ODER |
Ü13ER
Eü. VON HA11TMANNS PHILOSOPHIE
VON
Weltprinzip ist zwar dor Wille, nicht aboi' dor Wille zum IjcIjcii als End-zweck, sondorn der Wille zum Guteu mittels des Lebens.
Schopenhauer oder Fichte, das ist die Frage.
* ♦
*
Le volontarisme est vrai, mais il faut 1b dépéssimiser.
STRASSBURG VERLAG VON KARL J. TRÜBNER 1882.
Strassburg, Univ.-Buchdruckerei von J. II, Ed. Heilz.
Die moderne Philosophie strebt naeh einer Synthese von Idealismus and Realismus, nach eiiiem Prinzip, woraus beide, Geist und Materie, sich ableiten und erkltiren lassen. Dieses Prinzip ist dor Wille. Materie ist Abstossung und Anziebung, also Anstrengnng, also Wille, (j-eisl ist Bewusstsein, dieses aber Anfmerksainkeit, Anstrengnng, Wille. So ist Wille die gemeinsame Wnrzel von Materie und Geist, der Willensinonismus die buhere Einheit von Materialismus und Spiritualismus.
Zum Unheile der Pbilosopbie ist aus der Ver-quickung von Willensinonisnius und Pessimisinns in Schopenhauers und Hartmanns System die irr-thiunliche und der Willensmotaphysik verderblicbe Meinung bervorgegangen, Willensinonisnius und Pes-simismus scion solidariscb, ja identiseb.
Diesem Vorurtheile entgegenzutreten und im Ein-klange mit frülieren Schriften (namentlich Examen critique de la yhUosophie reliyieuse de Schelling und hinde sur le doyrne dans ses rapports avec la morale) dein von Kant nnd seinen urnnil telbaren Nachfolgern begründeten optimistischen Willens-monismus das Wort zu reden, ist Aufgabe und Zweck naclifolgend er Blatter.
Es bilden dieselben den Schluss einer zum ersten Male 18/'i gebaltenen Vorlesung ü])cr die 1'bilosopbie der Gegenwart,
Strassburg, 15. Mai 1882.
A. W.
M. II.
Der lotzto — last not least — in der Hoi ho der Ihnen vorzuführondon Denker ersten Ranges ist der 1842 geborene Berliner Ednard von Hartinaim, dor berühmte Verfasser der Pliilosophie dos Unbe-wnssten (l. A.nflage 1869),
lm ongcn Anscbluss an Sehopenhaners speknla-tivon Empirismus will ancb Ed. v. Hartmann «spe-knlative Resultato nach induktiv- naturwissonseliaft-liclior Metbode» erzielen, nud, wabrond Kant don von allor Empirie nnzortrennlicben rrobabilisinns von dor Metapbysik strong ausgescblossen baben wollto, weist er diesor, als einzig erreiobbaros Ziel, das Wabr-sebeinlicbo zn, wolebes abor fnr die Praxis dem absolut Gewassen nabezn gloichkommt. Ancb seine AVeltan-
schauung ist die Schopenliauer'sche, d. h. Pessiraismus, und mit dom Verfasser von «Welt als Wille mid Vorstellung» unterschroibt er den Satz : Nichtsein ist besser als Sein.
Er weicht indess ven dein Meister 1) darin ab, dass er nebcn dein eudamonologiseben Pessimismus (Unerroichbarkeit einer positiven Glückseligkeit) einen evolutionistiscben Optimismns, d. b. einen bistorisehen Fortscbritt dor Welt nnd ibre sebliess-liehe Erlösung (voin Dasein) lebrt, 2) darin, dass er sicb unnmwunden znr Teleologie bokonnt, und domgemass nicbt mebr ein «absolut dunimos» Weltprinzip, sondern ein solcbes lebrt, welcbem Wille und Intelligenz als coordinirte Attribute bei-wobnen.
Obgleicb namlicb das Dass der Welt ein bekla-genswertbes ist, und sie besser nicbt wiire, so ist docb ibr Wie, ibr gescbicbtlicber Verlauf, ein durcbaus plan- und zweckmassiger. üiese Zweck-miissigkeit aber weist auf ein in ibr waltendes g eist i ges Pr in zip, auf eine sie dirigirende Intelligenz. Uebrigens ist scbon init dor Bezeicbnung dos Absoluten als Wille ausgosagt, dass ibm aucb die Vorstellung zukommt; demi Wille ist Stroben nacb Verwirkliebung eines nocb nicbt realiter existi-rendon, dor Gegonsatz aber dos Realen ist das Ideale; Wille ist folglicb das Strebon nacb der Realisirung eines orst als Idee existirenden, einer
Idoe oder Vorstellungoline deren Vorhandensein oin Wollen gar nicht denkbar ware. Es ist dalier schon a priori einzusehen; dass das Prinzip der Dinge nic'it ein absirakt oinheitliches, Wille und weiter nicbts sein kann, sondern ein in sicb gedop-peltPSj eiu Prinzipienpaar, Wille nnd Vorstellung ist. Die Dinge haben ge wisserm assen eine doppelte Wurzel, einen «blinden» Erzeuger, den Willen, nnd eine intelligente Mutter, die Idee. .lener bat sicb dummerweise in's Dasein gestürzt, und seitdem existirt die Welt. Die Idee bat ibn nicbt daran bindern küunen, sie kann lediglicb seinen blinden-
1 Das Anstoss ciTogende in Hartmanns Hypothese ist nicht sowohl seino «unhevvusste Idee» — diese liegt ja schon dem Hegel'schen, ja dom platonisohen Idealismus zu Grimde — als vielmehr seine «unbewusste Vorstellung», die Uebersetzung dos griechischon Worts Idee mit dom doixtschen Worte Vorstellung. Erkennt-nisstheorctisch bildet don Qegonsatz zum Realen allordings das Ideale, die Idee im Sinno von Vorstellung, aber metaphysisch ist der Gogensatz zum Realen fAktuellen) nicht die Idee im Sinno eines Vorstellnngsbildos, sondern lediglicb im aristotelischon Sinne des Potenziellon oder VirtuoIIen (Suva^.ei ov). Dieses aber ist an sic h nicht Vorstellung, sondern w i r d es erst i m Bewusstsein. Nicht die Idee im platonisch-hegel'schen Sinne, wohl aber die V o r stellung involvirt das Bewusstsein, setzt die Spaltung des Wesons in ein Objokt (eben die Idee) und ein Subjekt, dom sie vorgestellt wird, also das Bewusstsein voraus, welches gorado in dieser Spaltung und in nicbts anderm besteht. «Vorgestellt werden» heisst nun einmal und kann nicbts anders heissen als: in's Bewusstsein t r eten; «vorstellen» nicbts anderes als: in's Bowiisst-soin aufnelimen. Unsere Ausstellung trifft, wie bemerkt, niclit die Sache selbst (das «Unbewusst-Logische»), sondern lediglicb die Hart-mann'sche Terminologie, seine Gleichstcllung von Idee und Vorstellung.
Lobensdrang regeln, zu einem bestimmten Ziele hin-leiten, unci dieses Ziel ist die grösstmögliche Entral-tang und Vertiefung des Bewusstseins — denn nicht nur der Wille, sondern auch die Vorstellung des Absolnten ist eine unbewusste und das Be-wusstsein erst ein innerweltliches Phanomen, — wü-durcli der Wille zur Einsieht seiner Thorheit gelangt. Sie ist somit der Grrund der Zweckmassigkeit in der Schöpfung, das teleologische Prinzip.
Dieser Dualismus von Wille und Vorstellung (Idee, Intelligenz) soli nun aber, nach Hartmann, kein absoluter sein. Wille und Vorstellung sind nicht zwei Subs tan zon odor Grundwosen, sondorri nur zwei verschiedene Attribute einer absoluten Sub-stanz, etwa wie Denken und Ausdehnung in der «Substanz» Spinozas1. Uebrigens ist die Idee (Vorstellung oder Intelligenz) dos Grundwesens, wie oben erinnert, koine selbstbewussto, sondern ebenso un-bcwusst wie sein Wille. Zum Bewusstsein kommt sie erst im thierischen, voll und ganz erst im raensch-lichon Gohirn.
Gerade das scharfe Untorscheiden und Auseinander-halton von Vorstellen (Denken) und Bewusstsein, die Annahtne einos Vorstellens das nicht mit
In dor That freilich verhalten sie sich wie zwei entgegengosetzte Wesen, und diese Hypostasirung der göttlichen Attribute ist, wie wir spiitor sehen werden, ein Grundfehlcr des Hartmann'sohen Philoso-phirèns.
Bewusstsein verbanden ist, eines Donkons das nichts von sich selbst weiss, hildot dio oharakteristischo Grundlehro der Hartraann'schen Philosophic. Ilart-mann ist zwar^ wie or sélhst bemerkt, nicht ihr erstcr ErOnder ; lm Gogensatzo zn Descartes, dom «Donkon» und «Apercipiren» (Bewnsstwordcn) glcich-bedeutende sich vollstandig deckonde Ansdrücko sind, lohrt Leibnitz, os gelio «dos perceptions iusen-siblos, des perceptions qui no sont pas aperen os par nous», also oinon Untorschicd zwischon Vorstellnng (perception) und bewusster Vorstollung (aperception); Kant sagt1 : «Vorstellungen zu haben und sich Hirer doch nicht bewusst zu sein, darin scbeint ein Widerspruch zu liegen, denn wie könnon wir wisson, dass wir sio haben, wonn wir uns ihrer nicht bewusst sind? Allein wir könnon uns docb mittelbar bewusst sein, eine Vorstellnng zu haben, oh wir gloich unraittolbar uns ihrer nicht bewusst sind.» Scbollings und Ilogels Absolutum ist eine un-persünliche (unbowusste) Vernunft, wolche in der Welt persünlicb (selbstbowusst) wird. Nenordings ist die Hypothese vom «Ünbowusst-Logischon» sogar dor Naturwissonschaft golaulig, ja unentbohrlich geworden. Nou aber und von nicht zu unterschiitzcndcr Bedeu-tung ist die Fülle der Boweiso, dio unser Philosoph für dieselbe in's Fold führt, die breite ompirischo
Authropologie § 5.
— 10 —
Gmndlage, die sie im ersten Theile seines Haupt-workes erhalt.
Hartmann Ijeruft sich zunachst auf die Ausfüh-rung unserer willkürliohcn Bewegungen.
Ich will den Zeigefniger dor rechten Hand bewegen. Ich habe die bownsste Vorstellung ven diesem Heben, aber das genügt offenbar nicht, denu zum Zwecke dieser Hebung ranss ich (mein Wille) einen be-stimraten Nerv, und zwar nicht blos einen Nerv, sondern einen ganzen Komplox von Nervenfasern in Bewognng setzen, nnd zwar gerade dl esc und koine anderen, sonst hebt sich ein anderer Finger, nicht dor Zeigefinger der rechten Hand. Vergloichon wir dieses Bewegen von bestimmten Nerven mit dom Anschlagen dor Tasten oines Klaviers, so müssen wir sagen : es gilt bier nicht blos oino Taste der Gehirnklaviatur, sondern einen ganzen Akkord anzu-schlagen. Dies ist das notliwendigc Mittol, oline welches jener Zweck, die Hebung des Fingers, nicht erreicht wird. Nun gebrauchst du dieses Mittol ; du schliigst don richtigon Akkord an. Du musst also eine Vorstellung von den Tasten haben, die du gerade anzuschlagen bast, sonst würdest du nicht gerade diese anschlagen. Nun ist aber, sofern du Laie und nicht gründlicher Kenner in Sachen der Anatomie bist, in deinem Bowusstsein koine Spur von dieser Vorstellung. Du thust was du nicht weisst, und du weisst nicht was du thust. Schluss : Du
hast oino Vorstellung von don Tasten, aber keiu Bowusstsoin von ihr; dn hast die unbewnsste Vorstellung da von. Und so ist die Lösung des Problems, worüber sich das 17. und 1H. Jahr-hundert don Kopf zerbrochen (Woehselwirkung von Soele und Körper), folgende : der bewusste Wille, den Finger zu hchou j erregt einen unbewussteu Willen die Tasten des betreffenden Nervenakkords anzuschlagen, mn dadureh den Zweck des Finger-hebens zu erreichen ; und dieser unbewnsste Wille kann die richtigen Tasten nur dadureh trefl'en, dass er geleitet wird von einor unbewussteu Vorstellung dieser Tasten auf dor Gehirnklaviatur. Die Cartesianer vermochten nicht einzusehen, wie os moglich soi dass Geist und Körper sieh gegenseitig bewegen, da doch keiner von beidon wisse wie or os anzu-greifen bat, und ein Zweck nicht erreiebt werden könne, wonn man das Mittel dazu nicht konnt: es fehlte oben den Gartesianorn der zwischen Natur und Geist vermittelnde Bogriff der unbewusston Vorstellung. Sie, die unbewnsste Vorstellung, und sie allein ist es, welche den Verkehr von Soelo und Körper vermittelt.
Eljonso unentbehrlich ist sie, wo os gilt die soge-nannten Instinkthandlungen der Thiere zu or-kliiren.
Der Vogel bant schon zum orsten Mali' sein Nest und bebrütet seine Eier, dor Biber bant sein Hans,
— 12 —
die Spiune spinnt ihr Netz in einer Weise, die rnit der intclligenten Thatigkoit des selbstbewussten Mon-schen eine tauschonde Aehnlichkeit hat, ja dioso «instinktiven» Fiiiiktionon vollzielien sich mit noch gvösserer Sicherlicit als die der bewussten Intolli-genz. Und doch beruhen sie nicht auf bewusster Vernunftthatigkeit, auf Ueberlegang. Worauf denn ? — Das Problem ist rnit dem vorigon (willkiirlicho Bowegung) nahe verwandt, nur liegen bier die Tliat-sachen etwas anders. Anlasslich der willkürlicben Bewegung haben wir es konstatirt: dor Vogel fliegt, das Pl'erd, der Menscb geld, obne alle anatomische Kenntniss, so vorzüglicli wie nur dor grtindlicbste Kenner des Nervenapparats, und doch bat er koine Abnung von den betreffenden Nerven. Gesehlossen baben wir : er (tier Vogel, das Pferd, der Menscb bat die Vorstollung davon, aber er ist sich dessen nicht bewusst, oder vollsUindiger : er bat die b e -wusste Vorstellung vom Zweck und die unbe-wusste Vorstellung vom Mittel denselben zu errei-chen. In den sogenannten Instinkthandlungen ist die Sache umgekehrt. Nehmen wir z. B. den Ban des Nestos. Das Nestbauen ist hier nicht Zweck, son-dern Mittel für das Bebrüten der Eier, d. h. für dio Fortpflanzung dor Gattung. Allein dor Vogel, dor zum ersten Male baut, hat zwar die Vorstellung vom Nest, (vom Mittel), aber nicht vom Ei, das bo-brütet werden soil (vom Zweck). Hier ist also dor
— 13 —
Zwock oiu unbewusster, das Mittel dagegen bewusst. Aber os wird uur desshalb ergrilïen, woil der Zwock, als unbewusste Vorslollung, den Vogel loitct. Der Instinkt ist also iiuljowussto Intelligenz (unbewusstes Wissen), unbewnsst wenigslens binsichtlich des Zweckes, oder bessor definirt; Instinkt ist zweek-rnassiges Handeln obne Bewnsstsein dos Zweckes, Handeln in Absiobt anf einen unbewusst vorgestollton Zweck. Instinkt ist also einzig und allein durcli das Prinzip dor unbownssten Vorstel-lung zu erklaron.
Dasselbo Prinzip erklart forner die zweckrnassigen Reflexljowogangen (Scliutzljowegiingon), die ani' einen ausscren Roi/, unmittelbar nnd obne allo Ueberlogung orlblgon. Das Ange schliesst sicb, der Kopt' biegt aus, dor Arm bowegt sicb vor zum Pariren sobald irgond ein gofabrdrobondor Gogenstand (ein Stein, eine Granate) plötzlieb herannabt. Fallt ein Glas vom Tiscb, so greift dor Arm angenblicklieb zu. Noch wundorbaror sind die eomplizirton Rofloxbewegungen im Wabren dor Balance, boira Ausgloiten, Gobon, Reiten, Tanzen, Springen, Turnen, Scblittscbuh-laufen. villo diose Bewegungen gelui übrigens viel leicbter, sicberer nnd sogar graziöser von Statten, wonn sie obne bewussten Willen, als einracbe Ro-llexe dos Gesicbts- und Tastsinns vollzogen worden. Jede Einnnscbung des Bewusstsoins wirkt uur bommend, daber z. B. Nacbtwandler im bewusstlosen
— li —
Zustande au Stellen gehn und klettern, wo sic, be-wusst, verunglücken mussen; denn die bewusste Ueberlegung führt allo mal zum Zweifel, der Zweifel zum Zaudern, dieses zum Zuspatkommen, die unbe-wusste Intelligenz dagegen ist alleraal zweifellos sicher, sie kennt kein Zaudern und ergreift siets das Rechto im rechten Moment. Sogar Voiiesen und Klavier-spielen nach Noten können als blosse Reflexbewe-gungen ausgefübrt werden ; es kommt z. B. vor, dass man, schon eingesehlafen, noch vorliest, also vorliest obne alles Bewusstsein, und dass Musik-stücke im traumahnlichen Zustande besser ausgefübrt werden als im Wachen. Besonders merkwürdig ist aber das Beispiel des Stotternden : er spriebt oft ganz gelaufig, wenn er gar nicht an die Ausspracbo denkt.
Zu den bisber erwalmten Pbanomenen, die alle einen wesentlicb gleichen Kern baben, namlicb un-bewusstes Vorstellen und Wollen, geboren ferner :
Die Tbatsacben der Naturbeilkraft und über-baupt des organiscben Bi ld ens. Wenn man der Scbnecke ibr Haus beschadigt, dem Vogel ein Stück seines Federkleides nimmt, so bessert das Thier den Schaden, das seine künl'tige Existenz ge-fahrdet, wieder aus. Zwar, je holier wir in der Stufenreihe der Thiere aufsteigen, desto mehr nimmt im Ganzen die Macht der Heilkraft ah; dies aber nur, weil in den bochsten Spbaren des ïhierreichs
— 15 —
dio Natur ihre ganze Energie auf das Organ des Bewusstseins (das Gehirn) wendet^ um dies immer vollkommener zn machen. Aber aueh hier ist sie noch auiïallend, wie es sich im lleilon dor quot;Wunden, Knochenbrüche u. s. w. zeigt, und übrigens gesteht jedo aufrichtigo Medizin, dass sic niehts anderes thun kann als den Naturprozess zu iinterstützen, dass die Natur sich selbor holfon muss u. s. w., und sie hilft sich ehen vermittelst ihres «Hellsehns», d. h. ihres unbowusston Vorstellens von Zweck und eutsprechendom Mittel.
Ueberhaupt woist alles Bilden der Natur auf ein sio (lurchwaltondes unhewusst logisches Priuzip. Die Organisation der Pflanze und des Thierkörpers ist eine durch und (lurch zweckmiissige. Am eklatan-testen und uuleugbarstcn trilt diese Zweckmussig-keit in der Konstruktion der Siuuesorgane horvor; alter nicht uur das System der Siuneswerkzeuge im Einzelnen, sondern das Ganze des Organismus ist teleologisch angelegt, in der Art, dass das System der Bewegung, der Siuneswerkzeuge, der Verdauung, des Blutumlaufs und der Athmuug alle fünf schliess-lich auf ein en Zweck, das Bewusstsein, abzieleu. Das körperbildende Priuzip ist also ein intelligentes, denu es wirkt in Absicht auf einen sehr bestimmten Zweck, aber es thut dies unhewusst, es ist unhe-wusstcs Vorstellen und Wollen.
— 16 —
üassolbo Prinzip liegt einer langen Rcihe psycho-logischer Erscheinungen zu Grunde.
Hierher gehören, tiusser den oben orwühnten so-genannten Instinkthandlnngen, die denselben beizu-zahlenden Pluinomene des Somnainbulismus, das «Ilcllsclni» im gewolinlichen Sinne, vermöge dessen Kranke im soinnambulen Zustande die fin' sie geeig-neten Heilmittel anzageben wissen, oder auch noch gesunde Personen das Vorgefühl ilires nahen Todes haben; unsere Ahnungen künfiiger Ereignisse; die bestiminte Weissagung derselben, wie sie z. B. in einem Swedenborg nnd Bengel so auffallend hervor-tritt; die repulsiven Instinkte der Todesfurcht (eine bestimmte Form des SelbsterhalLungstriebs, dessen anderwiirtige Formen wir als reflektorische Scbutz-bewegnngen, Naturheilkraft, organisebes Bilden u. s. w. kennen gelernt haben), der Scham (nament-lich beim Wcibo, sie ist so wenig etwas vom Be-wusstsoin gemachtes, dass wir sie bei den rohesten Vólkern finden), des Ekels (Mause, Ratten, Spinnen u. s. w.); die attraktiven Instinkte der Sympathie, der üankbarkcit, der Mntterliebe, der Geschlechts-liebe.
Es verbreitet Licht über die Geheimnisse unseres sittlichen Gharakters, nnserer ethischen Gefühle, unseres gesammten Gefühlslebens. Unsere Gefühle sind oft so dunkier Natur, dass wir sie nicht naher bezeichnen können, nnd sagen mussen, dass wir
— 17 —
nicht wissen was wir eigentlich wolion. «Ich wciss nicht was soil os bedcuten.» — cdLV ich das Mühl-rad gehen, ich wciss nicht was ich will.» Sic stammen ehen alle aus dein Unhewassten, sic existiron als unhewusste Vorstelhmgon nnd Strehungon, eho sio in howusste Gedanken nnd Worte übersetzt werden.
Licht hringt os in das dunklo (jci)ioL der so-
genanntn eMystik. Wie alles « Ilollselm», allo
Almnngon, alles Yorgefühl nnd Weissagon darin
WLirzolt, so allo religiose Bcgoistenmg, aller philoso-
phischo Entlnisiasmns (im platonischon Sinno). Allo
Religionsstiftor nnd Propheten erklarten thoils ihro
Woishoit von Gott porsünlich erhalton zu hahen,
thoils hoim Halton ihrer Roden und Verrichten
ihror Wunder vom göttlichen Geiste inspirirt worden
'/ai sein. Dossgleióhon erkliirt Jacoh Bühme in der
Aurora ; Ich sago vor Gott^, dass ich solher nicht
woiss, wie inir dainit geschieht,--denn so ich
schroihe, dictirot os mir dor (ioisl in grosser wimder-
lichor Erkcnntniss. «^lystisch» ist domnach eino Idee
odor eino Uehorzougiing, zu der man nicht durch
hewusstos Nachdcnkon kommt. Wie Böhmo, so allo
Mystikor, aher nicht uur sie, sondern überhaupt allo
Genios in Philosophic, Kunst, Litoratur u. s. w. Eiu
Phidias, oin Raphael, eiu Shakespeare, eiu Boothoven,
sio allo siud eigentlich solcho Mystiker, insolern sie
ihro Loistungen weit mehr jouom ((Hollselm», jonen
Eingobungen aus dor Rogion des ünbowusston, als
2
— 18 —
dor bewusstoa Uebcvleguug verdanken. Ihrn Schö-pfungen (Ideen, SysLeme, Kunstwerke) fallen ge-wissermassen als reife Frucht fertig in den Bereicli ihres Bewusstseins.
quot;Wie dio künstlerische Produktion, so stammt aneli das asihetische Urtlioil über dieselbe aus dem unbewussten Geistesleben. quot;Wenn wir etwas schön fiuden oder etwas scbönes produziren, so ist die Empfindnng resp. Erfindung des Schonen nur das in's Bcwtisstsein fertig hineinfallende He-sultat nnbewasster Geistesprozesso^ an welches sich dann die weitere liewasste Arboil scbliesst.
Dass unsere bowussten Vorstellnngen, dass schon unsere einl'acbsten Wab me li m u ngsbilder ausserer Gogenstande unbewusste Scldüsse voraus-setzen, bat Helmboltz gezeigt.
Dessgleichen weist endlich die Sprache auf die Region des Unbewussten als ihre eigentliche Ge-burtsstatté. Indem dor menscbliche Goist ziun ersten Male über sich stutzt und anfangt zu pliilosopbircn, findet or cinc vollkomraen ontwickelte, mit allern Rcichthnm dor Formon und Begriffe ausgostattete Sprache vor. Die Sprache entstobt v o r allem Bo-wusstsoin, deun ohne sie liisst dieses sich gar nicht donken; und doch ist sio ein durch und durch vornünftiger Organism us künstlichor und logisch durchgebildoter als die höchston und bosten Erzoug-nisse dos Bewusstseins. Wir schliossen : dio Sprache
— 19 —
ist das Produkt oiner unbewusston Vornunft. Die Behauptung, dass bei fortschreiteuder Kidtur die Sprache sich vevvollkoinmne, isl grundfalsch, das Gegontlieil violinolir ist wahr. Aliordings treten none Gegenstaiido, folglieb neue Bogrifïe, mithin Wörter auf (Eisonbalm, Telegraph, I'botograpliie). Dies ist aber eine l)loss mater idle Bereioheruug der Spracbe, obno philosopbiscbon Wertb. Der eigentlich worth volle Theil der Sprache, dor forme lie, zor-sotzt sicb und verllacht immer inehr1. Jo welter wir dagogen zumclcgelm, desto grosser der Foruionroich-thura (vgl. das Griechischo und besonders das Sanskrit). — Wor ist domnacb dor eigentliche Scbopfer dor Sprachen? Für einen Einzolnon ist ihr Grand-bau viol 7A\ komplizirt und roiehhaltig; für die bewussio Arbeit Vie lor ist sio aber ein viol zu eiuhoitlichor Organisnms : ihr Schüpfor ist die 1111-bowusste Goistosarboit dor Volker, dor Volks instinkt. Für die Annahme eines Unbewusst-Logischen gibt es violleicht kein eklatantores Argument als die Sprache.
Dieses Unbowasst-Logische nun, welches sich in dor Spharo des Instinkts wio in dor organisironden
Man vcrglciche nur z. B. das Französisehe mit dem Latein : Die Deklination ist verschwundon, das Neutrum vovschwunden, die Kon-jugation beschrilnkt sich auf vier Zoiton (im Deutsclien sogar auf zwei), das Passivum fchlt, alle Endsylben haben sich abgeschliffen; im Neugrieohisoheu fehlt der lufinitiv, der Dativ u. s. w.
— 20 —
Tliiitigkeit der Natur, in unserm gesammten Gefühls-leben wie ia der Genesis nnserer Vorstellnngswelt und Spraclio inanifestirt, unterscheidet sieh von der I icwussten Tliiitigkeit durcli eine Reihe von Merkmalen :
1) Es ermüdet1 and erkrankt nicht.
2) Es hat nicht die Form der Sinnlichkeit, ist nicht gehunden an Rauni und Zeit, sondern sieht in die Zukunft im Prophetismus, in die Raume im Sonmandjulismns; es ist kein disknrsives Denken, sondern Intuition.
3) Es scliwankt und zweifelt nicht.
4) Es irrt nicht — die scheinbaren Verirrungen dos Instinkts kommen vielmehr stets von dor Ein-mischung des Bewussten2.
5) Es ist^ m. a W., unabhangig von Gebirn und materiellen Vorgangen, wiibrend das Bewusstsein erst durch solche vermittelt wird und ein Gebirn oder dessen Analogon voraussetzt3.
Das Bewusstsein entstebt aas dem Widerstreite dor Atom- d. h. (wie sogleich gezeigt wird) Wil-1 ensriebtungen im Gebirn; os ist ein Stutzen des
Jc mehr wir mis dom Gcbiete dos Unbcwusston nahorn, desto wonigor Ermtidung, z. B. im Gofüld,
Wenn z. B. oino Henne oin rundos Stuck Kreide bebrütet.
Oder auch : Das vmbewussto Denken bat ein von der Materie nnabbangiges Dasoin, das Bewusstsein nicht.
Willens über das Vorhandonsoin nicht gewollter Vorstellungen, mithin etwas wesentlich anderos als das Vorstellen oder Denken solbst, zu dom os; infolgo oiues matoriellon Vorgangs (Gohirnschwingnngon), sich gosellt, das aber au sich von ilun (dom Bewusst-sein) unabhangig und v o r ilun da ist.
Dio Abhangigkeit dos Bowusstseins vom Goliirii; also von dor Materie, veranlasst Hartinann zur Uulor-suchung dos Wosens der Materie. Dass oin inatorieller Vorgang oin «geistiges» Pbanomen, das Bewasstsein, bedingen, ja bervorbringen soil, wiire unbegreiflich, wenn die Materie nicht solbst «goistiger» Natnr wiire (vgl. Plotin, Giordano Bruno, Leibnitz). Die moderne Physik bat den Stoff in Attraktions- und Repulsions-kriifte, niiher in Kraftcontren (Körperatomo und Aetboratoine) aufgelöst. Es gibt koinon Stoff nob on odor bin tor odor un tor dor Kraft als deren Triiger, sondern dor Stoff ist nur die erschoinende Kraft. Attraktions- und Repulsionskraft aber ist Tondonz, Streben, unbewusster Wille. Das Wesen der Materie ist also oin Wollen. Nun aber gibt es, wie Hartmann a priori konstatiren konnto, keiu Wollen obno ein zu realisirendes, erst ideal oder ids Idee 'imbewiisster Zweck) existirondes Objekt, keiu Wollon obno Vor-stellung1. Der als materielh; Kraft sich iiussernde unbewusste Wille ist also obenfalls nicht ohne un-
Vgl. tibrigens die Anmerkung S. 3.
— 22 —
bewusste Vorstellung denkbar, su dass die Materie überhaupt sich auflösen lasst in nnbewnss-ten Willen nnd unbewusste Vorstellnng.
Es entsteht nun die Frage : ist dieses überall in der Natur sich manifestirende, von Raum nnd Zeil, nnabbiingige unbewusste Vorstellen nnd Wollen raehreren raum- nnd zoitloscn, also nnmateriellen mid ewigen Wesen beizulegen, oder uur Einem ? Giht es viole unbewusst denkende nnd wollende Grundwcsen (Pluralismus, Leibnitz, Herbart) oder nur Eines, das in Allen, nnd durcb Allo, und für Allo denkt und will (Monismus). Hartmann nimmt letzteres an. Das Unbewusste ist unrauinlicb, os setzt erst den Raum (die unbewusste Vorstellung den idealen, der unbewusste Wille don realen Raum); os ist weder gross nocb klein, weder bier noch dort, weder irgendwo noch nirgonds. Das, was in einem Atom des Sirius wirkt, ist also nicht etwas anderes, als das, was in einem Mome dor Erde wirkt, os wirkt nur hier und dort auf andere Woiso, niimlich ninmlich vorscliieden. Wir haben zwei Wir-kungen, aber nicht zwei wirkende Wesen. Nur im Raume gibt es Vieles1 (Wirkungen, Erscheinungen), das Unbewusste, als nicht raumlich, ist Eines. Das haben die grössten Philosophen aller Zeiten ein-
Audi Schopenhauer bezeichnet den Raum als das principium individuationis. H. zieht übrigens den Ausdruck medium individua-tionis vor.
gesehen,, und zieht sieh der Monismus wie ein roihcr Fadcn dureh die ganzo Geschichte der Philosophie, von den altindischen Systemen lus auf Hegel und Scliopenhauer 1 lind ureh.
Aber auch der Dualismus hat seine relative Be-rechtigung. Die Wahrheit des Dualismus ist, dass die Eine Weltseele zwei scharf zu untorscheidende Attribute hat, niimlich Willo und Vorstelluug. Jenes ist das Priuzip aller Realitat, dieses, das 1'riuzip der Form aller Realitat: dass die Dinge siud, daran ist der quot;Wille schuld; dass sie so sind wie sie siiul^ die Vorstelluug odor lutolligeuz.
Auch der Atomisraus hat seine Bereehtiguug. Er ist der Physik und Ghoiuie unenthehrlich. Die Atomo existiren, sie sind das öigentlich individuelle, die Elernente, womit dio Erscheinungswclt (die Welt der Individuen) sich aufhaut. Die Krage nach ihreui Wesen (Uehergang voin Allgemeinen zum Einzelneu, individuatio) hat hereits im Mittolalter eine Haupt-rolle gespi dt. Sie sind zwar, antwortot Hartmann, nicht Wesen, sondorn uur Akte, TMtigkeiten, aher wirkliche und permanente Akte (Thiitig-keiten) der unhewussten Weltseele.
Denmach definirt Hartmann die Organismen (Kör-per, Atomenkomplexe) ids: Komhinationen vou'J hü-tigkeiten oder WilKuisaktou des einen linhewusston. «Ich» hin nichts andcres als eine solche Komhina-tion. Das Unhewusste lasso die Thatigkeit aut'iiören,
unci «icli» habe aufgohört zu soin. «Ich» bin eino Ersclicinung, was an mir Woson ist, bin «ich» nicht. Das Ich ist mit dem Regen]jog(in vergleichbar nnd vcrgiinglich wio dieser. Nur die Sonne strahlt owig, die, auch in diosor Wolke sich bricht, nur das Unbowusste waltet owig, das auch in moinern Gohiru sich liricht. Das Unbewussto kann diosolho Kombination spiitor wioderholen ; danu existirt wiedor ein Icli, das «mir» ganz ahnlich, und doch ist os nicht dasselbe
Kami nun zwar, don Hartmann'schon Voraus-sotzungen zufolgo^ von individuellor Fortdauor im eigentlichon Sinno koine Dode sein, sozeigt sich unscr Philosopli in oinor anderen Grundlehro dos «alten Glaubens», in dor Lohre vom Dasoin unci von der Goistigkeit Gottcs, vorlulltnissmassig konsorvativ, wio or deun überhaupt dor Religion anerkonnender gegen-übersteht als Schopenhauer1. Jenos, die Natur durch-
Das Christenthnm freilich gilt aucli ihm nur als eine Form und zwar als eine sich rasch auslebende Form dor Religion. Vgl. seine Schrift : Die Selbstzersetzung des Christenthums und die Religion der Zuknnft, Berlin 1874. Zufolge seinem neuesten Werke (Das religiose Bewusstsein der Menschheit im Stu-fengange seiner Ent wick lung, Berlin 1882) ist der Gottes-begriff 1) naturalistisch (heidnisch), 2) supranaturalistisch (Gott als «Herr der Natur» anerkannt). Der Supranaturalismus wiederum ist 1) abstrakter Monismus im Brahmanismus und Buddhismus, 2) ïhcis-
— 25 —
waltonde Unbowussto, wclchos, als Instinkt dor Go-schlechts- unci MutterUobe^ die Individuen in's Lebeu ruft, die Gattungen erhidl;, den Verkohr von Seele und Körpor verm it tolt, Denker, Künstler, Propbeton und Religionsstifter inspirirt, ist zwar koine Person wie icb und du, aber docli als Individuum zu be-stimmon, namlioh als All-Individuum, als Welt-Subjekt. Aucb trügt Hartmann, im Gegensatze zu Scboponbauer, koinerlei Bodenken dieses absolute Subjekt mit der Religion «Gott» und absoluten «Goist» zu nonnen, deun os ist ilnn nicht, wie jonera, blosser 'Wille, sondorn Wille und Vornunft, Wrois-boit, Vorsohung, ja «allweise Vorsobung». Nur ist ilnn dioso Alhveisbeit, dieso Vorsohung eiue unbowussto.
Donjenigon, die sicb an der Paradoxie dioser Be-stimmung oines zwar allwoison, aber unbowusston Gottos stossen, orwidert Hartmann, das Bowusstsoin babe keinon absoluten Worth, es soi vielmehr eino Besobrankung ^ Uebrigons müsso sehon im llinblick
mus oder Monotheismus in dor biblischcn Religion, 3) konkretcr Monismus. Letztorer wird, als die Religion dor Zukunft, ans der Verschmelzuug von Christenthum und Buddhismus horvorgohn.
1 Von vinondlichem Werthe aber, mochten wir einwenden, wiire das Selbstbewusstsein in Gott gerade unter dor Voraussetzung der pessimistischon Weltansicht, insoforn dassellie, wonn Gott es a priori besesson batte, ibn verhindert hiitto die Thorheit der Weltsehöpfung zu begohn und so all dom unsilglichcn Elond and Leiden der Krcatur, das jene Thorheit in ihrem Gofolgo gehabt, vorgebeugt gewesen ware.
- 2(5 —
auf das Elend der Welt ihrem Urheber das Pri'idikat bewusster Persönlichkeit abgesprochen werden. Hatte Gott v o r der Seliöpfung Selbstbewosstsein ge-habt, so ware diese 1) oin Verbrechen (deun entschuldbar ist sie nar als das Work blinder Krilftc), 2) cino Th or ho it, da ihr Zweck, ein starkes Be-wusstsein, schon erfüllt gewesen ware.
Dasselbe bat Scbopenbauer gesagt. Dagegon pro-tostirt Hartmann gegen die Schopenhauer'scbo, frei-lich cnm grano salis zu verstehendo Paradoxie, dass die 1) es tob en de Welt die s cblechtm ög-lichste aller Wol ten sei, und lebrt vielmehr mit Leibnitz, dom Optimisten ; Von allen rnögli-chen Weiten ist die bestehende die boste; nnr fiigt er don Zusatz bei: Freilich aber ist auch dieso beste aller mögliclien Weiten noch so schlecht, dass es besser ware, sie wiire nicht da. Die Ein-siebt, dass diese Welt (obgloich die ]j(!sto nnter den raöglichen) oino schlechte ist, und besser nicht da wiire (den Pessimismus), findet er bei den tiel'sten Uenkern aller Zeilen ; wenn nnser Leben, sagt dor Psalmist, köstlich gowoson, so ist os Mühe und Arljeit gewesen. Plato sagt in der Apologie des Socrates : «1st der Tod ohno allo Emplindung und gleichsam wie ein Scblal', in dom der SchlLinimornde keinen Traum siobt, so ware er ja ein wnnderbarer Gewinn.» Auch St. Paulas spricht : «Sterben ist inein Gewinn.» Kant nennt das Leben ein mit lanter Müh-
soligkoiten bestiindig ringendes Spiel. Schelling spricht von der tiefeii, unzerstörbaren Melancholie alles Lebens; er spricht vom Leben als Schmorzensweg, Yom Scbraerz dos allgemeinen Daseins. «Angst, sagt er welter, ist die Grundompfindnng jodos lebondigen Geschöpfs, Sclnncrz ist etwas allgemoinos nnd noth-wendiges im Leben... nnd aller Sehmerz kommt nnr von dom Sein. Die Unrnhe des nnablassigen quot;Wollens nnd Begehrons, von der jodos Geschüpf gotriebon wirdj ist an sich solbst die Unseligkeit.»
L)a alles Wollen auf's Sein gebt, alles Sein aber Schmerz ist, so folgt, dass alles Wollen nnvornünftig ist. Zwar die Lehro Schopenbauers von dor Nega-tivitat der Lnst (dass allo Lnst nur ein Nachlassen, Anfboren dos Schmerzes ist) ist unrichtig : os gibt allerdings cine Lnst, die mebr ist als blosse Schmerz-losigkoit. Wabr ist aber, dass im Ganzen weit mehr Schmerz als Lnst (oin bedentender Ueberschnss von Leiden) in der Welt ist. Und nm so empündlicher wird dieser Sclnncrz, je weiter das menschliche Bewnsstsein fortschroitet, je mehr es sich vertiel't. Man sebo nur das an, was man bonte die Massen-armuth (Panperismus) nennt. Das war früber zelin-mal scbrecklicber, aber das tiefo Bewnsstsein davon feblto, und die Leute trngen ibre Armuth williger. Mit dom Fortscbritt dos Bewusstseins schwinden naralich die lllusionen, welche Allen das Sein er-traglich macben.
— 28 —
Dio Weltgoschiclite zoigt uns oin dreifaches Stadium der Illusion :
lm ersten Stadium (Kindhoit der Menschhoit) wird das Glück als auf der gegonwartigen Eutwicklungs-stufe der Welt erreicht und daher für das Indivi-duum erreichbar gedacht.
Das zweite, mit dom Christenthum beginnende Stadium der Illusion ist das Mittelalter, das Jüng-lingsalter der Menscbheit: Das Glück ist dem Indi-viduum_, zwar nicht raehr in diesem Leben, welclies dom Christen als Jammorlhal erscheint, wohl aher in einom jenseitigon Lebcu, nach dem To de, erreichbar 1.
Irn dritten Stadium odor Mannesaltor dor Mensch-heit denkt man sich das Glück als in der Zukunft des Weltprozosses erroichbar. Es beginnt mit der Reformation. Au die Stelle dos christlicbon Solig-seins in dor Hoffnung aufs Jonsoits tritt nun die Wiodorgeburt der alten Kunst und Wissenschaft, das Aufblühen des Stadtetlmms und Handels, ra. e. w. dio wieder er wachte Liobe zur diesseitigon Wolt, oin neuer Optimismus, der in Leibnitz gipfelt. Das Motto dieses dritten Stadiums der Illusion ist dor «Fort-schritt».
Der Grundunterschied zvvischen JudenHium und Christenthum ist eben der, dass die Verheissungen jenes auf das Diesseits, dioses auf das Jonseits gelm.
— 29 —
Alter audi dieses ist auf dor Neige, and wir gchn jetzt dem Zeitalter dor giinzlielioii Enttauscliung, dom Greisenalter der Monsehheit ontgogon. Was loislou, in dor That, fragt unsor Pliilosoph, dio so-gonannton Fortschritto der Neuzeit 1'ür das monsch-liche Glück? Was haben Fabrikon, Dampfschiffe, Eisenbahnen und Tolograpbo in dioser Beziobung Positives goleistet ? Wer ist boute glücklicber als vor fünfzig Jabron ? Sio babon niclit das Glück, sondorn das Elond dor Welt gcsteigort. Mit don ver-mobrton Mitteln bat sieb nicbts weiter vorrnebrt, als die Wünsobe und Bedürfnisse, und in Folgo davon dio Unzufriodonbeit.
Wie das Leiden gewacbsen ist mit der Entwick-lung von der Urzolle bis zuiu j\lonscben, so wird os aucb waobson mit dor fortscbreitoridon Entwick-lung des monscblicben Geistes his a u's Endo. Die zivilisirten Vülker sind unglücklicbor als die roben Naturvölker, dio Reicbon als die A.rmon, die Klugen als dio Dummen, die Pferde als die Scbnecken, und eiu Weson ist um so glüeklicbor je stumpfer sein Nervensystom ist. Also stets wacbsondes Elend. Nicht das goldeue Zeitalter liegt vor uns, sondorn das oisorno. Und so wird die Monsehheit von Enttau-scbung zu Enttauschung und endlicb zur Erkonnlniss der Wahrboit dos alten Sprucbes gelangon ; «Es ist alles eitel.» Dioso Erkenntniss, dioser Sieg dor bo-wussten Intelligenz filter den unhowusston Willen
— 30 —
ist das Ziel dos Weltprozesses. Das allgemeine Unglück und das BuwussLsein davon wird sich der-massen steigern, dass die blinde Begierde, welter fortzuleben, scldiesslich zura Schweigen gebracht wird, d. h. rait anderen Worten, der Fortpflanzungs-trieli wird vor lanter Elend scldiesslicb erlöschon,
womit das Ende der Welt erreicht ist.
* ■*
*
Dass die Geschichte, l)oi aliem Wacbsen des Elendes vind Jammers, dennocb einen Fortscbritt darstellt, dessen Ziel die scbliesslicbe Erlösung der Individnen sowobl als des in ibnen erscbeinenden Allwesens1, dies ist, wie Eingangs bemerkt, eine dor beiden Hanptkorrektnren, die Hartmann dom Scbopenhaner'scben Systome boigebracbt baben will. Er bezeicbnet diesolbe als seinen evolntionisti-s c b o n O p t i m i s m n s, dor in seiner Woltansicbt Hand in Hand gebe mit dom oudanionistiscben Pes si mismus, d. b. mit der Bobauptnng von dor Unmöglicbkeit oiner positiven Glückseligkeit sowobl in diosor Welt als in oiner andern. Naber besolin ist indess dieso Korrektnr illusoriscb ; donn wenn
Vgl. in der 1879 ersohienenen Phiinomenologie des sitt-lichen Bewusstseins die Sohlussbetrachtung, und in dem Wcrke Das religiose Bewusstsein der Menschheit u. s. w. den Abschnitt; Die tragisch-ethische Vertiefung des Heno-theismus im Gormanenthura, S. 169 u. ff,
— 32 —
ganz loeres unci sinuloses Wort, dass also Wille und Idee schleclithin untrennbaro Begriffe sind, und ander-seits werden diose Leiden «untronnbaren» Elomente oiner und derselben Weltursache wieder gowaltsam auseinandergehalten, verselbstandigt, zu entgegengo-setzten und sicb bekiimpfenden Prinzipion bypostasirt und verabsolutirt. So aber wird uns die Welt, statt oinigermassen orklart zu werden, erst recbt zum ab-soluten Ratbsel. 1m direkten Widorsprucbe mit der Aussage, dass alios Wollen eine Idee zum Inbalto babe und obno diose undeukbar sei, soli dor Willo «absolut du min» sein. Dessglelcbon soli die absolute idee, Vorstollung, Intelligenz, Weisboit, absolut wil-Icnlos sein. Macbt- und widerstandslos sinkt sie in die Anno dos sio packenden roben Gosollon (dos Willens), der, seiner Natur gemass, ganz zufallig und unmotivirt (grundlos) nacb ihr greift und sio aus oiner Idee zu einer RoalitUt macbt. Sio muss es ebon leiden, wie das ((Heideroslein», und böchstens kann sie dabei sein ungostümes Wesen und Streben, als ■^[-wvr/óv, so leiten, dass es, nacb Aeonen, ermattot und erliscbt. Dor Wille aber oporirt dabei ganz auf eigene Rocbnung; oigenmaclitig stürmt er in's Daseiu, und erst nacbdem er überall auf Hemmnisse gestossen und die Qual des Daseins bis zur Hofe gokostot, ontsebliosst or sicb am Endo niebt mobr zu wollen.
Aber, so fragon wir, war donn nicht dieser Willo,
— 33 —
als or dio «Thorheit» der Weltscliöpfung begang, nach Hartmanns ausdrücklicher Lcliro, der Wille eines zugleich a 11 wei sen (wenii aueli unbewusst allweisen) Wesens, also gar koin Lesonderes Wesen fur sich, sondern nur Attribut eines allweisen Wesens? Es ist ja, wie von gegnerisclier Soitc richtig erinnert ist, gar nicht der Wille, der will, sondern das Wesen, wie es nicht dio Vorstellung ist, welche vorstollt, sondern das (vorstellende) Wesen. Dieses aber ist, nach Hartmanns Voraussotznng, allweise ; Hartmanns Fehler ist also seine Personi-fizirung von Wille und Vorstellung, wobei er das e i n o Absolute nbcrsieht und in oinen Dualismus gerath, den Schopenhauer sorglichst vermieden batte. Dass das Wesen, dem der Wille zukommt, ahsolut intelligent, dieser sein Wille aber absolut dumm sei, ist schlechthin undenkbar. Der Wille einos allweisen Wesens bat Tbeil an dieser Allweisbeit und kann keine Thorheit begohn. Würde liartmann rait seiner Lehre von der Allweisheit des Unbe-wussten Ernst machen, er könnte die Schoptung nimmermebr l'ür eine Thorheit (die freilich als «gott-licbe Thorheit» immer noch weiser als die mensch-liche Weisheit), das Niehtsein der Welt für besser als ihr Dasein halten können.
Für letztero Erklarung stehen ilun allerdings, dies leugnen wir keineswegs, die gewichtigsten Thatsacben zur Seite. Ja, die Philosophic des Unbewüssten ist
3
in ihrem vollen ReelitC;, wenn sie, irn Anschlusso an Schopenhauer^ gegen jenea schalen und phrasen-reichen Optiraismus dor Leibiiitz-Wolüschen Philo-sophie und der rationalistischen Theologie Front macht, dor uns hcute ehenso «anekelt» wie das dogmatische Gewasch den grossen Königsherger «anekelte», nachdem or einmal Kritik gekostet hatte. Das Uehel ist kein blosses Nichts, wie Stoikor und moderne Optimisten in eitler Selhsttauschung sich oinrcdcn mochten. «Die Welt liegt im Argon» und das Lehen ist «oin Jammertlial». Die Natur, von deren Güto und müttorlichen Fürsorge der frühere Optimismus so viel Schönes und Rührendes zu er-zahlen wusste, ist in dor That ehenso sehr eine herz-lose Schlachterin als eine gütige Mutter, ehenso sehr Qiva als Vishuu. Sie spendet uns an Lehen stets uur was sic andern raubt, und gloicht nur allznsehr jonen Lonten, die ihro Freunde auf Kosten eines dritten boreicheren. Dor flüchtigste Einblick in ein Raubvogolnest, in eine Fuchshöhle, in ein Spinnge-webe u. s. w., dürfte genügen um den nicht vor-eingenommenen Naturbeobachter in die Arme des Pessimismus zu werfen 1. Und wie die Natur, so
Schopenbauei' sagt im 2tcn Bande der Pavevga, Seite 313: Wer die Behauptnng, dass in dor Welt der Genuss den Schmerz über-wiegt oder wenigstens sie einander die Wage halten, in der Kürze prüfen will, yergleiche die Empfindung des Thieres, welches ein anderes frisst, mit der dieses andern.
— 35 —
ist auch die Weltgeschichte durchweg ein wii-thender Kampf urn's Dasein, ein rücksichtsloses Gieren nach Uebermachtj woboi ffMiltcl und Zweck als gleieh verwcrflicli ersehoinon». Das Menschcn-leben ist, wie alles Leben und in nocb viel boherem Grade (weil mit feinster Erapfindung und Bewusst-scin ausgestattet), ein schmerzensreiches, und «wenn es köstlicb gewesen, so ist es Mübe und Arbeit gewesen.»
Wie gewichtig indess dicso vom Pessimismus in's Feld gefübrten Argumente auch sein mogen, os stehen denselben eine Reihe nicht minder gewichtiger Thatsachen entgegon. Zuuiichst und vor allem dies, dass auch dor Elondeste nach diosom «olonden Loboni) giert, und, angesicbts dos «orlösenden Todos», sich daran klammert. Zurn Beweise, dass diesos Lebon, trot/, dos ibm anhaftendon Elonds, seinem Besitzer immer noch als cin begebrcnsworthcs G u I erscbeint, bessor und bogcbrenswertbor als das Nicbt-sein. Hartmann freilich schliesst aus diosem Gieren quand memo nach einem als werthlos orkannton Objokto dio radikale Dumrahoit des Willens und seinos Strebons, aber, wie boreits orinnort, im dirok-testen Widorspruche zu seiner Lohre von dor All-weishoit des Unbewussten. Dor boregtcn Thatsacho gogenüber muss unsor Philosoph ent weder dio irn Hogerscben Panlogismus wurzelnde Fundamon-taldoktrin seiner Motaphysik, das Unbowusst-Logiscbo
— 36 —
preisgeben, ode r er muss seine der Schoperdiauer-schen Pliilosophie entlehute Willenslehre in der Richtung eines gesunden Optimismus reformiren, aber auch so auf eino seiner Grundlebren (den Pes-simismus) verzichten.
Tauseht nicht ;illus, so würde Ilartmann weit eher zit diesem zwoiten Auswcge sich bequemen als zum ersteren, der ihn einfach auf den Standpunkt des vulgar(311 Materialismus zurückversetzen würde'.
1 Dafür bttrgt uns niclit nur soine oben cr walm te religionsfreund-licho Haltung, sondern auch das lebendige Interesse, das er neuer-diugs den religiösen Fragcn zuwendet, Ware ilim der Wille wirklich das zu vernichtende böse Prinzip, so ware ihm auch die Religion, statt einer fortzubildenden heilsamen Erscheinung, ein rücksichtslos zu bekiimpfendes Unheil. In dor That ist ja die Religion nichts anders als Wille, im erweiterten Sinne, den dieses Wort in der Willensmetaphysik erhalten hat. Und zwar ist sie in ihrer ursprüng-lichen Gestalt und wie sie als «wildwachsende» Pflanzo auf dom ganzen Erdboden verbreitet ist, nichts anderes als Wille zum Lebon, Selbsterhaltungstrieb. t)ieser ist, namlich, negativ ausgedrückt und so zu sagen von der Kehrseite angesehn, Angst vor der Vernich-tung und folglich vor allem was dieselbe herbeiführen könnte. Diese (Todos-) Furcht, Angst, Scheu ist aber gerade das Wesen und charakteristische Merkmal aller «natürlichen» Religion. Allo «natürliehe» Religion ist, subjektiv, Sclieu vor eingebildeten oder wirklichen Machten, von donen angenommen wird, dass sie einon entscheidenden Einfluss auf unser Schicksal ausüben (Herren über Leben und Tod sind) und durch ein bestimmtes Verhalten von unserer Seite (Kultus) gunstig gestimmt werden können; sic ist, objektiv, das Ganze der Vorstellungen, Gobrauche und Institutionen, welohe aus dieser (Todos-) Scheu, oder positiv ausgedrückt, aus dem Willen zum Leben, hervorgegangen sind. Dass die Religion, subjektiv betrachtet, nichts anders ist als der Selbsterhaltungstrieb in seiner unmittelbarsten naïvsten Bethatigung, das Nicht sterben wollen, zeigt sich am deutlichsten darin, dass dor ünsterblichkeitsglaube
Nillier müssto dioso Reform der Willensraetaphysik in einor [J m b i 1 d u ng u n d E t li i s i r u n g dos W i l -lonsprinzipsj keineswegs in dor Beseitigung dos-selben bestehn^ und lodigiicb darnm würdo os sicb bandoln, die von Hartmann mehrfacli ausgosproebcnc Bobauptnng zurückzunehmen, alles Wollen geho anfs Sein als lotztos und soi dossbalb un-vornünftig. üonn dass dor innerste Kern und Quell alles Scins; das Graadweson dor Dingo, Trieb, Strobon, Wille ist, dass dor Wille überall die erste und oberste, dor Intellokt die zweito untergeordnote Rollo spiolt, ist oine Wabrheit, die Soliopenbauor wodor ontdeckt bat noch alloin vorficbt. Die Uobormacbt dos Alïektiv-Passionollon übor das Rationollo lobrt dor grosse Scbolastikor Duns Scotus ; «Voluntas imperans intidlectui est causa superior. . . . Intol-
und Alinenkult überall aufs innigste mit ihr verbunden erscheint. Diesor Glanbo ist ja niclits anderes als der sicb bis in den Tod und über den Tod binaus bejabende Wille znm Loben. Das Alte Testament, das die individnelle Unsterblicbkeit nur in nnbestimmten Zügen andeutet, predigt um so lanter die Unsterblicbkeit Israels, welobe so zu sagen sein Fundamentaldogma bildet. Das Wort ist also riobtig : «Würde der Menscb nicht sterben, er biitte keine Religion,» und der Geistlicbe, der nns gegenüber einmal ilusserte, sein Auditorium sei nie empfanglicber und religiöser gestimmt als am Char-freitag, weil es an diesem Tage ganz besonders vom memento mori bewiiltigt sei, spracb biermit das wabre Wesen der Religion aus. Dieses Wesen ist, wir wiederbolen es, Wille (Scbleiermacber nennt es «Gefübl» und sagt im Grimde dasselbe), es ist nicht «Vorstellnng», wie Hegel annimmt. Die «Angst» beflügelt die Pbantasie, erzeugt die Vorstellung (Götter, Mythen u. s. w.), als das Sekundare, die Scbaale, welcber gegenüber sic das Primiire, den Kern bildet.
— 38 —
loctas dependet a volitiono. . . . Jonor ist Mittel, dieser ist Zweck.» Derselbe spricht von der unsoro Gedanken beherrschonden Macht des Willens^ dessen Tlmtigkeit sich in dein Woldgefallen odcr Missfallcn, in der Lust au don Dingen odor Gedanken offon-bart'. Raimund von Sabundo sagt, irn Anscblusse an Duns Scotus : «Dein Willen kommt die kaiserliche Herrschaft über den Verstand zu1.» Leibnitz lobrt: «11 n'y a pas de substance sans effort2.» Kant lobrt don Primat dor praktisehen Vornunft, d. i. des Willens, über die theoretische. Fichte bezeicbnet sein Grundweson, das absolute leb, nabor als unendlicbes Strebon, Soluien, Triob, Wille, Bodingung dor Möglicbkoit dos thoorotiscben leb (der Intolligenz)Nach Schelling ist das Erkennen voin Wollen abbangig, nicht uingokebrt. Das Wollen selbst ist unbedingt und über-steigt alles Erkennen. Es ist das einzige un-begreiflicho, unauflüsliche, seiner Natur nach gruud-loseste, unbowoisbarste, eben dosswogon abor un-mittelbarste und evidenteste in unserm Wissenrgt;.
De natma horainis 17,
Erdmann, S. 132.
Maine do Biran lohrt: «Nous sommos volonto a van I d'etre intelligence,» und, im Ansclilnsse an ihn, F. Ravaisson ; «La volonté est au fond do tout'.» W. Wundt lehrt : « Kein Bewusstsein oline Willens-Ihatigkoit, mid ; Das psychische Gnindphanomon ist der Trieb2.» Der Schwcizer Charles Secrétan er-klart : «Wille ist das wesentlichste mid erste in mis, dor Grund unsores Solus, seine innorsto Snb-stanz, das einzig annehmbare Prinzip, wonn man nicht anf alio Philosuphio verzichten will.... Phano-inenismus (Positivismus) odor Willensmetaphysik, diese Alternative driingt sich uns heute mil nnwidor-stehlichér Macht auf*5.» In idinlichein Sinne spriclit sich audi dor in Sachen dor Metaphysik sohr vor-sichtigo Lotzo aus.
Wenn daher Schopenhauer den Willen als den innersten Korn unsores Wesens mid allor Wosen bezeiehnet und liartmann in ilnn das H(gt;alprinzip dor Dinge orhlickt, so thun sio dies in Ueboroin-stimmuug mit den besten unter den Philosophen dor Nouzoit. Wenu ahor Schopenhauer den Urwillen naher als Willen zum Leben bestimint, und liartmann erkliirt, alles Wollen gehe aids Sein (d. h. Leiden) und sei desshalb imveriiimrtig, so entsteht die Frago : Gold dor Wille auf das Sein als letztes
! Rapport sur la philosopliie fran^aise au XIXC siècle, p. 254,
2 Physiol. Psychologie, S. 480.
3 Du principe de la morale in der Revue philosophiquo, VII, 4.
— 40 —
Ziel, odor geht or nicht vielmehr auf das Sein als Mittel Lind Organ zu einem höhern nnd höchsteri Zwecke? — Einer lediglich auf die aussore Natur gerichteten Bolrachtnng so wie einer oborflachlichen Selbstbeobachtung möchte bedunken als ob ersteres dor Fall ware, und ersclioint das Scbopenbauer'scbo Lebonwollon j dor absolute Egoismus, als letzter Grund und oberstes Prinzip alles Seius. Geben wir aber in uns, graben wir dureb don nacbstliegcnden Grund unseres Seins bindurcli tiefer und tiefer, so linden wir jonsoits des (Scbopenbaiierscben) Grun-des einen tieferen Un ter gr und alles Seins, einen otbisclien Urgrund alles Metapbysiscben. Die Region, bis zu welcher es vorzudringen gilt, ist das Ge wis sen. Was wir bier vernebmen, ist ein un-bedingter Befebl (kategoriscber Imperativ), also dor Ausdruck eines quot;Willens und zwar oincs absolute n Willens. Wir scbliessen : Der absolute Urgrund ist Wille, nicht aber Wille zum Leben als Letztem, sondern Wille zum Gut en mittels dos Lobcns, bezichungswoise dor Solbstopferung. Das so entdockte Prinzip ist formal mit dom Schopenbauer-schon identisch : es ist Trieb, Stroben, Wille, inhalt-lich aber toto ecelo verscbieden von demselben; es ist Wille zum Gut en als Endzwock, und zum Leben uur soweit dieses die notbwendige Grundlago zum realen Guten bildet.
Dass der Willo zum Lobon als Mittel und zum
__ 41 —
Guten als Endzweck, obwohl an sich o i n Wille, philnomenologisuli in zwei entgegengesotzte Potenzen (Wille zum Guten und Wille zum Leben, Pneunia und Sarx, Geist und Fleisch) auseinandergeht, ist der Wahrheitskern der dualistischen Systemo; dass aber dor Wille zum Guten uur in verbaltnissmilssig sel-tenon Fallen und in sittlich böher stehendon Persön-lichkeiten (Sokrates, Christus, Martyrer dor Idee, dor Jjiobo, der Froundsebaft u. s. w.) übor den Willen zum Leben si egt, und dor Wille zum Leben (dor Egoismus) nicht nur in dor Natur, sondern auch in der Mensohboit und Woltgoschichte als das horrschonde Prinzip (als dor Gott dies er Welt) sich breit macht, wahrond dor Wille zum Guten stots in Knochtsgostalt erscheint, dies beweist nichts gogen don tbatsachlichon Primat dos letzteron, donn er ist das bobero Prinzip nur als das ethische, und als solchos wirkt er nicht mechanisch zwingond, sondern lodiglich durch Freiheit. Gerado abor die wonn auch seltenen Siege, dio der Wille zum Gaten übor den Willen zum Loben davontragt, bilden eine peremptorisclio Instanz gogen Schopenhauer; donn, ist der Wille zum Loben nicht nur höchstes, sondern einzigos Woltprinzip, wie sollen wir jene opfer-freudige Hingabe des Lobens, ich will nicht sagen bei jenseitstrunkonen Fanatikern, aber bei donon erklaren, die ohno Hoffnung aul' jensoitigen Lolin lodiglich urn der Idee willen in den Tod gogangen sind? Ihro
■----—--—---— - ■
— 42 —
Selbstverleugnung l)owoist vielrnehr aufs Bereclteste das Dasein und dio Uebermacht eiuos hölieron AVolt-prinzips und Lebenszwecks, zu welchem sich der Willo zum Leben letztlich doch nur wie der Knecht zum'Herrn und wie das Mittel zum -reXo; verhalt. Sie beweist dass Letzterer scbliesslich kein Abriman, kein Gegengolt, nicht trotz dein Willen zum Guten, sondern durch denselben gesetzt ist. Soil das Gute eine Realitat sein, so bedarf es realer Personwesen und ihres Daseins, und muss das vom Dasein un-trennbare Uehel gleichsam mit in den Kauf ge-noinmen werden. Das Leben ist Mittel, nur Mittel, aber nothwendiges Mittel zum realen Guten, und somit selbst integrirender Bestandtheil des Guten, wenn auch nur in dom Sinne wie der Vorhof Bestandtheil des Tempels ist. Und wie das Leben, so der Wille dazu oder Selbsterhaltungstrieb, obne welchen das Leben sofort zu nichte würde, der absolute Weltzweck aber unerreicht bliebe. Nicht in der Vernichtung des Se ins, wie aller Dualismus und im Grunde auch Hartmaun lehrt, nicht in der Vernichtung des Seins und des Selbst bestel) t das Gute, das Sitlliche, die Tugend,' sondern in der Erfüllung, Durchdringung und Verkliirung desselbeu durch die sittliche Idee. Dem Dualismus freilich, dein gerade das Dasein und Dasoinwollen die wieder gut zu machende Urthorheit ist, gipfelt die Tugend konsequenterweise in der Aiifhebung dos Daseins
— 43 —
(lurch Tilgung dos Daseinwollons als dos SL-lilechthui Bösen. In der That aber wird dor Wille zum Lebon, als dor votn quot;Willen zum Guten gesotzto, erst da hose, wo er sich in bewusstor Empörung von diesem scinem Urgrunde loslöst und im bewusston Crcgensatze zum Guten sich iiussert. Von solchem bewusston Gegensatze kann iudcss weder in dor aussormenschlichen Natur noch innorhalb dcr Mensch-heit die Rede sein, bevor sic, ans dom Naturzu-stande kom mend, den Punkt geistiger Entwicklung orreicht, wo sio zur Einsicht in die Bedeutung des Daseins als Mittel zii eincm höhcrn Zwocke ge-langt, und den wir daher die «sittlicho Bewusst-soinsscliwolle» zu nonnen pflegen. Unterhalb diesor Scliwello ist der Wille des Lebens mn dos Lobens willen (dor Egoismus) naiv und unzurecbnungstuhig, jenseits derselben aber bestraft er sich durch Ge-wissensunruhe odor Lebensübordruss.
Dass jedos Monschenlebon, welches sich zum Solbst-zwock macht, statt sich als Mittel einem böberon Zwocke unterzuordnon, schliesslieli und trotz alios Gonusses in das blasirte Klagowort ausbricht : Es ist alios eitol! dass, mit anderen Worten, alios Lobon urn dos Lebons willen unbofriedigt liisst, ist wiedorum ein sprochonder Beweis dafür, dass dor Grundwille in uns nicht dom Lebeu als letztem Ziele, sondorn dom Guten zustrebt. Nur ein Lobon, das im Dienste der Pflicbt verlaul't, kennt weder
Ueberdruss noch Gewissensqual, aber dienen muss das Leben, Mittel, Organ und Knecbt zu sein muss es sich bescheiden, wenn es seinen wahren (ethischen) Zweck erfüllen soil. In dies er Venn it tel ung des realen Guten liegt aller Werth des Daseins. Als Mittel zurn Guten ist Leben und Welt, trotz des darin wuchernden Uebels, oin relativ Gates, ob no welches das Gute eine abstrakte Mög-lichkeit bliebe, durch welche os zur konkreten Wirklichkeit wird odor zum mindesten werden kann. Und hierin liegt der liefste Grund dos auch den Elendesten beseeleudon Lebenstriebes: es ist der absolute quot;Weltzweck, der sich in ihm sein Mittel schafft.
Nun wollen wir koineswogs in Abrodo stellen, dass die zu Gunsten einor Reform des Schopenhauer-nartmann'scbon Willensbogriffs von uns geltond ge-machten Argumenten Lebenwollon des Elanden, Selbst-opforungen im Dienste der Pflicht, Unfriode, Lobens-überdruss u. s. w., uur im Zusammenhange ruit dom Argumento xax' dom katogorischon hn-
perativ des Gowissens, bowoiskraftig sind. Einzig und allein im Boweise a priori schöpfen allo empi-rischen Instanzen ihro Boweiskraft. Gill, jenor nicht^ so golton auoli dicse nicht. Es kommt, mit andern Worton, alles darauf an, oh wir dom Sitt-lich-Guten als solchem absoluten quot;Werth beimessen. 1st dies dor Fall, so ist hiermit dom
— 45 —
Pessimism us., audi wenn wir einem falsclien Opti-inisnms gegenüber seine relative Bereclitigung aner-keniien müssen, dennooh die Spitze abgebrocheu mid das entsittlichende Moment benommen, das im Satze liegt; Bcsser ware das Nichtsein dor Welt als ihr Sein. Denn im Gogensatzc zu diesom Motto muss daim geseblossen werden : das reale Gute soli sein, nun ist es aber inöglidi nur durcli das Leben (die Welt), also soil die Welt sein, odor mit anderen Worten, J)osser eino Welt als koine.
Legen wir freilich dein realen Guten keinen absoluten Wertb bei, und erWieken wir im kategoriscben Imperativ Kants «einen Rost tbeolo-giscber Vorurtbcile», dann behiilt dor Pessimismus mit seinem Multo das Fold. Denn in diesom Falle beweist das Lobenwollou quand memo des Elenden nur die Unvernunft dos Weltprinzips, die durcli keinen Genuss zu stillende cbroniselio Unbefriedigt-boit dos Lebemanns nur die Unerreicbbarkeit [jusi-tiver Glückseligkeit und die daraus sicb ergobende Absurditat des Lobonwollens, und dor I'reiwillig Sterbende orscheint entwedor als oin durcli illuso-riscbe HolTnung auf jenseitigen Lolm betrogener Thor, oder als oin Weisor nur insofern er auf's Leben als aid' etwas, dossen absolute Wertblosigkeit or erkannt hat, vorzichtet.
Sio sehn, meine Herren, wie die gauze Diskussion
auf cino Gewissensfrage hinausliiuft. Die thooreti-scho Vernunft allein vermag sie nicht zu lösen. Es gilt die Kantische Lehre vom Primat der praktischeu Vernunft in Anwendung zu bringen. Des Lehrlings Bemerkung zura Grundsatze des achten Meisters (in Schillers «Philosophen») kann uns so lange nicht irre inachen als er selbst nichts «Vernünftigeres» za erwiedern weiss. Dass die höchsten Fragen der theo-retischen Philosophic nur unter praktischeu Gesichts-punkten sich entscheiden lassen, heweist viehnehr dass alles Sein und Bewusstsein aus dom Willen stammt, tuid von diesem als von seiner ahsoluten Voraussetzung ahhangig ist, also den Primat der «praktischeu VernLini't». Diese aber entscheidet ge gen die pessimistische Doktrin. Sie betrachtet mit Kant und Fichte das Leben als eiue sittliche Aufgabe, die Welt als das «Material unserer Pllicht», das Absolute endlich nicht als den Willen zuin Leben als End-zweck, sondern als den Willen zum Gut en mittels des Leb ens.
rr uZ $-/* .....^ ^ f ^
£,/. n^w, v A L/r/ww';^ 43?. * m
f A ,'! , .-/ ' quot;'■* : *l~ 1' quot;■ '■ '.^ ■ - - ^
ty^rx-ti Jt r 'quot;quot; ^'■lt;-gt;/ Jt ) ^