftlicheu Slandpunktequot;, 1803, S. 0: ,,Ich sage ausdrUcklieh: weit walir-sclieinlicher, denn alsolute Gewisshelt liisst sicb auf empiriscliem Wege nicht erlangenquot;; von phllosophischerSeiteUeberweg „System derLogikquot;, 1857, S. 215 (zweite Auflage, 1805, S. 203): „Die Vollendung der Erkennt-niss liegt darin, dass der Erkenntnissgrund mit dem Reaignmde zusammen-falloquot;, und ebend. S. 398 (2. Aull. S. 377): ,,I)ie Beweise sollen niclit nur sireng, sondern aucb nacli Möglichkeit genetisch sein, oder der Erkenntnissgrund . . . soli mit dem Healgrunde zusammentreffen, und dieser Fordorung kann und soil die neuere Wissenschaft . . . nachkommenquot;, endlich S. 413 (2. Ann. S. 390 f.): „Die Erkenntnlssprincipien sind zwei-lacher Art, je nachdem das Einzelne und Besondere oder das Allgemeine zum Ausgangspunkte der Erkenntniss dient; die ersteren entsprechen den Realprinclpien nicht, bilden aber die naturgemiisse Grundlage der propii-deutischen Erkenntniss; die letzteren sind bestimmt, den Uealprincipien zu entsprechen, und bilden demgemiiss die Grundlage der streng wissenschaftliclie n Erkenntniss.quot;

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Art vou Beweisen haben wir es also hier alleiu zu thiin; wo ein Verlangen nach vvissenschaftlichem Bewels des Glaubens sich kund glebt, da stimmt der Sprachgebrauch der (jliiubigen wie der Unglaubigen insoferu vollstiindig iiberein init dem Spraciigebraucli der Philosophie.

Nun aber ist innerhalb der bezeiclnieteii Art uocli ein zwie-facher Sinn des Wortes zu unterscheiden, ein engerer und ein weiterer. Im engeren Shine versteht man, ebenfalls seit Aristo-teles, unter dem Beweisen das Begriinden, das Ableiten eines Er-kenntuissgegenstandes aus Griinden uud zwar aus seinen eigen-thilmlichen Griinden. In diescm Sinnc kann nalUriich von einein directen Beweise der ielzten Griinde selbst, der s. g. Principien, oder, wenn dlese anf Einen ietzten Grund sicii zurtickfUhren lassen, von einem Beweise dieses Einen Grundes, des Urgrundes, nicht die Rede sein; denn er hat als solcher, als Urgrund, Nichts liber sich, woraus er abgeleitet werden könnte. Im weiteren Sinnc aber heisst Etwas beweisen es bewöhren, bewahrhelten, ais nothwendig oder allgemeingUltig, wenn audi nicht allgemein geltend, darthun, und in diesem Sinne, in welchem z. B. Hegel iiaufig, ja in der Kegel das Wort anwendet, spricht man mit Hecht vou einer Beweisbarkeit audi der Ietzten Beweisgrlinde, der Principien, sofern sicii durch Entwicklung derselben in iiire Folgen und durch Widerlegung der Folgen ihres conlradictorischeii Gegentheils zeigen lasst, dass sie in sicii begrilndet sind; in gleichem Sinne spricht man von Beweisen, nicht bloss indirecten, sondern audi directen Beweisen filr das Dasein oder Sein Gottes als des Urgrundes. Audi wir mogen uns des Wortes in diesem weiteren Sinne bedienen, mlissen jcdoch, damit die Klarheit der Auseinandersetzung nicht gefahrdet werde, des l'nterschiedes der zwiefachen Bedeutuiig eingedcnk bleiben und ihu, wo er von Belang ist, vou Neuem hervorheben.1)

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1

) Ueber die Theorie des Beweises vergleiclie, wer das oben Ange-deutete weiter ausgefülirt sehen will, Ueberweg „System der Logikquot; S. 396 11'. (2. Aufl. S. 375 IF.), Trendelenburg „Logische I'ntersuchungenquot; 11, 1802, S. 279 II'. Zeiler „Pliilosopbie der Griechenquot; 11, 2, 1862, S. 168 11'.; über das Unstatlhafte der Verwecliselung des AllgemeingüUigen mit dein Allgemeiiigeltpndeii H. liitter „Encyklopttdie der philos. Wissen-ocliaftenquot; I, 1862, S. 65.

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Dass jeder Beweis einerseils in der Fahigkeit der Sache, bewiesen zn werden, andererseits in der Fahigkeit des Uevveis-fiihrers, sie 7,u beweisen, seine (iranzen hat, verstebt sicli von selbst; das muss im Verlaufe des Unternehraens sich berausstel-len nnd bcdarf kelner vorgangigen Erörterung. Aber da zinn vollzübligen Ganzen eines Beweisverfahrens nicht nur das gehört, was bewiesen werden, nnd der, weicher beweisen, sondern anch der, dem cs bewiesen werden soil, so üfTnet sich eine dritte Seite der Betrachtnng, und diese aus dem angegebenen Gesichtspunkt in's Ange zu fassen, diirfte sich allerdings lobnen; denn sie ward und wird vielfach Ubersehen, nnd niancher Aufwand von Beweis-niUhe ist nur darum nacb menschlicher Berechnung verloren gewesen.

Wir fragen denmach, vom Allgemeinen zum Besonderen fort-gehend: welches ist auf Seiten desjenigen, dem bewiesen werden soil, erstens die Grttnze, liber die liinans der Beweis überhaupt, der Beweis irgend eines Erkcnnlnissgegenstandes, und zweitens die Grtinze, iiber die hinaus der Glaiibensbeweis nicht gelingen kann? Oder mit anderen Worten: was setzt jeder Beweis bei demjenigen, dem er gefiihrt wird, voraus? und was der Beweis des Glaubens?

1.

Die Antwort auf den ersten der beiden Fragepunkte scheint höchst einfach. Denn was ist nacb dem einleitungsweise Bemerkten, sollte man meinen, klarer als die Nothwendigkeit der Voraus-setzung, dass der, dem wir irgend Etvvas beweisen sollen, das AllgemeingUltige sich geiten lassen, die Grlinde des zu Beweisen-den wissen w o 11 e ? Auch das scheint sich, wie die llnerliisslich-keit des Vorhandenseins jener doppelten Fahigkeit, von selbst zu verstehen. Und docli ist dem nicht so. Gewisse moderne Natur-forscher wenigstens erklareu oden, A'ichls von Grlinden wissen zu wollen. Dass wir gerade die Naturforscher insonderheit beachten, wird Niemand befremdlich finden, der bedenkt, wie oft und wie laut gegenwartig die naturwissenschaftliche Methode als die allein gilltige, allein des Namens „Methodequot; würdige bezeiclinet und auch der Theologie, noch dazu von Theologen selbst, als die allein ersprlessliche enipfohlen wird. Auf das zwar, was Czolbe neuer-

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dings nacli der angeileuteten Riclilung hin gegen Virchow geilend gemacht hat, werden wir kein grosses Gewicht legen diirfen, da deni rillirigen Denker, nacli seinein bisherigen Entwicklungsgange zu scbliessen, noch manche Wandelung bevorstehl. Aber ein Fachmann von dem Ansehen Du Bols-Reymond's hal sich friiher schon ganz ahnlich ausgesprochen. In seinen beriihmlen „Untersuchungen liber thierische Elektricitfitquot; lescn wir: „Der Kraft;, wenn sie als Ursache der Bewegung gefasst wird, kommt in Wahrhelt koine Wirklichkeit zu, so wie man an den (irund der Erscheinungen denkt, (iehl man auf diesen (irund, so crkennt man bald, dass es weder Kriifle noch Materie giebtquot;; die Kraft ist „eiiie verstecktere Ausgeburt des unwidersteblicheu Manges zur Personification, der tins eingepriigt ist, gleichsam ein rhelo-rischcr Kunslgriff unseres Gehirns.quot; Und „fragt man, was denu iihrig bleibe, wenn weder Kriifle noch Materie Wirklichkeit be-sitzen, so antworten wir: es ist dem menschlichen Geiste nun einmal nicht beschieden, in diesen Dingen iiher cinen lelzten Widerspruch hinauszukommen. Wir Ziehen daber vor, slalt uns im Kreise fruchtloser Speculationen zu drchen oder mit dem Schwerte der Selbstlauschung den Knoten zu zerhauen, uns zu halten an die Anschauung der Dinge, wie sic sind. Demi wir konnen uns nicht dazu verstehen, well uns auf dem einen Wege eine richtige Deutung versagt ist, die Augen zu schiiessen Uber die Mangel einer anderen aus dem cinzigcn Grunde, dass keine dritte niiiglicli scheint; und wir bcsitzen Eiitsaguug genug, um uns zu linden in die Vorstellung, dass zuletzt aller Wissenschaft doch uur das Ziel gesteckt sein möchte, nicht das Wesen der Dinge zu begreifen, sondern begreillich zu machen, dass es niclit begreillich sei.quot; ') Dass mit dieser „Eutsagung,quot; wenn sie ernstlich gemeint ist, die Möglichkcit einer wissen-schaftlichen Beweisiïihrung auriiört, leuclitet ein. IJm jedoch dergleichen Siitze nicht uubillig zu beurtheilen, schallen wir hier, von dem genannten einzelnen Forschcr absehend, eine allgemei-nere Bemerkung eiu.

Wie der ausiibende Künstler in der Begel nicht der beste Kunstlheoretiker ist, so gewahrt in die Methode der \atiirforscher

') Du Bois-Reymond a. a. 0. I, 1848, Vorr, S, XL. f.

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ineist nicht ilirc Lehre von dieser Methode, ihre Methodologie, die rechte Einsicht. Au dein Bewusstsein der Treffiiclikeit der-selben fehlt es ihnen freilich nicht; noch vor Kurzem rlihmte Virchow, es „könne sich doch am Knde Niemand dein Umstande verschliessen, dass die natunvissenschaftliche Metiiode die eigent-liche Methode des menschlichen (jeistes ist.quot; ') Aber gehen sie nun daran, das Wesen dieser Methode, ihren ünterschied von anderen, etwa nocii möglichen Methoden zu beschreiben, so lassen sie den Mangei an der dazu erforderlichen Fertigkeit nicht sollen auiriillig durchblicken. Wir belegen diess mit einem vorzugsweise merkwürdigen Beispiel. Hugo v. Molil sagt in seiner bel Er-öffnung der naturwissenschaftlichen Facultat zu Tubingen gehal-tenen Rede, nnd zwar niclit beilaufig, sondern an der Hauptstelle dieser Rede, da, wo er die Ablösung der Naiiinvissenschaften von der phliosophischen FacuKat motiviren will: „Wcnu der Fhilosoph aus aligemeinen Principien specielle Folgerungen ableitet nnd ein in sich harnionisches, mit den Gesetzen seines Denkens in Uebereinstimmung stehendes System aufstellt, so ist er der Ueberzeugung, dass seine Ideen innere Wahrheit eiithahen und mit der Wirklichkeit Ubereinstimmeu. Der Nalnrforscher hal da-gegen diese Ueberzeugung von der Unfehlbarkeit seiner Scliluss-folgerungen keineswegsquot; u. s. w., sondern (heisst es daim) er priift die Folgerungen au der Wirklichkeit. „Die Forderung, welche der Naturforscher au den Reweis der Wahrheit stellt, ist daher eine wesentlich andere als die des Fhilosophen.quot;1) Diese Worte Mohl's zeugen, naliirlicli unbeschadet der Verdienste des Bola-nikers, von Unkenntniss der Philosophie und Hirer (ieschlchte. Schon Aristoteles bat es klar erkannt und eben so klar ausge-sprochen, dass die blosse innere Uebereinstinimung der Folgerungen unter sich, der, wie Molil sagt, „in sich harmonische Zusammenhang der Consequenzenquot; keineswegs genügt, urn die Wahrheit der Principien zu beweisen, da auch aus Falschem Wahres folgen kanu. Schon Aristoteles hat unter Anderem, ganz wie Molil es dem Naturforscher vorschreibt, die Ideeulehre Platon's

1

H. v. Mo hl a. a. 0., 18Ö3, S. 26 f.

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an der Wirklidikeil geprlift mul wesenllicli darum, vveil er sie mit dieser nlcht eiustimmig feud, vemorfen. Wie liirr Aristoteles, so verfahren grundsalzlicli, der Kegel nach, alle Philosophen.') Ausnalmien aber, Abweichungen von der Kegel, Fehler lasst die naturwissenschaftliche Forschung wie die philosophische sich zu Schulden kommen. Urn sie iiandelt es sich nicht, wenn man, wie Mohl, zwei Methoden wesentlich unterscheiden will, sondern eben nm das Wesenlliche, um die methodologischen (inmdsatze. Ueber diese hatte Mohl vor Verkiindignng seines Kichterspruclis sicli gehorig instrulren sollen; aber er scheint zu glanben, was Viele glauben, dass, wahrend die anderen Wissenschaften ein Studium erfordern, fiber die Philosophie jeder nnr leidlich ver-niinftige Mensch mltreden dtirfe, ünd doch ist die Philosophie audi cine Wissenschaft, die gleich den anderen ihre technische Seite ha(, (1. h. erlernt sein will. Es gab eine Zeit, in welcher es zu entschuldigen und, dass wir so sagen, provisorisch zu rechtfertigen war, wenn die Vertreter der Natnrwisscnschaften um die Pliilosophie sich gar nicht klimmerten. Das war die Zeit einer dtinkelhaften, mit vermeintlich genialen Aperfu's, Analogien u. s. w. inn sich werfenden, audi auf wirklich exacte Forschung wie auf Kramerarbeit vornehm herabsehenden Speculation, die es reichlich verdient hat, dass jeder enisle wissenschaftliche Mann sie griindlich verachtete. Aber diese Zeit ist voriiber, und aus dem Provisorium ein Definitivuni zu machen, ist von Seiten der Naturforscher ungerecht und nicht zu cntschuldigen. L'nter den gegenwartigen Philosophen von Fach flndet sich, etwa einige in ilirer Vergangenheit tragikomisch liiingen gebliebene Ilegeliauer abgereclmet, kelner, der nicht i'iir die empirischen Naturwissen-schaften cine hohe Achtung liegte und mit Dank von ibnen Ke-lehrung annahnie; da solllen, meinen wir, die Vertreter der letz-teren nicht siiumen, Uleiches mit (ileichem zu erwiederu. Heispiele des (iegentheils einer solchen Erwiederung, dem angefiihrten

') Vgl. Trendelenburg „Log. Unters.quot; II, S. 400 f, und L'eher-weg „System der Logik,quot; S. 170 (?. Aufl. S 168). „Die Annalune, dass die blosse Uebereinstimnuing der Vorstellungen unier einander ein Krite-riiim Hirer Wahriieit sci, wird von Platon (Krntyl. p. .(Sdj ausdriirklich verworfen,-' audi ebend .S. 393 (2. Anil. S. 373},

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nahe verwandt, Hessen sicli in Menge belbringen. Fndess die Ab-sich(,in welcher dieses eine citirt worden, erlieischt keine Haufunp.

Auch Du Bois-Reymond wird uns gestalten, das, was er, der Xaüirforsclier, philosophirend ilber seine Methode aussagt, bei Weitem geringer anznschlagen als seine eigene grossartige Be-thatigung derselben, zunial da ihm bereits von pliiiosophiseber Seite nacbgewiesen ward, wie wenig er dem ausgesprocbenen Entschluss der „Entsagungquot;, der Verzichtleislung auf die Hebei aller Beweisführung treu bleibt.') Ja, er vermag ihm gar niclit tren zu bleiben, er muss zur Ergriindung der Ursachen sicli ent-schliessen, so lange es nach der von ihm mitvertretenen modernen naturwissenschaftlichen Theorie unzweifelhaft ist, dass sammtlicbe Eigenschaften der „üinge, wie sie sind,quot; an deren „Anscliauuiigquot; er erklartermassen sich halten will, fiir nichts Anderes geilen können als flir speeiflcirte liewegungen, die doch nur derjenigc ganz kennt, der sie bis an ihren Urspnmg, die Sachen bis an die Ursache, verfolgt hat. So stimmt demi ancli in der That die grosse Mehrzahl der heutigen Naturforscher keineswegs dem Satze Pu Bois-Keymond's bei, dass weder Kriifle noch Materie etwas Wirkliches seien; sie wollen vielmehr, wie wir, die (iriinde nnd. was nach dem Obigen kaum noch hinzngefügt zu werden braucht, die Realgrilnde des zu Beweisenden wissen.

Dieser Wille wirkt in den Geistvollsten unter ihnen, den eigentlich productiven Forschern, den Reihenfiihrern odor lliiup-tern, nicht bloss als ein blinder Trieb, sondern, wie ja hierdurch das Wollen in der psychologisch-strengen Bedeutung des Worles von dem slnnlichen Begehren sich unterscheidet, iu der Form verniinftiger Einsicht, genialen Biickes, geistiger Intuition oder Entdeckung des „Gesichtspunktesquot;, aus welchem es Licht wird in einer „Schopfungquot; des Wissens. 2) Sie wissen gewis-

•) Ulrici „Gott und die Nalur,quot; 186'2, S. 25 f. und S. 170 fT.

') A. M. Ampère „Essai sur la phllosopbie des sciencesquot;, 1, 1856, p. 234 f.: „Quand un de ces génies créateurs, a qui Ie genre hrnnain doit tant d'admirables découverles, se Irouvait porté ii étudier un objet sous un certain point de vue, il résultait de son travail une science correspondante a ce point de vuequot; .... ,.No(is pouvons découvrir, mals non créer un nouveau corps simple, un nouvel animal, (andis que riiomnie peul créer unc nouvelle science.quot;

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sermasscn im Voraus schon, was sic wissen wollen, d. li. sic haben schon am Anfangc des Erkennlnlssproccsses einen freilich noch uncntwickcUen, unvollstandigen, aber dcmiocli der Vollen-dung glciclisam slcheren HegrilT, einen vollen zur Vollendnng drangenden Vorbegridquot; (vorlanfigen Begrin' nnd InbcgrilT) dessen, was zii beweisen ihnen anfgegeben ist. Sic sind liberzeiigt, dass man in der Wissenschaft wie im lgt;cbcn uur vom Vollen, nicht vom Leeren oder skeptisch Ausgehöhlten, zum Vollendeten gelan-gen kann. Sie theilen die Ueberzeugung des Philosophen, dass „die Demuth der Erfahrungswisscnscliaftcn cilel Schein ist, wenn sie nur durch Beobachtung, nur (lurch das, was sic treu von aussen aufnehmen, zu entstehen und zu wacbscn behauptenquot;, dass „der erstc Schritt des analytischen Verfahrens schon synthetisch istquot;, nur mit Uiilfc ciner iibcrlcgencn, nicht den vereinzel-ten Theilen und dem platt Vorliegenden, sondern „dem Ganzen nnd dem Grimde zugckclirtcnquot;, idealen (ieistesniacht gelingt, dass diesc ideale Macht, dicser Zug der Idealitat der wahre „Adel der Wissenschaftenquot; ist. ') So lehrt Liebig: „In der Naturwissen-schaft ist alle Forschung deductiv oder apriorisch; das Experiment ist nur Htllfsmittel für den Denkprocess, almlich wie die Rechnung; aber der Gedanke muss ihm in allen Fiillen imd mit Nothweiuligkcit vorausgchen, wenn es irgend cine Bedeutung ha-ben soliquot;, da derjenige, wclcher beim Kxperimentiren d. h. Fra-gestclleu an die Nalnr unrichtig fragt, cine uiirichtige oder gar keine Antwort erhalt; „eine empirische Naturforschung in dem gewöhnlichen Sinn existirt gar nicht; ein Experiment, dem nicht eine Theorie, d. h. eine Idee, vorhergeht, verhalt sich zur Naturforschung wie das Kassein mit eincr Kinderklapper zur Musik.quot; 2) So vor ihm schon Johannes Miiller: „Lasset einen solchen

■)\Vorte Trendelenburg's in den „Log, L'nlers,-' II. S. 289, '2i(t und 387.

4) Lie big „Ueber Francis Bacon von Verulam und die Methode der Naturforschungquot;, 1863, S. 49; vgl. Desselben „Die Entwicklung der Ideen in der Natunvissenschaftquot;, ISfiH, S. 16: „Der Entdeckung der That-sachen . . . ging die Idee der Thaisachen vorher, d. h. sie winden /,u-vor gedacht und dann erst entdeckf'. — Gem uni mehrfach be-knnnte Ganss; „Meine Sütze hahe ich alle gehabt, ehe ich die Beweise dafür halte,quot;

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(icisl (den (ieist des achten Naturforschers) crfahren, was ihr immer wollf, er erfahrt mehr, als in den Dingen selbst scheinbar sinniich Erkennbares ist, und wie seine Erfahningen und Be-Irachtungen aus der Idee hervorgehen, so gelien sie audi in Ideen zuriick; die Erfahrung wird zum Zeugungsfennent des (Jeistes.quot;') So nach diesem wieder lienle, der beim Vortrage der Anatomie keine Gelegenheit versanmt, darauf aufmerksam zu machen, wie auch in dieser Wissenschaft Vieles, was gleichsam vor Augen lag, docii erst dann gesehen und gefunden wurde, als man es vermöge einer „Voraussetzungquot;, einer „vorlöuflgen Kenntnissquot; suchte und „erriethquot;, wie also in gevvissen Fallen der „Vor beg riffquot; nicht bloss dazu dieute, wozu er Uberall dient, den Sinn des sonst Sinnlosen, sondern sogar dazu, das Vorbandeiisein des Objects zu erkennen. 2) Wo bei die-sen und anderen Koryphaen dein Wortlaute nach widersprechende, antiphilosophische Aeusserungen vorkommen, die einen Philo-sophen wolil einmal reizen können, liber die Methode der modernen Naturwissenschaft überhaupt geringschiitzig zu urlhei-len, da gelten sie, naber geprüft, stets uur den Entarlungen, den Aussclireitungen der Philosophie oder solchen Pbiloso-phen, die, slatt mil Vorbegrilfen, mit Vorurtheilen anfangen und damit allerdings der wabren Forschung gleicb am An-fang ein Ende machen; da muss man, um so klare und scharfe

') J o h. M ii 11 e r. „Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes'-, 1826, S. 34. Eben diese Worte führt Virchow lobend an in „Job. Muller,'• 1858, S. 20. Vgl. noch Joh Muller „Handbuch der Physiologie des Men-schen,quot; II, 1810, K. 5-22: „Die wlchtigslen Wahrhellen in den Naturwissen-schaften sind weder allein (lurch Zergliederung der BegrilTe der Philosophie noch allein durch hlosses Erfahren gefunden worden, sondern dureb elne denkende Erfahrung, . . . wenn man will, eiiie philosophischc Erfahrung.quot; — Dass es mit den „wichtigsten Wahrheitenquot; in der Ma thematik sich eben so verhalte, bezeugt u. A. Snell „Kinleitung in die DilTerential- und Integralrechnung,quot; 11, 1851, S. 370 f: „Leibniz gelangte zur Differential- und Integralrechnung dadurch, dass er das allen den ver-einzelten Problemen zu Orunde liegende Allgemeine mit philosophi-schem Geiste erkannte u. s. w.quot;

'O Wer Anatomie getriehen hat, denke an die accessorischen Ursprünge des M. longissimus, an die Mm. intertransversarii, an das Paroarium, die Rosenmliller'sche Hydatide, die Prostata, an das Ganglion oticum u. s. w.

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Denker niclit cinos wirklichen crassen Widerspnichs zu zelhen, in den Sinn und Zusammenliang der Worte eindringen. Thut man diess; iemt man, je genauere Kenntniss von den Arbeiten der Naturforscher man gewinnl, desto besser auch Kern und Schale scheiden: so wird sicli ohne Ausnahme zeigen, dass ihr, wie sie es wolil nennen, voraussetzungsloses Forschen, ilir „Deuken oiine Autoritatquot;, niemals ein Auszieiien anf Abenteuer ist, ein Forschen in's Rlaue iiinein, sondern das Frstreben eines Zieles, welches man irgendwie kennen und iui (ieisle festhalten muss, wenn man es erreichen will. Es sagt z. B. derselbe Jobannes MUller: „Was ich pbilosophische Methode neune, lia( Nichts mil jcner (s. g. naturphilosopbischen) Dogmalik gemein. leb fordere zuerst, dass man unermUdet sei im Beobachten und Erfabren, und daim, dass man aus dein (ianzen in die Theile strebe, vorausgesetzt, dass man auf analytiscbem Wege das Ein-zelne erkaiinl bal und zum BegrilF des Ganzen gelang! ist.quot; 1) Diess aussprecbend, bat er aber Nicbts weniger im Sinn, als einer ideenlosen oder geistlosen Beobacbtiing und Analyse das Wort zu reden; denu er ist, wie aucb Yirchow anerkennt, „dureb sein gauzes Leben dem Aristoteles treu gebliebenquot;, er konnte mit gleichem Rechte wie Liebig im Namen aller wahren Naturforscher bebaupten: „unsre Methode ist die alte, uur reicher aus-gestattete aristotelische Methodequot;, und wusste sicber, dass die ganze Vorstellung, .,als sei alles Allgemeine uur Allgemeines der Inductionquot;, als köuue man, ohne einen Vorbegrill' des Ganzen, von dem Einzelnen als solcbem, von den isolirten Theilen aus bloss analytisch zum Begrid' des (ianzen gelangeu, als gebe es keine „höhere Quelle, dureb welche zuletzt diü Nothwemligkeit der Empirie mitbedingt istquot;, — dass diese ganze Vorstellung „dem tiefcrcn Verstaudniss des Aristoteles widerspricht.quot; 2) Viel-mebr ist jene Forderung Job. Miillers durchaus eben so gemeint, wie die l'ast gleichlautende oft wiederkebrende Forderung des namlicbeu Aristoteles, dem es über joden Zweifel erbaben fest

1

ij oli, Mill!er „Bildungsgeschichteder Genilalienquot;, 1830, Vorr. S. VIII.

2

) Vgl. Yirchow „Joh. Müllerquot;, S. 40, Anm. 17, Liebig .,Uebcr Francis Bacon von Verulamquot;. S. 47, und Trendelenburg: „Historische Beitrage zur philosophiequot; II, 1855, S. 367.

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steli(, (lass der an die Vermittelungeu der Empirie, der Analyse u. s. w. gebimdene (ieist (er nennt ihn den leidenden) in Wahr-heit Nichts denkt ohne den rein-thatigen (icist, ohne den (ieist, welcher die BeweisgrUnde, die Principien, nnniitteibar ergreift oder geistig bertlhrt. ') Verhielte es sich anders; wiire nicht je-ner volle, zur Volicndnng driingende VorbegrilF des zu Hegreifen-den der wahre Ursprnngspunkt aller achten Forschnng: so würde der Wille, die (Jriinde zu wissen, Nichts sein als WillkUr, als Helieben; so wiire die Wissbegierde des Forschers eine leere Neugier. Und doch hat nie ein Mann der Wissenschaft, aucb nie ein wissenscbaftlicher Naturforscber sein Streben, seine ïha-tigkeit diirch die Hehauptung herabgewürdigt, es sci Sache des Beliebens, etna bei der Erscheinung des Blitzes stehen zu blciben oder aucb nicht, zu fragen: wober der Blitz? nnd woher die Elektricitat? u. s. w. oder nicht. Nein, so sehr sie, uud mit Recht, gegen jede aussere Nötliigung und Autoritiit protcstiren: die innere Nothwendigkeit, nach (minden zu forschen, erkennen sie allesammt an. Ja gerade unter den rorscliern uud spcciell IValurforschcrn ersleu Ranges, unter den Meistern vom Facb, ist schwerlich ein einziger, der nicht, da „die von den verschiedeu-sten Erscheinungen her in die (jriinde eindringenden Ei kliirungcn eine convergirende Reilie bildenquot;, aucb die Forschung nach dem letzten genieinsamen Grimde als eine Sache cbenfalls innerer Nothwendigkeit, als die Ehrenpllicht des Mensclien ansithe und daber den Worten des Pbysiologen Bischoff beisiinimte; „Die Nothwendigkeit, nach dem letzten (irunde zu forschen, macht das Charakteristische der menschlichen Xalur aus.quot; 2)

Die Sprache der Philosophic nennt diesen letzten Grund oder Urgrund aucb das Unbcdingte, das Absolute, die absolute Idee u. s. f., die Volks- und Völkersprache, welche die grössten philosophischen Denker gern schlicht mitreden, Gott; nach Ari-stoteles z. B. ist der rein verniinftige Menschengeist das Gott-

') Ar Isto teles „Von der Seelequot; III. 5 und Trendelenburg zu der Stelle in scinem Commentar, 1833, S. -19].

2) Vgl. Trendelenburg „Log. Unters.quot; II.. S. 431 und Bisrlioff „Ueber den Unterschied zwischen Thier und Menschquot; in den „Wissen-sctiafil. Yorlr., gehalten zu Münchenquot;, 1858, S. 310, mit dem Zusalze: „und davon (Indet sich bei keinem Thier audi nur die geringste Spur.quot;

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verwaudte mul Gottzugewandte, göttlich-gute Theil des Men-schen, nach Aristoteles schon, ganz wie nacliBischoff,macht er, der auf Gott gerichtete Gelst, das Wesen des Menschen aus. ')

Und was so eben in dem Hegrill' des Willens, die Grlinde in der Melirzahl zu wissen, auseinandergesetzt worden, dasselbe gilt von dem Willen, den Einen letzten (inmd zu wissen: audi die-ser Wille ist als vernlinftiger undenkbar olme einen vollen, zur Vollendung drangenden Vorbcgrillquot; Gottes, Mil einem durcli irgend-welche Salznng beslimmten Vorurllieil liber Golt dart' freilich keine selbststandige wissenschaftllche Forscbung anfangen; dagegen slriiubt sie sich mil Hecht. Aber jenen Vorbcgrill' muss sie gleich zu Anfang habcn, wenn sie von der Stelle kommen, wenn sie zum Ziele kommen soil; obne den Vorbcgrill' vom letzten Grimde, von der Ursache aller Ursachcn als das treibende Moliv, als den eigenllichen Heweggrund wiire es schlechterdings unbe. greillich, warum sic nicht bei milllcren Gründen, bei Mittclur-sachen steheii bleibl, sondern, wenigstens als philosopliische Forscbung, thalsachlich von vom herein, von Anfaug an auf den Urgrnnd, die «ex', ^QXai\ gcrichtet isl. Hierin stimmen wiederum namharte Vertreter der Naturwissenschart mil denen der Philosophie Uberein. Der Stifler der modernen Philosophic, Cartesius, der geschworcne Feind aller Vorurtbeile, sagt in der drillen seiner Medilationen: „Der BcgriirGoltcs ist gewisser-massen (niimlich eben als Vorbcgrill') frliher in mir als der Hegrill' meincr selbst,quot; und erkliirt es filr die beste philosopbischc Methode, von der Erkennlniss Golles auszugchen und von ihr her cine Erkennlnlss der von Golt gcschaffcnen Dinge zu gewinnen.2) Derjenige Philosoph, der die Voraussclzungslosigkeit der Philosophie am starkslen betont hat, Hegel, sagt auf der ersten Seilc seiner „Encyklopüdie der philosophischcu Wissenschaftenquot;: ..Die

') Aristoteles „Nikomachische Ethikquot; X, 7; vgl. „Melaph.quot; XII, 7.

s) Cartesius „Princ. pliilos.quot;' I, 24. Vgl. Erdmann „Gnmdriss der tiescliichte der Philosophiequot; If. iSiiO, S. 15: „Indein Descartes immer neben seiner Deduction aus dem Inlialt der Gottesidee die aus dem notlnvendigen In-uns-sein derselben giebt, ist esl'ast, als werde es absichtlich dem Leser nahe gelegt, Beides da/.u zu verbinden, dass die Exi-stenz Gottes gewiss sei, well Gott sich in uns selber bezeuge und seine Existenz beweise.quot;

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Philosophic und die Religion habeu? die Wahrheit zu ihrem Ge-gcnstande, und zvvar im hochsten Sinne, in dem (Sinne), dass (iott die Wahrheit und er aliein die Wahrheit ist. . . . Die Philosophic kann, ja muss einc (gewisse) Hekanntschaft mit dicsem ihrem (iegenstande wie ohnehin cin Interesse au deniselbcn vor-aussctzen.quot; Desgleichen ist nach Trendelenburg, der gcgen cine Verniischung der Philosophic mit theosophisclieu oder my-stischen Elenienteu energlsch ankiimpft, „bciin ersten Schritt des Erkennens, den der (icist in der Welt thut, die Idee des in der Welt verwirklichten gijlllichen (iedankeus seine stillschweigende, wenn auch oft unverstandene Voraussetzuug. In ihr verklfirt sich alles Denken mid Wollen. Ohne sic hat das Denken höchstens den Reiz eiues mUssigen Rathsels und das Wollen höchstens den Wcrth eincr klingenden Saite, die, slatt in chic grosse Harmonie einzustimmeii, sinnlos und zwccklos schwingt.quot; Yon dcmselbeu iicht aristotelischcn Denker der Gcgenwart könncu die, welche nicht mit einem Vorbegriir (iottcs, sondcrn in vielbcliebter forma-listischer Wcise mit dem „Princip der Idenlitatquot; (A A) als „oberstem Deukgesctzquot; anzufangen gesonnen sind, griindlich lernen, dass dieses formale Princip erst unter der Voraussetzung eincs realen Nothweiidigcu eiu Recht hat zu hcrrschen, oder dass das Wahre wohl mil sich identisch, aber darum nicht alles mit sich Identische wahr ist. ') Unter den Philosophen der neucsten Zeit hat es keincni so sehr im cigcntlichsten Sinne am Herzcu gelegen, die Nothwendigkcit eincs solcheu Anfangs der Philosophic mit einem VorbcgrifT (iottes darzuthun, als dem vercwigtcii Chalybaus; kelner hat so sehr, wie er, auf diescn Aufang gedrungen, noch 1861 in seiner „Fuiidamentalphilosophiequot; und frliher schon wiederholentlich, z. li. in der „Zeltschrift t'Ur Philosophic und philosophische Kritik,quot; wo cr cinmal sagt; „Dem Weisheitswillen odcr principiclleu Wahrhcitswiileu schwebt gleich anfangs das absolute Ziel vor, cin Schema der absolnlen Idee, die Hiille ohne Fiillequot; oder, wie wir lieber sagen wUrden, die ein-gehUllte Fiille, die sich nacliher enthüllt.1) Was von verschiede-

1

) Clialybüus in der „Ztschr. f. Pbilos. u. pb. Kritik,quot; 1850, Kd, 29, S. 63.

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nen Seilen dagegeu eingewendet worden, trifH, recht verstanden, immer uur das iu einein Vorurlheil Uber (iott befangene Denken. Insbesondere hat auf den Einwand, dass die Wissenschaft ganz interesselos ilir Werk beginnen miisse, weil der Mensch, wo sein Interesse in's Spiel komme, blind gegen die höchsten Walirlieiten werde, neuerdings der eben so geniale als exacte philosophische Naturforscher Fechner treilend erwiedert; „Mcht darin liegt seine Blindheit, dass er seinem Interesse gegen die Wahrheit folgt, sondern darin, dass er seinem Interesse nicht geinig folgl, indem er knrzen, engen, niedrigeu Interessen auf Kosten der grosseren, höhercn lolgl, in welchen zuletzt der Halt, die Sicher-stellung, der Grund von jenen selber ruht, oder dass er seinem Einzelinteresse im (iegensatz des allgemeinen folgl, das sein nnd Aller Interesse in sich begreift; nur so gerath er in tiegensatz mit der Wahrheit.quot;') Das, was Fecliner hier das allgemeine Interesse nennt, fiillt mit dem zusammen, was wir vorhin mit Hisclioir als das Charakteristische der menschlichen IVatur bezeich-neten, mit dem, was den Nestor der heutigen Naturforscher und Aerzte, den Prasidenten der Leopoldino-Carolina, ('. (i. Cams, berechtigte, in seiner jiingst erschienenen „vergleichenden Psychologiequot; die menschliche Seele als die „huniano-divinaquot; zu charakterisiren.2) Und weim man hieran ankniipfend gefragt bat, ob demi thalsachlich das allgemeine Denken der Menschen, die doch schon im Kindesalter Menschen sind, mit dem Vorbegriir (iottes anfange und anfangen ktinne, so ist zu entgegnen, dass in nornialem Verhiiltniss der Mensch als Kind, so lange bis sein Bewusstsein gereift und fiir das wissenschaftliche Denken der Grund gelegt ist, unter der Leitung Soldier (Eltern, Lehrer) steht, die bei schon gereiftem Bewusstsein gar wolil im Stande sind, jenen Vorbegriff, der im unreifen Menschen schlummert, zu wecken, das Kind, indem sie in seinen Zustand sich verselzen, aus seiner Seele heraus, zur Fassnng desselben anzuleiten.3)

') Fecliner ,,Die drei Motive n, Grlinde des Glaubens,quot; 1803, S. 114.

2) Ca rus „Vergleichende Psychologiequot;, 1866, S. 9, 18, 308 ff.

a) Dem Obigen analog antwortet bei analoger (ielegenlieit Trendelenburg zur Reclitfertigung des Aristoteles in den „historisclien Beilra-gen zur Philosophiequot; II, S. 384 ff., und Zeiler, „Philos. d. Grieclien,quot; il, 2, S. 508, erkennt au, dass diese Antwort „im Geistequot; des Aristoteles gegeben sei.

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Wie aber das, was wir den Vorbegriff Gottes nemien, das noch uubestimmte, allgenieine (ïottesbewusstseiii, der Sinn für den letzten Grund, oder welches Namens man sich sonst bedienen mag, — wie das einst, in unvordenklicher Zeit, den ersten Mensclien zu Theil geworden, um sicli demnüclist als ein Erb-tlieil von Geschlecht zu Gesclileeht fortzupilanzen, liegt ausser-halb des Bereiclis der hier uns beschaftigenden Krage. Das Da-sein des Gottesbewusstseins in den Anfüngen der Geschichte der Mensehheit isL ein, wie nnr irgend Etwas, beglaubigtes, unum-stüssliches Factuni, das nacli dem gegeuwartigen Stande der Er-fahrungswissenschaflen weder wir zu erkliiren noch die Gegner wissenschafliich wegzuerkliiren vermogen.') Das Vorgeschichl-liclie aber ist in diesem Falie auch vorwissenschafllich; es gebt uns hier Nichts an.

Slalt des, wiewolil sprachlich richügen und uugesuchten, doch immerhin ungewülmlichen Ausdrueks „Vorbegrilf vou Goll,quot; würden wir sogleicli, wie wir es in der Folge zu tliun gedenken, ein herkömmlicheres und gemeinfasslicheres Wort gewiiliU haben, niimlich das „(iewissen,quot; um mlt ihm die unbedingte Voraus-setzung jedes vollgilltigen Beweises für den, dem bewiesen werden soli, zu bezeiclmen, wenn nicht dagegen, dass die beidei) Aus-driicke gleichbedeutend seien, in unseru ïagen von sebr beach-tenswerthen Stinnnen Bedenken wiiren erhoben worden, welche wir vorerst zu beseitigen suchen mlissen.

Wir nehmen hier Bezug auf zwei vor Kurzcm erschienene ein-schlagige Abhandlungen, die sicli gegenseitig gewissermassen er-günzen und ausgleichcn.2) In den drei Artikeln oder Abschnitlen der einen, von Vil mar, wird vorab der iirsprllngiiclie Wortsinn feslgestellt, sodann die Scbril'tlehre iiber den l'raglichen Begriir erörtert, endlicii der cidtur- und dogmengeschichtliche Umfang desselben betrachlet. Es versteht sich, dass hier, innerlialb des aligemein-philosopliischen Gebietes, auf vvelchem wir jetzl noch uns bewegen, die positive Schriftlehre auf unsre Anschauung

') Ygl. vor Allen Emil Burnour „La science des religionsquot; in der Revue des deux mondes, 1804, tome 54.

») vil mar „Uebcr die Lehre vom Gewissenquot; in den vou Hun lier-ausgegebenen „Pastoral-tlieologischen BlttKernquot;, liand G, Juli bis December 1863, und K 8 lil er „Die scbriftgemSsse Lehre vom Gewissenquot;, I8(i4.

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kciueu bestimmeiiden Einlluss üben darl'; doch könnfe es mis, da wir vom lie we is überhaupt zum Glaubensbeweis hinsteuern, uur erwilnscht sein, schon liier mit zu erfahren, dass unserm fenieren (iange weuigstens kein positives llindeniiss im Wegc sleht. Vil-niar weis't mit philologischer Geuauigkeit mul Strenge nacii, dass der GrundbegrifF des Wortes „Gewisseuquot; in der deutschen Sprache, wie audi iu der griechisciien und lateinisclien, liberal! der des Wissens sei, animo videre, des Bewusstseins, der Kenntnlss durch Augeu- und Ghrenzeugensclian, also des unniittelbaren Wissens, nicht aber, wie ol'l irrlhiimiich geschelien, iu „gewissquot; „certusquot; gesucht werden dlirfe, und dass es audi in den 31, resp. 32 Stellen des N, T., wo es vorkommt, iibernll uur diess bedeute: Keuutniss, Wissen, liewusstsein, mit den Modiflcationen, dass das Bewusstsein in mehreren Stellen als ein zeugnissgebendes, sodaiin aucli iu einer anderen Keihe von Stellen als ein urtbeilendes liewusstsein ersclieint, mithin als Act, ïhiitigkeit, Aeusserung, und zwar immer als Thiitigkeit des Centrallebens, des ganzen Men-schen, nicht eines besonderen s. g. Vermogens, als eine ThKtig-keit, 1'Ur welche im A. T. die Centralpotenz selbst genannt wird. das den ganzen Menschen begreifende Herz. Da nun hiernach an sich ein Object, ein luiialt des Wissens in dem Worte nicht gesetzt sei und es eben so wenig an sich einen „specifisch ellii-schenquot; Sinn habe, so dlirfe es, 1'olgert Vilmar, in wissenscliaft-licherRede auch niemals so angewendet werden, als konime iliiu ein eigentliUmlicher oder selbslstiindiger Inhalt zu. Dem aber können wir nicht beitreten. Deun dadurch, dass es sich mit dem Worte au sich so verhiill, wie Vilmar dargethan, ist keineswegs ausgeschlossen, dass dasselbe, gauz wie die Wörter „froimn, Frömmigkeit, Religion,quot; die bekanntlicli audi an sich (sprachlich) mit dem Göttlichen gar Nichts zu schalFen liaben, durch den Sprachgebranch allmahlicli die liedeutung des Wissens von dem in erster Linie, vor Allem Wissenswerthen erlangt liaben kann. Vielmehr hat es diese Bedeutung llialsachlich erlangt. Alan denke an das Gewissen als die „Slimme Gottesquot;, au das Zeugniss des Gewissens, den Eid, au den docli oline Zweifel „specifisch elhi-schenquot; Siun des Wortes „gewissenlosquot; u. s, w, ') Die liei-

') Vgl. H. Hitter .,Encyklopadie iter plillos. Wissenschaftenquot; lil, 1804, S. 635, Trendelenburg ..Log. Unters.quot; 1, 1862, S. 85: „Die Bezie-

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spiele sclireiendeu Missbrauchs, die Vllmar, zumal am Anfang und gegen den Scliluss seiner Arbeit, beibringt, beweisen i\icli(s gogen das wohlbegrlindete Recht des Gebrauchs. Denn wie os cntsetz-lich abgestumpfte Gewissen giebt, so giebt es auch grauenhaft verküinnierte Religionen, und docli hat das Wort „Religionquot; nach allgenieinem Spraehgebrauch einen selbststöndlgen, eigentliUmli-chen. wiewobl naherer Bestiinniung fabigen und bedürftigen Inlialt, den Vihnar folgerecht ibm absprechen mUsste, wie er ilm dein Worte „Gewissenquot; abspricht. Irren wir nicht, so hat er in sei-nem Eifer flir die Objectivitat der HeilsolTenbaning vergessen, dass auch der Inlialt dieser letzteren eine Gewissenssache werden und sein muss, wenn die Aneignung und der Besitz dersel-beu irgend einen sittlichcn Werth haben soil, da es die schnödeste Kntweilmng des Heiligsteu wiire, wenn Jemand gegen sein (iewis-sen an das Evangeliuin „glaubtequot;. Hit anderen Worten; erscheint mis übersehen zn haben, dass die HeilsolFenbarung, die beson-dere Oirenbarung (iottes in Christus, soli sie nicht aus einem absolut-ethischen Act in einen mechanischen oder magischen, Got-tes unwürdigen verwandelt werden, einen Anknlipfungspunkt lia-ben muss in der allgemeinen Offenbarung Gottes, von welcher

hung auf das Gö11liche müsste (bei Hegel) namentlich lm Gewissen erscheinen; denn es liissl sich geshiclitlich dartlum, dass der BegrilT des Gewissens ers( da in das ethische Bewusstsein eintrilt, wo sich der Ein-zelne in sich vor dem Gödlichen verantwortet, der persönliche vor dein persönllch gedachten Golt.quot; Ehendess. „Nalnrrecht auf dein Crunde der Elliik,quot; ISBO, 39, S. 53 fl1. hes. die folgenden Siitze: „lm Zusam-menhang mit der Seibstverantwortung viir (iott bat sich der Begriff des Gewissens gebildet. Erst bei den Stoikern und den Apostein erscheint es mit dein eigenen Namen eines Vermogens ausgepriigt, und hei heiden im Zusammenhang mit dem Begriffe Gottes. Weil der ganze Mensch in der Idee gegründet ist und seine Idee ihren Ursprung in Gott hal, geht die Empflndung des Gewissens durch den eigenen Zug Hires VVesens in das Verhaltniss zum Göltlichen zurück. Im Gewissen ist der Mensch auf sich selbst und seinen Gott gestellt, fasst er sich in seine tiefste Elnbeit, und wo das Gewissen nicht anerkannt wird, gilt der Mensch nur als Maschine,quot; Sc auch Ulrici „Gott und der Menschquot;, I, 1800, S. 681 ff., wo das Gewissen als das „Bewusstsein des Sollensquot; definirt wird, nachdem znvor gezeigt worden, dass das Gefübl des Sollens „eine Gefühls-perception vom Dasein Gottes involvirtquot;; gleich daranf ist von der „im Gewissen liegenden Hinweisung auf das Dasein Gottesquot; die Rede.

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ebeu das Gewissen zcugt. Doch das uur beilier als Versuch einer genetischeii Krkliirung seiner Ansicht. Wichtiger aber ist, zu sehen, wie Vilmar ini Verl'olg seiner Lntcrsuchung sieii ge-nöthigt flndet, dein (iewissen, dem er einen selbststündigeii Inhalt abgesprochen, dennocli einen solchen zuzuerkennen. Kr lebrl uamlicli, in der ailgenieinslen Bezieimng iasse sicli das (jcwissen bezeicinien als das Bewusstsein von den Sciiranken des Menschen. liegen diese Definition „Sciiranlcenbewusstseinquot; ware IVicbts zu erinuern, sobaid uur das absoiut Uesciirüiikende, die (iottheit, irgendwie einbegriireu würde. Das geschieht iudessen von Sei-ten Vilmar's nicht, der liier ini (iebiete dor Keiativitiit beharrt mui iiieint, dass „die Schranken ini autikeu Bewusstsein durcii die Gesaimntansciiauung des Mensciieu, des Voikes von dein in-haite und Veriaure des gewöhulicheu uieuschlichen Lebens gesetzt werden.quot; Kr iiat ganz Recht darin, dass z. 15. die Vorstellnug von dein Neide der üötter elu wesentiiciies ingrediens der heiieui-schen, der heidnisclien Gesanuntanschauung von den uieuschiichen Lebensschraiiken war, aiso mit zum Gewissen der Helieuen ge-hörte. Aber foigt demi nun daraus, dass das mit dein (iewissen identisclie Schrankenbewusstsein nicht Bewusstsein des absoiut liesclirankendeu, uieiit Gottesbewusstsein war? Foigt nicht viel-inehr uur, was Niemand iauguen wird, dass das helienische (Jotles-bewusstsein ein getrtibtes, eiu uureines gewesen ist? Ja, Viiiuar seibst giebt uuwiilkUriicli Ailes zu, was wir i'ür den Begrili' des Gewissens fordern, wemi er es nut v. Zezsciiwitz (mid J. T. Beek) „den Pneumarest ini psychischeu Menschenquot; neuut; deun dass innerhalb der Sphare des Sprachgebrauchs, von welcheni diese Begriirsbeslimmnng lierstamnit, mit dem Worte „Fneumaquot; die Bezie-hung auf Golt uuiösbar verkntipft ist, bedarf einem Theologen ge-genüber keines Nachweises. Wir freuen uns, das fUr unserii Zweck Wesentliche, dass das Gewissen alierdings einen selbststandigen eigcnthUmlichen Inhalt hat, dass es keiu bloss formaler Act, kein „syliogisuius practicusquot; ist, iu der Abhaudluug von Ka lil er aucli als scliriftgemasse Lehre erwiesen zu linden. Wenn dieser jedoch es uur als die eine Form des Sinnes fiir das Göttliche (des Oetinger'sciien sensus communis) ansieht; wenn er und mit ilun Andere, z. B. Julius Köstliu, meinen, das Gewissen beziehe sich aiisschliessend auf das sittlich-praktische Verhalten des Men-

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schen, es sei, wie Köstliu sagt, uur Organ für das Innewerden von göttliclicn Anforderungen als soldien, nicht für das Innewerden der göttliclien Knndgebungen, Gnadeneindrlleke u. s. w. an sich '): so nitissen wir in diesem Punkte uns mil dem, was Viimar über die, auch sprachiich durchans angemessene, den ganzen Menschen umfassende Bedeutung des Wortes sagt, ein-verslanden erkiören und bemerken, dass gerade nacli der positiv-chrislliciien Lelire, weiche jene Theoiogen vertreten, nnsers Wissens jede güttiiciie Kundgebung und (Jabe zugieich eine dem menschlichen Wiiien gesteiite Aufgabe ist, dass es gar keine göttliciien Kundgebungen „an sichquot; d. h. solciie giebt, die keine siUiicbc Beziehnng hStten, und dass nicht bioss die Praxis, das Handeln, sondern cben so das Denken sittiiclien Willen voraus-setzt, wcnn es gedeihen soli. Auch in der scholastischen, aucli in der altproteslantischen Pbilosopbie, z. 15. bei dem Hechtsphiio-sopheu Nicolaus He mining, einem Schiller Melanchthon's, hat die conscientia einen sowolil theoretischen wie praktischen Cha-rakter.2) Völlig stimmt mit uns unter den lebenden Theologen Gess liberein, indem er sagt; „Das (lewissen ist das unwillktlr-liclie und doch freie Wissen des Menschen von seinem Zusammen-gehören mit dem iieiligcn Gottquot;, und „es bleibt dabei, dass die Thatsache des Gewissens oiinc die Voraussetzung eines ewig in sich volicndeten Urgeistes d. i. eines persönlichen (iotfes unbe-greiflich bleibt.quot;3)

Zur Begriindung des Letzteren reicht indess das von uns bisher Entwickelte, streng genommen, noch niciit aus. Denn dieses hat uns nur davon überzeugt, dass sprachiich und sprach-

') Jul. Köstlln Art. „Religionquot; in Herzog's Real-Encyklopiidie, 15. 12, 18G0, S. 659.

^ Vgl. Er dm an n „Crundriss der Geschichte der Pliilosopliiequot; I, 1860, S. 326 und 587; über den l'nterschied der s. g. synteresis von der dem Irrtlunn und der ïrübung ausgesetzten conscientia s. Trendelenburg „Naturreebt auf dein Grunde der Ethik-', S. 468.

quot;) Gess in den von ilim u. Riggenbach lierausgegebeneu „apologeti-sdien Beitrügenquot; 1803, S. 84 und 199; S. 51 wird aucli die Stelle aus dem Gesetzbuche des Manu angeführt: „Weiin Du sagst: icb bin allein mit inir, so wohnt in Deinem Wesen immerdar jenes höehste Wesen als auf-uierksamer und schweigender Beobachter von allem Guten und allein Bösen.quot;

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wissenschaftlich der Bcdeuümg des (iewissens als des uimiittd-baren Wissens von dem in erster Linie Wissenswerthen, von (iott, N'ichts im Wege stehl, dass der Siiracligebrauch diese Bedeu-tiing befestigt liat, und dass wir bei der beabsichligten ferneren Anwendung des Worles i u dieser Bedeutimg nicht in Widersprucli mil der Schriftlehre geratlien werden. ()b wir aber befugt seien, obne Welteres den tioll des (iewissens mil dein (iotte der Wisscn-scliafi, dem lel/,ten (inmde oder Urgrunde, zn idenlifleiren, könnle noch einem Bedenken imterliegen. Jedoch stelll sich, weim wir, so scharf und In so weitcni Umfang als niöglicb, die uns zu-ganglichen Phanomene der (ieuisseniiafligkeil beobachten, als das ihnen allen (Jcineinsame Folgendes heraus. Der gcwissenbafle Mensch weiss: mag Icii midi und meine Thaten vor aller Well, verbergen, ich bin dennoch nicht verborgen, nicht mit mir allein. nicht mein eigener llerr, so dass ich schallen und wallen diirfte nach Belieben, ich und ineine Thaten sind dennoch gewusst, schlechthin gewusst von eiueni schlechthin Wissenden. Diess driingt sich einer unhefangenen Beobachtung der mannigraltigslen Aeusserungen der (iewissenlmftigkeit so unabweislich als ihr constantes inneres Wcsen auf, dass selbst in einer exlrem-ratio-nallstischen, wahrend Hires Bestehens vielgelesenen Zeitschrift sicli einmal die Worte finden: „Der Mensch weiss sich dem Absoluten schlechthin durchsichtig, vom Absoluten absolul gewusst.'quot;1) Das, eben das ist es, was wir mcinen. Es isl die Wahrheit von dem, was Schleiermaclicr das fJeflihl der schiechlhinnigen \bhiin-gigkeil nannte; es ist dasselbe, was Franz von Baaderim Hinblick auf das paulinische „Krkennen, wie wir erkannt sindquot; mit den Worten „cogitor, ergo cogitoquot; (ich werde gedacht, also denke ich) ausdrücklc; dasselbe, was der Stirter der niodcrnen Philosophic bei seinem oben angeflihrten Ausspruch olFeubar im Sinn halte; dasselbe auch, um dessentwillen der lelzte, von einem Brandis als congenial dem Aristoleles gepriesene, grosse rinlo-soph unseres Jahrhunderts den Menschen „die tioll seizende Naturquot;, „das gottbcwusste Wesenquot; nannte.2) \un aber wöre

') „Kirche der Ge gen wartquot;, Jahrpang S, 01.

a) Schelling, WW. II, 1, S. 185, 11, 2, S. 324; vgl. Ebend. „Clara'quot;, 1802, S. 12 f.; „Wir liaben in uns elnen einzigen olTenen l'unkl, durcli den der Hitmnel liereinsclieinl. Dieser ist unser llerz oder, richtiger zu

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dieses absolute Gewusstsein des Menschen oder sein (iewusstsein von eineni schlechlhin Wissenden, seine absolute Durclisichtigkeit glelchsam fiir das Auge eines absoluten (ieisles, unmögiich, wenn er, der Mensch, niclit aucli seinem Dasein oder Sein nach schleclitbin bedingt, schlechtbin gesetzt, d. !i. gescImfTen wiire. Und was so voni Menschen gilt, das gilt im folgericbtigen logiscben Denken audi von der Welt, deren Hauptbestandtheil er ist, da alle nnsere Welterkenntniss dureli unsere Selbsterkenntniss bedingt und nur von ibr aus dureli eineti rechlmiissigen Scliluss der Analogie vollziehbar ist.') Folglich sind wir allerdings berecli-ligl zu der Aufstellung des Satzes, dass der (iolt des Gewissens ein und derselbe ist init dem (iotte der Wissenschaft. init deni letzten Grund oder Urgrnnd. 2)

Alles Bisherige zusanimenlassend, sagen wir daher; n u r d e tn, der gewissenhaft forscht, lasst sich überhaupt Ktwas, irdend Etwas vollkommen griindlich, vollgiiltig be-weisen. Hierdurch wird die WUrde, die Freiheit und Selbst-standigkeit der wissenschaftlichen Forschung so wenig verkiirzt, dass sie vlelmelir allein hierdurch gewahrt werden kann. Denn wie wir oben erkanuten, dass der Anfang aller Wissenschaft, der Wille die Gründe des Erkeniitiiissgegenstanües zu wissen, blosse Willkür, blosses Belieben, eine Sclieinfreiheit sein würde,

reden, unser Gewissen. Wir flnden in iliesetn ein Geselz und eine Bestiin-mung, die nicht von dieser Welt sein knnn, mit der sie vieimelir gewöhn-lich im Kampf ist.quot;

') Ueberweg „System der Logikquot; S. 73—79 (2. Aull. S. 72—77) u. S. 117 f. (2. Aull. S. 115 f.); an der ersteren Stelle wird imcli auf die Worte Brau'n's verwiesen (in den „lietraeiitungen über die Verjitngung in der N'aturquot;, 1850, S. XI nnd S. 13): „Wie die Xalurforschung ursprilng-lich aus dem Gefiilile der inneren Verwandtscliaft der Natur mit dem Wesen des Menschen hervorging, so ist es nuch ihr Ziel, diesen Zusammenhnng in seiner ganzen Tiefe zu erfassen und zur Erkenntniss zu hringen . . . . Durch Anknüpfung an die Entwieklungsgeschichte des Menschen gewinnt die Naturgeschichte ihre höchste Bedeutung.-'

s) Vgl. ChalybHns „Fundaraentalphilosophiequot;, 1861, S. 151 f.: „Wir wissen es aus unsenn ethischen Selbstbewusstsein oder Gewissen, dass der Schöpfergeist bewusste, freie Wesen geschalTenquot;, und vorher S. uo, wonach „das ethische Wesen des Menschen sich nicht anders begreifen liisst als durch die Voraussetzung eines freien, selbstbewussten, schöpferi-schen Gottes.quot;

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wenn ihm nicht cin voller, zur Volleiulung drangendor VorbegrilT des zu Begreifeilden zu (irniide liige: so sehen wir hier, wo es urn das nuf Erkenntniss des Kiiicn, letztcn (irundes ge-richtete Streben sich handelt, noch klarer ein, dass dieses Stre-ben, dieses Wollen nimmer seine Wiirde, seine vollkommen freie Haltung, seine Selbststandigkeit zu behaupten vermöchle, wenn es nicht auf Grund eines nnbedingten Solléns, welches danim keineswegs ein Miissen ist, absolnt-elhisch erfolgte. Ohne den vollen, zur Vollendimg driingendeii Vorbegriff des letzten (inindes wiirde gleich der erste und damit audi jeder folgende Schritt der Philosophic grundlos und nichtig sein. Niemand freiiirii ist gezwungen, nach dem lelzten (ininde, nach Gott, zu forschen: jeiler kann sich, sein Weseu, herabwiirdigen, kann sein (ie-wissen abstumpfen, wie ja audi jeder das Leben sich nehnien kann; aber wo uur immer wahrhaft nach Golt geforscht wird. da glebt sicli diese Forschung als cine Folge Innerer Nothwendig-keit kund, als ein non posse non, als cin Wissen wo 11 en auf Grund eines Solléns, auf Grund ciner Verbin d 1 i chk ei t, die cben dar in besteht, dass man sich gewusst weiss mid darum (wieder) wissen will (lasset mis Ihn wissen, denn ILr hat mis erst gewusst!). Alles Genöthigtseln des Geistes ist ein (Je-wusstsein desselben, wie alle Freiheit des Geistes die Form des Wissens, des Hewusslseins hat. A ris to teles, der die I'liiloso-phie ftlr die einzig freie Wissenschaft crkliirl, well sic allein um ihrer selbst willen sei, bezeugt, wie den iiltesten Philosophen die Saclie, niimlich die Ursache aller Ursachen, der sic iiachfoischten, selbst den Weg balintc, die Balm brach und sic zum Forschen nöthigte, wie sic, „von der Wahrlieit selbst geniithigtquot;, forschten.1) Hegel, dessen Sclinle die absolute Voraussetzmigslosigkeit der Wissenschaft auf Hire Fahne schrieb, erliiiitert das uns schon Bekannte, was er iiber das olineliin vorauszusetzende Interesse an der Wahrlieit, die Gott mid Gott allein ist, auf der ersten Seite seiner Fncyklopadic gesagl, als er diese zuhi letzten Male selbst herausgab, mit den Worten: „Die Philosophie isl ganz dem freieu Bedilrfniss des Subjects anheinigegeben; es ergeht keine Art von (ausserer) Nöthigung dazu an dasselbe, vielmehr hat

OAristoteles „Metaphysikquot;, 1, 2 und 3.

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dieses Bedilrfniss, wo es vorhanden ist, frezen Verdachtigungen nnd Abmalmungen siandhaft 7,11 sein; es existirt nur als cine inn ere Nothwendigkeit, die stürker ist als das Subject, von der sein (ieist dann nihelos getrieben wird, dass er iiberwinde nnd dein Orange der Veniunft den wiirdigen (ienuss verscliaffe.quot;1) Herbart, der das ,.a .love principiumquot; inebrfacli perhorrescirt. der alle Forscliiing mil dem gegebenen Kinzclnen nnd Besondercu will erölTnet wissen, bemerkt dennoch, dass das Studium der Pliilosoplne ursprünglich .,aiis dem Ganzen des gillen Willens hervorgebtquot;, nnd sein ztiglcich treucster nnd bedentend-sler Anbanger, Drobisch, ist iibcrzcngt, dass die böclisten In-teressen der Philosophic nnd der Theologie immer nnd cwig die-selbcn sind nnd bleiben. 2) Trendelenburg endlich, der mit liezugnahrae anf den Satz: „Gott allein kami Gott begreifenquot; vor den Gefahren dcr Theosophic warnt, die „es ihm nachthnequot;, wiedcrbolt gleicliwohl in wissenschaftlicher Form die panlinische Mahnnng, Nachrolger odcr Nachabmer Gotles zu werden, mit den Worten: „Wlr erkennen (iott, sowelt vvir ihn erkennen, nur durcli das in uns, was in 11ns göttlichen (ioschlechls ist, durcli das Nothwendige im Wissen mid durcli das (inte im Willen nnd vor Allem durcli die Einigung beider.quot;3) Ueberbaupt ist, wie ziini gnten Theil schon aus den angcfiibrlcn Zeugnisseu erhellt, der dnrch das liisherige hinlanglich charakterisirte Gewissens-Stand-punkt nicht cin absonderlicher, dem mid jenem Philosopheu aus-nahmsweise eigener, eiu mebr tbeosophisclier, mystischer, halb theologischer, halb philosophisclier, mier wie man sonst die ver-meinte Seltsamkeit bezeiebneu miigc; sondern cr ist der In man-nigfaltiger Fassung alien iichten, gescliicbtlich bedeutenden Philosopheu genieinsainc Standpunkt, immer mebr befestigt, immcr mebr von dem Ansclicin einer blossen Hypothese befreit, indirect selbst durch versuchte Abscliwüchungen bekraftigt. 4) Dcr Grund-

') Hegel „Encyklopttdie der pliilos. WisscMiscliaftenquot;, Vorwort zur 3. Ausgabe.

a) Herbart WW. (Hartensteln) 1, 1850, S. Drobisch „Grund-lehren der Religionsphilosophie,'quot; 18-10, S. 21.

^Trendelenburg ..Log. Unters.quot; II. S. 453 nnd S. 465 f. 4)Sclileierniachor WW, 111, 2 (liber Anaximander), S. I!)3 f.; ..Kein wahrer IMiilosoph war jemals olme Gottquot;, womlt zu verbinden WW.

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imlerschied der Philosophen vnn einander besteht nicht in so nnd so vielen „Standpunktenquot; oder „Principienquot;, zwisclien denen etwa, wie Unkundige walmen, die Walil vorgelcgen habe, sondern lediglich in der grösseren oder geringeren Knlschiedenheit des Tretens anf den einen Standpunkt, in der mehr oder minder reinen erslen Anschaming oder, wie Aristoteles sagl, Beriihrung des Göttlichen. Kein reclitscliaflener Philosoph Iriigl eines (iotles Bild im Fingerringe, im (iewissen jeder.

Es ist der Philosophic in dem langen Lauf ihrer (leschichte unzfililigemal vorgeworfen worden, dass sie sich im Kreise un-fruchlharer Abstractionen hermiulrehe, sich in Widersprnch seize mil dein r.ehen. Wir können hier nicht nntersuchcn, ob dieser Vorwurf immer gerecht war; aber so oft cr es war, lag der Fehlcr in lelzter Bezichung eben darin, dass die Philosophen nicht entschieden, nicht rein genng den absohit-ethischen Standpunkt einnahmen und inne hielten, dass sie von der Philosophie znr Philo theorie, wie Chalybans sagl. abfielen und dadurch den „Zusammenhang desWissens mitdem ganzenMeuschenquot; locker-ten. ') Deun das Lebeu der Culturvölker, das hausliche wie das öPTentiiche, rubt allerdiiigs auf der uubedingten Voraussetzung der allgemeincu (Jiiltigkeit des Vorbegriirs von tiott, •des Gewissens. Der Kid ist der Endpuukt alles Slrcites, und der Staal limiet überall die (iewiihr seines Hestaudes darin, dass seiue Dicner ihres Eides eingedeuk seieu. Er wartet nicht darauf, dass die analytische Forschung, geselzt dless ware moglich, ohne jenen Vorbegrill' zum Hegrilf (iotles führe, sondern setzt einfach jenen Vorbegriflquot; bei allen zur Keife des Bewusstseins gelaugten Meuschen voraus. Dieses Einfache 1st liier, wie wir gesebeu haben, das durchans Veruliuftige. Auf dem blossen Weltwege kommt Niemand zu Götl. Wer das bisher noch nicht eiu-gesehen hal, dem sollle emllich das Ihich, welches von der Welt seinen Namen und Titel hal, die Angeu öffnen. Wo und wann

lil, 4, zweiter Theil (Dialektik), S. Iü6 u. S. 103: „Die Idee tier fiotllieit ist in dem Impuls, den wir uns gleiclisam vor dem organisclien Denken vorstellenquot; (in dem Vorbegriir); .,sie ist das charakteristische Element des menschlichen Bewusstseins iilierliaupt; denn ohne (iewissen würden wir zum ïhierischen herabsinken.quot;

]) H. Ritter ,.Geschiclite der Philosophiequot; VII, 1844, S. 328.

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gab cs cinen weltkundigeren Gelehrten, eincn im Nahcu und Ferneu der Welt umsichtigeren, feinsichtigereii Forscher, einen iuif dem Weltwege weiter fortgeschrittenen Denker als A. von Humboldt? Und ist er zu (iott gekommeii? lm „Kosmosquot; sehweigt er von ihm; andervvarts, in einem der bekanuten liriefe an Varn-hagen von Ense (S. 40), fiihlt er sich bewogen, ganz unzweideutig gegen die Regierung der Welt dureb einen (iott zu reden. Sapientl sa(. Die (ïescbichte der Philosophie lebrt aber freilicb, dass das Verniinftige niebt immer aucb das Selbstverstftndliclie ist, da dem Menscben neben der Vernunft ein „Hang zu vcrnünftelnquot; inne-wobnt. ') Audi die grössten Denker baben diesem Hange bis-weilen nacbgegeben; aucb sie baben mitunter verkanut, dass der Menscb uur dureb die Selbstbezeugung (i'ottes im Gewissen scblecbtbin bestimmt, tiberzeugt (convaincu) und nur so ein wabrcr „Mann der Ueberzengungquot; werden kann; aucb sie iiaben dann und wann, wie z. 15. Hrandis gegen Aristoteies einwendet, ausser Acbt gelassen, dass an den unbedingtcn Werlbbestimmun-gen dei' Willensqualitat aucb das Erkennen, welches nicht olme den Willen zu Stande kommt, gemessen werden muss. 1) Rein Wunder daber, wenn minder grosse Denker von der cin-geblldeten Höbe einer „rein tbeoretiscbenquot; Wissenschaftlichkelt auf die „Sorge des Menscben inn sein Seelenheilquot; als auf ein untergeordnetes „subjectives, praktiscbes Bedürfnissquot; veraebt-llcb berabseben.2) Erst wenn dartiber niebt mebr zu klagen ist, wird das Heden vom Einfacben iiberflüssig sein.

Dann aber wird aucb ein anderer Vorwurf verstummen, der aus der Mitte des ebristlicben Lebens der Völker gegen die

1

)Brandis „Aristotcles1853 u. 1857, S. 133.

2

8) Zei Ier „Ph. der Grieclienquot; 1, 1850, S. 0 und lil, 1852. S. 850 f. und S. 721. Einem Historiker der Philosophie, der so hoch zu stehen sich diinkt, mi'issten in folgerichtiger SchSlzung ein Platon, „der die Wissen schalt von der Sittlichkeit und der Heiig ion noch gar ,,nicht zu trennen weissquot;, und ein Aristoteles, der gleichfalls ,,in der Hauptsache noch von dieser Denkwelse beherrscht ist (ehend. I, S. 104), gar niedrig und dürftig erscheinen. Die Folgewidrig-keit, vermöge deren diess nicht gescbieht, macht ihm Ehre.

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Philosophie nicht weniger oft isl laut geworden, dass sie nam-lich vom Christenthum abwende und abflihve. ()b das (iegentheil davon, die Hinwendung und Hinfiihrung zum Cliristeuthum, ihrc Aufgabe sei, werden wir spater zn erwagen liaben. Wenn aber dem so sein sollte, so wllrde audi nach positiv-christiiclier An-schauung das Gewissen der rechte und allein rechte Anfang, die Grundvoraussetzung, sein. Deun nach der Schrift ist die gewis-senhafte Erkenntniss (iottes, von welchetn der Menscli sicii ge-wusst weiss („Herr, Du erforschest inicli und kennest micliquot;), die unerlössliche Bedingung davon, dass die Roten des Heils überhaupt nur gehort werden. „Wer God erkenut, der liiirt unsquot; (1. Joh. 4, ü). Diese Urkenntniss oder Anerkennung (iottes, der Vorbegriff von Hun, ist gleichbedeutend mit dein „aus der Wahrheit seinquot; (Joh. 18, 37), mit dem „von Gott seinquot; (Joh. 8, 47), und verhalt sich als die unmittelbare, durch gar keine analytiche Forschung bedingte Krkenntniss /.u der Krkennt-niss (iottes, die gerade durch das Christenthum vennittelt werden, in der das „ewige Lebenquot; bestehen soil (Joh. 17, 3). Uem-nach liige in dein Gewissen, dem unmittelbaren Wissen (iottes als dessen, von dein wir mit allen unsern Thaten schlcchthin gewusst sind, und den mit allen Mitteln („von allen Kriiftenquot;) wie de r-zuwissen der absolut-ethische Wissenstrieb („Weisheitswillequot;) getrieben und bestrebt ist, — es liige in dieser Ver bind 1 iclike it des Menscheii gegen Gott (lasset uns Ihn wissen, demi Kr hat uns erst gewusst!), in dieser schon anfiinglichen gegensei-tigen Bezielumg und Bezogenheit die Andeutung des Endes, der ; Voliendung, gleichsain ein Schattenriss der Lie be, die (iott ist, das Urbild aller ebenbildlichen Geschöpfe. So wiirde, ' wie man es vom rechten Anfange fordert, der höchste „U r s p r u ngquot;, der Urgrund, „audi ihn, den Anfang, bestimmen.quot; ') Jedoch diirfen wir dieser Argumentation hier nur einen hypothetischen Werth beimessen.

Worauf es uns wesentlich ankam, war nur, zu ervveisen, dass der Gewissensstandpunkt fiir alle wahrhaft wissenschaftliche Forschung der in ihrem eigenen Interesse unuingangllche Ausgangspunkt ist. Zwar haben wir hierbei zuletzt wieder vor-

')Trendelenburg „Log. Unters.quot; t, S. 320.

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zugsweise die Philosophic iin Auge gehabt; aber schon aus dcm Friiheren crgiebl sich, inwiefern das fiir sic GUltige audi die ini engeren Sinne sogenamilen Faclnvissenschaften IrilT't. Fiir die Vertreter der lelztereu, insondeiiieit der Naturwissenschaften, ist es begreiflich noch viel schwieriger, als fiir die Philosophen, iinnit-ten der leicbt zerslreuenden Einzelforschung den absolut-ethischen Standpunkt, vvenn sie ihn gewonnen, festziihalten. Was bindet ihre besonderen Probleme, so scheint es Vielen, an das Gewis-sen? 1st es nicht paradox, die Untersnchnngen der Chemiker, der Physiologen ihneu in's Gewissen zn scliieben? Und doch bleibt die Aiifgabe, immerhin als Ideal, nnverriickbar dieselbe. Denn das empirische Denken haUe schlechterdings keineu Grund, iiber die bunte, in der Fsolirung sinnlose MannigFalligkeit der Erschei-nungen hiiher und holier sicii zn erheben, wie es doch allewege versucht und thnt, wenn uichl der Vorbegriiï des lelzten Grundes sein treibender und leitender Beweggrund ware. In ihni allein wurzelt die Ueberzeugung, ohne melcbe die Analyse, die Induction keinen Sclnitt vorwiirts kSme, dass, wie man zu sagen pdegl, die \atur sich treu bleibt, die Ueberzeugung von der durchgan-gigen Gesetzmiissigkeil des WeKalls. Das unniittelbare (iottes-bewusstsein, von welcheni, nach dem oben erwiihnten Ausspruche Vi- des Physiologen liischofT, audi allcs umvissenschaftliche Denken und Handeln, sofern es cin inenschliches ist, angeleitet und geleitet wird, aber unbewusst geleitet wird wie von einer dunkeln Nothwendigkeit, —• es kornuit nach dcm unterschei-denden Charakter des wissenschaftllchen Yerfahrens den Forschern zurn Bewusstsein, und zwar zunachst als solches, als unmiltelbares Gottesbewusstsein; sic werden sich klar iiber die Nothwendigkeit, die sie Ireibt.1) Sie sehen ein, dass ,,jede wirksame Ordnung, jedes Geselz, welches wir unabhangig von unserm Wissen zwischen den Dingen uns vorstellen mochten, uur Dasein haben kann in der Einheit des Einen, welches sie alle verbindetquot;, dass „der nichtige Schatten einer Nalurord-nungquot; fiir sich Nichts erkliirt, dass aller Mechanismus nur „die

gt;) An den sprachiicli niessenden, aber gedanklich zu fixirenden Unter-schied des Un mitt ci bar en und des Unvermittelten mahnt Rotlie „Ziir Dogmatikquot;. 1803, R. G4 f.

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Samnilung der VermiUlungsfornien ist, in deneu (jottes Wille beschlossen hal, das unbekanute lunere der geschaffeneu Wesen auf einander wlrkeii zu lassenquot;, — „Alles, was Form mul (ie-slall, Ding mul Kreigniss lieissl, dieser gauze Inbegrillquot; der Ara-tur nur die Vorbedingung fiir die Wirklichkeit des Guten.quot;1) Gerade die (iegenwart hal die erfreulidislen Zeichen einer solchen Einsichl speciell aul' dem Gebiele der iXalurl'orsclmng aulzuwei-sen, Zeielien des Klarwerdens der absoiul-elhischen Bedeulung aller wisseuscliafliichen Arbeil. Auf die grosse Mehrzahl der Fachmauner passl freilieh heule noch, was Schelling sagle, ais ihm die uaturphilosophische Ueberhebung ISngsl vergangen war: „Wer diesen Eifer in Ausmitllung reiner Timlsachen, zuiual iu der Xalurwissenschafl, betrachlel, kauu niclil umhiu, in demselben deunoch elwas Höheres, wenu auch uur instluclarlig Wirkeudes, eineu im llinlergrunde stellenden Gedanken, eiueii Uber den unmil-lelbaren Zweck hinausgeheiulen Tri eb zu erkennen. Demi wie soil man sich die Wichligkeit, die auf Tlialsaclien, selbst die au sich geringfligigsleu, nameullich iu der Nalurgeschichte, z. H. Auzalil und Form der Ziilme oder Klauen, geiegl wird, wie die religiöse (iewlssenhaftigkeil, mil der diese Untersuchungen ange-slelll, die Ausdauer, mil der sie unler Mühseligkeiten, Enlbehruu-gen aller Arl, ofl selbst mil Gefahr des Lebens verfolgl werden, anders erklHren als durch ein wenigslens dunkeles Bewussl-sein, dass es bei allen diesen Thalsachen nocli um mehr als um sie selbsl zu Ihun sei?quot; 2J Es isl auf alieu (iebieten nur Wenigen, auch unler den Herufenen uur den Ausenviihllen beschieden, in der MUhe um das Heschriiukle erfolgreich liber die Schranken hinauszublicken und zu begreifeu, dass man im Kleinen und (ie-ringen nichl Ireu sein kann, olme dem Grösslen und Höchsleu Ireu zu bleiben, ohue den durchdringenden weiheudcu Gedau-ken au dieses slels zu bewahren, wodurch ersl das Kleine gross und werlhvoll wird, — dass man nur iu seinem Liehle das Licht zu selien vermag. Aber die Wenigen geilen fiir Viele, gleichsam

') Lotze, „Mikrokosmus,, i, iSóii, s,-4 »i'. und 43:j (l'., vgl. 111, ISOJ. S. 475 1.

^Schelling WW. 11. 3, S. 110 1'.

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als die Vorsteher der Vielen, mul in iluien vvirkt znr Zeil jener absolut-ethisclie Gruiulgcdaiike nicht mehr bloss instinctiv als dunkier ïrieb im Hintergruiule. Einem Lie big ist es klar, dass „die ethlsclien (ieselze in der Wissenschaft die namliclie üeltung wie im Lebcn haben.quot;') iiin Melmholtz weiss sehr wohl, dass und wie ,,(lie Naturwissenschaffen indirect nach demselben Ziele streben. wie die (leisteswissenschaften.quot;2) Kin Virchow preis't seinen Joh. MUller als einen „Priesterquot; in seinem Bereich und bekennt olFen, dass die Wissenschaft den Xaturforschern sittlicher Ernst, ja Religion geworden.3) Zwar ist er, nach einzelnen anderen Aussprüchen zu urtheilen, ahnlich wie wir es an Zeiler notirten, noch belangen in der Meinung, dass das „(iewissenquot; wie alles Sittliche mul Religiüse etwas bloss Subjectives, „Per-sönlichesquot; sei, „kein llassstab des allgeineinen Wissensquot;. 4) Er scheint noch nicht klar erkannt zu haben, dass „Gcsinnung in sittlicher Bedeutnng erst da entsteht, wo die Vorstelluug des Uber dem Menschen stellenden (iöltlichen als das (absolut) 15e-stinunende in das freie Hewusstsein aufgenoinmen wird,quot; dass „das Sittliche erst mil dlesem Grimde auhebt.quot; 5) Aber schwebte ihm nicht aucli das wenigstens vor: wie könnte er seine Wissenschaft damit zu ril hm en glanbcn, dass er sic reiigiös und ihre nmstcrgUltigen Vertreter Priester nennt? Kin unwiir-diges, ja liisterliches Spiel mil solchen Worten wird ohue ander-weilige Griinde nur der Parleifanatismus ihm Schuld geben. llolfen wir, ehe wir diess dem Predlger des „siltlichcn Enislesquot;

^Liebig „Ueber Francis Bacon von Verulam'-, S. 55.

2) H el in li o 1 tz „Ueber das Yei'lialtiiiss der Xadirwisseiiscliaflen zur Gesammlheit der Wissenschaflquot;, 18(52.

s) Virchow „Johannes Miillerquot;, S. 30, und ..Ueber die nationale Entwicklung und Bedeutuns der Naturwissenchaflenquot;, .S. 17 f.

4) Virchow „Vier Reden über l.ehen und Krankseinquot;, S. 27. 6) Trendelenburg „Log. Unlers.quot; 1, S. 85. Vgl. H. Kilter „Encykl. der pliilos. Wissenchaflenquot; lil, .S. 46: „Wie es dein einpirischen Denken scheint, dass die Geschüpfe oiine den Schilpfer gedacht werden könnten. so scheint es der einpirischen Ueberlegting über das sittliche Leben, dass die pnichtmiissigen Thaten ohne ilire Beziehung zum Grunde und zum Zwecke des sittlichen Gebots in ihrer vollen Bedeutung hesteheu könnten. Beides ist nur scheinbar d. h. in der oberllilchlichen Betrachtung vorlianden.quot;

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zutrauen, vielmelir, dass seinem Geistesauge noch die lelzten Hüllen lallen werden, die vielleielil anch auf s e i u e r Seite uur, so zn sagen,Parteihuilen sind! lm (ianzen genoinmeii, dienen die Höheu des Gebiets der gegenwiirligeu .Xalurforsclumg, anr wel-chen wir die genannten und andere gleicliberühnite Miinner er-blieken, nicht nur nicht zur Widerlegnng, sondern znr iiestiitigung des absolut-ethischen Standpuiiktes mul habcn bereits den l'hl-losophen anch zur erkenntnisstheoretischeu Befestignng desselben gedient. Davon zengt z. H. in dem gehaltvollen Werke von Ulrici „God und die Naturquot; der vierte Abschnitl, welcher den Titel führt „Gott als die nothwendige Vorausselzung der Xatunvissen-schaft selbstquot;, zumal dessen sechstes Capitel, in vvelchem „Golt als ethisciie Vorausselzung der naturwissenschal'tlichen Erkenut-nissquot; erwiesen wird, Davon zengt die Weise, wie Ueberweg In seinem „System der Logikquot; den Stufengang der Erkenntniss und Unterscheidung des „Wescntlichenquot; der Dinge darlegt und u. A. (zum Theil nach Kant) lehrt, dass „das Wesen und der innere Naturzweck des ïhieres und der Pflanze das Analogon der sittlichen Aufgabe des Menschen und nach dein Masse dieser Analogie erkennbar ist.''1) Davon zeugt vor Allem Trendelenburg's meisterhafter Versuch einer Versöhmmg der streltenden Weltansichten, der mechanisch-physikalischen auf der einen Seile und der organisch-ethischen auf der anderen, durch den gründlichen Nachweis, wie man, „die wirkende Ursache zwar für sich betrachten kann, aber nur, indein man sie aus dem Zusammenhang mit der Endursache heraushebt und iu der He-trachtung des Theils beharrtquot;, wahreiul da, wo dieses Wider-sinnige und Willkiirliche nicht geschleiit, selbst das „mathematische Elementquot; der naturwissenschal'tlichen Erkenntniss, das gegen jede ethische Fassung scheinbar so spröde, ihr dennoch zuganglich wird.2)

')Ueberweg „System der Logikquot;, S. 118 (-2, And. S. 116).

^Trendelenburg „Log. Unters.quot; 11, S. 458—404.— Snell „Ein-leitmig in die Differential- und Integralrechnungquot;, 1, 1846, S. V f'., sagt von der Mathematlk, dass sie nicht bloss eine „kiilile Wissenschaftquot; sei, sondern zugleich eine „keuschequot;. und wünscht, dass sie „bei uns wieder einen ühnlichen Bund mit der Philosophie schliesse, wie es in der glorrei-chen wissenschaftlichen Bliilhezeit der (iriechen der Fall war.'- Vgl. ebeml. S. 4 : ,,Ein Hineingehen in eiuzelne UntersUchungen oder. was noch ge-

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Au diesem festen, audi erkeniUnissdieoretisch befestigten, absolut-etlilschen Standpunkte muss der Skepticisiuus mit seinem bald trolzigen bald verzaglen Waluie, dass sicli Nlchts beweiseu lasse, unfehlbar zerschellen. Daruin liasst er diosrn Staudpunkt wie seinen Tod. Wir können ilin nicht wider seinen eigenen Willen lierübernöthigen; demi mit Waffen des (ieistes ist ja uur der überwindbar, d. li. voin (iegentbeil seiner Meinung überzeug-bar, der sieh Uberwinden, iiberzeugeu lassen will. Aber wir können die Ohnmaclit seines Willens, uiiseru Standpunkl anzu-greifen, und die Nichtigkeit seines angeblicben Standpunktes er-weisen. Wie ans allem Obigen wolil zur (leniige erliellt, sind wir weit entfernt, die liedeutung, die Aolbwendigkeit des Zweifels, der Skepsis, als eines begleitenden Actes in jedem wissen-schaftlichen Frocesse zu vorkenneu. Wir bekiimpfen nur die Skepsis als (i r u n d r i eb t u n g des (ieistes, die skeptisehe (iesinnung, den Skepticisnuis, der sicli audi iu unsereu Ta-gen wieder breit macht, sicli fiir den alleinigeu inhaber und Bürgen achter, solider Wissenscliaftliclikeit ausgiebt. Das Zweifeln ist wichtig und uothwendig iu mit ten aller For-schung; ja, wir können sagen: so lange mau forseht, zwei-feit man auch, da der (iegenstand der Forscbung so sich verhalteu kaun oder so. Aber wer mit der Énlzweiuug und Gebrocbenheit des Denkeus zu forscben aufangt, briugt es zu Mchts, geschweige zu etwas „Solidemquot;.1) Im Siuue dieses un-

wbhnüclier ist, eine Aneignung vim operativcn Regeln oline Bewusstsein iiber Zweck und liedeutung derselbcn und (iber iliren Zusammenliang mit der Gesammtaufgabe der Wissenchaft ist jedenfalls zu verwerfen.quot;

') Vgl. Ueberweg „System der Logikquot; S. 52 (2. Aufl, S. 51 f.); „Wir mussen vom Yertrauen auf unsre Erkenutnisskraft ausgeheu, nicht vom Misstrauen, wenn überhaupt irgend ein Gewinn erzielt werden soil . . . . Audi dem prüfenden Denken wlrd so lange das Vertrauen auf seine Kraft, das riclitige Verhiiltnlss zu ermltteln, gescheukt werden müssen, als nicht besiimmte Grl'mde vorllegen, Ihm dasselbe zu versagen, und bel der Prüfung dieser Grimde gilt wiederum das Glelche. Dieses Verfahreu verllert sich nicht lu's Uuenilllche (Eudlose), welt kelue Nothweudlgkelt vorliegt, dass Immer wieder ueue GrUnde zum Misstrauen gegen das prt'i-fende Denken hervortreten, sondern recht wohl an irgend elnem Punkte elu eben so befriedlgender Abschluss gewonnen werden mag, wie In der mathematischen Bewelsführung.quot;

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fruchtbaren, hohlcu Skepticismus kaim man heut allerwarts Reden vernehmen wie ilie: „das siud subjective Ansichten, Andere urtheilen dariiber andersquot; n. dgl. l-'ragt man die so Redenden, Aver deun diese Anderen seien, und wie sie denn urtheilen: sie wissen es oft seiber nicht und gehen urtheiisios, jedem Winde der Tagesmeinung preisgegeben, dahin, statt zu bedenken, dass es fUr sie wesentlich doch gar nicht darauf ankommt, wie Andere urtheilen, sondern wie sie urtheilen. Sic sollen sicii ein Urtheil bilden, sei's mil Anderen, sei's gegen Andere; aber das vermogen sie nicht, so lange sie von diesem Skeplicismus besessen sind. Und ein solches Unvermögen nennen sie dann ihren „Stand-punkt,quot; obgleich sie doch gar nicht stehen, sondern schwanken und au jeneu Schwachling erinnern. der, wie es in dem Jngend-werk unsers Dichters lieissl, sicii ein Riechlliischcheu vor die Nase halt und ein Collegium iiber die Kraft lies't. Nicht besser, nnr noch arger wird die Sache, wenn dieser Skepticismus sich mit dem Gewande der Bescheidenheit, der Demulli, der Frönnnig-keit schmlickt, etwa spricht: „unser Wissen ist Stückwerk; fest und sicher ist ftir uns schwache, dem Irrthum ausgeselzte Mcn-schenkinder, genau besehen, iMchts; auf den (irund gepriift, schwankt zuletft Allesquot; etc. Audi mit solchem fromniklingenden Gerede töuscht man uns nicht. Die Vermittlungen des niensch-lichen Erkennens, die Analyse, die Induction, sie bleiben freilich in diesem Aeon unvollkommen; von iiiucn gilt: unser Wissen 1st Slückwerk. Auer im Grund, im Ziel, in der Grundrichtung des Erkennens kann und soil der Jlensch vollkommen fest und siclier sein — wehe dein, der es nicht ist —, und er ist es, wenn sein Ausgangspunkt, seiu urspriinglicher Standpunkt, sein erster Gedanke der rechte ist. Dieser erste Gedauke, der Anfang aller Beweisftihrung, muss freilich als solcher, als Anfang, nnbewiesen sein; sonst mlisste man mil dem anfangen, was ihn bewiese n. s. w.; mit anderen Worten: man kiinnle nie anfangen. Aber dieser an-fönglich uiibewiesene Gedanke darf nichl unbewiesen bleiben; ja, er darf, wie wir gesehen haben, selbst am Anfange nicht den Charakler der beliebigen Wahl, der WillkUiiichkeit an sich tragen, sondern er muss von vornherein die uninillelbar gewisse Garantie der Beweisbarkeit haben. Diese aber hat unser ursprUuglicher Standpunkt, unser Ausgangspunkt, unser erster Gedanke, der

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VorbegrifT (ioltes. Ihm steht aufSeiten der gegenwartig vorzugs-weiseinHetracht komnieiulen materialistischen Skeptiker als ebenfalls ersterpbilosophischer (ïedanke bekanntlich dor Vorbegriff ciuer Unzalil ungescliatl'ener, (iolt nicht voraussetzender, Atome gegeniiber. Diese beiden ersten üedauken sind als solcbe, als erste, unbewiesen, gescliweige, dass ihr InhaK; der sinnliclieu Wahrnehnumg aul'gewiesen wiire: Niemand hat üolt geselien, nnd Niemand hat ciu Atom geselien. Uns ere Philosophic beginnt mit der Uriiebnng über das Phiinoincn der Innenwelt zn dein Kealgrunde desselben, den wir in (foil linden; ihre Fhilosophie beginnt mit der Erhebmig über das Phiinoinen der Aussenwelt zu dem Realgrnnde desselben, den sie in den Atomen linden. Aber wel-cher von diesen beiden philosophisehen (iedanken hat thalsMch-lich, fragen wir, die ninnittelbar gewisse Garantie der Beweis-bnrkeit V ist unter den vielen materialistischen Skeptikern ein cinziger, der sich anf seinen Grnndgedanken, die Unzabl unge-schafl'ener Aiome, als cinen schlechthin nothwendigen todt-schlagen liesse? Wir kennen keinen. Eben so wenig aber wird unter denen, die nnsern Standpnnkt theilen, ein elnziger sein, der nicht bereit wiire, Leib nnd Leben einzusetzen ftir seinen (irundgedanken, den Gott des Gewissens. So steht es. Indess diese vorlanlige, provisorisch giiltige, nnmitlelbar gewisse Garantie der Hewelsbarkeit gcnUgt wissenschal'tlich keineswegs. ünser erster, anlaiiglich unbewiesener (iedanke muss lm Fortgange der Erkenntniss bewiesen werden. Und wie geschieht das? Nicht hloss, wie Manche meinen, direct, durch Entwicklung des er-sten G'edankens, des l'rincips, in seine Consequenzèn, also dadurch, dass gezeigt wird, wie unter der Voraussetzung liottes eine In sich harmonische, befrledigende Weltansicht, Natur- und Ge-schichtsanschauung sich ergiebt. Diese directe Bewelsfilhrung ist nothwendig, aber, wenn sie nicht ergiinzt Avird, unznliinglich; demi es kann nach den Hegeln der Logik auch aus Falschem Wahres folgen. ') llinzukommen muss die indirecte Bewelsfüh-

') Mit der oft pratendii'ten wissenschafdichen Superioritftt der Ttibin-ger Scliule contrastirt es einigermassen, wenn ihr Siiftei' schreibt: ,,Dn aus falschen Pr.ïmissen nie etvvas Kichtiges folgen kannquot; — Banr „Die Tübinger Schule und ihre Stellung zur Gegenwartquot; 18(i0, S. 117, Vgl. dagegen Ueherweg „System der Logik,quot; S. 386 ff. ('2. Anfl., S. 3()3 ff).

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rung, d. h. es muss gezeigt werden, wie aus dem contradictorisch entgegengesclzteu Princip der Gegner eiue disharmonische, den beiderseils, von iimen uud uns, anerkannten Thatsaclien in Natur und (iesciiiciite Aviderslreitende Weltanschauung resuUirt. Isl, aber dieses Zwiefache geieistet, so ist Alios geieistet, was verstandiger Weise, so iange es in der Welt eiue Wissenschaft gieht, gefordert worden isl und gefordert werden kann, so steht unser (jrundgedanke, der Halt aller weiteren Beweisftlhrung, l'esl, un-erschiitterlicii Test, so ist die aniangiiche Voraussetzimg objecliv begriindet, keiue Hypothese, keine s. g. „subjective Ansichtquot; mehr, nicht mehr etwas, worliber „Andere,quot; sofern sie urtheils-fiihig sind, „anders urtheilenquot; können. Und dieses Zwiefache ist geieistet, ist, so viel audi im Einzelnen nocii zu tlum iibrig bleibt, im Allgemeiuen, im Ganzen zur vollen Genii ge geieistet. Man hat den Vertretern unseres Standpunktes wiederiio-lentlich vorgeriickt, dass sie die Probleme volltönig aussprechen, ohne zur Lösung Etwas heizutragen. Ailerdings haben und be-gehren wir nicht die Meisterscliaft, deren Andere sicli erfreucn niiigen, das Alte in zierllclien Wendungen und Windungen als neu des Breitesten nochmals vorzutragen. Auf eiue derartige Wiederhoiung liefe in der That der bier in Rede stellende Dop-pelbeweis als Lösung eines verineintlich nocii ungelösten Problems iiinaus. Derm was die directe BeweisfUiirung beiriirt, so hat die Philosophie .lalirtausende hindurch, bei allen irrungen im Einzelnen, doch im Allgemeineu niclit umsonst bestanden. Es verriith clue kleinliche, krankhafte (iesinnnng und Denkweise, wenu Einer meint, auf ihn babe die Gescliiclite der inenschliclien (ieistesent-wickiung gewartct, dass er, unbekiimmert um Vorganger und Mitforscher, etwas gauz Unerluirtes von Weisheit verkünde, der Welt erst das Licht der Walirlieit anziinde. Vornehnilich ist es ein „dentsdies Vorurtheil,quot; wie Trendelenburg bemerkt, dass „jeder Philosopli auf eigene Hand beginnen, jeder ein ureigenes Princip haben miisse.quot; Dieses Vorurtheil „muss aufgegeben werden; das Princip 1 st gefunden.quot;') Und was die indirecte Bewelsfiihrmig anlangt, lusonderheit gcgen den modernen Mate-rialisnius, so genilgt es, von vielen el nsciiiiigigen Werken zwei

O Trendelenburg im Vorwort zur zweiten Auflage dor „Log. Unters.quot; s, i.x. o*.

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zu nennen, die selbst von Gegnern als Wcrke streng wissen-schalïliclicn Cliaralcters anerkannt sind: die schon mehrfach von tins citirte Schrift Ulrici's „(iolt und die Naturquot; nebst dem „Mikrokosmusquot; von Lolze, weichem „nntcr alien Verirrnngen des inensclilicben (ieistes die immer als die seltsamsteerschienen ist, dass er daliin kommen konnte, sein eigenes Wesen, welcbes er nnmittelbar erlebt, zu bezvvelfeln oder es sicli als Erzeugniss einer iiusseren Natur wieder schenken zu lassen, die wir nur aus zweiter Hand, nur durch das vermittelnde Wissen eben des (ieistes kennen, den wir leugneten.quot; 1) So wird die anfanglicbe Voraussetzmig dem durch zahlreiche Vorarbeiter und Mitarbeiter imtersttilzten Denker der Gegenwart noch vor dem Beginne der im engsten Sinne eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu einer im Allgcmcinen zweifellosen Ueberzeugung, die man nach der Analogie des sonst lierrschenden Sprachgebrauchs eine Hypothese zu nennen so wenig berugt ist, als man die Hervorbringung der Nasse durch den Regen darum hypothetisch nennen darf, weil dieses l'hauomen nur im Allgemeinen zur Gentlge, nicht in jcdcm einzelnen Fall oder noch nicht in den Fiillen der Zukunft ist be-obachtet worden. Jene directe wie indirecte Bewelsfiihrung hat freilich nur mit dem uns Bekannten zu thun; aber zuletzt sollen und könuen wir aucli nur l'Ur uns wissen, wie wir nur filr uns den Frieden und die Seligkeit erlangen sollen und kiinnen. Desshalb diess Alles „subjectivquot; zu nennen, ist Sache des Geschmacks, jedoch eines schlechten, des Geschmacks am Barocken. Dass in gewissem Sinne Gott nicht das Erste, sondern das Letzte in aller Erkenntniss ist, der Slegespreis nach heissem Kampfe, dartibcr bedürfen wir keincr Belehrung. Er ist, sagte schon Leibniz in deutscher Sprache, „das Leichteste und Schwerste, so zu erkennen: das Erste und Leichteste in dem Lichtweg, das Schwerste und Letzte in dem Weg des Schat-tens.quot;2) Worum es hier sich handelte, war diess, dass der „Schattenwegquot; uns nicht zum Lichte führt, wenn nicht auf ihm das Licht uns vorleuchtet, oder dass, wie wir es oben nach

1

) Lotze „Mikrokosmusquot; 1, S. 288; vgl. das ebend, S. 164 über den „alle WeUaulTassiing' wahrhaft zerstörenden Materialisniusquot; Gesagle.

2

a) Leibniz deutsche Schriften, heransgegeben von Guhrauer, I, 1838, S. 410 ff.

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Trendelenburg misdnicklen, der höcliste Ursprung auch den crsten Anfang bes timmen muss, im unwlssenschaftliclien Leben unbewusst, im Bereiche walirer W issenschaft bewnsst. Das ist es allein. was wir durcb die vorstebende Erörterung nicht zu entdecken, aber aiii'zndecken versucliten fiir Etiicbe der Vielen, denen das Kinfaclie, Klare in einein Kiinste mehr als die Kunst liebeuden Zeilalter verschlciert oder ver-scbiittet worden.

Nur vom Vollen zum Vollendeten. \ur wer bat, kann ge-wartig sein, dass ibm gegeben werde. Nur dein, der im Vor-aus weiss, dass alle Fragen der Wissensebafl: in letzler Heziebung (iewissensfragen sind, liisst irgend Etwas vollgültig sich beweisen.

2.

Wir wenden uns jetzt vom Allgenieinen zuin Besondern und untersuchen, was auf Seiten dessen, dein der Glanbe bewiesen werden soli, vorailszusetzen sei.

Dass mit dem (ilauben bier nur der cbristliclie (ilaube ge-meint ist und zwar iu dem weitesten Uml'ange des Wortsinnes, in welcbem sowobl fiir Anbiinger als für Widersacber der cbrist-liche (ilaube das üanze der cbristlicben Religion, der subjectiven wie der objectiven, bedeutet, brauebt wobl nicht erst bevorwortet zu werden, da das Programm und der luhalt diesor Monatsschrift hierüber jeden Zweifel ausschliessen. Slalt „Beweis des (ilaubensquot; könnte, ohne dass dadurch der Sinn im (ieringslen verandert wlirde, „Beweis des Chrlstentbuinsquot; gesagt werden. Und so viel nun auch in unsern Tagen über (ilauben, Uber Cliristenthum fiir und wider gestritten wird: das Cliristenthum, vou welchem wir iiler als vou dem zu beweisenden reden, ist unslreitig, wiederum sowohl für Freunde als fiir (iegner, ein seiir bestiinmtes Ktwas. David Strauss nennt es, „das Christenthum in der Gestait, wie Paulus, wie alle Apostel es im Sinne batten, wie es in den Bekenntnissschriften sammtlicher cbristlicben Kirchen vorausge-setzt ist,quot; und weiss es vou seinein Christenthum haarscharf zu unterscheiden. ') Wir unsererseits lassen die Griinzlinie, die er ziebt, uns gefallen. Ohnelmi wird schwerlich Jeinand fiir das

') Dav. Fr. Strauss „Die Halben und die Ganzenquot;, 1865, S. 127 f.

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Christenthum, welches David Strauss mid seine Sinnesgenossen „ini Sinne habcnquot;, flir die sogenannte Ilumanitülsreligion, irgend einen Beweis verlangen; an diesem ChristenUmrn ist Alles iiber-schwanglich [klar, nach dem Ausdrncke dcs Volksmundes klar wie Wasser; iiber so ein Christenthum wird kein seit der Zeit Lessing's fortgeschrlttener „Karrenschieberquot; sich den Kopf zerbreclien. Bewiesen werden soli, inerin sind Freund mid Feind einig, nur jenes Ciiristenthum, die harte Bede, die nicht biossintelligenten Karrenschiebern ihrer Vernunft, sondern gerade auf höheren Stufcn der Biidung Vielen aller Vernunl't Holm zu spreciien scheint, das Christenthum der Schril't und der sciiriftgeinassen Bekenntnisse.

Dieses Ciiristenthum soli wissenschaftlich bewiesen, soli, nach dem zu Anfang (iesagten, dargethan werden ais „aii-gemeingültig, wenn audi nicht aligemeingeKend.quot; Hierin sind, gleichfalls auf beiden Seilen, die Manner der Wissenschaft ei «verstanden, und es ware nur zu wiinschen, dass sie den wich-tigen Unterschied des Aiigenieingliltigen und des Aligemeingel-tenden niemais, wie leider hiiben und driiben nicht seiten und zwar nngleich liauflger driiben als iiiiben geschieht, vergassen. Demi so wenig die Waiiriieit des hier gemeinten positiven Ciiri-stenthums damit bewiesen sein würde, dass es etwa in allen Cuiturstaaten noch als olfcntlicii sanctionirte Religion giit: ebon so wenig würde es damit wideriegt oder würde seine Unwahrheit damit bewiesen sein, dass die grosse Mehrzahl der „Gebildetenquot; etwa bei (ielegenheil einer unter den civilisirten Vöikern aligemeinen Schiilerfeier ollenkundig, direct oder indirect, es nicht geilen iiissl, es verwirft. Ja, das Letztere könnte eher für das Ciiristenlhum gedeutet werden als gegen dasselbe. Denn im Entwicklnngsgange der Menschheit, wie ihn ein Ranke und auf gleicher Höhe stehende Mistoriker uns schildern, ist erfah-rungsmassig die Majoritat stets gegen die Wahrheit gewesen, gegen die volle ethische Wahrheit, gegen die Wahrheit, die „bitle; ist und demüthigt.quot; ') Nur dann, wenn und so lange, als dlese Wahrheit in einer mehr oder weniger zweideuiigen.

^Dorner „Entwicklungsgeschiclite der Lehre von der Person C'liristiquot; II, 1853, S. 513.

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sittlicli gleicligiiltigeu Form erschien, nm- dami, uur so lange fie] die Mehrzahl der Köpl'e ilir zu, und der Zeiten 1'iUcrscliied be-steht hierbei lediglicli darin, dass in den einen, in langen Perioden, die Majoriliit den Hirer Ansiclil nacli wiclitigslen Plalz, den Vor-dergrund der gescliichtlichen Action, einnimnit, wiihrend sie in den anderen, in kurzen Kpochen, überwiiltigt, nicht überzeugt, passiv zurlickweiclit oder blindlings folgt. So hat sie stets, nach dein Zeugniss der üeschiclite, zur Wahrheit im Aligeineinen sicli ver-halten. Insbesondere aber hut das Christenthum von Anbeginn auf die Majoritiit nicht uur nicht gerechnet, soinlern rundweg verzichtet. „Viele berufen, Wenige auserwahlt; Viele auf dein breiten VVege, Wenige aidquot; dein schmalen.quot; Wer also, wo es sich nm das Cliristeiithiini handelt, mit Argumenten aus der Majoritiit streitet, tausclit entweder sich oder will Andere tiiusclien. In belden Rillen hebt er an seuiem Theile die Mögliciikeit einer wissenschaftlichen StreitfUhrung auf; sie irltt erst wieder cin, wenn die Tauschung vergehl. Uebrigens diirfte David Strauss dort, wo er sein Christenlhum abgriiuzt gegen das apostolisch-kirchliche, nicht bloss in der Argutneiilation aus der Mehrzahl, sondern auch in anderer Beziehnng noch, also zwiet'ach. sich lliuschen. iXachdein er niimlich mit gewolinter Olïeuheit erkliirt hat, dass an dein Worte des Apostels Paulus: „1st Christus nicht auferstanden, so ist euer (ilaube eitelquot;, nicht zu deuteln sei, dass „das Christenthum, wie Paulus, wie alle Apostel es im Sinne hatten, wie es in den Bekenntnissschriften samintlicher christlichen Kirchen vorausgesetzt ist, mit der Anferstehung Jesu faliequot;, falirt er fort: „ja, es ist mit ihr, der jelzt gleicherweise tieschichls- wie Naturwissenschaft die Anerkenmmg versagen, bereits dahingefalleuquot;, mul schaltet ein: „man frage heriun bei ihren redlichen und unerschrockencn Vertretern!quot; Er scbeint also, von dein hier schlechthin ungüKigen heweis durch die Majoritiit oder durch das „llerumfragenquot; abgesehen, aus dein Uinstande, dessen Thatsiichlichkeit wir ilun zugeben, dass die meisten heu-tigen Geschicbts- und Naturforscher (ob auch die bedeutendsten, bleibe dahingestellt) der Anferstehung Jesu „die Anerkenmmg versagenquot;, zu folgern, dass sie seiner Verwerfung der Anferstehung Jesu beipflichten; demi das bloss negative, passive Nicht-anerkennt kann Nichts, was sleht, zu Fall bringen; es gehören

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dazu die entsprecheude positive Gegenwirkung des RUttelns, des Stossens. Die Folgerung wSre viclitig, wena jene (ieschiclits-und Naturforscher die hier obwaltende Nothwendigkeit der Aus-schiiessimg eines nüülereii Drillen sicii eben so scharf mul klar, wie Strauss, ziuu licAvusstsein gebracht hatten; daim mlissten sie freilicii entweder bekennen oder laugnen. Dem aber ist, soweit imsere Kunde reiclit, keineswegs so. Vielineiir ist die Steiiung weilaus der meisten heutigen Natur- und (leschichtsForscher wie überhaupt die Steiiung weilaus der meisten heutigen (iebiideten zum Christenlhum so ziemiich derjenigen gleicli, die sicli in der bekannten ver-wjahrenden Anmerkung H. v. Sybel's zu dem Aufsatze Zei-ler's liber die Tiibinger Sriiuie ia der „hlstorischen Zeitschriftquot; von 1860 zur Genüge charakterisirt; sie bekennen nicht, aber sie iiiugnen auch nicht. Veriiiilt es sicii so — und das meinen wir auf (irund einer vielleicht umfassenderen Induction, als sie Herrn Dr. Strauss verstattet war, mil Bestimnitheit aussprechen zu dür-fen, bis das Gegentheil zu Tage tritt —, so töuscht sich Strauss. Doch 1st diese Tauschung gewissermassen eine edle, sofern sie auf der von iiun oft kund gegebenen Ueberzeugung i eruht, die wir vollkommen mit ihm und mit — Pauius theiien, dass in An-sehung des Ciiristenlhums ein reciiter ganzer Mensch, auch eiu ganzer Mann der Wissenscliaft, nur dieWahi hat zwischen lierz-haftem Bekennen und herziiaftem Liiuguen, dass für einen soi-chen das Christenthuin nicht erst in zweiter oder dritter Linie, nach anderen, z. 15. fachwissenschaftlichen oder praktisch-politi-schen, Fragen in betracht kommt, dass (ileichgültigkeit gegen das Christenthuin Schande ist, das untiilglicliste Zeiciien von Mangel an Bildung oder von verkehrter Bildung, die mit reicher Gelehrsamkeit gepaart sein kann. Timen wir das Unsere, dass diese Ueberzeugung sich welter verbreite!

Die Frage ist also: was setzt der Beweis des Glaubens, der Beweis des Chrislenthums bei demjenigen, dein er gefllhrt wird, ausser dein Allgenieinen, woran jeder Beweis seine Granze hat, insonderheit voraus? Dass er jenes Allgemeine auch voraus-setzen muss, haben wir lm ersten Abschniltc beilaufig schon bemerkt. Es war das „Sein aus der Wahrheitquot;, das „Erkennen Gotlesquot; als die Bedingung des Veniehmcns der Heilsbolschaft („wer (iott erkennt, der hört uusquot;), das Erkennen Gottes, olme

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welches Niemand zu der diirch den Heiland verniittelten, mit dem evvigen Leben identisclien Erkenntniss (Jolles (Joh. 17, 3) ge-langen kann; es war die gewissenhafte Anerkennung (iolles oder der auch in aller wahren Wissenschafl nicht abstract- (d. li. gewissen lo s) theoretische, nicht apart- „wissensehal'llicliequot;, sondern absolut-ethische Sinn fiir den lel zien Grund, das nnniiltelbare Bewusslsein der unbedingten Bezogenheit des (ie-schöpfes anf den Schöpfer als auf den, von dem es sich und seine Thaten, ob auch aller Welt verborgen, schlechthiu gewusst weiss, ein Bewusslsein der Bezogenheit, das wlr nicht umhin können mil den alten Dogmatikern auf ein ersles Ziehen, cinen ersten Zug (jolles, auf eine zuvorkonimende Gnade (gratia prae-veniens) zurUckzuführen. „Niemand kann zu mir kommen, es sei demi, dass der Valer ilm ziehequot; (Joh. 6, 44). Verachte uur, denkt der scharfsinnlge Gegner des Chrislenthums, verachte nur dieses „Ethischequot;, diesen „Gewissensstandpunktquot; als elwas „rein Persönllchesquot;, Subjeclives, in der Wissenschafl Unstatlhaftes, well „mystisch- Theosophischesquot; oder nichl der Rede Werthes, kind-lich- IVaives: ,.so bah' leb dich schon unbedingl.quot; Er spollel, und selnerseits mil Recht, (iber die Theologie, welche in Betrelf dieser allgemehi-pbllosophiscbeii Vorfrage sich ganz auf den Boden der „reln-tiieorctlschen Wissenschafl,quot; der „Inleresselosen Betrachlungquot; slclll, ganz wie diese gegen das „vorschnellequot; riereinzlehen (iolles in wissenscbaftliche Uiilersucbiingen protestlrt und dabei doch walmt, hem ach, am rechten Orte, das „Beste vom Posillvenquot; rellen zu können. Hierin lobeu wir uns ihn, den Gegner. Er weiss Bescheid; er weiss, dass selne Slellung zum ('hristenthum und die uusere von (irund aus verscbieden sind, dassum desswillen schon zwischen seinem Christenlhurn, der „Humanltalsrellgionquot;, und dem „positivenquot;, dem Christenthum der Kirche, kcin drilles hallbar ist, kein niiltleres, keln Friede, sondern das Schwert. Aber zu dieser allgemeinen Vorausselzung des Gewisscns kommt fiir den Beweis des Glaubens ein Besou-deres, nothwendig mil Vorauszusetzendes, hinzu. Es lïissl sich durch ein kleines, jedoch Inhallschweres Beiwort bezeichnen. Der Beweis des Glaubens selzl bei jedem, dem er gefiihrt wlrd, nicht nur ein Gewissen, sondern ein boses Gewissen voraus.

Noch ebe wlr diesen Salz erlaulern und begründen, dürfen

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wir, auf die fiir Jedermann oiren voiiiegenden Tlialsaclien der lleligionsgeschichte gestiltzt, milt; voller Sicherheit bchaupten, dass der Inlialt desselbeu den alleln befrenulen kann, den alles Requot; ligiöse befremdet. Demi das Cliristenthuin hal die Vorausselzung, welche der Satz einliiilt, mil jeder Religion gemein. Nicht ersl in der christlichen Religion, uur in ihr erst reclit, wird ein böses Gewisseu vorausgesetzt. Der Zutritt zuin Christenthum er-fordert niclits absonderlicli- Religiöses; sonderu „in allerlei Volk, wer Gott l'iirclilet. isl ihni genelnnquot;, d. li. ist aufnelnnbar in den neuen Rund init ihm (Apgsch, 10, 32). Die Fnrcht Gottes als des gerechten Ricbters iiber (iutes imd licises ist es, was wir? zunüchst absichtlich den Schein der Eiuseitigkeit nicht vertnei-dend, durch das „böse Gewissenquot; ausdriickeu wollten. so dass dein religiösen Sinn an dein S.ilze böchstens die Form befremd-lich sein kann. Docii wird audi in Bezug auf sie eine Verstün-dignng möglich sein.

Denn zuvörderst, was bcdeutet das böse Gewissen? Fligen wir uns aucli hier dein Spracligebrauch, der dem bosen Gewissen einen ganz anderen Sinn beliegt als dem schlechten oder, wie es gewöhnlicher beisst, abgesliunpften Gewissen, so wird, da bei dein Gewissen Uberbanpt, wie wir gesehen haben, der Gedanke an Gott nicht zu entfernen ist, dnsselbe aucli bei dein bösen Gewissen Statt finden, und wir werden es auf's Kürzeste so 1'assen können: das böse Gewissen ist das Wissen von dem Bösen, das man gethan, als einem Widergöttlicben. Wer ein böses und dabei nicht schlechtes, nicht abgestumpftcs Gewissen bat, der welss und spricbt mit dem Psalmisten (51,6); „an Dir allein habe ich gesilndigtquot;, d. h. ich habe, undzwar posiliv widerstrebend, nicht eingewilligt in den Willen Gottes, in den Willen, der dem gewis-senbaften Menschen ftir all sein Wollen als das unbedingte Sollen sich zu wissen giebt; ich iiabe zuwider gebandelt der in die-ser Ga be Gottes mir gestelllen Aufgabe, den mit allen Mltteln („von allen Kriifteiiquot;) wieder zu wissen, von welchem ich lm Gewissen unmittelbar mich gewusst weiss. Das Böse als diese positiv widerstrebende Nichteinwilligung in den Willen Gottes ist dein (iulen als der Einwilliguug iu denselben conlradictorisch ent-gegengesetzt, d. li. gut und bös siiul solehe Regrilfe, von denen der eine den anderen schlechthin verneint, so dass es zwischen

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ihnen keinen miUleren, vcnuidelnden Begiiffquot; glbl. Als conlra-dictorisch entgegengesetzt sind sie logisch zu unterschelden von contrSr entgegengesetztcii liegriU'en, d. h. vou solchen, die, wie z. H. scliwarz und weiss, innerhalb des Umfangs eines und desselbon höheren Begrill's (Farbe) am weitesten von einander abstehen als die Endpunkle eines HepjriU'sgebietes, die zwischen sich Mittelgiieder znlassen. ') Das Vorhandensein von Gegensiitzen im prSgnanten Sinne, d. li. von contriiren Gegensatzen, ein gegen-seitiges Sichfordern, ein erganzendes FUreinander der Dinge ist, analog der im Ge wissen gesetzten gegenseiligen Bezogenheit von Gescliöpf und Scliö|ifer, innerhalb der geschiipflichen Sphare, von Gescliöpf zu Geschöpf, als Bedingung ihrer harnionischen Einheit unter sicli wie init Go It unzweifelhaft notliwendig, in der Weltordnuiig Gotles begriindet, keineswegs aber das Vorhandensein des rein-negaliven Widerspruchs, ein vernichteiides Widereinander der Dinge. Das Höse als das Widergöttliche ist, da Gott der einige lolzte Gnind is(. das in letzter Beziehnng ab-solnt-Grundlose, jeder begrifflicheu Nolhvvendigkeit Erniangelnde, somit schlechthin Unbegreidiche, Unentscluildbare. Wir erkliiren also weiter das böse Gewissen für das Wissen von dem Bösen als dem nicht notlnvendigen, nicht ans VerminflgrUnden ableit-baren, unbegreillichen und dennoch 'wirklichen Widerspruch oder contradiclorischen Gegensatz des Gnten, des Göttlichen, für das Bewusstsein der unentschuldbaren Schuld, und verwerfen jede andere Erklarung, die das Böse begreifen, aus Griinden ableiten will und es dann, da Golt der einige letzte (irund ist, in letzter Beziehung immer uur auf God zuriickzufiihren vermag. Untrenn-bar aber vorn Bösen ist sein Correlat, das Uebel, welches im Po de gipfell. Wer mit Gott zerfallt, dem Urgrunde alles Lebens, fSllt eben damit dem Tode anheim. Der innere Widerspruch, die imiere Nichligkeit, well Entzvveiung mit Gott, iiussert sich als Uebel, Verderben, Unheil, als Nichligkeit des natUrlichen Lebens, Sterblichkeit, Tod und muss, hei der organischen Zusammenge-hörigkeit des Meuschen als des Hauples der Schöpfung mit der letzteren, sich in seiner Aeusserung audi dieser, der gesammten Creatur, dem Weltorganismus, irgendwie mittheilen, also das Un-

^Vgl. Ueberweg „System der Logikquot; S. 102 und 102. (2, Aufl. S. 99 f. und 159 f.).

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heil (I er Welt znr Folge haben. ') Deninach köimen wir das böse (Jewissen auch für das Hewusstsein des Menschen von dein an seinein Theile initverscliuldelen Unlieil der Welt erklaren.

Dass die Urkunden des Cliristenthuins mil dieser Erklüning vollkommen übereinstiinmen mid das Wise Gewisseu in der hier-mit festgestellten Bedeutnng als die nneriasslichc Bedingung des siibjectiven christliclien (ilanbens wie der Erkenatniss seiner ob-jectiven Wahrheit voraussetzen, bedarf für den, der sie kennt, kanm cines Nachweises. Auch nach der Schrift ist das Böse das Widergottliche, die Entzweinng mit (iolt, die Slinde, die Feind-scbaft wider (jott (Röm. 8, 7), der llass gegen Gott (Job. 15, 23 If.), Auch nach der Schrift sind Gutes und Böses, „Geist und Fleischquot;, „Gehorsain und SUndequot; u. s. w. nicht einander ent-gegengesetzt, wie weiss und schwarz, sondern sie widersprechen einander; zwischen dem Reiche des eineu und dein des anderen giebt es keine Vermittlung, sondern ist eiue grosse Kluft befestlgt (Luk, 16, 20, Joh. 8, 23 und 47, 1 Joh. 4, 4—6, Gal. 5, 17 und 6, 7 f., 2 Kor. fi, 14—16, Röm. 6, 16—23: rjzotrj). Auch nach der Schrift ermangelt das Höse jeder begriiïiichen Nothwen-digkelt, ist es das absolut (jrundlose, das Unbegreifliche, Unentschuld-bare, was ist, aber scldechthln nicht sein soil, das von dem Menschen, der auf widergottliche Weise wie Golt sein wollte, in Selbstüberhebung GeschalTene, aber WegziischaU'ende, zu Stihnende; „sie liassen mich ohne Ursachequot; (Joh. 15, 25), „sie haben keine Entschuldigungquot; (Röm. 1, 20), „die Verdammniss derer, welche sagen: lasst uns das Böse thun, damit das Gute daraus komrae, ist ganz rechtquot; (Röm. 3, 7 f.). Undlich ist auch nach der Schrift das Hebei untrennbar vom Bösen, durch die Slinde der Tod in die Welt gekommen (Röm. 5, 12), und in den Seufzer des Menschen: „wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?quot; stimmt die ganze Schöpfung mit ein (Röm. 7, 24; 8, 22). Das

') Vgl. H. Ritter „Encykl. d. plülos. Wiss.quot; Ill, S. 95 ff: „Wenn ge-lehrt wird, dass aucli das Yeriiilltnlss der Natur zur Meusclilieit durch das sittliehe Verdu ben verkehrt werden muss, so (indet diess seine Rechtfer-tlgnng in dein philosophischen Gedanken an die Einheit der Welt im Sitt-lichen wie im Pliysischen. Vom Leiden des Theils mfïsen alle Theile in Mitleidenschaft gezogen werden; das verschuldete Leiden wird hiervon keine Ausnabme maclien können.,,

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Bewusstseiii der vcrschuldeten inneren und iiussercn Mchtigkeit, das bfisc Gewissen, wird in der Schrift durchweg als die Bereit-scliai't zur Siniiesanderung, als die Hussferti g keit bei der Ver-kUudigung des lieils der Weit vorausgesetzt. „Die (Jesunden be-diirfcii des Arztes nichtquot; (Luk. 5, 31). Nur den Armen, den llim-gernden, den Weinenden, nicht den Heichen, den Vollen, den Lachenden, wird das Hinunclreich zngesagt (Luk. 6, 20 f. und 24 f.); ja alle Seligpreisungen der Bergprcdigl lassen sich hiblisch zusainmenrassen in die eine: selig sind, diel'ragen: wer wird uns erliisen von dein Leibe dieses Todes? denu sie werden das ewige Leben ererben. .Nur solchen wird das Evangelium aoiii Heil dei-Welt gepredigt (Matth. IJ, 5; Luk. 7, 22); nur solche siud lm Stande, sicli nicht au dem lleilaude zu ürgern, nicht an linn irre zu werden, sondern in ilnn Den, der die Wahrheit ist, den König des Reichs der Wahrheit, wahrhaft zu erkennen (Matth. 11, G; Luk. 7, 23; Joh. 14, (i und 18, 37).

Die Gegner des positiven Christenthunis liiiigncn nieist, dass diess, was wir in Kürze das böse (ïewissen nenueii, die (irund-voraussetzung desselben sei für Alle, die in seinen Bereich (reten sollen und wollen; sie behaupten, die erste Bedingung, um sich zur Annahme des Christenthuins im Siune der Apostel, lm Sinne der Bekenntnissschriften sainintlicher christlichen Kirchen zu verstellen, sei vielmehr die Verzichtieistung auf alle Kritik, auf alle wahriuü't geschiclitliche Betracbtung, die licreUwiliigkeit, an die in der Schrift erziililten Wunder zu glauben, vor allen au das Wunder der AulCTStehnug Christi, da, wer au dieses glaube, in Wahrheit keinen (irund niehr habe, irgend eiuen Zug der evan-gelischen Geschlchte wegen seiues Widerspruchs gegen die (ie-setze der Xatur und der üeschichte zu bezweifein, ') Diese Dar-

') Zeiler ,,Strauss und Rpiianquot; in v. Sybel's „Histor. Zeitschriftquot;

1804, Heft 3, S. 122; vergl, Ebendesselben Aufsatz über die Tübinger historische Scluile in der genannten Zeitschrift, Jahrg. 18Ü0 (Band IV.), S. 100: ,,Das Wunder und die geschlchlliche Belrachtung der Dinge schlies-sen sich aus; wer diese will, kanu jenes nicht zugeben; in dieser Ueber-zeugung ist liaur mit Strauss vollkommen einverstandenquot;, und S. 122: „Wunderglaube und Kritik sind zwei Dinge, die sich ausschiiessen.quot; (Wie-derholt in seinen „Vortrügen und Abhandiungen geschichtlichen Inhaltsquot;,

1805, S. 493, 285 und 299).

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stellung des Sachverhalts ist schief nnd uur geeignet, ilm zu ver-kehren. Darin namlich sind sic, die (icgner, mit uns einverslan-den, dass das „Wunderquot; zuniichst cine ganz subjective Vorstel-lung oder das sei, woriiber wir, die erkennenden Subjecte, uns wundern, was wir nicht begreifen; cs hiirt auf, Wunder zu sein, sobaid und in dein Masse, als wir es begreifen; ein Wunder sciilechliiin ist nur das schlcchlhin Unbegreilliche. Nuu aber schieben sic, denen die ia der Schrift erziililte Auferstebung Christi und alles ihr Aebnliche schlecbthin uiibegreiflicli, sclilechthin wun-derbar ist, der Schrift es unter, dass nach ibr der Glaube an dieses oder diese Wunder die (irundvoraussetzung der Aimahme des Ciiristenthums sei. Und doch ist in der Schrift von sol-chein Wunderglauben als dem ersten Erforderniss, als der Grundbedingung, mit keiner Silbe die Rede. Vielmehr gelten in der Schrift durchgangig d i e Wunder, an welchen die Gegner Austoss nelnnen, die Auferstebung Christi und alles ihr Aehn-liche, für ein Zweites, flir das, woran nach Erfüllung der obeu aus ibr, der Schrift, erwiesenen Grundbedingung zu glau-ben sei, kurz für Gegeuwunder gegeu das Höse und das Hebei. L'nd zwar sind diese Wunder (Gegeuwunder), denen die Schrift alleiu den Wundeniamen beilegl, nach ihr nicht Wunder schlechtbin) nicht schlecbthin unbegreillich, also nicht Wunder in dein wlssenscbaftlicli bestininiten engeren Sinne der modernen Redeweise, sondern nur relativ Wunder, d. h. begreif-lich und immer begreiflicher in dem Masse, als das erkennende Subject, der Mensch, fahig ist, eiu Christ zu werden, sodann durcb Christum und in Cbristo eiue neue Creatur wird und in der mit dein ewigen Leben gleichbedeutenden Erkenntniss (iottes fortscbreitet. Nur dem, der nicht fragt: „wer wird mich erlö-sen von dem Leibe dieses Todes?quot;, ist die leibbaftige Auferstebung Christi, die Btirgscbaft eines deu Tod besiegemlen Lebens, schlechthiii wunderbar; einem Paulus, der so fragt, und den Genossen seines Sinnes keincswcgs, und der aus Gott Ge-borne (1. Joh. 3, 9), göttlicher Natur Theilhaftige (2. Petr. 1, 4) findet die Wunder der Schrift ganz natllrlich, ganz in der Ordnung; wer Christ ist, die Salbung bat, weiss Alles (1. Joh. 2, 20). Absolutes Wunder, absolut unbegreillich, das Wunder schlecbthin im modernen Siime ist nach der Schrift uur das Böse sammt

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dem üebel. Sie ireimt es nicht Wimder; aber ihr ist nur das Köse, das Widergöttliche, sclilcclitliiii irrational, uur das Ucbel, der Tod, schleclithin wideruaUIrlich. Wer die Sclirift uud das Christentlmin der Schrift bestreiteu will, sollte wenigstcns diesen Sachverhalt, diesen Stand der Streitlïage, kennen uud riciitig darstellen. Ihu in's hellste Licht zu seizen, ist gegemviirtig, da das „Wuuderquot; das Aergerniss aller Aergernisse bildet, nicht die höchste, abcr die erste unuiugiinglichste Aufgabe der christlichen Apologetik, und wenn Theologen, die sicli ihrer Wissenschaftlich-keit rühmen, statt dessen vor A Hem ihr aufgeben, die Aecht-heit der Urkunden des Christeuthuins wider die Augrilï'e der (ieg-ner zu vertheidigen, vor Allem daraulquot; dringen, dass das histo-risch-kritische (ieschaft, dessen Wichtigkeit wir wahrlich nicht untersciiützen, erledigt werde: so übersehen sie, was anf der Hand liegt, und was zuin Ueberlluss der nach dem Tode liaur's ueben Strauss vollgiilligste Zeuge ausdrücklich erklart, dass die Gegner „die Wirklichkeit eines Ereiguisses, w ie die Aui'erstehung Christi, nicht glaubenkonnten, wenn sie noch so stark bezengt ware.quot; ^ Ohuehin wlirdcn diejenigen Schriftstiicke, deren Aechtheit bekauntlich ausser i'rage steht, das, worum es hier sich handelt, auch allein schou begründen. Hiicken aber gar Theologen, die in iliren eigenen gelegentliclieu Atislassungen über das Wuuder verrathen, dass sie über diesen Cardiualpunkt noch nicht in's Klare gekommen siud, ja über ihn als den Cardiualpunkt kaum ernstlich nachgedacht liaben, v e r a c h 11 i c h auf die Apologetik herab wie aul' eine untergeordnete exoterische, populiire Disciplin, die eigenüich unter der Wiirde clues Mannes der Wissenschaft sei; so thiilen sie wohl, sich bei Zeiten eines Anderen zu besinuen, damit nicht auf sie das mitleidige Lacheln über die Apologetik, welche eiu grosser Theolog un seres Jahr-huuderts als phi 1 os op hische Disciplin seines Fachs bezeich-nete, von Seiten der letzteien in erhöhter Fotenz zurückfalle.

') Zei Ier „Strauss und Renanquot; a. a. O, S. 122 (wiederliolt in den Vorlr. und Abliandl. S. 491). Das schreibt der niiniliclie Zeiler, welclier versicliert, dass ,,die leitenden GrundsSIze der Tübingei' Schule dieselben seien, welche ansserlialb der Theologie die ganze deutsche Gescbichtschrei-bung seit Niebuhr und lianke beherrscbenquot;, in dem Anl'salz über die Tli-binger Schule a. a. 0. s. 173.

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Von der Darlegung der Streitfrage nun zur Beslreitung selbst Ubergehend, konneu wir freilich keiiien unsercr Gegner nötlngen, ein böscs Gewlssen zu liaben. Wir können audi hier nur die Unhaltbarkeit ilires Standpnnktes erweisen und ihren Augriff auf den unseren zuriickweisen.

Wollen die Gegner das aufrechthalten, worauf sie -bestehen, dass Wunder im wissenschafllich strengen Sinne des Wortes unmöglich seien, so inilssen sie beweisen, dass das I5öse sammt dein Uebel, dessen Wirklichkeit In die Augen springt, kein Wunder sel in demselben wlssenschaftlich strengen Sinne des Wortes, sondern begreillich, nothwendig, wenn audi nur relativ notliwendig, als Durchgangspunkt der nienschliclien Entwicklung. Uieser Beweis ist oft versucht worden, aber niemals gelungen. Alles, was man 1'Ur die Nothwendigheit des Bösen und des Uebels ersonneii und vorgebracht hal, komint iinnier darauf hinaus, dass die abstracte Möglichkeit des Büsen als Vor-bedingung der realen Freiheit des Menschen nothwendig ist, niciit aber die Wirklichkeit der positiv widerstrebenden Nichteinwilli-gung in den Willen Gottes, oder darauf, dass, wie wir es oben ausdrückten, das Vorhandensein von Gegensiitzen im pragnanten Sinne, d. h. von contraren Gegensiitzen, ein gegenseitiges Sicii-fordern, ein erganzendes Füreinander der üinge nothwendig ist, nicht aber das Vorhandenseia des rein - negativen Widerspruchs, ein vernichtendes Widereinander der üinge. Irren ist mensch-lich, aber nicht Liigen. Der Irrthuin ist noch. nicht die Wahr-heit, aber aucli noch nicht die Liige, uocii nicht der bewusste Widerspruch gegen die Wahrheit, sondern nur die abstracte Möglichkeit desselben, die überwunden werden muss, damit die Wahrheit unser frei erworbenes Eigenthum sei. Zuni Wesen des end lie hen Lebens gehort, dass es von einem „Endequot; zuni anderen absatzweise, durch Gegensiitze hindurch, sich entwickie, aber nicht, dass die Entwicklung abbreclie, nicht, dass das Leben so ende, wie es lm Tode geschieht, welcher der Widerspruch des Lebens ist. Dieses Ergcbniss wird nach der scliarfstcn phi-losophischen PrUl'ung zu Hecht bestehen. Ein anderes Denken aber ais ein philosophisches reicht an den Gegenstand der Un-tersuchung gar nicht lieran; deun wer niciit nacli dein letzten Grunde fragt und forscht, vermag nicht zu entscheideii, oh

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I'](was altsoiiiI gnuullos sci odoi- nichl. WCr das BOse mul das ÜL'bcl «liMclisain iinbcschcn in seiiu; Hoclmiins si'lion mil aiif-nimmt; wcr Itloss-empirlsch d. 1i. scdankcr.l os, goisl los, gc-wissenlos aulquot; dcu dcvmallgen, vom liiiscii mid vom Uebel diirchwirkli'ii Nalur- mid (i(,st'irK;]ils/iisaimiuMiliaii}gt; als aulquot; dcu allein „IVslcn hodeii ' dcs Doukcus sicli stclll mid slcli slcil'l; dcr liat leiclitcs Spiel; dcr kanu allcrdings den bildischeii Wun-dern naclisagen, (lass sic cinc iiaiiliiiclic mid gcschiclitliclic l!c-Irachtung umuiiglicli maclioii, dcu \alur- uud (icscliiclilsy.usain-iiieuliang durclilircclirii u. s, \v.; dcr kaun sie mil Zcllcr dcliuircn als „Vorgiiugc, wclchc uiit dei' Analogic allcr sonsligcii Krl'alining im Widerspnicb sindquot;.') Abcr cin Solclicv bal, cin wic grosses I'liblieimi cr audi Hir sciuc ijcbaupliiiigeu liude, (Imxliaus keiucu Ausprucli aulquot; iiclitc WissenscharUiclikcil, durcliaus keiu Keclit iibcr das „Wundcr im absoltitcn Siuuequot; zu m'Uicilcu, wie diess der Sliiïer der Tiibiiiger Scliulc bis au scin Kudc gclliau, uoch /ulclzl, iu seiner Schrift liber „die Tiibiiiger Scliulcquot;, mil wicderliollcr licisliiiimmig Zcllcr's in seiner AbliandUnig liber die-selbe Scliulc. Deun „alle crfalirii ngsniiissigc Kennlniss isl uiivollstftudig mid Hickeiilial'lquot;, habcu wir von Vircliow vcrnniiuucu, „iu der Na Iu rwiss cnscli al'l, isl. alle Korsclumg deducliv odcr aprioriscliquot;, „sic geht mis dcr Idee bcrvorquot;, liabcn mis Licbig und Joliannes Miiller bclebrt; mid dass cbcu so „oluic Speculation jede historische Forschnug, in it wclchem \ a in en sic auch prangen mag, cin blosses Venvcilcn aul' der Obcrlliiclic und Anssenseitc der Sadie istquot;, hiitte Zeiler von seincin Meister lerncu sollen, der dcu Fall nicht ausuiniuit, dass sic ctwa lur gnt findel;, uiit den Naiucu Niebuhr's mid Kanke's zu „prangenquot;.2) Der wahrbal't wisscuschaftliche, speculative Forschcr, tier vom Vorbcgrill'(Jottes ausgcht odcr gevvissenhal't forschl, crkcunt dcu dcrnialigcn Natur- und (icscliiclitsziisanmicuhaug, den Kosmos

!) Zeiler in der Abhandlung liber die Tiibiiiger Sciuile a. a. 0. S. 101 und vieifacli iilinlich, last worilicli gieiclilaiiteiul. (In (Umi „Vortr. mul Abhandl.quot; S. '270).

^ Baur „Die christliclic Lelirc von der Dreielnigkeit und Menschwer-dung Gottesquot; I, 1811, Vorr. S. XIX, womlt di;r Sacbe narli völlig iilicrcin-trilTt, was Barn- J858 in seincin „Lebrluich der christl. DogniengescliiclUequot;, S. 5U nnd iirter erkliirt hat.

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des „«aliirliclienquot; Mcnsclicn (1 Kor. 2, 14), als eincn, der (lurch das Widergöttliclic (liirclil)roclu'n isl, lirticlilg ist, sowclt der Tod In ilim lierrsclil, imd kauii die Ijiblisclien Wdiuler als Vor-fiiinire erkennen, welche die liriiclic heil en und nns „iiber die klailenden Kisse in Nalnr und (iescliiclile hiniiberlieiren.quot;1) I'reilich der nnberangene, noeli in keine Zweilel verslriekle Menscli, der Mcnsfh ans dem „Yolkequot;, dein der kindlieiie Sinn nocb nlchl gebrocben isl, der naliirliclie Mensch in dieser lieden!nnp; des Wortes, der sich wesenllicli untersclieidet vnn dein mil. Hewusst-sein „naüirliclien'* (psyebisclien) Menschen der Sclirifl, dein Men-sclien, wie er ist, aber nidil. sein soil, wie er denken kann mul als ein soleber, der er isl, mil sclion abgeslninpflein (iewissen .denken innss, aber nielil denken soil, — er bedarf aneli bier keiner IMiilosopbie, nni die recble Kntsclieidunp: zu irellen; er hat gleiclisain aus erster Mand ein biises (iewissen mul ein silt-liches (irauen vor dem Tode; die Sagen und Klagen aller Vltlker und Zeilen bezengen es. Wer aber einmal in das Stadium des Zweifels eingetreten ist, wird in dieser wie in allen das ('bri-stentlmm betreirendcn llauptfragen ninnnerinehr (lurch ein rellec-lirendes, in dein miltleren üereiHi eines Pluralis von (iriinden stehenbleibendes Kaisonnement, snndern nur dnrcli ein anf den lelzlen lirinnl gehendes, pbllosoph isches Denken sich znrecbl-linden. Nur einem solchen, sagen vvir mil Haur, nur dein Denken. welches „die Speculation iiber die bloss hislorische Aul-l'assung slellt, kom ml es zu, sicli gegen das W und er im e igentl ichen Sinne zu erkliireuquot;, wenn niimlich diese Erklii-rimg begriindet ist.2) Die (ieschichte der I'hllosophie nun zeigt, dass es viellach mul iiberall da, wo das Denken dein absolut-elliiscbeu Standpunkt nntreu ward, iinternonimen wurde, jenen conlr a die t o ri s chen (Jegensalz des (iuten mul liösen ziim contriiren abzuschwiichen und ihn so begreillich zu ma-

') liotlie „Znr Dogmalikquot; S. 111.

2) Baur „Die christllche Gnosis, 18:55, S, 041. Vsl. Zcllnr in seincm Sendschreiben „Die historische Krilik und das Wnmlerquot; in v. Sylicl's „hi-slorisclior Zcitsciiriftquot; vnn ISfil, S. Sli'i: „Audi din metai)liysisclip Möglichkeit des Wnnders Kann ich naliirlich nur verneinen.quot; Natürlich! Das ist allcrdings der !)0(|iieinslo Hogrliiidungsvorsiirh, aber docb nnr ein Versufb, keine Begrlindung.

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clien; abcr sie zeigl .iiicli, class das Unteniehmen ilberall fehl-sclilug. Die Lelirc vom Hosuii, sagl Heinrich Killer, kann als Probsleiii der Systeme angeselieii werden.1) Ks geniige, au den belden einHiissreichslen Pliilosophien dor neiicren mul ueiieslen Zeil, au der Kaul.ischen und llege!'selieu, den Feldselilag uach-zuvveiseu. Derselbe Knul, Avekher den ersleu (icbraueh der Ver-uiiniï l'iir eiueii uol b wendi ge u llissbraneh erkiarl, liiiiuil gleicb-wohl ein, dass das lUisc uur aus dom inoralisch Böscu, uiebl dou blossen Seliranken unsrer Nalnr, babe enlspringeu könnon^ und dass es l'iir uns, dadioursprünglicbeAnlage eiuo Aulagezmu (inlen sol, keinen begreil'li clien (irund gebe, wolier das inoraliscbe Bdse In uns zuorsl gekouinieu sein könne.2) Dass das liöse der noUiwondige Dnrcligangspunkt in dor sUllielieu linlwieklung des einzelnen Jleusclien und dos iMonscbengesclilecbts sol, isl, nir-gends so sleif uud fesl beliauplet worden, wie in der Hegel'scben Philosopbie. Die Sclililer Hegel's liabeu diose Lebre vom Höson, wobl wissend, wie Viel von ilir abliiingl., in zabllosci» Variaüoueu des Thema's uielit bloss nuler die (iebildoten, soudern populari-sirend ancb unter die Massen verbreiiet. Der „myihiscliequot; Slin-denfall uud Verlust des l'aradieses, so lolirle schou der Meister popular geuug, ist in Wahrlioit das nol li wen d i ge Verlassen des Farkes, wo uur die Tliiero bleiben kiinuen, wiibrend der Menscb erst Meuscb wird durch dou Slindeurall.3) Und docb or-töul aus dor Mille eliou diesor Soliule, vou oincm dor nanilialïe-sten und Ireiieslon Anhanger llogol's, das uiuiiuwuudone (iostiind-uiss, das Hiiso sei „iui walirston Sinne des Wortes das :i bso lut li r ii u dl o se, ilas W und er der ue ga liven Will-klir.quot;4) Was aber das ('orrelat dos Höson im natiirlicbeu

') H. li liter „Encyklop. il. phllns. Wissenschaftenquot;, III, s, 72.

2) Knnl WW. (Hnrlenstein) IV, S. 357 mul VI, S. 206.

3) Hegel „l'lillosophie ilcr (Jeschiclitcquot;, 3. Aull., S. 391,

4) Rosenk ran/.„System der Wlssenscliaftquot;, 1850, S, 446. Vgl. Ebenil. „Wissensclialt der loglschen Jdeequot;, 11. 1859, S. 323 If. mul Erdmann „firmidrlss der Gcsclildile der l'hilosoplilequot; 11, iHtifi, S. 000, in elner kri-tischen Beinerkimg zn der „Evangelischen Gcsclilchtequot; von Welsse: ,.l)i(' Frage,ob das Stalulreu dos voml'aiillielsnuisgelliiigneten Unnatiirllcheu („Bösenquot;) nicht zu seinem uothwemllgen ('orrelat das l'ehernatfir-liche („Wonderquot;) hahe, schelnl sich Wcissc nichtaufgeworfen zn haben.quot;

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Lebcn, das Uebcl, mul dessen Spitze, den Tod, belrilft, so wirrt das Urtheil eines allgeinein als eine der ersten Auloritiiteu des rachs nnerkaniilen philosophisclien Natnrlbrscliers, dein anch die Eradicate der „Kcdliclikeit nnd Unersclirockenhpil.quot; bisher Niemand versagtbat, vollwieltlig in die Wagscbale fallen. Johannes Mil lier nrtbeilt hieriiber so: „Die Frage, warmu die organischen Kiirper vergehen. oder warmn die organisebe Krafl aus den prodncircnden Theilcn in die jnngen lebenden Producle iibergebt nnd die alten prodnclrenden Tbeile a b ster ben, ist eine der scbwierigslen der ganzen allgemeinen 1'hysiologie, mid wir sind nicbl im S lande, das let/.(,e Kal hse 1 zu 1 (isen,1'vielmeltr „bloss im Slnnde, den Zusanimenbang der Erscbeiiumgen mil der Entwickinng dar-zustelleuquot;, d. b. den derma li gen Thalltestand zn erliiulern, nach welcbem allerdings im„Kelinquot; ancb scbon der Keim des Todes entballcn ist.1) Mil dein pbilosophiscbeii Natnrforsclier aber stimmt der natnrwlssenschaftliche Pbilosoph unsererTage, dei-als soldier unstreltig die hiichste Stelle einnimnii, ja geradezn elnzig dastebt, vollkommen liberein, indem er sagt:„Ks ist ganz nntzlos, die verscbiedenen Versucbe znr Uisung der Frage nacb dein (irunde des Uebels nnd des liiisen in der Natnr nnd in der Gescbicbte zu zerglledern: den rettenden (iedanken bat bier Niemand gefnuden, nnd icli weiss ibn ancb nielit.quot;2) Sonach dtirfeu wir es mit zweifelloser Hestinimtlieit ausspreelien, dass das positive Christentbum, nacb dessen ürkiinden das Höse samml dein Uebel schlecbtliiii nnbegreillicb nnd grnndlos, in der modernen Redeweise das absolute Wunder ist, hierin die Wissenschaft indirect wie direct anf seinerSeitc bat, hingegen die Lüugming dieser (irundlosigkeit selbst alles (irnndes nnd Haltes entbebrt. Dass aber, wenn dein so ist, die Stellung unserer Gcgner nicht etwa bloss zuin Christenthuin, sondern zu aller Religion nur eine negative sein kann, dass sie die Religionsurkunden von (irund aus missverstehen nnd entstellen miissen, erl'ordert nach dem obeu Krörtertcn keine weitere Begriindung; doch mag esfiir einen im Allgemeinen mit mis Einverstandeuen cine lohneude, nicht

') Johannes MiUler „Handbuch der Physiologic des Menschenquot; 1, 3. Aufl., S. 31 ir.

quot;) Lotze „Mikrokosmusquot; HF, S. 604.

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i'bcti sdmicriiiv, iiiiologelisclie Aul'sabc! scin, dicss l)cis|iicls\vt'ise an den Ai'likelu Zc 11c rquot; s „iibcr das Wcscn dor Hcli^iouquot; in dm „Thuolügisclieu .lalirbiiclicriiquot; von 1845, an desse 1 ben znvcr-siclillicluT Hclviiinpruns dcr Kin.slimiiiiskt'it und WidtTspriiclislVeilicit, ciiios lieutcslainentlicbeii Lfbrbi'griirs in dcm Anfsalze iibcr „das Urcliristeiithuniquot;1), an Haur's Auslegmig derHergprodigt in dcr zwoitou Ausgabe seines ,.Chrislcntliiiins der drei ersien .lalirlinn-derlcquot; ii. A. im Einzelnen darznlliini.

Wir haben liier nnr nucli zn crweisen, wie niclilig die Kinrcde is(, dass miser Slaiidpnnkt eiu ganz iiiiigt;liilnsopliiscber, bioss bei (heologischer Voreingeiioiiiiiieiihcit iiiögliciier sei, da rnit dem Sta-(uireu eincs absoliiten Wunders alle Philosophie anfliiire. Uinge-kelirl: hat (hatsiiclilieh, nach dein Zeugniss der (ieschiclile, die riiilosopliie hiennit aiigcraugeii, mil der Verwnnderung.2) Ulan verwiindert sich nnr iiber ein Wimdcr, und die platonische Ver-winuleriing isl mit nichten, woHir ein oberllacliliches Vcrstandniss sic ansgcgeben hat. cine leere Nengier, mil nichtcii dcm Znstande iihnlich, in welchcm nach dem Spriichworte das uns mit Huiler versorgcndc Thier vor dem nenen ïhore sich beflndet; soiulern sic ist das tlcrsclnncrzliche Innewerdcii des Miss verba 11 nis s es dcr Erschcinungswelt, der Welt wie sie ist, dcr nichtigen oder, wic Platon es ausdrlickt, mit Sein und Mchtsein behaftcteii Welt, zn der idealen Welt, zn der Welt, wie sie sein so lite und soil, wic sie war nach der platoiiischcii Erimicrung (Anamnese). Dieses Missverhaltniss, recht verstanden nichts Andcres als das ISiise sammt dcm Uebcl, ist das Wunder, wortiber I'laton sich venvuiulcrt, das absolute Wunder. Das giebt uns dcr (icgner, welchcr hier vor allen gchört zu werden verdient, Zeiler, ge-wissemassen selbst zu, wenn er sagt: „Ebeu hierin, in dem iiberwaltigendcn Oegensatz der Idee gegen die Erscheiiiung, liegt dcr letztc Grund flir jene Verwuuderuiig, welche nach Platon dcr Aufang dcr Philosophie ist, fiir jene VerwiiTiing, jenen brenuend en Schmerz, dcr jedes edlcre Gemiith erfasst, wenn zuersl die Miming des Hiiheren in ihin aufgeht.quot;3) Iliernach hat also ge-

') Zeiler „Voi'tr. mid Abliaiull.quot; S. 257 IT.

O Platon „Thcfttetquot; p. 155. Arlstot. „Metaph.quot; I, 2.

Zeiler „Pliilosopliie der Grioclionquot; II, 1, S. 381 nelist dcu Worten der Auinerkung: „Diese Verwunderuug wird hier (Theatet p. 155) aus der

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schiclulich die wissenschafïliclie Philosophic, die bis aul' Platon nur, so zu sagen, eine weidende war, mil dein Statniren des ab-solulen Wunders, slalt aufzuliiiren, vielmelu- angerangen: wobei Platon allerdings das, was er die Eriimerimg nennl, mid was bei ihni zn der Verwundernng sich so verhalt, wie in unserer Aus-einandersetzung das (iewissen znin biisen (ievvissen, als mitbe-grifi'en voraussetzt.1) Ihni aber, dein Plalon, wird bei einiger Ueberlegung schwerlich irgend Iemand eine „theologische Vorein-genonimenlieitquot; Schnld geben kfinnen, — ihm so wenig als dein Arisloleles, „den die Lchre vou der Erbsiinde nicht wiirde befremdet ha benquot;2), so wenig anch als dem vorhin citirlen natiirwissenschartlichen Philosophen der (iegenwart, der, wie nach dem Erscheinen des drillen Kandes voin „Mikrokosniusquot; kelneni Eiiisichligeii sich verbirgt, die absolute Unbegreitlielikeit des Hdsen und des Uebels walirlich nicht zu (iimsteh der in der Schrirt erzahlteu Wunder anerkcinit. Derglelclien unbedaclite Einrcden nnd Angrille richten sich selbst.

An das nnserer Abhandhiiig gcsteckte Ziel gelangt, ilbcr-blicken wir den zuriickgelegtcn Weg. Wlr versuchlen eine Ver-slandigung znniichst ilber die (iranzen jedes Hewelses, sodann lm Besondcrn iiber die des (ilaubensbewelscs. Wlr randen lm erslen Abschnitte, dass nnr dem, der gewissenhal't i'orscht, sich Irgend litwas vollgUltlg bevvelsen liisst, dass man ohne einen Yorbegrlll' (iottes, des letzten Urundes, weder diescn selbst erkennen noch Irgend Etwas vollkommen griindlich, d. li. aus dem letzten tirunde, begrelfen kann. ülesem Kesultate des erslen Absclmlttes entsprlcht das des zwellen. Auch der (ilanbe, das Christeiithuin, auch Christus der Erlöser liisst sich nicht begrelfen ohne einen Vorbegrill' des Erlüsers, wie ihn der hal, welcher fragt: „wer wlrd mlch

Wahnieliiming der Widersprliclic abgcleitet, in welclie sicli die gewölmlicho Vorslellung verwickelt; eben diesesind es ja aber, in denen sich die Idee indirect ankllndigt.quot;

gt;) Ueber die engste Zusamaiengehorigkeit der Erinnening mit der Ver-wnnderung mul beider wiedermn mit item iiliilosopliisclien Grimdtriebe, dein „Krosquot;, vgl. ebenfnlls Zeiler a. a. 0. S. 381—387, wo anrli nacbgewiesen wird, dass der eigentliciie Gegcnstand der Liebe (des Kros) ,,von An-fang anquot; das Sciiöne und (Jute scliiechtlnn, die Idee des (Juten, also nacli S. 448 die (Jotlheit ist.

quot;) Brand is „Aristotelesquot;, S. 1082.

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ciloscii vou (li;iu Lcihe dieses Toiles?quot; Hun, uur iliui koimnt der Erloser, koiinnt die Sitinde des (ihuibeus und der (ilaubens-erkeinilniss, — „küimiit uiui ist schon Jelzt.quot;' W ie wir (uacli Trendelenburg) (JotL uur durch das, was gölllith in uus ist, erkennen: so erkennen \\ir Christum uur durch das, was ehrist-lieh in uns ist, naUiraliler ehrislianuiu; (ileiciies uur durch lilciches, sagten die Alten. Ind wie jener Vorbegrill', wie das Hewusst-seiu der absoluten llezogeniieil des (iescliiipl's aul' den Schöpl'er undenkbar war ohne eiu erstes Ziehen, ein Sich/uwissengeben des (Jolles der Schöprung: so isl dleser Vorbegrill' des lüiösers mulenkbar oliue eine analoge Urwirkung des (iolles der zwellen Schöprung, der Krlösung, des (Jolles Jesn Christi. Dorl wie hier hal (Jolt: die Iniliallve; dorl wie hier komuil dem Mcnscheu uur die Naclilülge (Jolles, das Xachthun (W i e d e r w issen) zu, ja vorersl gar kein Thun, sondern ein Lassen; er hal uur sich ziehen, aul' sich wirkeii, sich beslimmen zu lassen, llysliker uennen solch Lassen die (Jelassenheit, Doginaliker die capacilas passiva, l'hilo-sophen, wie wir gehort haben, das Interesse, welches noch Mchls giebt, sondern ntir niinuil, niinilich The 11 niinint an (Jolt tiud den götlllchen Dingen. An dleser Theiluahnic überhaupt hal schliesslich jeder Hewels, an ihr insonderhelt der (Jlaubens-beweis seine (Jriinze.

Der Zusaminenhang, aber auch der Cnterschled des in beiden Abschnitlen lintwickelteu leuchtet ein. Ks gilt hier, was Luther sagt: „Aus dem (Jewissen bast du den (Jlanben, und nicht aus dein (Jlanben das (Jewissen.quot; Der (Jcwissensstandpunkt ist noch nicht der religiose; aber ohne (Jewissen und bestinunier ohne böses (Jewissen ist keine Kellgion iiu subjectiven Sinne des Wortes, geschweige chrislliclie Kellgion inögiich. Den (Jewissensstaudpiinkt selzt jeder Beweis, der Hewels des (Jlaubens aber eine rellglöse Vertiefung des Gewissensslaiidpnnktes vorans. Wcr kein biises (Jewissen hal, ist unlahig, den zu fassen, der den neuen Ihind eines guten (icwissens tuit (Jolt stilïet (1. l'etr. o, 21). Mag Luther innnerhin in der Uebersetzung uud Deutung dleser Schrlftslelle geirrt haben: dass er rortuahrend „(Jiaube und gut (Jewissen'', „Vergehung und gut (Jewissenquot; Avie uulrennbar zusamnietislelll, hal auderweitigen festen Schrirtgrund und, wie wir in der plulo-sophischen Hetrachtung und Kntrallung des „böseu (Jewissensquot;

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gcsdiim iiiihcn, L'bcii so festen Yoniunflgrmu!. Demi ist das hiise (iewissen eiuc Illusion, ist das liöse sammi dein Uebel, das Widergötllielie, nicht das sclileclitliiii Unbegreiniclie, niclit das absolute Wunder, sonrtcni uothwendig, sei's audi nur relativ, als Dnrchgangspunkt der nienscliliclien Knlwicklung uothwendig: so ist das ('hristenthuiu als (iegenwundcr, ist (ilaubc nnd Vcrgebung ganz unuölliig. „Die (iesnnden bediirfen des Arztes nieht.quot; Wer den Tod nnbediugt natiirlich liudet, dein hat das ('hristenlhuin \iclils zu sagen, \iehts zu bieten. Wenu eineni Zeiler odor Strauss der Gcgenwart oder der Zuknnft es wirklicli geliugt, die Xolhweiuligkeit des Bösen uud des Uebcls wissen-schartlich darzuthnu, danu, aber eher nicht, bat die lelzlc Stmule der positiv-clirisllicheu Heliglon als der vernünftigen, durch Veruunftgriiude beweisbaren, geschlagen, daim, aber eher nicht, wird die llumanitalsreligion die wahre Vermmftreligiou sein; bis dahin ist nicht jene, sondern diese, gerade well dein mit He-wnsstsein „natürlichenquot; Menscheu so klar, die Religion der Un-veruunl't. liis dahiu also ent wed er — oder. Dem Menschen, der das griindlich erkennt nnd anerkenut, was dem Kiiulessinue mul dem geraden Sinne aller Völker, aller Zeiten, wie deu durcli-gebildeten Denkern zweil'ellos klar, was nur den zwitlerhaft oder halb (iebildeten, die nicht inehr Kinder, aber auch noch nicht durchgebildet sind, nnklar ist, dass die Liige etwas Anderes als der Irrthum, Etwas ist, das sclilcchthin nicht sein soil, nicht uothwendig, Meder absolut noch relativ uothwendig ist, — dem liisst sich der gesamnite (inindbestaud der christlicheii Lehre, der substantielle Lchrgehalt des schrift- nnd bekenntnlssinassigen Christenthmns, sireng wissenschaftlich beweisen. Wer hingegen diesen Fuudamentalsatz, der, (nach Anleitung von Joh. 8, 44 und Kph. 4, 25) ganz verstanden, alles hier Erforderliche besagt, mit Eutschicdenheit verwirft und bei der objecüv unbegriindeten und unbegründbaren Ansicht beharrt, dass die Menschheit, mit Haader zu reden, eiuer Jungfrau glelche, die zu Fall kommen miisse, mu unter die liaube zu kommen,-—mit dem kanu man vielleicht auf eineni gewisscu miltleren (iebiete über diese mul jene, das Christenthuni auch betrelleude Streitfrage nicht ohue Erfolg ver-handeln, aber in der llauptsache, in Hezug auf das christliche Ein und All, A und O, gar i\'icli(s ausrichten. Zwischen diesem

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Mcuschni mul jcnom MfiiscUen ist ei» klaCIViulcr Unlcrscliied, cine (icfe KluTt berostigl. Von ihnen muss ciu jcdcr seines Weges gehcu uiid sehen, wie wcil er konnnt, woliin er kommL You dial way, we this way.

Summa, die (iriiuzeu des lieweises sind dicsc: uur dein, der gewissenlmrt rorscht, liissl. sicli liberliaupi Khvas vollgiiltig bewei-seu; uur dein, der eiu biises (iewissen hat, liisst sich der (ilaubc bewciscu. Wie, soli eiu amlcrer Artikel zeigeu miter der Ue-berschril't „Die Mitte des Heweises.quot;

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If.

DIE MIT TE DES BE WE IS ES.

Das Machlgcbict unserei-Heweisriilining isl abgegranzl. Ini vorigen Aiiikel simt „die (iiiiii/.en des Boweisesquot; gezogen. Das ürgebniss der dort augcslellteii Untersucliuiig wurde zum Sdiiuss (laliin l'uriuulii'l, dass uur dein, der gewissenlmfi. i'orsclit, iiberliaupl. Ktwas, nnr dein, der eiu böses (iewissen hat, der (ilaube sidi beweiscu lasse.

Dicse beiden Salze sind (tori, einer nach dem audern, in den bestiinniendeii itauptinomenlen begriindet und dnrcli zaiilreiche Zeugnisse atlgemoin anerkannter Meister der l'hilosopliie wie der gewöhniieii atlein so genannten Facliwissensclial'ten, insonderbeit der Naftirwissenschaft, bestiitigt worden. Dnrcli die liestiitignng sollte nicht die licgrlindiing ersetzt oder an sich vervotlstiindlgt werden; deun anf der Wage der Griinde haben noeti so vieie und liolic Autoritiiten keiu (lewicht. Sondern es sollte, wie diess audi vorweg iu der iMiileitung angedeutet ward, die Wirkungsfiiliigkeit der (iriinde uuter gegebenen Unislanden gesicliert werden; deun deu (iriinden gerade, die uumtttclbar oder mittelbar für das Chri-stciitlium zu sprechen geeignel sind, wirkt in unscren Tagen kauiu EtAvas so olt und so selir entgegen, als der von den wissen-sctiartlicheu Widcrsachern des Christenthums iu vielen Geblldeten listig erzeugte und lleissig genahrte, ja zum stamniigen Vorurtheil grossgezogeue Walm, es könnten jene (iriinde iiiniineriiiehr von der Art der sonst in aller Wissenschaft tiblichen sein, vielmelir immer nnr absondertiche, transscendenie, theosopliisclie, inystische, also (ieheiingriinde, die, altenfatls im duukeln Mittetalter nach Et-was ausseheud, die etektrisctie Sonne der inodernen Bildung schenen

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mlissen. Diescn Walm ^ali es zu entkröften; es galt, das Min-derniss aus dem Wege zu raiiineu, welches Vielen den Zngang zuni Helligtluim des (ilaubens \vo nicht versperrl, doch erschwert, es galt, die Thatsache festzuslelleu, dass das Chnstentluun, \ve-nigstens was seine (irundvoraiissctzung belritrt, die strengste Wis-senschal't in ihren iiamhaftesten Vertretern nicht uur nicht gegen sich, sondern entschieden fiir sich hat. Diese Thatsache inusste, wenn wir mit den Widersachern die „Unbefangenheit des Urtheils1' ITir die erste „Korderungquot; mid uiierliissiichstc fiedingung iichter WissenschaflliclikeU halten,1) In dem Abschnitte, welchem sic zuniichst angehört, an Hedentimg dadurch nocii gewiniien, dass vorzngsweisc soiche Miinner der Wissenschaft [als Zeugen vorge-l'iihrt wnrdeii, die zu dem andenveitigen Kestande des positlveu Christeuthums theils geschwiegen Iheils von derKircheiiletire ab-weichend sich geiiusscrt hahen.

Die Fragc nach der (irundvoraussetzung des Christenthunis oder dieFrage darnach, was dorlicwcis des (ilaubeus bei dem-jenigen, dem er geflihrt wird, voraussetze, war innerhalb des Le-serkreises dieser Monatsschrift natiirlich die liauptfrage, die al-leiuige Frage von unniittelbarein liclang. \ur damit sie griiudlich erledigt würde, inusste zuvor gefragt und erinlttell werden, was jeder Heweis voraussetze. Diese Frage war uur die Yorfrage. Auf den ihre Liisnug euthaUeiulen ersten der beiden ohigen Satze kam es uur um des zweiteu willen an; sonst hiille er eine bei Weitem ausführlichere Kriirterung erfordert mul verdient. \uu aber hatten wir die wissenschaftliche Hedeutnng des „Gewissensquot; nur in so fern zu eutwickeln, als sie dor muss verstanden hahen, der die wissenschaftliche Bedeutung „des bösou (Jowissonsquot; vorstellen soil. Deun die (iriindvoraussotzung des (ilaubeus und (ilaubensbeweises siud. wie wir saiieu, nicht die iu der (ilaubens-urkunde, dor Schrift, erzahlteu Wundor, die vielinohr ein Zwoltes siud, woran zu glauben nur dem zugomuthet wird, dor die fun-damontale Medlugung erflilK hat; souderu die (irundvorausseizung ist wirklich das, was wir mit Anschluss an dou gewöhuliclieii Spracligebranch, jedoch mit Vorbohalt uiihorer ISeslimiming des-

') IJaur ,,l)i« Ttibinper Scluilc und ihre StellmiK zur Gegenwartquot;, 1800, S. 57 f.

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selben, das bitse (iewisseu uciineu koaulou. Zwar laulcle nacli Allcin, was mis mul dcu (iegiuun vou dom posUiveu Chnsleutluiiii urkundlicli üücrlicfeil isl, das ersle Worl desselben au die, welchc zii iluii in Hezieliuug traleu: iindert den Sinu odor, wie LuUicr es iiborselzt hal, thut Hnsso! Abor cs wiire voreilig, zu behaupteii, dass dieses sein orsles Wort audi seine (irundvoraussetztung sei. Deun wer sich zn oiner Sinnesanderung eulsddiesscu soil, muss aiierkeiineu, dass seine bisherige Gesiuuung mul deren i?ellia(i-gung nicht die rechte war; wozu sonst sie audoru? Diese An-eikeimung uuiss dein Eulschluss zur Siuuesauderuug voraugehen. Kolglich wird sie die eigcnüiche (irinulvoraussetzuug sein. Uud ebeu diese Anerkeiumng uannten wir das bösc (iewisseu, welches wir sodann uiiher dahin bestimmlcn, dass es das Hewusstsein des Monschen vou dom au seineiu Thcile niitverschuldeteu Unheli dor Welt sei, das Wissen des Menscheu vou dom auch durch iini geschohenen Hösen mul dessen correlator Naturfolgo, dom Uebel, als einem unentscluildbarcn Widergöttlichou. Dieses Widergötlliche no nut die Schrift, die den modernen Sinn dos Wortos „Wuuderquot; nicht konut, ihrorsoits, wie sich hiernach vou selbst versteht, nicht so, nicht Wuuder im modoruen, wissenschaftlich strongen Sinu einos schlechthin Uubogroiflichen; aber ihr ist, der Sache nach, allein das Widergötttiche, das liöse saiumt dom Uebel, schlechthin unbegreillich, irrational mul widoruatiirlich, Wuuder im modernen Sinne, wahroud dasjenigo, was nach der Schrift zum Heil der Welt gegen das Hose mul das Uebel geschohen ist, uud was sic, hierher nicht Gohöriges abgerechuet, allein Wuuder uonut (Psalm 72, 18: „Dor (ïott, dor Wuuder thut, er alleinquot;), nach ibr nicht Wuuder ist im modernen Sinne, nicht schlochthin un-bogroillich, violmohr nur relativ wundorbar, d. h. begreiflich mul immer begreiflichor in dom Masse, als dor Monsch, welchor jene (jrumlbedingung erfüllt hat, die Hoilkraft dos Christeuthunis au sich zu erfahreu im Staude ist uud erfahrt.

Diese Auseinaudersetzung iibor Wuuder im Sinuo dor Schrift uud Wuuder im niodorneu Sinne war notbweudig, well die (iegnor des positiven Christeuthums, vor Allem darauf bedacht, „das Wuuder aus der Religion zu scliaflenquot;1), zu diesem Zwocko don dargelogton,

') David Friedr. Strauss ,,l)as Leben Jesu lïir ilas dentsclie Volk bearbeitetquot;, 1864, Vorr. S. XIX.

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die Gruiulvoranssclziing des (ilnuliens mid (ilaubonsbewcisos bc-(rcHoiulcn Sacliverlialt mcisl in Abredc slollen. Zwar nicht diret't: wie wiii'C das inüfilicli bei der ('Mzweideuligkeil, ini( welcliei' die SciiriH, aucli wenn mail uur ilire iinbeslrillen-iiclilen Hestandllieilc in Hetracbl ziehl, iiieriiber sicli ausspricbl! Wolil aber indirecl, eiu Anderes, eben die Wimder der Scbrifl, dal'lir mderscliiebend. Unrt aucli indirect nnr. wie gesagt, nieist, in der Hegei. Hine Ausnalnne von der Kegel linden wir I!. in eincr vor Knrzem erschienenen Seliril't, die frellich bloss nebenbei von dein Citrislen-tlunne liandell. Ibr VerJ'asser giebt zn, die (iniiidvorausselziing des jiosiliven oder, wie er lieber sagen mag, mysliseben (rans-scendenten, inytbologiscben ('liristeiillinins sei niclK der gewiilinlich sogenamite Wnnderglaube, also der (ilanbe an die leibbal'tige Aulerstelning ('Inisli nnd an alles ihr (ileicliartige, sondern das Kewusstsein von dem „zwischen (iotl nnd der siindliclien Creaiur geöffneten Abgrundequot;, soiiach das „Wunder der Erlosnngquot; nnr das Zwelte zn dem „Wnnder des Siindenfalls.quot;1)

Wie aber dort die Erörterung der Wunderl'rage, so war hier die wiederholte Ilervorhebimg dessen, was dort slcli nns als Thai-bestand nnd dann auch als zn Recht besteheud herausgestelll hat,

') Fr- Krcyssif? „Vorlnsungen Ober (.'ncllic's Faustquot;, 1806,8. 157 f. nnd Kil r. Der init sciiifiiu Fausldicliter uni die Wette „gereil'te, dem •ilauben und dem Wnnder enlwaclisene Denkerquot; (S. 151) will fiir seine Person von keinem der beiden „Wnnderquot; Etwas wissen. Das verstebt sich; riilhselhart aber is(, wie dieses dem Cbrislenlliuin enlsclueden IViiulliche, übrigens durcliaus inittelmttssige, neben Weisse's, Diintzer's und Anderer Lelstungen aut dem Geblete der Faustlitteratur kaum nennenswerllie liiicli, dessen Tendon/. S. 75 sicli hlnliinglicb kennzeiclinet dnrch die Versiclierung, dass „es lm ganzen Faust, liis an's Ende des zweiten ïlieiles bin, reebt l'risch von links lier webtquot;, in der „Neuen Preussischen Zeilnogquot; (Kreoz-zeitung, 20. Dezember 1865, Heilage zn Nr. 298) allgemeinbin, obne Wei-teres, empfoblen werden konnle. Oder snllte auch in diesem Falie ein Spassvogel die Redaction böswillig gcliiusclit baben — vor Weilmaclilen, da ilire Last sicli zn verdoppeln pllegt? Wenn nicbl, sokann der Bericbt-crstalter von dem linclio unmöglicli Mebr als das Vorwort und die Inbalts-anzeige gelesen haben; eine Nachliissigkeit, die doch aucli vor den Feier-tagen um so weniger zu entscliuldigen wiire, als ein Kenner unserer Tageslitteratur, der die Leser einer grösseren Zeitung litlerarisch versorgen will, iuis den „Vorlesungen fiber Sliakspearequot; ungelalir wissen musste, welches Geistes Kind llerr Kreyssig ist.

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oder die uaclidrllcklichc Verweisuug darauf nolhwendig. Demi fUr diejenigen, die hierin niciit ganz klar sehen, muss uusere demnaclist folgeude Beweisfiihrimg, dor unabandeiiichcii Natur der 7,11 beweisenden Sadie nacli, ilberlllissig sein. ihnen den (ïlauben zu beweisen, bekennen wir nns von vomherein unfahig, jedocb, anlquot; (iriind des dorl Dargelegten nnd (ierechlferligten, nicht, weii sie, wie sie ineinen, zu gebiidet, sondern weii sic, wie sicii nns ge/.eig( ha(, zu wenig gebiidet sind, well ihnen die hier unbedingt crforderliche philosophische liildimg mangelt. Deun die Philosophie in ihrcm Kntwickelungsgange von den iille-steu Anfangen bis auf die (iegenwart zeugt, direct mid indirect, flir das Keciit der Gnnidvoraussetzung des Christen!hums. Dasselbe, was dem Apostel Paulus der „Leib dieses Todesquot;, ist in der antiken Philosophic eiiiein Piaton der Leib, den er, nach dem Vorgange der Pythagorecr, das (ielangniss nnd das (jrabmal der Seele neimt, mid wie der Apostel Paulus, so findet in der niodernen Philosophic selbst ein Spinoza es begrcitlich, dass der Mensch verwandelt werde und, wenn einblosses Verwandeltwerden so heissen soil, sterhe, nicht aber, dass er in einen Leichuam verwandelt werde.1) Mit den nnd jilmlichen Zeugnissen wild, wer die (ieschichte der Philosophic kennt, die jenem ersten Artikel sclion beigegebenen leiclit vervielfachcn, und wer gegen die dort cinfach entwickelten (iriinde uicht voreingcnonmien isl, bedarf der geschiclitliclien Zeugnisse nicht. (Mine Philosophic aber kann in dieser Frage Niemand wisseuschaftlich initreden. Denn es sei wiederiiolt, der sclilichte Volkssinn zwar, der noch nicht in's Zwcifclii hineingerathen, braucht keinc Philosophic, um mit dem Christcnthume zurechtzukommen: wer schwer triigt an der l.ast des im Bösen und im Uebel ihjn und aller Welt aufliegenden Widersprnchs, an dieser Last und Qual der WelleiKzweimig mit Gott, der wird die Last des ihni schlicht gepredigtcn Christen-tlnims selbst, in welchem der Widcrspruch sich lös't dnrch Ver-siihnung der Welt mit Gott, wohl ertraglicii fmden und je liinger je seliger die Wahrheit des Wortes erfahren: „Mcine Last ist leiclit.quot; Aber eineni Solchen ist cben audi das, wovon hier die Hede, gar nicht fraglich. Anders hingegen sleht es um den

') Spinoza „Elliikquot; IV., Schol.

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wlssenschafüieh fiebildetcn, der niit Kccht Alles, was er in sein Hewusslsein aurnehirieu soil, vorerst iuFrage stelltinul erst nach voiangegangeiier IJellexlou sich dafiir oder dawlder enlscheidcl. Wenu der seine wisseusclmf'llidic Forsclmng: nichl philosopliisch betreibt, IViclils wissen will voni lelzlen (irunde, keinen Vorbe-«ïriiïlial vou dein, was gülllieli is! mul widergiitllicb, sondern bloss enipiriscli verfiihrl. nnd min schnn im VcirholV des Chrlslenlhiiins vou Feludschart wider (iott liörl: nnd vou Utisse zn (iod: wie kann der, sofern er eben midi bier l'orschl., relleclirl, nnd nichl dein ('bristenibnme fregenilber ansnalnnsweise mit (iewall oder ans (iewolnilieit refjexionslos sich verbiill, — wie kann er anders als dcrgieichen nicht verstellen nnd Alles abweisen, was ilnn den (ilanben beweisen, was ihm das Innerste des Chris!entlnnns er-scbliesscn, ihm die Versölinnng hegreillicli machen will, die gesche-lien sei, da wir noch Feinde waren? Es zwingt uns freilicli \ich(s. den unphilosopliischen Slandpunkt blosser Finpirie zn meiden oder den einmal bctretenen zn verlassen, jenen Standpunkt, der sich mis als seines Namens nnwerth, als ein Schwank- nnd Fallpunkl erwiesen hal. Wir köimen bei'm dermaligen Weltbeslande slehen bleibcn. (iewiss. Die Ochsen können's anch nnd thmrs ver-mnlhlich, so viel an ihnen liegl, nnr dass sie dafiir unseres VVis-sens nicht den Kuhm aliein solider nnd exacter Forsclning in An. sprnch nehmen. So king, urn oinznsehen, dass es bedingter Weise, wie die Welt dermalen isl, Uebel nnd Uöses im reichsten iMasse geben mnss, mitbin das Vorhamlensein dessen, woraul' das Christenthnm als das (iegenwnnder sich beziebt, ein Wnnder zn heissen keineswegs verdient, so king ist am Knde ,Ieder. Allein damlt hiirt das Problem nicht anf, sondern damit I'iingt es an, namlich mit der Frage, ob, was dermalen bedingter Weise noth-wendig ist, nnbedingt nothwendig sei, oder, wie die gegenwartige wahrhal't exacte Xatnrforsclning, /,. 15. die anatomische Forschnng einesHenle, es bezeichnet, ob das „Normalequot;, d. h. dermalen regelniiissig Vorkommende, ;,typischquot; sei, d. h. dnrch die nr-spriingliche Natiirbestimmung gefordert.1) Und diese wissenschaft-

') In Henle*s „Hamlbncli der rationellen Palhologiequot; II, 2, 1854, sind die Termini „typischquot; mul „normalquot; noch nicht so streng, wie in spiiteren analomischen Untersiichnngen, (ixirt; sondern sie werden nnch

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licit so ausgedriickte Frage, welclic dcr Sachc nach elu mul die-selbe ist mil der von jchcr in alien Spracheu uud Wciscn wie-derkehreuden Frage nach einer an der n Well: als diesc, vcr-stumint darum nicht, well moderne Denker, die der Wissenscliai'l, wenigstens der modernen, einen „rein theorelisclicnquot; d. h. nn-elhischen Cliarakter zuerkennen, sie wissenscharUich nnberechligt, „(ransscendenlquot; linden; sie bleibl cine brennende (jlrumltrage der Menschlieit, mögen audi solche Denker, von der kiihlen lliihe ihrer absonderllchen Krkenntniss herab, sie als gemein-praklische Frage nach dem subjecliven Seelenheil gering schiilzen. Die „gntcn MUlterquot; unseres Yolkes, deren eliie nns David Strauss mil anziehender Naturwalnlieit und rllhrender natiirlicher Pietiit in der seinigen schildert, werden, zumal wenn sie „in dem Liede: „„Ich soli zum Lebcn dringenquot;ihre innigste heiligste Ueber-zeugung wieder lindenquot;, sich nimmermehr von andersgesinnten Soluien überreden lassen, dass sie, gut wie sie sind, „den Iliunuel im Husen tragenquot; und keines andern bediiri'en.1) (Jleich gute Söline des Yolkes aber, die jene Frage audi niclit unterdrticken können, werden, wenn sie aus der Yolkssclmle indie hohe Scliule steigen und nun die (iescliichte der wissenscliaftlichen uud wis-seiischaftlich- plillosophlscheii liestrebungen des Menschengeistes,

midinter, z. B. S. 155, der iir.spr|hglicli naliezu gleichcn Wortbcdeutiiiig geiniiss promiscue gcbnuiclit. Docli lelirt der bcrühnile Nalurforsclier, dessen plillosophische Einsiclit bel dem ausserordentliclien Umfiinge seiner rein fachliclien Arbelten tins mil doppelter Bewtinderting erfiillt, aurli sclion in jeuein Handbuche, dass die ewige Grundlage, das typisch lie-gründete (iesetz der Oaltung auf dem einen Wege dor vergleichenden Analyse nicht ohne eine gewisse Kritik zu linden sei, weil Ab\Tei-chungen, sogar epidemisclier Art, von dem, was wahrhal't galtungsniiissig ist, vorkommen können. Wenn Henle hier (a. a. 0. S. 87) wie Hberall, seinem grossen Fachgenossen Johannes Ml'iller im Geisle verwandt, dieNolh-wendigkeit einer Ergi'mzung der Empirie durch „eine gewisse Kritikquot; ent-schiedenanerkennt, so isl sein Kriterion, mag atich die„pbysiologisp,he Sprachequot; (S. 85) es anders zu nennen guten Grund haben, (loch in der That kein anderes, als was in der philosophiscben Sprache mil gleich gulem Grimde der VorbegrilT des Absoliiten wird heissen dUrfen. Denn S. 90 spricht er es auf's Bestimmteste aus, dass die Reflexion, gerade wenn ihr Gebrauch sich vollende, in allem Typischen, in jedem Natur- und Gattiingsgesetze die OITenbarung einer Ubermenschlichen Weishelt zu verehren babe.

') I). K. Strauss „Kleine Schriftenquot;, Neue Folge, IStiO, S. 2(1^.

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gleiclisam seine Aden, kennen leriien, olmc Zweifel weiter fragen; istdenn das Moderne schon dariini gnt, weiies modernist? sorgen nicht vielioiciit die alten Heiden, ein Flaton, ein Aristoteles, denen alle Wissenschaft Gewissenssache war, hesser fiir uns als die modernen ,die „rein-lheorelischenquot;? Hielt jener nicht, der erste wissens chaftli die Philosoph, anch die Ideenwelt, die Welt, wie sie sein soli, fiir die allein wahrhaft reale, wiiiirend er es in der Welt, wie sie ist, nicht anshielt, sondern, sie transscen-dirend, Kuhe nur land in dem Uberhimmlischen Ort, dem vrreQov-Qaviog Kmog, wo, wie er sagt, die wahre Wissenschaft wohnt? Setzte dieser nicht, der noch immer gliltige personilicirte Kanon aller Wissenscliaftlichkeit, Aristoteles, gegen Platon allerdings ein Frennd des Diesseits, doch audi an seinem Theile die Anf-gabe des Menschen darein, sich iiber das Slerbliche zn erlie-ben, sich so viel möglich, unsterblicli zu machen, dihavutiamp;iv, durch das Leben im (i cis te, im (i ottverwandten nnd (iottzn-gewandten («eiste? ünd weiter: ist demi, was unsre pnri pliiloso-j)hi, die „interesselosen Hetrachterquot;, flir modern ansgeben, anch wirkiich modern? Unterscheidet nicht der Stifter der modernen deutschen i'hilosophie, Iminamiel Kant, einen „Weltbegriir' der Philosophie: „der das betrill't, was jedermann notlnvciul ig interessirtquot;, von einem „Schulbegriirequot; derselben? einen Well-begriff, nach welchem die riiilosophie NiclKs ist als die wissen-schaftliche Weisheitslehre oder „die Wissenschaft von der liezic-hung aller lirkenntniss anf die wesenUichen Zwecke der mensch-liciicn Vernnnft, vor allen anf ibren llanptzweck, die allgemeine (iliickseligkeitquot;? hiilt er nicht djiflir, dass „es gnt wiire, wenn wir das Wort Philosophie bei dieser seiner alten (ethischen) lie-deutnng Hessen?1) Und ist nicht ein noch modernerer Philosoph, der mathematiscli-strenge Herbart, „der Meimmg, dass im Spe-cnlativen wie im Moralischen der Mensch, der in sich eiiikehrt, sich selbst nnd sein eigenes Denken im Argen liegend antriU'l, dergestall, dass es nothwendig wird, den Kntschlnss znr Hessernng

') Kant ,,Kriiik der reinen Vernunrtquot;, Melliodenlelire, li. Hau|itslück, und „Kritik der praktisclien Verniinftquot; (WW. Hartensfein IV.), S. '22G f. und 2i)0. Vgl. Kosenkranz „lirinncrungen an Karl Daubquot;, I8;i7, S. 4 f.; „Auch die Art, wie Kant überall das moralische Interesse festhiilt, wie er auf dieReiuheit der Gesiniiuug Alles concenlrirt und der sittlielien TUchtigkeit die Speculation u n t e r ordnet, ging auf Daub iiber.quot;

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r

— GO —

zii fassenquot;? der Meinung, dass ciupin solchen Menschen „sich y

einc iie u c Welt eriiffiien muss, da scine Welt ilim verdorbeu ist, i

seiue SchuUlbriefe zcmsscn werden inlisseii, da er sic nicht be- y

/.allien kann, er wieder anraiigen muss, da er inilaliig ist, fort- d

/usetzenquot;?') Wcnn dieser scliarfe, nUchtenie Denker., der Vater (.

unsrer ganz. modernen cxacteu Philnsnphie, die Erfalirnngsbegriire s

an dein Masse seiner Metaphysik, dein je use it der Hrfalirnng jj

gelegenen BegriflTe des in sich einfaclien Seienden, misst nnd s

sie min widerspreclieiul lindet.; diirfen wir nicht mindestens mit ^

deinselben Keclite unser allgemeingilltiges Mass anwenden i

nnd sagen: nicht imsre Eifahrungsbegri I Te sind, als solche, c

widersprechend, vielnielir eiitsprechen sie ihreni Object,sofern sie eben i

Hegriffe sind; aber dies es, das Erfahrnngso bj e ct, die Welt, j

ist widerspruchsvoll, „liegt im Argenquot;, sofern sie dem Gotte des \

(i e wis sens widerstreitot, sofern der Tod in ihr herrscht? Oder (

haben etwa die, denen „der Stiftler lm Leibe steektquot;, ein Patent ,

auf das „Modernequot; wie auf das „Historischequot;?2) Weg doch, vver- ^

den daim die guten Söline des Volkes sagen, weg mit der falsch- |

beriihmten Wissensclial't, die nicht zu ihrem llanptgegenstande f

das allgeniein- Meiiscbliche liat, „was jedérmann nothwendig in- (]

teressirtquot;, nicht ihm alles nnd jedes Hesondere, das wissenswerth (]

1st, gehorig unterzuordnen welss! die an das „Volkquot; mit einein (|

„Leben Jesuquot; herantritt oder sonst einein Hirer Erzengnisse, aucli j wohl, iiachdem sie dem Volke seinen (Jott miiglichst ausgeredet.

gelegcntlicli im Volkstone von einer „hoheren Leitiingquot;, „höheren Filgungquot; redet (vvahrscheinllcli well die „Vorsehnngquot; gar zu ver-braiicht ist), imd doch anf die Frage des Volks und aller Völker nach einein andern i.eben keine Antwort bat als die Gegenfrage, „ob demi die Menschlieit nicht endlich alt geinig wiire, inn sich an den (iriibern ihrer Todten durch etwas Besseres als das her-koinmliche Spiel mit Seifcnhlasen zn tröslen'M3)

Audi mis muss (Hese Wissenschaft hier ans dem Wege liegen; denn initer den verschiedenen Seifen, die der splelsUch-

tigen Menschlieit berkonimlich zur Bereitung von Blasen dienen, n

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') Herbart „Lelirbuch zur Einleitung in die I'liilosnpliiequot;, 5. And, a

S. 10 und „Encj'kl. der Philos,quot;, 1831, S. 61 f. V

2) Strauss a. n. 0. S. 439. ^

3) Strauss ebenii. S. 268, 351 und Vorw. S. XI. 1 s

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wird zur Zeil, noch die vormissl, welclie Molircu weiss wiischl. In allcm Enisle linbcu wir genau iiach der vollzogenen Griinz-regulimng aiich fernerliin das Nerfahreii wider die (leguer, welclie die (ii'undbediiignng des (ilanbeiis imd (flaubensbeweises nichl erfailcn, zu bemesscn. Wir diirfeu vou der Waiirlieit unserer Sache sie, wie sie nach ihreii Aeusserugen siud, nicht Uberzeugen wollen; wir haben zn eineni daliin gerichtelen Ver-suchc so weiiig ein wissenschartliches Keclil:, als es l'lalon seiner Zeil den Sopbisten gegeniiber Italië.1) Wir haben lediulich die Unhaltbarkeit iltres Standpnnkles zn enveisen mul ilire AngriHe gegen den nnseren zariickznweisen. Nichts weiier. Dcnn sie haben ilirerseils die wissensdiafl.liclie Herechtigung, auch nnr die Religion, geschweige die chrislliche Religion, in den Kreis ibrer Forschnng zn Ziehen, nie mul nirgends dargethan. Sie bcschiJlquot;-tigen sich mil, dein Leben Jesn, mil dein Cliristenllinm, krilisch mul sonstwie, aber durchaiis nnr nach dein Willen oder dein Widerwillen der Wlllklir oder Neignng, nach demselben Hang odor Helieben, nach welchem sie ein andres Mal mit dein Lebenslanre eines „allen Schauspieldireclorsquot; mul wieder ein anderes Mal mil der Kb re der Xanlhippe slch beschiifl igen. Solche (iegner sind in der so eben bezeiclinelen Weise knrz z n hal (en. Darin bestebl, das allein rechte Yerfaliren gegen sie. Kin nachahmenswerlhes Muster desselben bat die Krlanger „Zeilscbrifl fiir Proteslanlisimis undKirchequot; gegeben2), walirend anderwitrls leider vielfach noch so verfahren wird, als stiinden Strauss mul die (ienosseu seines (ieisles mit mis, den Verlheidigern des (iianbens, aul' gleichem wissen-sclmftliclien (irnnd mul Boden, als kömite es mis bei guter Wairenflihrung gelingen, sie, wie sie sind, wissenschafdich zn llherwinden, zn gewinnen. Das isl, ein (irinulirrllmin, welcher

1

) Plnton „Soplilstesquot; p. 246: .,Lass die besser Ginvnrdcncn ilir antworten!quot; (Dnss die Aechtheit dieses Dialogs lin/.vveifell worden, isl bekannl; jedenfails aber wird sein fnlialt, gleich dein der anderen Dialoge, weiche neuerdings dasselbe ScliicksaI getrolTen lint, für jel/.t noch imhedenklicb in so weit platonisch heissen dürfen, als er mit dein der unbestntten-fichten Schriften Piaton's nicht in wirklichem oder auch nnr scheinbarem Widerspruch steht.)

2

r') Zeitscbrift fiir Protestantismus und Kirche 1804, lid. 48, Heft 2, S. 81—122.

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aufgegebcn werden inuss, wenu das wlssenschaftliche Streiten ftir das Cliristenllium eincn veruiinCtigcn Sinn uud Zwerk haben soil. „Lasst sie fahren !quot; Eincm Menschen, der, ganz wie weiland Heinrich Heine in analogen Fiillen, reclil gul weiss, dass er manchem seiner Leser, nnd war's audi mir Einem, ohne IVotii ein Aergerniss gieb(, wenn er den Sprucli „Icli bin gefangen gewesen, nnd ilir seid zu mir gekonnuenquot; auf eine der öffenl-lichen Scliau entzogene Venus der bildenden Knnst nnd seinen ilir abgestatteten IVachlbesucli anwendet — olme Nolli; denn zu der beabsichtigten Wirkung seiner Hodc gegeu den UiiTerstand der Pruderie Iriigl. jener ISibelspruch nicht, das Mindeste bei — aber ilm gleichwohi anwendet („man wird es liisterlich finden, aberquot;1) die Klasplieniie inuss lierans), einem soichen Menschen wird kein Milmeusch den (jlauben beweisen; wie Niemand einem Kranken, der sicli gesunil walmt mul auf seine (icsundheit pocht, beweisen wird, dass er einen Arzt und eine Heilanstalt nothig habe. Dass der linden seiner (iedankenwelt uuterliöhlt ist, die allgemein giiltige (irnndlage einer gesunden Weitanschanung ihm lehlt; dass Alles, was er au dem Heiland und der Kirche auszuselzeu bat, liiiifiiliig ist, seine Kinwürfe gegen das Christenthum von diesem kraftlos abprallen, daher auch der oft gar iibermiithige Ilninoi-, mit welcliem er es als ein verfallenes Gebande behandelt, doch stets uur von der Art sein kann, die man in der Volksspracbe den (ialgenlnnnor neimt: das köiineii wir beweisen und sollen es tiberall, wo die Sache und der jeweilige Stand derselben im Zeitbewusstsein es l'ordert. Aber was darilber ist, das ist fiir uns vom Uebel. Dariu mlissen wir ihn der „liöheren Leitungquot; überlassen; Menschen können darin Nichts an ihm ausrichten. Erklilren können wir uns wobl, wie er der geworden ist, ja werden musste, der er mm is(, zumal naclulem er selbst das (ieheinmiss des Hanses, ans welcliem er hervorgegangen, freimiithig aufgedeckt bat. Erklilren nnd entschuldigen können und sollen wir seine und seiner Sinnesgenossen Stellnng zum Christenthnme ans dem theilweise nnwillkürlichcn Gang ihrer inneren, durch iiussere Verhiiltnisse mannigfach be-dingten Entwickelnng, so oder iihnlich, wie es z. 15. der Verfasser des Werkes Uber den „deutschen Protestantismusquot; versucht hat.

') Strauss a. a. 0. S. 4!)t.

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Hiitcu sollen wir mis, vvovor ctliche Kifercr iiuvcrantwortlicher Weise sich nicht gehiitet liaben, ihnen auf Schritt und Tritt sluipliciter bo sen Willen Schuld zii gehen, da es doch iinmerhin niöglich, ja wahrschchilich ist, dass sie nach dein (ïcsetz, wonacli sic augetrelen, audi das thun mtissen, was sie nichl wollen. Hei alle dem haben wir streng die Kegel eiuznhalten, die unserem liewcisverl'ahren vorgeschricben ist; wobci sich von selbst versteht, dass die (iegner audi mis kurz halten, mis kurzweg als uii-wisscnschartliche Vertretcr einer naiven Kinderphilosophie oder audi als bewusste und bdolnite Soldliuge der Reaction, als obscure Obscuranten bei Seite schiebcn. Proben davon liegen reichlich vor, mid wir erwarten audi fiir die Zukunft vou den auf unsern „Logosdirislusquot; Hitterböscii kcine Slissigkeiten, von den Disteln keine Feigen.

Andererseits aber diirfen wir nach so vollzogener mul wieder-holter Abgriinzung nicht etwa, well wir jetzt „unter unsquot; siud, es leicht nehinen mit der Heweisfiihrung. Vielmehr miissen wir slets ant den Angrill' der (iegner gel'asst, stets hereit sein zur Verantwortiing gegen sie. Audi der wissenschaftliche Verthei-dignngskrieg verlangt einen wohldurclulachtcii Feldzugsplan. In ihn muss die Abwehr einer sogleich, gerade an diescr Stelle, inögliclien Kinrede mit aufgenonimeii sein.

Die niimlich, denen wir eben erst das wisseiischaftliche Hecht einer Heschiiftigung mit dem Christenthum abgcsprochen haben, könnten erwiedern; habt ihr denn, dn Absprechemler und die (ileichdenkeiiden, fiir eucli ein solches Hecht nachgewiescn? Du fangst deinen Sermon mit den Worten an: „wer in unsern Tagen den (ilauben beweisen willquot;; ist dieses Wollen mehr als ein Helieben oder eine Neigung?

Hierauf nicht antworten hiesse. Andere tadelnd, selbst Tadel auf sich Ziehen. Denn anzuiiehnien ist zwar, dass jeder Leser dieser Monatsschrift seinen guten (irund babe, warum er sich mit ihr befasst und in ihr den (ilauben, sei's von wem es sei, will bewiesen wissen. Aber damit ist das Hecht des Heweisfiih-rers, eben als soldier zu fungiren, nodi keineswegs dargethan. Manche Leser freilich, die schnell an dem in Aussicht gestellten Ziele sein niöcliten, werden den Versuch einer Hegriindung dieses Reditsanspruchs als einen Abweg verwiinschen, als zu gründllch,

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als peilantisch. Iiidess weim eiuciu Lessing ,.(las I'edautisclic fast liniprelilnngquot; war1), so muss ciu Philosoph, dor nach der Weisc seiner Wissensdiart oline (irund keinen Schritt vorwarts oder rückwiirls tiuin darl', sich das anscheineiul zu (iiiiudliclie dopju'U empfoliien sein lassen, nnd e(\va nngednldige l.eser mögcn woh! bedenken, dass der ersle Bearbeiter des Zweiges clirisliicher Wissenschaft, dem diese Monatssclirift gewidmet ist, der Valer aller chrisllichen Apologetik, ein l'hilosopli war: Justinus der Hlartyrer; sie inögen aber daim audi lm Voraus versichert sein, dass der seheinbare Abweg bald in Wahrlieit als der gangbarste Weg zmn Ziele ersclieinen oder dodi uns erst recht ei-gentlich in die MiUe des Beweiscs hiueinfiihren wird.

linthallen ist librigens das, worauf es uns hier ankommt, bereits in dein friiher Erörterten; nnr einer bestiimnteren nnd biiiuligeren Knlwickelnng bedarf es. (iebnlni uiinilich der wisseu-schalïlichcn IMillosophie wirklich, wie ihre (ieschichte diess durch-weg bezengt, die Bedeutung, welche wir noch zuletzt mil. Kant als die ikblc ihr vindlcirlen: so ist sie uichts Anderes als das syslematisdie Wissen von dem Leben, das alle Menschen leben sollen, gleidisam der Keflex dieses Lebens oder es selbst, in's rdlectirende Bcwiisslsein gelioben. Die Weisbeit lieben, weisc werden und weise sein sollen alle Menschen; alle sollen in diesem Sinne rhilosophen sein. Ja, weiier sollen sie Nichls sein; demi in der Weisbeit ist nach dein, was der Sprachgebrauch aller Völker darunter begreift im üntcrschied von Gelehrsamkeit n. A., nicht bloss die theoretische, sondern audi die praktische Bethü-tigung und Auswirkuug des Mensclicnwesens beschlossen. Besteht mm aber ferner, wie wir in der Abliandlung über die (iriinzen des Beweises erkannt haben, der spedfische Charakter des Mensclicnwesens, noch einmal mit dem l'hysiologen Blschoff zu reden, in der Notbweiidigkeit, nach dem lelzten (inuide zu forschen, oder, in unsere eigene ebeu dort begriindde Kedeweisc iibersetzt, in dem (jewissen, im unmittelbaren Wissen von Gott als Dem, von dem wir mit allen unscren Thateii sclilechthln gewusst sind, und den mit allen Milleln der Theorie wie der Praxis („von allen Kriiftenquot;) wieder zu wissen der absolut-ethische Wissenstrieb

') Lessing „Anti-Goezequot; IV.

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bestrebt ist: so wird der vollkoiiimuue Pliilosoph, der wcise Menscli, der sein, weleher das ini (iewisseii ilini (iegebene uud Aulgege-bcne erl'iilK, das vorerst utimillelbare (iottesbewusstseiu mil, alien Mittcln, die er in sich nnd nm sich in der Welt vorlindet, in alleni Well- nnd Selbstbewusslsein ansbildet nnd voilzieht. In diesem Sinn einer Erhebnng des nrsprüiiglichen Wisseiis zur Lebensweisheit bezeiclinele sehon Sokrales seine ganze I'hilosopliie als einen (iollesdiensl, niilhin als eben das, was in der heiligen Schrift „helen ohne Unterlassquot; lieissl. Was aber von diescr all-geniein-iiienschiichen l'hllosophie der Lebenswelslieil die I'hilosopliie als Wissenschaft nnlerscheidet, ist nicht der Verlust des absolnt-elhischen Charakters, nicht ein aparter „rein-theo-relischerquot; Wissenstrieb, wclcher ja auch lm nnwissenschaftlicheii Leben ais i\eugier, als Schanlnst n. s. w. oft gemig sich iinssert, sonderu allein das, was Schleiennacher in seiner Abhandliing ,,liber den Werlh des Sokratcs als Philosophcnquot; die Idee des Wissens nennt, das „Wissen, was Wissen seiquot;, das 15e-wusstseiu urn die Nothwendigkeit nnd um die Weise der lir-liebung des Wissens zur Weisheit, die Keflex ion anf den An-lang mul l'ortgang des zmn Ziele fiihrendeu Wissensprocesses, die systematische Form. Dabei hesteht der absolnt-ethiscbe Cbarakler in voller Kraft: anch alles wissenschaftliche Wissen, welches nicht zur Lebensweisheit lendirt, ist eitel, weil es des wahren (irundes mul Zweckes ermangelt; wie denn l'ialon, in welcliem zuerst der sokratlsche Keim einer wissenschaftlichcn Philosophic anfgeht, dalïir biill, dass, wer irgend Etwas ohne (■ott, wer nicht (iott wisse in allein Wissen, in Wabrheit nichts Wissenswerthes wisse; wie Aristoteles die wahre Philosophie von der Scheinphilosophie (Sophislik) durch den so Oder so be-schallenen „Vorsatz des Lebeusquot; absondert.1) L'nd was cudlich inuerhalb des wissenschaftiichen Hereiclis hinwiederum die Plii-

') PI a 1: o ii „Staat'p. 505 f. Vgl.Trendel enburg „Historische BeitrSge zur Pliilosopliiequot; II. 1855, S. 145: „Nach Platon isl die Erkenntniss keinn bloss logische (rein theoretische) Thai, sondern nur der Reine kann das Keine bertihren, und ili;r ganze Mensch nuiss sich erheben mul zmn Lichti! wenden.quot; Aris lol. „Metaphysikquot; IV. 2. — Eben so, wie der Stifier der antiken wissenschaftiichen Philosophie, urlhdlt der der modernen, Cartesins, am Schluss seiner ffmften Meditation: „Plane video omnis

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losoplue als Wissenschaft vou tlou Ubrigcn Wissenschaften, den gewühnlich allcin so genanntcn Fachwissenschaflen, nnterschcidet, ist niclit der Verzicht, auf die Allgeineinheit, die Universalitiit des ihr voiiiegenden Stolles, die vielmehr, wenn sie daim und wann war preisgegeben worden, immer wieder mit Keclit flir sie zu-rückgefordert und anf's Nene geilend gemaclit wurde, z. 15. von Christian Wolff und Ilegel, sondern allein diess, dass sie die Priuclp icu wissenschaft ist, die Wissenschaft der dein letzten, obersten Gnmde nachstiintergeordneteii (iriinde, Kealgriinde alles Seienden, die Wissenschaft, welche im Verhaltniss 7.11 den Fach-wissenschaften, im Wechselverkehr mit ihnen, einerseits nur die allgemeinen (iesichtspiinkte, die Ausgangspimkte der letzteren, feststellt, andererseits uur die allgemeinen Krgebnissc derselben entlehiit und verwerthet. Dafiir, dass heides ihr gleicht'alls uu-beschadet des absoM-ethischen Charakters niöglich ist, biirgt die fortschrcitende Verwirklichung Hires Ideals in ihrer (ieschichte.

Nun aber ist, wenn das Recht des Philosophen, den (ilauben zu heweisen, soil dargelhaii werden, die liaiiptsachliche Frage die: was begrfmdel den Uebergang von der 1'hilosophie im All-gcmeinen zur Heligionsphilosophie V Dieser Frage gilt die folgende Frwiigung. Hls zu der Finsicht, dass Gott der Schöpfer der Welt ist, fiihrt, wie in jenem den fieweis abgriinzcnden Artikel sich zeigte, schon das (jewissen. Demi diess, dass der Mensch mit allen seinen ïhaten, mag er auch sich und sie vor aller Welt verbergen, dennoch, wie er ebcn im Gewisscn weiss, sclilcchüiin gewusst ist, dieses seiu Gewusstsein von einem schlechthin Wissenden, diese seine absolute Durchsichtigkeit flir das Auge dessen, den wir Gott nenuen, ware unmöglicii, wenn er, der Mensch, nicht auch seiiiem Da sein oder Sein nacli schlechtliin bedingt, schleclithin gesetzt, d. h. gesclialfen wiire. Und was so von dein Menschen gilt, das gilt im folgerichtigen logischen Denken, da alle unsere Welterkenntniss durch unsere Selbsterkeiintniss bedingt ist, aucli von der Welt, deren Hanpt-bestaudtheil er ist.1) Aber dieses gewissenhafte Wissen Gottes

scientiac certitudincin cl verilatein ab una veri Dei engnitione pendere aden ut, priusquam illiini nossein. nihil de nlla alia re purfocte scire polneriin.quot;

') Noch einnial sei In lU'zug tilerauf die Vergleicimng der prftclsen

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:ils des Weltschöpfcrs ist uur ein vovbcgritriiches, ciu zwar uiclit uuvcrmitteltes, jedoch unmitlelbares; cs soil iuiuiUeu der maimig-faltigcn Lebenszustande, in allein Welt- uml Selbstbewusstsein, vollzogeu werden, lliermlt cbeu wird der lm (Jewisseu gegebeuc VorbegrilT (iottes dem Meusclien, gleleb jeder götllicheu (iabe, zur Aufgabe, deren Lösung ihm obliegt, aber aucli, da das Sollen kein Mussen is(, freistehl. Allerdings ist diese fornmle Freihelt oder Wahlfreihelt uur die vorauszusetzende (irnndlage der eigentlielien, eigentliilmlieli mensehlichen Freihelt, welclie sitii wesentlich unterscheidet von der bloss in uneigeudichem Sinne s. g. Freihelt, die der Spracbgebrauch dem Fall der Körper, der Hewegung des Thieres u. s. w. zuschreibt. Krst die Fimvilligung in den Willen des freilassenden (iottes, der Uebergang von der Möglichkelt des (iulen und liöscn zum wirklicb (luien, ver-vvirkliebt, erniill, vollendet jene au sich leerc, inhaltlose Freihelt, wahrend die widerstrebende Nichteinwilliguiig in den Willen (iotles, der Uebergang von der Mögliehkeit des (luien und Hosen znm wirklieh Bösen, sofort die Freibeit In ihr (legentheil verkehrt. in Knechtschaft, in blinde Naturnotliwendigkeit. Aber eben als (Irnndlage der realen Freihelt bleibt jene fonnale zugleieh die unaufhebllcbe Grundbediugung der ersteren; es bleibt dein Men-schen, der keine Masehlue Ist, die Krreiclmng seiner Hesdmnuing freigelasseu. Selbst daim also, weiiu wlr uns das (lewissen in urspriinglieher KelnheK deuken, eulliiilt cs die Mögliehkeit einer Unterlassung des Aufgegebeneu, die Mögliehkeit eiuer Kntzweliing mil Golt, die Mögliehkeit des Hösen als eine slels drohende (lefahr. Folglieh bedarf der Mensch sehou vor der wirkllchen Knlzwelling init Golt elnes Selnil/.es dagegen, eiuer Vermltlelung der Einheit init Golt. Dieses Ikdürfnlss findet seine Herriedlgung in dem, was Religion heisst, zuniichst in dein subjeetlven Sinne einer inenscliliclieu Lebensbestliiimtheit oder Gemüthsverfassung. Ware die Aufgabe des Menscheu, jedes Meusclien, welse zu sein, die Lebenswelsheit zu erlangen, das lm (lewissen iiiniilttelbare Goltes-bewnsstseln iu allen Lebeus v erh lil tuis sen zu vollziehen, oline die Möglichkelt des 15 ösen, olme die (lefahr, dass das

Exposlfion Ueberweg's im „Syslein der Loffikquot;, 1857, S. 73—79 (2. Aufl. S. 72—77) und S. 117 1'. (2. Aufl. S. 115 f,) empfolilen,

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Gewissen 7,11111 bösen (iewisseu werde, lösbar: so bediirfte cs keiuer Religion; Keiigioii und SiKiiclikeil wiircn daim Kins; das einlache sittliche Leben bcdürftc claim keiner besondcren ileilignng. Dcm abcr ist nicht so. DerMensch soli Gott wieder wissen, wie er von Hun gewnsst is(:, soli gewissenhaft seine Lebensauigabe ernillen, aber er muss es nicht, lis ist ilnii nioglich, niclil ein Weiser zu sein, sondern ein Thor, welcher spricht: es ist kein (iott. Und diesc Moglichkeit droht ilnn slets als eine (iel'ahr. Darnui, lediglich darum ist Religion nothwendig im Unterschiede von Sittlichkeit. Das Heilige, die Ileilignng des Lebens, welche das Böse verhiltet, das (iule vermittelt, macht den specifischen Untcrschied der Religion von der Sittlichkeit ans. Daher hat die Religion zu ihrem (ie-genstande nicht (iott im Allgemeinen, sondern (iott den Heiligen und — hypothetisch, lur den Fall, ilass die wahre Religion entstellt ist und wiederhergestellt werden soil, — (iott den Heiland; daher hat anch, was hier znr Krlauterung beigefügt sei, z. B. die christliehe Religion cs nicht mit (iott im Allge-meliien zu (hun, sondern mit (iott in Christo, dein Mittler. Kiu Aristoteles war wissenschaftlich vollkomincii berechtigt, seine „erste Fhilosophiequot;, die bei ihm audi die l'hllosopliie schlechthin heisst, Theologie zu nenneii, und er uennt sie bckaniitlich so; die Theologie als Religionswissenschai't muss, um als besondere Discipliii wisseiischaftlich haltbar zu sein, das bezeichnete besondere Moment in die Restinimung ihres Regriffs aufnehmen. Wie aber in der mit dem (iewisseu gesetztcn Verbiuduug und gegeu-seitigen Beziehung zwischen (iott und Mensch Ersterem die Initiative, die Stiftung des Rundes, die Urwirkung, dein Mensclien nur das Nachthun, das Wie der wissen dessen, von dem er sich nnd seine Thaten schlechthin gewnsst weiss, zukommt: so kann aucli der Schulz gegen einen Bruch des Buiides, inithin die Stiftung der Religion, in erster Linie nur von (iott ausgehen. Das Kntstehen der Religion als einer besondcren, vera librigen allgemeinen siltllchen Leben des Menschen unlerscliiedenen, mensch-lichen Leheiisbestiinintheit oder üemUthsverrassiing ist undenkbar ohne eine besondere, vou der allgemeinen natürlichen Wlrksamkeit (iottes uuterschieden';, gottliche Ollenbarung im weiteren Sinne

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(Phaucrosis).1) Dahcr is( die subjective Religion zu deliniieii ais die diirch göltiiche Ol'feiibarung im weiteren Sinnc ge-wirkte menschliclic (ieiniUlisveri'assung, welche es ver-lilitet, dass die Voilzielumg des (iottesbewusstseins in allem Welt- und SelbstbcAvnsstSCin uuterlasseii werde, dud welche es verniitteit, dass diese Volizieluiug geschehe. Dagegen treden soiche Definitionen der Religion wie die, nach dciien sie das IVomme Hewnsstsein, die Abhiingigkeit von tiott, die llingabe an Gott, die (ïenieinschart init (iott, die Kichtung des Gemüthes aiif die (iolthcit n. dgl. sein soil, so Wahres sic im Allgemeinen cnlhaltcu, docli keineswegs das specillsclie Wesen der Keligiou, die, no sie nur immer lactisch zn Tagc trill, nicht (lurch cin derartiges allgemcines Verhiiltniss zu (jolt, nicht (lurch das uneigentliche „lieten oline I'uterlassquot;, welches ja viehnehr der (,'harakter des ganzen sidlichen Lebeiis ist, sondern diirch ein eigentliches, vom iibrigen Leben unler-schiedenes Gebet oder luncres Opfer, wie dann audi (lurch die ausseren Opfer, durch riiumlich und zeitlich bestiminlen Gottes-dienst, durch feste und festliche Zeilen, SUinden, Tage, Tage (Jolles, Sonntage, Fesltnge, Andachlsstuiidcn, (lurch eben so abge-sonderte heilige Rauine, ein Gottesliaus, gemeinsames Helhaus, einsames Kiimnierlein u. s. w. charakterisirt wird. .\ur aus diesem specifischen Unterschiede, der die Religion nicht vom iibrigen sittlichen Leben treimt oder gegen dasselbe iudiU'erent setzt, wohl aber als die centrale heilige (negativ verhiitende, posiliv vermit-telnde) Potenz — nach einem bekaunten (iieichniss als den Sauerteig — von den peri()herischen, einer lleiligung oder Weihe durch Religion bedlirftigeu — vom Sanerteige zu durch-dringenden — Lebcnszustiinilcn abhebt, ist weKerhiu das Wesen einer besonderen religiosen (iemeinschaft und Anstalt (Kirche) im Verhaltniss zu der aligemeinen siUlichen Gemeinschaft und Anstalt (Staat) begreiflich. Wie aber das allgemeine Gotlesbe-wusstsein, durch eine Urwirkung Gottes entstanden, auf organische Weise, von einer Generation zur anderen, fortbesleht durch Lehre und Uebung oder Gebrauch: so ist audi die von götllicher OITen-

') Vgl. 2 Mos. 31, 13: „Meine Habbuti! soil! ilir balteii; deun eiu Zciclieii ist diess zwisclien mir und eucli, anf cure Naclikomnien hin, dass ilir wissel, dass ich es bin, der Uerr, der eucli lieilif,rt.quot;

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barung herriilireiule Kcligioii daraul' augclegt, aulquot; organische Wcise rortzubcsteheu dnrcli religiose F.elire mul religiösen (iebraucli. lliennit gelit tile subjective Religion in die objective iiber, welche /.u definiren ist. als der Inbegriff aller aul' die gescliichl-liclie Begriindung, Erhaltung und Förderung der subjec-tiven Religion im Kinzelneu und in der Gemeinscbaft (Gemeinde) beziiglicben Lehren (Dogmen) und (iebrilucbe (Ritus).1) ,lenen entspricht aul' Seiten des Subjects der religiose (ilaubc, diesen der religiose Cultus; doch pliegt audi die Gesammt-heit des sul/jcctiv- und object iv-Religiösen in einem umfassenderen Sinne Glaube genannt zu werden. Das religiose „Glaubenquot; im engeren Sinne stebt, audi was die objective BegrUndung betriU't, dem etbiscben„Wissenquot; durcbaus nicht nacb, es ist vielmehr selbst ein Wissen, uurebenein specitisch-religiöses,anfden Reiigionsgegenstand gerichtetes; wie z. li. aucb für denApostelPauius das christlich-reli-giöse Glauben zusammenfallt mit dem „Wissenquot; uur Cbristi (IKor. 2,2). Kin solches Glauben ohne, aucli objectiv, zureichende Grimde ware fehlerhaft, wiire Leichtgliiubigkeit; ist das Object der Lehre, ist z. H. in dem paulinischen Falie Kreuzestod und Aul'erstelumg Cbristi nicht als gescbichtliclicTliatsache vollkommen begriindet, ist Cliristus nichtanferstanden, so ist, wie ebenfalls Paulus sagt, der Glaube ei tel (leer, inhaltlos.) Das religiose Glauben hat, wie das ethische Wissen, Grade des Wacbstbums; immer aber nimmt es den ganzen Menschen in Anspruch, aucli hierin dem etbiscben Wissen gleicli, wcl-cbes nicht bloss ein Gedachthaben, sondern aucli ein Gehandelt-haben ist, nicht bloss ein Aufnehmen, sondern aucli ein Hingeben zu seiner Yoraussetzung bat. So erscheint. z. li. der cbristliche Glaube nicht als Etwas vom oder im Menschen, sondern als eine„iieue Creatorquot; (Gal. 5, (5 zusammen mit Gal. 6, 15 und 2 Kor. 5, 17).2)

1) Vgl. Emit Burnouf „La scicnce des religionsquot; in der Revue des deux momles, 1804, (unie 54, |). 537: „Le parallélisme des doguies et des rites esl la lui fondamentale de toute histoire religieuse.quot;

2) Vgl. Schelling an Escheninayer, 181-2 (Allg. Zeitschr. 1813, Band 1, Heft 1, S. 121): „Aecliter Glaube ist sellist niclits Anderes als ein glaubendes d. li. zuversiclitliches Wissen, in welcliem, wie in allem wahren (etliischen) Wissen, Her/, mul Geist in Einklang sind.quot; — Ueber die Unstatllial'tigkeit einer Trennung des Denkens und des Handelns, weielies IVeilicli nirlif mit dem ,.llantirenquot; darl' identillcirt werden, inner-halb des W iss e ns processes, aucli des strengvvissenscbaftlichen, vgl. bes. Trendelenburg „Logische Umersuchungenquot; II, S. 421. (DieEutwick-

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Wenu wir mis aber das (iewisseu iu ursprlnigliclicr Reinlieit (lachten, so begingen wir eine vou den Ficlionen, die in der Wisseiisciiaft niciit nnr /.uliissi^, sondern iiu Inleresse allsdligen Keflectireus vieli'ach nolhweiidig sind. Thalsiichlitii hal, die Mög-lichkeit des Bösen sicli verwirkücht, ist das (iewisscn znm bosen (iewissen geworden, isi eine Slöriing des reclilen Verliiillnisses von (ioU nnd Menscb eingclrelen. Soil mm dasselbe nach ein-getreteuer Slüning wieder bergestellt, die Einlieit des Menscbeu niit (iolt von N.cuein verniiüeU werden: so kann aiieh dieseWie-derherstellung und WledervoriniUlnng, dein Obigen znrolge, /war allein von (lolt ansgeben, jcdocb, bei derniebt iiiecbaniscbeii, sondern etbiscben Verbindnng des Menscben mit (iotl, uiebt allein durch (lott gescbeben. Denn wie einerseits der Meuscli als ethisches Wesen so besebaffen 1st, dass ilim das (iute nnd das neueGnte, das Heil, nienials iinssciilcli angethau werden kann: so ist andererseits (iott fiir das llim vcrbindlicbe böse (iewisscn uiclit bloss der, vvelcber inoglicberweisc das neue (iute, das Heil, hringt, der Heiland, der das liöse gnl macht, die Slinde vergiebt, sondern ancb nnd vorerst der Heilige, der sich Nichts vergeben und das Hose nnr gut machen kann, indein er es straft, richtet, indem er eine gerechte Kiickwirkung auf die Verwirklichnng des-selben iibt. Die Wiederberstelhing des reebten religiöscn Ver-biiltnisses muss also zngleicii odcr mit dnrdi den Menscben gescbeben, der die irreligiöse Entzweiung mit (Jolt verschuldet bat. Der Menscb muss dabei sein, muss, die Strafe leidend, anf heilige Weise, da sonst uur neue Siiudc zur alten binzu kiime, in (lottes heiligen, die Siinde strafenden Willen ein-willigen, muss in der Strafe die nothwendige Reaction des heiligen (iottes gegen die Siinde v\illig anerkeimen. Diess aber kann er, wie er ist, nicht; denn sein Wille ist cben durch die Siinde gegen das gekehrt, was (iott will, ist zum (intea unfrei

lung tins Denk ens ist an die Spra'che, die naliirwissensclmrtliclie lic-obachtung an das Experiment gebnnden u. s. w.) Dass übrigens die Iiier geltend gemachte, dein Wissen'1 conforme, Bedenking des speci-tlscli-religiosen „filaiibensquot; olme Gewaltlbat gegen den sonst tibliclien Gebrauch des Wortes sicli allmtthlicli eniwickeln mul festslcllen konnte, lebrt Aristoteles, Khetorik I, 1; „zóve n i(Sc sv o /x er ji u 'k i lt;S i u, quot;rtuv u /i(i(hóiTyJt(ci vnoXapcof.uv.quot;

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mid unkrafüg, ein gebrochencr Wille, dein ilie Thalkraft fehll. (Vgl. Höin. 7, 18.) Zn der Krkennlniss gelangtcn scliou die Alien, die Nichts von eincr lleilsoirenbanmg (Oirenbaning im cu-geren Sinne, Apokalypsis) wussten, dass der Mensch fiir sich das gesiörle Verhiiltuiss zu GoU. uiciit wiederherzuslellen vermag, dass das liber ilm liereingebrochene, von ihm versehuldele sKllicbe nnd folgeweise natiirliche Unbell niclil von ilnn ohne Weileres wieder riickgangig geinacht werden kann. Durcli den Missbranch der ab-slraelcn, fonnaleii Freilieit, der WahHVeiheit, einmal anders geworden, als er nrspriinglich war, dein Rosen zugewandt nnd da-dureli im Gegensatz zu der realen, positiven, mil, dein (lui-sein gesetzien Freilieit unfrei, gebi der .Mensch, gelil die Seelc, wie Platon sag(, ihreu Weg nach des Verhiingnisses Orduiing nnd Gesetz. Und dasselbe lebrt Arisloteles, wenn er die Hosbeit flir die Verderberiu des sittlichen Urznstandes erkliirt, die das See-lenange blende, so dass der Menscb, der das liose gewolll, mui niclil- melir (lialkriiflig das (j'nte wollen kann.1) Und eben dasselbe lelirt, iiiiabiiangig von ehrisilicher Lehre, die moderne Plii-losopbie, ja audi die moderne Naturwissenscliart auiquot; der llülie iltrer Unlwicklung da, wo sic das Coniiniiim der Naiur nnd des Geisles betrilt.2) Der siUlich unfreie Menscb kann mir mil, Wi-derwlllen und Unwillen oder doch uur halbwillig, mil; getheiUern Willen, die Strafe lelden, nnd ein solches Slrafleiden bat keine ethisch siihnende Wirkuug, sonderu verschllmiuert uur noch das Unheil.3) Soil demnach dennoch das Heil ollenbar, das religiose Miss-

') Platon „fieselzequot; p. OOI. Aristotelus „Nikornacliische Ethikquot; VI, 5 u. 13 nebst 111, 7. Vgl. Niigelsbach „Nachhomerlsclie Theologiequot;, 1857, S. 333 ir., bes. S. 338.

2) Herb art „Zur Lehre von der Freilieit des menschlichen Willensquot;, 1830, S. 210 und ï'hilo in der „Zeitsclirlfi fiir exacte Philosophlequot; 1805, VI, '2, S. 112: ,,ln geistigein Hinne ist nur das Than uln freies, welches dureb bewusste Griinde determinlrt wird, uml im höchsteii Sinne isl es frei, wenn diese Motive wahr und gut sind.quot; Vgl. Menie a, a, 0. S. 90: „Der theologische Sinn des Unfreien ist der physiologischen Autrassung ganz, conform; die (reale) Freilieit bedeutet dem Physiologen wie dem Theologen eine Ent wicklung nach dein angeborenen, also gütllichen Gesetze.quot; Aehnlich ebend. S. 153—150.

3) Vgl. NÜgelsbach „Homerische Theologiequot;, 1840, S. 102—195 und desselben „Nachhoinerische Theologiequot;, S, 302 f.

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verliiiltniss in das redilc Vcrhalüiiss umgestaltel, werden: so bleibt, da lilerzu aus dein elhischen (iesichtspunkt das Dabei sein iles Mensciien unbedingt erfoi-derlicli, mul da mit dem Menschen die (jesamnitheit der (ieschiipCc, die Weil, iinUnlieii belindlich isi, mirder Answeg aus dem Dilemma iibrig, dass (Jolt selbst Menseb wird, dass Er, Mensch gewonlen, slellverlrc(.end,'dic Siinde siilint und so das Heil oirenbarl. Zur Wiederhersleiliing des rechten religiösen VerliaKiiisses bedarf os einer goltmeiiscldiclien Vermilt-lung desselben, bedarf es eines Mittlers, der von (iolt aus auf die Menscbbeil, wirkl (Heil bringend, erlüsend), aber aueli von der Menscbheit aus auf (iol( wirkl, (die Siinde slilineiid). Die ebenl'alls den Denkeru und Dichlern des klassisclieii Altertbums schon vorsclnvebeiide, wiewold uur duukel vorschwebendc, liy])o-Uietiscbe Notlnvendigkeit dieser gottiuenscliliclien Vennitduiig (llenscliwerduug (iotles) ist das Let/.le und Hochsle, wohin die religionsplnlosopbiscbe Speculalion deducüv vorzusclircilen vermag.4) ()b aber das liypolheliscii (iesct/.le, also dasjenige, was wir für den Fall, dass die walire Religion nach ihrcr Knlstellung wieder bergestellt werden soil, amiehmen mussteir, sich verwirkliclie oder nicht, kaun nur erfahrungsmitsslg, durch geschichtliche liclrach-tung, ennittell werden. Das, wie die pliilosophische Schnlsprache sagt, abs(eigende Deuken slreckt hier seine Wallen auf (inade und Unguade; es macht l'latz dem von uuten aufsteigenden Verrahren. So l'ührt der speculative oder synthetische Theil der Keligionsphilosophie von selbst, mit innerer Notbwcndigkeit, über sich hinaus, in den hislorischen oder analytisclien Theil hluein.

Jetzt wird das Hecht des Fhilosophen, den (ilauben /.u be-weisen, elnleuchten, jelzt, was eiu Abweg schicn , in das Licht seiner wahren liedentung getreten sein. Denn die (ilaubensbot-schaft, das Evangcliiuu, die Verkilndigung, dass (iott wirklich Mensch geworden, tritt geschichllich mit dem Anspruch auf, dasjenige zu sein, worin allein die Befriedigung jencs hiichsten lie-

4) In Be/.ug auf die Alten vgl. PI a ton „Slaatsmannquot; p. 271 ir. und „Phtidonquot; p. 85; da/.u Dollinger ,.I[eideulluiin u. Judenthumquot;, 1857, S. 728-734. In Bezag auf das Ganze, das hier enlwickell worden, vorzüg-licli Gess: „Die Notliwendigkeit des Sühncns Clirisü'1 in den ..Jalirbücliern für deutsche Theologiequot;, 1859, IV, 3, S. 171): ,.So kann das (iewissen bis zu der Alinung kommen, dass nur, wenn Gott setber die Sillinung voll-briichte, dieselbe gelingen kömUe,quot;

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dürfnisses zu fiudeu sci. „Es ist in kcinem Audeni Heil.quot; Die-ser Anspruch will gepriift sein. Die Kirche tics Evangeliums, welclie ihn vou Neuem erliebt mul in inaterieller Bezieliung wesentlich Nichts welter verkündigt als Cliristuin den (Jotlmen-schen, der die Siinde gesiihnt habe, bcnii'l sich dabei for me 11 ausschliesseud auf die lieilige Schrifl;, als in welcher dieser An-spnich beurkundel, nrknndlich bcgriindet sei. Die griecliisch- und riimiscb-kaüiüliselie kirche bietel, vvenn man in Kiirze ihren Un-lerschied von der evangelischen so bezeiebnen darf, Melir, jcde andere religiose Gcineinscliaft aber Weniger, als woraulquot; das oben deducirte religionspliilosopbisclie Hediirfniss geriehlet isl; ob jenes plus In Walirhelt anch ein minus, kann bier f'iiglich auf sich berulien.1) Jedenfalls 1st es nnr das Kvangellum, was direct elnschlagt in die rellgionsphilosophlsche Untersucliung; die Ue-berbletungen desselben gehen mis hier Nlehts an. Die evangelische Kirche aber hal den Inhalt Hirer Verklindigung flir das Ik-wusstsein der (iemelnde nledergelegt in ihren Itekenntnissschrifteii, die sich allesammt, wie anch noch der Kingang der Concordleu-formel bezeugt, der Forlsetznng und Herichtlgung dnrch die heilige Schrift olfen halten. Sie sucht wissenschaftlich die Urform dieses Inhalts immer treuer herauszustellen in der bibli-schen Theologie; sle belleisslgt sich In der Dogmatlk, nach Massgabe der Urform, einer der Entwicklungssture sowohl des kirchlichen wie des allgemelnen wissenschaftllchen Zeltbevvusst-selns entsprechenden Formgebung.

Auf diese Speclahllsclplinen des tbeologlschen Fachs hal, in Folge der Theilung anch der wissenschaftlicheii Arbeit, der l'hl-losoph, der den Glauben bewelsen will, ganz dleselbe Kdckslcht zu nehmen, die er In seinen nalurphllosophlschen Bcstrebungen den exaclen Naturwlssenschaflen schuldei. Sle .sind ilnu llülfswls-s en schaf te ii. Schllmm slande es dabei frelllch in nnserni Fall, wcnn dem (Janzen der neueren Dogmatlk wirkllch der Cha-

1

) Vgl. Mar tens en ,, Die chnstllclie Dogmatlkquot;, 1856, S. 30: „Der Katholiclsmus liat sicli z» einern grossen System von Cliristcntliums-Garan-tien entwickelt; aber das Clirlstenthmii, die Samp;clie selbst, die durch diese garantirt werden soilte, ist in den Scliatfen gestellt. DerGegensatz zwisclien dem iicliten und dem uniichten Christenllmm ist nach nnd nacli auf die 13e-jalmng oder Vernelniing der Gültigkeit dieser Garanlien reducirl worden.quot;

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rakter eignete, den der Witz misers verehrten natiirwissenschaft-lichen Pliilosophen ilmi zugeschrieben, der Charakter der „Anarchie, gemilderl durcli Unfruchtbarkeit.quot;1) Schlimnier uocli, wenn die Theologen Recht liiltten, welche im Interesse des Fortschritts iiirer gesannnten Wissenschaft am liebslen Nichts vonihr wollen stehen lassen und vor Allem anl' einen entschiedenen liruch mit der „traditionellenquot; Behandlnng derselben dringen, liuless abgesehen davon, dass das (janze der gegenwartigen Philosophie mis Philosophen am wenigsten reizen sollte, über den Zustand einer anderen Wissenschaft mis lustig zu niachen, da die öffentliche Meinung auch der Gelehrten diesem Ganzen, wenn überhaupt einen Charakter, doch waluiich nicht den einer gehörigen Prucht-barkeit beliegt, — hiervon abgesehen, scheint dein witzigen Benr-theiler des Ganzen der neueren Dogmatik nach verschiedenen Anzei-chen seines Werkes die eingehende Kenntnissnahuie von den Arbeiten der Theologen ein vcrhiiltnissinassig minder dringendes Hedürfniss gewesen zu sein als die lieachtung der meisten anderen exoti-scheu Lcbensmittel des philosophirenden Geistes, von deren ge-lungener Assimilation eben jenes Werk in staunenswerthem .Masse zeugt. Und was die theologischen Stlirmer und Dranger betrid't, so erinncrn sie stark an gewisse sehr vorlaute Herolde der nun liingst giinzlich verstmnmten „Naturphilosophiequot;, die auch aller „traditionellenquot; Nuturwissenscliaft die Vernichtung drohten, ja die Selbstvernichtung zumutheten, damit Uaum wiirde für ihr von Grund aus Neues. Wie es aber zur Zeit des damaligen (Jeiiiu-sches einc sinnige und besonnene Naturforsclumg gab, die, un-beirrt durcli den wiisten Lürni, auch nicht blind gegen das unter-mischte (Jute, das die Neuerer leisteten und forderten, den Fortschritt in der Fortsetzung suchte und land: so giebt es in unsern Tagen eine, der wissenschaftliclien llaltung nach verwandte, gerituschlose theologisclie Forschung, die unter der Monarchie des Geistes der Wahrheit Frucht bringt in (ieduld. Von ihr wollen wir mis das Zweckdienliche tradiren lassen.

Das Erste, worüber wir sic zu Rath Ziehen mlissen, ist die Aechtheit, die Glaubwii'rdigkeit der Urkunde des (Jhristen-thums, der heiligen Sclirift neuen Testaments, zu der die alt-

•) Lol ze „Mikrokosmnsquot; III., IHfl.), S. 371.

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testamenlliche sich cben so als Unterlage verhiilt wie die jiidisclie Religion, iu welclier der Messias, der Christus, verheisseu ist, zu der clirislllcheii, iu welclier die Verheissung sich dahiu er-füllen soil, dass Jesus von Nazareth der Christ sei. Demi dort zwar, wo wir zu enviigeii halten, in wie weit das Christenthnni bewiesen werden könne, oder was jede Keligion und die christ-liche uur erst recht bei demjenigen, deiu sie bewiesen werden soil, voraussetze, dort war die Frage nacli derAechtheit der bib-lischen Schriften nicht die (inmdfrage, sondcrn diese drehte sich, wie wir wissen, urn ein Anderes; hier alter, wo es gilt, das Christcntbuin wirklich zu beweiseu, zu priiren, ob in ihm that-sachlich, geschiclitlich gegebeu sei, was specnlativ dcsiderirt und postnlirt wurde, hier ist sie es, well eben in jenen Schriften diess behauptet wird. Da fragt es sich ailerdings vor Allem, ob die Hchauptiuig (ilauben, naiiilich historischen (ilauben, verdiene, d. h. vor der liistorisclien Kritik Stand halte. Diese Frage ist in Betrell' der grossen Mehrzahl der Hestandtheile des neutesta-inentlicheu Kanons bekanntlich iu neuerer uud neuester Zeit ver-ncint worden, auf's Eutschiedenste von der s. g. Tiibinger Schule, deren Stiiïer F. Clir. Haur war (f 1860). Alleiu l'ür's Erste konueii die uubestritten-iichtcn Schriften, die liriefe des Apostels l'aulus an die Römer, die Korinther und die (ialater, vou der Apo-kalypse zu schweigen, den Auspruch, den die Kirche erhebt, jedein diesseit der gezogenen (iriinzen des Beweises stellenden Lescr vollkommen beurkundeu; sie babcii es nach dem Zeugniss der Jahrlmnderte des ileils unzitlilige Male gethan und (hun es fort-wahrend! ja, gebiideten Zweilleru uusrer Tage, die au das Chri-tlium herau wollen, aber eingedenk dessen, was sie von der „Kritikquot; gehörl liaben, niclit recht herau köiinen, ist uubedingt zu rathen, dass sic vorliiulig nur au die genaunteu paulinischcu Briefe sich halten, dainit kein Nebengedaiike die Eiiipriinglichkeit schwiiclie. Sodann aber slud die (iriinde Baur's uud seiner An-hanger gegeu die Aechtlieit der iibrigen Schriften theils, wiewohl nur geringeii Theils, innerhalb der Schule oder des weiteren Schulkreises zurückgenoiniiieu oder ennassigt, theils, und zwar grössteu Theils, von kirchlicher Seite widerlegt worden.1) Endlich

') Ueber jeues giebt niiliero Auskunft die Abhandlung (von Lipsius) ,Ferdinand Christian Baur und die Tübinger Helminquot; In „Unsere Zeitquot;,

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hat der Stifter der Scluile selbst in dein zwei Jalire vor scineni Todc lieu lierausgegebeneu „Lelirbucli der clirislliclien DogtneugeschlclUequot; zu dem bedeutcndeu Ziigestanduiss sicli hcrbcigelassen, dass die Schriften des IV. Test, um ihres Inhaits willen „mil Recht noch immer als kaiiouisclie cine in sich geschlossene Einheit bilden, sofern sic die Schriften sind, in welchen wie in kcincn anderen die christliche (iemeinsclmft aller Zeiten von Anfang an den nrkundlichsten nnd allgemeingültigsten Ausdrnck ihres chrlstlichcn Bewnsstsehis gefnnden hat und audi fern er finden wird.quot;1) Steht es ini Allgenieinen so, wie hier eingeriiumt wird, um die Hinheit des neutestanientlichen Schriftganzcn. so köimen wir den Ausgang dos Streites, der in Bezug auf Vcrein-barkcit oder Unvcreiiibarkeit der einzeinen s. g. Lehrbegrilfe, des panlinischeu, synoptischen, johanueischeii u. s. w,, dcrmalen noch schwebt, getrost erwarten und nicht zweifelhaft sein dariiber, ob die Gegner der Kirchenlehre Recht hehalten werden, welche meinen, dass der johaniicisclie „Logoscliristusquot;, der bei (iott und (iolt war, durch welchen Alles geworden ist (Joh. 1, 1—3), ciu hiin-melweit auderer sei als der paulinische Eine llerr Jesus Christus, durch welchen Alles ist (1 Kor. 8, (j), und der wieder ein ganz anderer als der synoptische Jesus, der Solui, den uur der Yater kcniit, wie diesen uur jener (Matth. 11, 27; Luc. 10, 22), als

Jahrgang 1802, Heft 01, womit zu vgl. Heini'. Beckh .,l)ie ÏQbingcr lii-storisclie Sclmlequot; in der Erlanger „Zeltschrirt für l'i'otestanlismus u. Kircliequot; 1804, Band 47, Heft I—l; Ober dieses vornelunlicli die „Einleilung in das N. Test.quot; von BI eek, 1802, nacli dessen liistorlsch-krilisclien Untersuclmngen (a. a. O. S. 071 IP.) kein Gruiid vorliegt, inidi uur eine Schrift aus der über 1400 Jalire bestellenden Sammlung ausznscliliessen oder andereScliriften aus dein cliristlichen Altertliuin in dieselbe aiifzunelunen. Speciell zur Evangelienrrage enlliiilt, auch nacli dem Urtheile Wagenniann's in den „Jabrb. für deutsclie Theologiequot; von 1800, Heft 2, das inKUrze Beste der dritte von Ulil horn's Vor triigen fiber „Die modernen Darstellinigen des Lebens Jesuquot;, 1860, S. 09—103; specieller noch zur Würdigung der Evan-gelienkritik von David Strauss in seinein neuen „Lcben Jesuquot; bietet einen sehr scbiitzbaren Beitrag „The Athenaeumquot;, January 1800, Nr. 1993—1096, wo ein Nichttbeolog „within the limites of secular criticismquot; mit der den Engliinder auszeichnenden Kaltbliitigkeit und praktischen Vernunft den deutschen Kritiker kritische Mores lelirt.

') Banr a. a. 0. S. 305. Vgl, desselben „christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdimg (iottesquot; 111., tsts, s. 106 f.

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der Herr der Herrlichkeit des Jacobusbriefes (2, 1), der Erste und der Lelzte der Apokalypse (2, 8), — oder die, welche iiber dein Unterschiede die Eiulieit nicht verkennen mul uiclits i5c-fremdliches darin finden, dass es dein Jiinger, den der Herr lieb batte, vorbebalten war, das letzte lösende Wort auszusprecben iiber des Herrn Person, das Wort, das gleicbsam allen anf der Zunge lag. In dieser Zuversicht begrilssen wir das grosse, anf den Nacbweis der neutestamentlicben Scbrlft-Einbelt hn Ein-zelnen gericbtete Unterncbinen Hofmanu's, welches die Anlage hal. ein entscbeidendes zn werden.') Es geht ans von dem testen Pinikle der zweifcllos-achteii paulinischeu Hriefe, wo der Apostel erzahlt, dass ihm, wie den Zwölfen, der Aurerstandene erscbienen sei, also das erziihlt, wovon die Gegner bebaupteii, dass, wer daran glaubt, in Wahrhoit keinen (irund melir babe, irgend einen Zug der evangelischen Gescliiciite wegen seines Widersprucbs gegen die Gesetze der Natnr und der Gescbiclite zu bezweifelu.2) Hiervon hangt, wie deun Horinann auch seiuer-seits treilend bemerkt, nicht weniger ab als Alles. Deun kommt der gescbicbtlicb Forscliende darauf hinaiis, dass bier eine That-sacbe vorliegt, deren geschicbtliche Heiirkiindung so iinanfecbtbar ist als die irgend einer anderen, so wird Nichts von dem, was ibr Gleicbartiges von .lesii berichtet wird, um desswlllen, well es ibr gleicbartig mid also dem gemeinen J.aul'e der Dinge un-gleicbartig ist, iïir ungescbichtlich erklart werden dlirfen. Im Gegeutbeil: ein gesehicbtlicber Ziisaiiuiicnhang, dessen Mitte dicse Thatsache bildet, wird gar nicht anders als riickwarts und vor-Avarts ibr verwandt und gleicbartig sein köuuen, und in dem Masse, als das lierichtete dieser Krwartung eutspricbt und einen anf diese Thatsacbe abzielenden und von ibr ausgehenden Verlauf darstellt, wird der (ieschicbtsforsclier für die Zuverliissigkeit der Herichte ein günstiges Vorurtbeil gewinnen.3) Miige es dem, Ubrigens weder durcb dieses noch durcb sonst ein Vorurtbeil

') Die hciligo Schrift neuen Testaments zusammenhangeml untersucht von Dr. J. Clir. K. von Hofmann. 1862 IT.

') Zeiler „Strauss und Renanquot; in v. Sybel's historisclier Zeilsclir. 1864, Heft 3, S. 122.

8) Zeitscluift für Protestanfismus und Kirche, 1864, Band 48, S. 84 und Seite 95.

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gebiuuleneneii, evangelisch Preien nnd zur lihre der Kirche des Kvangeliums sclion so reich gesegneten Manue vergüimt sein, (ias grossartige Werk zuiu kröuemlen Knde zu fliliren!

DUrfen wir aber deninacli, wie in Hinsiciit aui' den Inlmlt der Sclirift selbsl der Meister der Zweiller zugestanden hat, die Frage naeh der (ilaubwiirdigkcit der Urkimde des Christenthuins als im Allgemeinen zu (junsten derselbeu enlschiedeu nnd auch lm Einzelnen der gleiclien lintsclieidnng nahe ansehen: so fragt sieh zwellens; welches ist der speclHsch-rcliglöse Glaubens-1 nh alt, der Inbegriff des Christenthuins der Schrift oder, mn es uns noch einmal von David Strauss bezeichne» zu lassen, des Christenthuins, „wie 1'aulns, wie alle Apostel es im Sinne halten, wie es in den Bekenntnissschriften saniinllicher fhristlichcn Kir-ciien vorausgesetzt istquot;?1) I)b dieser (ilaubens-lnhalt nnd Inbegrifl' begreillich sei oder nicht, wird weiter unlen, drillens, in Frage koinmen; hier fragen wir, wie es der regelrechte (iang einer wissenschaftliclien Untersuchung erheischt, lediglich nach dein Sachverhalte, nach dein Thatbestande. Unsere Frage ist eine ein-faclie quaestio facti.

Die heilige Schrift giebt sieh selbsl nicht, wofiir sie oft ist ausgegeben worden, fiir ein Lehrbnch der Keligion; soudern sie will nach Art geschichtlicherUrkunden ihren Lesern, so viel möglich ersetzend, das Miterleben dossen, was in ihr gesciirieben steht, vennittelu, will ihnen ein Millel sein zur Aneignnng der (Inade nnd Wahrheit, die durch Jesns Christus, wie sie sagt, geworden, will „vor ihren Augeu nnd llerzen eine neue Welt crölfnen, in der sie tiott selbst leiben nnd leben sehenquot;.2)

Den .Mittelpunkl dieser neuen Welt der MellsofFenbarung, wie sie im Neuen Testament abgebildet, im Alten vorgebildet 1st, ninimt Jesus Chrisliis ein, der Heiland der Welt (Joh. 4, 42),

') I). F. Strauss „Die Halben und die Ganzenquot;, 1866, S. 127 f. a) Rothe „Zur Doginadkquot;, 180;!, S, 328 f. imrt vorher S. 124. Vgl. H ofinann ,,l)er Schriftbuweisquot; II., 2, 1800, S. 100—108, wo von dem neu-teslamentliclien SnlmCtganzen als einein ,.vollsiandigen und entspreclienden Denkmal der christlichen Anfnugsgeschichtequot; ein Bild entworl'eu ist, wie es bei so geringem ümfange uur dein Meister gelingen koinite. Das dor alttestainentlichen Sclirift gewidmete Seitenstlick findet sieh ebend. 1., 1857, S. 070 ir

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in wclcliem die sanzc Fllilc dor (iotilieit leibiiaftig wolint (Col. 2, 9). Kin Mcnsch, ei» Menschensolin, von Hans aus einzig unter don Mönsclicn, so wird or uns „vor Angon gemaltquot; (Gal. 3, 1). Geboren von einer Jungfrau, dor von eincm Holen des Himmels verklindot war, dass, was sic gebaren worde, als lioiiig, vom heiligen (ielst empfangen, Solui (ioltes worde genannt worden (Luc. 1, 35), bokennt der Zwölfjabrige im (ïogcnsalze zn einem inonsclilichen Yater Gott als seinen Valer (Luc. 2, 48 f.). Der den Namen hat, dass er sein Volk ontsllndigen soli (MaUh. 1, 21), beginnt, unter das Gesetz geüian (Gal. 4, 4), seinem lierul'o gemiiss, alle Gerochtigkeit zn erl'iillon (Matth. 3, 15), indem er, von koiner SUnde wissend (2. Kor. 5, 21), den heilsgoscliiclit-llchon Weg (iodes mit seinem Volke belritt nnd als Glied des-selben sich tanfen liisst von seinem Vorlaufor, dom Prodigor dor Unsse, wie die, welche ihre Siindon bokennon (Matth. 3, 6), fiir sic znr SCnide gemaclit (2. Kor. 5, 21). jVachdem er daim die ihm von aussen, vom Fiirsten dor Wolt des Unheils hor, widor-falironde Versnchnng, die Welt widcrgöttlich zu bcliorrschon, statt ihr znm Hello zn dienen, siogreich bestanden (Matth. 4, 1—11), goht or Heil Ichrond nnd Heil bringend umher, predlgt das Kvan-golinin nnd licilt allerlei Kranklieil (Matth. 9, 35). Auch !ils Lohrer cinzig unter don Lehrern, kniipft er das ewige Geschick seiner llörer, liber welches er endgliltig enlschoidon will, an ihr Verballen gogen selne Worle (Matth. 7, 21—27; Joh. 12, 48)-Znr Korlselznng seiner Wirksainkeit nnd Griindung einer Gemelnde des Hinimelreichs anlquot; Erden erwiihlt er die Zwölf, die er sehon bei seinen Lobzoiten anssendet, ebenfalls das Reich Gottes zn zn prodlgen nnd die Kranken zu hellen (Luc. 6, 13; 9, 2). Zur Schöpfung nouor Menscliennatnron nnd Erhaltung der neugeschaf-i'onen sotzt er die neutestamentliche ïanfe ein nnd das Abend-mahl, da nur, wor ans Wasser nnd Geist geboren wird, in das Reich Gottes kommen könne, und nur, wer das Fleisch des Men-schensohnes isst und sein Hint trinkt, das ewige Leben habe (Joh. 1, 33; 3, 5; 6, 53 f. vergl. mit Joh. 4, 1 f. nnd Matth. 26, 26 ff). In Voraussicht seines Hingangs znm Vater, von dem er ausgogangen (Joh. 16, 28), verheisst er den Seinen einen andern Heistand nnd Triister, den Geist der Wahrheit, den heiligen Geist, dor von ihm zeugen nnd sie in alle Wahrheit leiten worde (Joh. 14,

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1(5 f. 2(5; 15,2(5; 1(), 13). Vollonds erfüllt er alle Gerechligkcil, imlciu er, verratlieu mul verurdieilt, l'reiwillig sein Lebcii in den Tod am Kreuze dahiugicbl als Lösegeld l'Ur Viele, die seiber ilire Seelen niclit zu lösen vermogen (Job. 10, 18; Matth. 16, 26; 20, 28). Kr, der vou kelner Siiiule weiss, leidet, den Tod, den Sold der Slinde (Köm. 6, 23), stirbt für die Silnder, für die (ioltloseii (Köm. 5, (5), wird zum Flncbe 1'iir sie (dal. 3, 13). Er, der nicliL niiiliig lia(, iiir eigene Slinde Opfer zu bringen (llebr. 7, 27), opl'ert sich zur Stilmung der SUnden der ganzen Welt (1. .foh. 2, 2; vgl. ebend. 4, 10). (iott in Cbristus ver-silhnl. die Welt mit sicb (2. Kor. 5, 19; vgl. Kol. 1, 20); durch den (ilaul)eii daran werden die Silnder geredufertlgt (Köm. 3, 28). Uie sillineiule uml versöbnende Kraft seines Todes vvlrd diircli seine Auferweckung erwiesen, ohne die der (ilanbe eltel wiire (I. Kor. 15, 17; Köm. 1, 4; 4, 25). Der am Kreuze slcbt-licli (ieslorbene (Job. 19, 33) und liegrabcue (Job. 19, 42), der lm (ielsle den (ielstern lm (ieriingmsse gepredigt bat (1. Pelr. 3, 19), aiilersteht am drillen Tage slclitllcli (1. Kor. 15. 4—8), leibbaftig, wiewoid den Medingungeu der Irdlseben Leiblielikeit eutnouimen (Job. 20, 1!) 1'.). Sicbtileb aueh wird er aufgelioben gen lilmmel (Apgscb. 1, 9 l'.), naclidem er die erwiililten Jünger, mil Ausnahme des Verratbers, lelztwlllig angewlesen, alle Aölker aul' den Namen des Yalers, des Solmes und des heiligen (ielstes zu la uien, unter allen lUisse mal Vergebnng der SUnden in seinem Namen zu predigen, seine Zengen zu sein bis ans Kude der Erde (Mat(li. 28, 19; Luc. 24. 47; Apgscb. 1, 8). Und ebenso sidil-llcb will er wiederkommen vom lilmmel zum Kiidgerlcbt iiber die Lebendigen und die Todten (Mattli. 24, 30; 25, 31 11'.; l.Tbess. 4, 15 11'.; I. 1'elr. 4, 5). Was er verhelssen, geschiebt: der andere Tröster stellt sieb ein am Tage der Pfiugsten, er zeugt von Cbristus, und die von Anlaiig bei diesem gewesen, zeugen aiuli und reden vou den grossen Tliaten (iottes (Apgscb. 2, 1—11 vgl. mit Joh. 15, 2(5 f.). Aul'Wort und Sacrament grün-det sich die (iemeinde des Herin (Apgsch. 2, 38—47). Ihr eil-rigster Verfolger wird vom Auferstandeuen selbst bekehrl, den Aposteln zugesellt und gewürdigt, inelir als sie alle zu arbciten (Apgscb. 9 und 1. Kor. 15, 8 11'.). Nicht der wahrc, sich treu blcibende, uur der heuchelnde Petrus wirkt ihm zuwider (üal. 2, 13),

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ohne das Band der Gemeinschaft auP die Dauer zu lockern (Apgsch. 15), da auch der Heidenapostel das (ieselz nicht aufliebt, sondern aufrichtet für den Israel Goltes (Höm. 3, 31; Gal. 6, 16). Durch die gemeinscliaftliche Wirksamkeit des l'aulus mul der anderen Apostel, durch ihr niündliclies mul scliriftliches Zengniss, welches auslanft in die Hitte an Cliristi Statt, dass die von Gott Versölmten, au Christus glaubend, ihrerseits sich mit Gott versöhnen (2. Kor. 5, 20), besteht mid vvachst die Gcineinde, die, im (ilauben des Sieges liber die Welt gewiss (l. Joh. 5, 4), am kraftvollen An-fange schou das Ende aller Dinge nahc weiss (1. Petr. 4, 7), die Wiederkuuft ihres Herrn uach dor Liebe Art nicht erwarten kaun, aber erwarten lernt (Philipp, 4, 5; 2. Petr. 3, 9) mul, wie weit auch die Zeit der vergunglichen Welt sich noch ausdehne, lest hiilt das Gesicht eines ueuen Hiinmels mul einer neiieu Erde (Apok. 21, 1).

Das ist, in kurzem Auszug, der Glaubeus-lnhalt, der lube-griil' des Christenthmns der Schrifl, den die Katechumeueu lernen und, kiirzer noch, im Credo der gesamniten christlicheu Kirche bekennen, den die biblische Theologie in wisseuschaltlicher Aus-fiihrung darlegt1). Die Dogmatik hat ihn in einer durch Jahr-hunderte sich fortsetzenden Erkenntnissarbeit auf leste Hegrille und Ausdrücke gebracht, welche grossentheils auch gehildeten Nichttheologen bekannt sind. Sie handelt von einer göttlichen und einer menschlichen Natur der Einen gottineiischlichen Person Jesu Christi, von einem Stande der Erniedrigung desselben und

L

') Vgl. C. F. Schmid „Biblische Theologie des N. T.quot;, 1853, lier-ausgegeben von Weizsiicker, und G. L. Hahn „Die Theologie des N. TV', 1854; specie!! über die von Baur mul seinen Anhiingern bebauptete Spa!-tung des urkirchlichen Cbristenthums in Petrinismus und l'auünismus vor-zligüch Wiesinger „üeber das Ziisnminenstimmen von Ga!. 2 u. Apgsch. 15quot; (in lateinischer Sprache), 1847. und im Anschluss daran Ilofmann „Die heil. Schrift N. T.quot;, 1., S. 105—ill. Was endlich diejenige der oben ange/.ogenen Schriftstellen betrilft, deren Auslegnng wohl am meisten streitig ist, niiml. Joh. 6, 53—56, so kann es iiiieh der gründüchen Krörterung von Har!ess („Die Bedeutung des heil. Abendmahls für das Heilsbediirl'niss der Christenquot; in der „Zeitscbrift für die gesaminte lulheiische Theologie und Kircliequot;, 1807, 1, S. 18« f.) kaum noch einetn Bedenken unterliegen, dass die Worte jedenfalls für Christen na eb Christus auf das Abendmahl, nur nicht bloss auf dieses, auwendbur sind.

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cineni Staude der Eiiioliung, vou cincm dreifache» Amte des Millers als des Fropheleii, des l'rieslers, des Königs, vou Slnfeii der Heilsordnung n. s. w.1) In der Weise ihrer Beliandlung des Lehrsloffes machl den Hauplunlerseliied die neuerdings mil be-sonderem Nachdruck erliobeue Melkodenfrage, ob auszugelieu sei vou der meuscblichen Heilserfaiiruug oder vou den gölllicheu Voraussetzungeu des lleils2): eiue Frage, deren Auslrag die Nö-lliigung einscbliesst, für eines der beiden Systenie sieli zu eul-scbeideu, welche jin der philosophischen Metbodeulehre als das der A n o r d u u 11 g imd das der E n l vv i ck 1 u n g bezeiclinel werden3). Dass die Dogmalik als reine Fachwissenscliaiï, gleicli den anderen gewöhnlicli mil diesem Namen beleglenWissensebaflen, uur darauf gerlchlel, die Empirie der Offenbarung zu deulen, dem ersleren Sysleme den Vorzug geben muss, kann ebenso wenig einem Zweifel unlerliegen, als dass eiue pliilo sophische Dogmalik, wenn eiue solelie au der Zeil isl, vielmebr das System der Enlwicklung zu vvahlen lia(. Die Ansiilzc oder doch Aulriebe zn dogmalischem Lelirbau, wie sie in der heil. Sebrifl selbsl enl-hallen sind, sicliern dem einen und dem anderen syslemalischen Verfabren seine Berecliligung: jenem die paulinische, diesem die johanneische Chrislologie. (ïleichviel aber, ob am Anfange schon oder ersl am Ende der Lehreulwicklung, kann die Dogmalik, ohne die Urform des Glaiibensinhalls mul damil das Mass aller dogma-lischen Dingo zu missachlen, nicht unihin, in ihrer Art, wie das gemeinclirislllclie Tickenntniss in der seinigen, als den Miltelpunkt des Clirlstenthums den (ioltes- und Mariensohn, den Menscli ge-wordenen (roti, anzuerkennen, der durch die Siihnung der SUnde ihre Vergebung erwirkl und so, gollmensclilich, die Welt vom ünlieil erlöst hal, folglich einzustiunuen iu den Satz, bis zu vvel-chem nacligerade selbsl die in specillsch-religiöser Bezielumg in-teresselose exact-liislorische Wissenschaft, gleicbsam bloss aelen-massig, vorgedrungen ist: „Wer die Gottbeit Jesu Chris li

') Dt'n gedrftngtesten und dabei lelirreichsten Ueberblick gewfibrt Lutbardt „Coinpendium der Dosmatikquot;, 2. Aull., 18(Ugt;.

2) Vgl. Ritschl liber Beyschlag's Clirlstologie des N. T. in den ,,Gi)(-tingischen gelebrten Anzeigenquot; vod ISUO, s. 1020- 1032.

3) Trendelenburg „Logiscbe Untersuclmngen ', 2. Aull, II,, S, 'ill f.

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nicht gel ten lasst, i.st kein Christ; celui qui n'admel pas la divinité de Jl'siis Christ, n'est pas chrélien.quot;1)

') Emil liurnüuf „La science des religionsquot; in der Revue des deux mondes, 1804, tome 54, pag. 991. Der Grund, den dieser gelelirte For-scher ebendaselbst für das audi in Zukunft unerscliiilterliche Bestellen des Glanbens an die Gottlieit Jesu angiebl, ,,la croyance en la divinité de Jésus subsistera, parcequ'elle est conforme a 1'esprit ikryenquot;, ist freilich sein (imndirrtbnm, welcber wie znr Strafe /.eigt, dass, was Ueligion ist, religies muss gerlchtet sein. Von religlöser und religions-wlssenscliaftlicber, theologischer Selte liietet, innerbalb der Griinzen elner aucli Nichttbeologen empfeblenswertben Abliandlung, die gi'ündlicliste Be-lebrung darüber, dass auf Grund dessen, was wir von dein Stifter des Chrlslenthums urkundiicb wissen, in llnn der Menscb nicbt ohne den Cott, der Jesus der Synoptiker nicht ohne den Logoscbristus des Johannes historisch verstiindlicb ist, ein Aufsatz, betitelt: ,,l)ie menscliliche Entwick-lung Jesuquot;, in der Erlanger „Zeitschrift für l'roteslantlsnuis und Kirchequot;, 18ti5, Band 49, S. t—40. Da wlrd der theantliropologische Kanon: „Was er war, das ward erquot; gegen Keim und Weizsacker mit schlagender Beweiskraft verfoebten. Vgl. vornehmiich gegen Ersteren S. 19: ,.l)ie Abwesenheit eines „ „Zunders der Sündequot; quot; in Jesu liisst sich lt;ins keinem diesselt des Anfangs seines inenschlichen Lebens gelegenen Momente her-leiten. Und doch hangt das ganze Verstilndniss des l.ebens Jesu au diesem einen Punkte. Weil Keim diesen Punkt unerklilrt lassen muss und desshall) auch nicht zugestehen dart, d'ruin ist es ilun nicht gelungen, die Entwick-lung des Lebeus Jesu rein historisch auf Grund der Urkunden aufzuhellenquot;; gegen Weizsacker S. 38 f.: „Wie einen Proplieten die Gewissheit des herrlichen Ausganges, der ihin vor Angen stand, des Jammers um die un-selige Gegenwart nicht überhob, der ilm je und je überkam: so empfand auch Jesus die ganze Schwere der Aufechtung, die ilm betraf, darum nicht weniger, und halte den Kampf mit ihr darum nicbt wenlger zu bestehen, well er der Herrlicbkeit gewiss war, welche seiner wartete, oder der Herrlichkelt, welche er vor seiner Menschwerdung oder vor der Welt Scböpfung gehabt batte. Wie sollte ilm diese Gewissbelt dessen über-hoben haben, da es die selige Gewissheit seiner gegenwartlgen Llebes-gemeinschaft mit dem Vater nicht that? Es war also weder ein göttlicbes Selbstbewusstseln, was ihm eignete, noch war es in jedem Augenblicke das gleiche. Als menschllches Bewusstsein dessen, was er war, theilte es alle die Wechsel, die er vennöge seiner Leidentliehkeit, seiner Empftndlichkeit ftir das, was von aussen au ilm kam, zu durchieben batte. Wo bleibt daim aber, wenn es slcb so verbiilt, jener grosse innere \\ Idersprucb, der es nach Weizsiicker's Versicherung zu keinem wirklichen Leben Jesu kommen liisst?quot; Es gerelcht dein unverkennbaren Verfasser dieses Aufsatzes zu b{'sondc,rent Rubme, dass er, dem ein schweres Stiiek selbststiindiger Arbeit noch vorllegt, gleichwohl dann und wann zu einem Kampfe mit

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Naclidem wir die Urkuudo des ChristeiUlnims im historisch-kritischen Siune glaubwlirdig gel'uiidcii und ilir das, was im reii-giösen Sinnc Glaubensinlialt isl, eiul'acli, wie os sich giebt, ent-uomraen haben, kornuit die drittc Frage an die Reihc, filr mis hier die letzte uud alieiu unbedingl-wiciilige, die quaestio juris: ist. der Uiatsachliche (ilaubensinhait begreillich? Deim begreifen imiss icb, was ich Anderen begrtinden soil, und in dem Hegrlinden, dein Ableiten eines Erkenndiissgegenslandes aus Grimden, aus seinen ilim eigeiitliilmliclien (iriinden, darin besteht ja, wie wir uns von den „Grimzeu des Heweisesquot; her erinnern, eben das, was man be we is en nennt nacli der engeren Uedeutung des Worles.

Das Begreifen aber darl' in wissenschaftlicher Hede nicht mil dein Erkliiren verweciiselt werden. Der Unterschied liat in der Philosopliie langst ausgesprochene Giiltigkeit; er isl neu-erdings audi in der Theologie betont worden1). Den theologi-schen Kritikern, welehe über dieses im Allgemeinen sich aul'ge-bracht zeigten, muss jenes unbekannt gewesen seiu. Das Begreifen geht auf das Warum, das Krkliiren auf das Wie. F ie le die Aufgabe, alle Ersclieiiumgen der Wirklichkeit aus (iriinden und zuhöclist aus dem Grund aller Grimde, aus dem Urgrunde oder God, abzuleiten, zusammen mit der, die Weise ihrer ur-spriingliclien Entstehung klar zu machen; so wtirde sie, die Aui'-gabe aller Wissenschaft, schleclithin unlosbar sein. Von welchem schöpferisclien Act es herrilhre, dass nach der Annahme unsrer Naturforsclier ein Aether da ist und Atome da sind, auf deren Grnndkriifte alle Kriifte des natiirlichen Weltalls niUssen zurlick-gefülirt werden; dass ferner, was in der ausseren Natur Bewe-gungen, Schwingungen sind, wir in uns als Farben, als Töne empfinden u. s. w. u. s. w.: das wissen wir nicht uud können wir aus eigenen Mitteln nicht wissen, da wir nicht der Schöpfer

Gegnern sich herbeilüsst, die nffenbar in jenem Zuslande sich beflnden, aus welchem man, nach liacomsdier Erfalmmg, minder leicht uml sclmell als aus dem Irrtliume zur Wahrheit gelangt.

') Steinmeyer „Die Wunderlliaten des Herrit in Bezug auf die neueste Kritikquot; 1866, S. 10 (nach liothe). Zu prüfen, ol) der Herr Verfasser die Scheidelinie im Einzelneu stels richlig eingehaKen hahe, sei den tlieolo-gischen Fachgenossen desselben tiberlassen.

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siiul, sondern Gescliopfe. Wemi es also beim Begreifen des (ilaubcusinlialles danuu sicli liandelte, dass cinleuchtend gcmaclit werde, wie Christus voii (lotl sei aurerweckt worden, wie die götlliche uud die mensehlielie Naüir in ihm sicli zur persöulicheu Ëinheit verblinden haben, u. dgl,: so wiire freilich das Cliristen-tlmm in letzter Beziehnng durcliaus nnbegreillich, der Glaube durebaus unbeweisbar. Aber d i e s e Unbegreillichkeit und Unbe-weisbarkeit wlirden dann mit den Dingen des Cliristenthnms oder der zweiten Schöpfung, der Erlösung, alle üinge der geschafleuen Welt, der ersteu Scliöpfung, theileu. Ebenso wenig, als wir wissen, wie Christus vou Gott auferweckt worden, wissen wir, wie der Aether oder ein Atom entstanden ist. Un-lernahiuen es die li. Schrifsteller, die Auferstelmng Jesu sanunt den anderen „Wundernquot; von blossen Mittelursaeheu herzu-leiten; dann besliiiule hier eine Discrepanz des Verfahrens; nun aber fiihren sie dieselben ganz eben so auf (iott zurtiek, wie die wissenschaftlichen Naturforscher den Aether und die Atome. Also nicht zweierlei Gewicht und Mass! Wer die in der Urkunde des Christenthunis bezeugte Einwirkung des den» Unheil, dem ïode verfallenen Menschen auf die Aussenwelt daruni unsinnig und uiiveriiiinftig schilt, well die christlichen Denker nicht wissen, wie ein Theil der Welt alle ïheile in Mitleidenschaft Ziehen konne, wolier das schliesslich konime: der iiuiss dieselben Prii-dicate der Katalyse der Cheniiker beilegen, welche auch niclit wissen, wie Platina durch seine blosse (iegenwart auf Wasser-stoir und Sauerstoff verwandehul wirken oder wie, ini niensch-lichen Ernaiirungsprocess, der Speichel, ohne selbst sich clieinisch zu verbinden, Störkemehl in Zucker verwandein köinie u. s. w-Dieses Wie ist (ioltes Sache, des Herrn der ersten und zweiten Schöpfung. Unsere Sache, unserer Wissenschaft Aufgabe ist das liegreifen, welches kein solches Erklaren ist, uocii sein will, sondern mit tier Einsicht in die Grimde sich begniigt. Das Wie nennt sogar Hegel, der das Ziel des Wissens eher zu hoch als zu niedrig steekt, den grössten Feind des Begrill's, und der na-turwissenschaftliche Philosoph, dessen Zeugniss hier wieder doppelt scMtzenswerth ist, urtheilt folgendermassen: „Niequot;, sagt er, „werden wir entdecken, wie Sein und Dasein gemacht wird; aber diese Frage wiire aucli ,iur daim wichtig ftir mis,

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wenii unsre Erkenntniss die Aufgabe hiiüe, die Welt zu schaffen; Hire Bestiniiuung isi es jeiloch mir, das Vorhandene aiifziil'assen, nnd gern gestekt sie sicli, dass alles Sein ein Wunder ist, das als Tlmtsache von ilir anerkannt, aber n i e i u d e r W e i s e seines Hergaugs entriithselt werden kann; wie die Dingo iiberhaupt sein mul erscheinen kiinnen, ist das alle 11 gemeiuschal'tliche Kiithselquot;''). (iewiss ist, wenn das Unerkliir-barc ein Wunder lieissen soil, alles Sein, wie Lotze sagt, ein Wunder, das Sein der ersten und das der zweiten Sclifipiung. Daim aber haben, was in dieser Wendung noclimals bemerkt zu werden verdient, die Gegner des Wunders, von welcbeni, wie sie ineinen, in moderner Wissenschaft nicht die Hede sein dliiTe, schlechterdings keinen wissenschaftlichen (jruud, an dem Christ en-tb unie seines Wundercharakters wegen ein besondcres Aer-gerniss zu nelnnen; sondern die Art, in welcher z. H. 1!aur gegen Liebner und Dom er sicli ereifert, well sie ihm nicht sagen konnen, avie der llerr sich selbst entaussert habe, wie Gott und Mensch in Jesus Christus Kins geworden mul Kins ge-bliebeu seien2), diese Art wiirde ganz, wie auf dein theologischen (ïebiete, auch auf dein naturwissenschaftlichen am l'latze sein, hier aber wohl unsanfter als dort ein — judaistisches Kifern (Rüm. 10, 2) gescholten werden.

Hegreiflich ist das Christenthum bei all seiner Unerkliirbar-keit, beweisbar ist der Glaube dem, der die wiederholenllich be-zeichnete Grundbedingung des Kintritls in die christliche Welt erfllllt hat, der, wie wir es in dem Artikel über die „Griinzen des Beweisesquot; aufs Ktirzeste ausdriukten, ein böses Gewissen bat, oder der das Höse sammt seiner Naturfolge, dem Uebel, dem Tode, als das alieinige, im wissenscbafllich-strengen Sinne der modernen Kedewelse so zu nenuende Wunder anerkennl. Diess war der l'imkt, den Avir dort schon als den recht eigentlich kri-

') Lotzc, „Mikrokosmosquot; I., 1850, S. 209 f.; vgl. cbend. II., 1858, S. 148 f. Da/.u Herbart „Allgemeine Metaphysikquot; WW. (Hartenstcin) III., 1851, S. 141 f.: ,,Mlt aller Kentniss der Möjflichkeit des Lebens wlrd noch immer nicht der wirkllebe Ursprung desselben erkennbarquot; ii. ebend. IV., 1851, S. 334: „Grübelel ist jede Frage, wie die Gottheit wirke.quot;

2) Baur „Lehrbuch der christllchen üogmengeschichtequot;, I8i)8, S. 383—385.

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tisclien, die Wege des (ilaubens und des Unglaubens eMig scheidenden, feststellten, der l'uukl, auf den alles grüiul-lichc Streiten für uud wider das Cliristentlmm zurück-gehen muss. Hier mm aber, wo wir die hypothetische Noth-vvendigkeit der Heiisoffeubarung bereils crkannt haben, also wissen, dass, wer eiiier HrKisnng vom Leibe dieses Todes bedarf, zu der Eiiisicht gelangeu kann, es mils se, weim einc solciie Er-lösimg ihm zu Thcil werden soil, eln scböpferisch-, ein ur-spriiglich-neues, den Tod Uberwindendes Leben an den Tag gebracht werden, es mtlsse ein Gegenwunder geschehen gegen das Wunder des liiisen und des üebels durch gottmenschliche SUhnung der Siiude; liier, wo wir sodann nns davon überzeugt haben, dass laut der glaubwilrdigen Urkunde des Cliristenthums jenes liedlirfniss thatsachlich befriedigt, das Heil wirklich offen-bar geworden, das Gegenwunder wirklich geschehen 1st: hier können wir, wiederum aufs Kllrzeste, sagen: das Christenthum wird begriiren, der Glaube wird bewiesen, indem das böse (iewissen durch die Heilserfahrung zum guten wird.

Wie der gewissenliafte Menscli unmKtelbiir sich schlechthin gewusst weiss von dem (Jottc, den er mit allen Mittein, in allem Welt- und Selbslbewusstsein, wieder wissen soli, aber nach einge-trelener Stoning des Verhaltnisses, enlzweit mit ihm, von selbst nicht wieder wissen kann: so weiss der Mensch, der durch die Heilserfahrung ein gutes (iewissen hat, sich zu voller liefriedigung und Beseligung neu gewusst von dein Gotte, der den Entzweiten versöiint hat, d, h. er weiss sich schlechthin geil ebt. Das Geliebtsein ist das aus der Entzweiung und dem Zweifel er-lös'le, vollkomnien befriedigte, selige, des Wiederwissens nuu vollkommen fiilnge Gewusstsein. Wie (iott von Anbeginn sich selbst bezeugt lm (iewissen: so bezeugt er lm guten Gewissen sich selbst als den (iott Jesn ( hristi, den die Schrift vcrklindet, als den Gott, der die Liebe ist. Und da mit ist, wie wir sehen werden. Alles, was der Glaube in sich schliesst, potenziell bewiesen; der wirkliche Heweis des (ilaubens besteht allein in der Explication dessen, was impiicite im guten Gewissen des Glaubigen enthaltcn 1st. Darum auch bei Luther oft wie ein Wort: Glaube und gut Gewissen, Vergebung und gut Gewissen, zur Bezelchnung des vollen Hesilzstandes cines Christen.

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Wen» eiber irgcndwo, so werden wir liier, im Innerslcii der Mitte des lieweises, vou aussen daran gemaluit, dass, wie der Glaube, so aucli der (llaubensbeweis iiichl .ledennanns Ding isi, nicht einem .leden kanu gelieferl werden. Wer „rein Uieoretlschquot; vou der Wahrbeit des Cliristenthums iiberzeugt sein will, dein sind wir ansser Stande zn lielfen; er gleicbl: jenem wissensdnrsligen Jiingling, der „zu der Wahrbeit gebt dnrch Schnldquot;. Wer es unvvissenschaftlich findel, dass ilini die (inadenmiltel als Hewels-mittel dargeboleu werden, dass er an die persönliche Heilscrl'ali-rung, an das (ilauben als das Sichversöhncnlassen, Siclilie-benlassen von dein, der die Liebe ist, gewiesen, dass ilnu der zu beweisende (ilanbe ins Gewissen gescboben wird: dein isl der (ilanbe nnbeweisbar (1 Kor. 2, 14). Wer kein HeilsbediirCniss hat, kann in dem historiscli noch so glanbwiirdig verküiideten Christus nicht den Heiland erkennen; er kann nicht begroifen, dass Christus, der Lehrer, in seinem prophetischen Amte, unter Voraussetzung der geschelienen Sinncsanderiing, der Hiissfertigkeil, als den (iegenstand des (ilanbens wesentlich nur sich lehrt, den Priester nnd König, der das (inte, das nene (inte, das Heil, erwirkt nnd verwirkliclit, dass Christus, der Prophel, dasselbe Heil nur vorbereitet, welches Christus, der Priester nnd König, erst bercitet nnd vollbereitet; Cbristi Lehrrede „fiihet nichtquot; limiet keinen Eingang, keinen Raum in ilnn (Joh. 8, 37). Am Offenslen hat die Unmöglichkeit, dass einem solchen Menschen der Glaube bewiesen werde, ein Schiller Haur's blossgelcgl, der schon vor dein Meisier verslorbene Schwegler, in einem Auf-satze, welcher den Titel fiihrt: „Polemisches und Apologetisches gegen Dornerquot;1). Die Summe des Anfsatzes, dessen Wichligkeit durch die licrufung Haur's auf ihn erhöht worden, ist diese. An-genoinmen, ineiiil Schwegler, was er ja keineswegs zugiebt, abcr angenonimen, eine Reihe classischer Zengenaussagen liber die Grundthalsache des Christentliuins liege vor, d. h. mit anderen Worten, die heil. Schrift Neuen Testaments sei glanbwiirdig, sei acht, so felde nichtsdestoweniger noch viel zu einem vollstandigen lieweise. ■ Zu beweisen sei die (iottheit, die Gottinenschheit Christ!. ,.Nun fiage ich: wie kann diess je historisch, durch Zeugenaus-

gt;) ïlieologischc Jahrbücher, 1840, Band V., S. 133—182.

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sagen, eiiiiirtel werden?quot; Also historisch nicht, auf analytischeiu Wege nicht. Aber „auf nicht historischem Wegequot;, auf syntlie-tischem, (lurch reines Denken, (lurch biosse Speculation u. dgl, natiirlicii auch nicht. Also, schliesst Sciiwegler tiibingisch-logisch, gar nicht. „Kurz, für nichts (ieschiciitliches, auf geschichtlicher Ueberlieferung Beruhendes kann ein absolut zwingender Heweis hergestellt werden.quot; Die Glaubigen freilich wissen sich Etwas init dem Erlebcn, dem Erlebthaben einer „göttlichen Thatsachequot;-Darauf entgegnet Sciiwegler: „Ueber dieses sogenannte Wissen, diese innercu Erlebnisse, diese völlig dem Geblete der Subjectivitat| angehörigen Zustiindc ist niclit inehr zu streiten. Nur sei man daim so ehrlich, diese subjectiven Erlebnisse als den leUten uud alleinigen Grund aucli jener historisclicu Ansichten zu bezeiclmen, und nicht dadurch, dass man den llisto-riker spielt und einen zureicheuden historischen Heweis auf den Grundlagen einer gewöhnlicheu juridisch-liistorischen Bewcisl'iih-rung zu liefern sich anstellt, diesen so höchst subjectiven Mo-tiven den Schein der ObjectivitSt und Wissenschaftiichkeit zu geben. Zwei halbe Beweise machen in aller Welt keinen ganzen.quot; Da, was Sciiwegler hier sagt, selbst eincm Haur wahr geschicnen hat. so darf man sich nicht wundern, wenn andere Glcichgesinnte noch zuversichtlicher rufen: „Der Mann liat Becht, der trilft don Nagel auf den Kopf!quot; Schade nur, dass mit dieser vermeiiiten Widerlcgung Dorner's nicht dieser allein, sondern auch l'lalon, Aristoteles, auch Cartesius, Spinoza, Leibniz, Kant, überhaupt jeder Denker und jeder Beweisfiihrer widerlegt wiire. Demi, wie verschieden auch sonst ihre Ansichten, siiiiuntlich stimmen sie docli in der Lehre Ubcrein, dass, gerade umgekehrt, in aller Welt nur zwei halbe, einander ergsinzende, Beweise einen ganzen machen, dass man Nichts beweisen kaïm, wenu man nicht aus der Erfabrung und aus dem Begriffe beweis't, durch Analyse und durch Synthese, durch Heflexion und durch diejenige Intuition, welche Platon cin Passen, Aristoteles ein Berührcn des Göttlichen nemit, Cartesius den evidens intuitus, Spinoza die scientia intuitiva, Leibniz die connaissance intuitive coinmc l'oeil volt la lumière. Kant das Erkennen a priori, — Alles nach Sciiwegler „ein völlig dem Geblete der SubjectivUat angehöriges inneres Erlebnissquot;. Qui nimiuin probat, nihil probat. Die tiibingische

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Weisheit mul WissensclialïlicltkeH liiiKe sicli selbsl kaïini bcsser in ilirer waliren Kigcnarl ciilliiilleii luiinioii als (lurch diesc Iri-uini)liirciulc Auslassuiig des Scliiilers uml die Heniruug des Mci-sters auf sie1). Wie Sehwegler, dein das glüubige „Wissenquot; (). Kor. 2, 2) ein sogenaunles Wissen ist, im ttegensalz liierzu auf „gewölinliehe jurid iseh-hislorisclie Heweisriihrniigquot; diiugl: so verlangen Andere, lgt;ei gleich eiilschiedener Verwerrung der „per-sönlichen hlrlebnissequot;, der niystiselieii „Kiiulriielu!quot;, (inadeneindrilckc. u. s. \v., eiuen mal hem al, isch-sfrengen lieweis des (llaubens; dein traueu sie Krafl. zu, keiiicm sonst. Aber liabeu sie wolil envogen, ob deun die Mallieinalik au ilirem Tbeile frei sei vou aller Vorans-setzuug „persiinlicher Aclequot; vou der Vorausselzung eiues gewis-senharien Wolleus, das einem nubedinglen Sollen enlspricbl? IKiren wir, was einer der niodernsleu l'liilosophen dariiber sagl, eiu Mauu, dem an religiösem Werlhe der Huddliisnuis hocli iiber dem Chrisleulluun stelil! „Wir können dein Uobbes, der seine vollendel-cinpirische Denkungsart liöehsl, merkwiirdig dadiircli elia-raklerisirl, dass er in seinem liiiclie „De prineipiis geoinelrariunquot; die gauze eigentlicli reine Mallieiiialik ableugnet iind liarlnackig beliaujilet, der Punkl liabe Ausdeliuiing uiid die Linie Mreite, doch nie eineu l'nnkt obne Ansdelinnng und eiue Mnie olme üreile vor-zeigen, also iliin die AprioriliU der Mallieinaük nicht beibringen, weil er s ich mi n ei n in a I jede r n i clit em p i ris ch e u li r k e u n I -

') Vgl, iibrigens iius neueven Veiiiantllungen ithor (li(! niimliclic Krnge jenen sclion cinmal citirten Aufsalz in der Krlangcr „Zeitschrilt lïir Pro-teslantismns und Kircliequot;, 1803, liaiul 49, S. .'iö: „Naciideni Keini auf die l'rage, was iliin Christus sei, geanlwortet liat: „„Er ist der Meusclion-siiiiii, In welchcm sicli der imeiullielic ficdanke (iottes, aus Fleiscli mul Blut sicli eiu creatürliclics Ebenbild /.u Ziehen, als eiue Wirklichkeit obne Felil realisirt halquot;quot;, reclilferligt er sicli dariiber, dass er vou Colt rede und also einen Namen ueuue, welcheu die Geschichte, die uur uiit coucre-len ïhatsaclieu recline, nicht bieten kunnle, indem er erkliirl, dass die (,'e-schiclile, diese ersle Fiihreriu zur Wabrlieit, die letzten Erageu nicht löse mul desbalb den religloseu und «issenseharilichen niauben zur .Mitai heit (zur IJebernalniie der andern Beweis-Hiilfte!) herausfordere. Kim wohl,

was thuu wir Anderes als er, wemi wir ......Ier geschicbdich beurkundeten

Thatsache, dass Maria oline Ziilhuii eiues .Mannes den einpfangeu bat, welcher sich durch die immer gleiclie Ifeiligkeil seines Weseus und l.ebeus vou allen Menschen unlerschied, zu der Innergötllichen Thatsache aursteigen, welche uus die Vorausselzung soldier wuiulevbaren Emplaugniss 1st Vquot;

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niss versclilicsstquot;1). 1st das „Sirli versclilicsscuquot; uml „Sicli niclil versclilicsscuquot; kcin „persönlidier'' Act? keiu „völlig dein (iebietc dor Subjectivitiit angcliörigcs, höchst subjectives Moliv'? Selieu deun die, welclte au der Matbematik mit Hccbt die Strenge mid Geuauigkcit scbiitzen, uiclit ein, dass das (iruudgeset/, aller inatbeniatiscbeii Forscliung, das (ieset/, der Identitiit, abstract genoimnen, formale Kiclitigkeit, jedoch durchaiis koine inato-rlalo Wabrlioil vorbUrgt, dn, wie wir Iriiber sclion uncb Trou-dolonburg bemerkten, zwar alles Wabre mit sicb identiscli, aber kei-neswegs alles mil sicb Identiscbe wabr ist? Das (iesolz dor Identiteit bat den (irund seiner Wabrlioitalleiii in dein realen l'rgrund aller Dingo, und uur die (iedankonlosigkcil knnn es,da von a bgezogen, also ent-grüudol, liir wabr und Walirbeit verbürgend halten. Die Tbicro, so weit wir sie kennen, golangen, kann man wolil sagcn,zn A,aber nicht zu A = A, was bekanntlich noch otwas Andores ist, als dass ein Hund seinen llorrn nicht mil anderen Herren venvocbselt. Znm Hewusstsein dos mit sich identiscbon A golnngt dor Menscb. Warum? Weil er, im Untorscbiod von den Thieren, zu Ich = Ich, d. b. zum Selbstbewusstsein gelangt. Ilierbei min bloibt das oberflüchlicho Denken stehon; das tiofer dringende aber sieht ein, class wabres Selbstbowusslsoin unmöglich ist ohne (jottosbewusstsoin, dass die Violboit der abziobonden und zersl reuendon Wolt-Kindriicko don Menscben nicht wahrbaft sicb sammelu und zu sich kommon liisst, wonn er sich nicht zum llorrn der Welt erhebt und an diesom lost hiilt, — wonn or Den nicht wieder wissen will, von dom or sich schlechthin gewnsst weiss. Wor (iott vorliorl, vorliert sicb in dor Welt und verslelit, mager noch sorichtig rocbnon, N ich Is von dor achten Malliematik, wie sie dein (ieiste der (irlindor dioser Wissenschnrt vorsebwebte nis die llliterin der

') Schope nil a li er Welt als Wille mul Vorsti'llinigquot;, 3. Aull.

I., 1859, S. 4113 f. Audi von Snell („Kinleilung in ilie Dlirerentlal-und Integralrechnnng'' 1, S, 30 f.) wird die Cebumlenlieit gerade der am nielslen pliiloso pliischen, in der „höheren Hegion des de monstraI i-ven Denkensquot; (ebend. S. VI) versirenden mMlieinatisclum Disciplin, der Analysis der Unendliclien, an eine „Voraussetzungquot;, an einen rein-geistigen „Actquot;, der ,,ilie Unendliclikeit nicht erseliopfen nnd factisch (UiitIi-laufen, sondern nnr postuliren oder snpponiren kannquot;, nminiwnnilen anerkannl.

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Fornicn mul Normen, Avelchc die Welt /.iim Kosmos maclicn. So genommen, hal, das (ioselz der Idenlitiil, nllerdings Ml,was mit dein Gewisscu zu sdiaU'en, und so muss je de Wissenscliall, wcmi sle nichl, zu eiuem Spiele der \\ illkiir lierabgewlinligl worden, sondern dem sic Imhenden iMensclien, wie ili'in lieiiligen Nalur-forsclier nadi der mis bekaimlen \ ersicherimg Virchow's die .\a-lurwissenseliaH, ein „siü lielier Krnslquot; sein und hlcibeu soil, an das Ceiitnim der rersiinlidikeil. des ganzen .Meusclien, geluiiiiin werden. Kineiu Immaiuiel Kant, der damK, dass er die Subjccli-vilül aller unsrer Krkeiintniss bewiesen, aurli das bewiesen zu liaben nieinl, was Trendeleubiirg in seinen „Logisclien Unler-sneliungenquot; ScliriU vor Schriü, widerlcgl, dass unsere iM'keiiiilniss nnr subjeeliv sei, ibm mag man es naclisehen, wcini er in seiner Keligionslelire bei jeder (Jelcgenheil, iiber das „Stlimel-zendequot; des posiüven lleilsglaubeiis wilzell, die (iiiadeinvirkuiigen fiir „iibersebwiingliclie Ideenquot; erkliirt und es eine Arl, Walmsinn nemil, hiimiilisebe Kinl'liisse in sich waliriielinien zu wollen. Demi sein edler lïnlliiisiasimis für das SiUlicbe, seine wo nielil sclnnelzende, dodi gliiheiide Uegeislenmg dalur, dass allein |)og-maliselien eine elbisebe und praklisdie lledeiilung abgewonnen werde, die Hesdieidenbeil, mil der er eiuriinmeii Uann, dass der mora lis die Simi, den er (stalt des absolut-etliisclien) gewisscu Sebriftstelleii miterlegt, nieht der einzige sei, paralysirl in KI was jenen kritiseben Siibjcctivismus seiner Krkeniilnisslelire, und audi der redilgliinbigste Cbrisl w ird liedenken tragen, zu iirtbcilen, der sei feru vom Keiclie Gottcs, der, wie Kant, esniebt ebenso wo b I möglicb I'ludet, sieb vorzu stel I en, wie der voquot; IVatur böse Mensdi das Höse von selbst ablege und sioh zum Ideal der Ileiligkeil erliebe, als dass das L elzt ere di c Mens eb b e i t a mie b me nn d sich zu ill r li erab-lasscquot;1). (iauz anders aber bat der Vertlieidiger des (ilaubens sieb denen gegeniiber zu verbalten, die, naclidem der Kauseh des iregelianismus vorliber ist, zu dem niirbternen Kant znriickkelirend, /.war audi lebren, die Keligiou sei ilirem waliren Wesou nacli Praxis, ibr iimerster Mittelpimkt liege nielil in einer tlieore-

') Kant ..lieligioii inncrlinlli der Griinzen der hlossenVerniinllquot;, W W, (Hartensteln) VI,, S, 221, (Rosenkvanz.) X., S. 70

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lisclicii Ueberzeiignng, somlern im siUliclien (iemiitlis-leben des Mensclien1), jedoch, da ilincii „der Slifller im l.cibe slecktquot; (l)aiik, Doctor, dass du micli das Wort gelehrl!), slels dahiu neigen, das SilLliche, welches Kant durcliweg dem Theoretisclien ilberordiiclc, diesem vlelmebr liel' nnterziiordnen, mid in ilirer gemigsam beknndeten (ieringscluilziing der „Sorge des Mensclien inn sein Seelenbeilquot; ais eines snbjecliven, „iiöciist subjectivenquot; ])raklisclien Bediirfnisses es dentiicii an den Tag iegen, dass ilinen der Sinn fiir die Mfiglichkeit einer nicht „rein-quot; d. h. abslract-theorelischen, sondern sittliciien nnd dahei audi tlieoreti-schen Ueberzeiignng abgeiit. Solche Denker kiinnen gar niciil anders, sie iniissen sich entsetzen, sicii ans dein IlKusciien, Ja wie in ein Irreniians verseizl. vorkominen, weim ein cbristlicher Denker Ktwas anssagl. iiber eine „(icriihispercejilion vom Dasein dollesquot;2), weiin die Kede ist von deni Hewusslsein der absolnten Hezogenheit des (ieschiiples aulquot; den zichenden, deni (iewissen nninitteiiiar sicii zn wissen gebenden Scbiiiifer, sodann von einem Znge des Veters znm Sohne, von einer den ganzen Mensclien, (leist sainmt Seel' und Leib, ergreifenden Urwirkmig des lt;iol,-les der zweiten SchSpl'iing, von einer Seihstbezeiigung des (lodes, der die l.iebe ist, im gnteii (iewissen. Alles Derardge muss iiinen ais bildiich, inetapliorisch, allegorisch ersclieinen, als scliwiirmeriscli, transscendent, unwissenschaftlich. Ihuen den (ilaubeu zn beweisen, bekennen wir uus uocbinals unfiihig; in liezug auf sie gilt: was geben mis die draussen an (1. Kor. 5, 12)? Wir diirfen sie nicht richten, aber wir kfiu-nen sie audi nicht iiberzeugen; Heides ist eines Anderen Sadie, Nnr das diirlen und köiinen wir: sic hinvveiscn darauf, dass (wie in dein Artikel iiber die „(iriinzen des lleweisesquot; gezeigt worden) die Wiirde der Wissenschaft nicht gewalirt werden kaiin, weiin ihre absolute Nothwendigkeit, das iinbedingte (Jezogeu-scin zur Korschung verliiugnel wild, und dass die vorchrist-licheii Meister der Wissenschal't iiberall, wo sie deni uach ibrem Urtheil cigentlicli Wisscnswerthen sich zuwciulcn, ebenso „bildiichquot;

') Zeiler „Vortriige mul Abluiiulluiigeii gescliichllichen Inlialtsquot;, 1805, S. 265 f.

*) Ulrlci „Gott mul der Menscliquot; I , ISfiii. S. 691 1'.

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reden wie wir. Slrauss mitl Zeiler künnen in ilirein wissensehalï-lichen llausliaU olme ein ,,Kassenquot; inul „Heriihrenquot; iles Göttliclien auskomnien; Platon nnd Arisloteles konnten es nichl. Ziimal aber in der cliristlichen W el( slelil es so, wie es glelcli Aiiliings stand, heute noch: wiilnend die d finnen des (ieisles voll sind, sagen die d ranss en: sie .sind voll slissen Weines. Das isl in der Ordnung; verkehrl nur wiire es, wenn jene sich von diesen imponiren, sich weiss niachen Hessen, dass ihre IJegeisLernng sieh nicht vertrage init achter, hesonnener, niichterner Wissenschari. Die Manie, die dein Panlus, dein „Narren inn Christi willenquot;', Schuld gegeben ward, „Paule, du rasestquot;, pries l'laton als den Anlang aller Weisheit, die ')n'ct jiuviu, (xavfn f-x Otov. Was geiien uns die dranssen au?

Christen siud lleilserraiirene. Wort uud Sacrament waren ihiien die Mittel zu eiuein Kriehniss des ganzen iinvendigen Men-schen, deu die Schrilt das llerz nennt, zu eiuein Erlebniss, welches sic (iberschwiingllch beseligt uud daruin driingl, es ilireu Milnieuscheu inKziKlieilen mil der Aullbrderung: erleht es anch! Zur Seligkeit, zuiu (i'liicko zwingt man Meniand: wer's nichl will, der bleibt davou. Wer aber heilsbediiri'tig ist uud husslVriig, der lolgt der Anil ordening, versucht sein Heil aul' gleichein \\ ege mul glaubt schon mil. dem llerzen (Hom. 10, 'J f.), ehe dei-hall eiutritt, dass er eineii Ikweis des (ilaubens verlangl.1) Dei-hall tritt aber ein nnd muss eintreten bei allen „(iebildetenquot;, die Nichts wahrhalt sich aneigneii köiinen, was ihueii nicht bewiesen wird. Diesen kaun olmc lieweis des (Ilaubens der (ilaube niclit lest werden, das llerz uicht lost werden im lilauben. Sie glauben mul müssen doch lltilfe begeliien nir ilireu l iiglanben (Mare. (J, ^4). Deun da alles griindlichc Hew eisen, w ie wir wissen, vom letzlen (irinule, von (iott, aiisgehen uiuss, jeues iunere lirlebuiss aber, durch welches der ueue Mensch, der Christ, im guleu (ie-

') Vgl. S. de Sacy in tiner Anzeige des Buches von Edm. de l'res-sense „Jesus-Cluisl, son lemps, su vie, son oeuvrequot;, im Jonrnnl des dé-Imts vom 11. Jan. 1860; „Non qu'il soit possible d'aborder de pareilles questions sans im pai'li pvis d'avance; c'est dans le c,oeur (|ue se forme la toi nu 1 incrédulilé; on incline a croire on a lie pas (Toire, on ei'oit ou on no croil pas a van I de cberclier les raisons par lesquelles l'csprit se rend coinpte du mouvenient de rainequot;.

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wissen des (iottes Jesu Christi otler des Goltes, der die Liebe ist, bewusst wurde, inmitten des allen Mensclien vorging, der in seiner iiusseren peripiierisclien Stellung erst allnuililicli von dein Cenlrnm ans, \vo der neiie, der wiedergeborene, der verborgene Menscli des llerzens (l. i'elr. 3, -I) herrseht, kann iiberwmulen werden (Kiim. (J, 11): so liindern unaiisbleiblicli die allnieiiseliliclieii Vorslellnngen iind ItegriU'e von (io((, \\ie sie den (iliinbigen selbst noch beiwohnen nnd von den l'nglaubigen innner wieder zugetragen werden, diis Werk der IMeslignng des (ilau-bens. Isl es denn aueb so, dass (iotl Jleusiii werden konnte? sollle (iotl Alenscli geworden, ins Kleiscli gekoinmen, ioi Kleisch ersebienen sein? Das sind die l-'ragen, die an die ueuen lienselien, die Chrisleii, versticberiseh berantrelen (1. Joh. 4, 2 1'.). llinen den (ilanben wlrklieb beweisen lieissl vor Mlem ilinen die all niensdiiielien (ioltesbegi il Te ninsel/.en in neoinensch-liclie, ebrislliebe.1)

Der Arbeit dieser l inselznng baben die \ iiler nnd Lelirer der Kirebc mil, niienmidliehem Reisse sieb unlerzogen. Sie haben den in der lleilsoireiibarnng angezeigten Sebal/, der lirkennlniss geboben mul, im lieissen Kampfe gegen die aus der Well des Unlieils eingedrungenen Hieblnngen des Deisnins und des i'an-llieisnins, den Irinilariscben Tbeismns. d. li. die reine Lebre von lioll als der Liebe, immer l'esler nnd klarer be-griindel und ansgeslaltel. Den kirebliehen l'bi 1 os op ben der l'alrislik mul Scbolaslik war, als soleben, die Mebe niebl, wie

') Unter tk'ii lebciulen Theologen ist es vonu'lunlicli Lie lm er, der auf (llescn Pookt als den hier entsrlicidendeo je mul je hingewiesen luit. Der schweren Korderuog abor, die in diesein lllnweise liegt, ist er selhst nicht nor In seiner ,,chnstlichen Dogmatikquot;, I., 1. 1849, naehgekoninien, deren Heicbllmm an licfsinniger Speculation mul gelchrler Forsclmng von Theologen wie Nil/.sch („System der christlichen Lehre'1, (i. Aull., S. '2()l I'.) n. A. langst anerkannt isl, sondern audi in verscliiedenen Ahhamllougen ond Vovirügen, z. 1!. in dein „I'dier den Stand der christlichon Erkennt-nissquot; („Zur kirchllchen 1'rincipienrragequot;, 18ü0, Nr. 2), ja auch in niehre-ren l'redigten, die ehen desswegen das gewfthnlielie hoiniletische Niveau iiherragen und zugleich eine dogmatische Bedeulnng gewinnen; vgl. insonderheit die Kelormationspredigl von istil „das Wachsen der Kirche /.ii Hirer Selhst-Besserung-' uelist Vorwort. Die oben l'olgeiule Knlwicklung hekennt sicli dankbar ahhilngig von den Leistungen iles verehrten Mannes.

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den modernen „rein theoretisclien'' Denken), eine popiilare (ie-fdlilskategorie, elwas (ieniülhlirlies uder l'raktisclies u. dgl., son-dern ganz das, was dein l'lalon seine (loUheil, seine idee des Gnlen, war: der höelisle wissensciiartliclie IJegrilT, tier Hanplgegenstand des Lemens, luyiaror Zwar

wnrden in der Epoelie der evangeiisclien Kirrlieneriienening, dein geseliieiitliclien iVotiislande enlsprecliend, die niimiUelbar auf Im'-lösuug nnd Keeliüerligiing, aniquot; Hnsse und (ilauhen beziiglielien Artikel znnöeiist allein in Arbeit genomnien; aber wie die Imii-falt i.nliier's iiberlianpt eine erhabene war und die \rl, inllieri-sciien tieistes überail dadnreb sicli aus/.eichnete, dass er das Eigentliche nnd Wesentiiclie des ('liiislenlhnins ohne Abzug nnd Znsatz, ohne den lieigescinnack ra(ioiialististlier Troekenlieil oder pietisliselier ('quot;encliligkeit, „olin' Allan/, d'rmn nnd d'ran,quot; ergrill' nnd hervorliolte: so konnle ilim aneli das Ml in dein iMiien „(inlt isl die l.iebe*' nichl enlgehen.2) (iern malt esl.utlier ans, wie der Cluisl in allen guten Küiistcii nnd Creaturen, in den kleinsten Hliinilein dit! heilige götlliche Dreiralligkeil linde mul sehe, oder wie der Menseh, wenn er nicht getallen ware, in leiiien schonen Instigen (iedanken von dein Dreieinigen speenlirt liütte in allen ('reatureii. Wie Lnlher's Hild vom waliren tilau-ben, vom wahren ('hiistendinm „diircli nnd ilnreh ehrislologisch,quot; so isl. sein Hild vom wahren (fott dureh nnd dnrch trinitariseh „gesiittigtquot;. Die Intherischeu Kernspriiclie „Seine Khre ist Seine l.iebequot;, „Seine (ierechtigkeit ist Seine ISarnihery.igkeitquot; babeii das /eugniss des tieistes, der Alles, aneh die Tiei'en der (iottheit, er-forseht. Lulber's Schuld ist es nicht, dass das Feld dieses Dogma's lange bracli lag; wohlaber ist es mit sein Verdiensl. dass in der gcgenwiirtigen Theologie klar cingeselien winl, es ihne gerade in nnseren Tageu, den hentigeii Wldersacheru des (llau-bens gegeniiber, diejenige Keprodnctiou des Dogma's von der Dreieinigkeit i\olh, welche es .ledeni als iinmöglith l'iir die evangelische !'quot;röminigkeit ersclicinen liissl, die WaInheit der Uechtl'erti gnng dureh den (ilauben an ('hristns

') 1' I a t o ii „Staatquot; |». 505.

2) Vgl. Lat hardt „Coinpundiuin der Dngmalikquot;, S. li:! Ü'.

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fes u till al t en mul doch die i m manen l e ïrinitiit zu verwerf en.') Wie eliedem, so audi jel/.l noch dieses Dogma knrzweg als einen „Unsinnquot; oder als ein gleicligiiltiges Machwerk llieologischer Spilzfindigkeil von der Hand zuweisen, wanit jeden (iebildeten schon einc zwiefache Tliatsache. Kinmal die, dass der bisher w eilaus einllussreichste (iegner des positiven Chrislenthnms in nnserem Jahrhunderle, der Tilbinger Baur, drei starke, naliezn je 1000 Seiten lange Hiiude über ebeu dieses Dogma, über „die cbrislliche Lehre von der Ureieinigkeil. und Mensch-werdnng (ioüesquot;, gescbrieben hal, fesl liberzeugt, wie wir es anch sind, dass für ein auf den (irund gehendes Denken das ganze Chrislenthum mil G o 11 dein Dreieiuigen stehü mul fiilll. Sodann aber isl, gleichfalls tbatsachlich, sell lioll in Cliristiis als die hiebe sicb olfenbarl hal. kein einziger nni-versell-ithilosophischer Denker der Cbrislenbeil bei der Üreieinig-keitsfrage ganz oline Herührnng vorbeigekoninien; deutend, um-deulend, anslossend, anslreifend wenigslens, hal jeder davon zeugen miissen, dass sie vorgelegl isl mul niclil ignorirt werden darf. Sogar der iialunvissenschaftliclie l'hilosoph, der den Dog-men des ('hrislenlhums mögliclisl fern hleibt, sprlchi; in der Ueber-schrilï des Schliisskapilels von seinein „Mlkrokosmus'quot; als lelztes Wort „die Kinheil der drei l'riucipieu in der Liebequot; aus, eine Einheil, an deren gedauklicher Yollziehbarkeil er freilich ver-zweifell, well das Uebel mul das Höse „das vollkommeu unliber-steigllche llindernissquot; sei. Die nun fasl zweilausendjahrige liot-schafl, Avelcbe verklindel, dass dieses llinderniss Ubersliegen isl, scbeinl ibm hier keine wissenscliaflliche Heachlung zu verdienen.2)

') Dnrner „Knlwickhingsgesclnchte der Lehre von der Person Christiquot;, 2. Aull. II., 1853 li. 1856, S. 518, 5.'!7 (womil /.u vergl. Desselben „(ieschiclilir der proteslanlisclien Theologiequot;, 1807, S. 80) und S, 1'2(I8. Dieses Werk Dorner's, ein Denkmal des sellenen Bundes \(iii tiefem ein-t'achein Clauben und holier uinfassender Gelehrsainkeit, isl gewissennassen das Inslorisehe Correlat der Doginatik Liebner's. Beide Werke, neiist doin oben sogieich anziirührenden von Baur, sind dein Siiidium derer, die das Recht aiil' \v issenschaftlioh e Beurlheilung des chrislliehen Lehrgan/.en erwerben wollen, nnenlbehrlicli imd imerliisslich.

Lntze, „Mikrokosmusquot;, Hi., S. 570 uml OOI ir. Die „drei l'rin-cipienquot; Lolze's sind den drei Hypostasen der Kirclienlebre zuin Mindeslen

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Liissl alter die Pliilosopliie das aller Well (iesagle auch sich gesagt sein, so verliert; sie daruin iiiclil den Boden des eri'ahrungs-miissigen üenkens uulcr den Fiissen. Sie operirl, nach wie vor anf (i rnnd des (iegebenen, allerdings niehl hloss des in ersler Sflitipliing, sondern auch des in zweiter Schöpi'ung (iegebenen. Indieser istlioU als dieUebe ge ge ben. Diese (iabe bleibt aligeineiugüüig, wenn aneh kein Menscb sie geilen liissl, kein Menscli sie anniininl. lm ('liiisteiilliuni isl „Alles bereif'; si tb bereil niebl zn niaeben, doch zu halten ist des Meuschen Sache. Aber nnr wer die Liebe Uottes ei lab ren bal, wer von (iott geliebt ist, kann ilm als die Liebe erkennen, wie nnr der weiss, was Mutterliebe isl, der die llnlterliebe erfabren hat. Dnrch die lirlahrnng uinl das Denken anl' hyposlalisebe l'nter-schiede geliibrt, anl' eine Seibstdireinlion und Selbstveniiilthnig in (iott, anl' eiuen innergöttlichen l'rocess der Selbslmiltheilnng, der nnr trinitarisch kann ausgedaeht, zn Knde gedacht werden.1) Dcnn die Liebe ist mil Kinein Worte, welches wir dein Tielsinn unsrer dcntschen Sprache verdanken, das Se I bander. Ihr voll-stiindiges VVeseu bestebt darin, dass ein Selbst ini anderen, in seinein anderen Selbst ist, inmnriiorlicb sein will, sich ganz in das andere hineindenkt und hineinlebt, nnd uingekchrt, da in jedein Bediirfniss der Liebe immer zngleich das Hetlüiiniss des

ebenso nabc- odcr entfcrnt-vmvandt als die drei ^GrundlicgrilVcquot;, welclie H eb o p c li li a u e r einnial („Die Welt als W ille imd Vorstellnngquot;, li. Aufl., II., S. 721) in eincm ,,liisiis ingeniiquot;, wie er selbst gestelit, nut den letzlercn vergleicbl. Dass Lotze Nirlits gemein lial mil Scliopenlinner'srliein liisus, bedarf kaum der llinziifiigung; es galt bier allcin, das „Anstreifenquot; an die TrinitiUslelire audi von Seiten eines beriilimlen Denkevs der jiing-slen Zeil zn eonstatiren.

') Wenn bier und weilerbin von Hypostasen, Dypostatischem und anderem Kremdarligcn die licde Ist, so werden, gemass der Bestiinmung dieser Monatsseliril't, gebildele Leser voransgesetzt, die nötliigenralls ihr Kremdwörterbucli nnd Conversationslexikon aufschlagen. Ddm- sollen der-artige Hiilfsmiltel bloss dazn dienen, das in Uninancn nnd politlscben Zeitnngsbericliten etwa Dunkeb' aufzuliellen ? Kein (iebildeter liisst sich die Mt'ihe verdriesseii, beini Vorkoninien tecbnisrlier Ausdriicke mis der Pbysik, ans der Nalionalökononiie n. s. w. das inangelnde Versliindniss, so gul er kann, zu erlangen. Was den wellliclicii Dingen recht ist, wird den gött-licben billig sein; der gebildete C hr is t, der „im Fremdeii treilquot; ist, wird auch trcu sein, wenn man ilmi das „Seinigequot; giebt. (Luc. 16, 12.)

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Geliebtwerdens, der Uegenliebe, enllmltcii ist, class es nur im an-dereii die volle Hefnedigung, die selige Hnhe des Meisicliseins uud Fürsicliseins geniesst, wiilirend das egoistische Fiirsichseiii von dem (ieflihl der Leere, der Oede begleilet ist: Kiniieit, im UiUerschied und Unterscliied in der Einheit, imidia coguilio, muliia caritas alque natnra (llilarius). 1st also der iu Christus und seiuem Werke sicli oirenbareude (Jott die Liebe, so muss audi er, an und ITir sicb, gaii/. 'in sein eigenes \iideres sicb bineindenkeii und liin-einleben, aber eben in sein eigenes, iu das ihm völlig wesens-gleiche Andere (lloinousios, condigna persona); sonst wiire der gegenseiiige Act der Liebe und (iegenliebe, die mutua caritas, nicht voilkoiumen, nichl ebeniuiissig, inordinata caritas esset (Ki-chard von St. Vic(or). Die göttliche unendliche Liebe wiire daim sclilechter daran als die gescliöplliche endliche, in weiciier ja das (ieschöpr ilbcr sicli hiiiaus doch wieder /,u sicb kommt, sicb, ein ihm völlig Wesensgieiches, „Fleisch vou seinem Fleiscliequot;, liebt. llütte liolt uur die Welt zuin (legenstaiule seiner Liebe, so stiüide es mil Hun, der die Liebe ist, mit seinem Sein und We,sen l'ortwabrend zweil'elbal't, precar. Demi die Welt, deren llauptbestandtheil eine Welt l'r e ier (icschöpl'e, die MenscheiMvelt, ist, kann lini ja aucli nicht wiederlieben und bat bekannllich diese Mögiichkeit des Niclitwlederliebens in reichein Masse ver-wirklicbi. (iott, der ihalsiichlich uns geliebt bat, da wir noch Feinde waren, wiire also daim der stelen (iefabr ausgeselzt, nicht tiott zu sein, nicht absoluter, nur iu Liebe uud Gegen-liebe vollkornmen befriedigter, seliger Ueist: was scbon vor Christus die Allen l'iir widersinnig erkaunten. Wenu Arist oleics im siebenten Ca pi tel des zwollten Ruches seiner Melapbysik vom göllliclien (ieiste sagt; „sicli selbst denkt erquot; u. s. w., so nio-tivirl er diess im neunten Capitel desselben lUiches einfach tbl-gendermassen: „Der göttliche (ieist kann nichls Anderes denken als sicb selbst; deun alles Andere ist schlechter, geringer als er; er würdc also, wenu er Anderes diichle, Sclilecbteres denken, was uiimöglich istquot;. Scbon Aristoteles dringt ausdrüeklich auf einen tiott, vvclcher „selig durch sich selbstquot; sei, nicht (lurch die Welt, jiaxnyiui; dï aviov uótug.') Dessgleichen ist der (iott

•) Aristoteles „Politikquot; (Bekker) IV., I.

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des piatonischeii Tiniüos in sicli vollkoinineii, gut, olme die Welt; well er gul ist uuil neidlos, vvlrd er Weltbilduer. So welt also waren seliou die Alten in der (ioUeserkeniilniss t'ortgeschrit-ten, unvergleiclilicli weiter als viele Moderne, die sieli allewege ilires Fortselirittes riilnnen. Den Weisen des AKertlunns l'eldte, kann man sagen, zur lirkenntniss des dreieinigcn (Jolles uur liins: dus gule (ie wis sen in dein hier alleingliUigen vollen Sinn des VVortes, und es mnsste iliuen felilen, weil ihnen die lleiiserralirnng fehUe. Sie hallen die Form der höchsteu VVahr-heit erriingen, eine l-'orni, die das Chrislenlhum durch seine reale OllViihiming (iottes als der l.iehe mil, dem wahren luhalt erriillte und so aueh erst ausformte. llüKe Aristoteles diesen Inhalt gehaht; hiitte er sla(t vierlehalb ■lalirliuiulerle \or Christus viertelialli .lahrlinnderte naeh linn gelebt, zur Zeil des doginali-seheii Begründers der Trinitiilslehre, des Mil anas in s: er ware, naeh den mitgelheilten herrliclien Aussiniiclieii /.u sehliessen, uii-bedenklich aulquot; die Seite des Leuteren gelreten, gegen Arius, gegen Sahellius; er hiitle das vollkoninieii verslanden und wiire mit dein vollkoinmen einverstanden gewesen, was Alhanasius sagt: „(iott selbst 1st der lir/.enger des Hildes, in welehem sich seheiid er — wörllich überset/.t — sieh ihm /Aifreulquot;. Darin ist der Sinn der llomousie, der Weseiisgleicliheit des Solmes mil dem Valer, der inutua eognitio und muliia carilas, vorlrelllich ausgedriickt; darin liegl, dass (lo((, der göllllehe (leisl, nicht elwa fiirs l^rste schon li\ und 1'ertig isl als ein s. g. schlechthin Seiendes, der „Valerquot;, zu dein daim hinlerher eiu Zweites, der „Solui1', hinznkoinmt; sonderii „Valerquot; ist er nur im „Sohnequot;, durch das „Sich ihm zulTeueiiquot;, seine Kreude im Anderen habcn, ist er selbst erst der selige, in sich vollkommen befrie-digte, absolute (ieisl. Die „Zeugungquot; des Solmes 1st eine ewige; sie schliesst jedes zeitlielie Vorlier mul Nachher aus. Man mag ilber die Termini „Valer, Solm, Zeugungquot; mil der Kircheiilehre rechten, sie nnangemessen finden; jedochwird man niilKiicksicht daraulquot;, dass im reriieren VeiTolg der kehre der Ansdruck „Soluiquot; dem in der Fiille der Zelt Mensch gewordenen (iott eignet, also den (jolles- und Meiischensohn bezeiclmet, Lessing bei-stimmen müssen, der in seiner „iirzlclumg des Mensehenge-schlechlsquot; §. 73 sagt: „So viel bleibt unwidcrsprechlich, dass

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(liejenigeii, welclie die (der Trinitalslehre zn Grunde liegende) Idee von der vvalireii Verdopijelung des göttiiclien Scll)t;( popular iiiacheu wollten, sicli scliwerlicli fasslicher mul scliicklicher liiit-ten ausdriiekeii köimen als dureh die Heaeniuiiig dues Solmes, den (ioU von Ewigkeit zengtquot;, üenieint is( mil den Ausdriicken „Valer, Solui {Xóyoq), Zengniig'- uur das Folgende. Wie wir in der inensclillclieii Liebe mal Uegenliebe, zwischen Maim nnd Weil», eine nielir sponlaue, active (niaimllclie) nnd eine mehr receptive, leidenlliclie (weibliche) Liebeserweisiing und Art der Liebe niUersclieiden, oline damit beliaupten zu wollen, dass jene, die spontane, der Zeil nacli vor dicser, der recepliven, diese nach jener einlrele: ebenso koniiiil die ewige lirregung oder Anregnng des ewigen Processes, das mehr Sponlane, Active, der Hypostase, dein göltlicheii Selbsl zu, welches wir den Valer nennen; das mehr Heceplive hingegeu, das mehr leidenlliclie Sichhingeben in der Liebe, dein Solme.1) Ditss und weiier Nichts bedeulen die Worte: der Valer ungezeugt, der Solui gezeugl; jeder Vor-slellung eines zeitlichen Vachher uud Vorlier wehrl, wie gesagt, der Zusatz „ewigquot; (ewige Zeugung). Nun aber geiiligen die Zwei, Valer und Solui, uoch nicht, wenu die Liebe soli aiisgedacht werden. Nicht minder nolhwendig ist daun noch eiu Drlttes, ebenfalls Wesensgleiches, zu denken, vennijge dessen die unend-liche (ileichselzung und damit erst wahre Feslsetzuiig der Personen, die nihige hariuouisclie Einheit im Unlerschiede vermitlelt wird, da sousl jenes Sichhlneiiidenken und lilneiiilebeu des Einen in das Andere, das Sein uud Seinwollen im Anderen, uur die uneiidliche Unruhe, uur das end- und zwecklose Ringen der Wechselwirkung wiire. Es milsste iu dein ewigeu Liebesprocess, in dem ewigen lliniiber und Heriiber des Dranges der Liebe, uu-fehlbar elwas Unwlirdiges, Unheiliges erfolgen, iiaiulich ent-wede r abstracte Zweiheit, Entzweiung, eiu Zerl'all im Wetteil'er um Liebe, oder abstracte Einlieit, Einerleiheil der Zwei, eiu Versiukeu der beiden Hypostasen iu einander, eiu Sichverzehren

') Schon Clemens von Alexandria spricht in glelcheiu Znsainmen-liange mil einer Kiihnheit, die jedem ,.(lraiissenquot; Befindlichen als Toll-klihuheit erschcineii muss, von einem Weiblichwerden Colles in der Liebe; s. Schelling WW. Il„ 2, S. 195,

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der Liebe mul (Jegenliebe. Darum is(, ciu Driücs nolhwendig, welcltes, von beide» (ilicilcni des (iegensatzes ausgehciul (proce-dens) mid in dein Process als seinem bypostaliscben ('harakler verliarrend, das Licbeswerk fiilirt (spiritus rector), vor jenen Klippen der iiberlriebenen Kinbeit wie des iiberspannten Unter scliiedes vorbei mid so znni Absclilnss ITihrl. Mitiiin baben wir nicbl, wie es bei (eblerliaffen Darsteiinngen der Dreieinigkeil manclnnal den Anscbein gewinnt, nur zwei Hypostasen, zwei göttlicbe Selbste, nnd die Kinbeit von zweien: das wiire ja nicbt Drei-, sondern Zweieinigkeit; sondern wir baben ancb eine ini Unterscbied einigende nnd in der Kinbeit nnlerscheidende dritte Hypostase. Ohne sie wiire Jedes der beiden als Subject In das Andere als Object verloren; sie kömen nur znr beider-seitigen ekstatiscben Selbs la nscliauung, nicbt zmn wabren, klaren Denken, Wissen, Hewussl sein. Die Hypostase, die man den heil. (ieist nennt — aucli iiber ibren Vamen lasst sicb streiten, wenn nur die Sache feststebt —, diese dritte Hypostase ist es, kral't deren die belden eisten sicb in sicb zurticknebinen, ui eb I in einamler versinken, sicb aus der DIIFerenz ewig wieder zusainineii-scbliessen, sicb in dein Uuterscliied einig, aber ancb in der Kinbeit uiiterscliiedeii,sicb l'iir sicb als wirklicbeSelbste wisscii,wie der b. (ieist seinerselts ebenso sicb in ilmen weiss nnd d urcb sie vo n ibnen sicb iiulerscbieden, sicb l'iir sicb weiss als ebenfalls wirklicbes Selbst. So ist (iott nicbt nur dnrcli den b. (ieist als die IJebe, als die bellige Liebe, sondern ebenso ancb dnrcb die Liebe in der Totalitiit Hires Processes erst wabvbaft als (ieist in dein all-gemeineren Sinne ((iott, der ganze (iotl, ist (ieist. Job. 4, 24,) d. b, als triiiitariscbes Selbstbewnsstsein vollendel. Wie 1'la to n scbon erkannte, dass der göttlicbe (ieist nicbt als eiu s. g. böcbstes Wesen, ein scbleclitbin Seiendes, dein li in ter lier oder bellier das (iutscin znkiinie, sondern nur als der gedaebt werden kann, dessen wesentlicbes Sein eben das (iutseiu ist: so erkennen wir aul' dein Standpunkt des cbristlicben Denkens, welcbem (iott in Cbristus sicb ollenbart bat, dass der (ieist, der (iott 1st, nur als die Liebe gedaebt werden kann. Nicbt ein starr an sicb baltendes dunkeles Ktwas ist der (iott der Christen; sondern sein Sein ist seine Liebe: lm Selbander bat er sein Wesen. Obne diess wiire er undenkbar, ein ewig nu-

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bekaniilcr (iott; deun wir kömien IVicIits mil gcdankliclicr Hc-stinimdicit denken, was nicht iu sicii imtersclileden, was nicht im Unlerschied einig, concret-einig ist. Hei ciner blussen iiöchsten Kinheit, neiine man sic audi Person, hei einem ahstrac-ten sclilechthin Seienden, nenne man es auch das AbsoliUe, denkt Niemand sich elwas Denlllches; ein Ding (ihne Innerc Hesliinmt-heit ist ein Uiuiing. Wahrhai'l absolnt-persönlich ist uur der Dreipersouiiche. Die Liebe iiis't den scheinbaren Wider-sprnch, dass Personen Kins, Ein Wesen sind nnd ihrc volle Per-soulichkeit nur in dieser Kiniieit linden. Anch in dein endlirhen, menschlichen Abbilde der giittliclien l-iebe, in dein wahren, den einzelnenMenschen erst vollendenden Paiiiilienwesen, sind Miinn, Weib nnd das von Beiden ausgehcnde Kind, diese drei Personen, Eins, Ein Wesen, niiinlieh eben das absolute, die Hestiminung der Individnalililt erst erriillende l;ainillenwesen, dessen Kiniieit keineswegs eine „blossequot; mier gar bloss nominalislische „(iat-timgseinheitquot; isl. Demi die Elie ist im dnrclians ('igentlichen streiigsten Sinne des Wortes die Ergiinznng zweier Personen; die zwei den Eliebnnd Schliessenden haben bei der Schlies-sung schon das Dritle, das Pfand der l-iebe, mitbegrilTen, mil im Sinne; die Mehrhelt von Kindern gehort znin Znfiilligen der endlichcn Enlwicklnng, zn dein, was sein nnd nicht sein kann; vom (ianzen aber nnd Wesentlichen der lülie nnd Eamllie gilt amh in dieser Hezielnmg das Wort des Apostels: das (ieheimniss ist gross (Kpli. 5, 32). Wer dieLlebe verstehl, versleht die Drei-einigkeit; er versleht, was es sagen will, dass Gott in der christlichen Anll'assung als concret-einiger Geist, als lebensvolle Kinheit im Unterschiede, gleichsam als Accord, als Einklang dreier selbststiindiger Töne wie mit Einem Sclilage ganz da ist, omnibus nnnieris absolntns. Und allein diese Gott es fassnng ver-triigt sicii mit der christlichen Weltanschannng. Demi erst wenn die göttliche Selbstanswirluing inncrlrinltarisch (ad intra) volizo-gen. das ewige SeinGottes sichergestellt 1st, kann (iott in seiner scliiipferischen Aenssernng (ad extra), in seiner Selbslmiltlieilnng an die Welt sich selbst behanpten, der ganzen Znfiilligkeit des Werdcns, der creatiirlichen Entwicklnng, II err sein nnd bleiben, nnd nnr wenn Er der Welt wahrhal't vorsteht, ') Gegen I) o r n c r„(iesrliicli(e der proleslanlisclienTlieologiequot;, 1807,8.872

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slelit sie unter Hun wahvliafl, fesl. Wo nicht, geht er in der Well oder sie in ihm zn (irnnde, wie diess die (ieschichte des Panl,lieism ns hnmlerlfacli helegl; fiir den Dei sinus aber isl,, wei! es bei ihm nichl. in der (iotlheil, seibst zu iminaneiilen Un-terschieden koinml, die Well. mil. ihrer N iclheil. von (iebilden cin vollig grundloses Machwerk (ioltes, nichl, wie 1'iir den chrisllicli-Irinitarisehen Theismus, das geistvolle, d. h. nach dein Obigen liebe volle. Werk (ioUcs, in welchem Der, der die Liebe isl, sich als die Liebe ollenbarl. (Oirenbaruug im weitesten Simie), da es der Liebe Art isl, ein Uebriges zn tbun und sich Mlihe, nóvov, zu macheu. „Seine lihre ist Seine Liebe.quot; Und mm leuchtet iiuch ein, wie aus diescm trinitarischen (iotleswesen die zwei I e Wellschöprung, die VVellerlosiing, kanu verslanden werden. Dieselbe heilige Liebe, die (iolt ist, oH'cnbart sich der slindigei^ iu's Unheil geralhenen Welt gegeniiber als heilsame (inade. ,,Seine (ierechtigkeit ist Seine liannherzigkeit.quot; Die Person, deren hypostatischer Cliarakter, schon ganz abgesehen von der Well, wie wir erkaunt habeu, ein inehr leldentliches, receptives Lichen, ein Sich hingeben in der Liebe, war; sie, durch welche um eben dieser Leidentlichkeit willen als durch das persönliche giill-liche Medium (Joh. 1, ö) die Welt mil. ihrem llaiiptbestamllheil nnd Ziel, dcm ebenbildlichen Menschen (ioltes, geschaU'eu worden, sie gehl in die Welt nnd deren Leiden ein, wird Mensch, gicbl. sich fiir die Welt hiu, siilmt die. Slinde der Well, indcm sie ;ils Mensch, stalt der Mouschheit, die Stral'e der Siinde heilig, in den heiligen Willen (ioltes einwilligend, erleidet. Die Liebe wird, der Siinde gegeniiber, zur (inade, zur sich opl'ernden Liebe, und die bringt der Welt das Heil1).

') Zur Lt'Iirc von ilcr Droieinigkeit im Allgflnieincn vgl. iks Verfnssers Artikel „TriniUllquot; in llenog's „Ueal-Encyklopiuliequot;, Bami 10; zu lier a\is ilir bcgrlindcten Versüliiuiiigslelircvorziiglicli Soliiiborlcin's Artikel „Ver-sölmungquot; cbeml. Hand 17. In dieser geliallreiclieu Arljeit wird klar mul bündig nacligewiesen, dass die juridische Seite der Versölmung nicht diirl'e ausser Acht gelassen worden, well im Irinilarischen Wesen Gotles als der heiligen Liebe das Moment der (ierechtigkeit mitenthalten sei. Dass hier froilich weder jder privat reehtliche Cesiclitspnnkt noch der des li ffen 11 ichen Ucchts genögt, hat der Scharfsinn Ritschl's üher-zeugond dargethan in den „Studiën üher die BegrilTe von der Genugthuung und deal Verdienste Christiquot;, Jalirb. für deutsche Theologie 18(i0, Bd. 5,

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So bogroift sicli das Chrislenlhum, so wild der (ilanlio bewiesen. Demi das Lichl, das uns liber den Midelpimkl, den siili-nendeii (ioltniensclien, aufgegaugen, beienclilet von selbsl den ganzen Unikreis cliristiicher Lolire.

Cilaublicli isl die in dor Urkunde des (Jlirislenllinnis ver-kiindete Mensclnverdiing ficties dein, der die bypoMieUsche Nolli-wendigkeil der lleilsoHenliarniig eingeseben; begreil'i icii dem, der (iolt als den dreieinigen erkaunt lial. Nur dicse Ivrkennlniss befestigl jenen (Jianben, der noch Hiilfe begeliren muss filr den ihni anlial'lenden oder drolicnden Unglanben. Von dem dreieinigen (loll, von der Mebe ans isl das (legenwimder des (quot;lirisléiillniins gegen das Wnnder des Hösen imd des Uebels nallirlicli; die im (iianben befesligten Cbrisleii spreclien, rückwiirts gewandl: der (Jotl, den wir diirch die lleilsoHenbannig kennen, der (Jotl, dei-die Liebe isl, nui ssl e dielns l'nlieil gcraliieneWeil so erlösen, wieer es in ('liristo gethaii. Verklilidele die Schrifl. niciit den Krlöser, nichl den (ioUmensclien, der nns Vergebnng der Sllnde erwirkl hal dnrch Siilinung der Sündc: so mlissten wir eines anderen warten; die blosse Vergebnng winde mis nieiit iilndern, vielmelir nölhigen, zu fragen, wie, ihr gegenliber mil Heclil, ein l'hilosoph gefragl hal : „Wenu (I oil vergi ebl, ka nn icii darnin mir selbsl vergeben?quot;1) Und wiedernin, giibe sicli nichl im gillen (iewissen (Jotl als die Liebe zn wissen: so mlissten wir

Ilt*rt4,s, 581—(i.'iü; aber über ilom I'rivatreclit und übci' dem oirenlliclien Rechte stclit das Wel treclil C ni l es, mul sclion Arisloleles, dein liierin Leibniz gefolgt ist, lint im ö, Buche derN'lkomacliisclien Kthik einc u ui versa Ie (ie-recliligkeltvon den bes o n d er eiiGereclillgkelten unterscliieden (s. ïrendelen-biirg„HistnrisclielieifrügeziirPlillosopiiiequot; 11., S. 210 If.), so dass wir in derBe-trachtung der götlllelien Gerechllgkelt die Analogie der inenscblichen nicht zu verlassen brauchen, aber fiber jene beiden l'onnen derselben hl nans er-weilern müssen. Das geschielit sowohl In der erwahnten Abluindlnng von Schöberlein alsanch In der frQIier scbon cllirtenvon Gess „Uber die Nolh-wendlgkeit des Slihnens Cliristl.quot;

') Her b a r t „Kncyklopiidiequot; S. l i. Ueber das relative Hecht dieser Frage vgl. Desselben „Allg. Melaphysikquot;, WW. (ITartenstein) IV., S. :t38 f.: „Menschllelies Naclulenken muss das Seine Ibun, nnbeküinmei't nm denErfolg. Es steht unter slttlichen Geset zen, denen es sicli nicht durch vorgeschiilzte Bedenkllclikelten entziehen soil.quot;

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irre werden an dem Christus der Schrift; der fiolt des Deismus uud der des Pantheismus wiirde nimmer den Zweifel besehwich-tigen, geschweige lösen: „1st es demi audi so, dass GottMensch werden konute?quot;1) Das religionsplniosophisch deducirte Hedürfniss eines sühnenden (ïottmenschen, an den man nur nacli dem Tode der ISusse und iliren Wiedergeburtswehen 1 ebendig giauben kann, gleicht uiclil dem „Wunsche des schwachen Menscheniierzens,quot; auf weichen David Strauss so oft den PfVii seines Spottes ab-schiesst, dem „Wunsche, dass es so sein möchtequot;2); deun nur eiu sittlicli starker (ieist vermag die jenem Hedürfniss gciniisse Frage zu stellen: wenn tiott vergiebt, kann ich darum mir seibst vergeben? Und wiederum, die aus dem Wesen des Dreieinigen begrillenen grossen ïhaten (iotles, von deneu die Zeugen Christi reden, gleichen nicht „z ufSil igen (ïeschichtswahrheitenquot;, die als solche allerdings, wie derselbe Strauss gem mit Lessing seinen Lesern einschftrft, nie den Heweis fiir nothwendige Vernunftwahr-heiten bilden können3); deun wem das Verstaudniss der göttlichen Dinge geöil'net isl, der sieht ein, dass Christus leiden musste (Luc. 24, 45 f.), dass er also nicht zufiillig litt, die Welt nicht zufiiliig erlös't wurde. Auch im christlichen Denken mag weder Holies noch Tiefes uns scheiden von der Liebe Uotles.

Sobald sie in ihrer vollen Bedeutung flir die centrale ïhat-sache des lleiis gewtirdigt ist, hat es mil dem Beweis der ander-weitigen Bestandtheile des Glaubens keine Nolh. Die Philosophie, die Principien wissenschaft, muss die im Lichte des Allgemeinen das Einzelne glelchnuissig wiirdigende WeiterfUhrung des Beweises der Dogmatik überlasseii, ja der sonntaglichen Schriftauslegung derer, weichen das Amt des Wortes anvertraut ist in der Ge-

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1

) Dem pllichtet seibst Baur bei, indem er, gieichsam sich vergessend, auf den Standpunkt seiner Gegner sicli verselzt, mit den sehr merkwürdigen Worten seiner „christlichen Lehre von der Versölinungquot;, 1838, S. 623: „Die einzige Form, in welcher das Individnum absolut mit Gott Eins werden kann, ist nur die kir cli 1 i cli e Theorie; bei dieser blei be man also auch und substituire ibr keinen von ibr wesentlich verschiedenen Begriff!quot;

2

) Vgl. z, B. D. F. Strauss „Kleine Schriftenquot;, Neue Folge, I8B6, S. 340 f.

3

) Strauss „das Leben Jesu fiir das deutsche Volk bearbeitetquot;, 1864, S. 620.

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nicinde, und der tagliclieu Scliril'llcsuiig gebildeter evaugelischer Christen. Diese, deneu wir hier nameiitlich uns zu Dienst geslellt liaben, werden von dein erreichten Hauptpunkt aus, wenn es ihnen schwer failt, gewisse Einzelheiten des obeu in Erinnerung ge-brachlen Glaubensinhalles zu begreiCen, in den zaldreichen dog-niatisehen Werken unseres Jahrhunderls destn besser sicli be-rathen finden, je sidillicber nnd bestimniler dieselben das Dogma von der Liebe, die (iotl ist, nach (iebühr behandell haben als das Dogma der Dognien. Der berübmten (iiaubensiehre Schleie rina ch e r's iiisst sich das nicht naclirUhmen. Deun ausgesprocben zwar ist hier und da in ihr die Unersetzbarkeit des BegrilI's der Liebe flir die Restimmung sowohl dessen, was in (iott, als auch dessen, was im ebenbiidlichen Menschen und lin Christen der Kern sei oder das Wesentliche. Wir hören, dass die waiire Aneignung der christlithen Siilze durch die „anschauenwollende Liebe'' ge-schehe, dass uur die Liebe in unsern guten Werken das (iottgel'öl-lige sei, dass nur sie, „die Kiclilung, sicli mitAnderem vereinigen mul in Anderem sein zu wollenquot;, sie nnd nicht eine andere göttliche Eigenschaft (iott, dem Sein oder Wesen (Jottes, könne gleichgesetzt werden1), in der Thai abcr komnit sie bei Schlei-ermacher wissenschaftlich nicht auf, nicht zu ihrem Rechte, und das Bekenntniss der Kircbe zmu Dreieinigen isl, sabellianisch ver-flliciitigt, seiner Dogmat ik nur anhangsweise beigegeben. Die neueren kirchlichen Dogmatiker sind, so viel sie auch von ilnn gelernt haben, über den cigentlichen Sitz aller Irrtbiimer des Lehrers nicht lange im Unklarcn geblieben und nacbgerade einig geworden. In ihren Werken wird die Liebe keineswegs bloss mit gelegentlichen Lobspriicben abgefnnden; die gönnt ihr am Ende sogareinS trail ss, der sie au passender Stelle als „das Einequot; preis't, „was Menschen menscblich und (iott Hhnllch machtquot;2); dergleichen bedentet eben so wenig wie dieselbst erkliirten Atbei-stcn gelaulige Redensart „das weiss (iottquot;, woFiir Andere sagen „weiss der llimmelquot; und noch Andere, mit leichtem Uebergang vom llimmel zu den Vögeln des Hinunels, „weiss der Kuknkquot;. Sondern es wird Ernst mit der Liebe als der die Kragen des

') Sclileiermaclier „Der christliche Glaubequot;, 3, Ausgabe, I. (WW. 1., 3), 183:., S. Hf. und II. (WW. I, 4), 183fi, S. 220, 512 u. 617

2) 1). F. Strauss „Kleine Schriftenquot;, Neue Pol ge, S. 332.

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cliiis(lichen Denkeus allcin 1 üsendenliüclisten Walirheit. Wie aus ilir das biblische Grundwiiinler, die Meiischwerdimg (iottes, sich begreifl: so lasst sie aucli die ferneren in der Schrift er-ziililten Wu n der, an welclien die (iebildelen unsrer Tage, in dei-Kegel friilier als au jenem, Ansloss neiimen, begreiflich werden. Sie sind nicht blosse mirabilia, d. li. nicht bloss l'Ur mis, wegen unsrer uiangelhaften Keiiuiniss des bestehenden Nalurganzen mul seiner (iesetze, sonderu au sich aus den Ursachen und Mittel-ursaclien der Welt, wie sie ist, unbegreiflich1). Aber sic sind aucli keine portcuta, keiue iingeheiierlichen Zeichen oder Scliau-stücke; sondern sie haben allesanunt cine sit tlich-t eleologiscbe Hedeuluiig, eine nielir oder luinder uahc lieziehinig auf das Reich (iottes. Christus weis't dlejenigen, die ein Zeicheu vom Iliinmel sehen und danu glauben wollen, mit Abscheu zurück (Matth. 16, 1 ir.). Es widerstreitet dein Wesen des CliristeiKhums, die Leute mil magischer (iewalt, bezaubernd, fiir sich einzunehmen, geistig gefangen zu nehuien. lm (icgeiUheil: Christus wamt, llim in übereilter, unbedacbter Weise nach/.ufolgen (Luc. 9, 57 11'.; 14. 28 11'.); das Christentliuin reisst sich nicht inn die Leute, es verzichtet vielmehr, wie wir schon einnial bemerkt haben, von vorn herein auf die Majoritat der Menschen. „Viele beriifen, Wenige auserwahlt; Viele auf dem breiten Wege, Wenige auf dem schnialen.quot; Doch sind gleichwohl nni jencr teleologischen Hedeulung w illen die Wnn-der nothwen dig, mithin aus dein (iesichtspuukte des üottesreichs begreiflich. Denn wie die (iottlosigkeit, die Lieblosigkeit, das Böse, sich natiirlich aussern niusste in dem Uebel, dessen (ïipfel der Tod ist, in dein verni elitenden Widereinander der Ersclieinuiigen: so muss'aucli das (iule und das neue (iuie, das Heil, sich natUrlicli iiussern iu der Korm der Liebe, in dem e r g ii u ze n d en 1gt;quot; iir e i na u d e r d e r Kr sch eiu u n ge n. Dem Innern muss das Aeussere, dem (ieiste derLeib, die Natnr entsprechen. Demi der Leib ist, griindlich verstanden, das Lebensmit tel des (ieistes; vollstandig lebt nur, was leibt uud lebt. Das gilt vom Lcben des götUichcn (ieistes wie von dem des ebenbild-lichen ineiischlicheii. Audi der ewige Liebesprocess, in wel-cheiu das Leben (iottes besteht, koniint zn Stand und Wesen

') Vgl, L u( har il t u. a. O, S. 97.

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uur (lurch eine giiUliche Leibliclikeit oder Natur, oline welclie der persönllche Ge gens tand der Liebe nicht Stand hielte, folglich nndenkbar ware; uur mittels des Leibes fasst sich der (icist in sicli als (ieist. Daher redet die Schrift so oft von einem Angeslchte, von Augen und Ohren Gottes, nnd die ihr treu bleibende Theologie wacht dariiber, dass der Gehall soldier Rede nicht spiritualistisch entkrSftet, sondern in voller Kraft be-wahrt werde, vvohl wissend, dass nur so der Matcrialismus, welchereine brutal verzerrteWahrheit, aber eineWahr-heit verficht, positiv kann liberwunden werden1). Der wahre, dein Geiste, dessen Wesen die Liebe is(, entsprecliende, ihm zum Organon, zum Lebensmittel dienende Leib lieisst in der Schrift der geis tliche, pneumatische, oder auch der himmlische (1. Kor. 15), sofern unter dem „Minimeiquot; nicht das verstanden wlrd, was die Volkssprache meist und was die Schrift dann aucli darunler versteht, weim sie der „Vögel des Hlmmelsquot; gedenkt u. s. w., sondern die den dermali gen Leibesaugen unsichtbare Welt desGeistes undder ihm ge mas sen Nat u r2); das Widerspiel des himmlischen ist der Leib dieses Todes (Röm. 7), die dem Geiste nicht entsprecliende, nicht ihm dienende, vielmehr ihn knechtende, durch die Sünde verderbte Natur, die Aussenseite des Unheils, welche gleich dem inneren Unheil, dem Bösen, ist, aber nicht sein soli, resp. sollte. Dass nun Christus als der Welt Heiland (Joh. 4, 42) die Welt auch leiblich, vom Todesleibe, erlösen kann nnd will: diess und nichts Anderes wird durch die einzelnen Wunderthaten des Herrn, die er wahrend der Dauer seines prophetischeii Amies gelhan hal, angedeutet; diess und nichts

') Vgl. Oetinger's ,.Tlienlogie aus der Idee des Lebensquot;, herausge-geben von H anil) erge r, 185-2, bes. S. 114 und 180, Anin. 3: „Die Herr-liclikcit (Leibliclikeit) (ioltes ist in it dem Soline geboren, welclier der Trii ger der Form dieser Leibliclikeit istquot;. Das Ergebniss der neueren liierauf gericliletenForschung zeichnet in klarenZügen .Sciiüberlein ,feller das Wesen der geistlirlien Natur und Leibliclikeitquot;, Jalirb. ftir deutsche ïbeologie, 1861, Hand 6, Heft 1. Von pliilosophisclier Seite ist diese Forschung vorzüglich durch Jakob Böhme undFranz von Baad er unterstützt worden; aber auch die Anthropologie eines J. H. Fichte, Ulrici u. A. arbeitet ibr In die Hünde.

2) Leber diesen s p e ci fi s cii-biblischen Sinn des Wortes „Himmelquot; vergl. Auberlen's Artikel Himmelquot; in Herzog's ,,Real -Encyklopüdiequot; Band 6.

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Anderes vvird durch das Wunder, olinc welches der (ilaube eitcl ware, durch die Auferstehung des Merrn nach seiner inUtlerischeii SUhnung der Slinde, gewiss gemacht, verbiirgt. Und ehen diess ist aiich der vernünftige Sinn seiner Kinselziing der Sacrainente. Denn da die SUude nicht im üeiste des Siinders beharrt, sondern iiun in die Natur, ins BI ut dringt: so bedarf es zur Verniitlhmg der Gnade nichtbloss der geisligen Gegenwirkung des üottes-wortes, sondern auch einer giittlichen Na turwirkung. Wie wollen wir es inachen, dass ein anderes Blut in nnseren Adern rolle? Bei Menschen, innerhalb der Welt, die im Argen liegt, ist das unmöglich. Nun aber niht unser Ueist init seinen üedanken, (ie-luhlen, Willensregungeu auf dem Naturgrund unseres We-sens: „die Philosophic schliigt uni, wie unsre Pulse anders schla-gen.quot; Auch der durch die Erkenulniss des üottes, der die Liebe ist, befesligte reine (ilauhe bleibt nur so lange lest und rein, als jene Erkenntniss nicht schwankt, nicht gelriibt wird. 1st also jener Naturgrund erschiittert; ist er durch die SUnde verunreiuigt: so muss auch er, damit der Glaube Test und rein bleibe, neu befestigt, gereinigt und in derReiuheit er halt en werden. Die Keinigung der menschlichen Natur geschieht durch die Taul'e, die Erhaltung derselben in derReinheit durch das Abendinahl: Beides vermöge cincr Mittheilung güttlicher Natur, gleichwie die JUnger geistig schon durch das Wort des II errn gereinigt wurden (Joh. 15, 3). Wenn jetzt der Glaubige in seinem (ikuiben schwankt, so vermag er sich daran aufzurichten, dass ihm ohne sein Zu-thun, aber mit Bezug und Hiicksicht auf seinen Glauben, nicht magisch, etwas Göttliches geschehen ist, das nicht kann ungesche-hen gemacht werden. I) u rch die S a c ramen te w 1 rd d er mensch-liche Glaube göltlich versichert, giittlich versiegell. Und wie sollte das dem christlichen Denken unbegreillich sein? Uner-klarbar, ja, das wissen wir; auf das Wie des Hergangs verzichteten wir ein für allemal. Aber ist wirklich Gott in Christo; haben wir wirklich einen „Logoschristusquot;, durch den alle Dinge entstanden sind und bestehen: wer oder was kann Den hindern, sich, sein Wesen, seine göttliche Natur, auf besondere Weise in besondere Dinge liineiuzulegcn, gewisse „Zeichenquot; auszuzeich-nen durch seine Gcgenwart? Schleiermacher freilich konnle die „geheinmissvolle Sinnlichkeitquot; der schriftgeiuiissen Sacrament-

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lehre mil seiner (lOttes- und WeUanscliauung nicht in Ulnklang bringen, wicwohl cr eine „mysteriöse Heziehnng Chrisli auf die inenscliliclie Natur iiberliauptquot; anerkannte;1) die ueueren kirch-iiclien Dogmaliker aber geben a lie geniigenden Aufscliiuss iibcr die Nodiwendigkeit der Sacramente und lassen audi den niclu rathlos, der iiber den (irund der Anszeicliniing nnd Auordnung gerade dieser bestiminlen Zeichen (Wasser, Hrot und Wein), iiber die s. g. necessitas ordinata derselben, naclidenkl. Dessgleichen sliirkeu sie belehrend, durcb aiisfiiiirlichere Erörleriiug des oben iiber die einzelnen Wunder und iiber die Auferstehung Chrisli Bemerkten, den etwa uoch schwacheu (ilauben an diese Thatsachen, einen (ilauben, dem Sclilciennaeher ebenlalls uur kiimmerlicli bili't, iudem er ihm einen niittelbaren Ziisammen-haug mil der Lehre von der Person Christi „niclil absprichl,quot; sofern namlich das Urtheil liber die Ji'mger als ursprUngliche Berichterstatler auf das Urtheil iiber den lirloser, der sicli solclic Zeugen wiililte, zuriickwirke.2) Sind die Ciiristen durch die Sacramenle schon in gewissem Mass auch leiblich erlös't, weil theilhaftig der göttlicheu Natur Christi: so muss doch, wenn die Erlösung vollkommeu und der lirliiscr wirklich der Welt I lei-laud sein soil, auch ihr eigener Leib uud mil ihm die gauze, durch die Slinde mit ins Unheii gerathene, natiirliche Welt erlös't werden von dem Banue des Todes. Diess wild, wie ge-sagt, uns durch das Wundcr, ohne welches der tilaiibe eilel wiire, durch die Auferstehung Christi, verblirgl. Alles, was derMensch durch seine Slinde verschuldet hat, muss, nachdem die Slinde geslihnt worden, wieder gut gemaclit werden. Dieser ethisch-verulinftigen Forderung komnit das geschichlliche Factum des anferweckten „Erstlingsquot; (1 Kor. 15, 20, vgl. ebend.

14) erfiillend enlgegeu. Wcr diese beiden „halbeu Beweisequot; zu einem gauzen zu vercinigen weiss und anders denkt als die, welche cine nicht „rein theoretische,quot; souderu sittliche Ueber-zeugung, cine nicht in Praxis und Gemiithiichkeit aufgehende, sonderu wissenschaftlich haltbare, absolut-veruiinftige Keligion

') Schlelerinacher „Der cliristl. (Ilauliequot; II., S. 101 f. imd „Uebcr ilie Heliglonquot; WW. I., 1, 1843, S. 450.

2) Schleiermaclier „Der christi. (ilmiliequot; II., S. 87 1'. und H. l-'o f.

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fiir ein liülzernes Eisen ansehen: dem ist auch die Auferstehuiig Christi keine „ziiiïillige (iescliiclgt;(s\valn'liei(,quot; dem isl. versUindlicli die Schril'!, dass Kr, wie leiden, so auch anl'erstehen muss te (Joh. 20. 9; l.uc, 24, 4(i; Apgsch, 17, 3). Wer sicii aber selig oder, „verstandiger gesprochen,quot; woiil i'iililt in dein l.eihe dieses Todes; wer den Tod unbedingt naltlriich limiet; der ist, wir wlissten es audi ohne seine eigene lusolvenzerkliirung, nicht „lm Stan de,quot; iiher die Auferstehuiig Christi, selbst weim er sie init dem „allen, ewig Recht behaltenden Kehnarusquot; tausendracli „griindliciierquot; untersuchl als Andere, „schliessllch /,u einem sicheren Krgebniss zu komnien;'quot;') dein bat überhaupt, wie wir schon bei Zieiinng der (iriinzen des Heweises bemerkten, das t'hristen-tlium Nichls zu sagen, Nichts zu bieten. „Die (iesumleii bedürfen des Arztes nicht.quot;

Unbegriffen und unbewiesen hleibi allein das Hösc sanunt demüebel, und nacli dem, was wir frliher hier-iiber aiiscinandergeselzt haben, ist auch das vormensehliche persünlieli-Höse, welches die Scliril't unter dein Satan verstehl, der rein specnlativen Fiiilosopliie schlechterdings unziiganglich, iinbegreillich, undeducirbar. \un aber isl bekanntlich das philo-sophische Denken kein bloss speculatives; seine Operationsbasis ist das (jegebene, das in innerer und iiusserer lirl'alirinig Vorliau-dene. So wenig also das menschliche liöse daruni, well es, wie wir erkannt haben, nicht nothweudig ist, anl'liiirt ein wirkliches zu sein: ebenso wenig, iiml noch weniger, wird durch die Un-deducirbarkeil des vormenschlichen persönlich-Diisen fiir den Fail, dass in der Krfahrung Motive zu seiner Anerkennimg liegen, die Miiglichkeit desselben ausgeschlossen. Als solche Motive wurden von jeher vornelunlich zwei geilend gemacht; ein-mal, in Ansehung des Hösen, die Thatsache, dass es kein spo-radiscbes, hier und dort, daim und wann zusammenhangslos her-vortrctendes isl, dass vielmehr die, welche |{iises thun, auch uuvvillkiirlich conspirirend, wie man zu sagen pllegt, unter Miner Decke slehen, d. h. in Einer Kiehtung zu Kinem Ziele, wie au eia Naturgesetz gebunden, ziisammenwirken; sodann, was das l'ebel betrill'L und dessen tiipl'el, den Tod. die Schwierigkeit,

') Strauss „Das Leben Jesu l'Ur (Ins deiitscüe Volk hearlieitot.quot; S, Bü l,

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sein Dasein vor den Menschen, bevor auT der Erde Menschen existirten, oline sein Correlat, ein vormenschliches Böses, zu fas-sen. Kine Prüfung dieser und auderer Motive init sorgfaltiger Abwiiguiig der Gegengründe liegt nicht in der Absicht eines aii-gemeinen Giaubensbeweises; uur so viel sei, zur Waruung vor leichtfertigem Aburtheilen, mit Uebergehung der durch die bib-lische Lehre vom Satan wenigstens niöglicher Weise voreingenom-nienen Philosoplien nach Christus, eines Schelling, Daub u. A., historisch bemerkt, dass Platon, der nicht in der Lage war, biblisch-befangen zu sein, eine böse Weltseele anziinehmen sich philosophisch veranlasst land, wie der flir seine „rein theoretischequot; Person im höchsten tirade antidiabolische Zeiler gegen Hlstoriker der Philosophic, wclche das daran Anstösslge zu mil-dern oder zu entfernen versuchten, stringent bewiesen bat.') Wie nahe aber die böse Weltseele Platon's dein bösen, weltbeherr-schenden (ieiste steht, von welchem die Schrift Kunde giebt, liisst sich unschwer erniessen; denn dass der Letztere, der Fürst dieser Welt, ein leibh aftiger ïeufel sei, noch dazu mit einem Pferdefuss u. dgl., ist nicht Schriftlehre, ist auch nieinals Kirchenlehre gewesen. Die Schrift und nach ihr die Kirche lehrt lediglich eine gewisse, namlich unvollkonimene, inunerdar uur im Werden begriflene, nach voller Kealitüt uur strebende Per-söniichkeit des ursprtinglich gut gewesenen, erst böse gewor-denen Satan: eine unvollkonimene; denn zu einer vollkommenen gehort ja allerdings die Leiblichkeit. Aber „Ie mal ne peut pas prendre nature.quot;2) Jedenfalls wird ein auch uur historisch gebildeter Christ Anstand nehmen, das hier bertthrte Problem unter die leichten zu rechncn. Beweisbar freilich im engeren

') Zeiler „Pliilosophie der firieclienquot;, II, 1, S. 636 f. Anm Seine personliche Ansicht sprirlit er in den „Vortragen und Abhandlungen ge-scliiclitliclie» Inhalts'quot;, 1865, S. 261, daliin nus, dass der Tenfelsglaube go-genwiirtig auch bei Solchen, die ihn festhalten, „fi'ir ihr religiöses Le-hen nicht die geringste Bedentung melir habe.quot; „Wer sich — so Ciihrt der Tübinger Herzenskündiger und Kenner des religiösen Lebens fort — in der Theologie gegen die heutige Bildung nicht gan/.lich ahgesperrt liat, der ist über ihn langst mit sich im Heinen.quot; Der ïeufel stellt dir nachstens doch ein Bein.

2) Vgl. Hofmann „DerSchriftbeweisquot; 1., S, 117 IF. und Martens en „Die christliche Doginalikquot; 99—107.

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Sinne ist das Hösc nicht, ist der Iföse nicht. Die Frage nach dein Grunde des Bösen wird durch die Satanologie nicht geUis'l, nur zurückgeschoben.

Alles Andere aber, was den (jlaubens-Inhalt ansniacht, lasst innerhalb der (iranzen des Beweises sich beweisen. Auf sie, auf die absolut-ethischcn Voraiissetziingen der Wissenschaft überhaupt und der Keligionswissenschaft Insondcrheit, miissteii wir ininitten der liewcisfiihrung wiederholentlich zurückweisen; deun die ganze Glaubensfrage ist ein e sitt 1 iche Lebens-frage. Die Lehren von tier Dreieinigkeit und vom Gotlmenschen, sagte der chrvvürdige greise Nitzsch auf dein Kirchenlage zu Brandenburg, das sind SiUenlehren. Wer den vollen Sinn dieser Worte, nicht bloss den, welchen sie haben künnen, son-dern den, welchen sie haben, verstanden hat, dein ist der (ilaube bewiesen. Zu solchein Verstandniss versuchte die vorstehende Ab-handlungbeizutragen. Einen ahnlichen iieitrag in grösserem Massslabe wollteKant liefern mit seiner philosophischen Religionslehre; aber hei seinem allgemein-pliilosophischen Subjectlvismus, bei seiner die „Vernunftquot; in Stücke, ein theoretisches und ein praktisches, zer-reissenden Psychologie vermochte er den Lehrgehalt des Chri-stenthums nicht ethisch zu deuten, sondern nur moralisch umzu-deuten. Aucli kam ilun nicht eine (lieologische Fachwissenschaft zu Hiilfe, wie wir sie nach Sciileiermacher und, was trotz der Weite des Abstandes vou iliin nie darf vergessen werden, durch Sciileiermacher besilzen. Mil Hirer ferneren lliilfe wird der (ie-bildete, dessen Bediirfniss wir hier im Auge haben, sich inehr und inehr zurechtlinden im (ilauben.

Indess kanner das zur Noth auchohne sie, wenn er nur dei-das Leben hindurch wiilirenden Arbeit sich nicht entzieht, welche der christliche Spracligebrauch die Heiligung nennt, wenn er nur im Lebenswandel die praktisch-theologische Kegel bc-folgt und, geistlich gesinnt, da nicht weill, wo ihni der Faden des Gebets zerreisst und das Gediichtniss der heiligen Sprüche vergeht. Daim lösen sich die Bedenken, eins nach dein andern, und man erkennt tiefer und defer, was au dein Clirislenthum ist.

Ja, audi in den Pausen des ernsten Lebens, im Genusse der, mit ilim verglichen, heiteren Kunst wird es unserem Gebildeten nicht au Gelegenheit fehlen, den (ilauben zu verliefen und zu starken. Auch dahin mögen wir ihn zum Schluss noch eine

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kurze Sirecke begleiten. Zwar freueii sich die ücgner des (ilau-bcns laid genug iiber das, was mis init Sclunerz erfiilll, dass die lleroen der deiitscheli Kunst, zuinal der deiilsciien Dichtkunst, dass die Classiker, in denen der Deutsclie scliweigt wie der (irieclie in seiuem Homer, init dein Christentluune der Sclirii't, dem Christcnthume Martin Luther's, zerfallen waren. Und wer es mit diesem hiilt, wird allerdings nicht an dem Cultus jener sich hetheiligen; er wird die Kleinsten im lliinmelreich grosser achten ais die tienien, die (iriisstcn der von Welbern Geborenen. Aber kann ihn darmn die (Juelle nicht laben, aus der die Gegner ihr Weihewasser schöpfen? Und fördert uns denn nur das Finden? nicht auch das Vermissen? Das IJeste und Lehrreichste, was wlr von den classischen Alten haben, ist nach F. v. Baader's Mei-nuug ilire indigentia Dei, namlich Dei Salvatoris. Eben diess miisste allein schon audi von unsern Ciassikern uns zu Gute kommen, wenn sie nicht überdiess Unzahliges boten, dessen Ursprung sie sich verbergen konnten, nicht aber uns. Wer also nur wirklich heimisch ist im Lande des Glaubens, der wird nicht verlieren, sondern gewinnen durch einen Dichter, der wie Goethe dicht et;

„Wenii idi ihn kennle, den Weg des Herrn,

Ich ging' ihn wahrhaftig gar zu gern;

Föhrte man mich in der VVahrheit llaus,

Ich ging' bei (loll nicht wieder lierausquot;

und;

„Lange hah' icli mich gestrfiuht,

Kndlich gah ich nach;

Wenn der alte Mensch zerstaulif,

Wird der neue wach.

Und so lang' du das nicht hasl,

Dieses Stirli und Wer de:

Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.quot;

Kami so eiu Spruch (iocthe's dem Christen als Zeugniss dienen l'iir die Nothwendigkeit desTodes der Uusse („stirb und werdequot;), als classisches Zeugniss von Seiten Soldier, die nicht lest auf dem Boden des Christenthums steheii und doch miiclitig zu ilnn hinlreiben: so zengt von ebendaher auf's Scliönste Schi lier da-für, dass zur Erreichung des höchsten Zieles aller nieiischlichen

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SehnsuclU der Mensch selüst aus eigeuer Kral't IViciils (hun kann, dass er sich von (io(t lieben lassen, d. li. glauben, muss.

„Aus den Wolken muss es fallen.

Aus der Goiter Schoss, diis ClHckquot; --

„Alles Höehsle, es kommt frei Aon den Göftern herabquot; —

„Auf dein gescliiif'tlgen Atarkl, da fülire Tlienns die Waso,

L'ihI es niesse der l.olm streng an der Milhe sich ab;

Aber die Frende rnft nur ein (iolt nuf sterbllclie Wangen. Wo kein Wunder geschlebt, ist kein Begli'irkter zn sehnquot; —

..Nur ein Wunder kann dich tragen

In das schone Wunderland.quot;

Was der Dichter der „Götter Griechenlandsquot; in diesen imd vielen ühnlichen Spriiclicn vom (ilück und von den (iötterii sagt, liaben wir nnr auf den seligen und beseligenden (iott zu über-(ragen: daim ist Schiller der classische Verkünder der caiiacilas passiva unsrer Kirchenlehre. Noch mehr aber; 7,11 dieser Ueber-tragung giebt Schiller selbst tins indirect ein unzwcifclhaftcs Kecht. Deun wcr hal klarer als er eingesehen und riihrender als cr bekannt, dass das blosse (ilück, dieses Höchste des llei-denthunis, das aus den Wolken, aus dem Schosse der Götter fallende, nicht vorhiilt, nicht Stand hiilt?

„Alles Göttliche auf Erden Ist ein Lichtgedanke nurquot; —

„So ist jede scböne Galie Fllichtig wie des Blitzes Scbein;

Schnell in ihrem düstren Grabe Schliesst die Nacht sie wieder einquot; —

„Auf des Weltalls unermess'nem Rücken 1st fiir zehen Gliickliche nicht Kaum.quot;

Daran schliesst er die Mahnung;

„In des Herzens heilig-stille Rauine Musst du fliehen aus des Lebens Drangquot; —

Aber ruiden wir (leun nun da, in dem Heiligthume des uatür-lichen Herzens, wirklich, was wir suchen: die wahre Frciheit unsres geistigen Lebens ? (inden wir da das Ideal unsrer Sehn-sucht realisirt? Er antwortet selbst:

„Freiheit ist nur in dem Reich der ïrftume,

Und das Schone hltiht nur ini Gesang,quot;

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S o klingl hier uml anderwarts die Stimmung Scbilicr's ins Elegische ab, in Wehmulli, in Schwermuth. Sein Liciitgedanke ist, „fllichtig wie des Blitzes Scheinquot;, wahrend das „Licht der Weltquot;, das die Christen nicht bloss begliickt, sondern beseligt, gestern und heute dasselbe ist und audi in Evvigkeit. Schiller und Goethe hellen in ihrer Art den Glanben beweisen; aber so helfen sie freilich nicht, nnd das ist's, was wir beklagen, wie der auslandi-sche Dichter, zu welchem Goethe als zu einem Wesen höherer Art aufzublicken gestand, da er ihm „wie alles Letzte uner-griindlichquot; war. Diesen Dichter, der doch auch den Classikern beigeziililt wird, nebst dein Dichter der „göttlichen Koinödie':, mochten wir nnserm Gebildeten dringend ans Herz legen ftir die Stunden erhebender Erholung. IJ ie Beiden zeugen auch für das, wofür jene Beiden nicht zeugen konnten, well sie es nicht er-fahren hatten, für das, woraus wir den Glauben bewiesen haben.

„The more I give (o thee,

The more I have, for both arc inflnite.quot;

So vermag von der Liebe nur ein in das Gehehnniss der Liebe. die Gott ist, Eingeweihter mit der „Rührungquot; zu reden, für welche nach Schiller „der Verstand keinen BegrilF und die Sprache keinen Namen hat.quot; Der aItmenschliche Verstand spricht nicht: „,le niehr ich gebe, je mehr auch hab' ich; Beides ist unendlich.quot; Sondern der spricht, auf seine Klugheit stolz: „Je mehr ich gebe, je weniger hab' ich; Beides ist endlich.quot; Das steht ihm i'est wie sein 2x2 — 4; damit kann man, denkt er, richtig rechnen, „ehrlichquot; lebeu, und das genügt nach David Strauss. Das „Heiligequot; ist ihm UberllUssig, daher auch jenes Unendliche transscendent, mystisch, romantisch; es duftet nach Mittelalter. Wir kennen diesen Verstand und sind seiner machtig, well wir ihm auf den Grund sehen. Er wird holTentlich aucli unseren (ie-bildeten nicht mehr beirren.

Es sel Shakspeare oder Dante, es sei Goethe oder Schiller: Alles ist unser; wir aber sind Christi; Christus aber ist Gottes.

Wohl mag der Philosoph, in freier Ueberzeugung von der Wahrhelt apostolischer Lehre durchdrungen, in diesen Triumphruf des Apostels einstimmen. Aber er darf nicht ciner falschen Sicherheit das Wort reden. Darum sei, mit Anknlipfung an ebon noch Bemerktes, der Leser hier gebeten, den gleich am Eiugang

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iinscres Arükcls über die Grönzen des Beweises festgeslellten Unterschied des zwlefachen Sinnes, den das Wort „beweisenquot; liat, sicli zu vevgegenwiirtigen, damit er gewahre, was nocli mangelt. Das, woraus wir den Glauben bewiesen liaben, der Urgrund aucb der zweiten Scliöpfung, 1st als soldier selbst nocli nicht bewiesen. Diese i.iicke muss, wenn der Beweis des filau-bens volle Kraft liaben soil, noch ausgefiillt werden. Das im engeren Sinne nur unvollstandig Bewiesene und Beweisbare ist im weileren Sinne vollends zn beweisen durch Entwicklung des christliclien Princips in selne Folgen und durch Widerlegung des gegnerischen Princips in dem, was aus ihm folgt. Erst wenn das geschehen ist, erkennen wir anf wis-enschaftliche Weise den Anfanger uusercs Glaubens auch als den Vollender desselben. Dahin also wird ein dritter und in diesem Zusammenhange letzter Artikel abzwecken, iiberschrieben „Die Spitzo des Beweises.quot;

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III.

DIE SPITZE DES BE WE ISES.

\\ as liaben wir, imd was felill noch? Wir liaben eingesehen, dass dor (ilaubensbeweis nur dcncn kann geliefert werden, die im Stande sind zu glauben; gleiclnvie das Lehrganze der Malhe-inatik nur denen sich beweisen liissl, die Sinn haben fiir dleselbe, keineswegs aber denen, die, wie liubbes, Nichts wissen wollen von einein Pnnkt olme Ausdelinnng, von einer Linie ohne Kreite, weil dieser I'unkt und diese Linie ausserlialb ihres (iesichtskrei-ses liegen. Ein David Strauss, ein Edtiard Zeiler, uud die ilinen anhöngen, sind niclii iiu Stande zu glauben; sie könnten, wie sie selbst gestellen, nicht glauben, audi wcnn das zu lilaubende noch so stark bezeugt wHre. Ausser solclien Mensclien aber findet sich seit Ciiristengedeuken eine Auzalil anderer, die das könnetb was jene nicht können. Fiir sie giebt os einen Beweis des Glaubens, fiir jene uicht. Das ist uns klar von den „Granzen des Beweisesquot; her. Wir haben sodann geseheu, wie denen, die im Stande sind zu glauben, d. h. die eiu biises (icwisseu liaben, der (ilanhe wirklich bewiesen wird: niiiniicit so, dass das biise (iewissen (lurch die lleilserfahrung zuni gulen (iewissen wird im vollen lu theris cli-deutschen Sinue dieses Wortes. Aus der im guten (iewissen enthaltenen Fülle haben wir geschöpft in der „Witte des Beweises.quot; Das aber, wornus der (ilaube bewiesen worden, ist selbst noch nicht bewiesen. Das dein guten (iewissen gegebeue chrisdiche Princip aller Principe, der Gott, der die Liebe ist, oder der dreieinige (iott, dieses Höehste, welches als solchcs unbeweisbar ist, weun man unler dem Beweisen das Ab-leiten aus einem Höheren versteht, muss so noch bewiesen wer-

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den, (lass es sich bewahrt gegeii das Princip, welches ihm wider-spricht. Das fclilt noch; dahin nilissen wir den Heweis noch zu-spltzen.

Dieser lelzte Theil unsrer Inlersuchung, dieser (ilauljensbe-weis ini weiteren Sinne, hat eiiie positive nnd eine negative Seite, einen direct nnd einen indirect heweisenden Abschnittf Die eiu-seitige Hervorhebnng des Wahren, welches aus dom chrisl lichen Principe folgt, wilrde genilgen, wenn Wahres nnr aus Wahrem folgen kfinnte. Dein ist jedoch nicht so. Denn alle Folgerungen sind, obwohl ineist abgekürzte oder, wie .sie in der Schulspraclie helssen, enthymeinatlsche Schlnssfolgernngen; die Termini eines Schlusses aber stchen zn einander im YerhaKnisse nicht der (ileich-hei(, sondern derUeber- nnd Unterordnung; daher ist es intiglich, dass liruchtheilc der in (Ibrigens falschen Pramissen enthaltenen Wahrheit sich zn einem ganz wahren Schlusssalze vereinigen. Die Lehrhiicher der Logik bieten hierfiir, im Kleinen nnd ini (iros-sen, znnial aus der (jeschichte der Hypolhesen, zahlrelche Belege.') hs muss also nicht uur das christliche Princip in seinen (quot;onse-quenzen als wahr, sondern ansserdem das ihm contradictorisch entgegengeselzte Princip in dein, was aus ihm folgt, als falsch erwiesen werden. Durch das Hinzutreten dieses negaliven oder apagogischen Verfphrens wird jene Möglichkeit ansgeschlossen, wird den Forderungen eines vollstandigeu Beweises tieniige geleistet.

1.

Nach dein Zengniss der Weltgeschichte hal der (llaube die Welt (Iberwindend und befriedigend umgestaltet. lm hüuslicheii nnd im (illentlichen Leben der Völker ist durch das Christenthum zum Heile der Welt thatsachlich das Alle vergangen und Alles neu geworden. Indem dort das Weib dem Manne gleichgestellt, das Kind schon in die (iotteskiudschaft aufgenommen, hier der Sclave innerlich und in Folge davon anch ausserlich frei, ein Volk dem

') Uebcrweg, „System der Logik,quot; S. 386 ff. (2. Aull. S. 36S ff.) Trendelenburg, „Logische Untersucbungen,quot; ])., 1862, S. 360, und „Erliluterungen /.u den Elementen der aristotelisclien Logik,quot; 1842, §. ;i2. Vgl. aucli Prantl, „Geschichte der Logik im Abendlaude,quot; I., 1855, S. 305 r.

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anderen verbrüdert wurde, ermögliclite sicli erst die 'wahre sitt-lich-vernlinftige CuKurcntwickelung der Menseliheit auf beiden Le-bensgebleten.1) FUr diese weUgescliicbtliche Tlialsache liegt der zureicliende Erkiarungsgnind in dein Christentlnime, welches wir nns wiederholenllich von einem Mannc baben bezeiclmen lassen, der es historisch kennt, aber persönüch verwirl't, in dein Chri-stenthnme „wie l'aulus, wie allo Apostel es im Sinne halten, wie es in den Bekenntnissschriften siimintlicher christlicher Kirchen vorausgesetzt ist,quot; in dein Credo der auf den Namen des dreiei-nigen Gottes Getauften; niclil in dem Christenthiime, welches derselbe Mann fiir sich und seine Siniiesgenossen als das aliein annehmliche im Sinne hat, nicht in der den fortgeschrittenen „Karrenschiebernquot; bekannteii Minnanitatsreligion, nicht in der „Lehre Jesuquot;, die Zeiler fiir die „Hauptsachequot;, fiir das Wesen des Chri-stenthums ausgiebt ohnc die mindeste Einsicht in das, was er ausser Stand ist glaubend anziierkeunen, dass Jesus ( hristus, der Lehrer, der Prophet, hauptsaclilich und wesentlich nur sich lehrt, den Priester und König.2) Gehört es doch zu den unbestreitbaren Verdiensten einiger neueren, dem positiven Christenthiime feind-licheu Historiker der alten Philosophie, unter denen Zeiler selbst nicht die le(zte Sielle einnimmt, genau nachgewiesen zu haben, dass weitaus das Meiste von dem, worein der Rationalismus aller Arten und Grade den specifischen Unterschied der christlichen Re-ligionslehre von anderen Religions]ehren setzt, fast wörtlich eben so von griechischen Weisen, liingst vor oder bald nach Christus, in beiden FSIlen aber unabhiingig, ge lehrt wurde. Man hat behauptet, dem Christenthum eigne die Lehre der Feindesliebe; es erhelltaber z. B. aus dem platonischen „Kritonquot;, dass Sokrates oder sicherdoch sein (reuester Schiller, der Verfasser des „Kritonquot;,

') Vgl. vornehmlicli C. Schmidt, „Die bürgerlicheGescllschaft in der altrömisclien Welt und ihre UmgeslaKung durch das Christentliumquot; über-setzt von A. V. Richard, 1857. Dazu Da hl mann, ,,Die Politik,quot; I., 1847, S. 217: „Das Christenthum erschuf eine ganz neue Wellbetrachtung, indem es die Völker aller Staaten zu Brlidern herief,quot; und S. 343: „Alle höhere Bildung und namentlich aucli der Fortschrilt in hewussterer Staatsbiidung ist dem neueren Europa durch das Christenthum und mit ihm geworden.quot;

2) Zeiler „Strauss undRenanquot; in v. Sybel's „historischerZeitschrift,quot; 1864, Heft 3, S. 88; „Gerade die Hauptsache, die Lehre Jesuquot; u. s. w.

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dein Slifter des Christeiitlumis in dieser Lchre zuvorgekominen. fieben isi seliger demi nehinen, lehrt Christus; dassclbe lehrtEpi-knr: wohldiim in slisser als VVoliltlialcn empfangen, u. s. w. ') Jene Kisloriker freilich wöhuen vielleicht, damit dem Cbristeu-thume, wenn es dessen iu ihren Augen noch bedürfte, einen To-desstoss verselzt zuhaben; ihm aber nnd seinen liekennern konnle eben damlt in der Hekiiinpfnng eines der hiinlerliclisten Vorurtheile nur gedienl sein. Demi jetzt steht die Saciie einl'ach su. lliiile Jesus vnn \a/,are(,h wirkiieh \ichls getlian als verschiedene trelf-liche, dnreh sein Leben nnd Sterben bekrafligte, aligemeine Leb-ren vom Keiclie Gottes, von der ïiigeml, Moraispriiche nnd dgl. vorgelragen, bestiinde wirkiieh hierin die Hanptsache, das Wesen des Christenthnms, und hiitte nnn d ieses Christenthnin vor acbt-zebnhniulert Jahren sich ani' die lUilme der Welt gewagt: so wSre es ohne Zweifel init Recht, nm im Bilde zu bleiben, ein-stinunig ansgezischt worden, nnd es hiitte nicht anl' vierzebn Tage, geschweige anf Jahrlansende, eine geistige Machtstellnng ohne Gleichen gewinnen können; demi was dieses Christentlinm zn bringen und zu bieten halte, war in Uiille und Flille vorhan-den. Die geistige Lebensluft der danialigen alten Welt war ge-slittigt, ja übervoll von ausgezeichneter, nicht etwa bloss national be-schriihkter, einseitiger, parlicularistischer sonderu iniiverseller, kos-niopolitischer, anf Ihimaniliit dringender Sittenlehre.2) Und doch sind die Fischer aus (inliliia, die„Spcrmologeuquot; (Ap. Gescb. 17, 18, Luth.: „Lotterbubenquot;), die Lebrerder Welt nnd liildner der Menschheit geworden. Da miissen sie deun wohl ein anderes Chrlstenthuin „im Sinnc gehabtquot; haben als Zeller's „Lehre Jesuquot;. Wir wissen, welches. Seine wellgeschichlliche Kigenart, an sich deutlich genug, wird uns klar im vergleichenden Hinblik anf die nicht-christlichen Heligionen, aulquot; ihre Weise, Hestand und Macht in dei-Welt zu gewinnen. Der Islam sucht mul flndet Anhanger in Mas-sen, da er die Menscbenwelt ztnu Weltgennss eiuladet, ibr einen Himinel voller Slunenlust und poteuzirt-irdisclier Wonne verheisst;

') Zeiler ,,l)le Pliilosnphie der Grlechenquot; II, I, 1859, S. 114 und 377, lil, 1852, S. 2ü3.

2) Vgl. noch Zeiler a. a. 0. III. S. 390 (über Seneca und Paulus), S. 400 ir. (über Epiktel) nnd Döllinger „Heidentlium und Judentlimnquot;, 1857, S. 572 ir.

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das Cliristeulluini ruft ilea Menschen vor Allem zu: tluit Busse, deun das Hiiumelreich isl nahc lierbeigekommen, und daim: kreu-zigel das Fleiscli sammt den LUsteu uud Begierden! Der Koran legt es auf Effect au, die liibel hiitet sicli davor. Nlemals sagt sie das, was der uatürliche Meuscli inlt deiu trotzigeu oder ver-zagten Herzen envartel,; selbst da, wo sie die schreienden Schand-tliateu erziildl, welehe das jiidische uud heldulsche Volk au Christus verllbt liat, zeigt sich nirgends eiuc Spur der Absiclit, Mitleid zu erregeu, zu rtiliren; es ist, als liise mau eiue Chrouik. Zvvar misst keine Religion dem liulividuum eincu so hoheii WertU bel wie die christliclie: für dicli, urn deinetwillen ist Gott Meusch geworden, der Keieiie arm, ist Christus gestorben, und keine wen-det sich mil so fleheutlicher Hitte an die Menscliheit, dass sie mit Gott sich versöhnen iasse; aber das Bitten wird nicht zum Betteln: wollen die Juden nicht, „so wenden wir mis zu den Heiden,quot; uud wiihlt der Islam l'euer uud Schwert zu Mitteln seiner Ausbreituug, so lasseu die ersten Cliristeu sich wilrgen, sich tiid-ten wie Schlachtschafe; in soldier Nachfolge ihres Propheten überwinden sie weit. lirst uachdem das Christenthum eiue Weltmacht geworden, vergisst die Kirche, leider nicht selten, welches Geistes Kind sie ist, und vergreift sich zu ihrer unwiiid' gen Mitteln; urspriiuglich aber siud Wort uud Sacrament ih.o alleiuigen Bahubrecher gewesen. iMcht allerlei natüiiiche Mittel, deren Mitwirkung Niemand lilugneu wird, sonderu diese Gnaden-mittel in ihrer Urwirkung habeu die alte absterbeude Welt neu belebt uud iu eiue christliclie umgewaudelt. Wer, wie Baur und dessen Schule, vou der dieseu Mitteln eigenen Wuicuugs-kraft oder „Energiequot; Nichts weiss, dagegeu die Christianisirung der „ungiKtlichenquot;, bei allem Ueberfluss au Sitteulehre „unsitt-licheu Welt, wie sie y.ur Zeit der Erscheiuung des Christeuthums warquot;, als eiuc Erhebung derselben aus der Nichtigkeit, aus der (iottlosigkeit zur Selbstvergfitterung ansicht und dieseu vermeiut-lichen, ihm erfreulicheu Fortschritt aus eiucui Pluralis zusam-menwirkeuder endlicher Ursachcn, insouderheit aber daraus er-kliirt, dass der Ilauptbestaudtbeil jener „uugüttlichen, uuslttlichen Weltquot;, der menschliche „(ieist,quot; „iu sich selbst, in seine tiefste Inuerl ichkeit zuriickgegangenquot; sei und durch diese „Vertiefuug iu sich selbstquot; sich selbst eiiös'l habe: der gleicht

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eincm Nalurliisloriker, welcher unlcr einer „Oasequot; cine Gegeild, wo man den breniieiideu Durst mil Schèidewasser lüsclicn kami, verstande und mil: energiscliein Proteste dagegen, dass Wimder miiglicli seien, mis berichtetc, die Sahara habe sicli in sich selbst ver-tieft und sei dadnreli zur Oase geworden. ') Wiv wollen dein nn-ausbleibliclien Irtheil der nrtlieilsfaliigen (iirentliclien Meinung liber einc derartige Mistorik niclit vorgreifen. Sie selbst ver-sicbert bekaimtlieli, dass sle nnr von den (irnndsiilzen Aiebiilir's und Hanke's sicli leiten lasse, und einc blinde Menge, die gerade jelzt erst reebt selien zn lemen oder gelernt zn liaben

') Bau'iquot; in den „ïheol. Jalirb.quot; von 184G, S. 40: „Wie das Cliristcn-tlium („die Objeclivitiit des Staudpunklcs, aul' welchem das Christentliinn steluquot;) sich nur aus dem Zurückgehen des (ïeistes in sicli selbst, in seine tiefsle Innerllchkeit begreifen liisst, so spricht sicli diese Verliefung des fieistes in sich selbst in iliver vollen Energie darin aus, dass sich das Selbstbewusstsein in seinem Denken als das Absolute weiss,quot; d. h. sich selbst vergöttert. Aehnlich im „Lehrbuch der christl. Dogmengeschichte,quot; 1838, S. 17 f., in der Schril't „das Christenthum und die christliclie Kirche der drei ersten Jahrhundertequot; und auderwiirts vielfach, N'ach Banc's „christl. Lehre von der Dreielnigkeit nnd Menschwerdung (iollesquot; 1., 1841, S. 100, soil „der dem Christenthum eigenthümllelie wesentliche Fortschrittquot; darin -ifbestehen, „dass die Einheit (iottes nnd der Welt, wobei audi die alexan-•ufdrinische Heligionsphilosophie stellen blleb, zur Einheit Gottes und des Menschen geworden ist,quot; also in dem Umschwunge der Menscliheit von der Weltvergültenmg zur Selbstvorgüttenmg. Die eigelitliüniliche „Energiequot; des „sich in sich selhst vertiefendenquot; oder, wie unser Dichler hier wohl sagen würde, sicli in sein Nichts verbohrenden Geistes ist aucli bei Betrachtnng andrer wellgeschlclitlicher Begchenheiten, z. B. der Reformation, die ultima ratio Baur's. Wenn schon jetzt seine Schiller, nanientlich Zeiler, unter den obwaltenden Umstiinden es gerathen linden, den Meister möglichst zo deshegelianisiren, so verralh sich doch indieser „Energie,quot; wie in Vielem, immer wieder die wissenscliartliche Herkunft Banr's von Heg el, dessen drei erste Kategorien, das f-'eln, das Nichts und das Werden, in Werder's „Commentar zu Hegei's Logik,quot; 1841, S. 41, so commenlirt werden: „lm Nichts enthtillt sich der heilige Doppelsinn der Leerheit des Seins. Das Nichts ist das Wissen des Seius uio seine Fttlle, um seine Erfüllung aus sich, um sein freies ïluin, um sein Sich-selber-schaffen, und in der Energ ie dieses Wissens sich regend in sich heisst Sein nicht mehr Sein, sondern Werden.quot; Es ist die nüinliclie „Energiequot;; nur dass mit ihr der Eine Weltgedanken produclrt, der Andere Weltge-schichte. Wir aber fragen mit dein Apostel: ..Hat nicht Gott die Weislieit dieser Welt znr Thorlieit gemacht?quot;

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meint, liisst sicli wiederum von ihr leiten. Diese Blinden nnd diese Lquot;iler der Blinden sind einander werlh.

Der weligescliicliUiche Folgenreichlluim des chrisllichen Prin-cips rellectirt sicli allenthalben in der Geschichte der Wissen-schaflen, ailgemein in der Geschichte der Philosophie. Wie jene nur bei den christlichen Vöikern einen audi aul' gckriimrntem Wege s'etigen Forlschritt aufweis't, wahrend die anderen — mit hohen Gaben der Gebun, aber, und zvvar eben auch als Völker, ohne die Gabe der Wiedergeburt — enlweder es gar nicht zu einer Litieratur gebracht haben oder ihren forlgeselz.ten Wlder-sland gegen das Christenthum mil litterarischem Siechthuni, mit einer Litteralur „kranker Mannerquot; bussen niUssen: so ist auch die GeschiclUe der Philosophie christlicher Zeil, lm Ganzen genoni-nien, eine Geschichte der chrisllichen Philosophie. Als eine solche bezeicbnet und betitelt sie denn auch der Allnieister unter ihren Darstellern, lleinrich Hitter, sowohl in seinein grosseren gesainnitgeschichtlichen Werke als in besonderer Bearbeilung. ') Er selbst spricht sicli hierüber folgendennassen aus: „Nichts weiter will die l'iiilosopliie als die Denkweise der Menschen in einen allgeinein wisseuschaftliehen Ansdruck lassen. Wie min diese unter den neueren europiilschen Vöikern durch das Clirislentbum sich gebilde! hat, so wild es nicht minder der Philosophie ge-schehen sein. Wir wollen mis dadureh nicht irreu lassen, dass in dleser Philosophie auch viel L'nehristliehes sicli linden liisst; eben so wenig, als es uns abhalten wlrd, die neueren Völker nnd Staaten chrlstliche zu nennen, dass auch in ihrer Geschichte und noch in ihren gegenwartigeii Zusliindeii a iel Unchrislliches nacli-gcwiesen werden kann.quot; 2j Die mittlerische goltmenschliche Ulilfe, welche die letzten Denker des Allerthums ftir die Philosophie triiumerisch ersehnteu und Iheurgisch herbeizaubern wollten, um sie vor dein Untergange zu bewahren und ihr ein neues Km-

') llcinricli Hitter ,.Gescliichte der Philosophiequot; in 12 Biinden, liand 5—12: „Geschichte der chrisllichen Philosophie,quot; 1841 ff., mul „Die chrlstliche Philosophiequot; in 2 Biinden, 1858 und 1859.

Rit ter ,.(ïesch. d. 1'h.quot; V., S. 46 f.; vgl. IX., S. 102—116, wo Kilter seine Behauptung, dass auch nach dem Mittelalter „die neuere Philosophie nur aus dem Entwicklungsgange der chrisllichen Denkweise lier-vorgegangen islquot;, ausführlich motivirt.

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porkommen zu siehern,') sie isl (lurch üedauken. die niclit der Menschen Gedauken waren, aus ünaden ihr zu Theil geworden, und nur als cliristliche Philosophie ist die Philosophic wieder aufgelebt. Besteht eine solche, nach dem Urllieile eines Ilislori-kers wie il. Hitler, langst in Wirkiichkeit, so wird liiglich ilire Möglichkeit sich nicht bezweifcin lassen, es wiire deun iu dem Siiine, dass die wirkliche kein Recht liiille, zu bestellen. Dieses nun ineinen allerdings Viele, und zwar nicht nur die (iegner des Christenthunis, mit denen wir im zweilen Abschnitte werden zu strciten liabeu, sundern aucli cliristliche Theologen, mit denen wir lieber nicht strltten. üie Meinung der Letztereii ist unseres Wissens am Klarsten ausgedrückt und begründet in Hofmaun's „Schril'tbeweis,quot; wo es heisst: „lirfiillt die Theologie iliren He-rul', so wird sie zum Zeugnisse, dass das ChristeiUhuiu llefriedi-gung des Heilsbedürfuisses ist; erfiillt die Philosophic den ihri-gen, so wird sie zum Heweise, dass das unwiedergeboreue Leben den nngelöstea Widerspruch eines unhefriedigten Ileilsbedüifnis-ses iu sich trügt. Wo die l'hilosophie mit einer Krage eudigl, begiunt die Theologie antwortend. Beide zusamiiieii sind der Ausdruck des gegenwartigen Staudes der Dinge, da der Christ im Fleische lebt, die tienieinde in der Welt, und Christus verborgen bei (jott. Slelir zu leisten, als dass die Gegenwart ihren entsprechenden Ausdruck linde, ist der Wissenschaft weder gege-Len noch befohlen.quot; 2J Iliernacli wiire vor dem zuküuriigen Stande der Dinge eutweder gar keine cliristliche Philosophie statthal't, oder sie müsste weuigsteus ihren Namen ablegen, uni imter dem der Theologie mitbefasst zu werden. Diese Forderung scheiut tins eben so willkUhrlich als jene Uulersagung. Deun woniitkaun llofmanu die Beschröukung der l'iiilosopliie auf das Gebiet des „unwiedergeboreiieu Lebensquot; rechtlertigen? Soil, nachdeui die leere Stelle gezeigt worden, die durcli das Cliristenthuni gelïillt wird, nun die philosophische Forschung aufboren und nicht viehuehr erst recht aus dein Vollen, aus der Flille des uus zur Weisheit ge-machten Christus, aurangeu? Oder sollen l'orUin die Theologen

!) Die Belegein R1 tter's undPrelle r's „Historia pliilosopliiae grae-cae et romanae ex fontium locis contexla,quot; 1864, S. 522, 532 C. u. 635, 2) Ho fin ann „Der Schriftbeweisquot; I., 1857, S. 15.

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Metaphysik uiirt Naturphilosoithle treiben, Aesthelik und Rechts-philosoj))iie? Kin Drittes isl undciikbar (km Verl'asscr des Sclirift-bewelses gegeniiber, in dessen Bibel aul' das „Oline Slich könnt ilir Niciils duin ' siclier so wenig als in der unsngen folgt: aus-genommen philosopliiren. Ein ilim na lie steliender Theolog frei-licli, Harless, statnirt in der That diese Ausnahme; denn nach ilim sind der L'rgrund der erslen Scliüprung und der Drgrund der zweiten, der (iott, von dein je de gute Gabe komnit, mul der (jol 1 des Heils, ,.zwei ganz verse hiedene Wnrzeln.quot; ') In-dess eine derartige nalbirnng des Wesens der (jotlheit wider-slreitet so sehr der unzweideutigen Sehriftlelire, nach welcher Alles dnrch Christus und zu llnn liln oder fUr Hui geschaffen ist, Alles in ihni besteht, wir in Ihm vor Griindung der Welt erwahit siud; sie entrückt das, wie wir erkannt haben, aus ilem Gotte, der die Liebe 1st, begreilliehe, von ibiu mis natürliche lleilswunder oder Gegenvvunder des Christenthums gegen das Wunder des liösen und des Uebels so od'enbar aller, auch der christlieben Veruunn, dass wir sie uur ans eiuer hoirentllcli vor-tibergegangenen Verstiniinuiig des edlen christliehen Denkers ilber gewisse verzerrt-cliristliche Zeilerscheinuugen, die nns nicht minder auwidern als ihu, zu erkliiren vermügen, Uebrigens iimss hier, damit nicht iiiiizelnen Inreclit geschche, bemerkt werden, dass die grosse Mehrzahl unserer Theologen wie ancli der Yer-(reter andrer Facliwissensehai'ten, well die Philosophie ihnen anf ihrem individuellen Bildnngsgange in der Regel bloss den Dienst einer l'ropiideuük, eiuer Gymnaslik des Geistes, einer An-weisiing zu melhodisehem Denken, iiöchstens einer Piidagogie auf Clirislus hin, geleisiet bat, uur zu geneigt ist, derselben auch an sicli keine weitere und höhere Bedeutnug beizulegen. In dieser Neigung sind die Theologen der (iegenwart dadurch bestarkt worden, dass von Philosophen, zuiual von solchen der niichsteu Yer-gaugenheit, die mit Hirer Speculalion die theologische Arbeit zu fördern verhiessen. diese vielinehr oftmals gehemint oder irregeführt wnrde. Manche Philosophen haben in ihrem Philosophiren iiber das Chrislenthuin ziigieich iiber dem Christeuihume phiiosophirt.

') A. v. Harte ss ..Das Verhallniss des Christenthums zu CuKur- und Lebensrragen tier Gegenwart,quot; 1863, S. 81.

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Sie haben, sich in Gedanken dariiber stellend, die göllliclien Dinge nicht wie Realitüten behandelt, sonderu wie Begi ille, mil denen sic „rein theoretisch,quot; in „interesseloser Betrachtnng,quot; operiren, an denen sie sich, ihren Witz nnd ihren Scharfsinn, geltend machen können. Von einem derarligen Philosophiren kann der gevvissen-hal'te Gottesgelehrte nicht lïlihe genug sich abwenden, wenn anders der nur ein walirer Theolog ist mul bleibt, der's mit Furclit und Zittern ist, der sich bengt vor dein Gegenstande seiner Wissenschaft und sie nicht mn seinetwillen lieihl, sondern urn des-sentwillen, von dem sie ihren Namen hat. Aher soli, was l'bi-losophen verschuldet haben, die Philosophic biissen? Ans ihrer Geschichte können die Theologen, wenn sie ihr ein gründliclics Studium widmen, erfahren, dass die eineZeillang vorherrschende „rein theoretischequot; Kichtung nicht die rechliniissig herrscheiule ist, dass die Hegriinder der wissenschafdichen IMiilosophic dem Lebrer der Lebensweisheit, der die Philosophic als einen Gottes-dienst, rw 'Jf(o iurr^tatav, wol 1 te gciibt wissen, im Ganzen ihrer Forscimng trcu geblieben sind, und dass auch nach allen spiite-ren Abweichungen immer wieder cingelenkt ward in die rechte Halm. Es mag in kelner Zeil, so oft und so dreist, wie in der unsern, behauptet worden sein, dass die Wahrheit nur dem reinen d. h. voraussetziingslosen und interesselosen Denken cr-kennbar, dass sie sitllich werthlos oder gleichgtiltig sei. Und doch ist dem bercits aucli wieder von ancikannt philosophischer Seile mit grösster Bestimmtheit widersprochcn; es ist bercits dagegen behauptet worden, dass das Wesen der Dinge nicht in Gedanken bcstche, und das Denken nicht im Stande sei es zu fasscn, aber der ganze Geist erlebe dennoch vielleicht in anderen For-men seiner Thiitigkeit und seines Er gr i f feu se i ns den wesentlicben Sinn alles Seins und Wirkens. ') Die Philosophen, welche die paulinische Form des „Ergrillcnseinsquot; (Philipp. 3, 12) den anderen vorziehen, sind ans der Schwebe des „Vielleichtquot; auf den festen Boden der Glaubensgewissheil getrelen; sie haben cs erleht, dass ihnen der „Sinnquot; gegeben wurde, zu erkennen Den, in welchem alle Schal ze der Weisheit und Erkenntniss verborgen liegen. Das sind christliche Philosophen, und nur

') Lotze „Mikrokosmusquot; 111., 1864, S, 2-13 f.

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wenn solche da gewesen sind und die Perioden der Entwicklung ihrer Wissenschaft wahreiid der Zeit nadi Christus in Wahrlieil beherrsclit hahen, !iat der Historiker das Recht, die (leschichte der Philosophie christiicher Zeit einc Geschichte der christlichen Philosophic zu iiennen. lihen dieses Recht hat Heinrich Killer meisterhaft iiachgewiesen und sodann ausgetibt. Dahei durfte allerdiugs, wie schou eingerauuit, die hier in Redo stehende (ie-schlchte uur als cin (ianzes geuomnien, es inusslcu die in ihren iheilen oder Ausschuitten hervorgetreteueu Kiuseiligkelten rulteiu-auder gleichsam couipensirt werden. Deun das volle christliclie, (iotlhelt und Meiischhelt, liott und Welt umfasseude, thcanthro-pologische l'rincip kam, in Menschenhand gelegt und damit den Wechselfalleii zeillicher lintwickhiiig ausgeselzt, nicht soglclch in seiner Fiille znr Auswirkung. W'iihrend der langen Periode der Patristik und Scholastik Irat das theologische Klement, vom Ausgange des lliltelallers his auf die Gegenwart herah das kos-iiiologisclie in den Vordergrund der Forschung, und nun erst scheint es an der Zeit und in der Ordnung, dass die im llinler-grunde stets regsaine, das (ianze ganz lassende Philosophie her-vorbreche, um die noch verborgenen Schiitze des (ilaubens wis-senschaftlich zu heben. Aber der durch die Oberflache der Kr-scheinungen hindnrchdringende geschichtiiche Bliek sielil in den Theilen schou das (ianze, dein sie dienen; ein soldier Bliek hat die (lesehichlschreibung Bitters geleilet, Daher belrachtet und behandelt er die arabisclte Philosophie als eiue „lünschallung in die Geschichte der christlichenquot;1); daher findet in dieser audi der ,lude Spinoza seine Stelle, er, deni sclbsl der llisloriker der Christologie das Zeugniss nicht versagt, dass Christi Krsclieinung auf ihn einen tiefen Eindruck geuiacht habe 2); daher wird aber auch andrerseits ein Nachdruck darauf gelegt, dass die Philosophie durch die entschiedene oder, wie man öfter sagt, spe-cifisclie Christliclikeit nicht aufgehört hat, Philosophie zu sein. lm Gegentheil. „Die Philosophie der Kirchenvater hat einen ganz andren Glauben an die Wtirde der Veruunft, als in den Leh-

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ORitter „Gesch. d. Pil.quot; Vil., S. 140 u. S. 603 IT.

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) Dom er „EntwicklunRsgcschichte derLelire von clei'Person f'lirisliquot; 11., 1866, S. 045 Anm,

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ren der heidaischcn Philosopliic herrsclit,quot; die es fiir unmöglich gehalten haüe, dass die einzelne Person die Rille des (futen ('assen könne, dass lm Kleinsten, ja in der einzelnen Anscliauung des geistigen, von Gott erleuchtetcn Auges die ganze Fiille der Walnheit und des (inteii sieh oll'enbare. ') Wer die Friichte kennen lernen will, welche dieser Glaube auch lm „dunklenquot; Mittel-alter, im Zeilraume der gemeinliin knrzweg als ün pliilosophle verschrieenen Scliolaslik, getragen hal, der lese, was Kilter von den l.ehren eines Hugo Victorimis, eines Duns Seotus quellen-massig berichtet!

Wir versuchen nun, die liiermit gegen unabsithUielie Jliss-dentungen wohl geschiitzte „ChrisliiebkeK,quot; der 1'hilosophie im Kinzelnen etwas naher nachzuweisen: wobei sieh, naeh Avleder-holten iTliheren lirklarungen, von selbst verslehl, dass uns die Pliilosophle niclu [eine „rein theoretisehequot; Wissenseliaft, nicht eine „Philotheoriequot; ist, die es anf Abstraelionen, Verslandes-Kunststiicke und dergleichen anlegt, die das Wissenschaftliehe dem Menschlieheii liberordnet oder nebenordnet, sondern die absolut ethische, der Lebensweisheit dienende, das Wissenschaftliehe dem Meiisclilichen iinte rordnende Wissensehart der Prinei-pien, das .Mensehenleben selbst, lus rellectirende Bewusstsein ge-hobeu, die Wissenschaft, die wirklich, wie wir eben noch von Kilter uns haben sagen lassen, Mchts weiier will als die Denk-welse der llenscben ineinen allgenieln wlssenschaftliclien Aus-druck fasseu. Nur indem wir den Einlluss des ('hristenthums auf die se Pliilosophle, die iichte unverfalschte, sehildern, brin-geii wir die Essenz seines weltgeschichtliehen Kinllusses auf das Le ben der Menschheit zur Anscliauung.

Dass in die Pliilosophle einzuleiten am besten die Ge-scliichte derselben sieh eigne, die lelztere somit die erste sei in der Reihenfolge der besondereii philosophiseheu Disciplineii, darin stimmen die meisten Philosophen der neneren und vornehm-lich gerade der gegenwiirtigen Zeil: tiberein. 2) Das Krste in aller

') Hitter „Gescli. d. Ph.quot; VI., S. 620 f.

2) Schelling's Vorrede zu Victor Cousin „L'eber französische und deutsche Pliilosophle,quot; 1834, S. XVII : „Fiir die subjectiv nölbige Yorbe-reitung m einer bestimmten (gegenwiirtigen) Pliilosopliie liat der pliiloso-phisclie Geist selbst bereits besser gesorgt (ais Consin n. A, mit psycbolo-.

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Wissenschaft ist Hingabe, Selbslvcrleugnung, wie audi lm Leben diese das Erste i?(; nicht „Krilikquot;, die vielmehr ein Zwei-tes ist, sondevn geschichtiicher Sinn, ohne welchen man von vorn herein kein Wort aussprechen, keinen Oedanken mit Be-stimmtheit Tassen, folglich auch keine rechte Kritik üben kann. Wir sindzunachst iiberali auf's Vertrauen, auf Treu nnd Glau-ben geslelii. Der Mensch ist ein geschichtiiches Wesen, dessen Entwicklimgsfortscliritt nicht ohne Fortsetzung gedeiht. Es wird hierdurcli eine andere, nicht isagogische Behandlung der Geschichte der Philosophie keineswegs ausgeschlossen; doch dtirfte auf jeden Fall Erwügung verdienen, was Herbart meint, dass (ie-schichle der Philosophie unter allen (Jeschichten die langweiligste sei, wenn sie nicht bennlzt wcrde znm neuen Philosophiren. ') Xiin haben thalsiichlich Philosophie nnd Religion von Anbeginn fortwahrend (iranzstreitigkeilen nnd Rangstreitigkeiten mit einan-der gefilhrt. Dem wiire sicher nicht so gewesen, wenn nicht ein eigenthiimliches, von persönlichem, sympathischem oder antl-pathischem, Helieben unabhangiges, rein sachliches Verhiiltniss zwischen ihnen bestande, ein Verhaitniss, das man ignoriren, aber nicht wegschairen kann. Das Bestehen eines solchen wird denn auch von Seiten der am meisten divergirenden Richtnngen der neuesten Philosophie, der Hegel'schen und der Herbartischen, einmiilhig anerkannt. Hegel spricht es gleich im Eingange seiner Encyklopiidie ans, dass die Philosophie ihre Gegenslande zu-niichst mit der Religion gemeinschaftlich habe, mul gern hören wir auch von Drobisch den schon einmal vernommenen Aus-spruch hier wieder, dass die höchsten Interessen der Philosophie und der Rellgionswissenschaft, der Theologie, immer und ewig dieselben seien und bleiben. Auf das Verhaitniss zur Religion in der Geschichte der Philosophie nicht eingehen heisst das

gisclien Einleitungen), der in den verse li ie d enen pliilosophisclien Systemen, wie sie a u f e i n a n d e r f o I g t e n , seine L e li r j a h r e z u-rückgeiegt hat.'' Aehnlidi Trendelenburg im Vorwort zur /.weiten Aullage seiner „Logisclien Untersuclmngen,quot; ChalybSus „Fundamental-philosophiequot; 18G1, S. CO und 139 Aim, u, A. Vgl. auch des Verfassers Antrittsvorlesung ,,l)ie Geschichte der Philosophie als Einleilungswissen-schaft,quot; 1803.

') Herbart „Allg. Metaphysik,quot; WW, (Hartenstein) 111., S. 203.

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Tiefste uiul Seliwerste, dcu MiUel|umkt der Fragcn, uuigehcn. Wie aber ilit'ses Wecliselverlmldiiss in Ansehung der clmslli-clien Hellgion sich geslallel habe, erhelK solort daraus, dass kaum eiii llistoriker der Pliilosopliie sieh lindel, der nicht mi( dein gelehrleslen nnter den lebenden das Chr islen t li um für den „Grnnd nnd Angel punk l der Sonde rung alter nnd neuer Pliilosopliiequot; erkliirte.')

Warnm dein Cliiisteiillinnie diese entsclieidende Einwirkung auf die Gesehichte der Pliilosopliie znkonimt, kann in dieser sellist, sofern sie den Charakter einer Klnleitiingswisscnscliafl wahrt, niclit vollslandig begrlHen werden, Denn jetnelir die Pliilosopliie dein Leben des Menschen entsprieht, desto bestimmter ninss sieb in ibrein einleltenden Theile der Kampr, der Zweikampl' des für die wissensclial'tliclie Kellexion erst werdenden, gleieli-sam lm Anznge befindlichen, nenen Menschen mit dein alten rellectiren; wcr nicht zweifeit, auch am ChristeiKlnmie zweifeit, der bedarf überhaupt kelner Wissenschaft, also audi kelner wis-senschaftllchen Philosophie. Die Frage aber, die der (ieschichte der Pliilosopliie als der philosophischen lilnleitungswissenschaft geslcllt ist, lanlet einfacli so; was ist nach dein sclion (iesche-henen noch zu (Inni, danilt das Riithsel der Welt golösl werde? Auf diese Frage kann iniierhalb Hirer (iriinzen nur die Antwort erfolgen: nach dein Zeugniss der (ieschichte vermag die Philoso= phie vou selbst, oline anderweitlge VerinIttlimg, das Hiithsel nicht zu lösen inn des Knotens willen, der lm Hösen und im

O li r an tl is „Handbuch der Goscliielite der griechisch-rtinilsclien Pliilosopliiequot; 1., 1805, S. 52. Aelinlich Uelierweg iu seinem ,,firumlriss der Gesclilclite der Pliilosopliie,'• I8GS ir.. u. A. (Der 1860 erschienene „dritte Theilquot; des Uebenveg'sclien Orundrisses war noch auf dem Um-schlagblatle der zweiten Abllieilung des zweiten Theils als dritte „Abthel-1 ii n gquot; abcn dieses zweiten Theils, der Geseli. d. Pil. der „cliristiichen Zeilquot;, bezeiclinet; jet/.t ist die „Neuzeltquot; der „clirislliclien Zeitquot; coordinirt worden. Aucli Erdniann statnirt in seinem „Grundriss der Gesclilclite der Pliilosopliiequot;, 18()6, drel Haupttbeile: Pli. des Altertliunis, Pli. des Mittelalters und Pli. der Neuzelt; aber er neniit dennocb I, S. 197 die „Neuzeltquot; neben dein „Mittelalterquot; eineHauptperiode der „cliristiichen Zeltquot; und hebt II, S. 3. es ausdrücklich hervor, dass „durch den Bruch mit dem Mittelalter mul den Gegensatz zu demselben die Neuzelt den chr is tl leb en Charakter nicht einliüssequot;.) Hiennit stlimnt aucli jetzt li noch das luhaltsverzelchnlss bel Ueberweg.)

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IJebel liegt; was mit lliilfe jener Vennilllung bereits geschehen ist, lint in der (iesc)iidi(e der Phllosophie als einleUender Disci-plin uur den Werth von Thatsaciien, deren allseitige Begründimg vorbelialten bleibt. Sic ist einer anderen phiiosopliischen Disci-plin aulgegeben, niimllch der Religionsphilosophie. Den ver-mittelnden Charakler derselben kennen wir aus der „Mitte des lieweises.quot; Er kann nur bei absolut-ethischer Fassung der ganzen Philosophie vollkommen einlenchten; wird er verkannt und alterirt, so ist für die Keligionsphiiosopiiie erfalirungsmassig Eins von beiden die nnausbleibliche Folge: cntweder eine Verwischung der sie von der Metaphysik scheidenden Griinzen oder iiire Auf-lösung in Moral. In der Religionsphilosophie aber als der phiiosopliischen Ceiitralwissenschaft erweist sich, wie wir ebenfalls aus der „Mille des Beweisesquot; wissen, die chrislliche Religion nicht blos als das Ja, sondern auch als das Amen auf die Frage, zu welcher das Ergebniss der Geschichte derPhiloso-phie den gewissenhaften Denker mit Nothwendigkeit fülirt: ist ein Mittel vorhanden zur Lösung dessen, was die Fhilosophie von selbst nicht zu lösen vermag? Das Cliri.slenthuin leistet Mehr, als vom ethischen Standpunkt oder vom Standpunkte des Gevvis-sens aus speculativ konnte gefordert werden, Mehr, als „iu eines Menschen Sinn gekommenquot;; demi an ihiu schiirl't und reinigt sich noch fort und fort das Gewissen. Christus ist der cinige Grund, der gelegt ist, und der den im Gewissen voraus gesetzten Cgelegtcn) Grund erst recht begrtindet im guten Gewissen. Wie nun in den Hearbeitungen der Geschichte der Philosophic ziemlich ein-stimmig jene cnlscheidende Bedeutung des Christeiithums aner-kannt ist: so wird auch in allen wissenschaftlich geartelen Werken tlber Religionsphilosophie die chiistliche Religion als die ab-solule, als die dein Begrille der Religion alleiu vollkommen ent-sprechende, als die ihrem Wesen adaquate Erscheinungsform be-zeichnet und, je nach dein Masse der Glaubenserkenntniss ihrer Verfasser, mehr oder minder klar lus Licht gestellt. Wir ver-weisen daflir, um auch hier nur der sonsl am Weitesten aus einander gehenden phiiosopliischen Richtungen zu gedenken, auf die reli-gionsphilosophischen Schriften von Billroth und Drobisch. Ja, erst durch das Christenthuin ist factisch die Wissenschaft einer allgemeinen Religionsphilosophie zu Stand und Wesen gelvommen.

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Vor Christus gab ps Menschen, aber koinc Meiisclibeit; selbst der grösste Denker lt;lcs Alterlhunis, A ris I o teles, hat den Gedanken der Menseiiheit nicht gehabt, konnte ihn nicht iiaben; und so giebt es thatsachiicli auch eine universeile Religlons|iiiiloso])hie erst, seit der christliche Gedanke eines aiinialilichen von Suil'c zu Stnfe unter göttiicher Leilung vorschreitende» reügiiisen Entwickiimgsgan-ges der gesammten Mensclilieit von den pa Iris ( is chen Denkern ge-fasst, von Lessing wieder aufgenommen und alsdann entseliieden durchgeführt wurde. ') Krst der Ciirist liat wieder ein Herz zu Gott und sinnt verlrauensvoll seiner Führung des Menschen-geschlechles nach; erst von dem ini Glauben erreichten Ziel aus wird der zurliekgelegte Weg mehr und niehr als ein providen-tieller, als ein verniinfliger erkannt; nnr wer den Geist aus Golt enipfangen hat, kaïin wissen, was uns von Golt gegeben ist (1. Kor. 2, 12). Nun erscheint auch die Geschichte der Verir-rung als eine Enlwicklungsgeschichle, nun audi der Siinder als ein Kind, als ein Unmllndiger (Gal. 4, 1 IF.), auch der Heide, der seinerseits ohne Gott in der Welt ist, als nicht voti (ioll verlassen, Zwar nicht direct unil positiv offenbart sich Golt in den Religionen der Völkerwelt: eine Zimahme an religiösein (iehalt, ein wahrliaft religKiser Fortschritl der heidnischen Religionen ist durchaus nicht ersichllich; sondern sie reilen, je mehr sie for-mell sich aushihlen, desto mehr auch ihreni üntergange entgegen, so dass von eineni innereu „Uuterungsprocessquot; der Alythologie nach dein gegenwHrligen Stande der exacten religionsg e sc h icht-lichen Forschung nicht die Rede sein kann. 2) Kin Forlschriü zuiu Gulen, das Classische des lleidentiinnis, lindet sich In den peri pher isc hen Spharen der Wissenschafl, der Kunst, des Slaatslebens. Aber eben daran, dass diejenigen, die hier den Fortschritt vollzogen oder die das Classische jeisleteu, es ohne nachvveislichen innereu Zusammenhang mil, der Religion Hires Volkes thaten, ja vielfach gegen sie gerichtet waren 'mul ilire

') Vgl. Ulrici's Artikel „Rellgionsphilosopliiequot; in Herzog's „Real-Encyklo padiequot;, Band 12.

2) Gegen einigc Bemerkungen (Heyder's) in dem auf Scheliings Philn-sophie der Mythologie bezüglichen, ulirigens trelTliclien Aiifsatze der Er-langer „Zeitsclirift ftir Proteslantismus mul Kirche,quot; i860, Band 30, Heft 1, vgl. den Artikel von J. ti. Müller fiber „Polytlieisnmsquot; in Herzog's „Real-Encyklopödie,quot; Band 12.

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Möngel aufdeckten, — daran komUcii die Heiden erkeunon und ac eikannlen zuin Tiieii, tlass es \iclits sei mit Hirer Religion. iis( in sofeni aiso war diese eine Sialic der indirecten und negati- cs veu Direnbarnng (ioltes. Was Inngegen die jiidisciie Keiigion au; betrifl'l, so isl scliiirlVr noch, als audi von dein spöleren lyg Schelling gescliehen, zu initerscheiden zwischen der rein- jüdi-sclicn, allleslanuMillicheu. durcli (ieselz und l'rophelie zuin ('hri- Al! slenthnme lendirenden lU'ligiun und der jndaistisclien, die das aIj (ieselz missljrauchl, inn sich ge gen die Prophetie nud dainil du ge gen das Christeuthiun zu verschliessen, zu verslockeu. IVur |,i jenc gehort zur Oirenbarungsreligion iiu engeren Sinne, als ihre Zv positive Vorstufe, wahrend diese, die judaistische, sich zuin zwei- j| ten Male, durch einen Kückfall und daher um so schlinnner, in Wi natiirl iche, d. li, der dermaligen durch die Sünde verderb- si| ten Meuschennatur angehiirige, Keiigion verkehrt. üemnach tre- w ten die heidnische und die judaistische Keiigion, Ethnicisinus und ,u Judaisnius, als die beiden Arten der natUrlichen Keiigion, die gi iiatUrlich gebliebcne und die vviederum natürlich gewordene, v( zur natUrlichen zuiilckgebildete, auf die eine Seite, die alt- und (j neutestameutlich geoJTenbarte Keiigion, das aus dein reinen Ju- p denthuin hervorgegangene Christenthum, auf die andere. Der Islam aber, eiu Genilsch heiduischer und judaistischer Elemenle y mit cliristiichen, konnnt nur anhangsweise in Ketracht. (icgen- \ iiber der alten Nalurreligion und der auf Erneuerung oder Wie- v dergeburt des natUrlichen Menschen gerichteten Oireubaruiigsrcli- (, gion ist er eine kUnstliche Keiigion, die das Schicksal alles Iviinst- j licheu theill. lu sich auf die Dauer kraftlos, zog er seine welt- i' geschichtliche Sliirke vornehmlicli aus der Sdnvachc des gesun- ^ kenen niorgcnlöudischeii Christenlhuins; aber audi an ihm wird s es Avahr, was die gegenwiirtige Keligionsphilosophie beweist, dass | die christliche Keiigion der Religionen Eude ist. ( Wie die Religion iin Ganzen des Mensclieniebens die Stelle ] der ceulraleu l'oteuz einnhnrnl, vernuige deren der Mensch sich in Gott sanimelt und iii iinn rulit, um seinen weltlichen Reruf | recht zu erfiillen und all seiner Werktagsarbeit die Wcihe aus dein ileiligthuin zu geben: so die Keligionsphilosophie im Ganzen der absolut-ethischen, dein Mensciienieben und seinen Aufgaben eutsprechenden Philosophic. Durch sie vcrinittein sich die

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ulquot;' actuclI-pliilosopliischen Disclplinen, welche der „rein tlieore-l^',)l1' tischequot; Pseudopliilosopli frisch darauf los betreibt, als bcdiirf'e egati- es Reiner Vermillliing, als venn(icli(e die Philosophie von sclbst, 'ipion aus eigener Kraft, oline die HUlfe der Heliglon, das Wellriitlisel zu eren lösen, — als ware das Hüse saniint dem l'ebel kein Winuler. •i'111'- Soldier acluell-philosopliischen Disclplinen zahll, man von

( hri- Alters her drei. iVaclidem uir die gesaininte l'liilosophie als die e das ab sol ut-ethische Wissensclnifi der IVincipien besUminl liaben, isl lamK dj,. C1.S((. dieser drei besomleren Disclplinen zu bezeidinen als die ^Ul' Lehre von den Principien der übersinulichen tiedankenvvelt, die 'quot;rc zweite als die Lehre von den Principien der Siniienwell, die weiquot; dritte als die Lehre von den Principien der sittlichen (Jeistes-' welt. Sie hiessen sonst gevvöhnlich Logik oder Dialektik, Pliy-sik und Ethik; sic werden jetzt, da, in Folge der weiteren Ent-ll'equot; wicklung sowohl der wissenschaftlichen Philosophie als auch der UIU' mehr und niehr selbststiindig gewordenen im engeren Sinne so-quot;'e genannten Fachwissenscliaften, zwei jener alten Namen eine neue, 11 e) von der ehemaligen verschiedene, Bedeulung erlangt haben, rich-und (iger, weniger missverstandlich Metaphysik, Natnrpliiloso-

phie und Ethik benannt.

'squot; ihnen allen aber gehl, den Weg bahnend, diejenige l)iscii)lin

quot;quot;'e voran, welche jetzt die Philosophen als die Logik von der '(111quot; Metaphysik unlerscheiden. In iln- macht das philosophische lie-,'c' wusstsein gleichsam einen Ueberschlag der gesam meiten equot;quot; (ieistes kraft. Zwar giebt es auch liente noch solche Logiker, lst' die Logik und Melaphysik identiliciren, das heisst mil den Denk-, fonnen zugleich den wesentliclien Inhalt der Erkennlniss ent-quot;quot;quot; wickeln wollen, wahrend andere hinwiederum allein in der Ab-'1'(' s traction von allem Inhalt die formale HeschalTenheK der Lo-ïss gj|. wahren zu kiinnen meinen; indess hat sitii im Aligeineinen die Ueberzeugung belestigt, dass die Logik von beiden Einseilig-quot;e keiten frei zu halten und als üenklehre zwar, aber als Lehre 'c'1 voni erkenntnissfahigen Deuken zu behaudeln sei, so dass Form und Inhalt, weder vermischt noch getrennt, in stetem 15e-lUS zug auf einander stehen. Auch der neuesle und bei dem Mangel iei1 wissenschaftücher Vorganger erste (leschichtschreiber der Logik scheint, wenngleich er iu den drei bis jelzt vcWill'enllichten Hiin-''e den seines Werkes die volle eigene Meinung noch nicht enthllllt

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hat, die so vcrmittcliule Riclitung, liber dereu Eigenthiimlich-keil das oft cilirle „Syslom dor Logikquot; von Ueberweg zur Zeit die beste Auskiinrt giebt, als die geschichtllcli indicirte anzuse-licn, da er trotz der Hel'tigkeit seines bei jeder Gelegeiiheil; er-neuerten Eiferns gegen die abstract rormale Logik docb audi die Lo^ik entschieden verwirft, welclie die Form zmn Inbalte, den Inbalt zur Form macbl. ') Bei einer soleben (vermidolnden) lquot;as-sung uud Rearbeitung der Logik kann nun freilich das christ-liclie Princip nicht auf die Weise erscheinen uud sich bewiiiiren, wie es die nielaphysische, Form uud Inbalt identificirende Logik sicb reflectiren liisst in der Dre iheit uud Finbeit des BegriiTs, des Urtheils, des Sclilusses, in der Dreibeit mid Einlieit der Be-grifTsmo m e n t e, des Allgemcinen, des Besouderen, des Eitizeinen, in der Dreiheil und Eiiiiieit der Figuren des Sclilusses, in dein „System von Scbliissen,quot; I'lir welcbes sie die gesammte Objecti-vitat der Dinge erkliirt. 1) (ileicllwohl aber zeigt sich der bestim-mende Einfluss desselben audi an Iquot; diese Disciplin, weldie Hirer Aufgabe genligt, wemi sie die .Vöglichkeit mid den Weg des Er-kennens nachweis't,quot; entschieden darin, dass, wie wir friiher schon inehrfach bemerkt baben, als logischer, durch die gauze Logik liindnrcli giiltiger Grundsalz anerkannt ist, es sei alle Er-kenntniss des Wesenllicben, des Waliren, bedingt durch die ge-wissenhafte Sclbsterkenntniss oder, wie man es audi ausgedrückt hat, durch die „innere OlFenbarung fiottes an uns.quot; 2) .la, die Logik ist, mag sie selbst das Priidicat sich beliegen oder nicht, in der Tliat cine chrisllicbe Logik, der ..die Wabrlieit ein ethischer Begriir*' isl, und die es immer klarer darlegt, dass alles Erkennen ein Un ters c h eid eu und Einigen, alles Erkenubare

1

) Gogen diese Logik, die den dreieinigen Cott als einen ,,vSclilussquot; speculativ begreifen will, s. Trendelenburg „Log. Unters.quot; II., 1862, S. 326—354.

2

) Trendelenburg a. a. 0. 1., 1862, S 357. Ueberweg „System der Logik,quot; 1857, S, 117 f. (In der zwei ten Autlage, S. 115 T., sind die zuletzt angefübrten Worte weggefallen.) Ygl. Lotze „Logik,quot; 1843, S. 7, 9 und IM f.

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eiii im Unterschied Einiges, in derEinheit Unterscliie-denes alles wahre Seiu ein „Fiire inand erseinquot; ist.quot; ') Weiden Sinn des ciii'istlichen Friucips griiiidlicii verstanden hal, findel hier als das ancli die logische Sphare beherrschende Princip die mut iia cognilio und nnitua natura nnverkennhar wieder. Und wenn neuerdiugs nachdrücklicher als je an die enge Verwandt-scliaft, an die Unlösbarkcit des Uandes zwisclien der Logik als Denkleine und der Lehre von der Sprache, der Sprachwissen-schaft, gemalmt wird: so zeigt das ohue Zweifel der Mehrzahl unserer Leser bekannte Werk cines Meisters der verglelchenden Sprachforschnng znr (ienlige, wie weit und wie erfolgreich auch diese Disciplin sclion dein (ieiste des Cliristentliums ihr Thor ge-öffnct hat. 2)

') Vgl, Ulriei „System der Lugik,quot; 1852, S. CO ff,, „Compendium der Logik,quot; 18(U), S. 10 f. u. 20 T., „(iolt und die Natur,quot; 18G2, S. 425 ff., bes. S. 429 und 482. Lo tze „Logikquot; S. 22 f.

-') Vgl. Prautl. a. a. 0. I, S. 98, 135. f., 4():i, II, 1801, S. 2C5. iMax Muller „Vorlesungeu tiber die Wissenschaft der Sprache,quot; für das deutsclie Pubiikum bearbeitet von C. Böltger, 1863, bes. S. 100 f.: „Die Wissenschaft der Menscbheit und der .Spracben der Mcnschheit würde olme das Cbristenlhum nie zu ïage gefördert worden sein; als den Vólkern gelebrt wurde, alle Menschen als Briider zu betrachten: da erst steilte sicb die Mannigfaltigkeit der menschlichen Spracben als ein Problem dar, das jeden nacbdenkenden Beobacliter zu einem Versucb, es zu lösen, aufforderte, und ich datire daber den wirklichen Anl'ang der Sprachwissenschaft von dein ersten Pfingstfeste an.quot; Dem bei allem Uinfange seiner linguisti-scben und historischen Gelebrsamkeit pbilosophisch und insonderheit reli-gionspbilosopbiscb erstaunlich bescliriinklen Herrn Emil Burnouf, der Müller's Buch anzeigt und beurtheilt in der Revue des deux mondes (1867, 15 janv., p. 274—306: „La science du langagequot;), muss das freilicb absurd klingen aus dem Munde eines Mannes, „qui a publié le Yèda avec son commentaire, et qui peut connaitre mieux que personne la théorie du feu sacréquot; (a. a. 0. p. 281). Für ibn ist die philologie comparée wie alle sciences modernes einfach ,,créée par l'esprit scientitique de nos jours, qui n'a rien ii démêler avec la foiquot; (p. 281, vgl. p. 302). Dieser „Geist, unsrer Tagequot; wird von ibni gegen den ïbeismus Wax Müller's deutlich und klar als „Pantheismusquot; charakterisirt (p. 304). Als soldier min liisst sich der „esprit scientiflque de nos jours'' allerwSrts gleich oder abnlich vernebmen; der französische Lelcbtsinn desselben aber specilicirt sicb \ve-sentlich darin, dass Em. Burnouf scbliesslich diesen grösstmöglichen Diffe-reuzpunkt zwisclien Max Mtiller und ihm naiv geinig mit unter die „points secondairesquot; rechnet (p, 300). Auch dürfte es nur einem französiscben Be-

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Wir kommen je(z(. auf die aotuell-philosophisclien Wissenschaften. Die erste derseiben, die Metapliysik, elgnet sieh, der Natur ilires (ïegenstandes nacli, wohl am wenigsten zu einer summarischen Bericliterstattung fiber den jevveiiigen Stand ilircr Entwicklnng; deun in keiner sind so viel Schwierigkeiten zu Uberwinden, mul in kelner lierrscht noch so viel Streit der Ansichten wie in ihr. Das aber diirfte dennoch unbestreitbar sein, dass die Well des Ucbersinnlicheii anch die Welt des (ilnubens 1st, der nicht zweifeit au dein, was man nicht sieht. Und in der Annahme des Ueberslnniichen sind alle Jletaphysiker einig; gegen jcden Sensualismns und Einpirismus ist das Hestehen einer

streiter des positivo» Cliristenllmins möglich sein, sicli mit einer so gro-ben ünkenntniss des urkundlichen Sachverlialts blosszustellen, wie Emit Burnouf (p. 282) es thut in den Worten: „La Bible ilii qu'Adain apprit de Dien mème les noms des objetsquot;; denn davon siigl die Bibel bekannl-lich genau das Gegenlheil, wie Ilerr B. bei minder fliicliiiger Durcbsiclit des MtUler'schen Werkes in diesein selbst, am Anfange der zwellen Vorlc-sung, zum Ueberlluss batte bemerkt linden müssen. Wean ein solcber „esprit scientilique de nos joursquot; stets dessen eingedenk bliebe, dass er „n'a rien a déméler avec la foiquot;, so könnte das dem Glauben nur recht sein. — lm Werke unseres berlUnnten Landsmaimes wird S. 277—291 der gemeinsaiue Ursprung der Spracben, die ursprüngliche Einheit der Spracbe, gegen widerstreitende Bebauptungen vertheidigt, und zwar mil Beiseitelassung der Frage nacli dem gemeinschalltlicben Ursprung des .Mcii-schengescbleclits, welche Max Müller übrigens ebenfalls bejabt (S. 291). Dass in jener ursprünglicben Einheit der Spracbe ein dem Unterschiede des Ariscben, Semitisclien und Turaniscben analoger Unterscbied angelegt gewesen sei, liisst sicb begreifen ; nicht aber, dass dieser Unterscbied zur Trennung, zur Verwirrung der Spracben, zur gegenseitigen Unverstttndlicbkeit der Menschen, zur Barbarei factiscb ausgeschlagen ist („barbarus bic ego sum, quia non intelligor ulüquot;). Das von der weiteren Frage, ob Müller mit seiner eigentbümlicben Ansicht vein „Turanischenquot; Recht bat, unabböngige Factum, dass Menschen Ei nes Ursprnngs oder, sagen wir auch nur, Menschen, die das nach Bischotr „Charakteristi-sche der menschlicben Naturquot; mit einander gem ein hnben. el nan dei-nicht verstellen, ist speculativ unbegreillich, ist vom Uebel; die der-mal ige Dreiheit des Ariscben, Semitisclien und Turaniscben könnte man mit Baader das „Dreinneinsquot; nennen. Das Christentbum ist die Erlösung auch von diesem Uebel: im Pfmgstfest ist uns die Btirgscbaft und Vorrede zur Sprachen-EInheit im Unterschiede, zur Harmonie der Spracben, gege-ben, welche in die Hoffnung des Christen, des neuen Menschen, nothwen-dlg mit eingeschlossen ist.

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Wissenschaft, die „nicht lehrt, was man denkt, sondern was man denken soil,quot; ein fortwiihrender Protest. ') Wie wird min, wenn alles menschiiche Nachdenken „nnter sittlichen (iesetzen steht,quot;2) die Metaphysik sich der Einwirkung einer Religion entziehen können, deren wesentliche Lehren, wie vvir erkannt habon, „Sittenlehrenquot; sind? Dass sie es nicht kann, dass viel-tnehr auch in ihrem Fortschritte bis zuin gegenwiirtigen Stadium ihrer Ansbildung das christliche l'rincip als das wahre sich er-wiesen hat, dafiir liegen die unzweideutigsten Zeugnisse vor. Wir herufen mis nicht auf die Metaphysik, welciie „die Darsteliung üottesquot; sein will, „wie er in seinem ewigen Wesen vor der Er-schaffung der IVatnr nnd eines endlichen üeistes ist,quot; und welche, von einer Kategorientrias zur andern fortsclireitend, das Wesen (iottes als der Liebe noch vor Erreichung des höchsten Gedan-kengiplels schon gleichsam vorspielen liisst. 3) Ftir iinsern Zweck ist es von ungleich höherein und reinerem Werthe, wenn die nnter den lebenden anerkannt bedentendsteu Philosophen, ohne Ealsch, ohne verstohlene LiebSugelei init der Kirchenlehre, die letzte Lösnng aller metaphysischen Kragen, die Vollendung der Metaphysik, in dein (iedanken der 1,1 ebe finden oder auch uur zu linden streben. Lotze's „Einheit der drei Principien in der Liebequot; ist uns bereits in der „Jlille des Beweisesquot; begegnet: in der Liebe sollen die „sittlichen Ideen,quot; die „Forinen der Wirk-llchkeitquot; und die „ewigen Wahrheitenquot; sich einigen; Trendelenburg aber bezeichnet da, wo er, zuiu Abschluss und Ueber-blick seiner Untersucluingeu, das Wesen der von l'laton und Aristoteles begriindeten, aller waliren Metaphysik eigenen, orga-nischen Weltanschauung kurzundscharf charakterisirt, „Platon's Worte tiefer lassend,quot; mit dein Apostel Paulus die Liebe als das Band der Yollkonimenheit, als das „Hand, womit das Weltall sich init sicli selbst zusanunenbindet.quot; ') So dankt es auch die

') Herbart „Allg. Metapli.quot; WW. (Hartensein) IV., S. lüT.

Ebend. IV., S. 338 t'.

■'') flegel WW. Ill,, 1841, S. 33 und V., 1841, S. 38, wo es heisst, dass „das Allgeraeine auch die freie Liebe und sclirankenlose Seligkeit ge-nannt werden könntequot;; als „Spiel der göttllchen Liebequot; be/.eicbnet Hegel, nach Jakob Böhme, die Triniliit wiederbolentlich.

4) Trendelenburg „Logische Untersuchungenquot; 11., S. 463, wo er

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Metaphysik dein Chrislentbume, dass nacli der Finsterniss uud der Dammerung es licht wird in ilirer Gedaukenwelt.

Einen gleicli „wohltlmligcnquot; Kinlluss desselben anf die Vervollkomnimmg der Lelire vou den Principien der Sinnenwelt kann sogar der Verfasser des „Kosmos,quot; der in der Welt sich heimischer flihlte als in der Kirche, nicht in Abrede stellen; in seiner Geschichte der physischen Weltanschaimng oder des .,Slre-bens der Menschheit, das Znsaninieinvirken der Kriifte in dein Krd- und Himmelsraume zn begreifen,quot; entrichtet er dem Christen-thume, freilich nur im Vorbeigehen, einen Zoll der Rrkenntlich-keit für die Fördernng dieses Strebens. ') Und wenn einer von den Koryphaen dor modernen Naturwisseuschaft an ihr vor Allem die „Avahrhaft religiose Treuequot; rtilnut, den „wahrliaft sittlichen Ernst, der das eigentliche Wesen der religiösen Stimmnng ist'' 2): so wird wenigstens dariiber nicht mehr geklagt werden dlirfen, dass nur von specifisch christlicher Seite die Religion in eine Sphare, die sie gar Nichts angehe, mit (iewalt hereinge/ogen werde. Indess angenommen aucli, jene „wahrliaft religiose Treuequot; sei schon die wahrliaft christliche: mit der subjectiven Stimmung, mit dem religiüsen Pathos der Forsclier ist noch nicht die VVahr-heit des christlicheu Princips in der objectiv-wissenschaftlichen Forschung bewiesen. Gerade die jiingste Vergaiigenhelt der Naquot; tu r philosophic warnt vor einer Erneuerung pythagoreisirender

auf paulinische Stellen, wie l Kor. 12, 12—27, verweist, in denen das allgïiltige christliche Princip der Einheit im Unterschiede, des Unterscliieds in der Einheit „vor Augen gemaltquot; wird; vgl. ebend. 11., S. 435, wo er, bei Bespreehung des teleologiselien Beweises, auf den Grundgedanken seiner „im weiteren Sinnequot; logischen, d. h. die Metaphysik mit umfassen-den Untersuchungen, niimlich auf den die Bewegung richtenden undbe-stimmenden Zweck, zurückkommt: ,,l)er Zweek bat im Unbedingten noch eine Scbwierigkeit. Erst in der Entzweiung, im Gegensalz, also im Rela-tiven kommt er zur Thiltigkeit. Woher dieser Gegensalz in der ursprüng-licben Einheit? VVir baben Grund. auf diese Frage mit einem ethischen Moüv in Gott, mit dem Motiv der Liebe, zu antworten.quot; Dazu S. 442: „Die Einsamkeit der absoluten Persönlicbkeit wurde, soscheint es, mit zu einem Antriebe, in Gott Personen zu denken.quot; Auch Lotze's „Metaphysik,quot; 1841, ist durcli und durch ethiscb-teleologiscli.

•) A. v. Humboldt „Kosmosquot; II., 1847, S. 135, 142 und 234 f,

2) Virchow, „Ueber die nationale Entwicklung mul Bedeiitung der Naturwissensehaften,quot; 1805, s. 17 f.

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Synibolik und Zahleiimystik. Dalier muss die Freude cine vor-siclitige sein, die dadurch erregt wlrd, dass treffliche und weii-verbreitete populiire Darslellungen des gegenwiirtlgen Slandes der Naturforsclning den Sieg des christlichen Princips als einen audi hier schon zweifelios entschiedeneu feiern. ') Doch in fester Anssicht stehl er aiierdings, da es audi in exact-natiirwissen-scliafllicher Philosophic anerkannt is(, dass ,,alles Sein, Alles, was Form und (ieslalt. Ding mid Ereigniss licisst, dieser ganze InbegrilT der .\ a I u r uur als die Yorbediiigung flir die Wirklich-keit des üuteu geiten kann,quot; und dass „die Liebe das (jute an sicli ist, das wir suchen.quot; 2) Es muss also, kanu die Pliilo-sophic sagen, je nes Alles liebeförmig, lm slrengsten und ernst,esten Siune des Wortes lieblich sein. Das Schönste von deni, was die Dichter des Orients wie des Occidents, ein Dsclie-lal Kddin Rumi wie unser Schiller (im „Triumph der liiebequot;), liber die Liebe gesnngen liabcn, welche „liichelt aus deni Auge der Natur wie ans eineni Spiegelquot;, welche „der Schöpfung Hiith-sel alle lüs'tquot; und dgl.: es ist nicht bloss dichterisch schön. sondern philosophisch wahr. Was aber die Empirie betrifFt, so ist zwar durchweg das Ziel noch lange nicht erreicht, wonach die verschiedenen nalurwissenscliaftlichen Disciplinen mit bewunderns-werther Eintraclit; und Standliaftigkeit hinarbeiten, alle Krafte der Natur, alle Eigenschnl'ten der Körper auf (inindkraCte der Atonic mid deren Aeusserungen oder Folgen zurückzufiihren.

') Vgl. z. li. Böhnpr „Naturfoi'sdiung und Cultiirleben,quot; zwelte Aull. 1864, S. 73: „Ras grosse Gesetz des Gleicligevviclits der Kriifte geilt (lurch die ganze Scliöpfung. Alle physikalische, chemische und organische Er-sclieinungen bezeugen das Zusammenwirken einer Kraft und Gegenkraft zur Erzeugung einer gemeinsamen Erscheinungsform. Die Anziehungskraft und die Schwungkraft erzeugen die Rolation in der Slernenwelt; Kraft, Last und Nutzeffect, das sind die Grundfactoren der Mechauik ; Base, Siiure, Salz bilden den Grundtypus aller cliemischen Verbindungen . . . Dieses Gesetz d er Ore ie inig kei t gilt ebenfalls in der ganzen organischen Schöpfung . . . Ueberall dieselhe Symmetrie der Entgegensetzung der Zweiheit in der Einheit,quot; nnd S. 301: .,Die dreicinige Symmetrie des Weltalls, welche durchweg zur Ersclieinung konnntquot; . .

2) Lot ze „Mikrokosmusquot; 1., 185(i, S. 433 und lil., 1864, S, 608. Vgl. Ulrici „Gott und die Natur,quot; 1862, S. 196 (F.; „Die Natur als WerkstRKe ethischer Ideen.quot;

3) Wenn man mil Kirch ho ff „Leber das Ziel der Naturwissenschaf-

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Schelnt indess so viel bereits ausgemacht, dass „elnzelne Atome iti isolirtem Zustande nicht möglich sind,quot; una alomns nulla atomus, und dass die Atonic „Kraftcen-trenquot; sind, „unthellbare Einheiten, die zwei oder niehrere Krafte (Attraction, Repulsion und cine die beiden vermittelnde, im Unterschied einigende Kraft) untrennbar verbinden:quot; so darf die Pliilosopbie, welclie nicht anders als Hand in Hand mit denFach-wissensciiaften sichcrc Schritte Unit, bei aller Vorsiclit die Zu-versicht hegen, dass audi im Bereiche der Sinnenwelt das Prin-cip der lebens vollen Kin licit im Un terse hi ede, der mu-tua natura, als das allein walire sich bewahrcn wcrde. ') Sie

ten,quot; 1865, S, il u. S. 24, diese „ZurückfOhrunj?'- als „Zurückfülirung aiif die Mechanikquot; bezeiclinen will, so sollte das nie ohne den bedeutnngsvollen Zusatz Lotze's geschelien, dass „der Meclianismus nirgends das Wesen der Sadie istquot; („Mikrokosmusquot; I., S. 437); sonst gilt dagegen das Wort Heinrich Hitter's („Encyklopadie der phllosopliisclieii Wissenschaftenquot; II,, 1863, S. G8, vgl. S. 129); „Die aussclillessliche Mechanik 1st die recht eigentllche Wei he der Unkraft.quot;

') Kekulé „Lehrhuch der organischen Chemie,quot; I, 1861, S. 160. Vgl. Virchow's Dermition des „Individiiumquot; als einer „einhe Itliclien (ic-meinschaft, in derquot; u. s, w., in demVortrage über Atome und Individuen („Vier lieden über Leben und Kranksein,quot; S. 45). — Ulrici a. a. 0. S. 584 f. und vorher S. 45 und 142; die meist wortlich beigebrachten Zeug-nisse der fachvvissenschaftlicben Gewiibrsmanner gehen dureh das ganze Werk hindurch. Bekannüicb sind, nach der Annahme der bedeutendsten gegen-wftrtlgen Physiker, die vvSgbaren Atome von Aetheratmosphiiren umgeben; jene Ziehen sich unter einander an, wahrend die Aetheratome sich abstos-sen. Vgl. Fechner „Ueber die physikalische und philosophische Ato-menlebrequot;, zweite Aullage, 1864, S. 95.Nun aber muss doch, xvenn, nach derselben Annahme, die Atome überhaupt sich durch „wirksame Kriiftequot; nicht bloss in „Abstandquot; urd „Schwebequot;, sondern atich in „Ordnungquot; halten sollen, so dass „Alles individualisirt ist bis in's Einzelne und doch verblinden zum haltbarsten Ganzenquot; (ebend. S. 79 f.), der „Conti ietquot; sich lösen, in welchen „die zwischen den Aethersphiiren Stalt lin-dende Abstossung mit der Anziehung der witgbaren Kerne unter einander trittquot;; es muss „zwischen wagbaren Atomen und Aetberatomenquot; wiederum „Anziehung Stat! lindenquot; (ebend. S. 95). Folglich scbeint die Annahme tier dritten vermittelnden, im Unterschied einigenden, die beiderseitige Bewe-gung ordent!ich (gleichmftssig und zweckinassig) richtenden Kraft unabweisllch. Für die exacte Physik gehort iiir Dasein zu dem „Vielen, was die Atomistik auf ihrem heutigen Stande noch unbestimmt liisstquot; (ebend. S, 98).

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darf aher auch nicht vergessen, (lass diese Welt, deren Schema vergeht (1. Kor. 7, 31), mil; ihren Atomen mul Verbindnngen der Atome, dieser Welt-Leib des Todos, immer nurein ver-zogenes Nachbild der göttlichen Drelcinigkeit darbieten kann. Schon Aristoteles schrieb der Kunst die Uestimmung zu, die mangelhafte Natur zu vervollkommnen; wie die rechten Maler die Natur lm Treffen zuglelch über tre 1'fen, so habe, ineinte er, jeder wahre Kiinstler dio Dinge darzustellen, nicht sowohl wie sie sind, als wie sie sein sollen. ') Und in der ncueren Zeit reifte mehr und mehr die Erkenntniss, dass, wahrend die Dinge der Natur s el hst ibre „Pllicht, scliöu zu sein,4' nicht vollstandig erfüllen kiinnen, die Aufgabe der Kunst lediglich darin bestehe, „das Schöne zu retlcn,4' diese Aufgabe aber uur durch die christ-liche Kunst vollkommen losbar sei. 2) ThatsSchlich „weihenquot; im Grossen und Ganzen „alle Künste sich der Keligionquot;;3) aber die Kunstgeschichte bezeugt es auch tausendfültig, dass nur die in das (ieheimniss Chrlsti Kingeweihten, deren Wandel lm Himmcl ist, den schonen Schein des Hiimnlischen auf Krden in Bild, Ton und Rede rein hervorznbringen vermogen. Die achten Kuustwerke sind die vorletzten Dinge, und die aciilen Kiinstler Wunderthiiter in Hirer Art.

In letzter Bezlehung aber dient die Welt der Natur und der Kunst nur zur Urundlage der sittlichen (ieisteswelt. Wie mm die Phllosophie überhaupt gerade in Hirer gegenwiirtigen Macht-

•) Aristoteles „Pliysikquot; II., 8, „Poetikquot; c. 15 und 25; vgl. Zeiler „Pliilos. der Grieclienquot; 11., '2, 18(i2, S. 006 I'. und Ueberweg „Die Lelire des Aristoteles von dem Wesen und der Wirkung der Kunstquot; in der Zeit-schrift für Pliilos. n. pli. Krilik , 1867, Bd. 50, Heft 1, S. 18: „Alle Kunst soil nach Aristoteles die Aufgabe einer im Vergleich mit der thatsaclilichen Wirklichkeit reineren Darstellung .... erfüllen.quot;

2) Ulrici a. a. 0. S. 494 f. Solger „Erwin. Vier Gesprache über das Schöne und die Kunst,quot; 1815, bes., II., S. 56 If. „Sieh nur bin auf das Cbristenthumquot; u. s. w. 1)esseII)en „Vorlesungen über Aesthetik,quot; berausgegeben von K. W. L. Heyse, 1821), S. 345: „Die Kunst wird niebt wieder erstehen, so lange man nicht einsiebt, dass die ganze neuere Kunst auf der lieligion berubt ... Sc knüpft sicli die Kunst auch hier an die Offenbarung.quot; Vgl. auch Schnaase „Ueber das Verbiiltniss der Kunst zum Cbristentbume,quot; 1852, bes. S. 20 f., und des Verfassers „Christus und die Kunst,quot; 1853.

3) Her hart „Psychologiequot; ll„ 1825, S. 89.

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losigkeit sich darauf besounen liat, dass sic, urn die verlorene Macht wieder zu gewinnen, gleicli den anderen Wissenschaften sich stetig eutwickeln, niclit in jedein Kopie neu ansetzen und wieder absetzen, sondern geschichtiich die Probleme aufneh-men und weiterlühren, das Princip ausbilden iiuiss, welches iiingsl gc fun den ist. so hat audi die philosophische Et hik an den Faden ihrer historischen lintwicklung wieder angekniipft, dabei abei keineswegs verkannt, dass die Ethik des Alterthums „nicht die der cluistlichen Weltquot; seiu kann, sondern „in die Quelle christlicher Begriffe vertieftquot;, nach dem christlichen Princip als dem (lesetze Christi (Ual. 6, 2) geliiutert werden muss. ') Sic lehrt, dass es liir sie keinen anderen Ausgangspunct geben kann dis das menschliche Wesen in der Tiefe seiner Idee, die linen Ursprnng in (iott hat, und im Keichthum seiner historischen Kntwicklung. '*) Hatte schon Plalon die Bestiinmung des Menschen, sein höchstes (Jut, darein gesetzt, dass er (ioi(, der Idee des Guten, nach Moglichkeit ahnlich werde:3) so weiss sle auf i lirem geschichtlichen Stande, wo Mchr ist als Plalon und das iMogliche Wirklichkeit erlangt hat, dass ftlr den zur Eben-bildlichkeit des (jottes, der die Lie be 1st, bestimniteii Menschen audi nur die Liebc, die Erflillung des Gesetzcs Christi, das Vollkomniensein wie Gott, des Sittengesetzes Erfüllung sein kann, dass aber die geglaubte Liebe (juttes audi die Gegenliebe des Menscheu oder d i e Liebe wirken in u s s, durch welche der

') frendelen 1)iirg irn Vorwort zur zweiten AuDage der „Loffisclien Untersuchungenquot; und in der akadeinlsclien Abhandlung über „Herbarl's praktische Philosophie und die Ethik tier Allen,quot; 1850, S. I f. und S. 85.

!!) Trendelenburg „Nalurreclit ant dein Grnnde ilcr Kthik,quot; i860' S. 42 u. S. 50 f. Vgl. Emil Burnouf „Lh science des religionsquot; in der „Revue des deux niondes,quot; 1864, lome 64, p. 984 : „La raison huraaine, rédulle a sa formule la plus simple par la psychologie moderne, nest au fond que l'idée de Dieu;quot; womil im Wesentlichen der schon niehrfach cilirle Ausspruch des Physiologen Bischoff ganz llhereinslinnnl, dass „die Nolhwendigkell, nach dein lelzlen Grunde zu forschen, das Cha-raklerislische der menschlichen Nalui' ausmacht,quot; den Menschen zum Jleu-chen macht. So vereinigen sich exacte Nalurwissenschaft und exacte historische Wissenscliaft an ilirem Theile, den Ausgangspunkt der absolut-clhlschen Philosophie, das Gewiss en, zu rechtferllgen,

3) Plalon, „Theütelquot; pag. 176,

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Glaube tliiilig isl in giittMi Werken. DemgeuiÊiss ist ihr die Idee des Menschen eino „Idee der Gemeinschaft, uniis homo nullus liomo.'' ') Sie fasst mil Arlstoleles die Familie als vonGoll vor-sehungsvoli geordnete lirgiinziing der Personen, als „ini (ie-gensatz sich vollendende Kinlieit,quot; mit iMaton den Slaat als den „Menschen im Grossen;quot; aber sie bezeugl es auch mil Worlen und mil der Thai wissenschatïlicher Durchf'iihrung dieser Ansiehl, wie erst das Chrislenlhuni jenes elieliche Lebensverhallniss „mil dein liefsten luhalt ertnille und weihtequot;, und wie uur durch das Chrislenlhuni, welches „den inuereu Menschen frei machtquot; und dergeslall „in sich grtindel,quot; dass er mm niclil „im Grossen sich verliert,quot; die wahre Staatsauschauuug sowohl vor den autiken „Verzerrungenquot; bewahrl wird, „denen I'laton verfiel, weil er die Selbslsucht unmöglich macben wollle,quot; als auch vor den modernen Immgen einer einseitig-nalionaiökonoinischeu Hichlung, welche des Menschen Seele als cin „rohes Material ' bezeichnel, das durch die Hand des Lehrers „Froductivkraftquot; erlange, und welche „die productive Energie des Eigenuutzes auch fiir das dem Ganzen Erspriesslicbste liiiil.quot; 2)

Die das cbrislliche Princip kennen, werden, je griindlicher diese Kennlniss ist, deslo williger und lïeudiger bekennen, dass es in allen Hauptzweigen mensclilicher Geislesarbeil die Probe seiner Wahrheil bestanden untl sichere Hiirgschafl geleistel hal, sie mit unerscböpfler Krat't weiier zu bestellen. Wir haben ab-sichllich zu Zeugen der Herrschaft des Christentlunns in der l'hi-losophie solche Denker gewiihlt, deren philosophische Hedeulung

') ïreiulelenbiirg a. n. 0. S. 12. Vgl. Fecliner „lielier die jiliysi-kalisclie und pliilos. Atomenlehrequot; im zwnlften Capilel („BczielumK der Atomistik zu den allgemeinsten höchsten und lelzten Dingenquot;), S. 01 f.: „Höher kann ein Menscli es im Sittlichen gar nicht bringen, ais ein Atom in seinem Verbande, nor dass er es mit Frei li pit daliin bringe, . . . und ist die geistige Freilieit aucb anderer Nadir als diese körperliche, so bat sie doch in dieser das voilkommenste Instrument.quot;

2) Die Beiege bei Trend. a. a 0. S. 17 if., S, 237—239, S. 292, S. 317 u. 529, womit das S. 309—312 gegen eine iinrechte Nationaiökonomie Gesagte zu vergieichen ist. Uebrigens wili dieses „Naturrecblquot; (nacii Vorw. S. V) uur ein „praktischer Ausiaulerquot; von etbiscbeii Unlersuchimgenquot; sein. — Verwandtes in den Ethiken von J. 11. Fielite, Chalybiius („bystein der speculaliven Ethikquot;, bes. 1,1850, S. 38—90 mul II, 1850, S. 375—407) u. A.

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allgemeiii anerkannt, deren ,,Christliclikcitquot; aber gleichsam latent ist. Dadurch kanii das Zeugniss au ünverdöclitigkeit uur gewinnen. an Stiirke nicht verlieren; deun in dein Masse, als uusre namhaflesten Philosophen, oline es zu wissen und zu wollen, weuigstens oline su heissen zu wollen, christliche Philosophen sind, erweisen sie recht die Unwiderstehlichkeit der Macht des christllchen Princlps. Es fehlt freilich, wir verhehleu es uns nicht, noch Viel dazu, das die drei grossen Berelche des actuell philosophlschen Wissens, die Metaphysik, die Nalurphilosophie und die Ethik, als die wisseuschaftllchen llellexe oder Licht!)ilder der Weltreiche des dreieinigen (iottes, seiner „opera intlivisa servato ordine et discriiniue personanun,quot; erscheineu; das Wissen hui die Beschriinkthelt unsres Wissens hal wirksaniere Mittel,

sich kund zu geben, als das Reden davon; Lessing'ö Tellheim sprlcht von derïugend, die er nicht hal. Allein wir wissen, was fehlt, was wissens werth ist, und wir zweifeln nicht, dass der Sauerteig die drei Schelfel Mehl ganz durchdringen werde.

Daruin schreckeu wir auch nicht zurlick vor der Folgerung, die man der christllchen Phllosophle wie eine deductio ad absur-duni entgegengehalten hat, dass es, wenn mit der UniversalitSt des Christllchen Ernst gemacht werde, am Ende auch eine christliche Haarschueidekunst gebeu mlisse. Der jugeudliche Sokra-tes fürchtete, wie er selbst dem Parmenides gesteht, in eine „bodenlose Alberuheitquot; zu verfallen, wenn er einraumte, dass es von „Haarenquot; und derlei Dingen „Ideenquot; gebe. Was aber ant-wortete ihm der eleatische Weise? „Du bist noch jung, und noch hal die Philosophic dlch so nicht ergriiïen, wie sie wohl dann dlch ergreifen wlrd, wenn du nlchts Derarliges verüchtlich linden wirst; jetzl aber achtest du noch auf das, was die Leute dazu ineinen.quot;

Der Muth des lilanbens ist kein Uebermuth; aber uur er, und nicht (Ier Kleinnuith des Zweifels, hat ueue Wellen entdeckt.

2. |

Noch auf dem Cultnrbodeu des Alterthuins widerstreben die Neuplatoniker, deren Lebenszeit nach Christus fiillt, dem christllchen Princip. Es greift der philosophlschc Trieb des grie-chischeu Geisles, lunerhalb der nalioualen Erkenntuisssphare so

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wenig (lurch skeptisclie als (lurch eklektische Thiitigkeit befrie-digt, in den ihiu bis dahin wesontlich IVemdcn orientalischen Gedankenkreis hinilber, urn niiL Hülfe der iu diesein gelpgencn Mittel aus dein beschriinkten, den Einwürfen der Skepsis ausge-setzten (iebiele der llelallvilat in das des Absolulen einzudringen und im Gegensatze gegon das Christenlhuni eine Krneuernng der alten Welt aus ihr selber zu enniiglichen. Sein Welt-heilmittel isl: ein mystisch - theosophisches System, eiu System einerseits der erdachlen OH'enbarung des Göttlichen als cines phy-sisch-Unendlichen in vielfacher, gradnell abnehmender, mittleri-scher Krai'tausseniug, andrerseits der ekstatischen Erhebung des endlichen Bewusstseins zu jenem rnendlichon. Kin sdIcIics System stelit sicii uns in dein Aeuplatonismus dar. Vorbereitet wurde dasselbe durch die in Alexandria, dem Centrum der danmligen alten Welt, [allmahlich geschebene \erschmelzung niorgenliindi-scher und abendiandischer Culturelemente. Die phiiosopliiegeschicht-lichen Folgen dieser Verschmelzuug geben sicli kund in einer Uoppelreihe theils griechisdier theils jtidischer Denker. Waiirend aber der bedeutendsle unter den letzteren, l'liilon, die ekstati-sche Erhebung des Menschen zu Gott durch die menschliche Selbstentiiusserung zwar bedingt, jedoch allein durch die göttliche Gnade verursaciit sein liisst, ist es im Gegentheil ein integriren-des Moment der neuplatonischen und speciell der plotinischen Philosopbie, dass in ihr die Erreichung der hochsten Stufe der Ekstasis, das bewusstlose Versinken im bewussllüsen Einen (iött-lichen, dem Menschen aus eigener Kraft möglich bleibl, well, so meint Plotin, das Innerste seiner Seele schuidfrei ist und uur ein der Seele mit dem Leibe gemeinsames Etwas, von dem er selbst nicht zu sagen weiss, was es sei, gesündigt bat. Hier tritt, trotz des unverkennbaren, das (ianze der plotinischen Lebre mitbestim-menden orlentalisch-jUdischen Einflusses, noch eimnal der heid-nische (ieist mit dem Reste seiner Promctheuskral'l in die Schranken. Enveis't sich min aber dennoch dieser llest von Kraft als nicht genügend, um durch gewaltsame, eigemniichtige Erhebung zum Absoluten in der Ekstasis einen danermlbel'riedigenden Zustand des Menschen und der Mcnsehheit berbeizuführen: so lin-det der ansschliessend heidnische und, als soldier, der neuen Weltreligion, der christlichen, abgeneigte (Ieist die einzige Stiitze

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der Erliebung in der alten Volksreligion, imPolytheisnius. Der soil nun die lirhebung vermitteln: die gesamiiile lieidnische Götterwelt wird gegenüber dem elnigen Miltier Christus zu eiuer Well, einer zahllosen Viellielt von llittelwesen, von Mitllern zwischen dem liöclisten viillig unerkennbaren und umiahbaren (iott und demihni ebon so völlig entfremdeten und fernstehenden Menschen. Von IMotin, durch Jamblich, bis zu l'roklos zelgt sicb diess immer klarcr als die eigentiidie Tendenz der neuplatonlsclien Philoso-phle, als das Triebrad ihrer Entwickelung. Liest man, was jene und ilire Schiller geschrieben haben, mit weltgeschichtlichem Bliek und Verstandniss, so kann mau slch des Eindrucks nicht erweh-ren, dass sie eln Schauer der Ahnung durchdrang von dem, was geschah:

„Einen zu bereichern unter Allen,

Musste diese Götterwelt vergeh'n.quot;

Diess ahnend, boten sie auf, was noch iibrig war von heid-nischer Art und Kraft, um das Schicksal des Polytbeisrnus zu wenden. Wie komisch uns auch die Phantasterei eines Jamblich oder die Subtilitat eines Proklos erscheinen mag: es wallet zu-gleich ein tiefer tragischer Ernst in diesem leichenblassen (ie-dankenreich. Auf den Trilnimern der alten Welt und ihrer ge-fallenen Tempel stimmen die letzten Denker eines hochbegabten Volkes ihr Schwanenlied au: wo sind uusre Götter? sie hören nicht, sie lielfen nicht. Die anfangs kühn behauptete Möglichkeit eines innigen Eiuswerdeus mit dem höchsten Weseu bezvveifeln sie schliesslich selbst; die Unzabl der Mittler, der alten Götter, hat -Vichts gebessert. Durch einen Machtspruch lustinlan's wurde die innerlich langst verödete Schule von Alben auch iiusserlich aufgehoben. Ihr letster Vorsteher, Damascius, erkISrte noch mit besonderem Nachdruck ftir das Priidicat des obersten Princlps, des nachgerade vollendeten Zerrbildes der christlichen ïrinitat, die Unerkeuubark eit und für das rechte Verhaltniss des Menschengeistes zu ihm die Ueberunwissenheit, vrcsQÜyvoia. Damit endet das Denken der alten Welt, die Philosophie der nach Weisheit fragenden Griechen, ')

') Die Quellenbelege im 14. und 15, Capitel der drillen Ausgabe von Hitter's und Pre Iter's „Hlstorin philosophiae graecae et romanae ex fontimn locis contextaquot;, istu, woselbst s. 5iO iiber des Damascius Ca-

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Was dein Neuplatouismus bei seiner von nusscn her unter-nommenen Bestreitung ties chrisllichen Princips misslang, erstreble friilier schon der (inosticisnms, soferu er den Han der Kirche von innen herans zu zerstören gedachte. In ilnn sainnielte sicli, liieils mil Wissen mid Willen (hells uinvilllaiiiich, als das Chri-stenthmu mil dem Anspruche der einzig waliren Religion in die alle Welt eintrat, Alles, was in dieser, sowohl der orienlalischen wie der occidenlalischen, sowohl der jiidischen wie der heid-nischen, eines Widerstaudes sicli laliig flihlle. zuni Kainpf auf Leben und Tod. Der (inostlcismus isl der Uiatsiichllche, wenn audi nur zuni Theil absichtliche, religionspbilosopliische Verauch einer Entgriindimg des Chrislenthunis als der abso-luten Religion durch Aiifliebung seines iibeniatiirlith geschicht-lichen Charakters. Kr fasst den neueii Wein in die Sciiliiu-che des Altertluiins; er will das, wie wir gesehen haben, aus dem (iotte, der sich als die Liebe offenbarl, begreHliche, vou oben her naliiiiiche üegenwunder gegen das Wander des Hösen von nnlen her begreifen, will es uuterbringen in der Ideen-welt des nicht wiedergeboreneu Rewusstseins. Verwandt mil der alexandriniscben Religionsphilosophie, reih't er den einigen Mill-ler Christus an cine Viellicit von paarweise verbundenen Mittel-wescn oder Aeonen an als den Slifter einer natiiiiiclien Hrlosung von dem ebenialls natlirliclien und begreidichen Rösen. Christus ist ihm der Aeon, der durch seine Wirksanikeil dasjenige zuni (iegenstand einer tiberhistorischen, der geschichtlichea FacticilHt sich iiberhcbenden Erkenntniss (Gnosis) macht, was an sich in jedem (ieistcsnienschen, Jedem ^I'ncuniatikerquot; da ist und vorgehl, niinilicli die Erliabenlieit und Erhebuug des Geisligeu ilber das Malcrielle und das Psychische. Diese Anschanung ist unzweideu-tig ausgepriigt in dem bedeuteiidsleu Systeme dcr (Inostiker, dem valentinianischen, und wie verschiedeii von ilnn audi die anderen geslaltet sind: der Erfolg wiire ftlr das Christenthum, wenn der (inosticismus gesiegt. hade, derselbe gewesen. Enlgriindend wtir-

ricatur der Dreleinigkeit bemerkt wird: Tria Principia vere Uniiin sunt, et Unum vere Iriaquot;, aber „quicquid ponitur a Damascio, in subsequentibus tolliturquot;, der Dreieinige soil docb audi wieder weder dreilieitllch noch eiu-heillich sein. Zum Ganzen der obigen Sklzze ist vorzligllcli Zeller's Darstellung des Neuplatonismus im dritlen Theile seiner „Philosophle der Grieelienquot; zu vergleichen.

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den sie alle gewirkt Imbeu, sogar die Lehre des nur in eineiu weiteren Sinne den Gnostikern beizuziihlenden Marcion, der, von der iXeuheit des Christentliums ergriiren und bewiiltigi, das Ueber-natiirliclie desselbeu zwar nicht direct liingnet oder abschwacht, aber in's schleclithin Unnatllrliclie, in's I'ortentose iiberspannt, da er jede gescliicbtlicUe Verinitdung zvvischen Cliristlicliem und Vorchristlichem abschueidet, Cliristuiu als den (ieist des Heils (spiritus salularis) im iiinlzeliuleu Jahre der Hegienmg des Tibe-berius plfitzlicli (statini) mit einem Sclieinkörper vom Hiuuuel in die Synagoge zn Kapernainu einfiihrt und denigemiiss aucli den soteriologisclien Lehrgehalt des Cbristenthuins zum Tbeil uni-formt. Fu dein (inosticlsiuus liegt cliaotisch Alles beisammen, was von widercliristlicheni und pseudocliristlichein Wesen die fernere und fernste Folgezeit an den Tag gebracht hat und brin-gen mag. Weun man vernimmt, was alle Kircheugescliichtschrei-ber iiber die Lehren und (iebriiiiche gewisser guostischer Secten berichten, so sollte man meinen, dass dariiber hinaus aulquot; der Halm des Unglaubens kein Schritt mebr müglich sei. Was die sog. Junghegelianer und iilmliche (ieister als die neueste Weis-heit, als das Evangeliuin der Vollendimg, verkiindet habeu und noch verkünden, dass nur im Mensclieu (iott zu sich komme, dass jeder Mensch ein (ïottmensch sein könne und solle, u. dgl.: das ist bei den (inostikeru Alles schou da gewesen. „Ich bin Du — so rnft in einem Hirer Evangelieu eine Donnerstlmme —, und Du bist Ich, und wo Du bist, da bin Ich, und in Allem bin Ich zer-streut; willst Du, so sammelst Du Mich; sammelst Du aber Mich, so sammelst Du Dich selbst.quot; Oder: „Die den ganzen Kreislaufdes Na. turlebens durchmessen, alle Kraft gesammell zu habeu glauben, die sprechen: Ich bin der Christus.quot; Wer den (inosticismus kennt, den vermag kelue spatere Uuterwlihluug des (Jlaubensgrundes zu be-fremden oder gar zu beunruhigen; die Strauss und Zeiler sind ihm, so zu sagen, alte Hekannte. Nur insofern besteht zwischen dem (iuoslicismus und dem Unglaubeu der ueuereu Zeit ein Un-terschied, als dort die widerchristlichen Elemente, wie schou bemerkt, in chaotischer Gabrung sich befuulen und, mit HruchstU-cken des (ilanbens verselzt, widerspruchsvoll durch einander wogen, wahreud der moderne Unglaube, wenigsteus in seinen

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störksten Vertretern, eiu abgckliirt-systemalischer, cin consequeut-irreliglöser ist. ')

Dass min ini (Inosticismus oben so wie im iVenplatonisimis, tlesseii liistorischo Nacliwirkungen mit (lenen des erstercn ein mul tlieselbe antichristliche Sphiire bilden, die Philosophic /ur Unphilosophie, das veruiinftige Denken, das speenlaUve sammt dein empirischen, zum phantastischen Dichten wird, geben selbst die Widersachcr des kirclilichcn Cln-islentbums /11, Ireilich ohne zu bemerken, dass sic daniit. zugleicli liber sich ein Urlheil lallen. '2) U11J doch liissl sicb in der That das dem christlichen

') Vgl. Baur „Die diristlicbe Gnosisquot;, 1835. — Lip si us „Der (inosticismus, sein Wesen, Ursprung mul Enhvicklungsgangquot;, 186(1 (aus der Encyklopadie von Krsch und Gruber), bes. S. Gl—63, \vo jedoeh der urn die Aurhellung des Gnosticisinus hocbverdiente Herr Verfasser nicht genug-sam erwogen zu haben scheint, 0I1 ein „innerchristiiclier/1 d. li. innerbalb des Kreises der cbristlich genanuten Welt unternonimener, aber ,,mit allzn kUlinem Selbstvertrauenquot; (S. G3), „mit stolzcin Selbslvertrnuenquot; (S. 171) unternommener erster „Versucb einer Pbilosopbie des Cliristentbumsquot; (S. lOó) in Walirlieit ..der erste Versucb einer cbristlicben Pbilosopbiequot; ge-nannt werden dürl'e. Der Gnosticismus war der wirksamsle Anstoss zu einer soleben, wenn man will, ibr negativer, nicht aber ibr positiver An-fang, niciit ibr genuinor Ursprungspunkt. Freillcb, 11111 diess enlscbieden anzuerkennen und nicbl ,,wecbselwelse bald den cbristlicben bald den ausserchrisllicben Charakter bervorzuhebenquot; (S. 34), niilssle Lipsius griind-licher von Baur los- oder ihm weniger nabe gekommen sein, als er es ist. — Dass und wie audi die au sicb löbliche teleologische Gedan-kenrlchtung der Gnostiker in's Febierhafte unibiegt, lebrt vorlrelTlicb Uitschl, bei Besprechung von Möller's „Geschichte der Kosmologie u. s. w.quot;, in den „ïbeolog. Studiën und Kritikenquot;, Jabrg. 186(), S. 381 ir; ob aber bei einer wirklich „entscbiedenen cbristlicben Tendenzquot; des Gnosticismus und „cbristlicben Gemütbsstimmuugquot; der Gnostiker eine so „gespensterhafte Verzerrung des gescbichtlicben Bildes Cbrlstiquot;, eine solche „Verlelzung der Grundbedingungen der cbristlicben Anschauungsweisequot;, wie sie ebend. mit Hecht den Gnostikern Schuld gegeben wird, möglich gewesen wiire, können wir nicht um-bin zu bezweifeln. — Ueber die „Evangelienquot; der Gnostiker s. Dorner „Entwicklungsgeschlcbte der Lebre von der Person Christ!quot;, I, 1845, S, 396 f. Anm.; „Es gab eine ganze Litteratur aus diesem Pfubl. Neuere verwandte Erscheinungen warnen davor, uur VerliUimdungen in solchen Angaben der Kirchenvater zu se|ien.quot;

2) Vgl. Lipsius a. a. 0. S. 105: „Die Gnosis ist der erste umfas-sende Versucb einer Pbilosopbie des Christentbums; aber dieser Versucb

schlSgt.....in eine durebaus unphilosopbische Darstellung umquot; ; S. ri:

„Hatte diese Gnosis ehedem alle Geheimnisse im Himmel und aul' Erden

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Princip, dem (iotle, der die Liebe ist, coutradictorisch entgegen-gesetzle Princip in allen ferneren .lalirlumderlen unsrer Zeltrech-imiig als das, imnicrliin nnter erlieblichen Modificalionen, wieder-kelirende nenplalonisch-gnoslisclie bezeiclmen. Es isl überall das aus dein Gewissensbunde und vollends aus dem Bunde des gillen (iewissens losgelös'te Uneiulliche, ein Seiendes (tiv), dessen Wesen nicht im Selbandersein besteld, was, von jener iiile-steu anticbrisllichen Hewegung her sein Wesen weiier treibend, dem dreieinigen (iotte der Kirche des Evangeliums widerstreilet, Audi in der kosmologischen Periode ist das „Principquot; dieses ov, welches aber liier, damit die Leere zur Fiille werde, verwell-licht, schliesslich vernienschlicht oder mit Welt und Menschhelt confundirt wird. So ist es, indirect, anch das conlradictorlshe (iegenlhcil des chiistlichen Princips, des in Liebe dreieinigen (iottes. Der I nfug, den das neuplatonisch-gnostische nainent-lich aus zweiter Hand des Areopagiten, durch das ganze lAIittel-aller hiiulurch bis auf die Gegenwart herab in der Entwicklnng der (ïlaubenslehre angerichtet bat, konnte dem lilicke des in allen chiistlichen Lebrfragen feini'iihligen Hislorikers der Christologie nicht entgehen; er hat llmin seincni grossen Werke durch-weg an's Licht gezogen und in's Gericht geführt. Auch von die-ser Selte konnnt die christologische Arbeit Dorner's der allgemein-philosopliischen Absicht zu Statten, die wir hier verfolgen.

In der ersten lliiirte des Artikels haben wir die Bedingimg

zu enthtillen versuclit und in stolzem Selbstvertrauen alle lirüeken, die sic mit dein kirclffilien (ilauben verbanden, hinter sicli abgebrocben; so ge-stehi am Ende dieser Hewegung das Wissen seine eigene Unznliinglichkeit ein und verzwdfelt au sich selbst, weil es sich ausser Stande sieht, die einheitlicbe Weltanschauung, um die es dem denkenden Geiste vor Allem zu tlmn ist, in ihrem inneren Zusammenhange zu begründen.quot; — Nach Banr ,,l)as Christentlnim und die cbristliclie Kirche der drei ersten Jahr-hundertequot;, 1860, S. 189, ist dein Gnosticismus Christus und das Christen-thum „nicht sowohl Heilsprincip als vielmehr allgemeines kosmi-sdies Principquot;, d. h. es wird widergeschichtlich aus jenem in dieses ver-fllichtigt. Dass Baur's eigene Behandlung des Christenthums, die vielge-rülimte „Kritikquot;, eine gieicbartige Verflüchtigung ist, hat Heinr. Beckh, den Kritiker mit des Kritikers Worten schlagend, nacbgewiesen in dem Aufsatze .,Die TUbinger historische Schulequot;, Krlanger Zeitsclirift ftlrProte-stnntismus und Kirche, 1864, Heft 1—4.

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angegeben, miter welcher allcin die (iescliichlc der Philosopliie christlicher Zeit als eine GeschiclUe der christlichen Philosopliie darf bezelchnet werden; hier gilt es unigekehrt, dasUnchristliclie in ihr zu notiren. Wir könneu voraus sagen, wanu wir darauf gefasst sein inlissen, ihiu zu begegnen. ') Sohald der l'hilosoph anfiingt, „rein theoretischquot;, „interesselosquot; zu verfahren, oder, was dasselbe ist, aufhört, absolnt-ethisch zu forschen, „mit ganzem Herzeuquot;Gott zusuchen (Jerein. '29, 13 f.); sohald nicht mehr das gute fiewissen ini vollen Sinnc Luther's, d. h. der Christus in uns, der Ausgangspunkt aller actuell-philosophi-schen Forschung ist: alsohald liisst sich aucli der wahre Gott nicht mehr flnden; alsohald schliigt das christliche i'rincip, die dreieinige Liebe, „deren Art es ist, ein Uebriges zu thun und sich Miihe zu machen,quot; eine Welt zu schallen und mit dem Meuschen Gottes zu vollenden, in sein Widerspiel urn, in jencs ov, welches Nichts weniger ist als diese Liebe. Das geschiebt unvermeidiich, sei's direct, in einseitig-thcologischer Forschung, sei's indirect, in einseitig-kosniologischer, durch Yergötterung der Welt und schliesslich des Meuschen, in heiden Kallen aber auch, können wir prognostlcireiid hinzufUgeu, mit dem Erfolge eines Fehlschlags der philosopbischen Unternehniung, das Ralhsel dei-Welt in ciner Wissenscbart der Weltweisbeit zu Risen. „Ohne Mich könut ihr Nichls tliiinquot;, nur Nicbtiges thun. (Joh. 15, 5. vgl. 1 Kor. 8, 1—3.) Die Geschichte bestiitigt das Vorausgesagte.

Gegen den Gnoslicisnius eifernd, verbannen Ireiiüus und Tertullian, nach dem Wortlaut einiger Aeusserungen, alle Philosopliie, um au ihre Slelle die elnfache apostolische Lebre zu seizen; nihil desideramus ultra credere. Ihr Hauplstreben gebt dahin, die geschichtlichc Wahrheit und Wirklichkeit des Cbri-stenthums gegen die windigen Speculalioiien derGuostiker in fester Lehrforra sicher zu stellen. Die Verdienstlichkeit dieses Strebens wird recht klar in der Krwagung, was ohne das Vorhandeusein eines nonnativen kirchlichen Lebrbegriirs aus der in die Geschicble

^ Vgl. 11. Ritter „Encyliiopüdie der philosophischen Wissenschaften,quot; III, 1864, S. 025: „Unser Glaube hat seinen siehern Grund nur in dem Zeugnisse des Gewissens, welches uns ziirückweis't auf den Grund un-sers Daseins.quot; Alle sog. reine Theorie entgrünelet den Glauben.

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cintrelendeii germanisclieu Mcnschheit geworden wiire, iu der das Clirlstenthum erst, wofiir allein sclion Luther zengt mul die Ke-formation, volle (iestalt gewinnen sollte, die aber, rand- mul baudlos wie sie war, wenu sic nicht vorcrst in strenge (ieisles-zucht kam, nimraermehr iiire hohe Besliinnumg erreicht habcn würde. Aus dieseiu Gesichtspunkt crscheint die Mission der er-sten antignostischen Kirchenlehrer wcltgcschichtlich bedentend. Und audi was ihre Feindschaft gegen die Philosophie belriirt, so siiul sie doch in Waluheit, wie sclbst Baur in Hezug auf Ter-tullian anerkennt, von der Tendenz bescelt, die nicht handgreif-liche, aber begrciiliche, uur dein natlirlichen empirischen Bewusst-sciu eutrückte, höhere Vernliufiigkeit der OiTenbarung zu erwei-sen. Iu dieser Tendenz verhalten sie sich gegeuliber dein (iuo-slicismns allcrdings vorzugsweise abwehrend, was jcdoch eine gewisse audi schon positive Hcsireitung desselbcn von ihrer Seite nicht ausschliesst. Bin bewusst-positives christliches (Jegcu-bild des Gnosticismus zeigt sich mis iu der alexaudriuischeu Gnosis des Clemens und des Origenes, der Viiter christlicher Philosophie, die mit imbegrauztem Verlraueu auf die sieghafte Wahrheit des Christenthums philosopliiren, nicht aber, wie die pseudochristlichen (inostiker, mit „stolzem Selbstverlrauen.quot; Gleich-wohl blelbt die Speculation audi des durcli wissenschaftlichere Haltung vor Clemens ausgezeichueten Origeues mit hcidnischein Beisatz bchaftet; demi fiir das eigeutlich (iötlliche, fiir das Gött-lichste in der Gotthelt erklart er das nicht mittheilbare Sein: wovon daim nicht uur der Subordinatianisnuis seiner Triuitiits-lehre, souderu audi sciue vernunriwidrige Anschauiing einer als Gegcustand der Herrschaft fiir Gotl uuentbehrlichen endloscn Beihe von Weiten iu leizter Heziehuug herriihrt. Der uamlichc Beisatz aber bildct die Sdiattenseite der iu philosophischer Miusicht be-deuteudsten Gestalt der Patristik, der Lehre Augustiu's, lm Bliek auf die aristotelische Kategorientafel, wie sie ihiu iiberliefert war, halte er die neun eigenschafllichen Kategorieu, die Qualitat, die Quantitiit etc., als Gottes unwiirdig climiuirt. Da behielt er deuu nur das Seiu, die ovaia, iibrig, die er nicht mit substantia, son-dern mit essentia iiberselzt wissen wollte: dieses in sich gauz unbestimmte Sein soil das IKjchste in (iott seiu, das lunerste seines Weseus. Daher, von diesem nnUberwundeneu dunkelen neu-

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plaloniscli-heidnischen Rest in der clirisUiclicn Gottesanscliaining des grossen Kirchenvaters mul Kirchcnfiirslen, daher stammen, auf ilireu wissenschaftlichen Grnnd zurlickgeflihrt, die determini-stischen Harten seiner Ansicht von dem VerhiiiUiiss der göttliehen Allmaclit nnd (ïnade zur menscliliclieti Freiheil und Siinde; daher die irrigen, das ganze Wellverstiindniss triibenden Vorstellun-gen von einer Wiliklir Gotles (denn das starre, in sieli nnhe-stimmte, nnethische Seiu kann, wollend gedaelit, nur Wiilkür sein), von einer unwiderstehlich wirkenden (inade (gratia irrcsi-stibills) etc. Dasselbe, liber die Dreiheit nnd Einheit erhabene, schiechtliin nnbegreilliche Sein (iotles ist anch die (irundidee der Lelire, weiche zwischen der Patristik und der Schoiastik mit-teninne steiit, der enlschieden areopagitisch gearteten Philosophic des Scot us lirigena; von dem verschlossenen (iolt giebl es, nach der audi bier den Kernpunkt treirenden Hemerkung iiaur's, keinen verniinftlgen Uebergang zur Well, deren Wesen sich dem Erigenn folgerichtig in Schein aulliist, in „Theophanic.quot; Endlicli aber ist der gleiche Mangel einer vollkonnuen etbischen Conception des (ioKesbegrill's verhSngnissvoil gewesen I'iir die gesainmle Schoiastik; an diesem Mangel als ihrem llauptfehler isl sie zu Grunde gegangen. Schon bei Anselni, ihtein Slil'ler, liisst er sich spiircn; in den Lehrgebauden Hirer gereiertsten llaupler, des Thomas von Aquino und des Duns Scotus, liegt er oflen vor. War die Gollheit bei dem Einen als das absolute oder vielmehr abstracte Sein, bei dein Anderen als die absolute Wiilkür (libenun arbitrium) in ein aller Vernunft unzugiiugliches Jen-seils versetzt; so inusste die vernünflige Nolhwendigkeit (ratio-uabilis neccssitas) der Glaubenswahrheit, deren Erkennluiss die Schoiastik sich zur Aufgabe gemacht hatte, schlechlbin unerkenn-bar sein, und kein noch so klinstlicher Eormalismus kountc das sachlich Uumögliche leisten. Darum verzweifclte sie demi auch an sich selbst, scliou in Durandus a Sancto Porciano, dem jeder „Beweis des (jlaubensquot; widersinnig schien, und vollends in dem, mil, der Theologie zugleich alle Philosophie zerrlittenden, sensiialistischen Skepticismus des Wilhelm von Occam.1)

') Zur Rechtfertigung ïerdilllan's wegen des É|n insgonieiii fiilscli-lich zugeschriebeneu „credo quia absurdumquot; s. Baur „Lehrbucli der cliristllcben Dogmengeschlclite,quot; 1858, S. 71 f, Anni.; über Irenfius vor-

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Zum zweiten Male, weun audi in einem durch den Absfand der Zeiten veranderten Sinne, wurde die Philosophie vom Himmel auf die Erde besciiieden, zum zweiten Male, wenn ancli wiederum von Lord Bacon anders als von Sokrates gemeint, ertönte die Losung; in inductione spes maxima sita est. Auf die I he o logische Periode des Mittelalters l'olgte die kosmologische der modernen Zeit. Galt in jener mehr und mehr die Schöpfung nur für eine leidige Zuthat, die vita saecularis für Nichts gegen die vita religiosa: so wurde in dieser die Gottheit, welcher sicli zu weihen schon Bacon der Philosophie gewissennassen widerrathen hatte (virgo Deo consecrata nihil parit), am Ende, von Arthur Schopenhauer, nach „Wolkenkukuksheimquot; gewiesen. Trotzdem aber gleichen die beiden Perioden sich darin, dass dort wie hier die Bedeutung des Christenthums für die Philosophie verkllrzt und dort wie hier eben dadurch die Philosophie einem Processe der Selbstauflösung enlgegengeführt wird. Sic soil, wie wir wissen, ihrer wahren Bestlmraung nach, dein Menschenleben mit allen seinen Fordernngen gerecht werden und als christliche Phi-

nehmlich L. Duncker „Des li. Ireniius Christologie,quot; 1843, S. 30—75, wonach seine „realistische Belrachlungsweisequot; sich keineswegs strimbt ge-gen die „Reflexionquot; auf die gemeinsame christliche Erfahrung voii Gott dein Dreieinigen, sicli also nur von jeder Einmischung fremdartige-Speculalion fern hallen will. — Ueher den Gottesbegrilf des Origenes D o r-iier a. a. 0. I., S. 686 ir. — Ueher die Patristik überhaupt Johannes Hub er „l)ie Philosophie der Kirchenviiter,quot; 1859, speciell über Augustin's Lehre von God ebend. S. i260 If. — Ueher Scotus Erigena Desselben „Johannes Scotus Erigena,quot; 1861, und Baur „Die clirislliche Lehre von der Versöhnung,quot; 1838, S. 130 IT. sowie „Die christliclie Lehre von der Dreleinigkeit und Menschwerdung Cottesquot; II., 1842, S. 281 f. u. 312 f. — Ueber die Scholastik die gediegene Abhandlung Landerer's in Herzog's „RealencyklopHdiequot; Bd. 13, S. 654—0!)7, bes. S. 671: „Bei An-selm's Fassung des Gottesbegrilfs kommt der ethische Gesichtspunkt zu kurzquot;; S. 087: „Hinter dem BegrilTe der götllichen Liebe, einer ethisch, eben darum aucli vernünftig bestlmmten, freien Liebe Gotles, bleiben der lliomislische BegrilT von Gott als dem absolulen Sein und Wirken und der scolislische BegrilT von Gott als der absoluten Willkülir zurlickquot;; S. 6'Jü: „In Occam, der eigentlich nirgends ein walires religiöses Interesse zeigt (rein theoretisch forscht, wie Zeiler es liaben will), vollzog sich das Gericht über die Unwahrheit der scholustischen Theologie und Philosopbie.quot; Speciell über diesen und seine Aehnlichkeit mit Bayle Baur „Die christliche Lehre von der Dreieinigkeitquot; II., S. 877 IT., 111., 1843, S. 566, und Dorner a. a. 0, II., 1853, S. 447 IT., 945 f.

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losopliie an ihrcm ïhcile tlcn Scgen des Glaubens aus dem cen-tralen Heiligthume der Religion in die peripherischen Splmren der weltliclien Tlmtigkeit iiinliberleiten, dainit die drei Schefrei Melii vom Saiierteige durcluiriingen werden; aber der Stifler der von Bacon proclamirlen niodernen Philosophie, Cartesins, war, wie-woiil man ihn oft so genannt iiat, keln Luther der Pliiiosophie, kein ganzer Christ, kein Christ aus dein Vollen, wie Luther, son-dern audi in liezug auC das Christenthuni ein halber oder, wie Heinrich Hitter von ihm sagt, ein gespaltener Mann, mul seine Stiftung hat das (iepriige iiires Stifters. Sie dart' niclit schlecht-M'eg als unchristlich bezeichnet werden; denn es isl unverkenn-har Christliches in ihr, nnd dieses ihr gutes Theil wird so we-nig von ihr genoninien werden, als mit der Seholastik das nnter-gegangen ist, was sie von ewiger Wahrlieit enthielt. Wer z. B. einem Hegel auf einfache, aber ungerechte nnd nurjugend-lichem Fenereifer etwa verzeihliche, Weise alles Christliche ab-sprechen wollle, der müsste auch einen Göschel einfach eineu Thoren schellen. Vielmelir ist jeder Philosoph in der Cliristen-heit von Christus ergriiïen, und auf dem (ilaubensboden, den er befesligt hat, stehen sie in gewissem Sinne, wiir's auch uur mit Einem Fusse, allesammt; aber eben nicht jeder, der auf festcm Boden steht, steht fest, und nicht jeder ergreift wieder, wie er ergriffen worden. Die Seholastik ist dahin, und die moderne Philosophie wird selbst von Manchem, der iiir auhiingt, gleich-falls schon zu den Todten geschrieben; die iiusserc Herrschaft beider, ilire Wirksamkeit von dieser Welt und auf diese Welt, die selbst vergeht, ist gebrochen. Aber was in beiden, vom Flir-sten des Lebens herkommend, wahrhaft geleht und, wie geriiusch-los auch, geherrscht hat, ist unsterblich und unentthronbar im Reiche der Wahrlieit. Es Avird seine Stelle behaupten im (Janzen der Geschichte dieses Reiches, von weieher wir hier uur einen kleinen Ausschnitt und iu diesem Solches zu betrachten haben, was, weil es in sicli keinLebeuliatte, vergangen ist.

Zwar erkennt Cartesius ausser dem natiirliclien Lichte der Veruunft ein, wie er selbst meiut, sichreres, uus übernatürlich erleuchtendes Licht au; lumen quoddam internum oinni naturae lumine certius; allein er unterliisst es, was ihm hiernach hiitte nahe liegen sollen, das gegeuseitige Verhaltuiss dieser beiden

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Lichter iiiid damit dus Vcrhiiltniss der Philosoplde zmn Christcn-tluuii genauer zu bestimmen; sogar auf eine directe, dahiu ge-richtete briefliciie Anfrage antwortet er ablelinend oder docli selir zweideutig; „Icli lebe der Ueberzeugung, Gott aus natürlichen Kriifteu lieben zu können, ilberlasse es jedocb den Theologen, zu entscheiden, ob tine soielie Liebe verdienstiich sei.quot; Ausdrilck-iich aber setzt er, von der Sciuile lier an Augustin gebunden, (iotl als das abstract-Unendliche und das nienschliche Erkennen als ein schlechlhin endlielies in schrofien (iegensatz. So muss ihin die Philosophic zur blossen Weltwcisheit werden, „ie Mondequot; schwebt ihin von voru herein als sein Thema ver, und dein spe-cnlaüv mit (iotl Entzweiten geht nun auch die Welt entzwei, biichslablicli in zwei StUcke: (ieisterwelt und Körperwelt, substantia cogitans und substantia extensa, die durchaus Nichts mit ein-ander gemein haben, nihil prorsus comniune. Diesen Dualismus der Weltgegensiitze, dessen Schiirre (Jeuliucx und Malcbranche l'iihlbar machen, will Spinoza iiberwinden durcli ihrc Versen-kuug in die alleinige gütdiclie Substanz; aber die in sich völlig unbestinimte Substanz, das ens absolute iufmitum, gleichsam das Gespenst des seit dem Od'enbarwerden des lebendigen (iottes in Jcsu Christo abgelcbten Judengottes, ist, wie bei Scotus Erigena, der Tod der Welt, dieser Pantheismus ein „Akosmismusquot;. i\ur noch schneidiger, dahcr in divergirenden Entwicklungsreihen (reten die Gegensalzc der ia Korper und Geister zerfallenen Welt wieder hervor: iu der realistischen lleihe, welche Locke, in der idealistischen, welche Leibniz cröH'net. Was die FUh-rer der beiden Keihen, und vornehmlich den der letzteren, in aller Eiuseitigkeit noch als ganze Philosophen erschcinen liisst, hindert nicht, dass, wie bek aunt, die eine iu den Sensualismus der l'ranzösischeu '„Aufkliirungquot; ausliiuft, die andere in den Rationalismus der deutscheu. Die diirerenten Richtungen, welche so, jede l'iir sich, in Unphilosophie ihr Ende gefunden batten, vereinigt kriiisch Jmmauuel Kant mit dem Bewusstsein eines Lebensretters der Philosophic. Dass aber in ihm schon, wie Kitter es ansieht, die Ausgleichung der Theologie und Kosmologie begonnen babe, will uns nicht cinleuchten; vielmchr scheint uns die einseitig-kosmologische Philosophie in Kant und seinen Nachfolgern sich zu poteuziren, sich inuuer mehr zu sublimiren,

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bis sie in Schopenliauer sicli erseliöpft, sicli grUnillich auslebt.1) Einc Avalire Ausglcicliung imd Kinigung des (iötdichen und Wclt-lichen kami uur da Stall (inden, \vo (lolt und Welt versöhnt sind, d. li. auf dem tiiea utliropologischen oder, wenn man diese Bezeichnnng vorzielil, Uieanlliropocentrischen Standpunkt; dass aut' ilim die kanlisclie und au Kant sicli anschliessendc Phiiosopliic festen Kuss gefasst liabe, liisst sich nicht behaupten. Allerdings sind in ilirem gesciiiciitlichen Yeriaufe, wir haben es schon ei libera unit, slille uud docli ewig miichtige Seitenwirkun-gen ihres Ziisaminenhangs mit dem Christentliume nicht zu verkennen; aber was die zeitiich durchgreirende Wirlcsamkeit ihrer llauptvertreter anlangl, so haben sie nicht gesainnielt, sondern zerstreut. Die od'enbare Tendenz der Ueligionslehre Kant's ist Aullösung der Heiigion in rationalistische Moral. Es ist nach ihm nicht der rechte Weg, von der Hegnadigung zur ïugend, sondern von der Tugend zur Hegnadigung fortznschreiten, damit namlich, nachdern wir, gehorsam dem Sittengeselze, das Unsere gethan haben olme (Jolt, nachdern wir durch eine radicale Besse-rnng, durch eine siltliche „Revolution,quot; eine „Art von Wleder-geburt,quot; gut geworden sind, nun auch (iott in ünaden das Seiuige thue, d. h. das vor jener sitllichen devolution gethane ISöse nns verzeihe, unsern gnten, mil dem Sittengesetze überein-stimnienden Willen rückwiirts gul wirken lasse. Das Gesetz ist Air Kant im (jrunde auch schon das M vang el i u in: „Du solist'quot; = „Du kannstquot;; er ignorirt das „andere Gesetz inden (iiiedernquot;, welches beWirkt, dass wir niclit können, was wir sollen. Von dem „Leibe des Todosquot; weiss er Nichts; darnin kann er auch nicht die Kral't der Aurerstehung Christi und die Gemeinsciiaft seiner Leiden erkennen, .lesus ist ihm der „Leh-r e r des Evangeliumsquot;, nicht der inhalt, nicht der Gegenstand einer Irohen Uotschafl. Indem er das Siilinopfer Christi, die gott-inenschliche Siihnung der Siinde, diese absolut-mittlerische, gerade auch in den nnbestritten achten Bestandtheilen der h. Schrift

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) Anzeiclien einer niclit mil (lev Anthropologic sicli vermltlelnden, sondern in diesetbe sich verllüclitigenden Theologie bemerkt audi Ehrelife achter schon hei Kant, .lahrh. 1quot;. deiitsche Theol., 1859, Hand IV., Heft '2, S. 400 in dem schönen Aufsatz ,,iil)er Schelliiig's l'liilos. der Mythologie und OITenharuiig.quot;

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zweifellos beiirkinulcte Tliatsaehe und That, von welclier alle cliristliche „Lelirequot; aus- und auf welche alle cliristliclie „Lehrequot; hingeht, aas selnera „vernllnftigenquot; Christentlnim aus-scheidet, reisst er dem geschichUichen Clirlstenthum das llerz aus dem I.eibe, und es bleibt ihni davon nur ein Complex todier „Lelirenquot; Ubrig. Dem „weisen Lelirerquot; nachahmend, sollen und können wir, melnt er, das in uns Allen vorliandene Ur-bild des ewigen Gottessolmes, des vollkommenen fiott wohlge-fiilligen Menschen, venvirklichen, d. li. eben dem Sittengesetze, dem kategorischen Imperative, Folge leisten; dieser „Nomosquot; ist Kant's „Logosquot;. Der Jesus, der sieh lehrt, den Christus fioltes, den Priester und König, gilt iiim lediglich filr den Slifter der „statutarischen Kirchequot;, des wegpn einer „besonderen Schwaehe der inenscblicben IVaturquot;, wegen ihrer (i'eneigtheit zu „gottes. dienstlichem Frohn- und Lohnglauben,quot; leider nothwendigen Uebels Kurz: es fehlt bei Kant dieleereStelle, welche allein es mensch-licherseits möglich macht, aus der Fülle Christi (inade um (inade zu nelunen. Kein Wunder daher, dass es nach ihm nur slatt-haft ist, zu sagen: „ich bin gewissquot;, dass (iott ist, nicht aber: „es ist gewiss.quot; Ja, ganz gewiss bin selbst „ichquot; niclil, son-deru nur „m oral i s cli gewissquot;,nur in der „praktischenquot;Iliill'te meines Wesens. Wie dem Cartesius die Welt, so geht unserem kritischen Philosophen das Menschenwesen, die „Vernunftquot;, entzwei, wiederum buchstablich in zwei Stiicke, ei» theoretisches und ein praklisches: ftir die theoretische Vernunft, die nach ihm „eigendichquot; Verstand heissen sollte, ist zwar „der Begriflquot; eines höchsten Wesens eiiie in mancher Absicht sehr nlitzliche Ideequot;; aber sie darf nur so denken, „als obquot; (iolt ware; sonst wird sic transscendent wie die Vernunft der „Theosophen und Mystikerquot; in ihrer ,,schme]zenden Vereinigung mil der Gottheit.quot; Und selbst da, wo Kant Anstalt macht, dem ihn bisweilen beschlei-chenden und driingenden Gedanken, dass die Vernunft ihrem We-sen nach „doch immer nur eine und dieselbequot; sei, wissenschaft-liche Folge zu gebcn, also die beiden hart von einander geschie-denen Hiilften des Menschenwesens zusammcnzu-„schmelzenquot; namlich in der „Kritik der Urtheilskraftquot;, auch da ist das Ende dennocli wieder jenes Denken, „als ob'* ein intellectus archetypus, ware. Wem aber Gott nicht fest steht, dem steht Nichts

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fest; demi alle wahrc Welterkenntniss, alle Erkennlniss der „Dinge au sichquot;, ist bedingt durch gewissenhnfte Selbster-kennlniss, und wenn man siehl, worauf anch Ilcrbart biinveist, dass Kant Immer cine Anhanglicbkeit an die „Dinge an sichquot; be-hielt, dass er wolil gar, wie Herbart sagt, nnr „wider Willenquot; Idealist war, so kann man sich des Wnnsches nicht enthalten, den der Unglaubc als einen „frommenquot; belachen mag: hiittest dn Glanben! Nur der Christus iu uns, uur das gute Gewissen im Sinne Luther's, macht „esquot; uns gewiss, dass Der ist, dessen Erkennlniss vor AHem zu „studiren,quot; „der Anfangquot; aller Philosophic war: was Kant am Schlusse seines Hauptwerkes „nierk-wlirdig geuugquot; und doch „natilrlichquot; findet, da nur die Gottesidee, wie er anderwarts versichert, „die Vernunft in Hirer rechtmas-sigen Nachfrage befricdigen kannquot;. Iliitte er Ulauben und in ihm die Erkennlniss des christlichen Princips mil, seiner den Untcrschied einschliessenden Einheit gehabt: so liatte er das nicht verfehlt, was cr selbst fiir das wesentliche Ziel seiner phiio-sophischen Bestrcbungen erkliirl, und was in der That verfehlt zii haben er doch selbst auch gestehen mnss. Als einen „un-schülzbaren Vortheilquot; preis't er es, die Vollstiindigkeit in der Aufzahlung, Classificirung und Specificirung der BegrilFe a priori, mithin nacli Principien zu erkennen; ohne das sei in der Meta-physik Alles lanter Rhapsodic, wo man nieinals wisse, ob dessen, was man besitzt, geuug sei, oder ob und wo noch Etwas fehlen moge; frcilich kfinne man diesen Vortheil nur in der „rei-ncn Philosophicquot; haben, von diescr abcr mache derselbe auch das „Wesenquot; aus. Die Frage, ob er den „unschatzbaren Vortheilquot; errungen habc oder nicht, die cigentliche Lebensfrage seiner Philosophic, enlschcidet er selbst, indem er bekennt, „von der Eigenthtimlichkeit unseres Verstandes, nur vermittelst der Kalegorlen und nur geradc durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperception a priori zu Stande bringen, lasso sich eben so wenigferner cinGrund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Eunctionen zu Urtheilen haben, oder warum Zcit und Raum die einzigen Eormcn unsrer moglichen Anschauung sind.quot; Das trinitarische Wesen Gottes und des Jhm cbenbildlichen, durch die Wiedergeburt wieder ebcnbildlicheu Menscheu cuthalt allcin den Grund, den Kant nicht angeben konute,

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wcil or es nur zu eincr „A r t von Wiedergcburtquot; brachte, die walire und wirkliche abev ilim zu „schmelzcndquot; war. Hiennit felilte der Kritik, welclie erbelrieb, die wesentlicbe positive Unlerlasrc, und die durcli eine solclie Kritik niclit tief genug ver-einigten Hichtungen brachen, voliends ans eiiiaiuler geliend, nocb-mals lienor. In der Succession von Fichte, Schelling mul llegel steigerte sich der nene Ideallsnuis, welcheni, trotz gleicher Ab-kunft unversölmlicli, ein Healisinus liöbercr Art in der Lebre Hcrbart's gegenilber trat. Der rubnireiciie und am Ende doch klagliche Verlauf dieser letzten Enlwickhmgsperiode der modernen Pbilosophie ist durch vielfacbe, streng wissenschafüiche und freiere, Darstellungen dein (iedaebtnisse jedes (iebildeten einge-pragt. Ibre Gescbiciite selbst war ibre Kritik: eine Kritik der natiir-1 ichen Vernunft. Fichte, der das praklische leb in die von Kant ilim thatsacblich zugestandene Alleinherrscliaft i'örmlich ein-set/.te, 1'and wührendder ersten Piiase seinesPhiIosopliircns„imempi-rischen Hewusstsein das reine gegebenquot; und erkliirte denigemass „eines .leden lebquot; filr „die ein/.ige höciiste Substanzquot;. indess nahm er selbst, und zwar noch in der ursprünglichen „Wissen-schaftslehrequot;, diese nicht hioss nicht mil. der christlichen, son-deru mit kelner Religion vertraglicbe subj ectiv - idealistische Lehre zuriick, indem er eine „imab bangig von den endlichen Naturen vorhandene Kraftquot; annabin, „von der sic ihrem empiri-schen Üasein nach abhiingigquot; seien, ein „erstcs Bewegendes, ohne welches das Icli nie wiirde geiiandelt und, da seine Existenz bloss im Ilandcln bestebt, auch nicht exislirt haben.quot; Souach war die spiiterc tiestait der Fichte'scben Lebre, ein mystisch verkliir-ter Spinozismus, wie er voruehinlich in der „Anweisung zum seligen I.ebenquot; sich darlegt, gewissennassen in der fiiiberen schon praformirt; aber dos spiileren Fichte l'anlbeismus mit seiner Losung „Mchts ist deun Gottquot; war, gieicli dein Spinoza's, der Tod der Welt und Weltweisheit. Auch Schelling meinte, so lange er es mit Fichte hielt, wie aiiCangs dieser, man miisse das Subject, „sich selbst au die Stelle der unenillichen Substanzquot; Spinoza's seizen, und vom (ilauben kimne „in der IMiilo-sopbie so wenig die Uede sein als in der (ieonietrie.quot; Hernach feierte er, oiTener als Fichte zu Spinoza zurilckgekebrt, in dein grossen Object der Nalur „die heilige ewig schaironde Urkraft

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der Weltquot;. Doch iliese Xatnr-Philosophie wich in ilim selbst noch einer solchcn, in wclchcr stark „vom (ilanbcn die Redequot; war. lievor dicss offenknndig gesdiah, absolvirte llegol den Idealismns. Selion als er die „DifTerenz des Fielile'schen mid Scheliing'sclien Systemsquot; belenchlele, eine Dillerenz, die in scine in System sich zur Kinheit mul Walirheil „anfliebenquot; soille, schon damals stand ilun fest, dass die Vernunft, die das Hewusst-scin in Besonderheiten befangen limiet, allcin dadurch zur pbilo-sopliischen Speculation oder zur spcculativeu Vernunft werdc, dass sic sicli selbst erhebt und allcin sicii selbst und dein Abso-lutcn, das zugleich ilir (iegenstand wird, sich anvcrlraut. Dicse Selbsterhebung, das „reine Denkenquot;, war und blieb ihm das ein-zige wahrhaft Vcrnünriige oder „Logischequot;, wodurch „der (icist die Kraft in sich empfangt, die ihn in alle Wahrheit Icitetquot;; das All der Wahrheit, die ganze Wahrheit bestand ihm darin, dass der so gekriifUgte (icist nach einer langen, wiewohl einför-migen, dialektischen „Selbstbewegungquot; des reinen, aber gleichsam weltschwangeren Dcnkens, nach der gedanklichen und begriiïli-chen Ausgebarung der Welt, nicht mehr sich und das Absolute, sondern sich als das Absolute, sich als absolutcn (icist erfasst in der damit ebeufalls absolutcn Philosophic, In dicse „Einhcitquot; des „(icistcsquot; mit dem „Absolutcnquot;, des Mcnschlichcn mit dem (iöttlichen, sctzte llegcl die dem Inhalte nach angeblich vollstiin-dige Ucbcreinstinimung der l'hilosophie mit der „gcollcnbarten Religion.quot; Dass fiir die lelztere eine derarlige Union eine gründ-lich „absorptivequot; sein musste, liess der Meister Manchem noch unklar; die Scluile bat iiieriiber geniigende Aufkliirung gebracht, wider Willen selbst die „Seitcquot; dersclhen, die um der Kirchen-lehre willen es unterUmsliinden erfreulich, mil llegcl zu reden, „erfreulich fiir den Regriir' fand, dass „so viel Vernunft in jc-ner enthalten seiquot;. Ob aber der Fhilosophie Hegel's dabei cin besscrcs Loos zu Theil ward und bei der von ihr befolgtcn Methode zu Theil werden konnte, steht nach den iibcr dicse, namentlich von Trendelenburg, geführten kritischen Untersu-chungcn und nach der, jelzt sogar schon historisch geworde-nen, „Auflösungquot; der Schule uicht mehr in Frage. Der uach-kantische Idealismns hat seinen Lanf vollendel. Ilim stellt sicli der Realisinus Herb art's entgegen. Audi dicser Philosoph

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will, wennglelch nilt ciner Restriction, eiu „Kantianerquot; lieisscn und hiilt dafUr, dass bei Kant sicli immer noch Spnren der Wahrheit zn fmden piiegen, wenn anderwiirts schon der Nebel die Aussicht verschliesse. Zwar fragt er, ob jemals eiu Philo-sopii die Einheit unsrer Persöniichkeit so gewaltsam behandelt babe, wie Kant, und eine Psychologie, wie die kantische, ver-gleicht er einem artigen Miircben, worin die Seelenvermögen die Rollen der Danionen und der Feen spielen. Doch aber hiitet audi er auf's Strengste „die (iranze oder vielmehr die Kluftquot; zwlschen dem theoretischen und dem praktiscbeu Menschen, zwischen Metaphysik und dem, was er Aesthetik nennt, zwlschen „Seinquot; und „Sollenquot;, Seiendem und Werthvollem. Das Eine und das Andere „sind sich urspriluglich fremdartigquot;; „niemals i'olgt eiu Sein ans einem Sollen, niemals ein Sollen aus einem Sein.quot; Im Glauben f'reilicb, meint er, seien die theoretische und astbetische Betrachtung Eins; das höchste denkbare Ziel der Philosophic ist noch heute dein bedeutendsten Herbar-tianer Drobisch das Wissen sowohl von dem absolut Seieu-den als dem absolut Werthvollen, „das wir vereinigt in der Idee der Gottheit denken.quot; Aber in den Abstractionen der Wissenschaft, fügt Herbart sogleicli binzu, muss man sic tren-nen, und audi Drobisch sannit nicht, die Philosophic auf den „anthropocen trischenquot; Standpunkt zu verweisen, auf wel-cheni ihr das „Zielquot;, wie er zugiebt, nimmer errcichbar ist. Beiden liegt das Bedenken fern, ob es in der Wissenschaft, wenn sic gedeihen soil, mit Abstractionen getlian sei, oh derthean-thropocentrlsche lilatibe, statt zum LUckenbiisser der ohnc ihn fertigen Philosopbie, nicht zum förderlichen, an's „Zielquot; fördernden, Ausgangspunkt aller actuell philosopbischen For-schung sich eigne, ob eine zerklüflete Philosophic die wahre, das tiefste eine Bedtirfniss des Menschenlcbens befriedigende sein könne. Und wem „das tiute und das llose nicht BegrilTe der Erkenntnissquot; sind, wer bei seinen, wie ihni sclieint, „deutlichen Begriffenquot; von dem Gaten als einem bloss „Aestbetischenquot; in dein Bösen „kein so grosses Geheimnissquot; flndetund darum Kant's Behauptung eines radicalen Hösen für „wahrbaft unseligquot; erklart, der konnte nicht, was docli nach Herbart die Philosophie gern thut, „den religiösen Glauben in sich aufnehmenquot;;

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diese Intussusception iiuisstc ihm inlsslingen. Sonst hiitte cr ein anderes Princip gewonnen als sein „Healcsquot;, das alle ov, das „Selendequot; mit der „slrengsten Einfacliheit der Qualitötquot;, das „Sein, dcm das (iesclielien zufüllig,quot; mui un(cr dessen Voraus-setzung aucii ailer Wellzusaniinenliang, alles „Zusammen der Wesenquot; so „zufölligquot; isl, dass sic „auch recht fiiglich nicht zusammen sein k(innten.quot; Sonst wiire er des Missgeschicks tiberhoben ge wesen, auf die Frage nach einem specifischen Cha-rakler der Menschheit, der sic in Ansehung des geistigen Lebens ursprünglich mul allgemein vor den Thieren auszeiclme und der nicht auf einem Mehr odcr Wcniger beruhe, gestehen zu mllssen, wie er es thut, dass er einen solchen nicht kenne und für nicht vorhanden lialtc. IliiUest du Glauben! Die auch durch Ilcrbart nicht mit der Theologie versöhnte kosmologische Piiliosophie richtet sich selbst zu Grunde in Arlhur Schopenhauer, der „jedenfalls nicht anerkennt, dass zwischen Kant und ihm irgend Etwas in der Philosophic geschchen sciquot;, daher er unmitielbar an ihn ankntipfc, um bloss seine (Kant's) Sache durchzufiihren liesser als Kant wciss er ilber den Welt-Leib des To des Bescheid zu geben, und weiss auch, dass „ohne den Tod schwcrlich würde philosophirt werdenquot;. Aber die Leben squelle, die allein den Durst der Phllosophie stiilt, sprudelt ihm in der buddhistischen Religion; in ihr, nicht in Christo, liegen nach seiner Meinung alle Sciuilze der Weisbeit verborgen, der „Urweisheit des iMenschengeschleclilsquot;, die „von den Begebenheiteu in Galiiiia nicht wird verdriingt werden.quot; Ihm ist selbslverstandllch die Welt der ausschlies-seiule Gegenstand pliilosopinscher Untersuchung, „die Welt als Wille und Yorstellungquot;; eingestandlich, wie kein Philosoph vor ihm, ist er ohne Gott in der Welt. Aber er sieht auch, wie kelner vor ihm, ein, dass es mit dieser Welt Nicht s ist, dass in ihr nur eine mit „Willenquot; sich zerstörcnde Nadir, nur eine Geschichte möglich ist, die sich selbst aufhebt mit ihrer Devise „Eadem, scd aliterquot;. Und er hat dieser Kinsicht einen brillanten Ausdruck gegeben. Nach den Heurtheilungen, die ilber ihn, vorzUglich durch Trendelenburg und Haym, bereits er-gangen sind, kann seine Philosophic solidcn Miinnern kein jiosi-tives wissenschaftliches Interesse mehr abgewinnen; in der

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ïhst siiul ihre znhlroiclistcii uiid WiirmstGU Frcundc unicifc Jiing* liimo, ju Gymnasiasten; olloubar ciii Zelchen, dass sic iu ilircm, bekanntlich vom Urheber so lieiss ersehnteii mul so geschalts-kuiulig betriebenen, i-iiifi'c durcii die liitcraviscben Kreisc zieiulicli weit heruiitevgekommen. Voil von „Traurigkeit der Welt oiinc „götllichc Traurigkeit.quot; (2 Kor. 7, 10), bietet sic dem oft in frilher Jugend sclion biasirtcu Wcltsinn, der Iloliilieit des „ iiweu-digeu Mensclieuquot; ciu wiilkommenes iluU'smitlel, mit cinem gewis-seu Anstand mui Sclieiu des (ieistreiciieu dem sittiicli erustcii Leben den UUcken zu kebren. I.assen wir die Todten iliren grossen Tod ten begraben! ')

Untcr den zuletzt erwalmten Philosoplieu hatte voruehndich Hegel der Phiiosopiilc von der Stadt mis, die damals scbon zur llöiie einer Weltstadt emporstrebte, das Anselien einer Weitmaeiit verschaiït; tlass sic gegenwiirtig inaclitios sei, wird alierorten wie von Einer Slimme, sei's der Frcnde, sei's der Trauer, bezeugt. Mil der „RUckkelir zh Kantquot; hat man hier und da die Wicdcrherstcl-Inng ihrer Macht, die Hebung der gesunkenen, vcrsucht, jedoch nichts Anderes erreicht, als die Nenplatonikcr mit ihrer Uiickkchr zn Plalon errciciiten. Auf die se r Halm ist Alles abgclaufen. Jene „RUckkelirquot; diente lediglich zur Hestalignng der Thatsache, dass bei uns im Allgcmcinen „nicht mchr phil osophirt, sondern ii ii r (j es eb i oh te der Phllo sop hl c getrieben wird.quot; lilnem Hcgelianer war es, wie biilig, vorbehalten, einc solclie Misère ais cine für den licgrilV erfrenlichc oder doch tröstliche Durchgaugs-stufc zu construiren. 2) „N'avons - nous pas nos Platons et nos Aristotcs dans Hossnet et dans Pascal?quot; fragte jllugst ein Mit-glied der rranzosischeu Akadcmie, im Namen dersclben redend, am (irabe Victor Cousin's. 3) Eine analoge Frage würe im Munde cines üeutschcn ungleich mchr berccbtigt; aber das Recht liegt

') Eine Angabe der lielegstellen zum nbigen Passus über die moderne Philosophie kann, da ohne Zweifel jeder Gebildete ein oder das andre dei vielen Haiidbilclier und Compendien ihrer (iescliirlile besitüt, füglich unter-bleiben; ütirigens lindet man die liauptsiichlicbslen leichl audi in des Ver-fassers „Jakob Böliine, der doutsche Pliilosopb, der Voriaufer clirislliclicr

Wissenschaft,quot; 1860.

2) Erdmann „Grundriss der Gescliichte der Philosophiequot; II., 1806,

Scliluss.

3) Journal des dëbals, 1867, 26. jauv.

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für ihn walirlicli niclil in ilir, zu sprcchen: ich bin reich und habe gar salt; wer so spriclit, stelit allerdings auf eiiior Dnrch-gangsstufe, uur nicht zu neiier Klirc, sondcrn zuni „OITenbarwer-dcn dor Schande.quot; Ja, sic ist schou ollenbar geworden nach dein Zengniss eines Leipziger IMiilosopIien. welcher der armen Philosophic der üegenwart die „ludividualisirung der Stand-punk tequot; d. li. die vollsliindigc Zerfahrenheit zur Signatur giebt. Er verkniipi't damil in hesier Mcimmg andcutungsweisc den Yor-schlag, der an Gemütblichkeit \icli(s zu wünschen iibrig iii.ssl, die individualisirten Slaiuipunkte nnd sonsligen philosophischen DilTerenzen auf dein niclil, mchr uiigewiihnlichen Wege „pri va-ter Verslandigungquot; rnit einander auszugleichen. !) Es scheint Tast, als oh die „Stnbeniniidchen zu Leipzigquot; urn das l'rivi-legium beneidet wünlen, in der „Jeremiadequot; des Dichters als Ver-trctcrinncii der schijnen Naivetiit und wilzigen Einfalt zu llgurlren.

Dass cin Hruch des Zeilaiters mit der Philosophie erfolgt isl, zeigt am deutlichsten der Anklang, denweithin der Materia-lismus auf der eluen Seile, die sich selbst mit immer dreisle-rer Ausscliliesslichkeit so nennende „historische Kritikquot; auf der anderen gefunden. Heide wollen die wahre, die erst reciit moderne Philosophie sein: jener die „der fünf Sinne,quot; diese die „des gesunden i\lenschenverstandes und nüchter-nen Geschichtsblicks.quot; Und doch bckunden beide in Hirer Gellung wie untrUgliche Symplome die unphilosophische Kichtung der Zeil. In der Verurtheilung der wissenschaftlicheii Niillilftt des Ersteren stimmen mit l'iulosophen, wie i.olze und Ulrici, auf deren gründliche Widerlegung desselben wir in den „Grënzen des Beweisesquot; verwiesen haben, Fachmiinner der Naturwissenschaft tiberein, wie Liebig u. A., die es nach wiederholten Erkliiriingen beinabe nnter ihrer Würde hallen, iiber ihn noch ein Wort zu verlieren. 1) (Jud was die „historische Kritik'' betrill'l, so musste

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'2) Dass Liebig den Materialisnuis in Eine Keihe mit dein „Tisclirük-kenquot; stelit, isl bekannt. Aber selbst Oriesinger spriclit in der zweiten Aullage seiner „Pathologie und Therapie der psychisclien Krankheiten,quot;

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wohl Baur schou, der Meister dieser Kritik, au dein Dogma des absoluten Idealisnius, dass Vernunft in der Welt und in der Weltgeschichte sei, biswellen irre werden, z., B., einer Erschei-nung gegeniiber, wie die Reformation, mit welcher das positiv-kirchliche, in Baur's Augen „doketischequot; Cliristenthum nach andertlialb Jahrtausenden, substanzieli nicht urn ein Jota verandert, so massiv, so undokelisch wiederkehrt, oder auch angesielits des Aufsehwunges, den dasseibe Cliristenthum in Lchre und Leben, in ausserer und innerer Mission, jelzt wieder genomnien hat. Offen aber hat sich von Hegel's Phiiosopbic und aller i'liiloso-phie erst die historisch kritische JUngerschaft emancipirt. Nach Baur ist, wie wir wissen, „ohne Speculation jede historische For-schung, mit welchem Namen sie auch prangen mag, eiu hlosses Verweilen auf der überflache und Aussenscite der Sache.quot; Schwegler hingegen meint: „Man würde vieileicht gut thun, die Kategorie der Wissenschaftlichkeit ganz aus dein Spiele zu lassen, wo es sich von Dingen hlstorischer Kritik, von Prilfung überlieferter Zeugenaussagen, von Herstellung eines vielgliedri-gen Indicienbeweises, kurz von Fragen handelt, zu deren Erledi-gung nicht speculatives Talent, sondern gemeine Logik, gesun-der Menschenverstand und ntichterner Geschichtsblick nöthig ist... Widersprechende Ueberlieferungen nicht zumal festzuhalten, das ist unsere ganze Philosophie.quot;') Laut einer „Ueberlie-ferungquot; ist Christus gestorben für unsre Siinden, begraben, auf-erweckt am dritten Tage, gesehen von Kephas, danach von den Zwölfen etc. Laut einer anderen „Ueberlieferungquot;, der schou bei

1861, so ungeheuerlicli ihm eine „speciflsch christliclie Psychiatriequot; erscbeint (S. 504), doch sfelegentlieli auch von „Fanatikern und Pietisten des Materialismusquot; (S. 7), Kei gleich angesehenen exacten Forschem ist nicht nur von „Dilettanten,quot; „Charlalans,quot; ,,Phantasten,quot; sondern auch von „Adeptenquot; und „Mystikernquot; des Materialismus, ungeffihr wie bei Prand von „plotinischem Mucker!humquot; u. dgl, die Rede. Eine sellsame, aherwirk-same Manier, Spitznamen die Spitze nbzuhrechen! — Dass übrigens die wissenschaflliche Atomenlehre den Materialismus keineswegs „niitführe oder begünstigequot;, zeigt trefflich Kechner „Ueber die physikalische und philos. Atomenlehrequot;, S. 78 ff., und W. Weber sllmmt ihm entschieden bei (a. a. 0. S. 88 f.).

') Sch weg Ier in den „Theolog. JahrbUcliern.quot; Band V., S. 136 und 147.

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den Jaden gemcin gcwordenen Rede, kamen scine Jünger des Nachts und stahlen ihn, dieweil die Kriegskneclite schliefen. Welclic der beiden widersprechenden Ueberlieferungen ist liisto-risch-krlliscli feslzulialten, welehe zn verwerfen? „Die Wirklicii-kei(: eines Ereignisses, wie die Auferslehuiig Christi, köniKen wir nicht glauben, wenn sie nocli so stark bezeugt wiire,quot; hat Zeiler im Namen der Schule, communicativ, eingestanden. Dieses Nichtkönnen, diese Impotenz in Glaiibenssachen, das ist ihre „ganze Fhilosophie.quot; Auf Glanbensfragen schaPTt, mit Hcrbart zu reden, „der ülaube Jedem die Antwort, der sich nicht widersetzt.quot; ') Die „historischen Kritikerquot; widersetzen sich, sie weisen die Forderung, sich nicht zu widersetzen, als eine höchst unwissenschaftliche, nur dem „subjectiven Seligkeits-interessequot; bequeme, Zuniuthung zuriick, ja, sie milsscn, wie sie sind, sich widersetzen; darum können ihnen die Glauhensurkun-den überhaupt Nichts sagen, also auch Nichts antworten; darum verdienen sie, durch einen „vielgliedrigen Indicienbewelsquot; histo-risch-kritisch beseitigt zu werden: es giebt kelnen Inbegriff der Glaiibenswahrheit, keinen einstimmigen, widerspruchsfreien neu-testamentiichen LehrbegrilT: quod erat demonstrandum. Doch hat es fur den Glanben selbst mit soldier Widersetzlichkeit der Phi-losophen des „gesunden Menschenverstandes und nilchternen Ge-schichtsblicksquot; keine i\oth noch Gefahr. Die absoluten Idealisten sind allgemach in Philister dialektisch umgeschlagcn. David Strauss preis't den „Segeu des Gewerbsquot;; „heilig leben,quot; „selig sterbenquot; — wozu das Ziel sich so hoch sleeken mit den Schwarmern? „Ehrlichquot; leben und „ruhigquot; sterben, das ist sein Motto. 1) So fordert er sein Jahrhundert in die Schran-, ken, Arm in Arm mit jenem „Edienquot;, welcher sagte: „Die Haupt-sache bleibt, dass man sein Auskommen hat und zufrieden ist, und wenn einem d a n n noch Etwas felilt, so sucht man seinen Trost in der Religionquot;, versteht sich in der „Humanitatsreligion,quot; zu welcher die „Christusreligionquot; forlzubilden er mit den übrigen

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) 1). Fr. S tra iiss „DasLeben Jesu für das deutsche Volk bearbeltel,quot; 1864, in der Widmung an den verstorbenen Bruder, der niemals cin „An-leben beim Jenseitsquot; gemaclit baf,

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„Ertlenquot; dieser Zeit unerniiullich bestrebt is(. ') Die sind niclit die Manner, dein Glauben ein Leids zn Hum. Sein Felsenbau liat andere Stlirme Uberslanden, als das Anstllrmen aucli der Starksten soldier Starken, der Zeiler und Strauss, diesen Wind von heute. Und wenu sic „sicli widersetzenquot; bis an's Ende: be-schieden ist ibnen gleiclnvohl, zu Hirer Zeit an ihrem Orte in ilirer Sprache einander zuznrufen: „Verdainml! Die PfaflTen batten doch Kecbt.quot; Indess bediirfen wir zur Abrecbnung mit ibnen dieses „Anlehens beiin Jenseitsquot; niebt; was ibnen gebilbrt, ba-ben wir ibnen gezablt; und wenn ibnen „noch Etwas febll,quot; sollen sie Zulage haben.

Wie zu Ende des Mittelalters an den Ausiaufern der Scbo-lastik, so gebt jetzt au denen der modernen, einseitig kosmo-logischen Pliilosophie das Wort lt;les Apostels von iVeuem in Erftil-lung: indem sie sicli fiir Weise ausgaben, win den sic Tliorcn. Die Scholastiker batten's ganz sicher, dass Hire Lehrc in alle Zukunft besteben werde; ihre „testimonia vcritatisquot; waren naeh ibrem Dafilrbalten „in aeternuni fundala.quot; Eben so sicher baben's uiisrc Modernen, dass das Fundament Hirer Weltweisbeit uner-schlltterlich sei. lu der grossen Mcbrzabl der Tagesblatter, tlber die sie verfilgen, stellen sie die fundamcutalc Streilfragc stets so dar, als ob sie endgüKig zu ihren (iunsten cntscbiedcn sei; sie sprechen:

Wir haben Reclit und Macht allein,

Was wir setzen, das gilt gemein,

Wer ist, der uns soil meistern?

TbatsËcblicli haben sie bei der Menge auch der „tiebiUletenquot; den Tagesrubm achter Wissenschaftliclikeit, wie ilm die Nicolai und Mendelssohn, die grossen Weltweiscn schaurigen Andenkens, gleiclifalls batten. Wilhelm von Occam bless vencrabilis incep-tor; auch doctor invinclbilis biess er. Es gehort zumWesen und GlUcke des Wahns, dass ibm nic bange vvird urn seinen Rubni.

Blieken wir abcr vom Ergebniss des zweiten Abschnitts unsrer „Spitze des Beweiscsquot; zuriick auf das des ersten, und nebmen beide zusanimen, so begrUnden sie die Ueberzeugung, in welcberwir von den Widersacbern rubig scheiden können, dass

') Ebend. S. 625.

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nicht einem einseiligen, soiulern dcm allseitigen, allunifassemlen, Üieaulhropologlsclieu Pi'incip, dem chrislliclicu, das Reich doch bleiben nuiss, ') Uuser Glaube ist der Sieg, der die Welt und ihre Weisheit iibervviuulen bat. Chrlstiiche Phiiosophie enthalt keinen inuereu Widerspruch; viehnehr war es ein soldier, so ol't Philosopbcn in der Zeit nacli Christus mit Hirer l'liiloso-pltie sich ausserhalb dcrKirchedes Kvangeliiiins beranden. 2) Diess widersprach eben so sebr dem absohit-ethischen Charakter der Pliilosopbie als dein absolut-niittlerischeu Charakter des Christeu-tluims, der Saucrteigsart des Himinelreichs. Zwar nicht einer jeweiligeu theologischen Wissenschaft, wohl aber Christi und seiner Kirche Dieneriii muss, seit die Zeit erflillt ist, alle Phiiosophie sein, die nicht UberlUissig sein will und vom Uebel. Wer sich der Nicdrigkeit dieses langst zum Spotte der Leute gewor-denen Dienstes schümt und ihr eine llölie der Freiheit vorzieht, auf welcher das Aergerniss des Kreuzcs aufhört, dir hat seinen Lohn dahin.

Kein Name selzte jemals und setzt noch so viele Zungen und Federn in Bewegung, als der Xanie Dessen, der uns Philosopbcn, wenn wir tiber Ibn zu sinnen und zu reden gcwlirdigt werden, schliesslich entweder zu Narren macht oder zu anbeten-den Kindcrn. Aber audi so sind wir mit unsrer Beweisfüh-rung unniitze Knechte; keine Wissenschaft, auch keine cbristliche Wissenschaft, vermag, wovon im Heweise des Glaubens zuletzt doch Alles abhangt, SUnder in den Stand der (inade zu bringen. Das Zeicben, in dem die Einen siegen und dem die Anderen widersprechen, es beweis't mit seinen Mitteln, den eigenllichen (inadenniitteln, fort und fort sich selbst, diesen zum Fallen, jenen zum Aufstehen. Meinen wir zu stebcn, so lasset uns zuseben, dass wir nicht fallen!

') S. de Sacy in der schon einmal citirten Anzeige des Buebes von Edin. de Pressensé: ,.Jésus-Clirist, son temps, sa vie, son oeuvre,quot; im Journal des débals vom 11. Jan. 1866: „Au christianisme se lie Ia civilisation tout entière. Selon Ie parti que prendra le monde, pliilosophie, politique, morale, arts mème. littérature et industrie, tont cliangera.quot;

2) Leibniz „de vera metbodo philosopbiae et theologiaequot; (Ansg. von Erdm. p. lil): „quasi pbilosophia admittendn sit inconciliabilis religioni. aut quasi religio vera esse possit, quae demonstratis alibi veritatibus pugnet,quot;

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■v» Yon demselben Verfasser sind erschienen:

Die Wissenschaft und das geschichtliche Christenthum. Vorwort zu eiiiem (Jrundrisse der cliristliclien Wissenschaft. Berlin, 1853. Georg Reimer.

Christus undXdte Kunst. Berlin, 1853) Georg Reimer;

Der Beweis des Christenthums. Berlin,, 1856, Wiegandt n. Grieben.

Christosophie. Berlin, 1858, Ferd. Diimmier's Buclilt. (W. Grube.)

Philosophie und innere Mission.', AbdruèK aus tden „Fliegenden BliUternquot; dus Rauben Haases. Dresden, 1800, Ernst anf Ende.'

Jakob Böhrae, der deutsche Philosoph, der Vorlaufer christlicher Wissenschaft. Leipzig, I860, C. L Hirschfeld.

Die Kirchen- und Staats ■ Parteien. Abdruck ans Gelzer's „Protestanlischen Monalsblftttern.quot; Dresden, I8i)l, Ernst am Ende.

Jakob Böhme. der deutsche Philosoph, in seiner Stellung zur Kirche.

Vortrag, gehalten im Evangelischen Verein zu Berlin. Hamburg, 1862, Agentur des Rauüen Hauses.

Die Geschichte der Philosophie als Einleitungswissenschaft. Antriitsvor-lesung. (iöttiiigen, 18(iif, VaMdenhoek und Ruprecht.

lm Yerlage von C. Bertelsmann in Gliiersloh erscheinl:

Der lïewcis «les Olaiiliens.

Monatsschrift zur Begründung mul Vertheidigung der cliristliclien Walirheit für (Icbildetc. Unter leitender Mitwirkung voa Dr. 0. Zöcklcr, ord. Professor der ïlicologie zu Grelfswald und R. Grau, ord. Professor der Theologie zu Königsberg, herausgegeben von 0. Andreae, Pfarrer zu Nelieim, und C. Hrachraanu, Pfarrer zu Coin.

Monatlicli ein Heft von 2 enggedruckten Bogen in gr. 8, sauber geheftet. Erster Band, (Juli bis Dezember 1865 22,/2 Sgr. Zweiter Band 1866 1 ïlilr. 15 Sgr. Wird fortgeselzt.

Das tief empfundene Bedürfnlss nach einer solchen Zeitschrift und die vorzügliclie Art, wie demselben in nbigem Unternehmen entsprochen wird, hat letzterem rascii einen grossen Leserkreis zugeflihrt. Gleicbwohl ist die Redaction, wenn sie ferner die besten Krafte daftir heranzlehen soil, genöihigt einen noch grosseren Leserkreis zu erstreben, damit ihr dadurch die Mitiel werden, die sehr bedeutenden Kosten bestreiten zu können. Alle Freunde des Unternehmens werden deshalb dringend gebeten, es nach Kraften zu unterstützen.

Ferner erschien in demselben Verlage:

Osterzee, 1. 1. van, Apologetische Vortrage über das Evangelinm Johannis.

11 Bogen gr. 8. 20 Sgr.

Rumpel, Gymnasiaidirector Dr., Philosopliische Pi'opadeutik. 10 Bogen 8. geh. 20 Sgr.

Keferstein Fr. Die Kindertaufe und die Kirchenzucht. Die Schriftmassig-keit derselben in der evangelischen Kirche gegen die Baptisten nach-gewiesen. 8 Bogen kl. 8. Preis 10 Sgr.

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