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RIJKSUNIVERSITEIT TE UTRECHT
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Handbuch
dei
allgemeinen Pathologie
der Haussäugretliiere.
Von
CHRISTIAN JOSEPH FUCHS,
König). Preuss. Deparlemenls-Thierarzle und Lehrer an der König). Thierarzneischule in BorHn.
^5' .
Verjag von Veit und C o m p. 1S43.
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Den
Cnltoren der Veterinär-Medizin
widmet diese Schrift
?*,
als
ein sehwaclics Zeldien (lerAnerkeiinuns; ihrer Verdiensie
lirfurchtsvoll
der Verfasser.
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V o r w o r t.
tJeit einigen Jahren gehört es zu meiner Aufgabe, die allgemeine Pathologie der Haussäugethiere zu lehren. Bei diesem Unterricht gewann ich die Ueber-zeugung, dass keines der vorhandenen Handbücher über jene Disciplin, obwohl sie zweckmässig für den Standpunkt sein mögen, den ihre Verfasser zu neh­men genöthigt waren — der Anforderung entspricht, welche der, in dem Unterricht der hiesigen Thier-arzneischule herrschende Geist an eine Lehre stellt, die, nebst der Förderung positiver Kenntnisse, vor­zugsweise die Aufgabe hat, der Veterinär-Medizin den Namen einer Wissenschaft zu vindiciren. Dieser Tendenz auch von meiner Seite zu entsprechen, sah ich mich also genöthigt, einen Leitfaden zu meinen Vorträgen auszuarbeiten. Solchen lege ich nunmehr der thierärztlichen Welt vor, mehr auf das Andringen meiner Zuhörer und die Ermunterung einiger Freunde,
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VI
als aus freiem Entschlass, denn gern hatte ich meine Aibeit noch einige Jahre der Prüfung unterworfen. Diese Aeusserung gelte aber dem etwaigen Kritiker durchaus nicht als captatio benevolentiae; denn un­sere Kritik — auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft — ist hinlänglich corrumpirt, durch ver­werfliche Rücksichten meistens geleitet; in meinem Interesse möge sie ihren Kredit nicht noch weiter herunterbringen. Wie sehr ich auch überzeugt bin, dass die allgemeine Pathologie überhaupt Das noch nicht ist, was sie sein sollte; so hoffe ich doch die Anerkennung zu finden, dass ich mich redlich be­strebt habe, der vorliegenden Schrift, nach dem Standpunkte der ihr zum Grunde liegenden Lehren und nach dem Grade meiner Fähigkeiten, die best­mögliche Fassung zu geben. Mit diesem Bestreben im Einklänge, werde ich auch der grösseren Capaci-tat, welche die Mängel dieser Schrift gründlich zeigt, oder durch eine selbstständige Arbeit zur Vervoll­kommnung der allgemeinen Pathologie beiträgt, freu­dig huldigen. Ucbrigens ist es anerkannt, und liegt auch in der Natur der Sache, dass die allgemeine Pathologie von Zeit zu Zeit einer neuen, dem Stand­punkte der physiologischen und pathologischen Leh­ren, so wie der ganzen Naturwissenschaft entspre­chenden Bearbeitung bedarf.
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Soviel zur Rechtfertigung für die Veröffenllichung vorliegender Schrift.
Was im Allgemeinen den Geist des Werkes betrifft, so ging ich von dem Gedanken aus, dass nicht der speculirenden Spinne, nicht der Stoff aufhäufenden Ameise, vielmehr der überall Stoff suchenden und vercdlendcn Biene zu folgen sei. Ueber die in dem Werke befolgte Einlheilung und die Vortragsweise habe ich mich in den Einleitun­gen zum I. und II. Theil aussprechen müssen; fol­gende Bemerkungen mögen hier am geeigneten Orte stehen. Die Hauptanforderungcn, welche man an eine Theorie der Krankheit zu machen hat, durften möglichste Naturgemassbeit, Widerspruchslosigkeit und consequente Durchführung sein. Bei Berücksichtigung dieser drei Momente ist dann derjenigen Theorie der Krankheit am meisten zu huldigen, welche, un­serem Standpunkte angemessen, die befriedigendsten Anschauungen und die meisten geistigen Anregungen gewährt. Das eben bietet, meiner innigsten Uebcr-zeugung nach, die naturhistorische Theorie, welche überdiess das Bestreben zeigt, sich frei von Einsei­tigkeiten zu halten, die zu allen Zeiten unerquick­liche Früchte auf dem Gehiete der Medicin zu Tage gefördert. Aus diesen Gründen bin ich in der all-
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vni
gemeinen Naturlehre der Krankheit der natorhistori-schen Schule gefolgt, welche Röschlaub gegründet zu haben scheint, später aber von Ringseis, Jahn, Eisenmann, Stark u. A. adoptirt und ausgebildet wurde. Am meisten hat sich unstreitig Stark um die Ausbildung der naturhistorischen Ansichten über •he Krankheit verdient gemacht, wenigstens sind sie am ausführlichsten von ihm erörtert und angewandt worden, zuerst in seinen pathologischen Fragmenten (Weimar 1824) und später in seiner allgemeinen Pathologie (Leipzig 1838). Wenn ich diese Schriften vorzugsweise für die Theorie der Krankheit benutzt habe, so geschah es doch stets mit strenger Be­rücksichtigung des besonderen Zweckes und mit Ausschliessung Dessen, was der näheren Begründung ermangelt, oder was die über dieselben erschiene­nen critischen Beleuchtungen überzeusend als un-geeignet herausgestellt haben. Im Uebrigen bin ich überall den Fortschritten der Wissenschaft gefolgt, und namentlich habe ich Das zu benutzen mich be­strebt, was die allgemeine Anatomie (Mikroskopie), die pathologische Anatomie und die organische Che­mie in ihrem jetzigen Aufschwünge Lehrreiches ge­boten haben. Vor dem Fehler: das Neue stets für gut und das Gute stets für neu zu halten, habe ich mich indess zu bewahren gesucht. Und so habe
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ich mich denn bemüht, die materiellen Thatsachen als Giimdlage zu benutzen, ohne die höheren geisti­gen Resultate, welche aus dem Leben, als einem Ganzen fliessen, hintanzusetzen; um so eines Theils dem Vorwurf zu begegnen, den man der Physiologie macht: „sie sei nur heutigen Tages eine Mikrologie,quot; und andern Theils den Irrthum zu vermeiden, der in anatomisch-pathologischen Ergebnissen etwas An­deres sieht, als das Product eines vitalen Prozesses. Namentlich habe ich mich gehütet, in die sanguini­schen Hoffnungen Derer einzustimmen, welche nun­mehr alles Heil von der organischen Chemie erwar­ten, nachdem sie neuerlichst durch die Bemühungen einiger Männer zu zeigen begonnen, welch' wesent­licher Nutzen von derselben zu erwarten steht. Wer die Geschichte der Medicin kennt, wird gegen alle, in der Zeit auftauchenden Extravaganzen einen Rück­halt bewahren. Ein Solcher kann in der Erschei­nung eines „Lehrbuchs der practischen Hell­kunde nach chemisch-rationellen Grund­sätzen von Dr. Gottfried Christian Reich, Berlin (im Jahre 1842)quot; nichts Anderes, als ein Wahrzeichen für die kommenden Geschlechter sehen, dass der, in unseren Tagen überall nach Geltung strebende Radicalismus auch das medizinische Gebiet betrat. Und in so fern unsere Enkel das Lehrreiche,
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was in extremen Erscheinungen liegt, benutzen, dtirile die Ueberzeugung des Verfassers jenes Werkes: „mit demselben der Menschheit einen we­sentlichen Dienst geleistet zu habenquot; sich realisiren.
Vom Inhalte zu der Form der vorliegenden Schrift mich wendend, habe ich nur noch anzu­knüpfen, dass die Darstellung in derselben keine an­dere sein konnte, als eine, dem eigensten Wesen der allgemeinen Pathologie entsprechende, eine wis­senschaftliche. Nichtsdestoweniger habe ich mich ans gewissen Rücksichten der Popularität befleissigt, ohne mich dem Vorwurf der Trivialität blosszustel-len; und überall galt es mir zur Regel, nichts mehr zu sagen, als auch von einem gut vorbereiteten Schüler begriffen werden kann. Opferte ich auch dieser Rücksicht manchen Gedanken und manche weitere Ausführung, so wird Diess dem Ruche eher zum Lobe als zum Tadel gereichen, wenn man mir nicht zum Vorwurf machen kann, dass ich dadurch zugleich die Tendenz der Wissenschaftlichkeit ge­opfert. Dieser vor Allem muss jede bessere Kraft geweiht sein! — Wenn nun auch feststeht, dass die Materie einer Disciplin, die Fassung eines Leitfadens derselben und die Fähigkeit ihres Lehrers die Früchte bedingen; so kann doch eben so wenig in Abrede
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XI
gestellt werden, class der, einer Disciplin im Studien­plan angewiesene Ort wesentlich zu deren Erfolg beiträgt. Soll ins Besondere die allgemeine Patho­logie den grösstmöglichen Nutzen stiften, so muss, wie sich Diess von selbst versteht, die Physiologie mit allen ihren Vorbereitungslehren ihr vorangehen; dasselbe möchte ich aber auch von der speziellen Pathologie und von der pathologischen Anatomie fordern; da die allgemeine Pathologie ja nur etwas Abstrahirtes aus der speziellen ist, und sie sich überdiess so häufig zur Erläuterung ihrer Lehren der Anführung der Krankheitsformen und ihrer Producte bedienen muss. Wie also die Physiologie des gesun­den Lebens die Kenntniss der Thiere, ihrer Lebens­weise und ihrem anatomisches Baue nach, voraus­setzt, ebenso die allgemeine Pathologie (Physiologie des kranken Lebens) die verschiedenen Arten der Krankheiten, deren Gesetze sie ausspricht, und somit vorzugsweise deren Kenntniss zu einer wissenschaft­lichen macht. Die spezielle Pathologie braucht indess eine Menge Kunstausdriicke, deren Bekanntschaft sie aus der allgemeinen Pathologie voraussetzt. Es müsste daher jedenfalls eine etymologische Erklärung der nothwendigsten technischen Ausdrücke in ge­nauer Bestimmung der damit zu verbindenden Be­griffe, gleichfalls als eine wissenschaftliche patholo-
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gische Terminologie, der speziellen Pathologie vor­ausgeschickt werden; dieser aber eine wahre Phy­siologie des kranken Lebens folgen. Dann hätte man weniger zu befürchten, dass diese Lehre nicht verstanden werde; der Lehrer wäre nicht so sehr genöthigt, wie ehedem, auf Kosten der wissenschaft­lichen Begründung seiner Disciplin, sich der Fas­sungskraft seiner Zuhörer zu accomodiren. An den mir bekannten Thierarzneischulen wird diese Ansicht thatsäcblich nicht getheilt, an der hiesigen jedoch in so fern, als später Repetitorien über die allgemeine Pathologie Statt finden; ob meine Ansicht aber der vollständigen Anerkennung würdig zu halten sei, muss der besseren Einsicht und einem höheren Er­messen anheimgegeben werden. Inzwischen möchte das vorliegende Handbuch mit angemessener Hand­habung der Einschränkung oder Erweiterung von Seite des Lehrers einem jeden Bedürfnisse ent­sprechen.
Berlin im März 1843.
öer Verfasser.
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Uebersicht des Inhalts.
Erster Theil.
Allgemeine Naturlehre der Krankheit.
Seile
Einleitung................. i
Erster Abschnitt. Von der Krankheit im Allgemeinen.
firstp.s Capitel. Definition der Krankheit.......nbsp; nbsp; nbsp; 19
Zweites Capitel. Natur der Krankheit........nbsp; nbsp; nbsp;21
Drittes Capitel Verhallniss der Krankheit zur Aussenweltnbsp; nbsp; nbsp;27
Viertes Capitel. Wesen der Krankheit........nbsp; nbsp; nbsp;28
Fünftes Capitel. Zweck der Krankheit........nbsp; nbsp; nbsp;34
Zweiter Abschnitt. Von der Entstehung der Krankheit.
Erstes Capitel. Vorgang der Krankheils-Entstehung ... 3tt Zweites Capitel. Von den Aufnahmsorganen der Krankheit 40 Drittes Capitel. Wesen der Krankheits-Enlstehung.... 45
Dritter Abschnitt. Von den ursachlichen Momenten der Krankheit. Erstes Capitel. Begriff und Eintheilung der Krankheitsursa­chen überhaupt.............47
Zweites Capitel. Von den Krankheits-Anlagen im Allgemeinen 49
Drittes Capitel. Von der Gattungs-Anlage.......31
Viertes Capitel. Von der individuellen Anlage.....50
Fünftes Capitel. Von der speziellen Anlage......6ö
Sechstes Capitel. Von den Gelegenheits-Ursaclien im Allge­meinen ................(58
Siebentes Capitel. Vom Einüuss der Weltkörper .... 71
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XIV
Seile
Achtes Capitel. Vom Lichte............nbsp; nbsp; nbsp;73
Neuntes Capitel. Von tier Temperntur....... .nbsp; nbsp; nbsp;76
Zehntes Capitel. Von der Electrizifat........nbsp; nbsp; nbsp;81
Eilftes Capitel. Von der Atmosphäre.........nbsp; nbsp; nbsp;84
Zwölftes Capitel. Von der Witterung........nbsp; nbsp; nbsp;94
Dreizehntes Capitel. Von den Tageszeiten.......nbsp; nbsp; nbsp;95
Vierzehntes Capitel. Vom Klima . ,.........nbsp; nbsp; nbsp;98
Fünfzehntes Capitel. Vom Miasma.........nbsp; nbsp; 101
Sechszchntes Capitel. Vom Contagium........nbsp; nbsp; 109
Siebenzehntes Capitel. Von der Krankheit als Schädlichkeitnbsp; nbsp;118
Achtzehntes Capitel. Vom Schlafen und Wachen ....nbsp; nbsp; 122
Neunzehntes Capitel. Von den Sinnesverrichtungen . . .nbsp; nbsp; 123
Zwanzigstes Capitel. Von den Seelenvermögen.....nbsp; nbsp;125
Ein und zwanzigstes Capitel. Von den chemischen Schäd­lichkeiten überhaupt........quot; . .nbsp; nbsp; 132
Zwei und zwanzigstes Capitel. Von den Nahrungsmitteln .nbsp; nbsp; 134
Drei und zwanzigstes Capitel. Vom Getränke • . . . .nbsp; nbsp; 152
Vier und zwanzigstes Capitel. Von den Arzneien ....nbsp; nbsp; 158
Fünf und zwanzigstes Capitel. Von den Se- und Excretionennbsp; nbsp; 1(51 Sechs und zwanzigstes Capitel. Von den mechanischen
Schädlichkeilen überhaupt.........nbsp; nbsp; 102
Sieben und zwanzigstes Capitel. Von den Geschirren, Be-
deckungs- und Reinigungs-Stücken......nbsp; nbsp; 1(54
Acht und zwanzigstes Capitel. Von der Bewegung und Ruhenbsp; nbsp; 165 Neun und zwanzigstes Capitel. Von den Ställen und der
Stallpflege...............nbsp; nbsp; 109
Dreissigstes Capitel. Von der Gebrauchs- und Lebensweise
der Thiere ..............nbsp; nbsp; 171
Ein und dreissigstes Capitel. Von den Schmarotzerthicrennbsp; nbsp; 172 Zwei und dreissigstes Capitel, Von den Aftergehilden, Stei­nen und Concrementen..........nbsp; nbsp; 182
Vierter Abschnitt. Von den Erscheinungen der Krankheit.
Erstes Capitel. Definition des Symptomes.......nbsp; nbsp; 183
Zweites Capitel. Eintheilung der Symptome......nbsp; nbsp; 185
Drittes Capitel. Nutzen der Symptomatologie.....nbsp; nbsp; 194
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XV
S^ite
Fünfter Abschnitt. Von den zeitlicher- tmd räumlichen Verhältnissen der Krankheit. Erstes Capitel. Vom Verlaufe der Krankheit . . , Zweites Capitel, Vom Typus der Krankheit . . , Drittes Capitel, Von der Dauer der Krankheit . . Viertes Capitel. Von der Verbreitung der Krankheit Fünftes Capitel. Vom Ausgang der Krankheit . .
197 204 211 214 218
Zweiter Tlieil.
Spezielle Naturlehrc der Krankheit.
Einleitung..................237
Erster Abschnit l.
Von den Abweichungen im Bildungsleben des
[ndividnums.
Crstes Capitel. Anomalien der Verdauung.......nbsp; nbsp; 235
Zweitos Capitel, Anomalien der Chylus-Bereitung ....nbsp; nbsp; 247
Drilles Capitel. Anomalien des Athmens.......nbsp; nbsp; 250
Fünftes *) Capitel. Anomalien des Blutes.......nbsp; nbsp;265
Sechstes Capitel. Anomalien der Blulbcwegung.....nbsp; nbsp;294
Siebentes Capitel. Anomalien in den Secrotionen ....nbsp; nbsp; 310
Achtes Capitel. Anomalien in der Ernührung.....nbsp; nbsp; 34S
Neuntos Capitel. Anomalien in der Rückbildung ....nbsp; nbsp; 301 Zehntes Capitel. Anomalien in den Excretionen ....nbsp; nbsp; 370 Rilftes Capitel. Anomalion in den Zustanden der individuel­len Bildungsthätigkeit seeundarer Art.....nbsp; nbsp; 410
Zwölftes Capitel. Anomalien in der Entwickelnng ....nbsp; nbsp;420
Zweiter A bschnitt.
Von den Abweichungen im Bildungsleben für die
Gattung.
Krstos Capitel, Anomalion in der Zeugungs-Function . . , 425
'1 Beim DracK Iml sirli in der Folge fler Capilcl der Irrtlmm ein-gesdiUchen, iThts das „viertequot; iilierpangen im.
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XVI
raquo;rile
/weites l'.apilel. Anomalien in der Geburtsthätigkeit . . . 4;{2 Drittes Cnpilei. Anomalien in der Milchabsonderung . . . 433
Dritter Abschnitt. Anomalien im Bewegungsleben.
Erstes Capitel. Von der Bewegung im Allgemeinen . . .nbsp; nbsp;442 Zweites Capitel. Von der krankhaften Vermehrung, Vermin­derung und Aufhebung der Bewegung ....nbsp; nbsp;455 Drittes Capitel. Von der Alienation in der Bewegung . .nbsp; nbsp; 4ü3
Vierter Abschnitt. Anomalien im Ernpfindungsleben.
Erstes Capital. Von dem Ernpfindungsleben überhaupt . . 4(iS Zweites Capitel. Von den Abweichungen in der Empfin­dung insbesondere............-175
Fünfter Abschnitt. Von den Abweichungen in den Seelenverricbtungen.
Erstes Capitel. Von den Abweichungen in den Seclenver-
richtungeu überhaupt...........4S2
Zweites Capitel. Von den Abweichungen im Gemeingefühl 485 Drittes Capitel. Von den Abweichungen in den thierischen
Trieben...............489
Sechstel- Abschnitt.
Von den Abweichungen der gesammten animalen
Sphäre des Organismus.
Erstes Capitel. Vom Schlafe ...........495
Zweites Capitel. Vom Schwindel..........497
Drittes Capitel. Vom Schkgfluss..........498
-
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j
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laquo;
Einleitung
Hi
die allgemeine Pathologie.
Fucbg, allgora Psthol
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T
E i n 1 e it u n g.
Die Medizin überhaupt ist ein Zweig der gesammten Naturwissenschaft und findet, ihre Thatigkcit auf dem Gebiete der organischen Welt. Der Zwek der Medizin ist: die organisirlen Wesen gesund zu erhalten, und wenn sie krank geworden sind, dieselben in den ge­sunden Zustand zurückzuführen; zu welchem letztern Zwecke eine Kenntniss der Krankheilen dem Heiluiigsgcschüfle vorangehen muss. Kürzer ausge­drückt, ist Medizin die Wissenschaft des Lebens und die Art und Weise, dessen Heil zu erhalten und wie­derherzustellen.
Zusatz. Nach einer andern Ansicht ist die Aufgabe der Medizin Überhaupt, als Wissenschaft und als Kunst, nicht blos Verhütung möglicher und Heilung wirklicher Krankheiten, sondern auch Mitwirkung zur Veredlung der organischen Schöpfung (Cosmetik im höheren Sinne).
sect;• 2. So wie sich die organische Welt in zwei grosse Abtheilungen bringen lässt, in das Reich der Pflan­zen und in das der Thiere (regnum vogelabile et animale), so trennt sich auch die Medizin nach zwei
1deg;
*
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umleituug,
Seiten: in die Medizin der Pflanzen und in eine solche der Tliiere (medicina plantarum, phytomedi-cina, phytoiatria) und in eine solche der Thiere (me­dicina animaliom, zoomedicina, zooiatria),
sect;#9632; 3.
Diejenige Medizin, welche die Thierwelt zum Ge­genstande der Betrachtung hat, zerfällt wiederum, je nachdem sie :-ich mit dem Menschen oder mit den übrigen Thieren beschäftigt, in die Medizin des Menschen, d.i. die eigentliche Medizin (medi­cina st. s. d., med -hominum, anthropomedicina, an-thropoiatria) und in die Medizin der Thiere ins­besondere (Med. animalium, zoomedicina st. s. d.).
sect;• 4. Das Reich der Thiere, selbst mil Ausschluss des Menschen, ist aber so gross und deren Leiden so mannigfaltig, dass das Leben und die Fassungskraft eines Menschen nicht hinreichen würde, eine genü­gende Kenntniss derselben zu erlangen. Für unsern Zweck genügt es, nur einige Thiere der Forschung zu unterwerfen, und zwar vorzugsweise die Haus-säugethiere. So bildet sich die eigentliche Veteri­när-Medizin (med. animalium domesticorum, med. vel ars veterioaria, ktenoiatria).
Derjenige nun, welcher es in der Kenntniss der Medicin der Haussäugethiere und deren Anwendung bis zu einem gewissen Grade gebracht hat, ist ein Hausthierarzt, Veterinär (medicus animalium do­mesticorum, ktenoiatricus, veterinarius), und, inso­fern er sich nur mit einzelnen Thieren beschäftigt, ein Pferdearzt (hippiatricus), Rindvieharzt (buia-tricus), Hundearzt (cynoiatricus) u,s. w.
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T
in die allgemeine Pathologienbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5
sect;#9632; 6. Man kann die Veterinär-Medicin von zwei Seiten betrachten, von der wissenschaftlichen und von der empirischen, oder von der theore­tischen und von der practischen.
Zusatz 1. Wissenschaft ist die Eikeimtniss von Etwas nach Gründen und im Zusammenhange, und ist als solche das Product des vollkommensten Gebrauchs der menschli­chen Erkenntnisskraft. Empirie ist Erfahrung; rohe Empi­rie eine oberflächliche und blos sinnliche, rationelle Empirie aber eine, von Vcrstaiideskräften gehörig geleitete Erfahrung. Theorie ist Erklärungsversuch; Praxis ist Handeln. Die wahre Thierheilkunde und der wahre Thierarzt sind im Be­sitze der rationelle1! Empirie, im eleichmässigen Besitze der 'Wissenschaft und Empirie, der Theorie und Praxis, der Kunde und der.Kunst.
Zusatz 2. Man hat es in Frage gestellt: ob denn die Thierheilkunde denjenigen Grad von Wahrheit und Zuver­lässigkeit besitze, dass man ihr das Leben der Thiere un­bedingt anvertrauen dürfe. Im Verlaufe der Zeiten hat sich die Thierheilkunde als Nutzen brineend, als nothwendi? herausgestellt; sie wird stets vom Bedürfnisse dringend ge­fordert. Auch ist es ein Leichtes, sowohl Beispiele von In­nern Krankheiten, noch mehr aber von chirurgischen Fällen anzuführen, in denen das heilsame Wirken des Thierarztes auf der Hand liegt; und wer wollte läugnen, dass die Diä­tetik und die Prophylaxis nicht ihren überaus grossen Nuz-zen haben! Wenn aber die Zwecke nicht immer erreicht wurden, obgleich die Krankheiten sowohl, als auch die Con­stitution der Thiere die Möglichkeit dazu boten: so dürfte die Schuld mehr auf die Thierärztc, wie sie in jenen Fällen waren, und auf die Besitzer der kranken Thiere fallen. Denn nicht immer halten sich die Thierärzte an die wahre Thierheilkunde, und die Besitzer kranker Thiere an den wahren Thierarzt. Die Thierheilkunde ist indess noch einer grossen Vervollkommnung fähig, und fordert sich eine solche in manchen Zweigen dringend. Die Zeit wird sie gewähren.
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(inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Einleitung
sect;. 7.
So wie die Medizin nur ein Zweig der gesamni-ten Naturwissenschaft ist, so ist die Krankheits­lehre (pathologia) nur ein Tlieil der Medicin, aber gerade der wichtigere. Die Pathologie kann nicht verstanden werden, wenn die ihr zum Grunde liegenden Zweige der Medizin vernachlässigt worden sind. Da die Pathologie sich mit dem krankhaften Zustande des thierischen Organismus befasst, so setzt sie zunächst die Kenntniss des gesunden Zustandes desselben, die Physiologie, voraus.
Zusatz. Aus dem, im sect;. 1 ausgesprochenen Zwecke der Medizin überhaupt folgt, dass die Physiologie, Patholo­gie, Diätetik und Therapeutik die Ilauptdisciplinen derselben sind, denen alle anderen zwar untergeordnet werden müs­sen, aber zum Verständniss jener nicht minder nothwen-dig sind.
sect;• 8.
Zweck der Pathologie ist: Erklärung der krankhaften Zustände, im Zusammenhange mit ihren Erscheinungen und Ursachen. Sie ist in sofern eine allgemeine (pathologia genera-lis), als sie Aufschluss über die krankhaften Zustände im Organismus giebt, die quot;wir nur selten in der Natur als für sich bestehend wahrnehmen, die aber, mit andern vereint, die Formen und Arten der einzelnen Krankheiten bilden, welche letztere Gegenstand der speciellen Padiologie (path, specialis) sind.
Zusatz. Die allgemeine Pathologie wird auch Theo­rie der Krankheit genannt. Und in sofern unter Krank­heit nur ein besonderer Lebenszustand verstanden wird, und dieser Gegenstand der allgemeinen Physiologie ist,
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in die allgemeine Pathologie,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;7
kann sie auch als Physiologie oder Natuiielue der Krank­heit betrachtet worden; in Rücksicht aber, dass in der all­gemeinen Pathologie die krankhaften Erscheinungen auf ihre Ursachen zurückgoführl, die Crankheitsformen in ihre Ele­mente zerlegt werden, kommt ihr auch die Benennung Ele­mentarlaquo;- oder Prinzipion-Lehre zu.
sect;. 9.
Obgleich die allgemeine Pathologie vorzugs­weise speculativer Natur ist, so hat sie doch die Empirie zur Grundlage, nämlich die specielle Pathologie, weil sie erst durch Abstraction von den concreten Krankheitsfällen zur Feststellung der allge­meinen Gesetze des kranken Lebens gelangt. Wir erkennen die Krankheiten nur aus Erscheinungen. Daher muss die Sinnes-Wahrnehmung als die Hauptstütze der Pathologie betrachtet werden, docli so, dass sie vom Verstände gehörig geleitet wird, oder mit andern Worten, dass eine Scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen in den Er­scheinungen, und eine Einsicht in ihren Zusammen­hang und in ihr ursächliches Verhallniss dabei fest-gehalten wird. So beschaffen, ist die Sinnes-An­schauung (Empirie) eine rationelle und schliesst noth-wendig die Theorie in sich. Näher betrachtet, sind die Mittel, um zur möglichst vollständigen empi­rischen Kenntniss zu gelangen: Beobachtungen, Erfahrungen und Versuche.
Zusatz. Wahrnehmung kann als blosse Auffassung einzelner Erscheinungen angesehen werden, oder als ein niederer Grad der Beobachtung. Unter Beobachtung ver-slehen wir dagegen jede, durch unsere Sinneswerkzeuge vermittelte und durch Aufmerksamkeit unterstützte Thälig keit, dio zur Vorstellung von irgend einem Gegenstände hin­führt, durch welche wir sowohl die einzelnen Erscheinungen an ihm. als auch seinen gosammlen Zustand und die Ursa-
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gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; FMeitung
chen desselben erkennen. Erfahrung dürfte demnach eine Sammlung von Urtheilen zu nennen sein, die aus mehren und wiederholten Beobachtungen und durch Vergleichung derselben unter sich abgezogen worden sind. Versuch endlich ist jede durch wissenschaftliche Ansichten geleitete Veränderung, die man mit irgend einem Gegenstände vor­nimmt, um zu sehen, wie er sich unter andern Umständen verhalte; oder er ist als die Stellung einer Frage zu be­trachten, worauf wir in dem Ergcbniss die Antwort erwar­ten. Es gehört sehr viel zu guten thierärztlichen Beobach­tungen, Erfahrungen und Versuchen. Sind die Beobachtun­gen falsch, so kann die aus ihnen abgeleitete Erfahrung nicht richtig sein. Bei den Beobachtungen hat man vor­zugsweise Dreierlei zu berücksichtigen, ihr Object und Sub­ject, und die Verhältnisse, unter denen die Beobachtungen gemacht werden. Beim Object kommt es vorzugsweise darauf an, dass es sich in einem, für die Beobachtung gün­stigen Zustande befindet; beim Subject aber sind gesunde Sinne, Ruhe, Nüchternheit, Vorurtheils-Freiheit, Kenntniss des Objects, ein gewisser Grad wissenschaftlicher Bil­dung überhaupt und Uebung nolhwendige Requisite. Meh­rere Beobachtungen können, einzeln betrachtet richtig sein, die aus ihnen abgeleitete Erfahrung aber falsch. Zum Aus­spruch einer wahren Erfahrung gehört ein gewandtes Ab­stractions- und ein richtiges Urthcils-Vermögen. Zu wüs-senschafllichen Versuchen wird am meisten erfordert eine allseitige und tiefe wissenschaftliche Bildung und ausserdem alle Erfordernisse der Beobachtungen und Erfahrungen.
sect;. 10.
Der Werth der allgemeinen Pathologie kann begreiflicher Weise nicht darin bestehen, dass sie die Krankheitsformen, die Unterscheidung ihrer Galtungen und Arten unmittelbar kennen lehrt; als Fun-damentallehre aber, welche die Elemente der Krank­heiten und ihre Gesetze zum Gegenstande ihrer Be­trachtung hat. trägt sie zu jener Kenntniss Vieles bei.
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in die allgemeine Pathologie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;9
Man weiss, class sich dem Tliierarzte nicht immer bestimmte Krankheitsformen in der Beobachtung dar bieten, und wo Dies der Fall, würde er sich, ohne Kenntniss der allgemeinen Pathologie, in Verlegenheit sehen; er wird keine Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen und in ihr ursächliches Verhalt-niss, mithin auch keine klare Vorstellung von dem Krankheitsbilde gewinnen und kein rationelles Heil­verfahren einschlagen könnezi. In der Natur der Sache liegt es auch, wie wir Dies später näher er­örtern werden, dass niemals die Leiden zweier ver­schiedener Thiere, oder auch die, in ein und dem­selben zu verschiedenen Zeiten auftretenden sich voll­kommen gleichen können. Hieraus folgt, dass es, streng genommen, keine spezielle Pathologie geben kann; dass sie vielmehr, wie sie jetzt besteht, als ein künstliches Gebäude betrachtet werden muss, wel­ches sich von der Natur mehr oder weniger entfernt. Auch folgt aus dem Vorstehenden, dass sich keine bestimmt vorgezeichnete Richtschnur für die Behandlung spezieller Fälle geben lässt. Aus allem Diesen wird man ersehen, dass die genaue Kenntniss der allge­meinen Pathologie es nur allein ist, welche den Thier-arzt in den Stand setzt, nach Gründen und mit Be-wusstsein zu handeln. Ohne gründliche Kenntniss der allgemeinen Pathologie kann sonach der Thier-arzt nicht auf den Namen eines rationellen Anspruch machen; er muss sich vielmehr mit dem eines blos-sen Empirikers begnügen, der nach den Namen der Krankheiten und nach den, gegen solche angeprie­senen Mitteln hascht. Es ist eher möglich, ein ra­tioneller Thierarzt ohne Kenntniss der speziellen Pa­thologie, als ohne Kenntniss der allgemeinen Patho­logie zu sein; und vielleicht wird dereinst, wenn die Medizin überhaupt einen hohen Grad der Läuterung
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erlangt hat, von jener ganz abstrahirfc, wenigstens von der Art, wie sie jetzt betrieben wird.
Zusatz 1. Ausser dein eben gedaclitcn, hat die all­gemeine Pathologie noch den, freilich aber nur untergeord­neten Nutzen, dass sie sachgemässe Erklärungen von Na­men giebt, welche in der speziellen Pathologie gebräuchlich sind. Ohne Kenntniss des Begriffs, welchen die technischen Ausdrücke in sich schliessen, wird ihre Anwendung nicht allein erschwert und oft irrig, sondern man ist auch ausser Stande, eine pathologische Relation richtig zu verstehen. Das Studium der Etymologie, welche sich mit der Abstam­mung der Wörter beschäftigt und somit die Wurzeln und die Zusammensetzung dieser kennen lehrt, erleichtert das Ver-ständniss der Kunslausdiücke sehr; nicht minder auch die Synonymik, welche die verschiedenen Wörter betrachtet, die zur Bezeichnung eines und desselben Gegenstandes ge­bräuchlich sind.
Zusatz 2. Ein anderer Nutzen, den das gründliche und fleissige Studium der allgemeinen Pathologie gewährt, und der als ein wichtiger erkannt werden muss, besteht in der Ausbildung der geistigen Kräfte überhaupt, in der Förde­rung einer allgemeinen, wissenschaftlichen Bildung und in der Geschicklichkeil zum Theorelisiren über medizinische Gegenstände. Der, durch das Studium der allgemeinen Pa­thologie gebildete 'fhierarzt; wird eine geistige Umsicht ge­wonnen haben, die ihn nicht leicht vor einem Problem aus dem Gebiete der Medizin zurückschrecken lässt; er wird mit gebildeten Aerzten in einen nützlichen und angeneh­men Verkehr treten, und sich überhaupt in der Gesell schaft eine angemessene Geltung verschaffen können. Die Geschicklichkeit zum Theoretisiren ist aber dem Thierarzte von besonderem und unmittelbarem Nutzen. Wie weit man auch den Streit über Theorie und Praxis getrieben haben mag, wie sehr auch sogenannte practische Leute bemüht sein mögen, die Theorie als einen nutzlosen Ballast aus der Medizin zu entfernen, so ist Das doch niemals yelunccn, und wird auch ein solches Bemühen stets fruchtlos bleiben. Ein
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in die alige.'iieiiie Pathologie,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; li
angesehener Arzt sagte: ,,'lhun und Denken, Praxis und Theorie sind unzertrennlich. Was Athinen dem Leibe, ist Denken dem Geiste. Jeder arztliche Künstler und Handwer­ker thcoretisirt, d. i. denkt mehr oder weniger über die Entstehung und Fortbildung der Krankheil und ihr Verhalt-niss zu den Arzneien. Die Gegner der Theorie sind nie ohne Theorie; sie sind meist nur Gegner von Theorien, wel­che ihnen nicht leicht zuganglich sind, sie theoretisiren auf ihre einseitig materielle Weise. Das in jeder Zeit unabweis-liche Bedürfniss der Theorie ist noch mächtiger und unab-weislicher in unserer, der Zeit der in unzähligen Entdeckun­gen zu umfassenderen Bewusstsein gelangenden Menschheil. Wo es keinen positiven Codex, wie in der Jurisprudenz giebt, da ist eine, nach richtigen Grundsätzen handelnde Theorie noch viel nöthiger.- — Es kann also nicht die Frage sein: ob wir eine Theorie haben sollen; sondern ob wir im Besitze der wahren, d.h. einer solchen sind, die sich eben so wenig von der Erfahrung, als von der ver nünftigen Einsicht entfernt.
sect;• 11.
Die allgemeine Pathologie hat keine be­sondere Geschichte; die Geschichte der gan­zen Medicin ist auch die der allgemeinen Pa­thologie. Die Jünger der Medicin machten zuerst Beobachtungen einzelner Krankheitsfälle, von denen dann das mehren Gemeinschaftliche als Krankheits­form, und vom Spezieilen zum Allgemeinen vorschrei­tend, das den Krankheiten Gemeinsame abstrahirt wurde. Wie früh dieses Bemühen auch begann, so bildete sich doch erst spät cÜe allgemeine Pathologie zu einer selbststandigen Doctrin aus; und der Ge­genwart und Zukunft ist es vorbehalten, derselben eine möglichst befriedigende und systematische Ge­stalt zu geben. In der Thierheilkunde, der jüncern Schwester der Medizin, konnte man begreiflicher­weise erst in der neuem Zeil anfangen, eine allge-
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i2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Einleitung
gemeine Pathologie aufzustellen; und wundern darf man sich nicht, wenn sie in jener noch nicht die wissenschaftliche Gestalt erlangt hat, wie in dieser. Was bis jetzt in der allgemeinen Pathologie von den Thierärzten geleistet worden ist, dürfen wir indess nicht zu gering achten. Das Bestrehen zum Bessern ist überall sichtbar. Benutzen wir, was die Theo­rie der Krankheit anbelangt, die Forschungen der Menschenärzte, weichen wir in den empirischen Grundlagen nicht von der thierärztlichen Erfahrung ab, arbeiten wir uns gegenseitig in die Hand: so werden wir dem Ziele der Vollkommenheit immer näher rücken, obgleich wir es nie erreichen können. Von einer allgemeinen thierärztlichen Pathologie dür­fen wir aber billig fordern, dass sie die zeitige Ent-wickelung der Thierheilkunde repräsentirt, und An­regung zu ihrer ferneren Ausbildung giebt.
sect;. 12.
Zu einem Ahriss der Geschichte der Medizin überhaupt und der Thierheilkunde insbesondere wäre hier der passende Ort. Aber soll das Studium der Geschichte in dieser Rücksicht fruchtbar sein, so muss es mit Zeit und Aufwand von Kräften betrie­ben werden. Indess wird sich im Verlaufe des fernem Vortrags Gelegenheit finden, manches Ge-schichtliche in Rücksicht pathologischer Ansichten ein-zuflechten. So darf am rechten Orte auch die rechte Wirkung davon erwartet werden. Das Hauptre­sultat des Studiums der medicinischen Ge­schichte ist der Gewinn der Vorsicht, dass wir nicht in die Irrlhümer unserer Vorfahren fallen, und uns das, was sich im Laufe der Zeiten bewährt hat, aneignen.
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hi die allgemeine Pathologie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;i3
sect;. 13.
Kenntniss der, auf die allgemeine Patho­logie sich beziehenden Sehriften und ein ver­ständiger Gebrauch derselben sind ausseiquot; den in sect;. 9 angegebenen Mitteln die Bedingungen zum Fortschritt in dieser Lehre. Schriften über Leh­ren, welche nur theilweise die Grundlage der allge­meinen Pathologie bilden helfen, wie die allgemeine und pathologische Anatomie, Zoochemie, Physiologie, Diätetik, Pharmacodynamik u. s. w. berühre ich hier nicht; sie sind ans andern Quellen hinreichend bekannt. Nur diejenigen mögen hier angeführt werden, welche sich mit der allgemeinen Pathologie ausschliesslich befassen, oder doch mit ihr in einem nähern Zusam­menhange stehen, und unter diesen endlich nur solche, welche vorzugsweise empfehlenswerth erscheinen.
Falke, Handbuch der Physiologie mit Berücksichtigung der Pa­thologie; für Thicraizte. Nürnberg 18'29.
Hering, Physiologie mit steter Berücksichtigung der Pathologie. Stuttgart 1832.
Mundigl. Comparative physiologische und nosologische Ansich­ten von den Krankheiten des Menschen und der vorzüglichen Hauslhicre. München 1818.
Allgemeine nosologische Grundlinien oder Grundzüge des kran­ken Lebens unserer Hauslhicre, für Menscheniirzte und Thier-arzte. München lS2-2.
Strauss, Die Heilkraft der Katur, ihre firkenntniss im Allgemei­nen und in Beziehung auf die Grundsätze der Zoochirurgie insbesondere dargestellt. Wien 1829.
Waldinger, Allgemeine Pathologie der Hausthiere. Wien 1812.
Veith, Grundriss der allgemeinen Pathologie und Therapie I. Bd. (unvollendet). Neue Auflage. Wien und Triest 1816.
Schwab, Entwurf einer allgemeinen Pathologie der Hausthiere München 1823.
Prinz, Allgemeine Krankheits- und Ilcilungslehre der Hausthiere. Dresden 1830.
Delafond, Trait'V de pathologic et de therapcntiqes generales v^terinaires. Paris 1838.
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14
Eiuleituns.
Rainard, Traite de pathologie et de therapoutiques gen^rales
veteiinaires. Paris 1839. Kvchnec, KTaturgeschichte des krankhaften Zustandes der Haus-
thiere. Bern 1840. Vix. Lehrbuch der allgemeinen Pathologie für Thierarzte. Leip­zig 1840. Buchmüller, Mgepeine Pathologie und Therapie der Haus-thiere. Wien 1840.
Zusatz. Die Schriften über allgemeine Veterinärpatho-logie, welche atiSschüessüch und umfassend über diese Lehre handeln, sind nicht zahlreich. Ueber die verschiede­nen Abtheilungen derselben sind noch keine besondere Werke erschienen; es dürften aber selhstständige Bearbei­tuniren über Pathogenic, Aetiologie, Nosologie und Sympto­matologie um so mehr von Werth sein, wenn sie von, in jeder Beziehung fähigen Thierärzten unternommen würden. Denjenigen, welche einen tiefen Blick in die allgemeine Pa­thologie werfen wollen, dürfen zu einem comparativen Stu­dium die bessern Schriften der Menschenärzte nicht fremd bleiben. Folgende mögen angeführt werden; Bartels, Pathogenetische Physiologie u. s. w. Cassel und Mar­burg 1829. Henle. Pathologische Unlersuchungen. Berlin 1S39. Hartmann, Theorie der Krankheit, oder allgemeine Pathologie
Wien 1833. Stark. Allgemeine Naturlehre der Krankheit, oder allgemeine Pathologie. Leipzig 1838.
sect;. 14. Die Eintheilung der allgemeinen Patholo­gie ist auf verschiedene quot;Weise versucht worden. Der ällern und gangbarsten Eintheilung hegt die Be­leuchtung eines dreifachen Gegenstandes zmn Grunde: 1) das Wesen der Krankheil und dessen Verschie­denheit; 2) die Entstehung derselben aus bestimmten Verhältnissen des thierischen Organismus und 3) die Wirkungen oder Folgen der Krankheit. Hierauf stütztsich die Eintheilung der allgemeinen Palho-logie: in die allgemeine Krankheils-Darstel-
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#9660;
in die allgemeine Pülholo^ie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^5
imii,' (nosologia generalis) die man auch wohl die Lehre von den wesentlichen und zufälligen Unter­schieden der Krankheit nennt; 2, in die Lehre von der Entstehung der Krankheii aus he-stimmten ursächlichen Verhältnissen (pathoge-nla und aetiologia); und 3) in die Lehre von den Zufällen, Erscheinungen oder Symptomen (phaenomenolßgia v. symptomatologia). Andere hal­len es für am angemessensten, mit der Aetiologia in der allgemeinen Pathologie zu beginnen, da Die­ses in sofern der natürliche Gang sei, als die Krank­heil zunächst durch ihre ursächlichen Momente ein­geleitet weide. Jene Eintheilung gewährt eine leichte üebersicht und ist darum für den Anfänger fasslich, und die letzlere Ansicht hat einen empirischen Grund; beide aber scheinen den physiologischen und wis­senschaftlichen Anforderungen nicht genügend zu ent­sprechen. Tu dieser Rücksicht dürfte es daher für den Vortrag der allgemeinen Pathologie angemessen sein, Denjenigen zu folgen, welche vom Standpunkte des Allgemeinen ausgehen, allmählig zum Besondern herabsteigen und auf diese Weise eine Brücke zur speziellen Krankheitslehre bauen. Demnach wird fol­gende Eintheilung in vorliegender Schrift adoplirt, nach welcher in dem ersten Theile die Krankheit von ihrer allgemeinsten Seite betrachtet und zu zei­gen versucht wird, was sie an sich ist, wodurch und auf welche Weise sie zu Stande kommt, und wie sie sich zu erkennen giebt. Dieser erste Theil zerfällt in drei Abschnitte; 1) in die Natur- und Wesenlehre der Krankheit (ontologia); 2) in die Leine von ihrer Entstehung und ihren Ursa­chen pathogenia und aetiologia); und 3) in die Lehre von den Erscheinungen (symptomatologia aul phaenomenologia). Diesem Theile schliessen sich
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IC,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Eiuleilung m ilie allgemeine Pathologie.
nocli z\A'ei Abschnitte an. worin der ideale Stand­punkt zwar verlassen und die Krankheit unter Be-ziehunsen der Wirklichkeit, der zeitlichen und räum-liehen Verhältnisse, d. h. ihres Verlaufs und ihrer Ausbreitung, immer aber noch im Sinne der All­semeinheit betrachtet wird. Der zweite Theil be-folet den. in der Phvsiolosie üblichen Gans und er-läutert die einzelnen Lebensverrichtungen ins Besondere von der Seile ihrer allgemeinen Abweichung.
Zusatz. Einige Schriftsteller, welche in der allgemei­nen Pathologie ausführlich von der Congestion, von der Ent­zündung und vom Fieber, ja sogar von den verschiedenen Arten des letzteren handeln, sind offenbar zu weit gegan­gen, indem sie die Grenzen der Allgemeinheil überschritten. Mehr dürfte der Versuch derjenigen zu billigen sein, welche am Schlüsse der allgemeinen Pathologie dieselbe mit der speziellen in der Art verknüpfen, dass sie den Begriff der Krankheilsform entwickeln und zeigen, wie diese aus den Elementen im Allgemeinen zu Stande kommt. Dieses Schwan­ken in der Grenzbestimmung der allgemeinen Pathologie möchte durch die, auch bereits versuchte Bildung einer be­sonderen Uebergangslehre von der allgemeinen zur speziellen Pathologie zu beseitigen sein; indem die Lehre von der Bil­dung der Krankheifsformen und einer solchen von den Grund­formen der Krankheiten, wie der Congestion, der Entzündung und des Fiebers zu einem Ganzen verknüpft und derselben eine allgemeine Betrachtung über das pathologische Verhal­ten der verschiedenen organischen Systeme angereiht würde. Beim Vorhandensein einer solchen, dem Standpunkte der Wissenschaft entsprechenden Lehre, dürfte man sich in der speziellen Pathologie auf eine kurze aber bestimmte Zeich­nung der Krankheits-Gattungen und Arten zu beschränken haben, und nicht ferner veranlasst sein, derselben durch allge­meine, sich hundertfach wiederholende Erklärungen eine Aus­dehnung zu geben, wodurch die Uebersicht und Auffassung des Stoffs für den Anfänger so sehr erschwert wird.
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Krster Theil
der
allgemeinen Pathologie.
F uclilaquo;, raquo;IIÄfm. Pnthol.
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Allgemeine Naturlehre der Krankheit.
Erster Abschnitt.
Von der Krankheit im Allgemeinen.
Irrstes Capitel.
Definition der Krankhoit.
sect;#9632;
1.
Jvrankheit (morbns) ist ein Lebensprozess; es
kann daher keine Krankheit ohne Leben gedacht wer­den. Die allgemeinen Merkmale des Lehens kommen auch der Krankheit zu. Das thierische Leben tritt als ein Organismus in die Erscheinung, d. h. als ein, aus verschiedenartigen Theilen zu einem Ganzen ver­bundener Körper, der eine eigenlhümliche, bestimmte Gestalt und chemische Zusammensetzung hat, der Selbstthätigkeit durch Bildung, Bewegung und Em­pfindung offenbart. Krankheit sowohl, als Gesund­heit sind Zustände des Lebeiis, aber insofern von einander verschieden, als der kranke Organis­mus im Allgemeinen eine, vom normalen Dasein ab­weichende Gestaltung, Mischung und Verrichtung, mit­hin veränderte Lebensäusserungen zeigt.
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20
Definition der Krankheit,
sect;• 2. Zur richtigeu Beurtbeiloog (les krankhaften Zu-staodes muss noch in Betracht kommen: 1) ob die Veränderung der Lebensäusserongen vom inneren Grunde des Lebens selbst ausgeht; 2) ob die in­nere Störung, welche die veränderte Lebensäusse-rung bedingt, eine unwillkürliche ist; 3) ob die innere Störung auch einen gewissen Bestand hat.
Zus.itz. Krankheit ist ein activer Zustand, und daher von einem blos passiven wohl zu unterscheiden, wie er durch ausscre Hemmungen (z, B. durch Aufhebung der will­kürlichen Bewegung heim Fesseln) bewirkt werden kann. Die Empfindung von Kälte und Hitze, die Erscheinung des Frostschauders und des Schweisses, ein beschleunigtes Ath-men und ein frequenter Puls können von äusseron Bedingun­gen abhängig sein, und so diese aufhören, verschwinden auch jene.
Durch Willkür können bei den Thieren Erscheinungen bewirkt werden, die auch der Krankheit zukommen, aber vor­übergehend und nicht in einem dauernden, inneren Lebens­zustande begründet sind.
Selbst auf einem inneren Zustande beruhende, verän­derte) Lebenserscheinungen dürften nur dann als Krank­heit betrachtet werden, wenn sie einigermaassen Bestand gewinnen. Ein flüchtiger Schmerz, ein Froslschauder sind daher nicht immer als Krankheit zu betrachten, obgleich sie von einem inneren Zustande bedingt sein können. Dage­gen ist wiederum zu merken, dass eine blos Sussere Stö­rung durch ihre Andnuer zur inneren und wirklichen Krank heit werden kann.
sect;. 3.
Der Begriff der Krankheit dürfte, näher bestimmt, also lauten: Krankheit ist als ein Prozess im Organismus zu betrachten, durch welchen die dvnamische und materielle Seite desselben
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Natur dor Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 21
auf eine innere, unwillkürliche und einiger-maassen andauernde Weise reeelwidrisr ver-ändert und gestört erscheint.
Zusatz. Nach einer andern, aber ziemlich gleichbe­deutenden Erklärung ist Krankheit als ein, unter einer fremd­artigen Form sicii gestaltender Lebensprozess zu betrachten,
welcher entweder blos mit seinem individuellen oder auch mit seinem genetischen Lebenstypus nicht übereinstimmt, d. h. als ein Lebenszustand, der die Erhaltung des Indivi­duums und seiner Gattung beschränkt und gefährdet.
sect;• 4. Unpässlichkelt, Kränklichkeit wird als eine Schwankung, als ein Mittelzustand zwischen dem normalen und offenbar abnormen Le­benszustande erklärt, der noch keine eigenthüm-liche Gestalt oder Form zeigt. Hierher ist das Hin­neigen zu einer Krankheit (opportunitas ad morbum) und die Genesung (convalescentia) zu zählen. Die Unpässlichkelt gehört aber meist in das Reich des Subjectiven, und kann daher ihre objective Annalmie
bei den Ilauslhieren Einwendungen erleiden.
Zweites Capitel.
Natur der Krankheit.
sect;• 5.
Krankheit ist nicht als ein blosser Mangel der Gesundheit, als ein negativer Zustand zu be­trachten, sondern als ein positiver, eigenfhümlicher Lebensprozess, der sich in einem Organismus unter einer, von der vorhandenen verschiedenen Form aus­bildet. Eben so wenig darf Krankheit als immer
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N'alur der Krankheit.
und nothwendig der Gesundheit entgegengesetzt, oder als ein unnatürlicher oder widernatürlicher Lebens­zustand betrachtet werden: sie ist vielmehr ein Lc-bensprozess, der sich in einem andern entwickelt, und sich durch seine Form von diesem unterschei­det. Der Unterschied zwischen Krankheit und Ge­sundheit beruht daher nur auf der Form, der Art der Erscheinung, nicht auf dem Wesen, dem inneren Grunde. Jene folgt, wie diese, denselben Lebensge­setzen, woraus sich der gleiche Werlh der Physio­logie, wie für das gesunde, so für das kranke Le­ben erklärt, und woraus zu entnehmen, dass die Pa­thologie eben so fruchtbringend für die Physiologie werden könne, als diese es für jene ist. — Da die Krankheit also nicht wesentlich vom gesun­den Leben verschieden ist, so kommt ihr auch das wesentlichste Kennzeichen des Lebens überhaupt, nämlich das Vermögen der Selbsterhaltung und eine gewisse Selbstständigkeit zu; auch besitzt sie ein ei­genes Regenerations-Vermögen; bei vielen Krankhei­ten sogar nehmen wir, aussei' dem Selbsterhaltungs-Vermögen, auch, dem gesunden Leben analog, die Erhaltung der Gattung wahr.
Zusatz. Die Selbsterhaltung und Selbstständigkeit der Krankheil wird eines Theils aus dem Kampf der letzteren ge­gen das gesunde Leben und anderen Tlicils aus der indivi­duellen, aus Elementen bestehenden und zu einem Gan­zen verbundenen Form erklärt, unter der sie auftritt. Ihr Regcneralions-Vermögen erläutern die wiederanwachsen­den Polypen, Balggeschwülste. Hautausschläge u. dgl.; das analoge Leben für die Gattung aber die, sich über das In dividuum hinaus verbreitenden Contagien.
sect;• 6. So wie das Leben überhaupt, so kann auch die Krankheit sich weder allein durch Kraft,
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Natur der KrauUieii.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;23
noch allein durch Materie ausseru. Krankhei­ten der blossen Kräfte oder der blossen Materie giebt es nicht; wohl aber kann in denselben, wie auch im gesunden Leben, bald das Kraft-, bald das ma­terielle Yerhältniss überwiegen, wie in sogenannten dynamischen und organischen Krankheiten. Eben so wenig kann es auch ausschliessliche Krankheiten der flüssigen oder der festen Theilc geben, da sie als Substrat des Lebens einen gleichen Werth haben und bei der Bildung des Organismus sich gegensei-tie bedingen und voraussetzen.
Zusatz. Die dynamische, humoral- und solidar-patho-logischen Ansichten ergeben sich, dem Gesagten zufolge, als einseitig. Die Worte Hauffs: es kann weder eine Solidar-, noch eine Humoral-Pathologie geben, sondern nur eine Pa­thologie, welche den Organismus als Ganzes, wie er leiht und lebt, als aus festen und flüssigen Theilen Bestehendes betrachtet und nicht beide Theile in systematischer Starrheit auf unnatürliche Weise auseinander hält, — leuchten als unumstössliche Wahrheit ein.
sect;• 7. Die Krankheit kann nicht als etwas abso­lut Einfaches, sondern sie muss als eine Ver­bindung serschiedener Thiitigkeiten und ih­rer Organe, der materiellen Substrate, angesehen werden. Das Leben überhaupt erscheint in der Wirklichkeit nie als eine einfache Function, sondern als ein Verein solcher und ihrer Werkzeuge. Die verschiedenen organischen Funcliouen sind aber zu einem gemeinschaftlichen, die Individualität begrün­denden, auf die Selbsterhaltung und die Erhaltung der Gattung gerichteten Zweck verbunden. Die Krank­heit ist aber nichts Anderes als Leben, mithin pjlt das Gesagte auch für sie.
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24nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Nalur der Kranklieit.
Zusatz. Dieser sect;. erklärt auch zum Theii den sect;. 5 und
der g. 5 diesen.
sect;. 8.
Abweichung des Bildlingsprozesses ist als der nächste Grund jeder Krankheit zu betrach­ten. In dieser Abweichung findet die Entstehung und die Fortdauer einer jeden Krankheit ihre Be­gründung, und ihr Ende kann sie erst dann errei­chen, wenn der Biidungsprozcss zur Normalitat zu­rückgekehrt ist. Um den Beweis für das Gesagte zu führen, dürfen wir die Uebereinstimmung des ge­sunden und kranken Lebens in Bezug auf ihr Grund-vcrhältniss nicht aus dem Auge verlieren; denn nach sect;. 5 ist ja Krankheit nicht wesentlich, sondern nur der Form nach vom Leben überhaupt verschieden. Nun wissen wir aber, dass bei der Entwickelang eines jeden thierischen Organismus die Bildungsthä-tigkeit zuerst, und dann später die Bewegungs- und Empfindungsthäügkelt in die Erscheinung tritt: mithin muss es sich auch so in der Krankheit verhalten.
Zusatz. Das hier Gesagte kann als eine Bestätigung des im sect;. 6 ausgesprochenen Satzes angesehen werden, dass jede Krankheit nicht blos auf einer dynamischen, sondern auch auf einer materiellen Veränderung beruhe.
Dass in den Krankheiten die abweichende Bildungsthä-tigkeit nicht immer augenscheinlich ist, kann ihrer Annahme vernünftigerweise nicht entgegen sein.
sect;. 9.
Auch in der Art der Entstehung, des Ver­laufs und des Endes ist eine Aehnlichkeit zwischen der Krankheit und dem normalen Leben zu bemerken. Letzteres entsteht bekannt­lich durch Zeugung. Nehmen wir nun zweierlei Ar­ten derselben, nämlich die freiwillige und die Ge­schlechtszeugung (generatio primaria und seeundaria)
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Natur der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 25
an, so hat die gemeinste Entstehung der Krankhei­ten, durch die Einwirkung der äusseren Schädlichkeit auf die Anlage, Aehnlichkeit mit der erstem, die Fort­pflanzung der Contagien aber mit der andern. Das normale Lehen hat eine gesetzmässige Dauer; es zeigt während derselben einmal auftretende und auch wiederkehrende Veränderungen, und stirbt endlich auf natürliche oder auf gewaltsame Weise. Dasselbe bemerken wir in den Krankheiten, wenn wir ihre Dauer, ihren Verlauf und ihr Ende betrachten. Wir sehen, dass die erstere an eine gewisse Zeit ge­bunden ist, dass während der zweiten Erscheinun­gen, entweder nur ein Mal auftreten oder wieder­kehren, und dass das Letztere auf natürliche Weise durch Selbstbeendigung des Krankheitsprozesses oder durch gewaltsame, vermittelst ärztlicher Eingriffe, statt­finden kann.
Zusatz. Der Umstand, dass die Krankheit alle \Yesent-lichen Erscheinungen des Lebens überhaupt an sich trägt, jedoch immer ein anderes, der Form nach, ihr ungleichar­tiges Leben zu ihrer Verwirklichung voraussetzt, hat die Veranlassung zur Vergleichung derselben mit den Parasiten (Schmarotzern) gegeben. In der That ist auch eine Aehn­lichkeit zwischen ihnen nicht zu verkennen. Nehmen wir die Krankheit einmal als ein parasitisches Leben an, so muss auch nothwendig eingeräumt werden, dass es keine allge­meine, sondern nur örtliche Krankheiten geben könne; denn der Parasit bleibt immer etwas Verschiedenes von dem Bo­den, worauf er lebt.
Zusatz 2. Es ist natürlich, dass die gleichzeitige An­wesenheit ungleichartiger Lebensprozesse innerhalb eines und desselben Organismus seine ursprüngliche Lebensein­heit aufheben muss. Hierdurch entsteht in dem Kranken ein Gefühl der Entzweiung mit sich selbst, oder mit andern Worten ein Unbehagen (Uebelbefinden), was die kranken Menschen durch den Ausdruck der Sprache zu erkennen
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26nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Natur der Kraukhcil.
geben und bei den Thieren analog angenommen werden darf (vgl. sect;. 4).
sect;. 10.
Insofern Krankheit als ein, in einem anderen Organismus herrschender selbstständiger Lebens-prozess zu betrachten ist, kann sie in Bezug auf diesen als eine relativ-äussere Schädlichkeit betrachtet werden, welche sich irgend eines Organes oder Systemes bemächtigt, sich sodann, vermöge der sympathisclien Verbindung, in der alle Körpertheile stehen, ausbreitet, und hierdurch die Freiheit der Le­bensverrichtungen auf eine mannigfache Weise be­schränkt. Das gesunde Leben, welches auf Selbster­haltung gerichtet ist, kann sich bei jenem Vorgange nicht leidend verhalten; es kämpft vielmehr gegen die Krankheit an. Bei einem solchen, von beiden Sei­ten oft mit gleicher Hartnäckigkeit geführten Kampfe, handelt es sich um die Existenz des einen oder des andern, der Krankheit oder der Gesundheit.
Zusatz 1. Von Seiten des Organismus wird das Mittel, wodurch jener Kampf geführt wird: Heilkraft der Natur (vis medicatrix naturae) genannt; sie ist also nichts Anderes, als das Selbsterhaltungs-Bestrebcn. die Lebenskraft.
Zusatz quot;2. Man hat den Krankheitsprozess selbst als eine blosse Reaction angesehen, was aber falsch zu sein scheint. Die Hauptgründe gegen eine solche Annahme sind folgende: 1) Eine solche Reaction ist zweckmässig, Krank­heit aber, mindestens in Bezug auf die Individuen, welche mit ihr behaftet sind, unzweckmässig. Wäre Krankheit blos Reaction, so könnte sie nicht auf Beschränkung und Ver­nichtung des individuellen Lehens gerichtet sein, wie es doch der Fall ist. 2) Die Krankheit könnte nur so lange dauern, als der Einfluss des schädlichen Reizes; denn mit dem Aufhören desselben musste auch die Reaction wegfal­len, wie es doch die Erfahrung nicht lehrt. 3) Die Heftig­keit der Krankheit wurde ein Zeichen kräftiger Reaction
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Verbaltuiss der Krankheit zur Aussenwelt.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;27
sein, also Burgschaft für den glücklichen Ausgang leisten, was aber bekanntlich nicht der Fall ist. 4) Die Reaction in conlagiösen Krankheiten würde den Reiz, welchen sie er­zeugte, nämlich das Contagium, in der Bekämpfung repro-duciren, was ein Widerspruch in sich selbst wäre.
Drittes Capitcl.
Verhältniss der Kankheit zur Aussenwelt.
sect;• 11.
Der gesunde Organismus besitzt keine ab­solute ünabbängigkeit und Selbstständigkeit; er enthält nicht alle Bedingungen seines Da­seins vollständig in sich, sondern er bedarf hierzu des Aeusseren. Wir bemerken eine dop­pelte Weise, wie das Aeussere jene Bedingungen er­füllt, welcbe dem Bedürfnisse des Reizes und der Nahrung, der Gewährung von Kraft und Masse ent­sprechen. Nicht immer aber stehen die Aussendinge in einer solchen freundschaftlichen Beziehung zum Organismus; sie können vielmehr auch unzweckmäs-sige Veränderungen in demselben einleiten, ja sogar ihn vernichteo; sie #9632;wirken als Schädlichkeit, als Gift.
Zusatz. Das Gesagte lässt sich auch so ausdrücken: Das Verhältniss der Aussendinge zum Organismus ist ent-wederhomolog (gleichartig) oder heterolog (ungleichartig), Das Homologe hat die Bedeutung der Nahrungsmittel, das Heterologe aber, nach Verschiedenheit des Grades, die Be deutung des Reizes, der Schädlichkeil oder des Giftes.
sect;• 12.
Wie im gesunden Leben, so muss auch in der Krankheit (die ja nichts Anderes, als ein Lebens-
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28nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Wesen der Krankheit.
prozess unter abweichender Form ist) ein ähnli­ches Verhältniss der Wechselwirkung mit den Aussendingen stattfinden. Die Krankheit wird das, auf sie einfliessende Homologe sich anzueignen, das ihr Heterologe aber von sich abzuwehren streben. Wir können also die Ausseudinge in Bezug auf die Krankheit ebenfalls in diätetische, der Krankheit günstige, und in schädliche, die Krank­heit beschränkende eintheilen.
Zusatz. Abgesehen von den, eigentliuinliche Bedingun­gen zn ihrer Existenz erheischenden Individualitäten, sind die allgemeinsten Bedingungen, ohne welche überhaupt kein Leben entstehen und bestellen kann, wie Luft, Licht. Wärme und Feuchtigkeit, auch diejenigen, ohne welche keine Krank heit existiren kann. Als diätetische Einflüsse für die Krank­heit sind diejenigen zu betrachten, welche sie hervorbrach­ten oder unterhalten, als schädliche aber, welche sie be­schränken. Hieraus ist zu entnehmen, dass häufig Das, was der Gesundheit schädlich, der Krankheit günstig ist, und umgekehrt.
Viertes Capitel.
Wesen der Krankheit.
sect;. 13.
Da die Krankheit nur eine besondere Form des Lebens überhaupt ist, so muss in dem innersten Wesen beider eine Ueberein-stimmung obwalten. Der Umstand, dass man es in Untersuchungen über die nächste Ursache, den zureichenden Grund des Lebens, von den ältesten Zeiten an bis heute nicht zu einem befriedigenden Resultate gebracht hat, lässt die lebenden Forscher
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Wesen der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;29
meist von diesem Punkte absehen; und sie begnü­gen sich mit der Angabe, dass der innerste Grund des Lebens eine Kraft sei, welche man nur aus ih­ren Erscheinungen kenne, während wenige andere ermuntern, sich nicht von dem Popanz der Lebens­kraft abschrecken zu lassen, vielmehr den Urquell der organischen Erscheinungen aufzusuchen. In wie weit Dies auch immer möglich sein mag, so scheint, der empirische Weg der Forschung doch nur der geeig­nete zu sein, da dem aprioristischen die reale Ba­
sis man
':-gt;'
lt.
sect;. 14.
Wir beschränken uns hier darauf, die Hauptan­sichten über das Wesen des Lebens, wie sie sich aus den zahlreichen Meinungen, welche sich geltend zu machen heslrebten, zusammen fassen lassen, nebst den erforderlichen Erläuterungen (nach Stark's all-gem. Pathol.) aufzustellen:
1)nbsp; Das Leben ist ein Erregungsprocess; sein Prinzip Erregbarkeit.
2)nbsp; Das Leben ist ein Selbstentwickelungs-prozess; sein Prinzip Bilclungskraft.
3)nbsp; Das Leben besteht in Selbstbewegung; sein Prinzip ist Contraction und Expansion.
4)nbsp; Leben ist polare Spannung; sein Prin­zip Polarität.
sect;#9632; 15.
In Rücksicht der ersten Ansicht versteht man unier Erregbarkeit das Vermögen eines Kör­pers, durch äussere Einflüsse (Reize), zur Selbstthatigkeit bestimmt zu werden. Das Einwirken der Reize nennt man Reizung; den da­durch veranlassten Selbstthätigkeitsact: Erregung.
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30nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Wesen der Krankheit.
Das Leben selbst, in sofern es aus einer ununter-broebenen Reihe solcher Thätigkeilsacte angesehen wird, ist Erregungsprocess. Gesundheit wird demnacb als ein Zustand erklärt, worin ein gehöri­ges Verbältniss der Erregbarkeit und der Reize be­steht, und als ein solcher Grad der Erregung, so­wohl des ganzen Organismus, als jedes einzelnen Organs, bei welchem der Zweck der individuellen Selbsterhallung am vollkommensten erreicht wird. Krankheit dagegen ist ein, diesem Zweck widerspre­chender, allgemeiner und besonderer, durch ein Missverhältniss der Reize zur Erregbarkeit hervorge­brachter Erregungsgrad. Die Erregung kann im All­gemeinen auf eine dreifach verschiedene Weise ab­norm werden. Sie ist 1) zu stark und zwar ent­weder a) vom Uebermaass der Reize (Sthenie), oder b) von übermässig angehäufter Erregbarkeit (Hyper-sthenie); 2) zu schwach, entweder a) wegen Man­gels an Reizen (directe Asthenie) oder b) wegen er­schöpfter Erregbarkeit (indirecle Asthenie); 3) der Erregungszustand einzelner Organe zu ein­ander steht im Missverhältniss.
Nach der zweiten Ansicht wird Selbstentwik-kelung als das Hervorbringen einer stetigen Reihe von nicht wiederkehrenden Verände­rungen während des Lebens eines Individuums durch eigene Thäligkeit desselben in gesetzmäs-siger Aufeinanderfolge und in bestimmten Zeiträumen betrachtet. Gesundheit wird hiernach erklärt als eine, mit dem Entwickelur.gsgang, welchen der Gat-tungscharacter vorschreibt, übereinstimmende Entwik-kelung eines Individuums. Krankheit dagegen als eine, vom Gaftungscharacter abweichende Entwickelung,
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Wesen der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;31
welche entweder durch Hemmung. Beschleunigung oder Ausweichung in einen, der Galtung fremden Gang gelangt.
sect;..17.
Die dritte Ansicht stützt sich darauf, dass eine jede Kraft nur als Bewegung thätig erscheint; das Leben aber setzt Selbstthätigkeit voraus, es muss sich daher auch durch Selbstbewegung aus-sern. Ein, durch eigene, nicht durch fremde Kraft bewegter und bewegender Körper wäre demnach ein lebendiger. Eine solche Bewegung ist aber nur durch Raumveränderung möglich, und diese blos als Vergrösserung (durch Expansion) oder als Verkleine­rung (durch Contraction) denkbar. Sind aber diese beiden Kräfte, folgert man weiter, die wesentlichen Bedingungen des grossen Naturlebens, so müssen sie auch die eines jeden Einzellebens sein. Dieser An­sicht zufolge beruht die Gesundheit eines lebenden Körpers auf einem bestimmten Gleichgewicht beider Factoren, der Expansion und Contraction. Krankheit dagegen wird erklart als das einseitige Hervortreten der einen oder der andern der genannten Kräfte, oder als ein unverhältnissmässiges Wechselwirken beider Momente, oder endlich auch als das Thätigwerden eines von beiden zu einer ungesetzmässigen Zeit in einer normwidrigen Richtung.
sect;. is.
Der vierten Ansicht zufolge besieht Polarität in einem Sichthätigaussern durch Hervortreten zweier, sich gegenseitig bedingenden, in ih­ren Wirkungen entgegengesetzten, durch ihre Vereinigung sich ausgleichenden und dann ein Ganzes bildenden Kräfte. Pole sind die
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32nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Wesen Jer Krankheit.
sich gegenseitig hervorrufenden und bedingenden Ge­gensätze in einer und derselben Einheit. Span­nung wird das, in einer solchen Entgegensetzung sich äussernde Wechselwirken; Polarisiren das Ent-z^Yeien der Urkraft in ihre Gegensätze, oder das Stören des Gleichgewichts der ruhenden Pole und Hervorrufen derselben zur Thäligkeit genannt. Man denkt sich, dass den Thätigkeitsäusserongen der ge-sammten Natur eine ürpolarität zum Grunde liege, die in verschiedenen Formen erscheint, als Magne­tismus, Electrismus und Chemismus. Besteht demnach das Leben in einer ununterbrochenen Reihe, sich selbst hervorrufender und wieder ausgleichen­der Spannungsacle: ist es ein, durch eigene Kraft sich in sich selbst und mit der Aussemveit in Span­nung erhaltender Vorgang: so würde Gesundheit das­jenige innere und äussere normale Spannungsver-hältniss eines lebenden Körpers sein, bei welchem dessen Selbsterhaltung unter einer., seinem Galtungs-character angemessenen Form besieht; und Krank­heit eine, der individuellen Selbsterhaltung wider­streitende und unter einer, von dem Gattungscha-racter abweichenden Form auftretende Veränderung des Spannungsverhältnisses, sowohl der einzelnen Organe unter sich, als dieser mit der Aussenwelt genannt werden können.
sect;• i9,
Alle jene Ansichten von der Grundursache des Lebens trilTt der Vorwarf der Einseitigkeit, indem sie entweder ausschliesslich die dynamischen oder die materiellen Verhältnisse desselben berücksichtigen; mindestens haben diese beiden nicht einen gleichen Antheil an demselben. Man hat daher ein anderes Grundprinzip des Lebens (sowohl des gesunden, als
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Wesen der Krankheit,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 33
des kranken) ausfindig zu machen gesucht, und das­selbe in der Vereinigung aller vorhergehenden zu finden geglaubt. Wir sehen, dass Erregung, Bewe­gung und Bildung stets gleichzeitig in organischen Körpern erscheinen; es wird daher ihre Gleichheit und ihre Abhängigkeit von einer und derselben Grund­ursache vermulhet. Diese Grundursache glaubte man in die Polarität setzen zu müssen, und versuchte dem­nach, die Erscheinungen der Erregung, Selbstbewe­gung und Selbslbildung sämmtlich auf die Gesetze der Polarität zurückzuführen.
Was es aber auch mit der Grundursache des Lebens für eine Bewandtniss haben mag, so scheint deren Bezeichnung doch nur dem Verstände und dem wissenschaftlichen Drange in soweit zu genü­gen, als sie mehr oder minder befriedigende Vor­stellungsweisen über den Lebensvorgang zulässt. In das innere Wesen der Dinge dringt unsere Befangen­heit nie.
Zusatz. Im Vorstehenden ist vom Wesen gehandelt worden, wie es der Krankheit überhaupt, ohne Rücksicht auf ihre Form zukommen dürfte. Wenn man aber vom Wesen einer concreten Krankheit redet, so verstellt man darunter in der Regel nicht den letzten Grund des abnor­men Lebensprozesses, sondern den näher liegenden, in so­weit er die bestimmte Krankheitsform (z. B. eine Entzün­dung, einen Krampf) bedingt. Thun wir einen Blick in die Geschichte der Medizin, so werden wir bemerken, dass die Ansichten über das Wesen der Krankheiten, wie sie im Verlaufe der Zeiten aufgetaucht sind, meist auf der einseiti­gen Auffassung spezieller Fälle und blosser Beachtung irgend eines hervorstechenden Symptoms oder der Krankheitsursa­chen beruhen, ohne dass man sich in der Abstraction bis zur Auffindung des wahren Grundes versuchte. So hat man in den Krankheiten irgend etwas Reizendes, zum Theil ponderabeles, zum Theil imponderabcles. oder einlaquo; Modifi
Fuchs, raquo;llgem. Pathol,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; O
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Zweck der Krankheit.
ficalion irgeud einer Seile des Lebens angonommen. Bald sah man in den Krankheilen Schärfen, Säuren oder Alkali als Feindliches, bald einen Mangel oder ein Uebermaass von Sauerstoff oder Wassersloft; bald nahm man Vermehrung. Verminderung oder Veränderung der Kräfte oder Säfte, des Zusammenhanges organischer Thciie, oder der Thätigkeit der Nerven und Gefiisso, oder endlich Vermehrung. Vermin­derung oder Alienation irgend einer Richlung des Lebens, der Sensibilität, Irritabilität, Reproduction u. dgl. m. an. Wan sieht leicht ein, dass Vieles von Dem in den Krankhei len, und zwar selbst zugleich, vorhanden sein könne; aber eben so leiclil wird man einsehen, dass das Eine oder das Andere nicht den zureichenden Grund der Krankheil in sich enthalten werde. ---
Fünftes Capitel.
Zweck der Krankheit.
sect;• 20.
Von vorn herein scheint die Frage: ob man der Krankheit eine Zweckmiissigkeit zugestehen könne? — zu den massigen zu gehören, insofern, als sie sich leicht dadurch verneinen lässt, dass ja eben die Krankheit das Leben beschränkt und gefährdet. In Rücksicht auf die Individuen muss die Krankheit, des eben angeführten Grundes wegen, allerdings als et­was Unzweckmässiges angesehen werden, es sei denn, dass man Denjenigen beistimmen wolle, wel­che sie als das Resultat einer, aus dem Selbster-baltungsbestreben fliessende Reaction zur Abwehr äusserer Schädlichkeilen und zur Wiedererlangung der Gesundheit ansehen. Dieser Zweck wird aber eben durch die Lebensgefährdung sehr schlecht er­füllt, mithin kann er auch nicht in der Krankheit
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Zweck der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;35
liegen (vgl. sect;. 10. Zus. 2.). Aber mil einer solchen Verneinung kann man sich unmöglich begnügen, wenn man bedenkt, class die Krankheit ein Naturvorgafig ist, und dass Nalurvorgangen überhaupt irgend eine Zweckmässigkeit fur den Gesammlorganismus der Schöpfung zugeslanden werden müsse. Von dieser Seite aus scheint die Krankheit vorzugsweise für das Gattungsieljen eine. Zweckmässigkeit zu haben, in­dem sich die Gattung in ihrer Fortentwickeluug nur durch Anfopferunp: der Individuen erhalten kann.
sect;• 21.
Wenn behauptet wird, dass die Krankheit zu­nächst ihren Zweck in sich selbst trage, insofern sie sich als selbstständiges Wesen, ja oft mit einer grossen Hartnäckigkeit gegen die Heilbestrebungen des Organismus und gegen therapeutische Eingriffe behaupte: so scheint eine solche Ansicht, als auf ein­seitigem, allzu egoistischem Grunde beruhend, ver­werflich. Stellen wir uns aber auf einen höheren Standpunkt und nehmen an, dass die Krankheiten, gleich den Parasiten, Gliederungen im Gesammtorga-nismus der Natur darstellen, welchen dieselben Be­dingungen der Existenz zum Grunde liegen, wie al­len Organismen: so werden wir erstaunen, zu be­merken, wie die Allmacht alle Räume mit Schöpfun­gen erfüllte; wir werden zur Ueberzengung gelan­gen, dass in der Gesammtnatur kein Unterschied zwischen krankem und gesundem Leben besteht, dass Krankheit einzelner Glieder für das Ganze der Schöpfung Normalität ist.
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Zweiter Abschnitt.
Von tier Entstehung raquo;1er Krankheit.
Erstes Capitel. Vorgang der Krankheits-Eutslehung.
sect;• 22. Die Lehre von der Krankheits-Entstehung (pa-thogenia) hat die allgemeinsten Bedingungen, unter -welchen sich die Krankheit entwickelt, zum Gegenstande der Betrachtung. Die Lehre von den Krankheits-Ursachen (aetiologia), welche in fol­gendem Abschnitte näher abgehandelt werden wird, ist mit jener zwar verwandt, aber dadurch hinrei­chend unterschieden, dass sie vorzugsweise diejeni­gen Verhältnisse erörtert, welche den zureichen­den Grund zur Entstehung der Krankheit abgeben.
Zusatz. Die Palhogenie sowohl, aiä auch die Aellolo-gie sind nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch von praclischem Nutzen; denn die Yerhütung und Hei­lung einer Krankheit setzt die Kennlniss von deren Entste­hungsweise und Ursachen voraus. Obgleich mit dem Auf­heben der Ursachen nicht immer ein Aufheben der Krank­heit verbunden ist, so macht doch das Fortbestehen der Ursa­chen die Heilung der Krankheit in der Regel unmöglich. Deshalb sollte der Satz: .,cessante causa, cessat effectusquot; in
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Vorgang der Krankheilsenlstehung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 37
Bezug auf die Krankheit eigenllich heissen: „permanente causa permanet effeclusquot;, insofern keineswegts das Hiu-wegriiumen der veranlassenden Ursachen einen, in der Ent-wickelung begriffenen Krankheitsprocess immer hindert, sich zu vollführen. Die Aetiologie hat, aussei- dem angedeuteten, auch noch den besondern Nutzen, dass sie die Kennt-niss der Heilmittel fördert. Diese können aus verschie­denem Gesichtspunkte betrachtet werden: als den Krank­heitsursachen entgegengesetze Potenzen, oder als solche, welche in ihrer Wirkungsweise mit dem Krankheitsprozesse Aehnlichkeit haben, oder endlich als solche, welche mit den Krankheitsursachen identisch sind. Die Allopathie, Homöo­pathie und Isopathie finden hierin ihre Unterscheidung.
Einige Pathologen befassen die Pathogenic und Aetiolo­gie unter der gemeinschaftlichen Benennung der letzleren; und andere verstehen unter der ersteren vorzugsweise die Lehre von der Bildung der Krankheitsformen aus ihren Ele­menten. Die oben gemachte Unterscheidung beider Lehren scheint jedoch die richtigere zu sein.
sect;. 23.
Der Organismus tragt nicht den hinreichenden Grund seines Bestehens in sich allein, vielmehr ent­hält die Ausscnwelt einen Theil der Lebensbedinmin-gen. In diesem abhängigen Verhältnisse des Orga­nismus von der äusseren Natur ist die Möglichkeil der Krankbeits-Entsteliung vorzugsweise begründel; weil eben die Aussendinge einer Abänderung unter­worfen sein können, welche der Gesundheit zuwi­der läuft. Die Möglichkeit der Krankheits-Enl-stehung beruht also auf einer dopelten Be­dingung, auf der Ausscnwelt und auf dem Organismus selbst. Jene nennt man die äusscre Bedingung, Schädlichkeit oder krankmachende Po­tenz (potentia nocens), diese die innere Bedingung oder Krankheitsanlage (dispositio, seminia morborum). Der hinreichende Grund zur Entstehuna einer Krank-
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Vorsang der Kranklieits-Entsteliima.
heil gehl erst ans der Vereinigung der ausseren und inneren Bedingung hervor. Daher dürfen wir auch eben dieser Vereinigung nur vorzugsweise die Be­nennung: Krankheitsursache (causa morbi) beile­gen., wogegen jene Bedingungen, einzeln genommen, als: ursächliche Momente zu bezeichnen sind. Der Begriff von äusserer Schädlichkeit sowohl, als auch von Krankhells-Anlage ist kein absoluter. Das Ver-hältniss, in welchem sich beide zu einander befin­den, verleiht Ihnen erst ihren Werth; denn man weiss, dass die ausseren Potenzen auf verschiedene Individuen oder auf ein und dasselbe Thier In ver­schiedenen Zelten auf andere Art einwirken können. Daher können die ausseren Potenzen bald als diäte­tische, bald als schädliche, bald als prophylaclische oder curative betrachtet werden. Zur Entstehung einer wirklichen Krankheit scheint es nothwendig zu sein, dass die äussere Schädlichkeit mit der Anlage in einem verwandschafdlchen Verhältnisse stehe. Je stärker übrigens (beim Vorhandensein jener Verwandt­schaft) das eine der ursächlichen Momente thälig ist, um so weniger braucht es das andnre zu sein, um eine Krankheit zu Stande zu bringen. Das lehrt nicht allein die Erfahrung, sondern kann auch a priori als richtig angenommen werden.
Zusatz. Die; Krankheitsursachen nahen nach ihrem Verhältnisse zu einander und nach ihrer Wichtigkeit ver­schiedene Benennungen erhalten, als: äussere und innere Ursache (causa externa et interna); offenbare und verbor­gene Ursache (causa evidens et oeeuita;. entfernte und nächste Ursache (causa remota et proxima); einfache und zusammengeselzte Ursache (causa simplex et cotnposita). Indem eine sonst nahe liegende Erklärung dieser Bencnmm-aen hier nicht gegeben, vielmehr dem mündlichen Vortrage überlassen wird, dürfte indess noch bemerkt werden, dass
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Vorgang tier Krankheits-Eatstelumg.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 39
der Begriff der nächsten Ursache gleichbedeutend ist mit
dem der zureichenden oder enthaltenden Ursache (cuusa sufficiens vel conlinens].
sect;. 24. Ans der im vorigen Paragraph bezeichneten ALt-hangigkelt des lebenden Organismus von der Aussen-well liisst sich entnebmen, dass zwischen jenem und dieser ein Kampf besieht, der in fortdauernde Ge­sundheit oder in Krankheit ausschlagt, je nachdem der Sieg auf Seite des Seibsterhaltungs-Bestrebens des Organismus oder der schädlichen Einflüsse fallt. Ge­sundheit wird bewirkt, wenn sich der Organismus einen angemessenen Theil des Aeusseren als Nah­rungsmittel und als Reiz aneignet durch entsprechende Aufnahme, Umwandluns und Einverleibung; daseien kommt Krankheit oder gar der Tod zu Stande, wenn der Organismus von der ausseren Natur in Folge ei­nes Mangels oder üebermasses an Nahrungsmitteln, oder in Folge einer, dem Grade und der Art nach fehlerhaften Erregung überwältigt wird. Es ist an-zunehmen, dass der erste Anstoss zur Erkrankung nicht vom Organismus, sondern von den Aussendingen ausgehl, indem jenem das Bestreben der Selbsterhal-tung innewolmt. Die Art und Weise, wie die in­nere Veränderung, welche wir Krankheit nennen, zu Stande kommt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Doch wissen wir, dass auf jede schädli­che Einwirkung von Seiten des Organismus eine Rückwirkung erfolgt, welche Erhaltung der Normali­tät bezweckt. Diese Reaction besieht eben sowohl in einer Erhöhung seiner Lebens-, ins Besondere sei­ner reproducliven Thätigkeit, als auch in Verände­rung seiner Beschaffenheit. Wenn nun die, durch den schädlichen Einfluss veranlasste Einwir­kung und die hierdurch in dem Orcanismus
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Von don Aufnalunsorgaiien der Krujiklieit.
hervorgerufene Rückwirkung sich völlig aus­gleichen, so besteht die Gesundheit fort; wenn dagegen die, durch das Selbstcrhaltungs-Be-^treben bedingte Aufregung in einem stärkeren Maasse gegeben ist, als der schädliche Ein-fluss es erfordert, oder selbst noch fort­dauert, nachdem dieser beseitigt, so ist Krank­heit gegeben.
sect;. 25.
Gelegenheitsursache und An läge bringen durch ihr Zusammenwirken in einem Organismus eine in­nere Veränderung hervor, welche erst den zurei­chenden Grnnd der Krankheit enthält, also die wahre Ursache derselben ist. Daher nennt man sie auch, obwohl uneigentlich, nächste Ursache der Krank­heit, wogegen sie nur schlechthin als Ursache der Krankheit anzusehen ist (vgl. sect;. 23). Die Krank­heitsursache fällt als solche zwar mit der Krankheit selbst zusammen, ist aber doch von ihr, wenigstens im Begriffe, zu unterscheiden; denn ein Anderes ist die Wirkune und ein Anderes ihre Ursache.
Zweites Capitel.
Von den Aufnahmsorganen der Krankheit.
sect;• 26. Die Wechselwirkung des Organismus mit der aus­sein Natur besteht in seiner ganzen inneren und äus-peren Oberfläche, und zwar theils auf materielle, theils auf dynamische Weise. Eine jede Krankheit wiid vorzugsweise durch ein Aeusseres angeregt
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Von den Aufnahmsorganen der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;41
(vgl. vorherg. Cap.). Diejenigen Stellen des Organismus, an welchen die Krankheit erregende Schädlichkeit mit diesem in Berührung kommt, werden Aufnahms-organe, Vorhallen oder Zugänge der Krank­heit (atria morborum) genannt. Als solche Auf-nahmsorgane sind die allgemeine Decke, die ganze Schleimhaut-Ausbreitung, die Sinnesorgane, so wie das ganze Empfindungs-Nervensystem zu betrachten. Je mehr ein Theil durch seine Lage, durch die Grosse seiner Oberfläche, durch seinen porösen Bau, durch die Zahl der aufsaugenden Gefässe den materiel­len, oder durch seinen Nervenreichthum und seine Reizempfänglichkeit den dynamischen Verkehr, oder endlich durch die eigenthümliche Art der Ver­richtung beiderlei Wechselwirkungen mit der Aus-senwelt begünstigt, um so mehr eignet er sich zu einem Zugang für die Schädlichkeiten.
Es ist von Wichtigkeit, den Ort, wo die Krank­heit entsteht, und die Art und WTeise, wie sie ent­steht, zu kennen, indem eben durch diese Kennt-niss die Möglichkeit gegeben wird, 1) den Krank­heiten vorzubeugen, durch Verhinderung des Zusam­mentreffens der Schädlichkeit mit der Anlage; 2) die Krankheiten bei ihrem Entstehen durch Anwendung entsprechender Mittel auf das Aufnahmsorgan zu un­terdrücken.
sect;#9632; 28.
Das Nervensystem, mit Ausschluss der gan-gliösen Abtheilung desselben, kann als der Vermittler für die Einwirkung der ausserhalb des Organismus befindlichen Schädlichkeiten (mithin der absolut äus-seren) angesehen werden. In sofern die Einwirkuns.
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42nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von den Aufnahrasorgancn der Krankheit.
wenigstens scheinbar, ohne unmittelbare Berührung der Schädlichkeit mit den Nerven zu Stande kommt, wird sie eine dynamische genannt. Die dem Nerven­system beiwohnende, eigenthümliche Art von Recep-tivität macht es vorzugsweise geeignet zum Anfnahms-organ von Schädlichkeiten aus der Klasse der Sin­nesreize und anderer imponderahler Potenzen, wie des Magnetismus und der Electricität. Das Gang-glien-Nervensystem vermittelt vorzugsweise die Einwirkung der von dem Organismus eingeschlos­senen (also der relativ-äusseren) Schädlichkeiten.
sect;. 20.
Die allgemeine Decke und die Schleim­hautgebilde zeichnen sich als Aufnahmsorgane für die materiellen Schädlichkeiten, sie mögen auf eine mechanische oder chemische Weise einwirken, aus. Die Einwirkungen gedachter Art kommen in den ge­nannten Organen auf verschiedene Weise zu Stande, entweder durch blosse Berührung (Contact) oder durch wirklichen materiellen Uebergang in die orga­nische Masse. Die letztere Art wird vermittelt durch Durchdringung (penetratio), Durchschwitzung (en-dosmosis) und durch Aufsaugung der Gefässe (re-sorptio).
Die Haut insbesondere hat die Bestimmung, mit der Aussenwelt in eine dauernde, innige und aus­gebreitete Berührung zu treten. Dieser Umstand und die, in ihr vorhandenen zahlreichen Nerven und Saug-gefässe, machen sie als Aufnahmsorgan für gewisse Arten von Schädlichkeiten, namentlich für die atmo­sphärischen , so wie für den Temperaturwechsel, für Contagien und Miasmen sehr geschickt. Die Ober-haut, und ins Besondere bei den Thieren die Deck­haare massigen indess jene Empfänglichkeit bedeutend.
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Von den Auliiahmsorganen der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;43
Der Nahruugssehlauch vom Maule bis zum After hat die Bestimmung, mit einem grossen Theile der zur Erhaltung des Lebens unentbehrlichen Ein­flüsse nämlich der Nahrungsniiltel, in Berührung zu treten. Hierdurch ist die Gelegenheit zur häufigen Einwirkung von Schädlichkeiten gegeben, welche hier überdiess noch darch zwei Umstände vorzugs­weise befördert wird: 1) dadurch, dass die Stoffe in mehr oder weniger flüssiger Form mit der innern Fläche des Nahrungskanals in Berührung treten, was eine gewisse Raschheit und Ausbreitung der Einwir­kung zur Folge hat, welche durch die dünne Schleim­lage nur wenig beschrankt werden kann; 2) dadurch, dass der gedachte Apparat einen grossen Relchthum an Nerven und resorbirenden Gefässen besitzt, wo­durch die Forlleitung der Schädlichkeit ins Innere des Organismus begünstigt wird. Trotz dieser äus-serst günstigen Verhältnisse für die Einwirkung von Schädlichkeiten ist indess nicht zu verkennen, dass dem Nahrungsschlauch in seiner Assimilationskraft auch ein Schutz geboten ist, und es scheint, dass diese Kraft keines der bekannten Contagien auf jenem Wege in Wirksamkeit treten lässt.
Die Luftwege, von den äusseren Nasenöff­nungen und Gcsichtsliöhlen an bis zur äussersten Verzweigung der sie auskleidenden Schleimhaut in der Lungensubstanz bilden ein nicht minder wichti­ges Aufnahmsorgan für Schädlichkeiten. Hierzu wer­den sie vorzugsweise befähigt einestheils durch die zarte und poröse, die Penetration sehr begünstigende Structur der Schleimhaut, welche überdiess noch mit vielen Sauggefässen versehen ist, anderntheils dadurch, dass die hier in den Körper tretenden Stoffe fast unmittelbar mit dem edelsten Safte, dem Blute, in Berührung treten, demselben beiaemischt
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Von den Aufnalimsorganon der Krankheit.
werden, und sonach mit allen Theilen des Körpers in baldige Berührung kommen.
Die Harn- und Geschlechtswerkzeuge kön­nen nur als untergeordnete Aufnahmsorgane für Schäd­lichkeiten betrachtet werden, indem sie entweder über­haupt nicht in innige Wechselwirkung mit der Aus-senwelt treten, oder es geschieht Dies doch nur in einem gewissen Zeitabschnitte des Lebens, oder end­lich nur periodenweise. Der Reichthum an Nerven und Gefässen in den Geschlechtstheilen begünstigt zwar die Empfänglichkeit für äussere Schädlichkeiten, namentlich zur Zeit der gesteigerten Actionen, wenn sie für das Geschlechtsleben thätig sind; die mehr versteckte Lage jener Organe indess, so wie ihre Schleim- und Talgabsonderung gewähren einen be­deutenden Schutz,
Zusaz. Aussor den genannten können aber auch noch andere Organe in Folge von Verletzungen mit der Aussen-welt in Berührung treten und auf diese Weise Krankheits­atrien abgeben. Auch ist zu bedenken, dass die Aufnahms­fähigkeit aller regelmässigen Atrien bald erhöht, bald ver­mindert sein könne. Ersteres (ludet bei dem Hautorgan. z. B. beim Verlust der Epidermis und zur Zeit des Haar wechseis, Letzteres aber bei borkigen Hautausschlägen Statt.
sect;• 30. Bei der Einwirkimg der Schädlichkeit entsteht entweder der Krankhcitsprozess unmittelbar an der berührten Stelle im Aufnahmsorgan, oder es bildet bloss den Leiter und vermittelt dann die Wirkung der Schädlichkeit in dem, mit der entsprechenden Anlage versehenen Organ. Die Krankheit kann nicht als das unmittelbare Product der äussern Schädlich­keit mit der Anlage angesehen werden, sie ist viel­mehr ein neuentstandener Lebensprozess, wozu der
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Wesen dor Kranklieils-Entslehung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 45
Anlage durch die schädliche Potenz der erste An-stoss gegeben ward. Hieraus erklärt sich die That-sache, dass die Forlwirkung der äusseren Ursache zur Unterhaltung einer Krankheit nicht nothwendig ist, und dass hinwiederum der ofienbare Ausbruch der Krankheit nicht immer sogleich nach der Ein­wirkung der aussein Schadlichkeil erfolgt, wie es die Contagien durch ihre latente Periode so klar be­weisen. Für die Praxis ist die Beachtung des Um-standes nicht ohne Wichtigkeit, dass in dem Auf-nahmsorgan, wenn es auch nur den Durchgangs­punkt für die äussere Schädlichkeit darstellt, doch in der Regel eine Reaction gegen diese erfolgt, wel­che irrthümlich zuweilen für die wahre Krankheit ge­halten wird.
Drittes Capitel.
Wesen der Krankheits-Entslehung.
sect;• 31. Wenn die Untersuchung über den Vorgang der Krankheits-Entstehung rücksichtlich ihrer äusseren und inneren Bedingungen, wozu im Vorhergehenden die Anleitung gegeben wurde, einen Gewinn für die Praxis verspricht, so hat dagegen die Erforschrung des Wesens der Krankheits-Entslehung nur ein allgemeines, wissenschaftliches Interesse, insofern sie die physio­logische Einsicht in die Natur des Krankheilsprozesses fördern hilft. — Es ist bereits früher angemerkt wor­den, dass die Krankheit als Lebensprozess auch alle wesentlichen Eigenschaften desselben besitzen müsse. In einigen Punkten ist die Analogie zwischen beiden schon nachgewiesen worden. Hier dürfte nun der
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Wesen der Krankheils-Enlstehung,
Ort sein, näher anzudeuten, welche Aelinlichkeit zwi­schen der Entstehung der Krankheit und der Zeu­gung der Organismen besteht.
sect;. 3-2. Im weitesten Sinne besteht das Wesen der Zeu­gung — man mag die generatio aeqmvoca oder die generatio sexualis vor Augen haben — in der Her-vorrufung eines Lebensprozesses in einem, mit der lebensfähigen Anlage versehenen Substrate durch ein, ausserhalb desselben befindliches, belebendes Mo­ment. Die erstere Bedingung ist die weibliche, die andere die männliche. Dieselben Bedingungen kön­nen wir im Krankheitsprozess bemerken. Soll sich ein solcher in einem Individuum entwickeln, so ist dazu die Anlage, das innere Moment zur Erkrankung. und eine Schädlichkeit, welche jenem den Anstoss zur Krankhcits-Entwickelung giebt, das äussere Mo­ment, vonnöthen (vgl. sect;. 9). Die Anlage, als die entwickelungsfähigc Grundlage, ist analog dem em­pfangenden, weiblichen Moment in der Zeugung; die Schädlichkeit aber hat eine ähnliche Bedeutung, wie das befruchtende, männliche Moment. Die Aelinlich­keit der Entstehung nicht ansteckender Krankheiten mit der generatio originaria und die der anstecken­den mit der generatio sexualis ist leicht aufzufinden. Aus allem Diesem geht hervor, dass man das Wesen der Krankheits-Entsehung als auf Zeugung beruhend betrachten kann.
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Dritter Abschnitt.
Von den ursäclilicheu Momenten der Krankheit.
Erstes Capitel.
Begriff und Eintheilung der Krankheilsursachen überhaupt.
sect;. 33.
Unter ursächlichen Bedingungen, Momenten oder Potenzen der Krankheit, oder schlecht­weg, Krankheitsursachen hat man alles Das zu ver­stehen, was näher oder entfernter zur Entvvickelung einer Krankheit beitragt. Die Lehre, welche von den Krankheitsursachen und ihren Wirkungen im thie-rischen Organismus handelt, heisst: Aetiologie (aetio-logia). Aus dem Umstände, dass eine Wirkung ohne Beseitigung ihrer Ursache nicht aufgehoben werden kann, leuchtet die Wichtigkeit dieser Lehre für den practischen Thierarzt ein, wenn er die Ab­sicht hat, eine Krankheit zu bekämpfen (vgl. 22 und Zusatz).
sect;. 34.
Die Eintheilung der ursächlichen Momente der Krankheit gründet sich darauf, dass sie entweder im thierischen Organismus seihst liegen,' oder in Aus-
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quot;V
48 Begriff und Eintlieilung der Krankheilsursache überhaupt.
senverhaltnissen. Das im Ihierischen Organismus selbst begründete Moment zur Krankheit, welches in einer Empfänglichkeit für die Einwirkung des äusseren Mo­ments besteht, nennt man Krankheitsanlage (dis-positio ad morbum, v. causa interna morbi). Das ursprünglich ausserhalb des Organismus liegende Krank-heits-Moment nennt man auch Gelegenheitsursache (causa occasionalis), veranlassende oder erregende Ursache (causa incilans). (Vgl, sect;. 23 und Zusatz.)
Wenn die Krankheitsanlage eine vorzüg­liche Geneigtheit zum Erkranken bietet, oder wenn sie so stark ist, dass sie nur eines geringfü­gigen äusseren Moments bedarf, um zur wirklichen Krankheit entwickelt zu werden, so nennt man sie offenbare oder vorherrschende Anlage (prae-dispositio, vel dispositio praedisponens). Der thieri-sche Organismus aber geräth nicht von selbst in diese Praedisposition, sondern durch längeres Ein­wirken einzelner oder mehrerer äusserer Momente, welche letztere man dann in dieser Rücksicht vor­bereitende Ursachen (causae praeparantes) nennt.
Zusatz. Einige Pathologen nennen überhaupt diejenige Ursache eine vorherrschende, welche bei der Krankheitsentste­hung als die überwiegende zu betrachten ist, sie mag die äussere oder die innere sein. In der Regel werden die „causae praeparantesquot; causae praeparandae genannt; was aber insofern irrthümlich geschieht, als sie sich als solche nicht passiv, sondern activ verhalten.
sect;#9632; 36. Das äussere Krankheits-Moment liegt entweder ursprünglich durchaus ausserhalb der Grenzen des Organismus, und berührt nur die Organisation tiefer
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Von der Krankheit.s-Anlage im Allgemeinen,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;49
während der Einwirkung, oder es liegt bereits in­nerhalb der Grenzen desselben. Daher die Unler-scheidung zwischen absolut- und relativ-äusse-rer Krankheitsursache.
Zusatz. Die relativ-äussere Krankheitsursache wird von Einigen innere Schädlichkeit genannt; wogegen An­dere zwischen beiden hinwiederum den Unterschied in der Art feststellen, dass man unter ersterer eine solche zu ver­stehen hat, welche sich zwar im Innern des Organismus befindet, ohne jedoch einen nothwendigen Theil desselben auszumachen, wie z. B. Eingeweidewürmer, Darmsteine u. dgl. Diese begreifen dann unter der Innern Schädlichkeit eine solche, wrelche sich auf einen integrirenden Theil der Orga­nisation oder auf eine Function desselben bezieht, wie z. B, irgend eine thierische Flüssigkeit, Bewegung u. s. w.
Zweites Capitel.
Von der Krankheits-Anlage im Allgemeinen.
sect;#9632; 37. Wie bereits angedeutet, ist Krankheits-Anlage die Fähigkeit eines thierischen Organismus^ abnorme Lebensprozesse, d. i. Kankheiten, in sich zu entwickeln. Dem ganzen Organismus kommt Krankheits-Anlage zu, da ein jeder Theil desselben erkranken kann. Die Anlage ist zunächst im Bil­dungsleben zu suchen, weil damit überhaupt jede or­ganische Entwickelung beginnt. Man unterscheidet die grössere oder geringere Geneigtheit von der Mög­lichkeit auf eine bestimmte, mehr oder weniger viel­fache Weise zu erkranken, oder die quantitative Krankheits-Anlage von der qualitativen.
Fuchs, alldem, l'athol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; A
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50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Krankhcils-Anlage im Allgemeinen.
sect;• 38.
Die quantitative Anlage eines Organismus hangt von seinem ganzen Wesen mithin von seiner Constitution, von dem Grade der Lehenslliätigkeit und davon ab, ob schon in irgend einem Organ eine Dis­harmonie besteht. Die qualitative Anlage aber be­ruht, auf Verhaltnissen der Gattungen, Individuen und Organe. Alle Gallungen zusaminengenommeu, wel­chen unsere Ilausthiere angehören, können gewiss auf eine vielfachere Weise erkranken, als eine ein­zelne, weil einer jeden eine besondere Organisation zukommt, die sie für eine bestimmte Zahl von Krank­heiten disponirt. Für die einzelnen Individuen einer gewissen Gattung beschränkt sich die qualitative Anlage noch mehr; doch erleiden bei ihnen die Krank­heiten mannigfache Modilkalionen, wozu die beson­deren Verhältnisse der Constitution, des Tempera­ments, des Geschlechts, des Alters u. s. w. die Ver­anlassung geben.
sect;• 39. Fragen wir nach den Quellen der Kraakheits-Anlagen, so sind sie, aussei- der allgemeinsten An­lage zu erkranken, welche einem jeden Thiere schon bei seiner Entstehung eingepflanzt wird, entweder in der Abstammung, oder in der Erwerbung nach der Geburt zu suchen. Bei der Zeugung wird nicht blos der Gattungscharacter von einem Indivi­duum auf das andere fortgepflanzt, sondern auch ei-genthümliche, aus der besondern Constitution hervor­gehende Eigenschaften. Hierauf beruhen die ange­stammten Krankheits-Anlagen (dispositiones in-genitae), welche man den erworbenen (dispositio­nes acquisitae) entgegengestellt. Bei den ersteren
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Von der Grattongs-Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Ki
ist ein dreifacher Unterschied zulässig. Wenn sich die Krankheits-Anlage durch mehre Generationen auf ein Individuum fortpflanzt, so wird sie erhliche Anlage (disposillo heredilaria); wenn sie aber bei der Zeugung allein von beiden älterlicben Thieren, ohne von diesen selbst ererbt zu sein, auf das Jiu;go übertragen wurde, so wird sie angezeugte Anlage (dispositio congenita), und wenn sie endlich dem jungen Tbiere blos von der Matter während der Trächtigkeit oder Geburt mitgelheilt wurde, so wird sie angeborene Anlage (dispositio connata) ge­nannt. Was die Entstehung der erworbenen Krank-heits-Anlase betrifft, so wird sie durch allmalicen und anhaltenden Einfluss äusserer Schädlichkeiten her vorgebracht, die zwar noch keine offenbare Krank­heit erzeugen, weil sie hierzu weder die erforderli­che Stärke hatten, noch die entsprechende Anlage bisher vorhanden war, aber doch ein solches Yer-hältniss im Organismus veranlassen, welches, wenn nun eine entsprechende Schädlichkeit mit angemesse­ner Stärke einwirkt, die Entstehung der Krankheil begünstigt. Hierher sind die allmäligen Umänderun­gen zu zählen, welche die Thiere in ihrer Organi­sation durch die Lebensweise, klimatische, cpizooli-sche und andere Einflüsse erleiden.
Drittes Capitcl.
Von der Gattungs-Anlage.
sect;. 40. Diejenigen Thiere, welche wir in der allgemei­nen Pathologie besonders in Betracht ziehen, sind:
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50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Grallongs-Anlage.
das Pferd mit Einschluss des Esels und der, von beulen erzeugten Bastarde, desquot;Maulthieres und des
Maulesels; ferner das Rind, das Schaf, die Ziege, der Hund und die Katze. Diese Thiere gehören verschiede­nen Gattungen an, deren jede sich durch eine eigen-thümÜche Organisation, daher durch eigenthiimliche oder doch modificirte Verrichtungen auszeichnet. Es leuchtet ein, class, wenn bei verschiedenen Thieren das normale Leben Verschiedenheiten darbietet, Dies nicht minder auch in den Krankheiten der Fall sein müsse. Hieraus erklärt sich leicht, warum die Er­fahrung bei den verschiedenen Thiergattungen nicht, allein Modificationen der Krankheiten, sondern auch eigenthiimliche Formen derselben nachweist. Ausseiquot; solchen, aus dem eigenthümlichen Bau der Organe, oder dem Fehlen des einen oder des anderen her­vorgehenden eigenthümlichen Functionen, sehen wir in den verschiedenen Thiergattungen den Lebens-ausdruck nach den drei Hauptseiten: der Reproduc-tivität, Irritabilität und Sensibilität verschieden ent­faltet, und dieselben in einem verschiedenen Verhält­nisse zu einander stehen. Daher kommt es denn auch, dasraquo; sich die Krankheiten bei den verschiede­nen Thiergattungen im Allgemeinen mit einem her­vorstechenden Aasdrucke der einen oder der andern der gedachten Seiten darbieten.
sect;. 41.
Bei dem Pferde steht das vegetative (repro­ductive) Leben mit dem hohem thierischen (anima-len, d. i. dem Sensibilitats- und Irritabililats-) Leben zwar in gewissem Einklänge; indesraquo; zeigt sich doch bei ihm die erstere Seile, da es auf den Genuss von ziemlich derben Pflanzen mit edleren Bestand-theilen angewiesen ist. kräftig entwickelt, so wie bei
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Von der Galtungs-Aniage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;5;^
ihm das Irritabilitäts-Leben offenbar auf einer ho­hem Stufe der Entwickelung als beim Rinde stellt. Das giebt sich durch ein kräftiges Respirations- und Circulations-Geschäft, so wie durch eine höhere Aus­bildung des Blutes und durch energische Muskeiac-tioneu zu erkennen. Demnach zeigen sich auch bei Pferden, neben nicht seltenen Störungen der Assimi­lation und Reproduction, häufig Leiden der Respirations-Organe und solche, die eine höhere Vitalität des arte­riellen Systems, und eine höhere Plasticität des Blutes bekunden, durch Hervortreten synochöser Entzündun­gen ebensowohl, als durch krampfhafte Muskelleiden. Der grösseren Verletzbarkeit der Schleimhaut und der allgemeinen Decke durch Unterdrückung der Transpiration ist es auch zuzuschreiben, class dieses Thier so häufig von katarrhalischen und rheumati­schen Affectionen heimgesucht wird; wovon nament­lich die ersteren sich leicht mit lymphatischen Zu­ständen compliciren; ohne dass man bis jetzt im Stande wäre, hierfür den hinreichenden Grund im anatomischen Bau und in der Verrichtung des Lymph-gefässsystems nachzuweisen. Der eigenthümliche Bau des Verdauungs-Apparats beim Pferde, namentlich die überwiegende Entwickelung des Dickdarms über den Dünndarm, und daher das gegebene längere Verweilen der Contenta in ersterem, dürften, nebst der gesteigerten Reizbarkeit, die so häufige Veran­lassung zu Colikzufällen, theils durch Anschoppungen im Darmkanal, theils sympathisch und antagonistisch durch Störung der Haulfunclion gehen. Der Huf des Pferdes endlich, ein sehr blutreicher und em­pfindlicher Theil, welcher mit einem festen, wenig nachgiebigen Hornschuh eng umschlossen ist, macht diesen zu Leiden entzündlicher Art sehr seneiat.
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54nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Gattungs-Anlage.
sect;• 42.
Bei den Wiederkäuern, dem Rinde, Schafenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; *
und der Ziege, ist insofern eine Uebereinstimmung ihrer Gattungs-Anlage zu bemerken, als sie in dem besonderen Bau der Verdauungs-Werkzeuge begrün­det ist; sonst aber bieten sie manche Verschieden­heiten nach dem Verhältnisse der gedachten drei Le­bensseiten und nach anderen, in der Organisation bestehenden Eigenlhiimlichkeiten dar. Bei dem Rinde und dem Schafe waltet offenbar das reproductive Le­ben über die Irritabilität und Sensibilität vor, und sehen wir daher auch Leiden jener Seite als die liberwiegenden hervortreten. Die Blutbereitung nebst der arteriellen und Respirations-Thätigkeit stehen bei diesen Thieren nicht auf der Höhe, wie beim Pferde; daher auch reine, active Entzündungen bei jenen viel seltener sind, als bei diesem. Auch gehen alle Lebensverrichtungen beim Rinde und Schafe nicht mit der Lebhaftigkeit und Kraft vor sich, wie beim Pferde. Ebenso scheint bei .ihnen das sympathische und antagonistische Verhältniss der Organe auf ei­ner tieferen Stufe zu stehen; denn wir sehen, class bei denselben die Krankheilen nicht die Intensität, die Raschheit und Grosse der Ausbreitung über den ganzen Organismus gewinnen, und sich auch nicht so deutlich auf dem Wege der Crisis entscheiden, wie beim Pferde. Hingegen bemerken wir, dass Krank­heiten, die in Entmischung der Blutmasse beruhen (wie Milzbrand, wozu Rinder und Schafe eine aus­gezeichnete und leicht zu erklärende Anlage haben), eine rasche Entwickelung bei ihnen nehmen. Wenn auch die Ziege im Allgemeinen in den gedachten Rücksichten dem Rinde und dem Schafe gleich zu slellcn ist, so sehen wir doch, sowohl bei ihr, als auch beim Schafe, wieder besondere Verschiedcnhei-
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Von der Gatlungs-Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 55
ten hervortreten. Das Schaf, ausgezeichnet durch physische Schwache und durch die eigenthümliche Organisation der hewollten Haut, hat eine vorzüg­liche Anlage zu verminösen und hydropischen Ca-chexien, so wie zu mancherlei Hautleiden. Obgleich in dieser Beziehung die Ziege dem Schafe zwar nahe steht, so treten doch bei ihr, da schon ihr nor­males Leben durch höhere Sensibilitäts- und Im'a-bilitäts-Actionen ausgezeiclinct ist, häufiger nervöse und spastische Complicalioncn in den Krankheiten hervor, als beim Schafe.
sect;• 43. Das Schwein, als Omni vor, hält zwar so ziem­lich die Mitte zwischen den Herbivoreu und Carnivoren in allen organischen Verhältnissen; es ist jedoch ein üeberwiegen der reproduetiven Thäligkeit über die ir-ritabile und sensibile auch bei ihm zu bemerken. Na­mentlich erreicht bei demselben das Zellgewebe, be­stimmt zur Aufnahme des, auf einer niederen Stufe der Aniinalisalion stehenden Fettes, eine grosse Ausdehnung. Wenn nun hieraus die mancherlei Reprodactions-Krank-heiten bei diesen Thiercn zu erklären sind, so muss darin auch gleicherweise der Grund gesucht werden, warum es eine so ausgezeichnete Anlage zu der, im Zellgewebe wurzelnden verminösen Cachexic hat. Beim Schwein sehen wir auch häufig Leiden der oberen Partie des Halses unter der Form der Bräune hervortreten, was in der Kürze desselben; in der Enge der Luftwege und in dem eigenthümlichen Bau des Kehlkopfes be­gründet sein mag. Das in Rede stehende Thier ist übrigens, sowohl rücksichtlich des gesunden, als auch des kranken Lebens bis jetzt nicht so genau gekannt, wie die übrigen llausthiere. Die Krankheils-Anlagen desselben können dalier auch nur wenig aufgeklärt sein.
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sect;• 44. Beim Hunde und der Katze haben das sensi-bele und imtabele Leben das Uebergewicht über das reproductive. Nervenleiden mancher Art und Krämpfe sind dalier bei diesen Thieren sehr häufig; auch ziehen die entzündlichen und fieberhaften Lei­den bei denselben das Nervensystem sehr leicht in Mitleidenschaft. Das eigenthümliche Seelen-, Sinnes­und Geschlechtsleben, namentlich des Hundes, macht ihn ferner für Leiden in diesen Sphären vorzugs­weise empfänglich.
Zusatz. Dass in den Racen und Familien der- Haus-thiere der Grund zu Modificationen der Gattungs-Anlage lie­gen müsse, und dass auch solche bei ihnen durch gewisse zeitliche und i'äumliche Verhaltnisse, wie durch den Einfluss der Jahreszeiten, des geographischen und physikalischen Climas hervorgebracht werden können, ist leicht zu begrei­fen. Wir übergehen aber eine nähere Erörterung dieser Verhältnisse hier, da sie bei der folgenden Betrachtung der individuellen Anlage mit eingeschlossen sein dürften.
Viertes Capitel.
Von der individuellen Anlage
sect;. 45. Mit der Annahme der individuellen Krank­heits-Anlage ist die Möglichkeit einer gewissen Verschiedenheit der Krankheits-Anlage bei den Indi­viduen einer Gattung gesetzt. In der That ist auch eine solche, auf der besonderen Artung der Indivi­duen beruhende Verschiedenheit zu bemerken, wo­durch eben sowohl Modificationen in den normalen,
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Von der individaeUen Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 57
als auch in den abnormen Lebensäusserungen be­dingt werden. Die besondere Artung'der Indivi­duen aber beruht hauptsächlich auf bestimm­ten Verhältnissen der Constitution, des Ge­schlechts, der Lebensweise, Gewohnheit und Entwickelung.
Zusatz. Die Individuell einer Thiergattung treten al­lerdings nicht so auffallend aus dem Gattungsleben heraus, wie die Menschen; woher denn auch die individuelle Krank­heits-Anlage bei jenen weniger ausgeprägt erscheint, als bei diesen; doch ist sie immer noch deutlich genug bei ihnen zu bemerken, und daher ihre besondere Betrachtung ge rechtfertigt. Im Allgemeinen kann man annehmen, dass, auf je niedrigerer Stufe der Organisation die Thiere stehen, auch der individuelle Character bei ihnen um so weniger ausgebildet ist. Hieraus dürfte es zu erklären sein, warum bei Thiercn häufiger seuchenarlige Krankheiten auftreten, als bei den Menschen, und warum unter den Ilausthieren bei den Wiederkäuern häufiger epizoolische Krankheiten vor­kommen, als bei den Pferden, bei diesen häufiger, als bei den Schweinen, und bei diesen endlich wieder häufiger, als bei Hunden und Katzen.
sect;. 46.
Unter Constitution, Leibefebcschaffenheit (constitutio) begreifen wir ein, vorzugsweise auf die physische Seite des Lebens sich beziehendes Ver-hältniss, eine cigentliümliche Körperbeschaffenheit mit der daraus hervorgehenden eigenthümlichen Lebens-thätigkeit. Der Begriff vom Habitus ist zwar mit dem vorhergehenden verwandt, der Unterschied be­steht jedoch darin, dass man bei letzterem mehr die Gestaltung des Körpers und das Verhältniss seiner einzelnen Theile zu einander ins Auge fassl. Der Begriff von der Constitution schliesst also den vom Habitus in sich. Man unterscheidet in quanütati-
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58nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von ilcr individuellen Anlage.
vor Hinsicht eine starke und eine schwache Constitution. In qualitativer Beziehung Hessen sich wohl eine vasculüse (eine arterielle, venöse und lymphatische) eine nervöse, seröse und pi-tuilöse Constitution angeben; aber es dürfte zur Zelt noch an sicheren Bestimmungsgründen dafür in Bezug auf die Hausthiere fehlen. Deshalb wird eine nähere Betrachtung solcher Zustände hier übergan­gen. Die starke Constitution wird an einer grös-seren Festigkeit der fest-weichen Körpertheile, an ei­nem robusten, gedrungenen Körperbau, so wie an einer grossen Lebensenergie erkannt, wogegen die schwache auf entgegengesetzten Verhältnissen be­ruht. Die grösaere Energie der starken Constitution leistet der Einwirkung schädlicher Einflüsse einen stärkeren Widerstand; sie erkrankt daher weniger leicht, als die schwache, aber in der Regel heftiger, weil eben, um Erkrankung hervorzurufen, ein grös-scres Maass von Schädlichkeiten einwirken muss. An der Intensität der Krankheiten in den starken Conslitutioncn haben indess die kräftigen llcactionen einen nicht geringen Anlhcil, welche auf der andern Seite eine erfolgreiche Naturhülfe versprechen. Bei der starken Constitution sind Entzündungen und Fie­ber synochösen Characters mit deutlichen critischen Erscheinungen häufiger, als bei den schwachen, wo­gegen bei dieser meist Leiden torpideu Characters vorkommen, gegen welche die Bemühungen der Na­tur öfter fruchtlos sind.
Zusatz 1. In der Menschenheilkunde nimmt man selbst noch eine Verschiedenheit der Anlage bei den individuellen Conslitutioncn in den verschiedenen Körperstelien an. So hält man z. B. die oberen, vorderen und rechten Körper­theile für mehr entwickelt, energischer und daher mehr zu Entzündungen geneigt, als die entgegengesetzten. Ob man
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Von der individuellen Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 59
bei den Ilausthieren Aehnliclics annehmen darf, kann, we­gen Mangels specieller Erfahrungen, noch nicht enlschicdcn werden. Es scheint jedoch, dass Lei diesen Brustentzün­dungen häufiger an der rechten, als an der linken Seite vor-koinmen. Ein solches Verhällniss nennt man symmetri­sche Anlage; eigentlicher dürfte sie aber als asymmetri­sche zu bezeichnen sein.
Zusatz. 2. Man spricht zwar häufig in der Thierhcil-kundc vom Temperamente der Thiere als Anlage-Moment, namentlich in Bezug auf Pferde, und versteht daruntet eiue eigenlhümliche psychische und organische Lebensstimmung, Solche Temperamente können allerdings als vorhanden bei den Thieren gedacht werden; sie aber nach der alten Ga­lenischen Eintheilung in ein sanguinisches, choleri­sches, melancholisches und phlegmatisches zu un­terscheiden, dürfte um so schwerer fallen, als sie nie rein, vielmehr immer mit einer gewissen Mischung auftreten, und als der psychische Ausdruck, der beim Menschen einen llaupt-Bcstimmungsgmnd für das Temperament abgiebt, bei den Thieren mehr zurücktritt. Da aber das Temperament von der Constitution bei den Thieren abhängig ist, so können wir uns mit der Bestimmung der letzteren, wie bereits ge­schehen, rücksichtlich der hieraus ßiessenden Anlage-Ver­hältnisse begnügen.
sect;. 47.
Die Geschlechts-Verschiedenheit der Thiere bietet manche Anlage-Verhallnisse dar, #9632;welche so-wohl in der Verschiedenheit der Organe und ihrer Verrichtungen, als in der ganzen Beschaffenheit des Körpers begründet sind. Bei dem mannlichen Thiere überwiegt offenbar das animale Leben das vegetative; wogegen das letztere bei dem weibli­chen, seiner Bestimmung angemessen, die Oberhand gewinnt. Auch bemerken wir bei jenen einen straf­feren Faserbau und eine grössere Energie, als bei diesen. Hierdurch werden bei männlichen und weib-
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60nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der individuellen Anlage.
liehen Thiere im Allgemeinen solche Anlage-Verhält­nisse begründet, wie sie oben durch die starke und schwache Constitution bezeichnet worden sind; wah­rend bei den weiblichen Thieren, wegen der vor­herrschenden reproduetiven Thätigkeit, noch ein grös-seres Hinneigen zu Krankheiten in dieser Sphäre, oder ein kräftiges Mitwirken derselben zur Beseiti­gung von Anomalieen überhaupt hinzukoinml. In der Verschiedenheit des anatomischen Baues und der physiologischen Verrichtung der männlichen und weib­lichen Geschlechtstheile ist die Verschiedenheit der Anlage zu gewissen Erkrankungen dieser Theile be­gründet. Abgesehen von den örtlichen Leiden der Geschlechtstheile und von den allgemeinen, durch Nichtbefriedigung oder Ausschweifung des Geschlechts­triebes hervorgehenden Erkrankungen, welche beiden Geschlechtern in verschiedenen Graden und Formen eigen sind, bemerken wir ins Besondere beim weib­lichen Thiere in der Trächtigkeit, Geburt, im Säu­gen und Milchen Anlage-Verhältnisse, welche bei männlichen Thieren aus leicht begreiflichen Gründen nicht vorkommen können. Durch die Castration, so­wohl der männlichen, als weiblichen Thiere, erhält ihre canze Oreanisation eine abweichende Beschäl-fenheit. Während durch jene Operation die Anlagen getilgt werden, welche in der periodischen Verrich­tung des Geschlechtslebens begründet sind, erlangen castrirte männliche Thiere eine Constitution, wie sie beim weiblichen schon als eine schwache ausgedrückt, ist, und nur durch Castration bei den letzleren er­höht wird; bei beiden aber steigert sich die re­productive Thätigkeit in Erzeugung einer, auf ei­ner niedrigen Stufe der Animalisalion stehenden Masse.
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Von der individuellen Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;61
sect;• 48. Die Veränderungen, welche durch die Entwik-kelung eines thienschen Organismus hervorgerufen werdet,, haben einen bedeutenden Einfluss auf seine Anlage-Verhältnisse. Da jene Veränderungen nur einmal während des Lebens stattfinden, so werden dadurch gewisse Ahschnilte desselben gebildet, wel­che man Altersperioden nennt. In diesen Perio­den zeigt der Organismus eine eigenthümliche Be-schaffenheit, aus welcher man die Alters an lag 9 ableitet, die auch wohl vorübergehende Anlage (dispositio transitoria) e;enannt wird, eben weil sie keinen Bestand hat. Dass eine solche Annahme be­gründet ist, ersehen wir im Allgemeinen daraus, dass die Reizempfänglichkeit und das Wirkungsvermögen nicht in jedem Alter in einem gleichen Verhältnisse *nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;zu einander stehen, und dass es dieselbe Bewandlniss
mit den drei Hauptsellen des Lebens, der Bildung, Bewegung und Empfindung hat; ferner endlich daraus, dass in einem Alter gewisse Organe oder Verrichtungen dieser, obgleich sie vorhanden sind, fehlen, in einem anderen aber hervortreten. Folgendes können wir für die Lebens-Entwickelung als gesetzlich gelten las­sen: a) In dem ersten Abschnitte des Lebens geht das Individuum der ihm zugemessenen Vollkommen­heit entgegen, indem sein Körper an Materie und Kraft zunimmt; in dem zweiten Abschnitte bleibt der Organismus scheinbar auf einer gleichen Stufe der Ausbildung stehen, und im dritten endlich macht er wieder Rückschritte. Da die Lebensenergie von der Ausbildung des Organismus abhängig ist, so muss diese auch während seiner Aus- und Rückbildung geringer sein, als auf der Höhe des Lebens. Die Le­bensenergie verhält sich aber umgekehrt zur Krank­heitsanlage; daher ist diese im jugendlichen und hö-
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G2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der individuellen Anlage.
heren Älter am grösslcn. h) Wählend der Enlwik-kelung ist die grössere Geneigtheit zu erkranken dann vorhanden, wenn durch die Metamorphose eben eine Veränderung bewirkt wird oder bewirkt worden ist. Dies scheint darin seinen Grund zu haben, dass die Bilduneslhätiekeit bei einem solchen Acte zu sehr in Anspruch genommen wird, um im vollen Maasso. für die Selbsterhaltimg des Organismus und daher für die Abwehr schädlicher Einflüsse thälig sein zu können, c) Eine jede organische Entwickehmg ist nothwendig mit entsprechender Erhöhung der Bil-dungsthäfigkeit verbunden. Zu den in der Ausbildung begriffenen Organen findet eine vermehrte Blutzufnhr Statt und ihre Sensibilität ist erhöht. Daher besitzen sie auch eine ausgezeichnete Anlage zu Congestionen und Entzündungen. Bei den in der Rückbildung be­griffenen Organen bemerken wir aber die entgegen­gesetzten Verhältnisse. Zur näheren Betrachtung der aus den Entwickelungs-Veränderungen des Organis­mus hervorgehenden Anlage-Verhältnisse unterschei­den wir vier Altersperioden desselben:
1)nbsp; Das Fötusalter. In diesem Alter, in wel­chem das junge Thier noch nicht zur Selbstständig­keit gelangt, vielmehr noch absolut abhängig vom Mutterthiere ist, bemerken wir die Biklungsthäligkeit in Hervorbringimg neuer, oder in weiterer Ausbildung schon vorhandener Organe bei Weitem prädominirend über die anderen Seiten des Lebens. Daher besitzt dieses Aller eine aberwiegende Anlage zu Bildungs­fehlern, welche sich durch Hervortreten von Missbil-dungen zu erkennen giebt.
2)nbsp; nbsp;Das jugendliche Alter. Dieses beginnt mit der Geburl, also mit der Selbstständigkeit, mit der vollständigen Individualisirung des Thieres. In dieser Periode hat dasselbe bereits alle Organe, welche zu
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Von dor individuellea Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; G3
seiner Selbstständigkeit erforderlich sind, auch solche schon, welche der Erhaltung der Gattung dienen. Beide Arten von Organen schreiten aber noch in der Entwickeluug fort; und die letzteren treten erst spä­ter in Function. Die auf Bildung gerichtete Thä-tigkeit ist in diesem Alter ebenfalls noch vorherr­schend über die anderen; auch übersteigt die Reizem-pfanglichkeit das Wirkungsvermögen. Hierdurch wird nun eine überwiegende Anlage zu Biidungs-Krank­heiten und ein leichtes Erkranken überhaupt bedingt, und spricht sich die, diesem Alter eigene Anlage durch Störungen in der Verdauung, Blutbereitnug und Ernährung, so wie durch Erzeugung von Einge-weidewürmern aus. Die flüssigen Theilc stehen in einem grösseren Verhältnisse zu den festen in dem in Rede stehenden Alter, als in einem späteren; je­denfalls aber haben die festen noch nicht den Grad des Zusammenhanges erreicht, wie später. Dadurch wird die besondere Anlage zu Fehlern der Säfte und zu Trennungen des Zusammenhanges begründet. Der in diesem Alter vorkommende Wechsel der Zähne endlich, die weitere Ausbildung der Athmungs- und Geschlechtswerkzeuge, so wie das Hervortreten der Function in den letzteren, begründet eine vorzügli­che Anlage zu Krankheiten dieser Theile selbst oder zu consensuellen Leiden.
3) Das reife Lebensalter, oder das Alter der vollendeten Entwickelung. In diesem hat der Organismus die Höhe seiner ihm zugemessenen Ausbildung erreicht, und gicbl sich dieselbe durch die grösstmöglichste Lebensenergie zu erkennen. Die Reizempfänglichkeit steht mit dem Wirkungsvermögen in einem guten Verhältnisse; keine der Lebensseiten, weder die Biidungs-, noch die Bewegungs-, noch die Empfindungs-Thäligkeit kann als vorherrschend
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(34nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der individuellen Anlage.
betrachtet werden. Daher werden äussere Schäd­lichkeiten leichter ohne iibele Folgen ertragen, und müssen sie, um Erkrankung hervorzubringen, mit ei­ner bedeutenden In- und Extensität einwirken. Die Reactionen sind in der Regel stürmischer, und sonach der Krankheitsausdruck heftiger und die Crisen aus­gezeichneter. Wegen der grössern Energie in allen Verrichtungen sind diesem Alter wahre Entzündungen vorzugsweise eigen, und wegen der nun zur Blüthe gelangten Geschlechls-Function bemerken wir man­cherlei Leiden der ihr dienenden Organe, oder sol­che, welche aus unordentlicher Befriedigung des Ge­schlechtstriebes entstehen.
4) Das höhere Lebensalter, Hierin macht die organische Materie sowohl, als auch die Energie in allen Yerrichtungen Rückschritte. In den bekann­ten drei Lebensseilen bemerkt man gleichermaassen ein Sinken, so dass dadurch Anlagen zu Krankheiten erzeugt werden, welche sich analog verhalten. Die diesem Alter eigenen, anomalen Zustände bestehen daher hauptsächlich in Abnahme der Sinnes-, Be-wegungs- und Empfindungs - Thätigkeit überhaupt. Vermeinung der Festigkeit in den Gebilden, man­gelhafte Verdauung und Ernährung, zu welchen letz­teren Zuständen die Anlage insbesondere noch da­durch gesteigert wird, dass die Masticafions-Werkzeuge mangelhaft werden.
Zusatz. Aus vorstehendem sect;. wird sich zur Genüge entnehmen lassen, was wir unter Enlwickelungs-Krankheit, Evolutions-Krankheit (morbus evolutionis) zu verstehen ha­ben. Diese Benennung scheint von den Thierarzten zuwei­len gebraucht zu werden, ohne dass damit ein deutlicher und richtiger Begriff verknüpft wird. Jedenfalls hat man sich zu hüten, nicht in den Fehler zu verfallen, die Entwik-kelungs-Krankheit als einen, die organische Metamorphose
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Von der individuellen Anlage.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; C5
bedingenden Prozess zu betrachten. Eine solche Annahme würde dem eigensten Begriffe der Krankheit, als eines, für das individuelle und Gattungsleben unzweckmässigen Le­bensvorganges widersprechen Die Entwickclungs Krankhei­ten finden also nur in der Metamorphose ihre Priidisposition; sie sind als Folgen und nicht als Mittel derselben zu be­trachten.
sect;• 49. In der Lebensart, Gewohnheit undBenuz-zung der Thiere sind mancherlei Anlage-Verhältnisse begründet. Es ist begreiflich, dass die Thiere, wel­chen es vergönnt ist, ein, ihrer Natur angemessenes, freies Leben zu führen, am wenigsten Anlage zu Krankheiten besitzen werden, wie wir Dies denn auch bei Thieren, welche sich im wilden oder halb­wilden Zustande befinden, sehen. Unsere Hausthiere aber leben meist in gezwungenen Verhältnissen, die ihnen von den Menschen aufgedrungen sind, damit sie die, von ihnen geforderten Zwecke erfüllen. In einem solchen, von der Natur mehr oder weniger abweichenden, domesticirten Zustande, in welchem die Thiere nur theilweise ihrem Instincte gemäss le­ben können, ist eine ergiebige Quelle zu Krankheits-Anlagen in der eigenlhümlichen Lebensart, Gewohn-Aeit und Benutzung gegeben. Der thierische Orga­nismus vermag zwar, vermöge seiner, auf Selbststän­digkeit gerichteten Lebenskraft, sich gegen eine Menge schädlicher Einflüsse zu behaupten, oder sich die­selben so anzueignen, dass sie ihm zur Gewohnheit, zur zweiten Natur werden (consuetudo est altera natura); doch bedingt eben die Gewohnheit, die nur als ein höchst relativer Gesundheitszustand betrach­tet werden kann, eine gewisse Körperstimmung. Diese giebt dann den Grund zu Krankheiten, wenn die Einflüsse, an welche die Thiere sich zwar ge-
Fucbs, allgera, Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;quot;
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nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der speziellen Kranllicils-Anlage,
wohnt haben, entweder plötzlich auf sie mit einem tfgbennaass cimvirken, oder wenn sie plötzlich ih­rer Gewohnheit entzogen werden. In letzterem Falle kann selbst durch das ungewohnte Einwirken natur-gemässer Einflüsse Krankheit erzeugt werden, Wir sehen im Allgemeinen, class die Leichtigkeit, sich an abweichende Einflüsse zu gewöhnen, mit der Voll­kommenheit der Organismen wächst; dass die Men­schen in dieser Beziehung schmiegsamer sind, als Thiere, diese hinwiederum mehr als Pflanzen, welche Erscheinung von dem stärkeren Selbsterhaltongs-Ver­mögen der vollkommeneren Organismen abgeleitet werden zu müssen scheint. Bei den Hausthieren ist der gedachte Unterschied ebenfalls zu bemerken: die höher organisirten Fleischfresser gewöhnen sich offenbar besser, als die Pflanzenfresser. Für ökono­mische Zwecke ist es von Wichtigkeit, zu wissen, dass die Gewöhnung eines Thieres um so leichter stattfindet, je weniger es schon Gewohnheiten be­sitzt. Hieraus und aus der grösseren Schmiegsam­keit des jugendlichen Alters ist es zu erklären, warum junge Thiere sich besser gewöhnen als alte.
Fünftes Capitel.
Von der speziellen Krankheits-Anlage.
sect;• 30.
Der Organismus besteht aus Werkzeugen, de­ren jedes, wegen der eigenthümlichen Organisation, auch zu besondern Erkrankungen fähig ist. Im All­gemeinen darf man feststellen, dass, aus je viel­facheren Theilen ein Organ zusammengesetzt
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Von dor speziellen Krankheits-Anlage.
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ist, os auch eine um so vielfachere Möglich keil zu erkranken besitzt, und so umgekehrt Jedoch nicht allein die Zusammensetzung der Organe sondern auch ihre Form, Lage, Coharenz u. s, w geben die Disposition zu besonderen Krank­heiten ab.
Zusatz. Um diesen sect;. gehörig zu würdigen, denke man z. B. an (his Auge. Ks besieht aus mehren Kiemenlar-Gehilden, und besitzt auch bekanntlich eine vielfache Mög­lichkeit zu erkranken. Andererseits wird ein Organ, das keine Schleimhaut in seiner Zusammensetzung hat, auch keine Disposition zu Catarrh haben können; oder ferner, ein Organ, das kein Muskelgewebe besitzt, kann auch nicht in Krämpfe verfallen. Solche Organe, welche an Blutgefässen und Nerven reich, gerathen leichter und heftiger in Entzün­dung, als solche, welche arm an jenen Elemenlarlheilen sind; wo diese aber ganz fehlen, wie in hornigen Gebilden, kann natürlich auch keine Entzündung entstehen. Um das in Bezug auf die Form der Organe u. dgl. Gesagte zu ver­stehen, bedenke man, class nur hohle Organe zu Erweite­rungen und Verengerungen, dass Eingeweide, welche un­mittelbar mit natürlichen Oeflhungen communiciren, nur zu Vorfällen, und dass endlich Organe von grüsserem oder ge­ringerem Zusammenhang, auch mehr oder weniger zu Tren­nungen desselben disponiren.
sect;#9632; 31.
Der Grad der Krankheits-Anlage der Organe hangt auch noch von folgenden Umstanden ab:
1)nbsp; Je häufiger und inniger ein Organ, sei­ner Bestimmung zufolge, mit äusseren Ein­flüssen in Wechselwirkung tritt, desto eher kann es erkranken. Haut, Lunge und Darmkanai erkranken leichter, als Nieren, Leber u. s.w.
2)nbsp; Ein Organ, das von der Natur nur für eine geringe Zahl von Einflüssen bestimmt
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68 Von den Gelogcnlieils-Ürsaclicn im Allgemeinen.
ist, erkrankt eher, als ein anderes, bei dem Dies nicht der Fall ist. Die Lunge, welche nur fur den Reiz der atmosphärischen Luft bestimmt ist, erkrankt leichter, als die Haut, #9632;welche vielerlei Ein­flüssen unterworfen ist.
3)nbsp; Je inniger und vielfacher das sympa­thische und antagonistische Vcrhiiltniss ei­nes Organes ist, um so eher wird es von ei­nem ursprünglich leidenden mitergriffen. Hirn und Magen besitzen eine ausgebreitelere Sym­pathie, als Knochen, Sehnen, Muskeln u. s. w.; daher auch bei jenen eine grössere Möglichkeit zu erkran­ken, als bei diesen.
4)nbsp; nbsp;Je länger die Dauer der Function ei­nes Organs ist, um so länger ist auch die Disposition zu erkranken in demselben. Lunge, Haut und Darmkanal, welche, unter anderen, während des ganzen individuellen Lebens in Function sind, können öfterem Erkrankungen ausgesetzt sein, als die Geschlechtstheile, deren Function nur während einer gewissen Zeil besteht.
Seclistes Capitei.
Von den Gelegcnheits-Ursachen im Allgemeinen.
sect;. 52. Unter Gelegenheits-Ursache der Krankheit (causa occasionalis) hat man eine (relativ- oder ab­solut-) äussere Schädlichkeit (ein äusseres ursächli­ches Moment, eine äussere Potenz) zu verstehen, welche, unter Mitwirkung der entsprechenden An­lage im Stande ist, Krankheit hervorzubringen. Bei
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Von den Gelegeniieils-Ursaclion im Allgemeinen. 69
dem Einflüsse einer schädlichen Potenz auf den lliie-risenen Organismus ist im Allgemeinen dreierlei zu bemerken: 1) die Einwirkung derselben; 2) die Rückwirkung von Seite des Organismus, und 3) das Resultat dieser beiden: die Wirkung. Die Einwirkung ist verschieden nach der Beschaf­fenheit der äusseren Potenz; entweder ist sie me-clianisch, wenn sie die Form, chemisch, wenn sie die Mischung, oder dynamisch, wenn sie vor­zugsweise das Kraftverhaltniss des Organismus ab­ändert. Die Rückwirkung hat ihre Quelle in dem Selbsterhaltunfis-Bestreben des Organismus und bc-steht vorzugsweise in einer, durch die schädliche Potenz hervorgerufenen erhöhten Lcbensthatis-keit. Die Wirkung, als das Ergebniss der Ein- und Rückwirkung, muss demnach auch nolhwendig von der Beschafl'enljeit dieser beiden abhängig sein; sie zeigt mancherlei Verschiedenheiten, welche theils durch die Stärke, Dauer und den Wechsel der Ein­flüsse, theils durch die eigenthümliche Beschaffenheit der Anlage hervorgerufen werden.
sect;.53.
Die äusseren Schädlichkeilen sind in folgende unterschieden worden: 1) in quantitative, wenn sie ihrer Grosse, in qualitative, wenn sie ihrer ei-genlhümlichen Beschaffenheit nach dem Organismus nachtheilig sind; 2) in positive, wenn sie durch wirklichen Emfluss, in negative, wenn sie durch Entziehung Nachtheil hervorbringen; 3) in potenzi-rende, wenn sie die Lebensthätigkeit wirklich und dauernd erhöhen, wie Dies in der Regel durch Reiz­mittel geschieht; in depotenzirende, wenn durch sie die vorübergehend erhöhte Lebensthätigkeit bald vermindert wird, wie es die narkotischen Mittel zu
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70
Von den Gclegeuheits-Ursachen im Allgemeinen.
than pflegen; 4)'in örtliche, wenn sie nur in ei­nem Theile, in allgemeine, wenn sie im ganzen Organismus eine schädliche Wirkimg hervorbringen. was sich indess hauptsächlich nur auf die erste Ein­wirkung beziehen kann, da die ürtliche Wirkung in der Regel eine allgemeine, und diese insgemein eine mehr oder weniger ausgezeichnete ürtliche zur Folge hat; 5) in fixe und fluchtige, je nachdem die Wir­kung eine mehr oder weniger lange Dauer hat. Die im Vorstehenden auf die Schädlichkeiten bezogene Eintheilung lässt sich auch in Bezug auf die durch sie im Organismus hervorgebrachten Wirkungen an­wenden. So unterscheidet man dann in Ansehung der letzteren ferner noch eine idiopalhische, wenn sie im Orte der Einwirkung, eine sympathische, wenn sie in einem, von diesem entfernten Theile zu Stande kommt. In letzterem Falle unterscheidet man die consensuellc von der antagonistischen Wir­kung dadurch, dass die erstere der ursprünglichen Wirkung gleichartig, die andere aber dieser entge­gen gesetzt ist.
Zusatz 1. Die spezifische Wirkung im Gegensatz der allgemeinen isl gleich der örtlichen zu achten, nur mit dem Untcrschieclc, dass die spezifische Wirkung nicht allein eine örtliche, sondern auch eine bestimmt beschaffene ist. Die Contagien z.B. bringen, ausscr der allgemeinen, meist auch eine örtliche Veränderung spezifischer Art im Organismus zu Stande.
Zusatz 2. Wissenschaftlicher und zugleich von grös-serem practischem Nutzen durfte es allerdings sein, wenn die äusseren Einflüsse, bei ihrer speziellen Betrachtung als Schädlichkeiten, nach Verschiedenheit der. durch dieselben im Organismus bedingten Wirkungen eingetheilt werden könn­ten. Da die letzteren aber, aus leicht begreiflichen Grün­den, niemals im Voraus, und sogar nur selten nach ihrem, wirklichen Erfolge mit Sicherheit zu bestimmen sind, so sind
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Vom Einfluss lt;lei Wellkörper.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;71
wir genötliigt, die schädlichen L'iaQüsse nach, von ilmeii seihst entaommoaen Merkmalen einzutheilen.
Erste Clusse tier Gelegenheits-Ursachen. Dynamische Schädlichkeiten.
Siebentes Capitcl.
Vom Einfluss der Weltkörper.
Es erleidet keinen Zweifel, dass die Weltkörper unter sich in einem dynamischen Abhängigkcits-Ver-liältnissc stehen, und dass hieraus nur die Ordnung des Universums hervorgehen könne. Wenn ein sol­cher Einfluss aber zwischen den Weltkörpern unter sich besteht, — welchen wir zunächst von unserem Sonnensystem einzusehen vermögen, — so dlufle schon ohne ihatsaehlicben Nachweis angenommen werden können, dass jener Einfluss sich auch auf die, an unsere Erde gefesselten Organismen, mithin auch auf unsere Hauslhiore geltend machen müsse. Ge­wisse Einflüsse unserer Erde auf die organische Welt, welche in der Schwerkraft, in der physi­kalischen und chemischen Beschaffenheit der­selben begründet sind, werden allgemein anerkannt; aber man vennuthet noch einen anderen Einfluss derselben. Diesen setzt man in die sogenannten tel-lurischen Prozesse, welche im Scboossc der Erde vorgehen, ohne jedoch einen andern bestimm­ten Nachweis für ihre Schädlichkeit liefern zu kön­nen, als dass solche Prozesse wirklich bestehen. Der Einfluss geheimer lellurischer Kräfte, wie des
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72nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Einfluss der Weltkörper.
Magnetismus und solcher, welche aus grossen Erz­lagern hervorgehen, hat man in Bezug auf den Men­schen thalsächlich nachzuweisen sich bestrebt; aber rücksichtiich unserer Hausthiere fehlen Beobachtun­gen für diesen Fall. Wenn man daher von telluri­schen Einflüssen in der Veterinär-Pathologie re­det, so sind solche mehr für eine Ahnung, als für eine Thalsache zu halten.
sect;• 55.
Der Einfluss des Mondes auf unsere Erde wird zunächst aus der grossen Erscheinung der Ebbe und Flulh erkannt. Er ist auf die Vegetation, so wie auf das gesunde und kranke Leben des Men­schen bereits vielfach nachgewiesen worden. Wenn wir aber in der Thierheilkunde von lunarischen Einflüssen reden, so gehören auch diese zur Zeit mehr zu den, auf Analogie beruhenden Annahmen, als zu den lhatsächlichen Erweisen. (Vgl. Zusatz zu folg. sect;.)
sect;. 5G.
Anders verhält es sich mit der Sonne. Ohne sie kann kein Leben entstehen und mit Dauer be­stehen, Alles Leben erheischt Licht, Wärme, Luft und Feuchtigkeit, freilich in Rücksicht der verschie­denen Organismen in verschiedenem Grade und Ver­hältnisse. Diese Potenzen aber und eine andere, die Electricität, wovon die Nolhwendigkeit für das Leben weniger eingesehen wird, sind vom dynami­schen Verkehr der Sonne und der Erde abhängig. Es reducirt sich mithin der Einfluss dieses Gestirnes (den man den siderischen nennt) auf das kranke Le­ben der Hausthiere auf ein gewisses Verhältniss je-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^ ner anseführten Potenzen. Das macht eine beson-dere Betrachtung derselben erforderlich.
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Vom Lichte.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 73
Zusatz i. Aus dem bisher Gesagten wird sich zur Genüge ergeben, was von dem geheimnissvollen, nament­lich in der Seuchen-Aetiologie vielfach gebrauchten und missbrauchlen Ausdruck: „cosmisch-tellurischer Ein-fluss- zu halten ist. der in vielen Fällen, wenn auch nicht als eine Hinterthür, doch als eine erhabene Pforte für den Rückzug unserer Unkcnntniss erachtet werden muss.
Zusatz 2. Wenn der Einfluss der Sonne vorzugsweise und mit Recht auf das höhere thieriscbe Leben bezogen wird, so ist man dagegen geneigt, dem Monde einen be­sondern Einfluss auf das bildende Leben zuzugestehen. Rychner bemerkt in dieser Beziehung: „Jedenfalls werden die Plastizitätsacte in zunehmendem Monde bedeutender. Balggeschwülste entstehen und wachsen schneller, und die Wirkung des Mondes auf die Tuberkulose und überhaupt auf die vegetative Seite des Thierlebens ist unverkenn­bar. Nach meinen und Anderer Beobachtungen treten die meisten Erkrankungsfälle in der Lungenseuche der Rinder um die Zeit des Vollmondes ein. Es stehen freilich die Be­obachtungen ohne therapeutischen Wortb und nackt da; al­lein sie gehören nichtsdestoweniger zur Geschichte der kran­ken Thiernalur.quot;
Achtes C'apitel.
Vom Lichte.
sect;. 57. Das Licht hat einen grossen Einfluss auf die organischen Wesen, Wem sollte der belebende Ein­fluss desselben auf die Pflanzenwelt unbekannt sein? — Die Pflanzen, stets Licht suchend, wachsen demsel­ben entgegen; sie gedeihen darin kräftig und pran­gen mit den üppigsten und mannigfaltigsten Farben, während es eine Entbindung von Sauerstoff aus den-
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y4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Vom Lichte.
selben bewirkt. Dagegen verkümmern die Pflanzen beim Lichtmangel, unter Entwickelang einer oft wu­chernden, aber wenig ausgebildeten Materie, sie werden bleich und der Kohlenstoff häuft sich in ih­nen an. Ein ähnlicher Einfluss des Lichtes ist in llücksicht der Thiere zu bemerken. Es hat bei die­sen offenbar eine nähere Beziehung zum höhe­ren animalen Leben, das durch dasselbe nach allen Seiten gesteigert wird; wogegen Entzie­hung des Lichts ein Sinken jenes Lebens, und ein Vorwalten des vegetativen bewirkt. Das Licht kann in quantitativer Beziehung als zu starkes Licht und als Lichtmangel schädlich auf die Hausthierc einwirken. Dass seine qualita­tiven Modificationen, wie das verschieden ge­brochene und retledirle Licht und die Farben nach­theilig für jene Thiere werden können, ist zwar ver-muthet aber noch nicht thatsächlich festgestellt worden.
sect;. 58. Zu starkes und zu anhaltend wirkendes Licht erhöht die animalen Functionen zu sehr, in­dem es als ein iibermässiger Reiz wirkt, theiis einen sthenischen, theiis einen indirect asthonischen Zu­stand, und zwar durch Consumirung der Reizbarkeil hervorruft. Wir sehen daher, dass zu starker Licht-einfluss — wobei aber die mitwirkende Wärme nicht in geringen Anschlag zu bringen ist — (Kongestionen nach dem Kopfe, nach der Haut, und Entzündungen in diesen Theilen hervorzubringen vermag, nament­lich bei Schafen und Pferden. So sehen wir denn auch, dass die letzteren, wenn sie am Koller leiden,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;
oder nur eine vorherrschende Anlage zu dieser Krank­heil besitzen, dieselbe unter zu starker Einwirkung
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Vom Lichte.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;75
jener Potenz entweder sich entwickelt, oder bis zur Rciserei gesteigert wird. Wenn fast senkrecht auf die Köpfe der Thiere einfallende Sonnenstrahlen jene Zustände hervorbringen, so wird die primäre Wir­kung Sonnenstich (insolalio) genannt.
sect;• 59. Lichlmangel bewirkt, wie gesagt, ein Sinken des Eroplindungs- und Bewegangs-Lebens. Die Thiere werden in anhallender Dunkelheit schlaff, träge und stupid. Das rein vegetative Leben gewinnt aber in einem solchen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade die Oberhand, während der gebildete Stoff durch iibermässigo Fettansammlung, durch eine schwam­mige und lockere Textur überhaupt nur eine geringe Ausbildung zeigt, und eben hierdurch eine vorherr­schende Anlage zu hydropischen Zuständen abgiebt.
sect;• GO. Eine spezifische Beziehung hat das Licht zum Sehorgan. Eine zu starke Einwirkung jenes auf dieses bringt örtliche und consensuelle krank-hafte Erscheinungen zu Stande, und zwar um so eher, als die Reizbarkeit im Sehnerv durch frühere Entziehung des Lichts angehäuft, oder durch krank­hafte Zustände gesteigert ist. Auf diese Weise tre­ten primär z. B. Congestion und Entzündung der Au­gen oder Lähmung der Sehnerven ein, consensuell aber Steigerung von Allgemeinleiden, wie beim Starr­krampf und der Toliwulh.
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Von der Temperatur.
HTeuntes Capitel.
Von der Temperatur.
sect;• 61. Die Quellen der Wärme auf unserem Planeten sind sehr verschieden; die ergiebigste aber besteht unstreitig; in dem Wechselverhältnisse desselben mit der Sonne. Der Grad der empfindbaren Wärme ei­nes Körpers wird dessen Temperatur genannt. Dem Begriffe von Temperatur sind demnach die von Wärme und Kälte untergeordnet; er ist ein relati­ver und kann die Temperatur eines Körpers nur durch Vergleich mit einem andern als warme oder kalte bezeichnet werden. Kälte ist sonach, der durch­greifenden Annahme zufolge, nichts Positives, viel­mehr etwas Negatives, d. i. ein geringerer Grad der Wärme. Obgleich die thierischen Organismen die Quelle einer gewissen Temperatur in sich selbst tragen, so bedürfen sie nichtsdestoweniger der äusseren Tem­peratureinflüsse zu ihrer Entwickelung und zu ihrem Fortbestehen. In dieser Abhängigkeit eben beruhen die möglichen Nachlheile der äusseren Temperatur für das thierische Leben, in welcher Beziehung die bei­den Extreme jener, als Frost und Hitze, gleich tödl-lich für dieses, durch den Erfrierungs- und Hitzetod. werden können. Es ist indess schwierig, die Wir­kung der verschiedenen Grade der Temperatur auf den thierischen Körper zu bestimmen, da bei der­selben die Träger der Wärme und Kälte in Betracht gezogen werden müssen. Uebrigens sind die Wir­kungen der Temperatur von der Zeit und dem Orte der Wärme- oder Kälte-Einwirkung und von dem Verhältniss, welches zwischen der äusseren Tempe­ratur und der des thierischen Organismus gerade be-
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4gt;
Von der Temperatur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 77
steht, abhängig. Auch ist bei der Bestimmung des schädlichen Einflusses der Temperatur wohl zu be­denken, welchen Antheil andere, gleichzeitig einwir­kende Schädlichkeiten dabei haben können. Den­noch darf im Allgemeinen eine gewisse Temperatur nicht als eine absolute, vielmehr nur als eine rela­tive Schädlichkeit betrachtet werden.
sect;• 62. Was nun ins Besondere den schädlichen Einfluss der Wärme betrifft, so ist zunächst zu bemerken: dass ein, im Verhältniss zum individuellen thierischen Organismus zu hober Wärmegrad den Lebensprozcss beschleunigt, indem er ein Ueberwiegen der Expansion über die Con­traction bewirkt. Die Folgen hiervon sind zu­nächst: Steigerung der Empfindlichkeit, Ausdehnung der Säftemasse und Beschleunigung des Blutlaufs (welche erstere sich vorzugsweise durch einen vol­len und weichern, letztere durch einen raschen Puls zu erkennen giebt), ferner: stärkere Anfülhing der Capillargefässe mit Blut, daher vermehrter Lebens-turgor, gesteigerte Ausdünstung, sogar in Form des Schvveisses, und verminderter Zusammenhang der fe­sten Theile. Alle diese Erscheinungen werden bei längerer Dauer der Einwirkung der Wärme oder Hitze so sehr gesteigert, class sie endlich Kraftlosig­keit, sowohl in den willkürlichen, als auch unwill­kürlichen Bewegungen, Verminderung der Empfind­lichkeit, profuse Schweisse, Neigung zur Zersetzung oder wirkliche Auflösung zur Folge haben. Heisse Luft kann zunächst auf die Athmungsorgane und auf die äussere Haut nachtheilig einwirken. Zur Unter­haltung eines, in jeder Beziehung wohlthätigen Ath-mens ist eine massig warme Luft erforderlich; ist
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78nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Temperatur.
sie aber zu warm, so schwächt sie, wie ans Obi­gem hervorgeht, das Conträetions-Vermögen des Lun-
gewebes und der zum Athmen dienenden Muskeln. Auch ist eine solche Luft weniger geeignet, den Umwandlungs-Prozess des Blutes in den Lungen ge­hörig zu bethätigen, weil eine heisse Luft, wegen ihrer grössereri Ausdehnung, absolut armer an Sauer­stoff ist, als talte; obgleich das relative Verhaltniss dieses zum Stickstoff sich stets gleich bleibt. Aus dieser nachtheiligen Wirkung erklären sich nun leicht das schnellere Athmen in heisser Luft, die geringere Ausbildung des Blutes, die Neigung zur Zersetzung desselben u. s. w. —Die, durch den Einfluss heisser Luft auf die Haut hervorgerufene Wirkung besteht ebenfalls zunächst in Vermehrung der Expansion in derselben, daher vermehrte Ausdehnung der Blutge-fässe und des Blutes seihst, Vermehrung der Aus­dünstung und endlich die Neigung zur Colliquation. Hierbei ist das antagonistische Verhaltniss nicht zu übersehen, in welchem die Haut mit anderen Se-cretionsorganen steht. Wird die Thätigkeit der Haul, in Form vermehrter Ausdünstung gesteigert, so wird die Secretion in anderen Organen vermindert, z. B. im Magen, im Darmkanal und in den Nieren. Es ist eine Thalsache, dass die Gallenabsonderung, bei Einwirkung hoher Wärmegrade von einer gewissen Dauer, vermehrt und fehlerhaft wird, und dadurch die Veranlassung zu biliösen Zuständen hervortritt. Eine Erklärung hierüber dürfte sich leicht aus dem Umstände ergeben, class die Leber zugleich die Fun­ction der Ausscheidung für den Kohlenstoff des Blu­tes hat, die, wie aus Obigem erhellet, bei jenem Verhältnisse nicht in dem erforderlichen Maasse durch die Lungen staltfinden wird, und daher die Leber in dieser Beziehung in vicarirende Thätigkeit tritt.
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Von dei- Temperatur.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 79
Aus den vorslelienden Angaben über die Wirkungen der grossen, an atmosphärische Luft gebundenen Wärme wird sich auch leicht ihre Wirkung ermessen lassen, wenn sie au anderen Yehikeln, wie an Dün­sten, tropfbaren Flüssigkeiten, oder an mehr oder weniger festen Körper haftet. Die Modification der Einwirkung, welche durch solche Körper hervorge­bracht wird, kann aus der eigenihümlichen Natur der letzteren leicht beurtheilt werden. Es darf da­her füglich unterlassen werden, auf eine Schilderung der Nachtheile heisser Dünste für Lunge und Haut, zu warmer Tränke für Magen und Darmkanal, zu warmer Bäder und Umschläge für die Applications-stellen und ihrer weiteren Folgen näher einzugehen. Auch wird sich der Nachtheil, welchen zu warme Bedeckung der Thiere hat, leicht ergeben; eine sol­che wirkt nicht allein als directe Schädlichkeit, son­dern auch als vorbereitende Ursache für die Erkältung.
sect;. 63. DieKälte bringt im Allgemeinen der Wärme entgegengesetzte Wirkungen im thierischen Organismus hervor; sie sind indess verschieden nach dem Grade der Kälte, nach der Dauer ihres Einflusses, nach ihrem Vehikel und nach der Con­stitution der Thiere. Wenn der thierische Organis­mus mit einem Träger der Kälte in Berührung kommt, so wird jenem so lange Wärme entzogen, bis sich ein gewisses Gleichgewicht zwischen beiden herge­stellt hat. Es bleibt indess nicht bei diesem rein physikalischen Acte, sondern es wird auch ein or­ganischer hervorgerufen. Der Organismus verhält sich beim Einflüsse der Kälte nicht ganz passiv, vielmehr reagirt er gegen dieselbe, wovon Erhöhung der Lebenswärme die Folge ist. Demnach kann es
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gOnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Temperatur.
geschehen, dass selbst eine heftige, aber vorüberge­hende Kälte, oder auch eine massige und anhaltende, reizend, d. h. die Lebensthätigkeit erhöhend wirkt. Eine dauernde und heftige Kälte aber stimmt jedesmal die Lebensthätigkeit so sehr herab, dass sie endlich ganz darniederliegt. Wenn die Wärme die Expansion der betroffenen Stellen des Organismus vermehrt, so be­dingt dagegen die Kälte ein relatives Ueberwiegen der Contraction. Die unmittelbaren und hervorste­chendsten Folgen hiervon sind: Zurücktreten des Blutes aus den Capillargefässen, daher Blässe und Abnahme der Lebensschwellung. Hierauf erfolgt von Seite der Lebensthätigkeit, unter den oben angege­benen Bedingungen rücksichtlich der Dauer und In­tensität der Kälte, eine Rückwirkung, welche sich durch Erhöhung der Wärme an den, von der Kälte betrof­fenen Körperstellen, durch Wiedereintreten der Röthe und der Lebensschwellung zu erkennen giebt. Wie bei der Wärme, so hängt auch die Wirkung der Kälte hauptsächlich von der Art und Beschaffenheil der betroffenen Körpertheile und von dem Medium ab, durch welches die Kälte einwirkt. Die bei der Wärme in dieser Rücksicht gegebenen Andeutungen. finden auch hier ihre beziehungsweise Anwendung. Wenn aber die Wärme und Kälte schon an und für sich als Schädlichkeiten betrachtet werden müssen, so ist dies noch in einem höheren Grade bei plötz­lichen Uebergängen aus dem Einflüsse der einen in die andere der Fall; wobei, wie leicht einzusehen, die Einwirkung der einen Potenz die Empfänglichkeit für die andere sehr steigern muss.
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Von der Eloclrizitäl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;81
Zehntes Capitel.
Von der Eleclrizitiil.
sect;. (54.
Die cosmisclie Electrizität kommt, wie die vor­hergehenden Potenzen, vorzugsweise vermittelst der atmosphärischen Luft zur Einwirkung auf den thie-rischen Organismus. Wir lassen uns hier auf die Hypothesen ihrer Entstehung, ob sie aus dem pola-risirenden Einfluss des Sonnenlichtes auf die Erdober­fläche, oder aus der, durch den Umschwung der Erde veranlassten Reibung dieser mit der atmosphä­rischen Luft hervorgeht, als aussei- den Grenzen un­serer Aufgabe liegend, nicht näher ein. Bemerkens-werth dürfte es indess sein, dass die atmosphäri­sche Electrizität in der Regel die positive, obwohl nicht, selten auch die negative ist. Die Stärke und Art der Luftelectrizilät dürften vom Klima (sowohl vom geographischen, als physikali­schen), von den Jahres- und Tageszeiten, so wie von den bekannten meteorischen Prozessen abhängig sein. Bis jetzt aber wissen wir weder über die Bil­dungsgesetze der atmosphärischen Electrizität etwas Gewisses, noch etwas Befriedigendes in Bezug auf ihre Wirkungsweise auf den thierischen Organismus. Was in letzterer Rücksicht aus Beobachtungen der atmosphärischen und ans Versuchen mit der künstli­chen (sowohl der Reibungs-, als der galvanischen) Electrizität angegeben werden kann, ist etwa Folgen­des: Sie befördert im Allgemeinen die Le­bens-, ins Besondere die Bildnngsthätigkeil; erhöht die gesunkene Muskelreizbarkeit, be­schleunigt den Blutumlauf und befördert die Se- und Excrelioneu,
TiicliSj öligem, Pathoi,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;iraquo;
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gonbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der ElectrizilSt.
sect;#9632; 65. Zu starke und zu schwache electrische Eiaflüsse können gleich aachtheilige Wirkungen in dem thierischen Organismus hervorbringen. Das Vor­kommen allerlei nervöser Zufalle beim Menschen kurz vor einem Gewitier, wobei den auf der Erde befind­lichen Körpern Elecliizilät entzogen oder auch im Ueberraaasse zugeführt wird, ist allgemein bekannt; aber auch bei Thieren haben wir unter einem sol­chen Verhältnisse nicht selten Gelegenheit, Erschei­nungen zu bemerken, welche auf Angst und Ermat­tung hindeuten. Auch beobachten wir, dass bei ge-witlerschwangerer Luft kranke Thiere häufiger hin­sterben, oder sonst gesunde von höchst gefahrlichen Krankheiten, wie vom Milzbrände, befallen werden. Die zu starke Einwirkung der Electiicität ins Beson­dere, z. B. der electrische Funke, bewirkt an den berührten Körperstellen Erscheinungen der Congestion oder selbst der Entzündung. Auch ist es ja allbe­kannt, dass die stärksten Grade derselben, die Blitze, den Tod der grösseren landwirthschaftlichen Haus-thiere hervorbringen können. Der Tod ist als Folge einer Nervenlähmung zu betrachten, wenn die Thiere unmittelbar vom Blitze getroffen werden. Die nähere Beziehung der Electricität zum Nervensystem kann in einemquot; solchen Falle aus dem Umstände gefolgert werden, dass der Blitz vorzugsweise die nervenreichsten Körperstellen trifft. Nicht immer aber sind die, durch den Blitz umgekommenen Thiere unmittelbar von dem­selben getroffen worden; vielmehr dürfte der Tod in einem solchen Falle häufig durch Erstickung, in Folge der, bei Entladung des Blitzes stattfindenden Zusam-mendrückung und darauf folgenden Ausdehnung, so wie der theilweisen Zersetzung der Luft zu Stande kommen. Da nun aus dem bisher Gesagten die dy-
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Von der Electriziläl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33
Harnischen Wirkungen der Electrizität hinreichend erkannt werden, und ihre mechanischen noch ins Besondere aus der oftmals eintretenden Aufhebung des Zusammenhanges der Körpcrtheile durch den Blitzestod hervorgehen, so bliebe nur noch übrig, Einiges über ihre chemische Wirkung anzuführen. Es ist durch Versuche ermittelt, dass electrisirles Blut schwärzer, und dass ein solches durch Einfluss der Lull nicht wieder geröthet wird; auch ist es That-sache, dass das Blut der vom Blitze getödteten Thiere nicht geronnen ist und durchgängig eine venöse Be­schaffenheit hat. Fügt man endlich hinzu, dass sol­che Thierleichen schnell in Fäulniss übergehen, so wird aus allem Diesen eine veränderte Mischung des Blutes, mithin die chemische Wirkung der Electrizi­tät aufs klarste hervorgehen. Vergleichen wir die letztgedachten Erscheinungen mit denjenigen des Milz­brandes, so können wir uns, wegen ihrer grossen Aehnlichkeit, der Annahme kaum erwehren, dass die Electrizität als Ursache genannter Krankheit eine grosse Bolle spielt.
Zusatz 1. Ob bei den Thieren die Wirkung der po­sitiven Electrizität vender der negativen verschieden ist, darüber wissen wir zur Zeit nur wenig; auch werden wir wahrscheinlich niemals etwas Bedeutendes hierüber erfah­ren; da die Erscheinungen, welche beim Menschen durch die entgegengesetzten Pole hervorgerufen werden, meist subjective, mithin auf dem Gefühle beruhende sind. Nur soviel ist uns schon seit langer Zeit bekannt, dass durch den Einfluss der positiven Eleclricität solche organisch-che­mische Veränderungen in den thierischen Gebilden vorge­hen, welche in einer Verdichtung des Gewebes und der Flüssigkeit, und in einer Verminderung der Aufsaugungs-thätigkeit bestehen; wogegen durch die Einwirkung der ne­gativen Elcctricilat ein umgekehrtes Verhiiliniss zu Stande kommt. Man hat daher schon oftmals die verschiedenen
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qanbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Yon der Atmosphäre.
electrischen Pole zu therapeutischen Zwecken in Vorschlag gebracht, und namentlich dieselben in der neuesten Zeit versuchsweise zur Erzeugung und Entfernung des grauen Staars bei Thieren, aber mit zweifelhaftem Erfolge, angewandt. Zusatz 2. Die schon früher von Thierarzten ausge­sprochene Ansicht, dass ein abweichendes electrisches Ver-hältniss in der Atmosphäre, ein ätiologisches Moment bei der Erzeugung des Milzbrandes abgebe (der der Verf., abgese­hen von der im vorstellenden sect;. enthaltenen wissenschaftli­chen Deduction auch nach seiner Erfahrung beistimmt), ist zuerst von Dressler in seiner Abhandlung: Ueber die Ur­sachen der Anthrax-Krankheiten (Gurlt's und Hertwig's Magazin 1837, 11. lieft) näher begründet worden. Eine wei­tere Begründung findet diese Annahme in der überraschen, den Aehnlichkeit des Milzbrandes mit der Cholera, während beim Herrschen dieser Epidemie an einigen Orten ein Vor­stechen der negativen Eleclrizität der Luft nachgewiesen wurde, vgl. Buzorini's jüngst (1841) erschienene Schrift über Luftelectrizitat, Erdmagnetismus und Krankheits-Con­stitution, welche auch den Thierarzten, zum Behufe der Aufklärung über ätiologische Verhältnisse, sehr empfchlens-werlh sein dürfte.
Eilftes Capitcl.
Yon der Atmosphäre
sect;. 66. Die gasige Flüssigkeit, welche unsere Erde bis auf eine nicht genau zu bestimmende Höhe um-giebl, und deren Dichtigkeit mit der Entfernung von dieser abnimmt, nennen wir atmosphärische Luft; denjenigen Theil derselben aber, welcher sich bis auf eine gewisse Höhe unmittelbar an der Erde be­findet, und in welchem die bekannten meteorischen
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Von der Atmosphäre.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 85
Prozesse, wie Regen, Wind, Gewitier u. s. \\. zu Stande kommen; Dunstkreis. In diesem sind die organischen Geschöpfe zu leben beslimnit; sie neh­men StofTe aus ihm auf und setzen solche an ihn ab. Die atmosphärische Luft wirkt auf den Thier-korper zunächst durch die Lunge, die Haut und durch den Darmkanal, unmittelbar auf beiden ersle-ren Wegen und mittelbar auf letzterem durch Nah­rungsmitlei und Getränke. Da ohne atmosphärische Luft Organismen weder entstehen, noch bestellen können, so ergiebt sich hieraus, dass sie ein vor­zügliches Belebungs- und Erhaltungsmittel für diesel­ben ist. Nur dann -wird die Luft zu einer höchst gefährlichen Schädlichkeit, wenn ihr normales Ver-hältniss abgeändert ist. Eine genaue physikalische und chemische Kenntniss der atmosphärischen Luft ..nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;muss nothwendig voraussehen, um ihre Wirkungen
auf den thierischcn Organismus in ein gehöriges Licht zu setzen. Wir müssen uns hier auf Weniges in dieser Beziehung und in einer andern, aber höchst bemerkenswerthen, welche sogleich berührt werden soll, beschränken. Wir haben es nämlich zuvörderst zu bewundem, wie die Luft, ein eigenthümliches, selbstständiges Leben, und so zu sauen ein organi-sches Selbsterhaltnngs- und Assimilations-Vermögen besitzt. Ihre Ilauptbestancltheile, Sauerstoff und Stick­stoff, werden meist in ganz gleichen relativen Ver­hältnissen gefunden. Die Kohlensäure, ein beständi­ger Gemengtheil derselben, macht auch nur geringe Abweichungen, so dass die grosse Masse des hete­rogenen und fortwährenden Zuflusses, welcher aus der Zerstörung organischer und unorganischer Körper hervorgeht, doch keine auffallende allgemeine Ver­änderungen in derselben bewirkt; nur sind solche an gewissen Orten unter besonderen Verhältnissen nach-
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Von der Atmosphäre
weisbar. Anderntheils aber kann das organische Le­ben der Atmosphäre dadurch erwiesen werden, dass ein abgeschlossener, aussei- Zusammenhang mit dem Ganzen sich befindender Theil der Luft in sich ab­stirbt und schädliche Eigenschaften erlangt.
Zusatz. Bei den abweichenden Ansichten der Physi ker, von denen einige die atmosphiirische Luft für eine che­mische Zusammensetzung aus '20 Theilen Sauerstoff und 80 Theilen Stickstoff, andere dieselbe fur eine constants Mischung von -21 Theilen Sauerstoff und 79 Theilen Stickstoff halten, und noch andere eine, nach der verschiedenen Höhe sich ändernde Zusammensetzung annehmen, hielten Dumas und Bousingault neue Experimente fur nöthig. Sie haben solche wiederholt nach einem eigenthümlichen Verfahren mit grösstmöglicher Genauigkeit angestellt, und die gewonnenen Resultate'der Akademie der Wissenschaften in Paris, in ih­rer Sitzung vom 7. Juni 1841 mitgetheilt. Sie sind über­einstimmend mit der von den französischen Physikern an­genommenen Zusammensetzung der Luft, die sich auf die, vor 35 Jahren angestellten eudiometrischen Untersuchungen von AI. v. Humboldt und Gay-Lussac gründet. In 100 Gewichtstheilen Luft befanden sich nach dem Mittel von 6 Beobachtungen 23,01 Sauerstoff und 76,99 Stickstoff, mithin war das Verhältniss beider Stoffe zu einander fast genau wie 23:77. Die Dichtigkeit des Sauerstoffs war nach dem Mittel von 3 Beobachtungen 1,1057, die des Stickstoffs 0,972; woraus sich für 100 Volumtheile Luft das Volumen des Sauer­stoffs = 20,80 und das des Stickstoffs = 79,22 ergab. Bei den, während des Regens angestellten Versuchen hat man nur höchst unbedeutende Veränderungen gefunden; die Quantität des Sauerstoffes variirte nicht um -^Vö Theil. Aus der Vergleichung mit früheren Beobachtungen von Dal ton, Gay-Lussac u. A. ergab sich ferner, dass die Zusammen, setzung der Luft in allen Höhen dieselbe bleibt, so wie sie sich auch seit 40 Jahren nicht merklich verändert hat. — Aussei- den gedachten, in ihrem gegenseitigen Verhältnisse sich gleichbleibenden Bestandthcilen, hat die Luft aber auch
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noch andere nicht minder constante, aber doch an Menge etwas veränderliche, wie Kolilensäiire und Wassergas. Der Gehalt der Luft an ersterer schwankt zwischen 0,0003 und 1 pr. C, der des letzteren kann ungefähr bis zu 1 pr. G. betragen. Höchst selten erreicht die atmosphärische Luft das hier angegebene Maximum von 1 pr. C. an Kohlensaure. Nach einer, von Leblanc in der Akademie in Paris am 6. Juni 1842 gelesenen Abhandlung war Dies in einem gros-sen Hörsaale der Sarbonne der Fall. Liebig ha! in der neuesten Zeit noch einen Stelen Gehalt an Ammoniak in der Luft nachgewiesen, der von der Fäulniss tbierischer Körper herrühren und bei der Ernährung der Pflanzen eine wich­tige Rolle spielen soll.
sect;• 67.
Die atmosphärische Luft kann durch verschiedene Umstände schädlich wirken; durch Druck und Bewe­gung, dann in Verbindung mit andern Potenzen, mit Licht, Wärme, Kälte und Electricilät, und da­durch, dass in ihr Stoffe vorkommen, welche nicht zu ihrer normalen Zusammensetzung gehören.
Zunächst wollen wir erörtern, was unter Con­stitution der Atmosphäre (constitulio atmosphae-rica) zu verstehen ist. Es ist erfahrangsmässig, dass eine heitere, trockene, kalte Luft, welche eine grosse (durch den höheren Stand des Barometers nachweis­bare) Dichtigkeit und Spannung besitzt, in Verbin­dung mit Nord- und Ostwind anders auf den thieri-schen Organismus wirkt, als eine sehr feuchte und warme (durch den niederen Barometerstand nach­weisbare) geringere Dichtigkeit und Spannung besiz-zende Luft in Verbindung mit Süd- und Westwin­den. Von diesen beiden ist in der Wirkimg wieder verschieden eine, in der zuletzt beschriebenen Art beschaffene Luft, wenn sie, anstatt wann, kalt und mit Nebel. Rogen, Schnee u. dgl. beeleitet ist. Sol-
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ggnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Atmosphäre.
ehe an sich und auch in ihrer Wirkung abweichende Zustände der Luft werden nun als eigenthümliche Constitutionen derselben bezeichnet. Die erstge­dachte hat die Eigenthümlichkeit, dass sie über­haupt die Energie des Lebens erhöht, vorzüglich die Bluthildung; sie giebt aber auch leicht Veranlas­sung zu Congestionen, vorzugsweise nach den Lun­gen, wo sie nicht selten bis zur Entzündung gestei­gert wird. Demnach begründet eine solche Luftbe­schaffenheit die sogenannte entzündliche Krank-heits-Constitution, entzündliche oder sthenische epizootische Constitution, entzündlicher oder stheni-scher Krankheits-Genius (constitutio epizootica inflain-matoria vel stheuica; genius morbosus inflammato-rius vel sthenicus). Die zweite der oben gedach­ten Luftconstitulionen wirkt überhaupt schwächend auf die Lebensencrgie, befördert Leiden des Ver-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; i,
dauungs-Apparates, vorzugsweise des ihm angehö-rigen Pfortadersystems durch Ilcrvorrufung einer hö­heren Venosität des Blutes in demselben. Da nun überdicss noch solche Leiden gern den nervösen Character annehmen, so findet man in der sie be­dingenden Luftconstilution die Begründung für die Annahme einer astbenischen, gastrischen, bi-liösen und nervösen Krankheits-Conslitution (constitutio epizootica asthenica, gastrica, biliosa et nervosa etc.) Die dritte Luftconstilution endlich bringt, ihrer eigenthümlicben Beschaffenheit zufolge, leicht Erkältungen und hierdurch, auf antagonistischem Wege, Leiden der fibrösen, serösen und der Schleim-häule zu Stande und begründet sonach die katar­rhalische und rheumatische Krankheits-Con-stitulion (constitutio epizootica catarrhalica et rheu-matica).
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Zusatz. Die hier berührten bilden die Haupt-Gon-slilutionen der Atmosphäre. Es ist begreiflich, dass sie mannigfaltigen Modificalionen unterworfen sein können, und diesen entsprechend auch Modificationen in den, durch sie be­dingten Krankheits-Constitutioneu eräugen müssen. Will man aber in der Beurtheilung der Wirkung der gerade obwal­tenden Luft-Constitution nicht irre gehen, oder sie allseitig gehörig würdigen, so muss sie stets mit Rücksicht auf die vorhergegangene betrachtet werdcu, da diese als vorberei­tende wirkt.
sect;• es.'
Der Druck der Atmosphäre kann wenigstens nicht so liiiufig als eine so ausgezeichnete Schädlich­keit für die Hausthiere nachgewiesen werden, wie für den Menschen. Nichtsdestoweniger besteht sie als solche, und kann auch in einzelnen Fällen that-sächlich nachgewiesen werden. Obgleich die Luft ein sehr leichter Körper ist, so hat sie doch ihre Schwere, welche mit der Höhe ihrer Säule wächst, die 40—45 geographische Meilen (die un­gefähre Höhe des Luftkreises) betragen kann. Der Druck der Luft, welcher auf die Körper der Thiere stattfindet, ist enorm, so hat man z. B. denselben, welcher auf ein Pferd wirkt, wenn ein solches 50^' Oberfläche hat und sich auf einer Höhe von 200' über der Meeresfläche befindet, auf 107150 Pfund berechnet. Dieser ungeheure Druck kann nur da­durch ertragen werden, dass vom Innern des Kör­pers aus ein entsprechender Gegendruck geleistet wird, der vorzugsweise in der Ausdehnungsfähigkeit der flüssigen Theile zu beruhen scheint. Ein zu starker Luftdruck, wie er bei hohem Barometer­stände in tiefen Thälern oder in der Nähe des Mee­res stattfindet, treibt das Blut nach den inneren Or-ganen. Die Folgen davon sind: Beschränkunlaquo; der,
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Von der Almosphän?.
dann mehr in Form von Schweiss eintretenden Haut­ausdünstung; ferner: erschwertes Athmen, Muskel­schwache und Schwindel. Bei starkem Luftdruck athmen dämpfige Pferde weit schwerer und mit ge­nesenden Lungenentzündungen geht es sehr langsam vorwärts (Rychner). Ein zu schwacher Luftdruck, wie er sich bei tiefem Barometerstände auf Höhen äussert, befördert die Expansion der flüssigen Theile, namentlich des Blutes zu sehr, daher Andrang des­selben nach den äusseren Theilen, nach Haut und
Lungen.
Die Folgen hiervon sind: vermehrte Le-
bensschwellung, erhöhte (gasförmige) Hautausdün-stung und sogar Durchtreten des Blutes durch die Lungenschleimhaut und die Conjunctiva der Au­gen; ferner: erschwertes Athmen und unvollkommene Blutbildung. Nur selten befinden sich unsere Haus-thiere, wie bereits angedeutet, in solchen Verhält­nissen, wo jene Erscheinungen vorkommen; selbst auf den Alpenweiden kommen die des verminder­ten Luftdrucks nicht häufig vor, was Rychner der dort vorhandenen reineren Luft vorzugsweise zu­schreibt. Die Macht der Gewohnheit scheint indess hier mit in Betracht kommen zu müssen, v. Humboldt bemerkt (Ans. d. Natur, S. 161), dass auf der 2897 Toisen (ein franz. Längenmaass = G', ein Klafter) über dem Meere gelegenen Gebirgsebeae des Anti-sana (in Südamerika) die verwilderten Stiere Blut aus der Nase und dem Maule verlieren, wenn sie mit Hunden gehetzt werden. Diese Erscheinung kommt indess auch bei uns unter gewöhnlichem Luftdruck bei gehetzten Thicren vor, w7omit aber ihr leichte­res Eintreten auf jener Höhe keinesweges abgeleug­net werden soll. — Um die Wirkungen des Luft­drucks gehörig zu beurtheilen, ist es nolhwendig, auch auf gleichzeitig stattfindende andere Verhältnisse der
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Atmosphäre, wie auf Temperatur, Electrizität, Feuch­tigkeit und Sauerstoffmenge mit Rücksicht zu nehmen.
Zusatz. Hieran schliesst sich die Schädlichkeit, wel­che der Luftmangel haben kann. Da atmosphärische Luft eine nolhwendige Lebensbedingung ist, so muss Mangel der­selben das Leben aufheben. Luftmangel kann entweder durch ein mechanisches Hinderniss in den Luftwegen bei allerlei krankhaften Zuständen derselben oder bei Erdrosse­lung (strangulatio) oder auch durch gänzliche Entziehung der Luft vermittelst eines andern Mediums, wie beim Er­trinken (submersio), Verschütten mit Erde u. dgl. stattfin­den. Alle diese Veranlassungen bedingen die Erstickung (suffocatio), deren nähere Betrachtung der speziellen Patho­logie anheimfällt.
sect;• 69. Winde werden die Ortsbewegungen der atmo­sphärischen Luft genannt, wrenn sie einen gewissen Grad der Geschwindigkeit erreichen. Sie scheinen für die Erhaltung der guten Beschaffenheit der Luft selbst, mithin auch für die, in ihr lebenden Geschö­pfe nothwendig zu sein; denn wir sehen an solchen Orten, wo die Luft weniger gewechselt wird, häu­figer Krankheiten unter den Thieren entstehen, als da, wo das Entgegengesetzte der Fall ist. Indess kann die Luft in den verschiedenen Graden ihrer Bewegungs-Geschwindigkeit, vom gewöhnlichen Wind bis zum Sturm und Orkan, auch schädlich wirken. Es ist aber wohl zu merken, class es der vermehrte Stoss und Druck nicht allein sind, welche hierbei in Betracht kommen; vielmehr ist auch die Richtung des Windes nach den Himmelsgegenden, seine Tempera­tur, sein Feuchtigkeitsgrad u. dgl. dabei zu berücksichti­gen. Das rein mechanische Verhältniss eines starken Windes bewirkt, wie der starke Luftdruck überhaupt, An­häufung des Blutes in inneren Theilen. Das Uebrige er-
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gonbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Atmosphäre.
giebt sich aus den vorhergehenden sect;sect;., und nament­lich aus dem, welcher über die Luftconstitulionen handelt. Inwiefern die eigenlhümlichen Arten von Winden, welche in verschiedenen Gegenden vorkommen, auf unsere Hansthiere schädlich wirken können, ist, so viel ich weiss, noch nicht gehörig festgestellt. Als Winde solcher Art dürfen hierher gezahlt werden: 1) die Passat win de, welche be­sonders zwischen den Wendekreisen in gewissen Jah­reszeilen nach einerlei Richtung wehen; 2) der Si­rocco oder Scirocco, ein sehr heisser und trocke­ner Südwind in Italien; 3) der Samum, auch Sa-miel oder C ha ras in genannt, ein zum Ersticken heisser, für Menschen oft lödllicher Wind, der im südlichen Asien und in Afrika vorkommt; 4) der Hamattan, ein auf Guinea vom December bis Fe­bruar drei bis viermal vorkommender, ausserordent-lich trockener Wind. — Dass endlich die Zugluft als eine, nur einzelne Körperstellen treffende Luft­strömung, durch rasche Entziehung der Wärme an diesen, in Folge beschleunigter Verdunstung der Hautfeuchtigkeit, sehr nachtheilig durch Hervorrufung entzündlicher, rheumatischer und katarrhalischer Af-fectionen werden könne, und zwar um so eher, als die Haulthäligkeit früher gesteigert war, ist hinrei­chend bekannt..
sect;. 70.
Der Schall, welcher in eigenlhümlichen, durch Erschütterung elastischer Körper hervorgerufenen Schwingungen der Luft besteht, ist hinsichtlich der Quantität und Qualität seiner Wirkung auf die Thiere noch fast gar nicht physiologisch erforscht. Wir können von den nachtheiligen Wirkungen des Schal­les nur anführen, dass Thiere durch plötzlichen und
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starken Schall wohl erschreckt werden, und dass namentlich Hunde durch manche Töne und Tonrei­hen in Angst gerathen, und dies durch Geheul und Gebell zu erkennen geben; als krankmachende Po­tenz sind aber solche Vorgänge nicht weiter be­kannt, wenn man von mechanischen Verletzungen absieht, welche sich in Schreck und Angst gerathene Thiere durch Sprünge u. dgl. zuziehen können.
Nicht anders ist es auch mit der Beschaffenheit der Luft, in welcher sie sich als mit bestimmten Gerüchen versehen darstellt. Der Geruchsinn ist den Thieren für die Wahl der Nahrungsmittel und der zu athmenden Luft, so wie für andere individuelle und Gattangszwecke gegeben. Inwiefern aber bestimmte Gerüche für sie nachtheilig werden können, wissen wir nicht. Da indess die Nase als Wächter über die Respirations-Organe gesetzt zu sein scheint, so thun wir wenigstens wohl, von den Thieren nicht das Athmen derjenigen Luft zu verlangen, welche wir fliehen.
Zusatz. Die Luft, kann übrigens auch durch allerlei chemische Beimengungen eine mehr oder minder grosse Schädlichkeil erlangen, so durch irrespirable Gasarten beim Verbrennen, oder da, wo solche aus der Erde steigen, bei chemischen Fabriken u. s. w.; oder durch Suspension von giftigen Metalloxyden bei metallurgischen Prozessen u. s. w. Es würde zu weit führen, wenn wir uns hier auf diesen Gegenstand näher einlassen wollten, der Uberdiess als be­kannt aus der Chemie und Materia medica vorausgesetzt werden muss.
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94nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Witterung!
Zwölftes Capitel.
Von dor Witterung.
sect;• 71. Witterung nennen wir den veränderlichen, von cosmisch-tellurischen Prozessen abhängi­gen Zustand der Atmosphäre in Bezug auf ihren Druck, ihre Elasticität, Bewegung, Temperatur-, Feuch­tigkeit, Trockenheit und Electrizität, mit Rücksicht auf die, diese Verhältnisse begleitenden Meteore, wie Nebel, Thau, Regen, Reif, Hagel, Schnee und Gewitter. Die Witterung kann ausserordentlich viele Combinationen dieser Verhaltnisse darstellen; ihre mög­lichen Schädlichkeiten können aber aus dem bereits speziell abgehandelten oder aus den nächstfolgenden sect;sect;. leicht abgeleitet werden. Es ist indess hierbei zu berücksichtigen, dass wohl keinerlei Witterung an und für sich als absolut schädlich für unsere Hausthiere betrachtet werden kann; dass sie vielmehr erst dann zur Schädlichkeit erhoben wird, wenn sie mit dem Klima, der Jahreszeit oder der Localität nicht übereinstimmt, oder wenn sie durch zu lange Dauer, noch mehr aber, wenn sie durch schnelle Uebergänge aus einem Extrem in das andere sich auszeichnet. Im letzteren Falle ist dann die voraus­gegangene Witterung als vorbereitende Ursache für die Wirkung der Nachfolgenden zu betrachten.
Zusatz. Die Begriffe von Witterung und Luflconstitu-tion haben viel Uebereinstimmendes. Der Unterschied zwi­schen beiden kann aber dahin festgestellt werden, dass die Luftconstitution (ein mehr dauerndes Verhältniss) als aus wechselnden Witterungs-Momenten zusammengesetzt betrach­tet werden kann.
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Von den Jahres- und Tageszeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;lt;J5
Dreizehntes Capitel.
Von den Jahres- unü Tageszeiten.
sect;• 72. Es wird als bekannt vorausgesetzt, dass die Jah­reszeiten durch die jährlich einmal erfolgende Bewe­gung der Erde um die Sonne in elliptischer Bahn, und dass die Tageszeiten durch die täglich einmal erfolgende Drehung der Erde um ihre Achse entste­hen. Hierdurch wird die verschiedene Entfernung der Erde zur Sonne, ihre Stellung zu einander be­dingt, und eben dadurch der zeitlich und räumlich verschiedene Einfluss der letzteren auf die erstere möglich gemacht. Der Erfolg hiervon ist eine längere oder kürzere, eine mehr oder minder intensive Einwir­kung des Sonnenlichts und das Hervortreten solcher Abweichungen in den atmosphärischen Zuständen, wie wir sie bereits in den vorigen sect;sect;. kennen ge­lernt haben. Wir bemerken, dass mit dem periodi­schen Steigen und Fallen des Sonneneinflusses eine entsprechende Veränderung in dem Entwickelungs-gange der Organismen stattfindet, so dass täglich am Morgen und jährlich im Frühjahr die Energie des Le­bens wächst, dass sie am Mittage und im Sommer die grösstmögllche Höhe erreicht, im Herbste und am Abend wieder sinkt, und so in der Nacht und im Winter eine entsprechende Tiefe erreicht. Aus-ser jener Schwankung in der Lebensenergie über­haupt, haben wir aber noch ins Besondere bei den Thieren auf eine in den einzelnen Functionen bemerkbare, mit den Tages- und Jahreszeilen zusam-menhängende Steigerung und Verminderung Rücksicht zu nehmen, da diese in ätiologischer Beziehung von
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9Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von den Jahres- und Tageszeiten.
noch grösserer Wichtigkeit zu sein scheinen, als jene. Hierüber enthalt der folgende sect;. das Nähere.
sect;• 73. Am Morgen, auffallender aber im Frühjahr, erlangt die Lbeensthätigkeit, vorzugsweise aber die Bildongsthätigkeit eine extensivere Richtung, als in den vorhergegangenen Zeiten zu bemerken war. Im Frühjahr wird die Bildung des Blutes auffallend ver­mehrt, obgleich die Ausbildung desselben nicht die Höhe zu erreichen scheint, wie im Winter. In dem­selben giebt sieb ferner eine grössere Bewegung und ein grösserer Andrang nach den peripherischen Kör-pertheilen zu erkennen. Dies gilt nicht allein von der allgemeinen Decke, sondern auch von der inneren Körperoberfläche, von der ganzen Schleimhautaus­breitung, worin ebenfalls höhere Actionen zu bemer­ken sind. Die im Frühjahr stattfindenden häufigeren Erkältungen sind aber nicht allein in der gesteiger­ten Hautlhätigkeit, und daher in der grösseren Ver­letzbarkeit, derselben zu suchen, sondern auch in dem häufigeren Temperaturwechsel jener Zeit. Aus allem Diesen erklärt sich nun leicht, warum wir im Frühjahr Congcstionen, katarrhalische und rheumati­sche Leiden vorherrschen sehen. Ob auch solche Krankbeitszustände bei unseren Hausthieren, wie beim Menschen, häufiger Morgens eintreten, darüber feh­len sichere vergleichende Beobachtungen. Vom Mor­gen bis zum Mittag, vorzugsweise aber bemerklich vom Frühjahr bis zum Sommer, gewinnen die ani-malen Verrichtungen (Sensibilität und Irritabilität) an Stärke, so class diese endlich die vegetativen zu über­wiegen scheinen. Wegen der gleichzeitig stattfinden­den grösseren Wärme im Sommer und am Mittage ist die Transpiration der Haut verstärkt, und hierdurch
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Von den .lalire.s- und Tageszeiten.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;97
#9632;werden die übrigen Secrete auf ankigonislische Weise vermindert, oder doch concentrirter. Wegen der grösseren Verdünnung der Luft ferner in diesen Zei­ten, und daher eintretenden Verminderung derSauer-stoflmenge in Bezug auf ein bestimmtes Raummass der Atmosphäre, geht die Umwandlung des Blutes nicht mit der früheren Stärke vor sich; es wird rei­cher an Kohlenstoff. Die Leber, welche theilweise als ein Excretions-Organ für den Kohlenstoff zu be­trachten ist, tritt in vicarirende Thätigkeit für die Lungen. Diesen Angaben zufolge erklärt siel) das Vorherrschen des biliösen Krankheits-Characters, ver­bunden mit Unordnungen in der irritabeien und sen-sibelen Sphäre -während des Sommers, und das Her­vortreten gewisser Leidensformen, wie Starrkrampf, Hirnentzündung, Nervenfieber, Milzbrand, Koller, Toll-wuth u. tlgl. — Gegen Abend, vorzugsweise aber im Herbste, tritt wieder Abnahme in der Lebens­energie ein. Wenn im Frühjahr die Zeugungsthätig-keit aufs Höchste steig!, so sinkt sie im Herbste auf den tiefsten Punkt. Auch im übrigen animalen Le­ben ist eine Abnahme zu bemerken, während sich das vegetative wieder bervorthut; namentlich belhä-tigen sich wieder die Aclionen der Schleim- und serösen Haute. Es liefert uns Dies ein Verständniss. warum wir im Herbste ähnliche Leiden, wie im Frühjahr, am häufigsten herrschen sehen, die nach Einwirkung der dort angegebenen Schädlichkeiten um so leichter entstehen, als die Empfindlichkeit der Haut während des Sommers gesteigert wurde. Im Winter, noch mehr aber in der Nacht, bemerken wir ein Sinken der Lehensenergie auf ihren relativ tiefsten Grad, so aber, dass das vegetative Leben das animale bedeutend überwiegt. Die Verdauung und Biutbildung sind namentlich im Winter sehr ener-
Fucbs, ullffem, Patlio].nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;*7
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98nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Klima.
gisch, und der Stoffansatz, unter übrigens günstigen Verhältnissen, bedeutend. Die höhere Thätigkeit in den Respirations-Organen wahrend des Winters wird vorzugsweise durch die, dem organischen Tonus günstige Kälte und durch den Sauerstoffreichthum der übrigens auch reineren Luft bedingt. Hieraus ergiebt sich, wrarum wir im Winter als reine Ent­zündungen ausgesprochene Krankheiten der vegeta­tiven Organe, vorzugsweise der Lungen, häufiger sehen, als in irgend einer anderen Jahreszeit.
Zusatz. Um den Einfluss der Jahreszeiten auf die Hausthiere allseitig und gründlich würdigen zu können, ha­ben wir zu beachten, welchen Einfluss dieselben auf die organische Welt überhaupt, namentlich auf die, den gröss-ten Theil der Nahrungsmittel bietende Pflanzenwelt haben. Dann müssen wir die herrschenden Witterungsverhältnisse und den Eindruck berücksichtigen, welchen die verberge-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;raquo;
gangeneu Jahreszeiten und Witterungen auf die thierische Organisation gemacht haben; denn durch dieses Alles kön­nen unendlich viele Modificationen und Combinalionen in den bezeichneten, einer jeden Jahreszeit eigenthümlichen Krank­heiten bedingt werden.
Tierzelintes Capitel.
Vom Klima.
sect;. 72. Man hat das geographische Klima vom phy­sischen zu unterscheiden. Jenes wird bedingt durch die Stellung der Erde zur Sonne, also durch die geographische Breite; dieses aber durch die, einem jeden Landstriche eigenthümliche Beschaffenheit der
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Vniii Klirna.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; yj)
lirdoberflache, wie durch Gebirge, Tluilor und Ebe­nen, durch die Vertheilung des Wassers und Landes; ferner dadurch, ob die Dammerde oder irgend eine Steinart, wie Sand, Kalk, Thon n. dgl. vorherrschend ist; endlich durch den Stand der Vegetation, durch die mehr oder minder grosse Ausbreitung der Wäl­der und der ihnen eigenen Holzarten; also durch den Standpunkt der Bodenkultur überhaupt. Es ist einleuchtend, dass bei Beurtheilung der Kli-mate der Einfluss beachtet werden müsse, den die geographischen und physischen Klimate auf einander haben. Auf jeder Halbkugel unserer Erde, der süd­lichen und nördlichen, nehmen wir drei verschie­dene geographische Klimate (Zonen oder Erd­gürtel) an: ein heisses oder Tropenklima, ein kal­tes oder Polarklima und ein gemassigtes. Das Erstere erstreckt sich zu beiden Seiten des Aequa-tors bis auf 23?0 südlich und nördlich, und wird hier durch die Wendekreise des Steinbocks und des Krebses begrenzt. Die kalten Klimate liegen um die Pole herum und erstrecken sich ebenfalls bis auf 23^deg; Breite, und werden durch den südlichen und nörd­lichen Polarkreis begrenzt. Die gemässigten Klimate endlich liegen zwischen diesen beiden, ein jedes mit einer Ausbreitung von 43deg;; sie werden also von den beiderseitigen Wende- und Polarkreisen eingeschlossen.
sect;. 73.
Der verschiedene Licht- und Wärme-Einfluss und die hiervon abhängigen anderweitigen meteorischen Zustände der geographischen Klimate lassen, in ih­rer Wirkung auf die organischen Wesen, eine grosse Aehnlichkeit mit den Jahreszeiten nicht verkennen. So entspricht in dieser Beziehung das Tropenklima dem Sommer, das Polarklima dem Winter, und das
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Vom Klima.
gemassigle, nraquo; sofern es an das Tropen- oder Po­larklima grenzt, dem Frühling und dem Herbst. Es dürfte daher iiberflüssig erscheinen, etwas Besonde­res über ihren EinflttSS zu sagen, da der Unterschied nur grösstentheils im Grade liegen kann. Das aber sind wir hinzuzufügen gedrungen, dass die Einflüsse des Tropenklimas und der Polarzonen auf unsere Hauslhiere ausser unserer näheren Erfahrung liegen. Es ist einleuchtend, dass auch die physischen Kli-mate einen grossen Einlluss auf das organische Le­ben, ins Besondere auf unsere Hausthiere, sowohl in Rücksicht der relativen Gesundheit, als Krankheit haben müsse. Wie schwierig es aber auch sein mag, die, aus den Klimatcn hervorgehenden Wir­kungen auf die Hausthiere im Voraus zu bestimmen, so glauben wir doch ihre Folgen in der Regel ziem­lich leicht auf die Ursachen zurückführen zu können.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; i Man darf blos an die verschiedenen Ragen der Haus­thiere, oder an die, unter ihnen vorkommenden Krankheiten, welche gewissen Gegenden eigenthüm-lich sind, oder hier und dort häufiger oder seltener, in einem mehr oder weniger ausgebreiteten Gradenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; N vorkommen, denken, um die Bedeutung der Klimata in jener Rücksicht einzusehen. Das mehr oder min­der gute Klima wird durch die mehr oder minder günstigen Wirkungen bestimmt, welche dieselben auf die Hausthiere haben; und es ist erklärlich, dass diese eher ohne Nachtheil aus einem schlechten in ein gutes, als umgekehrt versetzt werden können. Niemals aber dürfte ein greller klimatischer Wechsel ohne Eingriffe in ihre Organisation sein, und ist hier nach die mehr oder minder grosse Schwierigkeit der Acclimatisirung, d. i. das Anschmiegen des Organis- raquo; mus an die neuen Verhältnisse zu bemessen.
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Vom Miasmanbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; i()[
Fünfzehntes Capitet.
Vom Miasma.
amp; 74.
Der Begrifl' von Miasma wird in den ärztlichen SchriAen sehr verschieden angegeben, wovon Un­klarheit und Verwirrung die nothwondige und nach­theilige Folge ist. Es wird daher nicht am unrech­ten Orte sein, wenn ich versuche, hier eine genauere Bestimmung der miasmatischen Lull, besonders zur Unterscheidung von anderen schädlichen Zustanden der Atmosphäre zu geben.
Ausser den im eilften Capitel betrachteten Zu­ständen der atmosphärischen Luft können in dersel­ben noch manche andere vorkommen, durch welche inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;sie in gewissem Betracht als organisch-dynamische
Schädlichkeit wirkt. Wir wissen, dass, wenn atmo­sphärische Luft lange in einem gewissen Baum ab­gesperrt, ruhend und dem Einflüsse des Lichts ent­zogen bleibt, sie dann eine Beschaffenheit annimmt, welche für Menschen und Thicre lebensgefährlich ist. So verhält es sich z. 13. in Schachten, verschütteten Brunnen und in lange verschlossenen, finsteren, ee-wölbten Kellern und Ställen. Aber wir wissen nicht mit Bestimmtheit, in welcher Art die Luft eine Um­wandlung erlitt, wodurch sie zu einer so ausgezeich­neten Schädlichkeit in solchen Fällen erhoben wer­den konnte. Am naheslen liegt es allerdings, das Vorhandensein unathenibarer Gasarten in derselben anzunehmen, deren Anwesenheit man der Ausströ­mung aus der Erde oder dem Verbrauche des Sauer­stoffs und daher einem überwiegenden Verhältniss des Stickstoffs zu jenem, oder irgend einem ande­ren chemischen Prozesse zuschreiben mae;. Dieser
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Vom Miasma.
Annahme stehen aber die Berichte der Chemiker ent-quot;eo-en, welche wenigstens nicht in jedem Falle das Dasein irrespirabeler Gasarien in einer solchen stok-Ligen Luft aufgefunden haben wollen. Wo aber auch dergleichen nachgewiesen wurden, da waren sie doch nicht immer in einem, ihrer Lebensgefähr­lichkeil entsprechenden Maasse vorhanden. Dieser Umsland ist es eben, welcher die Ansicht hervorge­rufen und befestigt hat, das die Luft ihr eigenes or­ganisches Leben besitze, das nur in seiner Norma­lität erhalten werden könne, wenn sie im Zusam­menhange und in Wechselwirkung mit dem grossen Ganzen der Atmosphäre unter dem Einflüsse cosmisch-lellurischer Potenzen bleibe. Wie dem aber auch immer sein möge, eine so entstandene und so geartete Luflbeschaflenhcit wird als mephitische bezeichnet.
sect;• 75.
Organische Körper, sowohl vegetabilische als animalische, sowohl lebende als todte, sind im Stande, die Luft in einer Art umzuwandeln, oder derselben Stoffe zuzuführen, wodurch sie zu einer Schädlich-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^
keit für Menschen und Thiere wird.
Der Einfluss, welchen die Vegetation auf die At­mosphäre ausübt, ist im Allgemeinen bekannt. Grosse Wälder bewirken einen abweichenden Temperatur-und Feuchtigkeilsgrad derselben; in o'er Nähe der Laubholzwaldungen namentlich ist sie feuchter und kühler. Der Einfluss der Waldmassen kann daher, und weil sie die Anziehungspunkte für Gewitter- und Regenwolken überhaupt sind, selbst die klimatische Witterungs-Beschaffenheit einer Gegend mitbedingen. Ausser dem gedachten Einflüsse kann aber eine üp-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; raquo;
pige und ausgebreitete Vegetation'die atmosphärische Luft, mindestens örtlich und zeillich in der Art ver-
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ändern, da?s sie bald mehr, bald weniger respira-beJe oder irrespirabele Gasarten enthält. Die Pflan­zen, wie man weiss, hauchen am Tage und unter dem Einflüsse des Lichts Sauerstoflgas, in der Nacht aber Kohlensäure und Wasserstoflgas aus. In die­ser Beziehung kann daher die Luft den, während der Nacht im Freien und namentlich in der Nähe der Wälder bleibenden Thieren schädlich werden. Diese Schädlichkeit ist aber nicht bedeutend, dabei vor-tibergeheud und als ein bestimmtes chemisches Ver-hältniss der Luft nachweisbar; die Bezeichnung einer solchen Luft als eine mephitische oder miasmati­sche dürfte also in keiner Rücksicht gerechtfertigt er­scheinen.
sect;• 76. Mehr als die entwickeltste Vegetation im Freien, mehr selbst als es in abgeschlossenen Räumen wach­sende Pflanzen zu thun vermögen, sind lebende Thiere im Stande, namentlich in abgeschlossenen Räumen, eine Luftvcrderbniss zu bewirken. Durch den Ath-mungsprozess der Thiere wird der Sauerstoff der Luft consumirt. Hierdurch erlaugt der Stickstoff-Ge­halt derselben ein relatives Uehergewicht; ausserdem erhält die Luft aber noch ein Uebertnass von Koh­lensäure, Wasserdunst und Ammonium theils durch die Excretionen der Lungen und Haut, theils durch die Fäulniss der Excremcnte. Eine solche Luft be­wirkt jedenfalls Beängstigung, Athembeschwerden und vermehrte Hautausdünstung, zumal, wenn sie einen höheren Temperaturgrad besitzt. Bei derartigen ge­ringeren Nachtheilen verbleibt es aber nicht immer. Durch die längere Dauer ihrer Einwirkung oder dann, wenn neben den bezeichneten, noch andere, nicht näher bekannte Veränderungen in ihr vorgehen, kann
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#9632;j()4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Miasma.
sie zu einer höchst gefährlicheraquo; Schadlichkeil wer­den, selbst zu Krankheiten Veranlassung geben; wo­bei sie sich entweder selbst wie ein Contagium ver-hiilt oder doch zum Träger eines solchen wird (man denke z, B. an den Stalltyphus). Der Umstand, dass die Gefährlichkeit einer solchen Luft nicht füg­lich allein aus der bezeichneten chemischen Umwand­lung erklärt werden könne, hat zu der Annahme ge­leitet, dass sie ausserdem noch einen nicht näher gekannten thierischen Stoff enthalte. Trotz Dem aber, dass dieser Stoff — dessen Vorhandensein zwar, den gemachten Ermittelungen zufolge, nicht abgeläugnet werden kann — nicht näher gekannt ist, hat man nicht unterlassen, ihn mit dem (wie mir däucht sehr unpassenden) Namen „Zoogenquot; belegt. Wenn eine in Rede stehende Luft sich -svie eine contagiöse ver­hält, so bezeichnet man die, durch sie bewirkte An­regung zur Krankheit als T hier dunst-Infection. Wie aus nachstehendem sect;. und aus nachfolgendem Kapitel erhellen wird, hat eine solche Luftverderb-niss gleichviel Aehnlichkeit mit einer miasmatischen, wie mit einer contagiöscn Luft. Man geht daher nicht irre, wenn man sie unter entsprechenden Ver­hältnissen als solche betrachtet; im Allgemeinen aber dürfte sie als eine thierdunstige passend zu be­zeichnen sein.
sect;• 77.
Vegetabilische und animalische, in fauler Gährung begriffene Theile ändern die Beschaffenheit der at­mosphärischen Luft dadurch um, dass ihr in Folge jenes Prozesses Gase zugeführt werden, welche ih­rer Normalität überhaupt nicht, oder doch nicht in dem vorhandenen Maasse zukommen. Als solche, von Vegetabilien herrührende Gase sind vorzugsweise
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Von; Miasma.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;105
zu betrachten: kohlensaures, Kohlen- und Phosphor-Wasserstoff-Gas; von Thieren aber: Ammonium, Koh­lensäure, Schwefel-, Phosphor- und Kohlen-Wasser­stoff-Gas. Eine solche Luft wirkt allen Erfahrungen zufolge, sehr nachthcihg auf die Gesundheit der Thiere, namentlich dann, wenn sie sich ruhend ver­hält und wenn die genannten Gase in derselben in einem überwiegenden Verhältnisse zu der atmosphä­rischen Luft stehen. Die Nachtheile aber sind häufig der Art, dass sie nicht ausschliesslich auf das che­mische Verhällniss bezogen werden können. Des­halb stellte man ebensowohl bei der, durch Fimlniss verunreinigten Luft, wie auch bei der thierdunstigen die Annahme von der gleichzeitigen Anwesenheit ei­ner nicht weiter gekannten, höchst schädlichen or­ganischen Materie in derselben auf. Zu dieser An­nahme glaubt man um so mehr Berechtigung zu ha­ben, als die Chemie bis jetzt nur selten im Stande gewesen ist, die oben bezeichneten, durch die Fäul-niss organischer Körper hervorgegangenen Gasarten in einer gewissen Höhe oder Entfernung von dem Orte ihrer Entstehimg nachzuweisen, obgleich man Grund hat, anzunehmen, dass die, durch Fäulniss veränderte Luft, durch den Wind in weitere Strecken getragen, auch hier noch schädlich wirken müsse. In sofern man also in einer gewissen Entfernung von der Quelle der Fäulniss dieselben Krankheiten entstehen sieht, wie hier, ohne dass andere zureichende Ursa­chen aufgefunden werden können, und ohne class die Gegenwart der genannten Gasarien nachzuweisen ist, findet jene Annahme vom Vorhandensein einer Ma­terie, wofür wir kein Reagens kennen, Berechtigung. Es unterstützt dieselbe auch der Umstand, dass nicht allemal eine durch Fäulniss verunreinigte Luft als eine ausgezeichnete Schädlichkeit wirkt, welches im
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entgegengesetzten Falle natürlich auf ein, nur unter gewissen Bedingungen in derselben sich entwickeln­des, spezifisch-schädliches Agens leitet. Eine Luft, wie sie hier geschildert, und als aus einer bestimm­ten Quelle entstanden bezeichnet worden ist, nennen wir eine miasmatische, oder schlechtweg ein Mi­asma. Man thut aber wohl, mit dieser Bezeichnung auch die der Quelle der schädlichen Luft zu verbin­den, mithin nach Umständen Sumpf-, Kloaken-, Leichen-Miasma u. s, w. zu sagen. Wenn endlich noch angeführt wird, dass Miasmen so spezieller Art, namentlich das Surapfmiasma, häufig als ein ur­sächliches Moment von Epizootien wie des Milzbran­des, der Lungenseuche und der Influenz in den thierärztlichen Schriften ohne hinreichende Begrün­dung angegeben werden, so geschieht Dies in der Absicht, die Thierärzte, namentlich die jüngeren, zu einem sorgfältigeren Studium der Aetiologie, überhaupt zur sorgfälligsten und gewissenhaften Erforschung der Ursachen in den speziellen Fällen anzuregen, und sie aufzufordern, solche nicht anders, als mit den nöthigen Gründen unterstützt anzugeben, damit endlich eine grössere Klarheit in dies wichtige, das Heil unseres Wirkens vorzugsweise fördernde, zur Zeit aber noch sehr unerfreuliche Gebiet unseres Wissens oder vielmehr unseres Nichtwissens komme.
sect;• 78. Ausser dem eben gedachten, auf eine bestimmte Quelle zurückführbaren Verderbniss der Luft, hat man noch eine, nicht weiter bestimmte Constitution derselben als eine miasmatische bezeichnet, und wrel-' ehe man als ein Moment epizootischer Krankheiten, wie der Catarrhe, der Maul- und Klauenseuche be­trachtet. Das oft sehr verbreitete und fast gleich-
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zeitige Auftreten solcher Krankheiten rechtfertigt die Annahme, dass die Atmosphäre mindestens einen Theil ihrer Ursache in sich enthalte, und dürfte dem­nach auch die Bezeichnung derselben als miasma­tisch zu billigen sein. Um jedoch ein solches weit verbreitetes Miasma von den, im vorigen sect;. gedach­ten zu unterscheiden, können wir es entweder schlecht­weg als solches, oder als cosmisch-tellurisches Miasma bezeichnen, womit im letzteren Falle zugleich angedeutet wäre, dass seine Entstehung nicht auf einen nachweisbaren Prozess der Fäulniss, sondern auf einen andern, nicht weiter gekannten, zu bezie­hen sei; denn dass man eine solche miasmatische Luft nicht von den gewöhnlichen Veränderungen und Verhältnissen der Atmosphäre, wie von einer Ver­schiedenheit in der Strömung, Spannung, Temperatur, Feuchtigkeit und Electrizität derselben herleiten könne, geht wohl eines Theils daraus hervor, dass die Heftig­keit epizootischer Krankheiten nicht mit jenen Ver­änderungen in Einklang gebracht werden kann, an­deren Theils aber daraus, dass trotz der auffallend­sten und oft eintretenden atmosphärischen Verände­rungen in gedachten Rücksichten doch die epizooti-schen Krankheiten überhaupt nur selten sind. Erwägt man übrigens noch die Wanderungen, welche die Epizootien, mithin auch ihre Ursachen, innerhalb be­stimmter Grenzen unternehmen; ferner die oft er­probte Wirkung chemischer Agenden, wie Räuche­rungen gegen die Krankheitsursache, so scheinen die physikalischen Erklärungen der Atmosphäre noch we­niger auszureichen, vielmehr auch hier die Annahme einer beigemischten, die Luft vergiftenden Materie, die sich transportiren, abscheiden und zerstören lässl, zu begründen. He nie, welcher diese Ansicht (in seinen pathologischen Untersuchungen) anführt und
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^Qgnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Vom Miasma
dieselbe vorzugsweise zn vertheidigen strebt, fügt derselben noch hinzu: „So entstand das Miasma, d. h. das Verunreinigende als ein Begrlflquot;, und wenig mehr als ein Begriff ist es bis auf unsere Tage geblieben; denn noch hat es sich durch keine Hülfsmittel unseren Sinnen wahrnehmbar darstellen lassen; auch weiss man nicht, in welches der Na­turreiche, ja ob es überhaupt in eins derselben ge­hört. Und mau dürfte eben von diesem Wesen nichts weiter aussagen, ohne die empirische Basis gänzlich aufzugeben, wenn es nicht in gewissen Eigenschaf­ten und Wirkungen übereinkäme, und sich dadurch identisch zeigte mit anderen Krankheits-erzeugenden Potenzen, die allerdings an palpabele Stoffe gebun­den, der sinnlichen Betrachtung zugänglich, zum Theil auch schon sinnlich nachgewiesen sind: ich meine die Contagienquot;. Henle hält demnach und anderen in seiner Schrift enthaltenen Erörterungen zufolge, das, von uns sogenannte cosmisch-tellurische Miasma, namentlich das der miasmatisch-contagiösen Krank­heiten für identisch mit dem sich in der Folge in denselben nachweisbaren Contagiam. Wir glauben, dass er in dieser Beziehung weniger von der Wahr­heit entfernt ist, als diejenigen, welche das Heil un­serer Wissenschaft in der Enthaltung von aller In­duction suchen, und damit einem, höchstens ihrem leiblichen Wohl förderlichen, sonst aber sehr uner­freulichen geistigen Indifferentismus dröhnen.
Zusatz. Die Art und Weise wie durch die Einwirkung
der Miasmen Krankheil zu Stande kommt, hat viel Achnlich keil mit der contagiösen Wirkung. Daher haben sich über beide Vorgänge gleiche Ansichten geltend gemacht, worüber im folgenden Capilel eine nähere Angabe enthalten ist.
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Sccbzehntes Capitel.
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sect;. 79. Contagium (Ansteckungssloff) ist ein, im Ver­laufe eines Krankheitsprozesses ausgeschiedener (oder, wenn man lieber will, ein in der Krankheit erzeug­ter) Stoff, der, auf gesunde, mit der Empfänglich­keil dafür versehene Thiere übertragen, im Stande ist, dieselbe Krankheit hervorzubringen, der es ent­weder seine ursprüngliche Entstehung oder seine Ver­mehrung verdankt. Diejenige Krankheil, weiche ein Contagium abscheidet, nennt man contagiöse oder ansteckende, so wie die Erzeugung einer Krankheit durch ein Contagium Ansteckung (infe-clio), sie mag auf zufällige oder absichtliche Weise (durch Impfung, inoculatio) zu Stande kommen.
Zusatz. Aehnlichkeit haben die Gontagien mit den Giften, sowohl anorganischen, als organischen (pflanzlichen und thierischen); noch grosser aber ist ihre Aehnlichkeit mit den Miasmen, welche Krankheiten erzeugen, die ein Contagium produzireu können (miasmatisch-contagiöseKrank-heitenj. Der Unterschied aber besteht für den ersteren Fall darin, dass die Gifte zwar, wie die Gontagien, in kleiner Menge und oft viel gefährlichere Krankheiten hervorrufen, als die Gontagien; aber sie sind weder ursprünglich das Product einer Krankheit, noch werden sie in einer solchen, welche sie bewirkten, reproducirt. Der Unterschied zwi­schen Miasma der oben gedachten Art und Contagium be­steht darin, dass jene zwar Krankheiten erzeugen, welche sich durch Ansteckung fortpflanzen, aber man kann wenig­stens nicht nachweisen, dass sie ihren Ursprung in einem Krankheitsprozess hatten. Die Gleichheit solcher Miasmen mit den Gontagien, in Bezug auf den Erfolg, zwingt fast zu der Annahme, dass sie auch in ihrem Wesen identisch sind;
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Vom Conlaeium.
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und leitet zu der Ansicht, dass das iMiasma doch möglichen Falls in einem (wenn auch nicht nachweisbaren 1 Krankheits-prozess seinen Ursprung habe und in der Lufl vervielfäl­tigt worden sein könne. Diese letzlere Hypothese muss nothwendig zur Begründung einer solchen Annahme hinzutre­ten, weil sonst die grosse Ausbreitung der miasmatisch-conlagiösen Krankheilen unerklärt bleibt.
sect;• 80. Die Contagien werden eingetheilt in flüchtige und fixe. Die ersteren haften an der alinosphari-schen Luft und sind nicht weiter sinnlich wahrnehm­bar. In der Natur dieses Mediums liegt es aber, dass die, in ihm befindlichen Contagien sich sehr vertheilen und mithin auch von ausgebreitetem Ein­flüsse sein können. Die fixen Contagien dagegen sind ursprünglich an einen palbabeln, sinnlich wahr­nehmbaren thierischen Stoß gebunden, und können nur durch unmittelbare Uebertragnng dieses Stoffs eine Infection bewirken. Einige Krankheiten brin­gen ein bloss fixes Contagium hervor, andere ein fixes und flüchtiges zugleich, aber keine erzeugt ein bloss flüchtiges.
sect;. 81. Der tropfbar flüssige oder feste Stoff, an wel­chem das Contagium gebunden erscheint, ist das Ve­hikel desselben. Als solches sind thierische Flüs­sigkeiten, wie Blut, Schleim, Eiter, oder festere Theile, wie Lungensubstanz, Fleisch u. dgl. zu be­trachten. Dass diese Theile der Ansteckungsstoff nicht an und für sich selbst sind, geht daraus hervor, dass gewisse Contagien, ausser an sol­che Stoffe gebunden, auch in der Luft suspendirt vorkommen. Was man also fixes oder flüchtiges Contagium nennt, sind beziehungsweise Verbindun-
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Vom Contagium.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Ill
gen der Contagien mit fixen oder fluchtigen (gasi­gen) Stoffen.
sect;• 82. Von den Vehikeln der Contagien sind die Trä­ger derselben zu unterscheiden. Letztere sind nicht von den kranken Thieren herrührende, ursprünglich belebte, mit ihnen im Zusammenhang gewesene Dinge, sondern solche, der Aussenwelt angehörige, an wel­chen das flüchtige oder das fixe Contagium haftet. Als die besten Träger dieser Art sind feine, poröse Stoffe pflanzlichen oder thierischen Ursprungs er­kannt worden, z. B. Wolle, Haare, Federn, Häute, Baumwolle, Leinwand u. dgl. Man nennt sie auch Leiter (Conductoren) der Contagien. Als schlechte oder Nichtleiter (Isolatoren) der Contagien kennt man dichte, glatte, fettige Körper, z. B. Glas, Me­talle, Oel, Harz, Firniss u. dgl. Das hier von den Trägern Gesagte gilt vorzugsweise in Bezug auf die flüchtigen Contagien; denn dass der schlechteste Nichtleiter für ein flüchtiges Contagium, Träger eines fixen sein kann, wenn ein solches an ihm haftet, leuchtet ein. Auch lebende Thiere können insofern als Träger des Ansteckungsstoffes betrachtet werden, als sie, obgleich sie selbst gesund sind, die Ver­breitung contagiöser Krankheiten vermitteln.
Zusatz. Das, was im vorigen sect;. als Vehikel der Con­tagien bezeichnet wurde, wird auch wohl von Anderen Trä­ger, und dieser daher Zwischenträger genannt.
sect;• 83. Wenn die Contagien mit einem für sie empfäng­lichen Körper in Berührung gerathen, so kommt in demselben erst nach einer mehr oder weniger lan­gen Zeit eine offenbare Krankheit zu Stande. Die Zeit,
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in wnlcher das Conlagium scheinbar ohne Wirkung bleibt, wird die latente oder Ineubalions-Pe-riode (stadium latentis contagii, incubationis, vel delitescentiae) genannt. Eine andere Eigenlhumlich-keit, welche man bei den fliiehtigen Contagien be­merkt hat, ist, dass sie in einer gewissen Entfer­nung von ihrem Entstehungsorte ihre Krall verlieren. Daher hat man die Distanzen zu bestimmen versucht, in welcher sie ihre Wirkung behalten. Dieses geo­metrische Verhältniss ist aber noch wenig ermittelt; eine Erklärung desselben dürfte aber in der mehr oder weniger grossen Verdünnung der Contagien zu suchen sein. Eine Folgerung, welche sich hieran knüpft, ist die, dass die Contagien nur in einer be­stimmten Menge wirksam sein können, und dass sie wirklich etwas Stoffiges ausmachen, woher denn auch Wasser und Luft in gewisser Menge als natürliche und zuverlässige Desinfectoren wirken; und wäre es wirklich traurig, wenn sich Dies nicht so ver­hielt. Das Forlbestehen der Contagien müsste die unausbleibliche Folge davon sein.
sect;• 84. Die Wirkung der Contagien besteht im All­gemeinen in Hervorrufung eines krankhaften Bildungs­prozesses, der sich durch Steigerung der Lebensthä-tigkeit, entweder örtlich durch Entzündung in ver­schiedener Form und verschiedenem Character und selbst ganz spezifischer Art, oder auch zugleich all­gemein, durch Fieber, zu erkennen giebt. Ins Be­sondere aber besteht die Wirkung der Contagien, wie es in dem, von ihnen aufgestellten Begriffe liegt, in Hervorrufung gleicher Krankheiten, durch welche sie erzeugt und reproducirt wurden, und sind sol­che bekanntlich an und für sich nicht allein mehr
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oder weniger lebensgefährlich für die Individuen, sondern wegen ihrer oft grossen Ausbreilung sehr bedeutsam.
Das Wesen oder der innere Grund der con-tagiösen Wirkung hat, wie die Betrachtung alles Wesens, zu sehr verschiedenen Ansichten geleitet. Stark (allg. Pathol.) sagt in dieser Beziehung: Mau sah den Vorgang der Ansteckung bald an als eine Einsaugung des Ansteckungsstoffes und dadurch her­vorgebrachte Mischungsverandcrung im Organismus; bald als eine Assimilation desselben von Seite des angesteckten Organismas und Wiederablagerung des­selben auf das Hautorgan oder andere Thelle; bald
hielt man sie für eine blosse Reizun
raquo;gt;
bald betrach-
lete man sie als eine Gahrung und Keimung, als ei­nen galvanischen, als einen electrischen Act, oder als eine üebersiedelung nicht bloss infusorieller, son­dern selbst vollkommenerer Thierchen (Krätzmilben. — Contagia animata). Alle diese Meinungen tragen den Stempel ihrer Zeit an sich und enthalten einen Theil der Wahrheit, ohne sie doch ganz zu erfas­sen. Auch das, von Harvey und bach zuerst aufgestellte, in der jetzigen Zeit mit dem allgemein­sten Beifall aufgenommene, und auch mit unserer Ansicht vom Krankheitsprozess am meisten im Ein­klang stehende Theorem: „die Ansteckung sei ein polarer, der gleichartigen Zeugung gleichet' Vorgang, wobei die Contagien eine dem männlichen Samen gleiche (ahnliche) Wirkung besitzen,quot; erläutert zwar, aber erhellet nicht das Dunkel, was Jonen so riilh-seihaften Prozess deckt; denn die Zeugung ist bis jetzt noch selbst das grösste lläthsel der Physiologie.
sect;. 85. Ehe wir holfen dürfen, eine Einsicht in das We-
F u p b s , alldem. Pathol,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; o
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Irr
j j jnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Qoatagium,
sen der contagiösen Wirkung zu erlangen, iiuiss uns erst das Wesen der Contagien selbst, Das, was sie eigentlieh sind, oder woraus sie bestehen, näher bekannt werden. In der neuern Zeit maclien sich vorzugsweise zwei Ansichten in dieser Beziehung geltend, eine organische und eine chemische, von deren ersterer Henle, und von der anderen Lie­big als die Repräsentanten und geschicktesten Ver­fechter betrachtet werden dürfen. Der Erstere sagt (in seinen pathologischen Untersuchungen): man hat Gründe, zu glauben, dass die Materie der Contagien nicht nur eine organische, sondern auch eine be­lebte, und zwar mit individuellem Leben begable sei, die zu dem kranken Körper im Verhältniss eines parasitischen Organismus steht. Der Hauptgrund ist der, dass wir die Fähigkeit, sich durch Assimilation fremder Stoffe zu vermehren, nur an lebendigen organischen Wesen kennen. Keine lodte chemische Substanz vermehrt sich auf Kosten einer anderen: sie geht immer nur, mit dieser zusammengebracht, Verbindungen ein, aas denen sich die ursprünglichen Qualitäten der auf einander wirkenden Stoffe wieder ausscheiden. Henle hat diese Ansicht in einer aus­führlichen Abhandlung (1. c.) auf der empirischen Grundlage in einer Weise begründet, dass wir ihm unsern Beifall nicht versagen können; indess hat Lieb ig (organische Chemie) auch die seinige in ei­ner Art motivirt, dass wir wieder schwankend wer­den. Wir wollen der ünpartheilichkeit und des bes­sern Verständnisses wegen die Hauptansicht Liebig's und einen Theil ihrer Begründung in folgendem Zu­satz anführen.
Zusatz 1. Man hat bei microscopisclien Untersuchun­gen in bösartigem, faulendem Eiter, in Kuhpockenlymphe etc, eigenthümliche, den Blutkiigelchen ahnliche Bildungen beob
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Vom Coutagiuo),nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 115
aclilel; ihr Vorhandensein gab der Meinung Gewicht, dass die Ansteckung von der Entwickelting eines krankhaften or ganischen Lebens ausgehe. Man hat in diesen Formen den lebendigen Samen der Krankheil gesellen. Diese Ansicht isl keiner Discussion fähig; sie hat die Nalurforscher, wel­che die Erklärungen von Erscheinungen in Formen zu su­chen gewohnt sind, dahin geführt, die liefe, die sich in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten, für Pflanzen oder Thiere, die sich von dem Zucker nähren und Alkohol und Kohlensäure als Excremente wieder von sich ge­ben. Wunderbar und auffallend würde es vielleicht erschei­nen, wenn in den Zersetzungsprozessen der Fäuiniss und Gährung aus organischen Materien und Theilen von Orga­nen sich Slofle von krystallinischer Natur bildeten, die eine geometrische Gestalt besitzen. Wir wissen im Gegen-theil, dass der völligen Auflösung in unorganische Verbin­dungen eine Reihe von Metamorphosen vorhergeht, in wel­chen sie erst nach und nach ihre Formen aufgeben.
Unter den Coniagien giebt es mehrere, die sich durch Luft fortpflanzen: da wäre man also gezwungen, einem Gase, einem luftförmigen Körper Leben zuzuschreiben. Alles, was man als Beweise für ein organisches Leben in den Gontagien betrachtet, sind Vorstellungen und Bilder, welche die Erscheinungen versinnlicben, ohne sie zu erklären. Diese Bilder, mit denen man sich in allen Wissenschaften so gern und leicht befriedigt, sie sind die Feinde aller Naturfor­schung , sie sind der fata morgana ähnlich, die uns die täu­schendste Kunde von Seen, von fruchtbaren Gefilden und Früchten giebt, aber uns verschmachten lässt, wenn wir sie am nöthigsten haben.
Es ist gewiss, dass die Wirkungsweise der Coniagien auf einer eigenlhümlichen Thätigkeil beruht, abhängig von chemischen Kräften, welche in keiner Beziehung stehen zu der Lebenskraft; eine Thätigkeit, welche durch chemische Actionen aufgehoben wird, die sich überall äussert, wo sie keinen Widerstand zu überwinden hat; sie giebt sich der Beobachtung durch eine zusammenhangende Reihe von Ver­änderungen, von Metamorphosen zu erkennen, die sich auf
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alle Materien, welche fähig sitid. eine ähnliche Verwand­lung zu erfahren, überträgt. Eine, im Zustande tier Zersez zung begriffene, Ibierische Substanz, oder eine in Folge ei­nes Kraukheitsprozesses im lebenden Korper, aus seinen Bestandtheilen erzeugte Materie überträgt ihren Zustand al­len Theilen eines lebenden Individuums, welche fähig sind, eine ähnliche Metamorphose einzugehen, wenn sich ihrer Action in diesen Theilen keine Ursache entgegensetzt, die sie aufhebt und vernichtet. Es entsteht Krankheit durch Ansteckung. Die in der entstandenen Krankheit hervorgeru­fene Metamorphose nimmt eine Reihe von Formen an. — Betrachton wir. um zu einer klaren Anschauung zu gelan­gen, die Veränderungen, welche ein bei Weitem einfache­rer Körper, der Zucker, durch die Einwirkung ähnlicher Ur­sachen zu erleiden fähig ist, so wissen wir, dass faulendes Blut, oder eine in Metamorphoso begriffene liefe eine Um­setzung der Elemente des Zuckers in Alkohol und Kohlen­säure bewirken. Ein in Zersetzung begriffenes Stück Lab veranlasst eine andere Lagerung der Elemente des Zuckers, ohne dass ein Element hinzutritt oder hinweggenommen wird. Es war der unmittelbare Contact der sich zerlegen­den Substanz, welche die Form- und BeschaQ'enhcits-Aen-derung der Zuckertheilchen bedingte: entfernen wir sie. so hört damit die Zersetzung des Zuckers auf; ist ihre Meta­morphose vollendet, und sind noch Zuckertheile übrig, so bleiben diese unzersetzt. Bei keiner dererwälmtenZersetzungs­weisen hat sich der Erreger reprouueirt; es fehlten unter den Elementen des Zuckers die Bedingungen seiner Wiedererzeu­gung. Aehnlich wie Hefe, faulendes Fleisch, in Zersetzung be­griffener Labmagen den Zucker zur Zerlegimg brachten, ohne sich selbt wiederzuerzeugen, bringen Miasmen und gewisse AnsleckungslolTe Krankheiten im Organismus hervor, in de­nen sich der Zustand der Zersetzung, in welchem sie sich befinden, auf gewisse Theile des Organismus überträgt, ohne dass sie in dem Acte der Zersetzung in ihrer eigenthümli-chen Form und Beschaffenheit wieder gebildet werden. Die Krankheit selbst ist in diesem Falle nicht ansteckend. — Wenn wir aber liefe nicht zu reinem Zuckerwasser, son-
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Vom Contaginm.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 117
dern zu Bierwürze bringen, welche Zucker und Kleber ent­hält, so wissen wir, dass der Act der Zersetzung des Zuk-kers eine Form- und Beschaffenheils-Aenderune des Kle hers bedingt, der Kleber selbst gehl einer ersten Metamor­phose entgegen. So lange noch giihrender Zucker vorhan­den ist, wird Kleber in verändertem Zustande, er wird als Hefe abgeschieden, welche wieder fähig ist, frisches Zucker-wasser oder Bierwürze in GShrung zu versetzen. Ist der Zucker verschwunden und noch Kleber vorhanden, so bleibt dieser Kleber, er geht nicht in liefe über. Die Reprodu clion des Erregers ist liier' abhängig: I) von dein Vorhan donscin derjenigen Materie, aus der er ursprünglich ent­standen ist; 2) von der Gegenwart einer zweiten Materie, welche fähig ist, durch Berührung mit dem Erreger in Zer­setzung übergeführt zu werden. — Wenn wir der Kepro-duetion der Contagion in ausleckenden Krankheiten den näm­lichen Ausdruck unterlegen, so ist vollkommen gewiss, dass sie ohne Ausnahme aus dem Blule entspringen, dass als'* im Blute derjenige- Bestandtheil sich vorfindet, durch dessen Zersetzung der Erreger gebildet werden kann. Es muss ferner, wenn Ansteckung erfolgt, vorausgesetzt werden, dass das Blut einen zweiten BeslandtheU enthält, welcher fähig ist, durch den Erreger in Zersetzung übergeführt zu werden. Erst in Folge der Umwandlung dieses zweiten Körpers kann der ursprüngliche Erreger wieder gebildet werden. Empfänglichkeit für Ansteckung setzt mithin die Gegenwart einer gewissen Quantität dieses zweiten Körpers im Blute voraus; mit seiner Masse steigt die Empfänglichkeil, die Stärke der Krankheit, und mit seiner Abnahme, mit seinem Verschwinden ändert sich ihr Verlauf. [Liebig 1. c. p. 326 ff.)
Zusatz 2. Der Gegenstand vorstehenden Capilels ist eben so wichtig in practischcr. als interessant in wissen schaftlicher Beziehung. In einem Handbuche vorliegender Art, dem ein gewisser Baum zugemessen ist, darf einzel­nen Theilen auf Kosten anderer keine grosse Ausdehnung vergönnt werden; daher haben wir uns auf das Nothwen-digsle zum Verständniss beschränkt, indem die weitere Aus
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\[%nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von dri Krankheit nls Schädlichkeit.
fdhrung einer allgemeinen Lehre der Seuchen und anslek kenden Krankheiten anheimgegeben wird.
Sicbzelintcs Cnpttcl.
Von der Krankheit als Schädlichkeit.
sect;. 86. Die in einem Individuum bereits vorhandene Krank-lieit kann zu einer zweiten, von ihr verschiedenen die Veranlassung geben. Hierbei treten beide Krank­heiten bezielumgsweise in das Vcrhältniss der rela-liv-äusseren Schadlichkeil und in das der Wirkung. Hierauf beruht der Unterschied, welcher zwischen idiopathischer, primärer oder ursprünglicher (morbus idiopathicus, primarius vel protopalhicus) und deuteropalhischer, seeundärer oder abgeleite­ter Krankheit (m. deuteropalhicus, seeundarius v. syra-pathiens) gemacht wird. Die idiopathische Krank­heit ist demnach eine solche, welche unmittelbar durch das Zusammenwirken einer Schädlichkeit mit der Anlage in einem früher gesunden Thiere enl-slehl, und mithin keinen anderen Krankheilszusland voraussetzt; wogegen die dealeropalhische Krankheil eine schon vorhandene zur Gelegeniicitsursache hat. Hierbei ist wieder ein zweifaches Verhältniss mög­lich; entweder schwindet die idiopathische Krankheit, während die deuteropalhische selbslsländig fortdauert, oder sie bestehen beide nebeneinander. In diesem Falle, worin eine Krankheits-Complication ge­geben ist, wird dann auch wohl die seeundäre Krank­beil als: symptomatische (m. symptomalicus) be­zeichnet, fDer Starrkrampf, welcher nach geheilter
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Von der Krankheit als Schädlichkeit,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;H'J
oder noch vorhandener Verwundung entsteht, giebt für beide Fälle ein Beispiel.)
sect;• 87.
Der Grund davon, warum emu Krankheit zur Ursache einer zweiten in einem und demselben Thiere werden kann, ist in einigen Fallen aus dem unmit­telbaren Zusammenhange der organischen Ge­bilde abzuleiten. Wir dürfen nur an die katarrhali­sche Entzündung der Nasenschleimhaut denken, der gewöhnlich ein gleicher Zustand der Conjunctiva der Augen folgt, um hierfür ein Beispiel zu haben; denn in diesem Falle ist der organische Zusammenhang durch den Thranenkanal gegeben. Sehen wir aber beide Theile entzündet, so folgt daraus noch keines­wegs, class hierbei jenes Yerhaltniss der Ursache und Wirkung nolhwendig stattfinden müsse. Es mag soüar häufiüer vorkommen, dass sie eleichzeitia; af-ficirt werden, weil die Schädlichkeit nnd die Anlage gewöhnlich nicht so beschränkt auf eine Äbtheilung eines Gebildes wirken, Audi beruht der Grund der Entststehung einer deuteropathischen Krankheit oft auf der sympathischen Verbindung, in welcher die Organe mit einander st eben, und kommt auf die­sem Wege die seeundäre Krankheit bald auf con sen suelle, bald auf antagonistische Weise zu Stande. So bewirkt Entzündung des einen Auges die des an­deren, Magenleiden solche des Gehirns (Magenkoller) auf consensuelle, dagegen Lungenkrankheiten solche der Leber, Hautkrankheiten solche der Nieren und des Schleimhautgebildes überhaupt, auf antagonosti-sche Weise.
sect;- 88.
Seihst ein Symptom kann Veranlassung zu ei-ner seeundären Krankbeil geben. Niederwerfen z. B.
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Von der Krankheit ^1^ Schiicllidikeil
ist Symptom der Kolik, wodurch Knochenbriiclie, Zei-leissungen der Eingeweide u. dgl. entstehen können; Husten ist Symptom von einem uninillclbaren oder reflectirten Reizungszustande in den Luftwegen, ein hef­tiger Hasten alier kann Blulflüsse, Uernieii u. dffl. zur Folge haben. Nicht minder können Krankheils-producle, wie Eiter, Steine aller Art, welche letz­tere in der Regel aus einer Diathesis calculosa her­vorgehen, neue Krankheilszuslände hervorrufen. Steine können, wie man weiss, Kanäle verstopfen, zur Ent­zündung und Zerreissung der Eingeweide Veranlas­sung gelten. Ja sogar die Heilbestrebungen des Organismus, welche doch auf Wiederherstellung der Normalität eerichtet sind, können Veranlassung zu neuen Leiden dadurch abgeben, wenn sie unordent­lich wirken; eine massige Diarrhöe beim Saburral-Zustande ist heilsam, eine übermässige aber kann den Tod durcli Erschöpfung herbeiführen. Eigentlich bestehen alle Ileilbestrebmigen schon von vorn herein in abnormen Thaligkeiten, in einem Kampfe der ei­nen gegen die andero. Alle Well wird z. B. ehe. um Tuberkeln in den Lungen entstandene Entziin-duQamp; des Parenchvms dieses Oreans als heilsam be-trachten, insofern sie auf Erzeugung einer, den Tu­berkel abschliessenden Hülle gerichtet ist; nichtsde­stoweniger ist eine solche Entzündung eine neue Krankheit, die in ihrem maasslosen Fortschreiten den Tod beschleunigen kann.
sect;#9632; 89. Endlich kann auch der Verlauf einer Krankheit auf zuföllige Weise, oder durch verkehrte oder ab­sichtliche Behandlung in einer Art gestört werden, class sie sich durcli Umwandlung zu einer neuen gestaltet. Umwandlung der Krankheit überhaopl wird
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Von der Krankheit als ScliUdlichkeit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 121
Metaschemalismus genannt. Mau iiutcrscheidet die Umwandlung im Wesen von einer solchen in der Form. Die Ersterc wird als Diadoche be­zeichnet, und besteht, der gangbaren Annahme zu­folge darin, dass die Verrichtungen des bisher krank gewesenen Organs zwar fortwährend und gleichar­tig gestört bleiben, dass aber der Zustand der Kräfte und der Materie ein anderer in demselben gewor­den ist; so z. B. wenn eine synochöse Entzündung in eine torpide übergehl. Man wird einsehen, dass aber die Erklärung und das Beispiel nicht ganz auf den Terminus passt, denn eine Entzündung bleibt wesentlich eine Entzündung, sie mag eine synochöse oder eine torpide sein. In gewisser Beziehung möchte der Ucbergang des Krampfes in Lähmung ein geeig­neleres Beispiel abgeben, hierbei ist aber auch die Form des Krankheitsznslandes eine andere. Es ist oft schwer, geeignete Beispiele zu finden, weil die freie Natur sich der zwangvollen, künstlichen Ein-Iheilung nicht immer fügen will. Am wenigsten glau­ben wir indess irre zu gehen, wenn wir die Dia­doche als eine Character-Ümwandlung bezeichnen. Die Umwandlung in der Form einer Krankheit wird Metaptosis genannt: sie findet z. B. Statt, wenn auf das Verschwinden des Rotzes Zufälle des Ilaul-wurmes auftreten; denn beide Krankheilen sind als von gleicher Wesenheit zu betrachten. Als eine be­sondere Art des Mclascliemalismns ist die Meta­stase (Metastasis) zu betrachten, bei welcher die Umwandlung in der Form einer Versetzung und Ue-bertragung auf andere Körpertheile mit eleichzeiticem Verschwinden des primären Leidens zu Stande kommt
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•122nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Schlafen und Wachen.
Aditzebntes Capitcl.
Vom Schlafen und Wachen.
sect;• 90. Im wachen Zustande der Thiere tritt das Le­ben nach allen Seiten hin in die Erscheinung; im Schlafe aber nicht. Die thierischen Verrichtungen (die willkürliche Bewegung, die Sinnes- und Seelen-verrichtungen) ruhen im Schlafe; die vegetativen dauern fort. Schlafen und Wachen bestehen also in einem periodischen Zurück- oder Hervortreten der einen oder der anderen Lebensseite. Bei allen un­seren Hauslhieren macht die Natur die Forderung des Schlafes geltend, bei der einen Gattung mehr, bei der andern weniger. Ersteres ist hei Hunden, Katzen und Schweinen, Letzteres bei Pferden undraquo; Wiederkäuern der Fall; und zwar beim Rindvieh in einem Grade, dass man einen wirklichen Schlaf des­selben in Zweifel gezogen hat. Eine Erklärung für die Erscheinung der verschiedenen Dauer und Inten­sität des Schlafes bei unsern Hausthieren wird sich aus der folgenden Heraussiellung der Nothwendig-keit des Schlafes überhaupt ergeben. Das rein thie-rische Leben steht zu dem vegetativen in einem ge­wissen Gegensatz; während des Wachens wird je­nes in vermehrten Anspruch genommen, die ihm die­nenden Organe werden in anhallende, oft ange­strengte Thätigkeit versetzt. In ihnen gelit daher während des Wachens der Stoffwechsel nicht ge­hörig von Statten, d.h. es wird zwar viel Stoff ver­braucht, aber es erfolgt kein entsprechender Wieder­ersatz, der erst während des Schlafes vollständig ein­tritt. Thiere also, welche wenig und leise schla­fen, haben ein weniger ausgebildetes und ein went-
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Von den Sinncsvcrrichtnngci}.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 123
ger in Anspruch genommenes Sensibilitäls- und Ir-rilabilitäts-Leben, und dass Dies bei Pflanzenfressern im Vergleich zu Fleisch- und Allosfiessern der Fall ist. weiss man.
sect;• 91-
Wachen und Schlafen im Uebermaaas kön­nen Nachlheile bewirken. Die Bestimmung der an­gemessenen Dauer dieser Zustande hängt so sehr von der Individualital und der Gebrauchsweise der Thiere ab, dass sich nichts Bestimmtes in dieser Beziehung angeben lässt. Im Allgemeinen aber lässt sich mit Bücksicht hierauf angeben, dass zu lange dauerndes Wachen eine zu arosse Ermüdung be-wirkt, die Reproduction hindert, und daher Abma­gerung und Schwinden der Kräfte, namentlich bei den, im Dienste angestrengten Thieren zur Folge hat. Uebermässiger Schlaf dagegen begünstigt die Bildungsthätigkeit auf Kosten der rein thierischen Verrichtungen zu sehr: daher Stumpfheit der Sinne, Dummheit, Trägheit, venöse Blutbeschaffenheit und üppige FeKerzeugung.
HTeunzelintclaquo;) Capifcl.
Von den Sinnesverrichtun
#9632;öquot;
n.
sect;- 9-2.
Alle Sinnesorgane, die der Mensch hat, sind auch den Thieren eigen, und sie stellen die Aufnahmsor-ganc für die Seelennahrung durch Empfangen von sinnlichen Eindrücken und Hinterlassung von Spuren in der Seele dar. Der Mensch aber kann einen hö-
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124nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den Sinnesverrichtungen.
hern geistigen, oft maasslosen Gebrauch von seinen Sinnen machen, welcher nicht selten Anomalien im Seelenleben zur Folge hat, die wir bei den Thieren nachzuweisen nicht im Stande sind. Auch können bei letzteren Störungen in den Körperverrichtimgen und das Schwinden des einen oder des andern Sin­nes, nicht so leicht und so oft auf eine einseitige und iibermässige Anstrengung derselben zurückge­führt werden, wie bei jenen, deren Beruf einen solchen naturwidrigen Sinnesgebrauch nicht selten erheischt. Wir könnten allenfalls im Allgemeinen von einem übermässigen oder mangelhaften Gebrauch der Augen bei den Thieren reden; genau betrachtet han­delt es sich aber hierbei mehr von dem grösseren oder geringeren Einllusse des Lichtes auf jene Or­gane, als von einer wirklichen Anstrengung dersel­ben, worüber das Capltel vom Lichte das Nothige enthält. Bei Jagdhunden könnten wir auch ins Be­sondere noch anführen, wie die Erfahrimg dafür zu sprechen scheine, dass sie, ihrer Bestimmung lebend, früher das Seh-, Gehör- und Geruchsvermögen ein-büssen, als andere Hunde; aber es dürfte nicht leicht zu ermitteln sein, wie viel hierbei auf Rechnung ei­ner wirklichen Anstrengung jener Vermögen, und wie viel auf ihre höhere Ausbildung, daher auch laquo;rössere Verletzbarkeit und früheres Sinken zu sez-zen ist.
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Von den Seelenvermögen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 125
Zwanzigstes Capitel.
Von den Seelenvermögen.
sect;. 93.
Es kann nicht geläugnet werden, dass die Thiere eine Seele haben, die bei den verschiedeneu Gat­tungen einen verschiedenen Grad der Enlwickelung in Rücksicht der ihr zukommenden Vermögen der Erkenntniss, des Gefühls und der Begehrung zeigt. Nur sind these Vermögen bei den Thieren nicht in dem Grade ausgebildet, wie heim Menschen, dem überdiess noch eine Seite des Seelenlebens, nämlich die Vernunft zukommt, vermittelst deren er über Gegenstände nachdenkt, welche nicht in das Reich der Sinnlichkeit gehören. Bei den Thieren sind wir aussor Stande, das Vorhandenesin einer solchen zu erweisen.
sect;• 94.
Nehmen wir nun auf die angenommenen, einzel­nen Glieder jener Seelen vermögen, wie auf die zum Erkenntnissvermügcn gehörige Urtheils-, Gedacht-niss und Einbildungskraft, ferner auf die der Gefühlsseite anheimfallenden Leidenschaften, wie Zorn, Freude, Traurigkeit, Furcht, Schreck, Sehnsucht und Heimweh, so wie auf den vom Begehrungsvermögen abhängigen Willen Rücksiclit; knüpfen wir eine Untersuchung darüber an, inwie­fern jene einzelnen Glieder zu psychisch-dyna­mischen Schädlichkeiten bei den Thieren werden können: so wird sich ergeben, dass wir den höher stehenden Gliedern nur eine sehr beschränkte Wich­tigkeit in jener Beziehung beilegen dürfen; da die Thiere von ihnen nur einen sehr niedrigen, und wohl
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Von den Seelenvurmögen.
niemals einen einseitigen, die Harmonie der Seele störenden Gebrauch machen, und daher auch die nachtheiligen Einflüsse solcher auf die körperliche Seite schwer nachzuweisen sein möchte. Anders ver­hält es sich mit den gedachten Gcmüthsregungen, die als niedere Seelenthatigkeiten bei den Thieren oft stark hervortreten, und oflenbar auf die ganze organische Oekonomie einen um so grösseren Ein-fluss haben, als die geringe Entwickelung der höhe­reu Seelenkräfte keinen regierenden Zügel für die niederen gewährt.
sect;. 95. Von den höheren Seelenkräflen kann allenfalls nur dem, im Begehmngs-Vermögen wurzelnden Wil­len hier eine kurze Betrachtung gewidmet werden. Diese Seelenlhätigkeit zeigt sich bei den Thieren zu­weilen zu sehr gesteigert oder vermindert. Letz­teres giebt sich als Unlust in Befriedigung thierischer Triebe, im höheren Grade als Blödsinnigkeit zu er­kennen. Der krankhaft gesteigerte Wille äussert sich durch stürmische, widersetzliche Handlungen; bei Pferden namentlich in Form des Eigenwillens, als sogenannte Slätigkeil. Obgleich beide Arten der hier gedachten abnormen Willenszustände an und für sich schon als Krankheit betrachtet werden dürfen, so können sie doch wiederum Veranlassung zu anderwei­tigen Anomalien geben; daher ihre Andeutung hier­orts gerechtfertigt erscheint. Es sind einmal höchst lästige Seelenzustände für den Gebrauch der Thiere, selbst gefahrvoll für ihre Führer; anderen Theils aber können sie die Veranlassung zu mechanischen Ver­letzungen der Thiere selbst, zum Verfallen in Tob­sucht und in Dummkoller abgegeben.
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Von Jen Seelenvefmögen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;127
sect;. 96.
Wir können die Gemiithsregungeu zum Zwecke der Belracliluflg eintheileu in: reizende oder auf­regende, und in: niederschlagende oder un­terdrückende. Zu den ersten zählen wir die Freude und den 'Zorn; zu den letzteren die Traurigkeit, die Furcht, den Schreck, das Heimweh und die Sehn­sucht. Die Folgen zu sehr gesteigerter Gemüthsre-gungen geben sich allemal zuerst und hervorstechend im Nervensystem durch Aufregung oder Abspannung zu erkennen; dann in der Bewegung des Blutes, welche beschleunigt und nach der Peripherie des Körpers gerichtet ist; bei den aufregenden; dagegen ist sie verlangsamt und den centralen Theilen zuge­kehrt bei den deprimirenden Afifecten; bei beiden aber ist bald eine erhöhte, bald eine verminderte, an Lähmung grenzende Wirkung in den Muskeln zu bemerken. Als mehr seeundäre Erscheinungen blei­ben dann endlich auch Anomalien in der Se- und Excretions-, so wie in der Ernährungs-Thätigkeit nicht aus.
sect;• 9quot;. Wir können zwar nicht wissen, welcher Vor­gang in der Seele der Thiere zur Entstehung und Aeusserung der AlTecte Veranlassung gieht; indess glauben wir nicht irre zu gehen, wenn wir in Fol­gendem die bei der Entstehung der Affecte des Men­schen erkannten veranlassenden Momente, auch als solche in Bezug auf die Thiere annehmen. Wir betrachten hier zunächst die aufregenden Affecte. Die Freude, welche durch die Vorstellung des er­langten Guten und durch das damit verbundene Lust­gefühl hervorgerufen wird, äussern die Thiere in al­lerhand lustigen, munteren Geberden: so z.B. drük-
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|2gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von ilen Sinnes vermögen.
ken sie ihre Freude über die gewonnene Freiheit durch Springen aus; Hunde eine solche über das Wiedersehen ihnen angenehmer Personen durch das freundlichste, einschmeichelndste Benehmen, indem sie selbst die Lippen zum Lächeln verziehen, und ihre Augen sich durch häufigere Thränenquot; anfeuch­ten. Wir wissen nur mit Bestimmtheit, dass die ühermüssige Freude bei den Thieren durch ihre Sprünge Veranlassung zu mechanischen Verletzungen sehen kann; denn die Folgen der ühermässigen Freude, wie sie heim Menschen zuweilen bemerkt werden und einer grösseren Erregung des Blutgefässsystems zuzuschreiben sind, wie Congestionen, Blutungen und Entzündungen, sind bei den Thieren nicht empirisch nachgewiesen. Es ist zwar oftmals bemerkt wor­den, class Thiere, namentlich Binder, wenn sie zur Zeit einer Milzbrandepizootie aus den Stallen in Frei­heit versetzt wurden, nach einigen munteren Sprüngen plötzlich am Milzbrände erkrankt sind. Hier findet aber wahrscheinlich nur eine blosse Aufeinanderfolge von Erscheinungen Statt, die in keinem Verhältnisse der Ursache und Wirkung zu einander stehen; jedenfalls dürfte die durch das Springen hervorgerufene Alte­ration im Blutsystem nur ein beschleunigendes Mo­ment für den Ausbruch jener Krankheit abgeben.
Der Zorn, ein heftiger Aufruhr des Gemüths, wird durch die unangenehme Vorstellung eines feind­seligen Gegenstandes bewirkt, und giebt sich durch ein lebhaftes Bestreben kund, denselben zu über­wältigen. Die vom Zorn ergriffenen Thiere zeigen einen drohenden, feurigen Blick, Zähneknirschen, ab­geänderte Stimme, heftige Bewegungen, grosse Nei­gung zum Beissen, Stossen, Schlagen und zum Zer­stören. Zunächst veranlasst der Zorn eine gewaltige Aufregung im Gelass- und Nervensystem, dann auch
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Von den Seelenvermcigon.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;129
eine Veränderung in den Absonderungen, namenüich des Speichels und der Galle. Abgesehen davon, dass Hunde durch wiederholte Zornanfalle in Toll-wuth geratben zu können scheinen, so will man selbst bemerkt haben, dass Menschen in Folge des Bisses zorniger Hunde und Katzen, obgleich diese gesund blieben, in Wasserscheu verfallen sind. So­gar erzählt der Thierarzt Kliem einen Fall (Veteri­när-Bericht der Königl. Regierung in Posen pro II. Quar­tal 1841), wo eine aufs äusserste gereizte, in ei­ner Falle eingeklemmte Ratte einen Jagdhund in die Nase biss, welcher hierauf nach vier Tagen in die offenbare Tolhvulh verfiel. Dieses Ereigniss ist sehr bemcrkenswerlh, überhaupt die giftige Veränderung des Speichels beim Zorn. Ob aber die Milch säugen­der und vom Zorn ergriffener Thiere die giftige Be­schaffenheit für die Säuglinge erlangen kann, wie es beim Weibe der Fall ist, darüber sind mir keine überzeugenden Thatsachen bekannt. Hering incless führt an (Spez. Path. II. Th. S. 512), dass die Milch derjenigen Thiere, welche durch heftige Leidenschaf­ten erregt worden, den sangenden Jungen nachlheilig werde. Auch bemerkt Hering, dass man das Herz bei, vom heftigen Zorn ergriffenen Pferden habe zer-reissen sehen. — Der Neid kann als eine Gemülhs-bewegung betrachtet werden, die mit dem Zorn zwar verwandt ist, aber nicht die stürmischen Bewegun­gen desselben veranlasst. Er giebt sich bei den Thieren, besonders häufig bei den, in Gesellschaft le­benden Pferden als Futterneid zu erkennen, indem das eine das andere in beständiger Gemüthsunruhe abwehrt. Die erkennbaren Folgen davon sind zu­weilen mangelhafte Ernährung.
Von den niederdrückenden Leidenschaften betrach­ten wir zunächst:
Fuchs, allgcm, Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;n
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I3()nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von Jon Seelenvomiogen.
Die Traurigkeit. Sie entsteht aus der Vorstel­lung eines üebels, welches zu besiegen die Seele zu schwach ist; sie hat beständige Beunruhigung, ein schmerzhaftes Gefühl und gelähmte Willensäusse-rung zur Folge. Thiere, welche durch rohe Behand­lung in Traurigkeit verfallen, verlieren die Kräfte, werden mager, und bei milchenden Thieren vergeht die Milch. Von allen Hausthieren giebt sich der Hund am meisten der Traurigkeit hin, namentlich über den Verlust geliebter Personen. Wem sollten die Fälle unbekannt sein, wo Hunde auf dem Grabe ih­res Herrn oder ihrer Gebieterin ihre trauernde Hun­deseele aushauchten! —
Furcht und Schreck sind verwandte Gemüths-bewegungen; sie entstehen durch ein vorgestelltes Ue-bel, mit dem Bestreben, sich demselben zu entzie­hen. Der Schreck unterscheidet sich von der Furcht nur dadurch, dass er rascher und mit grösserer Heftigkeit eintritt. Die Thiere geben Furcht und Schreck durch Zittern, Kälte der Haut, ängstlichen Blick und Verkriechen an abgesonderte, dunkle Orte zu erkennen. Sie werden meist durch harte Be­handlung erzeugt; bei Hunden werden durch diesel­ben zuweilen Durchfälle erregt; auch sind sie viel­leicht nicht selten die Veranlassung zum Ausbruch der Tolhvuth. Debeaux erzählt einen Fall, wo bei einem schwarzen Schweine die Borsten, Haut und Klauen, als wahrscheinliche Folge der Furcht bleich wurden. (Genf. Gurlt, Lehrb. der pathol. Anatomie 1831. I. Th. p. 80.)
Heimweh und Sehnsucht werden nicht sel­ten bei den Thieren bemerkt und geben sich durch Gemüthsunruhe zu erkennen, die durch das Ver­langen der Wiedervereinigung mit dem entfrem­deten Gegenstande erzeugt wird, es sei der ge-
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Von don Sefilenvormögen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;•13X
wohnte AufenthahsoH. geliebte Personen, die Ge-sellscliaft anderer Tliiero, oder, wie es häufig bei Mutterthieren der Fall ist, das entwendete Junee. Alle Thiere magern bei diesen GemütKsbewegongen ab; milchende Thiere büssen an Milch ein, und Hunde will man durch dieselben ebenfalls sogar in TolKvuth verfallen gesehen haben. Thierarzt Fass erzählt ei­nen Fall (Gurlt und Hertwig, Magazin f. Thierheil-kunde, VII. Jahrg., U. Hf(.), wo eine Kuh in Folge der Sehnsucht (er nennt es Bangen) nach einer Ferse, welche an ihrer Seite gestorben war, Symptome der Raserei zeigte, welche sich nach Wiedervereinigung mit anderen Thieren verlor.
Zusatz. Die höheren Leidenschaften, wie Liehe, Schani und Reue dürfen wir kaum bei den Thieren annehmen: allenfalls nur eine Analogen derselben bei Hunden. Wir wol­len die Wonne und den Schmerz, den jene AfTecte erre­gen, dem Menschen als ein ewiges, unveräusserliches Erb-theil vindiciren — eine Wonne, in der er sich als glückli eher Bewohner paradisischcr Gefilde träumt; ein Schmerz, der der Ucberzeugung innerer Werthlosigkeit gleichkommt.
Als der niedrigste Ausdruck des Gefilhllebens kann der Instinkt betrachtet werden, durch welchen die Thiere Hand­lungen zu erkennen geben, die sich auf Selbsterhallung und Erhaltung der Gattung bezichen. Dieses Naturgefühl ist ge-wiss bei den Ilausthiercn, welche sich durch die Domesti cation unter die verschiedenartigsten, naturwidrigen Ein­flüsse schmiegen mussten, nicht mehr im früheren Grade vorhanden. Pflanzenfresser dürften daher nicht immer im Stande sein, giftige Pflanzen zu unterscheiden; auch dürfte den gezähmten Thieren manche Selbsthülfe zur Beseitigung kaum eingetretener Krankheiten in einem Grade verloren gegangen sein, dass dadurch einem wachsenden Heere von Leiden die Bahn gebrochen ist.
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132nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den chemischen Schadliclikeiten überhaupt
Zweite Classe. Chemische Schädlichkeiten.
Etnundzwanzlgsfes Capitel.
Von den chemischen Schädlichkeiten überhaupt.
sect;#9632; 98. Wenn wir unter Mischung den eigenthumlichen, auf die Qualität der Materie sich beziehenden Zu­stand eines Körpers zu verstehen haben-, so begrei­fen wir unter chemischen Schädlichkeiten sol­che Potenzen, welche vorzugsweise durch die Natur ihrer Bestandlheile die Mischung des tbierischen Körpers abändern können. Man muss sich aber nicht vorstellen, dass die in der Classe der chemischen Schädlichkeiten aufgeführten Potenzen nur allein che­misch , d. h. die Mischung ändernd wirken. Dies fin­det eben so wenig Statt, wie eine blosse Abände­rung des Kraftverhältnisses des Organismus durch die bereits abgehandelten dynamischen Schädlichkeiten, und wie eine blosse Verletzung der Form durch die später zu betrachtenden mechanischen Schädlichkei­len. Es ist vielmehr zu bedenken, dass die Schäd­lichkeiten dieser drei Classen zwar vorzugsweise die Richtung ihrer bezüglichen Wirkungen verfolgen, da­neben aber auch die anderen nicht verkennen las­sen; denn im Organismus bestellt keine Trennung der Verhältnisse, er stellt vielmehr eine Vereinigung der dynamischen, chemischen und mechanischen dar. Auch muss man sich ja nicht vorstellen-, dass die chemischen Kräfte im Inneren des Organismus so walten, wie in der anorganischen Natur, sie erschei­nen in demselben vielmehr unter dem Einflüsse ei­ner höheren Kraft, der Lebenskraft, als eigenthüm-
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Von den chemischen Schädlichkeilen überhaupt. 133
liehe; wir können sie daher als organ ich-chemi­sche bezeichnen.
Zusatz 1. Dem Vorsiehenden zufolge können also im Inneren des Organismus keine rein-chemische, vielmehr nur mehr oder weniger annähernd, anorganisch-chemische Wirkun­gen zuStandc kommen; mit ersteren müsste nothwendig die Vernichtung der organischen Kräfte (der Lebenskraft) Hand in Hand gehen. An der Grenze des Organismus aber, wo der Einfluss der Lebenskraft weniger bedeutend ist, z. B. an der ausseren Haut und im Verdauungskanal treten nicht selten Wirkungen hervor, welche als überwiegend anor­ganisch-chemische bezeichnet werden können. Dies findet unter andern Statt bei der Bindung und Decomposition ver­schluckter, im Magen und Darmkanal befindlicher Gifte durch Amidote, bei der Neutralisation von Sauren in denselben Organen, bei der Veränderung in faulige Zersetzung über­gegangener Secrete in Geschwüren durch Chlor.
Zusatz 2. Die chemischen Schädlichkeiten könnten wir, wie alle andere, in absolut- und in relativ-äussere eintheilcn. Eine solche Eiutheilung ist aber in diesem Werke nicht besonders hervorgehoben, weil sich bei der Betrach­tung der Schädlichkeiten von selbst ergiobt, in welche die­ser Abtheilungen sie geboren. Was die schädliche Wirkung verschiedener Gasarten betrifft, so abstrahiren wir hier, der Kürze wegen, um so lieber von einem Vortrage derselben, als die Hausthiere solchen Schädlichkeiten nur sehr selten ausgesetzt sind, und als das, in dieser Beziehung zu wissen Nothwendige aus dem Studium der Chemie und Materia me dica vorausuesetzt werden darf.
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/|34nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von den iNahrungsmitteln.
Zwclundzwanzigstes Capitel.
Von den Nahrungsmitteln.
sect;• 99-Unter Nahrungsmittel versteht man alles Das, was in den Nahrungssclilaucli gebracht, von dem­selben umgewandelt und in einen solchen Zustand versetzt wird, dass es von dem Körper assimilirt werden kann, und sonnt Ersatz für die verloren gegangenen Stoffe bietet. In wie weit die auf die Ltmee und die Haut wirkende atmosphärische Luft oder einer ihrer Bestandlheile, und in wie weit das Wasser (das hauptsächlichste Getränk der Thiere) als Nahrungsmittel zu betrachten sind, ist nicht be­stimmt. Wir lassen diese letzteren Potenzen daher hier ausser Betracht, indem wir uns zu den eigent­lichen Futterstoffen oder den Nahrungsmitteln im en­geren Sinne wenden.
sect;. 100. Die Nahrungsmittel wirken vorerst als Reize, die Verdauuugsthätigkeit hervorrufend, damit jene durch diese die, zu ihrer Assimilation nöthige Umwandlung erleiden. Die ursprüngliche Wirkung der Nah­rungsmittel ist daher als eine örtliche zu he-zeichnen. Weiter aber kommen die verähnlichten Nahrungsmittel in die Säftemasse, durch diese mit dem kleinsten, wirklich lebenden Punkte des thieri-schen Organismus in innige Berührung und bieten daher auch eine allgemeine Wirkung. Hieraus lässt sich entnehmen, dass die Nahrungsmittel im Allge­meinen dadurch schädlich werden können, dass sie eine zu starke oder zu schwache Erregung
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Von den Nahrungsmitteln.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 135
bewirken, und dadurch, dass sie wegen ihrer Menge und Beschaffenheit nicht srehöria assimilirt, d. h. in, dem Körper angemessene Stoffe umgewandelt werden. Man hat also die Quantität und Qua­lität der Nahrungsmittel gleich sehr zu berück­sichtigen.
sect;#9632; lOi
Die für die Individuen einer jeden Thieraattuns; ms Besondere erforderliche, dem Bedürfnisse des Organismus entsprechende Menge der Nahrungs­mittel ist nicht absolut festzustellen; da die nicht immer genau zu heurtlieilende Beschaffenheit der Individuen und die Beschaffenheit der Nahrungs­mittel selbst, so wie noch andere Verhältnisse dabei erwogen werden müssen. Was zunächst die Individuen anbetrifft, so ist leicht zu begreifen, dass Constitution, Geschlecht, Alter, Gebrauchs- und Lebensweise, Gewohnheit und Gesundheit in jener Rücksicht massgebend sind: magere, sonst gesunde und junge, im Gebrauche angestrengte Thiere, for­ner: männliche Zuchtthiere zur Zeit der Begattung, weihliche während der Trächtigkeit und des Milchens bedürfen gewiss mehr Nahrungsmittel, als solche, welche sich in entgegengesetzten Verhältnissen befin­den. Die Beschaffenheit des Futters anlangend, wird sich im Allgemeinen annehmen lassen, dass von sol­chen Futterstoffen, welche eine grosse Menge ernähren­der Bestandfheile enthalten, und überdiess noch schwer zu verdauen sind, ein kleineres Quantum erforder­lich ist, als von solchen, wobei es sich umgekehrt verhält. Andere Umstände, welche auf die Bestim­mung der Menge der Nahrungsmittel von Einfluss sind, können im Klima, in der Jahreszeit und in der Witteruns besründet sein. Ohne nähere Auselnaa-
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136nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den Nahrungsmitteln.
dersetzung wird man wissen, dass ein kaltes Klima, der Winter, eine trockene, reine Luft mehr Nahrungs-mitlel erforderlich machen, als die entgegengesetzten Verhältnisse.
sect;. 102. In zwei Rücksichten besonders kann eine zu grosse Menge des Futters als Schädlichkeit wir­ken. Die Menge ist entweder der Verdauungs­kraft angemessen oder nicht. Im ersteren Falle erfolgt zunächst eine übermässige Ausdehnung des Verdauungsapparates, hierdurch Bescliränkuug der Brusthöhle und somit des Athmens; dann Vollsaftig-keit und ein zu starker Ansatz einer minder ausge­bildeten thierischen Materie, nämlich des Fettes. Ein solcher Zustand wird durch die Mästung hervorge­rufen, ist hierfür zwar erwünscht, und wird daher die Verdauungsthäligkeit nicht selten durch Reizmit­tel, wie Kochsalz u. dgl. angeregt; für das Indivi­duum gellt daraus nur ein höchst relativer Gesund­heitszustand hervor, der leicht in offenbare Krank­heit ausschlagen kann. Im anderen Falle, wenn die Vedauungskraft der Menge des Futters nicht gewach­sen ist, wird dasselbe nicht gehörig verdaut, es verweilt länger im Magen und Dannkanal, wodurch Gelegenheit zur Entwickelang von Gasarten und Säu­ren gegeben ist, was die weitere Veranlassung zum Rülpsen, Erbrechen und zum gastrischen Fieber wer­den kann. Wird endlich in beiden Fällen eine zu grosse Menge Futters schnell und t.uf einmal ver­zehrt, so ist eine förmliche Ueberladung des Magens unausbleiblich, welche, ausser den vorhergenannten noch die Folgen haben kann, dass Lähmung oder Zerreissung jenes Organs, Kolik, Darmentzündung a. dal. entstehen.
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Eine, unter dem Bedürfniss des Individuums blei­bende Futtermenge kann nicht minder schädlich wer­den, wobei die Dauer und der Grad in Berücksich­tigung kommen. Eine zu geringe Menge Futters be­wirkt zunächst Zusamenziehung des Magens und des Darmkanals, Steigerung der Sensibilität in diesen Or­ganen; dann Anhäufung von Galle, Magen- und Darm­saft in denselhen, welche eine Schärfe annehmen; ferner Armulh an Blut und Mangel an plastischen Bestandthei-len in demselben; hiernach als nothwendige Folge Abnahme der Ernährung und namentlich gänzliches Schwinden des Fettes. Andere bemerkbare Erschei­nungen, welche mit jenen Folgen im Zusammenhange stehen, sind: Abnahme der Körperwärme, so wie der Ab- und Aussonderungen, Schwäche in den Be­wegungen u. s. w. — Bei grosser und dauernder Entziehung des Futters muss endlich der Hungertod eintreten.
Zusatz. Man war vielfach bestrebt, durch Versuche zu ermitteln, wie lange Thiere das Fasten ertragen können. Die hiernach bis jetzt gewonnenen Resultate sind etwa folgende: Je junger. di.c Thiere sind, um so schneller sterben sie den Hungertod; fleischfressende Thiere können langer hungern, als pflanzenfressende; fette Thiere langer als magere, weil jene eben am Fette einen grösseren Vorrath an Ersatzmitteln haben. Man fuhrt eine Beobachtung auf (Mantell in Trans­act, of the Linean Soc. Vol. XI. p. 419), welche beweisen soll, wie lange eine gewisse Menge des Fettes vor dem Hun­gertode schützen könne. Ein, in seinem Stalle durch einen Bergsturz verschüttetes Schwein blieb 1G0 Tage lang ohne Nahrung. Es war, als es verschüttet wurde, fett und wog ungefähr 160 Pfund. Nach seiner Ausgrabung war es sehr matt, mager und hatte nur noch 40 Pfund Gewicht. Die Sache klingt etwas fabelhaft, vorhält sie sich aber wirklich so, wie angegeben, dann dürfte der Mangel an Bewegung des Thiers und die Entziehung eines verzehrenden Luftein-
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flusses sie erklären helfen. Wie dem aber auch immer sein möge, man wird leicht einsehen, class eine absolute Zeitbe-slimmung, wie lange das Fasten von unsern Hausthieren er­tragen werden kann, nicht möglich ist. Die Beschaffenheit der Thiere und andere Verhältnisse kommen dabei in Be­tracht. Nach den Ermittelungen lobten Pferde 18—27 Tage ohne Nahrung, und Hunde nach Bedi 25 — 3G Tage. Be-merkenswerth ist es, dass Thiere mit fieberhaften Krankhei­ten länger ohne Nahrung auszudauern scheinen, als gesunde.
sect;. 103. Bei Beurtheilung der Beschaffenheit des Futters hat man auf die Art und Zusammensetzung seiner er­nährenden und erregenden Bestandtlieile, so wie auf die Verdaulichkeit des Futters eiue gleiche Biicksicht zu nehmen. Die Nahrungsmittel, bestimmt dem Or­ganismus den Verlust an Stoff und Kraft wiederzu-ersetzen, müssen Bestandtheile enthalten, welche ihm ähnlich (homolog, indifferent) sind, damit sie gehö-ris; verdaut und assimilirt werden können. Solche Nalirungsmiüel kann nur das organische Beich he­fern. Mit der Indifferenz der Nahrungsmittel darf es hinsegen nicht zu weit qehen, sie müssen vielmehr eine gewisse Menge der, die Vcrdauungs-und Assimila­tions-Thätigkeit unterhaltenden, erregenden Bestand­theile besitzen; wogegen diese nicht in dem Maasse und in der Qualität vorhanden sein dürfen, dass sie dadurch eine spezifische Wirkung hervorrufen und das Nahrungsmittel zum Arzneimittel stempeln. End­lich haben Versuche und vielfache Erfahrungen ge­lehrt, dass einfache Stoffe, wenn sie auch als die ernährenden in den Futterstoffen anerkannt werden müssen, nicht geeignet sind, das Leben auf die Dauer zu erhalten. Es müssen daher Futterstoffe verwandt werden, worin jene in einer gewissen Mannigfaltigkeit der Zusammensetzung vorkommen:
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und selbst hat sich ein Wechsel mil solchen Futter­stoffen als vorlheilhafl erwiesen.
Zusatz. Es sind vielfache Versuche angestellt worden, weiche beweisen, dass das Leben der Thiere sowohl beim ausschliesslicben Genüsse stickstofffreier (sonst ernährender) Stoffe, wie des Gummi, Stärkemehls, Zuckers, Olivenöls, der Butter u. s. w.; als auch bei solchem .stickstoffreicher Stoffe, wie des Käses, barter Eier — nicht bestehen kann. Im zweiten Theile dieses Werkes, wo über die Ernährung gehandelt wird, werden wir auf diesen Punkt zurückkom­men. Es wird dort zu zeigen versucht, welche Stoffe nach den neuesten Forschungen als die ernährenden betrachtet werden können, und in welchem Verhältnisse sie bei der Ernährung pflanzen- und fleischfressender Thiere stehen. Hier mag nur darauf aufmerksam gemacht werden, wie Prout (Chemislry, Moteorol. and the funet. of. digestion, London 1834) gezeigt hat, dass sämintliche Nahrungsmittel sieb in drei Klassen bringen lassen: in zuckerhaltige, ölige und ciweisshaltige. Die erstcren stammen vorzüglich aus dem Pflanzenreiche, und besteht der Zucker fast ganz aus Koh-lenstoff und Sauerstoff mit einer geringen Menge Wasserstoff; die Oele und Fette sind reich an Kohlenstoff und Wasser­stoff, aber ärmer an Sauerstoff, als der Zucker; das Eiweiss aber enthalt ausser den drei in den beiden genannten Klas­sen vorkommenden Stollen, auch noch eine beträchtliche Menge Stickstoff. Die Hauptbestandtheile der Milch aber — Milchzucker, Butter, Käses'.off — entsprechen gerade den drei Klassen, in welche alle Nahrungsmittel gebracht wer­den können. Die Milch enthält überdiess noch verschiedene Salze der Alkalien und Erden, und weiss man, dass sie unter allen Umständen geeignet ist, der Ernährung allein vorzustehen. Die Milch giebt uns also in ihren Bestand-theilen einen Fingerzeig, welche nähere und entferntere ße-standthcilc, und in welcher Mischung die Nahrungsmittel die­selben haben müssen, wenn sie als solche dienen sollen (Vgl. R. Wagner's Physiologie S. 287).
Um einen Beleg für die, im vorstehenden sect;. hingestellte Behauptung zu geben, dass selbst ein Wechsel von, sonst
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für sehr ernährend gepriesenen Fullersloffen nolhwendig sei, wird angemerkt, dass nach den Versuchen Viborg's und nach den Beobachtungen Lund's Pferde bei blossem Haferfulter nicht lange leben konnten; Hering sagt (in seiner Physiologie), dass Wiederkäuer noch weniger dazu geeignet sein wür­den. Wir stimmen ihm hierin bei, und fügen noch eine andere allbekannte Erfahrung hinzu, dass man zwar durch Fütterung mit blossen Kartoffeln Pferde am Leben erhalten kann, dass aber dieses Leben ein langsames Verhungern ist; es wächst ihnen weder Masse noch Kraft zu, sie unter­liegen einer jeden Anstrengung. (Vgl. Liebig, Organische Chemie, S. 77.)
sect;. 104. Im Zustande der freien Natur waren und sind unsere Hausthiere auf einen gewissen Kreis von Nahrungsmitteln hingewiesen; in der Domestication aber haben sie sich an die mannigfaltigsten Dinge gewöhnen müssen. Wir haben die Schmiegsamkeil der thierischen Natur in dieser Beziehung zu bewun­dern, welche indess ihre Grenzen hat. Und wie die Organisation der Thierc durch die Zähmung eine Aenderung erlitten hat, die zwar noch innerhalb der Grenzen der relativen Gesundheil liegt, so bleiben auch auffallende fehlerhafte Beschaffenheiten der Futterstoffe nicht ohne störenden Einlluss auf ihre Ge­sundheit. So kann, in Betreff der oben angedeute­ten allgemeinen Erfordernisse einer guten Beschaffen­heit der Nahrungsmittel, eine zu grosse Nahrhaftig­keit mit gleichzeitiger, leichter Verdaulichkeit der­selben, ähnliche Nachlheile hervorbringen, wie sie bereits für eine zu grosse Menge des Futters bei ungeschwächter Verdauungskraft bezeichnet worden sind; wogegen eine zu geringe Nahrhaftigkeit im All­gemeinen die Folgen einer zu geringen Menge der Futterstoffe hat. Schwer verdauliche Nahrungsmittel
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erzeugen ähnliche Wirkungen, wie die Ueberfüllung; wogegen zu leicht verdauliche, wegen zu geringen Anspruchs der organischen Reaction, zunächst eine Schwäche im Digestions-Apparate und dann auch wohl allgemeine Schwäche bedingen. Die allzugrosse Indifferenz der Nahrungsmittel, oder, mit anderen Worten, die zu wenig reizende Beschaffenheit der­selben, wie z. B. der Genuss vieler schleimiger und mehliger Futterstoffe, bewirkt ebenfalls zunächst eine zu geringe Reaction im Verdauungsapparatc, und die weiteren Folgen machen sich als Indigestion, Ver­schleimung, fehlerhafte Chylus- und Blutbereitung, durch Wurmerzeugung, mangelhafte Ernährung u. dgl. bemerkbar. Zu reizende Futterstoffe da^eeen. wie der anhaltende Genuss gewürzhaften Heues, des weis-sen Klees und anderer, die sich durch Gehalt eines bitteren, salzigen, herben oder aromatischen Stofles auszeichnen, steigern die Verdauungsthätigkeit und den Lebensprozess überhaupt zu sehr, wovon Voll­blütigkeit, Congestionen und Entzündungen die Fol­gen sein können. Welche Nachlheile endlich eine zu geringe Mannigfaltigkeit der ernährenden Stoffe in den Futtermitteln, und eine zu geringe Abwechselung mit den Futterstoffen selbst haben könne, ist bereits angedeutet worden.
Zusatz. Wir könnten hier noch die schädliche Wir­kung besprechen, welche die näheren Beslandtheile der Nahrungsmittel ins Besondere, wie Schleim, Kleber, Starke, Oel, Fett, KäsestofT u. dgl. im thicrischen Organismus her vorzubringen vermögen. Da diese Kenntniss aber, wenig­stens zum Theil. aus der Materia medica vorausgesetzt wer­den muss, und da jene näheren Beslandtheile der Futter Stoffe auch niemals zum ausschiiesslichen Genuss für die Thiere verwandt werden, so dürfen wir uns füglich hier auf die allgemeinen, im Zusatz zu sect;.103. gemachten Bemer-
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kungen beziehen. Auch unterlassen wir es. die grosse Zahl der Futtenniltel einzeln, rücksiclillicli ihrer möglichen Schädlichkeiten zu betrachten, und müssen ein solches Ge schäft vielmehr in das Gebiet der Diätetik verweisen, wo sich bei der Hervorhebung der ökonomischen Vorthoile der einzelnen Futtermittel, ihre Nachtheile wie von selbst ergeben.
sect;. 105. Indess wollen wir in Kürze noch einige Schäd­lichkeiten der Nahrungsmittel besprechen, wie sie durch mehr zufällige Verhältnisse, z.B. durch Witterung, Bodenbeschaffenheit,Einsammlung, Aufbewahrung, Zuber eilung, Bei mengung fremd­artiger Bestandlheile u, s. w. veraulasst werden. Auf feuchten, sumpfigen oder an schattigen Stellen gewachsene, bei kalter, regnigter Witterung gereifte, getrocknete und eingeerntete, und daher der Schim­melbildung unterworfene Futtergewächse, ferner sol­che, welche durch Frost gelitten haben, oder an feuchten Orten, dicht aufgeschüttet, aufbewahrt wer­den, und daher der Erhitzung und faulen Gährung unterworfen sind, schaden den Thieren auf mannig­fache Weise. Indigestionen, Luftentwickclung und gastrische Fieber sind meistens die nächsten Wir-
kungen davon. Die, vermittelst Salz, Oclkuchen u. dgl. eingemachten frischen Vegetabilien gerathen durch diese Operation in eine weinige Gährung, ebenso die trockenen Futterarten, welche man durch Befeuchtung der Selbsterhilzung unterwirft. Sie scha­den zwar, wenn sie gehörig bereitet und erhalten und in massiger Menge verfüttert werden, der Ge­sundheit der Thiere nicht, können jedoch entgegen­gesetzten Falles die bereits angeführten Nachtheile eines zu reizenden und verdorbenen Futters zur Folge haben. Durch Krankheiten, mit denen die wachsenden Vegetabilien befallen werden, wie Mehl-
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und Honigtliau, Mutlerkoni, Keimtod, Brand -und Rost können ebenfalls Nachtheile deim Vieh hervor­gebracht werden, jedoch sind solche noch nicht ge­hörig gewürdigt und festgestellt, obgleich man sie unter den Ursachen vieler Seuchen aufgeführt findet. Ebenso verhält es sich mit der Beimengung der Trespe (Bromus mulliflorus), des Schvvindelhafers (Bromus secalinus), des Taumellolchs (Lolium temulentum) und anderer verdachtigen Gewachse, auf deren Genuss man beim Menschen belaubende Wirkungen gesehen haben will. Welche Nachlheile andere, als giftig an­erkannte Pflanzen oder Theile derselben, wie Was­serschierling, Bucheckernkuchen für die Thiere über­haupt oder einzelne Gallungen derselben hervorbrin­gen, ist bekannt, und darf hier in Bezug des Nähe­ren auf die Diätetik von Kuers und die Arzneimit­tellehre von Her twig verwiesen werden. Auch hat man beobachtet, dass schimmliges Brod den Pfer­den nachtheilig werden kann. Ferner können Bei­mengungen von mineralischen Stoffen zu den Futter­mitteln, wie Sand, allerlei Staub, Schlamm, Erze von Blei, Kupfer, Zink u. dgl. dieselben zu Schäd­lichkeiten erheben, welche, der Natur der Stoffe zu­folge, theils mechanisch, theils speeifisch wirken kön­nen. Nicht minder kann eine schlechte Beschaffen­heit der Kauwerkzeuge, wodurch das Futter nicht gehörig zerkleinert und eingespeichelt wird, und mit­hin schlecht'vorbereitet in den Magen gelangt; ferner eine zu grosse Kälte oder Hitze des Futters (wie letzteres beim Brühfutler nicht selten vorkommt) das­selbe als Schädlichkeit herausstellen; deren Solgen sich von selbst aus dem, bereits in quot;anderen sect;sect;• Ab­gehandelten ergeben.
Zusätze. Die Nachtheile, welche schimmlige Fut­terstoffe hervorbringen, hat man dem Schimmel selbst
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zuseschrieben; namentlich haben Nu man, Marchand und C. Sprengel diese Ansicht ausgesprochen und vertheidigt. Wie viel aber bei den Nachtheilen der so verdorbenen Fut­terstoffe auf Rechnung des Schimmels selbst, und wieviel auf ihre innere Entartung zu setzen ist, weiss man bisher nicht mit Gewisshcit. An multrigcm Hafer sieht man eben­falls eine microscopische Pilzart, und ist die spezifische Wir­kung eines solchen auf die Nieren in Hervorbringung der Harnruhr bei Pferden bekannt. Man hat nach dem Genüsse schimmligen Erodes Magen- und Darmentzündung und den Tod erfolgen sehen; ich selbst sah bei zwei Pferden im mittleren Alter nach einer starken Gabe eines solchen Ero­des Symptome von Schwindel auftreten, welche nach An­wendung ausleerender Mittel schwanden. (Vgl. Kuers Diä­tetik. Eerlin 1839. I. Ed. S. 66 ff.; ferner Sproegel, Expe rimenta circa varia venena etc. Göttingen 1753; Gohier, Observations et experiences sur lo pain moisi et sur quel-ques poisons min. et veget. Paris et Lyon 1807.
Eine weitere schädliche Beschaffenheit können die Fut-terslollc durch die auf ihnen lebenden Thicrc selbst oder durch ihre Excremente u. dgl. erlangen. Hierher gehören Raupen, Blattläuse, Spinnen, Heuschrecken und andere. (Vgl. Kuers 1. c. S. 65.)
Die schädliche Wirkung des Taumellolchs besteht nach Riviere (Histoire de la soc. des scienc. de Montpel­lier. Lyon 1766) in einem scharfen Harze, welches das Mehl der Samen bis zu r\ enthalte. Der Taumellolch wird na­mentlich als Ursache des Schwindels bei Schweinen aufge­führt. Indess hat Spinola (die Krankheiten der Schweine. Eerlin 1842) den Samen desselben, aufgebrühet, dem Schwei­nefutter in solchen Quantitäten zugesetzt, wie möglicher­weise die Schweine nur Gelegenheit finden können, ihn zu verzehren, ohne die Zufälle des Schwindels eintreten zu sehen. Nur in einem Falle schien ihm ein i Jahr altes Schwein nach dem Genüsse J Metze jenes reifen Samens (auf den Tag) etwas träger geworden zu sein, während wieder ein Schwein in einem anderen Falle nach 1 Melze ganz wohl und munter blieb. Spinola hält es übri-
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\üii tlen Nalirungsmilloln.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^45
gens für wahrscheinlich^ (hiss dem unreifen Samen eine grössere Schädlichkeit beiwohne, als dem reifen, und dass hierbei ein ähnliches Vcrhiillniss obwalte, wie bei den Mohn-köpfen. Auch in den, von Nestler in einem bedeutenden Umfange und zu wiederholten Malen angestellten Versuchen bei Pferden und Kühen (Oekon. Neuick. und Verh. So. 58. 1838) hat sich ein Hafer, welclicr zum grossen Theile aus Taumellolchsamen bestand, als unschädlich erwiesen (Vgl, Kuers 1. c. S. 299.
Man weiss, dass der Buchweizen im frischen und blühenden Zustande bei Schweinen, Schafen und Ziegen, seltener bei Pferden und Rindvieh, und zwar nur Lei weis-sen oder weissgefleckten, unter Mitwirkung des Sonnenlichts einen entzündlichen Zustand der weissen Hautstellen und den Schwindel erregt. Diese Sonderbarkeit ist noch nicht auf­geklärt. Spinola (1. 0.) stellt die Vcnnuthung auf, dass die Färbung der Haut und die, mit dieser (wahrscheinlich) cor-respondirende grössere oder geringere Pigmentbildung im Auge die Ursache vom Schwindel ist, so dass von dem Sehorgane und dem, mit dem Sehnerven zunächst ver­bundenen Gchirnlheil jene Erscheinung ausgehe.
Das Mutterkorn, Vogel- oder Uahnensporn (Seeale cornutum) besteht in dunkelgefärbten, gekrümmten, längli­chen Körperchen, welche aus den Aehren des Roggens und anderer Gräser hervorwachsen. Man unterscheidet zwei Varietäten: eine schwarzbraune, welche als die schäd­lichere, und eine violette, welche als die gutartigere be­zeichnet wird. Die Ansichten über das Wesen des Mutter­korns selbst sind verschieden. Einige halten es für einen Pilz, Andere nehmen an, dass sich nur mikroskopische Pilze an demselben bilden; wieder Andere halten es für eine, durch den Stich von Insccten, oder durch Boden- und atmosphärische Verhältnisse hervorgebrachte Krankheit. Die letztere Ansicht halte ich für die wahrscheinlichere, obgleich sich amMutterkorn auch mikroskopischePi|ze vorfinden, wie ich mich selbst überzeugt habe. Für den wirksamen und schäd­lichen BesfandtheU des Mutlerkorns gieht Wiggers (dissert. inaug. inquis. in secale cornut. elc. 183'.') das Ergotin aus.
Fuchs, nll^ein l'nthol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;-J (quot;*
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Von cUmi Nahrungsmitteln.
Die spezifische Wirkung des Mnllerkorns in BelrefT der Slel-cerung dos Gonlraclions^Verbögens des Uterus ist bekannt. Tessier (Mamp;n. sm- les obse^y. faites en Salogne 1777) musste einem Schweine fahrend 66 Tagen 2-2 Pfd. Mutter­korn (bei übrigens hiniviehcndem Vultor) verabreichen, be­vor es starb. Dagegen zeigen die Versuche von anderen, wie Palernc, Read und Lorinser, dass das Mutterkorn ähnlich den scharf-narkotischen Giften wirkt; sie sahen darnach Durch­fall Erbrechen,EntzündungdesDarinkanals und cler Haut, erwei­terte Pupille und Schwäche in den Muskeln entstehen. Beson­ders nachtheilig soll nachRoulin das Mutterkorn des Mais (de l'ergot de mais etc. in den Ann. des scienc. nat. T. XIX.) den Hausthieren sein. (Vgl.auchArch.f.Schw.TbierärzteBd.X.H.4.) Vom Mehlthau (Albigo) unterscheidet man zwei Ar­ien: die eine soll in einem kleinen Schwamm (Sclerotium Pers. Erysiphe Link) und die andere aus Haulpartikeln der Blattläuse bcslchcn, welche vom Abhäuten dieser Insocten herrühren. Der Mehlthau, so wie auch der Honiglhau (wo­von unten die Rede sein wird) sind häufig als Ursache der Kolik, Diarrhöe der Lungenseuche, des Milzbrandes u. dgl. beschuldigt worden: wie viel aber Wahres daran ist. weiss man nicht zuverlässig. Einhof, Rabe und Leitner hallen ihn für schädlich (Hermbstädt's Agriculturchemie Bd. TIF. litt. II. und Bd.V. Hfl. L); auch Niemann (in den Anmerk. cler Schrift Gaspaii n's üb. die ansteckenden Krankit. d. Schafe).
Der Honiglhau (Melligo, vel Albigo mellea) besteht aus einem schleimigen, süssschmeckenden Stoffe, der die Ge­wächse als eine Schmiere Überzieht. Man sieht ihn entweder für ein Secret der Blattläuse an. oder für ein solches der Pflanzen selbst, erzeugt durch denKimluss einer eigenthüm-lichen Witterung, wenn z.B. Staubregen mit Sonnenschein wechselt. Liebig (organische Chemie in ihrer Anwendung auf die Agricultur und Physiol. Braunschweig 1840. S. 118) vertheidigt die chemische Ansicht Über die Entstehung des Honigthaues. Nach ihm beruht die Entstehung desselben überhaupt auf einem Missverhällniss stickstofffreier und slick-sloll'halliger Nahrungsstoffe in den Pflanzen. Näher betrach­tet soll der Honigthau ein Zuckersaft sein, der aus der. in
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tlcn Siiften der Pflanzen enthaltenen Slürke vermittelst einer, der Diastase ühnlicheu Substanz erzeugt werde, und da Dies unter Umständen im Uebermaass geschehe, so könne er hei der Assimilation der Pflanzen nicht all' verbraucht, und müsse vielmehr alsdann an der Oberfläche der Blätter als Excrement ausgeschieden werden. — Einhof hat so­wohl den Honig-, als auch den Mehltbau chemisch unter­sucht, und darin einen grossen Anthoil eines elgenlhümlichen Pflanzenwachses gefunden (Gehlen, Journal für Chemie. Physik und Mineral. Bd. V). Alle Mittheilungen über die Schädlichkeit des Honigthaues entbehren der Zuverlässigkeit; eine Beobachtung möge indess hier, ihres besonderen In­teresses wegen, Baum finden. Der Iloniglhau und mit ihm fast gleichzeitig die Blattläuse erzeugten sich um die Mitte des Monatos Juni 1841, und verunreinigten das Weidefutter im ganzen Gumbinner und in einigen Theilen das Insterbur-ger und Stallupöhner Kreises. Etwa acht Tage später er­schien eine Krankheit unter den weissgezeichneten Pferden und Schäcken, welche in einem Absterben der weissen Hauttheile bestand. Da die Thierc jenes verunreinigte Fut­ter gefressen hatten, so war man geneigt, das Entstehen der gedachten Krankheit davon abzuleiten. Ohne bemerk­bares Unwohlsein, ohne wahrgenommene Fieberbewegungen schwollen die weissen Hautstellen jener Pferde an, zeigten erhöhte Wärme und Empfindlichkeit, und schrumpften dann nach 2—3 Tagen zu einer harten, lederartigen Borke zu­sammen, welche später durch Eiterung abgestossen wurden. Die Grenzen dieses Hautbramles waren stets genau mit den weissen Zeichnungen übereinstimmend, und erstreck­ten sich niemals weiter, als diese. Wenn bei Schäcken mehrere #9633;' weisser Hautparthie auf solche Weise abgestossen wurden, und an diesen Stellen die Eiterung begann, dann Hess sich bei solchen Thieren auch ein gelindes Fieber wahr­nehmen, aber dasselbe dauerte nie länger, als 2—3 Tage; und die Fresslust schien nur dann verändert, wenn auch an den Lippen der gedachte Krankhcilsprozess vorging. Die Krankheit verlief gutartig bei zweckmässiger Diät ohne Arz­nei. Die starken Haare der Mähnen und Schweife gingen
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niemals, wie die kurzen Deckhaare, mit der brandigen Haut verloren; sondern letztere löste sich zwischen jenen in Gestalt einer dicken Borke (Veterinär-Bericht der König!. Re­gierung zu Gumbinnen pro II. Quart. 1841. Bef. Dep. Thier-arzt Steiner). Unbemerkt darf nicht bleiben, dass auch anderwärts in sporadischen Fällen beim Bindvieh ein ähn­liches Absterben weisser Ilautstücke nach gastrisch-fieber­haften Krankheilen bemerkt worden ist, ohne dass die vor-gedachtc Ursache beschuldigt werden konnte.
Vom Brande unlerscheidet man drei Arien: 1) den Schmierbrand, auch Keimlod oder Gichlkorn genannt (aborlus seminum). Er kommt bei Weizen vor, und besteht im frischen Zustande aus grünlichen, im trockenen aus gelb-bräunlichen kleinen Körnern, welche sich durch einen krank­haften Zustand der Weizenkörner an ihnen bilden. Man hält diese Art Brand für mikroskopische Pilze (Zeoma foetidum Decand. UredoCaries, Ured. Sitophylum Dittmar). Auch will man in demselben Infusorien (Vibrionen) namentlich in dem, aus England bezogenen, gesehen haben. Die andere Art des Brandes wird Flugbrand genannt (Uslilago). Er kommt vorzugsweise beim Weizen, Hafer und bei der Gerste vor, und besteht in einer Krankheit, durch welche die Sa­menkörner oder auch die ganze Aehre in ein leichtes, schwar­zes, bitter und scharfschmeckendes und übelriechendes Pul­ver verwandelt werden. Auch in diesem hat man mikrosko­pische Pilze erkannt (Zeoma v. Uredo segetum Pers. Uredo Garbo Decand.). Die dritte Art wird Kappenbrand (Uredo glumarum) genannt. Er entsteht nach derBluthe des Getrei­des an den Spelzen; die Aehren sehen anfangs blaugrün, dann rölhlich aus. Die Angaben über die Nachlheile des Getreidebrandes bei unseren Hausthieren ermangeln meist der Zuverlässigkeit; indessen verdient die Beobachtung Ger-lach's (Kreis-Thierarzt in Hettstädt) angemerkt zu werden, wonach Kühe nach dem Genüsse eines mit Flugbrand ver­sehenen Weizenkaffs verkalbten und Lämmer in die Lähme verfielen, deren Mutter ebenfalls flugbrandigen Weizen erhal­len hatten (Gurlt und Ilertwig, Magazin u. s.w. VH.Jahrg. 11. Heft S. 244 u. 243). Wenn man auch die directe Schäd-
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lichkeil der brandigen Getreidearten leugnen wollte, so muss man doch zugeben, dass das Getreide durch diese Entartung seine ernährenden Bestandtheilo (Kleber und Stärkemehl} verliert, wie es die von Foucroy und Vauquelin veran­stalteten Analysen nachweisen (Vergl. Kuers 1. c. S. 48).
Der Rost (Rubigo) besteht aus einer eigenthümlichen Art Staubschwämmchen (Zeoma, Xylonia; Uredo Link; Zeoma vera nach anderen; Accidium Berberidis Pevs., wenn er an Berberitze; Puccinia Pisi, wenn er am Erbsenstroh vor­kommt), welche die Halme und Biälter mehrerer Getreido-arten, die Siengel und Blätter der Erbsen u. s. v. als rost­farbige Flecken überziehen. Bestimmte Thatsachen der di-recten Schädlichkeit des Pflanzenrostes für unsere Hausthiere fehlen; es sei denn, dass man hierher auch die Angaben Gerlach's (1. c. S. 216) ziehen wollte, wonach der Genuss des mit Rost befallenen Erbsenstrohes das Verlammen der Schafe, den Vorfall und selbst die Entzündung der Gebär mutter bei diesen Thicren hervorgebracht haben soll. Jeden­falls wird aber, wenn auch nicht die Früchte selbst, doch das Stroh durch den Rost weniger gedeihlich. Go hi er, Numan, Marchand und Niemann halten das mit Rost be­fallene Stroh ebenfalls für schädlich; es soll vorzugsweise Entzündung in der Schleimhaut und eine fehlerhafte Mischung des Blutes bewirken. (Gohier, mem. sur les effets de pailles rouillees etc. Niemann in den Anmerkungen zu Gasparin's Abhandlung über die ansteckenden Krankheiten der Schafe. Numan et Marchand, sur les proprieles nuisibles, que les fourages etc.).
Das Getreide kann endlich noch eine Verderbniss durch das Zerfressen desselben von Insecten (Calandra granaria, Tinia granella) erleiden, ohne aber auch hierdurch zu einer positiven Schädlichkeit zu werden.
sect;. lOG.
Ein Umstand, welcher die Nahrungsmittel nicht
selten zu einer Schädlichkeit macht, ist der rasche
Wechsel der trockenen Fütterung mit der
grünen (der Winter-tmd SomtnerfiUterung, der Stall-
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Von den Mahrungsmitteln.
und Weidefüllcrung) und so umgekehrt. Das Irockene Futter zeichnet sich im Allgemeinen durch grössere Nahrhaftigkeit und mindere Verdaulichkeit aus, wo­gegen das grüne Futter leichter verdaulich, aber we­niger nahrhaft ist. Deshalb können bei einem sol­chen Futtenvechscl diejenigen Nachlheile entstehen, welche bereits in Bezug auf die Nahrhaftigkeit der Nahrungsmittel angeführt worden sind, und zwar um so eher, als die Digestionsorgane sich dem seitheri­gen Futter aecommodirt hatten, und daher den raschen Uebergang nicht ohne Eingriffe ertragen. Eine wei­tere Schädlichkeit erwächst durch die Unordnung in der Futteraufnahme. Wenn Futter, in zu kurz auf­einanderfolgenden Zeiten gereicht, oder wenn die ge­wöhnliche Zeit überschlagen wird, oder endlich, wenn die Thiere während oder kurz vor und gleich nach schwerer Arbeit fressen, so können dadurch leicht abzuleitende nachtheilige Folgen, wie Indigestion, Ueberfüliung und dergl. entstehen. Endlich scliliessen sich an diese Betrachtungen solche über die schäd­lichen Einflüsse an, welche der Weidegang den Thie­len bringen kann. Ansserdem, dass die Weide eine zu grosse oder zu geringe Menge oder auch schlecht beschaffene Futterkräuler bieten mag, können noch andere Umstände, wie sumpfiger oder trockener, fel­siger Boden, Witterangseinflüsse, Insecten, zu starke Bewegung u, dergl. nachtheilig mitwirken; was nach den, hierüber handelnden sect;sect;. beurtheiit werden muss. Und, wenn wir endlich noch der thierischen Nah-rungsstoffe besonders gedenken, so geschieht es nur mit der Andeutung, dass spitzige Knochen mechani­sche Verletzungen, verdorbene, faulige Fleischarten Erbrechen und Indigestionen, Fleisch aber von kran­ken (milzbrandigen) und vergifteten Thiercn selbst gefährliche Krankheiten erzeugen.
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Von den Nahrungsmitteln.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;152
Zusatz. Bei Menschen will man nach dem Genüsse
von Fleisch der durch Ulilz getödleten Tliierc Naclilheilc ge­sehen Laben; in Betreff der Thiere ist kein hierher gehöriges Beispiel bekannt.
Die Lake von ciiigesalzeueia Fleische oder von Häringen bringt bekanntlich, im üebermaass gegeben, gefährliche Zu­fälle bei allen Haustliicreu hervor. Spinola, der beobach­tete, dass ein Tabagist nach unvorsichtigem Verfüttern einer solchen Brühe 18 Schweine verlor., glaubt nicht, dass in dem Fükel ein giftiger Stell' sei, der sich analog dem Wursl-gift verhalte, oder in Fettsaure bestelle; da die Wirkungen des Wurslgiftes sich anders verhielten. Dieses aflicire das Gehirn und Rückenmark nur wonig, es äussere sich vielmehr im Bereiche der sympathischen Nerven; während die Krank­heit jener Schweine mit dem Schwindel begann und mit dem Schlagfluss endete. Die Scctionen wiesen Blutanhäufuu-gen im Gehirne, abnorme Rothe und selbst Entzündliche Be-scfaaffeuheit der Magen- und Darmscbleimhaut nach (Spi­nola 1. c. S. 230 ff.). Das Wurstgift selbst ist indess ein hypothetischer Slolf, welcher nicht näher gekannt ist. und Fettsäure ist in giftigen Würsten weder nachgewiesen, noch wirkt sie giftig; nur ist ein Gehalt an Milchsäure und milch-saurem Natrum in solchen Würsten dargethan, die indess unter den l'ruducten faulender thierischer und vegetabilischer Stotle niemals fehlen (Liebig 1. c. S. 31ö). Es scheint uns überhaupt nicht nollnvendig zu sein, Zuflucht zu der An­nahme eines eigenthümlichen gütigen Stolies in der Salzlake eingemachter thierischer Theile nehmen zu müssen, um ihre schädlichen Wirkungen zu erklären. Reines Salz im Üeber­maass kann dieselben Nachlheile hervorbringen, wie viel mehr muss JJicss eine mit faulenden tbierischen Stollen ver­unreinigte Salzbrühe thun! Das hier Gesagte gilt auch in Bezug auf die Mittheilung des Kreis-Tbierarzles Arensberg (Gurlt und llerlwig Mag. f. d. g. Thierheilkunde, Jahrg. VII. lieft II.), wonach sich die lläringslako bei Schafen von tödtlicher Wirkung gezeigt hatte.
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\ um Getränke
Drelimdzwanzig^tcs ('upitel.
Vom Getränke.
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10;
Da die Vex'dauung in einem Verflüssigungspro­zesse besteht, wodurch die Möglichkeit des Leber-ganges der festen Nahrungsmittel in die thicrische Organisation gesetzt wird, so muss auch dem Ver­dauungsapparate so viel Flüssigkeit einverleibt wer­den, als zu jenem Prozesse mitwirkend erforderlich ist. Eben so wenig wie die Thiere beim Genüsse blosser reiner Flüssigkeiten ihr Leben lange fristen, können sie bei blos fester Nahrung für die Dauer bestellen. Die für ein Thicr erforderliche Menge des Getränkes lassl sich nicht absolut bestimmen: es kommen dabei verschiedene Umstände in Betracht. 1) Die Menge des Futters: eine grosse Menge Futters fordert im Allgemeinen eine grosse Menge Getränkes. 2) Der Feuchtigkeitsgrad des Fut­ters: trockene Fütterung erfordert mehr Getränk, als grüne. 3) Die Individualität der Thiere: sehr lebhafte verlangen mehr Getränk, als träge; milchende, welche also einen grossen Säfteverlust haben, mehr als nicht milchende; jüngere Thiere mit vorwaltender Bildungsthätigkeit mehr, als alte; Thiere, welche star­ken Körperbewegungen, Anstrengungen hei der Arbeit ausgesetzt sind, verlangen wegen der hierbei statt­findenden grösseren Verzehrung des organischen Stoffs, und namentlich w'egen der gesteigerten Lungen- und Haufausdünstung, mehr Getränk, als andere, bei denen dies nicht der Fall ist. 4) Die äusseren Einflüsse: in heissen Climaten und im Sommer, so wie bei trockenen Winden, muss dem Körper, wegen der grösseren Verdunstung flüssiger Theile, mehr Getränk
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Vom Getränke.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;153
geboten werden, als unter den entgegengesetzten Verhältnissen.
sect;. 108.
Wenn ein Ueberraaass des Getränkes in der Regel auch nicht soviel schadet, wie ein Ueberraaass an Futter, so bleiben die Nachtheile davon doch nur selten aus, welche im Allgemeinen in zu grosser Aus­dehnung des Vcrdauungscanals, Erschlaffung und Schwäche desselben, in zu schnellem Absang des Futters, Vollsaftigkeit, Blutwässrigkeit, Vermehrung der Se- und Excretionen, und endlich in Mangel der Er­nährung und anderen Krankheitszuständen bestehen. Durch eine zu geringe Menge des Getränkes wird die Verdauung erschwert, ein dicker, nicht leicht auf­saugbarer Chylus bereitet, die wurmförmige Bewegung des Digestions-Apparates vermindert, Hartleibigkeit, so wie Beschränkung der Se- und Excretionen her­beigeführt. Die weiteren Folgen sind Dickblütigkeit, Stockungen der Säfte, Concrementcn- und Steinbil­dung u. s. w. Bei gänzlicher Entziehung des Geträn­kes, wenn nur trockene Nahrungsmittel gereicht wer­den, ist der Tod unausbleiblich, unter den vorher­gehenden Erscheinungen des peinigenden Durstes. Bei verdursteten Thieren findet man Entzündungen in den Baucheingewcidcn, und andere hiermit im Zu­sammenhange stehende Sections-Erscheinungen.
Zusatz. Bei der Section verdursteter Thiere iindel man nach Balsalva, Dumas und Orfilla die Schleimhaut des Maules bis zum Magen stark gerölhet, oft wirklich ent­zündet, desgleichen das Bauchfell, und diese Organe nicht selten mit lividen und brandigen Flecken bedeckt; die Hin-terleibs-Eingeweide voll von Blut, entzündet und dem Brande nahe; viel Blut im Herzen und in den grossen Blutadern, im ersteren polypöse Massen, so wie auch das aus der Ader
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Vom Getränke.
gelassene Blut bei Hunden eine starke lymphatische Krusle zeigt. Das Blut ist überall geronnen, ilieht und ermangelt des Serums. Alle Se- und Excrelions-Fliissigkeiton, beson­ders Galle und Urin, sind in geringer Menge vorhanden und von consistenter Beschaffenheit, so #9632;wie auch die festen Theile einen hohen Grad von Trockenheit zeigen. Das Gehirn und seine Häute werden oft geröthet und entzündet angetroffen. (Vergl. Slarck 1. c. S. 490).
sect;. 109. In Riicksiclit der Beschaffenheit, des Geträn­kes haben wir es hauptsächlich nur mit dem Was­ser, einem unorganischen Stoffe zu thun, welches das ausschliessliche Getränk der wilden Tliiere, aber auch das gebräuchlichste, einfachste und natürlichste für die Hauslhicre darstellt. Indess geniessen diese auch noch andere Getränke, so vorzugsweise die saugenden ein thierisches Secret, die Milch, oder auch aus ökonomischen, diätetischen und therapeutischen Rücksichten künstliche Getränke verschiedener Art, wie saure Milch, Molken, Mehl- und Kleientränke, Branntweinspülig und dergl Bei dem Wasser kom­men vorzugsweise seine Reinheit oder seine Beimi­schungen an organischen und unorganischen Stoffen verschiedener Art, so wie seine Temperatur' in Be­tracht. So unterscheidet man Quell-, Regen-, Fluss­wasser, stehendes und Sumpfwasser, und berücksich­tigt dabei seine Härte oder Weichheit, d. b. seinen mehr oder minder grossen Gehalt an unorganischen Beimischungen, namentlich an kohlensaurem Kalk; oder es kommen, vorzugsweise bei den stehenden Wassern, die Verunreinigungen durch faulende orga­nische Körper, sowohl tliieiischcr, als pflanzlicher, in Erwägung. Das reine, massig kalte und harte, lul't-reiche Wasser, es sei Quell- oder Flusswasser, ist nun, wie bereits angedeutet, dasjenige, welches die
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Vom Gelränke.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;155
Gesundheit der Thiere zu erhalten am meisten ge­eignet ist. In wie fern Beimischungen desselhen schädlich wirken, muss aus ihrer Natur beurtheilt werden, wie es sich aus dem bereits Abgehandelten, und für Beimischungen mehr zufälliger und giftiger Art aus der Materia medica leicht ergicbt. Auch die Nachtheile einer zu hohen und zu niedrigen Tempe­ratur können ebenfalls, dem Bekannten zufolge, leicht ermessen werden. Bei den künstlichen Getränken sieht man nicht, wie beim Wasser, auf möglichste Indifierenz, sondern, nach Verschiedenheit des Zwek-kes, auf Nahrhaftigkeit und Reizvermögen. Es lassen sich die Nachtheile solcher Getränke nach Dem, was über diese Qualitäten im vorigen Gap. angeführt wor­den ist, im Allgemeinen leicht beurtheilen.
Die Zeit, in welcher die Getränke aufgenom­men werden sollen, wird am natürlichsten durch das Bedürfniss, durch den Durst, bestimmt. Den meisten Ilausthieren ist aber in dieser Beziehung die Willkühr benommen; daher auch durch das unzeitige Saufen oftmals Nachtheile herbeigeführt werden können, die vorzugsweise in Störung der Verdauung und Assimi­lation bestehen.
Zusatz i. Kalkrcichcs Trinkwasser ist mehre Male als Ursache der Ilarnsteinbildung, welche man nicht seilen un­ter Rindvieh und Schufen als cnzooüschc Krankheit beob­achtet, beschuldigt worden. Kuers sah die Steinkrnnklieit häufig auf einem Gute entstehen, dessen Rinder mit Mist-pfiilzemvasscr getränkt wurden. Den Genuss des Meerwas­sers hat man bei Rindern und Schafen nachlheilig, selbst lebensgefährlich werden sehen, indem nach demselben Blut­harnen, Diarrhöe u. dergl. entstand, wahrscheinlich wogen seines Gehalles an Chlornatrium und anderen Salzen. [Vergl. Kuers 1. c. LTh. S. 60 ff.).
Zusatz 2. Von den künstlichen Tränken sind oftmals die, welche die Pferde der Müller aus sogenanntem Stein
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Vom Getränke.
oder Vormehl erhallen, als Ursache der Erzeugung der Dann­steine wegen der beigemengten Kieselerde beschuldigt wor­den. Diese Beschuldigung erscheint aber in so fern unbe­gründet, als man unter anderen Umständen Pferde viel Sand verschlingen sieht, ohne dass sich Darmsteine erzeugen, und als die Analyse bisher nur einen geringen Gehalt an Kiesel­erde in den Darm- und Magensteinen nachgewiesen hat. Man sieht aber auch solche Steine häufig bei Pferden der Bäcker entstehen, welche gewohnt sind, Tränke aus Kleie oder Kleie selbst als Futter zu erhalten. Deshalb kann der von Anderen (Lassaigne, Saussure, Rcubold) ausge­sprochenen Ansicht, wonach der, in den Hülsen des Getrei­des nachgewiesene grosse Gehalt an phosphorsaurer Magne­sia die Schuld an der Entstehung solcher Steine trägt, mehr Gewicht beigelegt werden, zumal da die Darmsteine zum grossen Theilc aus diesem Stoffe bestehen. (Vergl. Gurlt: pathol. Anatomie I. Tb. S. 34). — Noch mehr als das eben gedachte, künstliche Getränk ist die Schlampe, sie stamme von Roggen oder Kartoffeln, als Schädlichkeit beschuldigt worden. Ihre Nachtheile werden sich aber mit wenigen Aus­nahmen (S. w. u.) auf den maasslosen Genuss bei zu gerin­ger Aufnahme fester Nahrungsmittel, ferner auf einen zu grossen Gebalt an Säure, oder gar auf faulige Zersetzung derselben, oder auf zu hohe Temperatur u. s. w. zurück­führen lassen. In wie weit die Schlampe zur Erzeugung der Lungenseucbe und der Fussräude des Rindviehes beiträgt, steht noch nicht fest; noch weniger die schädliche Eigen-schaft derselben, welche sie durch einen Gehalt an Solanin, von unreifen oder im Keimen begriffenen Kartoffeln herrüh­rend, erlangen soll. — Das hier in Bezug auf die Brannt-wcinschlämpe Gesagte gilt auch im Allgemeinen von den Biertreslern, oder von den, bei der RuukelrUbenzucker-Fabri-calion gewonnenen Pressrückständen. Da solche Stoffe aber weniger zu Tränken benutzt werden, so ist das Angeführte auf sie als Fultcrraittel zu beziehen. — Spinola hält die in Gährung begriffene Maische, seiner Erfahrung zufolge, für sehr nachtheilig, wegen ihres Spiritus-Gebaltes. Er Iheilt. einen hierher gehörigen interessanten Fall mit, wo Rindvieh
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Vom Getränke.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;iö7
nach dem Genüsse einer solchen Maische an Besoffenheit litt, und einige Stücke nach vorhergegangenen Symptomen des Delirium tremens umkamen. (Spinola, Sammlung von Gutachten u. s.w.. Berlin 1836 S.223). Eine ähnliche Beobach­tung machte der Kreis-Thierarzl Kniebusch bei mehreren Stucken Rindvieh, das ein ans Gerstenmalz und gedämpften Kartoffeln bereitetes und in Gährung begriffenes Getränk erhallen hatte. (Veter. Bericht d. K. Reg. in Frankfurt a. 0. p.TV. Q. 1841). Kuers macht eine sehr beachlenswerihe Mittheilung (G. u. II. M. III. Jahrg. IV. EL) über seine Er­fahrungen in Betreff angefaulter und verschimmelter Fulter-stofTe, fauligen Trinkwassers, derBranntweinschlämpe u. s.w. als Ursache verschiedener Krankheiten und vorzugsweise der Lungenseuche des Rindviehes. In Bezug auf die Scblampe sagt er: ..Man behauptet ganz allgemein und gewiss durch­schnittlich sehr wahr, dass, je mehr Alkohol aus dem Kar­toffel n-Ma ischgut (Erfahrungen Über Gelreide-Maiscbgut habe ich nicht gemacht) gewonnen werde, dcslo milder und ge­eigneter die Schlumpe zur Viehfiitlerung sei. Wer nicht ge­nauer über den Grund nachdenkt, wird diese Behauptung wahr finden; denn man pflegt zu urlheilen, dass bei weni­gerem Ziehen von Alkohol mehr ernährende Bestandtheile in der Schlampe zurückbleiben müssten, weil nur diese sich in Alkohol umwandeln können; allein dem ist keinesweges so. Es geht das schlechtere Ziehen weit mehr von der Zer­störung aus, welche die ernährenden Materien durch un­gleiche Gährung erlillen haben; die saure Gährung ist als­dann sehr vorgeschritten, und auf diese Weise wird die Schlampe zum weit stärker erregenden und minder ernäh­renden Futterstoffe. Bei einem Vergleich der Schlampe gut abgegohrener Maische, die vielen Alkohol hat gewinnen las­sen, mit der schlecht abgegohrnen. weniger Alkohol gelie­ferten Maische wird der Unterschied auffallend beim Schmek-ken und bei der Behandlung der Schlampe mit Säure tilgen­den Mitteln bemerkt. Erstere hat noch süsslichen Malzge-sehmack, während in letzterer die Essigsäure auffallend vorschmeckt.quot;
Die frische Schlampe aus gut betriebenen Brennereien
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lös
Von den Arzneien.
ontliiilt nach mehrfachen Untersuchungen Kuers (vermittelst Neutralisation mit kohlens. Kali) durchschnittlich in 20 Quart ungefähr 1 Quart gewöhnlichen guten Weinessigs. Ferner enthält sie 8—9 pro Cent fester Substanz und im Verhält-niss zu dieser 2,70—2,89 pro Cent Säure.
Vicrundaswanzigstcs Caiiitel.
Von den Arzneien.
sect;. HO. Wenn wir die Nahrungsmittel als solche Stoffe betrachten, welche sich durch eine gewisse Indiffe­renz, durch eine gradweise Verwandschaft zum Or­ganismus auszeichnen, und zwar in der Art, dass sie vom lohenden Körper gänzlich umgewandelt und von demselben assimilirt werden können: so müssen hin­gegen Stolle für Arzneimittel gellen, welche eine ge­wisse Indifferenz oder Heterogeneitüt zum Organismus behaupten; mithin von demselben gar nicht, oder nur in einem arerinaen Grade verahnheht werden können. Daher veranlassen die Nahrungsmittel oder doch ihre wirklich ernährenden Bestandtheile, welche vom gesunden Organismus ganzlich einverleibt wer­den, um ihn als solchen zu erhalten, eine sanfte, all­gemeine Wirkung, während die Arzneimittel, indem sie den Zustand des Organismus, wenigstens in ein­zelnen Tiieilen in der Art abändern, dass er von der normalen Richtung abweicht, eine spezifische Wir­kung zeigen. Eine scharfe Grenze zwischen Arznei-und Nahrungsmitteln zu ziehen, würde indess unzu­lässig sein; denn die differentesten, aus dem organi­schen Reiche stammenden Arzneimittel cnlhallen noch assimilirbare Stoffe, wie Eiweiss, Stärke, Kleber, so wie Nahrunasmittel aus der Klasse der reizenden
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Von den Arzneien.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;j5lt;)
mehr eino spozifipcho als oine allgemeine Wirkung zeigen, üeberhaupt aber hängt der Einflnss der Nah-rnngs- und Arzneimittel nicht mir von der Beschaf­fenheit dieser und ihrer Menge, sondern auch von dem Zustande des Organismus ab, so dass in dem einen Falle ein Nahrungsmittel als Arzneimittel wir­ken kann, während in einem anderen Falle ein Arz­neimittel keine bemerkbare spezifische Wirkung ver-anlasst.
Zusatz. Die Indifferenz der Arzneimittel wird sich deutlich hei denjenigen erklären lassen, welche unverändert in die Säftemasse übersehen und auch als solche ausgeschie­den werden, oder sich in gewissen Organen localisiren. — Dsss es keine Grenze zwischen Nahrangs - und Arzneimitteln, giebt, räumt die Materia medica ein. in welcher eine Klasse indifferenter StofTc aufgeführt wird.
sect;.111.
Da also die Arzneimittel, dem Vorhergehenden zufolge, das Gleichgewicht der organischen Functionen stören, indem sie eine spezifische Wirkung in einzel­nen Organen oder Systemen ursprünglich und dann auf sympathische Weise in mehreren und im ganzen Organismus hervOBrufen; so müssen sie notbw endig im gesunden Organismus eine künstliche Krankheit erzeiigeD. Es ist daher der Arzneigebrauch bei ge­sunden Thieren als sogenannte Piiiscrvativ-Curcn im Allgemeinen zu verwerfen; bedingungsweise aber dann zu gestalten, wenn eine gewisse Hinneigung zu Krankheiten bei ihnen anzunehmen ist. Sogenannte Frühlings- und llerbst-Curen bei völlig gesunden Thie­ren geboren in das Gebiet des Unsinns und der Charlatanerie und sind schädlich.
Zusatz 1. Die Verhältnisse, welche eine solche oder jede andere Charlatanerie in der thierarztlichen Praxis ce-
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Von lien Arzneien.
stalten können, werden sich nach den obwaltenden Umstän­den bei einigem Nachdenken leicht ergeben. Bei der Moti-virung aber muss der, mit der Moral in Widerstreit geratbende Egoismus aus dem Spiele bleiben und nur das Gemeinwohl im Auge gehalten werden. — In wie fern unpassende Arz­neimittel in Krankheiten schädlich werden können, lehrt die Materia inedica und die Therapie ausführlich. — Die Schäd­lichkeit des Arzneigebrauchs bei Gesunden wurde schon im grauen Alterthum erkannt, da Celsus sagte: Cavendum ne in seeuuda valetudine adversa praesidia consumantur; und Plinius: desiuunt prodesse, quum opus est, quae quotidie in usu fueruüt, acque quam nocere.
Zusatz 2. Das, was oben in Rücksicht der Arzneimit­tel gesagt worden ist, findet auch im Allgemeinen Anwen­dung in Bezug auf die Gifte: denn auch Gifte sind Arznei mitlel. Selbst zwischen Ileilmiltei, als einem besonderen Be­griffe und Gift findet kein absoluter Unterschied Statt; in der Hand des weisen Thierarztes kann ein sonst heftiges Gift zu einem Heilmittel, und in der Hand eines Pfuschers ein sonst wirksames lleilmiltol zum Gifte werden. Die Be­dingungen und Verhältnisse, unter welchen eine spezifisch wirkende Substanz angewandt wird, sind es also, welche dieselbe zum Gifte erheben. So wie sich die Arzneimittel einerseits an die Nahrungsmittel, so schliessen sich anderer­seits die Gifte an die Arzneimittel an, wodurch eine Reihe von Stoffen gebildet wird, deren Endglieder die indifferen­testen Nahrungsmittel und die difforenlesten Gifte darstellen. Was über die schädliche Wirkung der Gifte insbesondere zu sagen wäre, gehört in die Pharmakologie (im eigentlich­sten Wortsinne).
Zusatz 3. Das, was über die bedingungsweise hervortre-lendeSchädlichkeit derOperationcn zu sagen wäre, gehört eigent­lich in die folgende Klasse, da bei den meisten das mechani­sche Moment überwiegend ist. Die Operationen gehören aber auch zu den Heilmitteln; wir halten es daher der Kürze wegen für zweckmässig, hier ein paar Worte über dieselben einlliessen zu lassen. Nur solche Operationen sind zweck­mässig und nützlich, welche nach sorgfälliger Erwägung der
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Von den Se- und Excretiüncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;ffif
Anzeigen und Gegenanzeigen, wie es die rationelle Chirurgie lehrt, angestellt werden; alle andere aber können Schaden bringen, welches nach Verschiedenheit der Operationen, den chirurgischen und pathologischen Grundsätzen gemäss zu würdigen ist.
Fiinfundzwanzigstes Capitcl.
Von den Se- und Excretionen.
sect;#9632; 112. Da die ab- und auszusondernden Flüssigkeiten aus der Zusamracmvirkung des Blutes und der be­treffenden Secretionsorgane hervorgegangene Producte sind, so muss nothwendig der Zustand dieser beiden Momente auf die Beschaffenheit jener einen grossen Einfluss haben. Andererseits aber wird die Beschaf­fenheit derjenigen Secretions-Flüssigkeiten, welche zu einer Mitwirkung bei der Verdauung und Assimi­lation bestimmt sind, zum Tiicil die Mischung des Blutes bedingen, -wogegen dieses hinwiederum da­durch fehlerhaft werden kann, wenn durch die ano­male Secretionstbätigkeit Stoffe im Blute zurückge­lassen werden, welche zur Ab- und Aussonderung bestimmt sind. Man wird hieraus leicht erkennen, in­wiefern fehlerhafte Se- und Excretionen im Allee-meinen nachtheilig werden können. Es ist indess die Beschaffenheit nicht allein, welche in dieser Be­ziehung in Betracht kommt, sondern auch die Menge; es ist zu untersuchen, ob ein Mangel oder ein Uebermaass stattfindet. Dass zu starke Ab- und Aussonderungen zunächst das Blut zu sehr in An­spruch nehmen, und sodann mangelhafte Ernährung und Schwäche die Hauptfolge sein müsse, ist eben so einleuchtend, als: dass durch eine abnorme Yer-
Tuclis, allgam, Patbal.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; i j
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162 Von lien mechanisclien Schädliclikeiten überhaupt.
miuderung in jener Beziehung Blulfülle, oder durch ZanickliaUung auszusondernder Stoffe aus dem Blute, eine fehlerhafte Beschaffenheit desselben und dem-niiehst verschiedenartige Leiden erzeugt werden müssen. Da die abnorme Menge und Beschaffenheit der Se-und Excrctionen meist schon von pathologischen Zu­ständen abhansis sind, so dürfte ihre nähere Betrach-tuna; fuelich in den zweiten Theil dieses Werkes ge-
kjnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Onbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ...
hören, wo von ihrer Grundursache die Rede sein wird.
Zusatz. Gewöhnlich betrachtet man in diesem Capital don Speichel, Magen- und Darmsaft, Schweiss, Samen, Urin und die Darmausleerung. Wie uns dünkt, könnten passend nur diejenigen Ab- und Aussonderungen als relaliv-äussere Schädlichkeilen hier speziell betrachtet werden, auf deren Menge und Beschaffenheit das Thier selbst oder seine Öko­nomische Benutzung einen Einfluss ausübt, wohin allenfalls Samen, Milch. Urin und die Darmausleerung gehörten. Eine Gfenze ist indess in dieser Beziehung schwer zu bestimmen und Wiederholungen würden nicht leicht zu vermeiden sein. Daher wird, wie gesagt, auf einen anderen Ort verwiesen
Dritte Ciasse. Mechanische Schädlichkeiten.
ScdisundzTranzigstcB Capitel.
Von den mechanischen Schädlichkeiten überhaupt.
sect;• 113.
Körper, welche durch ihre Schwere, Form oder andere physische Eigenschaften das materielle Ver~ hältniss des thierischen Organismus in einer Art ver­letzen, dass dadurch Auseinanderweichen oder Tren­nung der Theile, entweder unmittelbar an der be-
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Von Jen mechanischen Schädlichkeitea Überhaupt. icgt;[i
rührten, oder mittelbar an anderen, von dem Orte der Einwirkung entfernten Stellen, erfolgt, können als mechanische Schädlichkeiten wirken. Wenn die Einwirkung mechanischer Schädlichkeiten nicht den Tod anmittelbar zur Folge hat, so tritt, wie nach dem Einflüsse einer jeden anderen Schädlichkeit, von Seite des Organismus Reaction hervor, welche sich in der Bestrebung zur Ausgleichung der Formver-lelzung kund gieht. So wie bei einigen dynamisch oder chemisch wirkenden Schädlichkeiten (z. B. heim Blitz und bei den Aelzmilteln) die mechanische Wir­kung zuweilen hervorsticht; so bemerken wir auf der anderen Seite nach unbedeutenden mechanischen Verletzungen die Hauptwirkung als eine dynamische oder chemische ausgesprochen, z. B. nach dem Bisse eines wulhkranken Hundes, oder nach der Verletzung mit einem vergifteten (mit einem Contagium versehe­nen chirurgischen} Instrumente. Nach jedem Druck, nach jeder Erschütterung des Organismus erfolgt eine Ortsveränderung, vorzugsweise der betroffenen Tbeile, welche aber, wenn diese Thcile viel Elastizität be­sitzen und die Einwirkung nicht heftig war, in der Regel nicht lange dauert. Ein relativ-heftiger Grad von Erschütterung hingegen vermindert den Tonus, lähmt die Function., oder vernichtet gar das Lebens­vermögen in den betroffenen Theilen. Die gradwei­sen Folgen hiervon sind; Verlangsamung und Stockung der Blutbewegung, Infiltration und Sugillalion, Entzün­dung und der Tod durch Brand. Die vollständige Trennung des Zusammenhangs, welche sich als Zer-reissung zu erkennen giebt, zieht Blulaustretungen, Blulflüsse in verschiedenen Graden und in verschie­dener Bedeutung nach sich, eine andere Wichtigkeit hat z. B. die Blutung nach Zerreissang eines inneren Organes, welche in der Regel tödtUch ist, als die
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!#9632;
104 Von d. Geschirren, Bedeckungs- u. Reinigungs-Sliicken.
parenchynaatöse bei einer Haulverlelzung. Die nähere und ausführlichere Betrachtung der verschiedenen, auf die Form und Beschaffenheit der mechanischen Po­tenz zurückzufahrenden Verletzungen müssen wir der Chirurgie anheimgehen.
Siebcnuudzwanzigstcis Capitel.
Von den Geschirren, Bedeckungs- und Reinigungs-Stücken.
if'i
• sect;• 114.
Ein gehöriges Verständniss des im vorigen Capi­tel Enthaltenen voraussetzend, können wir uns in diesem kurz fassen, und dürfte es unnöthig sein, die hierher gehörigen Gegenstände, welche mechanisch verletzen können, namentlich aufzuführen, da sie all­gemein bekannt sind. In Rücksicht der Geschirre bemerken wir nur, dass sie im Allgemeinen wegen zu grosser Weite oder Enge, oder wegen ihrer bedeutenden Schwere nachtheilig werden, und dass sie, ausser den örtlichen mechanischen Ver­letzungen, auch in Folge des Druckes Hemmungen des Blutlaufs bewirken können; so z. B. werden zu enge Kummte den Rückiluss des Blutes aus dem Kopfe hemmen, hierdurch Congestionen nach diesem Theile und ihre weiteren Folgen: Entzündung des Gehirns, der Augen u. s. w. veranlassen. Die Be­deckungsstücke können, ausser der mechanischen Belästigung und Verletzung, welche letztere nament­lich durch zu fest geschnallte Gurte entstehen kann, noch anderweitige Nachtheile hervorbringen, welche sich als Verzärtelung der Haut, als unzureichender Schutz für dieselbe, oder als Veranlassung zu schwä-
#9632;#9632;,.
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Von der Bewegung und Ruhe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;165
chenden Schweissen zu erkennen geben. Wie wohl-thätig auch im Allgemeinen der Einfluss der Rei­nigungswerkzeuge unmittelbar für die Haut und mittelbar für den ganzen Organismus ist, so können sie doch durch ihre schlechte Beschaffenheit und durch maasslosen Gebrauch derselben manche Ver­letzungen bewirken, die nicht allein ihrer Natur nach übele Folgen haben können, sondern auch noch ein Sträuben der Thiere gegen die künftige Hautpflege veranlassen, wodurch diese dann unvollständig und zum Nachtheile der Gesundheit der Thiere geschieht. Zusatz. Die Hufeisen gehören zu den Bedeekungs-oder Bekleidungsstücken der Thiere; die Nachlheile eines fehlerhaften Beschlags aber lehrt die Hufbeschlagkuude aus fuhrlich.
Acbtundz-vransEigstes Capitcl.
Von der Bewegung und Ruhe
sect; 115.
Ein angemessener Wechsel in der körperlichen Bewegung und Ruhe ist für die Gesunderhaltung der Thiere wesentlich. Maasslosigkeit in beiden Momen­ten macht sie zur relativ-äusseren Schädlichkeit. Wenn wir den, in der Mast befindlichen Thieren die Bewegung, als für sie ungünstig, versagen, so ist zu bemerken, dass eben die Mästung nur eine höchst relative Gesundheit gestattet, die der Krankheit sehr nahe kommt. Die Wirkungen, welche die wülkühr-liche Bewegung zunächst in den betreffenden Muskeln veranlasst, sind bekannt. Sie schwellen durch grössere Blutzufuhr an, werden lebhafter ernährt, gewinnen Kraft und Ausdauer. Durch den rascheren ümtrieb der Safte, welche die Bewegung veranlasst, erfolgen
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16G
Von der Bewegung und Ruhlaquo;.
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alle Verrichtungen naturgemässer, namentlich wird durch die gesteigerte Respirations-Thatigkelt die Um­bildung des Blutes begünstigt, und hierdurch der Grund zu einem wünschenswcrthen StofTansatz gelegt. Die weiteren Folgen willkürlicher Bewegungen sind: Steigerung der organischen Warme, der HauHunction, des Appetites u. s. wr. Die Bewegung kann eben­sowohl durch üebennaass als durch Mangel, so wie durch die Art und Weise der Ausübung und andere, hierbei stattfindende Umstände nachlheilig wirken.
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Mangel an Bewegung bewirkt zunächst eine ungenügende Ausbildung des willkürlichen Muskel­apparates, welche sich durch Schwäche, Schlauheit und Blässe in demselben zu erkennen giebt. Lange fortgesetzte Ruhe kann endlich (wie bei enge einge­sperrten, der Mast unterworfenen Gänsen und Schwei­nen) das Bewegungs-Vermögen, in Folge Steifigkeit und Lähmung der Muskeln, Verwachsung der Gelenke durch verminderte Absonderung der Synovia gänz­lich vernichten. Andere Folgen des Mangels au Be­wegung sind: Beschränkung des Appetites und der Verdauung, verminderte Respiration, unvollkommene Ausbildung des Blutes, Reichhaltigkeit desselben an Serum und Kohlenstoff, Heranbildung des Fettes, Stockungen der Säfte, Oedeme und allgemeine Dys-krasie. Die Art, wie die Ruhe bei den Thieren aus­geübt wird, kann noch besondere Folgen haben; so bewirkt das lange Stehen bei den Pferden bald Stei­figkeit in den Gliedmaassen, wässrige Anschwellung in denselben, das Liegen aber Druckschäden der Haut. Nehmen wir auf mitwirkende Umstände Rück­sicht, wie auf den Stand und das Lager der Thieie,
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Von der Bewegung un-i Ruhe.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1(37
so werden wir zur Ueberzeugung gelangen, dass jene Nachthelle manüichfache Modificalionen erlei­den können, welche anzuführen, nicht in unserem Zwecke liegt.
sect;• 117. Uebermässige Bewegung kann nach ihren Graden verschiedene Nachtheile erzeugen. Man weiss, dass endlich die Tliiere zu Tode gejagt werden kön­nen, welcher hierbei entweder durch Erstickung und Schlagfluss, oder durch Uebcrreizung und Lähmung, so wie durch Entmischung des Blutes erfolg'; wobei die Cadaver sehr bald in Faulniss übergehen. Nach­theile minderer Art sind: zu errosse Ernährana der Muskeln, Verminderung der Beweglichkeit und end­lich Steifigkeit derselben; ferner mangelhafte Ausbil­dung des Blutes wegen iibermässiger Anhäufung des­selben in den Lungen und verzögerten Rückflasses aus den Muskeln; endlich Congestionen, Blutungen, Zerreissunsen und mechanische Verletzunsen verschie-dener Art, Schwinden des Fettes, mangelhafte Ver­dauung und Ernährung u. s. w. — Auch bei der übermässigen Bewegung kann die Art, in welcher sie ausgeübt wird, und andere mitwirkende Umstände spezielle Nachtheile erzeugen. Man denke nur an die verschiedenen Beweaaoasarten der Pferde, dann daran, ob sie Lasten tragen oder nicht, ob die Thiere noch jung oder bereits ausgebildet sind, ob die Be­wegung gleich nach dem Füllern geschieht, oder oh die Bewegung überhaupt unzulänglich ist, endlich an die Witlerungs- und Bodenverhältnisse, um für jenen Aussprach die Belege zu finden.
sect;• HS
Passive Bewegungen, in Gegensatz der
activen, d. h. solche, welche den Thieren von
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Von Jer Bewegung und Ruhe.
aussen mitgetheilt werden, finden zwar Statt, aber bei den grösseren Thieren nur selten. Auch verhält sich der Körper in der mitgetheilten Bewegung nicht ganz passiv, weil er darin immer eine gewisse Hal­tung behaupten muss, welche mit mehr oder weniger Anstrengung verbunden ist. So werden zuweilen Thiere zu Schiffe und zu Wagen transporlirt; die Nachtheile, welche sich jedoch, namentlich bei den Schiffstransporten der Pferde herausstellen, scheinen mehr auf einen engen, in jeder Beziehung unpassen­den Aufenthaltsort, und auf die schlechte Beschaffen­heit der Schiffsfouraee zurückgeführt werden zu müs-sen, als auf die mitgetheilte Bewegung selbst. In wie fern der Transport der Thiere mit Dampfwagen oder mit eigens construirten Frachtwagen (deren man sich auch wohl jetzt zur Translocation feiner Rage und Rennpferde bedient) nachtheilig wrerden kann, ist noch nicht ermittelt. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Nachtheile der Dampfwagen mehr auf das ganze Geschlecht der Pferde gerichtet sind, als auf einzelne Individuen.
Zusatz. Einen Fall erzählt Damoiseau (Journ. prat. de med. vet. 1830) von einem arabischen Hengst, der von Syrien nach Frankreich geschifft wurde, welcher an einer, der Seekrankheit des Menschen ähnlichen Krankheit litt. Er wurde zuerst traurig, dann bekam er Bauchschmerzen, Zit­tern und Erbrechen unter heftigem Schreien. Das Erbrechen dauerte 4 Tage hindurch und erfolgte nach jedesmaligem Verschlucken von Getränk u. s. w. Uebrigens war die Krank­heit in 8 Tagen beendigt, obgleich die Fahrt eine weit län­gere Zeit dauerte.
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Von den Ställen und der Slallpfleglaquo;,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;169
Vierte Classe. Gemischte Schädlichkeiten.
STeummdxwanzigstes Capitcl.
Von den Ställen und der Stallpflege.
sect;. 119. Zuvor möge zur Rechtfertigung der aufgestellten Classe angemerkt werden, dass in ihr Schädlichkei­ten abgehandelt werden, welche nicht füglich in den vorhergehenden Classen untergebracht werden konn­ten. Sie werden deshalb gemischte genannt, weil sie zusammengesetzter Art sind, indem sich in ihnen grösstentheiis die Potenzen einfacherer Art, welche bereits abgehandelt worden sind, wieder erkennen lassen, und nicht, weil ihre Wirkung aus einer dyna­mischen, chemischen und mechanischen zusammen­gesetzt ist. Denn Diess ist bei allen Schädlichkeiten mehr oder weniger der Fall, obwohl die eine der Richtungen dabei vorzugsweise und primär zu be­merken ist. Hierher gehören nun die Nachtheile, welche aus den Ställen und der Stallpflege, ferner aus der Gebrauchsweise der Thiere, aus den Einge­weidewürmern, Insecten und den Aftergebilden er­wachsen können. Zunächst also von den Ställen und der Stallpflege.
sect;• 120.
Die Ställe unserer Hausthiere sollen überhaupt eine solche Lage und Einrichtung haben, dass sie den erforderlichen Schutz gegen nachtheilige Aussen-einflüsse bieten und diejenigen Schädlichkeiten mög­lichst vermindern, welche durch den Aufenthalt und das Zusammenleben der Thiere in ihnen entstehen
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Von den Ställen und der Stallpflege.
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können. Daher hat man bei den Ställen die Him­melsgegend zu berücksichtigen, welcher ihre Haupt-seite zugekehrt ist, ihre Räumlichkeit und Erhellung; ferner ihre Vorrichtungen zur Lüftung, die Lage und Einrichtung der Thüren, Fenster, Stände, Abzugska­näle, Fültemngsvorrichlungen u. dergl. Es würde zu weit führen, alle die Nachtheile hier speziell zu be­trachten, welche aus jenen Verhältnissen möglicher Weise fliessen können; auch sind sie leicht aus ver­schiedenen, sich hierauf beziehenden Capiteln abzu­leiten.
sect;#9632; 121.
In Rücksicht des Zusammenwohnens der Thiere ist ihre Zahl in Bezug auf die Räumlichkeit des Stalles und die Gemeinschaft mit Thieren einer anderen Gattung zu beachten. Diese Gemeinschaft muss im Allgemeinen als nachtheilig betrachtet werden. Einige Gattungen vertragen sich indess we­niger zusammen, als andere, so Schweine mit Pfer­den nicht, auch diese mit Schafen und Federvieh nicht. Hauptsächlich ist es die Ausdünstung, welche in solchen Fällen schädlich für die Pferde ist, und die Plage, welche die Läuse des Geflügels jenen bie­ten können. Die Stallpflege bezieht sich auf Rei­nigung der Ställe und der Thiere selbst. Dass ver­nachlässigte Cultur der Haut zunächst in diesem Organ und dann secundär in andern verschiedene krankhafte Zustande bewirken könne, ist leicht ersichtlich und bereits angedeutet worden; und dass vernachlässigte Reinigung der Ställe eben so leicht Haut-; Lungen-und Augenleiden zur Folge hat, ist auch zur Genüge aus dem bereits Abgehandelten erklärlich.
Zusatz. Viele Landleute halten das Zusammemvohuen der Ziegenböcke mit Pferden als erspriesslich für die Ge-
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Von der Gebrauchs- und Lebensweise der Tblere. 171
sundheit dieser. Dieses Vorurtheil soll in einem Aberglauben seinen Grund haben. Man trifft die Pferde zuweilen morgens in den Ställen in einer ängstlichen Unruhe und schwitzend an; die Sachverständigen wissen, dass solche Erscheinungen meist Folge einer Indigestion sind, welche ein reichliches Abendfutler erzeugte. Der Landmann aber, dem das lland-greifüche zu alltäglich ist, sucht die Ursache für jene Er­scheinung in einer anderen Welt. Der Teufel bedarf zu sei­nen vielen Geschäften bei Nacht zuweilen eines Reitthieres; der Teufel ist auch indiscret genug, sich hierzu des ersten besten zu bedienen, und so muss denn oft ein armer Gaul herhalten; findet er aber zufällig sein Lcibthier, den Ziegen­bock, so verschont er die Pferde. Man sieht, dass der Land­mann, wenn es sein Interesse gilt, selbst den Teufel zu über­listen im Stande ist. Die practischen Thierarzte mögei; sich Diess ad notam nehmen.
Dreissigstcs Capitel.
Von der Gebrauchs- und Lebensweise der Thiere.
sect;• 122. Wenn wir von der Production der Milch, der Wolle und des Fettfleisches absehen; so sind einige Hauslhiere noch mancherlei Zwecken der Gewerbe, des Vergnügens und des Luxus dienstbar. In dieser Dienstbarkeit sind Nachtheile Joegründet, welche im Allgemeinen auf zu starke Bewegung, auf zu grosse Ruhe und auf die Art und Weise, wie die Bewegung ausgeführt wird, ob sie mit einer Anstrengung des Lasttragens oder Lastziehens verbunden ist — zu­rückgeführt wrerden können, und mithin in mechani­schen Verhältnissen liegen. Andere mitwirkende Ein­flüsse sind aber hierbei nicht zu übersehen, wie die der Witterung, Nahrung und Pflege. Es ist kaum nöthig, ein Mehreres in dieser Beziehung anzuführen,
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Von den Schmarotzerthieren.
da sich die nothige Aufklärung aus dem Vorherge­henden wie von selbst ergiebt.
Zusatz. Um ein Beispiel für die Folgen der verschie­denen Gebrauchsweise der Thiere zu haben, denke man unter anderen an einen edlen Weürcnner, der in wenigen Minuten eine meilenlange Bahn durchsausste, und nun, sei­nem Ziele nahe, mit dem Hochgefühle, seinen Concurrenten um eine Nasenlänge zu schlagen, mit ausgerenkten Gliedern und krachenden Bippen zusammenstürzt, unter Blutsturz seine stolze Seele aushaucht, der Eitelkeil, Gewinnsucht und dem Barbarismus seines Besitzers als Opfer fällt; und ver­gleiche mit ihm einen trägen Gaul, welcher in der Hitze des Tages seine lOOOpfündige Last viele Meilen weit unter den härtesten Entbehrungen schleppt, und nun endlich mit ge­schundener Brust, den Verschlag in den Fassen und den Koller im Kopfe sein Tagewerk beendigt.
Einunddrcissigstcs Capitcl.
Von den Schmarotzerthieren.
sect;. 123.
Zu den Schmarotzerthieren (Parasiten) unse­rer Haussäugelhiere gehören solche, welche in und auf denselben ihren naturgemässen Aufenthalt haben, entweder während ihrer (der Schmarotzer) ganzen Lebensdauer, oder doch während einer gewissen Periode ihrer Entwickelung. Im weitesten Sinne lassen sich auch solche Thiere zu den Schmarotzern unserer Haussäugethiere zählen, welche von ihren Säften sich nähren, und sich zu diesem Behufe in oder auf ihnen aufhalten. Man kann die Schmarotzer eintheilen in Ento- und Epizoen, obgleich diese Eintheilung nicht streng durchzuführen ist, insofern (wie sich weiter unten ergeben wird) eine Gattung
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sowohl ausserhalb als innerhalb des Körpers der Haussaugethiere vorkommt.
sect;. 124. Zu den Entozoen gehören zunächst die Ein­geweidewürmer (Enlhelminlhes). Zum Behufe der naturhistorischen Kenntniss derselben wird auf die gründliche Zusammenstellung verwiesen, welche Gurlt (in dem Anhange zu seiner pathologischen Anatomie) gegeben hat. — Man mag rücksichtlich der Entste­hung der Eingeweidewürmer einer Ansicht huldigen, welcher man wolle; man mag sie sich durch gene-ratio aequivoca oder aus Eiern ursprünglich in den Leibern der Thiere entstanden denken: in jedem Falle muss man zugeben, dass sie als Schädlichkeit wirken können, und dass ihre Erzeugung schon einen krank­haften Zustand voraussetzt, weil ihr Vorkommen und ihre Zahl von einer besonderen Beschaffenheit der sie beherbergenden Thiere; mithin von einem beson­deren Anlage-Verhältnisse abhängt. Man hat zwar die Frage aufgeworfen: ob die Eingeweidewürmer, welche ohne die höheren Thiere, in denen sie vorkommen, nicht bestehen können, nach dem durchgreifenden Gesetze der Gegenseitigkeit, wenigstens unter ge­wissen Umständen, als ein Bedürfniss der thierischen Oekonomie eben der höher stehenden Individuen an­gesehen werden dürften? — Zur Bejahung dieser Frage hat man mehrere Gründe aufgeführt: das häu­fige Vorkommen der Darmwürmer bei anhaltendem Genuss reizloser Nahrungsmittel; ferner die Erfahrung, dass die Gedärme für mechanische Beize vorzüglich empfänglich sind, wenigstens auf diese mehr, als auf andere motorisch reagiren; endlich, dass gewisse Ein­geweidewürmer bei unteren Thierklassen constant ge­funden werden. (Vergl. Gerber in lib. cit.). Wenn
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Von den Schmarotzerlfaieren.
mau sich aber rein an die Erfahrung hält, so sind wir nicht allein genölhigt, wie bereits angedeutet, die Eingeweidewürmer, wenn sie in einer gewissen Mence oder an gewissen Orten vorkommen, selbst für eine Krankheit zu halten, sondern auch zu ge­stchen, dass sie die Ursache mancher seeundären Folgen abgeben können. So wie man also zu weit gehen würde, sagt Ilartmann (in lib. cit.) sehr tref­fend, wenn man die Eingeweidewürmer auraquo; der Reihe der, die Lebensgeschäfto des sie beherbergen­den Organismus störenden Schädlichkeiten gänzlich ausschliessen und sie als schuldlose oder gar als freundliche Bewohner betrachten wollte, so müssen wir uns auf der anderen Seite hüten, Krankheits-erscheinungen auf Rechnung der quot;Würmer zu schrei­ben, welche mit Grund nur auf den krankhaften Zustand des organischen Bildungsprozesses, mit wel­chem die Erzeugung der Würmer in Verbindung steht, bezogen werden sollten.
Näher betrachtet bestehen die naclilhciligen Wirkungen, welche die Eingeweidewürmer hervor­bringen, zum Theil in mechanischer Reizung, welche sie an ihrem Aufenthaltsorte veranlassen, und zwar durch Bewegungen, Saugen, Druck und Verstopfung von Kanälen. Hierdurch entstehen Schmerzen, Krampf, Entzündung, Unterdrückung der Function des belästig­ten Organs unmittelbar, oder auf sympathische Weise krankhafte Erscheinungen in anderen Körperlheilcn, wie Zuckungen, regelwidrige Absonderungen u. dgl. Zum Theil aber sind die naclilhciligen Wirkungen der Eingeweidewürmer auf die Reproduction gerich­tet, indem sie selbst in ihrer Ernährung die Säfte­masse in Anspruch nehmen, und dieselbe hinwiederum durch ihre Excretionen verunreinigen. Man sieht hier­aus, dass die Eingeweidewürmer auf mannichfache
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Weise schädlich werden können, auch weiss man, dass einiee soear in öerineer Zahl lebensgefährliche Krankheitsformen (z. B. der coenurus cerebralis, die Drehkrankheil) hervorzubringen vermögen.
sect;• 125.
Zum Theil als Epi-, zum Theil als Entozoen sind die Larven der Bremsen zu betrachten, welche auf und in einigen unserer Plauslhiere aus Eiern zur Entwickelung gelangen, und sich bei ihnen bis zur Periode der Metamorphose zum ausgebildeten Insekt aufhalten. In Betreff des INaturhistorischen verweisen wir auf die lehrreiche Schrift von Schwan „die Oestracidenquot; und auf die von Numan „über die Bremsenlarven (aus dem Holländischen frei über­setzt, und mit Zusätzen versehen von Hertwig). Jedoch möge hier kurz bemerkt werden, dass in der letzteren Schrift die Familie der Bremsen (Oestraci-des) in zwei Gattungen unterschieden werden, näm­lich: in die Gattung Oestrus (Biesfliege) und in die Gattung Gastras (Magenbremse oder Bremsfliege). Von den letzteren unterscheidet Numan vier Arten, deren Larven sämmllich im Magen des Pferdes und des Esels vorkommen, nämlich: 1) Gastrus equi (gewöhnliche oder grossc Pferdebremse; 2) Gastrus haemorrhoidalis (Mastdannbremse); 3) Gastrus salutiferus (heilsame Bremse); 4) Gastrus nasa-lis s. vetcrinus (Nasen- oder Viehbremse). Von der Gattung Oestrus kommen die Larven der Art Oestrus bovis (Rindviehbremse) im Zellgewebe un­ter der Haut des Rindviehes, und die der Art. Oes­trus ovis (Schafbremse) in den Nasenhöhlen und ihren Nebenhöhlen beim Schafe vor.
Die nachtheiligen Wirkungen, welche die Brem­senlarven in unseren Hausthieren veranlassen können.
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Von den Schmarotzerthieren.
sind verschieden nach dem Sitze und nach der Zahl der Larven. Eine massige Zahl von Larven im Ma­gen und unter der Haut der Thiere bringt keine bemerkbaren Uebelstande hervor. Eine grosse Zahl im Magen der Pferde aber kann gefahrliche Koliken und Entzündungen dieses Eingeweides veranlassen; und eine grosse Zahl der Schmarotzer unter der Haut beschränken jedenfalls die Ernährung des sie beherbergenden Körpers, indem sie von den Säften dieses leben; so wie endlich eine gewisse Zahl von Larven in den Gesichtshölen, Niesen, Schwindel (Bremsenschwindel) und Symptome der Drehkrankheit bewirken können.
sect;. 126.
Zu den, nur auf der Haut oder unter der Epi­dermis lebenden Schmarotzern unserer Haussäuge-thiere, also zu den wahren Epizoen gehören: 1) die Krätzmilben (Acarus s. Sarcoptes), von de­nen man beim Pferde, Rinde, Schafe, Hunde und bei der Katze, und zwar bei einer jeden dieser Thier-gattung eine besondere Art entdeckt hat; beim Schweine aber sind die Krätzmilben, so viel mir bekannt, über­haupt noch nicht aufgefunden worden. Hering giebt an (spez. Pathol. u. Ther.), dass er in veralteter Mauke, welche sich beim Pferde an den hinteren Schienbeinen herauf erstreckte, Milben in grosser Zahl gefunden habe, die mit der Krätzmilbe identisch waren, und auf andere Stellen und Thiere übertra­gen, die Krätze hervorbrachten. Auch bemerkt der­selbe (eod. loc), dass er in der Jauche des Strahl­krebses beim Pferde eine besondere Spezies von Eitermilben beobachtet, und unter dem Namen Sar­coptes hippopodos (in den Yerh. d. Akademie der Naturf.) beschrieben und abgebildet habe; ebenso
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die Milbe aus Geschwüren des Hundes als Sarcop(es cynotis. — Ferner gehören zu den Epizoen unserer Haussaugethicre 2) der Floh (Pulex), vorzugsweise bei Hunden und Katzen vorkommend, und wahr­scheinlich bei jeder dieser Thierarl eine besondere Spezies; 3) die Laus (Pediculus), wovon wahrschein­lich eine jede Gattung unserer Ilausthiere eine be­sondere Art beherbergt. Aussei diesen bisher be­kannten wahren Epizoen finden noch einige andere Insecten auf der Haut der Haussäugelhiere ihren Auf­enthalt, nachdem sie zufallig dahin gelangt waren: so namentlich die Zecken (Ixodes) bei Pferden, Rin­dern, Schafen und Hunden. Mau hat von ihnen be­reits mehre grössere Arten und eine mikroskopische unterschieden; dann die Pferdelausfliege (Hippo-bosca equina) und die Schaff a us fliege (Hippobosca ovina). — So viel ist mir bis jetzt über die ächten und unachten Epizoen unserer Haussäugelhiere, welche bei ihnen in unseren Gegenden vorkommen, bekannt. Hoffentlich werden uns die Untersuchungen, mit denen Herr Prof. Gurlt in diesem Augenblicke beschäftigt ist, eine baldige nähere Aufklärung über diesen Ge­genstand verschaffen.
Aussei1 den gedachten Epizoen giebt es noch eine Menge Insekten, welche unsere Haussäugelhiere belästigen und denselben sogar gefährlich werden können, wie einige Spezies der Gattungen Tabanus, Conops, Culex und Musca; ferner Hornisse (Vespa Crabro), Wespen (Vespa vulgaris), Bienen (Apis raellifica) u. dergl. m. Vor allen aber sind in dieser Beziehung die Kolumbaczer Mücken (Simulium reptans, Culex replans, Rhagio columbaezensis) be­rüchtigt.
Was die nachtheiligen Wirkungen der, in diesem sect;. berührten schmarotzenden und anderen Insecten
Fucbs, allpcm. l'ntliol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; A C)
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Von den ScbmarotzeMhiercn.
anbelrifll, so isl ermitlelt, dass die KiiUzniil!)cn die Lrsaclie zur Entwickelung der Räude abgeben, ob­gleich man zuweilen die Räude bei Tbiercn beob-aehlct, ohne diese Milben auffinden zu können. Die raeislon der anderen Inscctcn belästigen die Thiere mehr oder weniger, wodurch diese in Unruhe versetzt, am Fressen verhindert werden, und jene somit indirect eine mangelhafte Ernährung bewirken können, aber auch auf eine mehr directe Weise, wenn sie in grosser Zahl auf den Thieren vorkommen, indem sie von den Saften dieser leben. Namentlich sind die Läuse in dieser Beziehung zu merken, welche sich nach den Beobachtungen Viborg's bei Schweinen zuweilen in solcher Unzahl einfinden, dass sie die Thiere aufzufressen scheinen, obgleich ihre enorme Entwickelung die Folge eines ursprünglich cachecli-schen Leidens sein mag, welches man mit dem Na­men Läusesucht (PMhiriasis) belegt. Audi in die­ser Krankheit hat der Mensch eine traurige Aelm-lichkeit mit dem Schweine. Die Kolumbaczer Mücke ist in Ungarn besonders häufig, seltener in Deutsch­land, ob sie mit dem in der Mark Brandenburg un­ter dem Namen Dickkopf, Kanker oder Gnitze gefürchteten Insect identisch ist, steht dabin. Die Kolumbaczer Mücken haben ihren Namen von den Höh­len bei Columbacz in Ungarn, wo sie in ungeheuren Schwärmen sich entwickeln oder wenigstens aufhal­ten sollen. Die Sonne verfinsternde Schwärme verlassen jene Oerter zuweilen und überfallen die Weidethiere, indem sie dieselben bis zum Tode beunruhigen. Sie sind als Ursache des Milzbrandes angegeben worden; man weiss aber nicht mit Zuverlässigkeit, was Wah­res an der Sache ist.
Zusatz. Es kann in diesem Capttel kaum umgangen •werden, einige Bemerkungen über die abweichenden An-
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sichten anzuführen, welche sich über die Entstehung niede­rer Thiere, wie namenllich der hier in Rede .stellenden Hin geweidewürmer, der Krätzmilben und dei Liiuse gellend ge macht haben. Es handelt sich bei diesem Streite nämlich darum, ob die gedachten Thiere sich aus irgend einer orga-nisclicn Materie ursprünglich entwickeln können, oder ob zu ihrer Entstehung immer Eier oder Samen von vorherbestan­denen iilterlichen Thieren erforderlich seien? Die fernere Fort­pflanzung durch geschlechtliche Zeugung wird von den Ver­tretern der ersteren Ansicht nicht geleugnet. Diejenigen, welche alle Eingeweidewürmer von Aeltern abstammen las­sen, behaupten, dass einem Thiere, welches vorher von den­selben noch frei war, die Eier oder junge Brut von aussen zugeführt und in ihm zu vollkommenen Eingeweidewür­mern entwickelt werden. Dabei hat man sich den Ursprung und die Uebertragungsweise dor Eier auf folgende Weise vo;-gestellt: 1) Von dem Gewürme, welches ausserhalb den belebten Körpern in der Erde und im Wasser lebt, werden die Eier mit den Nahrungsmitteln in den Thierleib eingeführt, daselbst ausgebrütet und zu Eingeweidewürmern entwickelt. 2) Die Eier der Eingeweidewürmer anderer Thiere, welche mit den Excrementen ausgeleert werden, können zufälliger­weise den Nahrungsmitteln beigemengt werden, und mit diesen in den thierlschen Körper zu ihrer ferneren Entwickc-lung gelangen. 3) Die Wurmbrut wird in den Zeugungssäf-len der älterlichen Thiere dem Keim der jungen Thiere bei­gemischt. — Diesen Ansichten wird aber von anderer Seite entgegengehalten: ad 1) dass die Eingeweidewürmer, welche nur innerhalb des thicrischen Organismus ihr Leben fort setzen können, nicht in der äusseren Natur angelrofTon wer­den; ferner, dass auch Eingeweidewürmer im Fötus vor­kommen, der doch mit der Aussen well in keiner direclen Verbindung steht, und endlich, dass man bis jetzt nicht bei allen Eingeweidewürmern Fortpflanzungsorganc gefuuden habe; ad 2) ebenfalls das Vorkommen der Eingeweidewür­mer im Fötus und in solchen Thcilen des thierischen Kör­pers überhaupt, wohin die Wurmeier nur durch das Capil-largefiissnotz gelangen konnten, was deshalb nicht möglich
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Von den Sclimarolzcrthioren.
^ei weil die Wurmeier an Grosso das Lumen der Capillar-aefässe bei weitem liberlrelle; ad 3) endlicli die lelztge-dachte Entgegnung und die gross? ünwahrscheinlichteit, dnss schon im unscheinbaren Keime des jungen Thieres eine Aus­wahl von Eiern der Eingeweidewurmer vorhanden sei. — Die­jenigen, welche sich zu den angeführten Entgegnungen ver-anlnssl sehen, und somit der generatio aequivoca das Woit reden, glauben, dass die thierische Materie selbst in einem eewissen Zustande, wenn sie etwa auf einer geringeren Stufe der Animalisation stehen geblieben, wobei sie für den eigenen Körper mehr oder weniger untauglich sei, sicli zu Eingeweidewürmern, zu Wesen, deren Stoff eine niedere Dignität besitzt, heranbilden könne. Sie führen zur Unter­stützung ihrer Meinung die TMtsache an, dass man, nament­lich bei jungen Thieren, welche oft mehr Nahrungsmittel aufnehmen, als ihr Körpcrbedüifniss erheischt, und dabei solche, welche wenig ausgebildete ernährende Bestandtheilc, aber vorwaltend Schleim und Pflanzeneiweiss enthalten, — viele Eingeweidewürmer antreffe. — Den Streit über gene­ratio aequivoca und sexualis hat man vorzugsweise auf das Gebiet der Infusorien hinübcrgespinlt, indem man hoffte, hier auf dem Wege des Experiments zu irgend einer Entschei­dung gelangen zu können. Ehrenberg mit seiner langjäh­rigen Erfahrung legt ein grosses Gewicht in die Wagschaalo für das omne vivum ex ovo. Er sah nämlich nie die Ent­stehung eines ausgebildeten Infusors aus Schleim oder Pflan-zenzellen, wohl aber unzählige Male das Gebären der Eier oder das Ausschlüpfen der Jungen aus den grösseren Infu­sorien; er beobachtete die Vermehrung, von einer Mutter aus, bei verschiedenen Infusorien, welche in einigen Tagen in's Zahllose ging. Dieser Umstand mtcht, gleich wie bei den Eingeweidewürmern, welche auch eine grosso Zahl von Eiern produziren, wenigstens die Annahme der generatio aequivoca unnöthig, um die grosso Vermehrung dieser Thiere zu erklären: und scheint selbst die Natur im Gattungsleben dieser so verschwenderisch zu sein, damit doch das eine oder das andere Eichen den günstigen Boden für seine Ent-vvickelung finde, während die meisten in der Kegel zu
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Grunde gehen. Die ungeheure Fruchtbarkeit solcher Thier clien milsste dagegen als eme fast zwecklose Einnchtung der Natur erscheinen, -wenn sie sich liberal! aus einem so-genannten Urschleim oder dergl. hervorbilden könnten. Nicht minder hat die generatio aequivoca durch die Versuche Schulze's undSchwann's, welcheUre bestätigt ha.t, einen Stoss erhallen. Diese Hum dar, dass eine organische Sub­stanz weder in Fiiulniss geräth, welche mit atmosphärischer Luft in Verbindimg steht, die zuvor durch Aetzkalilauge oder durch concontrirte Säure, /.umBeluifedeiTüdtung alier in ihr be-lindlichen organischen Keime geleitet war, noch dj.ss sich in einer so behandelten organischen Substanz Infusorien bilden. Daraus aber geschlossen wird, dass die Keime zu d'.m Infu­sorien durch die Luft zugeführt werden. Wie dem auch immer sein möge, so weiss man doch, dass man in Infusio­nen verschiedener organischen Substanzen auch verschie­dene Infusorien erhält, obgleich man es nicht gerade in der Gewalt hat, diese oder jene Spezies, durch jenes Verfahren hervorzubringen. Daher müsslc man annehmen, dass ein kleiner Theil der atmosphärischen Luft die Keime von zahl­reichen Thierspezies enthalte, wozu ein mehr als gewöhn lieber Glaube gehurt, geschweige, dass solche Keime jemals in der Luft nachgewiesen worden wären. — Wir haben die bedeutendsten Momente der beregten Sireilpunkte herange­zogen, ohne im mindesten Etwas zur Bekämpfung der einen oder der anderen Ansicht beilragen zu wollen. Der Gegen stand liegt an der Grenze der Naturforscluing; wird das über demselben schwebende Dunkel jemals enlhiilll, so dürfte es nur durch die Priester der Isis goscheben, denen sie die höchste Weihe erlheill hat. — Der Verf. steht nicht in solcher Gunst bei dieser erhabenen Gölliii.
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182 Von den AJXergebilden, Steinen und CoDcrementen.
Zwciunddreissigstes Capitel.
Von (Jen Al'tcrgebilden, Steinen und ConcremeBten.
sect;. 127. Aussei einigen Produclen krankhafter Prozesse, welche sich uns als eigens geartele Flüssigkeiten zu erkennen geben, wie Eiter, Jauche, krankhaftes Serum, können die in der Ueberschrift genannten Gebilde, deren nähere Bezeichnung der pathologischen Ana­tomie anheimfallt, nebst Dem, class die Entstehung der meisten schon auf einem krankhaften Vegetations-Prozesse beruht, auch insgesammt als relativ-äusserc Schädlichkeiten wirken und seeundare abnorme Zu-slaiide hervorbringen. Ihre Nachtheile können im allgemeinen darauf zurückgeführt werden, dass sie die Organe, in denen sie vorkommen und die ihnen benachbarten auf mechanische Weise belästigen, durch Druck, Dehnung, Anfiillung und Verstopfung die Fimctionen stören; ferner dadurch, dass sie durch übermässiges Wachsthum (wie Polypen, Stollbeulen u. dergl.) dem Organismus Nahrung entziehen, und dass sie endlich Umwandlungen durchlaufen, wodurch bösartige Säfte erzeugt werden können, die Cacbexic und den Tod bewirken.
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Vierter Abschnitt,
Von laquo;Ich Krsclieiiiung'cu der Krankheit (Sjinptomatologia).
Erstes Capitel.
Definition des Symptomes.
sect;. 128.
Die Krankheit, als ein Vorgang des Lebens, als ein innerer Zustand des thierischen Körpers, muss nolli-wendig gewisse Wirkungen in demselben zu Stande bringen. Diejenigen Wirkungen, durch weiche die Krankheit in die Erscheinung tritt, nennen wir Zu­fälle der Krankheit oder Krankheits-Erschei-nungen (Syniptoinata, Phaenomena). Den ursäch­lichen Zusammenhang eines Symptomes mit dem Krankheitsprozesse müssen wir, als zu seinem we­sentlichsten begriffe gehörig, festhallen; und so wir Diess thun, werden wir auch finden, dass nicht eine jede abnorme Lebenserscheinung für wirkliches Krank­heits-Symptom gehalten werden darf. Durch vorüber­gehende äussere Beschränkung von Functionen des thierischen Organismus können Erscheinungen zu Stande gebracht werden; sie sind aber um deswillen nicht für Krankhcits-Erschcinungen zu halten, weil sie verschwinden, wenn jene Beschränkung aufhört.
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Definition des Symptomes.
Auch bei dorn Kurverfahren sehen wir z. B. durch die etwa verabreichte Arznei hervorgerufene Wirkun­gen auftreten, die nicht mit den Krankheils-Wirkun­sren zu verwechseln sind. Eben so verhält es sich mit den Heilbestrebungen des Organismus, welche als Reaclionen auf den Einfluss einer Schädlichkeit erfolgen, bevor noch ein nachweisbarer Krankhcits-Prozess entstanden. Es ist leicht einzusehen, dass man in dieser Beziehung zu weit gehen würde, wenn man einen vorübergehenden reagirenden Fieberschauer für Krankheits-Symptom gelten lassen wollte.
129.
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Obgleich das, im vorigen sect;. über die Bestim­mung eines Symptoms Gesagte theoretisch für rich­tig erkannt wird, so muss doch zugegeben werden, dass es in der Praxis nicht geringe Schwierigkeiten hat, diejenigen Erscheinungen, welche mit einem Krankheits-Prozesse in ursächlichem Zusammenhange stehen, von den zufalligen zu unterscheiden. Die Schwierigkeit wird noch dadurch vergrössert, dass eine Krankheitsursache zuweilen mehre, von einander unabhängige Krankheits-Prozesse erzeugt, oder dass zu einer schon gebildeten Krankheit spater, durch eine weitere Schädlichkeit, eine neue hinzuerzeugt wird. Zur Erleichterung dieses Geschäfts werden wir zwar hingewiesen, die innere Uebereinstimmung der wahren Krankhoits-Symptome, welche sie unter sich und mit der Krankheit selbst zeigen, so dass sie ge­meinschaftlich entstehen und verschwinden, steigen und fallen und sich überhaupt wie die Krankheit verandern, — zu Hülfe zu nehmen. Aber eben die­ser Nachweis der physiologischen Abhängigkeit der Symptome von ihrem inneren Grunde ist da schwie­rig, wo die Krankheils-Prozesse nicht rein sind, und
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Einthieilung der Symptome.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1^5
wo die Symptome, so zu sagen, wie verschlungene Arme durcheinander liegen. Hier lässt uns wahre Ein­sicht oft im Stiche, arztlicher Tact und Divination gewahren uns oft glückliche, aber unsichere Noth-anker.
Zweites Capitcl.
Einthcilung der Symptome.
sect;. 130. Die Symptome, obgleich sie stets als Veraa-deruueen der normalen Lebensäusseningeu bedachtet werden müssen, sind doch, nacb der Ansicht vieler Pathologen, nicht immer positive, sondern häutig auch negative, d. h. die Symptome können eben­sowohl Aeusserungen einer wirklichen Thatigkcit, als auch solche der Beschränkung oder des Aufgehoben­seins von Verrichtungen sein. Gesteigerte Tempera­tur, beschleunigter Puls und Krampf z. B. waren demnach als positive Symptome; dagegen Yer-minderung der organischen Wärme, Aufhebung der Bewegung des Blutes und der willkürlichen Muskeln, wie es beim Scheintode vorkommt, als negative Symptome zu betrachten. Eine solche Eintheilung scheint aber weder streng logisch zu sein, noch einen practischen Werth zu haben. Eine jede Er­scheinung einer abnormen Thatigkeit, es mag diese in einer Steigerung oder Verminderung bestehen, ist als ein positives Merkmal derselben zu betrachten; und nur das Fehlen eines Merkmals und insofern eben dieses Fehlen als ein Bestimmungsgrund für das Vorhandensein einer abnormen Thälickeit zeuet, dürfte streng genommen als ein negatives Symptom betrachtet werden. So z. B. wenn man die verdach-
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Einllieiluüg der Symptome.
tige Druse vom Rolze untersclieiden will, wird das Fehlen chaneröser Geschwüre auf der Nasenschleim-haul zu Gunsten der crsleren aufgeführt, wobei also eine Negation die Diagnose begründen hilft,
sect; 131. Die Krankheit kann sich nicht anders, als in einem lebenden Organismus äussern. Wenn wir nun dieselbe als einen Parasit, als ein in einem gesun­den Organismus wucherndes Schmarotzerleben eigen-thiimlicher Art betrachten, so ist damit auch noth-wendie die Vorstcllunquot; eines bestimmten Einflusses verknüpft, den die Krankheit auf den Organismus ausübt. Hierdurch geschieht es, dass die Krankheit nicht allein mit den ihr eigenlhümlichen, aus ihrem Wesen fliessenden Symptomen zur Aeusserung kommt, sondern dass diese auch von anderen begleitet wer­den, wozu das kranke Thier durch seine Individua­lität Veranlassung giebt, und mithin mehr den Cha­racter der Krankheit bezeichnen. Jene nennt man unmittelbare Symptome der Krankheit, diese mittelbare Symptome des kranken Indivi­duums. Und wenn jene, als ein bestimmter Aus­druck der Krankheit immer erscheinen, so sind diese, wegen der verschiedenen Beschaffenlieit des kranken Individuums, mannichfachen Modificationen unterwor­fen. Die unmittelbaren Symptome sind daher auch als nothwendige oder wesentliche zu betrach­ten, weil sie nothwendig aus dem Wesen der Krank­heit flicssen; dagegen die mittelbaren Symptome als nicht nothwendige, zufallige oder unwesent­liche. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass mittel­bare Symptome zwar immer entstehen, weil die Krankheit nur an einem lebenden Organismus in die Erscheinuna tritt, und daher die ganze Untcrschci-
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liinüieilung der Symptome.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 187
dung einen Einwand erleiden könnte; dagegen aber ist zu bedenken, wie bereits angedeutet, dass sie nicht bei allen Individuen mit einem sich gleichblei­benden Ausdrucke auftreten, vielmehr von der Indi­vidualität des kranken Organismus ahhangig, und daher Zufälligkeiten unterworfen sind.
Unmittelbare, wesentliche und nothwen-dige Symptome (symptomata primaria, essenlialia, necessaria) sind also gleichbedeutende Benennungen, wie auch mittelbare, unwesentliche, zufällige, nicht nothwendige Symptome (symptomata se-eundaria, aeeidentalia, fortuita, non necessaria).
sect;. 132.
Die Abhängigkeit des Organismus von den Aussen-verhältnissen und eine Rückwirkung jenes auf diese besteht begreiflicherweise eben so wohl im kranken wie im gesunden Zustande desselben. Hierdurch kön­nen wiederum mannichfache Veränderungen in den mittelbaren Symptomen bewirkt werden, so wie auch abgeänderte Zustände der Aussenverbültnisse, welche z. B. in Luftverderbniss, Verbreitung von Contagion bestehen können. Aus allem diesen leuchtet die Schwierigkeit ein, bei einer Menge sich an einem Individuum äussernden Symptome, die wesentlichen von den unwesentlichen gehörig zu unterscheiden; aber wir müssen auf diese Unterscheidung grossen Fleiss und rege Aufmerksamkeit verwenden, weil sie für die Diagnose, also für die Formbestimmung der Krankheit von der grösslen Wichtigkeit ist. Als Hiilfs-mittel für die Bestimmung der wesentlichen Symptome haben wir, wie bereits angedeutet, ihre innere Ueber-cinslimmung mit sich selbst und mit dem Wesen der Krankheit, so wie ihre Abhängigkeit von dieser in Bezug auf Entstehen und,Vergehen, Zu- und Abnahme
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liintheilung der Symptome.
zu benutzen. Diese Unzertrennlichkeit der wesent­lichen Symptome von dem Wesen der Krankheit
hat Veranlassung gegeben, dass man sie auch be­standige oder unzertrennliche (symptomata per-petua s. individua) nennt; und in so fern durch sie die Krankheit als eine bestimmte Form erkannt wird, bezeichnet man sie als pathognomonischc Sym­ptome (symptomata pathognomonica). Es ist von phy­siologischem Interesse, zu bemerken, dass die we­sentlichen Symptome der Krankheit von den wesent­lichen Erscheinungen des normalen Lebens nicht ab­solut, sondern nur relativ verschieden sind. Diess findet darin seine Erklärung, dass Krankheit nichts Anderes als Lehen und nur ein eigen geartetes ist. So ist das Wesen der Entzündung ein gesteigerter Vegetations-Prozcss; das normale Leben aber beruht auf dem Vegetalions-Prozesse, der sogar in diesem periodisch, obgleich immer noch in den Grenzen der Normalität gesteigert erscheinen kann: also bemerken wir dem Wesen nach keine Verschiedenheit. Der Unterschied beruht aber darauf, dass die Steigerung des Vegetations-Prozesses dann als krankhaft anzu­sehen ist, wenn sie an einem Orte, in einer Periode und dann mit einer Intensität vorkommt, wie es dem normalen Lebensgange nicht entspricht.
sect;. 133. Es giebt Erscheinungen, durch welche sich das Leben in allen lebenden Wesen auf eine gleiche Weise kund giebt. Sie beruhen auf dem Bildungs-Prozesse, der allen Organismen gemeinsam ist. Zu solchen Er­scheinungen gehören z. B. die Aufnahme von ernäh­rendem Stoffe, Bewegung der Säfte, Se- und Excre-lionen u. s. w. Dagegen aber giebt es auch Erschei­nungen, wodurch sich das Leben unter einer gewis-
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liintheilung der Symptome.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;18!)
sen Form bekundet; denn wie verschieden üusseil sich nicht das Leben eines Saugolliicrs von dem eines Wurmes. Was hier vom normalen Leben gesagt ist, bemerken wir auch in den Krankheiten. Bei den höher entwickelten Krankheiisformen wenigstens kom­men Erscheinungen vor, die allen gemeinsam sind, und ebenfalls aus dem krankhaften Bildungs-Prozesse fliessen, z. B. Mattigkeit, fehlerhafter Appetit, Verän­derungen in der Temperatur, in der Blutbewegong, in den Se- und Excrctionen. Man nennt solche all­gemeine Symptome (symptomata communia, s. im-propria), welche zwar eine Krankheit überhaupt an­deuten, aber zur Bestimmung deren Gattung und Art nicht geeignet sind, wozu nur die besonderen Symptome (symptomata propria) dienen können. Zwischen den letzteren und den wesentlichen Symptomen besteht also im Begriffe kein Unter­schied; wohl aber in gewisser Beziehung zwischen allgemeinen Symptomen und unwesentlichen. Wir könnten die Vergleiche zwischen dem ge­sunden und kranken Leben in Bezug auf die Erschei­nungen noch weiter führen, und würden darin eine grosse Uebereinstiramung finden; es möge jedoch die Bemerkung genügen, dass, so wie das normale Leben sich als ein Vorgang bekundet, der bei allem Wech­sel eine grosse Beharrlichkeit zeigt, Diess auch in der Krankheit der Fall ist. Hierauf gründet sicii der Un­terschied zwischen veränderlichen oder zeit­lichen (symptomata temporaria) und beständigen (symptomata perpe(ua). Diese dauern begreiflicher­weise so lange wie die Krankheit selbst, jene aber nicht; beide können indess zu den wesentlichen Symptomen gezahlt werden.
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jf)Qnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Eintheilong der Symptome.
sect;, 134. Man unterscheidet ferner sympathische Sym­ptome, welche aus dem sympathischen Verhallniss des Organismus, d. h aus der innigen, auf Contigui-läl, Gondnuität, Verbreitung der Nerven und Vcr-wandtschaft der Functionen beruhenden Verbindung einzelner Organe zu einem harmonischeu Ganzen, fliessen, Sie gehen sich als Veränderungen von Functionen solcher Organe kund, in denen die Krank­heit nicht unmittelbar wurzelt; und wir bemerken, dass ihre Zahl und Heftigkeit von verschiedenen Be­dingungen abhängig ist. So sehen wir bei Entzün­dungen der Organe mehr sympathische Symptome auf­treten, als beim Vorhandensein von Aftergebilden; mehr beim Ergriffensein edler, einer wichtigen Fun­ction vorstehenden Organe, z. 13. des Gehirns, als anderer minder edlen, z. 13. der Haut mit ihren An­hängen; wiederum mehr bei gesteigerter Rezeptiviläl des Kranken, als im entgegengesetzten Falle. Bei den sympathischen Symptomen selbst haben wir aber wieder zwei Verschiedenheiten zu bemerken, ent­weder stellen sie sich als consensuelle (symplo-mata consensualia) oder als antagonistische (sym-plomala anlagonistica) dar. Die erstcren beruhen auf einer blossen Beschrankung der Function der Organe von Seite des ursprünglich erkrankten, oder auf einer, von diesem hervorgerufenen gleichartigen Affection in anderen. Bei der Druse z. 13. bemerken wir als con-sensuell-sympathische Affectionen: Eingenommenheit des Kopfes, catarrhalisches Mitergrifiensein der Conjunctiva und Anschwellung der Ganaschendrüsen. Die anta­gonistischen Symptome geben sich aber als eine, dem ursprünglichen Krankheits-Prozess entgegenge­setzte Steigerung oder Verminderung von Thäligkei-ten, und zwar in solchen Organen kund, welche wir
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BialbeiliiDg der Symptome.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; i\)l
auch im gesunden Zustande eine stellvertretende Tliii-tigkeil übernehmen seilen. So können bei Unter­drückung der Haatabsonderung als antagonistisch­sympathische Symptome vermehrte Absonderung des Darmsaftes und des Urins vorkommen, und um­gekehrt.
sect;. 135.
Eine andere Art von Symptomen, welche beson­ders für die Therapie Wichtigkeit haben, sind die Heil-, Hull's-, oder Reaclions-Symptome (sym-ptomata aeliva, anxiliaria, s. molimina naturae niedi-catricis). Ihr Hervortreten beruht auf dem Selbst-erhaltungs-Bestrcben des erkrankten Organismus, und sie bestehen dem Wesen nach aus Gegenwirkungen auf den vorhandenen Krankbeits-Prozess. Die Mög­lichkeit einer Reaction von Seite des Organismas gegen die Krankheit kann nur eingesehen werden, wenn man die Krankheil, wie es denn auch eigent­lich der Fall ist, als etwas Locales, und nicht als in einem tolalen Ergrifl'ensein der ganzen thierischen Oeconomic bestehend, betrachtet. Denn nur von nor­malen Theilen kann man vernünftigerweise Reaclio-nen gegen die Krankheit erwarten. Man muss nicht glauben, class das Heilbestreben und ihre Symptome etwas der Krankheit Eigcntliümliclies sei; es ist nichts Anderes, als das, auch im gesunden Leben bemerk­bare Selbslerhallungs-Restreben, das sich in den Krankheiten nur um deswillen deutlicher zeigt, weil dann die Existenz des Organismus mehr gefährdet ist. Das gesunde Leben bat bekanntlich einen steten Kampf mit den Ausseneinflüssen zu besteben, das kranke Leben aber nicht allein mit diesen, sondern auch mit der Krankheit selbst; oder mit anderen Wei­ten: das gesunde Leben kämpft gegen Krankheils-
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•jr)2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Eintheilung der Symptome.
Ursachen, das Kranke gegen diese und ihre Wirkun­gen zugleich. So wie sich das Selbsterhaltungs-Bestrcben des gesunden Lebens in Entfaltung der Vegetations-Thätigkeit bekundet, so bemerken wir auch diese in den Krankheiten als Heilbestreben, und zwar meist als Fieber, Congestion und Entzündung ausgesprochen. Aber eben so mannicbfaltig, wie die Aeusserungen der verschiedenen Verrichtungen des Bildungs-Prozesses im gesunden Leben sich als Assi­milation, Se- und Excretion darstellen, sehen wir auch das Heilbestreben in den Krankheiten durch veränderte Blulbewegung, vermehrte Ab- und Aus­sonderungen, Schweisse, Durchfalle, Hautausschlage u. dergl. ausgesprochen. Die Zahl und Starke der Symptome des Heilbestrebens sind von der Bescbaf-fenbeit des rcagirenden Organismus, von der Natur der Krankheit und von ausseren Einflüssen abhängig. Die weitere Ausführung der Lehre über die Natur­heilkraft müssen wir in die allgemeine Therapie ver­weisen.
Zusatz. Man findet in den verschiedenenIlnndbücliern über allgemeine Pathologie, die im Vorhergehenden definii' ten Symptome zuweilen unter anderen Benennungen; es dürfte aber nicht schwer fallen, bei einigem Nachdenken über diese Abweichung zum gehörigen Verständniss zu ge­langen. Hier und dort findet man aber auch Symptome auf­geführt, welche hier nicht angemerkt worden sind; so z. B. prognostische Zeichen (signa prognostica) und Sym­ptome der Ursache (symptomata causao). Was die erste-ron anbetrifft, so sind sie nicht als eigenthümliche Zeichen zu betrachten; die Prognosis fliesst vielmehr vorzugsweise aus der gehörigen Würdigung der pathognomonischen Zei­chen und der des Heilbestrebens. Besondere Symptome der Ursache giebt es auch eigentlich nicht, weil da, wo ein Sym­ptom erscheint, eine Krankheit zum Grunde liegt. Eine Ur­sache kann indess zuweilen mehre Krankheits-Prozesse zu
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Hinlheilung der Symptome.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; jlt;),#9632;',
Stande bringen, oder die sympalhiscben Symptome einer ursprünglichen Krankheit erscheinen als die überwiegenden; und so ist es denn von Wichtigkeit für die Therapie, wenn wir in dem einen Krankheits-Prozess den ihr zum Grunde liegenden zweiten erkennen, um auf dessen Beseitigung hin­wirken zu können. Wie verschieden die Ansichten über die sogenannten Symptome der Ursache sind, möge man aus Folgendem erkennen. Rychner sagt: pathognomonische Er­scheinungen pflegt man jene zu nennen, welche unmittelbare und unzertrennliche Folgen der Krankheitsursachen sind; Erscheinungen der Ursachen heissen dagegen die, welche unmittelbare Wirkung der Krankheitsursache sind. Prinz unterscheidet die Zufalle der nächsten Ursache von den Zn-fiiilcti des Krankheitswesens, und bomerki, dass jene dem innern Krankheitszustand angehören, aus dem sich erst das Wesen der Krankheit entwickelt, z. B. Verstopfung bei der Verstopfungskolik. oder die Vorboten vieler Krankheiten. Zuweilen aber erzeugt die äussere Ursache, setzt er hinzu, noch einzelne für sich bestehende Zufälle, welche man daher Symptome der Ursache nennt. Schwab endlich definirt also: Symptome der Ursache heissen diejenigen, welche von den mancherlei Gelegenheitsursachen neben der Krankheil noch zufällig hervorgebracht werden, und nach der Beschaf­fenheit dieser Ursachen sehr verschieden sein können. Sie kommen entweder mit den Zufallen der Krankheit zugleich zum Vorschein, oder später als diese; auch dauern sie zu­weilen noch fort, wenn die Krankheit bereits aufgehört hat, oder hören vor dieser auf. Uebrigens führen diese Zufälle zur Auffindung der Gelegenheitsursachen, und sind daher für den Thierarzt von einer um so grösseren Wichtigkeit, als diesem jene Ursachen oft als verborgene vorkommen. — Was es auch mit jener Meinungsverschiedenheit für eine Bewandniss haben mag, so müssen wir doch gestehen, das* wir bei inneren Krankheiten, wenn dieselben wieder, als relativ-äussero Ursachen, andere seeundäreKrankheiten her­vorzubringen im Stande sind, Erscheinungen (z. B. den Abgang von Eingeweidewürmern, von Harngries u. dergL) sehen, wel­che uns das ursprüngliche Leiden und die Beziehung dieses
FuchsJ alliiem. l'MlioI.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;a'gt;
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Ueber den Nutzen dor Symptomalologie.
als weitere Kranklieilsursadie deutlicher machen küunen, und in so fern von praotischer Wichtigkeit sind.
Drittes Gapltel.
Ucbcr den Nutzen der Symploraatologic.
sect;. 130.
Das Leben überhaupt können wir nur aus seinen Wirkungen, mithin aus den, an einem Organismus wahrnehmbaren Erscheinungen erkennen; von der Art und Weise aber, wie sich die Erscheinungen darstellen, schliessen wir auf ihren inneren Grund. Die Erforschung des Wesens der Krankheiten ist das wichtigste Geschüft des Heilkünstlers. Durch unmit-telbare Anschauung können wir indess nicht zur Er­kennung desselben gelangen, nur durch folgerechte, erfahrungsmassige und acht physiologische Deutung der Symptome. Wenn auch aus dem Gesagten die Wichtigkeit jener Lehre zur Geniige einleuchten mag, so müssen wir doch gestehen, dass leider die Schwierigkeit dieser Lehre mit ihrer Wichtigkeit glei­chen Schritt hält. Betrachten wir ein, mit irgend einer ernstlichen Krankheil behaftetes Thier, so Ire-len uns eine Menge von Erscheinungen entgegen, die den Ungeübten leicht in Verwirrung setzen können. Es gehört schon eine grosse Umsicht dazu, um die Symptome nach ihrem Werthe zu sondern.
Das Bestreben bei dieser Sonderung muss, dem Vorhergehenden zufolge, vorzugsweise dahin gerich­tet sein, die wesentlichen oder palhognomonischen Erscheinungen von den sympathischen und denjeni­gen des Heilbestrebens gehörig zu unterscheiden. Wahrend durch den Complex (Inbegriff, Gesammtaus-druck) der ersteren die Krankheitsform bestimmt
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lieber (Jeu Nutzen der Symplomatoiogie.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; -l;i5
wird, sind die sympathischen geeignet, die speziellste Individualität und den hcsoiiderci Character der Krankheit zu würdigen. Der Gang und der Grad dos Heilbestrebens aber geben uns vorzugsweise einen Wink für die Behandlung, den wir als Diener der Natur streng zu befolgen haben. Die Individualisi-ruiig der Krankheitsform, so wie die Maassnahme des Heilverfahrens sind indess nicht die einzigen Auf­gaben des behandelnden Thierarzles; an Wichtigkeit stellt vielmehr die Stellung einer gründlichen Pro­gnose jenen nicht nach, zumal da die Thiere meist nur einen ökonomischen Werth haben, der seine Herr­schaft bei den Heilversuchen geltend macht. Es ist kaum zu entscheiden, ob die palhognomonischen oder die Reactions-Symptome einen grösseren Einfluss auf die Prognose haben; so viel ist aber ausgemacht, class dieselbe durch allseitige Beachtung des Krank-heitsverhältnisses an Sicherheit und Gründlichkeit ge­winnt, wenn dabei nicht minder das mehr zufallige und Acussere, wie das Oekonomische, unter welchem die Thiere leben, mitberücksiebtigt wird. Denn ge­rade dieses practische Element stellt nicht selten die Forderung, auf die, auf wissenschaftlichem Wege in Aussiebt gestellten Früchte zu verzichten.
sect;. 1^7. Wenn also der Symptomatologie endlich im All­gemeinen ein bedeutender Werth zuerkannt werden muss, so dürfte derselbe doch vorzugsweise aus ihrer Behandlung hervorgehen. Wir tadeln nicht ge­rade Diejenigen, welche die Symptomatologie als eine eigeuthümliche Lehre der allgemeinen Pathologie einverleiben, indem die Symptome aufgezählt und ihr ursächliches Verhältniss erklärt wird; wir glauben indess mehr Nutzen für die gründliche Bildung zu
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|t)(]nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; lieber don Nutzen Jor Symptomatologie.
gewinnen, wenn im zweiten Theile dieses Werkes der umgekehrte Weg eingeschlagen wird, wenn die Verrichtungen in ihren Abweichungen uniersucht und so die Symptome als Endresultat gewonnen werden.
Zusatz. In einigen allgemeinen Pathologien wird eine Anweisung zur Untersuchung kranker Thiere und zum Ge­brauche der dabei erforderlichen HiilfsmiUel (wie des Ste-thoscops und dergl.) gegeben. Einer solchen Anweisung kann der Nutzen nicht abgesprochen werden; wir furchten aber die Grenzen dieser Schrift allzusehr zu erweitern und überdiess dem clinischen Unterricht vorzugreifen, wenn wir uns darauf einlassen wollten.
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Fünfter Abschnitt.
Von den zellliciieu vnul rämniichcii V^crhäUnissen der Krankheit.
Krstes Oapitcl.
Vom Verlaufe der Krankheit.
sect;. 138.
Den Verlauf der Krankheit (decursus morbi) be­zeichnet man auch als ihre Entwickelung oder Metamorphose. Es ist anzunehmen, dass jeder wirklichen Krankheit ein bestimmter Verlauf zukommt; indess sind wir nicht immer im Stande, denselben genau zu bezeichnen, indem zu grosse Schnelligkeit oder Langsamkeit des Verlaufes, oder Mangel an fortgesetzter Beobachtung daran verhindern. Die Ent^ wickelung der Krankheit giebt sich übrigens, wie die des normalen Lebens durch eine bestimmte Aufein-anderiblge nur einmal, während ihres Daseins er­scheinender, quantitativer und qualitativer Umänderun­gen in der materiellen und dynamischen Seite des Organismus kund. Um für diesen Satz die Beläge zu finden, denke man nur an die Entwickelung eines Thieres, wie es ursprünglich aus einem unscheinba­ren Keime im Fötalzuslande entsteht, wie sich ein Organ und cine Function nach der anderen heran­bildet, wie die Funclionen an Mannichfalligkcil und Kraft bis zur Flühe der Entwickelung gewinnen und
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198
Vom Vorlaufe der Krankheit.
sodann wieder abnehmen; und vergleiche damit eine Krankheit, die ebenfalls kaum wahroehmbar beginnt, anfangs mehr örtlich beschränkt ist, sich aber dann mehr und mehr bis zu einer gewissen Höhe und Ausbreitung im Organismus entfaltet, und spater wie­der abnimmt.
139.
In dem eben bezeichneten Entwickelungsgange haben wir zunächst zwei Hälften zu bemerken, nämlich die Ausbildung und Rückbildung, welche man auch wohl mit den Ausdrucken: Evolution und Involution, oder progressive und regressive Metamorphose bezeichnet. In den Krankheiten be­trachtet man sie ins Besondere als Zu- und Abnahme (incrementum et decrementum tnorbi), von denen die beiden Endpunkte den Anfang und das Ende der Krankheit (primordiura et finis morhi) ausmachen, zwischen welchen der Wendepunkt der Höhe (acme) liegt. Ausseiquot; den oben genannten Zeitabschnitten der Krankheit, welche man auch allgemeine (tempora to-tius morhi universalia) nennt, nimmt man noch klei­nere, zwischen jenen liegende an. Alle Enlwickelungs-momente werden sodann Stadien (stadia, v. tem­pora totius morbi singularia) genannt, die man in Rücksicht des gesunden Lebens als Lebensalter be­zeichnet. Wie aber keine scharfe Sonderung der verschiedenen Lebensalter zu bemerken ist, so auch nicht in den Stadien der Krankheiten. Der in jenen grösseren Zeitabschnitten der Krankheit eingeschlos­senen kleineren können sieben angenommen werden, die freilich, selbst bei treuer Beobachtung, weniger leicht objeeliv zu unterscheiden sind, als die grösse­ren; im Begriffe aber, wird sich eine solcheEinthei-
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Vom Verlaufe der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;10f)
lung, wie sie im Folgendelaquo; gegeben wird, als rich­tig herausstellen.
sect;• 140.
Der erste Zeitraum oder der Zeitraum der Entstehung der Krankheit beginnt mit der Ein­wirkung der Schädlichkeit auf die Anlage in dem Aufnahmsorgan der Krankheit. In diesem Stadium wird nur ein allgemeines Ergriflensein der Thiere wahrgenommen, mithin auch nur allgemeine Sym­ptome und noch keine wesentliche. Man nennt die­sen Zeitraum das Stadium der Vorläufer 'stadium prodromorum, auch mehr oder weniger passend: sta-üium irritationis, fermentationis, opportunitatis, inva-sionis, sive nascentis morbi). Bei denjenigen Krank­heiten, welche durch einen Ansteckungsstoff erzeugt werden, ist dieses Stadium am deutlichsten einzu­sehen; denn nach Berührung eines Contagiums mit einem dafür empfänglichen Organismus erscheint die Krankheit niemals sogleich mit ihren wesentliche^ Symptomen, sondern erst nach einer gewissen Zeit unter allmähliger Entwickelung, und scheint demnach die Krankheit, resp. das Contagium eine Zeitlang im Verborgenen zu ruhen. In dieser Rücksicht nennt man bei den ansteckenden Krankheiten jenen Zeit­raum: das latente Stadium (stad, latentis contagii, v. stad. ineuhalionis).
Der zweite Zeitraum oder der Zeitraum des Erscheinens derKrankheit characterisirt sich hin­reichend durch das Auftreten der ersten wesentlichen oder pathognomonischen Erscheinungen. Man nennt diesen Zeitraum auch das Stadium des Krankheits­anfanges (stad. initii morbi); doch nicht mit vollem Rechte. Denn obgleich die Krankheit darin erst mit
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o(j()nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Verlaufe der Krankheit.
ihrer EigenlliiirulicliLeit in die Erscheinung tritt, raquo;o muss ihr Anfang doch schon früher angenommen werden.
Der drille Zeitraum oder der Zeitraum des Wachsthums der Krankheit zeichnet sich dadurch aus, class die wesentlichen Symptome an Zahl und Beftigkeit zunehmen. Indem sich die Krankheit in diesem Zeitraum nicht mehr auf den Ort oder auf das Organ ihrer Entstellung beschränkt, nehmen die mittelbaren oder sympathischen Symptome zu: Die­ser Zeitraum wird auch Stadium der Zunahme (stad. incrementi vcl auxesis, anabasis, epidosis morbi) genannt.
Der vierte Zeitraum oder der Zeitraum der Hohe der Krankheit (slad. alti v. acmes) wird daran erkannt, dass die Krankheit in ihm ihre höchst mögliche Entwickelung erreicht hat; daher auch die Erscheinungen in demselben am intensiv­sten und zahlreichsten sind. Als eine Eigenthümltch-keit dieses Höhe-Stadiums ist es anzusehen, dass die Krankheit in ihm eine zeiÜang mit gleicher Stärke, oder, wie man sagt, mit einer gewissen Breite zu beharren scheint, und dass dann der Kampf des Or­ganismus gegen die Krankheit insgemein am deut­lichsten hervortritt, in dessen Folge die Entschei­dung (crisis) entsteht. In diesem Zeitraum ist das Leben der Kranken am meisten gefährdet, und muss es sich nun zeigen, oh die Krankheit über den Or­ganismus oder dieser über jene siegt, ob der Tod des, mit der Krankheit behafteten Organismus oder der Tod der Krankheit, d. h. das Erlöschen oder endlich Irgend eine Umwandlung derselben erfolgt. In Bezug auf die Crisis Ist noch zu bemerken, dass sie zwar Insgemein In dem Höhe-Stadium der Krank­heit erscheint: indess ist Dicss nicht nothwendig;
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Vom Verlaufe der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;201
sie kann vielmehr auch in jedem anderen Stadium erfolgea In diesem Falle sind dann die Erscheinun­gen der Crisis minder heilig, eben weil der Kampf nicht so heftig zu sein braöbht.
Der fünfte Zeilraum oder das Stadium der Krankheits-Abnahme (stadium decrement! morhi) wird an der Verminderung, sowohl rücksichtlich der Zahl als auch der Helligkeit der pajhognomonischen Symptome erkannt; aber immer noch bleibt die Form der Krankheit aus denselben erkennbar.
Der sechste Zeitraum oder der Zeilraum des Verschwindens der Krankheit ist dadurch ausgezeichnet, dass nun die palhognomonischen Er­scheinungen so weit gewichen sind, dass die Krank­heit nicht mehr als eine besondere Form zu erken-Snen ist. Daher wird dieser Zeilraum auch passend das Stadium des Endes der Krankheitsform genannt (stad. tcrminationis, ilnis morbi). Wie aber bei dem Anfange der Krankheit dieselbe schon vor ihrem offenbaren Ausbruch als vorhanden gedacht werden mussle, so verhalt es sich auch mit dem Ende der Krankheit, das wohl auf die Krankheits­form, aber nicht auf den Krankheitsprozess überhaupt zu bezieben ist.
Der siebente Zeitraum, oder der Zeitraum der Wiedergenesung, Stadium der Reconva-Icsccnz (stacl. reconvalescentiae) macht sich durch das vollständige Schweigen aller wirklichen Krank­heits-Erscheinungen bemerkbar, nur sieht man, na­mentlich in dem vegetativen Leben noch einige Wir­kungen der dagewesenen Krankheit, welche sich durch Abmagerung, Schwäche, eine grössere Empfänglich­keit für äussere Eindrücke u. dergl. zu erkennen geben. Da die Rcconvalescenz sich auf das Indivi­duum, nicht auf die Krankheit bezieht, da wohl jenes.
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202nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Verlaufe der Krankheit.
nicht aber diese wiedergenesen kann, so erscheint jene Bezeichnung nicht im Einklänge mit denjenigen der anderen Stadien; doch kommt dem Gebrauche hier ein Recht der Entscheidung zu. In dem, in Rede stehenden Stadium, so -svie in dem vorhergehenden treten übrigens die Rückfälle oder Recidive (morbi recidivi) ein, welche von den zurückkehrenden (morbi recurrentes) und von den zurückgerufenen Krankheiten (in. revocati) wohl zu unterscheiden sind. Unter einer Krankheit der letzteren Art hat man die Wie­dererzeugung einer früher dagewesenen und unter­drückten Krankheit (morb. suppressus) vermittelst einer passenden Curmethode zu verstehen; unter morb. re-currens aber eine solche, welche so zu sagen frei­willig zurückkehrt, nachdem sie vollständig aufgehört hatte; unter morb. recidivus' endlich eine Krankheit, welche zwar nach der Crisis, jedoch noch vor der vollständigen Genesung von neuem in derselben Form auftritt. Dass die erstere erwünscht ist, die beiden letzteren aber sehr gefährlich werden können, leuch­tet von selbst ein.
Zusatz. Der Versuch der Pathologen in der Eiatheiluug der Krankheits-Stadien ist sehr verscliicdcn ausgefallen. Die Hippokratische Einlbcilung in das Stadium der Rohheit, der Kochung und der kritischen Ausscheidung (stad. cruditatis, coctionis, criscos) ist auch von spateren Ilumoralpathologen beibehalten worden; und ihrer wird aus Pietiit für den grossen Lehrer oftmals erwähnt, häufig aber nur für den Zeitraum der Crisis aliein gedeutet.
Die oben befolgte Eintheilung derKrankheits-Sladien ist nur als ein hleal zu betrachten, welches nicht immer in der Wirklichkeit beobachtet wird. Gleich wie das normale Le­ben seine Perioden häufig nicht alle durchläuft, vielmehr in jeder einzelnen durch störende Einflüsse sein Ende erreichen kann, so ist auch die Krankheit feindseligen Ausseneinflüssen
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unterworfen, wodurch ihr normaler Verlauf mehrfach abgeän­dert wird, namentlich dann, wenn verschiedene Krankheiten in demselben Organismus zugleich bestehen. Darin sind die Krankheits-Zusammensetzungcn und Verwicklun­gen (morbi compositi et complieali) begründet, unter den eisteren versteht man das Zusammentreffen von Krankheiten von gleichem, unter den letzteren aber solche von verschie­denem Wesen. Störungen gedachter Art haben, aussei- dem bereits erwähnten Riickgängigwerden der Krankheit, Ver­langsamimg, Hemmung oder Beschleunigung der Krankheit zur Folge. —
Die Verschiedenheiten, welche sich in letzlerer Bezie hung in den Krankheiten darbieten, begründen die Einthei-lung derselben in regelmässigc und unregelmässige [morbi reguläres et irreguläres aut anomali). Aehnlich ver­hält es sich mit der Unterscheidung der Krankheiten in ächte und unächte (morbi gonuini et corrupti), in voli-kommen und unvollkommen ausgeprägte (morbi acqui-sili et imperfect!); jedoch beruhen diese letzteren Verschie­denheiten mehr auf der Form, ob nämlich in einem concre-len Falle die wesentlichen Symptome vollständig beisammen sind oder nicht. Bemerkt man aber ausser diesen noch überzählige Symptome, welche die Krankheitsform modifici ren, so nennt man die Krankheit auch wohl begleitete (morb. slipatus v. comitatus). Ist endlich die Krankheitsform in Folge curativer Eingriffe verdorben, so heisst sie morb. corru-ptus; solche kommen leider nicht selten vor.
Nach dem Verlaufe der Krankheit und nach ihrer Wir­kung, welche sie im Individuum hervorbringt, hat man zu beurtheilen, ob sie eine schwere oder leichte (morb. gra-vis v. levis), eine gutartige oder bösartige (morb. be-nignus v. malignus) ob sie endlich eine zweifelhafte, ge­fährliche, tödliche oder heilsame ist (morb. aneeps, periculosus, lethalis v. salubris) ist. In Bezug auf Tödlichkeit einer Krankheit hat man wiederum zu unterscheiden, ob sie absolut tödlich (morb. absolute lethalis), ob sie ohne An­wendung schneller und angemessener Hülfe tödlich ist (morb. per so lethalis). oder ob sie durch ein Zusammentreffen
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204nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Vorn Typus iler Kranklieil.
mit ungilnstigen äüsserenEinflüssen jerst tödlich wird (morb. per accidens lelhalis).
Zweites Capitel.
Vom Typus dor Krankheit.
sect;#9632; 141. Wenn im Verlaufe der Krankheit die, während ihres Daseins nur einmal erfolgenden Veränderungen; als zur Entwickehmg derselben gehörig, betrachtet wurden: so haben wir unter Typus das Gepräge zu verstehen, welches durch die gcsclzmassige (rhythmische) Wiederkehr von Erscheinungen, na­mentlich in den fiebcrhaflen Krankheiten entsteht. Die Wiederkehr der Veränderung in einer Krank­heit heisst Anfall (paroxysraus, insultus). Dieser besteht aus zwei Momenten: der Hebung und Sen­kung. Die Hebung, welche sich durch eine Verstär­kung der Thätigkeit zu erkennen giebt, nennt man Zunahme oder Verschlimmerung (exaeerbatio); die Senkung, welche sich durch Abnahme der Thä­tigkeit characterisirt, wird als Naclilass (remissio) bezeichnet; und der Zeitraum endlich, welcher zwi­schen dem Anfange des einen Anfalls und dem des anderen liegt, wird Umlauf der Krankheit (cireuitus morbi) genannt. Mau muss aber nicht glauben, class der eine Anfall dem anderen in einem concreten Falle genau gleiche, vielmehr hat die fortschreitende Entwickehmg der Krankheit das Uehergewicht und hierdurch einen bestimmenden Einfluss auf den Ty­pus. Wir beobachten zuweilen Krankheiten, bei denen das Typische nicht augenfällig ist. Dies hat zur ün-
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Vom Typus iIlm' Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 205
terscheidong derselben in typische und nicht-ty­pische (morbi typici et atypici) Veranlassung gege-l)on. Die Ursachen aber, warum wir den Typus in den Krankheiten nicht immer wahrnehmen, sind ähn­liche Verhältnisse, welche uns bei der Wahrnehmung der Stadien hinderlich sind, und oben angeführt wur­den. Fragen wir nach dem Grunde des Typus in den Krankheiten, so dient darauf zur Antwort, dass es kein anderer ist, als solcher, der auch der rhyth­mischen Erscheinung der Zu- und Abnahme der Thä-tigkeiten im normalen Leben unterliegt. Durch jede verstärkte Thätigkeits-Aeusserung wird Kraft consu-mirt; es bedarf daher zur Sammlung derselben wie­der einiger Ruhe.
sect;. 14-2.
Diejenigen Krankheiten nun, in welchen, abgese­hen von dem allgemeinen, den ganzen Krankheits-Verlauf angehenden Wachsen und Abnehmen (incre-mentum et decrementum) ein immerwährendes, ohne Aussetzen erfolgendes Zu- und Abnehmen in den Erscheinungen zu bemerken ist, nennen wir nach­lassende (morbi rcmittentes). Solclie Krankheiten, in denen zwischen Abnahme und Zunahme eine län­gere Zeit verstreicht, in welcher die wesentlichen Krankheits-Erscheinungen nicht mehr wahrgenommen werden, sind aussetzende (morbi intermittentes); diejenigen Krankheilen endlich, worin jene Periodici-tät nicht deutlich zu bemerken ist, sind anhaltende (morbi continenles). Bei den anhaltenden Krankheiten unterscheidet man wiederum zwei Fälle: wächst eine solche immerfort, und hört dann auf ihrer Höhe, wie abgeschnitten auf, so wird sie morb. con tin ens aemasticus genannt, dagegen aber morb. conti-nens paraemasticus, wenn sie heftig beginnt und
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20Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Voni Typus der Krankheit.
.soilami allmählig abnimml. Was nun noch ins Beson­dere den Typus der aussetzenden Krankheiten be-trifft, so unterscheidet man nacli der Dauer, welche zwischen den einzelnen Anfallen liegt, ob sie 24, #9632;48, 72 Stunden u. s. \v. beträgt, den eintägigen, dreitägigen, viertägigen n. s. w. Typus (typus qnotidianus, tertianus, qüartanus).
sect;• 143:
Am deutlichsten zeigen die einfachen, vollkom­men entwickelten Thierkrankheiten den Typus; die venvickelteu dagegen denselben entweder nicht, oder nur undeutlich. Wie der ganze Kranklieits-Yerlanf, so kann auch der Typus in seinem gesetzmässigen Gange Störungen durch Ausseneiniliisse auf die kran­ken Thiere, durch Arzneien u. dergl. erleiden. Dem­nach unterscheidet man den beständigen Typus (typus lixus) von dem veränderlichen (typus mo-bilis). Wenn in der, zwischen den folgenden Anfällen liegenden Zeitdauer eine Verkürzung zu bemerken ist, so nennt man den Typus: vorsetzenden (typus anteponens); wenn dagegen eine Verlängerung jener stattfindet, so wird der Typus als nachsetzender (typus postponens, tardus) bezeichnet. Der Typus erscheint nicht allein in den einzelnen Krankheiten, sondern auch in den Epizootien als solcher, so dass diesen ebenfalls ein Zu- und Abnehmen, ein Ver­schwinden und Wiederkehren zukommt. Diese Er­scheinungen sind wahrscheinlich an Gesetze gebun­den, welche mit cosmisch-tellurischen Veränderungen im Einklänge stehen. Aber wir sind bis jetzt nicht im Stande, diese Gesetze genau zu bezeichnen, weil uns die erforderlichen Thatsachen und eine genü­gende Einsicht in das Gesammtleben der Natur ab­gehen.
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Vom Typus der Krankheit,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 207
Zusnlz. Man bat sowohl dio Crison. als auch den Ty­pus in den Thierkrankbeiten geleugnet, ohne es sich, wie uns dlinkl. jedesmal klar gemacht zu bähen, was man damit sagen will. Rücksichtlich des Typus stehen hier ein paar Worte in jener Beziehung am rechten Orte, die zugleich als Rechtfertigung für die Aufführung desselben, wo es einer solchen bedürfen sollte, dienen mögen. Keiner wird den Typus, d. h. ein eigenlhütnliches Gepräge, welches durch die Gesetzmiissigkeit rhythmisch wiederkehrende.quot; Erschei nungen entsteht, im normalen Leben der Thiere, ins Beson dere unserer Ilausthiere leugnen wollen; die periodische Wiederkehr vieler Erscheinungen bezeugen sein Dasein: Schlafen und Wachen, Hunger. Durst und Sättigung, Aus und Einathmeu, Hebung und Senkung. Beschleunigung und Verlangsamung des Blutlaufs, Brunstzeit, Abhaaren u. dergl: Die Krankheit aber ist dem Organismus eingebildet und kann sich durchaus nicht den organischen Gesetzen überhaupt entziehen, höchstens nur sie modifiziren, oder bezwecken, dass sie — wie überhaupt die Krankheit nur eine abwei­chende Lebensform ist. — in einer abweichenden Form auf­treten. Welcher Thierarzt sollte auch nicht Exacerbationen und Remissionen in den Fiebern,. Verstärkung und Nachlass in Krampfzufällen, periodisch auftretenden Husten, und nach Intervallen zurückkehrende Rasereien u. dergl. beobachtet haben. Vom Fehlen des Typus überhaupt in den Krankhei­ten der Ilausthiere kann also nicht die Rede sein, nur davon, ob er in allen Krankheiten wahrzunehmen, und ob er so deutlich hervortritt, wie in den Krankheilen des Menschen. Diess ist nun allerdings nicht der Fall. Die tägliche Beob­achtung liefert die Belage. Der Streit kann demnach nur darum geführt werden, ob es einen intermittirenden Typus in den Krankheiten der Thiere gebe. Aber auch das Vorkom­men intermittirender, d. h. periodisch wiederkehrender Krank­heiten kann nicht weiter bezweifelt werden. Epilepsie, Dummkoller; Mondblindheit u. s. w. führen die empirischen Beweise. Der ganze Streit reducirt sich also am Ende dar­auf, ob es intermittirende Fieber bei den Hausthieren, und zwar in dem deutlich ausgeprägten, ein-, zwei-, drei- oder
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208nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^om Typus JtM- Krankheit.
mehrlagigen Typus, wie beim Menschen gebe. Die Lösung dieser Frage können wir allein von der Erfahrung erwarten, aber nicht von der einseitigen, die deshalb die WedBselfie-ber bei den Tliieren überhaupt leugnet, weil sie bei diesen nicht zu gleicher Zeil mit denen des Menschen auftreten, obgleich beide unter gleichen Einflüssen leben. Wir wollen nunmehr sehen, was sich zu Gunsten des intermiüirenden Fiebers anführen liisst.
Delafond (Traite de pathologie et de therapeutique generales veterinaires, 1838) sagt einfach (p. 157): ;.Die in-termittirenden Fieber sind selten bei den Tliieren.quot; Funke führt (Handbuch der spez. Path. u. Ther., 1836, S. 147) an. wie mehrere Beobachtungen dafür sprächen, dass bei Tliie­ren, besonders beim Pferde und Hunde, das gedachte Fie­ber vorkomme, und bezieht sich auf Veith's llandb. Bd. II. S. 176. Hier sagt aber Veilh, dass hier und da einige, frei­lich nicht hinlänglich beobachtete Falle von intermittirenden Fiebern bei den Hausthieren, zumal bei Hunden, vorgekom­men seien, und citirt dabei Sprengel, Inst. med. IV. lihr. sect; -Xl. _ Stark (allg. Pathologie, 1838,1. Th. S. 759) äusserl. dass man den intermittirenden Typus den Krankheiten der Thiere ganz abgesproclien habe, was jedoch Czerniak's Beobachtungen (M. Jahrb. d. ö. St. Bd. 15. St. 2. S. 277 S.) neuerlichst widerlegten, der einen Hund und eine Simia ca-pucina an einem dreitägigen Fieber leiden sah. — Bainaud (Traite de path, et de therap. gener. T. I. p. 226 ff.) fuhrt folgendes Hierhergehörige auf: „Ruini, welcher im XVI. Jahrhundert in Italien lebte, erwähnt einfach eines 'itägigen Fiebers (fievre quatre sub-intranle) beim Pferde (Bourgelat ancienne Encvclopedie). Von dieser Zeit an bis zum Jahre 1810 machten die Thierärzfe keine Erwähnung mehr vom intermittirenden Fieber, es sei denn in der Correspondance sur la conservation et ramelioralion des animauxdomestiques par Fromage de Feugre. Damoiscau erwähnt des in­termittirenden Fiebers bei einem Hengste in dem Gestüte von Pin, welches vom 3. Decbr. bis zum 4. Januar mit den Characteren eines 3tägigen dauerte. — Ghlichy, Thierarzt zu Fresnay l'Eveque, beobachtete dasselbe bei einem G Jahr
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Vom Typus iIlt Krankheit,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2(H)
allen Pferde mil einUigigern Typus. Die ßxacerbalioncn be gannen Abends um 5 Uhr durch Zittern und endigten nach 3 Stunden durch Schweiss. Das Fieber kehrte während 23 Tage, vom 10. August bis zum 2. September, jeden Tag um dieselbe Stunde zurück (Rec. de möd. veler. 1830). Im Jahre 1829 machte man zwei andere Beobachtungen des eintägigen inlermittirenden Fiebers im Mai und November bei einem 2jährigen Hengste und bei einer Stute von un­bestimmtem Aller. Bei dem ersteren dauerte es 12—13, bei der anderen 8 Tage. — M. Liegard. Thierarzt im lOlen Jäger-Regiment, beschrieb eine merkwürdige fiiberhafle Krankheit mit eintägigem Typus bei einer Stute. Die Krank­heit dauerte vom 18. Mai 1827 bis zum 4. Juni ej. a. und kehrte regclmässig um 9 Uhr Morgens, aber nicht mit ganz gleicher Intensität zurück; sie entschied sich am 11. Juni durch Brustwasser. Soweit Rainard. — Hering (spez. Path. u. Ther. 1841) sagt in der obschwebenden Beziehung: ,,!m Friilijahr 1837 halle ich ein Pferd mit mehrmals, des Mor­gens sich wiederholenden Fiebcranfällcn, begleitet von Un­ruhe, Gähnen, Scharren, Zurückstehen von der Krippe u. s. w. zu behandeln. Nach dem Anfall war das Thier munter. Nachdem dieser Zustand einige Zeit gedauert hatte, bildete sich Druse aus. Bei einem, im Jahre 1838 cnglisirten Pferde kamen, nachdem die Folgen der Operation völlig vorüber waren, mehrere Fieberanfälle zu unbestimmten Zeilen; zuletzt bildete sich aber eine heftige Lungen- und Brustfell-Entzün­dung, welche tödlich endete. Die Section wies Wasser im Thorax, grosse Abscesse voll Jauche in der Lunge nach.quot;
Erwägen wir diese Data, so können wir nicht leugnen, dass einzelne darunter sind, welche eine scharfe Critik zu Gunsten der wahren Inlermiltens nicht aushalten, vielmehr eine andere Deutung erlauben dürften, wohin namentlich die Beobachtungen von Hering gehören. Einige sind aber we­nigstens unter den aufgczeichnelen Fällen, welche als stich­haltige bezeichnet werden können, und kann der Ausgang der Inlermiltens in Ilydrops vernünfligerweise nicht als Ein­wand gegen sie vorgebracht werden; da derselbe bei dem gleichen Fieber des Menschen nicht gar selten ist Aus die-
FticliS; alldem. Pathol,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;-i/i
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Vom Typus der Krankheit.
sem Allen folgt nun — zumal, wenn wir noch bemerken, dass auch in die reiche Erfahrung II or I wig's ein paar Be obacHtungeD des ausgezeichneten intermitUrenden Fiebers mit täglichen Paroxysmen, die am Nachmittage eintraten, wäh­rend die Pferde in der übrigen Zeit gesund zu sein schie­nen, und auch später gesund blieben, fallen — so folgt aus diesem Allen, sagen wir, dass mehr als genügend festsieht, dass das Leugnen der intenniüens bei den Thieren über­haupt, wenigstens als voreilig zu bezeichnen sei. Immerhin mag man die Seltenheit des Wechselfiebers als eine Eigen Ihiimlichkeil der Thiere bezeichnen; aber dennoch ist es wahrscheinlich, dass es häufiger bei ihnen vorkommt, als man glaubt; da gewiss nur die wenigsten Fälle zur Beob achtung der Thierärzte gelangen, denn in der Regel werden diese nicht wegen vorübergehender und leichter Krankheits-Erscheinungen in Anspruch genommen. Man hat die Gründe dafür, dass die Thiere so seilen am Wechselfieber leiden, und dass sie Oberhaupt den remillircnden Character in den Krankheiten nicht so deutlich zeigen, wie der Mensch, in der Verschiedenheit der Organisation, und zwar in einem abweichenden Verhältniss des Gehirns zu den Nervengau-glien zu fmden geglaubt. Der Ansicht entsprechend, däss das primum movens der Wechselfieber in einer Alleration der Knotennerven bestehe, hat man es der serinsen Ueber-legenheit des Gehirns der Thiere über eben diese Nerven zugeschrieben, dass jene Fieber bei ihnen so selten zu Stande kommen. Wenn diese Nerven, sagt man, durch irgend Etwas so erkranken, dass die von ihnen abhängigen Einge­weide in abnorme Thätigkeit gerathen, so sei nichts vorhan­den, was diese hemmt, sondern sie entwickele sich als Lei­den des Eingeweides, und die Reaction des Gefässsystems werde andauernd, wie die des Eingeweides selbst. Unser, nach Einsicht ringender Verstand mag jene Ansicht als ein quid pro quo hinnehmen, zumal, da sie die Erfahrung für sich zu haben scheint, dass Cretins und Blödsinnige niemals am Wechselfieber leiden.
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Von der Dauer der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 211
Drittes Capitel.
Von dor Daner i!or Krankheil
sect;. 14 1. Wie dem normalen Leben, so isl auch den Krankheiten eine gewisse Zeitdauer ihrer Existenz zugemessen; aber sie ist in den letzteren ausser-ordentiieh verschieden. Um für diese Behauptung die Belage zu linden, denke man nur an die minu­tenlange Dauer des Schlagflasses und an die jahre­lange mancher Hautausschlage. Man darf kaum hof­fen, für die verschiedenen Krankheiten die gesetz-mässige Dauer jemals zu bestimmen. Denn wie Vie­les auf die Abkürzung des Lebens üherhaupl Einfiuss haben kann, eben so Vieles kann auch die, den Krankheiten naturmassig zukommende Zeit abkürzen. Das Folgende ist iiitless als durchgreifend gültig für die Bestimmung der Krankheitsdauer anzumerken: 1) Je mehr sich die Krankheiten in der vege­tativen Sphäre aussein, und je mehr sie sich durch Hervorbringung krankhafter Materie auszeichnen, desto langer ist ihre Dauer (man rufe sich hierbei die Afterorganisationen in's Gedächt-niss). 2) Diejenigen Krankheiten, welche sieb langsam entwickeln, dauern langer, als solche, welche sich rasch ausbilden (die Exantheme weisen hiefür Beispiele nach). Ausser den gedachten Verhältnissen haben auch unstreitig der Vollkommen-beitssrad der verschiedenen Thiercattuneen, ferner die Stufe der Ausbildung, auf welcher sich das afti-cirte Organ oder Syslein befindet, und die mindere oder grössere Wichligkeil der Functionen, welche diesen für die thierische Oeconomie beiseiest ist. grossen Einfiuss auf die Rrankheitsdauer; aber die
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212nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Dauer der Krankheit,
Erhebung solcher Verhältnisse zu einem Gesetze, cUirfic für jclzt unzulässig erscheinen.
sect;• 145. Die Krankheiten werden nach ihrer Dauer unter­schieden: in kurzdauernde (morhi breves) und in langwierige (morhi longi v. chronici). Die ersteren
nennt mau auch hitzige, acute (morhi aculi), be­sonders dann, wenn sie mit heftigen Zufallen ver­bunden sind. Die Bestimmung der acutcu und chro­nischen Krankheiten nach ihrer Zeitdauer ist will­kürlich; die altere Annahme findet die meisten An­hänger. Nach dieser dauern chronische Krank­heilen länger als •/i0 Tage; nicht recht hit­zige (morbi subacuti) bis zum 40sfen; hitzige (morhi acuti) bis zum 21sten; gemein hitzige (morhi exacle acuti) bis zum 11 ten; sehr hit­zige (morhi aculissimi) noch wenigere Tage, oder man verstellt auch unter letzleren solche, welche plötzlich tödten. Acu(, gefährlich und bösartig sind, wie man leicht einsieht, nicht für gleichbedeu­tend zu halten; auch isl die unbedingte Gleichstel­lung der fieberhaften Krankheilen mit acuten nicht zu vertheidigen, insofern iicherhafte Krankhei­ten oft von langer, lieberlose aber zuweilen von kurzer Dauer sind. Der Unterschied der beharr­lichen (morbi perseverantes) und zur Gewohnheit gewordenen Krankheiten (morbi habitudes) grün­det, sich darauf, dass hei ersteren nur die Ausdauer in Betracht kommt, bei den letzteren aber ein sol­ches Anschmiegen des Kranldieilsprozesscs an das normale Leben und dieses an jenen, dass dabei ein relativer Gesundheitszustand bestehen kann. Die zur Gewohnheit gewordenen Krankheileu sind sonach beharrliche, aber beharrliche nicht immer habituelle.
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Von der Dauer dor Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;213
. Zusatz. Die Ansichten der Pathologen über die Mo­mente, welche bei der Bestimmung des Äcuten und Chroni­schen in den Krankheiten benutzt werden .vollen, sind sehr verschieden, wie es sich aus Nachstehendem ergeben wird. He nie sagt in seinen pathologischen Untersuchungen: ..Drei Momente sind implicirt in dein Begriffe acut und chro-nisch, wie sie nach und nach sich gebildet haben. Erstens beziehen sie sich auf die absolute Dauer der Krank-heil: acut ist rasch verlaufend, chronisch langsam verlaufend. Es war nülhig eine bestimmte Grenze anzu­nehmen (der 21ste Tag bei den altern Pathologen), welche acute und chronische Krankheiten scheiden soll. Schon Dies ist misslich bei den Schwankungen, welche durch die Grosse der Schädlichkeit, durch die Lebhaftigkeit der individuellen Reaction und durch die Natur des ergriffenen Gewebes in demselben Krankheilsprozess bedingt werden. Es würde z.B. darnach eine Hautwunde zu den acuten, eine Knochen-wunde zu den chronischen Krankheiten gehören. Die Rück­sicht auf die Dauer würde daher, da sie Verwandtes aus-einanderreisst, nur den Werth eines künstlichen Einthei-lungspriocips haben; und in diesem Sinne sind die morbi aculissimi, peraculi, subacuti entstanden. Aber das Crite-rium ist auch unbrauchbar wegen der Schwierigkeit, Anfang und Ende der Krankheit zu bestimmen, besonders bei den lange vorbereiteten und dann oft momentan tödlichen Ilä-morrbagien, Schlagflüssen u. s. f. Es wurde daher in der Folge acut und chronisch ausgelegt als fieberhaft und fieberlos (Reil, Wilmaiis, Hufeland] und bei lieil ist Fieber gleichbedeutend mit acuter Krankheit. Aber obgleich die wesentlich acuten Krankheiten meistens febrilische sind, und die meisten chronischen, wie man sieb ausdrückt, ohne Theilnahme des Gesanimtorganismns verlaufen, so kommt doch bei den chronischen das Fieber oft in spätem Stadien hinzu, und es kann, je nach der Disposition, dieselbe acute Krankheit, z. B. Catarrh, Schnupfen, Hautausschlag mit oder ohne Fieber auftreten. Drittens bestimmte man die acuten Krankheiten als Leiden mit gemessnem Verlauf und deut­licher Succession der Stadien, die chronischen dagegen als
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Von tier Verbreitung der Krankheit.
unregelmässige, schwankende, ohne bestimmten Fort­schritt zur Genesung oder zum Tod. Nach dieser Auslegung ist acut gleichbedeutend mit typisch, chronisch mit aty­pisch.quot;
Viertes Cniiitel.
Von der Verbreitung der Krankheit.
sect;. 14Ü.
Zuerst ist zu bemerken, wie die Krankheiten liieksichtlich ihrer räumlichen Existenz im Individuum Verschiedenheiten darbieten. Entweder beschrankt sich die Krankheit auf ein einzelnes Organ, oder sie dehnt sich auf ein ganzes System aus. Im ersteren Falle wird sie örtliche (morhus localis, topicus, specialis), im letzteren aber allgemeine (morhus universalis) genannt. Diese Begriffe sind jedoch sehr relativ. Denn so, wie der organische Zusammenbang des thierischen Körpers keine rein örtliche Affection, wenigstens nicht in den höber stellenden Gebilden, ohne Mitleiden anderer gestattet, eben so dürfte auch eine jede allgemeine Krankheit auf ein mehr oder weniger ausgebreitetes örtliches Leiden zurückgeführt werden können, und demnach ihre scheinbare All­gemeinheit nur auf die grösserc Ausbreitung des sympathischen Ergriffenseins zu bezichen sein. Aehn-lich verhält es sich mit der Unterscheidung der Krankheiten in äussere und innere (morbi externi et interni). Uebrigens ist es klar, dass manche Krank­heiten in allen Theilen eines Systems, während an­dere nur .in gewissen Abtheilungen desselben auf­treten. Catarrh z. B. kommt in allen Schleimhaut­gebilden, Räude an allen Orten der Lederhaut vor, Polypen aber nur an den Ausgangsstellen jener, und
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Von der Verbreitung der Krankheitnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 215
Maoke nur an den Fassenden dieser. Demzufolge tlicilt mau die Krankheiten nach der Grosse ihres Verbreitungsbezirks wobl in grosse und kleine (morbi magni et parvi) ein. Die grosse Krankheit in diesem Sinne kann indess leicht, und dio kleine ge­fährlich sein. Eine andere, wenig aufgeklarte Art der räumlichen Ausbreitung der Krankheit im Individuum ist die Erscheinung der Einseitigkeit (wie z. B. beim Rotz, bei Krankheiten der Lungen, Nieren u. s. w.) Hierauf gründet sicli die Aufstellung von einsei­tigen Krankheiten (morbi unilaterales).
sect;#9632; 147. In allen Krankheiten, mit Ausnahme mehrer Or-ganisalions-Fehler, bemerken wir, obgleich sie anfangs an einem bestimmten Orte entstehen, eine Tendenz zur Fortschreitung auf andere. Diess hat zur Unter­scheidung der festsitzenden (morbi iixi) von den fortschreitenden (morbi progressivi) geführt. Wenn die fortschreitenden Krankheiten sich in ihrem fer­neren Verlaufe wieder auf den Ort ihrer ursprüng­lichen Entstehung zurückziehen, so nennt man sie zurücksebreitende (morbi relrogradi), weiche von den, von der Oberfläche des Körpers nach inneren Theilen zurückgetretenen oder zurückgetriebe­nen (morbi retropulsi) wohl zu unterscheiden sind. Verlässt die fortschreitende Krankheit zugleich den Ort ihrer Entstehung, so bezeichnet man sie als wandernde (morb.vagus); geschieht Diess auf eine unbeständige Weise mit oftmaliger Veränderuns ihres Sitzes, so nennt man sie herumirrende (morb. erralicus); fliegende (morb. volaticus) aber, wenn dieses Herumirren schnell und plötzlich geschieh!. -— Die Ursachen für alle jene Verschiedenheiten in der Verbreitung der Krankheil müssen theils in der Con-
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216nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Verbreitung dor Krankheit.
stilulion der Thiere und in den Ausscnvcrhällnisscn, Üicils in der oigenlhümlichen Natur der Krankheit, so wie in der sympathischen Verbindung der Organe gesucht werden.
Zusatz. Hieran reihen sich diejenigen Unlcrschiedc, welche man nach dein Sitze der Krankheil, nach dem Kraft-maass des Organismus, nach der Verschiedenheit der Or gane und Systeme und ihrer Functionen, welche von ihr ergriffen sind, gemacht hat. Demnach unterscheidet man dy­namische und materielle, sthenischc und astheni-sche, reproductive, irritabele und sensitive Krank­heiten; ferner Krankheiten der festen und flüssigen Theilc; solche des Nerven-, Gefass-Schlcimhautsy-stems u. s. w., des Herzens, der Lungen, des Darm­kanals u. s. w. Die wissenschaftliche Begründung solcher mehr oder weniger künstlichen Eintheilungcn ist zwar schwer; die spezielle Pathologie kann ihrer aber kaum entbehren zur Sonderung und leichteren üebersicht ihrer massenhaften Materie.
sect;• 148.
Aehnlich wie sich die Krankheit, rücksichtlich ihrer Verbreitung, im Individuum verhält, so zeigt sie sich auch in Betracht einer oder mehrerer Thier-gattungen; denn wir bemerken, class ein und die­selbe Krankheit bald nur einzelne, bald viele Thiere zugleich befällt. Hierbei kann man sich das Verhal­ten der einzelnen Thiere zueinander analog dem Ver­halten denken, welches die verschiedenen Organe eines Individuums zeigen. Demzufolge wird die Ein­zelkrankheit (morb. sporadicus) von der gemein­schaftlichen, herrschenden Krankheit oder Seuche (morb. panzooticus) unterschieden. Die Ur­sachen panzootischer Krankheiten beruhen, aussei' auf einer gemeinschaftlichen Anlage, entweder auf weit verbreiteten, nicht näher gekannten cosmisch-
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Von der Verbreitung der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;217
lellurischon Einflüssen, und sind daher nicht abwend­bar, oder sie bestehen in, an eine Localität gebun­denen, entweder zu vermeidenden oder doch zu ver­mindernden Schädlichkeiten; oder endlich in Anstek-kungsstoffen. Im ersteren Falle heissen sie epizoo-tische Krankheiten oder Landseuchen (morb. epizootici), im zweiten enzootische Krankheiten oder Ortsseuchen und im dritten ansieckende Krankheiten (morb. contagiosi). Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass, so wie die Einzelkrankheit durch ein producirtes Contagium zu einer Seuche Veranlas­sung geben kann, auch die Seuche vermittelst eines ihr angehürigen Contagiums eine grössere Ausbrei­tung gewinnen wird. In Bezug auf die Panzoolien (mithin sowohl Epi- als Enzootien) unterscheidet man ferner, ob sie an gewisse Jahreszeiten und an die, in denselben herrschende Witterungsverhältnisse ge­bunden sind, oder ob sie ohne Rücksicht auf diese Verhältnisse eine mehr oder weniger lange Zeit fort­herrschen. Die ersteren nennt man Jahres- oder Witterungs-Panzootien (morb. panzootici annui) und, nach ihrem Auftreten im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, m. p. vernal es, aestivales, autumnales et hyemales; die letzteren aber ste­hende oder stationäre Panzootien (m. p. sta-tionarii).
Zusatz. Die Krankheiten beschränken sich in ihrer Verbreitung nicht immer auf einzelne oder mehrere Thier-galtungen; mitunter vielmehr dehnen sich auch Thicrkrank-heiten auf Menschen, und Menschenkrankheiten, obgleich viel seltener auf Thicrc aus. Man denke, zur Auffindung der Beläge hierfür, unter anderen an die Menschenpocken, wel­che die Kuhpocken erzeugen, und an das Wulhgifl, welches die Hydrophobie hervorbringt.
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Vom Ausgang der Krankheit.
Fünftes Capitel.
Vom Ausgang der Krunkheil.
sect;• 149.
Zuerst ist zu bemerken, we die Krankheit ilir relatives Ende oder ihren Ausgang dnreh Umwand­lung (transformalio, metascliemalisraus) nehmen kann. Hierdurch nimmt begreiflicherweise nicht der Krankheitsprozess überhaupt sein Ende, vielmehr büsst die ursprüngliche Krankheit nur ihre frühere Indivi­dualität ein, indem sie entweder ihr Wesen oder ihre Form oder auch beide zugleich ändert. Ersteres geschieht durcliDiadoche, das Zweite durch Meta-ptose und das Dritte durch Metastase. Hieraus ist zu entnehmen, dass bei der Metaptose der geringste, bei der Metastase aber der höchste Grad der Trans­formation stattfindet. Die Ursachen, warum in einem Krankheitsfälle die eine oder die andere Art der Umwandlung erfolgt, sind wenig gekannt. Der Me-taschematismus überhaupt dürfte vorzugsweise da­durch bedingt werden, dass auf das zeitweilige Or­gan der Krankheit Schädlichkeiten einwirken, wie diätetische Einllüsse und Arzneien, wodurch sie an ihrer normalen Beendigung in demselben verhindert wird, und daher ein anderes, mit der Anlage ver­sehenes Gebilde auf sympathischem Wege aufsucht, um sich hier abzuarbeiten; zum Theil aber auch da­durch, dass die Kraft des afficirten Organs erlahmt, wovon die Um Wandlung der Entzündung in Brand und der Krämpfe in Lähmung die deutlichsten Bei­spiele abgehen.
Zusatz. Von den verschiedenen Arten des Mctaschc-matisiaus ist unstreitig die Metastase, wie bereits angedeu­tet, am auffallendsten; indem sie in der vollständigen Umwand
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Vom Ausgang der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;219
lung eines Krankheilsprozesses in der Form einer Versetzung von einem Organ oder Gebilde auf ein anderes, vom Innern des Körpers auf das Aeusscrc oder umgekehrt zu Stande kommt. Man hat sich Mühe gegeben, diesen Vorgang zu erklären; weit ist man indess-nichi damit gekommen. Einige Worte zum Verständnisse der Sachlage durften hier am rech­ten Orte stehen. Zuvörderst möge bemerkt werden, wie man die Metastasen in dynamische und materielle unterschieden hat. je nachdem sie überwiegend in einem abgeänderten Verhältnisse der Kraft oder Materie bestehen; ferner, und zwar unpassend, in normale und abnorme, welcher Unterschied sich auf die unterdrückte Secretion be­zieht, ob sie nämlich eine normale, wie Milch und Galle, oder eine krankhafte, wie Eiler, betrifft, Unterscheidungen der Metastasen mehr practischer Art sind die in gutartige und bösartige. Sie gründen sich auf die Bedeutung, wel­che die Metastase für das Leben hat; und die Momente ihrer Beurtheilung können meist nur aus dem Erfolge gezogen werden, ob sie nämlich in einer quot;elinderen oder heftigeren Krankheit besteht, als diejenige war, woraus sie entstand. Als gut oder kritisch darf im Allgemeinen eine Metastase bezeichnet werden, wenn die Krankheit von inneren Kör-pertheilen auf äussere. oder von edlen Organen auf weniger wichtige übertragen wird, und dann überhaupt in einem weniger in- und extensiven abnormen Prozesse besteht. Als bösartig kann hingegen die Metastase betrachtet werden, wenn ein umgekehrtes Verhältniss stattfindet. Die Erklä-rungs Versuche des Vorgangs der Metastasen sind verschie­den, je nachdem die Pathologen den humoral- oder solidar-palhologischen Ansichten huldigen. Während die Einen die Wanderung und Uebertragung einer krankhaften Materie annehmen, lassen die Anderen die Metastasen nur auf sym­pathischem Wege durch Reizung und Enlwickelung eines neuen Krankheitsprozesses zu Stande kommen. gt;'icht vorge-fasslo Meinungen, sondern allein treue Beobachtungen und *nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Untersuchungen können diesen Punkt aufhellen. So wie die
Sachen jetzt stehen, müssen wir beide Alten von Vorgängen slatuiren. Es ist sowohl erfahrungsgemäss. dass ein patho-
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220nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Vom Ausgang der Krankheit.
logisches Product, wie Eiter, plötzlich an einem Orte ver­schwindet und an einem andern auftritt, ohne dass das Vor­hergehen einer Entzündung hier deutlich nachgewiesen wer­den könnte, als auch das Auftreten melaslatischer Entzün­dungen, wobei wenigstens eine krankhafte Materie nicht als Ursache angesehen werden kann. Die materielle üeberflih-rung pathologischer Producte wird unstreitig vermittelt durch Resorption, durch Endosmose und Exosmose.
sect;. 150. Eine andere Art, wie die Krankheit ihr Ende nimmt, ist die Entscheidung (Crisis), deren einige Pathologen zwei Arien, eine gutartige (c. bona) und eine bösartige (c. mala) annehmen; die mei­sten aber verstehen unter Crisis die rasch und unter auffallenden Erscheinungen erfolgende, zur Genesung führende Entscheidung, und betrachten im Gegensätze davon die Lysis, durch welche die Genesung nur allmählig, ohne auffallende Erscheinungen zu Stande kommt. Wenn durch die Crisis der Zweck der Krank-heits-Beseitignog vollkommen erreicht wird, so nennt man sie vollkommene (c, pcrfecla), im entgegen­gesetzten Falle aber unvollkommene (c. imper-feeta). Die Umstände, durch welche letzlere veran-lasst werden kann, sind Störungen durch Aussen-verhältnisse, wie durch Kurmethoden u. dergl., oder durch innere Zustände, wie durch unzureichende Kraft des Organismus. Die Crisen erfolgen übrigens durch das Bestreben des Organismus zur Entfernung des Krankheilsprozesses, kritische Bestrebungen (molimina critica). Den hierbei bemerkbaren Aufruhr bezeichnet man ebenfalls als einen kritischen (per-turbalio critica). Das Wesen der Crisen kann im All­gemeinen als in vermehrten Ausleerungen der abge­sonderten Säfte, bei welchen in den früheren Sta­dien der Krankheit eine Verminderung oder sränz-
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Vom Aasgang der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 221
liehe Unterdrückung zu bemerken war, bezeichnet werden. Eine solche vermehrte Ausleerung nennl man in diesem Bezüge kritische (evaenatio critica), so wie die Wege und Organe, wodurch sie erfolgt, Reinigungs-Wege oder Reinigungs-Organe (viae colatoriae v. organa colatoria), zu denen die allge­meine Decke und die Schleimhaut, so wie diejenigen secernirenden Organe gehören, welche mit der letz­teren in Zusammenhang stehen; mithin, ausser dem Darmkanal, auch die Lungen, Speicheldrüsen und Nieren. Die Formen also, unter welchen die kritischen Ausleerangen erfolgen, sind: Schwciss, vermehrter Harn, Schleim- und Speichelfluss. Hautausschlage, Ahscessc u. dergl. pflegt man auch wohl kritische zu nennen, #9632;wenn durch dieselben eine innere Krank­heit zur Entscheidung gelangt; sie sind indess nicht als kritische Ausleerungen in jenem Sinne, vielmehr als kritische Metastasen zu betrachten. Dagegen kann zuweilen die Blutung, insofern dadurch eine Krank­heit rasch beseitigt wird, als kritische bezeichnet werden; und da hierbei die Ausleerung nicht wie jene auf normalem Wege geschieht, so giebt Diess Veranlassung zur Unterscheidung der Crisen auf nor­malem und auf abnormem Wege. Die Zeichen, woran der Eintritt der Crisen erkannt wird, sind theils allgemeine, theils besondere. Jene beziehen sich auf den Organismus überhaupt, und geben Zeug-niss von einem gewissen Sturm oder Kampf, der als Steigerung des Gemeingefühls, als grosse Be­schleunigung, zuweilen auch als Unregelmässigkeit im Blutlauf und im Athmen, als Zittern, Temperatur-Veränderung u. s. w. in die Erscheinung tritt. Die besonderen kritischen Zeichen aber fliessen aus den Organen, in welchen die kritischen Ausleerungen wahrscheinlich erfolgen werden. So z. B. deuten
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222nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^rora Ausgang der Krankheit.
Kolikzufalle, Bomülmngen zum Harnen und Empfind­lichkeit in der Nierongegend, Vermehrung der Warme und der Lebensschwellimg in der Haut, Husten, Brausen u. dergl. darauf hin, dass der Darmkanal, die Nieren, die Haut oder die Luftwege die bezüg­lichen Orsane sein werdea Ob in dem Hervortre-ten der kritischen Tage (dies critici) in den Krank­heiten der Ilaussaugelhiere eine solche Regelmassig­keit obwaltet, wie in den Krankheiten der Menschen (in welchen sie gewöhnlich an ungleichen, vom Tage des Ausbruchs der Krankheit angerechnet, auftreten, nämlich am 3., 5., 7., 9., u. s. w.), darüber lasst sich zur Zeit nichts ausmachen; und kann daher auch hier von anzeigenden Tagen (dies indices) nicht weiter die Rede sein.
Zusatz. Oben ist das Wesen der Olsen, in so weit es die Erfahrung gestattet, im Allgemeinen gedeutet worden. Man hat sich indess in näheren Erklärungsversuchen von Hippokrates Zeiten an bis auf unsere Tage vielfältig abge­müht. Wir wissen, dass jener grosse Arzt ein crudum et intemperatum. eine materia peccans in den Krankhei­ten annahm, und nach dem Zustande desselben die Zeil­räume der Rohheit und der Kochung, wie bereits angemerkt wurde, deutele, und dass er die präsumirle Krankheits-Materie durch die Crisis als ausgeschieden annahm. Sowohl die späteren Ilumoral-Patliologen, als auch die Solidar-Palho-logen, iiabcn sich nicht aus diesen Begriffen herauswinden können. Denn, wenn die letzteren von einer Entfernung dos Krankheitsreizes durch die Crisen reden, so ist Das im Grunde nicht viel Anderes. In der neueren Zeil macht sich indess eine andere Ansicht über die Grise geltend, welche Heule (I. c.) summarisch so ausdrückt: ,,Grise ist der Sieg der Heilkraft der Natur der organischen Reaction über die Krankheit. Sie kommt nur in aculen Krankheilen vor, weil in diesen die Reaction kräftig ist; sie kommt nur nach einer gewissen Dauer der Krankheit vor. weil sich die Reactions-
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Vom Ausgang der Krankheit.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;223
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kraft orsl entwickeln muss. Diese denkt man sich bald als eine über dem Organismus schwebende, bald als eine, von den gesund gebliebenen Organen ausgebende Kraft. Die krilischen Ausleerungen sind nicht Ursache der Krankheit, sondern Producte derselben: Stoffe, die sieb durch abnorme Ernährung während der Krankheit gebildet haben und am Ende derselben ausgostosson werden.quot; — Vom organisch-chemischen Standpunkte aus, wird die Kraft, durch welche die Olsen zu Stande kommen, als ..Compensalions-Yermö-gen'; bezeichnet: indem man sieb dabei denkt, dass die, nach allen Richtungen hin schaukelnde organische Bewegung, die dureb mehre Kriifte geleitet wird, in ihrer Regelmässig keit dadurch erhalten oder zu derselben zurückgeführt werde, dass eine oder die andere zufallig vorwaltende Kraft sich in sich selbst aufhebt, und durch gleichzeitigen Angriff auf verschiedene Theile der organisch-chemischen Bewegung von der einen Seite unschädlich macht, was von der an­deren Seite ber eine Störung der Gesefzmässigkeit in jener Bewegung hervorbringen konnte. (Vergl. Lehmann, pbysiol. Chemie I. S. 55). Welcher Ansicht über das Wesen der Crise wir auch immer zugethan sein miigen, so ist doch, und ist Diess von praktischer Wichtigkeit, dieselbe für ein Zeichen zu betrachten, dass die Krankheit ihren relativen Culmina-tionspunkl erreicht habe, und nun in Genesung übergehen werde. Aber die Verschiedenheit der Ansicht über die Crise ist für die Behandlung der Krankheiten von Wichtigkeit, in­sofern man sie consequent nach der einen erzwingen, nach der andern aber abwarten und leiten dürfte. Die Grisen erzwingen zu wollen, mochte indess von sehr zweifelhaftem Nutzen sein.
sect;. 151.
Eine drille Art des Endes der Krankheit wird dadurch bedingt, dass sie den Organismus zu Grunde richtet, in welchem sie in die Erscheinung trat. Den hierdurch bewirkten Tod nennt man den krank­haften oder (fälschlich) den unnatürlichen oder widernatürlichen (mors morbosa, v. praeterna-
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224nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Vom Ausgang dor Krankheit.
turalis), im Gegensätze des ntiliirliclien (na. nalu-raiis, v. senilis), welcher erst dann eintritt, wenn das Lebensziel erreicht ist. Besser und dem lateinischen Ausdruck entsprechender dürfte aber der durch Krank­heit bewirkte Tod als aussernatürlichcr zu be­zeichnen sein. Ausser diesen beiden Todesarten hat man noch den gewaltsamen (m. violenta), veran-lasst durch ausserc, gewaltsame, die Organisation schnell zerstörende Einflüsse zu bemerken, und in Rücksicht des krankhaften Todes zu unterscheiden, ob dadurch die ganze Individualität des Organismus zu Grunde gehl, oder nur einzelne Theile, wie beim Brande. Hierauf beruhen die Unterschiede allge­meiner und partial er Tod (m. universalis et par-lialis, v. localis).
Zusatz. Das wesentlichste Zeichen des wahren To­des (m. vera) ist Fiiulniss, mithin das Auftreten eines rein chemischen Prozesses. So lange die Fiiulniss nicht eingetre­ten ist, kann man sich von der Gegenwart des Todes nicht überzeugt halten; er kann vielmehr ein Scheintod (m. appa-rens) sein, in welchem die meisten Lebensäusserungen, na-menllich der animalen Sphäre aufhören, jedoch Bildungs-verrichtungen noch unvollkommen fortbestehen. Die Blut­bewegung, dasAlhmen und der Stoffwechsel geschehen dann kaum merkbar, das Leben besteht noch, wie man sagt, als ein kleinstes (vita minima), wobei das Wiedererwachen als Möglichkeit gesetzt ist.
Ende des ersten Thcils.
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Zweiter Theil
der
all gern einen Pathologie.
Fuchs, alldem, l^athol.
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Spezielle Naturlehre der Krankheit.
Einleitung.
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Indem wir uns, was den Gang und die Eintheilung unseres Vortrags anbelangt, auf das, in der allgemeinen dem ersten Theile vorangeschickten Einleitung Angeführte beziehen, haben wir noch Folgendes zu bemerken. Dieser zweite Theil hat die Grund- oder Elemen­tar-Krankheilen zum Gegenstande der Betrachtung. Es entsteht niin zunächst die Frage: quot;was haben wir unter Grund- oder Elenientar-Krankheilen zu verste­hen? — Bei dem jetzigen Standpunkte unseres Wis­sens, kann es Niemanden einfallen, das Leben über­haupt, in Bezug auf Kraft und Materie, als etwas Ein­faches zu betrachten. Wir gelangen vielmehr leicht zu der Ueberzeuaune, dass im thierischen Oreanis-mus ein Verein von mannichfalligen Kräften, Mate­rien, Functionen und Organen zu einem gemeinschaft­lichen Zwecke, im gesunden Zustande ins Besondere so harmonisch ineinander greifen, dass dadurch die, von der Natur vorgezeichnete Absicht erfüllt wird. Durch diese Harmonie nun entsteht die Vorstellung der Einheit einer Kraft, welche wir als Lebens-
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lüiileitunL
krall bezeiclmen; ihr. aber, wie bereits angedeutet, in der Betrachtung in so viele Tbatigteitsäusserungen zerlegt werden kann, als wir besondere Funclionen wahrnebmen.
Zusatz. Es ist powiss für ein Zeichen von guter Vor­bedeutung zu hallen, dass die heulige organische Chemie sich nichl mehr, wie fthedem, von dem „Popanz der Lebens­kraftquot; (wie man zu s;ii;cn beliebt) zurückschrecken liisst. Man kann ihr immer zugestehen, dass sie bei der Erfor­schung der Substrate des Lebens, das Bestehen und (lilt;' Bildung dieser von chemischen Actionen abhängig macht: da der Chemiker nicht anders verfahren kann. Aber ein Arzt der Jelzlzeit (Reich) uehl offenbar zu weit, wenn er sagt: „Was ist denn dos ganze Leben anders, als ein vein Anfang Ids zum Ende fortdauernder chemischer Prozess, eine unaufhörlich von der Geburt bis zum Tode fortdauernde Metamorphose von Stoffen chemischer Natur, deren letzten zureichenden Grund die Aerzte, wie die Physiker, in der von Jenen sogenannten Lebenskraft setzen und suchen, die doch nichts Anderes ist und sein kann, als was diese dio Anziehung und chemischfe Verwandtschaft genannt haben.quot; Wenn wir auch von den höheren Erscheinungen des Lebens, der Irritabilität und Sensibilität und der freien Seelenthätig-keit äbslrahiren wollten, die Keiner einer chemischen Erklä-runs zu unterwerfen waaen wird, und das oben Gesasle bloss auf die Metamorphose des StofTs beziehen: so muss man doch immer einräumen, dass diese in einer anderen Art vorgeht, als nach Gesetzen der anorganischen Chemie. Eben das Eigenlhümliche der Bildungsthäügkcit im Organis­mus, aid' Hervorbringung von Formmolecülen gerichtet, ist von einer eigeiUhumiichen Kraft beherrscht, die man ganz logisch Lebenskraft nennt. Die Stoffe des Organismus wirken erst dann wieder aussehliesslich nach bekannten Gesetzen aufeinander, wenn das Leben aus ihm gewichen ist. Die Aufgabe der Physiker und Chemiker würde sich also zu allen Zeiten darauf beschränken müssen, zu zeigen, in wie weil die von ihnen Gekannten Kräfte der lodtcn
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Einlcitang.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;229
Natur auf das Loben wirken und von den organischen Krüf
len modificirt werden.
sect;#9632; 2-Die Krankheit Ist nur der Form nach vom nor­malen Leben verschieden; mithin muss aueb ihr das im vorigen sect;. Gesägte im Allgemeinen zukommen. Sie giebt sich also als ein Verein von abweichen­den Fnnctionen, als ein Inbegri^ von normwidrigen KraAäusserongen und Abweichungen in der Form und Mischung der Materie zu erkennen, unter den, auf natürliche Weise sich ergebenden ein fachen, von der Norm abweichenden-Functionen des kranken Lebens, welche in verschiedener Verbindung und in verschiedenem Grade der Intensität die Krank-heitsformen darstellen, hat man sonacii die Grund­oder Elemenlar-Kraukheitcn zu verstellen.
sect;• 3.
Demnach ist die, in der Physiologie übliche Be­trachtungsweise — indem sie, wenn sie uns eine Anschauung vom Wesen des Lebens verschaffen will, den Lebensprozess in seine verschiedenen Functio­nen zerlegt, und jede in der Art würdigt, dass da­durch ihr Verhällniss zu den anderen bestimmt wird — auch Für die spezielle Naturlehre der Krankheit die geeignetste. Die Grundkrankheiten in diesem Sinne hat man sich ungefähr in einem solchen Ver­hältnisse zur Krankheitsform vorzustellen, wie der Chemiker sich eine Vorstellung von den näheren Bestandtheilen eines Körpers macht; sie sind also nicht als die entferntesten Elemente zu betrachten, welche nichl weil er zu zerlegen waren. So wie die näheren Bestandtheile eines Körpers für sich be-stehend in der Natur vorkommen, so auch die Grund­krankheiten. Diess ist der Fall beim begimieuden
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'230nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Einleitung.
Krankheitsprozesse, und zwar häufiger in Thieren von einfacher als von höherer Organisation. Da die Grundkraukheiten also in der Wirklichkeit gegehca sind, so wird mithin hei ihrer Betrachtung der ah-stracte Standpunkt des ersten Theiles unserer Lehre (worin der Krankheitsprozess in seiner Allgemeinheit geschildert wurde) verlassen. In diesem zweiten Theile, mehr ins Spezielle gehend, schöpfen wir aus der Erfahrung, und tragen das Material für die spe­zielle Krankheitslehre in einer Art zusammen, dass es möglich wird, eine Einsicht in die einzelnen Functionen des Krankheitsprozesses und somit in dessen Wesen zu gewinnen. Ohne diese Einsicht giebt es weder eine rationelle Pathologie noch Therapie.
sect;• 4.
Die natürliche, physiologische Betrachtungsweise der Grundkrankheiten setzt voraus, dass das ihrer Eintheilung zum Grunde liegende Prinzip auch ein natürliches sei: Das thicrischc Leben stellt sich uns in der Wirklichkeit nach zwei Hauptseiten als thätig dar, als ein vegetatives und animales, letzteres wieder zerfallend in das irritabele und senslbcle Leben. Diese drei Hauptseiten müssen mithin auch die Hauptgesichtspunkte in unserer Betrachtung aus­machen, wenn gleich sie, der Kürze und Easslichkeit wegen, in der befolgten Eintheilung nicht in der be­zeichneten Art herausgestellt sind. Die Unterabthei­lungen ergehen sich eben so natürlich. Wir sehen die Bildung einerseits für das Individuum, anderer­seits für die Gattung thätig; mithin müssen auch ihre Abweichungen in dieser zweifachen Richtung be­trachtet werden. Die für das Individuum wirksame Bildungslhatigkeit erscheint aber nicht als etwas Ein-
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EiuleitUDg.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; '231
ladies, vielmehr als Bildoog und Riickbildnng. Jene wird venkiillelt durch die Aufnahme bildangsfähigeo Slolfbs, durch die allgemeine Assimilation im Blule und durch den Stoffansatz; laquo;liesc durch die Anfsaii-sons, durch die Reassimilation im Blule und durch die Excretion; mithin müssen auch diese Momente die Unterabtheilungen hegriinden. Die irritabele Le-bensseite, welche durch die, dem Wesen nach, kei­nen Unterschied darbietende willkürliche und un­willkürliche Bewegung repräsentirf wird, zerfällt in der Betrachtung in einfache l'ntcrahlheilungon, die den drei Richtungen ihrer Normwidrigkeit, der Ver-mehrung, Verminderung oder Aufhebung und der Alienation entsprechen. Der sensibelen Lebensseite hegt das Nervensystem zum Grunde. Seme Verrich-tunsen cehen einerseits mit Bewussllosiskeit und ohne Willkür vor sich, indem sie dem vegetativen Leben dienstbar sind. Dann bemerken wir eine von [nnen nach Aussen gerichtete Thätigkeit des Nerven­systems, wodurch die willkürlichen Muskeln zu Actio-iieu bestimmt werden, und endlich eine von Aussen nach Innen gerichtete, durch welche die äusseren Eindrücke zum Cerehralorgan geleilet und von die­sem als Empfindung pereipirt werden. Die ersteren Arten der Thatigkcitsäusserungen sind mit dem ve-getativen und irritabelen Lehen enge verflochten, und können daher auch hei der Betrachtung dieser nicht getrennt werden. Die Empfindung, welche sich als allgemeine, über den ganzen Körper verbreitete und als besondere in den Sinneswerkzeugen auf eine spezifische Weise äusserl, kann ebenfalls nach den drei. Hauptrichtungen krankhafter Thätigkeit, nämlich der Vermehrung, Verminderung und Alienation be­trachtet werden. Derjenigen Nervenverrichtung aber, die sich als höchst polcnzirte, in ihrer elgenthüm-
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Einlcitiinu.
lichen Art als psychische Thätigkeit zu erkennen giebt, muss auch begreiflicher Weise ein besonderer Abschnitt gewidmet werden. Endlich bemerken wir Anomalien, die quot;sveder auf das irritabele noch auf das sensibele Leben ansschliesslich zurückgeführt werden können; beide Sphären haben einen gleichen Antheil an ihnen: mithin das ganze animale Leben. Diese Anomalien, welche sich ebenfalls als Verstär­kung, Beschränkung oder als ganzliche Aufhebung zu erkennen geben, sind sonach auch besonders be­trachtet, und zu ihnen die des Schlafes, des Wachens, dann der Schwindel und der Schlagfluss gezählt.
Zusatz. Die im Vorhergehenden gezeichnete Einthei-Jung stellt nur den allgemeinen Umriss des Vortrags dar. Im Verlaufe desselben wird, wie leicht einzusehen, nament­lich in Bezug auf das Bildungsleben, in so viele Spezialitä­ten eingegangen werden müssen, als sich die genannten Grundfunclionen in noch weitere Klementc zerlegen lassen. Hierdurch wird es dann möglich, die Symptomatologie, als eine besondere Lehre entbehren zu können; indem sich bei einer derartigen analysirenden Betrachtung die elementaren Functioncn gleichfalls in Erscheinungen auflösen. Auf diese Weise behandelt, hoffen wir den grüsstmöglichen Nutzen von der allgemeinen Veterinär-Pathologie zu erlangen, einen Nutzen, den Manche derselben nur in sehr beschränktem Maasse, und in einer gewissen Rücksicht vielleicht nicht mit Unrecht, zuerkennen. Wie kann aber auch die in einigen allgemeinen Pathologien befolgte Betrachtungsweise der so­genannten wesentlichen Krankheitsuntcrscbiede, welche auf Abweichungen der festen und flüssigen Theilo, ihrer Mi­schung und Form und der Kräfte beruhen sollen, ein Heil für die wahre Erkcnnlniss der krankhaften Zustände und ihre Therapeutik bringen? Eine solche Trennung besteht im Leben nicht, vielmehr stellen sich die elementarsten Functioncn als ein Verein von Kraft und Materie, sowohl fester als flüssiger in besonderer Mischung und Form dar.
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Einleitung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;233
Es wäre also der £;erinjie Nutzen des Studiums der allge­meinen Pathologie in ihrer Behandlungsweise und darin zu suchen, dass die Studirenden derselben nicht die hinrei-clionde Vorbereitung besitzen. Wer aber dieser I.elire den Nutzen überhaupt absprechen will, muss auch den Vortheil leugnen, welchen man von der Physiologie für die Erken­nung der Functionen des normalen Lebens und ihrer Ge­setze in Bezug auf die Gesunderhaltung erwartet: denn all­gemeine Pathologie ist, oder sollte wenigstens nichts Ande­res sein, als Physiologie; des kranken Lebens. Lie Physio­logen haben um so weniger Recht auf die allgemeine Pa­thologie mit Geringschätzung zu sehen, als sie ebensowohl die krankhaften Zustände zur Erklärung der gesunden, wie die Pathologen, jedoch in einem erweiterteren Grade, die Verrichtungen des gesunden Lebens zur Erklärung der kranken benutzen. Beide Lehren müssen sonach fried­fertig nebeneinander gehen, sich gegenseitig in die Hand arbeiten, und sich zur möglichsten Hohe emporschwingen. C. H. Schultz sagt in der Vorrede seiner jüngst erschie­nenen bedeutenden Schrft: „Ueber die Verjüngung des menschlichen Lebens u. s. W.quot; die hier zu beherzigenden Worte: ,,Die Physiologie, ursprünglich der Medizin entspros­sen, war eine Wissenschaft des Lebens für den Gebrauch des Lebens; aber sie hat sich später, durch selbstständige Verbreitung in die thierische Organisation, von ihrem Muller­stamm unvermerkt abgelöst, wobei sie selbst in ihrer allge­meinen theoretischen Richtung jedoch weniger das Bedllrf-niss ällerlichen Schutzes, als die Medizin das Bedilrfniss der kindlichen Unterstützung empfunden hat. Dieser Zustand hat sich den wissenscbaftlichen, die hohe Aufgabe ihres schönen Berufs erkennenden Aerzlen nicht verbergen kön­nen, und vielfällig ist es ausgesprochen worden, dass mit der Physiologie der Medizin ein Lebenstrieb abgebrochen worden, dem das Zerfallen wissenschaftlicher Einheit in herumwuchernde empirische Stücke zuzuschreiben ist. Wie es aber viel leichter ist, Mängel zu fühlen, als ihnen gründ­lich abzuhelfen, so haben auch die Versuche, die Medizin physiologisch zu wissenschaftlicher Einheit und Sicherheit
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Einleituna.
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zurückzubringen, immer viel zu wilnschen übrig gelassen.•' Was oben in Bezug auf das Unpassende der Behandlung der allgemeinen Piilliologie gesagt worden ist, dürfte auch dann anwendbar erscheinen, wenn man die Elementar Krankheiten nach den Grundgeweben (wie z. 13. die krank­haften Zuslände des Zellgewebes, der serösen, fibrösen und Schleimhäute u. s. w.) oder, wenn man die möglichen Ab­weichungen nach den einzelnen Organen durchgehen wollte. Ein solches anatomisches Verfahren mag seine Vorlheile haben, indem es von einer anderen Seilo das Eigenlhüm liehe der Gewebe und Organe und ihre l'unclionen in einer gewissen Abgeschlossenheit kennen lehrt, aber ohne vorher­gehende Kenntniss der Grundfunctionen bleibt der physio­logische Gewinn eines solchen Verfahrens immer zweifelhaft. Noch viel weniger scheint es gerechtfertigt werden zu kön­nen, wenn in der allgemeinen Pathologie KrankheiLs-Galtun-gen oder Grundformen von Krankheiten (wie Gongestion, Ent­zündung und Fieber] eine ausgedehnte Stelle linden. Als einen offenbaren Missgriff indess muss es bezeichnet werden, wenn Rainard in der allgemeinen Pathologie sogar spezielle Fie­ber (wie das catarrhalische, gastrische u. dergl., also Krank heitsformen zur Sprache bringt. Es ist gar nicht einzusehen, warum er nicht mit demselben Rechte alle übrigen Krank heitsarten in die allgemeine Pathologie hinüberzieht, und somit die spezielle überflüssig macht, wenn er sie nicht allenfalls noch für die complicirten Krankheiten statuiren will. (Vergl. den Zusatz zu sect;. 14. der Einl. zum 1. Theil.)
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Erster Abschnitt.
Von den Abwcicluingen im ISiidungsIcben des Iiuliviiiiunns.
Erstes Capitcl.
Anomalien der Verdauung.
sect;• i-Die Verdauung (digeslio) beginnt mit der Mandu-calion, erreicht im Magen und im Darmkanal Hire IIölic und mit der Ausscheidung des Kolhos ihr Ende. Der Bau und die Funclioiien der Vcrdamings-Werkzeuge sind überhaupt darauf gerichtet, die ur­sprüngliche physische und chemische Beschaffenheit der Nahrungsmittel aufzuheben. Diess geschieht eines Theils durch die mechanischen Gewalten der Kau­werkzeuge, durch die Bewegung des Magens und des Darmkanals; anderntheils durch die auflösende Kraft des Speichels, des Magen- und Darmsaftes. Hieraus schon 1st zu entnehmen, dass alles Das, was nicht zerkleinert und gelöst oder im weiteren Sinne, dass alles Diflerente, was nicht indill'erenzirl werden kann, auch nicht in den Verdauungs- und Ernäh-rungs-Prozess eingeht. Solche Stolle gehen vielmehr unverändert oder doch unverbraucht wieder ab, und können überdiess als mechanische oder chemische Schädlichkeiten wirken.
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Anomalion der Verdauung.
sect;#9632; 2-Das Fressen (manducatio), wovon das Ergrei­fen oder die Aufnahme (prehensio v. ingestio), das Kauen (inaslicalio), die Einspeichelung (insaliva-tio) und das Verschlingen (deglutitio) der Futter­stoffe als verschiedene Acte betrachtet werden kön­nen, isl die Einleitung zur Verdauung, und so zu sagen für eine Maulvcrdauiuig zu halten. Die Nah­rungsmittel biissen hierbei zum Theil ihre eigenthiim-liche Form und Mischung ein, und erleiden somit einen gewissen Grad von Erlödtung oder Iiuhlferen-zirung,quot; welche nothwendig der eigentlichen Ver­dauung vorhergehen muss, wenn diese gehörig von Statten gehen soll. Die Manducation wird unvollkom­men, wenn die dabei mitwirkenden Organe ihre Zwecke nicht gehörig erfüllen. Diess ist der Fall, wenn ihre festen und weichen Gebilde mechanische Verletzungen oder sonstige pathologische Erzeugnisse, wie Geschwüre, Aphthen, PseudoOrganisationen an sich tragen; ferner dann, wenn die Zahne mangel­haft sind, wenn Krampf in den Kaumuskeln, eine Abnormität in den Speicheldrüsen, mechanische Ver-schliessung ihrer Ausführungsgänge durch Steine und andere fremde Körper, oder endlich mechanische Ver-schliessung in den Schlingwerkzeugen u. dergl. he-stehen. Als unvollständig muss die Manducation auch dann bezeichnet weiden, wenn die Thicre, bei ge­höriger Normalität der bezüglichen Organe, das Fut­ter zu rasch verschlingen. Die Folgen der unvoll­ständigen Manducation sind zunächst mancherlei Be­schwerden des Magens, die sich als Alienationen der Verdauung in demselben durch Aufstossen, Rülpsen, Erbrechen, Luflentwickclung u. dergl. zu erkennen geben. — Als eine Wiederholung und Vervollstan-dieune der Manducation ist das Wiederkäuen (ru-
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Aiiomalion iler Verdauung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2.0gt;7
minatio) dor zM'eihuflgen Thiere zu betrachten. Bei dieser Verrichtuus sind der erste und zweite Ma^en, der Pansen und die Ilauhc, mil thätig; wenn sie also unvoUständig ausgeführt wird, so Können, ausser dem vorher genannten, der Manducadbn überhaupt nachtheiligen Verhältnissen, auch Alienationen derThä-tigkeit jener Eingeweide daran Schuld sein. Wie mit­hin einerseits die unregehnässige oder aufgehobene Rumination ein Zeichen eestörter Verdauuns sein kann, so wird eine solche auf diese andererseits um so nachtheiliger zurückwirken, als die Natur der be­züglichen Thiere und die Beschaffenheit der densel­ben angewiesenen Futterstoffe eine möglichst voll-ständige Mandncation erheischen. Ob das Wieder­käuen auch bei anderen Hausthieren als eine norm-widrige Erscheinung, ^ie beim Menschen auftritt, ist nicht bekannt.
Zusatz. Wiederkäuende Menschen sollen schwor zum Erbrechen zu bringen sein. Diese Thatsache ist um des willen merkwürdig, weil es auch bei den wiederkäuenden Thieren der Fall ist.
sect;. 3.
Bei der Magenverdauung ist der organisch­chemische Prozess vorwaltend. Er wird vermittelt durch die Beimischung von Magensaft und Schleim, so wie durch die organische Wanne, wenn gleich diese auch (wie Beaumont beobachtet haben will) während jener Verrichtung im Magen nicht gesteigert wird. Die mechanische Einwirkung des Magens, wel­che aus seiner Bewegung folgt, dient ohne Zweifel zum Theil dazu, das Lagenverhallniss seines Inhalts zu verändern, und hierdurch den organisch-chemi­schen Prozess zu begünstigen. Die Chemiker sind geneigt, dem Verdauungs-Prozess eine rein chemische
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raquo;238nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien der Verdauung.
Natur zuzuschreiben, gt;iYeil man durch Versuche er­mittelt, dass Labmagen oder der im Magensafte an­genommene (freilich aber raquo;noch hypothetische) StolT. welcher Pepsin oder Labium genannt wurde, im Stande ist, auch ansserhalb des Organismus Nah­rungsmittel zu verdauen, vielmehr (besser gesaiil) ohne Faulniss aufzulösen. Vogel bemerkt (in R. Wagener's Physiologie), dass sich drei verschiedene Ansichten über die Verdauung im Magen in Rück­sicht der Wirkung des Pepsins herausstellen; er setzt aber auch hinzu, dass bisher keino derselben mit Sicherheit habe nachgewiesen werden können Mit-scherlich, welcher (nach einer, der Akademie der Wissenschaften in Berlin am 2. December 18 il ge­machten Mittheiluog) fand, dass ausser dem Labma­gen auch andere Magen- und Darmtheile, und sogar derjenige Theil des Peritoneums, welcher die Blase überzieht, die Milch zum Gerinnen bringen, scheint das Pepsin als einen eigentluimlichen Stoff nicht an­zunehmen. Dagegen ist es diesem Forscher plausibel, dass die Verdauung eine Gährung sei, weil er im Darmkanal von Menschen und Thieren Vibrionen und die sogenannten Gabrungspilzc sah, in so fern beide Arten von organischen Wesen die Gfähruns sonst he-gleiten. Doch giebt er selbst an, class er im Darm­kanal eines Kalbes weder jene Infusorien noch die gedachten Pilze habe wahrnehmen können. Auch ich konnte sie nur selten im Darmkanal von Hunden und Pferden sehen, und niemals in einer solchen Menge, dass sie in einen nolhwendigen Zusammen­hang mit der Verdauune hatten gebracht werden können. Welcher Natur aber auch immer die Ver­dauung und namentlich diejenige im Magen sein möge, so kann es hier nicht in unserem Zwecke liegen, ein Mehreres von deren Physiologie anzufüh-
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Anomalien ilnr Verdauung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 230
ren. Es genüge im AllgemeineD anzudeuten, dass der Zweck der Verdauung im Magen darin besieht, die Nahrangsmittel in Speisebrei (Chymas) umzuwan­deln und denselben in den Dannkanal zu fordern. Im gesunden Znstande geht die Magenverdauung ohne irgend eine Beschwerde, vielmehr mit Wohlbehagen vor sich. Ihre Alienationen beziehen sich eines Theils auf die Bewegung des Magens, anderen Theils auf die Beschaffenheit des Magensaftes und des Schlei­mes. Die zu starke Bewegung des Magens kann in der Art nachtheilig wirken, dass sie eine zu rasche Entfernung der Contenta aus demselben veranlasst, bevor sich ein vollständiger Chymus gebildet hat. Die nothwendigen Folgen hiervon sind eine fehler­hafte Chylification und Assimilation. Die zu schwache oder aufgehobene Bewegung des Magens wirkt indess nachtheiliger. Veranlassung geben unter anderen dazu schwer verdauliche oder gar zu indifferente Nah­rungsmittel, und die Folgen davon sind: Belästigung und Ausdehnung des Magens, ferner: Eingehen der Futterstoffe in einen abnormen, mehr oder weniger rein chemischen Zersctzungs-Prozcss, wonach Auf­blähen und Rülpsen entsteht. Das Ursächlichere einer solchen abnormen Verdauung bezeichnet man als Cruditäten und den durch dieselben bewirkten Zu­stand als Apepsie oder Dyspepsie. Obgleich der Magen sich im. gesunden Zustande nach allen Rich­tungen zusammenzieht, so scheint doch die dadurch entstehende Bewegung von der Cardia zum Pylorus vorherrschend zu sein. Diess kann sich aber im krankhaften Zustande umgekehrt verhalten, und dann die Erscheinungen des Rülpsens und Erbrechens ver­mitteln. Dass ein solcher Zustand die Verdauungs-thätigkeit zunächst stören, und sodann gleichfalls Fehler der Chvlusbereitung und der Emährune zur
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Anomalien der Verdauune.
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Folge haben müsse, wenn er intensiv und andauernd ist, leuchtet zur Genüge ein. Die Beschaffenheit des Magensaftes ist nach Tiedemann's und Gmfelin's Untersuchungen sein' verschieden. Im nüchternen Zustande soll er ueutral oder nur schwach sauer, oiler auch wohl gar keiner vorhanden sein; wogegen er wahrend der Verdauung eine ausgezeichnete Aci-dilal besitzt, die vorzugsweise von Salzsaure, zum Theil aber von Essigsäure, oder, nach Anderen, von Milchsäure herrührt. Bei den Wiederkäuern soll der Magensaft im ersten und zweiten Magen alkalisch, im dritten und vierten aber sauer sein. Die Abwei-chungen in der Beschaffenheit des Magensaftes be­ziehen sich, in so weit sie bis jetzt bekannt sind, auf die gedachten chemischen Eigenschaften dessel­ben. Die übermässige Säure (acor ventriculi) wird bei den Thieren aus der Neigung zur Aufnahme sol­cher Stoffe erkannt, welche säuretilgende Eigenschaf­ten, mithin alkalische Natur besitzen. Die nothwen-dige Folge von einem solchen Zustande ist die Be­reitung eines fehlerhaften Chymus. Die übermässige Säurebildung im Magen mag wohl zum Theil durch beschränkten oder aufgehobenen Nervencinfluss her-voreerufen weiden; denn Blainville und MeVer fanden, dass nach Durchschneidung der Lungen-Magennerven saurer Magensaft secernirt wird. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass auch abnorme Al-kalescenz des Magensaftes bei den Hauslhieren vorkommen könne, aber es fehlt bisher an dem hin­reichenden Nachweise darüber. Eberle (Physiologie der Verdauung, Würzburg 1834 S. 115) will jedoch bemerkt haben, dass, wenn der Magen mit schwer-oder unverdaulichen Substanzen, z. B. mit Heu bei einem saugenden Kalbe angefüllt bleibe, dann der anfangs sehr saure Magensaft alkalisch werde. Das-
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Anomalien dor Vepdauuog.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 241
selbe soll der Fall sein, wenn Thiere durch Ein-sperrung oder Vivisection geängstigt werden. Von einer besonderen Schärfe des Magensaftes, so sie nicht in abnormer Alkalescenz oder Acidilät be­steht, hat man noch weniger Beweise. Die gedach­ten Abweichungen des Magensaftes sind wohl immer mit abnormem Schleim, und zuweilen auch mit der Anwesenheit von Galle im Magen verbunden, wel­chen Zustand man mit dem gemeinschaftlichen Na­men: Unreinigkeiten (sordes) bezeichnet. Wenn auch solche Unreinigkeiten — welche, ausser den bereits gedachten Erscheinungen, auch an einem sauern oder sonstigen übelen Geruch aus dem Maule der Thiere, so wie am Zungenbeleg erkannt werden — als eine Folge der gestörten Digestions-Thätigkeil betrachtet werden müssen, so wirken sie doch auch auf die Unterhaltung einer solchen zurück und be­einträchtigen endlich die Ernährung. In krankhaften Zuständen, so auch beim Zorn, tritt nicht selten die Galle in den Magen; sie stört alsdann die Ver­dauung. Nach Purkinje's Beobachtung stört auch Galle die künstliche Verdauung; nach Pappenheim hat Gallenharz allein dieselbe Wirkung. Die über-mässige Luftentwickelung im Magen ist für uns von besonderer Bedeutung; ich sage die übermässige Luftentwickelung, da sich auch im gesunden Zustande der Thiere in ihrem Magen Luft vorfindet, die theils mit den Nahrungsmitteln verschluckt wird, theils sich im Magen erzeugt. Nach Magendie's und Che-vreul's Untersuchung bestand dieses Gas aus dem Magen eines hingerichteten Menschen, der zwei Stun­den vor seinem Tode Brod und Käse gegessen und Wasser mit Wein getrunken hatte, aus 11,00 Sauer­stoff, 14,00 Kohlensäure, 3,35 Wasserstoff und 71,45 Stickstoff. Lauret und Lassaigne fanden aussei-
Fuchs, Mgem. Patbol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; j/gt;
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diesen Gasen, aueli 2.00 Schwefelwasserstoff und 20,00 Kohlenwasserstoff bei einem Hunde. In Alfori fand man das Gas im Magen aufgeblähter Rinder zusammengeselzl aus: 80 Theilen Schwefelwasserstoff, 15 Theilen Kohlenwasserstoff und 5 Theilen Kohlen­saure. Hiermit übereinstimmend ist die Angabe in Thenards Chemie. Rychncr nimmt nach Pflüger CVerh. ci. Schweiz, naturh. Gesellscb. IS 16 S. 54) die Gegenwart von sect; Kohlengas (?) und | Kohlenwas-serstöffgas bei der Blähsucht der Rinder an. Es wird einleuchtend sein, warum die Resultate von derartigen Analysen nicht übereinstimmend sein können, wenn man auch eine gleiche Genauigkeit von Seiten der Analytiker voraussetzt. Die Verschiedenheit der Fut­terstoffe und desZustandes der Thiere so wie die Dauer des Leidens müssen ohne Zweifel Abweichungen be­wirken. Die Luft im Magen koppender Pferde (Kreu­zer hat auch eine koppende Kuh beobachtet) bietet gewiss in so fern eine Verschiedenheit in ihrer Zu­sammensetzung, als das Koppen in Luftverschluckung oder in Luftenlwickelung im Magen begründet ist: indess sind Untersuchungen in dieser Beziehung nicht vorhanden. Veranlassung zur übermässigen Luflent-wickelung im Magen wird vorzugsweise durch solche Futterstoffe gegeben, welche als blähende bekannt sind, wie durch Hülsenfrüchte, Roggen, Klee und derel'; besonders dann, wenn die Verdauungsthätig-keit bereits geschwächt war. Die hierher gehörigen Erscheinungen sind: das Aufstossen (ruetus), das Knurren und Poltern im Leibe (borborygrai), der Abgang von Winden (flatus, crepilus ventris) und die Aufblähung (flatulontia, meleorismus, tym­panitis).
Zusatz. C.H.Schultz spricht in seiner Schrift (üeher die Verjüngung des menschlichen Lebens u. s. w., Berlin
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Anomalien der Verdauung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 043
1842) von den oben gegebenen abweichende Ansichten über die Verdauung im Magen aus, namentlich in Bezug der Mitwirkung hierher gehöriger Siifle. Wir dürfen jene An­sichten dieses geliehrten Forschers hier um so weniger igno-riren. als sie nicht unbegründet zu sein scheinen, und als Sie abweichende Erklärungen gewisser hierher gebörigen Anomalien nach sich ziehen. Die Verdauung besteht nach Schnitz überhaupt in einerIndifferenzirung der chemischen Qualitäten, der chemischen Verwandtschaft der aufgenom­menen Nahrungsmittel und sofort in einer üeberführung der­selben zu einem organischen Gestaltungs-Prozess. .Ein eigon-thümlicher Magensaft besteht nach ilim durchaus nicht, und ist das, was man so genannt hat, mit Ausnahme des Schlei­mes, ein Gemenge von Dingen, die von aussen in den Ma­gen gekommen sind. Die Säure, welche man im Magen wahrnimmt, stammt allein von den Veränderungen her, welche die Nahrungsmittel bei der Umwandlung in Speise­brei erleiden. Es giebt daher nur sauren Speisebrei und keinen sauren Magensaft. Der Speiche! ist also das Haii[)l-moment, wodurch die Nahrungsmittel zu den Veränderungen bei der Verdauung ..angesteckt-1 werden. Schultz war be müht zu zeigen, wie man wenigstens einigermaassen durch Speichel ähnliche Veränderungen. Mie die Nahrungsmittel bei der Verdauung erleiden, künstlich hervorbringen könne. Es ist ihm gelungen, vermittelst des unveränderten Spei chels, wie man ihn aus den Speichelgängen der Thiere er­hält, Milch, Käse und andere Speisen künstlich zu digeriren. Diess geschah indess nicht so rasch, wie im Magen.- Die Ursache hiervon setzt Schultz in die natürliche Concentra­tion, welche der Speichel im Magen durch theilweise Auf saugung seines wässrigen Bestandtbeiles erleidet. Daher hat er Pferdespeichel durch Verdunstung im Wasserbade concenlrirl, theils bis zur Syrupsdicke, theils bis zur Trockene abgedampft, und mit demselben künstliche Verdauungsver­suche angestellt, woraus sich ergeben, dass der so beschaf­fene Speichel wirklich die verdauenden Eigenschaften in hohem Grade besitzt. Es würde zu weitläufig sein, hier auf diese Versuche näher einzugeben; doch wollen wir auf ein
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Anomalion der Verdauung.
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Ergebniss derselben aufmerksam machen, welches geeig­net ist, zu zeigen, in welcher Ueberstimmung die Be-scbaQenheit des Speichels bei Pflanzen- und Fleisch-fressen­den Thieren mit der diesen Thieren von der Natur ange­wiesenen Bestimmung ist. Concentrirter Pferdespeichel, der sehr alkalisch ist, digorirt Fleisch und Käse leichter, wenn das Alkali zuvor ganz oder zum Theil gesättigt wird. Dage­gen geschieht die Umwandlung vegetabilischer Stoffe, na­mentlich die Umbildung von Stärke in Zucker, leichter durch stark alkalischen Speichel. Der wenig alkalische Hundespei-chel verhält sich in seiner Wirkung auf Fleisch wie der sa-luriite Pferdespeichel. Die Digestion des Fleisches mit Pfer-despeichel geschieht leichter, wenn man Yegetabilien, z. B. gekochtes Stärkemehl mit dem Fleisch in Verbindung einlegt.
sect;• 4. Die Verdauung im Darmkanal ist noch we-niger aufgeklärt. Man weiss weder genau, welchen Autlieil der Darmsaft, noch welchen der Bauchspei­chel und die Galle an derselben hat. Wahrscheinlich aber ist es, dass die ersteren Flüssigkeiten zu meh-rer Verdünnung und Auflösung des Chymus, und die lelzlere zur Abstumpfung der Säure desselben dient, da der Chymus am Anfange des Dünndarms ge­wöhnlich sauer reagirt, die Säure aber im Verlaufe desselben allmählig abnimmt, bis endlich an seinem Ende Alkaleszcnz eintritt. Bei der Einwirkung der Galle auf den Speisebrei werden Bestandtheile der­selben in der Form des sogenannten Gallenharzes ausgeschieden und diese den Excrementen beige­mengt. Im Blinddarm wiederholt sich die Verdauung; sein Inhalt zeigt wieder saure Reaction, welche in-dess auch bis zum Mastdarm allmählig abnimmt. Nach Vogel (R. Wagners Physiol.) enthält der Blind­darm des Pferdes keine freie Säure. Auch ich linde diess in der Regel so, und zwar nicht allein im
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Anomalien der Verdauims.
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Blinddarm dieses Thieres, sondern auch im Grimm-darm und namentlich in der magenähnliclien Erwei­terung desselben. Der Zweck der Kachverdauung im Darmkanal ist die weitere Ausbildung des Chy-mus zu Chylus, worauf dieser aufgesogen und die unbrauchbaren Stoffe endlich als Koth (faeces) aus­geschieden werden. Der Koth ist nicht bloss als das ausgeschiedene, bei der Digestion Unbrauchbare der Nahrungsmittel anzusehen; er ist vielmehr als das Residuum des ganzen Verdauungs-Prozesses zu betrachten. Er enthält aussei- Gallenharz und Schleim, auch verschiedene Salze, welche durch die Einwir­kung des Speichels auf den Chymus gebildet wor­den sind, oder zum Theil schon in jener Flüssigkeit vorhanden waren. Fehlerhaft kann die Verdauune; im Darmkanal dadurch werden, dass die perlstalti-sche Bewegung dieselben Anomalien zeigt, wie im Magen. 1st diese Bewegung zu rasch, so wird der Inhalt des Darmes entfernt, bevor er sehöris; ver-daut und der Chvlus vollständig aofcesosen ist; es tritt sonach Durchfall (diarrhoea) oder Milchruhr (lluxus coeliacus) ein; den letzteren Zustand nennt man auch Licnterie, wenn damit ein ähnlicher des Magens verbunden ist, wie er bei saugenden Thie-ren beobachtet wird. Eine zu trage Bewegung des Darmkanals veranlasst iAbermassige Anhäufung der Contenta in demselben, welche man als Anschop­pungen oder Cruditäten des Darmkanals be­zeichnet. Die verkehrte Bewegung des Dannkanals, in der Richtung vom After zum Magen, erfolgt rück­sichtlich des vorderen Endes des Duodenums wohl in der Regel beim Erbrechen, zuweilen aber bat sie, namentlich bei Fleischfressern, eine grössere Ausdeh­nung und dann Rücktritt des kothahnlichen Darm-Inhaltes in den Magen zur Folge, wonach Koth-
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o^onbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Verdauung.
brechen (ileus, miserere) entsteht. Als Ursache für die Anomalien in der Bewegung des Darmkanals wird meistens eine fehlerhafte Galle angegeben, ohne aber genau zu wissen, worin diese Fehlerhaftigkeit besteht. Soviel steht indessen fest, dass zu sehr er­regende oder zu fade Nahrungsmittel, so wie viele Arzneien den einen oder den anderen jener Zustande bewirken können. Häufiger aber sind sie Begleiter von Krankheiten und beruhen dann meist ursprüng­lich auf einer abnormen Erregung des Darmkanals. Wie im Magen, so werden auch im Darmkanal, so­wohl im gesunden als im krankhaften Zustande Luft­arten gebildet, deren nähere Bestandlheiie rücksicht­lich der Thiere, so viel ich weiss, noch nicht er­forscht sind. Nur wissen wir nach Chevreul's und Magen die's Untersuchungen, dass sie sich beim Menschen in verschiedenen Abtlieilungen des Darm­kanals verschieden verhalten, und ausser den, bei der Magenverdauung genannten Luflarten, namentlich im Dickdarm, zum grossen Theil aus Schwefelwas­serstoff bestellen. Die Gase entstehen übrigens im Darmkanal am häufigsten durch Zcrsclzungsprozcsse der Conlenta, wenn dieselben zu lange in ihm bei ge­schwächter Vordauungslhätigkcit verweilen. In Krank­heiten erzeugen sich die Luftarten im Darmkanal zu­weilen so rasch, dass man auch eine andere EnU stehungsart anzunehmen genölhigt sein dürfte, be­sonders, da man weiss, dass sie beim Menschen zu­weilen den Geruch von cingeathmelen Stoffen, z. B. von Gasen faulender Leichen annehmen. Auch hat Magendie gezeigt, dass sich Luftarten in einem unterbundenen leeren Darmslück entwickeln können; und will Autenrieth gesehen haben, dass sich bei kaltblütigen Thieren eine llcihe Luftbläschen in den Blutgefässen der Därme erzeugte und mit dem Blute
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Anomalien der Chylus-Bereitung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 047
fortschwammen, wenn er den Dannkanal mit einer Nadel reizte; welche Erscheinung dann verschwand, wenn der Reiz aufhörte. Die Zufälle, welche bei übennassiger Anhäufung von Luftarten im Dannkanal entstehen, sind aussei- den, oben bei der Magenver-dauung in dieser Beziehung gedachten: Dislocationcn des Darmkanals, Zeireissungen u. dcrgl.
Zweites Capifel.
Anomalien der Chylus-Bereltung. sect;• 5. Der Hauptzweck der ganzen Verdauung besteht in der Bereitung des Milchsaftes (Chylus). Sie be­ginnt im Darmkanal, wird in den Lymph- (Milch-) Gelassen und Lymphdrüsen fortgesetzt, und erreicht ihr Ende bei der Einmündung des Milchbrustganges in das Blulgefasssysteni. Der Chylus • stellt das llaupl-material für die Bildung des Blutes dar, und daher ist die Beschaffenheit und Menge dieses von glei­chen Vcrhältuissen jenes mit abhängig. Der Chylus bietet nach Verschiedenheit der Thiore, der Beschaf­fenheit und Menge der Nahrungsmittel, in den ver­schiedenen Abtheilungen des Chylilications-Apparates in seinen physikalischen und chemischen Eigenschaf­ten grosse Verschiedenheiten dar. Während er im Anfange der Sauggefässe der Milch am ähnlichsten, ist er im Milclihrustgange dem Blute schon ver­wandt, und unterscheidet sich hier von diesem bloss durch die überwiegende Menge der fettigen Lymph-kügelchen, durch die Form und Grosse seiner Blut­körperchen, durch eine geringere Menge fester Theilc und eine hei weitem geringere Quantität eines we­niger ausgebildeten Faserstoffs; ferner durch viel
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Anomalien der Cliylus-Bereitung.
freies Fett, was im Blute gebunden ist, durch das lockere Gebundensein seines Eisengehaltes, so Wie endlich durch seine geringere Alkalescenz. (Müller, Physiol. II. 549). Indess behauptet Vogel (in R. Wagner's Physiol.), dass die chemische Zusammen­setzung des Chylus, trotz der vielen vorhandenen Untersuchungen, so gut wie völlig unbekannt sei; der Chylus sei alkalisch, wahrend der Chymus freie Säure enthalte, aber man wisse nicht, wodurch diese Verschiedenheit der Reaction bewirkt werde. Wenn nun auch zugestanden werden muss, dass das Chy-liQcations-Geschaft viele dunkele Selten hat; so scheint doch klar zu sein, dass die Verschiedenheil der Re­action zwischen Chylus und Chymus von der Ein­wirkung der Galle auf letzteren herröhrt.
Aus dem Vorstehenden ist zu entnehmen, dass die Bereituna; des Chvlus im Ganzen noch sehr dun-kel ist; man weiss daher auch von den Anomalien derselben nicht viel Gewisses. Aber in allen Fallen muss uns daran gelegen sein, gerade das Gewisse in einer Sache zu wissen. Soviel können wir als ausgemacht in der obschwebenden annehmen, dass die Qualität und Quantität der Nahrungsmittel, der, Grad der Verdauungsthätigkeit und die Beschalfen-heit und Menge der, bei der Verdauung mitwirken­den Säfte auch einen grossen Einfluss auf die Be­schaffenheit und Menge des Chylus haben müssen, und demnach wohl ein Uebermtass an Chylus (plethora chylosa) oder Armuth und übele Be­schaffenheit desselben (defectus et dyscrasia chyli) vorhanden sein könne. Die letztere kann durch den Uebergang allerlei fremder Stoffe in den Chylus be­fördert werden. Zu starke oder mangelhafte oder
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Anomalien der Chylus-Bereitung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;049
alienirte Ernährung sind davon die bezüglichen, end­lichen und nothwendigen Folgen. Mit dem Ausdrucke Dyscrasie in Bezug auf die Lymphe oder die Säfte­masse überhaupt, wird inzwischen in der Regel ein sehr vager und undeutlicher Begriff verknüpft. Unter Dyscrasie hat man überhaupt eine fehlerhafte Mi­schung zu verstehen, und ist eine solche da anzu­nehmen, wo sich ein amorphischer, keine bestimmte Organisation zeigender Stoff (z. B. ein tuberculöser) ablagert, oder wo sich an krankhaften Steilen eine so dauernde und übelbeschaffene Absonderung zeigt, dass sie nicht mit dem topischen Leiden in Einklang gebracht werden kann. Häufig bemerkt man auch Stockungen in den Lymphgefässen imd in den Gekrösdrüsen, namentlich bei jungen Thieren, die wahrscheinlich von einem Uebermaass, von einer Rohheit oder von einem Säuregehalte des Chylus herrühren; jedoch lässt sich hierüber nichts Bestimm­tes ausmachen.
Zusatz. Gerber sagt (alig. Anat. S. 173): „Unstreitig finden auch Stockungen der Lymphe und des Chylus in den Drüsen Statt, z. B. in Folge der Gerinnung in den einfuh­renden Gefässen oder bei Lymphgeföss-Entzündung u. s. w., so dass das Gerinnsel die Uebergangsnetze nicht durchlau­fen kann. Die Folgen dieser Verstopfung zeigen sich nicht nur hiiufig in den grösseren Drüsen durch Ablagerung des gerinnenden Eiwcissstofies, dessen Lösungsmittel, das Se­rum, in der Umgebung aufgesogen wird, sondern auch in den unzählbaren peripherischen Halbdrüsen. z. B. unter an­deren sogleich unter dem Fell beim Hautwurm der Pferde. Die centralen Lymph- und Chylus-Drüsen schwellen, so z. B. bei Scropheln (Füllensucht, Lymphtuberkoln des Bin-des u. s. w.) ungeheuer an, und ihr pathologischer Inhalt zeigt neben unvollständigen Exsudatkörperchen um so mehr Eiweisskörner und gleichsam förmliches Gerinnsel, wie mehr die untersuchten Drüsen der Peripherie angehören und wie
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Anomalien des Athinens.
#9632;weniger in Folge der Anämie und Verderbniss der Säfte die Faserstoffbildung möglich war.quot; — Hier dürfte noch am Platze sein, zu bemerken, dass Gerber Lei Pferden, aussei-den ccntralen Lymphgefässen (den eigentlich ausführenden), auch solche gesehen hat, welche unmittelbar in Venen mün­den und von ihm Lymphgänge genannt werden. Er bemerkt hierbei, dass ihm bei anderen Hauslhieren und beim Men­schen nur zweifelhafte Uebergänge der Art vorgekommen seien; vermuthlich wurden sie aber sowobl bei diesem, als auch bei jenen zu finden sein. Rychner glaubt in dieser Entdeckung den Schlüssel für das Vorkommen der so häu­tigen und eigenthümlichen lymphatischen Krankheiten beim Pferde gefunden zu haben; er behält sich inzwischen seine weiteren Gedanken hierüber vor. Schon früher sind von An­deren solche Verbindungen der Lymphgefässe und Venen im Gekröse von Vögeln, Fischen und Amphibien gesehen worden; dass sie unter denSäugethierenvorzugsweise beim Pferde vorkommen, dürfte die Thatsache erklären, dass bei diesem Thiere der Milchsaft am häufigsten geröthet erscheint.
Drittes Capitel.
Anomalien des Alhmcns.
Bereits in den Milchsaftgefassen und in den Ge-krösdriisen beginnt die Bildung des Blutes aus dem Chylus; vollkommen wird dieselbe aber erst durch die Wechselwirkung des Chylus nüt der atmosphä­rischen Luft in den Lungen. Hier wird auch das venöse Blut wieder in arterielles umgewandelt, und die, aus allen Theileu des Körpers in Folge der Reassimilation kommende Lymphe demselben veralm-licht. Die Lungen sind, obgleich die hauptsächlich­sten, jedoch nicht die einzigen Organe, welche der Bildung und Umwandlung des Blutes dienen, viel­mehr nehmen die Leber und die Haut ebenfalls un-
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Anomalien ties Athnieus.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 251
bezweifelt Anlheil daran, vielleicht auch die Milz, Nehenuieren, Brustdrüse und die Schildrüsen. Soviel ist ausgemacht, class hei einer grossen Störung der Hautfunction, z. B. bei ausgehreiteteL Exanthemen und Verbrennungen, selbst bei grossem Haulschmutz, die Blutbildung und Ernährung sehr leidei. Aber wir können den Antheil, welchen so zu sager: das Haut-alhmen an der Bildung des Blutes und dessen Um­wandlung hat, nicht naher angeben. Der Antheil der Leber an der Bluthildung ist schon klarer, nament­lich ist er ausgezeichnet im Fötalzustande; aber auch im späteren Leben übernimmt sie, wie man sagt, die Entfernung von Kohlen- und Wasserstoff aus dem Blut mit; eigentlicher aber befreit sie das Blut von den Besiduen der Blutmetamorphose, von den zerfallenen, abgestorbenen Blutbläscljen, und ist so­nach die Leber ausserdem, dass sie ein Galle be­reitendes Organ ist, auch ein reinigendes für das Blut. Wir sehen daher in Krankheiten der Leber be­deutende Störungen im Blutleben. In Bezug auf die übrigen, oben genannten Organe müssen wir es bei der ausgesprochenen Vcrmuthung bewenden lassen; da uns die Physiologie über ihre Verrichtungen fast ganz im Stiche lässt. Wir beschränken uns hier auf die Betrachtung der Hauptfunction für die Biulbil-dung, nämlich auf das Lungenathmen, und lassen dann im folgenden Kapitel die Lehre vom Blute selbst folgen. Bei dem Allunen sind zwei Momente zu be­rücksichtigen: 1) die Aufnahme von Sauerstoll durch die Bilclungsllüssigkeit aus der atmosphärischen Luft, und 2) die Abgabe von Kohlen- und Wasserstoff von jener an diese. Die Bechtfcrtigung für die Iler-ausslellung dieser Momente liegt in Folgendem: Die ansgeathmete Luft enthält nach den anerkannt giiind-licbsten Untersuchungen ungefähr dieselbe Menge
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Anomalien des Alhmens.
Stickstoffgas, wie die eingeathmete, dagegen weniger Sauerstoffgas und mehr Kohlensäure, so wie auch mehr Wassergas als diese, auch enthalt sie flüchtige organische Stoffe und ist wärmer ge^Yorden, wenn die eingeathmete Luft eine niedrigere Temperatur hatte, als der thierische Körper. Die Menge von Sauerstoff und Kohlensäure in der Luft verändert sich durch das Athmen in dem Maasse, dass das Volumen des verschwundenen Sauerstoffgases etwas mehr beträgt, 'als die hinzugekommene Kohlensäure. Dulong und Desprez wollen gefunden haben, dass bei allen Thieren, mit denen sie Versuche anstellten, etwas mehr Sauerstoff absorbirt als Kohlensäure ab­geschieden wurde. Dieser Mehrbetrag des verschwun­denen Sauerstoffs belief sich bei pflanzenfressenden Thieren auf T's, bei fleischfressenden auf i—j der gebildeten Kohlensäure. Andere haben abweichende Resultate erhalten; indess können sie nicht wohl übereinstimmend sein; da selbst bei einem und dem­selben Thiere das Athembedürfniss zu Zeiten ver­schieden ist. Inzwischen halten selbst ausgezeichnete Physiologen dafür, dass der Athmungsprozess noch nicht hinreichend aufgeklärt sei; wir müssen daher eine mehrere Aufhellung dieses Vorganges der phy­siologischen Chemie anheimgeben. Soll das Athmen seinen Zweck erfüllen; so ist es nothwendig, dass eine angemessene Menge einer gehörig beschaffenen Luft in die Lungen aufgenommen werde, mit dem Blute hinlänglich lange in Wechselwirkung bleibe, und sodann wieder in angemessenen Zeiträumen mit frischer Luft vertauscht werde. Diesen Zweck erfül­len zum grössten Theüe die respiratorischen Muskeln, wahrscheinlich aber auch zum Theil die Lungen selbst durch ihre eigenthümliche Contiactilität und Expansibilitäl. Jede andere Luft als die almosphäri-
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Anomalien des Allimens.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 253
sehe ist zum Alhmen untauglich, auch die letztere, wenn sie über 8 Procent Kohlensaure enthält. Die Capacitäten der Lungen unserer Haussangethiere für die Luft sind nicht bekannt, auch weiss man nicht, wie viel Luft in einer gewissen Zeit zum Athmen erforderlich ist.
Zusatz. Dr. Reich leugnet in seiner Schrift (das Le­ben und Alhmen des Menschen u. s. w., Berlin) die Auf­nahme des Sauerstoffgases aus der atmosphärischen Luft von dem Blute in den Lungen. Das Athmen hat nach ihm bloss den Zweck, das Blut abzukühlen und aus dem­selben gewisse Sloffe zu entfernen, und soll die wahre Be­deutung desselben, nach seinen eigenen Worten, eine Aus­gabe und nicht eine Einnahme sein. Die Gründe, weiche dieser Gelehrte inzwischen für seine Ansicht, die, wie er sagt, bei ihm schon im vorigen Jahrhundert auf­tauchte, giebt, scheinen mir nun nahe in der Mitte des jetzi­gen Jahrhunderts nicht genügend zu sein. Der gedachte Professor hält den lebenden Organismus für eine Art Feuerungs-Vorrichlung, und hat Diess besonders in einer Sitzung der naturforschenden Freunde in Berlin ausgespro­chen, indem er den Magen als den Feuerheerd, die Lungen als den Schornstein und eine Oeffnung, welche sich bei Menschen und Thieren am llintertbeile des Körpers befindet (deren nähere Bezeichnung unterlassen werden kann) als das Aschenloch erkannte. — Eine viel bedeutendere, uns wenigstens mehr zusagende Ansicht über das Wesen des Athmungsprozesses spricht C. II. Scbultz in seinen Schrif­ten, gestützt auf langjährige Beobachtungen und Versuche, und geleitet von einer wahren wissenschaftlichen Critik aus. Wir dürfen im Voraus die Ansicht Schultz's — auf die wir hier etwas näher eingehen müssen, da sie für die physiolo­gische Pathologie von Wichtigkeit ist — im Gegensatz jener pyrotechnischen Reich's, als eine, dem organischen Leben würdigere, als eine lebendige bezeichnen. Die Re­spiration ist nach Schultz überhaupt eine Wiederbelebung des Blutes in sich selbst, eine Wiederholung des Assimila-
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Anomalien des Alliraons.
üons-Prozcssos auf höherer Stufe, oino Steigerung dos Or-gnnisalionsprozesses im Blut, wobei eben die Luft als das wahre Lebensfutter betrachtet wird. Es ist nicht die Lunge, sondern das Blut, welches vermittelst der Lunge athmet, und im Blut sind es die Blutblasen, welche ein- und aus-athmen; als eigentliche Blutlungen. Die von den Blutblasen eingesaugte Luft lässl sich sogar ihnen wieder entziehen. In den Blutblasen werden durch die Luft die fetthaltigen Kerne verarbeitet und in Plasma umgebildet, dem eigentlich bildenden und lebenerregenden Blutbestandtheil. Um Dieses gehörig verstehen zu können, muss man wissen, dass nach Schultz die Blutbläschen aus den Lymphkügelchen in der Art herangebildet werden, dass die derartigen glatten sich zuerst in körnige umwandten, und sofort sich um diese eine Blase bildet und somit die Blutbläschen auf der ersten Stufe ihrer Entwickelung darstellen. Der Farbstoff in den Blut­bläschen wird durch Verarbeitung des fettigen Blutkerns erzeugt und hängt sich als Residuum dieses Prozesses an, die Hülle der Bläschen, während sich zwischen diesen und dem Kern das Plasma als der eigentlichste Zweck jenes Prozesses, der erst durch die Berührung mit der Luft in den Lungen vervollständigt wird, befindet. Sonach liefert die Darmverdauung vermittelst der Lymphgefässe zuerst das organisirte Material, die Lungendigestion erhebt dieses Ma­terial zu höherer Lebenserregung. Die Blutblasen haben eine lebendig-tonische Kraft die Luft anzuziehen, und wenn sie abgestorben sind, wie im todten Blute, so haben sie diese Eigenschaft verloren. Schultz sagt in dieser Beziehung, man müsse erstaunen, wie man immer noch die hierher ge­hörigen Beobachtungen in Verblendung gegen die unbestreit­barsten Thatsachen wegleugnen will, um so mehr, als ge­rade hieraus der practischen Medizin so grosser Gewinn erwachse. Wie gin^e es zu, fraquot;t Schultz, dass das schwarze abgelebte Blut der Unlerleibskrankheiten durch die Luft nicht eben so gut roth und wieder belebt wird, als das Blut mit gesunden Blasen, wenn keine Lebenserre­gung in den Blasen wäre, welche die lebendigen von den todten Blasen unterscheidet. Gerade dieser Erregungs-Prozess
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Anomalien dos Athmens.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2'm
in denfilalblasen ist es, behauptet Schultz, der durch den Sauerstoff der Luft immer noch höber gesieigerl wird, und von welchem alle Lebenskraft um Blute ausgehe. Dass man im Allgemeinen ein Blutleben annimmt, rügt Schultz, im Besonderen aber nur seine lodten chemischen Bestandtheile gelten lassen will, fördert unser Wissen gar nicht, sondern verwickelt uns in Widersprüche, die nur Verwirrung zur Folge haben. Das Leben kann nicht im Ganzen lebendig, im Einzelnen aber aus chemischen Elementen und Prozessen zusammeneesetzt sein. Wie die c;anze Physiolosie eine Ana-lyse der Lebensactionen, so muss auch die Physiologie des Blutes eine Analyse des Lebensprozesses des Blutes werden, und nicht bei anatomischen Formbeschreibungen und che­mischen Analysen stehen bleiben.
sect;. 8.
Dem Vorhergehenden zufolge haben wir also beim Alhmen z-wei Momente, das Ein- und Aus-allnnen, die In- und Exspiralion zu betrachten. Es kann beim Athmen entweder zu viel oder zu wenig Luft in die Lungen aufgenommen weiden, oder sie wird zu schnell oder zu langsam eewech-seit, oder es findet eine Unregclmässigkeit in der Aufeinanderfolge der beiden gedachten Momenle Statt, oder wir sehen endlich nur die eine oder die andere Abtheilung der, beim Alhmen wirkenden Be­wegungsorgane abweichend Üiätig Bei den nach­stehenden Angaben wird die Bekanntschaff mit der Zahl und der Beschaffenheit der Albemzüge im nor­malen Zustande der verschiedenen Haussaugethicre vorausgesetzt, eben so die Bekanntschaft mit dem Einflüsse, welchen die Blutbewegung auf das Alh­men und dieses auf jene hat. Folgende Abweichun­gen im Alhmen sind zu bemerken:
1) Das liefe und grosse Alhmen (respiralio magna et profunda). Es wird mit beträchtlicher Er-
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Anomalien des Alhmons.
Jt
Weiterung der Brusthöhle ausgeführt, und hat eine zu reichliche Aufnahme von Luft in die Lungen zur Folge. Ein solches Athmen kann im normalen Zu­stande stattfinden, wenn die Thiere sich gegen einen heftigen Wind bewegen, oder wenn sie irgend einer anderen Muskelanstrengung oder einer aufregenden Leidenschaft unterworfen sind, und kann dann zu grosse Arleriellität des Blutes, Congestion und Ent­zündung in den Lungen bewirken. In Krankheiten wird das tiefe Athmen häufig für ein günstiges Zei­chen gehalten, da es Freiheit in den Lungen vor­aussetzt; wenn aber die Respiration tief und dabei langsam erfolgt, so ist sie gewöhnlich ein Zeichen von behinderter Circulation im kleinen Kreislaufe oder von Leiden des Nervensystems, namentlich des Ge­hirns, z. B. im Koller.
2) Das kleine, kurze, zu geringe oder ober­flächliche Athmen (resp. parva, brevis, v. super-ficialis). Hierunter wird ein solches Athmen verslan­den, bei dem nicht hinreichend Luft in die Lungen aufgenommen wird. Ein solches Athmen muss noth-wendig eine mangelhafte Bildung des Blutes, eine hervorstechende cbylöse und venöse Beschaöenhcit desselben, Stockungen und Entzündungen passiver Art in den Lungen, und ausserdem auch Mangel an Ernährung und mancherlei Saftefehler zur Folge haben. Das zu geringe Athmen kann durch verschie­dene Ursachen bedingt werden, wonach sich dann einige Unterscheidungen ergeben. Was die Aussen-verhältnisse anbetrifft, so kann eine grosse Verdün­nung der Luft durch Wärme zu jenem Athmen Ver­anlassung geben; häufiger aber liegen die Ursachen in den Thieren selbst, und bestehen dann in Ver­engerung der Luftwege oder der Brusthöhle, oder auch in normwidriger Beschaffenheit der Lungen
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Ahomäjten dos Atbmens.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; •257
selbst, ferner endlich in krankliaften Afleclionen der bei der Respiration mitwirkenden Nerven und .Mus­keln. Besondere Arten des kleinen Allimens sind: die Ortliopnoe and Dyspnoc (orthopnoea et clys-jmoea). Jenes findet Statt, wenn Tliiere nur stellend alhmen können und beim Niederlegen zu ersticken drohen; weshalb man es auch Erstickungs-Ath-men nennt. Die Gegenwart von Luft oder irgend einer pathologischen Flüssigkeit in der Brusthöhle giebt meist Veranlassimg zu demselhen. Als Dyspnoe hingegen bezeichnet man das zu geringe Athmen, wenn es in einem anomalen Zustande der Respira-lions-Muskeln begründet ist, z. B. in Krampf, Läh­mung, Entzündung, Rheumatismus Verwundung und dergl.; auch bezeichnet mau wohl die Uartschnaufig-keit der Pferde mit diesem Namen. Die Ausdrücke: starkes und schwaches, schweres und leich­tes Athmen (resp. fortis et debilis; laboriosa et levis) finden darin eine Erklärung, dass das Athmen entweder mit starker oder schwacher Bewegung der Brust- und Bauchwände, ausgeführt wird; dass bei dem Alhmen eine ungewöhnliche Mitwirkung erfor­derlich, z B. die Auselnanderslellung der Vorder-füssc, oder auch andererseits die Respirations-Organe allein zur Ausführung des Atbmens hinreichen.
3) Das schnelle, beschleunigte oder ge­schwinde Athmen (resp. celer, freqaens). Dieses wird durch eine Verkürzung des Zeitraumes hervor­gebracht, in welcher die In- und Exspiration nor-malmässig aufeinander folgen müsstcn. Es kommt durch Beschleunigung des Kreislaufs oder durch Rei­zung der zum Athmen dienenden Nerven und Mus­keln zu Stande, und hat hinwiederum Beschleonigang des Kreislaufs, bald eine vollkommene, bald quot;eine unvollkommene Blutbildung, je nach dem Grade des
l'ocbs, aUgem, Paihol,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; aj
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oranbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomal ion dos Allimons.
beschleunigten Allimons, und endlich Congestion und Entzündung in den Lungen zur l-olge; oder solche Zustände geben auch die Ursache jener Erschei­nung ab.
4) Das langsame, seltene und aussetzende Athmen (resp. tarda, rara et inlermillens). Dieses besteht in einer Verlängerung der Zeitdauer, welche sonst der In- und Exspiration zukommt, und tritt insgemein bei Lebensschwäche, Nervenlähmung, Ohn­macht und Scheintod ein. Die Ursachen dieses ab­normen Alhmens sind begreiflicher Weise immer be­deutender, als seine Folgen.
5) Das ungleiche Athmen (resp. inaequalisj. Als ein solches haben wir das Athmen zu bezeich­nen, wenn zwischen den zwei Momenten der In-und Esspiration eine Unregelmässigkeit stattfindet, so dass entweder das eine oder das andere hervor­stechend überwiegt: ich sage hervorstechend, weil selbst beim gesunden Athmen die Inspiration ge-wölmlich etwas länger dauert, als die Exspiration. Das sogenannte Dampf athmen (resp. asthmatica) ist als eine besondere Art des ungleichen Athmens zu betrachten. Hierbei ist die Inspiration kürzer als die Exspiration. Die letzlere erfolgt in zwei Zeit­räumen, von denen der erslere der kürzere ist und die Senkung der Elanken betrifft, der letztere aber ist betrachllich langer und in ilim erfolgt die Zu-sammeuziehimg .der Bauchmuskeln. Hierdurch wird die Bewegungquot;doppelschlägig und Kart etwas Convul-sivisclios, besonders dann, wenn sich eine Rinne im Verlaufe der falschen Rippen bildet, das bekannte Spiel des Afters stattfindet, und der ganze Körper in eine leise Erschüttening geräth. Andere Arten des ungleichen Athmens sind, in so fern ein Geräusch mit demselben verbunden ist: das keuchende,
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Anomalien dos Alhmons.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; oro
pfeifende, röchelnde, schna.ubende und schnar­rende Alhmen. Hindernisse versbhiedeiier Art in den Luftwegen können dazu Veranlassung gehen. Weiter gieht es noch einige Arien des ungleichen Athmens, welche ebenfalls mit einem mehr oder we­niger hervorstechenden und eigenthümUchen Tone begleitet sind, zum Theil willkürlich hervorgebracht werden können, immer aber nur als zeitliche Er­scheinungen auftreten. Man kann sie in zwei Reihen bringen, je nachdem dabei die In- oder die Exspi-ration überwiegt. Auf der überwiegenden Inspiration beruhen das Seufzen, Schluchzen und Gähnen: auf der vorherrschenden Exsplralion aber das Nie­sen, Schnauben, Räuspern, Wittern, Drängen und Husten. Von diesen Erscheinungen betrachten wir hier nur diejenigen näher, welche in den Krank-heilen der Thiere von einiger Bedeutung sind.
a)nbsp; nbsp; Das Seufzen (suspirium) beruht auf einein lan­gen und liefen Einathinen mit nachfolgendem zögernden, verhaltenen und mit einem eigen-Ihiimlichen zitternden (.melancholischen) Tone be-gleilenden Ausathmcn. Es deutet auf eine ce-wisse Unfreiheit oder gar auf organische Feh­ler im kleinen Kreisläufe hin; auch wird es in Leiden der Bauchcingcweide bemerkt. #9632; üebele Folgen des Seufzens an und für sich sind bei
. Thieien nicht bekannt.
b)nbsp; nbsp; Das Schluchzen (singultus) besteht in einem schnellen, abgebrochenen und krampfhaften, mit einem schallenden Tone verknüpften, die Ex-spiration unierbrechenden und sich wiederho­lenden Einathinen. Seine Ursachen und Wirkun­gen sind nicht genau bekannt.
Anmerkung. Man nimmt an. dass das Scliluchzen beim Menschen auf einem krampfhaften Zustande des Zwerch-
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,,,.,,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien des Äthm'cns.
feiles beruht; und nach Krimer soll man er, hei den Thie-ren durch Druck und Reizung des linken Magenmundes her­vorbringen können. Hering bezweifelt, ob das Schluch­zen bei den thieren vorkommt, auch ich habe es noch nicht bemerkt. Schwab sagt indess: „Das Schluchzen galt bis­her für einen an Thieren, den Hund etwa ausgenommen, nicht vorkommenden Zufall. Das Journal de medecine veter. et comp. liefert aber (im September-Heft 1826) eine Beob­achtung, der zufolge das Schluchzen auch Pferde, wenn gleich selten befällt. Die mit dem beobachteten Falle ver­bundenen Erscheinungen waren denen beim Menschen voll-inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;kommen gleich; auch entstand dasselbe fast augenblicklich
auf den Genuss sehr kalten Wassers. Besondere Folgen halte dieser Zufall nicht. Bychner sagt über das Schluch­zen: ,.ich bemerkte dasselbe bei allen unseren Haus thieren mit einfachem Magen als eine, an und für sich wenig bedeutende Erscheinung. Bei Wiederkäuern hörte ich es noch nie. Beim Pferde'ist der Laut, im Ganzen genommen, weniger ein Kopflaut, als vielmehr ein Brusllaul; denn dem hinleren Ende der Brusthöhle zu, im Verlaufe der Rippen­knorpel, ist er als ein rhythmischer, wiederkehrender, stum­pfer oder ahgestossener, polternder Laut kennllich. Bei Schweinen und Hunden bedeutet es einen gereizten, selbst krampfhaften, vorübergehenden Zustand des Zwerchfells, der zuweilen durch einen Trunk frischen Wassers entsteht. Beim Pferde stellt sich aber sehr bald Fieber ein, und ist das Schluchzen alsdann in Begleitung mit Fieber ein zuverlässi-aes Zeichen der Zwerchfellentzündung.quot; — Rychner fuhrt noch einen, dem Schluchzen etwas ähnlichen, sehr kurzen „fast jauchzenden Kopfionquot; an, den er bei 6, mit höchst acuter Halsentzündung behafteten Pferden wahrgenommen hat. Er rührt nach ihm vom Schmerz des Schluckens her, und bezieht sich somit auf die Anomalie dieser Verrichtuug. Es soll jedesmal beim leeren Schlucken, so wie es bei Hals­entzündungen gewöhnlich ist, entstehen; auch sei das Spiel der Schulter-Zungenbeine und Brust-Zungenbein-Muskeln dabei deutlich, und halte jenes Jauchzen so lange an, bis dass die
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Anomalien des Atbmens.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2Cyi
auf die Luftröhren- und Schlundkopfgegend gesetzten Vesi-catorien zu wirken beginnen.
c)nbsp; nbsp; Das Gähnen (oscita(io) iicsfcht in einem tiefen und lang dauernden Einadimen mil krampfhaft geöffnetem Maule, und darauf folgenden etwas weniger langen Ausallimen. Es ist ein Zeichen von erschwerter Circulation in den Lungen, und wird diese dadurch erleichtert; auch wird es bei gesunkener Hirnthätigkeit, bei Ermüdung und Schlafbedürfhiss bemerkt,
d)nbsp; nbsp; Das Räuspern oder Brausen (screalus) be­steht in einem, nach einer kurzen Inspiration, stossweise erfolgenden, mehr oder weniger kräftigen, mit einem eigenthümlichen Geräusche verhundenen Ausatbmen. Vorzugsweise wird es bei Pferden beobachtet. Es zeigt zwar einen Reizungszustand in den Luftwegen in Folge Schleimansammlung u. dergl. an; ist aber ia den Krankheiten in so fern ein günstiges Zeichen, als es eine gewisse Kraft und Freiheit in den Respiralions-Werkzeugen voraussetzt.
o) Das Drängen (nisus) wird dadurch hervorge­bracht, däss nach einer tiefen Inspiration der Atheiaraquo;aufgehalten wird, und hierauf eine etwas andauernde Zusammenziehung der Bauchmuskeln mit sichtbarer Anstrengung zur Entfernung eines Körpers aus den Hinterleibs-Organen erfolgt. Durch diese Operation muss natürlich ein gros­ser Druck auf die Hinterleibs-Organe ausgeübt werden, und hierdurch die Entfernung des, mit einer natürlichen Oeffnune in Verbindung ste-henden Beweglichen, z. B. des Kotlies, des Urins, der Frucht beim Gebähren, erleichtert werden. Dagegen kann zu starkes Drängen zu
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#9632;
2g2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien dos; Aliirncns.
Dislocationen und Zerreissnngen der Eingeweide Veranlassung geben, f) Der Husten (tussis) besieht in einem plötzlich eintretenden, mehr oder weniger kraftigen, stoss-weise erfolgenden, mit einer gewissen Anstren­gung des motorischen Theils der Respirations-Organe verbundenen und mit einem mehr oder weniger schallenden Tone begleitenden Aus-afhmen. Er wird zunächst durch eine Reizung des Nervus vagus hervorgebracht, indem die respirätorischen Muskeln in Folge üebertragung dieser Reizung auf die bezüglichen Rückenmarks­nerven zu jener Action bestimmt werden. Kri­mer's und Brach eis Versuche scheinen diess zu beweisen; denn sie konnten bei einem Thiere, dem sie an beiden Seilen den Nervus vagus durchschnitten hatten, durch Irritation der Luft­röhre keinen Husten mehr erregen, wohl aber nach Durchsclmeidung des sympathischen Ner­ven. Die Veranlassung zum Husten liegt, sowohl im gesunden als im kranken Zustande, meistens in den Luftwegen, zuweilen mag sie aber auch in anderen Körperlheilen, namentlich in den Hinterleibs-Organen liegen, wobei zunächst eine Reizung des Svmpathicus erfolgt, und diese dann auf den Vagus übertragen wird und sofort. In einem solchen Falle bezeichnet man den Husten als einen sympathischen; im Grunde ge­nommen kommt aber ein jeder Husten auf sym­pathische Weise zu Stande. Der Husten ist an und für sich als eine heilsame Bemühung der Natur zu betrachten, das Belästigende aus den Luftwegen zu entfernen; auch gelingt Diess häufig. Nichtsdestoweniger kann ein anhaltender und starker Husten auch nachtheilige Folgen
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Anomalieu des Alliuioiis.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0^3
haben. Diese bestehen ineistens in Golässzer-reissnngen in den Lungen oder in behindertem Rückflüsse des Blutes aus dem Kopie, mithin in passiven Geliirn-CoDgestionen. Ein kräftiger, feuchter, sich nicht zu oft wiederholender Hu­ston ist in Krankheiten der Respiraticns-Organe immer e!n günstiges Zeichen und deutet auf eine locale Crisis ihrer Schleiinhautgebilde, mit­hin auf eine Vermehrung der Schleimabson-derung hin. Der Husten kann aber rücksichtlich seiner Intensität, Wiederholung und des densel­ben begleitenden Tons sehr \iele Verschieden­heiten darbieten, deren Würdigung durch ße-schreibung immer nur mangelhaft bleibt- dage­gen durch häufige Beohachluns; am meisten ee-fördert werden kann. Das Unvermögen zu husten, oder weno es selbst dann nicht erfolgt, wenn tier Kehlkopf durch die gewöhnliche Ma­nipulation gereizt wird, ist in Lnngenkrankhcilen immer ein bedenkliches Zeichen; nichtsdesto­weniger giebt es ganz gesunde Pferde, die ent­weder nur schwer oder gar nicht auf diese Weise zum Husten zu bringen sind. 6) Die Bezeichnungen Brustathmen (resp. pecto-ralis), Bauchathmen (resp. abdominalis), Koplath-men (respiratio cephalica) und Schiefathmen (re-spiratio obliqua) haben auf die hervorstechende Mit­wirkung der einen oder der andern zur Athnumg dienenden Bewegungs-Abtliciliing Bezug. Die beiden ersten Athmungsarten werden in so lern so genannt, als das Alhmen entweder vorzugsweise mit den Brust­muskeln und mit mehrer Feststellung der Bauch­muskeln oder umgekehrt ausgeführt wird, w'm es in überwiegenden Leiden der Bauch- oder Brust-lMnge-weide vorkommt. Wenn das Alhmen mit starker Er-
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Qg^nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Auoimlicn des Alhmens.
Weiterung der Nasenlöcher und Aufsperrung des Maules aasgefuhrt wird, wie man es bei der Er-stickungsnotti sieht, so kann man ein solches: Kopt'-athmen nennen. Uohrigens kommt ein raehres Üell-uen der Nasenlöcher und ein mehr oder minder grosses Spiel der Nasenflügel bei jedem erschwerten Athmen vor, und ist allemal auf ein Bestreben der Natur, eine grössere Menge Luft einzulassen, zurück­zuführen, und hängt meistens mit bedeutenden Feh­lern der Lungen, wenigstens mit einem grossen An­dränge des Blutes zu denselben, oder auch mit einer Beengung in den Luftwegen überhaupt zusammen. Häufig kommt in Lungenkrankheiten, vorzugsweise beim Rindvieh in der Lungenseuche, eine überwie­gende Entartung der einen Lunge vor, so dass sie nicht mehr respirationsfähig ist; daher denn auch die Rippenwand an dieser Seite etwas abgeflacht er­scheint und aussei- Thäligkeit gesetzt ist, während die andere bei der Athmung stärker gebobeu wird. Hieraus folgt dann das Schicfathmen.
Zusatz. An die Fehler des Alhmens schliesscn sich noch einiqe Erscheinuncrcn der Stimme an. In Leiden der Lunge und namenllich der Luftröhre und des Kehlkopfes be­merken wir die, den verschiedenen Thicren eigenthümliohen Slimmlaule immer etwas modifizirt. In katarrhalischen Zustän­den ist die Slimme rauh und heiser(raucedo, voxrauca), und kann es in solchen selbst so weit gehen, dass die Stimme nicht mehr vernehmbar ist (Stimmlosigke.l, vox oppressa, aphonia). Bei Hunden erheischt das Bellen eine beson­dere Berücksichtigung, welches bei der Tollwuth so cha-racleristisch ist, und in einen spitzen, heiseren, heulenden Ton ausläuft. Das häufige, sonst regelmässige Bellen, so wie das Knurren, Heulen und Winseln dieser Thiere steht mit gewissen Seelenzuständen derselben in Verbin­dung, zuweilen venalhen jene Aeusserungcn auch Schmer­zen. Katzen schreien bei Schmerzen ähnlich, wie bei der
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Anomalien des Blutes.
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Begallung, und ihr Spinnen wird in bedeutenden Krank­heiten, namentlich in der Bräune nicht mehr gehört. Das hiiutige und heisere Grunzen der Seh weine deutet auf eine Affection der oberen Halspartie (Bräune): in Beängsti­gung aber und in Schmerzen lassen diese Thiere ein grel­les, durchdringendes Geschrei hören. Das Brüllen des Rindviehes findet in der sogenannten Franzosenkrankheit häulig Statt, und endigt dann gewöhnlich mit einem Brum­men. Bei Pferden, vorzugsweise bei wohlbeleibten, be­merkt man nicht selten während des Gehens und der Arbeit ein Brummen, dem häufig ein Brausen folgt. Das deutet immer auf eine Beengung der Athmungsorgane hin. Das Wiehern wird bei diesen Thieren zuweilen in schweren Krankheiten, namentlich in Koliken, Darmentzündung u. s. w., als ein Vorbote des Todes beobachtet. Auch beim Tödien der Pferde durch den Stich oder durch Lufteinblasen in die Blutgefässe bemerkt man zuweilen einen solchen Schwanen­gesang. Kin von dem Wiehern verschiedenes, durchdrin­gendes, quikendes Geschrei bemerkt man bei ihnen in zor­niger Aufregung oder wenn sie mit einem grossen Schmerze befallen werden. Das Blöken und Meckern der Schafe und Ziegen steht nur mit einem Verlangen, einer Sehnsucht dieser Thiere in Beziehung. Schmerzeslöne sind bei ihnen nicht bekannt.
Fünftes Caiiitcl.
Anomalieto des Blutes.
sect;•
9.
Das Blut ist als die edelste Flüssigkeit des Thier-leibes zu betrachten, woraus eine jede Bildung des­selben hervorgeht. Diese Behauptung kann man wa­gen, ohne deshalb mit Moses annehmen zu müssen, dass im Blute der Sitz der Seele sei. Krankheit be­ruht ursprünglicli auf einer Abweichung im Bildungs-lebeu, und wo eine solche auch anfangs nicht deul-
plusmn;
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Anomulien des Blutes.
lieh wilirnehmbar sein soll, so toitt sie doch im Verlaufe der Krankheit immer hervor. Wir müssen daher den pathologischen Zuständen des Blutes, ohne Beförchtung, dass man uns um deswillen eine grosse Neigung zur Humoralpalhologio vorwerfen werde, eine grosse Aufmerksamkeit widmen. Die Pathologie des Blutes kann unmöglich mit Erfolg slndirt, eine gründliche Einsicht in das kranke Leben desselben gewonnen werden, wenn nicht eine allseilige Be­kanntschaft mit seinen gesunden Verhältnissen voran­geht. Eine solche müssen wir hier aus nahe liegen­den Gründen voraussetzen; wo es indess zur besse­ren Verständigung erforderlich scheint, wird auch das Physiologische berührt werden. Zunächst haben wir Abweichungen in der Menge und in der Be­schaffenheit des Blutes zu betrachten. Bei der Menge ist einerseits auf die Masse, andererseits auf die Raumerfüdlung des Blutes in den Gelassen Rücksicht zu nehmen; bei der Beschaffenheit des Blutes dann auf seine physische, chemische und organische Eigenschaften, sie mögen auf einer Anomalie der Ausbildung seiner näheren und ent­fernteren Bestandtheile und seiner vitalen Kraft, oder auf einer Beimischung ihm fremder Stoffe beruhen. Es hat sein Bedenken, die organischen Korper hin­sichtlich der gedachten Eigenschaften getrennt zu betrachten, da in denselben physische, chemische und organische Momente sich gegenseitig bedingen; zum besseren Verständniss aber muss der Versuch gewagt werden.
I. Quantitative Anomalien des Blutes.
sect;. 10. Die Untersuchungen über das Gewicbtsverhällmss, in welchem das Blut in gesunden 1 liieren zu den
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Anomalien des Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;207
festen Körpertheilen slelil, haben bis jetzt nur zu abweichenden Ergebnissen gefuhrt. Man -wird auch wohl niemals etwas Sicheres und durchgreifend Gül­tiges hierüber ausmachen können, selbst dann nicht, wenn eine Methode ausfindig gemacht würde, den festen Theilen den letzten Blutstropfen zu entziehen. Denn die Individualität und die Lebensweise der Thiere, so wie ihre verschiedenen organischen, einer periodischen Schwankung der Intensität unterworfe­nen Fuoctionen haben einen zu grossen ßnflass auf die Menge des Blutes und deren Veränderlichkeit, so dass voraussichtlich täglich und stündlich Schwan­kungen vorkommen'müssen. Auch ist wahrlich nicht viel für die Pathologie gewonnen, wenn wir allen­falls wüssten, wie viel Pfunde und wie viel Unzen Blut ein Thierleib enthält, da wir daraus immer noch nicht auf das Maass der Gesundheit oder Krankheit zu schliessen berechtigt sind. Es giebt indess Er­scheinungen am lebenden Thiere, die einen sicherem Wegweiser in diesem Gebiete abgeben, wie z. B. die Fülle und das Kraftmaass des Arterienschlags, die Röthe der durchscheinenden Hautgebilde, die organische Wärme, das Atbmen und mehre andere Verrichtungen. Wir können daher nur im Allgemei­nen sagen, dass dem ganzen Organismus, wie einem jeden seiner Organe ein gewisses Maass Blut zu­kommen müsse, wenn Gesundheit vorbanden sein soll, und dass Abweichung von diesem normalen Maass Krankheit ist, oder doch zur Krankheit fuhrt. Wir gehen nunmehr auf die Betrachtung der quan­titativen Abweichungen des Blutes näher ein.
sect;. li. Vollblüligkeit (plethora, polyhaemia) ist ein Ausdruck, womit man die zu grosse Menge Blutes
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Anomalien des Blutes.
überhaupt bezeichnet: Ist eine zu grosse Menge Blu­tes im ganzen Organismus oder nur in einzelnen Theilen vorhanden, so giebt Diess Veranlassung zur Unterscheidung der allgemeinen Vollblütigkeit (plelh. universalis) von der örtlichen (pleth, partia-lis). Sehen wir die Vollblütigkeit in der einen oder der anderen der zwei Hauptahlheilungen des Blut-gefasssystems ausgesprochen, so wird sie beziehungs­weise als arterielle oder als venöse (pleth. arte-riosa, v. venosa) bezeichnet; und nehmen wir end­lich bei der Vollblütigkeit auch auf die Mischung des Blutes Rücksicht, so können wir sie in eine schlechte und gute, in eine kakoehymische und euehy-mis ehe (pleth. cacoehyma et euehyma) unterschei­den. Bei der Vollblütigkeit haben wir ferner noch darauf zu sehen, ob wirklich eine grössere Menge Blutes in dem Organismus vorhanden ist, als derselbe zu seiner Erhallung bedarf, oder ob eine solche nur scheinbar ist. Hiernach wird die Unterscheidung in wahre und falsche Vollblütigkeit (pleth. vera et spuria) gemacht. Bei der letzteren ist eine relativ zu grosse Blulmenge vorhanden, entweder rücksichtlich des im Organismus vorhandenen Kraflmaassos oder des Raummaasses des Blutes selbst, wie es bei seinem eigenthümlichen Leben durch Ueberwiegen seiner Expansibllilat und Verminderuijg der Conlracti-lität der Gefässe allerdings möglich ist. Hieraus er­geben sich die Unterschiede der pleth. ad vires und der pleth. ad volumen. Die Ursachen der wahren Vollblütigkeit sind eines Theils in zu reichlicher Füt­terung mit stark nährenden Futterstoffen bei kräftiger Verdauung, anderen Theils in vermindertem Verbrauch des Blutes durch Mangel an Bewegung oder Unler-drückung von Sccreliouen zu suchen; und erscheint
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Anomalien dos Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 2G9
sie am häufigsten im vorgeschritlenen jugendliclien Aller, also zu einer Zeit, wo überhaupt die Bildungs-Ihatigkeit vorlierrschend ist, aber auch im späteren Alter, wenn eine VermiiKlerung des Blutverbrauchs durch Abnahme iui Sloll'ansatz oder in den Ge-schlechts-Functionen eintritt. Die plethora ad vires insbesondere wird durch Schwächung der Lebens­kraft bervorgerufen, es mag Diess nun in Folge eines krankhaften Zusfandes oder der Anwendung kraftver­mindernder Mittel, z. B. der narkotischen und vor­zugsweise der Blausäure geschehen. Die Vollblütig­keit kann in so fern nachtheilig werden, als sie Ver­anlassung zu Gefässzerreissung, zu Congestion und Entzündung, Schwindel und Schlagfluss giebt, und wird in diesen krankhaften Zustanden die allgemeine Vollblütigkeit zu einer örtlichen. Die Kennzeichen der wahren Vollblütigkeit sind: starker Puls, Fülle der Venen, vermehrte Röthe der durchscheinenden Haute, vermehrte Lebcnsschwellung, Trägheit, in der Bewegung, Abneigung gegen nahrhaftes Futter und Belästigung des Respirationsprozesses; als ein ferne­res und wichtiges Zeichen der wahren Vollblütigkeit ist das, beim Aderlasse in einem kräftigen Strahle ausfliessende und rasch zu einem festen Kuchen ge­rinnende Blut zu betrachten. Dass aber solchen Er­scheinungen wirklich eine Plethora zum Grunde liegt, ist durch die künstlich hervorgebrachte, nämlich durch die Transfusion des Blutes bei Thieren ermittelt wor­den, und wird Diess übrigens noch dadurch aussei' Zweifel gesetzt, dass nach Verminderung der Blut­menge durch einen Aderlass jene Erscheinungen ces-siren. Auch bei der falschen Vollblütigkeit quot;sind die meisten der eben gedachten Erscheinungen vorhan­den, nur ist der Puls, obgleich voll, doch weicher, und das Blut fliesst beim Aderlass nicht in einem
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Anomalien des Blutes.
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kräftigen Strahle aus. Die l'iilsclic Yollblüliitkeil nonnl man auch Ululturgor, Orgasmus des Blutes (orgasmns sanguinis), und besteht also, wie bereits angedoulel, nicht in einer Vermehrung der Masse des Blutes, sondern nur in Erhöhung seines Turgors, wie man diesen Zustand immer bei dem Einflüsse einer erhöhten Wanne oder eines verminderten Luft­drucks auf hohen Gebirgen eintreten sieht. Es ist dieser Vorgang aber grösstentbeils ein Act des Le­hens, denn mit der Erhöhung oder Verminderung der Lebensthätigkeit nimmt auch der Turgor des Blutes zu und ab. Einen hohen Grad der Vermin­derung des Blntturgors bezeichnet man als Col lap­sus sanguinis. Dieser Zustand erreicht beim voll­ständigen Erlöschen des Lebens seine grösste Höhe; denn wir sehen in den .Leichnamen das Blut seine Gefässe bei weitem nicht ausfüllen.
sect;• 12. Blutarmuth (defeetns sanguinis,oligaemia spanac-mia) ist ein, dem vorhergehenden entgegengesetzter Fehler. Ein solcher ist vorhanden, wenn die Menge des Blutes nicht mehr für die Selbsterhallung hinreicht, namentlich nicht für die Ernährung und die verschie­denen Absonderungen, und kommt sowohl örtlich als allgemein vor. Auch die Ursacben, welche die­sen Zustand bewirken, sind denjenigen des vorher­gehenden entgegengesetzt. Hierher gehören. Entzie­hung von Nahrungsmitteln überhaupt oder der Gennss von wenig nährenden; ferner Beschränkung derjeni­gen Functionen, welche naher oder entfernter der Bereitung des Blutes dienen, milbin der Verdauung, der Chyiusbereitung und des Athmens. Aber, wenn auch alle diese Ursachen nicht vorbanden sind, so tritt doch nicht selten Mana;ei dos Blutes durch zu
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Anomalien dos Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;271
starken Verbrauch desselben ein, wie bei iibcrmässi-gcr Tluitigkeit in den Muskeln oder u: den Secre-tions-Organen: am direclesten indess wird jener Feli-ler durch Blutverlust hervorgerufen. Wie bei der Vollblätigkeit, so können wir auch hier den Fehler nicht nach einem bestimmten Maasse angeben. Diess kann nur durch Beobachtung gewisser Erscheinungen annäherungsweise geschehen. Diese sind: kleiner, weicher, oftmals beschleunigter und leerer Puls (we­gen dieses letzteren ümstande's wird der in Rede stehende Fehler anch Gefassleere, ceneangia. ge­nannt); ferner: blässe der Schleimhäute, Mangel der Ernährung, Schwinden der Kräfte, Wässrigkeit der Secrctionen und colliqualive Ausleerungen. Beim Ader-lass sehen wir das Blut in einem malten Strahle ausfliessen: es gerinnt langsam und selbst unvollstän­dig, well darin ein überwiegendes Verhältniss des Serums zum Cruor obwaltet, woher denn auch, zum Theil wenigstens die Entstehung des Hydrops in einem solchen Zustande zn erklären ist. Bei Leichen-seclionen ist in den grösseren und mittleren Gefässen kein Blut wahrzunehmen, woher der höhere Grad des Blutmangels, obwohl nneigenllich als Blutlosig­keit (anaemia) bezeichnet wird. Nach dem Grade des Blutmangels, nach dem plötzlichen oder langsa­men Eintritt desselben, müssen sich natürlich seine Wirkungen auch verschieden verhallen. Am nach-theiligsten wirkt ein starker und plötzlicher Verlust des Artencnblutes, weil solches auf die organischen Fonctionen einen unmittelbaren Einfluss ausübt; es entstehen wohl Schmerzen und Krämpfe, sicherer aber Schwindel, Bewusstlosigkeit und Lähmung. Die grösseren Haussäugethiere kqpnen seihst auf einmal oder plötzlich eine grosse Menge Blutes verlieren, ohne dass Diess gerade lebensgefährlich für sie
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272nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalion dos Blutes.
würde. Die hiernach, in Folge verminderten Blut­reizes im Gehirn, eintretende Ohnmacht ist in der Regel bald vorübergehend. Selbst ertragen kräftige Pferde die Unterbindung der beiden Carotiden; be­sonders dann, wenn sie nicht gleichzeitig geschieht; matte, ohnehin schon blutleere Pferde halten indess diese Operation nicht aus. Dass aber das Leben sogleich aufhört, wenn dem Gehirn alles Blut ent­zogen wird, ist zum Ueberfluss von Richcrand durch Versuche an Hunden, denen er die Carotiden und Intervertebral-Arterien unterband, bewiesen wor­den. Nach und nach können die grösseren Hans-saugethiere selbst ungeheure Blutverluste nicht allein ohne Nachtheil, sondern selbst zu ihrem Besten er­leiden, w ic es wiederholte starke Aderlässe in Krank­heiten zur Genüge darthun. Das Blut wird nach starken Aderlässen sehr bald wiedererzeugt, obgleich es dann nicht sobald die Vollkommenheit seiner Aus­bildung besitzt. Hieraus lässt es sich erklären, warum Aderlässe bei früher mageren Thieren den Fettansatz begünstigen. Andererseits bemerken wir aber, dass ein massiger Aderlass bei Vollblütigkeit, eine voll-kommnere Bildung des Blutes zulässt, weil hiernach die Respiration einen grösseren Einfluss auf die Um­wandlung desselben gewinnt. Es ist bekannt, dass weibliche Thiere und magere (d. h. fettarme aber sonst gut konstituirte) mehr Blut im Verhältniss zu den festen Theilen enthalten, als männliche und fette; ob jene aber auch einen grösseren Blutverlust er­tragen können, ist nicht bekannt.
II. Qualitative Anomalien des Blutes.
.sect;• 13. Es braucht wohl nicht weitläufig bewiesen zu werden, dass das Blut rücksichtlich seiner physi-
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sehen, chemischen und organischen Eigenschaf­ten Abweichungen erleiden könne: denn wer nur das Blut von zwei verschiedenen gesunden Indivi­duen einer und derselben Thierart genau ansieht, wird schon einige Verschiedenheiten an den physi­schen Eigenschaften desselben bemerken, noch mehr aber ist Diess in den Krankheiten der Fall. Nun sind aber die physischen Eigenschaften eines Körpers von seiner inneren Natur, von seiner chemischen Mischung und hier beim Blute auch von seinen organischen Verhällnissen abhängig: mithin Abweichungen dessel­ben gedachter Art gegeben. Sehr viele Umstände können auf die Mischung des Blutes verändernd ein­wirken, einmal von aussen eingeführte und von dem­selben aufgenommene Sloffe; dann eine Abnormität in einer oder der anderen Function, welche für die Bildung des Blutes bestimmt sind, sowohl, d. i, von der Bildung des Speisebreies an, bis hinauf zum Re-spiralions-Geschäfte, als auch in solchen, welche der Läuterung des Blutes auf dem Wege der Ausschei­dung ihm fremd gewordener Stoffe dienen. So wie aber ein fehlerhaftes Blut nothwendig eine Ab­weichung in den festen Theilen bedingt, so werden auch abnorme feste Theile zur Unterhaltung der Ano­malie des Blutes beitragen, da die, als der zerfallene Thierleib zu betrachtende, mithin in einem solchen Falle auch verderbte Lymphe dem Blute beigemischt wird. Aber auch ursprünglich krankhafte Zustände der festen Theile können eine fehlerhafte Qualität des Blutes besonders dann bewirken, wenn dabei pathologische Flüssigkeiten entstehen, welche durch Resorption ins Blut gelangen. Der Umstand, dass von aussen direct in das Blut übergeführte Stoffe primär eine krankhafte Beschaffenheit desselben, und sodann seeundär eine solche der festen Theile ver-
Fucbs, allgem. Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;AQ
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oj4nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomnlien des Blules.
anlassen können, hat zu einer besonderen medizini-sclien Secte: der Hunioialpalhologen, Veranlassung aeseben, welche alle krankhaften Zustände aus einer primären Alienation der flüssigen Theile und beson­ders des Blutes herleitet, wogegen die Solidarpa-thologen die primäre Alienation der festen Theile zur Ursache aller Krankheiten machen. Wenn nun auch in manchen Fällen ein ursprüngliches und in noch mehren ein vorherrschendes Leiden des Blutes nachgewiesen werden kann, so würde man doch offenbar zu weit gehen, Diess für alle Fälle anneh­men zu wollen, da solches eben so häuflg von den festen Theilen zu behaupten ist. Abgesehen davon, dass kein Punkt des Thierleibes als organisch thätig betrachtet werden kann, als durch die Mitwirkung fester und flüssiger Atome, und dass die Festigkeit und Flüssigkeit organischer Theile sehr relativ ist, indem weder ein absolut fester, noch ein absolut flüssiger im Körper besteht, vielmehr nur der eine oder der andere Bestandtheil als überwiegend er­scheint, indem die festen wenig flüssige und die flüssigen wenig feste enthalten, — ich sage, abge­sehen hiervon: so wird doch immer das etwa mög­liche primäre Ergriffensein des einen oder des an­deren Bestandtheils eben wegen der organischen Durchdringung und Abhängigkeit beider, auch secun-där eine Alienation des anderen bewirken müssen,
sect;. 14.
Rikksichllich der physischen Eigenschaften des Blutes hat man die Dickblütigkeit (spissitudo sanguinis) von der Blutwässrigkeit (hydroaemia) zu unterscheiden. Mit dem ersteren Zustande ist eine abnorme Menge der festen Bestandtheile des Blutes, des Cruors und des Faserstoffs, so wie eine grössere
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Gerinnbarkeit, mit dem letzteren ein Vorwalten des wässrigen Bestandtheils, des Serums und eine gerin­gere Gerinnbarkeit verbunden. Um diese Abwei­chungen beurtheilen zu können, müss man wissen, dass gesundes Blut nach dem Gerinnen sich in zwei Drittheile bis drei Viertheile Serum und in ein Drit­tel bis ein Vieriheil Placenta scheidet; kleine Abwei­chungen sind also nicht als Anomalie zu betrachten. Alles Das, was eine Ueberladung des Blutes mit festen Stoffen bewirken kann, erzeugt Dickbiütigkeit. Hierher gehören stark nährende Futterstoffe bei kräf­tiger Verdauung und kräftiger Mitwirkung anderer, der Blutbildang dienender Functionen; ferner directe Entziehung llüssiger Nahrungsmittel oder überraässige Secretionen; wogegen die entgegengesetzten Verhält­nisse Blutwässrigkeit erzeugen. Die Folgen der Dick­biütigkeit sind: trage Circulation und Stockungen des Blutes (solche im Pfortadersystem nennt man In-faretus), Entzündung, träge Muskel- und Sinnesver-richlungen, Schwindel und Schlagfluss. Folgen der Blutwässrigkeit sind: Abnahme in den Kräften und in der Ernährung, Blässe der Hautgebilde, Vermeh­rung der Secretionen, krankhafter (d. h. wässriger) Turgor, Wassersucht u. s. w. — Wenn das Blut zwar eine dickliche, schleimige oder schmierige Be­schaffenheit zeigt, ohne jedoch eine ausgezeichnete Gerinnbarkeit zu besitzen; was von einer nicht ge­hörigen Ausbildung des Faserstoffs und daher von einem Ueberwiegen des Eiweissstoffes herrührt, so nennt man einen solchen Zustand Blutschleimig-keit (mueositas sanguinis). Ausser in den eben ge­dachten können aber auch noch in anderen Eigen­schaften des Blutes Abweichungen bewirkt werden, wie in der Farbe, in dem Geruch, in der Electrici-tät, spezifischen Schwere und Wärme; sie sind aber,
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27(5nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien des Blutes.
die Farbe ausgenommen, noch wenig untersucht. Noch weniger weiss man von solchen Abweichun­gen die Ursachen und Wirkungen anzugeben, oder sie mit bestimmten krankhaften Zuständen in Verbin­dung zu bringen; eine Sammlung hierher gehöriger Thalsachen dürfte indess ein lohnendes Unternehmen sein. Was die spezifische Schwere des Blutes be­trifft, so ist es einleuchtend, dass die Menge der Blutkörperchen ein Mehr oder Minder hierin bedingen müsse, da sie die tiefste Stelle beim abgelassenen Blute einnehmen. Nach H. Nasse aber ist es vor­zugsweise die Menge des in den Blutkörperchen vorhandenen Farbstoffs, welcher eine Verschiedenheit der spezifischen Schwere des Blutes bewirkt. Nach demselben Forscher verhält sich das spezifische Ge­wicht des Blutes bei unseren Hausthieren im gesun­den Zustande durchschnittlich wie folgt: Schwein 1060; Hund, Ochs, Pferd und Katze 1054,5; Schaf und Ziege 1042,5, Das Blut kann in der Farbe Abweichungen in vielen Stufen, vom schmutzigen Grauroth, Hellroth bis zum Dunkelroth und zur Schwärze zeigen, und stehen diese Farbenunter­schiede mit der mehr oder minder vollkommenen Ausbildung, mit einem mehr oder minder grossen Rückhalt an Kohlenstoff oder Kohlensäure, oder mit Schultz zu reden, mit einer Ueberladung an Resi­duen der Blutbläschen - Metamorphose in Zusam­menhang.
sect;. 15.
Die Abweichungen des Blutes hinsichtlich sei­ner chemischen Mischung sind noch wenig er­forscht, wie wünschenswerlh Diess auch sonst wäre. Solche Untersuchungen haben aber an und für sich ihre Schwierigkeiten; auch steht den Chemikern nur
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selten krankhaftes Blut, und den Thierärzten noch seltener die nöthige Kenntniss und Geschicklichkeit zu solchen Untersuchungen zu Gebote. Wenn wir die nächsten Bestandtheile des Blutes in Erwäsuns ziehen, nämlich das Plasma und die Blutkügelchen (Blutlymphe und Cruor), oder die entfernleren, den FaserstofT, den Cruor und das Serum (wie es sich nach seiner Gerinnung theilweise, vollständig aber nach dem Quirlen darstellt), oder, ausser jenen, die noch mehr entfernteren Bestandtheile, das Hämatin (welches das Eisen enthält) und das Globulin als einenBestandtheil der Blutkügelchen; ferner dasEiweiss, Fett, Wasser und einige Salze, Extractiv- und Farb­stoff (als Bestandtheile des Serums), so wie endlich die Blutgase: so ist anzunehmen, dass in allen die­sen Bestandtheilen qualitative Abweichungen vorkom­men können, auch, wenn Diess in einem gewissen Grade der Fall, ein krankliafler Zustand vorhanden sein müsse. Ausserdcm kann aber auch das Blut qualitativ abgeändert werden, wenn es Stoffe auf­nimmt, die nicht zu seiner normalen Zusammen­setzung gehören, oder wenn in ihm solche zurück­gehalten werden, die ihm fremd geworden sind, und daher auf den verschiedenen Secretionswegcn hätten ausgeführt werden sollen. Theoretisch betrachtet können also gewiss alle jene Verhältnisse qualitative Abweichungen des Blutes bedingen; die Erfahrung aber hat uns nur wenig hierüber gelehrt, wie es sich in Folgendem herausstellen wird. Am ehesten können wir, und zwar schon durch die einfache sinnliche Wahrnehmung, Abweichungen des Blutes, in so fern Sie von dem quantitativem Verhältnisse des Faserstoffs, des Cruors und des Serums abhängig sind, auffinden. Die Grosse des Faserstoff-Gehaltes wächst mit der Zunahme des Genusses stark näh-
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Anomalien Jos Blutes.
render Stoffe bei lebhafter Verdauungsthätigkeit und möglichst freier Mitwirkung der der Blutbereitung dienenden Functionen. Daher sehen wir ihn in der Entzündung, in welcher die vegetative Thätigkeit überhaupt gesteigert erscheint, oft sehr vermehrt. Auf ganz entgegengesetzten Verhältnissen beruht in-dess die Menge des Wassers im Blute Wir unter­lassen es, hier noch näher auf jene Verhältnisse ein­zugehen, weil sie bei den quantitativen Abweichun­gen entweder schon hinreichend gewürdigt sind, oder später noch ausführlicher betrachtet werden. Nur wollen wir daran erinnern, dass der Faserstoff in asthenischen und typhösen Krankheiten in der Regel minder fest, schmierig, übel aussehend, weisslich, bläulich-schimmernd u. s. w. erscheint; und da der Faserstoff, wie es scheint, aus dem Eiweissstoffe durch die Respiration gebildet wird, und sich jener von diesem nur durch einen grösseren Gehalt an Stickstoff und Sauerstoff unterscheidet; so wird es wahrscheinlich, dass der Faserstoff in solchen Zu­ständen keine gehörige Ausbildung erreicht hat, viel­mehr sich dem Eiweiss nähert, und dass ein Ge­sunkensein in der Lungenfunction hieran am meisten Schuld hat. Dem Cruor ist bisher wenig Aufmerk­samkeit geschenkt worden. Soviel ist bekannt, dass die Blutkügelchen, welche den Cruor ausmachen, rücksichtlich ihrer Menge in einem sehr verschiede­nen Verhältnisse zu der Menge des Faserstoffs und des Serums stehen können, was von der Individua­lität der Thiere und ihren Lebensverhältnissen ab­hängig ist. Ihre Menge soll übrigens nach der An­gabe einiger Physiologen (Prevost, Dumas, Lecanu) mit der Energie des Lebens in einem gleichen Ver-hältniss stehen. Auch will man in krankhaften Zu­ständen der Thiere allerhand Formverschiedenheiten
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Aiioinulien des Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;279
der Blutkugelchen bemerkt haben, worauf wir uns aber nicht näher einlassen wollen. Formverschie-denheiten der Blutkügelchen kommen bereits im ge­sunden Zustande vor; sie beruhen wahrscheiiilich auf der Heran- und Rückbildung dieser Theile. Vom Eiweiss wissen wir nur sovfel, dass seine Menge mit der Abnahme des Faserstoffs wächst und umee-kehrt; besonders dann ist ein Ueberwiegen des Eiweisssloffes gegeben, wenn bei gehöriger Chylifi-cation die Respiration beeinträchtigt ist. Das Blut zeigt sich alsdann schleimig, fliesst träge in den Ge­lassen und veranlasst den Ansatz eines, auf einer geringeren Stufe der Ausbildung stehenden Stoffes, was sich durch Feitanhäufung, durch schwammige, weiche Textur und dergi. zu erkennen giebt. Wenn wir einen grösseren Fettgehalt in dem Blute bemer­ken, so rührt Diess wahrscheinlich von einem Ge­sunkensein der Sanguification oder von einer ver­mehrten Aufsaugung des Fettes her. Das erstere ist deshalb wahrscheinlich, weil sich, nach der bisheri­gen Annahme, die Blutkügelchen aus den Feftkügel-chen heranbilden. In Krankheiten bemerkt man auch zuweilen ein milchichtes Serum, wovon Schultz be­hauptet, dass es sich gerade so wie Chylusserum verhalte; mithin wäre das Fett in einein solchen Zu­stande für unverändertes Chylusfett zu hallen. Eine vermehrte Aufsaugung des Fettes bemerken wir nicht selten in typhösen und namentlich in anlhraxartigen Krankheiten. Einen solchen Zustand, wobei man mit blossem Auge Fetttropfen auf dem Blute wahrnimint, nennt man Fettschmelzen. Die möglichen Abwei­chungen in den übrigen Bestandthcilen des Blutes übergehen wir ganz, weil nichts Gewisses über die­selben bekannt ist. Dagegen müssen wir etwas län­ger bei solchen qualitativen Ahweidumgcn des Blu-
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280nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien des Blutes,
tes verweilen, die dadurch hervorgebracht werden, dass Stoffe in ihm zurückgehalten werden, die für die Absonderung bestimmt sind, oder dass vermittelst der aufsaugenden Gefässe absolut- oder relativ-äussere Substanzen in dasselbe übergeführt werden.
sect;. 16. Das Vorhandensein fremder Stoffe im Blute be­zeichnen die Pathologen mit dem Ausdrucke: Schär­fen (acrimoniae), weil sie eine abnorme Reizung in den organischen Theilen bewirken. Man muss aber mit solchen Schärfen keinen chemischen Begriff ver­binden. Zwrar hat man sie in alkalische, saure und salzige einlheilen wollen, ohne Diess aber ge­hörig begründen zu können. Denn die fremden Stoffe verlieren im Blute, wegen seines lebhaften Assimilations-Vermögens, fast durchgängig ihre spe­zifischen Eigenschaften, und treten mit denselben erst dann wieder auf, wenn sie aus dem Blute ausgeson­dert worden sind. Wie dem auch immer sein möge, so hat man doch bereits mehrere Male mit Gewiss-heit Se- und Excretionsstoffe im Blute der Thiere nachgewiesen, so Stark den Schleim, Lassaigne Bestandtheile der Galle in dem Blute eines gelbsüch-tigen Pferdes; auch sind solche im Blute leberkran­ker Pferde, welche stark-gelbe Schleimhäute zeigten, vom Verfasser nachgewiesen worden. Man kann sich von der Gegenwart der letzteren dadurch über­zeugen, dass man dem Serum eines solchen Blutes (welches zuweilen eine grünlich-gelbe Farbe hat und bitterlich schmeckt) etwas Salpetersäure zusetzt. Hiernach nimmt das gefällte Eiweiss sogleich eine gelbe und später eine graugrüne Farbe an; diese Farbe geht bei mehr Zusatz von Salpetersäure in's Blaue und später in's Röthliche über, ganz so wie
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Anomalien des Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;281
es bei dem Versuche mit verdünnter Galle der Fall ist, Vogel warnt: nicht zuviel Salpetersäure zuzu­setzen, weil diese dann auf das Eiweiss zersetzend wirke und das Gelingen des Versuchs gefährde. Das Vorhandensein von Bestandlheilen der Galle im Blute wird übrigens schon, wie bereits angedeutet, an der gelben Farbe der durchscheinenden Haulgebilde er­kannt. Mangelhafte Ausscheidung der Galle und dar­auf erfolgte Aufsaugung, oder auch Rückhalt der be­reits im Blute vorhandenen Gallenstofle, gehen die wahrscheinliche Veranlassung hierzu. Auch im ge­sunden Blute hat man auf vorstehende Weise Galle nachgewiesen; aber man weiss nicht mit Bestimmt­heit, ob die ganze Galle im Blute vorbereitet ist, oder nur der eine oder der andere Bestandlheil der­selben; indess kann man das Pigment der Galle mit Sicherheit im Blute annehmen. Ferner hat Schlemm bemerkt und ist es von Anderen (Rudolphi, Meyer und J. Müller), so auch vom Verfasser bestätigt worden, dass das Blut an der Mutter saugender Kätz­chen wirkliche Milch enthielt; auch hat man gefun­den, dass, wenn Kaninchen die Nieren herausgeschnit­ten werden, sich dann Harnstoff im Blute derselben befindet (Dumas, Prevost, Segalas und Vauque-lin). Dieser Umstand hat zu der Ansicht Veranlas­sung gegeben, dass sich der gedachte wesentliche Bestandtheil des Harns schon vorbereitet im Blute befinde und nicht erst in den Nieren erzeugt werde. Wenn wir auch absehen von der Schwierigkeit des überzeugenden Nachweises des Harnstoffs in einer thierischen Flüssigkeit, so kann man doch eben so gut behaupten, dass der Harnstoff im Blute sich erst nach der Wegnahme der Nieren aus den, dem Zer­fallen nahen Bestandtheilen des Blutes bilde, entwe­der in diesem selbst, oder in anderen Festgebilden
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Anomalien des Blutes.
des Körpers, welche dann vicarirend wirken. Wie dem auch immer sein möge, so begründet doch der ebengedachte Versuch die Wahrscheinlichkeit, dass bei gestörter Function der Nieren oder bei behin­derter Ausleerung des, in der Blase enthaltenen Harns, sich solcher im Blute vorfindet; -worauf der urinöse Geruch des Schweisses in solchen Zuständen einigermaassen hindeutet. Ob die in den Brüsten der Thiere bereits abgesonderte Milch als solche wieder ins Blut aufgesogen und dadurch Veranlas­sung zu Milchmetastasen gegeben werden könne, ist nicht bekannt; indess ist die Entstehung der Milch­metastasen auf diese Weise wahrscheinlich, weil That-sachen der Art rücksichtlich des Menschen aufgeführt sind Aber es ist von Gmelin im Blute des gesun­den Ochsen Käsestoff nachgewiesen worden; auch können dieselben physiologischen Bedenken hier gel­tend gemacht werden, wie sie bereits oben rück­sichtlich des Harnstoffs angeführt worden sind. Von den pathologischen Producten, welche durch Auf­saugung in das Blut gelangen können, sind es be­sonders die Jauche und der Eiter, welche unser In­teresse in einem hohen Grade in Anspruch zu neh­men verdienen, weil durch sie meist lödtliche Krank­heiten erzeugt werden. Was endlich die Ueberfüh-rung absolut äusserer Stoffe ins Blut betrifft, so ist eine solche rücksichtlich vieler Arzneistoffe bereits mit Sicherheit erwiesen; auch ist es wahrscheinlich, dass die Contagien ins Blut übergehen, da die An­steckungsfähigkeit des Blutes in mehreren Krankhei­ten dargelban ist. Aus allem Diesen geht nun her­vor, dass das Blut durch die Anwesenheit fremder Stoffe alienirt sein könne, und daher auch nothwen-dig als krankmachender Reiz auf die übrigen Theile des Thierkörpers wirken müsse. In welchem Grade
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Anomalien des Blutos.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 283
Diess aber geschieht, ist von Umständen abhängig, die wir nicht genau kennen, und deshalb niemals mit Sicherheit im voraus zu bestimmen im Stande sind. Von erkanntem Einflüsse sind indess hierbei die Menge und Natur des fremden Stoffes, die Stärke sowohl des Assimilations-Vermögens des Blutes, als der Funetionen der Ausscheidung. Die Transfusionen des Blutes zwischen Thieren verschiedener Klassen und selbst zwischen verschiedenen Individuen ein und derselben Spezies geben übrigens (wie es sich aus Versuehen von Dumas, Dieffenbach und Bi­schoff ergiebt) ein eclatantes Beispiel, wie wenig das Blut zuweilen das Fremdartige erträgt; und doch ist das Blut des einen Thieres dem des anderen, dem Anscheine nach, nicht sehr unähnlich.
sect;. 16.
Bei den Abweichungen des Blutes rück­sichtlich seiner mehr organischen Verhält­nisse kommt vorzugsweise der, in den verschiede­nen Gefässabtheilungen, in den Arterien und Venen, ausgesprochene eigenthümliche Character desselben in Betracht, den wir, den Gefässen entsprechend, als arteriellen und venösen bezeichnen. In Krank­heiten sehen wir nicht selten, dass das Arterien- dem Venenblut oder das letztere dem ersteren ähnlich ist; zuweilen hat man auch Gelegenheit zu bemer­ken, wie das Blut eine Annäherung an die Beschaf­fenheit des Cbylus erlangt, welche es nach der, frei­lich nur unvollständig erfolgenden Gerinnimg durch eine weissliche, sammetartig schillernde Farbe des Serums und der lymphatischen Kruste zu erkennen giebt. Der Ausdruck des arteriellen Characters im venösen Blute hat im Allgemeinen weniger Bedenk­liches, als der zu starke Ausdruck des venösen Gha-
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284nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien des Blutes.
racters im Blute überhaupt. Ersteres beobachten wir in der Regel bei reinen, synochösen Entzündun­gen; letzleres mehr in Krankheiten typhöser, milz­brandiger Natur. Eine Erklärung hierfür muss aus den Functionen gezogen werden, welche der Blut­bereitung dienen, und kommt dabei in Betracht, ob diese ihr Geschäft gehörig ausführen oder nicht. Uebrigens bemerken wir auch, dass manche Arznei­mittel eine Veränderung in den gedachten Characte-ren des Blutes bewirken können. Neutralsalze unter anderen bringen eine höhere Röthe, Säuren aber und namentlich Schwefelsäure, eine tiefere Schwärze in demselben hervor; das Letztere sehen wir am auf-fallensten nach Blausäure-Vergiftungen, aber auch nach allen anderen narkotischen Vergiftungen ist es bemerkbar. In Bezus: auf das venöse Blut haben wir noch zu bemerken, dass man auch, und nament­lich thut Diess Schultz, einen Unterschied zwischen diesem und dem melanösen macht. Das letztere zeichnet sich durch eine grössere Schwärze aus und enthält eine Menge abgestorbener Kerne, welche durch die Leberfunclion aus demselben hätten ent­fernt werden sollen. Das einfach venöse Blut aber ist nur überladen mit Kohlensloff, der durch die dar­niederliegende Lungenfunction nicht aus demselben geschieden werden konnte, und zeigt überdiess auch, wegen der aufgehobenen oder verminderten Wech­selwirkung zwischen Blut und Luft in den Lungen, einen geringeren Antheil wenig ausgebildeten Faser­stoffs. Obgleich anzunehmen, dass die Arzneimittel nach ihrer Verschiedenheit zum Theil auf das Plasma des Blutes, zum Theil auf seine Bläschen wirken, so ist doch das Wesentliche solcher Einwirkungen . noch fast gar nicht erforscht; gewiss aber dürften von einer solchen Forschung Aufschlüsse über die
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physiologischen Arzneiwirkungen zu erwarten sein. Was die narkotischen Arzneien anbelangt, so bewir­ken sie eine Lähmung der Contractilität der Blutbläs­chen, wodurch sich der Farbstoff in denselben an-sammlt und durch Absorption von Sauerstoff nicht mehr in Kohlensäure umgewandelt werden kann. Von besonderem Interesse ist eine, zu den organi­schen Qualitäten des Blutes gezählte Erscheinung, der die Thierärzte schon lange die verdiente Auf­merksamkeit geschenkt haben: wir meinen die Ge­rinnung des aus der Ader gelassenen Blutes. Für die Ansicht, dass die Gerinnung des Blutes als der letzte Act des erlöschenden Lebens zu betrachten sei, spricht die Thatsache, dass einmal geronnenes und dann flüssig gewordenes Blut nicht wieder ge­rinnt, und dass auch solches, welches aus abgestor­benen (brandigen) Theilen, oder aus dem Körper zu Tode gehetzter, ferner am Blitzschlag oder sonst an einer, die Kräfte aufreibenden Krankheit verstorbener Thiere entnommen ist, jene Erscheinung nicht zeigt. Der Umstand, dass eben aus der Ader gelassenes und sogleich in den Zustand der Gefrierung versetz­tes Blut nach dem Aufthauen noch Gerinnungs-Ver­mögen zeigt, kann jener Ansicht nicht entgegen sein, da auch durch Kälte erstarrte Glieder oder ganze Thierkörper noch lebensfähig sind, und durch passende Behandlung häufig wirklich wieder aufleben Das Ge­rinnen (oder besser gesagt, weil das Gerinnen eine chemische Bedeutung hat, das Erstarren) des Blu­tes ist als eine ähnliche Erscheinung wie das Erstar­ren der Muskeln verstorbener Thiere (was man mit dem Ausdrucke: Todtenstarre [rigor mortis], bezeich­net), zu betrachten, auch liegt bei demselben wahr­scheinlich eine gleiche Ursache zum Grunde. Denn wir sehen, dass das Blut solcher quot;Thiere, bei wel-
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Anomalion dos Blutes.
chen sich die Todlenstarre nicht einstellt (und Diess ist z. B. nach Milzbrand, Blitzschlag, Erstickung, zum Todehetzen und nach narkotischen Vergiftungen der Fall), auch das Blut nicht geronnen ist. Untersuchen wir nun, ob aussei- jenem organischen Verhältnisse, dem Lebensprinzipe, auch noch andere Ägentien bei der Erstarrung des Blutes mitwirken, so müssen wir gestehen, dass diese Erscheinung auch zum grossen Theil von physischen und chemischen Einflüssen ab­hängig ist, die entweder im Blute selbst oder in Aussendingen liegen. Sehen wir auf die näheren Bestandtheile des Blutes und erforschen, durch wel­chen der Erstarrungsprozess zu Stande kommt, so werden wir uns bald überzeugen, dass es unzweifel­haft der Faserstoff ist; denn ein, seines Faserstoffs durch Quirlen beraubtes Blut erstarrt nicht. Blut, welches von gesunden, lebenskräftigen Thieren her­stammt und, dem übereinstimmend, einen grossen Gehalt an gehörig ausgebildeten Faserstoff besitzt, erstarrt daher vollständiger und rascher, als solches unter entgegengesetzten Verhältnissen. Deswegen zeigt auch das Arterienblut eine raschere und stärkere Er­starrung als das Veneublut, eben weil jenes das le­benskräftigere und faserstoffreichcre ist. Blut, wel­ches rasch und vollständig erstarrt; zeigt einen gleich­förmigen rothen Kuchen, aus dem nach und nach das Serum ausgeschieden wird; wir bemerken fer­ner dabei, dass der Blutkuchen im Verhältniss zum Serum gross ist und eine gewisse Festigkeit besitzt. Bei langsam erstarrendem Blute sehen wir keinen gleichförmig rothen Kuchen, vielmehr ist der obere Theil desselben gelblichweiss und nur der untere roth; der obere ist in diesem Falle der erstarrte Fa­serstoff mit dem Serum, der untere der Cruor (Blut-kügelchen) mit einem Theile jener Bestandtheile ver-
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bunden. Bei langsamer Erstarrung des Blules haben also die Blulkügelcben Gelegenheit gefunden, sich vermöge ihrer grösseren spezifischen Schwere von den übrigen Theilen zu sondern, und die untere Stelle des Kuchens einzunehmen. Um solche Er­scheinungen gehörig zu deuten und mit den passen­den Namen zu bezeichnen, müssen wir daran er­innern, dass im lebendigen Blute weder Faserstoff, noch Serum zu bemerken ist, wenigstens nicht in der Art, wie wir diese Theile beim abgestorbenen Blute sehen. Wir beobachten vielmehr nur eine durch­scheinende, gleichförmige Flüssigkeit, in welcher die Blutbläschen schwimmen. Der Faserstoff aber nach der Erstarrung des Blutes zeigt eine organische Tex­tur, und das Serum bildet sich erst, indem der Fa­serstoff als solcher mit seiner organisirten Form zu Stande kommt. Dieses Umstandes wegen ist Das, was man vom chemischen Slandpuncte aus als eine Auflösung des Faserstoffs im Serum bezeichnet hat, von den Physiologen mit verschiedenen Namen belegt worden. Die Namen Blullymphe (lympha sangui-nis) und Blutflüssigkeit (liquor sanguinis) sind zwar passend dafür, geeigneter aber scheint uns der von Schultz gewählte Ausdruck „Plasmaquot; zu sein, weil er zugleich andeutet, dass die so bezeichnete Flüssigkeit das eigentlich Ernährende und Bildende des Blutes ist. Dieser geläuterten Ansicht consequent hätten wir also Das, was man sonst als geronnenen Faserstoff im Blute bezeichnet, lymphatische Kruste oder noch besser erstarrtes Plasma zu nennen, und können sonach erst dann füglich von Faserstoff und Serum sprechen, wenn sich das er­starrte Plasma in diese Theile gesondert hat. Die Bezeichnung Entzündungskruste (crusta inflamma-toria) für die, von dem Cruor abgesonderte Lage des
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'288nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien des Blutes,
erstarrten Plasma's ist in tier Veterinär-Medizin um deswillen nicht zu billigen, weil diese Erscheinung mit der Entzündung bei den Haussäugethieren nichts gemein hat. Denn alle Erfahrung zeigt, dass das, bei ächten, acuten Entzündungen dieser Thiere ab­gelassene Blut ohne oder nur mit geringer Abschei-dnug von Plasma rasch erstarrt; wogegen das von astheuischen Zuständen, so wie bei wiederholten Aderlässen das zuletzt auslliessende Blut langsamer erstarrt, und deshalb schon, wie eben näher ausein­ander gesetzt wurde, eine stärkere Lage des abge­sonderten Plasma's, oder mit anderen Worten, eine bedeutendere lymphatische Kruste zeigt. Bei einem solchen Blute sehen wir ferner, dass es nach und nach eine grosse Menge Serum ausscheidet und dass der Blutkuchen nur eine geringe Festigkeit erlangt. Demnach wären die Kennzeichen des sthenischen und asthenischen Zustandes aus dem Blute folgende: für jenen: rasche Erstarrung, Bildung eines möglichst gleichfarbigen und festen rothen Kuchens, so wie Ausscheidung eines geringen Maasses von Serum aus demselben; für den asthenischen Zustand: lang­same Erstarrung, Bildung einer starken lymphatischen Kruste, Ausscheidung von vielem Serum und gerin­ges Festwerden des Kuchens. Bei der Beurlheilung des Blutes in Bezug auf seine Erstarrung und Bil­dung der lymphatischen Kruste sind aber, wie bereits angedeutet, gewisse physische und chemische Ein­flüsse nicht zu übersehen, wenn man einer möglichen Täuschung entgehen will. In einem starken Strome aus der Ader fliessendes und in einem kurzen Strahle aufgefangenes Blut erstarrt im Allgemeinen langsamer als unter entgegengesetzten Verhältnissen; flache, weite Gefässe begünstigen die Erstarrung des Blutes mehr, als hohe und enge; und daher ist denn auch.
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mit Rücksicht auf das oben Gesagte, die verschiedene Starke der lymphatischen Kruste bisweilen abzuleiten. Das eben geschilderte Verhalten des Blutes unter den angegebenen Verhaltnissen ist eine Thatsache; aber die wesentliche Ursache davon ist noch nicht in's Klare gesetzt. Nach anderen und meinen Be­obachtungen scheint indess die innigere Berührung des Blutes mit der Luft ein günstigeres^Moment für die Erstarrung zu sein, als kühle Temperatur. Einige behaupten sogar, dass das Blut, unter übrigens glei­chen Verhältnissen, eher in einer hohen als in einer niedrigen Lufttemperatur erstarrt. Es ist ferner nicht zu überseheu, dass das Blut eines und desselben Thieres, welches einige Zeit nach reichlicher Futter­aufnahme abgelassen wird, in der Regel eine stär­kere lymphatische Kruste zeigt, als solches späterer Zeiträume; weil eben jenes eine reichlichere Menge des Plasma besitzt, welches nach und nach bei der Ernährung wieder verbraucht wird. Endlich ist noch bei der Beurtheilung des Erstarrungs-Vermögens des Blutes und der Bildung der lymphatischen Kruste auf die etwa dargereichten Arzneimittel mit Rücksicht zu nehmen. Es ist bekannt, dass Miltelsalze, vege­tabilische Säuren, Alkalien, noch mehr aber narko­tische und Quecksilber-Mittel die Piasticität und somit das Erstarrungs-Vermögen des Blutes vermindern, während bittere und adslringirende Mittel und be­sonders Salz- und Schwefelsäure dasselbe vermehren. Auch während des Lebens kann das Plasma des Blutes in den Gefässen zur Ausscheidung und somit zur Bildung und gradweisen Organisation des Faser­stoffs gelangen, wenn das Blut dick ist, sich träge bewegt, oder wegen irgend eines Hindernisses stockt. Solche Faserstoff-Bildungen in den Gefässen nennt man falsche Polypen, welche mit der Faserstoff-
i'ucLs, allgem, Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ^fi
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290nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien des Blutes.
Ansschwilzung bei Entzündung der Gefasswände nicht verwechselt werden dürfen. In den Herzkammern, und zwar am meisten in der rechten und in den hiermit in Verbindung stehenden Gefässen, entstehen die falschen Polypen in der Regel erst mit dem ver­löschenden Leben; in seltenen Fällen können sie aber auch ohne Zweifel schon früher entstehen, wie ich Diess einmal bei einem Pferde sah, welches an einer Aderlassfistel gelitten hatte. Die Weisse, Festig­keit und die bestimmte Organisation des Faserstoffs, so wie die stellenweise nach dem Tode stattgefun­dene Imbibition des rothen Blutserums an demselben, lieferten mir die Beweise für sein längeres Dasein. Die oben gedachte Neigung des Blutes zur Trennung in seine nächsten Bestandtheile nennt man diastas-aemia oder peloaemia. Endlich haben wir beim Ausgang dieser Betrachtungen des Blutes noch einer Anomalie desselben zu gedenken, die den nahen Tod der Thiere fast jedesmal anzeigt, wir meinen die Neigung des Blutes zur Fäulniss, oder, was dasselbe sagen will, die Neigung des Blutes zum anorganischen Chemismus oder zur Trennung in seine entfernteren Bestandtheile. Wir sagten: Neigung zur Fäulniss, weil eine wahre Fäulniss der Tod dieser Flüssigkeit sein würde, welche mit dem Leben nicht bestehen kann; allenfalls nur örtlich beim Absterben (Brande) einzelner Theile. Die Neigung zur Fäulniss können wir freilich nicht am kreisenden Blute direct wahrnehmen; alle jene Zeichen aber, welche ein tiefes Gesunkensein der Lebenskraft, ein typhöses, milzbrandiges Fieber bekunden, berechtigen uns zu der Annahme derselben; mehr aber die Erscheinung, dass bei gemachten Hautwunden, etwa zum Behufe. der Application von Haarseilen, eine starke, kaum zu stillende, den Auflösungs-Prozess verralhende paren-
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Anomalion dos Blutes.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 291
chymatöse Blutung erfolgt, oder wenn wir die Se­crete der Respirations-Organc, der Harnwerkzeuge und des Darmkanals blutig, sulzigc Ergiessungen und Windgeschwülsle (emphysemata) im Zellgewebe unter der Haut auftreten sehen. Am ehesten aber erken­nen wir jenen Zustand, den man auch als status putridus, septicus oder als dyscrasia septica bezeichnet, an dem aus der Ader gelassenen Blute, welches kaum oder gar nicht gerinnt, eine auffallende Missfarbigkeit zeigt und bald fault. Dann bei den Sectionen an den Blutextravasalen, welche durch In-fillralion das umliegende Zellgewebe roth färben; an der durch Endosmose entstandenen Röthe der inne­ren Aderhaut, und endlich an der rasch eintretenden Faulniss der Leichen. Ein derartiger septischer Zu­stand des Blutes muss begreiflicherweise dann ent­stehen, wenn die Functionen darniederliegen, welche der Sanguification dienen. Auf der anderen Seite aber Wird auch ein solcher Zustand, wenn er auf primäre Weise durch Depression der eigenen Lebens­kraft des Blutes entstanden, z. B. in Folge der Re­sorption von Jauche u. s. w., auf alle vitalen Fun­ctionen in einem hohen Grade störend wirken müssen.
Zusatz. Die aufmerksamen practischen Thierärzte sind gewiss damit bekannt, class das erstarrte Plasma und das später ausgeschiedene Serum des aus der Ader gelassenen Blutes zuweilen röllilich erscheinen. Diese Erscheinung liatte stets für den Verfasser etwas Auffälliges, indem er den Grund davon nicht gehörig einsah. Man ist leicht versucht, dieselbe einer beginnenden Sepsis zuzuschreiben, aber in dem GesammUustande der Thicre, von welchen ein solches Blut herrührt, und in dem Verlauf ihrer Krankheiten findet man die Widerlegung einer solchen Annahme, und zwar um so mehr, als man jene Erscheinung auch nicht sel­ten beim Blute ganz gesunder Thiere beobachtet. Schultz
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292nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalion ties Blutes.
hat in der neueren Zeil eine Reihe von Versuchen angestellt, welche jene Tbatsache aufklaren. Dieselben sind in seinem jüngsten Werke (Ueber die Verjüngung des menschlichen Lebens. Berlin 1842) niedergelegt. Wir glauben dieselben hier um so weniger mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, als sie auch in anderer Beziehung einen Aufschluss über das Blullebcn und gewisse krankhafte Zustünde unserer Ilauslhiere gewähren. Schultz sah nämlich bei seinen zahlreichen Versuchen über das Blut, dass dasselbe bei verschiedenen Thierarten und Individuen derselben Art in verschiedenen Zuständen, eine merkliche Verschieden­heit in der Färbung des Plasma zeigte; zuweilen war sie unmerklich und fast wasserhell, bald aber in verschie­denen Abstufungen mehr oder weniger dunkelgelb, ja bei manchen sonst ganz gesunden Thieren orange und mehr oder weniger rolh. In allen diesen Fällen zeigte nach der Erstarrung das Serum dieselbe Färbung wie das Plasma, so dass man auch von der Färbung des Serums auf die Fär­bung des Plasma im lebenden Thierc scbliessen konnte. Die Ursachen dieser Verschiedenheiten entdeckte Schultz bald darin, dass es die Menge des Getränkes war, welche die Thiere kurz vor den Versuchen erhalten halten. Hatten die Thiere viel getrunken, so erschien das Blutplasma und spä­ter das Serum dunkelgelb oder gelbrolh gefärbt, hatten sie kurz zuvor nicht getrunken, so war es nur blassgelb oder farblos. Die Versuche, welche Schultz mit dem Blute von Pferden und Ochsen durch Zusatz von Wasser ausserhalb des Thierkörpers anstellte, hatten folgendes Resultat: Schon i Procent Wasser zeigte eine merkliche Auflösung des Farb­stoffs, die indess nicht so sehr an der stärkeren Färbung des Plasma und Serums, als daran kenntlich war, dass die Bläschen durch Verlust an Farbstoff spezifisch leichter wur­den und sich weniger als im Normalzustande senkten. Ein Zusatz von 1 Procent Wasser machte sich schon mit einer etwas dunkelgelberen Färbung des Plasma und des Serums bemerklich, und ging die gelbe Färbung durch immer dunk­lere Stufen bei 2, 4, 6, Procent Wasserzusatz fort. Bei 8— 12 Procent ward die Färbung schon orange und bei 16—20
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Anomalien des Blaies.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;293
Proccut sehr rollt. Bei anderen Versuchen zeigte sich das Blut von Schafen rucksichllich der Auflösung des Farbstoffs der Bläschen durch einen Zusatz von Wasser noch viel em­pfindlicher als das Blut von Pferden und Ochsen. Aussei-den eben gedachten hatte der Zusatz von Wasser zum Blute, wie sich übrigens leicht erklären lässt, auch die Folgen, dass das Plasma veihäldiissinässig eine geringere Erstarrungsfähig­keit , und auch einen geringeren Consistenzgrad zeigte. Bei den Versuchen, welche Schultz angestellt bat, um zu erfahren, wie gross die verliältnissmässige Wassermenge sein könne, die in einem lebenden Thiere nach dem Trinken vom Blute absorbirt wird, wurde gefunden, dass dieselbe durch­schnittlich 5,7 Procent betrug. Um zu diesem Resultate zu gelangen, wurde die Wassernicngc des Blutes durstiger und getränkter Thiere dadurch bestimmt, dass eine gewisse Quan­tität desselben abgedampft und der feste Rückstand gewogen wurde. Der Unterschied des Gewichts gab so natürlich den Unterschied der Wassermenge zu erkennen. Ferner fand Schultz bei der Annahme, dass in einem Ochsen circa 60 Pfund Blut vorhanden sind, dass der Unterschied des in dieser ganzen Blutmenge enthaltenen Wassers im Vergleich eines durstigen und vollständig mit Wasser gesättigten Ochsen gegen 4 Pfund betrug. Dieses Quantum erschien dem Ver-suchssteller gegen die grosse Menge ('2—3 Eimer ä 12 Quart), welche ein solches Thier trinkt, nur gering, doch aber in Bezug auf die Wirkung, die ein solcher Verdünnungsgrad bei dauernder und wiederholter Einwirkung auf das Blut zeigt, bedeutend. Wir haben jene Versuche um so lieber hier in ihren llauplrcsullaten besprochen, als sie den Schlüssel zur Erklänmi; nicht allein der Eingangs erwähnten Ersclicinunquot; vom rölhlichcn Plasma und Serum bieten, sondern auch zur theilvveisenErklärung desTrinkbedurfnisses überhaupt und der wesentlichen Wirkung des Wassers im Blute ins Besondere dienen. Auch enlhalten sie Winke dafür, wie die Wasserkuren bei Thieren in einer Richtung wirken, und zur Erklärung des Umstandes, dass Schafen ein Uebermaass an Feuchtig­keit eher schädlich wird, als anderen Hauslhicren.
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294nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Blulbcwcgung.
Sechstes Capitel.
Anomalien der BlutLewegung.
sect;#9632; 18. Nachdem wir im vorigen Capitel die Abweichun­gen betrachtet haben, welche der Bildungsprozess des Blutes darbietet, gelangen wir in gegenwärtigem zu denjenigen Anomalien, welche sich zeigen, indem das Blut den verschiedenen Theilen des Körpers zu­geführt wird, um in denselben den Zweck der Se­cretion und Ernährung zu erfüllen. Dieser Zweck kann nur durch Bewegung des Blutes erreicht wer­den. In dieser Bewegung selbst aber können wir ein zweifaches Verhällniss unterscheiden: ein zeit­liches und ein räumliches. In dem ersteren ist die Geschwindigkeit und Aufeinanderfolge der Be­wegungen, oder überhaupt ihr Rhythmus, in dem zweiten die Richtung und Vertheilung des Blutes zu berücksichtigen. Die Physiologie lehrt, dass die phy­sikalischen Kräfte, welche man wohl ehedem als die alleinigen Hebel der Blutbewegung ansah, wie die Druck- und Saugkraft des Herzens, so wie die Aus­dehnung und Zusammenziehung der Gefässe, allein nicht hinreichen, die Blutbewegungen zu vollführen, dass wir vielmehr zur befriedigenden Erklärung der­selben zu der Annahme einer, zwischen den Orga­nen und dem Blute bestehenden lebendigen Anzie­hung und zu dem Gegensatze, welcher zwischen dem arteriellen und venösen Blute besieht, durch welche eine Abstossung und Anziehung erfolgen mag, unsere Zuflucht nehmen müssen.
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Anomalien der Blutbewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 295
I. Das Zeidiche der Blutbeweguug.
sect;.19.
Die Physiologen haben sich viel Mähe gegeben, die Geschwindigkeit und die Kraft zu bestinuuen, mit welcher das Blut den Kreislauf macht, aber man ist darin bis jetzt zu keinem sicheren Resultate ge­langt. Die Schwierigkeit, welche in dieser Beziehung obwaltet, ist hauptsächlich durch den Umstand be­dingt, dass der Kreislauf nicht aus einer einzigen gros-sen Bahn, sondern aus vielen kleinen Zweigbahnen zusammengesetzt ist. Es dürfte demnach nur mög­lich sein, die Geschwindigkeit des Biutlaufs in irgend einer beliebigen Bahn zu bestimmen; und nach die­ser die übrigen Bahnen zu schätzen. Ob aber durch eine derartige, selbst möglichst genaue Bestim­mung für die Pathologie viel gewonnen wäre, bleibt dahin gestellt; jedenfalls sei sie nur für den einzel­nen Fall und nur für eine gewisse Zeitdauer gültig, denn die Geschwindigkeit des Blutlaufs ist, wie wir wissen, ausserordentlich veränderlich. Von Einfluss auf die Geschwindigkeit der Blutbeweguug sind be-kannlhch das Alter, die Körpercoustilution, die perio­dische Steigerung und Abnahme in gewissen Fun-ctionen, die Beschaffenheit des Blutes selbst und viele andere Umstünde, wie Bewegung und Ruhe, die Schnelligkeit des Alhmens, die Qualität und Quan­tität der Nahrungsmittel und andere physische und psychische Momente. Hieraus geht hervor, dass es einige Schwierigkeit bat und wenigstens Vorsicht er­fordert, in den concreten Fällen zu bestimmen, ob die Blutbewegung eine normale oder eine abnorme sei, und dass jene Bewegung wohl um Etwas be­schleunigt oder verlangsamt sein kann, ohne deshalb krankhaft zu sein. Wir können daher nur im All-
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296nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Blulbewegung.
gemeinen sagen, dass die Blutbewegungen dann als abnorm anzunehmen sind, wenn sie schneller oder langsamer von Stalten gehen, als es die Individuali­tat und der gerade obwaltende Lehenszustand eines Thieres erfordert, und wenn diese Abweichung, wel­che zwar von Ausseneinflüssen hervorgebracht sein kann, doch nach Beseitigung derselben fortdauert und dann von einem inneren Grunde abhängig ge­worden ist. Fragen wir nun ins Besondere nach den Ursachen der abnormen Beschleunigung der ßlut-bewegung, so werden wir finden, dass sie noch viel mannichfaltiger sein können, als solche, welche eine, noch innerhalb der Grenzen der Gesundheit liegende Beschleunigung hervorzubringen vermochten. Leider aber sind wir nur selten im Stande, sowohl während des Lebens als auch nach dem Tode eines Thieres, die wahren Ursachen derselben anzugeben, und pfle­gen wir auch in unseren pathologischen Untersuchun­gen meist davon zu abstrabiren, indem wir etwas summarisch verfahren, die Schnelligkeit und Kraft der Blutbewegung als maassgebend für die Quanti­tät der Lebenskraft annehmen. Die nähere Unter­suchung wird aber lehren, dass eine abgeänderte. Beschaffenheit des Blutes selbst, hervorgerufen durch erhöhte oder mangelhafte Ausbildung desselben, oder durch die Anwesenheit fremdartiger, in ihm zurückgehal­tener oder von aussen aufgenommener Stoffe, ferner: eine Verminderung der Blutmenge durch Aderlässe und Blutflüsse, die gesteigerte Function in einzelnen Or­ganen, es bestehe diese in vermehrter Absonderung oder Ernährung, dann erhöhter Einfluss der Gefäss-nerven die enlfernteren Ursachen der Beschleunigung des Blutlaufs abgeben können; während die nächsten Ursachen immer in beschleunigten Contractionen des Herzens und der übrigen Blutgefässe, so wie in einer
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Anomalien der Blulbewcgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 297
gesteigerten Anzieliung zwischen den Organen und dem Blute begründet sind. Die Folgen des zu raschen Blullaufs sind im Ali2;emeinen: mancrelhafle ErnäfariiDs und unvollkommener Gegensatz zwischen Arterien-und Venenblut, weil das Blut nicht lange genug mit den Organen in Berührung bleibt, um die Stoflme-tamorpbose in denselben und seine eigene Umwand­lung zu bewirken. Im Gegensatz der abnormen Be­schleunigung des Blutlaufs (molus acceleratns s.) haben wir auch eine abnorme Verlangsamung desselben (m. retardatus s.) zu betrachten. Die letz­tere kann in verschiedenen Graden und selbst bis zum Stillstande (stagnatio), wenigstens in einzelnen Gefässablheilungen vorkommen. Ein allgemeiner Still­stand des Blutes ist mit dem Leben unverträglich, und selbst im Scheintode (asphyxia, mors apparens) findet wahrscheinlich noch einige Bewegung des Blules Statt; um so mehr aber noch bei der Ohn­macht (syncope) oder gar bei einer blossen Anwand­lung dazu (lypothymia). Die Ursachen der Verlang­samung des Blutlaufs sind im Allgemeinen denen der Beschleunigung entgegengesetzt, und bestehen meist in einem Gesunkensein der Lebensenergie überhaupt; in einem verminderten Einflnss der Gelassnerven und mittelbar auch des übrigen Nervensystems; in ver­minderten Muskelactionen in dem Gesnnkensein ver­schiedener anderer Functionen, wodurch eine vermin­derte Anziehung zwischen dem Blute und den be­züglichen Organen entsteht; ferner in Erweiterung und Verknöcherimg der Gefasswände oder in an­deren, sich dem Bkitstrome entgegensetzenden me­chanischen Hindernissen; endlich in einer Dickblutig-keit u. dergl. Die Folgen der zu langsamen Blut­bewegung sind sehr verschieden. Im Allgemeinen werden die Zustände, welche sie ursächlich veran-
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829nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Aaomalicu der Blutbeweguiig.
lasslcn, durch dieselbe gesteigert, oder doch alles Das, was als Ursache bezeichnet wurde, als Wirkung hervortreten können, in so fern nur eine einzige oder einzelne die Veranlassung zu jener Verlangsamung des Blutlaul's geben. Um die Blutbewegung allseitig und richtig in Bezug auf ihre inneren Gründe zu würdigen, haben wir auch auf die Kraft und den Rhythmus Rücksicht zu nehmen, womit dieselbe ge­schieht. In diesen beiden letzteren Momenten kann wohl eine Abweichung stattfinden, ohne dass damit nolhwendig eine Beschleunigung oder Verlangsamung des Blutlaufs überhaupt verbunden sein müsste. Die Kraft des Blullaufs wird vorzugsweise durch den Grad der Energie der Gefässe und durch den Zu­stand des Blutes selbst bedingt; für den Rhythmus desselben aber können wir die Ursachen nicht so genau angeben.
sect;#9632;20.
Das einzige Zeichen, aus dem wir die Art der Blutbewegung beurtheileu können, ist der Schlag des Herzens und der Arterien (pulsus cordis et arteriarum). Wir beobachten, class die Pulse des Herzeus und der Arterien im gesunden Zustande gleichzeitig (synchronisch) erfolgen, und dass zwi­schen den einzelnen Schlagen eine gewisse Zeit ver­streicht, so dass auf die Minute eine gewisse Zahl von Pulsen fällt; ferner beobachten wir, dass die einzelnen Pulse mit einer gewissen Starke und Dauer auftreten. Alle diese Merkmale des Pulses lassen sich durch eine Beschreibung nicht so bestimmt leh­ren; man muss sich vielmehr dieselben durch häu­fige Beobachtung am gesunden Thiere aneignen, um die Abweichungen gehörig beurtheilen zu können. Nur ist zu bemerken, dass selbst im gesunden Zu-
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Anomalien der Blulbewcgung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 299
stände jeuer Synciironismus nicht vollständig ist, viel­mehr ein, zwar kaum messbares, aber doch in den entfernteren Gefiissea wabrnelimhares Nachfolgen des Arterienpulses auf den llerzpuls besteht; und dass die Stärke der Pulse, so wie die zwischen ihnen liegenden Zeiten nicht ganz gleich bleiben, wodurch eben dieselben, wie alle Lebenserscheinungen, nach einem gewissen Typus und Rhythmus erfolgen, woher also nur Abweichungen von diesen, so zu sagen schon normalen ünregelmässigkeiten als krankhafte gelten können. Bei der Untersuchung des Pulses müssen wir zur Vermeidung von Täuschungen mit einer gewissen Vorsicht zu Werke gehen, dieselbe mit Ruhe und zu wiederholten Malen vornehmen, um nicht die, durch etwaige Aufregung der Thiere be­wirkte Veränderung des Pulses auf Rechnung der Krankheit zu schieben.
sect;• 21.
Herzschlag nennen wir die Erscheinung, wenn die Bewegung des Herzens dem Beobachter an der Brustwand fühlbar wird. Es ist also unrichtig von einem fühlbaren und nnfühlbaren Herzschlage zu reden; richtiger ist es dagegen zu sagen: es besteht Herzschlag oder nicht, oder: die Bewegung des Her­zens ist fühlbar oder nicht. Eben so verhält es sich mit dem Arterienschlag. Auch ist es pleonastisch, vom Pulsschlage zu reden, da Puls eben so viel bedeutet wie Schlag; es genügt also jedenfalls der Ausdruck: Puls. In den Krankheiten kommt es nun darauf an, zu erfahren, ob Herzschlag besteht oder nicht; und in ersterem Falle, in welcher Art er be­steht, da diese Erscheinung ein Hülfsmittel zur Be-urtheilung der Zustände abgiebt. Bei den pflanzen­fressenden llaussäugethicrcn besteht im vollkommo-
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nen Gesundheitszustände und in der Ruhe derselben kein Herzschlag oder nur ein gelinder an der linken Brastseite; in der Regel tritt er aber nach einer kur­zen Bewegung etwas stärker hervor. Bei den Fleisch­fressern aber ist er, wenn sie gesund, in der Regel vorhanden, wenn gleich mehr dem hinteren Ende der Brusthöle zu wahrnehmbar. Als Ursache des Herzschlags wird das Anprellen der Herzspitze gegen die Brustwand, während der Systole des Herzens, an­genommen; und wenn kein Herzschlag in den Krank­heiten besteht, auch selbst nach einer kurzen Bewe­gung der Thiere nicht hervortritt, so sind wir ge­wohnt, Diess für ein Zeichen von grosser Energie der Gefässthätigkeit und für die hohe entzündliche Ausbildung des Blutes, überhaupt für ein Zeichen des sthenischeu Zustandes zu halten. Besteht dage­gen der entgegengesetzte Fall, treten die Herzbewe­gungen deutlich hervor, so unterstellen wir auch den entgegengesetzten inneren Grund dazu. Diess scheint auf den ersten Blick etwas Widersprechendes und daher Unerklärliches zu haben; es wird daher eine kurze Erläuterung in dieser Beziehung erforderlich sein. Das Herz ist bei den pflanzenfressenden Haus-säugethieren, an den grossen Gefässstämmen hangend, so gelagert, class es bei normaler Contraction dieser Theile mehr in der Höhe schwebend erhalten wird, so dass die Spitze des Herzens, welche bei der Sy­stole der Brust wand zugekehrt wird, dieselbe nicht oder nur kaum berührt; waltet aber das expansive Moment im Gefässsystem vor, so senkt sich das Herz, wegen der obwaltenden Erschlaflung der Ge-fässstämme mehr abwärts, und muss sonach dessen Spitze bei der Systole die Brustwand eher berühren können. Dieser Grund scheint aber nicht der ein­zige für das Auf- oder Nichtauftreten des Herzschlags
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Anomalien tier Blutbewogung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 301
zu sein; es wird vielmehr die Menge des Bluts; hierauf noch einen grossen Einlluss ausüben, und der Umstand, ob sich demselben bei seiner Fortbewegung Hindernisse in den Weg stellen oder nicht. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass selbst ein pochen­der Herzschlag nicht immer ein zuverlässiges Zei­chen für die Asthenie ist, und class daher der Herz­schlag erst richtig in Vergleichung mit anderen gleich-zeiligen Erscheinungen beurtheilt werden kann. Wenn der Herzschlag stark hervortritt, so nennen wir diese Erscheinung Herzklopfen (palpitatio cordis); ausser-dem aber bat man den Herzschlag noch auf ver­schiedene andere Weise und in dem Sinne bezeich­net, wie er sich etwa dem Beobachter zu erkennen giebt, z. B. als einen pricklenden, prellenden, spritzenden, wogenden u. s. w. Alle diese Ver­schiedenheiten sind aber in semiotischer Beziehuns; nicht hinreichend gewürdigt, und selbst ist die Be­deutung des Herzschlags, wenn er nur an der rech­ten Seite auftritt, nicht gehörig erkannt. Es ist da­her die Art des Herzschlags zur Zeit für ein unzu­verlässiges und oft trügerisches Symptom zu halten.
sect;. 22. Bei dem Arterienpulse, oder bei dem Pulse schlechtweg, haben wir zunächst darauf zu sehen, ob Synchronismus zwischen demselben und dem Herzschlag besteht oder nicht. Jn letzterer Bezie­hung sind drei Fälle möglich: entweder erfolgt der Puls später als der Herzschlag, oder es bleibt dann und wann ein Puls aus, während der Herzschlag stattfindet; oder endlich, es treten mehr Pulse auf als Herzschläge. Die beiden letzteren Falle sind ge-wiss äusserst selten; im Gegentheil bemerken wir in der Regel zwischen Puls und Hcrschlag in Bezug
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Anomalien der ßliitbewegnna
auf die Zeilfolge eine grosse Uebereinstimmung, und so wie einerseits die Herzbewegung der Regulator für den Puls ist, so ist andererseits aus dem Pulse die Art der oft nicht walirnohmbaren Herzbewegung zu erkennen. Ueber den inneren Grund jener Ab­weichungen weiss man nichts Bestimmtes anzugeben; man setzt ihn überhaupt in ein Hinderniss in der Blutbewegung, was eigentlich nicht viel heisst. Daher kann auch über ihre Bedeutung in den Krankheiten nichts Sicheres aufgestellt werden. Ausseiquot; den ee-nannten sind noch viele andere Verschiedenheiten im Pulse wahrzunehmen, deren Eintheilung man begreif­licher Weise nur nach der Art ihrer Erscheinung, mithin nach mehr ausseren Gründen machen kann. Wir müssen uns inzwischen bei den blosson Be-zeiclinnngen derselben nicht beruhigen, vielmehr nach dem innern Grunde ihrer Eigenthiimliclikeit möglichst forschen, da erst bei gehöriger Erkennung desselben die Pulse als Symptome ihre wahre Bedeutung er­langen. Die Pulse lassen sich folgendermaassen un­terscheiden. a) In Rücksicht der Stärke. 1) Starker Puls (pulsus fortis). Kennzeichen: kräftiges An­schlagen des Pulses an den untersuchenden Fin­ger und grosser Widerstand beim Versuche zur Unterdrückung desselben. Ursachen: starke Zusammenziehungen des Herzens und starkes Einwirken des Blutes auf die Wände der Arte­rien. 2) Schwacher Puls (pulsus debilis). Kennzeichen und Ursachen: die dem vor­hergehenden Pulse entgegengesetzten Eigenschaf­ten und Bedingungen. 3) Harter Puls (pul­sus durus). Kennzeichen: die ausgedehnte Arterie fühlt sich wie eine straff gespannte Schnur an. Ursachen: grosse Dichtigkeit des
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Blutes und starke Contraction der Arterienwand. 4) Weicher Puls (pulsus niollis). Kennzei­chen und Ursachen: die dem vorhergehenden Pulse entgegengesetzten Eigenschaften und Be­dingungen. 1)) In Rücksicht des Raumverhültnisses. ^Gros­ser Puls (pidsus magnus). Kennzeichen-, die Ausdehnung der Arterie nimmt einen grossen und die Zusammenziehung derselben einen klei­nen Raum ein. Ursachen: Reichhaltigkeit an Blut und freie Wechsehvirkung zwischen diesem und den Gefässen. 2) Kleiner Puls (pulsus parvns). Kennzeichen: geringe Ausdehnung der Arterie. Ursachen: Blutmangel und Ueber-wiegen der Contraction in den Gefässen. 3) Vol­ler Puls (pulsus plenus). Kennzeichen: die Arterie erscheint ausgedehnt und strotzend ge­füllt. Ursachen: Grosse Menge oder vermehr­ter Ttirgor des Blutes und massige Zusammen­ziehung der Arterien. 4) Leerer Puls (pulsus vaeuus). Kennzeichen: sehr serinse Ausdeh-nung der Arterie und kaum fühlbare Blutwelle. Ursachen: Blutmangel und Schwache in den Gefässen.
Anmerk. Die Pulse 1 und 3, so wie 2 und 4 sind sich sehr ähnlich und daher schwer zu unterscheiden.
c) In Rücksicht des Zeitverhältnisses. 1) Häu­figer Puls (pulsns frequeus). Kennzeichen: eine grössere Zahl von Pulsen in einem ge­wissen Zeitabschnitte als im gesunden Zustande. Ursachen: vermehrte Lebensthaligkeit im Ge-fässsystem, und eben so oft auch ein Gesun­kensein derselben. 2) Seltener Puls (pulsus rarus). Kennzeichen: sie sind denen des vo-
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304nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Blutbewegung.
eigen Pulses enlgegengeselzt. Ursachen: wohl meist ein gehemmter Nerveneinlluss auf die Ge-fässe. 3) Der geschwinde Puls (pulsus celer) und 4) der langsame Puls (pulsus tardus) werden entweder für identisch mit den beiden vorhergehenden genommen, oder man bezieht die Geschwindigkeit und Langsamkeit auf die Ausdehnung der Gefasswand in den einzelnen Pulsen. Anmerk. Zur näheren Bezeichnung des Pulses pflegt man auch Zusammenstellungen von je zwei der bisher ge­nannten Eigenschaften zu machen, z. B. harter und vol­ler; grosser und welcher Puls u. s. w.
d) In Rücksicht der Vergleicliung der einzel­nen Pulse untereinander. Hierbei müssen die bereits* gedachten Verhältnisse in Bezug auf Starke, Raum und Zeit wieder in's Auge gefasst werden. Stimmen die einzelnen Pulse in allen diesen Verhältnissen überein, so wird er glei­cher Puls (pulsus aequalis) genannt; unglei­cher Puls (pulsus inaequalis) aber oder auch unrhythmischer, wenn sich in einem oder in mehrern jener Verhältnisse eine Verschiedenheit in den einzelnen Pulsen darbietet. Arten des ungleichen Pulses sind: 1) der aussetzende Puls (pulsus inlermittens). Kennzeichen: ein­zelne Pulse, welche nach dem Tacte eintreten sollten, bleiben aus. 2) Der mauseschwanz-ähnliche Puls (pulsus myurus). Kennzeichen: die aufeinander folgenden Pulse nehmen eine Zeitlang allmählig an Stärke und Grosse ab, bis endlich wieder ein stärkerer und vollerer Schlag dieselbe Reihe wieder von vorne beginnt. 3) Der ameisenlaufende Puls (pulsus formicans) und der zitternde Puls (pulsus tremulus). Kenn-
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Anomalien der Blulbewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 305
zeichen: Kleine, schwache und selbst ungleiche Schlage, welche zuletzt mit einer solchen Schnel­ligkeit aufeinander folgen, dass die einzelnen Pulse kaum noch unterschieden werden können. 4) Der verdoppelte Puls (pulsus duplicatus). Kennzeichen: Nach zwei, kurz aufeinander folgenden Schlagen tritt eine längere Pause ein. Von dem verdoppelten Pulse werden inzwischen zwei Varietäten aufgeführt: der doppelschla-gige Puls (pulsus dicrotus) und der hüpfende Puls (pulsus caprizans), je nachdem der erste oder der letzte Schlag den anderen an Grosse und Stärke übertrifft, so dass jener mit einem Trachäus (— v), dieser mit einem Jambus (v —) zu vergleichen ist. Der überzählige Puls (pulsus inlerciduus) und der zwischenlau­fende Puls (pulsus intercurrens) sind den vor­hergehenden ähnlich. Alle diese ungleichen Puls­arten werden zwar in den Krankheiten der Haussäugethiere beobachtet, ihr innerer Grund aber ist nichts weniger als ermittelt.
An merk. Die nähere Würdigung des Pulsos, als Zei­chen bestimmter Krankheiten gehört in die spezielle Pa­thologie.
sect;. 23.
Eine eigenthümliche Erscheinung bei Thieren mit Erweiterung und Ueberfüllung der rechten Ilerzhälfte, sagt Ryebner, trete in den Drosselvenen hervor, bekannt unter dem Namen: venöser Puls. Diese Erscheinung habe mehrfach zu Irrtbümern Veranlas­sung gegeben, und namentlich zu dem Wahne, es habe das Blut in diesen Gefässen eine umgekehrte Bewegung, also vom Herzen zurück zur Peripherie angenommen. Die Sache aber beim hellen Lichte
Fuchsj alldem. Puthol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;OH
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30{]nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Blulbewegung.
betfachtet, verhalte sich keines-wegs so; diese schein­bare Rückbewogung sei vielmehr nichts Anderes, als ein wellenförmiger Rlickstoss von der Zusammenzie­hung des rechten Herzens, wobei dessen Vorhof schon überfüllt sei, und somit das zugeleitete Rlut nicht in demselben nach Maassgabe aufgenommen werden könne, und daher eine Art Prellung erleide, die sich an dem Halse hinauf in den Drosseladern deutlich wahrnehmen lasse. Vielen Thierarzten ist gewiss die Erscheinung des Zurückstauens des Blu­tes in gefahrlichen, typhösen Krankheiten der Pferde bekannt. Etwas Auffallendes aber bat die (im Rec. de medecine velerin. Dec. 1840) erzählte Thatsache, dass ein, an Desorganisation der Lunge und Leber, n)it ausserordentlicher Vergrösserung des letzteren Oreänes leidendes und daran verstorbenes Pferd einen venösen Puls an den Jugiilarvencn, und zwar nur 4—5Mal in der Minute zeigte. — Obgleich Ryebner nach der vorstehenden Bemerkung über den Venenpuls eine rückgängige Bewegung des Blu­tes, also eine, der normalen Richtung entgegenge­setzte zu leugnen scheint, so ist dagegen zu bemer­ken, dass eine solche sogar im normalen Zustande, wie wir unten sehen werden, vorkommt, und ist daher dieser Vorgang auch höchst wahrscheinlich in Krankheiten vorhanden. Denn Stark bemerkt, dass kein anomaler Zustand etwas Einziges und als sol­cher Exislirendes sei, sondern immer sein normales Vorbild habe, oder vielmehr bloss durch eine räum­liche und zeitliche unzweckmässige Beziehung eines normalen dazu werde. Diesem Ausspruch dürfen wir noch erläuternd hinzufügen, wie eben so wohl die Möglichkeit vorhanden sei, dass ein jeder normaler Zustand jene nnzweckmässigen Beziehungen eingehen könne und dadurch zn einem abnormen werde. Als
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Anomalien der Blutbewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; .^07
JJcwcis für das normale Vorkommen verkehrter Blut­bewegung möge dienen, dass ja im Fötus die Pfort­ader, ein Theil der hinteren Hohlvene und die Lun-genarlcrie ein mehr arterielles, dagegen die Nabel­arterien ein mehr venöses Blut führen. Auch bemerkt man bei mikroskopischen Beobachtungen häufig in dem Capiliargefässsystem, wenn sich dem Blutstrom ein Hinderniss entgegenstellt, im arteriellen Gefäss-theile eine Hnckbewegung des Blutes dem Herzen zu. Wie dem aber auch sein möge, so kennen wir keine Falle, wo eine solche Bückhewegung einen ausgezeichneten krankhaften Zustand bei den Thieren darstelle; und die Erscheinung, dass bei Verwundun­gen das Blut eben so wohl von den Arterienzwei­gen nach den Arterienstämmchen, als von den Ve-nenstämrachen nach den Venenzweigen zufliessf, mag am natürlichsten dadurch erklärt werden, dass das Blut in einem solchen Falle am ehesten dahin fliessen wird, wo es am wenigsten Widerstand findet.
II. Das Räumliche der Blutbewegung,
sect;. 24. Wenden wir uns nun zu den räumlichen Bezie­hungen der Bewegung des Blutes, oder was dasselhe sagen will, zur Verlheilung desselben, so werden wir uns erinnern, dass eine ganz gieichmässige Ver-theilung des Blutes sogar im normalen Leben nicht stattfindet. Vielmehr erhalten die verschiedenen Or­gane, nach der Verschiedenheit und dem Grade ihrer Functionen, auch eine verschiedene Menge Blutes; obgleich das Herz allen Körpertheilen das Blut in einem gleichmässigen Strome zutreibt: Hieraus wird es klar, dass die Thätigkeit des Herzens nicht die einzige Ursache für das Hinströmen des Blutes zu
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308nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Blutbewegung.
den Organen sein könne, dass sie vielmehr zum Theil auch auf einer, zwischen dem Blute und den Orga­nen bestehenden lebendigen Anziehung beruhe. Aus dem eben Angedeuteten ist ersichtlich, dass es auch normale Congeslionen giebt. Es muss demnach die krankhafte dahin bestimmt werden, dass diese in einer grösseren Zufuhr des Blutes zu einem Organe, als zu der Function desselben erforderlich ist, besteht. Wir erinnern bcispielsNveise an den ungeheuren Blut-zufluss, welcher in der schwangeren Gebarmutter oder in den milchenden Eutern stattfindet; aber ein sol­cher ist um deswillen nicht für krankhaft zu halten, weil ein normaler Vorgang ihn fordert. Dagegen kann ein viel geringerer Blutzufluss zu eben diesen TheiJen dann als krankhaft betrachtet werden, wenn sie für die Zwecke der Gattung nicht tbatig sind. Man hat die Congestionen als nicht m emem ver­mehrten Andränge des Blutes zu den Organen, viel­mehr nur als eine blosse Anhäufung (aecumulatio) in Folge behinderten Rückflusses betrachten wollen. Diese Ansieht ist aber viel zu mechanisch, als dass sie sich mit dem Leben vertrüge, auch wird das bereits Gesagte schon hinreichen, sie als irrlhümlich zu erweisen. Der Unterschied zwischen der activen und passiven Congestion (congeslio activa et passiva) wird darin gesetzt, dass die erstere wirk­lich in Folge eines vermehrten Eiutzuflusses entstellt, mithin das thalige Moment in ihr das vorherrschende ist, wogegen man in den passiven Congestionen eine Ersehlaffung und Erweiterung der Gefässc, mithin eine Blutaiibäufung, ein mehr leidendes Moment un­terstellt. Diese Unterschiede sind aber in den gege­benen Fallen sehr schwer festzustellen, und zwar zum Theil desshalb, weil die active Congestion nicht selten in die passive übergeht, und die letztere die
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erslerc in der Regel zur Folge hat, oder auch beide zugleich in einem und demselben Organ vorkommen. Die angenommenen arteriellen und venösen Con-gestionen sind in so fern mit der acliven und passiven Congestion für gleichbedeutend zu halten, als die beiden ersteren die Gegensätze auf einem vermehrten Zufluss des arteriellen Blutes, die beiden anderen aber auf einem verminderten Rückfluss des venösen Blutes beruhen. Bei der Leber aber stellt sich das Verhältniss anders und zwar auf eine zwei-faclie Weise dar. Hier sind sowohl die Pfortader, eine Vene, als auch die Leberarterien die zuleiten­den Gefässe; mithin kann in der Leber sowohl eine active arterielle als auch eine active venöse Con­gestion angenommen werden. Auch in Bezug auf die Höhlen des Herzens sind die Venen die zufüh­renden, die Arterien aber die ableitenden Gefasse für das Blut. Die in diesem Orsan aneenommene Hohlvenen-Congestion dürfte aber passender als eine blosse Blutanhäufung zu bezeichnen sein, wenn man nicht alle Bcgrifle verkehren und zuletzt dahin gelangen will, die Anhäufung oder Stockung des Blutes in krankhaft erweiterten Gelassen als Con­gestion zu bezeichnen. Das hier Gesagte hat natür­lich mit der allerdings vorkommenden wirklichen Congestion der Substanz des Herzens nichts zu schaf­fen. Die Lehre von den Congestionen ist von grosser Wichtigkeit, weil sie in allen Krankheilszuständen mehr oder weniger in Betracht kommt, und weil die Congestion die Entzündung einleitet. Das Nähere über jene Lehre aber gehört in die spezielle Patho­logie, oder, wie bereits früher bemerkt, in eine Uebergangslehre zu derselben, in welcher sie mit der Entzündung und dem Fieber genicinschafllich als eine der Grundformen der Krankheiten betrachtet
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310nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secretionen.
#9632;wird. Das Vorhergehende haben wir indess zur phy­siologischen Begründung und zur Feststellung der Begritle in BetrelF der Congestion anführen zu müssen geglaubt.
Ein, der Congestion entgegengesetzter Zustand ist der verminderte Blutzufluss. Dieser hat eben­falls im normalen Leben, nämlich in der zeitlichen Abnahme oder in dem gänzlichen Verschwinden von Functionen, seine Vorbilder. Ein verminderter, nicht bloss auf einem mechanischen, sondern eben so häufig auf einem dynamischen ursächlichen Verhältniss beruhen­der Zufliiss des Blutes findet in den Krankheiten häufig Statt, z. B. bei der Verminderung oder Auf­hebung des Nerveneinflnsses auf die Organe, oder auch in solchen Organen, welche mit den, im Con-gestions-Zustande befindlichen in antagonistischer Be­ziehung stehen.
Siebentes Capitel.
Anomalien in den Seoretioueu.
I. Von den Fehlern der Secretionen überhaupl.
sect;• 25. Die Absonderung (secretio) kommt durch die Wechselwirkung der Capillargefässe mit dem Paren-chym der Organe unter dem Einflüsse von Nerven zu Stande. Durch diese Wechselwirkung treten Theile des Blutes über die Grenzen der Gefässe hinaus und werden in den betreffenden Organen zu Secreten hervorgebildet. Obgleich die Physiologen dem Wesen des Secretions-Vorganges schon ziemlich nahe getre­ten sind, so sind doch noch manche Seiten dessel­ben dunkel geblieben. Man muss erstaunen, wenn
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Anomalien in den Seccetionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 311
man siebt, dass aus einer gleichartigen, indltFerejatefi
Flüssigkeil, dem lilule (welclies man in der, in Rede stellenden Beziehung als Mutterflüssigkeit betrachtet) die verschiedenen Organe die für ihre Ernährung nothwendigen, in den verschiedenen Gebilden so sehr abweichenden Stoffe anziehen, ihrem Zwecke gemass metamorpliosiren und zugleich bewirken, dass so sehr verschiedenartige Secrete hcrvorgebildet werden, deren entfernteste Beslandlheile wohl, aber nicht die näheren als solche im Blute alle vorhanden sind. Es ist schwierig, den Begriff eines Secrets ge­nau festzustellen, da im Organismus üherali Ueber-giinge und Annäherungen slaltünden. NamenlUch ist es schwierig, die auf einer blossen Durchschwiz-zung (exesmosis) beruhende Ausdünstung (exha-latio) und Ausschwitzung (exsudalio) von der Se­cretion gründlich zu unterscheiden, da bei der letz­teren ebenfalls die Exosmose als ein Moment mit ins Spiel kommt. Wir werden daher im Verlaufe des Vortrags keinen Unterschied in dieser Beziehung her­ausstellen, vielmehr unter dem höhern Begriffe der Secretion die anderen gedachten Vorgänge mitbefas­sen. Den Unterschied zwischen Secret und Excret können wir aber im Allgemeinen so feststellen, dass das erstere eine, von dem Organismus bereitete Flüs­sigkeit ist, welche einen Zweck für die Erhaltung seiner selbst oder der Gattung zu erfüllen hat, dass das Excret aber solchen Zwecken nicht dient und auch nicht dienen kann, da es aus den Residuen der organischen Metamorphose besieht und selbst nicht organisch belebt ist; woaeeen die Secrete or-ganische Forraelemenle zeigen. In der Galle haben wir aber eine Flüssigkeit, wobei sich die excreüellc und secretielle Natur die Wage halten mögen, wor­über in dem, derselben gewidmeten CapiteJ ein Nä-
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312nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secrelioncn.
heres angeführt werden wird. Jene Definition eines Secrets lässt zu, dass derjenige Stoff, welcher un­mittelbar zur Ernährung der Organe verwandt wird, ebenfalls zu den Secreten gezählt wird. Man hat daher den Vorgang der Bildung dieses Stoffs allge­meine Secretion genannt, spezifische dagegen diejenige, in deren Folge mehr oder weniger aus­gezeichnete, ihrer Natur nach verschiedene Flüssig­keiten gebildet werden, welche zwar bei der Erhal­tung des Individuums und der Gattung mitwirken, aber nicht unmittelbar für den Stoffansatz dienen. Man wird aber leicht gewahren, dass auch so die Scheidung der Begriffe nicht streng durchzuführen ist; denn bei der allgemeinen Secretion ist ebenfalls in so fern eine spezifische zu bemerken, als in den verschiedenen Gebilden auch eben so verschiedene Qualitäten des Stoffs auftreten. Die durchgreifende, allgemein gültige, den Unterschied zwischen der Er­nährung, der eigentlichen Secretion und der Excre­tion begründende Vorstellung der Physiologen ist die: dass das Secretions-Organ dem Blut mehr flüssigen Bildungsstoff entzieht, als es zu seiner eigenen Er­nährung bedarf, und ihn dann als Secret, über seine Grenzen, anderen Organen zur Verwendung für das Beste des Organismus zuführt; während das Excre-tions-Organ, ausser seinem Bedarf an Nahrungsstoff, auch noch die, für den Organismus unbrauchbar ge­wordenen oder demselben schädlichen Stoffe aus dem Blute hinwegnimmt und sie über dessen Grenzen schafft. Die hier bezeichnete allgemeine Vorstellung von der Secretion ist nun freilich in der neusten Zeit, nachdem man den Bau der drüsigen Organe mikroskopisch näher erforscht hat, mehr spezialisirt worden, indem man vorzugsweise die Veränderungen in Betracht zog, welche an der inneren Wand der
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Anomalien in den Secrclionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;313
secernirenden Schlauche durch die Metamorphose des hier befindlichen Epitheliums vor sich gehen; aber es kann nicht unser Zweck sein, uns hier auf schwankende mikrologische Erörterungen ein­zulassen.
Da die Secretionen, ihrer Menge und Beschaffen­heit nach, Abweichungen zeigen, auch normale und abnorme Secrete an Orten vorkommen können, wo sie ursprünglich nicht entstanden zu sein scheinen, so müssen wir, zum besseren Verstandniss, diese Mo­mente in der folgenden Betrachtung besonders be­rücksichtigen.
sect;• 26.
Um ein gehöriges Verstandniss in die quantita­tiven Abweichungen der Secretionen zu brin­gen, muss nochmals daran erinnert werden, dass bei der Absonderung überhaupt die Wechselwirkung der Haargefasse mit dem Gewebe der Organe in Betracht kommt. So wird leicht eingesehen werden können, dass, je mehr Blut die gedachten Gefässe enthalten, und je inniger jene Wechselwirkung, oder mit ande­ren Worten, je lebhafter die Function des absondern­den Organs ist (welche letztere jedoch nicht bis zur Entzündung gesteigert sein darf), auch die Secretion um so bethatigter erscheinen müsse. Demnach muss alles Das, was die Blutmenge und die Secretions-Organe auf eine spezifische Weise zu vermehren im Stande ist, auch der Absonderung unmittelbar förder­lich sein. Auf eine mehr mittelbare Weise kann aber auch die Secretion eines Organs vermehrt werden, wenn die Function eines anderen secernirenden Or­gans, welches mit ihm in einer consensuellen oder antagonistischen Beziehung steht, in dem ersteren Falle vermehrt, und in dem zweiten vermindert ist.
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314nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Sccretionen.
Es ist nicht leicht zu bestimmen, ob in einem ge­gebenen Falle eine absolute Vermehrung der Secre­tion stattfindet; denn das allgemeine Kennzeichen einer solchen, dass sie in einer grösseren Absonderung besteht, als es der temporäre Lebcuszustand eines Organes fordert, ist um so unbestimmter, als schon im gesunden Zustande von den Secretions-Organen eine gleiche Menge Flüssigkeit nicht abgesondert wird. Nehmen wir sodann noch Rücksicht auf die Fälle, wo die Ausführung eines Secrets durch irgend einen Umstand behindert und daher Veranlassung zur An­sammlung desselben gegeben ist, oder auch auf die, wo die Aufsaugung vermindert, oder wo die Aus­führung des Secrets sogleich nach seiner Bildung gegeben ist: so werden wir bemerken, dass sich einem sicheren Urtheile in jener Beziehung viele Hin­dernisse entgegensetzen. Da das Blut und das se-cernirende Organ die beiden Hauptfactoren der Se­cretion sind, so müssen sich auch die Folgen einer abnormen Vermehrung der letzteren zunächst in jenen zu erkennen geben. Das Organ kann durch zu grosse Steigerung seiner Thäligkcit in Erschöpfung verfallen, oder durch Hypertrophie zur ferneren Secretion un­tüchtig werden; das Blut aber wird durch Verbrauch zu sehr in Anspruch genommen, und muss daher, beim Mangel des erforderlichen Ersatzes, aligemeine Abmagerung entstehen, abgesehen davon, dass auch durch Vermehrung einer oder mehrerer Secretionen selbst die Mischung des Blutes gefährdet werden kann, in so fern durch einseitige Entziehung seiner Stoffe das Gleichgewicht seiner Beslandtheile aufge­hoben wird. Die Kennzeichen sowohl, als auch die ursächlichen Verhältnisse der Secretions-Venuinderung werden sich aus dem Vorhergehenden durch eine Umkehrung leicht ableiten lassen. Die Folgen der
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Anomalien in den Secretiouen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;315
Verminderung der Secretion geben sich ebenfalls zu­nächst in ihren beiden Factoren zu erkennen. In dem secernirenden Organ tritt Atrophie ein, welche bis­weilen mit Textur-Veränderung verbunden ist; oftmals sieht man aber auch dasselbe hypertrophisch. Dann ist dieser Zustand aber nicht als die Folge, sondern als die Ursache der verminderten Thätigkeit zu be­trachten. In dem anderen Factor, im Blute, treten die Folgen der verminderten Secretions-Thätigkeit dadurch hervor, dass in demselben Stoffe zurückge­halten werden, weiche für die Absonderung bestimmt waren. Hierdurch wird einerseits Fülle des Blutes, andererseits aber eine übele Mischung desselben ent­stehen. Die ferneren Folgen der Verminderung der Secretion eines Organes bestehen in deren Vermeh­rung in einem anderen, welches mit jenem in einem antagonistischen Verhältnisse steht, und dann, was jedenfalls schlimmer ist, in Störung derjenigen Fun­ction, bei welchen das Secret ein Geschäft zu über­nehmen bat, oder endlich gar in einem heftigen Reactionsfieber und in Metastasen, wenn die Unter­drückung einer Absonderung plötzlich entstand.
sect;.27. Die Abweichungen in der Qualität der Sc­ore tionen sind noch viel schwieriger zu bestimmen, als solche in der Quantität; denn die bisherigen Un­tersuchungen haben gelehrt, dass die Secrete sich rücksichtlich der Beschaffenheit selbst im gesunden Zustande nicht gleich bleiben, sondern mannichfache und oft bedeutende Abweichungen in dieser Hinsicht wahrnehmen lassen, wie sie gerade von den Fun-ctionen oder von dem Lebenszuslande gefordert, oder wie sie durch die Beschaffenheit des Blutes, durch den Grad und die Art der Thätigkeit der secerniren-
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31Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secrotionen.
den Organe bedingt werden. Daher können wir die Grenzen der Normalität und Abnormilät in den Se-cretcn eigentlich nicht kennen lernen. Um aber ein Secret rucksiehtlich seiner Qualität möglichst gründ­lich zu beurthellen, müssen wir auf seine physischen, chemischen und organischen Eigenschaften Bedacht nehmen. Die Mittel also, wodurch wir zu jener Be-urlheilung gelangen, sind eines Theils einfache sinn­liche Wahrnehmungen, nebst der Erforschung mit dem Mikroskop, und anderen Theils die chemische Prüfung. Da aber selbst ausgezeichnete Physiologen und erfahrene Chemiker oftmals in der Angabe über die Qualitäten der Secrete nicht übereinstimmen, viel­mehr in denselben nicht selten Widersprüche enthal­ten sind: so müssen wir zur Zeit auf die Beurthei-lung der feineren Qualitäts-Abweichungen jedenfalls verzichten, bis die Thierärzte dereinst mit allem dem Wissen ausgerüstet sein werden, wie es Forschungen der Art erheischen; ich sage-, bis die Thierärzte im Besitze einer durchweg physiologisch begründeten Pathologie, einer ansehnlichen Kenntniss der organi­schen Chemie und einer hinreichenden Geschicklich­keit in deren Ausübung sind, diejenige Liebe zur Sache haben und diejenige Zeit aufwenden können, welche Untersuchungen so feiner Art erfordern. Und wenn wir auch endlich so glücklich wären, auf den eben bezeichneten Standpunct zu gelangen, so wür­den wir doch auf eine gänzliche Ueberemstimmung der gewonnenen Thalsachen verzichten müssen, weil eben das Leben nichts Stillstehendes, vielmehr ein, einen fortwährenden Wechsel bedingender Vorgang ist, mithin auch seine Producle dieses Gepräge an sich tragen müssen. Wenn man nun aber das hier Gesagte schon für das einzelne Individuum geilen lassen muss, wie viel mehr Gültigkeit muss es dann
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Anomalien in den Socretionon.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;317
rücksiclillicli der Beiulheilung der Secrete verschie­dener Individuen haben. Hieraus folgt nun, dass wir uns zur Zeit mit der Kennlniss der auffallenderen Abweichungen der Secrete begnügen müssen, wie sie durch die einfache sinnliche Wahruehinung und durch leicht anzustellende chemische Untersuchungen gewonnen wird. Hiermit können wir uns auch um so eher begnügen, als die physischen Eigenschaften der Körper mit ihrer Qualität in Beziehung stehen, und als in den meisten Füllen nur auffallende Ab­weichungen der Secrete in das Reich der Krankheit gezogen werden können. In Betreff der physischen Eigenschaften der Secrete verdient die Consi-stenz am meisten unsere Aufmerksamkeit. Diese kann vermehrt und vermindert erscheinen; und da alle Secrete aus festen und flüssigen Tbeilen zusammen­gesetzt sind, so werden in dem ersteren Falle die festen, im zweiten die flüssigen überwiegen. Die Ursachen der Vermehrung jener Consistenz sind eines Theils in dem besonderen Lebenszustande der be­treffenden Organe zu suchen, und anderen Theils in dein Reichthume des Blutes an plastischen Stoffen überhaupt, oder an solchen Bestandtheilen, welche in die Mischung der Secrete eingeben können. Alles Das also, was nülier oder entfernter die Consistenz des Blutes zu steigern im Stande ist, z. B. Stärke­mehl- und Eiweiss-reiche Nahrungsmittel, kräftige Ver­dauung, Mangel an Getränk u. s. w. muss mithin auch, bei übrigens günstigen Verhältnissen in den Blut bereitenden Organen, zur Vermehrung der Con­sistenz der Secrete beitragen. Die übeln Folgen die­ses Fehlers bestehen hauptsächlich darin, dass die Secrete wegen ihrer Zähigkeit nicht leicht abfliessen, und dass oftmals Ausscheidung eines Theiles ihrer festen Bestandtheile in Pulverform oder als Aggre-
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318nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secrelioncn.
galioncn entsteht, quot;wodurch der Aljfluss der Secrele noch mehr behindert und seihst Reizung und Ent-zünclung dei' betreffenden Organe bewirkt werden kann. Die Zähigkeit der Secrete muss aber auch, selbst ohne Rücksicht auf die, mit einem solchen Zustande in Zusammenhang stehende, abnorme Mi­schung, noch den Nachtheil haben, dass sie ihre Function wegen der weniger leichten Berührung und Vermischung mit anderen Stoffen nicht gut erfüllen können (zähe Galle z. B. vermischt sich nicht gehö­rig mit dem Speisebrei); oder dass sie die Einwir­kung von Stoffen erschweren (zäher Schleim in den Luftwegen z. B. bietet ein Hindernisss für die Wech­selwirkung der Luft mit dem Blute). Die Vermin­derung der Consistenz der Secrete hat gemeinhin dem vorhergehenden Zustande entgegengesetzte Ur­sachen, und ihre nachtheiligen Folgen bestehen meist darin, dass die Secrete wegen des geringen Gehalts an wirksamen Bestandlheilen ihrer naturgemässen Function nicht entsprechen (so wird z. B. eine sehr wässrige Galle nicht gehörig zum Behufe der Neu­tralisation und der Ausscheidung auf den Chymus wirken und somit zu einer fehlerhaften Chylification Veranlassung geben. Was die chemischen Eigen­schaften der Secrete anbelangt, so wissen wir freilich, dass manche Stoffe, welche zufällig mit den Nahrungsmitteln vermengt waren oder absichtlich als Arzneimittel dienten, in die Secrete übergehen kön­nen; aber auch ohne solche Verhältnisse kann ein Mischungsfehler der Secrete entstehen, wovon wir zwar die Ursache in die veränderte Beschaffenheit der Secretions-Thätigkeit setzen, ohne jedoch das nähere Verhällniss mit Zuverlässigkeit angeben zu können. Wenn ein Secret nicht mit der gewöhnlichen Farbe, Klarheit oder Trübe und mit dem ihm eigen-
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Anomalien in don Socrelionon.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;319
tliümliclien Gornclio anflrilt, so können wir cine Aliena­tion in dessen Mischung annehmen; noch mehr aber, wenn seine Alkaloscenz oder Säuerung überwiegt, oder wenn das sonst alkalische Secret sauer und das sonst saure alkalisch reagirt, oder endlich, wenn eine sonst aullallende Reaction in einer dieser Be­ziehungen mangelt. Durch solche Verhallnisse wird entweder eine zu grosse Differenz oder Indifferenz, eine Scharfe oder Fadheit in den Secreten bedingt, wovon man die Scharfe, den Umständen nach, als saure oder als alkalische bezeichnet. Dass Mischungs­fehler der Secrete die Function dieser beeinträchti­gen und endlich den dyscrasiseben Zustand des Blu­tes, dem sie zum Theil ihre Entstehung verdankten, befördern müssen, wird klar sein. In Betreff der or­ganischen Veränderungen der Secrete haben wir zunächst daran zu erinnern, dass alle Secrete in so fern organisch belebt sind, als sie im normalen Zustande mehr oder weniger ausgezeichnete, eigen-thümliche Formelcmenle besitzen, von denen eine gewisse Art im Samen sogar ein thierisches Leben zu haben scheint (Samenthierchen). Wenn ein Secret die ihm eigenlhümlichen Formelemenle nicht hat, z. B. der Schleim keine Schleimkügelchcn, der Sa­men keine Infusorien, so ist es als organisch verän­dert zu betrachten, und kann seine Function nicht gehörig erfüllen (Samen ohne Infusorien befruch­tet nicht).
. sect;#9632; 28. Oertlichc Abweichungen in den Secretio-nen sind dann anzunehmen, wenn Secrete oder auch nur die wesentlichen Bestandtheile derselben in sol­chen Organen vorkommen, in denen sie naturgeinäss nicht vorkommen sollten. Von den Alten wurde diese Erscheinung, so wie das Vorkommen des Blutes in
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320nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Sccrotioncn.
nicht Llulfiihienden Gefassen, so wie in anderen Ka­nälen: Ortsverirrung (error loci) genannt. Bei den Thieren kennen wir nur von der Galle oder von ge­wissen Bestandtheilen derselben eine solche Orlsver-irrung mit Bestimmlheit. Sie tritt dann ein, wenn die Ausleerung der Galle in den Darmkanal durch irgend einen Umstand behindert ist, oder wenn eine zu reichliche Absonderung staltfindet, oder auch endlich, wenn ein Rückhalt der Elemente der Galle im Blute besteht, wo dann in den beiden ersteren Fällen zu­nächst eine Aufsaugung und Ueberführung derselben in das Blutgefässsystem, und sodann in allen drei Fällen eine Versetzung vielleicht in alle Körpertheile, die Secretions-Flüssigkeiten nicht ausgenommen, zu Stande kommt. Ein solcher Zustand giebt sich be­kanntlich beim lebenden Thiere durch Gelbfärbung der sichtbaren und durchscheinenden Hautgebildc; in der Milch durch gelbe Farbe und bitteren Ge­schmack, und im Urin durch Gelbfärbung eines ein­getauchten weissen Leinwandlappens zu erkennen. Ob bei dem Thiere wahre Milchversetzungen nach der Unterdrückung ihrer Secretion in den Brüsten, wie sie heim Menschen oftmals beobachtet worden sind, ent­stehen, ist nicht mit Bestimmlheit ermittelt. Das ziem­lich häufige Vorkommen der Milch in den Eutern männlicher Thiere kann zum Theil zu den örtlichen Abweichungen der Secretionen gezählt werden, da die Euter dieses Geschlechts naturgemäss nicht für die gedachte Absonderung bestimmt sind. Auch das Vorkommen des Euters an solchen Orten, wo er nicht gebildet wurde, gehört zum Theil hierher.
Zusatz. Im Folgenden werden, der Eintheilung zu Folge, nur diejenigen Secretionen betrachtet, welche einen Bezua auf das Bildungsleben des Individuums haben, und
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Anomalien in den Secreüonen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;;j21
diejeuigen, welche dem Gattuugsleben dienstbar siiul, in den, demselben gewidmeten Abschnitt verwiesen.
II. Von den Fehlern der Secretionen .insbesondere. A) Normale Secretionen. sect;. 29. Die seröse Flüssigkeit (serum) findet sich im gesunden Zustand in den mit einer serösen Haut ausgekleideten llöliien des Körpers und in dem um-liiilienden und Zwischenzellgewcbe (interstitieüen Ge­webe) der Organe in einer solchen Menge und Be-schaffenheit vor, dass die Organe ihre freie Function ausüben können, und das Aeussere des Körpers mit einer gewissen Lebeosschwellung erscheint. Das Se­rum der normalen Zustande erscheint als eine klare Flüssigkeit, welche schwach alkalisch reagirt, und mit dem Mikroskop bemerkt man darin mehr oder weniger scharf begrenzte Kügelchen (liiweisskügel-chen). Chemisch betrachtet besieht das Serum zu­nächst aus Wasser und festen Stoffen; die letzteren aus Eiweiss, Natrum und einigen Salzen, namentlich salzsauren. Das Serum entsteht auf dem Wege der Durchschwitzung und ist nichts Anderes, als der etwas modifizirte seröse Bestandthefl des Blutes. Aber es ist wahrscheinlich, dass die Bestaadtheile des Serums sich in quantitativer Beziehung nicht aller Orten gleich­bleiben; denn Bur dach hat durch eine Zusammen­stellung von vielen chemischen Untersuchungen des Serums aus verschiedenen Körperhöhlen des Menschen gezeigt dass der Gehalt an Eiweiss und an feuerbestän­digen Stoffen darin vom Kopfe gegen das Becken hin immer grosser wird. Die Absonderung des Serums kann in so fern krankhaft erscheinen, als es Abwei­chungen in seiner Beschaffenheit und Menge zeigt. Anstatt das Serum sonst klar und wasserhell is(, sieht,
Fuchs, alldem I'atJioI,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 0 4
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Anomulieii in den Secrclionoli.
man es zuweilen trübe, gelblich, selbst rölMlch und grünlich; es enthalt dann zuweilen Faserstofl'-Gerinsel, Blut- und Gallen-Farbstoff, Speichelsloflquot;, Harnstoff, Osmazom, und der Gehalt desselben an Eiweisssloff ist zuweilen so gross, dass er in der Hilze vollstän­dig gerinnt. Eine krankhafte Vermehrung des Se­rums ist dann anzunehmen, wenn seineMenge die Func­tion der Organe durch Druck beschränkt. Die Ursachen der Vermehrung des Serums sind entweder Blntwass-riskeit oder Erschlaffune der dasselbe aussondernden Organe, oder sie herüben, was wahrscheinlich am häufigsten der Fall ist, auf beiden Zuständen zugleich, da Blutwassrigkeit stets Erschlaffuog der Organe zur Folge bat. Die krankhafte Vermehrung des Serums hat man auch wohl von verminderter Aufsaugung abhängig gemacht, ohne jedoch die letztere nach­weisen zu können. Wir sehen die seröse Abson­derung eines Organes sich dann vermehren, wenn sie in einem anderen, mit demselben im Antagonis­mus stellenden in Folge ausserer Einflüsse oder eines krankhaften Zustandes vermindert oder gar unter­drückt ist; so erfolgt z. B. insgemein nach Unter­drückung der Haut- und der Lungcnausdünslung, wie es unter anderen bei feuchl-kali.er Witterung der Fall ist, vermehrte Absonderung des Serums in der Bauch- und Brusthöhle, wenn nicht durch die Ilarn-absonderung eine stellvertretende und vermehrte Ab­sonderung von wässrigen Theilen erfolgt. Auf eine mehr active Weise kann in entzündlichen Zustanden eine rasche und grosse Vermehrung des Serums stattfinden. Hierzu wird aber jedenfalls nur ein ge­ringer Grad der Entzündung erfordert, da heftig ent­zündete Organe entweder keine seröse Absonderung zeigen, weil sie hei der gesteigerten vegetativen Tha-tiskeit das Ausgesonderte zur Vermehrung ihrer eige-
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Anomalien in den Secretionon.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;323
iien Masse verwenden. Auch wird jene Behaaptang eines Tlieils dadarcfa begründet, dass sicli die Ver-melimng der serösen Absonderung nur in den, von heftig entziindeten Theilen entfernter liegenden Stel­len, mithin in deren Umkreise zeigt; anderen Theils aber dadurch, dass tibermässige seröse Absonderung häufig den Nachlass der Entzündung begleitet. Diese Erscheinung ist dadurch zu erklären, dass noch ein congestiver Zustand fortbesteht; class durch die ver­mehrte Action während der Entzündung nothwendig eine Erschlaffung in den betreffenden Organen ein­treten muss, und endlich, dass der plastische Stoff im Blute während der Entzündung verbraucht wor­den, und hierdurch ein üebergewicht seines serösen Be-slandtheiles eesreben ist Verminderuns des Serums entsteht durch die der Vermehrung enteesensesetzten Verhältnisse, sowohl rücksichllich der primären, im Blutgefässsystcm und in den secernirenden Organen, als auch der mehr secundären, im Antagonismus lie­genden. Die Erscheinungen der vermehrten und ver­minderten serösen Absonderung sind nach ihrem Grade und nach dem betroffenen Organe verschieden. Im Allgemeinen wird ein hoher Grad der Vermeh­rung des Serums als ein wassersüchtiger Zu­stand bezeichnet, der dann nach dem Orte des Vor­kommens einen besonderen Namen erhält (Ilöhlen-Gelenkwassersnchl, Gallen). Allgemeine Wassersucht des peripherischen Zellgewebes wird Anasarca, be­grenzte aber Oedema genannt. Das Serum ist nicht immer an der Stelle entstanden, wo es im Uehcr-maass erscheint; es gelangt vielmehr oft durch Wan­derung, vermittelst Endosmose und Senkung dahin, so Oedema an der unleren Fläche der Brust und des Bauches, und an den Schenkeln bei Brust- und Hauchwassersucht. Die Verminderung des Serums in
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304nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in ilcn Secretionon.
dem, unter der Haut belindlichen Zellgewebe giebt sich durcb gesunkenen Turgor, Trockenheit, und festes Anliegen der Haut und durch Glanzverminderung des Haares zu erkennen; von der Verminderung des Se­rums in den Höhlen haben wir nur unbestimmte indirecte Zeichen. Die Folgen des üoberraaasses an Serum sind innere Beschränkung oder Aufhebung der Function der davon berührten Organe, und bedingen sonach eine Steigerung des ursprünglichen Leidens; auch bewirkt Vermehrung der einen Secretion Ver­minderung einer anderen, und eben hierdurch secun-däre functionelle Störungen. Die Folgen der Vermin-derunir des Serums werden sich aus dem Vorher-gehenden leicht ableiten lassen; ihre Ursachen sind jedoch insgemein nachtheiliger, als die geringe Menge des Serums seihst.
sect;30.
Die Fettabsonderung kommt sehr verbreitet im Zellgewebe des thierischen Organismus, in einigen Regionen besonders häufig, in anderen beständig vor. Das Fett befindet sich in Bläschen, welche man Zel­len nennt, und stellt seiner organisch-chemischen Natur nach ein Nahrungs-Material dar, welches auf einer geringen Stufe der Animalisation steht, beson­ders reich an Kohlen- und Wasserstoff, und in die­ser Beziehung dem Chylus ähnlich ist. Es hat in den verschiedenen Thiergattungen, und selbst in den ver­schiedenen Individuen ein und derselben Spezies, und an verschiedenen Orten ein und desselben Thie-res eine verschiedene Consistenz, was ohne Zweifel von dem verschiedenen Verhältniss seiner näheren Bestandtheile, des Elains und des Stearins herzulei­ten ist. Auch in den Krankheiten sehen wir die Be-schaffenhdt des Fettes nicht seifen verändert, woran
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Anomalien in den Seoretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;325
wahrscheinlich dieselben gedachten Verhältnisse Schuld sind, aber auch Koch andere der abgeanderien Se­cretion, die wir indess nicht näher kennen. Etwas Bestimmteres wissen wir inzwischen üher andere abnorme Seiten derselben, nämlich über ihre Ver­mehrung und Verminderung überhaupt anzuführen. Das Fett scheint, aussei' der Gewährung des Schutzes gegen niedrige Temperatur und gegen mechanische Einwirkungen, hauptsächlich den Zweck zu haben, dem Blute vermittelst einfacher Aufsaugung ein pas­sendes Nahrungsmaterial dann zuzuführen, wenn Nah­rungsmangel durch Darniederliegen der Verdauung oder durch Futtermangel entsteht. Daher seilen wir denn auch bei reichlicher Fütterung und guter Ver­dauimg, unter übrigens günstigen Umständen, wozu im Allgemeinen Verminderung des Stoffverbrauchs gehört, viel Fett sich ablagern, eines Theils weil der Organismus das Nahrungsmaterial nicht alle ver­braucht, und anderen Theils, weil die Blut-berciten-den Organe nicht im Stande sind, der grossen Menge desselben die höhere Heranbildung für den Stoff­ansatz zu verleihen. Hieraus erklärt es sich auch, warum man nicht selten bei anscheinend gesunder Verdauung und bei abnormen Zuständen der Leber und der Lungen übermässige Fettanhäufung findet, und auch da, wo durch zu grosse Ruhe, schlechte Beschaffenheit der Luft und Mangel an Licht eines Theils die freie Wechselwirkung zwischen Blut und Luft bebindert und anderen Theils ein zu aerinaer Grad der Erregung gegeben ist. Zu grosse Fettheit, Fettsucht (obesilas) wird in mancher Beziehung auf die organischen Functionen beschränkend einwirken müssen; besonders nachtheilig kann aber eine solche in fieberhaften Krankheiten werden, indem sie mei­stens Veranlassung zu typhösen Krankheiten giebt.
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Anomalien in Jon Secretionen.
Starke Verminderung des Fettes (emacies) tritt immer in fieberhaften Krankheiten ein, auch in fieberlosen, chronischen, besonders dann, wenn damit Schmer­zen, schlechte Verdauung und mangelhafte Blutbe­reitung verknüpft sind; nicht minder auch bei an­strengender Arbeit oline die nothige zwischenlaufende Ruhe, und endlich bei übermassigen, das Gattungs­leben betreffenden Secretionen (z. H Saamen- und Milchabsonderung). Wenn gleich Verminderimg des Fettes an und für sich keine Krankheit begründet, so haben wir doch ihre Ursachen sorgfaltig zu be­rücksichtigen, indem sie entweder die Folge von anderen krankhaften Zuständen oder von Futterman­gel ist. In einigen Krankheiten der llaussaugetliiere spielt eine besondere Art von Fett eine hervorste­chende Rolle, nämlich das Knochenmark in der soge­nannten Markflüssigkeit und der Knochcnbrü-chigkeit des Rindviehes, so wie in der Knochen­weiche der Füllen; wir wollen daher ein paar Worte darüber anführen. Es ist zu bemerken, dass das Mark in den platten und schwammigen Knochen nach Berzclius nur eine Spur von Fett hat, das üebrige besteht aus Wasser, Eiweiss, Faserstoff und einigen Salzen; das Mark aber in den Röhrenknochen enthält bei 9G Procent Fett, welches von dem übri­gen nur durch eine grössere Weiche, mithin durch einen grösseren Gehalt an Elain verschieden ist. In den gedachten Krankheiten nun sieht man dieses Mark vermindert und verändert, es ist flüssiger, gal­lertartig, blutig u. s. w. geworden; aber es sind bis heule, so viel ich weiss, keine Untersuchungen dar­über angestellt worden, in wie fern dieses Knochen­fett in seiner Natur verändert ist. Uebngcns ist zu bemerken, dass man solche Veränderungen des Kno­chenmarkes nicht allein in den genannten Krankhei-
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Anomalien in don Secrelionea.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;327
ten findet, sondern vielleicht in allen ausgebildeten Cachexien. Eine andere besondere Art von Feit ist das der Talgdrüsen, welches in mehren krankhaften Zuständen in Betracht kommt, dessen Verminderung z. B. in der Harlhäutigkeit und anderen Leiden der Haut, dessen Vermehrung und Ansammlung auf der Haut und zwischen der Wolle der Schaafe, in ^Yel-chem Falle es Veranlassung zur Täuschung und An­nahme eines Hautausschlags eeben kann. Wirklich entzündet sind die Talgdrüsen der EJauensäckchen beim Klauenwehe der Schaafe und sondern dann auch eine veränderte Schmiere ab. Auch sah Ilerint; eine krankhafte Affection der Talgdrüsen bei einem Wach­telhunde, in deren Folge eine käsearlige Schmiere abgesondert wurde.
sect;#9632; 31.
Der Selileim als solcher, als eine spezifische Absonderung gewisser Drüschen (der Schleimbälge) in den Schleimhäuten, ist eigentlich noch gar nicht gekannt. Das, was man nach einer Uebereinkunft Schleim nennt, ist jedenfalls ein Gemenge von ver­schiedenen Stoffen, und diese bestehen eines Theils aus dem Safte von Drüsen verschiedener Stractur, deren man in der Schleimhaut der Digestions- und Harnwege schon mehre Arten gefunden hat, anderen Theils aus ahgeslossenen Epilheliumzellen, nach Um­standen auch aus Faserstoff und den Elementen des Eiters (Eiterkörperchen). Ein solcher Schleim zeigt nach dem Orte des Vorkommens und nach dem Zu­stande der Thiere sehr abweichende Eigenschaften; er ist bald wässrig, dünnflüssig, schlüpfrig, bald zähe und fadenziehend, bald weisslich, gelblich, grünlich, bald röthlich (blutig). Chemisch betrachtet besteht im- zum grössten Theile aus Wasser mit einem alko-
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Anomalien in den Seorelionen,
holisclion und wäsbiigcn Extract, aus etwas freiem INatrum und einer kleinen Menge mücfasauren, phos-phorsauren und Salzsäuren Salzen. Es ist aber leicht einzusehen, dass diese Bestandtheile den Sclileim nicht als eine eigentliiiinliche Flüssigkeit cliaracteri-siren können, da man sie in allen thierischen Flüs­sigkeiten antrifft. Man hat daher nach einem eigenthüm-lichen Stoffe im Schleime geforscht. Einige waren so glücklich einen solchen zu finden, und nannten ihn Schleimstoff (mucin). Andere fanden ihn nicht und halten ihn überhaupt für fabelhaft. Zur Erklärung dieser und ähnlicher Verhältnisse müssen wir beden­ken, dass der Schleim, wie alle anderen thierischen Flüssigkeiten, in sehr abweichender Qualität auftritt, und class es wohl möglich ist, dass in dem einen oder dem andern Falle durch die chemische Behand-hinü; eine Combination von Elementen auftreten und sich etwas eigenthiimlich verhalten kann; ob eine solche aber auch im Leben besteht? das ist eine Frage, die wir verneinen möchten, da der Znstand einer organischen Flüssigkeit sich nicht bannen lässt, sondern einer fortwährenden Veränderung unter der Hand des Chemikers unterworfen ist. Der Schleim ist nicht allein als ein Secret, sondern auch als ein Excrot anzusehen, da er, wenn er seine Function (welche hauptsächlich in Gewährung des Schutzes und Verminderung der Reibung zu bestehen scheint) vorgestanden hat, ausgeworfen wird. Die Schleim-absondening kann abnorm vermindert und vermehrt und mit diesen Abweichungen auch eine Veränderung der gewöhnlichen Beschaffenheit verbunden sein. Bei verminderter Secretion ist der Schleim oft zähe, dicklich; er kann aber auch, und vielleicht ist Diess Regel, diese Beschaffenheit zufällig erlangen, durch längeres Verweilen an einem Orte und dabei ent-
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Anomalien in don Sccretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;329
siebender VerdonstUDS und Äufsausuns; seines serö-sen Bestaadtheils. Zuweilen ist die Schloimabson-deroDg ganz aufgehoben, so bei der Entzündung der Schleimhäute; ist die letztere aber nur massig, eine blosse Irritation, wie beim Beginn der katarrhalischen Zustände, so erscheint der Schleim auch wohl wäss-ria und mit einer gewissen Schärfe versehen; Form-elemenie sind alsdann in demselben nur wenige oder gar keine mit dem Mikroskope wahrzunehmen. Wenn endlich die Entzündung sich wieder vermindert, so erscheint der Schleim nicht selten mit Faserstoll-Gerinnsel verbunden, und wird zu einem eiterartigen Schleim hervorgebildet, wie Diess bei der günstigen Lösung der Druse der Fall ist. Berücksichtigt man die naturgemässe Schleimsecretion, so werden sich die Nachtheile ihrer Abweichungen, welche letztere immer mit einer veränderten Beschaffenheit der Schleimhäute selbst verbunden sind, leicht ermessen lassen. Durch eine profuse Schleimsecretion wird dem Organismus Stoff entzogen und muss daher eine solche A-bmageranfi; hervorbringen, wodurch die so-genannten Schleimschwindsnchlen gesetzt werden (so z.B. ist die Schleiniabsonderung in der Gebärmutter und in der Scheide des Pferdes oft enorm vermehrt und dann nicht selten eilerartig). Unstreitig giebt An­häufung ton Schleim im Darmkanal, namentlich bei jungen Thieren Veranlassung zur Wurmerzeugung. Dass Abweichungen der Schleimsecrelion in den Augen, der Nase und dem Maule die bezüglichen Sinneswahrnehmungen beeinträchtigen müsse, ist wohl einleuchtend; in wie weit Diess aber bei den Thie­ren der Fall ist, wissen wir nicht, (üeber die Un­terscheidung des Schleimes vom Eiter siehe bei diesem).
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Anomalien in den Secretiouen.
32.
Die Thränen unserer llaustluere sind sowohl ihrer chemischen Natur als ihrer Formhestaadtheile nach unljekannt; wir #9632;svissen daher aucli nicht, in wiefern Abweichungen in jenen Beziehungen vor­kommen. Die Mense der Thränen sehen wir indess zuweilen vermehrt oder vermindert. Das Erstere liu-det bei Reizungszuständen sowohl des inneren, als auch des äusseren Auees statt; eine Verminderuns der Thränen aber dann, wenn das äussere Auge in einer heftigen, sich auf die Thriinendriiscn ausdeh-
nenden Entzündung begriffen ist. Der Umstand,
dass
I!
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die Thränen über dem unteren Augenlide abfliessen, ist nicht gerade ein zuverlässiger beweis ihrer ver­mehrten Secretion; der Einlluss in den Thränenkanal kann vielmehr bloss behindert sein. Mit der Abwei­chung in der Thranensecretion ist insgemein auch eine Abweichung in der Secretion der Conjunctiva und der llarder'schen Drüsen verbunden, was die Beurlheilung dieser Secrete, einzeln genommen, nicht zulässt.
sect;. 33. Der Speichel, d. i. der Saft der Ohrspeichel­drüse (der der anderen Speicheldrüsen des Kopfes ist wegen der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, ihn zu erlangen, noch nicht untersucht), ist bei den Pflanzen-fressenden Ilaussäugethieren farblos und durchsichtig, bald mehr bald weniger fadenziehend, ohne Geruch und fast geschmacklos; er reagirt in der Regel alkalisch, namentlich wahrend des Fres­sens. Der Speichel des Hundes ist etwas consisten-ter, übrigens zeigt er fast gleiche Eigenschaften mit dem der anderen Thiere. Der Speichel des Pferdes ist von Schultz, Simon und anderen, der des Schaafes und des Hundes von Tie de mann und
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Anomalien in den Sccrctioncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;331
Gmelin chemisch uatersucht worden. Der Speichel besteht aus Wasser und aus festen Beslandtheilen, welche ik—2^ Procent beiragen. Diese letzteren enthalten einen eigenthümHcben Stoff, Speichelsloff (Ptyalin) genannt, ausserdem Schleim, Exlraciivstoffe, Kasein, Albumin, und der Pferdespeichel auch cho-lestearinhaltiges Fett nach Simon. Ein anderer be-merkenswerther Bestandtheil, den man noch im Spei­chel des Schaafes und des Pferdes gefunden, ist die, an eine Basis gebundene Schwefelcyansaure. Als mikroskopische Bestandtheile zeigt der Speichel Epithelium-Fragmente und Schleimkürpcrchen. Es ist wohl von vorn herein anzunehmen, dass die ver­schiedenen Speichldrüsen des Kopfes einen verschie­den beschaffenen Saft absondern; indess habe ich mich ü;ern von der Richtigkeit dieser Voraussetzung; überzeugen wollen, und Labe zu dem Ende folgen­des Verfahren eingeschlagen. In Erwägung, dass der Saft der Speicheldrüsen (mit Ausnahme der Parontis) nur in äusserst geringer Menge von todten Thieren zu erhalten ist, und in Betracht, dass das Eisen-chlorid im Speichel der Parontis des pPferdes eine schöne rothe Färbung hervorbringt, die von der Ge­genwart des Schwefelcyans in demselben herrühren soll, glaubte ich in diesem Reagens ein passendes Mittel für jene Forschung zu haben. Es wurde hier­nach die Substanz der verschiedenen Kopfspcichel-drüsen des Pferdes sorgfaltig hcrauspraparirt, die­selbe, und zwar eine jede besonders, mit lauwar­men Wasser digerirt, und die so erhaltenen wassri-gen Speichelauszüge mit Eisenchlorid versetzt. Hier­auf zeigte sich nur in dem Auszug der Parontis jene lebhafte rothe Färbung, keine Spur davon aber in den anderen. Hieraus scheint nun zu folgen, dass der Saft derParotis von dem der anderen Speichel-
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332nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalion in den Secrctioncn.
driisea des Pferdes cliemisch verschieden, wenn auch das Spezielle des Unterschiedes hierdurch nicht #9632;wei­ter erforscht ist. Auf dieselbe Weise verfuhr ich beim Rindvieh, beim Hunde, Schweine und bei dei Ziege. Jedoch mit dem Unterschiede, dass ich mich zuerst zu überzeugen suchte, ob die Parotis dieser Thiere auf Eisenchlorid eben so reagirt, wie beim Pferde. Diese Gleichheit der Reaction fand ich nur einmal bei einer Kuh und dann nicht wieder; und bei eben dieser Kuh blieben die übrigen Speichel­drüsen ohne jene Reaction. Diese chemischen Unter­suchungen, wie einfach sie sind und wie unbedeu­tend sie auch scheinen mögen, haben mir eine Lehre gegeben, die ich nicht verschweigen darf. Ich fand nämlich nicht bei allen Pferden, deren Parolis ich auf die beschriebene Weise untersuchte, jene Reaction, und selbst bei einem und demselben Indi­viduum und bei einer und derselben Parotis, woran ich sie heute fand, sah ich sie Morgen oder Ueber-morgen nicht. Dieser Umstand scheint mir einen deut­lichen Beweis zu liefern von der grossen Veränder­lichkeit, welcher die organischen Flüssigkeilen und Substanzen überhaupt unterworfen sind, und von der Unzuverlässigkeit der Angaben der organischen Clie-niie. — Die Menge des, im gesunden Zustande in einer bestimmten Zeit abgesonderten Speichels ist gewiss sehr verschieden nach dem obwaltenden Be-dürfniss und nach der Natur der Nahrungsmittel; daher lässt sich auch nichts Gewisses in dieser Be­ziehung angehen. Die Resultate der Versuche, welche man zum Behufs einer solchen Ermittelung gemacht hat, .sind weder übereinstimmend, noch maassgehend, weil bei solchen Versuchen immer ein abnormes Vcrhaltniss durch die erforderliche Operation bewirkt wird. Wir sind daher auch nur im Stande, die auf-
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Anomalien in den Secrelionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;333
fallenderen Abweichungen in der Quantität der Spei-clielabsonderiing näher zu bezeichnen. Speichelfluss (ptyalismus) nennt man den Zustand, -wenn der Spei­chel in einer gewissen Menge aus dem Maule der Tliiere fliesst; ob aber hierbei die Absonderung des­selben wirklich vermehrt ist, dürfte nicht immer mit Gewissheit zu bestimmen sein, da auch durch be­hindertes Schlucken oder durch absichtliche Vermei-duns; desselben, wie es allenfalls Leim Ekel vor-kommt, jene Erscheinung bewirkt werden kann. Beim Rindvieh fliesst, ausser der Zeit der Manducalion, fast beständig Speichel aus dem Maule, weshalb man auch bei ihm den Speichelfluss als eine normale Er­scheinung bezeichnet hat. Es ist inzwischen anzuneh­men, dass die Speichelabsonderung bei Reizungszu-ständen im Maule oder in den Drüsen selbst wirk­lich abnorm vermehrt werden könne, und nament­lich scheint Diess bei dem Einfluss spezifisch auf die Speicheldrüsen wirkender Stoffe der Fall zu sein, so bei Quecksilber- und Bleivergiftungen. Die letz­teren bewirken namentlich beim Rindvieh enorme Speichelabsonderung; ob aber der Speichel in sol­chen Fällen auch die bezüglichen Stoffe enthält, ist in Rücksicht der Thiere noch nicht ermittelt. Der Umstand, dass Quecksilber in solchen Fällen im Speichel des Menschen nachgewiesen wurde, und bei diesem der Speichel nach Bleivergiftungen einen süsslichen Geschmack bat, macht auch die Annahme der Gegenwart dieser Stoffe im Speichel der Thiere in den genannten Zuständen wahrscheinlich. Von der abnormen Verminderung der Speichelabsonderung können wir uns aus leicht begreiflichen Gründen noch weniger überzeugen; sie findet aber jedenfalls bei der Entzündung und Verhärtung der Speichel­drüsen Statt, denn wir wissen, dass die Entzündung
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334nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Scrrelionon.
überhaupt die Sccrelion entweder vermindert oder aufhebt; bei sonst normaler BescliafTenheit der Spei­cheldrüsen und ihrer Function kann aber eine zu geringe Menge Speichels in die Manlhöhlc geführt werden, wenn sich Fisteln in jenen vorfinden oder ihre Ausführungsgange durch einen fremden Körper verstopft oder auch verwachsen sind. Von der ab­normen Beschaffenheit des Speichels wissen wir auch nicht viel, nur soviel, dass er zuweilen zur Con-cremenl-BiIdung neigt, und dann Speichelsleinc in den Aiisfülirungsgangen der Speicheldrüsen und so­genannter Weinstein an den Zähnen erzeugt werden. Sehr beachtenswerth ist aber die Beschaffenheit des Speichels in einigen Krankheiten, worin er zum Tra­uer des Gontasiums wird, namentlich bei der Hunds-wuth; und sehr zu bedauern ist es, dass wir zur Zeit nicht wissen, in wiefern durch jene Krankheit chemische und organische Veränderungen des Spei­chels bewirkt werden. Die Nachtheile, welche die verschiedenen Abweichungen der Speichel-Absonde­rung hervorbringen können, lassen sich, mit Aus­nahme des Falles der Contagiosität, nicht genau bestimmen; jedenfalls aber müssen einige derselben störend auf die Verdauung einwirken.
sect;• 34.
Der Magen-, Darm- und Pancreas-Saft sind in ihren normalen Eigenschaften als einzelne Secrele wenig gekannt, da sie mit einander mit Galle und Speisebrei vermischt vorkomme]., noch viel weniger aber kennt man ihre abweichenden Beschaflcnheilen. Levret, Lassaigne, Tiedemann und Gmelin, so wie Mayer und Andere haben zwar den pacrea-tischen Saft theils von lebenden, (heils von todten Thieren, wie von Katzen, Hunden, Schafen und Pfer-
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Anomalien in den Sccretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;335
den besonders ontersueht; indess sind die gewon-nenen Resultate wenig übereinstimmend. Bald fand man den Bauchspeichcl sauer, bald alkalisch reagi-rend, und sclieinen die hervorstechenden Yerschieden-heilen dieses Saftes von dem der Ohrdrüsen darin zu bestehen, dass ersterer eine quot;weit grössere Menge fesler Bestandtlieile und namentlich mehr Albumin enthält, als letzterer. Obgleich die Anomalien des pancreatischen Saftes durch Autopsie gar nicht ge­kannt sind, so ist doch anzunehmen, dass sie denen des Maulspeichels ähnlich sein werden, weil die Functionen der bezüglichen Drüsen sich selbst ähn­lich sind; nicht anders wird es sich auch mit den Folgen verhalten. (Vcrgl. das Cap. über die Ver­dauung. )
Die. Galle, das bekannte dickliche, hräunlich-griine oder gelblich-grüne, bitter schmeckende und etwas widrig riechende Secret der Leber reagirl im normalen Zustande alkalisch und zeigt unter dem Microscop als Fonnbestandthcile von der Blase oder den Gängen abgestossene Epithelium-Cylinder, dann Schleimkörner und wenige Fettkiigelchen. Sie hat durchschnittlich ein spec. Gewicht = 1,6352 und besteht ungefähr aus 90 proc. Wasser und 10 proc. fester Bestandtlieile. Die Resultate der chemischen Untersuchung der Galle sind ausserordentlich ver­schieden ausgefallen, weshalb sie sainmt und son­ders Misstrauen erregen, und entweder beweisen, dass die organische Chemie noch weniü; ausgebildet ist, oder dass die Galle in der Natur, wie es aller­dings wahrscheinlich ist, in vielen Modificalionen vorkommt. Uebrigens wird die chemische Unter­suchung der Galle für ausserordentlich schwierig ge­halten, weil die llaiipthestandlheile derselben eine
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33Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in don Secietioncn.
grosse Neigung haben, sich sowohl durch gegensei­tige Aufeinanderwirkung als auch durch die zu ihrer Trennung angewandten Mittel in andere Producte zu verwandeln. Wir lassen uns hier nicht auf alle Einzelnheiten der vielen Bestandlhcile der Galle und ihre quantitativen Verhältnisse ein, und bemerken nur, auf die neuesten Untersuchungen des grossen schwedischen Chemikers Berzelius gestützt, dass die der Galle eigenthiimlichen Bestandtheiie, welche sich alle darin in wirklicher Auflösung belinden und ihre Eigenschaften bedingen, folgende sind: Bilin, Biliverdin, Fellin- und Cholinsäure. Aussei' diesen Säuren enthält sie noch Fettsäuren, wie jene verbunden mit Nalruin, und andere fette Kör­per, besonders Cho los tear in; ferner Schleim, un­bestimmte thierische Materien, Kochsalz und die anderen gewöhnlichen Salze thierischor Flüssig­keiten nebst einem eigenlhümlichen Farbstoffe. Die über die Galle angestellten Untersuchungen be­treffen meist diejenige des Rindviehes; die Galle anderer Thiere ist aus leicht begreiflichen Gründen weniger Gegenstand derselben gewesen. Ueber die Abweichungen der Galle in krankhaften Zuständen wissen wir, ansser einigen Wahrnehmungen, die sich auf Menge, Farbe, Consistonz und dergleichen bezie­hen, so viel, wie gar nichts. Es ist indess anzu­nehmen, dass mit der Abweichung in der Menge und den übrigen physikalischen Eigenschaften auch eine chemische Abweichung verbunden ist, in wie­fern aber, muss zur Zeit dahin gestellt bleiben. Als organisches Glied betrachtet, hat die Galle theilweise eine secretielle, theilweise eine cxcretielle Bedeu­tung; in ersterer Beziehung hat sie eine Function bei der Chylus-Bereitung, in letzterer aber entführt sie Auswurfsstoffe aus dem Blute (vergl. d. Cap. üb.
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raquo;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den occretlonen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;337
(1. Verdauung.) Mit der zu reichlichen Abson­derung der Galle (polycholia; ist gemeinhin auch eine dünnere Consistenz und eine lichtere Farbe, mithin auch ohne Zweifel ein geringerer Gehalt an festen Stoffen verbunden; und wird die Bedingung dazu hauptsächlich auf Blutwässrigkeit und vermehr­ter Secretions-Thätigkeit der Leber beruhen. Wenn aber reichliche und zugleich consistente Galle ab­gesondert wird, so können die Ursachen eines Theils ein erelhischer, einen grösseren Blutzufluss bedin­gender Zustand der Leber, anderen Theils ein sehr venöses, oder an Gallenstofl'en reiches Blut sein. Ob das Blut bereits im normalen Zustande die Be-standtheile der Galle vorbereitet enthält, ist inzwischen noch nicht völlig ausgemacht, jedoch wahrscheinlich, da man solche oder doch wenigstens den Gallen-farbstoflquot; im gesunden Blute nachgewiesen hat. Ilenle (allg. Anatomie) hat das Für und Wider hierher ge­höriger Tbatsachen mit folgenden Anführungen an­gedeutet: „Chevreul, Lassaigne, Beaumont, Lc-canu haben den Farbstoff der Galle im Blute Ik-lerischer (Menschen) nachgewiesen. Lecanu be­hauptet, ihn im Blute Gesunder gefunden zu haben, und Sanson stellte ihn aus dem Ochsenblute dar. Denis sagt sogar, dass die Quantität des Farbstof­fes im Blute, den auch er mit Galienpigmcnt für iden­tisch hält, im gesunden Blute oft ebenso bedeutend sei, als im Blute von Gelbsiichligen. Simon be­zweifelt die Identität dieses Farbstoffes, den er Blut-braun oder Hämaphäin nennt, mit dem Farbstoffe der Galle, weil jener nicht das characteristischc Far­benspiel mit der Salpetersäure zeige. Indess hat Vogel gezeigt, dass diese Reaction ausbleibt oder übersehen werden kann, wenn man zuviel Salpeter­säure zusetzt, weil sich dann das Eiweiss gelb färbt/'
Fuchs, allein. Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;QO
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Anomalien in don Sccrcliongn,
— Uns wieder zu den Ursachen der Polycliolie wendend, sind als solche ferner aozuführea: warme und feuchlc Atmosphäre; l)ei Fleischfressern ins Be­sondere Uebermaass feiler Nahrungsmittel und Zorn; auch mag die meclianisslic Reizung der Lehenvürmer wohl etwas dazu heilragen, unbezweifelt aber die Vermindening der Haut- und Lungen-Excrelion, da diese mit der Lehcrexcrclion in vicarirender Bezie­hung stehen. Mit der zu geringen Absonderung der Galle (Acholia) ist in der Regel eine dickere Consistenz und dunklere Farbe derselben verbunden, mithin ohne Zweifel auch ein grösserer Gehalt an festen Stoffen, 1st dies der Fall, so trägt entweder Dickbluligkeit überhaupt die Schuld daran oder noch eher eine grosso Zähigkeit des Pfortaderblutes und sonach ein grosser Gehalt desselhen an Residuen der Bin!metamorphose, welche durch die Leber hät­ten abgeschieden werden müssen. Ist aber mit der Acholie eine geringe Consistenz und lichtere Farbe der Galle verbunden, so muss die Ursache davon in der verminderten Secrclions-Tliätigkeit der Leber, herrührend von einer acaten oder chronischen Ent­zündung, Atrophie odervonDesorganisalionen mancher­lei Art und in einer Armnth des Blutes an zur Gal­lenbildung erforderlichen Stoffen bestellen. Um bei der Beurtheilung des Maasses der Gallensecretion nicht irre geleitet zu werden, müssen wir zugleich die Aufsaugung und die mein oder weniger grosse Freiheit des Abflusses der Galle berücksichtigen. Zu reichlicher Erguss der Galle in den Darmkanal wird einen galligen Durchfall erzeugen; wenn sie aber in den Magen gelangt, so stört sie dessen Function und bewirkt namentlich hei Fleischfressern heftiges Erbrechen. Ist der Abllnss der Galle aber durch irgend einen Umstand behindert, so wird sie iheil-
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Anomalien in don Sccretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33;)
weise aufgesogen, und hieVdiirch Veranlassung zur Gelbsucht geben. Bei der Acholie muss die Berei­tung des Chylns besonders dadurch beeinträchtigt werden, dass er nicht genügend entsäuert wird. Hier­von sind dann Fehler der Verdauung und Ernährung unausbleibliche Folgen, aus welchen auch und aus dem säuerlich riechenden und hlass gefärbten Kolhe der Pflanzenfresser jener Znsland beim lebenden Thiere, wenn auch nichl immer bis zur Geberzeu­gung, erkannt wird. Oh die Galle besonders dann sich zur Concrement-Bildung neigt, wenn sie einen grossen Gehalt an festen Stoffen besitzt, oder auch dann, wenn diese Stoffe in einem abnormen quan­titativen und qualitativen Verhältnisse gegen einander bestehen, weiss man nicht. Das aber ist ausgemacht, dass die Concrementc selbst, deren Zusammensetzung beiläufig gesagt, sehr verschieden ist, wiederum man­cherlei Leiden durch mechanische Verhältnisse, wie Reihung und Verstopfung der Canäle, veranlassen kön­nen. Hierbei ist indess anzumerken, dass die Sectionen nicht seilen bedeutende Gallensteine bei Thieren nach­weisen, ohne dass ihr Kranklieifszustand auf solche zurückgeführt werden könnte, oder ohne dass selbst irgend ein auffallendes Krankheitszeichon in den frü­heren Lebenspenoden wahrgenommen worden ware.
b) Abnorme Sccretiouen.
sect;. 36.
Die plastische Lymphe ist, wie auch das im folgenden sect;. zu betrachtende Secret, der Eiler, in der Regel ein Product der Entzündung; ihr mög­liches Vorkommen nach anderweitigen Ursachen ist indess so unwahrscheinlich nicht, wenn Wir beden­ken, dass oftmals in Krankheiten sehr rasch raetasla-
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Anomalien in den Socrolionen.
tische, später in Eiterung übergehende plastische Ex-sudationen entstehen. In letzterer Rucksicht würde also ihre Aufführung am hiesigen Orte gerechtfertigt erscheinen, obgleich wir die Betrachtung der Ent­zündung in dieser Schrift ausgeschlossen haben. Aber auch in jedem Falle dürften wir eine kurze Würdi­gung der gedachten Secrete nicht übergehen, da sie ein so häufiges und wichtiges Element der Krank-heitszustände darstellen. — Die plastische Lymphe, welche man so oft im Gewehe der Organe und in den Höhlen des Körpers antrifft, entsteht in Folge der Durcbschwitzung des Blutplasma durch die Ca-pillargefasse. Entweder wird das Serum des Plasma wieder aufgesogen oder nicht, und haben diese Um­stünde auf die Beschaffenheit der plastischen Lymphe, ob sie nämlich mehr oder weniger dick, sulzig, gal­lertartig, gelblich, grau, weiss u. s. w. erscheint, Ein-fluss. Die plastische Lymphe ist ein indifferenter Stoff, und steht, seiner chemischen Natur nach, bald dem Eiweisssloff, bald dem ausgebildeten Faserstoff nahe, was sich schon daraus erkennen lässt, dass sie sich insgemein in Aetzkali-Flüssigkeit nicht so rasch wie Eiweiss, aber rascher als Faserstoff auf­löst. In den serösen Höhlen findet man nach so­genannten plastischen Ausschwitzungen die pla­stische Lymphe entweder mit vielem Serum ver­mischt und mit diesem eine mein- oder weniger gelbliche, grünliche oder röthliche Flüssigkeit dar­stellend, welche gelhliche Flocken erstarrten Faser­stoffs enthält, die sich zum Theil an die Wandungen der Höhlen niedergeschlagen haben, so class sie in der ganzen Ausdehnung der Ausschwitzongsfläche wie damit bestrichen aussehen. Finden sich statt der trüben Flüssigkeit zusammenhängende grössere Mas­sen erstarrten Faserstoffs im abgeschiedenen Serum.
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Anomalien in den Sccrelioncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;344
so hat die Ausschwitzung sehr schnell stattgefunden, ein Vorgang, der mit dem Namen Ergiessung be­zeichnet wird. Tritt der Tod bald nach einer solchen Ergiessung ein, so löst sich die ausgeschwitzte Masse im Serum auf, bei Fortdauer des Lebens aber ver­ändert sich die Beschaffenheit des Exsudats (Gerber). Diese Veränderung besteht darin, dass der anfangs (bei mikroskopischer Befrachtung) formlos erschei­nende plastische Stoff durch den Einfliiss des Lebens \erschiedene Stufen der Organisation durchlauft, bis er endlich als ein selbstständiger, mit Gelassen ver­sehener inlegrircnder Theil des Organismus erscheint und unter der Form von Verhärtungen, Verwachsun­gen, falschen Membranen u. s. w. auftritt. Die Fol­gen der plastischen Ausschwitzung sind nach dem Grade und der Dauer der letzteren, so wie nach der besonderen Organisation (Desorganisation), welche daraus entstanden ist, verschieden; meist sind sie indess auf Beschränkung der Function der von ihr betroffenen Orcane zurückzuführen.
sect;• 37. Eiter nennt man diejenige dickliche, undurch­sichtige Flüssigkeit, welche in verschiedener Farbe, von der vveissen bis zur grünlichen und schwärzlichen auftritt, einen süsshchen, faden Geschmack und einen bald mehr bald weniger unangenehmen lliierischen Geruch hat, spezifisch schwerer als Wasser ist, in der Regel alkalisch, zuweilen sauer reagirt, öfterer aber sich neutral zeigt; durch Säuren, Wärme und Alkohol gerinnt, sich in kaustischen Alkalien auflöst, aus eigenlhümlichen Kügclclien (Eiterkörperchen) und einem klaren, mehr oder weniger gefärbten Serum (Eitersaft) besteht. Von dem Mengenverhältnisse der Eiterkörperchen zu dem Eitersafte ist die Consistenz
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342nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secretioncn.
des Eilers abhängig. Chemisch Lelrachlet, besieht der Eiter aus 8—^9 proc. Wasser und aus 1 — 2 proc. fester Bestandtheüe. Diese enthalten einen dem Mucin (Schleimstollquot;) sehr ähnlichen Eiterstoff (Pyin), ausserdem Fett, extractive Materien und verschiedene Salze. Der Eiter zeigt nach den Organen, worin er gebildet wird und nach dem Körpcrzuslamlc über­haupt Verschiedenheiten in der Farbe, Consistenz, im Geruch und in anderen Eigenschaften. Nach Vo-gel's Augabc ist der Eiter des Zellgewebes gewöhn­lich der reinste, der von Schleimhäuten mit Schleim, von serösen Häuten mit Serum vermischt und dünn-llüssig. Der Eiter der Leber ist breiartig, dick, bräunlich-rolh, lässt man ihn einige Zeil stehen, so scheidet er sich in eine weisshche und in eine roth-braune Schicht. Niereneiter ist in der Regel dünn-llüssig, gelbweiss und sulzig. Eiler aus der Harn­blase ist flüssig oder zähe, gelblich oder schmutzig­braun und von ammouiakalischem Geruch. Knochen-eiter ist weisslich, grau oder schwärzlich, mit schwärz­lichen Pünktclien durchmengt, und hat einen phos-phorarligen Geruch und Geschmack. Der Eiler bildet sich aus der plastischen Lymphe hervor, indem sich aus dieser durch eine vorschreitende Metamorphose zuerst eigenthümliche Körperchen (Bxsudat-Körpeicheii) und aus diesen dann durch eine rückschreitende Me­tamorphose die Eiterkörperchen bilden. Wenn Aus-schwilzung der plastischen Lymphe nur in Folge der Entzündung entstehen soll, so ist jedenfalls der Eiler nur ein Produkt der Entzündung. Man hat geglaubt, dass der Eiler von einem neugebildeten, den Schleim­häuten-ähnlichen Secretions-Organ abgesondert werde, und zwar um so eher, als in der Thal die Schleim­häute in Folge der Entzündung entweder eiterartigen Schleim oder wirklichen Eiter auf ihrer Oberfläche
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Aiiomuliou in den Secrctionon.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 343
zeigen. Neuere und gründliche Untcrsuclinngcn ha-J)en aber gelehrt, dass der Eiter als solcher nicht abgesondert wird, sondern dass er sich, wie bereits angedeutet, aus der ausgeschwitzten plastischen Lym­phe, und zwar aus solcher, welche der Ansschwit-zungsstclle entfernter liegt, durch Umwandlung der Exsudatkörperchen bildet, und nicht als eine höhere Stufe der Entwickelung dieser, sondern als eine fück-schivitcnde zu betrachten ist. Hiermit stimmt auch die Tbatsache iibereio, dass in der Bildung begriffe­ner Eiter aus Faserstoff im maximo, Fett und Eiweiss im minimo besteht, während im ausgebildeten reinen Eiter kein Faserstoff, dagegen Fell im maximo und Eiweiss im medio enthalten ist. Der Umstand, dass die Exsudatkörperchen, welche von der Ausschwit-zungsstclle entfernt liegen, in Eiter zerfallen, kann dadurch erklärt werden, dass sie dem organisirenden Einllusse entrückt sind. In Rücksicht des Vorgedach­ten muss also das Vorkommen des eilerartigen Schleims auf entzündlichen Schleimhäuten dahin erklärt wer­den, dass der Schleim in einem solchen Falle mit plastischen Stoffen geschwängert abgesondert wird, und sich so der Eiter aus dem letzteren hervorbildet. Die nachtheiligen Folgen der Eiterbildung im Körper können eines Theils dieselben sein, welche von der plastischen Ausschwitzung angeführt wurden; anderen Theils aber kann durch Aufsaugung desselben ein dyscrasischer Zustand des Blutes und hiernach der Tod auf mannichfachc Weise, durch ein typhöses Fieber, durch Ablagerung und Neubildung des Ei­lers in anderen Organen, vorzugsweise in den Lun-
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en entstehen. Auch lässt sich wohl eine unmit-
telbare Zerstörung der organischen Gebilde durch den Eiter annehmen, da nach Versuchen Dicffen-bach's, Grasmeyer's und Anderer ein, in eine
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344nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secrcliunen.
Wunde gelegtes Stück Fleisch nach einigen Tagen weich und breiartig erschien, bedeutend an Gewicht verloren hatte, ohne Spuren von Fäulniss zu zeigen. Ob aber der Eiter in derselben Art auf die, mit dem Organismus im Zusammenhang stehende lebende Sub­stanz wirken könne, ist freilich durch jenen Versuch nicht ausgemacht.
Zusatz. Der reine Schleim und der ausgebildete in Wunden enstandene, gutartige (productive) Eiter (pus bonum et laudabile) unterscheiden sich freilich ganz bestimmt durch manche physikalische und chemische Kennzeichen; aber der Eiter als eine organische Flüssigkeit bleibt nicht auf seiner Bildungsstufe stehen, seine Kügelchen gehen mannichfache Formveriindcrungon ein, und erscheinen dann den Schleim-körperchen zuweilen ähnlich, wodurch die Unterscheidung des Schleims vom Eiter oft sehr erschwert wird. Auch die Jauche (tchor), welche durch Zersetzung des Eiters entstan­den ist, bietet ebenfalls keine auffallenden Unterschiede von derjenigen dar, welche aus der unmittelbaren Zersetzung tliicrischer Substanz und Aftcrprodukle (wie der Tuberkeln) hervorging. Zersetzter, mithin in Jauche übergegangener Eiter kann entweder noch eine gewisse Menge von Eiter-körperchen oder auch keine enthalten; bei der ursprüngli­chen Jauche kann dasselbe der Fall sein, es kommt nur darauf an, ob sie rein als solche besteht, oder ob sie durch Kontact mit dem nahe liegenden Gewebe in demselben einen Eilerungs-Prozcss hervorrief und demnach auch mit Eiter gemischt ist. Daher kann ich z. B. die mikroskopisce Un­tersuchung allein nicht in jedem Falle für entscheidend hal­len in Rücksicht der Frage, ob eine aufgefundene patholo­gische Flüssigkeit erweichte Tuberkelmasse sei oder nicht. — Wir wollen es hier bei dieser flüchtigen Andeutung bewenden lassen; an einem andern Orte hoffe ich mich über jenen kritischen, für die forensische Veterinär-Medizin so wich­tigen Punkt weiter verbreiten zu können. Es ist in manchen Krankheitszuständen der Schleimhäute von Wichtigkeit, zu erfahren, ob ihr Secret Eiter oder Schleim sei, oder beides
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Anomalien in den Secretiongn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;345
zugleich. Der Thierarzt aber kann sich in der Regel nicht auf eine chcrnischo und mikroskopische Untersuchung der Art einlassen, abgesehen davon, dass auch sie in manchen Tallen unzureichend sein mögen. Daher muss es uns will­kommen sein, dass Simon (TIandbuch der medizinischen Chemie, Berlin 1842. II. Th. S. 326.) Folgendes in jener Rücksicht zur Beachtung hinstellt:
1)nbsp; Reiner Schleim schwimmt, wenn er Luftblasen ein­geschlossen enthält, längere Zeit auf dem Wasser; — reiner Eiter sinkt im Wasser schnell zu Boden; — Eiterhaitiger Schleim schwimmt, wenn er Luftblasen enthalt, auf dem Wasser, lässt aber den Eiter als purulente Masse oft in lang herunterhängenden Fäden zu Boden fallen; enthält er reinen Schleim und keine Luftblassen, so sinkt er im Wasser zu Boden,
2)nbsp; Reiner Schleim erscheint, wenn er im Wasser liegt, als gleichförmige, nicht feinkörnige, sondern sireißge oder kugliche, weisslicho oder weissgelblichc, schlüpfrige, zusam­menhängende, dem Druck ausweichende Masse; — reiner Eiter bildet im Wasser eine am Boden liegende weissgelbe bis grüngelbe oder blulig-tingirle Schicht, welche sich leicht im Wasser beim Bewegen zertheilt, und in kurzer Zeit wie­der am Boden sammelt; — Eiterhalliger Schleim bildet strei­fige oder kugliche, oft weissfarbige, leicht zertheilbaro, gries-lich, nicht gleichförmig aussehende Massen der schleimigen Sedimente,
3)nbsp; Reiner Schleim erlheilt dem Wasser kein Eiweiss oder Mucin, nur ein mit viel Speichel vermischter Schleim macht das Wasser ein wenig eiweisshaltig; — reiner Eiter theilt dem Wasser grosse Mengen Alhumin mit; —#9632; eiter­halliger Scheim theilt dem Wasser um so mehr Albumin mit, je eiterhalliger er ist.
sect;. 38.
Der Blutfluss (sanguinis profluvium, haemorrha-gia) gehört in sofern zu den Secretioaen und mithin hierher, als er in Folge einer Durchschwitzung des Blutes durch die Gefasswände aus organisch-dy­namischen Ursachen erfolgt. Also bleibt diejenige Blu-
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340nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomäli.en in den Sccrotioncn.
tnng hier ausgeschlossen, die nach Verletzung nml Zerreissung (ier Gofiisse entsteht. Die letztere nennt
man zum Unterschiede von jener blutigen Secretion: mechanische oder traumalische Blutung. Die alteren Pathologen theilten die Bkiiniissc nach ihren vermeintlichen ursächlichen Verhältnissen-, zum Theil sehr umvissenschafllich, in Blutflüsse durch Zer-fressung (per diabrosin), Zerreissung (p. rhexin), Durchschwitzung (p. diapedesin), Erweiterung der Gefassmündungen (p.anastomosin) und Ver­minderung der Gohäsion der Fasern der Ge-fässwände (p, diaeresin). Bei der wahren blutigen Ausschwitzung sind nicht alle Bestandtheile dos Blu­tes zu bemerken, namentlich kein Faserstoff und keine Blulkiigelchen; indess erscheint die Flüssigkeit rolh vom aufgelösten Blutfarbstoff. Kommen Faserstoff und Blutkligelcheu in der Flüssigkeit vor, so gehört sie der eigentlichen Blutung, d.i. einer solchen, wel­che durch Gefässverlelzung entstanden ist, an, oder jene Flüssigkeit hat mindestens ihre Entstehung in einem Üebergangs-Verhältnisse zu einer solchen Blu­tung. Blutige Secretionen kommen als iiussere aus allen secretionsfahigen Gebilden und aus allen natürlichen Oeffnungen, mithin durch die allgemeine Decke und die Schleimhautgebilde, dann als innere in den serösen Höhlen und in dem Pareuchym der Organe vor. Die parencbymatösen Blut-Aus­schwitzungen bezeichnet man nach ihrem umfange oder nach ihrer Annäherung an die Blutung als Su-glllationcn, Endosmosen, Ecchymosen, Pete­chic n, Vibices. Die nächste Ursache der blutigen Secretion liegt zum Theil in einer mit oder ohne Fieber verbundenen aeiiven oder passiven Congestion; zum Theil in Schwache der Capillaigclasse, die bald einen mehr physischen, bald einen mehr dynamischen
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Anonialion in clou Socrolioncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;347
Ursprung hat; zum Theil endlich liegt jene Ursache im JJIule selbst, Ijesondcrs dann, wenn Entmischuos desselben eiotritl. Die entfernteren Veranlassungen zu den blutigen Secretionen sind zuweilen sein- ver­minderter Luftdruck, übermassige Anslrengungen, star­kes Laufen; ferner die Secretionen auf eine speeifi-scho Weise bellmtigende Stolfe, nämlich sebarfe, z. 1J. Canthariden, wonach Blutharnen entstehen kann. Am häufigsten kommen blutige Secretionen beim Typhus und namentlich beim Milzbrande vor; sie sind bei dieser Krankheit um so eher möglich, als das Blut in einem Zersetzungs-Prozesse begriffen ist. Nach den Ursachen und nach dem Grade der blutigen Se­cretion sind auch ihre Folgen verschieden. Diese sind bald örtliche und ursprünglich mechanische, in­dem die ausgeschwitzte Flüssigkeit die Organe in ih-rer Function beschränkt, bald allgemeine, indem thells eine Reaction im ganzen Organismus, thells Blutman­gel sich bemerkbar macht. Der Unterschied, welchen man zwischen arteriellem und venösem 151ut-fluss macht, kann sich begreiflicher Weise nur auf die mehr arterielle oder mehr venöse Beschaffenheit der abgeschiedenen blutigen Flüssigkeit beziehen, und nicht auf die Gefässe, da in den Capillargefässeu, dem Sitz der blutigen Secretion, venöse und arterielle Ge­lasse verschmolzen sind. Ein Anderes ist es aber, wenn man jenen Unterschied für die eigentliche Blu­tung gelten lässt. Der Unterschied zwischen dem an­genommenen activen und passiven Blulfluss er-giebt sich aus der über die Coimestionen in dieser Beziehung gegebenen Erklärung; so wie auch der Blutflnss als ein kritischer aus seinem Erfolge leicht gedeutet werden kann.
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348nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien der Ernährung.
Achtes Kapitel.
Anomalien der Ernäbrung.
sect;. 39.
Die Ernährung besteht in organischem StoHkn-satz, und kommt durch die Exosmose des Blutplasma an der Grenze des Capillar-Gefasssystems in der Art zu Stande, dass jenes von den verschiedenen Gebil­den aufgenommen und in die Form und Mischung derselben übergeführt wird. Nachdem wir nun so den Begriff der Ernährung überhaupt festgestellt ha­ben, kommt es zunächst darauf an, den der nor­malen und abnormen zu bestimmen. Wir werden bemerken, dass hierbei einige Schwierigkeiten in den Weg treten. Die Menge und Beschaffenheit des die Ernährung bedingenden Stoffansatzes ist weder bei allen Individuen einer und derselben Thierspecies, noch zu allen Zeiten bei einem und demselben In­dividuum gleich; eine periodische Zu- und Abnahme des Stoflansatzes ist besonders in denjenigen Orga­nen deutlich, welche dem Geschlechtsleben dienstbar sind, (wohin namentlich die Hoden, der Uterus und das Euter gehören,) aber auch in anderen Organen, z. B. in der Leber wahrnehmbar, denn diese ist be­kanntlich im Fötal-Zustande verhältnissmässig viel gros­ser, als im spateren selbstständigen Leben, und hin­wiederum bemerken wir, dass sich in einzelnen Or­ganen der Stoflansatz so sehr vermindert, dass sie, wie z. B. die Thymus, zum vollständigen Schwinden gebracht werden. Es giebt daher nicht allein mit der Normalität verträgliche, sondern selbst eine solche bedingende Abweichunecn der Ernährung, Demnach können Abweichungen derselben nur dann als ano­male angesehen werden, wenn ein mehrer, minderer
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Anomalien der Ernährung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 34!)
oder anders beschaffene Stoffansatz erfolgt, als es die zeitlichen Zustande des Organismus und die freie und liarmonische Wechselwirkung seiner Organe erheischen. Wenn 'wir die Ernährung näher ins Auge fassen, so werden wir uns überzeugen, class die Bedingungen derselben eines Theils in dem zu ernährenden Or­gane selbst und andern Theils in dem Blute, der .Ma­trix aller thierischen Bildung, liegen. Jene sind bei der Ernährung in sofern von Einfluss, als sie sich eine bestimmte Menge des Bildungsmaterials aneignen, das Blut aber in soweit es im Stande ist, die erfor-derliohe Menge desselben zu liefern. Verfolgen wir vom morphologischen Standpuncte aus die Ernährung bis an ihre äussersle Grenze, so müssen wir nach dem gegenwärtigen Standpuncte des Wissens anneh­men, dass sie wesentlich in Bildung von Zellen be­steht, und dass eben die Normalität der Ernährung darin besteht, dass mit der Neubildung der Zellen eine, der Individualität und den zeitlichen und Ent-wickelungs-Verhältnissen entsprechende Rückbildung und Abstossung derselben Sclirilt hält. Die Rückbil­dung der Zellen ist freilich in den meisten Organen unserer unmittelbaren Wahrnehmung entrückt; in ei­nigen aber, wie im Corion und der Schleimhaut, sehen wir die Abstossung abgenutzter Zellen deut­lich, so in dem Abschilfern der Epidermis und des Epitheliums. Für die Zunahme des Umfanges des Or­ganismus und seiner Organe, mithin für das eigent­liche Wachsthum, können, abgesehen von der Volum­vermehrung durch eine grössere Fettablagernng, zwei Ansichten geltend gemacht werden: nach der einen vermehren sich die primitiven Formbestandlheile in den Organen (z. B. die Muskelfasern in den Muskeln), nach den anderen vergrössern sie sich in sich selbst. Für die erstere Ansicht spricht, dass nach dem Mit-
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350nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalion der Ernährung,
tel mikrometrischer Messungen robuste Menschen und Thiere keine dickere Muskelfasern zeigen als schwächliche und abgezehrte Subjecte, und dass die
Knoclienkörperchen in einem starken und gesunden Knochen nicht grosser erscheinen, als in einem dün­nen, wenn schon die Menge der erdigen Bestandtheile in diesen Körperchen und ihren Strahlen wechselt. Für die zweite Ansicht aber spricht der Umstand, dass die Wiedererzcugung verloren gegangener Suh-stanz einiger Organe, z. B. der Muskeln, als solche nicht stattfindet. Vielleicht liegt auch für diesen Fall die Wahrheil in der Mitte, so dass das Wachsthutn eben sowohl durch Neubildung als Vergrösserung der primitiven Formbeslandlheilc bedingt wird; wenigstens sehen wir in niedrigen Gebilden wie in den Knochen neue Substanz entstehen. Um eine allseitige und möglichst gründliche Einsicht in das Wesen des Fr-nährungs-Processes zu gewinnen, müssen wir densel­ben auch vom chemischen Standpnnctc ans betrachten. Demnach werden im Folgenden die allgemeinen An­deutungen gegeben werden, wie weit die Forschung bisher auf diesem Gebiete gelangt ist.
sect;. 40.
Es ist eine sehr alte Ansicht, dass die Ernährung und das Wachsthuna auf einem Stoffwechsel bemlil; aber erst in der neueren Zeit ist die Kennlniss von der Natur jener Stoffe und von der Art ihres Wech­sels bis zu einem Grade gediehen, dass er die Hoff­nung begründet, dass wir bei dem regen Forstben der heutigen Chemiker auf dem in Rede stehenden Gebiete dereinst eine befriedigende Einsicht in den Frnährnngsprozess erlangen werden. Zur Zeit sind die einfachen Stoffe, welche in die Zusammensetzung des thierischen Organismus eingehen, ziemlich genau
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Anomalion dor Ern'dlirätig,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ?,^i
bekannt; das Vorkommen des Kohleoslofls, Wasser­stoffs, Sauerstoffs, Stickstoffs, Schwefels, Phosphors, Chlors, Fluors, Silicium, Kallam, Natrium, Calciiun, Ma­gnesium, Aluminum, Eisens und des Magnium ist ge-wiss, zweifelhaft indess ist, wenigstens das bestän­dige Vorkommen des Jod und Brom, des Bleies, Ku­pfers, dos Arseniks und des Titans. Diejenigen Stoffe, deren Vorkommen im thicriselien Organismus zweifel­haft ist, können daher auch zur Zeit nicht als zu seiner nothwendigen Zusammensetzung gehörig ange­nommen werden, und vielleicht darf diess selbst auf den einen oder den anderen der Sloffe ausgedehnt werden, deren Vorkommen für constant gilt. Die An­sicht, welcher man oftmals Eingang zu verschallen versuchte, dass der thicrischc Organismus im Stande sei, eine Umwandlung der einfachen Stolle zu be­wirken, scheint nach dem heutigen Slamlpuncte der chemischen Erfahrung aufgegeben und vielmehr an­genommen werden zu müssen, dass sie alle als sol­che aus der Anssenwelt stammen. Indess hat es Schwierigkeif, die Menge einiger Stolle mit Bestimmt­heit abzuleiten; am schwierigsten indess ist das Vor­kommen des Fluors im Scelette der pflanzenfressen­den Thiere zu erklären, da dieses Metall (so viel ich weiss) zur Zeit nicht in den Pflanzen nachgewiesen worden ist. Die oben ausgesprochene Annahme, dass der Organismus nicht im Stande ist, aus gewissen Stoffen die zu seiner Zusammensetzung nothwendigen Elementar-Bestandtheile zu erzeugen, wird zum Theil durch die vielen Versuche bewiesen, welche man mit einfachen SfofCen, welche sonst zu den ernährenden gezählt werden, angestellt hat. Es fand sich näm­lich, dass man nicht im Stande war, Thiere mit Gummi, Oel, Butter, Eiweiss, Käse, Knochengallerte, Stärke­mehl u. dergl. und selbst mit harten Eiern auf die
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352nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien dor Ernährung.
Dauer zu erhallon, noch weniger aber gehörig zu ernähren; gab man dagegen Hunden ein angemesse­nes Gemenge solcher Sloffe, so blieben sie gesund und gut genährt. Untersuchen wir nun, in welchen Combinationen die genannten einfachen StolTe im Or­ganismus vorkommen, so sind es binare, ternäre oder quaternäre, aus je zwei, drei oder vier Stoffen be­stehend. Von allen kommt die binäre Znsammen­setzung aus Sauerstoff und Wasserstoff als Wasser in grösster Ausdehnung im Organismus vor. Andere derartige Verbindungen bestehen in den Säuren, Ba­sen und Salzen, ternäre aber aus Kohlenstoff, Was­serstoff und Sauerstoff in den Fetten, und quaternäre aus den eben gedachten Stoffen in Verbindung mit Sticksoff in allen proteinhahigen Substanzen, welche zu den wesentlichsten organischen gehören, wie Ei-weiss, Faserstoff und Casein. Das Protein, welches wir durch Mulder kennen lernten, ist eine höchst merkwürdige Subtanz für die Physiologie der Ernäh­rung, welche dieser Gelehrte auf die Weise darstellte, dass er die eiweiss-, faser- und käsestotlhaltigen Kör­per zuerst mit Wasser, dann mit Alkohol, Aether und Salzsäure auszog, dieselben in Kalihydrat auflöste und aus dieser Auflösung vermittelst Essigsäure das Pro­tein als Grundkörper hcrausfällle. Es hat sich gezeigt, dass das Protein, in welchen näheren Beslandlheilen des Organismus es auch immer vorkommen mag, die­selben Atomen-Verhältnisse seiner elementaren Be-standtheile, des Kohlenstoffs, Wasserstoffs, Sauerstoffs und Stickstoffs bat, obgleich es mit so verschiedenen physischen Eigenschaften als Fibrin, Albumin und Ca­sein auftritt. Man bat diesen merkwürdigen Umstand zu erklären versucht, Lehmann z.B. dadurch, class er annimmt, die Atome der Elemente des Proteins seien im Faserstoff, Albumin und Käsestoff in einem jeden
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Anomalien in i?en SorrotiDnen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;353
auf cine andere Weise gruppirt, wodurch cIjci! emo bestimmte Art von Radical entstehe, womit die iihri-gen Elemcnle sich weiter combinircn. Andere (wozu Liebig gehört) nehmen in einer ftir den schlichten Verstand mehr zugänglichen Weise an, dass das Pro-Icin überall, wo es vorkommt, eine gleiche Atomen-Gmppirung seiner elementaren Bestandtheile hat, dass aber die Verschiedenheit der Protcin-halligen Kör­per durch die Verschiedenheit der Combinalion be­dingt sei, welche dieselben mit andern Körpern, wie mit Phosphor, Schwefel, alkalischen und erdigen Sal­zen, eingehen. Indem wir nun einem, dem gegen­wärtigen Standpunkte der physiologischen Chemie ent­sprechenden Erkläruncs-Versuche des Emährunes-Prozesses naher rücken, haben wir nochmals daran zu erinnern, dass alle Ernährung aus dem Blute zu Stande kommt. In der That sind auch in dem­selben alle Bestandtheile der thierischen Substanz nachgewiesen, und zwar als wesentlichste organische die Proteln-halligen Körper, wie Faserstoff und Elweiss im Plasma. Die Ernährung bat man sich nun so vorzustellen, dass aus den eben gedachten Stoffen, indem sie eine Modification in ihrer Zusammensetzung erleiden, die thierischen Gebilde, wie Muskel, Nerv 11. dergl. vermittelst des organischen Gestaltnngs-Trie-bos erzeugt werden. Auf diese Weise gedacht, hat die Erklärung des Ernährungs-Prozesses bei Fleisch-fres-senden Thieren keine Schwierigkeit, da ihnen in der Fleischnahrung ja bereits alle Stolle vorgebildet ge­boten werden, welche ihr Organismus bedarf. Es ist anzunehmen, dass die Verdauung und die Assi­milation bis zum Blute bei ihnen nur eben dazu dient, die Form und eigenthümliche Combinalion der Nahrungsmittel aufzuheben und sie dann wieder in die dem individuellen Organismus entsprechende Form
Fnchjj .illgcui. Palliol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;23
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ocänbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Secrelionon
und Combinaliop liberzuführcn, Wie verhält es sich aber hol den Pilanzenfressem? — Maß hat lange gewassl, dass diejenigen Pflanzen, welche auf die Dauer er­nähren sollen, Stickstoff enlhaltende Bestandlheile führen müssen; aber man hat diese in der neuesten Zeil erst richtig gewürdigt und hiernach herausge-slellt, dass zwischen pflanzlicher und thierischer Nah­rung'kein wesentlicher Unterschied besiehe, und dass die ^Verschiedenheit des Baues der Verdauungsappa­rate bei den differfnten Gattungen der Haussäuge-Ihiorc lediglich dazu diene, der Natur der Nahnmgs-miltel entsprechend eine Kraft zu entwickeln, welche geeignet, das Assimilibare ans denselben zu entbin­den und in die Säflemasse des Organismus über­zuführen.
sect;• 41. Wir werden uns auf die Erläuterung dieser wich­tigen Eroberung der organischen Chemie mit ein paar Worten einlassen müssen, und wollen uns zu diesem Behnfe auf Liebig stützen. Nach diesem Autor sind die, die Ernährung bedingenden stickstoffhaltigen Mate­rien in allen Pflanzen, in jedem ihrer Thcile enlhal-len, in vorzüglicher Menge aber in den Samen der Getreidearien, der Erbsen, Linsen, Bohnen, in Wur­zeln und in den Säften der sogenannten Gemüsepflanzen. Diese Materien lassen sich auf drei Formen zurück­führen; zwei davon sind in Wasser löslich, die dritte nicht. Wenn man frisch ansgepresste PQanzensäfte sich selbst überiiisst, so tritt nach wenigen Minuten eine Scheidung ein, es sondert sich ein gelatinöser Niederschlag ab, gewöhnlich von grüner Farbe, welcher, mit Flüssigkeiten behandelt, die den Farbestoff lösen, eine grauweisse Materie hinterlässt. Diese Substanz ist unler dem Namen grünes Sazmelil der Pflan-
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Anomalien In c)on Socreüonennbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;355
zensäfte den Pharmarceutea wohl bekannt. Dsess isi das eine von den stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln der Thiere, es hat den Namen Pflanzen fibrin ei-halten. Der Saft der Gräser ist vorzüglich reich an diesem Bestandtheüe, er ist in reichlichster Menge in dem Weizensamen, so wie überhaupt in den Sa­men der Cerealien enthalten, und kann ans dem Weizenmehl durch eine mechanische Operation ziem-licii rein erhalten werden. In diesem Zustande heisst er Kleber, allein die klebenden Eigenschaften geboren ihm nicht an, sondern einer geringen Menge eines beigemischten fremden Körpers, der in dem Samen der übrigen Getreidearten fehlt Wie sich aus der Art der Darstellung ergiebt, ist das Pflanzen-lihriii im Wasser nicht löslich, obwohl man nicht zweifeln kann, dass es in der lebenden Pflanze im Saflc gelöst vorhanden war, aus dem es sich, ähn­lich wie das Fibrin aus Blut, erst später abschied. Der zweite stickstoffhaltige Nahrungsstoff ist in dem Saflc der Pflanzen gelöst, er scheidet sich daraus bei gewöhnlicher Temperatur nicht ab, wohl aber, wenn der Pflanzensaft zum Sieden erhitzt wird. Bringt man den ausgepressten, klaren Saft, am besten von Gemüsepflanzen, von Blumenkohl, Spargel, Kohl­rüben, weissen Rüben u. s. w. zum Sieden, so entsteht darin ein Coagulum, welches in seiner äussoren Be­schaffenheit und seinen Eigenschaften schlechterdings nicht zu unterscheiden ist von dem Körper, der sich als Gerinsel abscheidet, wenn man mit Wasser ver­dünntes Blutserum oder Eiwciss der Siedhitze aus­setzt. Diess ist das Pflanzenalbumin. In vorzüg­licher Menge findet sich dieser Körper in gewissen Samen, in Nüssen, in Mandeln und anderen, in de­nen das Amylon der Gelreidesamen sich vertreten findet durch Oel und Fett. Der dritte Stickstoff hal-
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35Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den SGcretionen.
tige Nahrangsstoff, den die Pflanzen prodaciren, das PClanzoncascin, findet sich bauptsäcMich in den Samenlappen der Erbsen, Linsen und Bolmen, er tsl; wie das Pflanzenalbomin, im Wasser loslich, unter­scheidet sich aber von ihm dadurch, dass seine Auf­lösung durch Uilzc nicht coagulirt wird; beim Ab­dampfen und Erhitzen derselben zieht sich an der Ober-flache eine Haut und, mit Sauren vorsetzt, entstellt darin ein Gerinsel wie in der Thiermilch. Diese drei Stoffe, Pflanzenfibrin, Albunim und Casein sind die eigent­lichen stickstoffhaltigen Nahrangsstoffe der Pflanzen fressenden Thicre, alle anderen in Pflanzen vorkom­menden stickstoffhaltigen Materien werden entweder, wie die Stoffe in den GiManzen, von den Tliieren nicht genossen, oder sie sind ihrer Nahrung in so ausserordenllich kleinen Gaben beigemischt, dass sie zur Vermehrung der Masse ihres Körpers nichts bei­zutragen vermögen. Die chemische Untersuchung der drei genannlcn Subslanzen hat zu dem interessanten Resultat geführt, dass sie einerlei organische Elemente in dem nämlichen GcwichlsverhaKniss enthalten; und was noch weit merkwürdiger ist. es hat sich ergc­hen, dass sie identisch sind in ihrer Zasammen-setzung mit den llauplbestandlheilen des Blutes, mit Fibrin und Albumin. Sie lösen sich alle drei in co-cenlrirter Salzsaure mit der nämlichen indigoblaucn Farbe auf, und auch in ihren physikalischen Eigen­schaften sind Thiorfibrin und Thieralbumin von Pilan-zenfibrin und Pflanzenalbumin in keiner Weise ver­schieden.
Es verdient ganz besonders hervorgehoben zu werden, dass hier unter einer gleichen Zusammen­setzung nicht bloss eine ähnliche gemeint ist, son­dern es ist auch in Beziehung auf ihren Gehall an Phosphor, Schwefel, Knochenerde und Alkalien kein
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Anomalien in den Socrolionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;357
Unterschied wahrnehmbar. Auf vorstehende That-sachen gestützt folgert Liebig: In welcher bewun­derungswürdigen Einfachheit erscheint nach diesen Entdeckungen der Bildungsprocess im Thiere, die Entstehung seiner Organe, der Hauptträger der Le-benstluitigkeit. Die Pflanzenstofle, welche in den Thieren zur Blutbiklung verwendet werden, enthalten die Hauptbestandtheile des Blutes, Fibrin und Albu-nim, fertig gebildet allen ihren Elementen nach; alle Pflanzen enthalten übeidiess noch eine Menge Eisen, das wir im Blutfarbestoff wiederfinden. Pflanzenfi­brin und Thierfibrin, Pflanzenalbumin und Thieralbu-min sind kaum der Form nach verschieden; wenn diese Stoffe in der Nahrung der Tbiere fehlen, so hört die Ernährung auf, und wenn sie darin gege­ben werden, so empfangt das pflanzenfressende Thier die nämlichen Materien, auf welche die fleischfres­senden zu ihrer Erhaltung beschränkt sind. — Die Pflanzen erzeugen in ihrem Organismus das Blut al­ler Thiere, denn in dem Blut und Fleisch der pflan­zenfressenden verzehren die fleischfressenden im ei­gentlichen Sinne nur die Pllanzcnstöffe, von denen die crslercn sich ernährt haben; Pflanzenfibrin und Pllanzenalhumin nehmen in dem Magen des pflanzen­fressenden Thicres genau die nämliche Form an, wie Thierfibrin und Thieralbumin in dem Magen der Carnivoren.
sect;. 42. Wir wenden uns nun zu den Anomalien in der Ernährung: wir haben eine krankhafte Ver-inuhrung und Verminderung (hypertrophia und aliüphia) so wie eine' abweichende Beschaffen­heit (paratrophia) derselben zu betrachten. In An­sehung der Hypertrophie haben wir zunächst zu untersuchen, ob die Massenzunahme in Folge der
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358nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Auomalieu in den Secretionen.
Enlzufldong oder, dor einfachen, gesteigerten Ernali-rung entstanden ist. Die Anhaltspunkte hei dieser Unterscheidung sind einerseits die der Entzündung
wesentlichen Symptome, die rasche Vergrösserung der Organe und ihre Textur-Veränderung, welche letztere durch die nicht vollständige Assimilation des abgelagerten Slofls bedingt ist; andererseits aher die langsame llervorhildung und die Gleichförmigkeit in der Textur. Die fortschreitende Entzündung gehört also nicht zur Hypertrophie im engsten Wortsinne, zu bemerken ist jedoch, dass gehemmte Entzündung wohl zur hleibcnden Hypertrophie Veranlassung ge­hen kann, in sofern der abgelagerte plastische SlofT später organisirt wird. Die Hypertrophie sowohl als auch die Atrophie können entweder allgemein sein, den ganzen Organismus betreffen, oder nur einzelne Organe oder auch nur einzelne Theilequot;derselben; die Paralrophie aber kann als allgemeine mit dem Le­ben nicht bestehen; diese bezieht sich also im aus­gebildeten Grade jedenfalls nur auf einzelne Organe. Betrachten wir die oben angegebenen nächsten Be­dingungen der Ernährung überhaupt, so müssen wir diejenigen der Hypertrophie einerseits in eine Blut-fiille, in einen lleichthum des Blutes an plastischen Stoffen und in einen vermehrten Zuflnss des Blutes, andererseits aber in eine erhöhte assimilative Thälig-keit des hypertrophischen Organs setzen. Mau mag sich nun diese erhöhte Tluitigkeit als einen vermehr­ten Reizancszustand des betroffenen Organs oder seiner Nerven, oder auch als ein grösscres Span-nungs-Verhältniss u. s. w. denken; keineswegs aber wird durch solche Vorstellungen eine deutlichere Einsicht in jenen Prozess gewonnen. Entferntere Veranlassungen zur Hypertrophie sind nicht selten Verminderung oder Unterdrückung von Secrelionen
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Anomalien in dou SccreUoucu.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;350
überhaupt, oder vermehrte Function der betroflenen Organe, wenn tlumit nicht zugleich Secretion verbun­den ist. Zu den entferntesten Ursachen aber sind zu rechnen: reichliche Fütterung mit stark eraäbren-den Stoffen bei kräftiger Cliykis- und Blutbereilung. Die Anlage unserer llaustliiere und der verschiede­nen Organe der Individuen zur Hypertrophie sind sehr verschieden. Im Allgemeinen haben diejenigen Thiergattungeu und diejenigen Organe eine grösserc Disposition dazu, welche sich überhaupt durch eine lebhaftere vegetative Thätigkeit auszeichnen; einen nicht minderen Einlluss auf dieselbe haben auch ge­wisse Lehensperioden, namentlich das jugendliche Alter und die periodische Steigerung von Fnnctionen, so die Regsamkeit im Gatlungsleben. Die Folgen der Hypertrophie sind nach den betroflenen Organen, so­nn ie nach dem Grade und der Ausbreitung dieses krankhaften Zustandes sehr verschieden. Gemeinhin ist die Function des hypertrophischen Organs be­schrankt, und bewirkt auch durch grössere Raum­erfüllung und Druck eine derartige Beschränkung be­nachbarter Organe, so wie eine Verminderung der Ernährung in den antagonistisch verwandten Orga­nen und zuletzt gar des ganzen Organismus. Wenn also die Hypertrophie ein Organ betrifft, welches eine wichtige Function für das Leben hat, und ist jene auf einen hohen Grad gediehen, so wird sie Veranlassung zum Tode geben müssen.
Die Ursachen der Atrophie, sowohl die näch­sten als die entfernteren, sind denjenigen der Hyper­trophie im Allgemeinen gerade entgegengesetzt, wes­halb wir uns nicht naher darauf einzulassen brau­chen. Als besondere Veranlassungen zur Atrophie können aber noch angefühlt werden: grosso Schmer­zen und spezißschc, die vegetative Thätigkeit unter-
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3(iOnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anom.iiicn in rlcn Sccrctioncn.
drückende Einflüsse, welche Iheils psychische, z. B. herabsümmCDde Scelenziislande, so Traurigkeit und Heimweh, iheils materielle und chemische, wie Blei-, Quecksilber- und Jodpräparate sein können. Dieje­nigen Tliiergattungen, AUerspcriodcn und Organe, welche die grössle Anlage zur Hypertrophie haben, neigen auch im Allgemeinen am meisten zur Atro­phie. Die übelen Folgen der Atrophie sind be­schränkte Function der betroffenen Organe, und, ge­hören diese zu den absondernden, Verminderung oder gänzliches Aufhören der Secretion. Wie aber ein hypertrophisches Organ in den antagonistisch ver­wandten zunächst Atrophie hervorbringt, so bewirkt ein atrophisches in solchen wohl Hypertrophie. Die endlichen Folgen der Atrophie sind Stillstand des Lebens wegen Unordnungen in den Functionen, be­sonders dann, wenn sie wichtige Organe betrifft. Wie viel Anlhcil die verminderte Aufsaugung an der Hypertrophie und die vermehrte an der Atrophie hat, wird sich kaum bestimmen lassen. Es ist bemer-kenswerth, dass die Thiere in manchen fieberhaften Krankheiten länger ausdauern ohne Aufnahme von Nahrungsmitteln, als im gesunden Zustande, und dass dabei ihr Körper dennoch nicht auffallend an Um­fang abnimmt. Da die Anbildung unter solchen Ver­hältnissen unmöglich normal sein kann, so scheint jene Erscheinung auf eine verminderte Rückbildung und auf ein grösseres Bcharrungs - Vermögen des einmal gebildeten Stoffs zurückgeführt werden zu müssen, womit auch die verminderte Se- und Ex­cretion in solchen Krankheiten im Einklang steht. Die Erscheinung aber, dass die Thiere in fieberhaften Krankheiten, trotz dem, dass sie Nahrungsmittel auf-nelimcn und die Se- und Excretionen nicht auffal­lend vermehrt sind, dennoch rasch abmagern, dürfte
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Anomalien in der Rückbildung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 301
von einer mangelhaften Verdauung, Chylification und Sanguification abgeleitet weiden. Die Annahme, dass die schnellere Blntströmung dem Stoffansatz hinder­lich sei, möchle eine Einschränkung erleiden, da man weiss, dass im jugendlichen Alter bei raschem Blut­lauf die Ernährung im Allgemeinen reger ist, als in spateren Lebensperioden bei langsamer Saflcirculation. Paratrophie entsteht, wenn die gedachten Fac-toren der Ernährung qualitative Abweichungen be­sitzen. Ist mit diesem Zustande zugleich ein Mehr­ersalz verbunden, so entstehen die Aflerproducte ver­schiedener Art; eine nähere Einsicht in deren Ent­stehung können wir zur Zeit nicht gewinnen. Die Folgen der Paratrophie sind ähnlich denen der Hy­pertrophie und Atrophie, nur greift jene nach der Natur der Aftcrgebilde nicht selten tiefer zerstörend ins Leben ein.
STcuntcs Capitcl.
Anomalien in der llückbiklung-
sect;' 4;3-Das thierischc Leben ist durch den Stoffwechsel
und dieser durch die Rückbildung der früher ange­bildeten organischen Materie bedingt. Wir haben gesehen, dass, um die Ernährung zu bewirken, dem Blute Stoff von aussen zugeführt und demselben auf dem Wege der Verdauung, Chylification und Sangui­fication ahnlich gemacht werden müsse. In der llück-biklung aber besteht ein ganz ähnlicher Vorgang, wie in der Ernährung, nur in umgekehrter Richtung, in­dem derjenige Stoff, welcher früher aus dem Blute abgesondert und fest wurde, nunmehr schmilzt und durch Aufsaugung wieder in dasselbe gelangt, und, in sofern er nicht mehr für den Organismus ver-
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362nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Rückbildung.
wendbar ist, auf dem Wege der Excretion der Aus-seuwell wiedergegeben wird. Das Blut enthält also in sich die freundlichen und feindlichen Stolle des Orftanismus nebeneinander. Dieser Umstand trägt vielleicht nicht wenig zur Eiitwickelnng der energi­schen Lebenslhatigkeit des Blutes hei, so wie über­all, auch im Staate, die oppositionellen Momente die Regsamkeit fördern. Wir haben ferner gesehen, class das Blut, dessen Gefässc und das Gewebe der Or­gane die Factoren sind, durch deren Wechselwirkung die Ernährung erfolgt; und hier bemerken wir, class keine anderen bei der Rückhildung thätig sein kön­nen, als Gefasse und Organen-Gewebe; und wie eine befriedigende Einsicht in das innere Wesen der Ernährung zur Zeit unmöglich ist, so ist uns auch eine solche in Betracht der Rückbildung nicht gege­ben. Die Annahme, dass in jenen Vorgängen eine organisch-polare Spannung zwischen Gefiiss und Nerv stattfinde, dass bei dem Festwerden das Ge­fiiss und die Oxydation, bei der Schmelzung aber der Nerv und die Hydrogenisation vorzüglich Antheil nehme, hat allerdings einige Wahrscheinlichkeit für sich, weil galvanische Versuche und die Wirkung mehrerer chemischen Agentieu im Organismus dafür sprechen. Aber diese Annahme scheint ebenso we­nig unbedingte Galligkeit für sich in Anspruch neh­men zu können, als es die rein-chemische, auf die Natur der in Conflict gerathenden Stoffe gegründete Theorie zu thun vermag. Wenn wir nun die ein­zelnen Momente der Rückbildung des thicrischen Stoffs bis zur Reassimilution desselben im Blute, niünlich die Schmelzung, das Product derselben, die Lymphe und deren Aufsaugung betrachten, so wer­den wir die Möglichkeit einer dreifachen Abweichung
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Äuomalion in der Rückbildung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 303
dieser., nämlich der Vermehrung, Verminderung und Beschaffenheit nach, annehmen können.
Der oben geschilderte Vorgang der Rückbildung ist begreiflicher Weise nur auf die wirklich organi-sirlen Theile des thierischen Körpers zu beziehen, Lei den sogenannlen nicht organisirten Theilen, wie den Haaren, der Epidermis, dem Epithelium u. s. w. verhält sich die Sache etwas anders. Das Wachs-lluim dieser Theile erfolgt durch Apposition von Zel­len, diejenigen, welche dem Ursprungsorte, den Ca-lraquo;illaigelassen am entferntesten liegen, vertrocknen allmahlig und werden abgestossen, und ist hiermit ilie Rückbildung gegeben. Diese Art von Rückbil­dung nehmen wir vorzüglich deutlich an der Epider­mis in ihrer Abschnppung wahr.
sect;. 44.
Die Schmelzung anlangend, so werden die nächsten Ursachen ihrer möglichen Abweichungen sich aus einem abgeänderten Verhällniss der mehr-erwähnten, an der Ernährung und Schmelzung bc-theiligten Factorcn ableilen lassen. Auch ist es ein­leuchtend, dass die entfernteren Ursachen davon in eine vorherrschende Arteriellilät oder Venösität, sowie überhaupt in eine andersartige Beschaffenheit des Blules zu setzen sind. Rücksichtlich der Erscheinun­gen und Folgen jener Anomalien dürfte ebenfalls nichts Näheres anzuführen sein, da sie mit Atrophie, Hypertrophie und Paratrophie übereiuslimmen.
Die Aufsaugung, welche, dem jetzigen Sland-punete des physiologischen Wissens zufolge, sowohl durch die Venen als auch durch die Lymphgefässc vermittelt wird (vergi. den Zusatz), kann ebenfalls in jenen zwei Quantiläls-Beziehungen und in dei Qualität abweichen, und hat rücksichtlich diesci
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364nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Rückbildung.
Anomalien überhaupt diejenigen Erscheinungen und Folgen, wie die Fehler der Eroäbrang, obgleich die nächsten und entfernteren Ursachen in anderen Ver­hältnissen hegen. Für die abnorme Vermehrung ist es eine gesteigerte Thatigkeit der aufsaugenden Ge­lasse, bewirkt durch spezifische Reize, wie Wärme, Friction, Muskelbewegung; geistige, gewürzhafte und solche Stoffe, welche ein scharfes oder narkotisches Princip enthalten; ferner fieberhafte Aufregung und Steigerung der Excretionen. In Rücksicht der letz­teren ist indess nicht immer mit Zuverlässigkeit zu unterscheiden, ob sie nur Folgen der vermehrten Aufsaugung oder auch zum Theil deren Ursachen sind. Der abnormen Verminderung der Aufsaugung liegt eine Beschränkung der Lebensthätigkeit über­haupt, oder insbesondere eine solche der aufsaugen­den Gefiisse zum Grunde. Ihre Folgen aber können nach einer anderweitigen Ursache, ob nämlich zu­gleich eine verminderte oder vermehrte Schmelzung der Feslgebilde mitbestcht, einige Verschiedenheiten von den oben gedachten der Hypertrophie darbieten; so z. B. wird, beim gleichzeitigen Bestehen jener, Anhäufung von Fett und Uebernährung, beim Vor-bandensein dieser aber Wassersucht entstehen. Die abweichende Beschaffenheil der Aufsaugung endlich hängt davon ab, ob die resorbirenden Geuisse in gewissen Kürpcrstellen den normalen Stoff wegen nicht erfolgter Schmelzung der Festgebilde auch nicht aufnehmen, oder ob ihnen fremdartige Stoffe, wie Excretions- oder pathologische Flüssigkeiten, so Ei­ler und dergleichen geboten werden.
Die Lymphe, der in den Lymphgefässen enlhallene verflüssigte und aufgesogene Stoff der festen Theile, unterscheidet sich sowohl in mikros­kopischer, als iu chemischer Hinsicht von dem ei-
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#9632; Anomnlicn in der RückbilcJung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 365
genllicheoj aus den Nahrangsmitteln bereiteten Milch­saft, obgleich eine Acbnlicbkeil zwischen beiden und dem Blulc nicht zu verkennen ist. Sie ist eine gelb-liclie, klare Flüssigkeit, worin einige Oelktigelchen und häufigere sogenannte Ljmph-Körperchen schwim­men. Die alkalische Reaclion derselben ist ausge­zeichnet, und, in ein Gefass aufgefangen, setzt sie Flocken oder Gerinsel ab, oder gesteht zu einer mehr oder weniger festen, gallertartigen Masse, oder endlich, es scheidet sich ein gesonderter Kuchen, der sogenannte Lymphkuchen ab. Der letztere besteht vorzugsweise aus Faserstoff, die Flüssigkeil aber, welche sich davon abscheidet, das Lymphserum, aus Wasser, Eiwcissstolf und den im Blute vorkommen­den Salzen. Schon aus dem hier Milgclheilten gehl hervor, dass die Lymphe sich in ihren Eigenschaf­ten nicht gleich bleibt; auch bemerken wir in der That bei der, aus verschiedenen Gefössen eines und desselben Thieres entnommenen Lymphe, noch mehr aber, wenn sie von verschiedenen Tliieren stammt, niclit selten sehr hervorstechende Abweichungen in den physikalischen Eigenschaften, welche unstreitig von einer quantitativen und qualitativen Verschieden­heit in der Zusammensetzung dieser Flüssigkeit ab­hängig sind. Die Ursachen hiervon sind eines Thcils in der Verschiedenheit der Organe und ihrer Le-bcnsthaligkeit, so wie in der Verschiedenheit der Constitution der Thicre, anderen Theils aber darin zu suchen, ob die Lymphe eine mehr oder weniger grosso Zahl von Lymphdrüsen durchwandert ist. bass eine gewisse Lymphfülle und ein Lymph­mangel als krankhafte Zustande bestehen können, ist wohl einleuchtend, und auch deren Ursachen ohne Schwierigkeit herzuleiten. In wie fern aber jene die sogenannte lymphatische und diese die
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300nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Rückbildung.
sogenannte trockene Conslitution begründet, be­darf des näheren, bis jelzt mangelnden Erweiselaquo;, wobei die Bestimmung des absoluten und relativen Maasses der Lymphe nicht wenig Schwierigkeiten bieten dürfte. Auch liisst sich eine krankhafte Be­schaffenheit der Lymphe annehmen, welche dann wahrscheinlich vorhanden ist, wenn wir sie auf Lymphgeßisse und Lymphdrüsen verändernd, Entzün­dana und Verhärtuns hervor))rincend, einwirken se-hen. Worin aber diese fehlerhafte Beschaffenheil besieht, ist bisher nur in denjenigen Fallen nachge­wiesen worden, wo der Lymphe fremdartige Stolle z. B. Jauche, Eiter und Arzneimittel durch Aufsau­gung der Lymphgefässe zugeführt wurden.
Zusatz, Die Aufsaugung (Einsaugung, Resorp­tion, Absorption), worunter man ilcn Vorgant; der Auf-nähme von Substanzen, welche ausscrhalb des Gcfässsyslems sieh befinden, in die Gcfassc des Organismus zu verstehen hat, bildet, wio bereits angedeutet, ein wichtiges, ja das wichtigste Moment bei der Rückbildung. Aber nicht allein bei diesem Lebensactc. sondern auch bei der Ernährung spielt die Aufsaugung eine bedeutende Rollo, und nimmt mithin an den Hauptgeschäften der Lebensökonomie einen regen Antheil. Fügen wir hinzu, dass auch der Aufsaugung in der Pathologie und Therapie eine grosso Rücksicht bei der Entstehung der Krankheiten, bei der Entfernung krank bafler Producte aus dem Innern des Körpers und endlich bei der Einführung von Arzneimitteln in das Dlulgefasssysleni gebührt: so dürfte es Iiinrcichcnd gerechtfertigt erscheinen, wenn hier einige Worte der Aufhellung über den in Rede stehenden Act angeführt werden. Von vom herein muss man drei Möglichkeiten statuiren: entweder die Venen, oder die Lymphgefässe oder beide vollbringen das Geschäft der Aufsaugung. Bevor die Lymphgefässe bekannt waren, schrieb man das Geschäft der Aufsaimunc den Venen ausschlicss-lieh zu, und als jene bekannt wurden, wandle sich diese
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Anomalion in dor Rückbildung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;no?
Aussciiliossliolikcii ihnen zu. Die Untersuchungen, welche man scilher Über den fraglichen Gogcnskind gemacht hat, sind von Kürschner (Handwörterbuch der Physiologie cic. von R. Wagner, Art. Aufsaugung) grlindlich zusammenge­stellt und kritisch belcuchlet. Kürschner gelangt hierbei zu dem Resultat: dass die Lymphgcfässc unter nor­malen Verhältnissen nur Chylus und Lymphe — Flüssigkeiten, welche aus Portein-Vorbindungen, freiem und gebundenem Fette und den gewöhnli­chen, im thierischen Organismus gefundenen Sal­zen bestehen — führen; dass dagegen die Capil largefässe fremde Substanzen aufnehmen, welche der Organismus sich nicht zu assimiliren vermag, mögen sie nun bloss durch den Körper hindurch­gehen, oder die Prozesse und Thätigkeit desselben auf die mannigfaltigste Weise abändern, oder selbst giftige Wirkungen entfalten: dass endlich nur dann sich fremde Substanzen in den Lymph-gefässen zeigen, wenn sie wegen Unterbrechung des Kreislaufes nicht direct in das Blut gelangen, oder wenn sie in so bedeutender Menge vorhanden sind, dass sie von den Rlutgcfässcn nicht schnell genug fortgeführt werden können. Man war bemüht, die Gesetze aufzufinden, nach denen die Resorption erfolgt; ilio Erscheinungen, welche dieser Act darbietet und der er­forschte anatomische Bau der aufsaugenden Gefiisse waren die Wege, welche man zu jenem Zwecke verfolgte. Seil­dom man mit ziemlicher Gewissheit weiss, dass keinerlei Art der aufsaugenden Gefiisse offene Mündungen haben, musste man natürlich annehmen, dass die aufzusaugenden Flüssigkeiten die Gefiissmündungcn, mit welchen sie in Be­rührung kommen, durchdringen. In der That sehen wir auch, dass alle thierischen Thcile, sovvobl im lebenden als im todten Zustande die Eigenschaft haben, von Flüssigkeiten getränkt zu werden. Man hat dieser Eigenschaft den Na­men Imbibition gegeben. Aber die fmbibilion erklärt die Resorption nicht vollständig; diese setzt nicht allein ein Ge-trliuktwerden der häutigen Gebilde, sondern auch ein Durch-
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3CBnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Ruckbllilung.
dringon, (Durchslrömen, Abflicssen) und ein Steigen in Ka­nülen voraus. Die Imbibilion bildet nlso jedenfalls nur ein Moment der Aufsaugung. Nun hat Parrct zuerst durch einen einfachen Versuch die Möglichkeit dargelhan, dass diirerentc Flüssigkeilen, welche durch Blase geschieden sind, sich durchdringen. Er füllte einen Glascylindcr mit Wein geist und verschloss dessen Mündung mit Blase und tauchte sie in einem mit Wasser angefüllten Glase unter. Es wurde hiernach in kurzer Zeil bemerkt, dass die Flüssigkeit im Cy­linder in die Höhe gestiegen war, und nach einem Nadel­stich in die Blase strömte die Flüssigkeil in einem Strahle heraus. Man schloss, dass Wasser unter diesen Umständen zum Weingeist gedrungen sei. Dieser und sehr zahlreiche ähnliche Versuche sind sodann von vielen Naturforschern mit den verschiedenartigsten Flüssigkeiten angestellt worden. Es hat sich im Allgemeinen dabei herausgestellt, dass, wenn eine Membran unter gewissen Bedingungen auf beiden Sei­ten mit verschiedenen Flüssigkeiten in Berührung kommt, ohne dass sich die letzteren in unmittelbarem Contact be­finden, — dann Strömungen nach beiden Seiten staltfinden, wodurch sich die Flüssigkeiten mischen. Man hat diese Erscheinung mit dem Namen Endosmosis und Exosmo-sis belegt, und geglaubt, dass dieselbe die Resorption ge­nügend erkläre. Aber über die Grundursachen der Exos-mosis und Endosmosis sind die Ansichten verschieden; am meisten Gewicht legt man zur Zeit der von Magnus und P eis son hcrausgcslelllen bei, wonach die Capillarität der Membran und die wechselseitige Anziehung der Flüssigkei­len die thütigen Momente jenes Phänomens sind. Kürsch­ner (1. c.) giebt zwar zu, dass diese Ansicht sehr viel für sich habe, glaubt indessen, dass sie einiger Modificalioncn bedürfe, wie sich aus den von ihm angestellten zahlreichen Versuchen, die er, um die Gesetze der Endosmose und Exosmose näher zu bestimmen, angeslelll hat, ergeben dürfte. Auf die Versuche Kürschner's lassen wir uns hier nicht ein; nur das Resultat, wozu er gelangt ist, möge Platz finden. Es lautet also: „Wenn eine feuchte Membran dem Drucke zweier Flüssigkeiten ausgesetzt ist, so treten
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Anomalien in dor Kiickbildting.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3^,9
dieselben durch Jene miteinander in Wechselwirkung, vor­ausgesetzt, dass sie sich mit der Feuchtigkeit, welche die Membran enthalt, mischen oder verbinden. Es geht nur eine dieser Flüssigkeiten durch die Membran, wenn nur eine sich in der Feuchtigkeit derselben löst, oder wenn me­chanische Hindernisse, wie Niederschlüge, vorkommen. Wo beides nicht der Fall ist, giebt es doppelte Strömungen. Die Strömungen sind gleich oder ungleich hinsichtlich der Stärke, wenn die Affinität der Flüssigkeiten zur Substanz der I3iase gleich oder ungleich ist, oder wenn dieFlüzsigkeiten sich Leide gleich leicht, oder die eine schwieriger als die andere mit der Feuchtigkeit der Blase mischen und verbinden.quot; — Die Erforschung der Gesetze der Imbibition, der Exosmo-sis und Endosmosis zur Beantwortung der Frage angewandt: was kann in die Lymph- und Bluigefässe gelangen, wlt;;nn es nach jenen Gesetzen aufgenommen wird? — hat Kur seh­ne r'n zu nachstehendem Resultate geführt: „In die Lymph-und Blutgefüsse gelangen überhaupt nur Flüssigkeiten, die sich mit dem Wasser verbinden und mischen, und das Was­ser selbst. Die Blutgefüsse nehmen die Flüssigkeiten auf. gegen welche das Blut eine Anziehung üussern kann, und Chylus und Lymphe werden als dem Liquor sanguinis ho­mogene Flüssigkeiten nicht aufgenommen. Da die Resorp­tion der Blutgefüsse vermöge des bestündigen Stromes sehr rasch erfolgt, so bleibt für die Aufnahme in den Lymph-gefüssen nur Chylus und Lymphe zurück. Beide Flüssig­keiten trunken die organische Substanz und müssen sich daher in den Lymphgefüssen derselben, wenn sie leer sind, vorbreiten. Bei der Volumsveränderung der organischen Substanz werden sie im Verdichtungsmomente gegen die Slämme entleert, und können dann auf's Neue sich wieder füllen. Durch diesen wechselnden Druck, der mit den Vo­lumsveränderungen der weichen Gebilde, in denen die Ljmphgcfäse wurzeln, gegeben ist, wird die Lymphe gleich­sam weiter gepumpt, und wenn die Lymphe im Ductus tho-racicus trotz dieser periodischen Impulse nicht stossweise strömt, so hat dieses denselben Grund, den der ununter­brochene Strom in den Arterien hat, nämlich die Wandung
Tuchs, allgcm. l'adiol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;04
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370nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excretionen.
der Lymphgcfiisse ist conlractil, und sobald die vis a tergo wirkt, wird sie ausgedehnt und zieht sich wie 1er zusam­men, sobald jene zu wirken aufhört, unterhält mithin die Bewegung der in ihrer Hohle befindlichen Flüssigkeit.quot; — Sollte auch das oben zur Aufhellung des Vorganges der Resorption Gesagte nicht vollständig seinen Zweck erreichen, so dürfte es doch jedenfalls mehr befriedigen, als der naive Einfall, die Aufsaugung von einem besonderen Appetite der Gefässe abhiingig zu machen. Wie überall, so auch in der Physiologie ist die geniüthliche Kindlichkeit dahin; mit den, schiirfslcn Waffen der Forschung sucht man das Wesen der Dinge zu ergründen. Ob's gelingen wird? — Jedenfalls ist der präkare Preis des Kampfes der Edeln wcrlh! —
Zclintcs Capitcl.
Anomalien in den Excretionen.
A. Von den Abweichungen der Excretionen im Allgemeinen.
sect;• 44.
Unter Excretion hat man die Ausscheidung des Aerbranchlen, fur den individuellen Organismus nicht mehr lebensfähigen oder gar schädlichen Stofls (Ex-cret, Excrement) über das Gebiet desselben hinaus zu verstehen, Ich sage, dass die Excrete für das betreffende Individuum nutzlos und soear gefährlich sind, weil sie für andere organische Wesen wolil als Erhaltungsmiüel dienen können und auch wirk­lich dienen. Wenn in pathologischen Schriften von der absoluten Excretion im Gegensatz der relativen gehandelt wird, so hat man unter jener die so eben definirte, unter dieser aber den Schmelzungs-Prozess der festen Theile und die Aufsauimm? und Einfüh-rung des hierdurch entstandenen Productes in die Blatmasse zu verstehen. Die relativen Excrete in
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Anomalien in den Excrotioncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;371
iliesem Sinne entlialten ohne allen Zweifel noch brauclibare Stofle für den betreffeöden individuellen Organismus, wenn auch nicht für dieselben Organe, wovon sie herstammen; über welchen lelzleren Punkt wir indess niemals zur Gewissheit gelangen werden. Die absoluten Excrete aber bestehen, wie bereits angedeutet, aus ferner für das Individuum unbrauch­baren Stoffen, die den Kreislauf der Umwandlung im Organismus durchgemacht haben, und nun in ande­rer Form und Mischung der äusseren Natur wieder­gegeben werden, woraus sie früher als Erhaltungs-mittel für den Organismus kamen, üeber die Noth-wendigkeit der Excretionen für die Thiere, ja für die organischen Wesen überhaupt, kann kein Zweifel be­stehen. Der Organismus stellt sich zwar seiner äusseren, oberflächlichen Erscheinung nach als etwas Selbständiges und in seiner Existenz Beharrendes, aber seinem innersten Wesen und dein hierauf ge­stützten Begriffe nach als etwas in einer stetigen Umwandlung Begriffenes dar, wodurch es eben be­dingt wird, dass die Stoffe sich nicht ruhend, in ih­rer Form und Mischung sich nicht gleichbleibend in demselben verhallen können; dass sie vielmehr nach Vollführung ihres Zweckes umgewandelt wieder ab-gestossen werden müssen. Werden sie dagegen im Organismus zurückgehalten, so bewirken sie zunächst eine fehlerhafte Mischung des Blutes und hierdurch Gefährdung des Lebens. Untersuchen wir den Vor­gang der Excretion, so bemerken wir, dass dieselbe nicht anders, als auf dem Wege der Secretion zu Stande kommt. Das Blut enthält eben so wenig fertige Excrete wie Secrete; nur einzelne Bestand-theile dieser wurden bis jetzt in jenem nachgewie­sen, wovon der Harnstoff, Käsestoff, Gallenfarbstoff, die Milchsäure und deren Salze zu bemerken sind.
24 •
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372nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excretionon.
Der Bildungsvorgang ist es also nicht, welcher als Moment der Unterscheidung der Excrete von den Secreten benutzt werden kann, vielmehr ist es der Zweck, welcher den Unterschied begründet. Auch von der chemischen Mischung lassen sich die Unter­scheidungskennzeichen nicht mit Zuverlässigkeit her­nehmen; denn einerseits findet sich die Angabe von Berzelius, dass die Secrete alkalisch und die Ex­crete sauer reagiren, nicht durchweg bestätigt, auch enthalten sowohl die Excrete als auch die Secrete lernare und qualernäre Verbindungen. In der That besteht auch in der Natur nur bei einzelnen Excre-ten und Secreten ein bestimmter Gegensatz. So dürfte der Harn und das von den Lungen Ausge­hauchte als vollständige Excrete zu betrachten sein, während die Hautabsonderung, die Galle und der Schleim zum Theil einen secretiellen, zum Theil aber einen excreliellen Zweck haben; die Milch und der Samen, so wie andere, auf die Geschlechtsfunc-lion sich beziehende Flüssigkeiten, haben zwar für das Individuum excrelielle, für die Gattung aber se-cretielle Bedeutung. Wir werden daher in dem Folgenden als eigentliche Excretionon nur die Harn-absonderung und die Lungenausdünstung betrachten, diesen aber die Absonderung der Haut, weil sie in der Ausdünstung ein überwiegendes Excret darstellt, und die Darmausleerung anschliessen, nicht, weil diese letztere als ein Excret in unserem Sinne zu betrachten wäre, denn sie ist nichts weniger als Dieses, da sie grösstenlheils aus Stoffen besteht, die den organischen Kreislauf niemals eingegangen sind, sondern, weil sie einen kleinen Theil wirklicher Ex­crete, wie excretielle Stoffe der Galle und des Schleims beigemengt enthält, und weil keine passen­dere Stelle für sie ausfindig gemacht werden dürfte.
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Anomalien in den Excretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;373
Von den Excretionen oder beziehungsweisen Secre-tionen, welche eine Rolle hei den Geschlechlsver-riclitungen spielen, wie Samen, Milch und andere, wird auch bei den Abweichungen dieser Funetionen die Rede sein. Bevor wir zu den einzelnen Excre-lionen scbreilen, wird es nölhig sein, noch einige allgemeine Bemerkungen hinsichtlich der Abweichun­gen in den Excretionen überhaupt vorauszuschicken. Auch bei ihnen sind Anomalien der Quantität (eine Vermehrung und eine Verminderuug, hypercrisis et aneecrisis) und der Qualität zu berücksichtigen. Bei der Bestimmung der Quantitäts-Abweichungen muss man sich vor der Täuschung bewahren, dass man nicht eine öftere Ausleerung für eine Vermehrung, und eine verzögerte oder unterdrückte unbedingt für eine Verminderung halte; vielmehr muss dabei auf die Menge des wirklich Abgesonderten gesehen wer­den. Die Ursachen der vermehrten Excretion beste­hen im Allgemeinen in einer vermehrten Schmelzung und Aufsaugung der festen Thelle, oder auch in der Gegenwart von solchen Stoffen im Blute, welche demselben fremdartig sind, oder endlich in einer gesteigerten Thätigkeit des betreffenden Secretions-Oigans, (wobei nicht selten in einem, mit diesem vicarirenden Unterdrückung der Secretion besteht); während die verminderte Excretion auf den entge­gengesetzten Verhältnissen beruht. Die Folgen der vermehrten Excretion sind nicht in dem Grade nach-iheilig, wie die der verminderten; jene kann zwar durch lange Dauer Substanz- und Kraftverlust und hierdurch endlich Cachexie bewirken; diese aber er­zeugt immer bedenkliche Krankheiten wegen Rück­halts heterogener Stoffe im Blute. Die Quantitäts-Ab­weichungen der Excretionen können sehr verschie­den sein, aber es 1st nicht immer mit Gewissheit
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374nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excretioncn.
auszumachen, ob der Grund davon mehr in dem ei­nen oder dem anderen Factor der Excretion, ob er im Blute oder im Excretionsorgane liegt. Auch wis­sen wir wenig über die Mischungsveränderungen, welche die Excrete eingehen, und begnügen uns daher meist mit der Angabe physicher Abweichun­gen. Ja, wir sind nicht einmal im Stande, die Grenzen mit Sicherheit anzugeben, wo die Excrete aufhören, normale zu sein, da sie bereits innerhalb der Sphäre der Gesundheit manche Abweichungen zeigen. Die Folgen der fehlerhaften Beschaffenheit der Exeretionen sind ähnlich denen der vermehrten und verminderten Exeretionen, in sofern nämlich dem Blute Stotle entzogen werden, die es behalten musste, oder in soweit in demselben Stoße zurückbleiben, die für die Ausscheidung bestimmt sind.
Die Exeretionen sind in den Krisen von grosser Bedeutung. Das, was im Allgemeinen über dieses Verhältniss hier zu sagen wäre, ist bereits (I. Th. S. 200 u. 220 ff.) angemerkt worden. Das Beson­dere wird bei den einzelnen Excreten angegeben.
B. Von den Abweichungen der Exeretionen ins­besondere.
I) Von der Haulexcretion.
sect;. 45. Die Absonderung der Haut ist als eine drei­fache zu betrachten, als Hautausdünstung, auch unmerkliche Haulausdünstung (perspiralio cutanca in-sensibilis) genannt, als Schweiss (sudor) und als Absonderung des Hauttalges (secretio sebi cutis). Die Hautschmiere wird aus eigenthümiiehen, neben den Haaren liegenden Talgdrüsen abgesondert, und hat den Zweck des Schutzes für Haut und Haare.
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Anomalien in den Excretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;375
Dieser Umsland ist es, welcher die Absonderung der Haul überhaupt nicht als ein ausschliessliches Excret, vielmehr auch als ein theihvcises Secret betrachten lässt. Die unmerkliche Ilautausdünstung und der Schweiss zusammengenommen bezeichnet man auch mit dem gemeinschaftlichen Namen; Ausdünslungs-Materie (matcria perspirahiiis cutanea). Aussei- den oben gedachten Absonderungen zeigt die Haut noch eine vierte, nämlich eine fortwährende Abschilfe­rung der Oberhaut in kleinen Blättchen, welclie beim Putzen in grösserer Menge als sogenannter ver­trockneter Schweiss gewonnen werden. Es ist ein­leuchtend, class solche Massen den angeführten Na­men eigentlich nicht verdienen, wenn auch nicht zu leugnen, dass eine kleine Menge vertrockneten Schwei-sses und Ilanttalgs ihnen beigemengt ist. Auch wird es begreiflich sein, dass die Abscliilferung der Ober­haut nicht als Secretion im wahren Sinne des Wor­tes zu betrachten ist, vielmehr als eine Abstossung, obgleich die Bildung der Oberhaut auf einer wahren Secretion beruht. Da wir es hier vorzugsweise mit der unmerklichen Hautausdünstung und dem Schweisse zu thun haben, so möge nur kurz bemerkt werden, dass die Absonderung des Ilauttalges und die Ab­schuppung der Oberhaut nicht selten quantitativ ver­ändert vorkommen. Jene können wir als vermindert annehmen bei der trockenen, spröden mit glanzlo­sem Haar versehenen Haut, vermehrt aber, oder auch auf einer blossen Ansammlung und quantitativen Ver­änderung beruhend, beim sogenannten Schmierschlau­che des Pferdes und beim sogenannten bösen Nabel des Ochsen, durch welche Umstände das Hainen oft sehr erschwert wird. Vermehrung der Bildung und Abstossung der Oberhaut zeigt sich vorzugsweise in manchen chronischen Hautausschläeen, namentlich bei
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37Cnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excretionen.
der trockenen Flechte. Wo aber Verminderung die­ses Verhältnisses vorkommt, dürfle zur Zeit nicht recht klar sein; da, wo eine mangelhafte Hautlhatig-keit angenommen wird, sehen wir gewöhnlich copiöse Abstossung des Epilholiums. — In Rücksicht der un­merklichen Haatansdünstung und des Schweisses wirft sich uns zunächst die Frage auf: wie diese beiden Secretionen entstehen? Gewöhnlich nimmt man au, dass jene durch die Gefasse der Haut, dieser aber durch eigenthiimlichc Drüsen, die Schweiss-Drüsen zu Stande komme; es dürfte aber dabei schwerlich in Abrede zu stellen sein, dass die Schweissdrüsen ebenfalls an der unmerklichen Hausansdiinstimg An-theil nehmen, und ihr Secret nur dann als tropfbare Flüssigkeit, als wirklicher Schweiss erscheint, wenn sie sich in gesteigerter Thaligkeit bei entsprechenden iiusseren Verhältnissen befinden. Wir wissen, und ist es für die Beurtheilung der Hautabsonderung zu wis­sen auch sehr nothwendig, dass eine Vermehrung derselben ohne Schweiss und dieser ohne vermehrte Hautabsonderung bestehen kann, und dass die Er­scheinung der dunstförmigen und der tropfbaren Haut­absonderung zum grossen Theil von physikalisohen Mitwirkungen abhängig ist. bei gleicher Hautabson-derungs-Thätigkoit wird die Umgebung einer trocke­nen, warmen und bewegten Luft die dunstlormige, dagegen eine feuchte, warme und ruhende Luft die tropfförmige Erscheinung der Hautausscheidung be­günstigen ; da im ersteren Falle die Luft viel, im letz­teren nur wenig Capacität für die Aufnahme von Feuchtigkeit besitzt. Hieraus geht nun auch gleich­zeitig hervor, und besonders aus dem Umstände, dass die Menge der Hautabsonderung von äusseren Ver­hältnissen (namentlich von der Temperatur der Um­gebung) mit abhängig ist, dass sie nicht aussdiliess-
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Anomalion der Excretion,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;377
lieh ein organischer, sondern auch ein physischer Vor­gang ist; w-oher es denn auch kommt, dass wir so häufig Quantitäts-Ahweichungen in der Hautabsonde-rung beobachten, ohne dass gleichzeitig Alnveiclum-gen in den Lebensverri'chtuogen der Haut der Thierc nachweislich wären. Zwischen der gasförmigen, dunst-förmigen und tropfbar-flüssigen Absonderung der Haut hat man folgende chemische Unterschiede angege­ben. Die erstere soll in der Regel aus Kohlensaure und Slickstofi' in sehr veränderlichem Verhältnisse, zuweilen nur aus einem dieser Gasarten bestehen; die zweite aber aus Kohlensäure, essigsaurem Am­moniak und Osmazom; und die letztere endlich, ausser vielem Wasser, aus Milchsäure, milchsauren Salzen, Kochsalz, salzsaurem Ammoniak und thierischem Ex-tractivstoff. Es ist indess zu bemerken, dass sowohl die qualitativen, als auch die quantitativen Angaben der Chemiker bierin nicht übereinstimmen, und dass Diess (abgesehen von der Schwierigkeit organisch-chemischer Untersuchungen überhaupt und abgesehen von der Verschiedenheit der dabei benutzten Metho­den) auch wohl nicht der Fall sein könne, weil vor­aussichtlich und ohne dafür sprechende thatsächliche Beweise anzuführen, angenommen werden darf, dass die Excrete nach dem jedesmaligen Bedürfnisse des Organismus für die Ausscheidung Abweichungen erlei­den müssen. Zu der chemischen Qualität des Schwei-sses gehört noch, dass er frisch alkalisch reagirl, später aber sauer wird, was Gerber dem Eiweiss-gt;toff-Gehalte zuschreibt.
sect;. 46.
Die quantitativ en Abweichungen derHaut-exeretion anlangend, so ist bei deren Bestimmung zur Venneidune eines hrtbums. — wir erinnern noch-
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378nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in don Excretionen.
nials daran — auf die oben gedachton, den Ver-danslungsprozess begünstigende und beschränkende physikalische Momente Rücksicht zu nehmen und zu beachten, in wiefern solche und ähnliche Verhältnisse an jener Abweichung Antheil haben, und -wie viel davon auf Rechnung einer veränderten Function der Haut zu setzen ist. Näher angegeben sind die Mo­mente zur Vermehrung der Haut excretion fol­gende: Muskel- und aufregende Gemüthsbewegungen; trockene, warme und massig bewegte Luft; Reiben und Bedecken der Haut; ferner Blutandrang nach derselben; Blutwässrigkeit, daher auch reichliche und lauwarme Tränke und endlich solche Mittel, welche unter dem Namen schweisstreibendc bekannt sind. Auch ist unter die ätiologischen Momente für die Vermehrung der Hautexcretion die Verminderung in Secretionen und namentlich in antagonistischen zu zählen, und davon häufig die Erklärung für jene Er­scheinung in Krankheiten abzunehmen. Diejenige pro­fuse Schweissabsonderung, welche wir nicht selten bei der Auflösung des Lebens und in nervösen Zu­fällen eintreten sehen, dürfte wohl aus passiven Con-gestionen nach der Haut, aus einer Abnahme der Spannkraft in derselben zu erklären sein, und da­her zum grossen Theil auf einer rein physischen Durchschwitzung beruhen. Die Verminderung der Hauptexcretion kann durch alle die, der Vermeh­rung entgegengesetzten ätiologischen Momente veran-lasst werden, wesshalb eine nähere Angabe derselben unterlassen werden darf. Indess ist noch zu bemer­ken, dass die Excretion der Haut auch dann unter­drückt wild, wenn ihre Thätigkeit bis zur Entzün­dung gesteigert ist; so wie andererseits auch eine Vermehrung derselben entsteht, wenn die Haut sich im Zustande der Erschlaffuna befindet. Was die
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Anomülicu in den Excrelionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;370
Folgen dieser Anomalien belrifl't, so kann eine an­haltende, zu reichliche Haupfexcrelion, ausser einem zu starken Verbrauch von wassrigen Theilen, auch die tliierische Materie zu sehr in Anspruch nehmen, und hierdurch Krankheiten mit Schwache und Ab­magerung hervorrufen; abgesehen davon, dass dabei in anderen Excretionen gewöhnlich eine Verminde­rung eintritt, und hierdurch das Gleichgewicht der Functionen aufgehoben wird. Erscheint aber eine reichliche Hautexcretion in fieberhaften Krankheiten, so ist sie dann als critisch und wohltlmtig zu be­trachten, wenn sie einen Nachlass in den Krankheits-Erscheinungen zur Folge hat. Denkwürdig ist es, dass die sonst unmerkliche Hautausdünstung bei Hun­den in gewissen Hautkrankheiten, namentlich in der Pockenkrankheit, zuweilen bis zum Schweisse gestei­gert beobachtet worden ist, so dass das Lager sol­cher Thiere stets feucht war. Inzwischen sind die Verhältnisse, unter welchen das Schwitzen überhaupt bei Hunden erfolgt, noch nicht festgestellt. Die krankhaft verminderte oder gänzlich unter­drückte Hautausdünstung bedingt nothwendig einen Rückhalt von Excretionsstoffen im Blute, worauf um so eher als Krankheit sich äusserndc Reactionen erfolgen müssen, als dabei andere Excrelionen auf antagonistische Weise nicht vermehrt sind; wogegen aber zu bedenken ist, dass antagonistisch vermehrte Excretionen unter Umständen selbst als Krankheit betrachtet werden müssen. Es dürfte schwierig sein, bis zur Evidenz die Nachtheile darzuthun, welche gestörte Hautfunction nach sich zieht; diejenigen Fälle aber, wo Brandschäden oder Ausschlage einen grossen Theil der Haut einnehmen, liefern uns in ih­rer Gefahr für das Leben wenigstens theilweise den Beweis, wie nachtheilig gestörte Haulfuuclion wer-
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380nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrciionen.
den könne. Die Grenze, wo die Hautexcrelion mit einer quantitativen Abweichung anhebt, können wir eben so wenig bestimmt angeben, wie bei irgend einer anderen Se- und Excretion, da uns nicht einmal das mittlere Quantum derselben für eine ge­wisse Zeit im gesunden Zustande bekannt ist; und wenn Diess auch der Fall wäre, so sind wir doch ausseiquot; Stande, in den concreten Fallen davon An­wendung zu machen. Wir müssen daher unser Ur­lheil in diesem Puncle durch Vergleichung gesunder und solcher kranken Zustände üben, in denen die llautexcretion in besonderen Betracht kommt. Die qualitativen Abweichungen der llautexcretion sind bisher wenig beachtet worden. Man weiss zwar, dass der Schweiss bald wässriger, bald con-sistenter und schmieriger erscheint, und Letzteres ist häufig der Fall in typhösen Leiden; aber es ist noch nicht ermittelt, in wiefern hierbei eine chemische Verschiedenheit obwaltet, wahrscheinlich ist es je­doch, dass ein grösserer Gebalt an Albumin und an­deren thierischen Stoffen die grüssere Consistenz des Schweisses bedingt. Die normale Hautexcretion be­sitzt, wie man weiss, in den verschiedenen Thier-gattungeu auch einen verschiedenen Geruch; feine Nasen, wir wollen es nicht bestreiten, mögen auch in den Krankheiten der Individuen in dieser Bezie­hung DiiTerenzen aufspüren, wie auch bereits viele Menschenkrankheiten, als einen spezifischen Geruch entwickelnd, gekannt sind; iu der Thierheilkunde aber hat man wenigstens den Geruch der llautexcretion noch nicht als diagnostisches Mittel benutzt. Dass die llautexcretion von ätherischöligen, Phosphor- und Schwefel-Mitteln den eigenlhümlichen Geruch annehmen könne, ist bekannt, auch dass es dadurch geschieht, weil jene Stofle zum Theil durch die Haut excernirt werden.
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Anomalion in tlen Excretiöhen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ;581
Eine der inlerressanlesten qualitativen Abweichungen der Haulescrotioo Ist das, bisher nur in wenigen Fallen beobachtete Bluts eh wi'tzen; es belreffea diese ein Kalb, zwei Ochsen und ein Pferd, wovon das letztere an den Folgen des Blutverlustes starb. Es ist nicht crmiltelt, ob in diesen Fällen alle Be-standlbeile des Blutes durchsickerten, auch nicht, ob die Capillargefässe der Haut oder die Schweissdrü-sen an der Durchschwitzung des Blutes vorzugsweise Antheil nahmen. Hering (spez. Path. u. Ther. B. II. S. 171) zahlt hierher auch das an einigen Körpcr-stellen des Pferdes (vorzüglich der orientalischen Ra(*e) von ihm und anderen beobachtete spontane, oder durch Kneipen erfolgte Aufbrechen der Haut­venen; diese Fälle scheinen sich aber sehr von den oben angeführten, in Gurll's und Her twig's Mag. B. II. angemerkten sehr zu unterscheiden. Als räum­liche Erscheinung der llautexcretion ist das vorzugsweise Auftreten des Schweisses, sowohl im gesunden als im kranken Zustande, an der einen oder anderen Körperslelle zu betrachten, wovon der wahrscheinliche Grund in einem grüssereu Reichlhum an Schweissdrüsen, in einer grösseren Zartheit der Haut, zuweilen auch in einer geringereu Verdün-stungsfähigkeit liegen mag. Wenn wir aber in Krankheiten eine Körperstelle der einen Seite schwi­tzen sehen und die entsprechende der anderen Seite nicht oder weniger, so dürfte zur Zeit keine genü­gende Erklärung davon zu geben sein, wenn wir diese Erscheinung nicht einer abnormen Nervenlei­tung zur Last legen wollen.
II. Von der Lunaenexcretion.
sect;. 47. Die Resultate der Untersuchungen über die Luu-
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382nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrelionen.
genexcretion sind nichts weniger als übereinstim-mend. Wir wissen niclit mit völliger Bestimmllieit, welche Veränderungen mit der Luft und dem Blüte bei ihrer Wechselwirkung auf einander in den Lun­genzellen vorgehen, doch ist bekannt, dass die aus-geathmele Lufl viel mehr Kohlensäure enthält, als die eingeathmete, überdiess noch viel Wasserdunsf, etwas tbierische Materie und zuweilen wenigstens Slickstoffgas oder Ammoniac. Es ist uns nicht ge­nau bekannt, wie viel die Lungenexcrelion bei den versebiedenen Thieren in einer gewissen Zeit im ge­sunden Zustande derselben beträgt. (S. Zusatz). Auch haben wir keinen sicheren Maasstab für die Beur-theilung der vermehrten und verminderten Lungen-exeretion, weil der Strom der ausgeathmeten Luft, so wie das mehr oder weniger tiefe Einathmen nur unsichere Anbaltspuncte gewähren, indem wir nicht wissen können, in wie weit die eingeathmete Luft verändert worden ist. Selbst die Beschaffenheit des Blutes erlaubt uns keine sichere Schlüsse in dieser Beziehung zu fällen, da die Lungen bekanntlich nicht die einzigen Umbildungs- resp. Reinigungs-Organe für das Blut sind. Auf physikalische Thatsachen ge­stützt, haben wir indess Grund anzunehmen, dass bei gesundem Zustande der Athmungsorgane und energischer Lebensthätigkeit überhaupt, ferner bei trockener und kalter Luft, bei massigen Körper- und aufregenden Gemüths-Bewegungen die Lungenexcre­lion starker ist, als bei Lebensschwäche, fehlerhafter Beschaffenheit der Athmungsorgane, übermässiger Körperbewegung oder zu vieler Ruhe, und bei war­mer, feuchter oder verdorbener Luft. Als Ursachen der quantitativen Abweichungen der Lungenexcretion dürfen wir auch die Functionen derjenigen Organe nicht übersehen, welche mit jener in antagonistischer
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Anomalien in den Excrelionen,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;383
Beziehung stellen, so die Haul-, Nieren- und Leber-oxcrelion; denn besteht in diesen eine Verminderung, so wird in der Regel die Lungenexcreüoa vermehrt und umgekehrt. Nicht minder kann in den gedach­ten antagonistischen Excrelionen auf seeundäre Weise eine quantitative Abweichung eintreten, wenn die Lugenexcrelion durch die oben bezeichneten Ver-hältnisse primär vermehrt oder vermindert ist. Als anderweitige Folgen der vermehrten Lungenexcrelion können sich mindere Fetlahlagerung, höhere Ausbil­dung des Blutes und sogar entzündliche Anlage be­merklich machen; während die verminderte Lungen­excrelion die entgegengesetzten Verhältnisse nach sich zieht. Von der Beschaffenheit der Lungenex­crelion können wir, den vorangeschiklen Bemerkun­gen zufolge, noch weniger wissen. Dass dieselbe bei den Individuen in verschiedenen Zeiten sehr ver­schieden sein müsse, geht schon aus dem Umstände hervor, dass sie eben eine Excretion ist, und die Reinigung des Blutes von seinen Schlacken, dem ge­rade obwaltenden Bedürfnisse gemass, nach Möglich­keit zu übernehmen hat. Auch daraus geht es her­vor, dass die Lungenexcrelion mit anderen excretiel-len Funclionen in antagonistischer Beziehung steht, und daher bei Verminderung oder Unterdrückung der einen oder der anderen die theilweise Ausscheidung des dadurch entstandenen Rückhaltes an Auswurfstof­fen im Blute zu besorgen hat. Am bestimmtesten können wir die qualitativ veränderte Lungenexcrelion in denjenigen Fällen nachweisen, wenn mit dersel­ben dem Organismus einverleibte fremdartige Stoffe ausgeschieden werden, die wir schon durch den Geruch der ausgeathrnelen Luft erkennen können, wie ätherische Oele, Phosphor, Kampfer und andere. Wenn die Lungenexcrelion einen fauligen, unange-
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384nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in ilen Excretionen.
nelimen Geruch zu erkennen giebl, so ist, wenn nicht die Ursache davon in den ersten Luftwegen beiteht, entweder ein typhöses Leiden überhaupt, oder eine Putrescenz in den Lungen in Folge Ver­eiterung oder Erweichung von Tuberkeln vorhanden. Wir sind gewohnt, die Wärme der ausgeathmeten Luft, als eine Qualität derselben zu beobachten, und schliessen hei der Gegenwart einer ungewöhnlich hohen Temperatur der exspirirlcn Luft auf einen Ehtzüaduneszustand in den Lungen, in sofern bei diesem pathologischen Prozess eine grössere Ent-wickelung von Wärme stattfindet, die sich der inspi-rirlen Luft mittheilt. Ueherall da, wo wir unser Ge­fühl als Maasslab der Beurtheilung anlegen, müssen wir eine gewisse Vorsicht obwalten lassen, so auch hier Es erscheint daher für den in Rede stehen­den Fall angemessen, wenn' wir die untersuchende Hand zuvor mit der Haut des Thieres in Berührung bringen, um somit in jener eine Ausgleichung der Wärme zu bewirken, welche der Körpertemperatur des zu untersuchenden Thieres angemessen ist.
Zusatz. Man war bemüht, die KohlenstolTmenge zu er­mitteln, welche in einer gewissen Zeit bei Menschen und Thiercn als Kohlensäure durch die Lungen- und Ilautexspi-ration ausgeschieden wird. Um zu diesem Zwecke zu ge­langen, hat man den Kohlenstoffgehalt der aufgenommenen Nahrungsstod'c erforscht, diejenige. Menge des Kohlenstoffs davon iu Abzug gebracht, welche durch die Faces des Darm­kanals und den Harn abgeschieden wird, und sodann ge­schlossen, dass die übrig bleibende Menge des Kohlenstoffs im verbrannten Zustande als Kohlensäure aus dem Körper entweiche. Auf diese Weise verfuhr auch Boussiugault (Anuales de chim. et de phys. B. XX. I. S. 136), als er zu dem Resultate gelangte, dass ein Pferd 158} Loth, eine mil­chende Euh 144V Loth Kohlenstoff in 24 Stunden verzehrt,
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Anomalien in den Excretiouen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;385
und tlass zur Ueberfilhrung dieser KohlenstofTmengen in Kohlensäure beim Pferde in derselhcn Zeit 13?v Pfd., und bei der Kuh llf Pfd. Sauerstoff nothwendig sind. Wenn man nun nocli annelunen muss, dass ein grosser Theil des Wasscrslofi's aus dem Körper als eine Sauerstoffverbindung, als Wasserdunst entweicht, so ist klar, dass die von einem grösseren Thiere an einem Tage aufgenommene SauerstofT-incnge wirklich gross ist. Liebig (die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braun­schweig 1842) folgert aus der Annahme, dass kein Theil des ;iiil'genommcnen Sauerstoffs in einer anderen Form, als in der einer Kohlenstoff- oder Wasserstoffverbindung wieder aus dem Korper trete, und dass im normalen Gesundheits­zustände der ausgetretene Kohlenstoff und Wasserstoff wie­der ersetzt werde durch den Kohlenstoff und Wasserstoff, den wir in den Speisen zufuhren, das eben die Menge der Nahrung, welche der thierische Organismus zu seiner Er­haltung bedarf, in geradem Verhältnisse stelle zu der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs, so dass zwei Thiere, die in gleichen Zeiten ungleiche Mengen von Sauerstoff durch Haut und Lunge in sich aufnehmen, auch in einem ahnlichen Verhiiltniss ein ungleiches Gewicht von dem nämlichen Futter verzehren.
III. Von der Harnexcretion.
sect;#9632; 48.
Wir haben bereits gesehen, dass die Lungen und die Haut vorzugsweise zur Excretion von Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff, die Leber vorzugsweise zur Excretion von KohienstofT dienen. Die Nieren aber sind diejenigen Organe, welche ausser mehreren anderen Stoffen, sowohl organischen als unorganischen, (Jen Stickstoffquot; im grössten Maasse ausscheiden, da derselbe einen Hauptbestandtbeil des Harnstoffs und der Harnsaure aasmacht. Der Harn der Thiere ist
Fuclis, allgtm. Patliol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Qg
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3gGnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den lixcrotioncn.
eines sorgfältigerem Sludiums würdig, als ihm bisher zu Theil wurde; denn er entliiilt, ansser solchen Stoffen, welche vom blute unmittelbar excernirl wer­den (d. h. solche, welche unfähig waren, die Ver­wandlungsstufen bei der Ernährung durchzumachen,) vorzugsweise die Materien des zerfallenen Thierkör-pers, und somit auch des Blutes, nur in anderer Form von Verbindungen, und kann daher von grosser Be­deutung als Symptom der Krankheit und ihrer Ent­scheidung werden, in sofern er vom Zustande des vegetativen Lebens Kunde zu geben vermag. Um aber den eben angedeuteten Nutzen aus der Lehre von der Jfarnexcretion in einem erwünschten Maase zu ziehen, müssten vor Allein häufige und gründliche Untersuchungen des Harns der gesunden Zustande der Thiere vorhanden, und die Veränderungen, wel­chen derselbe bereits in diesen unterworfen ist, mit ihren Ursachen in gehörigen Zusammenbang gebracht worden sein; woraus sich dann auch das ätiologische Verhältniss für die krankhaften Abweichungen des Harns leicht ergeben würde. Der Harn der verschie­denen Thiere ist in seinen physischen und chemi­schen Eigenschaften sehr abweichend. Als eigon-thümliche Bestandtheile des Harns kennen wir den Harnstoff, die Harnsäure, und die Modification der letzleren, die Hippursäure auch Harnbenzoesaure ge­nannt. Die anderen im Harn vorkommenden Stoffe sind solche, welche sich auch in den übrigen Se-und Excreten vorfinden, nur trifft man sie im Harn, namentlich die unorganischen Bestandtheile in einem grösseren Maasse an. Der HarnstolF kommt im Harn! aller Haiislhierc, die Harnsäure aber nur in solchen, die Fleisch fressen, und die Hippursäure, den seit­herigen Ermittelungen zufolge, nur in dem des Pfer­des und des Rindes vor. Die Reaction des Harns
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Anomalien in den Excrotionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;387
der pflanzenfressenden Thiere ist die alkalische, die der fleischfressenden die saure; erstere rührt von kohlensauren Salzen, lelzlerc von freier Milchsäure her, denn die Harn- und Hippursäure ist im Urin in noch nicht gehörig bekannten Verbindungen. Was liier von der Reaction gesagt worden ist, gilt von frisch ausgeleertem Harn —; aller Harn, wenn er eine Zeitlang gestanden, reagirt alkalisch wegen des, durch die Umsetzung seiner Bestandlheile neugebil­deten und freien Ammoniaks. Das spezifische Ge­wicht des Harns ist sehr verschieden; es schwankt z. B. beim Pferdeharn zwischen 1020 und 10G0. Diese Verschiedenheit rührt von der mehr oder we­niger grossen Menge der festen Bestandlheile her, die bis 8 p. C. betragen können; das Uebrige ist Wasser. Eben die Menge der festen Bestandlheile hat auf die Farbe und Consistenz des Harns Einfluss, ausserdem aber auch die zufällige Beimischung ver­schiedener anderen SlolTe, wovon wir die Möglich­keit des Ueberganges in den Harn kennen, und welche demselben nicht selten einen eigenthümlichen Geruch und eine besondere Farbe verleihen. Um also den Harn der gesunden und kranken Zustände richtig heurtheilen zu können, muss auf alle jene Verhalt­nisse Rücksicht genommen werden. Daher liegt es uns zunächst ob, die quantitativen und qualitativen Abweichungen des Harns und dann diejenigen Ano­malien zu besprechen, welche sich bei der Auslee-rung desselben darbieten.
sect;• 49.
Um die quantitativen Abweichungen des bams gehörig zu würdigen, müssen wir die Ver-bältnisse kennen, unter welchen bereits im gesunden Zustande eine verschiedene Menae Harns von einem
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3S8nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Cxcreticueu.
und demselben Thiere in verschiedenen Zeiten aus­geleert wird. Hierher gehören unter anderen haupt-sächÜch die quantitativen Ab*veichungen in der Haut-excretion und dann die Menge des aufgenommenen Getränkes. Bei der Verminderung der Harnausleerung hat man aber noch insbesondere zu unterscheiden, ob dieselbe wirklich auf einer beschränkten Secretion oder nur auf einem Hinderniss in der Ausleerung, /.. 13. auf Krampf, Harnsleinen u. clergl. beruht. Die einmalige Entleerune des Harns inebt selten einen
fjnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; kJnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;O
richtigen Maassstab für die Beurtheilung seiner Menge, da es vorkommt, dass in Krankheilen zwar selten, aber auf einmal viel, oder oft, aber jedesmal nur wenig Harn ausgeleert wird. Daher ist es nolbwen-dig den Schluss erst nach mehreren Ausleerungen zu ziehen, was seine Schwierigkeiten hat, da es sehr mühsam ist, allen Harn aufzufangen. Die Ursachen der krankhaft verminderten Harnsecretion und daher auch unter allen Umstanden der vermin­derten Harnexcretionen liegen entweder in krankhaf­ten Zustanden der Nieren selbst, wie in Entzündung und Desorganisation derselben, oder auch in krank­haft vermehrten anderweitigen Se- und Excretionen, oder endlich in einem Ueberwiegen des Bildungspro­zesses über die Destruction, wie es namentlich in Ent­zündungen der Fall ist. Wenn nur eine Niere ge­schwunden oder durch Desorganisation zerstört ist, so übernimmt die andere in der Regel, indem sie sich vergrössert, die Function der krankhaften stell-verlrelend; woher wir dann den Harn in normaler Menge beobachten. Sind aber beide Nieren geschwun­den oder desiruirl, so wird natürlich die Harnsecre­tion entweder sehr beschränkt oder aufgehoben sein. Die Ursachen der krankhaft vermehrten Harn­secretion können zwar auch auf Allenationen der
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Anomalien in don Excrelionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;339
Nieren beruhen, sie sind indess anderer Art als jene. Sie bestehen, allgemein ausgedrückt, in ErschlalVimg oder in einem Reizuogsznstande der Nieren, durch welchen letzteren eine Erhöhimg ihrer Thätigkeit i)is zur Congestion, aber nicht bis zur Entzündung ent­steht. Za einem solchen Reizungsznstande giebl, ausser einer primären Erregung der bezüglichen Ner­ven, das Blut meist selbst Veranlassung, wenn es (litlererite Stoffe enthält, unter anderen solche, welche als spezifische Diuretica bekannt sind. Die ander­weitigen Ursachen der vermeinten Harnsecretion sind denjenigen der verminderten entgegengesetzt, und be­stehen meist in primärer Verminderung der übrigen Se- und Excretionen, oder in einem Ueberwiegen der Entbildung über die Bildung. In beiden Ano­malien kommt auch eine Qualitäts-Abweichung des Harns vor, aber sie ist nicht constanter Art; inzwi­schen kann mit beiden ebensowohl cm Mangel als als auch cm üebermaass an festen Bestandtheilen verbunden sein. Von der auffallenden Quantitäts-Abweichung der Harnexcretion mit gleichzeitiger, in die Augen fallenden Qualitäts-Veränderung kennen wir bisher nur zwei Formen mit Gewissheit, die blutige Harnruhr, vorzugsweise beim Rindvieh, und den Lauterstall, vorzugsweise bei Pferden vorkom­mend. Der Name der ersteren deutet schon ihre Kennzeichen hinreichend an; der letzte aber be­steht in der Excretion einer enormen Menge wasser-hollen Harns, der nach meinen Untersuchungen fast neutral und so arm an festen Bestandtheilen ist, dass seine spezifische Schwere die des destillirten Wassers nur um Weniges übersteigt; auch fand ich, dass ein solcher Harn nicht mit Säuren aufbraust, was gesun­der Harn der Pferde in bedeutendem Maasse wegen Anwesenheit von kohlensauren Salzen llmt. Den Lau-
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3y0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excretionen,
terstall nennt man auch geschmacklose Harn­ruhr (diabetes insipidus), um ihn von der zucke­rigen oder Honig-Harnruhr (diabetes mellitus) zu unterscheiden. Das Vorkommen der letzteren hei den Thieren ist aber noch sehr zu bezweifeln, ob­gleich einige Schriftsteller, wie Blaine, Hurtreil, d'Arboval und Burger eines solchen erwähnen, ohne aber bestimmte Tbatsachea und üntersuchuu-gen auf Zucker anzuführen. Im Harn des Lauler­stalls kommt jedenfalls kein Zucker vor, wenigstens nicht in den von mir untersuchten Fallen; indess soll nach Lassaigne freie Essigsaure darin vorhanden sein. Die Folgen der quantitativen Abweichungen in der Harnexcrction können sehr bedeutend sein; am raschesten und naclilheiligsten muss oflenbar eine Verminderung derselben wirken, weil in Folge der­selben Sotffe im Blute zurückbleiben, welche für die Ausscheidung bestimmt sind. Es entstellt hiernach zunächst ein dyscrasischcr Zustand des Blutes, eine sogenannte llarnscharfe (acor urinae) in demselben, welche Reaction von Seiten des Organismus in Form des Fiebers und mancherlei andere, nach der Dispo­sition der Thiere verschiedene, krankhafte Zustande hervorruft. Häufig bestehen die Folgen in Wasser­süchten, indem die serösen Häute eine vermehrte und stellvertretende Secretion für die Nieren über­nehmen, da sowohl jene als auch diese hauptsäch­lich Wasser absonderen. Die Stellvertretung der gedachten Organe ist übrigens aus dem Umstände, dass verstärkte Harnsecretion Wassersuchten oftmals heilt, leicht zu erkennen. Dass, wie oben bemerkt, die vermin­derte oder gänzlich unterdrückte Harnsecretion Dys-crasie des Blutes und heftige Beactionen veranlasst, hat man, wie Stark anführt, durch vielfache Ver­suche an Hunden, Katzen und Kaninchen zu erwei-
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Anomolien in den Exerclioncn.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;391
sen gesucht, indem man ihnen beide Nieren exstir-pirt hat. Es stellten sich hiernach in der Regel in 3 Tagen lliissige Kothentleerungen, Erbrechen, hefti­ges Fieber mit kleinerem Pulse und erschwertem, kur­zen Athmen ein, und nach einigen Tagen erfolgte der Tod. Man fand bei der Section-Ergiessung seröser Flüssigkeit in den Hirnhöhlen, die Gallenblase mit Galle angefüllt; dann im Darmkanal und Im Blute Harnstoff, was dem gedachten Pathalogen, (wie uns scheint, mit Recht.) als Beweis dient, dass jener Stoff nicht erst in den Nieren erzeugt wird, und dass auch die Ab­lagerung urinöser Feuchtigkeit nicht immer die Folge einer, ans den Harnwegen geschehenen Aufsaugung i.s(. Die sichtbaren Folgen der vermehrten llarnsecre-tion in der Form des Lauterstalls sind zwar nicht rasch eintretend, sie bleiben jedoch endlich nicht aus, und geben sich dann durch Verminderung anderer Se-cretionen, durch eine gewisse Trockenheit des Kör­pers und durch Abmagerung zu erkennen. Dass die letztere nur langsam erfolgt, erklärt sich ans dem geringen Gehalte des Harns an festen Stoffen, und fragt es sich sehr, ob bei der in Bede stehenden Anomalie das ganze Quantum der festen Bestand-Iheile grosser ist, als im Harn dor normalen Zustände. Ist aber die Harnruhr tine blutige, so sind die Fol­gen denen ähnlicl), welche die Blutarmuth über­haupt hat,
sect;. 50.
In den qualitativen Abweichungen des Haitis ist derselbe in Rücksicht aller seiner physischen und chemischen Eigenschaften zu würdigen; daher die Consistenz, Durchsichtigkeit oder Trübe, die Farbe, der Geruch, die spezilischc Schwere, ferner das Men-eenverbältniss seiner verschiedenen normalen, abnor-
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392nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrelioiien.
men und zufälligen Beslandllieile zu beachten. Das alles hat aber für den practischen Tbierarzt nicht geringe Schwierigkeiten, weil ihm leider oft die Kennt-niss, Mittel und Zeit für derartige Untersuchungen abgehen. In Rücksicht der chemischen Untersuchung brauchen wir es indess zu unserm Zwecke auch nicht so ängstlich und minutiös zu nehmen. Neu­mann fordert nicht mit Unrecht, von denjenigen, welche sich, wie er sagt, die undankbare Mühe ge­ben, den Urin chemisch zu untersuchen, das Beden­ken, dass diese Flüssigkeit in jedem Augenblick an­dere Bestandtbeile enthalten kann, indem durch sie Alles ausgeschieden werden soll, was sich dem Blute beimischt, ohne sich in solches zu verwandeln. Es ist daher der genannte Pathalog eher geneigt zu be­wundern, dass das Lehen bei jenem Scheidungspro­zesse immer noch zeugend verfährt, so dass eine gewisse Uomogeneilät der Bestandtbeile bemerkbar bleibt, als dass er sich Mühe geben wolle, alle mög­lichen Differenzen der Beslaadtbeile aufzuführen. Das sei, als wolle man die Bestandtbeile des Seinewas­sers untersuchen, da, wo die Seine Paris vctiassl. — Damit der eben gedachte Vorwurf uns nicht treffe, lassen wir uns hier nur auf diejenigen qualitativen Abweichungen ein, welche häutig vorkommen und auch leicht zu beurtbeilen sind. Bei der Beurthei-lung der Qualitäts-Abweichungen in der Harnexore-tion muss man vor allen Dingen, wie bereits an­bedeutet, wissen, dass auch solche in ganz normalem Zustande vorkommen. Um hierfür die Belege zu fin­den, erinnere man sieb nur an den sogenannten Getränke- und Chylas-Harn (urina potus et chyli). Ersterer ist ein solcher, welcher nach kurz vorher aufgenommenem Getränke entleert wird, und sich durch weniger Farbe und Consisteuz von dem an-
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Anomalion in den Excrclionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3lt;)3
deren uoterscheidet, welcher später nach vorgerück­ter Verdauung folgt. Man sieht miUinler von Pfer­den Harn absetzen, welcher eine auffallende ge­sättigt gelbe, rothe oder schwärzliche Farbe hat, und ein Jeder wird sich wahrscheinlich dieser Erscheinungen erinnern, die man namentlich im Win­ter, wenn die Thiere in den Schnee harnen, so schön beobachten kann. Rychner sagt hierüber: „Ein sol­cher Harn kommt zuweilen bei allzustark nach dem Füttern gebrauchten oder gejagten Pferden vor; mehr noch bei solchen bei schlechter Verdauung, wobei zu viel rohe Stoffe in das Blut übertreten, welche einigennassen in diesem Zustande abgesondert wer­den und meistens in diesem Vorgange die Nieren etwas reizen.quot; Die wahren Ursachen der gedachten Farben-Verschiedenheit sind bis jetzt nicht bekannt, wenn sie nicht in einer grösseren Concentration des Urins oder in einer unvcrlialtiiissnnissig grossen Menge fester Stoffe und namentlich thierischer Extraclivstoffe liegen. In Rücksicht des menschlichen Urins nimmt man aber an, dass, wenn derselbe auffallend roth, blau oder schwärzlich erscheint, in dem ersteren Falle eine grosse Menge Harnstoffs in einer grösse­ren Oxydationsstufe, im zweiten und dritten Falle ei-geathümliche Stoffe, Cyanurin und Melanurin vorhan­den seien. Unsere besontlcre Aufmerksamkeit ver­dient der sogenannte kritische Harn. Die Harn-exeretion ist im Allgemeinen dann als kritisch zu betrachten, wenn sie in einem gewissen Stadium der Krankbeil reichlicher erfolgt als früher, und wenn hiermit Nachlass in den Zufallen eintritt. Die Er-sebeinungen, woran wir die Einleitung zu dieser besonderenErisis erkennen, sind: höhere Wärme und Empfindlichkeit in der Lendengegend und ein häu­figes Bemühen zum Harnen. Die Kennzeichen am
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394nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in don Exoretionen.
Harne selbst, welche für seine kritische Natur sprechen, sind: seine reichliche Menge und starke Trübung. Wenn ein solcher Harn in einem gläsernen Gefasse eine zeillang ruhig gestanden hat, so bemerkt mau einen starken Bodensatz (sedimentum, hyposlasis) in demselben, während der übrige Theil meist klar, doch von mehr oder weniger gesättigt-gelber oder röthlicher Farbe ist. Etwas über dem Bodensatz findet man zuweilen eine wolkige, aus schleimigen Stoffen bestehende Trübung, welche man Wölkchen (nubecula) nennt; schwebt dieses Wölckcben aber mehr in der Höhe des Urins, so bezeichnet man es als Eneorema, welches Wort eigentlich so viel sagen will als das Hängengebliebene (snspensimi urinae), und ist es endlich nur geringfügig als Flocken (flocci). Als dem kritischen Harn entgegengesetzt, betrachtet man den rohen Harn (cirina cruda), welcher im An­fange fieberhafter Krankheiten entleert wird, und mehr oder weniger farblos und klar ist; wird ein solcher blasser Harn im Fieberfrosle ausgeleert, so nennt man ihn auch wohl urina spastica. An dem in Schwäcbeznständen entleerten Urin bemerkt man nicht seilen auf der Oberfläche desselben ein schil­lerndes Häutchen, welches Harnrahm (cremor urinae) genannt wird; befindet sich dieses Häulchen aber blos am Rande des Gefässes, so heisst es Harn­krone (corona urinae).
Bei der Concrement-Erzeugung im Harne, sie bestehe, in Gries- oder Sleinbildung, ist wohl im­mer — wenn sich nicht zufällig ein fremder Körper in den Harnwegen einfindet, um welchen sich die festen Bestandlheile des Harnes krystallinisch anfü­gen — eine Qualitäts-Abweichung desselben zuge­gen; die entweder darauf beruht, dass der Harn eine überwiegende Menge fester Beslandtlieilc enl-
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Anomalien in don Exerelionen,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;395
hält, oder class diese ia solciieii Verbindungen vor­kommen , welche für die Ausscheidung günstig sind. Die Harnconcremente kommen in allen Abtheilungen der Harnwege, namentlich der männlichen, von den Nierenkelchen und vom Nierenbecken an bis zur Vor­haut vor; aber es ist, wie gesagt, wahrscheinlich, dass sie sich jedesmal aus dem Harn unmittelbar durch Ausscheidung erzeugen. Rychner sagt zwar, dass er schon einige Male solche angetroffen habe, die mit einem Stielchen an der Rlasenschleimhaul be­festigt waren, und umzogen von einem häutigen Sacke, von welchen der Stiel ausging. Er fragt: Sollte in einem solchen Falle nicht vermulhet werden dürfen, dass selbst die Blase unter gewissen umstanden das Vermögen besitze, Harnstoff abzusondern? Wir meinen, die Antwort hierauf würde leicht gewesen sein, wenn jene Goncrcmente in Bezug auf den et-wanigen Gehalt an den eigenlliümlichcn Bestandthei-len dos Harns untersucht worden waren; nun aber fallt die Antwort schwer, zumal da Rychner anzu­geben unterlassen hat, ob die Harnsecretion iu sol­chen Fallen ein Hinderniss in den Nieren gefunden. Unbedingt verneinen liissf sich jene Frage nicht, denn Galvani (Tiedemann's Zoolog. II. 553) sah nach Unterbindung der Harnleiter bei Vögeln die serösen Haute kalkige Goncremente absondern, üeber die Erscheinungen, so wie über die nachtheUisen Folgen, welche die Harnsteine darbieten, ertheilt die specielie Pathologie nähere Auskunft, so wie über die bisher erforschte physische und chemische Na­tur derselben die pathologische Anatomie und Chemie. Andere Qualitäts - Abweichungen des Urins ent­stehen dadurch, dass in demselben Stoffe in grösse-rer Menge enthalten sind, die ihm in geringerer Menge auch im normalen Zustande angehören, wie
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3;((}nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrelionen.
Schleim und Eiweiss; oder dadurch, dass er Stoffe enthalt, die ihm nalurgemüss nicht zukommen. Im letzteren Falle .sind es entweder vom Organismus selbst abstammende Stoffe, wie Blut, Galle, Faser­stoff und Eiter, oder es sind solche, welche zufällig in den Körper gelangt sind; wohin manche Arznei­mittel und Farbstolle gehören. Solche Qualitäts-Abweichungen müssen aus der Natur der Stoffe er­kannt -werden, was allerdings mit einigen Schwierig­keiten verknüpft ist; sind sie aber erkannt, so wird ihre Bedeutung in der Begel nicht schwer sein. Ob auch Fett im Harn der Thiere, wie es zuweilen beim Menschen der Fall, vorkommt, ist noch nicht ermittelt; wahrscheinlich aber enthält solches der oben bezeichnete, in cachektischen Zustanden sich bildende Harnrahm. In Betreff der Anwesenheit des Blutes im Urin dürfte noch bemerkt werden, dass man davon in demselben nur den Farbstoff erkennt, wie im Milzbrand in Folge einer Secretion des in Zersetzung begriffenen Blutes, oder, aussei- dem Cruor, auch den Faserstoff, wie es nach einer Blutung der Fall ist, sie mag in den Nieren oder in einem an­deren Theile der Harnwege vorkommen. Rychner säet zwar, dass bei Nierenblutuna das Blut mit dem Urin innig gemischt erscheine; dies ist jedoch nicht immer der Fall, denn ich bähe einige Mal bei Pfer­den, bei welchen Spanischlliegen-Salbe zu denvato-rischem Zwecke angewendet worden war, Nieren-blutung entstellen sehen, mit deutlicher Absonderung des Faserstoffs im Urin. Percivall (the Veterina­rian Januar-Heft 1841) beobachtete in einigen Fal­len eiweisshaltigen Urin heim Pferde. Nach ihm ist ein solcher Urin hell gefärbt, aber dickflüssig, und hat, wenn er in ein Glas gegossen wird, grosse Aehnlichkeil mit geschmolzener Gallerte von Kalbs-
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Auomalieu ia den Excretiouen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;397
ftissen. Ia anderen Fällen hatte er eine dunkele Slrohfarbe und die Consistenz einer Gammi-Auflö­sung. Zuweilen gerann er, wenn er der Hitze des Feuers ausgesetzt wurde, zuweilen nicht, woran im letzteren Falle die grössere Menge Wassers, womit der EiweissstofT verbunden ist, Schuld sein soll. (?). Es ist bereits oben angegeben worden, dass auch tier gesunde Harn einen kleinen Theil Eiweissstoff enthalt, welcher sich beim Erhitzen dieses Excrets als Flöckchen zeigt. Der dickliche Harn des Pfer­des, wie man ihn gar nicht selten in gastrischen und Schwachezustanden oder auch beim Blasen-CaL rrh dieses Thieres sieht, enthalt gewöhnlich einen grosse-ren Antheil des Albumens; aber, nach meinen Unter­suchungen ist es für voreilig zu halten, den dick­flüssigen Zustand eines solchen Urins allein auf Rech­nung des Eiweisses zu setzen; denn der grössere Schleimgehalt hat in der Regel den meisten Antheil daran, vielleicht auch eine durch die Harnsecretion bedingte ModiGcalion des Eiweisstoffes, welcher nicht mehr die gewöhnlichen Reactionen zeigt.
sect;• 51.
Die Ausleerung des Harnes kann insofern krankhaft erscheinen, als sie mit Beschwerde erfolgt; diese Erscheinung nennt man überhaupt Schwer­harnen (dysuria), wovon eine besondere Art der Barnzwaug (stranguria) ist, wenn der L'riu unter Drangen nnd Schmerzen nur tropfenweise erfolgt. Die Harnverhaltung aber überhaupt, ohne Rück­sicht auf die etwa damit verbundene Boschwerde nennt man Ischuria, und theilt dieselbe in eine vollkommene und unvollkommene (I. completa et incompleta) ein. Dem Schwerharnen und der Harnverhaltung entgegengesetzt ist der Harnfluss
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398nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrctioncn,
([ncontinentia urinae) der durch beständiges, ohne Zwang erfolgendes Abfliessen des Urins bezeichnet wird. Die Ursachen und Folgen dieser Zustände sind sehr mannigfalttg. Die nähere Erörterung der­selben fällt der spez. Pathologie anheim; uns muss es hier genügen, auf jene Erscheinungen überhaupt aufmerksam gemacht zu haben.
Zusatz. Die von C. II. Schultz (tue Verjüngung des menschlichen Lebens u. s. w.Berlin 1812) ausgesprochenen An­sichten über die Bedeutung des Harnes und des Schweisses für die thierische Oeconoruic scheinen uns in einem Grade bedeutend, dass wir dafür hallen, sie hier nicht übergehen zu dürfen. Denn, obgleich sie einen besondern Bezug auf den Menschen haben, so versprechen sie doch auch Früchte in Rücksicht der Beuitheilung gesunder und kranker Zu­stände der Thiere. Viele Gründe machen es wahrschein­lich, sagt der gedachte Naturforscher, dass Harn und Schweiss, die man schon längst als depuralive Secrctionen betrachtet hat, im Wesentlichen als MausersloU'e des Verjüngungspro­zesses im Muskel- und Nervensystem zu betrachten sind, wobei sich der Schweiss mehr auf die Muskeln, der Harn mehr auf die Nervensubstanz bezieht. Im Allgemeinen ma­chen dieses die pathologischen Verhältnisse schon wahr­scheinlich, in denen wir die Muskelkrankheilen, wie Rheu­matismen in besonderem Verhältnisse zur Hautausdunslung; die Nervenkrankheilen in besonderem Verhällniss zur Harn-absonderung stehen sehen. Betrachten wir zuerst diese Verhältnisse bei der Harnsecrelion näher, so ist es auffal­lend, dass die Anfälle und die Krisen der Nervenkrank­heiten, die Krämpfe, Schmerzen u. s. w. meist mit sichtbaren Veränderungen im Urin geschehen, und wie umgekehrt Hin­dernisse der Harnabsonderung und Ausleerung so leicht auf das Nervensystem zurückwirken, und Krankheilen desselben erregen. Der veränderte, blasse Harn bei Anfällen von Kräm­pfen, der stinkende, kritische Harn nach Entscheidung der­selben sind immer bekannt gewesen. Indessen bieten sich bei der Harnabsonderung im Ganzen zwei verschiedene
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Anomalien in den Excretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 30;)
Seiten dar, von denen mir die eine beslimmtere Beziehunp; auf das Nervensystem zu haben scheint. Der Harn ist 1) depuratives Secret des Körpers überhaupt, und enthält vieler­lei fremdartige Stoffe, welche theils durch Resorption, theils durch Absorption im Darmkanal und in den Lungen in das Blut gelangen und dann durch ihn wieder ausgeschieden werden. Zu den Stoffen dieser Art gehören viele im Harn permanent vorkommende Salze, wie die phosphorsauren, schwefelsauren und salzsauren Ammoniak-, Kali-, und Na-Irum-Salze; ferner die als Arzneien oder Nahrungsmittel in das Blut gekommenen riechbaren Stoffe, die Farbestoße u. s. w. Alle diese Stoffe haben keine bestimmte Beziehung auf das Nervensystem, und ihre Verhältnisse ändern sich daher durch die verschiedenen Zustünde des Nervensystems nicht. Aber 2) sind im Harne die eigcnthijmlichen Bestandtheile organi­schen Ursprungs, welche ihre bestimmte Beziehung auf die Regeneration des Nervensystems documenliren: der Harn­stoff, die Harnsäure und deren Modification bei verschiede­nen Thieren: die Harnbenzoesänre (Hyppursäure), wohin dann auch die pathologischen Producte: Eiweiss, Cystin, Pur­pursäure gehören. Dass diese Stoffe mit dem Digestions- und Ernährungs-Prozess überhaupt nichts zu thun haben, erkennt man leicht daran, dass sie in allen Veränderungen dieser Prozesse, im Hunger und Durst, bei Abmagerung, Bewegung und Ruhe im Wesentlichen dieselben bleiben; und nur in Fällen, wobei entweder das Nerven- und Muskelsystem allein oder bei anderen Krankheilen mitleidet, sich verändern. Da­her sind es auch besonders die Veränderungen in dem Ver-jüngungsprozess des Nervensystems, welche auf die Bildung, dieser Stoffe Einfluss haben. Es sind dieses die wahren MausersiofTe des Nervensystems. Sie werden im Allgemei­nen bei Hemmungen des Verjüngungsprozesses, wobei auch die entsprechende Rückbildung gehemmt ist, sich mindern; bei gesteigertem Verjüngungsprozess und lebhaftem Stoff­wechsel sich vermehren; sie werden bei gänzlicher Unter­drückung der Nerventhätigkeit verschwinden und bei Colli-quation der Nervensubstanz sich vermehren und dabei auf mancherlei Art sich ändern.
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400nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in den Excretionen.
Die Ilaulausdunstung gehört mit der Hamabsonderung zu einem höhern Ganzen eben so zusammen, wie das Mus­kel- und Nervensystem. Beide ergänzen sieh daher in ihren Functionen, wie die Systeme, denen sie entsprechen. Die Ilaulausdunstung und der Schweis sind Mauserproducte der animalen Organe, wie der Harn; doch seheint sich die Ilaut-ausdünstung mehr auf die Muskelsubstanz, wie der Harn mehr auf die Nervensubstanz zu beziehen, womit dann zu­sammenhangt, dass unterdrückte Hautlhiitigkeil so leicht Mus-kelafl'ectionen, wie Rheumatismen bewirkt. Was die Bc-standtheile betrifft, so sind diese, ausser den veränderlichen mineralischen Salzen, vorzüglich stickstoffiger und kohlen-slofliger Natur, wie im Harn: Stickstoft'gas und kohlensaures Gas in der Ausdünstung; kohlensaures, essigsaures und salz­saures Ammonium in Scbweiss. Beim Pferde bat Fourroy sogar Harnstoir gefunden, was bei der Leichtigkeit seiner Bildung aus ammoniakalischen Substanzen mit den Metamor­phosen der Stoffe im Urin ganz übereinstimmend ist. We­gen der Analogie der Stoffbildung steht auch Harn- und Hautabsonderung in einem beständigen antagonistischen Ver-hältniss, so dass im Winter und in kalten Climaten sich die Ilautsecrelion zum Theil auf die Nieren überträgt (wo dann wahrscheinlich die überwiegende Menge Ammoniak zur Bil­dung der Harnsteine aus harnsaurem Ammonium Veranlas­sung ist) während das Umgekehrte im Sommer und in den heissen Climaten stattfindet. Die Stickstoff- und Ammoniak-Verbindungen des Schweisses können sich dabei leicht in die pathologischen Stoffe des Harns (harnsaures Ammoniak, Harnsäure u. s. w.) umbilden. In sofern sich der Schweiss mehr auf die Muskelmauser bezieht, so bewirkt angestrengte Muskelthätigkeit, wobei die Muskelsubstanz verbraucht wird, leicht Schweiss, wie angestrengtes Denken harntreibend wirkt. Harntreibende Mittel machen den Geist freier, schweiss-treibende machen die Muskeln beweglicher, weil sie die Mauserung befördern. Hemmung der Ausdünstung macht die Muskeln steif.
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Anomalien in den BxcreÜonen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;401
IV. Von der Darmexcrclion.
sect;• 52.
Die Ausscheidung des Darnikolhes (faeces) ist freilich — wie bereits früher angedeutet und begrün­det — keine Excretion in dem Sinne, wie es die bisher betrachteten sind; die Erörterung ihrer Abwei­chungen dürfte jedoch hier am geeigneteren Orte sein. Die Darmexcremente sind ihrem Wesen nach die Ueberreste der Nahrungsmittel, welche unfähig waren durch die Verdauung eine Vcrahnlichung ein­zugehen, verbunden mit Schleim, Epitheliumzellen, Bestandtheilen der Galle, des Speichels, des Bauch­speichels, des Magen- und Darmsaftes. Es wird zwar im Darmkanal ein eigenthümlicher Schleim von Drü­sen abgesondert, das aber, was man gewöhnlich im Koth als Schleim bezeichnet, ist zum grössten Theil das Produkt der Regeneration des Epitheliums vom Maule bis zum After, welche keine Unterbrechung erleiden darf, wenn die Verdauung regelmässig von Stalten gehen soll. Die Regeneration des Epitheliums scheint im Mastdarme am lebhaflesten zu sein, wo­her denn auch hier besonders der Koth eine schlei­mige Decke erhält, welche den Darm vor mechani­scher Reizung schützt. Die Umhüllung des Kothcs mit Schleim hat aber höchst wahrscheinlich noch den Zweck, jenen vor Fäulniss zu bewahren; denn wir bemerken, dass der Koth wirklich in Fäulniss geräth, wenn ihm die gehörige Beimengung von Schleim fehlt. Die Gallenstolfe, welche der Koth enthält, be­stehen in der Form des sogenannten Gallenharzes, welches aus der Verbindung des sauren Speisebreies mit der Galle als Präzipitat aus dieser hervorgeht. Die dem Kothe beigemischten Bestandtheile der Säfte
Fuchs, allgcm. PatUul.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; orj
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402nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Barmexcrelionon.
endlicli, welche bei der Verdauung mitwirken, beste­hen aus einigen Salzen, welche entweder ursprüng­lich schon in ihnen vorhanden sind, oder sich zum Theil erst durch Auslausch von Bestandtheilen bilden. Bei der Betrachtung der Abweichungen der Ausschei­dung des Kolhes hat man seine Menge und Beschaf­fenheil, so wie die Zahl der Ausleerungen zu beriiek-sichtken; Um hierin aber nicht irregeleitet zu wer-den, müssen wir wissen, dass bereits innerhalb der Grenzen der Gesundheit manche Abweichungen in der Kothausleerung vorkommen können. Es ist be­kannt, dass nicht allein die verschiedenen Gattungen unserer Haussaugethiere rücksichtUch der Menge und Beschaffenheit des Kolhes, so wie der, in einer ge­wissen Zeit erfolgenden Zahl der Ausleerungen von einander abweichen, sondern, dass Diess auch bei einem und demselben Thiere in verschiedenen Zeiten der Fall ist. Die Ursachen dieser Abweichungen liegen eines Theils in der Verschiedenheit der Orga­nisation des Verdauungs-Apparates und in der dadurch bedingten eigenthümlichen Digestions-Thätigkeit, an deren Theils in der Beschaffenheit und Menge des Futters und Getränkes, so wie in der Ruhe und Be­wegung der Thiere. Es muss hier als bekannt vor­ausgesetzt werden, in welchem Beschaffenheits- und Mengen-Verhältnisse die Koth-Ausleerungen bei den verschiedenen Thieren im gesunden Zustande erfol­gen, und lassen wir uns im Nachstehenden nur auf die als krankhaft zu bezeichnenden Abweichungen ein
sect;. 5;J. Die Menge des ausgeschiedenen Kothes
ist entweder zu gering oder zu gross, und im erste-ren Falle eine Verzögerung, im letzleren eine Be­schleunigung der Ausleerung, in beiden Fällen aber
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Anomalien in den Darmexcretionen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 403
auch eine abweichende Besciiaffenlieit des Kotlies in der Regel damit verbunden. Wenn die Abweichung in der Menge und in der Zalil der Kodi-Auslee­rungen nicht einem Mangel oder Uebermaass an Nahrungsmitteln und Getränk zugeschrieben werden kann, so ist die Ursache davon in der abweichenden Thatigkeit des Verdauungs-Apparates selbst zu suchen. Die Verzögerung und zu geringe Menge des Koth­absalzes sind — abgesehen von denjenigen Verhält­nissen, welche weiter unten bei der Beschaffenheit des Kolhes zur Sprache kommen — meist auf eine Verminderung der peristaltischen Bewegung des Darm­kanals, auf mechanische Hindernisse, und auf ver-melnie Aufsaugung oder verminderte Absonderung in demselben, wodurch der Koth eine trockene Beschaffen­heit erlangt, zurückzuführen; die Beschleunigung und zu grosse Menge des Kolhabsalzes aber auf die entge­gengesetzten Verhältnisse. Dieselben Verhältnisse in ihrem Gegensatz bedingen auch, wenn sie in einem gesteigerten Grade vorhanden, die Zustände, welche man Verstopfung (constipatio, obslructio v. adstri-clio alvi) und Durchfall (diarrhoea, fluxus alvi, v. coeliorrhooa nennt. Diese Zustände können indess noch andere Veranlassungen haben, welche in Rück­sicht der Verstopfung Contracturen des Darmkanals, herrührend von Krampf oder organischen Verände­rungen sein können, ferner, eingeklemmte Brüche (hernia incarcerata) Ineinanderschiebung (intussuseeptio) und Verwickelung des Darmes (voluolus), Darmsteine, Concremente, Haarballen, Wurmknäule und andere fremde Körper (z. B. bei Hunden nicht selten Kno­chenstücke) und endlich stark adstringirende Poten­zen, wie Blei; für den Durchfall aber Wurmreize, Laxirmittel, reizende thierische Säfie, wie krankhafte Galle, fehlerhafter Darmsaft, Eiter und dergl. Um
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404nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalion in den Darmoxcrctionon,
die Verzögerung der DarmausleeniDg, die Versto­pfung und den Durchfall gehörig zu würdigen, liat man, wie bei den Abweichungen in allen Sc- und Escretionen, auch auf das sympathische Verhältniss Rücksicht zu nehmen, in welchem die Secretion des Darmkanals mit anderen steht, um zu beurtheilen, in wie weil Vermehrung oder Verminderung in an­deren Secretionen auf diejenige des Darmes und so­mit indirect auf die Abweichungen des Kothabsatzes halien könne. Mit der Bedeutung, welche die Darm-ausleerung in allgemeinen Krankheiten hat, verhalt es sich ebenso, wie bei den übrigen Se- und Excretio-nen; auch sie ist meist im Beginn der Fieber und Entzündungen verzögert oder unterdrückt, und kann die günstige Entscheidung solcher Zustände vermit­telst eines sogenannten kritischen Durchfalls erfolgen. Die Erscheinungen, woran man die Einleitung zur Darmkrisis gewahrt, sind geringe Kolikzufalle und Poltern in den Gedärmen; die Krisis selbst kann aber nur an der Minderung der Krankheitlaquo; - Symptome, welche dem Durchfall folgt, erkannt werden. Es ist inzwischen zu beachten, dass selbst ein anfangs guiartiger (kritischer) Durchfall durch, der Unordnung im Heilbestreben zuzuschreibende Andauer auch eine nachtheilige Rückwirkung auf den Organismus haben könne. Es kommt nicht selten Verzögerung und Beschleunigung der Darmausleerung vor, ohne dass in dem erstcren Falle eine Verminderung, and in dem letzteren eine Vermehrung des Kothes nothwen-dig damit verbunden wäre. Jenes ist in atonischen, lähmungsartigen Zuständen des Mastdarmes gegeben, wobei der Koth erst dann ausgeschieden wird, nach­dem er sich in grosser Menge in jenem Organe an­gesammelt hat; letzteres aber bei beginnendem Krampf des Darmkanals oder bei Blähsuchten, in welchen
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Anomalien in den E\crelioncii.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 405
Zuslanden der bereits im Mastdarm befindliche Kolli alj-satzweise in kurzen Zeiträumen ausgeleert und hierdurch
der Unerfahrene in Rücksicht des wahrenSachverhältois-ses leicht getäuscht wird. Die Folgen der unordent­lichen Darmausleerungen sind, was die zu geringe Menge, Verzögerung oder ganzliche Unterdrückung anbelangt, nach dem Grade verschieden; zunächst be­stehen sie in Anhäufung der Contenla im Darmkanal, welche dann in eine eigenartige Gährung und Zer­setzung übergehen, und zur Entwickelung von Gasen, zu Cruditäts- und Saburral-Zusländen Veranlassung geben. Weiter bewirkt jene Anhäufung mechanische Belästigungen, Beengung des Athmens, und befördert die Entstehung von Brüchen, Zerreissungen des Darm­kanals u. dergi. Die Beschleunigung und zu grosse Menge der Darmausleerungen aber gewährt im All­gemeinen den Futterstoffen nicht den, für die Ver­dauung erforderlichen Aufeulhalt im Darmkanal, wo­durch die Ernährung mangelhaft wird, oder, um diesen Uebelstand zu verhüten, wenigstens mehr Fut­ter aufgenommen werden muss, als bei ordentlicher Darmausleerung erforderlich gewesen wäre. Besteht die Beschleunigung der Darmausleerung in der Form des Durchfalls so muss jener Uebelstand noch grel­ler hervortreten, weil hierbei dem Organismus nicht allein nicht genügend für den SloHansatz geboten, sondern, weil ihm ausserdem noch eine bedeutende Menge Säfte durch dass Uebermaass der Absonde­rung im Darmkanal entzogen wird.
sect;• 54. Die Beschaffenheil des Kot lies ist mannig­fachen Abweichungen unterworfen. Zur richtigen Beurtbeilnng derselben muss die Bekanntschaft mit den Eigenschaften des normalen Kothes vorausgesetzt
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40Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien iu den Excretionen.
werden; man mnss daher wissen, welche Form, Con-sistenz, Farbe, welcher Geruch und welche andere Ei­genschaften ihm bei den verschiedenen Thieren mil Rücksicht auf die Menge und Art des genossenen Futters und Getränkes zukommen. Um diese Kennt-niss zu erlangen, wird eine häufige eigene Beobach­tung erfordert, welche durch die ausführlichste Be­schreibung kaum ersetzt werden dürfte. Ausser den Abweichungen in den oben berührten Bescliaffenhei-ten kann der Koth auch noch eine gewisse Rohheit besitzen d. h. mehr oder weniger der Verdauung entgangene Bestandlheile, z. B. ganze Fruchtkörner u. dergl. enthalten; oder es ist ihm eine ungewöhn­liche Menge Sehleims von besonderer Beschaffenheit und dergleichen Gallenresiduen; ferner, plastische Lymphe, Blut, Eiter beigemengt, oder er enthalt Wür­mer, Steine, Concremente u. dergl. Dass die Gegen­wart der plastischen Lymphe, im Koth auf eine exsu-dative Entzündung, die des Blutes auf mechanische Verletzung oder krankhafte Secretion, wie beim Milz­brand, die Anwesenheit des Eiters ferner auf Ge­schwüre im Darmkanal hinweisen, ist klar; eben so leicht zu deuten ist auch die Anwesenheit von Wür­mer, Concremente u. dergl. Es wird daher genügen, hier nur einzelne Beschaffenheiten des Kothes näher anzugeben und ihre Bedeutung zu bezeichnen. Die Rohheit des Kothes lüssl sich immer, wenn nicht Fehler in den Mastications-Werkzeugen, z. B. schlechte Zähne vorhanden sind, auf Digestions-Schwäche zu­rückführen. Zu grosse Trockenheit und Festigkeit des Kothes ist ein Zeichen sthenischer Zustände mit verminderter Absonderung oder vermehrter Aufsau­gung im Darmkanal, wogegen zu grosse Locker­heit und Feuchtigkeit des Kothes auf den entgegen­gesetzten Zustand hinweisen. Die zu geringe oder
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Anomalien in den Exeretioneo,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4ü7
zu sehr gesättigte Farbe des Kotlies ist in der Re­gel fehlerhaften Zuständen der Leber, entweder zu geringer, zu häufiger oder auch entarteter Galle zu­zuschreiben. Der Geruch des Kothes endlich zeigt siele Abweichungen; er ist säuerlich, faulich, schwei-nekotharlig u. s. w., was auf fehlerhafte Verdauung, auf zu grosse Menge und übcle Beschaflenheit des Darmsaftes, des Schleims, auf Wurmbrdt, auf che­mische Zersetzung des Kothes wegen Mangels au Schleim oder zu langen Aufenthalts im Darmkanal oder in Folge eines besonderen Krankheitsprozesses hinweist. Jn wiefern Arzneimittel auf die Beschaf­fenheit des Kothes Einiluss haben können, wird als bekannt aus der Materia medica vorausgesetzt.
Zusatz. Diejenige Kraft, welche die einfache Ernäh­rung, d. b. den unmerklichen Wiederersatz des durch die Schmelzung und Aufsaugung verloren gegangenen Sloffs bedingt, nennt man die Rcproduclions-Kraft; solche aber, welche den Wiederersatz verloren gegangener Sub­stanz , insofern dieser Verlust der Beobachtung näher liegt, bewirkt, nennt man vorzugsweise Regenerations-Kraft. Diese Kräfte sind aber ihrem Wesen nach nicht verschieden, nur der Form nach, in welcher sie wirken, und sind nichts Anderes, als die der Entstehung, der Er­haltungunddom Wachsthum organischer Korper zum Grunde liegende Bildungskraft. Auch die sogenannte Heilkraft oder das llcilbestreben ist nichts Anderes als diese Bil-dungskral'l. Sie zeigt sich in den Krankheiten, welche be­kanntlich immer auf Abweichungen der organischen Kräfte und Materien beruhen, in der Art wirksam, dass sie sich bestrebt, diese Abweichungen zur Normalität zurükzuführen. Dieses Bestreben wird durch die activen oder Reactions-Symptome kund gegeben. Demnach können die Erschei­nungen, welche die Regenerations- und Heilkraft begleiten, ihrem Wesen nach auch keine anderen sein, als solche, wo­durch sich die Bildungsthäligkeit überhaupt oflenbart, uäm-
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408nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in den Excrelionen.
lieh: Stoffansatz, Schmelzung, Aufsaugung, Sc- und Excrelio­nen; in den Krankheiten sind sie nur auffallender, weil eben die Bildungsthätigkeil ungewöhnliche Anstrengungen zur Be­kämpfung derselben in der Form des Fiebers, der Conge­stion, Entzündung, vermehrrler Se- und Excretionen machen muss. Die Wiedererzeugung verloren gegangener Substanz kann nicht anders zu Stande kommen, als dass von der ver­letzten Stelle des Organes aus Bildungsfliissigkeit, sogenannte plastische Lymphe, ausgeschwitzt wird, worauf der schon vor handene organisirte Theil belebend und organisirond einwirkt. Aber es ist zu bedenken, dass der wiedererzeugte Stoff wohl niemals dem verloren gegangenen ganz gleich ist, weil jenem die ursprüngliche Organen-Anlage fehlt; dieNatur muss sich da­her damit begnügen, nur etwas Aehnliches hervorgebracht, und zur Wiederherstellung der Raumerfüllung und Verbindung gewirkt zu haben. Die Bildung des Eiters ist nicht nothwen-dig bei der Wiedererzeugung; sie kommt nur dann zu Stande, wenn der verletzte Theil der Luft ausgesetzt ist, oder wenn die ausgeschwitzte Bildungsflüssigkeit nicht überall mit bereits organisirtem Gewebe in Berührung treten kann. Der Eiter gehört also nicht zu den Bildungsflüssigkeiten, wie man wohl augegeben hat; denn niemals wird sich aus Eiter thierischcr Stoff bilden. Er ist nur als der, in rückschreitender Me­tamorphose sich belindende Bildungsstoff zu betrachten, wel­cher bei der Wiedererzeugung nicht verwandt w erden konnte. Nichtsdestoweniger kann die Bildung des Eilers in Wunden sehr heilsam sein, weil er als passender Schutz gegen äussere, der Regeneration schädliche Einflüsse wirkt. Stark hat gesagt, dass sich die Wiedererzeugung von dor eigent­lichen Zeugung nur dadurch unterscheide, dass letztere ganze Organismen, erstere aber nur Theile eines Organis­mus producire. Dem Vorhergehenden zufolge stellt sich aber heraus, dass der Unterschied zwischen beiden ein sehr bedeutender ist; denn bei der Zeugung wird zugleich auch der Anstoss zur Anlage (Grundlage) der spezifischen Organe gegeben, aber bei der Wiedererzeugung wird, wie gesagt, die Eigcnlhumlichkeit der Organe niemals erreicht, nur annährungsweise bei der Kr\ stallinse und bei den Kno-
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Anomalien in den Excretionen.
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chcn. Dann aber sind die durch die Wiedererzeugung ent­standenen Theile dem vorloren gegangenen gleich, wenn jener Prozess ein Attribut der Normalität ist, wie im Wechsel der Ilaare und der Zähne. Die als Regenlerations- oder Heil­kraft wirkende Bildungsthätigkeit kann in dreifacher Art abweichen. Sie ist zu stark, wenn sie in grösserem Maasse wirkt, als zur Herstellung der Normalität erforderlich ist. Diess giebt sich durch heftige, die Kräfte erschöpfende Fie­ber, und durch profuse Ab- und Aussonderungen kund, örtlich insbesondere durch zu heftige, in Brand Übergehende Entzündung, durch übermässige Absonderung plastischer Lymphe, Bildung luxuriösen Fleisches u. dergl. Die Ursa eben, welche die Heilkraft zu sehr steigern, können, dem Vorhergehenden zufolge, keine andere sein, als solche, welche die Bildungskraft selbst zu steigern vermögen, da diese mit jener identisch ist; mithin in Bezug auf den kranken Organismus: jugendliche, robuste Constitution; und in Bezug auf die Aussenverhältnisse: alles Reizende, wie zu grosser Wärme- und Lichteinfluss, reizende Futterstoffe und Arznei­mittel u. dergl. Die Heilkraft ist zu schwach, wenn sie den zur Beseitigung der Krankheit erforderlichen Grad nicht er­reicht. Die allgemeinen Folgen davon sind in der Regel: langwieriger oft schleichender Verlauf der Krankheiten und dabei nicht selten Verwandlungen derselben; örtlich aber zu geringe Stoflbildung, Ausartung gutartiger Wunden in bösartige u. dergl. Unter die Ursachen muss in diesem Falle alles Das gezählt werden, was die Bildungsthätigkeit zu schwächen im Stande ist, sie sind mithin den vor­hergehenden entgegengesetzt. Die Heilkraft endlich ist der Beschaffenheit nach für fehlerhaft zu halten, wenn eine qualitativ abweichende Substanz und ein schlechter Ei­ter erzeugt wird, und wenn gegen allgemeine Krankheiten nicht die gewöhnlichen Reactioncn erfolgen. Es ist aber zu bedenken, dass wohl nie quantitative Abweichungen in dem Heilbestreben vorkommen durften ohne gleichzeitige qualitative und so umgekehrt. Durch unordentliche Ileil-bestrebungen wird in der Rescl der Zweck der Herbei füh-rung der Normalität nicht erreicht. Es ist von grosser
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410nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in Zustanden der individuellen
praktischen Wichtigkeit die Ursachen davon in den concie-ten Fällen aufzufinden. In der Auffindung derselben daucht uns, kann sich der Scharffinn des Thicrarztes mehr bewäh­ren, als im Haschen nach spezifischen Mitteln gegen die Krankheit, ünbewusst mag öfter durch die curative Behand­lung der Krankheiten die vis medicatrix naturae regulirt, als ein Antidotum gegen die Krankheiten selbst geliefert werden.
Kiinc-f Capitel.
Anomalien in Zuständen der Individueilen Bild ungs-thätigkeit seeundärer Art.
I. Von der Wärme des thierischen Körpers. sect;• ^5. Die Eigenwärme, welche bei den Thieren in so verschiedenen Graden wahrgenommen wird, hat ihre Quelle im Lebensprozess, und ist von der äus-seren (cosmischen) Temperatur nur in sofern ab­hängig, als ihr Quantitäts-VerhäUuiss von der letzte­ren in etwas abgeändert werden kann, und als ohne sie überhaupt kein Lebensprozess zu Stande kom­men kann. Da die Eigenwärme des thierischen Kör­pers, wenn auch nicht ausschliesslich, doch haupt­sächlich als ein Erzeugniss der Lebensthätigkeit he-trachtet werden kann, so glauben wir darin die zweifache Berechtigung zu finden, sie 1) als orga­nische Wärme zu bezeichnen und 2) ihrer Be­trachtung liier eine Stelle anzuweisen. Man bat die Bildung der organischen Wärme, weil sie eine so auffallende Erscheinung darbietet, und weil ein ge­wisses (normales) Maass derselben so sehr viel zum Gefühl des Wohlbehagens beiträgt, eine grosse Auf­merksamkeit geschenkt, trotz dem ist man in diesem Punkte bis jetzt nicht zu ganz befriedigenden Resul-
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fiildungstliatigkeit secumiarer Art.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;411
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(alen gelangt. Uebersehen wir die ganze Thier-reihe, so kann uns die Bemerkung nicht entaehen, class der Wärmegrad der verschiedenen Klassen der
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Tliiere sehr verschieden ist. Bei den wirbellosen Thieren ist die organische Wärme nur um ein We­niges höher, als die Temperatur des sie umgebenden Mediums; ein gleiches Verhältniss findet unter den Wirbelthieren bei den Fischen Statt. Die Amphibien dagegen besitzen schon eine höhere Temperatur, wäh­rend sie bei den Vögeln, namentlich den kleineren Galtungen derselben am höchsten steigt, und hinwie­derum bei den Säugetbieren sinkt. Diese Verhält­nisse machen es klar, dass die Gradverschiedenheit der organischen Temperatur, wenn auch nicht in we­sentlich-, doch in intensiv - verschiedenen Funktionen ihren Grund haben müsse. Die Ansichten der Phy­siologen über die Quelle der organischen Wärme sind theils chemische, theils mechanische, theils dy­namische. Nach den ersteren ist es der Athmungs-prozess, welcher die Wärme, durch Bindung des SauerstotTgases mit dem Blute, oder durch Verbren­nung eines Theiles seines Kohlenstoffgehalles, liefert, oder sie wird als das Product eines organisch-che­mischen Prozesses in der Assimilation angesehen, wo­bei flüssige Stoffe, sowohl tropf- als dampfförmige,
in den festen Zustand übergehen. Nach der zweiten Ansicht wird die Reibung, sowohl der festen als flüssigen Körpertheile, als vorzügliche Wärmequelle herausgestellt, und nach der dritten endlich wird sie in das Nervensystem, als den Hauptfactor der Lebens-thätigkeit gesetzt. Alle diese Ansichten aber erschei­nen einseitig, wenn man das Für und Wider dersel­ben erwägt. Für die erstere Ansicht spricht aller­dings die Thalsache, class die Wärmeentwickelung mit der Ex- und Intensität der Respiration in der
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412nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in Zustanden der individuellen
Thierreihe gleichen Schritt hält, und daher bei den Vögeln am grössten ist, auch der Umstand, dass bei Verlangsamung des Athmens, z. B. während des Win­terschlafes die Körperwärme bedeutend sinkt; ent­gegen steht ihr aber, dass während des Athmens ohne Zweifel auch eine bedeutende Menge Wärme gebunden wird, indem fliissige Theile in die Dampf-und Gasform übergehen, auch die Thalsache, dass in den Bronchien nicht der höchste Grad der Wärme besteht. Dasselhe steht auch der Ansicht, welche auf dem organisch-chemischen Vorgang der Assimi­lation als Ilauptquelle der Wärme fusst, entgegen, weil die Festwerdung des Stoffes auch von einem Verflüssigungs-Prozesse begleitet ist, und namentlich durch die Transpiration viel Wärme gebunden wird. Für die mechanische Ansicht spricht, dass allerdings durch die Reibung der thierischen Theile unterein­ander Wärme frei werden müsse, auch der Umstand, dass bei Vermehrung der Reibung, z. B. bei ange­strengten Bewegungen, die Körperwärme steigt; da­gegen ist zu bedenken, dass die Reibung zwischen festen und fest-weichen Theilen, zwischen diesen und flüssigen überhaupt nicht bedeutend sein könne, und dass während des Schlafes, in welchem die Be­wegung sehr vermindert ist, die Körperwärme den­noch nicht bedeutend sinkt. Die dritte Ansicht end­lich hat Das für sich, dass mit der Entwickelung des Nervensystems in der Thierreihe auch die organische Wärme wächst, und dass dieselbe nicht minder bei gesteigerter Nerventhätigkeit zunimmt, dagegen bei verminderter sinkt. Es ist aussei' Zweifel, dass alle organische Functioncn und deren Erscheinungen, mit­hin auch die organische Wärme, vom Nervensystem abhängig sind; indess scheint die Quelle der Wärme doch weniger in diesem selbst zu liegen, als in den
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Bildunaslhäliamp;keit secnntluror Art,
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Organen, welche unler seinem Einflüsse stellen: denn in den Cenlralpartien des Nervensystems, im Gebirn und Rückenmark, ist die Wärme nicht so hoch, als in anderen Körpertheilen, z. B. im arteriellen Blute. Aus allem diesen gehl hervor, dass die Quelle der organischen Warme nicht einseitig in eine einzelne. Function gesetzt werden dürfe; wieviel aber die ver­schiedenen Fnnctionen daran Theil haben und welche am meisten, das ist bis auf unsere Tage noch nicht entschieden; für die Bildungsthätigkeit spricht indess die grössere Wahrscheinlichkeit. (Vergl. d. Zusatz). In dem Grade der normalen organischen Wärme zeigen die verschiedenen Galtungen der Haussiiuge-lliiere sowohl, als auch die Individuen einer und der­selben Gattung einige Abweichung, und zwar eine Schwankung zwischen 29 — 33deg; II. Jene Wärme, und zwar die des Blutes, scheint in folgender Ord­nung zu steigen: Pferd, Bind, Hund, Katze, Schaf, Ziege, Schwein; wonach sie also beim Pferde am niedrigsten und beim Schweine am höchsten ist. Die Erklärung für die Gattungsverschiedenheit des Wärme­grades ist aus dem Vorhergehenden, dagegen eine solche für die Differenzen bei den Individuen aus dem Grade der Lebensenergie zu schöpfen. Da die Körperwärme eines und desselben Thiercs sich selbst im normalen Zustande nicht zu allen Zeiten und in allen Körpertheilen gleich bleibt, so müs­sen wir die Gründe hieven kennen, um die Anoma­lien in dieser Beziehung richtig beurtheilen zu kön­nen. In wie weit Bewegung, Buhe, Schlaf und an­dere Verrichtungen, z. B. im Geschlechtsleben, die Körperwarme im Allgemeinen zu vermehren und zu vermindern im Stande sind, geht aus dem früher Gesagten hervor; auch bedarf es wohl keiner nähern Auseinandersetzung, wie viel die äussere, mitgetheille
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414nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalion in Zustanden der individuellen
Warme daran Anlheil hat. Aber zu merken ist. class die organisclie Wärme im Herzen am grösslen ist, und mit der Entfernung von diesem Organe abnimmt, so dass die vom Herzen entferntesten Theile auch in der Regel die geringste messbare Wärme besiz-zen. Nicht minder ist zu beachten, dass den hor­nigen Gebilden keine eigene, vielmehr nur eine mit-getheilte Wärme haben, und dass einige Theile sich im normalen Zustande durch eine besondere Küble auszeichnen, wie das Flotzmaul des Rindes, der Rüs­sel des Schweins und die Nase des Hundes. Die wahrscheinlichen Ursachen dieser Erscheinung kann man mit Gurlt in die Haar- und Feltlosigkeit jener Theile, so wie in deren besländige Refeucblung und hiernach folgende Verdunstung setzen. Als Anomalion der orfflmischcn Wärme sind deren Verminderuna, Steigerung und die der Norm widersprechende un­gleiche Verlheilung zu betrachten.
Zusatz. Liobig ist gegenwärtig der eifrigste und un­streitig auch der geschickteste Vertheidiger der chemischen Ansicht über die Wärmeerzeugung im thierischen Körper. Seine Ansicht und die Gründe dafür lauten etwa wie folgt: Alle lebenden Wesen deren Existenz auf einer lüinsaugunp von Sauerstoff beruht, besitzen eine, von der Umgebung unabhängige Wärmequelle. Nur in den Theilen des Thic rcs, zu welchen arterielies Blut und durch dieses der, in dem Alhmungsprozess aufgenommene Sauerstoflquot; gelangen kann, wird Wärme erzeugt; daher besitzen Ilaare, Wolle. Federn u. dergl. keine eigenthümliche Temperatur. Die höhere Temperatur des Thierkörpers ist überall und unter allen Umständen die Folge von Verbindung einer brennba­ren Substanz mit Sauerstoff. In welcher Form sich auch der Kohlenstoff mit Sauerstoff verbinden mag, der Act der Verbindung kann nicht vor sich gehen ohne von Entwicke hing von Wärme begleitetet zu sein; gleilchgültig ob sie rasch oder langsam erfolgt, ob sie in höherer oder min-
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Bildiingslliiiligkeit secund'arer Art,
41:
derer Temperatur vor sich geht, stets bleibt die freigewor denc ^YärIntgt;rmcnge eine unveränderte Grosse. Der Koh­lenstoff der Speisen, der sich im Thierkörper in Kohlensäure verwandelt, muss eben so viel Wärme entwickeln, als wenn er in der Luft oder im Sauerssloff direct verbrannt worden wäre: der einzige Unterschied ist der, dass sich die er zeugte Wärme auf ungleiche Zeiten vertheilt. Mit der Menge, des in gleichen Zeilen durch den Athmungsprozess zuge­führten Sauerstoffs nimmt die Anzahl der freigewordenen Wärmegrade zu oder ab. Alle Thiere sind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen athmen, ist die Eigenwärme unabhängig von der Temperatur der Umgebung. Inzwischen ist der Thierkörper ein erwärmter Körper, der sich zu seiner Umgebung verhält, wie alle warmen Körper; er empfängt Wärme, wenn die äussere Temperatur höher, er giebt Wärme ab, wenn sie niedriger ist, als seine eigene Temperatur. In verschiedenen Climaten wechselt die Menge des durch die Respiration in den Körper tretenden Sauer­stoffs mit der Temperatur der äussern Luft; mit dem Wär­meverlust durch Abkühlung steigt die Menge des eingeath-meten Sauerstoffs; die zur Verbindung mit dem Sauerstoff nöthige Menge Kohlenstoff oder Wasserstoff muss in einem ähnlichen Verhällniss zunehmen. Der Wärmeersatz wird bewirkt durch die Wechselwirkung der Bestandtheile der Speisen, die sich mit dem eingeathmeten Sauerstoff verbin­den. Die Menge der zu geniessenden Speise richtet sich nach der Anzahl der Atbemzüge, nach der Temperatur der Luft, welche eingeathmot wird, und nach dem Wärmequan­tum, das der Thierkörper nach aussen hin abgiebt. u. s. w.
sect;• 56.
Die Verminderung in der Körpenvärmo oder die Kälte (frigor) bemerken wir an den Thie-ren in verschiedenen Graden: als Frösteln (horror) und als Frost (algor). Wir erkennen diese Zustände theils durch das Gefühl, theils durch das Sträuben der Haare, Zittern, Schütteln der Haut und des gan­zen Körpers, theils auch dadurch, dass diejenigen
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41Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in Zustanden clev individuollen
Tliiere die Wärme suchen, welche in der Verfassung dazu sind. Der Frostschauder bezeichnet immer den Anfang und die Exacerbation des Fiebers; je stärker jener, um so heftiger auch insgemein dieses. Bedeutendes Sinken der Körperwärme ist ein Zei­chen der erschöpften Lebenskraft und daher dos nahen Todes.
Die Steigerung der Körperwärme oder die Hitze (calor) ist in Fiebern ein Zeichen von Exa­cerbation. Sie wird durch die aufgelegte Hand, theiis auch an dem ängstlichen, nach Kühlung suchenden Benehmen der Thiere, zuweilen auch an der Ver­mehrung des Körperumfanges und an der höheren Böthe der durchscheinenden sichtbaren Häute erkannt. Nicht immer ist die Hitze ein Zeichen der gesteiger­ten Lebensthätigkeit; denn nicht selten wird auch beim Typhus, bei der beginnenden Auflösung und Zersetzung der Säfte eine starke Hitze wahrgenom­men, welche, wenn wir in Rücksicht dieses Zustan-des vom Menschen auf die Thiere schliessen dürfen, diesen ein sehr lästiges, beissendes Geftihl verursacht, und daher als beissende Wärme (calor mordax) zu bezeichnen ist.
Ungleiche Temperatur-Vertheilung be­merken wir häufig in Eiterungs-Fiebern, oder in sol­chen, welche einen nervösen oder torpiden Charac­ter an sich tragen; und darf sie wohl meistens auf die ungleiche Nervenleitung zurückgeführt wer­den. Wenn die Hitze an verschiedenen Körperthei-len schnell wechselt, so wird sie als fliegende (calor volaticus) bezeichnet.
Es wird unnöthig sein, alle Abweichungen in der Körperwärme anzuführen, da sich die übrigen hierher gehörigen Verhältnisse rücksichtlich ihrer Be­deutung und Ursachen durch einiges Nachdenken aus
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Bildungsthätigkeit secundarer Art.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4^7
dem vorangeschickten physiologischen Theile ohne Schwierigkeit werden erklären lassen.
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II. Von der Lebensschwellune.
sect;• 57, Unter der normalen Lebensschwellung (turgor vitalis) hat man eine gewisse Fülle der Kör­peroberfläche, verbunden mit einer massigen Span­nung und Elastizität tier festweichen Gebilde, na­mentlich der Haut, zu verstehen. Dieser Zustand ist es, welcher schon beim ersten Anblick die Thiere als mit einer energischen Lebenskraft, und insbeson­dere als mit einer lebhaften Ernährungsthätigkeit ver­sehen erkennen lässt. Aussei- jener Fülle und ela­stischen Spannung bemerken wir noch als begleitende Erscheinungen der normalen Lebensschwellung Glätte und Glanz des Haares, Hervortreten der Hautgefässe, sanfte Röthe der durchscheinenden allgemeinen Decke und der sichtbaren Schleimhäute, so wie einen glän­zenden lebensvollen Ausdruck der Augen. Fragen wir nun, worin die Lebeusschwellung ihrem Wesen nach besteht, und durch welche Verhältnisse sie zu Stande kommt, so werden wir finden, dass sie als Begleiterin der Ernährungsthätigkeit auch in den Fac-toren derselben begründet sein müsse, und demnach dadurch zu Stande kommt, dass das aus dem peri-pherischen Gefässnetze in das Parenchym der Organe getretene Plasma, vorzugsweise aber der seröse Be-standtheil desselben, von Seiten der contractilen Wände der zelligen Räume, eine gewisse Beschränkung in seiner Ausdehnung erleidet, wodurch eben die Fülle und Spannung erzeugt wird. Dass auch hieran, wie an allen Lehenserscheinungen, die Nerven einen ge­wissen Antheil haben, ist begreiflich; dass es vor-
Fachs, alljtem, Pathoi.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 27
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418nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in Zustunden der individuellen
zugsweise die organischen Gefassnerven sein müssen, wovon die Lebensschwellung abhängt, beweist der Umstand, dass sie es sind, welche die Ernälirung be­dingen. Einen weiteren Beweis für den besonderen Antheil der Nerven an der Lebensschwellung ent­nehmen wir noch daraus, dass ihre Erhöhung von, die Nerventhätigkeit erhöhenden Einflüssen abhängig ist, so z. B. von der Einwirkung des Lichtes, der Warme, schnell vorübergehender Kalte und gewisser Arzneimittel, wie geistiger und überhaupt reizender; einen überraschenden Beleg aber hierfür bietet die schnelle Ab- und Zunahme des Lebensturgors beim Menschen unter dein Einflüsse niederdrückender und aufheiternder Gemüthsbewegungen. Es ist indess nicht zu leugnen, dass, aussei- den gedachten Ver­hältnissen, in einzelnen Organen auch noch beson­dere den Turgor bedingen können, so im Penis und in der Clitoris ein besonderes erectiles Gewebe und ein eigenthümliches Venennetz. Genau bezeichnen lässt sich das normale Maass der Lebeusschwellung nicht; es muss das ürtheil in dieser Beziehung durch Beobachtung gesunder und kräftiger Thiere gewon­nen werden.
Wenn die oben angegebenen Zeichen der Le­beusschwellung in einem höheren Grade vorhan­den sind, so kann sie als eine gesteigerte ange­nommen werden, wie Diess in entzündlichen Zustän­den und namentlich im synochösen Fieber der Fall ist. Nicht selten kommt auch Vennehrung des Tur-gors mit Schwächezuständen verbunden vor; die Haut der Thiere erscheint indess alsdann mehr schlaff und aufgedunsen. Da hierbei die normale Spannkraft der Faser fehlt, oder mit anderen Worten ein üeberwie-gen der Expansion über die Contraction besteht, so ist ein solcher Turgor als passiver zu bezeichnen.
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Bildangsthätigkeit secundarer Art.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 419
Es kann zwar auch e'mo örtliche Steigerung des Turgors vorkommen, man muss sich aber hüten, ihn in einem solchen Falle nicht mit der Geschwulst, sie sei eine Entzündungs-, Wasser- oder Windge­schwulst, zu verwechseln, auch ist dasselbe rücksicht­lich der allgemeinen llaulwasser- und Windsucht bei Beurtheilung des allgemeinen Turgors zu beachten. An und für sich ist der gesteigerte Turgor nicht von nachtheiligeu Folgen, nur diejenigen Zustände, welche ihn bedingen. Die Verminderung des Turgors wird an dem geringen Körpernmfange, an einer ge­wissen Schladheit oder Trockenheit der Haut, an der Blasse durchscheinender Hautgebilde, Glanzlosigkeil des Haares und endlich an den matten, tiefliegenden Augen erkannt. Es dürfte unnölhig sein, etwas Nähe­res über das Wesen und die Ursachen desselben an­zuführen, da sie aus Dem, was eben in dieser Be­ziehung über den normalen Turgor gesagt worden ist, mit Leichtigkeit abzuleiten sind. Auch der ver­minderte Turgor ist an und für sich nicht von nach­theiligen Folgen, nur die Grund Verhältnisse, aus de­nen er entstanden. Hiernach ist auch das sogenannte Roth- oder Fuchsichtwerden der Haare und die so­genannte Harthaufigkeit zu beurtheilen, Zustände, welche insgemein auf ein allgemeines Sinken der Ernährungs-Ihätigkeit oder auf ein partielles der Haut zurückge­führt werden können. Wenn die dauernde locale Vermehrung des Turgors ein Zeichen von Uebernäb-mng (hypertropbie) ist, so ist die örtliche Verminde­rung desselben ein nothwendiger Begleiter der Atro­phie, des sogenannten Schwunds der Weichgebilde. Eine rasche, allgemeine Abnahme des Turgors in fie-berhaften Krankheiten lässt in der Regel eine ungün­stige Prognose stellen.
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420nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Enhvickelung.
ZwJiiftes Capitel.
Anomalien in der EnUvickelung.
sect;• 58. Kein einziges Thier entspricht, streng genommen der Idee, welche wir uns von der Gattung machen, der es angehört; wir sind vielmehr im Stande, an jedem Individuum mehr oder weniger Unvollkommen-heiten nachzuweisen. Wir ersehen hieraus, dass, wenn es der Natur auch nicht gelingt, in dem Ein­zelwesen das Vollkommenste zu erreichen Diess je­doch in Rücksicht der Gattung der Fall ist. Be­trachten wir den Lebensgang des individuellen Or­ganismus, so sehen wir, dass dieser eine Reihe von Verwandlungen durchlauft, bis er zu einem Puncte gelangt, wo er der Idee der Gattung möglichst nahe gebracht ist; sodann macht er Rückschritte, indem er sich von derselben wieder allmählig entfernt, bis er endlich seine Individualität ganz einbüsst, dem allgemeinen Nalurleben wieder anheimfällt, aus dem er früher durch den Impuls der Zeugung herausge­treten war. Dieses Heraufbilden des Individuums zur Idee der Gattung bezeichnet man als Entwik-kelung, und das ihr zum Grunde liegende Ursäch­liche als Entwickelungs-, Gestaltungs]- oder Bildungstrieb (nisus formativus). Dieses Moment in Activifät gedacht, als Bildungsthätigkeit, ist kein anderes, als das der, auf Bildung und Rückbil­dung beruhenden Ernährung zum Grunde hegende. Die Entwickelungslhätigkeit kann überhaupt in drei­facher Richtung abweichen; sie wirkt entweder in zu grossem oder in zu geringem Maasse, oder in abweichender Beschaffenheit. Die ersten beiden Ar-
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Anomalien Ja der Entwickcking.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 424
ten sind nur insofern als Bilclungsfehler zu betrach­ten, als Individuen zu Stande kommen, welche hin­sichtlich der Grosse vom Urbilde der Gattung ab­weichen, wogegen sich die Organe bei ihnen in ei­nem gehörigen relativen Verhältnisse befinden. Hier­her sind die Riesen- und Zwergbildungen (gi-gas et pygrnaeus) zu zählen. Zu der dritten Art gehören diejenigen Geschöpfe, welche, wie gesagt, mehr der Qualität nach vom Urbilde der Gattung abweichen, wobei sich also das unrichtige Verhält-niss der Organe durch Ueberzahl, Mangel oder feh­lerhafte Gestalt derselben zu erkennen giebt. Hier­her gehören die eiger;tlichen Missbildungen (defor-
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mitales) und Missgeburten (monstrositates). Die Zahl der Missbildungen ist sehr gross; man hat sie rucksichtlich ihrer mehr oder weniger grossen Be­deutung, welche sie an und für sich und für die Functions - Störung der Organe haben, verschieden eingetheilt. Auf die Eintheilung der Bildungsfehler können wir uns hier nicht näher einlassen, auch nicht auf die nachtheiligen Folgen, welche ein Jeder derselben für das damit behaftete Individuum haben kann. Eine solche Darstellung ist Gegenstand einer besonderen Lehre von bedeutendem Umfange und physiologischer Erheblichkeit, und müssen wir in dieser Beziehung auf den 2ten Theil der pathologi­schen Anatomie von Gurlt und auf den von dem­selben verfassten Artikel „Missgeburtenquot; im XIV. Bande der medic, chirorg. Encyclopädie verweisen. B.ücksichllich der Folgen ist die Bestimmung der Le­bensfähigkeit der Missgeburten von einiger Wichtig­keit, von grösserer jedoch hinsichts des Menschen als der Thiere. Gurlt lässt als Regel gelten, dass alle, selbst die unvollkommensten Missgeburten im mütterlichen Körper und im Ei so lange leben und
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422nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Enlwickelung.
wachsen, Ins die Trennung von der Bildungsstätte erfolgt; die meisten aber stürben bald nach der Ge­burt, besonders wenn diejenigen Organe fehlen, welche zur Erhaltung des vegaliven Lebens unbedingt nöthig sind, als: Herz, Lungen und Verdauungsorgane; eine mangelhafte Bildung des grossen Gehirns und des unteren Theiles des Rückenmarkes gestatte inzwischen noch einige Lebensdauer nach der Geburt. Es wird nicht schwer fallen, diese Bcobachtungs-Resultate auch einzusehen, weshalb eine nähere Angabe der Gründe dafür füglich unterlassen werden darf.
sect;. 59.
Es müsste von hohem physiologischen Interesse sein, wenn wir etwas Zuverlässiges über die Ursa­chen der Missbildungen wüsslcn; leider wissen wir nur sehr wenig in dieser Beziehung. „So viel ist gewiss — sagt Gurlt im zuletzt angeführten Arti­kel — dass jene Ursachen nur in den ersten Bil­dungsperioden der Frucht wirksam sein können, in welchen die Anlage zur äusseren Gestall und zu den einzelnen Organen gemacht wird. Nur in we­nigen Fallen, z. 15. beim angeborenen Wasserkopf, wirken die Ursachen auch nach der Geburt noch fort. Daher nehmen Einige die Anläse zur Ent-stehung einer Missgeburl schon im Fruchtkeime an. Wenn unter Fruchtkeim das, im Graafschen Bläschen des Eierstocks eingeschlossene, noch nicht befruch­tete, kleine Bläschen gemeint ist, so ist die Annahme gew?iss unrichtig; allein es ist sehr wahrscheinlich, dass von dem Momente der Befruchtung an die Be­dingungen zur Entstehung einer normalen Frucht oder einer Missgeburt gegeben sind. Wenn Diess auch nicht von allen Missgeburten gilt, so doch von einer grossen Zahl von Arten, deren Entstehung nicht an-
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Anomalien in der lintwickelunc.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 423
ders denkbar ist, als dass man die erste Keimanlage schon als fehlerhaft annimmt. Man muss sich z. B. das Entstehen einer kopflosen Missgeburt so denken, dass die Primitivstreifen und die Rückenplatten au dem einen Ende nicht zu einem Knöpfchen anschwel­len, dass sich folglich auch kein Kopf bilden kann, und in einem anderen Falle bildet sich eben dieses Knöpfchen auf der Keimhaut, während das andere Ende sich nicht ausbildet, und es entsteht ein Kopf ohne Rumpf und Glieder.quot; — Das, was Gurlt über das Fehlen der Theile gesagt hat, ist zwar einleuch­tend, und heisst mit anderen Worten so viel, wo die Grundlage zu einem Theile fehlt, tnuss auch der Theil selbst fehlen. Keineswegs ist aber damit bewiesen, dass die Anlage zu Missbildungen nicht im Fracht­keime bestehe. Wir müssen indess annehmen, dass überall im Wirken und Schaffen der Natur die Ten­denz zur Zweckmässigkeit liege, mithin, dass auch der erste Keim zu einem neuen Organismus der Zweckmässigkeit oder der Normalität entspricht, und dass, so diese nicht erreicht wird, zufällige, äussere Ursachen davon die Schuld tragen. Erwägt man hingegen, dass (hinsichtlich des Menschen und der Thiere) Beobachtungen vorhanden sind, welche so­wohl die Zeueong mehrerer und oft einander ähu-lieber Missgeburten von denselben Eltern, als auch die Erblichkeit verschiedener Missbildungen darthun, so muss man Bedenken tragen, die reale An- oder Grundlage im Fruchtkeime zur Abnormalität unbedingt zu leugnen. Viele Missbilcluneen hat man als Bil-duneshemmunoen zu erklären versucht, insofern Theile auf einer früheren Entwickelungsstufe stehen bleiben, aber mit den anderen, sich gehörig ausbildenden Or­ganen fortwaebsen; oder die Bildungshemmung be­trifft den ganzen Körper. Es ist indess unbekannt.
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424
Anomalien in der Enlwickelung.
durch welche Ursachen solche Hemmungen veraa-lasst werden, ob es äussere, später einwirkende, oder bereits im Fruchtkeime liegende sind. Andere Miss­bildungen schreibt man mechanischen, ausserhalb des Fötus liegenden Einwirkungen zu; so z. B. die An-heflung des Amnion an irgend einen Körpertheil des Fötus, wodurch Verzerrung dieses Theiles entsteht, Namentlich statuirl man eine solche Veranlassung bei Missgeburten, deren Wesen auf einer Spaltung des Körpers in der Mittellinie besteht, also bei Kopf-, Brust- und Bauchspaltuug. Aber auch an anderen Körperstellen giebt diese ungewöhnliche Verbindung der Schafhaut mit der äusseren Haut des Fötus Ver­anlassung zu Verunstaltungen, namentlich am Schä­del, an den Maulwinkeln und Gliedmaassen. Die psychische Einwirkung, nämlich das sogenannte Ver­seheu, als Ursache für die Entstehung von Missbil­dungen; hält Gurlt für problematisch und sagt: Es sei zwar kaum zu bezweifeln, dass heftige Geinüths-bewegungcn der Mutter auf die Ernährung und Ent-wickelung des Fötus störend einwirken könnten, und demnach derselbe fehlerhaft gebildet werden könne; allein es sei noch kein Fall nachgewiesen, wo der Fötus eben so gebildet war, oder ein solches Abzei­chen hatte, wie der Gegenstand, welcher die Mutter alterirte; überdies falle bei den Thieren das Versehen als Ursache zur Entstehung von Missbildungen ganz weg. Gurlt scheint also in dieser Beziehung dem eingewurzelten Volksglauben nicht zu huldigen, auch der biblischen Anekdote von der Erzeugung bunter Schaafe kein Gewicht beizulegen.
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Zweiter Abschnitt,
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Von den Abweichungen im ßildungsleben für die Gatking'.
ISretes Capitel.
Anomalien in der Zeugungs-Function.
sect;• 60.
.Bisher ist die Bildungsthätigkeil, insofern sie sich zur Erhallung des Individuums in der Form der Re­production und Regeneration wirksam zeigt, in ihren Abweichungen betrachtet worden. Die Bildungsthä-ligkeit aber dehnt auch ihre Wirksamkeit über die Grenzen des Individuums hinaus zur Erhaltung der Gattung in der Form der Fortpflanzung neuer Indi­viduen, denjenigen, ihrem Grundcharacter nach gleich, von welchen sie abstammen. Das Geschäft der Fort­pflanzung ist bei den höheren Thieren, und so auch bei unseren Hauslhieren zwei verschieden organisir-ten Individuen, einem männlichen und einem weib­lichen anheimgegeben. Das Fortpflanzungsgeschäft zerfällt in zwei Momente, in das der Begattung und in das der Zeugung. In beiden verhält sich nach unserer bisherigen Vorstellungsweise das männliche mehr activ, befruchtend, das weibliche mehr passiv, empfangend. Die innere Regung, wodurch die Thiere .zur Fortpflanzung angetrieben werden, nennt man
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42(inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Zougungs-Function.
Geschlechts- oder Begattungslricb, wozu weiblicher Seils die Ausbildung der Eichen in den Graaf'schen Bläscheo der Eierstöcke, und männlicher Seits eine gewisse Menge der von den Hoden abgesonderten Samenflüssigkeit die Ursache zu sein scheint. Wel­chen Anlheil der Saft der Vorsieherdrüse und der Cowper'schen Drüsen bei dem Eorlpflanzungsgeschäft hat, ist noch nicht klar; \Yesentlich scheint er nicht zu sein, da beide Drüsen nicht bei allen Hausthieren vorkommen. Um nun die Abweichungen im Fort-ptlanzungsgeschäfte, welche sowohl quantitative als qualitative sein können, aber sich hier nicht ab­gesondert betrachten lassen, einer Untersuchung zu unterwerfen, haben wir Rücksicht auf alle bei je­ner Function thätigen, oben angedeuteten Glieder zu nehmen.
sect;. 61.
Der Begattungstrieb, welcher sich hei unse­ren Hanssäugethieren, wegen ihrer Abweichung von den naturgemässen Lebensverhältnissen durch die Do­mestication, in seiner Aeusserung nicht mehr an das Frühjahr bindet, sondern auch in anderen Jahreszei­ten, wenngleich nicht so stark, wie in jener sich aussert, ist zwar am thaligslen, wenn die Individuen ihre individuelle Ausbildung erreicht haben; eher die Absicht des Züchters sucht auch in diesem Puncte der Natur vorzugreifen, und jenen Trieb zu antieipi-ren. Der Begattungstrieb ist zu stark, wenn er sich zur ungewöhnlichen Zeit und zu heftig aus­sert: wenn die Thiere die Geschlechtsvereinigung mit einer gewissen Wildheit, mit Nichtachtung und selbst Bekämpfung und Zerstörung der Hindernisse suchen; oder wenn jener Trieb durch wiederholte Begattung kaum zu befriedigen ist, ferner wenn er sich durch
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Anomalien in der Zeugungs-Function.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 4?gt;
liaiiü^u BcgalUmgsversuclio Leim gleichnamigen Ge­schlechte, oder endlich durch Onanie zu erkennen giebt. Einen solchen Zustand nennt man Geilheit, i)ciin mannlichen Geschlecht Satyriasis, beim weib­lichen Nymphomania. Als Ursachen der übermäs-jigen Geilheit nimmt man bei männlichen Thieren eine zu starke Absonderung des Samens und eine reizende Beschaffenheit desselben, bei weiblichen Ent­zündung oder andere krankhafte Reizungen der Eier­stöcke an. In Rücksicht beider Geschlechter und der gedachten Beziehung beschuldigt man überdiess noch eine Steigerung der Sensibilität und Irritabilität, ver-anlasst durch allerlei Krankheitsprocesse in benach­barten Oreanen der Geschlechlslheile. welche aufnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ' •, diese übertragen wird; endlich auch spezifische Reiz­mittel für die Geschlechts- und Harnwerkzeuge (aphro-disiaca et diuretica), so wie alles Das, was die Bil-(lungsthätigkeit befördert, wohin reichliche und stark nährende Futterstoffe, zu warmes Verhalten u. dgl. gehören* Die Folgen der krankhaften Geilheit kön­nen sich, bei Nichlbefriedigung derselben, in beiden Geschlechtern durch Zufälle .des Kollers änsscrn, wel­chen man dann beim männlichen Samenkoller, beim weiblichen Mutterkoller nennt. Bei zu öfterer Be­friedigung des Geschlechtstriebes aber nimmt die Reiz­barkeit zwar in der Regel anfangs in den Geschlechts-Iheilen zu, später jedoch tritt sowohl in diesen als auch in benachbarten Theilen sensible und irritable Schwäche ein, welche sich soear bis zur Lähniune; der Lendenpartie steigern kann. Als Folge oder selbst als Begleiter der krankhaften Geilheit, sie mag ihre Befriedigung finden oder nicht, bemerken wir auch nicht selten Unfruchtbarkeit. Als Symptom äussert sich die krankhafte Geilheit unter dem Namen Stier­sucht bei den Kühen in der sogenannten Franzosen-
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428nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalies in der Zeugungs-Funclion.
krankheit, und als übermässige Rossigkeit in der sogenannten Beschälkiankheit der Pferde. Der Be-gättangstrieb ist als zu schwach anzunehmen, wenn die Thiere nach erlangter gehöriger Ausbildung ihres Körpers die Geschlechtsvereinigung weder su­chen, noch sich in den Geschlechtstheilen die bekann­ten Symptome der Aufregung zeigen. Die Ursachen davon sind entweder mangelhafte Organisation in den Geschlechtswerkzeugen, oder Mangel an allgemeiner Reproduction in Folge fehlerhafter Futterimg und As­similation.
sect;• 62. Die Begattungsthätigkeit (coitus) —#9632; worun­ter man die fleischliche Beiwohnung zum Zwecke der Zeugung zu verstehen hat — kann eigentlich nur beim männlichen, sich bei dem Forlptlanzungs-geschäft mehr activ verhaltenden Thiere vermehrt und vermindert erscheinen. Zum Theil fallen diese Anoma­lien mit den vorigen zusammen; indess kann ein aus­gezeichneter Geschlechtstrieb vorkommen, verbunden mit gleichzeitigem Unvermögen die Begattung auszu­führen (impotentia virilis). Entweder organische Feh­ler der Geschlechlstheile — wohin z. B. die Zusam­menschnürung der Vorhaut vor oder hinter der Ei­chel (phimosis et paraphimosis) gehören — oder Ausschweifung im Geschlechtsleben sind die Veran-lassunsen, dass das männliche Glied nicht in die, zur Begattung taugliche Verfassung gesetzt wird. Die Folgen sind, wie leicht zu begreifen, Unfruchtbarkeit, obgleich eine solche auch noch andere, im Folgenden ^. zu erörternde Gründe haben kann.
sect;#9632; 63
Das Zeugungsvermögen kann vermehrt oder
vermindert oder auch gänzlich aufgehoben erschei-
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Anomalien in der Zeugungs-Function,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;429
neu. Die Vermehrung, wenn sie sonst ohne Nach-theil für die Zeugenden besteht, und normale Pro-diictionen zur Folge hat, ist aus ökonomischen Rück­sichten nicht als fehlerhaft zu betrachten. Die Ver­minderung oder der gänzliche Mangel an Zeugungs­oder Befruchtungs-Vermögen aber ist aus eben die-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;' sen Rücksichten ein misslicher Umstand. Man be­zeichnet eine solche Anomalie ebenfalls als Impotenz, die aber in diesem Falle ebensowohl beim weibli­chen, als beim männlichen Thiere bestehen kann. Eine derartige Impotenz ist entweder absolut, oder nur relativ; absolut, wenn ein Thier sich mit jedem beliebigen anderen des verschiedenen Geschlechts unfähig zur Zeugung zeigt; relativ, wenn dieses Un­vermögen nur zwischen gewissen Paaren besteht. Bei übrigens smlamp;c Condition der Geschlechtslheile liegt das Unvermögen zur Zeugung in der Regel, wie man nicht anders annehmen kann, entweder an ei­nem Mangel befruchtungsfähiger Eichen beim weib­lichen Thiere, oder beim männlichen am Mangel des Samens überhaupt oder nur seiner zeugenden Kraft. Was diese beiden wesentlichen Glieder der Zeugung anbetrifft, so gelangen wir beim lebenden weiblichen Thiere nie, beim männlichen nur selten zur Anschauung derselben, und wenn sie auch gegeben, so ist doch eine gründliche Beurtheilung nicht damit verknüpft. So viel ist gewiss, dass Thiere, welchen die Hoden oder die Eierstöcke fehlen, auch nicht zeugungsfähig sind; wahrscheinlich ist es, dass auch der Samen, in welchem die Samenthierchen fehlen, wie es bei den Bastarden der Fall, auch nicht tüchtig zur Zeugung ist Ein paar Mal babe ich mich überzeugt, dass im Samen der sogenannten Klopfhengste die Sper-matozoen fehlten; es fragt sich: ob solche Thiere zeugunesfäbia: sind oder nichtquot;? — Den Trieb und die
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430nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Zeugungs-Function.
Fähigkeit zur ßegattang wird ihnen Niemand abläag-neu. Wenn auch die Erfahrung erweisen sollle, dass ein jeder Same, dem die gedachten Infusorien fehlen, nnlüchtig zur Befruchtung ist, so geht daraus noch keineswegs hervor, dass jene den meisten Antlieil an dieser haben; nur soviel, dass befruchtungsfahiger Same seine Lebenskraft schon durch infusorielle Bil­dung zu erkennen giebt. Ueberhaupt ist es unge-quot;\viss, ob irgend einer der Formbeslandlheile des Sa­mens (wozu, aussei- den Infusorien, Schleim-, Mole­cular- und eigenthümliche, zusammengehäufte Samen-körperchen gehören) oder die eiweissstoflfige Flüs­sigkeit, in weicher diese schwimmen, oder endlich der flüchtige, einen eigenlhümhchen Geruch besitzende Stoff (aura seminalis) an der Zeugung wesentlichen Anlheil hat. Von anderen qualitativen Verhaltnissen des Samens, als der oben gedachte Mangel an In­fusorien darbietet, kann sich der practische Thierarzt kaum überzeugen, da ihm die physischen Eigenschaf­ten des Samens bei den verschiedenen Hausthieren nicht einmal gehörig bekannt sind Im Allgemeinen wird er als eine dickliche, halbdurchsichtige, faden­ziehende Flüssigkeit von grauweisser Farbe angege­ben; die Consistenz desselben verhält sich aber bei einem und demselben Thiere in verschiedenen Zei­ten anders. Diese Verschiedenheit ist wahrscheinlich von mehr oder weniger langem Verweilen des Sa­mens in seinen Behältern und von der hierdurch er­folgten mehr oder minderen Aufsaugung seines serö­sen Beslandtheils abhängie. Mit der chemischen Kenntniss des Samens sieht es noch dürftiger aus. Nach den bisherigen Ermittelungen besteht er gröss-lenlheils aus Wasser, dann aus einer eigenthümlichen, extraetartigen Materie, SamenstolT (spermatin) genannt, und aus einem geringen Anlheil Natrons und phos-
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#9632;
Anomalien in der Zongungs-Function,
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phorsauren Kalks. — Als hierher gehörige Anoma­lien hat'man auch die unnatürliche Saraenentleerung zu betrachten, welche entweder willkürlich, wie bei der Onanie, oder unwillkürlich, wie bei dem krank­haften Samenlluss (gonnorrhoea) sein kann. Der letz­tere kommt gewiss selten bei den Thieren vor, und mag mitunter mit dem Harnröhren-Sclileimfluss (blen-norrhoea urethritica), welcher bei Hunden so häufig vorkommt, verwechselt worden sein. Der Samenfluss nimmt die Kräfte der Thiere sehr in Anspruch; die gewöhnUchen Folgen desselben sind mangelhafte Er­nährung, Schwache oder sogar Lähmung im Kreuze. Zu den qualitativen Anomalien der Zeugung dürften solche Falle zu zählen sein, wo eine spe­zielle Krankheitsanlage der elterlichen Thiere der Nach­kommenschaft angezeugt wird, auch solche, wo von denselben Eltern mehrere oft einander ähnliche Miss­geburten gezeugt werden. Hierbei ist zu vennuthen, dass sie von einem der Zeugenden allein ausgehen, wenigstens hatGurlt einige Fälle mit der darauf be­züglichen Literatur im XIV. Bd. d. medic.-chirnrg. En-cyclopädie Artikel „Missgeburtenquot; aufgeführt, welche dafür sprechen. Sollten endlich Hodenschwanger­schaften, wie sie beim Menschen beobachtet worden sind, bei den Thieren vorkommen, so gehören sie ebenfalls hierher; nicht minder der, in Andrä's Neuig­keiten (1825) erzählte Fall — wenn es übrigens seine Richtigkeit damit hat — wo man in einer Ge­schwulst am Halse eines Hengstes ein, einem kleinen Pferde ähnliches Gebilde fand, und dessen Entstehung den, auf das Widerrüst dieses Thieres während der Be­gattung erfolgten Schlägen, um dasselbe davon ab­zuhalten, zuschrieb. Stark meint diesen Fall als eine Metastase des Zengungsprozesses bezeichnen zu dürfen. Zu den Anomalien der Zeugung dürfte zu-
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432nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Anomalien in der Geburtslhätigkeit.
letzt noch, bei den weiblichen Thieren insbesondere, das Vorkommen der Mondkälber, wenn gleich kein Zeugungsacl ausgeführt wurde, und die Schwanger­schaften ausserhalb der Gebärmutter zu zählen sein.
Zweites Capltel.
Anomalien in der Geburtsthätigkeit.
sect;. 64.
üie Geburlsthätigkeit offenbart sich durch das Bemühen oder Ansirengen des Mutterthieres, das Junge auszutreiben, um es einem selbstständigen Le­ben anheim zu geben. Jene Action tritt im norma­len Znslande nach erfolgler Reife des Fötus ein, wenn sich der Frnchtkuchen von der inneren Wand der Gebärmutter zu lösen beginnt; und wird dann durch das Hervortreten von Wehen bezeichnet, unter welchen man Schmerzens-Aeusserungen zu verstehen hat, die mit den Contractionen des Uterus verbun­den sind. Man theilt die Wehen ein in normale und in abnorme; zu jenen gehören die vorberei­tenden (dolores praeparantes), die eigentlichen Ge­burtswehen (dol. ad partum) und die Nach wehen (dol. post partum); zu diesen aber die falschen (dol. ad partum spuriae) welche letztere in einer Zusammenziehung der Gebärmutter vom Halse nach dem Grunde hin bestehen, während die wahren Wehen umgekehrt erfolgen. Die Geburtsthätigkeit ist anomal, wenn sie zu stark, zu schwach oder alienirt ist. Sie ist für zu stark zu halten, wenn die vor­bereitenden Wehen zu früh eintreten, die Geburts­wehen zu heftig erfolgen, und die Nachwehen zu lange dauern; für zu schwach, wenn die Wehen entweder gar nicht oder zu träge auftreten; für alie-
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Anomalien in der Milchabsonderung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;433
nirt endlich, wenn falsche Wehen zugegen sind. Die Ursachen der zu starken Geburtsthäligkeit sind ins­gemein Steigerung der Sensibilität und Irritabilita!, im Uterus, mithin Congestion und entzündliche Reizung, welche durch verschiedene Umstände bewirkt wer­den können, so z. B. durch fehlerhafte Lage der Frucht, durch zu Enge der Geburtswege im Verhält-niss zur Grosse der Frucht, ferner durch Erhitzung, durch unvorsichtige Anwendung von fruchttreibenden Mitteln oder anderen reizenden Substanzen u. dergl Als Folgen der zu starken Wehen bemerkt man nicht selten Frühgeburten, Vorfall und Umkehrung der Ge­bärmutter, Entzündung und Zerreissung der Geburts-theile, Blutung aus denselben, Erschöpfimg der Kräfte und Tod. Die Ursachen der zu schwachen Geburts­thäligkeit sind in der Regel Leljensschwäche und Ab­sterben der Frucht. Die Folgen hiervon sind insge­mein Nichlbeendigung der Geburt ohne Kunsthülfe, Zurückbleiben der Nachgeburt (secundinae) u. dergl. Die Alienation in der Geburtsthätigkeit, oder, was dasselbe sa^en will, die anreselmässisren Wehen werden in der Regel durch fehlerhafte Lage des Fö­tus und abnorme Beschaffenheit der Geburtstheile bedingt. Die Folgen davon sind ähnlich denjenigen der zu schwachen Geburtsthätigkeit.
Drittes Capitel.
Anomalien in der Milchabsonderung.
sect;• G5 Milch nennt man die, in den Eutern (Brüsten) der weiblichen Thiere eine kurze Zeit vor und eine längere Zeit nach dem Gebären abgesonderte Flüs­sigkeit, welche naturgemäss als erstes Nahrungsmittel
Fuchs, allgera. Pathol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 28
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434nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Milchabsonderung.
des neugebornen Thieres bestimmt ist. Sie ist mit­bin nicht als ein Secret für das individuelle, vielmehr als ein solches für das Gatlungsleben zu betrachten. Im natürlichen Lauf richtet sich die Menge und die Dauer der Milchabsonderung im Allgemeinen nach dem Bedürfhiss, d. h. nach der Grosse und Zahl der Jungen und nach der Säugezeit, welche letztere hin­wiederum von der Dauer der Trächtigkeit und von den Eintrittszelten derselben abhängig ist. Im do-mestizirten Zustande sind aber besonders diejenigen Thiere, welche vorzugsweise der Milchnutzung wegen gehalten werden, mithin bei uns die Kühe und Zie­gen . am meisten von jenem Normal abgewichen, in­dem man sich fortwährend bestrebt, bei ihnen auf Vermehrung der Milchsecrelion hinzuwirken, um nebsl ihrem sehr eingeschränkten Nutzen für die Gattung, noch anderweitige ökonomische Vortheile daraus zu ziehen. Vielleicht — sagt Rychner (allg. Pathologie p. 289) #9632;— liegt auch in diesem Umstände eine nicht unwesentliche Ursache der allgemeinen Verschlechte­rung der neuen Generationen des Rindviehes, der Ausartung und Abartung der edelsten Hafen bei übri­gens gleichbleibenden zuträglichen Verhältnissen; denn es könne nicht wohl in Abrede gestellt werden, dass dem zur Fortenlwickelung nothwendigen Bluf.e durch eine allzulange, in Uebung erhaltene Milchsecretion zu viel nolhwendiges Material entzogen wird.
Die Milch, welche kurz vor und nach dem Ge­bären abgesonderl wird, hat bei allen Hauslhieren (vom Schweine ist es jedoch noch nicht nachgewie­sen) andere, mit ihrer chemischen Natur im Zusam­menhang siebende physische Eigenschaften, als die spä­ter erfolgende. Die erstere nennt man: Biestmilch (colostrum; ich nenne sie Gebärmilch) die andere vorzugsweise: Milch (lac). Die frische und fehler-
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Anomalien in der Milchabsonderung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;435
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freie Milch der Kühe (mit geringen Unterschieden auch die der übrigen Ilausthiere) ist bekanntlich eine weisse, mehr oder weniger ins Bläuliche spielende, einen eigenthümlichen, süsslichen, thierischen Geruch (die von dunkelhaarigen Ziegen besitzt zuweilen ei­nen starken Bockgeruch) und süsslich-schleimigen Geschmack besitzende, dickliche Flüssigkeit von ver­änderlicher spezifischen Schwere, welche bei der Milch aller Hausthiere stets etwas mehr beträgt. als die des Wassers. Das Schwanken der spezifischen Schwere und der übrigen angeführten Eigenschaften der Milch ist abhängig von dem gegenseitigen Ver­hältnisse der nähern Bestandtbeile derselben, welche Rahm. Käse und Molken sind, und von dem Ge­halte an festen Besfandtheileu überhaupt, welche bis 13 pC. beim Eintrocknen im Wasserbade betragen; so wie die Veränderlichkeit dieser auf die Qualität und Quantität der genossenen Nahrungsmittel und des Getränkes, auf den individuellen Zustand der Thiere
und auf andere Umslände zurückgeführt werden kann. Die frische, eben dem Eiter entnommene Milch rea-girt durchweg alkalisch; aber bald, und zwar nach den Thiergattungen verschieden, tritt die sauere Re­action hervor, bei den Wiederkäuern früher, bei den Einhufern etwas später, bei den Fleischfressenden am spätesten. Die Gebärmilch zeigt in den eben ange­führten Eigenschaften, mit Ausnahme der alkalischen Reaction, einige Abweichungen von der eigentli­chen, ausgebildeten Milch. Bei allen Hausthieren spielt jene etwas in's Gelbliche und besitzt eine grös-sere Consistenz; beim Colostrum der Kühe aber ist die gelbliche Farbe am intensivsten, so dass sie nicht selten einen Schein in's Rölhliche hat und zuweilen sogar Blutstreifen zeigt. Uebrigens ist es trübe, schlei­mig (welche letztere Eigenschaft am meisten durch
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436nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Milchabsonderung.
Zusatz von Ae(zammoniak hervortritt, zum Theil auch entwickelt wird) und gerinnt durch Zusatz von Es­sigsäure (wie es die eigentliche Milch thut) entweder gar nicht oder nur langsam und unvollständig; es gestellt ferner in der Ruhe, so wie auch heim Er­hitzen zu einer gleichförmigen, breiartigen Masse, ohne Abscheidung von Rahm. Wie aber keine scharfe Grenze zwischen der Absonderung des Colostrums und der eigentlichen Milch besteht, und überhaupt die Dauer jener sehr verschieden ist: so weichen auch nur alimählig die dem Colostrum zukommenden Eigenschaften zurück, indem die der eigentlichen Milch nach und nach hervortreten, und ist es einleuchtend, dass es daher eine Periode geben müsse, wo die gedachten Eigenschaften keinen Unterschied mehr in jenen Flüssigkeiten begründen.
sect;. 66.
Die eigentliche Milch ist als eine Emulsion aus einer wässrigen Auflösung von Käsestoff, Milchzucker, Milchsäure, Extraclivstoflf und Salzen mit Butter zu betrachten. Beobachtet man einen Tropfen frische, mit etwas Wasser verdünnte Milch durch's Microscop so sieht man folgende Bestandtheile: 1) glatte, durch­sichtige mit scharfem Rande und wahrscheinlich mit einem aus Käsestoff gebildeten, höchst zarten Häut­chen versehene Kügelchen von verschiedener Grosse (sie werden Milch-, Fett-, Oel- oder Butlerkügelchen genannt); zu diesen Milchkügelchen gehören auch kleine, kaum messbare, staubähnliche Körperchen, und grössere, auf der Oberfläche der Milch belind!iche Oeltropfen; 2) Epilhelium-Fragmente und 3) eine mehr oder weniger trübe Flüssigkeit, in welcher die oben gedachten Körpercheu herumschwimmen. Es ist zu vermuiben, dass eine jede Milch, ausser diesen Form-
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Anomalien in der Milchabsonderung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;437
bestandtheilen, auch noch Schleimkörperchen enthält, die man aber nur selten darin sehen kann.
Das Colostrum besitzt ebenfalls alle jene Form-bestandlheile der ausgebildeten Milch, nur sind die Milchkügelchen von geringerem Durchmesser vorherr­schend, so wie die staubähnlichen Partikelchen und Epithelium-BIältchen häufiger dann. Ausserdem aber enthält das Colostrum noch besondere Körperchen, die von Donne zuerst in der Frauenmilch entdeckt, beschrieben und von ihm corps granuleux genannt worden sind. Ich habe diese Körperchen in dem Colo­strum aller Hauslhiere, mit Ausnahme des Schweins, von welchem diese Flüssigkeit noch nicht untersucht worden ist, gesehen, und halle sie nicht für etwas Eigentbüm-liches, sondern nur für Aggregate der gewöhnlichennbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; . „#9632;#9632;
Bestandtheile des Colostrums, deren Entstehung durch die besondere Bescbafienheit des flüssigen Mediums, als Cement dienen zu können, erleichtert wird.
Es ist zu bedauern, dass wir bis jetzt noch nicht von der Milch aller Hauslhiere Analysen haben (die des Schweins und der Katze fehlen) und dass die vorhandenen nicht nach gleicher Methode und mit gleichen Rücksichten angestellt worden sind. Es scheint jedoch, dass sich die Milch der verschiede­nen Hausthiere nur durch das quantitative Verhält-niss der früher gedachten Bestandtheile zu einander unterscheidet. Es lässt sich folgende allgemeine Ueber-sicht in Bezug auf Anordnung der Thiere nach der Menge der wesentlichen Bestandtheile ihrer Milch ent­werfen:
Käsestoff und Butter: Schaf, Ziege, Kuh, Eselinn, Stute. Milchzucker: Eselinn, Stute, Ziege, Schaf, Kuh.
Das Colostrum ist reichlicher mit Käse und But­ter versehen, als die eigentliche Milch, der Käse be-
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438nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Milchabsonderung.
findet sich aber darin noch nicht als eigentlicher Kä­sestoff (casein) ausgebildet, sondern er besieht zum grössten Theil aus Ehveissstoff (albumin). Uebrigens ordnen sich hierbei, nach den bis jetzt bekannten Analysen die Thiere ebenso, wie in der obigen Ueber-sicht; mithin:
Käse und Butter: Ziege, Kuh, Eselin. Milchzucker: Eselin, Ziege, Kuh.
sect;• 67.
Nach der hier eingeschalteten, zum gehörigen Verständniss nolhwendigen Betrachtung der physischen und chemischen Eigenlhümlichkeilen der Milch, wen­den wir uns nun nochmals zu der, Eingangs dieses Capitels berührten physiologischen Bedeutung, welche diese Flüssigkeit als erstes Nahrungsmittel für das junge Säugethier bat. In dieser Beziehung sagt Lie­big: „Wir finden in der Milch einen stickstoffreichen Körper, den Käse: eine Substanz, welche reich an Wasserstoff ist, die Butter; einen dritten, welcher eine grosse Menge Sauerstoff und Wasserstoff in dem Ver-hällniss, wie im Wasser, enthält, den Milchzucker; in der Buller befindet sich eine der aromatischsten Sub­stanzen, die Buttersäure; sie enthält in Auflösung milch­saures Nalrum, phosphorsauren Kalk und Kochsalz. Mit der Kenntniss von der Zusammensetzung der Milch kennen wir die Bedingungen des Assimilations-Pro­zesses aller Thiere. In Allem, was Menschen und Thiere zur Nahrung dient, finden wir diese Bedingun­gen vereinigt, bei vielen in einer anderen Form und Beschaffenheit, aber keine darf auf eine gewisse Zeit­dauer hinaus fehlen; ohne dass die Folgen davon in dem Befinden des Thiers bemerkbar sind.quot;
Hieraus leuchtet schon zum Theil die Wichtig-
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keit ein, welche das Sludium der Milchsecretiou für den Thierarzt hat; denn die mögliche Erkennung ei­ner qualilaliven Abweichung der Milch, welche auf einem quantitativen Missverhaltniss ihrer einzelnen Be-standtheile ebensowohl, als auch auf einer wirklichen fehlerhaften Beschaffenheit derselben beruhen kann, wird sie als mehr oder weniger ungeeignet für den Zweck des Gattungslebens erscheinen lassen. Solche Bestimmungen dürften aber, ihrer Schwierigkeit und des Zeilaufwandes wegen, nur selten Gegenstand der practischen Thierheilkunde sein; und ware dabei im­mer noch zu bedenken, dass eine qualitative Ver­schiedenheit der Milch in den verschiedenen Perioden ihre Absonderung selbst in den Grenzen der Norma­lität liegt.
Aus dem Vorhergegangen ist ersichtlich, in wie­fern sich das Colostrum von der wahren Milch in chemischer Bücksicht unterscheidet; auch hat J. F. Si­mon gezeigt, dass die letztere in der ersten Periode ihrer Absonderung eine vorherrschende Menge Zuk-ker, aber wenig KüseslofT besitzt; dass der Kasesloff in der zweiten Periode zu- und der Zucker abnimmt, dass sich beide Bestandtheile in der drillen Periode in einem ziemlich unveränderlichen Verlmltniss hal­ten; und endlich, dass die Butler ein durchaus ver­änderlicher, von der Lebensweise abhängiger Bestand-theil der Milch ist.
sect;• 68. Das bisher Abgehandelle wird hinreichen, um die Behauptung der Schwierigkeit für die Bestimmung der feinen qualitativen Abweichungen der Milch dar-zuthun, wenn man auch die sonst nothwendige Be­rücksichtigung zufälliger Beimischungen von anderwei-
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440nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Anomalien in der Milchabsonderung.
tigen thierischen Flüssigkeiten zu der Milch und der Uebergang von Arzneisubstanzen and Bestandtheilen der Futterslofl'e nicht hinzurechnen wollte. Bedenken wir noch dabei, dass auch die Menge der Milch eine vorzügliche Berücksichtigung für das Gattungsleben verdient, und dass diese ausserordentlichen Verschie­denheiten nach der Race, dem Lebensaller, der Con­stitution, der Lebensweise und anderen Verhältnissen unterliegt; ferner, dass bei den Abweichungen in der Milchsecretion ebensowohl die Folgen als auch das Ursächliche in Bezug auf das Mutterlhier, und end­lich , dass nicht minder die Fehler der Milch rück­sichtlich der Beeinträchtigung des ökonomischen Nut­zens und der Gesundheit des Menschen zu berück­sichtigen sind, so wird man den Umfang dieser Lehre hinreichend würdigen können. Aus leicht begreifli­chen Gründen können wir uns hier aber nur auf die allgemeinen Verhältnisse der Abweichungen in der Milch-Secretion und zwar nur rücksichtlich ihrer Be­stimmung für das Galtungsieben einlassen, und müs­sen das Spezielle der Geburtskunde, der Diätetik und der speziellen Pathologie anheim geben.
Die quantitativen und qualitativen Abweichun­gen in der Milchsecretion, zu welchen ersteren der Milchfluss (galactorhoea) und der Milchmangel (defectus lactis, agalactia) und zu der letzlern sehr mannigfaltige und bereits oben angedeutete Zustände gehören, verhalten sich rücksichllich ihrer Ursachen und Folgen für das Mutterlhier fast ganz so, wie hei ähnlichen Zuständen in den übrigen Secrelionen be­reits angeführt wurde, weshalb eine weitere Ausein­andersetzung derselben überflüssig erscheinen dürfte, nur muss dabei noch besonders der Einfluss beach­tet werden, welchen die Mengen- oder Beschaffen-
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Anomalien in der Milchabsonderung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;441
heits - Abweichung für das neugeborne Tbier baben kann, insofern sie als Nahrungsmittel für dasselbe be­nutzt wird. (Vergl. meine Beiträge zur nähern Kennt-niss der gesunden und feblerhaften Milch der Haus-thiere, mitgetheilt in dem Magazin für die gesammte Thierheilkunde, VII. Jahrg. 2. Stück.)
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Dritter Abschnitt.
Anomalien im Bewegungsleben.
ErsteN Capitel.
Von der Bewegung im Allgemeinon.
sect;• 69.
Viele Theile des thierischen Körpers haben das Ver­mögen die Bewegung zu vollziehen, die einerseits au die Unscheinbarkeit und andererseits an die Ortsver-anderung grenzt. So unterscheidet man die unmerk­liche Zusammenziehung (conlractilitas), die ela­stische Zusammenziehung (elasticitas), die Flim-merbewegung (motns vibratorius) und dieMnskel-bewegung (motus muscnlans, irritabilitas).
Das Zellgewebe besitzt das Vermögen der or­ganischen Contraclilität; wo also jenes Gewebe vor­kommt, ist auch dieses Vermögen in einem mehr oder minder hohen Grade vorhanden, d. h. es ist im Stande, sich auf gewisse Reize, wie Kälte, Luft und mecha­nische Verhältnisse, langsam zusammen zu ziehen, und sich nach Aufhebung dieser Reize allmählig wie­der auszudehnen, oder zu erschlaffen, so dass we­niger die Bewegung selbst, als das Resultat dersel­ben, die Zusammenziehung und Erschlaffung, wahrzu­nehmen ist. Am deutlichsten findet sich die Zellge-
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quot;quot;quot;#9632;^
Von der Bewegung im Allgemeinen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;443
webe-Contractilitat in der Fleischhaut des Hodensacks (tunica dartos) entwickelt, indess unterscheiden sich deren Fasern weder microscopisch noch chemisch von anderen zellgewebigen Theilen, worin die Con-tractilität weniger auffallend ist, wie im Zellgewebe zwischen den Platten der Vorhaut, in der Lederhaut, Schleimhaut, dann in einigen Kanälen, worin bis jetzt keine Muskelfasern nachgewiesen worden sind, z. B. in den Ausführnngsgängen der Speicheldrüsen, Thrä-nendrüsen, der Leber, Gallenblase, in den Harn- und Samenleitern, und in den Ausführungsgängen der Vor­steher- und der Cowper'schen Drüsen. Mat hat da­her angenommen, dass die auffallendere Conlractilität der Fleischhaut des Hodensacks mehr auf der beson­dern und eigenlhümlichen Anordnung ihrer Zellge­webefasern, als auf dem Vorhandensein eigenthümli-cher Fibern beruht. Es giebt einige Erscheinungen der organischen Conlractilität, welche hier näher an­zuführen wären, so das Kräuseln des Hodensacks, die Zusammenziehung und Aufrichtung der Zitzen; die Aufrichtung des männlichen Gliedes und des Kitzlers könnte auch hierher gezählt werden, insofern ihr erectiles Gewebe an dieser Erscheinung Theil hat; ferner wäre anzuführen: die Zusammenziehung der Haut beim Frostschauder, wobei die Haare gesträubt werden. In- wiefern die Nerven an diesen Erschei­nungen Theil haben, ist noch nicht gehörig ermittelt, obgleich nicht zu bezweifeln, dass eine veränderte Stimmung derselben von Einfluss darauf ist.
Die elastische Zusammenziehung wird durch ein faseriges Gewebe bewirkt, welches entweder sil­berglänzend und weiss, oder gelblich und glanzlos ist. Diese beiden Arten von Gewebe haben zwar ihre bestimmten physikalischen und chemischen Un­terschiede, weshalb sie auch in der neueren Zeit ge-
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444nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Bewegung im Allgemeinen.
trennt betrachtet werden, aber in Bezug auf ihr Ver­mögen sich wieder zusammen zu ziehen, wenn sie durch mechanische Gewalt eine Ausdehnung erlitten haben, stehen sie sich gleich, obwohl diese Eigen­schaft bei dem gelben elastischen Gewebe grosser ist, indem es sich fast auf die doppelte Länge aus­dehnen lässt und sich dann wieder zusammenzieht. Zu dem gelben elastischen Gewebe zahlt Gerber das Nackenband, die mittlere Haut der Arterien, dann die sogenannten gelben Häute, wozu er das vordere und hintere Verstopfungsband zwischen dem ersten Halswirbel und dem Hinterhauptbeine rechnet; ferner die Zwischenbogenbänder der übrigen Wirbel, alle gelben Bänder des Zungenbeins und Kehlkopfs, so wie die gelbe Haut, welche (besonders beim Pferde) den Brusttheil des breit gezahnten nnd den fleischi­gen Theil des äusseren schiefen Bauchmuskels deckt. Auch bildet nach ihm dieses elastische Gewebe ei­nen Bestandtheil des Felles und der Schleimhäute, des Knorpels des äussern Ohrs, des Kehldeckels, der Luftröhre, der grössern Venen, und endlich des Ci-liarbandes und der Begenbogenhaut des Augapfels. Zu den weissen elastischen Geweben werden dage­gen alle Sehnen, sehnigen Ausbreitungen, Sehnen- und Muskelscheiden gezählt; auch dürfen wir in unserem Sinne alle fibrösen Gebilde hierher rechnen, da es hiernach weniger auf microscopische und chemische Unterschiede ankommt, als auf Gleichförmigkeit des elastischen Vermögens. Die elastischen Gewebe ent­halten zwar sparsame Blutgefässe, Nerven aber hat man noch nicht mit Bestimmtheit darin gesehen.
Die Flimmerbewegung wird durch das, mit ausserordentlich zarten, durchsichtigen, haarförmigen Fädchen besetzte Cylinder-Epithelium bewirkt. Man hat dieses Flimmer-Epithelium bis jetzt auf einigen
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Von der Bewegung im Allgemeinen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;445
Schlelmhautparthieen wahrgenommen und zwar in der Nasenhöhle, Stirnhöhle, Kiefer- und Keilbeinhöhle, im Thränengang und Thränensack, am innern Augenwin­kel, an der Bindehaut, auf der hinlern Fläche des Gaumensegels und Rachens, in der Ohrtrompete, im Kehlkopf, in der Luftröhre bis in die feinsten Ver­zweigungen, im inneren Theil der Scheide, im Frucht­halter und in den Fallopischen Röhren, dann ein mit Flimmerhaaren besetztes Pflaster - Epithelium in den Gehirnhöhlen, wo es zunächst die feine Gefässhaul derselben bekleidet, selbst auch im Trichter, in der Sylvischen Wasserleitung und in der Höhle der Riech­nerven. Gerber sagt sogar, dass sich in den Pri­mitivröhren der Nerven, vor der Gerinnung ihres In­halts muthmasslicheFlimmerbewegungen zeigen, welche von kegelförmigen kurzen Flimmerhaaren herzurühren scheinen. Die Bewegung der Flimmerhaare erfolgt theils pendelartig von einer Seite zur andern in ge­rader Richtung, wobei sich ihre Spitzen zum Theil hakenförmig krümmen, theils auch kreis- oder peit-schenförmig, so dass jedes einzelne Haar einen ke­gelförmigen Raum umschreibt, dessen Spitze an ih­rem angehefteten Ende liegt und dessen Basis von ihrem freien Ende umkreiset wird. Bruns (in sei­nem Lehrbuche der allgem. Anatomie des Menschen, Braunschweig 1841) erklärt die Wirkung der Flim­merbewegung folgendermaassen: Dadurch, dass die pen­delartigen und kreisförmigen, oscillatorischen Schwin­gungen aller Wimpern einer Fläche nach einer und derselben Seite oder Richtung hin, schneller und stär­ker erfolgen, als nach der andern zurück, wird be­wirkt, dass die dieser Fläche anhaftenden, dunstför-migen oder tropfbaren Flüssigkeiten, und somit auch die in ihnen suspendirten microscopischen Körper­chen (Schleimkörperchen, Sameuthierchen) in dieser
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Von der Bewegung im Allgemeinen.
bestimmten Richtung fortbewegt werden. Ob diese Richlung auf jeder wimpernden Fläche dieselbe ist, oder unter Umständen sich verändert, ist unbekannt. Im Allgemeinen scheint die Wimperbewegung aus dem Innern gegen die natürlichen Oeffnungen des Körpers hin gerichtet zu sein, so in der Luftröhre gegen den Kehlkopf hin. lieber die Ursache der Flimmerbewegung sagt derselbe Anatom: Die Bewe­gung der Cilien, welche unabhängig von der Integri­tät des centralen Nervensystems vor sich geht, ist nicht durch das Vorhandensein kleiner Muskeln be­dingt (wogegen schon das ganze Grössenverhältniss dieses Organe spricht) sondern ist als ein Urphäno-men der Bewegung zu betrachten, durch welches sich gleichsam der Lebenszusland der, diese Cilien tragenden organischen Fläche in ihrer Gesammtheit und in ihren einzelnen Elementartheilen kund giebt.
sect;• 70. Die Muskelbewegung wird eben durch die­jenigen Organe ausgeführt, welche wir Muskeln nen­nen, und die, zusammengenommen, das Muskelsystem darstellen. Im Allgemeinen sind diese Organe aus Muskelfasern, Zellgewebe, Nerven und Blutgefässen zusammengesetzt, und, wenn man will, gehören auch noch zu ihnen die Hülfsorgane, nämlich Sehnen, Mus­kel- und Sehnenscheiden. Die Muskelfasern sind pa­rallel neben einander gelagert, von verschiedener Stärke und bilden weder Verzweigungen noch Ana-stomosen; sie werden durch Zellgewebe zu Bündel­chen und dann zu Bündeln und zu einem Ganzen verbunden, welches Verbindungsmittel auch zur Auf­nahme der zahlreichen Blutgefässe und Nerven dient, so dass diese überall die Muskelfasern zu berühren scheinen, ohne in sie selbst einzudringen. Geht man
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näher auf die Elementarlheile der Muskeln ein, so bemerkt man, dass die feinen, weichen, dem Auge kaum sichtbaren Fasern unter dem Microscop ein gelbliches oder gelbröthliches Ansehen haben, und dass ihre Oberfläche abwechselnd mit hellen und dunkeln Querstreifen versehen ist. Eine solche Mus­kelfaser (fibra muscularis) wird auch Muskelfaser-Bün­del oder Primitiv-Muskelbündel genannt, und ist aus Muskelfäserclien (fibrillae musculares), auch Primitiv-Muskelfaden genannt, zusammengesetzt, so dass eine mehr oder weniger grosse Zahl der letztein, welche unter sich durch eine helle und zähe Substanz enge verbunden sind, von einer zarten, durchscheinen­den, röhrenförmigen Scheide umschlossen werden. Jene Primitiv-Muskelfasern zeigen regelmässig aufein­anderfolgende, perlenschnurähnliche, knotige (variköse) Anschwellungen, welche durch längliche, dunkele Zwi­schenstückchen mit einander verbunden sind. Eine andere Art Muskelfasern ist insofern von den eben beschriebenen verschieden, als sie weder deutliche Glieder noch Querstreifen zeigen; sie erscheinen viel­mehr als etwas plalt gedrückte, gelbliche, gleichmäs-sige und äussersl feinkörnige Längenfasern. Aus dem Vorstehenden ist leicht zu entnehmen, dass nun ein ganzer Muskel aus grossen und kleinen Muskelbün­deln zusammengesetzt ist, welche unter sich durch Zellgewebe verbunden sind. Aber wie die einzelnen Schichten, so wird auch der ganze Muskel von ei­ner dichten Zellsfoffschicht umschlossen, welche man Muskelscheide (vagina muscularis) nennt. Diese steht mit den Hüllen der kleinsten Bündel in Verbindung und kann man sonach die letzteren als Fortseizungen der ersteren in die Muskelsubstanz hinein belrachten. Die Umkleidung des ganzen Muskels, oder die Mus-
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Von der Bewegung im Allgemeinen.
kelscheide hat man auch perimysium externum und die Hülle der Bündel perimysium internum genannt.
Die von den Chemikern aufgeführten analyti­schen Untersuchungen der Muskelsubslauz betreffen begreiflicher Weise nicht allein die Muskelfäserchen oder die sogenannten Primitivfasern, sondern den gan­zen Muskel (wenn auch mit Ausnahme der Hülfsor-gane), mithin auch das verbindende Zellgewebe, die Nerven, die Blut- und Lymphgefässe. Diese Analy­sen sind daher für die Physiologie des gesunden und kranken Lebens von sehr bedingtem Werlhe. Uebri-gens ist anzunehmen, dass die Muskelfaser, chemisch betrachtet, nicht verschieden ist von dem Faserstoff des Blutes, da sie sich gegen verschiedene Reagen-tien ebenso verhält, wie dieser; der Unterschied zwi­schen beiden beruht daher wahrscheinlich nur auf der Form. Als physiologische Eigenschaften der Mus­keln sind besonders bemerkensw7erth: ihre Farbe, ihr Zusammenhang, ihre Ausdehnungs- und Zusammen-ziehungs-Fähigkeit. Den Muskeln ist eine mehr oder weniger röthliche oder gelbröthliche Farbe eigenthüm-lich, doch hat der mehr oder minder grosse Blut-reichthum an der Intensität dieser Farbe nicht gerin­gem Antheil, als die Beschaffenheit des Blutes selbst. Eine einzelne Primitiv-Muskelfaser ist ausserordentlich zart und leicht zerreissbar, die Primitiv-Bündel weni­ger, und treten diese endlich zusammen zu mehre­ren Bündeln und zu einem ganzen Muskel, so zeigt dieser eine erhebliche Kraft des Zusammenhangs, und besteht hier ungefähr dasselbe Verhältniss, wie zwi­schen einem Seil und den dasselbe zusammensetzenden Fäden. Doch mögen an der Cohärenz der Muskeln das Zellgewebe, die Gefässe und Nerven keinen ge­ringen Antheil haben.
Die Muskeln erleiden während des Lebens eine
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grosse Ausdehnung ohne zu zerreissen, besonders, wenn sie allmählig geschieht, und ziehen sich dann, wenn die ausdehnende Gewalt aufhört, wieder zu­sammen, wie man bei der Trächtigkeil, Trommelsucht u. dergl. zu bemerken Gelegenheit hat.
sect;. 71.
Die den Muskeln eigenthümliche Lebenskraft ist die Muskelreizbarkeit (irritabilitas), d. i. das Ver­mögen der Muskeln, sich auf Einwirkung von Reizen zusammen zu ziehen und nachher wieder auszudeh­nen oder zu erschlaffen, es mögen diese Reize die Muskelfasern unmittelbar oder die Fäden der Bewe­gungsnerven treffen; es mögen diese Reize innerhalb oder ausserhalb des Organismus liegen. Die Contrac-tionen der Muskeln bekunden sich dadurch, dass diese fester, kürzer und dicker werden, obwohl sich ihr Raummaas dabei nicht zu vermindern scheint; denu was sie an Länge einbüssen, gewinnen sie im Durchmesser. Die Contractionen erfolgen meist rasch heim Einfluss der Reize, und kann man bei Versu­chen beobachten, dass die einzelnen Fasern hierbei /.ickzackförmiae Bieennamp;en annehmen, und dass sie sich selbst zwischen diesen kräuseln. Der Zusam-menziehung steht die Erschlaffung entgegen, welche die Folge der Erschöpfung der Reizbarkeit ist; aber so, wie es wahrscheinlich keine absolute Contraction der Muskeln giebt, sondern diese in einem immer­währenden Wechsel zwischen Zusammenziehung und Erschlaffung, aber mit Ueberwiegung der ersteren be­steht, so giebt es auch wahrscheinlich im lebenden gesunden Muskel keine absolute Erschlaffung, und hat man sich hierbei nur das Moment der Expansion über das der Contraction als überwiegend zu denken, so dass die Muskelnfasern sich stets in einem fibriren-
FucliS; allgem. Fatbol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;90
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450nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Yon der Bewegung im Allgemeinen.
den. mehr oder weniger gespannten Verhältniss be­finden. Auf die so eben grläuterte Mnskelreizbar-keit haben das Blut und die Nerven einen grossen Einfluss, denn wenn dieser aufgehoben ist, geht jene allmahlis verloren. Im gesunden Zustande sind die Muskeln wenig empfindlich, und werden daher me­chanische Verletzungen derselben momentan gut ver­tragen, nichls destoweniger wird im krankhaften Zu­stande die Empfindlichkeit der in ihnen sich verbrei­tenden sensibeln Nerven oft sehr gesteigert.
Die Muskeln besitzen eine ziemlich lebhafte Ve­getation, welche auf Reproduction und Schmelzung beruht, wie die Zu- und Abnahme ihres Umfanges unter gewissen Umstanden es beweisen; aber man weiss bis heute nicht, ob hei diesem Vorgange auch die Zahl der Muskelfasern zu- und abnimmt, oder oh die einmal vorhandenen bloss in ihrem Durch­messer eine Veränderung erleiden. Das letzlere ist um deswillen wahrscheinlicher, weil verloren gegan­gene Muskelsubstanz, d. h. mit Gewalt aus dem Mus­kel weggenommene, sich nicht wieder ersetzt, die Wundränder werden nur vereinigt durch ein festes Zellgewebe, die sogenannte Narbensubstanz.
sect;.. 72.
Die Muskeln werden nach Bruns ihrer Form und Bestimmung nach in zwei Abtbeilungen gebracht: in solide, selbslsliin dige oder achte Muskeln, und in hohle oder Organemnuskeln. Erslere, welche vorziielich den Orsanen der Ortsbeweaung, der Stimme und der Sinne angehören, und meistens durch den Einfluss des Willens in Thatigkeil gesetzt werden, hat man daher auch als Muskeln des ani-raalen Lebens oder als willkürliche Muskeln be­zeichnet, während die letzteren, welche vorzüglich den
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Organen der Ernährung angehören, und dem Einflnsse des Willens grossleniheils entzogen sind, Muskeln des organischen Lehens, oder unwillkürliche Mus­keln (und die hiervon erfolgende Bewegungen: auto­matische) genannt worden sind. Indessen hält der ge­dachte Anatom diese beiden Bezeichnungen für weniger passend, als die zuerst angeführten Benennungen, da durch sie beide Classen von Muskeln nicht scharf genug abgegrenzt würden, vielmehr sich Muskeln herausstellen, welche zu jeder der beiden Ahtheilun-gen gehören müssten. Denn es giebt einerseits zahl­reiche Muskeln, welche sich auch ohne den Einfluss des Willens zusammenziehen, wie das Zwerchfell, die Bauch- und Zwisclienrippenmuskeln, wahrend auf der andern Seite mehrere solide Muskeln sowohl den animalischen als den organischen Lebensverrich­tungen angehören z. B. die Kau- und Schlingmuskeln. Die soliden, selbstständigen oder ächten Muskeln, welche mehr der äusseren Lebensseite oder dem animalen Leben angehören, haben ihre Lage deshalb, mit Ausnahme des Zwerchfells, an der Umfläche des Körpers, und stehen alle, wenngleich sie auch ohne Ausnahme ohne den Einfluss des Willens thätig sein kön­nen, doch unter der Botmüssigkeit desselben und un­ter dem unmittelbaren Einfluss der Gehirn- und Rük-kenmarksnerven. Ein weiteres Kennzeichen dieser Muskelabiheilung ist, dass ihre Fasern gleichlaufend nebeneinander liegen und quer gestreift sind, und dass die Primitivfasern die gedachten varicösen Auf­treibungen zeigen Die hohlen oder Organenmuskeln liegen grossentheils in den Höhlen des Körpers und sind meist integrirende Theile der vegetativen Organe, woher sie auch plastische Muskeln genannt werden. Sie liegen meist zwischen zwei häutigen Platten und sind selbst in dieser Art gestaltet; das Herz aber,
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^50nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Bewegung im Allgemeinen.
welches auch hierher gehört, stellt einen hohlen Muskel für sich dar. Die Fasern dieser Muskeln laufen meist in verschiedenen Richtungen, so dass sie sich kreuzen; ihnen fehlen, mit Ausnahme des Herzens, sowohl die röthliche Farbe, als auch die Querslreifen und die varicösen Auftreibungen der Pn-initivfasern. Sie werden nicht direct vom Willen in ihrer Thäligkeit durch die motorischen Nerven be­stimmt, sondern sind vom Ganglien-Nervensystem ab­hängig, nur kann durch den Willen eine mehr oder weniger grosse Störung in ihren rhythmischen Wir­kungen erfolgen, wie wir Diess namentlich beim Men­schen beobachten können, dessen Wille nicht selten auf die Pulsation des Herzens einen bestimmenden Einfluss hat.
sect;#9632; 73. Wir haben oben bereits angeführt, welche Ver­änderungen in den Muskeln vorgehen, wenn sie sich zusammenziehen und wieder erschlaffen, auch ist be­merkt worden, dass beim behinderten Einfluss der Nerven und des Blutes, namentlich des arteriellen, die Irritabilität endlich erlischt; aber in Betreff der nächsten Ursache der erfolgenden Contractionen weiss man nichts Gewisses. Man hat sie unter andern in eine polare Spannung gesetzt, und Stark meint, Diess lasse sich, abgesehen von noch andern Gründen, theils aus dem polaren Verhalten von Arterie und Nerv, theils aus dem Umstände folgern, dass unter allen äussern Reizen polare Agentien, wie eben Elek-tricität und Galvanismus, Muskelconlractionen am leich­testen, stärksten und selbst dann noch zu erregen im Stande sind, wenn der Muskel für alle übrige Reize schon längst unempfindlich geworden ist. Mehr aber dürfte diesem Patholog beizustimmen sein, wenn
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Von der Bewegung im Aiieemeinen.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 453
er mit de Haen und Barthey die Nutrition als die Grundbedingung der Muskelbewegung ansieht und in dieser Rücksicht sagt, class die Gefäss- oder Gang­liennerven den wahren Nervenpol bei der Muskelbe-wegung bilden und nicht die Bewegungsnerven, so dass letztere nicht einmal bei den willkürlichen Mus­keln die Stelle der Gefässnerven etwa vertreten. Diess lasse sich daraus mit vieler Wahrscheinlichkeit ver-muthen, weil eine grosse Ablheilung des Bewegungs­systems gar keine sogenannte Bevvegungs- oder Spi­nalnerven erhalte, also dieselben zu seiner function entbehren könne, das Gegenlheil sich aber niemals mit Gewissheit nachweisen lasse, da nach den neue­ren Untersuchungen der Gangliennerv alle Gefässe mit seinen Zweigen in alle, selbst in die der Will­kür unterworfenen Muskeln zu begleiten scheine. Als nähere Gründe dafür, dass der Vorgang der Ernäh­rung zugleich die Bewegung bedinge, führt er unter andern an: dass ein Muskel, in welchem aller Stoff­wechsel erloschen ist, auch durch die stärksten Reize nicht mehr zur Bewegung veranlasst werden kann, dass ferner ein wenig oder gar nicht bewegter Mus­kel schwindet, ein stark und häufig in Thätigkeit ge­setzter aber an Masse zunimmt. Da die Ernährung der Muskeln ununterbrochen fortgehl, so befinden sie sich auch nie in vollkommener Erschlaffung, sondern immer in einem gewissen Grade von innerer Be­bung und Contraction, welche sich nur gegenseitig in den Antagonisten beschränkt. Daher die gebo­gene Lage der Glieder und des Rumpfes bei Schla­fenden; daher Durchschneidung oder gänzliche Läh­mung eines Muskels mit Schwinden desselben dem Antagonisten das Uebergewicht verschafft und in ihm sogleich eine stärkere Zusammenziehung zur Folge hat, und daher endlich gelähmte Muskeln ihre, von
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454nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Bewegung im Allgemeinen.
der unmerklichen Contraction der Muskelfasern ab­hängende Festigkeit verlieren, weich werden, aber nach gehobener Lähmung dieselbe mit dem Bewe­gungsvermögen wiedererhalten. Setzt aber jede wahre Bewegung des Muskels eine temporare Erhöhung sei­nes NatritioDsprozesses voraus, so begreift sich, war­um auch jede solche, nicht durch die gewöhnlichen Bewegungsreize hervorgebrachte Steigerung des Er-nährungsprozesses im Muskel immer mit vermehrter Contraction und Bewegung desselben verbunden ist. Entzündnns, welche auf einer Steieeruns der Nutri-tionslhätigkeit beruht, Entzündung in bewegungsfahi-gen Theilen ist mit abnorm vermehrter Bewegung, (mit mehr oder weniger deutlichem) Krämpfe ver­bunden. Hat der Nutritionsprozess der schwangern Gebarmutier seine grössle Höhe erreicht, und da­durch noch eine relative Steigerung erhalten, dass er nach aufgelöster Verbindung mit dem Fötus seine ganze, für diesen zugleich mit berechnete Ernährungs-thäligkeit auf sich allein zu richten genöthigt ist, so schlagt er in Bewegung aus, wobei der nun hetero­gen gewordene Fötus freilich auch zugleich als Be­wegungsreiz zu wirken vermag. Ebenso wird das Muskelsystem des letztern erst zur Bewegung fähig und eeräth wirklich in willkürliche Bewegungen, wenn seine Entwickelung durch den Bildungsprozess voll­endet ist.
In den folgenden Capiteln dieses Abschnitts be­trachten wir nun die allgemeinen Anomalien in der Bewegung und zwar von der Seite ihrer Vermeh-rung, Verminderung und Alienation. Aber wie über­all, so ist auch hier die Natur dem trennenden, zer­setzenden Verstände entgegen, so dass wohl kaum ein Pins oder Minus im Bewegungsvermögen vorkom­men mag ohne gleichzeitige Alienation desselben.
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Von der krankhafteo VeVnaeirung etc.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;455
Die Flimmerbewegung muss hier unberücksichtigt blei­ben, da wir kaum etwas von ihrem Verhalfen im gesunden Zuslande wissen und ihre Bedeutung in den Krankheiten noch gar nicht kennen.
Zweites Capitel.
Vou der krankhaften Vermehrung, Verjninderung
und Auf lie bung der Bewegung.
sect;. 74.
Sowohl im besondern Zustande des Zellgewe­bes, als auch in dem des faserigen und musculösen Gewebes, welche die Contractilital, Elasticität und Ir­ritabilität bedingen, beruhen zum grossen Theil die­jenigen Fehler, welche die Pathologen auf einen zu starken oder zu schwachen Zusammenhang zu­rückfuhren, und wozu in ersterer Rücksicht die ver­minderte Spannimg oder die physische Schwäche (alonia^, die Schlaffheit (laxitas), die Zartheit (te-neritudo) und die Erweichung (inolhties); so wie in letzterer Rücksicht iibermässige Spannkraft (hyperlonia), Zähigkeit (teoacitas), Härte (durities) und Brüchigkeit (fragilitas) gezähil werden können. Es ist leicht einzusehen, dass alle diese Benennungen mehr auf Bezeichnung einer physischen Beschalfen-heit hingerichtet sind; und unterlassen wir es hier von ihnen allen eine Erklärung zu geben, weil sie sich in jenen Bezeichnungen so zu sagen von selbst aufdringt. Die Hypertonie aber und die Atonie müs­sen Wir schon um deswillen etwas näher betrachten, weil bei ihnen das organische Kraftverhällniss mehr in Erwägung kommt und weil sie gleichfalls an der Spitze einer Reihe hierher gehörigen krankhaften Zu­stände stehen, wovon sie eigentlich nur dem Grade
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45Gnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der krankhaften Vermehrung,
nach verschieden sind. Wir handeln hier zunächst von der Hypertonie und versetzen die Betrachtung der Atonie in einem folgenden sect;. In übermas­siger Spannung, im hypertonischen oder Stric-tur-Zustande befinden sich die conlractilen Ge­webe, wenn sie sich straffer und dichter anfühlen, als im normalen Zustande. Zur Erklärung eines sol­chen Zustandes darf man wohl annehmen, dass die Theile dabei einen geringen Grad von Feuchtigkeit besitzen, und dass ihre festen, physischen Atome näher aneinander gerückt sind. Die übermässige Spannung ist überhaupt, wie leicht einzusehen, der freien Bewegung mehr oder weniger hinderlich, zu­mal wird Diess auffallend, wenn sie die Muskeln be­trifft; die Bewegungen selbst geschehen aber dabei gewöhnlich mit Kraft und Ausdauer. Der Krampf (spasmus) ist eigentlich und dem Wesen nach nur ein höherer Grad von Hypertonie, beide Zu­stände können in einander übergehen, weshalb nur ein relativer Unterschied zwischen ihnen besteht. Aus diesem Grunde nehmen einige Pathologen an, dass ein jedes contractile Gewehe, mithin auch das Zellgewebe, vom Krämpfe befallen werden könne. Der Krampf aber ist, wenigstens in einigen Formen desselben, zugleich für eine unzweckmässige Bewe­gung zu halten, und da eine auffallende und selbst­ständige Bewegung nur den Muskeln zukommt, so lassen wir den gedachten Zustand auch nur von ih­nen gelten. Alle, im vorhergehenden sect;. gedachten Muskeln sind dem Krämpfe unterworfen, nur verhält sich derselbe in den zwei Hauptabtheilungen der so­genannten willkürlichen und unwillkürlichen Muskeln einigermaassen verschieden. In beiden erfolgt zwar der Krampf unwillkürlich, in den letzteren aber ge­wöhnlich heftiger, ohne Ordnung und Stetigkeit. Die
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Verminderung und Aufhebung der Bewegung;. 457
Bezeichnung nachlassender, clonischer Krampf (spasmus clonicus) im Gegensatz des anhaltenden oder tonischen (sp. lonicus) bezieht sich nur auf die willkürlichen Muskeln und ist hierunter ein sol­cher Zustand zu verstehen, in welchem die Antago-nisten abwechselnd in krampfhafte Spannung und Er­schlaffung gerathen. Die sogenannten unwillkürlichen Muskeln haben aber keine Antagonisten, weshalb jene Krampfform bei ihnen wegfällt.
Wenn man das erwägt, was früher über die Bedingungen der Irritabilität gesagt worden ist, so werden wir die möglichen Ursachen der normwidri­gen Erhöhung derselben, worin eben das Wesen des Krampfes besteht, leicht erkennen. Sie bestehen ent­weder in zu starken oder ungewohnten Muskelrei­zen, sie mögen mechanischer, chemischer oder dy­namischer Natur sein, und entweder die Muskeln un­mittelbar treffen oder zu ihnen durch die Bewegungs­nerven geleitet werden, in welchem letzteren Ealle sich entweder die Central-Organe des Nervensystems in einem krankhaften Zustande befinden, oder ur­sprünglich ist die Sensibilität der Empfindungsnerven anomal, wonach dann durch Reflex-Bewegung die motorischen Nerven den Reiz zuleiten. Oder ferner die Ursache besteht in zu grosser Anhäufung der Sensibilität in den Gefässnerven; oder in zu starker Zufuhr des Blutes und übermässigen Arteriellität des­selben, oder endlich in zu grosser Ernährung der Muskeln. Welche von diesen Ursachen aber den Krampf bedingt, ob eine oder mehrere zugleich, ist in den concreten Fällen oft schwierig zu ermitteln; uns muss es genügen, hier auf die Möglichkeit der Veranlassungen hingewiesen zu haben.
Die Folgen des Krampfes lassen sich leicht er­messen. Der Gebrauch der krampfhaften Muskeln
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458nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der krankhaflen Vermehrung.
ist entweder unfrei oder ganz aufgehoben; das Blut wird aus ihnen verdrängt, auch in Canälen, welche zum Theil aus Muskeln bestehen, wird die freie Cir­culation aufgehoben, es werden nach Umständen die Ab- und Aussonderungen behindert, und es entstehen, wegen gleichzeitiger Erhöhung der Sensibilität, Schmer­zen. Ausser diesen unmittelbaren Folgen können die Krämpfe noch manche andere mittelbare nach sich ziehen, die sich als solche in vorkommenden Fällen leicht deuten lassen, und ebenso einleuchtend ist es, dass ein ausgebreiteter und anhaltender Krampf, we­gen des Verbrauchs der Nervenkraft, oder wegen Congestion des Blutes zu edeln Organen und Aus­bildung der Entzündung in denselben u. dgl., end-lieh den Tod zur Folge haben müsse.
sect;• 75. Nach den vorhergedachten Ursachen hat man die Krämpfe unterschieden in nervöse, Gefäss-und Entzündungskrämpfe; man thut aber, unse­rer Ansicht nach, besser, wenn man die Krämpfe nach den Formen unterscheidet und auf die Ermitte­lung ihrer Ursachen Floiss verwendet, als dass man sich durch Benennungen jener Art dieser Erforschung überhoben glaubt. Als besondere Formen der Krämpfe erwähnen wir die Zuckungen (couvulsiones); sie sind nichts Anderes als clonische Krämpfe, welche sich, durch abwechselnde Zusammenziehungen und Erschlaffungen der antagonistischen Muskeln zu er­kennen geben, und dadurch die zuckenden Bewe­gungen veranlassen, sie kommen bei der Epilepsie ohne Bewusstsein vor. Als eine eigenthümliche Art von Convulsionen findet man auch wohl den Veits­tanz (chorea saneti Viti) als eine bei den Thieren und namentlich bei Hunden vorkommende Erschei-
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Vermehrung und Aufhebung der Bewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 459
nung aufgeführt. Insofern solche mit Convulsionen hehaftete Thiere anscheinend tanzende Bewegungen machen, und diese krampfhaften Bewegungen we­nigstens in soweit von Willen abhängig sind, als sie gemässigt und auch wohl unterdrückt werden kön­nen, mag jene Bezeichnung hingehen; aber man muss nicht glauben, dass bei Thieren mit solchen Kräm­pfen eine ähnliche Steigerung des Gefühls für Rhyth­mus in den Bewegungen und in der Stimme vorkommt, wie beim Menschen in der Sprache, welche in solchen Zustünden zuweilen in Versen reden, obgleich sie nichts weniger als Dichter sind. Das Zahnknirschen (stridor denlium) welches oftmals bei schmerzhaften Krankheiten, besonders des Magens und Darraka-uals, am häufigsten beim Rindvieh wahrgenommen wird, beruht ebenfalls auf einer temporären Contrac­tion der Kaumuskeln. Das Zittern (tremor) ist in so­fern von der Culvulsion verschieden, als die Zusam­menziehungen und Wiedererschlaflüngen der antago­nistischen Muskeln weit schneller und weniger heftig und daher auch weniger deutlich aufeinander folgen, und sich demnach mehr in der Art einer oscillato-rischen Bewegung darstellen. Es kann die Folge de-primirender und aufregender Gemiilhszuslände sein, wie der Furcht und des Zorns, auch entsteht es bei Einwirkung heftiger Kälte; in den Krankheiten aber bezeichnet es den Anfang des Fiebers oder den Wie­dereintritt der Exacerbation desselben, oder auch sehr schmerzhafte Leiden, oder, wie man zu sagen pflegt, nervöse Zustände. Man hat ein krampfar­tiges und ein lähmungsartiges Zittern unter-ferscheiden wollen, und will man diesen Unterschied auf die zum Grunde liegende Ursache bezogen wis­sen, wo nämlich für den erstem Fall ein Uebervviegen der Gefässactionen und im zweiten ein behinderter
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4f,0nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der krankhaften Vermehrung.
Einfluss der Nerven slattfinden soll. Uns erscheint diese Unterscheidung etwas minutiös, wer sie aber in vorkommenden Fällen zu machen im Stande ist, der mag sich auch jener Bezeichnungen bedienen. Eine andere aber unvollkommene Art chlonischer Krämpfe ist das Sehnenhüpfen (subsultus tendinum). Hierbei erfolgen die Krämpfe nur in einzelnen Mus-kelparthien und sind niemals so heftig, dass vollstän­dige Contraction der Muskeln zu Stande kommt; es giebt sich dabei' weniger durch den Krampf selbst, als durch eine hüpfende Bewegung der Sehnen der betroffenen Muskeln zu erkennen. Diese Krampf­form ist in der Regel ein gefahrdrohendes Zeichen in Krankheiten und auf Unordnung in der Nerven­leitung zurückzuführen.
Eine Art Krampf, welche hinsichtlich seiner Form und Intensität zwischen der Muskelruhe und dem to­nischen Krämpfe, die Mitte hält bezeichnet man als Starrsucht (wächserne Biegsamkeit der Glieder, cata-lepsis). Sie kommt als eine Varietät nicht selten bei Thieren in Gehirnleiden vor, naraenllich bei Pferden im höchsten Grade des Dummkollers, wo die Bewegungs-Organe dem Einflüsse des Willens entzogen sind. Hering (spez. Pathologie und The­rapie) aber beschreibt einen Fall einer mehr ausge­prägten Form von Starrsucht bei einem Pferde in folgender Art; „Ein Wagenpferd bekam zu unbe­stimmten Zeiten, gewöhnlich während des Fahrens, Anfälle, wobei es ganz bewusstlos, unbeweglich und starr wurde, so dass es nicht von der Stelle zu brin­gen oder umzuwenden war; man war genöthigt, es auszuspannen, obgleich es nie zu Boden fiel. Der Anfall ging nach 5—10 Minuten vorüber, selten dauerte er länger; er pflegte einige Mal in kurzer Zeit nach­einander sich einzustellen, dann aber 2—3 und mehr
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Vermehrung und Aufhebung der Bewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;461
Monate lang auszubleiben. In der Zwischenzeit, zeigte das Thier nicht das mindeste Krankhafte. Aderlass und äussere Reize wurden versucht, jedoch ohne merklichen Erfolg.quot;
Zusatz. Einen gewiss sehr seltenen, höchst ausgezeich­neten Fall von Catalepsis sah ich bei einem kleinen, jungen Wachtelhunde, der an Staupe und in deren Folge an Zuckun­gen gelitten hatte, und deswegen von seinem Besitzer mi! warmen Bädern in einer kalten Jahreszeil behandelt wor­den war. Die Kur dieses Thieres wurde mir mit der Bemer­kung übertragen, dass es meistens theilnahmlos da liege, zuweilen jedoch ängstlich herumlaufe. Bei der Untersuchung desselben konnte ich mich einstweilen nur von der Gegen­wart einer allgemeinen Schwäche überzeugen. Am anderen Tage fand ich den Hund auf der rechten Seite liegend, ohne Athem, regungslos mit halb geöffnetem Maule und hervor­hängender Zunge. Alle Umstehenden hielten ihn für lodt. Ein langsamer Herzschlag war aber noch vorhanden und die Augen, obgleich starr, noch lebendig. Es dauerte nicht lange, so fingen die Augenlider an zu niken. In die­sem Zustande versuchte ich das Thier auf die Füsse zu stellen; es blieb stehen mit aufgerichtetem, etwas nach einer Seile gewandtem Kopfe wie eine Statue. In diesem Zustande konnte ich die Füssc dos Thieres in jede beliebige Lage bringen, sogar in solche, welche nicht geeignet schienen, den Schwerpunct des Körpers gehörig zu unterstützen, nichts­destoweniger blieb das Thier regungslos stehen. Ich konnte es niederlegen, seine Glieder nach allen natürlichen Bich-tungen wenden und biegen; ich konnte es wieder aufrich­ten; kurz sein Körper war so schmiegsam wie Formmerthon oder Wachs, während Empfindung und Bewusstsein ganz verloren schienen. Nach etwa zehn Minuten trat Bewusst­sein und Bewegungsfähigkeit des Kopfes und Halses ein; der übrige Theil des Körpers blieb aber noch regungslos, und war das Thier auf keine Weise zum Fortschreiten zu bewegen. Eine Stunde später aber lief das Thier von selbst von der Stelle eine kurze Strecke, und blieb dann
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4ß2nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der krampfliaflcn Vermehrung.
plötzlich, wie gebannt stehen, ohne auf einen Antrieb wei­ter zu schreiten. In dieser Abwechslung verharrte der Zu­stand ungefähr zwei Stunden, worauf dann das Thier wie­der eine solche Herrschaft über die Muskeln gewonnen hatte, dass es sich auf einen Antrieb fortbewegte und selbst bellte. Nach 48 Stunden starb das Thier: die Section Hess nur ein abnorm-weiches Gehirn entdecken. Die ausführlichere Pa-thographie dieses interessanten Patienten behalte ich mir für einen andern Ort vor.
sect;• 76. Die verminderte Spannkraft, (Alomie) ist der Hypertonie entgengesetzt und giebt sich durch Schlaff­heit und Weichheit der muskulösen Gebilde zu er­kennen. Die in einem solchen Zustande befindlichen Muskeln sind zwar oft noch leicht in Bewegung zu setzen, aber die Bewegung geschieht mit wenig Kraft und Ausdauer. Ausseiquot; dieser übeln Folge hat die Atonie noch die erheblichere, dass sie gern in Muskellährnung übergeht, wovon sie nur dem Grade nach verschieden ist: was um so deutlicher wird, als verschiedene Grade der Lähmung vor­kommen, eine unvollkommene (paraesis) und eine vollkommene (paralysis). Dieser Unterschied be­ruht darauf, dass in der erstem noch ein geringer Grad von Bewegungsfähigkeit besteht, die in der andern ganz fehlt. Die Lähmung ist ebenfalls ein dem Krämpfe direct entgegengesetzter Zustand, und besteht dem Wesen nach in aufgehobener Irritabilität; ihre Ursachen müssen also nothwendig in dem Feh­len der einen oder der andern Bedingung der Irri­tabilität liegen. Diese Bedingungen sind im Vorher­gehenden hinreichend erörtert, weshalb wir hier ein Mehreres zu sagen, füglich unterlassen dürfen. Das aber möchte hier noch anzumerken sein, dass die Bestimmung der eigentlichen Ursache der Lähmung
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Von der Alienation iq der Bewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;4(33
in den gegebenen Fällen nichl minder Schwierigkeit darbietet, als beim Krämpfe. Auch dürfte zu erin­nern sein, dass die Aufhebung der Empfindung nicht notliwendig mit der Lahmung verknüpft zu sein braucht; es stehen uns aber keine Mittel zu Gebote, mit Si­cherheit zu bestimmen, ob das Eine oder das Andere bei den Thieren der Fall ist. Bei den Menschen kennt man das Vorkommen von Läbmungen, womit das eine Mal das Gemeingefühl, das andere Mal die Tasternplindung im gelahmten Theile noch fortbesteht, oder gar beide zugleich. Warum sollten wir nicht gleiche Zustände bei den Thieren priisumiren? —
Drittes Capitel.
Von der Alienation in der Beweguna.
sect;#9632; 77. Wir verstehen hier unter Alienation in der Be­wegung eine solche Verkehrtheit, wo entweder die, von den willkürlichen Muskeln abhängige Orlsbe-wegung nicht in der Richtung erfolgt, wie sie der Wille fordert oder fordern würde, wenn er seinen Einfluss geltend machen könnte, oder wenn die un­willkürlichen Bewegungen in einer, der normalen Richtung entgegengesetzten erfolgen. Zu der erstem Art zählen wir den unwiderslehlichen Trieb der, mit einem gewissen Hirnleiden behafteteo Thiere nach vorne zu entfliehen, wodurch es geschieht, dass sie rasen und sich beschädigen, wenn sie an der Forl-bewegug behindert sind, wie beim Koller, bei der Geliimentzündung und bei Bleivergiftung des Rind­viehes. Der entgegengesetzte Fall ist zuweilen bei Hunden gesehen worden, welche nach der Slaupe in nervöse Zustände geriethen. Diese Thiere bewegten
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464nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von der Alionalion in der Bewegung.
sich auf eine Anregung von hinten z. B. nach Schlä­gen, anstatt vorwärts, rückwärts. Hierher gehören auch die Fälle, wo die Thiere Bewegungen nach ei­ner Seite machen, wogegen sie unzweifelbar in gerader Richtung vorwärts schreiten möchten; sie sind nicht selten beim Koller der Pferde und bei der Drehkrank­heit der Schafe. Die inneren Gründe von solchen Be-wegungs - Alienationen kennen wir nicht; doch hat Magendie durch eine Reihe von Versuchen gezeigt, class sie wahrscheinlich auf dem Ergriffensein be­stimmter Hirnparfhien beruhen. Er sah nämlich nach einseitiger Verletzung der Varolsbrücke und nach Durchschneidung der Schenkel des kleinen Gehirns zu eben diesem Theile, dass die Thiere sich zuwei­len so schnell um ihre Achse drehten, dass sie mehr als 60 Umdrehungen in einer Minute machten und diese Bewegung 8 Tage lang ununterbrochen fort­setzten. Ferner sah er, dass bei gleichzeitiger Tren­nung der Varolsbrücke auf der entgegengesetzten Seite jene Drehungen wieder aufgehoben wurden. Weiter bemerkte er, dass nach Wegnahme der ge­streiften Körper auf beiden Seiten, ein unwidersteh­licher Trieb nach vorn zu entfliehen, erzeugt wurde, und dass Tauben, denen er eine Nadel in's verlän­gerte Mark gestochen hatte, mehr als einer Monat lang rückwärts gingen und selbst in dieser Richtung flogen.
sect;• 78. Wir wissen, dass die normalen Bewegungen der häutigen Organe, welche dem vegetativen Leben an­gehören und die zum Theil aus unwillkürlichen Muskeln bestehen, in der Regel mit einem Ueber­wieg en in der Bichtung von vorne nach hinten gehen, so in dem Verdauungskanal vom Schhmdkopfe bis zum After durch die peristaltische Bewegung, in
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Von der Alienation in der Bewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 465
der Harnblase und in der Gebärmutter vom Grunde oder von den Hörnern aus zum Halse dieser Organe, leb sage in der Regel, weil das Ruminiren eine Um­kehrung jener Rewegung in den betreffenden Orga­nen voraussetzt, und sage ich mit einem Uebenvie-gen, weil auch im normalen Znstande in den ge­dachten Organen eine theilweise Bewegung von hin­ten nach vorn geschieht, namentlich im Magen und Darmkanal und besonders in der Endabiheilung des letztern, wenn der Schliessmuskel des Afters nach vollbrachtem Kothabsatze wirkt. Wenn nun aber eine Umkehrung in dem eben bezeichneten Richlungs-Verhältniss der Bewegung vorkommt, so muss sie, als anomal bezeichnet werden. Hierher gehörige Er­scheinungen sind: die falschen Wehen welche in, mit Schmerzen verbundener Zusammenziehung des Uterus vom Halse nach dem Grunde und den Hör­nern hin bestehen, wodurch die Förderung des jun­gen Thieres erschwer! oder unmöglich gemacht wird. Andere hierher gehörige, den Verdauungskanal an­gehende Erscheinungen sind: das Zurücktreten des verschluckten Bissens, bevor er in den Magen gelangt ist, den Schlund hinauf in die Maulhöhle; das Aufstossen von Luft aus dem Magen (ruetus), das Aufstossen von Futter und Getränke aus demselben (regurgitatio); dann das einfache Er­brechen aus dem Magen (vomitus) und das Er­brechen aus dem Magen und einer Darmab­theilung oder das Kotherbrechen (ileus, miserere). Auch der bei den Fleischfressern vorkommende Brech­durchfall gehört hierher, wobei von einem gewis­sen Puncte des Verdauungskanals eine anomale, an-tiperistaltische Bewegung nach vorn und eine hin­sichtlich der Richtung normale, aber krankhaft ver­stärkte peristaltische Bewegung nach hinten zu Stande
Fuchs; allgem, PatLol.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^Q
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4G6nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von der Alienation in der Bewegung,
kommt. Alle diese Zustände haben entweder ihren Grund in mechanischen Hindernissen und in mannich-failigen patholooischen Zuständen in einer Abtheilung des Verdauungskanals, oder die verkehrte Bewegungs-richtnng wird durch blesses anomales Wirken der Nerven bestimmt. Beiläufig will ich bemerken, dass das von Lo\Yack (Gurlt und Hertwig Magazin, VII. Jahrgang, Seite 4^G) aufgeführte Erbrechen bei Schafen — was übrigens nicht gar selten bei die­sen Thieren vorkommt — nicht hierher gehört, und mit Unrecht als eine, dem Miserere des Menschen ähnliche Krankheit bezeichnet wird, in sofern diese bei Wiederkäuern, wegen ihrer besondern Einrichtung des Verdauungs-Apparates wohl nicht vorkommen kann. Stark erklärt das Erbrechen auf folgende Wreise; es ist eine, mit Ekel verbundene, anlipen-staltische Bewegung der Speiseröhre, des Magens, oft noch eines Theils des Darmkanals, wodurch der Inhalt dieser Theile unter sehr gewaltsamen, wirklkh krampfhaften Zusammenziehaugen derselben, so wie der Bauchmuskeln, meist auch unter consensueller Miühätigkeit der übrigen Muskeln des Burapfs und der Extremitäten durch den Mund ausgeworfen wird, und setzt dieser Pathoiog hinzu: Hunters und Ma-gendie's und mehrerer andern Physiologen Behaup­tung, dass sich der Magen beim Erbrechen ganz pas­siv verhalte und seinen Inhalt bloss durch den auf ihn von den genannten Muskeln ausgeübten Druck entleert werde, ist durch mehrfache Beobachtungen anderer Physiologen (Maingault, Portal, Tantini, Rudolphi, J. Müller) und durch die Thatsachen, dass nach Verwundungen des Zwerchfells und der Bauchmuskeln, bei abnormer Lage des Magens in der Brusthöhle und bei den Vögeln, welchen das Zwerch­fell fehlt und die Bauchmuskeln äusserst schwach
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Von der Alienation in der Bewegung.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 467
riind, doch Brechen erfolgt, und dass von verschie­denen Stellen des Speisekanals die anliperistallische Bewegung ausgehen kann, wie Diess die verschiedene Beschaffenheit des Ausgeleerten beweist, hinlänglich widerlegt. Um hier nicht allzu weitläufig zu wer­den, verweisen wir auf die Materia medica und spe­zielle Pathologie in Bezug auf die nähere physiolo­gische Erörterung des Erbrechens und seiner anmit­telbaren Wirkungen und üblen Folgen; und was in dieser Beziehung noch von den andern, oben gedachten krankhaften Zuständen eben zu sagen wäre, durfte ohnehin klar sein.
Zusatz. Es kommen beschrankte, der Art nach ver­änderte oder gar aufgehobene Bewegungen verschiedener Körperlheile vor. die nicht auf einer fehlerhaften Irritabilität in den Muskeln beruhen, vielmehr auf einem blossen mecha­nischen Verhältniss, oder auf mancherlei pathologischen Zu­ständen, welche den Thiercn die Bewegungen schmerzhaft machen, weshalb solche Bcwegungs-Anomalien mehr symp­tomatischer Natur sind. Werden die Gliedmaassen von sol­chen Zuständen belioffen, so entsteht das Hinken (claudi calio) mit seinen bekannten Erscheinungen. Ryebner hat es — in Rücksicht, dass das Hinken in der Veterinär-Pra­xis, sowohl in diagnostischer als therapeutischer Beziehung so sehr vernachlässigt worden, weil man meistens von dem irrigen Grundsatz ausging, es müsse die Diagnose des Hin-kens nur durch den praktischen Blick entwickelt werden, woher nach seiner Ansicht so häufig Missgriffe in den Diag­nosen geschehen, — ich sage: Rychner hat es in seiner .,Naturgeschichte des krankhaften Zustandes der Hanslbierequot; unternommen, die Erscheinungen des Flinkens, zum Behüte der Ermittelung des Sitzes ihrer Ursachen, einer gründlichen Untersuchung zu unterwerfen, welche von keinem angehen den Thierarzte unbeachtet bleiben sollte.
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Vierter Abschnitt.
Anomalien im E m pfi nd u ngs 1 e b en.
Erstes Capltel.
Von dem Empfindungsleben überhaupt.
sect;• 79.
Das Nervensystem ist das Substrat für das Empfin­dungsleben, doch dient jenes diesem nicht allein, son­dern es hat auch die Obliegenheit für gewisse an­dere Functionen des Organismus, namentlich für die Bewegung und Bildung zu sorgen, so dass also das Nervensystem in alle Lebensseiten thätig eingreift, und gewissermaassen die Oberherrschaft darin be­hauptet. Wir nennen diese Oberherrschaft Seele, und nehmen an, dass ihre Handlungen entweder mit Be-wusstsein oder auch ohne dasselbe ausgeführt quot;wer­den. Wir bemerken in dem Nervensystem eine Thä-tigkeilsäusserung nach zwei Richtungen, die eine geht von Innen nach Aussen und die andere von Aussen nach Innen, jene wird als cenlrifugale, diese als cen-Iripetale bezeichnet. Die centrifugale Lebensseite des Nervensystems ist eben diejenige, welche durch die sogenannten Bewegungs- (motorischen) und plasti­schen (organischen) Nerven der Irritabilität und Pla-slizilät dient; die centripetale Lebensseite des Ner-
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Von Jem Empfindungsleben überhaupt,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;469
vensystems aber dient vermittelst der sogenannten Empfindungsnerven der Empfindung (sensatio) oder, was dasselbe sagen will, dem Verinnerlichen der ab­solut- oder relativ-äussern Eindrücke (impressiones) und setzt diese Thätigkeitsäusserung vor allen Dingen die Möglichkeit zu empfinden voraus, welchen Zu­stand wir als Empfindlichkeit (sensibilitas) bezeich­nen. In den folgenden Capileln wird nicht weiter von den Abweichungen der centrifugalen Lebensseite des Nervensystems die Rede sein, weil das hierher Gehörige in den vorhergehenden Abschnitten abge­handelt worden ist, nur wird der andern Seite eine nähere Betrachtung gewidmet werden. Zum gehöri­gen Verständniss aber dürfte es erforderlich sein, uns hier einer kurzen physiologischen Betrachtung des ganzen Nervensystems hinzugeben.
sect;#9632; 80.
Das ganze Nervensystem besteht aus einem cen-Iralen Theile, dem Gehirn und Rückenmark, und aus einem peripherischen, den aus jenen hervorgehenden und sich in den Organen des Körpers verbreitenden Nerven, wovon das Gangliensystem einen Theil aus­macht. In die anatomische Zusammensetzung dieser Theile gehen als wesentliche ein: die eigentliche Ner­vensubstanz, welche aus den Primitiv-Nervenröhren und den Ganglienkugeln besteht, ferner als mehr un­wesentliche oder Hülfssrebilde: Zellstofffaden, Blutse-fasse, Fett-, Pigment- und andere anorganische Ab-la^ernneen, welche Theile zusammen von eigenen Hüllen eingeschlossen werden. Der eine der we­sentlichen Bestandtheile des Nervensystems, nämlich die Primitiv-Nervenröhren, auch Primitiv-Fasern ge­nannt, besteht aus äusserst zarten, durchsichtigen und farblosen Scheiden, welche einen flüssigen, gleich-
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470nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;^'on ^ern Empfindungsleben überhaupt.
massigen und ebenfalls farblosen Inhalt haben, und sich in allen Theilen ziemlich gleich sind. Die An­nahme Remak's von besondern Nervenfasern, welche den organischen Nerven zukommen sollen, erscheint nach den neuesten Forschungen und namentlich nach denen Valentins zweifelhaft. Der andere wesent­liche Bestandtheil des Nervensystems, die Ganglien-Kugeln (auch Nervenkugeln, Nervenbläschen, Bele-gungskugcln u. s. w. genannt) welche sich in den Nervenknoten, im Gehirn und Rückenmark, so wie in verschiedenen Nerven zwischen den Primitiv-Nerven-röhren vorfinden, sind eigentlich Nervenzellen, welche eine sehr verschiedenartige Gestalt zeigen, und aus einer äusserst zarten hantigen Hülle bestehen, welche grauröthliclie feine Körnchen einschliesst, die von ei­nem zähen Bindemittel zusammengeklebt sind. Im Innern einer solchen Zelle befindet sich an irgend einer Stelle noch eine kleinere eingeschlossen, welche eine klare Flüssigkeit nebst einzelnen oder mehreren Körnern enthält. Diese Ganglienkugeln sind ausser-dem noch von einem faserigen Netzwerk so umge­ben, dass eine jede zwar in demselben abgesondert liegt, aber doch untereinander durch dasselbe ver­bunden werden. Von den anderen, oben genannten, unwesentlichen Hülfsbestandtheilen des Nervensystems dient das Zellgewebe zur Verbindung der gedachten Elementarthelle unter sich und mit benachbarten Or­ganen: die zahlreichen und ausseist feinen Blutge-fässe aber dienen zur Ernährung der Nervenmasse, und wo Fett und Pigment in den Nervengebilden vorkommt, da findet man es mir angelagert und gehen diese Theile nicht in die Zusammensetzung der Ele-mentartheile ein. Das Pigment findet sich am häu­figsten in den Ganglien, welche sich dann durch eine dunklere Farbe auszeichnen. Das Vorkommen anor-
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Von dem Empfindangsleben überhaupt.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;471
ganischer Theile im Nervensj stein ist nur als etwas Zufälliges zu betrachten. Das Verhällniss der Primi-tiv-Nervenröhren zu den Ganglienkugeln ist sehr ver­schieden im Nervensystem, so z. B. besteht die grau-röthliche Substanz des Gehirns und Rückenmarks aus-schliesslich aus den letztem, während die weisse Ner­venmasse ausschliesslich aus den erstem besteht, und beide in den Nervenknoten so wie an der Grenze zwischen der grauiöthlichen und weissen Substanz in einem verschiedenen Verhältnisse verbunden vor­kommen.
Ueber die Structur, die Verbindung und den Verlauf der Nerven mag noch angeführt werden, class sie aus einer mehr oder weniger grossen Zahl Primitiv-Nervenröhren bestehen, welche nach ihrer Dicke mit einer einfachen oder doppelten, aus festen Zellstofffasern besiehenden Scheide (Nervenscheide, neurilema) umschlossen werden, so dass im letztem Falle die dünnen Bündel eine besondere (secundäre) Scheide haben. Ausser dem Neurilem aber besitzen die Nerven noch eine Scheide aus lockerem Zellstoff (vagina cellnlosa nervorum) vermittelst deren sie mit den betreffenden Organen verbunden sind. In jenem Neurilem verlaufen die Primitiv - Nervenröhren zwar parallel nebeneinander, jedoch etwas wellenförmig von ihrem Ursprünge nach der Endigung hin. Die Verästelung der Nerven (ramificatio nervorum) ge­schieht auf die Weise, dass ein mehr oder weniger grosser Theil der Primitiv-Nervenröhren den andern verlässt und eine besondere Nervenscheide erhält, so dass sich eine Spaltung der Nervenröhren niemals naclwveisen lässt; es enthalten diese zwei Aesle zu­sammengenommen nicht mehr Primitiv-Nervenröhren, als der Stamm, aus dem sie entspringen. Auf eine ähnliche Art erfolgt auch die einfache Nerveubinduug
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472nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von dem Empnndungsleben überhaupt,
(anaslomosis) und die Nervenverbindung zusammenge­setzter Art, das Nervengeflecht (plexus nervorura), so class nur ein Austausch und Nebeneinanderliegen der Primitiv-Nervenröhren stattfindet, ohne class eine Ein­mündung der einen in die andere vorkommt. Es wird angenommen, und ist Diess für die Physiologie von hohem Interesse, dass die aus einem Nervenge-flechl heraustretenden Nerven endlich Primitiv-Nerven­röhren aus allen denjenigen Nerven enthalten, welche in die Zusammensetzung des Geflechts eingehen.
Das Wesentlichste der Structur der Ganglien­knoten (ganglia), der bekannten grauen, oder grau-röthlichen Anschwellungen, besteht darin, dass die Primitivröhren der, in dieselben eintretenden Nerven alsbald auseinander weichen und ein netzartiges Ge­flecht bilden, zwischen welchen die beschriebenen Ganglien-Kugeln gelagert sind, und wird angenom­men, class die heraustretenden Primitivröhren, zwar in gleicher Zahl mit den hineintretenden, doch in ei­ner andern Ordnung gelagert sind. Die Ganglien be­sitzen, wie die Nerven, sie uraschliessende zellgevve-bige Hüllen von verschiedener Stärke.
Ueber die peripherischen Endigungen der Ner­ven wissen wir zwar nichts ganz Bestimmfes, doch ist anzunehmen, dass die Primitivröhren in der Sub­stanz der Organe isolirt bleiben und nirgends ein wirklicher Uebergang jener in die Elementartheile der letztern stattfindet; und obwohl die Enden der Nerven nach Art der Blulgefässe Schlingen bilden, so findet doch nach Brun's Erklärungsweise insofern ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Nerven-und Gefässsystcm Statt, als sämmtliche Gefässe eine zusammenhängende Höhle bilden, während beim Ner­vensystem gerade das Gegentheil stattfindet. Da nämlich die Primitiv - Nervenröhren weder in den
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Von dem Empfindungsleben überhaupt,nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 473
Stammen der Nerven, noch bei deren Verästelung, noch bei deren Anastomosen und Geflechten, noch in den Ganglien, noch in der Substanz der Organe sich theilen oder zusammenmünden: so ergebe sich hieraus, dass jede Primitiv - Nervenröhre von ihrem Austritte aus dem Gehirn und Rückenmarke an, his zu ihrem peripherischen Ende, oder vielmehr ihrer End-umbiegungsschlinge in der Substanz der Organe eice selbstsländige, ununlerbrochene und von allem Uebri-gen isolirte Leitungsrohre oder Bahn für die Actio-nen des Nervenprinzips darstellt.
Die Chemie hat uns zwar gelehrt, dass die Ner­venmasse des Gehirns, und zwar mit allen ihren in-tegrirenden Theilen, der grössten Menge nach aus Wasser und Eiweissstoff, ferner aus Hirnfett, Phos­phor, Fleischextract, Schwefel, Säuren und Salzen be­steht. Solche Angaben aber bringen der Physiolo­gie des gesunden und kranken Lebens wenig Nuz-zeu; vielleicht wird dieser erheblicher sein, wenn man die verschiedenen Nervensubstanzen, sowohl im gesunden, als in verschiedenen krankhaften Zuständen untersucht haben wird.
Mehr Interesse hat für uns die Thatsache, dass die Nerven regeneralionsfähig sind, so dass, wenn ein Stück eines Nerven herausgeschnitten wird, die aufgehobene Verbindung sich wieder nach einer mehr oder weniger langen Zeit durch Neubildung von Pri-mitiv-Nervenröhren herstellt, und damit auch die frü­her aufgehobene Leitungsfähigkeit des betreffenden Nerven in einem mehr oder minder vollkommenen Maasse.
sect;• 81.
Sehen wir nun auf die Function des Nervensy­stems in den verschiedenen Abtheilungen desselben,
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474nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von dem Empfindungsleben überhaupt.
so ergiebt sich, dass das Gehirn vorzugsweise der Sitz der Seelenlhatigkeit ist; die daraus entspringen­den Nerven aber sind theils zur Vermiltelung spezi­fischer Empfindungen der Sinnesorgane, oder der all­gemeinen Empfindung für den Tastsinn oder endlich für die Bewegung bestimmt. Die im Rückenmark entspringenden Nerven dienen nur der allgemeinen Empfindung und der Bewegung, und ist bekannt, dass die oberen Wurzeln vorzugsweise für jene und die unteren für diese bestimmt sind. Die sympathischen Nerven haben hauptsächlich den Zweck, die Bewe­gung der unwillkürlichen oder Organon-Miiskeln zu unterhalten und überhaupt dem vegetativen Leben vorzustehen, und begleiten deshalb auch die Blutge-fässe. Ausser diesem Hauptzwecke dienen sie aber auch der Empfindung, die zwar im gesunden Zustande nicht zum deutlichen Bewnsslsein gelangt, im krank­haften aber bis zum Schmerz und bis zur mehr oder weniger klaren Vorstellung seines Sitzes gesteigert, werden kann.
Wie im Gehirn die Seelenlhatigkeit zu Stande kommt, wissen wir nicht, überhaupt besitzen wir keine haltbaren Ansichten über die Wirkungen der Nerven; ihr Agens, was gewöhnlich Nervenprinzip genannt wird, hat man mit dem elektrischen und gal­vanischen Prinzip verglichen, und gesagt, dass dessen Wirkungen nach den Gesetzen der Polarität erfolgen. Es sind solche Redensarten jedoch für nichts weiter, als für Vorstellungsweisen zu halten, welche höch­stens ein Bild für gewisse Seiten des Nervenlehens abgeben, aber keineswegs die Art und Weise der Empfindungen und ihres Gelangens zum Bewnsslsein, womit wir es hier vorzugsweise zu thun haben, er­klären. Nur das wissen wir mit Bestimmtheit, class der äussere Eindruck (es mag dieser ein ausserhalb
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Von den Abweichungen in der Empfindung etc. 475
oder innerhalb des Organismus liegender sein), die peripherischen Nerven und die Centralorgane, so wie die conlinuirliche Verbindung dieser die Hauptfacto­ren für die Empfindung sind, und dass die Ernährung der Nerven eine Hauptbedingung zur Unterhaltung ihrer Function ist. Bei dem Vorgang der Empfin­dung können wir zwar keine materielle Veränderung in den betreöenden Nerven bemerken, selbst in der Regel dann nicht, wenn die Empfindung in irgend einer Art krankhaft ist, nichts destoweniger ist anzu­nehmen, dass eine solche stattfindet, da Störungen in der Vegetation so häufig mit Anomalien in der Empfindung verknüpft; sind, und da die Empfindungs­nerven und namentlich die Sinnesnerven nach länge­rer Anstrengung ermüden. In dem folgenden Capi-tel handeln wir ausschliesslich von den Abweichun­gen in der Empfindung und widmen dem eigentlichen Seelenleben (seiner geistigen Seite) einen besondern Abschnitt.
Zweites Capitel.
Von den Abweichungen in der Empfindung insbesondere.
sect;. 82.
Sowohl die allgemeine als auch die spezifische Empfindung der Sinnesorgane kann überhaupt in drei­facher Beziehung abweichen, entweder erscheint sie vermehrt, vermindert, oder der Art nach verändert.
Die Sensibilität ist dann als erhöht anzuneh­men, wenn Eindrücke, welche im normalen Zustande keine Empfindungen erregen, solche hervorbringen, oder wenn Eindrücke stärkere Empfindungen zur Folge haben, als es gewöhnlich ist. Die verstärkte Em-
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476nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von den Abweichungen in
pünduug (hyperaesthesia), welche man auch wohl Empfindlichkeit nennt, aber im Gegensatz mit jener Empfindlichkeit (sensibilitas) welche das Vermögen zu empfinden überhaupt bezeichnet: sensilitas ge­nannt wird, ist bei den Haiisthieren in der Form des Juckens oder Kitzels (pruritus, tentillatio) und des Schmerzes (dolor) zu bemerken. Die ersteren For­men, welche nur für einen geringeren Grad der letz­tern zu halten sind, weil sie in einander übergehen, Morden durch die Neigung der Thiere verralhen, die juckenden oder kitzelnden Theile auf irgend eine Weise zu reiben; der Schmerz aber dadurch, dass die Thiere die damit behafteten Theile vor jeder Berüh­rung und allem Druck durch Stellungen und abwehrende Geberden schonen, oder durch die bekannten Schmerz verrathenden Symptome: Angst, Stöhnen, Unruhe, Nie­derwerfen, Walzen, Hin- und Herlaufen u. s. w. Durch die gedachten Erscheinungen sind wir nur im Stande, uns über den Grad der erhöhten Empfindung eini-germaassen zu unterrichten, während wir mit den Arten der Empfindung, ob sie eine stechende, reis­sende u.s.w. sei, ganz unbekannt bleiben, weil die besondere ReschafTenheit des Gefühls nur ans der subjectiven Anschauung hervorgeht, welche uns die Thiere, wegen Mangels der Sprache nicht mitllieilen können. Unzweifelhaft kommen auch in allen Sin­nesorganen verstärkte Empfindungen bei den Thieren vor; wir sind aber nur im Stande, uns von einer solchen in den Augen und in den Ohren zu über­zeugen, und zwar durch die Symptome der Licht­scheue (photophobia) und der Scharfhörigkeit (oxyecoia), welche letztere sich durch ein schreck­haftes Zusammenfahren der Thiere beim leisesten Ge­räusch zu erkennen giebt.
Wenn wir das erwägen, was im vorigen sect;. über
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der Empfindung insbesondere.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;477
die Factoren der Empfindung überhaupt gesagt wurde, so müssen wir die nächste Ursache der krankhaft erhöheten entweder in einem verstärkten, absolut oder relativ änsseren Eindruck auf die peripherischen Ner­venenden, oder in einer krankhaften Reizung ihrer Central-Enden, oder in einer krankhaften Thätigkeit des Nerv ens selbst, oder endlich in mehreren dieser Verhältnisse zugleich suchen. Es ist aber ausseror-dentlich schwierig, in den vorkommenden Fällen zu entscheiden, welches dieser Momente zu beschuldi­gen sei, und namentlich bleiben wir in der Regel, selbst bei den Sectionen, dann im Dunkeln, wenn die krankhafte Verstärkung der Empfindung in einer erhöheten Thätigkeit der Nerven selbst lag; es sei denn, dass verstärkte Vegetation in der Form von Congestion und Entzündung nachzuweisen wäre.
Als Folgen krankhaft gesteigerter Empfindungen können, ausser den oben gedachten Erscheinungen, wodurch sie sich zu erkennen geben, Congestionen, vermehrte Absonderungen, Entzündungen, Krämpfe, Convulsionen, verstärkte Blutbewegung und Fieber her­vortreten. Ob heftige Schmerzen unmittelbar den Tod verursachen können, wie es beim Menschen zuweilen der Fall ist, ohne dass eine andere vermittelnde Ur­sache nachgewiesen werden könnte, ist mir nicht be­kannt. Doch will Hertwig ein Pferd plötzlich ha­ben sterben sehen, bei dem ein Kreuzschnitt durch eine auf dem Kreuze desselben befindliche Speck-geschwulsl, zum Behufe ihrer Exstirpation, gemacht worden war, nachdem es ein paar Mal einen schmerz-verrathenden Schrei ausgestossen hatte. Die Section lieferte nicht den Nachweis einer bestimmten Todes­ursache; es ist daher wahrscheinlich, dass sie in einer apoplexia nervosa bestand. Auch Gillmeister erzählt einen Fall, wo ein Pferd unmittelbar nach
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478nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den Abweichungen in
der Operation des Englisirens starb, ohne dass bei der Section eine zureichende Ursache des Todes auf­gefunden werden konnle; er schreibt ihn daher auch einem Nervenschlag zu. Von besonderem Interesse sind die Thalsachen, dass sonst unempfindliche oder nur wenig empfindliche, mit wenigen Nerven ver­sehene Theile, in krankhaften Zuständen dennoch oft­mals grosse Schmerzen verursachen können, wie es bei den Knochen, Sehnen, serösen und fibrösen Häu­ten und in den Muskeln der Fall ist. Stark setzt den Grund hiervon in eine Vergrösserung der Wir­kungssphäre der Nerven jener Theile in Folge einer Anhäufung des sensibeln Agens in ihnen. Denn, fügt er hinzu: dass die Nerven über ihre körperli­chen Grenzen hinauswirken, beweist die Empfindnng auch an solchen Stellen, wo selbst das schärfste Mi-croscop kein Atom von Nervenmasse mehr zu ent­decken vermag, die Wahrnehmung von Eindrücken (versieht ffich, nur beim Menschen nachweisbar) die sie nicht unmittelbar mechanisch berühren, und so manche Erscheinung krankhaft gesteigerter Sensibilitäf.
sect;. 83,
Die Empfindung ist als krankhaft vermindert oder als aufgehoben zu betrachten, wenn die Eindrücke für den ersten Fall nicht mit der, ihnen entsprechen­den Stärke, oder für den zweiten Fall gar nicht em­pfunden werden. Die Verminderung des Gefühls wird als Stumpfheit (stupor) und die gänzliche Aufhe­bung desselben als Unempfindlichkeit (anaesthesia) oder als Schmerzlosigkeit (anoclynia) bezeichnet. Diese beiden Grade der gesunkenen oder aufgeho­benen Empfindlichkeit werden, wie Diess schon aus der vorstehenden Definition hervorgeht, überhaupt daran erkannt, wenn auf starke Eindrücke nur mäs-
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der Empfindung insbesondere.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;479
sige oder keine Reactionen oder, mit anderen Wor­ten, keine Symptome erfolgen, die im vorigen sect;. als solche der gesteigerten Empfindlichkeit bezeichnet wurden, oder es werden jene Zustände an der stumpf­sinnigen Physiognomie erkannt. Zur näheren TJeber-zeugung vom Vorhandensein derselben, gelangen wir durch Siechen, Drücken u. dergl., oder durch den Nachweis von solchen körperlichen Zuständen, wobei unter andern Verhältnissen Schmerz besteht, z. B. von krankhaften Vegelalions-Prozessen, wie Entzün­dung und deren Uebergaog in Brand. Von der Ge­genwart der gesunkenen Empfindlichkeit in den Sin­nesorganen überzeugen wir uns durch das Vorhan­densein von Symptomen der Gesichtsschwäche oder der Blindheit, der Schwerhörigkeit und Taubheit und der Geriichiosigkeit (vorzugsweise bei alten Hunden vorkommend); von der Verminderung oder aufgeho­benen Geschmaclis-Empfindung aber, welche höchst wahrscheinlich auch bei den Thieren vorkommt, ha­ben wir kein sicheres Symptom.
Wenn es uns auch nicht schwer fallen kann, die nächstursäcblichen Verhältnisse der verminderten oder aufgehobeneu Empfindlichkeit theoretisch fest­zustellen, indem wir zu diesem ßehufe nur das Ver-hältniss der für die gesteigerte Empfindlichkeit ange­gebenen Momente umzukehren brauchen; so wird es doch in den concreten Fällen nicht immer möglich sein, das gerade vorhandene anzugeben. Indess dürfte angemerkt werden, dass, so wie einerseits Anhäufung des sensibeln Agens in einer Nervenpartie als die Ursache der gesteigerten Empfindlichkeit angenom­men wird, man andrerseits behauptet, dass die Ab-leituna; oder Verzehrnne des sensibeln Agens an einem gewissen Orle Abstumpfung der Empfindung an einem anderen bedingt, und hierfür die Gefühl-
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480nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den Abweichungen in
losigkeit der Frösche während der Begattung an­führt, so dass man sie in diesem Acte köpfen und auf jede Weise martern könne, ohne dass sie das geringste Zeichen von Empfindung verrathen. Die Folgen der verminderten oder aufgehobenen Empfind­lichkeit sind, abgesehen davon, dass diese letzteren besondere Krankheitszustände begründen, oder doch damit verbunden sind, und dadurch der Gebrauch der Thiere vermindert oder aufgehoben wird, für sie selbst insofern bedeutungsvoll, als sie eines Wächters entbehren, der vor schädlichen Einflüssen warnt, und als in dem kranken und empfindungslosen Organ keine heilsamen Reactionen zu Stande kommen, welche Wohlthat der Schmerz bei allen seinen stürmischen und lästigen Erscheinungen gewährt. Als besondere Folgen dürften anzumerken sein, dass die Ernährung derjenigen Theile, woraus die Empfindung gewichen, mangelhaft wird; aber Aufhebung der Bewegung ist, wie bereits im vorigen Abschnitt erörtert, nicht uoth-wendig damit verknüpft.
sect;. 84.
Die Empfindung ist der Art nach als abwei­chend zu betrachten, wenn sie in der Beschaffenheit nicht dem Eindrucke, wodurch sie hervorgerufen wor­den, entspricht. Bei den Menschen kommen solche Anomalien als Sinnestäuschungen und verkehrte allgemeine Empfindungen häufig genug vor; sie sind jedoch bei ihnen noch nicht hinreichend erforscht. Vielweniger wissen wir etwas Zuverlässiges von dem Vorkommen solcher Empfindungen und ihrer nächst­ursächlichen Verhältnisse bei den Thieren; wir haben indess ein Recht sie auch bei diesen zu vermuthen, namentlich Gesichtstäuschung beim Schwindel und andern nervösen Krankheiten, so bei der Hundswuth,
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der Empfindung insbesondere.
481
Auch für das Vorhandensein der Geschmaekslan-schung Lei den Thieren spricht die Wahrscheinlich­keit, weil sie oftmals Stofle verschlingen, die sonst ihrem Geschmacke nicht zusagen. Wir wissen, dass Menschen, welche an Magensaure leiden, oftmals ei­nen sauren Geschmack empfinden, ohne dass in diesem Zustande ihr Speichel sauer reagiit, —#9632; warum sollte es sich bei der Lecksucht der Thiere, Lei der Be­gierde nach kaiischen Substanzen, nicht ebenso ver­halten? —
Fuchs. all^Piu. Pathol.
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Fünfter Abschnitt.
Von den Abweichungen in den Seelcnverriclihmgen.
ISrsteH Capitel.
Von den Abweichungen in den Seelen­verrichtungen überhaupt.
sect;. 85.
Es ist bereits (I. Th. sect;. 93) auseinandergesetzt wor­den, dass wir den Thieren und namentlich unsern Hauslhieren ebensowohl eine Seele zugestehen müs­sen, wie dem Menschen, eine Seele, die sich durch das Gefühls-, begehrungs- und Erkenntniss-Vermögen iiusseit. Nicht minder ist (im 1. Capitel des vorhergehenden Abschnitts) angemerkt worden, dass wir nicht wissen, wie die Seclenthäligkeit zu Stande kommt, zugleich aber auch, dass sie an ein materielles Substrat, an das Nervensystem, gebunden ist. Diess hat die Seclenthätigkcit mit der Lebens-thätigkeit überhaupt gemein, und scheint jene von dieser, dem Wesen nach nicht verschieden, und nur eine höhere Entwickclung derselhen zu sein. Zu dieser Ansicht fühlen wir uns um so eher hingezo­gen, wenn wir in der Reihe organischer Wesen hin­absteigen bis zu den Pflanzen, und bei diesen be­merken, wie die Lehensthatigkeit hier nur für die Bildung und Erhallung wirkt, und die bei ihnen wahr-
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Von den Abweichungen in den Seelenverrichtungen etc. 4B3
nehmbaren Bewegungen nach dem Gesetze der Nolh-wendigkeit, durch äussere Einflüsse bedingt, zu Stande kommen. Bei den niedrigsten Thieren bemerken wir auch kaum einen Unterschied hierin, so wie wir aber in der Thierreihe hinaufsteigen, wird die Seelenthä-tigkeit immer deutlicher, indem wir sehen, dass die Bewegungen nicht immer nach dem Gesetze der Nolh-wendigkeit, sondern mit einer gewissen Freiheit und Willkür geschehen, so dass die Thiere sich nicht nur durch die äusseren Einflüsse bestimmen lassen, son­dern auf diese seihst bestimmend einwirken, und dass sie Handlungen begehen, welche nicht immer auf die Selbsterhaltung und Erhaltung der Gattung bezogen werden können. Diese Stufe der Entwickelung des Lebensprinzips ist es eben, welche wir die höhere Thierseele, im Gegensatz der niederen Thierseele und der Pllanzenscele, nennen. Wie sehr sich aber die Seele der Thiere von der der Pflanzen unterscheidet, eben so sehr unterscheidet sich die des Menschen von der der Thiere; denn ausserdem, dass wir bei jenen die oben gedachten Vermögen in einer höhe­ren Ausbildung bemerken, sehen wir auch bei ihnen die Seelcnthätigkeit bis zur Vernunft, dem freien Geist potenzirt.
Wir wissen von der gesunden Seelenthätigkeit der Thiere nur wenig, noch weniger aber von der krankhaften, zumal, wenn sie das höhere Vermögen der Erkenntniss betrifll. Das dürfen wir jedoch, mit Hinweisimg darauf, dass die Seelenthätigkeit an ein materielles Substrat gebunden ist, annehmen, dass sie dieserhalb auch von körperlichen Veränderungen insofern abhängig ist, als sie eben durch diese Ver­änderungen Beschränkungen erleidet, und dass daher eine abnorme Seelenstiinmung auch eine materielle, freilich nicht immer nachweisbare Voränderung vor-
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484 Von tlcn Abweicliungen in ilon .Scclenvorriclitniigon etc
aiis?clzl. Hieraus folgt nun, dass die Seele, wenn ihr das körperliche Substrat entzogeo wird, unfähig zu wirken und zu existiren ist, oder, mit andern Worten., dass mil dein Körper auch die Seele stirbt. Um Missverständnissen zu begegnen, nuiss aber an­gemerkt werden, dass das zuletzt Gesagte nicht von der vernünftigen Seele des Menschen gelten kann, die als solche in ihren höchsten Aeusserungen die mindeste Abhängigkeit vom Körperlichen zeigt, und sich, schon durch ihr Bestreben zur Erfassung des göttlichen Wesens, als ihm ahnlich und als einen un­mittelbaren Auslluss desselben zu erkennen giebt, wohin sie nach Entkleidung ihrer irdischen Fessel wieder zurücklliessen wird. Doch hat hier die For­schung ihre Grenzen, aber derselbe Gott, der unsere Seele nicht ohne Gebrechen schuf, goss auch über dieselben in seiner überschwenglichen Liehe einen lindernden Balsam in dem begeisternden Glauben! —
sect;. SO.
In dem Folgenden betrachten -wir, hinsichtlich der Gefuhlsseite, nur die Abweichungen im Gemein­gefühl und, hinsichtlich des Begehrungsvermögens, nur die Abweichungen in den thierischen Trieben; die etwaigen Abweichungen im Erkenntnissvermögen müs­sen wir aber, wegen Mangels gehöriger Einsicht, ganz übergehen, und auf das, was im (I. Th. sect;, 97) rilck-sichtlich einiger, dem Gesichtsvermögen anheimfallen­den Leidenschaften, so wie auf das, was dort in Be­zug auf den im Begehrungsvermögen sprossenden Willen in ätiologischer Beziehung gesagt wurde, ver­weisen, indem demselben nichts Erhebliches hinzuzu­fügen sein dürfte. Wenn wir die Abweichungen im Erkenntnissvermögen übergehen, so geschieht es auch aus dem Grunde, weil wir der. sonst lhatsachlicheu
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Von den Abweichungen im Gemcinget'iil.l.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;48ö
Anfiiliiung einer nicht seilen vorkommenden Störung oder Auf lielning des Bewasstseins der Thiere in Folge solcher Krankheiten des Gehirns, wodurch ein Druck auf dasselbe veranlasst wird, wie Congestion, Erguss von Blat, Wasser u. dergl, oder auch in Folge von Verminderung oder Aufhebung eines gewohnten Druk-kes oder Reizes auf das Gehirn, wie es z. B. bei sehr slarkem Blutverlust slatlfindet, #9632;— keinen wei­teren Werth beilegen. Auch denjenigen Fällen legen wir keine Wichtigkeit in dieser Beziehung bei, wo man das Gedachtniss der Thiere, z. B. Pferde und Hunde ihre erworbene Dressur bat verlernen sehen, da alle diese Beobachtungen wenig geeignet sind, uns einen Aufschluss über den wahren Stand des Erkenntniss-Vermögens der Thiere und seiner Abwei­chungen zu liefern. Der Artikel von König: Unter­suchungen über das Wesen und Pathogenic der Kol-lerkrankheilen bei Pferden (Gurlt und Ilertwig Magaz., VI. Jahrg., II. Heft) verdient nachgelesen zu werden.
!B\rcitcs Capltel.
Von den Abweichungen im Gemeingefühl.
sect;• 87.
Unter Gemeingefühl hat man bekanntlich den
zum Bewusstsein gelangten eigenen Zustand des Kör­pers zu versteben, (daher auch wohl Körpergefühl genannt), wodurch die Thiere in den Stand gesetzt werden, zu unterscheiden, ob dieser Zustand für die Selhsterhaltung zweck- oder unzweckraassig ist. Der Mensch kann uns freilieb durch seine Sprache die­ses Gefühl deutlich machen, und dadurch die fein­sten, rein subjeetiven Wahrnehmungen zu erkennen
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486nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Von den Abweichungen im üemeingefühl.
geben. Wenngleich die Thiere Dlcss nicht können, so sind wir nichls destoweniger berechtigt, ein nicht minder lebliaftes Gemeingefühl bei ihnen anzunehmen, wie beim Menschen, da es im reproducliven Leben und in dem demselhen vorstellenden Ganglien-Ner­vensystem begründet ist, und da die bei den Thie-ren vorkommenden und aus dem Gemeingefühl flies­senden Erscheinungen des Wohl- und Unwohl­seins denen des Menschen analog sind. Das Ge­meingefühl ist beim ganz gesunden Menschen so har­monisch, dass es ihm nur den allgemeinen Ausdruck des Wohlbehagens verleiht, und darin eigentlich keine Eenntniss von den Zuständen derjenigen Organe er­langt, welche keine Empfindungsnerven vom Gehirn und Rückenmarke erhalten, da die Leitungsfähigkeit des dem Gemeinsefühl vorstehenden Ganchen-Kerven-systems so unterbrochen ist, dass geringe Abweichun­gen der Empfindungen in demselben nicht zum deutli­chen Bewusstsein ^elancen. Da die Thiere nun ihre Gesundheit durch Munterkeit u. dergl. ebenso zu er­kennen geben, wie der Mensch, so sind wir berech­tigt anzunehmen, dass sie in jenem Zustande gleiche Gefühle mit dem Menschen Iheilen.
sect;. 88.
Das Gemeingefühl kann überhaupt vermehrt, vermindert oder alienirt erscheinen. Ob bei den Thleren diejenige Erhöhung des Gemeingefühls vor­kommt, welche nicht bis zum Schmerze gesteigert ist, und in welchem der Zustand einzelner Organe, welche der reproducliven Lebensseite angehören und unter der Herrschaft der Gangliennerven stehen, zu ihrem Bewusstsein gelangt, wissen wir nicht; nur dann sind wir berechtigt, eine solche einseitige Er­höhung des Gemeingefühls anzunehmen, wem sie
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Von den Abweichungen im Gerneingefühl.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 487
sich durch Schmerzen in den betreffenden Organen offenbart. Eine allgemeine Erhöhung des Gemeinge­fühls wären wir nun dann berechtigt bei den Thie-ren anzunehmen, wenn sie eine ungewöhnliche, aus dem Gefühl eines erhöheten Wohlbehagens fliessende Munterkeit zu erkennen geben, wie sie als Vorläu­fer von Krankheilen und namentlich beim Milz­brande zuweilen beobachtet wird. Die allgemeine Verminderung des Gemeingefühls giebt sich bei den Thieren oftmals und deutlich genug durch die Er­scheinungen der Abgeschlagenheit und Gleichgültigkeit zu erkennen; nicht minder auch zuweilen die mehr örtliche, namentlich beim Eintritt des Brandes. So weiss ein jeder Thierarzt, dass mit der Darmentzün­dung die heftigsten Schmerzen in diesem Organe ver­bunden sind, mithin ist Erhöhung des Gemeingefühls zugegen; wenn aber diese Entzündung in Brand über­geht, so verschwinden die Schmerzen, das Thier wird ruhiger und der lebensgefährliche Zustand kommt of­fenbar nicht zu seinem Bewusstsein: das Gemeinge­fühl ist also hier vermindert.
Oftmals begehen die Thierärzte den Irrthum, dass sie die Erhöhung und Verminderung des Gefühls in den Empfindungsnerven mit Erhöhung und Vermin­derung des Gemeingefühls für gleichbedeutend halten; diese entsprechenden Zustände können wohl zugleich vorkommen, aber identisch sind sie nicht.
Die nächsten Ursachen der Vermehrung oder Verminderung des Gemeingefühls sind in einer Er­höhung oder Verminderung des reproductiven Lebens, oder in einer Steigerung oder Verminderung der Sensibilität und des Leitungs-Vermögens in den Gang­liennerven zu suchen. Die Folgen jener Zustände sind noch nicht recht klar, indess darf das Geinein­gefühl als ein Wächter für das vegetative Leben au-
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488nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Von den Abweichungen im Gemeingefuhl.
gesellen werden, welcher den Instinkt der Thiere zu ihrem Besten leitet; auch gehen die Abweichungen des Gemeingeflihls hei den Thieren, insofern sie Er­scheinungen darbieten, dem Thierarzte Kenntniss von der Gegenwart einer Krankheit überhaupt, ohne dass sie über deren Natur Aufschluss gewährten.
sect;• 89.
Als Alienationen des Gemeingeflihls betrachtet man die unter einer gewissen Form vorkommenden Abweichungen desselhen, wie Uebelsein, Uebel-befinden, Angst, Gefühl von Frost und Hizte und ein solches von Ermüdung oder Kraft. Vom Uebelbefinden (dyspboria) kann eigentlich bei den Thieren nicht die Rede sein, da es auf einer rein subjeeliven Wahrnehmung beruht; wir erkundigen uns auch deshalh bei den Menschen nach ihrem Befinden, da wir ihnen das Gefühl des Wohl- oder Uehelhefin-dens nicht absehen können, indem Jemand sich übel he-finden kann, aber dabei ausserlich ganz wohl erscheint, und so umgekehrt Jemand krank sein kann, ohne sich auffallend übel zu befinden. Anders verhalt es sich mit dem Uebelsein (nausea), welches die Thiere überhaupt durch die Erscheinungen der Unlust in Be­friedigung der Triebe zu erkennen geben. Als einen höchsten Grad des Uebelseins ist die Angst 'anxie-tas) zu betrachten, welche sich durch eine eigen-thümliche Physiognomie und durch Unruhe zu erken­nen giebt, und ihren Grund, ausser in Verstimmung des Nervensystems überhaupt, auch in Regelwidrig­keit des Blutlaufs und namentlich im kleinen Kreis­laufe haben kann.
Die Erscheinungen der Kalte und Wärme ge­hören hierher insofern, als sie bloss der Gefühlseife anheimfallen. Namentlich kleinere Thiere fHunde
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Von den Abweicliungcn in den tliieiischen Trieben. 480
und Katzen) gehen oftmals solche Abweichungen im Temperatur-Gefühl durch das Aufsuchen warmer oder kalter Orte zu erkennen, ohne dass die Hand des Beobachters eine auffallende Abweichung in ihrer Körperwarme nachweisen könnte; auch haben Beob­achtungen und Untersuchungen beim Menschen ge­lehrt, dass man selbst nicht im Stande ist, alle Ab­weichungen des Temperatur-Gefühls durch das Ther­mometer bei ihnen nachzuweisen.
Das dem Bewcgungsleben anheimfallende Gefühl von Müdigkeit oder Kraft giebt sich durch die be­kannten Erscheinungen zu erkennen. Die erstere kommt unstreitig häufiger vor als die letztere, nament­lich in fieberhaften Krankheiten, doch wird auch diese als Vorläufer zuweilen beobachtet.
Drittes Capitel.
Von den Abweichungen in den thierischen Trieben.
sect;• 90.
Die thierischen Triebe entspringen aus der Selbst­erhaltung und der Erhaltung der Gattung. Man kann in ihnen zwei Momente unterscheiden, das Eine fällt dem Gemeingefühl anheim, und giebt dem Thiere ein mehr oder weniger klares Gefühl von den Be­dürfnissen des individuellen und Gattungslebens; das Andere aber dem Willen, indem das Thier, jenem Ge­fühl entsprechend, etwas begehrt oder verabscheut. Es lassen sich so viele thierische Triebe unterschei­den, als sich überhaupt Bedürfnisse für das indivi­duelle und Gatfungsleben herausstellen, indessen be­trachten wir hier nur die wichtigeren.
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490 Von deu Abweichungen in den Ihierischen Trieben.
sect;. 91.
Hunger (fames), welcher als eine gesteigerte Fresslust zu betrachten ist, nennt man den, von dem Gefühl des Nüchternseins (jejunium, esuries) her­vorgerufenen Trieb zur Aufnahme von Futterstof­fen, und giebt sich derselbe durch die bekannten Erscheinungen kund. Er besteht dem Wesen nach wahrscheinlich auf einer gesteigerten Empfindlichkeit der Magennerven, welche durch den Mangel repro-ductionsfähigen Stoffs im Organismus hervorgerufen zu werden scheint. Für die Annahme, dass das Ge­fühl des Hungers zunächst durch die Empfindlichkeit der Magennerven und vorzugsweise der herumschwei­fenden vermittelt werde, hat man (wie Stark bemerkt), die Thalsache als Beweis angeführt, dass jenes Ge­fühl beim Menschen durch narkotische Mittel, welche die Sensibilität abstumpfen, herabgestimmt werden könne; auch will Dumas einen ähnlichen Erfolg von der Anwendung derselben Mittel bei den Thieren ge­sehen haben, und Brächet hat beobachtet, dass nach Durchschneidung des nerv, vagus die Empfin­dung des Hungers fehlte. Dafür aber, dass das Ge­fühl des Hungers nicht allein vom Magen und Schlünde, sondern auch vom Zustande des übrigen Organismus abhängt, spricht der Umstand, dass dasselbe beim Menschen wenigstens, zuweilen noch bei gefülltem Magen stattfindet, und class das Sattigungsgefühl bei diesem in der Regel erst einige Zeit nach dem Es­sen eintritt. Uebrigens wollen Orfilla und Dupuy-tren auch bemerkt haben, dass der Hunger nach Einspritzung nährender Flüssigkeit in den Mastdarm und in die Venen gestillt werde (?).
Man unterscheidet mehrere Arten des Hungers nach der Weise, wie er sich äussert und nach eini­gen, denselben begleitenden Erscheinungen. So die
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Von den Abweichungen iu den ihierischen Trieben. 491
Gefrässigkeit oder Fresssucht (voracilas, poly-phagia), welche einen kaum zu stillenden Hunger be­zeichnet. Unter Heisshunger (bulimus, bulimia) versteht man dagegen die mehr plötzlich eintretende Begierde zur Aufnahme von Futterstoffen, welche, wenn sie nicht alsbald befriedigt wird, Erscheinun­gen der Ohnmacht nach sich zieht, wie man es na­mentlich bei Fuhr-Pferden nicht selten zu bemerken Gelegenheit hat. Ferner unterscheidet man noch den sogenannten Hundshunger (fames canina, cynorexia) und den Wolfshunger (fames lupina, lycorexia), welche beide nur bei den Hunden vorzukommen scheinen. Diese Zustände werden daran erkannt, dass bei dem ersteren die mit Begierde aufgenommenen Futterstoffe bald wieder durch Erbrechen, bei dem anderen aber nicht lange nachher durch den After unverdaut ausgeworfen werden.
Ein dem Hunger oder der Begierde zur Auf­nahme von Futterstoffen entgegengesetzter Zustand ist die verminderte oder aufgehobene Fresslust (inappetentia, anorexia), welche sich durch Unlust zur Aufnahme von Futterstoffen zu erkennen giebt. Ist diese Unlust aber mit einem wirklichen Verabscheuen des Futters verbunden, was die Thiere dadurch zu erkennen geben, dass sie sich vom Futter entfernen, so nennt man sie Ekel (nausea) welche, wie beim Menschen, so auch bei den Thieren mit dem Gefühl der Ueblichkeit verbunden zu sein scheint. Das We­sen dieser Zustände scheint in verminderter, aufge­hobener oder alienirter Sensibilität der Magennerven zu bestehen, und haben sie unzweifelbar ihren Grund in der Abwesenheit des Bedürfnisses zur Aufnahme von Futterstoffen, welche durch mehrere entfernt-ur­sächliche Verhältnisse bedingt werden kann.
Als qualitative Abweichungen des Hungers sind
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402 Von den Abweicliungcn in den Ihierisclien Trieben.
die sogenannten Gelüste, die Malacia und Pica, 7A\ bezeichnen, wovon die erstere in der Begierde zur Aufnahme ungewöhnlicher Futterstoffe, und die an­dere in einer solchen zur Aufnahme von Stoffen be­steht, welche ihrer differenten Natur nach nicht zu den Nahrungsmitteln gezählt werden können. Beide Zustande kommen in den Krankheiten der Thiere häufig genug vor. Ihr Wesen ist in eine Verstim­mung der Magennerven zu setzen, und sind sie in den Krankheiten als Aeussemngen des Natur-Heilbe-strebens wohl zu beachten. Sydenham sagte be­reits sehr wahr: In morborum curationibus plus con-cedendum est aegrorum desideriis impensioribus, quam magis fallacibns et dubiis artis regulis.
Ueber die Wirkungen und Folgen aller hier ge­nannten Zustände vergl. I. Tb. sect;. 99 ff.
sect;• 92. Durst (sitis) bezeichnet das Gefühl des Verlan­gens zur Aufnahme flüssiger Stoffe. Ist dieses Ver­langen heftig, so ist der Durst gesteigert (poly-dipsia), ist es aber in einem geringern Grade, als gewöhnlich vorhanden, oder ganz aufgehoben, so be­zeichnet man diese Zustände als verminderten oder mangelnden Durst (adipsia). Das Gefühl des Dur­stes wird ebensowohl, wie das des Hungers, nicht allein durch die eigenlhiimlichc Stimmung der Magen-und Schlundnervcn, sondern entfernter auch durch den ganzen Körperzustand und zwar in letzter Be­ziehung durch das Flüssigkeits-Bedürfniss vermittelt; denn durch Versuche hat man ermittelt, dass der Durst gestillt wurde durch Einspritzung von Wasser, Milch, Molken in die Venen, so wie durch Klystiere und Bäder (Dupuytrcn im Diet. d. sc. med. Ll. p. 469. Orfilla). Das Flüssigkeits-Bedürfniss im Kör-
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Von don Abweichungen in tlen tbieriscben Trieben. 493
per kann durch viele Umstände veranlasst werden, einmal durch die Nothwendigkeit der Verdauung der Gontenta im Magen und Darmkaoal, dann durch die Nothweudigkeit der Verdünnung des Blules, insofern demselben viele wässriee Bestandlheile in den Secre-lionswegen entzogen werden, woran uussere Zustande, wie Warme, Trockenheit der Luft und Bewegung nicht geringen Anliieil haben Dass der Mangel an Durst in den entgegengesetzten Zuständen seinen Grund haben müsse, ist leiclit einzusehen, und dürfte daher eine weitere Erklärung in dieser Beziehung hinzuzu­fügen unnöthig erseheinen.
Qualitative Abweichungen des Durstes sind in­sofern anzunehmen, als die Thiere wirklich in krank-liaften Zuständen Neigung zu Getränk von besonde­rer Beschaffenheit zeigen. Man kann allerdings mit Rychner annelimcn, dass der Ekel vor dem Wasser die Wasserscheu (hydrophobia) bezeichnet, jedoch nur die Wasserscheu als Symptom überhaupt, aber nicht als ein wesentliches der Tollwuth, da in die­ser, sowohl beim Menschen als auch bei Tbieren, in der Hegel ein Verlangen nach Getränk, dabei aber das Unvermögen es zu schlucken besteht.
Ueber die Folgen der zu grossen oder zu ge­ringen Aufnahme des Getränkes siehe I. Tb. sect;. 107 ff.
sect;. 93.
Der Geschlechtstrieb kann bei beiden Ge­schlechtern sowohl vermehrt als vermindert vor­kommen; Dieser Zustand wird beim männlichen Thiere als satyriasis, beim weiblichen als nym­ph omania bezeichnet. Die Ursachen der satyria­sis sind in der Regel zu starke Fütterung mit kräftig ernährenden Substanzen, daher zu starke Samenab­sonderung, oder auch, wie man wohl annimmt, aber
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404 Von Jen Abweichungen in den thierischen Trieben.
es zu beweisen nicht im Stande ist, eine reizende Beschaffenheit des Samens oder endlich Steigerang der Sensibilität in den Geschlechtsnerven. In der Nymphomanie liegen insgemein ähnliche Ursachen zum Grunde oder allgemeine Krankheilsznstände, wie die Franzosenkrankheil oder örtliche der Eierstöcke u. s. w.
Die Ursachen des verminderten Geschlechtstrie­bes sind in gewisser Beziehung den vorgenannten ent£eeenc;esetzt oder auch ähnlich, insofern allgemeine oder örtliche Krankheilen die Schuld tragen. Der verminderte Geschlechtstrieb hat eigentlich nur nach­theilige Folgen für die Oekonomie; der vermehrte aber kann auch, insbesondere für das männliche Thier, durch zu starke Samenabsondernng schwächend wir­ken, oder allerhand nervöse Zufälle zur Folge haben. (Vergl. I. Tb. sect;. 112.)
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Sechster Abschnitt.
Von den Abweichungen der gesammfen animalen Sphäre des Organisintis.
Erstes Capitel.
Vom Schlafe.
sect;. 94.
Zur Beurtlieilung des gesunden und krankhaften Schla­fes müssen wir wissen, dass die verschiedenen Gat­tungen der Hauslhiere ein verschieden grosses Be-dürfniss zu demselben haben. Je niedriger die Thier-galtung ist, um so weniger fest und anhaltend ist der Schlaf, so bei den Pflanzenfressern, wogegen die Fleischfresser tiefer und dauernder schlafen. Die Erklärung hiervon liegt in dem Umstände, dass der Schlaf in einem Ausruhen der animalen Verrichtun­gen besteht. Bei denjenigen Thieren also, wo diese Lebensseite am meisten entwickelt ist und in einem höheren Grade in Anspruch genommen wird, muss auch nothwendig jenes Bedürfniss am deutlichsten hervortreten. Ueber die physiologische Bedeutung des Schlafes wird auf den I. Th. sect;. 90 verwiesen, und hier nur noch erwähnt, dass die Zeit des Schlafes im Allgemeinen die nächtliche ist, jedoch richtet sie sich nach dem Bedürfniss und fällt daher auch häufig in die Tageszeit, ohne dass deshalb der Schlaf ein krank-
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4%nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Schlafe.
hafler genannt worden dürfte; bei der Katze ist der Tagesschlaf sogar normal, da sie ein Nachtraubthier ist.
sect;#9632; 95.
Steht der Schlaf in einem überwiegenden und daher abnormen Verhältnisse zum Wachen, so wird dieser Zustand nach Verschiedenheit des Grades als Schläfrigkeit (somnolentia) oder als Schlafsucht (sopor) bezeichnet. Beim Sopor unterscheidet man wieder mehrere Grade, je nachdem die Einwirkung niederer oder stärkerer Reize zur Hervorbringung des Wachens erforderlich ist, wie coma, letbargus und carus. Die Schlafrigkeit zeigt sich häufig bei trägen Thieren, namentlich bei Hunden, und hat ihren Grund meist in vermindertem Einflüsse von Reizen auf die Organe der thierischen Lebensseite. Die verschiede-denen Grade der Schlafsucht kommen in solchen krank­haften Zuständen vor, wo die freie Thatigkeit des Gehirns und Rückenmarks durch Druck krankhafter Producte gehemmt ist, namentlich heim Koller der Pferde durch Wassererguss in die Gehirnkammern.
Die Schlaflosigkeit (pervigilium) ist die Folge zu heftiger und anhaltender äusserer Sinneseindrucke, oder der Anhäufung der Sensihililät im Nervensy­stem, namentlich dann, wenn sie bis zum Schmerze gesteigert ist. Auch ist die Schlaflosigkeit eine ge­wöhnliche Begleiterin von Fiebern und Entzündungen höherer Grade.
Der Traum (somnium) welcher namentlich bei Hunden im normalen Zustande im unvollkommenen Schlafe oft bemerkt wird, kommt gewiss auch in Krankheiten in gesteigertem Grade vor, aber wir kön­nen ihn zur Zeit weder als Symptom gehörig wür­digen, noch wissen wir über die Art des Träumens der Thiere etwas Bestimmtes.
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Vom Schwindel.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 497
Das Deliriren (delirium) und die Steigerung des-selben bis zur Raserei kommt in heftigen Fiebern bei Mitleidenschaft des Gehirns, namentlich wenn in demselben Congestion oder Entzündung besteht, bei allen Haustbieren vor, und ist immer ein Zeichen von gefahrdrohenden Zustanden.
Zweites Capitel.
Vom ' Schwindel.
sect;•, 96-Der Schwindel (vertigo) kann als eine, mit Störung des Bewusstseins verbundene Unordentlich­keit der Sinneswahrnehmuneen und des Gemeinde-fühls solcher Art angenommen werden, wobei die Thiere nicht allein die aussein Gegenstande, sondern auch ihren eigenen Körper, obgleich er ruht, als in einer Bewegung begriffen wahrnehmen. Der Schwin­del ist daher eine Täuschung. Wir dürfen einen solchen Zustand bei den Thieren annehmen, weil die Erscheinungen, welche sie in dem unterstellten Schwin­del äussern, mit denen des Menseben in solchem Zu­stande übereinstimmenj Diese Erscheinungen sind bei den Thieren, namentlich beim Pferde und Hunde, wobei sie am häufigsten beobachtet werden. Scheu, Unruhe, ängstlicher und starrer Blick, Aufrichten des Kopfes, Hin- und Herbewegung desselben. Taumeln und wirkliches Umfallen. Es ist anzunehmen, dass der Schwindel im Wesentlichen in aufgehobenem Gleichgewicht der Thätigkeiten der beiden Hirnhälften und namentlich derjenigen, des kleinen Gehirns be­steht; denn bei den, vonFlourens, Magendie und Andern angestellten, so wie von Her twig wieder­holten Versuchen, haben sich bei einseitigen Verlez-
Fuchs, alldem. Palliol,
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498nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Schlagfluss.
zungen der Theile des verlängerten Marks und des kleinen Gehirns dem Schwindel ähnliche Erscheinun­gen ergeben, welche nach beiderseitigen Verletzun­gen der genannten Theile wieder aufgehoben wur­den. Auch aus dem Grunde sind wir berechtigt, das Wesen des Schwindels in eine aufgehobene Sy­nergie der Hemisphären des Gehirns zu setzen, weil wir ihn nach Ursachen entstehen sehen, durch welche ein einseitiger, mechanischer Druck oder eine un-gleichmässige, mehr dynamische Einwirkung auf das Gehirn stattfindet, z. B. nach Stössen, Schlägen auf den Schädel, durch Druck von pathologischen Er­zeugnissen auf das Gehirn, durch Uebermaass und plötzlichen Mangel an Blut in diesem Eingeweide u. s. w. Den höhern Grad des Schwindels, wobei die Sinnesempfindungen und das Bewusstsein unter­drückt sind, bezeichnet man als vertigo caliginosa oder scatodinia und denjenigen, wobei ein umfallen des Thiers stattfindet vertigo caduca; hierbei ist zu bemerken, dass der erstere den letztem nolhwendig in sich schliesst, aber nicht umgekehrt.
Drittes Capitel.
Vom Schlagfluss.
sect;• 97. Unter Schlagfluss (apoplexia) bat man eine vorübergehende oder andauernde gänzliche Aufhe­bung der Thätigkeit entweder in einem Theile oder im ganzen animalen Nervensystem (d. h. im Gehirn-und Bückenmark und in den davon abgebenden Ner­ven) bei Fortdauer der vegetativen Verrichtungen zu verstehen. Die normale Thätigkeit des animalen Ner­vensystems hängt, wie bekannt, von seiner gehörigen
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Vom Schlagfluss.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 499
Mischung und Form, so wie von dem gehörigen Wechselverhältnisse zwischen ihm und dem Blutge-fässsystem, und daher auch von der gehörigen Be­schaffenheit des Blutes ab. Die Hemmung oder gänz­liche Aufhebung der Verrichtungen des Nervensystems wird demnach auf einer Abweichung des einen oder des andern jener Verhältnisse beruhen müssen.
Bei dieser Vorausschickung wird es leicht er­klärlich, dass alles Das, was die Form und Mischung des Nervensystems, so wie das, was die Sensibilität auf eine mehr dynamische Weise erschöpft, so wie endlich das, was die freie Wechselwirkung zwischen Blut und Nervenmasse stört, unter Umständen Schlag­fluss bewirken könne. Einige spezielle Beispiele werden als Belege hierfür genügen: so erfolgt nicht selten nach Bluterguss in die Schädelhöhle und in den Wirbelkanal vermöge des hierdurch bewirkten Drucks auf die Neivenmasse, Schlagfluss, den man in Bezug auf die Ursache Blutschlagfluss (a. sangui-nea) nennt; nicht minder auch von Wasserguss in den. gedachten Partien (a. serosa); zu den dynami­schen Ursachen, welche auf eine mehr oder weni­ger directe Weise die Sensibilität tödlen, gehören der Blitz und die Narcotica, namentlich die Blausäure. Der Umstand, dass bald das ganze, bald nur ein Theil des aniraalen Nervensystems vom Schlagflusse betroffen wird, hat zu den Unterscheidungen in Hirn­schlag (a. cerebralis), Rückenmarksschlag (a. medullae spinalis) und in Nervenschlag (a. nervorum) gegeben. Nervösen Schlagfluss (a. nervosa), nennt man auch noch insbesondere denjenigen, welcher dem Anschein nach durch unmittelbare Tödtung der Sensibilität ent­standen ist, oder einen solchen, wobei ein Bluter­guss nicht als veranlassende Ursache nachgewiesen werden kann. Was die Erscheinungen und Folgen
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500nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;•#9632;#9632;nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;Vom Schlagfluss. • ' .
des Sclilagfiusses betrifft so ist aufsect;. 7G u. 83 d, Th. zu verweisen, insbesondere aber noch hier anzumerken, dass überhaupt die animalen Functionen in denjeni­gen Theilen schwinden, welche ihre Nerven von der­jenigen Partie des Nervensystems erhalten, welche hinter der, vom Schlagfluss berührten liegt; und kommt es auf die Dauer und Wichtigkeit der gestör­ten Functionen für das Leben an, ob der Schlagfluss den Tod zur Folge hat, oder nicht. —
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Gedruckt bei Julius Sittcnfeld in Berlin.
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