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Die Hundswuth,
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Die Hundswuth,
ihr Wesen, ihre Erkennung und Ursachen,
die
Vorbeugungsmittel gegen dieselbe,
nebst
Kritik der betr. polizeilichen Massregeln
von
DirectQEJQr. Rueff.
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Verlag von Schickhardt amp; Ebner. 1876.
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Bucbdruckerei von Hammer amp; Liebich iu Stuttgart;,
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Vorwort.
V on der Höhe der Tribüne der Academie der Wissen­schaften zu Paris sprach vor wenigen Jahren M. H. Bouley die bedeutungsvollen Worte: „Es ist von der grössten Wich-„tigkeit, die ernste Theilnahme des Publikums für die Fragen „über die Wuthkrankheit zu erregen und in die weitesten „Kreise die Kenntnisse über die Merkmale der Wuth, sowie „über ihren Verlauf, von der ersten Andeutung, welche ihr „Auftreten ankündigt, bis zum Augenblicke, wo das Leben „erlischt, zu verbreiten. Hiedurch wird man dem öffent-„lichen Wohle besser dienen, als durch alle Zwangsmass-„regeln, welche der Gesundheits-Polizei zu Gebote stehen.quot; Letztere Worte sind schwer wiegend aus dem Munde eines Mannes, der wie Bouley nicht allein in Frankreich, sondern auch in Deutschland hochangesehen ist als Veterinär. Von ihm sagt ein berühmter franz. Schriftsteller Eug. Gayot:
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,Bouley, ein mit reichstem Wissen ausgestatteter, anerkannt
vortrefflicher Praktiker geht ruhmvoll an der Spitze der inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Veterinärwissenschaften und hat über die Wuthkrankheit die
{|nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; eingehendsten Studien gemacht.quot; Bouley spricht sich mit
einer langen Reihe hervorragender Männer der Wissenschaft und Praktiker für die Möglichkeit der freiwilligen (sponta­nen) Entwicklung der Wuthkrankheit beim Hundegeschlecht aus, und ladet sich dadurch, ahgesehen von der wissen-
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schaftlichen Seite der Frage, nicht die schwere Verantwor­tung auf sein Gewissen, dass er die Hundebesitzer zu einem gefährlichen Sicherheitsgefühl und zu der Sorglosigkeit ver­führt, welche sich ergibt aus dem Wahn, ohne gebissen zu sein, überhaupt ohne Infection können die Hunde niemals wuthkrank- werden.
• Im Sinne der oben citirten Bouley'schen Worte habe ich die kleine Schrift in populärer Form auf wissenschaft­licher Grundlage geschrieben, und habe diese Arbeit um so mehr für zeitgemäss gehalten, weil die sogenannten Con-tagionisten, welche die selbständige Entwicklung der Wuth beim Hunde heutigen Tages kurzweg läugnen, die Behör­den zu Massregeln drängen möchten, welche nicht allein mehr oder weniger lästig und nutzlos sind, sondern sogar unter gewissen Umständen zur Entwicklung und Verbreitung der Krankheit noch beitragen könnten.
Zum Glück ist der Verfasser in dieser Anschauungs­weise mit so manchen erfahrenen Männern der Wissenschaft und Praxis einig. Mögen die nachfolgenden Blätter mit dazu beitragen, dass die massgebenden Factoren bei gerechter und verständiger Erwägung aller Verhältnisse den richtigen Weg finden, sowohl zum Schütze der Menschen als auch im Interesse des Thierschutzes, welcher einem der getreuesten und intimsten Hausthiere nicht ohne dringende Noth ver­sagt werden sollte.
Rueff.
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Einleitung.
Die Huudswuth hat neuerer Zeit mehr wie früher ein Interesse in grösseren Kreisen erweckt, nicht sowohl wegen der längst bekannten Gefahren und Schrecknisse für den Menschen oder wegen ihrer grösseren Ausbreitung, als vielmehr dadurch, dass derzeit die Tagespresse alle möglichen Wissensgebiete den ver­schiedensten Kreisen der menschlichen Gesellschaft aufzuschliessen oder doch derWissbegierde zu dienen sucht, namentlich werden mit Recht und mit Vorliebe die für die öffentliche Gesundheitspflege wichtigen Fragen zur öffentlichen Discussion gebracht. Durch­aus nicht bewiesen ist es, dass die Hundswuth sich gegen früher mehr verbreitet hat, obgleich diess vermuthet werden könnte wegen der Zunahme der Dichtheit der Bevölkerung, somit auch der von dieser unterhaltenen Hundezahl, dagegen ist es That-sache, dass alle Fälle heutzutage genauer registrirt werden und mehr wie sonst zur quot;Veröffentlichung kommen, eben desshalb ist es nutzlos, statistische Data aus der Neuzeit zu geben, weil sie nicht in Vergleich mit früheren Zeiten gebracht werden können. Eine Progression der Zahlen aus den letzten Jahren gibt höch­stens die ganz gewöhnliche Zahlenbewegung, wie wir sie bei allen Seuchengängen, so also auch bei den Wuthepizootieen sehen. Ein weiterer Grund für das erhöhte Interesse sind die in neuerer Zeit immer mehr gesteigerten und öffentlich bekämpften oder besprochenen sanitätspolizeilichen Massregeln gegen die Verbrei­tung der fraglichen Krankheit. Einzelne für diesen Zweck den Hundebesitzern durch Verfügungen auferlegte Massregeln veran-lassten eben jüngst in unserer schwäbischen Tagesliteratur man-
Bueff, Die HuDdswuth.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 1
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cherlei Streitfragen, aus denen zum Theil sehr erbitterte Wider­sprüche entstanden. Das was aber die Hundefreunde und Sach­kenner am meisten aufregte bei dieser öffentlichen Discussion war der mehrseitige Vorschlag, einen permanenten Maulkorb­zwang für alle Hunde bedingungslos polizeilich anzuordnen.
Endlich musste alle Sachkenner in Erstaunen setzen das Wiederauftauchen der schon vor Jahrzehnten aufgestellten Be­hauptung, dass die Hundswuth heutzutage nie mehr von selbst (spontan) entstehe, sondern immer nur durch Uebertragung des Ansteckungsstoffes (Contagiums) sich wieder erzeuge, so dass also die Krankheit immer nur von einem Patienten zum andern und nach obigem Satze von einer Generation zur andern übertragen werde, wesshalb mit Verhinderung dieser Uebertragung und mit Beseitigung aller betreffenden Patienten und mit Vernichtung des Ansteckungsstoffes und deren Träger diese specifische Krankheit vom Erdball ein für allemal weggewischt werden könnte, und für die bedrohten Menschen und Thiere das goldene Zeitalter der Wuthfreiheit entstehen würde. Mit dieser Behauptung sollte zu­gleich ein Hauptgrund für den genannten Maulkorbzwang gelie­fert werden. quot;Wer nun solchen freilich durchaus nicht näher be­gründeten Behauptungen Glauben schenkt und sich mit den ent­sprechenden Hoffnungen trägt, der muss natürlich im Interesse der von der schrecklichen Krankheit bis daher bedrohten Mensch­heit alle diejenigen Massregeln befürworten, welche eine Hunde­generation lang eine Uebertragung unmöglich machen könnten. Consequenterweise dürfte man aber nachher, da man ja der Vernichtung der Krankheit sicher ist, das ganze Hundegeschlecht als unschädlich in fraglicher Richtung betrachten. Das klingt sehr erfreulich, allein leider kommt der hinkende Bote hinten-drein in Gestalt eines Ardenner Wolfes, welcher, obgleich die Wölfe die nächsten Verwandten nach einigen Zoologen und Thier-züchtern sogar identisch mit einzelnen Hunderacjen sind, das merkwürdige Monopol besitzen soll „spontanquot; wüthend zu wer­den und seine zahmen Anverwandten zu inficiren.
Zweck dieser Abhandlung soll es nun zunächst sein, dem grossen Kreise der Hundefreunde und derer, welche sich für die
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in neuerer Zeit angeregten Fragen interessiren, die Mittel zu eigener Belehrung an die Hand zu geben, damit sie sich selbst ein richtiges Urtheil bilden können über die so verschiedenen Vorschläge und Massregeln, und um vorkommenden Falls durch richtige Erkenntniss eines etwaigen Wuthfalles rechtzeitig und so viel an ihnen liegt zur Sicherung menschlicher Gesundheit und Existenz mitzuwirken. Beschreibungen über die Wuthkrank-'*nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; heit sind zwar nicht selten, allein sie sind entweder in wissen-
schaftlichen Werken nicht populär gegeben oder es sind amtliche Belehrungen in Amts- und Eegierungsblättem, welche nicht so allgemein beachtet und geachtet werden, wie es sein sollte, und wie es namentlich die sehr präcis gehaltene Belehrung des Kgl. Württemb. Medicinal-Collegiums verdiente.
Der Verfasser hat nicht allein in 23jähriger Praxis leider öfter wiederholt Gelegenheit gehabt wuthkranke Hunde in vete­rinärpolizeiliche Behandlung zu bekommen, sondern auch auf der Stuttgarter Thierarzneischule und an andern ähnlichen Anstalten Patienten mit quot;Wuthkrankheit lebend und nach dem Tode zu beobachten, daher er das Meiste aus eigener Anschauung kennt und nach eigener Beobachtung berichtet.
In der Literatur findet man ausser in den neueren Fach­schriften und veterinärtechnischen Zeitschriften eine reiche Quelle der Belehrung hauptsächlich in der Monographie Fabers über Hundswuth, wo namentlich die in den Acten des Kgl. Württemb. Medicinal-Collegiums verzeichneten und in der Literatur alier Zeiten erwähnten Fälle von Hundswuth und die Erfahrungen über dieselbe mit musterhaftem Fleisse und seltener Objectivität re-gistrirt und besprochen sind, leider ganz unbeachtet von neueren Schriftstellern, welche für ihre Ideen aus einigen neueren stati­stischen Erhebungen und Anschauungen in der Veterinärwissen­schaft, ohne Rücksicht auf das, was früher erfahren, beobachtet und geprüft wurde, Capital machen. Mit souveräner Nichtbe­achtung oder gar Verachtung früherer Anschauungen und Erfah­rungen ist der Wahrheit und Wissenschaft nicht gedient!
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Die Wuth im Allgemeinen.
Die quot;Wuthkrankheit (Lyssa) ist eine Nervenkrankheit, welche nach den bisherigen Erfahrungen selbstständig sich nur bei Fleischfressern, speciell bei der Gattung Hund, nämlich beim Haushund, Wolf, Fuchs entwickeln kann, dann aber durch einen nicht flüchtigen Ansteckungsstoff auf alle warmblütigen Geschöpfe, besonders auf den Menschen, alle unsere warmblütigen Hausthiere, sogar auf das Geflügel übertragen und weiter verbreitet werden kann. Als Ansteckungsstoff (Contagium) wirkt meist der Speichel, welcher bei Gelegenheit eines Bisses mit dem Zahne des wü-thenden Thieres dem quot;Verletzten eingeimpft wird; allein auch andere Ausscheidungen des quot;Wttthenden, z. B. Schleim, Milch, sowie das Blut, hauptsächlich das warme, können ansteckend wirken. Der Eintritt der Krankheit zeigt sich zunächst als Stö­rung der Functionen des Gehirns, namentlich der Instinkte, später des Bewusstseins mit ganz besonderer Neigung zum Beissen und zu Easerei, es entstehen Zuckungen, Krämpfe und Läh­mungen. Obgleich die Krankheit von den Meisten als eine fieber­lose bezeichnet wird, so hat man doch hierüber noch keine exacten Beobachtungen angestellt; sie führt so häufig zum Tode, dass man sie als eine unbedingt tödtliche bezeichnen kann. Der Verlauf ist schnell, so dass die meisten Todesfälle auf den fünften Tag kommen, doch zieht sich bei einzelnen Patienten die Krank­heit acht Tage bis zum Tode hin.
Regelmässige und gleichartige durch die Section nachzu­weisende Entartungen des Körpers, ein bestimmter pathologisch­anatomischer Erfund kommen dieser Krankheit nicht zu.
Die Wuth beim Hunde.
Der aufmerksame Beobachter wird schon einige Tage vor dem Ausbruch der eigentlichen Wuth einige Vorboten derselben erkennen, und zwar in einer gewissen Verstimmung, in einer Veränderung des Charakters des leidenden Thieres. Ein bisher
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freundlicher, zutraulicher Hund wird ungehorsam, zieht sich zu­rück, erscheint mürrisch, zum Beissen geneigt, verkriecht sich womöglich an dunkle Orte. Hierauf tritt eine eigenthümliche innere Unruhe auf, die Lagerstätte wird oft gewechselt, liegend auf derselben wird häufig ohne besonderen Grund die Stellung geändert, ab und zu ohne Grund mit dem Maule geschnappt. quot;Wenn das Fressen auch noch nicht ganz gestört ist, so bemerkt man doch eine qualitative und quantitative Aenderung der Fress­lust. Die Lieblingsspeisen werden etwa noch angenommen, allein das gewöhnliche Futter verschmäht, kurz das Thier erscheint in jeder Beziehung launisch. Hat ein solcher Hund ein wenig ge­fressen, so steht er wieder ab davon, oder er bekommt Neigung zum Erbrechen und erbricht sich zuweilen wirklich. Einzelne Speisen werden entweder gar nicht angesehen oder nur ein Bissen davon aufgenommen und wieder fallen gelassen.
Bald tritt die immer deutlicher bemerkbare Neigung hervor, ungeniessbare oder doch unverdauliche, dem normalen Appetit geradezu widerstehende Gegenstände, Holz, Stroh, Tuch, Lappen, Leder, Federn zu verschlingen, es wird sogar der eigene und fremde Koth aufgefressen und der Harn aufgeleckt, mit Vorliebe werden auch kalte Gegenstände, Eisenstäbe, Steine beleckt. Viel­fach tritt ein besonders starker Geschlechtstrieb hervor, die Thiere machen sich mit Vorliebe an den eigenen oder fremden Geschlechtstheilen zu schaffen und benagen sie sogar. Beob­achtet man die Hunde im Gehen, so zeigen sie eine gewisse Mattigkeit, ein Schwanken und quot;Wackeln und ein Zittern des Hintertheils. Hiermit steht in ursächlichem Zusammenhang die Eigenthümlichkeit, dass erkrankte Rüden, welche nach ihrem Alter, d. h. vom Zahnwechsel an, den einen Fuss beim Uriniren aufheben sollten, wenn sie nicht gerade eine überfüllte Blase haben, wie eine Hündin mehr sich niederduckend das quot;Wasser lassen.
Im Uebrigen bemerkt man im Aeusseren noch keine Verän­derung, das Thier beisst noch nicht, die Haare sind noch nicht sehr deutlich matt und glanzlos, doch wird man bei näherer Beobachtung eine Röthung d. h. Blutüberfüllung an der Zunge und im Rachen, am Auge und den Augenlidern, sowie eine Er-
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Weiterung des Augensterns, der Pupille, erkennen. Hiedurch be­kommt ein solches Thier einen eigentbümlichen, abschreckenden, drohenden Gesichtsausdruck, der in vollem Einklang steht mit der wirklichen Gefährlichkeit des Thieres schon in dieser ersten Periode. Zuweilen bemerkt man verstärkten Speichelausfluss aus dem noch geschlossenen Maule und Schleimausscheidung aus den Nasenkanälen. Ist die Krankheit durch eine Wunde, etwa einen Biss übertragen, so zeigt sich erfahrungsgemäss eine neuenbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;flt;
Heizung in der Bissstelle, leichte Schwellung oder Köthung, er­höhte Empfindlichkeit, welche sich durch häufiges Lecken, Kratzen und Nagen an der vernarbten Stelle kundgibt.
Zwei bis drei Tage später, zuweilen noch früher, kommt die Krankheit wirklich zum Ausbruch, und zwar in zwei verschiede­nen Formen, nämlich als rasende oder tolle Wuth, und als stille Wuth, bei welcher die Lähmung sogleich in Vordergrund tritt.
Der Unterschied ist eben kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer in Betreff der Aeusserung des Grundübels und des Paroxysmus. Beide Formen können leicht nebeneinander, noch häufiger nach einander vorkommen, in einander übergehend.
Die bei der „Tollwuthquot; auftretenden Nervenerregungen und Paroxysmen sind anfänglich am stärksten, zeigen sich nur während weniger Tage, und charakterisiren hauptsächlich „die Wuthquot;, allein in den ruhigen Zwischenzeiten dauert doch die Krankheit und das Nervenleiden und die Gefahr fort.
Die am meisten charakteristischen Merkmale sind die auf­fallende Unruhe und die Neigung zum Beissen. Die Unruhe ist hoch gesteigert, das Thier wechselt immer den Ort, richtet sein Augenmerk auf alle Ausgangsöffnungen und sucht auf jede Weise in's Freie zu kommen und diesen Zweck zu erreichen durch Zernagen der Thüren und Holzwände, der Anbindestränge, aber auch Ketten und eiserne Gitter werden angegriffen und mit den Zähnen erfasst, wobei einzelne Hunde oft so wüthend angreifen, dass sie sich die Zähne zersplittern oder abbrechen, und aus dem Maule bluten in Folge der Selbstverletzungen. Gelingt die Befreiung, so schweifen wüthende Thiere unstät herum, oft weite Strecken zurücklegend. Die Haushunde kehren nach starker
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Abspannung in Folge solcher Aufregungen meistens ermattet wie­der nach Hause zurück, wenn sie nicht verscheucht worden sind, und verkriechen sich, wie wenn sie ein böses Gewissen hätten.
In diesem ersten Stadium tritt die wüthende Beisssucht deut­licher hervor, doch zeigt sich diese Manie je nach dem Charakter, dem Temperament und der Dressur der Hunde sehr verschieden­artig. Verdächtig ist schon, wenn ein Hund gegen ihm sonst befreundete Hunde und Katzen beisst. Einzelne schnappen nur im Vorbeigehen und wenn ihnen etwas in den Weg kommt, an­dere dagegen sind aggressiv, sie suchen die lebenden Wesen, .welche in ihrer Nähe sind, heimtückisch oder gewaltsam zu er­reichen, um an ihnen ihre Beisslust auszulassen, und hiebei raufen manche wüthende Hunde sehr hartnäckig und würgen ihre unglücklichen Opfer. Sind jedoch die Patienten in diesem Zustand schon verwahrt, so beissen sie toll in alle vorgehaltenen Gegenstände, in Gitter und Ketten, in Stroh und Fressgeschirre ein. Während solcher Beisssuchtanfälle sind die Thiere wie be-wusst- und gefühllos, der Trieb der Selbsterhaltung ist ganz verschwunden, sie fürchten sich vor Nichts und vor Niemanden, brechen sich die Zähne aus an den harten Körpern, in welche sie beissen, verletzen sich Maul und Lippen oft tief, ja sogar sie zerfleischen sich selbst und wie es scheint mit besonderer Vorliebe an ihren Geschlechtstheilen und deren Umgebung.
Die Beisssucht wird am meisten angeregt durch Annäherung anderer Hunde, durch Katzen und Geflügel, weniger aggressiv verhalten sich wüthende Hunde gegen grössere Pflanzenfresser, mit Ausnahme der Schafe, und gegen Menschen, welche sie ge­wöhnlich, besonders wenn ihnen dieselben bekannt sind, glimpf­lich behandeln, ja sogar noch respektiren. doch ist ihnen nie zu trauen. Nicht unwahrscheinlich ist die von Einzelnen be­hauptete Beobachtung, dass gesunde Hunde einen wüthenden in­stinktiv meiden und ihm, wenn sie können, aus dem Wege gehen.
Die Dauer solcher Tob- und Beisssuchtanfälle in der rasen­den Wuth, deren erster gewöhnlich der heftigste und längste ist, kann sich von einer Stunde bis zu einem ganzen Tage und noch länger hinziehen. Der Nachlass der Krankheitserscheinungen
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nach einem solchen Anfall ist oft so auffallend, dass ein Unge­übter meinen könnte das Thier sei nahezu gesund und genesen. Allein jede äussere Veranlassung, namentlich jede Neckerei, ruft neue kurze Anfälle hervor. Aber auch bei scheinbarer äusserer Euhe dauert die innere Aufregung und Angst fort, das Auge ist verzweifelnd stier. Bei dieser innern Unruhe springen die Pa­tienten oft mit Geheul auf, drängen in eine Ecke oder gegen die Gitter, reissen an der Kette. #9632;—
Ein andauerndes, hauptsächlich charakteristisches Symptom •ist die ganz eigenthümliche Veränderung der Stimme, welche oft schon im ersten Stadium unter den Vorboten sich bemerklich macht. Während bei dem Bellen eines gesunden Hundes die einzelnen Anschläge von einander deutlich geschieden und gleich-tönend sind und das Heulen in lang gedehnten sich allmälig ab­schwächenden Zügen geschieht.', schlagen wüthende Hunde mit einem nicht hellen etwas heiseren Tone an, welcher in einen höheren Ton kurz ausgezogen wird, so dass die Stimmbildung zwischen Bellen und Heulen schwankt, ich möchte es einen „Heul-schreiquot; nennen. Diese Art zu bellen lassen die meisten wüthen-den Hunde erkennen, namentlich wenn sie angebunden oder ein­gesperrt sind, oder wenn sie gereizt werden, namentlich auch anfangs, wenn sie von ihrem Herrn nach einem Besuch wieder verlassen werden.
Die Wasserscheu, welches Symptom früher als wesentlich betrachtet wurde und den Anlass zur Benennung der Krankheit als „Wasserscheuquot; gab, ist häufig gar nicht vorhanden, man hatnbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; '
sogar Beispiele, dass wüthende Hunde durch fliessendes Wasser geschwommen sind und kann es fast bei allen wüthenden HSnden sehen, dass sie in den ihnen vorgestellten Flüssigkeiten lecken und saufen, soweit sie nicht durch die Schwellungen und Lähmungen im Bachen am Schlingen verhindert sind. Etwa bemerkbare Wasserscheu lässt sich meist eher darauf zurückführen, dass die Patienten durch das Spiegeln der Wasseroberfläche nervös auf­geregt werden, wie diess auch bei einzelnen vorkommt beim An­blick eines gewöhnlichen Spiegels oder glänzender Flächen.
Viel häufiger, fast regelmässig, ist eine Schlingbeschwerde
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mit der quot;Wuth verbunden, welche erstere anfänglich durch Schwel­lungen der Schleimhaut im Rachen und später durch Lähmungen in den betreffenden Nerven und dann der Muskelfasern, sowie durch Krämpfe der Schlundmuskeln bedingt ist, daher kommt es auch, dass manche Stoffe mit dem Maule aufgenommen, bald wie­der ausgespieen werden, ehe sie in den Magen kommen konnten.
Abgesehen von diesem wesentlich mechanischen Hinderniss . inbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;der Futteraufnahme ist doch auch der Appetit qualitativ verän-
dert. Die Patienten verschmähen ein natürliches Futter, nehmen dagegen mit Vorliebe eckelhafte, unverdauliche Stoffe gierig auf, ihren eigenen Koth, das Streustroh, Kalkmörtel, Erde, Holz. Dem entsprechend sind die Entleerungen von Excrementen ver­zögert , vermindert, oder es besteht gänzliche Verstopfung. Die Thiere magern sehr rasch ab, fallen in den Flanken ein, die Augen sind in ihre Höhlen eingesunken und hiedurch bilden sich die von Einzelnen als besonderes Merkmal erwähnten klei­nen Falten an den Augenlidern und an der Stirne, wodurch die Thiere einen düsteren, heimtückischen Ausdruck bekommen.
Im letzten Stadium, etwa 2—3 Tage nach den ersten Aus­brüchen derTollwuth, oder ohne dass diese stürmische Krankheits­form vorangegangen wäre, also bald nach den Vorläufern bei der Form der „stillen Wuthquot;, treten Lähmungserscheinungen immer deutlicher hervor, und zwar am häufigsten zuerst im Rachen und in den Muskeln des Hinterkiefers, später am Hintertheil. Diese Lähmungen erklären uns so manche als wesentlich schon früher ^nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; bezeichnete Krankheitserscheinungen, z. B. die Schlingbeschwer-
den, Ausfliessenlassen von Geifer und Speichel, welcher einerseits nicht hinabgeschluckt werden kann, andererseits durch die un­willkürlich geöffnete Maulspalte herausfliessen kann.
Die so vielfach behauptete Tiefhaltung des Schweifes, welche durchaus kein charakteristisches Wuthzeichen ist, steht ebenfalls in ganz einfacher Beziehung zu den Lähmungszuständen; sind diese noch nicht vorhanden, so wird auch der Schwanz wie ge­wöhnlich getragen. Dass von Verfolgern geängstigte oder von innerer Angst getriebene Thiere den Schweif meist willkürlich einziehen oder dass schon in das Lähmungsstadium eingetretene
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Thiere den Schweif nicht mehr frei tragen können, so wenig wie sie stramm und ohne Schwanken gehen können, wenn das Hin-tertheil von der Lähmung hetroffen, sind also selbstverständliche Erscheinungen, welche direkt nicht der Wuth angehören. AU-mälig wird diese Lähmung so tief eingreifend, dass die Thiere das Hintertheil nur noch wie einen fremden Körper nachschlep­pen, oder sich gar nicht mehr von der Stelle bewegen können.
Wenn nun auch die Thiere sich nur noch vorn aufrichten, wegen der Hinterkielerlähmung kaum mehr beissen können, so ist doch nie zu trauen, weil in momentaner Erregung doch oft noch ein Zusammenraffen und Schnappen möglich wird. Die Stimme wird immer heiserer, das Anschlagen kürzer und schwächer, da die Lähmung auch an den Stimmbändern und Kehlkopfmuskeln sich einstellt. Das Athmen ist beschleunigt, auch soll der Puls bedeutend an Frequenz zunehmen. Thermo-trische Untersuchungen über die Körpertemperatur des Patienten sind aus naheliegenden Gründen nicht gemacht. Die Pupille ist sehr erweitert. Die Herabstimmung des ganzen Nervensystems zeigt sich auch durch eine auffallende Unempfindlichkeit, die Thiere achten nicht auf Schläge, beissen sogar hartnäckig auf glühendes Eisen, das man gegen sie hinhält und scheuen sich nicht vor den oben besprochenen Selbstverstümmlungen.
Sind die Thiere nicht in dem zweiten Stadium während eines Anfalles der rasenden quot;Wuth zu Grunde gegangen durch einen Gehirnschlag (meist, in Folge eines Gehirnödems), oder durch einen Lungenschlag, Erstickung, so gehen die Patienten sicher im letzten Stadium der Lähmung ein und zwar am 4.-8. Tage, meist am 6ten nach den ersten Anzeichen, und zwar gewöhnlich ohne schweren Todeskampf in stumpfem Hinstarren und in Be­täubung. Nur wenige Fälle von Heilung oder Wiedergenesung eines wirklich wuthkranken Hundes sind bekannt.
Von grösster Wichtigkeit ist es, die eben besprochenen Merkmale am lebenden Thiere zu beachten und zu constatiren, denn die Section für sich allein bietet nur wenig constante und gar keine vollständig sicheren Anhaltspunkte für die Feststellung der Diagnosis auf Wuth. Die Wuthkrankheit hat eben keine
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specifischen ihr allein zukommenden pathologisch-anatomischen
Charaktere.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;|
Die wichtigsten Erscheinungen am Cadaver sind Blutüber-fttllung der Gefässe des Gehirns und des Eückenmarks, Erwei­chungen dieser Organe, zuweilen mit wässerigen Ausschwitzungen in die Nervenmasse (Gehirnödem) und in Lungen (Lungenödem). Die Schleimhäute des Magens und des Darmes sind catarrhalisch afficirt, gelockert, geröthet, besonders auffallend bei der stillen Wuth. Auch der Kehlkopf, der Kehldeckel, die Stimmritze und die Luftröhre, wie ihre Verzweigungen zeigen sich im Congestiv-nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; j
zustande, letztere sind häufig mit Schaum angefüllt.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; \
Die Blutüberfüllung und Neigung zu Ausschwitzungen na­mentlich auch von Blutfarbstoff tritt aber fast in allen Organen hervor, namentlich am Darmcanal, an Leber und Nieren. Das Unterhautbindegewebe, die Muskeln zeigen Blutunterlaufungen.
Die Blutaustretungen (Ecchymosen) beginnen am Nahrungs­schlauche schon oben im Rachen und sind am deutlichsten an den geschwollenen Schleimbautfalten im Magen; nicht selten be­merkt man an solchen gerötheten Stellen Abschärfungen (Ero­sionen) der obersten Schleimhautschichten.
Das Blut in den Gelassen ist nicht zu Gerinnungen geneigt, sondern ist theerartig flüssig, dunkel, geht schnell in faulige Zer­setzung über. Ein fast regelmässiges Sectionsergebniss ist der ungewöhnliche Inhalt des Magens und der Gedärme, man findet Stroh, Haare, Erde, Heu, Leder, Tuchfetzen, und daneben na­mentlich im Darme einen schwarzbraunen mit Galle vermischten dicken zähen Schleim fast wie Süssholzextract.
Diese Sectionserfunde können erst im Zusammenhalt mit den Erscheinungen am lebenden Thiere die Constatirung dernbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; '•
Wuthkrankheit geben und weisen namentlich wegen der Abnor­mität im Kreislaufe darauf hin, dass eine Störung des verlänger­ten Markes und der benachbarten Nervencentralorgane, des Ge­hirns und Rückenmarks das pathologische quot;Wesen der Wuth be­gründen.
Die hier oben besprochenen Erscheinungen am lebenden und todten Patienten kommen jedoch auch bei anderen Krankheiten
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des Hundes vor, daher man sich vor quot;Verwechslungen hei der Diagnosis sehr zu hüten hat.
Die Beisssucht kommt vor, hei verschiedenen schmerzhaften Aufregungen, hei Darm- und Magenentzündungen, bei Vorhanden­sein zahlreicher Bandwürmer im Darm, bei Einwanderung eines Schmarotzerthieres des bandwurmähnlichen Fünfloches, Pentas-tomum taenioides in die Stirnhöhlen, bei carieusen Zähnen, vor dem Hungertode, bei einzelnen Suchtformen.
Mit den Lähmungserscheinungen kann die Fallsucht ver­wechselt werden, allein hei letzterer sind vollständiges Zusammen­stürzen, unwillkürliche krampfhafte Bewegung, Geifern und Schäu­men, ängstliches Schreien charakteristisch. Sehr ungeschickt müsste man sein, wenn man eine einfache Halsentzündung oder gar das Steckenbleiben fremder Körper mit quot;Wuth verwechseln würde; das ganze Benehmen des Thieres, welches sich ängstlich aber zutrauensvoll gegen den Herrn benimmt, das Erbrechen der aufgeschlappten Futterstoffe, Schmerz in der Halsgegend sind die sicheren Mittel zur Richtigstellung der Sachlage. Kaum zu warnen dürfte sein vor Verwechslung mit Kieferverrenkung, wo­bei der Unterkiefer beständig unten steht; schon das plötzliche Auftreten, meist bei einem bestimmt erkannten Anlasse, z. B. hei einer Hetze, beim Apportiren, wird auf die richtige Erkenntniss führen. Auch in der Sucht, beim Zahnen kommen oft einzelne Symptome der Wuth vor, allein dabei bleibt es und es sind sehr deutliche andere Symptome für die andere Krankheit da­mit gepaart.
Auch heftige Erschütterungen des Nervensystems führen zu­weilen zu einer freilich nur vorübergehenden Beisssucht, z. B. sehr schmerzhafte Hoden-Entzündungen, Milchversetzungen, Entwöh­nen der Jungen, grosse Abspannung durch lange aufregende Paarungsacte. Angst und Furcht, Einreibungen mit Terpentinöl, für welches Hunde sehr empfindlich sind, geben oft rasch An-lass zu einem irren Herumlaufen und zu heftiger Beisssucht.
So wenig nach dem eben Gesagten die Section allein die Wuthkrankheit beweisen kann, so ist eine solche Untersuchung in wichtigeren Fällen doch schon desshalb von Werth, weil das
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NichtVorhandensein anderer pathologischer Erscheinungen, welche auf eine andere Krankheit bestimmt hinweisen, z. B. ausschliess-lich Ansammlung von Eingeweidewürmern, Bauchfellentzündungs­merkmale, sehr carieuse Zähne etc., beim Vorhandensein der oben beschriebenen Befunde die Bedeutung dieser sowie der ver­dächtigen Symptome während des Lebens erhöhen.
Wuth bei den übrigen Fleischfressern.
Bei den übrigen Fleischfressern Wolf, Fuchs, Dachs, Marder, in welchen sich nach bisherigen Erfahrungen die Wuth zuweilen selbstständig ausbilden kann, jedenfalls nicht selten auftritt, zei­gen sich neben den oben besagten Krankheitserscheinungen, welche alle man jedoch nie sicher wird constatiren können, da solche Thiere zu selten einer eingehenden Beobachtung zugäng­lich sind, auffallende Abweichungen des gewöhnlichen Benehmens. Zunächst legen die wildlebenden Thiere ihre natürliche Scheu ab, sie verlassen ihre naturgemässen Aufenthalte, laufen unstet in bewohnte Orte, auf die Landstrasse, und wenn ihnen da Men­schen oder Thiere in den Weg kommen, fallen sie dieselben wüthend an mit Bissen, sie greifen Pferde, Binder, Schafe, Hunde einzeln oder in Heerden an und springen grossen Hausthieren an die Lippen und Kehle hinauf.
Bei den Katzen geben das Verkriechen und dann wieder ein ungewöhnliches Herumspringen, ein weites Herumschweifen die ersten Andeutungen, dann folgt aber bald ein aggressives Ver­halten, wobei die Krallen und die Zähne als Angriffswaffen be­nutzt werden. Wüthende Katzen springen dem Menschen mit Vorliebe gegen das Gesicht, kleineren Hausthieren, den Hunden auf den Bücken, dem Geflügel an den Hals. Bald tritt Abma­gerung und Lähmung ein, auch will man bei Katzen eine Ver­änderung der Stimme, ein eigenthümliches heiseres Schreien, er­kannt haben. Der Tod erfolgt noch rascher als beim Hund und den oben genannten Hundearten Wolf und Fuchs, nämlich meist zwischen dem 2. und 4. Tage.
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Wuth bei dem Schweine.
Die Schweine, (Omnivoren, Allesfresser), werden gewöhnlich in der quot;Wuth sehr schreckhaft und wild, das Athmen ist sehr beschleunigt, der Blick wild, das Geifern sehr stark. quot;Während der Wuthparoxysmen beissen wüthende Schweine in leblose Ge­genstände, zerwühlen die Streu, verstecken sich in dieselbe, greifen Menschen und Thiere, sogar die eigenen Jungen an. Letzteres ist aber nicht zu verwechseln mit dem Anfressen eben geborener Ferkel durch die eigenen Mütter. In freien Zwischen­räumen aber liebkosen Mutterschweine zuweilen ihre Jungen wieder und säugen sie. Maul und Rüssel wird bald trocken, es erfolgt rasche Abmagerung, Lähmung des Unterkiefers und des Hintertheils, meist dauert die Krankheit nur 2—4 Tage; als Vorbote gilt das Benagen der alten inftcirten Bisswunde.
Wuth bei den pflanzenfressenden Hausthieren.
Bei den Pflanzenfressern, Pferd, Rind und Schaf, an welchen man schon oft die immer durch Ansteckung auf diese Thierarten übertragene Wuth beobachtet hat, äussert sich die Krankheit meist zunächt durch eine auffallende Empfindlichkeit an der ge­bissenen Stelle, die Thiere sind unruhig, schreckhaft und ge­schlechtlich meist sehr erregt. Gar nicht selten zeigt sich eine Scheu gegen Licht und gegen glänzende Gegenstände, immer aber ist eine besondere Antipathie gegen Hunde vorhanden. Zuweilen stellen sich Zuckungen der Hautmuskeln und allge­meine Krämpfe ein. Auch die sonst friedlichen Pflanzenfresser werden aggressiv gegen Menschen und Thiere, sogar tobsüchtig mit deutlicher Beisswuth. Bald stellen sich nach den ersten Schlingbeschwerden Lähmungen am Hinterkiefer und am Seh­nerven ein, die Thiere geifern viel, sind heiser, verfallen schnell in ihren Körperformen und sind frühe gelähmt im ganzen Hinter-theil. Auch bei diesen Thieren verlauft die Krankheit meist in 4—6 Tagen. Der Tod erfolgt liegend unter Convulsionen. selten apoplectisch.
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Beim Pferde speciell äussert sich die Wuth anfänglich durch häufiges Ausschachten bei Hengsten, durch Rossen bei Stuten. Die Pferde springen in die Krippen, hauen über die Kette, schla­gen und beissen wüthend gegen die erreichbaren leblosen und le­benden Gegenstände, in einzelnen Fällen zerfleischen sie sich selbst.
Rinder dagegen sind mehr traurig ohne alle Fresslust, dazwischen sehr unruhig, wobei sie häufig brüllen wie die soge­nannten „Bockerinenquot;, mit den Fassen stampfen, sich zur Erde werfen und wälzen, sie stossen nach allen Richtungen und suchen sich loszureissen, wobei oft die Hörner abgebrochen werden und die Stirne wund gerieben erscheint. Die Beisssucht zeigt sich beim Rinde selten. Das Wiederkäuen hört gleich anfangs ganz auf.
Beim Schafe, bei denen ich selbst schon mehrere Male die Wuth zu beobachten Gelegenheit hatte, fällt wohl am meisten das geröthete, stiere Auge mit weit offener Pupille auf, dann die veränderte Stimme, häufig ist ein Nasencatarrh bemerkbar. Wäh­rend der Wuthanfälle und ehe die gewöhnliche Lähmung eintritt, lassen die Schafe ein eigenthüraliches Knirschen mit den Zähnen, ein Bebbern mit den Lippen hören, ihr aggressives Verhalten namentlich aber gegen den Menschen geben sie zunächst durch kurze starke Tritte mit den Vorderfüssen gegen den Boden .zu erkennen und dann rennen sie in raschem Anlauf an, hiebei ist auch das Beissen nicht selten, so dass man sich bei solchen Schafen wohl vor Infection in Acht zu nehmen hat. Andere Schafe, Hunde und leblose Gegenstände sind für solche Patienten Angriffsobjecte, oft machen sie ohne Grund ganz tolle Sprünge. Ganz ähnlich benehmen sich die Ziegen in der Wuth, nur ist bei ihnen die Beisssucht mehr ausgesprochen.
Beim Hausgeflügel (ich beobachtete selbst eine tolle Trut­henne) tritt die Wuth auch nur durch Infection auf und in ähn­licher Weise, wie bei den bis daher besprochenen Thiergattungen. Zunächst bemerklich macht sich die Krankheit durch die heisere Stimme und durch das aggressive Benehmen, wobei die Thiere gegen den Menschen etc. aufspringen, gegen ihn picken und beissen, auch machen sie sonst eigenthüraliche Sprünge, sind überhaupt bis zu eintretender baldiger Lähmung sehr unruhig.
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Vorhersage bei der Wuth.
Die Beurtheilung der Gefahr (Prognosis) bei ausgesprochene! Wuthkrankheit ist entschieden ungünstig, wenn auch in einzelnen wenigen Fällen diese Krankheit schon von selbst oder bei An­wendung verschiedener Mittel zur Heilung kam. Sehr bequem ist es zu sagen, wenn ein Wuthfall zur Heilung kam, so war es nur ein „sogenannterquot;, die Heilung sei gerade der Beweis, dass der Patient nicht wirklich an der Wuth gelitten habe. Das ist gegenüber manchen ehrenwerthen Berichterstattern jedenfalls, um mich milde auszudrücken, eine kühne Logik. Nach allen Erfahrungen muss ganz entschieden von einer Behandlung wüthender Thiere abgerathen werden, weil, abgesehen von der so geringen Aus­sicht auf Erfolg, eine grosse Gefahr für den Menschen wegen einer durch die Behandlung gebotenen häufigeren Gelegenheit zur Ansteckung gegeben ist. Die Mittel, welche schon zu verschie­denen Zeiten, von Berufenen und Unberufenen angeblich mit so günstigem Erfolg angewendet und empfohlen wurden, sind inner­lich: Maikäfer, Canthariden, Zinkvitriol, Kupfervitriol, Quecksil­ber, Calomel, Belladonna, Hyosciamus, scutellaria laterifolia. Ge­nista tinct. Aeusserlich: starke Keize, Ableitungen durch scharfe Salben und Pflaster, Glüheisen etc. im Genick, über dem Rücken­mark. Dampfbäder, türkische Bäder, starke Aderlässe, neue Reizung der Bisswunden etc.
Viel wichtiger ist die Vorbeugung, die prophylactische Be­handlung nach geschehener Ansteckung durch einen Biss oder sonstigen Anlass, allein da das, was hier zu sagen ist über die Behandlung der Thiere, auch für die der Menschen gilt, so ist es wohl zweckmässig, zuvor die Wuth bei dem Menschen ebenfalls kurz hier zu besprechen.
Die Wuth des Menschen tritt nie in selbstständiger Ent­wicklung auf, sondern nur in Folge von Uebertragung des Wuth-contagiums, für welches jedoch wie bei allen Thieren eine indi­viduelle Empfänglichkeit vorhanden sein muss. Der Zeitraum von der Infection bis zu dem Ausbruch der Krankheit (Incuba-tionszeit) wechselt von 8 Tagen bis 8 Wochen, ja man kennt
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sogar einige wenige Fälle einer länger als 1 Jahr dauernden Incubation.
Die ersten Merkmale beim Menseben sind wechselnde Hals­schmerzen, welche in keiner ursächlichen Beziehung zu irgend einer Entzündung oder anderen sichtbaren oder fühlbaren Ver­änderungen der Theile in und am Halse stehen. Hierzu kommt bald eine beständige Ansammlung eines zähen milchweissen Spei­chels in der Maulhöhle, so dass der Patient fortwährend aus­speit oder trielt. Eine gemüthliche Verstimmung tritt ein, Nachts mit Träumen bei häufiger Angst vor Hunden und vielfacher Unruhe. Der Appetit ist vermindert, es zeigt sich aber kein Fieber, keine Aufregung im Athmen. Häufig bemerkt man ne­ben diesen Vorboten eine Veränderung an der gebissenen Stelle, welche bläulich roth wird und etwas anschwillt oder es bricht gar die Narbe wieder auf. Das verwundete Glied wird taub oder der Patient fühlt ein Ziehen und Spannen von der Narbe ausge­hend. Wenn jedoch noch keine Vernarbung eingetreten, werden die Wundabsonderungen dünnflüssig übelriechend, es bildet sich schlaffes wildes Fleisch. Die Gemüthsstimmung wird bei hei­teren hoffnungsvollen Pausen allmälig sehr düster und melancho­lisch, und nun kommt bald die Krankheit zum wirklichen Aus­bruch, es entsteht ein vorerst noch bewusster Drang zu beissen, wovor der Patient häufig seine Umgebung noch rechtzeitig warnt. Beim Versuche zu trinken entsteht ein heftiges Würgen im Rachen, so dass der Kranke allen Muth verliert, Flüssigkeiten zu sich zu nehmen und eine Angst vor Wasser bekommt, dagegen können weiche Speisen eher genommen werden; diess führte zur Annahme des Symptoms der Wasserscheu, allein jede Flüssig­keit erregt im Rachen Krämpfe, welche das Schlingen schmerz­haft, sogar unmöglich machen. Das Schrecklichste für die Pa­tienten werden sehr bald die innerlichen Angstgefühle und Brust­beklemmungen, die zuletzt zu den schauerlichen Wuthanfällen führen, in denen die Unglücklichen aus Verzweiflung wie rasend unter Geschrei und Heulen unaufhörlich und rücksichtslos den Speichel auswerfen, damit ja nicht durch die Berührung des­selben mit dem Schlundkopfe die Schlundkrämpfe erzeugt werden.
Kneff, Die Hundswath.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;2
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In solchen Fällen ist meist das Bewusstsein noch vorhanden, doch belästigen häufig schwere Phantasien und Gesichte den Geist und das Gemüth des armen Patienten.
In kurzer Zeit steigern sich die Wuthausbrüche zu epilep­tischen Anfällen oder zu allgemeinem Starrkrampf, in einem sol­chen Anfalle geht zuweilen der Kranke an einem Schlaganfall (apoplectisch) zu Grunde oder es entwickelt sich eine vollständige Bewusstlosigkeit mit zeitweisen Wuthausbrüchen, aus welchem Zustande allmälig vollständige Lähmung sich ausbildet. In diesem letzten Act bedeckt sich die Haut mit klebigen Schweissen, der Speichel wird nicht mehr ausgespieeu, sondern fliesst aus dem stets offenstehenden Munde aus und der Tod tritt schliesslich durch Erschöpfung ein, gewöhnlich schon vor dem 6. Tage.
Die Krankheit ist als eine für den Menschen meist tödtliche zu bezeichnen und dauert nie länger als 4—6 Tage. An den Gestorbenen zeigt sich sehr bald die Todtenstarre und die Ver­wesung tritt schnell ein, vielfach fand man neben den oben be­schriebenen Blutüberfüllungeu im Gehirn und Rückenmark eine auffallende Röthe in den Nervensträngen, welche von der Biss­stelle ausgehen, ebenso Röthmigen des herumschweifenden Nerven (N. vagus). Durchaus nicht charakteristisch sind kleine unten an der Zunge befindliche Bläschen, die „Marochetti'schen Bläschenquot;, welche überhaupt deutlicher vor dem Ausbruch der Wuth gleich­sam als Merkmale stattgehabter Infection und Wirkung derselben neben dem Zungenbändcheu nach manchen Beobachtern in ein­zelnen Fällen vorkamen. Im Uebrigen sind die Sectionsresultate, wie bei den Thieren, nur findet man nicht die Folgen der Ap­petitalteration, die fremdartigen ungeniessbaren Körper im Ma­gen und Darm.
Allgemeines über die Behandlung.
Wenn auch die prophylactische Behandlung der Inficirten bei Mensch und Thier im Wesentlichen die gleiche ist, so gilt doch für den Menschen die besondere Regel, dass man auf jede Weise zu seiner gemüthlichen Beruhigung beizutragen habe, es
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ist hiefür besonders fest im Auge zu behalten, dass von den vermeintlich oder angeblich wuthkranken Thieren nur der ge­ringste Theil wirklich wüthend war, ferner dass Bisse von un­zweifelhaft wuthkranken Thieren nur in der Minderzahl inficiren, und dass für wirkliche solche Infectionen nicht quot;jeder Mensch empfänglich ist. Ist die Wuth bei einem Menschen je einmal in der That ausgebrochen, so muss zunächst eine beruhigende tröstende humane Behandlung des deprimirten Gemüthes unter Leitung eines Arztes stattfinden. Die gleichsam kritischen un­vermeidlichen Entladungen oder „Auslösungenquot; der angespannten Nervenkraft dürfen nur insoweit gewaltsam verhindert werden, als sie den Mitmenschen und dem Patienten selbst Gefahr brin­gen könnten, es ist Alles zu vermeiden, was Reiz und Gegen­wirkung veranlassen könnte, also Aerger, Geräusche, Anbieten klarer Getränke, Spiegel, Bellen, Annäherung von Hunden. Die Mittel, welche Menschenärzte anwenden, sind Calomel, Quecksilber­einreibung bis zum Speichelfluss, starke Aderlässe, gegen den heftigen Durst lässt man Eisstücke verschlucken. Campher, Bel­ladonna in Pulverform grms. 0,2 auf 2 Mal in einem Tage, bis zu grms. 0,3 in 24 Stunden in Haferschleim gegeben. Cbloroform-und Aetherbetäubung, auch das thloralhydrat in starken Gaben oder Morphium wären zu versuchen. Belladonna, Calomel und Cajeputöl hat von Schallern mit Erfolg angewendet.
Heisse Dampfbäder, türkische Bäder, Untertauchen in kaltes Wasser sind schon mit Erfolg versucht. Für die Zweckmässig-keit verschiedener Geheimmittel und angeblich specifischer Arznei­mittel, z. B. Genista tinctor. (Marochetti), scutellaria laterifolia sprechen weder die rationelle Medicin noch die Erfahrung günstig.
Neben obigen Mitteln wurden empfohlen der Maiwurm (Me-loe) als Hauptbestandtheil des sächsischen und preussischen einst approbirten Mittels gegen die Wuth. Dann spanische Fliegen, ge­feiltes Blei, Messing, Ebereschenholz; Ofenruss und Eierschalen nach Karras und Bonat, Belladonnawurzel-Abkochung (Locher, Balber); Niesswurz u. a. schweisstreibende Mittel (Schneemann).
Schwalbenkrautwurzel, Eisbeerbaumrinde und Knoblauch (Sie­benbürger Mittel), das Potkiewicz'sche und das Kakrat'sche Ge-
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heimmittel. Ausbrennen der sogenannten Marochetti'schen Bläs­chen war meist erfolglos. Geradezu lächerlich sind die einst an­empfohlenen oder sogar angeordneten sympathetischen Mittel, um die Wuthbisse von Seiten der Hunde unschädlich zu machen ; z. B. Brennen der Hunde auf die Stirne mit einem Hubertus-schliissel, Coupiren der .Schwänze der 40 Tage alten Hunde nach Collumella. Das Ausschneiden des sogenannten „Tollwurmes'•j eines normalen Organes der Hunde, eines wurraförmigen Stütz­ungsknorpels, um dem Hunde durch die an dem Knorpel ange­hefteten Muskelfasern die löffeiförmige Aufbiegungung der Zun­genränder und der Zungenspitze möglich zu machen, ist Unsinn.
Die Infection.
Der bei der Wuth erzeugte Ansteckungstoff ist greifbarer und sichtbarer Natur, wenn auch nicht als ein isolirter Körper dar­zustellen, er ist ein „Contagiumquot;. Solches ist kein Gift, wie man es so häufig fälschlich nennt, weil es wie die Giftstoffe schon in kleinen Mengen lebensgefährlich wirkt, sondern es ist ein Ferment, das durch Fortpüanzung und Vervielfältigung das Blut zersetzt und umändert, es ist ein Krankheitssaamen, der in dem inficirten Körper, wenn dieser einen empfänglichen Boden bildet, aufgebt, die Krankheit entstehen macht und denselben Saamen wieder erzeugt und vermehrt, während ein Gift wohl auch das Blut abnorm umändert, entmischt, den Organismus dadurch sehr schädigt, allein kein Gift reproducirt sich, es entsteht also keine Vermehrung des schon in kleinen Gaben so ischädlichen Stoffes, der aber immer nur nach Massgabe seines Quantums wirkt. Jener Krankheitssaamen haftet an Speichel, Blut und allen Aus­scheidungen wuthkranker Thiere, und wird am häufigsten durch den Biss eingeimpft, aber auch zuweilen bei Gelegenheit freiwil­ligen Beleckenlassens eines Menschen durch beginnend wuthkranke Thiere, daher vor dieser Unsitte die Hundeliebhaber nicht genug gewarnt werden können. Merkwürdigerweise erleidet nach mehr­fachen authentischen Erfahrungen der Speichel von Thieren, die im Stadium höchster Aufregung durch Geschlechtstrieb, Zorn,
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Angst sich befinden, die gleiche gefährliche Entmischung mit gleicher Wirkung wie der Speichel der quot;Wuthkranken.
Das Contagium, welches nur fixer, nicht flüchtiger Natur ist, wird schon im ersten Anfange der Krankheit erzeugt und ent­wickelt sich immer während der Dauer der Krankheit und be­steht noch wirksam fort nach dem Tode des Thieres, nach Roll jedoch kaum über 24 Stunden nach dem Tode und so lange der Cadaver noch nicht völlig erstarrt ist. Diess kann zu einiger Beruhigung in Betreff der Gefahr bei Sectionen dienen, welche man mit Rücksicht hierauf nicht früher als 36 Stunden nach dem Tode vornehmen sollte. Trotz alledem ist dringend zu mah­nen zur Vorsicht bei Sectionen, bei welchen Niemand mit irgend­wie verletzten Händen sich zu schaffen machen sollte. Am besten wird die Untersuchung und Section des Cadavers Wuthkranker mit gut eingeölten Händen in Handschuhen von vulcanisirtem Cautchouc vorgenommen. Wenn auch Tausende von Sectionen ohne solche Vorsichtsmassregeln ausgeführt wurden, so sollte man doch die letzteren, wenn nur immer thunlich, nicht versäumen, denn es sind auch einzelne Fälle bekannt, in welchen Infectionen mit ganz vertrocknetem Ansteckungsstoffe Wuthkranker statt­gefunden haben.
Die gefährlichsten Träger des Contagiums sind also der Spei­chel und das warme Blut. Nach Hertwig sollen Milch und Fleisch nicht als Träger des Ansteckungsstoffes dienen, da jedoch in ein­zelnen Gegenden, wo an Wuth gefallene Cadaver, oberflächlich verscharrt, von den Füchsen ausgegraben worden waren, die Wuth epizootisch unter den Füchsen auftrat, und nach Genuss des Flei­sches wuthkranker Schweine bei Menschen Wuth entstand, so ist Vorsicht anzurathen, wenn sie auch nach einzelnen Versuchen uberfldssig erscheinen möchte.
In Folge einer Durchwanderung des Contagiums durch einen anderen oder gar andersartigen Organismus, also in zweiter Ge­neration, wird dasselbe nicht abgeschwächt (mitigirt), obwohl diess schon von Einzelnen behauptet wurde.
Es scheint, dass einerseits ein Unterschied in der Intensität des Contagiums besteht, da zuweilen Wüthende nur bei der ge-
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ringeren Zahl der Gebissenen Ansteckung veranlassten, wogegen einzelne bei jedem Biss inficiren, andererseits ist die Empfäng­lichkeit für die Infection sehr verschieden bei den verschiedenen Individuen. Eine generelle Empfänglichkeit besitzt das ganze Geschlecht der Hunde, weniger empfänglich sind die Pflanzen­fresser etc. Trotzdem hat man auch bei einzelnen Hunde-Indi­vidualitäten eine auffallende Unempfänglichkeit, eine Art von Immunität wahrgenommen.
Hertwig erzählt von einem wiederholt und absichtlich infi-cirten Mops, welcher im Laufe von 3 Jahren gesund blieb. Ich selbst sah 1857 in Alfort einen Hund (bulterrier), der mehr als 5 Mal absichtlich den Bissen wüthender Hunde preisgegeben worden war und nach 2 Jahren noch gesund lebte, während bei beiden hier citirten Versuchen andere von denselben Patienten Gebissene der Krankheit erlagen. Wenn der Biss eines Wuth-kranken nicht zur Wirkung kommt, so gibt es hieftir noch andere Gründe, z. B. wenn die Zähne stumpf sind und nicht eindringen, oder wenn dieselben beim Biss vor dem Eindringen in organische lebende Theile von der Umgebung, durch Kleider, Haare vom Ansteckungsstoff gereinigt, abgewischt wurden, was auch geschehen kann durch schnell aufeinanderfolgende Bisse, von denen nur etwa der erste ansteckt, der nächste bei einem anderen Indivi­duum angebrachte nicht mehr. Aus diesem Grunde sind Hunde, denen die Hackenzähne abgebrochen oder abgezwickt sind, weit nicht so gefährlich, als Hunde mit unverstümmelten guten Zähnen.
Uebrigens gehört durchaus nicht eine tiefe Verletzung zur Infection, im Gegentheil eine Verletzung, welche alsbald blutet, ist weniger gefährlich, als eine oberflächliche Ritze, in welche das Contagium gleichsam eingerieben wurde,. bei der ersteren Verletzung wird gar häufig der gefährliche Stoff alsbald durch das ausfliessende Blut abgewaschen und nach aussen geführt.
Die Verletzungen heilen ganz nach Massgabe ihrer Bedeu­tung nach Tiefe, Ausdehnung, Lage, Verlauf und nach dem be­troffenen Organ, sie nehmen durch die Infection örtlich keinen besonderen Charakter an, und die Thiere erscheinen eine ver­schieden lange Zeit gesund. Die Incubationszeit ist leider nicht
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präcis begrenzt. Eine Verlängerung kann etwa veranlasst sein durch Trächtigkeit oder manche Krankheiten.
Häufig gibt eine bestimmte Gelegenheitsursache, z. B. Zorn, aufgeregter Geschlechtstrieb, Erkältung, Apportiren im Wasser, grosse Anstrengung, Absetzen der Jungen den Anstoss zum Aus­bruch. Die durchschnittliche Incubationszeit dauert nach meh­reren Berechnungen beim Hunde 3—60, bei der Katze 30, beim Kind 50, beim Schafe 40, beim Schweine 21—63 Tage.
Das Contagium scheint durch Fermentation des Blutes zur Geltung zu kommen. So lange durch einen guten Stoffwechsel die Fermentkörper zum Ausstoss kommen, bleibt die Krankheit latent oder das Contagium wird ganz aus dem Körper gestossen, wenn jedoch dieser Stoffwechsel nicht in Ordnung ist oder gestört wird durch oben genannte Gelegenheitsursachen, oder wenn, wie Roll annimmt, bei einer Wiederentzündung der Bissnarbe das Ferment sehr vervielfältigt wird, so wirkt es auf das Nerven­system und die Krankheit kommt zum Ausbruch.
Die qualitativen materiellen Veränderungen des Speichels sind, abgesehen von seiner Wirkung, bis jetzt vollständig unbe­kannt. Nach Analogie und manchen Erfahrungen lässt sich nur annehmen, dass die dialytische zersetzende Kraft des Speichels gesteigert wird durch gewisse psychische Aufregungen, durch hef­tigen Geschlechtstrieb, Zorn und durch die specifische Nerven­erregung bei der Wuthkränkheit. Hat ja doch der Speichel schon in seiner normalen Beschaffenheit die Eigenschaft, einge­spritzt in die Blutmasse gesunder Organismen, nach den Ver­suchen von Wrigth, Erscheinungen hervorzurufen, welche grosse Aehnlichkeit mit denen bei der Wuthkränkheit haben.
Nach Einigen ist dagegen neuerer Zeit eine acute Blutver­giftung durch Harnbestandtheile als Wesen der Wuth angenom­men worden, weil man bei einzelnen Sectionen eine ganz auf­fallende Auflösung und Zersetzung der Nieren gefunden hat, so dass dieses wichtige blutreinigende Organ dem Stoffwechsel nicht mehr correct dienen konnte. Endlich werden von einzelnen Patho­logen auch bei dieser Krankheit Bacterien oder Bacteriden, welche auch sonst so oft vorkommen, als Krankheitsferment beschuldigt.
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Die spontane Bildung der Wuthkrankheit.
Nachdem die allerhäufigste Veranlassung zur Erscheinung derWuthkrankheit, die Ansteckung oder Infection, hier besprochen, sind noch diejenigen Factoren zu erwähnen, welche erfahrungs-gemäss die spontane oder selbstständige Entwicklung der Wuth vermitteln können.
Freilich ist schon vielfach, in England schon vor 50 und mehr Jahren von J. Hunter, Vaughan, Migrel, Darwin, Blaine, Bardsley, Youatt, in Deutschland zuerst von Ribbe, dann in neuester Zeit von quot;Virchow und von manchen Thierärzten Deutsch­lands behauptet worden, die Wuth könne sich nicht mehr von selbst entwickeln und verbreite sich heutzutage nur noch durch Ansteckung, allein weder die eine, noch die andere Ansicht ist exact bewiesen. Wenn man einerseits sagen kann, die „Spon-tanistenquot;, die Anhänger des Glaubens an selbstständige Ent­wicklung der Wuth bei dem Hundegeschlecht, lassen sich zu sehr irre führen durch das post hoc ergo propter hoc und die Infec­tion sei eben bei allen den angeblich spontan entstandenen Wuthfällen wegen der Unsicherheit des Zeitraumes „der Incu­bationquot; nicht erkannt und nachzuweisen versäumt worden, so kann man andererseits sagen, dass nach der Analogie mit ande­ren Krankheiten die Krankheitsursachen sich immer wiederholen, dass solche ein höheres Culturleben der Thiere noch mehrte, dass gar häufig Wuthanfälle vorkommen, wo weit und breit seit Jahren keine Wuth existirte. Schliesslich die Wölfe als die jeder Controle sich entziehenden nächsten, wenn auch wilden Verwandten der zahmen Hunde als die Erzeuger und Verbreiter der Wuth­krankheit ohne irgend einen Beweis anzuklagen, ist mehr als phantastisch, ein naturhistorischer Verstoss und um so mehr ge­sucht, als ja auch bei den Füchsen die selbstständige Ausbildung der Wuth nach den bisherigen Beobachtungen angenommen wer­den kann. Freilich haben die „Contagionistenquot; das für sich, dass sie ihrer Theorie nach mit Vernichtung aller Patienten auch die Krankheit aus der Welt zu schaffen versprechen. Was aber die
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„Contagionistenquot; in praxi bis jetzt bei Anwendung ihrer Lehren auf die Veterinär-Polizei geleistet haben, das hat man nament­lich bei ihren entsprechenden Massregeln gegen die Lungenseuche in den Niederlanden sehen können, und man wird es immer deutlicher noch einsehen lernen bei den geplanten Massregeln gegen den Rotz. Wer die eingehenden und gewissenhaften Er­hebungen Dr. M. E. Faber's aus den Acten des Kgl. Württemb. Medicinal-Collegiums und aus der so reichen Literatur über die­ses Capitel, sowie die neuesten Rapporte und Aeusserungen hoch angesehener französischer und belgischer Thierärzte gelesen, dem können kaum mehr Zweifel aufsteigen darüber, dass in gar man­chen Fällen bei dem zahmen Hunde die Wuthkrankheit sich spontan entwickeln kann und heute noch sich entwickelt.
Als Ursache der spontanen Wuth ist schon Mancherlei an­gesehen worden. Neben der generellen Anlage glaubte man schlechte Nahrung und Pflege, hohes Alter, Hunger, Durst, Kälte, das männliche Geschlecht, Race, Hitze, gewisse Jahreszeiten, Klima, grosse Schmerzen, Zahnweh, hohle Zähne, Hautkrank­heiten, die Hundesucht, Zurücktreten der Milchabsonderung, Ein­geweidewürmer beschuldigen zu sollen.
Als die stichhaltigste, weil durch sehr viele Erfahrungen und directe Versuche unterstützt, dürfen wir die Behauptung anneh­men, dass grosse physische Aufregungen, namentlich bei Furcht, Zorn und durch Geschlechtstrieb die gefährliche Umstimmung des Nervensystems, die eigenthümliche Entartung des Speichels und die Wuth hervorrufen können. Es ist hier nicht der Ort, um die lange Reihe von Beispielen und Versuchen wiederzugeben, es mag genügen, dass sehr erfahrene Thierärzte in Deutsch­land, Dänemark, aber auch in Frankreich dieser Entstehungs-Erklärung beistimmten und gerade neuester Zeit noch ausdrücklich beistimmen.
Es kann übrigens nicht behauptet werden, dass diess die absolute Krankheitsursache abgebe, sondern das Zusammenwirken dieser und jener Factoren ruft die spontane Entwicklung hervor. Selbstverständlich ist damit die Verbreitung durch Infection und zwar in der ganz entschiedenen Mehrzahl der Fälle nicht bestritten.
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Prophylactische Behandlung. Yorbeugtrngscur.
Die vorbeugende Behandlung eines gebissenen Menschen oder Thieres besteht vor Allem in der sorgfältigsten Untersuchung der Körperoberfläche, um zu constatiren, wo eine Verletzung be­ziehungsweise Infection wirklich stattgefunden hat. Bei unseren Hausthieren mit ihrer behaarten Körperoberfläche ist eine solche Untersuchung kaum sicher durchzuführen, weil kleine und doch gefährliche Impfwunden in den Haaren leicht übersehen werden, daher mir auch polizeilich angeordnete Untersuchungen aller Hunde einer Stadt, in welcher ein wuthkrankes Thier sein Un­wesen getrieben hat, ganz nutzlos erscheint und zu höchst un­gerechten Urtheilen und Massregeln führen kann, indem man entweder wirklich beigebrachte Impfwunden nicht entdeckt oder auch zufällig entstandene Verletzungen für Bisswunden erklärt. Hat man aber die von einem wüth enden Thiere wirklich appli-cirte Bisswunde oder Verletzung, wenn auch nur mit einer Kralle namentlich einer Katze aufgefunden, so hat man so bald und schnell wie möglich für eine gründliche Reinigung zu sorgen und wird diese am besten dadurch unterstützt, dass man die Wunde so lange wie möglich blutend erhält. Diess wird erreicht durch Bäder mit einer der Blutwärme nahekommenden oder sie etwas überschreitenden Temperatur. Ein gebissener Arm oder ein Fuss kann in ein Bad von 28—35deg; R. gebracht werden. Ein einfacher Ersatz, der um so wirksamer ist, weil er meist rasch geboten werden kann, ist Waschung mit frisch gelassenem Urin. Die Reinigung mit solchen Flüssigkeiten geschehe mehr durch ein Baden und Ausspülen, als durch ein direktes Auswaschen, man unterstütze die Blutung durch Drücken und Streichen von der Pe­ripherie gegen die Mitte der Wunde, oder man lege einen so­genannten trockenen Schröpfkopf auf die Wunde an, hiezu kann man ein Kelchgläschen, einen Fingerhut, Federrohrdeckel, Nadel­büchschen u. dgl., deren Innenraum man über einem Licht erwärmt und dann rasch über die Wunde satt und luftdicht ansetzt, be­nützen. Daneben ist jedoch für die Beseitigung der mit dem Wuth-contagium etc. besudelten Umgebung, der Haare etc. zu sorgen.
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Ist man zu Hause, so mache man die Waschungen mit Lauge, Seifenwasser, starkem Salzwasser. Ist durch die Verhältnisse ein Reinigen durch Ausspülen nicht möglich, so sauge man die Wunde aus, und kann man diess sogar auch bei Andern beru­higt thun, wenn man keine Verletzungen an den Lippen und im Munde hat. Im Munde kommen nämlich Ansteckungsstoffe nicht so leicht zur Aufsaugung und Wirkung, immerhin ist das Aus­spucken des angesaugten Blutes rathsam.
Ein weiteres Mittel zur Verhinderung der Aufnahme des Infectionsstoffes in den Blutkreislauf ist die Unterbindung des verletzten Gliedes zwischen der Wunde und gegen das Herz zu, sofern eine solche überhaupt mit einem Bindfaden, Eiemen, Ho­senträger, Taschentuch etc. möglich ist.
Nach obiger hauptsächlich mechanischen Reinigung suche man den etwa noch haftenden Ansteckungsstoff zu zerstören und zu­gleich eine heilsame Umstimmung in der Wunde herbeizuführen durch ein Aetzen oder Ausbrennen derselben. Diess kann ge­schehen durch Einträufeln von Chlorwasser, Salicylsäure-, Carböl-säure-Lösung, Salmiakgeist, Kalilauge; von Spiessglanzbutter, ver­dünnter Schwefelsäure, Salpetersäure, Salzsäure, Essigsäure, oder man brenne aus mit dem Höllensteinstift, mit einem glühenden Draht oder Stricknadel, brennendem Schwamm. Das Ausbren­nen mit Schiesspulver ist zu umständlich, ungenau und schmerz­haft. Die in Eiterung übergegangene oder durch Kunsthilfe zur Eiterung gebrachte Wunde wird durch Aufbringen oder Verbin­den mit Senf, einem Zwiebel, Meerrettig oder mit einer Eiterung befördernden Salbe, durch Eigelb mit Terpentin, Digestivsalbe einige Zeit in andauernder Eiterung erhalten. Wie lang diess zu geschehen hat, um die Entwickelung des Wuthcontagiums hintanzuhalten, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Es scheint nach bisherigen Erfahrungen, dass eine dreiwöchentliche Eiterung der Wunde zum Schütze ausreicht. Im Uebrigen ist die Wunde nach den gewöhnlichen Regeln der Chirurgie zu behandeln, und keinerlei bezügliche Verletzung zu übersehen.
Besonders eindringlich ist zu warnen vor dem Volksgebrauch, die Wunde mit Haaren des Hundes, der gebissen hat, zu ver-
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binden. Ganz abgesehen davon, dass hiedurch die richtige Be­handlung solcher quot;Wunden versäumt wird, steigert sich die Ge­fahr der wirklichen Uebertragung der Wuth auf den Verletzten dadurch ganz bedeutend, dass solche Haare sehr häufig mit dem Geifer des erkrankten Hundes besudelt sind, so dass das Con-tagium no^h künstlich auf die für die Aufsaugung besonders em­pfänglichen wunden Stellen aufgetragen wird.
Geradezu an Tollheit grenzt der Kath, die Wunde von dem schuldigen Hund lecken zu lassen, so dass wenn der Hund wirk­lich wüthend ist, die Gefahr neuer Verletzungen entsteht, jeden­falls aber die Infection eine um so gewissere wird, wenn das Thier etwa in alter Anhänglichkeit den Gebissenen noch leckt.
Wie bei dem Unglück einer Infection das Wichtigste die Vor-bauungscur gegen ihre Folgen ist, so ist auch die- Vorkehr gegen das Inficirtwerden höchst wichtig und verdienen die betreffenden Massregeln eine gründliche Erörterung.
In den meisten Beziehungen ist es Aufgabe der Sanitäts-Polizei, die geeigneten Schutzmassregeln gegen ansteckende Krank­heiten zu Gunsten der menschlichen Gesellschaft zu treffen.
Es fragt sich nun, was kann durch Polizeimassregeln nach Recht und Billigkeit, mit Aussicht auf Erfolg, geschehen. Mit einer Art mathematischer Sicherheit wirkt jedenfalls die Verminderung der Zahl der Hunde und der Angehörigen des Hundegeschlechts. Wie diese erreicht werden soll, darüber sind die Ansichten sehr auseinandergehend. Seit einigen Jahren sucht man sie zu er­reichen durch alle möglichen Massregeln: Verbot des Mitbringens der Hunde in öffentliche Locale und Plätze, durch strenge Mass­regeln gegen die Belästigung des Publikums durch Hunde, in neuester Zeit aber suchen Einzelne durch Empfehlung eines per­manenten Maulkorbzwangs die Beengung der Hundebesitzer zu steigern, und ihnen die Hundehaltung zu verleiden.
Auch diesem Vorschlag steht abgesehen von der aus einer solchen Massregel und ihren mancherlei Vexationen sich ergeben­den Decimirung der Hundebevölkerung auch die mathematische Wahrheit scheinbar zur Seite, indem man zugeben muss, dass je mehr Hunden das Maul Jahr aus Jahr ein zugebunden bleibt.
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um so weniger beissen können, allein es hat Alles seine zwei Seiten, und werde ich nachträglich noch einmal auf den Maul­korb und seine Beziehungen zur Wuth zurückkommen.
Die Verminderung der Hundezahl wird gewiss richtiger an­gestrebt durch eine höhere und streng durchgeführte Besteuerung und ohne Steuer - Categorieen, und auch erreicht, wie ich in einem statistischen Artikel im Hohenheimer Wochenblatt in Folge von Berechnungen über 20 Steuerjahre in Württemberg nachge­wiesen habe. Die Hundesteuer wurde bisher nie als eine Finanz­steuer, sondern mehr als eine polizeiliche Prohibitivmassregel be­trachtet, eine Conlrole nicht strenge gehandhabt, schon desshalb nicht, weil die Gemeinden nur ein Dritttheil davon zu gemessen bekamen. Wollte man die Steuer erhöhen, dieselbe zu einem grösseren Theile den Gemeinden zuweisen oder ihnen den Steuer­ansatz in gesetzlich limitirten Grenzen überlassen, so würde gewiss noch weit mehr erreicht. Eine Erhöhung der Steuer gibt aber auch eine gewisse Garantie für eine im Allgemeinen bessere Pflege, Ernährung und Ueberwachung, worin wieder eine Sicherung gegen mancherlei Thierquälerei, sowie gegen Wuth-entstehung und Verbreitung liegt.
Aber auch in andern Ländern hat eine Steuererhöhung zur auffallenden Verminderung der Hunde geführt, z. B. jüngst in Bayern, nach so manchen Mittheilungen in den Tagesblättern. In Baden gab es 1832 bei einer Steuer von 3 fl. 26000 Hunde, bei Herabsetzung der Steuer auf lll2 fl. stieg die Zahl der Hunde bis zum Jahre 1844 auf 45000 und sank erst wieder auf 26000 bei einer Steuer von 4 fl. In Kopenhagen stieg die Zahl der Hunde bei einer Steuer von 2 Thlrn. in den Jahren 1839—1852 von 2468 auf 5673, fiel aber wieder durch eine Erhöhung der Steuer auf 5 Thlr. bis 1862 auf 2121 Stück.
Vielfach wurde schon vorgeschlagen, wegen des Missverhält­nisses der weiblichen Thiere zu den männlichen, welche letztere in ganz eminenter Ueberzahl vorhanden und desswegen selten in der Lage sind, den Geschlechtstrieb zu stillen, die Zahl der Hün­dinnen durch eine niedrigere Steuer zu vermehren.
Nach meiner persönlichen Ueberzeugung gäbe es keine ver-
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kehrtere Massregel, wenn man hiebei eine Vorkehr gegen die Wuth im Auge hat, als diese Begünstigung der Hündinnen. Oben habe ich darauf hingewiesen, dass am allermeisten der aufge­regte und nicht befriedigte Geschlechtstrieb der Hunde in ur­sächlicher Beziehung stehe zur spontanen Entwicklung der Hunds-wuth. Nun weiss aber jeder Hundebesitzer und Hundekenner, dass beim „Rüdquot; der Geschlechtstrieb erst recht rege wird durch die Nähe einer brünstigen „läufigenquot; Hündin, dass die Hunde hiebei allen Gehorsam und Selbsterhaltungstrieb verlieren und sich allen möglichen Schädlichkeiten, Gefahren, Raufereien und Aufregungen aussetzen. Wo weit und breit keine läufige Hün­din, da erscheinen die meisten Rüden gerade wie geschlechtslos. Also mit Rücksicht hierauf nur keine Begünstigung der Vermeh­rung der Hündinnen, die dann naturgemäss, wenn sie dem be­absichtigten Zweck dienen und den Geschlechtstrieb der Rüden und zwar doch nur einer verschwindend kleinen Zahl befriedigen, durch ihre Nachzucht wieder bedeutend zur Vermehrung der Hundebevölkerung beitragen. Nimmt man aber an, dass ja die Jungen willkürlich beseitigt werden können und dürfen, so droht diesen Hündinnen wieder ein krankmachender Factor, die Milch-versetzung oder die Aufregung über den Verlust ihrer Rinder. Dagegen wäre es eine sehr zweckmässige Massregel, wenn das freie Umherlaufenlassen oder das Mitnehmen läufiger Hündinnen auf den Strassen strenge verboten würde, und zwar nicht allein zum Zweck der Vermeidung geschlechtlicher Aufregungen, als auch aus Rücksicht für die öffentliche Moral und den Anstand.
Was nun den oben berührten permanenten Maulkorbzwang betrifft, so halte ich diese in neuester Zeit von Manchen nach dem Beispiel einzelner Städte, namentlich auch bei den Stutt­garter Gemeinde-Collegien durch eine besondere Eingabe empfoh­lene polizeiliche Massregel insofern für höchst bedenklich, als hiedurch einerseits eine permanente Thierquälerei angeordnet wird, von Organen, welche dazu berufen sind, den Thierschutz zu vermitteln, andererseits weil die rechtzeitige Erkennung der so gefährlichen Krankheit sehr erschwert, daher die Gefahr ver­mehrt wird, und weil hiebei die grö?ste Vorsicht des Hunde-
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eigenthümers nutzlos wird. Ausserdem wird der unbemerkt wü-thend gewordene Hund, wenn er zu Hause seinen Maulkorb los­geschnallt bekommt, in seinem Drang zu entweichen, eine Ge­legenheit finden, doch in's Freie zu kommen, so dass die thier-quälerische Massregel schliesslich noch umsonst war. Das Beneh­men eines Hundes mit einem Maulkorb ist ohnediess ein abnor­mes und scheues, und eine Reihe von Wuthsymptomen, nament­lich auch das charakteristische Bellen, die Lähmung des Unter­kiefers, wird besonders durch einen engen Maulkorb verdeckt. Dazu kommt noch, dass ein mit einem Maulkorb versehener Hund, weil in seinen Yertheidigungsmitteln lahmgelegt, durch Angriffe anderer Hunde gar oft in Aufregung, Angst und Furcht, die Hauptfactoren der spontanen Wuthentwicklung, versetzt wird. Der Eigenthümer selbst ist, weil er mit einem etwa krank gewordenen Thiere so unmittelbar verkehren muss beim Abneh­men und Anlegen des Maulkorbs, der grössten Gefahr ausgesetzt. Die Thierquälerei besteht aber nicht sowohl 'in der jeden­falls nur schwer zu vermeidenden localen schmerzlichen Belästi­gung durch das Gitter, sowie durch den die Blutcirculation in wichtigen Blutgefässen störenden, wegen der genügenden Befe­stigung stets eng zu schnallenden Halsriemeu, als vielmehr darin, dass der Maulkorb durch Beengung in der freien Oeffnung der Maulspalte den Respirations- und Transspirations-Process ganz wesentlich behindert. Man sollte doch nicht vergessen, dass der Hund durch seine Haut fast gar nicht wie andere Thiere und der Mensch perspirirt und transspirirt. Beim Hunde sind es die Schleimhäute der Lungen, welche die Functionen der äusseren Haut zu ersetzen haben, und daher muss, je rascher die Bewe­gung, je echauffirter der Körper, das Maul um so mehr geöffnet werden, um Respiration und die so kühlende Transspiration zu erleichtern. Die Nasenkanäle sind beim Hunde viel zu eng, um die genügende Menge von atmosphärischer Luft für ein be­schleunigtes Athmen zuzuführen. Abgesehen von der Qual einer permanenten Beengung 'des Athmungs- und Ahkühlungs-Processes ist wohl zu beachten, dass diese beiden Thätigkeiten im thie-rischen Haushalte für die Zwecke der Blutreinigung, d. h. für
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eine richtige Blutmischung, also für einen normalen Gesundheits­zustand eine sehr wichtige Rolle spielen.
Diess sind jedenfalls sehr gewichtige Nachtheile, welche gegen den \on so Manchen befürworteten permanenten Maul­korbzwang vom pathologischen und diätetischen Standpunkt aus sehr deutlich sprechen. Wollte man diesen Nachtheilen begeg­nen durch einen entsprechend construirten recht weiten Maul­korb, so würde er seinen Zweck nicht erfüllen, er würde zu leicht abgerissen, oder er gäbe Anlass zum Yerfangen mit den Füssen, Hängenbleiben und dadurch zu verschiedenartigen Selbststrangu­lationen der Thiere. Auch der beste Maulkorb wird zuweilen ab-i
gerissen, daher um das Entwischen ohne Maulkorb zu hindern — Anbinden, Einsperren, wodurch fast alle Hunde bösartig werden.
Eine weitere, wenn auch nicht so wesentliche Thierquälerei und Gesundheitsgefährdung besteht in der nicht rechtzeitigen oder beliebigen Stillung von Durst und Hunger. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, wie die mit einem Maulkorb permanent ver­sehenen Hunde vertheidigungslos gemacht sind, gegen ihre na­türlichen Feinde, die blutgierigen Hautschmarotzer. Welcher Thierfreund bedauert nicht stets die Hunde, wegen dieser grossen „kleinen Leidenquot; des Hundelebens, welche ein Hund sich erleich­tert durch Nagen und Beissen mit seinen Zähnen.
Berücksichtigen wir zu alledem noch die Arbeitslast, welche den Polizeiorganen entsteht aus der üeberwachung der betreffenden Vorschriften und aus der Behandlung der vielen unvermeidlichen Straffälle, die Vexationen, welche daraus auch für den loyalsten Bürger sich ergeben, und die daraus erwachsende Missstimmung gegen die Polizeiorgane, so ist der beabsichtigte Nutzen nur ein verschwindend kleiner, gegen alle diese Nachtheile. Selbstver­ständlich können alle diese Rücksichten nicht in Betracht ge­zogen werden, wenn es sich um Nothstände handelt gegenüber wirklich gefährlichen oder bösartigen Thieren, sowie bei einer durch eine Wuthseuche begründeten Hundesperre. Ohne Noth-stand ist es aber gewiss nicht zu rechtfertigen, wegen der even­tuellen Möglichkeit einer Gefahr eine continuirliche Quälerei eines unserer beliebtesten und nützlichsten Hausthiere und eine
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Belästigung ihrer Besitzer anzuempfehlenl, wie solche veranlasst sind durch einen permanenten Maulkorbzwang.
Diese Massregel würde ganz sicher von Manchen, namentlich Hnndebesitzern, welche sie heute noch gut heissen, später bei ihrer practischen Durchführung mit herben Worten verdammt. Welcher Hundebesitzer sollte nicht verstimmt werden durch die immer wiederkehrenden Sorgen, Aufregungen in der Familie, die Ausgaben, welche entstehen aus dem Entwischen des Lieblings ohne Maulkorb, wozu ja täglich so oft Gelegenheit geboten, ohne irgend eigene Schuld des Besitzers.
Welche Consequenzen würden sich ergeben aus der Einfüh­rung des permanenten Maulkorbzwanges für die Polizei, wenn sie auch nach andern Eichtungen hin sich für verpflichtet erach­ten wollte, ihre schützende Hand über alle Staatsbürger auszu­strecken, ich erinnere an böse, scheue, durchgehende Pferde, an die Schweine, die jedes Jahr Hunderten von Menschen lieben oder Gesundheit kosten. Wie so manche nicht einmal nützliche Thiere gibt es, welche Gesundheit und Leben des Menschen be­drohen, und doch ist es noch Niemand eingefallen einen Ver­nichtungskrieg gegen jene predigen zu wollen. Wie weit müsste man überhaupt bei ähnlich strengem und rücksichtslosem Vor­gehen im Interesse der Sanitäts-Polizei zuletzt kommen bei Ueberwachung der Nahrungsmittel, bei dem Kampfe gegen an­steckende Krankheiten und Seuchen bei Menschen und Thieren. Es stimmt nicht zu dem Geiste der heutigen Zeit, in dieser Art durch Gesetze und Verfügungen den Bürger zu schützen.
Anmerkung: Nach meiner festen Ueberzeugung ist die erst am 5. November 1874 erlassene Verfügung des Kgl. Württ. Ministeriums des Innern, A) betreffend den Schutz des Publikums gegen Gefähr­dung und Belästigung durch Hunde und B) betreffend die Massregeln zur Verhütung der Verbreitung der Wuthkrankheit von Hausthieren vollständig ausreichend und möchte nur die Massregel des Führens der mit einem Maulkorbe versehenen Hunde an einer Leine während der ganzen Zeit einer Hundesperre als entbehrlich zu bezeichnen sein. Die Verfügung B. selbst verlangt diese Massregel laut sect;. 10, wo es heisst: „die Einsperrung der sämmtlichen Hunde des Ortes ist, so lange noch
Ealaquo;ff, Die Hundawnth.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;3
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„Gefahr von dem wuthverdächtigen Hunde für sie zu fürchten oder „die genaue Erhebung der gerauften oder verletzten Hunde noch nicht „vollendet ist, fortzusetzen, doch ist nicht verwehrt, Hunde mit Maul-„körben, welche das Beissen sicher verhindern, an der Leine auszu-„führenquot; nur für besondere Fälle.
Wenn, wie die Verfügung selbst voraussetzt, der Maulkorb correct ist, so ist in der That die Leine nicht nöthig, um so weniger, da sie nicht allein dem Hundebesitzer eine weitere sehr lästige Massregel, welche sehr vexatorisch wirken kann, auferlegt, sondern auch auf der Strasse den Verkehr in mancherlei Weise stört und ärgerliche Collis-sionen veranlasst. Das, was aber am meisten beachtet zu werden ver­dient, ist der Umstand, dass angebundene, wenn auch geführte Hunde nur ungerne, einzelne gar nicht, ihre natürlichen Bedürfnisse befriedi­gen ; dass diess der Gesundheit nachtheilig ist, weiss Jedermann. Der Sachkenner hat aber auch namentlich bei der Zurückhaltung der Urinentleerungen, daran zu denken, dass einzelne neuere Pathologen die Hundswuth als eine durch Zurückbleiben von Harnbestandtheilen im Kreislaufe veranlasste Blutvergiftung oder als eine acute Nieren­krankheit aufgefasst haben.
Die Vorschrift der Einsperrung resp. des Führens an der Leine ist aber doch zunächst gemacht für die Zeit, in welcher noch Gefahr von dem wuthverdächtigen Hunde wirklich droht, oder so lange über die etwa gerauften Hunde noch Untersuchungen angestellt werden. Letztere aber erstrecken sich meist nur auf wenige Tage und die Gefahr von einem wuthverdächtigen Hunde, wenn er nicht eingefangen ist, dauert in keinem Falle länger als 8 Tage, weil die Krankheit bekanntlich in 8 Tagen verlauft, entgegengesetzten Falls hört der Wuthverdacht auf. sect;. 10 Schluss dürfte also nur für 8 Tage gelten.
Die Anwendung des sect;. 11, „die Sperre hat 6 Wochen lang fort­zudauern, wenn eine genaue Erhebung der gerauften oder verletzten „Hunde nicht zu erzielen ist,quot; sollte doch nur in besonders schwie­rigen Fällen stattfinden.
Das, worüber man sich zu beklagen hatte und von verschiedenen Seiten öffentlich beklagte, war die strenge und lang dauernde Durch­führung des Schlusssatzes von sect;. 10 der Verfügung. Diese Härte liegt aber nicht in dem Statut selbst, sondern sie lag in einer rigorosen In­terpretation des sect;. 10 nnd 11 von Verfügung B. durch die Executlv-behcrden, wie denn auch die etwas strenge, rechtlich vielleicht aulaquo;h zu beanstandende Durchführung der Verfügung B. Passus 3 in sect;. U
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„Freihenimlaufende Hunde sind zu tödtenquot; gar zu schroff interpretirt wurde, während das Wort „freiquot; doch wohl nur heissen soll, ohne nachweisbaren Eigenthümer. Es wären besser sect;. 3 und 4 der Verfü­gung A. zur Anwendung gekommen, hiedurch wäre manche Erbitte­rung gegen die Behörden erspart worden. Sie heissen: „sect;. 3. Hunde, „welche vorschriftswidrig betroffen werden, ist Jedermann einzufangen „befugt, der eingefangene Hund muss jedoch sofort an die Ortspolizei-„behörde abgeliefert werden. Gegen Erlegung einer Einfanggebühr „von 2 Mark und gegen Erstattung der Fütterungskosten ist derselbe „dem Eigenthümer zurückzugeben. sect;. 4. Wenn der Eigenthümer we-„der durch ein Halsband des Hundes bezeichnet ist, noch binnen zwei-„mal 24 Stunden nach der Einlieferung des Hundes sich bei der Po-„lizei anmeldet, noch in dieser Zeit sonst ausgekundschaftet wird, so „fällt der Hund der freien Verfügung der Folizeistelle anheim und ist „nach Beschaffenheit der umstände entweder zu tödten oder zu ver-„äussern. — Im letzteren Falle ist der Erlös nach Abzug der Kosten „dem sich legitimirenden Eigenthümer des Hundes auszufolgen. Bei „werthvolleren Hunden, durch deren Veräusserung der Ersatz sämmt-„licher Kosten zu erlangen ist, hat der Veräusserung ein öffentlicher „Aufruf des Eigenthümers unter Anberaumung einer kurzen Frist zur „Anmeldung seines Anspruches vorauszugehen.quot;
Selbstverständlich ist die Massregel polizeilicher ganz ener­gischer Verfolgung aller wuthverdächtigen Hunde und hauptsäch­lich die Beibringung des womöglich lebenden Thieres zur genauen technischen Beobachtung, ferner die alsbaldige Tödtung aller von einem nachgewiesen wüthenden Thiere gebissenen oder sonst in-ficirten Hunde nicht zu beanstanden, dagegen sollte eine veteri­närpolizeiliche Ueberwachung der verdächtigen weil mit einem wuthverdächtigen Thiere gerauften Hunde sich nicht blos auf 6 Wochen, sondern sogar auf 12 Wochen mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer langen Incubationszeit erstrecken und könnte diese Ueberwachung geschehen durch Einstellung des Hunäes beim Thierarzte oder auch durch Besuche des Thierarztes beim Hundehesitzer, endlich sogar durch zeitweises allwöchentliches Zuführen des für solche Contumazzeit mit einem Maulkorb zu versehenden Thieres zu dem Thierarzte. Auch das Verbringen solcher Hunde aus dem polizeilich als verdächtig erklärten Be-
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-Be­zirke, ausser unter polizeilicher Gutheissung und Controle, kann nicht gestattet werden, allein zu weit gehend ist es, wenn man desshalb die Bahnhöfe polizeilich überwacht und keine Hunde-fahrbillets mehr abgibt. Diese Massregeln sind nutzlos, weil leicht zu umgehen. Eine Strafe im Sinne des Verbots ist genügend.
quot;Weitere polizeiliche Massregeln, welche man als Mittel gegen Auftreten oder Weiterverbreitung der Wuth vorgeschlagen oder in einzelnen Ländern vorgesehen hat, sind periodische oder für den Fall angeordnete Hundevisitationen von Sachverständigen. Vom technischen Standpunkte aus kann man den quot;Werth dieser Mass­regel für Erreichung des beabsichtigten Zweckes nicht allein an­zweifeln, sondern muss dieselbe als zu den grellsten Verstössen und Ungerechtigkeiten führend, bezeichnen. Wenn einzelne sehr hervorragende Thierärzte für solche periodische sogar mehrmals des Jahres wiederkehrende Visitationen (Hundeschlag) plaidirt haben, so scheinen sie mir hiezu gestimmt worden zu sein, einer­seits durch eine individuelle Antipathie gegen die Hunde, anderer­seits durch eine grosse Sympathie für die materiellen Interessen des thierärztlichen Standes. quot;Wir dürfen doch nicht annehmen, dass eine Behörde hiebei einen wirklich wuthkranken Hund her­auszufinden hofft, den sie in die zahlreiche Versammlung von Hunden und betheiligten Menschen zur genaueren Untersuchung und Diagnosticirung öffentlich vorführen lässt, das wäre doch gar zu toll! quot;Welcher Techniker ist je im Stande, einem Thiere bei solchen summarischen Visitationen anzusehen, ob dasselbe morgen oder in nächster Zeit wuthkrank werde, oder dass diese oder jene Wunde oder Hautritze von einem Bisse und zwar eines wüthenden Thieres herkomme. Sogar in wirklichen Noth-ständen ist eine solche Massregel höchstens als ein Act zur Be­ruhigung der geängstigten Menge, nach deren Berechtigung und Zweckmässigkeit man nicht weiter fragen darf, schweigend hin­zunehmen und der Behörde ist die Verantwortung der grassesten Ungerechtigkeiten und Ungeschicklichkeiten, welche daraus sich ergeben können, anheimzugeben. Ich für meinen Theil bedaure es, wenn der thierärztliche Stand zu solchen Gewaltschritten der Polizei herangezogen wird und dutah sein Urtheil, für das er
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keinerlei correcte. Basis hat, die Gewaltmassregeln gegen Ein­zelne decken muss.
Ich erinnere hier an die früheren, gottlob längst durch die Erleuchtung des Jahrhunderts in Württemberg abgeschafften pe­riodischen Hundevisitationen unseligen Angedenkens, bei denen die höchste Willkühr und Ignoranz sich geltend machen konnte, worüber heutzutage noch so manche komische Anecdote cursirt. Diess ist gewiss nicht zu viel gesagt, wenn man sich daran er­innert oder davon erzählen hört, wie damals wegen eines leichten Ausschlages, oder weil das Thier ein kläffiger Mops, oder ein wegen vorgerückten Alters etwas fetter Schoosshund war, oder weil sein Herr oder er selbst auf eigene Gefahr „jächteltequot;, als zur Wuth disponirt von technischer Seite bezeichnet, durch einen Machtspruch der Polizei oft zum grössten Jammer der Eigen-thümer dem Fallmeister zur alsbaldigen Tödtung übergeben wurde.
So wenig solche Hundevisitationen einen realen Nutzen in Bezug auf Sicherung gegen die Hundswuth gewähren, ebenso wenig zweckdienlich sind die auch schon, namentlich in Österreich. Blättern empfohlenen perennirenden veterinärpolizeilichen Ueber-wachungen aller Hunde, wodurch die betreffenden Polizeithier-ärzte immer in eine schiefe Stellung kommen, die Staats- und Gemeindekassen aber zu grossen und doch nutzlosen Ausgaben geführt werden. Eine solche fortdauernde veterinärpolizeiliche Ueberwachung aller Hunde resp. Hundebesitzer würde dem Geiste der Neuzeit vollständig widerstreiten und zu tief in das Privat­recht eingreifen, namentlich wenn die Thierärzte aus dem Beutel der Hundebesitzer honorirt werden müssten.
In neuester Zeit ging von J. Bourrel, einem französischen Thierärzte, welcher Versuche in der bezüglichen Richtung ge­macht hatte, der Vorschlag aus, man solle allen Hunden die Vorderzähne abstossen, weil durch diese hauptsächlich beim Beisseu die Einimpfung des 'Wuthcontagiums stattfinde. Die Ver­suche des Betreffenden gingen so weit, dass er nicht allein wü-thende Hunde, welchen diese Zähne abgestossen waren, mit an­deren gesunden Hunden raufen liess, sondern sogar in seine eigene, mit einem Lederhandschuh versehene Hand wiederholt
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beissen Hess; nie trat nach dem Biss solcher Hunde die Wuth ein. Immerhin müsste, abgesehen von der Schwierigkeit der Durchführung und Ueberwachung dieser Massregel, welche übri­gens wenigstens in Bezug auf die Haken oder Eckzähne längst in Anwendung bei fast allen Schäferhunden, die Sicherheit, also auch die Zweckmässigkeit derselben beanstandet werden.
Sehr empfehlenswerth ist aber die strenge Anforderung, dass jeder Hund in einem gewissen Alter, also etwa nach dem Ein­tritt der Steuerpflichtigkeit, ein zweckmässiges, darunter verstehe ich namentlich ein weiches, nicht starres (etwa von Blech), Hals­band mit genauer Adresse des Besitzers nebst Steuermarke trage. Biess hätte den grossen Vortheil, dass man bei Hervortreten ver­dächtiger Erscheinungen an einem seinem Herrn nicht gerade beigesellten Hunde, ersterem alsbald Mittheilung hierüber machen könnte, es wäre ein weiteres Mittel zu der so werthvollen frühen Erkenntniss der gefährlichen Krankheit und zu rechtzeitiger Ein­leitung ortspolizeilicher Massregeln, zur leichteren und rascheren Ergreifung und Internirung eines gefährlich gewordenen Hundes. Es könnte dienen zu der besseren Ueberwachung correcter Be­steuerung, sowie zur Anzeige etwaiger, an dem Hunde ausge­übter Thierquälerei.
Die Massregel, den Hunden einen „Knüppelquot; an dem Hals­bande vor die Vorderfüsse zu hängen, ist früher in einzelnen Gegenden, z. B. in Mecklenburg, bei „Hundesperrenquot; üblich ge­wesen, der Knüppel verhindert ein unnöthiges Herumlaufen, ver­hütet manche Raufereien und erleichtert bei verdächtigen Er­scheinungen das Einfangen des Thieres. Mit dem „Knüppelquot; ist auch das beste Präservativ gegen das „Jagenquot; der Hunde ge­geben, was mit vollem Rechte die Indignation aller Jagdfreunde und Jagdbesitzer stets erweckte. Der „Knüppelquot;, obgleich un­schön und lästig, wäre immer noch dem Maulkorb und seinen Belästigungen und Qualen vorzuziehen, und würde den Antrag­stellern auf ein Gesetz, welches das Niederschiessen jagender fremder Hunde gestatten soll, noch mehr Ersatz bieten für die Zurückweisung des Antrages, als der permanente Maul­korbzwang.
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Eine sehr wichtige Massregel endlich ist das tiefe Eingrahen der unter verdächtigen Symptomen oder wegen wirklicher Wuth getödteten oder verstorbenen Thiere. So lange man noch keine exacte Kenntniss hat, ob, wie es wiederholt vorgekommen sein soll, gesunde Menschen und Thiere durch den Genuss von Resten eines wüthend gewesenen Thieres inficirt werden können, muss ängstlich dafür gesorgt werden, dass nicht Füchse oder Dachse einen solchen Cadaver auswühlen und sich daran äsen. Leicht könnten so Wuthseuchen entstehen, Vorsicht ist also ge­boten und leicht anzuwenden, wenn auch die Theorie und viel­fache Erfahrungen gegen die Infection vom Nahrungsschlauche aus sprechen. Es darf nicht unbeachtet bleiben, dass bei einer früheren Wuthepizootie unter den Wölfen im Elsass das Aus­graben von Fleisch einzelner an Wuthkrankheit crepirter Thiere etwa durch Füchse als Ursache der Seuche beschuldigt wurde.
Auch Darwin erzählt in seiner „Reise eines Naturforschers um die Weltquot;, dass in Südamerika Menschen inficirt worden seien, die von dem Fleische wuthkrankgewesener Ochsen genossen hät­ten. In Betreff letzteren Beispiels ist aber in Anschlag zu neh­men, dass das Fleisch in Südamerika nur durch Trocknen an der Sonne conservirt und roh verspeist wird, wobei die Hände, welche Verletzungen haben können, vielfach mit dem Fleische in Berührung kommen. Gekochtes Fleisch wird nie inficiren.
Schliesslich ist nur noch die möglichst allgemeine Belehrung über die Merkmale der wirklichen Wuth dringend zu empfehlen. Je mehr Sachkunde in dieser Beziehung bei Hundefreunden und im Publikum überhaupt verbreitet ist, um so seltener wird es vorkommen, dass durch unbegründete Behauptungen die Polizei­behörden und die Einwohnerschaft einer Gegend allarmirt wer­den, dagegen wird man viel häufiger eine rechtzeitige Erkennt-niss der Krankheit, daher rechtzeitige Massregeln zur Verhütung von Unheil zij hoffen haben.
Im Hinblick hierauf möge man auch dieser Belehrung eine freundliche Beachtung schenken.
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Anhang.
Nachdem das Voranstehende schon in die Druckerei gege­ben, erschien eine kleine Brochure unter dem Titel: „Die Hunds-wuth, richtige Erkennung Und Verlauf der Krankheitquot;, von Dr. E. Vogel, Professor der medicinischen und chirurgischen Klinik an der Kgl. Thierarzneischule zu Stuttgart. Letztere Schrift wird eifrigst in den Häusern und quot;Wirthschaften Stuttgarts col-portirt und so für die besonderen Ideen des Verfassers, welche derselbe schon vor mehreren Wochen durch das „Neue Stuttgar­ter Tagblattquot; (Nr. 131 1876) in einem längeren Artikel dem Publikum kundgegeben hatte, Propaganda gemacht. In diesen beiden Schriftstücken werden in categorischer Form, jedoch ohne irgend eine nähere Begründung, Lehrsätze und Behauptungen auf­gestellt, welche manchen in vorliegender Schrift enthaltenen An­gaben und Anschauungen geradezu widersprechen. Da nun durch den Titel die Vogel'sche Brochure den Schein einer Art fach­licher, sogar amtlicher Autorität gewinnt, so sehe ich mich ge-nöthigt, so ungern ich mich in eine solche Polemik einlasse, die besonderen Vogel'schen Doctrinen noch nachträglich hier zur Be­sprechung zu bringen, beziehungsweise zu widerlegen, namentlich in Rücksicht auf Württemberg. Zu diesem Zweck möge man mir gestatten, die hauptsächlichsten Sätze Vogel's zu repetiren. Im Tagblatt heisst es:nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; ,
„Ueber die der Entstehung der Hundswuth zu Grunde liegenden „Ursachen kursiren verschiedene Ansichten, welche alle insofern als „irrthümlich bezeichnet werden müssen, als sie nicht festhalten, dass „die Wuth immer nur auf dem Wege der Infection zum Ausbruch ge-
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„langen kann. Allerdings waren es erst die exacten Forschungen und „statistischen Erhebungen der in den letzten Jahren erfolgten grossen „Seuchenausbrüche in Frankreich, Deutschland, Oesterreich und Russ-„laud, welche viele seither als feststehend betrachteten Lehren der „Entstehungsart und Weiterverbreitung der Wuth über den Haufen „geworfen und berichtigt haben.
„Die von berufenen Thierärzten erhobene Thatsache, dass die „Wuth nicht von selbst entsteht, sondern sich nur in Folge des Bisses „wüthender Thiere fortpflanzt, ist von der grössten staatspolizeilichen „Wichtigkeit, weil sie die einzig richtigen Wege angibt, auf denen die „entsetzliche Krankheit wirksam bekämpft werden kann. In der That „ist sie auch einer vollständigen Ausrottung zugänglich und dass das „Radicalmittel innerhalb der Infe ctionsherde in der so vielfach ange-„fochtenen Massregel des obligatorischen Tragens von Maulkörben „gelegen ist, braucht hienach nicht des Weiteren erörtert zu werden.quot; Hätte Herr Professor Vogel einfach sich dahin ausgesprochen, dass er der von manchen „erfahrenenquot; Thierärzten neuerdings wieder aufgenommenen Anschauung, dass die Wuth nicht spontan entstehe, ebenfalls beitrete, so Hesse sich dagegen keine Ein­sprache erheben, allein von „exacten Forschungenquot; und „von berufenen Thierärzten erhobenen Thatsachenquot; bei Aufstellung seines Satzes über die Entstehung der Wuth beim Hunde zu sprechen, das geht zu weit, namentlich weil in dieser Darstel­lungsweise eine vollständige Nichtbeachtung der Arbeiten und Aussprüche einer langen Reihe ehrenwerther Beobachter und Lehrer der Thierheilkunde liegt. Beide Anschauungen über die Entstehungsart der Wuth haben gleiche Berechtigung, denn es ist weder die eine noch die andere bis jetzt exact nachgewiesen und auch in Zukunft wird keine zweifellos als die richtige be­wiesen werden können.
Betrachten wir zunächst mit nüchternem Blicke die Behaup­tung „von der erhobenen Thatsache, dass die Wuth nie von selbst entsteht,quot; so ergibt sich, dass diese „Thatsachequot; einfach in der Negirung der Wahrnehmungen und Referate anderer Techniker besteht. Ich möchte früheren in der Literatur reichlich gesam­melten Beispielen von Selbstentwicklung der Wuth der Hunde einen höheren Werth beilegen für die Beurtheilung dieser Frage,
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als den Hypothesen und Erklärungen über Entstehung verein­zelter Wuthfalle, wobei wohl manche Techniker mit Vorliebe durch die Brille der Contagionisten blicken. Bei dieser Frage ist eben meist die subjective Anschauung maassgebend für das Urtheil. Auffallen muss es auch, dass ein Staatstechniker die Anschauung der höchsten medicinischen Behörde seines Landes, des E. Medicinalcollegiums, vollständig ignorirt. Die der neue­sten Verfügung gegen die Hundswuth beigegebene Belehrung vom 5. Nov. 1874 beginnt nämlich sect;. 1. mit den Worten:
„Wenn bei dem Hunde die Wuth sich von selbst entwickeltquot; etc. Ein anderer besonders auffallender Vogel'scher Satz war: „Es ist neuestens sehr wahrscheinlich, dass die quot;Wuth originär „beim Hunde gar nicht vorkommt, sondern nur vom Wolfe ausgeht.laquo; Gegen diese Anschauung muss jeder naturwissenschaftlich Gebildete den einfachen Einwurf machen, Wolf und Hund sind so nahe verwandt, dass vielfach ihre Unterscheidung als verschie­dene Art nicht anerkannt wird, weshalb beide nur als Varietä­ten angesehen werden sollen, gar Viele leiten die Abstammung mancher Hunderacen direct vom Wolfe ab.
Nicht unerwähnt kann ich aber lassen, dass es nichts Neues, sondern eine längst bekannte Thatsache ist, dass beim Wolfe wie beim Haushund und bei Füchsen, Mardern, Dachsen, Katzen, in neuerer Zeit auch, wie man in Amerika beobachtet haben will, beim Stinkthier Wuthseuchen zu verschiedenen Zeiten aufgetreten und wieder verschwunden sind, schon in den Jahren 470 und 487 kamen in Frankreich unter den Wölfen Wuthepizootieen vor. Vom Jahre 1590 berichtet Bauhin über wttthende Wölfe, welche bei Beifort, Mömpelgard und Hericourt viele Menschen verletzten und dadurch mehreren (14) derselben die zum Tode führende Wuth mittheilten. Ueber die Wuth von Wölfen hat man so gut wie über die von andern Thieren auch aus Italien, Ungarn und andern Ländern Nachrichten, aber nirgends ist bewiesen, dass die Wölfe vor den andern Thiergattungen und Thierarten, bei denen man ebenfalls Wuthseuchen beobachtete, die spezifische Eigen­schaft voraus haben, die Wuth selbständig in sich zu entwickeln. Sind wüthende Wölfe erst den Füchsen in den Bau nachgekro-
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eben und den Katzen und Mardern auf die Bäume nachgeklettert! Bei lebhafter Fantasie wird man freilich auch eine Erklärung ausfindig machen können für die Seucheausbreitung unter den genannten Thierarten durch die Wölfe. Es kann ja ein müdes krankes Individuum aus den fremden Arten und Geschlechtern von einem wüthenden Wolf attrapirt worden sein, worauf jenes zu seinem und seines Stammes Unglück in Folge der Infection an der Wuth erkrankte. Das Resultat des hier besprochenen Satzes wäre aber jedenfalls: alle Maassregeln gegen die Wuth-seuchen unter den Hunden schützen uns nicht sicher und nach­haltig, so lange noch Wölfe überhaupt existiren.
Es ist hier nicht mehr der Raum, nochmal auf eine Dis­cussion über die Entstehungsgründe der Wuth einzugehen. Da­gegen werde ich ganz objeetiv Vogel's Lehren über Entwicklung und Verbreitung der Wuth, sowie über den Werth des von ihm vorgeschlagenen permanenten Maulkorbzwangs mit einem Material zu widerlegen suchen, welches ich aus der von Professor Vogel selbst herausgegebenen Zeitschrift „Repertorium der Thierheil-kundequot; am bequemsten entnehme, und gebe ich hier, um den Leser in die Lage zu versetzen, sich selbst ein Urtheil zu bilden über den Werth der Vogel'schen Behauptungen, nur kurz folgende Auszüge aus den neuesten Jahrgängen 1875 und 1876, eben weil diese Professor Vogel selbst bearbeitete und redigirte, sie also kennen musste. In diesen zwei neuesten Jahrgängen ist keine' Spur zu finden, welche auf die besondere Stellung hinweisen würde, welche Vogel nun im „Neuen Tagblattquot; und in seiner neuesten Brochure eingenommen hat, namentlich zu „den neuen „Wuthgesetzen, welche allenthalben entstanden sind, weil in „Baden, Württemberg, Baiern und der Schweiz sich gegenwärtig in „Stadt und Land die Wuth eingenistet hatquot;, vergleiche Vorrede I der Brochure. Gegen alle die seiner Anschauung entgegenstehen, den Referate über Thatsachen und gegen derartige Aeusse-rnngen anderer Fachmänner findet man von Seiten Vogel's kein Wort der Rectificirung oder des Widerspruchs. Die betreffenden Referenten über die bezüglichen Punkte sind aber doch als be­rufene Thierärzte zu bezeichnen, da dieselben längst als Autori-
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täten durch ihre zuverlässige Berichterstattung und ächte Wissen­schaftlichkeit anerkannt sind in weiten Kreisen von Sachverstän­digen und verständigen Beurtheilern.
Weder in der mir zugänglichen Fachliteratur noch in dieser technischen Vogel'schen Zeitschrift fand ich Eeferateüber „exacte Forschungen, welche die irrthümliche Ansicht der andern über den Haufen geworfen habenquot; sollten. Man darf doch wohl vor­aussetzen, dass wenn in der That so wichtige Errungenschaften vorlagen, diese wenigstens in der Form kurzer Anmerkungen bei den Mittheilungen der entgegenstehenden Ansichten im Reperto-rium den Lesern von dem Herausgeber angedeutet worden wären. Ich fand keinerlei Referate über derartige Forschungen, dagegen im Jahrgang XXVI. 1. „Mittheilung des Obermedicinalraths v. Straub aus den Jahresberichten der Oberamtsthierärzte von 1874quot;: „Im Oberamte Waldsee wurde ein Fall von spontaner „Wuth bei einem männlichen castrirten Rattenfänger, llf2 Jahr „alt, beobachtet.quot; Derselbe in dem Jahresberichte von 1875: „Spontane Wuth wurde bei einem auf einer Einöde im Oberamte „Wangen befindlichen Hunde, welcher mit einem andern in gar „keine Berührung gekommen war, beobachtet; ein anderer Fall „im Oberamte Baiingen, wo seit Jahren sich die Hundswuth nicht „bemerklich gemacht hatte.quot;
Ob.-Med.-Rath v. Hering sagt in einem Referat aus einer gründlichen Abhandlung über Hundswuth von Westring „Was der „Verfasser hier theils aus eigener Anschauung, theils und haupt-„ sächlich aus der Literatur mittheilt, beweist nur, dass man so-„wohl über die Ursachen der Wuth, als über ihr Wesen, noch „ebenso im Unklaren ist als früher.quot; Ferner sagt hiebei Hering: „es ist nicht richtig, die Spontanisten den ausschliesslichen Contagio-„nisten gegenüber zu stellen, da die ersteren die Ansteckungsfähigkeit „der Wuth keineswegs leugnen, sondern nur die Unmöglichkeit der „Selbstentwicklung, einmal muss diese wie jede andere ansteckende „Krankheit durch das Zusammentreffen besonderer Umstände spontan „entstanden sein.quot;
Ich will nicht von meinen eigenen Erfahrungen sprechen während einer viermaligen Wuth-Epizootie in dem Bezirke Statt-
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gart, wobei ich 4 wirklich wuthkranke Thiere zur Beobachtung im Leben bekam und bei 2 derselben nach ihrer ganzen Haltung und ihrem Lebensgang spontane Erkrankung annehmen musste. In Vogels Zeitschrift finde ich aber einen Bericht über eine grössere wissenschaftliche und statistische Arbeit von Leblanc, welcher nachweist, dass seit 1864—1872 in Paris die Zahl der Wuthfälle gestiegen ist (bei Maulkorbzwang), so dass Leblanc Gegner des Maulkorbes ist und die Mittel gegen Verbreitung der Hundswuth in der Besteuerung und in genauer Controle und Aufsicht der Hunde sucht, und namentlich Hundesperre von 90 Tagen verlangt bei wuthverdächtigen Thieren. Auch Leblanc (welcher mit seinem Vater in einer ausgedehnten Praxis und Klinik reiche Erfahrungen gesammelt), ist der Ansicht, dass die spontane Wuthentwicklung durch heftige Aufregungen im Ge­schlechtsleben hervorgerufen werden können. Sein Bericht ist vom Jahre 1873 Recueil de Mödecine vetörinaire und im Auszug im citirtem Repertorium gegeben.
quot;Wenn auch Hertwig anfangs der zwanziger Jahre bei seinen Versuchen über die Folgen aufgeregten Geschlechtstriebs nur ne­gative Resultate erreichte, so hat man doch vor ihm und neuerer Zeit ähnliche Versuche in Italien und Frankreich mit ganz ande­ren Resultaten gemacht. Herings Repert. der Thierheilk. ent­hält gerade in den letzten Jahren einige ganz schwer wiegende höchst interessante Beispiele von Wuthentwicklung fast unmittel­bar nach heftigen Aufregungen in besagter Beziehung.
Faber, der gewissenhafteste, rein objective literarische Be­arbeiter der Wuthkrankheit kommt nach der Zusammenstellung aller möglichen Ursachen der Wuth oder der Wuthseuchen (Epi-zootieen) unter fleissiger Beachtung der Literatur aller Zeiten und Länder und speciell nach den Wahrnehmungen in Württem­berg, zu dem Schlüsse: „dass die Wuthseuchen nicht die alleinige „Folge der Ansteckung von einem Individinm auf andere seien, „dürfte aus der Art der Verbreitung , namentlich aus der That-„ sache, dass diese Epizootieen an weit von einander entfernt lie­genden Bezirken zumal ausbrechen, als erwiesen angenommen „werden. Bei einer ausschliesslichen Verbreitung durch Ansteckung:
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„wäre auch nicht einzusehen, wie eine Epizootic, wenn sie einmal „ihre Höhe erreicht hat, also die grösste Menge von wüthenden „Thieren vorhanden, somit die Verbreitung durch Ansteckung am „meisten möglich ist, wieder abnehmen könnte, ohne dass der „grösste Theil der gesunden noch ansteckungsfähigen Thiere ge-„tödtet worden wäre.quot;
Als Beweis gegen die spontane Entstehung der Wuth bietet uns Vogel in seiner Brochure Seite 19 Folgendes: „dass die Wuth nie von selbst, sondern nur durch Biss entsteht, da-„für liegen folgende Beweise vor. In grossen Städten geht die Krank-„heit, wenn sie plötzlich nach einer Pause auftritt, immer nur von „einem Punkte aus, wo der erste wüthende Hund sein Unwesen ge­ntrieben und verbreitet sich von hier aus nach verschiedenen Eich-„tungen. Der Gang der Seuche kann dann so genau verfolgt werden, „wie eine andere, z. B. die Cholera, wenn sie von Haus zu Haus geht „oder einzelne Strassen überspringt.quot;
Dieser Beweisversuch ist ein nicht ganz glücklicher, da in einer Stadt ein Hund in kürzester Zeit unbemerkt nach den ver­schiedensten Endpunkten gelangen und die Infection besorgen kann, oder möglicherweise gar keine Gelegenheit zur Infection findet, so dass der Beweis sogar für den natürlichen Seucbegang fallirt. Wenn aber die Art der Verbreitung durch das ganze Land in ähn­licher Weise zur Beweisführung herbeigezogen werden wollte, so würde diess geradezu gar nicht stimmen. Aus Straubs so zuver­lässigen statistischen Notizen in Vogels Kepert. ist zu entnehmen :
WnthTerdftchtige Thiere. Wttthende Thiere.nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; Oberämter. Orte.
1873nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 53nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 38nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;24nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;38
1874nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 35nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; 29nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;17nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp; nbsp;33. Ganz Aehnliches ergibt auch die Statistik der früheren Jahre, denn bei der Wuthseuche von 1839—1843 kamen die 242, pro Jahr also 60 wüthenden oder verdächtigen Hunde in 42 verschie­denen Bezirken und noch weit zahlreicheren Ortschaften vor. Damit soll natürlich nicht von mir bestritten werden, dass in den meisten Fällen die Seucheausbreitung erfolgt durch die leben­digen wandernden Träger des Contagiums. Meine Opposition gilt mehr der eigenthümlichen Beweisführung in citirtem Satze, welche
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nur für die Contagiosität der Krankheit spricht, aber nicht für die Unmöglichkeit einer Selbstentwicklung.
Brochure Seite 19 unten:
„Württemberg war volle 20 Jahre lang, von 1843 —1863 ganz „verschont.quot;
Diess ist nicht richtig. In der angedeuteten Zwischenzeit kam in dem Amtsbezirk Stuttgart ein Fall von Wuth vor.
Brochure Seite 20:
„Heilmittel gegen die Wuth gibt es nicht; daher kommt es, dass „noch niemals Genesung eingetreten.quot;
Ein schöner Trost für alle leidenden Geschöpfe! wo es keine Heilmittel gibt, gibt es keine Genesung!! ? wie wenn die Natur nicht selbst heilen könnte.
Zur Beruhiguftg möge dienen, dass schon manche Fälle ver­zeichnet sind, von Patienten, welche unzweifelhaft an der ächten Wuth litten, und sei es durch die eigene Naturkraft, sei es bei Verwendung sehr verschiedenartiger Heilmittel genesen sind.
Der Satz des Prof. Vogel in Brochure Seite 17:
„Da beim Herrschen einer so furchtbaren Ansteckungskrankheit „Jedermann in jedem Augenblicke der Gefahr ausgesetzt ist, sein „Leben auf die denkbar traurigste Art zu verlierenquot; etc. etc.
ist abgesehen davon, dass hiezu noch eine Menge anderer Vor­bedingungen gehören, durch Prof. V. selbst wieder abgeschwächt mit den Worten: „Gott sei Dank, dass der Mensch nur ganz we-„nig Neigung zur Hundswuth hat, daher kömmt es auch, dass so „wenig gebissene Menschen an der Wuth sterben müssen.quot;
Die neuerer Zeit wieder auferweckte von Vogel in seinen Kundgebungen vorgeführte Contagion sichre halte ich insofern für eine ganz gefährliche, weil sie, abgesehen von den für die Sanitätspolizei von Vogel gezogenen Consequenzen, mit ihren oben besprochenen vielfachen Menschen- und Thierquälereien die Leute zu einem schädlichen Sicherheitsgefühl einschläfert, was ich jedoch schon in dem Vorwort bemerkte.
Uebrigens kann diese Doctrin auch im Sinne meiner Anschau­ungen wirken, worauf ich schon auf Seite 2 hingewiesen. Wenn aber der als Mittel gegen die Verbreitung und zur Tilgung der
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Wuth empfohlene permanente Maulkorbzwang nur gemeint ist für eine einzelne Gegend oder Stadt, wie es eine Eingabe an den Stuttgarter Gemeinderath ausgesprochen hat, so kann diese Mass­regel ganz sicher die besagten Zwecke nicht erfüllen, denn es ist ja unmöglich, den Verkehr der Hunde von und nach der Stadt ganz zu verhindern oder zu überwachen; diesem Gedanken konn­ten sich gewiss die Antragsteller auch nicht verschliessen, es-wird daher nicht zu weit gegangen sein, wenn man annimmt, die­selben hätten mehr einen Schutz nicht sowohl gegen die quot;Wuth als vielmehr^ gegen Belästigung und Gefährdung durch Hunde überhaupt erstrebt. Einen solchen Schutz gewähren uns aber in hinreichendem Masse die bestehenden Württemb. polizeilichen Anordnungen und civilrechtlichen Bestimmungen, man darf sie nur in Anwendung bringen, und die Belästigtingen nicht ruhig hinnehmen. Ehe die Väter der Stadt eine besondere strenge Massregel, angeblich aus Fürsorge gegen die Wuth, beschliessen, dürften dieselben wohl auch in Betracht ziehen, dass man durch die beantragten Massregeln nicht allein belästigt, sondern auch beängstigt, in ähnlicher Weise wie durch Berichte und öffentliche Klagen über ungünstige Mortalitäts- und Sanitätsverhältnisse, über Unsicherheit im Verkehr auf der Strasse. Ich erinnere daran, wie leicht man durch vorübergehende Verhältnisse durch einsei­tige Anschauungen und daraus entstehende Agitationen zu Mass­regeln gelangen kann-? die man dann später als nutzlos, ja sogar als nachtheilig wieder zurücknehmen muss und welche man nach Jahrzehenten für unglaubliche erachtet, als Beweis dafür diene das Edikt Friedrich des Grossen vom 20. Febr. 1767, in welchem in Folge eines Gutachtens des ärztlichen Collegiums in Berlin das Ausschneiden des „Tollwurmsquot; aus der Zunge aller Hunde (vergl. S. 20) im Laufe der nächsten 3 Monate von Be­kanntmachung des Edikts bei hoher Strafe angeordnet worden ist. Diese, total unbegründete, nutzlose, thierquälerische Mass­regel wurde erst nach 30 Jahren durch ein Edikt Friedrich Wilhelms wieder aufgehoben, und wird heute nur als eine ko­mische Ausgeburt des damaligen Zeitgeistes betrachtet!
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