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RIJKSUNIVERSITEITTE UTRECHT
2671 532 0
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11
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LEHRBUCH
DER
ALLGEMEINEN THERAPIE
DER
HAUSTHIERE
VON
A. C. GERLACH,
Director und Professor an der Königl. PreusslBchen Thierarzneischule zu Hannover.
Zweite, umgearbeitete Auflage.
BERin, 1868.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
Unter den Linden Nr. 68.
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•—\^ *J % \ lt;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; #9632;#9632;'
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Seinem
hochverehrten Lehrer
dem
Königlichen Geheimen Medicinalrathe, Professor und techmschen Director der Thierarzneisehule zu Berlin, Kitter des rotlieu Adler-Ordens 11. Klasse etc.,
Serm Dr. E. F. Grurlt,
seinem 30jährigen Amts - Jubiläum
am 20. Mai 1868
besonderer Hoehaehtuuir und Dankbarkeit
gewidmet
Verfasser.
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Vorrede zur zweiten Auflage.
Aus der Masse der mediciniselien Specialitäten all­gemeine Doctrinen zu bearbeiten, die als Grundlage zur Beherrscbung der schwer übersehbaren Einzelnheiten die­nen, sind stets ebenso schwere als undankbare Aufgaben, weil solche Werke bei der fortschreitenden Häufung und Wandlung der Specialitäten so leicht veralten und selten eine zweite Auflage erleben. In der medicinischen Lite­ratur ist denn auch keine Doctrin so schwach vertreten, als die allgemeine Pathologie und Therapie, besonders aber letztere. Wenn nun meine allgemeine Therapie das Glück gehabt hat, überhaupt vergriffen zu werden, sei es auch in einem längeren Zeiträume, als specielle Werke vergriffen zu werden pflegen, so ist es für mich erfreu­lich gewesen, nach fünfzehn Jahren mit einer neuen Auf­lage hervortreten zu können.
Selbstverständlich ist, dass nach einem solchen Zeit­räume in einer Periode, wo in den Naturwissenschaften überhaupt und ganz speciell in der Medicin so grosse Fortschritte gemacht und theilweise sogar wirkliche Um­gestaltungen erfolgt sind, eine vollständige Umarbeitung nothwendio' war, wenn das Werk in seinem Gebiete den
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VI
gegenwärtigen wissenschaftlichen Standpunkt vertreten sollte. Ich habe mit kritischer Sichtung das Neue aus der Literatur benutzt und meine eigenen weiteren Erfah­rungen in dieser Auflage niedergelegt; ich habe aber auch eine Eeiiie von offenen Fragen durch Expei-hnente zu erledigen gesucht, am mit dieser Auflage zugleich einen Beitrag zur weiteren Förderung der Doctrin zu liefern.
Die Reihenfolge der Gegenstände, das Gerüst ist beibehalten worden; die allgemeinen Grundregeln für den praktischen Thierarzt sind schon an sich unwandel­bar; alle anderen Gegenstände aber sind theils vervoll­ständigt, theils umgearbeitet, theils ganz neu bearbeitet, wobei ich überall zusammenzudrängen gesucht habe. Nur eins ist in dieser Auflage unverändert geblieben, •— die Literatur. Selbst in der menschenärztlichen Litera­tur haben nur einige, einzelne Gegenstände, meist die Diätetik und Kaltwasserkur betrettende Werke nachge­tragen werden können.
Im Juli 1S68.
Gerlach. '
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VII
I n h a 11.
SeiU
Einleitung.........................................................nbsp; nbsp; nbsp;1
Erster Theil.
!
1.nbsp; Abschnitt.
Der Thierarzt in socialer und gewerblicher Stellung,
Allgemeines................................. .....................nbsp; nbsp; nbsp; 7
In socialer Beziehung..............................................nbsp; nbsp; nbsp; 8
In seinem Wirkungskreise..........................................nbsp; nbsp; 13
Allgemeine ürientirung....................................nbsp; nbsp; 13
Literarische Studien.......................................nbsp; nbsp; 17
Naturstudion..............................................nbsp; nbsp; 1!)
Collegialität.............................................nbsp; nbsp; 22
Geschäftsthätigkeit........................................nbsp; nbsp; 25
Krankenstall.............................................nbsp; nbsp; 27
Dispensation der Arzneien.................................nbsp; nbsp; 20
Verhalten den Besitzern gegenüber.........................nbsp; nbsp; 3?
Verhalten gegen das Dienstpersonal........................nbsp; nbsp; 41
Verfahren bei den kranken Thicrcn......................nbsp; nbsp; 47
Anamnese............................................nbsp; nbsp; 50
Untersuchung.........................................nbsp; nbsp; 53
2.nbsp; Abschnitt.
Die Heilsysteme.
Im Allgemeinen...................................................nbsp; nbsp; 63
Brownianismus.....................................................nbsp; nbsp; 65 '
Rasori's .System....................................................nbsp; nbsp; 68
Mesmerismus.......................................................nbsp; nbsp; 60
Hydropathie......................................................nbsp; nbsp; 71
Schroth'sches Kurverfahren.........................................nbsp; nbsp; 73
Kadeinacher'schc Heillehre..........................................nbsp; nbsp; 76
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VIII
Homöopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Seite
Hahnemann'sche........................................... 82
Die heutige............................................... 90
Positive Heilmethode.................................. 94
Kritik.................................................... 95
Isopathie......................................................... 108
Antidotisches Verfahren............................................ 110
Naturalistische Heilmethode........................................ 111
3. Abschnitt.
Naturhülfe.
Heilungslehre, Physiatrik...........................................nbsp; 113
Naturheilkraft.....................................................nbsp; 114
Xaturheihvege und Naturheilproccsse................................nbsp; nbsp;116
Aetiologisclie Naturheilmig................................nbsp; 117
Naturhoilung auf nutritivem Wege.........................nbsp; nbsp;122
Schlaf................................................nbsp; 124
Fieber................................................nbsp; 126
Instinctive Heilung........................................nbsp; 129
Hunger...............................................nbsp; 134
Appetitlosigkeit.......................................nbsp; 137
Durst................................................nbsp; 140
Naturheilung auf conscnsucllcn Wegen.....................nbsp; 141
Ausgleichung durch Gewöhnung, Abstumpfung, Accomodationnbsp; 145
Naturheilung auf dem Wege der Ausscheidungen...........nbsp; 149
Kegclmassige Ab- und Aussonderungen.................nbsp; 150
Vicariirende Absonderungen...........................nbsp; 151
Krisen................................................nbsp; 153
Regenerative Restitution; organische Reparationen..........nbsp; 157
Ilegeneration..........................................nbsp; 158
Cicatrisation.........................................nbsp; 103
Ausgleichung auf regressivem Wege.......................nbsp; 170
Auflösung und Resorption.............................nbsp; 171
Eintrocknung.........................................nbsp; 173
Verkalkung............. .............................nbsp; 174
4. Abschnitt.
Die Kunsthülfe.
1. Ahlhi-ilmig. T h e r a p c u t i s eh e Grundbegriffe.
Allgemeines....................................................... 176
Indicationen....................................................... 180
Contra -Indicationen................................................ 184
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IX
Seite
2.nbsp;Abthetlung.
Die allgciueinstcn (udicationen.
Oekonomischc Zweckmässigkeit und polizeiliche Zulässigkeit..........nbsp; 18ö
Ueber die Nothwondigkeit des therapeutischen Einschreitens..........nbsp; 191
Technokratische Kur......................................nbsp; 191
Exspectativknr............................................nbsp; 192
Scheinkur.................................................nbsp; 194
Endzweck der Behandlung.
Vorbauung................................................nbsp; 195
Vorbauung gegen die Anlage..........................nbsp; 198
Impfung..........................................nbsp; 205
Vorbauung gegen äussere Schädlichkeiten..............nbsp; 222
A.nbsp; Gegen Ansteckungsstorte.......................nbsp; 223
Inficirte Individuen............................ 225
Spcrrmaassregoln............................. 228
Das Schlachten und Tödten.................... 229
Dosinfection.................................. 230
B.nbsp; nbsp;Gegen speeifisehe Schädlichkeiten bei genuiner Entwickeluug.................................. 236
C.nbsp; Gefjjen zufällige Schädlichkeiten.................238
Vorbauung gegen beginnende Krankheit. Abortivkur.. . 239
Hadicalkur................................................242
Symptomatische Kur......................................245
Lebenskur.................................... .......247
Erhaltungskur........................................ 248
Linderungskur........................................ 249
Euthanasie...........................................251
Nachkur..................................................251
3.nbsp; .Abthcilung.
AI Ige nie ine Cautelcn.
Grattongsverschiedenheiten..........................................254
Individuelle Verschiedenheiten............................... ......25G
Oekonomischc Verhältnisse......................................... 261
Kraiiklie itsgenius................................................203
Aufstelhmg der Indicationen........................................ 265
Aenderung des Kurphmes.......................................... 266
Einfachheit in der Behandlung......................................268
Diät............................................................... 269
4.nbsp; AMhellung. Hei 1 m i 11 e 1.
Allgemeines........................................................ 269
Auffinden der Heilmittel............................................270
Wirkungsweise der Heilmittel.......................................273
Die Einwirkimg...........................................273
Die Rückwirkung.........................................281
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X
Seite
Application der lleilinittel.......................................... 284
Einvorleibung auf dem Wege der Ernährung................ 285
Endermatische Application................................. 286
Hypodennatische Application............................... 287
Die Inhalation............................................ 291
Infusion und Transfusion.................................. 293
Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit.......................295
Heihvirkung nach dem Gesetze des Gegensatzes — Antipathie 296
Heilwirkung nach dem Gesetze der Ableitung............... 299
Fiiuctioni'lle, substitutionelle. depletorische und depurative
Ableitung .. ..................................... 300
Heilverfahren nach der Heilwirkung.
Das directe Heilverfahren................................. 305
Das indirecte Heilverfahren............................... 30G
Zweiter Theil.
Die fundamentalen Kurmethoden.
Allgemeines..................................................#9632;•....nbsp; 311
Bestaurirende Knrmethode......................................nbsp; 313
Indicationen..............................................nbsp; 314
Directe Restauration......................................nbsp; 322
Quantitative Restanration..............................nbsp; 323
Kcstaurirende Nahrungsmittel......................nbsp; 329
Qualitative Restauration...............................nbsp; 335
Organische Instanrantien...........................nbsp; 336
Anorganische Instanrantien........................nbsp; 337
Indirecte Restauration.....................................nbsp; 340
Contai-Indicationen.......................................nbsp; 341
Stärkende Kurmethode.............................................nbsp; 342
Indicationen...............................................nbsp; 342
Mittel....................................................nbsp; 344
Erregende, reizende Methode........................................nbsp; 349
Indicationen...............................................nbsp; 350
Mittel....................................................nbsp; 355
Contra - Indicationen.......................................nbsp; 362
Beruhigende Methode...............................................nbsp; 363
Indicationen...............................................nbsp; 364
Mittel... .;...............................................nbsp; 369
Contra-Indicationen.............'...................... ...nbsp; 384
Entziehende Methode...............................................nbsp; 385
Indicationen...............................................nbsp; 386
Mittel.....................................................nbsp; 389
Contra - Indicationen.......................................nbsp; 394
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XI
Seite
Blutentleerungen...................................................nbsp; 395
Allgemeine, Aderlass......................................nbsp; 397
Oertliche................................................nbsp; 4üT
Auttüsende Methode................................................nbsp; 408
Indicationen...............................................nbsp; 409
Mittel....................................................nbsp; 411
Contra-Indicationen.......................................nbsp; 419
Harntreibende Methode.............................................nbsp; 420
Indicationen...............................................nbsp; 422
Mittel.....................................................nbsp; 425
Abführende Methode...............................................nbsp; 428
[ndicationen..............................................nbsp; 430
Mittel....................................................nbsp; 4;i7
Brechenerregende Methode..........................................nbsp; 447
Indicationen...............................................nbsp; 450
Mittel....................................................nbsp; 453
Auswarf befördernde Methode.......................................nbsp; 457
Mittel....................................................nbsp; 459
Diaphoretische Methode............................................nbsp; 465
Indicationen...............................................nbsp; 4ü8
Mittel....................................................nbsp; 470
Abkühlende Methode...............................................nbsp; 475
Mittel..................................................nbsp; nbsp; 478
Verdichtende, adstringirende Methode................................nbsp; 484
Indicationen...............................................nbsp; 485
Mittel....................................................nbsp; 490
Contra - Indicationen.......................................nbsp; 500
Erschlaffende, erweichende Methode.................................nbsp; 502
Mittel....................................................nbsp; 503
Einhüllende, deckende Methode....................................nbsp; 509
Mittel....................................................nbsp; 514
Hantreizende, liautentzündende Methode.............................nbsp; 521
indicationen..............................................nbsp; 523
Mittel....................................................nbsp; 527
Contra-Indicationen.......................................nbsp; 536
Aetzende Methode................................................nbsp; 537
Mittel...................;................................nbsp; 540
Absorbirende Methode..............................................nbsp; 549
Mittel....................................................nbsp; 550
Exsiccantia...........................!...............nbsp; 550
Canninativa..........................................nbsp; 551
Säureabstumpfende Methode........................................nbsp; 553
Mittel....................................................nbsp; 555
Fäulnisswidrige Methode............................................nbsp; 556
Indicatioflcn...............................................nbsp; 557
Mittel...................................................nbsp; 558
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XII
Seite
Giftwidrige Methode...............................................nbsp; 561
Das Gift.................................................nbsp; 561
Die Gegengifte............................................nbsp; 566
Die Behandlung des vergifteten Leihes.....................nbsp; 571
Schinarotzertilgende Methode.......................................nbsp; 573
Die Parasiten.............................................nbsp; 573
Vertilgungsmittcl..........................................nbsp; 579
Literatur ........................................................nbsp; nbsp; 590
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E i n! e i t u i) g.
Urganismen erkranken und genesen unter gewissen Um­ständen, es giebt mithin Krankheitsursachen und Heilmittel; derjenige Theil de)- Heilkunde, welcher zum Gegenstande hat, erstere zu entfernen und fernzuhalten, letztere planmässig geord­net in Anwendung zu bringen, dieser Theil ist die Lehre von der Heilung der Krankheiten — Therapia s. Therapeutica. — Die Therapie lehrt somit das, was des Arztes Beruf ist. wo­durch derselbe sein gesammtes medicinisches Wissen praktisch verwerthet, und stellt deshalb die eigentliche praktische Äledi-cin dar, die den Schlussstein des gesammten medicinischen Wis­sens bildet, wodurch dasselbe zu einem nutzbaren Ganzen ver­einigt wird. In der praktischen Verwerthung des gesammten Wissens liegt nun auch zugleich der Begriff des Könnens; die Therapie umfasst daher nicht bloss eine Wissenschaft, son­dern zugleich eine Kunst.
Aus dem Bestreben, den kranken Leib gesund zu machen, ist der Complex von Wissenschaften hervorgegangen, welcher die Medicin in ihrer Gesammtheit darstellt; die Therapie ist daher Ursprung und Endzweck der Medicin zugleich. Sie steht auf der letzten Stufe von allen einzelnen Hülfs- und Haupt­wissenschaften der Medicin und ist nur denjenigen zugänglich, die vom Grunde aus Schritt für Schritt von einer Stufe zur anderen bis zu ihr vordringen; deshalb ist sie auch nicht im Stande, allein den Therapeuten zu bilden, dazu bedarf es viel­mehr eines geordneten Studiums aller Zweige der Medicin, welche mithin auch alle als Hülfswissenschaften der Therapie
Gerlach Allf. Therapie. 2 Aufinbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1
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2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Einleitung.
zu betrachten sind. Die nächsten und wichtigsten Hülfswissen-schaften derselben sind aber Anatomie, Physiologie, Pa­thologie, pathologische Anatomie und Arzneimittel­lehre.
Die Therapie zerfällt in allgemeine und specielle — Thera-pia generalis et specialis. Letztere, welche auch die praktische Therapie genannt wird, hat die einzelnen Krankheitsformen zum Gegenstande, über welche die specielle Pathologie belehrt, mit der sie daher innig verknüpft ist. Die allgemeine Therapie da­gegen umfasst das ganze Heilgeschäft ohne Rücksicht auf Krank­heitsformen; sie giebt allgemeine Grundsätze und Regeln zur Vorbauung und Heilung, sie untersucht ferner die Heilmittel nach ihrer allgemeinen Wirkungsweise, stellt die fundamentalen Heilbedürfnisse in bestimmten allgemeinen Gruppen auf und ordnet ihnen die Mittel zu, die in ihren Hauptwirkungen den Heilbedürfnissen entsprechen.
Die allgemeine Therapie hat ein rationelles und empi­risches Fundament zugleich. Wo die allgemeine Pathologie bis zum Ausgangspunkte einer Krankheit vorgedrungen ist, da ergeben sich die Vorschriften zur Heilung von selbst, die Gründe — Indicationen — für die einzuschlagende Behandlung sind hier rein rationell; haben wir nun zugleich auch die Mittel, den Krankheitszuständen entgegen zu treten, so ist dies ein ratio­nelles Fundament für die Heillehre. Bei chirurgischen Fällen können wir meist so verfahren, bei internen Krankheiten aber selten, weil es uns einmal an hinlänglicher Kenntniss von den Krankheitszuständen und deren Beziehungen fehlt, und wir an-derntheils auch oft die Mittel nicht kennen, mit welchen den erkannten elementaren Krankheitsprocessen entgegenzutreten ist. Diese Unvollkommenheit der allgemeinen Pathologie und der Arzneimittellehre wird bei fortschreitender Wissenschaft gerin­ger werden, aber wahrscheinlich nie ganz verschwinden, denn wir können mit unseren Sinnen den Naturprocessen nur bis zu einem gewissen Punkte folgen; eine exacte, rein rationelle all­gemeine Therapie muss daher als ein unerreichbares Ideal be­trachtet werden. Diese Unvollkommenheit erheischt nothwendig ein zweites, empirisches Fundament für die allgemeine Therapie, vermöge dessen sie uns allgemeine Regeln und Verfahrungs-arten an die Hand giebt, die sie aus der Erfahrung entlehnt und unter allgemeine Gesichtspunkte gebracht hat. Der Prak-
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Einleitung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3
tiker hat das Recht, die empirisch gewonnenen Resultate neben denen, auf rationellen Wegen gefundenen ebenbürtig hinzustel­len; die allgemeine Therepie ist daher auch verpflichtet, eine Zwitterdoctrin zu sein, dem Rationalismus wie der Empirie zu­gleich die gebührende Rechnung zu tragen, sich aus beiden zu einem brauchbaren Ganzen zu construiren. Der Grund Cha­rakter der so gebildeten allgemeinen Therapie ist, dass sie immer nach Motiven handelt, und wenn diese Motive auch den unerklärlichen Thatsachen entnommen sind, so bleibt sie doch immer „rationell'' im weiteren Sinne.
Bisher ist die allgemeine Therapie mehr als ein Anhängsel betrachtet und gar zu sehr vernachlässigt worden; um keine Doctrin in der veterinair-medicinischen Literatur sieht es so dürftig aus, als um die allgemeine Therapie. So war es bei dem ersten Erscheinen dieses Werkes, und ähnlich ist es auch jetzt noch. Die Gründe für die erste Bearbeitung bestehen noch in demselben Umfange für diese weitere Bearbeitung. Die Auf­gaben, die ich mir dabei gestellt und nach denen ich gearbei­tet habe, sind: den rechten Weg zwischen unfrucht­barer Speculation und roher Empirie zu zeigen, das Mannigfaltige unter einfache Gesichtspunkte zu brin­gen, die Wirkungen der Mittel und Methoden auf allgemeine Gesetze zurückzuführen, Einheit und Zu­sammenhang in die specielle Behandlung zu brin­gen, das Besondere im Allgemeinen anschaulich zu machen, Anleitung zum bewusstvollen Handeln und praktischen Takte, dem praktischen Thierarzte einen rationellen Führer an die Hand zu geben, der ihm auch in den verzweifelten Fällen rathend zur Seite steht und ihn mindestens vor Missgriffen schützt, wo ein concreter Fall fremdartig erscheint und nicht unter die bekannten Krankheitsformen des nosolo-gischen Systems unterzubringen ist. Wie weit es mir gelungen ist, diese Aufgaben zu lösen, davon mag das Werk zeugen; mir bleibt jedoch das Bewusstsein, mit allen Kräften nach diesen Zielpunkten gestrebt zu haben.
Schon in den alltäglichen Lebensverhältnissen ist es noting, aus bestimmten Gründen zu bestimmten Zwecken mit vollem Bewusstsein zu handeln, wenn anders das ganze Leben ein ge­ordnetes, dem vernünftigen Wesen geziemendes sein soll. In
1*
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4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Einleitung.
der Ausübung der Thierheilkunde darf es nicht anders sein, und wer von den Therapeuten diese allgemeine Lebensregel in seiner Kunst nicht adoptirt, dessen Schicksal ist, dass er, als eingeschulter Theoretiker die Praxis betretend, sich anfangs vor allen Theorien und systematischen Krankheitsnamen nicht zu­recht zu finden weiss, später in den sogenannten praktischen Schlendrian verfällt, schliesslich an gedankenloser Routine zu Grunde geht und so auf eine Stufe gelangt, die den Uebergang zum Pfuschen bildet, und auf der er im glücklichsten Falle, wenn es ihm gelungen ist, sich mit einer gewissen Leichtigkeit in dem Flachen zu bewegen, ein Blender ist.
Vor einem solchen Lebenslaufe in der Praxis soll die all­gemeine Therapie den Thierarzt schützen; damit hat sie aber noch nicht ihre ganze Pflicht erfüllt, sie muss noch weiter grei­fen und den Arzt in allen seinen gewerblichen und socialen Ver­hältnissen begleiten, ihm überall zur Richtschnur dienen, sie soll den Praktikus bilden, den man gern und mit vollem Ver­trauen zu Rathe zieht, und in welchem Jedermann gezwungen ist, neben der Person auch den Stand zu achten.
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Erster Thcil
der
Allgemeinen Therapie.
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,
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Erster Abschnitt.
Der Thierarzt in socialer und gewerblicher Stellung *).
JNacli den freien, heiteren Studien folgt das ernste, das ver­hängnissvolle Leben. Das tägliche Brod zu verdienen, dem einzelnen Hausthierbesitzer und dem Staate wahrhaft zu nützen, der leidenden Thierwelt zu die­nen, welche der Mensch sich nutzbar gemacht hat, die Wissenschaft zu fördern und den Stand zu heben, das sind die grossen Aufgaben, welche der Thierarzt beim Ein­gange in die Praxis sich zu stellen und die er auf seiner prak­tischen Laufbahn zu lösen hat. Ist Jeder von diesem Streben beseelt, entwickelt Jeder seine ganze Thätigkeit in dieser Rich­tung, handelt der Einzelne im Geiste des Allgemeinen, ist der Einzelne Träger und würdiger Repräsentant des Ganzen, dann gelingt es, dann rauss es gelingen, die Thierheilkunde auf sol­chen Standpunkt der Wissenschaft zu erheben, auf welchem sie den höchst möglichsten Nutzen dem Staate leistet und durch gerechte Anerkennung auch ihren Vertretern die gebührende sociale Stellung verschafft.
Ausgerüstet mit theoretischen Kenntnissen tritt der ange­hende Jünger der Thierheilkunde in das praktische Gebiet sei­nes. Wirkungskreises, seines Lebensberufes, auf welchem er das theoretisch Aufgenommene und Gesammelte praktisch verwer-
*) Vetcrinärmedicinischc Propädeutik und Hodegetik von Kreutzer, 1840. Immer noch cmpfehlenswerth.
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8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Der Thierarzt
then, das Studium der Natur beginnen muss, wo er die graue Theorie zwar nicht verlassen, aber doch zugleich und haupt­sächlich den grünen Lebensbaum hegen und pflegen soll. Mit diesem Schritte zur Selbstständigkeit aber betritt der Thierarzt einen Pfad, einen dornenvollen Pfad, auf dem es viele Gefahren zu bestehen, viele Irrwege zu vermeiden, viele Mühseligkeiten zu ertragen giebt, auf dem es selbst dem erfahrenen Praktiker, unendlich mehr aber dem Anfänger schwer fallt, stets sicheren Fusses zu wandeln, und die Lebensaufgaben zu lösen, nämlich die Subsistenz zu sichern und in seinem Berufe ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu sein. Wir wollen des­halb den jungen Thierarzt auf allen seinen Wegen in der Praxis begleiten; der ältere Praktiker, der begriffen hat, dass es sehr gefährlich ist, von altem Ruhme zu zehren, wird auch gern ein­mal mit uns einen Umgang durch das praktische Leben des Thierarztes machen.
t
Der Thierarzt in soeialer Beziehung.
Vertrauen als Heilkünstler erwirbt sich der Thierarzt, wenn er theoretisch und praktisch gleich tüchtig ausgebildet ist; um aber auch allgemeine Achtung zu gemessen, ohne die es ja ein trauriges Dasein ist, muss er zugleich auch eine allgemeine conversationelle Bildung besitzen, stets nach mora­lischen Grundsätzen handeln und überall bescheiden, aber ohne Erniedrigung unter seinen Mitmenschen auftreten.
Die allgemeine Bildung ist der Empfehlungsbrief, der uns überall, in alle Klassen der menschlichen Gesellschaft einführt, und ohne welche wir uns vergeblich abmühen, diejenige Stel­lung im socialen Leben einzunehmen, die wir einnehmen müs­sen, um uns und unserem Stande die gebührende Achtung zu verschaffen. Viele Thierärzte der Jetztzeit haben vor ihrem Studium nicht Gelegenheit gehabt, den Grund hierzu zu legen, sie haben auch keine Veranlassung dazu gehabt, denn leider sind bisher von den Bildungs-Anstalten nicht durchgreifend bei allen angehenden Studirenden der Thierheilkunde diejenigen pro-
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in socialer Beziehung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9
pädeutischen Kenntnisse unerlässlich gefordert worden, welche zum Heile der Thierärzte, der Thierheilkunde, zum Heile des Publikums und zum Nutzen des Staates unerlässlich sind. Allen diesen wird es zwar schwer fallen, das Versäumte nachzuholen, aber bei festem Willen, bei unaufhörlichem Bestreben gelingt es doch, sich zu einer allgemeinen socialen Bildung hervorzu­arbeiten. Ein Bestreben, was ein Jeder sich selbst, seinen Col­leger! und seinem Fache schuldig ist. Denn nie wird die Thierheilkunde den ihr gebührenden Rang einnehmen, nie die Achtung geniessen, wenn ihre Vertreter eine einseitige, bloss technische Bildung erkennen lassen.
Mehr noch als eine mangelhafte allgemeine Bildung, ist ein unmoralischer Lebenswandel gegen das Emporkommen der Thierärzte in dem socialen Leben. Das Gewissen, welches stets in Religiosität, in Gottesfurcht wurzelt, welches die höchste Errungenschaft des Geistes ist, der sich über das Gute, Edle und Rechte aufgeklärt hat, ein solches Gewissen ist das Fun­dament der Moral, die alle unsere Handlungen nach bestimmten Grundsätzen leiten muss. Nicht Moral will ich predigen, kei­nen Moral-Katechismus will ich schreiben, denn Jeder selbst ist ja zur Aufklärung über das Gute und Schlechte gelangt, aber hindeuten will ich darauf, dass kein Stand mehr Ursache hat, auch in dieser Beziehung die strengsten Anforderungen an sich zu machen, als der thierärztliche, weil er Vorurtheile bekäm­pfen soll, und die moralischen Grundgesetze kaum irgendwo mehr Anfeindungen haben, als in dem thierärztlichen Fache. Vor allen Dingen hat sich der Thierarzt gegen Partheilichkeit und Bestechungen zu rüsten, zwei Feinde, die jeden Thierarzt in seiner Praxis unaufhörlich verfolgen; er sei daher streng gegen sich selbst, aufrichtig, wahrhaftig und zuverlässig gegen seine Mitmenschen unter allen Umständen und in allen Verhält­nissen, selbst mit Aufopferung gewisser Vortheile, die stets nur augenblicklich sind, die sich doppelt und dreifach wieder aus­gleichen. Verbindet der Thierarzt hiermit noch ein bescheide­nes aber doch determinirtes Auftreten, so kann die Anerken­nung nicht fehlen.
Dies die allgemeinsten Grundzüge für die socialen Lebens­verhältnisse, Grundzüge, die wir alle ganz zu den unsrigen machen müssen, und um so mehr, als wir die schwierigen Auf­gaben zu lösen haben: 1) uns eine persönliche socialenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; '
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10nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
Stellung zu erwerben, die uns unser Stand zur Zeit noch nicht sichert, sondern vielmehr erschwert, und 2) unsern Stand zu heben und ein Vorurtheil zu be­kämpfen, das wie ein Alp auf unserem Fache lastet.
Eine persönliche Stellung muss sich jeder Thierarzt, der in das praktische Leben hinaustritt, erst erwerben, er muss es erst zeigen, dass er, trotzdem er Thierarzt ist, dennoch ein gebildeter und achtbarer Mann ist. Dem Gebildeten und Gesitteten gelingt es allerdings überall, sich eine sociale Stellung und Achtung zu erwerben, aber die gebührende Wür­digung ist immer nur an die persönliche Bekanntschaft geknüpft und auf seinen Wirkungskreis beschränkt; überall, wo er als fremde Person auftritt, da wird er immer wieder als Thierarzt betrachtet, wenn er anders nicht seinen Stand verleugnen will. Eine traurige Thatsache, die nicht geeignet ist, den Eifer für das Fach rege zu erhalten, welche die grossen Mühseligkeiten und mannigfaltigen Unannehmlichkeiten der thierärztlichen Pra­xis um so bitterer fühlen lässt und ihren lähmenden Einfluss nicht verfehlt, ja die nicht selten die Veranlassung zum mora­lischen Untergange ist. Eigennutz ist die Triebfeder aller Hand­lungen, leugnen wir dies nicht, es ist ein von der Natur ein­gesetzter Trieb, ein Naturgesetz; auf der einen Seite sind mate­rielle Vortheile, auf der anderen Rang, Stand, Anerkennung und Ehre. Materielle Vortheile sind dem Thierarzte für sein mühe­volles Wirken im Ganzen nur spärlich zugemessen, sie allein reichen nicht hin, diejenige rege Thätigkeit in seinem Geschäfts­betriebe zu erhalten, die zum Nutzen des Einzelnen und des Staates nothwendig ist. Wie soll sich bei mangelnder Anerken­nung und bei Geringschätzung des Standes der Thierarzt wohl fühlen, woher soll das wissenschaftliche Streben kommen? Eine Wissenschaft, die nicht ihr gebührendes An­sehen gewinnt, findet in sich selbst weder Trieb noch Freudigkeit zur Arbeit und zum Fortschritte.
Die Geringschätzung des Standes wurzelt zum Theil in längst vergangenen Zeiten und beruht auf einem Vorurtheile, andererseits aber ist sie begründet in Uebelständen, die sich leider bis zur Jetztzeit erhalten haben. Menschen, die für un­ehrlich galten, die alles entehrten, was sie berührten *), waren
*) Erst zu Anfange dieses Jahrhunderts wurde durch eine Eabinets-
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in socialer Beziehune:.
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die ersten Thierärzte, später beschäftigten sich noch andere, zwar nicht entehrte, aber oft noch viel rohere und ungesittetere Gesellen mit der Thierheilkunde; noch in dem vorigen Jahr­hundert waren die sogenannten Viehdoctoren mit wenigen Aus­nahmen eine Eotte Menschen, die sich durch Rohheit und Trink­sucht auszeichneten. Dieses Stadium der Rohheit in der Thier­heilkunde liegt noch nicht weit hinter uns, deshalb ist es sehr natürlich, dass sein Einfluss noch nicht ganz verwischt ist. Dass dieser Einfluss aber nicbt von Dauer ist und gänzlich auf­hören wird, davon haben wir in der Menschenheilkunde ein sprechendes Beispiel, denn der Stand der Aerzte war im Alter-thum auch mit Schmach belastet. Bei den Juden und Aegyp-tern waren die Aerzte durch den Umgang mit Kranken und Todten verunreinigt. Starb unter der Regierung Gottfrieds von Bouillon einem Arzte zu Jerusalem ein kranker Sclave, so musste er denselben bezahlen, und verlor er einen freien Kranken, so führte man ihn, mit einem Uringlase in der Hand, aus der Stadt und knüpfte ihn ohne Weiteres auf. Zu Anfange des ISten Jahrhunderts konnte noch ein Scharfrichter (Koblenz) Hof- und Leibarzt werden; im ganzen vorigen Jahrhundert waren die Aerzte noch oft der Gegenstand von beissenden Satyren. Diese Beispiele aus der Geschichte der Medicin mögen die Thierärzte aufmuntern zu einem unermüdeten geraeinsamen Wirken, die noch bestehenden Vorurtheile zu bekämpfen. Leider aber muss man es eingestehen, dass die Geringachtung des thierärztlichen Standes nicht allein auf einem althergebrachten Vorurtheile beruht, sie ist auch in wirklich vorhandenen Unvollkommenheiten noch recht tief begründet. Noch heute finden wir Collcgen, von denen wir alle wünschen möchten, dass sie sich nicht zu unse­ren Kunstgenossen zählten. Gestehen wir es uns offen, dass wir noch manche ungesittete Elemente unter uns haben, welche nur geeignet sind, die Geringschätzung des Standes fort zu er­halten. Wir haben im Allgemeinen viel weniger Ursache, uns über Ungerechtigkeit, die unserem Stande widerfährt, als über einen grossen Theil unserer Collegen selbst lind über die An­stalten zu beklagen, aus denen sie hervorgegangen sind. Auf die Bildungs-Anstalten fällt — hier mehr, dort weniger — der
ordre vom 4. Docember 1810 den Freiknechteu die Waffenehre, und durcli die Kabinctsordrc vom 21. October 1827 die bürgerlichen Ehrenrechte ver­liehen.
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Vorwurf, dass sie in manchen Beziehungen noch nicht den Standpunkt verlassen haben, welcher früheren, längst hinter uns liegenden Entwickclungsstufen des Faches angemessen war. So lange Thierarzneischulen noch verschiedene Klassen von Thierärzten ausbilden, so lange sie noch schulwissenschaftlich reife und unreife, gebildete, halbgebildete und ungebildete junge Leute als Zöglinge aufnehmen, so lange sie deshalb auch immer noch Thierärzte in die Welt schicken, die zum Theil nicht recht reif für ihr Fach und für diejenige sociale Stellung sind, die sie nothwendig einnehmen müssen, wenn der Stand eben nicht her­untergezogen werden soll unter die ihm zustehende Würde, so lange wird die Thierheilkunde auch nicht den erwähnten Auf­schwung nehmen, sie wird so lange lähmend auf das rüstige Streben der wackern Vertreter zurückwirken, denen es doppelte Anstrengungen kostet, auch unter diesen ungünstigen Verhält­nissen frisch und mathig zu wirken und zu schaffen.
Wenn jeder einzelne Thierarzt sich eine angemessene Stel­lung und Achtung im socialen Leben zu verschaffen weiss, dann und nur dann findet auch der Stand die gebührende Anerken­nung, und deshalb hat jeder Einzelne die Pflicht, danach zu streben.
Die zeitgemässon Beschlüsse des dritten internationalen Congresses zu Zürich über das thierärztliehe Unterrichtswesen lauten also:
1) Zum Studium der Thiorarznciwisscnsehal't bedarf es keiner gerin­geren Vorbildung als zu demjenigen der Medicia. Es ist deshalb dahin zu streben, dass zum Eintritt in die tliierärztlichcn Bildungsanstalten Univer-sitätsreifc gefordert werde.
Da dieses Ziel der Zeit aus vielen Gründen noch nicht erreichbar ist, so wird als Mmimum der Vorbildimg, das alle Thierarzneischulen fordern sollten, festgestellt: die Summe der Kenntnisse der vorletzten Klasse der Grymnasien, welche die üniversitätsreife bedingen. Personen, die ein Gymnasium nicht besucht haben, müssen sich über eine entsprechende Bil­dung ausweisen.
#9632;2) Zur Ausbildung eines Thierarztes ist mindestens ciji dreijähriges Studium nothwendig.
Die Patentirung verschiedener Abstufungen von Thierärzten nach dem Grade ihrer Ausbildung ist verwerflich.
3) Die Thierarzneischulen können selbstständige Anstalten sein oder mit Universitäten und andern höheren Lehranstalten verbunden werden, jedoch soll die Vcterinärmedicin sclbstständig gelehrt werden. Die Ein­richtung an einzelnen Universitäten, wo ein Lehrer der Thierheilkunde diese Wissenschaft lehrt und Thierärzte ausbildet, ist verwerflich, weil absolut ungenügend.
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in seinem Wirkungskreise.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 13
4) Nur bei einer zweckmässigen Organisation des Veterir.änvesens wird eine derartige nothwendige Organisation der Thierarzueisehuleu streng gefordert werden können.
Der Thicrarzt in seinem Wirkungskreise.
Die Thierheilkunde wird als ein Brodstudium ergriffen; Zeit, Fleiss und Geld bilden zusammen ein Kapital, wodurch sich der Studirende ein Gut erwirbt, das ihn ernähren soll; eine möglichst einträgliche Praxis erwerben und erhal­ten, ist daher auch das natürliche Bestreben des Thierarztes. Man bewahre sich hierbei jedoch vor unlautern Mitteln; durch Fleiss und Tüchtigkeit verdiene man sein Brod. Dieses Bestreben darf aber nicht das einzige sein; ein höheres Inter­esse dem Fache abzugewinnen, seine Wissenschaft möglichst nutzbar zu machen, sich auf der Höhe der Wissenschaft zu erhalten und diese selbst zu fördern, das muss sich mit den materiellen Interessen verbinden; da­durch allein wird die anstrengende und von mancherlei Unan­nehmlichkeiten begleitete Praxis erleichtert und mehr als ein mühsames Vergnügen, denn eine drückende Last empfunden. AVohl dem, der nach des Tages Mühseligkeiten nicht bloss den Erwerb berechnet, dem es auch Freude macht, ein Thier geret­tet, einen armen Besitzer beglückt und die Natur in ihrer wun­derbaren Mannigfaltigkeit bei Krankheiten beobachtet zu haben.
Die Grundbedingung zur erfolgreichen Praxis in dem ange­deuteten weiteren Umfange wollen wir kurz hervorheben:
Orientirung im unmittelbaren Wirkungskreise.
In Sitten und Gebräuche muss sich der Thierarzt hineinleben, um nicht auffällig zu erscheinen und sich selbst wohl zu fühlen in der engeren und weiteren Umgebung, um zu lernen und zu belehren. Den Einfluss der Gebräuche auf den Gesundheitszustand der Thiere muss er zu ermitteln und Uebel-stände auf dem Wege der Belehrung abzustellen suchen, letzte­res ist meist eine schwere Aufgabe und erfordert immer eine
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gewisse Lebensklugheit. Wo nachtheilige Folgen von den üblen Gebräuchen sich herausstellen, da ist die beste Gelegenheit, auf überzeugende Weise eines Bessern zu belehren; an den intelli­genteren Theil des Publikums muss er sich zunächst und vor­zugsweise wenden, weil dieser am zugänglichsten ist, und ist erst ein Theil gewonnen, dann wirkt das Beispiel mehr, als alle Belehrung auf den übrigen Theil ein. Auf die Behandlung selbst üben Gebräuche und Gewohnheiten ihren Einfluss, der Kurplan muss immer darnach eingerichtet werden.
Die klimatischen, topographischen, geognosti-schen und landwirthschaftlichen Verhältnisse muss der Thierarzt in seinem Wirkungskreise und noch darüber hinaus gründlich studiren. Er muss:
1)nbsp; die Beschaffenheit des Bodens, sowohl der Ackerkrume wie des Untergrundes auf den verschiedenen Feldmarken, das physikalische Verhalten desselben in den verschiedenen Jahres­zeiten, bei anhaltender Nässe und Trockenheit beachten, sein Augenmerk auf die Saatfelder, auf Wiesen und Weiden, über­haupt auf die ganze Vegetation richten und sehen, unter wel­chen Umständen, bei welcher vorherrschenden Witterungscon-stitution ein allgemeines Gedeihen, unter welchen Umständen Misswachs und andere Calamitäten eintreten;
2)nbsp; den Culturzustand der Aecker, die Lage der Wiesen und Weiden, das Verhältniss derselben zum Ackerbau berücksichti­gen, sich mit den angebauten Futterstoffen und der gesammten Flora vertraut machen;
3)nbsp; den landwirthschaftlichen Betrieb, die Fruchtfolge, den Futterbau, kurz die ganze Landwirthschaft auf den verschiede­nen Feldmarken der kleinen bäuerlichen Besitzungen wie der grösseren Güter kennen lernen, und endlich
4)nbsp; sich überall, wo ihn die Praxis hinführt, mit der soge­nannten innern Wirthschaft, hauptsächlich mit der Viehzucht, mit der Fütterung, Pflege, Stallung, Nutzung etc. vertraut machen.
Alle diese berührten Verhältnisse haben Einfluss auf die Hausthiere, Einfluss auf deren Entwickelung, deren Gesund­heit und Krankheit. Die Entwickelung, die normalmässige Bildung der einzelnen Organe und des Gesammtorganismüs geschieht nach einer bestimmten Gesetzmässigkeit, dem Bil­dungstypus, der innerhalb der Grenzen der Gattungseigen-thümlichkeiten unabänderlich ist — ein Rind bleibt überall
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ein Eind, und wo die Bedingungen für seine Eindernatur nicht gegeben sind, da geht es unter —, aber ausseriialb der Gat­tungscharaktere giebt es noch Verschiedenheiten der Forma­tionen in dem Organismus, #9632;welche die verschiedenen Eacen, Arten und Schläge darstellen und denen eine bestimmte Gesetz-mässigkeit, ein bestimmter Typus — Eace-Typus — zum Grunde liegt. Dieser Eace-Typus nun steht unter dem Einflüsse aller der erwähnten Verhältnisse, die so lange modificirend auf die Thiere einwirken, bis der Bildungstypus den Einflüssen entspre-cbend ist, und weitere Veränderungen in späteren Generationen nicht mehr eintreten. Diesen, von den äusseren Verhältrissen einer Gegend abhängigen Typus demonstriren uns in den Haupt­grandzügen mindestens diejenigen Individuen, die ursprünglich oder doch durch eine lange Eeihe von Generationen schon ein­heimisch, die constant und conform geworden sind. Eingeführte Eacen, die den localen Verhältnissen nicht direct entgegenstehen, gedeihen noch und können durch Kunst — entsprechendes Fut­ter und angemessene Pflege — ziemlich unverändert erhalten werden; Eacen aber, denen die Localverhältnisse schroff gegen­überstehen, können niemals conform forterhalten werden, so viel sich auch die Kunst dabei betheiligen mag. Es giebt Gegen­den, selbst einzelne Orte, wo z. B. eine hochfeine Schäferei bei aller Kunst nicht constant forterhalten werden kann, wo sie stets ausartet; denkt man sich die Verhältnisse noch schroffer, so bleibt es nicht beim Ausarten, es kommt dann auch zum Untergange.
Die Einflüsse auf die Entwickelung wirken demnach noth-wendig auch auf die Gesundheit ein. Thiere, die nach dem Bildungsgesetze geformt sind, welches das Endresultat der ge-sammten äusseren Verhältnisse einer gegebenen Gegend ist — die vollkommen einheimischen Thiere —, leben das gesündeste Leben, und von dieser relativ vollkommensten Gesundheit bis zur Unfähigkeit, in gedeihlicher Weise fortzubestehen, giebt es tinendliche Abstufungen, die alle verschiedene Grade von Krankheitsanlagen in einer bestimmten Gegend dar­stellen. In den erwähnten Einflüssen sind deshalb die Be­dingungen zur Gesundheit, zum häufigen Erkranken überhaupt, wie auch zu einzelnen speciellen Krankheiten gegeben, und dies alles wieder in Bezug auf die eine oder die andere oder auf alle Thiergattungen. Deshalb sehen wir, dass in einzelnen Gegenden
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Krankheiten überhaupt bei einzelnen oder allen Thiergattungen selten sind, während sie in andern wieder nicht abreissen: des­halb giebt es stationaire, enzootische Krankheiten.
Endlich ist der Einfluss aller localen und landwirthschaft-lichen Verhältnisse in ihrer Gesammtheit auf die Krankhei­ten selbst mehr oder weniger erheblich. Nach derselben Gesetzmässigkeit, wie auf das gesunde Leben, wirken die Ein­flüsse auch auf das kranke ein und bedingen so eine gewisse Constanz, einen bestimmten Typus in den vorkommenden Krank­keiten, es ist dies der Genius enzooticus, der constant vorhanden, oder zu bestimmten Jahreszeiten regelmässig oder nur bedin­gungsweise mehr oder weniger hervortritt. Auffällig treten alle diese Verhältnisse hervor, wenn man Vergleichungen zwischen zwei, klimatisch und local ganz verschiedenartige Gegenden an­stellt; der geübte und genaue Beobachter findet aber selbst schon in einzelnen Orten, ja sogar in einzelnen grossen Wirthsciiaften die Wirkungen von den gegebenen Verhältnissen auf die Thier-welt in ihren gesunden und kranken Tagen heraus.
Das Vertrautsein mit allen den gegebenen äusseren Ver­hältnissen und deren Einfluss auf die Thierwelt erleichtert die Ermittelung der Ursachen, führt zur richtigen Erkennung und Beurtheilung der Krankheit, und ist somit eine Hauptbasis für die Vorbauung und Behandlung, so dass der Thierarzt, der in seinem Wirkungskreise ganz zu Hause ist, d. b. der mit allem bekannt ist, was wir als ein Erforderniss hingestellt haben, nicht allein im Stande ist, die heilsamsten Mittel und Methoden in Anwendung zu bringen, sondern auch die ökonomisch aus­führbaren Anordnungen zu treffen, und das ist eben die Cardi­nalaufgabe für jeden Thierarzt, dass er mit dem möglichst Zweckmässigsten für die Krankheit auch das Aus­führbarste für den Besitzer zu finden weiss.
Der Thierarzt kann und muss sich mit allen den erwähn­ten Dingen auf seinen Reisen und in den Wirtbschaften durch Anschauung und Unterhaltung nach und nach vertraut machen. Es ist angenehm, wenn man täglich von früh bis Abend unter­wegs ist und sich über abstracto Dinge satt und müde gedacht hat, wenn man mitunter ganz gedankenlos dasitzt und von Lan­geweile geplagt wird, wenn da der Geist etwas Materielles zu seiner Unterhaltung findet, wenn uns die Korn- und Futter-Fel­der, die Wiesen und Weiden, die Flora an dem Wege und
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überall beschäftigen. Diese Beschäftigung bekommt eine erstaun­liche Anziehungskraft, wenn man bei Vergleicbung mit den BeobachtuEgen an kranken Thieren, durch Induction zu einem Resultate kommt, wenn man für so gewonnene Resultate immer wieder neue Beweise auf seinen Wegen und Stegen findet.
Die laadwirthschaftlichen Vereine, die der Thierarzt immer besuchen muss, wenn sie ihm nicht gar zu entlegen sind, bieten gleichfalls Gelegenheit dar, mit den wissenswerthen Ver­hältnissen seines Wirkungskreises vertrauter zu werden. Diese jetzt so vielfach constituirten Vereine geben dem Thierarate zu­gleich Gelegenheit, persönliche Bekanntschaften zu machen, die hier und dort eingeschlichenen oder althergebrachten Missbräuche in Beziehung auf Zucht und Pflege der Uausthiere etc. zur #9658;Sprache zu bi'ingen, Vorurtheile zu bekämpfen, die zuweilen in den Besprechungen und Vorträgen auftauchen, die schiefen Ur-theile und die sogenannten falschen Erfahrungen, welche mit­unter in den Debatten zur Geltung gebracht werden, durch so­fortige gründliche Widerlegung zu beseitigen. Kurz es bietet sich recht oft Gelegenheit dar, zu lernen und auf dem Wege, der Belehrung nützlich zu werden, den Landwirthen, sich und seinem Fache Aufklärung und Anerkennung zu verschaffen. Wohl aber hüte man sich, allzu redselig zu sein und nament­lich über Dinge mitzusprechen, über die Andere eine gründ­lichere Erfahrung haben; ein Schwätzer verscherzt sich stets das Vertrauen und die Gelegenheit nützlich zu werden, weil das Gute und Wahre, was neben vielen faden Sachen zu Tage kommt, mit diesen zugleich fruchtlos verhallt.
Literarische Studien,
Die Thierheilkunde ist im ewigen Werden, wie die Medi-cin überhaupt, was heute als richtig angenommen wird, erscheint vielleicht in kurzer Zeit schon als irrthümlich, die einzelnen Grundwahrheiten und Thatsachcn mehren sieh, die wissenschaft­lichen Grundsätze und Ansichten ändern sich, neue Theorien werden aufgestellt, um alte und veraltete zu stürzen. W'er dieser ewigen wissenädiaftlichen Metamorphose fern bleibt, wessen Geist hierdurch nicht immer zu neuer Thätigkeit angeregt wird, wer hierdurch nicht stets erfrischt und ermuthigt wird
Geilacli Aug. Therapie. 2 Ann.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2
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zur Thätigkeit für das Fach, der wird auf seinem Standpunkte sehr bald veralten, verkümmern, und sich im Gefühle der Ohn­macht der Passivität hingeben.
Sich aber auf der Höhe der immer fortschreitenden Wissen­schaft zu erhalten, ist unerlässliche Pflicht eines Jeden, der ein würdiger Vertreter seines Faches sein und den gerechten Anforderungen entsprechen will, und dies müssen wir alle wol­len. Wem die Errungenschaften durch unaufhörliche und viel­seitige Forschungen im Gebiete der Thierheilkunde fremd blei­ben, der kann sie auch nicht praktisch verwerthen in seinem Wirkungskreise, und somit erfüllt er seine Pflicht nicht ganz. Wer sich nicht so weit hervorarbeitet, dass er die schwachen Seiten, die Lücken seines Faches klar erkennt, und mit allen bewährten Theorien und Erfahrungen vertraut ist, dem wird nicht selten etwas Bekanntes als neu und wichtig, und manches noch nicht genau Bekannte als etwas Gewöhnliches, Unwich­tiges erscheinen; manche Gelegenheit zur Förderung der guten Sache wird er vorübergehen lassen, er ist mit einem Worte nicht befähigt, an dem grossen Ausbau unserer Wissenschaft * mitzuarbeiten.
Gute thierärztliche selbst medicinische Werke studiren und Zeitschriften zu lesen ist unerlässlich; leider wird dies vielfach vernachlässigt und dann gewöhnlich damit entschuldigt, dass bei der Praxis keine Zeit dazu übrig bleibe. Ich kann hierin nur eine armselige Vertheidigung gegen sein eigenes Gewissen finden; ich weiss aus eigener Erfahrung, dass auch bei der frequentesten und mühseligsten Praxis immer noch Zeit gegeben ist für wissenschaftliche Fortbildung und um wenig­stens in den praktischen Fächern Schritt zu halten mit der Fortentwickelung des Faches.
Der Handwerker ohne Handwerkszeug ist ein Stümper und der Thierarzt ohne eine kleine Bibliothek wird bald hinabsin­ken zum stümperhaften Handwerker. Bei den Novitäten in der Literatur hat sich der praktische Thierarzt vor zwei entgegen­gesetzten Fehlern zu hüten: 1) er rauss nicht zu leichtfertig alles ohne Prüfung für baare Münze nehmen, alles hier und da Empfohlene ohne Weiteres auf Treu und Glauben in Anwen­dung bringen — vor Neuerungssucht muss er sich hüten —, das Neue, sollte es auch in dem Wahren seine Quelle haben, erregt billig unser Misstrauen; denn alles Neue vermischt sich
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zu leicht mit dem Einseitigen und Irrthümlichen, aus welchem der menschliche Geist, vielfachen Verwirrungen hingegeben, erst nach und nach die richtigen Beziehungen findet; 2) anderer­seits darf er aber auch nicht in das entgegengesetzte Extrem verfallen und alles mit Vorurtheil aufnehmen, a priori verwer­fen und den Stab darüber brechen, weil es eben unserer bis­herigen Ansicht entgegen ist — also nicht an dem Alten kleben und zu egoistisch an dem Seinigen hangen. Man prüfe Alles nnd behalte das Beste, so nämlich handelt der vernünftige Eklektiker. Es ist schwer, hier immer den rechten Weg zu gehen. Man lese und studire den Gegenstand zunächst ganz unbefangen, ohne Vorurtheil, ohne Vorliebe, und erwarte den Eindruck, welchen das Ganze macht, dann prüfe man die Gründe, die Beweise einzeln, versuche sie zu widerlegen und stelle darauf Vergleichungen mit dem Selbstgesehenen und Selbst­beobachteten an. So bekommen wir ein ziemlich zuverlässiges Urtheil, welches uns wenigstens sicher vor den oben erwähnten Fehlern schützt, dem Guten und Wahren Eingang verschafft und das Unbrauchbare ausmerzt. Besonders aber hasche man nicht nach neuen Heilmitteln und Kurmethoden, um sie sofort auf guten Glauben anzuwenden, und um sie bei nächster Gele­genheit durch abermals neue Mittel wieder verdrängen zu lassen; bewährte alte Heilmittel und Methoden halte man fest und gebe sie nicht leichtsinnig auf, um etwas Neues, Modernes anzuwen­den, von dem wir weiter nichts wissen, als dass es eben ganz neu ist. Empfohlene Kurmethoden, Mittel und Operationen müssen allerdings auch in Anwendung gebracht werden, aber zunächst nur versuchsweise bei passender Gelegenheit, mit Um­sicht, vorurtheilsfrei und ohne Vorliebe.
Naturstudien.
Der junge Arzt kann und muss bei jedem Patienten ler­nen, jeder einzelne Fall kann und muss ihn einen Schritt wei­ter führen auf dem geweihten Felde der Praxis. Das ihm vor­schwebende theoretische Krankheitsbild muss er mit dem in Natura vorhandenen, lebendigen vergleichen, die Verschieden­heit und die individuelle Mannigfaltigkeit in den einzelnen vor­kommenden Fällen von derselben Grundform lebendig auffassen um so nach und nach das künstliche System abzustreifen, in
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welches die Pathologie und der angehende Therapeut mit hin­eingezwängt ist, um die Krankheiten zu nehmen wie sie sind, sie in ihrer Individualität aufzufassen, zu beurtheilen und zu behandeln, und so die natürlichen Unvollkommenheiten der spe-ciellen Pathologie durch praktische Anschauung nnch und nach zu ersetzen. Auf diesem Wege wird der angehende Praktiker bald dahin kommen, auch diejenigen Fälle richtig zu würdigen, die er unter keinen recht passenden Namen in dem nosologi-schcn Systeme unterzubringen weiss; auch in solchen die lieil-indicationen herauszufinden und über die Mittel und Wege der Behandlung nicht in Verlegenheit zu kommen, das ist der Be­weis von praktischer Ausbildung und von praktischem Tacte, wonach Jeder streben mass; nur Stümper kuriren die Krank­heiten nach ihrem Namen.
Nicht selten klagen die angehenden Thierärzte in ungerech­ter Weise über ihre theoretische Ausbildung und wohl gar über die Lehrer der praktischen Fächer, weil sie es eben in der Praxis ganz anders gefunden haben. Dies ist ein unreifes Urtheil, streng genommen hat man es sich nur anders gedacht, man hat dabei vergessen, dass zum klaren Vortrage und in den Lehr­büchern der speciellen Pathologie eine künstliche Systemati-sirung und Abgrenzung nothwendig ist und dass dies abgestreift werden muss, aber erst abgestreift werden kann, wenn man Herr über die einzelnen wesentlichsten Krankheitsformen gewor­den und zu der Einsicht gekommen ist, dass zum vollen Ver-ständniss der Krankheitslehre auch ein Studium an kranken Objecten erforderlich ist. Eine specielle Pathologie lässt sich niemals vollständig geben, eine allgemeine ist deshalb daneben ganz unerlässlich, weil sie eben auf einen generellen Standpunkt führt, von welchem aus wir mit grösserer Freiheit und Sicher­heit uns in der Praxis bewegen und fördernde Beobachtungen anstellen können.
Den grossen Vortheil, umgestandene Thiere fast immer öff­nen zu können, dürfen wir nicht so leichtfertig unbenutzt las­sen; wir müssen jede Gelegenheit zur Obduction wahrnehmen, und dürfen es selbst nicht scheuen, in besonders wichtigen Fäl­len meilenweit darnach zu reisen. Nach einer gründlichen und vollständigen Obduction fasst man den ganzen Befund zusam­men und bringt ihn mit den Krankheitserscheinungen in phy­siologischen Zusammenhang, man führt die einzelnen Krankheits-
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Symptome auf die materiellen Grundveränderungen zurück, so weit sie sinnlich wahrnehmbar sind, ermittelt die wesentlichsten Krankhciissyinptorae, vergleicht das so gewonnene Krankeitsbild mit dem, was man sich vor dem Tode gemacht hatte, und prüft die angewendeten Kurmethoden und Mittel. Die Section bestä­tigt nun oder widerlegt unser Urtheil über die Krankheit; im ersten Falle gewinnen wir an Selbstvertrauen und Sicherheit — und dies ist kein geringer Gewinn —, im letzteren aber ist es Pflicht, den Irrthum zu unserer Belehrung zu benutzen; -wir müssen dann die Umstände aufsuchen, die uns verleitet haben, den Irrthum selbst analysiren, alles das ins Auge fassen, was übersehen worden, um uns gegen künftige ähnliche Irrthümer zu rüsten. Nirgends ist ein Irrthum wohl mehr zu verzeihen, als in der Medicin, aber den begangenen Irrthum nicht zu un­serem Nutzen ausbeuten, ihn nicht als eine Lehre benutzen, das ist unverzeihlich.
Die wichtigeren Krankheitsfälle dürfen nicht dem Gedächt-niss allein anvertraut, sondern müssen in einer möglichst kur­zen Krankheitsgeschichte aufbewahrt werden. Getreu schreibt man das Beobachtete nieder, man giebt kurz die Behandlung mit ihrem Erfolge an und fügt zuletzt eine kurze Epikrise hinzu, in der man seine Ansicht über den Fall ausspricht, motivirt und diejenigen Punkte zusammenstellt, auf welche die Aufmerk­samkeit bei ferner vorkommenden Fällen besonders zu lenken ist. So bildet man sich überhaupt zum gründlichen Beobachter aus, so bereitet man sich für weitere Beobachtungen in wieder vor­kommenden Fällen vor, und eben auf diese Weise schöpft man aus seiner Praxis zur Bereicherung der Wissenschaft und bringt ein geistiges Leben in die mühselige Praxis, das uns immer frisch erhält und Freudigkeit gewährt.
Besprechungen und Berathungen mit den Collegen in der Nachbarschaft und in thierärztlichen Vereinen sind Bedürfniss für Jeden, der von einem Forschei'geiste beseelt ist, und immer zu empfehlen; sie wirken anregend, lenken die Aufmerksam­keit auf Dinge, die bislang nicht beachtet wurden, berichti­gen hier und da die eigenen Anschauungen, läutern die Erfah­rungen, erweitern den Gesichtskreis und fördern die Orienti-rung im Fache überhaupt.
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Collegialisches Benehmen.
Das Interesse des Standes, der Wissenschaft und der Praxis erheischt ein gutes collegialisches Verhältniss; dasselbe muss von allen Seiten um so sorgfältiger gepflegt werden, als es über­haupt sehr zarter Natur ist. Alle haben dasselbe Loos — die Mühseligkeit der Praxis —, denselben Endzweck — die Sub-sistenz zu sichern —, alle müssen daher auch dasselbe edle Bestreben haben, Hand in Hand für Hebung des Standes zu wirken und sich gegenseitig mit Rath und That zu unterstützen: alle müssen sich Toleranz und Gemeinsinn bewahren zur Ver­folgung höherer gemeinschaftlicher Zwecke, Jeder muss es ver­abscheuen, sich durch unlautere Mittel auf Kosten seines benach­barten Collegen Praxis zu verschaffen, lieblos zu urtheilen und Fehler rücksichtslos aufzudecken, die man jeden Augenblick selbst begehen kann. Erniedrigen und verachten wir uns selbst, wie können wir da erwarten, von Anderen geachtet zu werden?
Das Betragen des Jüngeren gegen den Aelteren sei beschei­den, das des letzteren gegen den ersteren sei aber auch ohne Anmassung. Alter und Weisheit sind nicht immer beisammen. Niemand glaube, dass er allein im Besitze der vollen Wahrheit sei; wer so zu denken im Stande ist, der gehört zu den Halb-wissern, die alle Zeit fertig und mit sich selbst zufrieden sind. Wer tiefer in seine Wissenschaft eingedrungen, der ist sich auch seiner Schwäche klarer bewusst und wird stets die Ansicht Anderer achten oder in einer nicht verletzenden Weise wider­legen, wenn gründlichere Erfahrungen entgegenstehen.
Bei bereits von einem Collegen behandelten Patienten muss man sich ohne dringende Indicationen nie eine Aenderung in der Behandlung hinter dem Rücken erlauben, vielmehr stets darauf dringen, dass der behandelnde College mit zugegen ist. Erklärt hingegen der Besitzer, dass er seinen bisherigen Thier­arzt nicht ferner behalten wolle oder könne, so ist kein Grund vorhanden, die selbstständige Behandlung abzulehnen. Unter solchen Umständen haben wir gewöhnlich viel Uebles von un-serm Vorgänger zu hören, der den Patienten vernachlässigt, falsch behandelt und wer weiss, was alles verbrochen haben soll. In solchen Momenten seinen Collegen in Schutz zu neh­men und ihn gegen alle Beschuldigungen möglichst zu verthei-digen, das gebietet die Pflicht, und dadurch bethätigt sich die
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wahrhaft collegialische Gesinnung. Leider aber geschieht dies sehr oft nicht; es geschieht nicht, einmal aus Schwäche, indem man nicht entgegenzutreten wagt oder für gut hält, anderntheils, weil man sich beschränkter Weise in solchen Fällen über sei­nen Collegen zu erheben glaubt, wenn man die Beschuldigungen alle für begründet findet und sich wohl gar noch kopfschüttelnd darüber wundert, dass der Vorgänger so kurzsichtig sein konnte. Und dies alles nur wegen der neuen Eroberung in der Praxis. Noch viel schmutziger ist es aber, wenn solche Gelegenheiten eifrigst benutzt werden, seinen Collegen noch viel mehr zu schmähen, als der Besitzer selbst, ohne zu ahnen, wie er hier­durch den Stand, sich persönlich aber am meisten herabwürdigt. So tief erniedrigen sich aber gewöhnlich nur diejenigen Thier-ärzte, die nicht viel Vertrauen mehr im Publikum gemessen oder noch nie genossen haben und deshalb Gift und Galle über Collegen ausspeien, weil diese mehr beliebt, gesinnungstüchtiger und nicht so unbrauchbar sind, als sie selbst.
Bei Consultationen müssen die Sachverständigen ihre Stel­lungen klar erkennen, gegenseitige Rücksichten nicht aus den Augen verlieren und sich freundlich entgegenkommen. Der Ordinarius muss mit collegialischer Zuvorkommenheit den vor­liegenden Fall vollständig vortragen, den Verlauf der Krankheit bis zum gegenwärtigen Augenblicke verfolgen, auf die ursäch­lichen Momente aufmerksam machen, seine Ansicht und die ein­geschlagene Behandlung offen darlegen und die eingetretenen Arzneiwirkungen mittheilen. Der Consulent verfolgt den Bericht und orientirt sich durch etwa erforderliche Fragen an seinen Collegen vollständig. Auf eine würdige Weise berathen Beide, Jeder giebt die Gründe seiner Ansicht an, ohne eine grös-sere Autorität für sich in Anspruch zu nehmen, Beide müssen bei der Berathung neben einander und nicht über einander stehen wollen. So nur kann eine Einigung stattfinden, wie sie dem thierärztlichen Stande Ehre macht, dem Patienten zum Heile und dem Besitzer zum Vortheile ge­reicht. Findet der Consulent die bisherige Behandlung nicht für richtig, so muss er seinen ordinirenden Collegen auf eine möglichst schonende Weise davon zu überzeugen suchen, und vor allen Dingen einen begangenen Fehler den Besitzer nicht erkennen lassen, im Gegentheil muss der Besitzer von dem Con-sulenten die Ueberzeugung gewinnen, dass sein Patient bisher
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24nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
irr guten Händen gewesen ist. So verfahren redlich denkende Collegen, wahrhafte Ehrenmänner, die des eigenen Wohles und dessen ihres Standes eingedenk sind. Leider aber geben solche Zusammenkünfte nur zu oft Gelegenheit zur persönlichen Anfein­dung und zur Selbsterniedrigung in den Augen des Publikums. Der Ordinarius nimmt nicht selten den Consulenten mit gewis­ser Eifersucht, mit Neid und Scheelsehen schon in Empfang und behandelt ihn kurz, abstossend, bitter und mit einer An-massung, dass es selbst den redlichst denkenden Collegen sehr schwer fällt, auf eine gütliche Weise mit ihm fertig zu werden. Durch um so grössere Bescheidenheit, durch Anerkennung des Geschehenen im Beisein des Besitzers und durch eine eben so leidenschaftslose, als gründliche Widerlegung unter vier Augen entwaffnet man solche Gegner am sichersten. Den etwa noth-wendig erscheinenden Aenderungen in der Behandlung muss unter solchen Umständen oft förmlich verkappt, unter dem Vorwande eines zweckmässig erscheinenden Ver­suchs, Eingang verschafft werden, um den Egoismus des eifer­süchtigen Collegen nicht auf Kosten des Patienten zu kränken. Anderntheils ist aber auch der Consulent mitunter der falschen Ansicht, dass er herbeigerufen worden ist, weil er mehr Ver­trauen geniesst und mehr versteht; er wirft sich deshalb in die Brust, beobachtet ein kränkendes Vornehmthun, worin die gröss-ten Ignoranten wahre Virtuosen sind, schneidet Gesichter wäh­rend des Berichts, die bald Staunen, bald Bedenken ausdrücken, richtet vielleicht ein paar vornehme Fragen an den Bericht­erstatter, hält es nicht weiter der Mühe werth, sich auf eine Deliberation mit seinem Collegen einzulassen, der ihm viel zu unbedeutend erscheint, stellt vielmehr rücksichtslos seine Ansicht als eine abgemachte Sache auf, gegen die Niemand mehr etwas zu erinnern haben kann, und setzt seinem aufgeblähten, dummstolzen Benehmen wohl gar noch dadurch die Krone auf, dass er öffent­lich seinen Collegen mit Vorwürfen überhäuft und sich höchst verwundert zeigt, wie man so habe verfahren können. Solchen Helden gegenüber, die bei jeder vernünftigen Einwendung ge­wöhnlich mit ihrem groben Geschütz, mit ihrer Erfahrung, vor­fahren, wenn sie sich überhaupt noch auf eine Erwiederung einlassen, befindet man sich in einer höchst misslichen Lage. Eine gründliche und leidenschaftslose Widerlegung ist der sicherste Weg, auf dem wir ihnen den Rang ablaufen, denn auf diese
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Weise veranlassen wir sie, ihre Ansichten irgendwie zu moti-viren, und dann ist es ja nicht schwer, solche Gegner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Kann sich der ordinirende Arzt mit dem Consulenten nicht einigen, so muss er ohne Bitterkeit zurücktreten und Letzterem die Behandlung allein überlassen, wenn der Besitzer nicht das Gegentheil wünscht.
Kommt der Thierarzt in die unangenehme Lage, die Hand­lungsweise seines Collegen in technischer Hinsicht zu beurthei-len und zu begutachten, so ist es die strengste Pflicht, densel­ben gegen Anschuldigungen zu vertheidigen, die. nicht begründet sind; es verlangt aber auch die collegialische Billigkeitsrück-sicht, in den schuldigen Fällen alle Dinge zum Besten zu keh­ren, und nicht etwa auch noch einen Stein auf den beschuldig­ten Collegen zu wrerfen, eine gütliche Ausgleichung zu vermit­teln und jeden Process zu verhüten zu suchen. Immer müssen wir eingedenk sein, dass unsere Kunst noch sehr unvollkommen ist und deshalb auch die Kunstjünger nicht vollkommen sein können. Wir alle fehlen, bald mit grober, bald mit geringer Schuld, wir alle können jeder Zeit in die Lage kommen, mit Recht wie mit Unrecht beschuldigt zu werden. So im prakti­schen Leben. Wie in forensischer Beziehung zu verfahren, das ist Gegenstand der gerichtlichen Thierhoilkunde; nur so viel will ich hier noch erwähnen, dass die humanen collegialischen Rücksichten nicht auf Kosten des eigenen Gewissens statthaben dürfen, was auch ein ehrenwerther Thierarzt niemals von seinem Collegen verlangen wird.
Hege Thätigkeit im Geschäftsleben.
Der Thierarzt muss stets bereit sein, den Anforderungen zu genügen, selbst zur unwillkommenen Zeit; auf Bequemlich­keit und Vergnügen muss er verzichten, wo es gilt, eine ßerufs-pflicht zu erfüllen. Die Krankheiten treten bei unsern Haus-thieren nur zu oft plötzlich und sehr heftig auf, nehmen einen sehr acuten Verlauf, so dass oft nur frühzeitige Behandlung Hülfe gewähren kann, und die besorgten Besitzer mit Recht sehnsuchtsvoll die Ankunft des Thierarztes erwarten. Deshalb ist es nöthig, dass der Thierarzt den Aufforderungen möglichst bald genügt, wenn keine dringenden Behinderungen vorhanden sind. Es liegt im Interesse des Thierarztes und ist wünschens-
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26nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
werth für das Publikum, dass er eine gewisse Ordnung in den täglichen Geschäften beobachtet, die dem Publikum bekannt sein muss, dass er mit der Zeit geizt, denn mit der Zeit gehen nicht selten zugleich auch Patienten und Kunden verloren. Wenn der Thierarzt auch nicht überall *) gesetzlich verpflichtet ist, Hülfe überhaupt und unter allen Umständen auch schnelle Hülfe zu gewähren, so ist er es doch stets moralisch; das Object ist zwar kein unschätzbares Gut, wie der Mensch, ist aber doch ein Thier, welches den Schmerz wie der Mensch empfindet, ein Thier, das einen grösseren oder geringeren Werth für den Be­sitzer hat, mitunter sein Vermögen ausmacht, womit er die Familie ernährt. Welcher Thierarzt kann ausserdem aber auch auf eine einträgliche Praxis, auf sichere Existenz rechnen, wenn er ohne triftige Gründe seine Hülfe und schnelle Hülfe in der Noth versagt, wenn seine Bequemlichkeit höher steht, als das Interesse seiner Kunden und seiner Praxis.
Auch die Patienten, welche sich bereits in seiner Behand­lung befinden, muss der Thierarzt so oft besuchen, als der Krankheitszustand und die eingeleitete Behandlung es erfordern, namentlich muss er sich öfter von dem Zustande überzeugen, wenn Mittel angeordnet sind, die heroisch wirken, deren Wir­kung überhaupt nicht unter allen Umständen mit der Wage abzu­messen ist, Mittel, die bis zu einem gewissen Grade sehr wohlthätig, darüber hinaus jedoch auch eben so nachtheilig sind. Ausser­dem aber gebieten ökonomische Verhältnisse und die Klugheit noch mancherlei Rücksichten bei Wiederholung der Kranken­besuche. Ist der Patient von grossem und besonderem Werthe, ist es ein Lieblings thier, ist der Besitzer an sich sehr ängstlich und besorgt, vermuthet man eine nicht pünktliche Abwartung, so sind die Besuche öfter zu wiederholen, als unter entgegen­gesetzten Verhältnissen; bei grossen Entfernungen und bei armen Besitzern, wo bei möglichster Billigkeit doch die Kostspieligkeit durch die Besuche mit in Betracht kommt, da muss man durch geschickte Anordnungen, aber nicht auf Kosten der Patienten die Besuche zu ersparen suchen. Bei der sogenannten Stadt­praxis, d. h. der Praxis im Wohnorte, werden die Besuche häu-
*) In den alten preussisclien Provinzen nach dem M.-R. vom 20. Novem­ber 1825, im Hannoverschen und andern Ländern ist der Thierarzt nicht zur Httlfeleistnng verpflichtet: in Oesterroieh und beiden Hessen darf der autorisirte Thierarzt die Hülfe nicht versagen.
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figer (gewöhnlich täglich) wiederholt, als bei der Landpraxis, weil jene leichter zu bewirken und weniger kostspielig sind. Bei entfernteren Patienten muss man, um die Behandlung sich zu erleichtern und dem Besitzer weniger kostspielig zu machen, schon bei Anordnung der Mittel auf seltenere Besuche Kück-sicht nehmen, und zum theilweisen Ersatz einzelner Besuche sich zu bestimmten Zeiten Nachricht geben lassen, natürlich muss man auf diejenigen Umstände aufmerksam machen, über die man besondere Auskunft erwartet. So kann man ohne Nach­theil für den Patienten einen oder einige Tage zwischen die einzelnen Besuche einschieben. Unter allen Umständen muss man sich vor den beiden Extremen, vor Vernachlässigung und vor allzu häufiger Wiederholung der Besuche hüten, letzteres könnte leicht den Schein der Zudringlichkeit, der Ge­winnsucht oder der Unsicherheit über den Krankheitszustand geben. Der beschäftigte Thierarzt verfällt leicht in den ersten, der wenig beschäftigte, der Anfänger, in den letzten Fehler.
Krankenstall.
Bei der Landpraxis kann ein Krankenstall nicht entbehrt werden. Für Patienten, die in Abwesenheit des Thierarztes kommen, für Patienten, die eine augenblickliche Behandlung erfordern oder die nicht wieder zurückgehen können, und end­lich für solche, welche die Eigenthümer bei dem Thierarzte behandeln lassen wollen, müssen zweckmässig eingerichtete Kran­kenställe bereit sein und wo möglich bei der Wohnung des Thierarztes. Es ist also einestheils eine Notwendigkeit, ande-rentheils aber eine billige Eücksicht auf die entfernteren und weniger begüterten Thierbesitzer, ihnen Gelegenheit zu einer billigeren thierärztlichen Hülfe zu bieten. Es ist angenehm, bequem und zugleich auch ein Beweis von Vertrauen, wenn viele Patienten dem Thierarzte zur Behandlung hingegeben wer­den. Immer aber muss der Thierarzt auch hierbei manche Klugheitsregeln beobachten. Alle diejenigen Patienten, die ohne Nachtheil transportirt werden können, die sehr entfernt sind vom Wohnorte des Thierarztes, so dass die Behandlang bei dem Besitzer sehr viel Zeit und Anstrengung kosten und für den Besitzer kostspielig sein würde, die Patienten armer auswärtiger Besitzer, ferner solche, bei denen die medicinische und diäte-
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28nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
tische Pflege voraussichtlich sehr schlecht und unzuverlässig ist, wie es in sehr grossen Wirthschaften nicht selten vorkommt, und endlich auch diejenigen Patienten, deren Krankheit ein besonderes wissenschaftliches Interesse hat, die wir deshalb in ihrem Verlaufe genauer zu verfolgen wünschen, oder bei denen die Krankheit und die eingeleitete Behandlung öftere Besuche erheischen, als man im Stande ist zu machen, alle diese suche man in seinen Krankenstall heranzuziehen. Nie darf man aber darauf bestehen, man setzt dem Besitzer vielmehr nur die Zweckmässigkeit auseinander, lässt er sieji dadurch nicht be­stimmen, so verziehtet man darauf. Namentlich muss man sich hüten, den Schein zu geben, als ob Bequemlichkeit oder mate­rieller Gewinn die Motive wären. Patienten hingegen, bei denen man schon im Voraus sieht, dass sie verloren gehen werden, oder dass die Krankheit, wenr^ auch nicht tödtlich, so doch in-curabel ist, oder dass sie sich sehr in die Länge zieht, und dass Abmagerung dabei immer mehr hervortritt, solche Patien­ten halte man sich so viel wie möglich fern aus dem Kranken­stalle, diese behandle man bei ihren Besitzern, auf dass man nicht unschuldiger Weise in den Verdacht komme, dass diesel­ben vernachlässigt werden. Der Anfänger muss sich in dieser Beziehung sehr in Acht nehmen, diesem ist es überhaupt sehr zu rathen, nicht eher Patienten zu sieh in den Krankenstall heranzuziehen, als bis er sich einigermaassen Vertrauen erwor­ben hat. Was mit dem kranken Thiere bei dem Besitzer ge­schieht, das wissen diese, was aber bei dem Thierarzte gesche­hen ist, der sich bei ihnen noch nicht bewährt hat, das wissen sie nicht, und wo das Wissen, das Ueberzeugtsein aufhört, da treten Verrauthungen auf, die weite Grenzen haben, die sich nach dem Erfolge, nach dem Scheine bilden und daher bei jedem ungünstigen Erfolge Misstrauen erwecken.
Dass dem Patienten bei dem Thierarzte die pünktlichste Pflege in jeder Beziehung werden muss, versteht sich von selbst; aber man muss auch auf die Umgebungen, auf das Aeussere achten. Ein schlechter Stall und Unordnung in demselben machen auf das Publikum einen sehr widrigen Eindruck; der Bauer, dem sein Pferd alles ist, lässt es lieber bei sich vom Pfuscher behandeln, ehe er es in einem schlechten Stalle bei dem Thierarzte lässt, in dem es liederlich aussieht und auch für den Patienten nicht viel Ordnung zu erwarten ist. Dabei
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ist für einen zuverlässigen und unterrichteten Krankenwärter zu sorsren, denn der Landmann vertraut dem besten Thierarzte kein Pferd an, wenn er weiss, dass sein Wärter nichts taugt, und dies ist ihm keinen Augenblick zu verdenken.
Die Einrichtungen der Krnnkenställe sind nach aligemeinen Regeln der Diätetik herzustellen, ich will mir hier nur einige Bemerkungen erlauben. Ein Stall für Kolikkranke ist das drin-gendste Bedürfniss; derselbe muss geräumig und mit einem weichen Fussboden versehen sein; recht zweckmässig ist, den nicht gepflasterten Fussboden mit Lohe 1 Fuss hoch zu ver­sehen. Die sogenannten Lebmstände für verschlagene oder sonst hufkranke Pferde sind lästig, an ihre Stelle empfehle ich flache hölzerne Kasten mit Zinkblech ausgeschlagen und mit einem zweiten, herausnehmbaren hölzernen Boden auf dem Blechboden und zum Schütze desselben.
Dispensation der Arzneien.
Das Selbstdispensiren ist dem Thierarzte nur zu empfehlen, es bietet grosse Vortheile und ist in der Spital- und Landpraxis kaum zu entbehren. Es sind schon Stimmen gegen das Selbst­dispensiren der Thierarzte laut geworden, deshalb will ich die Gründe für dasselbe kurz hervorheben.
1)nbsp; nbsp;Der Thierarzt bewegt sich in einem verlialtnissmässig kleinen Kreise von Arzneimitteln und auf diesen Kreis kann sein ganzer Vorrath beschränkt bleiben, denn selbst wenn aus­nahmsweise einmal ein weniger gebräuchliches Mittel angewen­det werden soll, so ist ein solches dann immer aus der Apotheke zu beschaffen. Es bleiben deshalb auch keine Mittel unbenutzt auf dem Lager, alle werden verbraucht und erneuert, verlegene Waare kommt bei sonst goregeltem Betriebe in der Handapo­theke des Thierarztes nicht vor.
2)nbsp; nbsp;Die Kur wird nicht so kostspielig, als bei den Verord­nungen aus der Apotheke. Die Apothekertaxe ist bekannt, sie ist nach den kleinen Dosen bei den Menschenquot; und unter Berück­sichtigung des Umstandes bemessen, dass alle Mittel der Lan-des-PhaiTnakopöe vorräthig gehalten werden müssen, während der Umsatz sich auf einen verlialtnissmässig geringen Theil be­schränkt, dass also immer ein gewisses Capital todt daliegt und mit der Zeit verloren geht. Wenn nun auch der Apotheker
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30nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
auf die Arzneien für Thiere einen Rabatt bis 50 Procent und darüber gewährt, so bedingen die grossen Dosen bei den grös-seren Hausthieren doch immer noch zu hohe Summen. Die Apotheken sind und bleiben immer noch zu kostspielige Ein­richtungen für die thierärztliche Praxis. Das Schlimmste aber ist dabei noch, dass der Thierarzt bei den Verordnungen auf Eecepten keine Uebersicht behält und sich nur zu leicht in den theuren Arzneien zu weit versteigt; der hinkende Bote kommt dann immer nach! Bei dem Selbstdispensiren kann und muss man im Falle eines grossen Arzneiverbrauches sowohl die Arz­nei als die Bemühung nach geringeren Sätzen berechnen; man hat es immer in der Hand, die Kostensumme in gemässigten Graden zu halten und die Kunden auch in diesem Punkte zu­frieden zu stellen.
3)nbsp; Der Thierarzt kann seine Bemühungen — Reisen, Unter­suchungen, Operationen — nicht immer, ja nur selten so hoch be­rechnen, als er wohl berechtigt wäre und seine Existenz erheischt, es liegt dies in den Werthverhältnissen der Heilobjecte, er ist des­halb auf einen gewissen Gewinn an den zu verordnenden Arzneien angewiesen. Dieser Verdienst ist mit keinen besonderen Müh­seligkeiten verbunden, deshalb liegt denn auch in dem Selbst­dispensiren eine angemessene Compensation für die nicht voll entschädigten Mühwaltungen. Ueberhaupt erheischt es das Ge­meininteresse, den Thierärzten alle möglichen Erwerbsquellen in ihrer Praxis zu eröffnen, damit sie dichter beisammen ihre Existenz finden.
4)nbsp; nbsp;Beide, Besitzer und Thierarzt, haben demnach einen Gewinn, allerdings auf Kosten des Apothekers, aber die Apo­theken sind nicht auf die Thierheilkunde berechnet, von Haus aus sind sie lediglich auf die Medicamente für Mensshen ange-Aviesen, wie die Taxen genugsam beweisen, sie verlieren also nichts, es ist ihnen in der herangebildeten Thierheilkunde nur kein neuer Gewinn erwachsen, sie haben deshalb auch kei­nen Grund, sich über das Selbstdispensiren der Thierärzte zu beklagen.
5)nbsp; nbsp;Abgesehen von diesen hochwichtigen peeuniären Ver­hältnissen, so ist das Selbstdispensiren auch nothwendig in der thierärztlichen Praxis; bei der Spital- und Landpraxis muss der Thierarzt die Mittel zur Hand haben; Mittel, die er dem Berichte nach für einen gegebenen Fall geeignet findet, und solche für
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sehr acute Fälle überhaupt, muss der Thierarzt bei der Land-praxis mit sich führen; auf grossen Gütern hält er die Mittel für dringende Fälle — Verstopfung, Kolik, Blähsucht, Entziin-gen etc. — vorräthig, von denen er dann auch in Nothfällen Gebrauch machen kann bei den benachbarten kleiner; Besitzern.
Einwendungen gegen das Selbstdispensiren beziehen sich hauptsächlich auf mangelhafte Controle und auf geringere phar-maceutische Kenntnisse und Fertigkeiten der Thierärzte. Die Controle kann man bei Thierärzten eben sowohl führen, als bei den Apothekern; der beamtete Thierarzt kann sehr leicht die thierärztlichen Handapotheken zeitweise inspiciren; ich lege hier­auf aber gar kein Gewicht, auch bei den Apothekern kann sie höchstens die argen Sudeleien verhüten. Bei den Thierärzten giebt es eine viel sicherere Controle, und solche ist der Ruf als praktischer Thierarzt. Das Interesse zu heilen, zu nützen, Ver­trauen zu erwerben, ist der bewährteste Sporn, auch die besten, wirksamsten Mittel zu dispensiren, und das zu können, dazu werden sie auf guten Schulen hinlänglich ausgebildet.
So glaube ich denn, dass es hinlänglich begründet ist, wenn die Regierungen den Thierärzten das Selbstdispensiren überlas­sen, und dass die Thierärzte diesen Vortheil auch benutzen müssen.
Ueber den Betrieb kann ich mich wohl kurz fassen. In Kästchen, Stand-Gläsern und Büchsen mit Signaturen sind die präparirten Arzneien vorräthig und die heroischen Mittel, die Gifte, unter Verschluss zu halten. Die nöthigen Apparate zum Präpariren und Abwägen sind selbstverständlich. Jeder Thier­arzt hat seinen Heilapparat und dieser muss in seiner Hand­apotheke immer complet sein. Die Mittel werden am besten von Droguisten, natürlich stets in bester Qualität, roh und auch präparirt, bezogen, je nach Umständen. Der Pferdewärter kann zum Stossen und sonstigen einfachen Zubereitungen benutzt wer­den. Reinlichkeit und Ordnung müssen in der Apotheke wie im Kraukenstalle herrschen, so dass man eine unerwartete In­spection nicht zu scheuen hat.
Bei der Berechnung der Arzneieu muss man inner­halb der höchsten Taxe moderiren nach dem Besitzer, dem Werthe des Objects und nach den Leistungen; hat man z. B. mit geringen Mitteln ein werthvolles Thier gerettet, so bezahlt der Besitzer gern den höchsten Preis, ist dagegen bei einem
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Der Thicrarzt
armen Besitzer die Behandlung mit kostspieligen Mitteln ver­geblich gewesen, so gebietet die Billigkeit und Klugheit, sich mehr auf die baaren Auslagen zu beschränken. Dieses Mode­riren nach Umständen ist eben gerade ein sehr grosser Vorzug der Selbstdispensation.
Dass den Pfuschern, wo sie noch ihr Wesen treiben dür­fen, die Selbstdispensation nicht zugestanden werden darf, ist selbstverständlich.
Das Verhalten des Thierarztes dem Besitzer gegenüber.
Eine sehr schwierige Stellung hat der Thierarzt dem Publi­kum seiner Praxis gegenüber, mit den verschiedensten Ständen, vom Acrmsten bis zum Reichsten, vom rohesten Knecht bis zu dem gebildetsten Manne, von der Kuhstallsmagd bis zur wohl­gebildeten Hausfrau, zur gnädigen Dame und bis zur hysteri­schen Wohlthütcrin ihres Schoosshündchens, mit allen hat es der Thierarzt zu thun; allen Stufen von Rohheit, Bildung und Ueberbildung, von Ignoranz, Egoismus, Stolz, Klugschwätzerei und Rechthaberei, allen Arten von guten und schlechten Cha­rakteren begegnet er auf seinen gewerblichen Wegen; überall soll und muss er sich zurechtfinden, allen soll er der rechte Mann sein, bei allen soll er sich Vertrauen erwerben. Allge­meine Bildung, technische Durchbildung, Lebensklugheit und Gewandtheit muss der Thierarzt besitzen, wenn er sich mit Sicherheit zwischen den verschiedensten Individualitäten bewe­gen und seine Praxis mit Erfolg ausüben will. Hier können nur die allgemeinsten Grundregeln angedeutet werden.
Dienstfertig bei Armen und Reichen. Allen, ohne Ansehen der Person, muss unsere Hülfe gleich bereit sein; un­verzeihlich wäre eine Zurücksetzung des Aermeren, der unsere Hülfe gerade am nöthigsten bedarf, wenn ein Theil seiner Habe in Gefahr ist, den wir durch unsere Hülfe mehr beglücken, als den Reichen.
Gegen höher stehende Personen nicht kriechend, und gegen niedrigere nicht stolz und abstossend auf­treten, beides geziemt nicht dem gebildeten Thierarzte, es erwirbt ihm weder Ehre noch Praxis. Man beobachte stets den schicklichen Anstand, behaupte einerseits seine Würde der Ge­ringschätzung, dem Stolze und Eigendünkel gegenüber mit Ent-
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scliiedenheit und sei andererseits bescheiden und zuvorkommend, besonders muss man bei dem nicht gebildeten Publikum alles vermeiden, was für Geringschätzung genommen werden könnte. Bescheidenheit findet immer, bei allen Charakteren, bei Gebil­deten und Ungebildeten, Eingang und Anerkennung, sie ent­waffnet unsere Feinde und beschämt den Stolz und die Arro­ganz, wenn sie mit dem Bewusstsein der eigenen Würde als Mensch und als wissenschaftlich gebildeter Mensch verbunden ist.
Vorsicht im Reden überall, besonders aber da. wo wir fremd sind und weder die Verhältnisse noch die Persönlichkeiten näher kennen. An sich unschul­dige Aeusserungen können uns in unangenehme Situationen, in grosse Verlegenheit bringen, wenn zufällig Beziehungen darin zu finden sind, die wir nicht hineinlegen wollten; ganz unbe-wusst kann man so empfindliche Seiten unangenehm berühren, und so Abneigung und selbst Hass in aller Unschuld gegen sich hervorrufen. Es ist daher sehr zu empfehlen, nicht einen voreiligen Schwätzer zu machen über Sachen, die nicht zu un-serm Gegenstände als Thierarzt gehören, kein nachtheiliges Ur-theil über eine dritte Person fällen, und nicht mit einstimmen in die Klagelieder und Schmähungen über Andere. Familien­angelegenheiten muss man überhaupt, selbst an bekannten Orten, gar nicht oder doch nur mit grösster Delicatesse besprechen, selbst wenn man Familienfreund geworden ist. „Dein Ohr leihe einem Jeden, doch Deine Stimme nicht.quot;
Verschwiegenheit. Sie ist dem Thierarzte zwar nicht gesetzlich auferlegt, wie dem Menschenarzte in manchen Bezie­hungen, nichtsdestoweniger muss er sie auch beobachten. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass im Allgemeinen Nie­mand kranke Thiere haben quot;will, namentlich sehen es gewöhn­lich die Landwirthe nicht gern, dass das Kranksein ihrer Thiere überall bekannt werde, und nicht selten liegt dies auch wohl in ihrem Interesse. Viele Collegen haben aber gerade den Feh­ler, dass sie ihre Unterhaltung mit der Erzählung von Tages­erlebnissen aus der Praxis beginnen, sie efrzählen, woher sie kommen und wohin sie wollen, was sie gesehen und gethan haben und was sie noch thun wollen, und unvermerkt schlei­chen sich dabei Dinge ein, die von grossen Thaten zeugen, wenn nicht gar plumper Weise die ganze Erzählung sich um Wunderdinge dreht, welche, der Erzähler schon vollbracht hat.
Gerlach Allcr.Therai.ic. 2.Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3
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34nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Der Thierarzt
Man glaube ja nicht, dass man mit dem sogenannten Aufschnei­den einen Ruf erwirbt, dazu gehören Thaten, und diese brin­gen uns dann am sichersten in Ruf, wenn wir selbst davon schweigen.
In Fällen, wo nicht ausdrücklich ein Verschweigen gewünscht worden ist, können wir wohl von diesen und jenen Vorkommen-heiten in der Praxis sprechen, wenn das Gespräch gerade dar­auf führt, oder wenn sie eine Beziehung zu dem Patienten haben oder wohl gar zu einer gewissen Beruhigung des Besitzers dienen können, besonders wenn daraus hervorgeht, dass allge­meine Krankheitsursachen obwalten und kein besonderes Ver­schulden des Wärters oder des Eigenthümers selbst vorliegt, wenn sie also als Beleg oder Gegenbeweis von aufgestellten Behauptungen dienen. Aber nicht bloss in thierärztlicher Bezie­hung, sondern auch überhaupt muss der Thierarzt nicht schwatz­haft sein, er muss in sich verwahren können, was er an ver­schiedenen Orten hört und sieht, sofern eine Herabsetzung ge­wisser Personen mit dem Ausplaudern verbunden ist. Der Neuigkeitsbote, derjenige, der überall aushorcht, um an andere Orte Nachrichten zu bringen, um Stoff zur Unterhaltung und zum Bekritteln zu haben, der in Gegenwart Alles bejaht und belobt, um hinter dem Rücken mit scharfer Zunge darüber her­zuziehen, solcher Thierarzt findet in der öffentlichen Volksstirame sehr bald seinen gerechten Richter, er wird sehr bald der Ver­achtete und Gefürchtete zugleich sein.
Ein unerschütterliches Rechtsü-efühl bewahren und erkennen lassen, wenn man Dinge von uns fordert, welche damit nicht verträglich sind. In dieser Beziehung muss der Thierarzt sehr streng mit sich selbst sein. Gar nicht sel­ten wird dem Besitzer von dem Thierarzte angerathen, dieses oder jenes Thier zu verkaufen, weil es einen verborgenen Feh­ler, eine vorherrschende Anlage zu gewissen Krankheiten be­sitzt etc., und dies geschieht lediglich in wohlmeinender Absicht und zum Vortheil des Besitzers. In allen solchen Fällen aber, wo das Abwenden eines befürchteten Nachtheils mit der Ueber-tragung auf den neuen Besitzer verbunden ist, da ist ein sol­cher Rath ein Anrathen, eine Aufforderung zum Betrüge. Hier-vor muss der Thierarzt sich um so mehr hüten, als im Thier-handel die Rechtlichkeit ohnehin schon auf sehr schwachen Füssen steht, und die Gewissen weite Grenzen haben. Der
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Gewissenhafte beachtet nicht solchen Rath, wohl aber die Den-kungsweise, welche darin liegt, und das in Folge dessen über uns gefällte Urtheil enthält sicher nichts Schmeichelhaftes; der weniger rechtlich Denkende hingegen nimmt den Rath dank-barlichst an und macht eiligst Gebrauch davon, hat aber der Verkauf unangenehme Folgen, so versteckt er sich gewiss hin­ter seinen Rathgeber. Wenn hingegen ein Thier gewissen An­forderungen nicht für die Dauer entspricht, wenn nur bei einem bestimmten Gebrauche Nachtheile zu erwarten sind, während es unter anderen Verhältnissen und zu anderen Diensten noch recht brauchbar ist und keine Nachtheile befürchten lässt, oder wenn es der Schlachtbank überliefert werden kann, dann können wir, ja dann müssen wir unter Auseinandersetzung des Sachvor-hältnisses den Verkauf zu einem gewissen Zwecke anrathen. Hier nützen wir dem gegenwärtigen Besitzer und schädigen nicht den zukünftigen.
Ebenso müssen wir auch alle entehrenden Zumuthungen mit Verachtung zurückweisen und allen Bestechungen, selbst den verblümtesten, unzugänglich sein, von welchem der Thier-arzt nur zu häufig heimgesucht wird. Wer durch sein morali­sches Gefühl gegen solche ehrenrührige Zumuthungen nicht ent­rüstet werden sollte, der möchte doch mindestens bedenken, class er den ganzen Stand in den Schmutz hinunterzieht, ja dass sein eigenes materielles Interesse darunter leidet; denn der gute Ruf wird nach und nach ganz sicher unter­graben und damit der allein stichhaltige redliche Verdienst; am meisten kommt Verachtung von denen, die unter dem Scheine der grössten Dankbarkeit bestochen haben; schon bei dem Bestechen tragen sie Verachtung im Busen und treten sicherlich offen damit hervor, wenn der Bestochene einmal ge­zwungen ist, gegen ihr Interesse zu handeln. Der Bestochene hat seine Freiheit verkauft, er ist Söldling, Sclave ist er im Dienste des Bestechers, in dessen Interesse er auch pflicht­widrig handeln muss. Wer stets seine Pflicht erfüllen will, darf sich die Hände nicht binden lassen. Auch m polizeilicher Be­ziehung muss der Thierarzt, gleichgültig ob er Staatsthierarzt ist oder nicht, stets seine Pflicht erfüllen gegen den Staat, der bei allen veterinair-polizeilichen Verordnungen stets nur das Gesammtwohl im Auge hat, und um dies zu erreichen, dazu muss jeder Thierarzt hülfreiche Hand bieten. Die Nachtheile,
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36nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
welche einen Dritten durch die Verheimlichung einer, dem Thier­arzt bekannt gewesenen ansteckenden Krankheit treffen, lasten auf seinem Gewissen. Solche Anzeigen dürfen aber nicht den Schein einer Denunciation haben, sie müssen offen geschehen, man muss den Besitzern immer zuvor die Nothwendigkeit aus­einandersetzen. Befürchtet der Thierarzt aber Nachtheile für seine Praxis, so mache er wenigstens den Besitzer auf seine Pflicht aufmerksam und rathe diesem, die betreffende Anzeige zu machen, während er selbst vorläufig die Massregeln anordnet, dass kein Dritter benachtheiligt wird. Ist aber den Thierärzten die Pflicht der Anzeige gesetzlich auferlegt, wie z. B. im Han­noverschen, so darf keine Rücksicht eintreten.
Ein reges Interesse für alle Patienten haben, und nicht theilnahmlos bei etwaigen Verlusten sein. Wo wir auch hinkommen und wie ermüdet wir auch sein mögen, so müssen wir doch die Patienten erst untersuchen und weiter besorgen, ehe wir an unsere Erholung denken. Nichts nimmt der Besitzer aber mehr übel, als wenn man vor aller Unterhal­tung über andere Dinge die Patienten vergisst, sie hintenansetzt und gewissermaassen nur so nebenbei mit untersucht, oder sich wohl gar erst an sie erinnern lässt. Es zeugt dies von wenig Sinn für das Fach. Bei beträchtlichen Verlusten muss der Thierarzt stets eine gewisse Theilnahme zeigen. Auch pecu-niaire Verluste machen reizbar und empfänglich für alles, was darauf Bezug hat, wahrhafte Theilnahme hat daher einen eben so woblthuenden Effect, als Gleichgültigkeit unangenehm berührt und Schadenfreude entrüstet; Gleichgültigkeit Seitens desThier-arztes bei eingetretenem Verluste führt gar zu leicht zu der Vermuthunff, dass auch die Strebsamkeit zur Verhütung des eingetretenen Verlustes nicht gross war, dass die Behandlung auch mit Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit betrieben wor­den ist.
Der Thierarzt darf keine Unsicherheit im Erkennen und Beurtheilcn, keine Unentschlossenheit im Han­deln zeigen, alles, was er spricht und thut, muss auf den Laien den Eindruck machen, dass er über den Gegenstand voll­kommen im Klaren ist. Wollte namentlich der angehende Thier­arzt immer die Zweifel nach Aussen hin merken lassen, die er oft bei seinem Patienten hat, so bekäme er keins Katze zu kuriren. In einzelnen, ganz besonderen Fällen kann jedoch der
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Thierarzt offen aussprechen, dass er noch nicht eine vollkom­mene Ein- und Uebersicht von der Sache habe, class er sich daher auf die dringendsten Anordnungen beschränken und die Krankheit in ihrem Verlaufe welter beobachten müsse; von einem Thierarzte, der sonst entschieden ist und immer eine gewisse Sicherheit im Handeln zeigt, macht ein solches offenes Bekenntniss sogar einen sehr guten Eindruck, dieser gewinnt dadurch an Vertrauen.
Auf drei Cardinalfragon muss der Thierarzt immer gefasst sein, und wer diese mit dem rechten Tacte zu beantworten weiss, dessen Ruf ist begründet:
„Was fehlt dem Thiere?quot; ist gewöhnlich die erste Frage des Besitzers oder anderer Personen, die sich für den Patienten interessiren. In Beantwortung dieser Frage wird nur zu oft der rechte Weg verfehlt, und zwar in entgegengesetzten Eichtungen. Einmal spricht der Thierarzt zu wenig, beantwor­tet die Frage mit lakonischer Kürze oder gar nicht, er beobach­tet ein gar zu gelehrtes Schweigen und hüllt sein ganzes Wissen und Können in einen gewissen Nimbus; anderntheils ist er wie­der zu redselig, spricht über die Krankheit viel mehr, als der Besitzer wissen will. Der Erstere ist im Ganzen weniger zu tadeln, er ist unbedingt viel glücklicher in der Praxis, als der Letztere, wenn nicht eine gar zu grosse Ignoranz hinter dem Nimbus steckt, er widerspricht sich nicht, weil er überhaupt nicht spricht, er irrt sich nicht im Auge des Publikums, und hat nie etwas zu vertreten, weil er nie etwas behauptet, seine Ansicht passt für alle Ausgänge oder Folgen der Krankheit, weil er nie eine geäussert hat. Zudem giebt es auch noch sehr viele Leute, welchen Klarheit, Gründlichkeit und Offenheit viel zu prosaisch ist, das Unbegreifliche, Mysteriöse allein hat Reiz für sie, in allen Dingen, wo sie viel zu glauben und wenig zu denken haben, ist ihnen am behaglichsten. Wer daher nicht den rechten Weg, wie er der Wissenschaft würdig ist, inne zu halten weiss, der neige wenigstens mehr zu denen, welche der Einbildungskraft des Publikums über ihr Wissen und Kön­nen ein grosses Feld lassen, als zu den Redseligen, die sich vor lauter Demonstrationen gar nicht zu lassen wissen, diese machen selbst mit gutem Wissen und Können kein sonderliches Glück bei dem Publikum.
Vor allen Dingen sei man nicht zu voreilig mit der Beant-
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38nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Tliierarzt
wortung dieser Frage, erst wenn man die Untersuchung voll­ständig beendet, alle ursächlichen Momente möglichst ermittelt, die Entstehungsweise gehörig beachtet, und sich so ein klares Bild von der Krankheit geschaffen hat, erst dann bezeichnet man die Krankheit kurz und verständlich, wobei alle Kunst­ausdrücke zu vermeiden sind; denn es handelt sich hier ja nicht um eine streng wissenschaftliche, sondern um eine popu-laire Bezeichnung; kann dies nicht durch einen bekannten Krankheitsnamen geschehen, so nennt man ganz einfach den lei­denden Körpertheil. Niemals müssen wir aber daran einen gelehrten Vortrag über die Krankheit knüpfen und Ausdrücke gebrauchen, die der Besitzer nicht versteht.
„Ist die Krankheit gefährlich, ist sie heilbar, lang­wierig etc.?quot; sind die weiteren an den Thierarzt gerichteten Fragen. Ein wichtiger, aber auch zugleich ein schwieriger Theil in der Praxis ist die sachgemässe Beantwortung dieser, die ganze Prognose umfassenden Fragen, wodurch der Thierarzt eben sowohl sich einen Ruf erwerben, als alles Vertrauen unter­graben kann. Was hier von der Zukunft über die Krankheit gesagt wird, bestätigt sich oder bestätigt sich nicht, und je nach­dem wird das Urtheil gefällt; trifft die Vorhersage nicht ein, so nimmt der Besitzer an, dass die Krankheit entweder nicht rich­tig erkannt oder falsch behandelt ist; ein dritter Fall, dass etwas Unvorhergesehenes hinzugetreten ist, existirt für den Eigentlur raer nicht, wenn in der Prognose nicht durch eine Clausel dar­auf hingedeutet worden ist. Gegen diese Logik lässt sich auch gar nichts einwenden, denn die Einsicht über den Ausgang ist nichts anders, als die Einsicht in die Vorgänge, welche für den Ausgang entscheidend sind, es liegt nur an uns, auf geschickte Weise solchen Folgerungen vorzubeugen.
Die Prognose ist in der Thierheilkunde von hoher Wich­tigkeit; sie dient nicht bloss zur Befriedigung der Neugierde, nicht bloss, um nach Umständen den Eigenthümer zu beruhigen, oder ihn auf den bevorstehenden Verlust vorzubreiten, sie dient auch als Maassstab, wonach ermessen wird, ob es überhaupt ge-rathen ist, eine Behandlung einzuleiten. Denn selten wird ein Thier ärztlich behandelt, wenn die Prognose eine kostspieli­gere Kur sicher voraussehen lässt, als das im glücklichen Falle theihveisc oder ganz genesene Thier werth ist, weil sich in der Thierheilkunde alles um einen peeuniairen Gewinn dreht, wenn
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nicht etwa ausnahmsweise eine Liebhaberei dabei ihre Rolle spielt. Die Prognose erstreckt sich auf Heilbarkeit, Dauer, Ausgänge, etwaige Folgeleiden und auf die Brauch­barkeit des Thieres zu gewissen Zwecken a a eh der Krankheit. Ueber alle diese Punkte wird unser Urtheil im Voraus verlangt. Es ist dieser Gegenstand daher vie! zu -wich­tig, als dass man mit Leichtigkeit darüber hingehen und sein Urtheil ohne Ueberzeugung fällen dürfte.
Ich muss hier zunächst auf zwei Fehler aufmerksam machen, vor denen sich jeder Thierarzt zu hüten hat. Der erste ist, gegen eigene Ueberzeugung eine günstige Prognose zu stellen, lediglich in der Absicht, dem Besitzer augenblicklich nichts Unangenehmes zu sagen, ihn vielmehr zu beruhigen. Ein sehr übel angebrachter Trost, der Verlust kommt nachher nur um so unerwarteter, und wir haben dabei das Vertrauen erschüt­tert. Dieser nur zu oft unter den Thierärzten vorkommende Fehler beruht meist auf einer gewissen Schwäche, indem man nicht den Muth hat, auszusprechen, dass unsere Kunst dabei ganz zu Ende oder nur wenig zu leisten im Stande ist, und es lieber der Zeit überlässt, den Besitzer vom traurigen Gegen-theil in seiner Abwesenheit zu überzeugen. Ein zweiter Fehler ist der entgegengesetzte, die Prognose gegen die Ueber­zeugung bedenklich zu stellen und jede Krankheit für sehr erheblich auszugeben. Wiewohl es vorzuziehen ist, bei der Prognose etwas zu bedenklich und zu vorsichtig, als zu leichtfertig zu sein, so darf es doch nicht übertrieben und zum stehenden Gebrauch werden, jedenfalls ist es aber sehr zu tadeln, wenn es aus dem Grunde geschieht, um wich­tige Kuren zu machen und sein heilkünstlerisches Talent bewun­dern zu lassen. Dieser Gebrauch wird sehr bald bekannt, man gewöhnt sich daran und nimmt es dann auch bei wirklich schwe­ren Krankheitsfällen nicht so genau in Ausführung der ärztlichen Anordnungen. Auf grösseren Gütern, wo häufig Krankheitsfälle vorkommen, ist dies ein sehr zu beachtender Umstand.
Es versteht sich wohl von selbst, dass wir die Prognose erst dann stellen dürfen, wenn wir sie möglichst genau stellen können, d. h. wenn wir die Krankheit so gut als möglich erkannt, den Charakter, die herrschende Krankheits-Constitution, den Sitz, die Ausbreitung, das Stadium und die Dauer derselben, die Individualität des Patienten, die Ursachen und die ökonomi-
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40nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Tbierarzt
sehen Verhältnisse, unter denen das Thier lebt und behandelt werden muss, sowie auch den ökonomischen Lebenszweck des Thieres gebührend beachtet haben. Es ist dahereine ganz falsche Ansicht, wenn man glaubt, schon bei dem ersten Besuche eine bestimmte Prognose stellen zu müssen; wir können sie aufschieben bis nach weiterer Beobachtung, ohne uns dadurch im Gering­sten eine Blösse zu geben; wir müssen sie sogar aufschieben in allen Fällen, in denen wir die Krankheit noch nicht in ihrem ganzen Umfange erkannt haben, wenn ein gegenwärtiger Krank­heitszustand an sich vielleicht unerheblich, aber möglicher Weise nur der Vorbote oder das Entwickelungsstadium einer/schweren Krankheit ist, namentlich wenn gefahrvolle Krankheiten gerade epizootisch herrschen, die unter den mannigfaltigsten Vorläufern auftreten.
Eine präcise Antwort gefällt immer, und wo wir sie geben können bei der Prognose, da müssen wir nicht unnützerweise das „Wennquot; und das „Aberquot; anhängen. Wir sind jedoch nicht verpflichtet, immer eine entschiedene Prognose zu stellen, bei schweren Krankheiten ist dies kein Arzt im Stande, es ist in solchen Fällen eben so schwer, eine günstige, als es gefähr­lich ist, eine ungünstige Prognose zu stellen; neu hinzutretende Ereignisse, verborgene Affectionen, die bei aller Gründlichkeit nicht erkannt werden etc., können der Krankheit eine unver-muthete Wendung geben; wir können und müssen hier einer­seits die Gefahr, andererseits aber die Möglichkeit zur Gene­sung, wir können sogar die grösste Wahrscheinlichkeit für das Eine oder das Andere abhängig machen von Dingen, die aussei' unserem Bereiche liegen. So behalten wir immer Seiten- und Hintcrthüren zu einem ehrenvollen Rückzüge. Bei allen Krank­heiten, die, ihrer Natur nach, nicht zu den unbedenklichen gehören, ist bei der Prognose das Stadium sehr wesentlich; hat eine Krankheit ihre Höhe erreicht, ist Stillstand oder sogar ein Rückschritt eingetreten, so ist bei schweren Kranken eine gün­stigere Prognose zu stellen, als im Stadium der Zunahme bei scheinbar geringfügigeren Krankheiten, wo um deswillen keine entschiedene Prognose gestellt werden kann, weil man nicht mathematisch berechnen kann, wann sie Halt machen und welche organischen Zerstörungen sie herbeiführen wird. Eine entschiedene Prognose über Unheilbarkeit muss immer mit der grössten Vorsicht und kann überhaupt nur dann ausgesprö-
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chen werden, wenn wir in der Diagnose sicher sind. Nie dürfen wir vergessen, dass wir die Grenzen der Naturheil­kraft nicht so genau kennen, und eine Heilung selbst da noch eintreten kann, wo wir nicht daran gedacht haben, und immer müssen wir daran denken, dass der Besitzer nur gar zu sehr geneigt ist, sein Heil selbst oder mit anderen Thierärzten und am häufigsten mit den Wunderdoctoren, d. h. mit den veritabeln Pfuschern, zu versuchen, ehe er sein kran­kes Thier tödtet oder ohne Behandlung resp. in der Behand­lung desjenigen lässt, der es schon ganz aufgegeben hat, und wenn dann der Zufall mal ein Wiedergenesen eintreten lässt, so ist dies immer ein sehr unangenehmes und dem Kufe nach-theilis;es Ereitrniss. Es ist daher unter solchen Umständen, wo die Unheilbarkeit nicht mit Entschiedenheit auf der Hand liegt, oder empirisch schon längst festgestellt ist, stets gerathen, ne­ben der schwächsten Hoffnung immer noch die Möglichkeit einer Genesung fortbestehen zu lassen. — Wollte ein Thierarzt etwa ein incurables Thier unter dem Vorgeben der Heilbarkeit des Verdienstes willen behandeln, wie es bei dem nicht beschäftigten Thierarzte leider zuweilen vorkommt, so ist dies, streng genommen, weiter nichts, als ein Betrug, und bei schmerzhaften Leiden zugleich noch Thierquä-lerei, wofür der gerechte Lohn niemals ausbleibt.
Der Regel nach muss man seine Ueberzeugung unter den angeführten Vorsichtsmaassregeln aussprechen, und wenn man in die üble Nothwendigkeit versetzt ist, einen bevorstehen­den Verlust zu verkünden, so geschehe dies immer, namentlich aber bei ärmeren Leuten, mit einer gewissen Schonung und Theilnahme. Zuweilen gebietet jedoch auch die Lebensklugheit, von dieser Regel etwas abzuweichen. Den übertrieben ängst­lichen Besitzern muss man oft gegen seine Ueberzeugung die Aussicht etwas günstiger stellen, namentlich muss man aber überall da, wo Gleichgültigkeit und Fahrlässigkeit in der Abwar-tung zu befürchten ist, eine Krankheit etwas gefährlicher hin­zustellen, als sie wirklich ist.
Nimmt die Krankheit im Laufe der Zeit eine unerwartete, im Voraus nicht zu berechnende Wendung, so ändert sich natürlich auch die Prognose. Der Thierarzt muss sich aber hüten, nicht nach jeder geringfügigen Steigerung, Minde-
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42nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thiorarzt
rung oder sonstigen Aenderung einer Krankheit eine andere Prognose zu stellen, zwischen Hoffen und Fürchten hin und her zu schwanken; er giebt hierdurch seine eigene Unsicherheit zu erkennen und ladet selbst den Schein der Unwissenheit auf sich. Vorrede hat keine Nachrede. Dies beachte man nament­lich: a) bei langwierigen Kuren, die nur mit Vorwissen des Besitzers unternommen werden dürfen, damit die Geduld des­selben nicht früher ausgeht, als das Ziel erreicht ist; b} bei Operationen, die mit Gefahr verbunden sind, und c) bei An­wendung solcher Mittel, die Narben und sonstige sichtbare Spu­ren zurücklassen. Bei den redlichsten Absichten, bei unermüd­licher Thätigkeit und bei dem sachgemässesten Verfahren treffen uns nur zu leicht bittere Vorwürfe, wenn wir uns nicht durch eine Vorrede, die auf Alles hingewiesen, und den Besitzer von allen bestimmten, wahrscheinlichen und möglichen Folgen unterrichtet hat, gesichert haben. Wird uns zuge-muthet, eine Operation für ein höheres Sostrum auf eigenes Risico zu unternehmen, so müssen wir dies in der Regel zurück­weisen, selbst bei geringem Risico, und bemerklich machen, dass wir unsere Kunst und Vorsicht nicht nach dem Lohne abmessen, und auch ohne eigenes Risico im vollen Maasse ausüben, dass es aber trotz aller Kunstfer­tigkeit und Vorsicht dennoch nicht in unserer Macht liegt, diese oder jene Gefahren immer abzuwenden.
Endlich ist die dritte Frage: „Wodurch ist die Krank­heit entstanden?quot; Oft können wir und oft dürfen wir auch hier nicht die nähere Auskunft geben. Stets muss man in Be­antwortung dieser Frage sehr vorsichtig zu Werke gehen, ein­mal, um nicht ganz zwecklos eine geringe Schuld einzelner Personen aufzudocken, und anderntheils, um nicht irrthümlicher Weise Jemandem die Schuld aufzubürden, der ganz unschuldig ist. In beiden Fällen schaffen wir uns Feinde, die, wenn sie uns auch nicht direct schaden, so doch die Praxis beeinträch­tigen und erschweren können. Gegen den Besitzer selbst haben wir in dieser Hinsicht keine Rücksichten zu nehmen, diesem können, diesem müssen wir unverhohlen eröffnen, in wie weit er die Ursache verschuldet; wenn es ihm auch unangenehm ist, so muss er es uns doch Dank wissen, ihn für künftige Fälle aufmerksam gemacht zu haben. Uebelstände, die in wirthschaft-lichen Verhältnissen, in der Fütterung, in der Weide, dem Ge-
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brauche etc. begründet sind, müssen wir mit ihren Folgen auf­decken, nicht allein wegen ursächlicher Beziehung für den vorliegenden Krankheitsfall, sondern auch behufs Verhütung weiterer üblen Folgen. Mit Eecht kann uns der Eigenthümer Vorwürfe machen, wenn wiederholt Krankheiten und Verluste durch dieselbe Ursache herbeigeführt werden, die wir schon beim ersten Falle erkennen konnten und mussten, wenn wir gründlicher zu Werke gegangen wären, und welche sehr wohl zu verhüten waren, wenn wir sie dem Besitzer zur Kenntniss gebracht hätten.
Consultationen. Wünscht der Besitzer noch einen Sach­verständigen zu Rathe zu ziehen, so dürfen wir darin kein man­gelhaftes Vertrauen finden und uns beleidigt fühlen, wir müssen im Gegentheü willig darauf eingehen und ihm freie Wahl las­sen, wenn er nicht ausdrücklich unsere Vorschläge verlangt. Unter Umständen ist es selbst gerathen, die Consultation mit einem Collegen selbst vorzuschlagen, namentlich wenn ein sehr werthvolles Thier bedenklich krank, ein unglücklicher Ausgang sehr wahrscheinlich ist, und wenn wir den Wunsch des Be­sitzers ahnen. Aus solchem Verfahren sieht der Eigenthümer, dass es uns aufrichtig um die Kettung des Patienten zu thun ist, und wie wir uns nicht scheuen, mit unserer Ansicht und Behandlungsweise vor jeden unserer Collegen zu treten. Mit Pfuschern dürfen wir aber nie consuliren; wird es uns zugemuthet, so weisen wir es ruhig zurück und erklären unverhohlen unser Zurücktreten, falls man darauf beharren würde. Eben so wenig dürfen wir es uns gefallen lassen, wenn hinter unserm Rücken Pfuscher oder auch Collegen zu Rathe gezogen und andere Mittel angewendet werden. Leiden­schaftlos setzen wir das uns zugefügte Unrecht und den Kach-theil für den Patienten auseinander und erklären, unter solchen Umständen nicht mehr der behandelnde Arzt des Patienten sein zu können.
Sehr oft haben die Besitzer bezüglich der Behandlung be­sondere Wünsche, die wir berücksichtigen quot;können und müssen, wenn es unbeschadet der Sache geschehen kann, im anderen Falle aber dürfen wir unsere Einwendungen nicht zurückhalten. Nie müssen wir uns aber durch Wünsche und noch weniger durch Anforderungen bestimmen lassen, gegen unsere Ueber-zeugung zu handeln. Wenn beim Miütair ein anmassen-
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44nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
der Vorgesetzte etwas im thierärztlichen Fache befehlen sollte, was gegen die Ueberzeugung des Thierarztes ist, so darf dieser es nur unter Ablehnung seiner Verantwortlichkeit thun, denn wenn die Natur nun mal allem Eespecte und aller Subordination zum Hohne so frei wäre, den Befehl mit üblen Folgen zu schmähen, so sucht sich der gestrenge Gebieter ge­wöhnlich hinter die Coulissen zu ziehen. Der Militair-Thierarzt hat überhaupt oft eine schwierige ^Stellung, die er aber unter allen Umständen verbessern kann, wenn er streng dienst­lich ist, sich weder im Fache, noch in den Subordinationsver-hiiltnissen etwas zu Schulden kommen lässt und dabei seine Selbstständigkeit zu wahren weiss.
Hinsichtlich des Arztlohns für die Mühwaltung lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen, nur so viel will ich darüber bemerken, dass man unter Umständen Rücksichten neh­men, dass man Billigkeiten walten lassen, für den Armen auch einmal umsonst arbeiten, aber eben so gut auch Anerbietungen zurückweisen muss, die uns in die Kategorie der Pfuscher und Handarbeiter stellen. Man vermeide jeden unangenehmen Con­flict, stehe aber fest, wenn es Ehrensache wird. Jährliche, fixe Honorare sind im Allgemeinen für angehende Praktiker zu em­pfehlen, für beschäftigte Thierärzte aber zu widerrathen, beson­ders bei weiten Entfernungen. Die grösste Schattenseite hierbei ist, dass die thierärztliche Hülfe sehr oft bei jeder kaum enväh-nenswerthen Kleinigkeit in Anspruch genommen wird, was für den beschäftigten Praktiker lästig ist, beeinträchtigend auf die übrige Praxis wirkt, und ihn sehr bald in den üblen Ruf bringt, dass er nachlässig sei, wenn er nicht immer pünktlich zu Dien­ste stehen kann; für den Anfänger hingegen, der zur Erwerbung einer Praxis auch opferwillig sein muss, hat dies keinen stö­renden Einfluss weiter, weil er noch wenig zu versäumen hat, dagegen gewinnt er Anknüpfungspunkte und den Schein der vielfachen Beschäftigung, was ihm gerade das meiste Zutrauen und neue Kunden verschafft.
Verhalten gegen das Dienstpersonal.
Der Thierarzt hat es auch mit dem Dienstpersonal, mit den Pflegern der gesunden und kranken Hausthiere zu thun, und unter diesen begegnet er groben, unbeholfenen Knechten,
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aufgebläheten, superklugen Kutschern und Hirten, die in ihren althergebrachten, absurden und abergläubischen Ansichten ver­knöchert und jeder Belehrung unzugänglich sind; mit Allen muss man umzugehen und bei Allen sich Zuneigung zu er­werben wissen, nicht bloss, weil sie zum Theil auf ihre Herr­schaft grossen Einfluss haben, den sie nach Umständen zum Nachtheil, wie zu Gunsten des Thierarztes ausüben, sondern auch, um sich die Ermittelung der Ursachen zu erleich­tern und eine pünktlichere Ausführung der Anordnung zu sichern.
Wir müssen diesen Leuten freundlich begegnen, uns auch manchmal mit ihnen unterhalten, namentlich über die ihnen anvertrauten Thiere, von denen sie gewöhnlich sehr gern erzäh­len und wobei man mitunter Ansichten hört, aus denen wir manche Lehren für die thierärztliche Praxis ziehen und die selbst den Impuls zu einer Ausbeute für die Wissenschaft ge­ben können. So ist es namentlich sehr empfehlungswerth, sich bei der Landpraxis unterwegs mit den Hirten über ihre Heer-den, die Weiden und die am häufigsten vorkommenden Krank­heiten zu unterhalten. Die anmassenden Kutscher muss man jedoch bei aller freundlichen Behandlung immer in einer gewis­sen Feme zu halten wissen und ihnen nie etwa merken lassen, als ob wir ihre Gunst aus Interesse für unsere Praxis suchen. Der grossstädtische Thierarzt ist sehr zu bedauern, dessen Praxis auf Kutschergunst beruht.
Die Dienstleute sind an dem Ausbruche einer Krankheit bei den ihnen anvertrauten Thieren entweder unschuldig oder schuldig, und zwar schuldig durch ein geringes oder grobes Versehen oder selbst aus Böswilligkeit. Sind sie schuldig durch ein massiges Versehen, so müssen wir sie in Schutz nehmen, wir verheimlichen ihre Schuld oder stellen sie doch so dar, dass kein besonderer Vorwurf darauf basirt werden kann, ihnen selbst aber muss zu verstehen gegeben werden, wie wir ihre Schuld sehr wohl erkannt und wie sie sich vor ähnlichen Ver­sehen oder Missbräuchen zu hüten haben; dies ist nothwendig, um im Falle der unbewussten Schuld zu belehren, künftigen derartigen Vorkoramenheiten vorzubeugen, im Falle der be-wussten Schuld zu warnen und nicht den Schein zu geben, als hätten wir das wahre Factum nicht erkannt und uns ein X für ein U machen lassen, dessen sie sich dann späterhin ruh-
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46nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
men. Sind die betreffenden Dienstleute schuldig aus Rohheit, grosser Fahrlässigkeit oder gar aus Böswilligkeit, so müssen natürlich alle Eücksichten den Pflichten weichen, die wir gegen den Besitzer haben.
Sind die Wärter etc. unschuldig, so darf ihnen auch nicht das Geringste zur Last gelegt werden; ist die Sache zweifelhaft, so muss man die Sache auf sich beruhen lassen. Gegen jede nicht begründete Beschuldigung, woher sie auch kommen möge, von den Besitzern oder anderen Personen, müssen wir den An­geklagten vertheidigen und keinen Anstand nehmen, die Schuld auf den Besitzer zu wälzen, wenn es der Wahrheit gemäss ist. Nur zu oft sehen wir, dass, wenn ein Thier erkrankt ist, irgend Jemand die specielle Schuld tragen soll; Niemand will aber schuldig sein, und der Besitzer am allerwenigsten; er ist des­halb sehr geneigt, die Schuld auf den betreffenden Dienstboten zu schieben, und das dürfen wir eben nicht dulden; denn es wäre ehrlos, wenn wir uns auf Kosten eines armen Dienstboten bei dessen Herrschaft insinuiren wollten, wenn wir schwach genug wären, die Behauptungen der Besitzer willfährig zu bestä­tigen, um denselben nicht entgegen zu sein, oder um ihn die Unannehmlichkeit des eigenen Schuldbewusstseins zu ersparen. So erwerben und bewahren wir uns Achtung, Zutrauen und Liebe der Dienstboten, ohne das Vertrauen der Eigenthümer einzubüssen.
Alles, was der Wärter bei dem Patienten und in Rücksicht der eingeleiteten Behandlung zu beobachten hat, müssen wir demselben kurz und verständlich vorschreiben und ihn zugleich auf die möglichen Folgen einer Vernachlässigung hinweisen. Die gewissenhafte und prompte Ausführung unserer Anordnungen kön­nen wir nicht besser, als durch rühmliche Anerkennung belohnen; wir spornen dadurch zugleich am sichersten zur Ausdauer in der Pflichterfüllung an, während umgekehrt eine Gleichgültigkeit gegen die sorgfältige Abwartung nur zu bald Fahrlässigkeiten zur Folge hat. Auch bei diesen Leuten und bei ihnen gerade am allermeisten bedarf es eines Sporns zur unermüdlichen Thä-tigkeit und Pflichterfüllung. Materielle Belohnung kann man gewöhnlich nicht bieten, das Ehrgefühl muss deshalb in An­spruch genommen werden und gerade hierdurch wird der Zweck am vollkommensten erreicht.
Finden wir aber den Patienten vernachlässigt und unsere
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Anordnungen nicht pünktlich ausgeführt, so können wir uns bei dem ersten Male wohl auf einen Verweis und eine Ermahnung unter vier Augen beschränkent müssen aber in wiederholten Fällen diese Fahrlässigkeit aufdecken und den Besitzer ohne Rückhalt davon in Kenntniss setzen; das sind wir dem Patien­ten und uns selbst schuldig; denn der ungünstige Erfolg kommt immer auf unsere Rechnung. So rathsam und nothwen-dig unter manchen Umständen eine gewisse Nachsicht ist, so unklug und pflichtvergessen würde sie in dem Falle sein, wo der Besitzer oder Arzt selbst darunter leiden muss.
Eigenmächtige Eingriffe in unsere Anordnungen, wie es bei klugen Kutschern, besonders aber bei den alles besser wis­senden Schäfern mitunter vorkommt, dürfen wir nicht dulden; hier helfen keine gütlichen Ermahnungen, weil diese Leute da­durch nichts .Unrechtes, im Gegentheil etwas Gutes zu thun glauben; in solchen Fällen müssen wir den Eigenthümern oder Aufsehern Mittheilungen machen und uns gegen alle etwaigen Folgen verwahren.
Kurz zusammengefasst muss unser Benehmen gegen die Dienstboten so sein, dass sie Vertrauen und Anhänglichkeit bekommen, dass sie wissen, wie wir sie in Schutz nehmen, wenn sie es verdienen, wie wir ihre Pflichterfüllung ebenso dankend anerkennen, als wir bei Fahrlässigkeit in Ausführung unserer Anordnung mit rücksichtsloser Strenge verfahren.
Verfahren bei den kranken Thieren.
Der Menschenarzt muss Alles aufbieten, seinem Patienten Vertrauen einzuflössen, er muss mit der grössten Sorgfalt Alles vermeiden, was den Kranken unangenehm berührt. Das rechte Benehmen des Arztes gegen seine Patienten von den verschie­denartigsten Charakteren und Launen ist die wichtigste Auf­gabe für den praktischen Arzt. Der Thierarzt hat diese grosse Aufgabe natürlich nicht, es existirt für ihn kein Vertrauen bei den Patienten, was zu verscherzen und auch keines, was zu erwerben und von wohlthätigem Einfluss auf den Erfolg der therapeutischen Behandlung ist; psychische Heilmittel giebt es in der Thierheilkunde nicht. Der Thierarzt hat aber auch seine gewichtigen Aufgaben dem Patienten gegenüber; er rauss
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48nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
ohne Furcht und Scheu, mit einem sicheren Tacte, mit grosser Gewandtheit und Umsicht auftreten. Von der Art und Weise der Untersuchung und Application der Heilmittel, kurz aus dem ganzen Benehmen bei dem Patienten macht man gewöhnlich einen Schluss auf die weiteren thicrärztlichen Fähigkeiten. Es ist gewöhnlich auch kein Fehlschluss; denn wer sich linkisch bei der Untersuchung und der Anwendung verschiedener Mittel — Zwangs- und Heilmittel •— benimmt, der ist gewöhnlich kein besonderer Therapeut, der ist kein Fracticus.
Selbst angreifen, wo es die Untersuchung oder Behandlung verlangt, weder Anstrengung, noch schmutzige Manipulationen scheuen, keinen An­stand nehmen, z. B. durch den After zu untersuchen, wenn es die Gründlichkeit erheischt. Dem Thierarzte, welcher den Patienten nur von ferne, vielleicht durch eine P,rille anschaut, ihn allenfalls mit Glacehandschuhen betastet, der vor ängstlicher Sorgfalt für seinen feinen Anzug kaum an den Patienten denkt, der lieber nicht gründlich untersucht, als dass er sich beschmutzt und deshalb aus seiner modernen Phan­tasie die UnVollständigkeit der Untersuchung ersetzt, einem solchen Thierarzte schenkt man sicher kein Vertrauen und im Grunde mit Recht.
Die Patienten nicht auf eine rohe, lieblose Weise behandeln, sie nicht bei jeder Gelegenheit stossen und schlagen, wenn sie sich nicht in unseren Willen fügen, nicht ungeduldig und schonungslos gegen sie sein, nicht gleich zu den Zwangsmitteln greifen, wo sie durch vernünftige Behand­lung entbehrt werden können. Sind Zwangsmittel erforderlich, um die betreffenden Thiere in unsere Gewalt zu bringen, so hat man bei der Auswahl der Mittel und Wege stets die Art und Weise der Widerspenstigkeit, den Grund derselben und den Krankheitszustand selbst zu beachten.
Die Thiere sind widerspenstig aus bösem Willen, der theilweise ein Erbstück der Gattung, der Race und Familie, zum Theil aber auch durch schlechte Behandlung erweckt sein kann; sie sind unleidlich und unfügsam aus Kitzel, aus Schmerz, am häufigsten aus Furcht. Je nachdem kann bald eine vernünftige Strafe, bald ein fesselndes, ein betäubendes Zwangsmittel nothwendig werden, wenn wir mit ruhiger, güt­licher Behandlung nicht zum Ziele kommen. Immer aber
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müssen wir dabei den Krankheitszustand im Auge belialten und Alles das vermeiden, was direct oder indirect Verschlim­merung herbeiführen kann, sei es auch mit Verzichtleistung auf Anwendung mancherlei Mittel verknüpft. Jede /Aufregung bei fieberhaften, entzündlichen und namentlich bei nervösen Krankheiten mit gesteigerter Sensibilität, mit Neigung zu Kräm­pfen, oder bei vorhandenen Krämpfen etc. ist nachtheilig, oft nachtheiliger, als irgend ein Heilmittel wieder gutmachen kann. Das gewaltsame Sträuben und Schreien eines Schweines mit Halsbräune schadet mehr als irgend eine Einreibung nützen kann; bei Starrkrampf hat diejenige Kurmethode den entschie­densten Vorzug, die das Thier nicht irritirt und Alles abhält, was Autregung bewirken könnte.
Jede rohe Behandlung eines Thieres macht schon einen widrigen Eindruck, bei einem kranken Thiere aber noch viel mehr, und wenn es von dem Therapeuten selbst geschieht, der berufen ist, das Thier von seinen Leiden zu befreien, so liegt darin etwas, was das menschliche Gefühl recht tief verletzt und die Besitzer von solchen Heilkünstlern sicherlich zurück­schreckt. Ohne in die übertriebene Hätschelei einer alten Jungfer mit ihrem Schoosshündchen einzustimmen, müssen wir immer als Thierarzt auftreten, dessen wahre Humanität für die Thierwelt sich bethätigen muss. Ich sage wahre, dadurch will ich eben diejenige ausschliessen, die es nicht zulässt, eine angezeigte Operation auszuführen, weil sie Schmerzen ver­ursacht.
Gewandt, dreist und vorsichtig zugleich muss der Thierarzt bei der Untersuchung, bei der Behandlung und über­all sein, er muss jede Gattung von Hausthieicn auf eine zweck-mässige AA'eise anzugreifen und zu befestigen wissen, ruhig und mit sicherem Tact die Gehülfen anzustellen und ihre Thä-tigkeit zu leiten verstehen, er muss sich selbst, die Gehülfen und die Patienten im Auge behalten und vor Beschädigung schützen.
Durch eigene Ungeschicklichkeit macht der Thierarzt schlechte Geschäfte, sowohl bei seinen Patienten wie bei seinen Kunden, durch übertriebene Aengstlichkeit macht er sich lächer­lich; Unvorsichtigkeit, sowohl in Rücksicht auf die eigene Per­son, als auch auf die Gehülfen und Patienten straft sich oft nur zu bitter; die eigenen Beschädigungen nimmt ihm Niemand ab,
Gerlach AMg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4
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50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
die den Gehülfen widerfahrenen werden ihm zur Last gelegt und die an dem Patienten selbst etwa stattfindenden Beschädigun­gen sind nicht geeignet Zutrauen zu erwecken; übel genug, wenn ohne ein Versehen unserer Seits Unglücksfälle eintreten.
Die Erscheinungen der Krankheit, die Schädlich­keiten, welche eingewirkt haben, die etwa vorher­gegangenen Krankheiten, die ökonomischen und diätetischen Verhältnisse vor und bei der Krank­heit und die Constitution des Individuums sind Ge­genstand der Untersuchung, um zur Diognose, zur wohlbegrün-deten Prognose und zu den Heilindicationen zu gelangen. Für den Veterinair bestehen zwei Erkenntnissquellen, aus denen er schöpfen muss, und demgemäss zerfällt seine Untersuchung in eine mittelbare und unmittelbare; jene hat die voraus­gegangenen bezüglichen Umstände vermittelst der Eigenthümer, der Wärter und sonstigen Personen, die eine Kunde davon haben, zu erforschen und umfasst die ganze Geschichte der Krankheit von ihrem Anfange bis zu dem Augenblicke, wo wir hinzukamen, und die etwa vorhergegangenen Krankheiten und Behandlungen, die ganze Vergangenheit des Patienten — die Anamnese als erste Erkenntnissquelle; diese hat hingegen den Patienten selbst unmittelbar zum Gegenstande, um den gegenwärtigen Zustand desselben zu ermitteln, — die objective Untersuchung als zweite Quelle der rech-ten Erkenntniss. Bei dem Mangel einer subjectiven Aus­kunft muss die Untersuchung sehr gründlich durchgeführt werden.
Die Anamnese.
Mit dem Einziehen des Berichts über die Vergangenheit, des Vorberichtes, muss die Untersuchung beginnen, um zunächst eine aligemeine Kenntniss von dem Krankenfalle zu erlangen, um in den Stand gesetzt zu werden, die Untersuchungen an den Thieren in bestimmten Richtungen mit besonderer Umsicht und Genauigkeit vorzunehmen, und um die vorhandenen Symp­tome besser zu deuten und zu würdigen, sowohl in diagnosti­scher als therapeutischer Beziehung. Von einem Krankenexa­men können wir nur insofern sprechen, als wir über den Patienten und seine Krankheit nähere Nachrichten von den betreffenden Personen einziehen. Da nun der Patien1; zur nicht
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unbedeutenden Erschwerung der Diagnose keine subjective Seite für den Thierarzt hat, so ist dieser zwar der Unannehm­lichkeit überhoben, es hin und wieder mit betrügerischen Ab­sichten, mit Launen, Einbildungen, mit Vorurtheil, mit Scham und Eitelkeit seitens der Patienten, mit Simulanten und Dissi-mulanten zu thun zu haben, aber auf desto mehr Schwierig­keit stösst er bei den Wärtern und selbst bei den Besitzern, von denen oft sehr schwer die Wahrheit zu erfahren, zumal wenn ein böses Gewissen im Spiele ist. Es erfordert Umsicht und Kunst, den mürrischen, wortkargen, schuldbewussten oder durch strenge Herrschaft eingeschüchterten und aolchen Perso-nen einen zuverlässigen Vorbericht abzufragen, die Vorurtheile und absurde Ansichten über die betreffende Krankheit haben. Zunächst lassen wir uns den Hergang der Sache ganz einfach erzählen, dann suchen wir den Vorbericht durch entsprechende Fragen zu ergänzen. Der natürlichste Gang bei diesem soge­nannten Krankenexamen ist, wenn wir uns über folgende Dinge informiren:
1)nbsp; Von der Art und Weise der Entstehung, ob die Krankheit plötzlich oder langsam und unter welchen Umstän­den sie entstanden ist, ob und welche Krankheitszustände vor­hergegangen sind.
2)nbsp;Von den wahrgen ommeuen Erscheinungen und den Veränderungen in d iesen Ers cheinungen vom Entstehen der Krankheit bis dahin, wo wir hinzugezogen sind. Wir müssen aber in einer verständlichen, d. h. populären und nicht in einer technischen Sprache die nähere Auskunft erfragen. Es versteht sich von selbst, class nicht hei jedem Krankenexamen alle phy­siologischen Functionen von A bis Z durchgefragt werden; die erhaltene Auskunft und der allgemeine Ausdruck des Patienten leiten xxns schon auf die nöthigen und mitunter nur wenigen Fragen hin. Bei der objeetiven Untersuchung der einzelnen anatomischen und physiologischen Systeme ergänzen wir uns das etwa aus der Vergangenheit noch Wissenswerthe durch ent­sprechende Fragen.
3)nbsp; Von der Krankheitsdauer, die wir in acuten Fällen ziemlich genau, in chronischen annähernd wissen müssen, beson­ders für die Prognose.
4)nbsp; Von den früheren Krankenfällen gleicher Art unter
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derselben Heorde und von der Verbreitung der Krank­heit. Oft, namentlich bei den contagiösen und seuchartigen Krankheiten sind die vorangegangenen Krankenfälle unter der betreffenden Heerde, die mehrfachen gleichartigen Erkrankungen und die Art und Weise der Verbreitung, der Seuchengang für die Diagnose hauptsächlich entscheidend, indem hierdurch die Krankheitserscheinungen erst in ihrer Bedeutung aufgefasst werden können. Es giebt Krankheiten, die aus ihrem Symp-tomencomplex allein gar nicht, sondern erst im Verein mit dem Verlauf und der Verbreitung erkannt werden können. Nur wenige Krankheiten erkennen wir schon an einzelnen Symptomen, weil wir nur bei sehr wenigen Krankheiten patho-gnomonische Symptome haben, die meisten erkennen wir an der speciellen Gruppirung verschiedener Symptome, und einzelne Krankheiten sind nur erst zu erkennen, wenn zu der Symptomengruppe der Verlauf im Individuum und unter einer Heerde #9632;— der Seuchengang — hinzu­kommt.
5) Von den Ursachen, die wir am sichersten dadurch erfahren, wenn wir nach dem Gebrauche, der Ernährung, den Futterstoffen, dem Aufenthalte und allen den Umständen fragen, die kurze oder längere Zeit vor dem Ausbruche Statt gehabt haben. Man darf dabei natürlich nicht den Schluss machen, post hoc propter hoc; unter Berücksichtigung der Natur der Krankheit wird man auch die ursächlichen Momente aus den verschiedenen Umständen herausfinden, insofern sie von den betreffenden Krankheiten überhaupt schon bekannt sind. Sehr oft wird eine bestimmte Ursache angegeben, hiermit dürfen wir uns aber nicht begnügen, denn die Leute sind nicht immer im Stande, die wahre Schädlichkeit zu erkennen: sie geben gewohn­lich alles das als die Ursache an, was beim Eintreten der Krankheit Statt hatte und das, was ausser ihrer Schuld liegt. Nie müssen wir auf. das Urtheil etwas geben, sondern stets nach den einfachen Wahrnehmungen und Thatsachen fragen. Nicht selten werden uns aber trotz aller Bemühungen die Ur­sachen unbekannt bleiben, theils weil sie von vielen Krank­heiten noch gar nicht bekannt sind, theils weil uns die Wahr­heit aus eigenem Schuldbewusstsein verschwiegen wird und endlich noch, weil die wesentlichsten ursächlichen Momente mit­unter so fern liegen, dass der Vorbericht gar keine Auskunft
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darüber geben kann. Wie in solchen Fällen zu verfahren ist, davon später.
6) Endlich auch von der schon Statt gehabten Behandlung, von den bereits angewendeten Mitteln und dem Erfolge nach diesen Mitteln.
Bei der Untersuchung selbst ergehen sich nun die weiteren speciellen Fragen für den vorliegenden Fall. Bei dem ersten Besuche vor der Feststellung der Diagnose und Prognose, und bevor wir therapeutisch einschreiten, muss das Krankenexamen so vollständig sein, dass wir Alles wissen, was zur Erkemmng und Behandlung nöthig und was überhaupt zu ermitteln mög­lich war, und dass wir bei späteren Besuchen uns nur na^h dem zu erkundigen nöthig haben, was seit unsenn letzten Be­suche vorgekommen ist. Mit einem späteren nachträg­lichen Krankenexamen erklären wir allemal, dass wir anfangs nicht recht gründlich gewesen, dass wir mit uns selbst über die Krankheit und Behand­lung nicht einig sind, trotzdem wir schon verschie­dene Mittel angewendet haben. Solche Blössen darf aber der Thierärzt nicht blicken lassen. Das offene Bekennt-niss des augenblicklichen Zweifels über eine Krankheit schadet nie, wohl aber sinkt das Vertrauen, wenn wir uns über Un­sicherheit und Unentschlossenheit ertappen lassen, nachdem wir die Diagnose gestellt und schon kürzere oder längere Zeit kurirt haben.
Ist Gefahr im Verzüge, so darf man natürlich nicht erst ein weitläufiges Examen anstellen; frisch einschreiten und die gefahrdrohenden Symptome beseitigen, das ist die nächste Auf­gabe; eine weitere Orientirung nachträglich.
Objective Untersuchung.
Es kann hier nur von den allgemeinsten Regeln der Unter­suchung und nicht von den Symptomen und deren Sichtung und Combination die Rede sein; dies ist Oegenstand der Symp­tomatologie und Diagnostik.
Krankheiten geben sich durch dauernde und wechselnde Reihen von Erscheinungen zu erkennen, die theils rein subjee-tiv sind und daher für den Thierärzt nicht existiren, theils
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aber in unsere sinnliche Beobachtung fallen deshalb öbjectiv und der eigentliche Gegenstand der thierärztlichen Unter­suchung sind. Wer mit fünf gesunden und wohlgeübten Sinnen versehen, mit gründlichem medicinischen Wissen ausgerüstet und mit einem combinirenden Verstände begabt ist, der ist fähig, gründlich zu untersuchen, das Gegenwärtige zu erken­nen, — Diagnose zu stellen —, das Zukünftige in den Grundzügen richtig zu beurtheilen, — eine richtige Pro­gnose abzugeben — und die für die Behandlung massgeben-den Gründe — Indication en — herauszufinden.
Alle Sinne in Anspruch nehmen ist die wesent­lichste Bedingung bei den Untersuchungen. Nur das, was selbst oder in seinen Folgen sinnlich wahrnehmbar ist, existirt für den Beobachter. Wie aber jeder einzelne Sinn nur einen ge­wissen, beschränkten Wirkungskreis hat und alle Sinne zusam­men uns erst auf eine vollkommene Weise mit der Aussenwelt in Rapport setzen, so ist es zur mügliclisten Vollständigkeit einer ärztlichen Untersuchung nothwendig, alle Sinnesor­gane zu benutzen, sofern eine wahrnehmbare Seite für sie dar­geboten ist. Obgleich mehrere Krankheitszustände schon durch den einen oder durch den anderen Sinn hauptsächlich erkannt werden, so dürfen wir doch nicht verabsäumen, auch die übri­gen zur weiteren Prüfung zu benutzen, so weit durch sie über­haupt noch weitere Auskunft möglich ist. In allen Krank­heiten giebt es was zu fühlen, was nicht zu sehen ist; in vielen Krankheiten kann man durch Hören Zustände ausmitteln, die dem Gesicht und Gefühl verborgen bleiben; bei einzelnen Krankheiten riecht man, wovon die übrigen Sinne nichts ahnen und in seltenen Fällen ist auch der Geschmackssinn ein diagnostisches Hülfsmittel.
Jeder Sinn ist aber, wenn auch nicht an sich, so doch in Bezug auf die von ihm angeregte Vorstellung und Combination, ohne Uebung unvollkommen. Der geübte Leser z. B. erkennt mit einem Blicke das längste Wort, der Anfänger aber muss Buchstaben für Buchstaben ansehen, zu Sylben zusammenstel­len und kommt endlich erst aus der ZusaramenstelJung der Sylben auf das ganze Wort, wenn er auch ein schärferes Auge als der Geübte hat. Ganz so ist es auch bei der Untersuchung der Patienten, der Geübte übersieht mit einem Blicke den gan­zen äusseren Ausdruck des Patienten, den Habitus und wird
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dadurch wenigstens schon speciell zu der Untersuchung auf eine bestimmte Krankheit hingeführt, wenn er diese selbst nicht schon vollständig erkannt hat. Dies ist eben der praktische Blick. Bei dem Gehörssinn ist es fast noch auffälliger, das musikalische Ohr hört geringe Misstöne eines bestimmten In­strumentes unter vielen andern heraus, wovon das nichtmusi­kalische Ohr keine Ahnung hat, wenn der physiologische Vor­gang des Hörens auch ebenso vollständig ist, als bei jenem; wenn der Blinde Farben und Buchstaben durch Betasten er­kennt, mit den Fingerspitzen lesen kann, so liefert er ein grosses Beispiel davon, wie weit die Uebung es mit der Ver­vollkommnung des Tastsinnes bringen kann.
Die Sinne wollen also zu dem verschiedenen Gebrauche geübt sein, es ist auch Pflicht des Arztes, dass er sie zu sei­nem Zwecke bei den Untersuchungen übt, dass er nament­lich neben dem Gesichtssinn nicht den Tast- und Gehörssinn vernachlässigt. Der Arzt rauss ebenso gut ein prakti­sches Gehör und Gefühl haben, als einen prakti­schen Blick — dann erst ist er ein ganzer Practicus.
Der Thierarzt übt seine Sinne für seinen Beruf durch den recht häufigen Gebrauch zuerst an gesunden und demnächst an kranken Thieren. Es ist eine eigenthümliche Thatsache, dass der Anfänger immer sehr bemüht ist, Krankheiten zu sehen und die Gesundheit ganz übersieht und vernachlässigt. Die Physiologie glaubt man im Hörsaale genügend begreifen zu kön­nen, die Pathologie aber nicht, dazu hält man die praktische Anweisung und Anschauung für nöthig. So richtig auch Letz­tores, so falsch ist Ersteres, und darin liegt eben der grösste Fehler des Anfängers, dass er die Physiologie nicht in der Natur studirt, soweit sie eben bei der Untersuchung gesunder Thiere objective Seiten darbietet. Wo es möglich ist, muss man den Lehrsätzen durch eigene Anschauung ein lebendiges Bild geben; für jeden Sinn, namentlich aber für den Ge­sichts-, Gehörs- und Gefühlssinn muss man sich Musterbilder von dem Gesundheitszustande ver­schaffen; hierdurch allein gewinnt man eine praktische Grund­lage für die Untersuchungen an kranken Thieren, denn das Abnorme ist nur durch Vcrgleichung mit dem Normalen zu erkennen; kennt man das Normale nur theoretisch, so ist es meist schwer, oft gar nicht möglich, das Abnorme durch eigene
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56nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
Wahrnehmung aufzufinden. Dem praktischen Studium der Krankheit muss daher das praktische Einstu­diren der Gesundheit unter verschiedenen Verhält­nissen vorausgehen. Wer z.B. noch kein Schaf in heis-sen Sommertagen hat athmen sehen, wer noch keine Kuh in behaglicher Ruhe nach dem Fressen hat stöhnen hören, wer das Schwanken des normalen Pulses beim Rinde nicht kennt etc., der wird oft irre geführt werden; wer das respiratorische Ge­räusch beim ruhigen und schnellen Athem bei den verschie­denen Thiergattungen und nach dem Flächenumfange und den Abgrenzungen an dem Brustkorbe nicht kennt, wer den Wanst und den Darmkanal bei seinen Functionen noch nicht aus^e-horcht hat, wer mit dem Percussions-Tone an den verschiede­nen Stellen der Brustwandungen nicht vertraut ist, der findet auch das Abnorme in diesen Dingen nicht heraus. Die An­fänger, welche noch nicht die nöthige Uebung in den Unter­suchungen an gesunden Thieren gehabt haben, die noch nicht mit allem sinnlich Wahrnehmbaren im gesunden Zustande ver­traut sind, müssen bei Untersuchungen der Patienten Verglei-chungen anstellen mit einem gesunden Thiere, d. h. sie müssen ein gesundes Thier gleicher Gattung, das unter denselben äus-sern Einflüssen steht, auf alle jene Erscheinungen untersuchen, von denen sie bei dem Patienten nicht wissen, in wie weit sie eben abnorm sind. Bei dem Auscultiren und Percutiren müs­sen genau dieselben Stellen gewählt werden, wenn man von der Vergleichung ein sicheres Resultat haben will. Die weitere Uebung der Sinne, um es zu einer schnellen Auffassung des Abnormen zu bringen, erlangt man nach und nach durch gründ­liche Untersuchungen an kranken Thieren, in Folge deren sich Bilder von den abnormen Zuständen durch verschiedene Sin­neseindrücke im Gedächtniss aufspeichern, von denen das betref­fende Bild bei gleichen oder ähnlichen Sinneseindrücken sofort in Erinnerung tritt und zur Vergleichung bereit ist.
Nach einer gewissen Ordnung muss die Unter­suchung in einem übersichtlichen Zusammenhange vollführt werden, um keine Symptome zu übersehen; der zweckmässigste Weg ist der, wenn man nach dem anatomisch-physiologischen Zusammenhange der Organe und Systeme ver­fährt. Ob wir mit dem einen oder dem andern zuerst anfangen, darauf kommt nioht viel an, gewöhnlich aber fängt man mit
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dem an, welches schon dem allgemeinen äussern Ausdrucke nach vorzugsweise bei der Krankheit betheiligt ist. Lässt die allgemeine Betrachtung schon eine Brustentzündung vermuthen, so beginnen wir nicht mit dem Verdauungssysteme, wir wenden uns vielmehr gleich an die Brustorgane. Bei Lahmheiten un­tersucht man nicht die sensoriellen Functiouen etc. Es ist fast allgemeiner Gebrauch geworden, dass man bei inneren Krank­heiten mit dem Pulse anfängt, diesen oft schon untersucht, wenn man noch mit dem Krankenexamen beschäftigt ist. Bei den Pferden ist dies ganz zweckmässig, weil er hier im gesun­den Zustande immer sehr stabil ist und uns daher von allen einzelnen Symptomen die sicherste Auskunft von dem allge­meinen Ergriffensein, von dem Fieber giebt, was bei den übri­gen Hausthieren nicht so der Fall ist, bei diesen zuerst nach dem Pulse zu greifen würde weniger praktisch sein; denn wir haben wenig und oft gar keine Auskunft von ihm zu erwarten. Neben der Krankheit muss aber zugleich das Individuelle des erkrankten Thieres festgestellt werden, die Untersuchung hat somit zum Gegenstande:
1.nbsp; nbsp;Die körperliche Beschaffenheit ohne Rücksicht auf Krankheit, die gesammte Organisation, das Thier in seiner sonstigen Totaltät — Gattung, Species, Geschlecht, Alter und Körperbeschaffenheit, namentlich Nähr­zustand.
2.nbsp; Die Krankheitserscheinungen. liier durchmu­stert man alle anatomischen und physiologischen Verhältnisse und beachtet:
laquo;) das Aeussere überhaupt, namentlich das Haar, die Tem­peratur, den Tonus der Haut, die Beschaffenheit der sichtbaren Schleimhaut, ferner etwaige chirurgische Zustände, Ortsbewe-gungen;
b) die Nervensphäre, die psychischen, sensitiven und moto­rischen Functionen. Besondere Studien erfordert die Erkennung des Schmerzes, dessen Kundgebung bei den verschiedenen Thiergattungen und nach dem Sitze verschieden und dessen Erkenntniss von sehr grosser Wichtigkeit für die Diagnose ist. Gerade dadurch, dass der Schmerz als subjeetives Symp­tom überhaupt, namentlich aber dem Sitze nach sehr schwer und der Art nach gar nicht mehr zu erkennen ist, wird die Untersuchung und Diagnose bei den Thieren so sehr erschwert.
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58nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Der Thierarzt
c)nbsp; das Athmen und die Athmungswerkzeuge; hier kommt namentlich die physikalische Exploration recht wesentlich in Betracht;
d)nbsp; den Kreislauf des Blutes. Herz- und Arterienschlag kommen nach Frequenz, Rhythmus und Qualität in Betracht; die Auscultation des Herzens darf man eben so wenig versäu­men, als die der Lunge. Bei dem Pulse wird die Qualität ge­wöhnlich vernachlässigt, weil sie schwieriger zu beurtheilen ist, als die Frequenz und doch hängt gerade davon viel ab; zur Beurthcilung der Qualität muss man drei Dinge, die Stärke der Blutsäule, d.h. die Fülle resp. Leere der Arterien, die Spannung der Gefässwand — harte und weiche Ar­terie — und die Blut welle im Momente der Systole, die Grosse, Kraft und Schnelligkeit, mit der sie ankommt und ver­schwindet, getrennt halten, um sich über die pathologischen Verhältnisse zu Orientiren;
e)nbsp; die Verdauungsorgane und ihre Verrichtungen. Die Appetitlosigkeit spielt hier die gewichtigste Rolle, sie ist aber sehr relativ zu beurtheilen, sie kann ein generelles unwesent­liches und auch ein directes specifisches Symptom von Krank­heiten in dem Gebiete der Verdauungsorganc sein. Die phy­sikalische Exploration des Hinterleibes ist sehr gewichtig und verdient grössere Beachtung, als bisher im Allgemeinen ge­schehen ist;
f)nbsp; endlich die Ab- und Aussonderungen; Faeces und Urin, stehen hier im Vordergrunde, der Urin ist in der Symptomato­logie der Hausthiere noch nicht genug ausgebeutet worden, weil das Auffangen und Untersuchen mit Schwierigkeiten verbun­den ist.
Auscultation und Percussion. Im Anschlüsse an die kurze Angabe des Modus der Untersuchungen will ich auf diese für die Diagnose so hoch wichtige physikalische Explora­tion noch mit einigen Worten zurückkommen. Bei dem Aus-cultiren stossen wir bei unseren Thieren auf Schwierigkeiten. Die Unruhe des Thieres selbst, die mangelhafte Stille und Ruhe in der Umgebung, die behaarte Haut, die starken Mus­keln und die Fettlage unter der Haut, auf den Bippenwandun­gen bei gutgenährten Thieren, die Lage der Schulterblätter mit ihren dicken Muskeln, die Lage des Zwerchfelles und dessen
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starke Hineinwölbung in die Brusthöhle, dies alles beschränkt diese Untersuchung sehr, so dass wir denn auch nicht im Stande sind, solche präcise und subtile Diognossn bei den Brustkranken stellen zu können, wie der Arzt. Trotz alledem haben wir doch einen grossen Gewinn an diesen Untersuchun­gen für unsere Diagnose besonders der Bmstkrankheiten, der Lungen- und Herzleiden.
Im Allgemeinen wird die Auscultation und Percussion von den Thierärzten noch nicht in gebührender Weise gewür­digt. Dies liegt theils in den erwähnten grossen Schwierig­keiten, zum Theil aber auch darin, dass der Gegenstand im­mer noch zu sehr nach den Erfahrungen in der Medicin und zu wenig selbstständig ausgebildet worden ist. Die physikali­schen Gesetze bleiben immer dieselben und die physikalischen Erscheinungen können daher auch bei den Tbieren nicht we­sentlich verschieden sein, aber die Verhältnisse in Folge des anatomischen Baues sind im Normalen anders, daher andere Gestaltung und andere Beurtheilung der physikalischen Erschei­nungen in Krankheiten der Thiere; ein mit der physikalischen Untersuchung sehr vertrauter Arzt kann daher eine physika­lische Diagnose bei den Thieren gar nicht oder doch nur sehr unsicher stellen.
Besondere Empfehlung dieser Untersuchung bei den Thie­ren habe ich deshalb hier nicht verabsäumen wollen; ver­bindet man damit genaue Obductionen und bringt man die anatomischen Veränderungen mit dem physikalischen Ergeb-niss bei der Auscultation und Percussion in Zusammenhang, so befinden wir uns auf dem Wege, die physikalische Diagnose bei unseren Thieren selbstständig zu fördern.
Das Percutiren geschieht mit der Fingerspitze — bei klei­nen Thieren — mit dem Knöchel eines gebogenen Fingers oder einer gehalten Faust, am zweckmässigsten aber mit Plessimeter und Hammer von Pyorry. Das Plessimeter, ob eine knöcherne oder metallene Platte, darf nur eben die nöthige Stärke haben, um die Töne nicht zu sehr zu dämpfen, und muss fest auf die Haut gedrückt werden; der Hammer mit einem Kautschuk-ballen muss für die grösseren Thiere 2 Mal schwerer sein, als der für Menschen. Die Percussion beschränkt sich auf Stirn-, Kiefer- und Brusthöhle; an den Brustwandungen wird der Ton durch Fettlageruug gedämpft, bei wohlgenährten Thie-
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ren muss man deshalb stärker percutiren, als bei mageren, um die Töne aus den Lungen zu gewinnen. Die Percussion zur Ermittelung des Umfanges der Leber ist bei den Thieren un­sicher, nur bei ungewöhnlicher Lebervergrösserung gewinnt man einige Auskunft durch den Schenkelton an einer ungewöhnlich grossen Flachs. Bei der Auscultation handelt es sich um die Ermittelung der Geräusche resp. Töne a) beim Athmen in der Nase, dem Kehlkopfe, der Luftröhre, besonders aber in der Brusthöhle, h) bei den Herzschlägen — Herztöne und pericar-dischen Geräusche — und c) in dem Hinterleibe, die durch wurmförmige Bewegungen und Forttreiben der festen, flüs­sigen und gasförmigen Contenta erzeugt werden. Es kön­nen die normalen Geräusche und Töne fehlen oder verändert, es können aber auch ganz neue Geräusche und Töne vorhan­den sein. Die Auscultation geschieht am besten ohne Hülfs-mittel. Das Stethoskop von Laennec, Avelches auch bei den Menschen nur noch wenig gebräuchlich ist, empfiehlt sich bei den behaarten Thieren nicht. Im Freien hört man nur die stärkeren Geräusche, und bei stärkerer Luftströmung kann man gar nicht auscultiren; möglichst kleine und geschlossene Ställe eignen sich am besten, besonders, wenn ausser dem Untersu-chungsobjeete keine Thiere weiter darin sind. Leise Geräusche in der Brusthöhle vernimmt man nur dann, wenn man bei dem Lauschen den Rhythmus der Athmungs- resp. Herzbewegungen verfolgt; ausserdem ist Körperbewegung ein Hülfsmittel, die Athemgeräusche und Herztöne stärker hervortreten zu lassen.
Genaue topographische Anatomie, besonders der Brust-und Bauchorgane ist Grundbedingung; den Lehrern der Ana­tomie ist deshalb eine ganz speciclle Rücksicht auf die für die Praxis so sehr wichtige Auscultation und Percussion zu empfeh­len. Der praktische Thierarzt kann sich in Ermangelung kla­rer Vorstellung von den Lagen und Grenzen der Brust- und Bauchorgane dadurch helfen, dass er die Grade und Grenzen der Geräusche und Töne in der Brusthöhle durch sorgfältige Prüfung an gesunden Thieren der verschiedenen Gattungen fest­stellt. Man raarkirt die Grenzen, wo das Athemgeräusch auf­hört, zeichnet die Stellen, wo es am stärksten ist und nimmt eine Zeichnung von der Brustwand auf, in welcher durch dunk­lere und hellere Schattirung die Stellen des verschiedengradi-gen respiratorischen Geräusches angedeutet sind.
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Das Ergebniss der Untersuchung und des Vorberichts ent­scheidet darüber, ob und wie die Untersuchung wiederholt wer­den rauss, ehe ein bestimmter Kurplan entworfen werden kann, und je nachdem kann es nöthig werden, dass der Patient zu verschiedenen Tageszeiten unter verschiedenen Umständen, bei und nach Bewegungen, bei und nach dem Fressen untersucht und beobachtet wird.
Alle Symptome müssen aufgesucht und geordnet werden zu einem möglichst klaren Bilde; zu diesem Z vecke analysiren wir die verschiedenen Symptome physiologisch, scheiden die unwesentlichen aus und stellen die wesentlichen zusammen, ver­folgen sie einzeln so weit nach ihren Grundursachen, — den zum Grunde liegenden materiellen Veränderungen — zurück, als es eben nach dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft möglich ist. Kommen wir hierbei auf den letzten Grund, wo alle wesent­lichen Symptome unmittelbar oder mittelbar ihren Anfang neh­men — Wesen der Krankheit —, so sind wir vollständig im Klaren; kommen wir aber hierbei nicht auf den letzten Grund, bleibt uns das Wesen der Krankheit verschlossen, wie es bei so vielen noch der Fall ist, so fangen wir von den Punkten aus an zu ordnen, wohin wir bei der physiologischen Analyse gekommen sind, indem wir das Zusammengehörige aufsuchen und combiniren, das Verschiedenartige trennen und alles mit den äusseren Einflüssen möglichst in Einklang bringen.
Bei den späteren, während der Behandlung wiederholten Untersuchungen wird im Allgemeinen nach gleichen Grundsätzen verfahren, besonders ist hier aber auf die eingetretenen Ver­änderungen, auf die Wirkungen der Methode und Mittel zu achten. Das Weitere bezüglich der Therapie findet seine Erle­digung im vierten Abschnitte bei der Kunstheilung.
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Ein Rückblick anf die Tageserlebnisse.
Auf den Reisen, namentlich aber am Abend in stiller Ruhe muss der Thicrarzt die Tageserlebnisse noch einmal prüfend durchdenken; er rauss einmal über seine Patienten, namentlich über die schwereren und diejenigen, deren Leiden noch zweifel­haft geblieben ist, noch einmal nachdenken, ob bei der Unter­suchung nichts übersehen, das Aufgefundene richtig gedeu-
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62nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Der Thierarzt in seinem Wirkungskreise.
tet und die eingeleitete Behandlung auch zweckentsprechend ist. Bei solcher Eecapitulation, wobei man nicht selten auf glückliche Gedanken kommt, bereiten wir uns für unsere Patienten zum nächsten Tage vor. Weiter muss der Thier­arzt sich selbst fmgen, ob er denn auch überhaupt recht ge­handelt habe, ob sein Auftreten und Benehmen überall das rechte war oder wie er hätte anders handeln und sprechen müssen. Diese Selbstcontrole muss namentlich der angehende Thierarzt recht streng führen, dadurch allein erlangt er den rechten Tact in seinen socialen und gewerblichen Verhältnissen. Wer über das Vergangene sich prüft, die begangenen Fehler aufsucht und sich klar macht, was unter den gegebenen Verhält­nissen das Rechte gewesen wäre, der erwirbt sich sehr bald die Fähigkeit, in jedem Falle die gegebenen Verhältnisse schnell aufzufassen und sich ihnen gegenüber zweckmässig zu beneh­men, der wird es lernen, rasch und glücklich zu individualisi-ren bei seinen Patienten und bei den Menschen, mit denen er in Berührung kommt.
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Zweiter Abschnitt.
Die Heilsystemc.
oeit Jahrtausenden hat man schon kurirt und zwar auf die verschiedenartigste Weise, je nach der Anschauungsweise, die man von den Krankheiten und ihrem Zustande bekommen hatte. Die verschiedenen medicinischen Systeme, die seit Hip-pokrates zur Geltung gekommen und wieder untergegangen sind, haben aber nicht alle gleichen Einfluss auf die Behandlungs-weise gehabt, oft ist dieser mehr ein theoretischer gewesen, die Mittel und Anwendungsarten blieben dieselben, nur die Vor-stellungsweise von der Heilwirkung änderte sich; mitunter aber griff der Einfluss tief in die Praxis ein und gestaltete die The­rapie theilweise oder gänzlich um, es entstanden mit den neuen medicinischen Systemen auch neue Heilsysteme. Es würde uns zu weit vom Ziele ablenken, wenn wir alle Heilmethoden und Systeme durchgehen wollten, die schon dagewesen sind; was der Geschichte vollkommen angehört und mit der heutigen The­rapie nichts mehr zu thun hat, davon sehen wir ab, wir be­schränken uns vielmehr auf die Heilsysteme, welche der jün­geren Vergangenheit angehören, deren Spuren noch jetzt in der Therapie zu finden sind, und diejenigen, welche ihre Vertreter noch in der Gegenwart haben und nebenher fortbestehen.
Ein bestimmtes Heilsystem hat auch eine Grundidee; das nach einer solchen aufgebaute Gebäude von Heilregeln stellt
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64nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteiue.
eben das Heilsystem dar. Solche Grundidee hat verscliiedene Quellen:
1)nbsp; nbsp;Sie geht von einer Lebensseite des Organismus aus und stellt es von der einen oder der anderen als ausgemacht hin, dass alles Wohl und Wehe davon abhänge, Krankheit und Hei­lung davon ausgehe. Kach so fundamentirter Idee über Krank­heit und Heilung ist bald der Nerv — die Nerven-Pathologie und -Therapie —, bald das Blut in seiner Mischung — Humo­ral-Pathologie und -Therapie —, bald die Blut-Circulation im (Japillarsysterae — die anatomische Schule, namentlich die Brous-saische Doctrin, wonach jede Krankheit auf Congestion und Ent­zündung beruht —, bald wieder die organische Zelle in ihrer Thätigkeitsäusserung etc., der fundamentale Angriffspunkt der Therapie.
2)nbsp; nbsp;Die Grundidee eines Heilsystems beruht einseitig auf der Anschauungsweise über die Heilwirkung der Mittel; man fasst entweder die Krankheiten lediglich nach ihrer Verbreitung und den befallenen Organen auf und klassificirt sie nach ihren Heil­mitteln — das Radcmacher'sche Heilsystem —; oder man stellt bei den Krankheiten die Symptome allein als die leitenden Dinge hin und wendet nun theils solche Mittel an, welche ähnliche oder gleiche Erscheinungen hervorzubringen im Stande sind — Homöopathie, Isopathie —, theils solche, welche die ent­gegengesetzten Wirkungen haben — Antipathie, antidotisches Verfahren —, oder endlich auch Mittel, die weder ähnliche noch entgegengesetzte, sondern ganz verschiedenartige Zustände erzeu­gen, alterirende Mittel — Allopathie.
Dies ist, dem Wortlaute nach, die eigentliche Allopathie, die aber keineswegs mit der sogenannten Allopathie verwechselt werden darf, welche im gewöhnlichen Leben als Gegensatz von der Homöopathie gebraucht wird, und welche keine wirkliche Allopathie ist, sondern nach sehr verschiedeneu rationellen und empirischen Grundsätzen heilt.
3)nbsp; nbsp;Die Basis eines Heilsystems liegt endlich in einem ein­zelnen Heilmittel, souverainen Mittel, dem die wunderbare Kraft verliehen ist, alle Krankheiten oder doch die grosse Mehrzahl auszulösen, und wo dann das ganze Heilsystem eben in der Mannigfaltigkeit der Anwendungsarten besteht — Hydropathie, Mesmerismus.
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Brownianismus,
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In der Wesenheit eines Systems liegt es überhaupt, dass alles dasjenige, was nicht der leitenden Grundidee entsprechend ist, ausgeschlossen werden muss, sonst bleibt es eben kein System mehr. Das System einer therapeutischen Behandlungsweise schliesst nothwendig jedes andre aus; in dieser Ausschliesslichkeit aber liegt die Einseitigkeit, die Unvollkommenheit und der Grund des früheren oder späteren Untergangs eines jeden Heil-systems. Denn in dem lebendigen Organismus sind dieVerhältnisse nicht dazu angethan, dass die Störungen ausschliesslich von dem einen oder anderen anatomischen Systeme ausgehen, derAnstoss zum Erkranken wie zum Genesen geht von verschiedenen Punk­ten aus und geschieht auf die mannigfaltigste Weise; dieselben Krankheiten können recht oft auf mehr als einem Wege geheilt und verschiedene Krankheiten müssen oft auf verschiedenartige Weise in Angriff genommen werden. Es kann sich daher in einer rationell empirischen Therapie selbstredend nie um ein bestimmtes System handeln, solche muss vielmehr jedes System, als souverain aufgefasst, ausschliessen und in ihren Grundlagen wieder alle umfassen, so weit sie nicht in das Bereich der Träu­mereien gehören.
Nichtsdestoweniger hat jedes Heilsystem seine Anhänger ge­funden und einen grösseren oder geringeren Einfluss auf die medi-cinische Praxis ausgeübt, wie auch umgekehrt manche Wahr­heit so schwer zur Geltung kommt. Dies liegt in der Natur des Menschen selbst; ein Theil hängt am Alten, ein anderer ist neuerungssüchtig und ein dritter Theil ist gleichgültig für Alles, namentlich aber, wenn es nicht bequem ist.
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Brownianismus.
Aus Holler's Irritabilitätslehre entstand Bromria Erregungs­theorie 1788*). Der Ideengang dieses Systems ist folgender:
Die Fähigkeit, durch äussere Einflüsse in Thätigkeit ver­setzt zu werden, ist die Erregbarkeit .— incitobilitas —, welche ihren Sitz vornehmlich im Nervenmark und in der Mus­kelsubstanz hat und wodurch sich der belebte Körper von der
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*) G. Brown's System der Heilkunde. Uebersetzung von Pf äff. Kopen­hagen 1798.
Ger lach A% Therapie. 2. AnJ.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 5
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66nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysterae.
todten Materie unterscheidet. Die äusseron Einflüsse sind Poten­zen — Reize, incitamenta — für die Erregbarkeit, und das Re­sultat der Wirkung der Reize auf die Erregbarkeit ist Erregung — incitatio —, von welcher alle Erscheinungen des lebenden Körpers abhängen. Wo die Reize auch auf den Orga­nismus einwirken mögen, immer wird die Erregbarkeit davon in ihrer Totalität getroffen. Reizung ist also die Triebfeder des Lebens und durch ihre Modificationen die Quelle der Krank­heiten; Gesundheit und Krankheit hängen nur von dem Grade der Erregung und also weiter von dem Grade der Reizung ab. Eine massige Erregung bestimmt den Zustand der Gesundheit und hängt von einer massigen Wirkung der Reize ab.
In Krankheiten ist nun entweder das Maass der reizenden Wirkung zu stark, indem die natürlichen Reize mit erhöhter Kraft oder in grösserer Menge wirken; die Folge ist stärkere Erregung und diese bedingt die eine Hauptkrankheitsform — die Hypersthenie; oder das Maass der reizenden Wirkung ist zu gering, in Folge dessen geringere Erregung, wodurch die zweite Hauptkrankheitsform — die Asthenie — gegeben ist, die aber auf zwei verschiedenen Wegen zu Stande kommt, und je nach­dem unterscheidet man eine directe oder eigentliche Asthenie, wenn die Reize theilweise entzogen oder zu schwach sind, und eine indirecte Asthenie, welche auf die Weise zu Stande kommt, dass die Erregbarkeit durch die Reize selbst geschwächt oder erschöpft wird, wenn sie zu stark und zu anhaltend einwirken, so dass gewöhnliche Reize nicht mehr den gehörigen Grad der Erregung bewirken — üeberreizung. Die Erregbarkeit ist näm­lich nicht immer in demselben Maasse vorhanden, sie ist ver­mehrt — angehäuft — bei schwachen Reizen oder bei Mangel an Reizen, sie ist vermindert bei stärkeren und anhaltenderen Reizen, weil die Reizung nicht bloss Erregung, sondern auch Consumption der Erregbarkeit zur Folge hat.
Der Tod erfolgt durch den höchsten Grad der Asthenie, entweder direct durch Mangel an .Reizen, oder indirect durch üeberreizung und gänzliche Erschöpfung der Erregbarkeit. Man­gel an Reizen und Erschöpfung sind in ihren Folgen gleich, bei beiden keine Erregung, kein Leben. Der Einfachheit wegen leugnete Brown, jede qualitative Verschiedenheit der Reize.
Die diesem Systeme entsprechende Therapie ist luchst ein-
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Brownianismus.
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fach; wie die Reize die Triebfeder des Lebens uüd die Quelle der Krankheiten sind, so sind sie auch die Mittel zur Genesung. Der Kranklicitsentstebung entsprechend, giebt es für alle Krank­heiten auch nur zwei Hauptindicationen:
1)nbsp; die Reizung zu vermindern — also zu schwächen — bei der Hypersthenie, und
2)nbsp; nbsp;die Reizung zu vermehren — zu stärken — bei der Asthenie.
Bei letzterer ist jedoch die Heilart insofern verschieden, dass man:
a)nbsp; bei directer Asthenie mit kleinen Reizen — gelind erre­genden Mitteln — anfängt und allmälig zu stärkeren Reizen übergeht, weil bei diesem Zustande gesteigerte Erregbarkeit durch stärkere Reize, welche der Therapeut spendet, leicht erschöpft und so Ueborreizung — indirecte Asthenie — herbei­geführt werden würde;
b)nbsp; nbsp;bei indirecter Asthenie dagegen mit stärkeren Reizen anfängt und allmälig durch geringere Reize zu den gewöhnlichen herabsteigt; denn die verminderte Erregbarkeit würde gegen schwache Reize nicht reagiren.
Brown erklärte die meisten Krankheiten für asthenisch, weshalb die Reizmittel auch die wichtigste Rolle in der The­rapie spielten.
Trotz der grossen Mängel fand dieses System schnell und allgemein Eingang bei dcn^Aerzten, die einfache Therapie war sehr einladend, die Heilindicationen waren leicht zu finden, und wegen der schwächenden und erregenden Mittel kam kein Arzt in Verlegenheit. In der Thierheilkunde wurde diese Lehre sehr bald adoptirt, namentlich ist es wohl Laubmder gewesen, der dieses Heilsystem bei den Thierärzten zuerst eingeführt hat. Aber nur kurze Zeit konnte sich diese Erregungstheorie erhal­ten, die praktischen Aerzte waren nicht glücklich damit, nament­lich erkannte man sehr bald das Verderbliche des ausgebreite­ten Gebrauchs der Reizmittel in Fiebern, man kam immer mehr davon zurück, während andererseits die Gebrochen der strengen Kritik nicht entgingen. Wie aber von allen Systemen etwas zurückgeblieben ist, wenn auch in anderen Schattirungen, wie sie eben zu dem Bilde eines neuen Systems passten, so ist auch der Brownianismus noch heute nicht verschwunden, noch viel­fältig werden die überkommenen Ausdrücke von Sthenie und
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6Snbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Heilsysteme.
Asthenie gemissbraucht, besonders spielen sie in der Thierheil-kunde noch vielseitig eine bedeutsamere Rolle, als zum Heile der Patienten dient. Es versteht sich von selbst, dass das Maass der Kräfte bei den Patienten ein verschiedenes ist, dass also sthenische und asthenische Zustände, wenn auch nicht in der ursprünglichen Bedeutung, existiren, dass wenigstens ein asthe-nischer Zustand auch selbstständig bestehen kann, deshalb darf aber doch nicht das Hauptgewicht auf das bestehende Kraft-maass gelegt und darüber der Krankheitsprocess vergessen werden.
Rasori's System.
(Teoria di contrastimolo.)
Dieses Heilsystem wurzelt ebenfalls in der Erregungstheo-rie. Brown erklärte alle Potenzen für Reize und erkannte keine deprimirenden Einflüsse an. Giovane Rasori (in Pavia) fühlte die Nichtigkeit dieser Behauptung und unterschied deshalb die äusseren Einflüsse in stärkende und schwächende, d. h. direct schwächende ohne vorherige Ueberreizung, in Reize und Gegenreize. Diejenigen Mittel, welche auf den lebenden Organismus eine, der reizenden, d. h. erregenden Wirkung direct entgegengesetzte, eine entreizende, deprimirende Wirkung haben, nennt er Contrastimulantia direeta, während die Entziehungen der gewohnten Reize, wie Hunger, Kälte und Aderlass, seine Contrastimidantia indireeta seit spuria sind. Zu den ersteren zählte er besonders die blausäurelialtigen Mittel. Rasori stützte sich hier besonders auf die bei aqua Laurocerasi gemachten Beobachtungen:
1)nbsp; nbsp; dass Thiere dadurch unmittelbar schnell geschwächt, selbst durch Schwäche getödtet werden, ohne vorlaufende Erre­gung ;
2)nbsp; dass Thiere, die durch aqua Laurocerasi schon dem Tode nahe gebracht sind, durch flüchtige Reizmittel wieder hergestellt werden können;
3)nbsp; nbsp;dass die Wirkungen flüchtiger Reize durch Zwischen­gaben der aqua Laurocerasi sich immer unterbrechen lassen, und
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Rasori's System.
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4) dass man in den Eingeweiden der Tbiere, die mit aqua Laurocerasi gctödtet werden, nie eine Spur von reizender Ein­wirkung auf die Eingeweide wahrnimmt.
Borda untersuchte, dieser Ansicht gemäss, das ganze Gehiet der Medicamente und fand, dass aussei' der Blausäure und den blausäurehaltigen Mitteln noch Faba St. Ignatti, Nux vomica, Solamim nigrum und Dulcamara, Digitalis, Mercur, die Anti-monialia, Ipecacuanha, Scilla maritima, Gratiola officinalis, die Säuren und Neutralsalze u. m. a. Substanzen directe Schwächlings-mittel seien. Broten hatte die meisten Krankheiten für nsthe-nisch erklärt und die Reizmittel in Schwung gebracht, während Basori umgekehrt versicherte, dass unter 100 Krankheitsfällen 97 sthenische seien, weshalb dieser und seine Schüler mit Ader­lässen, Brechweinstein, Salpeter u. a. arbeiteten. Beide haben wohl in ihrem Eifer übersehen, dass der Krankheitsgenius nicht im­mer derselbe, vielmehr im Räume und in der Zeit verschie­den ist.
Auch von diesem Systeme trägt unsere Therapie noch deut­liche Spuren; wenn auch die schwächenden Mittel nicht mehr Contrastimulantien genannt werden, so wird doch der herabstira-mende, schwächende Heilapparat eben so gut, wie andererseits der erregende, stärkende, vielfach in zu grosser Ausdehnung angewendet. Von so manchem Thierarzte wird der Aderlass gemacht, ohne Indication dafür zu haben, ja oft selbst trotz deutlicher Contraindictationen; zwar ist wohl weniger die Sthe-nie, sondern mehr die Entzündung das Schattenbild, welches sie fast überall sehen und gegen welches sie mit den Rasori'scheu Gegenreizen, den schwächenden Mitteln, zu Felde ziehen. Es bleibt unentschieden, ob die noch heute bemerkbaren Miss­bräuche der schwächenden Mittel die Rudera von dem contra-stimulistischen Systeme Basori s oder die Folgen von den Brous-sai'schen Doctrinen sind, wonach überall Congestion und Ent­zündung zu bekämpfen sind.
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mesmerisnius.
Die magische oder magnetische Heilmethode von Änton Mesmer. Als Galvani die Elektricität entdeckt hatte, ver­suchte man auch die Lebenserscheinungen durch dieselbe zu erklä­ren; Z.. Bein hold sah den Organismus geradezu als eine galvanische
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70nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Dio Heflsysteme.
Säule an. Alesmer fasste das magnetische Agens (den thieri-schen Magnetismus) als allgemeines Lebensprincip auf und führte alle Krankheiten und i lire Heilungen auf Störung und Wiederherstellung der magnetischen Strömungen zurück. Die Polarität spielte hierbei eine grosse Rolle. Duhois Reymmd hat später die elektro-motorischen Strömun­gen in den Nerven und Muskeln nachgewiesen. Licht, Wärme und Elektriciät, die nach neuerer Physik nur verschiedene Bewe­gungserscheinungen eines Aethers in Conflict mit den gröberen Materien sind, gehören zu den mächtigen Agentien in ätiolo­gischer und therapeutischer Beziehung. Wenn man nun auch die Wirkung des Magnetismus auf den Organismus noch weni­ger kennt, als die der übrigen sogenannten dynamischen Fac-toren, so steht doch so viel fest, dass er nicht ohne Einfluss auf den thierischen Organismus ist. So viel daher auch der Mesmerismus zu Täuschungen gemissbraucht sein mag, und so wenig man denselben als ein Universalheilmittel betrachten darf, so ist doch nicht in Abrede zu stellen, dass die elektrischen und magnetischen Verhältnisse im thierischen Körper sich ändern und Störungen bedingen können, dass somit auch Ausgleichun­gen solcher Missverhältnisse durch Mittheilung oder Entziehung heilbringend sein müssen, und dass die Einwirkung des Magne­tismus eben so gut seinen Effect hat, als die Inductionselek-tricität. Manche sogenannte sympathetische Kur mag daher auch wohl in dem Mesmerismus eine reelle Seite haben. In wie weit aber der thiorische Magnetismus und die thierische Elektricität sich bei verschiedenen Individuen derselber Gattung und wieder in den verschiedenen Gattungen verschieden verhält, ob, je nachdem zwischen einzelnen Individuen und verschie­denen Gattungen ein Ein- und Ausströmen, ein Ausgleichen und Anhäufen stattfindet und auf diese Weise ein magischer — magnetischer — Einfluss von einzelnen Individuen auf andere von gleicher oder verschiedener Gattung Statt hat, das alles ist noch nicht entschieden.- Der Mesmerismus muss bis jetzt noch gar zu sehr den abstracten Glauben, in manchen Dingen einen recht kindlichen Glauben in Anspruch nehmen, er hat bis jetzt noch zu wenig reelles Fundament, um sich nur zu einzelnen Kurmethoden bei gewissen Krankheiten zu formiren, geschweige denn ein umfassenderes Heilsystem aufzustellen.
Ennemoser hat den Mesmerismus später wieder aufgenom-
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Hydropathie, Hydrotherapie, Kaltwasserkur.
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men; er hat dabei aber auch zugleich gezeigt, wie gefährlich es ist, sich mit dieser Materie tiefer zu befassen, indem er bei seinen Forschungen zu der Ansicht gekommen ist, dass durch Magnetismus die Veterinärkunde überflüssig gemacht wer­den könnte.
Literatur.
M. C. v. Bhunenring. Beiträge zur ärztlichen Behandlung mittelst des mineralischen Magnetismus. Berlin, 1835.
Schnitzer, lieber die rationelle Anwendung des mineralischen Magnetis­mus. Berlin, 1837.
G. Krusel. Galvanismus als Heilmittel. Petersburg, 1841.
-B. Froriep. Beobachtungen über die Heilwirkung der Elektricität bei An­wendung des magneto - elektrischen Apparates. 1. Heft, Berlin, 1843.
Imm. Eijdam. Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus. Wei­mar, 1843.
Ennemoser. Anleitung zur mesmerischen Praxis. Stuttgart, 185-2.
Kreutzcr. Central - Zeitung. 3. Jahrg. 1853 No. 1 etc.
Ilydropatbic, Hydrotherapie, Kaltwasserkur.
Das kalte Wasser ist nach diesem Systeme ein universelles Heilmittel, welches auf sehr verschiedene Weise in Anwendung kommt. Schon Hippokrates wandte das kalte Wasser bei Fie­ber an; Patron, der nicht lange nach Hippokrates lebte, erfand aber eigentlich die Kaltwasserkur. Antonius Musa, Leibarzt von Augustus, machte sie zum zweiten Male und Priessnitz im gegenwärtigen Jahrhundert zum dritten Male zur Modesache. Schon in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Kalt­wasserkuren von schlesischen Aerzten, namentlich von den Ge­brüdern Hahn systematisch angewendet. Priessnitz, ein Nicht-arzt, wandte das kalte Wasser als Universalheilmittel in ver­schiedener Weise oft auch mit bestem Erfolge an, und begrün­dete eine roh empirische Hydropathie. Unter den Nachfolgern gab es Aerzteund Nichtärzte; die ärztlichen Hydropathen nannten sich zum Unterschiede von den Laien Hydriaten oder Hydriatiker. Das Wort „Hydropathquot; Wasserdoctor, hat sonach den Neben­begriff des pfuschermässigen, des bewusstlosen Handelns erhal­ten, während unter „Hydriatquot; der wissenschaftliche Wasser-
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72nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
arzt verstanden wird. Sofern jedoch beide Klassen die Hydro­pathie als ein exclusives Heilsystem betrachten, müssen sie auch in eine Kategorie geworfen werden, diejenigen Hydropa­then dagegen, welche die Hydropathie nur als einen Complex von Kurmethoden auffassen, welche bei gewissen Indicationen ihre Anwendung finden, diese verdienen allein von jenen getrennt und als wirkliche wissenschaftliche, ärztliche Hydropathen oder Hydriatiker genannt zu werden.
Die Anwendungsweise ist sehr verschieden; das Grundver-fahren ist im Allgemeinen folgendes: Die Kranken trinken quot;Wasser während sie in nassen Leintüchern und darüber in wol­lenen Decken eingehüllt bleiben, bis ein starker Schweiss aus­bricht und kürzere oder längere Zeit bestanden hat. Hierauf kommen dieselben sogleich schwitzend in ein kaltes Vollbad oder Halbbad, worin sie nun einige Secunden oder Minuten gehalten werden, oder sie werden mit kaltem Wasser begossen oder dem Eegenbade ausgesetzt. Ein Gang im Freien und wiederum Trinken von kaltem Wasser schliessen die Procedur. Die Modificationen dieses Grundverfahrens beziehen sich auf mannigfaltige örtliche Einwirkungen des kalten Wassers, auf die Anwendung von Sitzbädern, Halbbädern, Arm-, Bein-, Hand -, Ellenbogen -, Fuss - und Kopf bädern, Uebergiessungen des ganzen Körpers oder einzelner Theile, Douchen, Kaltwasserkly-stiere, Wasserumschläge etc.
Es kann nicht mehr bestritten werden, dass das Wasser ein mächtiges therapeutisches Mittel ist, welches bei verschie­denen Krankheiten seine rechte Anwendung findet und je nach den Heilbedürfnissen auch in verschiedener Form angewendet werden muss. Die Indicationen für das kalte Wasser und des­sen specielle Anwendungsweise, welche eben den Inbegnüquot; einer rationellen Hydrotherapie (Hydrojatrie) ausmachen, ergeben sich aus den Wirkungen, welche das Wasser überhaupt haben kann. (Conf. Thl. II. Kaltwasserkur.)
So vielfach nun auch das kalte Wasser eine heilsame An­wendung finden mag, so ist es doch kein specifisches Mittel und am allerwenigsten ein Universalmittel, d. h. kein Mittel, was die Grundlage eines Heilsystems sein und in den verschiedensten Anwendungsformen und Methoden als ein stehendes Heilmittel bei Krankheiten überhaupt ohne specielle Indicationen angese­hen werden kann. Der Hydropath, der nur mit Wasser ope-
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Die Schroth'schc Kurmethode.
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rirt und der dennoch jeden Patienten in Behandlung nimmt und unbarmherzig mit kaltem Wasser tractirt, der ist, so viel er in den einzelnen Fällen auch nützen mag, doch nichts weiter, als ein Charlatan. Wer das Wasser als einziges Mittel für seine therapeutische Thätigkeit festhält, der muss nothwendig unter den Patienten nach den entsprechenden Krankheiten wählen und die Kur aussetzen, wenn der Erfolg fehlschlägt; aber gerade in der forcirten Fortsetzung der Kur bei unerwünschtem Erfolge liegt oft der Barbarismus des Hydropathen.
Bei der Behandlung kranker Thiere kommt die Charlata-nerie in dieser Branche wohl nicht vor; wäre aber die Anwen­dungsweise des Wassers so bequem, wie die der homöopathi­schen Mittel, dann würden wir eben so viele Hydropathen, ds Homöopathen haben.
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Die Schroth'schc Hiirmcthode;
die austrocknende Heilmethode, Xeropathie *).
J. Schroih, ein Naturarzt wie Priessuitz, hat ein Heilverfah­ren begründet, welches, der Hauptsache nach, in einem Abhun­gern und Austrocknen beruht und somit im Wesentlichen der Hydropathie diametral gegenüber steht. Zu Lindewiese in österreichisch Schlesien durstet Schroth seine Patienten aus und hungert ihre kranken Leiber ab, damit ein gesunder geboren werde. Kranke Thiere, die instinktmässig Futter und Getränk verschmähten und dabei genasen, machten auf den Fuhrmann Schroth einen solchen tiefen Eindruck, dass er Heilkiinstler für die leidende Menschheit nach den Grundsätzen wurde, auf die er durch die instinktmässige Selbstheilung seiner Thiere geführt wurde.
Er machte ferner auf seinen Reisen als Fuhrmann die Be­merkung, dass seine Pferde, so oft er sie mehr und öfters trin­ken Hess, häufiger schwitzten und früher ermatteten; sobald er sie aber mehr trocken fütterte und ihnen nur eine bestimmte Quantität Getränk reichte, sie viel mehr Kraft und Ausdauer im Zuge bewiesen, und weniger schwitzten; aus dieser übri-
*) Die Heilmethode des J. Schroth und ihre ausgezeichneten Erfolge von einem praktischen Arzte. Frankfurt a. M. 184Ü.
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74nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Ileilsysteme.
gens richtigen Beobachtung schloss er, dass eine zu grosse Menge von Flüssigkeit auf den Kräfteznstand des Menschen selbst im gesunden Zustande nachtheilig einwirken müsse.
Schroth nimmt an, dass die meisten, namentlich die chro­nischen Krankheiten, gegen welche sein Heilverfahren auch besonders consequent in Anwendung kommt, eine Verderbniss der Säfte sei- das Ziel seines Heilsystems ist deshalb eine voll­ständige Reinigung der Blut- und Säftemasse des Körpers und die Entfernung der krankhaften Stoffe auf den natürlichen We­gen. Die nächsten Heilzwecke sind: 1) die gute Verdauung wieder herzustellen, was Grundbedingung der Genesung ist; 2) die Krankheitsstoffe zu lösen, und 3) dieselben aus dem Kör­per zu schaffen.
Die hierzu in Anwendung kommenden Mittel sind:
1)nbsp; Leibuinschläge und Einhüllung des ganzen Körpers mit Leinentüchern, die in frisches Wasser gesteckt und ausgerungen sind; so bleiben die Patienten im Bett und warmem Zimmer bis acht Stunden liegen. — Ein schweisstreibendes Mittel.
2)nbsp; Eine strenge trockene Diät — Semmeldiät; 2 bis 6 alt­backene Semmel täglich ohne jede andere Speise.
3)nbsp; Periodische Enthaltung aller Getränke; je nachdem es die Patienten aushalten, müssen sie 2 bis 5 volle Tage sich jedes Getränkes enthalten, dann kommt ein Trinktag, wo der brennende Durst mit leichtem Wein vorsichtig gestillt wer­den darf.
Mit dieser Kur wird fortgefahren, bis das Uebel beseitigt ist, und bei hartnäckigem Uebel so lange, als es die Körper­kräfte erlauben. Werden die Kräfte früher erschöpft, als das Uebel, so wird einige Tage mit der Kur ausgesetzt.
Starke Abmagerung, Schwäche und fieberhafte Aufregung stellt sich bei dieser Kur ein.
Schroth wendet auch örtliche Umschläge bei Wunden, Ent­zündungen etc. an; mehrfach zusammengelegte Leinwandlappen werden mehr oder weniger nass aufgelegt, trocken umhüllt und erst nach einigen Stunden erneuert, um die Haut an der leiden­den Stelle zur Transpiration zu bringen.
Auch kranke Thicre und namentlich Pferde behandelt Schroth nach seiner Methode, und angeblich mit dem besten Erfolge. Mittelst des Leibumschlages und der trocknen Diät
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Die Schroth'schc Kurmethode.
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sollen, mit Ausnahme des Rotzes, alle kranken Pferde geheilt werden; selbst Spat und Hufzwang sind unter den auf diese Weise geheilten Leiden mit aufgeführt.
Die Eesorption wird übrigens vielleicht auf keine aridere Weise in dem Grade gefördert, wie durch die Schroth'sche Kur. Was die lokale Anwendung der nassen Lappen betrifft, so muss man die Heilwirkung bei Entzündungen und Wunden .einräu­men. Das Abhalten der Luft, das Verhindern des Austrocknens, die Zurückhaltung der Ausdünstung auf der Haut, die gleich-massige tliierische Wärme nebst dem gehörigen Grade von Feuchtigkeit sind hier offenbar die heilsamen Momente.
Das Schroth'sche Heilverfahren — das Austrocknen — hat nicht so viel Anklang und Anhänger gefunden, als das Priess-Hife'sche — das Auswaschen, Auswässern —, was seinen Grund darin haben mag, dass ersteres nicht so vielfach seine rechte Anwendung findet, wie die Hydropathie, und dass die Durstkur zugleich eine abschreckende, qualvolle Kur ist.
Die Grundidee des Schrotli'sc\\Qn Verfahrens ist aber doch nicht untergegangen, einzelne Aerzte behandeln noch jetzt nach ähnlichen Principien; ein Heilverfahren, welches in Deutsch­land unter dem Namen „Semmelkurquot; bekannt ist. In der deut­schen Literatur sind dafür aufgetreten Dr. Rypke *), die Docto-ren P. Kadner und L. Baumgarten **), letztere haben dieses Heilsystem weiter verfolgt, sie betrachten die diätische Heil­lehre auf Grund des Schroth'sehen Heilverfahrens als die allein naturgeraässe und glauben, dass durch Arzneimittel keine Krank­heit geheilt werde. Nach ihnen muss die Krankheit zur Aus­leerung vorbereitet und dann ausgeleert werden; diese Aufgabe vollbringt das Fieber. Durch das austrocknende Fieber werden den Krankheitsstofifen die Flüssigkeiten entzogen, in Folge des­sen sterben sie ab und werden dann durch andere Flüssigkei­ten, die dem Organismus durch die Haut mittelst nasser Um­schläge zugeführt werden, aufgefrischt. Die feuchten Umhüllun­gen können durch den Genuss von kleinen Quantitäten Wein unterstützt werden. Ist kein Fieber vorhanden, dann wird ein solches dadurch hervorgerufen, dass man die Kranken alte trockne Semmel geniessen und nichts dabei trinken lässt. In
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*) Die diätetische Heilmethode. **) Die diätetische Heillehre in ihrer Anwondun:
Dresden 1SG3.
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76nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
Folge dieses Verhaltens werden alle entbehrlichen Flüssigkeiten vor allen die an Krankheitsstoffe gebundenen aufgesaugt, die Krankheitsstofie sterben ab und werden ausgeführt, nachdem die Haut die nöthige Menge Wasser getrunken hat.
Die hippokratische materia peccans ist also wieder zu Ehren gekommen, nur dass sie nicht durch Kochen in der thierischen Wärme, sondern durch Wasserentziehung zur Ausleerung vor­bereitet wird. Eine wissenschaftlichere Anwendung hat die aus­leerende Kurmethode in Frankreich gefunden, namentlich hat i^olaquo;-sagriues*) die ausleerende Kurmethode nach ihrer physiologischen Wirkungsweise abgehandelt und unter bestimmte therapeutische Indicationen gestellt.
Paracelsus — Radcmaclicr'sclic Ileillchre. **)
Localia localibus ist im Allgemeinen der an der Spitze ste­hende Grundsatz dieser Methode.
Im IGten Jahrhundert existirte eine besondere Secte Heil­künstler, deren Ursprung unbekannt ist, welche die reine Heil­wirkung der Arzneimittel als die einzige Basis der Pleillehre betrachteten, die von der Galerischen Schule verfolgt wurden, ihre Heillehre deshalb geheim hielten und so die Geheimärzte hiessen. Jiademacher ist nach einer langjährigen Erfahrung auf die Grundsätze der alten scheidekiinstigen Geheimärzte zurückgekommen, hat die reine Heilwirkung der Arzneimittel als die einzige unwandelbare und erkennbare Basis der Heil­lehre wieder aufgenommen, und den Satz aufgestellt, dass den Krankheitszufällen und dem lebendigen Organismus keine Grund­feste für die Heillehre zugestanden werden könne, weil erstere, die Krankheitszufälle, wandelbar seien, letzterer, der lebendige Organismus, in seiner Totalität unerkennbar wäre. Das Wesen einer Krankheit — sagt Rademacher — ist an sich etwas sinn­lich Unerkennbares, wir können von demselben nur das Ver-hältniss sinnlich erkennen, in welchem es zu der Heilwirkung der Arzneimittel, zu dem Heilmittel steht, und deshalb giebt es auch so viel erkennbare Krankheiten, als Heilmittel in der
*) De la feche ou Xerophagic. Bull, de Therap. Septbr, 1862. **) Rechtfertigung der verstandesrechten Erfahrungsheillehre der alten scheidekiinstigen Ueheimärzte etc., von J. G. Rademacher. Berlin. 1843.
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Paraeolsus — Eadeinaolicr'schc Heillehre.
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Natur sind. Wenn zwei, in den äusseren Erscheinungen gleiche Krankheiten nicht durch ein und dasselbe Mittel geheilt wer­den können, so liegen ihnen auch verschiedene Processe zu Grunde. Das Wesen einer Krankheit, auf welche wir kein Heilmittel wissen,, bleibt so lange für unseren Verstand etwas Unerkennbares, bis wir das wahre Heilmittel gefunden haben; es muss daher auf dem Wege der Empirie ermittelt werden, in welcher Beziehung die Krankheit zur Heilwirkung steht. Paracelsus sprach es schon aus, dass man das Wesen der Er­krankungen nicht in dem Körper überhaupt und nicht in dem kranken Organe selbst, sondern in der äusseren Natur suchen solle. Die Krankheiten werden mit dem Namen ihrer Heilmit­tel bezeichnet.
RademacJier hat, wie Paracelsus, sämmtliche Krankheiten in Urorgankrankheiten und in Universalkrankheiten, und diesen entsprechend wieder auch die Heilmittel in Organ-und Universa 1-Heilmittel eingetheilt.
Bei den Urorgankrankheiten entsteht der Krankheitspro-cess in irgend einem Organe zuerst und bleibt entweder auf dieses Organ beschränkt, oder andere Organe werden mit in den Process hineingezogen, und so entstehen die consensuellen Organkrankheiten, die mitunter mehr in die Augen springen können, als die Urorgankrankheiten, aber dennoch nicht Ge­genstand der Behandlung sind, die Mittel müssen vielmehr im­mer gegen die Urorgankrankheit gerichtet sein. Die consen­suellen Erkrankungen können jedoch auch unabhängig von der Urkrankheit, also selbstständig werden und sind dann Urorgan­krankheiten für die Behandlung. Die Urorgankrankheiten kom­men am häufigsten vor und sind daher auch die wichtigsten.
Die Organheilmittel sind solche, welche erkrankte Organe gesund machen; Digitalis z.B. heilt das kranke Herz, Antimo-uium die kranke Lunge, Schöllkraut die kranke Leber, Meer­zwiebel ist ein Splenicum, und so giebt es für jedes erkrankte Organ im Organismus ein oder mehrere Heilmittel; jedes ein­zelne Heilmittel ist aber immer nur im Stande, einen einzigen und keinen anderen Krankheitsprocess zu lösen. Da nun aber das Wie des Gesundmachens ausserhalb der Grenze des mensch­lichen Wissens liegt, so hält es Rademncher für thöricht, die Organheilmittel nach ihrer Wirkungsweise in Kategorien ein-zutheilen, er tbeilt vielmehr jedem Organe so vielerlei mög-
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78nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsj'steme.
liehe krankhafte Zustände zu, als Heilmittel auf dasselbe aus der Erfahrung bekannt sind. So z. B. kennt Rademacher in der Leber eine Schöllkraut-, eine Breclmuss-, eine Frauendistel-, eine Terpentin- und eine Quassia - Krankheit. Für den Arzt; dem nur ein Heilmittel auf ein bestimmtes Organ bekannt ist, für diesen existirt in solchem Organe auch nur eine Krankheit, und mit der Entdeckung eines neuen Heilmittels auf ein gewis­ses Organ wird in diesem zugleich eine neue Krankheit ent­deckt, es können mithin in dem Organismus noch so viel neue Organkrankheiten entdeckt werden, als in der grossen Natur noch Heilmittel verborgen sind, und zu dieser Entdeckung ge­brauchen wir kein Secirmesser, kein Mikroskop, kein chemi­sches Reagens, wir dürfen nur mit verschiedenen Mitteln in der Therapie experimentiren *).
Die Universalkrankheit ist dagegen eine Erkrankung des Gesammtorganismus, d. h. die Krankheit nimmt vom Gesammt-organismus ihren Anfang, und wenn sich dabei auch das Lei­den in einzelnen Organen hei'vorstehend manifestirt, so gehört es doch dem Organe nicht als Organ, sondern als Theil des ganzen Organismus an. Dieses Universalleiden ist nach liade-macher das, was die Aerzte „bald inflammatorischen, bald sthe-nischen Zustand, bald Schwäche, bald Asthenie, bald Fäulniss, Ataxia nervorum, Verflauung der Lebensgeister etc.quot; genannt haben. Das Allgemeine, wovon die Universalkrankheiteu aus­gehen, und worauf sich die Universalheilmittel beziehen, wird als etwas Unbekanntes, als unbekannte Einheit im Organismus hingestellt, und von Rademaclier mit dem Namen „Gesammt-organismus quot; belegt, worunter er das Urgewebe (?) des Lei­bes vermuthet. Geht die üniversalafi'ection von einem erkrank­ten Organe aus, ist sie die Folge von einem Urorganleiden, so ist es eine consensuelle Univorsalkrankheit, welche ah; solche nicht Gegenstand der Behandlung ist.
Zu Universalheilmitteln zählt Rademaclier nur drei Mittel: Kupfer, Eisen und kubischen Salpeter {Natrum nitricum); Sub­stanzen, welche auch schon bei den alten Geheimärzten die Ehre hatten, zu den Universalmitteln gezählt zu werden. Die-
*) Auerbach Hademacher's Heilmittel für die Praktiker. Berlin, 1851. — bat die verschiedeneu Heilmittel nach den Organen zusammen­gestellt.
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Paracelsus — Rademachersche Ileillchre.
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sen drei wohlthätigen und mächtigen Mitteln gegenüber erkennt Rademacher auch nur drei Universalkrankheiten im Organismus an, die Kupfer-, Eisen- und Salpeterkrankheiten des Gesammt-organismus; so lange unser Erdball in dem bisherigen Verhält­nisse zu den übrigen Weltkörpern bleibt, sollen auch die Lei­ber der Menschen solchen Krankheiten des Gesaramtorganismus unterworfen bleiben, welcher unter der Heilgewalt dieser drei Universalmittel stehen. Kubischer Salpeter, Eisen und Kupfer sind also für ewige Zeiten die ausreichenden und alleinigen Heilmittel bei allen allgemeinen Krankheiten des Organismus. Wie aber die Organmittel nur Urerkrankungen der Organe und nicht die consensuellen Organkrankheiten heilen, so heilen die Universahnittel auch nur selbstständige Uraffectionen des Gesaramtorganismus, nicht aber cousensuelle; diese letzteren müssen vielmehr durch solche Organmittel beseitigt werden, deren Heilkraft sich eben auf das urerkrankte Organ bezieht.
Rademacher vermag nicht, bestimmte Zeichen für die Urer­krankungen des Gesaramtorganismus anzugeben; das beeinträch­tigte Gesundheitsgefühl und das Fieber werden als ein constan-tes Zeichen bei allen Uraffectionen des Gesammtorganismus angegeben, es können jedoch auch diese Zustände nicht als unterscheidendes Merkmal dienen, da sie auch bei consensuel­len Affectionen des Gesammtorganismus vorkommen — Organ­lieber. Die Uraffectionen des Gesammtorganismus, welche un­ter der Heilgewalt der drei Universalmittel und speciell des einen oder anderen dieser Mittel stehen, hat Rademacher em­pirisch ex juvantihus gefunden und speciell aufgezählt.
Die Salpeterkrankheiten entsprechen ungefähr unseren rein entzündlichen, die Eisenkrankheiten den asthenischen, atoni­schen, bleichsüchtigen und die Kupferkrankheiten etwa den nervösen Zuständen. Die wohlthätige oder entgegengesetzte Wirkung der Arzneimittel ist ein Wegweiser, ein sicheres Er­kennungszeichen für Krankheiten; das Arzneimittel ist Keagens auf die Krankheit. Eisen und Kupfer sind hinsichtlich ihrer Heilwirkung dem Salpeter entgegengesetzt,. deshalb können Salpeterkrankheiten nicht mit Kupfer- und Eisenhrankheiten zugleich im Körper vorkommen, sie können aber in diese über­gehen. Eisen und Kupfer sind nicht einander entgegengesetzt, ihre Krankheiten können deshalb möglicherweise auch rieben einander im Organismus vorkommen.
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80nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
Alle Krankheiten, sowohl die universal- als die Organ­krankheiten, stehen unter der Herrschaft tellurisch-atmosphä­risch-kosmischer Einflüsse, weil der Organismus und dessen Organe von ihnen abhängen; die durch diese Einflüsse beding­ten Eigenthümlichkeiten stellen den Krankheitsgenius dar, der rücksichtlich seines allgemeinen Herrschens als Genius epidemi-cits (beziehungsweise epizooticns) bezeichnet wird, der bei den Kademacherianern eine grosse Rolle spielt und um so sorgfälti­ger beobachtet werden muss, als derselbe die Krankheiten Jahre lang beherrschen und in verschiedenen Formen auftreten lassen kann. Der Krankheitsgenius kann stationair und intercurrent herrschen; je nachdem können bestimmte Krankheiten statio­nair und intercurrent auftreten, die gleichzeitig vorkommen oder die sich gegenseitig ausschliessen oder auch compliciren.
Das betreffende Werk von Eademacher hat bei seinem Erscheinen auf die praktischen Aerzte einen grossen Eindruck gemacht, dieser war aber weniger durch das Princip, sondern mehr durch den begeisterten Bearbeiter, durch die frische, ker­nige Darstellungsweise und durch die praktische Durchbildung Radcmacher's bedingt. Nach diesem ersten Eindrucke ist aber die Hinfälligkeit des Principes bald erkannt worden.
In der Thierhcilkundo hat das Eademacher'sche Heilsystem wenig Eingang gefunden; nur einige Thiorärzte, namentlich Grzcdzieicski*) und Heine**) haben sich dafür erhoben.
Kritik. Der grösste Irrthum Eademachers ist wohl die Vorstellung, als sei die Krankheit ein besonderes unerkennbares Wesen, welches mit der Gesundheit im Kampfe stehe, eine An­sicht, die Eademacher dahin geführt hat, die physikalische, ana­tomische und chemische Seite der krankhaften Vorgänge und Zustände so ganz zu ignoriren. Krankheit ist jedoch immer Le-bensäusserung unter abnormen Verhältnissen, aber immer nach denselben physiologischen Gesetzen, wie im gesunden Organis­mus ; sie ist demnach veränderte physiologische Function, ver­ursacht durch irgend welche feindlichen Einflüsse. Eine ätio­logisch-pathologisch wissenschaftliche Grundlage erkennen daher auch die Rademacherianor überhaupt nicht an, deshalb hat denn
*) Magazin von Gu7-U und IleHwich. Bd. 24, 25 und 26. *s) Kolik der Pferde nach Bademacher's Ileilsystem. 1863.
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Paracelsus —Rademacher'sche Heillehre.
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auch diese „praktische Heilungslehrequot; kein reelles Fundament und keinen Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Medicin.
Nach liademacher reducirt sich die ganze Medicin auf Un­tersuchung und Beurtheilung, ob der ganze Organismus oder nur ein Organ ergriffen ist; dann beginnt das Probiren mit den Arzneien. Eademacher ist nicht im Stande, einen Anhaltspunkt für die Auswahl der Mittel zu geben; er will weder von den Symptomen, aoch von dem Wesen der Krankheit die Keilindi-cationen ableiten, weil die Symptome nur die Wirkung der Krankheit seien und das Wesen unbekannt sei. Das Verhalten der Arzneien zu den Krankheiten ist allein entscheidend über deren Natur, erst wenn man das specifische Heilmittel gefunden hat, also immer erst bei den Besserungserscheinungen und der Genesung erkennt man die Natur der Krankheit. Die entspre­chende specitische Arznei ist nun- aber eben sehr schwer aufzu­finden, weil die consensuellen krankhaften Erscheinungen häufig-stärker hervortreten, als die des unergriffenen Organs oder des Gesammtorganismus; es bleibt demnach weiter nichts übrig, als mit den Mitteln zu probiren, bis man das rechte trifft. Gewiss eine schlimme Sache bei acuten Krankheiten. Ist glücklich ermittelt worden, ob ein universelles oder locales Urleiden vor­handen ist, so kommt die Hauptschwierigkeit, der Arzt fängt nun an au prüfen, wie der Chemiker, der den unbekannten Kör­per durch Reactionen etc. zu ermitteln sucht. Diese Prüfungen wiederholen sich in jedem Falle, eine Erfahrung für künftige Fälle ist nicht zu machen, höchstens kann hierdurch das Auf­finden der Mittel etwas erleichtert werden, wenn der Krank, heitsgenius constant ist. Ein gewiegter Praktiker wie Hade-inacher konnte auf solche Wreise noch glücklich sein in der Praxis, den Nachfolgern dürfte es aber schwer werden, bei die­sem Verfahren sich ein gutes Gewissen zu bewahren. Ich glaube deshalb immer noch mein früheres Urtheil aufrecht hal­ten zu können, dass das Gebäude, welches liademacher aus sei­ner reichen Erfahrung zusammengestellt hat, für Niemanden wohnlich ist, und der Baumeister nur allein sich darin zurecht­finden konnte.
Diese JRademacherschc specifische Heillehro steht in man­cher Beziehung der Homöopathie diametral gegenüber, denn sie verwirft die Behandlung nach den Symptomen und die Prüfung der Arznei an gesunden Menschen und Thiercn gänzlich; in
Ger lach Allg. Therapie. 2. Auü.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0
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82nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Heilsysteme.
der Verkennung der naturwissenschaftlichen Medicin aber kom­men sie beide überein.
Trotz alledem hat Rademacher's Heilungslehre ihre Ver­dienste, wie die Hahnemann'sehe. Rademacher hat sich auf den praktischen Boden der Heilungslehre gestellt und einen mächti­gen Impuls gegeben, die Therapie als Erfahrungswissenschaft wieder mehr auf dem empirischen Wege zu verfolgen; seine Unterscheidung der universellen und localen, der ursprünglichen und consensuellen Krankheiten, die Anwendung der Arzneimit­tel bei Organkrankheiten, die Localisirung der Arzneimittel den localisirten Krankheiten gegenüber und die Vermehrung be­währter Heilmittel bei gewissen Krankheiten sind nicht zu ver­kennende Verdienste um die Ileilwissenschaft.
Homöopathie.
1. Hahnemann's Homöopathie.
Die Homöopathie ist eine, bald nach ihrer Geburt in der Menschenmedicin auf die Thierheilkunde übertragene Heilmethode, welche sich rühmt, nach dem Grundsatze „Similia similihmu jeden Krankheitsfall sanft, schnell und dauerhaft zu heilen und von welcher die Franzosen sagen, dass sie ein schöner Traum der deutschen Phantasie sei.
Edhvkmann ist der Erfinder dieser Lehre *), die nicht so­wohl bei Aerzten und Thierärzten ihren Eingang gefunden hat, als auch von den Laien vielfältig mit um so grösserem Ver­trauen adoptirt wurde, als dieselben hierdurch auf eine bequeme Weise in den Stand gesetzt wurden, selbst zu kuriren, ohne in die Gefahr zu gerathen, positiv zu schaden, weil sie ferner mehr Gegenstand des Glaubens und der Bewunderung, als der tiefe­ren wissenschaftlichen Forschung ist. Die Billigkeit der Medi­camente und die bequeme Anwendung derselben ist bei den Thieren noch eine besondere einladende Lichtseite.
*) Die ersten Ideen seiner Heilmethode theilte Hdhnemann 1796 als „Versuche über ein neues Princip zur Auffindung der Hellkräfte der Arz-neisubstanzen1' und später 1805 als „Fragmenta de virihus medicamentorum positivisquot; mit. 1810 erschien die erste Auflage des Organons der Heilkunst, von welcher Zeit sich erst die Geburt der Homöopathie datirfc. Bis 1833 sind fünf Auflasen erschienen.
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Hahnemann's Homöopathie.
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Der erste und oberste Hahnemanrische Lehrsatz ist: „Simi-lia similihus curanturquot;, d.h. in jedem Krankheitsfalle gebe man eine Arznei, die ein ähnliches Leiden im gesunden Körper erzeugen kann.
Drei wichtige Beobachtungen aus der Hausrnittelpraxis sind es vor allem, welche dieses Grundprincip zunächst con-struirten: 1) dass Frost durch Kälte, 2) Verbrennungen durch Hitze, Weingeist und Terpentinöl am sichersten geheilt werden, und 3) dass in einem erhitzten Zustande durch Arbeit in der Sonnengluth der Branntwein kühlt und stärkt *).
Ein zweiter HaJinemann scher Lehrsatz ist: dass die Krankheiten dynamisch sind und die Krankheits­symptome zum Auffinden der Heilmittel genügen. Hahneinann giebt zu, dass jede Krankheit eine Veränderung im Innern des Organismus voraussetzt, diese ist aber nach ihm auf keine Weise erkennbar. Da das Leben in keiner Rücksieht den physikalischen Gesetzen folgt, sondern vielmehr einer in­nerlichen Grundkraft — Lebenskraft — gehorcht, welche die Gesetze aller anderen Kräfte aufhebt, indem sie die Massen in dem zur Erhaltung des Lebens gehörigen Zustande von Empfin­dung und Thätigkeit — „in einem fast geistigen dynamischen Zustandequot; — erhält. Für den Heilkünstler ist nur die Gesammt-heit der Symptome die wahrnehmbare Seite der Krankheit, und zum Behüte der Heilung braucht man auch weiter nichts zu wissen, weil alle wahrnehmbaren Zeichen die Krankheit in ihrem ganzen Umfange repräsentiren. Durch die Symptome fordert die Krankheit die zu ihrer Hülfe geeigneten Arzneien, und mit Entfernung der Symptome ist auch die Krankheit be­seitigt. Die in jedem Krankheitsfalle wahrgenommenen Symp­tome sind die einzige Hinweisung auf ein zu wählendes Heil­mittel. Die Berücksichtigung der Veranlassung — der occa-sionellen Ursache — dient der Heilung nur als eine wesent­liche Beihülfe.
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*) Die Faeta sind richtig, und schon vor Hahnemann haben sie Syden-ham {Opera S. 241) und Benjamin Bell anerkannt, die Erklärungsweisen aber sind verschieden; der Allopath und Antipath erklären sieh diese That-sachen, ihren Grundprincipien gemäss, wie die Homöopathen nach ihrem Grundsatze. Selbst Rau, einer der gewichtigsten Verehrer der Homöo­pathie, lässt von obigen Mitteln nur das Terpentinöl bei Verbrennungen als wirkliches homöopathisches Mittel gelten.
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Die in einem Wesen der Arznei verborgene, fast geistige Kraft, Veränderungen im Gesunden hervorzubringen und daher Krankheiten zu heilen, ist auf keine andere Weise zu ermitteln, als durch ihre Wirkung auf den gesunden Menschen {Haline-mann spricht nur von Menschen), weil im kranken Zustande sich die Krankheitssymptome mit den arzneilichen vermischen, so dass eine Unterscheidung nicht möglich ist, und man muss sich daher allein an die krankhaften Zufalle, welche die Arz­neien im gesunden Körper erzeugen, als an die einzig mögliche Offenbarung ihrer einwohnenden Heilkraft halten, um zu erfahren, welche Krankheits-Erzeugungskraft und init-hin zugleich welche Krankheits-Heilungskraft — die mit jener identisch ist — eine jede einzelne Arznei besitzt. Der Com­plex der durch eine Arznei hervorgebrachten Krankheitssymp­tome muss selbst als eine künstliche Krankheit betrachtet wer­den, und so können Krankheiten nur durch Krankhei­
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eheilt werden.
Es entwickelt eine Arznei jedoch nicht alle Symptome in jeder Person; darum muss zu einer vollständigen Prüfung das Experiment bei vielen Personen wiederholt werden. Die hierzu vorgeschlagene Gabe war anfangs solche, wie sie in gewöhn­licher (allopathischer) Praxis gegen Krankheiten gebraucht wird, später aber wurden hoch verdünnte und hoch potenzirte homöo­pathische Gaben empfohlen. Der Experimentator muss während des Versuches alles vermeiden, was eine arzneiliche Wirkung hervorbringen könnte, er muss deshalb nur gekochte Speisen geniessen, indem durch das Kochen und durch Kochsalz jede arzneiliche Wirkung zerstört wird. Jedes Symptom wird an sich und auch der Zeit nach aufgeschrieben, um so die Primär- und Wechselwirkungen genau zu ermitteln, was zur Kenntniss des Genius der Arznei sehr belehrend ist. Die bei diesen Experimentationen erhaltenen Symptome haben nicht alle gleichen Werth; die primären und diejenigen, die immer beobachtet werden, sind die Haupteffccte, während nicht immer beobachtete die zweideutigen sind.
Das Verhältniss, in dem eine, von einer Arznei im gesun­den Körper erregte Krankheit zu einer zu heilenden Krankheit möglicherweise stehen kann, ist ein dreifaches. Die Arznei­krankheit ist entweder:
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llahnemann's Homöopathie.
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1)nbsp; überhaupt eine andersartige, als die zu heilende, dann steht sie zu ihr in einem allopathischen Verhältnisse, oder sie ist
2)nbsp; der zu heilenden entgegengesetzt, dann ist ihr Verhält-niss antipathisch oder enan ti opathisch, oder sie ist
3)nbsp; der zu heilenden Krankheit ähnlieh, ihr Verhältniss zu dieser ist dann homöopathisch.
Die allopathische oder allöopathische — auch heteropathi-sche — Anwendung kann deshalb nicht hiilfreich sein, weil sie, ohne pathischen Bezug auf das eigentliche Krank­hafte im Körper, die gesunden Theile angreift, um das Uebel durch diese abzuleiten. Die antipathische oder enantiopathische Anwendung nach der alten Regel „Contraria contrariisquot; kann nicht zur Heilung führen, weil durch die Reaction des Kör­pers das Gegentheil hervorgerufen wird von dem, wozu es von aüssen her (durch die primäre Wirkung der Medicin) gezwun­gen wird. Dieses Gegentheil nun zu der schon vorhandenen Krankheit adelirt, zeigt, dass durch antipathische Mittel Ver­schlimmerung herbeigeführt werden muss, wie es auch wirklich, besonders in chronischen Krankheiten, beobachtet wird. Durch die primäre Einwirkung wird allerdings augenblickliche Besse­rung herbeigeführt, in dem Maasse aber, wie die Wirkung der antipathischen Medicin nachlässt, tritt die Krankheit wieder hervor, weshalb diese auch von Halinemann als die Palliativ­oder Scheinkur (Therapia prophylactica privata) bezeichnet wird. — Die Brotvn'sche und liasorische Heilmethode gehören alle hierher.
Die homöopathische Anwendung der Arzneien bleibt als der einzige Weg über, der allein und sicher zur Heilung führt. Zwei ähnliche Krankheiten können nicht zugleich im Körper existiren, die eine, die schwächere, wird jedesmal verlöscht. Da aber die homöopathischen Arzneien stärkere Potenzen sind, als die, welche natürliche Krankheiten hervorrufen, wie daraus hervorgeht, dass der Körper von den Arzneien immer veränder­bar ist, von den krankmachenden Schädlichkeiten aber nicht, •weil sonst bei der allgemeinen Verbreitung dieser Schädlich­keiten alle Menschen krank sein müssten, so muss die schwä­chere natürliche Krankheit — die Hahnemann für inmateriell.
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86nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsystemc.
rein dynamisch erklärte — der stärkeren Arzneikrankheit wei­chen^ nur muss die letztere jener in den Symptomen sehr ähn­lich sein. Demnach wird diejenige Arznei am schnell­sten, gründlichsten und dauerhaftesten einen gegebenen Krankheitsfall zu heilen im Stande sein, welche die mei­sten der Symptome, die jener zu heilende Fall darbietet, auf­zuweisen hat. Die „Indicatio remedii in symptomata similiaquot; ist die Ilauptindication der Homöopathie.
Deckt ein Mittel nicht alle Symptome einer Krankheit, so wird auch nicht die ganze Krankheit beseitigt, und was von dor Krankheit übrig bleibt, verlangt eine neue entsprechende (homöopathische) Arznei.
Vermehren sich die Hauptsymptome der Krankheit bald nach Anwendung der Arznei, so ist dies eine erfreuliche Er­scheinung, ein Beweis, dass die Keactionskraft durch die Arz­nei an Intensität gewonnen hat, und ein sicherer Beweis, dass sich die natürliche Krankheit ihrem Ende naht. Diese momen­tane Erhöhung der Krankheitserscheinungen ist die „homöo­pathische Verschlimmerung'', die eben von der richtigen Wahl des Mittels zeugt.
Der dritte Halmmann sehe Lehrsatz ist Verdünnung, Potenzirung und Anwendung der Arzneien in klein­sten Dosen. Aus der überwiegenden Kraft der Arzneien im Verhiiltniss zu anderen Krankheiten folgt, dass man mit ihrem Gebrauche behutsam sein, und nicht mehr anwenden muss, als gerade zur Heilung der Krankheit nothwendig ist.
Gebraucht man die Arznei in einer grösseren Gabe, als der Zweck erfordert, so erregt man durch deren Erstwirkung eine unnöthig starke homöopathische Verschlimmerung. Bei zu grosser Gabe erlischt die Nachwirkung nicht mit der Krankheit, wie bei entsprechend kleinen Gaben immer der Fall ist, und bedingt dann eine Arzneikrankheit, wenn der Ueberfluss nicht eine Ausleerung erregt.
Die Gabe des homöopathisch gewählten Arzneimittels kann fast nie so klein sein, dass sie nicht noch stärker wäre, als die natürliche Krankheit (sie); denn 1) ist die Empfänglichkeit des kranken Körpers gegen homöopathische Arzneien über allen (Hauben (!) gesteigert; 2) der Effect der Gabe steigert sich durch Verdünnung, weshalb sie in dem kleinsten Volumen
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Halinemann's Homöopathie.
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gegeben werden muss; und 3) wird die homöopatliiselie Arznei bei jeder Theilung und Verkleinerung durch Reiben oder Schüt­teln potenzirt. Die Entwickelung hierdurch ist so mächtig, dass die arzneilichen Stoffe fast zu lauter arzneilichem Geiste aufge­löst werden, und Hahnemann sich genöthigt sah, die früher vor-geschrieberen 10 Schüttelschläge nach jeder Verdiinnung bis auf 2 einzuschränken. Selbst Substanzen, die in rohem Zu­stande keine arzneiliche Wirksamkeit haben, wie Blattgold, Platin, Silber, Kohle etc., entwickeln, je länger sie gerieben und verdünnt werden mit und durch unarzneiliche (also unarznci-liche mit uuarzneilichen) Substanzen, um so höhere Arzneikräfte. Selbst die chemischen Eigenschaften werden durch Verdünnen und Eeiben so verändert, dass die unauflöslichen Stoffe vollkom­men auflöslicb werden in Wasser und Weingeist.
Als Hahnemann von seinen Gegnern durch mathematisehe Berechnun­gen auf die Bedeutung seiner Decilliontel aufmerksam gemacht worden war, erklärte er die Verdünnung für eine Stärkung, nannte sie deshalb rPotenziniiigquot; und erschöpfte sich in Beweisen von der unglaublichen Wir­kung des Potenzirens.
Destillirtes Wasser, Weingeist (!), Milchzucker und Amylum sind die indifferenten Stoffe, welche zur Verdünnung benutzt werden, 1 Theil des reinen Arzneistoffes mit 99 oder 100 Th'eilen eines festen oder flüssigen indifferenten Stoffes innig
vermischt, giebt die erste Verdünnung — i/j
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hiervon
1
wird 1 Theil wieder mit 100 Theilen indifferenten Stoffes ge­mischt, die '2te Verdünnung = 1joooo- Pulver brauchen nur bis zur 3ten Verdünnung verrieben zu werden, weil sie von da ab schon auflöslich sind. Man thut dann, da die Flüssigkeit leichter zu behandeln ist, 1 Gran des Pulvers in 100 Tropfen destillirten Wassers oder in verdünnten Weingeist, schüttelt es (nach Hahnemann mit 2 = 10 Schlägen) und verfährt weiter, wie hei der ursprünglichen Flüssigkeit bis zu der beabsichtig­ten Verdünnung.
Bezeichnung. Bei den unverdünnten Substanzen (Essen­zen und Tincturen) wird bloss der Name des Mittels angegeben und eine einfache oder durchstrichene Null (O) nachgesetzt. Die Verdünnungen werden gewöhnlich mit arabischen Ziffern bezeichnet und nur bei jeder dritten Verdünnung, wo eine millionfache Multiplication entsteht, setzt man eine römische
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88nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
Ziffer. So oftnbsp; nbsp;dahernbsp; nbsp;die Bezeichnung durch römische Ziffern
vorkommt, hatnbsp; man diese nur mit drei zu multipliciren, um die
Potenz zu wissen, dienbsp; dadurch angedeutet wird.
Istenbsp; Verdünnung 1......... Vioo-
2tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;raquo; ^......... ^ioooo-
Seenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ I......... Milliontel.
4tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ 4......... 100 Milliontel.
5tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ 5......... 10,000 Milliontel.
6tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;II.......c. Billiontol.
7tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ 7......... 100 Billiontel.
8tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ 8......... 10,000 Billiontel.
9tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;, III......... Trilliontel.
lOtenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „ 10......... 100 Trilliontel.
Utenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;, 11......... 10,000 Trilliontel.
12tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; B IV......... Quadrilliontel.
lötenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ V......... Quintilliontel.
18tenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; VI......... Sexilliontel.
21stenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;„ VII......... Septilliontel.
24stenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;VIII......... Octilliontel.
27stenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;B IX......... Nonilliontel.
30stenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;X......... Decilliontel.
Bezeichnung bei Verschreibungen. Die Anzahl der Tropfen einer Verdünnung werden durch arabische Ziffer oder durch Null über dem Striche bezeichnet z. B. Ai-nica 00(,;'5 oder 3 5 =3 Tropfen-draiefl von der 5ten Verdünnung, oder man setzt die Zahl der Potenz hinter das Wort „dilidionis'' oder beim Pulver „trituationisquot; z. B. dilutionis 3. = 3te Verdünnung tri-hiationis 6 = 6te Verreibung.
Zur noch weiteren Vertheilung der Gabe werden Streu-kügelchen vom Conditor (aus Stärkemehl und Zucker bereitet) genommen, von denen etwa 200 auf einen Gran gehen, man befeuchtet sie mit der verlangten Verdünnung und lässt sie wie­der trocken werden. Die Anzahl der Streukügelchen bezeich­net man mit Punkten, z. B. Y oder 30quot;quot; = 3 Streukügelchen von der 30sten Verdünnung.
Hahnemann empfiehlt vorzugsweise die 30ste Verdünnung.
Immer darf nur ein Mittel gegeben werden,, weil jedes eine andere Richtung nimmt und jede Arznei ein Specificum ist. Die Diät ist so anzuordnen, dass alles entfernt wird, was
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Ilahnemann's Homöopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 89
nur irgend arzneilieb wirken könnte, damit die feine homöopa­thische Gabe nicht durch fremde Reize überstimmt und ver­löscht wird. (Bei Thicren ein missliches Ding.) Die Wie­derholung oder Anwendung eines anderen Mittels darf erst dann geschehen, A?enn die Wirkung der Arznei vorüber ist. Die Dauer der Wirkung ist bei den verschiedenen Arzneien verschieden, so z. B. dauert sie bei Kochsalz 50 Tage, während sie bei Kirschlorbeerwasser u. a. nur auf Stunden sich erstreckt. Die Arsneimittellehre muss die Wiederholung von jedem ein­zelnen Mittel niiher angeben.
Tritt bei passender Wahl und Gabe keine Genesung ein, so dauert die Krankheit erzeugende Ursache noch fort, die dann erst gehoben werden muss. Solche Ursachen sind Fehler in der Lebensordnung oder chronische Krankheiten. Diese letz­teren sind alle auf drei selbssttändige Uebel zurück zu führen, gegen welche die Arznei gerichtet sein muss. Diese drei Grundübel aller chronischen Krankheiten sind:
1)nbsp; Sycosis (das Feigwarzensiechthum). Es kommt selten vor, ist durch warzenartige Wucherungen zu erkennen, und fin­det ein sicheres Heilmittel in der Thuja occidentalis.
2)nbsp; SjjpJiüis. Ist häufiger und wird durch Mercurius soluhilis geheilt.
3)nbsp; Psora. Das häufigste Grundübel der chronischen Krank­heiten. Alle Ausschlagskrankheiten gehören hierher, die im Verborgenen die Ursache von einer grossen Anzahl chronischer Krankheiten sind. Eine grosse Reihe von Mitteln (antisporica) sind dagegen aufgeführt. Die Allopathie soll nie eine chro­nische Krankheit heilen, sondern stets nur unterdrücken.
Eine Medicina expeefutrix erkennt die Homöopathie nicht an, sie tritt immer als Medicina activn, auf, indem sie die Symp­tome auffasst und danach das Mittel giebt.
Ein sebr sclüau ansgedachter Grundsatz von Hcdwemann; die Homöo­pathie lässt der Naturheilkraft keine Gelegenheit, sich bemerkbar zu machen in ihrer Wirksamkeit, weil sie dieselbe fürchtet und durch dieselbe um ihr Renommee kommen könnte; sie lässt keine Expcctativkur gelten, um auf Bechnung der Naturheilkraft zu ernten.
Eine Therapia prophylactica besteht für die Homcnpathie in so fern, als sie dem Feinde mit einem Specificum entgegen-
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90nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
kommt — Pulsatilla z. B. als Schutzmittel gegen die Masern, Balladonna gegen Wasserscheu.
Eine Therapia reconvalescentium kennt die Homöopathie nicht, weil sie in Krankheiten nie Mittel anwendet, die eine nachdauemde Krankheit hervorzurufen im Stande wären. Die Homöopathie sieht nämlich jede Reconvalescenz als eine, durch die Therapie geschaffene Krankheit an. Dadurch, dass der Allopath die Quelle der feindlichen Reize in ihren Wirkungen erschöpft, erschöpft er die Lebenskraft, und es entsteht ein Mittelding zwischen Krankheit und Gesundheit — die Recon­valescenz.
2. Die heutige Homöopathie.
Die Huhnemann'sehen Jünger sind nach und nach uneinig geworden in ihrem Reiche, sie haben sich gespalten, einzelne haben den Meister überflügelt in den Punkten des Unbegreif­lichen, — die Ultrahanemannianer —, andere sind so ziemlich getreu geblieben, — die ÄlthaJmemannianer —, und noch an­dere sind gemässigter geworden — die Jiinglialmemannianer. Zu letzteren gehören — zur Ehre des Standes sei es gesagt — die meisten, wenn nicht alle Thierärzte, die zur Homöopathie übergetreten sind.
Alle Veränderungen, welche die Homöopathie von AenJung-kahnemannianem erlitten hat, beschränken sich einmal auf die schroffsten Sätze, welche Hahnemann in seinem Eifer geschaffen hat, und welche sich nicht mehr halten konnten, und anderen Theils auf andere Erklärungsweisen, wodurch an der Sache selbst nichts geändert ist.
I) Der oberste Satz, die Grundidee des Systems „similia siwilihusquot; ist noch durchgreifend für alle stehen geblie­ben, obwohl man sich in Raisonnements darüber ergossen hat, theils um ihn anschaulicher in seiner Heilwirkung zu machen, theils um ihn mit Worten zu verdecken und durch die Aus­drücke „speeifischquot; weniger einseitig erscheinen zu lassen.
BicMng *) z. B. spricht sich dahin aus, dass die therapeu­tische Kunst darauf beruhe, das Leben zu reizen. Wenn
*) Sendschreiben an die medicinischc Facultät zu Berlin 1844.
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Die heutige Homöopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;91
jedoch früher der Brownianismus vorzüglich nur die Quantität der Reize berücksichtigte, so trifft die specifische — homöopa­thische — Medicin die Qualität derselben. Es handelt sich also hier um specifische Reize, die durch Prüfung an Gesun­den ermittelt, also aus der pathogenetischen Kraft der Arzneien erschlossen werden. Durch die specifische Reizung wird die Natur zur specifischen Reaction gegen die Krankheit aufgefor­dert, und so heilt die Natur jede Krankheit auf specifischem Wege, auf den sie durch specifische Arzneien hingeführt wird. Gerstel*) sagt hingegen: „Das Wesen des Princips — Simüia similibus — hesteht nicht in unmittelbarer Unterstü­tzung (Anregung) der Naturheilkraft (der Reaction des Organis­mus gegen äussere Schädlichkeiten), sondern in einer specifi­schen Derivation.quot; Diese Derivation wird in der Art ange­deutet, dass die Mittel, welche ähnliche Symptome im gesunden Körper hervorzubringen im Stande sind, bei der Krankheit ei­nen Reiz in gesunden Organen setzen, der ableitend, antago­nistisch auf die Krankheit wirkt. Dies ist nicht mehr Ho­möopathie.
2)nbsp; Rücksichtlich der Auswahl der Heilmittel hat Jahr das betreffende//a/meniaHM'sche Gesetz dahin gefasst: „Die Krank­heiten weichen jenen Mitteln, deren wesentliche Wirkung auf den gesunden Körper den wesentlichen Erscheinungen des Krankheitsfalles am treffendsten entsprechen.quot; Dies ist entschieden wissenschaftlicher und verlangt Vertrautsein mit den Krankheiten, um eben das Wesentliche von dem Unwesent­lichen in den Symptomengruppen zu unterscheiden, und eine klare • Einsicht in den Zusammenhang der Krankheitserschei­nungen zu gestatten. Ein entschiedener Fortschritt im Systeme. Laien können hiernach fortan nicht mehr homöopathisch ku-riren.
3)nbsp; Von der pathogenetischen Wirkung der Arz­neien, auf ihre Heilwirkung zu schliessen, d. h. aus den Symp­tomen, welche eine Arznei im gesunden Körper hervorbringt, einzig und allein die Heilwirkung zu erkennen, darüber sind die Homöopathen uneinig; einige halten hieran noch unbedingt fest, und behaupten, dass es keine ächte Specitica geben könne, die nicht erst physiologisch geprüft seien, deren Wirkimg auf
*) Prineip der Homöopathie 1843.
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92nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
den gesnnclon Körper nicht erst durch subjective Empfindung und objective Beobachtung festgestellt sei — Griesselick, Hir-schel U.A.—; mehrere, — Wolf, Trinks, Wotzke, Strucker, Tli. Traeger u. A. — erkennen die Prüfung der Arznei an ge­sunden Individuen an, sie verwerfen aber dabei vernünftiger Weise die kleinen Gaben; andere dagegen wollen die Prüfung bei Krankheiten nicht ausschliessen, wozu vorzugsweise die thierärztlichen Homöopathen gehören.
4)nbsp; nbsp;Der Hyperdynamismus ist gleichfalls von vielen Homöopathen etwas bei Seite geschoben, indem sie sich vor dem HaJmemann'sehen Satze: „Krankheit und Heilung entste­hen nur durch dynamische Einflüsse,quot;*) verwahren. Die Rich­tung und Resultate der neueren Forschung hat sie zum Theil nicht unberührt gelassen und ihnen die Ueberzeugung beige­bracht, entweder diesen unhaltbaren Satz oder ihr ganzes Sy­stem aufzugeben.
5)nbsp; Die Psoratheori e, wodurch Haknemann selbst bereits die Conzequenz seiner dynamischen Ansichten durchlöchert hat, indem sie materielle Abnormitäten setzt, ist den positiven Erun-genschaften auf dem Gebiete der exaeten Forschungen gänzlich gewichen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ,
6)nbsp; Die Verdünnung. Ueber die Verdünnung ist eine Principlosigkeit eingetreten. Fast jeder Homöopath hat seine eigene stehende Verdünnung; die Ultrahanemannianer wollen viel grössere Verdünnungen, als Halmemann selbst für gut gehalten hat, sie gehen bis zur hundert- und tausendfachen Verdünnung — die sogenannten Hochpotenzen —; andere bleiben bei der Hahneinann sehen Angabe; noch andere geben nur von der Isten — oten Verdünnung und meinen zum Theil, dass es auf etliche Verdünnungen mehr oder weniger gar nicht an­komme; einige endlich, die sich der alten Schule schon sehr bedeutend näheren hinsichtlich der Mittel, geben Urtinetur auf etliche Streukügelchen oder auf Oblaten, oder verdünnen die Mittel mit 25 bis 50 Theilen von dem Verdünnungsmittel — 1/4 oder lJ2 Potenz. Zu letzteren gehört namentlich Th. Trae­ger (Studien und Erfahrungen 1851. pag. 74).
Fast alle, selbst die bis zur Isten und noch weiter bis zur '^ Potenz und sogar zur Urtinetur
*) Organen 5. Aufl. 1836 pag. 86.
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Die heutige Homöopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 93
zurückgegangen sind, erkennen aber die Wirkung der Arz­neien bis zur Hahnemanrisehen SOsten Potenz hinauf noch an, und damit ist denn auch noch die Sahnemann'sche Theorie über die Potenzirung bei dem Verdünnen anerkannt.
Beachtet man den Grundsatz, den Halmemann über die Heilkraft der potenzirten Mittel aufgestellt hat, so liegt darin, dass man von allen Mitteln, von der Urtinctur bis zur äris­se rsten Hochpotenz, ausgezeichnete Wirkung sieht, ein gefährlicher Widerspruch für die Homöopathie; und da jeder sich auf Thatsachen stützt, keiner im Irrthum sein will, so musste zur Lösung dieses Widerspruches die Hahnemann-sche Potenzirung der Arzneien durch Verdünnung aufgegeben oder eine andere Erklärungsweise gesucht werden.
Dem Professor Doppier ist es denn auch gelungen ein Aus­kunftsmittel zu finden. Nach demselben ist in dem rohen unpo-tenzirten Arzneikörper die Arzneikraft nicht unentwickelt ver­borgen, die erst durch Potenziren frei und wirksam gemacht werden muss, wie Halmemann angiebt, und von allen seinen Anhängern angenommen wurde, um den unendlich verdünnten Mitteln noch eine Heilkraft zu vindiciren, sondern auch in den rohen Arzneikörpern ist schon eine wirksame Arzneikraft vor­handen, die Körperfläche der wirksamen Arznei wird aber durch Verdünnung vergrössert in gleichen Verhältnissen mit der Ver­dünnung, dadurch werden die Berührungspunkte vermehrt, wo­von die Wirkung der Arznei abhängt, und somit ist dann die Verdünnung auch wieder eine Potenzirung. Es ist daher erklär­lich, dass auch die rohen Arzneikörper eine homöopathische Wirkung haben, sie müssen aber in grösseren, massiveren und öfteren Gaben verabreicht werden, weil die Berührungspunkte geringer sind; es ist aber hieraus zugleich erklärlich, dass auch die hohen Potenzen noch heilkräftig wirken, und dass man den beabsichtigten Heilzweck mit demselben glücklichen Erfolge mit der Isten wie mit der 30sten Verdünnung errei­chen kann.
7) Die homöopathische Verschlimmerung nach der Verab­reichung, die Schneider als eine psychische Wirkung der homöo­pathischen Theorie bezeichnet, wird von den unbefangenen Beobachtern nicht anerkannt, namentlich stellt sie Th. Traeger entschieden in Abrede. Wenn aber diese primäre Verschlim-
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94nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
merunfi; fehlt, so muss das Princip „similia similibusquot; falsch oder die Arznei ohne Wirkung sein.
Die Wiederholung der Mittel geschieht jetzt fast allgemein nicht mehr nach der Vorschrift des Begründers.
8)nbsp; Was endlich die Diät hetrifft, so sind die Homöopathen auch nicht mehr so scrupulös, wie es Hahnemann vorgeschrie­ben hat. Es bot dieses in der Praxis viel Schwierigkeit dar, man änderte an der Diät, so viel als es die Ausführbarkeit in der Praxis erheischte, und sah sich dadurch in den Resultaten nicht beeinträchtigt, wodurch eigentlich das Wunderbare, das Geistige in der homöopathischen Arznei wieder mehr hervortritt.
9)nbsp; nbsp;Hinsichtlich der consequenten Durchführung des Hahne-mann'schen Systems zerfallen die Homöopathen in 2 Klassen: in die Puristen und in diejenigen, welche sich nicht unbedingt an die homöopathischen Grundsätze binden. Wenn die stren­gen Anhänger der Specifitätslehre die Reinheit ihrer Grund­sätze zu erhalten streben und unter Umständen ihre Patienten der Consequenz opfern, so opfern umgekehrt die nicht unbe­dingten Anhänger vernünftiger Weise die Consequenz ihren Patienten, indem sie unter gewissen Verhältnissen zu Mitteln greifen, welche ausserhalb der Homöopathie liegen. —#9632; So ver­schmähen sie nicht die Purganzen, Brechmittel, Elutentziehun-gen, Ableitungsmittel, Umschläge etc. Die unächten Homöo­pathen stehen als Vermittler zwischen der Homöopathie und der sogenannten alten Schule.
„Die positive Heilmethode.quot;
Unter dieser Firma ist die Homöopathie in neuester Zeit in modificirter Gestalt aufgetreten, der Reformator ist Salin­ger *). Diese positive Heilmethode, die Kühner **) als den einzigen Weg zur sichern Heilung bezeichnet, hält an dem obersten Satze der Homöopathie: „similia similibusquot; und an die Ermittelung der speeifischen Heilmittel nach ihren Wirkungen im gesunden Organismus fest. Hinsichtlich der Dosen verwirft
*) Solinger, die positive Heilkunde. St. Petersburg 1866. **) Die positive Heilmethode. Ein Wort der Aufklärung für Aerzte und Laien (!) über den einzigen Weg zur sicheren Heilung der Krank­heiten. 1867.
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Die positive Heilmethode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;95
sie die Hahnemanrisehen Verdünnungen und Potenzirungen, hält aber die Anwendung kleiner Gaben principiell aufrecht und für eine Nothwendigkeit der speeifischen Heilmethode, weil es bei der Aehnlichkeit zwischen ArzneistofFen und Krankheits­erscheinungen eben nur einer geringen arzneilichen Einwirkung bedürfe.
Für die kleinen Dosen wird noch der Vorzug hervor­gehoben, dass die Mittel in denselben keine Contraindicationen finden. Kühner sagt, dass die Dosis niemals zu klein gegrif­fen werden dürfe, um nicht die Grenze des sinnlich Wahrnehm­baren zu überschreiten, und niemals zu gross, um nicht gefahr­drohenden Nebenwirkungen ausgesetzt zu sein; dass im Allge­meinen die Gabe von '//jq'/ioo Gr. diesen Anforderungen ent­spreche. Bei heftig wirkenden Mitteln, bei Arsenik z. B., geht Salinger bis auf il500—Vioon Gran. Ausserdem ist der Hahne-mann'sche Grundsatz, immer nur ein Mittel anzuwenden, von Salinger verworfen, weil die Wirkung eines Arzneimittels immer nur eine örtliche, nicht, wie die Homöopathie lehre, eine allge­meine sein und ein einzelnes Arzneimittel selten ausreichen könne; selbst die Verbindung heterogen wirkender Arzneien sei kein Hinderniss weit verbreitete Krankheiten zu bekämpfen, weil sich die Mittel in ihren eigenthümlichen localen Wirkun­gen nicht in ihrer Wesenheit zu alteriren vermöchten. Als eine Hauptsache bei der Zusammensetzung wird eine innige Mischung hervorgehoben, wozu eine mehrstündige Verreibung erforderlich ist, und hierdurch die Nothwendigkeit des Selbstdispcnsirens auch bei dieser Heilmethode vertheidigt.
3. Kritik.
Die Homöopathie ist Glaubenssache, und wo der Glaube anfangt, da hört die Wissenschaft auf! Aus der gegenwärtigen Homöopathie ersieht man aber, dass der Autoritätsglaube dahin ist, dass die Homöopathie als Heilsystem in Widersprüche ge-rathen ist, welche Hahnemann geschickt zu vermeiden wusste. Die heutigen Homöopathen nennen dies einen Fortschritt, mich dünkt aber, dass es ein Fortschritt mit Vernichtung der Haupt­pfeiler des Systems ist, welches deshalb als in sich selbst zu­sammengebrochen betrachtet werden muss. Ich will mich des-
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halb hier nur gegen einige Hauptprincipien wenden, die noch ihre Vertreter finden.
1) Das Heilprincip „simile simüi.quot; Wird eine ähnliche arzneiliche Krankheit nicht in dem erkrankten Körpertheile, sondern an einer anderen Stelle, selbst an einem entfernten Theile erregt, wird z. B. bei Augenentzündung hinter dem Ohre, bei Brust- oder Brustfellentzündung auf den Rippen oder dem Bauche eine Entzündung hervorgerufen, bei Entzündungen unter der Haut (im Bindegewebe, Sehnen, Bändern, Gelenken, Kno­chen) ein scharfes Mittel auf der Haut an entsprechender Stelle angewandt, so haben wir hier keine Heilwirkung nach dem Gesetze simile simili, sondern nach Gesetzen der Derivation, wir haben also in solchen Fällen keine homöopathische, sondern eine allopathische Heilung.
Eine andere Reihe von Täuschungen haben wir bei dem so häufig als Beweis von der homöopathischen Wirkung ange­führten Heilung des Erbrechens durch Brechmittel, des Durch­falles durch Abführmittel etc. Mit Brechmittel kann man Er­brechen heilen, schon HippoJerates kannte dies, das Erbrechen wird aber doch nur gehoben, wenn die Stoffe entfernt werden, welche das Erbrechen verursachen; mit Abführmittel stillt man den Durchfall, wenn die Stoffe aus dem Darmrohre entfernt werden, welche eine vermehrte Absonderung und peristaltische Bewegung unterhalten haben; Opium stillt spasmodische Ver­stopfung durch beruhigende, lähmende Wirkung, aber keine para­lytische d. h. solche Verstopfung, die auf mangelhaftem Nervenein-fluss beruht, mit Kampfer kann man Schweisse beseitigen, die auf Atonie der Haut, träger Strömung des Blutes ir.. den Haut-capillaren, die überhaupt mehr auf passiven bjperämischen und paralytischen Zuständen beruhen, aber nicht die Schweisse, die das Ergebniss des vermehrten Lebensturgors der Haut sind, die auf Wallungen, Fluctionen beruhen; der ermüdete schweiss-triefende Schnitter kühlt sich durch ein Glas Branntwein ab, aber doch nur durch einen inneren erwärmenden Reiz und zugleich durch Stärkung, Erquickung; harntreibende balsamische Mittel können übermässige Harnabsonderungen hemmen, wenn eine Er­schlaffung, eine Atonie in den Nieren besteht, aber nicht bei Keizzuständen, irritativer Hyperämie. Niemals haben wir hier eine homöopathische Heilung, sie beruht gerade umgekehrt im Princip des Gegensatzes, theils wird der vorhandene abnorme
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Reiz weggenommen, theils der fehlende normale ersetzt; die Aehnlichkeit ist hier zwischen Heilkraft und Krankheit immer nur scheinbar.
In einer dritten Reihe von Fällen ist die Beziehung der Heilmittel zur Krankheit gar nicht bekannt; die homöopathi­sche Beziehung ist dann eben nur eine Annahme, die nicht mehr Recht hat, als die entgegengesetzte; namentlich ist von den eigentlich speeifischcn Mitteln die Heilwirkung unbekannt. Es ist deshalb ein Irrthum, wenn man glaubt, dass durch das Gesetz „simile similiquot; ein sicherer Weg zur planmässigen Er­forschung der Specifica — der specifischen Wirkungen — aas dem grossen Arzneischatze gegeben sei. Specifisch und hon.öopa-tisch ist keineswegs identisch, das Simile hat nach dem gegen­wärtigen wissenschaftlichen Standpunkte viel weniger Anspruch, als das Contrarium auf das Specifische der Wirkung eines Mit­tels. Die Speciüca, die wir haben, sind Findlinge der Praxis und nicht die Ergebnisse des homöopathischen Heilsystems.
In vielen Fällen ist das homöopathische Heilprincip ent­schieden schädlich, wie die oben angeführten Beispiele bewei­sen und wie sich noch weiter nachweisen lässt, so werden z. B. alle Entzündungen durch Mittel gesteigert, die Entzündung er­regen, sobald sie eben auf das entzündete Organ einwirken, wie das ja die homöopathische Wirkung voraussetzt. Die Ho­möopathen haben dies auch erfahren und deshalb zu der Ver­dünnung gegriffen oder greifen müssen, um nicht mehr zu scha­den, als zu nützen. Weier*) ist bei seinen Untersuchungen so weit gekommen, die Gesetze der Aehnlichkeit der Heilwirkun­gen gänzlich auszuschliessen.
Wenn wir nun auch nicht so weit gehen wollen, wie Weber und das Heilprincip similia similihus an sich nicht durchaus verwerfen wollen, so 'Steht doch so viel fest, dass die Heilung nach diesem Gesetze nur selten ist, und dass es am allerwenig­sten Ansprüche machen kann, ein besonderes Heilsystcm zu begründen.
2) Die Behandlung der Krankheit nach ihrenSymp-tomen. Der betreffende//n/memcwirt'sche Lehrsatz bat nur dazu gedient, dem Laien mit fünf Sinnen und einem Verzeichnisse
*) W. J. A. Weber. Die Heilungsgesetzo positiv und historisch mit besonderer Uiicksichtnahmo auf die herrschenden Iloilsvstcmc. 1862.
Gor!a.-h A l(r. Iheiai ie. 2. Aufl.
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von homöopathischen Mitteln in der Tasche das Gebiet der me-dicinischen Praxis zu eröffnen. Nach einem neueren Lehrsatze sollen allerdings nun die -wesentlichen Symptome der Krankheit für die Anwendung der Mittel leiten, dies ist schon besser und verlangt eine tiefere Einsicht; es genügt aber principiell noch nicht zur Aufstellung der Heilindicationen, dazu ist auch die Erforschung der Ursachen, des Ausgangspunktes der Störungen und der innere Zusammenhang der wesentlichen Symptome, also die Natur der Krankheit selbst, d. h. die Krankheits-processe, erforderlich. Wo diese Erforschung nicht möglich ist, da müssen wir uns allerdings auf das symptomatische Ver­fahren beschränken, deshalb darf man aber doch die symp­tomatische Kur nicht als die einzig richtige hinstellen, sie ist und bleibt immer ein Nothbehelf in Ermangelung einer Radicalkur. Hiermit fällt nun aber die weitere Heiltheorie über die Symptomenähnlichkeit zwischen natürlicher Krankheit und arzneilicher Krankheit, und über die Ausmittelung der Heilwir­kung im gesunden Körper nach den erzeugten Symptomen, kurz das ganze Fundament von dem Satze „simile similiquot; zusammen.
3) Prüfung der Arzneien. Es ist richtig, dass die krankmachenden Kräfte der Arzneien bei Gesunden zu Heil­kräften werden müssen, wenn sie richtig angewendet werden, und dass daher die Prüfung der pathogenetischea Kräfte der Arzneien bei Gesunden keineswegs von der Hand zu weisen ist; jedoch können nicht alle therapeutischen Kräfte der Arznei durch ihre pathogenotischen Wirkungen angedeutet werden, und darf man deshalb die Prüfung der Mittel bei Gesunden nicht als den einzigen Weg betrachten; um die Heilwirkung kennen zu lernen, dazu bedarf es auch der vorsichtigen Prüfung bei Krankheiten.
Die Experimente an gesunden Thieren sind nur insofern von Wichtigkeit, als sie, wo sie Resultate geben, eine Einwir­kung des Mittels überhaupt und speciell auf einzelne Organe nachweisen. Jede voreilige Verwendung dieser Resultate für die Therapie, wie sie von den Homöopathen principiell geschieht, ist verderblich und irreleitend, denn im kranken Körper sind neue Verhältnisse, neue und namentlich vielfältigere Cotnbina-tionen, wodurch die Wirkung der Mittel vereitelt oder modiii-cirt werden kann. Die Erfahrungen über therapeutische Mittel
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und Methoden können mit Erfolg nur an Kranken gemacht werden.
Die homöopathische Prüfungsart trifft ausserclem noch das post hoc ergo propter hoc als Vorwurf. Es sind die Täuschungen bei den Versuchen an Gesunden vielfältig auf eclatante Weise dargethan worden. Wie viel Symptome wird nicht jeder ganz gesunde Mensch an sich entdecken, wenn er sich von früh bis Abends sorgfältig beobachtet? In den von Fr. Seidlitz*) angestellten Versuchen an russischen Feldscheerern mit potenzirten und un-potenzirten Streukügelchen vermochten letztere gewaltige Symp­tome hervorzubringen.
Was soll man nun zu den so gefundenen unfehlbaren Heil­mitteln sagen! Was soll man hiernach von den in Hahncrnunn s und anderen Arzneimittellehren enthaltenen Specifica halten, die auf diesem Wege entdeckt worden und noch heute die Grund­lage des homöopathischen Arznei Schatzes sind.
Alle Versuche mit so kleinen Gaben bleiben für die patho-genetische Erkenntniss der Arzneien ohne Werth. Sehen wir hier­von nun auch ganz ab und werfen wir uns die Frage auf: wo­her kennen denn homöopathische Thierärzte die heilkräftige Wirkung der Arzneien?
So weit ich unterrichtet bin, so besitzen die homöopathi­schen Thierärzte noch keine selbstständige reine Arzneimittel­lehre; ohne eine solche kann aber nach Hahnemann nicht schnell, sicher und dauerhaft geheilt werden. Die thierärztlichen Ho­möopathen haben die Mittel vorzugsweise aus den Arzneimittel­lehren der homöopathischen Medicin entnommen, sie haben also aus der pathogenetischen Wirkung bei Menschen die therapeu­tische Wirkung auf unsere Haustbiere gefolgert, und das ist ein unverzeihlicher Missgriff, eine grobe Sünde gegen das homöo­pathische System, das sie adoptirt haben.
Wir wissen aus tausendfachen Erfahrungen, dass die mei­sten Mittel bei den Menschen nicht genau alle dieselben Krank­heitssymptome hervorrufen wie bei Thieren, und doch sollen sie hier dieselben Krankheitssymptome beseitigen wie bei den Men­schen; man wendet die Mittel nach dem, beim Menschen auf­genommenen Symptomenverzeichnisse bei Thieren- an, ohne zu
Simons antihomöopathisches Archiv. Theil 2, Heft 2.
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wissen, ob sic auch bei diesen dieselben Symptome hervor­rufen, und nennt dies doch homöopathisches Kuriren. Wird auf diese Weise wirklich geheilt, so kann das homöopathische System nimmermehr richtig sein, es ist dann t'aetisch widerlegt; wird durch diese Art des Kurirens nicht geheilt, darf die etwa erfolgte Heilung nicht diesem Kuriren angerechnet werden, dann ist es Charlatanerie.
Dasselbe Verhältniss wie zwischen Menschen und Thieren überhaupt findet nun aber auch unter den verschiedenen Thier-gattungen statt, ganz anders und viel beschränkter ist die pa-thogenetische Kraft, z. B. der Narcotica bei Pflanzenfressern, als bei Hunden; es ist also durchaus nothwendig, dass jedes Mittel bei den verschiedenen Thiergattungen im gesunden Zu­stande geprüft wird, um damit homöopathisch zu kuriren. Soll dies in homöopathischen Verdünnungen geschehen, dann wünsche ich Glück zu dergleichen Experimenten. Subjective Täuschungen können freilich nicht vorkommen, desto mehr objective aber werden sich ereignen. Auf diese Weise werden vielleicht alle möglichen Arzneiwirkungen gesehen, aber sicher keine pathoge-netische wirklich ermittelt. — Eisen macht gebundene Schul­tern, ergo erzeugt es Buglahmheit, folglich ist es ein homöopa­thisches Heilmittel gegen Buglahmheit. Dies ist ein Pröbchen von dem an gesunden Thieren erforschten Heilmitteln, deren viele vorhanden sind und noch mehr kommen werden, wenn man Hahnemaims System verfolgt.
Wollen nun aber die Thierärzte direct bei Krankheiten die Mittel versuchen, so ist dies wieder ein Experimentiren gegen alle homöopathischen Grundsätze. Die homöopathischen Thier­ärzte haben nicht bedacht, welchen gefährlichen Weg sie nach Halmemanris Grundsätzen wandeln, dass nach diesen bei den Thieren gar nicht zu kuriren ist, und sie somit homöopathische Thierärzte sind, die den homöopathischen Grundsätzen zuwider handeln müssen. Die Laien fühlen dies nicht, die wirklichen Thierärzte aber haben das Hahnemanrische System für sich zurecht gelegt, um so mehr, als der Autoritätsglaube unter den menschenärztlichen Homöopathen schon sehr erschüttert war; sie experimentiren an gesunden Thieren mit allo­pathischen und an kranken mit homöopathischen Mitteln. Sie stehen nicht isolirt da, es wird auch bei den Men­schen zum Thcil so verfahren. Gegen diese gemässigtere Rieh-
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Kritik der Homöopatliie.
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tung wäre nun nichts einzuwenden, es passt nur nicht für das Heilsystem. Hinsichtlich der Versuche an gesunden Thieren ist zu erinnern, dass die allopathischen Mittel in verschiedenen Gaben, den wahrnehmbaren Symptomen nach, auch sehr ver­schiedene Wirkungen haben; nach weichen soll nun ihre Spc-citität für das Heilprincip „simile similiquot; festgesetzt werden?
Bezüglich des Experimentirens mit homöopathischen Mitteln bei kranken Thieren ist zu bemerken, dass dadurch der Haupt-vortheil der Homöopathie verloren geht, nämlich die Specifica auf einem leichten und sicheren Wege nach dem Grundsatze „simile similiquot; aufzufinden, und dass die bei der Behandlung ein­getretene Heilung füglich nicht mehr als ein Beweis für die Richtigkeit des Grundsatzes „simile similiquot; dienen kann, weil die Mittel eben nicht danach gewählt sind. Die Homöopathen wissen sich hier zwar zu helfen, sie stellen das .simile simili'' als unumstösslicne Wahrheit hin, woran keine Vernunft rüttein darf, und schliessen dann einfach so: „Weil bei den Mittein Heilung eingetreten ist, so muss es auch ähnliche Zustände er­zeugen können.quot; — Wer sich hiermit beruhigen kann, der wird sich auch in der Homöopathie wohl fühlen.
4) Verdünnung. Hätten sämmtliche Aerzte der Welt, so lange die Mediein besteht, alle ihre Patienten nur mit der lOten Potenz behandelt, so könnte bis heilte noch kein Gran einer Ursubstanz verschluckt sein. Thut man in den Ocean einen Tropfen Urtinetur und denkt man sieh diesen ganz gleichmässig in dein Meere vertheilt, so würde das Meerwasser noch viel mehr von der Arznei enthalten, als davon in der IGten Verdün­nung enthalten ist. Der Kubikfuss Wasser wiegt circa ÖS1/^ Pfund und enthält — .'gt; Tropfen gleich 1 Gran gerechnet — 308,100 Tropfen, die Kubikmcile enthält mithin 781,160,008 Trillionen Tropfen. Der Inhalt der Erde beträgt nach Bude 2662 Millionen Kubikmeilen, also würde diese, wäre ihr ganzer Inhalt Wasser, etwas über 2079 oder in runder Zahl 2080 Quin-quillionen Tropfen enthalten. Eine unserer Erde gleiche Was­sermasse mit einem Tropfen einer Arznei 'gleichmässig gemischt gedacht, würde also noch nicht der 18fen Verdünnung gleich­kommen. Eine Wassermasse, welche vielen Quadrillionen Er­den zusammen am Umfange gleicht, würde, mit einem Tropfen reiner Arznei gemischt gedacht, ungefähr der SOsten Verdün­nung gleichen. Diese Beispiele mögen genügen, die eigentliche
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Bedeutung der so unschuldig scheinenden Verdünnungen an­schaulich zu machen.
Manche Homöopathen sind in der Halmemann sehen Poten-zirung noch weiter gegangen, sie entwickeln nicht bloss den Geist aus der Materie, sie verstärken und veredeln ihn selbst noch, sie treiben die Hochpotenzirung.
ß. II. Traeger sagt in dem 4ten Theile seines Hausthier-arztes, 1847, Seite 9 und 10, bezüglich dieses Hahnemajin sehen Satzes: „Der rohe Stoff soll ja eben abgethan und das in ihm lebende (sie) Geistige durch Verreibung, Schütteln und Verdün­nen entbunden werden. Dann wirkt der entfesselte Geist des arzneilichen Stoffes auf den Geist des Empfangenden und macht auch ihn frei von den Banden der Krankheitquot;!!! Also mit an­deren Worten, der durch Schütteln und Reiben aus seinen Fes­seln gelöste ffute Geist vereinigt sich mit dem menschlichen resp. thierischen Geiste, beide werfen hinaus den bösen Geist — die Krankheit. Die Alten kannten nur einen Archäus, nun aber haben wir im 19. Jahrhundert mit einem Male drei, näm­lich: 1) den eigentlichen Archäus, worunter Paracelsus und Helmont in der Mitte des 17. Jahrhunderts sich das Lebens-prineip in einer, ihrer Zeit entsprechenden Anschauungsweise dachten, was wir heute in einem andern Begriffe mit Seele bezeichnen: 2) den Archäus in der homöopathischen Arznei oder den rettenden Engel, und 3) den zum Verderben führen­den Teufel — die Krankheit.
Andere Homöopathen haben sich die Sache ernstlich über­legt und sind hierbei zu der Ansicht gekommen, dass es mit dem Potenziren doch wohl nicht recht richtig sei, sie vermieden deshalb, ja sie verwarfen sogar das Potenziren, aber — nur dem Worte nach, der Sache nach blieben sie in demselben Mysterium.
77;. Traeger*) nennt auch die Hahnemann'sehe Deutung der Wirksamkeit der potenzirten Arzneien sehr richtig eine myste­riöse, gleichwohl aber sagt er weiter: „nicht in den ausge­sprochenen Worten, sondern zwischen den Zeilen ist für den
*) Studien und Erfahrungen im Bereiche der Pferdeknnde, 1851, S. 68 u. 69. Bis zu dein Abschnitte der Homöopathie wird dieses Werkchen auch jeder nieht homöopathische Thierarzt mit Vergnügen und nicht ohne Belehrung lesen.
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Kritik dor Homöopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;103
weisen Finder der tiefere Sinn der Sache niedergelegt. Ich lese ihn klar und deutlich: Specifische Mittel wirken um so glücklicher, je kleiner die Gabe der Grosse der Krankheit gegenüber steht. Die Homöopathie ver­dünnt nämlich ihre Arzneien um so mehr, je weniger Gene­sungskraft sie jedesmal voraussetzt, je schwächer also das In­dividuum an sich ist, oder je schwerer die Krankheit auf dem­selben lastet.quot;
Ich vermag weder aus diesen Worten, noch zwischen die­sen Zeilen etwas anderes herauszufinden, als dass die Heilwir­kung — also die Wirksamkeit — der homöopathischen Mittel mit der Kleinheit der Gabe steigt; und wenn Traeger trotzdem die Hahnemanrische Erklärung über die Wirksamkeit der po-tenzirten Mittel nicht anerkennt, so hat er zwischen den my­steriösen Zeilen des Hahnemann weiter nichts, als ein anderes Mysterium herausgelesen.
Zur weiteren Rechtfertigung der Wirksamkeit der homöo­pathischen Gabe haben die Nachfolger Hahnemann's auch ihre Zuflucht zu den Ansteckungsstoffen genommen und gesagt, dass diese in einem Minimum noch lebensgefährliche Krankheiten er­zeugen, üies ist aber eine höchst unglückliche Wahl in den Vertheidigungsmitteln; denn 1) ist der Vergleich zwischen Arz­neien und Ansteckungsstoftcn nicht bloss ein hinkender, sondern ein unzulässiger; die Wirkungsweise des Contagiums ist eine ganz andere; gleichgültig, welche Erklärungsweise wir dafür adoptiren, so steht doch so viel fest, dass sich das Contagium im Organismus nach der Infection regenerirt, sei es auf chemi­sche oder organische Weise; die zur Infection hinreichende Quantität vervielfältigt sich dermassen, dass der Organismus schliesslich erkrankt und AnsteckungsstofF genug beherbergt, um Tausende von Individuen wieder zu inficiren; 2) aber wirkt das Contagium zwar in sehr kleiner Quantität, aber nicht in jeder kleinen Quantität und in jeder Verdünnung, ja bei den meisten reicht schon eine geringe Verdünnung hin, um sie unwirksam zu machen, und je concentrirte r es ist, desto wirksamer ist es unter allen Umständen, daher spricht das Contagium gerade gegen alle Wirksamkeit der homöopathisch verdünnten Mittel.
Von einer anderen Erklärungsweise über die Wirksamkeit der homöopathischen Mittel von Doppler durch Vermehrung der
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Berührungspunkte ist bereits gesprochen. Diese sowohl, wie die Beziehung auf die in neuer Zeit entdeckte Spectral-Ana­lyse sind nur noch schwache Vertheidigungsversuche auf der Retirade.
Es ist jetzt eine ausgemachte Thatsache, dass es weder rein dynamische Krankheiten noch dynamisch wirkende Mittel giebt, dass somit von dynamischer Arzneikraft, dynamischer Heilwirkung keine Rede mehr sein kann, und damit fällt nun eigentlich das ganze Gebäude der Homöopathie in sich selbst zusammen.
Bei allen Arzneien (wie auch bei anderen Einflüssen) muss man zwei Wirkungen unterscheiden, eine erste, die eigentliche arzneiliche Wirkung, und eine zweite, nach der ersten fol­gende, die sogenannte reactive; hiermit sind die Homöopathen und Allopathen einverstanden. Wenn man nun den verdünnten (potenzirten) Mitteln eine grössere Wirkung beilegt, so müssen nothwendig beide Wirkungsarten gleichmässig gesteigert sein; denn die seeundäre, die Reaction, ist ja immer erst das Ergeb-niss der ersteren; wo das Primäre fehlt, kann es kein Secun-däres geben, letzteres steht quantitativ und qualitativ immer in einem gewissen Verhältnisse zum ersteren. Dennoch aber soll bei den homöopathisch verdünnten Mitteln die primäre Wirkung verschwindend klein und eben deshalb auch die zunächst ein­tretende homöopathische Verschlimmerung, wie sie nach dem Principe „simile similiquot; nothwendig eintreten muss, sehr gering sein und nach lit. Traeger und einigen Anderen ganz fehlen. Ein Phänomen, was jetzt noch zu den Wundern gezählt wer­den muss. Die primäre Wirkung aller Mittel auf den Orga­nismus ist eine chemisch physikalische; Mittel, so verdünnt, dass sie keine chemische lieaction mehr zeigen, können auch keine Wirkung auf den Organismus, also auch keine arznei­liche Kraft mehr haben, selbst wenn auf dem physikalischen Wege durch die Spectral-Analyse noch Spuren davon nachzu­weisen sein sollten, wie bis zur 4ten Potenz, aber nicht darüber hinaus möglich ist. Ausserdem trägt der Organismus die Fä­higkeit in sich, kleine heterogene Einflüsse abzuweisen, wie sich schon daraus ergiebt, dass er täglich mit den normalmässigen Nahrungs- und Lebensmitteln Substanzen aufnimmt, die chemisch­physikalisch wirksamer sind, denn alle homöopathischen Arz-
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Kritik der HomSopathie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 105
neien zusammen, die seit Hdhmmann schon verbrauclit wor­den sind.
Die Homöopathen weisen zwar mit einer gewissen Genug-thuung auf ihre Erfolge hin, schreiben diese ihren Arzneien unbedingt zu und leugnen jede Selbstheilung durch die Natur. Die Erfolge muss man ihnen allerdings vielfach zugestehen, keineswegs aber können sie als Beweise dienen für die arznei liehe Kraft der angewandten Mittel, sie belehren uns vielmehr nur darüber, dass die Naturheilungen viel mächtiger sind, als man je in der Medicin zu glauben gewagt hat. Dietl sah nach seinen Versuchen mit homöopathischen Arzneigaben manche Heilungen, besonders bei acuten Krankheiten; da er aber ihre Wirkungen bezweifelte, so behandelte er dieselben Krankheiten diätetisch und expeetativ und heilte auch. Der Nihilismus der homöopathischen Arzneien hat deshalb sogar mehrfach zum kSkeptecismus in der Therapie geführt.
Die Salinger'sehe Homöopathie — die sogenannte positive Heilmethode — steht hinsichtlich der Dosen zwischen der Ho­möopathie und Allopathie; diese Dosen gehören jedoch immer noch zu denen, von denen man sagen kann, wenn sie nicht helfen, so schaden sie doch nicht. In dieser positiven Heilme­thode wird ja auch als besonderer Vorzug der kleinen Dosen von ' 50 — Vtoo selbst bis '500 Gr. hervorgehoben, dass die Mittel keine Contraindication finden.
Was nun die Diät betrifft, so sind die HaJinemann'schen Vorschriften nicht mehr durchgreifend im Gebrauche, immer aber halten es die homöopathischen Menscherärzte doch noch für unerlässlich, dass keine arzneilichen Substanzen aenossen werden, und zur Erfüllung dieser Indication hat Hahnemann die Wege angegeben, indem er sagt: „durch Kochen und Koch­salz wird die arzneiliche Wirkung aufgehobenquot;; mithin darf der Patient bei der homöopathischen Behandlung keine rohen .Substanzen und keine Gewürze geniessen. Wrelclie Diät aber bei den Pflanzen fressenden Thieren einzuschlagen sei, hat Hah­nemann den Thierärzten nicht gesagt; wio wird nun aber die­sen zu Muthe, wenn sie sehen müssen, dass eine Kuh, die eine Oblate mit einigen Tropfen eines chemischen Nichts verschluckt hat, !/4 Centner Grünfutter verzehrt, unter dem sieh die ver­schiedensten Pflanzen, aromatische, narkotische, scharfe etc. be-
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106nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Heilsystome.
finden, oder wenn das behandelte Pferd vor einer mit aroma­tischem Heu gefüllten Kaufe steht?
Wer Caspari's Katechismus oder Hartmanns Diätetik gele­sen hat, muss darüber ganz untröstlich sein. Hungern würden die Thiere vielleicht nicht so lange können, als manche Arz­neien nach den Arzneimittellehren in ihren Wirkungen anhalten, und ausserdem würde das bei Wiederkäuern auch nicht aus der Verlegenheit helfen, wenn man den grossen Vorrath von noch nicht verdauten Substanzen im Wanzte berücksichtigt. Wenn hier nicht der durch Schütteln und Reiben entwickelte nrzneiliche Geist aus der Verlegenheit hilft, dann müssen wir otfen bekennen, dass die homöopathischen Grundsätze nicht für die Thierheilkunde berechnet worden sind, und dass somit die Anwendung der Homöopathie bei Thieren ein gar arges Pfu­schen in der Homöopathie selbst ist, wofür auch die meisten homöopathischen thierärztlichen Werke den sprechenden Beweis liefern.
Das Hahnemann'sühe System, die eigentliche Homöopathie ist bei den Thieren gar nicht anwendbar und zu einer wissen­schaftlichen Fortentwickelung nicht geeisnet, von dem Begrün-der auch nicht dazu angelegt. Wenn die jungen rationellen Homöopathen von wissenschaftlicher Förderung ihres Systems sprechen, so ist das eigentlich nichts weiter, als entweder ein anderes Raisonnement, eine Abänderung in Nebendingen oder eine Auflösung des Systems in Widersprüche. So lange, als das oberstePrincip „simüia similibus curanturquot; als der einzige und ausschliesslich e Weg für die Therapie gilt, so lange leidet sie an den Gebrechen aller Systeme; wird dieser Gründ­satz in seiner Ausschliesslichkeit aber aufgegeben, dann ist die Homöopathie dem Principe nach eben kein System mehr, son­dern ein integirender Theil der gesammten rationell-empirischen Heilwissenschaft. So weit ferner, als die Homöopathen mit po-tenzirten Mitteln operiren, so weit bleibt die Homöopathie ein Kindermesser ohne Spitze und Schneide, was nur für unmün­dige Kinder passt, womit der mündige Arzt in seinem Berufe nur Kinderspiel treiben kann.
Rückblick. Verfolgt man die Homöopathie von ihrem Krfinder bis auf den heutigen Tag, so lassen sich die gegen­wärtigen Thatsachen in folgenden kurzen Sätzen zusammenlas-
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Kritik der Homöopathie.
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sen: Eine eigentliche Homöopathie existirt jetzt, nachdem über 5 0 Jahre seit der Entdeckung der­selben verflossen sind, in Wirklichkeit nicht mehr, als ein in sich zusammenhängendes und geschlosse­nes System ist sie zu Grabe gegangen; durch reelle Fortschritte der medicin ischen Wissenschaft ist sie mit jedem Jahre immer mehr unmöglich geworden, und durch die vermeintlichen Fortschritte auf dem Gebiete der Homöopathie selbst, bei denen man bemüht gewesen ist, die Homöopathie neben den Errungenschaften in der Pathologie aufrecht zu erhalten, ist das System selbst vernichtet worden, so class nur eine Ruine geblieben ist. Mit den Trümmern ha: man allerdings bis heute noch Praxis resp. Spe­culation getrieben; das Häuflein ist gegenwärtig aber nur noch gering und demselben gehören bezeichnend genug vorzugsweise Laien an.
Bei allen Einwendungen kann ich die Homöopathie doch nicht verlassen, ohne am Schlüsse meiner kritischen Beleuchtun­gen auch die Lichtseiten kurz hervorzuheben. Ilahnemann und seine Schüler haben entschieden ihre wesentlichen Verdienste um die Heilkunst; sie haben
1)nbsp; nbsp;durch Aufstellung ihres homöopathischen Heilprincipes den Anstoss zur weiteren Verfolgung der Heilungsgesetze ge­geben;
2)nbsp; die Prüfling der Heilmittel überhaupt speciell aber an Gesunden wieder mehr in Aufnahme gebracht;
#9632;i) zur Anerkennung der naturgesetzlichen Entwickelung und Abwickelung cyclischer Krankheiten ohne Arzneien Ver­anlassung gegeben und überhaupt, wenn auch wider Willen, bewiesen, wie mächtig und häutig die Katurheilung ist, die sie allerdings selbst nicht anerkennen;
4) die Allopathen zur Vereinfachung der Arzneien und Verminderung der Dosen geführt, und
igt;) endlich die vielfach mehr oder weniger vernachlässigte üiät bei der Behandlung zur gebührenden Berücksichtigung gebracht. Nebenbei hat die Homöopathie auch zum Skeptecismus in der Therapie geführt, der schliesslich auch sein Gutes hat.
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IDSnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Heilsysteme.
Die Isopathic.
Die Isopathie ist nichts anderes, als die bis auf die äusser-ste Spitze der Conscquenz getriebene Homöopathie, als das bis zum „aequalia aKqualibim1' verklärte „simüia similibitsquot;. Die Isopathie wühlt, wo es der Natur der Krankheit nach angeht, also vorzüglich bei ansteckenden Krankheiten, den Krankheits­stoff selbst in homöopathischer Verdünnung, um dieselbe Krank­keit zu heben; z. B. Anthraxin gegen den Milzbrand, Ozaenin (1 Tropfen von der SOsten Potenz) gegen Rotz, Variolin homl-itnvi et vaccaruM gegen Menschen- und Kuhpoeken etc. Die ersten Spuren finden sich in den angeblichen Erfolgen, welche der homöopathische Arzt Gross mit der Anwendung des poten-zirten Krätzstoffes gegen die Krätze und gegen die psorischen Krankheiten überhaupt erhielt; der eigentliche Erfinder der Isopathie ist jedoch Ln.v. Also einem Thicrarzte ist es gelun­gen, diese Missgeburt des menschlichen Geistes zur Welt zuquot; fördern. Obgleich diese absurde Lehre mit den Vordersätzen des Hahnenianu'sahen Systems in inniger Harmonie steht, so war Hahnemann doch viel zu schlau, als dass er es nicht ver­mieden hätte, durch Anerkennung der Isopathie sein so fein angelegtes Gebäude zu gefährden.
In der Menschetiheilknnde hat die Isopathie deshalh auch kein Glück gemacht, in der Thierheilkunde aber hat sie sich mannigfach mit der Homöopathie verbastadirt. Ledebour sagt (allgemeine Thierheilkunde nach homöopathischen und isopathi-schen Grundsätzen, 18;37), die Isopathie geht mit der Homöopa­thie Hand in Hand, sie ist die jüngste Schwester derselben. Am kräftigsten hat sich die Isopathie nach Ledebour bewiesen, wenn man, um ein krankes Individuum zu heilen, den Krank­heitsstoff von ihm selbst nahm. Es soll daher wenigstens bei diesen Kuren darauf gesehen werden, dass zwischen den zu heilenden Individuen und dem, welche^ das Heilmittel liefertgt; eine völlige Gleichheit bezüglich des Geschlechtes, Alters, Con­stitution und selbst der Ursache der Krankheit besteht.
Das abgegangene Stück eines Bandwurmes wird, geröstet und potenzirt, das andere Stück am sichersten nachholen. Der verriebene Blasenstein zermalmt den Blasenstein, der potenzirte Blasenwurm (das Coenurin oviiau) giebt den Drehern Verstand
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Die Isopathie.
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wieder und der Geist des Strongylus Giyas gel;t spornstreichs in die Nieren und zerstört die vorhandenen Bestien [Zooiasis, 1. Heft, S. 92).
Thierärztliche Schriften über Homöopathie und Isopathie.
F. J. Luoc. lgt;ie Isopatliik der CautMgioncn. Leipzig, 1833. S
F. J. Lux. Zooiasiis- 2 Bde. Leipzig, 1835 u. 36.
Dr. E. F. Rückert Wirkung homöopathischer Arzneien. Leipzig, 1833.
Dr. E. F. Eüchert. Erkcnntniss und Heilung der .-wichtigsten Krankheiten des Pferdes. Meissen, 1839.
Erfalirung-en aus dem Gebiete der homöopathischen Thierheilkunde, von einem Landwirthc. Düsseldorf, 1835.
Sepertorium der Thierheilkunde nach homöopathischen Grundsätzen. Leip­zig, 1836. 2. Ausg. 1840.
J. C. L. Genske. Homöopathische Arzneimittellehre. Leipzig, 1837.
Homöopathische Heilversuche an kranken llaustliiereu, vou einem Laien:
1.nbsp; Brief: Heilung des Pferdes. 1835. 2. Brief: Heilung- des Rindes. 1836. 3. Brief: Heilung des Schafes. 1843.
Dr. Weher. Der Milzbrand. Leipzig, 1836.
F. G. Ledehour. Allgemeine Thierheilkunde nach homöopathischen und
isopathischen Grundsätzen. Nordhausen, 1837. U. H. Traeger. Der homöopathische Haus- und Thierarzt. 5 Hefte. 1846 x-
und 1847. Th. Traeger. Studien und Erfahrungen im Bereiche der Pferdekunde, wie
der gesammten Thierheilkunde. Sondershansen 1851. Später (?)
2.nbsp; Auflage.
Dr. Grien. Der homöopathische Hausthierarzt. 1851.
Schäfer, Homöopathische Thierheilknnst. Nordhausen. 5. Aufl. 1863.
O. Lackner. Die Krankheiten der Pferde und deren homöopathische Be­handlung. 1863.
Derselbe. Die Krankheiten der Füllen. 1863.
K. L. Bühm. Der Hausthierarzt in homöopathischer Heilart. 18lt;gt;3.
F. A. Günther. Der homöopathische Thierarzt. 3. Bde. 1. Die Krankhei­ten des Pferdes. 11. Ausg. 1861. — 2. Die Krankheiten der Kin­der, Schafe etc. 10. vermehrte und verbesserte Ausg. 1861. —
3.nbsp; Die homöopathische Hausapotheke. 6. vermehrte und verbes­serte Aufl. 1860.
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110nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Heilsysteme.
Das autidotischc Terfaliren von Grams*).
Ueber Gesetz und Schlüssel zur Auffindung von Heilmitteln sagt Grams:
„dasjenige ist das Heilmittel der Krankheit, was sich am entgegengesetztesten gegen den Stoff verhält, welcher diese Krankheit in gleicher oder möglichst ähnlicher Weise im gesunden Organismus in chemisch-dynamis eher Weise hervorzubringen vermag. Nun aber sind diejenigen Stoffe sieh am entgegengesetztesten, welche die grösste chemi­sche Wahlverwandtschaft zu einander haben.quot;
Also man soll mit einem Worte die Antidota desjenigen Stoffes reichen, dessen Vergiftungssymptorae den Zufällen der Krankheit am meisten gleichen. Als Arsenikkrankheiten sind z. B. aufgeführt: Brechdurchfälle, Chlorose, Gastrosen, Hydrop-sien, Rheumatismen und Geschwüre; hiergegen die Antidota von Arsenik, also: Eisenoxydhydrat, Eisenliquor, Stahlwasser, oder auch Essig. Als Hydrargyrum-Kr siakh^iten gelten: Ec-cema, Eheumatismus, Tremor, Durchfälle, Buhren, Leber-übel, Geschwüre, Periostitis etc.; hier passen die Antidote von Mercur, wenn derselbe auch nicht als Ursache nachgewiesen ist, als: Eiweiss, Schwefelmittel, Gold, Blei, Jod. Als Bleikrank­heiten sind erwähnt: Kolik, Hyperästhesie, Anästhesie, Tabes, Paralyse, Contracturen und Verstopfung; Heilmittel dagegen: Schwefelmittel, schwefelsaure Mittelsalze und Schwefelsäure.
Dies System, durch similia antidotis am besten ausgedrückt, hat Verwandtschaft mit der Homöopathie und dem Rademaclier-sehen Heilsystem; der Homöopathie steht diese Methode eigent­lich direct gegenüber, weil sie den ehemischen Gegensatz an­wendet; indess man hat auch homöopathischer Seits schon ver­sucht, den Grundsatz: similia similihus auf ein antidotisches Verhältniss zurückzuführen.
Diese Methode ist eben aus dem Bestreben der Neuzeit, speeifische Mittel zu finden, hervorgegangen, und auch ihr liegt der principiell verwerfliehe Gedanke zu Grunde, einen so zu­sammengesetzten Vorgang, wie der Arzneiwirku.ngs- und Hei-
*) Eröffnung eines neuen Weges zur sichern Indication der Arzneimit­tel, von Dr. A. Grams. Leipzig 1853.
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Die naturalistische Heilmethode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Ill
lungsprocess ist, durch ein abstractes Princip (heisse es similia slmilibus oder similia antidotis) erklären zu wollön. An einer mir entfallenen Stelle heisst es über dieses Heilsystem, es sei auch nur ein Ritt auf dem Hippogryphen ins alte romantische Land der medicinischen Hypothesen. Einen weiteren Eingang hat dieses System nicht gefunden.
Die Mturalistischc Hciliuethode *).
Neben den verschiedenen Heilsysteraen dieses Jahrhunderts kam nach und nach der Skepticismus zum Durchbruch. Die verschiedenartigsten Heilsysteme, die sich alle auf ihre Erfolge stützen, haben Zweifel an jeder Heilwirkung der Arzneien er­weckt, vor allem aber hat die Homöopathie durch ihre thera­peutischen Erfolge von dem arzneilichen Nichts zu dem soge­nannten Nihilismus in der Therapie geführt. Aus diesem Skep­ticismus hat sich wieder eine besondere Heilart, die „Natur-heilmethode quot;, herausgebildet, die alle arzneilichen Substanzen als fremdartige, chemisch wirkende und deshalb naturwidrige Dinge verwirft, und nur die diätetischen und physikalischen Heilmittel anerkennt. Diätetik, Gymnastik, besonders die schwe­dische, und etwas Hydriatik zusammen ist der Inbegriff dieser Methode, die sich die naturalistische Mcdicin genannt hat, im Gegensatz von derjenigen, die auch mit chemischen Agentien operirt und deshalb die artistische genannt worden ist. Von allen Methoden ist diese wohl die vollkommenste und die natur-gemässeste; das Princip ist aber nicht weniger einseitig, als das aller andern Methoden. Solche Einseitigkeit tritt denn auch dadurch in der Praxis recht auffällig hervor, dass der Eine mehr mit den Nahrungsmitteln, der Andere mehr mit kaltem Wasser arbeitet, und ein Dritter sich hauptsächlich auf dem Felde der Gymnastik bewegt. Alle sind naturalistische Heil­künstler, alle können recht hülfreich sein, Bantin mit seiner Kur nicht ausa;eschlossen.
*) Lehrbuch der Naturheilkunde von C. A. W. F. Richte,-. 1866. Naturhiilfe in Krankheiten von Fr. Wurm. 1867. Praktisches Handbuch der naturgeinässen Heilweise von T. llahv.
2. Aufl. 18G8. Zeitschrift für naturgemässe Heil-, Lebens- und Erziehungs-Anstalten
von T. Hahn.
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112nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Ileilsysteme.
Die artistische Therapie, welche wirklich einen Gegen­satz der sogenannten naturalistischen bildet, d. h. diejenige, die nur mit Arzneimitteln kurirt und alles damit zu erzielen glaubt, diese steht allerdings weit hinter der naturalistischen. Die eigent­liche artistische Therapie aber, d.h. diejenige, welche alle vor­handenen Kräfte sowohl im Mikrokosmus, wie im Makrokosnms zu ermitteln und zu benutzen strebt, diese Therapie bildet kei­nen Gegensatz von der sogenannten naturalistischen, weil sie dieselbe mit umfasst, sie lässt sich aber durch künstliche Prin-cipien nicht abhalten, von chemisch wirkenden Arzneien am rechten Orte Gebrauch zu machen und den rationell empyri-sclien Weg zu verfolgen.
Zum Schluss sei hier nur noch bemerkt, dass man eine Heilkunst ohne Heilungswissenschaft, d. h. eine Ablösung der praktischen Medicin von den Naturwissenschaften, eine Therapie ohne Physiologie, Nosologie und Aetiologie nicht haben kann, und dass alle Heilsysteme, in deren Wesenheit diese Tendenz liegt, als schon im Principe verfehlt betrachtet werden müssen.
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Dritter Abschnitt.
Naturhülfe.
„Die Natur hat ihren eigenen Arzt in ihr seiher. der da heilet, was in ihr verwundet. Also soll ein jeg-lieher Arzt wissen: im Leibe ist, der da heilet. So aher der Arzt meint, er sei, der da heilet, so verführt er sich selbst und kennt seine eigene Kunst nicht.quot;
VaraceUus.
JVrankheits- und Genesungsvorgange sind keine Gegensätze; Krankheiten vergehen nach denselben Gesetzen, unter denen sie entstehen. Die Genesung ist als Resultat anzusehen, das seinen vollen und hinreichenden Grund in der Gesammtheit der vorausgehenden Verhältnisse hat, sie ist somit eine einfache nothwendige Folge der Zustände des Körpers und der etwai­gen Einwirkungen auf diesen, die Folge günstiger Constellatio-uen. Die einmal vorhandenen Bedingungen wirken in jedem Falle zum Guten sowohl als zum Schlimmen genau soviel, als sie können und müssen. Wie zum Erkranken, so liegt die Bedingung zum Genesen im Organismus selbst; sie genügt unter obwaltenden Umständen ohne alles Hinzuthun der Kunst die Genesung herbeizuführen — Katurhülfe —, oder sie genügt dazu nicht, die Kunst muss erst Aussendinge in Anwendung bringen, um das Hinderniss — die Genesungshemmungen — hinwegzuräumen und den Anstoss zur Genesung zu geben —#9632; Kunsthülfe.
IVaturliciliingslclii'c, Plnsiatrik.
Die Naturheilkräfte als organische Kräfte in ihren Grund­zügen zu ermitteln und zu untersuchen, wie, auf welchen
Gcrlach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;8
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114nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhiilfe.
Wegen und unter welchen Umständen die Naturbülfe erfolgt, die Vorgänge zu erforschen, vermittelst deren der Organismus von selbst schützt, heilt oder lindert, das ist Gegenstand der Lehre von den Naturheilungen — Physiatrica —, und die spontanen heilsamen Vorgänge im lebenden Organismus sind eben die physiatrischen.
Die Physiatrik ist die Physiologie, die Grundlage der The­rapie. Wie sich die pathologischen Processe nur aus den phy­siologischen Vorgängen begreifen lassen, so gewähren die spon­tanen Heilvorgänge auch eine richtige Einsicht in das, was der Arzt bei dem Patienten zu thun und zu lassen hat; denn die Gesetze dieser Vorgänge sind physiologische und darauf müssen aucli die verschiedenen Paragraphen des allgemeinen Gesetz­buches der medicinischen Praxis basirt werden.
So dürftig auch unser Wissen in der Physiatrik noch ist, so will ich mich dadurch doch niciit abhalten lassen, auf die Erörterung der verschiedenen Naturheilungsprocesse hier näher einzugehen. Der Anfang muss gemacht werden, ohne beson­dere Betrachtung kommt die Sache nicht weiter, mit dem An­fange einer solchen aber beginnt zugleich die Vervollkommnung.
Natitrhcilkraft.
Früher, bei der veralteten dynamischen Anschauungsweise nahm man an, dass eine besondere Kraft im Organismus walte, die sich ad hoc in Reserve betiude, im Momente der Gefahr als ein Bens e.c raachiaa hervortrete, der Krankheit den geeignetsten Widerstand entgegensetze, ihren Folgen be­gegne und ihre Nachwirkung unschädlich mache, eine Kraft, die wie ein Genius über der Materie schwebe, diese Kraft bezeich­nete man als die Naturheilkraft, Vis naturae medicatrix. Un­günstige Ausgänge der Krankheiten schrieb man einer Schwäche oder Verirrung dieser Heilkraft zu. Dies führte selbst zur Per-sonificirung und Vergötterung des unbekannten Wesens, welches angeblich mit einer Art von Ueberlegung und Zweckbewusst-sein auf scharfsinnig gewählten Wegen das Unheil von dem Kranken abwende; die Naturheilkraft wurde so zum Engel, der die Krankheit — den Teufel — bekämpfte. Durch solche teleo-logische Betrachtungsweise schwebt der Arzt in der Gefahr, in Mysticismus und geistige Trägheit zu verfallen, in der er jene
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Naturheilkraft.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 115
heilsamen Vorgänge höchstens bewundert, statt sie mit prüfen­dem Auge aufzufassen und ihr Zustandekommen Schritt für Schritt zu verfolgen.
Die Xaturheilkraft ist Lebenskraft, eine Eigenschaft der orga-nisirten Materie, die nach allgemeinen Naturgesetzen thätig ist und ihre Leistungen mit Nothwendigkeit vollbringt, sobald die Bedingungen dazu gegeben sind, eine Kraft, die sich auf dem Wege der Ernährung aus den moleculären Kräften regenerirt.
Die Naturh eilthätigke it — Natura medicatrix, actiones naturae medicatrieis — beruht auf denselben Gesetzen, auf denen die Selbsterhaltung im normalen Walten beruht; sie ist begründet einmal in der gesamrnten organischen Einrichtung, vermöge deren eine Störung solche Thätigkeiten aus­löst und in Bewegung setzt, die nicht selten zu ihrer, der Stö­rung, eigenen Vernielitung oder Unschädlichmachung führen müssen, und zweitens auf dem steten Schaffen und Ausstossen, dem beständigen Verjüngen des Gesammtorganismus. Die Rück­wirkung auf einen Reiz, die Reaction ist nicht eine willkürliche Antwort des Organismus, der auch schweigen oder anders ant­worten könnte, wie Lotze sagt, wenn er es nicht für gut fände, gerade so zu antworten; sondern jede Reaction ist eine noth-wendige Folge des Reizes und nur in der organischen Anord­nung der einzelnen Thätigkeiten liegt es, dass die Folgen des Reizes selbst zur Abwehrung des Reizes dienen können resp. müssen. Die Zusammenziehung der Iris z. B. ist die nothwen-dige Folge des Lichtreizes auf der Netzhaut, sie ist aber auch zugleich eine zweckmässige, vor dem übermässigen Lichtreiz schützende, und sie zieht sich gerade soweit zusammen, bis die einfallenden Lichtstrahlen der Reizempfänglichkeit der Retina entsprechen; auf dem anderen, nicht vom Lichtreiz betroffenen Auge, tritt indess dieselbe Verengerung der Pupille ein, aber ohne Zweck und Nutzen. Das durch einen fremden Körper gereizte Auge thränt und schwemmt den Körper und somit den Reiz weg, das verletzte Auge thränt auch, der Reiz wird aber nicht weggeschwemmt; der Thränenerguss ist in beiden Fällen nothwendige Folge, dort zugleich zweckmässig und heilsame Reaction, hier eine unnütze.
Wie aber nicht unter allen Umständen die nothwendigen Folgen einer Störung zugleich die zweckmässigen sind, so muss die Naturheilkraft auch eine beschränkte sein, die nur unter
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110nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhiilfe.
günstigen Oonstellationen zur Genesung führt und der Kunst­heilung nicht unter allen Umständen entbehren kann: ja es kann die nothwendige Folge einer Störung sogar eine gefahrbringende sein und der Tod um so sicherer nach denselben organischen Gesetzen herbeigeführt werden, wonach unter anderen Umstän­den die Störung alsbald beseitigt wurde. Tödtung und Lebens­rettung Seitens des Organismus lassen sich auf dieselben Gesetze zurückführen. Durch Husten wird ein fremder Körper ausge­worfen und das Leben gerettet; durch Husten, der nach den­selben Gesetzen eintritt, wird Blutsturz, Emphysem und so Lebensgefahr herbeigeführt.
Naturhcilwege und Naturheüproccsse.
Der Organismus ist eine vielseitige Einheit; durch Con-tinuitiit und Contiguität bilden alle elementaren Formen (Zel­len und deren Derivate) alle Organe und Systeme als rela­tive Einheiten, die alle ein bestimmtes Gebiet für ihre rela­tive selbstständige Thätigkeit haben, eine totale Einheit. In dieser Totaleinbeit giebt es die mannigfaltigsten gegenseitigen Beziehungen, Beeinflussungen und Abhängigkeiten. Dominirend in erster Linie stehen das ununterbrochen zusammenhängende, mit geringen Ausnahmen in alle lebendigen Tlieile hineindringende Nervensystem, und der einheitliche Ernährungsstrom. Hierin liegt der anatomisch-physiologische Grund zur Verbreitung loca-ler Krankheiten, wie auch umgekehrt zur Localisation bei All­gemeinleiden, und eben darin ist auch eine grosse Anzahl regu­late ris eher Einrichtungen gegeben, welche die Ausglei­chung von Störungen möglieb machen, und welche die Wege zu den Naturheilungen darbieten.
Die heilsamen Vorgänge, deren Endresultat eben die Heilung der Krankheit ist, sind die Heilprocesse und in so fern diese spon­tan entstanden sind, stellen sie die Naturheilprocesse dar. Diese sind nun entweder, und in der Mehrzahl der Fälle, direct von der Krankheit selbst ausgegangen und bilden nur einen Theil derselben Kette von Störungen, sind also gewisserraassen ein Glied der Krankheit selbst, das durch die gegebenen Verhält­nisse heilsam geworden ist oder auch werden musste, oder sie
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Natarheilwege und Naturheilprocesse.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;117
haben ihren Anstoss von der Krankheitsursache empfangen oder endlich sie sind lediglich die nothwendigen Folgen der, neben der Krankheit fortbestehenden normalen Functionen, neben wel­chen die abnormen nach den Gesetzen der organischen Anord­nungen nicht für längere Zeiten fortbestehen können und so den hinlänglichen Grund ihres Unterganges in sich selbst tragen. Demnach giebt es also rein physiologische und patho­logische Naturheilprocesse. Dennoch aber kann man diese Naturheilprocesse je nach dem normalen und abnormen Geschehen nicht in gesonderten Gruppen betrachten, weil keine bestimmte Grenzen zwischen dem Normalen und Abnormen zu ziehen sind, Physiologie und Pathologie greifen so in einander hinüber, dass die Grenzen zwischen beiden verschwinden; Be­wegungen, Absonderungen z. B. können, bis zu einem gewissen Grade gesteigert, noch ganz normal sein, während sie in einem noch höheren Grade als pathologisch angesehen werden müssen. So ist es in quantitativer und nicht anders ist es in qualitati­ver Hinsicht.
Die Naturheilung vollendet sich vollständig oder unvoll­ständig, je nach der Beschaffenheit der auszugleichenden Abnor­mitäten und je nachdem die Bedingungen für den Eintritt der physiologischen Ausgleichungen durch die präexistirende Be­schaffenheit der Theile günstiger oder weniger günstig sind. Es giebt also eine Prädisposition nicht bloss zu Störungen, son­dern auch zu Ausgleichungen. Manche Körper oder Körper-theile sind sehr vulnerabel und weniger zur Regulation dispo-nirt, sie verfallen leicht in regressive Metamorphosen, andere sind widerstandsfähiger und besitzen eine grössere Regulations-i'ähigkeit, eine bessere Heilkraft. Diese Dispositionen setzen immer schon etwas Krankhaftes voraus, sei es in den Lebens-thätigkeiten, den Leistungsfähigkeiten der Elementarformen, der Zellen oder in gewissen Mischungsverhältnissen.
Betrachten wir jetzt die wesentlichsten Naturheilvorgänge etwas näher.
Aetiologische Naturheihing.
Es giebt Krankheiten, die von einer fortdauernden Ein­wirkung der Ursachen abhängig sind, die so lange nicht ohne die Ursachen fortbestehen können, als sie sich noch keine
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118nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhülfe.
Läsion, d. h. selbststimdige materielle Veränderung geschaf­fen haben, welche dann weiter die Rolle der Ursachen über­nimmt, d. h. ein neuer Ausgangspunkt der Störungen, der Krank­heit geworden ist. Die Heilungen dieser von den Ursachen abhängigen Krankheiten vollziehen sich natürlich von selbst, wenn die Ursache aufgehört hat, erregend einzuwirken. Vergif­tungen heilen von selbst, wenn das Gift nicht in absolut tödt-licher Quantität eingewirkt hat, so dass die ersten Einwirkungen nicht auch die tödtliclien werden, und keine dauernde Verbin­dung mit organischen Stoffen der Zellen oder Gewebe eingeht. Die organischen Gifte gehören wohl alle zu den acut wirkenden Giften, die sich nicht lange im Organismus wirksam erhalten können. Die flüchtigen (Aetherarten, Chloroform und andere Anaesthetica, die Blausäure) verschwinden am schnellsten, bei ihnen ist immer die Lebensgefahr in den ersten Minuten, sind diese überwunden, so können wir auf ebenso rasche Naturhci-lung rechnen; die Alkaloide wirken nachhaltiger, aber doch immer acut vorübergehend, so fern sie nicht zu den scharfen Substanzen gehören, die schon bei der ersten Einwirkung eine nachhaltige Läsion setzen; tödtet das Strychnin die Hunde, die bekanntlich ausserordentlich empfänglich sind für dieses Gift, nicht innerhalb 8 —10 Stunden, so ist schon mit ziem­licher Sicherheit auf Naturheilung zu rechnen; bei dem Atropin ist nach 2 Stunden auf Naturheilung zu rechnen, so ähnlich auch bei allen andern nicht scharfen Alkaloiden.
Nicht selten wirkt hier auch der Zufall rettend, so nament­lich bei den Pflanzenfressern, und vor allen bei den Wieder­käuern, bei denen manche Gifte schon im Magen in den verschie­denen Pflanzenstoffen untergehen, welche die Verdauungssäf'te extrahirt haben; so wirkt die Gerbsäure und deren Varietäten schon als Antidote vernichtend auf die organischen Gifte, dass sie nur schwach oder gar nicht zur Wirkung kommen.
Parasitische Krankheiten heilen immer von selbst, wenn die Parasiten verschwinden oder aufhören feindlich ein­zuwirken, bevor die erzeugten Krankheiten durch tiefe Läsion selbstständig geworden sind. Wir haben Parasiten, deren para­sitisches Leben nur auf eine gewisse Zeit beschränkt ist, deren Auswanderung zur bestimmten Zeit zur Lebensgeschichte ge­hört, hierauf beruhen namentlich manche Naturheilungen im Frühjahre.
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Aetiologische Naturheihmg.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;119
So wandern nach meinen Beobachtungen*) die verschiedenen Rundwür­mer aus den Bronchien (Strongylus fdaria bei Schafen und Ziegen, Strongylus micrurus bei Kindern, Stronyylasparadoxus bei Schweinen, Sclerostoumm syn-yamuK bei den Hausgetiiigeln) im Laute des Winters und um die erste Zeit des Frühjahres aus; die dadurch in verschiedenen, bis zur Entzündung gehen­den Graden erzeugte Affection der Bronchienschleimhaut tritt am inten­sivsten im Herbste hervor, sie nimmt im Winter ab und verschwindet im­mer im Frühjahre. Bei den älteren, kräftigeren Thieren werden sie in der Kegel durch kräftigen Husten schon früher gewaltsam ausgestossen, und eben deshalb pflegen sie auch nur bei den zarten jungen Thieren Krank­heitsursache zu werden. Strongylus contortus im Labmagen besonders u^s Kindes, Schafes und der Ziege, der später einwandert als die Luftwegen­bewohner**), wandert erst im späten Frühjahre ans, womit wieder das Siech-thuin endet, was sie bei den jungen Wohnthieren verursacht haben. Ebenso gelangen die Larven der Oestriden alle im Laufe des Frühjahres in die Aussenwelt zur Verpuppung, und damit brechen alle verursachten Störun­gen im bewohnten Organismus ab, deshalb heilen alle Krankheiten durch Bremsenlarven im Frühjahre von selbst. Nicht anders verhält es sich nach meinen Beobachtungen bei den Leberegeln. Dieselben weilen im Laufe des Herbstes und Winters in der Leber, den Gallengängen des Kindes, Schafes und der Ziege, werden geschlechtsreif, legen Eier, die mit der Galle fort-gespült und so in den Darm und weiter in die Aussenwelt kommen, und gelangen im Frühjahre mit dem Gallenstrome in den Darm, wo sie abster­ben. Die Leberegel-Kachexie führt deshalb sicher zum Tode, wenn sie sich schon im Herbste zeigt, während alle Patienten, welche das Frühjahr noch mit einem gewissen Lebensfund erreichen, sich auch erholen.
Andere parasitische Krankheiten gehen schon abortiv unter, #9632;wenn die betrettenden Parasiten nicht die Bedingungen ihrer Existenz rinden und friilizeitig absterben; stirbt z. B. der Coenunts cerebralis in der Entwickelung ab, so wird die Drehkrankheit geheilt, noch ehe sie zur weitern Entwickelung kam ; die Coenums-
*) Magazin Bd. 20. S. 291 — 204, und mein Handbuch der gerichtliehen Thierheilkunde. 1862. S. 505, 509 u. 515.
**) Meine auf Grund klinischer Beobachtungen begründete Ansicht, dass der Strovtjylus contortus bei Schafen eine Entwickelungsstufe des Slrovyy-lus filaria sei, dass sieh aus den Eiern, die mit dem Schleime natürlicher Weise in den Magen gelangen müssen, weil die Thiere nicht ausspucken, Strongylus contortus entwickelt, haben eine weitere Bestätigung durch einen Versuch im Sommer 18G7 bekommen. Ich gab einem bei trocknem Futter im Stalle gehaltenen Ziegenlamm ein Stück Lunge eines Jährlings, in deren Bronchien sich eine grosse Anzahl Eier von Strongylus filaria befan­den. Ein zweites Ziegenlamm aus demselben Stalle wurde zu dem mit Lunge gefütterten Lamme gesetzt. Nach V4 Jahr wurden beide Ziegen­lämmer getödtet, das mit Lunge gefütterte hatte Strongylus contortus, aber nur in geringer Anzahl: das zweite Lamm zeigte dagegen keine Spur vou den rothen Magenwürmem.
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120nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhülfe.
Embryonen, welche bei der Auswanderung vom Darme nicht nach dem Gehirn kommen, sterben an allen anderen Orten ab, ich fand sie nie über Erbsengrösse hinaus entwickelt, und hier­mit gehen auch die angeregten Krankheitsprocesse zurück. Endlich werden manche Parasiten unschädlich gemacht durch Einschliessung in eine Kapsel,' so hört die Trichine mit der Einkapselung auf, als Krankheitsursache zu wirken und damit hört die weitere Unterhaltung der Krankheit auf; die Natur­heilung beginnt und führt zu Ende, wenn die Krankheit nicht bis zur Einkapselung einen tödtlichen Grad erreicht hatte.
Eingedrungene oder durch Absterben, Nekrose, im Körper entstandene feste, fremde Körper werden eliminirt und damit hören die verursachten Störungen auf. Solche Elimination er­folgt auf verschiedene Weise; nekrotisirtes Gewebe erzeugt Entzündung in angrenzenden gesunden Geweben und dadurch eine Trennung, eine Abstossung; diese erfolgt schnell, wenn zwischen todtem und gesundem Gewebe eine scharfe Grenze besteht, im anderen Falle aber sehr langsam, weil das Abge­storbene an Halbabgestorbenes, nicht mehr Reactionfahiges grenzt, das theilweise Abgestorbene allmälig in das Gesunde übergeht, so dass letzteres nicht mehr von dem Reize eines fremden Kör­pers direct getroffen wird. Eine andere Elimination ist die Um­hüllung mit unempfindlichem Narbengewebe, welches die, von dem fremden Körper erzeugte und unterhaltene, meist mehr chronische Entzündung liefert. Endlich erfolgt die Elimination durch Auswanderung oder doch durch Wanderung nach einem unschädlichen Orte, wie z. B. in das lockere Bindegewebe unter der Haut oder zwischen den Organen, wo sie weder als Reiz wirken noch sonst wie die Function stören. Die Wanderung solcher Körper hat deshalb häufig heilsame Folgen und früher auch zu der Annahme eines guten leitenden Genius geführt. Diese Wanderungen folgen natürlich immer nur den physika­lischen Gesetzen und können deshalb unter Umständen eben so wohl lebensgefährlich, als heilsam werden. Wir haben hierbei die treibenden und hemmenden Kräfte zu beachten; zu den ersteren gehören das Heben durch Granulation, die Schwerkraft, die besonders bei specifisch schweren Körpern (Schrotkcrnern, Blei­kugeln) wirksam ist, und die Bewegungen der Organe, die abwech­selnde Spannung und Erschlaffung der Muskeln, die Richtung, in welcher die Bewegung sich fortpflanzt, z. B. die peristaltischen und
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Aetiülngisehe Naturheilung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;121
antiperistaltischen Bewegungen, und die Ortsveränderungen eini­ger Organe, so z. B. des Zwerchfelles, welches bei dem Drucke auf Haube und Wanst im Momente der Anspan­nung und bei gleichzeitiger antiperistaltischer Bewegung im Momente des Wiederkauens von spitzen fremden Körpern in den nächsten Magenabtheilungeri (Haube und Wanst) durchbohrt wird und dieselben im Momente der Erschlaffung weiter in die Brusthöhle hineinführt, wo sie das Herz bei seinen Bewegun­gen gewöhnlich in Empfang nimmt. Die durch Bev/egung mo­bil geraachten Körper finden Hindernisse in verschiedenen Gra­den, wo sie am geringsten sind, dahin wird der Körper gescho­ben, deshalb gelangen sie gern in das lockere Bindegen'ebe, in welchem sie sich zwischen den Organen und unter der Haut leicht weiter bewegen oder liegen bleiben. Bei Hunden, die auf der Jagd zuweilen geschossen werden, ist es eine bekannte Erscheinung, dass die Schrotkörner aus der Tiefe heraus unter die Haut kommen und sich von den höheren Stellen, von der Kruppe resp. Schulter aus immer tiefer senken, bis sie schliess-lich selbst an den Zehengliedern ankommen. Bei den Hinder­nissen kommt nun aber noch die Form der fremden Körper in Betracht; spitze Körper finden an der Spitze nur vvenigen Wider­stand, sie schieben sich deshalb auch immer in der Richtung fort, welche die Spitze eben genommen hat; nur die festen Or­gane, namentlich die Knochen, leisten den Spitzen Widerstand. Hieraus ergiebt sich, dass die Wanderung bei stumpfen, nament­lich bei runden Körpern in der Regel eine heilsame ist, dass es aber bei spitzen Körpern theils von dem Zuge der treiben­den Bewegungen, hauptsächlich aber von der zufälligen Rich­tung der Spitze des fremden Körpers abhängt, ob die Wande­rung eine heilsame oder schädliche selbst lebensgefährlich ist.
Schliesslich ist hier noch die abgestorbene P'Vucht als frem­der Körper zu erwähnen; diese erzeugt sofort nach dem Ab­sterben, oder wenn sie im weiteren Verlaufe durch Fäulniss einen grösseren Grad von Fremdartigkeit erreicht hat und als abnormer Reiz einwirkt. Wehen und wird dadurch entfernt. Der Abortus ist immer ein heilsamer Act, sobald die Frucht vorher abgestorben und Ursache der vorzeitigen Wehen ist.
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122nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhiilfe.
Ausgleichungen durch dep Stoffwechsel, Naturheilnng auf nutritivem Wege,
Das lebendige Sein ist an die Materie und zwar an die Formen derselben gebunden, es giebt nur ein materielles Leben­digsein ; das gesunde Lebendigsein kann nur bei normaler Ma­terie, d. h. normal in Form und Mischung existiren, dem kranken liegt immer Abnormität der Materie, sei es in der Mischung, sei es in der Form, zum Grunde. Kein Kranksein ohne mate­rielle Veränderung, veränderte Kraft beruht auf veränderter Materie; wo wir sie mit unserer Sinnen nicht positiv nachwei­sen können, da spricht man wohl noch von Dynamik, was aber weiter nichts bedeutet, als dass keine materielle Veränderung wahrzunehmen ist; wirkliches dynamisches Erkranken ist heut­zutage nicht mehr anzunehmen. Hieraus ergiebt sich die hoch­wichtige Bedeutung der nutritiven Thätigkeit, die in den ele­mentaren Lebensformen, den Zellen, besteht, und der functionel-len Thätigkeit aller Organe, die dem Vegetationssysteme ange­hören, in ätiologischer und physiatrischer i3eziehung.
Das beständige Zerfallen und Neubilden, der fortwährende Verjüngungsprocess im gesammten Organismus und die Foitent-wickelungen sind Bedingungen des Lebens und desZurückkehrens von der kranken Lebensform zur gesunden, ohne sie kann auch die Kunst nicht wirken. Das Hauptprincip der Naturheilung beruht auf materiellem Austausch des Kranken gegen Gesundes und auf der Leichtigkeit dieses Umtausches.
Je mehr Hülfsmittel die bildende Thätigkeit zur Restauration besitzt, desto schneller und sicherer erfolgt die nutritive Restitution. Daher sehen wir:
1)nbsp; nbsp;dass im jugendlichen Alter beim lebhaften Verjüngungspro-cesse, bei progressiver Entwickelung, bei feuchter Körpercon-stitution die Naturheilung ungleich wirksamer ist, als umge­kehrt im hohen Alter, bei trägem Stoffwechsel und bereits begonnener senilen Atrophie. Was im höheren Alter jeder Kunst Trotz bietet, das wird im jugendlichen Alter nicht selten von der Natur ganz allein beseitigt. „Selbstauskurirenquot;, „Ver­wachsen mit den Jahrenquot; sind Ausdrücke im Munde des Vol­kes, welche die rohe Empirie dictirt hat und die am deutlichsten die heilsame Wirkung des lebhafteren Stoffwechsels bezeichnen;
2)nbsp; nbsp; dass früher und sicherer auf die Naturheilung zu rechnen
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Stoffwechsel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 123
ist, wenn die pliysiologische Verjüngung, die vegetative Sphäre nicht zu tief mit ergriffen ist; 3) class endlich dieser Natur-heilungsprocess auch wesentlich abhängig ist von Aussenverhält-nissen; normale Materialien sind wesentliche Bedingungen zur normalen Bildung, leht daher der erkrankte Organismus unter angemessenen Aussenverhältnissen, sind Nahrungsmittel — Speise und Trank — und Lebensmittel — Luft, Licht, Wärme etc. — dem normalen Verjüngungsprocesse günstig, so führt dieser auch um so eher den Gcnosungsprocess herbei.
Die Ausgleichungen finden entweder in dem normalen Stoff­wechsel statt, oder durch einen in die Sphäre der Krankheit mit hineingezogenen oder sonst wie einseitig gewordenen Stoff­wechsel mit vorwaltender An- oder Rückbildung.
o) Die Störungen gehen in dem normalen Stoff­wechsel., in dein continuirlichen Flusse der Materien unter. Das von Aussen eingeschlichene oder im Innern selbst erst entstandene Fremdartige wird allmälig aus dem organischen Verbände gelöst und in die Auswurfsstofte übergeführt So werden abnorme Anlagen, Prädispositionen, locale und consti-tutionelle Diathesen nach und nach verwischt und der ver­giftete Organismus entgiftet. Wirksam tritt diese Ausglei­chung namentlich bei chronischen Abnormitäten der erwähnten Art ein; die Zeit bringt hier Hülfe. Es bat jedoch, wie überall so auch hier, seine Grenzen, angeerbte Diatliesen, ererbte pa-thische Constitutionen werden in der Regel nicht auf diesem Wege beseitigt, sie sind gewissermaassen stabile Mitglieder un­ter den maassgebenden Factoren im Stoffwechsel geworden, deren fortdauernde materielle Grundlagen wir eben nicht ken­nen, die sowohl in der Form als in der Mischung gegeben sein können; die elementaren Formen halten ihre ursprüngliche Qua­lität auch in dem Stoffwechsel aufrecht, während die aufgedrun­gene Qualität im Stoffwechsel, also durch die Zellenthätigkeit selbst wieder verschwindet. Selbst aber auch diesen ererbten Abnormitäten gegenüber vermag die Natur im normalen Stoff­wechsel noch heilsam zu wirken, indem sie dieselben als Prä­dispositionen niederhält und nicht zur vollen Krankheit auf­kommen lässt.
Bei unsern Hausthieren haben wir viel toxische Krankheiten; die Nahrungsmittel namentlich führen den Hausthieren manche Gifte in den Leib, die nicht immer gleich auffällige Störungen,
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124nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhiilfe.
sondern nur kleine Intoxicationen verursachen, die im Verbor­genen fortbestehen und erst durch weitere Einwirkung des Gif­tes oder auch durch vermittelnde ursächliche Momente zum Ausbruche kommen; als Beispiel erinnere ich an den Milzbrand. Hier giebt es vor dem Krankheitsausbruche einen effectiven Krankheitskeim, den die Natur im Stoffwechsel erstickt, wenn Zeit gegeben ist, d. h. keine neuen Schädlichkeiten einwirken. Je lebhafter der Stoffwechsel ist, desto sicherer und schneller diese Ausgleichung; wird dagegen dieser Stoffwechsel durch die Krankheit selbst beeinträchtigt, so fällt damit ein mächtiger ausgleichender Factor fort. Bei localen Krankheiten ist dieser Naturheilprocess natürlich abhängig von dem Grade- des physio­logischen Stoffwechsels; in den gefässarmen, fibrösen, sehnigen Gebilden, in denen alle und so auch die nutritiven Lebensacte auf der niedrigsten Stufe stehen, kann man auch wenier auf nutritive Ausgleichung rechnen; in den gefäss- und nervenrei­chen Gebilden steht diese Ausgleichung sehr hoch, sie erfolgt schneller und oft in kaum geahndetem Grade.
b) Im Stoffwechsel kann die Anbildung vorwal­ten und der ausgleichende Moment sein. Bei herunter­gekommenen Organismen oder Organen, bei Blutverdünnungen, bei allen veritabeln Schwächen, kurz überall, wo die nutritive Restitution die Ileilbedingung ist, da stehen der Natur zwei Mittel und Wege zur Ausgleichung zu Gebote, eine reichlichere Anbildung und eine grössere Erspar­nislaquo; an Verbrauch durch Ruhe. Eine reichlichere An­bildung kommt zu Stande, wenn den lebendigen Elementar­formen und deren Derivaten eine grössere Summe von Ato­men ein- als ausverleibt wird. Die Anregung dazu geht von dem Defecte, dem Bedürfnisse in den nutritiven Werkstätten selbst aus. Fällt eine stattgehabte Hemmung in der Ernäh­rung weg, mildern sich z. B. grosse Schmerzen, nimmt die zeh­rende Fieberhitze ab, so folgt hierauf ein Hervortreten der An­bildung im Stoffwechsel und ein ausgleichender Wiederersatz, wenn den Grundfactoren entsprechendes Bildungsmaterial zu Gebote steht. Ersparnisse macht der Körper durch. Ruhe, das in Krankheiten sich geltend machende Bedürfniss der Ruhe ist physiatrisch.
Der Schlaf
ist die vollkommenste Körperruhe, durch ihn die grösste
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Der Schlaf.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 125
Ersparniss im Gebiete des Stoffwechsels. Das ganze animale Leben ruhet, das vegetative schreitet von allen Seiten ungestört fort und restaurirt den gesaminten Organismus; eine geistige und körperliche Stärkung ist die physiologische Wirkung, und darin liegt auch die physiatrische. Bei dem Menschen, der mit einer höheren, vernünftigen Seele begabt ist, der ein höheres, geistiges Leben lebt, der deshalb nicht bloss körperlich, son­dern auch geistig ermüdet, der durch die zum moralischen 13e-wusstsein kommenden und deshalb so gewaltig auf den gesamra­ten Organismus zurückwirkenden Gemüthszustände alterirt und oit tief erschüttert wird, bei dem mithin auch eine psychische Genesungshemmung, besonders in der nutritiven Sphäre, gegeben ist, bei ihm ist der Schlaf von ungleich höherer phy­siologischer und physiatrischer Bedeutung, als bei dem Thiere, das nur körperlich ermüdet, weil es nicht geistig arbeitet, bei dem excitirende und deprimirende Gemüthszustände mehr an die Sinneseindrücke geknüpft sind, nicht oder doch nur kurz vorübergehend zum moralischen Bewusstsein kommen und daher auch weniger als Genesungshemmungen zu betrachten sind. Dennoch aber ist die heilsame Wirkung des Schlafes auch bei kranken Thieren noch immer beachtenswerth; auch bei ihnen gewährt nur der Schlaf die möglichst vollkommenste Ruhe im Körper; mit der Sinnes- und Willensruhe fallen alle acti-ven und reactiven Thätigkeiten aus; in dieser totalen Euhe liegt auch bei den Thieren das Mittel, die nutritive Restitution wesent­lich zu fördern.
Die PcMOT/jo/CT-'schen Untersucliimgeu *) mit dem Respirationsapparate über den gesammten Stoft'wechsel haben unter anderen zu den interessan­ten Resultaten geführt:
1)nbsp; dass in der Nacht die Aufnahme an Sauerstoff, am Tage dagegen die Abgabe an Kohlensäure bedeutender ist, der Organismus also des Nachts mit Sauerstoff geladen wird, während im Laufe des Tages eine Entladung von Koblensäure stattfindet:
2)nbsp; dass durch Arbeit die Gesammtaufnahme an Sauerstoff und Abgabe an Kohlensäure gesteigert wird, und die Differenz zwischen Tag' und Nacht bei Arbeitstagen grosser ist, als bei Kuhetagen, dass bei der Arbeit wäh­rend des Tages die Abgabe des Sauerstoffes in Form von Kohlensäure entsprechend ist der Aufnahme während der Nacht;
*) Ueber Kohlensäureausscbeidung und Sauerstoffaufnahme während des Wachens und Schlafens bei Menschen. Ibüti.
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126nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhülfe.
3)nbsp; (lass l)C'i Kranken die Differenz zwischen Tag und Nacht gering ist: bei einem Leiikamiker, bei dem der Schlaf fehlte, war die Gesammtausgabe an Kohlensäure absolut grosser, als die Aufnahme an Sauerstoff, und In der Nacht stärker, als am Tage;
4)nbsp; dass diese Differenz zwischen Tag und Nacht durch den Schlaf und nicht durch die Ruhe oder durch die Nacht an sich bedingt wird.
Diese überraschenden Kesultate liefern den directen Beweis für den geringen Verbrauch bei der Ruhe, namentlich aber für die stärkende Wir­kung des Schlafes und für die nutritive Restitution im Schlafe.
c) Ausgleichung im Stoffwechsel durch vorherr­schende Rückbildung und Ausscheidung. Dieses Heil-bedürfniss stellt sich heraus, quot;wenn es auf eine Befreiung, eine Entlastung von fremdartigen Stoffen, auf eine Depuration oder auch auf eine Stoffentziehung überhaupt ankommt, dasselbe voll­zieht sich auch von selbst durch Krankheitsprocesse, durch Herabsetzung der anbildenden und neubildenden Thätigkeit der Elementarform, durch directe Beförderung des Zerfallens bei abnormen chemischen Constitutionen, durch Verlust des Schla­fes, durch Versagung der Nahrung, Verminderung der Zufuhr, so dass der Organismus alle Bedürfnisse aus sich selbst bestrei­ten, die Eigenwärme durch Eigenmaterie erhalten muss, und die abnormen Substanzen gewissermaassen mit verbrannt wer­den. In dieser Art Ausgleichung liegt so recht eigentlich die Vorbereitung zu Krisen und deren Einleitungen. Bei der ge­steigerten Rückbildung ist als Naturbeilprocess besonders zu erwähnen
das Fieber.
Der Streit über die bald vergötterte, bald verschmähte Hei 1-samkeit des Fiebers hat aufgehört; man sieht darin nicht mehr eine heilsame Reaction, eine Vertheidigung gegen feindliche Eingriffe, einen Wehrkampf, eine ajfectio vitae conantis mortem avertere (Stoll); eben so wenig hat man aber auch ein Recht, zu leugnen, dass in den Vorgängen des Fiebers nicht unter Umständen auch ein Naturhülfsmittel liege. Wir haben hier nur zu untersuchen, wodurch und unter welchen Bedingungen das Fieber heilsam ist oder sein kann.
Wie man das Fieber auch pathologisch auffassen mag, so steht doch so viel fest, dass die Temperatur krankhaft gestei­gert und diese Fieberhitze das pathonognomische Symptom ist; diese Temperatursteigerung kann nur zwei Quellen haben, sie
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Das Fieber.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 127
ist durch verminderte Abgabe {Traube) bedingt, oder durch ge­steigerte Entwickelung. Erstere ist nicht haltbar, wenigstens nicht als wesentlichste Quelle, letztere bildet die eigentliche Grundlage. Abgesehen von den verschiedenen Theorien über den Ausgang der Fieberhitze, ob von einem Nervencentrum aus, oder ob direct vom Blute aus durch pyrogone Stoffe angeregt, und abgesehen von dem chemischen Processe selbst, ob mehr Kohlensoff oder Wasserstoff verbrannt wird, mehr Eiweisskörper zerfallen etc., von allen diesen noch streiti­gen Punkten abgesehen, steht doch so viel fest, dass die Fieberhitze auf erhöhten und beschleuigten Stoffwech­sel zurückgeführt werden muss. Die Zunahme des Farbestoffes und Harnstoffes, resp. der Harnsäure im Harne, und die grös-sere Production an Kohlensäure, dies alles beweist den gestei­gerten Stcffwechsel, der zu Stande kommt unter Durst und Appetitlosigkeit, der deshalb nothwendig mit vor­her rschendem Zerfallen, mit Verlust an K örperbestand-theilen verbunden sein rauss. Wir seilen denn aucli in der That mehr oder weniger schnelle Abnahme des Körper­gewichtes. Dass die Fieber selbst bei gleichen Graden in die­ser Beziehung nicht gleichwerthig sind, bedarf kaum der Erwäh­nung; es giebt Fieber, in denen die Abmagerung kaum der Abnahme beim einfachen Hungern entspricht; es giebt aber auch Fieber, in denen der Verlust an Körpergewicht sehr auffällig und nicht von Versagung der Nahrungsaufnahme herzuleiten ist. Immer führt das Fieber mehr oder weniger Gewichtsverlust herbei, gleichgültig, ob nur durch Appetitlosigkeit, durch Aus­hungern der Substanz, oder ob durch stürmischen Zerfall im Stoffwechsel; der innere Umsatz wird vermehrt, die Organe verlieren an altem Material. In dieser relativ und absolut gesteigerten Consumption liegt die Hauptgefahr des Fiebers, zugleich aber auch das Mittel zur Ausgleichung unter Um­ständen.
Diese Heilsamkeit bezieht sich auf die fieberhafte Krankheit selbst, auf die Fieberurs.ache - die pyrogonen Stoffe - die im Einschmelzungsprocess mit untergeht, oder aufKrankheitszustände, die längst vorher vorhan­den waren, auf sogenannte verschleppte inveterirte Abnormitäten; sie besteht in Vernichtung und Entfer­nung schädlicher Substanzen, Befreiung der Organe
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128nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhülfe.
von fremden Stoffen, Depuration des Blutes und Förderung der Krisen. Der Umstand, dass beim Fieber die Secretionsorgane für einige Zeit in geringerer Thätigkeit sind, bedingt eine gewisse Anliäufung von excretiellen Stoffen und Steigerung der Krankbeit; hierin liegt aber auch zugleich ein Mittel, die Oeflnung der Schleusen zu erzwingen; die ange­häuften excretiellen Stoffe wirken als specifische Eeize auf die Colatorien und erregen schliesslich eine erhöhte Thätigkeit in denselben.
Im vollen Finklange mit dieser physiatrischen Wirkungs­weise steht die Thatsache, dass die Natarheilung gerade in fie­berhaften Krankheiten am mächtigsten und in chronischen Lei­den am ohnmächtigsten, hülf'sbedilrftigsten ist, dass alte chro­nische Leiden in einer späteren fieberhaften Erkrankung zuwei­len untergehen — verbrennen. Die Grundbedingungen der heil­samen Wirkung des Fiebers sind demnach einmal, dass dasselbe an sich selbst nicht zu den lebensgefährlichen gehört, und dass es sich überhaupt bei der Genesung um gewisse materielle Aus­scheidungen handelt.
Schönlein, der die Heilsaaikeit des Fiebers wieder zur Anerkennung gebracht hat, beschränkte die Heüsamkeit auf Fieber mittleier Stärke, auf das erethisohe Fieber: dies sei der normale Heilprocess; während das zu starke, synuchale, und das zu sehwache, torpide an sieh nicht zur HeUung führen könnte, sondern erst durch Kunst auf den mittleren Stärkegrad zurückgeführt werden iniisste. Das kalte und das hektische Fieber nahm er von der Heüsamkeit aus.
Richler*) sieht in dem Fieber einen Process tier Abwehr und Aus­gleichung der einwirkenden Schädlichkeiten, und bezeichnet es geradezu als Reaction, welche der Organismus als Ganzes gegen intensive örtliche Krän­kung durch Einfliisse der Aussenwclt übt. Excessive Lebcnsacte gehen im Fieber in Wärmebildung über und werden durch diese compensirt. Das Fiober sei zwar stets ein Heilversuch der Natur, die Heilung werde aber nicht immer erreicht, sondern nur unter Bedingungen. In dieser Beziehung stimmt liic/der mit Schönlein überein, er präcisirt aber die Bedingungen näher in den Graden der Fieberhitze und lässt das Fie­ber nur dann und so lange als einen stets zur Heilung führenden Heil­process gelten, wenn die Temperatur nicht über 32n 11. (= 40deg; C.) steige. Die gesteigerte organische Verbrennung reducirc durch Consumption, lie­fere aber auch zugleich Material und Reiz zu. stofflichen Froductioneu und neuen excessiven Functionen; erfolge keine Aussehaffung der Producte, und vor allem keine Ausgleichung der erhöhten Temperatur, so trete
*) C. A. IF. Lehrbuch der Naturheilktmde. Heidelberg 1866.
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Instinctive Heilung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 129
Steigerung der Krankheit ein. Grundbedingung der Heilsamkeit nach Rich­ter ist also, dass die ausserordentliche AVarme in dem Maasse der Ent-wickelung nach aussen abgesetzt werde.
Instinctive Heilung.
In und durch Krankheiten werden Empfindungen wach, die gewisse Zu- und Abneigungen erwecken und selbst Handlungen anregen, die für die gegebenen pathologischen Verhältnisse heil­sam sind. Die innerste Empfindung, welche über das freiwil­lige Verhalten der Kranken entscheidet, der innere Trieb ist das Resultat einzelner oder der gesammten inneren Zustände des erkrankten Organismus, und insofern das erkrankte Indivi­duum nach diesem Triebe das Heilmittel oder überhaupt etwas Heilsames selbst auszuwählen weiss, ist die so erfolgte Keilung eine instinctive Naturheilung zu nennen. Am gewichtigsten sind diese Triebe in der Ernährungssphäre, die eigentlich in dem Stoffwechsel, in den nutritiven Bedürfnissen und Nichtbedürfnia-sen wurzeln und bei den Menschen wie den Thieren auftreten, bei letzteren aber sich entschiedener geltend machen, weil sie auch in gesunden Tagen mehr von ihrem Instincte als von ihrer Vernunft geleitet werden; deshalb schliesst sich die Natur­heilung auf diesem Wege der Ausgleichung durch den Stoff­wechsel an.
Die allgemeinen Triebe, von denen die Selbsterhaltung und die Erhaltung der Gattung direct abhängig ist, die Ernährungs- und Geschlechts­triebe — Hunger, Durst und Geschlechtslust — hat der vernünftige Mensch mit den unvernünftigen Thieren gemein; denn er ist aus gleicher Materie und gleichen anatomischen Formen zusammengesetzt, und sein Leib lebt nach denselben physiologischen Gesetzen. Zur Sicherung des Individuums sind die Triebe mächtiger als die freien psychischen Kräfte; der Mensch muss essen und trinken, wenn er auch lebensmüde ist und gern sterben möchte.
Die besonderen Triebe — der eigentliche Instinct — kommt nur bei Thieren vor; er charakterisirt sich dadurch, dass er sich in jeder Thiergattung eigenthümlich artet, und nicht fortschreitend entwickelt, so dass jedes Individuum einer Gattung ebenso handelt, wie alle übrigen, und heute, wie vor tausend Jahren. Er steht im Einklänge mit der eigenthümlichen Lebensform jeder Gattung, mit dem Bau und mit den Kräften derselben, er ist daher angeboren und entwickelt sich mit dem Körper; er ist das Gesetz der thierischen Handlungen, welches jeder Gat­tung mit der ganzen körperlichen Bildung gegeben wurde. Die instinct-
Gerlach Allg. Therapie. 2.Aua.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9
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Naturhülfe.
massigen Handlungen sind daher gesetzinässige, die so beschaf­fen sind, als ob sie für die bestehenden Verhältnisse durch vernünftige üeberlegnng berechnet wären. Er ist als Ersatz für die, dem Menschen verliehene Vernunft, als die Vormundschaft zu betrachten, welche die Na­tur für die unvernünftigen Geschöpfe übernommen hat. Selbst bei Kindern, bei denen der Verstand noch nicht entwickelt ist, sehen wir den Instinct leitend hervortreten, der Schritt für Schritt mit der Entwickolung der Vernunft wieder zurücktritt.
Die Thiere haben neben dem bevormundenden Instincte auch eine freie Seelenthätigkeit, wie ich schon früher (Magazin, Bd. 25, S. 129) einmal spcciell erörtert habe: deshalb sind die Handlungen der Thiere nicht allein instinetiv, bei den auf der psychischen Stufenleiter höher stehenden Thie-ren erfolgen sie sogar vorherrschend nacli freiem Willen, hier macht sich doshalb eine gewisse Erfahrung geltend; oft sind die Handlungen gemischt, und dann ist es schwer, die freien von den gezwungenen zu unterscheiden. Um zu sehen, in wie weit sich die oft rührende Mutterliebe durch freie oder gezwungene Handlungen äussert, nahm ich einer zärtlichen Hunde-nmtter von vier Jungen eines fort; rasch holte sie es wieder, wenn sie es noch sah oder hörte: brachte ich es aus dem Bereiche ihrer Sinne, so vermisste sie es doch, sie unterschied also zwischen 3 und 4, aber nicht sogleich, erst nach einiger Zeit ging sie auf die Suche; ich tödtete dann das Junge, die Mutter holte aber die Leiche mit derselben Sorgfalt und * legte sie zu den Lebendigen. Dies konnte noch Täuschung- sein, deshalb schnitt ich der Leiche den Kopf ab, die Mutter holte aber auch den Rumpf und nach Beseitigung desselben auch den Kopf eben so emsig wieder und nahm ihn eben so vorsichtig in das Maul, als das lebendige Junge; erst als der Kopf anfing zu riechen und auf den Geruchssinn der Mutter fremd­artig einzuwirken, liess sie denselben als fremden Körper unbeachtet. Hieraus sieht man, wie die Sorgfalt der Thiermutter sich meist in unfreien Handlungen äussert. Das Tödten der kranken Jungen, selbst von den zärtlichsten Eltern, was wohl durch das ganze Reich der Säugethiere und Vögel geht, kann nur durch unfreie Handlungen erfolgen, sonst wäre der Contrast nicht zu erklären. Die gemischten Handlungen haben zur fal­schen Beurtheilung und theilweisen Unterschätzung des Instinetes geführt. Alle Handlungen, bei denen sich eine gewisse Erfahrung ausspricht, sind als freie zu betrachten; in der Sphäre des Instinetes kann keine Erfahrung gemacht werden, daher auch keine Vervollkommnung desselben. Wie es aber scheint, kann der Instinct bei Nichtausilbung getrübt werden; denn wir sehen bei unseren Hausthieren, die durch viele Generationen schon gar nicht mehr oder doch nur theilweise ihrem Instincte gemäss gelebt haben, dass sie bei freier Lebensweise sich nicht mehr auf ihren Instinct verlassen können. Wahrscheinlich beruht dies wohl nur auf einer gerin­geren Schärfe der betreffenden Sinne, besonders des Geruchssinnes.
Im gesunden Zustande beruhen alle Triebe auf bestimmten Gefüblen, die nicht täuschen, instinetmässig wird daher auch
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Instinctive Heilung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;131
von dem Thiere viel sicherer das Rechte gegriffen, als von dem Menschen nach vieler Ueberlegung und Prüfung; was instinct-mässig geschieht, ist mithin auch zweckmassig, heil­sam in gesunden Tagen. Ob dies aber bei Krankheiten auch so sei? dies ist die wichtige Frage für dig Praxis.
In Krankheiten macht sich im Allgemeinen auch das Prin-cip der Selbsterhaltung, und zwar nach denselben Gesetzen gel­tend, wie im gesunden Zustande; aber wenn auf normale Reize und Vorgänge die Rückwirkung an sich und in ihren weiteren Folgen immer die Zweckmässigkeit und nie das Nachtheilige in sich trägt, so ist dies bei abnormen Reizen und Vorgängen nur bedingungsweise der Fall; die Rückwirkungen und ihre weiteren Folgen können auf diese nach denselben Gesetzen eben sowohl tödtlich als heilbringend sein. Nicht anders ver­hält es sich mit den thierischen Trieben bei Krankheiten, sie sind nur bedingungsweise und keineswegs unter allen Umstän­den von physiatrischer Bedeutung.
Alle thierischen Triebe, in normaler und abnormer Rich­tung, werden bei Krankheiten durch bestimmte, oft eigenthüm-lich qualificirte Empfindungen angeregt; sie beruhen, wie im gesunden Zustande, auf gewissen sensiblen Thätigkeiten, und ihr nächster Zweck ist immer die Beschwichtigung dieser Em­pfindung; die Befriedigung dieser Triebe ist stets identisch mit Aufhebung des Gefühles, aus welchem sie hervorgegangen sind. Hieraus ergeben sich nun weiter zwei Cardinalrecreln:
Die Bedeutung der Triebe in Krankheiten ist ab­hängig von den Beziehungen der Krankheiten
1)nbsp; nbsp;zu den organischen Processen, welche die den Instinct leitenden Sensationen erweckt haben, und
2)nbsp; nbsp;zu diesen Sensationen selbst.
Hängen die sensiblen Thätigkeiten mit organischen Proces­sen zusammen, welche unmittelbar auf Gesunderhaltunraquo;- und Hebung der Krankheit hinarbeiten, so sind die Triebe von hochwichtiger, physiatrischer Bedeutung; hängen diese sensiblen Thätigkeiten mit Vorgängen zusammen, die gleichgültig sind für den Krankheitsprocess, so haben auch die Triebe keine Bedeu­tung für denselben; stehen aber die Empfindungen mit organi-
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sehen, gleichviel, ob normalen oder abnormen Processen, in Ver­bindung, die zur Steigerung der Krankheit beitragen, so ver­lieren die Triebe ihre Heilsamkeit, im Gegentheil ihre Befrie­digung bringt Verschlimmerung und Gefahr.
Beispiele. Die grosse Neigung, Wasser aufzunehmen, geht hervor aus bestimmten Empfindungen, die wir ganz einfach als Durst bezeichnen und die durch grossen Verbrauch an Feuch­tigkeit herbeigeführt werden; der Wasserverbrauch ist also der organische Process, mit welchem das Durstgefühl im Zusam­menhange steht. Ist nun bei Patienten dieser gesteigerte Ver­brauch an Wasser gleichgültig für die Krankheit, so ist es auch der Durst und dessen Stillung; ist der vermehrte Wasserver­brauch wohlthätig und bestimmt, Gesundheit herbeizuführen durch Ausscheidungen in der Haut oder den Nieren etc., so hat der Durst eine physiatrische Bedeutung — das Getränk dient als Unterstützungsmittel für den Heiiprocess, es ist ein instinetmässig gewähltes Heilmittel; wird dagegen durch den vermehrten Ver­brauch an Wasser die Krankheit gesteigert, so hat auch der Durst im Gegentheil eine verschlimmernde Bedeutung für die Krankheit — das Getränk unterhält und steigert die Krank­heit, wie z. B. bei Durchfällen, Harnruhr, Wassersuchten etc.
Der Verbrauch an ernährenden Bestandtheilen des Blu­tes erzeugt das Gefühl des Hungers; dieser Verbrauch ist also der organische Process, mit welchem die als Hunger bezeichneten Empfindungen im Zusammenhange stehen; trägt dieser Verbrauch nun zur Linderung oder Hebung der Krank­heit bei, so ist natürlich auch der Hunger bei dem Patien­ten von physiatrischer Bedeutung — die Nahrungsmittel wer­den Heilmittel; ist ein reichlicher Stoffverbrauch aber nach­theilig für die bestehende Krankheit, so ist der Hunger von keiner heilsamen Bedeutung — die Nahrungsmittel wirken mehr als Gifte. Die Sehnsucht der Diabetiker nach Mehlspeisen z. B. ist verschieden aufzufassen, je nachdem man die Mehl­nahrung als ein Steigerungerungsmittel des Krankheitsprocesses oder als ein Schutzmittel des Körpers gegen die krankhafte Consumption betrachtet. Früher wurde sie durchweg für un­heilsam gehalten, weil man in der Zunahme des Zuckers im Harne eine Förderung des Krankheitsprocesses sah; in neuerer
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Zeit hat mau aber in dem Hunger auf Brod- und Mehlsuppen einen Fingerzeig für die Heilsamkeit der Mehlspeisen gefunden, weil sie dem Krankheitsprocesse Material darbieten, um dadurch die edleren Körperbestandtheile, die Albuminate, zu schützen; also eine instinctive Palliativkur. Hiernach sieht man in der Zuckervermehrung im Harne nach Mehlspeisen keine Verschlim­merung der Krankheit, sondern nur eine grosse Zuckerergie­bigkeit auf Kosten der Nahrung und nicht der Körperbestand­theile. Dass die letzte Ansicht richtiger und die Neigung zu Mehlspeisen physiatrischer Natur ist, beweist, dass die Kranken bei Mehlspeisen neben Fleischkost länger leben.
Macht die nächste Quelle der Triebe, die bestimmt quali-ficirte Empfindung, die Krankheit selbst oder doch ein wesent­liches Symptom derselben aus, oder ist diese Empfindung von der fortbestehenden Krankheitsursache oder den etwa gesetzten Krankheitsproducten bedingt, wodurch die Krankheit unterhalten oder gesteigert wird, so haben auch die Triebe immer eine phy-siatrische Bedeutung. In allen solchen Fällen wird durch Be­friedigung der Triebe entweder:
d) die ganze Krankheit beseitigt — instinctmässige radicale Naturheilung; der Hund z. B. frisst Gras, erbricht sich und ist befreit von der Uebelkeit, die ihn plagte; in dem heissen Ver­langen nach Nahrung beim Heisshunger liegt die Indication zum Heilmittel; oder
h) es wird ein hervorragendes, wesentliches Symptom, ein Glied der Krankheit beseitigt, wenigstens momentan — instinct­mässige symptomatische Naturheilung, Palliativkur; die Leck­sucht z. B. wird durch den instinctmässigen Genuss alkalischer Substanzen gemildert, niedergehalten, bei einfacher localer Ur­sache im Magen —bei Magensäure — kann sie selbst besei­tigt werden; das Aufsuchen dunkler Orte bei Augenkrankheiten mit gesteigerter Reizbarkeit in der Netzhaut hat stets Linderung zur Folge; der angeschossene Hirsch geht ins Wasser und kühlt sich seine Schusswunde aus; oder
c) es wird endlich durch Befriedigung des Instinctes gegen die Krankheitsursache und somit auch gegen die Genesnngs-hemmung eingewirkt — Naturhülfe durch instinctmässige Cau-salkur. Ein Schwein, das von Echinorynchus Gigas im Dünn­darm gezwickt wurde, frass mit grosser Begierde Pflaumenkerne;
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NaturhUlfe.
Hunde fressen Stroh und andere harte Gegenstände, wenn sie belästigende Bandwürmer — Taenia serrata oder echinococcus — beherbergen; Schafe mit Strongylus contortus im vierten Magen fressen scharfen Sand. Wer könnte hier die heilsame mecha­nische Wirkung gegen die belästigenden Würmer verkennen?
Nach dieser allgemeinen Betrachtung komme ich nun noch einmal specieller auf Hunger, Appetitlosigkeit und Durst zurück, weil es Cardinalfragen sind und bleiben, in wie weit sie als Indicationen für die diätetische Partie bei der Behand-lung zu beachten sind.
Hunger.
Zwei verschiedene Empfindungen sind hier zu unterschei­den, der central angeregte Zustand des Nervensystems, in wel­chem eben die Nothwendigkeit neuer Zufuhr für verarmte Ge­webe zum Bewusstsein kommt, und die Affection der periphe-rischen Nerven der Verdauungsorgane bei Leere des Magens. In der Regel fallen beide Affecte zusammen, dann ist es eben der normahnässige Appetit. Wird der Magen mit nicht nahr­haften Dingen gefüllt, so tritt doch nicht das eigentliche Gefühl der Sättigung ein; ist die Magenleere und der peripherische Reiz allein vorhanden, so tritt Neigung zur Magenfüllung her­vor, aber nicht zur Sättigung, die Thiere suchen durch nicht nahrhafte Stoffe den Magen zu beschwichtigen, und das um so mehr, je mächtiger der peripherische Reiz in den Nerven des leeren Magens ist.
Einen belehrenden Fall hat Professor Busch beobachtet*). Busch be­handelte eine Patientin mit einer vollständigen Fistel im oberen Ende des Dünndarmes, wodurch der Darm in zwei vollständig geschiedene Abschnitte getrennt wurde; der obere bestand aus Magen, Duodenum und einem wahrscheinlich nur kleinen Stücke des übrigen Dünndarmes: der untere aus der grösseren Hälfte des Dünndarmes und dem Dickdarme. Aus der unte­ren Oetfnung des oberen Abschnittes flössen die Koste der in den Magen eingeführten Speisen, sammt den Yerdauungssäften des Magens, der Galle und des Pankreas frei nach aussen ab, ohne dass etwas davon in die obere Oetfnung des unteren Endes gelangen konnte. Patientin war sehr abge­magert und fortwährend, auch nach gefülltem Magen, hungerig. Als die Kranke nicht bloss durch den Mund, sondern auch durch die nach unten
*) Virchow's Archiv, Bd. 14. S. 140.
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Hunger.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 135
taxxng gefüttert w des Hungers ab.
1.nbsp; nbsp;Der normalmässige Hunger, d. h. der aus den innersten Nährbedürfnissen hervorgegangene und auf ertsprechende Nah­rungsmittel gerichtete, ist gleichgültig für die Krankheit und kann befriedigt werden, wenn durch die Aufnahme, den mate­riellen Ersatz im Blute der vorhandene Krankheitsprocess nicht gefordert, oder dessen Beseitigung nicht behindert wird; der­selbe aber ist heilsam und muss befriedigt werden in allen den Fällen, wenn die verabreichten Materialien und weiterhin die Neubildung heilsam auf die Krankheit einwirken, z. B. bei starken Säfteverlusten, bei grossem Stoffverbrauch, bei Abzehrungen, bei physischer Schwäche und allen darin wur­zelnden Krankheiten und Genesungshemmungen. Der Hunger steht aber nicht nur in keiner heilsamen, sondern geradezu in nachtheiliger Beziehung zur Krankheit, und darf gar nicht oder doch nur th eil weise mit besonderer Vorsicht befriedigt werden, wenn der vorhandene Krankhoitszustand entweder durch die aufgenommenen Nahrungsmittel selbst, oder durch deren wei­tere Verwendung zur organischen Neubildung oder Verbrennung unterhalten wird, z. B. bei allen gastrischen Krankheitszustän-den, bei Voll- und Dickblütigkeit und daraus hervorfliessenden Krankheiten, bei allen Krankheiten mit ausgeprägtem Charakter der Sthenie, besonders bei Entzündung und Rheumatismus, kurz bei allen Krankheiten, wo die Heilindication an der Spitze steht, den Rückbildungsprocess vor der Neubildung prädo-miniren zu lassen. In den meisten der erwähnten Fälle erfüllt zwar die Natur schon diese Indication, sie lässt den Pa­tienten instinctiv jede Nahrung verschmähen, oft aber besteht doch auch guter Appetit fort, wo nur bei strenger Diät geheilt werden kann — beim Verschlag z. B.
2.nbsp; nbsp;Abnormer Hunger, d. h. solcher, der entweder über das wahre innere Nährbedürfniss hinausgeht — die Gefrässigkeit, der Wolfshunger, Heisshunger — oder auf besondere Dinge ge­richtet ist, die sogenannten Gelüste; letztere können sich auf ganz naturwidrige Dinge richten —' die Pica — oder nur auf einzelne Futterstoffe, während andere viel bessere ver­schmäht werden — die Malacia. Der besonders geartete, selbst entartete Appetit kann verschiedene pathologische Quellen haben:
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Naturhülfe.
a)nbsp; nbsp;er entspringt aus einseitiger Verarmung des Gewebes, aus dem Defecte von irgend einem Bestandtheile;
b)nbsp; das Bedttrfniss zum Stoffersatz ist nicht vorhanden, die Leere des Verdauungsweges erweckt ein Gefühl, ein gewisses Bedürfniss zur Füllung des Magens, d. h. zur localen Sättigung des localen Bedürfnisses, der Appetit ist dann auf nicht nahr­hafte, voluminöse Substanzen gerichtet; die Pferde verschmähen den besten Hafer in der Krippe und fressen Stroh und Mist unter den Beinen weg;
c)nbsp; die Einwirkung auf die Nerven in dem Verdauungswege ist eine ganz abnorme, nicht bloss die Leere wirkt, sondern bestimmte Stoffe, scharfe Säfte, Säuren etc., und endlich
d)nbsp; nbsp;kann eine abnorme Sensation in den betreffenden Ner­ven — Lungenmagennerven — geradezu ein directes Glied der Krankheit sein.
Im Allgemeinen darf man den besonders gearteten Appe­tit bei Thieren, die ausschliesslich unter der Herrschaft des Instinctes stehen, bei denen keine Schmecksäbelei {gourmandise) vorkommt, bei denen nicht der Gaumenkitzel, sondern der Hun­ger zur Nahrungsaufnahme drängt, bei den unvernünftigen, von der Natur bevormundeten Thieren darf man dem besonders gearte­ten Appetit in Krankheiten eine mehr oder weniger physiatrische Bedeutung unterschieben und dessen Richtung als Naturheil-indication betrachten, besonders so weit die qualitative Ver­schiedenheit des Appetits sich auf die Verschiedenheit der Nah­rungsmittel beschränkt.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;*
Uebrigens findet auch hier bei dem abnormen Hunger wie­der der Grundsatz Anwendung, dass wenn die Quelle, die dem Triebe zu Grunde liegende Empfindung, ein wesentliches Krank­heitsglied ausmacht, so hat der Trieb eine heilsame Bedeutung, die Befriedigung bewirkt Linderung oder gänzliche Heilung; der Heisshunger {holimia) z. B. wird durch Aufnahme von Nah­rungsmitteln und selbst von unverdaulichen Substanzen, von Reizmitteln beseitigt. Das Sandfressen bei Strongylus contortus im vierten Magen der Wiederkäuer, das Strohfressen der Hunde bei Bandwürmern ist heilsam und kann selbst Heilmittel wer­den — ein Hund mit einem eingeklemmten Holzstückchen im Dünndarme, das er mit der Wurstschale verschluckt, hatte den
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Appetitlosigkeit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;137
Magen voll Stroh, was selir wohl geeignet war, den fremden Körper zu entfernen, wenn derselbe nicht die Wand schon durchbohrt gehabt hatte — ; das Wollfressen der Lämmer heilt nicht, zeigt aber ein nicht befriedigtes Nährbedürfniss an, und hier kein besseres Heilmittel, als reichliche Milchnahrung; die Nage-und Lecksucht, das leidenschaftliche Kauen der Rinder an den Knochen bei der Knochenbrüchigkeit entspringt aus Verarmung des Knochengewebes und deutet auf die Heilmittel hin. So las­sen sich zahlreiche Beispiele für die heilsame Beziehung der in Folge eines krankhaften Appetits aufgenommenen Dinge bei­bringen. Bei der Tollkrankheit dagegen wird die Empfindung des Magenreizes vielleicht augenblicklich etwas beschwichtigt durch Aufnahme von ungeniessbaren, einen Gegenreiz ausüben­den Dingen, niemals aber hat solche Aufnahme eine physia-trische Bedeutung, weil eben die Verstimmung der Magenner­ven ein sehr untergeordnetes Glied der Tollkrankheit ist, durch dessen Beseitigung die Krankheit selbst weiter nicht berührt wird.
Appetitl osigkeit.
Die theilweise und gänzliche Appetitlosigkeit ist kein besonderer Trieb, sondern nur der Mangel des begehrenden Triebes, des Hungers; normal tritt sie ein nach Befriedigung des Hungers und ist dann gleichbedeutend mit Sättigung; sie tritt aber auch ohne eigentliche Sättigung ganz selbstständig auf, ist dann abnorm und hat ebenfalls zwei Hauptquellen.
1. Sie ist Folge von dem gestörten Stoffwechsel, besonders der Neubildung, es wird wenig verbraucht, mithin ist die nor­male Quelle des Hungers theilweise oder auf eine gewisse Zeit gänzlich versiegt. Bei manchen Krankheiten mit vermindertem oder aufgehobenem Appetit sehen wir, dass die Thiere, ohne zu fressen, längere Zeit stehen können, ehe sie erheblich abmagern, dass sie ohne Nachtheil einen solchen Zeitraum ohne Nahrungs­mittel zubringen können, in welchem sie bei gesunden Tagen den Hungertod gestorben sein würden. Hier ist also auch die Appetitlosigkeit nothwendig und insofern heilsam, weil der Organismus ausserdem mit Stoffen überfüllt werden würde, von denen er keinen Gebrauch machen kann, die also auch nur belästigen, und deshalb ein Genesungshemmungsmittel sein wür-
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den; mit wiederkehrender nutritiver Thätigkeit stellt sich auch der Appetit wieder ein. In allen den Fällen, wo Stofffülle be­steht, wo die Genesung nur durch Zurücktreten der Neubildung hinter den Schmelzungsprocess erzielt werden kann, wo die Entziehungskur angezeigt ist, da ist die Appetitlosigkeit von grosser physiatrischer Bedeutung.
Es giebt in der That recht oft solche Fälle, in welchen eine allgemeine Rückbildung wesentliche Bedingung zur Besei­tigung der Ursachen, der Krankheitsproducte und selbst der Krankheitsprocesse ist; die alltägliche Entzündung liefert uns solche Fälle ganz gewöhnlich. Die Störungen des Athmens wer­den besser und länger ertragen von anämischen, als von pletho-rischen Individuen, weil mit der Blutmasse das Athmenbedürf-niss resp. die Athmennoth steigt, während eine gewisse Terape-raturverminderune sehr wohl ohne Gefahr längere Zeit ertragen werden kann.
Die zweite Quelle der Appetitlosigkeit liegt in den Nerven selbst, die das Gefühl des Hungers vermitteln, diese Nerven sind selbstständig altcrirt, verstimmt, erkrankt oder consensuell in Folge eines anderweitigen Krankheitszustandes im Verdauungs-Appa­rate. Diese Appetitlosigkeit geht bis zur besonderen Abneigung, zum Ekel*) vor Nahrungsmitteln, den wir als ein subjeetives Symptom bei den Thieren nicht von der Appetitlosigkeit unter­scheiden können, wenn er sich nicht etwa nur auf einzelne Nahrungsmittel bezieht. Diese Appetitlosigkeit, ganz besonders aber die besondere Abneigung gegen einzelne Futterstoffe ist bezüglich des Krankheitszustandes immer als heilsam zu be-trachten, und nur dann erst verliert sie ihre allgemeine phy-siatrische Bedeutung, wenn die Folgen des Mangels an ernäh­renden Materialien (die Abmagerung, die Kraftlosigkeit) den Krankheitszustand überragen; bis zu diesem Punkte ist in allen gastrischen Krankheiten das instinetmässige Nichtfressen heilsam.
Diese physiatrische Bedeutung ist einmal begründet in dem Umstände, dass die erkrankten Organe, die Verdauungsorgane,
*) Appetitlosigkeit ist der Mangel des begehrenden Triebes, des Hun­gers, Ekel aber ist der verabscheuende Trieb, der sich auf einzelne oder überhaupt auf alle Nahrungsmittel erstreckt.
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nicht belästigt werden, wodurch die Krankheit unterhalten oder selbst gesteigert werden würde, anderntheils beruht sie aber auch darin, dass durch das fortwährend zunehmende Bedürfniss an ernährenden Substanzen auf demselben Wege, wo normalmässig der Hunger entsteht, auch eine Anregung, Reizung und Uru-stimmung der Nerven der Verdauungsorgane stattfindet, wodurch eine Ausgleichung des peripherischen Reizes herbeigeführt wird, so dass der Appetit sich bei anhaltendem Mangel an Nahrungs­zufuhr selbst Bahn bricht auf dem normahnässigen Wege und hierbei den gastrischen Krankheitszustand beseitigt, so weit er nicht in tiefen organischen Veränderungen wurzelt; denn die vom Gesammtorganismus ausgehende Reizung des Lungenmagen-nervens, dessen Resultat eben der Hunger ist, wirkt sicherer und heilsamer, als alle ai'zneiliche Einwirkungen von dem Magen aus. Der Hunger ist der beste Arzt bei allen gastrischen Krank­heiten und noch vielen anderen; durcli Versagen aller Nahrungs­mittel ist der Weg gebahnt, die Bedingungen herbeizuführen, unter denen er normalmässig hervortritt.
Liebig geht jedenfalls einseitig theoretisch zu weit, wenn er sagt, dass die meisten Kranken durch Hunger zu Grunde gehen, und die Abmagerung in Krankheiten den beginnenden Tod nennt; eine Behauptung, welche die restaurirende Kurmethode in Schwung gebracht hat. Es ist eine ganz gewöhnliche Erschei­nung, dass kranke Menschen und Thiere die Nahrungsmittel verschmähen und häufig sogar Widerwillen dagegen empfinden. In solchen ganz allgemeinen und regelraässigen Erscheinungen liegt schon an sich ein Fingerzeig für das Nothwendige und Heil­same; sehen wir uns aber in der Praxis um, so steht fest, dass strenge Diät selten, der Gegensatz aber sehr häufig, fast in der Regel ein Diätfehler ist. Bei fehlendem Nutritionsbedürfniss und Appetit haben die Nahrungsmittel nur geringen Nähreftect, aber eine Belastung zur Folge. Ich glaube deshalb den Satz aufstellen zu dürfen, dass die Appetitlosigkeit an sich immer eine heilsame Bedeutung für den Krankheits­zustand hat, selbst wenn sie uns Kunde von einer schweren Krankheit giebt, wenn sie also ein unwill­kommenes Symptom ist, dass gegen sie daher spe-ciell nur dann künstlich eingeschritten werden darf, wenn Abmagerung und Schwäche überhaupt oder doch für die gegebenen Verhältnisse zu weit gehen,
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wenn Restauration an der Spitze der Heilindicationen steht; so lange letzteres nicht der Fall ist, nehme man die Appetitlosigkeit an sich nie als Heilindication, sondern als den Ausdruck des Heilsamen für den Krankheitsprocess.
Der Durst.
Die Quellen sind identisch mit denen des Hungers; er ent­steht durch Reizung der Nerven (der sensiblen Schlundäste des Vagtis), welche bestimmt sind, ihn als consensuelle Empfindung aus dem Bedürfniss der Anfeuchtung hervorzubringen. Auch in Krankheiten tritt der Durst immer aus dem Bedürfniss an Wasser hervor; wo das Getränk versagt wird, da bedarf der Organismus kein Wasser; tritt der Durst in den Schranken des normalen Verhältnisses ein, dann muss er bei Kranken eben so gut gelöscht werden, wie bei Gesunden, weil das Wasser ja auch zu den Lebensmitteln gehört, die Lebensacte als solche Wasser verbrauchen. Bei abnormem, über das gewöhnliche Maass hinausgehenden Durst, als Ausdruck des abnormen Ver­brauches an Wasser gestalten sich die Verhältnisse verschieden, je nachdem der grössere Verbrauch an Wasser zur Mässigung oder Förderung der Krankheit dient. In allen Fällen, wo es sich um Kühlung, um Verdünnung, um Lösung, um vermehrte Ausscheidung, um Förderung der Krisen, überhaupt um Depuration handelt, da ist der Durst als Ausdruck eines Heilbedürfnisses, als Symptom der Heilbestrebungen der Natur aufzufassen und zu stillen. Der Regel nach ist das Getränk bei allen acuten, fie­berhaften, entzündlichen Krankheiten mindestens als heilsam, als Erquickungsmittel zu betrachten. Nur in den Fällen, wo das Wasser zur Unterhaltung des Krankheitsprocesses und För­derung nachtheilig werdender Krankheitsproducte verwendet wird, liegt in dem Verlangen nach Wasser zwar auch ein inneres Bedürfniss, aber das Bedürfniss ist durch Missbrauch entstan­den. Der Durst hat deshalb keine physiatrische Bedeutung, er darf namentlich nicht gänzlich gestillt werden bei Hydrämien, bei Wassersüchten, bei Harnruhr, bei Durchfällen, erschöpfen­den Schweissen und überall, wo Ausschwitzung und Secretion gehemmt, die Resorption aber gefördert werden soll.
Das W7asser ist das naturgemässeste Getränk. Bei unsern
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Naturheüungcn auf consensuellen Wegen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;141
pflanzenfressenden Hausthieren werden oft Nährstoffe in der Form des Getränkes verabreicht, wodurch die Thiere verleitet werden mehr Wasser aufzunehmen, als das Bedürfniss erheischt; bei Krankheiten pflegt indess der Durst auf reines Wasser gerichtet zu sein, so dass die Verleitung zur übermässigen Aufnahme wegfällt. Eine besondere Richtung des Durstes auf ungewöhn­liches Getränk (Mistjauche etc.) fallt mit dem besonders gearte­ten Appetite zusammen, hängt von derselben sensiblen Thätig-keit ab und ist daher auch wie dieser in physiatrischer Bezie­hung zu beurtheilen.
Hiermit glaube ich die wesentlichsten Anhaltspunkte zur Beurtheilung der Triebe in Krankheiten gegeben zu haben, die namentlich bei fieberhaften, acuten Krankheiten in der Regel als physiatrisch aufzufassen sind. Wer in dem gegebenen Falle zu prüfen versteht, der wird nach diesen allgemeinen Andeutun­gen auch immer herausfinden, ob die hervorgetretenen Triebe eine physiatrische Bedeutung haben, oder ob sie offenbar wider die Heilregel gehen.
Naturheilungen auf consensuellen Wegen.
Im Organismus bestehen reactive, antagonistische und sym­pathische Einrichtungen, welche den Krankheitsursachen, wie den Heilmitteln behülflich sind, und in welchen auch die ge­wöhnlichen Wege der Ausgleichungen durch Naturheilung ge­geben sind.
Im Nervensysteme werden Erregungen verbreitet und von einem Organ auf andere übertragen. Die Nerven sind die Bahnen der Fortleitung der Reize, die bei der centrifugalen Leitung an den Nervenenden ausgeladen werden und zu den elementaren For­men und deren Derivaten gelangen, bei der centripetalen Leitung aber an die Nervenwurzel in die Gangliensubstanz geführt werden, hier einen Effect, eine Spannung setzen, gewisse Thätigkeiten er­zeugen oder direct umgeladen, d. h. auf eine andere Nervenbahn geleitet und wieder centrifugal fortgeführt werden. Auf diesen Bahnen zwischen den einzelnen Organen und dem Gehirn und Rückenmarke, schiebt sich das Gangliensystem ein, die Knoten der sympathischen Nerven liefern Ruhe- und Ausladestellen, wie Gehirn und Rückenmark; die Strömung wird hier unter-
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142nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhiilfe.
brechen und auf andere Bahnen gelenkt; verlaufen diese peri-pherisch, d. h, centrifugal, so verbleibt der Reiz im Gang­liengebiete, er kommt nicht weiter zur Kenntniss des geisti­gen Individuums, zum Bewusstsein, sondern verläuft in einem gewissen Gebiete der vegetativen Nerven. In den Ganglien wird aber nicht bloss die Richtung geändert, sondern oft auch der Grad der Erregung vermindert resp. erhöht. Die Umladung, die Uebertragung der Reize in den Nervencentren scheint zu erfolgen, einmal nach den räumlichen Verhältnissen, so dass der angelangte Reiz auf die zunächst gelegene Nerven­wurzel gelangt; zweitens soll ein gewisses physiologisches Ge­setz walten, wonach der im Nervencentrum angelangte Reiz in bestimmter Richtung weitergeht; so soll namentlich das verlän­gerte Mark das generelle Centrum sein, und alle Reize, die hinter demselben im Rückenmarke anlangen, in der Richtung vorwärts, alle Reize dagegen, die vor demselben im Gehirn anlangen, rückwärts verbreitet werden {Flügge). So viel ist jedoch durch tägliche Erscheinungen in der Praxis festgestellt, dass die Ueberspringung nach der andern Körperhälfte selten ist, dass der Uebergang von den Wurzeln der Empfindungsner-ven auf die Bewegungsnerven (Reflexbewegung) der häufigste ist, und die Gefässnerven von allen centripetalen Reizen erreg­bar sind. Ein dritter wandelbarer Bestimmungsgrund ist die verschiedengradige Reizbarkeit; die erschöpften Nerven sind vor der Restitution wenig afficirbar, ein häufig in demselben Nerven wiederkehrende Reiz stumpft denselben ab, ein anderer nicht abgestumpfter nimmt den folgenden dafür auf; andere Nervenwurzeln sind besonders reizbar, auf sie erfolgt die Um­ladung namentlich von verschiedenen Seiten her. Deshalb sind denn auch die consensuellen Beziehungen nicht eigentlich be­rechenbar, nur insofern die Nachbarschaft immer noch den grössten Einfluss behält, haben wir einen gewissen Anhaltspunkt an derselben für die Praxis.
Die auf dem Wege des Consensus afficirten Nerven wirken in ihrer eigenen Art, in ihrer speeifischen Richtung; der con-sensuell afficirte Bewegungsnerv erzeugt immer Bewegung — Reflexbewegung —, der Empfindungsnerv, stets Empfindung — irradiirte Empfindung —, der secretorische Nerv vermehrt die Aussonderung, wie auch der Reiz beschaffen sein möge. Der Grad der consensuellen Affection hängt zum Theil mit von der
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Natnrheiluugen aiif eonscnsuellen Wegen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;143
Grosse des Reizes ab, zum anderen Theile aber von der Reizbar­keit des direct und consensuell gereizten Nerven. Ob die Qua­lität des Reizes von einem gewissen Einflüsse ist auf die consen-suellen Affectionen, auf die Richtung der Uebertragung, wird in neuerer Zeit mehr in Abrede gestellt. Die Formel des Con­sensus würde sein: A (der local gegebene Reiz) wirkt auf B (ein bestimmtes Organ oder System) vermittelst C (die leiten­den Nervenbahnen); der Effect in B ist graduell abhängig von A und B und qualitativ von C. Das Secundäre, d. h. der con-sensuelle Effect, steht zu dem Primären d. h. dem Krankheits­reize in verschiedener heilsamer Beziehung:
o
1)nbsp; Die consensuellen Effecte haben die Bedeutung der Tiiei-lung, sie bedingen Mässigung, Abschwächung oder gänzliches Verschwinden auf dem Wege der Diffusion, der Entladung; der Reiz verläuft durch Theilung so zu sagen im Sande.
2)nbsp; nbsp; Der secundäre Effect wirkt abschwächend resp. auf­hebend auf dem Wege des Consensus, namentlich des Antagonis­mus, d. h. derjenigen Form von Consensus, bei welcher die secundäre Wirkung der primären diametral gegenüber steht. Wir haben Nervencentren, die eine moderirende, regulirende Function haben und andere. Nerventhätigkeiten in Maass und Schranken halten. Das Spinalsystem wird durch das cerebrale, das sympathische bald durch das spinale, bald durch das cere­brale gemässigt; die psychischen Thätigkeiten drängen die in-stinctiven und viele reflectorische in den Hintergrund; ein fester Wille vermag viel in dieser Sphäre, er kann Reflexthätigkeiten des Rückenmarkes moderiren. In allen Organen, die continuir-lich unter einem doppelten, einem an- und einem abregenden Nerveneinflusse stehen z. B. Herz und Iris (ob auch die üe-fässe?), hat ein einseitiges Zu- und Abnehmen des Einflusses immer die entgegengesetzten Störungen, d. h. die Abnahme (Ermüdung, Lähmung) in dem hemmenden Nerveneinflusse hat eine Zunahme und in umgekehrten Verhältnissen eine Abnahme in der Thätigkeit zur Folge; werden beide Nerven gleichmässig
fnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;gereizt, so gleichen sich die Reize aus, das betreffende Organ
erfährt keine Störung. Die antagonistischen Verhältnisse spie­len namentlich im Gefässgebiete eine gewichtige Rolle, spasmo-dische und paralytische Zustände der Gefässwandungen, Ver­engerungen und Erweiterungen kommen auf dem Wege des
!nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Antagonismus zu Stande; so können auf consensuellen Wegen
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144nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhiilfe,
an ganz entfernten Orten und Organen Blut-Ab- und Zulei­tungen erzeugt werden, anämische und hyperämische Zustände entstehen, in denen ja mächtige Ausgleichungsmittel gegeben sind.
3) Die Ausgleichung gestörter Function erfolgt auf den Wegen der consensuellen Anregung und Compensation. Das Athembe-dürfniss steigert die Anstrengungen zum Athmen, die Unvoll-ständigkeit der einzelnen Athemzüge wird durch schnellere Wiederholung derselben ersetzt; erschwerte und verzögerte In­spiration — ausgebreitete Hepatisation, Brustwassersucht etc. — beschleunigt die Exspiraton und so auch umgekehrt, wie z. B. bei gestörter Contractionsfahigkeit der Lungen, dem sogenannten interlobulären Emphyseme. So werden auch erhöhte secretorische Thätigkeiten erregt, die in verschiedener Richtung heilsam wer­den, worauf wir bei den Absonderungen wieder zurückkommen. 4) Der secundäre Effect wirkt derivatisch; die consensuelle Rei­zung, Erkrankung ist grosser als die primäre, und wie neben einem vorhandenen grossen Reize kein schwächerer aufkommt, so besteht auch kein schwächerer Reiz fort, wenn ein zweiter mächtigerer aufgetaucht ist. Der stärkere absorbirt den schwächeren, oder, wenn man lieber will, der schwächere entladet sich in den stärkeren, ein kleiner Schmerz wird neben einem grossen nicht mehr empfunden. Hierauf beruht der sogenannte Gegenreiz. Schon kleine Gegenreize können theilweise ableiten und mil­dernd wirken; so sehen wir schon eine Mässigung der Schmer­zen durch kräftige Bewegung. Man kann den Schmerz verar­beiten ; fast unwillkürlich beisst man die Zähne auf einander und ballt die Faust krampfhaft bei heftigen Schmerzen; unsere Thiere machen es ebenso, das gebärende Thier beisst die Zähne auf einander und spannt alle willkürlichen Muskeln fast krampf­haft an im Momente der schmerzhaften Contraction der Gebär­mutter — es verarbeitet seine Wehen —; der Kolikpatient ver­arbeitet die Leibschmerzen, indem er Funken aus den Pflaster­steinen stampft, sich niederwirft, wälzt, aufspringt etc.; das strauchelnd unter dem Operationsmesser liegende Thier lindert sich seine Schmerzen; das Drängen und Pressen bei Schmer­zen in der Harnröhre, dem Mastdarme nach reponirter Gebär­mutter etc., wird durch Führen und Reiten verhütet. Alle durch Schmerz aufgedrungene Bewegungen haben bezüglich des Schmerzes immer eine physiatrische
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Gewöhnung, Abstumpfung etc.
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Bedeutung. Furibunde Delirien werden verarbeitet dureb Körperbewegung; lässt man das tobende Pferd seinem inneren Drange gemäss vorwärts gehen, so steigt und bäumt sich das­selbe nicht, es bleibt ruhig und verlauft gewissermaassen den Gehirnreiz.
5) Das mechanische Wirkungsmoment der Reflexbewegun­gen beseitigt die Ursachen der primären Reizung. So dient die durch Reiz im Verdauungswege liervorgerufene stärkere Contraction zur Fortschaffung der reizenden, belästigenden Masse und Aufhebung der Störungen; Erbrechen heilt Uebel-keiten und Durchfall heilt sich selbst, wenn mit den ausgewor­fenen resp. per anum entleerten Contentis die reizende Einwirkung auf die Schleimhaut aufgehoben worden ist; Verstopfungen ha­ben mächtige Contractionen zur Folge, die zur Lösung der Ver­stopfung dienen, die dabei allerdings auch tödtliche Zerreiasun-gen herbeiführen können; solche Fälle sind überhaupt nicht selten, wo die zur Heilung nothwendigen Reflexbewegungen tödtlich werden; wir finden dasselbe auch in der Reflexbewe­gung in der Form des Hustens wieder, deren physiologischer Zweck ja die Freihaltung der Luftwege ist, die bei Krankhei-hen ebenso nothwendig ist, deshalb die Heilsamkeit des Hustens bei Schleim-, Blut-, Eiter-, Jaucheanhäufung, bei Wurmnestern in den Bronchien etc., der aber nichtsdestoweniger auch Lungen­blutungen, Lungenentzündung und Lungenemphysem erzeugen, und so Lebensgefahr bringen kann. Dieselben refleetirten Con­tractionen, die eine todte Frucht austreiben, die Nachgeburt entfernen, die also ein nothwendiges heilsames Werk vollbrin-
quot;#9632;en
, dadurch Krankheiten vorbeugen.
resp. coupiren, können
auch tödtlichen Prolapsus verursachen.
#9632;,
Ausgleichung durch Gewöhnung, Abstumpfung, Ermüdung, Hebung und durch Accomodation.
Gewohnheit bat in physiologischer Beziehung einen doppel­ten Sinn; einmal ist sie gleichbedeutend mit Hebung und be­ruht auf gesteigerter Erregbarkeit für Einflüsse, die keine feind­selige Tendenz für den Organismus haben — für adäquate Reize. Die schnelle Uebersicht und richtige Folgerung des Sachkundigen, der scharfe Blick, manuelle Fertigkeit, körper­liche Gewandheit etc., alles beruht auf dieser gesteigerten Erreg-
Ge rl ach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 10
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146nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhiilfe.
barkeit in bestimmten Richtungen. In einem anderen Sinne ist die Gewohnheit gleichbedeutend mit Abstumpfung und be­ruht in verminderter oder gänzlich aufgehobener Reizempfäng­lichkeit für gewisse mehr oder weniger alterirende Reize, so dass diese bei wiederholten oder längeren Einwirkungen gar keine Wirkung mehr haben oder nur eine geringere. Die Ge­wöhnung als Abstumpfung der Erregbarkeit wirkt heilsam in centripetaler Richtung, sie bedingt die Nichtaufnahme feindli­cher Einwirkungen, und gewährt so einen Schutz gegen Schädlichkeiten und deren Folgen. Die Gewohnheit als Uebung hat dagegen einen centrifugalen Effect, den sie in den motori­schen und secretorischen Sphären äussert und hierdurch auf eine Ausgleichung der eingetretenen Störungen hinarbeitet. In dem Gesetze der Abstumpfung, der Aufhebung der Reizem­pfänglichkeit durch Reize liegt für unsere Thiere ganz beson­ders ein gewaltiges Schutzmittel gegen feindselige äussere Ein­flüsse, die wir oft nicht fernhalten können, selbst wenn sie uns bekannt sind.
Medicam ente, namentlich aus dem Pflanzenreiche und be­sonders die Spirituosen und narkotischen können nach längerem Gebrauche zuletzt in Quantitäten verabreicht werden, in wel­chen sie ohne Gewöhnung unfehlbar als Gifte wirken. Dabei­ist es denn auch die Gewohnheit, die oft ausgleicht und wieder gut macht, was der zu geschäftige Therapeut, der alles Heil in den Medicamenten sucht, in seinem Diensteifer nicht selten ver­dirbt. — Sie ist heilsam bei unzweckmässiger Behandlung mit Arzneien.
Wie gross die schützende Macht der Gewohnheit ist, beweisen uns die Giftesser. Das Arsenikessen in einigen Gegenden Niederösterreichs (Wiener Medicinische Wochenschrift No. 28. 1851), das Opiumessen im Oriente, das Sublimatessen in einigen Gegenden Indiens, das Tahakkauen unserer Schäfer und selbst unsere Tabaksraucher liefern die Beweise, wie starke Gifte durch die Gewohnheit aufhören in den gewöhnlichen Quanti­täten Gifte zu sein.
Nahrungsmittel mit mehr oder weniger differenten Sub­stanzen vermischt, wie sie so häufig unsere Hausthiere gemes­sen müssen, verlieren nach und nach ihre schädliche Wirkung, wenn sie öfter und längere Zeit genossen worden sind, sie wer­den indifferent für das daran gewöhnte Thier.
Die Accomodation, das Gewöhnen an das Klima, die
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Gewöhnung, Abstumpfung etc.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;147
Localität, Witterungsconstitution, besonders an die Temperatur, selbst auch an die Gebrauchsweise, alles beruht in der heilsamen Wirkung der Gewohnheit. Daher lebt das Thier das gesündeste Leben da, wo es geboren und gezogen ist. Der Schutz durch Accomodation ist das wichtigste Kapitel in der Gesunderhaltungslehre, weil die Hausthiere stets nur zu einem bestimmten ökonomischen Zwecke gehalten werden, und mit den besten Gesundheitsregeln gar nichts gedient ist, sofern sie gegen die ökonomischen Zwecke laufen, und da das erkannte Schädliche aus ökonomischen Zwecken nicht vermieden werden kann, so bleibt nichts übrig, als an die heilsame Kraft der Gewohnheit zu appelliren, die Thiere an das Un­vermeidliche nach und nach zu gewöhnen und dadurch die nachtheilige Einwirkung desselben zu mindern oder gänz­lich aufzuheben. Pferde z. B. können vor Witterungseinflüssen nicht geschützt werden, das Abhärten gegen dieselben ist das einzige Auskunftsmittel, sie trotz der widrigen Einflüsse gesund zu erhalten. In gleichem Grade unheilsam tritt die Macht der Gewohnheit bei dem Verweichlichen, Verzärteln hervor, wo­durch die Reizempfänglichkeit für sorglich abgehaltene Einflüsse und somit die Disposition zum Erkranken gesteigert wird, so dass, wenn diese Einflüsse einmal zum Einwirken gelangen, sie auch gewöhnlich zur Krankheitsursache werden. Der Umstand, dass unsere Hausthiere im Allgemeinen dem Menschen in alle Klimate folgen können, beweist die grosse Flexibilität dersel­ben, und diese eben beruht auf dem Gesetze der Gewöhnung.
Gewöhnung an Störungen im Organismus. Von grosser heilsamer Bedeutung, namentlich bei chronsichen Krankheiten, weil das Gesetz der Gewohnheit sich immer nur in einer gewissen Breite der Zeit entfalten kann. Die Gewöh­nung an abnorme Reize, welche in den Krankheiten selbst gegeben sind, und an den Ausfall einzelner Func-tionen ist hier zunächst hervorzuheben. Bei langsamen Vergif­tungen oder anderweitigen Alterationen des Blutes wird gar nicht selten die Reizempfänglichkeit für dieselben bedeutend abge­stumpft und so die Bedingung gegeben, dass solche Krank­heiten längere Zeit auf einer gewissen Stufe der Entwicke-lung verbleiben und selbst auf derselben besiegt werden im Wege des Stoffwechsels, noch ehe ein offenbarer Krankheits­ausbruch erfolgte. Derselbe Druck, dieselben Raumbeengungen
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u. s. w. von Krankheitsproducten, die bei langsamem Entstehen ohne Nachtheil ertragen werden, bringen beim schnellen Eintritt lebensgefährliche Zufalle hervor.
Der langsame Ausfall einer Function wird ertragen, sofern sie nicht gerade eine Lebensfunction ist; der Organismus kann sich auch noch bei einer gewissen Unvollkommenbeit, bei einer gewissen Verkrüppelung aufrecht erhalten durch sein Accommo-dationsvermögen, indem er durch Abstumpfung undUebung zugleich eine zum Leben erforderliche Ausgleichung findet; er gewöhnt sich an abnorme Keize und wird immer geübter, stell­vertretende Thätigkeiten einzuschieben. Im kranken Körper kommen selbst Accommodationen durch organische Veränderun­gen einzelner Organe zu Stande, Grössenveränderungen — Hyper­trophien, Dilatationen, Atrophien und Einschrumpfungen — und Formveränderungen, die alle entweder mehr räumlich oder functionell compensatorisch wirken. So schafft sich der Orga­nismus neue Abnormitäten, um vorhandene erträglicher und gefahrloser zu machen.
Die Verminderung und Aufhebung der Disposition zu der Krankheit, die bereits einmal überstanden ist, führt uns auf ein neues Feld der heilsamen Wirkung der abgestumpften oder aufgehobenen Keizempfänglichkeit. Krankheiten schwächen oder vernichten die Reizempfanglichkeit für die speciliseben Reize, die im Stande sind, sie zu erzeugen. Dieses gilt namentlich von allen ansteckenden Krankheiten; bei einigen derselben wird die Reizempfänglichkeit für die ganze Lebensdauer aufgehoben — bei der Rinderpest, der Lungenseuche, den Pocken und der Staupe der Hunde hält die heilsame Abstumpfung bis zum Tode vor, so dass nur ausnahmsweise dieselbe Krankheit zum zweiten Male auftritt —, bei anderen ist die Empfänglichkeit nur für kürzere oder längere Zeit vermindert, die heilsame Abstum­pfung ist hier zwar vergänglich, immer aber genügt sie doch, dass ein Individuum bei einer herrschenden Seuche nur einmal erkrankt. — Die zuerst durchgeseuchten Thiere können deshalb unter den nachfolgend erkrankten Individuen stehen, ohne noch einmal zu erkranken.
Schon im erkrankten Individuum kommt das Gesetz der Abstumpfung bis zur Unempfindlichkeit für das Contagium zur Geltung; wir sehen, dass Menschen und Thiere durch sehr kleine
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Gewöhnung, Abstumpfung etc.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 149
Quantitiiten des Anstecknngsstoffes angesteckt werden, während sie bei grossen Quantitäten im Leibe genesen, wir sehen, dass bei keiner ansteckenden Krankheit das Contagium, die speci-fische Krankheitsursache früher verschwindet, als die Krankheit, sondern immer später. Bei der grossen Vervielfältigung des Contagiums müsste jede ansteckende Krankheit ohne Ausnahme tödtlich werden, wenn das entwickelte Contagium sofort wirken könnte, wie es bei der ersten Einwirkung, der Ansteckung, gewirkt hat, ohne tödtlichen Verlauf würde sie wenigstens lebens­länglich fortbestehen müssen, weil eben das Contagium als spe-citische Krankheitsursache in, resp. während der Krankheit selbst vervieltalltigt wird.
Es giebt jedoch auch Krankheiten, in welchen das Gegen-theil stattfindet, in denen nicht nur keine Abstunipfung, sondern noch eine Erhöhung der Reizempfänglichkeit für die ursäch­lichen Potenzen eintritt; so sehen wir, dass bei den meisten Krankheiten im Stadio der Eeconvalescenz die Neigung zu Ee-cidiven vorhanden ist, dass die im Schwinden begriffene und selbst schon bis auf ein Minimum verschwundene Krankheit wieder hervortritt bei entsprechenden ursächlichen Momenten; Entzündungen z.B. werden leicht rückfällig; der geringste Diät­fehler kann nach gastrischen Krankheiten Rückfälle veranlassen. Es giebt selbst Krankheiten, die für lange Zeit, wenn nicht für immer, eine grosse Empfänglichkeit für ihre ursächlichen Momente zurücklassen, so namentlich der Rheumatismus.
Naturheilung auf dem Wege der Ausscheidungen.
Die physiologischen und pathologischen Ein- und Ausver­leibungen geschehen mittelst des Blutes, die Ausscheidungen beziehen sich deshalb auch hier auf das Blut und sind physia-trisch, sobald sie einen depurativen Charakter haben. Blut­reinigung ist hier also die Grundlage der Ausgleichung; überall, wo das Blut durch einen Ueberschuss alterirt ist, sei er quan­titativer oder qualitativer Art, da liegt in der Blutreinigung auch die Bedingung der Genesung. Die überflüssigen Stoffe können in dem Blute zum Theil zersetzt und dadurch weniger schädlich ge­macht, zur Ausscheidung präparirt werden, und schon hierin liegt eine Ausgleichung; aber immer gehört die Ausscheidung selbst noch zu der schliesslichen Vollendung der Befreiung. Das Blut
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wird jetzt weniger beschuldigt, die erste Station, den Ausgang der Krankheiten, zu bilden, und locale Krankheiten zu unter­halten; die alte Krasenlehre hat in dieser Beziehung durch die gründlichen anatomischen Fox-schungen, vor allen durch Vir-choiv's Zellenpathologie einen gewaltigen Stoss erlitten; dafür ist eine neue Krasenlehre ausgebildet worden, man kann fast sagen entstanden; die secundären Alterationen des Blutes sind uns besser bekannt geworden, wir wissen jetzt, dass der grösste Theil der alten Dyskrasien ihren loealen Heerd haben, dass das Blut bei jeder loealen Erkrankung eine Veränderung erleidet, dass locale Reize, mechanische und chemische, die Elementaribnnen und deren Derivate zu einander erhöhten und veränderten chemischen Wechselbeziehung zum Blute anregen*). Bei den Bluterkrankungen, wenn ich der Kürze wegen so sagen darf, handelt es sich nach dem gegenwärtigen Standpunkte also viel häufiger um Krankheitsproducte, als um Krankheits­ursache, Krankheitsmaterie im Blute; immer haben wir aber doch ein alterirtes Blut, was der Purification bedarf. Diese Krankheitsproducte haben sehr verschiedene Bedeutung für die Krankheit selbst, sie unterhalten dieselbe, sind Genesungshin­dernisse, oder sie sind neue Krankheitsursache geworden, d. h. sie setzen neue Läsionen, während die primären vielleicht schon ausgeelichen sind. Solche Fälle sind denn auch in der That nicht selten, in denen sich die Krankheiten selbst erst die Ur­sachen der Fortdauer schaffen. Die reelle Grundlage der Aus­gleichung durch Abscheidungen, durch Purification des Blutes hat also in den Ergebnissen der neuen Forschungen an heil­samer Bedeutung nicht verloren, vielmehr noch gewonnen.
a. Die regelrnässigen Ab- und Aussonderungeia.
Die von der Natur zur Ausfuhr der verbrauchten und über­flüssigen Stoffe eingesetzten Organe, die Ausscheidungsorgane, die Colatorien, sind natürlich die gewichtigsten, aber auch die Secre-tionsorgane kommen hier mit in Betracht; die Ab- und Ausson­derungen stehen alle und immer in nächster Beziehung zum
*) Jüngst hat C. Kettler — Beitrag zur Theorie des Fiebers, Dorpat 1867 — eine Reihe von Infectionsversuchen gemacht, und gefunden, dass durch Injectionen des Transsudates bei Entzündungen, wie auch die des Keberblutes Fieber erzeugen.
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Ab- und Aussonderungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;151
Blute, es sind die normalen Schleusen, in denen das Ver­brauchte und Ueberflüssige abzieht, durch welche das Anhäu­fen und Summiren kleiner Schädlichkeiten und so Krankheiten verhütet und in Krankheiten eine Ausgleichung der pathischen Mischungsverhältnisse des Blutes herbeigeführt wird, sofern diese rieht defecte Zustände bilden und ihre Ausgleichung auf untritivem Wege finden. So lange in Krankheiten die normalen Ab- und Aussonderungen fortbestehen, hat die Natur hierin die Mittel, gefahrdrohende pathische Blutbeschaffenheit nieder­zuhalten; sind sie gehemmt, sind die Ausscheidungen absolut oiler relativ ungenügend, so werden oft die Krankheitsmaterien resp. Krankheitsproducte, die Anregungsmittel zur Ausschei­dung, also die Heilmittel. Jeder Praktiker hofft noch zuver­sichtlich auf Genesung, so lange die Ab- und Aussonderungen, namentlich bei acuten Krankheiten nicht wesentlich gestöi t sind.
h. Die vicariirenden Absonderungen.
Unter den Ab- und Aussonderungsorganen besteht ein an­tagonistisches Verhältniss; wird die Absonderung in irgend einem Organe gestört oder ganz unterdrückt, so tritt gewöhn­lich eine grössere Thätigkeit in dem einen oder anderen Ab­sonderungsorgane hervor, wodurch eine gänzliche oder theilweise Ausgleichung stattfindet, und je nachdem bezeichnet man diesen Vorgang als vollständige oder unvollständige vicariirende Thä­tigkeit. Ein vollständiges Vicariiren kann nur zwischen ganz gleichen Organen, also zwischen den gepaarten Colatorien statt­finden. Zwischen den nicht völlig gleichen Organen erfolgt nur eine theilweise Vertretung, immer nur in Beziehung auf einzelne, zur Ausscheidung bestimmte Stoffe.
Die Nieren vertreten und ersetzten sich gegenseitig, eine Niere kann vollständig unthätig werden, ohne dass ein erheblicher Nachtheil daraus hervorgeht; Schweine liefern nicht selten den Beweis. Kein anderes Organ aber kann für sie arbeiten, ihre grössere oder geringere Thätigkeit ist zwar von der Thätigkeit aller Absonderungsorgane in einem antagonisti­schen Verhältnisse abhängig, für ihre primär verminderte Function tritt aber kein Organ mit grösserer und speeifischör Thätigkeit ein, daher bei andauernden Störungen Anhäufung von Harnstoif u. a. speeifischer Stofl'e des Urins — Urämie —, abnorme seröse Secretionen — Wassersucht.
Lunge und Leber vertreten sich bei der Verwendung des in der Nahrung aufgenommenen Kohlenstoffs; hierfür haben wir mehrfache phy­siologische Beweise. Bei dem Fötus tritt uns das stellvertretende Ver-
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hältniss am entschiedensten entgegen; die Lunge ist unthätig, der Fötus bezieht seine Wärme von der Mutter, die Leber aber hat die hervor­ragendste Function, wie Grosse und Blutreichthum beweisen, sie verarbei­tet die überschüssigen Kohlenhydrate in Galle*); von solcher reichen Gal­lenbildung liefert das Meconium im Darme den Beweis. Nach der Geburt ändert sich das functionelle und anatomische Verhältniss zwischen beiden Organen in umgekehrter Uichtung.
Bei den Heissblütern, den Vögeln', sind die Athmungsorganc am entwickeltsten, bei ihnen die stärkste Verbrennung des Kohlenstoffs, dafür aber haben sie alle eine kleine Leber und eine geringe Gallenbereitung. Vermindern wir den Verbrennungsprocess durch absolute Körperruhe und warme Luft, und führen wir viel Kohlenstoffhydrate ein, so hypertrophirt und verfettet schliesslieh die Leber. So können wir z. B. den Gänsen bei der Mästung in kurzer Zeit eine FetÜeber anfuttern.
Bei Reptilien und Fischen ist das Verhältniss zwischen Lunge und Leber ein umgekehrtes; jene ist klein, unentwickelt, diese gross, oft sehr gross. Bei diesen Kaltblütern (Fökilüthermen) ist geringe Verbrennung, die Leber hat den Kohlenstoff vorzugsweise fortzuschaffen. Bei den Insek­ten gestaltet sich das Verhältniss zwischen beiden Organen wieder, wie bei den Vögeln.
Bei den Säugethiercn liegt in der Vertretung zwischen beiden Orga­nen gerade die Befähigung, in kalten und heissen Erdstrichen zu leben. In heissen Klimaten tritt das Athinen mehr zurück, die Gallenbilduug im stärkeren Grade (vicariirend) hervor; in kalten Zonen verhält es sich um­gekehrt; in heissen Klimaten deshalb mehr Ruhebedürfniss, vorherrschende Trägheit, mehr die Natur der Kaltblüter; im Norden dagegen mehr Rüh­rigkeit und mehr die Natur der Heissblüter; dort mehr Leber-, hier mehr Lungenkrankheiten. Diese vicarürende Thätigkeit kommt uns und unsern Hausthieren auch bei dem quot;Wechsel zwischen Sommer und Winter zu statten.
Zwischen Lungen und Nieren besteht keine besondere stellvertre­tende Beziehung; zwischen Leber und Nieren nur insofern, als das Hä-matin der zerfallenen Blutkörper sowohl seinen Ausgang in der Leber als Gallenpigment, wie auch in den Nieren nimmt, und letztere selbst Gallen­pigment ausscheiden, wenn die Galleneutleerungen in der Leber behindert sind. Bei den Versuchen von Tiedemann, Gmelin und Blondlot trat nach Unterbindung des Ductus clwlcdochus der Gallenfarbestoff schon am dritten Tage im Harn auf.
Die Haut scheidet vorzugsweise Zersetzungsproducte der Kohlen­hydrate aus; der Schweiss enthält Milchsäure, Fettsäure, Cholesterin und Spuren von Hanistoff in grossen Wassermengen; der Hautdunst besteht hauptsächlich aus Kohlensäure und Wasserdunst. Durch alle diese Stoffe steht die Haut mit Lunge, Leber und Nieren in Beziehung, für eine ge­wisse Zeit kann ihre Thätigkeit durch diese Organe in ihrer Gesammtheit,
diese Chol-
säure in ihren verschiedenen Modificationen enthält 60 und einige Procent Kohlenstoff hvdrat.
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Ab- und Aussonderungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 153
ersetzt werden, auch die Schleimhaut nimmt thiiti^en Antheil in der Stell­vertretung der Haut; längere Unthätigkcit wird jedoch tödtlith, bei ver-scliiedencn Tliiergattungen in verschiedenen Zeiten. Umgekehrt kann die Haut mit ihren Funenonen allen jenen Organen auch zu Hülfe kommen, und zwar den Nieren und den Schleimhäuten, besonders in der Ausscheidung des Wassers und stickstoft'lialtiger Substanzen, den Lungen und der Leber rücksichtlich des Kohlenstoffs. Die Haut ist ein wirkliches Atbmungsorgan, mit vorherrschender Exhalation der Kohlensäure; sie ergänzt das Lungen-athrnen, bei welchem die Inhalation des Sauerstoffs vorherrscht *). An­dauernde Unthätigkeit der Haut bringt bei prävalirender Leberfunction (bei Neugeborenen, in heissen Klimaten etc.) gern Leberkrankheiten, unter ent­gegengesetzten Verhältnissen mehr Lungenleiden.
Der Anstoss zu allen diesen theilweisen oder voliständigen Vertretungen geht von dem auszuscheidenden Stoffe selbst aus; die excretiellen Steile haben ihre bestimmten Abzngskanäle; sind diese gesperrt, so suchen sie sich einen anderen, der für sie passirbar ist; hat die Natur keinen zweiten für sie passirbar geschaffen, so findet oft noch durch eine chemische Umsetzung eine vicariirende Ausscheidung in anderer Form statt; so wird z. B. der Harnstoff als kohlensaures Ammoniak an andern Orten ausgeschieden.
Jede vicariirende Thätigkeit, wo und wie sie auch auftritt, hat daher immer eine physiatrische Wirkung, die um so beträchtlicher ist, je vollstän­diger die Stellvertretung geschieht. Dies liegt schon in dem Gesetze, dass Aussonderungen, die vorgesehen, die im Plane der natürlichen Ausgaben aufgenommen sind, nicht ohne Nachtheil für längere Zeit vermindert werden können.
c. Krisen.
Ursprünglich bedeutet Crisis ,Scheiden, Entscheiden, Aus­scheidenquot;, es ist aber gebräuchlich geworden, die heilsamen Wendungen, Entscheidungen, Ausscheidungen kurzweg mit Cri­sis zu bezeichnen; wenn uns die Natur mit einer inneren Ausgleichung überrascht, wenn eine schnelle günstige Wendung eingetreten ist, so nennen wir das eine Krisis, und in diesem Sinne werden wir auch die „Krisisquot; festhalten. Die Krisen sind nicht die That einer besondern Kraft, sondern das Resul­tat der physiologischen Gesetze; von einer zu frühen oder fehl­geschlagenen Krisis kann deshalb auch keine Rede sein. Ge-
*) Meine Versuche über das Hautathmen: Müller, Archiv 5. Heft, 1851.
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154nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhülfe.
stalten sich die Verhältnisse auf einer gewissen Höhe der Krankheit schnell günstig ohne auffällige äusscre Erscheinungen, so möchte ich diese Wendung als „stille Krisisquot; bezeich­nen — C. resolutoria, obscura —, die eben bei unseren Haus-thieren die häufigsten sind, ob wirklich oder nur scheinbar, lasse ich dahin gestellt, weil geringe kritische Erscheinungen aus nahen Gründen nicht erkennbar oder doch leicht überseh­bar sind. Hier gestaltet sich die Ausgleichung durch den Stoff­wechsel bei normalen Ab- und Aussonderungen. Zuweilen kom­men diese stillen Krisen unter der Macht des Schlafes zu Stande; Ermüdung, Abspannung und darauf nutritive Restitution im Gebiete des Nervensystemes sind hier wohl die Grundlagen. Gewöhnlich aber kommen die Krisen unter mehr oder weniger auffälligen Ausscheidungen, sei es auf normalen oder auf abnor­men Wegen zu Stande und dann beruhen sie immer auf Blut­befreiung, Blutreinigung. Diese letzteren sind es nun besonders, die wir hier noch etwas weiter zu verfolgen haben, die in dem ersten humoralpathologischen Systeme wurzeln, von Hippo-krates am klarsten zur Anschauung und am vollkommensten zur Anerkennung gekommen sind, die wir aber noch immer anerkennen müssen, wenngleich wir keine Humoralpathologen im alten Sinne mehr sein können, weil zugegeben werden muss, dass die humores in Krankheiten verändert werden, und eine Befreiung, eine Reinigung derselben immer eine gewichtige, zuweilen selbst die einzige Heilbedingung ist. Die ausgeschie­denen Materien sind ursprünglich wirkliche Krankheitsursache gewesen, die eigentliche materia peccans der Alten, oder sie sind durch die Krankheit in ihrem Verlaufe erst entstanden, also Krankheitsproducte, die aber die Krankheit unterhalten und selbst steigern helfen, oft nur noch den einzigen Ausgangs­punkt der Störungen bilden und dann zur zweiten materia pec­cans geworden sind. Diese Krankheitsproducte entstehen auf zwei verschiedenen Wegen, einmal indirect durch Functions-störung in den Ab- und Aussonderungsorganen, verminderten Verbrauch gewisser Stoffe und gehemmte Ausleerung excretiel-ler Stoffe, oder zweitens direct durch die Processe selbst, na­mentlich wenn sie regressiver, zerstörender Natur sind und rein chemische Processe hinzutreten.
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Krisen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;155
1. Krisen auf normalen Wegen der Ab- und Aussonderungen — Crisis evacuatoria.
Die Harnkrisen sind wohl die häufigsten; demnächst die Schweiss- oder Haut- und die Darmkrisen. Diese kriti­schen Thätigkeiten kommen zu Stande: a) in Folge einer vor­angegangenen Wendung der Krankheit werden die betreffen­den Ab- und Aussonderungsorgane frei, und in diesen wieder eingetretenen freien Functionen liegt der Grund zur Befreiung von den retenirten Stoffen; h) die Krankheitsursache wirkt zu­gleich direct oder consensuell auf das eine oder das andere die­ser Organe erregend ein, die erhöhte Thätigkeit ist gewisser-maassen reactiv; so kann also mit der Krankheit zugleich der Grund zur Ausgleichung gegeben werden; die Schweisskrisen nach Erkältungen spielen in dieser Beziehung eine sehr grosse Holle, namentlich wenn die Hautreaction, der reactive Schweiss bald nach oder mit den ersten Störungen auftritt; in diesem Falle wird die Erkältungskrankheit durch kritischen Schweiss curirt; c) die Krankheitsprodncte übernehmen die Rolle der Ver-mittelung, sie wirken anregend auf das eine oder andere der betreffenden Organgewebe, dienen vielleicht selbst als ein spe-cifisches Eeizmittel, wie z. B. der krankhaft erzeugte Harnstoff auf das Kierengewebe; so können die Krankheitsproducte die Ausgleichung einleiten und wirkliche Heilmittel werden.
2. Krisen auf abnormen AVegen.
a) Die kritische Localisation — m etas tatis ch e Krisen, oder kritische MetastaseCrisis depositoria. Eine materielle Ablagerung aus dem Blute, sei es an einem oder mehreren Orten, ist eine Krisis, sobald das Blut durch Ablagerung befreit, gereinigt wird, wenn die Verunreinigung sich nicht wiederholt und die Krankheit in Folge dessen ver­schwindet. Nicht jede Ablagerung ist also eine kritische, diese sind viel seltener, als nach der alten Metastasenlehre angenommen worden ist; die wirklich kritischen können wieder eine neue Krankheit erzeugen, die gefahrvoll und tödtlich ist; bei einer metastatischen Krisis ist mit der Ausscheidung nur dann eine Genesung verbunden, wenn die Metastase an sich gefahrlos ist. Diese Krisis kommt zu Stande — von den Embolien abgesehen — durch speeifische Beziehung der Krankheitsmaterie zu irgend einem Gewebe, in welchem sie sich durch Anziehung niederlässt; oder
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eine locale krankhafte Störung eines Theiles, der locns minoris resistentiae bedingt eine nähere Beziehung und Ablagerung; end­lich kann auch durch Nerveneinfluss auf consensuellem Wege ein localer Krankheitsprocess eingeleitet werden, der gewisser-maassen ableitend wirkt und in welchem sich zugleich eine Art Purification vollzieht. #9632; Meist tritt die kritische Metastase als Entzündung auf, eine gutartige depuratorische Entzündung.
6) Krisen in Form von abnormen Secretionen. Zu­fällig entstandene neue Secretionen, die nicht durch Säftevergeu­dung oder durch Anhäufung der Producte an ungeeigneten Or­ten gefährlich werden, reihen sieh nach längerer Dauer hinsicht­lich ihres Efifectes für den Gesaramtorganismus unter die normalen Secretionen und bekommen damit auch eine allge­meine heilsame Bedeutung; mitunter stehen aber solche Secre-tionsorgane in einer speciellen Beziehung zu specifischen Schäd­lichkeiten, die ihren Abfluss in denselben finden, in diesen Fällen tritt die physiatrische Wirkung besonders hervor, ihre Unterdrückung würde Krankheitsursache sein. Die ableitende Wirkung durch künstlich erzeugte und unterhaltene Secretion bezweifelt kein Praktiker; die genuin oder zufällig entstandenen haben um so heilsameren Einfluss, je mehr sie habituell gewor­den sind.
c) Directe Ausleerungen aus dem Bereiche des localen KrankheitsheerdesCrisis idiostcdlca. Hier beruht die ausgleichende Wirkung der materieller. Ausschei­dung nicht auf Depuration des Blutes, sondern auf Entlastung des Gewebes. Vom praktischen Standpunkte aus sind solche Entlastungen mit zu Krisen zu zählen, wenn sich auch vom abstract wissenschaftlichen Standpunkte aus Einwendungen erhe­ben lassen. Die materielle locale Entleerung führt zur localen Ausgleichung. 1) Diese Entleerung ist ein Glied der localen Krankheit selbst, die sich in secretorischen exsudativen und selbst neoplastischen Processen erschöpft; so die katarrhali­schen Erkrankungen durch das dickschleimige, purulente ka­tarrhalische Secret; die Entzündungen durch reichliche seröse Ergüsse, plastische Exsudationen und Eiterungen. Exsuda­tionen und Eiterungen können allerdings wieder neue Stö­rungen bedingen, rücksichtlich der primären Entzündung liegt in diesen Vorgängen immer eine ausgleichende Wirkung. 2) Die Entleerung ist nicht nothwendig, sondern mehr zu-
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Restitution, Reparationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 157
föllig durch die Krankheit bedingt, die kritischen Blutungen. Wenn Blutung eintritt bei einer Blutüberfüllung, die einen wesentlichen Theil der Krankheit ausmacht, also bei Reizun­gen, Entzündungen, besonders aber bei einfacher Hyperämie, wenn die Blutung durch Zersprengung überfüllter Gefässe, also gerade im Heerde der Krankheit stattgefunden hat, so entlastet sie, und in dieser localen Entladung des localen Ueborflusses liegt das ganze Heilmittel, so lange neben der Hyperämie keine weitere tiefer greifende Ernährungsstörungen bestehen, in letz­tem Falle bleibt sie aber doch noch von heilsamer Wirkung. Kommt die Blutung nicht aus dem Krankheitsheerde, so kann sie doch immer noch einen wesentlichen Heileffect haben durch Ableitung, z. B. die Nasenblutungen bei Gehirnhyperämien u. s. w.
Kegenerative Restitution; organische Eeparationen.
Der Bildungsprocess zum Wiederersatz, zur Restitution ist in dem thierischen Organismus sehr beträchtlich und auf den niederen Stufen des Thierreiches beträchtlicher, als bei den höheren, am hervorragendsten bei den Kaltblütern, und am ge­ringsten bei den Heissblütern, den Vögeln; zwischen unseren Hausthieren und den Menschen scheint kein wesentlicher Unter­schied zu bestehen. In der zartesten Juo-end am aufialligsten und oft an das Wunderbare grenzend, im hohen Alter gering; mit dem Bemerkbarwerden der senilen Atrophie beginnt nament­lich die Abnahme der regenerativen Restitution, die immer in erster Linie steht bei der allmäligen Abnahme der Lcbensacte im Greisenalter.
Die Ausgangspunkte dieser Restitution sind die Zellen und deren Derivate; die formative Thätigkcit {Virchoic) derselben bringt sie zu Stande und diese Tbätigkeit ist abhängig von den Kernen, den eigentlichen Keirakörperchen. Die Tbätigkeit der Kerne, der erhöhte Keimungsprocess, die gesteigerte for­mative Tbätigkeit der Zellen und Zellenderivate ist immer ein Reizphänomen, der erforderliche Reiz wird in der Kegel durch die Krankheitszustände selbst gesetzt, und so ist denn die regenerative Restitution so recht eigentlich das Werk des Organismus selbst. Der Arzt kann hier nur beobachten und die Bedingungen ablauschen, unter denen die Natur ungestört ihr Werk vollbringt, um sie herbeizuführen, wo und so weit sie fehlen.
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158nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhülfe.
a. Ausgleichung durch Regeneration.
Der Organismus besitzt die Fähigkeit, einzelne Theile nach dem Typus der embryonalen Bildung wieder zu ersetzen, die eigentliche Regeneration. Ueberall, wo die Integrität verletzt ist, tendirt die eingetretene Regeneration immer eine Wieder­herstellung, sie ist dann immer ein Naturheilprocess, selbst in dem Falle, wo sie vom normalen Typus etwas abweicht und einen narbigen Charakter annimmt. Bei den Kaltblütern ist dieses Vermögen viel grosser, als bei den Warmblütern; so z. B. wachsen bei dem Salamander und der Eidechse ganze abgenom­mene Schwänze und Beine wieder. Zur normalen embryonalen Regeneration gehört, wenigstens annähernd derselbe Zeitraum, der zur vollständigen Entwickelung des betreffenden Thieres gehört; bei schnellerer Entwickelung des amputirten Schwanzes findet man Muskeln, Nerven und Gefässe, aber keinen norma­len Schwanzwirbel. Bei den höher entwickelten warmblütigen Thieren ist die Regeneration weniger vollkommen; sie besteht in allen Organen, rücksichtlich einzelner untergegangener Ele­mentarformen, ist aber auf einzelne Gewebe beschränkt, sofern es sich um Ersatz in toto handelt und, abgesehen von den epi-thelialen Gebilden, selten vollkommen embryonal, meist einen gewissen Uebergang zum Earbengewebe bildend und deshalb mehr oder weniger von narbigem Charakter. Wir wollen die regenerative Restitution nach den Geweben resp. Organen nur kurz erwähnen.
1. Epitheliale Gebilde. Epithel, Epidermis und Horn-gebilde werden schon zu physiologischen Zwecken neugebildet; an der äusseren Fläche findet fortwährend Verlust durch Ab­nutzung statt, und in demselben Maasse ein von der Keimhaut aus erfolgender Wiederersatz durch Apposition, ein Nachwachsen; deshalb hier denn auch die vollkommenste Regeneration und Resti­tution. Der Reiz, den ein abnormer Verlust der schützenden Decke mit sich bringt, bedingt Zellenwucherung in der Keimschicht, und ist so zugleich die Ursache einer baldigen Wiederbedeckung der nervenreichen Cidis. Wo ein fortwährender Reiz auf die Keirage-websschicht ausgeübt wird, da besteht auch eine fortwährend gesteigerte Regeneration, so kommt denn z. B. durch Druck nach und nach eine dicke schützende Decke zu Stande: die Epider-misschwielen an den gedrückten Stellen bilden bei unseren
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Regeneration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;159
Arbeitsthieren einen sehr heilsamen Schutz gegen den Geschirr­druck; der Blasenstein wirkt minder belästigend, wenn die Schleimhaut sich eine dicke Schutzdecke geschaffen hat. Auf der Schleimhaut geht neben der gesteigerten Regeneration des Epithel immer zugleich eine vermehrte Schleimkörperbildung her, und die so geschaffene Schleimdecke dient immer mit zum Schütze, zur Einhüllung. Die Hornneubildung spielt bei den häufigen Hufleiden eine bekannte heilsame Rolle; so lange die Hornkeimschicht noch produetiv ist und normale Hornregenera-tion besteht, ist ja die Selbstheilung aller Krankheitszustände des Hufes gesichert; bei verkrüppelten Hufen kommt alles darauf an, die Bedingungen einer auch der Form nach normalen Horn-regeneration herzustellen.
2.nbsp; nbsp;Knochengewebe. Ist regenerationsfähig, selbst abge­tragene Knochenstücke können sich in ihrer Configuration wie­der ersetzen; darauf beruht die Resection eines Knochentheiles und so Heilung mit Erhaltung des betreffenden Gliedes statt der Amputation. Bei unseren Hausthieren tritt die Regeneration in diesem Grade selten ein, aber nur, weil die erforderliche längere Ruhe selten gegeben ist. Von bedeutender Regene­rationsfähigkeit der Knochen bei unseren Hausthieren zeugen z. B. ganz neu erzeugte Schulterblätter und andere Knochen, die man in Museen verschiedener Thierarzneischulen und naraent-lieh auf der Berliner und hier in Hannover findet. Der rese-uerirte Knochen ist jedoch dem embryonalen gewöhnlich nicht ganz gleich. Hierdurch ist die Heilsamkeit der generativen Restitution aber nicht beeinträchtigt; nur durch die oft exces-siven Knochenwucherungen wird die Restitution unvollkommen, aber weniger in Rücksicht der Lebenserhaltung, als mehr in der Leistungsfähigkeit.
Die Knochenkörperchen stehen in dem regenerirten Gewehe den spin­delförmigen Bindegewcbskörperchen nahe, sie haben weniger Kanälehen und sind weniger zahlreich; die concentrischen Scliichtungcn und die Havern'schen Kanäle fehlen gewöhnlich und die ganze Knochenmasse ist dichter und ärmer an Markgewebe.
3.nbsp; nbsp;Blutgefässe. Im Bereiche der Haargefässe und kleinen Blutgefässe ist die Regeneration eine sehr häufige und ziemlich schnell zu Stande kommende Erscheinung; grössere Arterien werden nicht regenerirt, wohl aber aus kleinen herausgebildet. Wo irgend ein erheblicher Reiz ausgeübt wird, da treten neue
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160nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhülfe.
Gefässe auf; keine Entzündung verläuft ohne Gefässbildung; bei jeder Gewebsregeneration steht Gefässbildung in erster Linie; die Granulation besteht wesentlich aus einem Convolute von neugebildeten Haargefässen mit dem zartesten Bindegewebe. Die neuen Gefässchen haben stets ihren Ursprung in alten Blut-gefässen, eingeleitet wird ihre Bildung durch nachhaltige Con­gestion und dadurch gesteigerten Seitendruck. Ist ein begrenz­ter localer Reiz gegeben, so nehmen die neuen Gefässchen ihre Richtung nach dieser Stelle, so weit auch ihr Ausgungspunkt entfernt liegen mag.
Eecht instruetiv ist die Gefi'issneubildung in der Cornea:, zuerst füllt sich der Ciefässkranz an der Verbindungslinie der Cornea mit der Sclero-tica, aus diesem mehr oder weniger sichtbar gewordenen Gefässkranzc bil­den sich schon in einigen Tagen Ausläufer in der Richtung zur gereizten Stelle, liegt diese im Centrum, so erfolgen die Ausläufer ringsherum, im andern Falle dagegen immer da, wo die Verletzung etc. am nächsten liegt; in die Nähe der Läsion angelangt, verzweigen sich die Ausläufer büschel­förmig, und so entsteht bei nachhaltiger localer Reizung ein, von einzelnen oder mehreren Stämmehen (Ausläufern) getragener Kranz um die lädirte Stelle.
Die ausgleichende Wirkung der Gefässneubildung besteht in der reichlicheren Herbeischaffung des Materials zur Ernäh­rung, Neubildung, oder auch zur Auflösung, Einschmelzung. Die Bildung eines collatoralen Kreislaufes wird eingeleitet durch Stauungshyperämie, als nächstes Ergebniss des gehemmten oder aufgehobenen Stromes: so weit diese Stauunsc in die betreffen-den Gefässe geht, werden die abgehenden Seitengefässe mit Blut überfüllt, diese compensatorische Ueberfüllung bedingt eine grössere Ausdehnung, Spannung und in Folge dessen ein neues Wachsthum der Gefässwandung. Die Ursache der Hemmung ist zugleich die Veranlassung zur Herstellung des ausgleichen­den collatoralen Kreislaufes.
4. Nerven. Eine Regeneration der Thätigkeitsq'eile, der grauen Nervensubstanz ist wohl auf Ersatz einzelner untergegan­gener Zellen im Parenchym zu beschränken; dagegen findet eine weitergehende Regeneration in den leitenden Nerven statt, ob in beiden, den centripetal und den centrifugal leitenden in glei­chem Grade, das ist noch fraglich; allem Anschein nach ist sie in den Bewegungsnerven geringer.
Die durch einen regressiven Process, z. B. Verfettung, un-thätig gewordene Nerven, können unter Umständen wieder func-
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Regeneration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1G1
tionsfäliig werder;; es ist hier allerdings schwer festzustellen, ob die Ausgleichung nur auf dem Wege der einfachen Nutrition, oder auch durch wirkliche Regeneration erfolgt. Ein durch­schnittener Empfindungsnerv ohne Substanzverlust kann wieder leitungsfahig werden; die Vereinigung der Enden geschieht zu­nächst durch Bindegewebe, die Leitungsfähigkeit tritt nicht mit der Verwachsung, sondern erst später ein, die wirkliche Rege­neration der Nervenfasern erfolgt also erst später. Von Bewe­gungsnerven sind mir keine Beispiele bekannt, im Gegentheil habe ich bei Verletzung des nervus facialis immer eine blei­bende Lippenlähmung gesehen. Grosse Narben, die anfänglich gefühllos sind, zeigen nach längerer Zeit Gefühl; ein Beweis, dass nach längst vollendeter Vernarbung neue Nerven von den benachbarten Nerven aus in das neue Gewebe hineingewach­sen sind.
5. Knorpel. Knorpelzellen werden häufig gebildet, selten heilt wohl ein Knochenbruch ohne Knorpelzellenbildung im Cal­lus; das Knorpelgewebe aber in seiner Totalität ist immer für nicht regenerationsfähig gehalten worden. Legros*) fand indess bei seinen Versuchen, dass sich der Gelenkknorpel bei Hunden und Kaninchen und der Ohrknorpel bei letzteren nach theil-weiser subeutaner Abtragung wieder ersetzte; trat aber nach der Operation zufällig Eiterung ein, so zeigte sich keine Knorpel­bildung, sondern eine fibröse Cicatrisation.
(3. Muskel. Glatte Muskelfasern regeneriren sich vollständi­ger, als quergestreifte und zwar aus Bindegewebskörperchen. Von den quergestreiften Muskelfasern war die Neubildung bis zur neue­ren Zeit unbekannt; zuerst lernten wir die heterologe Neubildung kennen, in jüngster Zeit auch die regenerative, die jedoch nur in be­schränktem Grade auftritt; einzelne untergegangene quergestreifte Muskelfasern werden durch neue ersetzt; ganze Fleischtheile aber werden mcht ersetzt. Der Inhalt der Muskelfasern, das Syntonin, kann wieder ersetzt werden; Bedingung scheint aber zu sein, dass das Sarcolemma mit seinem Kerne erhalten geblieben ist. Das Syntonin zerfällt sehr leicht und an seiner Stelle tritt eine albumi-nöse Punktmasse, später auch Fett auf; man sieht diesen Zerfall bei Typhus, Faulrieber, bei Muskelentzündungen, bei Paralysen, bei dauernder tetanischer Contraction und bei erschöpfender Arbeit.
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*) Recueil. Cahier d'aut. 18ö7. p.511.
Gerlach Allg-Tlierapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; H
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Bei einem Pferde, das in Folge Erkrankung des verlängerten Markes durch Lähmung des Vagus nach stürmischen Herzactionen an Herzparalyse gestorben war, hatten sämmtliche Muskelfasern ihre Querstreifung verloren.
Der Anfang des Zerfalles ist das Verschwinden der Quer­streifung, die auf dem einfachen nutritiven Wege wieder her­gestellt wird; ein vorgeschrittener Grad ist die Umsetzung in eine albuminöse Punktmasse, auch hier tritt vollständige Resti­tution ein, ob noch auf dem Wege der Nutrition, oder schon auf dem der Regeneration, lasse ich dahin gestellt; dagegen kann in der letzten Instanz der Umsetzung, bei erfolgter Fett­metamorphose, die eintretende Restitution nur auf dem Wege der Neubildung, der Regeneration, herbeigeführt werden. Diese Regeneration haben wir in neuester Zeit in der Trichinose und bei dem Typhus besonders kennen gelernt.
Die Trichinen dringen in die rrimitivfasern ein und wandern eine Strecke darin entlang, bis sie eine entsprechende Griisse erlangt haben, dann sich aufrollen und einkapseln. Das Syntonin ist an den durch-wanderten Stellen aufgefressen, in der Nähe fettig zerfallen, in benach­barten Fasern ist nur die Querstreifung mehr oder weniger verschwun­den. Sobald der Wurmreiz und damit die Entzündung aufgehört hat, be­ginnt die Ausgleichung in dem Primitivbiindol in umgekehrter Kichtung der Erkrankung; die entfernten Fasern, die eben nur ihre Querstreifung ver­loren haben, zeigen schon nach acht Tagen grösstenthcils die Querstreifung wieder, hier also ist die einfache nutritive Restitution; während sich in unmittelbarer Nähe der eingekapselten Trichinen erst nach mehreren Wochen die Querstreifung wieder gebildet hat. Hierauf beruht ein wesentliches Moment zur Beurtheilung des Alters *). In allen erkrankten Primitivbiin-deln zeigt sich eine Vermehrung der Muskclkerne und zwar in verschiede­nen C4raden nach der Stärke des Reizes: in der Nähe der Trichinen, na­mentlich in dem bewohnten Primitivbündel selbst die stärkste Wucherung der Muskelkörperchen.
Zänker, Peremtschko, Waldeyer, C. 0, Weher, Hoffmann u. A.**) haben die Regeneration nach Typhus und Verletzungen wei­ter verfolgt. Nach Einigen geht die Neubildung von dem Peri-raysium aus — Zenker und Waldeyer, nach Andern von den Muskelkörperchen der alten Muskeln — Peremeschko, Weber und Hoffmann] letzteren muss ich mich nach den Ergebnissen meiner Untersuchungen anschliessen. Es bilden sich zunächst ' bandartige Elemente, die sogenannten „Muskelplatten quot;, aus denen
*) Gerlach. Die Trichinen, mit Abbildungen. 1866. **) Vircliow's Archiv. Bd. 27, 34, 39 u. 40. S. 116, 473, 216 u. 505.
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Cicatrisation.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;163
sich die Muskelprimitivbündel bilden; nach Waldeyer und Hoff­mann entstehen die Muskelplatten und weiter die Muskelprimi­tivbündel aus der Verwachsung mehrerer Bildungszellen.
6. Die Cicatrisation.
Wo die Regeneration, der homogene Wiederersatz, aufhört, da beginnt die Cicatrisation, die heterogene Regeneration; das aus­gleichende Surrogat für nicht regenerationsfahige Organe und Organtheile ist das Narbengewebe, ein Complex von Binde­gewebe, Blutgefassen und elastischen Fasern. Die Grenze ist aber nicht scharf, sie ist eine mehr verwischte; wir haben Re­generation, wo sich schon viel Surrogat unter das specifische Gewebe gemischt hat — die narbige Regeneration —, i;nd um­gekehrt Xarbengewebe mit grosser Annäherung zu einzelnen specifischen Geweben, so z. B. Karbengewebe mit vorherrschend elastischen Fasern als Ersatz von Faserknorpel, und Narben­gewebe, das der Claquo;flaquo;s ähnlicher ist; so sieht man in den grossen Hautnarben eine allmälige Veränderung, in welcher die Aehnlich-keit mit der Haut nach und nach immer mehr hervortritt und wöbe: sich selbst rudimentaire Haarzwiebeln bilden können, so dass die kahle Narbe nach langer Zeit selbst einzelne feine, verküm­merte Härchen zeigt. Die ganze Cicatrisation ist ein Reizphä­nomen ; ein gewisser Grad von Entzündung ist die eigentliche Grundlage, und gerade durch diese reparatorische Neubildung bekommt die Entzündung selbst eine physiatrische Bedeutung. Der Ausgang des Narbengewebes ist das Bindegewebe als all­gemeiner Keimstock; die Bindegewebskörperchen sind die Werk­stätten, in denen die Bildung mit Kernwucherung beginnt. Die Gefässneubildung erwacht mit der Kernwucherung und schrei­tet nebenher. Die narbigen Restitutionen haben wir besonders in der Form der Verwachsungen, des Substanzersatzes und der Einkapselung.
1. Verwachsungen, a) Nach getrennter Continuität, die Vernarbung im engeren Sinne. In den nicht regenerationsfähi­gen Geweben geschieht die Vernarbung überall nach demselben Typus, und macht es wesentlich keinen Unterschied, ob mit oder ohne Eiterung.
Die Vernarbung per primam intentionem erfolgt bei einem massigen Grade von Entzündung und Exsudation, und wenn auf die Wundfläche nichts Feindliches, keine fremden Körper und
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164nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhiilfe.
weder Luft noch Kälte einwirkt. Geringes Klaffen, Deckung und Verklebung der Wundfläclien durch geronnenes Blut sind daher die Bedingungen zu dieser Vernarbung. Zunächst löst sich die Wundfläche von dem angeklebten Faserstoffe des ergos­senen und die Wunde füllenden Blutes dadurch ab, dass eine feine Gewebsschicht auf der ganzen Wundfläche nekrotisch ab-gestossen wird, welche die geronnene Blutmasse in Form einer dünnen Hülle umgiebt; darauf bedeckt sich die Fläche allmälig mit Granulation und in dem Grade, wie diese fortschreitet, wird die amorphe Schicht dazwischen von allen Seiten resorbirt, und mit dem endlichen Verschwinden derselben berühren sich die gra-nulirenden Flächen und verbinden sich organisch.
Die Vernarbung per secundam intentionein erfolgt bei den höheren Graden der Entzündung, bei stärkerer Exsudation und wenn die Wundfläche nicht hinlänglich geschützt ist, daher bei stark klaffenden Wunden, bei Substanzverlust und bei Geschwü­ren. Mittel, welche die capillare Hyperämie und Exsudation mindern, vermindern auch die Eiterung. Die Abstossung einer dünnen nekrotischen Schicht auf der Wundfläche ist auch hier der erste Act, die darauf folgende Granulation liefert aber noch zugleich Eiter; d. h. eine Anzahl der Granulationszellen, die keine organische Verbindungen unter einander eingehen, blei­ben isolirt und sind daher transitorische Gebilde, die hier als schützende Decke dienen. Bei diesem Vernarbungsprocesse muss mehr .Narbengewebe gebildet werden, um den Verschluss zu erreichen, er dauert daher immer länger, als der erste, und verzögert sich um so mehr, je mehr die Wunde klafft und je grosser das Geschwürsbecken ist.
So heilt die Natur Wunden und Geschwüre ohne Hinzuthun der Kunst, ja oft trotz der so häufigen kunstgerechten Behinderung, sie schafft sich Schutz durch Bluterguss und Eiterbildung, sie führt über-mässige Entzündungsgrade durch Blutungen und durch reichliche Exsudation zurück zu dem Grade, wo der Bildungsprocess erfolgen kann.
In der Umgebung der heilenden Wunde etc. besteht im grösseren oder geringeren Umfange capillare Hyperämie, Ex­sudation, Infiltration und Kernwucherung; es werden auch hier Zellen und Narbengewebe gebildet, daher sind denn auch die benachbarten Organe einer heilenden Wunde etc. immer unter
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Verwachsungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;165
einander mehr oder weniger verwachsen. Je früher der Bil-dungsprocess in der Wunde zur Ruhe kommt, desto eher ge­schieht es auch in der Umgegend, deshalb ist für die Chirurgie immer die Indication gegeben, durch möglichste Näherung der Wundflächen den Vernarbungspro cess abzu­kürzen.
Eine besondere Erwähnung verdient noch die Verwachsung verletzter Gefasse und Kanäle.
Die Blutgefässe schliessen sich zunächst provisorisch durch einen Thrombus und darauf beginnt die organische Ver­wachsung von der Gefiisswandung aus. Die Thrombusbildung wird begünstigt durch Zurücktreten und Zusammenschrumpfen der verletzten Gefasse — die Blutung steht deshalb leichter, wenn die verletzten Gefasse ganz durchschnitten sind — und durch Ver­minderung des Seitendruckes; je stärker der Blutverlust, desto schwächer die Herzactionen und desto leichter stillt sich die Blutung, daher die Hülfe am nächsten, wenn die Gefahr am grössteu; in der Ohnmacht kommt jede Blutung zum Stehen, sofern das Gefäss nicht zu gross ist; aus den kleinen Arterien erfolgt deshalb keine Verblutung. Bei verletzten Gefässen wächst der Thrombus immer von Aussen in das Gefäss hinein; die Aderlassthrombosen bei Pferden entstehen, nach meinen Beob­achtungen, in derselben Weise. Der Thrombus wirkt als frem­der Körper auf die Intima, in und unter dieser beginnt der Neubiklungsprocess; die Intima vascularisirt sich von der Media aus und schickt capillare Gefässschlingen in den Thrombus, und die Zellenelemente der Intima wuchern gleichfalls in den Throm­bus hinein; die todten Massen verschwinden allmälig unter die­ser Wucherung. So das vermeintliche Organischwerden.
Die Annahme, dass ergossener Faserstoff organisch werde, rührt aus einer Zeit, wo man es nicht für möglich hielt, dass feste Stoffe resorbirt werden könnton, und ehe uns die Zelle, namentlich deren Kern, als Aus­gangspunkt aller organischen Gewebe bekannt war, konnte man diese An­nahme nicht antasten. Von dem Organischwerden des Exsudates ist man nach Virchoir's Zellenpathologio durch die vielen fieissigen mikroskopischen Unter­suchungen sehr bald allgemein zurückgekommen, von dem Organischwerden des Thrombus aber, die Zwicki zuerst specieller damitliun gesucht, hat man sich immer noch nicht losmachen können. Nach Einigen findet ein Zerspalten des Fibrins und eine Umbildung in Bimlegewebs-Intcrcellularsulist.inz statt, nach Andern {Rindfleisch, pathologische Gewebslohre) geht das Stroma der rothen Blutkörperchen direct in Bindegewebssubstanz über; noch Andere legen mehr Gewicht auf die im Throinbns vorhandenen farblosen Blutkör-
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166nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhttlfe.
perchcn, welclie sich vermehren und zu Bindegewebskörperchen, Gefässen und Intcrcellularsubstanz umbilden sollen. Der leider so früh verstorbene Dr. Reinhard hat meines Wissens zuerst nachgewiesen, dass der einmal geronnene Faserstoff, gleichgültig ob von entzündlichem oder hämorrhagi-schem Exsudate, niemals organisch werde. Schon 1850 und 51 haben wir Beide eine Reihe von Versuchen an Auatomiepferden angestellt, die Carotis einer Seite unterbunden und nach verschiedenen Zeiten mikroskopische Untersuchungen angestellt. Hierbei haben wir das Organiselnverden von der Gtefässwand aus verfolgt bis zum Abschluss, der etwa mit 8 Wochen eingetreten war. In neuerer Zeit haben sich D. Colin und Dr. Waldeyer (FjVcäouj'.s Archiv, Bd. 40. S.391) auch für das Organischwerden von der Gefasswand aus entschieden.
Die Lymphgefässe bieten keinerlei Schwierigkeit in der Selbstheilung dar; wie die Heilung bei grösseren Lymphgefäs-sen erfolgt, ist noch unbekannt. Von praktischer Wichtigkeit ist aber die Selbstheilung der Speichelgänge. Diese sind sehr wenig verletzbar, die traumatische Entzündung beschränkt sich immer auf die Wundränder des Kanals, die mit dem gleichzeitig verletzten umgebenden Bindegewebe verwachsen, mit der Wunde ein Continuum bilden und bei der Vernarbung der Wunde mit geschlossen werden, ohne dass der abfliessende Spei­chel den Verschluss hindert. Sobald der Speichel nicht mehr abfliessen kann, bildet die ruhende Speichelsäule hinter dem Verschlüsse sehr bald eine dicke, zähe Masse; später obliterirt der ganze Kanal.
Die sogenannten Speichelfisteln haben den Veterinair-Chirurgen grosse Sorgen gemacht; alle möglichen Mittel sind herangezogen und bei schliess-lich erreichtem Ziele als Heilmittel empfohlen worden, so z. B. die Ligatur, die sich übrigens am schlechtesten bewährt bat, das Glüheisen, Einspritzun­gen scharfer Substanzen, z. B. Salmiakgeist (Haubncr), Cantharidentinetur u. s. w., und selbst Verödung der Speicheldrüsen durch Brennen. Alles ist überflüssig; der Speichelkanal schliesst sich stets von selbst, wenn er in eine Wunde mündet. Bei 6 Pferden habe ich namentlich den Stenson'schen Kanal von der Drüse bis zur Einmündung in das Maul an jeder Stelle durchschnitten, 3 Mal 1/2 — 1 Zoll herausgeschnitten und immer erfolgte die Heilung von selbst zwischen 10—20Tagen, einmal erst am 25stenTage. Die Heilung erfolgte mit der Vernarbung, oft schon einige Zeit früher, gleichgültig, ob die Wunde geheftet worden war oder nicht. Die einzige Bedingung ist. Nichts thun, den Schorf, der sich später bildet, ruhig sitzen lassen, bis er abfällt. Unter wiederholtem Aufreissen des Speichelganges ist eine Vernarbung der Wunde ohne Verschluss des Speichelganges mög­lich, ein einfacher Querschnitt durch Haut und Speichelgang hinter der Fistelöffnung genügt dann aber sicher zur Naturheilung.
Das Narbengewebe ist ursprünglich sehr zart und gefäss-
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Verwachs angen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;167
reich, wird aber später gefässarra und schrumpft sehr zusaiu-men, wodurch die Narben strict ur entsteht. Die sternför­mige Vernarbung in der weichen Schleimhaut bei Ausheilung runder Geschwürsbecken beruht hierauf. Dieses Zusammen­schrumpfen, was im gleichen Verhältnisse mit der Quantität des Narbengewebes steht, hat eine heilsame Wirkung bei allen Aus­dehnungen, Ausbuchtungen und Erschlaffungen. Die Kunst kann diese Zustände oft auch nicht anders beseitigen, als durch Appellation an die Narbenstrictur — S. verdich­tende Methode.
h) Abnorme Verwachsungen benachbarter Organe. Der Vorgang ist ganz wie bei der Heilung der Wunden auf dem ersten Wege. Abstossung des Epithels ist der erste Act, be­dingt durch eine Reizung; hierauf folgt Granulation als Grund­bedingung der Verwachsung. Nach vorhergegangener Exsuda­tion dient das Exsudat zunächst zur Verklebung; dieses kle­bende Mittel wirkt als fremder Körper, unterhält den Granu-lationsprocess, bis er verschwunden ist, und kann selbst die Verwachsung über den Entzündungsheerd hinaus auf gesunde Flä­chen tragen, die durch das Exsudat zufällig verklebt worden sind.
Obgleich diese Verwachsungen an sich Abnormitäten sind, die zuweilen selbst Störungen verursachen, so giebt es doch auch Pralle, wo sie heilsam, ja sogar ein Rettungsmittel sind. Durch solche Verwachsungen sind die Bedingungen gegeben, dass Abscesse an inneren Organen ohne Gefahr sich die Bahn nach aussen hin brechen können, dass Perforationen ganz ver­hütet werden oder doch statt zum Tode nur zur Fistel führen. Abscesse an den Lungen, an der Leber oder an andern Orga­nen der Bauchhöhle können sich zum Heile des Patienten öff­nen und nach aussen ergiessen, wenn eine Verwachsung des Eitersackes mit der Brust- resp. Bauchwandung stattgefunden hat. Die Vorgänge, welche die Bildung einer Kothiistel bedingt haben, würden absolut tödtlich geworden sein, wenn es nicht vor der Perforation zu einer Verwachsung des betreffenden Darm-theiles mit der Bauch- oder Brustvvandung gekommen wäre.
Bei Geschwüren im Magen und Darmkanal, die tiefer in die Muskelbaut dringen und zu perforiren drohen, setzt die Natur inzwischen einen Flicken auf die Aussenseite, wenn keine Gelegenheit gegeben ist, eine Verwachsung mit benachbarten Organen zu bewirken. Ist der Zerstörungsprocess auf der Schleim-
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1G8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhttlfe.
liaut raelu* langsam, so wird durch Gegenlagerung von Narben-grewebe an der serösen Haut die Perforation meist verhütet. Selbst Gelenkvenvachsunger, durch Erkrankung der Gelenk­flächen verursacht, sind heilsam; Schmerzen und Entzündung hören damit auf.
2.nbsp; Substanzersatz. Auch im Parenchym tritt das Nar­bengewebe als Surrogat auf, wenn untergegangene Theilchen und Theile nicht regenerirt werden; so werden Lücken gefüllt, Ver­bindungen wieder hergestellt und die übrig gebliebenen Organ-theile functionsfähig erhalten. Dieser Ausgleichungsprocess tritt ein nach nekrobiotischen Krankheitsprocessen, nach Mortificatio-nen im Parenchym und nach plastischen Exsudationen und hä-morrhagischen Infiltrationen; das so entstandene Fremdartige erweckt in dem gesunden Theile den Cicatrisationsprocess, d.h. Hyperämie, Proliferation in den Bindegewebskörpern und Gefnss-neubildung, also einen Granulationsprocess, ganz so wie auf den serösen Flächen unter einer geronnenen FaserstofFschicht. Das Endresultat ist Beseitigung alles Nichtbelebten und Durchsetzung des Organgewebes mit mehr oder weniger narbigem Binde­gewebe; je mehr Organgewebe untergegangen und je länger der neoplastische Ausgleichungsprocess gedauert hat, desto mehr tritt das Bindegewebe hervor. Dies die eigentliche, d. h. orga­nische Induration der Drusen, der Lungen, der Muskeln etc. Am mächtigsten tritt dieser Ausgleichungsprocess in den Lun­gen nach exsudativen Entzündungen, nach der Hepatisation auf, die immer nur einen vorübergehenden pathischen Zustand bildet.
3.nbsp; nbsp;Die Eink ap seiung. Alles Fremdartige im Organis­mus, was nicht direct durch Einschmelzung und Resorption ent­fernt werden kann und für die Dauer fremdartig einwirkt, wird durch unempfindliche Narbensubstanz von dem Lebendigen ab­geschlossen und so unschädlich gemacht, gleichviel ob es feind­lich wirkende Flüssigkeiten, abgestorbenes Gewebe, Krankheits-produete oder eingedrungene fremde Körper sind. Der Impuls zur Kapselbildung geht immer von dem fremden Körper selbst aus; je feindlicher er auf das angrenzende gesunde Gewebe wirkt, desto mächtiger tritt der neoplastische Process auf, den man hier am besten in seinem Ursprünge studiren kann; Schwel­lung der Bindegewebskörper, Ausdehnung ihrer Kanälchen, Kvrn-und Zellenwucherung, alles in nächster Nähe sehr aufFällig und mit der Entfernung vom fremden Körper abnehmend.
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Einkapselung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;169
Eiter, der keinen Ausweg finden kann, wird ein­gekapselt und dadurch unschädlich; so finden wir Eiter­säcke z. B. bei dem Rinde über dem Kehlkopfe, die eine dicke Umhüllungsmembran haben und mit dieser Jahr und Tag an Ort und Stelle liegen, ohne andere Nachtheile zu bringen, als eine mechanische Belästigung des Athmens. Wo sich Eiter oder Jauche einen Weg aus der Tiefe nach aussen gebahnt hat und die Quelle dieser Flüssigkeiten längere Zeit fortbesteht, da wird die Abflussbahn durch Narbengewebe kanalför-vnig abgeschlossen, und je deletairer diese Flüssigkeit ist (Jauche), desto dicker ist die schützende Hülle. Die Fistel­bildung an sich ist heilsam, indem durch sie der Flüssig­keit, ein sicheres Geleite nach aussen gegeben wird, ohne auf diesem Wege Störungen im Gewebe anzurichten. Versiegt die Quelle des Abflusses, bleibt der Kanal leer, so schrumpft er zusammen und vernarbt von selbst. Daher hat man nicht nöthig, die Fistel zu behandeln, der Grund, die Abflussquelle allein ist Gegenstand der Therapie; die Zerstörung des Kanals ohne Tilgung der Eiter- resp. Jauchequelle ist eine therapeiv tische Misshandlung.
Eingedrungene fremde Körper bedingen immer eine Ent­zündung, in welcher der Neubildungsprocess beginnt; sie wer­den zunächst durch geronnenes Blut oder Exsudat umhüllt, hierdurch nimmt der Reiz ab und der Bildungsprocess gelangt so bei weniger heftiger Entzündung in die rechte Bahn.
Die Umhüllungsmembran ist geschlossen, wenn die Bedin­gungen zum Ableitungskanale nicht gegeben sind; anfangs ge-fässreich und so lange eben im Wachsthum begriffen, später gefässann und fest; die Dicke hängt von dem Grade und der Dauer der Reizung durch das Abgekapselte ab; so lange der Reiz durch die Hülle hindurch zu dem angrenzenden Ge­webe gelangt, so lange besteht hier der Neubildungsprocess fort. Die Kapsel kann auch ohne Apposition an ihrer Rückwand sich selbstständig verdicken durch einen Granulationsprocess auf der vorderen, d. h. dem fremden Körper zugewandten Fläche, die dann immer mit einer dünnen Eiterschicht bedeckt ist. Durch die Kapselmerabran wird selbst noch eine Art Stoffwech­sel unterhalten mit dem eingeschlossenen abgestorbenen Gewebe, indem letzteres sich mit dem Secrete imbibirt und durch Re­sorption wieder Feuchtigkeit verliert. Schliesslich wird der
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170nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhülfe.
Inhalt dieser Kapsel entweder trocken, bröckelig und zuletzt fest, oder er zerfällt, wird verflüssigt und resorbirt; Letzteres pflegt dann einzutreten, wenn die abgestossene Masse nicht zu gross ist. In dem Maasse, wie der Inhalt schwindet, rückt die Umhüllungsmembran nach, bis endlich alles verschwunden ist, die Kapselwandungen sich berühren und verwachsen, womit dann wieder eine Vernarbung vollbracht ist. In diesem Falle ist die Umhüllungsmembran nicht allein eine schützende Kap­sel, sondern zugleich auch ein neugeschaffenes Organ, vermit­telst dessen die Natur das Abgestorbene nach und nach ent­fernt. Nach der Lungenseuche z. B. kommen beide Zustände in den Lungen oft vor.
Ausgleichung auf regressivem Wege.
Die regressiven Processe führen zum Untergang, dieser ist natürlich nur heilsam und selbst Heilbedingunsr in Rück-sieht solcher Dinge, die überflüssig, oder nicht in normaler Weise lebensfähig, oder selbst feindlich sind für den Organis­mus. Dieser Untergang des Lebendigen erfolgt im Kleinen, in moleculairer Metamorphose, durch Nekrobiose — degenerative Atrophie —, oder in zusammenhängenden Massen, durch Nekrose. Die Elimination ist der zweite Act auf diesem Gebiete der Physiatrik, sie erfolgt einfach durch Abstossung (bei der Nekrose) oder durch Resorption. Tritt keine wirkliche Elimination ein, so erfolgt die Verkreidung gewissermaassen als Ersatz.
Von besonderer Bedeutung und etwas weiter zu verfolgen sind hier die Einschmelzungen, die Eintrocknung und Verkalkung. Die Resorption im Innern des Organismus ist ein bekannter physiologischer Vorgang, durch den natürlich auch Krankheitsproducte und Krankheitsursachen entfernt werden, und hierdurch ist eben dem Organismus ein mächtiges Ausglei­chungsmittel gegeben. Von den aufsaugenden Gefässen, den kleinen Lymphgefässen und Venen kann immer nur das Flüs­sige aufgenommen werden. Die Verflüssigung ist der erste Act der Ausscheidung auf dem Wege der Resorption, sie erfolgt durch Austritt der Gewebstheile aus der Kette des lebendigen Verbandes und durch Zerfallen zu einer moleculairen Masse (Detritus), oder durch Auflösung mittelst eines herbeigeführten Lösungsmittels bei nicht lebendigen festen Theilen.
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Auflösungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 171
Auflösungen und Resorption.
a) Die Einschmelzung lebendiger Theile. AlsNatur-heilprooess habe ich hier vor allen die Verfettung, die Fett-me tarn or p hose hervorzuheben. Dieselbe ist die Grundlage der physiologischen Rückbildungen in der Uterusmusculatur nach der Geburt, die schon in den ersten Tagen beginnt, und in den transitorischen Fötalorganen, der grossen Fötalleber, des Nabel­stranges und der Thy raus; sie muss schon deshalb als der natur-gemässeste Kückbildungsprocess in Krankheiten betrachtet wer­den, wenn es sich um Beseitigung pathologischer Producte, der Hyperämie, Hyperplasie und organischen Degeneration handelt.
lieivhard zeigte sie zuerst bei einer lloihc von Zellen (Archiv von Virchoxv u. Reinhard, Bd. 1. S. 20); Virchow wies ihre allgemeine Bedeu­tung für alle Gewebseiemeute nach. Die Fogrefschen Kömeheuzellen und die GZu^e'schen Entzimdungskugelu sind verfettete Zellen. Alle Kerne und Zellen verkünden durch Auftreten von Fettkörnehen ihre fernere l.ehens-unfähigkeit.
Die Fettmetamorphose ist ein sehr häufiger nekrobiotischer Process in den Zellen und Zellenderivaten, wie auch in den Intercellularsubstanzen, selbst abgestorbene Gewebe unterliegen derselben. Das Fett tritt überall in derselben gekörnten Form auf; dem Auftreten nach ist es sehr wahrscheinlich, dass das Fett aus umgesetzten Albuminaten hervorgeht*), es mag jedoch auch unter Umständen bei dem Stoffwechsel eingeführt und de-ponirt werden. Die Grundlage ist immer Ernährungsstörung, schon bei Unthätigkeit zeigt sich diese Metamorphose, besonders in den Kerven und Muskeln, namentlich aber bei mangelhafter Zufuhr, so dass die Theile nicht leben und nicht sterben können, d. h. nicht direct mortificirt werden, aber doch immer mehr an Le­bensfähigkeit verlieren. Ueberall beginnt mit dem Auftreten des Fettes die Abnahme der albuminösen speeifischen Substan­zen und damit die Leistungsfähigkeit; die Fettraetamorphose führt stets zum Zerfallen, wenn sie nicht in ihren Anfängen unterbrochen wird. Das Heilsame, die ausgleichende Wirkung dieses, für das betreffende Gewebe unheil­vollen Processes liegt eben in der vernichtenden Wir­kung in der Art, dass die zerfallenen Theile für den
*) Fürsienberg. Die Bildung des Fettes im Thierkörpor. Separat-Ab-druek aus der „Neuen landwirthschaftlichen Zeitung von Fühlivg, 1866quot;.
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172nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Naturhttlfe.
Organismus nichts Fremdartiges enthalten und spur­los verschwinden können, ohne dass die Aufsaugung irgend welche üblen Folgen hätte. Auf ganz unmerk­liche und unschädliche Weise hebt so die Natur einzelne Form-elementc und ganze Gewebstheile aus dem lebendigen organi­schen Verbände heraus, sofern sie an Leistungsfähigkeit und selbst an Lebensfähigkeit verloren haben. Abnorme Neubildun­gen hören auf, wenn diese Verfettung beginnt; sobald Fettkörn­chen in den Kernen auftreten, hört die formative Thätigkeit auf, und mit dem Verfetten der Zellen und Fasern beginnt deren Zerfall; specifische bösartige Gewebe werden unschädlich gemacht; verfettetes Krebsgewebe ist unschädlich, es wuchert nicht weiter, und der fettige Detritus kann resorbirt werden, ohne dass dadurch anderswo ein Krankheitskeim gepflanzt wird; Tuberkel, Eiter und andere transitorische Zellen beschliessen ihr Leben meist durch fettige Degeneration, die Zellen zerfallen und eine Emulsion tritt an ihre Stelle, die ohne jede Gefahr für den Körper auf dem Wege der Resorption eliminirt werden kann. So haben wir eine Reihe von Thatsachen für die phy-siatrische Bedeutung der Verfettungen.
l) Auflösung nicht lebendiger festester Theile. Erdige Theile, Kalksalze können chemisch gelöst und ausgeführt werden; Säuren sind die Lösungsmittel, von denen die Milch­säure als diejenige hervorzuheben ist, welche im Gewebe des Organismus leicht auftritt. Erdige Niederschläge aus Flüssig­keiten können so von der Natur noch eliminirt werden, ehe sie sich zu groben Massen heranbilden; abnorme Ablagerungen die­ser Art in irgend welchen Geweben können wieder flott gemacht werden.
Eine viel wichtigere Rolle spielt jedoch die Auflösung der geron­nenen Exsudate und Extravasate mit und ohne Verfettungsprocess; seröse Transsudate und Eiterserum sind die Lösungsmittel, Entzün­dungen höheren Grades mit Eiterung (purulente) und leichteren mit vorherrschender Gefässbildung (vasculäre), so wie Granulationspro-cesse mit Gefiisswucherung in die geronnenen Massen hinein sind die Einschmelzungsprocesse, die das Lösungsmittel herbeifüh­ren. Der gewichtigste ist der Granulationsprocess, der unter dem geronnenen Flächenexsudat, unter den Faserstoffplatten auf der serösen Haut am besten zu beobachten ist. Die Gerinnsel wir­ken als fremde Körper und leiten einen Granulationsprocess ein,
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Auflösungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;173
in welchem die Gefässneubildung prädominirt. Die neuen Ge-fässe treiben stellenweis lange, für unbewaffnete Augen sicht­bare Ausläufer in die amorphe E'asersubstanz hinein; überall nun, wo die vasculosen Granula und die Gefässausläufer den geronnenen Faserstoff berühren, da zerfällt und verschwindet dieser, so werden die amorphen Massen Schicht für Schicht gelöst. So lange Gerinnsel vorhanden ist, so lange dauert auch die Gramp;nulation, gerade wie auf der Wundfläche bei der ersten Vereinigung. Dieser einschmelzende Neubildungsprocess liefert das bereits besprochene Narbengewebe, er hat also vor sich die einzuschmelzenden amorphen Massen und hinter sich die Bindegewebsbildung, die immer in geradem Ver­hältnisse steht mit der, von der amorphen Faserschiclu beding­ten Dauer; dicke crupöse Ablagerungen haben daher auch immer viel narbiges Bindegewebe, beträchtliche organische Haut­verdickungen und im Parenchym, in den Muskeln und Langen stärkere organische Indurationen zur Folge. Dieser Neubildungs­process ist zwischen seinen Ursachen und Producteu verkannt worden; man hat nach dem Endresultate allein geurtheilt und behauptet, dass der geronnene Faserstoff organisch werde.
Die Neubildung aus dein Exsudate liegt hinter uns, jetzt heisst es: omiiis ceUula a cellula: es könnte sich nur noch darum handeln, oh der geronnene Faserstoff nicht eine lebendige InterceUularsubstanz und durch Spaltung eine Art faserigen Gewebes bilden könne {Herde), für wel­ches der Granulationsproccss, nach Einigen die weissen Blutkörper, die lebendigen und belebenden Elcmentarforraen liefert. Nach meinen Beobach­tungen bei dem so häutig vorkommenden pleuritischen Exsudate kann ich diese Bildung nicht bestätigen. Von dem Organischwerden des Thrombus von der Gcfässwand habe ich schon gesprochen; viel instructive!- sind die bei den Thieren in grossen Dimensionen vorkommenden plastischen Exsu­date auf der Pleura, ganz besonders bei der Lungenseuche, bei der zuwei­len verschiedene Auflagen, eine ältere und eine jüngere, vorkommen. Man sieht nicht selten, dass grössere Gelasse die tiefste Schicht durchbrochen haben, zwischen den Platten verlaufen und verschiedene Ausläufer aussen­den, die überall die Massen um sich zum Verschwinden bringen. Ebenso wird auch das massenhaft geronnene Exsudat in dem interlobulären Binde­gewebe der Lungen nach der Lungenseuche eingeschmolzen und resorbirt unter Zunahme und Narbig werden des interlobulären Bindegewebes: ein­zelne nekrotisirte Lungenläppchen können in diesem Processe mit ver­schwinden und durch Narbengewebe ersetzt werden.
Eintrocknungen. Dieselben treten bei abgestorbenen organischen Substanzen ein, wenn die Verflüssigung und Ilesorption nicht erfolgen kann;
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174nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Naturhülfe.
in dem Maasse wie die wässerigen Bestandtheile durch Resorption entzogen werden, schrumpfen die amorphen Substanzen und die morphologischen Elemente immer mehr zusammen, die Zellen zerfallen dadurch — die Verkäsung des Eiters, der Lymph­körper, der Tuberkel- und Rotzzellen —, und nach und nach bildet sich so eine feste Masse Knoten. Wir haben hier also vom physikalischen Standpunkte aus die eigentliche Tuberkulisation, womit man aber nicht vom pathologischen Standpunkte aus einen specifischen Begriff verbinden darf. Diese Tuberkulisa­tion ist insofern ein heilsamer Vorgang, als die todten organi­schen Substanzen dadurch der weiteren chemischen Zersetzung entrückt werden und indifferente Körper bilden; die tuberku-lirten Eiter- und Tuberkelheerde, Rotz-, Scropheln-, Krebszel­lennester etc. sind unschädlich; so weit mit diesem neoplasti­schen Producte die Krankheit selbst erschöpft war, bringt diese Tuberkulisation die Heilung zum Abschlüsse, kommt kein neuer Nachschub, so kommt auch mit dieser Tuberkelisirung die Ge­sundheit zu Stande.
Die Verkalkung.
Ein ähnlicher, aber noch vollkommener Schlussact, als die Tuberkulisation. Der wesentliche Unterschied liegt hier in phy-siatrischer Beziehung nur darin, dass die Kalkablagerung auch in noch lebendigen Geweben stattfinden kann, und da die ver­kalkten Theile nicht mehr lebensfähig sind, so liegt in diesem Processe oft zugleich ein tödtendes Moment. So wird das Fortwuchern eines Aftergebildes gehemmt durch Verkalkung; ein verkalktes Fibroid und Lipom wächst nicht mehr, die ver­kalkte Cystenhülle lässt ein Grösserwerden der Cyste nicht mehr zu, die belebten Hydatiden beschliessen ihr Leben gewöhn­lich mit Verkalkung; die Verkalkung der Bindegewebsmembran um die Thiermembran der Echinococcen hat das Aussterben einer ganzen Familie zur Folge, weil eben kein Lebensmaterial mehr zu dieser Blasenwurrakolonie gelangt.
Jedes verkalkte Gebilde hat abgeschlossen, es ist vollständig Ruhe in ihm eingetreten, es ist aus dem Organischen in das Mineralische übergetreten, es ist ein Concrement geworden. In den nicht lebendigen Theilen erfolgt die Ablagerung aus Feuch­tigkeiten, die auf physikalische Weise eindringen und durch Resorption wieder zurückgenommen werden. In lebendigen Thei-
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Verkalkung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 175
len liegt eine Stockung in der Ernährung zu Grunde, man sieht deshalb auch eine Verfettung immer mehr oder weniger voran­gehen *).
So weit die Naturheilprocesse. Sie sind physiologisch und pathologisch gesetzmässige Vorgänge. Niemals kann die Rede davon sein, dass die Naturheilkraft zu stark oder zu schwach sei oder eine fehlerhafte Richtung genommer; habe, und dass es somit ein Gegenstand der Kunst sei, sie bezüglich die­ser drei Fehlwege ins Gängelband zu nehmen. Keine Krank­heit ohne innere Heilungskräfte; in jeder Krankheit regen sich Heilprocesse; die Naturheilprocesse gehen ewig nach denselben Gesetzen vor sich, sie führen aber nur bedingungsweise zum Heile; kennt die Kunst die Naturheilprocesse, so kennt sie auch die Bedingungen, unter denen jene zum Heile führen, und in allen Fällen, wo der Kunst die Mittel zu Gebote stehen, die Bedingungen herbeizuführen, da kann sie heilen. Natura ma-gister, medicus minister naturae.
*) Conf. Die Trichinen etc. von Gerlach. 1866.
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Vierter Abschnitt.
Die Ennsthülfe.
Erste Abtheilung. Therapeutische Gniudbcgrifle.
1 hysiologische, pathologische und physiatrische Processe sind nicht wesentlich verschieden, sie erfolgen nach denselben ewig gleichen organischen Gesetzen. Von den Bedingungen, mögen sie im Organismus selbst oder in den ausseien Einflüs­sen gegeben sein, hängt es lediglich ab, wohin die organischen Vorgänge ausschlagen. Je nach dem Wechsel der Bedingungen können dieselben Dinge Veranlassung zur Krankheit — Krank­heitsursache — wie auch zur Genesung — Heilmittel #9632;— werden.
Sind die erforderlichen Heilbedingungen in dem erkrankten Organismus selbst gegeben, d. h. liegt der hinlängliche Grund zur Genesung in den organischen Gesetzen einer gewissen Krank­heit gegenüber, oder, wenn man lieber will, in der gegebenen Krankheit den organischen Vorgängen gegenüber, bedarf es da­bei keiner andern Einflüsse, als eben der Mittel, welche zum Leben unentbehrlich sind, der Lebensmittel; so haben wir die reine Naturheilung.
Sind aber die Heilbedingungen zufällig durch gewisse Aus-senverhältnisse, durch Klima, Jahreszeit, Witterungsconstitution, Nahrungsmittel etc. gegeben, so haben wir eine Heilung durch
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Therapeutische Grundbegriffe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;177
Zufall. Eine Krankheit, welche z. B. zufällig im Frühjahre vor­kommt, wird bei grünem Futter, beim Weidegange etc., von der Natur geheilt, während dieselbe im Winter bei Stallfütte­rung von der Natur nicht geheilt wird. Diese durch Zufall bedingten Heilungen werden immer mit in die Rubrik der Natur­heilungen gestellt.
Werden endlich die Bedingungen künstlich gegeben, sei ea durch Regelung der diätetischen Verhältnisse oder durch An­wendung besonderer Mittel, so haben wir eine durch Kunst herbeigeführte Naturheilung, die man Kunstheilung nennt.
Alle diätetischen und medicinischen Verordnungen, alle ope­rativen Eingriffe, kurz alles, was zur Milderung und Beseitigung einer Krankheit oder sonstigen Abnormität geschieht, wird zu-sammengcfasst in den Ausdrücken „kuriren, ärztlich be­handeln, heilenquot;.
Kuriren, curare.
Das „Kurirenquot; schliesst an sich noch nicht den Begriff mit ein, dass die Behandlung eines Patienten auch nach be­stimmten Grundsätzen und Regeln, wie sie die empirische Wissenschaft, die Therapie an die Hand giebt, geschieht; es umfasst auch das Behandeln nach Traditionen, die tief im Aberglauben wurzeln, das Behandeln nach nicht verstande­nen und unverständlichen Noth- und Hülfsbüchlein, das Behan­deln nach den rohesten Anschauungsweisen, mit einem Worte das pfuschermässige Behandeln, und ist deshalb mit „ärzt­lichem Behandelnquot; nicht identisch. Kuriren kann jeder, ärztlich behandeln nur derjenige, der den anatomi­schen Bau, die physiologischen Vorgänge und die Krankheitsprocesse kennt, also der wirkliche Arzt. Wer sich daher mit Kuriren befasst, ist deshalb noch kein Arzt, wer kranke Thiere pfuschermässig behandelt, ist nimmermehr ein Thierarzt, er ist ein Kurirer — Guerisseur der Franzosen, ein Thierkurirer. Aerztliches Behandeln ist das Kuriren nach bestimmten medicinischen Grundsätzen.
Heilen, sanare, kann, wie bereits erwähnt, streng genommen, die Natur nur selbst, die Kunst kann dabei nur behülflich sein dadurch, dass sie Hindernisse aus dem Wege räumt, oder den Anstoss
Gerlacli All^. Therapie, 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;12
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17Snbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
zu gewissen Vorgängen giebt, deren Endresultat die Heilung ist, dass sie mit einem Worte die Bedingungen giebt, unter denen eben der Organismus die Heilung vollziehen kann, mit­hin umfasst das Heilen die Kunst- und Naturthätigkeit zu­gleich, während Kuriren, ärztlich Behandeln stets nur auf das bezogen werden kann, was behufs der Heilung von der Kunst geschieht. Bei dem Kuriren ist nur das Bestreben, Genesung herbeizuführen, was aber fehlschlagen kann, bei dem Heilen ist die Genesung aber das sichere Endresultat. Ist bei der ärztlichen Behandlung Genesung eingetreten, so folgern wir dar­aus, dass auch durch die Behandlung die Bedingungen zur Genesung gegeben sind, und wer mit diesem Erfolge kurirt hat, von dem nimmt man gewöhnlich an, dass er geheilt habe. Streng genommen entscheidet aber der Erfolg nicht immer und allein über das Kunstverfahren, denn sonst müsste ja auch der bei der Kur untergegangene Patient todt kurirt sein. Genesung und Tod sind nicht gerade durch die ärztliche Behandlung, sondern oft trotz der Behandlung eingetreten, weil die Natur in einem Falle mächtig genug war, die Heilung ganz allein ohne Mitwirken der Kunst und selbst bei unzweckmässiger Behandlung herbeizuführen, und anderntheils wieder zu ohn­mächtig war, bei der zweckmässigsten Behandlung einen gün­stigen Ausgang zu erreichen.
Erfahrung.
Mit der Erfahrung in der Therapie ist es ein kurioses Ding. Schon der Pfuscher spricht von Erfahrung, wenn er mehrere kranke Individuen gesehen hat, das Ansammeln von wirren Krankheitsbildern im Gedächtnisse, was gewöhnlich nur dazu dient, noch confuser zu kuriren, ist bei ihm Erfah­rung, mit der er sich brüstet. Der Arzt, der seine Behand-lungsweise gegen triftige Einwendungen nicht mehr zu recht­fertigen weiss, verschanzt sich hinter die „Erfahrungquot;. Ein­zelne Secten von Therapeutikern werfen die „Erfahrungquot; immer als Bomben aus und vernichten so mit einem Schlage Vernunftgründe und Grundwahrheiten der medicinischen Wissen­schaft, gegen die sie sich nicht anders aufrecht zu erhalten ver­mögen. Der Eine kurirt am glücklichsten mit grossen Büchsen voll sehr componirter Latwergen, der An­dere mit Wasser, der Dritte mit Elektromagnetismus,
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Therapeutische Grundbegriffe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;179
ein Vierter gar mit Sonnenstäubchen etc., und Alle berufen sich auf „Erfahrungquot;.
Wenn wir nun auch zugestehen müssen, dass die Gene-sungshemmung auf verschiedene Weise aus dem Wege geräumt werden kann, dass der Anstoss zu einem heilsamen Vorgange im Organismus von verschiedenen Seiten gegeben werden kann, wenn wir, gerade herausgesagt, auch anerkennen müssen, dass eine Krankheit auf mehr als einem Wege auslösbar ist, so kann uns dies doch nicht abhalten, den Satz aufzustellen: „dass das empirische Material in der Therapie noch voller Irrthümer und Widersprüche istquot;. Fragt man, woher dies kommt, so ist zu antworten: weil dieselben Sachen von verschiedenen Beobach­tern ganz verschieden gesehen (erfahren) und gedeutet werden, und die Thatsachen oft nicht rein, sondern mit den Vorurthei-len der Beobachter und den Fehlern der Beobachtungen ver­mengt sind.
Empirisches und rationelles Verfahren.
Seiner Begründung nach ist das ärztliche Verfahren ein empi­risches oder rationelles; empirisch ist dasjenige, was zur einzigen Richtschnur die früher vorgekommenen Fälle ähnlicher und glei­cher Art nimmt und die Methoden und Mittel benutzt, welche sich bei diesen erprobt haben. Die Mängel dieses Verfahrens sind: 1) die seltene Gleichheit der Fälle; 2) die Bedingungen der Individualität; 3) die innere Verschiedenheit bei äusserer Uebereinstimmung und Aehnlichkeit; und 4) die mangelnde Unterlage hinreichender und glaubwürdiger Fälle.
Vor allen Dingen muss man aber eine wahre, wissen­schaftliche und eine falsche, rohe Empirie unterscheiden. Wer­den die Erfahrungen mit Sachkenntniss und Prüfung aller Neben­verhältnisse und unter verschiedenen Umständen gemacht, so fallen die eben hervorgehobenen Mängel mehr oder weniger fort und die Erfahrungen bilden eine wirkliche Wissenschaft, die das Fundament der praktischen Heillehre ist. In umgekehr­ten Fällen giebt die Empirie eine falsche Grundlage für das Heilverfahren ab, auf die sich eben die rohen Empiriker mit blindem Vertrauen stützen.
Das rein rationelle Verfahren, als extremer Gegensatz von jenem, ist dagegen zur Zeit noch ein frommer Wunsch und
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180nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilte.
wird es auch bleiben. Die wissenschaftliche Medicin, sagt F?V-chow, kann jetzt noch nicht daran denken, ein Gesetzbuch der medicinischen Praxis, eine rein rationelle Therapie, aufzustellen.
Die Therapie hat daher die Pflicht, sich nicht alsbald mit jeder unbewiesenen Vermuthung zu associiren und eine Hypo­these zu fabriciren, wo man eben soweit mit der einfachen Erfahrung kommt; sie hat aber auch die Pflicht, sich nicht der rohen Empirie in die Arme zu werfen, beide Klippen muss sie umschiffen. Vermählt sich hingegen die rationelle Medicin mit der wissenschaftlichen Empirie, bringt sie die Erfahrungen und empirischen Wahrheiten in logische Formen, so ist damit die Grundlage zu einer rationell empirischen Therapie ge­geben, die ich kurzweg als rationelle Therapie im weiteren Sinne bezeichnen will und welche ich in diesem Werke nach ihren Hauptzügen zu geben bemüht bin.
Das rationell ärztliche Verfahren soll, mit Wunder­lich zu sprechen, mit Bewusstsein das erfahrungsmässige Mate­rial wie die theoretische Anschauung seinen Anordnungen zu Grunde legen. Es geht zunächst aus von einer möglichst genau detaillirten anatomisch - physiologischen Diagnose; es erfordert die Kenntniss des Ganzen und der Störungen in anatomischer und functioneller Hinsicht, das Vertrautsein mit den accidentel-len Gefabren im Verlaufe, mit ihren ersten Symptomen; es setzt voraus: eine Bekanntschaft mit den Schwierigkeiten und Hindernissen der Heilung, eine unbefangene Vorstellung von dem, was möglicher Weise von der Therapie geleistet werden kann, eine klare Einsicht in die Verschiedenheit und den Werth der therapeutischen Methoden, Umsicht bei Entwerfung des Kur­plans, genügende Bekanntschaft mit den Mitteln der Therapie und ihrer Wirkung.
Anzeigen, Indicationen — Indicationes.
Indicationen sind alle vernünftigen Gründe, welche den Arzt beim Handeln leiten; wir übersetzen die „Anzeigenquot; kurzweg mit „Beweggründequot;. Solcher Beweggründe giebt es bei dem eben erwähnten rationellen ärztlichen Verfahren sehr viele, alle aber zerfallen in zwei Hauptklassen:
1) in anzeigende Umstände — Indicantia —, die eigent­lichen Objecte des Therapeuten, wozu alle jene Beweggründe gehören, welche:
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Anzeigen, Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 181
a)nbsp; nbsp;in dem Organismus, dem kranken Individuum selbst, gegeben sind, und in dem Wesen der Krankheit, in einzel­nen Symptomen derselben, wie auch in den inneren ur­sächlichen Momenten beruhen;
b)nbsp; aus den äusseren Ursachen und
c)nbsp; endlich aus den ökonomischen Verhäknissen hervorgehen, welche bei dem Patienten obwalten;
2) in angezeigte Dinge — Indicata —, welche alle die Be\yeggründe umfassen, die sich aus den anzeigenden Umstän­den ergeben und sich beziehen:
a) auf alles das, was zu thun wünschen swerth , noth-wendig und ausführbar ist an sich und unter den gegebe­nen ökonomischen Verhältnissen, die Kurzwecke, und
h) auf die Mittel und Wege, die zu wählen und anzuwen­den sind, die Heilmittel.
Etwas, was nicht ausführbar ist, gehört nie zu den Indi­cationen, denn für eine nicht ausführbare Behandlung kann es keine vernünftigen Gründe geben; etwas, was sich von selbst versteht, wodurch für das therapeutische Einschreiten eigentlich noch nichts gesagt ist, wie z. B. Ausgleichung der Missverhält­nisse, darf man nicht zu den Indicationen zählen.
Eintheilung der Indicationen.
1. Nach der Dignität: a) dringende Anzeigen, In-dicationes urgentes, die alle andern überragen, die vor allen Dingen zunächst erfüllt werden müssen, bei denen jede Verzögerung die Gefahr steigert oder doch das Gelingen der Heilung zweifelhafter macht, z. B. die Blutstillung bei stärkeren Blutungen, die Reposition bei Prolapsus, die Beseitigung solcher Schädlichkeiten, welche eine Krankheit bis zum gefahrdrohen­den Grade aufstacheln; h) Haupt-Indicationen, Ind. car­dinal es, auch wesentliche genannt, von deren Erfüllen der beabsichtigte Kurzweck vorzugsweise abhängig ist, Indicationen, welche von dem Wesen der Krankheit oder doch von einzelnen wesentlichen Symptomen derselben oder von den etwa noch fort­wirkenden Ursachen ausgehen; c) Neben-Indicationen, Co-indicutio nes, die in dritter Linie zu beachten sind, von deren Erfüllung aber die Heilung nicht abhängt; sie sind theils von der Individualität des Patienten, theils von den obwalten­den diätetischen und ökonomischen Verhältnissen, theils auch
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182nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
von einzelnen, weniger wichtigen Gliedern (Symptomen) der Krankheit gegeben.
2.nbsp; nbsp;Neben der Dignität unterscheidet die Schule noch all­gemeine und specielle Indicationen, Ind. universales et speciales; erstere geben an, was zu erreichen, was zu thun und wie einzugreifen ist, sie sind die Grundlagen des ganzen Heilplanes, letztere dagegen dienen mehr als Handweiser bei der speciellen Ausführung eines entworfenen Kurplanes, bei der Auswahl der Mittel und sind keineswegs gleichbedeutend mit Neben-Indicationen. Die allgemeinen Indicationen hat man auch als die einzigen angesehen, und die speciellen Indicationen ledig­lich als die angezeigten Dinge betrachtet; nach unserer Auf­fassung ist dies aber unstatthaft; nach und aus den allgemein­sten Indicationen ergeben sich allgemeinere, nach und aus die­sen speciellere, und so geht es bis zu den speciellsten fort, wie man auch umgekehrt auf synthetischem Wege aus mehreren speciellen endlich zu den allgemeinsten Indicationen gelangt.
3.nbsp; nbsp;Bezüglich des Zweckes unterscheidet man folgende all­gemeine Indicationen:
a) Die ätiologische Anzeige, Indicatio aetiolo-gica s. ad causas remotas, die von noch fortbestehenden Krankheitsursachen gegeben ist und auf deren Beseitigung ab­zweckt; sie gehört zugleich zu den Haupt-Indicationen, weil ohne ihre Erfüllung keine Heilung zu erreichen ist; sie ist aber nicht in allen Fällen gegeben, weil die Krankheit oft selbst­ständig, von der Ursache, abgelöst fortbesteht, wenn die Schäd­lichkeiten vorübergehend wirken, die dadurch angeregten abnor­men Vorgänge aber permanent werden. In den Fällen, wo mit der Hebung der Ursache als das nächste Ziel auch zugleich das weitere Ziel, die Hebung der ganzen Krankheit, erreicht wird, da ist die Causal-Indication zugleich auch eine radicale. Die auf diese Indication gegründete Kur ist die Causalkur.
h) Die Radical- oder Krankheits-Anzeigen — Indi-cationes radicales s. morborum s. ad causam proximam —; sie be­ruhen in dem Wesen der Krankheit, in ihrem Sitze und Verlaufe und haben die gründliche Beseitigung der Krankheit, die Hei­lung — sanatio — zum Zweck; da dieser Zweck ohne gleich­zeitige Hebung der etwa noch fortbestehenden Ursachen nicht zu erreichen ist, so sind sie in solchen Fällen von der Ursache zugleich mit bedingt und schliessen dann auch die Causal-Indi-
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Anzeigen, ludicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;183
cationen mit ein — die umfassendsten Cardinal-Indicationen. Die darauf fundamentirte ärztliche Thätigkeit giebt die Radi-calkur.
c)nbsp; nbsp;Symp tomatische Anzeigen, Indicationes symp-tomaticae. Sie sind gegen einzelne Symptome gerichtet, deren Beseitigung der nächste Zweck ist, und nur unter besonderen Umständen gegeben, die später ihre nähere Erörterung finden. Das hierauf gegründete Verfahren ist die symptomatische Kur. Je nach dem durch die Entfernung einzelner Symptome weiter angestrebten Ziele zerfallen sie in Linderungsanzeige — Ind. #9632;palliativa — und in Lebens- oder Rettungsanzeige — Indicatio vitalis.
d)nbsp; Die Anzeigen zur Vorbauung, Indicationes pro-#9632;phylacticae. Die anzeigenden Momente können gar mannig­fach seil:, davon später bei der Prophylaxis; der Zweck ist, eine aus gewissen Umständen befürchtete oder in den ersten Anfän­gen, im Stadio der Vorboten schon vorhandene Krankheit vor der vollständigen Eruption abzuwenden.
4.nbsp; Nach den in Anwendung zu bringenden Mitteln zerfallen die allgemeinen Anzeigen in die Indicatio diaetetica, chirurgica et pharmaceutica.
5.nbsp; nbsp;Ergeben sich endlich in einem gegebenen Falle selbst nicht genügende und ausführbare Heilanzeigen, so wird ent­weder eine hypothetische IndicationInd. hypothetica — aufgestellt, in deren Erfüllung die Heilungsursache supponirt wird, ohne irgendwie sichere Gründe dafür zu haben, oder es wird der empirische Weg betreten, und die Heilanzeige von anderen ähnlichen Krankheitszuständen entlehnt — Indicatio analogica —, oder man nimmt die Indication von früher sich schon als nützlich erwiesenen Mitteln und Methoden — Indicatio ex juvantihm et nocentibtis. So viel man auch gegen diesen empirischen Weg geeifert hat, so kann er doch von keinem Praktiker entbehrt werden. Es kommt gar nicht selten vor, dass unsere Kenntniss nicht so weit reicht, um rationelle Indi­cationen zu stellen, und in andern Fällen, wo dergleichen gestellt werden können, wissen wir wieder nicht die Mittel, ihnen zu entsprechen; unter allen diesen Umständen sind die empirischen Indicationen gerechtfertigt, ja es ist soger Pflicht, die empirisch festgestellte Wirksamkeit gewisser Medicamente in gewissen Krankheiten als Heil-Indicationen zu wählen, statt sich den
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184nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
hypothetischen Indicationen auf gut Glück in die Arme zu wer­fen. Dass man auf diesem empirischen Wege auch rationell verfahren muss, davon ist schon früher gesprochen.
Gegengründe, Gegenanzeigen — Contra-lndicationes.
Die Contra - Indicationen haben einen doppelten Sinn, einen absoluten und einen relativen. Einmal umfassen sie alles absolut Schädliche und sind einfache Verbote. Diese an sich nicht richtige Auffassung hat doch in einzelnen Fällen einen praktischen Nutzen, nämlich in solchen, wo uns alle ra­tionellen und empirischen Indicationen verlassen, wo uns jeder Anhaltspunkt für die Therapie fehlt; hier suchen wir statt der Gründe für eine bestimmte Behandlung alles auf, was, den ein­zelnen Krankheitssymptomen nach, als nachtheilig betrachtet werden muss, um so wenigstens grobe Missgriffe zu vermeiden, wenn einmal eine Behandlung eingeleitet werden soll. Es kom­men in der That Fälle vor, wo man offenbar erkennt, was man nicht thun darf, ohne auch zugleich zu erkennen, was zu thun zweckmässig ist; es können offenbar Verbote in einer Krankheit unter obwaltenden Umständen gegeben sein, ohne dass nach unserem Wissen bestimmte Gebote für eine entsprechende Behandlung existiren. In diesem Sinne kann man die Contra-Indicationen, wenn man lieber will, auch als Anzeigen auf­fassen, welche uns die Wege zeigen, die wir nicht gehen dürfen.
Nach einer zweiten, richtigeren Auffassung umschliessen die Contra-Indicationen nicht alles Mögliche, in eiaem gegebe­nen Falle Unpassende, sondern nur das wirklieh Angezeigte, was aber aus anderen Rücksichten wieder als naohtheilig zu betrachten ist, so dass jede Contra-Indication immer nur einen relativen, auf anderweitig schon angezeigte Dinge sich bezie­henden Sinn hat. Ihrer Natur nach ist die Contra-Indication eine Opposition, die natürlich erst nach einer bestimmten Vorlage hervortreten kann.
Es giebt Indicationen, die keine Gegen-Indication aufkom­men lassen, die unbedingt erfüllt werden müssen, sofern eben von ihrer Erfüllung Heilung oder Leben abhängt. Ausserdem finden alle Haupt-Indicationen selten eine durchgehende Contra­indication, diese stehen zu jenen immer in einem untergeord­neten Verhältnisse, sie sind nur Schranken für dieselben, welche in manchen Fällen beachtet werden, in anderen aber unberück-
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Gegengründe, Gtgenanzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 185
sichtigt bleiben müssen. Dagegen linden die speciellen Indi-cationen bei Ausführung eines Kurplanes, namentlich bei Aus­wahl der Mittel, vielfach Opposition. Die Contra-Indicationen gehören demnach mehr den speciellen, als generellen leitenden Gründen an; am gewichtigsten pflegen sie noch zu sein, wenn sie vom ökonomischen Interesse gegeben sind.
Die Contra-Indicationen sind entweder in gewissen Krank-heits-Coraplicationen, in der Individualität des Patienten, oder in den diätetischen und ökonomischen Verhältnissen, oder end­lich in gewissen Nebenwirkungen der angezeigten Mittel begrün­det; aus demselben Vorgange, demselben Zustande können nie­mals Indicationen und Contra-Indicationen zugleich hervorgehen; Indicationen, durch die wesentlichsten Vorgänge in einer Krankheit gegeben, finden keine, aus der Krankheit selbst her­vorgegangenen Contra-Indicationen, es sind immer wieder an­dere Umstände, andere Dinge, die anders sprechen, einen an­deren Weg zeigen.
Gründe für die therapeutische Behandlung, die einstimmig
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egeben sind, müssen unbedingt ein Bestimmnngsgrund für die
Behandlung werden. Gründe aber, die Widerspruch, Gegen-griinde finden, können nur bedingungsweise nach einer sorg­fältigen Abwägung Beachtung verdienen.
Je entschiedener die Indicationen hervortreten, desto sel­tener und unbedeutender sind die Contra-Indicationen; wo keine erheblichen Contra-Indicationen gegeben sind, da ist der Kur­plan bald entworfen, die Mittel sind schnell gewählt, die The­rapie hat keine Schwierigkeiten; in dem Maasse aber, als die Indicationen weniger entschieden vorhanden oder gefunden sind, treten auch die Contra-Indicationen mehrfach und bedeutunars-voller hervor. Daher hat der unerfahrene Anfänger immer mit viel mehr Contra-Indicationen zu käm­pfen, als der geübte Praktiker.
Die Contra-Indicationen bieten immer wichtige praktische Kautelen dar, gebieten dem Arzte Vorsicht, regen ihn zur sorg­fältigen Untersuchung und Feststellung, der Kurgründe an und bewahren ihn so vor dem gedankenlosen Schlendrian.
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Wenn der Arzt die Beweggründe alle aufgesucht, geordnet und mit den widersprechenden Gründen abgewogen hat, wenn
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186nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
er sich klar geworden ist über das, was er vor sich hat, was geschehen muss und was geleistet werden kann, dann ordnet er demgemiiss das therapeutische Verfahren nach einem gewis­sen Plane, und dies ist eben der Kurplan, Consilium curandi.
Vor allen Dingen ist es bei solchem Kurplan nöthig, nur da und so eingreifen zu wollen, wo und wie es unter den gege­benen Verhältnissen möglich ist, d. h. ein entworfener Kurplan darf keine theoretische Spiegelfechterei, sondern er muss prak­tisch ausführbar sein. Die auf solchem Kurplan gegründete Verfahrungsweise des Thierarztes ist die „methodischequot;, im Gegensatz zu der „planlosen, unraethodischenquot;.
Zweite Abtheilung, Die allgemeinsten Indicationcn.
Die Zweckmässigkeit resp. Zulässigkeit, die Noth-wendigkeit und der Endzweck der thierärztlichen Behand­lung sind stets Vorfragen, die erst erledigt werden müssen, und die wir ihrer Wichtigkeit wegen näher in Betracht ziehen wollen.
I. Die ökonomische Zweckmässigkeit und polizeiliche Zulässigkeit.
Ist ein Thier krank, der thierärztlichen Hülfe bedürftig, so ist das noch nicht unbedingt eine Indication zur ärztlichen Be­handlung, wie es bei dem Menschen der Fall ist; bei letzterem herrscht das moralische Princip, „das Leben unter allen Um­ständen zu erhaltenquot;, bei den Thieren aber das materielle, „ein ökonomisch nützliches Leben zu erhaltenquot;, die ökonomischen Interessen wollen deshalb immer erst mit befragt sein. Das Thier hat stets nur einen peeuniären Werth, der Mensch bedient sich dessen zu gewissen Zwecken, und kann es diese nicht mehr ganz erfüllen, so ist der Werth vermindert; ist die Brauch­barkeit ganz aufgehoben, dann ist nicht nur der ganze ökono­mische Werth untergegangen, das Thier ist ausserdem noch ein zehrender Parasit in der Oekonomie, dessen man sich je eher
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Oekonomische Zweckmässigkeit und polizeiliche Zulässigkeit 187
je lieber zu entledigen sucht. Bis heute hat sich die Huma­nität gegen die Thierwelt noch nicht so weit erhoben, dass man sich deren Leiden auch aus einem moralischen Gesichtspunkte annähme, nur ausnahmsweise steigt einmal aas Mitgefühl zu einem Lieblingsthiere herab, und ist es besonders das Thier-geschlecht, was so vielfach ohne besonderen Zweck, aus Lieb­haberei gehalten wird, das Hundegeschlecht, welches sich die­ses grossen Vorzuges besonders in grossen Städten bei dem schönen Geschlechte zu erfreuen hat. Weil es sich nun aber einmal bei den Thieren nicht um die Erhaltung ihrer selbst willen handelt, sondern der Menschen und des Nutzes willen, so gehört nicht das Heilen der kranken Thiere, sondern das Nützlichwer­den den Besitzern und dem Staate zur allerobersten Aufgabe des Thierarztes, und diese löst er eben nicht allein durch Ee-ceptschreiben oder mit Medicamenten in der Hand, sondern auch durch rechtzeitiges Abstehen von jeder Behandlung, durch rechtzeitiges Anrathen zum Schlachten oder Tödten. Jeder Be­handlung muss daher der Thierarzt einen Calcul vorangehen las­sen, dem er neben der Krankheit auch den Lebenszweck des Patienten, das ökonomische Interesse, die Denkungsweise des Besitzers und die bestehenden Polizeigesetze zu Grunde legen muss, und das Endresultat dieses Calculs ist eben die Indication für oder gegen eine thierärztliche Behandlung.
Um richtig zu rechnen und zu der rechten allgemeinsten Indication zu gelangen, haben wir zu untersuchen: ob die Po­lizei keine Einwendungen gegen die Behandlung hat; ob die Krankheit heilbar ist, und ob die erfolgte Heilung auch noch ökonomischen Vortheil gewährt.
1. Ob die Behandlung polizeiwidrig ist. Das Tödten
—nbsp;„die Kur von Rechts wegenquot; ist geboten, wenn mit der thier-ärztlichen Behandlung Gefahr für Menschen und Eigenthum ver­bunden ist. ' Bei ansteckenden Thierkrankheiten für Menschen und Thiere, die nach den bisherigen Erfahrungen incurabel sind
—nbsp; wie Rotz, ausgebildeter Wurm, Tollkrankheit — ist diese Kur ein für allemal schon in den polizeilichen Gesetzbüchern der meisten civilisirten Staaten vorgeschrieben, und nur dem, aus wissenschaftlichem Drange sich berufen fühlenden Thierarzte kann die Behandlung von der Polizei ausnahmsweise freigege­ben werden, wenn genügende Sicherheit gegen die vorhandenen Gefahren gegeben ist. Auch ohne Gefahr für die Gesundheit
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188nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
des Menschen kann die Staatspolizei die Behandlung nicht ge­statten, wenn damit grosse Gefahr für das Eigenthum verbunden ist, wenn dabei der Verbreitung durch Ansteckung Vorschub geleistet wird, während mit dem schnellen Abthun der ersten Patienten eine Seuche im Aufkeimen unterdrückt werden kann; ganz besonders gilt dies bei gemeingefährlichen Krankheiten, bei der Rinderpest z.B.; auch hier ist „die Kur von Rechts wegenquot; geboten, so lange man gegründete Aussicht hat, die Seuche hierdurch zu coupiren. Bei allen ansteckenden Krankheiten muss der Thierarzt neben dem Patien­ten immer die etwa bedrohte ganze Heerde ins Auge fassen, und von der Behandlung des Individuums auch ohne polizeiliches Gebot abstehen, wenn die Heerde dadurch weiter bedroht wird.
2. Ob eine Krankheit heilbar ist. Oft schwer zu entscheiden; der tüchtigste Arzt wird einmal überrascht von einer glücklichen oder unglücklichen Wendung der Krankheit, von der er keine Ahnung hatte, und solche Fälle sind es ge­rade, die uns bei dieser Beurtheilung zur Vorsicht mahnen. Aber es giebt doch gewisse Krankheiten, über welche die Er-fabrung in soweit entschieden hat, dass wir diese Entscheidung als Indication nehmen können, und selbst die Pflicht hierzu haben. Es giebt Krankheiten, die nach dem heutigen Stand­punkte der Wissenschaft als unheilbar unter allen Um­ständen angesehen werden müssen, sowie es noch andere giebt, die der Regel nach unheilbar sind, bei denen aber doch unter besonders günstigen Umständen ausnahmsweise ein­mal Genesung eintritt. Ich nenne als Beispiel für beide Kate­gorien: Tollkrankheit, Rotz, Franzosenkrankheit, Gnubber-krankheit, Wurm, Dummkoller, Hartschnaufigkeit, Dämpfigkeit, Drehkrankheit, Verletzungen solcher Organe, deren Function unbedingt zum Fortbestehen des Lebens nothwendig ist, u. a. m., alle diese Krankheiten tragen schon das, die thierärztlicho Behandlung treffende Verbot vor der Stirn, und nur der aus­drückliche Wunsch des mit dem Sachverhältniss bekannt ge­machten Besitzers kann dieses Verbot aufheben. Die Kur ist hier ein therapeutisches Experiment.
Solche Gelegenheit zum Experimentiren muss aber dem Thierarzte stets willkommen sein, er muss sie sogar im Inter­esse der Wissenschaft suchen und darf dabei eigene Opfer
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Oekonomische Zwcckmässigkeit unit pulizeiüche Zulässigkeit. 189
(Gratisbehandlung) nicht scheuen. Die Grenzen der Möglich­keit sind uns unbekannt; was wir unheilbar nennen, kann nur relativ sein und sich auf den heutigen Standpunkt der Wis­senschaft beziehen, der aber nicht derselbe bleibt und blei­ben darf, und wir dürfen sogar hoffen, dass mit Erweiterung des Wissens die Grenzen der unheilbaren Krankheiten enger werden. Krankheiten dagegen, die zwar immer mit mehr oder weniger Lebensgefahr verbunden sind, an denen nicht selten die grösste Zahl der Patienten zu Grunde gehen, die selbst ohne Gefahr drohende Symptome dennoch immer mit Gefahr verbunden, so lange sie eben nicht im Bückschreiten begriffen sind, weil die Gefahr für morgen präsumirt werden kann, die heute noch nicht da ist, Krankheiten, von denen aber auch unter anderen Verhältnissen wieder eine ansehnliche Zahl gesund wird; alle solche gehören zu den schwer heilbaren, zu den schweren Krankheiten, und in dieser Kategorie an sich liegt niemals eineContra-Indication gegen die thierärztlicheBehandlung; Äenn das Schwierige und Zweifelhafte an sich darf nie abhal­ten, die Heilung zu erstreben. Tritt die Unheilbarkeit erst im weiteren Verlaufe der Krankheit hervor, so tritt damit eben die Contra'-Indication gegen weitere Behandlung, oft selbst die dringende Indication zum Tödten des unheilbaren Thiercs ein, um Qualen abzukürzen.
3. Ob die Heilung Vortheil gewährt. Weil eben nicht das Heilen selbst, sondern das Nützen den Besitzern der letzte Zweck der thierärztlichen Thätigkeit ist, so darf die thierärztliche Behandlung auch in den Fällen nur bedingungs­weise geschehen, wenn die Heilung möglich ist; es muss immer zugleich ein ökonomischer Vortheil mit in Aussicht stehen, es müssen sogar die Chancen abgewogen, es muss ermit­telt werden^ ob auch die Grosse mit der Unsicherheit des in Aussicht stehenden Nutzens im Verhältnisse steht.
Der Patient ist ein bedrohtes Capital, das soll der Thier-arzt retten, übertreffen aber die Rettungskosten das gerettete Capital, so hat der Thierarzt seinen Endzweck verfehlt; geht in der Behandlung zwar nicht das Individuum, aber doch dessen Werth unter, so ist das Capital trotz der Heilung nicht geret­tet — der Thierarzt hat also nichts genützt —; war das Capi­tal vor der Kur noch ziyn grössten Theile zu retten, und geht es dann in der Kur unter, so hat der Thierarzt geschadet, die
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190nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunstbülfe.
kunstgerechteste und mühevollste Kur bringt ihm Hundslohn und in vielen Fällen mit Recht. Der Thierarzt hat daher auch bei den nicht incurabeln Krankheiten immer folgende Punkte vor der Behandlung in Betracht zu ziehen:
a)nbsp; nbsp;Die Kur- und Futterkosten. Letztere kommen besonders bei langwierigen Krankheiten der grossen Hausthiere in Betracht. Kur- und Futterkosten sind der Einsatz, und der Werth des geheilten Thieres ist der Gewinn. Erreicht der Ein­satz präsumtiv den Gewinn, so ist dies natürlich eine Contra­indication gegen das Spiel; kann ferner selbst im glücklichsten Falle nur wenig gewonnen werden im Verhältniss zum Einsätze und ist dabei der kleine Gewinn noch sehr fraglich, ist sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass trotz aller Mühe doch eine Niete gezogen wird, dann ist dies aber­mals eine Contra-Indication, gegen welche nur der Wille des Besitzers entscheiden kann.
b)nbsp; nbsp; Den Werth des erkrankten Thieres als Pa­tient. Kann das Thier als Patient gar nicht verwerthet wer­den oder steht solche Verwerthung in gar keinem Verhältniss zu dem Werthe des Thieres nach der Heilung, so ist die voll­ständige Indication zur thierärztlichen Behandlung gegeben, sofern die sub No. 1. erwähnten Verhältnisse nicht dawider sind. Kann aber der Patient als solcher vor der Kur noch einiger-raaassen verwerthet werden, so kommt alles darauf an:
c)nbsp; nbsp;welchen Werth das erkrankte Thier nach der Heilung hat. Um den Werth des genesenen Thieres zu berechnen, muss man zunächst den ökonomischen Zweck fest­halten, wozu das Thier dient. Bei dem Schlachtvieh kommt die Abmagerung während der Krankheit in Betracht — das geheilte abgemagerte Thier ist oft nicht so viel werth, als das erkrankte wohlgenährte; bei Milchkühen darf nicht übersehen werden, dass die Milch nach der Krankheit nicht wieder in vollen Fluss kommt, oft ganz versiegt, so dass die Nützung bis zum nächsten Kalben geschmälert oder ganz aufgehoben ist; bei Zuchtthieren kommt es besonders darauf an, ob sie nach der Heilung noch als solche zu gebrauchen sind; mit der Fähig­keit zur Zucht geht oft mehr als die Hälfte, ja selbst 50 bis 99 Procent — bei Schafböcken z.B. — verloren; bei Arbeits-thieren handelt sich alles darum, obraquo; sie auch mit vier brauch­baren Beinen aus der Kur hervorgehen. Ist voraussichtlich,
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Technokratische Kur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;191
dass der Werth nach der Heilung den Betrag gar nicht oder nur wenig übertrifft, der vor der Behandlung noch aus dem Patienten zu lösen war, so ist dies wieder eine Contra-Indi­cation gegen die Behandlung, und um so mehr, je kostspieliger und zweifelhafter noch obenein die Kur ist.
Wenn aber die Thiere einen eingebildeten Werth haben, wenn sie Lieblingsthiere sind, wenn man aus besonderer Zu­neigung von jedem pecuniären Vortheile abstrahirt, dann fallen alle Wenn und Aber weg, dann ist unbedigt die Indication zur Behandlung gegeben.
Dies die allgemeinsten Gesichtspunkte für und wider die Einleitung einer thierärztlichen Behandlung, das Speciellere muss dem Tacte des Thierarztes überlassen werden, um für den concreten Fall das Rechte zu wählen. Nur die Bemerkung will ich mir hier noch erlauben, dass der Thierarzt sein Geschäft zum Betrüge benutzt und zugleich sein eigenes pecuniiires In­teresse nicht begriffen hat, der aus Interesse jeden gegebenen Krankheitsfall als melkende Kuh benutzt, dem es nur am Kuri­ren gelegen ist, der sich übrigens wenig darum kümmert, ob er auch wahrhaft nütze oder nicht. Solche nur für die Gegen­wart berechnete Speculation hat bittere, aber gerechte Folgen für die Zukunft.
II. Ueber die Notwendigkeit des therapeutischen Einschreitens.
Wenn dem Thierarzte nach den erörterten Verhältnissen die Aufgabe gegeben ist, zu heilen, so ist damit noch nicht gesagt, dass er gleich zur Fliete, zur Latwergenbüchse greifen müsse, es ist ein grosser Irrthura, wenn man glaubt, nur hier­durch heilen zu können; immer muss er zunächst wieder dar­über mit sich berathen, ob ein thätiges Einschreiten mit chi­rurgischen oder pharmaceutischen Mitteln nothwendig sei oder nicht. In der Beantwortung dieser Frage liegen zwei Kurarten, aus denen der Thierarzt aber drei machen muss.
Das active, technokratische Einschreiten, die technokratische Kur.
Sie umfasst alle chirurgische Operationen und alle Me­thoden, welche pharmaceutische oder auch diätetische Mittel nach bestimmten Heil-Indicatidnen in Anwendung bringen, und ist angezeigt überall da, wo bestimmte Heil-Indicationen sich
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192nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
herausstellen und bestimmte Angriffspunkte für die Kunst gege­ben sind, namentlich aber:
1)nbsp; bei Vergiftungen unter allen Umständen, so lange noch Gift im Körper angenommen werden kann;
2)nbsp; bei parasitischen Leiden, sofern die Parasiten erreichbar und vertilgbar sind;
?gt;) bei allen chronischen Krankheiten, die selten von der Katur geheilt werden;
4)nbsp; nbsp;bei den acuten Krankheiten, bei welchen Gefahr im Verzüge ist und man nicht erst abwarten kann und darf, in wie weit sich die Natur an der Heilung betheiligen wrerde, bei Kolik, Blähsucht, Entzündungen, acutem Rheumatismus etc.;
5)nbsp; nbsp;bei allen Krankheiten, gegen die uns bestimmte Heil­mittel oder doch entschieden heilsame Mittel bekannt sind;
G) bei Zufällen, die direct gefahrdrohend sind oder doch verschlimmernd auf den gesammten Krankheitszustand zurück­wirken.
Für den Chirurgen giebt es entschiednere Heil-lndicationen und Heilmittel, er kann daher weniger über die Nothwendigkeit des kunstgerechten Einschreitens im Zweifel sein.
Das abwartende, temporisirende, negative, physiokratische Verfahren, die Exspectativkur.
Diese Kurart ist keineswegs gleichbedeutend mit blindem Abwarten, zu ihrer rechtzeitigen Anwendung gehört mehr, als jeder Nichtthierarzt auch kann, es gehört dazu, dass der Arzt die vorhandenen Zustände sehr genau kenne, dass seine Diagnose und Prognose sicher und speciell sei, dass er wisse, welche bestimmten Wendungen und Ausgänge das Uebel von selbst bei zweckmässig geordneter Diät nehmen werde, dass er gewiss sei, den rechton Zeitpunkt zu erkennen, wo ein thätiges Einschreiten notliwendig wird, und dass er für solchen Fall die richtigen Mittel zu gebrauchen wisse.
Sie ist ferner nicht gleichbedeutend mit Nichtsthun, der Arzt muss dabei immer thätig sein, er muss die Krankheit Schritt für Schritt verfolgen, die Naturheilprocesse beobachten, jede im Verlauf sich etwa herausstellende Indication auffassen und erfüllen, die diätetischen Verhältnisse muss er immer den gegebenen Verhältnissen anpasseraquo;. Die heute angezeigte Ex­spectativkur kann morgen schon contraindicirt sein.
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Die Exspectativkur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 193
Aus diesen Gründen ist sie eine wirkliche Kur, welche die diätetischen Mittel und deren zweckentsprechende Anwen­dung umfasst, und die man auch als diätetische Kur bezeich­nen könnte. Gewöhnlich pflegt man jedoch specieller eine eingreifendere diätetische Verfahrungsweise als diätetische Kur­methode zu bezeichnen, wenn man durch eine besonders ange­ordnete Diät, die selbst im Widerspruche stehen kann mit den allgemeinen Gesundheitsregeln, positiv eingreifen und den Anstoss zum Genesungsprocesse geben will durch Umstimmung, Säfteverbesserung, Entziehung — Gras- und Hungerkur z. B. —, und deshalb ist diese, die wahrhafte diätetische Kur, zu dem technokratischen Verfahren zu zählen, während jene diätetischen Anordnungen bei der Exspectativkur zur Wesenheit dieser Kur­art gehören.
Die Exspectativkur muss hiernach, wenn sie eben eine wirkliche Kur sein soll, auf vernünftigen Gründen, d. h. Indi-cationen beruhen, und ihre rechtzeitige Anwendung verlangt des­halb gerade eine recht gründliche wissenschaftliche Bildung und einen erfahrenen Praktiker. Die Thatsachen, dass die Exspec­tativkur mit der Uebung und Erfahrung zunimmt, dass sie bei Anfängern sehr selten, bei Erfahrenen häufig und am häufigsten bei den gediegendsten Therapeuten in Anwendung kommt, bewei­sen die Schwierigkeit der bewusstvollen Durchführung und zu­gleich den hohen Werth dieser Kur.
Die Indicationen zu dieser Kur sind gegeben:
1)nbsp; nbsp;bei Krankheiten, die einen bestimmten typischen Ver­lauf haben, hierher gehören die fieberhaften, acuten Exantheme, Pocken, Masern, Aphthenseuche und die sogenannten Füllen­druse. Jedes therapeutische Einschreiten behufs schnellerer Beseitigung, Unterdrückung des Ausschlages etc. ist gewöhn­lich nachtheilig; erst wenn Störungen im Verlaufe, Complicatio-nen eintreten, erst dann stellen sich Heil-Indicationen für eine therapeutische Behandlung heraus.
2)nbsp;bei gefahrlosen und regelmässig verlaufenden Krankheiten, wenn die Natur selbst auf dem besten Wege ist, die Krankheit zu heben und keiner Unterstützung bedarf; wenn die Krankheits­ursachen nicht mehr fortbestehen, wenn weder einzelne Func-tionen, noch das Gesammtgetriebe zur grösseren Thätigkeit angeregt werden brauchen, wenn keine einzelne Function abnorm
Gerlach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;13
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194nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
hervorragt und deshalb beruhigt und gesclimächt werden muss, wenn kein Process qualitativ geändert zu werden braucht, wenn es nichts zu reguliren giebt in den Vorgängen neben der Krank­heit, wenn kein hervorragendes Symptom sich als Genesungs-hinderniss bemerkbar macht, wenn keine Complicationen beste­hen und wenn wir aus der Wesenheit der Krankheit erfahrungs-mässig keine bestimmte Heil-Indication zu entnehmen nothig haben.
3) bei unbekannten Krankheiten, bei denen wir weder an den Krankheitsprocessen selbst irgend wie eine Basis für die Behandlung noch die Analogie alsRathgeber an der Seite haben; wenn in solchen Fällen keine dringenden Symptome vorhanden sind, von denen wir wissen, dass sie zur Steigerung der Krank­heit beitragen oder wohl selbst Gefahr drohend werden, wenn also auch kein Grund zu einem symptomatischen Heilverfahren vorhanden ist.
In allen diesen Fällen müssen wir zunächst die abwartende Methode wählen und so lange beibehalten, als der Erfolg da­für spricht und keine bestimmte Heil-Indicationen hervortreten. Wo der Arzt nicht weiss, was er will, da soll er auch nicht handeln, am allerwenigsten darf er mit gefährlichen Waffen (heroischen Mitteln) blindlings um sich herumschlagen. Metho­disches Nichtsthun ist unter allen Umständen besser, als unmethodisches Zuvielthun, lieber einmal die Natur nicht unterstützen, als ihr durch medicinische Krankheiten noch Hin­dernisse in den Weg legen — „primum est, non nocerequot;. Das unzweckmässige Verfahren verhält sich wie eine Krankheitsur­sache, die bei schon vorhandener Krankheit sehr verderblich werden kann. Der gute Arzt lässt seine Patienten sterben, der schlechte kurirt sie todt.
Jede Indication zur technokratischen Kur ist zugleich eine Contra-Indication gegen die exspectative.
Die Scheinkur, Cura pro forma.
Der Leser wird hier stutzen, aber es ist mein voller Ernst, ich will hier eine kurze Anleitung zur Charlatanerie geben, aber zu einer vernünftigen. Um jene Exspectativkur ungestört und consequent durchführen zu können; um den Besitzer zufrieden zu stellen, der nur in der Medicinflasche Heil für sein krankes Thier sieht und für eine bessere Belehrung unzugänglich ist;
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Die Vorbaimng.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;195
um Pfuschern und uncollegialisch denkender) Collegen nicht Ge­legenheit zu geben, auf unsere Kosten Ruhm einzuernten; um keine Afterkunst ins Spiel greifen und den Naturheilprocess stören au lassen, den wir selbst mit Bewusstsein ungestört wal­ten lassen; um all dieser Dinge willen ist es gerechtfertigt, ja sogar von der Pflicht geboten, Charlatanerie zu treiben, d. h. die Exspectativkur, die noch viel mehr stattfinden sollte, als bis jetzt geschieht, um diese nützliche Kur unter einer sogenannten Scheinkur einzuschmuggeln. Indifferente Mittel leisten in sol­chen Fällen vortreffliche Dienste, für welche wir aber die Indi­cation von dem Besitzer entnehmen und mit welchem wir nicht das kranke Thier, sondern seinen Besitzer behandeln. — Mvn-dus vidt decipi, decipiatur ergo.
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III. Endzweck der Sehandlnng, Die Vorbauiing, Praecautio, Prophjlasis.
Die Vorbauungskur, Präservativkur, das schützende, zuvor­kommende Verfahren kommt in der Thierheilkunde bei spora­dischen Krankheiten selten und meist nur bei einzelnen beson­deren Fällen von ansteckenden Krankheiten in Betracht, dagegen ist sie bei Seuchen, überhaupt in allen Fällen, wo die Ursachen nachhaltig extensiv gegeben, die Thiere denselben im grossen Umfange, die Militärpferde z. B. in Kasernenställen, die Wieder­käuer heerdenweis ausgesetzt sind, ein äusserst wichtiger Gegen­stand der thierärztlichen Thätigkeit, die sich dadurch viel gemein­nütziger machen kann, als durch das Kuriren selbst.
Die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ge­fahr ist die generelle Indication zu diesem Ver­fahren; wir entnehmen sie:
1)nbsp; nbsp;aus bereits vorgekommenen Erkrankungen überhaupt oder in einzelnen Heerden an solchen Leiden, denen erfahrungs-mässig allgemeine Schädlichkeiten zum Grunde liegen, die ent­weder allgemein verbreitet sind oder doch auf die einzelnen Heerden eingewirkt haben;
2)nbsp; aus der Einwirkung eines Ansteckungsstoffes, oder
3)nbsp; endlich aus gewissen Erscheinungen, die als Vorboten eines befürchteten Leidens angesehen werden müssen.
Die üblichen Frühjahrskuren, die Aderlässe, welche ohne
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196nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
diese Indication oft vorgenommen werden, gehören nicht zu einer vernünftigen Vorbauung. Diese umfasst die verschieden­sten Mittel und je nachdem unterscheiden wir eine diäteti­sche, therapeutische und eine polizeiliche.
Die diätetische ist die allgemeinste, umfassendste, oft die einzig mögliche, vielfach die wirksamste Präcaution schon an und für sich, bei unseren Hausthieren aber ganz besonders deshalb, weil bei diesen so viele sporadisch und seuchenartig auftretende Krankheiten in den Nahrungsmitteln, in den localen Verhältnissen und überhaupt in der ganzen Lebensweise begrün­det sind, die mehr auf den ökonomischen Zweck, als auf die Gesundheit der Thiere berechnet sind.
Von der Gresundheitspflege, der Hygiene unterscheidet sich die diäte­tische Prophylaxis wesentlich: jene giebt Gesundheitsregcln überhaupt für die verschiedenen Thiergattungen mit Rücksicht auf Alter und Gebrauchs­zweck an, sie giebt die Kegeln, ein möglichst gesundes Leben zu leben, ohne dabei bestimmte Krankheiten im Auge zu haben, ihr Gegenstand ist, Gesundheit überhaupt zu erhalten; diese hingegen hat bestimmte, herrschende Schädlichkeiten, bestimmte Krankheitsursachen und gewisse Krankheiten im Auge, solche abzuhalten zum Gegenstande, und berücksichtigt dabei die allgemeinen Gesundheits­regeln nur in soweit, als sie diesem Zwecke förderlich sind, speeiell aber ist alles auf die befürchtete Krankheit berechnet, und dabei kann es vor­kommen, dass die Anordnungen selbst gegen die allgemeinen diätetischen Regeln laufen. Die Hygiene geht immer neben den ökonomischen Zwecken her, die sie bei der Förderung der Gesundheit nicht beeinträchtigen darf, sie hat bei unseren Hausthieren eine Zwitternatur, hervorgegangen aus den Principien der Gesundheitsregeln und aus der ökonomischen Zweckmässig-keit. Mit der diätetischen Prophylaxis ist es etwas anders, sie rauss aller­dings nach den gegebenen ökonomischeu Verhältnissen ausführbar sein und darf sich nicht in Anordnungen bewegen, die in das Reich der frommen Wünsche gehören, wie ja überhaupt jeder vernünftige Grund, d. h. Indication nicht allein aus der Zweckmässigkeit, soadern auch aus der Ausführbarkeit hergenommen sein muss, sie ist aber deshalb noch nicht contraindicirt, wenn sie landwirthschaftliche Unbequemlichkeiten und ökonomische Opfer verlangt, und je nach der Grosse der bevorstehenden Gefahr kann um so weniger auf diese Dinge Rücksicht genommen wer­den; natürlich dürfen die Opfer niemals im Missverhältnisse stehen mit dem Nachtheile, den der abzuhaltende Feind bringen kann. — Der sogenannte therapeutische Calcul muss bei der Vorbauung ebenso gut angelegt wer­den, wie bei der Behandlung eines einzelnen Patienten. Wenn die Hy­giene sich stets den ökonomischen Verhältnissen anpassen muss, so haben diese sich der diätetischen Prophylaxis bis zu dem Grade zu fügen, wo das Facit einer ökonomischen Berechnung keinen Protest einlegt.
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Die Vorbauung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 197
Im Allgemeinen sind die diätetischen Vorbammgen die kostspieligsten und unter allen Umständen diejenigen, welche am tiei'sten in das landwirth-schaftliche Getriebe eingreifen, und je mehr dies der Fall ist, desto unwill­kommener sind dem Landwirthe solche Anordnungen, gegen die er denn auch gewöhnlich alle möglichen Dinge einzuwenden hat. Das Uebelste bei der diätetischen Vorbauung- ist, wenn den Anordnungen scheinbar Gehör gegeben wird und diese dennoch nur unvollständig und auf zu kurze Zeit in Anwendung kommen. Hier kommt die diätetische Prophylaxis in Miss­kredit und der Thierarzt obenein, weil die Wirkung ebenso unvollständig ist, wie die Ausführung. Die diätetische Vorbauung erfordert daher ein entschiedenes Auftreten und rechtzeitiges Verwahren gegen die Folgen.
Die Hauptgegenstände dieser Vorbauung bleiben die Schäd­lichkeiten, die als Ursachen angesehen werden können oder müssen und soweit diese von diätetischen Mitteln erreichbar sind, ist sie eine radikale Vorbauung; sind die Schädlichkeiten nicht bekannt oder nicht zugänglich, so ist noch nicht alle Wirksamkeit der diätetischen Vorbauung abgeschnitten, einmal giebt sie uns oft noch die Mittel an die Hand, auf das zweite ursächliche Moment, auf die Anlage zu der gefürchteten Krank­heit, auf die Empfänglichkeiten für die nicht zu verhütender Schädlichkeiten vermindernd einzuwirken, das Resistenzvermö­gen gegen die unerreichbaren Schädlichkeiten zu steigern, und zweitens können wir noch alle solche Einflüsse, die an sich zwar unschuldig, aber dennoch den Anstoss zu Störungen im Organismus und hierdurch zum Ausbruch der bereits vorberei­teten Krankheiten geben, die sogenannten vermittelnden Schäd­lichkeiten, deren es immer gar manche giebt, auf diätetischem Wege abhalten und dadurch die Erkrankungen wenigstens sehr vermindern. Den Enzootien ist auf diätetischem Wege immer vorzubauen, wenn keine ökonomischen Hindernisse abhalten.
Die therapeutische Vorbauung geschieht auf chi­rurgischen und pharmaceutischen Wegen. Im Ganzen wird sie sehr oft gemissbraucht; sie findet seltene und immer nur dann zweckmässige Anwendung, wenn entweder die Krankheit selbst schon dem Keime nach vorhanden ist, wenn also die Vorbauung gleichbedeutend ist mit Abortiv-kur, oder wenn eine abnorme Anlage für die befürch­tete Krankheit existirt, oder endlich wenn es sich um Zerstörung resp. Ableitung einer Schädlichkeit im Individuum, eines eingedrungenen Contagiums handelt. Hier ist sie angezeigt, weil eben schon ein Feind
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198nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunstliiilfe.
imlndividuo zu bekämpfen ist; sie ist hier oft von sehr erfreu­lichen Folgen, denn ein kleiner Feind ist leichter zu überwinden, als ein grosser, der festen Fuss gefasst hat, der eingewurzelt ist.
Jedes therapeutische Einschreiten ohne jene Indicationen ist um so nachtheiliger, je wirksamer die angewandten Mittel sind; es werden so immer künstliche Störungen verursacht, Arz­neikrankheiten geschaffen, wodurch selbst das Eintreten der Krankheiten gefördert werden kann, die man gerade verhüten wollte.
Die Pfuscherpraxis treibt nirgends mehr ihr Unwesen, als in der thera­peutischen Vorbauung; bei dem Herrsehen sehr verheerender Seuchen greift eine gaunerhafte Speculation nicht selten en gros ein, die verschiedensten Specifica werden gerühmt, die alle ihre Abnehmer finden, besonders wenn es Geheimmittel sind. Das Gemeingefährlichste ist hierbei, dass im guten (ilauben gewöhnlich alles vernachlässigt wird, was noch Schutz gewähren oder doch den Verlust vermindern könnte.
Die polizeiliche Vorbauung ordnet Maassregeln an, welche vom Staate vorgeschrieben sind; ihr Object ist meist ein Contagium, ihr Zweck ist, Gemeingefahr abzuwenden, Ge­sundheit und Eigenthum eines Dritten zu schützen; sie ist da­her wesentlich Gegenstand der Veterinair-Polizei. Soweit sie hier in Betracht kommen kann, wird bei den Schädlichkeiten davon die Rede sein.
Jede Vorbauung ist der Natur der Sache nach theils gegen die ursächlichen Momente — Anlage und veranlassende Schäd­lichkeiten — theils gegen die beginnende Krankheit selbst, gegen die Krankheit im embryonalen Zustande gerichtet.
1. Vorbauung gegen die Anlage.
Die Erkennung der Anlage, wenigstens derjenigen Zustände, deren Gesamratresultat sie ist, muss vor allen Dingen dem be-wusstvollen Handeln vorangehen. Die Anlage ist aber nicht etwas absolut Gegebenes, sondern etwas Relatives, auf eine bestimmte Krankheit sich beziehendes, welches nur bei entspre­chenden Schädlichkeiten ein ursächliches Moment abgiebt. — Anlage zu A und Empfänglichkeit für B. Die Anlage kann daher auch niemals an sich selbst, sondern immer nur aus A und B, aus der Krankheit, auf die sie sich bezieht, und aus der veranlassenden Ursache, mit der sie vereint den hinläng-
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Anlage in normalen Verhältnissen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 199
liehen Grund des Erkrankens ausmacht, also ex post erkannt werden. Ist A noch nicht näher gekannt, und B gänzlich oder doch in seiner Wirkungsweise unbekannt, so bleibt auch C — die Anlage — eine unbekannte Grosse, und es fehlt uns dann jeder Anhaltspunkt auf C einzuwirken, wenn uns anders nicht etwa ein rein empirisches Mittel zu Gebote steht.
Eine zweite Bedingung, um auf die Anlage einzuwirken, ist, dass wir auch die Mittel und Wege dazu kennen, mögen sie empirisch gegeben, oder auf rationellem Wege aus der An­lage gefunden sein; wo sie fehlen, da müssen wir auf diesen Angriffspunkt in der Vorbauung verzichten und unsere Thätig-keit auf das andere ursächliche Moment, auf die äussere Schäd­lichkeit, beschränken.
Die Anlage ist in normalen Verhältnissen begründet — normale Anlage, dispositio —, oder in abnormen Zustän­den — abnorme Anlage, praedispositio. Wie aber zwi­schen Gesundheit und Krankheit, so ist auch hier zwischen nor­maler und abnormer Anlage keine scharfe Grenze; es bleibt z. B. unentschieden, bis wie weit eine Blutfülle, Vollblütigkeit zu der normalen Anlage zu zählen ist. Solche an der Grenze liegenden Dinge können aber bei keiner Eintheilung weiter berücksichtigt werden, und so lange man Krankheit von Gesund­heit unterscheidet, muss man auch abnorme von normalen An­lagen trennen.
A. Die Anlage in normalen Yerkältnissen.
Sehr oft bleibt sie uns vollständig unbekannt, in manchen Fällen jedoch, und namentlich bei Seuchen, um die es sich bei der Vorbauung ja vorzugsweise handelt, bekommen wir immer entferntere oder nähere Aufschlüsse über die normalen Anlage­verhältnisse; je nach der Auswahl, welche eine herrschende Krankheit unter den Gattungen und Individuen trifft, und je nach den veranlassenden Schädlichkeiten, können wir auch auf bestimmte Verhältnisse schliessen, in denen eine Anlage gegeben ist. Beschränkt sich eine Krankheit ausschliesslich auf eine bestimmte Gattung, so ist die Anlage natürlich in dem Gattungs­typus gegeben — damit ist aber dem Therapeuten noch wenig geholfen, er erfährt hierdurch nur, auf welche Thiergattung er seine Aufmerksamkeit und Thätigkeit zu richten hat —, wählt aber eine Krankheit weiter noch unter den Individuen nach
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200nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
bestimmter Körpereonstitution, so ist die Anlage schon specieller declarirt, und sind Erkältungen die veranlassenden oder auch nur vermittelnden Krankheitsursachen, dann wissen wir, dass in der Reizempfänglichkeit der Hautnerven für Kälte eine An­lage begründet ist. Die normalen Anlagen kommen als Object bei der Vorbauung in Betracht:
1)nbsp; nbsp;wenn sie in einer bestimmten Körpereonstitution ausge­sprochen sind;
2)nbsp; nbsp;wenn sie in gesteigerter Empfänglichkeit der Hautnerven für den Reiz der Kälte beruhen, und
3)nbsp; nbsp;bedingungsweise bei ansteckenden Krankheiten.
1. Anlage in der Körpereonstitution — Indicatio ex constitutione
corporis.
Hier kommen besonders zwei diametral gegenüber stehende Constitutionen in Betracht: die robuste mit Säftefülle und die schwache mit Kräfte- und Säftemangel, mit Atonie in dem Ge­webe. Bei der sogenannten robusten Constitution ist die Anlage nicht etwa in einer Kraftfülle begründet — ein Uebermaass von Kraft existirt nie, grosse Kräftigkeit kann weder Anlage zur Krankheit, noch der hinlängliche Grund, das Wesen derselben sein — conf. entziehende Methode —, sondern in der Wohl­genährtheit, Feistheit, namentlich in Blutfülle, die meist mit einer gewissen Dickblütigkeit verbunden ist. Beide Constitu­tionen sind bei unseren Hausthieren, wenn anders keine be­stimmten Krankheitszustände zu Grunde liegen, das endliche Resultat der diätetischen Verhältnisse, und bei beiden findet daher auch der diätetische Heilapparat die zweckmäs-sigste Anwendung, wodurch wir im Stande sind, sie ohne gewaltsamen Eingriff zu beschränken und bis zu dem Punkte zurückzuführen, wo sie keine Anlage mehr für eine herrschende Krankheit involviren. Die diätetische Vorbauung ist hier eine eben so sichere, als nachhaltige Vorbauung, die auf keine Weise ganz zu ersetzen ist, die aber dennoch verhältnissmässig so sel­ten in dem nothwendigen Umfange angewendet wird. Die all­gemeinen Grundregeln der Hygiene einerseits und die gegebene Constitution andererseits sind die Momente, aus denen wir die speciellen Indicationen für die angemessene diätetische Einwir­kung auf die Anlage entnehmen müssen. Immer aber erfor-
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Anlage in der Körperconstitiition.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 201
dern diese Mittel eine nachhaltige und consequente An­wendung.
Die chirurgischen und pharmaceutischen Heilappa­rate sind selten angezeigt, aber gerade sie kommen am häufigten in Anwendung, besonders bei der robusten Consti­tution; es hat sich ein verkehrtes Verhältniss in die Praxis ein­geschlichen, das selten Zweckmasssge wird zu oft und das immer Zweckmässige zu selten angewendet. Eine Körperoonstitution kann nicht so geschwind durch einen stärkenden oder schwächenden Trank, durch einen Aderlass u. s. w. beseitigt, sondern nur durch nachhaltige Einwirkung geändert werden, und dazu ist ein eingreifendes therapeutisches Verfahren niemals geeignet. Wirkliche Stärkungsmittel haben wir überhaupt nicht in den Officinen, diese finden wir nur auf den Futterböden, nur Reizmittel giebt es dort, und diese kön­nen bei einer constitutionellen Schwäche niemals anders nützen, als wenn sie den Gesetzen der Hygiene untergeordnet und nur in so weit angewendet werden, als sie eben eine Stütze der angeordneten Diät sind. Die schwache Constitution geht also schon bei der rein pharmaceutischen Vorbauung leer aus. Las­sen wir im andern Falle so oft und so lange schwitzen, pur-giren und Blut fliessen, bis eine kräftige Körperconstitution zer­knickt ist, so haben wir durch Beseitigung einer normalen Krank­heitsanlage eine abnorme gelegt, die oft weit mehr Gefahr bringt als jene, wenn auch nicht gerade durch die gefürchtete Krank­heit; jemanden einem Feinde entziehen, um ihn einem andern, schlimmeren entgegen zu führen, ist nicht eine schützende, ret­tende That.
Nur wenn Gefahr im Verzüge ist, wenn z. B. eine Vollblü­tigkeit in hohem Grade gegeben ist, wenn eine vollsäftige Con­stitution fast ins Abnorme hinüberragt, wenn die Erkrankungen häufig und stürmisch auftreten etc., nur dann ist eine hinläng­liche Indication für das therapeutische Eingreifen gegeben. Aber auch in diesen Fällen darf nur der erste Angriff auf die Con­stitution ein therapeutischer sein, die weitere Einwirkung nmss wieder eine diätetische sein, die nicht bloss als Ergänzung, als Unterstützung von den therapeutischen Mitteln, sondern stets als die Hauptsache betrachtet werden muss.
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202nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
ä. Die gesteigerte Empfäugliclikeit für Kälte — Verweichlichung.
Eine mehr oder weniger schnelle Abkühlung des ganzen Körpers oder eines Theiles desselben, die eine Störung im Orga­nismus zur Folge hat, ist eine Erkältung; die Anlage hiezu be­ruht in einer gesteigerten Reizempfänglichkeit der sensitiven Hautnerven für niedere Teraperaturgrade, besonders wenn diese plötzlich auf den Körper einwirken. Erkältung ist die hinläng­liche Ursache für viele Krankheiten — die Erkältungskrankhei­ten —, sie vermittelt aber auch den Ausbruch derjenigen herrschen­den Krankheiten, die ihrem Wesen nach durch specifische Schäd­lichkeiten bedingt werden; en- und epizootische Krankheiten können durch Erkältung in verschiedenen Individuen zum Aus­bruche gebracht werden, welche ohne diese nicht erkrankt sein würden. Die Anlage zu Erkältungen, auf die wir ziemlich sicher einwirken, zu einem höheren Grade ausbilden und auch ver­mindern, fast verdrängen können, ist daher bei jeder Vor-bauung unter allen Umständen ein höchst wichtiger Gegen­stand, der immer noch viel zu sehr vernachlässigt wird und der um so mehr Beachtung verdient, als man diese Anlage aus übel angebrachter Sorgfalt gewöhnlich noch zu steigern pflegt, wenn man eine Krankheit befürchtet. Daher die bekannte Erscheinung, dass gerade der ängstlich um sein Vieh besorgte Besitzer die meisten Verluste zu beklagen hat. Die kalten und bei uns zugleich trockenen Nordostwinde wehen Katarrh, Bräune u. s. w. den Pferden an, die, mit schönen Decken geziert, in ängstlich verschlossenen Ställen stehen.
Zwei Thatsachen haben wir hier besonders hervorzuheben:
1)nbsp; dass unsere Hausthiere bei verschiedener Tem­peratur gedeihen können; die Breite dar Temperatur-Schwankungen ohne absolut störende Wirkung auf die Gesund­heit ist sehr beträchtlich, weil die awar nach physikalischen Gesetzen erfolgende Wärmeabgabe nach Aussen durch physio­logische Acte verändert, die Wärmeausstrahlung der inneren Entwickelung und diese wieder der Abgabe angepasst werden kann; deshalb können unsere Hausthiere auch im heissen und kalten Klima fortkommen;
2)nbsp; nbsp;dass die sensitiven Hautnerven sich an die gegebene niedere wie hohe Temperatur gewöhnen. Es ist ein physiologisches Gesetz, dass die Empfänglichkeit für eine
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Verweichlichung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 203
länger oder öfter wiederholt auf die Körperoberfläche einwir­kende Temperatur abgestumpft, zugleich aber für eine niedri­gere gesteigert wird, so dass jede Temperatur unter der gewöhn­ten als Kälte, als Reiz auf die Empfindungsnerven wirkt und bei plötzlicher Einwirkung gewöhnlich Erkältung bedingt, wäh­rend jeder Grad über der gewöhnten Temperatur als Wärme empfunden wird, die bis zu den Graden, wie sie in der Um­gebung unserer Hausthiere überhaupt vorkommt, nicht als alte-rirender Reiz auf die Empfindungsnerven der Haut wirkt.
Auf diesen beiden Thatsachen beruht die Steigerung der Empfänglichkeit, der Disposition zu Erkäitangen — — die Verweichlichung — und die Verminderung der­selben — die Abhärtung. Die schlimmen Folgen der Ver­weichlichung sind begreiflich, wenn wir berücksichtigen, dass einerseits gerade in unserem gemässigten Klima der Witterungs­wechsel sehr gross ist, dass wir heisse Sommer und kalte Win­ter haben, dass wir aber namentlich in den Uebergangs-Jahres-zeiten zu diesen Gegensätzen, im Frühjahr und Herbst, schroffen Temperaturwechsel haben; dass wir andererseits unsere Haus­thiere, namentlich aber die Arbeitsthiere dem Witterungswech­sel nicht entziehen können. Die Nothwendigkeit und die Bedeu­tung der schützenden, vorbauenden Abhärtung liegt hiernach auf der Hand.
Das System der Abhärtung fordert an sich schon grosse Vorsicht, damit nicht gerade das herbeigeführt werde, was ver­mieden werden soll; noch viel mehr ist dies aber der Fall, wenn es behufs der Vorbauung bei einer schon in Aussicht ste­henden Krankheit geschieht. Eine bessere Gewohnheit zu be­gründen, um den üblen Folgen der älteren Gewohnheit vorzu­bauen, muss natürlich ohne Kränkung der organischen Functio-nen geschehen. Die speciellen Vorsichtsmaassregeln hierbei schreibt uns die Hygiene vor, sie beruhen alle in dem Gesetze der gradweisen Gewöhnung. Die Mittel sind:
1)nbsp; reichliches Einheizen, d. h. kräftige Ernährung mit koh­lenstoffreichem Futter, und
2)nbsp; nbsp;entsprechendes äusseres Abkühlen: a) durch frische, kühle Luft in hohen und geräumigen Ställen, und b) durch kal­tes Wasser, kalte Abreibungen, Waschungen und Schwemmen.
Nach der Anwendung des kalten Wassers muss die Haut
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204nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
immer wieder zur Erwärmung kommen durch Friction, unter Decken. Im Uebrigen muss sich der Gebrauch der Decken auf die allmälige Abkühlung der warm in den Stall gekommenen Pferde beschränken. Grosse Kälte kann natürlich eine Aus­nahme bedingen.
3. Die Anlage zu ansteckenclen Krankheiten.
Alle ansteckenden Krankheiten können durch das Conta-gium nur fortgepflanzt werden, wenn eine Empfänglichkeit für dasselbe vorhanden ist. Es giebt Contagien, die in allen Thier-gattungen eine Empfänglichkeit finden, andere, welche sie nur in einzelnen, nnd noch [andere, welche sie ausschliesslich in einer Thiergattung finden; bei allen Contagien aber ist die Empfänglichkeit in den Individuen dem Grade nach verschie­den, ohne dass wir im Stande sind, die individuellen Verhält­nisse nachzuweisen, welche eben diese gradweise Verschieden­heit bedingen. Von dieser Empfänglichkeit für gewisse Con­tagien im höheren oder geringeren Grade ist uns weiter nichts bekannt, als dass sie eben existirt. Dennoch aber haben wir ein Mittel, ein rein empirisches Mittel, auf die Anlage einzu­wirken, sie aufzuheben. Dieses Mittel ist aber leider die Krank­heit selbst, in der sich das Contagium entwickelt. Andere Mit­tel giebt es hier nicht, alle Arzneien und andere Dinge, die man als Schutzmittel gegen gewisse ansteckende Krankheiten empfohlen hat, sind vollständig nutzlos, wie gross die Wunder­dinge auch sein mögen, die man sich davon erzählt. Der stänke­rigste Ziegenbock schützt weder gegen Milzbrand, noch gegen Lungenseuche und andere Seuchen, gegen welche er als Talis­man so vielfach in den Rindviehställen figurirt.
Jede ansteckende Krankheit hebt die Anlage zu sich selbst auf, erschöpft die Empfänglichkeit für das Contagium, welches sich in ihr entwickelt, und selbst für die veranlassen­den Schädlichkeiten ihrer genuinen Entwickelung, so weit es solche giebt; bei einigen Krankheiten hält die Erschöpfung für die ganze Lebensdauer an — Rinderpest, Pocken, Lungenseuche — bei andern besteht sie nur für längere ödere kürzere Zeit, immer aber erstreckt sich diese Immunität auf die Dauer einer herrschenden contagiösen Seuche, so dass ein zweimaliges Erkran­ken während derselben gar nicht oder doch nur als seltene Aus nähme vorkommt, wenn die Seuche auch Monate lang dauern
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Anlage zu ansteckenden Krankheiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;205
sollte. — So ist es z. B. bei dem Milzbrande, bei der Influenza, bei der Aphthenseuche; bei letzterer kommt es selbst vor, dass nach Jahren einzelne Individuen noch keine Empfänglichkeit, andere nur in sehr geringem Grade erlangt haben, und deshalb bei einer zweiten Aphthenseuche theils ganz verschont bleiben, theils nur in sehr geringem Grade at'ficirt werden. Vor einem Vierteljahre habe ich niemals bei neuer Gelegenheit zur An­steckung eine Infection wieder erfolgen sehen.
Ein Eecidiv ist ein neues Auftauchen einer noch nicht ganz verschwunden gewesenen Erkrankung, es kann also nicht als ein isolirtes zweites Erkranken betrachtet werden.
Ohne diese Erschöpfung der Empfänglichkeit für das Con-tagium würde es bei allen contagiösen Krankheiten, namentlich aber bei denen mit flüchtigem AnsteckungsstofF, um die thera­peutische Behandlung schlimm stehen, schon im Individuum, noch mehr aber in einer Heerde würde das Krankheitsproduct immer wieder hinlängliche Ursache einer neuen Erkrankung sein.
Die bösartige Klauenseuche bei Schafen, als contagiüse Krankheit be­trachtet, macht bei den Thieren, wie vielleicht die Syphilis bei den Men sehen, von dieser Regel eine Ausnahme. Diese Krankheit verschwindet des­halb auch niemals aus einer Heerde, wenn die Kunst nicht energisch ein­schreitet und das Contagium (Pilze?) an den Individuen und den Zwischenträ-g-eru zerstört. Die Syphilis wird von der Natur niemals geheilt. Bei den parasitischen Krankheiten sind die betreffenden Wohnthicre jederzeit wieder bewohnbar für die naturgemässen Schmarotzer, wenn diese auch erst un­längst abgezogen sind; die Käude z. B. kann jederzeit wiederkehren, es verhält sich mit der Milbe wie mit den Läusen.
Impfung. In der künstlichen Erzeugung einer ansteckenden Krank­heit ist uns nach den vorstehenden Erörterungen ein Mit­tel an die Hand gegeben, die Empfänglichkeit für dasselbe Contagium, die Anlage zu derselben ansteckenden Krankheit zu tilgen. So weit es sich nur um die Anlage des geimpften Indi­viduums selbst handelt, ist es selbstverständlich, dass man das­selbe dabei nicht in Lebensgefahr bringen darf; es giebt aber auch Fälle, in denen es sich weniger um einzelne Individuen, als um eine Heerde und um Abkürzung einer vorhandenen an­steckenden Seuche handelt, wo man selbst auf die Gefahr hin, mehr oder weniger von den Geimpften zu verlieren, dennoch zu diesem Mittel greift.
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206nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
Einen milderen Verlauf nimmt die geimpfte Krank­heit nicht unbedingt; bei dem fixen Contagium ist es ziemlich gleich, ob die Uebertragung zufällig oder absichtlich erfolgt — Rotz, Wurm, Milzbrand und Wuthkrankheit kann man nach den bisherigen Erfahrungen zu therapeutischen Zwecken gar nicht impfen —; bei flüchtigen Contagien nimmt die geimpfte Krank­heit unter Umständen einen milderen Verlauf. Gelingt es, eine allgemeine Krankheit durch Impfung an der Impfstelle zu localisiren, so ist der mildere Verlauf nach der Impfung ge­sichert; bei den Pocken ist dies zu erreichen, deshalb bei ihnen die besten Erfolge der Impfung. Hat eine ansteckende Krank­heit ein hochwichtiges Organ zu ihrem regelmässigen Sitze und kann man durch Impfung ein anderes, weniger wichtiges Organ bei der Impfung unterschieben, so ist auch dadurch auf einen günstigen Erfolg zu rechnen. Die Lungenseuche liefert uns hier das Beispiel; durch Impfung erzeugen wir den specifischen, die Anlage tilgenden Process in dem subcutanen Bindegewebe, da­bei bleiben das interlobuläre Lungenbindegewebe und die Pleura frei; wählt man nun noch einen Körpertheil, wo im schlimm­sten Falle ein gewisser Defect nicht gefährlich ist, dann ist die Impfung der Lungenseuche in demselben Grade gefahrlos, als die natürliche Ansteckung gefahrvoll ist. Wo die Impfstelle keine Bevorzugung bei der Krankheitsentwickelung behält, wo ohne Impfung dieselben Organe erkranken, resp. dieselbe Ver­allgemeinerung der Krankheit Statt hat, in allen diesen Fällen bleibt ein milderer Verlauf durch die Impfung sehr unsicher; die geimpfte Aphthenseuche nimmt in der Regel denselben Verlaufj wie die nach zufälliger Ansteckung; bei der Rinder­pest liefert die Impfung an sich nicht die Sicherheit, wie die Pocken und die Lungenseuche, nur durch besondere, zum Theil bekannte, zum Theil noch unbekannte äussere Verhältnisse gelingt es hier, durch Impfung einen milderen Verlauf zu erzielen.
Abkürzung der Seuche wird durch Impfung immer erreicht. Diese Abkürzung kann einen grösseren und auch min­deren Werth in den concreten Fällen haben, und je nachdem kommt die Rücksicht auf den Verlauf der geimpften Krankheit mehr oder weniger mit in Betracht; je höher der Werth der Seuchenabkürzung steht, desto weniger kommt es auf ein Opfer dabei an. Bei dieser Abkürzung der Seuche handelt es sich:
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Impfung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 207
a)nbsp; nbsp;um ökonomische Rücksichten, um Abkürzung der Störungen und Lasten, namentlich um solche diätetische Ver­hältnisse eintreten zu lassen, die einen gutartigen Verlauf we­sentlich bedingen, die aber für längere Zeit aus ökonomischen Gründen nicht gut durchführbar sind. Die Abkürzung rauss billigen Kaufes sein, der Verlauf muss entweder an sich der Natur der Seuche nach schon gefahrlos sein, wie z. B. bei der Aphthenseuche, oder durch die Impfung zugleich gemildert und mehr gefahrlos gemacht werden, wie bei den Pocken;
b)nbsp; um staatspolizeiliche Rücksichten, um Abkürzung der Gefahr der Verbreitung. Nach der Grosse de;' Gemein­gefahr ist es hier immer zu bemessen, ob die etwa erforder­lichen Opfer nicht eine Contra-Indication abgeben. Bei den Pocken und der Lungenseuche empfiehlt sich diese Abkür­zung von Staatswegen, weil die etwaigen Opfer im Vergleich zu dem Nutzen sehr gering sind, und das Verfahren zugleich im Interesse des Besitzers selbst liegt. Bei der Rinder­pest ist die Gemeingefahr so gross, dass die Abkürzung unier allen Umständen von der Staatspolizei geboten ist; es drängt sich hier nur die Frage in den Vordergrund, ob durch Impfen oder durch directes Tödten. Conf. Nothimpfung.
Man unterscheidet nach den Hauptzwecken Vorbauungs­und Nothimpfung.
1. Die Impfung zur Vorbauung. Die Anlage zu einer in naher oder fernerer Aussicht stehenden ansteckenden Krank­heit zu tilgen, dadurch eben die Krankheit ganz abzuhalten, ist der eigentliche Zweck. Je nachdem die abzuwendende Gefahr fern oder nahe liegt, unterscheidet man allgemeine Schutz­impfung und specielle Vorbauungsimpfung, die soge­nannte Präcau tionsimpfung.
Die Schutzimpfung. Sie hat den lebenslänglichen Schutz gegen eine bestimmte Krankheit zum Zweck, ohne dass diese selbst schon vorhanden ist. Eine dringende Nothwendigkeit liegt hierzu nicht vor, weil keine Gefahr in specieller Aussicht steht; angezeigt ist dieselbe:
laquo;) wenn die Anlage lebenslänglich aufgehoben wird; dies haben wir bei Pocken, Lungenseuche und Rinderpest:
h) wenn die geimpfte Krankheit viel milder und voraus­sichtlich gefahrlos ist, oder wenn doch mindestens die Nach-
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208nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
theile bei der Impfung nicht in Betracht kommen können im Vergleich zur Grosse der dadurch abgewendeten Gefahr. Den möglichst milden Verlauf, der in der Regel insofern gefahrlos ist, als es sich höchstens um einige wenige Procente handelt, haben wir bei den Pocken und der Lungenseuche. Dennoch aber kann ich nur die ersten als zur Schutzimpfung ganz geeig­net erkennen, während ich bei der Lungenseuche diese Im­pfung nicht für empfehlenswerth erachten kann; denn einmal kann man sich, namentlich bei der Stallfütterung, recht gut direct gegen diese schützen; zweitens kann man bei dem lang­samen Verlaufe der Seuche immer noch mit Erfolg impfen, wenn sich die ersten sichtbaren Spuren der eingetretenen Lungen­seuche zeigen, und drittens endlich verbietet sich eine regel-mässig fortzuführende Schutzimpfung von selbst, weil der Impf­stoff nicht für längere Zeit wirksam aufzubewahren ist und man eben den frischen guten Impfstoff immer erst mit dem Aus­bruch der Seuche bekommt;
c) endlich in Gegenden und Ortschaften, wo die betrefiende ansteckende Seuche oft herrscht und jedes Jahr zu fürchten ist, ganz abgesehen von den oft schwer zu erledigenden Fragen, ob durch spontane Entwickelung oder durch Einschleppung bei den gegebenen Verkehrs- und Handelsverhältnissen. Es würde ja thöricht sein, in Ländern und Districten eine stehende Schutz­impfung einzuführen, wo die betreffende Seuche selten herrscht und leicht direct abzuhalten ist. Die Erfahrung muss hier allein entscheiden über die Zulässigkeit und Zweckmässigkeit. Je bedenklicher die Impfung selbst ist, je mehr Verluste sie herbeiführen kann, desto sorgfältiger muss man die Gründe pro et contra abwägen. Bei der Rinderpest kann die Schutzimpfung nur in jenen Steppenländern stattfinden, in denen die Rinder­pest zur Zeit noch nicht beherrscht, d. h. unter den obwaltenden Verhältnissen schwer getilgt und abgehalten werden kann, und andererseits eine durchgreifende und regelmässig fortgehende Schutzimpfung ohne allzu grosse Verluste durchführbar ist. Conf. meine Rinderpest, S. 206.
Jessen hat die Schutzimpfung der Rinderpest in Russland angeregt und als Ausrottungsmittel bis auf den heutigen Tag mit Interesse verfolgt — conf. Magazin von Gurlt und Hertwig, Bd. 26. S. 385, und meine Rinderpest u.s.w. 1867. S. 203 —; er hat sich dadurch ein bleibendes Verdienst erwor­ben, selbst wenn die consequente Durchführung an unüberwindlichen Hin-
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Impfung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 209
dernissen scheitern sollte; sein Verdienst bleibt ungeschmälert, weil er dadurch der intellectuelle Urheber geworden ist von einer grossen Reihe von Impfversuchea, die für die Wissenschaft der Rinderpest von hohem Werthe sind.
Die geimpfte Krankheit ist bei den Pocken und der Rinder­pest, also bei den Krankheiten, bei welchen die Schutzimpfung überhaupt in Betracht kommt, eben so ansteckend und mithin eben so gemeingefährlich, als die durch zufällige Ansteckung entstandene. Die Lungenseuche macht hiervon eine Ausnahme, die geimpften Rinder athmen kein Contagium aus, oder doch so geringfügig, dass eine Ansteckung nicht zu fürchten ist, die Lungenseuche kommt jedoch hier, wie bereits näher ausgeführt, nicht in Betracht. Bei jenen beiden Krankheiten aber sollte die Schutzimpfung eine Staatsmaassregel sein; sofern ein allge­meines Ge- resp. Verbot, nicht thunlich erscheint — und bei den heutigen landwirthschaftlichen Verhältnissen hat dies allerdings sein Bedenken —, ist es doch unbedingt erforderlich, dass die bestehenden Schutzmaassregeln, die Absperrung etc., bei Im­pfung eben so streng gehandhabt werden müssen, als bei den zufälligen Seuchenausbrüchen. Wie gross die Nachtheile der Schutzpockenimpfung ohne diese Maassregel sind, beweist die tägliche Erfahrung. In allen Gegenden Preus-sens z. B., wo die Schutzpocken-Impfung bei den Schafen theil-weise gebräuchlich ist, theilweise aber nicht ausgeübt wird, da ist die Pockenseuche eine jährliche Erscheinung, die hier künst­lich zu einer gemeingefährlichen gemacht wird, weil die Schutz­impfung nicht allseitig und ohne Sclmtzmaassregeln ausgeführt wird.
Die Präcautionsimpfung. Als solche bezeichnet man diejenige, welche vorgenommen wird, wenn die ansteckende Krankheit in mehr oder weniger naher Nachbarschaft schon vorhanden ist und so eine Gefahr in bestimmter Aussicht steht. Die Indicationen für diese Impfung hängen von dem Verhält­nisse der bevorstehenden Gefahr der Ansteckung und der damit verbundenen Verluste zu den Verlusten ab, die von der Impfung zu erwarten sind.
a) Ist die Krankheit, ihrer Natur nach, zum Impfen geeig­net — z. B. die Schafpocken —, sind die Witterungs- und die übrigen landwirthschaftlichen Verhältnisse günstig für den Ver­lauf der durch Impfung erzeugten Krankheit, so ist die Prä-
Gerlach Allg. Therapie. 2.Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14
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cautionsimpfang bei jeder, irgendwie in Aussicht stehenden Ansteckungsgefahr, so fern sie auch noch sein mag, angezeigt.
h) Ist die Impfung mit mehr oder weniger erheblichen Opfern verbunden, sind die Verluste aber doch immer noch geringer, als bei der Ansteckung, so geschieht die Präcautions-impfung nur im äussersten Nothfalle, wenn man bereits mit Sicherheit vorhersieht, dass die Ansteckung nicht zu ver­meiden, die Seuche nicht mehr abzuhalten ist.
c) Bringt aber die geimpfte Krankheit präsumtiv eben so grosse Verluste, wie die befürchtete Ansteckung, wie dies z. B. bei der Rinderpest der Fall ist, wenn sie mit einer gewissen Bös­artigkeit grassirt, wo die eingeimpfte Pest oft eben so mörderisch ist, als die durch anderweitige Ansteckung erzeugte, ferner auch bei den Schafpocken, bei nasskalter Witterung, im Winter bei Stallfütterung und Mangel an Räumlichkeiten, bei Futtermangel u. s. w., in allen diesen Fällen ist die Präcaution contraindicirt, so gross auch die Ansteckungsgefahr sein mag. Abschliessung, wenn sie auch nur geringe Hoffnung auf Schutz gewährt, ist hier immer noch der Impfung vorzuziehen.
Bei der Lungenseuche liegt ein grosser Vortheil dieser Im­pfung darin, dass wenn der Ankauf von Rindvieh nicht so lange ausgesetzt werden kann, wie zur sicheren Vernichtung des An-steckungsstoffes in Ställen, namentlich aber in durchgeseuchten Individuen erforderlich ist — wozu man auf ein halbes Jahr rechnen muss —, dass wir dann durch Impfung der neu einge­führten Rinder den Wiederausbruch der Seuche und so das Stationärwerden verhüten können. Bei der Rinderpest ist diese Impfung gar nicht mehr angezeigt, seitdem wir wissen, dass sie sicher absperrbar ist.
2. Die Nothimpfung. Die Seuche ist vorhanden, die Impfung ist dringlich ohne Zeitverlust geboten, hauptsächlich zur Abkürzung der Seuche, der Sperrmaassregeln und der Ge­meingefahr, zugleich aber auch, um nach Möglichkeit zu retten, was zu retten ist. Die Gefahr, welche eine Verzögerung oder Unterlassung der Impfung bringt, bezieht sich:
a) lediglich auf den Besitzer einer Heerde, welche bereits von der ansteckenden Seuche heimgesucht ist, weil es sich nur darum handeln kann, durch schnelles Impfen die Seuche ab­zukürzen und bei allen noch nicht auf natürlichem Wege ange-
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Die Nothimpfung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 211
steckten Individuen noch einen möglichst, milden Verlauf zu erzielen — die Nothimpfung aus Privatinteresse —;
b) auf den Staat, und ist dann eine Gemeingefahr. So kann z. B. bei der Rinderpest aus staatsökonomischen Interessen die Nothwendigkeit geboten sein, alle Kinder in dem Seuchenrayon schnell zu impfen, um die Rinder ausserhalb des Rayons zu retten. Diese Nothimpfung zur Abwendung einer Gemeingefahr kann daher immer nur vom Staate angeordnet werden. — Es ist wieder eine staatspolizeiliche Vorbau ang, die bei den Schaf­pocken und der Lungenseuche so recht eigentlich angezeigt ist.
Bei der Rinderpest coneurrirt die Nothimplung mit der Keule; letz­tere verdient den Vorzug bei den frischen Eruptionen, wenn es sich um eine im Verhältniss zur Gefahr nur geringe Zahl Rinder handelt, weil sie das schnellste und radicalste Mittel ist, jede Gemeingefahr abzuscheiden. Nur in dem Fülle, wo die Seuche durch Tödten nicht mehr getilgt werden kann, wo ein grosser Seuchenheerd abgesperrt ist, in welchem die Hornvieh­bestände preisgegeben sind, und jeder Ort, resp. jeder Viehbesitzer sich selbst schützt, so gut er kann, bis sich die Seuche selbst getilgt hat, in solchem Falle ist es auch empfehlenswerth zur Impfnadel zu greifen, zumal bei einem weniger bösartigen Verlaufe, bei dem immer noch auf eine Durch­seuchung einer grossen Anzahl zu rechnen ist. Conf. meine Rinderpest, Seite 204.
Bei der Lungenseuche ist die Impfung überhaupt seit der Entdeckung von Wilms in Hasselt 1853*) Gegenstand der Controverse gewesen; ge­rade in Belgien waren die grössten Widersacher, demnächst in England; in Italien und Frankreich fand sie schon eher Eingang; in Deutschland bil­deten sich zwei Lager, jetzt aber sind die Anhänger überwiegend. Dabei ist die Thatsachc überall hervorgetreten, dass diejenigen, die sich lediglieh auf den praktischen Standpunkt stellten, die nur empirisch zu Werke gin­gen, sich alle früher oder später ziix Schutzwirkung der Impfung bekannt haben. Ich hatte in der ambulatorischen Klinik in Berlin die beste Gele­genheit zu Versuchen und Beobachtungen; ich habe in allen Richtungen experimentirt: zuerst impfte ich vergleichsweise mit dem serösen Exsudate der einfachen Entzündungen und der Lungenseuche; hierdurch kam ich zu der Ueberzeugung, dass das Serum aus plastischem Exsudate der Lungen­seuche von ganz speeifischer Wirkung ist. Auf dieser ersten reellen Basis ging ich weiter und gelangte ganz selbstständig, ohne alle und jede äus-sere Beeinflussung zur Ueberzeugung von der Schutzkraft der Impfung der Lungenseuche. Ein eclatanter Fall bot sich mir in meiner jetzigen Stellung noch dar. Die Lungenseuche herrschte in einem 80 Häupter umfassenden Stalle; die Impfung kam zur Anwendung; noch ehe aber die Seuche ganz getilgt war, wurden 30 Häupter aus einer gesunden Gegend angekauft, in
*) Rapports et documents officiels relatifs ä finoculation de la Pleuro-pneumonie exsudative d'apres le proeedö de M. le Dr. Willems. 1853.
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einem anderen Gehöfte aufgestellt, geimpft und 4 Wochen nach der Impfung in den nicht desinficirten, noch mit Reconvalescenten besetzten Stall gebracht. Von den 30 Häuptern erkrankte ein Stück von denjenigen im leichten Grade, bei denen die Impfung nur schwach gewirkt hatte. Ich kann und muss deshalb die Schutzkraft der Impfung aus eigener Erfahrung hochhalten, trotzdem derselben erst in neuerer Zeit noch von dem belgischen Tbierarzte Legrain in seiner Zeitschrift*) eine Leichenrede gehalten -worden ist. In den ersten 4—5 Wochen nach der Nothimpfung kommen noch Erkrankun­gen vor, diese kommen alle auf Kechnung der Ansteckung vor der Impfung; gewöhnlich aber ist die Sterblichkeit bei diesen späteren Erkrankungen geringer, so dass es scheint, als ob die Impfung, wenn sie kräftig gewirkt hat, noch einen gewissen heilenden Einfluss auf den aufkeimenden Lungen-seuchenprocess in der Lunge habe. Als Nothimpfung kürzt sie die Seuche ab und reducirt die Verluste, wie es auf keine andere Weise zu erreichen ist; alsPräcautionsimpfung bei allen gesunden Eindern, die vor Erlöschen des Ansteckungsstottes in den Seuchenort resp. Stall eingeführt worden sind, verhindert sie neue Ausbrüche und das Stationärwerden. In beiderlei Beziehungen ist der Vortheil für den Besitzer so gross und die Verminderung der Gemeingefahr so entschieden, dass die Niehtausführung dieser Impfungen als Unterlassungssünde zu betrachten ist.
Das Impf-Verfahren.
Das Contagium, das ansteckende Princip, kennen wir nur aus den Wirkungen, stofflich nachweisbar ist es bis jetzt nicht, so weit es nicht nachweislich parasitischer Natur ist; diesem wirksamen Principe schieben wir eine Materie unter, weil wir uns keine Kraft ohne Materie denken können; deshalb nen­nen wir das unbekannte wirksame Agens „Ansteckungs­materiequot; oder „Ansteckungsstoffquot;; dieser ist aber nicht zu verwechseln mit „Impfstoffquot;, der eben eine thierische Sub­stanz darstellt, an welcher das wirksame Agens haftet.
Die Contagien sind an palpable Stoffe in verschiedenem concentrirten Zustande bald so innig gebunden, dass kein Ent­weichen und Vertheilen in der Luft stattfindet — fixe Conta­gien —, oder sie sind locker gebunden, entweichen beständig und nehmen die Luft zum Träger an — flüchtige Contagien —. Manche Contagien haben eine mehr beschränkte oder, wenn man will, eine scheinbare Flüchtigkeit, sie verflüchtigen sich mit dem Wasserdunst, d. h. nehmen nicht eigentlich die Luft, sondern die von den thierischen Substanzen entweichenden Was­serdünste als Vehikel an; so haftet z. B. das Contagium der
*) Tribune v6terinaire. 186G.
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Lungenseuche in den Wasserdünsten der ausgeathmeten Luft, selbst das fixe Rotz-Contagiura befindet sich in dem verdunste­ten Hautschweiss, wie Impfversuche mit niedergeschlagener Haut­ausdünstung beweisen.
Die künstliche Einverleibung einer geringen, das Conta-gium concentrirt genug enthaltenden Quantität thierischer Sub­stanz auf bestimmte Körpertheile stellt die Impfung dar, die immer den Begriff der quantitativ beschränkten und lo­cale n Infection hat. Hierbei kommt alles darauf an, dass das Contagium sicher haftet und die entstehende Krankheit mög­lichst milde verläuft.
1. Damit die Infection sicher erfolge, ist zunächst nöthig, dass wir solche Stoffe wählen, welche resorptionsfähig sind und das Contagium concentrirt genug enthalten, es müssen flüssige Stoffe und zwar Secrete sein, welche Producte der Krank­heit selbst oder doch damit gemischt sind. Es ist ein Irrthum, wenn man bisher behauptet hat, dass jede, auch die kleinste Quantität eines Contagiums zur Infection genüge, immer ist dazu eine gewisse Quantität und Concentration erforder­lich. Mit einem Vehikel, welches das Contagium in einem gewissen Minimum enthält, erreicht man keine Infection, enthält dasselbe das Contagium weniger concentrirt, so ist eine grössere Menge erforderlich, und je concentrirter das Contagium endlich in der eingeimpften Flüssigkeit enthalten ist, desto sicherer er­folgt die Infection und desto kürzer pflegt auch die Incubations-periode zu sein.
Die graduelle Verschiedenheit der Empfänglichkeit beweist schon an sich die Abhängigkeit der Infection von bestimmten Quantitäten, bei grös-serer Empfänglichkeit reichen schon kleinere Quantitäten aus zur An­steckung; wir haben aber auch directe Beweise.
Ricord {Traite pratique des maladies vineriennes, Bruxeües 1838, p. 92) fand, dass der Schankereiter, mit Urin etc. gemischt, nur dann seine An-steckungsf ahigkeit behielt, wenn das Vehikel nicht zu sehr verdünnt wurde.
Viborg (Ueber Kotz, Wurm etc. in dessen Sammlung von Abhandlun­gen. Kopenhagen 1797. 11. Bd. p. 334 u. w.) impfte mit kleinen Quantitäten Blut von rotzkranken Pferden ohne Erfolg, während er mit einer grossen Quantität inficirte; bei den grössten Quantitäten war die Incubationsperiode am kürzesten.
Von einem Schafe, das in einem hohen und gefahrdrohenden Grade an den sogenannten natürlichen Pocken, d. h. an einer Eruption über den gan­zen Körper litt, impfte ich mit Speichel, Schleim und Blut aus einer Vene verschiedene Schafe, sie bekamen alle an der Impfstelle eine kleine Pustel,
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214nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
die am dritten Tage schon Eiter enthielt und nach sechs Tagen abgeheilt war. Bei der späteren Impfung mit Pockenlymphe bekamen alle diese Schafe eine regelmässige Pocke — Blut ans einer gespaltenen Pocke in-flcirte zwar, aber weniger sicher, als blutiges Serum oder Lymphe aus der Pocke, und die Incubatiousperiode war unter sonst gleichen Verhältnissen gewöhnlich einige Tage länger.
Impft man mit gelber Sülze von Thieren, die am Milzbrande gefallen sind, so geht die Incubation selten über 24 Stunden hinaus; Impfung mit Blut aus frischem Fleisch gepresst, hat binnen 30 und einigen Stunden, mit zersetztem Blute aus theilweise verfaultem Fleische hat nach 4 — 6 Tagen und später den Ausbruch des Milzbrandes zur Folge. Es ergiebt sich hier­aus, dass das Coutagium nicht in jeder Verdünnung und jeder Quantität keimfähig ist, dass mit der Concentration die Keimfähigkeit steigt.
Ferner ist bei dem Einimpfen des flüssigen Vehikels auf eine möglichst schnelle und sichere Resorption desselben Bedacht zu nehmen; blutende und eiternde Wunden sind wenig geeig­net, in beiden Fällen wird der Impfstoff leicht weggeschwemmt; auf der Oberhaut erfolgt die Resorption unvollständig, nament­lich zu langsam, so dass flüchtige Contagien zum Theil ver­schwunden sind, wenn das Vehikel zur Resorption gelangt; am sichersten bringt man den Impfstoff auf die von der Oberhaut entblösste Haut oder Schleimhaut, und noch besser ist es, wenn man ihn unter die Oberhaut treten lässt, so dass kein Verdun­sten und Verwischen eintreten kann, was besonders dann vor­zuziehen ist, wenn man mit sehr kleinen Quantitäten impft. Je wärmer und somit je blutreicher die Hautstelle ist, wo man impft, desto schneller die Resorption, daher ist die Impfung an der Ohrspitze der Schafe unsicher, wenn dieselben sich in einer niederen Temperatur befinden, und Schafe mit dünnen, fast im­mer kalten Ohren müssen deshalb bei niedriger Temperatur an andern Theilen geimpft werden. Durch Reibung der zur Im­pfung gewählten Stelle kann man sich den Erfolg- sichern. End­lich bringt man den Impfstoff durch Einspritzucg oder mittelst wollener Fäden unter die Haut, was namentlich dann den Vor­zug verdient, wenn man grössere Quantitäten eines flüssigen Vehikels resorbiren lassen will.
2. Einen möglichst milden Verlauf der Krank­heit zu erzielen, erfordert besondere Sachkenntniss und Um­sicht; der Impfstoff, das Einimpfen und die diätetischen Verhältnisse sind die Dinge, welche hier namentlich in Be­tracht kommen.
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a) Impfstoff.
Qualitative Verschiedenheit. Aus verschiedengra-digen Erkrankungen nach der Impfung hat man auf eine qua­litative Verschiedenheit des Contagiuras geschlossen und darauf die Lehre der Mitigation gestützt; die Erfahrung hat jedoch gegen diese hypothetische Theorie gezeugt, so dass man zu dem Ausspruche berechtigt ist, dass eine qualitative Verschiedenheit des Ansteckungsstoffes derselben Krankheit nicht existirt. Es darf jedoch der unbekannte Ansteckungsstoff nicht mit dem bekannten Impfstoffe verwechselt werden, dieser ist das Conta-gium mit seinem Träger, seinem Vehikel. Letzteres kann qua­litativ verschieden sein, durch chemische Zersetzung kann das­selbe auch eine zweite Schädlichkeit annehmen, die Infection zugleich eine faulige Intoxication bewirken und so eine compli-cirte ansteckende Krankheit erzeugen, die einen specifischen bösartigen Charakter hat. Deshalb haben wir in Beziehung auf die Qualität nur darauf zu achten, dass der Impfstoff nicht von zerfallenen Theilen, aus fauligen Geschwüren und von solchen Individuen entnommen wird, bei denen sich ein fauliges Fieber auszubilden im Begriffe ist oder gar schon ausgebildet hat, und dass er bei der Aufbewahrung nicht in Zersetzung gerathen ist.
Pessina's Lehre von 1802 über die Mitigation oder (Jultivirung des Pockencontagiums besteht darin, dass man zuerst von der natürlichen Pocko impft, dann von der durch erste Impfung erzeugten Pocke weiter impft, von dieser zweiten Impfung wieder weiter und so fort; jede solcher Wei­terimpfung nennt man cine Propagation oder Generation; nach einer gewissen Anzahl solcher Propagationen soll das Contagium seine Crudität verloren haben und milder geworden sein, so dass bei den ferneren Impfungen mit einer gewissen Sicherheit auf einen milderen, gefahrlosen Verlauf zu rech­nen sei. Diese Lehre ist später auch auf andere Impfungen, namentlich auf Riuderpestiinpfung, übertragen worden.
Diese Mitigations-Doctriu habe ich schon in meiner ersten Auflage auf Grund meiner Erfahrungen bei den Schafpocken bestreiten müssen, und die weiteren Erfahrungen sprechen ebenfalls dagegen. Bruekmüller (Viertel-jahrsschrift, 1864, Bd. 22. S. 100) sagt, dass es bei 50jähriger Bemühung nicht gelungen sei, einen eultivirten Schafpocken-Impfstoff hervorzubringen. Die Impfversuche mit Kinderpest in Kussland haben gleichfalls Eesultate gelie­fert, die nicht im Stande sind, das doctrinäre Princip der Mitigation zu ret­ten (conf. meine Rinderpest etc. S. 208—215); die bei den Impfungen oft erzielten günstigen Resultate müssen andern Factoren zugeschrieben wer­den, bei deren Wegfall die Krankheit in späteren Propagationen wieder so verläuft, wie in der ersten; so z. B. kamen in Russland bei dem geimpften Rindvieh in der 6ten, lOten, 14ten Propagation weder eben so schwere
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21Cnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
Erkrankungen vor, als in der ersten. Wäre eine in qualitativer Verände­rung des Contagiums begründete Mitigation gegeben, so müsste im Voraus mit einer gewissen Sicherheit auf günstigeren Erfolg zu rechnen sein, diese Sicherheit, herausgerechnet aus den Propagationen, fehlt gänzlich, wir kön­nen im Gegentheil ziemlich sicher auf ungünstige Erfolge rechnen, wenn die Factoren fehlen, die bekanntermaassen einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der eingeimpften Krankheit haben. Man ist in der Verfolgung der Prineipienfrage der Mitigation noch weiter gegangen und hat das Conta-gium durch die Organismen anderer, dafür noch empfängliche Thierarten gehen lassen, so das Pockencontagium der Menschen durch die Rinder, das Rinderpestcontagium durch Schafe und Ziegen. Auch liier hat sich gezeigt, dass das Contagium, wenn es bei dieser Excursion nicht untergegangen war, nach derselben eben so stark wirkte, und es also unverändert geblie­ben war. Deshalb darf ich auch heute noch immer aussprechen, dass eine qualitative Veränderung des Ansteckungsstoffes glcichbedeu-ten ist mit Vernichtung.
Die Quantität des Impfstoffes und die Concen­tration des Ansteckungsstoffes im Impfstoffe. Das rechte Maass in dieser Beziehung ist wichtig für den Verlauf der künstlich erzeugten Krankheit; das Zuviel hat schwerere, das Zuwenig gar keine Erkrankung zur Folge. Je mehr Conta­gium an der impfbaren thierischen Materie haftet, desto wirk­samer ist der Impfstoff; die Intensität des Impfstoffes hängt lediglich von der Quantität des anhaftenden Ansteckungsstoffes ab. Intensität und Quantität des Impfstoffes bilden den Hauptfactor bei den Impfungen, dies beweisen die Thatsachen, dass zur Infection immer eine gewisse Quantität Ansteckungs­stoffes zur Ansteckung erforderlich ist, dass die directen Krank-heitsproduete die kräftigsten, wirksamsten Impfstoffe abgeben, dass man durch Verdünnung des Impfstoffes mit indifferenten Substanzen (Wasser, Glycerin) die Ansteckungsfähigkeit auf­heben kann, dass der Impfstoff bei dem Aufbewahren immer schwächer wird und um so früher seine Ansteckungsfäbigkeit verliert, je flüchtiger das Contagium und je weniger die Ver­flüchtigung verhindert ist, dass selbst der mächtige Rinderpest-Impfstoff durch Trocknen an der Luft unwirksam wird (conf. Gerlach, Rinderpest); dass der Verlauf bei ansteckenden Seu­chen immer schwerer, selbst bösartig ist, wenn ganze Heerden in Ställen aufgestellt sind, durch vielfache Erkrankungen die Luft stark mit Ansteckungsstoff geschwängert wird und so das Contagium nachhaltiger und in grösserer Quantität aufgenommen wird; dass endlich bei schweren Erkrankungen die Ansteckung
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viel leichter, schneller und sicherer erfolgt, als bei leichten Er­krankungen, gleichgültig, ob diese durch Impfung herbeigeführt ist oder nicht; dass endlich mit diesen Intensitätsverhältnissen bei der Ansteckung auch die Schwere der erfolgenden Erkran­kungen immer in einer gewissen Beziehung steht.
Könnten wir bei den Impfungen die rechte Quantität ab­messen, d. h. gerade so viel Impfstoff einverleiben, als eben zur Ansteckung erforderlich ist, so würden wir die erste Grund­bedingung eines möglichst milden Verlaufes haben. Eine solche genaue Abmessung ist aber leider nicht möglich, weil die An­lagen in sehr verschiedenen Graden gegeben sind, und das eine Individuum vielleicht doppelt so viel erfordert, als ein anderes, weshalb denn auch dieselbe Quantität bei dem einen Indivi­duum eine leichte, bei einem andern eine sehr schwere Erkran­kung zur Folge hat. Wir können aber die quantitativen Ver­hältnisse annähernd regeln, es kommt nur zunächst darauf an, dass man das Princip anerkennt. Die Impfungen unterscheiden sich ja überhaupt nur dadurch von jeder zufälligen Ansteckung, dass eine gewisse kleine Quantität an einer bestimmten Stelle zur Einwirkung kommt.
Nach den bisherigen Erfahrungen muss man immer noch die Regel festhalten, die Krankheitsproducte, die Secrete und Exsudate, welche die Krankheitsprocesse liefern, als Impfstoff zu wählen und davon nur kleine Quantitäten von einem klein­sten bis grossen Tropfen zu nehmen hat.
Bei den Schafpocken genügt ein Tröpfchen Pockenserum in Grosse eines Stecknadelknopfes; aus der Blase einer geimpften Pocke kann das Tröpfchen grosser sein, als aus dem zelligen Bau der natürlichen Pocke; erstere verdient einen Vorzug nur insofern, dass die Abnahme des Impfstof­fes bequemer ist, als aus dem zu spaltenden Pockcnknoten. Wenn man bei den von der sogenannten natürlichen Pocke nicht immer günstige Erfolge gesehen hat, so liegt das lediglich in der Ausführung; es ist noth-wondig, kleinere Quantitäten einzuimpfen, eine gleichleitige Ansteckung durch die Ausdünstung der pockenkranken Schafe zu verhüten und ein solches Pockenschaf zu wählen, bei dem sich keine septischen Erscheinun­gen zeigen. Unter Beachtung dieser Verhältnisse hat die Lymphe aus den soliden Pockenknoten den Vorzug, dass sie sicherer wirkt.
Bei der Lungenseuche genügt ein Tropfen des Serums aus dem plasti­schen pleuritischen Exsudate oder aus dem jüngst erkrankten Lungen­gewebe; gleichgültig ist es, ob das kranke Kind gestorben oder geschlach­tet ist; die Hauptsache ist, dass die Lymphe frisch entnommen wird, ehe Leichenfäulniss eintritt, die nach dem Krepiren früher eintritt, als nach dem Schlachten; wichtig aber ist es, wie der verstorbene Departements-
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218nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kuusthülfe.
Thierarzt Sticker zuerst hervorgehoben hat, dass die Lymphe nicht aus-gepresst werde, sondern aus gemachten Einschnitten freiwillig abtreufele und in einer Schüssel gesammelt werde.
Bei der Kinderpest nimmt man einen Tropfen von den Thräneu oder dem Nasenausflüsse. Verdünnungen des Impfstoffes mit Wasser oder Gly­cerin haben sich bis jetzt nicht bewährt; der verdünnte Impfstoff wirkt entweder gar nicht, oder so wie nicht verdünnter. Bei der Kinderpest ist eine Abschwächung des Impfstoffes durch Aufbewahren von Einfluss auf einen milderen Verlauf. (Conf. Gerlach, Rinderpest, S. 207.)
h) Das Einimpfen.
Bei flüchtigen Contagien erheischt es grosse Vorsicht; alles kommt hier darauf an, dass nicht eine allgemeine Infection von den Lungen aus mit der localen Infection zugleich erfolgt, was theils bei dem Impfen geschieht, indem die Luft von dem Thiere aus, welches den Impfstoff hergiebt, oder von dem Impfstoffe selbst mit Contagium geschwängert wird, theils aber auch nach dem Impfen, wenn Impfstoff namentlich in grösseren Quanti­täten auf eine freie Fläche gebracht ist, wo immer eine theil-weise Verflüchtigung vor der Resorption des palpablen Stoßes stattfindet. Stehen viele so geimpfte Thiere in einem Stalle eng beisammen, so ist eine allgemeine Infection schwer zu vermei­den. Die Gefahr wird sehr vermindert, wenn wir kleinere Quan­titäten unter die Oberhaut und grössere unter die Haut brin­gen, ganz beseitigt wird aber hierdurch die Gefahr, wenn es die Umstände gestatten, die geimpften Thiere zunächst im Freien zu belassen oder in kleineren Abtheilungen und grösseren Käumen unterzubringen.
Bezüglich der Impfstelle muss die Natur der Krankheit ent­scheiden. Krankheiten, die sich an der Impfstelle localisiren, müssen in das Gewebe und an den Stellen eingeimpft werden, wo sie sich naturgemäss entwickeln; exanthematische Krank­heiten werden in die Haut eingeimpft; Kuhpocken am besten am Euter und dessen Umgebung, so weit die Haut zarter ist; Aphthenseuche an den Lippen und dem Euter; Lungenseuche in das Bindegewebe unter der Haut, ohne Durchstechung der Haut haftet diese Impfung unsicher. Ausserdem wählt man die Stellen so, dass die Erkrankung an der Impfstelle weniger be­lästigt und bei ungewöhnlicher Intensität nicht gefährlich wird; die Rinderpest kann man impfen, wo man will, es entsteht immer die allgemeine Krankheit.
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Bei den Schafpoeken sind die Ohren, ersatzweise die Schwänze an der unteren kahlen Fläche die gebräuchlichsten und geeignetsten Stellen. Mit einer feinen, lancettförmig gespitzten Nadel -wird ein kleines Tröpfchen unter die Oberhaut geschoben. Bei der Lungenseuche ist das Schwanz­ende die bewährteste Stelle; mittelst einer grösseren lancettförmigen Nadel durchsticht man die Haut und lässt durch Autkanten der Nadel den auf der Fläche liegenden Tropfen hineingleiten; sicherer in der Wirkung ist, einen getränkten wollenen Faden ^4—Hi Zoll lang unter die Haut zu zie­hen: die Sticker'sche Impfnadel kann ich nicht empfehlen. Als Ersatz für die Schwanzspitze wählt man den lockeren Hautlappcn vor der Brust, hier ist aber die Wirkung viel stärker und öfter lebensgefährlich; will man trotz einer grösseren Gefahr eine recht energische Wirkung haben, um die im Aufkeimen schon begriffene Krankheit zu coupiren, so ist diese Stelle zu empfehlen.
c) Die diätetischen Verhältnisse.
Die hohe Wichtigkeit geordneter diätetischer Verhältnisse tritt bei allen Impfungen hervor, am nachdrücklichsten aber haben sie uns die Pocken demonstrirt; das Nichthervortreten der geimpften Pocken, das Zurücktreten der in der Entwicke-lung begriffenen, die allgemeine Eruption, die Ausbildung der Aaspocken mit completem Faulfieber, dies Alles sind Erschei­nungen, welche lediglich unangemessene diätetische Verhältnisse verschulden. Die allgemeinen Gesundheitsregeln einerseits und die Natur der Krankheit andererseits geben die speciellen Indi-cationen zu den diätetischen Anordnungen. Von der Impfung ab muss während des ganzen Verlaufs der geimpften Krankheit zunächst alles abgehalten werden, was irgendwie störend auf den Organismus einwirken kann; die geimpften Thiere sind schon von der Impfung an im Erkranken begriffen und daher auch empfänglicher für alle widrigen Einflüsse; geringe Störun­gen bringen nur zu leicht Steigerung, Complication und grös-sere Lebensgefahr mit sich. Störungen der Hautthätigkeit — Nasswerden, Erkältungen etc. — sind unter allen Umständen gefährlich, ganz besonders aber bei den exanthematischen Krank­heiten. Ein besonderes Augenmerk ist weiter auf den Aufent­haltsort, namentlich auf Reinheit der Luft und entsprechende Temperatur zu richten. Extravaganzen in der Temperatur nach oben und nach unten haben besonders bei den Exanthemen üble Folgen. Dunstige Stallluft bringt unter allen Umständen Verderben; die Ausdünstung ist bei erkrankten Thieren eine andere, sie wirkt hier immer nachtheiliger auf das darin ath-
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220nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
mende Individuum zurück, ein bösartigerer Charakter mit mehr oder weniger Hinneigung zum fauligen Fieber ist die Folge davon — bei den Schafpocken, wo die Hautausdünstung eine ganz specifische, eigenthümlich riechende wird, können wir nach Willkür in wenigen Tagen die Aaspocken hervorrufen, wenn wir sie in einen engen Raum möglichst hermetisch einschliessen —; mit der Haut- und Lungenausdünstung häuft sich übrigens auch das Contagmm an (bei allen Krankheiten, bei denen die Impfung einen vernünftigen Zweck haben kann nach unserem heutigen Wissen, entwickelt sich immer ein mehr oder weniger flüchtiges Contagium), nachträgliche allgemeine Infectionen sind daher bei dunstiger Stallluft oft so bedeutend, dass sie der Impfung alle Vortheile entwinden. Aufenthalt der geimpften Thiere im Freien ist bei günstiger Jahreszeit das Vortrefflichste; geräumige und hohe Ställe mit Luftzügen unter den Decken, die Heerden in kleinen Abtheilungen unterbringen, sind Auskunftsmittel in un­günstigsten Jahreszeiten.
Bei den Sehafpocken: Warmhalten der Impflinge bis zum Ausbruche ist das wichtigste Mittel zur regelmässigen Eruption; nach derselben liegt der Schwerpunkt in sorgfältigster Vermeidung der Anhäufung von Ausdün­stungen; frische Luft, eine Temperatur von -f-8—10deg; K., kräftige Ernäh­rung und Vermeidung jeder Durchnässung und Erkältung sind die Grund­bedingungen eines weiteren günstigen Verlaufes.
Bei der Aphthenseuehe: weiches resp. flüssiges Futter, Ruhe zur Scho­nung der Klauen, sorgfältiges Abhalten der Nässe und des Schmutzes von den Klauen.
Bei der Lungenseuche: trockene (Heu- und Stroh-) Diät, trockene und reine Ställe, Troekenhaltung des geimpften Schwanzes; Vermeidung der Beunruhigung durch Fliegen im Sommer mittelst Verdunkelung des Stalles.
Bei der Einderpest: trockene Ställe, reine Luft, strenge Diät, nur schleimiges und flüssiges Futter.
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lt. Abnorme Anlagen, Prädlsposifion.
Die abnormen Anlagen lassen sich rücksichtlich der Vor­bauung in drei Gruppen bringen:
1. Geschwächte Leistungsfähigkeit einzelner Organe und Systeme, ohne dass solche schon als Krankheit aufzufassen sind. Jede Organfunction kann in einer gewissen Breite Schwankun­gen erleiden, ohne dass dadurch auffällige Störungen im Ge-sammtorganismus — wirkliche Krankheiten — bedingt werden;
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Abnorme Anlagen, Prädisposition.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 221
die Breite dieser Schwankungen ist natürlich nach der Digni-tät der Organe verschieden, je edler, desto geringer sind die Schwankungen innerhalb der Grenzen der relativen Gesundheit. Mit jeder verminderten Leistungsfähigkeit eines Organs ist auch ein vermindertes Widerstandsvermögen, eine grössere Verletzbar­keit überhaupt, ganz besonders aber für gewisse Einflüsse präcxisti-rend gegeben. Das beste Äusgleichungsmittel solcher Prädis­positionen ist die physiologische Uebung. Thätigkeit, Func-tionsübung stärkt das Organ; kein Organ darf indeslaquo; auf Kosten eines anderen gesteigert werden, dadurch wird die Harmonie wie­der gestört; die physiosophische Uebung hat aber, wie Virchoiu treffend hervorgehoben hat, gerade den Effect, keinen Theil im Gegensatz von einem anderen und auf Kosten eines anderen, sondern alle zu stärken und die Beziehungen auf einander zu fördern. Entsprechende Organmittel finden deshalb seltener eine zweckmässige Anwendung und dann doch immer nur in Verbindung mit der physiologischen Uebung.
2. Der Krankheitskeim. Specifische Schädlichkeiten, die nach längerer Einwirkung bestimmte Krankheiten zur Folge haben, wirken schon vom ersten Augenblicke ab alterirend auf den Organismus ein, schon die ersten Einwirkungen haben Folgen, die zwar unbemerkbar bleiben, sich aber bei fortdauernden oder immer wiederholenden Einwirkungen summiren, bis end­lich der offenbare Ausbruch der Krankheit erfolgt. Diese un­bemerkbaren abnormen Zustände sind, streng genommen, die Krankheit selbst in einem Minimum, der Krankheitskeim; den­noch aber müssen wir diesen Zustand als Anlage, aber als abnorme, als eine Dia these auffassen, weil er eben unbe-merkbar und der offenbare Ausbruch der Krankheit keine nothwendige Folge ist; der Keim kann aufhören, sich fort­zuentwickeln, und kann auch durch andere Schädlichkeiten, die in gar keiner direkten Beziehung zu der Krankheit stehen, die eben nur störend auf den Organismus einwirken, unerwar­tet schnell bis zur completen Krankheit befördert werden. Solche occulte abnorme Zustände sind .mitunter sogar schon angeerbt. Die Indicationen zur Vorbauung entnehmen wir hier von den schon vorgekommenen Erkrankungen, sie sind iden­tisch mit den Heil-Indicationen der entwickelten Krankheit; Mittel und Methoden, welche eine ausgebildete Krankheit be­kämpfen, beseitigen den Keim derselben noch viel leichter;
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222nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
selbst unsichere Heilmittel können hier noch sichere Vorbau­ungsmittel sein.
Wenn die Knochenbrüchigkelt oder der Milzbrand z.B. herrscht, dann liefern schon die ersten Erkvankungsfälle den Beweis, dass die Individuen und Heerden, welche unter gleichen diätetischen Verhältnissen leben, den Keim d. h. ein gewisses Minimum der herrschenden Krankheit in sich tra­gen. Beide Krankheiten sind schwer heilbar, die heilsamen Mittel aber, durch die nur selten und unter gewissen Umständen Heilung erzielt wird, sind sichere Yorbauungsmittel.
3. Ausgebildete Krankheiten begünstigen das Zustandekom­men einer zweiten unter gewissen äusseren Einflüssen. Bei gegebenen allgemeinen Schädlichkeiten giebt es immer gewisse Leiden, selbst ganze Krankheitsgruppen, die ein förderndes ursächliches Moment abgeben, namentlich sind alle Krankheits-zustände, alle Störungen in solchen Organen, zu denen die ge­gebenen äusseren Schädlichkeiten in besonderer Beziehung ste­hen, gewichtige Prädispositionen; Verdauungsstörungen z. B. sind specielle Dispositionen den Schädlichkeiten gegenüber, die specifische Krankheiten der Verdauungsorgane erzeugen. Die Indicationen zur Vorbauung liegen hier auf der Hand; ich will nur noch hervorheben, dass man bei der Behandlung der prä-disponirenden Krankheit in sofern vorsichtig sein muss, dass nicht neue medicinische Störungen erzeugt werden. Grosse Dosen drastischer Abführmittel können z. B. eine grös-sere Prädisposition zu Durchfällen, Ruhr, Darmentzündung be­dingen, als die gastrischen Störungen, gegen welche sie zur Anwendung gekommen sind.
2. Vorbauung gegen äussere Schädlichkeiten.
Alles, was die Gesundheit erfahrungsmässig unbedingt oder bedingungsweise stören kann, alles, was uns die Aetiolcgie an Schädlichkeiten aufzählt, dies alles kann Gegenstand der Vorbauung werden. Die Beseitigung derjenigen Schädlich­keiten, welche den hinlänglichen Grund des Entstehens und Fortbestehens einer Krankheit ausmachen, ist die directe, die radicale Vorbauung. Zu einer solchen directen Vor­bauung ist es aber vor allen Dingen notbwendig, dass wir auch diejenigen Schädlichkeiten kennen, welche die vorzu­bauende Krankheit erzeugen, und dass wir ferner Mittel und Wege haben, ihnen beizukommen. Leider aber sind die Schäd-
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Vorbauung gegen äossere Schädlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;223
lichkeiten oft unbekannt, und wo wir sie kennen, sehr oft wie­der unerreichbar, und wenn sie endlich wirklich erreichbar sind, dann treten wieder Zweifel, Fahrlässigkeiten, namentlich aber ökonomische Interessen hemmend in den Weg. Deshalb bleibt die directe Vorbauung in der Thierheilkunde in den meisten Fällen ein frommer Wunsch.
Die hier besonders in Betracht kommenden Schädlichkeiten sind die Ansteckungsstoffe und die specifischen Ursachen.
4. Die Ansteckiiiigsstoffe.
Sie entwickeln sich im Verlaufe gewisser Krankheiten, haben die Fähigkeit ausserhalb des Körpers an gewissen Din­gen zu haften, längere oder kürzere Zeit wirksam zu bleiben, und sind im Stande bei anderen Individuen dieselbe Krankheit wieder zu erzeugen; sie sind deshalb in allen Fällen im Stande, die Krankheiten zu verbreiten und zu unterhalten, sie räum­lich und zeitlich zu conserviren, deshalb auch so recht eigent­lich Gegenstand der directen Vorbauung.
Es giebt Krankheiten, von denen der Ansteckungsstoff die alleinige Ursache ist, es sind dies die sogenannten Contagionen, die durch eine directe Vorbauung vertilgbar sind. Ob es absolute Contagionen giebt, d. h. solche Krankheiten, welche in der Jetztzeit bei keiner Thiergattung und an keinem Orte des Erdballes genuin entstehen, die sich seit Jahrhunder­ten rein auf dem Wege der Ansteckung forterhalten haben, ob es solche Contagionen giebt, auf diese Frage gehe ich hier wei­ter nicht ein, weil sie nicht eher zu beantworten ist, bis wir das ansteckende Princip selbst seinem Wesen nach kennen gelernt haben; ich will nur hier hervorheben, dass Conta­gionen im relativen Sinne, sowohl rücksichtlich des geographischen Räumens, als auch der Thiergat-tungen nicht bestritten werden können. Die Räume, in denen eine genuine Entwickelung entschieden nicht vor­kommt, können gross und klein sein, sie können sich auf kleine Districte oder grosse Länder erstrecken, das ändert an der Sache nichts; immer bleibt in den betreffenden Räumlich­keiten die Abhaltung resp. Tilgung des Ansteckungsstoffes das alleinige directe Schutzmittel. Rücksichtlich der Thiergattungen i kann eine ausschliessliche Entstehung durch Ansteckung noch viel weniger bestritten werden; wenn man eine genuine
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224nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
Erkrankung des Rotzes beim Pferdegeschlechte noch nicht für Jedermann genügend widerlegen kann, so ist es doch jetzt eine allgemein anerkannte Sache, dass die Rotzkrankheit bei anderen Thiergattungen nur durch Ansteckung entsteht; ganz ebenso kann bis jetzt nur von genuiner Entwickelung der Wuth-krankheit bei Hunden, des Milzbrandes bei Pflanzenfressern die Rede sein, und nach meinen Erfahrungen halte ich mich zu der vorläufigen Hypothese berechtigt, dass eine etwaige genuine Entwickelung der contagiösen Aphthenseuche auf Schweine zu beschränken sei.
Die Doctrin der genuinen Eutwickeluugen specifischer, ansteckender Krankheiten hat in neuerer Zeit an Terrain verloren. Eine erhebliche Einschränkung erfuhr sie durch den Untergang der Lehre von der Gene­ratio aequivoca. Wer kann z. B. heute noch von genuin entstandener Räude sprechen. Die genuine Entwickelung ist hierdurch um so beträcht­licher erschüttert worden, als man mehrfach schon pflanzliche und thie-rische Parasiten als ansteckendes Agens kennen gelernt hat, und als man immer mehr geneigt ist, auch den unbekannten Contagien eine parasitische Natur zuzuschreiben. Es ist allerdings richtig, dass auch selbst in dem Falle eine genuine Entwickelung denkbar bleibt, wenn das Contagium in irgend einem Parasiten erkannt worden ist. Es kommt dann immer wie­der auf die Frage au, ob der Parasit sich nur an und in dieser oder jener Thiergattung erhalten und vermehren, oder ob er auch in der Aussenwelt leben kann. Von den Pflanzenparasiten sind wir jetzt durch Hallier — die pflanzlichen Parasiten des menschliehen Körpers, Leipzig 1866 — auf den Punkt angekommen, dass alle bis jetzt bekannt gewordenen Pilze, die bei den Menschen und unseren Hausthiercn Krankheiten verursachen, nur Ve­getationsformen (Vegetationsreihen) von dem gemeinen, überall verbrei­teten Schimmelpilze, Penicillum glaueum sind; alle diese Krankheiten müs­sen demnach auch überall ohne Ansteckung entstehen können, weil Peiü-cillum glaueum ein Kosmopolit ist, der überall in der Aussenwelt an todten organischen Körpern vorkommen und die betreffenden Keime zur Entwicke­lung zu irgend einer Vegetationsform in Menscher, und Thiercn liefern kann. Die verschiedenen Flechten, der Kopfgrind, nach Einigen selbst Cho­lera und Milzbrand fallen in die Hallier'sche Vegetationsreihe des gemeinen Schimmels, sie müssen also auch überall genuin entstehen können. Hier­gegen streitet bis jetzt noch jede Erfahrung. In jüngster Zeit hat Hallier vorläufig angekündigt, dass er mit Dr. Zürn in der Schaf- und Kuhpockenlymphe Micrococus - Zellen gefunden habe — Virchoio's Archiv, 1868. Bd. 42. S.309.
Di'e Vorbauung hat das Contagium zu verfolgen in den erkrankten Individuen, wo es erzeugt wird, in den gesunden Individuen, auf die es bereits übergetragen ist, und an leb­losen Dingen, den inficirten Gegenständen.
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Vorbauung gegen iiussere Schädlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 22b
1. Die Behandlung der inficirten aber noch gesunden Individuen.
Diese Vorbauung kommt gewöhnlich nur in Betracht bei sehr lebensgetahrlichen und absolut tödtiichen Krankheiten, wie z. B. bei dem Milzbrande, der Kotzkrankheit und vor allen bei der Wuthkrankheit, bei welcher diese Vorbauung immer ein Rettungsmittel ist, welches nicht unversucht bleiben darf. Die flüchtigen Contagien sind hier unserer Einwirkung gänzlich entzogen, die Resorption in den Lungen ist nicht zu hintertreiben, und das einmal aufgenommene flüchtige Conta-gium ist bis jetzt durch kein Mittel unwirksam zu machen. Die fixen, zu denen die erwähnten Krankheiten gehören, sind es allein, auf welche die Vorbauung in solchen Fällen noch einen Angriff machen kann, der frühzeitig von sicherem, spä­terhin aber von sehr unsicherem Erfolge ist, und der darin besteht: die Resorption zu hintertreiben und bei prä-sumtiv erfolgter Resorption das Contagium abzu­leiten.
Die erste wichtige Aufgabe ist, die Resorption zu verhüten. Hat eine Berührung mit dem Anetackungsstoffe noch nicht statt­gefunden, steht sie aber an bestimmten Körpertheilen in Aussicht, so müssen natürlich im voraus solche Mittel angewendet wer­den, welche die Resorption verhindern, dahin gehören: Kälte, Adstringöntien und Fette; bei etwaiger Verletzung der Ober­haut ist eine Collodiumdecke vortrefflich. An unverletzten kal­ten und eingeölten, oder an gegerbten und eingeölten Hän­den haftet kein Ansteckungsstoff. — Hat bereits eine Berührung stattgefunden, so sucht man das Contagium sofort zu entfernen durch Abwaschen, durch unterhaltene Blutung, durch Ausschnei­den der Wunde, oder es ist an Ort und Stelle zu zerstö­ren durch Desinfectionsmittel, denen man eine besondere zer­setzende Kraft auf alle Contagien zuschreibt — Chlorkalk, Chlor­wasser, Lauge, Phenylsäure etc. —, oder durch die mächtig­sten therapeutischen Agentien, die das Gewebe zerstören, wel­ches mit dem Contagium in Berührung gekommen und des­halb mehr oder weniger von demselben durchdrungen ist — Aetzmittel, namentlich Chlormittel, besonders Chlorzink und Glüheisen. Reizmittel sind hier gefährlich, sie sind contra-indicirt, weil sie auf das Contagium selbst nicht zersetzend einwirken, wohl aber eine oberflächliche Entzündung hervor­rufen und die Resorption befördern. Kälte unterdrückt die
G eriach Aüg. Theraine. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;15
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Die Kunsthülfe.
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Resorption, daher findet sie ihre Anwendung so lange, bis die Zerstörungsmittel herbeigeschafft sind. Bei allen diesen Dingen ist aber kein Säumen — es handelt sich oft um Minuten.
Es kann nicht mehr bezweifelt werden, dass resorbirbare, d. h. flüssige oder doch an Ort und Stelle lösliche Substanzen resorbirt werden, dass diese Resorption in und unter der Haut im Augenblicke der Berührung beginnt: wir sehen, dass sehr wirksame Substanzen — die Pflanzenalka-loide z. B. das Veratrin, Afropin etc. — unter die Haut gebracht, schon in einigen Minuten ihre allgemeine Wirkung entfalten. Menault's Versuche über die Schnelligkeit der Resorption des Rotz- und Schafpocken-Conta-giums — Recuü de mideeive vetcr. pratique. Tom. VI 1819. — sprechen dafür, dass auch Contagien schnell weiter gefördert werden. 13 gesunden Pferden wurde auf 2 — 3 vorher von der Oberhaut entblössten Hautstellen Rotzmaterie gestrichen. Bei zwei Pferden wurden die Impfstellen nach 9tgt; Stunden herausgeschnitten und tief gebrannt; sie wurden beide angesteckt und verendeten am 8ten und 12ten Tage nach der Impfung am acuten Rotze. Bei den übrigen 11 Pferden wurden die Impfstellen 40, 24, 10, 8, 6, 5, 4, 3, 2, 1 Stunde nach der Impfung cauterisirt; sie starben sämmtlich 6—10 Tage nach der Impfung am Rotze. Eigentlüiinlich ist, dass alle Pferde an acutem Rotz starben. 22Hammel wurden durch einen Impfstich am Schwänze oder an der inneren Schenkclfläche mit frischer Pocken­lymphe geimpft und zu verschiedenen Zeiten, von 11 Stunden anfangend und bis auf 5 Minuten nach der Impfung zurückgehend, an der Impfstelle gebrannt. Bei allen war die Absorption erfolgt; unter den Brandschorfen hatten sich wirkliche Pockenpusteln gebildet, was dadurch nachgewiesen wurde, dass man mit der erhaltenen Lymphe auf anderen Schafen Pocken erzeugen konnte und dass bei keinem dieser 22 Hammel eine wiederholte Impfung haftete.
Dass die Schnelligkeit der Resorption nicht gleich ist unter verschie­denen Umständen, versteht sieh von selbst. Bei unverletzter Haut und Oberhaut ist die Resorption langsam und unvollständig: sie sinkt bei der Berührung auf nicht zu grossen Flächen auf Null zurück, wenn die Haut kalt, anämisch, collabirt ist; sie wird beschleunigt und bis zum Gefahr bringenden Grade gefördert bei turgescirender Haut; je feiner und zarter die Oberhaut, desto sicherer und schneller die Resorption. Bei Hautver-letzimgcn ist die Resorption am sichersten und kann, wie obige Versuche gezeigt haben, in sehr kurzer Zeit bis zum infectionsfähigen Grade erfolgt sein; die Tiefe der Wunden kommt hierbei weiter nicht in Betracht als die dadurch bedingte grössere Wundfläche, in oberflächlichen Hautwunden ist sogar die Resorption noch schneller und sicherer, weil die Oberfläche der Cutis am reichsten an Haargefässen ist und die geringere Blutung das Con-tagium nicht so leicht wegschwemmt.
Trotz alledem bleibt es bei den fixen Contagien doch immer noch eine zu erledigende Frage, ob das Contagiuin seine Incubation am Orte der Eindringling durchmacht oder nicht, und wie lange man dasselbe an der Steile der Einwirkung unschädlich machen kann. Es ist wohl denkbar-. dass das Contagium mit den berührten Geweben eine Art Verbindung ein-
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Vorbaimng gegen äussere Schädlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;227
geht und sich hier vermehrt, sei es auf chemischen; oder organischem Wege, und so von der Impfstelle aus fort und fort inficirend auf das Blut wirkt; dies gewinnt sogar an Wahrscheinlichkeit dadurch, dass die Hauptwirkung local bleibt, wie dies von dem Lungenseuchen-Contagium namentlich an­genommen werden muss, denn wir sehen den Krankheitsprocess, die spe-eifische, toxische Entzündung, nach der Impfung nur an der Impfstelle resp, deren Nähe und niemals in den Lungen, nach der Aufnahme des Conta-giums in den Lungen immer nur hier, wo sie sich nie weiter, als bis auf die seröse Brusthaut verbreitet. Die bekannte Thatsacho, dass selbst bei allgemeiner Erkrankung sich an der Impfstelle, der Stelle der localen Einwirkung des fixen Contagiums eine besondere locale Wirkung bemerk­bar macht, ist kaum anders erklärbar, als durch directe locale Einwirkung des Iinprtätoffes auf das Gewebe. Die Renmdt'aehen Versuche widerlegen diese bleibende locale Wirkung keineswegs, sie beweisen nur, dass das Contagium ziemlich schnell tiefer in das Gewebe eindringen kann; wir haben von der Kotzkrankheit auch Thatsachen, die für eine längere rein locale Wirkung des Contagiums zeugen; mir selbst ist es gelungen, durch Exstirpation der ersten Wurmbeulen an der Stelle der Kotzimpfung, und Aetzung des umgebenden Gewebes die beginnende Wurmkrankheit zu coupiren. Aus allem ergiebt sich, dass es immer noch eine rationelle und drin­gende Indication bleibt, namentlich bei den contagiösen Krankheiten mit langer Incubation und specidl bei der Wuthkrankheit, die Infectionsstelle sofort zu reinigen und zu ätzen. Obwohl Beispiele bekannt sind, dass der­gleichen Behandlung vergeblich gewesen und trotzdem Erkrankung erfolgt ist, so beweist dies nicht, dass das Verfahren irrationell ist, die Behandlung kann ungenügend gewesen, das Contagium in den lockeren Weichgebilden tiefer eingedrungen sein, als das Aetzmittel; es kann noch eine andere Infectionsstelle unbekannt und unbehandelt geblieben sein etc.
Eine andere allerdings nur hypothetische aber immer noch herechtigte Indication bei langer Incubation, namentlich bei der Wuthkrankheit ist, in der Infectionswunde eine länger fortdau­ernde Eiterquelle anzulegen, die den Zweck der Ausscheidung des etwa noch vorhandenen Contagiums hat. Wir wissen, dass auf normalen, noch mehr aber auf solchen künstlich etablirten Ausscheidungswegen heterogene Stoffe, Gifte etc. ausgeschieden werden können; gewichtiger scheint mir aber für diese Eite-terung der Umstand zu sein, dass, wie bereits erwähnt, das fixe Contagium immer eine besondere locale Wirkung behält und diese wohl in einer localen Einwirkuqg, Festlagerung, Verbin­dung mit dem Gewebe etc. beruht. Durch Arzneimittel behufs directer Zerstörung des Contagiums legen wir zugleich den Grund zur nachfolgenden Eiterung, die wir durch Einbringung eines fremden Körpers, oder durch wiederholte Aetzung zu unterhalten suchen. Bei Menschen, die von tollen Hunden
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228nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunstliiilfe.
gebissen, hat eine längere Eiterung der Bisswunde immer noch ein Fundament in der Erfahrung; wenn es auch richtig ist, dass viele gebissene Menschen und Thiere auch ohne Behand­lung der Wunde gesund bleiben, und man die günstigen Erfolge nicht als directe Beweise für die schützende Wirkung ansehen kann, so darf man sie bei der Lebensfrage doch nicht ignoriren.
2. Die Sperrmaassregeln.
Kranke und der ansteckenden Krankheit verdächtige Indivi­duen müssen von allen empfänglichen Individuen so lange getrennt gehalten werden, als sie eben Quelle und Träger des Contagiums sind oder sein können. Die Ansteckungsgefahr ist, mit Ausnahme der Lungenseuche, vor dem Krankheitsausbruche, d. h. vor den ersten Krankheitssymptomen nicht vorhanden, dennoch aber müssen die der Ansteckung verdächtigen abgesperrt werden, weil sie eben das Contagium in sich tragen und die Ansteckungs­fähigkeit jeden Augenblick eintreten kann. Bei der Lungen­seuche besteht ein occultes Krankheitsstadiuni, in welchem die Ansteckungsfähigkeit schon besteht, und deshalb ist eben diese Krankheit in ihrem Fortschreiten so schwer zu hemmen. Mit den Krankheitsprocessen, also mit der eigentlichen Krankheit ist aber das Contagium noch nicht abgethan, bei mehreren Krankheiten ist das Contagium gerade in dem Reconvalescenz-stadium am meisten angehäuft, und die Ansteckungsfähigkeit am grössten, so namentlich bei dem acuten Hautexanthem, spe-ciell den Schafpocken, und bei der Lungenseuche. So lange noch ein Pockenschorf, oder bei der Lungenseuche noch Exsu­dat in dem Lungengewebe vorhanden ist, so lange sind die Genesenen auch noch ansteckungsfähig; durchgeseuchte Rinder können noch Monate lang nach der Genesung von der Lungen­seuche anstecken. Die Absperrung muss sich daher immer mehr oder weniger lange Zeit über die Krankheit resp. Seuche hinaus erstrecken.
Zugleich ist bei der Absperrung Bedacht auf mittelbare Uebertragung zu nehmen und alles mit abzusperren, was Contagium an und in sich tragen kann. Durch Absperrung suchen wir Zeit zum Tilgen des Contagiums zu gewinnen, wir sperren daher ab, bis die Kranken beseitigt oder vom Contagium befreit sind, wir sperren ab, bis gründliche Desinfection erfolgt ist; wo wir nicht künstlich desinficiren können, dies vielmehr
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Vorbauung gegen äussere Seliiidlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 229
dem Zahne der Zeit überlassen müssen, da dauert natürlich die Absperrung länger. Die Absperrungen haben immer etwas Lästiges und heute mehr als früher, sie müssen deshalb auch auf das äusserste Maass der Notwendigkeit beschränkt werden. Bisher ist ein allgemeiner Fehlgriff gewesen, dass man die Ab­sperrung zu extensiv eingeführt, zu schlaff gehandhabt und zu früh aufgehoben hat. In fast allen Seuchen-Verordnun­gen ist die Absperrung rücksichtlich der Gegen­stände und der Räumlichkeit extensiver vorgeschrie­ben, als zur Sicherheit erforderlich ist, während sie selten bis zur gänzlichen Tilgung des Contagiums fortbesteht. Bei keiner Krankheit tritt dieser Fehler mehr in den Vorder­grund und ist von so schlimmen Folgen gewesen, als bei der Lungenseuche. Das Speciellere gehört in die Veterinärpolizei.
3. Das Schlachten und Tödten der Verdächtigen und Kranken.
Der Ansteckung verdächtig sind alle solche Individuen, welche mit den Kranken in mittelbare und unmittelbare Berührung getreten sind; je grosser die Gemeingefahr der Krankheit, desto mehr wird der Verdacht ausgedehnt. Sind dilaquo; verdächtigen Thiere Schlachtthiere, sind sie sonst noch gesund und ist die Krankheit nicht auf den Menschen übertragbar, hat die Erfahrung über die Unschädlichkeit des Fleischgenusses selbst von den kranken Thieren belehrt, so ist das Schlachten angezeigt und um so mehr, je grosser der Fleischwerth der Verdächtigen und zugleich die Gemeingefahr der Krankheit ist. Bei der Lungenseuche kann durch Schlachten die Seuche abge­kürzt und beim Schlachtvieh zugleich gegen Verluste durch be­reits erfolgte Ansteckung vorgebaut werden. Bei der Rinder­pest kann viel gerettet werden, wenn man statt des Tödtens das Schlachten der Verdächtigen eintreten lässt. Das Tödten und Verscharren der Erkrankten ist angezeigt, wenn die Krank­heit absolut unheilbar und nicht allein für andere Thiere, son­dern auch sogar für den Menschen Gefahr bringend ist — Rotz-und Tollkrankheit —, ferner wenn die Krankheit zwar nicht absolut aber doch gewöhnlich tödtlich und zugleicb sehr ge­meingefährlich ist, wenn die Krankheit noch keine grosse Aus­breitung erlangt hat, wenn durch Abkürzung der kostspieligen und störenden Sperrmaassregeln mehr gewonnen wird, als das Tödten Schaden bringt, und hauptsächlich, wenn mit den Indi-
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230nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kuiisthiilfe.
viduen auch das Contagium sicher vertilgt wird — Rinderpest. In diesem Falle, wo es sich um schnelle und sichere Tilgung einer auftauchenden Contagion handelt, würde namentlich der Zweck verfehlt sein, wenn das Todesurtheil nicht zugleich auch auf die inficirten, ja selbst auf die möglicher Weise inficirten Individuen ausgedehnt würde.
Das Tödten zur Beseitigung jeder Gefahr für Eigenthum und Gesundheit des Menschen ist eine Staatsmaassregel. Als Privatmaassregel kann sie ebenfalls vorkommen, wenn dadurch für den Besitzer mehr zu gewinnen ist, als durch das unsichere Absperren — bei auftauchender Lungenseuche z. B., bei sehr verdächtiger Druse, wo das weitere Abwarten oft kostspielig wird und immer mit einiser Gefahr verbunden ist. Kann ein Thier geschlachtet werden, so ist die Indication dazu gegeben, wenn nur einige Aussicht, nur die Möglichkeit gegeben ist, eine beginnende Seuche zu coupiren.
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4. Die Dosinfection.
Principiell müssen alle Abfälle, alle Se- und Excrete — Schleim, Schweiss, Harn, Mist —, alle Cadavertheile von Kran­ken, ferner alle porösen Körper mit Absorptionsfähigkeit — die trockenen Futterstoffe unserer Pflanzenfresser, Streu, Stallmist, Erdschichten und poröses Holz, Woll- und Pelzstoffe u. dgl. Gegenstände —, so weit sie dem Ansteckungsstoffe zugänglich gewesen sind, als inficirt d. h. als Träger des Ansteckungsstoffes betrachtet und behandelt werden, die eine indirecte Ansteckung vermitteln können. Diese Träger sind stabiler Natur — Ställe, Gehöfte, Weiden etc. — und bedingen quot;Verschleppung in der Zeit, d. h. Wiederkehr und selbst Stabilwerden der Seuche, also Seu-chenheerde; oder sie sind mobil, streuen die Krankheiten im Eaume aus und sind bei dem lebhafteren Handels- und volks-wirthschaftlichen Verkehre oft Ursche der Seuchenverbreitung in grossen Sprüngen. Die Viehwagen auf der Eisenbahn sind namentlich von grosser Bedeutung geworden bei der Vorbauung gegen ansteckende Krankheiten.
Die flüchtigen Contagien dringen mit der Luft überall ein, #9632;wo sie mit absorptionsfahigen Körpern in Berührung kommen, sie inficiren ihre Umgebung mehr, als die fixen, die nur mit der palpabelen Materie haften und oberflächlich eindringen, des­halb muss auch die Desinfection bei flüchtigen Contagien viel
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Vorbauung gegen Jiussere Scluidlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 231
umfangreicher und nachdrücklicher durchgeführt werden. Die Desinfectionsnüttel sind Anticontagia und nur in den Fällen identisch mit ,.Antisepticaquot;, wenn die Contagien Producte der Sepsis sind, oder doch in der Zersetzung die Bedingung ihrer Conservation resp. Vermehrung und Verbreitung finden.
Es hat sich riieksichtlich der Desinfection der Gebrauch eingeschlichen, alle Mittel, welche iibelen Greruch fortnehmen und soquot; die Luft verbessern, und welche Fäidniss inhibiren, als Dcsinfectionsmittel zu bezeichnen. Hier­gegen wäre an sich nichts einzuwenden, und in sofern durch Fäulnissstoffe auch speeifische Krankheiten erzeugt, in diesem Sinne also auch Infectioneu bewirkt werden können, hat diese Bezeichnung auch eine gewisse Berech­tigung. Sie hat aber leider zu einem Missverständnisse geführt, nämlich zur Beurtheilung der desinficirenden Kraft der Mittel nach der Beseitigung der Fäulnissproducte, der Stinkstoffe. So ist namentlich das Chlor in einen nicht verdienten Misscredit gekommen. Gährungen, Fäulnisse sind nach neueren Untersuchungen besonders von Pasteur grössten Theils, wenn nicht alle, Folgen von Pilzbildungen; sieht man nun in den Contagien überall pflanzliche Organismen, so führt die Consequenz auch dahin, in der Fäid­niss eine Art der Vermehrung des Contagimns zu sehen, und in der Unter­drückung der Fäulniss auch eine Entziehung der Lebensbedingungen der Pilze zu finden. Bei der Cholera hat man Pilze, eine Keimmasse — Zoo-yaea Temw — im Dannschleime gefunden, aus deren Körnchen sich Glie­derketten bilden (Halb, pathologisch-anatomische Studien über das Wesen der Cholera. Wien 18Ü7), die man für das ansteckende Agens hält und von denen man auf Grund verschiedener Beobachtungen annimmt, ilass diese Cholerapilze in der äusseren Natur Bedingungen finden, unter denen sie sich weiter entwickeln, und diese Bedingungen sind nach Peftenkofer in der Fäulniss der Faeces und in der Durchfeuchtung des Bodens gegeben. Bei den Hausthieren wird vom Milzbrande mehrfach angenommen, dass die im Blute gefundenen Bacterien das Milzbrandgift, Milzbrandcontagium, die Milzbrandorganismen seien, die ebenfalls in der Aussenwelt vorkommen und die sich auch bei der Fäulniss des Blutes vermehren sollen. Wir wol­len von diesen beiden Krankheiten nur erwähnen, dass bis jetzt noch alles Hypothese ist, dass man die Beziehungen der Pilze in den Faeces zur Krank­heit noch nicht kennt; dass aber vor allen Dingen die Bacterien, von denen es übrigens noch gar nicht feststeht, ob sie zu dem Thierreiche (Vibrionen) oder Pflanzenreiche (Pilzen) gehören, nicht bloss beim Milzbrande vorkom­men, dass sie im faulenden Blute fast nie fehlen, dass das frische, während des Lebens beim Milzbrande abgenommene Blut noch keine Bacterien zeigt und doch ansteckt, ja sogar grosse Ansteckungsfähigkeit besitzt, dass um­gekehrt das Milzbrandblut nach einigen Tagen an Infectionskraft verloren hat, wenn es gerade recht stark mit Bacterien versehen ist. Wenn man nun auch diesen Thatsachen gegenüber noch einen Ausweg in den verschie­denen Vegetationsformen finden und sagen kann, dass die sichtbaren Bac­terien kein Contagium mehr sind, dass vielmehr nur eine Vorstufe, eine unsichtbare Vegetationsform, die krankmachende Eigenschaft, die an­steckende Kraft habe, so darf man doch darauf noch nicht weiter bauen für die
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932nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
Praxis. Sehen wir aber von diesen beiden Krankheiten ab, so kann doch Nie­mand bis jetzt Thatsachen dafür beibringen, dass die verschiedenen anstecken­den Thierkrankheiten mit einer Sepsis, dass die Contaglen mit Zersetzungen, mit Zersetzungsproducten, mit Stinkstoff irgendwie in Beziehung und Ab­hängigkeit stehen, im Gegentheil alle Contagien der Thierkrankheiten ohne Ausnahme, auch der Milzbrand nicht ausgenommen, gehen in der Zersetzung in der Fäulniss unter. Wir müssen deshalb nothwendig die Anticonta-yia noch von den Antisepticis trennen.
Die bewährten und praktisch brauchbarsten Desinfections-mittel in unserem beschränkten Sinne, d. h. die Mittel, welche das Contagium direct vernichten, sind:
1.nbsp; nbsp;Die Luft. Sie ist ein mächtiges Tilgungsmittel für alle Ansteckungsstoffe; kein flüchtiges Contagium, selbst nicht das flüchtigste, das der Einderpest, kann miasmatisch wer­den, d. h. in der Luft wirksam bleiben und in grossen Ent­fernungen noch Krankheiten erzeugen; hierin liegt noch ein wesentliches Hinderniss, Miasmen für weither kommende Con­taglen zu halten; gleichgültig ob das Contagium zunächst durch Verdünnung seine Wirkung verliert, wie es wahrscheinlich ist, oder ob es direct von der Luft zerstört wird; kein fixes Con­tagium bleibt lange wirksam, wenn es mit seinen Trägern der Luft ausgesetzt ist; alle jetzt bekannte Contagien, die flüchtigen, wie die fixen, bleiben lange und sehr lange wirksam, wenn die Luft keinen Zutritt hat; Ansteckungsstoffe, die an der Luft in wenigen Tagen untergehen, bleiben ohne Luftzutritt Monate lang wirksam. Contagien, die in die Luft übergegangen sind, haben wir daher nicht nöthig durch andere Mittel zu zerstören. Aufenthalt im Freien, Vertheilen der Kranken in grosse Stall-räurae und möglichst beste Ventilation sind fortwährende Des-infectionsmittel schon während der Krankheit und von bester Wirkung auf den Verlauf der Seuche; Auslüften der Ställe und Aussetzen aller inficirten Gegenstände der Luft ist auch nach der Seuche ein sicheres Tilgungsmittel. Die grösste Bedeutung bekommt die Luft als Desinfectionsmittel aber in den Fällen, wo die Localitäten eine künstliche Desinfection kaum möglich machen; mit der Zeit desinficirt hier die Luft allein.
2.nbsp; Das Austrocknen. Ein zweites nützliches und mäch­tiges Desinfectionsmittel bei allen Contagien unserer Hausthiere; mir ist kein Contagium bekannt, dass nicht beim Eintrocknen unterginge; die Luft desinficirt um so schneller, je trockner sie ist, in feuchter Luft scheint nur die Verdünnung zu wirken;
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thierische Substanzen, die durchweg ausgetrocknet sind, stecken niclit mehr an. Rotzmaterie, die nach vielen Beobachtungen sich sehr lange in Ställen, und wie ich annehmen zu können glaube, in feuchter Erde des Fussbodens viele Monate wirksam bleiben kann, diese Materie bei gewöhnlichen Temperaturgra-den der Luft so getrocknet, dass sie pulverisirt werden konnte, steckte nicht mehr an, obwohl ich bei dem Auftuchen alle mi-kroskopisclien Formelemente wie vor dem Trocknen wieder er­kennen konnte. Bei der Rinderpest ist dies gleichfalls durch Thatsachen festgestellt *). Auch die Contagia animata werden durch Trocknen getödtet; die Milben, die in feuchter Stallluft einige und mehrere Wochen lebendig bleiben, sterben in trock-ner Stubenwänne in einigen Tagen und bei höherer trock-ner Temperatur binnen mehreren Stunden, in Folge der Feuch­tigkeitsentziehung**). Ebenso sterben die Trichinen beim Aus­trocknen des Fleisches immer und ziemlich schnell ab***). Bei den Flechtensporen geht nach starkem Austrocknen die Keimfähigkeit auch verloren, mit alten Flechtenborken, die in Schachteln sorgfältig trocken aufbewahrt worden waren und unter dem Mikroskope noch unverändert erschienen, konnte ich nicht mehr anstecken. Die Beobachtung von Pasteur, dass Schimmelsporen, über eine Stunde lang einer trocknen Wärme von 120deg; ausgesetzt, noch Keimfähigkeit besassen, muss mit grosser Vorsicht aufgenommen und erst noch weiter controlirt werden. Es giebt bis jetzt kein einfacheres und sicheres Des-infectionsmittel für die Kleidung und ähnliche Sachen, als das A ustrocknen bei einer höheren Temperatur im ge­heizten Räume; dies ist ein ebenso praktisches als wirksames Desinfectionsverfahren.
3. Temperatur. Frost ist bei den Contagien der Thiere ein unsicheres Desinfectiosmittel, namentlich die geringeren Grade; höhere Wärmegrade wirken im trocknen Zustande am stärksten, bis zur Blutwärme und darüber besteht die Desinfec-tion nur in Feuchtigkeitsentziehung, hier kommt also nur der austrocknende Factor in Betracht. Die direct vernichtende Wirkung der Hitze beginnt bei Trichinen schon mit 450 R.
*) Gerlach. Rinderpest, 1868. S. 107. **) Krätze und Eäude etc. von Gerlach. 1857. ***) Die Trichinen etc. von Gerlach. 1866. S. 57.
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Pocken- und RinderpeststofF wird von demselben Temperatur­grade ab sicher zerstört; mit der Gerinnung des Eiweises (öO — 60deg; R.) beginnt eine durchgehende Zerstörung aller thieri-schen Organismen, und in der Siedhitze liegt nach den bishe­rigen Erfahrungen eine allgemeine absolute Zerstörung der Con-tagien. Kochen, Douchen mit siedeheissen Wasserdämpfen, Feuer in fouerfesten Ställen, Glühen und Verbrennen sind hier die praktischen Desinfectionsmittel.
4. Chlor. Aus bereits erklärten Gründen in Misscredit gerathen, es bleibt aber immer noch eins der besten Anticon-tagia (conf. Rinderpest etc. S. 193).
a)nbsp; Chlor dämpfe. Nach Guiton Morveau: 3Theile Koch­salz, 2 Theile Braunstein und 2lJ2 Theile Schwefelsäure mit gleichen Theilen Wasser verdünnt; eine neue praktische Me­thode ist die Entwickelung aus Chlorkalk und Salzsäure; zur starken Entwickelung in leeren Räumen auf 1 Theil Chlorkalk 2 Theile Salzsäure und 2—3 Theile Wasser; auf einen Raum von 3000 Cubikfuss (Stallraum für 6 Pferde oder 10 Rinder) genügt 1 Pfund Chlorkalk; zur schwächeren Entwickelung in gleich grossen Räumen, wo Menschen oder Thiere athmen, 13 der Ingredienzien, die Salzsäure aber mit vierfacher Gewichts­menge Wasser verdünnt. Hierbei handelt es sich in lee­ren Ställen mehr um Absorbirung der Gase von den inficirten porösen Gegenständen, nur in den mit ansteckenden Individuen besetzten Ställen, wo fortwährend Contagion an die Luft treten, handelt es sich um perpetuirliche schnelle Desinfection der Stallluft, und dann ist ein gewisser Grad von Feuchtigkeit In­der Luft erforderlich, der aber in der Regel schon durch die Thiere selbst bedingt ist.
b)nbsp; Chlorwasser und Chlorkalk. Ersteres wegen des Preises in grossen Quantitäten selten, letzteres aber mit Recht das gebräuchlichste Chlorpräparat, 1 Pfund auf 24 Pfund (ein Eimer) Wasser giebt eine wirksame Chlorkalkmilch zur Desinfec­tion des Holzes, der Wände, Decken und Fussböden etc.
c)nbsp; nbsp;Das unterchlorigsaure Natron. Statt Chlorkalk zu gebrauchen; verliert seine Wirkung nicht so leicht, als Chlor­kalk; stellt in Wasser gelöst das sogenannte „Bleichwasser, Eau de Javellequot; dar. Durch Zusatz von Kochsalz soll es an Wirksamkeit gewinnen.
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d) Die Chlorkupfer-Dämpfe. Von Dr. Clemens. In unseren Viehställen zu schwach und zu theuer.
5.nbsp; nbsp; Schweflige Säure. In Wasser gelöst, oder als Gas in Stallräumen durch Verbrennen des Schwefels.
6.nbsp; nbsp;Die Theerproducte der trockenen Destillation, als: Carbol- oder Phenylsäure, phenylsaures Natron, phenyl-saurer Kalk, Kressylsäure, Kreosot und Theer. Die Carbolsäure ist in neuerer Zeit am gebräuchlichsten geworden: sie ist ein wirksames und zugleich billiges Mittel, welches in grossem Um­fange Anwendung findet, während das ebenfalls sehr wirksame Kreosot zur Desinfection zu theuer ist.
Das Desinfectionsverfah ren. Bei inficirten Stallen von grosser Wichtigkeit und grade hier am meisten vernach­lässigt, daher kommt es auch, dass nicht selten das Contagium mit den besten Desinfectionsrnitteln nicht zerstört wird, deshalb eine kurze Andeutung.
Zunächst wird aufgeräumt, d. h. entfernt und vernichtet, was schwer zu desinficiren oder der Desinfection nicht werth ist; je grosser die Gemeingefahr, desto umfangreicher die Ver­nichtung. Bei dem Aufräumen verdient das Holzwerk und der Fussboden besondere Berücksichtigung; letzterer muss entfernt werden, soweit er mit contagiösem Urin etc. durchdrungen ist. Dann folgt Reinigung mit Kalilauge und Abtragung der ober­sten Schicht poröser Wände etc. Hierauf kommen erst die eigentlichen Desinfectionsmittel in folgender Weise in Anwen­dung :
a)nbsp; nbsp; Zuerst die Gase, am besten das Chlorgas bei Ver­schlüsse des Stalles; hierbei handelt es sich nicht um Des­infection der Stallluft, dazu genügt schon bei allen Ansteckungs-stofFen die einfache Ventilation, sondern um das Hineintreiben des gasförmigen Zerstörungsmittels in alle Oeftnungen, Fugen und Poren. Wo es ohne Feuersgefahr ausführbar, ist ein Feuer in grossen Ställen an verschiedenen Stellen anzulegen und einige Zeit zu unterhalten; neben der direct wirkenden Hitze ist hier ein grosses Gewicht auf das Austrocknen der Wände zu legen.
b)nbsp; Darauf lässt man das natürliche Desinfectionsmittel, die Luft, einwirken, man unterhält einen Luftzug mindestens einige Wochen, je länger die Durchlüftung, desto sicherer die Desinfec­tion.
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c)nbsp; Endlich die tropfbar #9632; flüssigen Desinfectionsmittel, das Bespülen und Ueberstreichen mit Chlorkalk, unterchlorigsauretn Katron oder Carbolsäure, carbolsaurem Kalk oder Theer.
d)nbsp; Zum Schluss folgt die Restauration des Stalles, die Wie­derherstellung des Fussbodens, das Uebertünchen mit Kalk etc. Das Specielle bei den einzelnen Contagien gehört in die Vete­rinär-Polizei.
II. Die specifischeii Schädlichkeiten bei gemiiner Entwickclung.
Diejenigen dieser Schädlichkeiten, die zufällig einmal gege­ben sind und auf ganz einzelne Individuen einwirken, kommen hier nicht in Betracht, weil in solchen sporadischen Fällen keine Indication zur speciellen Vorbauung gegeben ist; ferner diejenigen, welche mehr oder weniger allgemein verbreitet und unabhängig sind von localen Verhältnissen — die epizootischen — sind uns wieder nicht zugänglich. Alle Epizootien lie­gen aussei- dem Bereich der directen Vorbauung, wreil wir die
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specifischen Schädlichkeiten nicht kennen und im Falle der wirklichen Bekanntschaft doch nicht abhalten können. Die Vorbauung ist hier nur eine diätetische nach der Indicatio ex constitutione epizootica. Dagegen sind alle solche Schädlichkeiten, welche von Localitäten abhängig sind — die enzootischen —, mögen sie sich auf eine kleinere Localität, ein einziges Gehöfte mit seinem Territorium beschränken, oder auf grössere Räume, ganze Bezirke verbreiten, für eine einzelne Thiergattung oder für mehrere Thierarten existiren, alle diese Schädlichkeiten sind besonders Gegenstand der Vorbauung.
Aber auch bei den Enzootien sind wir nicht immer in der Lage, die Ursachen zu beseitigen und so direct vorzubauen, weil wir von den Schädlichkeiten oft weiter nichts wissen, als dass sie eben localer Natur sind und wir selbst die erkannten Schädlichkeiten häufig nicht beseitigen können. Die Oertlich-keiten, die Krankheiten und deren Verbreitung resp. Beschrän­kung im Räume sind bei den Ermittelungen der Ursache die leitenden Momente. Rücksichtlich der Oertlichkeiten kommt die Lage, der Boden, der landwirthschaftliche Betrieb, der Was­serstand, die Stallung und die Benutzungsweise der betreffenden Thierart in Betracht. Dies alles müssen wir immer restrictiv d. h. in Beziehung zu einander und in Rücksicht der gegebenen
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Witterungsconstitution auffassen und beurtheilen. Die Krank­heiten selbst leiten uns zuweilen auf die Schädlichkeiten, meist aber doch annähernd auf die Umstände, unter denen die unbe­kannten Schädlichkeiten gegeben sind; parasitische Kachexien der Wiederkäuer weisen auf hohes Grundwasser, auf Nässe hin, in der die Brut gedeiht und verbreitet gegeben ist; das Roth-harnen der Rinder auf feuchte Weiden, die der freien Lufteinwir­kung entzogen und namentlich mehr oder weniger beschattet sind; Milzbrand auf die Boden- und Feuchtigkeitsverliältnisse, — je mehr verweste organische, namentlich animalische Stoffe, je höher die schwarze Humusschicht, je mehr der Untergrund durchlassend ist und je mehr so bei trockener Witterung das Grundwasser zurücktritt, die Humusschichten austrocknen, desto mehr Milzbrand; ich kann und muss in dieser Beziehung niei­nen alten Standpunkt*) noch vollkommen festhalten—, Knochen-brüchigkeit zeugt von mangelhafter Vegetation besonders auf Moorboden und in dürren Jahren; die Sippschaft der typhoi-den Leiden weist auf Blutvergiftungen hin, die durch Ver­sumpfungen, durch Kloaken und durch verdorbene Stallluft U. s. w. zu Stande gekommen sind. Auf letztere ist beson­deres Augenmerk zu richten; oft können wir sie selbst nicht direct wahrnehmen, namentlich nicht am Tage, grosse Kaser­nenställe, so auch niedrige und niedrig gelegene Ställe mit schlechter Ventilation und faulem Dünger geben am häufigsten die Quelle local auftretender Intoxicationskrankheiten ab. Ver­folgt man weiter das räumliche Auftreten der Krankheiten, die localen Verhältnisse, unter denen die Krankheiten aufgetaucht sind, so führen uns diese auch mehr oder weniger annähernd auf die Schädlichkeiten hin.
Das Vorbauungsverfahren ergiebt sich aus den Resultaten der Untersuchung, es besteht meist in diätetischen Mitteln, die oft tief eingreifende Veränderungen erheischen, Ent- und Bewäs­serungen, Freilegen beschatteter Weiden, Beseitigung localer Versumpfungen, Aenderung in der Ernährung, Verbesserung der Ställe etc. Man untersucht die Stallluft von der Nacht her, berücksichtigt besonders die Fussbödeu und sorgt für gute Ven­tilation. Wo es sich um Zersetzungsproducte handelt, da Rei­nigung und die Aniiseptica, bei alkalischer Fäulniss der Eisen-
*) Crf. Blutseuche der Schafe 1846. sect;sect;. 31—33. Magazin von G. und H. Bd. 11.
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vitriol in Lösungen, die Carbolsaure, bei saurer Fäulniss die Alkalien, nach Syvern's Methode Aetzkalk, Chlormagnesium und Steinkohlentheer.
Die Verhältnisse in concreten Fällen können sich verschie­den gestalten:
1.nbsp; Die Schädlichkeiten sind unbekannt, nur aus dem Auf­treten und der Verbreitung der Krankheit erkennen wir, dass sie localer Natur und oft auch, worin sie gegeben sind. Die Vor­bauung ist hier auf allgemeine diätetische Grundregeln beschränkt; je nachdem aber der präsumptive Grund in der Stallung, dem Futter, Wasser, oder dem Gebrauche liegt, ist hierauf speciell Rücksicht zu nehmen; man reinigt, ventilirt oder wechselt die Ställe, man führt eine andere Ernährungsweise ein, wechselt Weiden und Futter und behält dabei diejenigen Verhältnisse als Vorbild im Auge, unter denen die Krankheit nicht bestanden hat — Indicatio ex vitae genere.
2.nbsp; nbsp;Die specifischen Schädlichkeiten sind bekannt und ent­fernbar. Die Indicationen zur radicalen Vorbauung liegen auf der Hand.
3.nbsp; nbsp;Die Schädlichkeiten sind bekannt, aber aus ökonomi­schen Gründen nicht zu beseitigen. Die grössten Schwierigkei­ten sind immer in der Ernährung gegeben; hier sucht man nach Möglichkeit zu bessern, die Schädlichkeiten möglichst ab­zuschwächen, die schädlichen Futterstoffe mindestens theilweise zu entziehen, durch Reinigen und besondere Zubereitung, durch Gälirung, Kochen oder Brühen unschädlicher zu machen etc.; schädliche Weiden durch Stallfütterung wenigstens theilweise namentlich des Morgens zu ersetzen; bei Hungerkrankheiten das Vieh theilweise abschaffen, wenn keine Nahrung herbeizu­schaffen ist. Die in den Stallungen und der Gebrauchsweise gegebenen Schädlichkeiten bieten gewöhnlich weniger Schwierig­keiten dar.
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C. Die zufälligen Schädlichkeiten.
Sie stehen in keiner speciellen Beziehung zu der gefürch­teten Krankheit, verdienen aber um deswillen Beachtung, weil sie durch ihre störende Einwirkung überhaupt entweder die Empfänglichkeit für die herrschenden specifischen Schädlichkeiten fördern, oder den Ausbruch einer, durch specifische Einflüsse schon vorbereiteten
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Krankheit vermitteln, oder endlich, bei wieder­holter Einwirkung, auf beiderlei Weise zugleich wirken.
Bezüglich dieser vermittelnd wirkenden Schädlichkeiten ist die Indication gegeben, alle Dinge abzuhalten, welche störend auf die Gesundheit überhaupt einwirken; es handelt sich hier mithin um die allgemeinen Gesundheitsregeln, wobei jedoch wieder solche Dinge speciell ins Auge gefasst werden müssen, welche namentlich auf diejenigen Organe und Functionen stö­rend einwirken, welche in der zu verhütenden Krankheit vor­zugsweise betheiligt sind.
Excesse in den körperlichen Anstrengungen, in der Ernährung und Erkältungen sind die generellen Schädlichkeiten, welche bei allen en- und epizooti-sehen Krankheiten mehr oder weniger eine vermit­telnde Rolle spielen, und daher immer Gegenstand der auf allgemeine diätetische Regeln zu basirenden Vorbauung sind.
3. Vorbauung gegen die beginnende Krankheit selbst.
Das weitere Aufkommen einer schon in ihren ersten Anfängen vorhandenen Krankheit so schnell als möglich zu verhindern, ist endlich die letzte Aufgabe der Vorbauung, die hier eine „ Abortivkurquot; ist. Das Coupiren einer Krankheit findet statt im Stadio der Vorboten bis zur vollen Entwicke-lung. Nach der vollkommenen Entwickelung kann natürlich von Vorbauen, Coupiren keine Rede mehr sein; eine vollstän­dige Entwickelung sehen wir da, wo die wesentlichsten Symp­tome eingetreten und damit bestimmte Krankheitsprocesse in ihrem Complex als Krankheitsform hervorgetreten sind.
Bis dahin, wo hiernach überhaupt von einer Abortivkur die Rede sein kann, giebt es nun gewöhnlich noch keine sicheren Symptome, aus denen allein wir auf ein bestimmtes Leiden im Hintergrunde schliessen können; wollte man daher die Indi-cationen von den bestimmten Krankheitserscheinungen eines im Erkranken begriffenen Individuums allein entnehmen, so würde das daraufhin eingeleitete Abortivverfahren oft unsicher sein, ja es könnte sogar gefährlich werden. Die Vorboten werden beziehungsweise erst näher bezeichnend für die im Hinter­grunde steckende Krankheit und maassgebend dafür, ob eine
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bestimmte Vorbauung und welche einzuleiten ist; neben den Vorboten muss man aber zugleich in Betracht ziehen:
1)nbsp; nbsp;Gattung und Alter; — so können wir z.B. aus ein­zelnen Erscheinungen, die an sich ganz unerheblich sind, bei jungen Hunden die Staupe, bei Schafen die Gnubberkrankheit, bei Schweinen die Halsbräune, bei Füllen die Druse, bei Rin­dern die Lungenseuche in ihrer Entwiekelung erkennen;
2)nbsp; nbsp;vorangegangene oder allgemein herrschende Krankheiten —; schon aus den unbedeutendsten Störungen können wir auf eine bestimmte, im Hintergrunde steckende Krankheit schliessen, wenn dieselbe bereits durch frühere Fälle unter einer Heerde festgestellt oder eine mehr allgemein herr­schende ist; die herrschende Einderpest lässt z.B. in leichten katarrhalischen Affectionen, im leichten Durchfall die Pest erken­nen; bei herrschender Influenza ist der verminderte und ver­stimmte Appetit, das Mistfressen ein genügendes Zeichen die­ser Krankheit;
3)nbsp; nbsp; gegebene Schädlichkeiten; — unter Berücksichti­gung bestimmter vorangegangener Schädlichkeiten führen uns schon leichte Störungen auf eine in der ersten Entwiekelung begritfene Krankheit hin.
Früher stand die Abortivkur in grossem Misscredit, man nannte dieses Verfahren „Stopfen, Unterdrücken, Zurück­treibenquot;, Ausdrücke, die eine unheilsame Bedeutung hatten, weil man von vielen Krankheiten glaubte, dass sie erst in ein bestimmtes Stadium eingetreten sein müssten, ehe sie behutsam angerührt werden dürften. Solche unheilsame Bedeutung wird aber jetzt der Abortivkur an sich nicht mehr beigelegt, unheil­sam wird sie nur bei ungeschickter Handhabung, bei dysthera-peutischen Eingriffen. Heute findet der Grundsatz, dass ein geringer Feind leichter zu überwinden sei, denn ein grosser, wohlgerüsteter, auch auf Krankheiten volle Anwendung; man weiss, dass mit der Dauer und Verbrei­tung einer Krankheit auch die anatomischen Veränderungen vorschreiten und immer weniger zugänglich werden für die Kunst. Mit Recht hat sie deshalb jetzt das prineipmässige Ex-speetativverfahren bis zu einer gewissen Reife mancher Krankheiten verdrängt.
Einzelne Krankheiten giebt es allerdings, die sich nach unserem jetzigen Wissen in ihrem Verlaufe nicht coupiren las-
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Vorbaming gegen äussere Schädlichkeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 241
sen; hierher gehören einige Krankheiten von einem bestimmten typischen Verlaufe in der Haut, bei denen die gestörte Ent-wickelung leicht Erkrankung anderer innerer Organe zur Folge hat — Aphthenseuche und Pocken sind bei unseren Hausthie-ren besonders namhaft zu machen. Wenn bei solchen Krank­heiten bis jetzt auch von Coupiren keine Eede sein kann, so hat die Vorbauung bei ihrem Aufkeimen dennoch ein Geschäft, und zwar ein sehr wichtiges, nämlich den Weg zu einem ungestörten, gutartigen Verlaufe anzubahnen durch zweckmässige Anordnung der Aussenverhältnisse, weil gerade bei der Entwickelung unter ungünstigen Aussen-verhältnissen der hinlängliche Grund zum uaregelmässigen Ver­laufe und zum bösartigen Charakter gelegt wird. Einige an­dere Krankheiten hingegen, die fix und fertig gewöhnlich incu-rabel sind, werden bei dem Aufkeimen oft noch geheilt; so z. B. die Lungenseuche, die verdächtige Druse, die verschiede­nen bleichsüchtigen Zustände bei Schafen, sofern nicht uner­reichbare Parasiten die Ursache sind.
In erster Linie stehen hier die diätetischen Mittel mit spe-cieller Berücksichtigung der leidenden Organe, und alle arznei­lichen Mittel, die bei ausgebildeter Krankheit Heilmittel oder auch nur heilsame Mittel sind; eine unsichere Heilmethode kann noch eine sichere Abortiv-Kurmethode sein. Die direct anzuwendende Kälte ist Abortivmittel bei beginnender Entzün­dung, die Adstringentien coupiren bei director Einwirkung entzünd­liche katarrhalische Affection der Schleimhaut; schweisstreibende Mittel coupiren Erkältungskrankheiten, und um so sicherer, je früher sie der Erkältung folgen; Abführmittel coupiren oft ga­strische Leiden. Ausser diesen ebenso bewährten als rationel­len Abortivmittel hat man noch manche Mittel wegen ihrer allgemein erschütternden, umstimmenden, ausleerenden und ab­leitenden Wirkung als generelle Abortivmittel hingestellt; so namentlich die Brechmittel, die drastischen Abführ- und urin-treibenden Mittel etc. An sich ist diese Auffassung nicht mehr zu billigen, es ist ein Experimentiren mit eingreifenden Mitteln; dennoch können diese Mittel ihre zweckmässige Anwendung fin­den, es müssen aber specielle Indicationen gegeben sein, man darf z. B. ein Brechmittel nicht auf gut Glück geben, weil das Thier eben krank zu werden droht, man kann aber beginnende Rheumatismen, beginnende Indigestionen sehr wohl damit cou-
G er 1 ach Allj. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;16
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piren. Die Erfahrung muss bereits entschieden haben. Der stehende Gebrauch der Aloepillen in England und Hannover bei fast jeder beginnenden Krankheit ist an sich ein Miss­brauch, so oft auch ein guter Erfolg damit verbunden sein mag.
Die Railicalkur.
Die Krankheit in toto sammt ihren Ursachen ist Gegenstand der Radicalkur, eine gründliche Hei­lung ihr Zweck, die Genesungshemmnisse sind ihre Angriffs­punkte, die entweder in den ursächlichen Momenten oder in der Wesenheit der Krankheit oder endlich in beiden zugleich gegeben sind.
1. Die Beseitigung und Fernhaltung der ursäch­lichen Momente — die Causalkur — ist der erste Schritt zur Heilung; die Indicationen dazu — die Causal-Indicationen
—nbsp; ergeben sich aus dem Verhältnisse der Ursachen zur Wir­kung, zur Krankheit, und aus der Wirkungsweise der schäd­lichen Momente.
Die Ursachen bestehen noch fort; sie äusseren ihren ferneren Einfluss entweder continuirlich oder nur periodisch nach längeren oder kürzeren Intervallen; in beiden Fällen pfle­gen sie ein hinlänglicher Grund der Fortdauer, der Steigerung und der Hartnäckigkeit der Krankheit in ihrem Widerstände gegen Natur- und Kunstheilung zu sein. Die Dinge, welche eine Krankheit erzeugen, sind auch in der Regel im Stande, sie zu unterhalten, und deshalb werden eben die ursächlichen Mo­mente weiterhin die Momente der Genesungshemmung — #9632;per­manente causa, fermanet effectus —. Die Beseitigung der Ur­sachen ist mithin unter allen Umständen die oberste Bedin­gung zur Genesung, und der Satz „cessante causa, cessat effectusquot; ist in dem Sinne immer richtig, dass mit dem Verschwinden der Ursachen auch die Wirkungen verschwinden, welche sie noch ferner gehabt haben würden; die Causalkur ist der erste Act der Radicalkur. — Die Entfernung der ursächlichen Schäd­lichkeiten ist nicht selten selbst schon die hinlängliche Bedin­gung zur Genesung, es bedarf keiner weiteren Mittel mehr, es ist für die Natur der Weg hinlänglich angebahnt zur Heilung,
—nbsp; die Causalkur involirt hier die ganze Radicalkur. Es giebt Krankheiten, die ohne fortdauernde Ursachen gar nicht fortbe-
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Die Eadicalkur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 243
stehen können, die sich nie von der Ursache ablösen und selbst­ständig werden, bei denen die Causal-Indication unter allen Umständen zugleich eine Radikal-Indication ist, bei welchen der alte Satz „cessante causa, cessat effectusquot; seine volle Anwendung findet. Tödten wir z. B. die Parasiten, so heilen wir auch die Parasiten - Krankheiten.
Die Ursachen bestehen nicht mehr fort, und geben mithin auch keine directe Heil-Indication mehr ab. Nichts­destoweniger kommen sie bei der Heilung immer noch in Be­tracht, und zwar aus dreifachen Gesichtspunkten:
a) sie tragen nicht selten zur besseren Erkennung des Grundprocesses der Krankheit und somit indirect zur Auffin­dung der Heil-Indicationen bei, ganz besonders gilt dies für die Fälle, wo mechanische Einwirkungen stattgefunden haben;
h) sie geben zuweilen noch eine bestimmte Indication zur Heilung ab, und dies hauptsächlich dann, wenn der erste Effect noch isolirt fortbesteht, wenn die ersten Störungen noch nicht Ursache eines Symptomencomplexes geworden, wenn, mit einem Worte, noch keine bestimmte Krankheit ausgebildet ist; in allen Fällen, wo es sich um eine radicale Abortivkur handelt, da zei­gen uns die stattgehabten Schädlichkeiten den Weg, die begin­nende Krankheit zu coupiren. Der Anfangspunkt der Krank­heit ist hier zugleich der Angriffspunkt der Heilung;
c) endlich sind sie auch bei den Krankheiten, die sich von ihren Ursachen bereits vollständig gelöst haben, immer noch leitend bei Anordnung der Diät. Störungen in der Heilung und Eecidive werden am leichtesten durch Schädlichkeiten bedingt, welche den Krankheitsursachen ähnlich oder identisch wirken.
Wir sehen hieraus, dass die Ausmittelung der Krankheits­ursache mitunter eine unerlässliche, in allen Fällen aber eine sehr wichtige Aufgabe des Therapeuten ist. Die Lösung der­selben ist aber oft äusserst schwierig, sie verlangt meist eine grosse Umsicht, tiefe Kenntniss, reiche Erfahrung und prakti­schen Takt. Die Entstehungsweise, die Natur der Krank­heit, die Verbreitung derselben unter einer oder mehreren Thiergattungen, unter einer oder mehreren Heerden, an einem Orte oder weiter verbreitet; die Verhältnisse, die unmit­telbar vor der Krankheit momentan oder längere Zeit hindurch eingewirkt haben, sowie auch diejenigen, welche schon früher mehr oder weniger lange vor der Krank-
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244nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
he it anhaltend oder vorübergehend eingewirkt haben, wie end­lich auch das Verhalten der Erkrankungen bei gewissen Veränderungen der äusseren Verhältnisse, dies alles sind die wesentlichsten Punkte, die bei Erforschung der Ursachen spe-ciell ins Auge gefasst werden müssen.
Zwei Fehler pflegt man bei der Ermittelung der Ursachen zu begehen. Einmal lässt man sich nur zu oft verleiten, „post hoc ergo -propter hocquot; zu schliessen; hierdurch wird dann in sehr vielen Fällen ein Fehlschuss gemacht, der Sehein für baare Münze genommen; oft, sehr oft liegt die wahre Ursache mehr oder weniger fern und die nächsten Umstände, die man als spe-cielle Schädlichkeiten auffasst, sind entweder ganz unschuldig, oder haben doch nur einen sehr untergeordneten, zufällig ver­mittelnden Antheil an dem Zustandekommen der Krankheit. Zweitens sündigt man auch sehr oft darin, dass man in den Fällen, wo die Krankheitsursache nicht ganz offen hervortritt, unerschöpflich ist im Aufzählen solcher Dinge, welche die Hy­giene in der Rubrik der Schädlichkeiten aufführt. Bei Krank­heiten, deren Ursachen noch im Dunkeln ruhen, finden wir in der speciellen Pathologie gewöhnlich ein ganzes Heer von Schäd­lichkeiten aufgeführt. Dies ist ein Hauptgrund, dass wir in der Aetiologie oft den Wald vor Bäumen nicht sehen. Gestehen wir uns offen und ehrlich das „Nichtwissenquot;, welches ja eben der Sporn zum weiteren gründlichen Nachforschen ist. Welche Dinge hat man z. B. bei der Lungenseuche nicht alle beschul­digt, und wohin hat dieses geführt? — dahin, dass man die Contagiosität verkannte, und dass man selbst heute noch zu engherzig ist, die Krankheit in ihrer wahren Natur, sie als ein „Contagionquot; aufzufassen.
Die Causalkur selbst ist einfach, die Mittel sind vorzugs­weise chirurgische und diätetische; sind die schädlichen Momente bekannt, so deutet uns die Causal-Indication auch zugleich die Mittel und Wege an, sind sie aber nicht bekannt, so müssen wir wieder summarisch verfahren, wie bei der Vorbauung schon angegeben.
2. Die Krankheit selbst in ihrem ganzen Um­fange ist der weitere und eigentliche Gegenstand der Radicalkur. Wenn wir die Diagnose feststellen und die Heil-Indicationfm aufstellen, dann fassen wir alle Krankheitserscheinun­gen auf, analysiren sie auf physiologischem Wege und streben so
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Die Radicalkur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;245
danach, die Einheit aufzufinden, von der alle Erscheinungen unmittelbar und mittelbar hervorsprossen; dieser letzte Grund aller Krankheitserscheinungen stellt eben das dar, was wir als das Wesen der Krankheit, als die nächste Ursache — causa proximo, — ansehen. Der Symptomeucomplex ist nur die Aeusserung, der äussere Abdruck eines Complexes von Krank-heitsprocessen, von denen jeder einzeln aufgefasst etwas Be­dingtes und Bedingendes zugleich ist, und derjenige Pro­cess, welcher als der primäre zu betrachten, von dem aus der Anstoss zu allen andern gegeben ist, dieser ist als Grund des ganzen Krankheitsbildes der recht eigentliche Gegenstand der Kadicalkur, und wo wir eben diesen Process kennen und uns auch die Mittel zu Gebote stehen, auf denselben einzuwirken, da sind die Bedingungen zum radicalsten Kurverfahren gegeben. Selten, sehr selten sind wir jedoch in dieser glücklichen Lage, in den meisten Fällen können wir die Krankheitsprocesse nicht bis zu dem letzten, zur Einheit zurück verfolgen, wir stossen bei dem Analysiren schon früher auf die Grenzen, über die uns unser Wissen nicht hinauslässt. Hierdurch erfährt die Radicalkur eine empfindliche Beeinträchtigung, namentlich können wir sie weni­ger auf directem Wege vollbringen; sie ist aber dadurch kei­neswegs ausgeschlossen, sondern besteht unter solchen Umstän­den darin, dass man die erkannten Processe so leitet, fördert, unterstützt oder beschränkt, dass heilsame Bedingungen und Wendungen herbeigeführt, unheilsame verhütet werden, bis das Ganze seinen möglichst besten Ausgang gefunden hat. Die sich selbst überlassene Natur verfährt oft eben so indirect.
Es ereignet sich endlich auch zuweilen, dass wir von den ganzen Krankheitsprocessen kaum die letzten Glieder kennen, deshalb auch keine bestimmten Indicationen haben und dennoch im Stande sind, radical zu heilen, nämlich durch Mittel, welche uns die Erfahrung an die Hand giebt, von deren Wirkungsweise wir oft nicht mehr, als von der Krankheit wissen, deren End­wirkung, die Heilung, uns aber empirisch bekannt ist. — Die rein empirischen Radicalkuren.
Die syinplomatisciic Kur.
Diese Kur hat, im Gegensatze zur Radicalkur, nicht direct die Krankheit in ihrer Totalität, sondern nur einzelne Bruch­stücke derselben zu ihrem Gegenstande, Bruchstücke, die von
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246nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Di6 Kunsthülfe.
drohender Lebensgefahr bis zur geringsten Nebenerscheinung verschiedene Abstufungen in der Dignität für die Therapie dar­stellen; sie ist, im Allgemeinen aufgefasst, eine Linderungskur, Palliativkur.
Die symptomatische Kur ist immer sehr angefeindet, als ein rohes empirisches Verfahren bezeichnet worden, und wenn man die Sache bei Licht betrachtet, so ist sie doch nie zu entbehren, sie findet oft recht zweckmässige Anwendung, ja sie ist sogar oft unbedingt geboten. Seien wir nur ehrlich und gestehen wir uns ganz offen, dass unser Heilverfahren viel öfter ein sympto­matisches, als ein radicales ist. Es versteht sich ganz von selbst, dass in den Fällen, wo wir so glücklich sind, eine Radi-calkur in Anwendung bringen zu können, dass wir da nicht zu der unvollständigeren symptomatischen Kur greifen dürfen; es versteht sich ferner von selbst, dass jeder Therapeut sich auf der Höhe des medicinischen Wissens und Könnens befinden muss und nicht eine symptomatische Kur einleitet, wo die Wis­senschaft eine ßadicalkur möglich macht und somit gebietet. Die symptomatische Kur ist nur dann tadelnswerth, wenn darüber die Radicalkur vernachlässigt wird, wenn sie zur ausschliesslichen Methode eines The­rapeuten wird, wenn sie diesen zum bequemen Schlendrian verführt, ihn von gründlichen Unter­suchungen ablenkt; sie ist contraindicirt in allen Fällen, sobald sie die Krankheit sr.ört oder ver­zögert, wenn sie neue verschlimmernde Zustände herbeiführt.
Die Symptome dürfen nicht als besondere Dinge für sich aufgefasst, sondern müssen physiologisch-genetisch erklärt, auf ihren inneren Grund und Zusammenhang, auf die anatomisch­physiologische Veränderung der Organe zurückgeführt werden — die physiologische Symptomenlehre. So gelangen wir denn zur richtigen Diagnose und zum klaren Bewusstsein darüber, inwiefern oft einzelne Symptome eine physiatrische Bedeutung haben und zur Exspectativkur auffordern; inwiefern einzelne keine besondere therapeutische Bedeutung haben, sondern alle in ihrem fundamentalen Zusammenhange den Angriffspunkt darbieten, und in welchen Fällen endlich einzelne wieder Heilungshindernisse und Ursache der Krankheitssteigerung, also besonderer Gegen­stand der Therapie — der symptomatischen Kur — sind.
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Die Lebenskur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;247
Je nach den verschiedenen Indicationen, die zum symptomati­schen Verfahren auffordern, unterscheiden wir auch verschiedene symptomatische Kurarten.
1. Die Lebenskur.
Die Rettung ohne Rücksicht auf Heilung ist der nächste Zweck. Das Leben ist bedroht durch einzelne Zustände, die der Krankheit wesentlich angehören auf einer gewissen Höhe derselben, oder die sich als Complicationen hinzugesellt haben; die Indication, solche Zustände zu beseitigen, ist die dringendste, die Rettang hängt zunächst von ihrer Erfüllung ab — sie ist eine Lebens-Indication — indicatio vitalis —, die alle andern dominirt.
Bei unsern Thieren, bei denen es sich nicht darum handelt, das Leben um jeden Preis zu fristen, die Lebensdauer um Stun­den und Tage zu verlängern, bei denen es vielmehr nur Auf­gabe ist, dann die gefahrdrohenden Symptome als Vital-Indica­tion aufzufassen, wenn durch ihre Erfüllung die Rettung in Aus­sicht steht, bei diesen hat die Lebenskur nicht die hochwichtige Bedeutung und den weiteren Umfang, als in der Menschenheil­kunde. Besonders drohende Todesarten und Symptome, deren Verhütung resp. Beschwichtigung das schleunigste Einschreiten erfordert, sind:
1.nbsp; Erstickung, angekündigt durch Orthopnoe; die schnelle Beseitigung der Athemnoth ist Vital-Indication; durch die Tra-cheotomie bei Halsbräune, bei Lähmung und andern Krankheits-zuständen des Kehlkopfes, durch Paracenthese bei Brustwasser­sucht, durch den Pansenstich bei Tympanitis, wird das Leben vorläufig gerettet und Zeit zur Radicalkur gewonnen. Plötz­licher Stillstand des Athmens z. B. bei Strychninvergiftung oder bei Chlorofonnirungen gebietet sofortige künstliche Unterhaltung des Athmens;
2.nbsp; nbsp;Hirnlähmung, bedroht entweder durch Blutüber­füllung im Gehirn, die sich zu verschiedenen Krankheiten im Gehirne und in andern Organen hinzugesellt, oder durch Blut­mangel, der sich bei Blutungen, nach schweren Geburten, bei schnell eintretender Hyperämie in entfernteren blutreichen Orga­nen etc. einstellt und nicht minder gefärlich ist, als die Ueber-füllung. Im ersten Falle sind: Blutentziehung, Ableitungen, kalte Kopfumschläge, Essigklystiere, im letzten Falle dagegen Reizmittel die Rettungsmittel;
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3.nbsp; nbsp; Herzlähmung, Ohnmacht. Unfühlbar werdender Puls, schwindendes Bewusstsein, verlangt schleunige Reizmittel, kaltes Bespritzen, flüchtige ätherische Oele.
4.nbsp; nbsp;Verblutung. Niemand wird mit der Stillung einer gefahrdrohenden Blutung zögern, obwohl sie nur ein Symptom von einer Verletzung ist, und selbst wenn die Heilung der Wunde dadurch verzögert wird.
5.nbsp; nbsp;Exorbitante Fieberhitze. Eine Eigenwärme über 42deg; C. ist lebensgefahrlich; schleunige Abkühlung durch kal­tes Wasser beseitigt diese Gefahr und ist oft ein Rettungsmittel (conf. abkühlende Methode).
Zuweilen fallen die Vital-Indicationen mit den Radical-Indicationen zusammen, so z. B. bei eingeklemmten Brüchen, Prolapsus der Baucheingeweide, Knocheneindrücke am Gehirn u. s. w.
2. Die Erhaltungskur oder das Fristungsverfahren.
Bei gewissen chronischen, unheilbaren Uebeln liegt es doch zuweilen noch im Interesse des Besitzers, das Thier zu erhalten; der Natur der Sache nach müssen wir auf die Radical-kur verzichten, dem Interesse und Wunsche des Be­sitzers zufolge aber ein symptomatisches Verfahren einschlagen, um das Thier doch mindestens zu erhalten. Die Unheilbarkeit ist die erste, und die Möglichkeit, den Patienten mit dem gegebenen Uebel noch zu erhalten, ist die zweite Grundbedingung zu diesem Verfahren.
Der Begriff der Unheilbarkeit dehnt sich bei den Thieren weiter aus, als bei den Menschen, ein Knochenbruch an den Gliedmaassen z. B. ist nicht unheilbar an sich, aber bei den grösseren Hausthieren meist unheilbar in Rücksicht darauf, dass der Patient selten wieder vier gesunde und brauch­bare Gliedmaassen bekommt.
Ist Patient ein Lieblingsthier, handelt es sich lediglich um die Erhaltung unter allen Umständen, so ist damit die genü­gende Indication zur Fristungskur gegeben. Meist ist es aber ein bestimmter ökonomischer Zweck, wozu die Thiere erhalten werden sollen, z. B. das Abnutzen einer frischmilchenden Kuh, das Mästen eines schlachtbaren Thieres, die Gewinnung einer hochedlen Leibesfrucht, welche die erkrankte Mut­ter trägt, die Verwendung zur Zucht etc. In allen sol-
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Die Erhaltungskur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 249
chen Fällen handelt es sich natürlich darum, ob der beab­sichtigte Zweck auch mit der Erhaltung des Thieres erreicht werden kann. Ist die Indication zu diesem Fristungsverfahren überhaupt gegeben, so sind die Indicationen zur speciellen Aus­führung: einmal das Uebel im Fortschreiten zu hemmen, daran zu heilen und zu bessern so viel als möglich ist, namentlich solche Symptome zu beseitigen, welche den Gebrauch stören oder verschlimmernd auf das Grundübel zurückwirken, und zwei­tens dem leidenden Thiere selbst seinen Zustand erträglich zu machen, ihm die Schmerzen zu lindern durch Neurotomie, Ban­dagen, Umschläge, Fussbäder und andere schmerzstillende Mittel.
3. Die Linderungskur, Palliativkur im engeren
Sinne.
Das Lindern bezieht sich bei unsern kranken Thieren we­niger auf die subjectiven Empfindungen, es handelt sich weni­ger um Beseitignug einzelner Zufalle, weil sie den Patienten be­lästigen, sondern hauptsächlich, weil sie verschlimmernd auf die Krankheit einwirken. Wo es unbeschadet der Sache ge­schehen kann, haben wir natürlich auch die moralische Pflicht, dem Thiere seine Leiden zu erleichtern, immer aber bleibt das Morphium ein weniger wichtiges Palliativmittel in der Thier-heilkunde.
Die Palliativkur hat es zwar mit einzelnen Symptomen zu thun, sie muss jedoch dabei das Ganze der Krankheit ins Auge fassen; sie geht entweder der Radicalkur voran oder an ihrer Seite nebenher, oder tritt an deren Stelle, wenn sie nicht aus­führbar ist; sie ist ein Glied der Radicalkur, indem sie die Be­seitigung solcher hervorragenden Symptome zum Gegenstande hat die zwar nicht gerade mit Lebensgefahr verknüpft sind und eine Vital-Indication abgeben, die aber entweder steigernd auf ein­zelne wesentliche Krankheitsprocesse zurückwirken, störend auf den Gang der Krankheit einwirken, Complicationen bedingen oder der Genesung hemmend in den Weg treten, eine Gene­sungshemmung sind, und somit in beiden Fällen eine Indica­tion abgeben, ohne deren Erfüllung die Radicalkur zweifelhaft, jedenfalls aber doch schwieriger ist. Die Naturheilung geht auch oft auf die Weise vor sich, dass sie zuerst die hinderlichen Nebendinge beseitigt und so palliativ auf die wesentlichen Krank-
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heitsprocesse einwirkt. — Ich erinnere hier nur an die lindern­den Instincte. Die Palliativkur kann selbst Heilung herbeifüh­ren, wenn durch Beseitigung einzelner hervorragender Symptome der Naturheilung schon die hinreichende Unterstützung gewährt ist; es giebt zuweilen hervorragende Symptome, welche allein die Genesungshemmung bedingen, mithin giebt es auch Fälle, wo die Beseitigung eines hervorragenden Symptoms die Bedin­gungen zur vollständigen Heilung giebt und gleichbedeutend ist mit Radicalkur. Es ist daher vollkommen gerechtfertigt, in allen Fällen, wo wir keine Radical-Indicationen haben, symptomatisch zu verfahren.
Hervorragende Symptome des Krankheitsproces-ses und die Störungen der physiologischen Functio-nen, so weit sie in dem Symptomencomplexe einen besonderen Ausdruck finden, ihre Ueberschreitun-gen und Abweichungen auf ein entsprechendes Maass zurückzuführen, dies alles ist die Aufgabe, der eigentliche Kern der symptomatischen Kur. Spe-cieller treten die Indicationen besonders hervor:
1)nbsp; nbsp;in grösseren Temperaturabweichungen; tief gefallene Eigenwärme, tief gesunkene Lebensenergie mit drohendem Col-lapsus verlangt ein belebendes, erwärmendes Kurverfahren; grosse Fieberhitze steigert alle Störungen, bei manchen Krankheiten ist sie gerade das Gefahrbringende, sehr gesteigerte Eigenwärme ist immer von hoher Bedeutung für die Therapie;
2)nbsp; in hervorstechenden Störungen der Verdauungs­organe; Gasansammlung, Aufblähung, die bei Brustaffectio-nen besonders beschwerend sind; Anschoppungen der Darm-excremente, die fast jeden Patienten belästigen und namentlich auf entzündliche Localleiden zurückwirken; erschöpfende Durch­fälle bei Patienten und Krankheiten, welche keine Kräfte mehr zu verlieren haben etc.;
3)nbsp; nbsp;in abnormer Thätigkeit einzelner Se- und Ex-cretionsorgane;
4)nbsp; inAtonie derGewebe und allgemeiner Schwäche, Asthenie, grosser Abgeschlagenheit;
5)nbsp; endlich in gesteigerter Reizbarkeit, grosser Auf­regung, heftigen Schmerzen etc.
Contraindicirt ist die Palliativkur, wenn sie der Radicalkur entgegen ist, wenn die specielle Beseitigung eines Symptoms
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Die Euthanasie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;251
vielleicht nur augenblickliche Linderung verschafft, weiterhin aber den erwünschten Verlauf der Krankheit stört.
4, Das Verfahren zur Erleichterung des Sterbens, die Euthanasie.
Dieser, für den Arzt am Sterbebette so höchst wichtige Gegenstand nimmt selten besondere Rücksichten des Thierarztes in Anspruch; den Todeskampf durch Narcotica zu erleichtern, ein ruhiges Dahinschlummern herbeizuführen, ist gewöhnlich nicht Aufgabe des Thierarztes. Unser euthanatisches Verfahren ist sehr einfach, nichtsdestoweniger aber gat; ein schnell tödten-des Gift, eine Kugel oder das Genickmesser sind die besten und sichersten Abkürzungsmittel der schmerzhaften unheilbaren Lei­den und des langsamen Todeskampfes, und diese Mittel anzu­wenden, erfordert die Barmherzigkeit. Es ist eine verbreche­rische Thierquälerei, müssig zuzuschauen, wenn die Thiere bei unheilbaren und schmerzhaften Leiden nicht leben und nicht sterben können, wenn sie noch stöhnend fressen und athmen, damit die unsäglichen Schmerzen noch länger an ihnen nagen.
Die Nachkur, Therapia rccoiiYalesrentiae, Apothcrapia.
Es ist schwer, von der Reconvalescenz eine Definition zu geben; fassen wir sie kurzweg als ein Mittelding zwischen der vorhanden gewesenen Krankheit und der vollständigen Gesund­heit auf, wo die Krankheit selbst in wesentlichen Bestandtheilen gehoben, die physiologischen Vorgänge aber noch nicht zu ihrer vollen Integrität gelangt sind.
Im Allgemeinen umfasst die Reconvalescenz zwei Dinge, ein­mal einen Rest der Krankheit — Spuren des Krankheits-processes, gewisse anatomische Veränderungen, Krankheitspro-ducte —, wobei bisweilen auch gewisse abnorme Zustände bestehen, welche von den Heilmitteln herrühren, und zweitens eine Schwäche in verschiedenen Graden, welche sowohl allgemein, wie auch vorherrschend iö einzelnen Organen, und zwar in denjenigen ausgesprochen ist, die der Hauptsitz der Krankheit gewesen oder auch von Heilmitteln besonders in An­spruch genommen worden sind.
Diese Abnormitäten involviren eine abnorme Anlage, und
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zwar eine specifische, zu der überstandenen Krankheit, d. h. eine durch die Species morhi prästabilirte, weshalb bei manchen Krankheiten in diesem Stadio so leicht Rückfälle — Recidive — eintreten. Kehrt die Krankheit vor Ablauf der Eeconvalescenz zurück, so ist sie meist hartnäckiger und mit mehr Gefahr verbunden; die zurückbleibende Schwäche und Neigung zu fernerem Erkranken summirt sich mit jedem Rückfalle und neuem Anfalle. Es ist daher besondere Aufgabe des The­rapeuten, Recidive zu verhüten, mit deren Ursachen er ver­traut sein muss. Einzelne Krankheiten giebt es, die keinen Rückfall machen, z. B. die acuten, contagiösen Exantheme, bei denen zwar der Verlauf gestört und Verschlimmerungen im Ver­laufe eintreten, üble Folgen bedingt werden können, die aber nach geschehenem Verlaiüe in der Reconvalescenz niemals von neuem wieder auftreten. Andere Krankheiten haben wieder eine besondere Neigung zu Eecidiven, so namentlich Entzün­dungen,quot; Krämpfe, typhöse und gastrische Krankheiten, und vor allem der Rheumatismus. Die erkrankt gewesenen Organe er­kranken um so leichter wieder, je grosser die zurückgebliebene Schwäche ist, je mehr sie sich noch in einem gereizten Zu­stande befinden, und endlich dann, wenn der Krankheitszustand selbst noch in einem Minimo vorhanden, also nur scheinbar, d. h. nur unsern Sinnen verschwunden ist. In solchen Organen sam­meln sich denn auch die Wirkungen aller äusseren Schädlich­keiten, der locus resistentiae minoris ist der Mittelpunkt, wo Abnormitäten von allen Seiten her angeregt und bedingt wer­den. Die häufigste Gelegenheitsursache der Recidive ist eben die fortdauernde oder wiederholte Einwirkung der Krankheits­ursache. Die betroffenen Organe und die Krankheits­ursachen müssen daher zur Verhütung von Rückfällen ganz besonders ins Auge gefasst werden. Es ist aber in der Recon­valescenz nicht allein die Neigung zu Recidiven, sondern über­haupt auch zu anderweitigen Erkrankungen gegeben, die nicht selten schlimmer, als die primären sind, chronisch und selbst incurabel werden.
Die Nachkur ist der Regel nach eine diätetische; es han­delt sich wesentlich darum, der Natur Zeit zu verschaffen und auf diätetische Weise behülflich zu sein, die anatomischen Ver­änderungen auf dem Wege des Stoffwechsels auszugleichen und so eine vollständige Integrität herzustellen, oder doch auszubes-
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Die Nachkur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;253
sern nach Möglichkeit, und weiter durch Abstumpfung, Gewöh­nung und Stellvertretung, mit einem Worte, durch Accomo-dation an andauernde Abnormitäten eine Ausgleichung, d.h. die erforderliche Harmonie unter den Functionen der Organe herbeizuführen.
Nahrungsmittel, Luft, Temperatur, Bewegung und Ruhe sind die Mittel, mit denen wir zu operiren haben. Allgemeine Re­geln sind:
1.nbsp; nbsp; Jede Erkältung, selbst die leichteste, zu vermeiden. Durch das Warmhalten der Kranken ist eine grössere Empfäng­lichkeit für den Reiz der Kälte — eine gewisse Verweichlichung — bedingt; ist nun die überstandene Krankheit schon eine Erkältungskrankheit gewesen, so sind die Anlagen zur Erkäl­tung und deren Folgen um so grosser.
2.nbsp; nbsp; Die Nahrungsmittel müssen leicht verdaulich aber doch nahrhaft sein und immer zugemessen werden. Bei allgemeiner Schwäche existiren keine kräftigen Verdauungsorgane, die ohne­hin durch Mittel und durch die Krankheit sehr oft noch ganz speciell geschwächt sind; werden nun die ausgehungerten, ge-frässig gewordenen und daher zu Excessen in der Futterauf­nahme geneigten Thiere aus übel angebrachter Sorgfalt mit Futter überhäuft, wie es gewöhnlich geschieht, so ist es sehr natürlich, dass das Zuviel sehr oft die Ursache von Recidiven oder anderweitigen Krankheiten wird. Je mehr bei der Krank­heit die Entziehungskur angezeigt war, desto vorsichtiger muss man bei der Ernährung der Reconvalescenten sein.
3.nbsp; nbsp;Die Gewöhnung an die gewöhnlichen Lebensverhältnisse und Gebrauchsweise muss allmälig erfolgen, wenn die Genesung als vollendet zu betrachten ist. Nach allen schweren, fieber­haften Leiden bleibt immer mehr oder weniger Anämie zurück, die erst langsam ausgeglichen wird, deshalb längere Zeit geringe Leistungsfähigkeit; grosse Anstrengungen können selbst plötzlich tödtlich werden.
Ausser diesen allgemeinen Regeln sind die Indicationen für eine besondere Nachkur zu entnehmen: 1) aus der vorhan­den gewesenen Krankheit, wobei die Krankheitsprocesse, der Grad und Umfang, die Dauer, ganz besonders aber der Sitz in Betracht kommt; denn die hauptsächlich afficirt gewe­senen Organe und Systeme verdienen bei der Nachkur immer ganz besondere Berücksichtigung; 2) aus den in Anwen-
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Die Kuiisthiilfe.
dung gekommenen Kurmethoden und Mitteln, deren Nachzügler mitunter den wesentlichsten Antheil an den Abnor­mitäten haben, die im Keconvalescenzstadio sich darbieten; die Wirkungsweise der Mittel, die Dauer ihrer Anwendung, die ver­abreichten Quantitäten etc. sind hier besonders in Erwägung zu ziehen; 3) endlich aus den in dem Keconvalescenzstadio aus­gesprochenen Abnormitäten.
Pharmaceutische Mittel kommen im Allgemeinen selten in Anwendung, und gewöhnlich nur dann, wenn sich vorherrschende Störungen in einzelnen Organen bemerklich machen; so finden namentlich bittere, tonische und aromatische Mittel ihre Anwen­dung bei dauernder Appetitlosigkeit, bei Trägheit im Verdauungs­systeme, bei immer mehr schwächenden Durchfällen etc.
Dritte Abtheilung,
Allgemeine Cautelen.
Die Krankheit stellt nicht etwa ein Heilobject dar, das als eine innere Einheit aufgefasst werden darf, mit Krankheits­namen ist noch keine genügende Indication gegeben; nicht die Krankheit, sondern das kranke Individuum ist Gegenstand der Behandlung; für die Therapie bestehen nur Krankheitspro-cesse, Störungen im Individuum, bei deren Auslösung man die gegebenen Verhältnisse im Organismus und ausserhalb desselben stets mit berücksichtigen muss. Die wesentlichsten, hierher ge­hörigen Punkte wollen wir in folgenden allgemeinen Grund­regeln kurz zusammenfassen.
Gattungsverschiedenheiten — Indicationes ex genere aegroti —.
Die Gattungsverschiedenheiten, die alle anatomisch und phy­siologisch begründet sind, erfordern eine verschiedene Behand-lungsweise, und zwar aus einem vierfachen Gesichtspunkte.
1. Die Krankheiten selbst sind mehr oder weni­ger verschieden. Wie jede Thiergattung einzelne, ihr aus-schliesslich zukommende Krankheiten hat, so haben auch die
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Gattungsversehiedenheiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;255
gemeinsaraea Krankheiten in jeder Thiergattung wieder etwas Eigenthümliches im Auftreten, Verlaufe, ir; den Folgen etc. Solche Modalitäten der Krankheiten in den verschiedenen Thier-gattungen verlangen nicht selten eine modificirte Behandlung, sie müssen daher mit beachtet und in die Reihe der Heil-Indi-cationen aufgenommen werden.
2.nbsp; nbsp; Die Angriffspunkte sind bei den verschiedenen Thier-gattungen nicht immer dieselben. Wenn wir bei Schweinen und Hunden manche Krankheiten durch Anregung des Erbre­chens coupiren können, wenn wir bei diesen Thieren gastrische und rheumatische Krankheiten oft mit keinem Mittel schneller und sicherer heilen, als mit Brechmitteln, so steht uns dieser Eingriff bei Pferden gar nicht und bei Wiederkäuern äusserst selten und nur unter besonderen Umständen zu Gebote; bei der Tympanitis der Wiederkäuer haben wir nicht nöthig, mit dem Troikarstich sehr zu zögern, keineswegs aber dürfen wir damit bei den Pferden so schnell zur Hand sein; Niemand wird den Magen­schnitt bei Pferden als Heiloperation unternehmen; die schweiss-treibende Methode findet bei Hunden gar keine, bei dem Rinde eine sehr beschränkte, bei dem Pferde aber eine vielfach zweck-mässige Anwendung; die Wirkung der Abführmittel ist bei den viermägigen Thieren viel geringer und die Heilwirkung dieser Mittel daher weniger mannigfaltig, als bei den Thieren mit ein­fachem Magen u. dgl. m.
3.nbsp; nbsp; Die Wirkungsweise vieler Mittel ist bei den einzelnen Thiergattungen verschieden; die Wiederkäuer vertragen z. B. verhältnissmässig viel weniger von Quecksilberpräparaten, wie das Pferd, umgekehrt aber, besonders die Ziegen, viel mehr scharfe und narkotische Pflanzen; Hunde vertragen von den meisten narkotischen Mitteln fast absolut, von dem Strychnin aber nicht den hundertsten Theil so viel, als das Pferd.
4.nbsp; nbsp;Endlich ist hinsichtlich der Anwendungsweise und der Form, in welcher die Mittel angewendet werden, die Verbindung u. s. w. bei den verschiedenen Thiergattungen verschieden, wo­durch mitunter ein ganz anderer Kurplan erfordert wird. Mit­tel, die nicht mit Futter oder Getränk beigebracht werden kön­nen, geben wir im Allgemeinen am zweckmässigsten bei Pfer­den in Latwerge und Pillen, bei Wiederkäuern in flüssiger Form, bei Schweinen als Lecke und bei Hunden als Pillen oder auch in flüssiger Form.
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256nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;lgt;ie Kunathiilfe.
Das Specielle über die ersten beiden Punkte giebt die spe-cielle Pathologie und Therapie, und über die letzten die Arz­neimittellehre; daher mögen hier die allgemeinen Andeutungen genügen.
Individuelle Verschiedenheiten — Indicationes ex constitutione
aegroti—.
Die Gresammtheit, das Ensemble der vielerlei Körperverhältnisse, laquo;eiche sich in jedem Individuum einer Gattung etwas besonders gestalten, nennen wir Individualität, von der kein Bild im Ganzen entworfen werden kann; es ist daher auch äusserst schwer, bei der Behandlung alle die in einem Individuo gegebenen Verhältnisse gebührend zu berücksichtigen, d. h. richtig zu individualisiren. Henle sagt, die Eigenschaft, welche den Arzt zum Individualisiren befähigt, nennt man „Taktquot;, d.i. die Fähigkeit, sich in Wechselfällen, über welche durchgreifende Vorschriften nicht beste­llen, zweckmässig zu benehmen. Solcher Takt kann nicht gelehrt, er kann immer nur erworben werden, wer mit jenem Talente geboren ist, erwirbt ihn schnell und im ungewöhnlichen Grade, immer aber gelangt man nur durch gründliche Beobachtungen und lieflexionen dahin, die gegebenen Ver­hältnisse schnell aufzufassen, abzuwägen und leise Indicien zu benutzen. Wer es zu dieser Fähigkeit gebracht hat, der ist erst ein wirklicher Heilkiinstlcr.
Das Individuelle verschwindet auf den niederen Stufen der Thierwelt fast ganz, tritt aber in den höheren immer bestimmter hervor: bei unsern Hausthieren ist es bei den Wiederkäuern viel geringer, als bei dem Pferde, bei diesem wieder geringer, als bei dem Hunde; am vollkommensten und mannigfaltigsten ist es natürlich bei dem Menschen ausgeprägt, bei welchem zu dem Körperliehen auch noch das Psychische kommt, weshalb denn auch mit der Steigerung der Cultur das Individuelle immer mehr hervortritt, was sich schon äusserlich in der Gesichtsbildung ausdrückt.
Die Eüeksicbt auf das Individuum bedingt zuweilen eine besondere Kurmethode, in der Regel aber modificirt sie nur, mitunter jedoch sehr erheblich, die von der Krankheit in einer bestimmten Thiergattung indicirte Kurmethode. Nur einige all­gemeine Anhaltspunkte können wir hier von dem Individuellen geben, indem wir die Hauptumstände berühren, welche eine Gruppe von Einzelnheiten umfassen, die zusammengenommen das Individuelle darstellen. Geschlecht, Alter, Constitution und Gewohnheiten sind die hier zu berührenden Gegenstände.
1. Geschlecht. Die Geschleehtsverschiedenheit der Haus-thiere kommt bei der Therapie viel weniger in Betracht, als bei dein Menschen, weil die constitutionellen Verschiedenheiten nach dem Gcsclilechte weniger erheblich sind. Die Hanptrück-
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Individuelle Verschiedenheiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;257
sieht betrifft die Trächtigkeit, die im vorgeschrittenen Grade eine Contra-Indication gegen gewisse Mittel und manchen Kur­plan geben, und so eine Modification in der Behandlung begrün­den kann. — Specifische Reizmittel für die Geschlechtstheile, das Niederwerfen, tief eingreifende Operationen, sehr starke Aderlässe etc. dürfen z. B. keine Anwendung finden.
2. Alter. Die Krankheiten an sich und die Wirkungs­weise der Mittel erfordern immer Beachtung des Alters; jede Stufe des Alters hat ihre Eigenthümlichkeiten hinsichtlich der Krankheiten und der Reactionsweisen, so dass in verschiedenen Altersstufen die Mittel, die Dosen derselben und der Kurplau verschieden gewählt werden müssen; um diese Verschiedenheit augenfällig zu machen, erwähnen wir nur die zarte Jugend, das kräftige Mittelalter und das hinfällige Greisenalter, und über­lassen es dem Takte des Therapeuten, für die verschiedenen Zwischenstufen immer das Rechte zu finden.
a)nbsp; nbsp;Im Alter der regen Vegetation, des schnellen Büdens und Lebens, im Alter der Turgescenz, in der zarten Jugend ist vor allem das Exspectativverfahren zu empfehlen, vor dem Ueber-stürmen mit Arzneien, überhaupt vor jedem tiefen, energischen Eingreifen und vor starken Reizmitteln ist sehr zu warnen; jede schwächende, entziehende Methode ist nur mit grosster Behut­samkeit anzuwenden, weil geringe Störungen in der eiligen Vegetation eine solche Hinfälligkeit herbeiführen, dass es oft schwer ist, die Thierchen wieder auf die Beine zu bringen. Die zarte Jugend ist leichter verletzbar, das Widerstandsvermögen ist gering, die Kräfte sind bald erschöpft; dafür ist aber auch die Naturheilkraft am grössten.
b)nbsp; nbsp;Im Alter der Kraftfülle, wo die Krankheiten mehr stür­misch auftreten und verlaufen, finden die entziehenden, auslee­renden Methoden ihre besondere Anwendung; auf kritische Ent­scheidungen kann der Therapeut in diesem Alter weit öfter seine Thätigkeit richten, als im späteren Alter.
c)nbsp; nbsp;Das Alter der Schwäche und der trocknen Constitution, des Collapsus, des Verwelkens und Zusammenschrumpfens, das hinfällige Greisenalter fordert uns melir zum Unterstützen als zum Entgegentreten auf; die stärkenden, erregenden Mittel, stär­kere Reizmittel finden hier viel mehr ihre Anwendung, wäh­rend man mit schwächenden Methoden eben so vorsichtig wie in der zarten Jugend sein muss; Gewebsverletzungen muss man
Gerlach Allg. Therapie. 2.Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;17
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258nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthülfe.
im hohen Alter vermeiden; Haarseile, Fontanelle und Aetzmit-tel dürfen nicht so leichtfertig angewendet werden. Dann ist die Wirkungsweise der Mittel immer wesentlich zu beachten und danach die Gabe zu moderiren — Quecksilbermittel wer­den in der Jugend besser vertragen, als im Alter; umgekehrt verhält es sich mit den narkotischen Mitteln; alle erregenden Mittel verlieren ihre erregende Wirkung immer mehr mit den Jahren der Individuen u. s. w. 3. Die Constitution. Der Einfluss der Körperconstitution auf gegebene Krankheiten ist sehr verschieden und geht aus dem Verhältnisse beider Zustände zu einander hervor; dieselbe Körperconstitution, die bei einer Krankheit sehr störend und steigernd in den Verlauf eingreift, kann bei einer andern gerade umgekehrt, heilsam einwirken. Es verhält sich hier bei der Constitution neben einer Krankheit ähnlich, wie mit der Prädisposition äusseren Schädlichkeiten ge­genüber; derselbe Zustand, welcher gewissen Schädlichkeiten gegenüber ein wesentliches ursächliches Moment ausmacht, besitzt einer andern Kate­gorie von Schädlichkeiten gegenüber eine schützende Krifft. Wie daher in der Aetiologie immer das Verhältniss der Disposition zu den äusseren Schädlichkeiten in. Betracht kommt, ebenso kann auch in der Therapie die Körperconstitution immer nur nach ihrer Beziehung zur gegebenen Krank­heit aufgefasst werden, wenn das Individualisiren Sinn und reel­len Nutzen haben soll.
Jedem Alter ist auch eine gewisse Körperconstitution eigen. Diese sind eben erledigt; Constitutionen ferner, die eine ab­norme Krankheitsanlage begründen, geben der Krankheit meist eine bestimmt ausgesprochene speeifische Richtung und Compli­cation, so dass sie auch bestimmte Heil-Indicationen geben und deshalb hier weiter nicht in Betracht kommen — scrophulöse, tuberkulöse, venöse, lymphatische, biliöse, kachektische Consti­tution etc. —. Hier müssen wir uns auf diejenigen beschränken, die noch in die Breite der Gesundheit fallen. Dahin gehören einmal die individuellen Constitutionen, die nach aussen hin nicht ausgeprägt sind, also keinen Habitus haben, und die wir auch wohl mit Idiosynkrasie im weiteren Sinne übersetzen kön­nen ; sie machen sich erst ex post bemerkbar durch die Eeac-tionsweise auf gewisse Einflüsse, durch ungewöhnliche Empfäng­lichkeit für diese oder jene Mittel, die schon in gewöhnlicher Gabe ausserordentliche Erscheinungen hervorbringen und daher gar nicht oder in kleinen Quantitäten ihre fernere Anwendung finden dürfen. Im Ganzen sind diese individuellen Constitutio­nen bei Thieren seltener als bei Menschen, hier machen sie
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für den Haus- und Leibarzt ein besonderes Studium in den Familien aus und verbieten gewissermaassen den öfteren Wech­sel mit dem Arzte. Sie kommen jedoch auch zuweilen bei Thie-ren vor und deshalb muss der Thierarzt seinen Patienten nach eingeleiteter Kur auch in dieser Beziehung beobachten, nament­lich bei. eingreifenden Kurverfahren, bei Anwendung heroischer Mittel. Hauptsächlich aber handelt es sich hier um die ausge­prägten Constitutionen, die ausgebildet in zwei Arten von Ge­gensätzen vorkommen.
a) Der straffe und der laxe Faserbau. Jenen, meist mit lebhaftem Temperamente, grosser Ausdauer und Kraftfülle, oft mit gesteigerter Reizempfänglichkeit verbunden, treffen wir bei den veredelten orientalischen Pferderacen, dem Höhenvieh der Wiederkäuer, den Hirten- und anderen dienstthuenden Hunden, und bei kerniger, weniger volumiöser Nahrung an; diesen, den laxen Faserbau, wobei es gerade nicht nothwendig an Kraft, wohl aber an Ausdauer fehlt, der mit phlegmatischem Temperamente und mit einem höheren oder geringeren Grade von Torpidität verbunden ist, diesen finden wir bei Niederungs-racen, besonders bei den Faulenzern und bei volumiöser, ma­stiger Nahrung. Dort können wir mit dem antiphlogistischen Heilapparate öfter, und immer viel energischer eingreifen, wie hier, während wir umgekehrt hier wieder für tonische, erre­gende Mittel, für flüchtige und nachhaltige Reizmittel viel häu­figer Indicationen haben, und alle diese Mittel auf eine in- und extensivere Weise in Anwendung bringen können.
Eine andere Art von Laxität mit gesteigerter Reizempfäng­lichkeit — Erethismus, charakterisirt durch lebhaft hervortretende, aber bald zur Erschöpfung führende Reaction — treffen wir bei den verweichlichten und verzärtelten Thieren und am auffällig­sten bei den zarten Schoosshündchen an. Hier ist in allen Krankheiten und bei allen Kurmethoden mit grösster Schonung zu Werke zu gehen, wenn man nicht von unangenehmen Erfol­gen überrascht werden will. Bei dieser zarten Constitution müssen wir verfahren, wie bei dem zauten Jugendalter.
6) Die robuste und die schwache Constitution.
Das -Brown'sche Heilsystem hat die Folge gehabt, dass man das Kraft-maass im erkrankten Individuum über die Krankheit stellte, letztere selbst wenig beachtete, sondern hauptsächlich gegen die Schwäche (Asthenie)
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oder Kraftfdlle (Sthenie) therapeutisch einschritt. Bei der .Broiün'schen Anschauungsweise war dieses Verfahren ganz richtig, weil derselbe eben die Krankheit als einen zu schwachen oder zu starken Erregungszustand auffasste. Nachdem aber diese Ansicht schon längst als irrig bezeichnet worden war, hatte man dennoch, namentlich in der Thierheilkunde, haupt­sächlich die Sthenie und Asthenie bei der Behandlung im Auge und ver­nachlässigte dabei nicht selten die Krankheitsprocesse, was selbst heute noch zum Theil geschieht. Dass dies nicht zu dem Individualisiren gerechnet werden kann, sondern als ein Missgriff angesehen werden muss, versteht sich von selbst.
Das Kraftmaass, d. h. die Kraftäusserung in allen physiolo­gischen Functionen und besonders in den Muskelactionen, ist in Krankheiten sehr verschieden; oft ist es von der Krankheit selbst, unabhängig von der Körperconstitution, bedingt und so­mit ein Symptom der Krankheit, das sich mit der Hebung der Krankheit auch verliert; so sehen wir z. B. bei typhösen Krank­heiten immer eine mehr oder weniger grosse Hinfälligkeit, Ab­geschlagenheit {dedolatio) in den robustesten Körpern schnell hervortreten, was wir unterdrückte Kraft, auch falsche Schwäche zu nennen pflegen. Von diesen durch die Krankheit bedingten Zuständen kann hier bei dem Individualisiren keine Rede sein, sie ist ein Theil der Krankheit selbst; es handelt sich hier viel­mehr nur um das Kraftmaass, welches, unabhängig von der Ki-ankheit, in den körperlichen Verhältnissen gegeben ist, und deshalb immer neben, aber niemals statt der Krankheit thera­peutisch berücksichtigt werden muss.
In Hinsicht des Einflusses der Körper-Kraft und -Schwäche müssen wir hier als allgemeine Grundsätze noch hervorheben: ä) dass körperliche Seh wache fast immer nachtheilig auf alle Krankheiten einwirkt, bei manchen mehr — bei Kachexien — bei anderen wieder weniger — z. B. bei Entzündun­gen ; man darf aber keineswegs glauben, dass eine Entzündung im schwachen Körper weniger gefahrvoll sei, sie ist höchstens nur schleichender und chronischer, aber deshalb oft um so gefähr­licher; h) dass die constitutionelle Kraft dagegen bei den meisten Krankheiten sehr willkommen und wohl bei keiner Krankheit eigentlich unwillkommen ist, selbst in den Fällen, wo wir entziehend, die Plasticität vermin­dernd, antiphlogistisch, mit einem Worte in jeder Beziehung schwä­chend eingreifen müssen, selbst bei solchen Krankheiten und gerade bei diesen kann eine robuste Constitution dem Thera-
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Individuelle quot;Verschiedenheiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 261
peuten nur angenehm sein, weil er eben den Heilapparat so recht i n - und extensiv in Anwendung bringen und so einen grösseren Heileffeet erzielen kann, als in den Fällen, wo dieser Heilapparat wegen constitutioneller Schwäche nur sehr beschränkt seine Anwendung finden darf. Direct schwä­chen kann der Therapeut, stärken aber nicht, daher bereitet ihm die schwache Körperconstitution oft viele Schwierigkeiten, die robuste aber giebt ihm Gelegenheit zum entschiedenen und erfolgreichen Eingreifen.
Schwäche ist immer ein Ausfall in den Lebens-acten; die Naturheilprocesse sind Lebensacte, folg­lich ist in einem ungeschwächten Körper die Natur­heilung viel mächtiger, als in einem abgeschwächten.
4. Die Gewohnheit. Endlich kommt bei dem Indivi-dualisiren noch die Gewohnheit der Patienten in Betracht. Aus der Lebensweise, Fütterung, Pflege, Benutzung, dem Aufent­haltsorte etc. erkennen wir die Gewohnheiten, welche immer mehr oder weniger individuelle Eigenthümlichkeiten begründen, die der Therapeut aus zweifachen Gesichtspunkten, in Rück­sicht der Krankheit und der anzuwendenden Mittel beach­ten muss. Alle zur Gewohnheit gewordenen Dinge müssen auch während der Krankheit beibehalten werden, wenn sie kei­nen Antheil an der Entstehung und der Unterhaltung der Krank­heit selbst haben; man lässt die Patienten in der gewohnten Lebensweise, wenn diese nichts Schädliches für den gegebenen Fall darbietet, weil mit der Entfernung des Gewohnten, mit der Entwöhnung immer eine gewisse Veränderung verbunden ist, die man vermeiden muss, es sei denn, dass man in solcher Veränderung etwas Heilsames fände. Wo also die gewohnten Aussenverhältnisse nicht nachtheilig einwirken oder durch ihre Aenderung nicht eine Heilwirkung zu präsumiren ist, da müs­sen sie beibehalten werden.
Oekonomische Verhältnisse.
Nicht das kranke Thier allein, sondern auch die ökono­mischen Verhältnisse kommen bei dem Entwerfen des Kurplanes immer mit in Betracht, und wer diese richtig zu be­achten versteht, der erwirbt sich das meiste Vertrauen und von dem sagt man, dass er praktisch sei. Der Takt des Thier-
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arztes umfasst daher die Fähigkeit, neben den im Individuo gegebenen Verhältnissen auch die ökono­mischen schnell und richtig aufzufassen. Mittel und Kurmethoden; die bei einer Spitalpraxis recht zweckmässig sind, können bei ambulatorischer oft ganz unpraktisch sein, und in dieser Beziehung guckt bei dem angehenden Praktiker häufig noch die Schule aus den Ordinationen hervor. Anders muss die therapeutische Anordnung sein bei der Landpraxis, wenn man die Patienten nicht täglich sieht, als bei der Praxis im Wohnorte, dort darf man keine Mittel — z. B. Kalomel, Drastica, Narcotica u. s. w. — in grossen Dosen anwenden, die über ein Kleines contraindicirt sein können. Anders ist die Behandlung bei Besitzern, die sich ihrer Patienten selbst und mit Interesse annehmen, als auf grossen Gütern, wo wenig Aufsicht und den beauftragten Dienstleuten wohl nicht einmal die nöthige Zeit zur Pflege gelassen ist. — Wavrae Umschläge z. B., die im ersten Falle recht zweckmässig sind, können im letzteren schaden, indem sie bei lässiger Anwendung zu entge­gengesetzt wirkenden kalten Umschlägen werden etc. Verschie­den sind die Heil-Indicationen beim Weidegange und bei Stall­fütterung-, andere Mittel müssen wir in Anwendung bringen bei Thieren, welchen keine körperliche Ruhe gegeben werden kann; anders müssen wir verfahren je nach den Verhältnissen, unter welchen das Tliier in gesunden Tagen gelebt hat und in kran­ken Tagen leben muss; bei Thieren, die frei umherlaufen und scheu sind, muss man oft auf recht zweckmässige Mittel ver­zichten, weil bei ihrer Anwendung durch Zwangsmaassregeln, Aufregung etc. mehr geschadet werden kann, als sie jemals zu nützen im Stande sind; bei einzelnen Patienten können wir ganz anders verfahren, als bei ganzen Heerden, was dort ein leicht anwendbares Heilmittel ist, kann hier ökonomisch unaus­führbar seih — einer einzelnen Kuh, oder einem Schafe kann wohl 3 — 4 mal täglich eingegeben werden, was würde aber wohl der Besitzer zu dieser Anordnung sagen, wenn er Hun­dert und mehrere Hundert solcher Patienten im Stalle hat?- — Ausführbar und wenig kostspielig müssen die An­ordnungen sein, und in Rücksicht hierauf muss man oft auf das Bessere verzichten und sich mit dem Gu­ten begnügen.
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Krankheitsgenius.
Unter den äusseren Einflüssen, die Krankheiten erzeugen, kommen auch solche vor, die nicht selbstständig Krankheiten ver­ursachen, die aber auf alle Individuen einzelner oder aller Thier-gattungen gleichmässig einwirken, dadurch bei jeder Krankheits­ursache einen Beitrag zum Resultate liefern und so über­all bei jeder Erkrankung einzelne, mehr oder weniger hervor­tretende gleichbleibende Züge veranlassen, die den Krankheiten einige Zeit hindurch einen stabilen Charakter verleihen und so eben den „Genius morborumquot; darstellen, der die Therapie mehr oder weniger beeinflusst.
Diese kleinen Schädlichkeiten sind entweder in der Jahres­zeit und der dadurch bedingten Witterungsconstitution gegeben und ändern sich dann mit derselben — Genius annum —, oder sie sind von gewissen localen Umständen entweder an sich oder tinter Mitwirkung der Witterung abhängig und daher an die Localität von geringerer oder grösserer Ausbreitung gebun­den — Genius enzooticus —, oder endlich sie sind ganz allge­mein verbreitet und weder von Jahreszeit noch von Localitäten abhängig — Genius epizooticus.
Alle solche gleichmässigen Einflüsse sind bald geringfügiger und drücken den Krankheiten nur eine leise Gleichförmigkeit in einzelnen Beziehungen auf, die nur für den Geübten existirt, oder sie sind gewichtiger und bringen eine mehr auifällige Aehnlichkeit oder Gleichheit in allen auftretenden Krankheiten zuwege. Je nach dieser graduellen Verschiedenheit ist nun auch in dem Genius morhonm eine geringfügigere oder ge­wichtigere Heil-Indication für den Therapeuten gegeben.
Die Einflüsse selbst kennen wir gewöhnlich nicht, ihre Wirkungsweise erkennen wir annähernd aus der Beschaffenheit des Krankheitsgenius, der bald hauptsächlich in der Reactions-weise des Organismus, bald in dem vorherrschenden Ergriffen­sein eines Systems oder eines Organs und so je nachdem als Genius adynamicus, sthenicus, inßammatorius, gastricus, nervosus, typlwsus hervortritt.
Solche Gleichförmigkeit im Krankheitsreiche ist mitunter auf grössere Zeitabschnitte ausgedehnt, und übt dann zuletzt nicht allein auf die Therapie in der praktischen Anwendung bei den gegebenen Krankheitsfällen einen Einfluss, sondern so-
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gar auf die Grundprincipien der Therapie als Wissenschaft aus, so dass den verschiedenen, längere Zeit stabil gewesenen Krank­heitsgenien auch verschiedene Heilsysterne gefolgt sind, so ist z. B. während des adynamischen Krankheitscharakters, das Brown-sche, in der Zeit des mehr sthenischen, das Rasori'sche Heil­system zu Tage gefördert worden; der allgemeinere Gebrauch der antigastrischen Methode verdankt seinen Ursprung dem Ge­nius gastricus zu Ende des vorigen Jahrhunderts; die antiphlo-gistische Heilmethode war in extenso an der Tagesordnung in den ersten Decennien dieses Jahrhunderts, welche von dem Ge­nius inflammatorius occupirt waren, jetzt haben wir abermals einen Krankheitsgenius, bei dem die strenge und directe antiphlogisti-sche Heilmethode wieder mehr in Misscredit gekommen ist.
Die erwähnte Gleichförmigkeit unter den Krankheiten kann sich aber auch auf kleinere Zeitabschnitte beschränken, nament­lich sind es die geringfügigeren Eigenthümlichkeiten, die öfter wechseln; innerhalb der grossen Schwankungen der Krankheits­genien kommen kleinere oder grössere Undulationen vor, die zwar weniger erheblich, aber doch immer noch beachtenswerth für den Therapeuten sind.
Eine längere Zeit fortbestehende gewisse Gleichförmigkeit im Bereiche der Krankheiten erleichtert ungemein das Geschäft des Therapeuten, es stellt sich nach und nach erfahrungsmässig manche Grundheilmethode im grossen Ganzen als heilsam her­aus, einzelne Maximen erlangen unter den Praktikern ein Bür­gerrecht, die Anzahl der Mittel, unter denen zu wählen ist, beschränkt sich, gewisse Klassen von Mitteln stehen auf der Tagesordnung, kurz, es hat sich ein enger Kreis gebildet, in welchem sich der Therapeut behaglich bewegt. Um so grosser aber ist die Schwierigkeit, wenn der Arzt aus diesem traulichen Kreise auf ein fremdes Gebiet geführt wird. Das Eintreten wie das Verschwinden eines bestimmten Krankheitsgenius pflegt immer mehr oder weniger Schwierigkeiten zu bereiten; der neu eingetre­tene wird noch nicht in Betracht gezogen, der verschwundene noch mit berechnet bei der Behandlung, daher in beiden Fällen ein Rechnungsfehler, der sich im Resultate der Behandlung ergiebt; noch viel schlimmer ist die Sache, wenn ein bestimmter allge­meiner Krankheitscharakter von einem entgegengesetzten ver­drängt wird, hier ist der Rechnungsfehler immer ein doppelter und in seinen Folgen um so bitterer.
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Krankheitsgenius.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 265
Je länger unter den Krankheiten eine Gleichheit oder Aehnlichkeit in einer bestimmten Richtung bestanden hat, je grosser ist ihr Einfluss auf die Therapie gewesen, je mehr hat man sich gevissermaassen an die Behandlungsweise gewöhnt, und desto grosser sind die Schwierigkeiten, die bei dem Wechsel eintreten und die Opfer, die da fallen. Ein Heilsystem, ein liebgewonnenes Heilverfahren, das sich längere Zeit bewährt hat, wird nicht so leicht aufgegeben, und oft sind es eine Reihe von bitteren Erfah­rungen, die erst im Stande sind, den Therapeuten eines Anderen zu belehren. Wie viel Patienten hat das Broiun'sche Heilsystera nicht erst hingeopfert, ehe es aufgegeben wurde von denjenigen, die früher, bei dem entsprechenden Krankheitacharakter, glücklich damit kurirt hatten, wie viel Patienten sind nicht hingeopfert worden durch starke Aderlässe und überhaupt den aus­gedehntesten antiphlogistischen Heilapparat,. als der rein inflammato-rische Krankheitsgenius in den heutigen mehr typhösen übersprang?
Nicht der einzelne Patient, sondern eine Reihe von Patienten in einer gewissen Zeit macht uns durch den gesammten Ausdruck der Krankheit, durch den Verlauf und durch die Folgen der angewendeten Heilmetboden den herrschenden Genius morhovum bekannt. Forschen wir weiter nach und erweitern wir unser Gesichtsfeld durch die Beobachtungen entfernter Collegen, so können wir selbst ermitteln, ob er in einer bestimmten Jahres­zeit bei einer gewissen Witterungsconstitution oder bei sonsti­gen Verhältnissen hervorgetreten, und mit solchen Einflüssen auch mehr von einer ephemären Natur ist, ob er an ein gewis­ses Terrain geknüpft ist oder eine grosse geographische Ver­breitung erlangt hat. Jeder Therapeut hat die doppelte Pflicht, den generellen Krankheitscharakter zu beachten, sich aber auch nicht blindlings von demselben leiten zu lassen, er muss viel­mehr mit Aufmerksamkeit dem Gange folgen und beachten, ob und in welchem Grade derselbe in den gegebenen Krankheitsfällen ausgesprochen ist.
Bei Seuchen und seuchenartig auftretenden Krankheiten pflegt der Genius morborum eine ganz besonders wichtige Rolle zu spielen, und hier müssen wir namentlich an den ersten Pa­tienten die Krankheit in therapeutischer Beziehung studiren, um für die weiteren Fälle die entsprechendsten Heilmethoden zu finden.
Aufstellung der Indicationen.
Wie die Gründe zu einer bestimmten Handlung überhaupt logisch geordnet sein müssen, wenn man sich derselben klar
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266nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
bewusst sein will, so müssen auch die Indicationen zur thera­peutischen Behandlung stets in einer bestimmten Ordnung und zwar so aufgestellt werden, dass die allgemeinsten und wesent­lichsten obenan stehen, denen sich speciellere und endlich die speciellsten anreihen.
Die Vital-Indicationen stehen an der Spitze; wo ein mit Lebensgefahr drohendes Symptom hervortritt, da muss dieses vor allen Dingen ohne alle weitere Rücksicht erst beseitigt wer­den; was zur Beseitigung der Lebensgefahr zunächst zu thun ist, das eben zeigen uns die Vital-Indicationen. Die weiteren wesentlichsten Indicationen entnehmen wir aus der erkannten Natur der Krankheit, deren Ursachen und Sitz, oder aus dem, was uns empirisch über die Krankheit und ihren Verlauf be­kannt ist. Demnächst fassen wir die Indicationen von der Be­schaffenheit des Individuums, von den äusseren Verhältnissen, unter welchen das Thier Gegenstand der Behandlung ist, sowie noch von sonstigen, zu beachtenden Nebendingen auf. Hieraus ergeben sich nun weiter die Anknüpfungspunkte zur Entwer­fung eines entsprechenden und ausführbaren Kurplanes und zur Auswahl der Mittel, den Plan durchzuführen und so den Heil-Indicationen zu genügen. Bei der Auswahl der Mittel finden sich gewöhnlich die meisten Contra-Indicationen, die nach ihrer Dignität den Indicationen gegenüber abgewogen werden müssen.
Aeuderung im Kurplane.
Nicht seh wanken von einer Kurmethode zur an­deren, von einem Mittel zum anderen, aber auch nicht blindlings beharren auf dem einmal einge­schlagenen Wege. Eine gewisse Consequenz muss man bei seinem Verfahren beobachten, es ist noch kein hinlänglicher Grund zum Abspringen von dem betretenen Wege gegeben, wenn die Krankheit nicht alsbald Halt oder Rückschritte macht. Alles will seine Zeit haben; die gesammte Wirkungsweise der Mittel ist in dem lebendigen Körper nicht so schnell abgewickelt, es wird der Anstoss zu einer oft längeren Kette von einzelnen Veränderungen gegeben, die beim unzeitigen Wechsel in ihrer heilsamen Endwirkung gestört werden würden; ausserdem be­darf es aber auch meist einer öfter wiederholten Einwirkung in derselben Weise, um eine gewisse Reihe von Veränderungen
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Aenderung im Kurplane.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2G7
im Körper längere Zeit zu unterhalten, ehe schliesslich eine Heilwirkung eintritt. Inconsequenz, Schwanken und Wechseln mit den Mitteln ist der Eegel nach als schädlich zu bezeichnen.
Umgekehrt darf man aher auch nicht aus Vorliebe zu dem aufgestellten Heilplane, aus Bequemlichkeit oder einem gewissen Schlendrian auf dem eingeschlagenen Wege behar­ren. Immer muss man die Wirkungsweise der Mittel und das Verhalten der Krankheit dabei mit Aufmerksamkeit verfolgen; ganz besonders vorsichtig muss man sein, wenn noch keine zuverlässige Erfahrung für die Krankheit spricht, wenn die Behandlung selbst noch eine Art Versuch ist und wenn man mit kräftig wirkenden Mitteln operirt. Vorsichtig müssen wir hier sein, um nicht den Patienten zu opfern, vorsichtig aber auch, um nicht durch zu frühes Abgehen von dem Plane ein falsches Elesultat zu gewinnen für künftige Fälle.
Sobald verschiedene Contra-Indicationen eintreten, die durch Nebenzufälle — seien sie zufällig oder durch die Behandlung selbst hervorgerufen — oder durch wesentliche Aenderung oder endlich durch bedenklich werdende Steigerung bedingt sind, namentlich, wenn Verdachtsgründe vorhanden sind, dass die Steigerung von den verabreichten Mitteln abhängt, wie sich solches aus dem Verhalten vor und nach der Anwendung und bei der Wiederholung ergiebt, dann muss natürlich die eingeleitete Kurmethode geändert werden; und dieselben Dinge, welche die Contra-Indication gegen die eingeleitet gewesene Methode gaben, involviren zugleich die Indicationen für den einzuschlagenden neuen Weg. Selbst ohne Contra-Indicationen muss die Behandlung eine Aenderung erlei­den, wenn neue Indicationen auftauchen. Ferner mhss der Plan geändert werden bei chronischen Krankheiten, wenn die Behandlung nach längerer Zeit sich als wirklich unfruchtbar bewiesen hat. Endlich muss mit den Mitteln gewechselt, am lieb­sten aber ausgesetzt werden, wenn bei längerem Gebrauche eine Art Gewöhnung eingetreten ist oder einzutreten droht, was namentlich bei den flüchtigen Reizmitteln, den Spirituosen und narkotischen Mitteln sich sehr leicht ereignet.
Es ist eine besondere Kunst, zur rechten Zeit anzufangen, zu wechseln und aufzuhören.
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268nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
Einfachheit in der Behandlung.
Stets sei der Thierarzt bemüht, auf möglichst einfache und billige Weise zu kuriren, insoweit das Heilen dadurch nicht beeinträchtigt wird. Man über­stürme überhaupt nicht mit Mitteln und suche ja nicht alles Heil in der Arznei. Besonders tadelnswerth ist das vielfache Zusammensetzen der Mittel, wo das eine nicht ein unterstützen­des, sondern ein störendes von dem andern wird und man am Ende nicht weiss, welchem von den Mitteln die erfolgte heil­same Wirkung zuzuschreiben ist. „Es ist eine verzweifelte Meinung, so viele simplida in ein Recept zu ordnen; es ist doch nicht anders, als dass ein Dreck den anderen verdirbtquot;, sagt schon Paracelsus. Die besten Aerzte pflegen mit den we­nigsten und einfachsten Mitteln zu heilen. Die Zusammen­setzung einzelner oder mehrerer Mittel ist gerechtfertigt und selbst geboten:
1)nbsp; wenn bestimmte Composition sich in der Anwendungs­weise und Wirkung bewährt hat;
2)nbsp; wenn man durch Verbindung billiger Mittel ein theures mehr oder weniger ersetzen kann;
3)nbsp; wenn man die Wirkung eines Mittels in bestimmten Richtungen unterstützen oder gewisse Nebenwirkungen un­schädlich machen will. Hat z.B. ein Mittel verschiedene Hauptwirkungen und will man davon besonders die eine, so ist der Zusatz eines zweiten Mittels angezeigt, wodurch die beab­sichtigte Richtung des Hauptmittels erzielt wird; denn es hat sich herausgestellt, dass ein Mittel von mehrfacher Wirkung hauptsächlich nur diejenige Wirkung entwickelt, die es mit einem zugesetzten gemein hat; so z. B. wirkt der Brechwein­stein mit Kampfer hauptsächlich schweisstreibend, mit Wachhol-derbeeren etc. urintreibend, mit Mittelsalzen durchschlagend, mit anderen Emeticis nur als Brechmittel; die Purgirmittel wirken in der Regel sicherer durch Zusatz von bitteren und selbst von erregenden Mitteln etc.;
4)nbsp; um einem Mittel eine specifische Richtung auf Organe und Functionen zu geben, die es für sich allein nicht besitzt. Jod z. B. findet sich zunächst im Speichel, es hat also eine spe­cifische Beziehung zu diesen Drüsen. Eisen findet man nie im Speichel; giebt man aber Jod und Eisen zusammen, so findet
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Diät.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2Ö9
sich im Speichel auch Eisen. Das Jod hat das Auftreten des Eisens im Speichel bewirkt.
Immer muss die Aufmerksamkeit erst auf Hausmittel ge­richtet werden, hierunter verstehe ich alle diejenigen, welche in den Haushaltungen zu finden sind, ferner die sich der Be­sitzer selbst leicht suchen und sammeln lassen kann, und end­lich auch diejenigen, welche von jedem Krämer zu beziehen sind. Dieser Hausmittelschatz reicht recht häufig aus zur gänz­lichen Heilung.
Diät.
Die Anordnung der Diät ist bei den kranken Thieren, die oft unter grosser Unbill leben müssen, und bei denen nicht immer das geschehen kann, was wohl zu wünschen wäre, ein wichtiger Theil der Therapie. Die Krankheit und ihre wahr­scheinlichen Ursachen, die Individualität, Gewohnheiten, und die ökonomischen Verhältnisse, innerhalb welcher die Wahl getroffen werden muss, die angewandten Mittel und Kur­methoden, und endlich die allgemeinen hygienischen Grund­regeln sind die maassgebenden Umstände. Die Diät macht immer einen Theil der Behandlung aus, die Indicationen einge­ben sich in den concreten Fällen für die Diät ebenso gut, wie für die Mittel und Methoden. Die bestimmten Heilmethoden haben stets eine Diät neben sich, wodurch ihre Wirkungsweise gefördert wird, oft ist die Diät die Hauptsache in der ganzen Kur, in manchen Fällen macht sie geradezu die ganze Kur aus. Die allgemeinen Gesundheitsregeln behalten bei Krankheiten immer einen bedingten Werth. Der Instinct ist hierbei oft ein sicherer Leiter, namentlich bei acuten Krankheiten.
Vierte Abtheilung.
Die Heilmittel — Remedia.
Alle äusseren Einflüsse können in dem erkrankten Leibe die Bedingungen herbeiführen, unter denen die Genesung ein­tritt, und wenn dies geschehen, so sagen wir von diesen Ein-
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270nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
flüssen, dass sie die Ursache von dem Verschwinden der Krank­heit — die Heilmittel— gewesen sind. Es giebt demnach nicht eine besondere Klasse von Mitteln, die als Heilmittel zu bezeichnen sind; jedes Mittel, was auf den Organismus einwirkt, kann unter Um­ständen ein Heilmittel werden; der schliessliche Erfolg giefct erst den Begriff vom Heilmittel. Hieraus ergiebt sich nun auch, dass die Heilmittel nicht gerade in den Officinen aufgespeichert sind und dass wir nicht bloss unter den Arzneien nach Heilmitteln suchen dürfen; die Natur bietet sie überall in ihrem ganzen Reiche, in ponderabeln und inponderabeln Stoffen dar, sie aber herauszufinden, das ist eben die grosse Kunst. Wenn der gediegene Arzt Heilmittel aus der Officin bezieht, so ist diese für den Pfuscher meist eine Giftfabrik; das Gift ist eben kein Gift in der kunstgerechten Hand, das glühende Eisen selbst wird in derselben ein Heilmittel. Absolute Heil­mittel existiren nicht in der Natur.
Mittel, die ohne Zuthun des Arztes heilsam wirken, die in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen oder mehr zufäl­lig gegeben sind, werden Naturhei 1 mi11e 1 — Bemedia naturae — genannt, wie ja auch jede Heilung ohne Zuthun der Kunst, selbst wenn dazu die Bedingungen zufällig gegeben sind, als eine Naturheilung betrachtet wird.
Ausgewählte und angeordnete Mittel, die den therapeuti­schen Zweck des Arztes erfüllt oder wesentlich gefördert haben, sind die Kunstheilmittel — Remedia technica —, von denen hier natürlich nur die Rede sein kann. Sind die Heil­mittel aus den gewöhnlichen Lebensverhältnissen entnommen, sind es besondere Anordnungen hinsichtlich der Nahrungsmittel, des Aufenthaltes, des Gebrauches, der Pflege etc., so bezeich­nen wir sie als diätetische Heilmittel — Remedia diaetetica —, während wir, je nach Benutzung von Arzneien oder chirurgi­schen Actionen, pharmaceutische und chirurgische Heilmittel — Remedia pharmaceutica et chirurgica — unterscheiden.
Das Auffinden der Heilmittel.
Die rechte Wahl unter den, der Kunst zu Gebote stehen­den Mitteln ist die Grundbedingung von der heilkräftigen Wir­kung der angewendeten Mittel; wer im Stande ist, recht zu wählen, der kann heilen; dies ist eben die grosse Kunst,
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Auffinden der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 271
die das Wissen der gesammten Mediein mit allen ihren Hülfs-wissenschaften erfordert. Da aber die Kunst, zu heilen, an sich heute noch eine unvollkommene ist, so liegt hierin auch ein gewisses Testimonium paupertatis für die heutige Mediein als Gesaramtwissenschaft.
Relative Dinge, wozu ja eben die Heilmittel gehören, be­kommen immer erst einen bestimmten Begriff, wenn die fixen Punkte gewonnen, auf welche die Beziehungen gerichtet sind. Ehe man daher an die Wahl der anzuwendenden Mittel, an das Aufsuchen der Heilmittel geht, müssen natürlich erst die abnor­men Zustände möglichst festgestellt werden, welche den Orga­nismus eines Heilmittels bedürftig machen, es müssen die ein­zelnen Krankheitsprocesse und das Ensemble derselben — die Krankheitsform — erkannt worden sein, weil dies ja die Gegen­stände sind, an denen sich die heilsame Wirkung der Mittel bethätigen soll und von denen ein Mittel erst den Begriff eines Heilmittels bekommt. Es ist ferner nothwendig, dass alle Mit­tel, unter denen man wählt und nach Heilmitteln sucht, auch an sich als Naturkörper und Naturhräfte genau bekannt und studirt sind, um das, was sie möglicher Weise leisten können, im Voraus zu bestimmen und controlirend zu vergleichen. Zu dem Auffinden der Heilmittel bieten sich zwei Wege dar: 1) ein rein empirischer und 2) der rationelle Weg. Beide sind wichtig, beide ergänzen und ersetzen sich gegenseitig, keiner ist daher zu entbehren.
1) Das Aufsuchen der Heilmittel auf empirischem Wege. Mittel, die sich schon früher in der eigenen Praxis oder in der Praxis anderer, vieler oder aller Therapeuten bei gleichen oder ähnlichen Zuständen als heilsam bewiesen haben, solche Mittel als Heilmittel anzusprechen und zu benutzen ha­ben wir ein Recht, selbst die Pflicht, weil deren Heilsamkeit eben thatsächlich nachgewiesen ist. Bei allen solchen Mitteln, deren Heilsamkeit uns aus dem Gebrauche bekannt, ist die Erprobung bei den Patienten — Usus in morbis — die Grund­lage, ohne welche es kein empirisches Heilmittel giebt. Je viel­facher ein Eleilmittel erprobt ist, desto mehr ist man berechtigt, es als Mittel bei bestimmten Krankheitszuständen zu betrach­ten; ein Mittel, das allseitig als ganz besonders heilsam und ziemlich sicher wirkend bei bestimmten pathischen Zuständen
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272nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Diö Kunsthiilfe.
anerkannt wird, ist ein specifisches, was man zu benutzen ver­pflichtet ist.
Die Therapie ist eine Erfahrungswissenscbaft, eine reelle Bereicherung erlangt sie daher nur durch die Erprobung der Mittel in Krankheiten, und je reicher sie an wahrhaft erprob­ten Mitteln ist, desto gebahnter ist der empirische Weg bei Entwerfung des Kurplanes in concreten Fällen. Bis jetzt haben wir zu beklagen, dass uns verhältnissmässig wenige empirisch festgestellte Heilmittel zu Gebote stehen, dass das empirische Material in der Therapie durch Irrthümer so verfälscht ist und viele Mittel einen ganz unverdienten Ruf als Heilmittel in ge­wissen Krankheiten erlangt haben, dass der empirische Weg bei der Behandlung mit grosser Vorsicht betreten werden muss.
2) Das Aufsuchen der Heilmittel durch rationelle Schlussfolgerung — durch Induction.
Von den concreten Thatsachen über die Krankheits- und Heilungsprocesse und die Heilmittelwirkungen gelangt man auf inductivem Wege zu klaren Begriffen und allgemein gültigen Regeln. Nachdem die Krankheitsprocesse einzeln und in ihrem Zusammenhange möglichst ermittelt und die Angrißspunkte auf­gesucht, mit einem Worte möglichst bestimmte Heil-Indicatio-nen gestellt sind, wendet man sich an die Mittel, wählt unter denselben nach ihrer Wirkungsweise in dem thierischen Körper überhaupt und bei den verschiedenen Thiergattungen, wie es eben den gestellten Indicationen entsprechend ist. Die Prü­fung der Mittel bei gesunden Thieren bezüglich der krankmachenden Wirkungen ist die Grundlage für dieses Verfahren. Solche Prüfungen der Mittel geben aber ein wissenschaftliches Resultat nur unter der Bedingung, dass sie sich nicht bloss auf die hervorgerufenen Symptome bezie­hen, sondern auch die dabei stattfindenden inneren Vorgänge durch Zergliederung, Mikroskopie und Chemie aufzuhellen suchen.
Die pathogenetische Wirkung giebt jedoch allein noch nicht die volle Sicherheit für die heilsame Wirkung in bestimm­ten Krankheitsfällen, wir müssen deshalb auch bei allen so aus­gewählten Mitteln, die nicht zugleich schon die Erfahrung für sich haben, sehr vorsichtig sein und mit forschendem Auge erspähen, ob und inwieweit die präsumtive Heilwirkung auch eintritt. Das auf inductivem Wege gefundene Mittel
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Wirkungsweise der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;273
bekommt erst volle Geltung in der Praxis, wenn es sich bewährt, wenn die Erfahrung es bestätigt hat.
Wenn wir nun also verfahren, dass wir einerseits die durch Induction gefundenen Mittel in den concreten Krankheitsfällen prüfen, die Bedingungen feststellen, unter denen sie sich be­währt haben, und andererseits auch wieder die rein empirischen Mittel in ihrer Wirkungsweise beobachten, die Veränderungen, die sie hervorbringen, und die Bedingungen, unter denen dieses geschieht, ermitteln, dann führen beide Wege schliesslich auf einen gemeinsamen Weg der rationellen Empirie, wo das erfahrungsmässige Material, wie die theore­tische Anschauung mit Bewusstsein den Anordnun­gen zum Grunde liegt, wo kritiklose Empirie eben so wenig, als unbegründete Theorien festen Fuss fassen können.
Die Wirkungsweise der Heilmittel.
Die Frage, wie die der Kunst zu Gebote stehenden Heil­mittel wirken, ist natürlicher Weise eine Fundamentalfrage für die rationelle Therapie. Wie die äusseren Einflüsse überhaupt auf den Organismus wirken, ebenso wirken auch die Arzneien und nicht anders die Heilmittel; wir befinden uns mithin bei dieser Frage auf einem sehr allgemeinen Standpunkte.
Alle äusseren Einflüsse wirken überhaupt durch physi­kalisch-chemische Eigenschaften, und kein Arzneistoff enthält ausser diesen Eigenschaften etwas anderes Wirksames, nur hierdurch wirken sie auf den Organismus ein und geben die Veranlassung zu weiteren physiologischen Veränderungen in einer kürzeren oder längeren Reihe. Wie jede Krankheit mit einer Läsion durch die Ursache beginnt und aus einer Reihe von Läsionen und Actionen besteht, so ist es auch mit den künstlich angeregten Heilvorgängen. Demgemäss müssen wir auch bei jedem Mittel die Einwirkung, die physikalisch­chemische Wirkung des Mittels, und die organischen Wirkungen unterscheiden, welche dem Mittel selbst nicht mehr direct angehören, sondern das Ergebniss der angeregten organischen Vorgänge sind.
1. Dir Einwirkung der Hellinitlel — Laesio, adis. Sie besteht in allen den physikalisch-chemischen Verände-
G er lach Allg. Therapie 2 Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;18
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274nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthülfe.
rungen, welche ein Heilmittel seiner physikalisch-chemischen Natur nach im Organismus hervorbringt und welche dasselbe hierbei selbst erleidet. In dieser Einwirkung der Mittel eröffnet sich ein sehr grosses Feld für unsere Forschungen; einmal bietet der Organismus in seinen Bestandtheilen selbst eine grosse Mannig­faltigkeit für die physikalisch-chemischen Vorgänge dar — man erinnere sich nur an die verschiedenartigen chemischen Ver­wandtschaften, an die Verbindungsfiihigkeit, Zersetzbarkeit und Gährungsfahigkeit der Proteine und anderer Stoffe, an die phy­sikalisch-chemischen Eigenschaften der Secrete etc. —•, zwei­tens sind die äusseren Einflüsse, welche als Heilmittel dienen können, nicht allein der Zahl nach sehr mannigfach, sondern auch jedes einzelne Heilmittel ist zu verschiedenen Einwirkungs-weisen fähig — die Wärme z. B. wirkt nicht bloss temperatur­erhöhend, sondern auch expandirend, chemisch lösend, selbst zerstörend, die Schwefelsäure wirkt nicht bloss Alkalien neu-tralisirend, sie vertreibt auch leichtere Säuren aus ihren Ver­bindungen, entzieht Wasser, fällt Eiweiss und verkohlt selbst u.s.w. —; endlich drittens gehen auch aus der ersten Einwir­kung oft wieder einfache und zusammengesetzte Stoffe hervor, die wiederum chemische oder physikalische Einwirkungen aus­üben, die bald untergeordnet sind, eben so gut aber auch die Hauptwirkungen ausmachen können — salpetersaures Silber z. B. zersetzt das vorgefundene Kochsalz, Chlorsilber, Salpetersäure und Natrium sind die weiteren, auf physikalisch-chemische Weise operirenden Substanzen; Chlor verbindet sich mit Wasserstoff des Wassers, Salzsäure und Sauerstoff sind nun die Agentien
U. 8. W.
Die Lehre von der Einwirkung, die Energologie, ist das Fundament der Arzneiwirkungslehre, — Phannacodynamica — und der Aetiologie; denn alle äusseren Einflüsse ändern die Lebensvorgänge durch physikalisch-chemische Einwirkung. Diese Einwirkungslehre harrt noch der weiteren Cultivirung. Hier daher nur einige allgemeine Regeln.
1) Werden Stoffe in den Körper eingeführt, die nicht zu seinen integrirenden Bestandtheilen gehören, so werden diese nicht assimilirt, sondern es treten diejenigen Wirkungen ein, die zwischen den verschiedenen organischen Massen und den eingeführten Stoffen nach allgemeinen physikalisch-che­mischen Gesetzen erfolgen müssen.
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2)nbsp; nbsp; Alle Heilmittel wirken entweder rein physikalisch — durch Schwere, Druck, Ausdehnung, Reibung, Schwingung, Er­schütterung, durch Decken, Abschliessen, Einhüllen, Austrock­nen, Durchfeuchten etc., oder chemisch, oder endlich auf bei­derlei Weise zugleich. Alle Heilmittel, die nicht auf rein me­chanische Weise einwirken und sich nicht in einem flüssigen Aggregatzustande, in einem physikalisch-aufnehmbaren Zustande befinden, müssen chemisch löslich sein, wenn sie wirksam sein sollen — corpora non agunt nisi soluta —. Hiermit ist aber nicht gesagt, dass alle Mittel unwirksam sind, die sich nicht bei dem Zusammenmischen mit Wasser, Weingeist etc. lösen, solche Mittel können sehr wohl zur chemischen Wirkung kommen dadurch, dass sie im Körper Stoffe vorfinden, in denen sie löslich sind — Magen- und Darmsaft z. B. —, oder chemisch verwandte Stoffe antreffen, durch welche sie in lösliche Formen verwandelt werden. Kalomel, Eisen, Schwefel, Spiessglanz, Goldschwefel und mehrere andere Substanzen werden auf diese Weise löslich. Die Holzfaser ist schwer löslich, daher schwer verdaulich, die vegetabilischen Pulver bleiben aber dennoch nicht unwirksam, weil die wirksamen Bestandtheile durch Magen-und Darmsaft bei der thierischen Wärme ausgezogen werden, wie die ernährenden Principien aus vegetabilischer Nahrung.
3)nbsp; nbsp;Die Einwirkung der Heilmittel ist zunächst eine örtliche und besteht in denjenigen, ihren Eigenschaften entspre­chenden physikalisch-chemischen Veränderungen — Läsion —, wie sie eben nach der Beschaffenheit der Applicationsstelle möglich sind. Das Lebendigsein der Theile kommt hierbei nicht weiter in Betracht, denn die Arzneimittel und alle andern äus-seren Einflüsse haben für den lebendigen Körper keine anders wir kende Kräfte, als für die leblosen Dinge, wohl aber kommt die Beschaffenheit der Theile in Betracht, auf welche die Einwirkung erfolgt. Deshalb ist diese Veränderung bei demselben Mittel, an derselben Stelle angewendet, bei dem Cadaver wie bei dem lebendigen Thiere wesentlich ganz gleich, so weit nicht etwa durch Erkalten, Erstarren und beginnende Entmischung ein anderes Verhältniss bedingt wird.
Ein direoter Beweis hierfür ist bei allen jenen Mitteln zu liefern, welche eine auffällige physikalisch-chemische quot;Veränderung hervorbringen; Druck und Stoss wirken in einem gewissen Grade zertrümmernd bei dem Leben­digen, wie am Cadaver, wenn dort Blutunterlaufnngen, Geschwülste etc.
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Die Kunsthiilfe.
kommen, hier aber nicht, so hat dies eben so wenig mit der physikalischen Veränderung etwas zu thun, wie der Schmerz; dies sind secundäre Zu­stände, organische Wirkungen; Hitze und Kälte theilen Wärme mit und entziehen dieselbe, wirken ausdehnend und zusammenziehend nach densel­ben Gesetzen dort wie hier, dass dort bei der Expansion Blutfulle — Tur-gescenz —, bei der Contraction Blutarmuth und Collapsua eintritt, dass ferner der lebendige Körper Mittel und Wege hat, sich bis zu einem gewis­sen Grade zu schützen gegen Hitze und Kälte, dass die Ausstrahlung der Wärme bald sehr stark, bald wieder fast auf Null reducirt ist, dieses alles geht die Einwirkung der Temperatur nichts an; die Aetzmittel zerstören die thierisehen Gewebe, Tanninstoffe gerben die Haut, viele Metallsalze verbinden sich mit Proteinstoifen, Alkalien lösen die Epithelien und ver­seifen die Fette, Salze entziehen Feuchtigkeit, um sich zu lösen, Säuren werden durch Alkalien absorbirt etc. etc. am Lebenden wie am Cadaver. Es giebt allerdings viele Mittel, von denen wir nichts, als die secundären Wirkungen kennen; eine Erst Wirkung muss aber da sein, sonst ist eine zweite nicht denkbar, und die Erstwirkung kann von einem Mittel keine an­dere, als eine physikalisch-chemische sein, weil jede Veränderung in den Lebensvorgängen in materiellen Veränderungen wurzelt, rein dynamische Krankheiten nicht existiren.
4) Mit der örtlichen Einwirkung erleiden die Heilmittel selbst grösstentheils eine Umwandlung, sie verändern sich theils auf physikalische Weise — schmelzen, verflüchtigen, verdünnen u. s. w. —, theils auf chemische Art, indem sie allerhand Ver­bindungen mit den vorhandenen organischen und anorganischen Substanzen oder auch einen Gährungsprocess eingehen. Bei Protein, Stärkemehl, Schleim und andern, ernährende Substan­zen enthaltenden Mitteln nennen wir die stattfindenden Verwand­lungen Verdauung und Assimilation, weil hierdurch die­jenigen Materialien geliefert werden, welche in dem normalen Ernährungsprocesse verwendet und so schliesslich integrirende Theile des Körpers oder zur Bildung thierischer Wärme benutzt werden. Die Verwandlung der indifferenten Substanzen zur Unterhaltung des normalen Stoffwechsels geschieht nach keinen andern Gesetzen, als die der differenten Stoffe.
Die aus solchen Umsetzungen oder Verbindungen hervor­gehenden Substanzen haben bald an Löslichkeit und damit an Wirksamkeit verloren, bald gewonnen. Viele Metallsalze ver­binden sich schon mit Schleim und Eiweiss im Magen und Darm und werden dadurch schwer löslich, daher pflegt ein grosser Theil von solchen Substanzen nicht in das Blut über­zugehen. Sind die Mittel ganz unlöslich und unaufnehmbar geworden, so ist ihre weitere chemische Einwirkung zu Ende,
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sie werden entfernt, ohne in das Innere, in die Säfte und Ge­webe aufgenommen zu werden. In allen andern Fällen aber gehen die Mittel entweder direct in das Elut über, oder sie dringen in das Gewebe durch Imbibition von Zelle zu Zelle, durch Endosmose und Exosmose und durch chemische Ver­wandtschaft, indem sie sich weiter mit dem Gewebe oder mit den darin vorhandenen Flüssigkeiten verbinden. Grosse und Beschaffenheit der localen Wirkungen an der Berührungsstelle hängen von der Grosse und Richtung der Verwandtschaft der Mittel zu dem Gewebe ab, mit welchem sie in unmittelbare Berührung gekommen sind; von einfacher Reizung bis zur Zer­störung des Gewebes sind verschiedene Grade gegeben. Salz­lösungen wirken örtlich nach dem Gesetze der Endosmose und Exosmose; concentrirte Lösungen entziehen bei ihrer Berührung den Theilen Feuchtigkeit, wässerige Lösungen dringen mehr hinein etc.
Liehig erklärt die la.xircnde Wirkung der Salze dadurch, dass sie nicht resorbirt werden, sondern dem Blute Wasser entziehen zu ihrer Lösung, welche Lösung so lange Wasser entzieht, bis sie dem Blutserum am Salz­gehalte (1 Procent) gleich- oder nachsteht, auf welche Weise dann nicht nur keine Resorption des Flüssigen im Darmkanale, sondern Vermehrung desselben stattfindet.
5) Die unverändert direct oder nach verschiedenen Meta­morphosen durch Resorption in das Blut gelangten Stoffe durch­wandern schnell den ganzen Körper. Durch die Hering'sehen Versuche *), die ich wiederholt und bestätigt gefunden habe, wie auch durch verschiedene andere Thatsachen, ist hinlänglich nachgewiesen, dass '/j Minute vollkommen genügt, um die ins Blut gelangten Stoffe im ganzen Körper zu verbreiten. Ueber die Einwirkung der differenten Stoffe auf das Blut selbst wis­sen wir leider nur sehr wenig; dass aber die Arzneistoffe auch hier physikalisch-chemisch einwirken, darüber kann wohl kaum ein Zweifel erhoben werden.
Wir sehen, dass die Blutkörperchen aufquellen und zusammenschrum­pfen nach den Gesetzen der Endosmose und Exosmose, dass die Hüllen derselben durch Pflanzensäuren angegriffen und selbst aufgelöst werden, dass das Blut seine Farbe bis zum Schwarz- und Hellroth bei verschiede­nen Substanzen ändert, durch Salze, namentlich Salpeter und Salmiak und
*) Zeitschrift von Tiedemann und Treviranus für Physiologie, HI. Bd. 1. Heft, S.85.
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278nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunstliiilfe.
durch Blausäure ganz hellroth wird, dass der FarbestofF schon durch grös-seren Gehalt an Wasser theilweise gelöst wird und so diffus im Plasma erscheint, dass Alkalien, Salze, besonders Salpeter und Salmiak und Essig­säure die Gerinnungsfähigkeit des Faserstoffs vermindern und selbst auf­heben, dass bei Zusatz von Kochsatz, Glaubersalz und einigen andern Sal­zen der Faserstoff noch gerinnt, aber die Fähigkeit verloren hat, sich zusammenzuziehen und Serum auszupressen, dass viele Metallsalze sich mit den Protei'nstofien des Ulutes chemisch verbinden, so namentlich Eisen-, Kupfer- und Blei-Salze, Arsenik u. a., dass Zersetzung des Blutes nach manchen Vergiftungen eintritt etc. Alle diese Thatsachen beweisen zur Genüge die materielle Veränderung; durch physikalisch-chemische Einwir­kung der Arzneimittel.
6) Die lleilniittel verbleiben nicht im Blute, sie treten auch, verändert, organisch verbunden oder unverändert und ungebun­den an die Gewebe, wie die Nährstoffe. Der Geschmack des durch Auswässern von allem Blute befreiten Fleisches ändert sich nach den bitteren oder ätherisch-öligen Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen worden sind; Fleisch von Thieren, die mit Arsenik oder Kokkelskörnern vergiftet worden sind, wirkt giftig, verschiedene Metalle lassen sich in dem Gewebe verschiedener Grgane direct nachweisen, das Kali jncronitneutn färbt die ineisten Gewebe (Schleimhaut, Bindegewebe und Nie­ren) gelb; Färberröthe färbt die Knochen etc.; alles dieses lie­fert Beweise von dem Uebertritt der differenten Substanzen aus dem Blute an das Gewehe.
Die Beziehungen der dem Blute einverleibten Heilmittel zu den verschiedenen Geweben sind sehr verschieden, so dass man viele Stoffe vorzugsweise oder ausschliesslich in einem bestimm­ten Gewebe antrifft — die Färberröthe finden wir im Knochen­gewebe, Silber scheidet sich vorzüglich in der Haut ab, Queck­silber und Jod werden besonders in den Lymph- und Speichel­drüsen angetroffen, die stickstoffreichen Alkaloide treten in speeifische Beziehung zur Ernährung des Nervenmarkes. Bei den Nährstoffen finden wir gleichfalls speeifische Beziehungen zu einzelnen Geweben und zwar in der Art, dass jedes Gewebe seine Bestandtheile aufnimmt; hier ist es also offenbar ein or­ganisch-chemisches Verwandtschaftsverhältniss, welches die speeifischen Beziehungen bedingt. Bei den Heilmitteln kann und muss derselbe Grund für diese Erscheinung adoptirt werden.
Theils dadurch, dass das Blut von der directen Einwir­kung der Heilmittel eine Alteration erlitten hat in seinen nähe-en oder entfernteren Bestandtheilen, theils durch den Ueber-
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Wirkungsweise der Höilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 279
gang der einverleibten Stoffe mit dem Strome der Ernährungs­flüssigkeit in das Gewebe, muss in der Sphäre der Ernährung einzelner Gewebe ein Anderssein eintreten, wodurch denn auch der Grund zur Genesung (wie unter andern Verhältnissen zur Entwickelung von Krankheiten) gegeben ist, indem auf diese Weise entweder der Anstoss zu einer Eeihe von Veränderungen in den Verrichtungen gegeben wird, deren schliessliches Resultat eben die Genesung ist, wovon später mehr, oder indem der beste­hende abnorme Zustand direct beseitigt wird durch Ersatz der­jenigen Bestandtheile, welche bis dahin in einem bestimmten Gewebe fehlten.
Der Organismus zählt viele Substanzen unter seinen Bestandtheilen, die er sich wohl umformen, aber nicht neubilden kann; fehlt es an einzel-uen derselben in bestimmton Geweben und ist dies das Wesen der Krank­heit, so werden diese Stoffe bei ihrer Verabreichung; die directen Heilmittel durch Ergänzung des Fehlenden. Ein arzneilicher Ernahrungsprocess ist hier der Iloiljirocess; denn es ist ganz gleich, ob z.B. der Knochen seinen Kalk oder die Bestandtheile des Knorpels aus der Futterkammer oder aus der Apotheke bezieht, ob das Eiweiss seinen Schwefel, das Blutroth sein Eisen, der Muskel sein Kali etc. mit den Nahrungsmitteln oder als Arz­neien aufnehmen, vorausgesetzt, dass das Mittel in einer assimilirbaren Forin in den Körper gelangt. In allen Krankheiten, wo eine mangelhafte Ernährung einzelner Gewebe aus anhaltendem Mangel gewisser Substan­zen, organischer wie unorganischer, zum Grunde liegt, da sind auch die fehlenden Stoffe die Heilmittel, und deren Wirkungsweise ist keine andere, als die der Nahrungsmittel.
7) Schliesslich gelangen endlich alle materiellen Heilmittel bei dem ewigen Stoffwechsel früher oder später wieder zur Aus­scheidung. Wann, wie lange nach der Verabreichung, dieses geschieht, darüber wissen wir noch wenig, nur so viel ist ausgemacht, dass der Zeitraum des Verbleibens im Körper bei den verschiedenen Mitteln auch sehr verschieden ist, dass die Mittel, welche die Arzneimittellehre als flüchtige Reizmittel bezeichnet, auch eben so schnell entfernt werden, als ihre Wir­kung vorübergehend ist, dass alle nicht flüchtigen Substanzen viel länger im Körper weilen, und dass endlich diejenigen, die sich mit organischen Substanzen, mit Schleim, Eiweiss, Faser­stoff etc. verbinden, auch am längs'ten im Körper verbleiben, und am allerlängsten dann, wenn sie in solche Gewebe einge­drungen sind, in denen überhaupt ein weniger lebhafter Stoff­wechsel ^ besteht. — In Knochen, Bändern und Sehnen lagern die fremdartigen Stoffe am längsten; Färberröthe bleibt Wochen
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280nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
lang in den Knochen sichtbar, Arsenik wurde von Herttvig noch nach drei Wochen in den Knochen gefunden. — Metalle trifft man gewöhnlich am längsten im Gewebe an, und ihre Wirkung ist dem entsprechend auch gewöhnlich am nachhaltigsten.
Durch alle jene Pforten, durch welche der zerfallene Leib der Aussenwelt überliefert wird, wandern auch die materiellen Heilmit­tel wieder aus; die chemisch und chemisch-physiologisch aufzufin­denden Stoffe lassen sich in den Ausscheidungen (Schweiss, Urin, Darmexcrementen, Speichel, Milch, Lungen-und Hautausdünstung), und zwar selten in allen zugleich, meist nur in einzelnen derselben nachweisen. Hierbei ist theils die Form maassgebend — nur gas­förmige Stoffe können durch die Lungen oder in der Hautausdiin-stung ihren Ausweg nehmen —, theils aber tritt wieder eine specifi-sche Beziehung hervor; wenn einzelne Substanzen ihren Ausweg nur durch die Nieren suchen, so finden ihn andere besonders durch die Haut etc., ganz wie die zerfallenen Substanzen des Körpers und die überflüssigen Nährstofie auch ihre speciellen Auswanderungs­pforten haben. Diese specifischen Beziehungen zu den einzel­nen Excretionsorganen hat keinen andern Grund, als die bereits erwähnte besondere Verwandtschaft zu den einzelnen Geweben, und meist sieht man auch, dass, wenn ein Mittel eine speci-fische Wirkung auf ein Secretionsorgan ausübt, es in diesem auch besonders seinen Ausweg findet; in einzelnen Fällen wirkt das Mittel auch erst bei und nach der Ausscheidung auf sein Aussonderungsorgan ein. Manche Mittel gelangen nach der Ausscheidung wieder theilweise in den Körper, sie machen einen Kreislauf und verlängern dadurch ihre Wirkung, z. B. das Jod, welches durch den Speichel ausgeschieden wird.
Wie, in welcher Form die Heilmittel aus dem Körper zu­rückkehren, ist wieder sehr verschieden; bald sind sie diffus in den Excreten vorhanden, bald an einzelne excretielle Stoffe chemisch gebunden, bald in andere Stoffe umgesetzt, so z. B. kann das Ammonium in den Nieren als Salpetersäure ausge­schieden werden; einzelne arzneiliche Stoffe werden nicht allein auf verschiedenen Wegen, sondern zugleich auch in verschiede­nen Formen ausgeschieden, so z. B. erkennen wir das verab­reichte Terpentinöl in der Lungenausdünstung an seinem speci­fischen Gerüche, in dem Harne aber an einem Veilchengeruche wieder.
Die Stoffe, welche unverändert ausgeschieden werden, oder
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Wirkungsweise der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;281
die ihre chemische Veränderung erst in den Secreten selbst erleiden, müssen natürlich auch unzersetzt in das Blut gelangt sein, und solche Stoffe äussern mitunter erst ihre Haupteinwir­kung auf dem Wege der Ausscheidung. So verhält es sich z. B. mit den Canthariden und andern ähnlichen Substanzen, die bei der Ausscheidung in den Harnwegen Reizung und Entzün­dung veranlassen, wie bei ihrer Einwirkung an der Einverlei­bungsstelle. Mittel, welche bei der Einwirkung an der Appli-cationssrelle oder beim Uebergange in das Blut Veränderungen, Zersetzungen erleiden, können auf entfernte Organe nie dieselbe Einwirkung ausüben, wie an der Einverleibungsstelle.
Alle diejenigen arzneilichen Substanzen, welche beim Zer­fallen in den normalmässigen Excreten aufgehen, können natür­lich bei ihrer Auswanderung nicht nachgewiesen werden, so können Blutlaugensalze und Traubenzucker in ihren Ausschei­dungen nirgends nachgewiesen werden.
So weit die Einwirkung der Heilmittel; die weitere Wir­kung ist Sache des Organismus und gehört dem Mittel selbst nicht mehr direct an, dennoch aber ist die physikalisch-chemi­sche Einwirkung maassgebend für die weiteren Actionen und wir sehen ja auch, dass schon die chemisch ähnlichen Mittel meist auch pharmakodynamisch ähnlich wirken; — die Vitriole wirken adstringirend, die Haloide wirken resolvirend, die schwe­felsauren Salze der meisten Alkalien laxiren, die an Stick- und Kohlenstoff reichen Pflanzen- und Thierstoffe (Alkaloide und Cyan-mittel) narkotisiren, Mittel mit schwefelhaltigem, ätherischem Gele (Canthariden, Senf, Meerrettig, Zwiebel etc.) sind scharfe hautreizende Substanzen etc.
II. Die phjsitildgische oder vitale Wirkung, die Reaction, Adio distincta, Readio.
Sie umfasst alles, was nach Einwirkung der Heilmittel als reines Ergebniss der organischen Functionen erfolgt, sowohl die unmittelbar auf die Einwirkung erfolgende, die sogenannte Erst­wirkung, die Reaction, als auch die ganze Reihenfolge ferner­weit abgeänderter Lebensprocesse, die sogenannte Nachwirkung. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Mittel regen un­ter Zusammentreffen gewisser physiologischer Zustände Vor­gänge an, die sie nicht weiter beherrschen und reguliren, die also nicht den Mitteln mehr, sondern dem lebendigen Organis­mus angehören und wodurch in den meisten Fällen die Heilung
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282nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die Kunsthiilfe.
bedingt wirdquot;, welche Vorgänge also meist die eigentlichen Heil­wirkungen sind.
Wo und wie die Einwirkung der Arzneien auch stattgefun­den haben mag, ob direct oder indirect vom Blute aus, immer folgt darauf eine Abänderung in den physiologischen Vorgängen, bald eine geringfügige, kaum bemerkbare, auf das Molecular-ieben beschränkte, oder auffallender hervortretende, bald eine auf den Ort der Einwirkung begrenzte oder verbreitetere und selbst allgemeine. Selten bleibt es bei einer einfachen Abwei­chung, meist tritt eine Reihe von Veränderungen auf, indem Bedingtes wieder Bedingendes wird; in solcher Kette von Veränderungen kennen wir gewöhnlich nur das letzte Glied, die Endwirkung.
Die auf arzneiliche Läsion eintretende vitale Wirkung, die Reaction, geht immer von der Stelle der Einwirkung, d. h. von der Stelle aus, wo die physikalisch-chemische Wirkung des Heil­mittels stattgefunden hat; sie geht entweder von der Stelle der directen Berührung, der Applicationsstelle aus, oder findet in den von dem Heilmittel selbst gewählten Organen statt. Nach Einverleibung in das Blut tritt gewöhnlich die Wirkung in ein­zelnen und zwar in solchen Organen oder Systemen auf, die ent­weder für das arzneilich inficirte Blut besonders empfänglich sind, oder in denen die Arzneimittel aus besonderer Verwandt­schaft abgesetzt und durch welche sie zugleich aus dem Körper eliminirt werden. Die sogenannten Wahlmittel, Electiva der Italiener, die Organmittel Rademacher's, die Idagogica nach Sihulz-Sclmlzenstein, die Organmittel (Arzneien und Gifte) wir­ken eigentlich nicht auf die Organe, nicht auf die Apparate als Ganzes, sondern auf die Gewebe, auf die einzelnen Elemente derselben.
Die physiologische Wirkung der Heilmittel geht aus:
a) Von den Zellen und deren Derivaten; die Lebens-acte derselben werden in einer bestimmten Richtung gesteigert oder vermindert. In der Regel wird zunächst die nutritive Thätig-keit verändert, die Zellen nehmen mehr auf und werden grosser, schwellen selbst auf — bei den Entzündungsreizen z. B. —, oder sie schrumpfen umgekehrt mehr zusammen. Die functio-nelle Thätigkeit ändert sich theils ohne wahrnehmbare Ernäh­rungsstörung, theils nach und neben nutritiven Beeinträchtigun­gen; namentlich hat jede Veränderung des Zelleninhalts und der
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Wirkungsweise der Heilraittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;283
Zellenderivate eine Aenderung in der Function zur Folge. Die formative Thätigkeit wird immer durch die nutritive Thätigkeit verändert, wenn die Kerne dabei Antheil baben. So werden durch arzneiliche, wie durch andere heterogene Eiwirkungeu pro- und regressive Processe und veränderte Function in dein Zellenleben erweckt.
b) Von den Nerven. Die Einwirkung trifft zugleich Ner­ven, die den Reiz weiter tragen oder selbst eine mehr oder weniger weitgreifende Reaction veranstalten. Die weiteren Folgen sind; .Sensationen in den cgntripetalen Nerven, in den Empfindungs-nerven von dem leisesten Kitzel bis zum äussersten Schmerze; hierdurch weiterhin Reflexaetionen in den EmptJndungsuer-ven (irradiirte Empfindungen) und Bewegungsnerven (Reflex­bewegungen) und antagonistische Depressionen; Abstumpfun­gen und Betäubungen; Veränderungen des Kali­bers der kleinen Blutgefässe und dadurch Verände­rungen in der Circulation mit ihren verseil iedenen Folgen, als namentlich: Anämie, Collapsus, träger Stoff­wechsel, verminderte Absonderung, oder entgegengesetzt Blut-fülle, Turgescenz, vermehrte Absonderung, lebhafte Bildung und Rückbildung, kurz rascheres Leben, oder endlich pathologische Hyperämie mit mehr oder weniger Stockungen in der Strömung — kStase — mit Gewebserkrankungen und deren weiteren Fol­gen. So treten nach einer kürzeren oder längeren Reihe von Thätigkeiten und Actionen neue Läsionen auf. Die eigentliche Heilwirkung kann in den ersten (arzneilichen) oder den späteren (physiologisch entstandenen) Läsionen oder in den Thätigkeiten selbst, den Reactionen liegen.
Solche Functionswirkung der Heilmittel in einzelnen Orga­nen kann in dem kranken Organe selbst auftreten und so un­mittelbar der Grund zur Beseitigung des abnormen Zustandes werden, oder sie tritt im gesunden Organe auf und wirkt von hier aus auf den Krankheitszustand durch verschiedene Zwischenglie­der. (Cfr. Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit S. 2y,'gt;.)
Die Endwirkung der Mittel ist eigentlich die einzige, welche wir näher kennen, die physikalisch-chemische Einwirkung ist uns gewöhnlich eine unbekannte Grosse, und von den Zwischen­gliedern zwischen Ein- und Endwirkung, zwischen Anfang und Ende treten hier und da nur einzelne, nach physiologischen Gesetzen für uns wahrnehmbar hervor.
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284nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
Die physikalisch - chemische Veränderung, welche ein Brechmittel z.B. bei der Berührung im Magen oder (nach Injectionen) vom Blute aus in den betreffenden Magennerven hervorbringt, kennen wir nicht; die weiteren Vorgänge in den Nerven kennen wir auch noch nicht, nur eine veränderte Sensation — die Uebelkeit — tritt uns entgegen, mit einem Male tritt hef­tige Contraction m dem Magen, den Bauchmuskeln und dem Zwerchfelle ein, was aber bis dahin geschah, wissen wir abermals nicht. Von der ge­kannten Wirkungsweise des Brechmittels ist uns also nichts als ein Zwi­schenglied, die veränderte Sensation — Uebelkeit — und die Endwirkung bekannt. Verfolgen wir dies Beispiel weiter. Brechmittel werden Heil­mittel bei verschiedenen Krankheiten; ist das Ausgebrochene der hinläng­liche Grund des Entstehens und Fortbestehens, einer Kränkelt, so fällt die Heilwirkung mit dem Acte des Erbrechens selbst zusammen, die Endwir­kung des Brechmittels ist auch zugleich die Heilwirkung; in allen andern Fällen treten aber nach dem Erbrechen wieder organische Vorgänge ein, deren schliessliches llesultat dann die Beseitigung der Krankheit ist, Vor­gänge, die uns wieder bis zur Endwirkung unbekannt bleiben; wir wissen wenig von dem, was nach dem Erbrechen bis zum Abziehen des Rheuma­tismus, bis zum Coupiren irgend einer in Entwickelung begriffenen Krank­heit etc. geschieht, die Zwischenglieder sind uns wieder meist verborgen.
Jedes Mittel hat etwas Besonderes neben seiner Hauptwir­kung, der Organismus aber, iu dessen innerem Getriebe das Princip der Erhaltung liegt, leitet den grössten Theil der pri­mären Wirkungen auf gewissen Hauptbahnen ab, so dass die Enderfolge sich unter verhältnissmässig nur wenige allgemeine Klassen bringen lassen. Mit diesen allgemeinen Endwirkungen, die allein erkenn- und übersehbar sind, muss sich die allgemeine Therapie begnügen. Die allzu grossen, oft phantastischen Feinheiten der Pharmakodynamik muss die Therapie als praktische Disciplin vorläufig aufgeben. Nach den übersehbaren und daher praktisch wichtigen Endwir­kungen quot;werden wir weiterhin die einzelnen Kurmethoden ab­handeln.
Application der Heilmittel.
Nach den Erörterungen über physikalisch-chemische Ein­wirkung und den darauf folgenden vitalen Vorgängen ist es selbstverständlich nicht gleichgültig, an welcher Stelle und in welcher Art die Mittel applicirt werden; die Wirkung ist hier­nach räumlich und quantitativ ja selbst qualitativ in sofern ver­schieden, als von den örtlichen den physikalisch-chemischen Wirkungen oft die Qualität der folgenden vitalen Acte abhän-
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Application der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 285
gig ist. Die verschiedenen Anwendungsmethoden der Arznei­mittel sind folgende:
1. Die Eiimrleibuiig auf den Wegen der Ernährung.
et) In den Magen. Diese sogenannte innerliche Anwen­dung der Mittel ist die naturgemässe, sie ist so alt, als die Therapie überhaupt. Die Arzneien werden mit den Nährstoffen auf den Lymphbahnen in das Blut übergeführt; bei Krankhei­ten in den Verdauungswegen und der Mesenterialdrüsen haben wir zugleich eine directe Einwirkung. Kann nun die Auf­nahme noch freiwillig mit dem Futter oder Getränke erfol-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ' gen, so ist das in der Thierheilkunde ein grosser praktischer Vortheil. Bei allen Vorzügen, die nicht erst der Erörterung bedürfen, hat sie doch auch die Nachtheile, dass manche Mittel durch Verbindungen und Umsetzungen in den Verdauungssäften resp. den Contentis des Magens und Darmes abgeschwächt, ja selbst unwirksam werden, und oft sehr langsam wirken. Des­halb sind andere Applicationswege zulässig und oft sogar nöthig, man kann wohl sagen, dass durch die anderweitige ApplicatioL-s-methode die Therapie vervollkommnet ist. Substanzen, die der Verdauung bedürfen und solche, die an unlösliche Massen ge­bunden sind, die Nährstoffe und die vegetabilischen Pulver können nur auf diesem Wege einverleibt werden.
b) Mittel per anum, KlystiereKlysmata, Lave­ments. Die Anwendung in dieser Form ist unvollständiger Ersatz für die Aufnahme in den Magen, insoweit es auf den Uebergang in die Säfte ankommt. Dagegen hat diese Appli­cation in der localen Einwirkung wieder ihre Vorzüge. Die nächsten Zwecke sind auch gewöhnlich, Örtlich zu wirken und zwar einmal auf physikalische Weise durch Erweichung und Einhüllung der Fäcalmassen behufs Erleichterung der Entlee­rung und zur Beruhigung der Mastdarmschmerzen, und zweitens durch Reizung des Mastdarmes zur Hervorrufung einer erhöh­ten peristaltischen Bewegung und vermehrten Absonderung im ganzen Dickdarme. Alle specifischen Abführmittel wirken auch specifisch als Klystiere. Ist der Mastdarm sehr reizbar oder wendet man zu reizende Substanzen an, oder pumpt man zu viel Flüssigkeit in den Mastdarm, so werden die Klystiere durch Contraction des Mastdarmes sehr bald wieder entleert,
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286nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
die Klystiere stehen nicht, und die eigentliche Absicht, eine weitergehende Reflexaction ist damit vereitelt. (Conf. Abfüh­rende Heilmethode.)
2. Die äusserliche Anwendung auf der Baut.
Soweit es sich hier um eine physikalisch chemische Ein­wirkung auf das Krankhafte selbst bandelt, ist diese Application eine rein chirurgische und die einzige, die überhaupt in Be­tracht kommen kann; sobald aber die vitale Wirkung die Heil­wirkung werden soll, ist das Appiicationsverfahren ein ender-matisches — Endermosis —, welches immer nur bedingungs­weise in zweckmässige Anwendung kommen kann. Vor allen kommt es zunächst darauf an, ob die Mittel zur Aufnahme in den Organismus gelangen, oder ob sie nur äusserlich und örtlich durch Contact wirken sollen. Im ersten Falle ist die Wirkung der Mittel sehr untergeordnet, so dass sie für ge-wölmlich nicht und nur dann in Betracht kommt, wenn es sich mehr um ein örtliches Eindringen in das Gewebe handelt.
Man hat die Aufnahme der Mittel an der äusseren Hautfläche selbst ganz in Abrede gestellt, aber mit Unrecht, mindestens müssen wir bei den behaarten Thieren eine Aufnahme der löslichen Substanzen zugeben. Die Vergiftungen durch Mercurialeinreibungen bei Kindern, durch Baden in Arseniklösungen, (bei allen Hausthieren) und in starken Tabacksdecocten, (besonders bei Kindvieh) beweisen es.
Die Contactwirkung ist hier aber sehr mächtig, weil die Haut Empfindungsorgan und als solches sehr nervenreich ist. Die Hautaerven stehen mit den Rückenmarksnerven und dem Gangliensysteme in Consensus, deshalb sind selbst innere Or­gane in der physiologischen Wirkung durch die Hautreize er­reichbar. Dubais hat schon 1841 gezeigt, dass die Hautreize sich auf die feinsten Gefasse reflectiren; Chauveau*) fand, dass Reizung eines peripherischen Nerven sich auf das ganze Rücken­mark reflectirt, und Naumann**) hat durch eine Reihe von Versuchen nachgewiesen, dass sich die Hautreize aller Orten auf das Rückenmark und von da auf das Herz und die feinsten Gefässe reflectiren. Die Hautreizungen bilden deshalb eine
*) Gazette mamp;l. de Paris, Mai 1857. **) Untersuchungen über physiologische Wirkungen der Hautreizmittel. Prager Vicrteljahrsschrift, 1863. No. 1.
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Application der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;287
besondere und sehr gewichtige Kurmethode, auf die wir hier verweisen müssen.
3. Die Anwendung unter der Haut, die h;podermati$che Application.
Die subcutane Injection der Arzneimittel ist von Dr. Rynd und Wood ausgegangen und erst seit 1856 bekannt; sie hat in der Medicin in kurzer Zeit Anerkennung und Verwerthung *) in der Thierheilkundo aber noch wenig Beachtung gefunden.
Bei dieser Injection kann es sich um eine rein örtliche und eine allgemeine Wirkung handeln. Die örtliche Wirkung ist entweder nur eine einfache Reizung bis zur Entzündung, oder eine specifische und in letzter Beziehung kann die Appli­cation noch tiefer in das normale oder pathologische Organ­gewebe hinein erfolgen.— Die Injection in Wassersäcke, in Gal­len und die Einverleibung in Geschwülste, um in dem neo­plastischen Heerde regressive Processe einzuleiten, sind von gros-sem Interesse. Die örtlichen Wirkungen sind in der Thierheil­kundo wohl der häufigste Zweck, und in dieser Beziehung ver­dient dieses Verfahren viel ausgedehntere Anwendung, als bisher. Bei den Kurmethoden komme ich hierauf specieller zurück.
Die allgemeine arzneiliche Wirkung ist nach dieser Ap­plication viel schneller und stärker, als nach dem inner­lichen Gebrauche; wenn das Jodkalium z. B. nach dem inner­lichen Gebrauche erst nach '^—1 Stunde im Speichel erscheint, so ist es nach der Injection schon innerhalb 5 Minuten in demsel­ben nachzuweisen; die Wirkung erfolgt bei den Thieren in einem doppelten bis lOfachen Grade. Nach der inneren Dosis lässt sich daher die hypodermatische Dosis nicht bemessen, letztere muss von jedem Mittel experimentell festgestellt werden. Die specifische örtliche Wirkung fällt immer mit einer gleich­zeitigen allgemeinen Wirkung zusammen, es ist deshalb oft fraglich, ob die örtliche oder die allgemeine die eigentlich heil­same ist; Hunter legt das Hauptgewicht auf die allgemeine Wir­kung. Dies ist jedoch verschieden; es kommen hier die Mittel und Krankheiten in Betracht; bei mehr örtlichen Leiden hat
*) Die hypodermatische Injection der Arzneimittel nach physiologischen Versuchen und klinischen Beobachtungen von Dr. Eulenburg. Gekrönte Preisschrift. 1865.
Die hypodermatische Injection nach klinischen Erfahrungen von Lo-runt, 1865.
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288nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die Kunsthiilfe.
auch die örtliche specifische Wirkung in der Regel das Ueber-gewicht; unter den Mitteln hat z. B. das Atropin jedenfalls eine vorherrschende allgemeine, das Veratrin dagegen eine mehr Örtliche, nichtsdestoweniger giebt es aber oft Fälle, wo die Heil­wirkung des Veratrins in der allgemeinen brechenerregenden schweisstreibenden Wirkung liegt.
Eine Beschränkung findet diese Application dadurch, dass sich nur solche Mittel zu dieser Anwendungsart eignen, welche schon in kleinen Dosen und dabei nicht zu reizend oder gar deletär auf das Zellengewebe wirken, und welche in Wasser, Wasser mit Glycerin oder Wasser mit höchstens gleichen Thei-len Spiritus löslich sind, wenn man Entzündungen, Eiterungen in der Applicationsstelle vermeiden will.
Die Injection geseliielit in nächster Nähe des Krankheitssitzes, oder bei allgemeiner Wirkung da, wo die Haut am lockersten aufsitzt, bei un­seren Thieren am besten an den Schultern oder an dem Halse. Die Aus­führung geschieht bei den Menschen mit besonders construirten feinen Spritzen, um bei kleinster Hautverletzung bestimmte kleine Quantitäten leicht unter die Haut zu bringen, besonders empfohlen ist eine Spritze aus Hartkautschuk von Jos. Leiter aus Wien, die für 4 Fl. zu haben ist. Bei unseren Thieren können wir dieselben feinen Hohlnadeln gebrauchen, nur muss die Spritze etwas grosser sein. Ich habe mir eine Spritze von Glas­röhre anfertigen lassen, die 5 Grm. Wasser f'asst; die anzuschraubende Hohlnadel ist nicht stärker als bei den Menschen. Die in eine Falte ab­gehobene Haut wird mit der Hohlnadel durchstochen und die Flüssigkeit langsam eingespritzt, während man dieselbe durch Streichen mit den Fin­gerspitzen unter die Haut etwas fortschiebt: so kann man die Arznei durch eine Nadelstichwunde sehr bequem unter die Haut bringen. In Ermange­lung einer solchen Spritze durchstösst man die in eine Falte gelegte Haut mit einem feinen Troikar, schiebt die Troikarhülse etwas tiefer unter die Haut hin, geht mit einer Sonde durch dieselbe, um das Zellgewebe an der Mündung zu entfernen und spritzt durch die Hülse mittelst einer klei­nen Wundspritze ein, während man die Flüssigkeit unter der Haut weiter fortstreicht.
Die grossen Dosen, die bei den grossen Hausthieren zur Wirkung erforderlich sind, beschränken diese Anwendungsmethode; soweit wir sie aber anwenden können, hat sie grosse Vorzüge, durch die leichte Ausführung, durch die schnelle und kräftige Wirkung in viel kleineren Dosen und da­durch, dass die kleine Hautverletzung viel weniger in Betracht kommt, als bei den Menschen.
Bis jetzt sind in der Medicin auf diese Weise zur Anwendung ge­kommen: Opium und Morphium, Atropin, Catfein, Aconitin, Strychnin, Di-gitalin, Veratrin, Chinin, Emetin, Nicotin, Conicin, Ergotin, Blausäure, Sub­limat, Brechweinstein. Die Dosen bei Menschen sind gewöhnlich 1/4—1 Cgr., von Atropin die Hälfte, von Conicin 3 Cgr., Chinin 12 — 36 Cgr., Blausäure 2—5
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Tropfen. Bei unseren Thieren habe ich eine Reihe von Versuchen ange­stellt, hiemach können folgende Mittel in angegebenen Lösungen und Do­sen angewandt werden:
Morphium — essig- und salzsaures —. Für Pferde 60 — 120 Cgr., Hunde 3 — 6 Cgr. in Lösung von 1:30—60 Wasser. 12 Cgr. tödten den Hund noch nicht haben aber eine sehr starke und nachhaltige, bis drei Tage dauernde Wirkung. Atropin — schwefelsaures —. Für Pferde 8 — 12 Cgr., Hunde 3—6 Cgr. Für Pferde sind 12 Cgr. schon von der stärksten Wirkung. Grosse Hunde vertragen absolut so viel als ein Pferd. Lösung 1:30—60 Wasser. Coniin. Pferd 20—30 Tropfen auf 10—15 Grm. Wasser, Hund 1—3 Tropfen in 2 Grm. Wasser. 5 Tropfen tödten einer, mittelgrossen Hund. 30 Tropfen in 6 Grm. Wasser hatten bei Pferdei; neben einer starken aber nicht lebensgefährlichen allgemeinen Wirkung eine sehr starke Entzündung mit Verjauchung der Zellengewebe an der Injec-tionsstelle zur Folge. Äconitin. Pferden 40—50 Cgr., gelöst in 2 Grm. Spiritus und verdünnt mit 4 Grm. Wasser; Hunde 6 Cgr. Von 12 Cgr. wurden mittelgrosse Hunde getödtet. Strychnin. Pferden 6 Cgr. in 4 Grm. Wasser, Hunden 1— 2 Mgr. in 1 Grm. Wasser. 12 Cgr. erzeugten bei einem Pferde lebensgefährliche Zu­fälle, schon nach 1/4 Stunde begann grosso Reizbarkeit und Steifheit, nach 3/4 Stunden allgemeiner Tetanus, starker Schweissausbruch, Angst und Athembeschwerde so gross, dass ich zu einem Antidot greifen und 9 Cgr. Atropin einspritzen musste; darauf Stillstand, und nach 1 Stunde begannen die Symptome allmählig nachzulassen, so dass nach 2 Stunden die Gefahr und nach 12 Stunden alle Zufälle vorüber waren. Veratrin. Pferd und Rind 10 — 15 Cgr., Hunden 1/2—1 Cgr. Ein jähriger Bulle starb nach 25 Cgr. innerhalb acht Stunden ohne andere auffäl­lige Symptome, als Erbrechen geäussert zu haben. Oertliche Einwir­kung beunruhigend, schmerzhaft selbst localen Schweissausbruch bedin­gend, aber immer nur eine leichte entzündliche Beizung und niemals Eiterung veranlassend. Lösung 1:60 Wasser. Blausäure — 9 procentige —. Hunden 2 — 4 Tropfen, der Tropfen unge­fähr 3 Cgr., mit 1 Grm. Wasser. 4 Tropfen erzeugten bei mittel­grossen Hunden schon schwere Zufälle, während sie innerlich ohne Wirkung blieben. 12 Tropfen tödteten einen mittelgrossen Hund in 10 Minuten: 20 Tropfen betäubten und lähmten in 3 Minuten und tödteten in 10 Minuten. Das Herz stand erst l'/a und 2 Minuten nach dem Aufhören des Athems still. Kirschlorheerwasaer. Hunden 2 Grm. mit gleichen Theilen Wasser ent­sprach der Wirkung von 6 Grm. innerlich. Sublimat. Pferden 6 — 12 Cgr.: Lösung 1:30 Wasser; leichte örtliche Ent­zündung ohne Eiterung. Jod. Jodtinctur (1 Theil Jod auf 12 Theile Spiritus) in kleiner Quan­tität von ungefähr 1/2 Cnn. hatte örtliche Entzündung aber keine Eiterung zur Folge. Jodkalium in Wasser gelöst wie 1:12 hatte Gerlach AU^. Therapie. 2.Auü.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;19
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Die Kunsthülfe.
eine ganz geringe Entzündung zur Folge; 3 Tb. Jodkalium in Wasser — 1:6 — gelöst und 1 Th. Jodtinctur erzeugten nur eine leichte Ent­zündung.
Alle folgenden Mittel sind von so starker örtlicher Wirkung, dass
sie zum Zwecke einer allgemeinen Wirkung nicht hypodermatisch ange­wendet werden können.
Weingeist — rectificirter —. Oertliche Entzündung und Eiterung; mit glei­chen Theilen Wasser nur leichte und beschränkte Entzündung ohne Eiterung.
Nicotin. Pferden 8—16 Tropfen in 15 Grm. Wasser. Starke allgemeine Wirkung; nach der grossen Dose immer Entzündung, Nekrotisirung des Bindegewebes und Eiterung.
Digitalw. Pferden 6 Cgr. in 8 Grm. Wasser. Oertliche Entzündung ent­wickelte sich langsam, trat aber mit dem dritten Tage stark hervor; Nekrotisirung des Bindegewebes, starke Verjauchung und Eiterung.
Salicin. Pferden 60 Cgr. in 8 Grm. Wasser unter Zusatz von einigen Tropfen Schwefelsäure gelöst. Allgemeine Wirkung nur schwach, etwas Temperatursteigerung, örtliche Entzündung und Eiterung.
Chinin — schwefelsaures —. Pferden 60 Cgr. in 8 Grm. Wasser gelöst nebst einigen Tropfen Schwefelsäure. Temperatursteigenmg beträcht­licher als bei Salicin: örtliche Wirkung sehr bedeutend, ausgebreitete intensive und schmerzhafte Entzündung, Nekrotisirung des Bindege­webes und nachhaltige Eiterung.
Brecluoeimtein. 3 — 6 Cgr. in 30 —60facher Menge Wasser gelöst, war ohne erhebliche allgemeine Wirkung, ohne Erbrechen. Oertlich ent­stand (nach beiden Lösungen) Entzündung und Eiterung, meist fiel sogar ein kleines Stückchen Haut aus.
Terpenthinöl. 4 Grm.: sehr umfangreiche, schmerzhafte Entzündung, Ne­krotisirung des Bindegewebes und reichliche Eiterbildung.
Oxalsavres Kali. Pferd 125 Cgr. (1 Scrupel) gelöst in 15 Grm. Wasser. Es entstand örtlich die schmerzhafteste Entzündung mit heftigem Fie­ber. Am dritten Tage wurde das Thier im Todeskampfe getödtet. Innerlich vertragen dagegen die Pferde dieses Mittel bis zu 15 Grm. und noch darüber recht gut.
Augenblicklich tritt der praktische Vortheil dieser Appli­cation besonders hervor:
1)nbsp; nbsp;beim Morphium als beruhigendes, antispasraodisches und anästhesirendes Mittel;
2)nbsp; nbsp;bei Atropin als physiologisches Antidot bei Strichnin-vergiftung;
3)nbsp; beim Veratrin als Brechmittel (besonders als Coupir-mittel der beginnenden Staupe der Hunde), als örtlich wirkendes Erregungsmittel bei Lähmungen, ganz speeifisch aber als schmerz­stillendes Mittel bei localen Schmerzen ohne Entzündung, bei Neuralgie, Rheumatismus, bei dergleichen Lahmheiten der Pferde;
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Application der Heilmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;291
4) beim Jod, welches in den angegebenen Lösungen und Verbindungen leichte Entzündung, aber keine Eiterung erregt, und sich vorzüglich brauchbar zeigt zu Einspritzungen in Gallen, in Balggeschwülste mit flüssigem Inhalt, wenn man fortdauernde Secretionen unterdrücken will. Der Sublimat theilt mit Jod die Eigenschaft, Entzündung ohne Eiterung zu erregen, sofern er nicht geradezu als Aetzmittel, sondern in wässerigen Lösungen von 1 : 20 — 30 angewendet wird.
4. Die Inhalaiioiien.
Eine Erweiterung dieser Applicationsmethode hat die The­rapie ebenfalls gefördert. Geeignet hierzu sind:
1)nbsp; nbsp;Wasserdünste und alle Stoffe, die sich mit denselben verflüchtigen; diese Inhalationen sind längst bekannt, besonders in der Thierheilkunde;
2)nbsp; nbsp;flüchtige Stoffe, die seit der Entdeckung der Anästhetica besonders in Gebrauch sind, und
3)nbsp; nbsp;pulverisirte flüssige Arzneien, die erst in neuerer Zeit bekannt und eine Bereicherung des directen Heilverfahrens in der Medicin geworden sind.
Der Apparat zur Pulverisirung der Flüssigkeiten, der Pulverisateur ist verschieden construirt, das Grundprineip ist aber immer, dass die Flüssigkeit durch einen comprimirten Luftstiom in kleine Bläschen (Nebel, Staub) zersprengt und mit fortgerissen wird. Die Flüssigkeit befindet sich in einer Flasche, durch deren Korkstopsel ein Glasrohr geht, welches in die Flüssigkeit reicht und ausserhalb der Flasche in eine feine Spitze aus­läuft; ein zweites Glasrohr ist ausserhalb an der Flasche so befestigt, dass es horizontal liegt, mit dem ersten Rohre einen rechten Winkel bildet und seine Mündung mit der des ersten zusammenstösst. An dem freien hinteren Ende des zweiten Rohres kommt eine Kautschukröhre, durch welche Luft durch Pusten oder mit einer Art Blasebalg getrieben wird, die über die Mündung des in die Flasche führenden Rohres hinwegstreicht, die Flüssigkeit heraussaugt und zerstäubt. Um eine grüssere Wassennenge zu pulveiisiren, muss der Apparat für grössere Thiere so construirt sein, dass die durch das äussere Rohr geblasene Luft sich in zwei Ströme theilt: der eine wirkt saugend und pulverisirend, wie beschrieben, der andere aber geht In die Flasche und treibt das Wasser in dem stehenden Rohre hoch.
Die Zwecke der Inhalationstherapie sind entweder eine aligemeine Wirkung durch Uebergang der Arzneien in das Blut oder eine directe locale Einwirkung auf die krankhaften Schleim­häute der Luftwege.
1. Die allgemeine Wirkung. Die mit der Luft in
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Die Kunsthülfe.
die Lungen gelangten Stoffe treten direct ohne Veränderung und schnell in das Blut. Es dürfte das der Weg sein, am schnellsten auf das Blut und durch das Blut zu wirken; dabei ist die Anwendung selbst bei den Thieren viel bequemer als das Eingeben. Deshalb verdient diese Applicationsmethode bei allen dazu geeigneten Mitteln den Vorzug, und alle flüch­tige Mittel sind geeignet, sobald sie keine zu reizende Ein­wirkung auf die Sehleimhäute ausüben; namentlich finden die flüchtigen Schleimhautmittel — schweflige Dünste, Schwe­felwasserstoffgas —, die Anästhetica, die flüchtigen Anticon-tagia und Antiseptica (die specifischen Desinfectionsmittel in allen Richtungen) auf diese Weise ihre ebenso bequeme als wirksame Anwendung. Mit den anticontagiösen und antisep­tischen Mitteln können wir die ganze Stallluft in beliebiger Intensität schwängern und so die Mittel ganzen Heerden in schneller und leichter Weise einverleiben. Es ist ein Vorur-theil, wenn man diese Anwendungsart nicht für vollgültig hält und nur von den verschluckten Mitteln erst die rechte Wirkung erwartet.
2. Die locale Wirkung. Die eingeathmeten Mittel wirken auf den Krankheitsheerd in den Luftwegen ein. Die Förderung des Auswurfes hat immer schon eine besondere Kurmethode ausgemacht, eine wesentliche Bereicherung der Inhalationstherapie ist aber dadurch erreicht worden, dass man verschiedene arzneiliche Substanzen, mit Wasserdämpfen, na­mentlich aber mit Wasserstaub unmittelbar auf die erkrankte Schleimhaut der Luftwege, bis in die Bronchienenden einwirken lassen kann; chronische Schleimhautleiden, blennorrhöische Zu­stände, frische Auflockerungen, Flächeneiterung, Ulceration und Bronchiectasie sind hierdurch heilbarer geworden, als sie es bisher waren. Schwefelwasser, Lösungen von Tannin und Me­tallsalzen werden mittelst des Pulverisateurs angewendet; am gebräuchlichsten ist Argentum nitricum in einer 5 — lOprocen-tigen Lösung.
Die durch Erhitzen erzeugten Wasserdämpfe enthalten von diesen nicht flüchtigen Substanzen höchstens Spuren, so weit sie durch das Spru­deln beim Kochen mit fortgerissen sind. Die Wasserdämpfe von erhitzten Höllensteinlösungen z.B. enthalten keine Spur von Silbersalz. Es muss deshalb wohl ein Irrthum sein, wenn Freund (Deutsche Klinik, 1861) von der Verdunstung einer Lösung aus 8 Grm. salpetersaurem Silber und drei Unzen Wasser in einem Porccllanschälchen über einer Spiritusflamme eine
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Application der Heilmittel.
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sehr gute Wirkung gegen die Lungenschwindsucht und profuser Abson­derung gesehen hat. Durch das Sprudeln, wenn man glühende Körper in heisse Lösungen bringt, können wir noch am besten die gelösten fixen Substanzen auf die Schleimhaut der Luftwege gelangen lassen.
Die betreffenden Substanzen werden in Wasser gelöst, die Lösung wird erhitzt, oder die Verdunstung durch wiederholtes Hineinbringen glühender Körper unterhalten; so das Verfahren bei unseren grossen Hausthieren.
5. Infusion, Transfusion.
Diese Application ist weniger praktisch, sie findet deshalb auch nur selten Anwendung. Die directe Einverleibung der Arzneistoffe in das Blut — Infusion — findet wohl kaum noch eine Anwendung; seitdem wir die hypodennatische Anwendung kennen, führt die Noth selbst in den seltenen Fällen nicht zu dieser Application, wo eine dringende Indication durch innere Mittel zu erfüllen, die Einverleibung auf den Verdauungswegen aber nicht möglich ist oder nicht schnell genug wirkt; es han­delt sich also hier nur um die directe Einverleibung des leben­digen Blutes von einem gesunden Individuum, also um die Transfusion.
Die Frage, ob das Blut in toto oder defibrinirt injicirt werden soll, ist jetzt zu Gunsten des entfaserstofften Blutes entschieden*); letzteres wirkt ebenso belebend, als das Blut in toto, und hat dabei den besonderen Vorzug, dass es bei dem Schlagen an Kohlensäure verloren und an Sauerstoff gewonnen hat, also arteriell geworden ist; dazu kommt noch die leichte und sichere Ausführung, die grössere praktische Brauchbarkeit.
Ursprünglich wurde arterielles Blut genommen und bei dem Pferde eine directe Ueberfiihrung aus der Carotis eines gesunden Pferdes in die Jugularis des kranken mittelst eines entsprechenden Schlauches überge­führt — Transfusio direcfa —; bei den Menschen ist dies nicht gut aus­führbar, wenn man nicht Thierblut einverleiben will, und bei den Thieren sind die Schwierigkeiten auch so gross, dass das Verfahren eben mehr eine Theorie geblieben ist. Deshalb ging man zum Venenblute zurück und übertrug es mittelst einer Spritze — Transfnsio infusoria —, wobei jedoch die Gerinnung immer sehr störend war und zur Defibrination führte.
Das Verfahren ist jetzt sehr einfach; das von einem gesun­den Thiere abgenommene Venenblut wird geschlagen, durch ein wollenes Tuch filtrirt und in warmes Wasser bis zur Injec-
*) Panum. Archiv von Virchow. Bd. 27. S. 240.
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294nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Dilaquo; Kunsthülfe.
tion warm erhalten. Bei grossen Hausthieren füllt man das Blut am besten mittelst eines Trichters in die geöffnete Jugu-laris, wozu eben nur eine Venäsection und keine Unterbindung erforderlich ist.
Die Transfusion ist bei Verblutungen ein Rettungsmittel, kleine Quantitäten geniigen schon das fliehende Leben zu hal­ten, das eingespritzte Blut wirkt stitnulirend auf das Herz und veranlasst Wiederherstellung des Kreislaufes und damit Bele­bung des Gehirnes; bei Anämie ist sie ein Eestaurationsmittel — conf. restaurirende Kurmethode —, und ausserdem kann sie bei Blutvergiftungen und bei Hypercarbonisation ein Heilmittel werden, indem das vergiftete etc. Blut zum Theil entleert und durch gesundes ersetzt wird — eine Substitution. In der Me-dicin haben sich günstige Resultate bei Vergiftungen durch gasige Gifte — durch Kohlenstoff, Kohlenoxydgas, Chloroform-und Aetherdämpfe — und narkotische Alkaloide ergeben.
Zur Zeit, wo das Blut als Lebensbom betrachtet, aus dem allein oder doch hauptsächlich die Lebensfähigkeit und Lebenskraft geschöpft wurde, glaubte man in der Transfusion ein Lebensveijiingungsmittel zu sehen und suchte Vollbluthengste durch Blut von jungen edlen Pferden wieder aufzufrischen. Solche Zwecke können wir selbstredend heute nicht mehr bei der Transfusion verfolgen.
Allgemeine Grundregeln. 1. Das zu übertragende Blut muss von derselben Thier-gattung und natürlich von gesunden Individuen genommen wer­den. Denn jede Thiergattung hat in ihrem specifischen Leibe auch specifisches Blut.
Rosa hat im vorigen Jahrhundert durch Versuche nachzuweisen gesucht, dass man Schafen Kalbsblut injicireu kann; Panum — 1. c. S. 454 — hat gefun­den, dass man allerdings im Stande ist, durch gequirltes Blut der Wieder­käuer (Schaf oder Kalb) bei Hunden die durch Verblutung aufgehobenen Functionen des Nervensystems, der Kespiration und der Wärmebildung wieder hervorzurufen, aber nur vorübergehend, indem das transplantirte fremde Blut im Organismus der anderen Thierart zerfällt und im aufge­lösten Zustande wieder durch Nieren und Darm, so wie in das Parenehym und in die serösen Höhlen des Körpers ausgeschieden wird. Nimmt man von anderen Gattungen, so darf dies nur von solchen geschehen, die keine grossen Blutkörperchen haben, damit keine Circulationshemmungen in den Oapillaren eintreten. Nach den laquo;ScAmicTscheu Messungen schwankt der Durchmesser der Blutkörperchen bei jeder Thiergattung um einige Milli­meter, durchschnittlich aber verhalten sich dieselben von Menschen und Thieren folgendermaassen:
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Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 295
Menschen.........0,0077 Millimeter
Hunden...........0,0070nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Kaninchen......... 0,0064nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Schweinen........0,0062nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Rindern........... 0,0058nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Pferden........... 0,0057nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Katzen............ 0,0056nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Schafen........... 0,0045
Nach Welker ist der Durchmesser bei:
Hunden...........0,0073
Katzen............0,0065nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Schafen...........0,0050nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Ziegen............0,0041nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
2.nbsp; nbsp; Das entfaserstoffte Blut darf kein Gerinnsel enthalten und! muss annähernd die Blutwärme haben; eine Abkühlung Bisquot;zu ^f- 20deg; C. schadet jedoch noch nicht.
3.nbsp; Das Blut muss lebensfähig sein, d. h. man darf es nicht gar zu lange den äusseren Einflüssen preisgeben. Nach den Versuchen von Polli braucht man zwar nicht mehr so sehr ängstlich und eilig zu sein — auf !/4 und ^ Stunde kommt es hierbei gar nicht an —, ein längeres Stehenlassen muss man jedoch vermeiden.
4.nbsp; nbsp; Das Eindringen von Luft muss vermieden werden, kleine Quantitäten sind aber noch nicht schädlich.
5.nbsp; nbsp;Endlich darf man grössere Quantitäten nur langsam einspritzen, weil sonst Herzlähmung eintreten kann. Bis etwa '/jo der Gesammtblutmenge wird ohne Störung vertragen, grös­sere Quantitäten dürfen nur bei starken Blutverlusten injcirt werden, weil sie mindestens einen vorübergehenden fieberhaf­ten Zustand zu erregen pflegen.
Die Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit.
Von der Beziehung der Heilwirkung der Mittel zur Krank­heit ist natürlich auch der Heilvorgang abhängig; diese Bezie­hungen sind uns eben nicht in allen Fällen bekannt, einmal ist uns das Wesentlichste der Krankheit selbst oft nicht be­kannt, anderntheils kennen wir die physikalisch - chemische Einwirkung der Mittel nur in den seltenen Fällen und endlich werden durch arzneiliche Einwirkungen meist mehrere orga­nische Vorgänge und Zustände bedingt, von denen jeder ein­zelne für sich die Heilwirkung abgeben kann. Im Allgemei-
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Die Kunsthülfe.
nen erfolgen die Heilwirkungen nach den Gesetzen des Gegen­satzes und der Ableitung; beide sind berechtigt, jene aber ist umfangreicher und hat mit den Fortschritten in der Wissen­schaft an Bedeutung gewonnen; letztere stand umgekehrt früher höher, als jetzt.
1. Heilwirkung; nach dein Gesetze des Gegensatzes, Enantiopathie, Antipathie. Contraria contrarlls curantur.
Schon im grauen Alterthume herrschte die Ansicht, dass man den Krankheiten entgegenarbeiten müsse. Die Galerische Therapie war durch­weg eine antipathische, die aus der damaligen Naturphilosophie hervor­gegangen war — welche überall in der Natur feindliehe Gegensätze und einen beständigen Kampf aller Einzelwesen unter sich sah; helium omnium contra omnes — und erst im 16ten Jahrhundert in Paracelsus Schule Wi­derspruch fand. Eine reellere Basis hat die Antipathie durch das Natur­gesetz gewonnen, dass Gegensätze sich aufheben. Deshalb ist sie auch immer die herrschende geblieben. Brown und Rasori haben ihre Heilsysteme darauf gebaut; die theoretische Aufgabe — die Contrasti­mulation —, -welche letzterer sich gestellt hatte, war vollkommen richtig, sie konnte aber nach der damaligen physiologischen und pathologischen Grundlage nicht zur Durchbildung kommen.
Die HahnemanrischB Homöopathie ist streng genommen ein antipa-thisches Verfahren. Hahnemann unterschied bei den Arzneien eine erste und zweite Wirkung, beide standen sich gegenüber; nach der ersten wählte er die Mittel, deren Heilwirkung er in der zweiten sah; während er die sogenannte arzneiliche Verschlimmerung von der ersten Wirkung — also von der eigentlichen homöopathischen Einwirkung — ableitete, sah er in der zweiten, in der entgegengesetzten reactiven des Organismus, die einen Gegensatz der Krankheit bildete, die Heilwirkung.
Das Physiatrische, was in dem Principe der Ausgleichung der Gegen­sätze liegt, ist im lebendigen Organismus immer an gewisse Bedingungen geknüpft; das Leben kann auch zwischen zwei schroffen physikalischen Gegensätzen durch die plötzliche Ausgleichung vernichtet werden; der che­misch-physikah'sch ausgleichende Act kann feindlich wirken, Krankheits-und Todesursache werden, nichtsdestoweniger bleibt das Ausgleichungs-prineip an sich heilsam. Lassen wir z. B. auf einen durch Kälte erstarrten Körpertheil Hitze wirken, so tritt heftiger Schmerz und selbst Absterber. des Gewebes ein, weil die Reizempfänglichkeit für Wärme durch die Kälte sehr hoch gesteigert worden ist, weil die physikalische Wirkung der Wärme, die expandirende Wirkung namentlich an der Stelle der directen Berüh­rung zu mächtig ist, während die benachbarten Theile noch erstarrt sind; es entsteht gewissermaassen eine Gewebszersprengung. Nichtsdestoweniger ist aber doch Wärme erforderlich, um die Starrheit, den Frost zu besei­tigen. Es ist ein Irrthum, wenn man behauptet, Frost wird durch Kälte geheilt. Der angewandte Schnee ist immer noch nicht so kalt, als der erstarrte, erfrorene Theil. Der Schnee wirkt als Wärme, also nach den
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Beziehungen der Hellwirkungen zur Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;297
Gesetzen der Antipathie und nicht der Homöopathie, der Schnee ist noth-#9632;wendlg, um den möglichst geringen Gegersatz zu bilden, damit das erstarrte lebendige Gewebe nicht in der jähen Ausgleichung der schroffen Temperaturgegensätze zu Grunde geht, und gradatlm an den Reiz der Wärme gewöhnt -wird. Kein Erfrorener kann In einem Zimmer wieder lebendig werden, das nicht wärmer wäre, als der erstarrte Körper.
1.nbsp; nbsp;Der Gegensatz liegt in der ersten Wirkung, d. h. in der physikalisch - chemischen Einwirkung der Heilmittel. Das Pathologisch-Chemische wird durch den chemischen Gegensatz, das Pathologisch - Physikalische wird durch den physikalischen Gegensatz ausgeglichen, wenn die Anwendung so geschieht, dass die antipathischen Mittel nicht die Lebensfähigkeit im Kleinen wie im Grossen beschränken oder vernichten, dass z. B. die Kälte, wie die Hitze, die Alka­lien, wie die Säuren nicht zugleich direct feindlich einwirken und neben der Ausgleichung des vorhandenen Pathologischen etwas Neues, viel grösseres Pathologisches setzen. Wo Kälte, da liegt die Heilwirkung in der Wärme, wo abnorme Wärme (Hitze), da in der Kälte; wo Trockenheit, da in der Durch­feuchtung, wo übermässige Feuchtigkeit, da im Austrocknen; wo Verengung, da in Erweiterung, wo Erweiterung, da in Ver­engung; wo Auflockerung, da in Verdichtung; wo Expansion,, da in Compression — Gegendruck —; wo Mangel an norma­ler Schutzdecke, da in der Einhüllung; wo abnorme Säuren, da in Alkalien, wo krankhafte Alkalescenz, da in Säuren; wo Gifte, da in den chemischen Gegensätzen, den Antidoten.
2.nbsp; Der Gegensatz liegt in den secundären, vita­len Wirkungen, in der Reaction des Organismus. Das Pathologisch-Vitale wird beschränkt oder beseitigt durch den therapeutisch vitalen Gegensatz. Bei mangelhafter oder unterdrückter Function in den Elementen, den Geweben und Organen sind Erregungsmittel heilsam; wo Mangel an Blut, ist Zufuhr, wo Ueberfluss, ist Abfuhr an Blut bethätigend; spe-cifische Erregungsmittel, d. h. specifische Gegensätze von den gegebenen Functionsstörungen sind specifische Organheilmittel; bei krankhaften Steigerungen sind die abregenden, beruhigen­den Mittel, die Heilmittel. Bei ungenügender Thätigkeit im Nervensysteme sind die Mittel heilsam, resp. Heilmittel, die erregend auf dasselbe einwirken, die Reizbarkeit erhöhen — Aether, ätherische Oele, Elektricität z. B. u. a. —; bei grosser
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Reizbarkeit, bei Krämpfen und Sehmerzen, die beruhigenden, abstumpfenden Mittel — Narcotica, Anästhetica —. Bei exces-siven Thätigkeiten im Gefässsysterue, Beruhigung der Herzaction; Hyperämie und Anämie in Folge vitaler Relaxation resp. Con­traction werden durch entgegengesetzte Lebensacte ausgeglichen. So verhält es sich mit jeder anderen organischen Function; in den Ab-und Aussonderungsorganen nicht minder, als in anderen; das entgegengesetzte vitale Verhältniss ist immer heil­sam. Nicht anders ist es auch mit den nutritiven und forma-tiven Thätigkeiten in den Elementen; auch hier giebt es an-und abregende Einflüsse, die immer nur heilsam wirken, bei entgegengesetzten pathologischen Verhältnissen.
3. Der Gegensatz kann in der cheraiscb-p hy si-kalischen Einwirkung und in der secundären vitalen Wirkung zugleich liegen. Die Wärme z.B. wirkt expan-dirend, die Expansionen bedingen verschiedene Lebensacte, so z. B. Hyperämie und allgemeine Belebung; die Kälte macht aasser der Wärmeentziehung und Verdichtung auf vitale Weise auch Anämie, und bewirkt weiter Abstumpfung, Beruhigung in der Nerventhätigkeit, sie stillt Schmerzen und reducirt alle Lebensacte.
Stoffe, die zu den Bestandtheilen des Körpers gehören und die in den Lebensacten selbst consumirt werden, haben bei krankhaften Verhältnissen ihre Heilwirkung immer in ausglei­chenden Gegensätzen, die einen materiellen und dadurch auch vitalen Ersatz liefern. Ein Minus an einzelnen oder allen Be­standtheilen wird durch ein entsprechendes Plus an einzelnen oder allen Nährstoffen ausgeglichen und so umgekehrt.
Die antiphlogistische, wie die antifebrile Karmethode beru­hen wesentlich auf dem Principe des Gegensatzes. Der thera­peutische Gegensatz trifft die Ursache (Causalkur), die erste, oft die einzige Bedingung der Heilung; die Antidote sind che­mische oder auch physiologische Gegensätze, während erstere das Gift durch chemische Verbindung neutralisiren, erzeugen letztere einen solchen entgegengesetzten vitalen Zustand, eine Abstumpfung, dass die giftige Wirkung nicht mehr empfunden wird, und so die speeifische Störung nicht eintritt — antago­nistische Antidote — z.B. Atropin und Curare gegen Strychnin; Calabarbohne gegen Atropin. Der therapeutische Gegensatz trifft nur ein Symptom, nehmen wir in dem Symptome der Krankheit ein wesentliches Stück, so schwächen und bekämpfen
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wir auch die Krankheit; nehmen wir dem Fieber die Fieber­hitze, so ist der Weg zur Heilung angebahnt; ebenso verhält es sich mit den Entzündungen. (Conf. die symptomatische Kur S. 245.) Trifft endlich der therapeutische Gegensatz den Aus­gang, das sogenannte Wesen der Krankheit, dann haben wir eben die Radicalkur, die speeifische Kur.
So alt und so unentbehrlich das antipathische Verfahren ist, so haben sich doch Stimmen mit mancherlei Gründen dagegen erhoben; alle Gründe sind dem Principe gegenüber nichtig, sie können nur auf Missverständniss und Missbrauch zurückgeführt werden, be­rechnet man den therapeutischen Gegensatz nach einzelnen äus-seren Symptomen ohne Rücksicht auf die ätiologischen Verhält­nisse und den inneren Zusammenhang, dann führt dies zum Miss­brauch, deshalb kann aber das Princip nicht verurtheilt werden; ist z. B. eine Lähmung die Folge eines Druckes, so sind nicht Reizmittel antipathisch, sondern die, welche den Druck besei­tigen. Sieht man bei Entzündungen, bei sthenischen Fiebern u. s. w. nur in dem Abschwächen das antipathische Verfahren, so ist das ein grober Irrthum; keine Abschwächung der Lebens­kraft, der Lebensfülle ist antipathisch, weil es nie ein Plus an Kraft, Lebenskraft giebt; wer Blut entleert, Nahrung entzieht etc., um den Körper zu schwächen, der verfährt nicht rationell antipathisch, wer bei jeder Körperschwäche mit Wein tractirt, verfährt roh empi­risch-symptomatisch, aber nicht antipathisch; der wirkliche anti­pathische Therapeut sieht auf die Ursachen der veränderten Lcbens-actionen, der Schwäche und wählt demnach die Stärkungsmittel. Der eigentliche rationelle Antipath fasst die Symp­tome in genetischen Gruppen als Indicationen auf.
Die instinctive Selbsthülfe der Thiere, die Naturheilung durch Instinct ist auch eine antipathische.
'i. Heilwirkung nach dem Gesetze der Ableitung, der Revulsion, Derivation.
Die Auslösung, die Heilung einer Krankheit durch eine physio-logischeThätigkeit oder durch einen neuen erzeugten localenKrank-heitsprocess ist die Heilung durch Revulsion, die streng genom­men auch auf dem Principe des Gegensatzes beruht. Dieses Heil­verfahren ist eben so alt, als das antipathische, und wissenschaft­lich mehr verfolgt, als jenes, namentlich spielte es die Haupt­rolle in den humoral-pathologischen Schulen. Die Grundlage ist der physiologisch-regulatorische Apparat in der Form des Anta-
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gonismus, der auch bei Naturheilungen eine wichtige Rolle spielt, wie wir gesehen haben. Es kommen hier die Fragen in Be­tracht, was und wie abzuleiten ist.
a. Functionelle AWeitungen.
Functionen, die in einem antagonistischen Verhältnisse ste­hen, zwischen denen eine theilweise oder gänzliche Stellvertre­tung besteht, können auf dem Wege der Ableitung geregelt werden; krankhaft aufgeregte und mehr oder weniger alterirte Absonderungen werden vermindert und geregelt, wenn die stell­vertretenden Organe zur grösseren Thätigkeit angeregt werden; gesteigerte Hautthätigkeit z. B. vermindert die krankhaften Ab­sonderungen in den Schleimhäuten und den Nieren; Durchfälle beschränken die Nierenthätigkeit; Schweiss beschränkt die Ab­sonderung in den Nieren und im Darmkanale, heilt Durchfall, der keine anderweitigen Ursachen hat; krankhafte Absonderung in den serösen Häuten und Bindegeweben wird beschränkt durch vermehrte wässerige Ausscheidung in den Nieren. Bei der Naturheilung haben wir schon gesehen, wie durch consecutive Stellvertretung Compensation erreicht wird; hier haben wir um­gekehrt durch therapeutisch erhöhte Thätigkeit stellvertretender Organe eine Compensation durch Ableitung.
i. Ausgleichung der Krankheitsproeesse durch Substitution.
Krankheitsprocesse werden durch künstlich erzeugte örtliche Krankheitsproeesse im Bereiche des physiologischen Antagonis­mus auf dem Wege der Irradiation und Reflexion aufgehoben; dies ist Thatsache, die weiter geht, als wir mit der physiologi­schen Erklärung jetzt folgen können. Reizzustände, Schmer­zen und Entzündungen sind besonders die ableitbaren und zugleich die ableitend wirkenden localen Krankheiteu. Die schmerzhaften Revulsiva wendet man gegen Schmer­zen an, die inflammatorisclien gegenReizzustände und Entzündungen. Wie der Schmerz den Schmerz stillt, ist schwer nachzuweisen; Raynaud*) nimmt an, dass die Aus­gleichung in den Ganglienzellen stattfindet, wenn der künstliche Schmerz in dem Nervencentrum des primären Schmerzes mit
*) De la revulsion. Concours pour l'aggregation. Paris 1866.
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Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;301
diesem zusammentrifft und durch Umstimmung das Gleichgewicht wieder herstellt. Erklärbar ist die Auslösung der Entzündung durch einen Entzündungsreiz, weil die trophischen Gefassnerven von einem centripetal fortgeleiteten Reiz in verschiedenen Ge­bieten afficirbar sind; der Reiz erzeugt an der Stelle der Ein­wirkung Fluxion und selbst Entzündung — ubi irritatio ihi afflexus —, Erweiterung der Gefasse ist die Ursache der Hyper­ämie, und diese die sichtbare Antwort — Reaction — auf den Reiz, gleichviel auf welche Weise sie zu Stande kommt, ob durch antagonistische Unthätigkeit der Gefassnerven — durch Lähmung — oder vielleicht noch auf andere Weise. Von dem weiteren Effecte in den zelligen Elementen, von der gesteiger­ten Attraction und Nutrition derselben können wir hier wohl absehen, sie dürfte kaum einen Antheil an der fraglichen Ab­leitung haben. Derselbe Reiz nun, der local Fluxion macht, bedingt an entfernten Theilen den entgegengesetzten Vorgang in den Gefassnerven, Verengung der Gefässe und so Anämie; hierin liegt der bekannte Impuls zur Zertheilung der Entzün­dung. Der Antagonismus unter den Gefassnerven ist also die Grundlage der Ableitung in der Form der Substitution. Die­ser Antagonismus besteht namentlich zwischen der Haut und den inneren Organen; die Hautreize reflectiren sich zunächst auf das Rückenmark und von hier auf die Gefassnerven. Des­halb bedingen namentlich peripherische Reize Reizungen der vasamotorischen Nerven und so locale Anämie an andern Thei­len. (Conf. Hautreizende Kurmethode.)
Durch Einwirkung auf die Haut können ja auch in umgekehrter Kich-tung an andern Theilen Hyperämien und Entzündungen zu Stande kom­men; alles, was die Gefassnerven direct reizt und so Anämie in der Haut macht, wie Kälte, namentlich deren plötzliche Einwirkung, alles das kann auch an andern Organen eine Lähmung der Gefassnerven und so eine Fluxion bedingen; die krankmachende Wirkung erfolgt in umgekehrter Richtung der heilsamen Ableitung.
Die vasamotorischen Nervenbezirke sind nicht von allen Punkten der Körperfläche aus erregbar, deshalb handelt es sich immer um den richtigen Ort; die erste Regel ist in dieser Be­ziehung, dass sowohl die schmerzhaften Revulsiva, als die in-flammatorischen immer möglichst in der Nähe des Krankheits-sitzes applicirt werden müssen. Eine Uebertragung von einer Körperseite zur andern erfolgt gar nicht oder nur sehr unvoll-
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ständig, deshalb müssen die Revulsiva an derselben Seite der Krankheit und in den Fällen an beiden Körperseiten ange­wandt werden, wenn die erkrankten Organe beiden Körpersei­ten angehören, d. h. ihre Gefässnerven von beiden Seiten be-kpmtnen. Wenn die Beobachtung von Flügge richtig ist, dass die Fortpflanzung der peripherischen Reize stets in der Rich­tung nach dem verlängerten Marke erfolgt, so liegt hierin die Indication, am Halse und Rumpfe den ableitenden Reiz nicht vor dem Sitze der Krankheit anzubringen.' In wie weit es auf die Qualität des Reizes bei verschiedenen Krankheiten ankommt, ist noch nicht festgestellt, wir wissen nur, dass die Entzün­dungsreize am besten die Entzündung auslösen und dass recht schmerzhafte den Schmerz sicherer ableiten; nach meinen Ver­suchen ist das Veratrin das kräftigste Revulsivum bei rheuma­tischen Schmerzen.
Naumann — conf. Seite 286 — hat durch eine Reihe von Ver­suchen an geköpften Fröschen gefunden, dass Hautreize aller Art sich auf das Rückenmark, von hier auf das Herz und auf die feinsten Gefiisse reflectiren, dass die Reizungen der Magenschleimhaut dieselbe retiectorische Wirkung haben. Derselbe will auch gefunden haben, dass jede Stelle der Haut in gleicher Weise reagirt und dass nicht bloss die elektrischen Reize, sondern auch überhaupt jeder Reiz dieselben Reflexionen zur Folge habe; namentlich wird angeführt, dass Senfspiritus, Meerrettig, Cantharidentinctur und sehr warmes Wasser gleiche Erfolge hatten, nämlich Beschleunigung und Verlangsamung der Circulation in den feinsten Gefässen, der Senf­spiritus aber am stärksten wirke. Bei schwachen Reizen soll Contraction der Gefasse und schnellere Strömung, bei stärkeren Reizen dagegen Erwei­terung der Gefässe und langsamere Strömung eingetreten sein. Diese Ver­suche bestätigen zunächst die Reflexwirkung der Hautreize; was die ver­schiedene Wirkung nach dem Grade betrifft, so bedürfen diese der weiteren Controle, weil sie mit den klinischen Erfahrungen, namentlich mit dem Fac-tum in Widerspruch stehen, dass ein kräftiger Hautreiz, der stärkere Haut­entzündung erzeugt, am wirksamsten ableitet.
c. Ableitung des Blutes; die depletorische Wirkung.
Der depletorische Effect der Revulsion besteht darin, dass gewisse Gefässgebiete, gewisse Organe von überraässigem Blute befreit werden. Die depletorisch wirkenden Mittel sind:
1. Aderlässe, allgemeine, besonders aber örtliche; letz­tere können jedoch nur eine depletorische Wirkung innerhalb des Gefässgebiets, aus dem das Blut entnommen wird, bewir­ken, deshalb kann eine örtliche Blutentziehung aus den Haut-
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Beziehungen der Heilwirkungen zur Krankheit.
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gefässen nicht depletorisch auf innere Organe wirken, wenig­stens nicht mehr, als durch die Verminderung der Gesammt-bluttoasse bedingt wird; am wirksamsten ist die directe Ent­leerung aus den überfüllten Gefässen, namentlich aus den Capil-laren selbst; deshalb sind Incisionen in das entzündete Paren-chym das kräftigste depletorische Mittel.
2. Ableitung des Blutes nach andern Organen. Bei der Circulation einer bestimmten Blutraasse in einem geschlos­senen Gefasssysteme bedingt das Plus in einem Theile ein Minus in andern Theilen, darin liegt die depletorische Wirkung der Con-gestionen. Vertheilt sich das Minus auf die ganze Blutmasse, so ist die depletorische Wirkung in einzelnen Organen fast Null, we­nigstens ohne therapeutischen Werth; besteht aber die Con­gestion mehr auf Kosten eines bestimmten Körpertheiles, so ist der depletorische Effect um so grosser, je grosser das Plus in hyper-ämischen Organen und je kleiner das Gefässgebiet ist, aus dem dieses Plus genommen worden ist.
Zur heilsamen Wirkung der Blutableitung nach gesunden Organen ist die erste Bedingung, dass sich die künstlich erzeugte Hyperämie wesentlich auf Kosten des kranken, mit Blut über­füllten Organes bildet; dies geschieht aber nur, wenn der Kör-pertheil der Ableitung sich mit dem der Zuleitung in einem Gefässgebiete befindet und dieses Gebiet möglichst klein ist. So weit das Blut eines Gefässes in die Capillaren dringt, geht dessen Gebiet; kleine Arterien haben nur ein kleines Ge­biet. Ableitungen innerhalb eines kleinen Arterienstromes sind viel beträchtlicher, als innerhalb eines grösseren, deshalb ist in der Nähe immer die entschiedenste Ableitung; ist das Gefäss­gebiet gross, so kann nur eine beträchtliche therapeutische Hy­perämie noch eine heilsame Blutverminderung in kranken Orga­nen bewirken. Therapeutische Hyperämie in und unter der Haut können nur auf die Nachbarschaft ableitend wirken, so weit die Gefasscontinuität geht; an der Brust- und Bauchwan­dung z. B. reicht die depletorische Wirkung nur bis zur serösen Haut der Brust- und Bauchhöhle, aber nicht bis zu den Organen in diesen Höhlen; eine Hyperämie quot;in den gefassreichen Bauch­eingeweiden dagegen ist wegen der bedeutenden Mehraufnahme von Blut von allgemeiner depletorischer Wirkung, die sich selbst auf das Gebiet der vorderen Aorta, auf den entferntesten Kör-pertheil, den Kopf, erstreckt. Bei anämischer Haut, bei kalten
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Gliedmaassen ist eine Durchwärmung ein allgemeines kräftiges depletorisches Mittel.
Eine zweite Bedingung zur heilsamen localen depletorischen Wirkung bleibt immer eine gewisse Nachhaltigkeit in der Blut­ableitung, solche kann aber nur stattfinden, wenn im Gebiete der therapeutisch erzeugten Hyperämie keine Circulationsstockung und ein reichlicher Verbrauch besteht, so dass eine fortdauernde vermehrte Blutaufnahme stattfindet. Bei Entzündungen besteht immer eine träge Circulation und zugleich selbst partielle Sta-sen; Entzündungshyperämien sind daher am wenigsten geeignet, depletorisch zu wirken, sofern nicht eine reichliche Secretion und Exsudation besteht; am wirksamsten sind dagegen die Ab­leitungen durch Secretionsorgane, die alle am gefässreichsten sind, am meisten Blut aufnehmen und verbrauchen können. Die reichlichen Absonderungen wirken alle depletorisch, die Dra-stica und Sudorifica sind jedoch die mächtigsten dieser Art.
d. Ableitung schädlicher Stoffe durch Depuration.
Seit dem ältesten medicinischen Systeme, dem am meisten zur Durchbildung gekommenen humoral-pathologischen Systeme von Hippokrates, ist diese Ableitung Gegenstand der Therapie; so lange die Materia peccans in unbeschränkter Weise anerkannt worden, stand diese Derivation als Causalkur an der Spitze aller Indicationen. Wir sind zwar aus der Zeit des rohen Hu­moralismus heraus, müssen uns aber doch immer noch einge­stehen, dass es bei Krankheiten oft fremdartige, mehr oder weniger deletär wirkende Substanzen giebt, die von Aussen ein­gedrungen und auch im Innern erzeugt sein können, in beiden Fällen Störungen verursachen und unterhalten, oft von Hause aus die Krankheitsursache sind und die wir zu entfernen bestrebt sein müssen, so weit wir keine directen Antidote entgegensetzen können. Diese Ableitung ist also eine Blutreinigung, Depura­tion. Wenn keine fortdauernde Quelle in den Organen gegeben ist, so kann das Blut von dem deletären Stoffe befreit werden. Die Natur arbeitet von selbst an den Entfernungen schädlicher Stoffe, unsere desfallsige Hülfe ist also naturgemäss. Diese depurirende Ausscheidung erfolgt theils auf natürlichen Wegen, und alles, was die Ab- und Aussonderungen fördert, kann zur Entfernung der Schädlichkeit beitragen, oder auch auf abnormen Wegen durch neu etablirte Ausscheidungswege. Hierher gehören die
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Heilverfahren nach der Heilwirkung der Mittel.
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künstlich unterhaltenen Eiterquellen; Fontanell und Haarseil standen ehedem als permanente Expectorien in hohem Ansehen, gegenwärtig aber finden sie nur noch eine beschränkte An­wendung.
Heilverfahren nach der Heilwirkung der Mittel. 1. Das direde Heilverfahren.
Die antipathische Heilwirkung ist für dieses Verfahren die Grundlage; entweder ist die physikalisch - chemische Wirkung, die Einwirkung der Mittel selbst zugleich die Heilwirkung, oder die Reaction an Ort und Stelle. Die Heilmittel müssen also auf die kranken Theile einwirken, dies geschieht am vollkommen­sten bei directen Applicationen; die Einwirkung auf die kran­ken Theile ist aber keineswegs auf die unmittelbare Application beschränkt, die einverleibten Mittel werden auch mit dem Blute nach dem nicht direct erreichbaren Orte getragen.
Früher beschränkte man das directe Heilverfahren auf die directe Ap­plication auf den leidenden Theil, und diese fürchtete man sehr, weil wan in jedem örtlichen Leiden nur den Reflex eines allgemeinen sah und kein örtliches Mittel direct anwandte in der Besorgniss, dass dadurch die Krank­heit, die sich örtlich Luft und Abzug verschaffen wolle, zurückgetrieben und in ihrem Heilstreben unterdrückt werde.
Die chirurgischen Heilmittel finden immer eine directe Ap­plication, das chirurgische Heilverfahren ist deshalb auch stets das vollkommenste directe, welches seit einigen Decennien durch unbefangene Verfolgung besonders der physikalischen Einwir­kungen so grosse Fortschritte in der Heilung gemacht und die positivsten Heilwirkungen aufzuweisen hat, gegen welche kein Skepticismus aufkommen kann.
Für die Pathologie hat dieses Heilverfahren bedeutend an Terrain gewonnen; einmal durch Erweiterung der Applications-methoden, wodurch es möglich geworden ist, die Mittel in viel grösserero Umfange direct auf die leidenden Theile zu bringen —, so können wir z. B. durch Inhalation jetzt selbst metallische Sub­stanzen in unmittelbarer Berührung mit der Schleimhaut der ganzen Luftwege bis in die feinsten Bronchien bringen, durch bypodermatische Anwendung bestimmte kranke Organe und Gewebe direct mit den arzneilichen Substanzen erreichen, durch den elektrischen Strom die Nervenbahnen und Nervencentra
Gerlach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;20
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306nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;rgt;ie KunstWilfe,
treffen —, und zweitens durch Vermehrung der Orgamnittel. Wir #9632;wissen, dass die Mittel auch nach dem innerlichen Gebrauche, nach dem Uebergange in das Blut ihre specifischen Beziehun­gen zu bestimmten Organen und Geweben geltend machen, diese specifisohen Beziehungen beruhen immer in der physikalisch­chemischen Einwirkung auf das Gewebe, d. h. auf die Gewebs-elemente, die Zellen und deren Derivate, und auf diese Einwir­kung ist die erfolgende Heilung zurückzuführen. Die Anwen­duno- der Organmittel gehört entschieden zu dem directen Heil­verfahren. Dies geht aber noch weiter; wie wir bei der anti-pathischen Heilwirkung gesehen haben, giebt es auch chemische Neutralisation der Krankheitsursachen; die antitoxische und anti­septische Heilwirkung gehört so recht eigentlich zu dem direc­ten Heilverfahren. Alle Antidote sind Specifiea, und alle speci­fischen Heilwirkungen, die wir näher kennen, sind auch auf directe, an tipathi sehe Einwirkungen zurückzuführen; wir haben deshalb ein Kecht, das sogenannte speeifische Heilverfah­ren überhaupt der directen antipathischen zu subsumiren. Die positivsten Thatsachen, welche überhaupt die Kunstheilung auf­zuweisen hat, gehören dem directen Heilverfahren an, ein Be­weis für den hohen Werth derselben.
Das „Speeifischequot; ist in der Therapie von mannigfaltiger Bedeutung: jedes wirksame Arzneimittel hat in seiner Wirkung etwas Eigenthiimliches, rücksiehtlich der Wirkungsweise ist also jedes Mitte! „speeifischquot;: alle Mit­tel, die auf bestimmtes Gewebe, bestimmte Organe wirken, sind für die betreffenden Organe Specifiea, und insofern unter diesen Arzneimitteln sich constant verschiedene Wirkungen zeigen, sind sie wieder rücksichtlich die­ser besonderen Wirkung „specilischquot;. Die eigentlichen specifischen Heil­mittel aber sind diejenigen, welche bestimmte Krankheitsprocesse und ganze Krankheiten heilen, Specifiea morborum. Gegen Krankheitsformen kann es selbstredend nur insofern Specifiea geben, als dieselben speeifischer Natur sind, d. h. eine speeifische Ursache haben und in ihrem Auftreten wesent­lich gleich sind, also fixe Formen darstellen. Nach solch specifischen Mit­teln geht unser Streben; sie sind Findlinge der Praxis, nur auf dem Wege der rationellen Empirie sind sie zu finden. Bis jetzt fehlt es noch an em­pirischem Material, ein therapeutisches System nach der specifischen Heil­methode aufzustellen.
2. Das indlrode HWImfahren.
Eine Methode, in welcher der Therapeut sich an organische Functionen wendet, um von hier aus durch organische Kräfte auf die Krankheit einzuwirken. Die Heilwirkung beruht hier
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Heilverfahren nach der Heilwirkung der Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 307
wesentlich auf den Gesetzen der Ableitung, auf Revulsion im allgemeinsten Sinne, das Verfahren ist also ein sympathisches, antagonistisches, depletorisches und depuratives. In allen Fäl­len, wo ein directes Verfahren nicht ausführbar oder ungenügend ist, da tritt dieses Verfahren ein, für sich allein oder in Ver­bindung mit dem directen; letzteres ist recht häufig der Fall und um so nothwendiger, je unsicherer das indirecte Verfahren ist, je mehr die Verhältnisse complicirt sind und einzelne Symp­tome specielle Berücksichtigung verlangen. Wie äussere Schäd­lichkeiten durch die Einrichtung des Organismus weit verbrei­tete Störungen verursachen und der Organismus selbst seine verschiedenen Apparate zur Ausgleichung von Störungen benutzt, so hat auch der Therapeut das Recht und die Pflicht, dieselben verschiedenen Apparate zur Ausgleichung zu beanspruchen.
Eine besondere Art des indirecten Heilverfahrens ist das umstimmende, metasynkritische. Die perturbatorische Behandlung — Metasynhrisis — wurde ursprünglich zur Bezeich­nung der gewaltsamen Erschütterung gebraucht, welche die Atome des Körpers durch heroische Mittel erleiden und aus der sich ein günstigeres Arrangement oder eine Auflösung fest­gewordener Verbindungen ergeben sollte. Wir bezeichnen da­mit hier eine solche indirecte Einwirkung, von der man nicht weiss, welche Processe sie einleitet und ob die Endwirkung eine heilsame sein wird. Die metasynkritischen Methoden rufen in dem Körper irgend eine Veränderung in der Voraussetzung her­vor, dass der geänderte Zustand neue günstige Bedingungen herbeiführen werde, ohne jedoch diese nur annähernd berechnen zu können.
Wie die specifische Heilmethode die vollkommenste directe, so ist das metasynkritische Verfahren die unvollkommenste in­directe Heilart, die sich der Thierarzt unter Umständen nur als Experiment erlauben darf.
20 ^
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Zweiter Theil
der
Allgemeinen Therapie.
::
i
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311
Die fuiidaiiieiitaleii Kurniethodeu
(Methodi fundamentales).
Als Endzweck der Behandlung haben wir die Vor­bauung, Heilung und Linderung kennengelernt; die Haupt­veränderungen nun, welche im lebendigen Körper hervorgerufen werden müssen und können, um den Endzweck zu erreichen, sind die nächsten Zwecke der therapeutischen Behandlung, die sich aus der wissenschaftlichen Kenntniss von dem Heil­bedürfnisse und der Heilwirkung der Mittel ergeben.
Diese nächsten Zwecke nennen wir die fundamentalen therapeutischen Zwecke; sie können durch verschiedene Mittel — Arzneimittel, chirurgische und diätetische Mittel — erreicht werden, sind daher der Cürund zur Gruppirung der Heilmittel nach ihrer Hauptwirkung und die Grundlage der verschiedenen therapeutischen Methoden, die wir fundamen­tale Kurmethoden nennen.
Jede einzelne fundamentale Kurmethode findet bei verschie­denen Krankheiten ihre Anwendung, und wiederum können bei derselben Krankheit verschiedene Methoden recht zweckmässig in Gebrauch gezogen werden; dieselbe Methode bringt verschie­dene Mittel in Anwendung und dasselbe Mittel kann sein Unter­kommen wieder bei verschiedenen Methoden finden, weil sie verschiedene, wenn auch zum Theil nur Neben- und Nachwir­kungen haben, die verschiedenen Kurzwecken dienen. Hier­durch ist denn auch die Möglichkeit gegeben, in concreten Krank-
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Die fundamentalen Kurmethoden.
heitsfällen verschiedene Methoden in den verschiedensten Ver­hältnissen mit einander zu verbinden, so dass die eine Heil­methode eine untergeordnete, die andere eine Hauptwirkung hat, die eine als Stütze der andern oder zur Milderung einer nicht gewünschten Nebenwirkung dient und nur wieder gut zu machen hat, was die andere neben ihrer eigentlichen Heilwirkung Ab­normes geschaffen hat, dass die eine heilend, die andere vor­bauend wirkt. Unmerklich kann man die eine Methode aus der andern hervortreten lassen — die urintreibende Methode kann man z. B. aus der entziehenden, antiphlogistischen Methode durch salinische, harntreibende Mittel hervortreten lassen. Ein­zelne Methoden schliessen sich aus, z. B. Entziehung und Re­stauration, die diuretische und diaphoretische Methode etc., solche Methoden können natürlich nicht zugleich in Anwendung kommen.
Hieraus ergiebt sich, dass die einzelnen Methoden nicht in sich abgeschlossen, dass sie vielmehr dehnbar sind und theil-vveise ineinandergreifen. Man kann die Kurzwecke specieller hinstellen und danach eine grössere Anzahl Kurmethoden ab­handeln, man kann aber auch die Kurzwecke umfassender neh­men und so die Methoden vermindern. Die Anzahl der Kur­methoden kann also, unbeschadet der Sache, eine variable sein; die Hauptsache bleibt nur, dass allen Heilbedürfnissen ent­sprochen wird, ob in 20 oder 30 einzelnen Kurmethoden, dar­auf kommt nicht so viel an. Die allgemeinen Doctrinen ver­langen möglichste Generalisirung, deshalb habe ich den ver­schiedenen Heilbedürfnissen in verhältnissmässig wenigen Me­thoden zu entsprechen gesucht. Alles, was ein specielles Kapitel in der Chirurgie ausmacht, habe ich nicht als besondere Kur­methode abgehandelt.
Bei Betrachtung dieser fundamentalen Kurmethoden, wobei es eben nicht auf Krankheitsnamen, sondern auf krankhafte Vorgänge und Zustände ankommt, ist die Keihenfolge der abzu­handelnden Methoden ziemlich gleichgültig, wo wir auch hinein­greifen, mit welcher wir auch beginnen und enden mögen, immer ist die Betrachtung der einzelnen Methoden eine künstliche Tren­nung der gesammten Wirkungsweise aller Heilmittel dem orga­nischen Ganzen gegenüber. Die Methoden einzeln geben uns stückweise Einsicht, alle zusammengenommen eine volle üebersieht und so die Grundlage zum bewusstvollen therapeutischen Handeln. Die Fundamentalmethoden verleihen
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Die restaurirende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;313
der allgemeinen Therapie concreten Inhalt und praktisches In­teresse.
Die stoflersetzendc restaurirendlaquo; Methode
{Methodus nutrims s. restaurans).
Der thicrische Organismus verbraucht in seinem Innern fortwährend Substanzen, kein Lebensact im thierischen Körper ohne Stoffverhrauch und ohne Thätigkeit kein Leben; zur Zeit einer grösseren Thätigkeit in den einzelnen Organen auch grösserer Stoffverbrauch in denselben: bei den Arbeitsthieren der grösste Stoffverbrauch. Im Allgemeinen werden die Stoffe in zwei Hauptrichtungen verwendet: 1) zur Erzeugung der Eigen­wärme; die in dieser Richtung venvertheten Substanzen sind gewissermaas-sen die Brennmaterialien, und 2) zu plastischen Processen, mm Aufbau des Körpers, zum Ersatz im Stoffwechsel und zum Wiederersatz fiir besondere, nach Aussen abgegebene Producte. Die Bestandtheile sind bei unseren verschiedenen Hausthieren, wie bei allen höher entwickelten Warmblütern, im Wesentlichen gleich. Die elementaren Bestandtheile sind: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Chlor, Fluor, Natrium, Kalium, Cal­cium, Magnesium, Eisen, Mangan, Phosphor und Schwefel. Die. hieraus zusammengesetzten chemischen Verbindungen, die Substanzen des thierischen Körpers, sind folgende:
A. Organische Terblndungen.
1.nbsp; S ti cks t o f f h a 11ige. Die Eiweisskörper — plastische Substanzen in verschiedenen Modificationen —, quaternäre Verbindungen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, bestehend. Sie bilden die vorherrschen­den organischen Verbindungen. Die wichtigsten sind: Eiweiss — im Ei, Blut­serum, Milchsaft etc. —-, Faserstoff — Blutfibrin und Muskelfaserstoff (Syn-tonin) —, Käsestotf, Globulin und Hämatokrystallin. Aus dieser Gruppe bildet der thierische Körper Derivate, the meist reicher an Sauerstoff und ärmer an Kohlenstoff sind, als: Hornsubstanz, Chitin in verschiedenen Modi­ficationen, leimgebende Substanz — Bindegewebe —, Chondrin — Knor­pel—, elastische Substanz, Schleimstoff— Mucin—, Pepsin, Peptone, Creatin und Creatinin, Leuein, Glycin, Tyrosin, Xanthin, Allantoin, Guanin und Harnfarbstoff. Ferner stickstoffhaltige Säuren: Harnsäure, Inosinsäure, Hippursäure.
2.nbsp; Stickstofflose, ternärc organische Verbindungen aus Koh­lenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, die in zwei Gruppen vorkommen, die Kohlenhydrate als: Zucker — Milch- und Traubenzucker —, organische Säuren — Milch-, Essig-, Butter-, Oxalsijure u. a. m. —, und die Fette in den verschiedensten Modificationen nach ihren Säuren.
B. Anorganische Bestandtheile, binäre Verbindungen.
1. Kalksalze — phosphorsaurer Kalk vorwaltend, ausserdem koh­lensaurer Kalk, schwefelsaurer Kalk und Spuren von Fluorcalcium.
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Die restaurirendo Methode.
2.nbsp; Salze der Alkalien — vorherrschend Kochsalz, ausaerdem Chlor­kalium, phosphorsaure und schwefelsaure Alkalien.
3.nbsp; nbsp;Magnesiasalze — phosphorsaure Ammoniak-Magnesia, phosphor­saure und kohlensaure Magnesia. Endlich
4.nbsp; nbsp;Ammoniakverbindungen, namentlich kohlensaures Ammoniak. Nach Rautenherg's Berechnungen sind in 100 Pfund Lebendgewicht des
thierischen Körpers im Durchschnitt enthalten beim
Kalbnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Ochsnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schafnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schwein
Mineralstoffe.. 3,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,7
Phosphorsäure 1,37(gt;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,856nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,229nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,680
Kalk......... 1,625nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2,083nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,318nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,704
Magnesia..... 0,047nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,062nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,043nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,031
Kali.......... 0,243nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,172nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,146nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,133
Natron....... 0,056nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,140nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,144nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,016
Kieselsäure... 0,006nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,013nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,019nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
Die Pflanzen sind die Laboratorien, in denen aus Kohlensäure, Wasser, Ammoniak und einigen anorganischen Stoffen der thierische Leib chemisch gebildet wird; aus Kohlensäure und Wasser werden die ternären und unter Zuziehung von Ammoniak die quatcrnären Verbindungen gebildet. Die Thiere beziehen ihre Nahrung aber nur theilweise direct aus dem Pflanzen­reiche — die Pflanzenfresser —, ein anderer Theil bezieht sie indirect aus dem Pflanzenreiche — die Fleischfresser, Thierfresser. Die quaternären, wie die ternären Verbindungen sind im Thierkörper wesentlich nicht ver­schieden von denen im Pflanzenreiche, deshalb ist zwischen vegetabilischer und thierischer Nahrung auch kein wesentlicher Unterschied. Man kann sagen, dass die Fleischnahrung die Nährstoffe der Pflanzen aufgespeichert und nur coneentrirter enthalte.
Diese Methode ist eine therapeutische Ernährung; der Er­satz des mangelnden Materials ist Heilzweck; ist der materielle Mangel durch Ausfall in der Zufuhr bedingt, so liegt in dieser Methode die Radicalkur; ist derselbe aber durch Störungen im Organismus herbeigeführt, so liegt die Heilbedingung nur zum Theil in der Restauration.
Indicationen.
Je nachdem der materielle Mangel in allen näheren Be-standtheilen oder besonders vorherrschend nur in einzelneu ausgesprochen und je nach der verschiedenen Art und Weise, wie er herbeigeführt ist und fortdauernd unterhalten wird, je nach diesen Verschiedenheiten ergeben sich speciellere Indica­tionen für die Eestauration.
1. Allgemeiner Stoffmangel in verschiedenen Graden, Blutannuth und Atrophie in allen festen
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Lidicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 315
Theilen. Blässe, verminderte Temperatur, Abmagerung, Ab­zehrung, d. h. pathologische Abmagerung, nutritive Atonie und wahre Schwäche bilden den Kern der Erscheinungen des all­gemeinen Stoffmangels, in solchem Grade, dass er eine mehr oder weniger dringende Indication für diese Methode abgiebt. Dieser Mangel kann sich schon bei gesunden Thieren geltend machen und für Gesundheit, selbst für das Leben bedrohlich werden, die Restauration ist dann eine Vorbauungskur, oder er kann bereits zu Störungen, zur Erkrankung geführt haben, und der Stoffersatz ist in diesem Falle ein Radicalheilmittel; er bil­det sich in und neben Krankheiten, namentlich gern in chroni­schen Krankheiten aus und begründet oft gerade die Haupt­grundlage der gegebenen Gefahr; unsere Methode ist dann eine symptomatische Kur, die bald von geringer, bald von sehr gros­ser Bedeutung für den günstigen Verlauf der KranKheit ist — die Pocken unter einer matten Schafheerde z. B. werden ohne kräftige Restauration sich stets unregelmässig entwickeln, einen schleichenden Verlauf annehmen, oft Faulfieber und den Tod fnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;herbeiführen, während bei andern Krankheiten die etwas -ver-
nachlässigte Restauration sich nicht gerade so hart bestraft —; in noch andern Fällen endlich tritt der Mangel erst nach der Krankheit bei den Reconvalescenten hervor, und zwar nach jeder schweren Krankheit, deshalb ist der Stoffersatz gerade ein wesent­licher Theil der Nachkur.
In der zarten Jugend, wo der Verbrauch grosser ist und rascher erfolgt, wo es sich nicht bloss um Ersatz, sondern um Vermehrung der Körpennasse handelt, und in hohem Alter, wo die Aneignungskraft geschwächt ist und der Wiederersatz lang­samer erfolgt, in beiden extremen Altersverhältuissen tritt die Indication für die stoffersetzende Methode schon früher und immer dringender hervor, als im robusten Lebensalter.
2. Vorherrschender Stoffmangel an einzelnen Bestand theilen.
Der Mangel an einzelnen Bestandtheilen hat uothwendig ein Missver-hältniss in den quantitativen Proportionftn der normalen Bestandtheile zur Folge. Das Blut, in welchem alle Bestandtheile des Körpers vertreten sind und welches mau insofern wohl den flüssigen Leib nennen kann, erlei­det zunächst den Defect; deshalb giebt diese mangelhafte Ernährung ein Missverhältniss, eine Abnormität, einen gewissen Defect im Blute, der als eine abnorme Krase, eine gewisse defective Dyskrasie darstellt.
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Die restaurirende Methode.
Die Defeete verbleiben natürlich nicht im Blute, sondern treten auch im Gewebe, namentlich in dem auf, dessen Bestandtheile am meisten dabei betheiligt sind, und eben dadurch treten erst die Störungen hervor. Die Defecte sind also nicht bloss im Blute, sie sind streng genommen nicht bloss defective Dyskrasien, sondern constitutionell. Das Blut bleibt aber immer Ausgangspunkt, und sobald sich das Blut dauernd restituirt hat, dann restituiren sich auch sehr bald die Organe und Systeme, soweit sie nicht anderweitig erkrankt sind: deshalb ist das Blut bei der Ausgleichung durch Restauration auch wieder der Vermittler. In diesem Sinne ist die Bezeichnung „defective Dyskrasiequot; gerechtfertigt.
Nach den Bestandtheilen der Futterstoffe unserer grösseren landwirthschaftlichen Hausthiere und in voller Uebereinstimmung mit den Erfahrungen kommen krankmachende Defecte haupt­sächlich an den Proteinverbindungen und phosphorsaurem Kalk vor, demnächst an Fett und Kochsalz; an den Kohlenstoffhydra-ten und den übrigen Salzen sind noch keine so erhebliche ein­seitige Defecte nachgewiesen. Die Indicationen sind hier noch durch die Schwierigkeit der Diagnose sehr beschränkt.
a) Occulte Defecte. Geringere Grade aller dieser Defecte sind nicht direct wahrnehmbar, sie stellen occulte dyskrasische Constitutionen dar, die nur als pathologische Prädispositionen existiren, bei unseren Hausthieren gerade eine sehr wich­tige Rolle spielen und nur indirect zu erkennen sind: 1) wenn unerhebliche Dinge chronisch verlaufende Krankheiten zur Folge haben, welche erfahrungsmässig dadurch nicht entstehen; 2) wenn sie in einzelnen Individuen schon in einem gewissen Siechthum bestimmter hervorgetreten, oder wenn selbst schon entsprechende Krankheiten vorgekommen sind, und 3) besonders aus den ätio­logischen Verhältnissen, den Nahrungsmitteln.
h) Hervorgetretene Störungen, Erkrankungen. Die hierher gehörigen Krankheiten sind nur zum Theil in bestimmt erkenn­baren Formen bekannt, im Ganzen ist die Diagnose hier noch schwierig, so dass man in vielen Fällen mehr auf die gegebe­nen diätetischen Verhältnisse, als auf die Krankheitssymptome hingewiesen ist.
Verarmung an Knochenbestandtheilen, besonders an Knochenerde. Die bekannten Krankheiten sind: Knochen-brüchigkeit der Rinder und Ziegen, Knochenerweichung in der Rhachitis (in ausgeprägter Form bei jungen Schweinen und Hunden, in unvollständigen Graden und auf einzelne Gelenke be­schränkt bei Lämmern, Kälbern und Füllen, unter der Form der
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;317
Gelenkläbme) und Osteoporose der Pferde. In allen diesen Krankheiten liegt eine Verarmung des Knochengewebes, beson­ders an phosphorsaurem Kalk zu Grunde, eine Verarmung, die im Entwickelungsalter, namentlich im ersten Lebensjahre am häufigsten vorkommt, weil hier die Knochenbildung mehr Kno­chenmaterial verbraucht, als später — das Gesammtwachsthum eines Füllen z. B. vertheilt sich so, dass auf das Iste Jahr 50—60, auf das 2te Jahr 25 — 30 und auf die nächstfolgenden Jahre zusam­men nur 15 — 20 Proc. kommen —, und sich immer zunächst und vorherrschend in den lockeren blutreichen Knochen, namentlich in den Epiphysen zu erkennen giebt. Ob und inwieweit hierbei auch Mangel an Albuminaten besteht, ist noch nicht festgestellt.
Die Osteoporose ist bei Pferden noch wenig in der Literatur bekannt. Hauhner — Magazin Bd. 20. S. 206 — und Warnell — The Yetenarian etc. Vol. 33. 1860, Auszug im Repertorium von Hering, Bd. 22. S. 151 — haben einige Fälle mitgetheilt. Ich sah sie bei einem original arabischen Voll­bluthengste (Satrap) in der Senne. Nach weiterer Orientirung ist die Krank­heit unter edlen Pferden in manchen Marschen der Nordseeküsten nicht so ganz selten. Auftreibung der Kopfknochen, vor allem aber der Unter­kieferäste, und Gelenkschmerzen, in Folge dessen gebundener Gang und zeitweise Lahmheiten sind constante und charakteristische Erscheinungen. Der von mir beobachtete arabische Hengst war seit einem Jahre um mehr als 1/2 Zo11 kleiner (niedriger) geworden; er war noch muthig, nahm oft noch Ansatz zum Springen, führte aber keinen Sprung aus, trabte in ganz kurzen Schritten und zeigte dabei grosse Schmerzen, fing bald an zu schwitzen und blieb dann stehen. Sonst gesund und gut genährt und von glänzendem Haar. Harn reagirte stark sauer.
Die Knochenbrüchigkeit der Binder ist uns am vollständigsten von allen hierher gehörigen Verarmungen bekannt.
1.nbsp; nbsp;Analyse von Keuscher (Magazin Bd. 9. S. 258):
Knochenbrüchigkeitnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Normal
erdige thierischenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;ereiige tiiierische
Substanz Substanznbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Substanz Substanz
Schenkelbeine............. 32,50 67,50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 60,02 39,98
Rippen................... 30,00 70,00nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 57,49 42,51
Wirbel-und Beckenknochen 26,13 73,87nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 57,42 42,58
2.nbsp; nbsp;Analyse eines Beckenknochens von Dr. Hellriegel (Laudwirthschaft-liche Annalcn, No. 16. 1860):
Krankernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Gesunder
Knochennbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Knochen
1.nbsp; Flüssiges Fett...........,...nbsp; nbsp; 49,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 8,2
2.nbsp; Leimsubstauz................nbsp; nbsp; 26,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33,5 .
3.nbsp; Phosphosaurer Kalk.........nbsp; nbsp; 20,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;48,6
4.nbsp; Kohlensaurer Kalk..........nbsp; nbsp; nbsp;3,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,9
5.nbsp; Andere Mineralsubstanzen....nbsp; nbsp; nbsp; 0,1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1gt;8
100nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 100.
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218nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die restaurirende Methode.
Das sehr lockere Knochengewebe des kranken Knochens (die Mark-zcllcn) war mit Fett gefüllt, so dass es aus kleinen Stückchen hervortrat. Die Rinde war noch ziemlich fest.
3. Nach Professor Dr. Hoffmann (Centralblatt der gesammten Landes-cultur, 1867. No. 10 u. 11) besteht ein Mangel an leimgebenden Substanzen und Ueberschuss an Fett.
Die Knochenerweichungen mit quot;Wucherungen des osteogenen Gewebes
—nbsp; die weichen üsteome bei Ziegen und Schweinen — bei letzteren unter dem Namen Schnuifelkrankheit bekannt — sind immer mit einem Defecte an phosphorsaurem Kalk verbunden, den ich bei Ziegen in Fällen der aus-gebilrtcteren weichen Knochenauftreibung der Kiefer, an den Wirbelkno-chen und Beckenknochen in Form von Osteoporose ohne Wucherung des osteogenen Gewebes gefunden habe. Bei beiden Krankheiten scheint der Defect an Knochenerde nicht Ursache, sondern Folge zu sein: weshalb die Behandlung durch Wiederersatz hierbei höchstens von palliativer Wirkung sein kann.
Ausser einem Defecte an Knocliencrde ist die therapeu-tisclte Verabreichung derselben noch angezeigt bei Knochen­brüchen, um durch frühzeitige Kalkablagerungen in der Kno­chenneubildung frühzeitig Abschluss herbeizuführen, zu starke Callusbildungen zu vermeiden.
Verarmungen an Albuminverbindungen, Faserstoff und Eiweiss bei der Bleichsucht ohne Abzehrung, bei Hydrämie,
—nbsp; nbsp;sehr ausgeprägt nach dem Rothharnen der Rinder in den schweren Erkrankungsfällen — und bei scorbutischen Leiden; bei bleichsüchtigen Zuständen ist zugleich ein Defect an eisen­haltigen Albuminaten, an Hämatin und Hämatoglobulin. Die Nage­sucht und das Wollfressen sind häufige Erscheinungen bei Wieder­käuern, die sporadisch gewöhnlich auf Magenleiden schliessen las­sen, als Heerdeleiden aber der Ausdruck einer Verarmung entweder an ßlutsalzen, besonders an Kochsalz — der eigentliche Salz­hunger —, oder an Knochenerde — bei der Knochenbrüchig-keit —, oder an Albuminaten sind; letztere Verarmung ist häufiger, als man bisher wohl geglaubt hat, und gewöhnlich mit mehr oder weniger Bleichsüchtigkeit verbunden.
Verarmung an Fett; bei allgemeinen Abzehrungen eine Theilerscheinung; zuweilen scheint aber diese Verarmung bei sehr jungen Thieren die Grundlage der ganzen Atrophie zu sein, die sogenannte Darrsucht, eine juvenile Atrophie ohne nachweisbare Sonderursachen (Scropheln). Die trockene Atro­phie bei den Kümmerlingen, die Hart- und Dickhäutigkeit mit trockenen Hautschuppen bei alten Wiederkäuern.
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Imücationcn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 319
Die Heül-Indicationen für diese Methode und für die spe-ciellen Mittel derselben finden wir selten in den Individuen allein, wir müssen deshalb in allen concreten Fällen, so weit niclit schon durch frühere Erkrankungen die Diagnose und Heil­bedürfnisse festgestellt worden sind, auf die äusseren ursäch­lichen Verhältnisse zurückgehen und namentlich in Betracht ziehen :
1)nbsp; nbsp; das Futter, ob und in wie weit es der Thiergattung überhaupt und namentlich unter den obwaltenden ökonomischen Benutzungen entspricht, ob es für die Thiergattung verdaulich und nahrhaft genug ist, ob die stickstoffhaltigen Nährstoffe na­mentlich hinlänglich vertreten sind und sich zu den stickstoff­losen mindestens annähernd wohl wie 1 : 5 verhalten;
2)nbsp; nbsp;die localen Bodenverhältnisse und landwirthschaftlichen Culturzustände, die dadurch etwa bedingten stehenden Calami-täten bei der Viehzucht;
3)nbsp; nbsp;die Witterungsconstitution während der Vegetationszeit, ob Dürre oder Nässe den Sommer ausgezeichnet haben, und wie danach die Ernten ausgefallen sind.
Der thierische Leib steht immer in Beziehung zu dem Boden, in wel­chem seine Nahrungsmittel wurzeln, die nach dem Boden qualitativ ver­schieden sind. Jeder Boden hat seine bestimmten Pflanzen, aber auch die­selben Pflanzen haben auf verschiedenem Boden ihre Bestandtheile in ver­schiedenen Verhältnissen und selbst einzelne verschiedene Bestandtheile; die Vegetation auf kalkarmem Boden z. B. ist kalkarm; Keuscher fand in denselben Gräsern aus verschiedenen Gegenden an mineralischen Bestand-theilen einen Unterschied von 25—30Proc. Auf feuchtem Moorboden fehlt es den Pflanzen in der Regel an Proteinstoffen, Phospborsäure und Kalk; Knochenbriichigkeiten und bleichsüchtige Zustände sind hier häufige und oft stationäre Krankheiten. Sehr trockene Jahre bringen ganz besonders Knochen-brüchigkeit, nicht bloss in den Bruchgegenden, sondern gerade auf lockerem, warmen kalkhaltigen Boden; nasse Jahre bringen mehlarme Cerealien und grosse Strohmassen, im Ganzen also weniger nahrhafte Pflanzenkost; Ab­magerung, bleichsüchtige und hydropische Zustände treten dabei mehr oder weniger hervor. Die qualitativen Verhältnisse der Nahrung unserer Pflan­zenfresser gestaltet sich überhaupt nach Boden und Witterung sehr man­nigfaltig und man kann sagen, dass manche dyskrasisch - constitutionelle Zustände aus der Erde hervorwachsen, die wir in den Leibern der Wieder­käuer namentlich zu bekämpfen haben. In den Marschgegenden gedeiht die Pferdezucht nie so gut, als auf Höhenland, auf zerfallenen Gebirgsmassen, auf lehm-, thon- und kalkhaltigem Boden. Unsere edlön hannoverschen Füllen entwickeln sich ansserhalb der Marschen, namentlich auf schwerem Boden, z. B. im Mecklenburgischen viel vollkommener, als in der Heimath. In den
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Die rcst;iunrendc Methode.
i
Marschen giebt es immer lockeren Knochenbau, oft Ehachitis, viel Schale und Spat. Osteoporose in geringeren Graden ist häufiger, als man glaubt.
Pferde, die mit rohen Kartoffeln und saurem Heu gefuttert wur­den, waren alle bleiehsüchtig und schwach, ohne Ausdauer; häufig zeigten sie Oedeme, mehrfache, meist tödtliche Erkrankungen unter pochenden Herz­schlägen, frequentem elenden Pulse und leichten Kolikanfällen; bei den Leichenöffnungen fanden sich: bellrothes und dünnes, hier und da extra-vasirtes Blut, in allen Organen Blutmangel, Baucheingeweide wie gebleicht, starke seröse Durchfeuchtung der Muskulatur.
Unter ähnlichen Erscheinungen sah ich eine Schafheerde grösstentheils ohne Parasiten zu Grunde gehen, die sich auf einer schlechten, feuchten Waldweide ernähren musste. Eine kleine Schafheerde, die mit sehr schlech­tem Heu (ursprünglich für den Kuhstall bestimmt) ohne jegliches ande­res Futter ernährt wurde, zeigte sich bald bleich- und lecksüchtig; die halb verhungert geborenen Lämmer wurden schon nach mehreren Tagen #9632;\Vollfresser und starben kachektisch; die versuchsweise mit Kuhmilch ge­tränkten Lämmer gediehen und hörten auf. Wolle zu fressen. In Gegen­den, wo der Boden salzarm ist, sind es auch die Futterstoffe; die Wieder­käuer sind hier immer salzhungerig und des Salzes bedürftig.
Die Knochenbrüchigkeit der Kinder und Ziegen ist stationär auf deu meisten Brachboden; es giebt Gegenden, wo die Rinder nicht länger exi-stiren können, als 2—3 Jahre, innerhalb dieser Zeit bildet sich schon eine bemerkbar werdende Verarmung in dem Knochengewebe, an der sie später sicher untergehen, und von welcher sie sich eben so sicher in andern Ge­genden bei besserer Nahrung bald erholen. Dürre Jahre bedingen dieselbe Knochenbrüchigkeit auch in besseren Gegenden, z. B. 1842 und 18135 an den meisten Orten der fruchtbaren Provinz Sachsen. Gfruven untersuchte im Frühjahre ISGö das Futter in vier Wirthschafton der unteren Saal-Ge­gend, wo die Knochenbrüchigkeit herrschte, und fand nur in einer Wirth-schaft den normalen Gehalt an Phosphorsäure, in den drei andern aber nur die Hälfte desselben. Auf der landwirthschaftlichen Lehranstalt zu Worms wurden bei dem Herrschen der Knochenbrüchigkeit mittelmässig genährte Kühe vom 17. Januar 18G6 ab ausschliesslich mit Kartoffel- und llübenfutter ernährt. Die Thiere behielten ein ziemlich gutes Aussehen, aber schon Mitte Februar konnten sie sich kaum noch erheben und vom 21. Februar an standen sie nicht mehr auf. Darauf wurden zwei Kühe mit Heu reichlich und daneben mit Kleie, Schrot und Oelkuchen gefüttert, die dritte Kuh behielt ihr Wurzelfutter und bekam einen Zusatz von 2 Loth gut präparirten Futtermehls. Die beiden ersten Kühe standen am 11. März zum ersten Male wieder auf und zeigten sich vollkommen gesund; die dritte kam erst am 20. März wieder zum Stehen und war bedeutend magerer, als die ersten beiden. — Agronomische Zeitung, 1866. No. 21.
Im Allgemeinen kann die Urquelle des Stoffmangels drei­fach sein:
1) Die gewöhnlicliste Quelle ist eben in den unvollständi­gen Nahrungsmitteln gegeben; quantitativ und qualitativ man-
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Indicationen.
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gelhaftcs Futter, bedingt durch Armuth des Bodens, durch Miss-waehs und durch Armuth oder Geizen der Besitzer — Cachexia jxiuperum. Unter diesen ursächlichen Verhältnissen ist natür­lich auch die Heilung sehr schwer, die ja eben wesentlich in der Verabreichung von besserem Futter in entsprechender Qua­lität besteht. Wo ökonomischerseits die Bedingungen zur bes­seren Ernährung nicht gegeben sind, da kann nicht geholfen werden.
2)nbsp; nbsp;Der Organismus hat nicht das Vermögen, so viel auf­zunehmen und sich anzueignen, als der stete Stoffwechsel er­heischt, er magert ab aus eigener UnVollkommenheit. Krankheiten in Organen der Aufnahme, der Verdauung und Assimilation, ja selbst gewisse Nervenkrankheiten, die auf eine noch nicht erklärbare Weise partielle, auf einzelne Nervenpro­vinzen beschränkte oder auch allgemeine Atrophie bedingen, sind hier die Grundursache und bilden demgemäss auch den üauptangriffspunkt der restaurirenden Methode. Zur Restaura­tion sind die Indicationen zweifach, einmal die der Ernährung länderlichen Krankheitszustände zu beseitigen und so die Wege anzubahnen, auf denen allein der materielle Ersatz möglich ist — indirecte Restauration — und zweitens solche Mittel zur Ernährung anzuwenden, welche unter den gegebenen Umständen noch am besten aufgenommen, verdauet und so noch zum Ersatz verwendet werden können.
Psychische Krankheiten, Gcmüthszustände sind bei unsern Thieren ge­wöhnlich nicht so gross und anhaltend, dass sich ihre Folgen in der vege­tativen Sphäre bemerkbar machen.
3)nbsp; nbsp;Der Verbrauch ist abnorm gesteigert, oder es ist direct ein Verlust herbeigeführt; der Ersatz kann dem abnormen Ver­luste nicht folgen. Hervorzuheben ist hier namentlich:
Grosser Kraftaufwand; mit jeder Kraftäusserung ist materieller Verlust verbunden; anhaltende Muskelarbeit consu-mirt viel; die reichlichere KohlenstofFausscheidung durch Lunge und Haut beweisen, dass die Consumtion sich bis auf das Dop­pelte steigern kann. Deshalb kann auch hei übermässigen An­strengungen, bei grossen und anhaltenden Strapazen der Ersatz dem Verluste nicht folgen, und darin liegt eben die Erschöpfung. Bei lebhaftem Temperamente bedarf es mehr Mittel und Zeit zur Restauration, als bei phlegmatischem.
Gerlnch Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;21
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Die restaurirende Methode.
Directe Entleerungen, als: Blutungen, Speichelfluss, häufige Samen-Ejaculationen, grosse Milchergiebigkeit, Eiterun­gen, Ausleerungen von Eiweiss, Blut und Blutfarbestoff durch die Nieren — Albuminurie, Häraaturie, wirkliche und schein­bare —, Auflösung und Ausführung der Knochensalze durch Säuren, Durchfalle etc.
Schmarotzer. Parasiten steigern die Consumtion, wenn sie in grösseren Massen angehäuft sind; die Wurmkachexie giebt hiervon ein Musterbild, wobei zwar anderweitig störende Einwirkungen durch die Würmer mit in Anschlag zu bringen sind, die Stoffentziehung aber doch immer ein sehr wichtiges Moment bleibt. Oft bleibt die Verarmung bei den Parasiten, z. B. bei Strongylus contortus im vierten Magen, unerklärlich.
Dass die Beseitigung des noch fortbestehenden Verbrauchs die erste und die Radical-Indication ist, ohne die an eine wirk­liche, nachhaltige Restauration nicht gedacht werden kann, ver­steht sich von selbst und in vielen Fällen kann dies schon allein genügen zur Erholung der Patienten unter den gegebenen diä­tetischen Verhältnissen; oft aber gestalten sich die Verhältnisse ganz anders, wo die Zuführung der verlorenen Sub­stanzen eben so dringend und selbst noch dringen­der wird.
Mittel und Wege zur Restauration.
Wie wir in Vorstehendem eben gesehen haben, können die materiellen Defecte auf verschiedene Weise entstehen und be­stehen, wodurch denn auch folgerecht die restaurirende Methode in eine directe und indirecte zerfällt.
Directe Restauration.
Sie umfasst die Einverleibung aller Substanzen, die zum Stoffersatz geeignet sind — Nährmittel, Alimenta im weiteren Sinne. Diese Einverleibung geschieht hauptsächlich durch Maul und Magen, ausserdem durch den Mastdarm — ernährende Kly-stiere — und durch directe Ueberführung in die Adern = In­fusion, Transfusion. Die Haut kommt bei Thieren als Einver­leibungsorgan für Nährstoffe nicht in Betracht — Milch- und Bouillon-Bäder dürften wohl kaum vorkommen.
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Direete Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;323
Bei allgemeinem Stoffrnangel handelt es sich um Ersatz in der Quantität — kurzweg die quantitative Restauration genannt —, bei den Missverhältnissen in den Proportionen der Bestandtheile, um Ersatz einzelner Bestandtheile —, die qua­litative Restauration.
a. Quantitative Restauration,
Die Nahrungsmittel unserer Hausthiere sind hier allein die restauriren-den Mittel; die wichtigsten Werke hierüher sind: 1) Körher, Ernährung, Wartung und Pflege der Hausthiere, 1858. 2) Derselbe. Die rationellen Fiitterungsversuche bei unseren Hausthieren, 1863. 3) Wolff, Landwirth-sehaftliche Fütterungslehre, 180!. 4) Grouven. Kritische Darstellung der Fiitterungsversuche, 1863. 5) Hanbner, Die Gesundheitspflege der land-wirthschaftlichen Haussäugethiere, 2. Aufl. 1865.
Als Restaurationsmittel kommen bei der Nahrung drei Dinge in Betracht, einmal die Verdaulichkeit, zweitens die Nähr-kräftigkeit und drittens die naturgemässe Beschaffen­heit.
Die Verdaulichkeit steht obenan; das Unverdaaliche kommt dem Körper nicht zu Gute. Bei der therapeutischen Ernährung ist hierauf ganz besonders zu sehen; es müssen stets die möglichst leicht verdaulichen Substanzen gewählt und in einer nicht belästigenden Quantität verabreicht werden; denn wo die quantitative Restauration angezeigt ist, da herrscht auch allgemeine Körperschwäche vor, und bei dieser giebt es keine kräftigen Verdauungsorgane, welche zuweilen selbst die vorherr­schend geschwächten Theile sind. Statt zu restauriren, werden die schwer verdaulichen Nahrungsmitte), so nährkräftig sie immer sein mögen, unter diesen Umständen die Verdauungsorgane über­lasten und so noch neue Krankheitszustände schaffen.
Die Nährkräftigkeit der Futterstoffe. Sie ist ab­hängig von den ernährenden Principien, den sogenannten Nähr­stoffen, zu denen dieselben organischen und anorganischen Ver­bindungen gehören, die wir als Bestandtheile des thierischen Organismus schon kennen gelernt haben. Das Hauptgewicht fällt hier auf die organischen Verbindungen, die der thierische Organismus weder entbehren, noch sich bilden kann.
1. Die Eiweisskörper, Froteinverbindungen nach Mulder. Die höchsten organischen, d. h. quaternäre Verbindungen, die sich durch den Stickstoff auszeichnen, den vorherrschenden Be-standtheil des thierischen Körpers ausmachen, und von deren
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Die restaurircnde Methode.
Gehalte die Nährfähigkeit, der Nährwerth der Futterstoffe vor­zugsweise abhängt. Eiweiss, Käse- und Faserstoff (Kleber in den Cerealien), sind die hierher gehörigen organischen Verbin­dungen, die sowohl aus dem Thier- und Pflanzenreiche, wie auch unter sich in der chemischen Constitution nicht wesent­lich verschieden sind, sich daher gegenseitig vertreten können, so recht eigentlich zur Bildung, zu plastischen Processen ver­wendet werden und deshalb auch von Liehig sehr bezeichnend als „plastische Nährstoffequot; bezeichnet worden sind. Für unsere Kurmethode stehen diese organischen Verbindungen an der Spitze.
2. Die Fette. Ternäre Verbindungen mit vorherrschen­dem Kohlenstoff und sehr wenig Sauerstoff. Die Basis ist bei allen thierischen und pflanzlichen Fetten dieselbe, die Verschie­denheiten werden durch die verschiedenen Fettsäuren bedingt. Physiologisch können sie sich alle vertreten, deshalb kommt es nicht auf die Qualität, sondern nur auf die Quantität des Fettes in den Nahrungsmitteln an. Die physiologische Verwendung ist eine doppelte, einmal sind sie Erwärmungsmittel, und zwar durch ihren grossen Gehalt an Kohlenstoff recht vortreffliche Brennmateralien, welche die Kohlenhydrate vollständig ersetzen können, anderntheils aber dienen sie auch als plastische Sub­stanzen, weil sie einen unentbehrlichen Bestandtheil des Kör­pers bilden. Jede Thierspecies hat ihre bestimmten Fette, die sie sich sehr leicht aus den in der Nahrung dargebotenen Fet­ten bilden kann. Diese bilden zum Theil, bei fetten Thieren zum grössten Theil, einen überflüssigen Beätandtheil, der nur als Vorrath dient für besondere Zeiten, wo es an genügender Nahrung fehlt, zum Theil aber auch einen ganz unentbehrlichen Bestandtheil des Organismus. Die Blasteme, aus denen die Neu­bildungen erfolgen, haben neben den Protei'nkörpern immer einen gewissen Antheil Fett, der also auch zur Neubildung erforderlich ist; ausserdera ist kein Gehirn, kein Nerv, keine Muskelfaser, kurz kein Körpertheil ohne Fett, selbst wenn die Thiere an Entfettung gestorben sind. Die Wichtigkeit des Fet­tes für den Organismus steht also fest; es fragt sich nur, ob der Organismus sich die nöthigen Fette aus Protein und Koh­lenhydraten bilden kann.
Die von Liebig selbst angestellten und angeregten Versuche sprechen für die Fähigkeit d;s Organismus, aus Kohlenhydrate Fett zu bilden, weil
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der Fettgehalt in der verabreichten Pflanzennahrung nicht hinreichte zur producirten Fettmasse; nach Pe.rsoz und Boussingault ist es wahrscheinlich, dass die Fettbildung aus Stärke stattfindet, wenn zugleich ausreichendes Material für die Zellcnbildung vorhanden ist. Für die Möglichkeit der Fett-bildtmg aus Kohlenhydraten spricht ferner die Beobachtung von Gundelach, dass die Bienen, welche ausschliesslich mit Zucker gefüttert werden, fort­fuhren. Wachs zu produciren, eine Substanz, die in jeder Beziehung dem Fette sehr nahe steht. In den Pflanzen ist die Bildung des Fettes aus Kohlenhydraten eine Thatsache, ja sogar die Regel, bei der Stoffmetamor­phose im Thiere, die in sofern stets einen Gegensatz von der Stoffmeta­morphose in den Pflanzen bildet, als sie immer regressiver, in den Pflan­zen aber progressiver Natur ist, würde also die Fettbildung aus Kohlen­hydraten eine Ausnahme von der Kegel sein.
Aus dem Protein scheint der Organismus Fett bilden zu können; denn einmal sieht man, dass die Albuminate bei der Fäuln.'ss Fettsäuren — Butter und Baldriansäure z. B. — liefern, und ausserdem spricht die fet­tige Metarmophose in allen Zellen und Zelleuderivaten, in den Muskel - und Nervenfasern etc. für die Fett'uildung aus Protein. Ftl7-steigt;.herg sieht diese Fettbildung als entschieden an und bestreitet die Bildung ans Kohlen­hydraten gerade zu (Neue landwirthschaftliche Zeitung von Dr. Fühling 1865. Separatabdruck). Durch diese Metamorphose erleiden die betreffen­den Futterversuche einen Ausfall an ihrer indirecten Beweiskraft für Fett­bildung aus Kohlenhydrat.
Geben wir zu, dass das Fett im thierisehen Körper gebil­det werden kann, so beweist dies noch nicht, dass der Körper das Fett in der Nahrung auch entbehren kann. Schon der Umstand beweist die Nothwendigkeit der Fettzufuhr in der Nahrung, dass ohne Fett keine Zellenbildung erfolgen kann, dass die Fettbil­dung immer Zellenbildung voraussetzt und dass der Zellenbil-dungsprocess eine Nothwendigkeit ist zur Verdauung und Assi­milation. In dem natürlichsten Nahrungsmittel, der Milch, ist viel Fett, dies wäre überflüssig, wenn die Fettbildung im Kör­per ein so geläufiger Process wäre. Dann aber lehrt es die Erfahrung, dass heruntergekommene abgezehrte Thiere sich bei fetthaltiger Nahrung leichter, als hei fettarmer erholen. Hafer ist gerade durch seinen grossen Fettgehalt ein vorzügliches Körnerfutter.
Diese Beobachtungen haben durch directe comparative Futtcrversuche bei Kälbern, Ochsen und Schweinen von Crvsius, Schcve?!, Hellriegel und Ulbricht (Annalen der Landwirth. Berlin, 1861. Januarheft. Auszug in Vierteljahrsschrift von Müller und Roll, B. 16. Analeet. S. 11), ihre Bestä­tigung gefunden. Zur Erzeugung von 1 Pfund Lebensgewicht gehörten etwa die doppelte Quantität an trockenen Nährstoffen bei Fettarmnth, als bei Fettreichthum. Hellriegel und Ulbricht fanden, dass bei Mastschweinen die Mehrzunahme des Körpergewichts bei dem Futter mit Oelzusatz griis-
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ser war, als die Menge des zugesetzten Oeles; 1 Pfund von diesem hatte an Lebensgewicht erzeugt von 1,41 bis 5,07 Pfund, im Durchschnitt 2,76 Pfund. Dies der Beweis, dass das Oel nicht einfach als Fett in dem Thier-körper abgesetzt wurde, sondern dass der grössere Fettgehalt im Futter auch eine grössere Ausnutzung der übrigen Nährstoffe bewirkt. Für un­sere Kurmethode ein sehr wichtiges Factum.
3.nbsp; nbsp;Die Zuckergruppe oder Kohlenhydrate, d. h. diejenigen ter-nären Verbindungen, in welchen der Kohlenstoff vorherrschend ist, Sauerstoff und Wasserstoff in dem Verhältnisse vertreten sind, wie sie das Wasser bilden, und von denen man auch geradezu annimmt,
tnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;dass sie aus Kohlenstoff und Wasser bestehen. Sie bilden alle zu-
sammen die am meisten vertretene organische Verbindung in der Pflanzenwelt. Stärke, Zucker in allen Modalitäten, Dextrin, Pflan-zenschleim sind die eigentlichen Kohlenhydrate; die Cellulose, die Spirituosen und alle nicht stickstoffhaltigen Säuren werden trotz der Verschiedenheit in der chemischen Constitution gleich­falls hierher gerechnet. Eine Vertretung kann jedoch deshalb nicht in dem Grade, wie bei der ersten Gruppe, geschehen, weil sie nicht alle gleich löslich und verdaulich sind — die Cellulose ist z.B. nur in der Jugend aber sehr wenig als Holzfaser verdaulich —, und weil einige auch eine störende Nebenwirkung haben, z. B. die Säuren und die Spirituosen. Zwischen Araylum, Zucker,
( Dextrin findet so ziemlich vollständige Vertretung statt bei sonst gesunden Verdauungsorganen. Zum geringen Theile wer­den sie zur Bildung namentlich von Fett, Milch-, Oxal- und Essigsäure, hauptsächlich aber zur Wärmoentwickelung verwen­
det, weshalb sie auch von Liebig im Gegensatze von der Ei-
weissgruppe „respiratorischequot; Nahrungsmittel genannt worden sind. Trotz alledem sind sie unentbehrlich zur Restauration, weil die Hochhaltung der Eigenwärme gleichbedeutend ist mit Lebenserhaltung; wo es daher an respiratorischen Mitteln fehlt, da werden die plastischen verbrannt und so der Bildung entzo­gen, und wo es an beiden fehlt, da verbrennt der Organismus seine eigenen Bestandtheile, und erleidet mit jedem Athemzuge einen materiellen Verlust. Der Ersatz der respiratorischen Mittel durch plastische ist ebenso theuer, als unvollständig, theuer aus ökonomischen und physiologischen Rücksichten zugleich.
4.nbsp; Die anorganischen Bestandtheile im Körper, die binären Verbindungen gehören gleichfalls zu den Nahrungsmitteln, so weit sie einen Bestandtheil des Körpers bilden. Die Aschen-
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Directe Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;327
bestandthei le des Körpers müssen sich auch unter denAschenbestand-theilen der Nahrungsmittel befinden. Die wichtigsten davon sind: phosphorsaure Alkalien und Erden, vor allen phosphorsaurer Kalk, schwefelsaure Alkalien, Chlorkalium und besonders Chlornatrium, Eisen und Kieselerde, die alle zu den Mitteln der Restauration, aber doch mehr der qualitativen, als der quantitativen gehören. Gewöhnlich sind diese Körper neben den organischen Verbin­dungen in den Futterstoffen vorhanden, und in diesen Formen sind sie auch gerade am geeignetsten zur Assimilation.
Alle diese Nährstoffe sind an sich noch keine Nahrungs­mittel, für sich allein verabreicht, können sie nicht ernähren, also auch nicht restauriren; selbst die Protein Verbindungen kön­nen für die Dauer nicht ernähren, die Thiere verhungern dabei schliesslich mit vollem Magen, wie durch mehrfache Versuche von Magendie u. A. dargethan ist.
Hunde lebten bei Zucker, Fett 30—36 Tage, bei Käse, harten Eiern etwas langer; Gänse starben bei Stärke, Gummi,Zucker in 2—3Wochen, bei harten Eiern nach ü — 7 Wochen, nachdem sie bis zur Hälfte ihres Gewichts verloren hatten; Hammel starben bei Zucker mit der dritten Woche unter gleichem Gewichtsverlust.
In den Futterstoffen als Restaurationsmittel sind alle erwähn­ten Nährstoffe und zwar in gewissen Verhältnissen erforderlich. Die vegetabilischen Nahrungsmittel enthalten sie in verschiedenen Verhältnissen und haben dadurch einen verschiedengradigen Nähreffect. In welchem Verhältnisse die Nährstoffe gereicht werden müssen, um den grössten Nähreffect zu haben, darüber bat Valentin (Physiologie Bd. 1. S. 710) bei Menschen Versuche angestellt, wobei sich ergeben hat, dass eine Nahrung von 2 Theilen Protein mit 3 Theilen Fett und 8 Theilen Koblenhydrat verbältnissmässig den grössten Nähi-effect hat.
Bei der Fütterung unserer Hausthiere hat Hauhner wohl zuerst auf die Abhängigkeit der Nähreffecte des Futters von den Proportionen der Nährstoffe durch Versuche hingewiesen und dadurch den Grund zur rationellen Fütterung gelegt, die sich jetzt durch die vielen und exaeten Futterversuche her­ausgebildet hat, wobei die hannoversche Versuchsstation in Weende unter Henneberg und Stahmann sich besonders grosse Ver­dienste erworben hat. Als bisheriges Gesammtresultat ist her­vorzuheben, dass das Bedürfniss an Protein bei vorherrschend plastischen Processen grosser sein muss, so namentlich bei
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Die restanrirendc Methode.
jungen Thieren während des Wachsthumes, welches immer im ersten Jahre am bedeutendsten ist, bei Mast- und Arbeitsthie-ren; das Verhältniss schwankt hiernach von 1 :3—8. Bei den Restaurationsmitteln handelt es sich um die nahrhafteren Futterstoffe, in denen das Verhältniss des Proteins zu den übri­gen Nährstoffen sich wie 1:3 — 5 verhält; diese Nahrungsmittel stehen als Restaurationsmittel für unsere Methode um so höher, je leichter sie für die betreffende Thiergattung verdaulich sind.
Bei diesem Verhältniss kommt die Cellulose (die Pflanzenfaser) nicht mit in Berechnung, weil sie sehr wenig und im verholzten Zustande fast gar nicht löslich und daher als unverdauliche, massegebende Substanz zu betrachten ist. Für Mastschweine gicbt HeUrieyel als das günstigste Nähr-stoffverhältniss an auf 1 Theil Protein, 4 Theile Kohlenhydrate und ^4 Theil Fett.
Bei der therapeutischen Restauration kommt es gerade nicht auf die verhältnissinässig günstigen, sondern auf die absolut besten Nähreffecte an, aber Futterstott'e, die den verhältnissinässig besten Nähreffect haben, müs­sen auch die naturgemässesten in ihrer ganzen Zusammensetzung sein, die am vollständigsten verdaut und assimilirt werden, die am wenigsten be­lästigen, sie sind mithin auch die besten therapeutischen Restau­rationsmittel; deshalb kann die Therapie hier ganz getrost Schritt für Schritt neben der Diätetik hergehen.
Die naturgemässe Beschaffenheit der Nahrung. Futterstoffe, die bei angemessener Füllung des Magens die er­forderlichen Nährstoffe zuführen und die dabei am vollkommen­sten verdaulich sind, die bei der Sättigung auch genügend ernähren, diese gehören zu den naturgemässen. Generelle na­turgemässe Nahrungsmittel sind für Säuglinge die Milch, für Fleischfresser das Fleisch, für Pflanzenfresser Gras und Bleu; sobald die Pflanzenfresser ökonomisch mehr leisten sollen, als bei Gras und Heu möglich ist, dann ändert sich mit der Be­nutzungsweise auch das naturgemässe Futter, weil noch ein dritter Factor hinzugekommen ist. Das Futter muss dann bei der Sättigung nähren und zugleich die ökonomische Nutzung gewähren. Für Pferde sind die Körner neben dem Heu, für die Milchkuh die wasser-, fett-, und proteinreichen voluminö­sen Substanzen naturgemässer, oder vielmehr wirthscliaftgemäs-ser geworden. Bei der Restauration ist das Naturgemässe nicht immer so streng inne zu halten, wie in der Diätetik, es kann unter Umständen selbst nothwendig werden, davon abzu­weichen; die Eier z.B. gehören nicht zu dem naturgemässen Nahrungsmittel für Wiederkäuer, dennoch aber können sie recht
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Directe Restauration.
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gute Restaurationsmittel für Kälber werden; wir dürfen jedoch von dem Naturgemässen nur in sofern abweichen, als es sich um leicht verdaulichere und nahrhaftere Nahrungsmittel handelt.
Die restaurirenden Nahrungsmittel.
1.nbsp; Das Blut. Ein zweifaches Restaurationsmittel, je nach­dem man es direct dem Blute des Patienten zuführt — die Transfusion —, oder den Weg der Verdauung und Assimi­lation passiren lässt. Im ersten Falle handelt es sich nament­lich um die directe Einverleibung der Blutkörperchen, die fortan als lebendige Elemente theilnehmen an der; Lebensacten. Bei Verarmung am Blute überhaupt, namentlich aber, wenn dieselbe schnell in solchem Grade eingetreten ist, dass der Körper kaum im Stande ist sich auf physiologischem Wege wieder aufzurichten, bei starkem Blutverlust, bei Erschöpfun­gen, wo der physiologische Weg zur Restauration nicht genügt, findet sie ihre rechte Anwendung. Sie ist ein Mittel, womit man schnell beleben und auf die Beine helfen, die augenblick­liche Gefahr der Erschöpfung abhalten, wodurch man Zeit und Kräfte gewinnen kann, um auf dem normalen physiologischen Wege die Restauration auf nachhaltige Weise bis zur Gesund­heit fortzusetzen. Conf. Infusion S. 293.
Bei der Einverleibung auf den ersten Wegen geht es na­türlich als Blut unter, es wirkt hier nur durch seine chemi­schen Bestandtheile als Nahrungsmittel, es enthält alle Bestand-theile des Körpers im vollkommensten Grade und ist dabei verdaulich. Demnach muss es als das vollkommenste plastische Restaurationsmittel für Carnivoren und Omnivoren angesehen werden. Verkümmerte Schweine helfen sich sichtlich, wenn man ihnen oft ein Blutgericht bieten kann.
2.nbsp; Fleisch. Roh leicht verdaulich und nahrhaft, wie das Blut, gekocht hat es an Verdaulichkeit und Restaurationskraft verloren. Keine Pflanzenkost ist so leicht verdaulich, als rohes Fleisch. Für Hunde unersetzbar; für Schweine das kräftigste Restaurationsmittel.
S. Fleischbrühe und Fleischextract. Die Fleisch­brühe steht dem rohen Fleische weit nach; gute Fleischbrühe enthält ungefähr 1,5 Proc. Nährstoffe; das Wirksame derselben dürfte noch am meisten dem Gehalte an Blutsalzen zuzuschrei-
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Die restaurirende Methode.
ben sein. Das Liebig'sche Fleischextract, Extractum carnis, ist viel nahrhafter und ein besseres Restaurationsmittel; beide Mit­tel kommen bei den Thieren weniger in Betracht. Will man sehr heruntergekommene Pflanzenfresser mit Fleischkost aufhel­fen, so ist nebst Milch die Fleischbrühe und das Fleischextract am geeignetsten.
Fein gehacktes, möglichst von allem Fette befreites Eindfleisch wird mit SOfacher Wassermenge 'I2 Stunde erwärmt und gekocht, die Brühe dann abgedampft.
4.nbsp; nbsp; Eier. Sie enthalten die Bestandtheile von Blut und Knochen und sind dabei im rohen Zustande leicht verdaulich; deshalb ein vorzügliches Restaurationsmittel, besonders für sehr heruntergekommene junge Thiere, bei älteren Säuglingen, und bei den jüngst entwöhnten Thieren aller Gattungen, vor allen aber für Kälber und Füllen.
5.nbsp; nbsp;Milch. Für Neugeborene das Blut der Mutter; im Säuglingsalter therapeutisch unentbehrlich und in der späteren Jugend immer noch ein vorzügliches Restaurationsmittel, das bei Carnivoren und Omnivoren selbst in jedem Alter noch em-pfehlenswerth ist. Bei verkümmerten Säuglingen restauriren wir am besten die Mutter durch reichliches, naturgemässes Fut­ter; durch gute Weide oder durch Milch producirende Futter­stoffe, d. h. solche, die neben den entsprechenden Proteinen und Kohlenhydraten viel Fett und Wasser zuführen, namentlich Hafer, Gerstenschrot, Oelkuchen und Heu, oder gutes Grünfut­ter bei Pflanzenfressern; schwere Cerealien und Hülsenfrüchte eignen sich nicht, sie liefern verhältnissmässig nicht viel aber schwere Milch, die für heruntergekommene Säuglinge leicht Be­schwerden verursachen. Ausserdera geben wir die Milch direct, und 'in diesem Falle ist die Kuhmilch das Universal-Restau­rationsmittel. Selbst die entfettete Milch, sogar das Milchserum restauriren noch bei älteren Pflanzenfressern. Für ältere Fül­len und für Jungvieh giebt es, neben anderem naturgemäs-sen Futter verabreicht, kein besseres Restaurationsmittel; es scheint durch seine Milchsäure noch ganz besonders wirksam zu sein bei scrophulösen Kümmerlingen. Jugendliche Herbi-voron und Omnivoren, die nicht mehr durch Milch auf die Beine zu bringen sind, bei denen ist unsere Kunst zu Ende.
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Directe Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 33 i
Waster Protein Fett Sons'.ige Asche Phosphor- Kalk-Namp;hrStOnenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; säurenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;erde
Kuhmilch........87,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,6nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,7 0,22nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,17
Saure Milch......90,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,6nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,6 0,20nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,16
Buttermilch.......90,1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,5 0,16nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,12
Rahm...........64,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,2nbsp; nbsp; nbsp;29,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,4 0,12nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,09
Molken..........93,1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,6 0,11nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0.08
Milch von frischmilchenden Mütternnbsp; ist weniger fett, am leichtesten
zu verdauen, deshalb fürnbsp; jungenbsp; nbsp;Säuglinge dasnbsp; nbsp;zuträglichste llestaura-
tionsmittel.
6. Getreidekörner und Hülsenfrüchte. Die kräf­tigsten Futterstoffe des Pflanzenreiches, welche die Nährstoffe am concentrirtesten und in solchen Proportionen enthalten, dass das Bedürfniss in der Sphäre der Plastik immer vollständig ge­deckt ist, in der der Respiration aber bei den schweren Kör­nern noch einen Zusatz erfordert. Sie sind deshalb die Kraft­nahrungsmittel und schwer verdaulich, und dies um so mehr, je schwerer sie sind, je mehr Protemstoff und je weniger unver­dauliche Cellulose sie enthalten. Am vollständigsten werden sie von Schafen und Ziegen verdaut, in deren Miste man keine unverdauten Körner findet, demnächst vom Pferde, schiechter vom Schweine und am aller unvollständigsten vom Rinde, bei letzterem können sie daher nur bedingungsweise unter beson­derer Vorbereitung als Restaurationsmittel dienen. Von den Cerealien haben wir den Hafer und Roggen als die geeig­netsten Restaurationsmittel hervorzuheben. Der Hafer ist am leichtesten, enthält am meisten Fett, ist deshalb am leich­testen verdaulich und am zuträglichsten für Pferde, Schafe, Zie­gen und Kälber. Durch Quetschen wird die Verdaulichkeit gefördert, deshalb für alte Pferde mit schlechten Zähnen und bei sehr geschwächten Verdauungsorganen zu empfehlen. Rog­gen ist nahrhafter, aber auch schwerer zu verdauen, jedoch im­mer noch verdaulicher als die dickhülsigere Gerste; durch Quel­len, noch mehr aber durch Kochen, jedoch so, dass die Körner noch ganz oder nur theilweise zerfallen sind, wird er im­mer eins der besten Restaurationsmittel für Pferde und selbst für Rinder.
Schrot. Geschroten ist das'Getreide durchweg leichter verdaulich, und deshalb als restaurirendes Mittel bei allen Pflanzenfressern und Schweinen recht gut. Die Schwächung der Verdauungsorgane durch längeren Gebrauch kommt hier nicht in Betracht.
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Die restaurirende Methode.
Mehl ist weniger zu empfehlen, als Schrot, weil die wich­tigen Bestandtheile der Hülsen fehlen.
Brod. Ist verdaulicher als Mehl, bei geschwächter Ver­dauung diesem vorzuziehen und bei allen Pflanzenfressern ein recht wirksames Restaurationsmittel, am wirksamsten aber das Schrotbrod.
Protein- Kohlen- Feit Pflanzen- Asche Wasser Nährstoff­stoffe hydratenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; fasernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;verhältniss
Hafer.........nbsp; 10,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;56,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;6,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:6,6
Gerste........nbsp; nbsp;10,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;61,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,6nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1:6,4
Roggen.......nbsp; 11,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;66,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1:6,4
Weizen.......nbsp; 13,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;66,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:5,3
Buchweizen...nbsp; nbsp; 7,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;59,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,8nbsp; nbsp; nbsp;14,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:8,6
Mais.........nbsp; 10,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Gl,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:7,7
Die Hülsenfrüchte enthalten alle etwa doppelt so viel Protein, als die Getreidearten, sie sind deshalb gewissermaassen das Fleisch für die Pflanzenfresser; die Proteinsubstanz besteht grösstentheils aus Legumin (Pflanzerkäsestoff), während sie bei den Getreidearten besonders aus Faserstoff (Kleber) besteht; ausserdem enthalten sie alle noch einen, meist bitteren Ex-tractivstoff und in der Hülse einen Gerbstoff. Erbsen haben den geringsten, Lupinen dagegen den grössten Gehalt an Protein. Sie können sich alle gegenseitig vertreten, nur die Lupinen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie viel Protein, viel Fett und Bitterstoff enthalten, sind für Schafe unersetz­liche Restaurationsmittel. Die Schafe verdauen die Hülsen­früchte ohne weitere Präparation, für die übrigen Thiere wer­den sie zur Erleichterung der Verdauung gequellt oder ge­kocht. Das Einquellen geschieht am besten 12 — 24 Stun­den vor der Verabreichung in der Art, dass man so viel Wasser darauf giesst, bis eben eine Wasserschicht die Kömer deckt. Die Erbsensuppen sind für Kälber sehr kräftige Nahrungsmittel. Die Schweine vertragen Erbsen viel besser, als Roggen, der sie leicht steif macht.
Protein- Kohlen- Fett Pflanzen- Asche Wasser Nährstoff-stofie hydratenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; lasernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;verhältniss
Erbsen....... 21,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;53,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:2,7
Saubohnen.. .. 24,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;43,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,7nbsp; nbsp; nbsp;12,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:2,0
Wicken.......27,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;48,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2.1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:2,0
Lupinen...... 34,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;29,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,4nbsp; nbsp; nbsp;10,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1:1,4
Linsen........ 25,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;53,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:2,2
Weisse Bohnen 24,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;51,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;14,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1:2,2
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Directe Keatauration.
333
7. Oelsamenkuchen und Kleie. Die Pressriickstande von den Oelfriichten sind alle reich an Protein, sie schliessen sich in dieser Beziehung den Hülsenfrüchten an und zeichnen sich noch durch grossen Gehalt an Fett und grössere Verdau­lichkeit aus; für Wiederkäuer, vor allen aber für Milchkühe sehr gute Nahrungsmittel. Als Restaurationsmittel ist be­sonders der Leins am enkuchen für alle landwirthschaftlichen Hausthiere hervorzuheben, der leicht verdaulich ist, sehr kräf­tig nährt, viel Milch liefert und durch seinen grossen Gehalt an Schleim eine recht oft noch erwünschte Nebenwirkung — expectorirende, einhüllende, die Entleerung fordernde Wirkung — hat.
Der mittlere Gehalt der Raps- und Leinkuchen:
Protein.............. 28,0 Procent
Kohlenhydrat......... 24,5 „
Fett................. 9,0 „
Holzfaser............ 16,0 „
Asche................ 7,5 „
Wasser.............. 15,0 „
Die Leinkuchen enthalten etwas mehr Fett und Schleim. Die Kleie ist als Zusatz ein gutes Restaurationsinittel, be­sonders wegen ihrer Aschenbestandtheile; Weizen- und Roggen-kleie verdienen den Vorzug, erstere für alle landwirthschaft-liche Hausthiere, letztere wird von jungen Schweinen nicht gut vertragen. In grösseren Quantitäten und bei geschwächten Verdauungsorganen wird sie aber nicht vollständig verdaut.
Kleie von Weizen Koggen Gerste
Protein..............17,9 18,2 14,8
Kohlenhydrate........ 28,4 33,4 48,5
Fett................. 3,8 4,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 3,0
Zellstoff..............30,7 28,5 19,4
Asche............... 6,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 6,9 .2,3
Der Gehalt an Nährstoffen kann etwas grosser oder geringer sein, je
nachdem sie etwas mehr oder weniger Mehltheile enthält.
Die Stöckhard'sehen Versuche (Chemischer Ackersmann. 1865) über
bessere Verdauung und höhere Ausnutzung der Kleie haben ergeben, dass
die Gesammtmenge der löslichen Stoffe betrug:
1)nbsp; bei Anwendung von warmem Wasser.................. 20 Proc.
2)nbsp; beim Brühen mit kochendemnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „ ..........23 — 27 „
3)nbsp; nbsp; nbsp;„ Kochen...................................34 — 35 „
4)nbsp; nbsp; nbsp;„nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „ mit Soda und Wasser............... 36 — 38 „
5)nbsp; nbsp; nbsp;„nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „ n Salzsäure und Wasser...........42 — 51 „
Die Salzsäure löste jedoch nur stickstofffreie Bestandtheile und ver­minderte dabei die Lösung der stickstoffhaltigen: Soda vermehrte hin-
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334
Die restaurirende Methode.
Hi
gegen nur die Lösung der stickstoffhaltigen Bestandtheile. Das einfache Kochen ist hiernach die empfehlenswertheste Präparation bei der Re­stauration.
8. Grünfutter. Grüne Futterstoffe sind leicht verdaulich und naturgemäss für alle Pflanzenfresser; gute Wiesenweide ist namentlich im Frühjahr ein unersetzhares Restaurationsmittel für Schafe, die bleichsüchtig und elend aus dem Winter gekommen sind, später sind die Klee- und Spergelweiden entsprechender Ersatz. Grünfutter im Stalle aus den Familien der Gramineen und Leguminosen ist bei Wiederkäuern ein gutes Restaurations­futter, wenn es noch nicht über die Blüthe hinausgekommen ist; bei Pferden ein unterstützendes Beifutter.
Heu. Die guten nahrhaften grünen Futterstoffe sind auch getrocknet naturgemässe Nahrungsmittel für alle reinen Pflan­zenfresser; die Verdaulichkeit hat durch das Trocknen etwas verloren, das Heu von nicht reif gewordenen Gräsern und Leguminosen enthält aber eine Cellulose, die zum Theil noch verdaulich, immer aber doch in soweit löslich ist, als zum Freiwerden der Nährstoffe erforderlich ist. Bei Füllen und Pferden ein unentbehrliches Beifutter, wenn es sich um Re­stauration durch Kraftfutter handelt; der grosse Gehalt an Aschenbestandtheilen zeigt schon die Zugehörigkeit dieses Fut­terstoffes. Für Füllen giebt es ohne gutes Wiesenheu gar kein, nach allen Seiten hin genügendes Eestaurationsfutter. Bei gu­tem Heu können alle Pflanzenfresser bestehen, was bei Köfner-futter nicht der Fall ist; für Wiederkäuer ist es sogar das Hauptfutter, neben dem es zur Restauration nur noch eines geringen Zusatzes von concentrirter Nahrung bedarf. Heu von guten Gebirgswiesen ist kaum zu ersetzen. Kleeheu und Heu von angesäeten Gräsern ist in sofern weniger gut, als die Ver­schiedenheit fehlt, die für die Verdauung von Wichtigkeit ist und meist unterschätzt wird.
Wasser Protein- Feit Sonstige Holz- Asche Phns- Kalk-Grl'Ünf Utter:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;sloffcnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Nähr- fasernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;phor- erde
stoiVenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; säure
Gras, vor der Blüthe........nbsp; 75,0nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp; nbsp;0,8nbsp; nbsp; nbsp;12,1nbsp; nbsp; nbsp;7,0nbsp; nbsp;2,1nbsp; nbsp;0,18nbsp; nbsp;0,30
Gras, gegen Ende der Blüthe 69,0nbsp; nbsp; nbsp;2,5nbsp; nbsp; nbsp;0,7nbsp; nbsp; nbsp;14,3nbsp; nbsp;11,5nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp;0,15nbsp; nbsp;0,30
Kother Klee................nbsp; 77,0nbsp; nbsp; nbsp;3,7nbsp; nbsp; nbsp;0,8nbsp; nbsp; nbsp;6,8nbsp; nbsp; nbsp;10,0nbsp; nbsp;1,7nbsp; nbsp;0,11nbsp; nbsp;0,53
Weisser Klee...............nbsp; 80,5nbsp; nbsp; nbsp;3,5nbsp; nbsp; nbsp;0,8nbsp; nbsp; nbsp;7,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;G,0nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp;0,15nbsp; nbsp;0,52
Luzerne....................nbsp; 74,0nbsp; nbsp; nbsp;4,5nbsp; nbsp; nbsp;0,7nbsp; nbsp; nbsp;6,3nbsp; nbsp; nbsp;12,5nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp;0,15nbsp; nbsp;0,70
Esparsette..................nbsp; nbsp;80,0nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp; nbsp;0,6nbsp; nbsp; nbsp;8,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;6,5nbsp; nbsp;1,5nbsp; nbsp;0,14nbsp; nbsp;0,45
Futterwicken...............nbsp; 82,0nbsp; nbsp; nbsp;3,1nbsp; nbsp; nbsp;0,6nbsp; nbsp; nbsp;7.0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,5nbsp; nbsp;1,8nbsp; nbsp;0,12nbsp; nbsp;0,51
Erbsen.....................nbsp; 81,5nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp; nbsp;0,6nbsp; nbsp; nbsp;7,6nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,6nbsp; nbsp;1,5nbsp; nbsp;0,11nbsp; nbsp; 0,45
Mais.......................nbsp; 84,3nbsp; nbsp; nbsp;0,9nbsp; nbsp; nbsp;0,5nbsp; nbsp; nbsp;8,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,0nbsp; nbsp;1,1nbsp; nbsp;0,08nbsp; nbsp;0,07
I
#9632;
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Directe Restauration.
335
„ _nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Wasser Protein- Fett Sonstige Holz- Asche Phos- Kalk-
#9632;tlG^1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Stoffenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Nähr- fasernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; phor- erde
Sioffenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; säure
Wiesenheu von mittlerer Gütenbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp;8,2nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; 39,3nbsp; nbsp; nbsp;30,0nbsp; nbsp;6,2nbsp; nbsp;0,53nbsp; nbsp;0,97
Wiesengrummet.............nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp;0,5nbsp; nbsp; nbsp;2,4nbsp; nbsp;43,3nbsp; nbsp; nbsp;24,0nbsp; nbsp;6,5nbsp; nbsp;0,63nbsp; nbsp;1,05
Rotaklee, jolle Bliithe......nbsp; 16.7nbsp; nbsp;13,4nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp;26,7nbsp; nbsp; nbsp;33,8nbsp; nbsp;6,2nbsp; nbsp;0,45nbsp; nbsp;1,90
Weissklee7 volle Bliithe......nbsp; 16,7nbsp; nbsp;14,9nbsp; nbsp; nbsp;3,5nbsp; nbsp;30,8nbsp; nbsp; nbsp;25,6nbsp; nbsp;8,5nbsp; nbsp;0,62nbsp; nbsp;2,05
Luzerne, ganz jung, fusshochnbsp; 16,7nbsp; nbsp;19,7nbsp; nbsp; nbsp;3,3nbsp; nbsp;29,6nbsp; nbsp; nbsp;22,0nbsp; nbsp;8,7nbsp; nbsp;0,75nbsp; nbsp;2,50
Luzerne in der Bliithe......nbsp; 16,7nbsp; nbsp;14,4nbsp; nbsp; nbsp;2,5nbsp; nbsp;20,0nbsp; nbsp; nbsp;40,0nbsp; nbsp;6,4nbsp; nbsp;0,48nbsp; nbsp;2,40
Esparsette in der Bliithe-----nbsp; 16,7nbsp; nbsp; 13,3nbsp; nbsp; nbsp;2,5nbsp; nbsp;34,2nbsp; nbsp; nbsp;27,1nbsp; nbsp; 6.2nbsp; nbsp;0,60nbsp; nbsp; 1,85
Inkarnatklee................nbsp; 16,7nbsp; nbsp; 12,2nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp;27,1nbsp; nbsp; nbsp;33,8nbsp; nbsp;7,2nbsp; nbsp;0,55nbsp; nbsp;2.35
Futterwicke.................nbsp; 16,7nbsp; nbsp;14,2nbsp; nbsp; nbsp;2,5nbsp; nbsp;32,8nbsp; nbsp; nbsp;25,5nbsp; nbsp;8,3nbsp; nbsp;0,53nbsp; nbsp;2,30
Erbsen.....................nbsp; 16,7nbsp; nbsp;14,3nbsp; nbsp; nbsp;2,6nbsp; nbsp;34,2nbsp; nbsp; nbsp;25,2nbsp; nbsp; 7,0nbsp; nbsp;0,50nbsp; nbsp;2,10
Ackerspörgel...............nbsp; 16,7nbsp; nbsp; 12,0nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp;36,6nbsp; nbsp; nbsp;22,0nbsp; nbsp;9,5nbsp; nbsp;0,95nbsp; nbsp;1,40
Grummet ist der chemischen Analyse nach reicher an Nährstoffen, als Heu; dennoch müssen wir es entschieden als Restaurationsmittel verwerfen; es nährt in der That viel schlech­ter als Heu, wie die tägliche Erfahrung und Futterversuche lehren. Ein Theil der Nährstoffe mag bei der ungünstigen Witterung in der Grummeternte verloren gehen, es ist aber wohl kaum zu bezweifeln, dass der Hauptgrund in der Schwer­verdaulichkeit liegt, die gewiss durch die physikalische Eigen­schaft des weichen Grummetheues bedingt ist.
Stroh. Das Stroh kann hier nur in Betracht kommen neben dem normalen Kraftfutter, das, Volumen zu vermehren, die Einspeichelung und so die Verdauung zu befördern. Deshalb ist es unerlässlich, wenn es an Heu fehlt. Dabei kommen wesent­lich seine Aschenbestandtheile mit in Betracht, so dass es im­mer auch zugleich einen gewissen Antheil an dem Stoffersatze hat.
Stroh:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Wasser Protein- Fett Sonstige Holz- Asche Phos- Kalk-
stoffenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Nähr- fasernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;phor-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;er-Ie
Stoffenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; säure
Winterweizen. ..nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;28,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;48,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,30nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,34
Winterroggen....nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;25,7nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;54.0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,12nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,20
Sommergerste....nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;31,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;43,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,25nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,5(3
Hafer............nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;36,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;40,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,15nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,50
Futterwicken.....nbsp; 14,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;20,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;44,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;6,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,33nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,00
Erbsen..........nbsp; 14,3nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;40,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,20nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,70
Lupinen.........nbsp; 14,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,9nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33,2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;41,8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4,4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;0,22nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;1,75
b. Qualilative Reslanralion. Die hier in Anwendung kommenden Mittel sind partielle Stoffersatzmittel, speeifisch ernährende, integrirende Substanzen — Instaurantia —. In allen Fällen, wo aus der Futterbeschaf­fenheit und dem Krankheitszustande eine qualitativ unvollstän-
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336
Die restaurirende Methode.
dige Ernährung mit gutem Rechte anzunehmen ist, wo wir aber doch nicht wissen, welche Substanzen denn eigentlich vorzugs­weise fehlen, so wie auch überall da, wo die dyskrasischen Zu­stände mit grosser Schwäche und Abmagerung verbunden sind und sich der Kachexie zugleich nähern, in allen diesen Fällen restauriren wir auf quantitative Weise, mit den bereits erwähnten Mitteln. Bei einer allgemeinen Ernäh­rung wird auch der vorherrschend mangelnde Stoff nach und nach ersetzt. Wir bieten dem Organismus alle ernäh­renden Substanzen reichlicher dar, was er dadurch in Ueberfluss bekommt, was er nicht bedarf, schei­det er aus, das ihm Fehlende eignet er sich um so mehr an. Der Organismus besitzt diese Fähigkeit, man er­sieht es oifenbar daraus, dass durch Ueberfluss an einzelnen Nährmitteln die Proportionen der Bestandtheile des Blutes nicht nachweisbar verändert werden und dass das Blut über einen bestimmten Grad von Nährfähigkeit für die verschiedenen Ge­webe niemals hinausgeht. Wegen dieses physiologischen Fac-tums sind wir eben im Stande, durch die bereits erwähn­ten Nahrungsmittel auch qualitativ zu restauriren und so dyskrasische Constitutionen zu beseitigen, die in Mangel an einzelnen normalen Bestandtheilen beruhen.
In allen Fällen dagegen, wo wir wissen, woran es vorzugs­weise fehlt, da haben wir nicht noting, so verschwenderisch zu verfahren, da liegen die Instaurantien auf der Hand. Die ver­schiedenen Bestandtheile der Blut- und Knochensalze, als Ei­sen, Schwefel, Phosphor, Kalk, Talk, Kali, Natron, Chlor und Fluor können einzeln Heilmittel sein.
Organische Instaurantien.
Protein für sich und mit Eisen. Bei vorherrschen­der Verarmung an Blut, bei anämischen und hydrämischen Zu­ständen ohne Abmagerung, zuweilen neben einer gewissen Wohlbeleibtheit, selbst Feistheit, da sind die proteinreichen con-centrirten Nahrungsmittel neben einer mehr trocknen Diät selbst unter einer kleinen Beigabe von Eisen, das rechte Restaurations-mittel — eine Art Bantingkur. Bei Verarmungen an Knochen, besonders bei der Knochenbrüchigkeit der Rinder, spielt das Protein neben dem erdigen Bestandtheile gleichfalls eine nicht
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Directe Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 337
zu unterschätzende Rolle in der therapeutischen Restauration. In Hungerjahren kann man die gefallenen Opfer selbst für Pflanzenfresser, namentlich bei der Knochenbrüchigkeit zur pro­teinreicheren Kahrung verwenden durch Einkochen zur Gallerte.
Fett. Bei Verarmung an Fett, bei vertrockneter Consti­tution, bei jugendlichen Kümmerlingen, wo die Verarmung an Fett selbst die Zcllenbildung und so das Wachsthum hemmt, da sind Fettsubstanzen die wahren Instaurantien; wir geben das Fett am besten mit der Nahrung; Fett für sich verabreicht ist schwer verdaulich und geht grösstentheils mit den Excre-menten wieder ab. Die heilsame Wirkung des Fischthranes hat hauptsächlich hierin ihre Wirkung. Bei Pflanzenfressern können wir durch Leinsamen, der etwa 25 Proc. enthält, oder durch die Pressrückstände, die nach Umständen 10 —15 Proc. Fett enthalten, am einfachsten Fettmangel ersetzen.
Kohlenhydrate. Hieran dürfte es kaum einseitig feh­len bei unseren Pflanzenfressern; bei Fleischfressern können sie schon durch Fett ersetzt werden.
Anorganische Instaurantien.
Phosphor saurer Kalk. Steht hier an der Spitze, ein­mal weil ohne ihn die Zellenbildung überhaupt leidet (nach Henke), dann aber, weil er den wesentlichsten Bestandtheil der Knochen ausmacht. Bei allen Knochenkrankheiten mit Verar­mung im Gewebe ist es. das vorzüglichste Instauratium; ebenso auch bei Knochenbriichen recht einpfehlenswerth, um durch baldige Ablagerung von Knochenerde frühzeitig Abschluss her­beizuführen und eine luxuriöse Callusbildung zu verhindern. Die heilsame Wirkung ist von Milne Edwards nachgewiesen #9632;— Graz. hehd. de Paris. 1856. No. 15 und 17. Auszug im Repertor. Bd. 18. S. 142.
Der HeilefFect hängt natürlich von der Verwerthang des eingeführten Knochensalzes im Organismus ab, und diese ist am vollständigsten bei der Zuführung in organischer Form; obenan steht die Einverleibung in den Nahrungsmitteln. Die M lieh enthält Phosphorsäure und Kalkerde in angemessenen Verhält­nissen; nach Lehmann wird mit einer Quantität von 20—25 Pfund Milch, 26 Grm. Phosphorsäure und 20 Grm. Kalk ein­geführt. Rapsschoten, Kleeheu und Stroh von Hülsen­früchten liefern den meisten Kalk; Kleie, besonders W ei­se r lach aii^. iheraiiie. 2. AuD.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 22
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338nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die restaurirende Methode.
zenkleie und Oelkuchen die meiste Phosphorsäure; dar­auf folgen die Hülsenfrüchte und dann die Getreidekör­ner; Wiesenheu ist verhältnissmässig reich an Phosphorsäure und Kalk. Unter den Stroharten stehen hinsichtlich der Phos­phorsäure oben an Mais-, Bohnen- und Kapsstroh.
In 100 Theilen:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; „,,,,.
Phosphorsaurenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Kalk
. (Weizen............ 2,50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,11
IRoggen............ 2,15nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,12
Oelkuchen I EaPssamen- • • • 2'50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0'f'8
uelkucnen | Leinsamennbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2)10nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0;88
Milch.....................nbsp; 1,51nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,19
Hülsenfrüchte..............nbsp; 1,00nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,16
Lupinen...................nbsp; 1,25nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,18
Getreidekörner (Mittel).....nbsp; 0,90nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,07
Kleeheu...................nbsp; 0,45nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2,00
Wiesenheu................nbsp; 0,53nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0,97
Kapsschoten...............nbsp; 0,42nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2,45
HülsenfrUchtenstroh........nbsp; 0,30nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1,80
(Bohnenstroh enthält am meisten Phosphorsäure).
Alle Futterstoffe kann man reichhaltiger an Phosphorsäure machen, wenn man mit Knochenmehl düngt; somit können wir schon durch Düngen der Felder und Wiesen, besonders in den Marschen, vorbauend wirken gegen dyskrasische Constitutionen, die in irgend einem Defecte bestehen. Für die Pferdezucht dürfte dies Düngen der Weiden und Wiesen sehr empfehlens-werth sein.
Die Knochenerde. In den verbrannten Knochen mit und ohne Kohle haben wir den phosphorsauren Kalk neben den übrigen Knochenerden; dieselben werden mechanisch pulverisirt oder durch Salzsäure aufgelöst und durch Zusatz von kohlensau­rem Natron wieder gefallt. Diese gefällte Knochenerde bildet ein viel feineres Pulver und ist deshalb wohl etwas leichter verdaulich, sie ist aber auch viel theurer und bei längerem Gebrauch zu kostspielig.
Der phosphorsaure Kalk aus der anorganischen Welt ist endlich ebenfalls als ein Instaurantium anzusehen. Durch Ansäuern besonders mit Salzsäure, aber auch selbst durch organische Säuren, so weit es diätetisch zulässig ist, wird die Lösung wesentlich gefördert.
Ursprünglich glaubte der Chemiker durch einige Dosen Salze, namentlich des Knochensalzes dem Bedürfnisse des Körpers ?.u genügen; der Erfolg ent-
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Directe Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;339
sprach aber den Erwartungen nicht: darauf kam der Physiologe und sagte, der Körper kann sich die Knochensalze etc. nur in organischen Formen aneignen; deshalb fing man an, die Pflanzen mit den Salzen zu füttern, d.h. man düngte Felder und Wiesen damit. Hierin liegt etwas Wahres, und ist die Fütterung der Pflanzen durch entsprechenden Dünger bei ver­armtem Boden doppelt, d. h. ökonomisch und diätetisch empfehlenswerth, aber die ganze Wahrheit liegt nicht in dieser Auffassung. Der Körper kann sich auch medicinisch verabreichte Stoffe aneignen, ei ist aber nicht im Stande, den Detect sofort und auf lange Zeit zu decken, wenn seine Verdauungswege damit gefüllt worden sind. Die Assimilation folgt im Kiemen und fordert Zeit; das Blut ist bald zu sättigen, aber nicht das Gewebe; das Gewebe zehrt langsam, aber unaufhörlich aus dem Blute; deshalb kann das Bedürfniss im Gewebe auch nur langsam und nachhaltig nur durch fortdauernde Zufuhr im Kleinen erfolgen und diesem ist ja auf dem Wege der Ernährung mit dem täglichen Futter am natürlichsten ent­sprochen. Die organischen Bestandtheilc, medicinisch einverleibt, wirken ebenfalls, Grundbedingung ist nur, dass sie eben in entsprechend kleinen Dosen und dauernd, täglich oder doch fast täglich mit dem Futter ver­abreicht werden, namentlich dürfen die Verdauungswege dabei nicht ge­schwächt werden.
Kalk. Wo es an Phosphorsäure nielit fehlt, da hat er denselben Effect, wie der phosphorsaure Kalk; einseitiger Man­gel an Kalk dürfte jedoch selten sein. Wenn es sieh dämm handelt, Verkalkungen zu fördern, d. h. bei leicht deletilr wer­denden Neubildungen, ferner bei Hühnern, wenn sie Eier legen ohne Schale, dann ist Verabreichung des Kalkes mit dem Put­ten angezeigt. Statt Kalk kann man den kohlensauren Kalk geben.
Natron; Kochsalz. Natron ist in den Bestandtheilen des thierischen Körpers stark vertreten, besonders in Verbin­dung mit Chlor als Kochsalz, es findet sich in allen Geweben und Piüssigkeiten, besonders reichlich in dem Blutplasma und der Galle, und kann im thierischen Organismus nicht durch Kali ersetzt werden. Schon hieraus geht seine hohe physiologische Bedeutung hervor, und aus denselben Gründen ist es ein thera­peutisches Rastaurationsraittel, das um so bedeutungsvoller ist, als der Salzgehalt in der Nahrung sehr grossen Schwankungen unterworfen ist einmal nach den Substanzen und zweitens nach dem Boden. Nach den Analysen. von Boussingault und Wolff sind die Körner alle, sowohl die Getreidearten, als die Hülsen­früchte sehr arm an Kochsalz, Wiesen- und Kleeheu ist ziem­lich reich, von dem Stroh ist Haferstroh am reichsten damit versehen. Hiernach ist die Thatsache eigeathümlich, dass
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340nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die restaurirende Methode.
gerade die Wiederkäuer am häufigsten salzbedürftig sind. Beson­ders ist der Salzgehalt aber von dem Boden abhängig; in Kü­stengegenden haben wir einen salzreichen Boden, im Binnen­lande stellenweis einen salzarmen. Hieraus ergiebt sich für die Praxis: 1) dass bei vorherrschendem Körnerfutter, nament­lich bei der Restauration mit demselben ein gewisser Salzzu­satz namentlich dann erforderlich ist, wenn die Thiere wenig Heu und Stroh daneben zu sich nehmen; 2) dass in salzarmen Gegenden die Verarmung an Salz nicht selten eintritt, 3) end­lich, dass der Instinct hier wesentlich zu beachten ist, und man in dem sogenannten Salzhunger immer einen Fingerzeig für die therapeutische Verabreichung Hnden muss. Das Koch­salz darf diätetisch, besonders aber therapeutisch natürlich auch nicht ab und zu in grossen Quantitäten, sondern fortdauernd fast täglich in entsprechend kleinen Dosen, grossen Thieren etwa 10—15 Grm. pro Tag, verabreicht werden.
Kali. Im thierischen Organismus minder stark, als das Natron, aber doch immer noch ziemlich reichlich vertreten, es kommt in den Zellen, besonders aber in der Nerven- und Mus­kelsubstanz vor, kann durch Natron nicht ersetzt werden, ist somit eben so wichtig bei der Ernährung und Restauration als das Natron. In den Nahrungsmitteln fehlt es aber seltener an Kali, als an Natron. Die Defccte an Kali sind noch weniger bekannt; bei scorbutischen Leiden wird Mangel an Kali ange­nommen. Das weinsteinsaure Kali gehört zu den mildesten Kalisalzen, deshalb als Instaurantiura zu bevorzugen; ebenso kann auch das Chlorkali benutzt werden. Unter den Nahrungs­mitteln sind die Kartoffeln sehr reich an Kalisalzen. Die übri­gen Bestandtheile kommen hier nicht in Betracht.
Indirecte Restauration.
a) Durch Verhütung des übermässigen Stoff- und Kräfte­verbrauchs. Zurathehaltung der thierischen Wärme, um den Verbrennungsprocess auf ein Minimum zu reduciren, und Ver­meidung grosser Körperanstrengungen. Ohne Ruhe kann ein heruntergekommenes Arbeitsthier nicht restaurirt werden. Blut­flüsse und Ausleerungen einzelner Blutbestandtheilc müssen ge­hemmt, beträchtliche Eiterungen beseitigt, Durchfälle, die beson­ders schnell erschöpfen, gestillt werden. Bei Knochenkrankhei-ten muss mau besonders den Urin überwachen; sehr oft besteht
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Indirecte Restauration.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 341
zugleich abnorme Ausfuhr an Knochenerde, selbst wenn dies ursprünglich vielleicht nicht die Veranlassung gewesen ist. In diesem Falle herrscht Säure, namentlich Milchsäure vor; deshalb muss hier die neutralisirende Methode neben dem directen Re­staurationsmittel in Anwendung kommen. Gute Milchkühe lie­fern selbst bei grosser Schwäche noch Milch und opfern so gewfssermaassen den Rest ihrer Säfte und Kräfte; das Unter­lassen des Abmelkens gehört hier zur indirecten Restauration, und wenn, in Erwartung auf den Zustand einer besseren Er­nährung, der Milchfluss nicht eingehen soll, so muss man sol­chen Thieren mindestens ihre Milch wieder zu Gute kommen lassen — man melkt ab und giebt die Milch als Restaurations-mittel wieder ein, namentlich wenn es an kräftigen Nahrungs­mitteln fehlt. Mit 10 Quartier Milch werden circa 4 Pfund Nährstoffe und '/jq Pfund Knochenerde entzogen.
b) Durch Förderung der Verdauung, Assimilation und Er­nährung der Organe; conf. die folgende Kurmethode.
Contra - Indicationen.
Nur in solchen Fällen, wo bei dieser Methode eine vorhan­dene Krankheit mehr, als das Individuum ernährt wird, wo die Krankheit bei einer besseren Ernährung gesteigert wird, wie z. B. bei acutem Rheumatismus, bei Verschlag etc., ferner bei allen Krankheiten, bei denen man trotz der vorhandenen Schwäche dennoch in der Entziehungskur ein Heilmittel sieht, wie z. B. bei schweren Krankheiten in den Verdauungsorganen, in allen diesen Fällen ist die restaurirende Methode so lange contra-indicirt, wie die Magerkeit und Schwäche nicht bedrohlicher ist, als die Krankheit selbst. Hat die Schwäche einen sehr ge­fahrdrohenden Grad erreicht, so ist sie eine Vital-Indication, und dann müssen alle anderen Umstände unberücksichtigt bleiben.
Dagegen treten uns bei dieser Methode von ökonomischer Seite nicht selten bedeutende Hindernisse in dem Maugel an restaurirenden Mitteln und selbst in einer verschwenderischen Sparsamkeit entgegen. Hier kommt es auf den Takt des Thier-arztes, den Besitzern gegenüber, an. Für solche kritische Lagen geht mein Rath dahin: die Verhältnisse klar vorzu-
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342nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die stärkende Methode.
legen, die Anordnungen nach den gegebenen Verhält­nissen möglichst ausführbar zu treffen und dann die Alternative zu stellen.
Die stärkende Methode. Methodns roborans.
Als man die Kraft des lebendigen Körpers, die Lebenskraft, für etwas Selbstständiges im Organismus hielt und im Nervensystem -wohnen liess, die alle Functionen je nach ihrer Grosse in verschiedenen Graden anregte und leitete, die zu stark und auch zu schwach sein und in ihrer quot;Wirkung auch behindert sein konnte, theilte man bei dieser Auffassung die Schwäche in die wahre und falsche — debilitas vera et spuria — ein, bei ersterer war das Quantum vermindert, im letzteren Falle war die volle Kraft vor­handen, aber irgendwie behindert, sich vollständig zu äussern. Diese Ein-theilung hat man später beibehalten, weil dem factischen Mangel an Kräf­ten und der Behinderung in der Aeusserung derselben etwas Wahres zum Grunde liegt; dabei ist jedoch ehie gewisse Begriffsverwirrung eingetreten dadurch, dass man die wahre Schwäche auf Mangel an materieller Sub­stanz beim Aushungern der Organe und des ganzen Organismus — sei es direct durch Nahrungsentziehung, oder indirect durch Vergeudung — be­schränkt hat. Es giebt auch wirkliche Schwächen ohne Mangel an Materie; schon physiologisch sehen wir eine gewisse Abnahme an Lebens­kraft, noch ehe eine Spur von seniler Atrophie vorhanden ist; pathologisch haben wir schon häufig wirkliche Schwäche, aus sehr verschiedenen ande­ren, oft ganz unbekannten Ursachen. Setzen wir an die frühere Stelle der als etwas Selbstständiges gedachten Kraft, Lebenskraft „Leistungs­fähigkeitquot;, so können wir die frühere Eiutheilung beibehalten. Vermin­derte Leistungsfähigkeit ist Schwäche — Debilitas, d. h. „wahre Schwäche, Debilitas vera* —, die verminderte Leistung durch äusscre Behinderung ist unterdrückte Kraft, Depression — Depressio virium, d. h. falsche Schwäche, Debilitas spuria.
Indicationen.
Schwäche, oder wahre Schwäche nach der vorangeschickten Definition, ist Indication für Stärkung; die Schwäche aber hat so verschiedene Ursachen, dass sie an sich noch keine Indication für eine bestimmte Methode abgiebt, es kommt alles auf den Ursprung, auf die anatomisch-physiologische Grundlage an. Jede Störung in dem organischen Getriebe ist nnt einem Ausfall an Leistungsfähigkeit, an Lebenskraft verbunden; jedes kranke In­dividuum ist geschwächt, und jede Heilung ist eine Stärkung; in diesem umfassendsten Sinne kann von einer besonderen stär-
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Indicationen.
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kenden Methode keine Rede sein. Mangel an materiellem Sub­strat ist stets mit Schwäche verbunden, Nährstoffe sind hier Stärkungsmittel; darüber ist in der vorstehenden restaurirenden Methode schon abgehandelt. Hier handelt es sich um eine Schwäche, die noch andere Stärkungsmittel verlangt, bei der eine gewisse Anregung der functionellen Thätigkeit #9632;die Stärkung ist. Allgemeine Schwäche, Asthenie, Schwäche der Nerven, Muskelschwäche und Organ­schwäche, sofern die Ursache nicht ein mechanisches Hinderniss, nicht eine Entzündung mit ihren Folgen, nicht eine besondere dyskrasische Beschaffenheit des Blutes, und die restauri rendeMethode entweder gar nicht angezeigt oder für sich nicht genügend ist.
1. Nerven- und Muskelschwäche. Gesunkener Tonus, — gewisse Weichheit und Schlaffheit, Laxität in den Weich­gebilden, besonders den Muskeln, verminderte Elasticität in der Haut, längeres Stehenbleiben der Hautfalten —, geringere Energie in allen Functionen, namentlich in der Ortsbewegung, Trägheit, hinfälliger Gang — Dodelatio — und leichte Ermü­dung. Dabei mehr Gleichgültigkeit, Apathie, Torpidität, oder umgekehrt erhöhte Erregbarkeit. Diese Zustände geben um so dringendere Indicationen ab, je mehr sie als Grundlage der Krankheit angesehen werden können — Eadical-Indicationen —, wenn sie die Krankheit steigern oder compliciren — eine wichtige symptomatische Indication — und endlich, wenn hier­durch ein physiologischer Ausfall bedingt ist, der als wesent-üches Hinderniss der Naturheilung anzusehen ist.
Der Terms, d, h. die vitale Spannung in den eontractilen Gebilden, ist physiologisch von zwei Factoren abhängig, quot;wie die Muskelarbeit, die Be­wegungen, 1) von einem continuirlichon Kerveneinflusse, dessen Beeinträch­tigung resp. Aufhebung in das Gebiet der Paralysen gehört und daher eine nervöse oder paralytische Atonic bedingt, 2) von der eontractilen Faser selbst, deren Contractionsfähigkeit, die von der Ernährung abhängig ist, eine durch mangelhafte Ernährung bedingte Atonic, die nutritive, wirkliche Laxität. In Organen, die weniger nervös sind, d. h. weniger unter Nerven-eiufluss stehen, ist der nutritive Tonus der vorherrschende oder auch der alleinige, und in solchen Organen handelt'es sieh natürlich auch vorzugs­weise um die nutritive Atonie. Die Ernährungsstörungen können ihren Grund in ungenügendem Nahrraaterial und auch in mangelhafter nutritiver Thätigkeit der Elementar-Formen und deren Derivate haben. Nach allen diesen ätiologischen Verschiedenheiten der Atonie sind nun auch die Mittel sehr verschieden, die den gesunkenen Tonus wieder heben können; so bie-
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#9632;
344nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die stärkende Methode.
tet bei nervöser Atonie die entgiftende, depurirende und erregende, bei mangelhaftem Material die restaurirende Methode entsprechende Heilmittel dar. Die gegenwärtige Methode ist es aber, die sich an die nutritiven und functionellen Factoren der contractilen Gebilde selbst wendet, sie anregt, bethätigt durch Mittel, die recht eigentlich als tonisirendc Mittel zu bezeich­nen sind. Bei complicirten ätiologischen Verhältnissen geben uns die er­wähnten Methoden auch die Mittel zur complicirten Therapie.
2. Organschwäche, verminderte physiologische Leistung einzelner Organe. Am meisten kommen hier die Verdauungs­organe und das Herz in Betracht, weil sie Centren von weithin reichenden Functionen bilden, die graduellen Schwankungen nicht selten ausgesetzt sind.
a)nbsp; nbsp; Geschwächte Verdauungsorgane. Diese geben stets eine besondere Heil-Indication ab, wenn sie nicht eine organische Abnormität zur Grundlage haben, sondern in Ato­nie und Trägheit der Bewegung beruhen. Zustände, die sowohl als Theilerscheinung neben allgemeinen Schwächen in gesunden und kranken Individuen vorkommen, als auch ganz selbstständig in Folge von faden, wässerigen, mastigen Nah­rungsmitteln, von Diätfehlern — Ueberladungen, Ausdehnungen —, von Reizungen und Verstopfungen — Abstumpfungen, Er­müdungen, Erschöpfungen — oder auch mehr als Reflex von entfernten Störungen — consensuelle Trägheit — eintreten. Die magenstärkenden Mittel, die Stomachica, sind um so dringender angezeigt, je mehr eine allgemeine Körperschwäche aus dieser Organschwäche hervorwächst, je mehr die restaurirende Methode nothwendig wird, die immer ein Hinderniss in der Verdauungs­schwäche findet.
b)nbsp; nbsp; Verminderte Herzthätigkeit. Atonie des Herzflei­sches und gestörte Innervation sind die Grundlagen; vorherr­schende Dilatation, geschwächte Contraction, träger und elender Puls, verminderter Seitendruck und geringere Spannung in der Arterie sind die äusseren Erscheinungen. Eine seltenere Sepa-rat-Indication zur Stärkung, die aber in den Vordergrund tritt, wenn sich Circulationsstörungen, passive Hyperämien, Stauungen direct oder durch Transsudation -- Oedembildungen, besonders an den Beinen — bemerkbar machen.
Mittel.
Die Stärkungsmittel theilt man zweckmässig in natürliche — diätetische — und künstliche — pharmaceutische — ein.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;345
Die Anregung der Lebensthätigkeit darf nicht einseitig und ex­trem sein, sie darf die Harmonie nicht stören, sondern muss die gehemmten Functionen heben bis zur Harmonie aller Lebens-functionen; die sichersten Mittel hierzu sind die natürlichen physiologischen Erregungsmittei, sie sind deshalb auch als die souveränen Stärkungsmittel zu betrachten; die pharmaceutischen Mittel müssen stets mit der Rücksicht ausgewählt und ver­abreicht werden, dass die künstliche Anregung dem Normalen möglichst entspricht, dass sie keine einseitige reactive Anstren­gung bedingen, die durch Ermüdung und Abspannung in zwei­ter Linie die Schwäche vermehren.
A. Natürlltlie. ph^siolugischr StärkiiKKsmiUcl.
1.nbsp; nbsp;Leicht verdauliche und nährkräftige Nahrang. Wenn auch nicht Stoffmangel die Ursache der Schwäche ist, die restaurirende Methode nicht das Heilmittel allein ist, so bleibt bei jeder Stärkungsweise durch und ohne pharmaceutische Mittel kräftige Nahrung immer eine diätetische Nothwendigkeit. Die restaurirende Methode ist also auch hier die Grundlage.
2.nbsp; nbsp;Frische reine Luft. Unter allen Umständen ein Stär­kungsmittel, dessen Effect aber um so grosser ist, je mehr ein Mangel an diesem Lebensmittel Antheil hat an der Schwäche und Abspannung. Wo Mangel an atmosphärischem Sauerstoff, da ist mangelhafte Verbrennung und Hemmung im Stoffwechsel, die Nutrition ist dann trotz dem Vorhandensein der besten Nährstoffe beeinträchtigt; mit mangelhafter Verbrennung ist Schwäche in allen Lebensacten gegeben, die durch kein anderes Mittel auszugleichen ist, als durch den vernichtenden, zehren­den, aufräumenden und purificirenden Sauerstoff. Zur Umsetzung der Materie in Kraft ist Sauerstoff erforderlich; deshalb ist er Lebensluft, und als solche auch ein Stärkungsmittel.
3.nbsp; nbsp;Ruhe und Bewegung bilden den dritten Factor im Bunde. Ruhe nach ermüdender Anstrengung stärkt; Arbeits-thiere, die durch schwere Arbeit heruntergekommen sind, wer­den durch Ruhe ohne therapeutisches Hinzuthun gestärkt. Schlaf gewährt die vollkommenste Ruhe, deshalb das vollkommenste Stärkungsmittel bei Abspannungen durch Arbeit; nicht bloss die Muskeln, sondern auch das Sensorium und mit diesem das ganze Nervensystem und so der Organismus in seiner Totalität ruht im Schlafe, deshalb ist er bei geistig arbeitenden und durch
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346nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die stärkende Methode.
Gemüthsaffecte beunruhigten Menschen ein unersetzliches und viel bedeutungsvolleres Stärkungsmittel, als bei den Thieren, bei denen psychische Abspannungen sehr untergeordnet sind. An­haltende Ruhe schwächt, während angemessene Bewegungen, d. h. in Abwechselung mit der nöthigen Ruhe, stärken. Kör­perbewegungen stärken direct die betreffenden Muskeln; die Muskelarbeit ist Umsatz der Materie in Kraft, sie kann nur unter gesteigertem Verbrennungsprocess zu Stande kommen, beide in Verbindung fördern die Ernährung, selbst die Neubildung; die Muskulatur entwickelt sich vollkommener, und so wird auch die Muskelleistungsfähigkeit überhaupt gehoben. Nährstoff kommt durch frische Luft und beides durch Muskel­arbeit erst zur vollen Wirkung. Die Bewegung stärkt aber auch noch indirect den ganzen Organismus durch consen-suelle Anregung anderer Organe, vor allen aber des Herzens, der Lunge und der Verdauungsorgane. Nur der Geübte hat Ausdauer, die wiederum bedingt ist durch kräftige Muskulatur und dadurch, dass Herz und Lungen mit ihrer Arbeit folgen können, dass weder im Kreislaufe in der Zu- und Abfuhr, noch im Athmen, in der Anwesenheit an Sauerstoff ein Ausfall ein­tritt. Die Verdauungsorgane können auf keine normalere und zugleich wirksamere Weise zur Tbätigkeit angeregt werden, als durch Körperbewegung. So liegt in der Gymnastik das Mittel, die Jugend und die Völker zu stärken; so können wir tüchtige Arbeitstliiere nur bei freier Bewegung in der Jugend heran­ziehen. Alle drei physiologische Stärkungsmittel zusammen sind die Grundlagen zum naturwüchsigen Gedeihen, zur Stärkung bei und nach Krankheiten.
4. Die Kälte. Bis zu einem gewissen Grade und unter Umständen gehört auch die Kälte zu den Stärkungsmitteln. Gute Luft muss immer eine gewisse niedrige Temperatur haben, und darin besteht ja eben das „Frischequot;; eine sehr warme Luft erquickt nicht, wenn sie auch ganz rein ist; eine Luft über etwa -|-]00R. verliert die erquickende Wirkung, weil der absolute Gehalt an Sauerstoff im Räume zu gering wird. Ausserdem dient das kalte Abreiben resp. Waschen und Schwemmen mit Vorsicht benutzt, als ein Stärkungsmittel, zunächst specicll der Haut.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;347
B. PhannaceuUsche Stärkungsmittel. Hierher gehören die sogenannten Tonica, denen man die Förderung, die Hebung des Tonus zuschreibt, die aber weniger bei der nutritiven, sondern bei der nervösen Atonie roborirend wirken, und die erquickenden Mittel, die Ancdeptica; beiderlei Mittel haben eine anregende Wirkung, die letzteren gehören sogar zu den flüchtigen Erregungsmitteln, sie kommen hier nur bedingungsweise in kleinen Dosen als Erquickungsmittel in Be­tracht und machen den Uebergang zu der folgenden Erregungs-inethode. Als Anregungsmittel ist es selbstverständlich, dass sie nur neben den vorstehenden physiologischen Stärkungsmit­teln in Anwendung kommen können.
1.nbsp; nbsp;Die Eisenmittel. Martialia. Das Eisen ist ein tonisches Mittel, welches da am besten passt, wo es zugleich als Stoff­ersatzmittel, als Instaurantium in Betracht kommt, also bei Atonie in bleichsüchtigen, hydraulischen und anämischen Individuen.
2.nbsp; nbsp;Die bitter-gerbstoffhaltigen Rinden und andere Pflanzen-theile, vor allen China- und Weidenrinde. Von den Alkaloiden dieser Rinden ist das Salicin als billigeres Mittel zu bevor­zugen, welches als ein gutes Tonicum in der Thierheilkunde an die Spitze zu stellen und in allen den Fällen ganz besonders zu empfehlen ist, wenn die Eigenwärme gesunken ist und Col-lapsus einzutreten droht — 4 Grm. für Pferde, •^ — ^ Grm. für Hunde.
3.nbsp; nbsp;Brechnuss in kleinen Dosen (4 — 5 Grm. bei Pferden, 1—2 Ogr. bei Hunden).
4.nbsp; nbsp; Einfach bittere Mittel, Amara, die Magenmittel, Sto-machica, d. h. Mittel, welche den Tonus des ganzen Verdauungs-kanales heben und die Verdauung fördern. Der Organismus bereitet sich selbst'ein Amarum (die Galle) zu diesem Zwecke, und deshalb sind sie als ganz naturgemässe Stärkungsmittel für die Verdauungsorgane zu betrachten, die einen adäquaten Reiz auf die Bauchganglien üben und reflectorische Thätigkeiten er­wecken. Sie gehen auch ins Blut und Fleisch über, und scheinen hier noch ihre tonische Wirkung zu äussern. Aloe-Extract (wässeriges), Entian, Bitterklee, Tausendgüldenkraut, Werrauth sind die billigen und wirksamen bitteren Mittel; von den Kräutern wirken die Decocte am besten.
5.nbsp; nbsp; Gewürzhafte, ätherisch-ölige Mittel. Die bitterstoffballi­gen Mittel dieser Art schliessen siqh den bitteren an und sind
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348nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die stärkende Methode.
die eigentlichen Stomachica; Calmus ist Repräsentant dieser Mit­tel, Rainfarren und Schafgarbe sind billige Ersatzmittel. Meer-rettig, Senf, Pfeffer und Asant sind als erregende Magenmittel bei grosser Torpidität am rechten Orte und machen den Ueber-gang zur nachstehenden Kurmethode.
ß. Spirituosen. Wein, Branntwein und Bier sind respira-torische Ernrihrungsmittel und zugleich belebend und erwär­mend, sie sind deshalb wirkliche Erquickungsmittel, jedoch nur in kleinen Dosen, in grossen Dosen sind sie Erregungsmittel, die leicht mit nachfolgender Abspannung verbunden und dann nicht stärkend und mehr erquickend sind. Bei den Thieren im Gan­zen wenig gebräuchlich. Gewöhnlich können wir unsere Haus-thiere nicht so methodisch mit Bier und Wein tractiren, wie zur wirklichen raquo;Stärkung erforderlich ist. Dass diese Mittel aber auch stärkend für die Thiere werden können, sieht man an der ungewöhnlichen Kräftigkeit der Pferde in Brennereien, wenn sie kleine Quantitäten Bier mit ihrer Nahrung bekommen.
Nach Liebig verwandelt sich der Alkohol im Blute schnell in Alde­hyde, die dann weiter schnell in Essig--, Oxal- und Kohlensäure übergehen. Hiemach dienen sie als wänneerzeugende, also als respiratorische Nah­rungsmittel. Dies schliesst auch die feststehende erregende Wirkung nicht aus. Alle erregende Mittel, vor allen aber die Spirituosen, sind nur dann und so lange wirkliche Stärkungs- und Erregungsmittel, als die Ernährung dein durch Aufregung erhöhten Stoffverbrauche folgen kann. Trinkt man z. B. eine kleine Quantität Wein, so fühlt man sich gekräftigt, ohne dass Abspannung nachfolgt; geniesst man eine grössere, so tritt eine mehr stür­mische Aufregung im Gefäss- und Nervensysteme ein, man fühlt sich aus-serst thatkräftig. bald aber folgt Abspannung, Müdigkeit — weil eben der Stoffersatz mit dem Stoffverbrauche nicht gleichen Schritt halten konnte —; trinkt man ausgehungert — des Morgens nilehtern — auch nur eine kleine Quantität Wein, so bleibt eine baldige Abspannung, eine Ermüdung nicht aus, während man bei und nach einer reichlichen Mahlzeit grössere Quan­titäten ohne nachfolgende Abspannung gemessen kann.
Contra - ludicationen.
Die Methode selbst hat bei den Beschränkungen, mit wel­chen wir die ludicationen aufgestellt haben, keine Contra-Indi­cation, es kann sich hier deshalb immer nur um einzelne Stär­kungsmittel handeln. Die frische reine Luft ist ein souveränes Mittel, erhaben über alle Contra-Indicationen; die Bewegung ist namentlich verboten bei Herz- und Lungenleiden, besonders
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Contra - Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;349
wenn noch ein entzündlicher Charakter da ist, bei Störungen im kleinen Kreislaufe, kurz überall, wo die allgemein erhöhte Thätigkeit Beschwerden yerursacht. Besonders beziehen sich die Contra Indicationen aber auf die pharmaceutischen mehr oder weniger erregenden Mittel, die wir überall vermeiden müssen, wo erhöhte Reizbarkeit und entzündliche Zustände bestehen, besonders aber in den Verdauungswegen.
Die erregende, reizende ülethode. Methodus excitans.
Bei dem hier und da noch spukenden Brownianismus will ich vorweg bemerken, dass es sich hier nicht um ein Heilsystem, wie ehemals, sondern um eine der verschiedenen Heilmethoden — Kurarten — handelt. Die erregende Me­thode schliesst sich der stärkenden an, wie sich letztere der restaurirenden anschliesst; alle drei Methoden laufen auf Hebung der Kräfte, der Leistungsfähigkeit und Leistung im Einzelnen wie in der Totalität hinaus, bei der gegenwärtigen Methode handelt es sich aber um stärkere und mehr einseitige Anrcgun gen. Die erregende Methode kann in sehr umfassendem Sinne aufgefasst werden, die generellen Zwecke sind dann:
1) gesunkene und selbst eingegangene Functionen zu lieben resp. zu erwecken, und 2) normale Functionen höher zu stei­gern, selbst pathologische Processe zu erzeugen. In letzte­ren Beziehungen umfasst sie die ausleerenden und ableitenden, hautreizenden Methoden, die aber für sich selbstständig abgehan­delt worden sind, so dass wir uns hier auf den ersten allgemei­nen Zweck beschränken können. Demnach ist hier eine gewisse Trägheit resp. Unthätigkeit die allgemeine pathologische Grund­lage für diese Kur: Trägheit aus mangelhafter Reiz-erapfänglichkeit und Trägheit aus Mangel an Reizen. Das Gesetz der Trägheit ist in der ganzen Natur, im lebenden Organismus aber gerade am meisten ausgesprochen. Das mäch­tige Gesetz der Gewöhnung beruht wesentlich darauf; unthätige Organe beharren gern in Unthätigkeit; je länger die Unthätig­keit, je mehr sinkt die Leistungsfähigkeit; träge Thätigkeiten führen zur Schwäche, geregelte Thätigkeiten stärken das Organ;
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350nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
so wächst und wuchert die Trägheit nach Naturgesetzen. Wo also Unthätigkeit resp. Trägheit in der Function, da ist Sporn und Peitsche nothwendig, den faulep Gaul anzutreiben, dem man aber natürlich nicht mehr zumuthen darf, als er leisten kann, und der durch Restauration leistungsfähig erhalten wer­den muss.
Der Brownianismus hat zum Missbrauche dieser Methode geführt, der in der Thierheilkunde lange vorgehalten hat und bei den älteren Thier-ärztcn der Jetztzeit noch nicht ganz ausgerottet worden ist. Hierauf ver­fiel man vielfach in den entgegengesetzten Fehler, man sah überall Ent­zündung und Reizung und wagte kaum diese Methode anzuwenden. Erst nachdem man sich überzeugt hatte, dass man in dieser Furcht zu weit ge­gangen war, dass Entzündungen auch ohne Aderlass und antiphlogistische Substanzen geheilt werden können, kam diese Methode wieder zu ihrem gebührenden Ansehen. In England scheint man in neuerer Zeit mit dieser Methode weiter zu gehen, als in Deutschland, man behandelt hier auch die Typhen, asthenische Entzündungen und Rheumatismus mit stimulirenden Mitteln. Es ist dabei nur zu wünschen, dass es hier nicht zum zweiten Male zum einseitigen Brownianismus komme.
Indicationen.
Die speciellen und gewichtigsten Indicationen für den rech­ten Gebrauch sind besonders im Gebiete der Nerven gegeben.
1.nbsp; nbsp; Allgemeine Trägheit, Atonie, Asthenie und mehr oder weniger gesunkene Körperwärme; Collapsus und Marasmus sind die höchsten Grade. Hier knüpft die erregende Methode mit der stärkenden unmittelbar an; beide gebrauchen dieselben Mittel zu denselben Zwecken, zur Anregung der Thätigkeiten und För­derung der Nutrition; je mehr aber die Trägheit in einer man­gelhaften Innervation oder in einer gewissen Reizlosigkeit liegt, je mehr es auf directe Anregung durch stärkere Reizungen an­kommt, desto entschiedener hebt sich die' erregende von der roborirenden Methode bei dieser Indication ab.
2.nbsp; nbsp;Depressionen in den sensoriellen Functionen der Sinnes­empfindung, Vorstellung und dem Bewusstsein. Diese Zustände sind bei unseren Hausthieren, namentlich aber bei Pferden, ge­wöhnlich die Folge des Gehirndruckes — Blut- und Wasser­druck, Hyperämie, Transsudate in den Ventrikeln und zwischen den Blättern der Öpinnewebenhaut —, und dann passen die erre­genden Mittel in den seltenen Fällen; nur bei Anämie, Typho-manie und Narkose ist eine Indication für die erregende Methode
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 351
gegeben. Als specielle Krankheitsform ist hier das nervöse Kalbefieber hervorzuheben.
3.nbsp; Sensitive Lähmungen, Torpor — d. h. sensitive Abstum­pfung mit mangelhaften Eeflexactionen — und Anästhesie. Je ent­schiedener hierbei das Sensorium in seinen sonstigen Functionen frei ist, desto entschiedener die Indication für unsere Methode. Je_ indolenter die Patienten, je mehr die Reizempfänglichkeit gesunken, je mehr die reactiven Thätigkeiten darnieder liegen, und je schwerer sie zu erwecken sind, desto mehr sind die wirksameren Mittel dieser Methode angezeigt.
4.nbsp; nbsp;Motorische Lähmungen in den verschiedensten Abstufun­gen — Trägheit, Paresis und Paralysis —. Alle paralytischen Zustände im locomotorischen Apparate, gleichviel, ob mit oder ohne sensitive Störung, ob mehr vom Gehirn ausgehende, hemi-plegische, oder vom Rückenmark ausgehende, paraplegische, oder auf einzelne Nerven beschränkte, sind Indicationen, sobald kein mechanisches Hinderniss — Druck oder Trennung: —. zum Grunde liegt. Die in Anwendung kommenden excimotorischen Mittel — die Antiparalytica — wirken als peripherische Reiz­mittel bei äusserer und hypodermatischer Anwendung, oder als eentralo Erregungsmittel beim innerlichen Gebrauche.
5.nbsp; nbsp;Trägheit und paralytische Zustände im Gebiete des sym­pathischen Nervensystems, die sich immer mehr local in be­stimmten Organen äussern und specielle Indicationen für die organerregende Methode abgeben. Jedes Organ unter der direc-ten Herrschaft des Gangliennervensystems kann Object dieser Methode werden, gewöhnlich aber sind die Verdauungsorgane, das Herz und die Gebärmutter, Gegenstand der organerregen­den Methode.
a) Die Verdauungsorgane. Zwischen der gewöhnlichen Ver­dauungsschwäche, welche wir als Indication für die roboriren-den, magenstärkenden Mittel kennen gelernt haben, und den In­dicationen für die Erregungsmittel besteht keine Grenze, je mehr jedoch die Verdauuugsschwäche in einer Torpidität ihren Grund hat und selbst bis zur Paralyse geht, desto entschiedener ist die Indication für die Organerregung ausgeprägt. Seltene oder gänzlich unterdrückte Magen- und Darmgeräusche, seltene und unterdrückte Entleerungen verkünden immer Trägheit resp. gänz­liches Darniederliegen der peristaltischen Bewegung. Sofern hierbei keine Erscheinungen der Darmentzündung gegeben sind,
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352nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die erregende Methode.
müssen wir zu den organerregenden Mitteln greifen. Von den speeiellen Kranklieitsfonnen treten in den Vordergrund, einmal das Kalbefieber, welches neben mehr oder weniger Depres­sion im cerebrospinalen Systeme immer zunächst und vorherr­schend, also wesentlich in Paralyse der Hiuterleibsorgane, spe-cicll des Verdauungskanr.les vom Wanste bis zum After besteht, und diejenige Form von chronischer Kolik der (besonders älteren) Pferde, bei welcher stets Ansclmppungen im Blind­därme bestehen, die auf verminderter Thätigkeit der Muskelhaut beruhen, sieb immer wiederholen und die nachhaltigste Anwen­dung der organerregenden Mittel erfordert. Wie zwischen den Indicationen für die stärkende und erregende Methode bezüglich der Verdauungsorgane keine Abgrenzung besteht, so ist es auch bei den betreffenden Organmitteln der Fall. Die hier in Be­tracht kommenden erregenden Mittel enthalten zum grossen Theil auch Bitterstoff und diese machen den Uebergang zu den roborirenden bitteren Mitteln in dem Grade, als Bitterstoff ver­waltend wird; ja dieselben Mittel, die in grossen Dosen zu den darmerregenden gehören, dienen in kleinen Dosen als tonische, roborirende Magenmittel. So haben wir zwischen Stomachica und Drastiea Uebergänge.
h) Träge Herzthätigkeit, welche wir bei der roborirenden Methode (8. 344) als Indication aufgefasst haben, verlangt im höheren Grade bei gleichzeitig gesunkener Temperatur und überall, wo eine mangelhafte Innervation sich ausspricht oder aus anderweitigen gleichzeitigen asthenischen und paralytischen Zuständen zu folgern ist, starke organerregende Mittel, die Car-diaca, namentlich die zugleich erhitzenden, die Calefacientia. In den meisten Fällen ist die hier in Betracht kommende mangel­hafte Herzthätigkeit eine Theilorscheinung und dadurch leich­ter zu erkennen, die aber oft ganz besondere Berücksichtigung verlangt bei der Auswahl der erregenden und belebenden Mittel.
Die Verhältnisse sind hier dadurch compUcirt, dass das Herz zwei ver­schiedene Xervcnccntren hat, die einen entgegengesetzten Ehifluss auf die Herzthätigkeit ausüben: die sympathischen Herznerven, die ihre nächsten Centren im Herzen selbst haben, sind die anregenden, zur Thätigkeit auf­fordernden, die Herzfäden des Vagus dagegen die moderirenden und regu-iirenden Factoren. Ohne Einfluss des Vagus tritt bald Erschöpfung ein, das Herz arbeitet sich todt; ohne Einfluss der Ganglienuerven keine Herzaction; bei Ubenuächtigein Vagus-TLvaRasa Ilemmung der Herzbewegungen {E.Weber); dies alles ist experimentell festgestellt. Jedes Missverhältniss zwischen
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Indlcationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 353
diesen beiden Einflüssen bat also Störung zur Folge, jedes Missverhältniss, was durch einseitig zu geringen Einfluss bedingt wird, ist Indication für unsere Methode; rücksichtlich der anzuwendenden Mittel ist es aber wesentlich, zu wissen, auf welcher Seite die Schwäche liegt. Die Verhält­nisse stellen sich verschieden.
1)nbsp; nbsp;Beide Nerveneinflüsse sind zu schwach; für gewöhnlich keine Stö­rung des Khythmus, zuweilen etwas vermehrte Frequenz, immer aber elen­der Puls, pochender Herzschlag, allgemeine Körperschwäche. Hier allge­meine Erregungs- und Stärkungsmittel.
2)nbsp; Verminderter Einfluss des Sympaticus; Puls mehr oder weniger ver­zögert, zuweilen aussetzend, träge, elend, geringe Spannung der Arterie; Temperatur meist gesunken. Hier die eigentliche Herzschwäche, Herz-parese und daher die Mittel, welche gewöhnlich unter herzstärkende, Car-üiaca, und erwärmende, Calefacientia, verstanden werden.
3)nbsp; nbsp;Verminderter Einfluss des Vagus. Puls sehr beschleunigt, sehwach und klein, oft unregelmässig in Zeit und Stärke; Arterie mehr gespannt. Die Reizmittel für den Vagus, die sogenannten herzberuhigenden Mittel sind hier angezeigt. Bei Störungen durch einseitige Steigerung des Einflusses gestalten sich umgekehrte Verhältnisse.
Ein Fall möge den Puls bei krankhaftem — anfänglich gesteigertem, später gelähmtem — Einfluss des Vagus charakterisiren. Ein junges, edles Pferd wurde wegen plötzlich eingetretener Sehwindel anfalle der Anstalt übergeben. Gang unsicher; Kückwärtstaumeln und selbst Zusammenbrechen beim Aufheben des Kopfes; Puls deutlich, bis 60 pr. M., einzelne Schläge ausfallend; von folgendem Tage ab ein Herzton verschwunden, Puls sehr klein, recht häufig — nicht regelmässig — 5—15 Secunden aussetzend, da­bei folgte endlich ein leises Seufzen und Zurücktreten; die ausfallenden Pulse mitgerechnet, schwankte die Frequenz zwischen 28 und 60, nach vier Tagen zwischen 120 und 100: am 8ten Tag der Tod durch Herzlähmung; Appe­tit bis 1 Tag vor dem Tode ungestört. An der Stelle des Vagus-Axxstrit-tes ausserhalb' der dura mater gelblich seröse Infiltration; die weisse Sub­stanz des verlängerten Markes bis an den vierten Hügel gelbröthlich und stark durchfeuchtet. Das Herz welk ohne Fleischfarbe, Muskelfaser ohne Querstreifung, das Sarcolemma stellenweise mit Fettkörachen gefüllt.
c) Ungenügende Thätigkeit der Gebärmutter beim Gebären und Ausstossen der Nachgeburt. Gleichgül­tig, ob das Thier abgezehrt und schwach ist, ob es wohlge­nährt, feist und schlaff ist, oder ob örtlich in der Gebärmutter allein eine Schwäche, Atonie zum Grunde liegt, oder endlich ob vorangegangene stürmische, aber fruchtlose Contractionen eine Abspannung, Erschöpfung herbeigeführt haben; beiquot; allen Zuständen, wo die Contractionen zu sparsam und zu schwach sind, da müssen sie möglichst angespornt werden, ohne alle Rücksicht auf die körperlichen Kraftverhältnisse; denn es han­delt sich hier nicht um eine nachhaltige grössere Thätigkeit der
G er lach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 23
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354nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
Gebärmutter, sondern um momentane Kraftäusserung, um einen physiologischen Act zu Ende zu führen. Bei den Kühen ist das Zurückbleiben der Nachgeburt eine häufige Erscheinung, nament­lich in den Jahren und Ställen, wo sich Hungerhaare und Hun­gerläuse einfinden. Die häufigste Grundursache ist, dass bei allgemeiner Schwäche und localer Atonie in der Gebärmutter die Contractionen der letzteren nach der Expedition der Frucht sofort sistiren, und wenn bei dem Geburtsacte selbst die Eihäute nicht schon so weit mit hervorgetreten sind, dass sie sich nach physikalischen Gesetzen selbst nach und nach herausziehen, so bleiben sie aus Mangel an Nachwehen sitzen; selten tritt später noch eine austreibende Wehe ein, meist folgt Verwesung, wobei die Thiere zum Gerippe abzehren. Wenn man nicht vor­zieht, ohne Mithülfe der Gebärmutter die Eihäute direct abzu­holen, dann sind die kräftigsten wehenerregenden Mittel an ihrem Orte; bei partieller Verwachsung der Eihäute, was übri­gens selten vorkommt, nützen sie natürlich nichts.
Die hier in Anwendung kommenden Mittel sind die frucht­treibenden, wehenmachenden — Ecbolica —, die scharfen, harn­treibenden und purgirenden Mittel, auch die localen Reizungen in der Scheide und am Muttermunde durch Tamponade, Mani­pulation, Injection von kaltem Wasser etc. gehören hierher.
Das Centrum der verschiedenen Indicationen für diese Methode bilden die Nerven in einer ungenügenden Thätigkeit resp. Leistungsfähigkeit; de­ren anatomische Ursachen, auf die ich hier noch in der Kürze zurückkora-inen muss, können im Allgemeinen folgende sein: 1) die quot;Nervencentreu oder die Nerven in ihrem Verlaufe sind irgendwo mechanisch belastet durch Bhitfiille in den Gefässen, durch ausgetretenes Blut, durch Krankheitspro-duete, durch Dislocation einzelner Theile etc.: 2) die Xervemnasse selbst hat eine Alteration erlitten durch toxische Einwirkungen, durch anhaltende Unthätigkeit, durch Missverhältnisse in ihren normalen Bestandtheilen, durch einen abnormen Ernährungsprocess — Degeneration —: auf diese Altera­tion schliessen wir, wenn jene mechanischen Belastungen nicht vorhanden oder zu präsurairen sind, und die normalen Reize einen zu geringen oder gar keinen Efteet haben; 3) Mangel an normalen Beizen, wo das Blut von solcher abnormen Beschaffenheit ist, dass es nicht den belebenden, anregen­den Einfluss auf das gesammte Nervensystem hat, mit dem es in einem beständigen Wcchselverhältnisse steht, wie dies z. B. hei einem kohlenstoff­reichen, schwarzen Blute sehr auffällig hervortritt. Die unter 2) und 8) angeführten Zustände fallen nicht selten zusammen, indem die abnorme Blutbeschaffenheit weiterhin auch abnorme Ernährungsverhältnisse in djr Nervensubstanz bedingt.
Die mechanische Belastung kann niemals Gegenstand der erregenden
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 'nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 355
Methode sein; eben so wenig, wie man die Entfernung eines fremden Kör­pers zu der schmerzstillenden Heilmethode zählen kann, weil damit ein Schmerz beseitigt wird, eben so wenig kann man diese Operation zu den erregenden Mitteln zählen, wenn dadurch die unterdrückt gewesene Func­tion eines Nerven oder einer ganzen Nervenprovinz wieder frei wird. Die erregenden Mittel können nicht entlasten, so weit sie nicht einen ableiten­den Reiz setzen. Die erregende Methode kommt nur bei den übrigen Zu­ständen inBetracht, wenn eine direct erregende und belebende Ein wirkung auf die Nerven der nächste Zweck ist.
Diese erregende Einwirkung ist eigentlich nur ein symptomatisches Ver­fahren, zu dem wir jedoch berechtigt, ja verpflichtet sind: 1) weil eine solche Trägheit in allen Verrichtungen nothwendig verschlimmernd auf den Krankheitsziistand zurückwirkt; 2) weil wir die Grundvcränderiingen in solchen Zuständen gewöhnlich eben so wenig kennen, als die Mittel, sie auf direetem Wege zu beseitigen, und so lange dies der Fall ist, bleibt auch die vorübergehende Beseitigung oder Minderung eines folgenschweren Symptomes eine Unterstützung, ein Gewinn für die heilende Natur; 3) end­lich und hauptsächlich ist die symptomatische Erregungsmethode bei den augeführten Krankheitszuständen deshalb noch am rechten Orte, weil durch die künstliche Anregung der darniederliegenden Nerventhätigkeit nicht sel­ten die Grundstörungen ausgeglichen werden, so dass die symptomatische Kur schliesslich eine Radicalkur wird, indem mit der erweckten Nerven­thätigkeit auch die unterdrückten Processe wieder erwachen, der Stoffwech­sel angeregt und so die Grundlage zur Einleitung der Krisen gegeben wird.
Die Mittel.
Es giebt vielerlei Erregungsmittel, verschieden nach den angeregten Lebensacten, und verschieden nach den Organen, auf die sie wirken; alle sind in ihrer Wirkung wohl zurück­zuführen auf die Elementarformen, resp. deren Derivate, und in diesen können sie jede Lebensthätigkeit — die nutritive, die forma­tive und die functionelle — und auch alle zugleich mehr oder weni­ger anregen. Die Mittel, die vorzugsweise oder allein auf die Merven wirken und die functionelle Seite heben, sind die Ner­vina, die sich entweder ganz allgemein, auf alle Functionen mehr oder weniger erstrecken, die gewichtigsten Mittel unserer Me­thode, oder sich speeifisch auf einzelne Nervencentren beziehen, wodurch sie dann eben wieder Organmittel werden. Andere Mittel äussem ihre erregende Wirkung auf die verschifedenen Gewebe der Organe, die eigentlichen directen Organmittel. Ent­sprechend der Einschränkung unserer Methode, schliessen wir hier natürlich alle jene Organmittel aus, welche besondere Kur-raethoden begründen und hierbei specieller in Betracht kommen.
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356nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; *nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
Mit gesteigerter Function geht gesteigerter Stoffverbraucli Hand in Hand; deshalb führt zu starke einseitige Functionssteigerung leicht zur Ermüdung und Erschöpfung; dies gilt vor allen bei den nervenerregenden Mitteln, den gewichtigsten dieser Methode. Deshalb sehen wir, dass nach den erregenden Mitteln in gros-sen Gaben Abspannung eintritt, welche namentlich bei den Spi­rituosen und ätherartigen Mitteln am auffallendsten hervortritt, bei den ätherischen Oelen viel geringer und bei den scharfen Reizmitteln am geringsten ist. Die Erscheinung, dass einige Narcotica — Opium u. a. — und alle Anaesthetica in kleinen Gaben erregen und beleben, in grösseren aber betäuben und gefühllos machen, mag zum Theil auch auf dieser Thatsache beruhen, weshalb denn auch die meisten dieser Mittel in klei­nen Gaben der erregenden, in grossen dagegen der herabstim­menden, beruhigenden Methode dienen.
Nach der Dauer der Wirksamkeit unterscheidet man flüch­tige und permanente Reizmittel; jene nehmen bei der Blutwärme die Gasgestalt an und verbreiten sich sehr schnell im ganzen Körper mittelst des Blutes; nur in kleinen, oft wiederholten Gaben entsprechen sie dem Zwecke der erregenden Methode, in grösseren Quantitäten bringen sie nach einer kurzen heftigen Aufregung Abspannung und Schwäche; die permanenten Mittel schliessen sich einerseits den tonischen an, umfassen die schar­fen — acria — und gehen gradatim in die flüchtigen über; die scharfen Mittel charakterisiren sich aber dadurch, dass sie Ört­lich an der Stelle der Einwirkung eine stärkere Irritation, selbst Entzündung erregen, dass sie nach dem Uebergange in das Blut von hieraus wieder auf bestimmte Organe reizend einwirken und so je nach ihrer specifischen Richtung bestimmte Functio-nen steigern, dass aber auch manche in sehr auffälliger Weise auf das Blut selbst, namentlich auf die Körperchen einwirken. Die flüchtigen Erregungsmittel wirken immer allgemein; die tonischen Reizmittel, namentlich aber die scharfen dagegen immer auf ein bestimmtes Organ oder ein System von Organen vor­herrschend, mitunter fast ausschliesslich reizend und erregend, so dass dadurch die Möglichkeit gegeben ist, die erregende Methode auf einzelne Organe zu richten.
1. Die Spirituosa und Aetherarten. Als Stärkungs­und Erregungsmittel haben wir sie schon bei der roborirenden Methode kennen gelernt; hier kommen sie als Erregungsmittel
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 357
in Betracht. Alle diese Wirkungen sind jedoch nur graduelle Verschiedenheiten; in grösseren Dosen treten die erregenden und in noch grösseren die toxischen Wirkungen — Betäubung und Lähmung — hervor, die unserer Methode direct entgegen stehen. Von den kleinen bis zu den mittleren Dosen sind es Erregungsmittel des Nervensystems, vor allen des grossen Ge­hirns, des Herzens und der Verdauungsorgane. Bei den heiss-hungerartigen Zufällen, die namentlich bei alten und abgetrie­benen Pferden sich zuweilen bei der Arbeit einstellen, ist ein Stückchen Brod, mit Branntwein getränkt, ein erquickendes Heil­mittel; erschlaffte Renner können durch ein Glas Wein oder Branntwein mit Brod schnell gestärkt werden; überall bei mo­mentanen Abspannungen und Erschöpfungen in kleinen Dosen belebend und erwärmend.
2. A e t h e r i s ch e O e l e und solche Mittel, deren wirksamer Bestandtheil ein solches Oel ist. Sie haben nicht die Abspannung zur Folge, wie die eben erwähnten, bei angemessener Anwendung kann man diese unwillkommene se-cundäre Erscheinung verhüten. Die Anzahl dieser Mittel ist gross, sie sind dem Grade, wie auch der specifischen Richtung auf einzelne Organe nach, in ihrer erregenden Wirkung sehr ver­schieden, worüber die Arzneimittellehren näher belehren*). Die gebräuchlichsten Erregungsmittel dieser Art sind: Kampfer und kampferhaltige Pflanzenstoffe, namentlich Alantwurzel und Münz­kraut, besonders Meniha piperita und crispa, allgemein flüch­tig erregend und erwärmend — volatile Calefacientien. Die verschiedenen zuckerstoffhaltigen ätherisch-öligen Mittel — Wach-holderbeeren, Fenchel-, Anis- und Dillsamen — als gelind erre­gende Mittel für Schleimhäute bei verminderter Reizbarkeit; die gewürzhaften ätherisch-öligen Mittel als belebende Mittel für die Verdauungsorgane, von denen Calmus der Repräsentant ist; von den harzigen balsamischen Mitteln haben wir in Oleum terebin-thinae, Oleum animale foetidum und Asa foetida billige und wirk­same Erregungsmittel auf die Bauchnerven und auf alle Schleim­häute, in denen sie den Tonus vermehren; das specifischste tonisirende Schleimhautmittel ist der Copaivabalsam, der bei Auflockerung, Atonie und Flächeneiterung, bei der Staupe der Hunde, bei chronischen Schleimflüssen kaum zu er-
*) Hertwig. Handbuch der Arzneimittellehre für Thierärzte. 1863. Oesterlen. Handbuch der Arzneimittellehre. 1861.
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358nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
setzen ist. Ferner die empyreumatischen Mittel, die zu den allgemeinen Erregungsmitteln gehören und besonders die Herz-thätigkeit erhöhen, die gewürzhaften Erregungsmittel der Ver­dauungsorgane.
3.nbsp; nbsp; Scharfe Mittel. Sie enthalten einen scharfen Stoff
—nbsp; Princi'pi'Hm acre — in verschiedenen Graden, so dass man unter ihnen die Abstufungen bis zu den Aetzmitteln hin findet, dieses Princip ist fixer Natur und wirkt nur an der Stelle der Berührung. Einzelne sind zugleich ätherisch-ölige Mittel, welche mit der localen Eeizung eine allgemeine Aufregung in verschie­denen Graden verbinden, so die scharfen, gewürzhaften Mittel namentlich Senf, Pfeffer, Meerrettig, Arnica, Bertramwurzel
—nbsp; nbsp; Rad. Pyrethri —, Pimpinelle, Sadebaum u. a.; andere sind mehr rein scharfe Mittel, die besonders local an der Stelle der directen Einwirkung und nach dem Uebertritte in das Blut auf bestimmte Gewebe, namentlich auf gewisse Absonderungs­organe reizend wirken — acria fixa. Alle sind Reiz- und Erre­gungsmittel für die Verdauungsorgane, besonders aber die ge-würzhaften: Radices Pyrethri, Pimpinellae als Halsmittel; Zimmt-tinetur, Canthariden, Sadebaum und Mutterkorn als Gebärmut-termittel — fruchttreibende Mittel, Ecbolica —, und zugleich auch Eierstocksmittel, die Brunst anregend. Die Erregungs­mittel der Absonderungsorgane werden wir später kennen lernen.
4.nbsp; nbsp;Die Narcotica. Nur in kleinen Dosen gehören diese Mittel hierher. Opium, Belladonna und Stechapfel sind Erre­gungsmittel für das grosse Gehirn und für die erweiternden Fac-toren der Pupille; besondere Ah/driatica aber sind die Mittel der Familie der Solaneen, an ihrer Spitze steht das Atropin, das zugleich eine Gefässcontraction verursacht; die Calabar-Bohne ist ein Reizmittel für die Factoren der Verengerung der Pupille — Myoticum —; Digitalis, Aconitum und Nicotiana sind scharfe Narcotica, Reizmittel des verlängerten Markes und des Vagus, herzstärkende Mittel bei grosser Pulsfrequenz und Con­traction des Herzens in Folge von geschwächtem Einfluss des Vagus, selbst auch in Folge einer Reizung der Gefässnerven. Brechnuss ist das speeifischste Rückenmarksraittel und zwar ein mächtiges Reizmittel, welches die Reizbarkeit erhöht und Krampf erzeugt, also bei gesunkener Thätigkeit — natürlich ohne entzünd­liche Processe — das rationellste und in Wirklichkeit auch das heilsamste Mittel ist.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 359
Die Erweiterung der Pupille kann allerdings immer eintreten bei Erschlaf­fung der contractilen Kreisfasern, es ist aber kein blosses passives Phänomen, sondern beruht hauptsächlich auf Verkürzung der radialen contractilen Ele­mente der Iris, die den erweiternden Apparat — dilatator pupillae — bil­den und unter der Herrschaft des Sympaticus stehen. Greringe Erweiterungen können Lähmungsphänomene des Nervus oculomotorius sein, beträchtliche Erweiterungen aber sind Beizphänomene des Sympaticus; die Mydriatica sind also Reizmittel des Gangliensystems. Das Atropin verursacht zugleich Blässe der Bindehaut und Abplattung der Linse, macht zunächst weitsich­tig und hebt das Sehvermögen ganz auf. Nach der Durchschneidung des .Sympaticus der einen Seite trat die Wirkung des Atropins nach hypoder-matischer Anwendung in dem Auge der nicht operirten Seite nach 6 Minu­ten, in dem Auge der operirten Seite erst nach 20 Minuten ein: sie trat aber ein und dadurch weichen meine Resultate von denen ab, welche IZVoraquo;-hot (Recueil 1867. C. Septbr.) bei einseitiger Durchschneidung des Sympa­ticus am Hunde gefunden hat. Die Isolirung des sympathischen Nerven von dem Vagus ist jedoch bei Hunden so schwierig, dass ich auf dieses Experiment bei Hunden verzichtet habe und Bedenken trage, auf die Er­gebnisse dieser Operation ein Gewicht zu legen.
Die Calabar-Bohnc ist ein Mittel neuester Zeit, sie kommt von einer Loguminose, Physostigma venmosum. Bis jetzt nur zur Verengerung der Pnpille gebräuchlich; zu diesem Zwecke wird ein Extract bereitet, mit wel­chem Papier imprägnirt wird, -son dem man schmale Streifen zwischen die Augenlider legt. Man kann das Extract auch direct mittelst eines ange­feuchteten Pinsels auf die Bindehaut der Augenlider streichen. Ein hirse-korngrosses Stück der Bohne soll nach Harley genügen, eine Katze zu tödten.
Aconitin zeigte bei meinen hypodermatischen Versuchen an Hunden eine beruhigende, die Frequenz herabsetzende und den Seitendruck vermindernde Wirkung, die bei Pferden nicht eintrat.
5. Glykoside, Alkaloide und Alkalien. Chinin und 8aHein sind roborirende Mittel, die neben Vermehrung des Tonus zugleich allgemeine Erregungsmittel sind, ganz besonders aber den Verbrennungsprocess steigern und so die Temperatur erhöhen. Bei Atonie, Asthenie und verminderter Körperwärme, bei Atonie der Schleimhaut mit profuser Flächeneiterung der Hunde-Staupe ein sehr empfehlenswertbes Mittel; im Repert. Bd. 26. S. 58 auch gegen Typhus empfohlen. Ob auch bei ge­steigerter Temperatur? Aucb das C äff ein — als Ersatz star­ker Kaffee — ist ein Reizmittel für Gefässnerven, steigert die Herzthätigkeit und den Verdauungsprocess.
Das Veratrin hypodennatisch angewandt ist ein Er-weckungsmittel bei Lähmungen und ein mächtiges contrastimu-lirendes Mittel bei rheumatischen Lahmheiten. Conf. Hautrei­zende Methode.
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360nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
Kali und Natron sind Erregungsmittel für FHmmerbewe-
gungen*).
Versuche.
Bei Pferden. Chinin, schwefelsaures: 6 Cgr. mit 4 Grm. Wasser hy-podermatisch angewendet; aussei- der örtlichen starken Reizung Tempe-ratursteigerung um 1,4deg; C. auf 24 Stunden. 4 Grm. innerlich in einer Dose: Temperaturerhöhung begann nach einigen Stunden, stieg auf 40deg; C. und hielt 24 Stunden an.
Salicin: 4 Grm. innerlich: Temperatursteigerung nach einigen Stun­den um 0,2deg;C. und 24 Stunden dauernd. 8 Grm. innerlich: Temperatur begann nach 4 Stunden zu steigen, hatte nach 6 Stunden schon ihre Höhe erreicht, war um 0,6deg; C. gestiegen und hielt 24 Stunden an. 12 Grm. in­nerlich: Temperatur stieg von der 3ten bis 10 Stunde um 1,3deg; C, sank nach 24 Stunden allmählig, war nach 36 Stunden noch um 0,5deg; C. erhöht und nach 48 Stunden auf den normalen Stand zurückgekehrt. Der Puls wurde in allen Fällen etwas kräftiger, niemals aber frequenter; nach der grösseren Dose gähnte das Thier öfter.
Bei Hunden dieselbe Wirkung nach Vs — 2/5 Grm.: die grosse Dose nur bei grossen Hunden angewendet. Neben Temperatursteigerung etwas Röthung der Schleimhaut und verminderte Absonderung der aufgelockerten Schleimhaut im zweiten Stadio der Staupe. Diese Mittel erhöhen den Verbrennungsprocess, ohne dabei zugleich wirkliches Fieber hervorzurufen — wenigstens nicht in angegebenen Dosen —, heben die Herzthätigkeit und den Tonus.
Veratrin bei Pferden: 10—15 Cgr. in 4 Grm. Wasser unter die Haut gespritzt: örtlich heftige Reizung, Beunruhigung, Zittern und oft selbst Schweissausbruch an der Applicationsstelle, hierauf leichte Entzün­dung, die in einigen Tagen verschwand. Die allgemeinen Erscheinungen: in der ersten Stunde Zunahme der Pids- und Athemfrequenz, Temperatur-Steigerung bis 0,5deg; C, nach einigen Stunden Temperaturverminderung und lebhaftes Darmgeräusch. Nach 24 Stunden alle Erscheinungen verschwun­den. Rheumatische Lahmheiten waren oft schon nach einer Injection verschwunden.
6. Ammoniumpräparate. Aetzamraoniakflüssigkeit, Salmiakgeist, Ammoniacum causticum solutum, Liquor ammonii cau-stici —, ein örtlich reizendes, innerlich im verdünnten Zustande ein flüchtiges Erregungsmittel, dem man eine besondere er­weckende, betäubungswidrige Wirkung zuschreibt, und wel­ches auf das Gefässsystem wenig oder gar nicht erregend ein­wirkt. Kohlensaures Ammoniak — Ammonium carboni-cum, Alkali volatile siecum —, gleicht dem vorigen, irritirt das Gefösssystem ebenfalls sehr wenig, soll aber mehr auf das Gan­gliensystem wirken, dabei löst es nach Mitscherlich die Blut-
*) Virchow. Archiv, Bd. 6. S. 131.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;.361
körperchen auf. Flüchtiges Hirschhornsalz, brenzliches kohlen­saures Ammoniak — Ammonium s. Ammoniacum carhonicum pyroleosum — ist gleichfalls örtlich reizend, flüchtig erregend, wie die vorstehenden, verbindet aber dabei noch die Wirkung des brenzlichen Oels und wirkt deshalb zugleich erregend auf das Gefassnervensystem. Essigsaures Ammoniak ist ein gerin­geres erregendes Mittel mit specifischer Kichtung auf die Haut-und Nierenthätigkeit.
7. Physikalische Mittel. Kälte wirkt auch immer als Reiz- und Erregungsmittel, so sind Eis und eiskalte Getränke bethätigende Mittel der wurmförmigen Bewegung in den Ver­dauungswegen ; kalte Klystiere sind Erregungsmittel für den Mastdarm, je kälter desto wirksamer; kalte Injectionen in die Scheide erwecken Wehen und fördern den Abgang der rete-nirten Nachgeburt.
Elektricität. Die Inductions-Elektricität ist ein mäch­tiges nervenerregendes Mittel, ein specifisches antiparalyti­sches Mittel, wodurch wir im Stande sind, Paraplegien und Lähmungen einzelner Nerven zu heilen, so weit überhaupt eine Heilung möglich ist. Kreuzlähmungen der Hunde habe ich geheilt, die ich ohne Inductionsapparat nie habe heilen kön­nen. Zu beklagen ist es nur, dass dieses Mittel bei grösseren Hausthieren, namentlich bei Pferden, so schwierig anzuwenden ist, weil die Unruhe bei wieder eingetretener und erwünschter Empfindung so gross ist, dass die Thiere gewöhnlich niederge­legt werden müssen. Das elektrische Fluidum gelangt direct mit den kranken vitalen Elementen in Berührung und kann direct die nutritive und functionelle Thätigkeit erwecken. Da­bei mögen auch die bekannten chemischen Wirkungen — Zersetzungen des Wassers und der Salze — vielleicht ihren Antheil haben.
Unter Inductions-Elektricität ist diejenige Elektricität zu verstehen, welche in geschlossenen Drähten erzeugf — inducirt — wird; die erzeu­genden, d. h. inducirenden Factoren sind: Magnetismus — Magneto-Induction — oder Elektricität — elektrische Induction. Die Elektricität ist durch diese vonFaradey entdeckte Inductions-Elektricität erst ein brauchbares und zu­gleich ein sehr schätzenswerthes Mittel geworden; die Anwendung dersel­ben nennt man auch wohl nach dem Entdecker „Faradeysirenquot;. Die mag­neto - elektrischen Apparate, die früher allein zu Heilzwecken benutzt wurden, sind nicht mehr gebräuchlich; die elektrischen Inductions-Appa­rate haben durch die, sich selbst regulirenden momentanen Unterbrechun-
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362nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die erregende Methode.
gen den Vorzug. Unsere Anstalt besitzt einen solchen Apparat mit einer Batte­rie aus 4 Elementen, die einzeln abzustellen sind, so dass man durch Stellung von 1, 2, 3 und allen vier Elementen aus die Drathrollc iuduciren und so die Strömung schwach und stark erzeugen kann. Die Einrichtung der Ele­mente ist der Art, dass die Füllung derselben 3 — 4 Monate vorhält. Die mit Seide umsponnenen Drähte sind lang, um bei unruhigen, stehenden Thieren folgen zu können, und an den Enden kann man knopfförmige, besenförmige und spitze Elektroden anbringen, die spitzen sind die wirk­samsten. Die Stelion, wo die Elektroden aufgesetzt werden, müssen gut äurchnässt werden, weil die Haare und die Epidermisschuppcn vollkom­mene Isolatoren sind. Den gelähmten Theil nimmt man zwischen beide Elektroden. Bei liückenmarkslähmung #9632;/.. B. setzt man einen Pol ins Ge­nick, den anderen an die Schwanzwurzel; bei Sclienkellähmung einen Pol an das untere Ende des Beines in möglichster Nähe des Nerven, den an­deren in die Lendengegend auf das Riickgrath. Einmalige Anwendung täg­lich genügt, später alle zwei Tage; die Belebung erfolgt aber immer nur langsam, so dass man die Anwendung mehrere Wochen fortsetzen muss.
Contra -Indication,
Gehört eine Methode hauptsächlich der symptomatischen Kurart an, so muss man die Contra-Indicationen um so sorg­faltiger aufsuchen und abwägen, was aber gerade bei dieser Methode um so mehr zu empfehlen ist, als man nur gar zu oft Missbrauch damit treibt, indem man sich durch einzelne Symp­tome dazu bestimmen lässt, ohne die weiteren Ursachen davon näher ins Auge zu fassen.
Bei der grossen Auswahl unter den so verschiedenartig \virkenden Reizmitteln kann man vielen Contra-Indicationen ge­gen einzelne Reizmittel genügen, ohne deshalb gerade die erre­gende Methode aufzugeben. Bei den entgegenstehenden herz­stärkenden Mitteln sind die Indicationen für die Einen, Contra-Indicationen gegen die Anderen; die Vagusmittel sind contra-indicirt, wenn der Vaguseinfluss schon dominirt, wenn die Frequenz verzögert, die Temperatur gesunken, der Seitendruck vermindert und Herzdilatation vorherrschend ist; dies alles sind dagegen Indicationen für die Reizmittel der Gefässnerven, die wieder contraindicirt, wenn Herzcontractionen, Seitendruck und Temperatur gesteigert sind. Zuweilen können aber auch Contra-Indicationen gegen die Methode gegeben sein, so sehr auch ein­zelne Symptome der unterdrückten Nerventhätigkeit dazu auf­fordern. Bei mechanischen Belastungen der Nerven und ihrer Centraltheile kann durch erregende Mittel die Thätigkeit nicht
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Contra-Inclication.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;y63
erweckt werden, sie schaden hier in den meisten Fällen noch und sind deshalb contraindicirt; ganz besonders müssen Gehirn-reizungen und acute Entzündungen in den edlen Or­ganen, Reizungen und Reizbarkeit in dem Magen und Darmkanal als Contra-Indicationen gegen die innerliche Anwendung dieser Methode angesehen werden. Chronische-Entzündungen, die in einer gewissen Atonie ihre Ursache des schleichenden Fortbestehens haben, lassen dagegen den Ge­brauch von gelinden Erregungsmitteln neben den tonischen, ad-stringirenden zu, und die auf bestimmte Aussondcrungsorganc gerichteten Erregungsmittel, die dabei das Gefässsystem wenig afficiren, können bei entzündlichen Krankheiten ohne Beden­ken angewendet werden, wenn nicht gerade die Aussonderungs­organe afficirt sind, auf welche sie speciell wirken.
Da es mit den Indicationen für diese, durch innerliche Mit­tel zur Anwendung kommende Methode oft eine missliche Sache ist, so gebietet es die Vorsicht, dass wir mit kleinen Dosen beginnen, die Patienten sorgfältig beobachten, aus dem Erfolge die Bestätigung oder die Contra-Indication entnehmen und den Grad der Reizlosigkeit gewissermaassen durch gelindere Mittel erst sondiren.
Die beruhigende Methode, IM. sedans.
Die krampf- und schmerzstillende Methode — M. antispas-modica et anodyna —, die empfindungslähmende — anaesthetica —, die betäubende — stiipefacierts s. narcotica —, diese Metho­den alle werden von der beruhigenden umfasst, welche den Heilzweck hat, die Empfindlichkeit herabzusetzen und die Rück­wirkungen auf äussere und innere Reize zu massigen. Diese Methode ist nur theilweise ein gegen die Ursachen gerichtetes also radicales Pleilverfahren, hauptsächlich aber ein symptoma­tisches, wie die erregende, weil Schmerz und Krampf Symp­tome von gewissen Grundleiden sind, nichtsdestoweniger aber ist sie eine praktisch wichtige, ja unentbehrliche.
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364nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
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1. Erhöhte Reizbarkeit im gesammten Nervensysteme überhaupt und besonders gesteigerte Sensibilität — Hyperaesthesia — in allen Emfindungsnerven oder auch nur in denen einzel­ner Organe und Organtheile, welche die Anlage zu excessiven Vorgängen ist. Die eindringenden Reize rufen hier schneller, leichter und in grösseren Kreisen heftigere Rückwirkungen her­vor, als ihrer Grosse angemessen ist. Ein Zustand, der sich bei unseren Hausthieren durch grosse Schreckhaftigkeit, leichte Erregbarkeit, durch Auf- und Abschwanken des kleinen und schwachen Pulses, der nach geringfügigen Einflüssen — Licht, Geräusch, geringe Körperbewegung — schnell bis zur doppel­ten Frequenz hinaufsteigt, durch Neigung zu Krämpfen — bei zarten Schoosshündchen namentlich —, zu tobsüchtigen Anfällen, durch Körperschwäche und andere mehr untergeordnete Erschei­nungen charakterisirt, und bald bei einem tieferen fieberhaften Erkranken — fehris nervosa versatilis —, bald ohne anderwei­tiges erhebliches Erkranken besteht.
Worin die Hyperästhesie besteht, ist uns nicht näher bekannt, wir wissen nur, dass ein bereits gereizter Nerv auch reizbarer ist — ein ge­reizter Körpertheü z. B. schmerzt bei einer Berührung, die sonst kaum empfunden wird —, so viel ist aber als entschieden anzusehen, dass die Sensibilität nicht ein besonderes imponderables Nervenprincip ist, was sich anhäufen und consumiren lässt, wie man früher annahm, und welches die Grundlage des Broim'schen Systems war, dass von angehäufter Sensi­bilität keine Rede sein kann und dass die beruhigenden Mittel nicht durch Consumtion der angehäuften Sensibilität wirken, dass vielmehr diesem Zustande des Nervensystems gewisse materielle Veränderungen zum Grunde liegen, die uns aber nicht näher bekannt sind, und die beru­higenden Mittel eben dadurch umstimmend, besänftigend wirken, dass sie gleichfalls materielle Veränderungen in den Nerven bewirken. In dem Blute können wir meistentheils eine materielle Veränderung bei dem Ge­brauche der AnaeatJieiiea und Aarcotica wahrnehmen, in der Nervenmasse aber supponiren wir sie, weil die Nerventhätigkeit hierbei verändert wird.
Kennen wir die Ursachen der Hyperästhesie, so ist uns hierdurch der Angriffspunkt zur gründlichen Beseitigung gege­ben — die restaurirende Methode ist die radical beruhigende, wenn Säfteverlust, Körperschwäche, Blutmangel die Grundlage ist; die antiseptische Methode kann unter entsprechenden Um­ständen dasselbe bewirken; Ausleerungen sind oft die besten Beruhigungsmittel etc. —. Bei alledem ist aber der abnorme
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Anzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;365
Zustand im Nervensysteme, die Hyperästhesie als Symptom von verschiedenen Grundleiden selbst immer im Auge zu behalten und direct mit den specifisch beruhigenden Mitteln anzugreifen, um Linderung und Zeit zu gewinnen, Zeit für die Naturheilung und Zeit für eine weiter erforderliche Eadicalbehandlung. Da­durch, dass die symptomatische Kur die Krankheit nach den drohendsten Seiten hin im Schach erhält und Zeit verschafft der Kunst und der Natur, dadurch ist sie eben überhaupt und speciell auch hier oft von so heilsamer Wirkung.
2. Schmerzen. An sich ist der Schmerz als Wächter der Gesundheit oder vielmehr als Berichterstatter von vielen Krankheiten für das erkrankte Individuum, wie auch für den Arzt zu betrachten, er bestimmt das leidende Thier, den betref­fenden Theil möglichst zu schonen und führt den Thierarzt auf den Sitz, oft auch auf die Art des Leidens hin. Die Grund­ursachen des Schmerzes sind sehr verschiedenartig, er ist das Symptom von vielerlei abnormen Zuständen resp. Vorgängen und darf deshalb, als diagnotisches und prognostisches Zeichen betrachtet, niemals isolirt von den Umständen, die auf seine Entstehung Einfluss haben, und von den übrigen Zufällen der Krankheit, von der er eben ein Symptom ist, studirt und als Heil-Indication aufgefasst werden.
Die Therapie hat bei dem Schmerze einmal den Reiz, wel­cher den Schmerz verursacht, und zweitens die Nerven, in welchen er erzeugt und empfunden wird, zu ihren rationellen und empirisch bewährten Angriffspunkten.
a) Wird der Reiz beseitigt, so verschwindet auch die Rei­zung und die dadurch bedingte Schmerzempfindung, es ist dies die Radicalkur, welche natürlich, wie immer, so auch hier, obenan steht; wo man ferner durch Entfernung eines fremden Körpers, durch Reposition eines dislocirten Theiles, durch Deckung eines Theiles, der seine natürliche Schutzdecke verloren hat, durch Beseitigung der Hyperämie, der Entzündung etc. den Schmerz aufheben kann, da passen niemals Narcotica und Anaesthetica. Der Schmerz wird hier je nach den Grundzuständen durch ver­schiedene Methoden und durch chirurgisches Verfahren aus­gelöst.
h) Der andere Weg ist die Einwirkung auf die Empfin­dungsnerven, wo es sich um Abstumpfung der Empfänglichkeit für die schmerzerzeugenden Reize, um Betäubung des Nerven
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366nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die beruhigende Methode.
durch specifisch beruhigende Mittel handelt. Dies ist das symptomatische Verfahren, der Schmerz selbst ist hier Gegenstand der betäubenden Methode, die ihre rechtzeitige Anwendung rindet, wenn der Schmerz sehr heftig und anhaltend ist und man weder schnell noch sicher genug auf seine Ursachen einwirken kann. Die weiteren Zwecke bei diesem schmerzstillenden Verfahren sind: 1) um dem Pa­tienten seine Leiden erträglicher zu machen. Diese moralische Indication ist für den Menschenarzt eine viel gewichtigere, als für den Thierarzt, bei dem ökonomische Rücksichten so häutig entgegentreten, keineswegs aber darf man sie in der Thierheil-kunde als nicht bestehend ansehen, denn der Mensch ist nicht von aller Menschlichkeit gegen die ihm dienenden Thiere ent­bunden; 2) um bei unheilbaren Grundleiden durch Aufhebung der Schmerzen das leidende Thier noch ökonomisch nutzbar zu machen; so ist dies z.B. die Indication zur Neurotomie bei unheilbaren und schmei-zhaften Leiden im Hufe oder in dessen Nähe; 3) endlich um weitere üble Folgen des Schmer­zes für die Patienten zu verhüten. Dieser letzte Zweck ist der gewichtigste, weil heftige Schmerzen neue Krankheitsprocesse schaffen, Erschöpfung herbeiführen, C'omplicationen bedingen, Hinderniss des Genesungsprocesses werden und das Thier so jeunruhigen können, dass lebensgefährliche Beschädigungen zu türchten sind. Steigerung der Temperatur, Fieberhitze und Fieber sind die nächsten Folgen grosser und anhaltender Schmerzen.
Die beruhigende Methode kommt nicht allein bei schon vorhandenen Schmerzen unter erwähnten Umständen in Anwen­dung, sondern auch dann, wenn es sich um Verhütung des Schmerzes bei chirurgischen Operationen handelt, wo die betäu­bende Methode eine Art Vorbauungskur ist. Das Hauptmotiv, die Reizempfänglichkeit vor einer Operation abzustumpfen, ist bei dem Menschen die Ersparung des Schmerzes seiner selbst willen, welches nun bei dem Thiere gewöhnlich wieder wegfällt; ich kann hier jedoch nur daran erinnern, was ich über die mo­ralische Indication zur Schmerzstillung bereits gesagt habe, und noch besonders hervorheben, dass es wohl Pflicht ist, die Thiere, welche man der Wissenschaft opfert, nicht mehr als Märtyrer derselben sterben zu lassen, ihnen durch Betäubung die Schmer­zen zu ersparen, wo es unbeschadet des Experimentes gesche-
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Anzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;367
hen kann. Seitdem wir die Mittel zur Erleichterung kennen, haben wir auch die Pflicht, zu erleichtern. Ein anderer Grund, der bei dem Thierarzte besonders schwer in die Wagschale fällt, ist, um sicherer, ruhiger, schneller und auch bequemer operiren zu können, was bei den Thioren wegen der grossen Unruhe, des instinctmässigen Sträubens und der oft nicht genü­gend zu erreichenden Befestigung nur zu oft beeinträchtigt wird, namentlich werden einzelne Operationen durch die Betäubung ganz besonders erleichtert; ich erinnere hier an die Operationen am Auge, wo die geringste Bewegung schon den guten Erfolg vereiteln kann, an den Kaiserschnitt, die Bruchoperation und Reposition der vorgefallenen Gebärmutter, wo das gewaltsame Drängen immer ein kaum zu überwindendes Hinderniss, eine enorme Erschwerung der Operation und oft die Ursache des so häufigen ungünstigen Erfolges ist, an die Reposition verrenkter Glieder, die bei der Contraction starker Muskelmassen sehr mühsam ist und oft bei der grössten Gewalt kaum gelingt, die dagegen bei erschlafftem Muskelapparate keine Schwierigkeiten hat, u. a. m.
'5. Krämpfe. Die nächste Ursache des Krampfes ist in den Nerven wieder selbst gegeben — gesteigerte Erregbar­keit —, oder liegt ausserhalb derselben — Blutfülle, Entzün­dung, Blutmangel und viele andere widernatürliche, ungewöhnte, zu starke Reize von mechanischer und chemischer Wirkungs-weise —, oder sie ist in beiden Verhältnissen zugleich begrün­det, so class eine erhöhte Reizbarkeit in den Nerven die ab­norme Anlage bildet, mit welcher abnorme Einwirkungen — Reize — zusammentreffen und so gemeinschaftlich die unwillkür­liche abnorme Contraction verursachen. Was daher in the­rapeutischer Beziehung bei dem Schmerz gesagt worden ist, dasselbe gilt auch hier von den Krämpfen mit ihren Modifi-cationen, die gleichfalls stets im Zusammenhange mit dem Ge-sainmtzustande und den vorangegangenen Verhältnissen auf-gefasst werden müssen. Die krampfstillenden Mittel sind je nach den entfernteren Ursachen auch sehr verschieden. Durch Milderung und Entfernung der Reize, welche den Anstoss zu den Krämpfen gegeben haben und sie fortdauernd unterhalten, wirken verschiedene Mittel und Methoden krampfstillend; durch Auf­hebung der abnormen Reizempfanglichkeit und durch Herab-drückung der Afficirbarkeit unter das normale Niveau — durch
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368nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
Betäubung —, so dass der fortdauernde abnorme Reiz nicht mehr im Stande ist, Krampf zu effectuiren, wirken die sogenann­ten speci.fisch beruhigenden, die betäubenden Mittel, die Haupt­mittel der beruhigenden Methode, die in derselben ihre An­wendung finden: a) wenn eine gesteigerte Erregbarkeit in den Empfindungsnerven — erhöhte Sensibilität, Hyperästhesie — besteht, so dass massige selbst adäquate Reize schon sehr hef­tig empfunden werden, und die Krämpfe als Reflexactionen von abnormen Empfindungen auftreten, oder wenn die Erregbarkeit in den Bewegungsnerven gesteigert ist — erhöhte Irritabilität —, so dass massig empfundene Reize, in den höheren Graden selbst normalmässig empfundene normale Reize schon bedeutende Re­action im Bewegungsapparate zur Folge haben, was nicht selten die Grundursache der Krämpfe ist; die beruhigende Methode ist hier meist eine Radicalkur; b) wenn die Krämpfe selbst gefahrdrohend sind und wohl gar Vital-Indicationen darstellen, wo vor allen Dingen der Krampf, ohne alle weitere Rücksicht, durch Abstumpfung der Reizempfänglichkeit schnell gelöst oder gemildert werden muss, um augenblickliche Gefahr abzuwenden; so z. B. beim Krampf in dem respiratorischen Apparate, der mit Erstickung droht, bei krampfhafter Harnverhaltung, wenn ßlasenzerreissung befürchtet wird, bei krampfhafter Zusammen-sehnürung des Darmkanals, wenn die aufgehobene Wegsamkeit bedenklich wird und d. F. m; c) wenn endlich die Ursache unbekannt ist, wenn man den abnormen Reiz nicht kennt oder nicht direct beseitigen kann.
Zu heftige und anhaltende Exaltationen der Nerven und Muskeln hat auch stets eine übermässige Zersetzung der integrirendeu Bestandtheile, hierdurch Schwäche und schliesslich Erschöpfung zur Folge. Tetanische Muskeln verlieren sehr bald, binnen 24 Stunden, ihre Quersteifung, hierbei sieht man aber doch den Krampf noch längere Zeit fortbestehen, endlich jedoch pflegt er sieh selbst zu erschöpfen; so gelingt die Naturheilung ge­wöhnlich, wenn Zeit dazu gegeben ist. Der Tetanus partialis et zmiversalis beginnt mit 10 — 14 abzunehmen: die Hungerkur, welche diese Krankheit selbst einleitet, weil sie die Futteraufnahme unmöglich macht, fördert je­denfalls die Erschöpfung des Krampfes durch nutritive Störung in den contrahirten Fasern. Können wir also gefahrvolle Zufälle verhüten, Ath-men und Herzthätigkeit namentlich genügend frei halten, und so durch Lebenserhaltung Zeit gewinnen, dann tritt auch gewöhnlich Heilung, Natur­heilung ein. Ich sage „gewöhnlichquot;, weil es auch ausnahmsweise noch anders sein kann. Ein Hund litt an Tetamis mehrere Wochen, die Zähne waren und blieben auf einander gesetzt, nicht die geringste Beweglichkeit
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 3G9
der Kiefer. Das Thier starb an Erschöpfung; das Maul blieb auch nach dem Tode ebenso fest geschlossen; die Masseter waren atrophirt und indurirt. Die contractile Verkürzung war in eine organische übergegan­gen, so dass schliesslich die spasmodische Maulklemme eine organische ge­worden war.
Mittel.
Vielerlei Mittel können beruhigen, weil eben verschiedene pathische Zustände beunruhigen. In therapeutischer Beziehung lassen sich die beruhigenden Mittel in 3 Gattungen unterbrin­gen: 1) Mittel, welche Krankheitszustände beseitigen, unter deren Symptomen der Schmerz hervorsticht, — entzündungs­widrige Mittel z. B. wirken auch schmerzstillend, die Beseiti­gung eines Druckes hebt den davon empfundenen Schmera u. s. w. —, solche Mittel sind aber keine wirklichen Beruhigungs­mittel, sie gehören verschiedenen Methoden und chirurgischen Operationen an und kommen deshalb hier nicht weiter in Be­tracht; 2) Mittel, welche direct auf die Nerven herabstimmend einwirken und dadurch beruhigen, die ihre beruhigende Wir­kung immer äussern und nicht gerade bei einzelnen bestimmten Zuständen, die deshalb natürlich auch in den meisten Fällen vorübergehend wirken, nur Palliativmittel sind, sie kommen als specifische Beruhigungsmittel bei dieser Methode hauptsäch­lich in Betracht; 3) Mittel endlich, welche bei gewissen Krank-Iieitszuständen beruhigen, a) durch Schutz und Ruhe — Deckun­gen, Einhüllungen, Verband —, b) durch Aufhebung der Span­nungen und Fortleitung — Incisionen und Neurotomie —, c) endlich durch Ableitung — contrastimulirende Mittel.
a. Physikalische Mittel.
1. Entziehung der Sinnesreize. Bei abnormer Reiz­barkeit ist diese Entziehung ein Beruhigungsmittel, weil auch selbst der normale Sinnesreiz einen abnormen Effect hat. Das mit Krämpfen beladene zarte Schoosshündchen bekommt-seine Anfälle bei Einwirkung eines grellen Lichtes, eines ungewohn­ten Schalles, oder wenn es durch Freude und Furcht irritirt, wenn es gestraft wird etc.; epileptische Anfälle werden durch Einfallen der Sonnenstrahlen in die Augen, durch grelles re­flect! rtes Licht, durch fortlaufenden schnellen Wechsel zwischen
Ger lach Allg. Therajiie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 24
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370nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
Licht und Schatten bei Pferden erweckt; den mit grossen Do­sen Strychnin behandelten Hund kann man durch Zurufen in Tetanus versetzen; Starrkrampfpatienten genesen am sichersten in einem dunklen Stalle, und wenn sie weder durch Geräusch, durch Manipulation oder sonstwie irritirt werden; selten kann bei dem Starrkrämpfe ein therapeutisches Mittel wieder gut machen, was bei seiner Application geschadet wird, namentlich, wenn die Patienten besonders reizbar sind, in welchem Falle nichts Heilsameres geschehen kann, als auf alle therapeutischen Eingriffe zu verzichten. Euhe des Gesichts-, Gehörs­und Gefühlssinnes ist ein mächtiges Beruhigungs­mittel. Sind die Sinnesorgane selbst schmerzhaft, dann ist diese Ruhe auch eine wesentliche Bedingung zur directen Lin­derung und selbst zur Heilung der Krankheit; bei entzünd­lichen Augenleiden z. B. wird durch Abhaltung des Lichtes nicht bloss der Schmerz gelindert, die Entzündung selbst wird gemindert oder doch mindestens nicht fortwährend aufge­stachelt.
2. Wärme und Kälte. Beide physikalischen Mittel kön­nen natürlich nur bis zu den Graden in Betracht kommen, hei denen das organische Gewebe nicht untergeht, weder abstirbt, noch direct zerstört wird; beide sind locale Beruhigungsmittel; wo die verdichtende Kälte nicht beruhigt, da thut es die aus­dehnende Wärme. Die Kälte vermindert die Reizempfäng­lichkeit; ein Körpertheil kann durch sie bis zur Gefühllosigkeit gebracht werden, eine bekannte Thatsache, die auch Veranlas­sung gegeben hat, die Kälte als ein locales Anästheticum vor­zuschlagen und bei Operationen zu benutzen, wobei sie sich jedoch in sofern nicht genügend bewährt hat, als die Gefühl­losigkeit meist mehr auf die Haut beschränkt bleibt und tie­fere Schnitte Schmerzen verursachen. Kälte deprimirt physi­kalisch alle vitalen Acte — die Vitalität —, und daraus lässt sich auch die Gefühlsabstumpfung herleiten. Auf dieselbe Weise nun, wie die Kälte das normale Gefühl herunterdrückt, wirkt sie auch örtlich beruhigend, schmerzstillend, sobald der schmerzhafte Theil von der Kälte erreichbar ist und ganz besonders, wenn Blutfülle — Congestion, Entzündung — die Grundursache des Schmerzes ist; ein brennender Schmerz in der blutstrotzenden Haut wird beseitigt bei Einwirkung der Kälte, Entzündungsschmerzen werden durch Kälte sofort be-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 371
schwichtigt, noch ehe die Entzündung selbst beseitigt ist, sie treten aber wieder hervor, wenn die Kälte nachlässt, wenn die kalten Umschläge sich erwärmt haben; die Kälte wirkt daher auch hier zunächst als Palliativmittel, weiterhin aber pflegt sie schliesslich ein radicales, schmerzstillendes Mittel zu werden, weil sie, je nach Umständen, durch ihre physikalische Ein­wirkung zugleich die Grundursache, die Entzündung zu be­seitigen im Stande ist (conf. Kältekur). Es giebt jedoch auch Fälle, wo die Kälte in dem gebräuchlichsten Grade, d. h. nicht bis zum Taubmachen und Erstarren, angewendet, die Schmer­zen nicht stillt, sondern sogar noch vermehrt. So namentlich werden Schmerzen, denen Eiteransammlungen zum Grunde liegen, durch Kälte gesteigert, indem durch Zu­sammenziehen und Verdichten der Weichgebilde der einge­schlossene Eiter comprimirt und so nothwendig eine grös-sere Spannung herbeigeführt wird, welche der hinlängliche Grund der Schmerzerhöhung ist. Ferner werden Schmerzen in fibrösen und festen Gebilden — Bändern, Sehnen, Knorpel, Knochen —, durch Kälte nicht beschwichtigt, meist noch erhöhet, weil sie hier eine Blutleere nicht direct herbei­führen kann, welche als Grundursache ihrer beruhigenden Wir­kung anzusehen ist. Bei Erysipelas ist die Kälte mehr als ein beunruhigendes, die Schmerzen steigerndes Mittel zu betrach­ten, eine Erscheinung, die wir uns zur Zeit nicht recht erklä­ren können, empirisch ist es aber bekannt, dass Kälte diese specifische, toxische Entzündung steigert, Blutstockungen und das Brandigwerden fördert. Endlich ist auch die Kälte bei den rheumatischen und neuralgischen Schmer­zen selten ein Beruhigungsmittel, sehr oft wirkt sie hier als Reizmittel, wodurch die Schmerzen noch mehr aufgestachelt werden.
Die Wärme, besonders die feuchte, wirkt beruhigend, schmerz- und krampfstillend durch Erschlaffung, Auflockerung und Beseitigung jeder Spannung. Wärme und Kälte sind in ihrer Wirkung physikalische Gegensätze, die physiologisch, d. h. im lebendigen Körper gerade am entschiedensten hervor­treten; wenden wir diese Gegensätze auf die Heilwirkungen an, so muss die Wärme überall da beruhigend und heilsam sein, wo die Kälte verschlimmernd wirkt; so sehen wir es denn auch in der That. Ueberall, wo die Kälte nichts lei-
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372nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
stet oder noch beunruhigt, da ist die Wärme beruhigend. Zu­stände, welche durch den Reiz der Kälte auf die Nerven ver­schlimmert werden, bessern sich, wenn die Wärme einwirkt u.s.w. Wo der Reiz der Kälte nachtheilig wirkt, — bei Ery­sipelas, Rheumatismus z. B. —, da wird die trockene Wärme meist besser als die feuchte vertragen; wo dagegen die ver­dichtende — physikalische — Einwirkung der Kälte haupt­sächlich die Schmerzen steigert oder wenigstens nicht im Stande ist zu beruhigen, da ist besonders die feuchte Wärme schmerzstillend; die beruhigende Wirkung der warmen Kata-plasmen bei beginnender Eiterung ist bekannt. Die beruhi-gende Wirkung der feuchten Wärme wird durch Zusatz von Alkalien auf eigenthümliche Weise noch bedeutend erhöht. Die warmen Kali-, Natron- und kohlensauren Kali-Bäder sind nicht bloss auflösende, zertheilende, sondern auch wahrhaft beruhi­gende Bäder, die mit Recht eine ausgebreitete Anwendung finden.
3.nbsp; Deckende, einhüllende, schützende Mittel. Sie beruhigen, indem sie die reizend einwirkende Luft und aridere Stoffe abhalten von entblössten Theilen. Auf eine entblösste Wundfläche, auf die Lederhaut, welche von keiner Epidermis, keinem Epithelium geschützt ist, wirkt alles reizend, schmerz­erregend ein; das deckende Mittel ist schmerzstillend, weil es die Reizungen verhindert. Der Mittel giebt es viele, bei der deckenden Methode sind sie aufgeführt.
4.nbsp; Druck. Ein massiger Druck, Gegendruck, ist schmerz­stillend bei Ausdehnungen und Spannungen, wo es sich um Unterstützung der ausgedehnten Membranen, Unterstützung im Widerstände gegen die ausdehnende Kraft handelt, so nament­lich bei sehr gespannten und schmerzhaften Ausdehnungen der Kapselbänder und Sehnenscheiden; bei spannenden Oedemen, bei aneurismatischen und varicosen Ausbuchtungen, bei capillären Ectasien, ferner bei Blutextravasaten, die durch fortdauernde Blu­tung in grosser Spannung erhalten werden. Der Druck ist gegen die expandirende Kraft gerichtet, also etwas Antiätio­logisches, daher oft zugleich radicales Heilmittel.
5.nbsp; Das chirurgische Messer. In kunstgerechter Hand wird es ein schmerzstillendes Mittel, und zwar: a) durch Spal­tung und Trennung gespannter und gezerrter Theile; der Bein-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;373
hautschnitt bei beginnenden Exostosen — Sewel und Haubner. Magazin, Bd. 4. S. 251 —, das Durchschneiden gezerrter, theil-weise zerrissener Gebilde, namentlich theilweise verletzter Ner­venstränge, das Spalten der gespannten Wundränder bei Wund­starrkrampf etc. sind beruhigende und schmerzstillende Ope­rationen, die auch zur Sistirung eines entstandenen Krampfes wesentlich beitragen; h) durch Entfernung eines abnormen, schmerzhaften Gebildes, besonders aber c) durch den Nerven­schnitt zur Unterbrechung der Fortleitung der Empfindung von einem erkrankten schmerzhaften Theile. Die schmerzstillenden Operationen a und h heben die Ursachen und sind deshalb zu­gleich zu den radicalen Heilmitteln zu zählen.
Neurotomie. Die Fundamentalregcln, welche bei der Neurotomie zu beachten sind, wenn anders ein möglichst reeller Erfolg gesichert sein soll, sind folgende:
1.nbsp; nbsp;Es muss die Leitung durch einen bestimmten Nerven von dem leidenden Theile aus geschehen-, leiten mehrere kleinere und grössere, nicht zusammengelegte, theils nicht erreichbare, theils nicht auf­zufindende Nervenfäden von dem leidenden Theile nach dem Centralorgane hin, so kann die Durchschneidung des einzelnen Nerven nichts nützen. Die bei dein Spat empfohlene Durchschneidung des Wadenbein-, Schenkel­bein- und des langen hinteren Hautnerven — ??. peroneus, tibialis et cuta-nens loiigus posterior tibiae — nützt wenig oder gar nichts. Sicher ist die schmerzstillende Wirkung der Neurotomie nur bei schmerzhaften Zuständen an den von der Hufkapsel eingeschlossenen und nächsten Nachbartheilen, von wo aus sich sämmtliche Nerven in den beiden Aesten — ramus in­terims et extervus — des Mittelnerven — n. medianus — resp. der Sohlen-nerven — ramus plavtaris internus et externus — sammeln, welche Nerven denn auch allein Gegenstand der schmerzstillenden Neurotomie sind.
Den inneren Hautnerven — nervns saphemts —, der unterhalb der Spalte zwischen dem dünnen und breiten Einwärtszieher neben der inne­ren Hautvene — saphena magna — dem Operateur zugänglich ist, und welcher die Haut an der ganzen inneren Schenkclflächc versieht, em­pfehle ich noch zur Neurotomie, nicht um Schmerzen zu stillen, sondern um eine abnorme Empfindlichkeit der Haut an diesen Theilen abzustumpfen, um den Kitzel zu vertreiben bei solchen Strangschlägern, die kaum zu bändigen sind, wenn ihnen etwas an die innere Schenkelfläche kommt.
2.nbsp; Die Durchschneidung selbst muss an der rechten Stelle geschehen, und diese ist da, wo die Leitung in allen, vom Schmerz berührten Nerven­fäden, aber auch nicht unnöthigerweise noch in anderen unterbrochen wird. Es müssen daher an der Operationsstelle schon alle Fäden sich gesammelt haben, die dem kranken Theile angehören; so muss der vordere Zweig — ramus dorsalis — der Sohlennerven resp. des inneren und äusseren Astes des Mittelnerven unmittelbar unter dem Fesselgelenke durchgeschnitten
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374nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
werden, wo er von dem hintern Aste — ramus volaris — getrennt liegt: es muss femer, wenn es sich um die beiden Sohlennerven resp. Zweige des Mittelnerven selbst handelt, die Operation an der äusseren Seite unmittelbar über dem Fes-selgelenke geschehen, weil ein Querast vom inneren zum äusseren Stamm­aste in schiefer Eichtung von oben nach nuten hiniibertritt; operirt man höher, so werden die, diesem Queraate entsprechenden Fäden nicht mit durchschnitten, weil man an der inneren Seite kaum so hoch hinauf den Nervenschnitt machen kann, um diesen Ast hier mit durchzuschneiden. Es dürfen aber auch nicht bedeutendere, von gesunden Theilen kommende Zweige mit durchschnitten und so Nachtheile herbeigeführt werden, die zu verhüten sind. Werden beide Sohlennerven resp. Aeste des Mittelner­ven durchschnitten, so fällt der Fuss unterhalb der Operationsstelle aus dem Bewusstsein des Thieres — wenn dies sprechen könnte, so würde es uns sagen, dass es mit einem eingeschlafenen Fusse gehe —, es tritt da­her derber auf, empfindet lokale Beleidigungen nicht — wenn die Haut nicht etwa betheitigt ist, deren Empiindungsnerven unterhalb der Ope­rationsstelle nicht alle, vielleicht nur zum kleinen Theile von dem Nerven­schnitte mit betroffen sind —, und so kann es denn kommen, dass beträcht­liche Eiteransammlungen, Trennung des Homschuhes und selbst Knochen-briiehe im Hufe sich zuweilen ereignen. Deshalb werden beide Nerven nur in den notwendigsten Fällen durchschnitten; ist ein begrenztes ein­seitiges Leiden vorhanden, so darf zunächst nur der betreffende Nerv an der entsprechenden Seite durchschnitten werden, und wenn der Erfolg nicht vollständig ist, so wird nachträglich an der anderen Seite operirt; ist das schmerzhafte Uebcl mehr an der Krone — Schale etc. —, so ver­sucht man immer erst die Durchschneidimg des vorderen Zweiges — ra­mus dorsalis —, ist es in der Tiefe, am Hufbeine, an benachbarten Bän­dern und Sehnen, so wählt man natürlich den hinteren tiefen Zweig — ramus volaris.
3. Ein Theil des Nerven muss herausgeschnitten werden. Bis zu einem gewissen Grade regenerirt sich der Nerv, nicht weit von einander entfernte Nervenenden erreichen sich und verwachsen, so dass vollstän­dige Leitung wieder eintritt. Nach Entfernung eines halben Zoll langen Stückes sah ich keine Leitung wieder eintreten.
Störungen in der Ernährung mit den weiteren Folgen treten nicht ein, die Erfahrung hat diese Furcht längst benommen, die Gefässnerven kön­nen mithin hier nicht mit den Empfindungs- und Bewegungsnerven ge­meinschaftlich an Ort und Stelle gelangen.
#9632;
B. Physiologisch beruhigende Mitlei.
6. Die Ableitungen durch Hautreize. Alle Mittel, welche die Haut reizen, Schmerzen und Entzündung in dersel­ben hervorrufen, sind beruhigende Mittel durch Ableitung. Sie erzeugen Schmerzen in der Haut, wodurch vorhandene Schmer­zen in tiefer gelegenen Theilen und abnorme Reflexactionen aus-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 375
gelöst werden nach dem physiologischen Gesetze, wonach ne­ben einem grösseren Schmerze ein geringerer nicht empfunden wird und neben einer starken Reizung geringere nicht fortbe­stehen. Die Anzahl dieser Mittel ist gross, ihre praktische Anwendung häufig; wir werden sie näher kennen lernen bei der hautreizenden Methode.
7.nbsp; nbsp; Beruhigung durch Erregung betäubender Schmerzen. Die Bremse, die Lippen-, die Ohr- und die sogenannte pol­nische Bremse, welche letztere darin besteht, dass man eine durch das Maul und hinter den Ohren über den Kopf gezogene Schlinge zusammenzieht.
Die Wirkung ist nicht bei allen Thieren gleich, einige sind vollständig wie narkotisirt, einzelne hingegen werden oft erst widerspenstig, so lauge der betäubende Schmerz nicht im zu hohen Grade erregt wird. Die Wir­kung hält nur eine gewisse Zeit vor, mit Abstumpfung der gekleramteii und gezerrton Nerven hört die beruhigende Wirkimg auf.
Um widerspenstige Thiere mit grösserer Sicherheit in unsere Gewalt zu bringen bei gewissen Untersuchungen und Operationen, ist es ein recht nützliches Mittel, was die Anaesthetica theilweise ersetzt. Vor Missbrauch ist aber zu warnen, weil es ein schmerzerregendes Mittel ist.
€. Specillsch auf die Nerven beruhigend wirkende Mittel.
8.nbsp; nbsp; Die Narcotica. Diese Mittel besitzen fast alle ein Alkaloid, welches der vorzugsweise wirksame Bestandtheil ist und nach Liebig in seiner elementaren Zusammensetzung der des Kervenmarkes entspricht. Im Allgemeinen wirken sie se­dativ, paralysirend auf einzelne Nerven durch directe locale Einwirkung und auf Nervencentren nach dem Uebergange ins Blut. Die echten Narcotica wirken in grossen Dosen mehr oder weniger auf das grosse Gehini deprimirend, betäuben das Gefühl und die psychischen Functionen mehr oder weniger bis zur Schlummersucht, dabei üben sie ihre lähmende Wirkung zugleich auch mehr auf das Rückenmark. Bei unseren Haus-thieren ist überhaupt, selbst bei den entschiedensten Narcoticis die lähmende Wirkung auf das Rückenmark deutlicher, selbst vorherrschend, so lähmt das Opium neben der Sensibilität das Rückenmark mehr, als es betäubt und schlummersüchtig macht. Die Heilung ist hier die Abstumpfung der Reizempfänglichkeit und des Contractionsvermögens.
Nach J. Müller wirken die narkotischen Gifte nicht auf die Central-theile des Nervensystems durch Vermittelung der sensitiven Nerven, diese
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376nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
Nerven werden durch die direete Einwirkung der Narcotica nur local ge­lähmt, während die Centraltheile so lange frei bleiben, wie das Gift nicht in das Blut übergegangen ist.
Opium. Der würdigste Repräsentant dieser Mittel; Haupt-bestandtheil ist das Morphium, ein Alkaloid, das mit Säuren leicht lösliche Salze bildet, die in ihrer Wirkung keine erheb­liche Verschiedenheiten zeigen, und von denen das essigsaure und salzsaure Morphium am gebräuchlichsten sind; letzteres ist in der preussischen Pharmakopöe vorgeschrieben; bei grosser Reizbarkeit, bei Schmerzen und Krämpfen, sowohl im Gebiete des Cerebrospinal- als Ganglien-Systemes, das vorzüglichste Beruhigungsmittel, welches durch die hypodermatische Appli-cationsmethode einen viel grösseren Werth für die Thierheil-kunde bekommen hat, weil es so leicht und unter allen Um­ständen, selbst bei Tetanus anzuwenden ist, in kleinen Dosen sehr schnell und sicher wirkt, andauernde allgemeine Anästhesie macht und bei örtlichen schmerzhaften Leiden zur directen Ein­wirkung auf die betreffenden Nerven gebracht werden kann. Beim Starrkrampf das nachhaltigste, direete krampfstillende Mittel, des­sen hypodermatische Anwendung jeder Zeit und ohne Aufregung des Patienten erfolgen kann, also alle Vorzüge bei dieser Krank­heit gewährt. Als Anästheticum bei schmerzhaften und länger dauernden Operationen hat es bei unseren Thieren die grossen Vorzüge, dass die Abstumpfung grosser und nachhaltiger, die Anwendung viel leichter und sicherer ist und die Thiere nicht dabei umfallen; 3 bis 6 Cgr. für Hunde und 1 bis 1,25 Grra. (1 Scrupel) für Pferde machte die Thiere gefühllos. Die Injec­tion geschieht am besten 4 bis G Stunden vor der Operation. Eine auffällige Erscheinung ist, dass das Mittel die Pulsfrequenz und Temperatur bei Hunden regelmässig vermindert, bei Pfer­den aber immer etwas erhöht, und die primäre erregende und beunruhigende Wirkung bei Pferden viel mehr hervortritt, als bei jedem anderen Thiere, dass bei Hunden die beruhigende Wirkung auf die sympatischen Nerven, bei den Pferden dage­gen die deprimirende Wirkung auf den Vagus vorzuwalten scheint.
Versuche mit essigsaurem MorpMnm:
1) Einem kleinen Hunde 3 Cgr. in 2 Grm. Wasser an der Schulter
unter die Haut gespritzt. Wirkung begann sofort und dauerte gegen drei
Tage: unmittelbar nach der Injection Brechanstrengung: nach 10 Minuten
Anästhesie (nur an den Vorderbeinen noch eine schwache Reaction bei
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 377
Nadelstichen), die nach 12 Stunden allgemein und nach 2 Tagen wieder ganz verschwunden war; Bewusstlosigkeit und Lähmungserscheinungen — — Hervorhängen der Zunge, schleppender und wankender Gang, Erweite­rung der Pupille und Blindheit — auf 24 Stunden. Abnahme der Körper­wärme binnen 21/2 Stunden um 5,1deg; C, nach 10 Minuten schon um 0,7deg; C, die tiefste Erniedrigung dauerte 3/4 Stunden, dann allmähliges Steigen, nor­male Höhe nach 3 Tagen. Der Puls fiel in den ersten l'/2 Stunden von 92 auf 44; so blieb die Frequenz eine Stunde lang, dann stieg sie allmählig und erreichte den normalen Stand nach 21/2 Tage. Die Pulsfrequenz sank und stieg hier mit der Temperatur. Im Uebrigen ist nichts zu vermerken.
2)nbsp; nbsp;Ein Hund von gleicher Grosse bekam G Cgr. in 4 Gnu. Wasser. Erscheinungen und Zeitverhältnisse im Ganzen wie beim ersten Versuche; Breclianstrcngungen traten nicht ein; schon nach 6 Stunden vollkommene Anästhesie; nach ^4 Stunde vollständige Bewusstlosigkeit und Lähmung, nur mit dem Vordertheile konnte sich das Thier noch etwas erheben: Blind­heit nach 20 Minuten: alles hatte nach 24 Stunden abgenommen und war nach 2'/j Tagen verschwunden. Die Temperaturverminderurig war hier da­gegen geringer, sie war nach 3 Stunden um 2,8deg; C. gesunken, stieg dann allmählig und erlangte am dritten Tage ihre normale Höhe von 40deg; C. wie­der. Der Puls war in den ersten Stunden um 8 Schläge gesunken, nach 2 Tagen um eben so viel über die normale Höhe gestiegen. Der Hund litt vor dem Versuche an trocknem Husten, der nach der Narkose ver­schwunden war.
3)nbsp; nbsp;Einem Jagdhunde wurden 10 Cgr. unter die Haut gebracht; schon nach 2 Minuten zeigte sich Erbrechen; nach 10 Minuten Pulsfrequenz ver­doppelt, 120 pr. Min., Temperatur um 0,2 gefallen; nach '/#9632;) Stunde Puls­frequenz etwas gemässigt (80), Temperatur um 0,9 (von 39,9 auf 39,0deg; C.) gesunken. Der Puls verblieb in dieser Zahl einige Stunden, wurde aus­setzend, Temperatur sank 3l/2 Stunden, bis auf 37,3deg; C. (also im Ganzen um 2,6). Anästhesie und wankender Gang nach 272 Stunden. Nach vier Stunden wurde dem Hunde eine grosse Colloidgeschwulst oben am Halse exstirpirt, wobei derselbe ganz ruhig lag und nicht einmal zuckte, als ein ziemlich beträchtlicher, in die Geschwulst hineingehender Nervenzweig durch­schnitten wurde. Nach dein Eintritte des Gefühls zeigte das Thier keine besondere Schraerzhaftigkcit an der Operationsstclle, wie dies nach dem Cliloroformiren der Fall zu sein pflegt. Nach 24 Stunden alle Erscheinun­gen vorbei, nur noch etwas erweiterte Pupille und wankender Gang. Sen-sorielle Störungen sind nicht bemerkt worden.
4)nbsp; nbsp;Einige Versuche mit 12 Cgr. bei grossen Hunden zeigten wesentlich dieselben Erscheinungen, dabei wiederholt vollständige Lähmung, die sich allmählig binnen 3 — 4 Tagen verlor.
5)nbsp; Zwei Pferden je GO Cgr. an der Schulter unter die Haut gebracht. Innerhalb 5 Stunden stieg der Puls um 16 Schläge in der Minute und die Temperatur um 1,2deg; C, die Arterie wurde etwas gespannter, die Venen füllten sich auffällig: Abstumpfung des Gefühls und Erweiterung der Pu­pille nur gering, der Gang wurde etwas wankend; das eine Pferd wurde nach 3 Stunden zu Operationsübungen verwandt, es reagirte weniger, war
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378nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die beruhigende Methode.
aber noch nicht unempfindlich; das zweite Pferd zeigte nach 24 Stunden nichts Abnormes mehr.
6)nbsp; Drei Pferde bekamen je 1 Grm. subcutan applicirt. Nach 4 Stunden vollständige Anästhesie, Erweiterung der Pupille, schwaches Sehvermögen, grosse Schwäche, wankender Gang. Pulsfrequenz und Temperatur wie bei Versuch 5. Das eine wurde nach 4 Stunden, das andere nach 8 Stunden zu üperationsübungen verwendet, beide zeigten sich gefühllos und nur beim Nervenschnitt eine schwache Reaction, das letztere war noch stumpfer als das erstere. Bei dem dritten, kräftigen, lebhaften und reizbaren Pferde stieg die Pulsfrequenz auf 80, die Temperatur um 1,3deg; C. Unruhe trat mehr hervor und das Futter wurde verschmäht. Nach 6 bis 8 Stunden trat all-mählig lluhc und Appetit ein, der Puls ging zurück, Temperatur wie vorher, die Stumpfheit hatte den höchsen Grad erreicht. Nach 8 Stunden begann die Abnahme der Abstumpfung; nach 24 Stunden alle Erscheinungen ver­schwunden.
7)nbsp; nbsp;125 Cgr. auf gleiche Weise bei einem alten Anatomiepferde appli­cirt. Nach 2,/2 Stunden vollkommene Anästhesie, Erweiterung der Pupille und Blindheit, Lähmung, so dass das Thier kaum stehen konnte. Dabei sehr gesteigerte Pulsfrequenz und die Temperaturerhöhung um 2,1deg; C. Am folgenden Tage nur noch etwas Stumpfheit und Schwäche, wankender Gang.
Operationsiibungen sollte man ohne diese, hypodermatisoh so leicht, billig und sicher zu bewirkende Opiumnarkose nicht mehr ausführen lassen. Auf hiesiger Anstalt geschieht es fortan nicht mehr.
Belladonna. Kein sedatives Mittel für Empfindungsner­ven; es stumpft nur in grpssen Dosen das Gefühl in sofern vor­übergehend etwas ab, als es das Bewusstsein unterdrückt, nach der Narkose ist die Empfindung sogar gesteigert; es wirkt vor­zugsweise lähmend auf die motorischen Nerven, lähmt nament­lich das Rückenmark, kommt deshalb hier als krampfstillendes Mittel in Betracht, und vor allen bei Strychninkrärapfen, bei denen es speeifisch wirkt und ein physiologisches Antidot ist. Der wirksame Bestandtheil ist das Atropin, welches in Verbin­dung mit Schwefelsäure ein lösliches und hypodermatisoh an­wendbares Salz bildet.
Zur hypodermatischen Anwendung löst man das schwefelsaure Atropin in etwa 60 Theilen Wasser auf. Die Dosis ist für Pferde 6—12 Cgr., für Hunde 3 — 6 Cgr. Ein grosser Hund verträgt fast absolut so viel, wie ein Pferd. Die Wirkung tritt mit 10 Minuten ein, steigt einige Stunden und ist mit 24 Stunden in der Hauptsache vorüber. Die wesentlichsten Erschei­nungen sind:
Augensymptome: Erweiterung der Pupille, die mit 10Min. beginnt, in wenigen Stunden ihre Höhe erreicht und 3 Tage, selbst darüber anhält; dabei zeigt sich Weitsichtigkeit, nach grossen Dosen in einigen Stunden Blindheit, die gewöhnlich 12 Stunden anhält, und eine gewisse Blässe der Bindehaut.
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Mittel,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 379
Puls und Athineu: Mit der Erweiterung der Pupille wird die Arterie voller und der Herzschlag beschleunigt, der diastolische Ton verschwindet vorübergehend in der ersten halben Stunde; die Pulsfrequenz steigt circa 2 Stunden, erreicht zuweilen die doppelte normale Höhe und 1st mit 24 Stun­den wieder beruhigt; Athmen steigt und fällt mit dem Pulse.
Temperatur zeigt keine wesentliche Veränderung, nur zuweilen eine kurz vorübergehende Steigerung von 0,1 — 0,5; in der Haut steigt die Tem­peratur nach grossen Dosen bei Pferden bis zum Schwcissausbruche.
Grehirnerscheinungen: Gehirnreizung, Visionen; Pferde namentlich niarkiren etwas Befremdendes, was nicht vorhanden ist, sie sind unruhig — delliircn, und pflegen häufig zu gähnen.
Lähmungen: Bei Pferden in grossen Dosen paralytische Sehluck-lieschweiden; allgemeine Parese, wankender, unsicherer, schleppender Gang schon nach einigen Stunden und bis 30 Stunden bemerkbar: Pferde zeigten stets Xlerenreizung und schliesslich vermehrtes Urlniren; bei den Opera-tionsiibungen volle Empfindlichkeit, selbst nach den grössten Dosen von 12 Cgr.
Hyoscyamus —Extract-— und Coniin können als theil-weiser Ersatz für das Opium dienen, letzteres wirkt namentlich paralysirend auf das Rückenmark und steht gewissermaassen zwischen Opium und Belladonna.
Hyoscyamus eignet sich nicht zur hypodermatlschcu Anwendung, well das wirksame Prineip — Hyoscyamin — schwer darzustellen ist. Das Co­niin ist in Wasser löslich und in verdiinuten Lösungen ohne starke locale Beizung bei der subeutanen Anwendung. Dosis bei Hunden : 1— 3 Tropfen in 2 Grm. Wasser gelöst; 5 Tropfen tödteten einen mittelgrossen Hund.
Hauptsymptomei nach 5—10 Min. unregelmässiger Herzschlag, in der Stärke namentlich, darauf in den nächsten l'/a Stunden: etwas Verminde­rung der Pulsfrequenz und der Temperatur, Erweiterung der Pupille, ge­störtes Bewusstsein, Anästhesie, Parese. Nach 5 Tropfen vollständige Läh­mung zuerst des Hintertheils, nach l1^ St. Zuckungen, Winseln und Tod; nach dem Stillstande des Athmens schlug das Herz noch 5 Minuten.
Blausäure, bittere Mandeln, Kirsclilorbeerwasser, in letzteren beiden Mitteln ist das wirksame Prineip das Amyg-dalin, ein der Blausäure sehr nahe stehendes Glykosid, welches in allen Pflanzen der Familie der Amygdaleen mehr oder weni­ger vorkommt, durch Emulsin in Glykose und Blausäure zer­legt wird. Sedativ bei grosser Reizbarkeit, bei Hyperästhesie, ausserdem besonders beruhigend auf die vom Gangliensysteme abhängigen Bewegungen, namentlich auf das Herz, die Athmungs-nnd Verdauungsorgane. Eine specitisch beruhigende Wirkung auf das Herz zeigte das Kirscblorbeerwasser bei meinen Ver­suchen, besonders bei Hunden, bei denen Herzleiden (in Han­nover wenigstens) sehr häufig sind.
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380nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die beruhigende Methode.
Das amerikanisch-indianische Pfeilgift — Woorara, Wooraly, Urari, Curara. Das mächtigst lähmend wirkende Mit­tel, welches das kräftigste antispasmodische Mittel sein muss und namentlich bei Starrkrampf zu versuchen ist.
Ein harzartiges, fettes, braunschwärzliches, bitteres, in Wasser lösliches Extract, dessen Hauptbestandtheil das Curarin ist. Soll dem Strychnin verwandt sein, steht diesem aber in seiner Wirkung gegenüber; es wirkt lähmend, besonders auf das Rückenmark, bei örtlicher Anwendung lähmend auf den direct berührten Nerven — die vergifteten Gliedmaassen werden immer zuerst gelähmt —, tödtet fast plötzlich durch Lähmung; Kaninchen starben nach l/j — 1 Cgr. ziemlich schnell.
9. Die flüchtigen Anästhetica. Jackson und Mor­ton lernten die gefühllos machende Wirkung flüchtiger Sub­stanzen und zunächst des Schwefeläthers kennen, sie sind die Begründer der Anästhesirung durch Inhalation flüchtiger Kohlen­stoffverbindungen. Später hat man eine ganze Reihe von flüch­tigen Anästheticis kennen gelernt. Alle haben nur eine grosse Flüchtigkeit gemein; grösstentheils stammen sie aus der Gruppe der sogenannten einsäurigen Alkohole und sind entweder deren einfache oder zusammengesetzte Aether. In Nordamerika be­dienen sich die Zahnärzte des Stickstoffoxydulgases, dessen eigen-thümlieh berauschende Wirkung schon Davy erkannte und welches deshalb den Namen „Lust- oder Wonnegasquot; bekom­men hat. Nach Ozanam soll die Kohlensäure das mäch­tigste und gefahrloseste Anästheticum sein; er konnte damit bei Thieren die Anästhesie 13'4 Stunden durch fortgesetzte Inhala­tion unterhalten; mit dem Aufhören der Inhalation hörte auch die Wirkung auf. Alle Aetherarten, besonders aber der reine Aether, Salpeteräther, Essigäther, Chloräther, Ameiseri-äther und Aran'sche Aether — Aether muriaticus transclüoratus —, Chloroform (von Dumas und Simpson), Amylen, Benzin u. a. m. sind als die wesentlichsten Büttel hier zu erwähnen.
Chloroform, welches das Blut weniger alterirt, als Aether, hat sich allen bisher neu entdeckten Mitteln gegenüber immer noch behauptet, es ist immer das souveräne Anästheticum geblie­ben und entspricht den praktischen Anforderungen von allen noch am besten.
Die Anwendung der flüchtigen Anästhetica ist verschieden: Aeusserlich; örtlich behufs localer Beruhigung und Abstum­pfung. Hierzu sind besonders der Aran'sche Aether, das Amylen,
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 381
derSchwefelkohlenstoff (.dZcoÄoZ sulphuns Lampadit) und in jüngster Zeit letzterer mit 3 Theilen Kampferspiritus (Smith) empfohlen. Bei den Thieren weniger anwendbar, namentlich gelingt es nicht, die Empfindung behufs blutiger Operationen genügend abzu­stumpfen. Innerlich als Beruhigungsmittel bei schmerzhafter Krampfkolik, bei anderen Krämpfen, selbst bei Starrkrampf; bei Erkältungskolik in kleinen Dosen von 8 —10 Grm. für Pferde mit Kaffee oder Kamilienthee recht wirksam. Zur Ab­stumpfung des Gefühls bis zur Anästhesie ist diese Anwendung nicht geeignet. Die Anwendung per anum hat sich nicht be­währt, auch nicht in der Gasform; Aetherklystiere haben Rei­zung selbst Entzündung des Mastdarmes zur Folge. Zur hy-podermatischen Anwendung eignen sich alle diese Mittel nicht, weil sie eine heftige Entzündung an der Injectionsstelle verursachen; ebenso sind auch Injectionen in die Vene prak­tisch unbrauchbar.
Die Inhalation ist bei allen die rechte Gebrauchsweise. Die Wirkung tritt schnell ein und, was die Hauptsache ist, kann beliebig gesteigert werden. Deshalb ganz gebräuchlich zur Abstumpfung des Gefühls vor den schmerzhaften Operatio­nen und zur Erleichterung der Operation selbst. Eine beschränk­tere Anwendung findet die Inhalation bei Krankheiten; hier beson­ders bei eingeklemmten Brüchen, bei denen die Bruchoperation nur noch selten erforderlich ist, seitdem wir die Chloroformnar­kose kennen, und bei heftigen, gefahrdrohenden Krämpfen, weil sie eben augenblicklich wirken, und wenn die Ursachen der Krämpfe vorübergehend sind oder inzwischen beseitigt werden können, so knüpft sich an die augenblickliche Palliativwirkung auch eine radicale Heilung, so dass sie nicht bloss augenblick­liche Rettungsmittel, sondern unter Umständen auch wirkliche Heilmittel sind. Wo aber die Ursachen des Schmerzes oder des Krampfes durch die erzeugte Anästhesie oder während derselben nicht gemildert werden, wo die Naturheilung inzwi­schen nicht einen Vorsprung gewinnt, da ist natürlich das Anä-stheticum nichts als ein Palliativmittel für nur kurze Z.eit. Bei dem Starrkrampf ist die Aetherinhalation mehrfach ange­wendet worden, einige Patienten sind auch nach öfterer Wie­derholung nach und nach genesen, andere nicht, so dass bis jetzt die Resultate hiervon noch nicht wesentlich günstiger sind, als von andern Behandlungsweisen. Während der Betäubung
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382nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die beruhigende Methode.
ist der Krampf gelöst, nach derselben tritt er immer wieder ein, und meist im gesteigerten Grade; werden später die teta-nischen Zufälle nach dem Erwachen der Empfindung gelin­der, so ist Hoffnung zur Heilung. — Meist gehört eine län­gere Inhalation zum Gefühlloswerden, als bei nicht starrkrampf-kmnken Individuen. Bei Strychninvergiftungen treten die Krämpfe, nachdem sie durch Anästhesie einige Zeit zurück­gehalten worden sind, immer viel heftiger auf, wenn die Gefühl­losigkeit früher vviderkehrt, als die Wirkung des Giftes vor­über ist — s. entgiftende Methode.
Bei Prolapsus uteri ist nach der Reposition eine längere Unterhaltung der Anästhesie ein sicheres Mittel zur Retention. Inzwischen kann durch Anwendung von kalten Einspritzungen eine gewisse Zusaramenschrampfung erzielt werden; die locale Reizung nimmt ab und so ist durch die Zeit während der Anä­sthesie Sicherheit gewonnen.
Man hat zu diesem Zwecke eine Anzahl Apparate erfunden, die sammt und sonders entbehrlich, zum grossen Theile sogar verwerflich sind. Man hält einfach einen, mit dem Mittel durchfeuchteten Schwamm vor die Nase, bei Pferden vor ein Nasenloch, während man das andere bei der Inspira­tion mit der Hand schliesst und bei der Exspiration frei lässt: oder man befeuchtet ein zusammengelegtes Tuch und hält es, in Trichterform zusam­mengerollt, so vor, dass die Nase grösstentheils darinnen steckt, oder man hängt einen Futterbeutel vor, in welchem sich ein angefeuchteter Schwamm befindet: wenn mau lieber will, so kann auch ein Stück Leinwand um Nase und Unterkiefer geschlagen werden, das eine halbe Elle über die Nase hin­aus herunterhängt und den angefeuchteten, vor die Nase gehaltenen Schwamm umhüllt; oder man legt den getränkten Schwamm in einen Eimer, steckt die Nase des Thieres hinein und überdeckt den Eimer um die Nase herum — bei dem Rindvieh sehr zu empfehlen —; oder endlieh man nimmt — bei kleinen Thieren — eine Blase, legt einen angefeuchteten Schwamm oder benetztes Werg hinein und steckt den halben Kopf hinein, so aber, dalaquo; etwas Luft eindringen kann.
Bei der Inhalation geht meist eine gewisse Aufregung voran, der Pnis wird voller und schneller, das Auge wird unruhig, sehweift umher, Hunde winseln und jammern, dann beginnt der Athem voller, tiefer und langsamer zu werden — ein sicheres Zeichen, dass das Anästheticum gut vertragen wird und sicher wirkt —, hierauf folgt Verlust des Willens und Unfähig­keit zur Bewegung, die Augen werden verdreht, die Pupille erweitert sich, der Puls wird dann kleiner und langsamer, die Muskeln fangen an zu wit­tern, sie werden schlaff, Roth und Urin gehen oft unwillkürlich ab und so tritt denn schliesslich Gefühl- und Bewusstlosigkeit ein. Stehende Th.ere knicken zusammen und bleiben bewusstlos liegen. So die regehuässig ab­laufende Inhalation.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;383
Man kann bei der Inhalation drei Stadien unterscheiden: 1) das Sta­dium der Aufregung, 2) das der Betäubung, der Bewusst- und Gefühllosig­keit, und 3) das Stadium der Muskelerschlaffung. Das zweite Stadium, welches sich durch Muskelzittem ankündigt, ist das geeignete zur Ope­ration.
Die Quantitäten lassen sich nicht wohl feststellen, weil die individuelle Empfänglichkeit sehr verschieden ist, bei unruhigen Thieren ein grosser Theil der Dämpfe verloren geht und die Wirkung wesentlich von der Concentration der Dämpfe in der eingeathmeten Luft abhängt. Bei Hunden genügen in der Eegel 4—8 Grm., bei grossen Hausthieren sind 30—60 Grm. und mehr Chloroform erforderlich. Die eingeathmete Luft darf nicht mehr als 5 Procent enthalten; Dr. Snoiv hat nachgewiesen, dass eine stärkere Beimischung nicht ohne Gefahr ist. Deshalb ist auch die Inhalation ohne besondere Apparate zwar etwas ver­schwenderisch, aber doch am sichersten. Man setzt die Inha­lation fort bis zu dem zweiten Stadium der eingetretenen Anä­sthesie, bei Krämpfen bis zur Muskelerschlaffung; erwacht das Gefühl früher, als dem Operateur willkommen ist, so wird die Inhalation wiederholt, und zwar schon bei den ersten Spuren der Empfindung. So kann man die Anästhesie über 1 Stunde hinaus ohne Gefahr unterhalten. Der Hauptführer zum recht­zeitigen Aussetzen ist dasAthmen; sobald dasselbe langsam und tief erfolgt, muss die Inhalation unterbrochen werden; aussetzen­des und stillstehendes Athmen verkündet Gefahr, Stillstand des Herzschlages zeigt schon den Tod an.
Die anästhesirende Wirkung soll darin bestehen, dass das Blut durch Einwirkung auf die Membrane der Blutkörper die Fähigkeit zum Atlimen verliert, d. h. Sauerstoff aufzunehmen und Kohlensäure abzugeben. Nach eingetretener Erschlaffung der willkürlichen Muskeln folgt bald Erschlaffung der organischen Muskeln und damit der Tod durch Herzlähmung oder Asphyxie, wenn das Mittel noch femer einwirkt. Das Hervorziehen der Zunge, die leicht auf die Epiglottis fällt und Erstickung bedingt, und künst-liclie Respiration sind die augenblicklichen Rettungsmittel. — Ein bei der Anwendung des Collodiums plötzlich in Asphyxie verfallener Papagei er­holte sich bei künstlicher Respiration mittelst Lufteinblasen.
Im Allgemeinen finden die Inhalationen bei den Hausthieren, na­mentlich bei den grösseren, nicht die zweckmässige Anwendung, wie bei den Menschen: die Wirkung ist unsicher, die Anwendung mühsamer, die betäubten Thiere fallen um, deshalb muss man sie vorher niederlegen, reit allen Kräften widersetzen sie sich und regen sich zum Aeussersten auf. Deshalb ist es erfreulich, in der hypodermatischen Anwendung des Mor-pliiuras ein so vorzügliches Anästhetieum zu haben.
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384nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die beruhigende Methode.
10.nbsp; nbsp; Mehrere ätherisch-ölige Mittel. Diese Gruppe von Mitteln schliesst sich den gefühllosmachenden theilweise an; einige, die flüchtigeren, wirken durch Inhalation auch anästhe­tisch, aber schwächer, weil sie weniger flüchtig sind, und dann wirken sie auch mehr oder weniger reizend auf die Schleim­häute und anregend auf das Gefässsystera, so dass sie in dieser Gebrauchsart praktisch unbrauchbar sind; zum innerlichen Ge­brauche aber eignen sie sich besser, als jene, sie wirken nach­haltiger beruhigend, besonders auf das Gangliensystem.
Ihre zweckmässige Anwendung linden diese Mittel, wenn neben der schmerz- und krampfstillenden Wirkung hauptsächlich auf das Gangliennervensystem auch eine nachhaltig allgemein erregende erwünscht erscheint.
Die wichtigsten dieser Mittel sind: Chamillen, das be­liebteste und gebräuchlichste Beruhigungsmittel dieser Art, wel­ches nur wenig erregend wirkt; Baldrian, ebenfalls ein sehr gebräuchliches Beruhigungsmittel, das aber zugleich mehr erre­gend wirkt, als die Chamillen; die Münzarten und selbst der Kampfer, deren beruhigende Wirkung von der excitirenden bedeutend überragt wird; Asafötida, Thieröl und auch Ter-penthinöl sind erregende und zugleich auch beruhigende Bauchmittel, namentlich die beiden ersteren.
Bei allen schmerz- und krampfhaften Krankheiten im Hinter leibe, wenn nicht eine Reizung, Entzündung im Darmrohr oder eine mechanische Ursache der Unwegsamkeii; zum Grunde liegt, in allen solchen Fällen sind die erwähnten Mittel vortreffliche Beruhigungs- und Heilmittel.
11.nbsp; nbsp;Verschiedene Organ-Beruhigungsmittel: Digi­talis und Taback für das Herz; Arsenik für die Lungen; Koh­lensäure und Tanninsäure für den Magen, besonders bei heftigem und anhaltendem Erbrechen, selbst nach Brechmitteln; Kampfer, Jod und Brom bei krankhaftem Geschlechtstriebe; in neuerer Zeit ist besonders das Kalium bromatum bei abnormen Geilhei­ten, bei Nymphomanie der Stuten empfohlen worden.
Gegenanzeigen,
Die Gegenanzeigen können sich hier nur auf die Mittel beziehen, welche specifisch beruhigend auf die Nerven einwir­ken — die Narcotica und Anaesthetica —, insofern sie als Pal-
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Gegenanzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;385
liativmittel angewendet werden, und gilt deshalb hier dasselbe, was ich bereits früher gegen die symptomatische Kur im Allge­meinen angeführt habe. Wo eine radicale, gegen das Grund­leiden gerichtete Behandlung möglich ist und keiner der speciell erwähnten Umstände zur schleunigen oder vorläufigen Beschwich­tigung auffordert, da sind diese Mittel immer co'ntraindicirt. Bei unseren Thieren wird ohnehin selten Missbrauch mit diesen Mitteln getrieben, weil man um die Erleichterung der Leiden des Patienten wegen weniger besorgt ist. Dass übrigens bei der Auswahl der beruhigenden Mittel diejenigen contraindicirt sind, deren specifische Richtung in der Wirkung nicht den ge­gebenen Verhältnissen entspricht, dass man z. B. keine beruhi­genden Mittel anwenden darf, die zugleich erregend auf das Gefiisssystem — erhitzend — wirken, wenn schon eine Gefass­aufregung besteht, versteht sich von selbst. Gehirn- und Herz­krankheiten verbieten die Inhalation flüchtiger Anästhetica, das Chloroformiren. Der Therapeut muss nicht bloss wissen, wann er die beruhigende Methode in Anwendung bringt, sondern auch durch welche Mittel, und dazu ist weiter nichts erforderlich, als die Indicationen präcise aufzufassen und die Wirkungen der betreffenden Mittel in ihren besonderen Richtungen zu kennen. Ein ungünstiger Erfolg von den angewendeten Mitteln ist auch hier eine Contra-Indication gegen den ferneren Gebrauch.
Die cntzichciidc, zehrende. Kurmctliode. Jlethodns emaeians.
Die Entziehungen sind immer mit mehr oder weniger Schwächung ver-btmden, deshalb hat mau diese Methode auch wohl die „schwächendequot; ge-inuint, indess diese Bezeichnung führt gewöhnlich zu der irrthümlichen Auffassung, als ob das Schwächen Zweck der Methode sei. Die Schwä­chung ist stets eine unwillkomraeBe, oft sehr hinderliche Nebenwirkung dieser Heilmethode; könnte man entziehen, ohne zu schwächen, so miisste dies unbedingt geschehen. Die Schwächung, die Verminderung der Lebenskraft hat niemals einen vernünftigen Heil­zweck und gehört nicht unter die Heilmethoden:
1) weil es kein Uebermaass von Lebenskraft giebt. In gesunden Tagen hat jedes Individuum unter normalen Lebensbedingungen
(if r! ach AII^. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;25
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386nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die entziehende Methode.
stets sein volles Maass von Lebenskraft, das höher hinauf nicht gesteigert werden kann; in Krankheiten besteht nie das volle Maass von Lebenskraft, geschweige denn ein Uebermaass; Schwächen ist deshalb gleichbe­deutend mit Störung der Gesundheit, Heilung stets identisch mit Stärken. Ehujseis hat schon den sehr richtigen Satz aufgestellt, dass alle Mittel, welche dem Organismus zur Beseitigung der Krankheit dienen, Stärkungsmittel sind. Das, was man für ein Uebermaass an Lebenskraft, Hyperstheuie, genommen hat, ist weiter nichts, als eine Disharmonie mit Steigerung einzelner Lebensactionen, mit hervorragender Thätigkeitsäusse-rung in einzelnen Systemen. Erregende Substanzen, Spirituosen bringen z. B. ähnliche Disharmonien in den Functionen hervor, der Puls wird be­schleunigt, die Arterie mehr gespannt, es tritt Orgasmus im Blute, Fülle in den G-efässen, Turgescenz in der Haut hervor u. dergl. m., dies Alles aber ist nicht der Ausdruck von übermässiger Kraftfülle, es ist dies eben so wenig eine gesteigerte Lebenskraft, als die Erregungsmittel an sich Stär­kungsmittel sind;
2)nbsp; nbsp;weil aus Stärke, ans Kraftfiille niemals Krankheiten entstehen. Kraftfülle ist ja eben nur bei voller Gesundheit gegeben, und darin liegt wieder die möglichste Selbstständigkeit den äusseren Einflüssen gegenüber. Der Körper muss das, ihm von der Aussenwelt gebotene, das Unentbehr­liche, die Lebens- und Nahrungsmittel verarbeiten, er muss ferner seine Selbstständigkeit gegen so manche äusscre Einflüsse behaupten, er muss mit einem Worte die äussere Welt bearbeiten, um zu bestehen — wie Lotze in seiner allgemeinen Pathologie sagt — dazu kann er nie zu viel Kraft haben;
3)nbsp; endlich, weil in einem grossen Kraftfond niemals ein Hinderniss der Genesung gegeben ist.
Die Absicht zu schwächen kann sich bei dieser Methode immer nur auf einzelne organische Vorgänge behufs Ausgleichung einer Disharmonie beziehen.
Die Stoffmenge im ganzen Organismus oder in einzelnen Theilen desselben, in einzelnen erkrankten Organen, oder im Blute zu vermindern, ist der nächste Zweck dieser Methode, die eben ein therapeutisches Abzehren, Abmagern darstellt. In sehr vielen Fällen macht sich die Entziehung bei den Patienten von selbst durch die Appetitlosigkeit, die oft länger anhält, als dem Therapeuten gut erscheint, die aber doch in allen Fällen, wo nur eine leise Indication für diese Methode gegeben ist, als heil­sam betrachtet werden muss. (Conf. Instinctive Naturheilung, S. 137.)
Indicationen.
An der Spitze dieser Methode stehen zwei Cardinal - Indi­cationen, einmal einseitig gesteigerte Lebensacte, Krankheitsprocesse, die man durch Aushungern am
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;387
besten beschwichtigen kann, und zweitens gewisser Ueberfluss an chemischen oder anatomischen Bestand-theilen, dyskrasische und hypertrophische Zustände. Die speciellen Indicationen sind:
1. Uebermässige Fettablagerung. Allgemeine Fett­überladung, Feistheit, ist immer mit geschwächter Lebenskraft und mit Beeinträchtigung verschiedener physiologischer Func-tionen verbunden, ist also in dieser Beziehung schon etwas Ab­normes, das als Krankheitsursache und als Hinderniss der Ge­nesung in Betracht kommt; die Fettbeseitigung dient bald als radicales Heilmittel, bald auch als Linderungsmittel. Bei den Mastthieren ist die Feistheit ökonomischer Zweck, wenn sie also hier Besorgniss erweckt, dann ist sie Indication für das Schlacht­messer, vorausgesetzt, dass das Schlachten sonst keine beson­dere Contra-Indication findet; sobald aber die Feistheit nicht ökonomischer Zweck ist und man eine vorläufige anderweitige Verwerthung höher anschlägt, als die gegebene Fettmasse, dann ist die Indication zur Fettabschmelzung selbst bei schlacht­baren Thieren gegeben.
Selbst bei dem natürlichsten Fettträger, dem Schweine, ist kein natur­wüchsiges Gedeihen, wenn die Zuchtthiere fortwährend mit Fettmassen überladen sind. Bei den durch Kreuzung mit den Chinesen geschaffenen leinen Schweinen prävalirt die Feistheit bei massigem Futter, dies hat bei manchen Schlägen durch fortgesetzte mastige Ernährung und Vererbung, namentlich in der Verwandtschaftszucht so Überhand genommen, dass der Verlust bei der Aufzucht durch Fettahlagerungen und Verfettungsprocesse sehr gross ist. So lange diese Verluste den ökonomischen Vortheil durch grössere Mastungsfähigkeit nicht aufwiegen, wird man fortfahren, solche Fettträger zu züchten. Aendert sich das ökonomische Verhältniss, so tritt unsere Methode als Vorbauungs- und Heilmittel ein.
Bei Arbeitsthieren kommt Feistheit nicht vor, wenn sie ihrer Bestimmung gemäss verwendet werden; dies ist aber bei Luxuspferden zuweilen nicht der Fall, und dann ist eine über-mässige Fettbildung die baldige Folge, welche, namentlich bei raüssigen Arbeitsthieren, sehr gern verschiedene Krankheits-zustände im Entstehen und Fortbestehen begünstigt. Bei. Hun­den, die oft als bevorzugte Lieblingsthiere gepflegt werden, tritt Feistheit nicht selten ein, die hartnäckige Hautausschläge, Athemnoth, Stickhusten, Wassersucht u. dgl. m. zur Folge hat.
Fettanhäufungen durch übermässige Ablagerung und Fett-metamorphosen in einzelnen Organen. Die Fettleber steht
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388nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die entziehende Methode.
hier an der Spitze, sie findet sich namentlich gern neben einem gewissen Grade von allgemeiner Feistheit ein und tritt bei Läm­mern und Jährlingen zuweilen als Heerdenkrankheit auf.
2.nbsp; nbsp;Voll- und Dickblütigkeit. Beides ist in der Regel beisammen; wo zu viel Blut, da ist das Blut immer zugleich reich an festen Bestandtheilen, namentlich an Blutkörper und Faserstofiquot;; die wahre Pletora fällt immer zusaiumen mit Poly-cythämie und Hyperinose. In solcher Vollblütigkeit liegt nicht selten eine besondere Disposition, die sich unter ganzen Heer-den gewöhnlich durch mehrfache acute Erkrankungs- und Todes­fälle unter den kräftigsten Individuen ereignen. Die Entzie­hungskur dient hier zur Vorbauung. Bei Krankheiten kann solche Polyämie Ursache eines schweren und gefahrlichen Ver­laufes, ein Hinderniss der Genesung, selbst die Grundlage, der Ausgangspunkt der Krankheit sein, und je nachdem ist die Ent­ziehungskur mehr oder weniger dringlich angezeigt. Einseitige Dickblütigkeit ohne Vollblütigkeit kommt bei und durch Krank­heiten zu Stande, das Blut ist dann gewöhnlich mit Kohlensäure überladen und hat die Fähigkeit zu freier Circulation mehr oder weniger eingebüsst; dieser sogenannte dyskrasische Zustand, wie er namentlich bei der Cholera, dem Milzbrande und bei Hin-terleibscongestionen und Darmentzündung der Pferde vorkommt und dann das gefährlichste Krankheitsglied bildet, giebt gewöhn­lich eine Vital-Indication zum Theil für die entziehende, zum Theil aber auch für die verdünnende und erregende Methode ab.
3.nbsp; nbsp; Uebermässige Anhäufung des Blutes in einzelnen Ge-fässgebieten — Hyperämien, Congestionen —, besonders in ge-fässreichen und edlen Organen, namentlich wenn Entzündungen und Blutungen zu fürchten oder schon eingetreten sind, wenn sich weitere Beeinträchtigungen in verschiedenen Functionen bemerkbar machen, wenn die sogenannte falsche Schwäche d. h. eine behinderte freie Function des Nervensystems aus der Ueber-füllung mit dunkel-venösem Blute hervorgetreten ist.
4.nbsp; nbsp;Fieberhafte Aufregung im Gefässsysteme mit gesteiger­tem Seitendruck, wenn die Arterie hart oder voll und gespannt, der Tonus überhaupt gesteigert ist, wenn die Körperwärme ver­mehrt ist — sthenisches Fieber —; sind die sub 3. angeführten Zustände zugleich vorhanden oder zu fürchten, so ist die ent­ziehende Methode um so nachdrücklicher anzuwenden, je wohl-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;389
genährter und kräftiger das Thier ist und je weniger man Ursache hat, die schwächende Nebenwirkung zu beachten.
5.nbsp; nbsp;Alle rheumatische Krankheiten, besonders aber die aeuten und fieberhaften, erheischen die Entziehungskur meist in extenso.
6.nbsp; nbsp; Plastische Exsudate, die zur Resorption gebracht wer­den sollen, periodische Augenentzündungen mit hartnäckigen Trübungen, Drüsenschvvellungen, Hypertrophien einzelner Organe und Geschwülste. Hier findet die Entziehung bedingungsweise und mit Auswahl der Mittel ihre Anwendung. (Conf. schmel­zende Methode.)
7.nbsp; nbsp; Krankheiten der Verdauungsorgane. Man kann es als allgemeine Regel hinstellen, dass bei den Krankheiten der Ver­dauungsorgane die Entziehung die wesentlichste Heilbodingung ist; es handelt sich hier nicht gerade um Verminderung der Körpermasse, sondern um die Ruhe der leidenden Ver­dauungsorgane; die Ernährung, der Stoffersatz kann oft recht erwünscht sein, aber es darf nicht geschehen, weil dabei eben die erkrankten Organe belästigt werden.
8.nbsp; nbsp;Endlich findet auch diese Methode zur Vorbereitung für wichtige, tief eingreifende Operationen statt, wenn die Fülle in den Verdauungswegen hinderlich oder schädlich ist, und bei allen vollsäftigen Thieren, um die unvermeidliche Entzündung einen weniger fruchtbaren Boden finden zu lassen. In der ver­nachlässigten Vorbereitung durch Entziehung liegt nur zu häu­fig der unglückliche Erfolg von den kunstgerechtesten Opera­tionen. Bei Pferden in schwerem Körnerfutter ist es als eine grobe Unterlassungssünde anzusehen, wenn eingreifende Opera­tionen ohne vorherige. Tage lange strenge Diät resp. Hungerkur unternommen werden.
Mittel.
Den Stoff zu entziehen bieten sich vier verschiedene Wege dar, von denen man nach Umständen wählt.
1. Die directen Entleerungen. Die Blutentziehungen und die Abführmittel sind von allen hierher gehörigen Mit­teln die am schnellsten und mächtigsten wirkenden, sie finden deshalb in allen Fällen besonders ihre Anwendung, wenn es sich darum handelt, schnell und energisch durch Entziehung einzugreifen; sie sind die strengsten Antiphlogistica, aber zu-
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390nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die entziehende Methode.
gleich auch diejenigen, wodurch am meisten geschwächt wird, daher sind sie auch bei unzeitiger und unvorsichtiger Anwen­dung eben so entschieden nachtheilig, als sie bei rechtzeitiger Anwendung im rechten Maasse schnell wirkende Heilmittel sind. Schweisstreibende Mittel sind hier gleichfalls zu erwäh­nen; sie werden aber gewöhnlich nicht angewendet, um über­haupt zu entziehen, sondern um specielle Stoffe zu entziehen, die durch unterdrückte Hautthätigkeit zurückgeblieben sind und vielfältig noch als die Ursache von rheumatischen Krankheiten betrachtet werden. Die urintreibenden Mittel gehören in sehr beschränktem Maasse hierher, man kann sie lange anwen­den, ehe man eine erhebliche stoffentziehende Wirkung wahr­nimmt. Alle diese Mittel betrachten wir bei den betreffenden Methoden.
Ueber die Entleerungen von speciellen Stoffen, von einzel­nen Bestandtheilen aus der gesammten Körpermasse wissen wir bis jetzt noch sehr wenig; es ist bekannt, dass, wenn man die einzelnen Colatorien und andere Secretionsorgane — Speichel­drüsen, Schleimhäute etc. — zur grösseren Thätigkeit anspornt, diese dann auch die ihrer physiologischen Function entsprechen­den Stoffe im grösseren Maasse liefern, dass wir also auch spe-ciiisch entziehen können, aber doch nur in einein beschränkten Grade, so weit die betreffenden Stoffe gelöst und in aus­scheidbarer Form im Blute schon vorhanden sind; wir wissen aber noch sehr wenig, durch welche Mittel einzelne Bestand-the.ile gelöst, den entsprechenden Colatorien überliefert und so ausgeschieden werden. Von den Mineralsäuren nimmt man an, dass sie die Kalksalze der Knochen auflösen und ausführen; die vegetabilischen Säuren ziehen nach Schulz das Blutroth aus den Bläschen; scharfe Pflanzenstoffe wirken zum Theil ebenfalls lö­send auf das Ilämatin; durch Alkalien sollen Fette im verseif­ten Zustande ausgeführt werden u. dgl. m. — Conf. resolvirende Methode.
Bei dem Mangel an specifischen Entziehungsmitteln für bestimmte Substanzen, für gewisse Gewebstheile müssen wir oft den ganzen Organismus angreifen und ihn abzehren lassen, um die Entziehung an einem bestimmten Theile zu erreichen.
2. Beförderung des Stoffverbrauchs durch Mus­kelarbeit. Der Verbrennungsprocess wird mächtig gefördert; die Kohlenstoffausscheidungen werden bei Körperbewegung um
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 391
das Mehrfache gesteigert sowohl durch Haut- als durch Lungen-thätigkeit; das Fett ist es daher besonders, was hierdurch ent­zogen wird. Dieses Mittel kann natürlich nur dann seine An-wendung finden, wenn die Krankheitsprocesse nicht unbedingt Ruhe verlangen, wie z. B. alle Entzündungen und Fieber, beson­ders bei Brustkrankheiten; ist dieses nicht der Fall, so findet die Körperbewegung überall eine vortrefiliche Anwendung, wenn übermässige Körperruhe die Hauptursache von den patbischen Zuständen ist, welche die Entziehung erheischen. Ich weise bei diesem Mittel besonders auf die feisten Schoosshiin lelien mit allen weiteren, daraus herfliessenden Gebrechen und auf diejenigen Pferde hin, die nicht zu den Arbeitsthieren, sondern zu den Faullenzern gehören, die bei gutem Futter Wochen lang stehen und vegetiren, die sich steif stehen, rheumatisch und gichtisch werden, weil sie im Ueberfluss leben und wenig consumiren. Körperbewegung ist ein fettzehrond es, wie sie in angemessenen Graden ein muskelstärken­des Mittel ist.
3. Verminderte Stoffzufuhr. A. Entziehung des Futters. Von der gänzlichen Entziehung der Nahrung bis zu einer etwas knappen Diät giebt es verschiedene Abstufungen der Wirksamkeit dieses Mittels; wir haben es in der Hand, in den verschiedensten Graden je nach der Entschiedenheit und Dringlichkeit der Indicationeu zu entziehen. Hierbei wird der Organismus angetrieben von sich selbst zu zehren, er wird zur SeibstverdauUDg genötbigt, wie liuppius sagt. Wie rasch diese Entziehung wirkt, sehen wir an der bald hervortretenden Ab­nahme des Körpergewichts, und wie weit wir damit im äus-sersten Falle gehen können, ersieht man aus der Thatsache, class das normalmässig genährte Thier ohne Lebensgefahr nach und nach um Vo seines Gewichts verlieren kann.
Die verminderte Stoffzufuhr ist das beste Mittel dieser Me­thode, und wenn die Indication zur Entziehung nicht besonders dringend ist, wenn die langsame und nachhaltige Entziehung beson­ders beabsichtigt wird, dann ist es unersetzlich. Wo die Entzie­hungskur als Vorbauungskur ihre Anwendung findet, wo dfe Thiere im Ueberfluss von kräftigen Nahrungsmitteln gelebt haben, so dass die bei den Indicationeu angeführten Krankheitszustände aus Grün­den befürchtet werden, und namentlich in allen den Fällen, wo Krankheiten herrschend sind, die sich ihre Opfer hauptsächlich
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332nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die entziehende Methode.
unter den bestgenährten Individuen aufsuchen, da ist diese Ent­ziehung das wirksamste Mittel. Eine durch anhaltend reiehliche Ernährung bedingte vollsaftige Körperconstitution, die eine ab­norme Anlage involvirt, wird am naturgemässesten und auf die Dauer nur durch strenge Diät zurückgebildet — s. Vorbauung bei robuster Constitution. Als Heilmittel bei schon vorhandenen Krankheiten leitet sich diese Kur bei acuten Krankheiten in den meisten Fällen, namentlich bei allen Krankheiten der Ver­dauungsorgane, bei Entzündungen edlerer Organe, bei grösseren Schmerzen und starker Aufregung im Gefässsysteme ganz von selbst ein durch Verminderung oder gänzliches Verschwinden des Appetits — instinctmässiges Naturheilbestreben.
Wir dürfen in dieser Beziehung nicht unbedingt auf den Instinct bei unseren Hausthieren bauen: es giebt auch acute Krankheiten, hei denen der Appetit nicht erheblich, wenigstens nicht in dem Grade vermindert als zur Heilung erforderlich ist, z.B. bei allen rheumatischen Krankheiten, wenn es nicht zu Entzündungen innerer edler Organe gekommen ist u. a.m. Ein verschlagenes Thier kann durch sofortiges Hungern in der liegol eben so sicher wieder hergestellt werden, als es ohne alle Beschränkung in der Ernährung sich bei jeder Behandlung zum Krüppel frisst. Nicht allein bei acutena Rheumatismus mit und ohne Hufentziindung, sondern auch bei ver­schlepptem und solchem, der von Hause aus chronisch und fieberlos ist, bei dem sogenannten Flitterverschlage ist die strengste Diät noting, obwohl das Thier meist einen ungetrübten Appetit zeigt.
Die vollständige Entziehung der Nahrungsmittel, die Hun­gerkur — Methodus per abstinentiam —, die natürlich nur für kurze Dauer fortgesetzt werden kann, findet im Ganzen selten Anwendung; bei schweren Krankheiten in den Verdauungsorga­nen, bei dem erwähnten Rheumatismus, bei heftigem Wund-iieber nach manchen Operationen, namentlich nach Bruchope­ration, nach dem Pansen- und Schlundschnitt ist sie sehr an-zurathen.
Die theilweise Entziehung findet sehr häufig ihre Anwen­dung, wenn auch nicht gerade als die alleinige oder Hauptkur, so doch als sehr wirksame therapeutische Diät neben andern Heilmethoden, die ohne diese von zweifelhaftem Erfolge sind. Diese Entziehungsdiät in verschiedenen Graden kommt neben den entsprechenden Heilmethoden in Anwendung einmal, um dem kranken Organe möglichst Euhe, dem Krankheitsvorgange keine weitere Anregung zu geben, und anderntheils auch, um die angewandte Arznei in ihrer Wirkung zu unterstützen; schmä-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;393
lern wir z. B. bei den Abführmitteln die Futterration, so kön­nen wir sicherer auf die Wirkung rechnen; die Mittel, welche die Resorption befördern, effectuiren ohne Unterstützung durch Entziehung der Nahrungsmittel sehr wenig.
Diese Abzehrung macht sich gradatim in verschiedenen Stoffen und Geweben bemerkbar, zunächst kommt das gelöste Protein, das Eiweiss, dann das Fett und Fettgewebe an die Keihe, demnächst die Muskelfasern, das Parenchym der Leber, der Milz, der Milch- und Lymphdrüsen, der Blut­körper und selbst der Knochen. Die Nervensubstanz und das Auge wer­den hierbei wenig berührt — Chossat.
Ein fettes Pferd von 405 Kilogr. hatte nach 1 Monat langem Hungern SO Kilogr., also etwa 1/5 ^m Körpergewichte verloren, der tägliche Ver­lust betrug 2,66 Kilogr., das ist etwa '/2 Procent. Die Temperatur sank dabei nicht. Nach dem Tödten betrug die gesammte Blutmasse 27 Kilogr, also '/la des lebendigen Gewichts; das Blut hatte '/io an Blutkörperchen verloren; alle Theile waren abgezehrt, Gehirn und Rückenmark aber nicht; das Fett nicht ganz verschwunden; die atrophirten Knochen zeigten in der Marksabstanz Fett — Colin. Annales de med. vet. puhl. a Bgt;-uxelles. XII. 1863.
2 Hunde verloren in 6 Tagen durchschnittlich 1,28 Proc. Körpergewicht. Eine Katze verlor in den ersten 6 Tagen 2,97 Proc, in den folgenden vier Tagen 3,29 Proc., in den folgenden 5 Tagen 3,31 Proc, in 15 Tagen also = 9,57 Proc Beim Fieber beträchtlich grösserer Verlust: mitunter das Doppelte.
B. Entziehung des Wassers. Die allmählige Entzie­hung des Getränkes für einige Zeit bei knappem und trocknera Futter — das Schrotlische. Heilverfahren — ist ein sehr wirk­sames Mittel der entziehenden Methode. Der so herbeigeführte Defect an Wasser im Körper äussert sich in zwei Eichtungen, einmal durch rasche Aufnahme der Feuchtigkeit ausserhalb der Gefässe, durch gehobene Resorption, und zweitens durch fieber­hafte Steigerung des Verbrennungsprocesses, Vermehrung der inneren Consumtion. Beide Wirkungen unterstützen sich gegen­seitig und haben dadurch eine hohe Bedeutung für diese Me­thode überhaupt, namentlich aber bei vorwaltenden wässerigen Bestandtheilen, bei Oedemen, bei hydropischen Ergüssen, bei übermässigen wässerigen Secretionen, bei Durchfall und Harn­ruhr, Schleimflüssen, bei Entzündungen mit der Tendenz zu reichlicher Exsudation, bei bereits eingetretener Exsudation und bei Exsudaten nach bereits verschwundenen Entzündungen.
Bei der Lungenseuche habe ich keines der empfohlenen Arzneimittel von so entschiedener Heilwirkung gesehen, als die trockene Diät, die Heu-diiit. Nachdem mir wiederholt ein ungewöhnlich gutartiger Verlauf unter
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394nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die cutziehende Methode.
ökonomischen Verhältnissen in sogenannten llolländereien vorgekommen war, wo das Vieh nur mit Heu ernährt wurde, ordnete ich eine Heudiät mit theilweiser Entziehung des Getränkes an, die Thiere bekamen reines kaltes Wasser und nie bis zur vollen Stillung des Durstes. Der Verlauf der Seuche war hierbei stets ungewöhnlich günstig.
4. Mittel, welche an sich eine abzehrende Wir­kung habenTahifica, Antiplastica. Wie diese Mittel ihre Wirkung veranstalten, ist im Allgemeinen noch ziemlich dunkel die mögliehen Wirkungsweisen sind: a) Beeinträchtigung der Verdauung, der Chylification, der Blutbereitung und des Stoffansatzes in den Geweben — die Hemmung in einem dieser Vorgänge genügt schon zur Erklärung der abzehrenden Wirkung —; b) Lösung, Schmelzung der Stoffe, Förderung der Resorption und der Ausscheidung. — Die verschiedenen Mittel haben sicher auch verschiedene Wirkungsweisen.
Die Alkalien und ihre Salze. Das wirksamste dieser Mittel ist nach meinen Versuchen das Oxalsäure Kali — conf. Urintreibende Methode —; hieran schliessen sich die sogenann­ten kühlenden Salze, die deshalb bei entzündlichen Krankheiten vorzugsweise zur Anwendung kommen, als: Kali- und Natron­salpeter, Brechweinstein — die wirksamsten Antiphlogistica die­ser Art —, Doppelsalz, Glaubersalz, essigsaures und weinstein­saures Kali, Salmiak etc. Ausserdem sind das Quecksilber, besonders das Kalomel, das Jod und Chlor hierher zu zäh­len. — S. resolvirende Methode.
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Contra - Indicationen,
Es ist hier zunächst hervorzuheben, dass mit der Entzie-hungsmethode eine Schwächung, eine Consumtion der Kraft ver­bunden ist, welche niemals die beabsichtigte und die eigentliche Heilwirkung, sondern stets eine unvermeidliche Nebenwirkung ist, wie bereits näher besprochen worden. Bück sichtlich der Kräfte rauss man aber durchweg bei allen Methoden conservativ verfahren; deshalb steht Körperschwäche an der Spitze der Contra-Indicationen. An sich selbst ist sie noch keine Gegenanzeige, weil Kräftigkeit des Körpers nie eine Anzeige für die Entziehung ist. Bei schon vorhandener oder während der entziehenden Heilmethode eingetretener Schwäche ist unter allen Umständen abzuwägen,
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Contra - Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;395
in welchem Grade sie vorhanden ist und ob bei derselben die schwächende Nebenwirkung der Mittel gefahrdrohen­der ist, als deren Heilwirkung; in diesem Falle ist die Körperschwäche eine entschiedene Contra-Indication, im umge­kehrten Falle findet die entziehende Methode ihre zweckmässige Anwendung trotz der Körperschwäche, natürlich mit derjenigen Vorsicht, dass die schwächende Beiwirkung den Fonds von Kräf­ten nicht überschreitet.
Man darf nie sagen: Hier ist Schwäche, Asthenie, des­halb darf nicht entzogen und noch mehr geschwächt werden, hier muss gestärkt, erregt werden, und so umgekehrt im ent­gegengesetzten Falle; denn die sogenannte Sthenie und Asthenie sind ein Accidens, es bestehen neben den verschiedenen Graden von Schwäche und Kraft noch andere Abnormitäten, Krank-heitsprocesse und Krankheitszustände, welche maass-gebend sind für die in Anwendung kommenden Methoden und Mittel. Die Lehre hat kein Fundament mehr, welche die Heil­bedürfnisse im Organismus nach einem, mit einer Scale verse­henen Kraftmesser ordnet und bei 0deg; diejenige Reaction setzt, welche heilsam ist und zur Genesung führt, darüber hinaus aber zu grosse Körperkraft, zu starke Reaction, darunter zu schwache Reaction sieht, wo man über und unter 0deg; ein unheilsames Natur­heilbestreben setzt und demgemäss die Naturheilkraft durch schwächende resp. stärkende Mittel auf den rechten Weg führt. So einfach liegt nun einmal die Sache nicht für den Thera­peuten. Die Contra-Indicationen gegen einzelne Mittel dieser Methode ergeben sich aus den speciellen Indicationen für einzelne Mittel von selbst; dass z.B. die Entziehung des Getränks nicht stattfinden darf, wenn es sich bei sthenischem Fieber bei hoher und bedrohender Fieberhitze um Abkühlung handelt, ist selbst­verständlich.
Blutcntlccriingen, blntentzieheude Methode. IHethodus sanguinem evacuaus.
Die Blutentzielmugen gehören der vorstehenden Methode mit an, sie werden aber besonders abgehandelt, weil die Frage über die Entziehungen und Niclitentziehungen des Blutes von grosser Bedeutung ist für die Praxis
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396nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die blutentziehende Methode.
und die Ansichten darüber sehr weit auseinander gehen. Die Zeit liegt noch nicht lange hinter uns, wo noch der Grundsatz galt „rjuae medica-menta non sanant, ferrum setnatquot;, ein Grundsatz, der in doppeltem Maasse bei den Thieren zur Vollziehung kam, bei denen der Aderlass nicht allein als ein souveränes Heilmittel, sondern auch als ein Universal - Vorbauungs-mittel betrachtet wurde.
Nach und nach ist man von diesem Missbrauche und jetzt sogar vom Gebrauche des Aderlasses zurückgekommen, zwischen diesen äussersten Extremen liegen ungefähr 3 — 4 Decennicn. Einen sehr wesentlichen An-theil an diesem Wechsel hat die Homöopathie, man sah in der homöopa­thischen Kur Patienten genesen, die an Entzündungen, selbst an Lungen­entzündung litten und bei denen ein gewissenhafter Allopath die Unterlas­sung einer Blutentziehung nicht verantworten mochte. So weit es sich um den früheren Missbrauch handelt, ist dieser Einfluss der Homöopathie auf die Therapie ein verdienstvoller, leider aber ist dies Verdienst durch Hinführung zum entgegengesetzten Extreme wieder geschmälert worden.
Augenblicklich befinden wir uns in einer therapeutischen Richtung, wo es unerhört erscheint, die Blutentziehungen noch als eine besondere Heil­methode abzuhandeln. Es könnte deshalb leicht den Anschein haben, als ob ich mich noch auf einem überwundenen Standpunkte befände, wenn ich noch Indicationen zu Blutentziehungen vorführe. Wie die erste Auflage dieses Werkes nachweist, habe ich schon damals die extremen Gegensätze zurückgewiesen, den Missbrauch ebenso vcrurtheilt, als den Gebrauch bei bestimmten Indicationen vertheidigt. Auf diesem Standpunkte befinde ich mich im Wesentlichen auch heute noch, nur dass ich auf Grund meiner eigenen Erfahrungen in der Beschränkung einen Schritt weiter gegangen bin und durch eine strengere Fassung der Indicationen auch der modernen Kichtung eine Concession gemacht habe.
In die moderne Verurtheilung des Aderlasses kann ich nicht einstim­men aus folgenden Gründen:
1) Die allgemeinen Blutentziehinigen haben nicht die tief eingreifenden feindlichen Wirkungen, nicht die nachtheiligen Folgen, wie sie stellenweis mit grellen Farben geschildert worden sind; das Blut als den edelsten Saft, den Lebenssaft hinzustellen, an den man sich nicht vergreifen dürfe, steht im directen quot;Widerspruche mit der Thatsache, dass es keinen Theil des Körpers giebt, der so vollständig und schnell regenerirt werden kann, als das Blut. Werfen wir aber einen weiteren Blick auf das praktische Ge­biet, so kann man sich tausendfältig aus der Vergangenheit, wie in der Gegenwart, in der Praxis, wie experimentell davon überzeugen, einmal, dass bei gesunden Individuen massige, ja selbst beträchtliche Blutverluste recht gut ohne weitere Folgen ertragen werden, und zweitens, dass die Folgen auch bei kranken Thieren nicht so entschieden nachtheilig sind, wenn sie ohne Indication, aber natürlich auch ohne besondere Contra-In­dication angeordnet werden, wie die blutscheuen Therapeuten annehmen. Nach dem Urtheile dieser über den Aderlass müsste namentlich in den ersten Decennicn dieses Jahrhunderts ein gräuliches Hinmorden unter Men­schen und Thieren geherrscht haben, dem aber doch nicht so gewesen ist, wie ja noch ein grosser Theil der lebenden Therapeuten aus eigener
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Der Aderlass.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 397
Erfahrung wciss. Nirgends mehr als in der Thierheilkunde lassen sich Be­weise gegen die Uebertreibung der Furcht vor dem Aderlassen nachweisen. Wenn man nicht direct gegen alle Heilregeln handelt, so ist es mit einem nicht angezeigten Aderlasse nicht so gar gefährlich.
2) Wirft man sich die Frage auf, ob denn der Aderlass wirklich so entbehrlich sei und keine Indicationen für denselben existiren, so muss man bei unbefangener Auffassung der pathologischen Thatsachen mit einem entschiedenen „Neinquot; antworten. Es giebt ein relatives und abso­lutes, ein allgemeines und noch mehr ein örtliches „Zuvielquot; an Blut, und wenn darin auch nicht gerade die Causa proximo liegt, so ist darin doch immer ein gewichtiges Krankheitsglied für die Therapie gegeben, welche kein directcres und wirksameres Mittel dagegen hat, als den allgemeinen resp. örtlichen Aderlass. „Du sollst kein Blut vergiessenquot; ist ein biblisches und criminalistisches Gesetz, das für den Therapeuten nicht existirt, für diesen heisst es einfach „vergiesse nicht unnütz Blutquot;.
Bei unseren grossen Hausthieren, besonders bei den Pferden, scheint die Entbehrlichkeit des Aderlasses viel beschränkter zu sein, als bei den Menschen.
1. Die allgemcineii Blutentzivhungcn.
Der Aderlass.
Es handelt sich hier um die Blutentleerung aus einem grös-seren Gefässe zur therapeutisch wirksamen allgemeinen Vermin­derung der ganzen Blutmasse. Eine solche Entleerung aus einer Arterie — Arteriotoviie — ist mit Recht ausser Gebrauch gekommen, sie findet nur noch in der Form der Amputation der Ohren und des Schwanzes, besonders bei Schweinen statt. Die Oeffnung einer grösseren Vene — Phlehotomie, Venae sectio — ist jetzt so entschiedene Regel^ dass sie selbstverständlich ist, wenn man von Aderlassen spricht.
Die Wirkungen der Aderlässe.
Anstauung des Blutes in der behufs des Oeffnens comprimirten Vene und deren gesammten Gefassgebiete ist der erste Eingriff in die Circulation; vielfältig ist er unerheblich, mitunter heilsam, zuweilen lebensgefährlich, selbst tödt-lich. Die Jugularvene ist diejenige, welche bei den meisten Hausthieren zum Aderlass benutzt wird, das Anstauen des Blu­tes geht also nach dem Kopfe zu, bei Anlegung der Schnur, wie es beim Rinde in der Regel und von den weniger Geübten
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398nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die blutentziehende Methode.
auch bei den übrigen Thieren geschieht, findet sie — die An­stauung — auf beiden Seiten statt, und unterhalb der Compres­sion tritt natürlich eine Leere ein, das Herz bekommt daher mit einem Male weniger Blut, es schickt weniger in den klei­nen Kreislauf und so haben wir bei grosser Blutfülle im Her­zen, im kleinen Kreislaufe und bei Lungenentzündungen schon einen erleichternden Einfluss, noch ehe einmal Blut fliesst. Ist der Kopf frei von allen Krankheitszuständen, und das Blut nicht zu sehr entartet, so hat das Anstauen nach dem Kopfe hinauf keine Folgen weiter, es wird durch tiefer liegende Venen immer noch so viel Blut abgeleitet, als zur Verhütung der üblen Zufälle nöthig ist; aber bei hyperämischen Zuständen in dem Gehirn und den Gehirnhäuten, ferner bei dickflüssigem, schwar­zem Blute, bei den sogenannten brandigen Darmentzündungen, beim Milzbrande und allen Krankheiten mit hypercarbonisir-tem Blute pflegen Schwindelanfälle einzutreten.
Das Schwindeligwerden nach dem Anlegen der Aderlasssclinur in den Fällen, wo kein Gchinileiden vorhanden, ist immer ein Beweis von einer gewissen kohlenstoffreichen, dickflüssigen Beschaffenheit des Blutes. In Gegenden, wo der Milzbrand stationär ist und häufig vorkommt, wird es als ein Erkennungszeichen für den Milzbrand genommen; obgleich dies nicht richtig ist, so bleibt es doch in jenen Milzbrand-Gegenden ein für die Praxis wichtiges Merkmal, weil die übrigen Krankheitszustände sehr selten sind, welche dieselbe Erscheinung zur Folge haben. Thiere, die dem Laien noch vollkommen gesund erscheinen, zeigen beim Milzbrände schon grosses Unbehagen, Schwanken und Zittern, wenn die Aderlass-schnur umgelegt wird.
Die Stromschnelle wird — nach Volkmanris häraadyna-mischen Untersuchungen — während der Blutentziehung in allen den Gefässen gesteigert, welche nach der Oeffnung zulei­ten. In dem entsprechenden venösen Gefässgebiete muss also während des Abfliessens eine geringere Blutmenge, eine gerin­gere Spannung gegeben sein. Bonders hat dies auch durch directe Beobachtung bestätigt; er beobachtete das Verhalten der Blutgefässe der Pia mater bei einem Kaninchen unter dem Einflüsse der In- und Exspiration und nahm dabei wahr, dass die Gefässe sich bei einer schnellen Blutentleerung bedeutend retrahirten. Hierin liegt nun wieder eine heilsame Einwirkung auf die Circulationsstörung in den entsprechenden kleinen Ge-fassstämmen und Haargefässen durch directe Ableitung; hier­durch kann aber auch wieder Schwindel und selbst Schlagfluss
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Wirkungen der Aderlässe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 399
bedingt werden durch Blutleere, durch plötzliches Aufheben einer, längere Zeit bestandenen Spannung vermittelst Druck bei Gehirnhyperämien — bei Pferden mit solchen Gehirnleiden tre­ten diese Zufalle allemal ein, wenn man das Blut aus einer grossen Oeffnung massenhaft abströmen lässt.
Die momentan eintretende lähmende Wirkung, die ohnmäch­tig machende Wirkung, wie es bei den Menschen nicht selten vorkommt, ohne dass die Veranlassung in den erwähnten Cir-culationsverhältnissen zu suchen ist, tritt bei den Hausthieren nicht ein.
Die Verminderung der Blutmasse selbst nun hat einen vielseitigen Einfluss; drei Fundamentalwirkungen sind zu­nächst an die Spitze aller weiteren Wirkungen zu stellen:
1,nbsp; nbsp;Der Seitendruck auf die Gefässwandungen wird gerin­ger; ein Effect, der jedoch nur bei stärkeren Aderlässen her­vortritt, der aber gerade dann am grössten und von direct heilsamer Wirkung ist, wenn der Seitendruck krankhaft ge­steigert ist, also im Gebiete einer Hyperämie. Steigerung des endosmotischen neben Verminderung des exosmotischen Stromes — gesteigerte Resorption —, Verminderung des, unter vermehrtem Seitendruck stattfindenden Austritts der weissen Blutkörper {Cohn-heim, Virchow's Archiv, Bd. 40. S. 1) und Verminderung der Strom­schnelle knüpfen sich sofort an den verminderten Seitendruck.
Hering {Virordt's Archiv, 12. Jahrg. I.Heft) fand bei seinen Versuchen über die Schnelligkeit des Blutlaufes, dass massige Aderlässe hierauf keinen Kinfluss äussern, dass aber starke Blutverluste trotz der gesteigerten Pulsfrequenz eine Verzögerung des Kreislaufes herbeiführen. Auf der Ver­minderung des Seitendruckes und der Strömung beruht auch die Selbststil-luug der Blutungen aus nicht zu grossen Uefässen und die blutstillende Wirkung des Aderlasses in Fällen, wo das austretende Blut gefährlicher ist, als der Blutverlust — bei Lungenblutungen z. B.
2.nbsp; nbsp;Mit der Quantität der Blutkörperchen nimmt auch die Reizsumme auf Gefass- und Nervensystem ab, damit sinkt die Energie der Herzthätigkeit, der Tonus zunächst in den Gefäss­wandungen und weiterhin in allen Geweben; mit der Quantität nimmt ferner das Athembedürfniss, die Intensität des Athmens und die Temperatur ab. Alles dieses tritt aber nur erst be­merkbar hervor bei starken Aderlässen.
Geringe Temperaturverminderungen nach grossen Aderlässen stehen im Allgemeinen fest, sie halten aber gewöhnlich nicht lange vor,sind oft schon nach einigen Stunden wieder verschwunden, oft erst später; oft zeigt sich vor dem
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400nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die blutentziehonde Methode.
Sinken erst eine Steigerung; zuweilen hat man nur eine Steigerung beobach­tet. So waren auch die Ergebnisse der von Kettler (Beitrag zur Theorie des Fiebers 1807) in neuester Zeit angestellten Versuche von verschiedenen Resultaten. Meine desfallsigen Versuche waren ebenfalls von verschiedenen Ergebnissen, sie haben mich zu der Ueberzeugung gebracht, dass hier noch verschiedene Factoren in Betracht kommen, die wir noch nicht alle ken­nen und berechnen können, dass wir auf diese Wirkung kein sonderliches Gewicht in der Therapie legen und den Aderlass auch nicht als ein anti-pyretisches Mittel betrachten können, dass starke Aderlässe aber bei ple-torischen Constitutimien mit und ohne Fieber, bei sthenischen Fiebern mit sehr hoher Temperatur, immer die Temperatur herabsetzen und von heil­samer Wirkung sind.
3. Die dritte Fundamentalwirkung ist die Blutverände­rung, die aber immer erst in weiterer Folge seeundair hervor­tritt. Das Blut regenerirt sich nach stattgefundenen Verlusten, der Wiederersatz der verschiedenen Bestandtheile geschieht aber nicht in gleicher Zeit, am schnellsten ersetzen sich Salze und Wasser, langsamer und Je nach dem Vorhandensein der nöthigen Ersatzmittel in verschiedenen Graden die Eiweiss-Substanzen, und zuletzt erst die Blutkörperchen; die sich langsam zu den vollständigen, Farbstoff tragenden Körperchen heranbilden. Jeder Blutverlust muss mithin eine Abänderung in den Proportionen der Bhitbcstandtheile haben, und dies ist denn auch in der That nachgewiesen. Bei grossen Aderlässen findet man, dass die festen Bestandtheile, Blutkörperchen und Faserstoff, abnehmen, das Blut wässeriger, heller geröthet und dünnflüssiger wird, dass weiterhin die Plasticität wieder zu­nimmt, das immer noch heller geröthete Blut reichhaltiger an farblosen Körperchen ist, und erst nach längerer Zeit die gefärbten Körperchen in dem normalen Mischungsverhältnisse, ersetzt sind. Je grosser der Blutverlust, desto auffälliger die veränderte Mischung und desto langsamer erfolgt auch natür­
lich die Aus
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eiclmno; bis zum Normalen.
Bei kleinen Aderlässen ist das Verhältniss etwas anders, der Faserstoff wird hierdurch — nach Nasse — vermehrt, was besonders nach wiederholten kleinen Aderlässen auffällig hervor­tritt, wodurch denn auch solche Blutverluste in ihren weiteren Folgen von ganz anderer Wirkung sein müssen. Woher in diesen Fällen der Faserstoff kommt, ist noch unbekannt; zwei Möglichkeiten liegen nahe: 1) er rührt von geförderter Fasev-stoffmetamorphose aus Eiweiss her, oder er wird 2) durch
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Indicationen und Contra-Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;401
gesteigerte Resorption, die nach jedem Aderlass statt hat, aas der Substanz der Organe genommen. Letzteres gewinnt da­durch an Wahrscheinlichkeit, als wir jetzt wissen, dass die Hyperimose bei Entzündungen aus dem entzündeten Gewebe stammt.
Die Zeit zur Regeneration der Blutkörperchen ist unter verschiedenen Verhältnissen sehr verschieden. Was man hei den Menschen beobachtet hat, dass in einzelnen Fällen, namentlich bei Kindern, die Verminderung der testen Bestandtheile Monate nach einem starken Aderlasse noch merk­bar war, während in anderen Fällen nach wenigen Wochen eine vollkom­mene Ausgleichung eingetreten ist, dies kann man auch bei Thieren beob­achten. Am langsamsten dürfte die Ausgleichung der festen Bestandtheile durch Ersatz der Blutkörperchen bei Schafen und Ziegen erfolgen. Bei Pferden und Kindern kann man in 15 bis 20 Tagen nach und nach so viel Blut entziehen, als überhaupt die Gesammtmasse beträgt. Es müssen also auch in dieser Zeit beträchtliche Quantitäten von Blutkörperchen gebildet werden können. Gute Nahrungsmittel, ungestörte Verdauung und Assimi­lation sind hierbei natürlich die ersten Bedingungen.
Indicationen und Contra-Indicationen,
Aus diesen Wirkungen der allgemeinen Blutentleerungen ergeben sich die Bedingungen der heil- und unheilvollen Wir­kungen, die Indicationen und Contra-Indicationen, welche dem­nach nicht aus dem Namen der Krankheit, sondern nur aus den in dem individuellen Falle vorhandenen Um­ständen zu entnehmen sind, wobei der Regel nach nicht ein­zelne Erscheinungen, sondern die gesammten Verhältnisse lei­tend sein müssen. Sind die Verhältnisse so gemischt, dass der Aderlass einerseits angezeigt, andererseits aber wieder verboten ist, dann müssen die wichtigsten und dringlichsten Umstände maassgebend bleiben.
Die wichtigsten Zeichen und Umstände, welche den Ader­lass gebieten, wie auch diejenigen, welche denselben verbieten, sind folgende:
1. Körperconstitution und Alter. Thiere, die von robuster Constitution mit straffem Faserbau sind, die kräftige Nahrung reichlich bekommen, bei denen sich in allen Theilen eine gewisse Blutfülle ausspricht, solche Individuen,, besonders unter den grösseren Hausthieren, vor allem unter den Pferden, erheischen bei fieberhafter Aufregung im Gefässsystem in der Eegel den Aderlass; Körperschwäche, Blutarmuth, Blutwässerig-
Gerl ach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 26
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402nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die blutentziehende Methode.
keit, bleiclisüchtige und kachektische Zustände weisen ihn ent­schieden zurück. Zarte Jugend und hohes Alter involviren keine unbedingten Contra-Indicationen, aber sie fordern zur grössten Vorsicht auf und gestatten nur bei entschieden ausge­sprochener Dringlichkeit einen Aderlass. Trächtigkeit an sich ist keine Contra-Indication, bei hoher Trächtigkeit aber bringen grosse Aderlässe leicht Abortus.
2.nbsp; nbsp;Die Beschaffenheit des Pulses. Der vermehrte Widerstand, den die Arterie dem drückenden Finger entgegen­setzt, der gespannte, volle und starke, wie der harte, zusammengezogene Puls indicirt den Aderlass, während der leicht zusammendrückbare, schwache, elende, so wie auch der bei dieser Beschaffenheit zugleich unregelmässige, aussetzende, ungleiche Puls in der Regel eine Gegenan­zeige abgiebt.
3.nbsp; Die Beschaffenheit der Venen. Gefüllte, strotzende Venen und dilatirte venöse Herzseite — verstärkter diastoli-scher Herzton, oder pochender Herzschlag bei einem Herz­tone —, verlangen oft recht entschieden den Aderlass, trotzdem hierbei der Puls am Kopfe gewöhnlich nur schwach izt; leere Venen sind mehr gegen denselben aber nicht unbedingte Con­tra - Indicationen.
4.nbsp; nbsp;Circulationsstörungen, active und passive Con-gestionen, Blutstockungen und Entzündungen, nament­lich in blutreichen und edlen Organen, verlangen den Aderlass um so dringender, je stürmischer die Zufälle auftreten und je grosser der Seitendruck in den Gefässen ist. Die depletorische Wir­kung ist hier hoch anzuschlagen (conf. S. 302). Bei Djspnoe ist der Aderlass oft das einzige Kettungsmittel. Bei Pneumonien sind die Aderlässe nicht so unbedingt erforderlich, als man frü­her glaubte, sie sind aber auch nicht so entbehrlich, als man jetzt vielfach annimmt, am allerwenigsten aber bei Pferden. Ich muss hier den Aderlass bei unseren Hausthieren so lange als Regel empfehlen, als nicht besondere Contra-Indicationen gegeben sind. Mit der Stauung wird der Seitendruck vermin­dert, die Oedembildung coupirt, und so direct die möglichste Erleichterung verschafft.
Nach Keltler (1. c.) wird das Blut nach dem Aderlass durch vermehrte Resorption im entzündeten Gewebe mehr mit pyrogenem Stoff vergiftet,
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Indicationen und Contra - Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;40.'5
der Aderlass sei deshalb als antifebriles Mittel bei den Entzündungen ganz zu verwerfen. Dieser Gegenstand bedarf aber erst noch der weiteren Con-trole; vorläufig müssen wir den praktischen Standpunkt festhalten. Wo es sich übrigens um Erleichterung der Circulation, um eine depletorische Wirkung handelt, dann darf man selbst auf etwas mehr Fieber nicht so sehr achten, zumal wir anderweitige kühlende Mittel besitzen.
5. Die Beschaffenheit des Blutes. Sie ist theils aus den Erscheinungen annähernd erkennbar, theils aus den Ur­sachen zu folgern, und in anderen Fällen durch den Probeader-lass zu ermitteln.
Das schnell zu einem derben Blutkuchen erstarrende Blut, was gar keine, oder eine nicht zu grosse, feste, elastische Speckhaut absetzt, langsam und nur we­nig Serum ausscheidet, solches Blut giebt ein Anzeichen zum ferneren Aderlasse, wenn die übrigen Zustände zugleich dafür sprechen; während umgekehrt ein lockerer, nach einiger Zeit wieder mehr zerfliessender, bei Pferden mit einer grossen geleeartigen Speckhaut versehener Blutkuchen, der bald im Se­rum schwimmt, eine Contra-Indication abgiebt.
Bei diesen Geriimungsverhültnissen muss man das verschiedene nor­male physikalische Verhalten bei den verschiedenen Thicrgattungen be­rücksichtigen. Das Blut des Kindes gerinnt immer nur langsam, der Blut-kuchen trügt nie eine Speckhaut und scheidet erst nach Tagen einige Tropfen Serum aus; in diesem Verhalten liegt eben so wenig eine Indica­tion für den Aderlass als in dem sehr schnellen und festen Gerinnen des Blutes von Schafen.
Bei Plethora, bei Polycythämie ist der Aderlass unent­behrlich, wenn sich passive Congestionen zeigen; zur nachhal­tigen Wirkung muss sich natürlich eine entsprechende knappe Diät anschliessen. Das mit Kohlenstoff überladene mehr dickflüssige Blut, welches in höheren Graden eine theerartige Beschaffenheit hat, und von Schulz • Schulzenstein „melanotischquot; genannt worden ist, ein Blut, was die Fähig­keit zum Athmen mehr oder weniger eingebüsst hat, träge in den Adern fliesst, den hydrodynamischen Gesetzen wenig folgt, gern Stagnationen in gewissen Venengebieten veranlasst,' leicht Asphyxie bedingt, ein Blut, das bei dem Milzbrande in optima forma, ausserdem aber auch bei Hinterleibscongestionen und Entzündungen der Pferde oft vorkommt, solches Blut verlangt den Aderlass besonders bei den Hinterleibsleiden der Pferde
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404nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die bl itentziehende Methode.
neben flüchtigen, herzstärkenden Mitteln, kalten Begiessungen und Frictionen. Ausserdem ist der Aderlass bei Blutvergiftun­gen indicirt, sofern dadurch die Giftmenge im Körper durch theilweise Ausleerung mit dem Blute vermindert werden kann. Man hat hier sogar neben wiederholt starken Blutentleerungen die Infusion vorgeschlagen — das substituirende antidotische Verfahren.
6.nbsp; Der herrschende Krankheitscharakter — Genius epi- et enzooticus. Es giebt Jahreszeiten, Jahrgänge und Loca-litäten, wo der Aderlass häufiger sich heilsam bethätigt, wäh­rend umgekehrt es auch wieder Zeiten und Jahre giebt, wo man meist auf den Aderlass verzichten, unter allen Umständen aber damit sehr vorsichtig sein muss; in jenen Fällen sind die Blut­dürstigen, in diesen die Blutscheuen die glücklichsten Therapeu­ten. In Zeiten, wo ein allgemeiner sthenisch - entzündlicher Krankheitscharakter herrschend ist, die Erfolge von den Ader­lässen günstig sind, da braucht man nicht karg mit der Ent­ziehung zu sein, leise Indicationen genügen schon dafür; unter den entgegengesetzten Verhältnissen _ aber darf man nur den entschiedensten, dringenderen Anzeigen für den Aderlass folgen.
7.nbsp; nbsp;Endlich giebt es noch einzelne gewisse Krankheitsfor­men, welche in der Regel einen Aderlass erheischen oder ver­werfen. Vollblütige Thiere, die an Hautausschlägen, Hautjucken, ßothlauf, Hitzblattern, Nesselsucht u. d. m. leiden, verlangen den Aderlass; bei gutgenährten hochträchtigen Kühen ist der Aderlass einige Zeit vor dem Kalben ein ganz geeignetes Prä­servativmittel gegen Kalbefieber, Euterentzündungen und dicke Nabel der Kälber. Gedeihen Leibesfrüchte von zu vollblü­tigen Thieren nicht nach der Geburt, so ist ein Aderlass über­haupt oft ein heilsames Präservativmittel. Der Rheumatismus, namentlich der acute, 'der Verschlag, kann den Aderlass bei Pferden selten entbehren; tetanische Krämpfe werden durch grosse Aderlässe oft beruhigt, namentlich bei rheumatischem Ursprünge; typhöse Krankheiten — wenigstens wie sie jetzt auftreten, vertragen gewöhnlich keinen Aderlass, bei dem Milz­brande in ausgebildetem Stadio habe ich äusserst selten von dem Aderlass einen anderen Erfolg gesehen, als dass der Tod beschleunigt wurde. Alle hydrämischen Zustände verwerfen den Aderlass.
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Grosse der Aderlässe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;405
Die Grosse der Aderlässe.
So weit man in der Blutentleerung bei gesunden Thieren gehen kann ohne besondere Störungen zu veranlassen, so weit kann man auch bei Krankheiten gehen, unter Umständen selbst noch weiter. Diese äussersten Quantitäten bilden die grossen Aderlässe. Als näheren Anhaltspunkt kann man die Blutquan­tität bei naturgemässer Constitution auf reichlich 6 Proc. anneh­men; Arbeitsthiere in schwerem Futter haben mehr, fette Thiere weniger, und von dem hiernach berechneten gesammten Blut­gehalt kann man ohne jede Gefahr '/g entziehen,
einem -800 Pfd. schweren Pferde alsonbsp; nbsp;10 Pfd.
raquo; 1000 „nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Ochsen „nbsp; nbsp; nbsp;12
10O „nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Schweine „nbsp; nbsp; nbsp; 1 „ und mehr
30 „nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Hundenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2/6
Nach und nach können bei den grösseren Hausthieren sehr beträcht­liche Massen entzogen werden. Halm — Veter. Bericht, 1848 u. 1850 — entzog einem Pferde, das an Mastdarmeutztindungen litt, in 14 Tagen 93 Pfund, und einem zweiten Pferde mit Kolik und drohender Darmentzün­dung in 8 Tagen 50 Pfund. Felgenhauer — V. B., 1848 — entleerte bei einem, mit aeuter Lungenentzündung behafteten Pferde in 2 Tagen 12 Qrt Ueble Folgen wurden in diesen Fällen nicht gesellen.
Zur Vermeidung des Seitendruekes und der Temperatur, zum heilsamen depletorischen Effecte und zur Beruhigung, also in allen den wichtigsten Indicationen ist ein möglichst grosser Aderlass erforderlich, der unter Umständen noch über die angegebenen allgemeinen Gewichtsnormen hinausgehen kann. Kleine Aderlässe finden jetzt weniger methodische Anwendung wie früher; ihre Wirkung ist mehr auf die Blutmischung be­schränkt; in dieser Richtung finden sie ihre Anwendung und vor allen bei den erwähnten dickflüssigen hypercarbonisirten, melanotischen Blute, wobei grosse Aderlässe nicht vertragen werden. Im Uebrigen hat der einzelne kleine Aderlass wenig Effect, die Hauptwirkung liegt hier in den Wiederholungen, um nachhaltig auf die Blutmischung zu wirken, das Blut zu entgif­ten; wiederholte kleine Aderlässe drängen den Gehalt an bele­benden Blutkörperchen zurück; bei den Masthieren sncht man wohl die Plasticität des Blutes hierdurch zu vermehren, das vegetative Leben zn heben und das animaie herabzudrücken, um
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406nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die blutentziehende Methode.
so ein pflegmatisclies Temperament und die Feistheit zu fordern. Will man in solchen Fällen die Oekonomie ganz vervollständi­gen, so muss man das entzogene Blut wieder als Nahrungsmittel einverleiben.
Die geeigneten Stellen zum Aderlassen.
Hinsichtlich des Ortes und Gefässes ist bei unseren Hausthieren keine grosse Auswahl. Die Jugularvene — bei Wiederkäuern und Hunden natürlich die äussere — ist bei allen Thieren, mit Ausnahme des Schweines, am besten geeignet, bei letzterem liegt aber selbst die äussere Halsvene viel zu tief, als dass wir sie sicher öffiien könnten; wir sind bei diesen Thieren immer in Verlegenheit, wenn es sich um einen schnellen und stärkeren Aderlass handelt; das Abschneiden des Schwanzes, der Ohren, das Durchschneiden der grossen Ohrvene, der Frosch­ader — vena suhlingualis — und das Oeffnen der Hinterschen­kel-Hautvene — v. saphena magna — sind die Operationen, auf die wir hier beschränkt sind, und oft müssen wir alle Re­gister ziehen, um die nöthige Blutquantität zu entleeren. Am ergiebigsten bleibt die Oeffnung der Froschader durch Einschnei­den in die Zunge an der unteren Fläche.
Wo man Gelegenheit hat, die Venen zu öffnen, in deren Gebiete eine Hyperämie oder Entzündung besteht, da muss man solche benutzen: a) wenn die erforderliche Quantität bei angezeigter allgemeiner Verminderung der Blutmasse entzogen werden kann, oder b) wenn auf die allgemeine Blutverminde­rung weniger ankommt. Die örtliche depletorische Wirkung ist hier grosser, schon beim Ausfliessen des Blutes ist die Strö­mung nach der Oeffnung schneller und die Erleichterung in den entsprechenden Organen beträchtlicher. Bei Bauchfell­entzündung des Pferdes die Sporader — v. thoracica externa —, bei Bauchfell- und Euterentzündungen der Kühe die hintere Bauchdeckenvene — v. epigastrica interior — (wegen der so leicht eintretenden Extravasate scheut man sich in der Praxis gemeiniglich vor diesen Aderlässen, in dringenden Fällen ist darauf aber keine Rücksicht zu nehmen), bei Hufentzündungen die Fesselvenen — v. digitales.
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Die örtlichen Blutentziehungen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 407
2. Die örtlichen Blutentziehuiigen.
Hier handelt es sich um Entleerung aus den überfüllten Capillargefassen und den benachbarten Gefässnetzen des er­krankten Organes selbst, zur Herstellung einer freien Circula­tion in denselben, um Stockungen zu heben, Brand zu verhüten, um Schwellungen, Druck, Spannung zu massigen und Schmer­zen zu stillen. Sie sind bei Thieren von viel geringerer Bedeu­tung, als bei dem Menschen, wo Blutegel und Schröpfkröpfe als depletorische Mittel eine so grosse und wichtige Rolle spie­spielen ; wir sind mit den Mitteln hier so ziemlich auf die Sca­rification reducirt, wo diese nicht ausführbar ist, da müssen wir auch auf diese entziehende Methode verzichten und statt dessen zu einem anderen, Hautentzündung erregenden Mittel greifen. Wo der Arzt bei seinen Patienten Blutegel setzt, da setzt der Thierarzt eine scharfe Salbe auf, und er hat Ursache, mit die­sem Ersatzmittel zufrieden zu sein. Eine depletorische Wirkung, worauf es hier ja ankommt, kann auf den örtlichen Aderlass nur innerhalb eines beschränkteren Gefässgebietes erfolgen, in welcher die Entleerung stattfindet. Die Wirkung der Blutegel und Schröpfköpfe ist deshalb nicht von dem Umfange, als man früher geglaubt hat; örtliche Blutentleerungen an der Körper­oberfläche der Höhlenwandungen können eine directe ableitende Wirkung nur auf die innere auskleidende Membran, aber nicht auf die freiliegenden inneren Organe haben, wenn sie auf letz­tere noch eine Wirkung haben sollten, so kann diese nur in der Verminderung der ganzen Blutmasse und etwa noch in einer antagonistisch wirkenden localen Reizung bestehen. Die Blutegel sind bei den Menschen oft als Ersatz der Venäsection anzusehen, ein Grund, dass man letztere bei dem Menschen mehr entbehren kann, als bei den Thieren. In allen gefössrei-chen Weichgebilden, wo die Verletzung keine Übeln Folgen hat, da können wir die Scarification in Anwendung bringen, #9632;laquo;renn eine locale Blutentziehung nöthig erscheint; ganz besonders aber sind hier zwei locale Blutentziehungen durch Scarification anzuführen, die Incision in die Fleischsohle bei Hufentzündung, bei Rehe und in die Zunge bei Entzündung derselben. Beides sind praktisch brauchbare, oft unentbehrliche Mittel, namentlich habe ich veritabele chronische Zungenentzündungen ohne tiefe und wiederholte Incision niemals heilen können.
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408nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auflösende Heilmethode.
Eine zu empfehlende Kurregel ist bei den grösseren Thie-ren, bei denen eine gleichzeitige allgemeine Blutverminderung gleich Null ist, den heftigen Sturm erst durch einen allgemeinen Aderlass zu beschwichtigen und den örtlichen folgen zu las­sen, der dann aus nahe liegenden Gründen von grösserem Heil-effecte ist.
Bei der Incision gelangt man in das Innere des Entziin-dungsheerdes; durch Spaltung der im Entzündungsheerde lie­genden Gefässe wird eine directe Entleerung vom rechten Orte bewirkt, zugleich wird auch noch der traumatische Reiz an die Gefässwände gebracht, dadurch eine Verengerung des Lumens, die unter dem Zusammentreffen mit der directen Entleerung um so mächtiger ist in der depletorischen und entzündungswi­drigen Wirkung. In den Fällen, wo man gleichzeitig Gefässe in der Nachbarschaft des eigentlichen Entzündungsheerdes an­schneidet, da wird auch noch indirect durch Ableitung der Abfluss des Blutes aus dem Entzündungsheerde gefördert; denn es ist experimentell nachgewiesen — schon von Fialler —, dass mit der Eröffnung einer kleinen Vene ein von der gewöhnlichen Stromrichtung abweichender, beschleunigter Zufluss von Blut aus der ganzen Nachbarschaft gegen die Oeffnung des Ge-fässes — selbst nach Aufhören der Herzbewegung noch — stattfindet.
Die auflösende Heilmethode, Metliodus resohens
Feste Stoffe — Krankheitsproducte und Körperbestandtheile
—nbsp; behufs ihrer Entfernung zu lösen, ist der generelle Zweck der auflösenden — schmelzenden, verflüssigenden — Methode. Dielaquo; Lösungsmittel sind die therapeutisch angewandten Substan­zen selbst oder organische Säfte. Geschieht die Entfernung dadurch, dass die aufgelösten Substanzen zunächst in den Kreis­lauf gelangen, so stellt sie die zertheilende Methode — M. dis-cutiens — dar, und da die Aufnahme in den Kreislauf der Säfte
—nbsp; die Resorption — ohne vorherige Verflüssigung nie gesche­hen kann, nach der Verflüssigung bei ungestörter Circulation aber stets von selbst erfolgt, so umfasst die auflösende Methode
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Anzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 409
zugleich auch die resorptionsfordernde Methode insoweit mit, als es sich um Kesorption der nicht gelöst voi'hande­ren Substanzen handelt. Die Resorption des Flüssigen wer­den wir bei der Urinsecretion näher erwähnen.
Die Therapie kann die Resorption auf verschiedene Weise thcils rela­tiv, theils auch absolut fördern, die absolute Förderung ist jedoch eine sehr beschränkte, die selbst von manchen Seiten streitig gemacht worden ist. Die Förderung geschieht:
1)nbsp; durch das Löslichmachen fester Stoife — die wichtigste Seite der resorptionsfördernden Methode —; die einmal zerfallenen, löslich geworde­nen Massen verfallen der Saugaderwirkung ganz von selbst;
2)nbsp; die Förderung der endosmotischen Strömung d. h. der Aufnahme in die Blutbahnen durch Verminderung des Seitendruckes in den Gefassen und Vermehrung der Dichtigkeit des Blutes — Vermehrung der festen Bestand-theile resp. Verminderung des Wassers — und durch Vermehrung der Dnickverhältnisse, der Spannung in der zu resorbirenden Flüssigkeit.
3)nbsp; durch Beschränkung der Absonderung, so dass die Aufnahme den Vorsprung gewinnt, ohne selbst vermehrt zu sein. Der Effect ist hier der­selbe, wie bei absoluter Erhöhung der Resorption. Die Absonderung wird beschränkt: a) durch Vermehrung des Tonus in dem abnorm absondern­den Gewebe; b) durch Herstellung einer freien Circulation, deren Störung in der Kegel, wo nicht immer Ursache der iibermässigen Transsudation ist: o) durch vermehrte Ausscheidung auf anderen Wegen; vermehrte Abson­derung in der Haut, Schleimhaut, in den Nieren hat gesteigerte Resorption und verminderte Absonderung zugleich zur Folge.
Hiernach fällt die Förderung der Resorption der resolvirenden, entzie-licnden, urintreibenden, schweisstreibenden, darmausleerenden und selbst der stärkenden, tonusfördernden Methode anheim, und deshalb ist sie in keiner besonderen Methode abgehandelt worden.
Anzeigen.
Es giebt verschiedene feste Stoffe zu schmelzen und zu entfernen und je nachdem auch mancherlei pathische Zustände, welche diese Methode erheischen.
1. Blut. Für die resolvirende Methode heben wir hier besonders eine abnorme Blutbeschaffenheit hervor, wo das Blut dickflüssig wird und nach zurückgelegtem kleinen Kreislaufe nicht die gewöhnliche helle Köthung bekommt, wo die Körper­chen nicht mehr athmungsfähig sind — die Melanosität des Blutes —, die nach Schulz darin bestehen soll, dass die Hülle ihre Contractilität verloren hat. Eine solche Menalosität, die wir bei Abdominalplethora, bei Darmentzündung — besonders der Pferde —, beim Milzbrande und einigen anderen Blutkrank-
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410nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auflösende Heilmethode.
heiten gewöhnlich eintreten sehen, kommt in verschiedenen Graden vor, je nachdem eine geringere oder grössere Anzahl oder die Gesammtmasse der Blutkörperchen in jene eigenthüm-liche Abnormität versetzt sind. In allen Graden der abnormen Vermehrung und der Erkrankung der Blutkörperchen muss die resolvirende Methode als heilsam angesprochen werden, und stellen wir deshalb die verschiedenen Grade der Dick-blütigkeit bis zum blauschwarzen, theerartigen Blute als Indication für diese Methode hin.
Viel häufiger sind die Blutkörperchen aber im Capillarsy-steme eines Gefässgebietes Gegenstand der resolvirenden Me­thode. Bei Stagnationen, Stockungen, Entzündungen sammeln sich die Körperchen in den Capillaren, schichten sich zusammen und liegen wie geldrollenförmige Säulchen in den unwegsam gewordenen Kanälchen; je grosser die Anzahl der so verstopf­ten Haargefässe auf einem gewissen Räume ist, desto hartnäcki­ger widersteht die Entzündung der Zertheilung, und ist das gesammte Capillarnetz in einem gewissen Umfange auf die Dauer unwegsam geworden, so ist Brand an der entsprechen­den Stelle die nothwendige Folge. Die Anbahnung solcher un-passirbar gewordener Wege, die Herstellung der freien Circu­lation ist Heilbedingung, es ist immer Aufgabe der antiphlo-gistischen Kur.
Das ausgetretene Blut — Sugillation und Extrava-sat — ist endlich hier noch zu erwähnen. Das Serum ver­schwindet bald von selbst, die Blutkörperchen zerfallen, der FarbestofF löst sich, der Faserstoff aber gerinnt und leistet am längsten Widerstand; wenn nicht ein Verwesungsprocess eintritt, der die Schmelzung sehr beschleunigt, so vergehen bei grösse-ren Extravasaten Monate, ehe er verschwindet, und meist tritt dann bei dem Resorbiren eine organische Verhärtung und Ver­dickung ein. Wo daher keine Entleerung stattfindet, da müs­sen die Resolventien in Anwendung kommen.
2. Faserstoffexsndat. Das geronnene plastische Exsu­dat ist stets Entzündungsproduct, es besteht bald aus einem festgeronnenen Faserstoff und ist dann beständiger, schwer ein­zuschmelzen, bald enthält es Zellenelemente beigemengt, na­mentlich gefärbte und ungefärbte Blutkörperchen — hämorrha-gisches Exsudat — oder Eiterzellen — purulentes Exsudat. Das­selbe tritt im Parenchym der Organe, namentlich im binde-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 411
gewebsreichen Parenchym, vor allen in den Lungen, demnächst zwischen den Muskelfasern — Hepatisation, amorphe Indura­tion —, an Flächen seröser und muköser Membrane, in Ka­nälen etc. auf. Ueberall und in allen Fällen bildet es einen fremden Körper, der dem Organismus nicht einverleibt d. h. nicht organisch werden kann, der eliminirt werden muss; und wo diese Elimination nicht direct erfolgen kann, da kommen die Liquefacientia und Resorhentia in Anwendung.
3.nbsp; Eiter. Dieses Krankheitsproduct indicirt die resolvi-rende Methode, wenn es auf dem Wege der Resorption entfernt werden soll, weil der feste Bestandtheil, die Eiterkörperchen als solche, ohne vorher zu zerfallen, niemals resorbirt werden kön­nen. Die Resorption des Eiters ist zu veranstalten: 1) wenn nicht zu grosse Quantitäten in Theilen sich gebildet haben, wo die Oeffnung möglicher Weise mit Gefahr verbunden sein kann — in der Bauchdecke z. B., wo wir nicht sicher sind, dass ein Bruch im Hintergrunde liegt; 2) wenn man die Narbe verhü­ten will und die Anhäufung noch nicht anderweitig gefahrdro­hend ist — an der Sattelstelle z. B. —, und 3) wenn die Ent­leerung auf operativem Wege gar nicht möglich ist.
4.nbsp; Schleim, eingedickter, viele Epithelzellen und Schleimkörper eben enthaltender. Ein so abnorm be­schaffener Schleim kommt namentlich in den Kopfhöhlen, den Luftsäcken und den Bronchien vor. Ebenso eingedickte zähe Galle, die wir namentlich bei Hunden und Hühnern oft in der Gallenblase antreffen.
5.nbsp; Organische Producte von Neubildungsprocessen. Hy­pertrophien — besonders der Leber und Lymphdrüsen —, ex­cessive Fettablagerungen, organische Verdickungen, Induratio-nen und andere Producte der Neoplastik.
6.nbsp; Anorganische feste Massen — Steine und Concre-mente. Für Pfunde schwere Steine haben wir keine Lithontriptica; wir können nur bei Gallensteinen, bei kleinen Harnsteinen, bei Gries in der Harnblase etc. von den betreffenden auflösenden Mitteln etwas erwarten.
Mittel.
Verschiedene fundamentale Mittel anderer Heilmethoden kommen auch hier in Anwendung; die auflösende Heilmethode
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412nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auflösende Heilmethode.
schliesst sicli deshalb verschiedenen anderen Methoden an. Den­noch sehen wir uns bei manchen pathologischen Zuständen unter den Indicationen vergeblich nach wirksamen Mitteln um, so namentlich bei den Indicationen sub No. 5 und 6.
Die Entziehung der Nahrung, die Hungerkur, ist eins der mächtigsten Entzieliungsmittel auf dem Wege des Stoff­wechsels, wodurch wir ja dem Körper nach und nach bis 1iS und darüber von seinem normalen Körpergewichte nehmen kön­nen, und bei diesem Abhungern werden denn auch krankhafte Materien, amorphe — geronnene albuminose Stoffe — und mor­phologische mit beseitigt. (Conf. Entziehungskur, S. 381.)
Die Entziehung des Getränkes, die trockne Diät, ist hier gleichfalls ein sehr wirksames Mittel, einmal zur Hem­mung der Exsudation und Transsudation, zur mächtigen Förde­rung der Resorption und, bei nachdrücklicher methodischer Ver­folgung — dem Schroth'schen Verfahren —, zur Steigerung des Verbrennungsprocesses, in welchem pathologische Stoffe mit untergehen. Solche Steigerung der Verbrennung lässt sich durch das Thermometer nachweisen.
Die Körperbewegung schliesst sich hier an, insofern hierbei ebenfalls durch vermehrte Verbrennung und Wärmeent­wickelung der Stoffverbrauch gesteigert, Stoff in Kraft um­gesetzt wird.
Dies alles sind gewissermaassen physiologische Ein-s chmelzungsmittel, die naturgemässesten und mächtigsten.
Unter den Ausleerungsmitteln stehen die Blutentziehungen als Blutverdünuungsmittel bei Poljcythämie oben an, namentlich wenn es sich um eine schnelle und weniger nachhaltige Wir­kung handelt. Die Abführmittel zehren stark ab, demnächst die schweisstreibenden Mittel, am wenigsten die urintreibenden. Bei den betreffenden Methoden das Nähere.
Auch die hautreizenden, Entzündung erregenden Mittel, welche local die Ernährungsverhältnisse ändern, erhöhte Thätig-keit erwecken, Gefässneubildung veranlassen, die Verbrennung steigern, Exsudation erzeugen, dadurch ein Lösungsmittel zur localen Einschmelzung abgelagerter Stoffe herbeiführen, und so namentlich die Resorption direct anregen und fördern, wo sonst verminderte Lebensfähigkeit, träger Stoffwechsel besteht. Den besten Beweis für die zertheilende und auflösende Wirkung der Entzündung liefern uns die einfach auf mechanische Weise er-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;413
erzeugten Entzündungen. Schieferstaub z. B. bei Horuhautverdun-kelungen in die Augen geblasen klärt die Hornhaut.
So weit die verschiedenen Mittel anderer Methoden; es handelt sich nun weiter um specielle Mittel der in Rede ste­henden Methode.
1. Das Wasser. Durch Entziehung zwingen wir den Kör­per von seinem eignen Wasser zu zehren, es ist daher das mächtigste Resorptionsmittel; durch übermässige Zuführung wird der Körper ausgespühlt und von wegschlemmbaren Stoffen be­freit. Nach reichlicher Wasseraufnahme findet man den Blat-farbestoff zum Theil gelöst und diffus im Plasma, und die Urin-secretion vermehrt; mit diesem reichlicheren Abfluss durch die Nieren wird eine grössere Quantität Farbestoff, Harnsäure, harnsauren Ammoniaks und der übrigen Salze des Urins in einem bestimmten Zeiträume ausgeleert; es muss somit das Wasser als ein Lösungs- und Ausführungsrnittel für Substan­zen betrachtet werden, welche eben in solche Excre-tionsstoffe zerfallen, die ihren Ausfluss in den Nie­ren nehmen.
Je reiner das Wasser, je weicher es ist, desto bedeutender ist auch seine lösende Kraft, daher kann zu diesem therapeu­tischen Zwecke nur das weiche Regen- oder Flusswasser in Anwendung kommen.
Für den Menschenarzt ist nun in dieser Kurmethode das Wasser ein höchst wichtiges Mittel, das methodisch angewendet wird, in einer Art, wie es bei denThieren nicht möglich ist. Der Thierarzt kann von dem Wasser in dieser Methode nur sehr be­schränkten innerlichen Gebrauch machen, er kann nur zur Förde­rung der Harn- und Schweisskrisen den Durst erregen und mit wei­chem Wasser stillen. Oertlich findet dagegen das Wasser hier häufiger Anwendung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;• ,
Das anhaltende Durchfeuchten, je nach Umständen mit kal­tem oder warmem Wasser, löst Blutstockungen aus; das An­feuchten, Auflockeren, Erweichen, selbst theilweise Maceriren und Lösen an der Stelle der Anwendung ist bei erwärmtem Wasser viel beträchtlicher — conf. erweichende Methode —, und wenn man den warmen Fussbädern resp. Umschlägen noch chemisch lösende Stoffe — Alkalien — zusetzt, so fördert man den Schmelzungs- und Eesorptionsprocess in verdickten und in-durirten Theilen um so schneller und vollständiger.
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414nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auflösende Heilmethode.
2. Der Druck. Die Natur hat es uns gezeigt, dass der von einem anhaltenden Drucke betroffene Körpertheil schwindet, dass selbst festes Knochengewebe schwindet, wenn ein Weich­gebilde darauf drückt — das Aneurysma gräbt sich eine Höhle in den Knochen. Henle leitet die Wirkung von Anämie her, die durch Zusammendrücken der Blutgefasse bedingt werde, das Verhältniss ist aber coraplicirter; neben der gesammten Blut­zufuhr bedingt der Druck eine Aenderung in dem Diffusions-verhältnisse zwischen Blut und Parenchym, die Endosmose wird vorwiegend in dem Maasse, als die Spannung im Parenchym zunimmt. Hieraus erklärt sich die schnelle Resorption; die Atrophie wird noch wesentlich durch Raumbeschränkung be­dingt; der Druck leitet regressive Processe in den lebendigen Theilchen und Theilen ein, und die Neubildung accomodirt sich stets der Räumlichkeit, die unter einem gewissen Drucke zer­fallenen histologischen Elemente können unter demselben nicht wieder ersetzt werden; bei Neubildung unter ungleichem Druck weicht sie dem stärkeren und folgt dem schwächeren. Die schmelzende und atrophirende Wirkung des Druckes macht ihn zu dem mächtigsten Mittel dieser Methode, soweit dieselbe zur nachhaltigen Anwendung kommen kann. Besonders an­gezeigt ist er bei Hypertrophien, Aftergebilden, Wucherun­gen, namentlich aber bei Knochenauftreibungen, Exostosen, Osteophyten, Verhärtungen, Drüsenknoten, Verdickungen in und unter der Haut, schwieligen AVundrändern, bei Gallen, Extrava-saten, und selbst bei chronischen entzündlichen Anschwellungen.
Einwickelungen, Compressivverbände, Einpflasterungen, Ein-gypsungen sind die entsprechenden Druckmittel. Immer musa der Druck auf die betreffenden Theile gleichmässig vertheilt sein; durch eine Wergunterlage kann man den Verband mehr oder weniger elastisch machen und um so fester anlegen; ge­stattet es der Ort, und will man dem Theile zugleich mehr Ruhe verschaffen, so sind die Gypsverbände die vorzüglichsten. Bei den Einpflasterungen mit dem scharfen englischen Pflaster, Pechpflaster und anderen harzigen Substanzen kommt neben dem Druck noch die Eeizung und die Zurückhaltung der Haut­feuchtigkeit mit zur zertheilenden Wirkung. 3. Chemisch auflösende Mittel:
laquo;) Die Alkalien und ihre Salze. Sie besitzen zu den sogenannten Proteünstoffen eine grosse Verwandtschaft, verbinden
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;415
sich mit denselben zu löslichen Albuminaten, Fibrinaten, und verflüssigen so eine Hauptgrundlage der festen thierischen Stoffe; kommen sie in grösserer Quantität und concentrirt mit diesen Substanzen in Berührung, so haben sie durch die auflösende Wirkung selbst eine ätzende Eigenschaft. Ausserdem sind sie Auflösungsmittel der Fette, die sie verseifen, und des Schlei­mes. Sie kommen innerlich und äusserlich als Resolventien in Anwendung, innerlich: bei Polycythämie, bei Hyperinose und Ilyperalbuminose, bei letzterer sind die Substanzen zugleich endosmotischer Ersatz, ferner um eingedickte Galle zu verflüs­sigen und die Schmelzung abgelagerter Faserstoffmnssen zu för­dern; äusserlich: überall, wo es etwas zu lösen giebt, wo fest gewordene, namentlich Proteinstoffe zertheilt werden sollen und die Mittel mit den leidenden Theilen längere Zeit in unmittel­bare Berührung gebracht werden können; je concentrirter sie in Lösungen angewendet werden, desto grosser ist ihre auf­lösende Wirkung, concentrirtere Lösungen können aber immer nur bis zu der Grenze angewendet werden, wo sie anfangen stark zu reizen und selbst zu ätzen; mit Wasser gelöst, dringen sie am besten in die Gewebe ein, und wenn auf diese Weise die Anwendung anhaltend geschieht, so kommt die durchfeuch­tende, aufweichende Wirkung des Wassers mit in Anschlag, weshalb denn auch die Kalibäder sehr wirksame Mittel der auflösenden Methode sind; in Verbindung mit Fett — Seite, Liniment — haben sie an der auflösenden Kraft etwas verloren. In Substanz ist das Glaubersalz als ein feines Pulver (verwit­tert) bei Trübung der Cornea zweckmässig anzuwenden.
Aeusserlich verdienen die Alkalien im Allgemeinen den Vorzug — sehr billig kann man sich die Kalibäder aus Pott­asche und Kalk bereiten; auf 1 Pfund Pottasche '/, Pfund Kalk giebt circa ^ Pfund Kali —, innerlich aber deren Salze; die wirksameren aber auch zugleich heterogeneren sind die Ka­lisalze, von denen das kohlensaure und schwefelsaure Kali das mildeste, das Oxalsäure Kali das schärfste aber zugleich das wirksamste ist, welches ich ganz besonders als Kalk entziehen­des Mittel bei dergleichen Niederschlägen und Steinbildungen, ferner bei Leberschwellungen und Stockungen im Pfortadersy­steme empfehlen kann —.
Das oxalsaure Kali ist ein scharfes Salz, von dem schon 1,25 Gnn. (Ü) in 15 Grm. Wasser gelöst bei hypodermatischer Anwendung durch
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416nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die auflösende Heilmethode.
umfangreiche, heftige, sehr schmerzhafte Entzündung ein Pferd tödteten, welches aber innerlich von Pferden bis zu 15 Grm. und Hunden 1—l'^Gm. pro Tag recht gut vertragen wird. Die constante und auifälligsteWirkung ist die urintreibendo; der Urin wird neutral, zähe, dickschleiinig und trübe, er setzt einen starken Bodensatz ab, der hauptsächlich aus den runden Krystal-len mit zierlichem strahligem Gcfiige des kohlensauren Kalkes besteht und äusserst spärlich die bekannten Quadratoctaeder von oxalsaurcm Kalk er­kennen lässt; das Mittel setzt sich also, wie alle pflanzen- und milchsau­ren Salze, im Blute in kohlensaures Salz um und entzieht dein Körper vor allem viel Kalk. Eine weitere Wirkung ist eine Reizung in den Ver­dauungsorganen, vermehrte Absonderung in denselben, Blutableitung von der Leber. Sowohl das nach der hypodermatischen Anwendung gestor­bene, als auch ein zweites, 20 Stunden nach der Verabreichung von 30 Grm. getödtetes Pferd zeigten Darrareizung, wässerige Contenta im Darm und Anämie der derben, festen Leber. Eine dritte hervorragende Wirkung hat das Salz auf das Blut, dasselbe gerinnt zu einem gleichmässigen hellrothen Kuchen, der weder Faserstoftquot; in der oberen noch Cruor in der unteren Schicht abgesetzt hat und nur sehr wenig gelbes Blutserum ausscheidet. Die Blutkörperchen selbst sind etwas eingeschrumpft — exosmotisch. Aus dieser kurzen Darstellung der Wirkung ergiebt sich die mächtige Wirkung dieses Mittels für die in Eede stehende Methode sowohl, wie für die urintreibende.
b) Säuren. Die Essigsäure ist ein Lösungsmittel für Pro-temstoffe, besonders für KäsestofF und Faserstoff, sie löst die Hüllen der Zellen, besonders der Blut- und Eiterkörperchen; ihr anhaltender Gebrauch oder Genuss in den Nahrungsmitteln führt deshalb schliesslich Armuth an Cruor, Blutwässerigkeit und Bleichsucht herbei; sie gehört folglich zu den mächtig resolvi-renden Mitteln und verdient eine häufigere Anwendung, als bis­her geschehen ist. Die Mineralsäuren wirken namentlich lösend auf die Kalksalze, sie sind deshalb als resolvirende Mittel für das Knochengerüste zu betrachten; man hat sie auch als Lö­sungsmittel der phosphatischen Harnsteine anempfohlen. Im Ganzen kommen die Mineralsäuren als lösende Mittel selten in Gebrauch. Zur Lösung der harnsauren Steine sind vorzugs­weise Lithion und Borax, gegen Niederschläge in der Harnblase Salzsäure empfohlen. Innerlich werden die Säuren natürlich cnsprechend verdünnt; statt Essigsäure dient der Essig.
In neuester Zeit ist die Essigsäure als ein Zellenzerstörungsmittel in zellenreiche Geschwülste, namentlich in Sareome und Carcinome gespritzt, um durch regressive Processe Heilung zu erzielen. Auch Kali und andere Mittel, die direct zerstörend wirken oder einen Verfettungsprocess einlei­ten, wie namentlich: Jodtinctur, verschiedene Chloride, besonders Subli­mat, und 10 — 20procentige Lösung von Silbernitrat. Die Sache ist noch neu, endgültige Resultate liegen noch in der Zukunft. Jedenfalls verdient
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;417
die Sache eine aufmerksame Verfolgung. In der Thierheilkunde hat etwas Aehnliches schon längst bestanden, die Wegätzung von Geschwülsten durch Hineinbringen ganzer Stückchen von weissem Arsenik oder von Kupfer­vitriol.
c) Verschiedene auflösende Mittel, deren Wirkungsweise noch wenig bekannt ist.
Schwefelwasserstoff hat eine zerstörende Einwir­kung auf die Blutkörperchen; Liebig schreibt dies einer Zer­setzung der Eisenverbindungen zu, Schulze dagegen einer Läh-mung der Hülle. Die Schwefelleber, deren allgemeine Ein­wirkung auf das Blut dem Schwefelwasserstoff zugeschrieben werden muss, wurde schon von Waldinger als heilsam befun­den bei brandigen Entzündungstiebern; Hertwig fand diese heil­same Wirkung bestätigt.
Jod und Jodkalium. Beide haben dieselben entfernten Wirkungen, es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das Jod, wenn es nicht schon mit einem Metalle verbunden ist, sich mit Kalium oder Natrium im Blute verbindet. Das Jod geht in das Blut über und erscheint in fast allen Secreten, besonders aber in dem Speichel und Urin wieder; über seine Wirkungs­weise weiss man gar nichts; erfahrungsmässig aber wissen wir, dass es ein mächtig resolvirendes Mittel für das Drüsensystem ist. Lymph- und Milchdrüsen, männliche und weibliche Testi-keln nehmen am Umfange ab und werden bei langem Ge­brauche atrophisch. Bei Hypertrophien und Indurationen über-hanpt, besonders aber in den erwähnten Gebilden, bei den so häufig vorkommenden Drüsenknoten, bei Scrophulose ist das laquo;lod innerlich und äusserlich ein speeifisches Resolvens.
Eine besondere Anwendung findet das Jod noch zu Ein­spritzungen in Geschwülste, Wassersäcke und namentlich in Gallen. — Conf. hypodermatische Application, S. 291.
Nachdem Velpeau, Boinet und andere Chirurgen von der verdünnten Jodtinetur bei dem Wasserbruche, nach der Abzapfung des Wassers ein-gespritzt, den besten Erfolg gesehen hatten, wurden die Jodtincturcn zu-niiehst von französischen Thierärzten auch bei den Gallen der Pferde ver­sucht. Im Ganzen ist aber diese Einspritzung in der thierärztlichen Chirur­gie wenig in Gebrauch gekommen. Ich kann eine Mischung von 2 Theilen Jddkalium in 4 Theilen Wasser mit 1 Theil Jodtinetur nach eigenen Ver-suchen bestens empfehlen. Nach einfachen Ausleerungen der Gallen, ohne Jone Jodeinspritzung, füllten sich die Säcke immer wieder; nach der Ent­leerung und Einspritzung habe ich Druckverband, namentlich Gypsverband angewendet, denen ich die günstigen Erfolge wesentlich mit zuschreibe.
(xerlach Allg. Theraipie. 2.Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;27
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418nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die auflösende Methode.
Bei Sprunggelenkgallen habe ich bis jetzt weder die Ausleerung noch die Einspritzung gewagt, und ein passendes Versuchspferd hat sich noch nicht dargeboten.
Brom theilt die auflösende Wirkung mit dem Jod; örtlich an der Stelle der Einwirkung reizt es mehr als jenes. Inner­lich ist es wenig gebräuchlich, man giebt es in Verbindung mit Kalium. Hunde vertragen von dieser Verbindung 2 — 4 Grm. recht gut, nach 7 Grm. brach ein mittelgrosser Hund. Pferden kann man 15 — 30 Grm. pro Tag geben.
Quecksilber. Erfahrungsmässig ist es auch bei diesem Mittel festgestellt, dass die verschiedenen Präparate eine auflö­sende Wirkung haben, dass bei ihrem Gebrauche das Blut nach und nach an Faserstoff, Eiweissstoff und an Blutkör­perchen verliert, dunkler und weniger coagulabel wird. Diese Wirkung ist aus chemischen Gesichtspunkten bis jetzt noch nicht erklärlich, es bleibt sogar noch fraglich, ob sie nicht lediglich daher zu leiten sei, dass das Quecksilber die Verdauung und Assimilation schwächt, fast alle Secretionen vermehrt und copiösere Ausleerungen albuminreicher Stoffe bewirkt? Inner­lich ist hier das Kalomel und äusserlich die graue Salbe das gebräuchlichste und wirksamste Präparat. Die graue Quecksil­bersalbe enthält ausser dem regulinischen Quecksilber auch Quecksilberoxydul zum Theil mit Fettsäure verbunden; je fei­ner die Verreibung geschah und je älter die Salbe ist, desto grosser ist auch der Gehalt an Oxydul, welches nach Bären­sprung *) das allein Wirksame ist. Rinder, namentlich Käl­ber, und Katzen werden hierdurch leicht vergiftet, besonders, wenn sie die Salbe ablecken können. Ich wende nur noch die Oxydulsalbe an. Das Sublimat findet mehr äusserliche An­wendung. 1 Theil mit 8 Theilen Spiritus und Fett ist ein scharfes, zertheilendes Mittel, welches durch Einleitung eines Verfettungsprocesses schmelzend wirkt.
Jodquecksilber: einfaches oder gelbes Jodquecksil­ber — Hydrargyrum suhjodatum s. jodatum ßavum — und dop­peltes oder rothes Jodquecksilber — IT. hijodatum rubrum. Beide Präparate sind zugleich Reizmittel und vereinigen deshalb die specifischen Wirkungen der beiden Mittel, aus denen sie zusammengesetzt sind, mit der schmelzenden Wirkung der rei-
*) Centralzeitung von KraUzer 1851, S. 181 und 193.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;419
zenden Substanzen überhaupt bei äusserlicher Anwendung und sind daher bei diesem Gebrauche kräftige Auflösungsmittel; das erstere wirkt örtlich milder, als das letztere, welches die Haut so stark irritirt, dass es nach einigen Tagen ausgesetzt werden rauss. Versetzt man graue Quecksilbersalbe mit Jod, so wird dieselbe nach und nach gelbgrünlich, woran man die stattgefun­dene Verbindung beider Metalle erkennt.
Verbindet man mit den unter c) erwähnten specifischen Lösungsmitteln den Druck, so haben wir daran ein Mittel, was das Aeusserste leistet, was im Gebiete dieser Methode örtlich geleistet werden kann. Dicke Einrei­bungen von Quecksilberoxydulsalbe oder von einfacher Jodquecksilbersalbe oder von einer Jodtinctur und darüber Gypsverband, beides alle 6 — 8 Tage erneuert, haben ein überraschendes Resultat geliefert bei chronischen Ent­zündungen, Verdickungen und Verhärtungen. So habe ich z.B. Verdickun-gen und Verhärtungen an den Fesselgelenken beseitigt, die lange vergeb­lich behandelt worden waren.
4. Der Eiterungsprocess ist hier schliesslich noch als ein speeifisches Schmelzungsmittel zu erwähnen. Organisches Gewebe, namentlicb Bindegewebe und amorpher Faserstoff ver­schwinden, wo sich eine Eiterung etablirt. In Organen und an Stellen, wo die Eiterung keine üblen Folgen befürchten lässt, ist sie noch ein wirksames therapeutisches Mittel, Verhärtungen zu lösen, die allen Mitteln hartnäckig widerstanden haben; so sind hier namentlich verhärtete Lymphdrüsen zu erwähnen; ge­lingt es, diese in Eiterung überzuführen, so gelingt auch die Lösung der Jahre lang bestandenen Verhärtung. Die reifma­chenden Mittel sind daher auch mittelbar resolvirende.
Gegenanzeigeu.
Bei Neigung zur Blutzersetzung und Auflösung, bei Blut-arrauth und Blutwässerigkeit, bei Abzehrung, hektischen Colli-quationen und ähnlichen Zuständen dürfen die innerlichen und überhaupt die, auch bei örtlicher äusserer Anwendung allgemein wirkenden Resolventien nicht angewendet werden, und wenn diese Zustände bei dem Gebrauche einzutreten drohen, so ist damit die Indication zum Haltmachen mit der Methode gegeben.
Contraindicirt ist ferner, solche Substanzen zur Resorption zu bringen, die nachtheilig, krankmachend auf die gesammte Säftemasse einwirken, wie z.B. faule, deletäre, brandige Jauche,
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420nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die harntreibende Methode.
Gifte und Contagien. Der Eiter gehört jedoch nicht zu die­sen Substanzen.
Früher, zur Zeit, wo die Pyämie eine grosse Rolle spielte, fürchtete man die Resorption des Eiters. Nachdem man in den vermeintlichen Ei-tcrkörperchen die weissen Blutkörper und deren krankhafte Vermehrung erkannt hatte und zu dem Bewusstsein gekommen war, dass die Eiterkör-perchen als solche nicht resorbirt werden können, die Lehre von der Py­ämie also ihre Bedeutung verloren hatte, trat an ihre Stelle die lehorrhä-mie, eine Blutinfection durch eine, ehemisch noch unbekannte Substanz im Eiterserum, die Virchow „Ichorquot; genannt hat. Nach den Beobachtungen hat aber nicht jeder Eiter, namentlich nicht „Pus honum et laudabilequot; einen solchen deletären Stoff in seinem Serum; denn man sieht bei den Thieren namentlich selbst grosse Abscesse theils von selbst, thcils durch Druckver­band, namentlich aber durch scharfe Einreibungen ohne die geringsten Fol­gen verschwinden. Ich muss deshalb meine frühere Ansicht immer noch aufrecht erhalten, dass Eiter, der nicht mit specifischen Schädlichkeiten geschwängert, nicht saniöser, ichoröser Natur ist, bei der Resorption durch den Verfettungsprocess zerfällt und indifferent wird.
Bezüglich der einzelnen Mittel, welche diese Methode in Anwendung bringt, sind die Contra-Indicationen mannigfach, und der gute Erfolg der resolvirenden Methode hängt eben hauptsächlich davon ab, dass man für jeden concreten Fall das rechte Mittel zu finden weiss oder doch mindestens im Stande ist, die contraindicirten Mittel zu vermeiden.
Die harntreibende Methode, Hl. diuretica.
Die Nieren stehen in der Reihe der Colatorien als sehr gewichtige Organe für den Organismus; sie sind die Hauptaus­scheidungsorgane für zersetzte Proteinstoffe; sie scheiden die Producte des organischen Stoffwechsels und die im Ueber-maasse zugeführten Nährstoffe in constanten Formen — Harnstoff, Harnsäure, Hippursäure, ExtractivstofFe, kohlensaure, schwefel­saure, phosphorsaure, milchsaure Salze, Chlornatrium —, wie auch sehr viele von den in den Organismus gelangten hetero­genen Stoffen, welche zu keiner organischen Verwerthung fähig sind, verändert oder unverändert aus und reguliren gewisser-
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Die harntreibende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;421
maassen den Wassergehalt des Blutes. Die Nierenthatigkeit ist daher schon in den gesunden Tagen je nach den Bedürfnissen sehr verschieden und muss auch den Verhältnissen entsprechend verschieden sein, wenn Gesundheit fortbestehen soll. Jede an­dauernd ungenügende Thätigkeit der Nieren muss schliesslich nachtheilig auf den Organismus zurückwirken und endlich den Anstoss zum Erkranken geben.
Wie nun aber im gesunden Zustande, so muss die Nieren-thätigkeit auch in Krankheiten den gegebenen Verhältnissen entsprechen, d.h. sie muss um so grosser sein, je mehr durch die Krankheit Excretstoffe für die Nieren geschaffen oder an­dere Ausscheidungsorgane beeinträchtigt werden, welche von den Nieren theilweise vertreten werden können, und selbst Stoffe ausscheiden, die nicht zu den normalen Bestandtheilen des Urins gehören, wenn die Krankheit nicht gesteigert und complicirter werden soll. Jede reichlichere Ausscheidung von excretiellen Stoffen durch die Nieren — wie auch durch andere Ausschei­dungsorgane — ist daher neben den Krankheiten stets als heil­sam zu betrachten.
Im Verlaufe von Krankheiten tritt zuweilen eine vormehrte Nieren-thätigkeit von selbst hervor: wird der Urin reichlicher oder conecntrir-tcr unter Erleichterung der Krankheitssymptome abgesetzt, so ist dies eine Harnkrise. In dieser werden Stoffe entleert, welche entweder die Krankheit veranlasst und unterhalten haben, oder welche sich erst wäh­rend der Krankheit angehäuft, vielleicht auch durch dieselbe gebildet haben, die also Krankheitsproducte sind und auch als solche störend auf die Krankheit zurückgewirkt haben. Für das Zustandekommen solcher Harnkrise kann man sich drei Möglichkeiten denken: 1) die excretiellen Stoffe mehren sich so im Blute, dass sie im erhöhten Maasse speeifisch auf die Nieren einwirken — als haratreibende Substanzen wirken —: 2) in der Kette von Krankheitsprocessen kommt endlich ein Glied vor, was einen gesteigerten Blutzufluss in den Nieren bedingt; 3) endlich die Nieren, welche in der Krankheit und durch dieselbe in ihrer Function behindert worden sind, werden bei einer Wendung der Krankheit, beim Nachlassen derselben wieder frei und treten nach solcher Behinderung um so thätiger hervor, je mehr sich die excretiellen Stoffe inzwischen angehäuft haben. In allen diesen Fällen, wie die vermehrte Thätigkeit auch in den Nieren entstanden sein mag, und wie sich auch die ausgeleerten Stoffe zur Krank­heit verhalten haben mögen, ist eine heilsame Wirkung — die kritische Bedeutung — nicht in Abrede zu stellen; die vermehrte Absonderung eines gewöhnlich auch qualitativ veränderten Urins kann Grundbedingung von der Hebung der Krankheit oder auch ein wesentliches Hiilfsmittel zur För­derung der Gesundheit sein.
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422nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die harntreibende Methode.
Die Urinabsonderung künstlich zu bethätigen ist demnach nicht selten angezeigt; der Mittel hierzu giebt es verschie­dene, die nach dem Uebergange in das Blut theils direct auf die Nieren specifisch einwirken, dieselben in den Zustand der Reizung und der Congestion versetzen, theils auch gleich­zeitig auf das Blut und die Gewebe verschiedener Organe schmelzend, lösend einwirken und so die Excretstoffe für die Ausscheidung in den Nieren vermehren. Die balsamischen Stoffe wirken mehr durch directe Incitation der Nieren, die schar­fen und salinischen Diuretica dagegen wirken gleichzeitig schmel­zend und lösend. Was wir von solchen schmelzenden Mitteln wissen und erwarten können, ist bei der resolvirenden Methode angeführt, hier handelt es sich um die einfache Anregung der Nierenthätigkeit, um Ziehung der Harnschleusen zur reichliche­ren Ausscheidung von Wasser, Zersetzungsproducten und an­deren irgendwie in das Blut gelangten fremdartigen Stoffen — den sogenannten Schärfen —. Die Heilzwecke sind verschieden.
Indicationeu.
1.nbsp; nbsp;Harngries und Harnsteine, a) Mechanisch wer­den durch verstärkte Diurese die Harngänge, die Harnblase und Harnröhre ausgespült, die anhangenden, in den Falten ab­gelagerten Krystalle und kleinen Steineben werden mit fort­gerissen und ausgestossen; h) zugleich bekommt auch der Urin bei angeregter Diurese eine chemisch lösende Wirkung auf die Niederschläge; manche Salze sind schon bei grösserer Wässe­rigkeit des Harns löslich, sie verschwinden daher auch bei dem stärkeren Flusse eines mehr wässerigen Urins; wird der Urin durch die Diuretica zugleich noch chemisch verändert — durch Alkalien oder Säuren —, so kann die harntreibende Methode zugleich eine steinbrechende werden; c) endlich kommt bei diesen krankhaften Zuständen noch eine physiologische Heil­wirkung in Betracht, nämlich die reizende Einwirkung der in den Harn übergehenden diuretischen Mittel auf die Harnwege, wodurch reichlichere Schleimabsonderung und grössere Thätigkeit in den contractilen Fasern erregt, in weiterer Folge das Fort­schaffen der adhärirenden Körper gefördert und Incrustation der Schleimhaut verhindert wird.
2.nbsp; Oedeme, Haut-, Höhlen- und Sack Wassersucht.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;423
Alle solche Ansammlungen von seröser Flüssigkeit sind Folge und Symptome von den verschiedenartigsten Grundleiden, es versteht sich daher von selbst, dass die urintreibende Methode hier auch nicht immer von derselben Heilwirkung sein kann. Die constante Wirkung der verstärkten Diurese ist vermehrte Ausscheidung von Wasser aus dem Blute; hieraus resultirt einerseits verminderte Absonderung seröser Flüssigkeiten in allen Theilen, somit auch an abnormen Secretionsstellen und zwar ganz besonders an diesen, andererseits aber erfolgt nach den Gesetzen der Endosmose — wonach die dünnere Flüssig­keit der dichteren durch die Membran hindurch zuströmt — überall da, wo gefässreiche Membrane und Gewebe von serösen Flüssigkeiten umspült werden, eine reichlichere Aufnahme von Flüssigkeit in das Blut. Die Endresultate beiderlei Wirkungs­weisen vereinigen sich zu einem gemeinsamen Heileffecte. In­wieweit hierdurch Heilung erzielt werden kann, hängt von den gegebenen Umständen ab. a) War die Ursache der Ablagerung einer serösen Flüssigkeit in einer verminderten Thätigkeit der Nieren gegeben, so kann die gesteigerte Diurese radical heilen, sofern nach derselben die Nierenthätigkeit nicht wieder tief unter das Niveau zurücktritt — eine nachhaltige Anwendung der Methode ist hier natürlich erforderlich —. b) Ist Atonie und Blutwässerigkeit die Grundbedingung der übermässigen Er-giessung, so ist die gesteigerte Diurese der erste Schritt zur radicalen Heilung, welche durch nachfolgende tonisirende und restaurirende Mittel vollendet werden muss; kann der Tonus nicht gefördert und die Blutmischung nicht gebessert werden, wegen tiefer liegende organische Abnormitäten, so ist hier natürlich die vermehrte Diurese nur von vorübergehender Heil­wirkung, c) Sind acute Krankheitszustände — Störungen in der capillaren Circulation, entzündliche Zustände — die Grundur­sache, so haben wir in der nachhaltig gesteigerten Diurese wie­der ein Heilmittel, wenn die acuten Primärleiden nicht ander­weitig lebensgefährlich werden, und es sich eben nur um Besei­tigung des Ergossenen und Beschränkung der weiteren Ergies-sungen handelt. Daher haben wir an dieser Methode ein wirksames Mittel bei Entzündungen, die durch Exsudate so leicht oder ausschliesslich nachtheilig und lebensgefährlich wer­den, wie z. B. bei rheumatischen Entzündungen seröser Häute, bei der Lungenseuche der Rinder; bei dieser letzten Krankheit
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424nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die harntreibende Methode.
sind die nachhaltig angewendeten urintreibenden Mittel von allen, die von der ältesten bis zur neuesten Zeit empfohlen und gerühmt sind, immer noch mit die wirksameren, d) In allen anderen Fällen aber, wo die Grundkrankheiten von den abnorm angehäuften Flüssigkeiten nicht beseitigt werden können — Klappen- und sonstige Herzfehler, Erkrankung des Lebergewe­bes mit Störung der Circulation in der Pfortader, Druck auf grössere und kleinere Venenstämme durch Geschwülste etc., Verhärtungen der Lymphdrüsen und andere pathologische Zu­stände, wodurch eine Circulationsstörung dauernd bedingt wird —, in allen solchen Fällen ist die urintreibende Methode natürlich nur ein Palliativmittel.
3. Dyskrasicn. Obgleich die Nieren in der obersten Reihe der Blutreinigungsorgane stehen, und es daher sehr nahe liegt, wenn man bei abnormen Mischungsverhältnissen der Säfte an die urintreibende Methode denkt, so sind hier für die Therapie bis jetzt doch noch sehr wenig sichere Anhaltspunkte gegeben. Am nächsten liegen für die Indicationen die dyskrasischen Zu­stände, bei denen eine ungenügende Nierenthätigkeit, eine Re­tention excretieller Stoffe des Harns zum Grunde liegt, als: Urämie, harnsaure Diathese — Gicht —, die bei Fleischfressern vorkommt, Guanin-Gicht bei Schweinen und vielleicht auch eine hypursaure oder andere gichtische Diathese bei den Pfer­den und Wiederkäuern.
Früher leitete man die Urämie von der Zurückhaltung des Harnstoffes ab, derselbe wird Jedoch in kohlensaures Ammoniak zersetzt und so mehi' unschädlich gemacht. Vergeblich suchte man nach dem kohlensauren Am­moniak in der ausgeathmeten Luft mittelst Salzsäure — Frerichs —, man wusste deshalb nicht recht, wo derselbe blieb; nach jüngsten Untersuchun­gen findet diese Umsetzung im Darme statt, sonach wäre denn die Darm­schleimhaut ein specifischer Stellvertreter für die Nieren. Man hat deshalb die Urämie auf die Zurückhaltung aller Zersetzungsproducte zurückgeführt — Hoppe. Füttert man kleinen Thieren Harnstoff, so treten urämische Zufälle erst ein, wenn die Entleerung aus den Nieren durch Wasserentzie­hung unterdrückt wird.
Virchow — Archiv, Bd. 35 u. 36. S. 358 resp. 147 — fand in dem Schweine­fleische Concretionen, die ihrer Reaction nach aus Guanin — ein der Harnsäure und dem Hypoxanthin nahe verwandter Stoff — bestanden, und in den Knie­gelenken derselben Schweine sah er eine Ablagerung von weissen, kreidearti­gen Körnchen und Plättchen in den Knorpeliiberziigeu, den Seminularknorpeln und den ligamentosen Theilen um das Gelenk, übereinstimmend mit den arthri­tischen — (harnsauren Natron-) Ablagerungen beim Menschen. Wenn diese Ablagerungen nicht etwa post mortem entstanden sind, so stellen sie eine Guanin-Gicht dar.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;425
Die Veränderungen des Harns, die wir bei acuten, fieber­haften Krankheiten immer haben, deuten auf Alteration im Stoffwechsel und darauf hin, wie die Ausscheidungen in den Nieren sich den Verhältnissen anpassen müssen. Auf Grund dieser Thatsache empfiehlt es sich bei der Mangelhaftigkeit der directen Indication die diuretische Methode in Anwendung zu bringen:
a)nbsp; in allen Fällen, besonders aber bei fieberhaften Krank­heiten, wo eine dauernd verminderte Urinausleerung überhaupt besteht, und wenn ein trüber, bodensatzreicber, zäher, schlei­miger, öliger Urin sparsam abgesetzt wird, ferner bei allen acuten Leiden, die sich gern durch Harnkrisen entscheiden — Influenza z. B.;
b)nbsp; wenn unter den eben erwähnten Umständen nach und nach Krankheitserscheinungen eintreten, die in das Bereich der gestörten Nervenfunctionen gehören, wie namentlich grosse Apa­thie und Hinfälligkeit, Torpor, Coma, selbst asthmatische Zu­fälle und Krämpfe.
Ausserdem kann man bei verschiedenen wirklichen oder vermeintlichen, dyskrasischen Leiden mit der diuretischen Me­thode therapeutisch sondiren; dies ist um so mehr gestattet, als durch Auswahl unter den diuretischen Mitteln, und durch Ver­bindung mit anderen entsprechenden Mitteln den etwa vorhan­denen anderweitigen Indicationen die gebührende Rechnung ge­tragen werden kann.
Mittel.
Die diuretischen Mittel lassen sich in drei Hauptgruppen unterbringen, in salinische, balsamische und drastische. Die Mittel, welche zugleich erregend auf das Gefasssystem und er­hitzend wirken, steigern neben der Harnquantität zugleich die quantitative Ausscheidung des Harnstoffes. Die erhöhte Tem­peratur ist das Ergebniss des vermehrten Stoffumsatzes, folglich sind die erhitzenden Diuretica zugleich die am meisten Stoff entziehenden, und da der Harnstoff das Ergebniss der zerfal-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;_
lenen Proteinstoffe ist, so kann man nach der Quantität des Harnstoffes zugleich die zehrende Wirkung bemessen.
1. Salze — Kali- und Natronsalze. Alle hier in Be­tracht kommenden harntreibenden Mittel gehören zugleich zu
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426nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die harntreibende Methode.
den resolvirenden, kühlenden, antiphlogistischen, sie finden da­her in den so häufig vorkommenden Fällen ihre zweckmässige Anwendung, wo hei entzündlichen, entzündlich exsudativen Krankheitsprocessen eine vermehrte Diurese eingeleitet und unterhalten werden soll, um die Ergiessungen im Schach zu erhalten und zugleich die Resorption des Ergossenen zu fördern. Durch diese Mittel wird die diuretische mit der antiphlogisti­schen Methode verbunden.
Die wirksameren Mittel dieser Art sind in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit:
KaliseifeSapo kalinus —, kohlensaures Kali — Kali carbonicum —, saures weinsteinsaures Kali — Kali bitartaricum, Cremor Tartari —, salpetersaures Kali und Natron — Kali et Natrum nitricmn —, essigsaures Kali — Kali aceticum —, borsaures Natron — Natrum horacicum —, und oxalsaures Kali — Kali bioxalicnm c. S. 415. Der Brechweinstein darf hier gleichfalls nicht uner­wähnt bleiben, der mit seiner brechenerregenden, durchschlagen­den und hautthätigkeitfördemden Wirkung auch noch die urin­treibende verbindet. Wie es fast bei allen Mitteln geschieht, dass sie bei mehrseitigen Wirkungen immer in derjenigen Richtung besonders oder selbst ausschiiesslich wir­ken, in welcher sie durch andere Mittel unterstützt werden, so ist es nun auch ganz besonders bei dem Brech­weinstein der Fall, daher ist er neben anderen urintreibende.n Mitteln auch ein recht wirksames Mittel für diese Methode.
2. Die Spirituosen, milderen ätherisch öligen und balsamischen Mittel. Sie haben zugleich eine erregende Wirkung, die jedoch bei einigen kaum in Betracht kommt, bei anderen zwar etwas hervorragender ist, namentlich auf das Ge-fiisssystem, aber doch immer sehr untergeordnet bleibt und sel­ten eine besondere Contra-Indication abgiebt. Wo man neben der vermehrten Diurese zugleich gelinde erregen will, da finden diese Mittel ihre rechte Anwendung. Durch Verbindung mit den erwähnten Salzen können wir eine stärkere Diurese erzie­len, dabei zugleich resolvirend einwirken und so den verschie­denartigsten Indicationen genügen.
Die balsamischen Mittel sind namentlich die besten Diure-tica bei chronischen Schleimhautleiden, bei Blennorrhöen. Die Spirituosen wirken hauptsächlich durch Hebung der Herzthätig-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 427
keit und Vermehrung des Blutdruckes; wenn diese Wallung nicht zu fürchten ist, können sie Anwendung finden; im Ganzen gehö­ren sie zu den untergeordneten Mitteln.
Wein, Spiritus und Aether; Fenchel, Wasserfen­chel, Dill- und Petersiliensamen; Rettig und Meerret-tig, Zwiebeln, Knoblauch, Lorbeeren, Wachholder-beeren, Harze, Fichtensprossen, Theer, Terpenthin, Balsamus Copaivae und Terpenthinöl gehören zu die­ser Gruppe.
3. Die scharfen Diuretica. Hier haben wir die Mittel von verschiedenen Graden der scharfen Einwirkung, sie heben sich von den balsamischen, harzigen Mitteln gradatim ab bis zu den erhitzenden, stark reizenden, Entzündung machenden Substan­zen. Ihre Anwendung finden sie allein und in Verbindung mit den ätherischöligen und balsamischen Mitteln bei grosser Schwäche und Torpidität, bei Wassersuchten, wo dieser Charakter ausge­sprochen ist und bei fieberlosen dyskrasischen Zuständen, wobei sie zugleich noch wegen der auflösenden Wirkung auf orga­nische Substanzen, die allen scharfen Mitteln mehr oder weniger eigen ist, von heilsamer Wirkung sein können. Wenn neben der Diurese zugleich auf die Geschlechtstheile erregend ein­gewirkt werden soll, so sind sie ganz besonders angezeigt. Bei diesen örtlich scharf einwirkenden Mitteln müssen natürlich auch die Verdauungsorgane mit um Erlaubniss gefragt werden. Alle diese Mittel, namentlich aber die Kanthariden, äusseren ihre diuretische Wirkung auch bei äusserlicher Anwendung auf die Haut.
Die wichtigsten Mittel sind: Sadebaum, Senf, Cube-ben, Digitalis, Colchicum, Meerzwiebel, Kanthari­den u. m. a. Bei der Digitalis kommt die herabstimmende Wirkung auf das Gefässsystem — die antifebrile Wirkung — mit in Betracht, weshalb dieselbe mit den erwähnten Salzen in Verbindung bei grosser Aufregung im Gefässsysteme und bei Entzündungen seröser Membranen gegeben wird, wenn seröse Exsudate zu fürchten oder schon vorhanden sind.
Will man eine gesteigerte Diurese längere Zeit unterhalten, dann ist es nöthig, öfter mit den Mitteln zu wechseln, beson­ders mit den vegetabilischen; die Nieren gewöhnen sich zuletzt an den fortwährend einwirkenden Eeiz eines Mittels, d. h. sie verlieren ihre Empfänglichkeit dafür, und damit sinkt natürlich
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428nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die harntreibende Methode.
die Nierenthätigkeit, trotz der urintreibenden Mittel, auf die normale Stufe und für eine Zeit selbst unter dieselbe zurück.
Wo die Förderung der Resorption der Heilzweck ist, da müssen die Thiere bei dieser Behandlung auf strenge, nament­lich aber auf trockne Diät gesetzt werden; handelt es sich da­gegen mehr um eine Depuration, so ist reichliches Getränk ein wesentliches Unterstützungsmittel der Heilwirkung, wodurch Lö­sung und Fluss gefordert wird.
Gegenanzeigen.
Harnruhr, Blutharnen, Reizungen und Entzündungen in den Nieren und Harnwegen sind als generelle Gegenanzeigen zu be­trachten. Ausserdem kann es noch speciellere Gegenanzeigen gegen einzelne Mittel geben, von denen aber die Methode selbst nicht berührt wird, weil derselben so verschiedenartige Diure-tica zu Gebote stehen, dass sie allen Nebenumständen genügen kann. Entschiedene Indicationen für die Diuretica aus der Klasse der antiphlogistischen Salze sind zugleich Contra-Indi­cationen gegen die scharfen Mittel und so auch umgekehrt; dagegen giebt es auch Verhältnisse, wo ein solches gegensei­tiges Ausschliessen nicht stattfindet, wo sogar eine Combination von verschiedenartigen Mitteln ganz zweckmässig ist. Bei der Anwendung der scharfen Mittel muss man natürlich die Nieren und Harnwege überwachen und sofort die Mittel aussetzen, wenn sich hier auffällige Irritationen zeigen. Wo man diese Methode ebne bestimmte Indicationen mehr versuchsweise in \nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anwendung bringt, da hängt es natürlich von dem gesammten
Verhalten der Krankheit ab, ob damit fortzufahren oder auszu­setzen ist.
Die abführende Heilmethode, IH. pnrgans.
Die abführende, darraentleerende, eröffnende Methode umfasst die Magenausleerungen durch den Pförtner und die Darmausleerun­gen in den verschiedensten Graden von der einfachen Förderung der Dannthätigkeit zur regeren Fortschaffung des Inhalts bis zur Lösung der hartnäckigsten Verstopfungen und bis zu den wässerigen Ent-
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Die abführende Heilmethode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 429
Icerungen. Sie ist namentlich für den Thierarzt eine ganz be­sonders wichtige Methode, die in den verschiedensten Graden eine vielfache Anwendung findet; 1) weil selbstständige Krank-heitszustände in dem Magen der Wiederkäuer und in dem Verdauungskanale der Pferde ungewöhnlich häufig vorkommen, welche diese Methode erfordern; 2) weil bei so vielen Krank­heiten, namentlich bei den entzündlichen, die Darmthätigkeit in einer Weise ins Stocken kommt, dass die angehäuften und immer mehr fest werdenden Fäcalmassen belästigend werden und ver­schlimmernd auf den Krankheitszustand zurückwirken; seltener Absatz von festen Kothmassen ist eine Erscheinung in Krank­heiten, die stets wichtig genug ist, von dem Therapeuten beson­ders berücksichtigt zu werden; 3) endlich weil der Darmkanal selbst bei verschiedenen Krankheitszuständen einen sehr wich­tigen Angriffspunkt darbietet, von welchem aus der Therapeut heilsam einwirken, manche Krankheiten lindern, andere selbst auslösen kann.
Die Natur selbst hilft sich nicht selten durch Darrnentlee-rungen; unter den Krisen sind die kritischen Kothausleerungen bei unseren Hausthieren gerade noch die häufigeren; die unge­wöhnlichen freiwilligen Darmausleerungen sind zwar häufig erst die Folge von bereits eingetretener Besserung, es kommt jedoch auch nicht selten vor, dass sie als die Ursache der nachfolgen­den Besserung angesehen werden müssen.
Die Wirkung und Heilwirkung dieser Methode ist zurück­zuführen :
1)nbsp; auf Befreiung des Magens und Darmkanals von belasten­dem Inhalte;
2)nbsp; nbsp;auf Verminderung der Blutmasse und Veränderung der Blutmischung — Entfernung gewisser Stoffe aus demselben; eine Purification des Blutes ist von den Alten nach der Anschauungs­weise der rohen Humoralpathologie als die Hauptwirkung an­gesehen worden; die Bezeichnung „Reinigung — Purgatio — Purgirenquot; schreibt sich von dieser Blutreinigung her;
3)nbsp; auf den Einfluss, den sie ganz entschieden auf die Blut-vertheilung in dem Capillarsysteme einzelner Gefässprovinzen durch Zu- und Ableitung äussert, und
4)nbsp; nbsp;endlich auf die Reflexwirkungen, die von den in einen Erregungszustand versetzten Eingeweidenerven ausgehen.
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430nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die abführende Hellmethode.
Die Vielseitigkeit der Heilwirkung leuchtet aus diesen Wir­kungen auf den Organismus hervor, und ist deshalb der Grund­satz: „qui bene purgat bene ctiratquot;, im rechten Sinne aufgefasst, wohl zu unterschreiben.
Indicationeu.
1. Znstäiiili1. bei denen die Ausleerung aus den ersten Wegen selbst der letzte Zweck 1st.
1. Hemmung der Secretion der Leber, der Bauch­speicheldrüse, der Darm schleim haut, Trägheit der peristaltischen Bewegung.
Mögen alle diese Zustände selbstständig sein, mögen sie die Ursache oder Folge von anderweitigen Krankheitszuständen, oder endlich eine zufällige Complication sein, immer sind sie Gegen­stand dieser Methode. Alle diese abnormen Verhältnisse sind gewöhnlich beisammen, sie bedingen sich zum Theil gegenseitig und kommen im Ganzen häufig vor; wir sind berechtigt, auf dieselben zurückzuschliessen, wenn die Excrernente ungewöhn­lich selten, fester, mehr ausgetrocknet abgesetzt werden, oder wenn sie unverdaute Futtermassen enthalten, mehr hell und arm an Gallenpigment sind, und gewöhnlich sauer reagiren. Wenn die Pflanzenfresser im Laufe eines Tages z. B. keine Darmaus­leerungen gehabt haben, so ist dies schon in demselben Grade abnorm, als wenn der Mensch mindestens in 3 — 4 Tagen kei­nen offenen Leib hat; denn sie nehmen eine grosse Masse von Substanzen auf, die nicht löslich sind, und entleeren viel Bal­last selbst bei Krankheiten, wenn sie auch wenig geniessen, weil immer grosse Vorräthe in den Verdauungswegen aufgespei­chert sind.
Das mehr oder weniger Darniederliegen der wurmförmigen Bewegungen ist eine häufige consensuelle Erscheinung; in den dicken Gedärmen häufen sich die Massen gern an und jede solche Anhäufung wirkt belästigend durch Druck und Raum-beengung in gesunden Tagen, noch viel mehr aber bei Krank­heiten, namentlich bei sthenischem Fieber, bei Entzündungen und bei Störungen in den Centraltheilen des Nervensystems. Je nach dem Grade der Trägheit in den Verdauungsorganen und der störenden Einwirkung auf den Krankheitsverlauf 'werden hier bald nur gelind erregende, die Ausleerung fördernde Mit-
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;431
tel — Eccoproiica —, bald aber auch selbst drastische Purgar;-zen angewendet. Unsere Wiederkäuer sind bei dieser Indica­tion noch ganz besonders zu erwähnen; bei ihnen kommen die erwähnten Zustände im Darmkanale sehr selten, dagegen ver­minderte Absonderung, träge Bewegung zum Fortschaffen der Futtermassen und Atonie in den Magenabtheilungen, namentlich im Wanste und Psalter, sehr häufig, am häufigsten aber beim Kinde, weniger bei der Ziege und am seltensten bei dem Schafe vor. Die wichtigsten Erscheinungen, so weit sie sich in allge-gemeinen Umrissen geben lassen, sind hier: gestörtes oder ganz unterdrücktes Wiederkäuen, seltener Absatz von kleinen Quan­titäten fester Excremente, indem sich zur Unthätigkeit in den Magenabtheilungen stets ein trägeres Fortrücken im Darmkanale hinzugesellt, keine äusserlich wahrnehmbaren Zusammenziehun-geu #9632;— wurmförmige Bewegung — des Wanstes, schwaches Ver­dauungsgeräusch im Wanste, was man bei der Auscultation sonst so lebhaft hört, die eingeschichteten Futtermassen liegen fest, sie fühlen sich beim Kneten fast hart an, behalten die von aus-sen gemachten Eindrücke einige Zeit bei, so dass man diese nicht selten noch nach einigen Minuten und später wiederfinden kann; Gasentwickelung gesellt sich zuweilen hinzu, seltener aber eine völlige Aufblähung, meist fühlt man beim Drucke nur eine klei­nere oder grössere Luftschicht über der Futtermasse stehen. Wanst und Psalter stehen im innigen Verhältniss; Unthätigkeit im Wanste, wobei einmal nicht wiedergekäut und ausserdem auch der zur directen Beförderung nach dem Psalter geeignete Inhalt sehr unvollständig oder gar nicht fortgeschafft wird, hat Anschoppungen und Aystrocknung der Futtermassen im Psalter zur Folge; ist umgekehrt der Psalter unthätig, so wirkt dies lähmend auf die Thätigkeit des Wanstes zurück.
Diese Zustände kommen selbstständig vor, man nennt sie Unverdaulichkeit, bei längerer Dauer auch chronische Unver-daulichkeit, sie finden sich aber auch in verschiedenen Graden sehr gern im Verlaufe von andern Krankheiten ein und haben dann einen verschlimmernden Kinfluss auf die ursprüngliche Krankheit.
2. Anschoppungen, Verstopfung, Unwegsamkeit an irgend einer Stelle auf dem Wege vom Magen bis zum After. Die dringendste Indication für die Methode und zugleich für die wirksamsten Mittel der Methode. Bei Pferden sehr häufig und
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432nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die abführende Heilmethode.
an verschiedenen Stellen, zuweilen im Pförtner — Magenver­stopfung —, selten im Dünndarm und dann gewöhnlich im Hüft­darme, eben so selten im Mastdarme, in der Regel dagegen im Blind- und Grimradarme; immer ist sie bei Pferden mit Hin­terleibsschmerzen verbunden — die veritable Kolik. Je mehr bei der Kolik die Darmthätigkeit darnieder liegt, und unter den seltenen Darmgeräuschen tympanitische Töne laut werden, desto entschiedener die Verstopfung, wenn keine Darmentzündung vor­handen ist; bei letzterer tritt schliesslich auch ohne Verstopfung Unthätigkeit und ab und zu auch einmal ein tympanischer Darmton hervor. Verstopfte Pferde können unter Umständen, so lange noch keine Erschöpfung der Darmthätigkeit eingetre­ten ist, die Fäcalmassen hinter der Stelle der Verstopfung in kleinen Quantitäten und zuweilen selbst in flüssiger Form ent­leeren, so dass sie neben der Verstopfung zugleich eine Zeit lang an Durchfall leiden. Solche scheinbare Paradoxien dür­fen nicht beirren und von der Anwendung durchschlagender Mittel abhalten.
Unter den Wiederkäuern ist die Verstopfang am häu­figsten bei Rindern, demnächst bei Ziegen, sehr selten bei Schafen; der Sitz ist gewöhnlich in den ersten drei Magen­abtheilungen, besonders im Psalter. Hinterleibskrämpfe fehlen hierbei, die Thiere zeigen durch Trägheit, viel Liegen, Stöhnen, zuweilen auch durch einen klagenden Blick eine gewisse Belä­stigung, selbst einen perpetuirlichen dumpfen Schmerz. Nur bei der seltenen Unwegsamkeit im Darme (Dünndarme), bei dem sogenannten üebenvurfe der Ochsen pflegen sich leichte Kolik­zufälle zu äussern. Sehr wesentlich ist'immer die auf längere Zeiten unterbrochene oder aufgehobene Thätigkeit des Wanstes, von der wir uns durch Fehlen des Wanstgeräusches bei der Auscultation und durch das längere Stehenbleiben der Eindrücke, der festen Futtermassen des Wanstes bei unterdrücktem Appetit
und Wiederkätien überzeugen können. )
Schweine leiden selten, Hunde häufiger an Anschoppungen,
die bei beiden gewöhnlich im Mastdarme vorkommen, weder
mit Krämpfen noch mit Schmerzen, nur in höheren Graden mit
gestörtem Appetit verbunden sind und höchstens zum Drängen
Veranlassung geben. Füllung des Leibes mit harten Kothmas-
li
sen und die nicht erfolgte Kothentleerung sind charakteristisch.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 433
Die Unwegsamkeit kann verschiedene Ursachen haben und je nachdem ist zu unterscheiden:
a)nbsp; nbsp;eine spasmodische, d. h. eine solche Anschoppung, die von krampf­hafter ZusammenschnUrung an einzelnen Stellen ausgegangen ist, wie wir dies nach Erkältungen der Pferde, namentlich bald nach einer reichlichen Mahlzeit nicht selten sehen;
b)nbsp; eine paralytische und zwar eine secundäre, eine Ermüdung, Erschöpfung nach einer starken Keizung, oder primäre Atonie, Parese, selbst Paralyse in einzelnen Partien. Die secundären paralytischen Formen sind meist acut, die primären meist chronisch, eine besondere acute Form haben wir bei Kindern als Theilerscheinung des Kalbefiebers. Bei herrschendem Kalbe-ficber in einem Stalle sind die drastischen Abführmittel selbst alß Präser­vativmittel in den letzten Tagen der Trächtigkeit angezeigt. Die chroni-sclien paralytischen Anschoppungen haben -wir bei Pferden am häufigsten im Blinddarme in der Form einer chronischen Kolik;
c)nbsp; nbsp;eine indigestive, von Diätfehlern, von Indigestionen oder doch von dein Inhalte zunächst ausgegangene; solche besteht entweder in directer Verstopfung, Einkciiung durch trockene oder filzige Massen, wie z. B. Ger­stenkaff, das namentlich bei Kindern die hartnäckigsten Löserverstopfungen anrichtet —, durch schwere Körnermassen, durch Knochen, Concremente und Steine etc.;
d)nbsp; nbsp;eine ünwegsamkeit endlich durch Dislocation — Verdrehung, Ver-schlingung oder Einschiebung — oder auch durch organische Verengerung — Stenose.
Alle diese Verschiedenheiten ändern in der Hauptindication nichts; kön­nen wir die primäre Ursache erkennen, so sind dadurch gewisse Neben-Indicationen gegeben, z. B. Verbindung der Abführmittel mit beruhigenden Mitteln bei spasmodischer Form, mit flüchtigen erregenden bei paralytischen Anschoppungen, mit bitteren, aromatischen Mitteln bei Indigestionen, mit öligen, schlüpfrig machenden Mitteln bei Anschoppungen trockner Massen u. s. w. Bei den Dislocationen wird selten etwas erreicht werden können, immer aber bleiben die drastischen Abführmittel doch noch die Mittel, die möglicher Weise eine Lösung bedingen können und daher ihre Anwendung finden müssen, wenn man das Uebel auch erkannt hat und wenn kein directer operativer Weg offen steht.
3. Fremde Körper, Gifte und Parasiten im Darm­kanal e, von denen man Nachtheile furchtet oder schon wahr­nimmt. Die Thiere verschlucken nicht selten Dinge, die mecha­nisch nachtheilig werden — Erde und Sand lagern sich klum­penweis in den Darmposchen ab und incrustiren selbst den Darmcanal an einzelnen Stellen; verschluckte Kleidungsstücke hemmen das Fortrücken und erzeugen Indigestion; Holz, Kno­chen, Tannennadeln [Gielen, Magazin, Bd. 12. S. 78) reizen und verletzen selbst die Schleimhaut. Wo die Entfernung nicht noch aus dem Magen durch Brechmittel geschehen kann, da
Gerlach Allj, Therapie. 2. Aulnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 28
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434nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die abführende Heilmethode.
kommt die abführende Methode an die Reihe; durch reichlichere Absonderung werden sie bei gesteigerter #9632;wurmförmiger Bewe­gung sicherer fortgespült. Giftige Substanzen im Darrakanale müssen möglichst schnell expedirt werden — s. giftwidrige Me­thode —; bei Eingeweidewürmern schickt man den specifisch wurmwidrigen Mitteln recht zweckmässig eine Purganz nach — s. wurmwidrige Methode.
4.nbsp; nbsp;Hernien und Mastdarmvorfälle. Beim unvollstän-
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digen Mastdarmvorfalle, wo nur das äusserste Ende oder selbst nur die Schleimhaut blasenförmig hervorgewulstet ist, und bei Prädisposition zum Vorfall, wie sie nach der Reposition immer einige Zeit fortbesteht, muss durch Erweichung und Schlüpfrig-machung der Kothabsatz möglichst erleichtert und das Anhäufen im Mastdarme verhütet werden. Bei Brüchen muss die abfüh­rende Methode der Operation vorangehen — sofern die Opera­tion so lange aufschiebbar ist — und nachfolgen.
2. Indlcatlonen zu entfernter liegenden Heilzwecken.
5.nbsp; nbsp;Zur Förderung der Lösung und der Resorp­tion. Bei Anschwellungen der Lymphdrüsen, namentlich im Mesenterium, bei Verschleimungen, bei einem pituitösen Zustande, wie wir ihn bei vielen Eingeweidewürmern finden, bei Stockun­gen in der Leber, bei gehemmter Gallenergiessung, bei Oede-men, Brust- und Bauchwassersucht, namentlich bei letzteren und dann noch ganz besonders bei Wasseransammlungen in den Gehirnhöhlen.
Die Drastica sind zugleich Resolventien, welche die zähen Schleimmassen in den ersten Wegen lösen, eine dicke Galle ver­flüssigen, Stockungen in der Leber aufheben, auflösend auf ge­schwollene Lymphdrüsen im Bereich der Verdauungsorgane und selbst im ganzen Körper einwirken. Die Resorption wird zu­gleich gefordert durch Säfteentziehung, in Folge dessen eine verminderte Absonderung in allen Theilen, namentlich aber dort eintritt, wo sie in abnormer Weise besteht, so dass die Resorp­tion schon ohne absolute Vermehrung einen Vorsprung vor der Absonderung gewinnt, und endlich durch Förderung einer freie­ren Blutcirculation wenigstens in den Hinterleibsorganen. Bei hydropischen Zuständen finden besonders die Abführmittel ihre zweckmässige Anwendung, die durch ihren harzigen Gehalt pur-girend wirken und eine wässerige Entleerung veranlassen.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;435.
6. Zur Stoffentziehung und Einwirkung auf die Beschaffenheit des Blutes. Durch vermehrte Absonderung im ganzen Verdauungskanale, in der Leber und Bauchspeichel­drüse werden dem Blute Stoffe entzogen, zugleich wird aber auch dem Blute weniger Nährstoff zugeführt, indem die Auf­nahme des Chylus bei der schnellen Fortschaffung der Darm-contenta behindert ist. In dieser zweifachen Entziehung liegt der Grund von der Thatsache, dass der Stoffverlust bei dieser Methode sehr beträchtlich und grosser ist, als bei einem massi­gen Aderlasse, dass die Blutkörperchen abnehmen und durch wiederholtes starkes Purgiren Blutwässerigkeit herbeigeführt wer­den kann. Der Faserstoffgehalt nimmt bei dem Purgiren zu, dies beruht darin, dass das Blut eine grosse Einbusse an festen Bestandtheilen und namentlich an Blutkörpern erleidet, und dass sich der Faserstoff aus Bluteiweiss am schnellsten hervor­bildet.
Die darmentleerende Methode ist daher zugleich eine streng antiphlogistische und blutreinigende, an tidy skrasi-sche. Durch reichliche Absonderung von Galle und wässerigen Darmsäften werden auch Stoffe entleert, die dem Blute fremd­artig sind, und auch verbrauchte Stoffe, die durch abnorme Anhäufung fremdartig wirken — pathische Stoffe. Eben so wenig, wie wir immer die abnormen Mischungszustände mit dem Mikroskope oder durch chemische Analysen nachweisen können, die als Dyskrasien bezeichnet werden, die aber nichtsdestoweni­ger bestehen, wie wir aus verschiedenen Verhältnissen zu fol­gern berechtigt sind, eben so wenig können wir nun aber auch die Stoffe direct nachweisen, von denen das Blut befreit wird, so weit sie nicht in den Bestandtheilen der Galle und den Darm­säften aufgehen; dennoch aber wissen wir aus Erfahrung, dass durch Abführmittel und nachfolgende entsprechende Diät dys-krasische Zustände, so weit sie bisher überhaupt heilbar sind, oft beseitigt werden — Köhre sah bei Faulfieber den besten Erfolg von der Aloepille —, dass ferner die Natur selbst Leber und Darmkanal zur Ausscheidung gewisser pathischer Stoffe wählt, so wird der Typhusprocess gewöhnlich durch Elimination auf der Darmschleimhaut erschöpft und zuweilen durch reich­liche Darmausleerungen selbst coupirt.
Der Harnstoff -wird in der Darmschleimhaut zersetzt und ausgeschieden, Brandjauche und andere septische Flüssigkeiten, in das Blut gelangt, erzeu-
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436nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die abführende Heilmethode.
gen Durchfall, und oft ist ihre krankmachende Wirkung damit beendet, oft erzeugen sie Entzündung der Darmschleimhaut, die zwar meist tödtlich verläuft aber doch immer Zeugniss von specifischer Beziehung der Krank­heitsmaterie im Blute zur Darmschleimhaut ablegt. Etwas Aehnliches sehen wir von manchen Giften, so erzeugt z. B. Arsenik bei äusserer Anwendung auch Entzündung der Schleimhaut des Verdauungsweges.
Wir sehen deshalb von dieser Methode auch eine heilsame Wirkung im Allgemeinen bei ikterischen Krankheiten, bei Rheu­matismus, namentlich wenn er durch schwere Nahrungsmittel entstanden ist, bei den verschiedenen Jugendkrankheiten, die als Glieder einer Scrophulose anzusehen sind, besonders wenn dabei eine gewisse Trägheit in den Verdauungsorganen ausgesprochen ist, bei Venosität des Blutes bei typhösen und septischen Lei­den, sofern der Darmkanal nicht besonders afficirt ist, ferner bei grosser Neigung zum Brande selbst nach ganz geringfügi­gen Veranlassungen, bei Anthraxdyskrasie #9632;— hier ein wichtiges Präservativmittel im Verein mit veränderter Diät —, bei allen Krasen, wo die festen Bestandtheile im Blute vorherrschend sind, bei den verschiedenen Hautkrankheiten, die tiefer in ge­wissen Säftemischungen wurzeln, und bei andern ähnlichen Zu­ständen mehr.
7. Behufs Ableitung des Blutes und Herstellung einer freieren Circulation. Die Hinterleibsorgane sind so reich an Blutgefässen, dass, wenn hier eine grössere Blutanfül-lung stattfindet, an allen andern Körpertheilen Blutmangel ent­steht; wir können uns hiervon durch die Beschafienheit des Pulses überzeugen, der ganz klein und kaum fühlbar wird.
Die abführende Methode bedingt immer eine gewisse Hyperämie in 1nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;den Hinterleibsorganen, die schliesslich durch vermehrte Absonderung des
Darmsaftes ausgelöst wird, was namentlich bei drastischen Purganzen so recht anschaulich wird; stirbt z. B. ein Pferd nach einer zu starken Gabe von Crotonöl sehr bald, d. h. noch ehe eine copiöse wässerige Ausleerung erfolgt ist, so finden wir Hyperämie im ganzen Darmkanale und Entzün­dung in der Darmschleimhaut; stirbt dagegen ein so behandeltes Pferd erst, nachdem ein wässeriger Durchfall einige Zeit — zwei bis drei Tage — bestanden hat, so ist keine Hyperämie mehr vorhanden, die Gefässe sind mehr leer und der Darmkanal ist wie ausgewässert.
Hierdurch ist nun die mächtige und nachhaltige Ab-
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leitung bedingt, welche im Verein mit der bereits erwähnten Wirkung auf das Blut selbst die abführende Methode zu dem kräftigsten Antiphlogisticum macht, was durch keine andere Methode im ganzen Umfange und in der Nachhaltigkeit
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 437
ersetzt werden kann. Am kräftigsten äussert sich die Ableitung von den Centralorganen des Nervensystems — Gehirn und Rückenmark —, von den Augen, vom Kopfe und Halse über­haupt und von der Haut, daher besonders bei Hyperämie und Entzündung an und in diesen Körpertheilen. Es sind aber auch selbst die Blutüberfüllungen und Entzündungen des Magens, Darm­kanals, der Leber, der Nieren etc. nicht ausgenommen, natürlich muss hier nur mit milden, kühlenden Purganzen und einhüllenden Mitteln vorsichtig operirt werden, denn es kommt hier auf För­derung der Absonderung und Entfernung der Mistmassen ohne erhebliche Irritation an; der entzündete Darm wird von ange­sammelten Mistmassen am meisten gereizt, die Entleerung der belästigenden Contenta ist daher eine wesentliche Bedingung zur Heilung.
Mittel.
Die Darmausleerungen werden gefördert:
1)nbsp; durch directe Zuführung von wässerigen, schleimigen und öligen Flüssigkeiten, #9632;wodurch die Contenta aufgeweicht, schlüpf­rig gemacht oder verflüssigt werden;
2)nbsp; nbsp;durch gesteigerte Absonderung des Magen- und Darm­saftes, der Galle und des pankreatischen Saftes, und
3)nbsp; nbsp;durch vermehrte wurmformige Bewegung, die nament­lich bei den scharfen Abführmitteln — Drastica — das wirk­samste Moment ist, wodurch die Contenta so schnell gefördert werden, dass eine Resorption des Flüssigen nicht erfolgen kann, dass daher die Massen durch gleichzeitige vermehrte Absonde­rung immer flüssiger und so die Ausleerungen mehr wässerig werden.
Die Wirkung der hierher gehörigen Mittel ist mithin eben so specifisch wie bei den Brechmitteln. Die örtliche Einwir­kung ist nicht auf alle Theile gleich, auf den Dünndarm ist sie im Allgemeinen gering, hauptsächlich wohl, weil sie hier weni­ger verweilen, auf den Blind- und Grimmdarm wirken s^e län­ger, daher auch stärker ein, und wo die Mittel mechanisch auf­gehalten werden — vor der Verstopfungsstelle — ist die locale Wirkung wieder grosser. Ausserdem aber haben die verschie­denen Mittel auch eine verschiedene specifische Beziehung auf die einzelnen Theile des Verdauungskanals; Brechweinstein, weisse
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Die abführende Heilmethode.
Niesswurzel und Taback wirken z. B. hauptsächlich auf den Magen, weil sie nicht allein abführend, sondern auch brechen­erregend wirken, weshalb sie denn auch bei Wiederkäuern, wo es sich immer besonders um die Fortschaffung aus den Magen­abtheilungen handelt, die wirksameren Mittel sind; Aloe scheint besonders auf den Blinddarm zu wirken. In dieser Beziehung fehlt es uns jedoch noch an näheren Kenntnissen.
Diätetische Mittel.
Wo es sich einfach um Verhinderung der Anhäufungen, um eine gleich-massig regere Fortschaffung, um geregelte Ausleerungen mehr weicher Excremente handelt, in solchen Fällen genügen diätetische Mittel oft allein; unter allen Umständen aber sind sie wesentliche Unterstützungsmittel für die eigentlichen Purganzen, weshalb sie denn auch zum Theil immer mit diesen zugleich ihre Anwendung finden; wenn die Indication zum Purgiren nicht sehr dringend ist, wenn ein Aufschub auf 1 bis 2 Tage geschehen kann, dann müssen die grösseren Hausthiere durch entsprechende Nahrung vorbereitet werden, damit die eigentlichen Purganzen auch sicher wirken, was ausserdem nicht der Fall ist. Die stärkeren Mittel selbst versagen in der gewöhnlichen Quantität nicht selten ihre Wirkung, während sie in einer etwas grösserenDose schon gefährlich werden können, so dass die diäte­tische Vorbereitung zum Purgiren durch die Gabengrösse nicht auf eine sichere und gefahrlose Weise ersetzt werden kann.
1.nbsp; nbsp; Die Quantität des Futters. Schmale Kost, halbe Sättigung ist kein Abführmittel, aber ein empfehlenswerthes Vor­bereitungsmittel zum Purgiren. Das Ueberfressen hat bei Scha­fen gewöhnlich Durchfall zur Folge, wovon jedoch der Thera­peut selten Gebrauch machen wird.
2.nbsp; nbsp;Leichte, weiche und wässerige Nahrungsmittel. Für Herbivoren und Omnivoren, ganz besonders aber für Wie­derkäuer giebt es leicht und stark abführende Nahrungsmittel; zu den leichten, milden— Eccoprotica — gehören namentlich: Wei­zenkleie, Oelkuchen, Leinsamenmehl, süsse Molken, fer­ner Grünfutter, Mohrrüben und andere Rüben. Als stark ab­führende Futterstoffe sind speciell die Bunkelr üben blatter und rohen Kartoffeln hervorzuheben, die bei Wiederkäuern so sicher durchschlagen und so stark abführen, wie wir durch kein arz­neiliches Mittel zu erzielen im Stande sind, wenigstens nicht ohne Gefahr. Die leichteren Mittel dienen theils als Vorbereitungs-, thells als Unterstützungsmittel bei abführenden Arzneien, unter Umstän­den aber auch als fortdauernd leichte Förderung des Mistabsatzes. Das Leinsamenmehl wirkt besonders durch seinen Gehalt an
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 439
Oel und Schleim, gehört daher zu den schlüpfrig machenden Mitteln; die Rübölkuchen enthalten neben dem Fett ein flüch­tiges Oel, welches einen wesentlichen Antheil an der abfuh­renden Wirkung hat und wodurch die Schleimhäute schon etwas mehr gereizt werden. Die süssen Molken, die schon Wiborg (Bd. 4, S. 286) als Laxirmittel empfohlen hat, wir­ken in der Quantität von 1 — 2 Quart bei Schafen und Zie­gen; bei Rindern von Va — 1 Eimer gelind abführend. Das Grünfutter wirkt im Frühjahre am stärksten abführend. Die dicken und saftreichen Blätter, besonders von Semperoivum tec-iorum — sind Abführmittel für Papageien {Ritzel) und auch für anderes Geflügel. Die Runkelrübenblätter möchte ich als die stärksten Laxantia, als die stärksten resolvirenden und antiphlogistischen Abführmittel, und die rohen Kartoffeln als drastische Purgantia für Wiederkäuer bezeichnen. Natürlich können diese Mittel nur bei fortbeste­hendem Appetit ihre Anwendung finden, deshalb sind sie bei den Verstopfungen der Therapie leider entzogen.
Die Runkelrübenblätter verdanken ihre abführende Wirkung wohl dem grossen Gehalte an organischen Säuren, namentlich der Oxalsäure. 100 Gewichtstheile enthalten 90 Wasser und 10 trockene Substanz, die nach Müller
Oxalsäure..................... 2,0 1
Citronen- und Aepfelsäure...... 0,15l 2 55
Stickstoffhaltige Säuren........0,4 I
enthalten. Diese Analyse und die klinische Thatsache, dass durch Alkalien die abführende Wirkung bedeutend vermindert, unter Umständen auch auf­gehoben wird, beweisen die Abführung durch die Säuren. Die Eübenblät-ter sind einmal diesen abführenden Principien und ausserdem der That­sache nach, dass die Thiere bei diesem Laxiren sehr zusammenfallen und abzehren, die besten resolvirend und antiphlogistisch wirkenden Abführ­mittel. Von den rohen Kartoffeln genügt die Hälfte des Gesammtfutters — nach Heuwerth berechnet — bei den Thieren ein gelindes Laxiren zu erzeu­gen; verabreicht man den ganzen Bedarf an Nahrungsmitteln nur an rohen Kartoffeln, so tritt starkes Laxiren ein, wie wir es durch Abführmittel sel­ten so stark bei Wiederkäuern erreichen können. 2 Pfd. Kartoffeln sind in Nähreffect ungefähr gleich 1 Pfd. Heu; 50 Pfd. Kartoffeln sind mithin für eine kleine Kuh das tägliche Futterquantum, in welchem nach den Untersuchungen von Frass u. A. 14 —15 Loth Salze, namentlich kohlensau­res Kali neben kohlensaurer Kalk- und Talkerde enthalten sind. Die ab­führende Wirkung wird hierdurch zum Theil erklärlich; man kann jedoch von der dreifachen Quantität dieser Salze, in zwei Tagen verabreicht, noch nicht die abführende Wirkung erreichen, die eine zweitägige ausschliess-liche Ernährung mit rohen Kartoffeln zur Folge hat. Es ist also noch eine
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Die abführende Heilmethode.
specifisch scharfe, abführend wirkende Substanz vorhanden, die selbst tödt-lich -werden kann. Diese Substanz ist nicht identisch mit dem Solanin, welches nur beim Keimen spärlich vorhanden ist und nicht drastisch ab­führt. Die ausgewässerten oder ausgekochten Kartoffeln enthalten das abführende Princip nicht.
3.nbsp; nbsp; Bewegung. Namentlich ist die Körperbewegung von sehr bedeutendem Einflüsse, wenn ein Purgirmittel schon im Leibe ist; wo nicht gewisse Krankheitszustände — Entzündun­gen — es verbieten, ist dieselbe stets anzuwenden.
4.nbsp; nbsp; Drücken und Kneten, JiJalaxatio. Bei übermässiger Anhäufung und Festlagerung im Wanste ist das fleissige Durch­kneten ein Mittel zur Fortschaffung; Einkeilungen von festen Klumpen im Grimmdarme können oft nicht sicherer und schnel­ler beseitigt werden als durch Kneten vom Mastdarme aus, wo­bei die Pferde vorn hochgestellt werden, damit die entfernteren Klumpen sich mehr nach dem Becken hinschieben und von hier aus erreichbar werden; durch entsprechenden Gegendruck von aussen wird diese Operation oft sehr erleichtert. Dass bei die­ser Manipulation durch rohes Verfahren der Mastdarm zer­sprengt werden kann, darf ich kaum erwähnen. Diepholz — Zeitschrift von Vix etc. — Bd. 6. S. 184 — hat dieses zweck-mässige Verfahren bei hartnäckiger Verstopfungskolik der Pferde zuerst angegeben.
Mittel per anum.
KlystiereKlysmata, Lavements — und Seifenzäpfchen •— Suppositoria. Letztere finden nur ihre Anwendung bei Schwei­nen, Hunden, Katzen und Vögeln, wenn keine entsprechende Klystierspritze zur Hand ist. Die Heilzwecke sind:
a) Erweichung und Einhüllung der Mistmassen im Mastdarme; je mehr Kothraassen im Mastdarme angehäuft, ausgetrocknet und fest geworden sind, je mehr die Ausleerung durch das Aus­trocknen erschwert ist, femer je mehr wir zur Verhütung des Drängens den Absatz erleichtern müssen — nach Bruchopera­tionen, bei grosser Neigung zum Mastdarm-, Scheiden- und Ge bärmuttervorfall —, desto mehr kommt es eben darauf an, den Koth im Mastdarme zu erweichen. Lauwarmes Seifenwasser-Klystier ist hier das beste Mittel; will man noch mehr einhül­len und schlüpfrig machen, dann ist Schleim und Oel der geeig­nete Zusatz;
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 441
h) specifische Eeizung im Mastdarme und Reflexbewegun­gen im Dickdarme, besonders aber im Verlaufe des ganzen Mastdarmes. Auf diese Weise vermag das Klystier weiter zu wirken, als es selbst mit dem Darme in Berührung kommt, und durch Zusatz von verschiedenen purgirenden Stoffen können wir es wirksamer maclien; wenn die Klystiere jedoch zu rei­zend einwirken, dann erwecken sie sofort peristaltische Reflex­bewegungen im hinteren Theile des Mastdarmes, in Folge des­sen sie bald wieder herausgepresst werden, ohne den Zweck erfüllt zu haben. Bei erhöhter Reizbarkeit nimmt man mildere, bei Torpiditiit dagegen reizendere Mittel. Kaltwasserklystiere für sich allein oder mit Zusatz von Salzen, namentlich von Brechweinstein — etwa 30 Grm. Glaubersalz oder Kochsalz, oder 2 Grm. Brechweinstein auf 1 Quartier Wasser — sind hier die empfehlenswerthesten. In verzweifelten Fällen von Ver-stopfungskolik versucht man auch wohl die Tabacksrauchkly-stiere. Als Beruhigungs- und Abkühlungsmittel finden sie bei der einhüllenden und abkühlenden Methode ihre Anwendung.
lasiriuittel — laiantia.
Sie wirken örtlich wenig reizend, einige sind ganz milde; demzufolge wird die peristaltische Bewegung nur wenig ver­mehrt, die Absonderung eines wässerigen Darmsaftes wird da­gegen sehr gesteigert, namentlich bei den salinischen Laxanzen. Die purgirende Wirkung beruht deshalb vorzugsweise auf ver­mehrter Absonderung.
Die meisten dieser Mittel sind bei unseren Thieren nur schwache Purgirmittel. Ihre Anwendung finden sie im Allge­meinen bei den trägen Mistentleerungen, um den Act des Ab­satzes selbst zu erleichtern oder um eine gleichmässigere und reichlichere Entleerung weicher Fäcalmassen zu bewirken.
1. Die Abführ salze. Sie wirken zugleich kühlend im Magen und Darme und gehören in ihrer weiteren Wir­kung auf das Blut zu den antiphlogistischen Substanzen, daher nennt man sie auch Purganiia friyida et antiphlogistica. In grossen Quantitäten und concentrirt gegeben, sollen sie nach Liehig dadurch laxirend wirken, dass sie nach den Gesetzen der Diosmose Wasser aus dem Blute anziehen. Sie mögen auf diese Weise wirken, darin liegt aber ihre abführende Wirkung nicht allein; denn sie wirken auch abführend, wenn man sie
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Die abführende Heilmethode.
aufgelöst in die Venen spritzt. Hierher gehören besonders: Glaubersalz, Doppelsalz und Bittersalz, ferner Kali-und Natronsalpeter, saures oxalsaures Kali und Brech­weinstein; auch Kaliseife ist hierher zu zählen, die gewisser-maassen das Verbindungsglied ist zwischen den erwähnten Sal­zen und den folgenden öligen Substanzen.
Das saure Oxalsäure Kali, welches wir schon bei den lösenden und urintrei­benden Methoden kennen gelernt haben, Salpeter und Brechweinstein haben eine reizende Einwirkung auf dieDarmschleimhaut; alle diese Mittel dürfen wir deshalb für sich allein nicht bis zur abführenden Wirkung geben; Durch­fall lediglich in Folge dieser Mittel, namentlich des Oxalsäuren Kalis, würde eine bedenkliche toxische Erscheinung sein. Sie finden daher hier nur in Verbindung mit andern abführenden Salzen und namentlich zum Zwecke der ableitenden, antiphlogistischen Wirkung Anwendung. Das saure oxalsaure Kali ist das darmreizende Mittel, welches am kräftigsten ableitend von der Leber und dem Gehirne wirkt, bei Gehimreizuugen überhaupt, namentlich aber bei acuter Gehirnwassersucht der Pferde (15 — 20 Grm. pro Tag) und bei acuten Gehirnkrämpfen der Hunde (1/2 —1 Grm. pro Tag) zweckmässige Anwendung findet.
Der Brechweinstein wird vielfach bei Kolik gegeben, er ist hier auch im Ganzen recht wirksam, zumal in Verbindung mit andern Abführsalzen, in welcher er vorzugsweise seine Wirkung in dieser lüchtung ausübt, er kann jedoch bei dieser Krankheit ein gefährliches, tödtliches älittel werden durch Magenzerreissung. Bei Magenkolik, wo die Futterstoffe den Pfört­ner nicht passiren können, da wirkt er als Brechmittel, veranlasst anti-peristaltische Contractionen, die so gewaltig werden können, dass der Magen bei der Unmöglichkeit der Entleerung durch den Schlund sich selbst zerreisst. Ich halte es für eine Thatsache, dass der Thierarzt, welcher hartnäckige Verstopfungen bei Pferden mit Brechweinstein behandelt, un­gleich mehr Magenrupturen zu sehen bekommt, als der, welcher mit diesem Mittel nicht operirt.
Die Selbstzerreissung des Magens erkennt man daraus deutlich, dass die Muskelhaut in einzelnen seltenen Fällen zerrissen, während die Schleim­haut noch ganz ist, in der Regel aber doch der Kiss in der Muskelhaut viel grosser, als in der Schleimhaut ist, dass ferner Zerreissungen gefunden werden ohne vorhergegangene gewaltsame Erschütterungen durch Nieder­werfen etc., dass endlich der Riss an der grossen Krümmung quer durch die Muskelfasern geht. Nur einmal sah ich eine Zerreissung an der hinte­ren resp. oberen Fläche circa 2 Zoll lang quer von der kleinen zur grossen Krümmung gehend. Der Magen war mit aufgequellten Getreidekömern gefüllt. Dieser Fall zeigt uns, dass auch Zerreissungen durch mechanische Einwirkungen vorkommen, er beweist uns aber auch zugleich, wie die mechanischen Zersprengungen sich von den Selbstzerreissungen unterscheiden 2. Oelige Abführmittel Purgantia emollientia —. Diese milden, einhüllenden Abführungsmittel verlieren an ihrer Milde, wenn sie etwas ranzig geworden sind, wodurch sie aber
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;443
an abführender Wirkung gewinnen. Sie finden ihre Anwendung bei Verstopfungen und bei einfachen Anschoppungen der Fäcal-massen, besonders wenn zugleich eine grössere Reizbarkeit im Darmkanale besteht — bei Gastritis, Enteritis, Peritoneitis —; ferner bei scharfen und ätzenden, im Fett nicht löslichen Stof­fen im Darmkanale, bei fremden Körpern, die leicht auf mecha­nische Weise Verletzungen anrichten können.
Schmalz, alle Oele, namentlich Fischthran und Ricinusöl. Letzteres hat neben der schlüpfrigraachenden Wirkung noch eine specitisch abführende und gehört deshalb mit zu den wirk­samsten Laxirmitteln, welches man jedoch bei den grösseren Hausthieren bis zu 1 Pfd. und bei den kleineren zu 20—40 Grm. pr. Tag geben muss. Die übrigen Fette sind in noch etwas grösseren Gaben zu verabreichen. Baumöl und Schiesspulver wie 1 : 2 gemischt, bat May (S. 263) als Laxirmittel für Schafe, täglich 3 Mal 2 — 3 Kaffeelöffel voll, empfohlen.
3.nbsp; nbsp;Süsse Substanzen, namentlich Syrup, Manna und Honig. Ersterer ist am wirksamsten und zugleich etwas urin­treibend, als billiges Hausmittel recht empfehlenswerth, wenn es sich um möglichst milde Ausleerungen handelt; man kann damit recht gut die abführenden Salze verbinden. Für Pferde und Rinder 1—l^Pfd. Für Schafe hat May Cichorien- (Rha­barber ?) und Mannasyrup, von jedem 75 Grm. mit 45 Grm. Bittersalz, täglich 3 Mal 1 — 2 Kaffeelöffel voll als recht wirk­sam empfohlen.
4.nbsp; nbsp;Bierhefen. Ein mildes aber auch sehr schwaches Laxirmittel, welches in grossen Dosen von 1— 2 Quart für Pferde, ^4—lJ2 Quart für kleine Pflanzenfresser nur eine weichere Mistung zu erzeugen pflegt. Von trockener Hefe haben wir auf der An­stalt bis zur Dosis von l1/^ Pfd. keine Wirkung bei Rindern gesehen.
Scharfe Akfuhnnittel — Acria purgantia, Drastica.
Sie zeichnen sich durch ihre reizende, das Gefühl von Wärme erzeugende und das Gefässsystem erregende Wirkung aus, wes­halb man sie auch Purgantia calefacientia nennt. Es sind dies die kräftigsten Abführmittel, welche Hyperämie — in zu gros­sen Gaben selbst Entzündung — und lebhafte Contraction im Darmkanale erzeugen. Die schärferen unterscheiden sich sehr bestimmt von den Laxirmitteln, die schwächeren aber weniger.
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444nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die abführende Heilmethode.
so dass man einige Mittel eben so gut zu den Laxirmitteln als zu den drastischen Mitteln zählen kann. Sie finden ihre An­wendung bei grosser Trägheit im Verdauungsapparate, bei hart­näckigen Verstopfungen, ferner um Eingeweidewürmer abzutrei­ben, um die Resorption zu fördern, um abzuleiten von entfern­teren Organen, namentlich vom Kopfe, und endlich um pathische Substanzen aus dem Blute zu entfernen, um antidyskrasisch, blutreinigend zu wirken. Die wichtigsten Drastica sind:
1.nbsp; nbsp; Das Kalomel — Hydrargyrum chloratum mite. Ein heimtückisches Purgirmittel, das bei quot;Wiederkäuern gar nicht und bei Pferden nur mit grösster Vorsicht anzuwenden ist. Die zur Lösung von hartnäckigen Verstopfungen nothwendigen Do­sen sind meist von vergiftender Wirkung, weshalb es bei sol­chen Zuständen nicht passt. Für Pferde 8—12 Grm. auf den Tag in 2 Malen, und den nächsten Tag nur dann zu wieder­holen, wenn sich noch gar keine quot;Wirkung, kein Kollern im Leibe etc. zeigt; für Schweine 3 — 4 Grm., für Hunde 5 bis 15 Cgr. auf den Tag, in Latwerge oder Pillen.
2.nbsp; Sennesblätter. Nur für Schweine, Hunde und Katzen als Purgirmittel anwendbar; erstere purgiren nach Viborg und Hertivig von 30 Grm., Hunde von 4—12 Grm.; im Infusum.
3.nbsp; Rhabarberwurzel. Als Purgirmittel nur bei Kälbern und Lämmern zu 4 — 6 Grm. mit eben so viel Glaubersalz, und allenfalls bei Hunden zu 3 —16 Grm. zu empfehlen.
4.nbsp; nbsp;Jalappenwurzel. Bei Pferden nicht zu gebrauchen; Rinder sollen nach Fiamp;orlt;/'s Angabe von 60 —120 Grm. mit '/s Pfd. Glaubersalz purgiren ; ich habe hiervon zwar kein wirkliches Pur­giren gesehen, jedoch war die Aufregung in den Verdauungs­organen immer sehr gross, im Wanste und Darmkanale stets eine sehr lebhafte Thätigkeit, bei nachträglichen Salzgaben — 1—l'/j Pfd. Glaubersalz — trat zuweilen flüssige Entleerung ein; am wirksamsten fand ich die Jalappe beim Zusatz von 1 Theil Enzian auf 2 — 3 Theile Jalappe. In der Gabe von 12 — 24 Grm. ist sie für Schweine, und von 1 — 4 Grm. für Hunde und Katzen ein sicheres Abführmittel.
5.nbsp; Gummi gutti. Nur für Hunde und Katzen zu empfehlen zu 1 — 2 Grm.; am besten in Verbindung mit Kalomel; z.B. Pil­len, die je aus 3 Cgr. Kalomel, 10 Cgr. Gummi gutti mit Binde-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 445
mittel bestehen, davon täglich für Hunde 1 — 2, grosse Hunde bis 3, Katzen '/a — !gt; bis Laxiren erfolgt.
6.nbsp; nbsp;Purgirkraut — Herba gratiolae. Nur bei Wieder­käuern zu gebrauchen; Rinder 60—90 Grm., Schafe und Zie­gen 8 — 12 Grm.
7.nbsp; nbsp;Coloquinthenmark, Pulpa colocynthidum. Wenig gebräuchlich und nur für kleinere Thiere; für Schweine 8 Grm.; Hunde und Katzen '/j — 2 Grm.
8.nbsp; nbsp; Kamala. Pferde laxiren nach 60 Grm.; Schafe und Ziegen nach 4—6 Grm.; Hunde nach 2 — 4 Grm. Für Schafe und Hunde das stärkste und sicherste Abführmittel von allen mir bekannten Mitteln; nur Schade, dass der gegenwärtige hohe Preis den Gebrauch beschränkt — cf. Anthelminthica.
9.nbsp; nbsp;Taback. Für Wiederkäuer als Anregungsmittel für die Magenabtheilungen und in grossen Dosen mit Salzen auch durch­schlagend, deshalb bei Unthätigkeit des Wanstes und bei An­schoppung im Wanste und Psalter angezeigt. Für Rinder 60 Grm. in Decoct mit ^j Pfd. Kochsalz und 1 Pfd. Glaubersalz; für Ziegen 15 Grm. im Decoct mit 60 Grm. Kochsalz und 90 Grm. Glaubersalz.
10.nbsp; nbsp; Aloe. Bei Pferden das sicherste und gebräuchlichste Purgirmittel, sowohl bei Verstopfungen, bei Kolik, als auch zu andern Zwecken dieser Methode; bei den übrigen Thieren weni­ger sicher in der Wirkung. Das Mittel erhitzt nicht, die Tem­peratur sinkt sogar zuweilen bei eingetretenem Laxiren. Die Dosis für Pferde 30—45 Grm., für Rinder das Doppelte, für Schafe und Ziegen die Hälfte; für Pferde in Pillenform, für Wiederkäuer in Lösung. Letztere wirkt schneller und empfiehlt sich mit Glaubersalz bei Kolik der Pferde und für Wiederkäuer. Ein Zusatz von bitteren Mitteln, namentlich von Enzian, fördert und sichert die Wirkung, aber nicht in dem Grade, als Her­ford *) angegeben hat; nur eine ziemlich volle Dosis der Aloe mit 5—10 Grm. Enzian wirken sicher. Ein milderes, weniger scharf wirkendes Präparat ist das Extractum aloes aquosum, wel­ches bei Behandlung mit kaltem Wasser wenig Harz,quot; nach dem Extrahiren und Digeriren, wie es in der preussischen Phar-makopöe vorgeschrieben ist, etwas mehr Harz enthält. Die ab­führende Wirkung ist ungefähr wie von der Aloesubstanz, daher
*) The vetenarian. Vol. XXV. 1852.
.
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446nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die abführende Heilmethode.
in ziemlich gleichen Dosen anzuwenden in allen Fällen, wo Darmreizung neben der Verstopfung besteht oder gefürchtet wird.
Die Rossaloe, Aloe cabaUina, kommt wohl kaum noch im Handel vor: die durchselieinenden, glänzenden Sorten, Aloe lucida und Socotrina verdie­nen, nach den hier gemachten Erfahrungen, keinen Vorzug vor den undurch-scheinenden, leberfarbigen Sorten — Alo'e hepatica und Barbadensis. Letz­tere ist die an unserer Schule gebräuchliche Aloe in Pillenform; ihre Wir­kung ist sicher. Die hier gebräuchliche AJoesolution — aus 30 Theilen Aloil Ineida mit 36 Th. Wasser und 6 Th. grüner Seife bereitet, cfr. Begemann, Veterinär-Phannakopöe. 1864. S. 89 — enthält in 30 Grm. von der Aloe 15 Grm. 30 Grm. mit 1/4—'^ Pfd. Glaubersalz bei Kolik sehr empfehlens-werth: nach 2 Stunden eine zweite Dosis, wenn noch nicht Genesung ein­getreten sein sollte.
11, Crotonkörner und Crotonöl — Semina et Oleum crotonis. Beide Mittel sind die stärksten Drastica, die bei Pfer­den nur unter besonderen Umständen ihre zweckmässige An­wendung finden, so namentlich bei grosser Torpidität, wenn die Aloe nicht anschlagen will, bei tagelang bestandener hartnäcki­ger Verstopfung und bei möglichst schneller und starker Ablei­tung vom Kopfe. Bei Bindern ist es das wirksamste Mittel überhaupt und bis jetzt nicht wohl zu ersetzen bei hartnäckigen Löserverstopfungen und selbst bei dem Kalbefieber. Das Oel ist zuweilen verfälscht und ausserdem nach der Zubereitung von verschiedener Stärke; je heisser es ausgepresst ist, desto schwä­
cher , deshalb können verschiedene Dosen erforderlich wer­den ; bei vorschriftsmässig bereiteten, also möglichst starkem Oel ist die Dosis nach meinen eigenen mehrfachen Versuchen:
für Pferde (12 — 20 Tropfen)____nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;l/2 Grm.
!nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; , Binder.....................nbsp; nbsp;li/j—2 ,
„ Schafe.....................nbsp; nbsp;1—li/2 ,
„ Schweine..................nbsp; nbsp;'^— ^3 „
, Hunde.....................nbsp; nbsp;6 — 10 Cgr.
Den selten gebräuchlichen Samen giebt man in der drei-bis vierfachen Quantität in Pillenform, das Oel am besten mit Leinöl, noch wirksamer mit Eicinusöl; grössere Hunde laxiren von 3 — 5 Tropfen mit 15 Grm. Eicinusöl sicher und schon nach einigen Stunden.
Bei den Wiederkäuern ist eine flüssige Entleerung durch Purgirmittel schwer zu erreichen, man muss sie durch grosse Dosen der stärksten Mittel erzwingen und deshalb ist damit immer eine gewisse Gefahr verbunden, es ist eine an den äussersten Grenzen des Therapeutischen liegende Vergif-
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Gegenanzeigen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 447
tung, die nur bei Verstopfungen, aber nicht zu andern therapeutischen Zwecken angezeigt ist. Deshalb haben wir an der abführenden Methode bei den Wiederkäuern nicht eine solche ableitende und entziehende Heil­wirkung, als bei andern Thieren.
Gegenanzeigen.
Wo es sich um Förderung der gehemmten Darraausleerung handelt, da giebt es keine Contra-Indicationen gegen die aus­leerende Methode, sondern nur gegen einzelne Mittel; denn die Darmausleerung ist eine physiologische Function, die unter kei­ner Bedingung längere Zeit unterdrückt werden darf; selbst bei Darmentzündungen ist die abführende Methode nicht verboten, dieselben werden durch Anschoppungen der Contenta immer ver­schlimmert, durch Ausleerungen aber stets vermindert; es dür­fen natürlich keine drastischen Abführmittel gewählt werden. Wenn es sich dagegen bei der abführenden Methode nicht um die Ausleerung selbst, sondern um Schmelzung, Resorption, um Ableitung und Entziehung handelt, dann ist dieselbe verboten durch gesteigerte Reizbarkeit im Verdauungskanale, durch Darm­entzündung, durch einen höheren Grad von Körperschwäclie und bei Neigung zu colliquativen Durchfallen.
So vielfach diese Methode auch ihre zweckmässige Anwen­dung findet, so ist es doch ein Missbrauch, sie als eine Univer-sal-Heilmethode anzusehen und anzuwenden, wie es in England und Hannover zum Theil der Fall ist. Charlatanerie ist es, jede Kur mit einem Abführmittel einzuleiten und eine ganz rohe Charlatanerie, jede Krankheit über einen Kamm damit zu behandeln.
Die brechenerregende Methode, 1. emetica s. vomitoria.
Diese Heilmethode ist für den Thierarzt eine beschränkte, weil seine Patienten nicht alle brechen können; sie ist be­schränkt auf Schweine, Hunde, Katzen und Hofgeflügel. Die Wiederkäuer können unter gewissen Umständen auch brechen. Hie Brechmittel wirken aber bei ihnen sehr unsicher, die schärf­sten Brechmittel müssen oft in einer gefahrdrohenden Quantität
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448nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die brechenerregende Methode.
verabreicht werden, ehe das Erbrechen eintritt, das eintretende Erbrechen ist zugleich ein Symptom der Vergiftung. Es kann daher die Brechmethode wohl bei den Wiederkäuern versucht, niemals aber darf das Erbrechen bei ihnen erzwungen werden.
Ausnahmsweise können auch Pferde brechen. Im normalen Zustande ist der Sehlussapparat an der Insertion des Schlundes so innig, dass man einen frischen Magen, mit Wasser gefüllt und am Pförtner unterbunden, mit 1 bis 2 Centner belasten kann, ohne dass ein Tropfen aus dem Schlünde kommt; zuweilen habe ich jedoch auch gefunden, dass schon ein massiger Druck genügt, um die Flüssigkeit aus dem Schlünde zu treiben. In solchen ausnahmsweisen Fällen ist es nun allein möglich, dass schon geringfügige, keineswegs lebensgefährliche Krankheitszustände Erbrechen zur Folge haben.
Speciell bezieht sich demnach diese Methode auf die Thiere, welche sicher brechen, und bei diesen findet sie häufig eine zweckmässige Anwen­dung, weil sie eine mannigfaltige Heilwirkung hat. Wie es nun aber ge­wöhnlich der Fall ist, dass mit den Mitteln, die eine vielseitige Heilwirkung haben, gerade der meiste Missbrauch getrieben wird, so geschieht es auch mit der brechenerregenden Methode vielfach: das Brechmittel bei Schwei­nen z. B. ist so ganz an der Tagesordnung, es wird angewendet, ohne dass man sich immer erst speciell nach den Indicationen dazu umsieht; weil es eben ein Schwein ist, das erbrechen kann, weil man die Krankheit nicht kennt oder nicht recht weiss, was damit anzufangen ist, so muss das Brech­mittel als ein Universalmittel herhalten und aus der Verlegenheit helfen.
Das Erbrechen erfolgt durch Reizung in den Theilen, wo Fäden des Vagus undAeste des Sympathicus sich verbreiten oder entspringen. Durch Heizung im Magen, Schlünde, Schlund- und Kehlkopfe wird es am leich­testen und sichersten erregt; die Brechmittel erzeugen im Magen durch directe und speeifische Einwirkung auf die Nervenenden Erbrechen. Durch Reizung der Centraltheile kommt es ebenfalls zu Stande, man sieht es nach Erschiitterungeu des Gehirns, beim Drehen und Schaukeln eintreten; durch Reizung des Corpus striatum, des Thalamus nervi optici und der Corpora quadrigemina hat man Erbrechen erzeugt; die hypodermatisch angewendeten und die infundirten Brechmittel erregen durch Einwirkung auf die Nervencentra auch Erbrechen. Bei unseren Thieren geht aber das Er­brechen von Centraltheilen seltener aus; die Seekrankheit ist bei ihnen eine seltene Erscheinung, sie kommt aber vor und merkwürdiger Weise am meisten bei Schafen, die ich selbst auf einer Seereise von Rotterdam nach London in grosser Anzahl erkranken sah. Erbrechen in Folge eines Reizes an anderen entfernten Organen — consensuelles Erbrechen — ist bei den Thieren viel seltener, als bei den Menschen — bei trächtigen Thie­ren wird zu keiner Zeit Erbrechen von der Gebärmutter aus erregt —; nur bei heftigeren Reizen, wie z. B. bei eingeklemmten Hernien, bei Ver­schlingung und ähnlichen Zuständen sehen wir bei ihnen ein consensuelles Erbrechen.
Der Vorgang beim Brechen. Nach einer tieferen Inspi­ration wird die Stimmritze geschlossen und so dem, vor dem
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Die brechenerregende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;449
Magen angespannten Zwerchfelle durch die gefüllte Lunge eine elastische Gegenlage gegeben, der Magen selbst zieht sich vom Pförtner her zusammen, zur Unterstützung contrahiren sich die Bauchmuskeln und pressen den Magen von allen Seiten her zu­sammen, der Inhalt wird so in den Schlund getrieben, auf wel­chen die antiperistaltische Bewegung des Magens übergeht, wo­durch die weitere Expedition nach aussen erfolgt; eine tiefe Exspiration ist der Beschluss des Actes, der sich oft in kurzen Zwischenräumen wiederholt. Die Bauchpresse kann das Erbre­chen möglicherweise allein ohne gleichzeitige Contraction des Magens bewirken, wie Magendie nachgewiesen hat, und wie wir bei den Pferden oft daraus ersehen können, dass bei quer durch­gerissenen Muskelfasern des Magens an der grossen Curvatur Brechen erfolgt, so lange der Magen noch ein geschlossener Sack ist.
Die Ruptur ist die Ursache der Lähmung des Schlussapparates an der Einmündung des Schlundes, daher muss sie auch dem Erbrechen voran­gehen; die Zerreissung der Schleimhaut folgt der Muskelzerreissung früher oder später und bis dahin, wo die Schleimhaut noch nicht zerrissen, ist das Erbrechen möglich. Durch das Anlegen und Gegenpressen der Bauchein­geweide kann die Schleimhaut einige Zeit noch ganz erhalten und so ein längeres Brechen unterhalten werden.
Die Wirkungen des Erbrechens. Je nachdem der Act leicht vorübergeht oder mit grosser Anstrengung und nach­haltig geschieht, treten die Folgen in geringerem oder grösserem Umfange hervor:
1.nbsp; Ausleerung des Magens.
2.nbsp; Vermehrte Absonderung im Magen und Darmkanalo — im Dünndarme namentlich —, im Schlünde, in der Maul- und Rachenhöhle, in den Luftwegen und allen Kopfhöhlen.
3.nbsp; Pressung der Hinterleibseingeweide und Druck auf die grossen Gefässstämme; in Folge dieser Bauchpresse: a) reich­licher Erguss der Galle und des Bauchspeichels in den Darra-kanal, b) vermehrte Muskelthätigkeit im Darmkanale, nament­lich im Dünndarme, c) Förderung der Circulation in dem Ve­nensysteme des Hinterleibes, d) Congestion nach dem Ijlopfe und der Brust, wodurch wieder vermehrte Absonderung in den Schleimhäuten des Kopfes und der Lungen bedingt und der Auswurf gefördert wird.
4.nbsp; nbsp;Gesteigerte Spannung aller contractilen Fasern, mehr oder weniger heftige Anstrengung im gesammten Muskelsysteme,
GerUch Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;29
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Die brechenerregende Methode.
oft bis zur momentanen Erschöpfung in den meisten willkür­lichen Muskeln, in Folge dessen grössere oder geringere Auf­regung im Gefasssysteme, beschleunigtes Athmen und Förde­rung der Flimmerbewegung; gesteigerte Hautthätigkeit bis zum Drüsenschweiss.
5.nbsp; Eine bedeutend erregende, erschütternde Einwirkung auf das Ganglien-, Rückenmark- und Gehirnnervensystem, wie aus den gesammten Erscheinungen hervorgeht.
6.nbsp; Nach dem Erbrechen Abspannung, Erschlaffung in allen Fasern, Ermattung und gesteigerte Resorption, die, wie überall, so auch hier der vermehrten Absonderung folgt.
Bei leichtem Erbrechen kommt fast nur die Magenentlee-rung in Betracht, je schwerer es aber erfolgt, je nachhaltiger die Anstrengungen noch sind, wenn der Magen schon entleert ist, desto beträchtlicher ist die Einwirkung auf das Gefassner-vensystem, die Anspannung und die nachfolgende Relaxation der Faser, die Absonderung etc.
Die Indicationen ergeben sieh zum Theil aus diesen Wir­kungen; zuweilen, bei einzelnen Krankheitszuständcn, können wir aber die erfahrungsmässig festgestellte heilsame Wirkung aus den, uns nur in den auffälligsten Zügen bekannten Wirkun­gen des Erbrechens nicht so direct herleiten, so dass hier ne­ben den rationellen auch noch mehr empirische Indicationen bestehen.
Indicationen.
Die Brechmethode findet ihre Anwendung:
1.nbsp; Wenn sich im Schlünde fremde Körper fest­gesetzt haben, wie es namentlich bei Hunden und Katzen zuweilen vorkommt; kann hier das Brechmittel nicht mehr ver­schluckt werden, so wird es in die Vene oder unter die Haut gebracht.
2.nbsp; Den Mageninhalt zu entfernen: a) wenn eine Belästigung durch übermässigen Genuss, namentlich schwer ver­daulicher Substanzen, stattgefunden hat; b) wenn mechanisch nachtheilige Dinge verschluckt sind, die den Pförtner nicht passiren können und in dem Magen safte gar nicht oder erst sehr langsam zerfallen, daher lange Zeit hindurch im Magen verweilen, verschiedene Störungen in der Magenverdaunng,
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Indicatkmen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 451
Würgen und Husten — Magenhusten — bedingen (hierher ge­hörige Fälle sind z.B. von Rehrs im Magazin, Band X., S. 115 erwähnt); c) wenn giftige Substanzen einverleibt sind, deren weiteres Fortrücken in den Darmkanal und Aufnahme in das Blut zu verhüten ist — s. giftwidrige Methode.
3.nbsp; Bei verschiedenen gastrischen Zuständen, na­mentlich : a) bei selbststiindiger Appetitlosigkeit ohne irgend ein wahrnehmbares anderweitiges Kranksein; b) bei Unver-dauliehkeit, bei grosser Trägheit im ganzen Verdauungskanale, bei galligen Krankheitszuständen, namentlich wo grob verclauete und mehr hellgefärbte Excremente eine mangelhafte Gallenaus­scheidung andeuten etc.; in allen diesen Fällen ist das Brech­mittel entweder ein entschiedenes Heilmittel oder doch ein zweckmässiges Mittel zur Einleitung des weiteren Heilverfah­rens; die Bauchpresse, der geförderte Gallenerguss, die Steige­rung der Absonderung und Bewegung im Magen und Darmka-ruile sind hier die bekannten heilsamen Momente; wie weit die uns eben nur dunkel bekannte Erschütterung und Umstimmung des Gangliennervensystems hierbei wirksam ist, lasse ich da­hingestellt.
4.nbsp; nbsp; Bei gewissen Krankheitszuständen des Ma­gens, die man als nervöse auffast: o) bei gesteigerter Reizempfänglichkeit, so dass schon bei den gewöhnlichen Nah­rungsmitteln häufig Erbrechen eintritt, ohne dass eine entzünd­liche Reizung in der Magenwandung besteht; das Erbrechen heilt hier oft die Brechneigung — vomitus vomitu ctirandus —; Schweine und Hunde z. B. fressen das Erbrochene wieder auf, ohne es zum zweiten Male wieder auszubrechen; 6) bei unge­wöhnlicher Gefrässigkeit, wenn geniessbare und ungeniessbare Dinge mit einer Gier verschlungen, wenn selbst die eigenen Jungen — bei Säuen — nicht verschont werden. In allen diesen Fällen ist die brechenerregende Methode angezeigt.
5.nbsp; Bei katarrhalischen Krankheiten, besonders bei Lungenkatarrh, bei katarrhalischer Halsbräune, ferner bei crou-pöser Halsentzündung ist das Erbrechen durch Vermehrung der Absonderung, Förderung des Auswurfes und durch Steigerung der Hautthätigkeit ein wirksames Mittel, wodurch die noch im Entstehen begriffene Krankheit abgebrochen und die schon aus­gebildete mindestens gemildert wird.
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Die brecbenerregende Methode.
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6.nbsp; nbsp;Bei Rheumatismus, acutem und chronischem, fieberlosem, sowohl bei dem durch Erkältung, als auch, und ganz besonders, bei dem durch schweres Futter im Ueber-maass entstandenen — bei dem sogenannten Futterverschlage —, wie er bei Schweinen nach Roggen, Wicken, Wickengerste und sogar nach Roggenkleie häufig vorkommt. Rheumati­sche Contractionen — Steifheit in den Gliedern — und rheu­matische Lähmung — Kreuzlähmung — etc. sind pathische Zu­stände, bei denen ich die brechenerregende Methode als ein vortreffliches Heilmittel kennen gelernt habe, eine methodische Wiederholung ist natürlich nöthig, namentlich bei den chronisch gewordenen Zuständen.
7.nbsp; nbsp;Zur allgemeinen Erregung und Umstimmung des Nervensystems bei verschiedenen Nervenkrankheiten und nervösen Complicationen, wie namentlich bei Krämpfen und Lähmung. Im Ganzen ist hier der Erfolg sehr unsicher. Bei der Staupe stehen die Brechmittel auf der Tagesordnung, und anfangs bewähren sie sich auch als Abortivmittel, bei ausgebil­deten und vorgeschrittenen Krankheiten leisten sie aber gewöhn­lich nichts mehr, sie steigern nur noch die Schwäche und ver­schlimmern dadurch nicht selten.
8.nbsp; nbsp;Endlich kommt die Brechmethode noch vielfach in An­wendung als Präservativ- und Abortivmittel bei epi-zootischen und enzootischen Schädlichkeiten, bei allen seuchenartig auftretenden Krankheiten unter den Thieren, die brechen können. Es ist dies ein metasynkritisches Verfahren; man bringt eine allgemeine Aufregung und Umstimmung, eine Revolution im Körper hervor und erwartet davon eine heilsame Wirkung, ohne irgendwie einen bestimmten Grund für solche Erwartungen zu haben.
Natürlich darf hier die Anwendung nur versuchsweise in Ermangelung anderer sicherer wirkenden Methoden und Mittel geschehen, und in jedem concreten Falle muss dann stets der Erfolg über die weitere Zulässigkeit der Anwendung entschei­den. In solchen Fällen, wo die Heilsamkeit erfahrungsmässig festgestellt ist, da ist die Methode eben ein empirisches Vorbau-ungs- und Abortivmittel. Bei Milzbrandbräune und bei jeder anderen Milzbrandform aber habe ich von den Brechmitteln nichts Erfreuliches gesehen.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 453
Wenn mehr als eine einfache Entleerung des Magens an­gezeigt ist, dann muss die Methode auch so in Anwendung kom­men, dass die Anstrengungen und alle einzelnen Wirkungen dem Krankheitszustande entsprechend hervortreten.
Mittel.
Mittel, die sehr stark, reizend und selbst ätzend auf die Magenschleimhaut einwirken, erzeugen in der Regel Erbrechen, sie sind aber deshalb noch keine therapeutischen Brechmittel; nur solche Mittel, welche ohne erhebliche oder doch mindestens ohne gefahrbringende reizende Einwirkung auf die Magenschleim­haut das Erbrechen erregen, gehören hierher. Die gebräuch­lichsten und wichtigsten dieser Mittel sind:
1.nbsp; Kochsalz. Bei Hunden als Hausmittel beachtenswerth; Dose: 6 — 10 Grm. in 30 Grm. Wasser.
2.nbsp; Ipecacuanha. Emetin ist der wirksame Bestandtheil. Sie reizt die Magenschleimhaut am wenigsten, wirkt dabei sicher, gehört deshalb zu den milden Brechmitteln und findet ihre An­wendung ganz besonders dann, wenn es sich eben hauptsächlich um Entleerung des Mageninhaltes handelt, namentlich wenn die Magenschleimhaut schon sehr gereizt ist. Bei den Giften im Magen verdient sie überhaupt noch deshalb den Vorzug, weil sie nicht durchschlagend wirkt.
Für Schweine 2 — 4 Grm., für Hunde 1 — 2 Grm.
3.nbsp; Brech WeinsteinStihio - Kali tartaricum, Tartams stihiatus —. Bei Hunden und Katzen ein sicheres und gebräuch­liches Brechmittel, bei Schweinen ist es schwächer und weni­ger sicher, hier schlägt es sehr gern durch, die Entleerung er­folgt zuweilen nach hinten, statt nach vorn. Der Brechwein­stein wirkt örtlich scharf ein, in Substanz und concentrirten Losungen selbst ätzend. Das Erbrechen ist nach etwas grossen Gaben immer sehr stark und nachhaltig, namentlich wetfn es nicht unmittelbar nach dem Eingeben eintritt. Dies Mittel wird deshalb da recht zweckmässig angewendet, wo es sich nicht um einfache Magcnentleerung, sondern um einen tieferen Ein­griff, um eine allgemeine Erschütterung und Umstimmung etc. handelt, namentlich wo das Erbrechen als Antirheumaticum an-
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454nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die brechenerregende Methode.
gewendet wird, ferner bei paralytischen Zuständen, bei Katar­rhen und Halsbräunen etc., wobei immer die theilweise Auf­nahme des Brechmittels in das Blut mit in Betracht kommt.
Die Dose ist für Schweine '/j — 1 ^2 Grm., für Hunde und Katzen 5 —10, bei grossen Hunden selbst bis 15 Cgr., für Ge­flügel 2 — 5 Cgr. am besten in ungefähr 50 Th. Wasser gelöst.
Etwas zu grosse Gaben innerlich sind nicht gefährlich, weil das Er­brechen bald eintritt und das noch vorhandene Brechmittel mit ausgcstos-sen wird; nach Unterbindung des Schlundes tödten 24 Cgr.— Orfila—; zur Injection in die Venen und unter die Haut eignet sich der Brechweinstein nicht; Dosen, die innerlich sicher wirken, erzeugten bei der hypoderma-tischen Anwendung kein Erbrechen, während selbst üprocentige Lösun­gen noch Entzündung machten, und nachträglich ein Stückchen Haut mit Zellgewebe ausfiel. Nach Hertwig's Versuchen bewirkten 6 — 12 Cgr. (1 — 2 Gr.) erst nach '/j Stunde leichtes Erbrechen, während 24 Cgr. schon tödtlich waren.
4. Weisse NiesswurzelRadix varatri albi. Das speeifischste Brechmittel bei unseren Hausthieren; bei allen erregt es antiperistaltische Bewegung und Brechanstrengung. Bei Pfer­den erfolgt allerdings kein Ausstossen des Mageninhaltes, wohl aber Versagen des Futters, Salivation — Uebelkeit —, ver­mehrtes Darmgeräusch, Mistabsatz und nicht selten selbst Brech­anstrengung. Dieses Mittel kann deshalb selbst bei Pferden als Brechmittel angewandt werden, um eine lebhaftere Darm­bewegung überhaupt und auch antiperistaltische zu erregen, na­mentlich bei eingeklemmten Brüchen, Leistenbrüchen.
Gestütsthierarzt Wameke in Gelle hat, nach mündlicher Versicherung, den eingeklemmten Hodensack-Darmbruch schon bei einigen, unter heftigen Kolikzufällen erkrankten Hengsten durch eine Dose von 8 Grm. (2 Dr) Niesswurzel geheilt.
Für Wiederkäuer ist die weisse Niesswurzel bis jetzt das einzige brauchbare Brechmittel; das Erbrechen tritt bei Rindern nicht immer nach unschädlichen Dosen ein und ist so­mit auch durch dieses Mittel nicht zu erzwingen, es erregt aber Salivation, eine grosse Darmthätigkeit und leistet mehr, als jedes andere bisher bekannte Brechmittel. Bei Schafen wirkt dieses Brechmittel schon viel sicherer; bei Schweinen ist es das wirksamste, sicherste und gebräuchlichste. Bei Hunden hat es bisher nicht die verdiente Rücksicht gefunden; obwohl der Brechweinstein sicher wirkt, so verdient doch die Niesswur­zel und deren wirksames Princip in den meisten Fällen den
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 455
Vorzug, sie wird viel besser vertragen (besonders bei gereizter Magen- und Darmschleimhaut, wo der Brechweinstein immer mehr schadet als nützt), namentlich aber bei der Staupe, bei der die Wirkung eine ganz specifisch heilsame und die Niess-wurzel im Stadio der Vorboten ein Coupirmittel ist; wenn die Schleimhäute der Verdauungswege besonders afficirt sind — die gastrische Form —, dann ist die en- und hypodermatische Anwen­dung angezeigt. Die Wurzel wird am besten endermatisch an­gewandt; ein Decoct aus 1 Theil mit 50 Theilen Wasser — nach ursprünglicher Vorschrift Weissbier — wird als Bad resp. Wäsche über den ganzen Körper benutzt.
Die Dosen innerlich sind: für Pferde, Schafe und Ziegen 8—12 Orm., für Rinder 12 — 15, höchstens 25 Grm., tritt nach der letzten Dose kein Erbrechen ein, so muss man darauf ver­zichten; für Schweine '/a — l1^ Grm., Hunde 5—10 Cgr. Möhrs — Magazin, Bd. 6. S. 7-5 — sah eine Kuh nach 6 Scrupel bre­chen; Schroder sah nach l/2 Unze in einer Stunde 2mal Erbrechen; Lindenherg erzielte das Erbrechen bei Kühen durch l'/j — 2 Un­zen ohne weitere Folgen. Andererseits ist nach 2 und 3 Unzen kein Erbrechen beobachtet. Dosen von einer Unze ab sind nicht mehr ohne Gefahr für die Thiere.
Veratrin. Das wirksame Princip der Wurzel verdient den Vorzug vor der Wurzel selbst in sofern, als es sicherer wirkt und recht gut hypodermatisch angewandt werden kann. Für Hunde verdient es entschieden den Vorzug; das umständ­liche Niesswurzelbad, welches in kalten Jahreszeiten bei Mangel an warmen Räumlichkeiten nicht gut ausführbar ist, kann durch eine leichte Injection unter die Haut ersetzt werden. Die Dose zur hypodermatischen Application ist für Pferde und Rinder 12 bis 15 Cgr., für Hunde ^ — 1 Cgr.
Ein einjähriger Bulle zeigte nach 12 Cgr. eine schwache Wirkung, nach 24 Cgr. binnen 2 Stunden starkes Erbrechen, das einige Stunden an­hielt: darauf fortwährendes, gezwungenes Wiederkäuen, das Thier konnte kaum so viel kauen und wieder verschlucken, als ohne Anstrengung ganz wie beim Wiederkäuen im Schlünde aufwärts stieg; der auf 100 gestiegene Puls beruhigte sich wieder, alles schien gut zu gehen, einige Stunden dar­auf, 8 Stunden nach der Injection, lag er todt im Stalle. Die Obduction wies gar keine Veränderung nach.
5. Zinkvitriol. Ein sicheres Brechmittel, das dieSchleim-haut des Magens weniger angreift, wie der Brechweinstein, und
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456nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die brechenerregende Methode.
nicht durchschlägt. Bei Vergiftungen, besonders bei narkoti­schen, sehr gebräuchlich. ~
Für Schweine */;, — 1 Grm., für Hunde 15 — 20 Cgr. in SOfacher Menge Wasser.
Durch Verabreichung von Flüssigkeiten vor und nach dem Brechmittel wird das Erbrechen erleichtert, wenn es daher auf Entleerung des Magens ankommt, dann lässt man dem Brechmittel warmes Wasser folgen; bei scharfen Giften im Magen und bei mechanisch nachtheilig wirkenden fremden Körpern giebt man neben Brechmitteln schleimige und ölige Flüssigkeiten. Wenn es sich dagegen so recht eigentlich um die heftigsten Erschüt­terungen, Zusammenpressungen, um Steigerung der Absonde­rungen, um Abbrechen entzündlicher Zustände etc. handelt, dann wird zur Erleichterung nichts gethan, die stärkeren Dosen und wiederholte Anwendungen sind hier an ihrem Orte.
Gegenanzeigen.
Im Ganzen sind die Gegenanzeigen bei unseren Thieren selten. Wo ein gefährliches Gift oder ein fremder Körper im Schlünde zu entfernen ist, da schweigen alle weiteren Rücksich­ten. Bei weniger entschiedenen und dringenden Indicationen treten die Contra-Indicationen hervor: 1) bei Entzündungen edler, blutreicher Organe, Gehirn- und Lungenentzündungen, bei Herzleiden und wenn die reizende Einwirkung des Brech­mittels auf den Magen zu fürchten ist — bei entzündlicher Rei­zung oder Entzündung des Magens, bei Magengeschwüren; das hierbei etwa vorhandene Erbrechen darf nicht zum Brechmitte,! verleiten —; 2) wenn die mechanische Erschütterung, die Baucb-presse nachtheilig werden kann — bei grossen Bauchbrüchen, Neigung zu Vorfällen; bei Trächtigkeit schadet ein massiges Brechmittel nicht, gewaltsame und anhaltende Anstrengungen aber können Abortus bringen —; 3) endlich bei hohen Graden von Schwäche, wenn die ermattende, abspannende Wirkung des Brechmittels gefahrbringender ist, als seine heilsame Wirkung angeschlagen werden kann. Ist ein zu heftiges und anhaltendes Erbrechen — Hyperemesis — eingetreten, so dass die Abmattung, Magenreizung etc. gefahrdrohend werden, dann ist dagegen ein-
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Die auswurfbefördernde Methode.
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zuschreiten. Kaltes Wasser, Brausepulver — Natr. hicarhonic. 2 Theile mit Acidvm tartaric. 1 Theil —, schleimige Mittel, narkotisdhe, namentlich Bilsenkraut, Opium und gerbstoffhal-tige Abkochungen oder Tanninsäure, wodurch die brechen­erregenden Alkaloide gefällt werden, sind im Aligemeinen die wirksamsten Antemetica bei unseren Thieren.
Auswiirfbefördernde Methode, Hl, expeetoraiis.
Die Luftwege von der Nase ab bis zu den feinsten Bron­chien und den Terminalbläschen gebahnt zu erhalten. Das Fremdartige zu entfernen, Reizzustände zu beruhigen, auf das erkrankte Gewebe in den Luftwegen direct einzuwirken und krankhafte Absonderung zu hemmen, alles dies ist letzter Zweck der expectorirenden Methode.
gt;:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ludicationen.
1, Schleiraanhäufung, Eiter-, Jauche und Blut-Er-guss in den Luftwegen. Schleim wird stets abgesondert zur Feucht- und Schlüpfrigerhaltung der Luftwege, es kommt jedoch im gesunden Zustande nicht zur Anhäufung, die Wimperbewe­gung arbeitet unaufhörlich an der Fortschaffung nach aussen, und wo dies nicht ausreicht, da kommt ein Hustenstoss zu Hülfe. Bei Erkrankungen der Schleimhäute aber, von einfacher Irrita­tion bis zur ausgebildeten Entzündung, tritt ein Stadium ein, wo die Absonderung abnorm ist, und bei den sogenannten chroni­schen Lungenkatarrhen besteht fortwährend eine copiöse Abson­derung eines mehr zähen Schleimes, wodurch die Bronchien theilweise verstopft werden, besonders wenn der Auswurf wegen Schwäche oder mangelhafter Reizbarkeit in den Bronchien zu­gleich beeinträchtigt ist. Die nächste Folge hiervon ist Unvoll­ständiges Athmen, denn jeder Bronchus führt zu einer bestimm­ten, mit seiner Grosse im gleichen Verhältnisse stehenden An­zahl Lungenbläschen, die bei seiner Verstopfung natürlich unthätig — erstickt — sind; in weiterer Folge aber können sich selbst organische Veränderungen ausbilden, so namentlich Ausdehnun-
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458nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auswurfbefcirdernde Methode.
gen und stellenweise Aussackungen auf Kosten des Lungenge­webes — Bronchiektasen, Emphyseme, vesiculäre und intercel-luläre —, wodurch bleibende Athembeschwerden bedingt werden. Ergüsse von Eiter, Jauche und Blut werden mechanisch auf dieselbe Weise nachtheilig, wenn sie nicht ausgeworfen werden, und bei Anfüllungen grösserer Bronchien bedingen sie selbst den Erstickungstod.
Rasseln — Schleimrasseln —, selbst Röchein und Abfluss aus der Nase lassen auf Anhäufungen von Auswurfsstoffen in den Lungen schliessen.
Anhäufungen von solchen Stoffen in den Nasenhöhlen, deren Nebenhöhlen und den Luftsäcken sind namentlich bei dem Pfer-degeschlechte, das nicht durchs Maul athmen kann, eine wohl
( zu beachtende Indication zur Förderung des Abflusses. 2. Oroupöses Exsudat in den Luftwegen. Nicht selten tritt bei Lungenentzündung mehr oder weniger Faserstoff in die Bronchien, der hier gerinnt und so dieselben zum Thoil ausfüllt — Bronchialcroup —; deshalb ist denn auch nach den Fneuincnien die expectorirende Methode oft angezeigt; die Fa­serstoffstränge schrumpfen nach und nach zusammen, werden auch wohl theilweise resorbirt und dadurch flott gemacht, so dass sie leicht ausgehustet werden können, namentlich bei etwas vermehrter Schleimabsonderung. Faserstoffplatten im Ver­laufe der Luftröhre und im Kehlkopfe — Croup — kommen bei Haussäugethieren selten, bei Hühnern aber häufig vor, wo sie vorhanden sind, indiciren sie die Beförderung des Auswurfes. 3. Lungenwürmer — Strongylus ßlaria hei Schafen, raquo;St. !nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;micrurvs bei Kälbern und St. paradoxus bei Schweinen —. Ge-
genstand der Behandlung sind' die Lungenwürmer fast nur bei Schafen, bei diesen kommen sie sehr häufig und in manchen Jahrgängen so verbreitet vor, dass in ganzen Gegenden alle Schafheerden mehr oder weniger daran leiden. Die älteren und kräftigeren Schafe werfen sie gewöhnlich aus, wenn sie nicht durch anderweitige Krankheiten oder durch Mangel an gutem Futter in einen höheren Grad von Körperschwäche verfallen; bei den Lämmern, namentlich bei den Schwächlingen, häufen sie sich in ganzen Klumpen an, unterhalten eine reichlichere Schleimabsonderung und führen schliesslich durch Schwäche und Erstickung zum Tode. Von dem Auswurfe dieser Würmer hängt die Rettung ab — s. wurmwidrige Methode.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;45!raquo;
4.nbsp; Grosse Reizbarkeit und Reizlosigkeit in den Luftwegen. Im Beginn katarrhalischer Krankheiten ist die Absonderung vermindert, die Schleimhäute sind mehr trocken, und ein grosser Hustenreiz ist vorhanden; der Husten selbst ist trocken, schmerzhaft, beunruhigend und nur geeignet, den Zu­stand zu verschlimmern, daher fordert er zur Anwendung der Expectorantien auf, welche die Absonderung vermehren. Auch in den Fällen, wo eine gesteigerte Reizbarkeit der Vagusäste die Grundursache eines häufigen, trockenen Hustens ist, wo der Husten mehr ein nervöser genannt werden kann, wie man ihn namentlich bei Hunden zuweilen sieht, auch hier ist unsere Methode angezeigt. Bei den dämptigen Pferden, die viel von einem trockenen, dumpfen Husten geplagt werden, ist die ex-pectorirende Methode ein Palliativmittel.
Reizlosigkeit hat Anhäufung normaler Secrete zur Folge, sie kommt für sich allein, neben allgemeiner Schwäche, vor allem aber bei Lungenparese vor und verlangt unter allen Um­ständen mehr oder weniger kräftige Anregung zum Ausstossen.
5.nbsp; nbsp;Erkrankung der Schleimhaut über die gewöhn­lichen Functionsstörungen hinaus, tiefere Gewebserkrankungen bis zu Gewebszerstörungen — Ulceration und Lungencavernen. Bei diesen Indicationen verbindet sich mit der Expectoration noch der Zweck der directen Einwirkung auf das erkrankte Gewebe, die ulcerirenden und granulirenden Flächen.
Mittel.
I. Lösende, Absonderung und Auswurf beför­dernde, direct auf den Krankheitsheerd einwir­kende Mittel. Diese Klasse von Mitteln ist sehr gross, weil die Zustände eben gar sehr verschieden sind, die gelöst sein wollen.
1. Die Wasserdampf - Inhalation, die sogenann­ten Dunstbäder. Wasser wird bis zum Sieden erhitzt und den Thieren zum Einathmen des Wasserdampfes vorgesetzt; grösseren Thieren hängt man eine Decke über Kopf und Hals, die bis zur Erde reicht, das Dampfgefäss mit einschliesst, und so die Dämpfe zum Inhaliren zusammenhält; noch concentrirter gelangen die Dämpfe zum Einathmen, wenn man das Dampf­gefäss in einen Sack stellt, in dessen offenes Ende die Nase des
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460nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die auswurfbefördemde Methode.
betreffenden Thieres gesteckt wird; mit den kleinen Thieren ver­fahrt man, wie bei dem Dampfbade — c. S. 471. Um das Erkalten zu verzögern, das Verdunsten länger zu unterhalten, macht man verschiedene Zusätze; schleimige Substanzen binden die Wärme am besten, sie beschränken aber zugleich das Verdunsten, des­halb setzt man nur wenige schleimige Substanzen oder lieber feste Substanzen hinzu; Asche und Heusamen entsprechen am besten, letzterer natürlich, wenn man das Aroma nicht fürchtet; Zusatz von Gerste hat keinen anderen Zweck. Beim Erkalten kann man recht zweckmässig durch heisse Steine oder Glühei­sen die Verdunstung erneuern. Die Wasserdämpfe werden rein oder mit flüchtigen Stoffen versetzt angewendet.
d) Die reinen Wasserdämpfe finden ihre Anwendung, wenn es sich nur um Lösung, Erweichung und Verflüssigung der Auswurfsstoffe handelt, oder wenn man die Schleimhaut anfeuch­ten, schlüpferig machen, die Spannung und entzündliche Rei­zung mildern will.
b)nbsp; Aromatische Wasserdämpfe werden dann angewen­det, wenn man zugleich erregend und mehr tonisch auf die Schleim­haut einwirken will, bei Katarrhen im zweiten Stadio, bei ver­schlepptem Katarrh, bei starkem und dicksehleimigem, puru-lentem Ausfluss. Heusamen, Schafgarbe, Rainfarrn, Thymian und die Münzarten sind die geeigneten Zusätze zu dem sieden­den Wasser.
c)nbsp; Narkotische Wasser dämpfe bei grosser Reizbarkeit, bei quälendem trockenen Husten. Chamillen, Belladonnakraut und andere narkotische Kräuter zugesetzt.
d)nbsp; Schwefelwasserstoffhaltige Wasserdämpfe. Ein specifisches Schleimhautraittel der Luftwege, besonders bei hart­näckiger Auflockerung, bei dickschleimigen purulenten Ausflüs­sen, bei chronischer Bronchitis. Am billigsten und praktisch­sten ist die Bereitung durch Zusatz von Schwefelleber und Schwefelsäure. Auf ein Dampfbad für ein Pferd z. B. setzt man zu circa 3/4 Eimer heissen Wassers 10 — 15 Grm. Kali sulphu-ratum mit gleichen Theilen verdünnter Schwefelsäure.
2. Die Wasserstaub-Inhalation, conf. Inhalation Seite 291. Eine vorzügliche Methode, bestimmte nicht flüchtige Arz­neien direct auf den Krankheitsheerd einwirken zu lassen. Die betreffenden Mittel werden in Wasser gelöst, die Lösungen pul-verisirt und die so gebildeten Staubtheilchen — die Nebelbläs-
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Mttel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;461
chen — eingeathmet. So sind namentlich Solutionen von Höl­lenstein — 1 — 2 Grm. — oder Tannin — 2 — 3 Grm. auf 30 Gramm Wasser — bei profusen purulenten Absonderungen in den Bronchien, bei eiterigen Lungenfiltrationen, bei chronischen Schleimhautverdickungen, bei Bronchiektasien, Ulcerationen, ei­terigen Infiltrationen und Cavemen die besten Heilmittel, die es bei dergleichen pathologischen Zuständen giebt. Leider lässt die Anwendung namentlich solcher Solutionen bei den grossen Haus-thieren noch viel zu wünschen übrig; deshalb wird denn auch die­ses directe Heilverfahren in der Thierheil künde wohl nicht die hochwichtige praktische Bedeutung bekommen, wie in der Medicin.
3.nbsp; Inhalation specifischer Mittel. Hier kann natür­lich nur von solchen flüchtigen Mitteln die Rede sein, die eine directe specifische Einwirkung auf das erkrankte Gewebe äus-sern. Als solche Mittel sind namentlich Chlor und Jod zu be­zeichnen. Das Chlor wird besonders als reizendes, umstimmen­des, antiseptisches und anticontagiöses Mittel inhalirt. Die Chlor­dämpfe entwickelt man im Stalle oder in einer Flasche — die rauchende Flasche —, letzteres geschieht, um die Dämpfe auf ein bestimmtes Thier in einem mehrfach besetzten Stalle oder um sie concentrirter in ein bestimmtes Nasenloch einwirken zu lassen. Chlorkalk in einer Flasche wird mit Wasser zur schwa­chen, mit Essig zur stärkeren und mit verdünnter Salzsäure zur stärksten Chlorgasentwickelung übergössen, und die rau­chende Flasche dem Thiere vor resp. in die Nase gehalten.
Joddämpfe sind als specifisches Coupirmittel bei begin­nenden Nasen- und Luftröhrenkatarrhen zu empfehlen; sie sind auch bei diphtheritischen und specifischen Processen in der Schleimhaut zweckmässig anzuwenden. Dass sich das Jod mit der Schleimschicht der Schleimhaut oder mit letzterer selbst verbindet, ist daraus zu entnehmen, dass man nach dem Ein-athmen der Joddämpfe Stunden lang noch Jod riecht, wo kein Jodgeruch ist. Die Entwickelung der Joddämpfe geschieht einfach durch Erwärmung der Jodtinctur oder kräftiger, durch Aufträufeln derselben auf eine fast heisse Stein- oder erwärmte Schieferplatte.
4.nbsp; Zuckerhaltige Substanzen. Sie alle sind Schleim­hautmittel; ob sie bloss consensuell durch ihre Einwirkung auf Maul- und Rachenschleimhaut und namentlich auf die Zunge —
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462nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die answurfbefördernde Methode.
durch den süssen Geschmack — eine vermehrte Absonderung in den Respirationswegen erzeugen, oder ob sie nach dem Ueber-gange in das Blut von hier aus auf alle Schleimhäute einwir­ken und die Absonderung vermehren, ist noch nicht recht ent­schieden; so viel steht aber fest, dass sie die Absonderung in der Schleimhaut der Luftwege vermehren, auf diese Weise lösen und den Auswurf befördern. Die zuckerhaltigen Nahrungsmit­tel — die Runkel- und Mohrrüben, der Malz etc. — sind em-pfehlenswerthe diätetische Expectorantia.
5.nbsp; nbsp;Schwefel- und Antimonial mi ttel. Sie sind aner­kannte Brustmittel, der Schwefel wurde deshalb ehedem als Bal-sunnun pulmonum bezeichnet; sie fördern neben ihrer resolvi-ienden Wirkung ganz speciell die Absonderung in den Schleim­häuten. Schwefelblumen, Spiessglanz, Mineralkermes und Goldschwefel sind die wichtigsten dieser Mittel. Durch eine Mischung von gleichen Theilen Schwefel und Spiessglanz kann man den theuren Goldschwefel bei Thieren ersetzen.
6.nbsp; Salmiak. Ein Schleimhautmittel, das überhaupt bei allen Schleimhautleiden, besonders aber als absonderungför­derndes Brustmittel seine Anwendung findet; bei Entzündungen im Stadium der Strictur und verminderter Absonderung mit den kühlenden antiphlogistischen Salzen — Salpeter, BrechWein­stein —, bei den einfachen Katarrhen je nach Umständen mit dein einen oder anderen der bereits erwähnten Brustmittel in Verbindung.
7.nbsp; Mehrere ätherisch - ölige Mittel. Die mehr süss-ätherisch-öligen, als namentlich: Dill-, Anis-, Fenchel- und Wasserfenchelsamen und Wachholderbeeren sind die milderen Mittel dieser Klasse, welche die Schleimabsonderung in den Luftwegen auf specifische Weise fördern; sie sind beim Katarrh im letzten Stadium und namentlich bei den chronischen Katarrhen angezeigt. Zu den mehr erregenden scharfen Brust­mitteln gehören: Meerrettig, Angelica, Pimpinell- und Bertramwurzel, die alle ihre Anwendung in den genannten Leiden finden, wenn mehr ein torpider Charakter ausgespro­chen ist.
8.nbsp; nbsp;Die Balsame. Alle, den gemeinen Terpenthin und den Theer nicht ausgenommen, sind specifische Schleimhautmit­tel, an der Spitze steht aber der Copaivabalsam; sie finden deshalb auch hier ihren geeigneten Platz. Bei frischen katar-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 463
rhalischen und entzündlichen Leiden pafeen sie freilich gar nicht, ilesto entschiedener aber bei den blennorrhoischen Zuständen aller Art und aller Orten und um so mehr, je copioser und pu-julenter die Absonderungen sind. Bei der schlaffen Auflocke­rung bis zur Erweichung und eiterigen Absonderung im zwei­ten Stadio der Staupe, wobei sich so gern Eiterinfiltration in den Lungen, Vereiterungen in den Nasenhöhlen und der Conjunctiva bilden; in diesem fast hoffnungslosen Stadio ist Balsamus Copai-vae innerlich das Mittel, zu dem man seine Zuflucht oft noch mit Erfolg nehmen kann. Täglich 1 ^— 2 Gnn. für Hunde, 15 bis 30 Grm. für Pferde pro Tag in Pillen oder mit Eigelb zur Emulsion.
9. Die Brechmittel. Ein kräftiges Expoctornnz durch Anregung der Flimmerbewegung, durch Vermehrung der Ab­sonderung und namentlich durch gesteigerte Contraction in den Bronchien und Terminalbläschen. Bei Ansammlungen von Schleim in den Bronchien in Folge von Schwäche, Atonie und Lungen parese das wirksamste Mittel, das den unterdrückten oder zu schwachen Husten ersetzt: conf. S. 451.
II. Reizend auf die Schleimhaut wirkende, hu­stenerregende MittelBecchica —. Die Stoffe, welche sich in den Luftwegen einfinden und mehr oder weniger anhäu­fen, wirken meist schon als hustenerregende Mittel, weil die Natur mit den Empfindungsnerven des Kehlkopfes und in den Bronciiien den Bewegungsapparat verknüpft und von ihnen ab­hängig gemacht hat, der durch plötzliches Zusammenpressen der Lungen einen Luftstoss aus den Lungen bewirkt, — der Husten ist eine von den Luftwegen hauptsächlich anregbare Ueflexaction. So lange Reizempfänglichkeit in den Luftwegen und das Rückwirkungsvermögen normalmässig ist, so lange be­darf die Natur in der Regel keiner Unterstützung, oft ist je­doch der von den Auswurfsstoffen in den Bronchien erzeugte Reiz nicht stark genug, um Husten, namentlich um einen so kräftigen Husten zu erregen, als zum Ausstossen der Stoffe nöthig ist; dies sehen wir bei verminderter Reizbarkeit in den Luftwegen, bei einer gewissen Torpidität, bei grosser Körper­schwäche Und bei beginnender Lähmung — Paresis —, die eben dadurch gefahrvoll und tödtlich wird, dass sich wegen Man­gels an Auswurfsvermögen die Bronchien nach und nach füllen, und so der Erstickungstod folgt. Die hier angezeigten husten-
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Die auswurfbefördende Methode.
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erregenden Mittel sind^ Empyreumatische Dünste, die man durch Verbrennen von animalischen und verschiedenen ve­getabilischen Substanzen — Leder, Haare, Wolle, Horn, Harze, Theer, Zucker etc. — erzeugt und einathmen lässt; neben der hustenerregenden Wirkung befördern sie zugleich die Schleim-absonderung und zwar um so mehr, je weniger concentrirt und je länger sie eingeathmet werden. Ferner schwefelig-saure Dämpfe — durch Verbrennen von Schwefel erzeugt — und Salmiak dämpfe; letztere, die zu den reizendsten gehö­ren, entwickelt man durch Aufstreuen des Salmiaks auf heisses Eisen.
Die Niesen erregenden Mittel — Sternutatoria —, die durch Reizung der Nasenschleimhaut einen kräftigen Luftstoss durch die Nase erzeugen, finden bei Thieren selten Anwendung — s. wurmwidrige Methode.
III. Hustenliudern de Mittel — Antihecchica —. Diese sind angezeigt bei häufigem Husten, ohne dass Auswurfstoffe vorhanden sind, bei trockenem und schmerzhaftem Husten, wel­cher die Patienten beunruhigt und Krankheitszustände in den Lungen verschlimmert, wie dies namentlich bei entzündlichen Reizungen und verminderter Absonderung in den Luftwegen, bei Lungenentzündungen, bei und nach Lungenblutungen und bei Emphysemen der Fall ist.
Zu diesen hustenstillenden Mitteln gehören: die bereits erwähnten Wasserdünste, besonders die narkotischen, ferner die süssen und schleimigen Mittel und die beruhigenden Narkotica innerlich. Brechmittel sind oft die besten Antihecchica. Sofern der Hustenreiz ein entzündlicher im Kehlkopfe ist, stillt man den Husten durch Hautreize in der Kehlkopfgegend.
1
Gegenanzeigen.
Wo die Förderung des Auswurfes nothwendig ist, da giebt es keine Gegenanzeige gegen die Methode, sondern nur gegen die Mittel, welche, wie wir gesehen haben, zum Theil von ganz entgegengesetzter Wirkung sind, weshalb diejenigen auch alle­mal contraindicirt sein müssen, welche den angezeigten in der Wirkung gegenüberstehen. Bei einem hohen Grade von Kör­perschwäche können heftige und anhaltende Hustenreize Todes-
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Diaphoretische Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 465
Ursache werden; ist die hustenerregende Wirkung mehr zu furchten, als die directe Einwirkung auf die erkrankte Schleim­haut nützt, so sind solche Reizmittel verboten; grosse Athera-noth verbietet heisse Dunstbäder.
Diaphoretische Methode, M. diaphoreticlaquo;.
Diese Methode hat nicht allein die Aufgabe, tropfbar-flüs­sigen Schweiss — Drüsenschweiss — hervorzutreiben, sondern auch die gesunkene thierische Wärme zu heben — Erwär-mungskur —, die unmerkliche Perspiration — Ferspiratio in-sensibilis — und den Athmungsprocess auf der Hautfläche zu fördern. Die Mittel dieser Methode sind deshalb nicht bloss die schweisstreibenden — Sudorifera —, sondern die gesammte Hautthätigkeit fördernden — Diaphoretica. Die Schweisskuren linden in der Thierheilkunde nur beschränkte Anwendung, weil es einmal an den wirksamsten Mitteln fehlt — von den heissen Luft- und Dampfbädern können wir keine Anwendung machen —, und ausserdem die Haut nicht bei allen Haustbieren zum Schwitzen geeignet ist.
Je mehr die Haut bei den verschiedenen Thiergattungen physiologisch tliiitig ist, je reichlicher die materiellen Ausscheidungen im normalen Zu­stünde sind, desto bedeutungsvoller ist sie in ätiologischer Beziehung, und Je mehrseitig sie in ihrer gestörten Thätigkeit die Quelle von Krankheiten ist, um so vielfacher ist auch ihre erhöhte Thätigkeit heilsam bei Krank­heiten. Bei den Thieren, deren Hautthätigkeit physiologisch sehr niedrig steht, kommen Krankheiten durch gestörte Hautthätigkeit selten zu Stande, bei diesen ist denn auch durch die Hautthätigkeit sehr wenig auf Krank­heiten einzuwirken. Bei Pferden, Schafen, Ziegen und Schweinen ist die Haut am thätigsten, namentlich aber bei Pferden; sehr beschränkt ist sie bei dem Kinde, dessen Schweissdriiseu unvollkommen und nur einfache, blind endigende Schläuche sind — Gztrlt, Untersuchungen der Haut.. Maga­zin Bd. 1. S. 213 —, weshalb dasselbe auch äusserst selten und dann immer nur in sehr geringem Grade Drüsenschweiss zeigt; ganz unbedeutend aber ist sie bei Hunden, die nicht wirklich schwitzen und bei denen selbst die Ausdiln-stmig höchst unbedeutend ist, die immer eine Hauptquelle in den offenen Kanäl-chen der Schweissdriiseu hat. Dem entsprechend findet auch die diaphore­tische Methode bei dem Pferde im weitesten Umfange, von einfacher Stei-
Gerlach Allg. Therapie. 2. AuQ.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;30
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Diaphoretische Methode.
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gerung der Ausdünstung bis zum Heraustreiben des Drüsenschweisses statt; das Rind ist durch diese Methode nicht zum Schweissvergiessen zu brin­gen, und bei dem Hunde kann ihr in der Vermehrung der unmerklichen Perspiration wohl kaum noch ein therapeutisch wirksamer Effect zuerkannt werden.
Die abnormen Zustände, welche ihren Ursprung in gestör­ter Hautthätigkeit haben, zerfallen in zwei Gruppen.
1,nbsp; nbsp;Die durch eine momentane Abkühlung ent­stehenden, die Erkältungskrankheiten — die rheuma­tischen und katarrhalischen Krankheiten, selbst Entzündungen. Diese lassen sich nicht von der Retention der Hautschlacken — Scoria nach Dzondi — herleiten, der Impuls dazu muss vielmehr in der Einwirkung auf die Empfindungsnerven der Haut gesucht werden; denn: a) es kommt nicht auf den Grad der Abkühlung, sondern auf die Schnelligkeit derselben an; allmälig lässt sich die Hauttemperatur tief herabdrücken und die Ausdünstung auf eine nicht zu lange Zeit bis Null reduciren ohne alle Folgen, während eine plötzliche Abkühlung nur um einige Grade so­fort und zuweilen sehr bedeutende Störungen zur Folge hat, Erkältungskrankheiten bedingt, wenn die Hauttemperatur auch gleich wieder in dem früheren Grade hergestellt wird; 6) es bedarf oft nur der plötzlichen Abkühlung an einem klei­nen Körpertheile von wenigen Quadratzollen, um Erkältungs­krankheiten hervorzurufen, während eine vorsichtige Entblössung des ganzen Körpers nicht schadet; c) die Haut lässt sich durch Kälte abhärten gegen die Kälte; d) der acute Rheumatismus eines Pferdes kann nach einem kalten Trunke im erhitzten Zustande nicht gut von zurückgehaltenen Hautschlacken ab­geleitet werden; e) endlich haben die Störungen nach einem Firnissüberzuge der Haut keine Aehnlichkeit mit jähen Erkäl­tungen.
Wenn nun auch diese Gruppe von Krankheiten nicht auf Retention der Hautexcrete beruht, so ist die diaphoretische Me­thode namentlich im Beginn nichtsdestoweniger von Wirksam­keit, und zwar weniger durch materielle Ausscheidung, sondern vielmehr durch Ableitung, die gerade von da aus am sichersten erfolgen kann, von woher die Ursachen gewirkt haben.
2.nbsp; nbsp;Störungen, die durch dauernde Unterdrückung der Hautthätigkeit erzeugt und in Retention solcher Stoffe begründet sind, welche durch die Haut ent-
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Diaphoretische Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;467
fernt werden; Störungen, die selbstständig auftreten und Krank­heiten darstellen, die aber auch und vorzugsweise neben vor­handenen Krankheiten hergehen, dieselben unterhalten und stei­gern, wie jede andere Unterdrückung wichtiger Ausscheidungen.
Die Haut ist auch wirkliches Athmungsorgan, sie nimmt Sauerstoff auf und giebt Kohlensäure ab. Das Hautathmen steht mit dem Lungenathmen in einem bestimmten Verhältnisse, dort ist die Inhalation des Sauerstoffes, hier die Exhalation der Kohlensäure vorherrschend, vermindertes Lungen­athmen hat gesteigertes Hautathmen neben sich, beide Organe, Haut und Lungen, stellen erst den vollständigen Kespirationsapparat dar; die Lun­gen können die Haut in dieser Function eine Zeit lang übertragen, aber nicht für die Dauer, namentlich nicht hinsichtlich der auszuscheidenden Kohlen­säure, die durch die Haut stets in beträchtlichen Quantitäten abgeht. — Conf. meine Abhandlung über das Hautathmen in Müller's Archiv, 1851, Seite 431.
Die Haut ist auxilär für Leber und Nieren, sie scheidet Kohlenstoff-hydrate aus, wie Lunge und Leber, und Zersetzungsproducte von Stick­stoff, wie die Nieren. Der Drüsenschweiss enthält: Milchsäure, Cholestea-rin, Fettsäure, viel Kohlensäure, etwas Ammoniak und Spuren von Harn­stoff, liiicksichtlich des Wassers steht die Hautthätigkeit in einem anta­gonistischen Verhältnisse mit Niere und Darm. Ausserdem werden auch noch ganz speeifische flüchtige Stoffe ausgeschieden, wodurch die Hautausdiinstung hei jeder Thiergattung eine speeifische Beschaffenheit bekommt; selbst in­dividuell ist die Hautausdiinstung bei derselben Gattung verschieden, wie die Hunde, die ihren Herrn mit der Spürnase auffinden, beweisen.
Wenn alle diese Verhältnisse schon die dringende Vermuthung erregen, dass Uctentionen der Hautexcrete für die Dauer nicht ohne Folgen sind, und bei dem Menschen die habituellen Fussschweisse, die ohne Gefahr für die Gesundheit nicht unterdrückt werden können, offenbar für die nach­theilige Wirkung der zurückgehaltenen Stoffe sprechen, so sind wir auch ausserdem noch im Stande, den directen Beweis zu liefern dadurch, dass eine vollkommen unterdruckte Hautthätigkeit schliesslich Todesursache wird, und zwar je nach dem Grade der physiologischen Thätigkeit früher oder später. — Tauben sterben schon nach einigen Stunden, Kaninchen in 1 bis 2Tagen, Pferde nach 14Tagen; ob die Hunde auch sterben, ist noch zwei­felhaft, bei meinen derartigen Versuchen blieben sie am Leben—. Es kommt hier zunächst nicht viel darauf an, ob die Thiere bei gänzlicher Unthätig-keit der Haut den Erstickungstod sterben, ob sie in angehäufter Kohlen­säure umkommen, oder ob und in wie weit die übrigen excretiellen Stoffe dabei mit betheiligt sind; unter allen Umständen ersehen wir doch daraus, dass Eetentionen der Excretstoffe der Haut nachtheilig und zuletzt tödtlich werden, dass die Hautthätigkeit von wesentlichem Einflusraquo; auf die Com­position des Blutes ist, wenn auch eine fiir die verschiedenen Thiergattun-gen verschiedene Breite gegeben ist, innerhalb welcher die verminderte Hautthätigkeit ohne Nachtheil ertragen wird. Immerhin kann man die nor­male Hautfunction als ein Sicherheitsventil bezeichnen.
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Diaphoretische Methode.
Aus der ätiologischen Beziehung geht nun schon die Wich­tigkeit der diaphoretischen Heilmethode hervor, wir können sie aber auch noch aus dem Verhalten der Krankheiten bei ver­schiedener Hautthätigkeit direct entnehmen. Empirisch wissen wir, dass eine Krankheit so lange nicht von grosser Gefahr ist, als die Haut noch in normaler Temperatur und Thatigkeit bleibt, dass unter entgegengesetzten Verhältnissen die Krankheit immer noch im Steigen oder auf der Höhe ist, und dass mit dem frei­willigen Eintritt einer duftenden Haut stets Besserung verbun­den ist. Solche Besserung ist entweder die Folge von einer frei hervorgetretenen Hautthätigkeit —#9632; eine wirkliche Krise —, oder die Besserung ist primär und zugleich die Ursache von einer reichlichen Ausscheidung auf der Haut, die aber auch selbst in diesem Falle von heilsamem Einfluss ist, wie man schon daraus entnehmen kann, dass eine Beeinträchtigung der frei gewordenen Hautthätigkeit nicht selten einen gefahrvollen Eingriff in den Fortgang der Besserung macht; empirisch wis­sen wir ferner, dass durch eine künstliche Bethätigung der Haut-function manche Krankheiten ausgelöst oder vermindert werden, und dass in allen Fällen, wo es gelingt, die trockene Haut bei schweren, fieberhaften Krankheiten aufzuschliessen, Hoffnung zur Genesung vorhanden ist.
Die diaphoretische Methode steht also rationell und empi­risch in der Reihe der wichtigeren Heilmethoden.
Indicationen,
1. Alle Krankheiten ohne Ausnahme erfordern die Ueberwachung der Hautthätigkeit und die An­regung derselben, wenn sie gesunken ist. Der erkrankte Körper kann einen Ausfall in der Hautthätigkeit viel weniger vertragen, als der gesunde, was schon die Laien herausfühlen, weshalb der Thierarzt in der Mehrzahl der Fälle die Patienten schon beim ersten Besuche bedeckt oder in mehr denn zu war­men Ställen vorfindet. Jeder Patient muss bis zu einem gewis­sen Grade warm gehalten werden, um den Verlust an thieri-scher Wärme zu beschränken, um die Haut als Hülfsrespira-tionsorgan thätig zu erhalten und um die Ausscheidung der Hautexcrete in keiner Weise zu beeinträchtigen; denn mit der Summe der kleinen Schädlichkeiten, die im gesun-
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 469
den Zustande noch ertragen werden, steigt bei Krank­heiten die Summe der Störungen. Mit der Erhaltung der Diaphorese wird zugleich auch ein wichtiger Weg zur Krise gebahnt erhalten. Bei dieser ganz allgemeinen Indication han­delt es sich nicht um schweisstreibende Mittel, sondern mehr um diätetische Diaphoretica.
2.nbsp; nbsp;Die Erkältungskrankheiten, als: Congestionen nach inneren Organen, Durchfall, Katarrh und Kheu-matismus in allen Formen — rheumatische Spannung und Steifheit, Starrkrampf, rheumatische Schmerzen, Lahmheiten und Lähmungen, rheumatische Fieber und beginnende rheumatische Entzündungen. Wie man sich auch die Heilwirkung erklären mag, ob man sie sich als eine derivatorische, antagonistische oder depu-vativc denkt, immer bleibt es ein alter, jetzt aber mehr denn je an­erkannter Erfahrungssatz, dass diese Krankheitszustände sicher coupirt werden, wenn während der Entstehung eine vermehrte Hautthätigkeit herbeigeführt wird, dass selbst die schon ausgebildeten, aber erst frisch entstandenen Krankheiten durch diese Methode oft noch gehoben werden können, und dass endlich unter allen Umständen eine rege Diaphorese neben andern entsprechenden Methoden stets mit in der ersten Reihe steht.
3.nbsp; Anhaltende Unthätigkeit der Haut. Wo die Haut mehr kühl und welk und somit auch die Diaphorese so ziemlich auf Null reducirt ist, da sind unter allen Umständen Mittel an­gezeigt, welche die Temperatur in der Haut erhöhen, den Haut-turgor herstellen und die unmerkliche Perspiration wieder ein­leiten. Selbst bei heisser aber trockener Haut kann die Me­thode mit der Modalität zur Anwendung kommen, dass eine reactive Thätigkeit der Haut erweckt wird, ohne die Eigen­wärme zu steigern.
4.nbsp; nbsp; Typhoide Krankheiten, namentlich Influenza und Anthrax in dem Entwickelungsstadium.
5.nbsp; Harnruhr und Durchfälle, namentlich aber O.edeme und Wasserergüsse. Die diaphoretische Kur leistet bei letz­teren viel mehr, als die diuretische und abführende. Die mäch­tige Anregung der Resorption hat man in neuerer Zeit bei den heissen Luftbädern der Menschen in einer Weise kennen gelernt, wie man es früher kaum für möglich hielt; selbst pericardische
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Diaphoretische Methode.
Ergüsse werden in kürzester Zeit resorbirt. Das Schroth'sche Heilsystem hat an der besseren Erkenntniss wohl einen wesent­lichen Antheil.
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Mittel. 1. Diätellsche Diaphnretica.
a)nbsp; nbsp;Stall und Streu. Es versteht sich von selbst, dass der Aufenthaltsort eines kranken Thieres nicht kalt und zugig sein darf, dass er namentlich eine angemessene Wärme haben muss, wenn es auf eine rege Hautthätigkeit speciell ankommt — die Temperatur darf bei kranken Thieren wo möglich nicht unter -\-10 bisl2,)E. sinken —; es ist aber auch zu erwähnen, dass die Temperatur in Krankenställen nicht auf Kosten einer reinen, gesunden Luft gesteigert werden darf, dass eine warme und dunstige Stallluft mehr schadet, als eine erhöhte Diaphorese nützt; tiefe Streu ist ein wesentliches Erwärmungsmittel, nament­lich für die Beine und den Bauch.
b)nbsp; Decken und Hautpflege. Die Umhüllung des Kör­pers mit Decken, so wie die Reinigung und die damit verbun­dene gelinde mechanische Reizung der -Haut sind eben so bil­lige als unentbehrliche Mittel für die diaphoretische Methode. Das Striegeln, Bürsten, namentlich aber das Frottiren mit schar­fem Stroh findet immer seine rechte Anwendung, wo die mecha­nische Irritation nicht schadet, namentlich aber gleich nach Erkältungen und bei kalter, colabirter Haut; kalte Füsse müs­sen warm gerieben und durch Umwickelung mit Stroh etc. warm erhalten werden; Patienten, die viel oder immer liegen, werden durch trockenen Dünger und durch Stroh am billigsten und sichersten in vermehrter Diaphorese erhalten — die thierische Wärme in gut gestreuten Ställen, namentlich in Schafställen mit hohen trockenen Düngerlagen ersetzen dem Thiere die Bettwärme.
c)nbsp; Muskelarbeit. Wie wirksam die Körperbewegung für diese Methode ist, zeigt uns jedes getummelte Eoss; es giebt kein zweites Mittel, was so sicher und so bedeutend die Dia­phorese fördert, als dieses; ein Pferd, was die ersten Spuren eines Verschlages, den steifen Gang etc. zeigt, wird auf frischer That durch eine forcirte Bewegung nicht selten geheilt und vor einer lebenslänglichen Krüppelschaft bewahrt. Nach dem Ein­geben eines schweisstreibenden Mittels ist massige Bewegung
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 471
schon ein kräftiges Unterstützungsmittel. Bei fieberhaften und allen Krankheiten, welche das Athmen erschweren, und bei schmerzhaften Lahmheiten muss man natürlich auf dieses Mittel verzichten.
2. Die Wärme.
Von der Wärme können wir hier selten und immer nur einen mangelhaften directen Gebrauch machen; die erwärmte Luft — das römisch - irische Luftbad — würde höchstens auf einer Heilanstalt in Anwendung kommen können; von den heis-sen Wasserdämpfen — den russischen Dampfbädern —i und den warmen Wasserbädern können wir bei grösseren Thieren gar keinen Gebrauch machen, und der Benkert'sche Bademantel *) ist ein zu unvollkommener Ersatz; nur kleinere Thiere kann man allenfalls in warmem Wasser und auch in heissen Dämpfen baden — solche Dampfbäder lassen sich in der Art veranstal­ten, dass man einen dampfenden Kessel unter einen Rohrstuhl u. s. w. bringt, das Thier darauf setzt und mit Decken umhüllt —, wenn die Thiere nach dem Baden in hinlänglich erwärmten Räumen unterzubringen sind. Am besten können wir noch das warme Wasser innerlich benutzen, namentlich bei Thieren, die an warmes Getränk gewöhnt sind, so besonders beim Hornvieh. Man kann die Aufnahme steigern durch leckere Nährstoffe — Schrot, Mehl etc. —; die heisse Schlempe ist bei Rindern ein bequemes Mittel. Sind die Thiere nicht an warmes Getränk gewöhnt, so giebt man ihnen warmes Wasser von -\-30—34deg; R. in möglichst grossen Quantitäten ein. Wo man die Transspira-tion vermehren will, ohne erregend auf das Nerven- und Blut-gefässsystem einzuwirken, und ausserdem wenn es sich mehr um Unterstützung der angewandten arzneilichen schweisstreiben-den Mittel handelt, dann ist das Wasser in der Temperatur von der Blutwärme und etwas darüber besonders zu empfehlen.
3. Das Schwitzen unter nassen Decken.
Das kalte Wasser ist hier das schweisstreibende Mittel; man kann mit demselben den ganzen Körper und auch jeden einzelnen Körpertheil zum Schwitzen bringen; das kalte Wasser hat eben an sich diese Wirkung nicht, es bekommt dieselbe erst
*) Busch. Zeitschrift. Bd. 3. H. 4.
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Diaphoretische Methode.
durch eine besondere Anwendungsweise, welche die Hauptgrund­lage der meisten Kaltwasserkuren ist. Die Procedur besteht darin, dass der Patient kalt begossen oder mit kaltem Wasser abgerieben, dann mit nassen leinenen Tüchern und darüber mit wollenen Decken eingehüllt wird; die leinenen Tücher werden wieder entfernt, wenn sie trocken geworden sind; darauftrockne Abreibung mit scharfen Strohwischen und Einhüllen mit wolle­nen Decken.
Allgemeine Grundbedingungen dabei sind: dass die Haut vor d er Application möglichst warm, das Wasser mög­lichst kalt, die Einwirkung der Kälte nur kurz ist, d. h. nicht über einige Minuten hinaus dauert, die nassen Tücher überall dicht anliegen, und der Pa­tient in einem möglichst warmen^[Stalle sorgfältig vor Zugluft geschützt wird.
Die Präparation der Haut vor der Einwirkung der Kälte ist das wichtigste; eine kalte, collabirte Haut reagirt zu lang­sam und zu schwach, und da hier alles von einer möglichst schnellen und intensiven Reaction abhängt, so muss eine geringe Hautthätigkeit zuvor durch Frictionen und, wenn es sein kann, durch Bewegungen, unter Umständen — namentlich bei localen Schwitzkuren — selbst durch reizende Einreibungen, z. B. von Terpenthinöl, gehoben werden.
Während der Anwendung des kalten Wassers ist die Haut anämisch und im Innern eine compensatorische Hyperämie, die man aber möglichst abkürzen muss, und wenn man sie beson­ders zu fürchten hat, wie z. B. bei inneren Entzündungen, oder wenn die Hautthätigkeit trotz aller Präparation doch sehr träge ist, dann unterlässt man die kalten Begiessungen und beschränkt sich auf nasse Abreibungen oder selbst auf nasse Umhüllungen, im letzteren Falle arbeitet sich die Reaction am schnellsten durch. Bei gehöriger Reaction erwärmt sich die Haut unter den nassen Tüchern zwischen '/j — 1 Stunde; erfolgt die Erwär­mung später, so ist das unzuträglich und eine Indication zur entsprechenden Vorbereitung und Modification der Anwendung des kalten Wassers. Die Anwendung erfolgt täglich 1 — 2 — .'J Mal; die blossen nassen Umhüllungen ohne vorherige Durch­nässung mit kaltem Wasser kann früher und öfters wiederholt werden, als die Procedur mit Begiessungen.
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Mittel.
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Zum localen Schwitzen hat Reinert *) ein mit Schwämmen gepolstertes Kissen empfohlen, welches auf den leidenden Theil gebunden und alle halbe Stunde angefeuchtet werden soll. Hier­bei ist aber wohl die Sehweissbildung untergeordnet. Einen besonderen therapeutischen Werth bekommt diese Schweisskur mit kaltem Wasser noch dadurch, dass wir sie an den leidenden Theil local beschränkt anwenden können; so können wir durch nasse Umhüllungen Halsentzündungen coupiren, besonders bei grosser Torpidität, wo die Einreibungen nie Wirkung haben, eine Schulter schwitzen lassen und rheumatische Lahmheiten heilen.
Man kann diese Schweisskur überhaupt sehr moderiren, so namentlich, dass sie den Uebergang zur Abkühlungskur macht; wiederholt man die Einwirkung der Kälte, sobald die Reaction eingetreten, so ist die Abkühlung — local Und allgemein, je nach der Anwendung — vorherrächend; je nachdem man daher local antiplilogistisch, generell antifebril und antiseptisch oder mehr schweisstreibend — also depuratorisch und derivatorisch — wir­ken will, moderirt man die Procedur. Deshalb eben verdient diese kühlende Schweisskur die umfangreichste Anwendung; bei fieberhaften Krankheiten mit trockener, heisser Haut, bei allen Typhoiden, namentlich aber bei der Influenza und dem Faul­fieber, ebenso auch bei chronischem, eingewurzeltem Rheuma­tismus steht sie unbedingt an der Spitze aller bisher bekannten Heilmittel.
4. Das Schwitzen in den Fesseln.
Träger — Studien und Erfahrungen im Bereiche der Pferde­kunde S. 111 — ist der Erfinder, wir wollen ihn daher über das Verfahren selbst sprechen lassen: „Schwarze Seife über den ganzen Körper, hin und wieder in das Haar eingerieben, mit­telst nasser Wasserbürsten möglichst gleichmässig vertheilt, zu Schaum gebürstet, mit frischem Wasser nach, bis solches klar wieder abläuft, mit hölzernen Schweissmessern das Wasser ab­gestrichen, mit Strohwischen tüchtig nachgerieben, Inculpaten an ein reichliches Strohlager geführt, die Fessel an- und ihn niedergelegt, so hoch, als vernünftig möglich mit Stroh bedeckt, sich überlassen, bis er trocken und wieder nass geworden, dann erlöst, möglichst in Decken gehüllt, in zugfreier Box sich frei
*) #9632;Wochenschrift von Adam, 1862, S. 17.
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474nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Diaphoretische Methode.
bewegen, aber fasten lassen, d. h. bei sehr schmaler Ration ge­halten, saufen, nach einiger Abtrocknung, nach Durst. Ein sol­ches Schwitzen kann je nach Umständen täglich, einen Tag um den andern, oder wöchentlich ein oder zwei Mal wiederholt werden.quot; Träger empfiehlt diese Kur bei Füllenlähme, Rheu­matismus, Blattlähme, Kreuzlähme, Haut- und gastrischer Un-thätigkeit. Im Principe ist dieses Verfahren dem vorhergehen­den gleich, nur rücksichtsloser, anstrengend und aufregend, des­halb auch bei acuten inneren Krankheiten nicht anwendbar.
5. Arzneiiiche Mittel.
a) Die Brechmittel, namentlich die stärkeren. Bei Thie-ren, die erbrechen können, giebt es kaum ein wirksameres und
I nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; praktischeres inneres Mittel dieser Methode — conf. brechen-
erregende Methode S. 451. b) Die milden, nicht aufregenden, mehr kühlenden Dia-phoretica: Essigsäure, salzsaures und essigsaures Am­monium, Brach Weinstein, Schwefel und Spiessglanz. Alle diese gelinden diaphoretischen Mittel finden ihre Anwen­dung besonders da, wo es nur darauf ankommt, die unmerkliche Perspiration zu fördern, wo man jede Aufregung im Gefäss-systeme vermeiden, zugleich resolvirend und antiphlogistisch wirken will.
c) Flüchtige Mittel: Lindenblüthen, Flieder- und Cha-millenblumen, die Münzarten, Kampfer und kohlen­saures Ammonium. Die erwähnten Blüthen und Blumen sind milde Diaphoretica, die übrigen aber sind flüchtig erre­gende Sudorifera, die bei Torpidität, Lähmung und überall da ihre Anwendung finden, wo die flüchtig erregende Wirkung nicht gerade contraindicirt ist. Oft werden bei dem erwähnten Ge­brauche des kalten Wassers diese Mittel zugleich innerlich ge­geben.
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Contra- Indication.
Die Förderung der unmerklichen Perspiration durch diäte­tische Mittel stösst niemals auf einen Widerspruch. Grosse Fie­berhitze verbietet zwar die heissen Diaphoretica, aber nicht die kühlen und am allerwenigsten das Schwitzen unter nassen Decken. Bei entschiedenen Indicationen giebt es wohl kaum eine Contra-
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Die abkühlende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 475
Indication, der man nicht Rechnung tragen könnte, ohne die Methode selbst ganz fallen zu lassen.
Die abkühlende Methode, Nethodns refrigerans.
Verminderung der Eigenwärme ist das nächste Ziel, hier­durch lassen sich verschiedene andere Zwecke erreichen, die unter gewissen pathologischen Verhältnissen die eigent­lichen Heilzwecke dieser Methode bilden, und solche pathischen Verhältnisse sind die eigentlichen Indicationen.
1. Krankhaft gesteigerte Eigenwärme, Fieberhitze. Erst in jüngerer Zeit haben wir die Fieberhitze als ein wesentliches Symptom kennen gelernt, welches für den Verlauf des Fiebers die grösste Bedeutung hat; die Fieberhitze als Krankheitspro-duct ist wiederum Ursache von tiefgreifenden Störungen, und häufiger Todesursache als der ursprüngliche Krankheitsprocess selbst. Von 40deg; C. ab ist die Fieberhitze immer schon eine wichtige Indication zum Abkühlen und von 42deg; C. ab eine Vital-Indication. Die schwersten Krankheiten — Typhus und Typhoide — verlaufen günstiger, wenn die Fieberhitze nieder­gehalten wird; deshalb ist diese Methode bei Fieberhitze die wichtigste Palliativkur. Diese bei den Krankheiten speciell in Angriff zu nehmende Fieberhitze ist schon äusserlich durch ge­steigerte meist trockene Hautwärme, durch schnellen und plötz­lichen Wechsel an extremen Körpertheilen — Beinen, Ohren, Gehörn, Nase — und durch Auflockerung mit mehr oder weni­ger diffuser Röthung der Bindehaut zu erkennen. Direct aber kann man diese Indication durch das Thermometer ermitteln. Um diese Indication in Krankheitsnamen auszudrücken, die in der speciellen Pathologie geläufig sind, erwähnen wir noch spe­ciell: die sthenischen Fieber, Entzündungsfieber, Faulfieber, den Typhus, die Influenza der Pferde, Rothlauf der Sehweine und andere specifische Krankheiten aus der Familie der soge­nannten Typhoiden.
Die Messungen geschehen am einfachsten im After, das Thermometer muss eine mögliehst kleine Kugel und feine Eöhre haben; sind auf der Scala 0,1 Grade angegeben, dann um so genauer; das Thermometer bringt
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47 Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die abkühlende Methode.
man schon mit annähernder Blutwärme ein, um die Mastdarmtemperatur schneller zu bekommen.
42deg; bedingen — abgesehen von der Krankheit — immer eine gewisse Gefahr, und darüber hinaus wird die Hitze direct tödtlich; man kann die Temperatur zwischen 42 und 43laquo; C. als lebensgefährlich und tödtlich — bis 42,5 lebensgefährlich und darüber tödtlich — bezeichnen. Bei Schweinen liegt die normale Temperatur und auch die Lebensgefahr gegen 1deg; C. höher. Nach Nasse und Wunderlich ist auch bei den Menschen 42,5deg; C. der höchste Tempera­turgrad, bei dem der Tod naht. Ob durch Herzparalyse, ob durch Gerin­nung eines im Blute vorhandenen Stoffes, der bei dieser Temperatur nicht inehr flüssig bleiben soll, oder ob durch Expansion der Blutgase, wie Eu-lenberg und Vohle (VircJmv's Arch. Bd. 42. S. 183) angeben, müssen wir hier noch unentschieden lassen; für die Praxis genügt zunächst das Factum.
2.nbsp; nbsp;Local gesteigerte Temperatur, Entzündungs­hitze. In dem Entzündungsheerde ist die Temperatur immer gesteigert, man findet sie um 0,5 bis 0,8deg; C. über die allge­meine Eigenwärme erhöht; als besondere Heil-Indication kommt sie aber in Betracht bei den frischen acuten Entzündungen durchweg, namentlich in gefässreichen Weichgebilden. Bei äusseren Entzündungen können wir sie direct erkennen, bei in­neren Entzündungen ist sie immer zu präsumiren und um so mehr, je ausgeprägter das Entzündungsfieber ist, bei Gehirnent­zündung ist sie noch direct am Schädel zu fühlen. Die Heil­wirkung durch directe Entziehung der localen organischen Wärme ist theils In der physiologischen Contraction irretabler und contractiler Gebilde — Gefässwände vor allen —, in der physikalischen Verdichtung und endlich in der directen Herab­stimmung der abnormen nutritiven Actionen und der excessiven Bildung in dem Zellenleben. Die Abkühlungen bei Entzündungen müssen deshalb noch über die normale Temperatur hinausgehen; in der Dämpfung der inflammatorischen Hitze beseitigen wir die abnorme Expansion und je mehr wir die Temperatur unter die Norm herunterdrücken, desto mehr tritt die Verdichtung der Gewebe, die verminderte Säftezufuhr, die Reduction aller vita­len Acte, also auch der krankhaften Nutritionsacte in den Vor­dergrund. Nirgends bewährt sich wohl der therapeutische Grund­satz „Contraria contrariisquot; so offenbar und über allen Streit hin­weg, als in der Abkühlungsmethode bei der Fieber- und Ent­zündungshitze.
3.nbsp; nbsp;Hyperämien ausserhalb des Entzündungsbe­reiches. Die contrahirende und verdichtende Wirkung der Kälte bedingt Gefössverengerung, macht Anämie und stillt Blu­tungen, conf. adstringirende Methode!
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Die abkühlende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 477
4.nbsp; Allgemeine Temperaturverminderung zur An-reizung des Verbrennungsprocesses. Der Organismus hat das Bestreben und auch die Fähigkeit die Eigenwärme auf gleicher Höhe zu erhalten; ein Beweis ist darin gegeben, dass die Warmblüter dieselbe Eigenwärme haben im Winter wie im Sommer, in den heissen und kalten Zonen. Ein wesentliches Mittel hierzu ist die Anpassung des organischen Verbrennungs­processes an den Wärmeverlust. Mit der künstlichen Wärme­entziehung unter das normale Niveau geben wir die Anregung zur starken Verbrennung, und damit ist starker Verbrauch des Brennmaterials gegeben; entziehen wir andererseits zugleich die Nahrung, so haben wir dieselbe zehrende Wirkung, die das Fie­ber hat; der Organismus nimmt die Brennmaterialien vom eige­nen Leibe, er zehrt von sich selbst, und in diesem Einschmel-zungsprocesse haben wir ein Befreiungsmittel des Körpers von schädlichen Substanzen; Krankheitsmaterie und Krank-heitsproducte werden verbrannt. Diese Einschmelzung und materielle Ausgleichung im Stoffwechsel durch Stoffentzie-liung hat vor denselben Vorgängen im Fieber — conf. S. 126 — den grossen Vorzug, dass durch diese gesteigerte Verbrennung keine abnorme Hitze geliefert wird, die so leicht wieder störend wirkt. So können wir in der Wärmeentziehung einen ganz naturgeraässen A usgleichungsprocess haben. Die fortgesetzte methodische Abkühlung kann auf diesem Wege tief eingewurzelte constitutionelle und dyskrasische Leiden beseitigen, wenn der Organismus die erforderliche Reactionsfähigkeit auf die Kälte besitzt; bei kräftigen Individuen hat gerade des­wegen die Kaltwasserkur ein viel grösseres Gebiet.
Bei dieser Indication steht unsere Methode der diaphoretischen sehr nahe, in beiden wird der Yerbrennungsproccss gesteigert, und so weit wir bei letzterer das kalte Wasser anwenden, findet zwischen beiden ein Ueber-gang statt. Der Unterschied zwischen beiden Methoden ist aber immer der, dass bei der diaphoretischen Methode die Temperatur erhöht wird, um zur Anregung der Hautthätigkeit zu dienen, und der heilsame Effect mehr in der erhöhten Hautthätigkeit, als in dem vermehrten Verbrennungspro-cesse liegt.
5.nbsp; Temperaturverminderung zur Inhibirurig der Gährungs- und Fäulnissprocesse. Sind diese chemischen Acte wesentlich durch erhöhte Temperatur bedingt, so sind die Abkühlungen die sichersten Heilmittel, in anderen Fällen aber doch wichtige Palliativmittel — conf. das antiseptische und anti-tympanitische Verfahren.
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Die abkühlende Methode.
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Mittel.
1.nbsp; nbsp;Kühle, frische Luft. Für den Menschenarzt ein wich­tiges Abkühlungsmittel deshalb, weil es allgemein gebräuchlich ist, die Krankenzimmer recht warm zu halten; dies ist ein wahr­hafter Missbrauch bei allen jenen Krankheiten, die eine allge­meine Abkühlung verlangen. In den Krankenställen haben wir seltener eine übermässige Wärme, deshalb ist denn auch dieses natürliche Abkühlungsmittel in der Regel von selbst gegeben. Zugluft kühlt viel stärker ab, aber diese ist durch ihre meist partielle Einwirkung auf die Haut ein gemeingefährliches Ab­kühlungsmittel schon für Gesunde, und deshalb sorgfaltigst zu vermeiden.
2.nbsp; nbsp;Kaltes Wasser und Eis.
Das kalte Wasser ist das Hauptmittel dieser Methode, die man deshalb auch Kaltwasserkur nennen könnte. ludess unsere Methode geht über das kalte Wasser hinaus, und die Kaltwasserkur geht auch über diese Methode hinaus, sie dient auch anderen Zwecken.
a) Als Getränk. Kaltes Getränk kühlt generell und be­sonders auch local ab; die locale Abkühlung trifft gleichzeitig den Magen und die benachbarten Organe — Leber, Milz, Zwerchfell und selbst die Lungen —. Neben der Kälte, die bei dem Ge­tränke enge Grenzen hat, kommt hauptsächlich die Quantität in Betracht; bei unseren grösseren pflanzenfressenden Hausthieren, die grosse Wassermassen als Getränk aufnehmen, ist kaltes Ge­tränk eins der kräftigsten und zugleich natürlichsten Abküh­lungsmittel, welches die Patienten bei grosser Fieberhitze instinc-tiv in Anwendung bringen. Salze, die den Durst vermehren, sind schon deshalb heilsam bei innerer Hitze.
Eine Wärmemenge, welche nöthig ist, 1 Kilogr. Wasser um 1deg; C. zu erwärmen, hat man eine Wärmeeinheit — Calorie — genannt; es ist da­durch sehr leicht die Abkühlung nach der Temperatur und Quantität des Getränkes zu berechnen. 10 Kilogr. Wasser von 10deg; C. verbrauchen zur Erwärmung bis zur normalen Eigenwärme von 38deg; C. 28 Calorien. Bei einem gesunden Pferde hatten 10 Quartier Wasser von 5,5deg; C. binnen 74 Stunde eine Verminderung von 38,8 auf 38,1deg; C, diese Verminderung dau­erte gegen 3 Stunden, dann trat die frühere Temperatur binnen 3I^ Stun­den wieder ein. Bei einem zweiten gesunden Pferde sank die Temperatur nach 15 Quartier Wasser von 10,5deg; C. hinnen 1/4 Stunde um 0,8deg; C. und verblieb 4 Stunden so niedrig, dann stieg sie in 1 Stunde auf die normale Höhe. Immer begann das Sinken der Temperatur 5 Minuten nach dem Tränken.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 479
b)nbsp; nbsp;Als Klystiere. Die kühlende Wirkung der Kaltwasser-klystiere ist ebenfalls eine allgemeine und locale; diese Applica-tionsart hat selbst noch gewisse Vorzüge vor dem kalten Ge­tränke, einmal durch die beliebige Anwendung unabhängig von dem Durste der Thiere, und zweitens durch die mächtige locale Abkühlung bei häufiger Wiederholung. Man kann durch Kly­stiere nicht mit einem Male so viel kaltes Wasser zur Wirkung bringen, deshalb ist der Effect nicht so stark, als nach einer Sättigung des Durstes, wir können aber die Kälte nachhaltiger wirken lassen durch fortgesetzte Wiederholungen, und gerade die häufige Erneuerung, nach Abgang des erwärmten Klystier-wassors, wirkt ganz besonders local; deshalb nicht bloss bei grosser Fieberhitze, sondern bei Hinterleibsentzündungen eir vorzügliches Heilmittel.
Die Anwendung geschieht in der Art, dass wir das frische Brunnen­wasser bis zu einer gewissen Füllung des Mastdarmes- einspritzen — bei Pferden und Rindern z.B. 3 — 4 grosse Klystierspritzcn voll —, diese Ein-spritzungen werden nach dem theilweisen Abgange des eingespritzten Wassers sofort, sonst aber alle '/a 1 Stunde wiederholt.
Bei einem gesunden Pferde wurde halbstündlich l'/a Kilogr. Wasser eingespritzt, nachdem unmittelbar vorher die Temperatur festgestellt war; so wurden in 5 Stunden 15 Kilogr. Wasser eingespritzt. Die Temperatur sank in der ersten Stunde nach zweimaligen Klystieren von 39,0deg; auf 3(3,0deg; C, blieb hierauf bei der weiteren Fortsetzung stehen, begann erst 1 Stunde nach dem letzten Klystiere zu steigen und erreichte dann in kurzer Zeit die frü­here Höhe weder.
Einem Pferde mit Darmentzündung (100 kleine, harte, fast drathför-mige Pulse, beschleunigtes Athmen, absolute Unthätigkeit im Hinderleibe. gläserner Blick) wurden mühsam 8 Pfund Blut abgenommen, innerlich Sal­peter und Glaubersalz mit Schleim gegeben; dabei fortwährend kalte Kly­stiere. Schon nach 12 Stunden war das Thier Eeconvalescent.
c)nbsp; nbsp; Nasse Abreibungen oder kalte Begiessungen und nasse Umhüllungen, wie bei der Schweisskur, mit der Modification, dass man es hier nicht zum Schweisse kommen liisst, dass die nassen Decken weniger ausgerungen aufgelegt und nach der Erwärmung in kaltem Wasser aufgefrischt oder auch auf dem Körper kalt angefeuchtet werden. Diese Abküh­lung ist zwar sehr stark, aber sie hält nicht lange vor, so dass sie mindestens stündlich wiederholt werden muss; am besten zeigt uns das Thermometer die Zeit an, wann wir die Kälte wiederholen müssen, ein Instrument, das der Thierarzt bei schwe­ren inneren Patienten kaum noch entbehren kann. Handelt es
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Die abkühlende Methode.
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sich um allgemeine innere Abkühlung und ist besonders die Haut heiss und trocken, so verdient diese Anwendungsart den Vorzug durch die Mächtigkeit ihrer kühlenden Wirkung, durch gleich­zeitige Anregung der Hautarbeit und zugleich durch den Vor-theil, class die Wiederholung jeder Zeit und nach dem inneren Bedürfnisse genau abgemessen werden kann. Begiessungen dür­fen nur erfolgen, wenn die Thiere nicht sehr ängstlich und reiz­bar sind, weil sonst die Herzthätigkeit sehr aufgeregt und die Pulsfrequenz beschleunigt wird, was hier vermieden werden muss und nur erwünscht ist, wenn es sich urn baldige reactive Hautthätigkeit handelt, also bei der Schweisskur. Bei gefahr­drohender Fieberhitze wird hiermit die Application der Kalt-wasserklystiere verbunden.
Bei dieser Anwendung der Kälte tritt in den ersten Minuten immer erst eine geringe Steigerung der inneren Temperatur ein, durch Kälte be­dingter Hautkrampf macht Anämie und bedingt so verminderte Wärmeaus­strahlung; diese Steigerung dauert aber nur 5 — 10 Minuten. Ein gesundes Pferd wurde 5 Minuten lang nass abgerieben und kalt begossen, darauf in nasse Tücher gehüllt; sofort stieg die Temperatur und innerhalb 10 Minu-teu von 38,3 auf 38,9deg; C, hierauf Abnahme und binnen '/a Stunde bis auf 37,8deg; C.; eine Wiederholung der Kälte fand nicht statt, es waren über die nassen Decken sogar wollene gelegt worden, um die spätere Temperatur-zunahme unter den impermeablen nassen Decken zu beobachten. Mit etwa l/j Stunde begann die Reaction der Haut, darauf sehr bald Erwärmung der nassen Decken und damit begann die Temperatur auch wieder zu stei­gen, so dass sie in '/'i Stunde auf die Höhe vor der Anwendung des kal­ten Wassers und '/a Stunde später Va Clrad höher auf 38,8deg; C. stand. Ein Beweis für die schlechte VVärmeleitung in erwärmten nassen Decken und ein Fingerzeig für die Verschiedenheit der Anwendung des kalten Wassers zur Schweisskur und zur Abkühlung. Ueber die Heilwirkung bei dem fast immer tödtlieh verlaufenden Kothlauf kürzlich ein Fall.
Drei ^jährige gut genährte aber nicht fette Schweine erkrankten an Kothlauf, eins war schon nach mehreren Stunden des Vormittags gestorben, die übrigen beiden kamen des Mittags zur Schule, das eine war über den ganzen Körper violett-roth und kalt bei einer inneren Temperatur von 43,1deg;C, es hatte 200 Pulse und starb innerhalb '/a Stunde; das letzte zeigte noch keine auffällige Köthung, verschmähte aber das Futter gänz­lich und zeigte schon eine Temperatur von 42,5deg; C, neben einem sehr be­schleunigten Pulse über 100 in der Minute. G Cgr. Veratriu hypoderma-tisch, kalte Begiessungen und nasse Umhüllungen, die erwärmten Decken mit kaltem Wasser immer wieder angefeuchtet. Nach 1/4 Stunde starkes Erbrechen; nach 1/2 Stunde Temperatur bis auf 40,6 und in der nächsten 11/4 Stunde auf 40,0deg; C. gesunken; die Temperatur verblieb auf diesem Stande einige Stunden, sank dann aber nach Anwendung von Klystiercn bis 38,5deg; C. Puls und Athmen wurden hierbei auch ruhiger. Nach 8 Stun-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;481
den die Decken abgenommen und die Kur ausgesetzt; am nächsten Morgen stand die Temperatur auf 40,8deg; C, dabei war das Schwein munter; im Laufe des Tages erholte es sich vollständig.
d) Aeussere locale Anwendung — conf. adstringi-rende Methode S. 491. Längst bekannt und gebräuchlich bei aus-seren Entzündungen; in neuerer Zeit hat aber auch diese Anwen­dung eine weitere Ausdehnung gefunden, namentlich: bei Kopf-congestionen, Gehirnentzündung, acutem Gehirnödem und acuter Hirnwassersucht — Hydrops cerebri intemus et extenms —, bei Halsentzündungen, bei Pleuritis und Peritoneitis. Eis und Schnee wirken natürlich am kräftigsten, will man die Nässe vermeiden, so legt man Schnee oder zerstückeltes Eis in eine Blase. Die nachhaltige Application hat bei Thieren einige Schwierigkeit, deshalb erfolgt das örtliche Abkühlen gewöhnlich nicht mit er­forderlicher Nachhaltigkeit. Bei den häufigen Hufentzündim-gen sind die kalten Fussbäder die unentbehrlichsten; diese lassen sich durch Hineinstellen ins Wasser am besten und be­quemsten herstellen. Die Wasserkasten — S. 29 — sind am zweckmässigsten; kalte Umschläge sind mangelhafter Ersatz, sie verlangen mindestens halbstündliche Anfeuchtung mit kaltem Wasser; kalte Waschungen sind noch imvollständiger, sie müs­sen mindestens viertelstündlich wiederholt werden, was selten lange genug durchgesetzt wird. Die Applicationen grosser Ba­deschwämme empfehlen sich, weil man das erwärmte Wasser auspressen und sie auf längere Zeit leicht wieder tränken kann. Eine andere praktische Application des kalten Wassers ist in der Form eines dicken Lehmbrei's; eine dicke Schicht wirkt länger kühlend, als die einfachen Waschungen. Je kälter das Wasser, desto vollkommener erreichen wir mit demselben die allgemeine und örtliche Abkühlung, zur örtlichen Anwendung ist deshalb in dem Eise das vollkommenste Mittel gegeben, das bei tiefer sitzenden Entzündungen, namentlich bei Gehirn- und Brustfellentzündung den Vorzug verdient und womit wir im Sommer das Wasser für unsere Methode am besten abkühlen können. Zur äusserlichen örtlichen Anwendung giebt es in Er­mangelung des Eises noch künstliche Kältemischungen, die we­sentlichsten sind: Glaubersalzlösungen mit Salzsäure und das einfache Oxykrat.
Das krystallinische Glaubersalz wird mit concentrirter Salzsäure über­gössen; 32 Unzen Wasser von 12deg; C. werden durch 4 Unzen Glaubersalz
Gerlach Allg. Therapie. 2.Aua.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;31
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482nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die abkühlende Methode.
und 4 Unzen concentrirter Säure auf 5,5deg; C. abgekühlt. — Begemann, All­gemeine Veterinär-Pharmakopöe, 1864. S. 164 —. Das einfache Oxykrat; auf 16 Theile Wasser und 16 Theile Essig setzt man 1 Theil Salmiak — Ammonium chloratum — hinzu, wodurch diese Flüssigkeit um 30C. abge­kühlt wird.
3. Abkühlung durch Blutentziehungen. Die Ab­kühlung ist verhältnissruassig gering und nicht nachhaltig; des­halb findet dieses Mittel für diese Methode nur dann Anwen­dung, wenn wir zugleich und hauptsächlich noch andere Kur­zwecke verfolgen — conf. Blutentziehungen, S. 399.
Die Wirkung des Aderlasses auf die Eigenwärme ist nach Umständen verschieden. Ich sah nach Aderlässen von 10 Pfund Blut bei gesunden Pferden in der ersten halben Stunde ein geringes Steigen, dann ein Sinken von einigen zehntel Graden. Bei sthenischen Fiebern mit hoher Fieberhitze pflegt der abkühlende Effect etwas stärker zu sein.
4. Arzneiliche Abkühlungen. Alle Abkühlungen durch innerliche arzneiliche Substanzen sind schwächer, als die durch directe Einwirkung der Kälte, ihre Wirkung pflegt aber nach­haltiger zu sein. Die Abkühlung erfolgt theils rein nach phy­sikalischen Gesetzen, theils auf physiologische Weise, wahrschein­lich durch erregende Einwirkung auf ein regulirendes Central-organ der Wärmeentwickelung, gewisserraaassen in entgegenge­setzter Richtung der Wirkung pyrogener Substanzen.
Unter den Salzen sind die salpetersauren die am meisten kühlenden, bei gleicher Säure sind die Kalisalze am wirksam­sten. Bei fieberhaften Kranken sinkt die Temperatur bis circa 3 Stunden nach der letzten Verabreichung, dann steigt sie schnell auf die frühere Höhe und oft darüber hinaus. Bei ge­sunden Pferden hielt die Abkühlung länger, meist doppelt so lange vor, als bei fieberkranken Pferden mit Fieberhitze.
Nachstehende Tabelle enthält die kühlend wirkenden Mittel, welche ich bei meinen Versuchen in dieser Richtung kennen gelernt habe, nebst Angabe des Grades und der Dauer ihrer Wirkung.
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Mittel.
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484nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die verdichtende Methode.
Contra - Indicationen.
Die sub No. 1. aufgeführte Indication dominirt alle Contra-Indicationen um so entschiedener, je höher die Fieberhitze steht; ganz anders verhält es sich bei der Indication No. 4., anämische und asthenische Zustände und eine mehr welke, kalte und tor-pide Haut sind hier generelle Contra-Indicationen; ausserdem ist die Fortsetzung der Methode hier verboten, wenn sich eine mangelhafte Reactionsfähigkeit der Haut herausstellt und man sie weder durch kräftige Nahrung, noch durch Frictionen her­stellen kann. Sobald der Organismus sich träge finden lässt, auf diese Kur einzugehen, d. h. die künstlich entzogene Wärme rasch durch erhöhten organischen Verbrennungsprocess wieder­herzustellen, dann müssen wir diese Methode verlassen. Die Indication No. 2. kann Ausnahmen erleiden, es giebt Umstände, die trotz der local vermehrten Wärme dennoch nicht die locale Abkühlung gestatten, zuweilen ergiebt sich dies erst aus den ungünstigen Erfolgen. Entzündungen mit der Tendenz zur Eite­rung oder schon begonnener Eiterbildung, oder bei denen man eine Eiterung erstrebt, darf man nicht mit Kälte tractiren; fer­ner Entzündungen drüsiger Organe und erysipelatöse Entzün­dungen vertragen in der Regel die Kälte nicht; bei Gelenk-, Sehnen- und Knochenentzündungen ist der Heileffect viel gerin­ger, als bei Entzündungen in Weichgebilden, deshalb hier nur bei acuten Entzündungen mit vorherrschender Hitze; unter den Augenentzündungen sind es in der Regel nur die traumatischen, welche die Kälte vertragen. Bei der localen Anwendung tritt in den zunehmenden Schmerzen immer eine Contra-Indication zur ferneren Anwendung hervor.
i
m
Die verdichtende; adstringirende und tonisirende Methode; ülethodus adstringens; contrahens.
Die nächsten Zwecke dieser Methode sind: 1) Die Gewebe des gesammten Organismus oder nur in einzelnen Organen, an einer bestimmten Stelle dichter, fester, elastischer und undurch­dringlicher zu machen; 2) Verschrumpfungen, Verkürzungen,
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Imlicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;485
Verengerungen und Verkleinerungen an einzelnen Theilen au bewirken, und 3) Dickflüssigkeit und Gerinnbarkeit des Blutes überhaupt und Gerinnung der ausfliessenden Säfte (Blut, Lymphe, Synovia) herbeizuführen.
Indieationen.
Mannigfach sind die Krankheitszustände, wo diese Kur­zwecke zum Schütze dienen, zur Linderung und zur Hei­lung führen; die verschiedenartigsten Abnormitäten erheischen diese Methode, deren Heilwirkung eben sehr verschieden ist, je nach den verschiedenen Mitteln, die unter dieser Firma ihre Anwendung finden. Der Indieationen giebt es daher viele, die sich jedoch in folgenden wenigen generellen Krankheitszustän-den übersichtlich zusammenfassen lassen.
1. Lockere Textur. Je nach dem Grade, ganz beson­ders aber je nach dem Gewebe und der Form des Organs sind hierdurch mancherlei Abnormitäten bedingt, die alle so recht eigentlich Gegenstand dieser Kurmethode sind.
a) Eine weiche, zarte Haut, die immer eine grössere Reizempfänglichkeit für äussere Schädlichkeiten überhaupt, ganz besonders aber für niedrigere Temperatur und für mecha­nische Einwirkungen bei den Arbeitsthieren besitzt. Hier dienen kaltes Wasser in methodischer Anwendung zur Tilgung der Empfänglichkeit und die gerbenden Stoffe zur Abhärtung gegen das Arbeitsgeschirr.
h) Erschlaffungen, Auflockerungen, Ausdehnun­gen, Erweiterungen und Aussackungen. Ein buntes Heer von Krankheitszuständen kommt hier in Betracht, die eben je nach der Function und Form der betroffenen Organe sich in mannigfachster Weise äussern. Verminderter Tonus in fast allen contractilen Gebilden; verminderte Muskelthätigkeit in Verdauungsorganen und in Folge dessen Neigung zu Anschop­pungen und Gasentwickelungen; Prolapsus des Mastdarmes und der Scheide, herniöse Aussackungen, wenn man auf Radical-operationen verzichtet. Erschlaffung des Blasenhalses und in Folge dessen unwillkürlicher Abfluss des Urins, wenn der Urin bis zum Ueberfliessen angesammelt ist. Nach Verrenkungen, die immer mit Ausdehnung der Gelenkbänder verbunden und oft schon dadurch prädisponirt gewesen sind; Aussackungen der
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486
Die verdichtende Methode.
Sehnenscheiden und Kapselbänder — Sehnen- und Gelenkgal­len —, Gefasserweiterungen, passive Blutanhäufungen in klei­neren und grösseren Venen, Telangiektasien, Aneurysmen und Varices; Auflockerungen in Geschwüren und Wunden, weiche und wuchernde, leicht blutende Granulationen u. a. m. Nicht in allen diesen und ähnlichen Krankheitszuständen bewirkt unsere Kurmethode eine gründliche Heilung, bei üppigen Excrescenzen z. B., denen fremde Körper in der Tiefe zum Grunde liegen, würde sie ohne Aufräumen der Ursache gar nichts nützen, in andern Fällen ist der Natur der Sache nach nur eine theilweise Besserung möglich.
Organische Spannkraft hebende und festmachende Mittel — Tonica et Consolidantia — und Strieturen erzeugende Mittel fin­den hier ihre Anwendung.
2. Ausflüsse, Profluvien. Eine durchgreifende Indi­cation für die in Rede stehende Kurmethode, welche hier solche Mittel in Anwendung bringt, die entweder auf das abnorm se-cernirende resp. verletzte Gewebe, oder auf die Flüssigkeit selbst oder endlich auf beiderlei Weise zugleich einwirken.
a) Blutflüsse. Blutungen, die ihrer Stärke oder ihrem Sitze nach bedenklich sind oder werden können, verlangen die verdichtende und coagulirende Methode in allen Fällen, wenn Ligatur, Durchschlingung oder cauterisirende Mittel keine An­wendung finden, ganz besonders aber bei Dünnflüssigkeit, Man­gel an Gerinnungsfähigkeit des Blutes und bei Atonie der Ge-fässwandungen. Bei Blutungen aus Organen, die der directen Anwendung der Mittel nicht zugänglich sind, und bei gleich­zeitig verminderter Gerinnungsfähigkeit werden die Mittel inaer-lich angewendet. — Kreosot, Eisenchlorid, Alaun und Tannin sind hier als besonders wirksam namhaft zu machen.
6) Synoviaflüsse. Wo Synovia abfliesst, da muss noth-wendig eine penetrirende Verletzung eines Kapselbandes oder einer Sehnenscheide vorhanden sein. Solcher Ausfluss unterhält schmerzhafte Entzündungen mit allen ihren Folgen, und ist deshalb der erste Angriffspunkt einer Radicaikur; verschrum­pfend, verdichtend auf das Gewebe und coagulirend auf die Synovia zu wirken, ist Bedingung zur Heilung. Die sub a) und b) in Anwendung kommenden Mittel sind die stopfenden — Styptica.
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Indicaticmen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 487
c)nbsp; nbsp;Schleim- und Eiterflüsse. Auflockerung, Erschlaf­fung und Blutreichthum des secernirenden Gewebes sind die Grundbedindungen von profuser Schleim- und Eiterbildung. Mittel, welche die Blutgefässe zusammenschrumpfen und das Gewebe verdichten, beschränken die Exsudation und Zellen­wucherung; verdichtende Pulver auf die eiternden Stellen, ad-stringirende Flüssigkeiten auf die abnorm secernirende Schleim­haut sind directe Heilmittel, die man hier als austrocknende — exsiccantia — bezeichnet. Die pituitösen und blenorrhoischen Zustände sind ohne diese Methode durch die Kunst nicht zu beseitigen; Copaivabalsam ist hier innerlich das souveräne Mit­tel. Der eiterige Ohrenfluss der Hunde weicht nur den austrock­nenden adstringirenden Mitteln — Cuprum aluminatum, Alaun mit Sublimat, Jodtinctur und schwache Silbersalpeter-Lösungen sind besonders die Mittel, welche bald in schwächeren, bald in stär­keren, fast an die Aetzmittel streifenden Solutionen das so hart­näckige Uebel heilen.
d)nbsp; nbsp;Durchfall. Hierbei kommen immer zwei Factoren in Betracht, die Bewegung und die Absonderung; so weit der er-stere bei den Durchfällen betheiligt, hilft unsere Methode nicht — eine stürmische, wurmförmige Bewegung kann nur durch reizmildernde und beruhigende Mittel beschwichtigt werden —; der zweite Factor aber, der häutig die alleinige und in den meisten Fällen die Hauptursache ist, giebt immer eine Indica­tion ab, ganz besonders aber erst, wenn die copiösen Absonde­rungen mehr chronisch geworden sind; unsere Methode bietet hier für die verschiedenen Grade der Atonie und Laxität auch die Mittel von verschiedenen Graden der Wirksamkeit, von den einfachen tonischen bis zu den verdichtenden Mitteln. Zu den mildesten tonischen anhaltenden — stopfenden — Mitteln gehö­ren: kleine Dosen von der Rhabarber, der Brechnuss; die ad­stringirenden Früchte — Baccae Myrtilli —; alle diese Mittel empfehlen sich für die zarte Jugend, namentlich die Säuglinge aller Hausthiere. Stärkende Mittel sind: die gerbstoffhaltigen Rinden, die Gerbsäure, Alaun, Eisenvitriol, kleine Dosen Kupfer­vitriol, vor allen aber das Silbernitrat (conf. Magazin von G. und H. Bd. 12. S. 414).
e)nbsp; nbsp;Harnfluss — Harnruhr, Lauterstall. So weit ein pas­siver Congestivzustand und Schlaffheit des Gewebes in den Nie­ren der Grund einer abnorm gesteigerten Harnabsonderung ist,
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488
Die verdichtende Methode.
findet die tonische, adstringirende Methode ihre rechte Anwen­dung, sie führt hier zur Heilung; bei der ausgebildeten Harn­ruhr aber, wo sie ebenfalls angewendet wird, hat sie nur eine vorübergehende Linderung zur Folge, weil die Nieren im Laufe der Krankheit immer schlaffer und immer lockerere Filtra wer­den, der eigentlichen, nicht von den Nieren ausgehenden Krank­heit selbst aber ist mit dieser Methode nicht beizukommen.
/) Uebermüssiges Schwitzen. Als selbstständiges, den Körper schwächendes Leiden kommt es bei Thieren selten vor, zuweilen sieht man es bei ßeconvalescenten nach typhösen Krank­heiten, sowie auch kurz vor und bei dem Haarwechsel. Soll eine Behandlung stattfinden, so die tonischen Mittel, vor allen das kalte Wasser.
Die Mittel gegen alle sub Lit. d, e, f angeführten abnor­men Se- und Excretionen sind die anhaltenden — die Reti-nentia.
3. Hyperämien und Entzündungen. Ueberall, wo es sich wesentlich darum handelt, die kleinen und capillären Blut-gefässe zu verengen, eine locale Anämie — Ischämie — mög­lichst herbeizuführen, die eben eine Grundbedingung ist, krank­haft gesteigerte Ernährungsprocesse, abnorme Secretionen, Trans-sudationen und Exsudationen zu hemmen, überall da ist diese Methode angezeigt. Je mehr das ganze Gewebe dazu angethan ist, die verdichtenden und tonisirenden Effecte zu begünstigen — gefässreiche lockere Weichgebilde —, desto grosser ist der Heileffect der adstringirenden Mittel bei directer Application auf den Krankheitsheerd. Das kalte Wasser, das allbekannte und gebräuchliche Antiphlogisticum, haben wir bereits in der vor­stehenden Metliode für diese Indication kennen gelernt; in sol­chen Fällen aber, wo Atonie, Auflockerung, Erweiterung und LTeberfüllung der kleinen Venen vorherrschend sind, bei den asthenischen und chronischen Entzündungen, wo die Erweite­rung der Capillargefässe gewissermaassen selbstständig, d. h. organisch geworden ist, bei diesen Entzündungen und bei den­jenigen, wo der Reiz der Kälte nicht gut vertragen wird, da sind die metallischen und pflanzlichen Adstringentien recht an­gemessene locale Antiphlogistica.
Die antiphlogistischo Wirkung der direct local angewandten adstringiren­den Mittel ist um so sicherer, je früher die Anwendung erfolgt, deshalb haben wir in dieser Methode die sicherste und entschiedenste Abortivkm bei Ent-
1
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;489
ziindungen. Die Vorurtheile gegen das Abortiv-Verfahren bei inaneLen Entzündungen, namentlich der Schleimhäute, sind wohl so ziemlich über­wunden, dennoch wird dieses directo Heilverfahren doch noch nicht gebüh­rend beachtet. Bei katarrhalischen Augenentzündungcn können wir so recht entschieden die heilsame Wirkung von den tonischen Augenwässern, von Höllenstein, Zinkvitriol und Cuprum aluminatum beobachten.
Auch die nicht direct zugänglichen Entzündungen sind un­ter Umständen Indicationen für innerliche Anwendung der Mit­tel dieser Methode, und jetzt viel mehr als früher. Bei den­jenigen capillären Circulationsstörungen, die sich bei typhösen Krasen einfinden, bei den sogenannten typhösen Entzündungen, ferner bei der Entzündung auf mehr kachektischem Boden, bei jeder asthenischen schleichenden Entzündung, wo Atonie eine wesentliche Grundlage der Gefässerweiterung ist, und bei der speeifischen contagiösen Lungenentzündung unserer Rinder — Lungenseuche —, bei allen diesen Entzündungen sind die me­tallischen und pflanzlichen Adstringentien Antiphiogistica. Der Bleizucker, namentlich mit Opium, ist bei asthenischen Pneu-monien längst als ein recht heilsames Älittel bekannt, jetzt ist auch Eisen ein empfohlenes Mittel.
4.nbsp; nbsp; Kachexien und solche Dyskrasien, bei denen Dünnflüssigkeit und verminderte Gerinnungsfähigkeit des Blutes die vorstechenden Erscheinungen sind. Bleich- und Wassersucht, Blutarmuth, Blutvvässerigkeit, Scorbut und diesem ähnliche Zustände, Typhus (besonders Petechial-Typhus) mit allen seinen Ausläufern, und was mehr hierher gehört, sind die Krankheitsformen, welche die in Rede stehende Methode erheischen. Hier kommt einmal die Beschaffenheit des Blutes selbst, anderntheils auch die der Gewebe in Betracht; in den Ab- und Aussonderungsorganen, in den serösen Flauten, Schleimhäuten, überall ist consecutiv mehr oder weniger die Ten­denz zur Erschlaffung, Ausdehnung und übermässigen Abson­derung, Ergiessungen oder Zellenwucherungsprocess vorhanden.
5.nbsp; nbsp;Brandige Zerstörungen, faulige Zersetzungen, Colliquationen. Alles, was verdichtet, die Atome näher an­einander bringt, den Zusammenhang steigert, dies alles beschränkt das Zerfallen, das Verfaulen. Hierauf beruht die heilsame Wir­kung der Adstringentien, die eben in dieser Wirkung als Anti-septica anzusprechen sind — s. antiseptische Methode.
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490nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die verdichtende Methode.
Mittel.
Die Mittel, welche uns in dieser Methode zu Gebote stehen, sind zahlreich und sehr verschieden an sich und in ihrer Wir­kung. Hier kann nur von den Grundverschiedenheiten hinsicht­lich der Art und Weise, des Herganges, wie der Zweck dieser Methode durch sie erreicht wird, die Rede sein, und danach zerfallen sie alle in physikalisch, chemisch und physio­logisch wirkende Mittel.
Obgleich alle Mittel ohne Ausnahme eine physikalisch-che­mische und physiologische Wirkung zugleich haben, so kommt es doch hier gerade darauf an, ob es eben die physikalisch­chemische Einwirkung oder die physiologische Folge­wirkung — die reactive Thätigkeit Seitens des Organismus — ist, welche das Zusammenziehen, Verdichten, die Stei­gerung der Spannkraft denn eigentlich bewirkt.
1. Ilic iihjslkaiisch wirkenden Mittel.
Alle Mitte), die hier in Betracht kommen, wirken durch Druck, Feuchtigkeits- und Wärmeentziehung.
Druck auf einzelne Gefässwände verschliesst das blutende Gefäss — Ligatur —; Druck auf eine blutende Fläche schiebt die üewebstheile und Gefässwände zusammen und stillt paren-chymatöse Blutungen — Tamponation —; Druck auf üppig wuchernde Wund- oder Geschwürflächen verdichtet mechanisch die Granulation, beschränkt das Her vor wuchern, die Gefäss-erweiterung, die Blutfülle und die Exsudation und beschränkt Inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; so neoplastische Processe — Druckverband —; Druck auf Ka-
näle, auf klaffende Wundränder nähert die Flächen und beför­dert so die Heilung — Compression. Druck gegen eine mecha­nisch ausdehnende Kraft, wie wir dies z. B. bei angesammelter Flüssigkeit in abgeschlossenen Bäumen, beim Austreten der Baucheingeweide aus der festgeschlossenen Höhle unter die nach­giebige Haut haben,— Gegendruck — behindert weitere Aus­dehnungen und ist immer um so wirksamer, je mehr er die ausdehnende Kraft übertrifft; alles, was daher die ausdehnende Kraft schwächt, unterstützt den Gegendruck in seiner Wirkung, deshalb ist die Hungerkur nothwendig, wenn man durch Gegen­druck einen Bauchbruch heilen will, deshalb zapfen wir die Gallenflüssigkeit ab, machen Incisionen bei Oedemen vor dem
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;491
Druckverbande. Auf mechanische Weise werden die meisten Retentionen bewirkt und dies ist ja die wesentlichste Bedingung zur Rückkehr der normalen Festigkeit und Elasticität aller, bei einer Dislocation ausgedehnten und erschlafften Gebilde; der Druck, welcher den vorgefallenen Augapfel in seiner Lage zu­rück erhält, ist die erste und wesentlichste Bedingung, diejenige Spannung und Festigkeit in den Muskeln und contractilen Fa­sern herbeizuführen, wodurch der Augapfel schliesslich auch ohne mechanischen Druck in seiner Lage erhalten wird. Das­selbe Verhältniss ist bei allen mechanischen Ausdehnungen, Luxationen u. s. w.
Luft. Jeder austrocknende Körper schrumpft zusammen und dies um so mehr, je mehr Feuchtigkeit er verliert; hierin liegt die verdichtende Wirkung der Luft, das hemmende Ent­gegentreten derselben allen Bildungsprocessen und allen che­mischen Acten, also auch den Zersetzungsprocessen. Von be­sonderem Werthe ist sie für diese Methode bei üppigen und lockeren Granulationen und um den Vernarbungsprocess zum Abschluss zu bringen. Eine dem freien Luftzutritt ausgesetzte granulirende Fläche schrumpft zusammen, aus den obersten Schichten bildet sich ein Schorf, unter dem die Granulation nur spärlich fortschreitet und dichter, fester wird.
Kälte. Sie entzieht Wärme und wirkt dadurch verdich­tend, zusammenschrumpfend auf den lebendigen wie auf den abgestorbenen Organismus. Der Grad dieser Wirkung ist ab­hängig: 1) von der Grosse der Differenz zwischen der als Kälte einwirkenden Temperatur und der des Organs, worauf die An­wendung erfolgt, weil die Wärnieentziehung auf dem physikali­schen Gesetze der Ausgleichung beruht, und weil mit dem Grade der Abkühlung auch der physikalische Effect — die Zusammen­schrumpfung, Verdichtung — im gleichen Verhältnisse steht *). Eis wirkt daher mehr als Wasser; Eis auf einen sehr entzün­deten und turgescirenden Theil angewendet, hat einen grösseren zusammenschrumpfenden Effect, als auf einen gleichen gesunden Theil; 2) von der Beschaffenheit des Gewebes. Im • starren
*) Für den Physiker ist dieser Satz allerdings nicht durchgreifend rich­tig — Wasser z. B. dehnt sich heim Gefrieren aus —, wohl aber für den Physiologen und Therapeuten; in dem Grade, wie überhaupt die thierische Wärme ohne Gefahr heruntergedrückt werden kann, nimmt auch die Dich­tigkeit gleichmässig zu.
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492nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die verdichtende Methode.
Knochengewebe wird die Zusammenziehung durch Kälte sehr unbedeutend, in therapeutischer Beziehung vielleicht gleich Null sein, in festen, fibrösen, sehnigen Gebilden ist sie nur gering, während sie in den Muskeln, dem lockeren Bindegewebe, in Drüsen, Haut, Schleimhäuten und ähnlichen blutreichen Weich­gebilden, sowie endlich auch in den Flüssigkeiten des Körpers sehr beträchtlich ist. Mit diesem physikalischen Effect steht der Heileffect bei Blutungen, Congestionen, Entzündungen und andern bei der kühlenden Methode bereits erwähnten Krank-heitszuständen in gleichem Verhältnisse.
Wir dürfen hier nicht unerwähnt lassen, dass die Kälte bei ihrer physikalischen Einwirkung zugleich auch eine physio­logische (Folge-) Wirkung hat, dass sie zugleich auch ein wahr-Ihaft tonisches Mittel ist und neben der verdichtenden Wirkung auch noch die vitale Spannkraft hebt, dass sie ein eigenthüm-liches Reizmittel für die Empfindungsnerven ist und dadurch den Anstoss zu lebendigen Contractionen giebt. Der Be­weis liegt darin, dass Kälte empfunden, selbst schmerzhaft em­pfunden wird, dass die Einwirkung derselben auf eine kleine Körperstelle — ein Tropfen kaltes Wasser auf den warmen Kör­per— ein Zusammenziehen der Haut über den ganzen Körper — Gänsehaut — erregen kann, und dass endlich Erkältungen über­haupt möglich und sogar eine tägliche Erscheinung sind. Beide, die physikalisch verdichtende und die physiologisch zusammen­ziehende Wirkung, unterstützen sich gegenseitig in ihren heil­samen Effecten, so weit die Kälte bei dieser Methode überhaupt in Betracht kommt. Die Mittel haben wir schon bei der ört-
!nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;liehen Abkühlung S. 481 kennen gelernt.
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2. Die vorzugsweise ehemiseb wirkenden Mittel.
Das Gemeinsame dieser Mittel ist, dass sie mit den Bestaud-thcilen des lebendigen Körpers — mit Säften und Geweben —, namentlich mit den sogenannten Proteinstoffen, mit Leimstoff und mit den Fetten schwerlösliche Verbindungen — Albu-minate, Fibrinate, Caseinate, Gelatinate und Verseifungen — bilden, dass sie coagulirend und dadurch hauptsächlich ver­dichtend, verschrumpfend, festmachend wirken.
Die Verdichtung ist also hauptsächlich ein chemi­scher Act. Alle diese Mittel äussern ihre Wirkung zunächst und vorzugsweise örtlich an der Stelle der unmittelbaren Be-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 493
rührung, weshalb sie denn auch die wirksamsten Mittel bei dem directen Kurverfahren sind, wo wir die Mittel unmittelbar auf die Stellen und Flächen bringen, an denen eben die Verdich­tung beabsichtigt wird. Die Haut wird gegerbt und dadurch dichter und fester; Blut und Synovia erstarren bei Berührung dieser Mittel, sie verschliessen so den Weg hinter sich und ver­hindern das weitere Aus- und Abfliessen; das Wundsecret er­starrt und bildet eine schützende Decke, unter der die Vernar­bung ungestört fortschreitet; lockere und üppig wuchernde Gra­nulationen werden verdichtet und selbst verschrumpfend zerstört; je nach dem Grade der chemischen Verwandtschaft zu den Ge­bilden bieten sich hier die Adstringentien in verschiedenen Gra­den der Wirksamkeit bis zum austrocknenden Aetzmittel dar.
Diese chemischen Wirkungen an den Stellen der directen Berührung sind aber nicht die einzigen; man hat die meisten dieser Mittel nach innerlichem Gebrauche auch im Blute, in entfernten Organen — Hautverfärbung beim Menschen durch längeren Gebrauch des Silbers, Argyria z. B. —, in Ab- und Aussonderungsorganen wiedergefunden, woraus denn hervorgeht, dass die schwer löslichen Verbindungen mit organischen Sub­stanzen an den Orten der directen Berührung theilweise auch die Bedingungen ihrer Lösung finden, in das Blut übergehen, auf dieses wie auch weiterhin auf die verschiedenen Gewebe chemisch einwirken, wofür zugleich die therapeutische Erfah­rung über die allgemeine Wirkung dieser Adstringentien spricht.
Dass neben dieser auf chemische Weise erfolgenden Ver­dichtung, Verschrumpfung etc. auch immer gleichzeitig eine grössere oder geringere Contraction und Förderung der organi­schen Spannkraft — des Tonus — einhergeht, ist nachzuwei­sen; auch hier unterstützen sich die chemischen Verdichtungen und physiologischen Contractionen in den Endzwecken dieser Methode.
Alle hierher gehörigen Mittel sind in ihrer Wirkungsart wieder mehr oder weniger verschieden, je nach dem Grade der chemischen Verwandtschaft zu organischen Stoffen überhaupt und zu den verschiedenen Geweben und Flüssigkeiten, nach dem Grade der Löslichkeit der Verbindungen mit organischen Substanzen und noch manchen andern Verhältnissen, die uns unbekannt sind, die wir aber daraus folgern müssen, dass jedes Mittel neben den mit manchen andern Mitteln
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494nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die verdichtende Methode.
gemeinsamen Hauptwirkungen immer wieder etwas Eigenthümliches hat. Die Arzneimittellehre beschäftigt sieh mit der specicllen Darstellung dieser Besonderheiten, hier kom­men nur die gemeinsamen Hauptwirkungen in Betracht und demnach unterscheiden wir folgende Gruppen:
Coagulirende Metalle.
Die Mehrzahl der in der Therapie gebräuchlichen Präpa­rate der Schwermetalle — Silber, Kupfer, Zink, Blei, Eisen — und einige Verbindungen der Leichtmetalle — Kalk, Kalkwasser und alle Aluminiumverbindungen u. s. w. Einige dieser Mittel wirken im concentrirten Zustande selbst ätzend — salpetersaures Silber, schwefelsaures Kupfer, Aetz-kalk —, andere wirken vorherrschend zusammenschrumpfend — Blei, Eisen, Eisenchlorid —, noch andere zusammenschrumpfend und stark austrocknend — Kalkhydrat, Alaun —, alle kommen aber darin überein, dass sie coagulirend und verdichtend wir­ken und diese Wirkung in verschiedenen Graden ausüben, je nachdem sie mehr oder weniger concentrirt angewendet werden. In Substanz, gepulvert oder in Masse, ist die ätzende, coagu­lirende und austrocknende Wirkung vorherrschend, die Lösun­gen nähern sich im concentrirten Zustande der Wirkung des Pulvers, erreichen sie aber niemals, im verdünnten sind sie ge­linde zusammenziehende Mittel. Als styptische und aus­trocknende Mittel wenden wir sie daher in Substanz — sal­petersaures Silberoxyd und Bleiblättchen auf penetrirende Ge­lenkwunden—, als tonische, zusammenziehende, verdichtende in Lösungen an ; innerlich stets in verdünnteren Lösungen. Solche Lösungen dienen überall als Hemmungsmittel bei copiösen Se-cretionen, Transsudationen und Exsudationen, bei reichlicher Eiterung, üppiger Granulation und andern luxuriösen Bildungs-processen und bei den atonischen asthenischen Entzündungen. Innerlich sind am gebräuchlichsten Eisenvitriol und Bleizucker als tonische antiphlogistische Mittel, und Chloreisen — Ferrum sesgidchloratum — zur Blutstillung. Der äusserliche Gebrauch ist vielseitiger; hierzu eignen sich namentlich die Lösungen von Zink- und Kupfervitriol, von Alaunkupfer und der Vilat'ache Liquor — Kupfervitriol 1 Th., Zinkvitriol 2 Th. in 32 Th. Wein­essig gelöst und dazu 4 Th. Bleiessig —; die verdünnten Lö­sungen, d. h. ^2 — Iprocentigen, von diesen Mitteln, namendich
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Mittel.
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von Alaunkupfer, sind gute antiphlogistische Augenwässer, etwas stärkere Lösungen zu Einspritzungen bei blennorrhoischen Zustän­den; die Bleizuckerlösungen können am stärksten sein, sie fin­den ihre zweckmässigere Anwendung bei äusseren Entzündungen, namentlich im lockeren Weichgebilde, zugleich mit der Kälte, und wenn letztere nicht vertragen wird, dann lauwarm als rei­nes adstringirendes Antiphlogisticura. Eine sehr gebräuchliche Lösung ist die von Höllenstein, '^ — % procentige, als Augen­wasser, 1 — 2procentige zur Anwendung bei Auflockerung und copiösen eiterigen Absonderungen der Schleimhäute; diese Sil­berlösungen zeichnen sich besonders durch Veranlassung stär­kerer Contractionen aus und finden deshalb überall die beste Verwendung, wo Atonie, Secretion und Zellenwucherung vor­waltet, wo man mehr austrocknen und den Vernarbungsprocess zum Abschluss bringen will.
Verbindungen mit schleimigen Mitteln schwächen die Wir-' kung, namentlich die directe Einwirkung auf der Stelle der Berührung sehr bedeutend, weil bei den meisten und nament­lich den stärkeren Mitteln schon eine chemische Verbindung stattfindet, die schwer löslich ist. Bei innerlichem Gebrauche, wo wir die örtlichen Einwirkungen auf Magen und Darm mög­lichst vermeiden, wo wir grössere Quantitäten anhaltend verab­reichen wollen, um auf das Blut selbst und von hier aus auf entferntere Theile einzuwirken, da ist solche Verbindung mit schleimigen Substanzen an ihrem Orte.
Säuren.
Die Säuren, namentlich die Mineralsäuren, wirken neutra-lisirend auf alle alkalische Stoffe, mit denen sie in Verbindung treten; reichen die Secrete in den Verdauungswegen zu ihrer Neutralisation nicht aus, so greifen sie die eiweissartigen Stoffe der Gewebe an, neutralisiren und coaguliren dieselben; wird auch hierdurch noch keine Neutralisation bewirkt, so verbinden sich die ins Blut gelangenden freien Säuren mit den Alkalien desselben, mit denen sie als Salze wieder — in den Nieren — ausgeschieden werden. Hieraus ergiebt sich, dass sie in den zu Heilzwecken üblichen Dosen nur örtlich an der Stelle der directen Berührung als Säuren, in dem Blute aber und in den entfernteren Organen nur als Salze wirken. Sie wirken daher nur örtlich an den Berührungsstellen coagulirend, schrumpfend.
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Die venlichtende Methode.
adstringirend, deshalb kommen die Säuren hier nur zur äusse-ren Anwendung.
Wenn der Urin bei dem Gebrauche der Säuren sauer reagirt, so be­weist dies keineswegs den unveränderten Uebergang der Säuren, die saure Reaction ist häufig auch ohne Gebrauch der Säure vorhanden. Nach dem innerlichen Gebrauche der Salzsäure hat mau bei dein Menschen den sauer reagirenden Urin sogar alkalisch werden sehen.
Die locale Wirkung ist nach dem Grade der Concentration resp. Verdünnung namentlich bei den Mineralsäuren sehr ver­schieden ; im concentrirten Zustande sind sie zerstörend (als Aetzmittel kommen sie hier weiter nicht in Betracht), im sehr verdünnten gelinde adstringirend, und dazwischen liegen die Grade der coagulirenden verdichtenden Wirkung. Eine Mischung von 1 Theil verdünnter Schwefelsäure mit 8-—10 Theilen Spiri­tus ist ein kräftiges zusammenziehendes Mittel bei Erschlaffun­gen und Ausdehnungen ohne Hautverletzungen. Die vegetabi­lischen Säuren wirken an der Stelle der directen Berührung auf gleiche Weise, aber viel schwächer und eignen sich daher zum äusserlichen Gebrauche dann, wenn man anhaltend gelind zu­sammenziehend und kühlend antiphlogistisch einwirken will.
Adstringirende Pflanzenstoffe, gerbstoffige Mittel.
Das wirksame Princip dieser Mittel ist Gerbsäure —Tannin, Acidum tnnnicum —, in ihren verschiedenen Modificationen — China-, Eichen-, Weiden-, Katechu-Gerbsäure, Gallussäure etc. — Der Gerbstoff hat grosse chemische Verwandtschaft zu Eivveiss, Gallerte nnd Faserstoff, mit denen er sich zu schwerlöslichen festen Massen verbindet — das Gerben. Seine Hauptwirkung äuasert sich daher an der Berührungsstelle und ist nichts Anderes, als das Gerben in der Lohgrube, wodurch Blut und Lymphe zum Erstarren, das Gewebe zum Verschrumpfen gebracht, fester, un­durchdringlicher und elastischer wird, Capillargefässe zum quot;Ver-schluss kommen, Hyperämien verschwinden, Absonderungen und Bildungsprocesse sistiren etc. Bei penetrirenden Gelenkver­letzungen ist die Tanninsäure eines der wirksamsten Mittel, wo­durch mit der Synovia ein fester Verschluss gebildet wird. Bei lockerer, leicht blutender Granulation, bei üppiger Wucherung der Fleischwärzchen, und in allen den Fällen, wo man die (Gra­nulation zum Abschluss bringen will und wo ein grosser Haut­verlust bei der Vernarbung ersetzt werden muss, überall ist
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 497
hier die Tanninsäure mit Wasser in verschiedenen Graden der Concentration — 1: 10, 20 bis 40 — kaum durch andere Mittel zu ersetzen, besonders wenn zugleich ein gelinder Druckverband angebracht werden kann.
Die Wirkung bei innerlichem Gebrauch äussert sich vor­züglich auf die Schleimhaut der Verdauungsorgane, dabei ist aber eine weitergehende allgemeine Wirkung nicht zu verken­nen. C. G. Mitscherlich (Vereinszeitung 1839. No. 42) hat auch direct nachgewiesen, dass gerbsäurehaltige Mittel, in kleinen Gaben angewendet, mit dem Magen- und Darmsaf'te sich ver­binden, resorbirt, ins Blut geführt und durch den Harn wieder ausgeschieden werden; so kann eine Verbindung dieser Sub­stanzen vom Blute aus überall auf das Gewebe einwirken. Von den hierher gehörigen Mitteln sind zu nennen: die Tanninsäure, Eichen-, China-, Weiden-, Kastanien- und Pappelrinde, Wallnuss-schalen und -Blätter — letztere haben in der neuesten Zeit einen Ruf bei lymphatischen Dyskrasien, bei verdächtiger Druse, Rotz und Wurm bekommen —, Galläpfel, Katechu, Campecheholz, Tormentill- und Schlangenwurzel — rad. Tormentillae et Bistor-tae —, Heidekraut — Erica vulgaris —, Heidel- und Preissei­beeren — iacc. Myrtilli et Vitis idaeae — u. a. m.
Eisen mit Gerbstoff — Dinte — ist ein sehr wirksames, austrock­nendes, verdichtendes und fäulnisswidriges Hausmittel bei faulem Strahl, bei Geschwüren mit lockerer Wucherung und reichlicher Secretion. Die stärksten dieser Adstringentieu, namentlich die Tanninsäure, Eichenrinde-und Campecheholz-Decocte und vor allen der Extract von Campecheholz — Kxfractum Ugni CampecJiiani venale — sind die wirksameren Mittel bei Gelenk- und Sehnen-Entziindungen, bei beginnenden Sehnenkrankheiten etc. Von dem Campecheholz-Extraot 100 Grm. auf 1 Eimer Wasser, hiervon 2-bis Sstündliche Anfeuchtung; am besten werden die betreffenden Theile mit leinenen Binden und darüber mit Stroh umwickelt, um continuirlich einzu­wirken. Die gelinde Erwärmung der Flüssigkeit in den Umhüllungen mag hierbei wesentlich mitwirken.
Brenzliche adstringirende Stoffe.
Sie wirken coagulirend auf Eiweiss und Faserstoff, im con-centrirten Zustande zum Theil selbst ätzend; alle diese Mittel zeichnen sich aber besonders dadurch aus, dass sie neben der adstringirenden und verdichtenden localen Einwirkung zugleich noch mehr oder weniger reizend wirken. Diese adstringirenden Reizmittel finden daher bei dieser Kurmethode besonders dann
Gerlach Allg. Therai.ie. 2.Aua.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;32
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Die verdichtende Methode.
ihre Anwendung, wenn neben der Atonie und Auflockerung zu­gleich noch Reizlosigkeit — Torpidität — besteht. Als styp-tische, schrumpfende Mittel finden sie bis jetzt nur eine directe locale Anwendung. Das Kreosot ist der Repräsentant dieser Mittel, welches im concentrirten Zustande gelind ätzend wirkt; die übrigen hierher gehörigen Mittel haben gleichfalls das Kreo­sot zu ihrem wirksamen Bestandtheile; es sind dahin zu zäh­len: Aqua Binelli, Holzessig, Carbolsäure, Theer, Theerwasser, Russ. Alle diese Mittel finden bei der antiseptischen Methode ihre weitere Erwähnung.
Spirituöse Stoffe.
Sie entziehen an der Berührungsstelle Wasser, adstringiren und verdichten hierdurch die benetzten Weichgebilde und wir­ken im concentrirten Zustande selbst coagulirend. Die locale Wirkung wird auf physikalische Weise noch durch Wärmeent­ziehung bei dem schnellen Verdunsten und durch physiologische Vorgänge, durch die lebendige Contraction vermehrt, indem alle Spirituosa zugleich flüchtige Reizmittel sind, die eine vermehrte Contraction in den faserigen, contractilen Gebilden hervorrufen. Auf chemische, physikalische und physiologische Weise zugleich wirken also diese Mittel örtlich verdichtend und den Tonus för­dernd 5 es sind daher wirkliche locale Stärkungsmittel, die hier auch nur als solche bei äusserlicher Anwendung in Betracht kommen, und besonders in den Fällen ihre Anwendung finden, wo es eigentlich mehr auf die Porderuns des Tonus ankommt.
3. Mittel, weiche vorzugsweise auf physiologische Welse dem Cardiualzwecke dieser
Methode eiilsiuecbeii.
1. Reizmittel für das contractile Gewebe, Mittel, die eine starke und continuirliche Contraction, eine contractile Zusammenschrumpfung bedingen. Diese Wirkung auf die con­tractilen Gebilde der Gefässhäute, besonders der Arterien, sind die eigentlichen blutstillenden, styptischen Mittel, besonders wenn atonische und paralytische Zustände zugleich obwalten. Her­vorzuheben sind hier das Mutterkorn, namentlich dessen wirk­samer Bestandtheil, das Ergotin, Chloreisen — Ferrum sesqui-chloratum — und die bereits erwähnten brenzlichen Adstrin-gentien, namentlich das Kreosot und alle Substanzen, deren wesentlicher Bestandtheil es ist.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;499
2. Die organische Verdichtung, Zusammenschnü-rung, Retraction des Gewebes — die Karbenstrictur.
Die Bildung des Narbengewebes beschränkt sich nicht bloss auf die Wundfläche, sondern findet auch in der Umgebung statt, so weit eben die Entzündung und Exsudation in der Umgebung reicht, was man daraus deut­lich erkennt, dass beweglich neben einander gelagerte Theile in der Um­gebung der Verwundung mit einander verwachsen. Je länger der Ver-narbungsprocess dauert, desto mehr Narbengewebe wird erzeugt: bei Ver­narbungen per primam intentionem wird nur wenig, bei Vernarbung per secuiid. int. aber schon mehr, und nach Substanzverlust am meisten Narben­gewebe gebildet; so lange nun der Vernarbungsprocess in der Wunde dauert, so lange kommt auch die Zellenproliferation im Bindegewebe der Nachbarschaft nicht zur Kühe; denn man sieht, dass nach langsamen Ver­wachsungen grosser Wunden und Geschwüre mit viel Substanzverlust Ver­wachsungen zwischen den umgebenden Theilen im grösseren Umfange ein­treten, dass sie dagegen nach der schnellen Vereinigung geringfügig ist, meist ganz fehlt. Von der Dauer des Vernarbungsprocesses und von der Ausbreitung der Entzündung hängt also die Quantität und der Umfang der Bildung des Narbengewebes ab.
Dieses, anfangs sehr gefässreiche, lockere und zarte neue Gewebe, Narbengewebe — cfr. Cicatrisation S. 168 — hat nun die Eigenschaft, mit der Zeit gefässarmer zu werden und zusammenzuschrumpfen, so dass es schliesslich sehr kurz, straff, dicht und gefässann ist. Jede Narbe wird deshalb fest und hart; in der Schleimhaut erscheint sie deshalb sternförmig; Yerletzimgeii des Narbengewebus heilen aus diesem Grande langsam und führen leicht zur Nekrose — brennt man auf eine alte Brandnarbe, so fällt diese gewöhnlich im ganzen Umfange heraus.
In der Bildung des Narbengewebes und in dessen zusam­menschrumpfender Eigenschaft sind uns die verschiedenen chi­rurgischen Mittel an die Hand gegeben, verdichtend, verengend und verkürzend auf einzelne Theile einzuwirken; Messer, Glüh­eisen und pharmaceutische Aetzraittel sind die Mittel, Ineisionen, Excisionen, Brennen und Äetzungen — Gewebszerstörungen -— sind die chirurgischen Acte, wodurch wir auf einer grösseren oder kleineren Stelle viel und wenig Narbengewebe erzeugen und so eine physiologische Zusammenschrumpfung — eine Nar-benstrictur — in verschiedenen Graden hervorrufen können.
Brandwunden und Anätzungen mit Säuren zeichnen sich besonders dadurch aus, dass nach ihnen eine starke Narben-strictur eintritt, was darin begründet sein dürfte, dass die Zer­störung stellenweis sehr tief greift, starke Entzündung und lang­same Vernarbung erfolgt und deshalb viel Narbengewebe er­zeugt wird.
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500nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die verdichtende Methode.
Vorfall der Mastdarmschleimhaut und die abnorme Disposition dazu heilen wir einfach durch Herausschneiden einer Schleimhautfalte; bei Hernieu können wir das weitere Hervortreten hemmen, den Bruch selbst verklei­nern und oft gänzlich beseitigen, wenn wir durch Aetzen und Brennen die Veranlassung geben, dass Haut und Bruchsack verwachsen und sich mit Narbengewebe durchsetzen — Salpeter- und Schwefelsäure, ätzende Salben — besonders Arsenik-, Brocbweinstein- und Kalichroinat-Salben — und Glüh­eisen sind bekannte Heilmittel bei Nabel- und andern kleinen Bauchbrüchen —; nach dem Abbinden und Abnähen nicht zu grosser Brüche bildet sich keine Aussackung, kein neuer Bruchsack wieder, weil sich straffes Narbengewebe gebildet hat; die Ausdehnungen der Gelenkbänder bei Verrenkungen und Verstauchungen, die oft allen Mitteln widerstehen und jeden Augenblick neue Verrenkungen erwarten lassen, beseitigen wir sicher durch Erzeugung von Naibengewebc — ich erinnere liier an das Ueberköthen und die Ver­renkung der Kniescheibe, bei der letzteren wird auch mit den angewen­deten Mitteln an der ausgedehnten Seite (Haarseile, Brennen etc.) sofort Schmerz, gebeugte Stellung des Fusses und so augenblickliche und nachhaltige Ketention bewirkt —; gegen Hasenhacke, welche in Aus­dehnung der Gelenkbänder (besonders des Hg. tarsi 2jiantare) begründet ist wie es bei jungen Pferden mit schlaffem Taserbau nicht selten vorkommt, ist das Brennen das wirksamste Mittel; Ein- und Auswärtskehrungen der Augenlider heilt die Narbenstrictur, wenn wir aus der Schleimhaut resp. Haut eine Falte herausgeschnitten haben; niederhängende Ohren nähern sich ihrer normalen Stellung in dem Maasse, als wir Narbengewebe in den erschlaßten Aufhebern erzeugen; das Glüheisen nehmen wir bei Gallen zur Hand, um weitere Ausbuchtungen zu verhüten. Diese Beispiele mögen ge­nügen, um zu zeigen, von welchem Umfange die heilsame Wirkung der Narbenstrictur ist.
Contra - Indicationen. Bei den im Allgemeinen erwähnten Anzeigen können sich
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Verbote geltend machen, die entweder vom Anfange an zugegen sind, oder sich erst im Laufe der angewandten Methode und selbst durch dieselbe ereignen. Bei den Indicationen, die unter Profluvien und Entzündungen aufgestellt worden sind, machen sich Gegenanzeigen geltend:
1) wenn die vermehrten Ab- und Aussonderungen eine kri­tische Bedeutung haben, wenn sie sich nämlich im -Laufe der Krankheit ereignen und nicht besonders bedrohlich sind, son­dern im Gegentheil einen Stillstand im Fortschreiten und selbst merkliche Besserung zur Folge haben;
!nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2) bei Entzündungen, die sich nicht coupiren lassen, bei
denen sich die Expectativkur als die zweckraässigste bewährt
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Contra-Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 501
hat — Entzündungen, welche acute Exantheme, namentlich die Pocken und Aphthen, begleiten, wobei die Kälte, Nilsse und aridere antiphlogistischc Adstringentien nicht ohne Nachtheil ört­lich angewendet werden;
3) bei Drüsenentzündungen, die nach kalten Umschlägen gern mit Verhärtungen der Drüsen enden, sowie bei allen pa-renehymatösen Entzündungen, bei denen Eiterbildung begonnen oder beträchtliche plastische Ausschwitzung stattgefunden hat, welche bei der örtlichen Anwendung dieser Methode die Grund­lage zu hartnäckiger Induration abgiebt.
Umstände, welche erst bei und durch den Gebrauch dieser Methode hervortreten und das Aussetzen derselben gebieten, sind meist in überwiegender chemischer Einwirkung begründet, wodurch bei längerem Gebrauche Structur und Function der Theile auf die Dauer krankhaft verändert werden und selbst die Säfte — das Blut — eine länger fortbestehende abnorme Beschaffenheit annehmen. Hierher sind zu rechnen:
o) Verdauungsstörungen bei anhaltendem innerlichen Ge­brauche der stärkeren Adstringentien, in Folge dessen diese Organe nach und nach zusammenschrumpfen und die Absonde­rung in ihnen beschränkt wird. Appetitlosigkeit, Unverdauiich-keit, seltener Absatz fester, selbst blutiger Excremente und Ver­stopfung sind hier die contraindicirenden Symptome. Die Ein­verleibungsorgane müssen bei längerem innerlichem Gebrauche überhaupt sorgfältig überwacht werden;
h) Gelbsucht — Stenose der Gallengänge — und abnorm verminderte Absonderung in allen Secretionsorganen;
c)nbsp; nervöse Zufalle — Krämpfe, Lähmungen — und andere, von abnormer Beschaffenheit der Säfte zeugende Erscheinungen — schleichende Abzehrung, Bleidyskrasie etc. Bei anhalten­dem Gebrauche der metallischen Adstringentien sind solche all­gemeine Zufalle zu befürchten und frühzeitig zu beachten;
d)nbsp; nbsp;endlich kann es sich auch ereignen, dass die Krankheit selbst diese Methode zurückweist, welche wir dadurch zu heilen glaubten, indem sich die Zufälle durch die Behandlung steigern, so z. B. werden die Schmerzen mancher Entzündungen beträcht­lich gesteigert bei örtlicher Anwendung der Kälte, Nässe und anderer antiphlogistischer Mittel dieser Methode. Ein Irrthum
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Die erschlaffende Methode.
hei der Walil der Methoden und Mittel, der sich im Voraus nicht immer berechnen lässt, deckt sich dem aufmerksamen Beobacliter sehr bald durch den Erfolg auf.
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Erselilaflendc, auflockernde, erweichende Methode, Metliodus rclaxans, emolliens.
Die Gewebe zu lockern, zu erschlaffen, Gefässe zu erweitern und Krankheitsproducte zu erweichen, dies sind die nächsten Aufgaben dieser Methode, die mit der adstringirenden im directen Gegensatze steht. Beide Methoden können zwar mitunter denselben pathischen Process beseitigen, dieselbe Entzündung kann z. B. in einzelnen Fällen eben so gut durch die zusammenschrumpfende, verdichtende Methode cou-pirt, wie durch die relaxirende in Exsudationen und Eiterungen erschöpft werden; die Methoden selbst aber bleiben immer sich ausschliessende Gegensätze, und in den meisten Fällen sind die Anzeigen für die eine zugleich Gegenanzeige für die andere.
#9632;
Indicationen,
1.nbsp; Zähigkeit, Dichtigkeit, Geronnensein, Festig­keit und Barte der Krankheitsproducte. Alle Krank-heitsproduete von dieser Beschaffenheit erfordern die erweichende Methode, wenn sie eliminirt werden sollen, sei es auf dem Wege der Resorption oder der Abstossung.
Zähe, dicke Schleimmassen in Höhlen, Säcken und Kanä­len müssen durch Injectionen, Dunstbäder etc. flüssiger und flott gemacht werden; festgewordene plastische und hämorrhagische Exsudate im Gewebe — amorphe Indurationen — müssen erst mittelst Erweichung, Durchfeuchtung resorptionsfähig gemacht werden — conf. schmelzende, lösende Methode S. 410 #9632;—, und geronnene, eingetrocknete Exsudate auf Flächen — Borken und Schorfe — werden durch Aufweichen gelöst.
2.nbsp; nbsp;Ausgetrocknetes, sprödes, bröckliches, rissi­ges Horn, zusammengeschrumpfte Hufe mit allen den
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;503
verschiedenen Folgezuständen, die befürchtet werden müssen oder die schon vorhanden und Heilobject sind. Verschaffen und erhalten wir dem Einhufer einen geschmeidigen, elastisch nach­giebigen Huf von festem Zusammenhange in seinem Gefüge, so verhüten und beseitigen wir viele Gebrechen, welche das Arbeits-thier werthlos machen.
3.nbsp; nbsp;Dichtigkeit, Starrheit, Spannung, Strictur im organischen Gewebe, in Bändern, Flechsen, Aponeurosen, Muskeln und Bindegewebe mit den verschiedenen Folgezustän­den, wohin namentlich Verengerung, Verkürzung, Steifheit, Un-beweglichkeit, verminderte Absonderung, Trockenheit u. a. zu zählen sind.
4.nbsp; Entzündungen. Sie sind in allen den Fällen eine Indication für die relaxirende Methode, wo es sich hauptsächlich darum handelt, die Spannungen zu lösen, Exsudationen zu för­dern und so grössere Wegsainkeit in den Capillaren herzustel­len; daher namentlich bei Entzündungen: a.) die sich durch reichliche Exsudation und Abschälung lösen sollen — vorge­schrittene Katarrhe —; b) wo Spannung und Schmerz durch Kälte gesteigert, die capilläre Blutfülle aber nicht verdrängt wird — Entzündungen in Sehnen und sehnigen Gebilden; c) bei Ent­zündungen mit ausgebreiteter capillärer Unwegsamkeit (Stockun­gen und Stasen), wo Brand zu fürchten ist, wie z. B. nach Quet­schungen, wo belebend gewirkt werden muss; d) in Drüsen und drüsenartigen Gebilden, wo die Erhaltung der Wegsamkeit der Kanälchen, die Förderung der Secretion am meisten anti-phlogistisch wirkt; e) endlich bei so weit vorgeschrittenen Ent­zündungen, dass die eiterige Schmelzung den günstigsten Aus­gang bildet, daher reifende Mittel — Maturantia — erfordert, welche alle dieser Methode angehören.
5.nbsp; nbsp;Schmerzen, so weit sie von Spannung und Druck herzu­leiten sind — Eelaxantia und Lenientia fallen hier zusammen.
6.nbsp; Verengerungen der Gefässo — Stenosen — und dadurch bedingte Ischämie; träge Lebensthätigkeit in allen Richtungen, besonders in den Bildungen, mangelhafte nutritive und forma­tive Thätigkeit.
Mittel,
1. Warme Feuchtigkeit, oder, wenn man lieber will, feuchte Wärme. Ein wichtiges, gebräuchliches, höchst billi-
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Die erschlaffende Methode.
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gas und doch so werthvolles therapeutisches Mittel, das bei die­ser Methode so recht eigentlich seine Anwendung findet.
Wärme an sich expandirt, trockene Wärme setzt aber da­bei die ausgedehnten Theile selbst in Spannung, weil sie zu­gleich Feuchtigkeit entzieht, und deshalb ist sie bei dieser Me­thode nicht zu gebrauchen. Ganz anders verhält es sich aber mit Wärme und Feuchtigkeit zugleich, hier dringt bei der expandirenden Wirkung der Wärme Feuchtigkeit in die Sub­stanz hinein, macht die Theilchen neben einander verschiebba­rer, begünstigt die Ausdehnung und gewinnt dabei selbst wie­der an ihrer erweichenden Wirkung; Feuchtigkeit steigert den expandirenden Effect der Wärme, diese den erweichenden und aufschwellenden der Feuchtigkeit. Amorphe Substanzen werden hierdurch aufgequellt, erweicht und selbst verflüssigt; so werden feste Fäcalmassen durch warme Klystiere erweicht und expeditionsfähig gemacht, Borken und Schorfe aufgeweicht und auf die mildeste Weise durch warme Bähungen abgelöst; so wird geronnener und erhärteter Faser­stoff im interstiticllen Gewebe durchfeuchtet und erweicht, dem Zerfallen entgegengeführt und resorptionsfähig. Die belebten organischen Gewebe werden ausgedehnt, aufgelockert und er­schlafft, sie behalten aber dabei immer ihren organischen Zu­sammenhang und können daher niemals wirklich erweicht und verflüssigt werden; jedes Fäserchen, jede Zelle wird von Feuch­tigkeit umspült und durchdrungen, das Ganze dadurch aufge­quellt, gelockert und leicht dehnbar, jede Spannung verschwin­det, die feinen Blutgefässe und Capillaren werden erweitsrt. So wird Blut in anämische Theile geführt und die Lebensthätigkeit, besonders die nutritive und for­mative Thätigkeit gehoben; so wird aber auch bei Entzündungen die stockende Circulation frei ge­macht, die kleinen stagnirenden Blutsäulchen werden flott und das Capillarnetz wieder wegsara •— Stockungen werden geho­ben —; langsamere Strömung in den erweiterten und gefüllten Capillargefässen ist weiterhin die nothwendige Folge der Erwei­terung und zugleich die Grundbedingung der reichlichen Ex­sudation, die wiederum Ursache der Verminderung der Blut­masse und der Ausgleichung der Circulationsstörung ist. Die Resorption wird gefördert, einmal durch Erweichung und Schmelzung des abgelagerten Stoffes, ausserdem aber auch durch
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Mittel.
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erregteBlutfiille und gesteigerte Vegetation überhaupt; Schmer­zen werden gestillt durch Hebung des Druckes und der Spannung; Absonderungsorgaue, die verschlossen wa­ren, öffnen sich, die gespannte Haut schliesst sich auf und duftet, die trockene Schleimhaut befeuchtet sich etc. Die warme Feuchtigkeit hat neben ihrer eigenen physikalischen Wirkung noch dadurch einen grosseren therapeutischen Werth, dass sie anderen Agentien als Träger dient, dass sie bei dem Durch­dringen der Gewebe Substanzen von verschiedener Wirkung in das Gewebe bis zu den Elementarformen führt; so können erre­gende belebende Stoffe mit eindringen — die aromatischen Bä­der, Fussbäder —; so gelangen lösende Alkalien, Jod, schmerz­stillende Narcotica in warm-wässerigen Lösungen tiefer in das Gewebe — die zertheilend und beruhigend wirkenden Laugen-und andere Bäder und Fussbäder.
Ganz besonders ist hier aber noch die eiterbildende Wir­kung der warmen Feuchtigkeit hervorzuheben; die maturirendc Wirkung der Kataplasmen ist bekannt; die Zellenproliferation im Bindegewebe istraquo; bei Entzündungsprocessen auf keine Weise so direct und speeifisch anzuregen, als durch fortdauernd ein­wirkende warme Feuchtigkeit. Die Eiterung im Entziindungs-heerde hat ihre weiteren heilsamen Folgen; der Entzündungs-prooess geht in dem Eiterungsprocesse unter, sofern er nicht immer wieder von neuem angeregt und unterhalten wird; orga­nische Verhärtungen weichen am schnellsten und vollständigsten den Eiterungen, und selbst amorphe Verhärtungen durch geron­nenen Faserstoff werden durch Eiterserum gelöst. In der Eite­rung liegt also eine antiphlogistische, auflösende, zertheilende Heilwirkung.
Das Austreten der weissen Blutkörperchen und deren Fortwandern in der Richtung zum Centrum der Entzündungsnoxe kann durch feuchte Wärme nur gefördert werden. Sofern diese neue Thatsache — Co^heim. in Viv-chow's Archiv, Bd. 40. Heft 1. S. 1 — bei Eiterbildungen einen Antheil hatraquo; hlciben die Kataplasmen die Eiterung fördernden Mittel auch bei diesem Vorgange.
Es giebt nun für den Therapeuten zwei Wege, die Wärme und Feuchtigkeit zugleich wirken zu lassen; die betreffenden Theile werden entweder in der eigenen thierischen feuchten Wärme, oder in der von aussen her angewendeten warmen Feuchtigkeit gebadet.
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Die erschlaffende Methode.
a) Das Baden in der eigenen feuchten Wärme geschieht einfach auf die Weise, dass Ausdünstungen und Ausstrahlungen an dem betreffenden Theile gehemmt und unterdrückt werden. Die Wirkung der so zurückgehaltenen feuchten Wärme ist im Allgemeinen, wie bereits angegeben worden; die Tränkung und Aufschwellung der Gewebe und deshalb auch die Auflockerung und Erschlaffung, die Exsudation und die Maturation ist jedoch viel geringer, die Lösung und Zertheilung hingegen grosser, als bei der äusserlich angewendeten warmen Feuchtigkeit. Wo es daher weniger auf Erschlaffung, Auflockerung und Maturation, als eben auf Lösung und Zertheilung ankommt — bei Drüsen­entzündungen überhaupt, und namentlich bei den Euterentzün-
dungen
da ist diese Anwendungsart der feuchten Wärme am
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geeignetsten. Die betreffenden Theile werden mit einem Firniss überzogen, mit Glycerin oder Fetten eingerieben, mit Eiweiss, Schleim, Kleister, Gyps etc. übertüncht, oft werden Substanzen hinzugesetzt, welche die Schmelzung, die Resorption noch beson­ders fördern. Ein anderes, hierher gehöriges Verfahren besteht darin, dass man durch nasse Compressen, ßinden oder Decken an einzelnen Theilen oder über den ganzen Körper die thieri-sche Wärme und Feuchtigkeit zurückhält. Wird eine Compresse oder eine mehrfach übereinander gelegte Binde feucht erhalten, so haben wir die Wirkung der feuchten Wärme, selbst wenn die Anfeuchtung mit kaltem Wasser geschieht; die Anfeuchtung darf allerdings nicht öfter geschehen, als zur Erhaltung der Dichtigkeit und Undurchdringlichkeit nöthig ist. Die Wirkung dieses Verfahrens ist sogar noch beträchtlicher, als das Ueber-firnissen und Ueberkleistern, weil die thierische Wärme viel vollständiger zurückgehalten wird. Recht zweckmässig verbin­det man bei dem letzten Verfahren oft den vorübergehenden Reiz der Kälte mit der Wirkung der feuchten Wärme, indem man zuerst die Kälte einwirken lässt und darauf die thierische Wärine nachhaltig zurückhält; so kann man die Haut in ihrem eigenen Secrete baden — s. diaphoretische Methode.
Ein glattes und hartes Epheublatt auf eine Oberhautschwiele, ein Hüh­nerauge gelegt, zeigt uns schon nach 12 Stunden die Durchfeuchtung und Erweichung durch zurückgehaltene thierische Feuchtigkeit.
Die Benutzung der eigenen thierischen Feuchtigkeit hat in der Thier-heilkunde für diese Methode einen besonderen praktischen Werth, weil die gleichmässige und anhaltende Anwendung der feuchtwarmen Umschläge, der -warmen Dampf- und Wasserbädei grosso Schwierigkeiten hat und oft
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;507
gar nicht in einer heilbringenden Weise auszuführen ist. Es ist viel prak­tischer, das Euter z. B. mit einem undurchdringlichen Ueberzuge einzuhül­len, als Breiumschläge, Infusionen und Deeocte anzuwenden.
6) Die äussere Anwendung der warmen Feuchtigkeit tindet statt, wenn die Haut verletzt oder entzündet ist und das Ueber-firnissen nicht gestattet, wenn wir mehr Feuchtigkeit eindrin­gen lassen, mehr erschlaffen, erweichen und die Eiterung be­fördern wollen, bei schmerzhafter Spannung, bei beginnender Eiterung etc.
Warme Umschläge, Kataplasmen. Hierzu wählen wir mehlige und schleimige Stoffe, welche die Wärme länger zurückbehalten und sich dicht an die Haut anschmiegen, ohne zu drücken, als: Kleie, Mehl, gekochte und gequetschte Kar­toffeln, Hafergrütze, Brod, Leinsamen, Leinsamenmehl (die ge­mahlenen Pressrückstände vom Leinsamen), schleimige Pflan­zen etc.
Warme Fussbäder von verschiedenen Ingredientien. Handelt es sich um anhaltende und gieichmässige Wärme, so sind die schleimigen und mehligen die besten; die aufweichende und Resorption vermehrende Wirkung wird durch aromatische und kalihaltige Substanzen — Ileusarnen- oder Aschenlaugen-bäder —, die beruhigende Wirkung durch Bilsenkraut, Bella­donna etc. gefördert. Die warmen allgemeinen Bäder sind in einer heilsamen methodischen Weise bei den grösseren Thieren gar nicht durchzuführen, und auch bei den kleineren sind sie kaum anzurathen, weil es schwierig ist, Erkältungen zu ver­hüten. Die Dunstbäder finden oft ihre zweckmässige An­wendung; bei der expectorirenden Methode S. 459 ist davon bereits das Nähere gesagt.
2. Die fettigen Substanzen — Ptnguia et Oleosa —. Sie wirken aussei' der bereits erwähnten Zurückhaltung der Ausdünstung und Wärmeausstralilung noch umhüllend, schlüpfe-rig machend und geschmeidigend innerlich wie äusserlich. Sie lockern, erweichen und erschlaffen nicht in dem Grade, als die wanne Feuchtigkeit, halten aber die dorchdrungenett Theile länger geschmeidig, dehnbar und verhindern das Zusammen­schrumpfen. Krusten, Borken und Brandschorf'e werden durchfet­tet, damit sie sich schneller lösen, spröde, rissige und schrun­dige Haut wird durch Fette geschmeidigt, besonders ist es zweckmässig an solchen Stellen, wo sie sich bei jeder Bewe-
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508nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Dio erschlaffende Methode.
gung in Falten zusammenschieben muss, und dadurch oft hef­tige Schmerzen verursacht, wie z. B. in der Köthe. Eine spe-cieile Erwähnung verdient hier noch die Einfettung des Hornes.
Die Furcht vor dem Eiuschmieren des Hufes, weil dadurch die Aus­dünstung desselben unterdrückt werde, ist ebensowenig begründet, als die besonders heilsame Wirkung, die man den Hufsalben zuschreibt, die sammt und sonders, so viel sie auch gerühmt und so geheim sie auch gehalten werden mögen, nicht mehr, als einfache Fette wirken, und oft kaum so viel; die Hauptsache bleibt die Anwendungsweise. Einen #9632; alten, harten, zusammengeschrumpften Stiefel mögen wir mit allen patentirten Lcder-selimieron tractiren, wie wir wollen, er wird immer drücken, tauchen wir ihn aber ins Wasser, so wird das Leder sehr bald weich und dehnbar, las­sen wir ihn aber wieder austrocknen, so wird er noch härter und bricht zuletzt, wenden wir dagegen nach dem Aufweichen im Wasser, wenn die Oberfläche etwas abgetrocknet ist, ein flüssiges oder flüssig gemachtes Fett an, so durchdringt dies alle Poren, die wässerigen Theile werden vom Fette vertrieben, sie treten auf die Fläche hervor, und so haben wir nun mit einem Male einen Stiefel der lange geschmeidig bleibt und nicht mehr drückt.
Benutzen wir diese einfache Thatsache für den Hornschuh unserer Pferde; durch Wasser wird er erweicht und dehnbar, er trocknet aber sehr bald wieder aus, wird dann um so här­ter, schrumpft noch mehr zusammen und wird bei öfterer Wie­derholung endlich mürbe und bröckelig; durchfetten wir ihn (Wand und Sohle) aber nach dem Aufquellen im Wasser, so schrumpft er nicht zusammen, längere Zeit bleibt er dehnbar und geschmeidig. Fett ohne vorherige Durchfeuch-tung nützt wenig, Feuchtigkeit ohne nachfolgende Durchfettung schadet.
3.nbsp; nbsp; Glycerin und schleimige Mittel, die mehr die Haut­feuchtigkeit zurückhalten, decken und einhüllen, den Ueberg;aiig zur folgenden Kurmethode machen und dort näher erörtert wer­den. Glycerin steht hier an der Spitze, das bei spröder und rissiger Haut dadurch einen Vorzug vor den Fetten hat, dass es nicht ranzig wird.
4.nbsp; nbsp; Die beruhigenden Narcotica, die jedoch nur bei organischer Spannung in Folge von grosser Reizbarkeit relaxi-rend wirken, conf. beruhigende Methode.
Contra - Indicationen.
Die Hauptmittel dieser Methode sind sehr indifferenter Na­tur, deshalb kommen selten directe Contra-Indicationen vor.
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Contra-Indicationen.
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Von vornherein muss die relaxirende Methode überall ausser Gebrauch bleiben, wo Umstände vorhanden sind, die wir als entschiedene Indicationen für die adstringirenden Mittel kennen gelernt haben. Im Laufe des Gebrauches müssen wir damit Halt machen, wenn bei innerlichem Gebrauche Verdauungs­schwäche und sogenannte Verschleimung — Atonie der Gewebe und vermehrte Absonderung von zähem Schleime — eintritt, ferner, wenn bei äusserlichem Gebrauche die Schleimflüsse, welche zur quot;Lösung der katarrhalischen Entzündungen gefördert wurden, bleibend und copiös werden durch Atonie und blei­bende Auflockerung — Blennorhöe —, bei profusen Eiterungen und lockerer Granulation, kurz, wenn der Zweck der Methode erreicht und besonders, wenn die Relaxation im höheren Gr^de eingetreten oder andauernder geworden ist, als es heilsam er­scheint.
Einlnillcnde, deckende Methode, Methodus involvens, s. obvolveus, obtegens.
Indicationen.
Die nächsten Zwecke dieser Methode sind verschieden, und danach gestalten sich die leitenden Motive.
1. Die Einhüllungen und Deckungen geschehen zur Abhal­tung oder Abschwächung normaler Einflüsse — Licht, Luft, schwankende Lufttemperatur, Nahrungsmittel. Solcher Schutz ist geboten: a) wenn es sich um Schonung und ßuhe handelt — das Lichtorgan ruht, wenn das Licht abgehalten wird —; h) bei abnormer Reizbarkeit, wenn auch die normalen Einflüsse abnorm reizen, wie bei Entzündungen — die entzündete Magen-und Darmschleimhaut wird von den gewöhnlichen festen Futter­stoffen irritirt, Hautentzündungen, besonders erysipelatöse wer­den durch einhüllende Mittel gemildert und selbst geheilt; Ver-schluss des Auges, Verklebung der Augenlider ist immer ein Linderungsmittel und oft Heilmittel bei Augenentzündungen; c) ganz besonders aber, wenn der normale Schutz fehlt. Epi-theliale Gebilde im weitesten Umfange sind die natürlichen Schutzmittel, wo sie fehlen, da ist immer Reizung, die Luft ist
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:
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510nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die einhüllende Methode.
hier das generelle Reizmittel, aber auch jede sonst normale phy­sikalische Einwirkung ist mit Reizung verbunden. Die Deckungs­mittel sind Stellvertreter des fehlenden normalen Schutzes.
2. Einhüllungen gegen absolut abnorme Einflüsse. Diese Einhüllungen beziehen sich auf den zu schützenden Körpertheil oder auf die Substanzen, welche reizend und selbst zerstörend einwirken; beides kann auch zugleich stattfinden und es ist der Schutz dann um so vollständiger.
n) Auf die Körpertheile selbst wird eingewirkt, indem wir die betreffenden Flächen überziehen. Unsere Hände ölen wir ein zum Schutz gegen Infectionen; so schützen wir die äussere Haut durch Einhüllung gegen beständig überfliessende Thränen, gegen Urin und Roth bei derartigen Fisteln, gegen Schleirnflüsse, gegen die zerstörende Einwirkung von Jauche — Brandjauche —, so wie auch gegen alle solche Substanzen, welche therapeutisch angewendet werden und ihre scharfe Einwirkung auf einer be­stimmten, begrenzten Stelle ausüben sollen. — Bei Application von scharfen Salben müssen die benachbarten tiefer gelegenen Theile eingehüllt werden —. Auf gleiche Weise schützen wir auch die Schleimhaut des gesaminten Verdauungskanales, der Harnröhre und Blase, der Scheide und Gebärmutter durch ein­hüllende innerliche Mittel und durch Injectionen gegen verschie­denartige reizende Einwirkungen, gegen genossene scharfe Sub­stanzen, gegen scharfe Secrete, gegen deletäre Jauche etc.
h) Einhüllung der Substanzen selbst. Arzneiliche Sub­stanzen werden eingehüllt, entweder, um sie in bestimmter Form an Ort und Stelle zu bringen — die einhüllenden Mittel sind hier die Vehikel —, oder um ihre örtliche Einwirkung' zu mildern — wir nennen solche Zusätze in der Receptirkunde die Corrigentia.
Den scharfen und ätzenden Mitteln, welche zufälli­ger-, fahrlässiger- oder böswilliger Weise in den Körper gelangt sind, schicken wir schleunigst einhüllende Stoffe — Involventia — massenhaft nach, um sie weniger schädlich zu machen. Sub­stanzen, die auch in entfernten Organen, selbst auf den Wegen ihrer Ausscheidung noch störende Rei­zungen verursachen, mögen sie als Arznei oder sonst wie in den Körper gelangt sein, sind gleichfalls Indicationen für die Anwendung der Involventia.
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 511
Es erscheint, bei reiner theoretischer Anschauung, allerdings fraglich, ob man denn auch wirklich im Stande ist, die scharfen Substanzen für entfernte Theilc, mit denen sie nicht direct, sondern erst nach ihrem Ueber-gange in das Blut und nach dem Austritte in die Excretionsorgane, in Be­rührung kommen, milder zu machen, einzuhüllen; die Erfahrung hat jedüch darüber entschieden: die sprechendsten Beweise haben wir hier bei dem Menschen, weil Eeizungen und Erleichterungen in gewissen Graden rein subjective Zustände sind, welche daher dem Thierarzte verborgen bleiben. Wer noch daran zweifelt, der trinke Leiusaincnschleim, wenn er bei dem innerlichen Gebrauche der Colchicumtinctur Schneiden in den Harnwegen verspürt. In allen Fällen, wo scharfe Substanzen in entfernten Theilen Eeizungen veranlassen, namentlich bei scharfen und urintreibenden Stoffen ist die einhüllende Methode auch angezeigt, ja selbst in den Fällen findet sie innerliche Anwendung, wenn die Ursache der Reizung nicht gerade in einer reizenden Beschaffenheit des Secretes, des Urins, sondern in einem abnormen reizbaren Zustande der Harnwege beruht, weil auch der normale Harn eine mildere Beschaffenheit bekommt.
3.nbsp; Einhüllung zur Zurückhaltung der Wärme und Feuchtig­keit. Obwohl es hier nicht an dem normalen Schütze fehlt, so ist doch die Hauptaufgabe an irgend einer Stelle der Haut die volle thierische Wärme zu erhalten, und das Verdunsten, das Abtrocknen zu verhindern. So hüllen wir namentlich ein zur Erweichung und Zertheilung — conf. erweichende Methode —, zur Förderung der Hautthätigkeit — conf. diaphoretische Me­thode —. Ganz besonders muss ich diese Einhüllungen noch bei Euterentzündungen hervorheben, welche die Kälte gewöhnlich nicht vertragen und bei warmen Umschlägen solche Sorgfalt verlangen, die selten darauf verwendet wird. Die deckenden und einhüllenden Mittel sind hier nicht allein die praktischsten, in der Mehrzahl der Fälle zugleich auch die wirksamsten. Auch bei Hautentzündungen, namentlich bei Pusteln, Erythem und Erysipelas ist in indifferenten, impermeabelen Ueberzügen eine Heilwirkung gegeben.
4.nbsp; nbsp;Einhüllung um schlüpfrig zu machen, Reibungen und Verletzungen zu verhüten.
Hände und Instrumente werden schlüpfrig gemacht, ehe wir damit in die natürlichen Oeffnungen des Körpers zur Unter­suchung oder Operation eingehen; zur Fortschaffung und Heraus­förderung von festen Kothmassen und fremden Körpern werden Mittel eingegeben und eingespritzt, welche die Wände schlüpf­rig machen; das Ankleben der Bandagen, der Decken, Sattel­decken etc. in wunden Stellen wird durch eine Fettlage —
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Die einhüllende Methode.
Talgläppchen oder durch Glycerin — verhütet; die Hautstellen, welche trocken, spröde, rissig, mit Knötchen oder sonstigen Aus­schlägen, mit Schorfen und Borken versehen sind, müssen durch einen Ueherzug geglättet werden, wenn Frictionen statthaben, wie dies überall da der Fall ist, wo die Haut bei jeder Bewe­gung in Falten geschoben- wird — in der Köthe — oder wo sich Hautflächen an einander bewegen — zwischen Brustbein und Oberarm gehen sich die Pferde den sogenannten Wolf, wenn sich Schmutz in die hier gebildeten Falten setzt —, oder endlich, wo Geschirre auf Theile zu liegen kommen, die bei dem Gehen ihre Lage verändern. Die hier in Anwendung kommenden Mittel sind die schrüpfrigmachenden, die Luhriccmtia.
In Schleimhäuten, die ihre Epithelschicht eingebüsst haben, kommen die abnormen Vorgänge nicht eher zur Ruhe, bis die Schutzdecke regenerirt oder künstlich ersetzt worden ist. Schmerzen, Hyperämie, Exsudation — Entzündung — in der, von Epithelium entblössten Schleimhaut verschwinden alsbald, wenn eine Deckung stattgefunden hat. Deshalb sind eben die Mittel, welche das verloren gegangene Epithelium künstlich er­setzen, die besten gegen schmerzhafte Durchfälle, gegen Ruhr, bei Mastdarm- und Harnzwang.
Excoriirte Hautstellen sind so lange äusserst schmerz­haft, bis sie sich mit einem Exsudate gedeckt haben, und wer­den es so oft wieder, als man die interimistische Decke entfernt, Die Schmerzen sind hier meist grosser, als bei tiefen Wunden, weil eben die äusserste Hautschicht unter der Epidermis 30 aus-serordentlich reich an Empfindungsnerven ist. Die schnellsten und vollständigsten Deckungsmittel sind die besten, den Schmerz sofort stillende Heilmittel — die besten Mittel gegen oberfläch­liche Verbrennungen.
Wunden und Geschwüre werden am schnellsten geheilt durch die deckende Methode, indem hierdurch Luft und fremde Stoffe abgehalten und möglichst gleichmässige Blutwärme erhalten wird; Kälte und Luft sind die Cardinal-feinde von jeder Neubildung, von Vernarbung, sie verzögern, hemmen und hintertreiben die Wundheilung, je nachdem sie in verschiedenen Graden einwirken. — Trocknet eine Wunde aus, so schmerzt sie, wirkt die Luft ein, so sistirt der Granulations-process; wird eine Wunde kalt, so schmerzt sie wieder, sie wird bläulich und verliert den Bildungstrieb —. Bei 0deg; heilt
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IndJcatiotien.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;513
keine Wunde; bei halber Blutwärme verzögerte Heilung, bei voller Blutwärme die schnellste, sicherste und vollkommenste Heilung, wenn zugleich die Luft abgehalten und Feuchtigkeit vorhanden ist.
Guyot, de Vcmploi de la ehaleur elc. Paris 1842. — lioss zur Hci-Imig von Wunden, Geschwüren, complicirten Eluochenbriichen u. a. m. daa kranke Glied in einen Kasten legen, der es luftdicht niuschloss, und in die­sem Kasten unterhielt er fortwährend 3U0 0. als die Temperatur, welche zum Ausbrüten der Eier erforderlich ist. Nach O. empfindet der Kranke Schmerz oder Unbehagen daran, wenn die Temperatur zu hoch oder zu niedrig steht, bei der Brütwärme aber empfindet er nichts.
Die Erfahrung- über die leichte Heilbarkeit der subcutancn Wunden giebt den sprechenden Beweis, wie heilsam die deckende Methode sein muss; die Lavyenheck'nchc Wundheilung- unter Wachstuchbedeckung, be­gründet auf die schnelle Heilung nach subeutanen Operationen, hat sich bewährt, wie auch die Heilwirkung- des Volksmittels, das in dem Verbin­den der Wunde mit einem glatten und fleischigen Blatte (von Sedum etc.) besteht; Einpflasterungen und Bandagen heilen, weil sie docken. Von den Tineturen, Mixturen, Balsamen, Salben und Pulvern, die bei Wunden und Geschwüren als Heilmittel in Gebrauch kommen, sind diejenigen von ent­schieden heilkräftiger Natur, welche sich mit dem Wundsecrete chemisch verbinden und so eine schützende Decke bilden, unter welcher die Granu­lation und schliessliebe Vernarbung ohne Eiterung nach denselben Gesetzen wie bei der Heilung per primum intenlionem erfolgt. Die Natur selbst ope-rirt immer gegen die erwähnten feindlichen Einflüsse durch Eiterbildung, Exsudation und Schorfbildung.
Das häufige Abspülen, Reinigen der eiternden Wunden, das Abnehmen des Schorfes gehört deshalb unter die therapeutischen ]\I is sh and hin­gen, sobald nicht anderweitige Zustände (Untermiiiirung, Fistelbildung-. Torpidität, grosse Lockerheit etc.) zur Application gewisser Mittel solches Verfahren erfordert.
Mit dem Decken ist oft noch eine andere Heilwirkung bei Wunden und Geschwüren verbunden, die in einem elastischen Gegendruck beruht. Sind Theile verletzt, wo bei der eintretenden Entzündung die Ausdehnung nicht nach allen Eichtungen hin stattfinden kann, sondern sich auf die verletzte Stelle concentrirt, so ist ein mit dem Decken verbunde­ner Gegendruck die wesentlichste Heilbedingung; ohne eine Widerstand leistende Decke quellen .hyperä-misch werdende entblösste Weichgebiide hervor, schicssen Ex-crescenzen heraus, werfen Wundränder sich callös auf; eine fortwährend unterhaltene chronische Entzündung bedingt Ver­dickungen und Entartungen des cranzen Theiles und führt über-haupt alle die Dinge herbei, welche die wirkliche Heilung sehr
GerUch Allg. Therapie. 2. Auü.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 33
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Die einhüllende Methode.
in die Länge ziehen und scliliesslich docli oft nur unter Ver-kriippelung des verletzten Tlieiles zu Stande kommen lassen. Wollen wir Wunden in Sehnenausbreitungen, Ver­letzungen der Schenkelbinde, Ilufverletzungen etc. heilen, so muss die deckende Methode mit einem sol. dien Gegendrücke in Anwendung kommen, dass die Weich-gebilde an der verletzten Stelle denselben Widerstand finden, den sie nach allen anderen Richtungen hin in normaler Weise erfahren, ohne diese Methode heilt kein Chirurg glücklich bei derartigen Verletzungen.
Mittel.
1, Die schlüjifi'igiuachendeii einhüllenden Mittel — Liibrkaulia.
Sie hüllen die Organe ein zum Schütze, die schädlichen Substanzen zur Minderung oder Aufhebung ihrer Wirkung und machen in allen Fällen dabei schlüpfrige Flächen. Hierher ge­hören: Gallerte, llülincreiweiss, Schleime — arabisches Gummi, Quitten- und Leinsainenschleim etc.—; Mehlsubstan­zen— Stärkemehl, Roggen-, Weizenmehl, Salep, Hafergrütze —; emulsive Mischungen — Milch, Kahm, Emulsionen von ol-und schleimhaltigen Samen, z.B. Hanf-, Leinsamen etc. —; Glycerin, Fettigkeiten — Gele, Butter, Schmalz, Talg etc. Die ersteren — albuminosen, schleimigen und mehligen — Sub­stanzen eignen sich besonders bei allen Schleimhaut-Affectionen, namentlich aber in den Verdauungswegen, bei genossenen rei­zenden, scharfen und ätzenden Substanzen, bei Magen- und Darmentzündungen, ferner bei allen Entzündungen, bei denen die Luft schon steigernd oder doch wenigstens hemmend in der Heilung wirkt, wje z. B. bei allen Augenentzündungen — be­sonders den rheumatischen, katarrhalischen —, bei rotblaufar-tigen und exanthematischen Entzündungen der Haut, bei allen Drüsenentzündungen.
Die Fette finden ihre Anwendung innerlich und äusserlich, wie die vorstehenden, besonders äusserlich zum Schütze der Haut, zur Einhüllung und Geschmeidigmachung.
Das Glycerin, ein neueres Mittel, nimmt in der äusseren Anwendung eine hervorragende Stelle bei dieser Methode da­durch ein, dass es ein mildes deckendes Mitte] ist, geschmeidig
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;515
und schlüpfrig macht, an der Luft nicht verdunstet, nicht ran­zig wird und sich nicht zersetzt, dass es auf trockenen und nassen Flächen, auf der Haut, der Schleimhaut und auf Wund­flächen haftet, ein vielseitiges Lösungsmittel und ein ebenso mildes als bequem zu applicirendes Vehikel für metallische Mit­tel, Alkalien und Säuren ist. Das einfache Glycerin dient als geschmeidig und schlüpfrig machendes Schutzmittel für die Haut; Eigelb - Glycerin — Glyconin —, besonders aber das Stärke­mehl-Glycerin — Glycerinsalbe — ist ein recht gutes Deckungs-inittel bei Hautentzündungen, bei Drüsen- und Euterentzündun-gen, bei letzteren hat es durch sein sicheres Haften bei der mil­den Wirkung den Vorzug vor allen deckenden Mitteln. Von den verschiedenen Verbindungen sind hier als die wirksamsten kurz zu erwähnen: Glycerinsalbe mit Kupfervitriol — 20 bis 40 : 1 — bei Exanthemen,granulirendonBindehautentzündungen; Glycerinsalbe mit rothem Quecksilberpräcipitat — 10 bis 20 :1 — bei denselben Krankheiten, bei hartnäckigen Ulcerationen; femer mit Silbersal­peter — 20 bis 30 : 1 — als deckendes und austrocknendes Mittel, unter dem sich eine feste Granulation bildet; Glycerin oder auch Glycerinsalbe mit Tannin — 20 : 1 — ist ein gutes deckendes und austrocknendes Adstringens; Glycerin mit Jodtinctur — 10 : 1 — ein einhüllendes Antiphlogisticum bei Erysipelas, bei Ohrenent­zündungen der Hunde; mit Theer, eine sehr gute deckende Digestivsalbe, zum deckenden Ueberzuge bei Euterentzündung und als Antiparasiticum.
Die Verbindungen des Glycerins mit anderen Substanzen nennt man Glycerole — Gßyceroleum —; die Verbindung mit Amylum giebt die Gly­cerinsalbe — Unguenium Glycerini —; je mehr Amylum, desto consistenter wird die Salbe; 5 Theile Glycerin mit 1 Theil Amylum und i/aTheflWäs­ser unter gelinder Erwärmung zusammengeriebeu, geben eine Salbe in der Consistenz des Schweineschmalzes. Will man die Verbindungen in flüssiger Form haben, so nimmt man das reine Glyceirin.
3. Coagulirende IHittel.
Diese Mittel verbinden sich auf der Gberfläche mit den Ei-weisssubstanzen enthaltenden Säften und Geweben chemisch und bilden in dieser Verbindung eine schützende Decke. Mit die­sem chemischen Acte ist immer ein Reiz verbunden, der augen­blicklich nachtheilig wirken kann, aber immer bald vorübergeht. Je geringer dieser Reiz ist und je schneller er vorübergeht, desto milder ist das deckende Mittel.
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Die einhüllende Methode.
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Das salpetersaure Silber, in schwachen Solutionen, ist diesen Mitteln an die Spitze zu stellen, besonders wirkt es bei Ruhr, bei Mastdarmzwang (hier in Klystieren), bei aphthüsen Excoriationen und bei oberflächlichen Verbrennungen ganz vor-trefflich; es bildet in der chemischen Verbindung mit den Secre-ten eine dichte Hülle, welche je nach dein Grade der Concen­tration feiner oder stärker ist und die verloren gegangenen Lagen von Epidermis wie von Epithelium augenblicklich ersetzt, ohne tiefer auf die Gewebe weiter einzuwirken.
Schwefelsaures Kupfer wirkt als Solution ähnlich, kann aber das salpetersaure Silber bei den erwähnten Krankheits-zuständen nicht ganz ersetzen; in Wunden mit lockerer und üppiger Granulation als feines Pulver gebracht, wirkt es aber ganz erwünscht, indem es nach der zusammenschrumpfenden und ätzenden Einwirkung eine feste Decke bildet, tonisch auf die Capillargefässe wirkt, capilläre Hyperämie vermindert, da­durch die Exsudation beschränkt, Eiterung ganz verhindert oder doch nur in geringerem Grade aufkommen lässt; durch Zusatz von arabischem oder anderem Gummi wird die erste Einwirkung gemildert und die deckende, schützende Eigenschaft befördert.
Das Alaunkupfer — Heilstein, göttlicher Stein — wirkt weniger reizend auf die Wunde ein, als das Kupfer, besitzt aber alle anderen Einwirkungen im höheren Grade und ist ein Wund­beilmittel, was seinen alten Namen verdient.
Bleizucker ist namentlich seiner deckenden Eigenschaft wegen ein wirksames Mittel bei Hautverbrennungen ersten Gra­des. Das Bleiliniment—1 Theil Bleizucker auf 3 Theile Baumöl — ist ein mildes, deckendes und etwas austrocknendes Mittel.
Alle gerbstoffhaltigen Mittel gehören ferner recht eigentlich hierher, weil sie eben bei dem Gerben (chemische Verbindung mit Eiweiss und Faserstoff) eine feste Hülle bilden, besonders bei vorhandener albuminöser Feuchtigkeit, und daher eine vielfache Anwendung bei dieser Methode finden. Wo man eine verdichtende, die Granulation niederhaltende Wirkung mit der deckenden vereinigen will, da ist eine wässerige Tannin­lösung zu empfehlen — conf. adstringirende Pflanzenstoffe bei der verdichtenden Methode S. 496.
Spiritus hat eine schnelle heilsame Wirkung bei frischen und oberflächlichen Verbrennungen, weil er coagulirend wirkt und so deckt; die verschiedenen Tincturen, welche sich als
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Mittel.
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Wundheilmittel bewährt haben, verdanken ihre Wirkung beson­ders dem Spiritusgehalte, wodurch das Wundsecret coagulirt und so eine Sehutzdecke gegen den generellen Feind — die Luft — gebildet wird. Sind dabei die in Spiritus gelösten Sub­stanzen der Tincturen von der Art, dass sie die Coagulation för­dern und mit dem Ccagulum selbst eine Verbindung eingehen, durch welche dasselbe eine dichtere Schutzdecke bildet, und dass sie zugleich gegebene Neben-Indicationen durch tonische oder erregende Wirkung etc. erfüllen, so ist auch ihre heil­kraftige Wirkung um so grosser.
Kreosot und ähnliche Mittel, welche coagulirend einwir­ken, finden unter Umständen ihre Anwendung bei dieser Me­thode. Je nachdem man bei der Application einer schützen­den Decke durch coagulirende Mittel zugleich mehr oder weni­ger reizend oder verdichtend wirken will, wählt man natürlich unter den Mitteln nach ihren entsprechenden Nebenwirkungen — bei torpiden und fauligen Geschwüren z. B. würde Kreosot, bei üppiger Granulation ein Streupulver von schwefelsaurem Kupfer, bei grosser Lockerheit und Atonie, eine gerbstoffhaltige Substanz ein entsprechendes, deckendes Mittel sein.
3. Rlobemiltel — Gliitimmtia.
Mehl, Stärkemehl, Gummi einzeln für sich oder in Verbindung mit einander in Wunden gestreut, verbinden sich in dem Wundsecrete zu einer Decke, sie alle sind daher Wund­heilmittel. Kleister aus diesen Substanzen, mit Eiweiss oder Leim bereitet, ist ein schützendes Klebemittel zu allen Heilzwecken, welche diese Methode bei äusserlicher Anwendung überhaupt hat.
Pflaster und die hierher gehörigen harzigen Substan­zen finden eine beschränktere Anwendung bei der deckenden, einhüllenden Methode, weil sie auf der behaarten Haut unserer llausthiere nicht so applicabel sind.
o) Wachs ist von diesen Mitteln das mildeste, es klebt aber auch am wenigsten, seine Anwendung findet es besonders bei Hufverletzungen — zur Deckung entblösster Thcilc — und zur Einhüllung der Haut gegen scharfe, ätzende Substanzen,
h) Der geraeine Ter pent hin ist ein gutes Klebemittel bei Verhärtungen und chronischen Entzündungen im Euter; er wird erwärmt, mit einem Spatel messerrückenstark aufgetragen und dann mit Mehl, Kleie oder gehacktem Werg bestreut; an
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518nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die einhüllende Methode.
der Stelle, wo das Euter die innere Fläche der Hinterschenkel berührt, legt man ganz zweckmässig alte, weiche Leinewand auf, um das Ankleben zu verhüten. Bei schlecht eiternden Wunden wird es gleichfalls als sogenanntes Digestivmittel benutzt, wo sich die erregende und deckende Wirkung zu Heilwirkungen vereinigen; ein mildes Schutzmittel, welches die Feuchtigkeit zurückhält, die Granulation fördert und ein vortreffliches Heil­mittel bei allen Wunden und Geschwüren, in denen eine Granu­lation nicht recht aufkommen kann, ist eine Verbindung des Terpenthins mit Eigelb — eine Digestivsalbe, die ich nicht entbehren möchte.
c)nbsp; nbsp;Theer ist ein Wundheilmittel, weil es schützt, es reizt aber zugleich und findet deshalb nur seine Anwendung, wo der Tcrpenthin angewendet werden kann; als Anstrich am Euter hat er eine gute Heilwirkung bei chronischen, torpiden Entzün­dungen, bei Knoten und Verhärtungen; er schadet aber bei allen ausgebildeten, schmerzhaften und mit grosser Spannung versehenen Eutcrentzündungen, weil die reizende Eigenschaft auf die Haut die deckende bedeutend übertrifft.
d)nbsp; Pech, Pechpflaster ist zuweilen unersetzlich, es klebt sehr gut, ist leicht zu appliciren, bildet eine fest werdende Schutzdecke, welche gegen Luft und selbst gegen mechanische Beleidigungen schützt, die thierische Wärme und Feuchtigkeit zurückhält und so eben alles leistet, was von der decken­den Methode gefordert werden kann. Offene Druckschäden vom Sattel heilen unter dem Reiter, wenn ein fest gewordenes Pech-pflaster die Wunde deckt.
c) Adhäsivpflaster. Gestrichen können wir es zum Hef­ten getrennter Theile auf der behaarten Haut wenig benutzen, aber etwas erwärmt lässt es sich als Schutzmittel in dünne­ren Schichten auf die Haut tragen, worauf man wieder etwas Mehl oder Kleie oder geschnittenes Werg aufstreut und ein­drückt. Diese Schutzdecke wird nicht so spröde, als bei dem Pech; bei Euterentzündungen ist es ganz wie der dicke Tcrpen­thin zu gebrauchen.
/) Flüssiges Kautschuk — Resina elastica liquida — ist ein gutes Klebemittel, welches nach und nach fester wird, dadurch die bedeckte Fläche etwas zusammenzieht und so einen gelinden Druck ausübt. Es ist ein indifferentestes Deckungs­mittel, was von den Praktikern um so mehr adoptirt und
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 519
angewendet zu werden verdient, als der Preis nicht besonders hoch ist. Bei Euterentzündungen wird es wie der Terpenthin angewendet, besonders da, wo man die reizende Einwirkung des Teipenthins vermeiden will. Um das Kleben auf der Ober­fläche zu vermeiden, verfahrt man ganz wie bei dem Terpen­thin. Auch als Vereinigungsmittel ist es zu benutzen.
g) Das C oll odium. Ein deckendes Klebemittel mit dem grossen Vorzuge für die Praxis, dass es schnell und fest auf behaarter und nicht behaarter Haut klebt, und eine undurch­dringliche Decke bildet, die immer zugleich einen gewissen Druck auf die bedeckten Theile ausübt, weil bei dem Festwer­den durch Verdunstung des Aethers eine Einschrumpfung ver­bunden ist. Besonders empfehlenswerth ist es: a) zur Deckung der gehefteten Wunden, um die Hefte zu unterstützen, und das Eindringen der Luft zwischen den Heften zu verhüten; b) als Ersatz für Hefte, wenn die klaffenden Wundninder nicht sehr gespannt und leicht zusammen zu halten sind, oder nach dem Lockerwerden resp. der Entfernung der Hefte, um das starke Klaffen zu beschränken und die Einwirkung der Luft von der offenen Wunde abzuhalten. Hier empfiehlt es sich, feine Wergfaser quer über die möglichst zusammengeschobenen Wundränder zu legen und mit Collodium zu befeuchten, bis sich eine feste Decke gebildet hat; c) als Deckungsmittel, wenn man die Haut gegen abfliessende Flüssigkeiten — Thräncn, Harn, Jauche etc. — und leichte Hautverletzungen gegen Intoxication schützen will.
h) Gutta Percha. Schon für sich allein wie auch in Verbindung mit Ammoniakgummi, Gummi resina Ammoniaci — 2 Theile mit 1 Theil dos letzteren bei gelindem Erhitzen unter Umrühren zusammengeschmolzen — Defays — ein vorzüglicher Hufkitt, entblösste Weichtheile am Hufe zu decken, und Horn-defecte in der Art zu ersetzen, dass selbst unbeschlagbare Hufe wieder mit Hufeisen belegt werden können. Der Kitt haftet jedoch nur dann, wenn das Horn trocken, rein und mit einem heissen Eisen etwas erwärmt worden ist. Der Kitt wird ge­schmolzen aufgetragen. Für den Beschlag kranker Hufe haben wir in diesem Hufkitt ein wesentliches Verbesserungsmittel be­kommen.
4. Trockene, feste Einhüllungen.
Einfacher Verband. Charpie, Werg, Baumwolle, Com-pressen und Binden sind die gewöhnlichen Mittel zu dorn ein-
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Die einhüllende Methode.
fachen Verbände lädirtcr Tlieilc, um Luft, Kälte und andere Einflüsse abzuhalten, und das Austrocknen zu verhindern. Die
Baumwolle — Watte — ist ein gates Hausmittel bei oberfläch­lichen Verbrennungen und nässenden Exanthemcn, die mit dem Exsudate zu einer Art Filzdecke wird und vollkommen gegen die Luft schützt.
Kleister-, Schellack- und Gyps verband. Uebcrall, wo es sich hauptsächlich darum handelt, einen bestimmten Körpertheil in Ruhe und entsprechender Lage zu erhalten, oder um einen gewissen Druck auszuüben, zur Begrenzung der Callusbildung resp. zur Erweckung und Unterhaltung eines atrophirenden Vorganges. Der Gypsverband erfüllt alle Anfor­derungen am vollkommensten und hat deshalb die übrigen kle­benden Verbände verdrängt; bei kleinen Thierchen empfiehlt sich der Schellackverband als bester.
Die Bandagenlehre ist durch den Gypsverband ebenso vervollkomnmet, als vereinfacht worden; ganz besonders hat die Veterinär-Chirurgie hierdurch recht viel gewonnen, weil ihre ganzen Bandagen bei Knochenbrllchen,
I.uxatümen und anderen Zuständen, die Ruhe und gleichmässigen Druck verlangen, sehr imvollkommen, meist ganz unbrauchbar waren. Bei dem Gypsrerbande ist Grundbedingung: don Gyps, mit Wasser zum dünnen Brei gemacht, sofort zu appliciren — der vor dem Auftragen halb erstarrte und wieder verdünnte Gyps bindet schlecht —, das betreffende Glied in der erforderliche Lage so lange zu fixiren, bis der Gyps erstarrt ist, und die Tlicile nicht zu sehr mit überflüssigen Gypsmassen zu belästigen. Man nimmt am zweckmässigsten zollbreite kurze Binden, die man in dickflüssige Gypsmasse taucht und so um die Tlieilc legt; 2 Lagen übereinander und mit Gyps noch überstrichen geniigen gewöhnlich schon.
.quot;), Sengende, schorfblldende ffilttel, Kscliarotica.
Das Weissglüheisen gehört hierher. Secret und Gewebe an der Oberfläche der Wunde oder des Geschwüres wird zu einer dichten, fest haftenden, vollkommen schützenden Kruste verwan­delt, unter der es vortrefflich heilt. Solche Kruste ohne spe-ciellc Indication abnehmen, ist daher ein arger Missgriff. Ist gleichzeitig eine Masse vorhanden, die überflüssig ist und die Heilung hemmt — Excrescenzen, Fungenbildung, Callositäte: so ist das Weissglüheisen als zerstörendes und deckendes Mittel besonders an seinem Orte. Weissglühhitze und momentane Be­rührung der zu verschorfenden Tlicile sind wesentliche Bedin­gungen, damit nicht so viel Hitze einströmt, die Reizung nicht
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Contra - Jndicationen.
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gross ist, die Zerstörung nicht tief greift und der Schorf auch fest sitzt.
Wollen wir das Einströmen der Hitze noch mehr vermei­den und die Wunde überhaupt mehr schonend behandeln, so ist es zweckmässig, wenn wir eine Lage Haare, Leder oder Fleisch, oder auch vegetabilische Substanzen — Baumwolle, Werg etc. — auf die Wunde legen und diese Stoffe, die übrigens nur in einer dünnen Lage die Wunde decken dürfen, mit einein recht weissglühenden Eisen versengen. Dieses deckende Mittel fin­det auch seine Anwendung zur Blutstillung der Theile, die arm an Weichgebilden sind.
Contra - Indicationen.
Bei der einhüllenden, deckenden Methode giebt es der Mit­tel so viele und in der Wirkungsweise so verschiedene, dass der etwa vorhandenen Contra-lndication fast immer genügt wer­den kann, ohne die Methode selbst aufzugeben; bei Vergiftun­gen, wo einhüllende Fette das Gift lösen und deshalb eontra-indicirt sind — Vergiftungen mit Phosphor und Canthariden z. B. —, da stehen der Methode andere Mittel — Eiweiss, Schleim etc. — zu Gebote; wo das Glüheisen als deckendes Mittel entschieden contraindicirt ist, kann Pflaster, Kleister, Col-lodium ganz vortrefflich sein; wo das Verkleben einer Wunde, eines Geschwüres mit Pflaster etc. leicht zur Fistelbildung führt, da kann die Wund- oder Geschwürfläche durch Digestivsalben eingehüllt oder durch coagulirende Mittel gedeckt werden, bei denen diese Befürchtung nicht existirt. Wenn Atonie, Unver-daulichkeit, Verschleimung in den Verdauungswegen bei dem innerlichen Gebrauche der einhüllenden, schleimigen, faden Mit­tel eintreten, so ist dadurch das Aussetzen der Mittel geboten.
Hautrcizcndc, haiitantziindcmlc lelkode, M. opispastica.
Die Haut ist sehr reich an Gefässen und Nerven, sie ist Sinnesorgan, der Gefühlssinn ist in ihr ausgebreitet; sie steht tlieils durch den Mechanismus der Nerven- und Gefässverthei-lung, theils durch Nachbarschaft — Contiguität — zu den tie-
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522nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Die hautreizende Methode.
fer liegenden Theilen und den inneren Organen, ganz besonders vorherrschend zu den Schleimhäuten in einem Wechselverbält-nisse; bei alledem ist sie zugleich ein Organ, das ohne Gefahr für den Körper künstlich gereizt und auf ziemlich grossen Flä­chen in Entzündung versetzt werden kann.
Die Haut ist demnach durch ihre physiologische Beziehung zu dem Gesammtorganismus und dessen einzelnen Theilen einer der wichtigsten Angriffspunkte für die Therapie, von wo aus die innersten und entferntesten Organe erreichbar sind und selbst Krankheitsprocesse ausgelöst werden können, denen auf anderen Wegen weniger sicher oder gar nicht beizukommen ist.
Die liautreizende Methode erstreckt sich von der einfach­sten, schnell vorübergehenden bis zur durchdringlichsten und nachhaltigsten Reizung. Sensationen von verschiedenen Graden in den Hautempfindungsnerven zu erregen, einfache Hyper­ämie, oberflächliche Entzündung, tiefere exsudative Entzündung begrenzt oder mehr ausgebreitet hervorzurufen und in verschie­dener Dauer zu unterhalten, Eiterungen in und unter der Haut zu etabliren, und je nach dem Erforderniss auf längere oder kürzere Zeit im Flusse zu erhalten, das sind die nächsten, die eigentlichen Zwecke dieser Methode. Die hiermit verbundenen entfernteren Zwecke, die eigentlichen Heilzwecke sind: abzu­leiten von Organthcilen und ganzen Organen, erre­gend, belebend, erweckend auf einzelne Nerven und auf Centrain er venth eile einzuwirken, Resorption und Zerthcilung zu fördern und Verwachsungen, Ver-schrumpfungen zu erzeugen.
Die ableitenden Wirkungen der Hautreize sind unspriinglich überschätzt worden, namentlich sind die Blutableitung', die depletorische Wirkung und die depurative Ableitung wohl zu hoch angeschlagen worden; jetzt ist man aber, wie es mir scheinen will, auf dem besten Wege, das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Theorie einseitig weiter zu verfolgen, als die klinische Praxis, die Erfahrung rechtfertigt, namentlich wird der contra-stimulirendc P^ffeet, die Ausgleichung der Krankheitsprocesse durch Sub­stitution zu wenig beachtet. Conf. Heilwirkung nach dem Gesetze der Ableitung S. 299.
Die Grosse und Dauer des Hautreizes ist von besonderer Hedeutung für die heilsame Ableitung; je grosser der Hautreiz, desto entschiedener die depletorische Wirkung innerhalb des betreffenden engeren Gefässgebietes und desto entschiedener die sympathische Wirkung auf die Gefässnervcn und weiter auf die
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Inclicationen.
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Gcfässkaliber, wie auch auf die Gehirn- und Rückenmarksner-ven; die antagonistische Ausgleichung hängt ab von dem Ver­halten der Grosse der sympathisch erregten therapeutischen Effecte zu der Grosse des pathischen Efiectes — ein zweiter künstlich erzeugter Schmerz hebt den ersten auf, wenn er ärger ist denn jener.
Hautreize, die keine locale Reaction zur Folge haben, wenig oder gar keine Sensation erregen, haben auch keinen Heileffect, gleichgültig, ob das Mittel zu schwach ist, oder ob es an Reiz­barkeit fehlt.
Wenn scharfe Reizmittel in der Haut keine Reaction zur Folge haben, wenn weder Entzündung noch Schmerz eintritt, so sind auch die anderwei­tig angewandten Mittel von geringer Wirkung; die Therapie wird mit dem Verschwinden der Reizempfänglichkeit so ziemlich lahm gelegt. Das Xicht-anscMagen der Hautreize ist immer ein Zeichen von schwerer Erkrankung lind grosser Gefahr; erwacht, aber die Reizbarkeit und die Reaction im weiteren Verlaufe, wird die mit Reizmitteln teictirte Hautstelle empfindlich, schwillt sie selbst an, so ist das immer ein Zeichen einer günstigen Wen­dung.
Ueber die verschiedene Wirkung der Hautreize nach der Qualität ist uns noch nichts Sicheres bekannt; wohl aber ist die Dauer des Hautreizes von Einfluss. Flüchtige Reizmittel kön­nen auch nur eine flüchtige sympathische resp. antagonistische Wirkung aussein, und Krankheitsreize, welche hierbei nicht voll­ständig ausgelöst werden wegen tieferer materieller Abnormitäten, treten nach einem solchen flüchtigen Gegenreize immer wieder hervor; bei rheumatischen und andern neuralgischen Schmer­zen, bei krampfhaften Contractionen, die davon abhängig sind, werden auch flüchtige Gegenreize nicht selten schon Heilmittel. Permanente Hautreize können allein nachhaltig ableiten; Krank-heitszuständc, die nicht so schnell ausgeglichen werden können, wie z. B. Entzündungen und die davon bedingten Schmerzen, können nur durch nachhaltige Hautreizungen, Hautentzündun­gen abgeleitet werden.
Indicationen.
1. Reizungen und Entzündungen
innerer Organe.
Bei grosser Aufregung im Gcfässsysteme, wo wir die allgemeine erregende Wirkung der Hautreize fürchten, bei dringenden In­dicationen für die entziehende Methode lässt man diese vorweg
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Die hautreizcndc Methode.
gelicn und folgt mit den Hautreizen nach. Immer muss man jedoch festhalten, dass der ableitende Hautreiz nur so lange einen heilsamen Effect hat, als die innere Entzündung noch nicht zu erheblichen Gewebsveränderungen oder selbst zu Ge-websverödungeu geführt hat.
Blutableitung, eine depletorischc Wirkung, kann nur dann durch Hautentzündung erzielt wei'den, wenn das erkrankte Organ mit der angegriffenen Haut ein Gefässgebict hat; so sind Gehirn, Herz, Lungen, Magen, Darmkanal, Leber, Milz, Nieren und Harnblase durch Hautreize in dieser Beziehung unerreichbar, wohl aber sind die auskleidenden Häute der Höhlen, besonders Rippen- und Brustfell durch Hautreize erreichbar; der Entzün­dungsreiz in der Haut ist aber deshalb rücksichtlich der Organe in den Höhlen nicht als wirkungslos zu bezeichnen; die besten Beweise liefern uns bei Thieren z. B. die Wirkungen der Haut­reize bei Darmentzündungen.
2. Dieselben K rank h ei ts zu stände an äusseren, direct erreichbaren Körpertheilen. Die so vielfach bei unseren Thieren vorkommenden Entzündungen in den verschie­densten (Jraden nach den verschiedensten mechanischen und andern Ursachen in der Haut, in dem ünterhautbindegewebe, in Muskeln, Gefässen und Drüsen, in Sehnen und Bändern, in der Knochenhaut und dem Knochengewebe, alle sind unter Um­ständen durch diese Methode am einfachsten zu heilen und oft sind die scharfen Hautmittel gar nicht zu entbehren, die hier so rocht ad oculos demonstriren, wie der Gegenreiz ein so mächtiges Antiphlogisticum ist. Sehnen-, Gelenk- und Knochenentzündun­gen und alle chronischen Entzündungen heilt der Thierarzt mit seinen scharfen Salben viel schneller und sicherer, als der Men­schenarzt mit Dutzenden von Blutegeln im Stande ist. Auch hier gelten dieselben Grundregeln, wie bei Entzündungen inne­rer Organe; wo eine allgemeine antiphlogistische Behandlung für nöthig erachtet wird, da lüsst man sie vorangehen, und bei reiht heftigen Entzündungen in blutreichen Woichgebilden ist es auch recht zweckmässig, die Turgescenz, Blutfülle und Ent­zündungshitze durch kalte Umschläge erst etwas zu beschwich­tigen. Die Anwendung muss stets an der erkrankten Stelle selbst und im ganzen Umfange des Krankheitsprocesses gesche­hen ; selbst bei den inneren Augenentzündungen (bei den Ent­zündungen der umgebenden, schirmenden Theile bedarf es in
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Indicationen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;525
der Regel des heroischen Mittels nicht) sind die hantentzünden­den Mittel, auf die Augenlider selbst und die nächste Umgebung angebracht, am wirksamsten, wenn auch die Conjunctiva dabei von dem Mittel berührt und afficirt wird. Die Heilwirkung ist schnell und auffällig, bei recht schmerzhaften Entzündungen sieht man entschieden mit der Entwickelun^ der Hantentzünduns Lin-derung eintreten; man kann hier mit liecht sagen, dass für eine entsprechend starke und nachhaltige Hautent­zündung eine tiefer sitzende eingetauscht wird. Bei Entzündungen in den Sehnen, Bändern und Knochen muss die Hautentzündung am stärksten und nachhaltigsten sein, die Mit­tel müssen hier schon an die Aetzmittel streifen.
Die Hautreize können auch selbst als Präcantionsmittel ge­gen den gefürchteten Eintritt einer heftigen Entzündung dienen, so namentlich bei Gelenkverletzungen, bei Verletzungen der Sehnenscheiden, ferner nach dem Abzapfen der Flüssigkeit aus Gelenk- und Sehnengallen mit und ohne Injection etc.; durch frühzeitige Erregung einer tüchtigen exsudativen Hautentzün­dung werden gefahrvolle Gelenk- und Sehnen-Entzündungen verhütet, indem die beginnende Entzündung sofort coupirt wird
—nbsp; die Hautreize sind hier Abortivmittcl.
3.nbsp; nbsp; Bei manchen toxischen und dy skrasi seil en Krankheiten. Der Heilzweck ist hier, durch ein künstlich etablirtes Secretionsorgan eine Abzugsquelle für pathische Stoffe zu gewinnen, und diesen Zweck können wir um so mehr ver­folgen, als es bekannt ist, dass in der künstlich erregten Secre­tion — Eiterung — die Natur sehr gern sich von den belasten­den Stoffen befreit, die auf natürlichen Wegen oft nicht entfernt werden. Immer aber bleibt diese Methode hier ein therapeuti­sches Experiment, welches aber ohne besondere Contra-Indica-tionen wohl gestattet ist.
4.nbsp; Schmerzen ohne wahrnehmbare Entzündungen
—nbsp; neuralgische, rheumatische — und Krämpfe. Haut­reize sind antagonistische schmerz- und krampfstillende Mittel, je heftiger der in der Haut erzeugte Schmerz ist, destp grosser die beruhigende Wirkung. Es scheint der Schmerz in den sen­sitiven Hautnerven eine ganz speeiiische, beruhigende Einwir­kung zu haben, so dass er schon in geringeren Graden die an­derweitig bestehenden Schmerzen erträglich macht und selbst aufhebt. Zuweilen sind die Hautreize radicale, meist aber
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Die hautreizenile Methode.
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auch nur palliative Beruhigungsmittel; wenn die Grundursache durch die Hautreize nicht zu erreichen und aufzuheben ist, so erleichtern sie nur bis zu einem gewissen Grade und auf eine kurze Zeit, wodurch jedoch schon oft recht viel gewonnen wird. .Schmerzen bei hartnäckigen Verstopfungen z. B. können nur ganz momentan gemindert werden; Schmerzen eines noch nicht verschleppten Rheumatismus, durch Erkältung entstandene Leib­schmerzen, krampfhafte Zusammenschnürungen im Dannkanale, stürmische wurinförmige Bewegungen werden nicht selten durch Hautreizungen gänzlich gehoben.
5.nbsp; nbsp; Lähmungen, vollständige und unvollständige, von einzelnen Nerven oder von 0 entraltheilen aus­gehende. Wie der künstlich erzeugte Reiz in den Haut­nerven den abnormen Erregungszuständen in den Nerven gegen­über ein Gegenreiz wird und sie auf antagonistische Weise heilt, so wird derselbe bei Unthätigkeit in den Nerven ein be­lebender, erweckender Reiz. Wie die Erweckung vor sich gebt, das ist jedenfalls verschieden von den Grundursachen der Unthätigkeit, und wo uns diese unbekannt sind, da natür­lich bleibt uns auch die Wirkungsweise der Heilmittel unbe­kannt. Ist die Ursache eine Hyperämie, ein entzündlicher Zu­stand, wie nicht selten der Fall ist, so geschieht die Erweckung durch die ableitende antipblogistische Wirkung; ist die Lähmung in einer Alteration der Nervensubstanz begründet, so steht es mit der Erweckung misslich, immer aber gehören hier die Haut­reize noch mit zu den wirksamen Mitteln, deren Wirkungsweise man als dieselbe betrachten kann, wie sie bei jedem Reize zur Anregung einer Thätigkeitsäusserung in den gesunden Nerven geschieht; ist die Ursache endlich eine Trennung der Nerven­substanz oder ein mechanischer Druck, der nicht von Blutfülle herrührt, dann natürlich haben die Hautreize gar keine Heil­wirkung. Ueberall aber, wo letzteres nicht auf der Hand liegt, wo weder eine Wunde, noch eine Fractur, noch eine Luxation erkannt wird, da sind die Hautreize, und zwar die eindringlich­sten angezeigt, und wenn sie in manchen oder in vielen Fällen ohne Heilwirkung bleiben, so berechtigt dies niemals dazu, sie unversucht zu lassen.
6.nbsp; nbsp;Hartnäckige chronische Hautausschläge. So weit sie nicht durch thierische und pflanzliche Parasiten bedingt sind, kennen wir in der Regel weder ihre Ursachen, noch ihre Heil-
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^#9632;quot;1
Mittel.
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mittel; vielfach werden sie von bestimmten dyskrasischen Säf­ten — von gewissen Scharfen — abgeleitet, und man zieht des-lialb auch mit Diuretica und Purgantia dagegen zu Felde, zu­weilen auch mit Erfolg. Von den örtlichen Mitteln kommen neben andern auch die hautreizenden in Betracht, die hier von heilsamer Wirkung werden können: 1) durch Anregung einer grösseren Thätigkeit und Förderung der Abschuppung — bei welker, blutarmer Haut, bei Torpidität in den erkrankten Thei-len — ; 2) durch alterfrende Einwirkung auf die Hautempfin­dungsnerven — bei lästigem Hautjucken, Prurigo —; 3) durch Erzeugung einer exsudativen Entzündung an den erkrankten Hautstellen, in welcher das speeifische Hautleiden zuweilen untergeht.
7.nbsp; nbsp; Ueberall, wo es etwas zu lösen und zu zerthei-len giebt, da findet die hautentzündende Methode ihre Anwen­dung. Ergossene Flüssigkeiten — Blut, Lymphe, Eiter — wer­den zur Resorption gebracht, grössere Blutextravasate und Ab-scesse kann man durch nachhaltige Hautentzündung zum Ver­schwinden bringen, ist aber eine Flüssigkeit von einer beson­deren Membran abgesondert und eingeschlossen, so weicht sie dieser Methode nicht. Bei Anschwellungen, Verdickungen und Verhärtungen durch exsudirten und festgewordenen Faser­stoff ist die exsudative Entzündung ein Heilmittel, die festen amorphen Massen werden in neuen Exsudaten erweicht, gelöst und resorptionsfähig gemacht; wo in diesen Fällen die Entzün­dung selbst nicht zum Ziele führt, da ist ein Eiterungsprocess das speeifische Lösungsmittel — cf. resolvirende Methode S. 419.
8.nbsp; nbsp;Endlich dienen auch die tiefer eingreifenden Hautrei­zungen, wie auch namentlich die unter der Haut erregten Ent­zündungen zur Erzeugung von Narbengewebe behufs Verwach­sung, Verdickung und Zusammenschrumpfung erschlaffter, aus­gedehnter und gezerrter Theile, wie z. B. nach Luxationen und raquo;Subluxationen. Hierbei werden die Patienten zugleich durch die erzeugten Schmerzen und entzündlichen Spannungen gezwun­gen, das betreffende Glied zu schonen — cf. Narbenstrictur bei der verdichtenden Methode S. 485.
Mittel.
Dem Grade und der Art nach giebt es der reizenden Mit­tel für diese Methode viele und vielerlei, worüber ich auf die
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528nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die hautreizende Methode.
Arzneimittellehre verweisen muss; liier werde ich sie alle nach ihrer Ilauptwirkung in vier Klassen zusammenfassen und von jeder Klasse die wichtigsten für die Praxis anführen.
1. Hauirfithende Millel — Rubefhclentia.
Sie wirken in verschiedenen Graden reizend, prickelnd, brennend und erzeugen eine oberflächliche, vorübergehende oder mehr nachhaltige Röthe, eine oberflächliche Entzündung, die selbst bis zur Blasenbildung gesteigert werden kann; je nach dem Grade der Wirkung folgt entweder nur eine stärkere Ab­schuppung oder selbst ein Ausfallen der Haare, die jedoch bald wieder kommen und ziemlich schnell wachsen.
Frictionen der Haut mit Stroh, scharfen Bürsten und andern Dingen sind ein mildes diätetisches Mittel, das oft schon allein genügt, immer aber ein recht kräftiges Unterstützungs­mittel ist, wodurch die Wirkung der pharmaceutischen Mittel beträchtlich gesteigert wird.
B a un Scheldt's Lebens weck er. Ein Instrument aus einer grossen Anzahl spitzer Nadeln construirt, die durch eine Federkraft so flach in die Haut getrieben werden, dass keine Blutons entsteht. Die Anwendung erfolgt an bestimmten indi-cirten Stellen des Körpers, um mehr local zu wirken, oder auch über einen grossen Theil der Hautfläche. Auf die punetirten Stellen wird ein reizendes Mittel eingerieben, wodurch ein Blas chenausschlag hervorgerufen wird.
Sdiauenhurg Bwmscheidt's Lebenswecker und die exantliematische Heilmethode, Leipzig 1804 — hat das Instrument und Geheimmittel, das ein Insektengift enthalten soll, von Baunscheidt weiter therapeutisch zu ver-werthen gesucht und zur Basis einer universellen Heilart ausgebildet, die er Bannschcidtismus genannt hat. Das Hauptgewicht wird hierbei auf das künstliche Exauthem gelegt. Schauenbnry's Glaubensbekenntniss lautet: „Da der Kranke nur ein Leben besitzt, so bedarf der Arzt auch wohl nur ein Mittel, was jedoch ein wahrhaftes, wie der Baunscheidtismus, sein mussquot;. Dies genügt wohl zur weiteren Beurtheilung.
Dieser Heilart verwandt ist die Apisination, die Einimpfung des Bie­nengiftes gegen gewisse Krankheiten, von Lidcomski. Die Heilung verschie­dener Krankheiten nach zufälligen Bienen- und Wespenstichen führte zur Einimpfung des Giftes der Hymenoptcren. Lvkomski hat diese Impfungen mit Erfolg angewendet und behauptet, dass sie nicht bloss eine örtliche, sondern auch eine allgemeine, die Nerven umstimmende AYirkung habe.
Die Acupunctur. In der Thierheilkunde ab und zu an­gewendet. Eine Anzahl feiner Nadeln werden durch die Haut
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 529
tief eingebohrt und eine reizende Flüssigkeit darauf eingerieben. Die Nadeln werden durch die Muskelcontraction sehr bald wie­der hinausgeschoben, die reizende Wirkung geht aber doch tie­fer, als bei einfacher Einreibung desselben Reizmittels. Wei.'ig gebräuchlich.
Flüchtige Reizmittel. Wenn man erwecken, beleben oder Schmerzen und Krämpfe durch einen flüchtigen Gegenreiz beschwichtigen will, daher bei verschiedenen Nervenzufällen, bei Lähmungen, Gefühllosigkeit in einzelnen Partien, bei neuralgi­schen und rheumatischen Schmerzen, bei Kolik und bei Durch­fällen, besonders wenn sie mit Leibschmerzen verbunden sind.
Hierher gehören: alle ätherischen Oele. Terpen-thinöl ist als Repräsentant dieser Klasse zu betrachten; es ist das billigste und eins der wirksamsten Mittel bei Thieren, entspricht allen Anforderungen, die man an die flüchtigen hautreizenden Mittel machen kann; will man die Wirkung schwächer haben, so mischt man es mit Spiritus, soll sie stärker sein, so dürfen wir es nur wiederholt derb einreiben, starke Frictionen oder die Einwirkung des Lebensweckers vor­anschicken. Salmiakgeist ist weniger reizend, verseift die llautschmiere und wirkt mehr lösend, zertheilend. Senföl. Ein heisses Rüthungsmittel; es übertrifft alle hierher gehörigen Mittel, im concentrirten Zustande zieht es selbst Blasen; die­sem ähnlich wirkt die Cantharidentinctur; beide Mittel bilden den Uebcrgang von den flüchtigen Reizmitteln zu den Vesica-torien; wegen der schneller vorübergehenden und mehr ober­flächlichen Einwirkung müssen aber beide den Rubefacientien zugezählt werden; durch Zusatz von Spiritus lassen sie sich beliebig schwächen.
Mit allen diesen Reizmitteln kann man noch die diapho­retische Methode verbinden, deren Wirkung durch diese Reiz­mittel einen grösseren Heileffect, namentlich bei den rheumati­schen Krankheiten erlangt -— cfr. S. 472.
Veratrin. Ein dem Senföl ähnliches erhitzendes Reiz­mittel, das als Contrastimulantium eine besondere beruhigende, schmerzstillende Wirkung hat. In Salbenform — 1:16 Theile Fett — auf die schmerzhafte Stelle eingerieben, wirksamer in wässerigen Lösungen — 1 : 60 Theile Wasser — hypodermatisch angewandt, besonders bei rheumatischen Schmerzen und Lahm-
ü erl ai-h Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;;i4
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Die hautreizende Methode.
ist '•
heiten — conf. S. 289. Die Salbe wird durch grosse Quantitäten von Veratrin gewöhnlich zu theuer.
Das heisse Wasser in der Temperatur von 55 bis 65deg; R. mass ich bei dieser Klasse noch als ein äusserst wirksames Mit­tel speciell erwähnen, welches überall anzuwenden ist, wo die flüchtigen Reizmittel überhaupt angezeigt sind, ganz besonders aber da, wo man mehr auf eine grosse Fläche einwirken, schnell und recht kräftig ableiten und dabei doch die erregende Ein­wirkung auf das Gefässsystem vermeiden will; wo man ferner neben dem mächtigen Contrastimulus zugleich eine ausgebreitete und starke Blutfülle in der Haut erzeugen und dadurch ablei­ten will, so namentlich bei drohenden und schon vorhandenen Darm- und Bauchfeilentzündungen, bei frischen Kreuzlähmungen.
Das heisse Wasser ist unter und bis zur Blutwäme ein relaxirendes und beruhigendes Mittel; über Blutwäme bis GO —650K. ein Rubefadeng, hierüber hinaus aber ein Vesicatoriuni und Pustiilantium.
Permanente Rubefacientia. Das Pechpflaster, das Ter-penthinpflaster und das sogenannte englische scharfe Pflaster — Einplastrum acre. Zu der hautreizendon Wirkung kommt hier noch der gleichmässige gelinde Druck, die Zurückhaltung der ausdünstenden Feuchtigkeit an der gedeckten Stelle und die so bedingte stete Durchfeuchtung des Gewebes. Die Heilwirkung von diesen Mitteln ist deshalb auch hauptsächlich eine schmel­zende, lösende, zertheilendc, woraus sich denn auch die speciel-len Indicationen für ihre Anwendung ergeben.
2. lilaseraieliciidc, eine dauernde Bxsudation bedingende Hlttel —
Vesicantlu s. Vosicalorla,
Diese Mittel kommen darin überein, dass die Hautentzün­dung tiefer geht, reichlich exsudirt, und die Oberhaut von der Lederhaut durch Exsudat meist blasenförmig abgehoben wird. Die so entstandenen Exsudatblasen sind von verschiedener Grosse, die ganze entzündete Stelle kann selbst eine Blase darstellen; das Exsudat läuft aus, die entblösste Lederhaut deckt sich mit einem Schorfe, der um so dicker wird, je tiefer die Entzündung in die Haut eingedrungen ist, und je länger die Exsudation unter der Schorfdecke noch fortdauert; später tritt Abschuppung und Abschorfung mit Ausfallen der Haare ein. Je nach der Tiefe der Entzündung in der Lederhaut treten auch noch an­dere Erscheinungen ein, es bildet sich unter der Haut Hyper-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;531
ämie, seröse Aussclnvitzung in das Unterliautgewebe und da­durch eine grössere oder geringere Geschwulst. Nach der Glosse dieser Geschwulst und der Dicke des Schorfes bemessen wil­den Grad der Wirksamkeit. Die erwähnte Cantharidentinctur erzeugt zwar auch Bläschen, dabei ist aber die Hautentzündung so flach, dass die Wirkung bald vorübergeht, keine erhebliche Geschwulst und feste Schorfbildung stattfindet. Der tieferen, nachhaltigeren und schmerzhaften exsudativen Entzündung wegen, welche diese Klasse von Mitteln in der Haut erzeugen, ohne bleibende Schönheitsfehler in der Haut zurückzulassen, Hnden sie eine ausgedehnte Anwendung bei den Indicationen sub No. 1, 2 und 4, bei Lahmheiten, die ihren Sitz in den loco-motorischen Organen haben, ohne dass gerade eine Entzündung ausgesprochen ist, und als zertheilende Mittel bei Verhärtungen, bei Blutextravasaten und Abscessen, die man nicht öffnen will oder kann.
Die Canthariden-Salbo steht unter diesen Mitteln an der Spitze. Die Zusammensetzung solcher Salbe ist sehr ver­schieden, jeder Praktiker hat fast seine stehende Form, die ihm genügt; manche deutsche Thieriirzte tragen sich mit einer sorg­fältig geheim gehaltenen englischen Vorschrift herum und träu-men von einer speeifischen Wirkung. 1 Theil grob pulverisirte Oanthariden auf 6 — 8 Theile Fett giebt eine wirksame Halbe, die durch Wachs nach Umständen consistenter zu machen ist und durch Zusatz von Pustelmitteln beliebig verstärkt werden kann. Durch Hinzutugung von starken Aetzmitteln — Schwe­felsäure, Arsenik etc. — hört sie auf ein Vesicatorium für diese Methode zu sein, sie wird dann ein Zerstörungsmittel. Wirk­samer ist die Salbe, wenn das Cantharidenpulver zu dem ge­schmolzenen Fette gesetzt wird. Ein Theil der Salbe wird tüchtig eingerieben und darauf ein zweiter Theil wie ein Mes­serblatt stark aufgestrichen; durch ein- bis zweimalige Wieder­holung nach 12 bis 24 Stunden wird die Wirkung gesteigert; ist nach dem Abschorfen das Ziel noch nicht erreicht, so wird die Salbe auf dieselbe Weise nochmals applicirt, was nament­lich bei Gelenk-, Sehnen- und Knochenentzündungen oft zwei bis drei Mal nothwendig wird.
Eine englische Composition aus: Oanthariden- und Eu-phorbiumpulver äa 2 Theile, Sublimat 1 Theil, Steinöl 8 Theile und Wachssalbe 10 bis 12 Theile. Dieses Blister zieht schnell
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Die hautreizende Methode.
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grosse Blasen, macht Schwellung und ist ein kräftiges Ablei­tungsmittel, was jedoch nicht so nachhaltig wirkt, als die eben erwähnte Salbe.
Sublimat, 1 : (5 — 8 Theilen Fett resp. Spiritus. Die hier­nach entstehende Hautentzündung ist weniger schmerzhaft und intensiv, sie dringt aber viel tiefer ein und ist nachhalti­ger, als die Entzündung durch Canthariden, und eignet sich besonders bei tiefer sitzenden Entzündungen, bei Lahm­ten, die ihren Sitz in Gelenken haben.
SenfbreiSinapismus —, bereitet aus pulverisirtem schwarzen Senf und lauwarmem Wasser. Ein starkes Reizmittel, das in einigen Stunden schon eine schmerzhafte Entzündungs­geschwulst und bei einer Wiederholung nach 6 —12 Stunden eine sehr heftige, tief eindringende Entzündung erzeugt, und stärker wirkt, als die spanische Fliegensalbe, so dass bei Tor-pidität, bei schwerem Erkranken, wo jene Salbe nicht mehr wirkt, dieser Senfbrei oft noch ansehlägt. Der aufgelegte Brei wird sehr bald trocken und dadurch in seiner Wirkung ge­schwächt, deshalb muss er von Zeit zu Zeit mit lauwarmem Wasser oder — nach Anderen — mit Essig angefeuchtet wer­den. Bei einmaliger Anwendung ist der Senf brei ein mehr vor­übergehendes, flüchtiges, bei wiederholter Anwendung aber ein tief eindringendes, nachhaltiges Ableitungsmittel von inneren Organen, als welches es allein angewendet wird und oft auch den Vorzug vor allen anderen- verdient. Die Application ist etwas umständlicher und schwieriger, als bei der Salbe, deshalb und des Preises wegen findet dieses Mittel seltener Anwendung, wie es der Wirkung nach verdient. Einen mit Senfbrei bestri­chenen Lappen an einer bestimmten Stelle für mehrere Stunquot; den zu befestigen, wird einen Praktikus nicht in Verlegenheit bringen.
3. Die PiistelmlHd — Pushiiantia.
Entzündung, Knötchen-, später Eiterpustelbildung, Anschwel­lung, Infiltration unter der Haut, bei concentrirten Mitteln theil-weise Zerstörung des Hautgewebes, Geschwürbildung oder auch mumienartiges Absterben an einzelnen Hautstellen sind die Grund­züge von den Wirkungen dieser Mittel, deren Heilwirkung ganz so ist, wie die der erwähnten Vesicatorien, aber noch in ver­stärkterem Maasse und nachhaltiger, die aber alle den Nach-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 533
tlieil haben, dass sie haarlose Stellen und Hautnarben zurück­lassen, wenn sie eben so angewendet werden, dass sie die Vesi-catorien übertreffen. Man wendet diese Klasse von Mitteln da an: 1) wo eine Hautnarbo, eine haarlose Stelle Nebensache ist; 2) bei grosser Torpiditiit, bei schwerem Erkranken, so dass auf die gewöhnlichen Vesicatorien keine Reaction erfolgt, und bei hartnäckigen äusseren Entzündungen; 3) bei Rindern und Schwei­nen, bei denen die Cantharidensalbe stets sehr gering wirkt; und 4) wenn Gefahr im Verzüge ist, wenn schnell ein heftiger und nachhaltiger Reiz ausgeübt werden soll. Die wichtigsten dieser Mittel sind:
1.nbsp; nbsp; Euphorbi enharz — CfummiEuphorbii —; mit Fett zur Salbo, für sich allein wenig gebrauchlich, meist als Zusatz zur spanischen Fliegensalbe, die dadurch verstärkt wird; gewöhn­lich nimmt man zu quot;_' Theilen Oanthariden 1 Theil Euphor-bium und mischt das Ganze mit 24 Theilen Ectt. Solche Salbe hinterlässt nach ordnungsmässiger Anwendung keine haarlosen Stellen.
2.nbsp; nbsp; Brechweinstein. Als Pustelmittel findet er nur seine Anwendung in Salbenform; 1 Theil mit 6 — 8 Theilen Fett giebt eine sehr kräftige Salbe, die für die Haut der Rinder und Schweine recht empfehlenswerth ist; bei starkem Einreiben und wiederholter Anwendung stirbt bei dem Rinde die obere Schicht der Lederhaut, oft die ganze Haut mumienartig ab, so dass die eingeriebene Stelle eine feste, harte, gefühllose Fläche darstellt; der nekrotisirto Hauttheil sitzt sehr fest und beginnt erst nach einigen Wochen sich zu lösen; auf die Haut der Schweine wirkt sie bei wiederholter Anwendung ganz win bei dem Menschen, es entstehen auf der entzündeten und etwas aufgeschwellten Stelle schöne Eiterpusteln, ohne dass Nekrotisirung eintritt. Was die Cantharidensalbe für das Pferd ist, das ist die Brechwein­steinsalbe für das Rind und Schwein. Will man sie bei dem Pferde anwenden oder bei dem Rinde das Nekrotisiren der Haut verhüten, so nimmt man auf 1 Theil 12 16 Theile Fett und setzt noch Spanischfliegen-Pulver hinzu.
3.nbsp; nbsp; Chromsaures Kali. Sowohl das neutralequot; — Kali chromicum neutrale —, wie das saure — Kali hichromir.um — giebt mit 8 — 12facher Quantität Fett eine sehr wirksame Salbe, die zwar langsam, erst nach einigen Tagen sichtlich wirkt, aber eine tiefgehende Entzündung erzeugt, die oberste Hautschicht
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534nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die hautreizende Methode.
nekrotisirt, so class sieh ein barter Schorf bildet, der bis zur Hälfte der Lederhautdicke tief geht und Wochen, selbst Monate lang fest sitzt. Die Haarzwiebel wird zerstört. Will man einen starken und nachhaltigen Druck durch den Schorf, eine Ver-schmmpfung und Contraction in und unter der Haut, so gicbt es keine bessere Salbe, die aber immer eine bleibende kahle Stelle hinterlässt. Speciell angezeigt bei Aussaekungen, bei Gallen und bei Hernien an der Bauchwandung, besonders bei Nabelbrüchen. Einen erheblichen unterschied zwischen dem einfachen und doppelt-chromsaurenKali habe ich nicht gesehen; das letztere kommt häutiger im Handel vor und ist am gebräuch­lichsten. Die Einreibung wird einige Tage je einmal wiederholt. 4. Krotonöl. Ohne Zusatz wirkt es in einem gewissen Grade ätzend, mit Ocl oder Terpenthinöl kann man es beliebig zn einem Reizmittel von verschiedenen Graden der Wirksam­keit verdiinnen, das augenblicklich und nachhaltig wirkt, und das besonders dann seine Anwendung findet, wenn man auf einer grossen Fläche schnell ableitend wirken will, bei verzwei­felten Fällen von Krämpfen und Kolik — im letzteren Falle unterstützt der resorbirte Theil zugleich die purgirende Wirkung der innerlichen Mittel und hilft so auch auf diesem Wege die Verstopfung lösen —, bei Brustkrampf, bei dein ich es im Verlauf des Vagus und Svmpathicus am Halse mit gutem Erfolge an­gewendet habe, bei Halsbräune der Schweine — hier das beste Ableitungsmittel —, bei hartnäckiger Buglahmheit und veralte­tem Rheumatismus. Für Pferde: 10 Tropfen auf 1 Unze Terpen­thinöl — ein mächtiges Reizmittel, welches aber noch keine blei­benden Folgen bat —; für Rinder: 1 Theil auf 6 Theile Terpen­thinöl — ungefähr von der Wirkung, wie die erwähnteBrechwein­steinsalbe nach wiederholter Anwendung. Für die Schwarten-haut dor Schweine: ] Theil auf 2 Theile Terpenthinöl.
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4. Ellerblldende DUttel — Suppurantia, lÄuloria.
Das gebräuchliche Fontanell — Fonticulus — und das Haar­seilnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Setaceum — kommen hier in Betracht. Beide Mittel wirken einmal durch die erregte Entzündung unter der Haut,, wobei die Haut selbst immer mehr oder weniger mit betheiligt wird, und finden aus dieser Rücksicht ihre Anwendung als Ab­leitungsmittel vielfach an Stelle der Vesicatore; andererseits aber und so recht eigentlich wirken sie durch Erregung und
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;535
Unterhaltung eines Eiterflusses. Reichliche und andauernde Eite­rungen kosten dem Blute fortwährend viel plastische Bestaud-theile, sie können selbst zur Blutarmuth, Abmagerung und Er­schöpfung führen und finden deshalb bei der entziehenden Kur­methode ihre Indicationen; andauernde Eiterungen können aber auch als Abzugsquelle für pathische Stoffe dienen, und in die­ser Beziehung kommen die Suppurantia hier als Vorbauungs­und Heilmittel in Betracht — die purificirende Derivation. Die speciellen Indicationen ergeben sich aus dieser Erörterung von selbst.
Die depurirende Ableitung durch künstlich unterhaltene Eiterung ist von den Hnmoralpathologen erfunden; mit dem Falle der exclusiven IIu-moralpathologie hat natürlicher Weise auch dies Heilverfahren an Funda­ment verloren; die Anwendung erfolgt deslialh auch ganz sachgemäss viel seltener, als ehedem, wo Fontanelle und Aderlässe so ziemlich die ganze Veterinär-Therapie ausmachten. Das entgegengesetzte Extrem ist auch liier hervorgetreten: so gut man indess zugeben muss, dass deletäre Stoffe im Blute auftreten können, gleichgültig oh in erster Lmie oder als etwas Secundäres, und wir kein Recht haben, die Ausleerung solcher Stolle auf dem Wege der Eiterung zu bestreiten, so haben denn auch die Suppuran­tia keineswegs ihr Bürgerrecht in der Therapie ganz verloren.
Als Reizmittel werden sie nach den allgemeinen Gesetzen in dein Krankheitsheerde oder dessen nächster Nähe applicirt, als Eitermittel an den Körpertheilen, wo zellgewebreiche Weich­gebilde liegen und die Thiere am wenigsten belästigt werden — gewöhnlich vor der Brust.
Das Haarseil ist wirksamer, als die Eontanclle, weil die eiternde Fläche grosser ist und durch Umziehen immer von neuem gereizt wird, es liefert mehr Eiter und unterhält eine stärkere Reizung; der Eiterabfluss ist erleichtert und regelmäs-siger; für eine lange Dauer aber ist es weniger geeignet, weil die Hautbrücke dann leicht verloren geht, die Wunden callöse Ränder bekommen und schlechte Narben geben. Wo ein Hant­muskel ist, bringt man das Haarseil oder die Fontanelle unter denselben, wenn es sich um eine ergiebige Eiterung handelt.
Einfache fremde Körper von Wolle, Haaren, ^Filz etc. wir­ken am schwächsten, mit Terpenthinöl getränkt wird die Wir­kung stärker, mit scharfen Salben bestrichen ist sie noch kräf­tiger, und am stärksten ist sie, wenn frische oder aufgeweichte schwarze Niesswurzel angewendet wird, wobei eine heftige Ent­zündung und grosse Geschwulst eintritt. Das Bindegewebe,
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Die hautreizende Methode.
welches die Niesswurzel unmittelbar uiugiebt, stirbt nekrotisch ab, umkapselt die Wurzel gewissermaassen, wodurch die weitere Wirkung geschwächt wird, weshalb es auch keinen Nachtheil bringt, wenn man die Wurzel längere Zeit stecken lässt. Wo es sich besonders um Eiterung handelt, da ist diese Wurzel nicht angezeigt.
Will man eine recht umfangreiche Entzündung und Eite­rung haben — wie z. B. bei sehr hartnäckigen Buglahmheiten der Pferde —, so ist die Injection von Terpentliinöl in das Un-hautbindegewebe das entsprechendste. Mittel. 6 — 8 Grm. Terpen-thinöl an der Schultor eingespritzt, macht die stärkste Schwel­lung von dem Schulterblattc bis zum Hufe, das Bindegewebe in der Injectionsstelle nekrotisirt ziemlich umfangreich und eine reichlich ausgebreitete Eiterung kommt zu Stande. Grössere Quantitäten können Hautnekrose und lebensgefährliche Eolgen haben.
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Contra - Indicationen.
So umfangreich die Heilwirkung dieser Methode auch ist, so oft wird sie doch auch gemissbraucht, und ein arger Miss­brauch ist es, wenn Jemand keinen Patienten aus seinen Hän­den lässt, ohne ihm die Haut irgendwie gezwickt zu haben.
Bei Faulfieber und allen Krankheiten, wo die gereizter und verletzten Hautstellen leicht brandig werden oder übele Ge­schwüre geben, da sind mindestens die stärkeren Hautreize und die eitermachenden Mittel contraindicirt.
Erysipelatöse und solche Hautentzündungen, die durch ab­gestorbenes Bindegewebe unter der Haut bedingt und unterhal­ten werden, ferner jede Entzündung, bei der Neigung zum Bran­digwerden ausgesprochen ist, verbietet die Anwendung der schar­fen Salben. Werden Entzündungen mit scharfen Einreibungen nachhaltig behandelt, die durch fremde Körper, Caries etc. in der Tiefe unterhalten werden, so sind solche Einreibungen nicht allein nutzlos,^ sondern noch nachtheilig dadurch, dass sie die primäre, tiefer sitzende Entzündung mit Hautentzündung com-pliciren und nur zu oft Wucherungen und enorme Verdickun­gen bedingen.
Die Rubefacientien sind durch jede Hautreizung verboten; Hautstellen, die bei jeder Bewegung gespannt oder in Falten
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Contra Indicationen.
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gelegt werden — wie z. B. am Vorderknie, in der Köthe etc. — müssen mit allen scharfen Mitteln möglichst verschont werden.
Hypertrophien und Geschwülste, d. h. solche, die das Pro­duct eines neoplastischen Processes sind — Hautwucherunger., Bindegewebswucherungeu unter der Haut und Aftergebilde können durch Hautreize nur gesteigert werden.
Bei den Canthariden müssen die Nieren immer speciell be rücksichtigt werden; bei Nierenentzündungen dürfen sie nicht angewendet werden; wo man die Haut auf einer grossen Fläche reizen will, da dürfen die Canthariden überhaupt der zu be­fürchtenden Nierenreizung wegen niemals in Anwendung kom­men, und wenn sich im Laufe der Anwendung eine Nieren-affection kundgiebt, so ist dies stets eine hinlängliche Anzeige gegen dieses Mittel.
Den übrigen Contra-Indicationen hinsichtlich der einzelnen Mittel habe ich durch specielle Angabe der Indicationen für die verschiedenen Mittel nach ihren Hauptwirkungen bereits begegnet.
Bezüglich der zurückbleibenden Makel haben wir bei den Ku befacientia keine Rücksicht zu nehmen, bei den Vesicatorien han­delt es sich nur um vorübergehende haarlose und abstechend schattirte Stellen, bei den pustelmachenden Mitteln, bei der Fonta­nelle und dein Haarseile aber müssen wir stets die bleibenden kahlen Stellen und Narben in Betracht ziehen, und je nachdem die Wahl der Applicationsstelle — wenn hierüber eine freie Wahl gegeben ist — und der Mittel treffen. Verhältnisse und Objecte kommen hierbei besonders in Betracht, bei dem Rinde and dem Schweine fallt jede Rücksicht weg, bei einem hoch­edlen Pferde, namentlich in den Händen eines Handelsmannes, dagegen müssen wir die Haut an sichtbaren Stellen ebenso schonen, wie der Arzt die zarte Haut der jungen Damen.
Aetzendc Methode, 91. canstica.
Die ätzende, örtlich zerstörende Methode findet in der Thier-höilkunde namentlich sehr häufig ihre Anwendung; sie vernich­tet das Gewebe des Organismus oder gewässe Krankheitspro-duete durch chemische Einwirkung. Die nächsten Zwecke hier­bei sind:
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538nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Die ätzende Methode.
1. Schort'bildung. Mit dieser sind verschiedene Heil­zwecke verbunden.
a)nbsp; Blutstillung. Es giebt verschiedene Blutstillungsmittel, die coagulirend, verklebend wirkenden und Gefässcontraction erzeu­genden, die styptisclien haben wir schon — bei der verdichtenden M.— kennen gelernt; ausserdem zählt die Chirurgie noch die Unter­bindung, Durchschlingung, die Torsion, die Tainponation und die Cauterisation auf. Diese letzte Blutstiliungsart, welche hier allein in Betracht kommt und eben darin besteht, dass Masse zer­stört wird, um die spritzenden Gefässnnindungen damit zu schlies-sen, findet ihre rechte Anwendung: 1) wenn eine der übrigen Methoden nicht anwendbar ist, sei es wegen Unausführbarkeit, we­gen Mangels an Mitteln oder wegen nicht genügender Sicherheit
—nbsp;z. B. Blutungen aus grösseren Gefässen, die zur Unterbindung oder Torsion nicht erreicht werden können, starke parenehyma-töse Blutungen, welche die coagulirenden Mittel nicht respecti-ren und die geronnenen Schichten mit den Mitteln fortspülen, ferner, wo ein Verband nicht zu befestigen ist etc. —; 2) wenn mit der Blutstillung zugleich noch ein anderer Zweck beabsich­tigt wird, wenn die Gewebszerstörung und Schorfbildung zu­gleich noch einen Heilzweck hat. — Das Weissglüheisen spielt in dieser Beziehung eine wichtige Rolle.
b)nbsp; Zum Schutz gegen die Luft und alle äussere Einflüsse
—nbsp;die oberflächlichen Gewebsschichten werden geopfert, um tie­fere zu beschirmen. Bei unseren Hausthieren, die oft auch mit verletzten Gliedern arbeiten und in den Schmutz hinein müssen, und bei denen man doch durch Bandagen so selten einen siche­ren Schutz bewirken kann, bei diesen ist die Bildung einer schützenden und festsitzenden Schorfdecke ein sehr wesentliches Heilmittel. So barbarisch es auch aussehen mag, wenn der Thierarzt mit einem weissglühenden Eisen den Kronentritt z.B. oder auch andere Wunden und Geschwüre tractirt, so rationell und praktisch zugleich ist es dennoch in vielen Fällen. Jedes entblösste Gewebe erkrankt und entartet. In den meisten Fällen bildet sich die Natur allein eine Schutzdccke, indem ein Ueberzug gebildet wird von zähem Eiter, oder ein Exsudat an der Luft erstarrt und zu einem Schorfe eintrocknet; dies ret aber bei unseren Thieren unter den Verhältnissen, wo sie leben müssen, meist nicht ausreichend. Die Escharotica leisten meist mehr, als alle Salben und Balsame — conf. deckende Methode.
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Die ätzende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;539
2.nbsp; Reizung, Entzündung: a) zur kräftigen und ruich-luütigen Ableitung — conf. hautreizende Methode —; h) zur Erzeugung von Granulation und Narbengewebe, um Fisteln zu heilen, rauhe Knochenflächen abzuglätten, wenig bewegliche üelenkknochen unter einander zur Verwachsung zu bringen, Hernien zu heilen, weitere Aussackungen von Gelenk- und Öehnengallen zu verhüten, um Verkürzung und grössere Straff­heit in den schlaffen Gelenkbändern nach Verrenkungen zu er­zeugen und überhaupt jede abnorme Laxität in irgend einem Theile mit ihren Folgen durch Narbengewebsbildung zu beseitigen • - cfr. Narbenstrictur bei der adstringirenden Methode S. 409 —; c) zur Förderung der Schmelzung und der Resorption in näch­ster und fernerer Nachbarschaft. Die Aetzmittel sind jedoch meist schlechte Resolventien, weil durch die Substanzzerstorung stets ein, in die Tiefe und Breite sich erstreckender Reizzustand längere Zeit unterhalten und auf diese Weise immer viel Nar­bengewebe gebildet wird, wodurch die gelösten und resorbirten Substanzen immer mehr oder weniger wieder ersetzt und oft mehr als ersetzt werden, so dass nach der Cauterisation zu die­sem Zwecke nicht selten eine grössere Geschwulst, Verhärtung und Verdickung zurückbleibt, als vorher zu beseitigen war.
3.nbsp; nbsp;Die Zerstörung selbst ist nächster Zweck, wo­bei es sich darum handelt: a) Gifte und Ansteckungsstoffe mit dem Gewebe zu zerstören, in welches sie eingedrungen sind oder sein können nach dem Bisse von Schlangen, tollen Hun­den oder anderweitigen Wundinfectionen und Wundintoxicatio-nen — , um die Aufnahme und -deren weitere Folgen zu verhü­ten — conf. Vorbauungskur S. 225.
h) Zersetzungs- und Zerstörungsprocesse aufzuheben. Bei feuchtem Brande, der durch Brandjauche zerstörend um sich wirkt und weiter kriecht, bei Wunden und Geschwüren, wo scharfe Secrete und Jauche von zerfallenen Massen zerstörend wirken und keine Neubildung aufkommen lassen, bei allen die­sen destruirenden Processen in den Weichgebilden wie in den Knochen ist das zerstörende Aetzmittel ein Erhaltungsmittel. Die umliegenden, lobendigen Theile gerathen durch diesel­ben Mittel, welche die im Zerfallen begriffenen Massen ver­nichten, in einen Zustand von Erregung, Entzündung und plastischer Exsudation: die weiteren Folgen hiervon sind: Abstossung des zerstörten Gewebes, Exfoliation des erkrank-
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Die ätzende Methode
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ten Knochens, Eiterung, Granulation und schliesslich Ver­narbung.
c) Verschiedene abnorme Gebilde zu zerstören, als: Ge­schwülste, luxuriöse Fleischwärzchen, Fungen, Callositäten und alle solche Gewebe, in welchen die Lebenskraft nicht mehr zur normalen Regeneration führt. Dieses Zerstören — das Wegbeizen — geschieht in folgenden Fällen: 1) nachdem das Messer an die krankhaften Gebilde gesetzt ist, wird durch ein cauterisirendes Mittel noch entfernt, was mit dem Messer nicht erreicht werden konnte, oder es wird überhaupt nachträglich der ganze Grund geätzt, um etwa noch vorhandene krankhafte Gebilde zu zerstören und so ein neues Hervorwu­chern sicherer zu verhüten — die Cauterisation nach der Ex-stirpation als Nachräumungsmittel - ; 2) statt der Exstirpation, wenn die zu entfernenden Gebilde mit dein Messer nicht besei­tigt werden können, oder wenn es dem Therapeuten an Courage, auch wohl an Fertigkeit zur Operation mit dem Messer fehlt, ferner, wenn der Zweck mit den Aetzmitteln leichter und siche­rer zu erreichen ist, als mit dem Messer, endlich auch und ganz besonders dann, wenn man gleichzeitig eine Umstimmung im ßildungatriebe erzielt.
•1. Erregung, Erweckung der Nerventhätigkeit. Bei Lähmungen — Paralysen — in einzelnen Nervenprovinzen oder in ganzen Körperregionen — Paraplegie, Hemiplegie —, und bei verschiedenen chronischen Gehirn- und Rückenmarks­leiden; überall ist hier die schmerzhafteste Cauterisation das kräftigste, nervenbelebende, erweckende Mittel, wenn nicht mechanischer Druck durch Blasenwiümer, Exosto-sen, Dislocation, Geschwülste oder Continuitäts • Verletzungen Ursache der mangelhaften oder gänzlich unterdrückten Nerven­thätigkeit sind.
Aetzmittel.
Alle wirken durch Contact, tödten und verändern die be­rührten Theile, die in dieser Veränderung den Aetzschorf bil den — die escharotischc Contactwirkung, die eigentliche Ver­ätzung. Der Aetzschorf ist hart, krustenartig — Brandschorf — oder fest resp. festweich und austrocknend — irumicn-artiger Schorf —, oder er ist mehr weich und steht in inni-
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Aetzmittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;541
ger Verbindung' mit dein intact gebliebenen (ilewebe, dessen Oefässe auf der Grenze durch Troinben verstopft sind; zwi­schen Gewebe und Schorfe bildet sich buld eine Fettschicht, wodurch die Abhebung des Schorfes vorbereitet wird. Die wei­teren vitalen Veränderungen in der Umgebung beginnen an der Grenze des Aetzschorfes und erstrecken sich mehr oder weni­ger tief in das Gewebe; das erste ist Gefiissinjcetion und Durch­feuchtung; bald gestaltet es sich zur Entzündung und in dem weiteren Verlaufe zur Kernwucherung, Gefässneubildung, Eite­rung, Granulation, Narbengewebebildung und Vernarbung, so­fern das den Aetzschorf umgebende Gewebe überhaupt noch bil­dungsfähig ist.
1. Die Brennmlltel — Cauteria acfiialia.
Sie wirken schnell und heftig coagulirend auf die Gewebe und eiweisshaltigen Säfte, zugleich austrocknend, selbst verkoh­lend — durch Sauerstoffentziehung —, und erzeugen durch Ver-schliessüng aller zuführenden Gefässe einen trockenen Brand schorf. Durch Aasstrahlung von Wärme werden dabei benach­barte und tiefer liegende Theile in verschiedenen Graden mit jifticirt, die nächsten Theile natürlich am meisten, die entfern­teren immer weniger; der geringste Grad der Mitaffection ist einfache Congestion und seröse Durchfeuchtung, der höchste ist Entzündung mit Zertrümmerung des Gewebes und Neubildung. Zwei Arten von diesen Cauterien sind in der Thierheilkunde gebräuchlich, brennende und glühende Körper.
ä) Brennende Körper. Man befeuchtet die zu bren­nende Stelle mit einer brennbaren Flüssigkeit —#9632; am besten mit Terpenthinöl — und steckt sie an. Die Hitze wirkt hier auf eine ganze Fläche und dabei weniger in die Tiefe, weshalb sie in dieser Anwendungsart ein sehr kräftiges Ableitungsmit­tel ist, das im Ganzen aber doch selten benutzt wird, weil eine Zerstörung der Haarzwiebeln und so haarlose Stellen nicht mit Sicherheit vermieden werden kann. Gebräuchlicher sind schon die Brenneylinder — Moxen — von Baumwolle oder Werg, welche in beliebiger Anzahl auf bestimmten Körperstellen ver­brannt werden; sollen sie recht intensiv wirken, so feuchtet man sie mit etwas Terpenthinöl an. Solche Moxen üben den mächtigsten Reiz aus und sind deshalb wohl von allen Mitteln dieser Methode die stärksten nervenerregenden, weshalb sie
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Die ätzende Methode.
besonders bei Lähmungen — bei hartnäckiger Kreutzlähmung — an ihrem Orte sind.
b) Glühende Körper von Eisen oder Kupfer — die bekannten Brenneisen von verschiedener Form—. 1)Weiss­glühend wird das Brenneisen benutzt, wo es sich um Gewebs-zerstörung oder um Erzeugung eines festsitzenden Schorfes zur Deckung resp. Blutstillung handelt; kommt es bei einer Blutstil­lung oder deckenden Schorfbildung darauf an, das Gewebe mög liehst zu schonen oder sind nicht viel Weichtheile vorhanden, dann verbrennt man mit dem Weissglüheisen Ilaare, Horn, Le­der etc. auf der zu überschorfenden Fläche. 2) Rothglühend und noch weniger erhitzt wird das Brenneisen angewendet, um Hitzestrahlen in die Tiefe zu schicken, ohne die Haut durch­zubrennen, wenn man Entzündung, Exsudation, Narbengewebs-bildung und Verwachsung in der Tiefe erzielt. 3) Die erhitzten Brenneisen kommen gar nicht in Berührung mit dem Körper, die strahlende Hitze wird allein benutzt — Cauierisatio in di-stans. Der Zweck hierbei ist, die Haut ganz zu schonen, der aber nicht erreicht wird; denn lässt man wenig Hitze einströ­men, so dient das Brenneisen eben nicht als Aetzmitlel, sondern nur als Reizmittel, lässt man aber aus der Nähe von einem rothgiühenden Eisen viel Hitze einwirken, so ist die Wirkung ganz wie sub 2., die Haut stüsst sich zum Theil oder auch ganz ab.
Die mannigfaltigen Variationen, welche man noch alle empfohlen hat, um zu brennen, ohne die Haut dabei zu kränken, übergehe ich hiev, weil ich sie mehr für Spielerei, als für praktisch brauchbar halte. Dagegen muss ich das Brennen mit einem glühenden Stifte erwähnen, welches ich seit einigen Jahren bei Knochenhautentziinchmg, Knocheuauftveibungen, bei Spat und Schale, kurz überall angewendet habe, wo man die Hitze unter möglichster Schonung der Haut in die Tiefe wirken lassen will, und wel­ches ich für diesen Zweck als die beste aller bisher empfohlenen Metho­den bezeichnen kann.
Ein Stift von der Stärke einer dicken Stricknadel, etwa l'^Zoli lang, an einem Ende scharf zugespitzt, wird glühend durch die Haut in die Tiefe resp. bis in den kranken Knochen gebohrt, in diesem gebohrten Kanal wird der glühende Stift ein- bis zweimal wiederholt applicirt und jedesmal bis zur Abkühlung desselben. Zur Vermeidung der zu schnellen Abkühlung wird der glühende Stift zur 1/2 — % seiner Länge in eine glühende Feuer­zange genommen, deren Lippen dick, nach vorn kurz abgeschärft und an der inneren Fläche mit einer kleinen Vertiefung zur Aufnahme des Stiftes versehen sind.
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Aetzraittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 543
Bei angehendem Spat genügt ein Brandstich, will man mehrere Stiche brennen, so müssen sie l'/o Zoll von einander entfernt stehen. Es entsteht eine starke Entziindnng in der Tiefe und nach Abstossung des Brand­schorfes eine 8 —14 Tage lange Eiterung in der Brandwunde, die in i Wochen ausgeheilt ist nnd eine Erbsen grosse Hantnarbe hinterlässt, über welche die Haare der Nachbarschaft sich hinlegen.
2. Die üdgeuiinntrii cheiniselieu Aetzinlttel — Caustlca polentialia —, bt-lzcnile .lllttel — ('(irrosiva.
Diese Mittel zerstören langsamer als die Hitze, einige wir­ken nur ganz oberfläehlich — Höllenstein —, andere wirken tiefer ein — Aetzkali, noch mehr Arsenik —, immer aber ist die zerstörende Wirkung auf die Theile beschränkt, welche mit dem Aetzmittel selbst in Berührung kommen. Die zerstörte Masse, d. h. die chemische Verbindung des Aetzinittels mit der organischen Substanz ist bei jedem Mittel natürlich verschieden, sie ist bald mehr fest, bald weich. Die nachfolgende Entzün­dung, Narbengewebsbildung und Narbenstrictur sind immer ge­ringer, als nach dem Glüheisen.
A. Metallische Aetzmittel, Oxyde und Salze der S eh wer in et alle.
1. Die Chlormetalle, Metallchloride*). Alle, so weit sie löslich sind, wirken in Substanz und concentrirter Lö­sung ätzend, graduell jedoch sehr verschieden, und qualitativ nur insofern übereinstimmend, als sie einen mehr trockenen, an den unterliegenden Theilen festhaltenden Schorf bilden — mnmificirende escharotica. Das Metall verbindet sich bei der Einwirkung mit Eiweiss zum Albuminat, während das Chlor in die Tiefe dringt und Verfettung bewirkt: die Aetzschorfe ent­halten deshalb immer das betreffende Metallalbuminat und in der unteren Schicht viel Fett, zwischen ihm und dem intact gebliebenen Gewebe bildet sich durch Fettmetamorphose sehr bald ein fettiges Stratum. Alle regen lebhafte Kern Wucherung an und leiten eine gute Granulation, eine rasche Vernarbung der Wunden und Geschwüre ein. In verdünntem Zustande wir­ken sie ähnlich den Chloralkalien mehr verfettend, lösend. Bei mangelhaftem Heiltriebe durchweg als Aetzmittel angezeigt, aus-serdem zur Blutstillung und Vernichtung der Infectionsstoffe
*) Drylc. Virchow's Archiv, Bd. 18, S. 377.
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Die ätzende Methode.
recht brauchbar. Hier sollen nur die billigeren und gebräuch­lichen weiter betrachtet werden.
a) Quecksilberchlorid, AetzsublifnatHydrargy­rum hichloratum corrosivum. Es gehört zu den stärksten Aetz-mitteln unter den Cbloriden, macht einen dicken, weissen, trock­nen Aetzschorr. 1 Theil mit 4 Theilen Alkohol oder Fett giebt ein scharfes Mittel, das an die Aetzmittel streift, eine tiefdrin­gende Entzündung erzeugt ohne die Haut zu zerstören, bei an­gehendem Spat, Periostitis und bei hartnäckigen chronischen Gelenkentzündungen zu empfehlen ist.
6) Zinkchlorid, Chlorzink, Zinkbutter —- Zincum chloratum, Butyrum Zinci. Wirkt langsamer, aber ebenso tief als Sublimat; Gefassinjection und Entzündung in dem angrenzenden Gewebe geringer als bei Sublimat. Zweckmässig, wenn es mehr auf Zerstörung ohne starke Reizung und Entzündimg ankommt— zur Zerstörung inficirender Stoffe und Gewebe. Mit Mehl als Paste ein sehr brauchbares Aetzmittel; 1:4 giebt eine starke, 1 : 8 eine schwächere Aetzpaste, die beim Strahlkrebs eins der besten Mittel ist; in einzelnen Fällen ist mir die Heilung mit diesem Mittel nicht gelungen, und in diesen Fällen sind alle empfohlenen Mittel vergeblich angewendet worden, so dass ich , den Strahlkrebs zur Zeit noch für unheilbar erklären muss, wo die Zinkpaste bei sachgemässer Anwendung nicht hilft.
c)nbsp; nbsp;Antimonchlorid, Chlorspi ess glänz. Liquor stibii chlorafi, wirkt im Wesentlichen wie Zinkchlorid und ist ganz wie dieses zu benutzen.
d)nbsp; nbsp;Chloreisen, Eis en chlor id, Ferruni sesquichloratum sohitum. Das mildeste unter den erwähnten Chlormetallen; der dünne Aetzschorf ist an der Oberfläche fest, an der unteren fetthaltig, der Verfettungsprocess an der Grenze der Schorfbil­dung ist beträchtlich; Injection und Entzündung in dem an­grenzenden Gewebe sehr gering. Als oberflächliches, leichtes, austrocknendes, stiptisches und umstimmendes Aetzmittel bei leichten Blutungen und üppigen Granulationen.
Chlorblei ist sehr schwach, noch schwächer wie Chloreisen, sonst an dessen Stelle als austrockendes leichtes Aetzmittel zu benutzen. Chlorgold, Chlorplatin sind entbehrlich; Chlorsilber ist unlöslich, deshalb kein Aetzmittel.
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2. Anderweitige Metallverbindungen. a) Salpetersaures Silber, geschmolzenes — Argen-tum nitricum fusum. Aetzt ganz oberflächlich, verdichtet dabei das Gewebe, bildet einen dünnen, trockenen und festsitzenden Aetzschorf, der anfangs aus Chlorsilber und Silberalbuminat besteht und fast weiss ist, durch Einwirkung des Lichtes aber dunkel wird, indem sich das Silber reducirt. Die nachfolgende Entzündung ist nur oberflächlich, die Exsudation ist gering, der Heiltrieb gross. Dieser angeführten Eigenschaften wegen eignet es sich als oberflächliches Aetzmittel zur Coupirung re­gressiver Processe, zur Erregung eines normalen Bildungslebens, zur Deckung und Verdichtung bei Diphtheritis, schmerzhaften Excoriationen, bei lockerer und leicht blutender Granulation, bei schwachem Bildungstriebe, reichlicher Secretion und profu-ser Eiterung. Anwendung in Substanz und auch in concentrir-ter Lösung; als Deckungsmittel auf excoriirten Flächen genügen schon die schwachen Lösungen. In neuerer Zeit sind Solutio-nen von diesem Mittel zur Injection in Krebsgeschwülste em­pfohlen.
h) Roth es Quecksilberoxyd — Hydrargyrum oxy-datum rubrum. Als Pulver eingestreut ätzt es oberflächlich, erzeugt einen mehr feuchten Schorf, unter dem eine granu-lirende Fläche mit guter Eiterung entsteht. Ein vortreffliches leichtes Aetzmittel in Wunden und Geschwüren, wo die Neigung zum Zerfallen grosser als zur Neubildung ist, bei unreinen jau­chenden Geschwüren, bei besonderer Hinneigung zur brandigen Zerstörung, vor allen aber bei Geschwüren mit callösen Rän­dern, bei den Geschwüren am Rande der Ohrmuschel der Hunde — dem sogenannten äusseren Ohrwurm. Die Salbe ist kaum noch als ein Aetzmittel zu betrachten; sie findet anstatt des Pulvers ihre Anwendung, wo dieselben Verhältnisse gegeben sind, wo es aber mehr auf Bethätigung der Granulation an­kommt, als auf Aetzung.
c) KupfervitriolCuprum sidplmiicum. Macht einen trockenen festsitzenden Aetzschorf; trocknet dabei aus und ver­dichtet. In kleinen Stückchen in Aftergebilde, callöse Massen, in Stollbeulen etc. gebracht, verätzt es das Gewebe ziemlich tief; der trockene Aetzschorf löst sich langsam ; nur noch wenig gebräuchlich. Fein pulverisirt für sich oder mit anderen Pul-
Gerlach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 35
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Die ätzende Methode.
vern ein austrocknendes Aetzpulver in Wunden und Gieschwüren bei lockerer, üppiger Granulation und copiöser Absonderung recht zweckmiissig, es bildet eine trockene, schützende Decke. Mit Fett oder üel ein leicht ätzendes, mehr austrocknendes Mit­tel; mit Mehl zur wirksamen Aetzpaste, die auf Kastrirkluppen gestrichen wird und hier auch ein recht gutes blutstillendes Aetzmittel ist. In Wasser gelöst nur ein coagulirend wirken­des, adstringirendes und einhüllendes Mittel. Grünspan wirkt ganz ähnlich.
d) Arsenik, weisserAcidum arsenicosum. In Sub­stanz ein sehr starkes und gefährliches Aetzmittel, in Wasser löst sich nur wenig auf, so dass solche Solutionen niemals ätzen; mit Kohle und Fett zur Salbe gemacht, kann man die ätzende Wirkung beliebig stark haben; 1 : JG giebt eine leichte Aetz-salbe. Er bildet einen festsitzenden, oft tief gehenden, nach und nach ganz hart werdenden Aetzschorf, der sich sehr lang­sam löst und eine gute Granulation zur Folge hat. In dem Se­rum ist er löslicher, als in den Verdauungssäften, deshalb wer­den beim äusserlichen Gebrauche, namentlich in Wunden, viel kleinere Quantitäten schon tödtlich, als innerlich. Gebräuchlich: a) bei bösartigen Geschwüren — Krebs- und Wurmgeschwüren —, um durch tiefe Zerstörung Heilung herbeizuführen; hier gewöhn­lich mit Kali oder Kohle gemischt oder in der Mischung als Cosmesches Pulver gebräuchlich; h) alle solche Aftergebilde zu zerstören, die man mit dem Messer nicht auszurotten wagt oder im Stande ist, die nach der Exstirpation immer wieder hervor­wuchern.
Arsenikstiickchen in Aftergesehwiilstc gebracht, wirken wooher. - selbst monatelang ätzend auf die Umgebung, so dass die trockene Verätzung von dem Mittel ans sieb einige und mehrere Zoll weit in das Gewebe hinein erstreckt: allgemeine Vergiftungen sind hierbei weniger zu fürchten — conf. meine gerichtliche Tliierlieilkunde, S. 792. Der mumificiite Aetzschorf löst sich sehr langsam erst in Monaten von clem intact gebliebenen Gewebe. Aus diesem Grunde und wegen der nicht zu berechnenden Begrenzung der Verätzung ist der Arsenik nicht als Exstirpationsmittel zu empfehlen.
B. Alkalische Aetzmittel.
Die Leichtmetalle selbst ätzen durch Verbrennung, ihre Gxyde durch Wasserentzichung, durch Bildung von meist löslichen Albuminaten und durch Verseifungen. Diese Alkalien lassen sich daher nicht auf eine begrenzte Stelle anwenden, sie
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zerfliessen und ätzen Tveiter, lösen die zerstörte Substanz in eine weiche Masse auf und erzeugen so einen tief eindringenden, weit verbreiteten feuchten Schorf, dem gewöhnlich eine reich­liche Jauchebildung nachfolgt. Der Aetzkalk macht hiervon eine Ausnahme, er zerstört weniger tief und bildet einen trocke­nen Schorf, unter dem aber kein besonderer Heiltrieb besteht. Das Aetzkali ist das kräftigste zerfliessende Causticum, wel­ches als solches fast nur seine Anwendung findet, um Contagien in Wunden zu zerstören. Ein Gemenge von Aetzkalk und Aetz­kali — das Wiener Aetzpulver; 5 Theile Kali mit 6 Theilen Kalk und Wasser so viel, als zur Paste erforderlich — verei­nigt die Eigenschaften beider Mittel und ist als Aetzmittel bei Warzen- und Strahlkrebs zu gebrauchen.
Von den Salzen der Erden dient der Alaun — gebrann­ter — als Wasser anziehendes, stark verschrumpfendes und leicht ätzendes Mittel bei üppiger und lockerer Granulation und bei reichlicher Secretion. Die Verbindung von Alaun mit Kupfer — Cuprum aluminatum — ist eins der gelindesten Aetz­mittel, das zugleich stark zusammenzieht, die Wunde deckt und daher ein gutes Heilmittel bei vorherrschender Atonie und über­haupt bei allen Wunden und Geschwüren ist, die der Einwir­kung der Luft ausgesetzt sind.
Der Zucker hat auch eine gelinde ätzende Wirkung, die gleichfalls auf Wasserentziehung beruht.
C. Aetzende Säuren.
Fast alle concentrirte Säuren ätzen durch Wasserentziehung und ausserdem durch Auflösung der Protci'nstoffe zu ihrer Neu­tralisation ; sie greifen etwas über die Stelle hinaus, auf die sie angewendet werden; die Aetzung ist mit Znsammenschrumpfung verbunden, der Schorf sitzt ziemlich fest, und die Entzündung in der nächsten Umgebung ist stark.
Salzsäure — Acidum muriaticum erndum; 30deg;/,). Ist die schwächste von den hier in Betracht kommenden; nach einer ein­maligen Anwendung auf die Haut eines Pferdes trat schwache Entzündung ein, die Stelle selbst fühlte sich wochenlang etwas härter und verschrumpft an; eine weitere Veränderung trat nicht ein, selbst die Haare fielen nicht aus. Die Maulschleim­haut zeigte unter der Zunge noch Erosionen nach Anwendung einer Verdünnung mit 18 Theilen Wasser.
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Die ätzende Methode.
Essigsäure—Acidum aceticum; 85%. Aetztoberflächlich. Nach der Anwendung auf die Haut eines Pferdes wurden in 24 Stunden Oberhaut und Haare abgestossen, die secernirende Fläche wurde jedoch bald trocken. In neuerer Zeit hat sie An­wendung gefunden bei bösartigen Geschwülsten, in welche sie hineingespritzt wird, um die krebsigen Zellengebilde zu zer­stören. .
Schwefelsäure und Salpetersäure sind die stärksten Aetzmittel dieser Kategorie. Beide sind wegen starker Zusam-menschrunipfung des Gewebes bei dem Aetzen und noch mehr wegen starker Narbenstrictur zu empfehlen. Cliromsaures Kali ersetzt sie hier aber vollkommen. Die Schwefelsäure macht schnell einen Aetzschorf von kohliger Beschaffenheit; die gewöhn­lich käufliche mit 4 — 5 Theilen Wasser oder Spiritus verdünnt, ist ein mildes Aetzmittel, was erst bei wiederholter Anwendung haarlose Narben hinterlässt. Salpetersäure bei bösartiger Klauen­seuche besonders empfohlen.
Bei der Klauenseuche passen diese starken Aetzmittel nicht. Man hat bei dieser Krankheit überhaupt durch heroische Mittel zu erreichen gesucht, was nur bei einer consequenten und fleissigen Behandlung mit milderen zu erlangen ist.
Bei Nabelbrüchen sind beide Mittel von wesentlich gleicher Heilwirkung; die Zerstörung des Hautgewebes, die Verschrumpfung und der längere Zeit fortdauernde Process der Narbengewebsbildung sind bei beiden im Wesent­lichen gleich und bei beiden die heilenden Momente. Bei der Anwendung hat man zu beachten, dass die Haut nicht durch und durch zerstört wird; eine einfache Befeuchtung des Bruchsackes mittelst eines getränkten Werg­bausches bringt keine Gefahr, während das reichliche Benetzen oder das längere Reiben mit getränktem Wergbausch brandiges Abfallen der Haut und Prolapsus zur Folge hat.
Contra - Indication.
Wo die ätzende Methode angezeigt ist, da giebt es bei unseren Hausthieren auch keine Umstände, welche sie verbie­ten, als vielleicht die ökonomischen Verhältnisse, wenn nämlich die Patienten nicht so lange die Ruhe geniessen können, die etwa nach der Cauterisation — nach dem Brennen des Spates z. B. — nöthwendig ist. Bei der Auswahl unter den Aetzmit-teln nmss man natürlich Indicationen mit den Contra-Indicatio-nen abwägen, die hierbei nicht selten eintreten.
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Die absorbirende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;549
Absorbircndc Methode, lUethodns absorbens.
Feuchtigkeiten and Gase sind die Objecte dieser Methode, sie zu beseitigen sind Kurzwecke und zugleich Heilzwecke, so­fern von den Feuchtigkeiten und Gasen irgend welche Störun­gen oder Heilungshernmnisse ausgehen.
1. Fruchtigkelten zu absorbiren, ausintroeknen.
a)nbsp; nbsp;Austrocknen zur Beschränkung der Granula­tion und Eiterung. Wie warme Feuchtigkeit die Neubildun­gen, namentlich die Granulation und Eiterung fördert, so ent­schieden hemmt das Austrocknen diese Processe. Bei luxuriö­sen Eiterungen, bei üppigen Granulationen, fungösen Excrescenzen und wenn ein Abschluss in der Granulation herbeigeführt wer­den soll, wenn in Wunden und Geschwüren kein Substanzver-lust mehr zu ersetzen, keine Vertiefung mehr zu füllen ist, dann sind die austrocknenden Mittel angezeigt, im ersten Falle die leicht ätzenden, im letzten die deckenden Austrocknungsmittel.
b)nbsp; Austrocknen bei copiösen Secretionen und Ex-sudationen. Stark nässende Ausschläge, nässende Geschwüre — z. B. Träberausschlag, Mauke, ulcerativer Ausschlag an den Ballen, Strahlgeschwür und Strahlfäule — haben wenig Heiltrieb, erst durch Binden der Secrete und Hemmung der Absonderung auf dem Wege der Verdichtung erfolgt Heilung; deshalb die adstringirenden Exsiccantien.
c)nbsp; nbsp;Austrocknen bei deletär wirkenden Feuchtig­keiten, die secernirt oder durch chemische Processe producirt sind — Verjauchungen, feuchter Brand —. Hier handelt es sieh um Schutz des Gewebes an Ort und Stelle des Contacts und um Verhütung allgemeiner Intoxication — bei Rotzsecreten, Decubitus etc. Die antiseptischen Exsiccantien dienen hier zum Schutz und Heil; sie sind einmal Präservativinittel, indem sie gesunde Theile vor den zerstörenden Einwirkungen schützen, ausserdem sind sie Palliativmittel, indem durch Absorption der Jauche eine Schädlichkeit beseitigt wird, die örtlich und allge­mein die Zustände verschlimmert, und drittens endlich sind sie oft die ausreichenden Heilmittel, wenn mit dem Unschädlichmachen der deletären Jauche auch die Heilungshindernisse vollkom­men aufgeräumt sind.
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Die absorbirencle Methode.
2. Gase zu entfernen.
In den Verdauungswegen, namentlich im Wanste der Wie­derkäuer und im Magen, Blind- und Grimmdarme der Pferde häuten sich Gase zuweilen in solchen Massen an, dass sie me­chanisch durch Ausdehnung und Druck belasten und selbst lebensgefährlich werden.
Die Beseitigung dieser Gase wird mit dem Grade der An­häufung und Spannung immer dringender und ist sehliesslich bei hochgradiger Tympanitis eine Vitalindication. Speciellere Indicationen für die Mittel hängen mehr von der Qualität der Gase und der Ursache ihrer Entwickelung ab, worüber wir frei­lich oft im Dunkeln bleiben, weshalb denn auch der Therapeut meist auf die generelle Indication für diese Methode beschränkt bleibt. Die Qualität der Gase können wir nicht erkennen, so­fern uns die Quelle derselben nicht bekannt ist. Wenn wir einen Krippensetzer vor uns haben, der sich den Mägen voll­pumpt, so wissen wir, dass es atmosphärische Luft ist; wo die Gase sieh aus Protcinsubstanzen entwickelt haben, da Fehlt Schwe-felwasserstoffgas nicht; wo sie von der Zersetzung der pflanz­lichen, zuckerstoffhaltigen Nahrungsmittel herrühren, da sind Kohlensäure und Kohlenwasscrstoffgas vorherrschend.
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Mittel. 1. Austrocknende Mitte! — E\slccaiitia.
Atmosphärische Luft. Das natürlichste und zugleich stärkste Austrocknungsmittel bei den sub 1. laquo;) angeführten Zwecken; setzt man granulirende Flächen der Luft aus, so tritt durch Austrocknung eine Einschrumpfung und Schorfbildung ein, der Schorf beschränkt ein übermässiges Austrocknen und unter seinem Schütze kommt es zum Abschluss, zur Vernar-bung. Auch bei den unter 1. b) envähnten Indicationen ist die Luft ein heilsames Austrocknungsmittel, sobald es dabei zur Schorfbildung kommt; ist die Secretion so bedeutend, dass sich selbst unter Einwirkung der Luft ein Schorf nicht bildet, dann ist dies Austrocknungsmittel nicht bloss nutzlos, sondern selbst noch schädlich dadurch, dass die entblösste nässende Fläche der directen reizenden Einwirkung der Luft continuirlich ausgesetzt ist.
Kohle. Feingcpulverte Holzkohle absorbirt Feuch-
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 551
tigkeiten und iibelc Gerüche zugleich, sie findet bei allen er­wähnten Fällen ihre Anwendung und eignet sich ganz beson­ders zum Einatlmien, wenn man auf die Luftwege absorbirend einwirken will.
Einstreupulver von verschiedenen Substanzen. Die milden sind: Althäapulver, Mehl, Stärkepulver, Bärlapp, Mimosengummi; alle diese Mittel finden ihre Anwendung da, wo man möglichst wenig reizen und eine schützende Decke bil­den will. Etwas reizendere Einstreupulver sind: Bolus, Thon, kohlensaurer Kalk, Colophonium, Pulver von bitteren, aromati­schen und adstringirenden vegetabilischen Substanzen. Wenn zugleich Atonic und Torpidität besteht, wenn die tonische und erregende mit der abeorbirenden Wirkung gemeinschaftlich zur Heilwirkung wird, dann kommen diese Substanzen zur Anwen­dung. Eine dritte Klasse von Einstreupidvern ist das zugleich leicht ätzend auf die Geschwürflächen wirkende; die verschie­denen Vitriole, das Bleiweiss, der Alaun, der Chlor- und Actz kalk gehören hierher; alle diese Mittel trocknen sehr stark aus, verdichten das Gewebe, wirken oberflächlich ätzend und stim­men so zu einem grösseren Heiltriebc um — s. deckende, ätzende und adstringirende Methode, letztere trocknet durch Ver­minderung der Absonderung.
2. Blahungswidrigc MUtel — t'aiiniiialivii.
laquo;) Entleerungen. Direct durch Drücken und Kneten des tytnpanitisch aufgetriebenen Bauches, durch die Schlundröhre (von Monroe), die bei Wiederkäuern sehr leicht zu appliciren ist, die aber in den Fällen unwirksam bleibt, wo sich das Gas in der gährenden, schäumenden Futtermasse vertheilt, wie dies bei der Tympanitis nach Grünfutter meist der Fall ist; durch den Troi-kar, über dessen Anwendung die Akiurgie specicller belehrt. Zu dem Pansenstiche kann man im Nothfalle ein Messer be­nutzen, worauf man irgend eine entsprechend grosse Röhre durch die Wunde bis in den Wanst schiebt. Bei den Pferden ist der Troikarstieh — im Magen, Blind- und Grimmdarm laquo;- immer gefahrvoll und daher nur im äussersten Nothfall anzuwenden; je feiner übrigens der Troikar ist, desto weniger gefahrvoll ist seine Application bei den Pferden.
b) Kauen und Rülpsen erregende Mittel bei den Wiederkäuern. Ein Stück Holz ins Maul, besser ein Stroh-
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Die absorbirende Methode.
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seil durch das Maul gezogen und hinter den Hörnern zusam­mengeknüpft, das zuvor mit einem reizenden Mittel bestrichen resp. getränkt ist, wozu man Theer, Kochsalzlösung, PfefFertinc-tur, am zweekmässigsten aber eine Brechweinsteinlösung an­wendet.
c)nbsp; nbsp;Bethätigung der Verdauungsorgane, Steige­rung der wurmförmigen Bewegung die blähungtrei­benden Mittel, die Carminativa im engeren Sinne. Abführmit­tel, besonders die drastischen, alle bitteren, aromatischen und gewürzhaften Mittel, namentlich aber Terpenthinöl, Steinöl — von besonderem Rufe bei der Tympanitis der Wiederkäuer —, Asand (Tinctur), Zwiebeln, Knoblauch, Pfeffer, Senf, Meerrettig, Kümmel, die Münzarten und Baldrian.
d)nbsp; nbsp;Die Absorbentien. Chemische Absorbentien haben wir nur bei den sauren Gasen — Kohlensäure — an den Alka­lien und namentlich an folgenden: Salmiakgeist, der wegen seiner reizenden Einwirkung auf die Maul- und Rachenschleim­haut und auf die Magenwandung das Aufrülpsen mit befördert; man giebt pr. d. 15 — 30 Grm. mit Wasser alle 10 Minuten bis l/4 Stunde; 120 —150 Grm. können ohne Gefahr verbraucht werden; ausser der Kohlensäure wird auch das Schwefelwasser­stoffgas von diesem chemisch gebunden. Ferner Kalkwasser, Pottasche und Seifen was s er. Ein physikalisches Absorp-tionsmittel ist die fein pulverisirte Kohle, die alle Gase ab-sorbirt, die bei jäher Gasentwickelung aber in der Regel nicht genügt.
e)nbsp; nbsp;Die Hemmung der weiteren Entwickelung, die Radicalkur. Zu diesem Zwecke dienen die Spirituosen, die bereits erwähnten ätherisch-öligen Mittel, ferner die alkalischen Absorbentien bei der sauren Gährung, die wohl immer Ursache der acuten Tympanitis bei Pflanzenfressern ist, und endlich die Kalte. Letztere ist ein eben so wirksames als praktisches Mit­tel zur Hemmung der Gährung in den Verdauungswegen, beson­ders im Wanste der Wiederkäuer. Kalte Begiessungen, Um­schläge, kaltes Bad — eine tympanitisch erkrankte Heerde in einen Fluss treiben —, innerlich eiskaltes Wasser, noch besser aber Eis, kalte Klystiere. Die Heilwirkung der Kälte wird noch durch Förderung der Contraction, durch Bethätigung der Verdauungsorgane gefördert.
Contra-Indicationen giebt es hier nicht; bei den austrock-
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Die neutralisirende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 553
nenden Mitteln haben wir die Indicationen schon so präcise gestellt, dass damit die Contra-Indicationen erledigt worden sind, und bei den Gasentwickelungen sind die Beschwerden so bedeu­tend, dass Nebenumstände nicht weiter berücksichtigt werden können.
Säureabstumpfeude^ neutralisirende iHcthode, N. antacida,
Indicationen.
1. Säuren in den ersten Wegen sind am häufigsten Gegenstand dieser Methode und verschiedenen Ursprungs: a) Sie sind in solcher Menge aufgenommen, dass eine Neutralisirung auf physiologischem Wege, d. h. durch den Verdauungsact nicht erfolgen kann. Von directen Vergiftungen durch Säuren bei den giftwidrigen Methoden; hier kommen nur die sauren Nah­rungsmittel in Betracht, die erst bei fortdauernder Einwirkung Störungen bedingen, aber bei dieser Methode einen wohl zu beachtenden Theil unter den Indicationen ausmachen, b) Eine andere Quelle der Säuron in den ersten Wegen ist die Ent-vrickelung aus den Contentis durch eine saure Fäulniss resp. Gährung, die auch ohne Blähung vorkommt, namentlich bei den Pflanzenfressern, besonders nach stickstofFreicher Nahrung, c) End­lich ist als dritte Quelle eine krankhafte Absonderung in den Verdauungswegen anzusehen, die wieder verschiedene Ursachen haben kann, in der Regel aber auf schwere resp. unverdauliche Nah­rung oder sonst wie gestörte Verdauung zu reduciren ist. Wii'd im Wanste ein saurer Saft und in dem einfachen Magen zur Zeit der Leere Magensäure abgesondert, ist freie Säure im Darmkanale vorhanden, reagiren die Excremente sauer, so ist die neutralisirende Methode angezeigt. Als specielle Indicatio­nen sind hier noch aufzuführen:
Leck sucht. Diese wird als ein Symptom von abnormer Magensäure beträchtet, sie ist es auch oft, aber doch nicht im­mer; sie ist ausserdem auch als Salzhunger aufzufassen und auf Sensationen zurückzuführen, die nicht durch Einwirkung der Säuren auf die Magennerven, sondern durch den allgemeinen Mangel an Salzen in den Säften bedingt ist.
In Gegenden, wo Boden und in Folge dessen die Vegetabilien arm an Kochsalz sind, da ist der Salzhunger bei den Wiederkäuern eine ganz ge­wöhnliche Erscheinung. Wenn daher die Lecksucht nicht zu der stehenden
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Die neutralisirende Methode.
Erscheinung gehört, wenn sie nicht enzootisch ist, und überall in den Fällen, wo von mehreren unter gleichen Verhältnissen lebenden Thieren nur ein­zelne Lccksüchtig sind, dann inuss man bei dieser Erscheinung an Säuren und säurewidrige Mittel denken.
Heisshunger — Bulimm, Bulimia. Kommt bei Pferden, namentlich bei alten vor, und beruht sehr wahrscheinlch in einer Schärfe des Magensaftes; die Erfahrung hat wenigstens gelehrt, dass die absorbirenden Mittel mit den bitteren und erregenden am wirksamsten dabei sind.
Wässerige Harnruhr, namentlich die höheren Grade, die mit Gelüste auf alkalische Substanzen verbunden zu sein pflegen.
Durchfälle bei Säuglingen — Milchruhr. Eine Aci-dität im Magen ist häufig die Grundursache; die Magensäure wird hier wobl weniger primär abnorm abgesondert, sondern sehr wahrscheinlich durch angehäufte^ belästigende Milchcoagula im Magen bedingt, indem diese als fremde Massen in dem Magen fortwährend eine vermehrte Absonderungquot; eines sauren Magensaftes bedingen. Wie hier die Säure auch entstanden ist, immer ist sie die weitere Ursache des nicht selten tödtlich wer­denden Durchfalls.
Alle Durchfälle, auch bei erwachsenen Thieren, die vor­zugsweise auf krankhafter Absonderung beruhen und in Folge von Diätfehlern oder leichten Erkältungen entstanden sind, wer­den durch kohlensaures Natron am schnellsten und sichersten geheilt.
In vielen Fällen sind die gegen Säuren in den ersten Wegen in Anwendung kommenden Mittel radicale Heilmittel, in ande­ren aber nur Palliativmittel; im letzten Falle müssen sie noch mit Mitteln verbunden werden, welche den Ursachen entspre­chen, und unter denen die Diät, die Stomachica und selbst die Abführmittel in erster Eeihe stehen.
2. Saure Reaction des Harnes.
Bei den pflanzenfressenden Thieren ist der Harn alkalisch oder neu­tral, nur bei Jungvieh fand ich ihn zuweilen schwach sauer; bei Säug­lingen, die eben noch keine Pflanzenfresser sind, reagirt der Harn immer sauer, und bei Fleischfressern ebenfalls, wenn sie Fleischkost bekom­men. Diese saure Reaction kann durch sehr verschiedene Säuren bedingt sein, meist sind es jedoch organische Säuren, aber nicht gerade die dem Harne angehnrigen; bei Pflanzenfressern ist es meist eine von den organi­schen Säuren des Harns. Dies als allgemeine Anhaltspuncte für die Pra­xis, für die es therapeutisch auch ziemlich gleichgültig ist, welche Säure
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 555
dabei vorwaltet. Wesentlich ist es aber, ob dabei nicht etwa auch viele an­organische Bestandtheile — namentlich Phosphate — mit ausgeführt werden.
üeberall, wo entschieden Acidität dos Harnes bei Pflanzen-t'ressorn besteht, da ist die ncutralisirende Methode angezeigt; und ist diese um so dringender, je allgemeiner eine Acidität prävalirt, namentlich aber, wenn sich Ernährungsstörungen in den Knochen ankündigen. Der Harn bleibt für die ncutra­lisirende Methode bei Pflanzenfressern das Barometer.
3. Acidität in den Secreten, namentlich im Speichel, Schleim und in der Milch; letztere ist bei den Milchkühen häu­tig Gegenstand der Therapie. Die Milch kann diesen Fehler schon aus den bildenden Drüschen mitbringen, er beruht dann in Mangel an alkalischon Substanzen, die säuretilgenden Mittel sind hier radicale Heilmittel; die Milch kann aber bei ihrer Bildung ganz normal sein und diesen Fehler erst später bekom­men, und zwar: a) von der erkrankten Schleimhaut der Milch-kanälchen — Euter-Katarrh und -Entzündung —, und b) durch grosse Hitze im Sommer, wodurch im Euter, noch mehr aber nach dem Melken das Sauren und Gerinnen gefördert wird. In dem unter a) erwähnten Falle kann von den innerlichen säurc-tilgcnden Mitteln nicht viel erwartet werden; bei den unter b) angeführten Ursachen sind die innerlich verabreichten Alkalien in einem beschränkten Grade Präservativmittel, indem sie der Milch eine grössere Alkalescenz ertheilen und so das Säuren länger abhalten. Oft müssen auch die Milchgeschirre Gegen­stand der säuretilgenden Methode sein.
Mittel.
Alkalien in verschiedenen Verbindungen sind die chemi­schen Gegensätze von Säuren; sind letztere Krankheitsproducte, so sind sie wesentliche Palliativmittel; sind die Säuren ursprüng­lich prävalirend, so haben wir an den Alkalien die radicalen Heilmittel. Besonders wirksam und gebräuchlich sind: Aetz-ammoniakflüssigkeit, Kali, Natron, Magnesia und deren Salze, namentlich die kohlensauren — kohlensaures Kali und.Natron — Pottasche und Soda — sind die wirksamsten: kohlensaure Majr-nesia ist ein sehr mildes Mittel, für Säuglinge besonders geeig­net, namentlich in Verbindung mit Rhabarber oder mit kleinen Dosen Ipecacuanha und Opium; weinsteinsaures Kali — Wein­steinrahm — und borsaures Natron — Borax — schliessen sich
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Die neutralisirende Methode.
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hier an. Die Verbindungen mit Fett, die Seifen sind von gerin­gerer Wirkung; ein brauchbares Hansmittel als Surrogat ist die Holzasche. Nach den Alkalien kommen die alkalischen Erden, als: Kalk, namentlich Kalkwasser von frisch gelöschtem oder unter Verschluss aufbewahrtem Kalk, kohlensaurer Kalk (Kreide, Auster- und Eierschalen), Alaun und Bohis.
Bei Säuren in den ersten Wegen mit und ohne gastrische Störungen sind die verschiedenen Stomachica mit den Antacida zu verbinden nach speciellen Indicationen.
Contra - Indicationen giebt es auch hier eigentlich nicht; die säuretilgenden Mittel können neben verschiedenen Kurmethoden angewendet werden, und sie haben immer eine gewisse heil­same Wirkung, wo abnorme Säuren sind.
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Fäulnisswidrige Methode, IM. antiseptica.
Faulige Zersetzung — Sepsis, Putrescentia — ist Cardinal-Indication dieser Methode, die eine hohe therapeutische Bedeu­tung hat, die einmal den Fäulnissprocess selbst inhibirt und anderntheils auch die Fäulnissproducte unschädlich macht.
Leben und Fänlniss sind Gegensätze, die sich ausschliesseu; wo Lehen ist, da kommt keine wirkliche Fäulniss zu Stande; die nothwendige Be­dingung zur Fäulniss, welche Form es auch sei, ist das Erlöschen des Le­bens, die Lebenskraft inuss ihre Herrschaft aufgegeben haben, die Bewe­gung, die unaufhörliche im Lebendigen, welche die Bildung und Rückbil­dung nach organischen Gesetzen zu Stande bringt, welche die Folge und zugleich die vitale Bedingung des Lebendigsein ist, diese Bewegung muss nothwendig aufhören, ehe die rein chemische Bewegung eintreten kann, die man als Fäulniss bezeichnet. So lange ein Thier lebt, kann es daher an ihm nur faule Theile geben, in den Secreten und abgestorbenen Glewebs-theilcn können nur wirkliche Fäulnissproccsse auftreten.
Diese Zersetzungsprocesse können verschieden sein, je nachdem sind auch die Producte verschieden und mehr oder weniger feindlich für den Organismus. Auf dem wissenschaftlichen Terrain der Fäulniss und Gäh-rung ist aber noch nicht Licht genug, als dass ein Laie sich schon orien-tiren könnte, namentlich ist die Frage, ob pflanzliche und thierische Orga­nismen immer und durchaus nothwendig sind (die Vitalisten, Pasteur an der Spitze), oder ob diese Zersetzungen auch als reine chemische Acte — unter Feuchtigkeit, Luft (SaucrstoflF) und Wärme — vorkommen, wie es dem Pathologen nach den Vorkommcnheiten auf seinem Gebiete sehr wahr­scheinlich erscheinen muss; therapeutisch ist es zunächst von Wichtigkeit, dass es sauer und alkalisch reagirende Fäulnissproducte giebt.
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Die faulnisswidrige Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;557
Speciellere ludicationen, 1. Oertliche Zersetzung verschiedener Substanzen.
a) Abgestorbene Gewe bstheile, die um so leichter faulig zerfallen, wenn sie reich an Feuchtigkeit sind, wie na­mentlich beim feuchten Brande; die Zersetzung tritt sofort ein und liefert sehr deletäre Producte, wenn das Absterben der Theile selbst schon durch eine in Zersetzung begriffene Sub­stanz erfolgt ist; die giftigste Substanz, die im Körper produ-cirt werden kann, ist die gefürchtete rothe Brandjauche, die durch Contact alle lebendigen Theile ertödtet; Decubitws bei grossen Thieren giebt oft Veranlassung zu umfangreichen loca-len Verjauchungen; die zurückgebliebenen Eihäute verfaulen in der Gebärmutter, deren Product aber weniger deletär ist bei den Thieren, namentlich bei Kühen.
h) Ergossenes Blut. Das ergossene Blut zersetzt sich sehr gern, oft sogar in abgeschlossenen Extravasaten, immer aber in offenen Wunden nach Operationen etc., es liefert einen penetranten faulen Genich, der lange an den Händen haftet, übrigens nicht so deletär und von solcher infieirender Wirkung ist, als man dem Gerüche nach vermuthen sollte;
c)nbsp; nbsp;Eiter und Secrete in Wunden und Geschwüren — faulige, destructive Geschwüre, fauler Strahl —, plastische und diphtheritische Exsudate;
d)nbsp; nbsp;normale Se- und Excrete, Speichel — bei Maul­klemme —, Schleim — in der Gebärmutter retenirter —, Harn bei Fisteln und Infiltrationen, und Faces in den Verdauungs­wegen, wie auch bei Kothfisteln.
In allen diesen Fällen handelt es sich um die Heilwirkung an Ort und Stelle und um Verhütung einer fauligen Infection.
2. Bei allgemeiner Sepsis, die gewöhnlich ihr Fer­ment im Blute hat, deshalb Hämatosepsis oder Septicämie ge­nannt wird. Diese allgemeine Sepsis kann eine selbstständige Krankheit sein, die faulige Infection, das Faulfieber —, oder sie gesellt sich einer vorhandenen Krankheit hinzu, irgendwie zu­fällig oder durch die Krankheit selbst bedingt. Solche primäre oder secundäre allgemeine Sepsis äussert sich dadurch: a) dass alle Secrete mehr oder weniger anders geartet sind, sofort in Fäulniss übergehen, gewissermaassen während der Ab- und Aus­sonderung schon faulen und in den höheren Graden Ursache
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Die fanlnisswklrige Methode.
Bind, dass die Thiere schon bei lebendigem Leibe stinken; h) dass in den Theilen, wo eine Circulationsstörung im Capillar-system eintritt, auch alsbald ein fauliges Absterben der Gewebs-theile entsteht und faulige Geschwüre hervortreten. Erschei­nungen, welche von Alteration des Blutes und von abnormen Ernährungsverhältnissen zeugen, sind nicht gerade beweisfähig für die faulige Beschaffenheit des Blutes.
Mittel.
A. Chemisch und physikalisch wirksame fäulniss­widrige Mittel, die auch zur Conservation der leblosen orga-nischen Substanzen dienen, und auf den lebendigen Organismus nicht anders fäulnisswidrig wirken, wie auf diese.
1.nbsp; nbsp;Kälte. Bei allgemeinen septischen Zuständen ist sie ein recht wirksames Mittel. Reine kühle Stallluft, metho­dische Anwendung des kalten Wassers auf die Haut, ohne die Perspiration anders, als nur momentan zu unterdrücken: am besten werden kalt durchfeuchtete Decken um die Patienten gelegt und 1—2 stündlich erneuert. Bei der methodischen Anwendung des kalten Wassers kommt neben der physikali­schen Einwirkung auch noch die Aufnahme von Wasser, die Einwirkung auf die Hantnerven und die Förderung der Dia-phorese neben der antiseptischen Wirkung in Betracht. Die rechte methodische Anwendung des kalten Wassers bleibt eins der wirksamsten Mittel bei Faulfieber und ähnlichen Krank­heiten, öasentwickelung wird durch Kälte angehalten, weil die faule Zersetzung beschränkt wird.
2.nbsp; nbsp;Austrocknende und deckende Mittel bei localen fauli­gen Zersetzungen. Ohne Feuchtigkeit herrscht das Gesetz der Starrheit, wobei jede Fäulniss ausgeschlossen ist, daher sind die Absorbcntia auch sehr wirksame fäulnisswidrige Mittel; obenan stellt unter ihnen die Kohle als Antisepticum. Schlitzen die aus­trocknenden Mittel zugleich gegen den Luftzutritt, so ist ihre Wirkung um so nachhaltiger.
3.nbsp; nbsp;Säuren und Alkalien. Bei der alkalischen Fäulniss die Säuren und die Metallsalze, die alle sauer reagiren und deshalb hier zu dem chemischen Gegensatze gehören ; das billigste und zugleich wirksamste unter den Metallsalzen ist der Eisenvitriol. Alle diese Mittel kommen bei localer Sepsis äusserlich direct.
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Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5.r)9
bei allgemeiner Sepsis auch innerlich zur Anwendung. Auch die Bierhefe ist hierher zu zählen, insofern sie als Ferment die saure Gährung einleitet, wenn Zucker vorhanden ist; sie äus-sert deshalb ihre antiseptische Wirkung vorzugsweise in den Verdauungswegen. Die alkalischen Mittel finden ihre Anwen­dung umgekehrt bei sauren Zersetzungen. Alkalien und Erden, die zugleich absorbirend und austrocknend wirken, sind nun so wirksam; Kalkmilch trocknet aus und absorbirt faule Gerüche.
4. Specifische Antiseptica, d. h. solche, deren Wirkungs­weise sich nicht auf die erwähnten chemischen Gegensätze zu­rückführen lässt und die bei allen faulen Zersetzungen hem­mend einwirken, sei es durch feindliche Einwirkungen auf vitale Erreger, sei es durch leichte Umsetzung und chemische Ver­wandtschaft zu den faulenden organischen Stoffen.
Chlor. Ehemals von grossem Eufe, in neuerer Zeit hat es an Credit verloren, weil es den faulen Geruch nicht so schnell
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und vollständig wegnimmt, als andere hierher gehörige Substan­zen. Immerhin muss es rücksichtlich der fauligen Zersetzungs-processe noch als ein recht wirksames Mittel empfohlen wer­den, welches innerlich als Chlorgas (durch Inhalation) und Chlorwasser, und äusserlich als Chlorwasser und Chlorkalk zur Anwendung kommt.
K o ch s a 1 z. In neuerer Zeit von Devander *) als ein aus­gezeichnetes Desinfectionsmittel fauliger und brandiger Wunden empfohlen; der üble Geruch verschwindet, die Wunde wird rein und gute Eiterung und Granulation erfolgen in einigen Tagen. Es ist sogar als Vorbauungsmittel gegen etwaige faulige Infec­tion und schlechte Eiterung empfohlen, kann jedoch erst bei eingetretener Eiterung Anwendung finden, weil es in frischen Wunden zu stark reizt. 100 Grm. auf 2 Liter ist bei eingetre-teuer Fäulniss eine starke Lösung. Die Lösung muss abgegos­sen und filtrirt werden, damit keine Krjstalle mit in die Wunde kommen. Nach Reinigung mit der Lösung die Anwendung getränkter Compressen, die nach Umständen öfter oder seltener gewechselt werden.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; {
üebermangansaures Kali, Kali hypermangameum. Ein äusserlicbes Mittel, welches das Kochsalz als Antisepticum über-
*) Du Chlomr de Sodiiun dans le traitement de plaie en general. Liege 1865.
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Die fänlnisswidrige Methode.
trifft und auf die Wunden milder einwirkt In Lösungen 1 : 24 — 48 Theilen Wasser gebräuchlich.
Die brenzlichen Mittel der trocknen Destillation. Theer, besonders in Verbindung mit Gyps (1:3), als sehr wirk­sames Hausmittel äusserlich; die Theersäuren und das Krpo-sot, vorzügliche innere und äussere Antiseptica. Die Carbol-säure übertrifft alle Mittel in der Brauchbarkeit für die Praxis; sie nimmt sofort den Stinkstoff weg, reizt die Wunde wenig, hat guten Heiltrieb zur Folge, ist auch innerlich anwendbar und dabei sehr billig. Bei sehr faulen und torpiden Geschwü­ren wendet man sie rein an; sie ist löslich in Spiritus und Gel, will man eine milde örtliche Einwirkung haben, so ist ein Zu­satz von 3 — Ofacher Menge Oel recht empfehlenswerth. Inner­lich mit Oel oder Schleim, für Pferde und Rinder 40—60 Grm., Hunde 2—4 Grm., täglich 2—3 Dosen. Bei Hunden er­zeugte das Mittel regelmässig, bei Pferden gewöhnlich geringe Temperaturerniedrigung in der erwähnten Dose, deshalb ganz besonders bei Faulfieber mit hoher Eigenwärme in Verbindung mit der Kaltwasserkur zu empfehlen.
Die Vitalität hebende Mittel, die beim äusserlichen (Gebrauche erregend, belebend auf die lebendigen Theile ein­wirken^ wodurch die, einer localen Fäulniss anheimgefallenen Theile von den gesunden abgegrenzt und abgestossen werden, und die bei innerlicher Anwendung die Verdauung bethätigen und regeln, die Zufuhr von gesundem Bildungsmaterial fördern, erregend auf das Nerven- und Gef'äsgsystera einwirken und so den Organismus überhaupt zu einer grösseren Thätigkeit gegen den fauligen Zustand rüsten. Die bitteren aromatischen, äthe­risch-öligen und andere flüchtig erregende Mittel gehören hierher.
Contra - Indieationen,
Das Todte und Faule muss von dem Körper entfernt wer­den, die allgemeinen fauligen Zustände müssen unter allen Um­ständen bekämpft werden, wenn sie nicht zur allgemeinen fau­ligen Auflösung, zum Tode führen sollen; von einer Gegen-anzeige kann deshalb auch bei dieser Methode niemals die Rede sein, es muss nur bei der Auswahl der Mittel den spe-ciellen Umständen Rechnung getragen werden, was hier mit keinen besonderen Schwierigkeiten verbunden ist.
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Die gif'twiilrige Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5G1
Die giftwidrige Methode, 11. antidotica.
Bei einer Vergiftung kommt Zweierlei in Betracht, eimnal die giftige Substanz und zweitens der vergiftete Leib, die be­reits angerichteten Krankheitszustände — Ursache und Krank­heit, hulicatio causaUs et morbi.
Das Gift.
Das Gift selbst ist so recht eigentlich Gegenstand dieser Methode, deren Hauptaufgabe eben die ist, das einverleibte Gift zu entfernen oder im Organismus unwirksam zu machen. Der vergiftete Leib kommt hierbei natürlich immer wieder mit in Betracht, weil er eben das Object ist, was gerettet werden soll, es müssen daher die auf das Gift gerichteten Angriffe für den Organismus überhaupt und speciell auch in Rücksicht auf die bereits in demselben angerichteten Krankheitszustände unschäd­lich oder doch mindestens nicht gefahrdrohend sein.
Ist ein Gift, d. h. eine Substanz, die schon in kleinen Quan­titäten das Leben in Gefahr bringt, irgendwie einverleibt wor­den, oder ist eine zwar nicht gerade zu den Giften zählende Substanz in einer giftig wirkenden Quantität verabreicht oder zufällig genossen worden, so ist damit die Anzeige zu dieser Methode gegeben, selbst wenn auch die Vergiftungszufälle noch nicht eingetreten sind.
Die specielleren Anzeigen für die zu wählenden Mittel und Wege ergeben sich: 1) aus der Qualität des Giftes hinsichtlich seiner rein chemischen Eigenschaften; 2) aus der Form, in wel­cher es einverleibt ist, ob in fester, leicht- oder schwerlöslicher oder in flüssiger Form; 3) aus dem Einverleibungsort, ob es vom Magen, von den Luftwegen, der verletzten oder unverletz­ten Haut aus in den Körper gelangt ist; und 4) daraus, ob das Gift plötzlich aufgenommen worden oder ob die Vergiftung eine langsame und nachhaltige — eine chronische — ist, ob das Gift im ganzen Organismus verbreitet und in gewissen o'rganischen Verbindungen stabil geworden ist.
Die Art und Weise, wie das einverleibte Gift unschädlich gemacht wird, geschieht bald auf physiologischen, bald auf rein mechanischen, hauptsächlich aber auf chemischen Wegen.
Gerlacli Allg. Therapie. 2. And.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 30
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Die giftwidrige Methode.
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1. Directe Entfernung der Gifte.
a) Ausleerung aus dem Magen. Durch Auspumpen mittelst der sogenannten Magenpumpo und durch Brechmittel; Magen-puinpen für Haustliiere haben wir nicht und ist auch kein Be-dürfhiss da, sie zu construircn. Brechmittel sind bei Thieren, die sich erbrechen können, angezeigt, wenn der Magen priisumtiv noch Gift enthält. Ist das Gift in einer Form und Verbindung genossen, in der es weniger löslich ist und längere Zeit im Ma­gen verbleibt, dann ist ein frühzeitiges Brechmittel das sicherste Rettungsmittel, und ein etwas verspätetes Brechmittel schneidet mindestens die fernere vom Magen aus erfolgende Intoxication ab. Bei leicht löslichen und noch mehr bei flüssigen Substan­zen kann nur von einem recht bald nachgeschickten Brechmit­tel etwas erwartet werden, zumal wenn das Gift in den mehr leeren Magen gekommen ist; bei vollem Magen verweilen auch flüssige Gifte länger in demselben. Ist das Gift ein flüchtiges, so kommen die Brechmittel meist zu spät. Scharfe Gifte wir­ken selbst als Brechmittel, sobald sie zur Einwirkung auf die Magenwandung gelangen, deshalb werden hierdurch brechfähige Thiere nur dann vergiftet, wenn die erste Einwirkung schon den Untergang bedingt, oder wenn die Mittel sehr eingehüllt in den Magen gelangen, oder endlich, wenn sie sofort von einem Magenbrei absorbirt werden, der schon vorbereitet ist zum Ucbertritt in den Darmkanal.
Als Regel kann man hier hinstellen, dass in allen Fällen, wo bei Vergiftungen schon Erbrechen eingetreten ist, die wei­tere Anwendung von Brechmitteln unnütz und selbst schädlich ist durch neue Reizung des schon gereizten, entzündeten oder gar corrodirten Magens; man darf daher in solchen Fällen das Erbrechen höchstens unterhalten durch einfaches lauwarmes Was seiquot;, um den Magen noch mehr auszuspülen und desto sicherer von allen Gifttheilchen zu befreien. Wo kein Erbrechen ein­getreten ist, da ist es gleich nach der Giftaufnahme immer nothwendig, und in späterer Zeit noch zu versuchen, so lange noch keine Vergiftungserscheinungen vorhanden sind, die es verbieten, wie z. B. die bereits eingetretenen Strychnin-krämpfe ein Brechmittel verbieten.
Den BrechWeinstein wendet man nicht gern an, weil er örtlich sehr reizend einwirkt und leicht ein Durchschlagen, den Uebergang des Mageninhalts nach dem Darm hin fördert;
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Das Gift.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ÖG3
Ipecacuanha und Zinkvitriol sind die beiden gebräucblich-sten Brechmittel, ersteres melir bei scharfen, letzteres mehr bei narkotischen Vergiftungen — cfr. Brechenerregende Methode.
h) Abführmittel. Sie finden ihre Anwendung, wenn die Brechmittel zu spät kommen, ferner bei Thieren, die nicht er­brechen, und endlich unter allen Umstünden, wenn die Gifte schwer löslich sind und längere Zeit hindurch ihre giftige Wir­kung in Verdauungswegen entwickeln; bei leicht löslichen oder schon in gelöstem Zustande genossenen Substanzen wird hier­durch nichts genützt. Ueberall, wo wir noch giftige Substan­zen, giftige Pflanzentheile etc. im Verdauungskanale vermuthen, da muss die Darmausleerung in Anwendung kommen. Die Ab­führmittel dürfen aber die Löslichkeit der Gifte im Darmkanale nicht fördern und auch nicht die etwa stattgehabten Reizungen in den ersten Wegen steigern. Die milderen, öligen Ab­führmittel sind im Allgemeinen angezeigt.
c)nbsp; Entfernung von der Haut und aus Wunden. Wir haben Mittel, die bei therapeutischer Anwendung auf die Haut leicht vergiftend wirken, so namentlich graue Quecksilbersalbe, Ta-backsdecoct — bei Rindern besonders — Arsenikbäder, Benzin u. a. m. Einfache Reinigung mit Seifenwasser, bei Tabacksabko-chungen mit Spiritus und demnächst mit Seifenwasser verhütet die weitere Intoxication-, sind aber schon Symptome der Ver­giftung deutlich hervorgetreten, so genügt dieses Verfahren allein nicht mehr, es müssen dann weiter noch innerliche Gegenmittel gereicht werden.
Bei vergifteten Wunden ist das Reinigen, starkes Ausblu­ten, Brennen etc. so schnell als möglich zu veranlassen; die Gifte werden, wenn sie in leicht löslichen oder geiösten Formen einwirken, nicht minder schnell resorbirt, wie die Contagion — cfr. Vorbauung S. 225. Das Umbinden der Glieder neben der vergifteten Wunde, zwischen derselben und dem Herzen, ver­hindert die Resorption und verschafft Zeit zum weiteren Ein­wirken.
d)nbsp; Endlich sucht man selbst noch aus dem Blute.eine Ent­giftung durch Entleerung mit dem Blute zu erzielen; Aderlässe befreien den Körper von einem Theile des in das Blut über­gegangenen Giftes. Um diese Giftentleerung mögliehst zu ver­vollständigen, hat man wiederholte grossc Aderlässe und Ersatz durch gesundes Blut auf dem Wege der Infusion vorgeschlagen —
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Die giftwidrige Methode.
das substituircnde antidotische Verfahren. Praktisch bleibt es immer, einen theilweise entgiftenden, mögliclist grossen Ader-lass zu machen, wenn man annehmen muss, dass das Gift be­reits in das Blut übergegangen, oder dass es noch darin vor­handen ist — bei verspäteter anderweitiger directer Entfernung, bei erst frisch eingetretenen Vergiftungszufällen —, und wenn keine besondere Centra-Indication gegeben ist.
2.nbsp; nbsp; Einhüllung der Gifte im Magen und Darm-k an ale. Bei scharfen Substanzen immer angezeigt, um die rei­zende, zerstörende Einwirkung auf die Schleimhaut zu mildern. Solche Einhüllung ist ein Linderungsmittel, das für die Dauer nicht genügt und deshalb niemals die Gegengifte entbehrlich macht, es sei denn, dass das Umhüllungsmittel eine Verbin­dung mit dein Gifte eingeht und zugleich ein Gegengift ist, wie z. B. Schleim, Eiweiss bei vielen Metallgiften; die ein­hüllenden Mittel dürfen aber niemals lösend auf die Gifte ein­wirken; bei Phosphor- und Cantharidenvergiftungen z. B. dür­fen keine öligen Mittel angewendet werden, weil sie nicht Ein-hüllungs-, sondern Lösungsmittel für diese giftigen Substanzen sind.
3.nbsp; nbsp;Abstumfung der Empfänglichkeit für das Gift, so dass es seinen Kreislauf durch den Körper macht, ohne den­selben zu vergiften. Bei Giften, die auf die Bewegungsnerven wirken, Krampf erzengen und hierdurch den Ei-stickungstod herbeiführen, bei solchen ist dies ein sehr geeignetes Verfahren. Die hier in Anwendung kommenden Mittel sind physiologische Gegengifte, welche das Gift selbst unberührt lassen, aber durch Einwirkung auf das Centralnervensystem die speeifische Wir­kung und so auch das lebensgefährliche Symptom nicht auf­kommen lassen oder, wenn es schon eingetreten ist, bald wieder beseitigen. Daher ist dieses Verfahren seiner Natur nach ein symptomatisches, was aber eben so sicher ist, als ein radicales Heilverfahren, wenn die Empfänglichkeit so lange niedergehal­ten werden kann, als das Gift im Körper wirksam ist. In-directe Antidot sind alle Narcotica und Anästhetica gegen Krämpfe erzeugende Gifte, Kampfer gegen Canthariden; sie lindern vorübergehend, oder sie halten doch die gefahrdrohenden Symptome lange genug ab, dass inzwischen die Ausscheidung des Giftes auf natürlichen Wegen geschieht, so dass auf symp­tomatische Weise doch radical geheilt wird.
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Das Gift.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;565
4. Cliemisclie Einwirkung auf das (iit't selbst. Die Mittel, welche hier ihre Anwendung linden, sind die eigentlichen Gegengifte — Antidota.
a) Ist das Gift noch auf directem Wege — im Magen und Darmkanal, in Wunden, auf der Haut — erreichbar, so sind alle jene Substanzen entgiftende Mittel — Antidota — und bo; frühzeitiger Anwendung auch die Hettungsmittel, welche durch eine chemische Umsetzung — durch Reduction oder durch neue Verbindungen — das Gift selbst in eine solche Form überfüh­ren, die entweder mehr indifferent ist, dem Körper mindc stens nicht mehr in einer gefahrdrohenden Weise schadet, oder die schwer löslich ist in den Säften, so dass das Gift auf dem normalen Wege früher entfernt wird, als eine giftig wirkende Quantität zur Lösung kommt. Bei Bleivergiftungen z. B. ist Schwefel ein Antidot, weil das an sich auch giftige Schwefei­blei schwer löslich ist und früher ausgeschieden wird mit den Kxcrementen, ehe es seine giftige Wirkung äussern kann; ebenso ist auch das Eisenoxydhydrat gegen arsenige Säure wirksam, weil die Verbindung mit Arsen eine schwerlösliche ist u. s. w.
h) Sind die Gifte nicht mehr direct Im Magen, Darinkaiialo, auf der Haut erreichbar, sind sie schon in das Blut übergegan­gen und wohl selbst schon in dem Gewebe abgesetzt, wie na­mentlich bei den chronischen Vergiftungen, dann können nur solche Mittel als Antidote wirken, welche gleichfalls und unter Umständen möglichst schnell in das Blut übergehen, sich mit dem Gifte im Blute und Gewebe, wo sie es antreffen, chemisch verbinden, die Gifte selbst aus der etwa eingegangenen Verbin­dung mit organischen Substanzen lösen, unschädlichere und aus­scheidbare Verbindungen mit ihnen eingehen. Bei der Narkose z. B. muss das Antidot in das Blut übergehen und hier das Nar-eoticum unwirksam machen; Mittel, die bei chronischen Biei-oder Quecksilbervergiftungen das Blei resp. Quecksilber nicht aus den organischen Verbindungen einlösen und in eine lösliche, ausscheidbare Form überführen können, solche Mittel können auch bei diesen Vergiftungen nicht als Antidote dienen. Das Gift, was in das Blut übergegangen ist, muss im Blute un­wirksam gemacht, und das Gift, was sich festgesetzt hat, muss mobil gemacht werden, damit es in den Strom der Ausflüsse gelangen kann. '
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Die giftwidrige Methode.
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Die Gegengifte.
1.nbsp; nbsp;Eiweiss. Eier, Blut, Blutserum, Gallerte, Milch etc. sind Mittel gegen Säuren und metallische Gifte, heilsam gegen alle scharfen Gifte, ganz speciell aber gegen Sublimat und Kupfersalze. Alle giftig wirkenden Metalle gehen mit Eiweiss und andern Protc'inkörpern chemische Verbindungen ein, ihre giftige Wirkung ist sogar auf diese Verwandtschaft zurückzu­führen, so dass die Heftigkeit der vergiftenden Wirkung mit der Grosse dieser Verwandtscliaft im gleichen Verhältnisse steht; ist aber einmal eine solche chemische Verbindung mit den orga­nischen Substanzen hergestellt, dann tritt Ruhe ein; diese Ver­bindung selbst ist nicht mehr giftig.
2.nbsp; nbsp;Mehlige Substanzen. Das Mehl hat seines Kleber-gehaltcs wegen ähnliche Wirkung, wie das Eiweiss, aber nicht so schnell und sicher, daher als Nothmittcl für Eiweiss in Er­mangelung desselben. Amylum hat grosse Verwandtschaft zu Jod und Brom, bildet mit demselben unschädliche Verbindungen, daher dient es bei diesen Mitteln auch als Antidot. Das Jod ist jedoch bei unseren Ilausthieren ein mehr mildes Mittel, bei dem wohl selten ein Antidot erforderlich ist.
3.nbsp; nbsp;Zuckerstoffe. Zuckerwasser, Honig, Syrup etc. sind Antidote gegen Kupfersalze, wodurch eine Reduction und so Unwirksamkeit derselben herbeigeführt wird, gegen Aetzkalk und Chromverbindungen — chromsanres Kali.
4.nbsp; nbsp;Kaffee. Gegen Spirituosa und Narcotica, namentlich gegen Opiumvergiftungen.
5.nbsp; Spirituosa. Alkohol gegen Ohlordämpfe, Essigsäure.
6.nbsp; nbsp;Kampfer. Gegen Canthariden.
7.nbsp; nbsp;Narcotica. Morphium und Belladonna gegen Strychnin. Das praktischste Mittel ist hier das Atropin, 3 bis 6 Cgr. für Hunde, bei denen die Strychninvergiftungen sehr häufig sind; es hat den Vorzug vor dein Opium, dass es recht schnell wirkt, der Hund das Atropin besser verträgt und die Bella­donnanarkose nicht so lange anhält, als .die Opiumnarkose. Das Curare soll auch ein Antidot gegen Strychnin sein (Viertel­jahrsschrift Bd. 16. Analecten S. 137.)
8.nbsp; nbsp;Kochsalz. Gegen salpctcrsaures Silber; das bei der Berührung beider Substanzen entstehende Chlorsilber ist un­schädlich.
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Die Gegengifte.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;507
9.nbsp; nbsp;Chlor (Chlorgas und Chlorwasser), (ienen Schwefel­wasserstoffgas und Blausäure empfohlen; wie aber alle hier em­pfohlenen Antidote, so kommt auch die Wirkung des Chlors gewöhnlich zu spät; gegen scharfe und narkotische Pflanzengifte; gegen Schlangengift und Gifte, die ein Product der Fäulniss thierischer Substanzen sind.
10.nbsp; Jod. Gewöhnlich in der milderen Verbindung mit Kali gebräuchlich. Wird als vielseitiges Antidot betrachtet; beson­ders empfohlen gegen giftige Alkaloide, selbst gegen Scblangen-und Wooraragift (7). Brainard, Vierteljahrsschrift Bd. 10. Ana-lecten S. 133), gegen Blei- und Quecksilber-, besonders bei derartigen chronischen Vergiftungen (Melsens). Jodkali um ist ein sehr empfindliches Reagens auf Blei, indem sich ein Nie­derschlag bildet.
11.nbsp; nbsp;Eisen. Eisenoxydhydrat und essigsaures Eisen, Fer-rum Ivjdricmn in aqua und Ferrwn lujdrico aceticum cuvi aqua, namentlich letzteres gegen Arsenik.
12.nbsp; nbsp;Schwefel. Schwefelalkalien, Schwefeleisen, Schwefel­säure, selbst schwefelsaure Salze sind giftwidrige Mittel bei Blei­vergiftungen, besonders bei den acuten, wo das Gift noch in den Verdauangswegen liegt; es bildet sich hierbei eine schwer lösliche und daher mehr unschädliche Bleiverbindung. Auch gegen Quecksilber und Arsenik sind diese Mittel empfohlen.
13.nbsp; nbsp; Alkalien. Magnesia usta — das mildeste und ge­bräuchlichste Alkali — Magnesia carhonica, Ammonium carbo-nicum, Liquor ammonii caastici, Kali — in oinprocentiger Lö­sung—, Kali carhonicum und Natrum carhonicum; alle neutralisiren freie Säuren und sind deshalb Gegengifte gegen giftig wirkende Säuren und solche giftigen Substanzen, die sich chemisch wie Säuren verhalten. Speciell sind noch die einzelnen Alkalien hervorzuheben: Kali causticum gegen Crotonöl (Crotonsäure) und Canthariden — die doppelten und dreifachen Dosen dieser Mittel bleiben ohne Wirkung; Cantharidcntinctur J5 Grm. mit Kalilauge reizte die äussere Haut nicht mehr. Magnesiamilch — aus 1 Theil Magnesia usta und 50 Theilcn Wasser — gegen Crotonsäure und Cantharidin (schwächer als die Kalilösung), gegen arsenige Säure und Sublimat. 1 Theil Magnesia mit 50 Theilen Chlorwasser — unterchlorigsaure Magnesia mit freier Magnesia — gegen Phosphor; es bildet sich hier phosphorsaure
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Die snftwidnge Methode.
Magnesia uud Clilormagncsium; Natrum hicarhonicum, in wässe­riger Lösung gegen Zinksalzo. Ammoniak, Liquor ammonii can-stici verdünnt gegen Alkohol, Kolilenoxydgas.
14. Säuren. Der chemische Gegensatz zwischen Säuren und Alkalien bedingt hier eben so gut eine antidotische Wir­kung auf giftig wirkende Alkalien, wie das in urngekehrter Rich­tung der Fall ist. Die vegetabilischen Säuren sind im Allge­meinen die milderen und auch die gobräuoldiclisten Antidote, dabei giebt es aber auch unter den Säuren, wie unter den Alka­lien, einzelne Mittel von besonderer antidotischer Wirkung.
Essigsäure und Citronensaft. Gegen ätzende Alkalien und narkotische Alkaloide. Gallussäure — Ihnmmtm; China-, Eichen-, VVeidenrinden-, Galläpfel-Abkochung, namentlich aber das reine Tannin gegen giftige Pilanzenalkaloide — ganz besonders gegen Nicotiu —, mit denen sie unschädliche Verbindungen — Tan-nate — bilden *), gegen Antimon, namentlich Brechweinstein, und gegen die sogenannten septischen Gifte.
Kurze Uebersicht der Mittel nach den Giften.
Gifte,
Qegengiftci
Surrogate und sonstige Miltd.
Bcmcrkniigcn.
Alk.ilien,ätzcmlc
Säuren, besonders
Citronensaft, Essig,
Zwischen Säu-
u. kohlensaure.
verdünnte Pflan-
fette Oele.
ren und Alka-
zensäuren, vor al-
lien wechseln
len Weinsäure.
die Hollen als
Aetzkalk.
Säuren, wie bei den
Kohlensaures Na-
Gift und Gegen­gift.
Alkalien, Syrup,
tron, schleimige u.
Zucker. Es bildet
ölise Tränke.
sich Zuckerkalk.
Aloe.
Vacat.
Einhüllende Mittel, Tannin in verdünn­ten Lösungen.
Alkohol, Aether
Vacat.
Keine, frische Luft,
und Chloroform.
kalte Begiessun-gen, kalte Kly-
II
*) Von 0. Henry entdeckt — Journal de Pharmac. 1835. S. 213.
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Die Gegengifte.
509
#9632; '~
Surrogate und
Gifligt;.
Gegengifte.
sonstige Mittel.
Beuierknngeu.
stiere; bei Spirituo-
sen Vergiftungen,
essigsaures Aimno-
ninin: bei Aether u.
•^
Chloroform künst­lich unterhaltenes Athraen.
Arsenik in allen
Eisenoxydhydrat
Kalkwasser, Mag-
löslichen Ver-
mit und ohne Mag-
nesiahydrat, Ei-
bindungen.
nesiahydrat (Bar-
weiss, schleimige
thold und Bunseri),
(betränke.
essigsaures Eisen,
letzteres bei Arse-
nik #9632; Verbindungen
mit Kali.
Blausäure und
Chlorgas (inhalircn),
Kalte Begicssungen,
Bei der flüchtigen
älinlicheVcrbiu-
Chlorwasser, Am-
kalte Klystiere.
Blausäure kom-
dungen, bittere
moniak, Eisen —
men die Anti-
Mandeln etc.
(.Teraisoh von Eisen-
dote gewöhn-
chlorid und Eisen-
lich zu spät.
vitriol in Lösung.
Blei.
Schwefel, am besten
Schwefelsaure Sal-
die Schwefelsäure.
ze, besonders Bit­ter- und Glauber-salz,Schwefoleiscii, gerbsäurehaltige Mittel, Jodka'.ium.
Breclnveinstcin.
Tannin.
Gerbsäurehaltige Deeocte.
EigeneVersuche.
Brechnuss,
Atropin, Morphium.
Aether und Chloro-
EigeneVersuche.
Strychnin.
(Siehe S. 378.)
form.
Das Strychnin
vergiftet auf (3 bis 8 Stunden; so lange muss die Anästhe­sie, unterhalten werden, deshalb ist Chloroform und Aether we­niger geeignet.
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570
Die giftwidrige Methode.
Gifte.
Gegengifte.
Surrogate und
sonstige #9632;fliKH.
lieineikiiiigeii.
Canthariden.
Alkalien, Kalilösung
Kamphercmulsion,
EigcneVersuche.
1:60 - 100, Mag-
Morphium.
ncsiamilch.
Chlordämpfe.
Spirituosen, Ammo­niak, letzteres in-haliren.
Heine frische Luft.
Chrom - Verbin-
Zucker, Eisen— Brei
Milch, schleimige
dungen (chroni-
aus Zuckersyrup u.
Getränke.
saures Kali).
Eiscnfeile.
Jod und Brom.
Stärkemehl, Magne­siamilch.
Mehl.
Kochsalz.
Salpetersaures Sil­beroxyd.
Schleimige Mittel.
Kreosot, Carbol-
Kalilösimg, Magne-
Schleimige Ge-
u. Phenylsaure.
siamilch, Eiweiss-solntion.
tränke.
Eroton.
Kalilösung 1: öü — 100, Magnesiamilch.
Schleimige Ge­tränke.
EigeneVersuche.
Kupfer-Verbin-
Zuckerwasser, Ei-
Syrup, Magnesia-
dungen.
weisslösungen, frisch gefälltes Schwefeleisen oder
milch.
ein Gemenge von 7 Th. angefeuchte­ten Eisenfeilen und 4Th. Schwefelblu­men ; Schwefel­leber.
lOpium, Mor-
Kaffee.
Gerbstoffhaltige
Belladonna und
phium.
Mittel.
Opium sind kei­ne gegenseitige Antidote; die desfalsigen An­gaben sind nach! eigenen Versu­chen unrichtig.
Phosphor.
Unterehlorigsauro
Lösungen derBleich-
Das Antidot be-
Magnesia — ge­brannte Magnesia 1 Theil und Chlor-
salze (hierzu ge­hören Chlorkalk, besonders aber die Javelle'scheLauge,
währte sich, wenn es bald nach dem Gifte
wasser 50 Theile.
die aus unterchlo-
reichlich gege-
rigsaurem Natron
ben wird.
oder Kali besteht), schleimige Ge-
tränke.
i
I
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Die Gegengifte.
571
Surrogate iiini
cmlaquo;'.
Gegengifte.
sonstige littel. Bemerkangeü.
Quecksilber.
Eiwciss, Schwefel-
Milch, Mehl. BeÜ i
eisen, wie bei Kup-
chronischen Queck-
fervergiftungen. Silbervergiftungen
1 Jodkaliuin.
Ranunkeln,
Ammoniakfliissig- ! Schleimige Mittel.
Midier. Magazin
scharfe.
keit.
Bd. 24. S. 385. i
Septische Gifte.
Chlor, Chlorwasscr, Phenyl- und Car-bolsäurc.
Thierisehc Gifte
Chlonvasser, Sal-
— Schlangen-
miakgeist.
gift; Insekten-
gift (Bienen etc.)
Taback, Nicotin.
Tannin.
Gerbsäurehaltige Decocte, Eiweiss-solution.
EigeneVersuche.
iZink-Verbindim-
Tannin.
Gerbsäurehaltige
gen.
Decocte, Eiweiss-solufc'on.
Zinn-Verbindun-
Magnesiamilch. Eiweiss, Milch.
gen.
t
Von verschiedenen giftigen Substanzen kennen wir noch keine Antidote; so sind sie uns unbekannt von Salpeter, von dem Gifte in der Häringslake, von verschiedenen thierischen und pflanzlichen Giften. Im Allgemeinen sind bei den pflanzlichen Giften Tannin und Alkalien, ersteres besonders gegen die narkotischen, letztere gegen die scharfen wirksam; bei thierischen Gif­ten sind die Alkalien und Chlorverbindungen mehr oder weniger heilsam. Ist das Gegengift unbekannt, so sind wir auf die Versuche zur Entleerung und die symptomatische Kur beschränkt; bei den scharfen Giften sind die albnrainösen und die schleimigen Mittel die generellen Linderungsmittel.
Die Behandlung des vergifteten Leibes — Indicatio morbi.
Ott kann die Behandlung der erzeugten Krankhoitszustände ganz unterbleiben, die Hebung der Ursache — die Beseitigung des Giftes — genügt vielfaltig ganz allein zur Heilung; ist aber eine besondere Behandlung noch erforderlich, so findet dieselbe ihre speciellen Indicationen in der Wirkungsweise der Gifte selbst. Therapeutisch ganz sachgemäss unterscheiden wir;
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572
Die giftwidrige Methode.
1)nbsp; nbsp;scharfe, catzünclende, corrosive,
2)nbsp; nbsp;auf die Nervenccntra wirkende — narkotische —, und .quot;5) das Blut zersetzende — septische — Gifte.
Bei der ersten Klasse kommen im Allgemeinen die einhül­lende, deckende, die blutentziehende und abkühlende Methode — das reizmildernde und entzündungswidrige Verfahren —, bei der zweiten Klasse die erregende, belebende, resp. beruhigende und bei der dritten endlich die antiseptische Methode in Anwendung. üeber das Nähere verweise ich auf die erwähnten Methoden.
Tritt bei dem vergüteten Imlividuura ein schnell tödtlich werdender Zufall, cine Vital-Indication — tiefer Sopor bei Narco-tiea, Asphyxie bei Strychnin, Chloroform — hervor, so müssen solche Zufälle natürlich vor allen Dingen gemildert resp. besei­tigt werden durch die flüchtigen Reizmittel, durch Erschütte­rungen des Körpers und durch künstliches Athmen. Das künst liehe Athmen geschieht bei Hunden z. B. ganz einfach auf die Weise, dass man bei dein flach auf der Seite liegenden Thiere Bauch- und Rippenwandung rhythmisch zusammenpresst und so die Luft aus den Lungen treibt; nach aufgehobenem Drucke hebt sich das elastische Rippengewölbc von selbst, wodurch eine geringe, aber genügende Inspiration erfolgt. Bei der künst­lichen quot;Respiration ist so lange Aussicht auf Wiederbelebung, als noch ein schwacher Herzschlag hör- oder fühlbar ist. Bei Strychninkrampf schlägt das Herz zuweilen 5—10 Minuten fort, in einzelnen Fällen steht es schon in den ersten Minuten nach sistirtem Athmen still, und dann ist jeder Belebungsversuch vergebens.
Grosse Schwierigkeiten bieten die Vergiftungen bei unseren Il.xusthie-ren dadurch dar, dass man in den meisten Fällen nicht sicher weiss, ob sie ttberhaupt stattgefunden haben and durch welche Mittel; nicht selten werden Vergiftungen vorgegeben, wo keine sind, und in anderen Fällen bestehen wieder wirkliche Vergiftungen, wo man sie kaum vermuthet. In solchen Fällen ist zur näheren Ausmittelung erforderlich: 1) die Entstehimgs-weise und die wichtigsten Symptome zu prüfen, woraus man schon insoweit sicheren Aufschluss bekommt, ob narkotische Substanzen auf das Nervensy­stem oder scharfe, corrodirende Dinge auf die Verdauungswege eingewirkt bä­hen, obgradatiin ein Siechthuin entstanden ist, anderweitige speeielle Ursachen obgewaltet haben; 2) die Thiergattung zu berücksichtigen; bei Hunden ist immer zunächst an Rattengift, hei Srhweinen nn Pökel-und Heringsbrühe u. s.w., bei Pflanzenfressern an vegetabilische Gifte zu denken; 3) endlich die Umstände näher ins Auge zu fassen, unter denen eine vermeintliche Ver­giftung eingetreten ist, namentlich ob Medicamente und von welcher Qua-
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Die Gegengifte.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;573
lität sie angewendet sind, ob die Krankheitsei-schciniingcn mit denselben im Einklänge stehen, ob mehrere Thiere dieselben Mittel bekommen haben und sie alle erkrankt sind, ob nicht etwa aus Irrthum ganz andere Mittel gegeben worden sind, als man beabsichtigt hat, ob die Vergiftungsei schei-nungon beim Weidegange oder bei der Stallfiittorung eingetreten siuei, ob ferner ein Gewerbe botrieben wird, bei dem giftige Substanzen für die Thiere abfallen können, und je nachdem ist die Untersuchung weiter auf diese Gegenstände auszudehnen.
Ist das Gift selbst nicht ausfindig zu machen, so muss eine allgemeine, den vorherrschendsten Symptomen ent­sprechende giftwidrige Behandlung eingeleitet werden; hierbei würden in Anwendung kommen: 1) Brechmittel bei Thieren, die sich erbrechen können; 2) schleimige, einhüllende, besonders eiweissartige und zuckerstoffreiche Mittel bei vorherr­schender Irritation in den Verdauungswogen; und 3) bei pflan­zenfressenden Thieren generelle Antidota, als a) gerbstoffhaltige Mittel gegen giftige Pflanzenalkaloide, welche Mittel um so mehr gereicht werden können, als sie an sich nicht zu den heroischen gehören und selbst bei einem Fehlgriffe nicht sonderlich schaden; h) die Alkalien bei präsumirten Substanzen mit sauer reagiren-den scharten Principien.
Schmarotzertilgeude Methode, 91. antiparasitica.
Mancherlei Schmarotzei-gäste kommen bei den Hausthicren vor; früher kannte man nur makroskopische Thiere, besonders Haut- und Darmbewoh­ner, Epizoon und Entozoon. Die mikroskopischen Untersuchungen in neue­ren Zeiten haben auch noch mikroskopische Thiere und Pflanzen entdeckt; die an und in dem Menschen und den Hausthicren parasitisch leben, und gerade diese mikroskopischen Parasiten sind ätiologisch und therapeutisch die bedeutungsvollsten. Es gab eine Zeit, wo man die Parasiten, d. h. den damals bekannten handgreiflichen Haut- und Darmparasiten eine heilsame Bedeutung zuschrieb, so sollte das Hautungeziefer — gewöhnlich unter Läuse zusammengefasst — die schädlichen Säfte verzehren, die Darm­bewohner — Helminthen — die Verdauung anregen und die #9632; überflüssigen Säfte verzehren — Abügard, Göze u. A. Nach und nach überzeugte man sich, dass die Parasiten nicht für ihre Wohnthierc, sondern, wie alle Thiere und alle Geschöpfe, zu ihrem eigenen Zwecke geschaflen sind, dass die von ihnen bewohnten höheren Thiere ohne sie am gesündesten sind und durch sie belästigt werden, unter Umständen sogar erkranken und selbst unter­gehen. Ein Gegensatz der früheren Ansicht über die Heilsamkeit hat sich
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,574nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schmarotzertügende Methode.
in neuester Zeit bei wirklichen und vermcintliclien Entdeckungen — von Pilzen und Infusorien in thierischen Theilen — mehrseitig dahin ausgebildet, dass alle ansteckende und miasmatische Krankheiten auf Infeetionen beruhen und alle diese Infeetionen durch Parasitien, besonders pflanzliche bedingt werden, dass alle Ansteckungsstoffe, alle Fäulniss- und Gährungsanreger, alle miasmatische Schädlichkeiten lebendige Schädlichkeiten seien. Die idealistische Höhe der Vitalisten in der Aetiologie ist in dem Gedanken ausgesprochon, dass die Welt schliesslich an Parasitismus aussterben werde, alle höher organisirten Thiere schliesslich in parasitischen Pilzen und Thie-ren untergehen müssen. Die Parasiten-Doctrine hat durch neuere Ent­deckungen eine grössere Bedeutung in der Aetiologie und Therapie bekom­men und sie ist noch lange nicht abgeschlossen, sie hat noch eine Zukunft; augenblicklich aber ist die Phantasie der liealität weit voran ge­eilt: einzelne überraschende Entdeckungen haben eine stürmische Parasi­tenjagd erregt; und auf dieser Jagd will Jeder Entdeckungen machen und je mehr schon eine gewisse vorwaltende Neigung für diese vitalistische Richtung besteht, desto leichter werden Entdeckungen gemacht, die keine sind, die nur auf Täuschungen basirte theoretische Fabrikate sind. Der Hauptgrund der Täuschung liegt darin, dass bei allgemeiner Verbreitung der niedrigsten Organismen, pflanzlicher und thierischer, sich solche häufig zufallig, oft sogar erst post mortem eingefunden haben, wo man sie für etwas wesentlich Aetiologisches hält. Nicht selten werden von weniger Geübten auch Fettkörnchen für Pilzsamen gehalten. Wie viel und wie wenig sich aus der heutigen Hypothese der Vitalisten bestätigen wird, liegt eben noch in der Zukunft. Zunächst knüpfen wir unsere Methode an Thatsaohen der Gegenwart.
Jede Tliierart hat ihre bestimmten Parasiten; manche kom­men bei verschiedenen Thierarten vor, wir haben pflanzliche und thierische Parasiten, die der Mensch mit seinen Haustliie-ren gemein hat; riicksichtlieh dieser besteht eine gegenseitige Ansteckung — Besamung, resp. üebersiedelung. Parasiten, die verschiedene Entwickelungsstufcn und in diesen eine längere oder kürzere Selbstständigkeit besitzen, kommen in den ver­schiedenen Kntwickelungsstadien an und in verschiedenen Thier­arten vor, und zwischen diesen Thierarten besteht dann wieder eine Ansteckung. Neben allen diesen Verhältnissen kommen auch Parasiten vor, namentlich pflanzliche, die in der Aussen-welt vorkommen, entweder derselben recht eigentlich angehö­ren und nur zufällig an thierischen Organismen haften, oder die in ihrem gesammten Lebenslaufe eine parasitische Lebens­station haben, die nur in einer bestimmten, gewöhnlich unvoll­kommenen Entwickelungsfonn als Parasit auftreten. Krankhei­ten, die durch diese in der Aussenwelt vorkommenden Organis­men erregt wurden, entstehen genuin, Krankheiten, die durch
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Schmarotzertilgende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;575
Organismen erregt werden, welche nur als Parasiten im Thier-reiche vorkommen, zählt man zu den Gontagioncn. Ob alle Contagien Organismen sind, ist bis jetzt nicht zu erweisen, des­halb kann auch die parasitentilgende Methode nicht mit der desinficirenden identificirt werden. Alle diese Verhältnisse sind therapeutisch von Bedeutung, weil hiervon der Umfang der Ver­folgung der Parasiten abhängig ist.
Ueberall, wo wir Parasiten antreffen, da ist unsere Methode im Allgemeinen angezeigt, weil sie für das betreffende Thier immer etwas Abnormes sind. Specielle und dringende Indica-tionen haben wir an den Parasiten, die erfahrungsmässig Stö­rungen in verschiedenem Umfange erzeugen, wenn auch augen­blicklich noch keine Störungen vorhanden sind — dieVorbauung—, und selbstverständlich in allen Fällen, wo sie schon Störungen herbeigeführt haben. Bei gleichzeitig vorhandenen Krankheiten kann es zweifelhaft sein, ob sie parasitischen Ursprungs sind; hier kommt die parasitenwidrige Methode dennoch in Anwen­dung — sei es auch mehr versuchsweise —, wenn die Störun­gen selbst uns auf die Anwesenheit der Parasiten hinleiten, oder wenn wir Parasiten in dem Krankheitsbereiche vorfinden, deren Unschuld nicht anerkannte Thatsache ist. Die Unsicher­heit hinsichtlich der Indicationen ist leider nicht die einzige Unvollkommenheit dieser Methode; eine sehr grosse Beschrän­kung erfährt sie dadurch, dass nur die mit den Parasitengiften direct erreichbaren Parasiten getilgt werden können und selbst diese nicht einmal alle sicher, so z. B. können wir die feinen Rundwürmer in den Luftwegen, den Strongylus contortus im vier­ten Magen der Wiederkäuer, die Gastruslarven im Pferdemagen, die Darmtrichinen im Dünndarme nicht vertilgen, wenigstens nicht sicher. Ob Parasiten — Infusorien oder Pilze — im Blute vertilgt werden können, ist noch sehr fraglich; hier müssen wir es aber immer versuchen, weil es noch möglich ist. In den Geweben können wir bis jetzt noch keine Parasiten vertil­gen; weder die Wurmblasen, noch die Rundwürmer in den Mus­keln können wir mit irgend einem Mittel erreichen, selbst nicht einmal die Egelschnecken in den Gallengängen.
Am wirksamsten ist diese Methode bei den Hautparasi­ten, deren es eine grosse Anzahl giebt. Hier haben wir the­rapeutisch drei Gruppen zu unterscheiden:
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-#9632; i
576nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schmarotzertilgende Methode.
1. Die Epiphyten, die in und unter der Epidermis ilir Wurzellnger ausbreiten und je nachdem leichtere und stärkere Reizungen von einfacher copiöser Desquamation bis zur ausge­prägten Entzündung mit Pustel- und Borkcnbildung verur­sachen und so dem Grade und der Ausbreitung nach verschie­dene Ausschlagsformen bedingen, die unter dem generellen Na­men Mykosen zusammengefasst sind. Diese pflanzlichen Parasiten sind alle zu zerstören, die Krankheit heilt dann von selbst ab; die aber tiefer unter der Epidermis liegen, sind schwer zu ver­tilgen, es kommen gern Rückfälle in Folge einzelner keimfähig gebliebener Sporen. Die in Haarsäcke eingedrungenen Epi­phyten werden gewöhnlich erst nach der Epilation vernichtet; je früher die Epilation eintritt, desto leichter die Heilung. Manche Mykosen heilen sogar von selbst ab durcli Verödung des Bodens
—nbsp; nbsp;die reine Trichomykose heilt ab, wenn keine Haare mehr vorhanden sind. Es kommen auch Pilzwucherungen in der Haut vor, die nur kurze Dauer haben, die betreffenden Pilze sterben von selbst ab, ohne Producte zur Fortpflanzung zu liefern, der Miichschorf an den Lippen heilt immer von selbst und schon nach kurzer Zeit von etwa 14 Tagen ab.
Ausser den früher bereits beschriebenen Flechten — Magazin, Bd. 23 und 25 — habe ich weiter noch gefunden: 1) den Favuspilz bei Katzen an der Basis der Ohrmuscheln (auch bei Mäusen gefunden); 2) bei dem Hunde zwei Pilze, die sich hauptsächlich dadurch unterscheiden, dass der eine in der Epidennisschicht wuchert, weniger belästigt und reichliche Abschupinuig bedingt: der andere dagegen sein Mycelium tiefer auf die Cutis treibt, mehr belästigt, eine leichte chronische Entzündung unterhält, theilweises Ausfallen der Haare und stets Ilantverdickung herbeiführt, am liebsten auf dem Rücken vorkommt und auf demselben entlang kriecht, so dass die Verdickung von der Schwanzwurzel bis zu den Schultern, seihst bis zu dem Genick geht; 3) an den Lippen der Ziegen von einem Mauhvinkel zum andern, der eine '/#9632;) Zoll dicke, graue Kruste erzeugt — der sogenannte Milchsehorf. Ausserdcm glaube ich bei der bösartigen Klauenseuche der Schafe einen Pilz als die Ursache der chronischen Klauenentzündung ken­nen gelernt zu haben; es hat mir jedoch leider an Gelegenheit gefehlt, die Untersuchung fortzusetzen und das Sachverhältuiss präciser festzu­setzen. Der hiesige Lehrer Harms fand kürzlich Pilzsporen bei dem Eoth-lauf der Schweine; ob sie constant und wesentlich oder zufällig sind, müssen weitere Untersuchungen lehren. Pilze in den Verdauungswegen — Enterophyten — sind gewöhnliche Erscheinungen bei ganz gesunden Thlc-ren, und am meisten fand ich sie bei Schweinen, besonders auf und in dem Epithel des Magens. Bei einer senehenartigen Bronchitis der Lämmer
-nbsp; nbsp;Kadaver von Kroisthierarzt Schmidt in Ilofgeismar zugeschickt — und bei Schafen, die hier zur Behandlung kamen, fand ich auf dem Epithel
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Schmarctzertilgende Methode.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 577
der Luftröhre bis in die Bronchien eine grosso Anzahl Sporen, sollist bei der Obduction der noch nicht erkalteten Leichen. Das Auftreten der Bron­chitis als Heerdekrankheit, die hartnäckige Fortdauer der Erkrankungen bei entsprechender Vorbanungskur, die grosse Sterblichkeit und die Tödt-lichkeit des Verlaufes bei verhiiltnissraässig geringer anatomischer Verän­derung in den kranken Lungen — Hyperämie, Oedein und Atelatasie — oha-rakterisirten die Bronchitis als eine ganz besondere und veranlassten mich zur mikroskopischen Untersuchung. Die Erkrankungen sistirten erst, als die lleerden in andere Ställe kamen. Eine frühere Beobachtung von lloloff — Mittheilungen 1866/ö7, S. lüö — beweist, dass Infusorien und ver­schiedene mikroskopische PHanzengebilde aus der Jauche intensive Ent­zündung in der Sehleimhaut der Luftwege erzeugen können. In den von mir untersuchten Fällen war immer nur in den Bronchien und etwas grösse-ren Luftröhrenzweigen eine schwache entzündliche Beizung ausgesprochen.
2. Die Arachnoiden. Die auf der Haut lebenden sind leicht zu vertilgen — Symhiof.es und Dermatodectes —, die sich eingraben und bis zur Borkenbildung unter der Epider­mis leben, verlangen schon eine nachdrücklichere Einwirkung. Rückfälle sind leicht, weil leicht einzelne Milben und Milben-eier unvergiftet bleiben. Am schwersten sind die Milben zu ver­tilgen, die tief in die Haarsäcke und Hautdrüsen eindringen — Acarus folliculorum des Hundes.
Ueber die Arachnoiden und deren Vergiftung kann ich auf meine Mono­graphie „Krätze und Baudequot; verweisen: hinzuzufügen habe ich hier nur noch folgende Milben: 1) eine Symbiotes cati, die im Ohre der Katze nicht selten vorkommt und von Huher VircJww's Archiv, Bd. 22. 8.192 — zuerst aufgefunden ist. Sie unterscheidet sich von .S'. erjvi et hovis dadurch, dass der Kopf durch eine seichte Einschnürung vom Rumpfe eine Andeutung von Halsbildung zeigt, die beiden inneren Hinterbeine beim Weibchen, das vierte Fasspaar, rudimentär und ohne Haftscheiben sind, dass die Haut viel zarter ist und die Thiere sich nur träge bewegen. 2) Eine Dermato­dectes eaniculi im Ohre des Kaninchens. Ein von der Brüsseler Thierarz-neisehule bezogenes grosses Kaninchen mit den langen, mehr hängenden Uhren zeigte nach längerer Zeit beide Ohrmuscheln mit gelben, lockeren, blätterigen und fettigen Krusten gefüllt, in denen sich unzählige Milben befanden, die im Wesentlichen von der Grosse und dem Baue der Derma­todectes equi waren. Nach Entfernung der Kruste verging etwa 1/4 Jahr bis zur neuen Füllung der Ohrmuschel, an den übrigen Körpertheileu wa­ren weder Abschuppungen noch Milben. 3) Sarcoples avium. In dem hiesigen zoologischen Garten fand ich bei einem Flötenvogel einen weisslichcn Beschlag an den Beinen-, nach und nach, im Verlaufe eines '/.j laquo;Ltlnes bildete sich eine weisse Borke mit langen zottigen Epidermoidalgebilden. In dieser Borke lagen viele Milben, die mit den Sarcoptcs des Menschen, Pferdes und Hundes grosse Aehnlichkeit hatten. Später fand ich dieselbe Krustenbildung bei einem Trupial in einem ganz anderen Käfig mit denselben Milben. Die Milbe kommt also bei den verschiedensten Vögeln vor und deshalb habe
Gerlach Allg. Therapie. 2. Aufl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;37
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578
Schmarotzertilgende Methode.
ich sie -S. avium genannt. Bei den Mitbewohnern der Volieren keine Spur von Ausschlag. Reynal und Languetiri haben eine Milbe bei Hühnern an den Beinen und am Kamme gefunden, die wohl dieselbe Milbe gewesen ist. — Annales de metl. vitir. pnblides a Brvxdles. XIV. 1859. Uepert. Bd. 21, Seite 48.
3. Insekten. Alle Schmarotzer-Insekten der Haut haben ätiologisch und therapeutisch eine untergeordnete Bedeutung; nur die Blutsauger machen wirklichen Hautausschlag, ähnlich dem der Arachnoiden, bei den übrigen kommt hauptsächlich nur die Belästigung durch Hautkitzel in Betracht. Eine Schwie­rigkeit für die Tiierapie liegt hier gewöhnlich darin, dass bei leichter Uebersiedelung gewöhnlich alle Individuen eines Stal­les leiden und die Anwendung der Mittel viel Mühe verursacht, die man bei der Geringfügigkeit des Gegenstandes selten dar­auf verwendet.
Von einigen Insekten sind es die Larven, die als Parasi­tengäste der Haut in Betracht kommen; so bevölkern die Schmeissfliegen gern die Wunden und (beschwüre in der Haut; einige Maden graben sich geradezu in die Haut hinein; die be­kannten Oesteruslarven des Rindes und Hirsches will ich nicht wei­ter erwähnen, aber die noch weniger bekannten Maden von Lii-cilia serinata will ich hervorheben, welche ihre Eier in und un­ter die feinsten Stellen, namentlich in die Nähe des Afters legt, deren Maden die Haut durchgraben und bei Vernachlässigung grosse Verluste unter den Schaf heerden in Holland verursachen.
In Holland kommt „De VliegenzieMe de Schapen'squot; im Sommer nicht selten vor. Ich sah die Krankheit in Schidam zur Zeit der Kinderpest, nnd fand bei den Kranken in der Nähe des Afters bis auf die Krupe ganze Nester von kleinen Maden auf der Haut unter einem Wollfilz, die Haut selbst war vielfach, an einzelnen Stellen siebförmig durchfresson und unter-minirt; aus kleinen und grossen OeiTmmgeu traten bei Druck zahlreiche kleine und grosse Maden hervor, die mit erstaunlicher Behändigkdt in die Höhlen zurückkehrten, wenn der Druck nachliess. Die Fliege kommt auch bei uns vor, die Krankheit aber nicht, so viel ich weiss. Das Vorkommen der Madenkrankheit der Schafe in Holland scheint mir darin zu liegen, dass die öfter befeuchtete lange Wolle auf dem Körper einen dichten Filz bildet, unter dem die Maden einen behaglichen Schutz finden, und dass die Schafe auf den reichlichen holländischen Weiden (auf den Polters) öfter an Durchfall leiden, und die Wolle daher in der Nähe des Afters einen Filz von verschiedener Ausdehnung bildet.
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Die Vertilgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;579
Die Vertilgung.
Die Parasiten werden entweder direct entfernt, oder auf dem Wege der Vergiftung getödtet. Die directe Entfernung hat nur eine beschränkte Anwendung, und bei der Vergiftung bieten sich zwei Schwierigkeiten, einmal, dass die Parasitengifte gar zu leicht auch die Parasitenträger mit vergiften und zwei­tens, dass die im Inneren des Organismus wohnenden Parasi­ten für das wirksame Gift unerreichbar sind.
1. Verschiedene Schulz- und Entfernnngsinittet.
Kräftige Ernährung. Die meisten Parasiten finden in abgeschwächten Wohnthieren die behaglichste Existenz; einzelne werden durch kräftige Reaction abgehalten oder doch frühzeitig ausgestossen z. B. aus den Luftwegen durch kräftigen Husten; die Hautbewohner aus der Familie der Insekten gedeihen auf Kümmerlingen mit langen, trockenen Hungerhaaren, mit aufge­trockneten Hautschuppen und mit träger Reaction am besten. Kräftige Ernährung macht allen diesen Parasiten den Aufent­halt weniger wohnlich. Manche Parasiten üben ihren störenden Einfluss nur oder doch vorzugsweise durch Abschwächung. Die restaurirende Methode ist in solchen Fällen das Erhaltungsmittel, wodurch die belästigten Thiere auch oft gerettet werden in alien den Fällen, wo die Parasiten nur eine bestimmte Zeit im Kör­per wohnen und dann freiwillig auswandern, wie namentlich die Brerasenlarven und viele Helminthen, besonders die Rundwür­mer in den Luftwegen, Strongylus contortus im vierten Magen, die Egelschnecke in der Leber; bei letzterer giebt es bis jetzt gar kein anderes Mittel.
Hautpflege. Bürsten, Striegeln, Waschen und Baden lassen Hautinsekten, selbst die sich nicht eingrabenden Arach-niden nicht aufkommen; die schon vorhandenen Insekten kön­nen sogar hierdurch vertrieben werden; bei Pferden und Hun­den ist solche Hautpflege durchzuführen, bei Rindern in Heer-den nur sehr unvollkommen, bei den übrigen Hausthieren gar nicht. Das Geflügel reinigt sich selbst durch Baden im Was­ser, besonders aber im Sande, wenn wir ihnen Gelegenheit geben.
Entfernung durch chirurgische Operationen. Horn­hautschnitt bei Filaria papilosa in der vorderen Augenkammer:
37*
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I
.r)80nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Schmarotzertngende Methode.
Trepanation der Nasen-, Stirn- und Kieferhöhlen bei Larven der Schafbremaen — Cephalomia ovis — und hei Pentastomum taenioides, der Schädelhühle bei Coenurus cerehralis; letzterer stirbt gewöhnlich schon ab, wenn das Wasser durch einen Ein­stich entfernt worden ist, was mit geringerer Gefahr ausgeführt werden kann, als die Extraction; Tracheotomie bei Gastruslar-ven im Kehlkopfe des Pferdes.
Nach Crepin — Journal prat. veter. 1820 — hat mau im südlichen Frankreich in Jeder Schmiede einen Stock, mit dem man bis in den Magen geht, am die Larven ans der Rachenhöhle, dem Schlünde und Magen zu entfernen. Tn Rassland soll os ebenfalls Gegenden gehen, n-o die Gastrns-larven sehr häufig vorkommen und mittelst besonderer Rachenbiirsten in den Sehmieden entfernt werden.
II ustenerregendc MittelBecchica —bei Rundwür­mern in den Luftröhren und den Bronchien — conf. S. 458 — und NiesemittclStemufatoria — bei Parasiten in der Na­senhöhle. Taback, Niesswurzel und Euphorbium sind die stärksten Niesemittcl, die bei den Nasen- und Stirnlarven der Schafe ihre Anwendung in der Art finden, dass man sie ganz fein pulveri-sirt in die Krippe schüttet; bei dem Beriechen dringt das Pul­ver in die Nase; schüttet man zugleich etwas Salz in die Krippe, so eelanfft das Niesemittel um so sicherer zur Wirkung.
Die Niesemittel haben nur Erfolg als Vorbauungsmittel zur Zeit der Einwanderung der kleinen Maden. L)ie Einwanderungszeit ist von Johannis bis Herbst, besonders aber in den Monaten August und September; die kleinen Maden wandern stets durch die Nase in die Stirnhöhle, sie verblei­ben erst lungere Zeit in der Nasenhöhle, zumTheil verspäten sie sieh hier; ich traf bei schon mehr entwickelten Larven in der Stirnhöhle immer noch einzelne oft mehrere kleine Maden in der Nasenhöhle. Die Larven in der Stirnhöhle können durch Niesen Dicht mehr ansgestossen werden; bei be­reits eingetreteneu Störungen — Bremselschwindel — kommen die Niese­mittel zu spät. Die Störungen treten auch gewöhnlich erst spät gegen Frühjahr zur Zeit der Auswanderung auf und hier tritt das Niesen von selbst ein, wenn die Larven von ihrem Aufenthaltsorte aus der Stirnhöhle in die Nase gelangen. In Wirthschaften, unter deren Schafen der Bremsen­schwindel alljährlich auftritt, da empfehlen sicli die, Niesemittel zur Zeit der Einwanderung.
Drastische Abführmittel bei Parasiten im Darmkanale. Für sich allein genügen sie gewöhnlich nicht, sie passen neben und unmittelbar nach solchen Mitteln, welche die Parasiten an­greifen, toilten oder doch beunruhigen, neben den eigentlichen wurmtreibenden Mitteln. Diejenigen Mittel, welche eine dra-
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Die Vertilgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;581
stiseh abführende Wirkung mit einer giftigen Einwirkung aut die Eingeweidewürmer vereinigen, sind eben die besten Anthd-minthica.
'I. Die Parasiten-fiifte — Antlparasitlca.
Es miiij; für Jede Parasitenart besondere Gifte geben, bis jetat keimen wir sie aber noch nicht genügend, um die Heilmittel nach den einzelnen Parasiten zu ordnen. Ich werde aber nach kurzer Angabe der bis jetzt bekannten Antiyarasitica die Heilmittel nach gewissen Parasitengruppen
zusammenzustellen.
1.nbsp; nbsp;Meclianiöclie Tilgungsinittel. Zerstossenes Glas bei Eingeweidewürmern überhaupt, riamentlich bei denen, die stets in innigster Berührung mit der Schleimhaut sind — Strongylus contortus im vierten Magen, Echinococous im Dünndärme der Hunde —. Die QLasplitter zerschneiden die Würmer, ohne die Schleimhaut zu verletzen. Scharfer Sand wirkt ähnlich, ver­wundet aber nicht, sondern dient mehr zum Abscheuern.
Der Instinkt führt uns auf diese Heilmittel hin, die Schweine fressen die Kerne von Steinobst, wenn Echinorhynchus gigas im Dllnndarme nagt; die Schafe fressen Sand bei Sircmgrj/fes contorfcs. Ich fand im Frühjahre während des ersten Weideganges bei geschlachteten und gefallenen Patienten viel Sand im vierten Magen und die Fadenwiirmer zuweilen auch durch denselben zusammengeschoben vor dem Pförtner.
2.nbsp; nbsp; Metallische Gifte. Arsenik, weisser Arsen. Eins der wirksamsten unter den antiparasitischen Älitteln, wahrschein­lich tödtet es alle thierischen Parasiten, ein grosses Hindemiss in der Anwendung ist aber, dass es auch für die Parasitenträ­ger ein heroisches Gift ist, und diese oft eher unterliegen, als ihre parasitischen Gäste. Besonders wirksam und unter Vor­sicht brauchbar bei den Hautparasiten, aber auch hier nicht oline Gefahr. Unter den Darmbewohnern gegen Spulwürmer; 8—#9632;12Grm. mit 30 Qrm. Aloö und 30 Grm. Enzian zu 6 Pillen, davon täglich 2 Stück — Wochenschrift 1865.
In Holstein, Schleswig und Dänemark ist der Verbrauch an Arsenik gegen Hautungeziefer ein ganz exorbitanter. Die Arsenikwäschen, namentlich bei Rindern und Schafen, ist stehender Gebrauch; ohne jährlioh 1 — 2 Arsenik­wäschen kann (nach der Meinung) das Vieh gar nicht gedeihen. Auf das Rind wird 1 Loth, auf das Schaf I/3Loth Arsenik gerechnet; 1 Loth wird mit 2—3 Kannen (-1—6 Liter) Wasser gekocht; nach Ermittelungen desSanitätseollegiums zu Kiel werden in Schleswig-! lolstein alljährlich 5000 Pfd. als Waschmittel für dieHausthiere verbraucht und nach einer Zusammenstellung in „Tidsschrift vor Veterinairer XI. Bindequot; sind 1861 in Dänemark 59-132 Rinder mit Arsc-
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Schmarotzertilgcnde Methode.
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nikwaschungen beliandelt und im Ganzen etwa 10 —15 Ctr. Arsenik ver­braucht worden. Auch in Holland, England und Frankreich ist der Ver­brauch an Arsenik zu Waschungen der Ilausthiere sehr beträchtlich. Uebcr-all hält man hier die Arsenikwaschung als die wirksamste gegen Haut-ungeziefer fest, trotz der Vergiftungen, die dabei vorkommen.
Quecksilber. Die graue Salbe, das Sublimat und das salpetersaure Quecksilberoxydul sind die wirksamsten; die graue Salbe — an deren Stelle man am zweckmässigsten die Queck­silberoxydulsalbe nimmt — ist das am längsten bekannte Mit­tel gegen die Hautparasiten aus der Insektengruppe; es ist in dieser Wirkung noch von keinem Mittel erreicht und hat den grossen Vorzug, class es die Insekten auch ohne Contact tödtet, dass es daher nur an einzelnen Stellen aufgestrichen zu werden braucht. Bei Rindern weniger brauchbar wegen leicht eintre­tender Vergiftungen — conf. Gerichtliche Thierheilkunde erste Auflage, S. 948.
Sublimat in zweiprocentiger Lösung, am besten halb Wasser halb Spiritus, gegen Hautparasiten, ganz besonders gegen Pilzausschläge — Mykosen. Innerlich gegen Aska­riden und Bandwürmer empfohlen, hier aber mit Vorsicht und besonders bei Pferden in den Dosen von 3 — 4 Qrm. zu be­nutzen.
Salpetersaures Quecksilberoxydul in zweiprocen­tiger Lösung und auch in Salbenform mit Schmierseife, ganz wie die Sublimatlösung zu gebrauchen.
Schwefel und Antimo nialmittel. Alte Krätzmittel; einzeln und auch beide zusammen mit Fett geben eine wirk­same Salbe gegen die Arachnoiden, die stellenweise noch ein beliebtes Mittel bei Räude ist.
Brechw einst ein, ist bei Pferden, die nicht Erbrechen und ihn in grossen Dosen vertragen können, ein Antiparasiti-cnin gegen Askariden; 15 — 20 Grm. im Laufe eines Tages, wo möglich mit dem Getränke verabreicht, tödten die Askariden; zuweilen siebt man nach diesem Mittel massenhaften Abgang todter Spulwürmer.
3. Alkalien und Erden. Die Alkalien sind gegen Hautunge­ziefer, besonders gegen die Arachnoidcn sehr beliebte Mittel und mit Recht, weil sie einmal die besten Reinigungs-, Entschuppungs-resp. Entkrustungsmittel sind und ausserdem auch die Parasiten
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Die Vertilgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;58:5
selbst tödten; in letzter Beziehung werden sie von vielen ande­ren Mitteln zwar übertrofFen, deshalb ist es stets zweckmässig, die Kur durch sie überall einzuleiten, wo es sich zunächst um Reinigung und Entkrustung handelt. Bei dicken Krusten 4-, sonst 2procentige Lösungen sind die geeignetsten; zweckmässig kann man das Kali mit anderen speeifischen Mitteln, z. B. mit Schwefel verbinden — Schwcfelleber; ein vorzügliches Haus­mittel ist die Verbindung mit Fett, namentlich die Kaliseife. Zur billigen Bereitung des Kali nimmt man 2 Th. kohlensaures Kali (Pott­asche) und 1 Th. gebrannten Kalk; 2 Pfd. Pottasche geben circa 1 Pfd. Aetzkali. Kalk findet eine untergeordnete Anwendung, am meisten noch in Verbindung mit Schwefel in verschiedenen Verhält­nissen, meist zu gleichen Theilen, oder auch auf 1 Theii Schwe­felblumen 2 Theile Aetzkalk, besonders gegen Milben — Krätz­salbe — und auch gegen Pilze — Flechtensalbe.
4.nbsp; nbsp;Narcotica. Taback steht an der Spitze dieser Mittel; er ist billig, überall zu haben und sehr wirksam gegen alles Hautungeziefer. Die Anwendung erfolgt in Form eines Decoc-tes, einer Tabackslauge; ein Decoct von 1 : 20, d. h. aus 1 Ge-wichtstheil Taback 20 Gewichtstheile Decoct zubereitet, ist sehr stark; 1 : 25 reicht noch hin, die Hautparasiten sicher zu tödten. Bei Rindern treten nach allgemeinen Waschungen mit starkem Decoct leicht Vergiftungen ein, besonders bei Jungvieh; bei Pferden weniger, Schafe und Hunde kann man sogar ohne Gefahr in starken Tabacksdecocten baden.
Niesswurzel, weisse und schwarze, Colchicum Wur­zel, Sadebaum, Sabadillsamen und Stephanskörner (Läusesamen, Semen Staphisagriae), im Decoct von 1 :20, die Stephanskörner gewöhnlich pulverisirt und mit Essig digerirt, gegen Hautungeziefer.
Aether und Chloroform bei Rundwürmern in den Luft­wegen besonders zur Inhalation; gegen Bandwürmer innerlich, darauf Abführmittel, namentlich Ricinusöl; die betäubten Band­würmer gehen dann beim Durchfall mit ab.
5.nbsp; nbsp;AetherischöligeMittel. Insektenpulver — Blüthen von verschiedenen Anthemis-Arten,- namentlich von A. cauca-sieet — gegen alle Insekten, die hier in Betracht kommen. Bei schwacher Einwirkung leben scheinbar getödtete Insekten wie­der auf, bei wiederholter Anwendung werden sie aber doch ver-
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Schmarotzertilgende Methode.
trieben. Anis- und Pestersiliensamen wirken ähnlich; die Anwendung erfolgt durch Aufstreuen und Einreiben des Pul­vers in die Hacire resp. Federn, bei Federvieh mischt man das Pulver am besten unter Sand, das zum Baden in den Stall etc. gebracht wird.
Das ätherische Anisöl ist von speeifischer Wirkung gegen alle Hautparasiten, selbst gegen die Krätzmilben; die Anwendung wird jedoch bei grösseren Thieren durch den hohen Preis verboten und bei kleineren Vögeln kommen leicht Vergiftungen auf dem Wege der Inhalation zu Stande. Das ätherische W achholderbeeröl ist gegen Arachnidcn und namentlich gegen die tief in den Haarsäcken und Hautdrüsen wohnenden Acarus der Hunde recht wirksam; das Oel ist jedoch zu reizend für die Haut, es muss deshalb mit 4 — 5-facher Quantität Spiritus verdünnt werden.
Knoblauch und Zwiebeln sind hier schlicsslich noch als Anthclminthica besonders gegen Rundwürmer zu erwähnen; sie sind mehr als Unterstützungsmittel neben anderen speeifi-schen Mitteln zu benutzen.
6.nbsp; nbsp;Balsamische Mittel.' Terpenthinöl, Terpenthin und vor allen der peruvianische Balsam sind sehr wirksame Mittel gegen Hautparasiten, namentlich gegen Arachniden. Terpen­thinöl wird in seiner Anwendung bei der Räude durch die sehr reizende Wirkung auf der behaarten Haut der Thiere beschränkt; der peruvianische Balsam vereinigt alle er­wünschten Eigenschaften gegen Milben und Insekten, es ist ein angenehm riechendes, die Haut nicht reizendes, leicht anwendbares, nachhaltig wirkendes und zugleich ein ganz spe-eifisches Mittel. Das vorzüglichste unter den besten Räudemit­teln bei kurzhaarigen Thieren.
7.nbsp; nbsp;Producte der trockenen Destillation. Alle mehr oder weniger feindlich gegen Thier- und Fflanzenparasiten, be­sonders aber wieder gegen die, der Haut, so weit jetzt die Erfahrung reicht; alle können mit Spiritus resp. mit Oel ver­dünnt werden. Theer ist ein gutes Hausmittel, besonders gegen Räude, bei Anwendung über grosse Körperflächen ist es aber eine unangenehme Schmirage.
Photogen wirkt wie Theer, ist aber reizender für die Haut, muss deshalb mit 5 — 10 Theilen Oel gemischt werden. Stinkendes Thieröl ist ein sehr wirksames und auch
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Die Vertilgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;585
gebräuchliches Mittel; Holzessig und Steinöl sind ebenso wirksam, aber weniger gebräuchlich.
Benzin. Dies Mittel hat in neuerer Zeit eine recht aus­gebreitete Anwendung gegen alle möglichen Parasiten gefunden; es ist mehrseitig als ein souveränes Antiparasiticum betrachtet worden, welches dan ganzen Organismus von allen möglichen Schmarutzergästen säubern soll. Dies ist übertrieben; gegen Hautungeziefer, namentlich gegen Insekten auf der Haut ist es aber recht wirksam und praktisch brauchbar. Das Mittel ist jedoch in reinem Zustande zu reizend und erzeugt bei seiner Flüchtigkeit auf dem Wege der Inhalation gern Krämpfe und Anästhesie, deshalb verbindet man es zweckmässig mit 2 — 4 Theilen Schmierseife oder Oel. Innerlieh wird es in ziemlich grossen Dosen vertragen; Pferden kann man 100 Grm., Hunden und Schweinen 10 — 15Grm. täglich mit 2 — 4 Theilen Oel oder Schleim geben. Ob und wie weit es gegen Eingeweidewürmer in den ersten Wegen wirkt, kann ich aus eigener Erfahrung nicht entscheiden, ebenso auch nicht, ob es auf Pilze und Infu­sorien in den Säften einwirkt, wohl aber habe ich durch viel­fache Experimente erfahren, dass es die ihm mehrseitig zuge­schriebene giftige Einwirkung auf die Parasiten im Innern des Organismus, wie auf die Blasenwürmer, namentlich auf Finnen und auf Trichinen, sowohl Darm- als Muskcltrichincn^ nicht im Geringsten ausübt; selbst dieInfectionen wurden durch dies Mit­tel nicht verhindert, wenn ich es auch schon einige Tage nach der Fütterung mit reifen Bandwürmern resp. Muskeltrichinen innerlich verabreichte.
Pferde vertragen noch grössere Dosen als die angegebenen, Hunde aber nicht; 15 Grm. mit eben so viel Leinöl hatten keine auffällige Wir­kung zur Folge, als aber der Hund 1 Stunde später eine zweite Dose be­kommen hatte, verfiel er unmittelbar in Krämpfe, die 6 Minuten anhielten und wohl durch Inhalation beim Eingeben bedingt worden sind; darauf zeigte sich vollkommene Anästhesie über den ganzen Körper, Erweiterung der Pupille und oft wiederholtes starkes Erbrechen; erst nach IG Stunden waren Brechreiz und Anästhesie wieder verschwunden.
Carbolsäure. Wie das Benzin zu gebrauchen, besondere Wirkung schreibt man ihr — der entschieden antiseptischen und desinficirenden Wirkung wegen — gegen Pilze und Infuso­rien zu. Zur Zeit steht es auf dem Verzeichniss der Versuche.
Creosot. 1st wohl der eigentliche Eepräsentant dieser Gruppe in Bezug auf die antiparasitische Wirkung, wenigstens
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586nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Schmarotzertilgende Methode.
gilt dies von den Ilautparasiten. Die Anwendung ist jedoch gegen die Hautinsekten zu kostspielig; gegen die Arachniden wird es am besten mit Oel 1: 20 angewendet, eine ausgebrei­tete Anwendung über den ganzen Körper erfordert eine stär­kere Verdünnung, um Vergit'tungszufalle zu verhüten, die bei kleinen Thicren auf dem Wege der Inhalation eintreten. Ist innerlich gegen Milzbrand (wohl in Rücksicht der Bacterien im Blute) empfohlen worden.
8. Specifischc Anthelminthica aus dem Pflan­zenreiche. Oranatwurzel-Rinde — Cortex rad. Gra­nati — gegen Bandwürmer; im Decocte, noch besser als alko­holisches Extract. Wurmsarnen — Flores Cinae — Blüthen von Artemisia Santonica; wirksames Princip ist das Santonin
—nbsp; nbsp; Santoninsäure —; ein Anthelminthicum, besonders gegen Askariden und andere Rundwürmer. Das Santonin ist für Thiere zu theuer; für die Menschen gewöhnlich in Dosen von 3 Cgr. Als Surrogat für Hausthiere gelten die Rainfarrenbliithen — Flores tanaceti.
Farrenkrautwurzel — Ehizomafilidsmaris. Der Wurzel­stock von Aspidium filix mas; am wirksamsten ist das Extract
—nbsp; Extractum fdicis aethereum; 4 — 8 Grm. für die Hunde. Ein altes beliebtes und sofort wirksames Bandwurmmittel.
Kusso — Flores Brayerae anthdminthicae. Blüthen und Blüthenstände des Kussobaumes — Brayera anthelminthica. Als Bandwurmmittel für Hunde und Schafe 6 — 10 Grm., bei Scha­fen in einem Male, bei Hunden in 2 — 3 Malen binner einigen Stunden als Schiittelmixtur.
Kamala. Die Drüsen und Drüsenhaare auf den Kapseln von Rottlera tinetoria. Das wirksamste Mittel gegen Bandwür­mer der Hausthiere, besonders der Schafe und Hunde, 4 — 6 Grm. haben in einigen Stunden Durchfall mit Abgang der vor­handenen Bandwürmer zur Folge, ohne irgend welche anderwei­tige Beschwerden; bei '/^jährigen Lämmern sah ich nach 4 Grm. schon in zwei Stunden Durchfall und massenhaften^Abgang der Bandwürmer; Hunde zeigen selbst bei grossen Dosen von 8 Grm. kein Erbrechen, welches nach Kusso leicht eintritt, wenn man das Mittel nicht in gebrochenen Dosen giebt. Es ist nur zu bedauern, dass der ursprünglich niedrige Preis in einigen Jahren so gestiegen ist, dass man auf die Anwendung für ge­wöhnliche Fälle verzichten muss.
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Zusammenstellung der Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;587
Zusammenstellung der Mittel nach den Parasitengruppen. 1. Pflanzenparasiteii.
Epiphyten. Arsenik und Quecksilbermittol, letztere ge­hören zu den brauchbarsten, die wirksamsten Verbindungen sind: das Oxydul •—#9632; Hydrargyrum oxydulatum —, rothos Oxyd — H. oxydatum rubi~um —, Sublimat — H. hichlora-tum —, einfaches Jodquecksilber — H. Jodatum —, rothes Schwe­felquecksilber —#9632; Zinnober H. sulphuratum ruhrum —, Schwefel-spiessglanz-Quecksilber — H. stibiato sulphuratum —, Schwefel und Antimon, schwefelige Säure und die Producte der trocke­nen Destillation, besonders das Benzin.
Enterophyten. Gegen die Pilze in den ersten Wegen — Enterophyten — können alle erwähnten Mittel ebenso gut wirk­sam sein, als gegen die Epiphyten, es können aber davon nur die­jenigen in Anwendung kommen, die am wenigsten Gefahr mil sich bringen, besonders also die Producte der trockenen Destil­lation. Gegen die Pilze in den Luftwegen — Pneumophyten — und in den Säften — Haematopliyten — kennen wir noch keine Mittel, sehr nahe liegt, die erwähnten Mittel auch hier als wirk­sam zu betrachten; die Erfahrung muss aber erst noch entschei­den; zunächst dürften die Mittel der trockenen Destillation auch hier zu versuchen sein.
2. Thicrlsche Parasiten.
1. Hautbewohner, a) Insekten: Arsenik in Lösungen; Quecksilber, na­mentlich die graue Salbe, die Oxydalsalbe, Tabacksdecoct, Insektenpulver, Anis-, Petersilien- und Sabadillsamen; alle Mit­tel der trockenen Destillation, besonders Holzessig und das Ben­zin, in den erwähnten Verbindungen mit Oel oder Seife; Weinessig, namentlich mit Sabadillsamen — 9 Theile Essig und 1 Theil Sabadillsamen — 8 Tage lang digerirt.
h) Arachniden, namentlich Milben. In meiner Abhand­lung der Krätze und Räude habe ich S. 155 die Mittel nach dem Grade ihrer Wirksamkeit näher angegeben, hier will ich mich auf die inzwischen bekannt gewordenen neueren und auf die wirksameren, in der Praxis am brauchbarsten Mittel beschränken.
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Schmarotzertilgende Methode.
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Perubalsam, Croosot, Benzin, Arsenik und Ta-back sind als die speciüsclisten Milbengifte und somit als die wirksamsten Heilmittel der Krätze und Räude anzusehen. Der Perubalsara ist von dem Stabsärzte Dr. BurcKhardt zuerst ange­wendet worden, er hat grosso Vorzüge für die Praxis, die darin bestellen, dasamp; er zu den wirksamsten specifischen Milbengiften gehört, dabei das mildeste Mittel für den Patienten und leicht, ohne Widerwärtigkeiten zu appliciren ist. Die räudigen Katzen sterben bei jeder Behandlung, nur mit dem Perubalsam ist mir Heilung gelungen, wenn die Thiere noch nicht kachektisch ge­worden waren. Das Mittel ist zwar von allen das theuerste, aber man gebraucht nur kleine Quantitäten; mit 60(Jrm. kann man ein ganzes Pferd einbalsamiren; zwei Einreibungen genü­gen in der Regel, wenn bei Borken eine Seifen- oder Kali­wäsche vorangegangen ist. Der Balsam wirkt nachhaltig, des­halb die zweite Einreibung erst nach 8 Tagen. Das Mittel scheint auch ohne Contact die Milbe zu tödten, ähnlich wie die Quecksilberausdünstnng auch die Läuse in einer gewissen Ent­fernung tödtot.
Creosot mit Oel 1:20, Benzin mit Oel 1:2— 4 sind nächstdem die cmpfehlenswcrthcsten Mittel; Arsenik in verdünnter etwa '/iprocentiger wässeriger Lösung; einprocentige Lösungen sind als Bad bei Schafen etc. noch lebensgefährlich, Tessier setzte deshalb noch 200/0 Eisenvitriol— Tessier'sohe Arseniklösung—, Mathieu IO^/q Alaun — die MatJiieu'sche Losung — hinzu. Taback in ö0^ Decoct, d. h. aus 5 Pfund Taback bereitet man ein Decoct von 100 Pfund. Die Haarsack-Milben der Hunde sind in den Follikeln sehr .schwer zu veririftcn; diese Räude ist
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am schwersten beilbar, sie verlangt die nachdrücklic'istc An­wendung der eben erwähnten Mittel, namentlich des Perubal­sams, ansserdem haben wir hier noch das ätherische Wachhol-deröl, ein wirksames Mittel, — zuerst im Jahresberichte der Dorpater Veterinär-Schule (1862) empfohlen —, das aber mit 4—5 Theilen Spiritus verdünnt werden muss.
Aussei- diesen Mitteln kommen noch viele andere in Ge­brauch, so namentlich verschiedene Schwefelsalben; Scbwefel-blumcn, mit Actzkalk 2:1 (Schwefel - Calcium), verdünnt mit 5 Theilen Wasser; Schwefelblumen mit Theer zu gleichen Theilen und mit 2 Theilen Spiritus, (auf der Wiener Schule
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Zusammenstellung der Mittel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; .589
gebräuchlich). Uebcr die weiteren Mittel conf. Krätze und Räude u. s. w. von Gerlach 1857.
2. Darmbewohner. Larven im Magen: Benzin mehr­seitig empfohlen, Wirkung aber noch sehr zweifelhaft. Magen­würmer, besonders Strongylus contortus: gestossenes Glas und scharfer San J ; Benzin zu versuchen. Bandwürmer: die S. 58G sub No. 8 erwähnten speeitischen Anthelminthica, ferner Aether, resp. Chloroform initRicinusöl; ausserdem sind auch abgeschälte Kürbiskerne empfohlen. Rundwürmer im Darmkanale, von denen die Askariden bei allen Thieren und EcMnorhynchus gygas bei den Schweinen besonders in Betracht kommen: Zitt-wersamen, Arsenik; Brechweinstein bei Pferden, in der Dosis von 15 — 30 Grm. auf 1 Tag, eines der wirksamsten Mittel; Benzin ist empfohlen und zu versuchen. Als Surrogate sind Rainfarrenblüthen, Knoblauch und Arsenik zu erwähnen.
.'!. Leberbewohner: bis jetzt unerreichbar.
4. Bewohner der Luftwege. Die verschiedenen Rund­würmer sind bis jetzt ebenfalls nicht zu vertilgen; wir haben Aber im Aether, Benzin, Carbolsäure und Creosot Mittel, die (lurch Inhalation und ebenso auch vom Magen aus durch die sofortige theilwoise Ausscheidung in den Lungen die Würmer beunruhigen, sie aus den feinen Bronchien vertreiben, so dass sie leichter ausgehustet werden; deshalb sind zugleich oder hin­terher hustenerregende Mittel anzuwenden.
Creosot mit Spiritus und Wasser verdünnt, Benzin und Carbolsäure mit Oel; bei Schafen pro 100 Stück CD Grm. Creosot und 1 Pfund Benzin resp. Carbolsäure mit 1'/#9632;.gt; —2 Quartier Verdünnungsmitteln 8 Tage laug Jeden Tag 1 Esslüflel voll pro Stück.
Gegen Parasiten, die im Bindegewebe und in Organgewe­ben liegen, so wäe gegen die in dem Blute schwimmenden, kennen wir noch keine Vertilgungsmittel. Alle gegen Blasen­würmer und Trichinen empfohlenen Mittel haben sich nicht be­währt, in einer Reihe von Versuchen habe ich stets negative Resultate gehabt; alle diese — internen — Parasiten sind bis jetzt noch unerreichbar für die Therapie.
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*gt;
Literatur,
G. Stravss. Die Heilkraft der Natur, ihre Erkcnntniss im Allgemeinen und in Beziehung auf die Grundsätze der Zoochirurgie insbesondere dar­gestellt. Wien. 1829.
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für Gebildete aller Stände. Landslmt, 1867. Theodor Hahn. Praktisches Handbuch der naturgemässen Heihveise. 2te Auflage. Berlin, 1868.
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:
Hofbuchdruckerei der Gebr. Jänecke in Hannover.
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Thierärztliche Werke
aus dem Verlage von
August Hirschwald in Berlin.
Durch alle BuchLandlungen zu beziclien.
Delafond, 0., Prof. in Alfort etc., Die Blutkrankheit der Schafe und die derselben ähnlichen Krankheiten. Aus dem Französischen be­arbeitet von Dr. C. H. Ilertwig, Prof. an der K. Thierarzneischule zu Berlin, gr. 8. 1844. 221/2 Sgr.
Erdmann, C. G-. H. Dr. und Dr. C. H. Hartwig, Professoren an der könig­lichen Thierarzneischulc zu Berlin. Thierärztliche Receptirkunde und Pharraakopüe nebst einer Sammlung bewährter Heilformeln. 2. verbesserte Auflage. 8. 1868. 1 Tblr. 10 Sgr.
G-erlaoh, A. C, Director der K. Thierarzneischule zu Hannover, Krätze und Bände. Entomologisch und klinisch bearbeitet. Mit 6 Taf. Lex.-8. 1857.
1nbsp; Thlr. 25 Sgr.
-------Die Flechte des Rindes. (Separat-Abdruck aus dem Magazin
für Thierheilkunde). gr. 8. Mit 1 Taf. 1857. 10 Sgr. -------Die Seelen thätigkeit der Thiere an sich und im Vergleich zu
denen der Menschen. Ein Vortrag. 8. 1859. 8 Sgr. -------Die Gewährleistung für verkaufte Hausthicre. Technisch
beleuchtet zu Gesetzentwürfen, gr. 8. 1SG0. 12 Sgr. -------Handbuch der gerichtlichen Thierheilkunde. gr. 8. 1863.
5 Thlr. 20 Sgr.
Giese, Dr., Situs oder die Lage der Eingeweide der Pferde. Zur Vorbereitung für das thierärztliche Staats-Examen. 12. 1859. 10 Sgr.
Gurlt, E. F., Geh. Med.-Rath, Prof. Dr., Lehrbuch der vergleichen­den Physiologie der Hau s-S äuge thiere. Dritte vermehrte Auf­lage. Mit 4 Kupfertaf. 1865. 3 Thlr.
-------Handbuch der vergleichenden Anatomie der Ilaus-Säuge-
thicre. Vierte Aufl. gr. 8. 1860. 4 Thlr. 15 Sgr.
-------Handatlas zu dem Handbuch der vergleichenden Anatomie der
Haus-Säugethiere. 22 Tafeln mit Text. 4. Cart. 1860. 5 Thlr.
-------Anatomie der Haus-Vögel. Mit 5 lith. Tafeln. (Besonderer Ab­druck aus dem „Magazin für Thierheilkundequot;.) 8. 1848. 27 Sgr.
-------und Prof. Dr. 0. H. Hertwig, Untersuchungen über die Haut
des Menschen und der Haus-Säugethiere, und über die Kratz- oder Räude­milben. Zweite vermehrte Auflage der im Magazin für die gesammte Thierheilkunde, Jahrgang 1835, abgedruckten Abhandlungen, gr. 8. Mit
2nbsp; Kupfertafeln. 1844. 261/4 Sgr.
Haubner, Karl, Med.-Rath, Prof., Ueber die Trichinen, mit besonderer Berücksichtigung der Schutzmittel gegen die Trichinerikrankheit beim Menschen, gr. 8. Mit 1 Tafel Abbild. 1864. 10 Sgr.
Haupt, VT., Ober-Thierarzt in Moskau, Ueber einige Seuchenkrank­heiten der Hausthiere in Sibirien und im südlichen europäischen Kussland. Mit einem Vorworte vom Prof. Dr. E. F. Gurlt. gr. 8. 1845. 1 Thlr. 25 Sgr.
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1 I
Hertwig, C. H., Prof., Praktisches Handbuch der Chirurgie für Thierärzte. Zweite verbesserte Auflage, gr. 8. 1859. 4 Thlr. 10 Sgr.
—nbsp; — Taschenbuch der gesammten Pferdekunde. Für jeden Besitzer und Liebhaber von Pferden. Dritte verbesserte Auflage. Mit 9 Tafeln Abbildiuigeu. 8. cart. 1864. 2 Thlr. 10 Sgr.
-------Die Krankheiten der Hunde und deren Heilung. 8. 1853.
1 Thlr. 15 Sgr.
Horn, W., Geh. Ober-Med.-Rath, Dr., Das preussische Veterinair-Mediein alwesen. Aus amtlichen Quellen dargestellt. Lex.-8. 1858. nebst Supplem. 18ü4. 1 Thlr. lü Sgr.
Köhne, H. W., Von dem Provocations-Verfahren und der Beweis-aufnahmo zum ewigen üedächtnisse bei Prozessen um Hansthiere. gr. 8 1864. 5 Sgr.
Magazin für die gesammte Thierheilktmde, herausgegeben von den Pro­fessoren Dr. Gurlt und Dr. Hert wig. Jahrgänge 1 — XXXIV a 4 Hefte mit Tafeln, gr. 8. 1831—68. a Jahrgang 2 Thlr. 20 Sgr.
Mittheilungen aus der thierarztlichen Praxis im preussischen Staate. Aus den Voterinair-Sanitäts-Berichten der Künigl. Regierungen zusammen­gestellt. L—IV. Jahrgang von CTCrlach und Leisering. (2 Thlr. 18 Sgr.) V. und VI. Jahrgang von A. C. Gerlach. VII.—XII. Jahrgang von Prof. C. II. Hertwig. (Berichte 1852 bis 1863.) XIII. — XV.'jahrgang von C. Müller und F. Koloff. (Berichte 1864—06.) gr. 8 ä 25 Sgr.
Müller, 0., Die Rinderpest in Thüringen und Franken im Jahre 1867. Mit besonderer Berücksichtigung der Abwehr- und Tilgungsmaassregeln nach eigenen Erfahrungen bearbeitet. 8. 1808. 25 Sgr.
Ravitsch, Mag. Jos., lieber den feineren Bau und das Wachsen des Hnfhorns. Mit 1 Tafel Altbildungen, gr. 8. 1863. 10 Sgr.
—- — Neue Untersuchungen über die pathologische Anatomie der Kinderpest. Mit 2 Tafeln, gr. 8. 1864. 15 Sgr.
Eoloff, F., Dr., Prof. in Halle. Die Lungensenche - Impfung. Eine kritische Untersuchung. 8. 1868.
Spinola,Dr. quot;W.T. J., Die Krankheiten der Schweine. 8. 1842 1 Thlr 71/2 Sgr.
—nbsp; nbsp;— Mittheilungen über die Kinderpest, gesammelt auf einer, im Auftrage der Königl. Preussischen Staatsregierung im Frühjahr 1:845 nach Polen und Kussland unternommenen Reise, gr. 8. 1846. '221/9 Sgr.
-------Sammlung von thierarztlichen Gutachten, Berichten und
Protokollen, nebst einer Anweisung der bei ihrer Anfertigung zu beobachtenden Formen und Kegeln, in besonderer Beziehung auf die in den Königl. Preussischen Staaten geltenden Gesetze. Ein Handbuch zu­nächst für angehende Ereisthierärzte. Dritte verbesserte und vermehrte Aurtage. gr. 8. 1865. 1 Thlr. 20 Sgr.
-------Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie für
Thierärzte. 2 Bände. Zweite vermehrte und verbesserte Auflasre er 8 1863. 8 Thlr. 10 Sgr.
Stahmann, Stabsarzt Dr., Der Rotz und seine veterinair-polizei-liche Bedeutung. (Abdruck aus dem Magazin für Thierheilkimde.
1863.) gr. 8. 1863. 10 Sgr.
Veterinair-Kalender für das Jahr 1869. Herausgegeben von C. Müller und Professor F. Koloff. Vierter Jahrgang. Elegant als Taschenbuch gebunden. 28 Sgr.
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