|
||
LIEBER DIE BEZIEHUNGEN
|
||
|
||
DER
|
||
|
||
TUBERCULOSE
DES
MENSCHEN
ZUR
TUBERCULOSE DER THIERE
NAMENTLICH ZUR
PERLSUCHT DES RINDVIEHS
MIT KRITISCHER BERÜCKSICHTIGUNG DER
ENTDECKUNG DES TUBERKELBACILLUS AN DER HAND
EIGENER VERSUCHE BEARBEITET
|
||
|
||
DR H. PUTZ
|
||
|
||
PROFESSOK DER THIERlIEILKUNLiE AN l'KK L'NIVERSITA r IV HALLE AV S,.
|
||
|
||
-------------------- #9632; #9632; :- gt;
I ? -^ #9632; - i
|
||
|
||
|
||
|
||
STUTTGART.
V E R L A G V O N F E R D I N A N 1) E N KTT.
1883.
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
BIBLIOTHEEK UNIVERSITEIT UTRECHT
|
||
|
||
2913 041 0
|
||
|
||
|
||||||||
|
||||||||
|
||||||||
#9632;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; UEBER DIE BEZIEHUNGEN
DER
TUBERCULOSE
DES
MENSCHEN
ZUR
TUBERCULOSE DER THIERE
NAMENTLICH ZUR
PERLSUCHT DES RINDVIEHS
MIT KRITISCHER BERÜCKSICHTIGUNG DER
ENTDECKUNG DES TUBERKELBACILLUS AN DER HAND
EIGENER VERSUCHE BEARBEITET
VON
DR H. PÜTZ,
PROFESSOR DER THIERHEILKUNDE AN DER UNIVERSITÄT IN HALLE A. S.
|
||||||||
|
||||||||
fi wo %
|
||||||||
|
||||||||
|
|
|||||||
|
||||||||
STUTTGART. \^
|
|
|||||||
VERLAG VO
|
N FERDINAND. ENiKE^raquo;.
|
|
||||||
|
||||||||
1883.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;V
|
|
|
||||||
|
||||||||
|
||
|
||
|
||
Druck von Gebrüder Krönet in Stuttgart
|
||
|
||
|
||
Dr. Koch hat bekanntlich am 24. März 1882 in der Sitzung der physiologischen Gesellschaft zu Berlin —#9632; und am 20. April c. a. auf dem medicinischen Congresse in Wiesbaden — die wichtige Mittheilung gemacht, raquo;dass er in tuberculösen Herden des Menschen und aller von ihm bis dahin untersuchten Thierspecies, einschliesslich in den Perlknoten des Rindes, einen specifischen Bacillus gefunden habe, der von ihm ausser-halb des Thierkörpers in künstlichen Culturen weiter gezüchtet und mit Erfolg auf verschiedene Thiere übergeimpft worden seilaquo;. — Seitdem schienen die meisten deutschen medicinischen Forscher zunächst geneigt zu sein, die so lange strittige Frage nach den genetischen, resp. ätiologischen Beziehungen zwischen der Tuberculose des Menschen und der Thiere, incl. der Perlsucht des Rindes, für vollständig entschieden zu halten und zwar im Sinne einer absoluten genetischen Identität, resp. eines zweifellosen ursächlichen Zusammenhanges fraglicher Zustände bei Menschen und Thieren. So z. B. sagt Dr. Veraguth, Curarzt zu St. Moritz, in einem am 27. Mai 1882 zu Zürich in der Versammlung des schweizerischen ärztlichen Centralvereines gehaltenen Vortrage raquo;Ueber die Stellung der practischen Medicin zur Infections-theorie der Tuberculose des Menschenlaquo; (Basel, Schweiger-hauserische Buchdruckerei 1882, S. 3):
„Mit Bezug auf die Perlsucht der Ri?ider kann die Entscheidung zu Gunstett der Identität (mit der Ttiberadose des Menschen) bereits als ahyeschJossen, betrachtet werden.quot;
|
||
|
||
|
||
In ähnlichem Sinne iiusserte sich Prof. Johne in einem am 7. Juni 1882 in der Generalversammlung des landwirth-schaftlichen Kreisvereins zu Leipzig gehaltenen Vortrage, der bei Breitkopf und Haertel erschienen ist. Auf S. 8 der betreffenden kleinen Schrift heisst es:
„Dadurch hat Koch zuerst mit zweifefloser Sicher-heit bewiesen, dass die Tubercidose der Mensclien und Thiere vollständig identische Krankheiten sind, dass wenigstens zwischen der des Menschen, des Rindes, Schzüeincs, Hundes, der Katze', des Affen, Kaninchens, Meerschweinchens, der Ratte und des Huhnes ein Unterschied höchstens in der äusseren Form besteht, dass sie aber durch eifiett und denselben Pilz hervorgerufen werden, der als alleinige Ursache der Tubercidose zu betrachten ist.quot;
Diese Behauptung gründet sich auf die vorhin bereits erwähnte Mittheilung Koch's, wonach dieser in verschiedenen Producten tuberculöser Menschen und Thiere, resp. perlsüchtiger Rinder, einen Bacillus nachgewiesen hat, der morphologisch keinerlei Verschiedenheiten zeigt, mag derselbe aus Perlmassen des Rindes, oder aus tuberculösen Producten von Menschen oder Thieren entnommen sein, und dessen künstliche Culturen dieselbe physiologische Wirkung besitzen, indem sie allemal mit grosser Sicherheit an der Impfstelle locale und später weiter verbreitete Tuberculose, resp. Knöt-chenbildung, bei den betreifenden Versuchsthieren erzeugen. Auf Rindvieh hat Koch seine Impfversuche mit fraglichen Bacillenculturen nicht ausgedehnt. Und doch hat dieser umsichtige Forscher aus seinen an anderen Thieren erzielten bezüglichen Versuchsresultaten selbst einige Schlüsse gezogen, welche die Beziehungen der Perlsucht des Rindviehs zur Tuberculose des Menschen und der Thiere betreffen, die ich von Anhing an für raquo;nicht begründetlaquo; gehalten und erklärt habe.
|
||
|
||
|
|||
#9632;*.
|
Koch spricht sich nämlich in seinem erwähnten Berliner Vortrage (s. Berl. klinische Wochenschrift 1882, Nr. 15, S. 230) folgendem!assen aus:
„Eine andere Quelle der Infection mit Tuherculosc (des Menschen] bildet unzweifelhaft die Tuberculose der Hans-thiere, in erster Linie die Perlsucht des Rindviehs . . . Die Perlsucht ist identisch mit der Tuberculose des Menschen und also eine auf diesen übertragbare Krankheit.quot;
Diese beiden Sätze sind meiner Meinung nach hypothetischer Natur und lassen sich weder durch die betreffenden Versuchsresultate Koch's oder anderer Forscher, noch durch die seitherigen klinischen Erfahrungen beweisen. S. 228 1. c. hat Koch folgenden Schluss gezogen: raquo;Dies Criterium (d. i. den Nachweis der Tuberkelbacillen) als das Massgebende angenommen, müssen nach meinen Untersuchungen Miliar-tuberculose, käsige Pneumonie, käsige Bronchitis, Darm- und Drüsen-Tuberculose, Perlsucht des Rindes, spontane und Impftuberculose bei Thieren für identisch erklärt werden.laquo;
Wäre die hier gemachte Voraussetzung richtig, so liesse sich gegen die Folgerung nichts einwenden. Ich bin aber der Meinung, dass es sehr gewagt und gewiss nicht unbedingt berechtigt ist, den Nachweis des Tuberkelbacillus als das einzig Massgebende für die absolute Identität fraglicher Zustände anzunehmen; wissen wir doch, wie wesentlich die Wirkungen der pathogenen Mikroorganismen durch Aenderungen ihrer Lebensbedingungen, so z. B. durch den Uebergang von der einen auf eine andere Thierspecies und durch viele andere, meist noch unbekannte Einflüsse alterirt werden, ja dass sie sogar ihre Virulenz vollständig verlieren können, ohne ihre Form und ihr Proliferationsvermögen zu ändern oder einzubüssen.
Wenn man die seither auf dem Wege des Versuches
|
||
|
|||
|
||
und der klinischen Erfahrung gewonnenen Thatsachen ohne jede Voreingenommenheit prüft und gebührendermassen berücksichtigt, so muss man zu der Uebemeugung gelangen, dass mit der Entdeckung eines bestimmten pathogenen Mikroorganismus noch keineswegs alle wesentlichen Momente der Aetiologie fraglicher Krankheit klar gestellt sind, sondern dass gerade dann erst nicht selten eine Menge anderer wichtiger Fragen an uns herantreten, deren Beantwortung voider Hand unmöglich, aber für eine ausreichende Erkenntniss der wirklichen Krankheitsgenesis, sowie der wechselseitigen Beziehungen verwandter Krankheiten zu einander unerläss-lich ist.
In Anbetracht dieser und noch anderer Momente habe ich bereits am 19. September 1882 in der Veterinärsection der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Eisenach nachzuweisen versucht, dass die absolute Identität des natürlichen Tuberculose- und des natürlichen Perlsucht-Giftes in pathogen er Hinsicht, d. h. dass ein ursächliches Verhältniss der Tuberculose des Menschen zur Perlsucht des Rindes, noch keineswegs so bestimmt erwiesen sei, als vielfach angenommen werde.
Nachdem bereits eine grössere Anzahl angesehener Fachmänner mündlich und schriftlich die vorhin angeführten Sätze Koch's ohne jeden Vorbehalt angenommen und sich in ähnlicher Weise, wie Veraguth und Johne, ausgesprochen haben, sind in neuerer Zeit auch einige Forscher gegen die Folgerungen Koch's raquo;bezüglich der Unität, sowie der absoluten genetischen Identität des natürlichen Tuberculose- und Perlsucht-Gifteslaquo; aufgetreten. Je gewagter es mir anfangs erscheinen musste, öffentlich zu protestiren, gegen die nicht ohne gewichtige Gründe zu so grosser Verbreitung gelangte Ansicht, raquo;dass der Beweis der ätiologischen Identität zwischen
|
||
|
||
|
||
_ 7 _
Tuberculose des Menschen und der Peiisucht des Rindes nunmehr eimvandslos geliefert worden seilaquo;, um so mehr musste mir dies aus den bereits angefühlten, sowie auch aus folgenden Gründen als Pflicht erscheinen. Seit einigen Jahren hatte ich die mir für Versuchszwecke zur Verfügang stehenden geringen Mittel grossentheils zu Tuberculose-Perlsucht-Versuchen verwendet, als plötzlich die absolute Identität beider Krankheitszustände als sicher erwiesen proclamirt wurde. Obgleich es mir bis dahin wie vielen Anderen ergangen war, dass ich bald mehr, bald weniger an eine histologische Uebereinstimmung der wesentlichen Verhältnisse, sowie an die Möglichkeit eines genetischen Zusammenhanges der Perlsucht des Rindes mit der Tuberculose des Menschen und der Thiere glaubte, so wollte es mir doch nicht einleuchten, dass durch die mit Recht für sehr wichtig gehaltenen Versuchsresultate Koch's diese alte Streitfrage nunmehr vollständig abgeschlossen sei. Da mir die Folgerungen, welche Koch selbst aus seinen genialen Versuchen gezogen hatte und welche von Anderen bereits öffentlich anerkannt worden waren, nicht streng logisch gefügt erschienen, so wurde ich dadurch veranlasst, die ganze Angelegenheit nochmals zu prüfen. Hierbei fand ich, dass auch meine eigenen Versuchsresultate die Lehre von der absoluten genetischen Identität der Perlsucht des Rindes mit der natürlichen Tuberculose des Menschen und der Thiere nicht unterstützen. In einer für die Gesundheitspflege des Menschen, sowie für das National- und Privateigenthum so wichtigen Frage glaubte ich meine Einwendungen deshalb sofort veröffentlichen zu sollen, um dadurch zu anderweitigen Prüfungen der Koch'schen Lehre mit beizutragen. In meinem zur Zeit der Koch'schen Publication nahezu fertig gestellten raquo;Lehrbuche der Seuchen und Herdekrankheiten unserer
|
||
|
||
|
||
— 8 -nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^laquo;^s
Hausthiere, mit Rücksicht auf die Zoonosen des Menschenlaquo;, Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart 1882, habe ich in einem Nachtrage eine unvollkommene Mittheilung über die bezüglichen Versuche veröffentlicht. Einen Separatabdruck diesernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; M Publication habe ich der Redaction der Deutschen medicini-schen Wochenschrift übersandt, welche denselben in Nro. 22, Berlin d. 27. Mai 1882, reproducirt hat. Die betreuenden Mittheilungen linden sich in meinem vorhin genannten Lehrbuche auf S. 699 bis 702, und wird deren Inhalt nachher ausführlicher zur Sprache kommen. Vorher möchte ich versuchen, hier kurz anzugeben', was meiner Meinung nach aus den Berichten über die Entdeckung des Tuberkelbacillus geschlossen werden kann.
Die bezüglichen Versuche Koch's beweisen:
1)nbsp; nbsp;raquo;dass in den Perlknoten des Rindes ein Bacillus vorkommt, der einem Bacillus, welcher in Tuberkeln des Menschen und verschiedener Thiere angetroffen zu werden pflegt, morphologisch gleich erscheintlaquo;;
2)nbsp; nbsp;raquo;dass ferner diese Perlsucht- und Tuberkelpilze sich gegen gewisse Farbstoffe und Reagentien ähnlich oder gleich verhaltenlaquo; und
3)nbsp; nbsp;raquo;dass durch die Ueberimpfung ausserhalb des Thier-körpers gezüchteter Culturen des einen wie des anderen beider eben genannter Bacillen bei verschiedenen Thieren localisirte, später verbreitetere Tuberculose, resp. Knötchen-bildung bei den Impflingen mit oft tödtlichen Folgen erzeugt werden kannlaquo;.
Abgesehen davon, dass die wahre Tuberculose-Natur fraglicher Impfknötchen nicht einwandslos erwiesen ist, hat auch Koch bei seinen bis dahin mir bekannt gewordenen Publicationen keine Versuchsresultate erwähnt, welche seinerseits mit fraglichen Pilzculturen bei Rindvieh, oder gar bei
|
||
|
||
|
|||
— 9
|
|||
|
|||
Vraquo;
|
Menschen, direct gewonnen worden wären. Ohne solche directe Versuchsresultate würden die beiden in Rede stehenden Sätze Koch's selbst dann noch nicht in ihrem ganzen Umfange sicher erwiesen sein, w7enn über die tuberculöse Natur fraglicher Impfknötchen nicht der geringste Zweifel mehr bestände. Auf diesen Punkt werde ich später noch wieder zurückkommen.
Da ich es nicht für ganz unbedenklich halte, aus den Impfresultaten mit ausserhalb des Thierkörpers künstlich gezüchteten Krankheitserregern, welche noch dazu nicht beim Rinde angestellt worden sind, ohne Weiteres auf die Wirkung des betreifenden natürlichen Krankheitsgiftes beim Rinde zu schliessen, so sollen hier zunächst einige Impfversuche besprochen werden, welche mit tuberculösem Material vom Menschen bei Rindvieh angestellt worden sind; hierhin gehören unter anderen der allgemein bekannte bezügliche Versuch von Klebs und ein von Kitt an der Münchener Thier-arzneischule im Jahre 1879 angestellter derartiger Versuch.
Das Ergebniss beider in Rede stehender Versuche war insofern ein positives, als nach Einverleibung tuberculösen Materiales vom Menschen in den Peritonealsack je eines Kalbes, bei beiden Versuchsthieren später (durch die Section) perlknotenähnliche Gebilde an verschiedenen Abschnitten der Serosa festgestellt wurden. Dies an nur zwei Versuchsthieren gewonnene Ergebniss kann die daraus gezogenen Folgerungen nicht ausreichend begründen, weil einerseits die wahre Persucht-Natur fraglicher Neubildungen, — andererseits die Abhängigkeit dieser von den betreffenden Impfungen nicht sicher nachgewiesen worden ist. In Bezug auf letzteren Punkt ist zu bemerken, dass eine Reihe von Fällen angeerbter, sogar angeborner. Perlsucht bei Kälbern beobachtet w7orden und gewiss noch häufiger vorgekommen sind.
|
||
$
|
|||
(#9632;
|
|||
i
|
|||
|
|||
|
|||
— lü —
Ich füge denselben noch die beiden folgenden Fälle hinzu, welche wie alle übrigen lehren, wie vorsichtig man bei der Wahl seiner Versuchskälber zu Werke gehen muss. Ein 9 Monate altes Shorthorn-Kalb, welches im November 1881 mit Lungenseuchelymphe geimpft worden war, wurde mir im Mai 1882 zu Versuchszwecken übergeben. Ich wrürde dasselbe zu Tuberculose-Perlsucht-Versuchen verwendet haben, wenn ich nicht die Mutter des Thieres gekannt hätte, welche ich seit langer Zeit für perlsuchtverdächtig gehalten hatte. Am 31. Mai liess ich fragliches Kalb schlachten und fand bei der Section die ausgesprochensten Erscheinungen der (pectoralen) Perlsucht. Ein Stück der rechten Brustwand mit zahlreichen Perlknoten auf der Pleura parietalis habe ich am 19. September 1882 auf der Naturforscher-Versammlung in Eisenach unter anderen Präparaten vorgelegt. Dort iiabe ich ferner vorgelegt Abschnitte des Rippenfelles und des Herzbeutels von einem 4 Tage alten Gayal-Bastardkalbe, dessen Mutter bei der Section perlsüchtig befunden wurde. An diesen Präparaten finden sich in grösserer Anzahl feste Knötchen und Flöckchen, welche auch in ungleicher Ver-theilung auf der Pleura pulmonalis vorhanden waren. Derartige Vorkommnisse lehren, wie unsicher manchmal die aus scheinbar positiven Impfresultaten gezogenen Schlüsse sind. Letzteres gilt namentlich für den fraglichen Klebs'schen Versuch, über welchen der Autor in Virchow's Archiv (Bd. 49, S. 292) unter Anderem Folgendes mittheilt: raquo;Ein schönes, kräftiges Kälbchen von 4 Wochen wurde (am 26. Juli 1869) durch Injection von zerriebener, in Wasser aufgeschwemmter menschlicher Tuberculosemasse in die Bauchhöhle (15 Pravaz'sche Spritzen) inficirt. Am 22. October (1869) wurde dasselbe getödtet, und es fand sich über das grosse Netz und einen Theil des Magens zerstreut eine
|
1
|
||
|
|||
|
|||
11 —
|
|||
|
|||
v
|
grosse Menge gestielter, central verkalkter Knoten, welche histologisch alle Cbaractere der Perlknoten darboten; ausser-dem graue Miliarknoten in den Lymphdrüsen der Mesen-terien und der vorderen Bauchwand, spärliche auch in der Leber; die Milz trug nur an ihrer Oberfläche einzelne, flach vorragende graue Knoten. Die Nieren, Lungen, Geschlechtsapparate und die Schleimhäute des Darmes waren frei. — Die Beschränkung dieser Neubildungen auf die Nachbarschaft der Injectionsstelle beweist wohl am deutlichsten die Abhängigkeit ihrer Entstehung von der letzteren.laquo;—Dieser Versuch ist mir zufällig etwas näher bekannt, da derselbe im Berner Thierspital angestellt worden ist, als ich Director dieses und der Berner Thierarzneischule war. Einwurfsfrei ist er schon deshalb nicht, weil Klebs die Eltern seines Versuchskalbes gar nicht kannte, somit nicht die mindeste Garantie hat, dass letzteres nicht bereits perlsüchtig, resp. erblich belastet war, als er es für seinen Versuchszweck ankaufte. Das von Klebs angeführte Criterium für die Abhängigkeit des Sectionsergebnisses von der Impfung mit Tuberkelgift vom Menschen fehlt dem folgenden Versuche, welchen Kitt im Jahresberichte der Münchener Thierarzneischule 1879—1880 (Leipzig 1881), S. 28 bis 30 publicirt hat. Demnach wurde ein rothscheckiges Kalb, nicht ganz 4 Monate alt, am 8. Juni 1879 mit einer wässerigen Flüssigkeit geimpft, welche durch Zerreiben tuberculös - scrophulöser Substanz aus der Submaxillardrüse eines Menschen bereitet worden war. Zwanzig Gramm dieser Flüssigkeit wurden mittelst Flankenschnittes in die Bauchhöhle eingespritzt. In der Nacht vom 22. zum 23. August 1879 verendete das Versuchsthier. Bei der Section fanden sich schwartige und knotige Neubildungen in der Bauch- und Brusthöhle, ins ersterer sehr verbreitet. Auf Grund des Sectionsbefundes
|
||
|
|||
|
||
stellt Kitt folgende Diagnose: raquo;Tuberculöse Entzündung des Peritonäums, sowohl des visceralen wie parietalen Blattes, mberculös-scrophulöse Entartung der Bronchialdrüsen; tuberculöse Entzündung des Pericardium und beider Pleurasäcke, Lungenödem.laquo;
Kitt begnügt sich damit, die bei der Section vorgefundenen Neubildungen als raquo;tuberculöselaquo; zu bezeichnen, ohne indess für die Berechtigung dieses Epithetons irgend einen Beweis zu liefern. Meiner Meinung nach ist die speeifische, resp. Tuberculose: oder Perlsucht-Natur fraglicher Neubildungen mindestens sehr zweifelhaft. Die directe Einführunsr von 20 Gramm verschiedener anderer deletärer Substanzen, welche nicht von tuberculöseri Individuen herrühren, würde bei unmittelbarem Contacte mit einer Serosa an dieser wohl ähnliche Neubildungen zu erzeugen im Stande sein, wie die von Kitt (und Klebs) vorgefundenen. Diese bereits von Waidenburg und Anderen ausgesprochene Meinung konnte dadurch nicht im mindesten an Wahrscheinlichkeit verlieren, dass in die Bauchhöhle eingeführte Zinnoberaufschwemmun-gen, wie solche von Ponfick, Hoffmann und Anderen gemacht worden sind, keine tuberkelähnlichen Eruptionen hervorbrachten. Es ist ja eine längst bekannte Thatsache, dass alle in den thierischen Säften unlöslichen metallischen Körper sich als Entzündungserreger ganz bedeutend weniger activ erweisen, als vegetabilische und thierische Substanzen. Jedermann weiss, dass Silberfäden, Bleikugeln und andere metallische Körper von thierischen Geweben eingeschlossen werden können, ohne dass dieselben nennenswerthe Störungen verursachen, während Kugelpflaster, leinene, wollene oder seidene Stoffe und dergl. in den Körpergeweben und serösen Höhlen Entzündungen mit den verschiedensten Ausgängen
|
||
|
||
|
||
Zahlreiche Versuche mit allerlei Material haben ferner ergeben, class durch Einimpfung nicht tuberculöser Substanzen, welche proliferationsfähige organische Keime enthalten, tuberkelähnliche, von wahren Tuberkeln histo-logisch nicht zu unterscheidende locale Entzündungsproducte erzeugt werden können, welche später auch in den verschiedenen parencl^matösen Körperorganen, Lungen, Leber, Lymphdrüsen u. s. w. auftreten. Je grosser das Prolifera-tionsvermögen der einverleibten Mikroorganismen in den Säften des betreffenden Versuchsthieres ist, um so intensiver pflegt die Knötchenbildung und die Generalisation dieses Processes zu sein. Es ist dieser bemerkenswerthen Thatsache gegenüber behauptet worden, dass solche raquo;Pseudotuberkellaquo; von den raquo;wahren Tuberkelnlaquo; dadurch zu unterscheiden seien, dass letztere weiter verimpf bar seien, jene nicht. — Wenn ein solcher Unterschied wirklich bestände, so würden Kitt und Klebs den betreffenden Beweis für die tuber-culöse Natur ihrer Impfproducte schuldig geblieben sein. Gegen die ächte Perlsucht-Natur fraglicher Neubildungen spricht im Kitt'schen Falle die verhältnissmässig kurze Dauer der Krankheit bis zum tödtlichen Ausgange, der bei natürlicher Perlsucht stets erst nach Jahren einzutreten pflegt.
Für die Identität der Perlsucht des Rindes und der Tuberculose des Menschen ist auch folgender Versuch ins Feld geführt worden: Bollinger (Archiv für experiment. Pathologie, Bd. i, Jahrg. 1873, S. 257) injicirte in die Bauchhöhle eines jungen Ziegenbockes 60 Gramm einer Flüssigkeit, welche durch Zerreiben tuberculös-scrophulöser Lymph-drüsenpartikelchen mit V2 procentiger Kochsalzlösung bereitet worden war. Bei der Section fanden sich in der Bauchhöhle Veränderungen, welche das Bild der Perlsucht des Rindes boten.
|
||
|
||
:
|
||
|
||
m
|
||
|
||
— 14 —
Gegen diesen Versuch kann man mit ungefähr demselben Rechte den Einwand geltend machen, welchen Koch (Ueber die Milzbrandimpfung, Kassel und Berlin 1882, S. 6) gegen Pasteur erhoben hat. Er sagt nämlich, dass man doch wenigstens Pferde und nicht Kaninchen als Versuchsthiere benutzen solle, wenn es sich darum handle, eine neue Pferdekrankheit ätiologisch zu erforschen, da kein Mensch wisse, ob Kaninchen an der betr. Krankheit, d. i. an typhösem Pferdefieber zu erkranken vermögen. — So soll man, meiner Meinung nach, wenn man die etwaigen genetischen Beziehungen zwischen der Perlsucht des Rindes und der Tuber-culose des Menschen erforschen will, nur Rindvieh, nicht aber Ziegenböcke oder andere Thiere zu Impfversuchen mit Tuberkelgift vom Menschen verwenden.
Da bei Ziegenböcken die Perlsucht gar nicht, oder nur ganz ausnahmsweise vorkommt, so handelt es sich in dem betr. Falle um ein Kunstproduct, welches für die Entscheidung in Rede stehender Streitfrage einen sehr geringen Werth hat. Man wird wohl mit mehr Recht hier an eine raquo;Pseudo-Perlsuchtlaquo;, als an eine raquo;wahre Tuberculoselaquo; denken können.
Im günstigsten Falle können Impfresultate, welche durch Injection grösserer Mengen deletärer Stoife in die grossen serösen Höhlen des Thierkörpers erzielt werden, kaum mehr beweisen, als dass die directe Berührung solcher Stoffe mit serösen Häuten im Stande ist, multiple Entzündungsherde in geringerer oder grösserer Anzahl zu erzeugen.
Obgleich ich Fütterungs- und Inhalationsversuchen einen höheren Werth für die Entscheidung unserer Frage beilege, als Impfversuchen, so halte ich dennoch folgende bei Kälbern erzielte negative Versuchsergebnisse der Mittheilung werth und will deshalb über dieselben nachstehend kurz berichten.
Subcutane Injectionen von mit Wasser zerriebenen
|
||
|
||
I
|
||
|
||
Miliartuberkeln vom Menschen, welche Bagge bei zwei Kalbinnen von 3ji und 13/4 Jahren ausführte, hatten einen negativen Erfolg. Das Impfmaterial wurde einer an Lungenschwindsucht verstorbenen Person entnommen und die beiden Versuchskälber 472 Monate nach der Impfung geschlachtet resp. secirt (Repertorium der Thierheilkunde, Stuttgart 1870, S. 79 und 80). Von Tuberkeln oder Perlknoten wurde bei der Section nirgends eine Spur entdeckt.
Aehnliche Resultate habe auch ich bei meinen mit Tuberculosegift vom Menschen bei Kälbern angestellten Versuchen erzielt, über welche ich nunmehr berichten will. Ich füge denselben einige bei anderen Thierarten vorgenommene Impfungen mit Tuberculosegift vom Menschen bei.
|
||
|
||
Versuch I.
Am 27. Mai 1880 trepanirte ich die Stirn- und Oberkieferhöhlen eines ca. 15 Jahre alten Versuchspferdes und brachte durch die so gemachten Oeffnungen Sputa eines tuberculösen Menschen in die betr. Kopf höhlen des Versuchs-thieres. Die Sputa waren mir frisch aus der Halle'schen medic. Klinik (des Geh. Med.-Rathes Weber) geliefert worden. Ein entsprechendes Quantum derselben wurde in eine Hauttasche, welche ich unmittelbar vorher frisch angelegt hatte, eingefüllt. — Bis Mitte Juni waren die Trepanationswunden ohne abnorme Vorkommnisse geheilt. Die Temperatur stieg am Abende des Operations- resp. Impftages bis 39,4deg; C, sank aber bereits am folgenden Tage früh auf 38,4deg;, Mittags auf 38,0deg; und stieg Abends wieder auf 38,8deg; C. Von da ab schwankte sie zwischen 38,0 und 39,20C. Am 9. Juni 1880 wurden die Messungen eingestellt, weil bereits seit einigen Tagen die Temperatur stets normal war.
|
||
|
||
|
||
i6
|
||
|
||
Am 18. Juni 1880 injicirte ich demselben Versuchspferde 4 cbcm frischen Eiters, welcher aus einem in der Halle'schen chirurgischen Klinik (durch Geh. Med.-Rath Volkmann) resecirten (tuberculösen) Knochenabscesse stammte, hinter der Schulter in's subcutane Bindegewebe. Die in der Wand des resecirten tuberculösen Abscesses qu. vorhandenen miliaren Knötchen wurden vorher abgekratzt und dem Eiter beigemischt.
Auch nach dieser Impfung trat weder in loco, noch im Allgemeinbefinden bei fraglichem Versuchsthiere eine auffallende Reaction ein. Die subcütan injicirte Tuberkelmassc wurde ohne auffallende Vorgänge resorbirt, während die Hauttasche vor der Brust wie eine Fontanellwunde eiterte. Die Mastdarmtemperatur betrug am Abende des 18. Juni 38,i0C., und überstieg auch 38,3deg; C. bis zum 7. Juli 1880 nie. An letztgenanntem Tage, also 19 Tage nach der zweiten Impfung wurden dem nämlichen Pferde ca. 4 cbcm Eiters, aus einer tuberculösen Coxitis des Menschen entnommen, an beiden Seiten der Brust und auf der rechten Schulter (an jeder Stelle 2 cbcm) in das subcutane Bindegewebe eingespritzt. An diesem Tage betrug die Abendtemperatur 38,3deg;C; am 8. Juli 1880 betrug dieselbe 38,90C., welche Grenze sie nach oben später nie überschritten, ja nicht einmal wieder erreicht hat. Die Abendtemperatur war stets einige Decigrade höher als die Morgentemperatur; nur am 21. Juli 1882 betrug sie Morgens und Abends 38,40C. — Während der ganzen Versuchszeit befand sich das Pferd qu. anscheinend sehr wohl.
Am 22. Juli 1880 d. i. 56 Tage nach der 1., 34 Tage nach der 2. und 15 Tage nach der 5. Infection mit Tuberkelgift wurde in Rede stehendes Pferd geschlachtet. Die Section desselben ergab im Wesentlichen Folgendes:
|
||
|
||
|
||
— 17 —
Die Lungenpleura war grosstentheils glatt, feucht und glänzend; in der Gegend ihres stumpfen (oberen) Randes und des hinteren (scharfen) Randes war sie mit einigen bindegewebigen Neubildungen besetzt. Zahlreich fanden sich fadenförmige Bindegewebsneubildungen am ganzen unteren (scharfen) Rande des mittleren Theiles der rechten Lunge, die in der Gegend der 6. bis 9, Rippe zu Verwachsungen mit der Rippenpleura geführt hatten. Auch am mittleren Theile des scharfen Randes der linken Lunge fanden sich ziemlich zahlreich derartige Bindegewebsneubildungen. Die Lungen waren nicht ganz normal collabirt, beide Lungenspitzen etwas emphysematös. Beim Ueberstreichen mit den Fingern über die Lungenoberfläche fühlte man an verschiedenen Stellen miliare, bis über stecknadelkopfgrosse Knötchen, welche meist hart und undurchsichtig (verkalkt) waren; eben solche Knötchen fanden sich auf der Schnittfläche des Lungengewebes, unter dem serösen Ueberzuge und im Parenchym der Leber. Auch im Netze sowie an der Innenfläche der Hauttasche vor der Brust waren miliare (opake) Knötchen vorhanden.
Das Ergebniss dieses Versuches erschien mir zunächst als ein negatives, indöm ich die vorgefundenen Veränderungen nicht für acht tuberculös hielt. Als ich aber später bei der mikroskopischen Untersuchung der Granulationen an der Fontanellvvand einige Riesenzellen von verschiedener Grosse fand, wurde ich mehr oder weniger unsicher. Meine Zweifel fanden dann eine weitere Stütze in dem Ergebnisse des im 1. Quartal 1882 bei einem ca. einjährigen Fohlen angestellten Impfversuches, über welchen ich nachher weiter berichten werde.
|
||
|
||
|
||
i8
|
||
|
||
Versuch II.
Mit dem nämlichen Tuberkelgifte, wie vorstehend erwähntes Pferd, impfte ich am 18. Juni 1880 ein Landschwein-chen hinter der rechten Schulter in das subeutane Bindegewebe, welches in der Nacht vom 13. bis 14. Juli 1880, also 25 Tage nach der Infection mit Tuberkelgift vom Menschen, an einem incarcerirten Nabelbrüche starb. Bei der Section desselben fanden sich folgende uns interessirende Veränderungen:
Die Lungen waren nicht ganz normal collabirt; die Lungenpleura namentlich an ihrem oberen (stumpfen) Rande reichlich mit fadenförmigen Bindegewebswucherungen besetzt; unter derselben Hessen sich an verschiedenen Stellen Knöt-chen von Stecknadelkopf- bis Linsen-Grösse durchfühlen. Auch auf der Schnittfläche des Lungengewebes fanden sich viele stecknadelkopfgrosse, transparente Knötchen mit einem gelblichen opaken Centrum. Aehnliche Bildungen fanden sich unter dem serösen Ueberzuge der Leber, im Leber-parenehym und am peritonealen Ueberzuge des Zwerchfelles. Am serösen Ueberzuge der Leber fand sich eine haselnuss-grosse Echinococcusblase.
Die mikroskopische Untersuchung einer Anzahl dieser Knötchen ergab, dass dieselben aus Rundzellen bestanden.
Meine nunmehrige Vermuthung, dass der Befund bei beiden eben genannten Versuchsthieren vielleicht doch für die Möglichkeit einer wirksamen Uebertragung des Tuber-culosegiftes vom Menschen auf Pferde und Schweine spreche, fand in nachstehend mitgetheiltem Versuche für das Pferd eine weitere Stütze.
|
||
|
||
|
||
19 —
|
||
|
||
Versuch III.
|
||
|
||
Am 6. Februar 1882 injicirte ich einem einjährigen Fohlen c. 4 cbcm Tuberculosegift in die rechte Lunge; ein Theil desselben Impfstoffes wurde gleichzeitig bei einem 10 Monate alten Kalbe benutzt, worüber ich nachher (Versuch VI) berichten werde. Das hierbei verwendete Impfmaterial war aus einer noch warmen tuberculösen Menschenlunge durch Auspressen gewonnen, in einem Mörser verrieben und dann durch reine Gaze filtrirt worden.
Bereits am Tage nach der Impfung stieg die Mastdann-temperatur bei in Rede stehendem Fohlen von 38,5deg; auf 40,40 c.; auch die Athem- und Pulsfrequenz steigerte sich auf 28 Athemzüge, resp. 66 Pulse in der Minute. Es stellte sich ein starkes Schniefen ein, Press- und Sauflust war einige Tage hindurch nicht ganz in früherem Masse rege; die Arterie fühlte sich klein und gespannt an. Am. 8. Februar 1882 war die Nasenschleimhaut höher geröthet, die Kehlgangslymphdrüsen zeigten sich etwas empfindlich und angeschwollen; von Zeit zu Zeit hustete das Versuchsthier. Auch hatte sich etwas Nasenausfluss eingestellt, der bis zum 16. Februar 1882 massig zunahm; aus beiden Nasenlöchern floss ein grau-weisser, zäher Schleim; Press- und Sauflaust liessen nichts mehr zu wünschen übrig. Das Schniefen war bis dahin noch etwas stärker geworden und die Athemfrequenz auf 34 Ex-und Inspirationen in der Minute gestiegen. Von da ab liessen die genannten Störungen allmälig nach, während die Auscultation die Symptome eines Bronchialcatarrhes ergab, die aber stetig abnahmen. Die Schwellung der Lymphdrüsen im Kehlgange minderte sich langsam; auch im Uebrigen näherte sich der Zustand, etwa vom 8. März 1882 ab, wieder normaleren Verhältnissen.
|
||
|
||
|
||
— 20 —
Am 17. März 1882, das ist 39 Tage nach der Lungenimpfung mit Tuberculosegift vom Menschen, wurde in Rede stehendes Füllen geschlachtet. Bei der Section desselben fand sich im Wesentlichen Folgendes:
Auf der Pleura der rechten Rippenwand und des Zwerchfelles bindegewebige Neubildungen und zahlreiche miliare Knötchen bis zur Grosse eines Stecknadelkopfes. Auf dem sehnigen Theile des Zwerchfelles zählen die Knötchen der Serosa nach Tausenden; dieselben sitzen zum Theil an Bindegewebsstiele'n. Beim Ueberstreichen über die Lungen-pleura macht es den Eindruck, als wenn unmittelbar unter oder in derselben eine bedeutende Menge Sandkörner eingebettet wären; es ist dies in besonders hohem Grade gegen den hinteren scharfen Rand beider Lungen der Fall, noch mehr aber an den beiden vorderen (zungenförmigen) Lungenläppen, und zwar an der oberen wie an der unteren Fläche derselben. Diese Knötchen waren grau, etwas durchscheinend und von gallertähnlicher Consistenz; sie lassen sich ohne besondere Schwierigkeit mittelst einer Nadel aus dem subpleu-ralen Gewebe auslösen. Auf den Schnittflächen der Lungen zeigen sich im Gewebe dieser überall die gleichen Knötchen. Im rechten Hauptlappen ist die Impfstelle durch einen festen derben Herd von keilförmiger Gestalt markirt, dessen ge-felderte Schnittfläche eine weissgraue Farbe und eine speckige Beschaffenheit zeigte. Das Gewebe dieses hepatisirten Keiles ist luftleer. In den kleinen Bronchien alles übrigen Lungen-gewebes fanden sich die Erscheinungen eines Catarrhes. — Auf dem Pericardium lassen sich ebenfalls vereinzelte Knötchen und bindegewebige Fäden erkennen. — Die Bronchialdrüsen erschienen bedeutend geschwellt, derb und markig; auf der Schnittfläche verschiedener derselben glaubt man zu erkennen, dass einzelne dieser Drüsen submiliare Knötchen
|
||
|
||
ä
|
||
|
||
---- 21 —
beherbergen. Unter der Serosa der Leber finden sich zerstreut miliare Knötchen von etwas derberer Consistenz, als die in den Brustorganen.
Die Kehigangslymphdrüsen waren etwa noch so gross, wie ein Taubenei, und von derber Beschaffenheit; Knötchen wurden in denselben nicht wahrgenommen.
Alle übrigen Organe zeigten nichts, was für unseren Zweck der Erwähnung werth wäre.
Die Lungen dieses Versuchsthieres boten durchaus das Bild einer disseminirten Miliartuberculose. Dieser Eindruck wurde durch die mikroskopische Untersuchung einer grösse-ren Anzahl Knötchen, welche sämmtlich aus einer Zusammenhäufung von Rundzellen bestanden, noch verstärkt. Herr Professor Ackermann, welcher die Güte hatte, ein ihm übersandtes Lungenstück von fraglichem Füllen ebenfalls zu untersuchen, bestätigte meine Ansicht, dass der Befund mit dem einer disseminirten frischen Lungentuberculose des Menschen anatomisch übereinstimme.
Ich will schon jetzt darauf aufmerksam machen, dass das nämliche Tuberculosegift, welches bei in Rede stehendem Füllen innerhalb 39 Tagen (nach einer directen Lungenimpfung) so exquisite Erscheinungen einer verbreiteteren Knötchenbildung in den Brustorganen und in der Leber zur Folge hatte, . bei einem gleichzeitig geimpften 1 o Monate alten Kalbe innerhalb 70 Tagen, also in fast doppelt so langer Zeit, nur eine ganz localisirte Knötchenbildung zu erzeugen vermocht hat, wie uns der Versuch VI näher zeigen wird.
Die meinerseits im Ganzen bei 5 Kälbern vorgenommenen Tuberculose-Versuche haben überhaupt weniger positive Resultate geliefert, als nach den mitgetheilten Versuchsergebnissen von Klebs und Kitt erwartet werden durfte;
|
||
|
||
d
|
||
|
||
aus den noch folgenden Mittheilungen wird sich dies des Näheren ergeben.
Professor Schütz, welcher die Lungen des vorhin erwähnten Versuchsfohlens auf der Naturforscher-Versammlunquot;; in Eisenach sah, glaubte die in denselben vorhandenen unzähligen miliaren Knötchen, welche er in dem Tageblatte der 55. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte sonderbarer Weise als raquo;knotenartige Neubildungenlaquo; anspricht, für Producte einer anderweitigen Erkrankung ansehen zu müssen; es erscheint ihm wissenschaftlich nicht erklärlich, dass durch Einspritzung tuberculöser Massen vom Menschen in die Lungen eines Füllens Miliartuberculose erzeugt worden sei.
Obgleich ich nun keineswegs zu behaupten wage, dass in Rede stehende Knötchen ächte Tuberkel gewesen seien, und obgleich ich sogar selbst sehr bezweifle, dass fragliches Füllen (sowie die anderen Versuchsthiere) schlicsslich an wahrer Tuberculose gestorben sein würden, so erscheint es mir doch unverständlich, warum diese Knötchen nicht mit demselben Rechte als Tuberkel angesprochen werden dürfen, wie andere derartige Knötchen, welche nach Impfungen mit tuberculösem Material in so vielen Fällen erzeugt worden sind. Indem ich also auch heute noch dieses Recht für die betreffenden Impfproducte in Anspruch nehme, bin ich doch weit entfernt, behaupten zu wollen, dass darum der bei dem Füllen künstlich erzeugte Krankheitszustand mit der Tuberculose des Menschen ohne Weiteres identificirt werden dürfe oder müsse. Ich habe ja bereits erwähnt, dass ähnliche Knötcheneruptionen auch durch Impfungen mit verschiedenem, nicht tuberculösem Material sehr oft erzeugt worden sind. Schütz wird wohl ebenso wenig wie irgend ein Anderer in der Lage sein, die wahre Tuberkelnatur
|
||
|
||
|
||
solcher Impfproducte in allen Fällen sicher feststellen zu können. Sollte ich mich hierin irren, so würde ich für genauere sachliche Mittheilungen hierüber sehr dankbar sein, vorausgesetzt, dass Schütz nicht mit kühnen oder willkürlichen Behauptungen, wie in Eisenach, sich begnügt, sondern dass er in passender Form haltbare Belege für seine Anschauungen anführt.
Was die Zweifel des Prof. Schütz bezüglich des von mir verwendeten tuberculösen Impfmateriales anbelangt, so will ich hier nur wiederholen, dass dasselbe stets möglichst frisch zur Verwendung gekommen ist und theils von damals noch lebenden schwindsüchtigen Personen, theils von kurz vorher an Tuberculose Verstorbenen herrührte, deren Cadaver bei der Section noch warm waren. So weit damals eine Controle möglich war, ist dieselbe mit aller Strenge geübt worden. Die Koch'sche Lehre über den Tuberkelbacillus existirte damals noch nicht und konnte somit aus nahe liegenden Gründen bei meinen früheren Versuchen nicht berücksichtigt werden. Seit der Veröffentlichung der Entdeckung des Tuberkel- und Perlsucht-Bacillus habe ich das verwendete Impfmaterial stets auf seinen Gehalt an Tuberkel-bacillen untersucht, obgleich dies kaum nothwendig sein dürfte, wenn fragliche Mikroorganismen den Mittheilungen Koch's gemäss in acht tuberculösen Producten wirklich stets vorhanden sein sollten. Je mehr ich mich seither bemüht habe, die Koch'schen Schlüsse näher zu prüfen, um so mehr bin ich in meiner damals ausgesprochenen Ansicht bestärkt worden. Die Identität der Perlsucht des Rindviehs mit der Tuberculose des Menschen, sowie die wechselseitige Uebertragbarkeit beider Krankheiten einerseits der Tuberculose des Menschen auf das Rind, andererseits der Perlsucht des Rindes auf den Menschen, ist durch die Versuchsergebnisse Koch's ebenso
|
||
|
||
b
|
||
|
||
|
|||
— 24 —
wenig erwiesen worden, wie durch irgend welche andere Versuchsresultate älteren oder neueren Datums.
Dass die Perlsucht des Rindes (und die Tuberculose anderer Thiere) für den Menschen eine Quelle der Infection mit Tuberculosegift sei, scheint selbst solchen medicinischen Autoritäten noch zweifelhaft zu sein, welche übrigens (ebenso wie ich) den Werth der Koch'schen Entdeckung wohl zu schätzen wissen. So haben z. B. die beiden für die Tuber-culosefrage bestellten Referenten des diesjährigen Congresses für innere Medicih, am 18. April (1883) in Wiesbaden dahin sich ausgesprochen, raquo;dass die Uebertragung der Tuberculose (auf den Menschen) durch Nahrungsmittel, welche von perlsüchtigen oder tuberculösen Thieren abstammen, bisher nicht mit Sicherheit constatirt worden seilaquo;. Besonders nachdrücklich hat dies Prof. Lichtheim hervorgehoben. Beide Referenten, sowie andere hervorragende Mitglieder des genannten Congresses warnen in anerkennenswerther Weise vor zu. weit gehenden Schlüssen, die man an die Aufsehen erregende Entdeckung Koch's zu knüpfen geneigt sein möchte. — Vielleicht ist auch Schütz bei ruhiger und besonnener Ueberlegung im Laufe der Zeit zu der Ueber-zeugung gekommen, dass in Rede stehende Frage noch keineswegs so weit abgeschlossen ist, wie er dies im September v. J. in fanatischer Weise zu behaupten wagte.
Indem ich darauf verzichte, das Auftreten von Schütz in Eisenach näher zu schildern, kehre ich zur weiteren Mittheilung meiner eigenen Versuchsergebnisse zurück.
Versuch IV.
Am 5. Februar 1878 kam aus einem gesunden Viehbestande ein erst ca. 10 Tage altes Stierkalb im Versuchs-
|
I
|
||
|
|||
|
||
— 25 —
stalle der hiesigen Veterinärklinik an und wurde zunächst mit normaler Milch ernährt, welche allmälig durch gutes Heu, Wasser u. s. w. ersetzt wurde. Vom 9. Februar ab erhielt dasselbe ausserdem täglich zweimal ein etwa enteneigrosses Stück von einer tuberculösen frischen Menschenlunge, welches vorher mittelst einer Fleischmaschine zerkleinert wurde. Am 13. Februar war das Thier ohne Fress- und Sauflust, weshalb die Fütterung mit tuberculöser Menschenlunge bis zum 16. Februar ausgesetzt, dann aber bis zum 19. Februar wieder fortgesetzt wurde. An diesem Tage liess ich die Fütterung mit tuberculöser Menschenlunge' wegen eingetretenen Durchfalles beim Versuchskalbe bis zum folgenden Tage (20. Februar) sistiren und von da ab bis zum 23. Februar wieder fortsetzen; die an einem kalten Orte aufbewahrte erste tuberculöse Menschenlunge war nunmehr verfüttert.
Am 27. Februar langte eine frische tuberculöse Menschenlunge an, welche bis zum 4. März in der angegebenen Weise ohne Unterbrechung verfüttert wurde.
Vom 9. bis zum 11. Mai 1878 wurde abermals eine tuberculöse Menschenlunge theihveise dem Versuchsthiere verabreicht; wegen bereits eingetretenen Fäulnissgeruches wurde der Rest dieser Lunge vergraben.
Am 16. Mai kam wieder eine frische tuberculöse Menschenlunge an, welche bis zum 18. Mai an das Versuchskalb verfüttert wurde.
Von nun an erhielt das Versuchsthier keine tuberculösen Substanzen, aber auch keine Milch mehr, sondern wurde fernerhin mit Heu, Grünfutter, Mehlschrot und Kleien gefüttert.
Das Kalb qu. wurde am 30. Juli 1878 (Abends) geschlachtet und am 31. Juli (Vormittags) secirt. Dasselbe hatte im Verlaufe von 97 Tagen 3'/laquo; tuberculöse Menschen-
|
||
|
||
|
||
|
||
— 26 —
lungen verzehrt und nach dieser bedeutenden Leistung noch 73 Tage gelebt, ohne irgend welche Krankheitserscheinungen nach beendeter Fütterung gezeigt zu haben. Der Obduc-tionsbefund war ein vollkommen negativer; nur im Dünndarme fanden sich innerhalb einer Peyer'schen Platte zwei ziemlich nahe beisammensitzende, weissliche, weiche, etwas prominirende flache Erhebungen von ca. 4 mm Durchmesser, die mit Tuberkeln keine Aehnlichkeit hatten. Dieser Versuch dauerte im Ganzen 170 Tage.
Versuch V.
Am 14. Februar 1881 injicirte ich einem 61 kg schweren, 41/2 Wochen alten Bullenkalbe-ca. 18 cbcm einer milchigen tuberculösen Flüssigkeit in der linken Hungergrube unter die Haut, resp. in die Bauchhöhle. Dieser Impfstoff war durch Abreiben frischer Tuberkelmassen aus den Lungen eines an Schwindsucht verstorbenen 35 Jahre alten Mannes mit destillirtem Wasser bereitet worden. Dasselbe Kalb impfte ich am 22. Februar 1881 direct in die rechte Lunge, indem ich die Hohlnadel einer Pravaz'schen Spritze zwischen 2 Rippen hinter der Schulter bis in die Lungen einsenkte. Als Impfmaterial wurde frischer Eiter verwendet, welcher aus einem käsigen Herde einer Gekröslymphdrüse von einem Tags vorher an Tuberculose verstorbenen Menschen entnommen und mit Wasser verrieben worden war.
In der linken Hungergrube dieses Versuchskalbes bildete sich bereits in den ersten Tagen nach der Impfung eine Entzündungsgeschwulst, welche bis zum 6. März faustgross und allmälig weicher geworden war. Bei der am 19. April 1881 vorgenommenen Eröffnung derselben wurden etwa 75 Gramm eines rahmartigen Eiters entleert, worauf- der Abscess mit
|
||
|
||
P '
|
||
|
||
|
||
Hinterlassung einer knotigen Narbe von der ungefähren Grosse einer Bohne ausheilte.
Am Abend des 2. Impftages (Lungenimpfung), also am 22. Februar 1881 war die Temperatur auf 41,20 gestiegen, vorher und nachher schwankte sie zwischen 40,3 und 38,70c. Im Uebrigen zeigte das Versuchsthier keine auffällende Krankheitserscheinungen ; nur die Athemfrequenz war am ersten Tage nach der Lungenimpfung auf 36 In- und Exspirationen in der Minute gestiegen, verminderte sich aber von da ab, indem unregelmässige Schwankungen sich zeigten, bald wieder bis auf 20 Athemzüge i. d. Minute; die Zahl von 36 Athem-zügen wurde während der ganzen Dauer des Versuches nie überschritten.
Am 8. August 1881, also 175 Tage nach der ersten (d. i. Flankenimpfung) und 167 Tage nach der zweiten (d. i. Lungenimpfung) wurde fragliches Kalb geschlachtet, dessen Section im Wesentlichen Folgendes ergab:
In der linken Hungergrube um die Impfstelle herum hatte sich Narbengewebe gebildet, welches im subeutanen und intramusculären Bindegewebe bis zum Peritonäum in massiger Menge sich ausbreitete. Letzteres war um die Impfstelle herum in beschränktem Umfange mit fadenförmigen Binde-gewebsexerescenzen besetzt. In den Bauchdecken, im Bereiche der Impfstelle waren noch 2 käsige Herde von etwa Bohnen-grösse vorhanden.
Das Peritonaeum viscerale und parietale (mit Ausnahme der vorhin angegebenen Stelle im Bereiche des früheren Stichcanales) war durchweg glatt, feucht und glänzend; dasselbe zeigte nirgends eine Spur von Miliartuberkeln oder von Perlknoten. Die Lympfdrüsen des Mesenteriums erschienen mehr oder minder geschwellt, succulent, indess frei von miliaren Knötchen, von käsigen Herden und Verkalkungen.
|
||
|
||
|
||
— 28 —
Die Pleura pulmonalis war im Allgemeinen glatt, feucht und glänzend; nur am hinteren Abschnitte beider Lungen waren bindegewebige Neubildungen vorhanden, die grössten-theils aus zerstreut stehenden, theilweise aber aus mehr zusammengruppirten, kurzen Filamenten bestanden. Auch das äussere Blatt des Herzbeutels, sowie beide Flächen des Zwerchfelles zeigten solche bindegewebige Neubildungen, die namentlich an der Brustseite des Diaphragmas grössere Platten bildeten; in geringerem Masse war dies auch an dessen Bauchseite der Fall. Die Pleura costalis war beiderseits mit grauröthlichen Bindegewebsneubildungen besetzt, welche vorzugsweise in mehr oder weniger breiten Streifen dem Verlaufe der Rippen folgten. In den Lungen fand sich nichts Abnormes; die in Folge der Impfung zunächst eingetretene locale Reaction war nicht mehr zu erkennen. Und doch konnte aus dem während der Impfung sich einstellenden Husten, der bei diesem Versuchskalbe (wie bei dem ad III erwähnten Versuchsfohlen) eintrat, sowie aus den nachfolgenden Respirationsanomalien mit Bestimmtheit gefolgert werden, dass die tuberculöse Flüssigkeit in die Lungen eingedrungen war. Während bei dem Füllen qu. eine exquisite disseminirte Knötchenbildung in den Lungen bei der Section angetroffen wurde, fand sich bei in Rede stehendem Kalbe von tuberkelähnlichen Gebilden, resp.von Perlknoten nirgends eine Spur. Die Veränderungen an den serösen Häuten unterschieden sich durch nichts von den Zuständen, welche einer gewöhnlichen Entzündung zu folgen pflegen.
Da dieser Versuch ziemlich doppelt so lange wie der Klebs'sche Versuch (175 : 88 Tage) gedauert hat, so kann es an der erforderlichen Zeit zur Tuberkel- oder Perlknotenbildung etc. gewiss nicht gefehlt haben.
|
||
|
||
|
||
— 29 -
|
||
|
||
Versuch VI.
|
||
|
||
Am 6. Februar 1882 injicirte ich einem 10 Monate alten Kalbe 12 cbcm frisches Tuberkelgift in die linke Hungergrube durch die Bauchdecken, wobei die Hohlnadel der Pravaz'schen Spritze etwas schräg von vorn nach hinten durch die äussere Haut und Musculatur hindurchgeschoben wurde, um so desto sicherer die Impfflüssigkeit in den Peritonealsack und nicht etwa in den Wanst gelangen zu lassen. Das Tuberkelgift war in der ad III angegebenen Weise auch für diesen Versuch gewonnen, nämlich durch Auspressen einer noch warmen tuberculösen Menschenlunge mit nachfolgender Filtration durch reine Gaze.
In Rede stehendes Versuchsthier zeigte bis zum 17. April 1882, ausser einer massigen Erhöhung der Temperatur und einer schnell vorübergehenden geringen Störung der Fresslust, welche nur am Mittage des der Impfung folgenden Tages deutlich wahrnehmbar war, weder örtliche, noch allgemeine Krankheitserscheinungen. Am Impftage, also am 6. Februar 1882, stand seine Mastdarmtemperatur auf 39,10, am 7. Februar 1882 früh und Mittags auf 40,00 und.Abends auf 38,80c., am 8. Februar früh und Mittags auf 39,00, Abends auf 39,50c., am 9. Februar früh und Mittags auf 38,90, Abends auf 40,90 c., am 10. Februar auf 40,3 früh. Mittags auf 40,0 und Abends auf 40,10c. Vom 11. Februar bis zum 17. April, an welchem Tage das Versuchsthier qu. geschlachtet wurde, schwankte die Temperatur zwischen 39,60 und 38,30 c.; letztere wurde nur einmal und zwar am 13. März 1882 wahrgenommen.
Bei der am 17. April 1882 vorgenommenen Schlachtung und Section fand sich im Wesentlichen Folgendes:
Um die Einstichstelle hat in den Bauchdecken eine Neu-
|
||
|
||
|
||
— so
|
||
|
||
bildung von Bindegewebe stattgefunden, wodurch die äussere Haut etwas wulstig erscheint.
Das Peritonaeum parietale und viscerale erschien durchweg glatt, glänzend und feucht, und war frei von binde-gewebigen Efflorescenzen, von Miliartuberkeln und Perlknoten. Am Beckenende des grossen schiefen Bauchmuskels, resp. vor dem Schambeinrande des Beckens, war das Bauchfell nach innen gewölbt. Bei näherer Untersuchung ergab sich, dass daselbst in den Bauchdecken ein Abscess von ziemlich bedeutendem Umfange vorhanden war. Beim Einschneiden in denselben entleerten sich 340 Gramm eines dicken, rahmartigen Eiters, in welchem bei mikroskopischer Untersuchung zahlreiche Eiterkörperchen, etwas körniger Detritus und einige Büschel Margarinkrystalle sich zeigten. Die Wand des Abscesses besteht aus einer ca. 1 V4 cm dicken fibrösen Kapsel, welche an ihrer Oberfläche mit stecknadelkopfgrossen, theils gestielten, theils ungestielten Knötchen dicht gedrängt besetzt ist. Diese Knötchen zeigen bei der mikroskopischen Untersuchung einen tuberkelähnlichen Bau, d. h. sie bestehen aus einer Anhäufung von Rundzellen.
Bemerkenswerth ist, dass dieser Process ganz local geblieben zu sein scheint, da selbst der in der Nachbarschaft fraglichen Eiterherdes gelegene Abschnitt des Peritonäums frei von Miliartuberkeln und Perlknoten ist.
Die Brustorgane sind in allen Theilen von durchaus normaler Beschaffenheit und zeigen nirgends eine Spur von Tuberkel- oder Perlknotenbildung; dasselbe gilt für alle übrigen Körperorgane. Dieser Versuch dauerte 70 Tage. Bei näherer Prüfung dieser und anderer Versuchs-Ergebnisse drängt sich mir der Gedanke auf, dass das Tuberculose-gift des Menschen nur eine Pseudo-Tuberculose beim Rinde und bei anderen grösseren Hausthieren zu erzeugen vermag.
|
||
|
||
|
||
u —
|
||
|
||
Versuch VII, VIII und IX.
Am 8. December 1882 impfte ich ein männliches und ein weibliches Kalb, beide etwa 7 Wochen alt, mit dem aus einer tuberculösen Menschenlunge bald nach dem Tode aus-gepressten tuberkelbacillenhaltigen Safte. Dem einen der beiden Kälber injicirte ich 12 cbcm dieses Saftes in die Bauchhöhle, dem anderen ebenso viel in beide Lungen, jederseits 6 cbcm des nämlichen Impfmaterials.'
Versuch VII. Am 14. December 1882 starb unerwartet das in die Bauchhöhle geimpfte Kalb Nro. 1; bei der Section desselben fanden sich die Erscheinungen einer Peritonitis, wie sie auch bei nicht tuberculösen acuten Bauchfellentzündungen angetroffen werden.
Am 14. December Vormittags erschienen beide Kälber munter; beide hatten Nachmittags um 2 Uhr ihre Portion Milch sehr gut gesoffen, um ^j-i Uhr wurde Nro. 1 todt im Stalle gefunden.
Dies Kalb hatte kurz vor der Impfung 40,1 Temperatur, am 9. 39,2 Morgens — 38,7 Abends, 8 IO- 39,4 raquo; — 38,7 raquo; raquo; ir. 39,4 raquo; — 38,6 raquo; raquo; 12. 39,1 raquo; _ 39;6 raquo; raquo; 13. 39,0 raquo; _ 38;5 „
raquo; 14- 38,2 raquo; — todt.
Versuch VIII. Das in die Lungen geimpfte Versuchskalb (Nro. 2) zeigte am 8. December 40,5 Temperatur. Auch bei diesem
|
||
|
||
|
||
— 32 —
Versuchsthiere wurde die Temperatur täglich zweimal gemessen ; dieselbe schwankte zwischen 3 8,4 (am 13. Januar 1883) und 41,5 (am 27. December 1882). Bei demselben zeigte sich am 9. December eine ödematöse Schwellung des linken Vorderbeines, die Athemfrequenz war von 16 auf 24 und am 12. December auf 30 Athemzüge in der Minute gestiegen, das Allgemeinbefinden jedoch nicht merkbar getrübt, Temperatur 39,9. Vom 14. December ab wurde ein Hüsteln wahrgenommen; am 16. December war das Oedem des linken Vorderfusses nahezu verschwunden und die Athemfrequenz auf 16 in der Minute zurückgegangen, das Athmen war jedoch sehr unregelmässig. Die physicalische Untersuchung der Brusthöhle ergab abnorme Geräusche, welche bis zum 4. Januar 1883 allmälig zunahmen. An diesem und dem folgenden Tage waren die pneumonischen und pleuritischen Erscheinungen ziemlich auffallend, die Athemfrequenz wieder über 60 erhöht, Pulsfrequenz 104, resp. 110 Herzschläge in der Minute; Temperatur am 4. Januar Morgens und Abends 39,9, am 5. Januar 39,2 Morgens und 39,5 Abends. Vom 6. Januar an nahmen alle Krankheitserscheinungen ab und die Munterkeit des Versuchsthieres auffallend zu. Am 14. Januar 1883 wurde dasselbe geschlachtet. Bei der sofort vorgenommenen Section fand sich Folgendes: An beiden Seiten der Brustwand waren unter der äusseren Haut an der Einstichstelle bindegewebige Neubildungen vorhanden von der ungefähren Grosse einer Kastanie. Die linke Lunge war mit der Rippenpleura durch zahlreiche Bindegewebsplatten derart verwachsen, dass diese Neubildungen das ganze Gewicht der Lungen trugen, ohne zu zerreissen. Auf der Rippenpleura rechterseits waren nur stellenweise zusammengruppirte filamentöse Bindegewebs-neubildungen vorhanden, welche mit der correspondirenden
|
||
|
||
|
||
Lunge nicht in Verbindung standen. — Die Oberfläche beider Lungen war mit Tausenden, meist nadelstichgrossen bis miliaren Knötchen übersäet, welche bei makroskopischer Betrachtung den Eindruck junger Miliartuberkel machten. Stellenweise, jedoch sehr vereinzelt, waren diese Knötchen mehr flach und etwa so gross wie eine Linse. Die miliaren Knötchen Hessen sich ohne grosse Schwierigkeit aus dem subpleuralen Gewebe der Lungen herausheben. Bei mikroskopischer Untersuchung derselben erkennt man bei ayjfacher Vergrösserung, dass dieselben aus Rundzellen bestehen und eine Anzahl Mikrococcen und Bacillen einschliessen. Diese Knötchen können schon deshalb nicht für Tuberkel im Sinne Koch's gehalten werden, weil nach dem Ausspruche dieses Autors (1. c. S. 223) bei reiner Tuberculose niemals Tuberkelbacillen mit Mikrococcen oder anderen Bacterien vermengt im Tuberkel vorkommen. Aber auch noch aus einem anderen, später zu erörternden Grunde halte ich jene nicht für wahre Tuberkel.
Versuch IX.
Ein Kaninchen, welches mit in Rede stehenden beiden Versuchskälbern gleichzeitig und mit demselben Material am linken Hinterschenkel geimpft worden war, starb bereits am folgenden Tage, also am 9. December 1882, wahrscheinlich an den Folgen einer septischen Blutvergiftung.
Ein nicht unwesentliches Hinderniss, welches der Lösuns unserer Streitfrage bis dahin im Wege stand, ist die Schwierigkeit, in jedem Einzelfalle mit Sicherheit feststellen zu können, welche Neubildungen als ächte tuberculose bezeichnet werden dürfen. Mich wenigstens hat diese Schwierig-
3
|
||
|
||
~Mi
|
||
|
||
— 34 —
keit oft derart genirt, dass ich, je nach der Zeit der Untersuchung, geneigt war, ein und denselben Befund bald für wirklich tuberculös, bald für nicht eigentlich tuberculös zu halten. Es wäre deshalb ein sehr grosser Gewinn, wenn durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus dieser Uebel-stand beseitigt wäre. Eine Zeit lang schien folgender Ausspruch Koch's in fast allen medicinischen Kreisen Deutschlands Geltung zu haben:
raquo;In Zukunft wird es nicht schwierig sein, zu entscheiden, was tuberculös und was nicht tuberculös ist. Nicht der eigenthümliche Bau des Tuberkels, nicht seine Gefässlosig-keit, nicht das Vorhandensein von Riesenzellen ward den Ausschlag geben, sondern der Nachweis der Tuberkelbacillen, sei es im Gewebe durch Farbenreaction, sei es durch Cultur auf erstarrtem Blutserum.laquo; S. Berliner klinische Wochenschrift Nro. 15 des 19. Jahrganges (1882), S. 228.
So wünschenswerth es auch ist, dass ein sicheres Cri-terium gefunden werden möge, um in jedem Einzelfalle bestimmen zu können, was acht tuberculös ist oder nicht, so furchte ich doch, dass der vorhin citirte Satz Koch's nicht für alle Fälle zutreffen wird. In vielen Knötchen, welche dem klinischen und pathologisch-anatomischen Bilde nach für ächte Tuberkel gehalten werden müssen, sind selbst von geübten und mit der neuen Methode vertrauten Männern keine Tuberkelbacillen gefunden worden, während solche in frischen Impfproducten oft in grosser Menge angetroffen werden; hierdurch ist aber nicht erwiesen, dass diese Kunst-producte bei den betreffenden Versuchsthieren eine typische Tuberculose repräsentiren. Eine hochgradig gesteigerte knöt-chenbildende Tendenz, sowie das Vermögen, das Leben verschiedener Thierspezies, an welchen Koch seine Versuche angestellt hat, zu vernichten, besitzen besonders die künstlichen
|
||
|
||
|
||
— 35 —
Tuberkelbacillen-Culturen. Es hat dies wohl seinen Grund in dem bedeutend gesteigerten Proliferationsvermögen der in grösserer Menge dem Organismus einverleibten fraglichen Mikroorganismen.
Wenn die früheren Mittheilungen anderer Forscher auf thatsächlichen Mittheilungen beruhen, so scheinen die Koch-schen Tuberkelbacillen ihre vorhin angegebenen Wirkungen mit anderen Mikroorganismen (Mikrococcen) zu theilen, da ja Klebs, Schüller und Andere den nämlichen Effect mit Culturen erzielt haben wollen, welche nach dem Urtheile Koch's .mit seinen Tuberkelbacillen nicht identisch sind. Sei dem aber, wie ihm wolle; auf jeden Fall ist nicht erwiesen, dass die Wirkungen der natürlichen Perlsucht- und Tuberculose-Producte vollkommen identisch sind mit den Wirkungen der Koch'schen Tuberkelbacillen-Culturen. Dass die Einverleibung jener auf natürlichem Wege nicht die nämlichen Wirkungen erzeugt, wie Impfungen mit in Rede stehenden Culturen, hat uns bereits der S. 47 mitgetheilte Versuch Koch's (X) mit einer Anzahl weisser Ratten gezeigt. Von eben so grosser Wichtigkeit für unser Urtheil sind folgende Angaben Baumgarten's (s. Deutsche medic. Wochenschrift Nro. 23, Berlin 27. Mai 1882, S. 305):
raquo;Während sich dieselben Erfolge wie mit den Perlmassen und den Producten der Impfperlsucht auch mit den Herden der ächten spontanen Kaninchentuberculose auslösen lassen, verhält sich die Sache wesentlich anders, wenn man anstatt der genannten' Substanzen menschliche Tube;-culosestoffe zur Impfung in die Vorderkammer des Auges von Kaninchen verwendet. Hier bleibt nicht selten, trotz Berücksichtigung aller Fehlerquellen, die dabei in Betracht kommen können, jeder Erfolg gänzlich aus, und wenn er eintritt, dann culminirt er meist in dem örtlichen
|
||
|
||
|
||
- 36 -
Effect der Iristuberculose; eine weiter gehende Dispersion der Tuberkelbildung kommt in der Regel nicht hinzu. Keinesfalls ist fernerhin der Verlauf hier in den positiven Fällen ein so gleichartiger, wie bei der Perlsuchttuberculose: das Incubationsstadium währt länger und ist von unbestimmter Dauer; die Augentuberculose führt weit langsamer zur Phthisis bulbi, und was die Allgemeininfection betrifft, so bewirkt diese an sich gar nicht, oder erst nach sehr langer Zeit, das tödtliche Ende . .. Ich fand, dass auch durch Impfung mit Spontantuberkeln vom Hunde nur eine locale Iristuberculose und auch diese nicht constant zu erzielen ist, und dass die Uebertragung von Tuberkeln von Hühnern und Tauben auf Kaninchen, soweit die bisherigen Versuche reichen, gänzlich negativ ausfällt.laquo;
Aus diesen Angaben Baumgarten's hat Prof. Schütz am 19. September 1882 in der Veterinärsection der Naturforscher-Versammlung zu Eisenach folgenden Schluss gezogen:
raquo;Nur e i n Product wirkte (bei den Vorderkammer-Versuchen Baumgarten's an Kaninchen) genau so, wie die perlsüchtigen Massen; das waren die tuberculösen Substanzen vom Menschen und von Thieren. Schon hierdurch war dargethan, dass das Virus der Perlsucht identisch ist mit dem der Tuberculose.laquo; (S. Tageblatt der Naturforscher-Versammlung, Eisenach 1882, S. 223.)
Ein derartiger Ausspruch bekundet nicht gerade eine besondere Zuverlässigkeit oder Schärfe des Urtheils; Prof. Schütz mag deshalb vielleicht gut daran thun, die Gedanken solcher Männer, deren Stern weithin hell leuchtet, auszubeuten. Dies sollte indess ohne Ueberhebung geschehen. Dass Schütz die Leistungen Pasteur's, eines der verdientesten Forscher der Gegenwart, des eigentlichen Begründers der Keimlehre, in der angegebenen Versammlung in chau-
|
||
|
||
|
||
— 37
|
||
|
||
'vinistisch-hochtrabender Weise darzustellen versuchte, war weder kW noch recht und wäre besser unterblieben. Bramarbasaden, welche meist weder die Grenzen der Schicklichkeit, noch die nöthige Objectivität des Urtheils zu wahren wissen, verletzen das ästhetische Gefühl des anständigen Mannes und sind wahrer Wissenschaft fremd.
Da Baumgarten seinen Vortrag nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus gehalten, auch auf die betreffende Koch'sche Publication sich bezogen und sogar unabhängig von Koch die wahren Tuberkelbacillen gesehen hat (siehe Deutsche medic. Wochenschrift 1882, S. 307), so war ihm jedenfalls nicht unbekannt, dass auch in tuberculösen Substanzen vom Hunde und vom Huhne durch Koch Tuberkelbacillen nachgewiesen worden sind. Dass diese dessen-ungeachtet die Wirkung anderer tuberkelbacillenhaltiger Substanzen nicht besitzen, hat auch Baumgarten nicht abgehalten, seinen Schlüssen eine zu grosse Tragweite zu geben. Einigermassen aber hat dieser umsichtige Forscher sich reserviert, indem er sagt, raquo;dass Perlsucht, Tuberculose, Phthise und Scrophulose einer einheitlichen Krankheits-Spezies angehörenlaquo; (1. c. S. 306). Seine Folgerung, dass die Tuberculose eine spezifische contagiöse Infectionskrankheit ist, hat derselbe (siehe Zeitschr. für klin. Med. VI, 1) dahin modi-ficirt, raquo;dass er der eigentlichen Infection durch Einathmung, Nahrung u. s. w. nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zuweist und die Mehrzahl aller Fälle von Tuberculose als congenitale Affectionen ansieht.laquo; Und in Wirklichkeit lässt sich augenblicklich noch nicht bestimmen, inwiefern die Lehre von der Contagiosität der Tuberculose mit der natürlichen Aetiologie dieser Krankheit in Einklang zu bringen ist. Bevor aber auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit behauptet werden kann, dass die natürliche Tuberculose
|
||
|
||
|
||
- 38 -
des Menschen zur natürlichen Perlsucht des Rindviehs (und zur natürlichen Tuberculose der Thiere) in ursächlicher Beziehung steht, ist ausser genauen klinischen Beobachtungen auch eine sorgfältige Prüfung des Verhaltens der verschiedenen natürlichen perlsüchtigen und tuberculösen Substanzen nothwendig, welche vorzugsweise bei Rindvieh (und so weit als möglich auch beim Menschen) vorgenommen werden muss. Der bereits früher angeführte Ausspruch Koch's: raquo;Eine andere Quelle der Infection (des Menschen) mit Tuberculose bildet unzweifelhaft die Tuberculose der Hausthierc, in erster Linie die Perlsuchtlaquo; bedarf somit um so mehr einer näheren Prüfung, als nicht ein einziger Fall im practischen Leben seither beobachtet worden ist, welcher jenen Causal-nexus einigermassen zuverlässig zu bestätigen vermag. Aus diesem Grunde passt der Vergleich Koch's nicht, raquo;dass milzbrandkrankes Fleisch bekanntlich von vielen Personen und oft lange Zeit hindurch ohne jeden Nachtheil genossen worden istlaquo;, da eine grosse Anzahl Fälle vorliegen, welche beweisen, dass der Genuss von milzbrandkrankem Fleische schwere Gesundheitsschädigungen, ja selbst den Tod des Menschen verursachen kann. Lägen keine derartigen positiven Beobachtungen vor, so würden wir eben so wenig berechtigt sein, den Fleischgenuss von milzbrandkranken Thieren, als den von perlsüchtigen oder tuberculösen Thieren, für nachweislich gefährlich zu erklären.
Auf Grund der von mir und Anderen bei Kälbern angestellten Impfversuche mit tuberculösen Substanzen vom Menschen glaube ich vorläufig nichts weiter behaupten zu dürfen, als dass diese Substanzen bei Rindvieh Kunstproducte zu erzeugen im Stande sind, welche im Laufe der Zeit wieder verschwinden können, wenn nicht in Folge einer zu massenhaften Einverleibung fraglicher Stoffe, namentlich in
|
||
|
||
I
|
||
|
||
|
||
— 39 —
den freien Raum einer der grossen serösen Höhlen des Thierkörpers, Entzündungsprozesse den Tod herbeiführen. So zeigte sich bei meinem Versuche V nach einer Impfung durch die Bauchdecken und in die rechte Lunge nirgends etwas Tuberkel- oder Perlknoten-Aehnliches, während bei Versuch III, VI und VIII (bei einem Füllen und bei zwei Kälbern) tuberkelähnliche Knötchen in denjenigen Organen vorhanden waren, welchen das Gift direct einverleibt worden war. Diese Knötchen hatten im Verlaufe von 37 bis 70 Tagen keine weitere Verbreitung gefunden; vielleicht wären dieselben nach einiger Zeit wieder verschwunden, ohne irgend welche Spuren zu hinterlassen. Ich werde versuchen, dieser Frage durch weitere Experimente näher zu treten, um deren Entscheidung wo möglich herbeizuführen. Fütterung tuberculöser Substanzen vom Menschen hatte in Versuch IV, sowie auch bei den an anderen Orten angestellten Versuchen (S. Archiv f. w. u. pr. Thierheilkunde, Berlin 1882, Heft 3, S. 181, 182 u. 191) stets einen negativen Erfolg.
Aus den vorstehend mitgetheilten Resultaten meiner mit Tuberculosegift vom Menschen angestellten Thierversuche glaube ich folgende Schlüsse ziehen zu dürfen:
Pferde und Schweine scheinen für Impf-Tuberculose mindestens ebenso empfänglich zu sein, wie das Rind. — Ob Impf-Tuberculose und natürliche Tuberculose immer identische Zustände sind, erscheint mindestens sehr zweifelhaft. Es wäre namentlich nicht unmöglich, dass hier bei Ueberimpfung von tuberculösem oder perlsüchtigem Material auf eine fremde Thierspezies ähnliche Verhältnisse bestehen, wie bei den Pocken des Menschen und der Thiere, bei denen trotz einer wechselseitigen Ueberimpfbarkeit Niemand behaupten wird, dass in Folge der Vaccination des Menschen die natürliche Blatternkrankheit erzeugt werde.
|
||
|
||
|
||
— 40- —
Die Uebertragbarkeit der natürlichen Perlsucht des Rindes auf den Menschen, sowie umgekehrt der Tuberculose des Menschen auf das Rind, ist sehr fraglich. Es darf als ziemlich sicher angenommen werden, dass eine Uebertragung der Tuberculose vom Menschen auf das Rind im gewöhnlichen Verkehr nicht vorkommt. — Auch ist eine Uebertragung der Perlsucht des Rindes auf den Menschen nie nachgewiesen worden, obgleich Gelegenheit hierzu im täglichen Leben unzähligemal geboten gewesen wäre, wenn eine derartige Möglichkeit überhaupt besteht. — Milch von perlsüchtigen Kühen ist massenhaft im ungekochten Zustande und zwar vorzugsweise von schwächlichen und kranken Personen auf ausdrückliches Anrathen der Aerzte consumirt worden, ohne dass Infeclionen (Darmtuberculose) in Folge dessen wahrgenommen und nachgewiesen worden wären. Ebenso ist perlsüchtiges Fleisch absichtlich und unabsichtlich von Menschen in bedeutenden Quantitäten verzehrt worden, ohne dass auch nur ein einziger Fall einer daherigen Infection beobachtet worden wäre. Die vereinzelten Mittheilungen, welche für eine tuberculose Infection des Menschen durch den Genuss von Milch und Fleisch von perlsüchtigen Thie-ren zeugen sollen, sind kaum der Beachtung werth; sie beweisen nur, wie sehr man vergeblich sich bemüht, für eine gewagte Behauptung klinische Beobachtungen ins Feld zu führen. Ich will hier nur einige dieser Mittheilungen erwähnen. Gerlach bezieht sich in seinem Buche : raquo;Die Fleischkost des Menschenlaquo;, Berlin 1875, S. 53, auf die Angabe Zürn's, raquo;dass die Franzosenkrankheit der Rinder in der Umgegend von Jena und im altenburgischen Amtsbezirke Eisenberg ziemlich häufig vorkommt, so dass etwa ^e bis '/s aller Rinder damit behaftet sind, und dass nach dem statistischen Material des pathologisch-anatomischen Institutes zu
|
||
|
||
|
||
— 4i —
Jena 20 quot;/o aller zur Section gekommenen Leichen mit Tu-berculose behaftet sind.laquo; Es spricht dies Verhältniss eher gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang von Perlsucht des Rindes und Tuberculose des Menschen. Nach Niemeyer (Spez. Path, und Therapie, 8. Aufl., Berlin 1871, S. 240) wird angenommen, dass etwa 1li bis '/s aller Todesfälle bei Menschen durch die Lungenschwindsucht bedingt sind; rechnet man hierzu noch die Todesfälle durch tuberculose Prozesse in anderen Organen, so würde die Zahl von 20 0j0 um so weniger besonders hoch erscheinen, als nach Niemeyer fast in der Hälfte aller Leichen die der Lungenschwindsucht zu Grunde liegenden Ernährungsstörungen, oder die Residuen derselben in der Lunge gefunden werden. Diese statistischen Angaben Zürn's können ebensogut für die Behauptung angerufen werden, dass die Perlsucht des Rindviehs gegen die Tuberculose des Menschen in ähnlicher Weise schütze, wie die Kuhpocken gegen die Menschenblattern.
Von Zippelius, Johne und Anderen (Adam's Wochenschrift Bd. XX, S. 205, und Johne, Geschichte der Tuberculose, S. 56) ist Bezug darauf genommen worden, dass Dr. Stang in Amorbach die Tuberculose bei einem fünfjährigen, hereditär nicht belasteten Knaben entstehen sah, welcher längere Zeit die Milch einer hochgradig perlsüchtigen Kuh erhalten und kuhwarm genossen hatte. Wie wenig ein solcher vereinzelter Fall beweist, lehrt folgende Thatsache:
Mein Sohn, Dr. med. Herm. Pütz, der practischer Arzt in Gräfrath bei Solingen ist, behandelte ein Kind an Scrophu-lose, das mit Milch einer gesunden Kuh ernährt worden war. Ein anderes älteres Kind desselben Elternpaares war mit der Milch einer Kuh ernährt worden, welche bald nach-
|
||
|
||
mJk
|
||
|
|||
|
— 42 —
her geschlachtet und in hohem Grade perlsüchtig befunden wurde, und gerade dieses Kind befindet sich trotz dessen heute nach Jahr und Tag noch frisch und gesund.
Johne erwähnt (1. c. S. 57) auch noch, dass Zippelius auf Grund eines fünfjährigen Durchschnittes der amtlichen Ausweise seines Amtsbezirkes einen statistischen Vergleich versucht habe, aus dem hervorzugehen scheine, dass die Sterblichkeit der Kinder unter 2 Jahren (woran starben die Kinder ?) in solchen Orten am grössten war, wo nach Ausweis der Fleischschauregister die meisten tuberculösen Rinder vorkamen.
Dass aus solchen Angaben keine irgendwie zuverlässigen Schlüsse gezogen werden können, bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung. Hierzu kommt noch die wichtige Thatsache, dass trotz der häufig vorkommenden zufälligen Impfungen mit Tuberculosc- und Perlsuchtgift, welchen namentlich Aerzte, Thierärzte, Fleischer und Abdecker ausgesetzt sind, nie eine dadurch entstandene Erkrankung an Tuber-culose beobachtet wurde. Der Versuch Koch's, diese Thatsache damit zu erklären, dass der Tuberkelbacillus sich sehr langsam entwickele und deshalb von Hautwunden aus nicht zur Wirksamkeit gelange, erscheint mir sehr angreifbar. Die Latenz der Hundswuth ist bekanntlich auch eine lange, oft über viele Monate sich erstreckende, was wohl auch auf eine lange Verzögerung der Vermehrung des Wuthgiftes schliessen lässt. Bei der Kleinheit des Tuberkelbacillus können seiner Resorption und Ueberführung in die Gefässbahnen von Hautwunden aus kaum besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Es ist deshalb wenig wahrscheinlich, dass eine solche Infection bis jetzt sich jeder Wahrnehmung entzogen habe, wenn die natürliche Perlsucht und Tuberculose ätiologisch identische Krankheiten wären. Trotz der wich-
|
||
|
|||
|
||
- 43 — #9632;
tigen Entdeckung des Tuberkel- resp. Perlsucht-Bacillus ist
somit die Identität der Tuberculose des Menschen und der Perlsucht des Rindes, namentlich der genetische Zusammenhang beider Krankheitszustiinde, durchaus fraglich. Wäre ein solcher Zusammenhang vorhanden, so müsste namentlich der Lupus des Menschen, der neuerdings für eine Art Haut-tubcrculose gehalten wird, besonders häufig bei solchen Personen angetroffen werden, welche mit perlsüchtigen (oder tuberculösen) Substanzen oft in Berührung kommen.
Alle bis jetzt im Gebiete der Tuberculose und der Perlsucht angestellten Forschungen haben die alte Streitfrage über die Beziehungen beider Krankheitszustande nicht zu entscheiden vermocht. Weder die äusserst zahlreichen Impf-und Fütterungsversuche, noch die histologischen und klinischen Studien, noch auch die wichtige Entdeckung des Tuberkelbacillus, haben darüber Aufschluss gebracht, ob die natürliche Tuberculose des Menschen zur natürlichen Perlsucht des Rindes in ursächlicher Beziehung steht. Die seitherigen klinischen Beobachtungen sprechen weder für diese Annahme, noch für die Annahme einer directen Ansteckungsfähigkeit der Tuberculose des Menschen oder der Thiere. Es gibt bekanntlich Rindviehbestände, in welchen die Perlsucht von Generation zu Generation fortgezüchtet wird, ohne dass das Dienstpersonal, welches zum Theil sogar auch die Nacht im Stalle zubringt, ein aussergewöhnliches Contingent von Tuberculosekranken lieferte. Eben so wenig soll, nach den Berichten der betreffenden Aerzte, in Heilanstalten für Schwindsüchtige unter dem Wärterpersonal, welches der In-fectionsgefahr am meisten ausgesetzt ist, Tuberculose etwa häufiger vorkommen, als unter anderen Krankenpflegern.
Die beiden Referenten des diesjährigen Congresses für innere Medicin (die Professoren Rühle-Bonn und Lichtheim-
|
||
|
||
_lta
|
||
|
||
#9632;
— 44 —
Bern) haben am 18. April 1883 in Wiesbaden in ihren Vorträgen über Tuberculose und Perlsucht die Wichtigkeit der Entdeckung des Tubquot;rkelbacillus unumwunden anerkannt; wie aber bereits erwähnt worden ist, hält auch Rühle die Uebertragung der Tuberculose auf Menschen durch tuberculose oder perlsüchtige Thiere, resp. durch die von diesen entnommenen Nahrungsmittel für nicht erwiesen*).
Seitz (Wiesbaden) hat bei dieser Gelegenheit auf die merkwürdige Thatsache hingewiesen, dass für den ansteckenden Character .der Tuberculose durch Koch der experimentelle Beweis erbracht sei, die klinischen Beobachtungen damit aber noch nicht stimmen wolltenquot;, ganz im Widerspruche mit den übrigen Infectionskrankheiten.
Eine Lehre, welche mit den practischen Erfahrungen im Widerspruche steht, bedarf einer genauen und sorgfältigen objectiven Prüfung, bevor auf dieselbe eingreifende Reformen aufgebaut werden dürfen. Schon oft hat sich im Laufe der Zeit ergeben, dass irgend welche zunächst unbekannte Umstände ein wesentlich anderes Verhalten im gewöhnlichen Leben bedingen, als nach dem Ergebnisse des theoretischen Experimentes geschlossen wurde.
So hat uns z. B. die Erfahrung gelehrt, dass Exemplare ein und derselben Räudemilbenart, welche von verschiedenen Thierspezies herrühren, aber keine morphologischen Ver-
|
||
|
||
*) raquo;Nach dem mir jetzt vorliegenden gedruckten Berichte über fragi. Congressverhandlungen, herausgegeben von Leyden u. Pfeiffer^ sagt Lichtheim (1. c. S. 23), raquo;dass es ihm genügend sicher gestellt erscheine , dass die Einfuhr perlsüchtigen Fleisches Tuberculose erzeugen könne.laquo; Meinen durch das mündliche Referat eines Congressmitgliedes verursachten bezüglichen Irrthum berichtigraquo; ich hiermit und bitte auf S. 24 dieser Schrift Z. 15 v. oben raquo;Rühle 1 statt raquo;Lichtheimlaquo; setzen zu wollen.
P.
|
||
|
||
|
||
- 45 -
schiedenheiten erkennen lassen, bei Uebertragung auf eine andere Thierspezies nur ausnahmsweise selten eine ächte Räude, sondern meist nur vorübergehend einen räudeähnlichen Ausschlag zu erzeugen vermögen, der spontan wieder abheilt. Letztere Thatsache kann man sogar bei verschiedenen Schlägen oder Racen ein und derselben Thierspezies beobachten. So habe ich z. B. am 28. März 1878 zwei holländische 7 Wochen alte Marschlämmer unter Steissschafe gesetzt, welche in hohem Grade an Sarcoptesräude litten. Bereits nach einigen Wochen zeigte sich auf dem Nasenrücken beider Marschlämmer ein Schorf, der zunächst von selbst wieder abheilte, bei dem fortgesetzten Contact mit den räudekranken Steissschafen aber bald wiederkehrte und nun sich mehr ausbreitete. Um die Mitte Mai 1878 hatten sich Schorfe an den Ohrmuscheln gebildet, die sich bis zum 22. Juni 1878 über das ganze Schädeldach bis zum ersten Halbwirbel ausgebreitet hatten. An letztgenanntem Tage, also ca. 12 Wochen nach ihrer Einstellung zu den räudigen Steissschafen, Hess ich die beiden Marschlämmer in den Stall der hiesigen Veterinärklinik bringen. Die Räude machte nun bei beiden Versuchsthieren keine weiteren Fortschritte mehr; alsbald machte sich eine allmälige Abnahme bemerkbar und ohne alles Zuthun der Kunst war der Borken-Hautausschlag gegen Ende August 1878 wieder ziemlich vollständig verschwunden. Beide Marschlämmer wurden im September 1878 ganz geheilt wieder zu ihrer Stammherde versetzt, ohne dass bei diesen, noch bei jenen, weitere Spuren von Sarcoptesräude sich wieder gezeigt hätten. — Bei den Steissschafen hingegen widerstand diese Räude Jahre lang den gegen dieselbe angewandten Heilmitteln, bis sie endlich nach anhaltenden Einreibungen von Perubalsam zur Abheilung gelangte. Demnach scheinen nicht alle Schafracen ein und derselben
|
||
|
||
-Jfa
|
||
|
|||
I
|
- 46 -
Räudemilbe einen geeigneten Nährboden zu bieten. — Andererseits zeigen sich bei Räudemilben morphologische Verschiedenheiten, ohne dass daraus eine Differenz in ihrer pathogenen Wirkung resultirt. Es ergibt sich hieraus, dass die Morphologie der pathogenen Organismen keineswegs das allein Entscheidende ist. Dasselbe lehren ja auch die Versuche Baumgarten's, nach welchen der natürliche Tuberkel-bacillus des Geflügels, an dem bis heute keine morphologischen Unterschiede bekannt geworden sind, selbst bei Kaninchen, trotz aller Prädisposition dieser Thierspezies für tuberculöse Infectionen, ohne Wirkung bleibt.
Ob demnach die mit Perlsuchtgift, resp. mit Tuberculose-gift von Menschen und Thieren, namentlich aber die mit Culturen von Tuberkel- und Perlsucht-Bacillen erzielten Impfresultate zu den aus denselben gezogenen Schlüssen berechtigen, erscheint um so mehr fraglich, als die seitherigen klinischen Beobachtungen zu gewichtigen Bedenken gegen diese neue Lehre Veranlassung geben. Die medicinische Wissenschaft hat zunächst die Tragweite der schönen Entdeckung Koch's ohne jedes Vorurtheil zu studiren. Weder allzu sanguinische Voraussetzungen und Folgerungen, noch zu weit gehende skeptische Einwendungen werden für sich allein zum rechten Ziele führen. Aus dem Kampfe der Parteien wird im Laufe der Zeit das Wahre und Haltbare der neuen Lehre fester sich gestalten, während das Unhaltbare der Vergessenheit anheimfällt.
Dass die Versuchsergebnisse der Laboratorien nicht immer in der medicinischen Praxis ohne Weiteres verwerthet werden können, zeigen unter vielen anderen Dingen auch die Prüfungen Koch's verschiedener Desinfectionsmittel. Während sehr verdünnte Sublimatlösungen (1 : 5000) noch Milzbranddauersporen im Probirgläschen zu zerstören vermögen, leisten
|
||
|
|||
|
||
— 47 -
sogar bedeutend stärkere Sublimatlösungen als antiseptische oder desinficirende Mittel bei Wunden und Geschwüren sehr mangelhafte Dienste. Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass der in den Lösungen enthaltene Sublimat mit den Ei-weisskörperc der Wundoberflächen alsbald unlösliche Verbindungen eingeht. Die Ursachen des verschiedenen Verhaltens mancher Vorgänge im täglichen Leben gegenüber manchen Versuchsergebnissen liegen aber nicht immer so nahe, dass sie unserer Erkenntniss sofort zugänglich sind. Diese Thatsachen mahnen sehr nachdrücklich an das Wort des (Goethe'schen) Mephistopheles:
laquo;Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum.laquo;
Weitere Forschungen werden wohl ergeben, warum die neue Lehre Koch's in verschiedenen Punkten mit den seitherigen klinischen Beobachtungen nicht stimmt, und ob diese oder jene auf irrigen Voraussetzungen und Anschauungen beruhen. Dass man aus den Impfresultaten mit Tuberkelbacillen-Culturen nicht ohne grosse Vorsicht auf die Wirkungen der natürlichen Tuberculose- und Perlsucht-Producte, namentlich aber nicht auf deren Infectionsgefährlich-keit im täglichen Leben schliessen kann, wird auch noch durch folgenden Versuch (X) Koch's (s. 1. c. S. 227) sehr nahe gelegt.
raquo;Eine Anzahl weisser Ratten, welche 2 Monate lang fast ausschliesslich mit den Leichen tuberculöser Thiere gefüttert worden war, blieb meist gesund; nur einigemal wurden in den Lungen solcher von Zeit zu Zeit getödtetcn Versuchs-thiere vereinzelte graue Knötchen gefunden. Ebenso hatten Impfungen mit (natürlichen) tuberculösen Substanzen und mit Culturen aus denselben, trotz wiederholter Anwendung,
|
||
|
||
|
|||
|
— 48 —nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; -^
keinen Effect. Fünf von diesen Ratten wurden später, nachdem die Fütterung mit tuberculösen Cadavertheilen aufgehört hatte, mit Bacillenculturen, welche von Tuberkeln des Affen in 142 Tagen gezüchtet worden waren, in die Bauchhöhle geimpft. Als Koch diese Thiere nach 5 Wochen tödtete und secirte, fand er in den Lungen, so wie in der stark vergrösserten Milz dieser Thiere zahllose Tuberkelknötchen.laquo; Wenn auch dieses Versuchsergebniss nicht rein ist, wie Koch a. a. O. selbst bemerkt, so unterstützt es doch den Gedanken, dass zwischen der natürlichen und der künstlich herbeigeführten Infectionsgefahr ein sehr wesentlicher Unterschied vorhanden ist. Da die in gewissem Sinne positiven Impfergebnisse mit Koch'schen Tuberkelbacillen-Culturen den seitherigen Erfahrungen der ärztlichen Praxis vielfach nicht entsprechen, so dürfen aus jenen nur mit der grössten Vorsicht für das tägliche Leben geltende Schlüsse gezogen werden. Obgleich ich es Berufeneren überlasse, die Frage der In-fectiosität der natürlichen Tuberculose des Menschen mit Rücksicht auf die Entdeckung des Tuberkelbacillus näher zu studiren und endgültig zu beantworten, so glaube ich doch erwähnen zu müssen, dass es sich hier um eine contagiöse Krankheit im gewöhnlichen Sinne der Praxis kaum handeln kann. So hat z. B. das grosse Bromton-Hospital im Juni 1878 eine Statistik veröffentlicht, wonach in einem Zeiträume von 20 Jahren bei Verpflegung von 15262 Schwindsüchtigen unter den 59 dienstleistenden gesunden Personen (Aerzten, Geistlichen, Oberinen, Wärtern und Wärterinen) kein einziger Fall von Lungenerkrankung beobachtet worden ist. (Verhdl. und Mitthlg. des Vereins für öffentl. Gesundheitspflege in Magdeburg, 11. Heft 1883, S. 136). In der Sitzung des eben erwähnten Vereins erklärte Dr. Aufrecht am 30. März 1883, dass auf der inneren Station des Magdeburger Stadtkranken-
|
||
i
|
|||
|
|||
|
|||
|
||
— 49 —
hauses jährlich ca. 2000 Kranke und unter diesen 150 Schwindsüchtige verpflegt werden, ohne dass eine Infection mit Tuberculose dort jemals beobachtet worden sei, obgleich die Schwindsüchtigen in gemeinsamen Zimmern unter den übrigen Kranken vertheilt liegen. — Ich kenne selbst eine gressere Zahl von Fällen, wo der eine Theil eines Ehepaares viele Jahre lang an Lungenschwindsucht gelitten hat und wo der andere Theil trotz der günstigsten Bedingungen für eine mögliche Infection gesund geblieben ist. Wer die häuslicher; Verhältnisse in bäuerlichen Wirthschaften kennt, der weiss, wie viel Gelegenheit dort geboten ist für Austrocknung und Zerstäubung der Sputa; er weiss ferner, dass Mann und Frau oft fast bis zum Tode in einem Bette beisammen schlafen. Wenn nun aber trotz alledem in 10, 20, selbst in 30 Jahren keine tuberculose Infection erfolgt, so muss man doch annehmen, dass die inficirende Wirkung des Tuberkelbacillus im gewöhnlichen Leben von sehr wichtigen Dingen abhängig ist, welche der Ubiquität des betr. Krankheitserregers gegenüber eine bedeutende Rolle spielen. Sehr richtig sagt hierauf bezüglich Seitz — Wiesbaden (Congressb. qu. S. 54): raquo;Es fehlt durchaus an völlig beweisenden Fällen für die Conta-giosität (der Tuberculose). Man erzählt von jungen Ehegatten, von denen Eines das Andere angesteckt haben soll; aber erwägen Sie die Häufigkeit der Phthise und dass dieselbe gerade in den zwanziger Jahren zum Ausbruch zu kommen pflegt, so begreifen Sie, dass es sich durch Zufall oft ereignen muss, dass zwei Ehegatten bald nach einander phthisisch werden. Dass hie und da ein Wärter phthisisch Kranker selber phthisisch wird, ist wieder eine Nothwendig-keit, wenn Sie erwägen, wie häufig die Phthise ist; im Gegentheile, es fällt auf, dass es nicht viel häufiger geschieht, angenommen, dass die Phthise eine Infectionskrankheit ist.laquo;
4
|
||
|
||
|
|||
— 50 —
|
|||
|
|||
j I
|
— Und eben so haltlos sind die für die Contagiosität der Perlsucht herangezogenen Beispiele. — Zu beachten ist auch die von Gerhardt — Würzburg (1. c. S. 128) betonte That-sache, dass ;;us der Ueberimpfbarkeit einer Krankheit (z. B. der febris intermittens d. M.) noch keineswegs die Contagiosität derselben folgt. — Die Frage der Contagiositcät der Tuberculose ist eine sehr complicirte; für ihre Beantwortung ist auch das Verhalten infectiöser Geschwülste (Sarcome, Carcinome), welche nicht contagiös sind, von Bedeutung. Es ist.aber die Tuberculose keineswegs die einzige In-fectionskrankheit, deren Studium so bedeutende Schwierigkeiten bietet. Werfen wir beispielsweise einen Blick auf die ätiologischen Verhältnisse der Pocken, indem wir einige unsere Frage berührende Ansichten Bollinger's hier reproduciren. Genannter Autor sagt in Nr. 116 der Sammlung klinischer Vorträge von Richard Volkmann, Leipzig 1877.
S. 1022 (3). raquo;Das bisher fast allgemein eingeschlagene Verfahren, die bei den verschiedenen zoologischen Gattungen und dem Menschen vorkommenden Pocken auf gleiche Linie zu stellen, erscheint mir durchaus ungerechtfertigt.laquo; —
S. 1023 (2). raquo;Mag man sich das Pockengift von einer Urpocke ausgehend vorstellen, oder nicht, so lässt sich auf alle Fälle nicht abstreiten, dass das ursächliche Gift der Menschenpocken, wie das der Schafpocken ganz bestimmte Beziehungen, das erstere zu dem menschlichen Organismus, das letztere zum Schafe besitzt, dass beide Krankheiten gleichsam wohlcharacterisirte Arten im naturhistorischen Sinne darstellen, die vielleicht mit einander verwandt, sogar homolog, (ther (lurchaus nicht identisch sind. Und tuenn es sogar gelingt, durch künstliche Uebertragung der Menschenpocken oder der Vaccine auf Schafe bei diesen eine den ächten Schafpocken sehr ähnliche Erkrankung zu er-
|
||
|
|||
HH
|
|||
|
||
— 51 -
zeugen, so ist damit nock lange nicht bewiesen, dass Menschen-, Schaf- und Kuhpocken identisch si?id.quot;
S. 1042 (22). raquo;Aus dem Umstände aber, dass Schafe erfolgreich vaccinirt werden können und dass sogar der Schafkörper die Eigenschaft besitzt, manchmal das Vaccine-gift zu generalisiren, wie ich früher aus einander gesetzt habe, resultirt noch keine nähere Verwandtschaft zwischen Schaf- und Kuhpocken.
Die durch Vaccination der Schafe entstandene Krankheit ist nicht identisch mit den ächten Schafpocken, da in diesem Falle auch zufällige Uebertragungen der Schafpocken auf Rinder jeden Geschlechtes und Alters hie und da vorkommen müssten, was thatsächlich nicht der Fall ist.laquo;
S. 1059 (39). raquo;Jedenfalls unterliegt es kaum einem Zweifel — und darin trete ich den Ausführungen Bohn's rückhaltslos bei — dass die wechselseitige Uebertragbarkeit der verschiedenen Pockenformen, sowie die wechselseitige Stellvertretung der Menschen- und Thierpocken, indem das mit fremdem Pockengift geimpfte Individuum sowohl für die eignen, wie für die Pocken der übrigen Thiere unempfänglich geworden ist, darauf hinweisen, dass ein im Grunde identisches Virus vorliegt und dass die Pocken dem nämlichen Boden entsprossen und mit einander verwandt sind.laquo;
Wenn man diese Sätze Bollinger's auf die Tuberculosc-Perlsucht-Frage anwendet, so folgt aus der morphologischen Gleichheit des Tuberculose- und Perlsucht-Bacillus, ferner aus der Aehnlichkeit der Wirkung künstlicher Culturen dieser Pilze, dass es sich bei fraglichen Krankheitszuständen um ein verwandtes, im Grunde (d. h. ursprünglich) vielleicht identisches Virus handelt, und dass diese Zustände verwandt, keineswegs aber identisch sind.
|
||
|
||
|
||
— 52 —
Meine S. 38 dieser Schrift ausgesprochene Vermuthung, dass die durch Impfung mit Tuberculosegift vom Menschen hei Rindvieh (und Pferden) entstehenden Infectionen keine ächte Tuberculose repräsentiren, wird durch die Ergebnisse meiner mikroskopischen Untersuchungen der betreffenden Versuchsobjecte unterstützt. Ich habe diese Untersuchungen theils nach dem bekannten Ehrlich'schen, theils nach dem Krause-Schuchard'schen Verfahren (Fortschritte der Medicin Bd. I, 1883, Nro. 9, S. 278 und 279) mit Zeiss'scher Oel-Immersion 1/i2 quot;und mit Abbe'schem Condensator vorgenommen.
In den Lungen des Kalbes, Versuch VIII (Versuchsdauer 37 Tage) finden sich, namentlich in den reichlich vorhandenen Knötchen, Tuberkelbacillen. Diese sind in manchen Schnitten an einzelnen Stellen so zahlreich, dass man letztere als Tuberkelbacillen-Felder bezeichnen könnte. In den Lungen des Versuchsfohlens, Versuch III (Dauer 39 Tage), sowie in der Abscesswand der Bauchdecken des Kalbes, Versuch VI (Dauer 70 Tage), finden sich in den tuberkelähnlichen Knötchen oder im Gewebe ihrer Nachbarschaft nirgends Tuberkelbacillen. Dagegen sieht man in den im Zerfall begriffenen Rundzellenhaufen vielfach bläulich oder bräunlich gefärbte Gebilde, welche zum Theil vielleicht von zerfallenen Tuberkelbacillen herrühren. Es wäre ja möglich, dass beim Pferde die Tuberkelbacillen vom Menschen eine kurze Zeit hindurch proliferationsfähig sich erhalten und Knötcheneruptionen verursachen, dann aber bald zu Grunde gehen; etwas später mag dies auch beim Rinde geschehen.
Bei den Versuchskälbern IV und V (Versuchsdauer 170 resp. 175 Tage) war weder in den Lungen, noch sonstwo irgend etwas zu finden, was an Tuberculose oder
|
||
|
||
dl
|
||
|
||
|
||
— 53 —
Perlsucht hätte erinnern können. Vielleicht aber waren auch hier ähnliche Befunde, wie bei Nro. VIII, in den Lungen resp. in irgend einem Baucheingeweide angetroffen worden, wenn die beiden Versuchsthiere früher, d. h. nach einer kürzeren Versuchsdauer, geschlachtet worden wären. Ich werde dies durch weitere Versuche näher zu ermitteln suchen.
Gegenwärtig ist es mindestens sehr fraglich, ob durch Uebertragung von Tuberkelgift des Menschen auf das Rind (und Pferd), namentlich unter Umständen, wie dieselben im gewöhnlichen Lebensverkehr sich bieten, jemals eine ächte Tuberculose oder Perlsucht entsteht. Es ist sogar fraglich, ob durch Uebertragung des Perlsuchtgiftes von Rind auf Rind eine ächte Tuberculose oder Perlsucht erzielt werden kann. Die von Gerlach mit frischen Perlknötchen von einer Kuh bei einem Kalbe angestellte subcutane Impfung ergab bei der im 5. Monat nachher vorgenommenen Tödtung und Section des betreffenden Versuchskalbes 1 bis 2 Zoll von der Impfstelle entfernt 4 Knoten von Haselnussgrösse in dem lockeren subcutanen Bindegewebe; es waren degenerirte Lymphdrüsen, von denen zwei viele kleine gelbe, käsige Herde zeigten, während die beiden anderen im Centrum ganz verkäst waren. Sämmtliche Käseherde waren von dicker, narbiger Bindegewebshülle eingeschlossen, die Lungen, serösen Häute und andere Organe frei von Knoten. (II. Jahresbericht der Thierarzneischule zu Hannover 1869, S. 136.) Andere Krankheitserscheinungen und Abzehrung waren nicht eingetreten.
Eben so 'wenig als durch sämmtliche veröffentlichte Impf- und Fütterungsversuche ist durch die seither angestellten Inhalations versuche erwiesen worden, dass Perlsucht und Tuberculose identisch sind und in causalem Zusammen-
|
||
|
||
|
||
— 54 -
hange mit einander stehen. Hierauf bezüglich sagt Ziegler (Lehrbuch der pathol. Anatomie S. 873 u. 874): raquo;Bei den letztgenannten Versuchen, die namentlich von Lippl, Tappeiner, Schwenninger, Schottelius, Veraguth (u. A.) ausgeführt wurden, verfolgte man wesentlich den Zweck, über die Infectiosität des Sputums von Phthisikern Aufschluss zu erhalten und man zerstäubte daher deren Sputa mit Wasser. — Der Effect aller dieser Inhalationsexperimente hängt von der Beschaffenheit des inhalirten Stoffes und von der Anordnung des Experimentes ab. Lässt man reizende fein zer-theilte Substanzen, z. B. zerstäubte Sputa und zerstäubte Faulflüssigkeit einathmen, so entstehen kleine miliare broncho-pneumonische Herde. Lässt man Faulflüssigkeit oder Speisereste, oder bacterienhaltige Mundflüssigkeit etc. in grösseren Mengen aspiriren, so entstehen umfangreichere, meist lobu-läre Entzündungsherde mit Hämorrhagien, Eiterung, Gangrän etc.laquo;
Ferner sagt Ziegler (1. c. S. 900): Tappeiner hat dieselben fraglichen bronchopneumonischen Herde auch wirklich für Tuberkel erklärt und sie den bei Miliartuberculose auftretenden Lungentuberkeln gleich gesetzt. Dies ist nicht richtig. Für seine bezügliche Ansicht hat Ziegler in Nro. 157 der klinischen Vorträge von Volkmann die Gründe (S. 1295) näher angegeben. Daselbst sagt er auch: raquo;Für die Frage der Specificität der Tuberculose können daher diese Lungen-knötchen nicht verwerthet werden. Klebs bemerkt bezüglich solcher Inhalationsknötchen (s. Verh. des Wiesbadener Congresses 1883 S. 53): raquo;Es ist vielfach über Inhalationstuber-culose gesprochen worden. Nun sind in neuerer Zeit von Veraguth die Versuche Tappeiner's abgeändert worden in der Weise, dass nicht in so intensiver Weise der Spray der Lunge zugeführt wurde, sondern nur in Form eines Staubes,
|
||
|
||
A
|
||
|
||
- 55 —
der nicht direkt in die Athmungsorgane hineingepresst wurde. Die Tuberkelbacillen entwickeln sich (Klebs hat die betr. Veraguth'schen mikroskopischen Präparate selbst genau untersucht) zunächst in einzelnen Zellen innerhalb der Aiveolen und gehen aus der Vermehrung der Zellen und der Bacillen allmälig die Knötchen hervor. Aber es bleibt auch hier die merkwürdige Thatsache, dass nicht so leicht von dieser primären alveolären Form der Lungentuberculose aus eine allgemeine Tuberculose hervorgeht u. s. w.laquo; Klebs ist der Meinung, dass die meisten Tuberculosen durch den Darm zugeführt werden und die Lungentuberculose das Secun-däre ist.
Folgender Ausspruch Zieglers (Lehrb. der path. Anat. S. 176): raquo;Die Nichtberücksichtigung des Umstandes, dass die Erzeugung von Knötchen bei einem Thiere noch durchaus kein Beweis ist, dass man Tuberculose erzeugt hat, sondern dass erst die Lebensgeschichte des Knötchens und der Verlauf des Processes die Diagnose sichern können, hat in der Tuberculosefrage sehr viele Verwirrung hervorgerufenlaquo; verdient auch heute noch beachtet zu werden. Denn leider ist der Nachweis des Tuberkelbacillus (nach den Untersuchungen von Marchand, Schuchardt-Krause, Fortschr. d. Median 1883 Nro. 9) in acht tuberculosen Neubildungen oft so schwierig, dass man, wie Marchand sagt, von der Untersuchung fungöser Granulationen und Gelenkeiters auf Tuberkelbacillen bezüglich der Erleichterung der Diagnose keine allzu übertriebenen Vorstellungen sich machen darf; hiermit erklären Schlichard-Krause sich einverstanden. Beide finden die Spärlichkeit, in welcher sich, wenige Fälle ausgenommen, die Bacillen bei fungösen und scrophulösen Entzündungen vorfinden, merkwürdig und der weiteren Aufklärung bedürftig. — Es harren aber noch viele andere Dinge der näheren
|
||
|
||
|
||
- 56 -
Aufklärung, bevor wir über die Contagiosität der Perlsucht und der Tuberculose, sowie der Beziehungen dieser zu einander ein bestimmtes Urtheil abzugeben berechtigt sind.
Eine objective Prüfung aller bis jetzt publicirten Versuchsergebnisse und klinischen Beobachtungen führt nach meiner Meinung nothwendig zu dem Schlüsse, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Tuberculose des Menschen und der Thiere (incl. Perlsucht des Rindviehs), sowie die Identität fraglicher Zustände keineswegs erwiesen ist.
Man wundert sich heute, dass man noch im vorigen Jahrhundert die Perlsucht des Rindes so bestimmt und allgemein mit der Syphilis des Menschen identificirt und sich für berechtigt gehalten hat, deshalb den Genuss des Fleisches von perlsüchtigen Thieren gänzlich zu verbieten. Vielleicht wird man sich im nächsten Jahrhundert darüber wundern, dass man heute aus der morphologischen Aehnlich-keit oder Gleichheit des Perlsucht- und Tuberculose-Bacillus, sowie aus der ähnlichen oder gleichen Wirkung ihrer künstlichen Culturen und aus einer Anzahl gewaltsamer und unnatürlicher Versuchsresultate mit natürlichem Perlsucht- und Tuberculose-Gift die absolute Identität dieser beiden Krankheiten und deren ursächlichen Zusammenhang gefolgert hat. Vergessen wir darum nie die Worte, welche Helmholtz in seiner am 2. August 1877 in Berlin gehaltenen Rede über raquo;das Denken in der Medicinlaquo; gesprochen hat: raquo;dass jede Deduction nur so viel Sicherheit hat, als der Satz, aus dem deducirt wird, und dass jede neue Deduction zunächst immer nur wieder ein neues Prüfungsmittel ihrer eignen Grundlagen an der Erfahrung werden muss.laquo;
Demnach muss die wichtige Entdeckung des Tuberkel-bacillus selbstverständlich bei allen unsere Frage betreffenden Studien fernerhin berücksichtigt und näher geprüft werden.
|
||
|
||
|
||
|
||
|
|||
i !
|
— 57 —
Ich bin bereits seit längerer Zeit mit der mikroskopischen Untersuchung der Milch einer perlsuchtverdächtigen Kuh beschäftigt und beabsichtige diese Untersuchung weiter auszudehnen, um deren Resultate später einmal zu veröffentlichen. Auch werde ich meine Impf- und Fütterungsversuche bei Kälbern mit tuberculösem Material vom Menschen weiter fortsetzen, in der Hoffnung, dass dies auch von anderer Seite mit der nöthigen Vorsicht und Critik geschehen wird. Damit die Versuchsergebnisse zu Schlüssen in unserer Streitfrage berechtigen, müssen verschiedene Umstände berücksichtigt werden, welche die Zuverlässigkeit mancher Resultate und Schlüsse sehr in Frage stellen. Es kommt hier namentlich der Uebelstand in Betracht, dass
i) der Gesundheitszustand, resp. der Krankheitszustand der Versuchs- und Control-Thiere während des Lebens nie mit Sicherheit festgestellt werden kann. So wird es erklärlich, raquo;dass Kühe mit Lungenleiden (zuweilen sogar ohne ein solches) zu den betr. Versuchen an verschiedenen Stellen verwendet worden sind, welche bei der Section nicht tuberculös resp. perlsüchtig befunden worden.laquo;
2)nbsp; Dass nicht selten zu den Fütterungsversuchen, oder zur Controle des Ergebnisses dieser, Thiere verwendet werden, welche bereits zur Zeit der Einstellung in den Versuch mit natürlicher Tuberculose in verschiedenen Graden der Ausbildung behaftet sind.
3)nbsp; Die Einverleibung grösserer Quantitäten tuberculöser Flüssigkeiten in die grossen serösen Höhlen der Versuchskälber ist für die Entscheidung der Frage nach der Identität menschlicher Tuberculose und der Perlsucht des Rindes von ebenso untergeordneter Bedeutung, wie alle Impf- und Fütterungs-Versuche bei Kaninchen und bei allen anderen nicht der Rindviehspezies angehörigen Thieren. Die bei Kälbern
|
||
|
|||
|
||
_ 58 -
|
||
|
||
durch fragliche Impfungen erzielten Entzündungsprozesse mit nachfolgender Neubildung von Bindegewebe und perlsucht-ähnlichen Knoten haben bis jetzt in keinem Falle den typischen Verlauf von Tuberculose oder Perlsucht gezeigt.
Der ad i bezeichnete Uebelstand kann durch die Section stets in so fern corrigirt resp. beseitigt werden, als die Autopsie nach dem Tode in diesem Falle über den Werth und Unwerth des betr. Versuches in fraglicher Richtung stets Auf-schluss gibt. Anders verhält es sich mit dem zweiten Uebel-stande, der eine nie ganz zu beseitigende Unsicherheit verursacht. Man findet in Folge dessen bei Sectionen der zur Controle verwendeten Versuchstil iere, namentlich bei Kaninchen und Schweinen englischer Bastardzuchten, welche weder Milch noch Fleisch oder andere Bestandtheile von tuberculösen resp. perlsüchtigen Thieren erhalten haben, nicht selten tuberculose Prozesse in verschiedenen Stadien der Entwicklung.
Dieser Umstand macht esnothwendig, dass die betreftenden Versuche in grosser Anzahl mit vieler Umsicht und Vorsicht angestellt werden müssen, bevor aus deren Ergebniss ein einigermassen zuversichtlicher Schluss gezogen werden kann. Aus diesen Gründen darf den bezüglichen Fütterungsversuchen mancher Forscher, so namentlich auch den bei Gelegenheit der 52. Naturforscher-Versammlung zu Baden-Baden am 23. September 1879 in der Sectionssitzung für pathologische Anatomie und allgemeine Pathologie von Bollinger mit-getheilten Resultaten, nur ein sehr bedingter Werth beigemessen werden.
Selbst durch den höchst wichtigen und beachtenswerthen Nachweis der Uebertragbarkeit künstlicher Perlsuchtbacillen-culturen auf Schweine und andere Thiere durch die Koch-schen Impfungen ist noch keineswegs festgestellt, dass die Perlsucht-Bacillen auch beim Menschen die gleiche Wirkung,
|
||
|
||
|
||
- 59 _
wie bei Schweinen und verschiedenen anderen Thieren, hervorzubringen im Stande sind. Die früheren Fehlschlüsse bezüglich der Milzbrand-Impfimmunität bei Wiederkäuern, welche durch Generalisation des Verhaltens von Mäusen und Ratten der Milzbrand-Impfung gegenüber gezogen worden sind, zeigen uns neuerdings in recht eindringlicher Weise, wie nothwendig es ist, die Wirkung eines jeden Krankheitserregers bei den einzelnen Thierspezies besonders zu studieren.
In Bezug auf die Tuberculose-Frage wird dann ferner noch genauer untersucht werden müssen, wie weit die für die Gesundheitspflege des Menschen und der Thiere in Betracht kommenden tuberculösen, resp. perlsüchtigen Substanzen in ihrer inficirenden Wirkung mit der künstlich gezüchteter Tuberkel- resp. Perlsucht-Bacillen übereinstimmen. Dass letztere weit activer als jene wirken, wissen wir bereits durch Koch.
Am Schlüsse meiner Betrachtungen angelangt, glaube ich, Koch's eigene Mahnung hier noch citiren zu sollen. Derselbe sagt nämlich:
raquo;Auch ist nach den bisherigen Erfahrungen dringend davor zu warnen, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse zu voreilig in die Praxis übertragen werdenlaquo; (s. lieber die Milzbrandimpfung, Cassel und Berlin 1882, S. 37).
Diese sehr beachtenswerthe Mahnung gilt ja selbstverständlich auch für das Studium der Perlsucht- und Tuber culose-Frage.
Was hat nun bei dieser Sachlage die Sanitätspolizei bis auf Weiteres zu thun? Meiner Ansicht nach sind für dieselbe folgende Gesichtspunkte massgebend:
Die Gesundheit des Menschen ist unstreitig das höchste irdische Gut, das wegen eines verhältnissmässig geringen
|
||
|
||
|
||
6o
|
||
|
||
pecuniären Verlustes nicht gefährdet werden darf. Der erste Paragraph einer gesetzlich geregelten Controle der Fleisch-nahrung des Menschen muss demgemäss lauten:
raquo;Als Nahrungsmittel für denMenschen darf ohne Weiteres nur das unverdorbene Fleisch gesunder Thiere zugelassen werden. Das Fleisch kranker Thiere ist blos dann für den Consum des Menschen zulässig, wenn die betreffende Thier-krankheit erfahrungsgemäss die menschliche Gesundheit nicht bedroht und wenn das betreffende Fleisch keine sonstigen schädlichen Eigenschaften besitzt. In jedem Falle muss das Fleisch von kranken Thieren als solches verkauft, d. h. es muss beim Verkaufe desselben die Krankheit angegeben werden, an welcher das Thier qu. gelitten hat.laquo;
Eine derartige Vorschrift erscheint mir namentlich der Tuberculose gegenüber am Platze zu sein, deren Aetiologie, trotz der wichtigen Koch'schen Entdeckung, in vielen Punkten noch recht dunkel ist. Wir wissen nur, dass diese Krankheit meist ganz allmälig sich entwickelt und unbemerkt in den Körper sich einzuschleichen pflegt. Da die Tuberculose des Menschen wohl die mörderischste Krankheit des Menschengeschlechtes ist und der Verdacht einer näheren Verwandtschaft derselben mit der Perlsucht des Rindes durch sehr beachtenswerthe Thatsachen unterstützt wird, so halte ich es für angemessen, den Consum von Fleisch (und Milch) perlsüchtiger Thiere bis auf Weiteres nur unter den von Gerlach bestimmten Vorsichtsmassregeln zu gestatten.
Im weiteren Interesse der Sanitätspolizei, besonders aber auch der Rindviehzucht selbst, dürfte es liegen, möglichst Vorkehrungen zur Verminderung oder Tilgung der Perlsucht des Rindviehs, sowie der Tuberculose anderer Thiere, zu treffen. Es ist Sache der thierärztlichen Forschung, die Verhältnisse dieser und anderer Thierkrankheiten näher zu studiren.
|
||
|
||
|
||
— 6i —
Sache des Staates ist es, die hierzu erforderlichen Einrichtungen und Mittel zu beschaffen, was nur durch eine zeitgemässe Reform des gesammten Veterinärwesens möglich ist. Bis unseren gerechten Forderungen gebührendermassen Rechnung getragen worden ist, dürfen wir nicht aufhören, die Staatsregierungen überall und ohne Unterlass an ihre Pflichten einem so wichtigen und doch so sehr verwahrlosten Zweige der angewandten Naturwissenschaften gegenüber zu erinnern.
Denn nicht nur die Gesundheitspflege des Menschen und unserer Nutzthiere, sondern auch die Rechtspflege verlangt ein sorgfältigeres Studium der Veterinär-pathologischen Zustände, sowie eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung der Thierärzte. Sowohl in civilrechtlichen, als auch in strafrechtlichen Fällen bildet das Gutachten des Veterinärarztes oft die Grundlage richterlicher Erkenntnisse. Der thierärzt-liche Handwerker wird nicht selten irrige Ansichten eines Autors, oder seine eigenen irrigen Interpretationen bona fide als unbedingt richtig hinstellen, während derjenige, welcher weiss, wie wenig in der Thierpathologie wirklich genau erkannt und sicher festgestellt ist, im Gefühle seiner mangelhaften Einsicht in die eigentlich thatsächlichen Verhältnisse, oft von Zweifeln gepeinigt mit Unbehagen und Zagen sein Gutachten erstattet. Hierin liegt der Grund, warum mancher thierärztliche Sachverständige sich allen gerichtlichen Expertisen möglichst fern zu halten sucht, wodurch die Unsicherheit auf diesem Gebiete der Rechtspflege nur noch vermehrt wird. Es ist eine heilige und gebieterische Pflicht, dafür zu sorgen, dass diesen beklagenswerthen Uebel-ständen möglichst bald und möglichst gründlich abgeholfen werde.
Ich wende mich deshalb auch an dieser Stelle ver-
|
||
|
||
.
|
||
|
||
— 62 —
trauensvoll an alle urtheilsfähige Männer mit der Bitte, nach Kräften mitwirken zu wollen, um endlich eine zeitgemässe Reform des Veterinärwesens herbeizuführen. Unberechtigte Animositäten sind in der Wissenschaft, wie anderswo, nur schädlich. Die alten Vorurtheile, welche der gedeihlichen Entwicklung der Veterinärwissenschaft so lange hinderlich im Wege gestanden haben, müssen endlich beseitigt werden. Die Thierarzneischulen müssen nach dem Muster der medi-cinischen Facultäten eingerichtet und wie diese mit den nöthigen Mitteln für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ausgestattet werden. So lange die gegenwärtige Cumulation von Aemtern auf die Lehrer an den Thierarzneischulen und die armselige Dotirung, sowie die schulmässige Organisation dieser Institute fortbesteht, so lange wird die Thiermedicin nicht im Stande sein, ihre Aufgaben zu lösen. In richtiger Erkenntniss dieser Thatsache hat der durch die hohe Intelligenz vieler seiner Mitglieder ausgezeichnete land-wirthschaftliche Centralverein für die Provinz Sachsen, für die thüring. und anhält. Staaten in zwei Hauptversammlungen (Mai 1882 in Bitterfeld und Januar 1883 in Halle a. S.) jedesmal einstimmig folgende Resolution angenommen: raquo;Der Herr Minister für Landwirthschaft etc. ist durch den Vereinsvorstand zu ersuchen, die Thierarzneischulen in ähnlicher Weise, wie die medicinischen Facultäten, mit den erforderlichen Mitteln und Einrichtungen für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ausstatten zu wollen.laquo;
Die Thierärzte müssen, wie dies Professor Voit und andere hervorragende Menschenärzte schon vor langer Zeit mit Recht und Nachdruck betont haben, für ihren Beruf in derselben Weise vorgebildet und fachwissenschaftlich ausgebildet werden, wie die Menschenärzte. Der Thierarzt muss vor allen Dingen naturwissenschaftlich' denken und folgern
|
||
|
||
,
|
||
|
||
|
||
- 63 -
gelernt haben, weil selbst im practischen Leben sein Handeln vorzugsweise auf seine eigenen objectiven Wahrnehmungen und auf seine hieraus gezogenen Folgerungen sich stützen muss. Da indess eine weit geringere Anzahl practischer Thierärzte den Bedürfnissen des Landes zu genügen vermag, als Menschenärzte für die Praxis erforderlich sind, so kommt es weniger auf eine Vermehrung, als auf eine bessere Organisation und reichere Ausstattung der thierärztlichen Bildungsanstalten an. Diese allein genügen aber nicht den Zwecken der thierärztlichen Forschung. Um die Zahl derjenigen Forscher entsprechend zu vermehren, welche sich mit den in das Gebiet der Thiermedicin einschlagenden Fragen beschäftigen, müssen an allen Universitäten Ordinariate für vergleichende Pathologie errichtet und mit den nöthigen Einrichtungen und Mitteln ausgestattet werden. Daraus würde nicht nur ein grosser Gewinn für die gemeinschaftlichen Gebiete der Menschen- und Thiermedicin, sondern auch für die practische Rechtspflege erspriessen. Den Stu-direnden der Medicin und der Rechtswissenschaft wäre Gelegenheit geboten, sich mit den in ihr Gebiet einschlagenden Disciplinen der Veterinärwissenschaft (Vergleichende Pathologie, Gerichtliche Thierheilkunde u. s. w.) näher bekannt zu machen.
Es wird wohl nicht lange mehr dauern, bis diese natnr-gemässen Forderungen an massgebender Stelle anerkannt und Berücksichtigung finden werden. Kommen muss und wird ja die Zeit der besseren Erkenntniss auch auf diesem Gebiete und die schliessliche Gleichstellung der Veterinärmedicin mit allen übrigen Hochschulwissenschaften wird reichen Segen bringen nicht nur für die Rechts- und Gesundheitspflege, sondern für die gesammte Medicin. Dass hierdurch auch die universitas literarum, sowie die allgemeine Wohl-
|
||
|
||
|
||
- 64 -nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^
fahrt der Völker gewinnen muss, bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung.
Leider ist unter der gegenwärtigen Verwesung des Veterinärwesens in Preussen nur wenig Hoffnung vorhanden, dass die von Dr. Friedenthal begonnenen Reformen bald zu einem zeitgemässen Abschlüsse gebracht werden. Deshalb aber wollen wir nicht verzagen, sondern voller Zuversicht der Stunde harren, zu welcher auch hier das göttliche Wort sich erfüllen wird: raquo;Es werde Licht!laquo; Die früher scheinbar so starken Hindernisse werden dem Drucke der Zeit auf die Dauer nicht zu widerstehen vermögen. Durch innere Fäulniss zerstört werden sie dereinst zusammenbrechen und auf ihren Trümmern wird ein gesundes, neues Leben erblühn!
|
||
|
||
tefL
|
||
|
||
|
||
|
||
/ Pc/s^ya
|
||
|
||
o
|
||
|
||
|
||